Hitlers militärische Elite: 68 Lebensläufe 9783806230437

Bei der Ausführung seiner verbrecherischen Eroberungs- und Kriegspläne konnte Hitler mit einer großen Gruppe militärisch

126 15 6MB

German Pages 658 [640] Year 2015

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Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Vorbemerkung zur Neuauflage und Vorwort
Generaloberst Wilhelm Adam
Generaloberst Ludwig Beck
Generaloberst Johannes Blaskowitz
Generalfeldmarschall Werner von Blomberg
Generalfeldmarschall Fedor von Bock
Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch
Admiral Wilhelm Canaris
Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch
Generaloberst Friedrich Fromm
Generaloberst Franz Halder
SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS Paul Hausser
Generaloberst Hans Jeschonnek
Generaloberst Alfred Jodl
Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel
Generalfeldmarschall Albert Kesselring
Generalfeldmarschall Günther von Kluge
Generalfeldmarschall Georg von Küchler
Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb
Generaloberstabsrichter Dr. Rudolf Lehmann
Generaladmiral Wilhelm Marschall
Generalfeldmarschall Erhard Milch
Generalmajor Oskar Ritter von Niedermayer
Großadmiral Dr. phil. h. c. Erich Raeder
Generalfeldmarschall Walter von Reichenau
General der Infanterie Hermann Reinecke
Generalarzt Ernst Rodenwaldt
Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt
Generalfeldmarschall Hugo Sperrle
General der Infanterie Karl-Heinrich von Stülpnagel
General der Infanterie Georg Thomas
Generaloberst Ernst Udet
Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben
Admiral Max Bastian
SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Prof. Dr. med. Karl Brandt
Generalfeldmarschall Ernst Busch
Generaloberst Eduard Dietl
SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS Joseph (Sepp) Dietrich
Großadmiral Karl Dönitz
Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg
SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Prof. Dr. med. Ernst Grawitz
Generalfeldmarschall Robert Ritter von Greim
Generaloberst Heinz Guderian
Generaloberstabsarzt Prof. Dr. med. Siegfried Handloser
Generaloberst Erich Hoepner
Generalfeldmarschall Ewald von Kleist
General der Artillerie Fritz Lindemann
Generalfeldmarschall Wilhelm List
Generaloberst Alexander Löhr
Generalstabsrichter Werner Lueben
Admiral Günther Lütjens
Generalfeldmarschall Erich von Lewinski, gen. von Manstein
Generalfeldmarschall Walter Model
Generalfeldmarschall Friedrich Paulus
Generalfeldmarschall Wolfram Frhr. v. Richthofen
General der Infanterie Edgar Röhricht
Generalfeldmarschall Erwin Rommel
General der Infanterie Karl von Roques
Generalstabsrichter Karl Sack
General der Infanterie Max von Schenckendorff
Generaloberst Rudolf Schmidt
General der Infanterie Rudolf Schmundt
Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner
Generalleutnant Dr. phil. Hans Speidel
Generalmajor Henning von Tresckow
General der Artillerie Eduard Wagner
General der Artillerie Walter Warlimont
Generalfeldmarschall Maximilian Freiherr von und zu Weichs an der Glon
Generaloberst Kurt Zeitzler
Zwischen Gefolgschaft, Gehorsam und Widerstand
Das Bild der Wehrmacht-Elite nach 1945
Abkürzungsverzeichnis
Bibliographie
Personenregister
Die Autoren des Bandes
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Hitlers militärische Elite: 68 Lebensläufe
 9783806230437

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Gerd R.Ueberschär (Hrsg.)

Hitlers militärische Elite 68 Lebensläufe

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Der Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Sonderausgabe 2015 © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 3., um ein Vorwort zur Ausgabe von 2011 erweiterte Auflage. Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Umschlagbild: Adolf Hitler bei den Herbstmanövern des VI. Armeekorps in Munsterlager 1936 mit Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Generaloberst Werner von Blomberg (links), und dem Oberbefehlshaber des Heeres, General Werner Freiherr von Fritsch (3. von links). Foto: bpk Berlin Satz: schreiberVIS, Bickenbach Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3038-3 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3043-7 eBook (epub): 978-3-8062-3044-4

Inhalt Gerd R. Ueberschär Vorbemerkung zur Neuauflage und Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Friedrich-Christian Stahl Generaloberst Wilhelm Adam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Klaus-Jürgen Müller Generaloberst Ludwig Beck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Friedrich-Christian Stahl Generaloberst Johannes Blaskowitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

Samuel W. Mitcham, Jr. Generalfeldmarschall Werner von Blomberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

Samuel W. Mitcham, Jr. Generalfeldmarschall Fedor von Bock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

Samuel W. Mitcham, Jr. und Gene Mueller Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

Heinz Höhne Admiral Wilhelm Canaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

Horst Mühleisen Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Gene Mueller Generaloberst Friedrich Fromm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

Gerd R. Ueberschär Generaloberst Franz Halder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

Samuel W. Mitcham, Jr. SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS Paul Hausser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

VI

Inhalt

Gerhard Hümmelchen Generaloberst Hans Jeschonnek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

Kenneth Macksey Generaloberst Alfred Jodl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Samuel W. Mitcham, Jr. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Elmar Krautkrämer Generalfeldmarschall Albert Kesselring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Gene Mueller Generalfeldmarschall Günther von Kluge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 John McCannon Generalfeldmarschall Georg von Küchler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Gene Mueller Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Norbert Haase Generaloberstabsrichter Dr. Rudolf Lehmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Dieter Hartwig Generaladmiral Wilhelm Marschall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Gerhard Hümmelchen Generalfeldmarschall Erhard Milch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Christoph Jahr Generalmajor Oskar Ritter von Niedermayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Kurt Fischer Großadmiral Dr. phil. h. c. Erich Raeder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Bernd Boll Generalfeldmarschall Walter von Reichenau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Christian Streit General der Infanterie Hermann Reinecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Inhalt

VII

Wolfgang U. Eckart Generalarzt Ernst Rodenwaldt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Detlef Vogel Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Gerhard Hümmelchen Generalfeldmarschall Hugo Sperrle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Friedrich-Christian Stahl General der Infanterie Karl-Heinrich von Stülpnagel . . . . . . . . . . . . . 240 Roland Peter General der Infanterie Georg Thomas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Gerhard Hümmelchen Generaloberst Ernst Udet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Gene Mueller Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Manfred Messerschmidt Admiral Max Bastian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Wolfgang U. Eckart SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Prof. Dr. med. Karl Brandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Samuel W. Mitcham, Jr. Generalfeldmarschall Ernst Busch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Jakob Knab Generaloberst Eduard Dietl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 William T. Allbritton und Samuel W. Mitcham, Jr. SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS Joseph (Sepp) Dietrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Herbert Kraus Großadmiral Karl Dönitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Heinz-Ludger Borgert Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

VIII

Inhalt

Wolfgang U. Eckart SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Prof. Dr. med. Ernst Grawitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Samuel W. Mitcham, Jr. Generalfeldmarschall Robert Ritter von Greim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Kenneth Macksey Generaloberst Heinz Guderian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Wolfgang U. Eckart Generaloberstabsarzt Prof. Dr. med. Siegfried Handloser . . . . . . . . . . . 359 Samuel W. Mitcham, Jr. und Gene Mueller Generaloberst Erich Hoepner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Friedrich-Christian Stahl Generalfeldmarschall Ewald von Kleist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Wolfgang Welkerling General der Artillerie Fritz Lindemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Friedrich-Christian Stahl Generalfeldmarschall Wilhelm List . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Siegwald Ganglmair Generaloberst Alexander Löhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Norbert Haase Generalstabsrichter Werner Lueben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Gerhard Hümmelchen Admiral Günther Lütjens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Bernd Boll Generalfeldmarschall Erich von Lewinski, gen. von Manstein . . . . . . . . 414 Samuel W. Mitcham, Jr. und Gene Mueller Generalfeldmarschall Walter Model . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Peter Steinkamp Generalfeldmarschall Friedrich Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432

Inhalt

IX

Gerhard Hümmelchen Generalfeldmarschall Wolfram Frhr. v. Richthofen . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Erich Kosthorst General der Infanterie Edgar Röhricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 Sir David Fraser Generalfeldmarschall Erwin Rommel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Peter Steinkamp General der Infanterie Karl von Roques . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Norbert Haase Generalstabsrichter Karl Sack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 Ekkehard Meyer-Düttingdorf General der Infanterie Max von Schenckendorff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Friedrich-Christian Stahl Generaloberst Rudolf Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Reinhard Stumpf General der Infanterie Rudolf Schmundt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 Peter Steinkamp Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Elmar Krautkrämer Generalleutnant Dr. phil. Hans Speidel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 Gerd R. Ueberschär Generalmajor Henning von Tresckow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 Roland Peter General der Artillerie Eduard Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 Horst Mühleisen General der Artillerie Walter Warlimont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Friedrich-Christian Stahl Generalfeldmarschall Maximilian Freiherr von und zu Weichs an der Glon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547

X

Inhalt

Friedrich-Christian Stahl Generaloberst Kurt Zeitzler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 Peter Steinbach Zwischen Gefolgschaft, Gehorsam und Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . 564 Wolfram Wette Das Bild der Wehrmacht-Elite nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 Die Autoren des Bandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619

XI

Vorbemerkung zur Neuauflage von 2015 Über die Beteiligung hoher militärischer Führer in Kommandostellungen und Führungsstäben von Wehrmacht, Heer, Luftwaffe und Kriegsmarine sowie der Waffen-SS am Vernichtungskrieg und an Kriegsverbrechen während des NS-Regimes und des Zweiten Weltkrieges hat es in den letzten Jahren – auch in Verbindung mit der Präsentation mehrerer Ausstellungen über die Wehrmacht in der NS-Zeit und deren Kriegführung, insbesondere in Süd-, Südost- und Osteuropa - eine breite gesellschaftliche Debatte gegeben. Dabei sind einzelne Militärs - Feldmarschälle, Generale, Admirale und höhere Waffen-SS-Führer – wiederholt in den Mittelpunkt der Untersuchungen gerückt. Durch zahlreiche Studien, Biographien und Dokumentensammlungen überlieferter militärischer Schriftstücke wurden ihre Mitwirkung, Verstrickung oder das arbeitsteilige Zusammenwirken an dem von der NS-Führung geforderten und auch öffentlich propagierten totalen Vernichtungskrieg nachgewiesen. Mehrere Aspekte dieses Verhaltens der militärischen Elite, die in diesem Band anhand von 68 Kurzporträts beschrieben werden, konnten in letzter Zeit in Teilbereichen somit detaillierter untersucht und dargestellt werden als dies früher erfolgte. Dadurch sind einige Nuancen und Teilaspekte der Verstrickung und Mitwirkung bei den Verbrechen des NS-Staates noch deutlicher geworden als bisher; die neueren Ergebnisse bekräftigen generell die Aussage über die Teilhabe höherer Militärs an der verbrecherischen Durchsetzung von Hitlers Herrschaft von 1933 bis 1945. Das in diesem Band beschriebene Handeln und die dargelegten, oft nicht genutzten Handlungsmöglichkeiten vieler hoher Militärs zeigen nicht nur deren NS-freundliche Haltung, sondern auch die bewusste Teilhabe an NS-Verbrechen, auch wenn diese bei einigen Einzelaktionen nicht förmlich gebilligt wurden oder in Einzelfällen zur Ablehnung der NS-Diktatur und sogar zum aktiven Widerstand gegen Hitlers Herrschaft führten. Es wird insgesamt das Versagen dieser nach eigenem Verständnis professionell orientierten militärischen Elite während der NS-Herrschaft deutlich. So können die nachfolgend vorgestellten personenbezogenen Skizzen nach wie vor ein gültiges Fundament für weitere Untersuchungen und biographische Nachforschungen bieten und als Basis für die umfassende Erkenntnis über das persönliche Scheitern vieler Feldmarschälle, Generale, Admirale und SS-Gruppen- und Obergruppenführer der Waffen-SS bei ihrem Verhalten während der NS-Zeit gelten. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass der Verlag diese Sammlung biographischer Portraits zur militärischen Elite für die Zeit von 1933 bis 1945 durch eine Neuauflage wieder zugänglich macht. Das Werk erschien erstmals 1998 in zwei getrennten Bänden und fand damals eine große Nachfrage,

XII

Vorwort des Herausgebers

so dass es alsbald vergriffen war und dann 2011 in zweiter aktualisierter Auflage in einem Band zusammengefasst publiziert worden ist, die inzwischen ebenfalls vergriffen ist. Autoren und Herausgeber danken deshalb Daniel Zimmermann vom Lektorat Geschichte und Altertumswissenschaft der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt für seinen Einsatz bei der Herausgabe dieses Werkes in Form einer weiteren dritten Neuauflage. Freiburg, Februar 2015

Gerd R. Ueberschär

Vorwort des Herausgebers In neuen historischen Untersuchungen und öffentlich präsentierten Dokumenten zentraler Ausstellungen wie den beiden großen „Wehrmachtausstellungen“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung tritt die Mitverantwortung der Wehrmacht und deren Führung für den Massenmord an der jüdischen und slawischen Bevölkerung in Osteuropa und bei anderen Kriegsverbrechen immer deutlicher zutage. Sicher gab es Wehrmachtseinheiten und Wehrmachtsangehörige, die mit Recht sagen konnten, von alledem nichts gewusst zu haben. Auf der anderen Seite gab es aber auch Einheiten, Verbände, Kommandeure und Befehlshaber, deren Beteiligung oder Mitwisserschaft an Kriegsverbrechen sich aus den erhaltenen Akten zweifelsfrei belegen lässt. Bei diesem Befund stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Wehrmacht- und Truppenführung zum NS-Regime. Historiographie und Geschichtswissenschaft nähern sich diesem Thema in breiter historischer Perspektive. Sie reicht zeitlich weit hinter das Jahr von Hitlers Machtantritt 1933 zurück und wendet sich zunehmend den verantwortlichen Personen zu, die als „Heerführer“ die „einfachen“ Soldaten ab Kriegsbeginn im September 1939 in völkerrechtswidrige Situationen brachten oder ihnen sogar völkerrechtswidriges Verhalten abverlangten. Vor allem im Rahmen der Erforschung des militaristischen Denkens und Verhaltens in der Kaiserzeit und Weimarer Republik untersuchte die Geschichtswissenschaft die Kontinuität lange tradierter Werthaltungen und politischer Ziele des preußisch-deutschen Militärs in ihren Auswirkungen auf die Innen- und Außenpolitik nach 1918. Dabei trat auch die Frage nach der gewandelten Qualität des Krieges und dem damit verbundenen Funktionswandel von Strategie und Politik sowie von Militär und Gesellschaft ins Blickfeld. Schon vor Hitlers Regierungsantritt war die Vorstellung, dass der moderne Krieg von der technisch-industriellen Entwicklung bestimmt

Vorwort des Herausgebers

XIII

werde und als „totaler Krieg“ der gesamten Gesellschaft verstanden und geführt werden müsse, in der militärischen Funktionselite weitgehend akzeptiert. Der kommende Krieg schien nur dann erfolg- und siegreich geführt werden zu können, wenn es gelang, die gesamte Volkskraft zum Zwecke der Kriegführung zu mobilisieren und dafür unmittelbar einzusetzen. In diesem Sinne begrüßten die führenden Militärs die Forderung der nationalsozialistischen Bewegung nach einem „Volk in Waffen“, und sie unterstützten deren Maßnahmen zum Aufbau einer festgefügten „Volksgemeinschaft“. Im Kaiserreich zeichnete sich das Offizierkorps durch konservative Wertmaßstäbe und Homogenität aus. Es besaß ein starkes Standes- und Elitebewusstsein sowie ein hohes Selbstwertgefühl mit tradierten Ehrbegriffen, die es auch in der Weimarer Republik zu verteidigen wusste. Das Scheitern des operativen Denkens dieser Elite im Ersten Weltkrieg führte zur Abkapselung und zum Rückzug aus dem politischen Bereich in der Zeit nach 1918. Man suchte, die militärische Macht mit den tradierten Wertvorstellungen als unpolitischen Bereich in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit fortzuführen. Das höhere Offizierkorps entwickelte keine positive Beziehung und Bindung zur deutschen Republik von 1918 bis 1933. Es besaß in weitem Maße eine konservativ-nationale Grundüberzeugung, die keineswegs den Prinzipien einer demokratisch-parlamentarischen Staatsordnung entsprach. Zudem wurde die militärische Niederlage von 1918 weitgehend aus dem Bewusstsein verdrängt. Den nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg abgeschlossenen Versailler Vertrag wollte man – wenn nötig gewaltsam – revidieren. Hitlers Generale und Admirale stammten aus jener militärischen Führungsschicht, die aufgrund ihrer politischen und militärischen Ziele bereit war, die nationalsozialistische Politik und deren Ziele mitzutragen und auch zu unterstützen. Als Hitler die Regierung antrat, konnte er auf dieser Basis den Weg vom Revisionskurs der Weimarer Regierungen zur Gewalt- und Kriegspolitik gegen das ihm verhasste „System von Versailles“ einschlagen, ohne befürchten zu müssen, dass ihm wegen innenpolitischer Verfehlungen seiner Anhänger und Parteigenossen gegen Juden und Andersdenkende von Seiten der höheren Offiziere die Gefolgschaft verweigert werde. Diese waren vielmehr bemüht, ihren Anspruch, die einzige professionelle Elite für die Durchführung des Krieges zu sein, auch im neuen NS-Regime durch ein Mit- und Aufeinanderzugehen im NS-Staat zur Geltung zu bringen. Die von Hitler propagierte Zwei-Säulen-Theorie von Partei und Wehrmacht als den beiden gleichberechtigten innenpolitischen Machtfaktoren seiner Herrschaft bot den Generalen und Admiralen die Möglichkeit, sich als wichtige Partner der NS-Bewegung zu verstehen. Sie empfanden dadurch zugleich eine besondere Verantwortung für die Konsolidierung und den Bestand der NS-Herrschaft, deren Ideologie sie weitgehend akzeptier-

XIV

Vorwort des Herausgebers

ten. Entscheidendes Einfluss- und Machtterrain ging der Wehrmachts- und Heeresführung jedoch durch die Blomberg-Fritsch-Krise in Februar 1938 verloren, als sie sich den Machenschaften der NS-Führer nicht energisch entgegenstellten. Danach spielte die militärische Führungsschicht in der Diktatur Hitlers nur noch die Rolle einer nachgeordneten, im Einfluss begrenzten Funktionselite, zumal der Diktator dann selbst den Oberbefehl über die Wehrmacht und damit die Position des entlassenen Reichskriegsministers Werner v. Blomberg übernahm. Als General der Artillerie Ludwig Beck als Generalstabschef des deutschen Heeres am 16. Juli 1938 mit Hilfe einer Denkschrift den damaligen Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Walther v. Brauchitsch, sowie die übrigen Befehlshaber und Kommandierenden Generale des Heeres eindringlich vor den Gefahren einer unkontrollierbaren Gewaltpolitik und Kriegstreiberei durch den „Reichskanzler und Führer“ Adolf Hitler zu warnen suchte und sie für ein gemeinsames Handeln gegen den Diktator durch kollektive Verweigerung gewinnen wollte, formulierte er einen sehr hohen Anspruch für ihr Verhalten gegenüber Krieg und Politik in der NS-Zeit: Es sei ein „Mangel an Größe und an Erkenntnis der Aufgabe, wenn ein Soldat in höchster Stellung in solchen Zeiten seine Pflichten und Aufgaben nur in dem begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufträge sieht, ohne sich der höchsten Verantwortung vor dem gesamten Volke bewußt zu werden“. „Außergewöhnliche Zeiten“ verlangten nach Becks Ansicht auch „außergewöhnliche Handlungen“. Der soldatische Gehorsam der Generale habe dort „eine Grenze, wo ihr Wissen, ihr Gewissen und ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls“ verbiete.1 Mit dieser Feststellung konnte Beck die Mehrzahl seiner Generalskameraden jedoch nicht überzeugen. Er blieb allein und nahm danach seinen Abschied. In steigendem Maße haben führende Militärs die Augen verschlossen vor dem innenpolitischen Terror der Nationalsozialisten gegen einzelne Bevölkerungsgruppen, die der NS-Führung nicht genehm waren oder ihrem Regime Widerstand entgegenbrachten. Unter Führung der Generale und Admirale war die Wehrmacht schließlich im September 1939 ein verlässliches Instrument beim Kampf gegen Polen und dessen Verbündete Großbritannien und Frankreich. Viele Generale und Admirale hofften mit Beginn des Krieges auf Ruhm, Anerkennung, Beförderung und Belohnung für erwartete Siege. Der vor 1939 propagierten Zwei-Säulen-Theorie von Partei und Wehrmacht als den beiden maßgeblichen Machtfaktoren des NS-Staates entsprach nach Kriegsbeginn die Funktionsteilung im Kampf der „NS-Volksgemeinschaft“ sowohl gegen außenpolitische Feinde als auch gegen innenpolitische Gegner. Nach Kriegsbeginn verstanden führende Militärs sowohl den

Vorwort des Herausgebers

XV

Terror gegen fremde Bevölkerungen und Bevölkerungsteile in den besetzten Gebieten als auch das Vorgehen gegen die Juden Europas als berechtigte Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der deutschen Herrschaft und Machtposition in den eroberten europäischen Ländern. Insofern war der am 1. September 1939 entfesselte Kampf nicht nur „Hitlers Krieg“. Viele Generale und Admirale waren bereit, aus „Kriegsnotwendigkeit“ wegzusehen, wenn sie mit NS-Verbrechen in ihrem Kommandobereich konfrontiert wurden. Sie waren ebenso bereit, vorhandene eigene moralische Bedenken gegen den Terror dem totalen Siegeswillen nach- oder unterzuordnen, indem sie sich einem selbst auferlegten Anpassungsdruck unterwarfen. Für viele Heerführer und Oberbefehlshaber war es schwierig, im Einzelfall nicht in NS-Verbrechen hineingezogen zu werden. Manche beteiligten sich auch aktiv daran oder stellten sich dafür als Funktionsträger zur Verfügung, wenn sie Befehle weitergaben und auch selbst erteilten, um Juden und Slawen für die Liquidierungen abzutransportieren, oder wenn sie in eigenen Befehlen die Mordaktionen an Juden als „harte, aber gerechte Sühnemaßnahme“ bezeichneten oder als „unausweichlichen Volkstumskampf“ gegenüber anderen Völkern akzeptierten. Mehrere höhere Befehlshaber suchten sogar in besonderen, von Hitler ausdrücklich gelobten „Musterbefehlen“ die ihnen anvertrauten Soldaten „als Träger einer völkischen Idee und Rächer“ auf rücksichtslose Kampfführung und Ausrottung der Juden zu verpflichten. Zudem verschoben sich in der Kriegszeit die Wertmaßstäbe immer mehr. „Kriegsnotwendigkeiten“ bestimmten einzelne Aktionen und wurden bereitwillig als pauschale Erklärungsmodelle für rücksichtsloses und verbrecherisches Vorgehen gegen äußere und innere Gegner anerkannt. Nur wenige Generale und Admirale lehnten sich gegen die NS-Verbrechen auf oder verweigerten sich dem von der NS-Führung propagierten Vernichtungskampf gegen „Plutokraten, Juden und Bolschewisten“. Keiner der Oberbefehlshaber, Flotten- oder Armeeführer hat offenen Widerspruch dagegen eingelegt. Bewusst zog man sich auf strategische und operative Aufgaben zurück und wollte den Kampf an der Front siegreich meistern. Manche vollbrachten dabei herausragende Leistungen und genossen dann die ihnen sogar vom Ausland zuteil werdende Anerkennung etwa als „Wüstenfuchs“ in Afrika (Feldmarschall Rommel) oder als „strategischer Kopf“ an der Ostfront (Feldmarschall v. Manstein). Auch in aktiven Widerstandskreisen gegen Hitlers Regime hielt man es lange Zeit für vorrangig, erst den Krieg unter der NS-Führung siegreich zu beenden, bevor man sich gegen die eigene Regierung stellen oder sie gar wegen verbrecherischer Taten gegenüber anderen Völkern und Juden zur Rechenschaft ziehen wollte. Letztlich waren nur ganz wenige bereit, die von General Beck 1938 verlangte Verantwortung zu akzeptieren und ihr Handeln bis zum Ende des

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Vorwort des Herausgebers

Dritten Reiches im Mai 1945 auch danach auszurichten. Noch weniger waren bereit, durch aktiven Widerstand und Putsch gegen die eigene verbrecherische Staatsführung zu handeln und sich zur Schuld für deren Verbrechen zu bekennen. Die gelegentliche Distanz zum Regime zeigt jedoch die Bereitschaft einiger höherer Offiziere zur Übernahme von Verantwortung nach dem Kriegsvölkerrecht gegenüber der NS-Politik, ohne dass in jedem Fall der direkte Weg zum militärischen Widerstand gegen das NS-Regime eingeschlagen wurde, wie es beispielsweise sogar das Verhalten höherer SS-Führer der Waffen-SS belegt, die in einzelnen Fällen unsinnige „Führerbefehle“ boykottierten. Innerhalb dieses Handlungsrahmens zeigt sich nicht nur die enge Bindung der höheren Wehrmachtoffiziere an die NS-Ideologie, sondern zugleich auch das Phänomen, dass der NS-Führung die wiederholt verlangte Rezeption des Nationalsozialismus durch die militärische Elite nicht weit und umfassend genug ging. So bestand bei Hitler ein deutliches Misstrauen gegenüber Generalen und Generalstabsoffizieren. Überliefert ist seine Kritik von 1938: „Was sind das für Generale, die ich als Staatsoberhaupt womöglich zum Krieg treiben muß! Wäre es richtig, so dürfte ich mich doch vor dem Drängen der Generale nach Krieg nicht retten können! […] Ich verlange nicht, daß meine Generale meine Befehle verstehen, sondern daß sie sie befolgen.“2 Hitler wollte sich deshalb nach dem Kriege „der Frage der Offiziere“ annehmen – ähnlich wie Stalin, der die Generale der Roten Armee rechtzeitig habe erschießen lassen3. Diese Meinung des Diktators konnte auch durch einzelne militärische Führer, die seiner Vorstellung von NS-begeisterten Offizieren – wie etwa den Generalen Dietl oder Schörner – entsprachen, nicht beseitigt werden. Obwohl die höhere militärische Führungsschicht mehrheitlich auf dem Boden der NSWeltanschauung stand, monierte insbesondere Goebbels vielfach den fehlenden politischen Eifer der Generale für den Nationalsozialismus. Nur schwer ist zu verstehen, wieso so viele führende Militärs Hitlers Herrschaft bis zuletzt unterstützten, ihm weiterhin Gefolgschaft leisteten und angesichts der großen personellen und materiellen Verluste nicht wie im Ersten Weltkrieg auf einen Waffenstillstand drängten. Sie leisteten Hitler auch dann noch Gefolgschaft, „als dessen Skrupellosigkeit und verbrecherische Natur erkennbar wurde“, so dass die Grenzen des Gehorsams längst aufgehoben waren. Ein Teil der Adressaten von Becks moralischer Forderung saß nach Kriegsende auf der Anklagebank bei den Nürnberger Prozessen und wurde zur Rechenschaft gezogen. General Beck hielt dagegen an seiner kritischen Haltung und Überzeugung fest und fand beim Staatsstreichversuch Stauffenbergs am 20. Juli 1944 den Tod. Beide Handlungsstränge symbolisieren

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die Zerrissenheit des Offizierkorps in seiner Einstellung gegenüber dem NS-Regime vor und während des Krieges sowie das Spannungsverhältnis zwischen preußisch-deutscher Machtpolitik und Hitlers ideologisch geprägter Kriegs- und Vernichtungspolitik. Dass es so weit kommen konnte und viele höhere Offiziere sich vor Gericht verantworten mussten, betrachteten diese symptomatischerweise nicht als Resultat ihres eigenen Handelns oder Versagens, sondern als Willkürakt der Siegermächte, denen sie zudem Unkenntnis über ihre Handlungsmöglichkeiten in militärischen Spitzenstellungen während des Dritten Reiches vorwarfen. Der moralische Abstieg von hoch dekorierten und zu Spitzendienstgraden beförderten Angehörigen der traditionellen militärischen Funktionselite zum quasi mit kriminellen NS-Rabauken und Kriegsverbrechern gleichgestellten Nachbarn auf der Anklagebank konnte für die Generale und Admirale in der Öffentlichkeit der Nachkriegszeit kaum größer sein. Wie die schlimmsten Nationalsozialisten Julius Streicher und Fritz Sauckel angeklagt zu werden und neben ihnen in gleicher Weise als Angeklagte zu sitzen, war verachtungswürdig. Dies wirft die Frage auf, wie es zu diesem „Niedergang“ der Generale und Admirale als militärische Elite unter Hitlers Herrschaft von 1933 bis 1945 kommen konnte. Wer waren diese Angehörigen der Militärelite des Dritten Reiches? Wie gelangten sie in ihre Führungspositionen? Wie weit stellten sie sich in den Dienst des NS-Staates? Welches Pflichtgefühl und Fürsorgeempfinden für die ihnen anvertrauten Zehn- und sogar Hunderttausende deutscher Soldaten prägte sie? Die vorliegenden Beiträge versuchen, in engem Rahmen darauf eine Antwort zu geben. Die biographischen Skizzen stammen von einem großen, international zusammengesetzten Historikerkreis. Zum Teil sind die Studien zu einigen Generalen und Admiralen die ersten biographischen Skizzen überhaupt, so dass sie auch aufgrund der begrenzten Quellenlage nur Ansatzpunkte für mögliche Antworten und eine knappe biographische Darstellung bieten können. Die Beiträge folgen keinem festem Schema, da den Autoren Annäherungsweg und Erkenntnisinteresse nicht einheitlich vorgeschrieben worden sind. Allerdings stehen soldatische Laufbahn und Tapferkeit sowie militärische Karriere nicht direkt im Vordergrund dieser Lebensbilder. Ziel der Beiträge ist es vielmehr, die Einbindung in das NS-System und die Verwicklung in dessen Verbrechen und Gewalttaten deutlich werden zu lassen, nachdem in den letzten Jahren umfangreiche und detaillierte historische Forschungsergebnisse Mitschuld und Teilhabe der militärischen Führungsspitze an den NS-Verbrechen offenkundig gemacht haben. Wenn die Wehrmacht keinen sauberen, „weißen“ Schild im ideologisch geprägten Weltanschauungskrieg von 1939 bis 1945 besitzt, ist es um so wichtiger, ihre Führungskräfte und deren Rolle bei der brutalisierten Kriegführung

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zu untersuchen und vergleichend darzustellen. Vielleicht können diese Lebensbilder Antwort geben auf die Frage, wie es kam, dass führende Militärs die NS-Ideologie akzeptierten und sie aufgrund der „Teilidentität“ mit deren Zielen den seit 1935 als Wehrpflichtige in großer Zahl in die Wehrmacht strömenden Soldaten als verbindliche Staatsräson vorstellten, so dass schließlich ab Kriegsbeginn verbrecherische Befehle an die Soldaten mit dem grundsätzlichen Anspruch auf Gehorsam weitergegeben werden konnten. Es werden nicht nur die prominenten Heerführer von Hitlers Armeen und Flotten von Heer, Luftwaffe, Kriegsmarine und Waffen-SS skizziert, sondern auch Angehörige aus den bislang weniger beachteten Führerkorps der Militärjuristen und Militärärzte sowie aus dem Sanitätsdienst der Waffen-SS berücksichtigt. Zu sehr hat man sich bei Studien über die militärische Funktionselite lange Zeit den aufgrund militärischer Leistungen bewunderten Führerpersönlichkeiten zugewandt4 oder listenmäßige Gesamtschauen aller Generale und Admirale als Positionselite publiziert5 und die nicht so sehr im Rampenlicht der NS-Propaganda stehenden Generalärzte oder Generalrichter unbeachtet gelassen. So ist es schon seit vielen Jahren ein besonderes Anliegen einiger anglo-amerikanischer Publikationen6, die Leser – vor allem außerhalb Deutschlands – mit jenen Generalen und Admiralen bekannt zu machen, die aufgrund herausragender taktischer und strategischer Operationsführungen im Zweiten Weltkrieg einen internationalen Bekanntheitsgrad gewannen. Neuerdings finden deren Beteiligung und Verwicklung bei Verbrechen des NS-Regimes ebenfalls besonderes Interesse.7 Auch liegen profunde Forschungen über die Rang- und Herkunftsstruktur sowie zur Sozialgeschichte des höheren Offizierkorps vor.8 Inzwischen konnte anhand umfangreicher neuerer Forschungen dokumentiert werden, dass sich sehr viele Generaloberste und Feldmarschälle von Hitler durch fortlaufende, monatliche Sonderzahlungen und spezielle, sehr umfangreiche Geschenke und Dotationen beeinflussen ließen.9 Angesichts der Gesamtzahl von 3191 Generalen und Admiralen (ohne höhere Führer der Waffen-SS) der NS-Zeit können die ausgewählten 68 Offiziere verständlicherweise nur einen besonderen Ausschnitt schärfer beleuchten, der durch deren jeweilige Dienststellung markiert und herausgehoben ist. Der Band setzt dabei gleichsam andere Publikationen des Verlags zur „braunen Elite“ des Dritten Reiches fort und ergänzt deren biographischen Studien für den militärischen Bereich.10 Die Darstellung kann als Anregung dienen, sich auch mit weniger bekannten Spitzenmilitärs wissenschaftlich zu beschäftigen. Auch können in den Kurzporträts nicht alle Aspekte der umfassenden Problematik und Komplexität des vielfältigen Verhaltens zum NS-Regime untersucht werden. Aus der Gesamtschau aller Beiträge ergibt sich allerdings ein Rahmen von Handlungsmustern, die das

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Ausmaß der Verwicklung führender Militärs in die verbrecherischen Handlungen und Maßnahmen des NS-Regimes und ihrer verhängnisvollen Beteiligung daran verdeutlichen können. Die Beiträge erschienen erstmals 1998 als zwei Einzelbände sowohl in einer Mitgliederausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft als auch in einer Lizenzausgabe im Primus Verlag Darmstadt. Als ein Resultat der damals vorgelegten Forschungsergebnisse ist die im März 1998 erfolgte Umbenennung des zentralen Koblenzer „Ernst-Rodenwaldt-Instituts“ des Sanitätsdienstes der Bundeswehr anzusehen, so dass endlich fortan auf den Namen des Generalarztes ebenso wie schon bei den Generalen Dietl und Kübler in der Traditionspflege der Bundeswehr verzichtet wurde. Die beiden Publikationen fanden aufgrund ihrer umfangreichen biographischen Sammlung und Information zur Militärelite in der Zeit des Nationalsozialismus, die als richtungweisende Arbeit überaus positiv aufgenommen wurden, über viele Jahre hinweg ein reges Interesse, bis sie 2008 vergriffen waren. Seit dem ersten Erscheinen der beiden Bände wurden inzwischen einige Aspekte der beschriebenen Lebensläufe genauer und detaillierter untersucht; gleichwohl bieten die Grunderkenntnisse der biographischen Studien – auch wenn deren vollständige Überarbeitung nicht möglich war – nach wie vor ein gesichertes Fundament für darüber hinaus reichende Beschäftigungen mit den einzelnen militärischen Führerpersönlichkeiten der NS-Zeit. Ich danke dem Verlag, dass die Biographien beider Bände, auch aufgrund der nicht nachlassenden Nachfrage, nunmehr in einer knapp aktualisierten Neuausgabe in einem Band wieder vorgelegt werden. Ebenso danke ich allen Autoren sowie Frau Verena Artz und Herrn Daniel Zimmermann von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt für Ihr Engagement beim Zustandekommen des Buches sowie Herrn Karl Nicolai für die Übersetzung der englischsprachigen Texte. Dank gebührt auch den benutzten Archiven für die gewährte Unterstützung und Herrn Hans U. Stenger, Frankfurt am Main, für vielfältige Hilfe. Freiburg, Dezember 2010

Gerd R. Ueberschär

Anmerkungen zum Vorwort 1

Abgedruckt bei Klaus-Jürgen Müller: General Ludwig Beck. Boppard 1980, S.551 ff., hier S. 552. 2 Zit. nach Wolfgang Foerster: Generaloberst Ludwig Beck. Sein Kampf gegen den Krieg. Aus nachgelassenen Papieren des Generalstabschefs. München 1953, S. 116. 3 Siehe die Tagebücher von Joseph Goebbels. Hrsg. von Elke Fröhlich. Teil II, Bd. 11. München 1994, S. 403.

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Siehe dazu Friedrich W. von Mellenthin: Deutschlands Generale des Zweiten Weltkriegs. Bergisch Gladbach 1980 (engl. Ausgabe u. d. T.: German Generals of World War II: As I saw them. Norman, Univ. of Oklahoma Press 1977); Helmut Pemsel: Biographisches Lexikon zur Seekriegsgeschichte. Seehelden von der Antike bis zur Gegenwart. Koblenz 1985. Völlig unkritisch und populärwissenschaftlich orientiert sind Otto E. Moll: Die deutschen Generalfeldmarschälle 1939–1945. Bearb. v. Wolfgang W. Marek. Rastatt 1961, 2. verb. Aufl. 1962 und Gerd F. Heuer: Die deutschen Generalfeldmarschälle und Großadmirale 1939–1945. Rastatt 1978, 2. Aufl. 1988. 5 Vgl. die Bände der Reihe Deutschlands Generale und Admirale. Hrsg. v. Dermot Bradley in Verbindung mit Markus Rövekamp. Osnabrück 1988 ff. 6 Siehe Basil H. Liddell Hart: The German Generals Talk. New York 1948; Richard Brett-Smith: Hitler’s Generals. San Rafael, Calif. 1977; Samuel W. Mitcham Jr.: Hitler’s Field Marshals and their Battles. London 1988, Chelsea, Michigan 1990; Samuel W. Mitcham Jr./Gene Mueller: Hitler’s Commanders. New York, Lanham, Maryland 1992. 7 Vgl. Hitler’s Generals. Ed. by Corelli Barnett. London 1989; weitgehend nur aus bekannter Literatur erarbeitet ist die Arbeit von Wolfgang Ernst: Der Ruf des Vaterlandes. Das höhere Offizierkorps unter Hitler. Selbstanspruch und Wirklichkeit. Berlin 1994; dagegen: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin, Frankfurt a. M. 1995; Johannes Hürter: Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42. München 2006. 8 Siehe Reinhard Stumpf: Die Wehrmacht-Elite. Rang- und Herkunftsstruktur der deutschen Generale und Admirale 1933–1945. Boppard am Rhein 1982; Gotthard Breit: Das Staats- und Gesellschaftsbild deutscher Generale beider Weltkriege im Spiegel ihrer Memoiren. Boppard am Rhein 1973; Bernhard R. Kroener: Strukturelle Veränderungen in der militärischen Gesellschaft des Dritten Reiches. In: Nationalsozialismus und Modernisierung. Hrsg. v. Michael Prinz und Rainer Zitelmann. Darmstadt 2., erg. Aufl. 1994, S. 267–296; ders.: Generationserfahrungen und Elitenwandel. Strukturveränderungen im deutschen Offizierkorps 1933–1945. In: Eliten in Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert. Strukturen und Beziehungen. Bd. l. Hrsg. v. Rainer Hudemann und Georges-Henri Soutou. München 1994, S. 219–233; ferner: Militär und Gesellschaft im 19. und 20.Jahrhundert. Hrsg. v. Ute Frevert. Stuttgart 1997; frühe Ansätze dazu in: Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten. Hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Stuttgart 1964. 9 Siehe die Angaben bei Gerd R. Ueberschär u. Winfried Vogel: Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten. Frankfurt am Main 1999, 2. Aufl. 2000, Taschenbuchausgabe 2000, inzwischen 4. Aufl. 2009. 10 Die braune Elite. 22 biographische Skizzen. Hrsg. v. Ronald Smelser und Rainer Zitelmann. Darmstadt 1989, 2. Aufl. 1990, 3. Aufl. 1994; Die braune Elite II. 22 weitere biographische Skizzen. Hrsg. v. Ronald Smelser, Enrico Syring und Rainer Zitelmann. Darmstadt 1993; Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien. Hrsg. v. Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul. Darmstadt 2004.

Friedrich-Christian Stahl

Generaloberst Wilhelm Adam Zu den herausragenden Persönlichkeiten des Reichsheeres gehörte Generaloberst Wilhelm Adam. Am 15. September 1877 als Sohn eines Kaufmanns in Ansbach geboren, trat er 1897 in das bayerische Eisenbahnbataillon ein. Von 1907 bis 1910 besuchte er die Kriegsakademie in München. Im Ersten Weltkrieg war Adam nach kurzem Frontdienst Generalstabsoffizier bei ausschließlich im Westen eingesetzten Kommandobehörden. Nach dem Krieg unterrichtete er als Verbindungsoffizier der nach Bayreuth geflüchteten bayerischen Staatsregierung die Reichswehrführung in Berlin über die Räteregierung Eisners in München und löste damit die Maßnahmen zur militärischen Befreiung Münchens durch Reichswehr- und Freikorpstruppen aus. Als Bataillonskommandeur in Passau bildete sich Adam frühzeitig ein Urteil über die politische Tätigkeit Hitlers und nahm sich Urlaub, um den Prozeß gegen Hitler und Ludendorff nach dem gescheiterten Putsch vom 9. November 1923 an Ort und Stelle zu verfolgen. An diesem Tage war er mit seinem Bataillon nach München befohlen worden und – nicht wissend, was sich an der Feldherrnhalle ereignet hatte – vom Bahnhof Moosach aus „mit klingendem Spiele“ auf die Stadt zumarschiert. 1 1924/25 leitete Adam in Berlin „die Weiterbildung der zahlreichen Generalstabsoffiziere des Reichswehrministeriums“ und erarbeitete operative Studien für den Chef des Truppenamtes.2 Anschließend war er bis zum Frühjahr 1928 Chef des Stabes der 7. Division (Wehrkreiskommando VII) in München, Kommandeur des 19. Infanterieregiments, dessen Bataillone im Süden Bayerns lagen, und schließlich Chef des Stabes des Gruppenkommandos 1 in Berlin. Von General Otto Hasse wurde er 1930 „als begnadeter Soldat“ beurteilt.3 Am 1. Oktober 1930 wurde Adam Chef des Truppenamtes, das ähnliche Aufgaben wie der frühere preußische Große Generalstab wahrnahm. Damit war Adam der erste bayerische Offizier, der im deutschen Heer für die Entwicklung des militärischen Führungsdenkens die Verantwortung trug. Neben den für die Führungsprobleme, die Organisation, die Nachrichtenbeschaffung und die Ausbildung zuständigen Abteilungen unterstand Adam die „Völkerbundsabteilung Gruppe Heer“, die die militärischen Gesichtspunkte für die Verhandlungen in Genf erarbeitete. Als Amtschef erlebte Adam die „aufreibenden Ressortkämpfe“ zwischen den Ämtern.4 Von seinen Untergebenen wurde er außerordentlich geschätzt. Manstein überlie-

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fert, daß Adam „jedes partikularistische Denken fremd“ war und daß er „ausgesprochen großzügig, klar in seinem Urteil und schnell in seinem Entschluß“ war.5 Von großer Bedeutung waren während Adams Amtsführung die Kontakte zur Roten Armee, die die Ausbildung von deutschen Offizieren in den dem Reichsheer verbotenen Waffengattungen (Flieger-, Panzer- und Gastruppen) ermöglichte und führenden Persönlichkeiten der Roten Armee und des Reichsheeres Gelegenheit bot, miteinander in Gedankenaustausch zu treten und an beiderseitigen Truppenübungen als Zuschauer teilzunehmen. Er selbst führte in Rußland Gespräche mit hohen Militärs. Besonders beeindruckt war er „von der starken Persönlichkeit“ des Kriegskommissars Woroschilow, „der – früher Metallarbeiter – nicht nur eine der größten Machtstellungen der Sowjetunion innehatte, sondern auch auf einer erstaunlichen geistigen Höhe stand“6. Unverblümt gab Woroschilow Adam zu verstehen, daß ebenso wie die Reichswehr „auch die Sowjetunion sich mit den jetzigen Grenzen Polens nicht abfinden werde“7. Rückblickend ist es erstaunlich, daß in dieser Zeit „bei aller politisch-ideologischen Gegensätzlichkeit doch ein relativ großes Vertrauensverhältnis zwischen den führenden Militärs beider Länder“ bestand.8 Adam imponierte seinen Untergebenen nicht nur durch seine Urwüchsigkeit und sein lebhaftes Temperament, sondern überzeugte sie vor allem durch die weitblickende Leitung und Anlage seiner Generalstabsreisen und Planspiele, zu denen er gelegentlich Spitzenpersönlichkeiten des Auswärtigen Amts heranzog, um so den Primat der Politik zu demonstrieren und in geschickter Rollenverteilung durch jüngere Diplomaten auch die Gedanken der Umliegerstaaten und Großbritanniens zu Wort kommen zu lassen.9 Zudem sorgte er dafür, daß die „Gruppe für Kriegstechnik“ in der Ausbildungsabteilung entstand.10 Ebenso setzte er sich im Herbst 1932 für die Wiedereinrichtung des deutschen Militärattachédienstes ein.11 Als höchster Fachvorgesetzter der Generalstabsoffiziere war Adam bestrebt, besonders talentierte Offiziere wie Jodl zu fördern.12 Um die Ausbildung zu Generalstabsoffizieren von zentraler Stelle aus besser leiten zu können, wurden im Oktober 1932 statt der bisher bei einzelnen Wehrkreiskommandos durchgeführten „Führergehilfenlehrgänge“ die „Offizierlehrgänge Berlin“ eröffnet, aus denen 1935 die Kriegsakademie entstand.13 Als General vom Blomberg nach der Regierungsübernahme Hitlers die Reichswehr zu einem dem Nationalsozialismus verbundenen Machtinstrument zu formen bestrebt war, kämpfte Adam darum, der Heeresführung die bisherige Spitzenposition auf dem Gebiet der operativen Planung zu erhalten und sich gegen Blombergs und Reichenaus Bemühen zu wehren, diese Führungsposition für sich zu beanspruchen. In einer von Blomberg gefor-

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derten Denkschrift über die militärische Lage Deutschlands vom März 1933 schätzte Adam den Kampfwert der illegal ausgebildeten Grenzschutzverbände als äußerst gering ein. 14 Die Tätigkeit der Wehrverbände bezeichnete er sogar als „Soldatenspielerei“15. Adam kam in seiner Lagebeurteilung zu dem Ergebnis, daß Deutschland zur Zeit keinen Krieg führen könne und ihn daher „selbst um den Preis diplomatischer Niederlagen“ vermeiden müsse: „Wir müssen uns hüten vor Fanfaren, die den Feind unnötig reizen und das eigene Volk trunken machen.“16 Zunächst hatte Adam 1933 noch zu hoffen gewagt, daß in solchen Revolutionszeiten „zuerst der Schmutz an die Oberfläche“ treibe, „um später wieder zu Boden zu sinken“ 17. Schon bald witterte er die Gefahren, die Deutschland durch Hitler und seine Parteigänger drohten. Adam hat die politische Entwicklung stets mit kritischen Augen verfolgt. Er sollte daher auch nicht als „strikt unpolitischer Offizier“ bewertet werden, wie Walter Görlitz schrieb.18 Im Sommer 1933 verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Blomberg und Adam so, daß Hammerstein letzterem den Befehl über den Wehrkreis VII mit der Begründung übertrug, daß er „als Befehlshaber des Münchener Wehrkreises einen Mann haben“ wolle, auf den er sich „totsicher verlassen“ könne.19 Danach hatte Adam in der „Hauptstadt der Bewegung“ gegenüber den Repräsentanten von Staat und Partei sowie den Stadtoberhäuptern, „die damals alle schon nazisiert waren“20, die Interessen der Wehrmacht zu vertreten. Nach eigenem Bekunden rang er darum, seine „dienstliche Stellung in der Öffentlichkeit zu wahren (…) – gerade in einer Zeit, da sich minderwertige Elemente empordrängten“21. An den in Berlin getroffenen politischen Entscheidungen weiterhin interessiert, war der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund für Adam „der erste Schritt ins Verderben“22. Auf einer gemeinsamen Dienstfahrt vertraute Blomberg Adam an, daß sein Kandidat als Nachfolger Hammersteins, Reichenau, bei Hindenburg keine Gegenliebe gefunden habe, während dessen Kandidat – Adam glaubt, es sei Kleist gewesen – von Blomberg nicht die erforderliche Gegenzeichnung erhielt, so daß man sich schließlich auf Fritsch einigte.23 Zugleich erfuhr Adam, daß Hitler nach dem Tode Hindenburgs an die Spitze des Reiches treten wolle und die Reichswehr auf ihn vereidigt würde.24 Den 30. Juni 1934, den Tag der Ermordung Röhms und anderer SA-Führer, erlebte Adam in München in höchster Alarmbereitschaft. Auf Grund seines eigenen Lagebildes hütete er sich, sich und die ihm unterstellten Truppen in eine unsichere Situation zu begeben. Mit Hitler traf er an diesem Tag nicht zusammen, sondern erhielt von ihm über Major Vincenz Müller die knappe Erklärung über die als „reine Sache der Partei“ bezeichnete Aktion und den Hinweis auf eine Beteiligung der ebenfalls ermordeten Generale von Schleicher und von Bredow.25 Zugleich ließ Hitler Adam wissen,

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daß für ihn „das Heer der einzige Waffenträger des Reiches“ sei.26 Von Berlin über die Lage ungenügend orientiert, wollte Adam gegen die in Dachau exekutierende SS vorgehen. „Fassungslos“ erfuhr er aber von Sepp Dietrich, daß sein Exekutionskommando den Auftrag habe, ohne jedes Gerichtsverfahren „alle festgenommenen SA-Führer zu erschießen“27; Adam blies daraufhin das Dachauer Unternehmen ab. Nach Hindenburgs Tod fand im Herbst 1934 die Verdoppelung des Reichsheeres statt. Dabei richtete Adam sein Hauptaugenmerk auf die Einrichtungen der neuen Unterkünfte und auf die Erziehung des Offizierskorps, das durch die Übernahme von Landespolizeioffizieren, Reaktivierung ehemaliger Offiziere, Beförderung von Unteroffizieren zu Offizieren, kürzere Ausbildung des Offiziersnachwuchses in kürzester Zeit verstärkt wurde und durch die Einrichtung des Ergänzungs-Offizierskorps eine neue Struktur erhielt. 1935 zum Oberbefehlshaber eines Gruppenkommandos vorgesehen und darüber informiert, erhielt Adam dann aber durch den Chef des Personalamts die Mitteilung, daß er im Herbst verabschiedet würde. Damit wurde Blombergs mehrfach vorgebrachter Grundsatz durchgesetzt, daß „jeder Offizier (…) zum Nationalsozialismus eine positive Haltung einnehmen“ müsse und daß „ein General, der das nicht will, (…) rücksichtslos entfernt werden“ müsse, „und wenn er der Beste wäre“28. Doch änderte Blomberg nochmals seine Absicht, indem er Adam für die Leitung der im Herbst 1935 zu gründenden Wehrmachtakademie vorsah. Nur mit Mühe gelang es Fritsch, dafür Adams Zustimmung zu erwirken. Nach ruhiger Überlegung sah auch er in der neuen Aufgabe „eine große Lockung“, hatte er es doch „von Jugend an geliebt (…) zu lehren“. Zudem empfand er den „besonderen Reiz“, sich bei seiner Lehrtätigkeit „in der hohen Atmosphäre militärischen und politischen Denkens und in den Bahnen der Strategie höherer Art zu bewegen“29. Als Lehrkräfte wurden nebenamtlich Fachleute aus allen militärischen Bereichen herangezogen. Dazu kamen „hohe Beamte aller Ministerien, Diplomaten, Universitätsprofessoren, Wirtschaftler, Gelehrte auf allen Gebieten“30. Adam selbst reservierte sich einen Tag in der Woche für das Thema „Kriegführung“. Dabei widmete er den „schwierigen Problemen des Führungsapparates und -‘Organismus’ sein besonderes Augenmerk“31. Planspiele32, Vorträge der Lehrgangsteilnehmer und gemeinsame Reisen gehörten ebenfalls zum Programm der Akademielehrgänge. Wie schon bei seinen Planspielen als Chef des Truppenamtes lehrte Adam „den Primat der Politik“ und beschwor seine Hörer, „daß die richtige Beurteilung der eigenen und gegnerischen Ausgangsposition für eine erfolgreiche Kriegführung ausschlaggebend sei“33. Militärischen Wunschvorstellungen – von welcher Seite sie auch kamen – trat er grundsätzlich entgegen.

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Der sich hinziehende Kampf um die Spitzengliederung ließ das Interesse der Wehrmachtteile an der Weiterbildung von erfahrenen General- und Admiralstabsoffizieren erkalten, so daß die Wehrmachtakademie schon kurz nach dem 4. Februar 1938 ihr Dasein beendete. Im Zuge der personellen Änderungen nach der Eingliederung des österreichischen Bundesheeres in die Wehrmacht kam Adam, der fest mit seiner Verabschiedung gerechnet hatte, auf Vorschlag Keitels auf die Stelle des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe 2 in Kassel.34 Als solcher hatte er die ihm im Kriegsfall unterstehende deutsche Westfront durch den Bau von Befestigungsanlagen verteidigungsbereit zu machen. Bereits im Mai 1938 unternahm er mit 30 Generälen eine operative Reise, bei deren Schlußbesprechung er die Umwälzung in der neuen Kriegführung herausstrich, die durch den Einsatz von Panzerarmeen und ihre Abwehr verursacht würden. Am 31. Mai teilte Brauchitsch, der neue Oberbefehlshaber des Heeres, Adam den Befehl Hitlers mit, „die Westgrenze blitzartig durch ein etwa der Grenze folgendes Bunkersystem zu festigen“. 10 000 Bunker und 2500 andere Werke müßten bis zum Herbst fertiggestellt sein. Auf Adams Zornausbruch über diesen undurchführbaren Befehl antwortete Brauchitsch mit der die Stellung Hitlers und die Abhängigkeit der militärischen Führung von ihm charakterisierenden Erwiderung, dies sei ein „Führerbefehl“35. Trotz der ersten Ablehnung des laienhaften Auftrages führte Adam diesen dann doch mit großem Eifer aus, freilich mit der von ihm verantwortbaren Gründlichkeit bezüglich Auswahl und Qualität der Anlagen. Auf einer zum 4. August 1938 einberufenen Sitzung der Oberbefehlshaber und Kommandierenden Generale berichtete Adam im Anschluß an General Becks Beurteilung der Lage von dem völlig ungenügenden Zustand und Verteidigungswert des Westwalls und seiner Bemannung und versprach Brauchitsch, diesen Standpunkt auch Hitler gegenüber zu vertreten. Bei einer Besichtigungsfahrt Hitlers am 27. August 1938 wies Adam in einem Lagevortrag darauf hin, daß „der von Hitler geforderte Ausbau des Westwalls (…) für dieses Jahr bei weitem nicht erreicht“ werden könne.36 Hitlers Luftwaffenadjutant erinnert sich: „Die ganze Verachtung, die er für Hitler empfand, war weder zu übersehen noch zu überhören. Hitler brach den Vortrag abrupt ab.“37 Hitlers Wunschdenken und die Meinung der bei einer Mobilmachung im Westen vorgesehenen Armeeführer über die politischen und militärischen Aussichten klafften weit auseinander. Im Frühherbst 1938 erklärte sich Adam dann bereit, an einer Verschwörung gegen Hitler teilzunehmen.38 Als diese infolge des Münchener Abkommens illusorisch geworden war, teilte er Ende Oktober Brauchitsch mit, daß er gewillt sei, 61jährig seinen Abschied zu nehmen. Brauchitsch und Hitler stimmten der Ent lassung Adams unter Verleihung des Charakters als Generaloberst zum

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31. Dezember 1938 zu.39 Obwohl seit dem 1. Januar 1939 zur Verfügung des Heeres (z. V.) gestellt und weiterhin in den geheimen Dienstalterslisten des Heeres 1940–1944 geführt, erhielt Adam während des Zweiten Weltkrieges kein Kommando. Auch in die Widerstandsaktivitäten der Männer des 20. Juli wurde er nicht einbezogen. Ein von Hitler so gehaßter Mann wurde zweifellos von der Gestapo laufend beobachtet und kam daher für eine aktive Rolle im Widerstand kaum in Frage. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er beide Söhne verlor, schrieb Adam auf Anregung einer amerikanischen Journalistin seine Erinnerungen nieder, womit er schon 1939 begonnen hatte. Doch gab er sie nach ihrer Fertigstellung im Dezember 1945 nicht zur Veröffentlichung frei, da er einerseits mit seinem Werk nicht zufrieden war und andererseits in den von USBrigadegeneral William Draper bekanntgegebenen wirtschaftspolitischen Plänen „die kaltblütige Erdrosselung des deutschen Volkes“ sah. Trotzdem blieb er davon überzeugt, daß seine Erinnerungen „ein Dokument dieser schrecklichen Zeit bleiben“ würden.40 Adam starb am 8. April 1949.

Anmerkungen BA-MA Freiburg: N 738/3, Bl. 49. Ebenda, Bl. 66 ff. 3 BA-MA Freiburg: Pers 6/67. 4 BA-MA Freiburg: N 738/3, Bl. 68. 5 Manstein, Aus einem Soldatenleben, S. 108. 6 BA-MA Freiburg: N 738/3, Bl. 107. 7 Groehler, Selbstmörderische Allianz, S. 62; vgl. auch: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 4, S. 53 f. 8 Rosenfeld, Von der Rapallo-Politik, S. 145. 9 Speidel, Aus unserer Zeit, S. 47. 10 Nehring, Geschichte der deutschen Panzerwaffe, S. 74. 11 Kehrig, Die Wiedereinrichtung des deutschen militärischen Attachédienstes, S. 148. 12 Jodl, Jenseits des Endes, S. 109. 13 Näheres bei Erfurth, Die Geschichte des deutschen Generalstabes, S. 125 ff. 14 Meinck, Hitler und die deutsche Aufrüstung, S. 10. 15 Ebenda, S. 11. 16 Ebenda, S. 19; vgl. auch: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, S.400, und Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit, S. 372 ff. 17 Reynolds, Beck, S. 37. 18 Görlitz, Kleine Geschichte des Generalstabes, S. 289. 19 BA-MA Freiburg: N 738/3, Bl. 193. 20 Ebenda, N 738/4, Bl. 217. 1 2

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Ebenda, Bl. 218. Ebenda, Bl. 227. 23 Ebenda, Bl. 230. 24 Ebenda, Bl. 231. 25 Müller, Ich fand das wahre Vaterland, S. 356. 26 Müller, Das Heer und Hitler, S. 147. 27 BA-MA Freiburg: N 738/4, Bl. 250. 28 Ebenda, Bl. 226. 29 Ebenda, Bl. 321 f. 30 Ebenda, Bl. 322. 31 Ebenda, Bl. 341. 32 Z. B. Planspiele eines Angriffskrieges durch Frankreich, die Tschechoslowakei und Rußland gegen Deutschland, Italien, Österreich und Ungarn (März 1937). Vgl. Bernhardt, Die deutsche Aufrüstung, S. 85. 33 Boog, Die deutsche Luftwaffenführung, S. 406. 34 Generalfeldmarschall Keitel. Verbrecher oder Offizier?, S. 193 f. 35 BA-MA Freiburg: N 738/5, Bl. 415 ff. 36 Vgl. dazu die biographische Skizze zu Beck in diesem Band, S. 9 ff.; siehe auch Müller, General Ludwig Beck, S. 342–350. Ferner BA–MA Freiburg: N 738/5, Bl. 464. 37 Below, Als Hitlers Adjutant, S. 117. 38 Krausnick, Zum militärischen Widerstand gegen Hitler, S. 63. 39 BA-MA Freiburg: N 738/1, Bl. 35–38 und 43: Schreiben Brauchitschs an Adam vom 19. 10. und 2. 11. 1938. 40 BA-MA Freiburg: N 738/2, Bl. 740 f. Näheres in: Hoch/Weiß, Die Erinnerungen des Generalobersten Wilhelm Adam, S. 32–62. 21 22

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599 ff.) Ungedruckte Quellen Die von Adam 1939/40 und 1945 verfaßten Erinnerungen wurden nach seinem Tode im Kloster Ettal aufbewahrt und gelangten 1970 mit einem Teil des übrigen Nachlasses in den Besitz des Instituts für Zeitgeschichte. Das Original wird heute unter der Signatur N 738 im BA-MA Freiburg aufbewahrt. Amtliche Unterlagen: im: BA-MA Freiburg: Pers 6/67 Personalakte; RH 2 Truppenamt; RH 53-7 Wehrkreiskommando VII. Gedruckte Quellen und Literatur Below, Nicolaus von: Als Hitlers Adjutant 1937–1945. Mainz 1980. Hoch, Anton und Hermann Weiß: Die Erinnerungen des Generalobersten Wilhelm Adam. In: Miscellana. Festschrift für Helmut Krausnick zum 75. Geburtstag. Hrsg. von Wolfgang Benz. Stuttgart 1980, S. 32–62. Müller, Klaus-Jürgen: General Ludwig Beck, Studien und Dokumente zur politisch-

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militärischen Vorstellungswelt und Tätigkeit des Generalstabschefs des deutschen Heeres 1933–1938. Boppard 1980. Nehring, Walter: Geschichte der deutschen Panzerwaffe 1916 bis 1945. Augsburg 1995.

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Generaloberst Ludwig Beck Ulrich von Hassell nannte Ludwig Beck einmal die „Zentrale“ des Widerstandes.1 Zweifellos war der 1938 aus Protest gegen Hitlers Kriegspolitik aus dem Amt ausgeschiedene Generalstabschef des Heeres die zentrale Persönlichkeit des national-konservativen Widerstandes. In der umfangreichen Literatur zum deutschen Widerstand wird sein Name daher neben dem Stauffenbergs, Tresckows und Goerdelers mit Recht immer an erster Stelle genannt. Lange Zeit waren dementsprechend Skizzen und Würdigungen einseitig auf den Widerstandsaspekt seines Lebens abgestellt.2 Nun war Beck jedoch – wenn man die Zeit seines Widerstandes gegen Hitler von 1938 bis 1944 ansetzt – die überwiegende Mehrzahl seiner Lebensjahre kein ‘Widerständler’, sondern Soldat, Offizier erst der preußischen Armee, dann der Reichswehr und der Wehrmacht. Vor allem war er von Herbst 1933 bis zum Sommer 1938 Chef des Truppenamtes bzw. Generalstabschef des deutschen Heeres; damit war er einer der geistigen Väter und Architekt der deutschen Aufrüstung. Diese Tatsache ist erst relativ spät umfassend gewürdigt und wissenschaftlich angemessen dargestellt worden.3 Das hat seine Ursache nicht zuletzt in der spezifischen Art und Weise, mit der längere Zeit hierzulande der Widerstand gegen Hitler dargestellt wurde. Widerstand auf der einen Seite und Kooperation, ja Komplizenschaft mit dem NS-Regime auf der anderen wurden meist nicht nur begrifflich säuberlich getrennt, sondern auch gleichsam streng isoliert voneinander dargestellt. Es gab weder eine Korrelation zwischen diesen derart willkürlich separierten Sphären, noch wurden historische Persönlichkeiten, Institutionen und Faktenkomplexe unter beiden Aspekten zusammen betrachtet. Das führte zu Blickverengungen, die eine tiefere Erkenntnis der historischen Phänomene erschwerten. Die biographische Behandlung Ludwig Becks machte in dieser Hinsicht lange Zeit keine Ausnahme.4 Erst allmählich wurde klar, daß eine einseitig unkritische Widerstandsperspektive untauglich ist, um die historische Bedeutung General Becks zu erfassen. Vielmehr muß der General zunächst einmal als das betrachtet werden, was er vierzig Jahre seines Lebens gewesen ist, nämlich preußisch-deutscher Offizier. Als Angehöriger des Gene ralstabes und insbesondere als Generalstabschef war er einer der Reprä sentanten der national-konservativen Führungselite des Reiches, deren vielschichtige, in Motivation und Verhalten im einzelnen recht verschieden-

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artige Mitwirkung das NS-System wesentlich mitgeprägt hat. Um den Widerstandskämpfer Beck angemessen erfassen zu können, ist dieser Tatbestand in die Interpretation und Darstellung einzubeziehen. War doch die Opposition und der spätere Widerstand von Teilen der national-konservativen Führungselite – von wenigen Ausnahmen abgesehen – erwachsen aus der Reaktion auf die zuvor eingegangene und praktizierte Kooperation mit den Nationalsozialisten. In diesem Sinne ist der national-konservative Widerstand eine extreme Komplementärerscheinung zur Kooperation traditioneller Machteliten. Ludwig Becks Werdegang fand ganz im Rahmen der das wilhelminische Deutschland tragenden Gesellschaftsschichten statt. Er war von Herkunft und Geburt Rheingauer: Am 29. Juni 1880 wurde er in Biebrich am Rhein geboren, das mit der Annexion Kurhessens und Nassaus 1866 durch Preußen zu einem Teil der preußischen Provinz Hessen-Nassau geworden war. Sein Vater betrieb dort die bis in unsere Tage noch im Familienbesitz befindliche Eisengießerei „Rheinhütte“. Von väterlicher Seite konnte Beck auf eine stattliche Anzahl von hessischen Offizieren zurückblicken. Der Vater allerdings hatte aus gesundheitlichen Gründen eine Ausnahme von dieser generationenlangen Familientradition gemacht und war in Heidelberg nach einem Chemiestudium promoviert worden. Becks Mutter entstammte der hessischen Juristenfamilie Draudt, in deren Reihen aber auch Soldaten zu finden waren. Ein Bruder der Mutter war hessischer General. Neben dieser Familientradition soll es nicht zuletzt der Einfluß dieser Verwandten gewesen sein, der ihn nach dem Abitur 1898 den Soldatenberuf wählen ließ. Auch die Erziehung innerhalb dieser konservativ-liberal eingestellten, kultur- und musikbeflissenen Familie des wilhelminischen Bildungsbürgertums, die im Gegensatz zu dem eher äußerlichen und aufdringlichen Stil der wilhelminischen Epoche eine kultiviert-einfache Lebensführung bevorzugte, hat Beck stark geprägt. Diese Sozialisation mag seine Berufsentscheidung für ein Offizierskorps beeinflußt haben, das in seinen besten Vertretern immer noch der Devise „Mehr sein als scheinen“ zu folgen versuchte. Nach dem Abitur auf dem Humanistischen Gymnasium Wiesbaden im Frühjahr 1898 wählte er keines der beiden die hessische Militärtradition repräsentierenden Regimenter, sondern trat in das 1. Ober-Elsässische Artillerie-Regiment Nr. 15 in Straßburg ein. Das mag ein Indiz dafür sein, daß die Generation, der Ludwig Beck angehörte, sich doch bereits primär preußisch fühlte. Für diese Generation war offensichtlich das 1871 unter Preußens Führung geeinte Deutschland und nunmehr von Preußen dominierte Deutsche Reich etwas Selbstverständliches geworden. Beck kann also als ein Preuße hessischer Herkunft bezeichnet werden. Er hat auch sein

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Leben lang eine innere Bindung an dieses preußisch-deutsche Reich und an die Hohenzollern-Dynastie gehabt. Im Ersten Weltkrieg konnte er persönlichen Kontakt zum Thronerben knüpfen, als er in einer wichtigen Phase des Krieges im Stab der vom Kronprinzen geführten Heeresgruppe Dienst tat. Im Zweiten Weltkrieg gehörte Beck zu jenen Persönlichkeiten im nationalkonservativen Widerstand, die eine gewisse Zeit lang noch eine Restauration der Monarchie für wünschenswert hielten. Beck erhielt also in der preußischen Armee des wilhelminischen Deutschlands seine zweite entscheidende Sozialisation: zwanzig Jahre lang war er im Kaiserreich Offizier der preußischen Armee; zehn Jahre davon gehörte er deren herausgehobener Elite an. Er absolvierte seit 1908 die Kriegsakademie, die berühmte Pflanzstätte des preußisch-deutschen Generalstabes, die er 1911 als einer der besten des Jahrganges verließ; bis Kriegsbeginn 1914 – er war damals 34 Jahre alt – gehörte er dem nur 625 Offiziere umfassenden Generalstab an, der Elite des preußisch-deutschen Offizierkorps, das sich selbst als besonders herausgehobener Stand in der Nation empfand. Bis zum Sturz der Monarchie 1918 hatte Beck somit die meisten Jahre seines Lebens – achtunddreißig von seinen nur 64 Lebensjahren – im Kaiserreich verbracht. Sein politisches Denken war tief von dieser spezifischen Sozialisation geprägt. Eine Analyse seiner Schriften und dienstlichen Memoranden läßt zwei grundlegende Ideen erkennen, die tief in der Tradition des preußischdeutschen Militärstaates verwurzelt waren 5: erstens die Vorstellung von der besonderen Rolle der Armee und des Offizierskorps in Staat und Gesellschaft und zweitens der Anspruch, die Repräsentanten der militärischen Institution müßten an der Macht, also an den grundlegenden militärischen und politischen Entscheidungen im Staat, teilhaben. Das entsprach nicht nur altpreußischer Tradition, das entsprach in Becks Augen auch den Erfordernissen des Zeitalters moderner „gesamtgesellschaftlicher“6 Kriege. Beck war ein militärischer Fachmann hohen Grades und eine intellektuell bestimmte Persönlichkeit. Das zeigen seine Verwendungen im Ersten Weltkrieg. Er tat in Divisions- und Korpsstäben Dienst und wurde schließlich Ende 1916 zum Major befördert sowie als Stabsoffizier zur besonderen Verwendung ins Oberkommando der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz kommandiert. Er gewann bald die Achtung und Freundschaft nicht nur des Kronprinzen, sondern auch des Generalstabschefs General Graf von der Schulenburg, eines ebenso bedeutenden Militärfachmannes wie erzkonservativen Nationalisten. Beide Männer beeindruckten ihn tief. In dieser Verwendung erhielt er bald genaueren Einblick in die politischen Entscheidungsmechanismen und in die ausweglose Kriegslage. Niederlage und Zusammenbruch des Kaiserreiches trafen Beck, den monarchischen Natio-

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nalisten, schwer, zumal er die entscheidenden Ereignisse um die Abdankung des Kaisers und das Ringen um die Kriegsbeendigung im Großen Hauptquartier miterlebte. Auch persönliche Schicksalsschläge hatten ihn tief getroffen; im Jahr 1917 war seine Frau nach nur einjähriger Ehe gestorben, er stand mit einer gerade geborenen Tochter allein da. Kurz zuvor war sein Bruder gestorben, bald danach auch sein Vater. Und nun der Zusammenbruch einer Welt, in der er aufgewachsen war! Ein Brief7, den er Ende November 1918 seiner Schwägerin schrieb, zeigt seine Verwirrung, zeigt eine eigentümliche Mischung von Klarsicht und Legendenbildung: Einerseits kritisierte er scharf die faktische Diktatur Ludendorffs, der für die nationale Katastrophe verantwortlich sei; andererseits schob er die Niederlage des Reiches der „von langer Hand vorbereiteten Revolution“ zu, welche dem schwer ringenden Heer „in den Rücken gefallen“ sei. „Keine Revolution in der Geschichte“ sei je „so feige unternommen“ worden. Nach Kriegsende konnte Beck in der neuen Armee bleiben. In der Reichswehr der Weimarer Republik wechselte er turnusmäßig zwischen Verwendungen in Truppenkommandos und dem Dienst im Truppengeneralstab. Er war u. a. vier Jahre Chef des Stabes im Wehrkreis IV, Dresden, und gegen Ende der zwanziger Jahre längere Zeit Kommandeur des ArtillerieRegiments 5 in Fulda. In dieser Zeit fiel er Hitler im Ulmer Reichswehrprozeß durch seine verständnisvolle Haltung gegenüber den drei wegen NSUmtriebe angeklagten jungen Offizieren seines Regimentes auf. Es wird die Ansicht vertreten, daß Hitler ihn deshalb 1933 anstelle des dem Nationalsozialismus distanziert gegenüberstehenden bayerischen Generals Adam zum ‘Chef des Truppenamtes’, also des damals aus Tarnungsgründen so genannten Generalstabes des Heeres, ernannt habe. Fest steht, daß Beck in einem Privatbrief den „politischen Umschwung“ des 30. Januar 1933 als „den ersten große[n] Lichtblick seit 1918“ begrüßt hat.8 Fest steht auch, daß er als einer der glänzendsten operativen Köpfe des Heeres galt und insofern für diesen Posten qualifiziert war, hatte er doch gerade die zentrale Vorschrift für die operative Führung entworfen, eine Arbeit, die internationale Wirkung hatte! Ebenso fest steht aber auch, daß er – im Gegensatz zu all seinen Vorgängern auf diesem Posten – zuvor keine Erfahrungen in der obersten Führung des Heeres und im politischen Zentrum der Reichswehr in Berlin hatte sammeln können. Zusammen mit dem einige Monate später zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannten General Frhr. von Fritsch und dem Reichswehrminister Generaloberst von Blomberg gehörte er im übrigen zu jener Gruppe hoher Offiziere, die bisher im Gegensatz zur Militär- und Außenpolitik des Reichskanzlers General von Schleicher gestanden hatten. Sie waren kompromißlose Vertreter einer umfassenden Revision des Ver-

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trages von Versailles, sie befürworteten eine sofortige einseitige Aufrüstung auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht, und zwar ohne Absprachen mit dem Ausland. Daher begrüßten sie die Regierung Hitler. Beck ging folgerichtig auch sofort daran, entsprechende Pläne zu entwickeln. Schon im Winter 1933/34 forderte er die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Besetzung der entmilitarisierten Rheinlande – also den Bruch der Verträge von Versailles und Locarno. Er drang damit jedoch zunächst noch nicht durch. Hitler schwankte zeitweilig noch und spielte sogar mit dem Gedanken an eine von Beck kategorisch abgelehnte, vom Auswärtigen Amt befürwortete Rüstungskonvention mit den VersaillesMächten. Erst 1935 und 1936 hat Hitler die Forderungen Becks in den bekannten Überraschungscoups jener Jahre erfüllt. Überhaupt hat Beck die Aufrüstung intensiv vorangetrieben. Er war der Planer jener Aufrüstung und damit einer der Schöpfer der Wehrmacht des ‘Dritten Reiches’. Sein Konzept sah vor, zunächst so rasch wie möglich Streitkräfte aufzubauen, die den Garantiemächten von Versailles eine militärische Intervention zu risikoreich erscheinen ließen; danach sollte man eine moderne und schlagkräftige Armee aufbauen, die aufgrund ihres Umfanges und ihrer Struktur – ein Drittel sollten gepanzerte und mechanisierte Verbände bilden – auch eine offensive Kriegsführung erlauben würde.9 Das war für ihn die Voraussetzung, das eigentliche Ziel deutscher Politik zu erreichen: die Herstellung einer deutschen Hegemonie in Zentraleuropa. Einen kriegerischen Einsatz der Wehrmacht zu diesem Zweck schloß er nie aus, aber er konnte sich auch eine Konstellation vorstellen, in der diese Armee nur als massives machtpolitisches Drohmittel zur Erreichung solcher Ziele einzusetzen sei. Krieg gehörte für Beck immer noch zu „Gottes Weltordnung“, war aber nicht unbedingt das einzige, sondern nur das letzte Mittel, nur die „ultima ratio“ der Politik. In dem Ziel der Herstellung einer deutschen Hegemonialstellung in Mitteleuropa glaubte er sich mit Hitler einig. Daß dieser letztlich einen rassen-ideologischen Eroberungs- und Ausrottungskrieg gegen die Sowjetunion im Sinne hatte, war ihm nicht klar. Beck teilte also den grundlegenden Irrtum vieler national-konservativer Persönlichkeiten, die als Endziel ansahen, was für Hitler nur die Vorstufe zu viel weitergehenden Plänen war. Gegen diese Militärpolitik wandte sich der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, von Bülow, der zwar die Zielsetzung teilte, aber die Methode für zu riskant hielt: Die einseitige Aufrüstung würde Gegenreaktionen der anderen Großmächte hervorrufen; Deutschland würde isoliert werden und in eine gefährliche Lage geraten. Beck verschloß sich jedoch diesen Vorhaltungen, die auch von einigen hohen Militärs gemacht wurden.10 Vielmehr forcierte er Umfang und Geschwindigkeit der Aufrüstung. Im Generalstab hat ihn sogar einer seiner engsten Mitarbeiter, General Karl-Heinrich von

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Stülpnagel – später auch eine bedeutende Gestalt des Widerstandes –, vor den Folgen einer zu forcierten Aufrüstung vergeblich gewarnt.11 Die Konsequenz war, daß Hitler in seiner bekannten Ansprache vor den militärischen und diplomatischen Spitzen des Reiches am 5. November 193712 dahingehend argumentieren konnte, daß man im Moment einer günstigen internationalen Konstellation selbst dann schon losschlagen müsse (und zwar gegen Österreich und die Tschechoslowakei), wenn die Aufrüstung noch nicht vollkommen beendet sei. Die Zeit liefe Deutschland davon, die anderen Großmächte würden bald die augenblickliche deutsche Überlegenheit aufgeholt, ja überrundet haben. Damit hatte er das Dilemma präzise auf den Begriff gebracht, in das die von Beck entworfene, von Hitler genehmigte Militärpolitik das Reich gebracht hatte. Becks Militärpolitik hatte ungewollt Hitler die Möglichkeit zur Vabanque-Politik an die Hand gegeben. Beck war immer davon ausgegangen, daß eine auf das militärische Instrument gestützte Hegemonialexpansion erst nach vollständigem Abschluß der Aufrüstung und auch nur unter der Voraussetzungen, daß die Großmächte – vor allem Großbritannien – nicht eingriffen, durchgeführt werden dürfe. Er hatte aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges die Lehre gezogen, daß ein europäischer Krieg, in dem Großbritannien auf der Seite der Gegner Deutschlands stünde, nie gewonnen werden könne. Ein solcher Krieg war für ihn eine verantwortungslose Gefährdung der Existenz Deutschlands. Er war allerdings auch alles andere als ein Pazifist, denn begrenzte Kriege in Mitteleuropa hatte er nie ausgeschlossen13, der Einsatz der Wehrmacht in einem raschen Waffengang oder als diplomatisches Druckmittel gehörte für ihn zu den legitimen Mitteln im Prozeß der Erlangung einer mitteleuropäischen Hegemonialstellung. Auf keinen Fall aber dürfe die Existenz des Reiches aufs Spiel gesetzt werden. Das war die zentrale Frage, über die im Sommer 1938 sein großer Konflikt mit Hitler ausbrach, als der Diktator seit Ende April 1938 Weisungen erließ, einen Krieg gegen die Tschechoslowakei für den Herbst vorzubereiten. General Beck stimmte mit Hitlers mitteleuropäischer Zielsetzung im Prinzip überein, nicht aber mit Methode, Zeitpunkt und außenpolitischer Opportunität. Damit begann sein Kampf gegen den Krieg: Seit Ende Mai – so bekannte er im November 1938 gegenüber einem Vertrauten – habe er nur noch einen Gedanken gehabt: „Wie verhindere ich einen Krieg?“ Die Sorge, daß eine aggressive deutsche Politik zum unrechten Zeitpunkt das Risiko eines nicht zu isolierenden europäischen Krieges im Konflikt mit der Tschechoslowakei herbeiführte, noch obendrein solange die deutsche Rüstung nicht abgeschlossen war, ließ Beck zum entschiedenen Gegner einer bedenkenlosen Machtpolitik werden, deren Voraussetzungen er indessen zu

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einem Gutteil mitgeschaffen hatte. In dem Bemühen, einen großen Krieg zu verhindern, wußte er sich einig mit dem Chef des militärischen Geheimdienstes, Admiral Canaris, und dem Staatssekretär des Auswärtigen, von Weizsäcker. Diese Männer bildeten gleichsam eine informelle Anti-KriegsPartei, die in einem System, das keine verfassungsmäßige Opposition kannte, rasch an die Grenze der formalen Legalität geriet. Beck versuchte zunächst auf dem Weg normaler dienstlicher Einwirkungen, mit Denkschriften und Vortragsnotizen den neuen Heeres-Oberbefehlshaber von Brauchitsch zu veranlassen, Hitler von seinen kriegerischen Plänen abzubringen. Als dies offensichtlich nichts nützte, erwog er auf einer zweiten Stufe seiner Auseinandersetzung mit dem Diktator außergewöhnliche Maßnahmen: Durch die Androhung und notfalls Durchführung eines kollektiven Rücktritts der höchsten Generäle sollte Hitler zur Aufgabe seiner Kriegspläne veranlaßt werden. Diese Drohung – so schrieb Beck – könne „nicht eindrucksvoll und brutal genug“ sein. Auf einer dritten Stufe nahm er einen in der militärischen Abwehr zur Zeit der Fritsch-Krise entwickelten Plan wieder auf: Die Heeresführung solle gewaltsam gegen jene vermeintlich „radikalen Kräfte“ innerhalb des Regimes – SS, Gestapo und Außenminister von Ribbentrop – vorgehen. So mündete Becks Versuch, die Folgen seiner Militärpolitik zu bewältigen, in den Kampf gegen den Krieg ein, und dieser ging gleichzeitig über in die Auseinandersetzung mit den innenpolitischen Gegnern des Militärs. Das war noch keine grundsätzliche Systemfeindschaft, die auf Umsturz abzielte; es war eher eine mit der Kriegsverhinderung einhergehende innerpolitische Säuberungsaktion, welche die ursprüngliche Struktur des Regimes – wie Beck sie bisher aufgefaßt hatte, nämlich als ein auf den beiden Säulen der Wehrmacht und der Partei beruhendes System – wiederherstellen und gleichzeitig die verhängnisvollen Folgen seiner Aufrüstungspolitik beseitigen sollte. 14 Becks systemimmanente Opposition gewann indessen dadurch eine stark moralische Note, daß er Hitlers Art der Entschlußfassung in einer Frage, in der es um Leben und Tod ging, für verantwortungslos und leichtfertig hielt, da dieser die zuständigen militärischen Fachleute nicht in einen verantwortungsbewußt strukturierten Entscheidungsprozeß einbezogen hatte. Daß Beck 1938 noch nicht an einen das System grundsätzlich überwindenden Widerstand dachte, geht schon daraus hervor, daß er zurücktrat, als der Oberbefehlshaber des Heeres und die kommandierenden Generäle ihm nicht folgten – ein Zeichen eher der Resignation denn der Auflehnung. Hitler versetzte ihn kurz darauf unter Beförderung zum Generalobersten in den Ruhestand. Sein Nachfolger und bisheriger Stellvertreter, General Halder, ging einen Schritt weiter als Beck: Zusammen mit einer zu allem entschlossenen Gruppe in der Abwehr um Oberst Oster plante er für den

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Fall einer britischen Kriegserklärung den Staatsstreich. Es kam aber bekanntlich über die ČSR nicht zu einem europäischen Krieg. Briten und Franzosen akzeptierten vielmehr auf der Konferenz von München Hitlers Forderungen. Die Voraussetzungen für einen Staatsstreich entfielen damit. Vor allem: Becks Voraussagen über die Reaktion der Westmächte hatten sich als unzutreffend erwiesen. Die Zeit nach München muß für Beck hart gewesen sein. Er saß in seinem Heim im Süden Berlins als der General, dessen Prognose falsch gewesen war: Hitlers Aggressionspolitik hatte nicht den von ihm prophezeiten Krieg gebracht. Ein Jahr nach München erfüllte sich seine alptraumhafte Prophezeiung dann aber doch. Hitler brach jenen Krieg vom Zaun, der – wie Beck vorausgesagt hatte – im Untergang Deutschlands enden sollte. Von dieser Zeit an wuchs er in die Position der unumstrittenen Zentralfigur des national-konservativen Widerstandes hinein. Die These, Beck habe sich zum Widerstand gleichsam als einer Art Wiedergutmachung entschlossen, weil seine Aufrüstung Hitlers Kriegspolitik erst ermöglicht habe, ist auf den ersten Blick bestechend;15 indessen wird man nicht nur eine längere Entwicklung seiner Oppositionshaltung in Ansatz bringen müssen, sondern man wird diese auch eher aus den Prinzipien seines Denkens herleiten können als lediglich aus einem individual-ethischen Impuls der Reue. Aber letztlich lassen uns in dieser Frage die Quellen weitestgehend ohne Antwort. Beck hat sich fortan selbst intensiv um die Sammlung von systemfeindlichen Kräften bemüht. Sein Haus in Berlin-Lichterfelde wurde zu einem Treffpunkt der Hitler-Opposition. Schon Ende 1938 hat Beck den Diktator einen „Psychopathen durch und durch“ genannt, der „eine Auslese der Minderwertigen“ betreibe. Die Hitler hörigen Militärs kritisierte er heftig: Preußische Tugenden seien über Bord geworfen worden; in der militärischen Führung seien „Dumme, Mediokritäten und Verbrecher“ am Werk. Der blinde Glaube der Männer im OKW an den ‘Führer’ mache alles noch schlimmer. 16 Folgerichtig stand er bei allen Umsturzplänen seit Ende 1939 an führender Stelle. Trotz seiner Skepsis gegenüber den militärischen Führern hoffte er dann im Jahr 1941, daß aus dem Offizierskorps heraus Kräfte aufstehen würden, die sich den verbrecherischen Befehlen widersetzen würden, welche Hitler und sein militärischer Stab für den geplanten rassen-ideologischen Ausrottungs- und Unterjochungskrieg gegen die Sowjetunion erließen. Aber keiner der Feldmarschälle ließ sich für die Verschwörung gewinnen. Vielmehr wurde die Wehrmacht als Institution und viele ihrer Vertreter in den Ausrottungskrieg mit einbezogen. Das hat Beck wohl erkannt, aber er hat dennoch nicht davon abgelassen, die Armee als Sachwalter der res publica anzusehen; so hat er noch im Sommer 1944 beschwörend ausgerufen: „Ich muß mich vor die Armee stellen!“17

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Gleichwohl sorgte er dafür, daß die Verschwörung ihre politische Dimension behielt, nachdem aktivistische Militärs innerhalb der Verschwörung im Laufe der von Stauffenberg seit Herbst 1943 dynamisch vorangetriebenen Umsturzvorbereitungen naturgemäß in den Vordergrund getreten waren. Die Formulierungen der für den Staatsstreich vorbereiteten politischen Grundsatzerklärungen waren maßgeblich von Beck bestimmt. Nach einem erfolgreichen Umsturz sollte er das Amt des Reichspräsidenten bzw. eines Reichsverwesers übernehmen. Er selbst rang sich in dieser Zeit auch zur Bejahung eines Attentates gegen Hitler als notwendigen Auftakt des Umsturzversuches durch. Folgerichtig befand sich Beck am 20. Juli 1944 als oberster politischer Repräsentant der Verschwörung in der Bendlerstraße, dem Zentrum des Umsturzunternehmens. Dort fand er am späten Abend dieses Tages auch den Tod. Generaloberst Ludwig Becks Leben umspannt einen weiten Bogen: der dem wilhelminischen Bildungs- und Besitzbürgertum entstammende preußische Offizier gelangte unter Hitler an die Spitze des deutschen Generalstabes, schuf das Instrument für Hitlers Kriegspolitik, wurde dann aber zum Verschwörer und Umstürzler. Damit verkörperte er gleichsam idealtypisch eine bestimmte Entwicklungsmöglichkeit national-konservativer Eliten, nämlich den Weg von der bereitwilligen Kooperation mit Hitler zum grundsätzlichen radikalen Widerstand gegen dieses System. Anmerkungen Hassell, Tagebücher 1938–1944, S.228, Eintragung vom 24. 3. 1942. Vgl. Foerster, Ein General; vgl. auch die mehr hagiographische Biographie von Buchheit, Ludwig Beck, und die einzige wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie von Reynolds, Beck. 3 Müller, General Ludwig Beck. 4 Vgl. ders., Ludwig Beck. Probleme seiner Biographie. 5 Vgl. Müller, Staat und Politik im Denken Ludwig Becks; vgl. auch ders., Beck, Reflexionen und neuere Forschungsergebnisse, hier speziell S.60–65. 6 Zu diesem Ausdruck vgl. Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit. 7 Abgedruckt bei Müller, General Ludwig Beck, S. 323–328 (ebenfalls in Auszügen abgedruckt in Müller, Heer und Hitler, S. 589–591). 8 Brief vom 17. 3. 1933 an Julie v. Goßler, abgedruckt bei Müller, General Ludwig Beck, S.337f. 9 Der bekannte Panzergeneral Guderian kritisierte nach dem Krieg, Beck habe die Bedeutung der Panzerwaffe nicht erkannt; das ist ebenso unhaltbar wie die These späterer Beck-Verehrer, Beck sei gegenüber dem Aufbau der Panzertruppe zurückhaltend gewesen, weil er Hitler nicht das Instrument für seine Aggressionen an die 1 2

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Hand geben wollte. Der Streit zwischen Beck und Guderian ging in Wirklichkeit um die sinnvolle Methode des Aufbaues dieser Waffe. Beck hat in seiner Planung sogar mehr Panzer angesetzt, als Guderian ursprünglich gefordert hatte. Vgl. hierzu Müller, General Ludwig Beck, S. 207–211, sowie Senfft, Die Entwicklung der Panzerwaffe. 10 Vgl. Müller, General Ludwig Beck, S. 176–183, und ausführlicher: ders., Revision, Aufrüstung und nationale Sicherheit, S. 19–30. 11 Vgl. Müller, Stülpnagel. 12 Überliefert durch den Wehrmachtsadjutanten Oberst i.G. Hoßbach, abgedruckt in: ADAP, Serie D, Bd. I, Nr. 19 und in IMT, Bd. 25, Dokument PS-386 sowie bei Hoßbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler, S. 207 ff. 13 Am 20. 5. 1937 schrieb er: „Deutschland ist in Bezug auf sein Heer noch nicht in der Lage, das Risiko eines mitteleuropäischen Krieges herauszufordern“ (abgedruckt bei Müller, General Ludwig Beck, S. 469); und in seiner Stellungnahme zu Hitlers Rede vom 28. Mai 1938 schrieb er, „daß die Tschechei (…) für Deutschland unerträglich ist und ein Weg, sie als Gefahrenherd für Deutschland auszuschalten, notfalls auch durch eine kriegerische Lösung gefunden werden muß. Doch muß bei letzterer den Einsatz auch der Erfolg lohnen“ (ebd. S. 521). 14 So auch Reynolds, Beck, S. 9 u. ö. Die Gegenthese vertritt Peter Hoffmann in seinen zahlreichen Werken über den Widerstand, vgl. insbesondere Hoffmann, Ludwig Beck, S.35–37. 15 Das ist die zentrale These von Reynolds, Beck, S. 10 und passim. 16 Zit. nach Reynolds, Beck, S. 166. 17 Überliefert ist der Ausspruch bei Gisevius, Bis zum bitteren Ende, Bd. II, S.304.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599 ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg: N 28, Nachlaß Ludwig Beck. Gedruckte Quellen und Literatur Buchheit, Gert: Ludwig Beck. Ein preußischer General. München 1964. Foerster, Wolfgang: Ein General kämpft gegen den Krieg. München 1949 (2. Auflage u. d. T.: Generaloberst Ludwig Beck. Sein Kampf gegen den Krieg. München 1953). Geyer, Michael: Aufrüstung oder Sicherheit. Wiesbaden 1980. Gisevius, Hans Bernd: Bis zum bitteren Ende. 2 Bde. Hamburg 1947. Hassell, Ulrich von: Vom anderen Deutschland. Aus den nachgelassenen Tagebüchern 1938–1944. Frankfurt a.M. 1964. Hoffmann, Peter: Ludwig Beck. Oberhaupt der Verschwörung. In: Für Deutschland. Die Männer des 20. Juli. Hrsg. von Klemens v. Klemperer, Enrico Syring, Rainer Zitelmann. Frankfurt a.M., Berlin 1994.

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Hoßbach, Friedrich: Zwischen Wehrmacht und Hitler. Wolfenbüttel/Hannover, 2. Aufl. 1965. Müller, Klaus-Jürgen: Revision, Aufrüstung und nationale Sicherheit – Der Grundsatzkonflikt zwischen Militär und Diplomatie in Deutschland 1933–1935. In: Deutschland zwischen Krieg und Frieden. Festschrift für Hans-Adolf Jacobsen. Hrsg. v. Karl Dietrich Bracher u.a. Düsseldorf 1991. Ders.: Carl-Heinrich von Stülpnagel – Die „Zentralfigur“ in Paris. In: Für Deutschland. Die Männer des 20. Juli. Hrsg. v. Klemens v. Klemperer, Enrico Syring, Rainer Zitelmann. Frankfurt a. M., Berlin 1994. Ders.: Staat und Politik im Denken Ludwig Becks. In: Historische Zeitschrift 215 (1972), S.608–631. Ders.: Generaloberst Ludwig Beck: Generalstabschef des deutschen Heeres 1933– 1938. Einige Reflexionen und neuere Forschungsergebnisse. In: ders., Armee, Politik und Gesellschaft in Deutschland 1933–1945. Paderborn 1979, 3. Aufl. 1981. Ders.: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933–1940. Stuttgart 1969, 2. Aufl. 1989. Ders.: General Ludwig Beck. Studien und Dokumente zur politisch-militärischen Vorstellungswelt und Tätigkeit des Generalstabschefs des deutschen Heeres 1933– 1938. Boppard 1980. Ders.: Ludwig Beck. Probleme seiner Biographie. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen Bd. 11/1972, S.167–176. Reynolds, Nicholas: Beck. Gehorsam und Widerstand. Das Leben des deutschen Generalstabschefs 1933–1938. Wiesbaden/München 1977. Senfft, Hubertus: Die Entwicklung der Panzerwaffe im deutschen Heer. Frankfurt a.M. 1969.

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Generaloberst Johannes Blaskowitz Johannes Blaskowitz, am 10. Juli 1883 in Peterswalde, Kreis Wehlau/Ostpreußen, als Sohn eines Pfarrers geboren, zog bereits als zehnjähriger Kadett den Soldatenrock an, verbrachte die Leutnantsjahre in Osterode in Ostpreußen und ließ sich nach seinem dreijährigen Kommando von der Kriegsakademie aus Gesundheitsgründen nach Baden versetzen. Den Ersten Weltkrieg erlebte er als Kompaniechef und Generalstabsoffizier in Frankreich, Südtirol, Galizien und im Baltikum. Nach dem Krieg wurde er bis 1932 ausschließlich in Württemberg und Baden im Generalstabs- und Truppendienst verwendet. Als Kommandeur des 14. (Badischen) InfanterieRegiments wurde er im Oktober 1930 zugleich zum Landeskommandanten in Baden ernannt. Diese Funktion ermöglichte es ihm, mit den badischen Landesbehörden und der Presse ein anerkanntes Vertrauensverhältnis herzustellen. War es den Soldaten verboten, sich parteipolitisch zu betätigen – sie waren auch nicht wahlberechtigt –, so gehörte Blaskowitz doch zu den Offizieren, die mit kritischem Blick die politische Entwicklung beobachteten. Aus der Sicht der damaligen politischen Situation Deutschlands sind Äußerungen Blaskowitz’ auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf vom August 1932 zu verstehen, über die der spätere, nach dem 20. Juli 1944 hingerichtete Generalmajor Hellmuth Stieff seiner Frau berichtete. Man hoffe, „daß die Nazis vernünftig bleiben …“. Falls sie „aber Dummheiten machen, wird ihnen mit aller Gewalt entgegengetreten werden, und man wird selbst vor blutigsten Auseinandersetzungen nicht zurückschrecken“. Die Parteien seien „das Unglück Deutschlands“, sie verhinderten „durch ihre Eigenbrötelei jegliche stabile und nützliche Regierungsarbeit“. Daher müsse die Regierung „von den Fesseln des Parlamentarismus befreit werden, um unabhängig arbeiten zu können, gestützt auf das Vertrauen des Reichspräsidenten und die Macht der Reichswehr“.1 Diese Sicht dürfte weitgehend die politische Einstellung des Offizierskorps zum damaligen Zeitpunkt wiedergeben. Anfang Februar 1933 wurde Blaskowitz als Generalmajor zum Inspekteur der Waffenschulen ernannt. Angesichts der seit langem beabsichtigten Heeresvermehrung hatte er in kürzester Zeit eine neue Organisation der Ausbildungsstätten für den stark ansteigenden Bedarf an Offiziersanwärtern zu schaffen. Am 1. April 1935 wurde Blaskowitz zum Befehlshaber im Wehrkreis II und im gleichen Jahr zum Kommandierenden General des II. Armeekorps in Stettin ernannt. Unter seiner Führung vollzog sich in dem

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Pommern und Mecklenburg umfassenden Wehrkreis der Übergang vom Berufsheer zum Heer der allgemeinen Wehrpflicht. Wie schnell der Aufbau der Wehrmacht auch die feldmäßige Ausbildung einbezog, erwies das große Wehrmachtmanöver – das einzige seiner Art – im September 1937, woran neben Verbänden aller Wehrmachtteile auch Blaskowitz’ Armeekorps teilnahm. Auf dem zu seinem Korpsbereich gehörenden Truppenübungsplatz Groß-Born wurde Blaskowitz im August 1938 mit zwei ihn stark berührenden Ereignissen konfrontiert: mit der Übergabe des Artillerieregiments 12 an den inzwischen von jedem Verdacht der Homosexualität freigesprochenen ehemaligen Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Freiherr von Fritsch, und – wenige Tage später – mit dem Besuch Hitlers, der in seiner neuen Funktion als Oberbefehlshaber der Wehrmacht eine Übung mit Panzern nutzte, um sich über die künftige operative Verwendung dieser Waffe zu äußern. Nach Berlin zurückgekehrt, kritisierte Hitler „die Ansichten Blaskowitz’ über den Einsatz von Panzern“, da er „genau wie die Franzosen die Panzer als schwere Waffe der Infanterie“ betrachtete. Statt dessen bringe „der operative Einsatz den Schwung für die Vorwärtsbewegung und damit die Überlegenheit“ 2. Obwohl Hitler seine Abneigung gegen Blaskowitz zum Ausdruck gebracht hatte, wurde er am 10. November 1938 zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe 3 in Dresden ernannt. Trotz der Zusage Hitlers an den britischen Premierminister Chamberlain, nach dem Abkommen von München keinerlei Besitzansprüche mehr in Europa zu stellen, befahl er im März 1939 den Einmarsch in die Resttschechei. Nach dem Einmarsch in Prag, wo Blaskowitz auf dem Hradschin noch am 15. März mit Hitler zusammentraf, wurde er vom Oberbefehlshaber des Heeres mit der vollziehenden Gewalt in Böhmen beauftragt. Schon wenige Wochen danach sah Blaskowitz seine Aufgabe mit der „Befriedung“ des Landes als erfüllt an. 3 Noch hielt er sich für ein „soldatisches Glückskind“, dem „diese geschichtliche Aufgabe (…) unversehens anvertraut“ worden sei.4 Doch schon einen Monat später hatte er sich mit seinem Stab auf einen möglichen Feldzug gegen Polen vorzubereiten. Im Rahmen eines von zwei Heeresgruppen geführten Zangenangriffs auf Warschau sollte Blaskowitz mit der 8. Armee die nördliche Flanke der Heeresgruppe Süd decken und dafür Sorge tragen, daß polnische Kräfte den Hauptstoß der 10. Armee nicht behinderten. Bereits eine Woche nach Kriegsbeginn traf die 8. Armee an der Bzura auf starke polnische Kräfte, die sich bemühten, die Front der 8. Armee zu durchbrechen. Harte Tage hatten die nach Norden sichernden Verbände zu bestehen, bis es gelang, der Krise Herr zu werden. Am 14. September besuchte Hitler in Lodz Blaskowitz’ Hauptquartier. Hitlers kritische Fragen konnten von Blaskowitz und von

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dem verwundeten General von Briesen befriedigend beantwortet werden.5 Die 8. Armee wurde danach mit dem Endkampf um Warschau beauftragt. Als der polnische Oberbefehlshaber, General Juliusz Rommel, nach erfolgter Kapitulation General Blaskowitz den Abmarsch seiner 118 000 Mann zählenden Truppen in die Gefangenschaft meldete, äußerte dieser, „daß er die Gefühle seines Gegners soldatisch durchaus verstände und würdige, daß aber der Krieg nur ganze Lösungen gestatte. Er habe alles getan, um den polnischen Offizieren den Schritt in die Gefangenschaft ehrenvoll zu gestalten.“ Rommel dankte in polnischer Sprache mit den Worten: „Das militärische Los ist veränderlich.“6 Fast am neuen Standort im Westen eingetroffen, erhielt Blaskowitz den Befehl, Generaloberst von Rundstedt als Oberbefehlshaber Ost abzulösen. Mit seiner Befehlsübernahme trat zugleich eine Neuordnung in den besetzten Ostgebieten ein. Dem Heer wurde die vollziehende Gewalt entzogen, offenbar weil sich einige Generale – wie List, Blaskowitz und Küchler – gegen die dortigen Ausschreitungen der SS gewandt hatten.7 Unter ziviler Verwaltung von Reichsminister Dr. Frank8 wurde das Generalgouvernement mit dem Regierungssitz in Krakau errichtet. Blaskowitz unterstanden die im Generalgouvernement und im Wehrkreis I (Ostpreußen) stationierten Truppen, um den Schutz der Ostgrenze zu übernehmen. In Spala errichtete er sein Hauptquartier. Frank fühlte sich in Krakau als Herr über Polen und erhob den Anspruch, als Repräsentant Hitlers auch über die im Generalgouvernement befindlichen Truppen zu verfügen. Blaskowitz dagegen sah sich ausschließlich an die Weisungen des Oberbefehlshabers des Heeres gebunden, der ihm befohlen hatte, daß „Verwaltungsaufgaben jeglicher Art im zivilen Bereich (…) damit aus dem Pflichtenkreis des Oberbefehlshabers Ost sowie seiner nachgeordneten Kommandobehörden“ auszuscheiden hätten.9 Zwischen Frank und Blaskowitz bestand daher ein gespanntes Verhältnis, um so mehr, als es Frank nicht gelang, die Himmler unterstehenden SS- und Polizeiverbände, die im Lande nach Gutdünken mordeten und plünderten, zur Raison zu bringen. Wenn Blaskowitz auch kein Recht hatte, sich in die inneren Angelegenheiten des Generalgouvernements einzumischen, so spürte er doch als religiöser Christ die Mitverantwortung dafür, was in dem unter seinem militärischen Schutz stehenden Gebiet an von Deutschen begangenen Verbrechen geschah.10 In Lageberichten und Vortragsnotizen sowie bei persönlichen Rücksprachen hat er daher mehrfach die in Polen herrschenden Zustände in einer Deutlichkeit gebrandmarkt, wie dies von seiten verantwortlicher Militärs wohl als einzigartig bezeichnet werden kann. So befaßt sich sein Lagebericht vom 27. November 1939 mit der Stimmung in der Wehrmacht, mit den Nöten der polnischen Bevölkerung, mit dem Verhältnis zur Generalgouvernementsverwaltung, deren Dienststellenleiter „sehr junge Amts-

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träger ohne jegliche Verwaltungskenntnis“ waren, mit der „ziemlich gestörten“ Verbindung zu den Organen der Polizei und mit den Verhältnissen im sowjetisch besetzten Polen. Die Truppe lehne es ab, „mit den Greueltaten der Sicherheitspolizei identifiziert zu werden“. Der „Blutrausch“ der Polizei stelle für die Wehrmacht „eine unerträgliche Belastung“ dar, „da dies ja alles im ‘Feldgrauen Rock’ geschieht“.11 Als Hitler dieser Bericht auf Brauchitschs Weisung vorgelegt wurde, nahm er ihn „zunächst ruhig zur Kenntnis, begann dann aber mit schweren Vorwürfen gegen ‘kindliche Einstellungen’ in der Führung des Heeres. Mit Heilsarmee-Methoden führe man keinen Krieg. Auch bestätige sich eine lang gehegte Aversion. Er habe General Blaskowitz niemals das Vertrauen geschenkt.“12 Blaskowitz bemühte sich insgesamt um eine korrekte Behandlung der Polen in seinem Verantwortungsbereich und setzte sich dafür ein, „die jüdischen Arbeiter in den Fabriken zu belassen und nicht in Konzentrationslager zu schicken.“13 Als sich trotz seiner kritischen Berichte über die Behandlung der Polen und Juden im Generalgouvernement nichts änderte, gab er seiner Überzeugung mit den Worten Ausdruck: „Die Ansicht, man könne das polnische Volk mit Terror einschüchtern und am Boden halten, wird sich bestimmt als falsch erweisen. Dafür ist die Leidensfähigkeit des Volkes viel zu groß.“14 Mitte Mai 1940 mit seinem Stab nach dem Westen verlegt und zum Armeeoberkommando 9 umgebildet, befahl Hitler, daß Blaskowitz in die „Führerreserve“ zu versetzen sei.15 Als er vierzehn Tage später – noch während des Westfeldzuges – als Militärbefehlshaber von Nordfrankreich eingesetzt wurde, kümmerte er sich vorrangig um die Flüchtlingsprobleme, da etwa sieben bis acht Millionen Franzosen ihren Wohnort verlassen hatten, die Straßen füllten, untergebracht sowie verpflegt werden mußten.16 Nach Beendigung des Frankreichfeldzuges erneut in die Führerreserve versetzt, wurde Blaskowitz im Oktober 1940 zum Oberbefehlshaber der 1. Armee ernannt, die nicht für den Einsatz im Osten vorgesehen war, sondern als Besatzungsarmee in Frankreich und als Ausbildungsstätte für neu aufgestellte Divisionen diente. Blaskowitz war „in jedem Falle froh, wieder wirken zu können“. Mehr erwartete er „von dieser Ernennung nicht“17. Nachdem Hitler am 11. Dezember 1941 den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt hatte, wurde das Armeeoberkommando 1 nach Bordeaux verlegt, um die Sicherung der französischen Atlantikküste zwischen der LoireMündung und der spanischen Grenze zu übernehmen. Am 10. November 1942 befahl Hitler den generalstabsmäßig längst vorbereiteten Einmarsch in das unbesetzte Südfrankreich.18 Um diese Aufgabe möglichst reibungslos zu lösen, nahm Blaskowitz persönlich Verbindung mit französischen Militärund Zivildienststellen auf. Die neue Situation forderte zudem, Vorbereitun-

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gen für mögliche Angriffe der Anglo-Amerikaner in Spanien und Portugal zu treffen. So sah die Aufmarschanweisung für die 1. Armee im Fall „Gisela“ die Besetzung der nordspanischen Häfen bis zur portugiesischen Grenze vor.19 Am 12. Mai 1944 wurde Blaskowitz mit der Führung der neu gebildeten Armeegruppe G unter dem Oberbefehlshaber West beauftragt, um „die Verteidigung der Biskayafront südlich der Loire, der Pyrenäen und der französischen Mittelmeerküste zu leiten“ 20. Knapp vier Wochen nach Übernahme des neuen Kommandos begann die lang erwartete Invasion in der Normandie. Sofort wurden der Armeegruppe G laufend Verbände, darunter bis auf die 11. Panzerdivision sämtliche motorisierten Verbände, entzogen. Besondere Sorge bereitete Blaskowitz die Entwicklung der Aufstandsbewegungen in den rückwärtigen Gebieten, die sich nach Beginn der Invasion zunehmend bemerkbar machten. Harten Gegenmaßnahmen gegen die Terroristen setzte er am 17. Juni – wenige Tage nach dem Massaker in Oradour – klare Grenzen, die jeglicher Willkür den Boden entziehen sollten. Es dürfe „nicht vorkommen, daß Frauen und Kinder von diesem Kampf in Mitleidenschaft gezogen werden, Gehöfte angesteckt werden, in denen nie ein Terrorist gewesen ist, oder Männer, die nie etwas mit den Terroristen zu tun gehabt haben, der Kugel zum Opfer fallen“.21 Obwohl kein Anhänger Hitlers und dessen Regimes sandte Blaskowitz an Hitler nach dem Attentat vom 20. Juli – möglicherweise von Feldmarschall von Kluge dazu aufgefordert – ein Telegramm, in dem er ihn der Treue der Armeegruppe G versicherte. Dem Feldmarschall von Mackensen vertraute er an, daß „die düsteren Ereignisse“ des 20. Juli außerhalb seiner Gedankenwelt lägen.22 Anfang August 1944 wies Blaskowitz auf die fast unkontrollierbaren Räume des Zentralmassivs und ostwärts der Rhône hin. Der Begriff „Terroristenbewegung“ sei nicht mehr zutreffend, vielmehr handle „es sich jetzt bereits um eine organisierte Armee, die im Rücken der Armeegruppe“ stehe.23 Am 15. August, dem 175. Geburtstag Napoleons, landeten die Alliierten an der französischen Mittelmeerküste.24 Hitler entschloß sich überraschend schnell, den Rückzug der deutschen Verbände aus Südfrankreich zu genehmigen. Blaskowitz hatte diesen Rückzug zu koordinieren, was ihm durch eine nahezu totale Luftüberlegenheit der Alliierten und durch die große Landstriche beherrschende Résistance-Bewegung erheblich erschwert wurde. Das erkannte nunmehr selbst Hitler an, der in einer Lagebesprechung am 1. September äußerte: „Wenn der [Blaskowitz] das fertig bringt, dann leiste ich ihm feierliche Abbitte von allem (…).“ 25 Dennoch versetzte er Blaskowitz kurz darauf wiederum in die Führer -

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reserve, weil er dessen Führungsmaßnahmen bei Nancy nicht billigte.26 Als Generalfeldmarschall von Rundstedt für Blaskowitz eintrat, lenkte Hitler ein, verlieh ihm sogar das Eichenlaub zum Ritterkreuz und beauftragte ihn Ende Dezember mit der Führung der Heeresgruppe G. Seit 10. April 1945 Oberbefehlshaber der „Festung Holland“, verhandelte er mit dem alliierten Oberkommando erfolgreich, um die Ernährungskrise der holländischen Zivilbevölkerung zu beheben.27 Kapitulationsangebote lehnte er jedoch ab, solange die deutsche Führung nicht selbst kapitulierte oder dies befahl, und ging als einziger Offizier des Heeres, der den Kriegsbeginn und das Kriegsende als verantwortlicher Oberbefehlshaber erlebte, in die Gefangenschaft, die er u. a. in Dachau und als Lagerältester in Allendorf verbrachte. Anfang 1948 im Nürnberger OKW-Prozeß wegen Kriegsverbrechen angeklagt,28 bereitete er am 5. Februar vor der Verlesung der Anklageschrift seinem Leben durch einen Sprung in die Rotunde des Justizpalastes ein Ende. Sein Grab fand er im Bommelsen in der Lüneburger Heide. Blaskowitz’ Selbstmord stellt die Frage nach der Mitverantwortung der militärischen Führer an Hitlers Verbrechen in aller Deutlichkeit. Zugleich bleibt durch seinen Tod offen, ob er sich als mitschuldig ansah, obwohl er ein Gegner Hitlers war und die Verbrechen in Polen 1939/40 heftig kritisiert hatte, oder ob er sich zu seinem Freitod entschloß, weil er befürchtete, durch seine Aussagen Kameraden zu belasten. Anmerkungen 1 Brief vom 21. 8. 1932, in: Ausgewählte Briefe von Generalmajor Helmuth Stieff, S. 96 f. 2 Below, Als Hitlers Adjutant, S. 116. 3 Umbreit, Deutsche Militärverwaltung, S. 59 f.; hierin auch Näheres zur Tätigkeit von Blaskowitz in Prag. 4 Blaskowitz an Feldmarschall von Mackensen vom 13. 4. 39, in: BA-MA Freiburg: N 39/69. 5 Vgl. Below, Als Hitlers Adjutant, S. 211; Heusinger, Befehl im Widerstreit, S. 62f. 6 Auszug aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen während des Polenfeldzuges von Generalmajor Felber, in: BA-MA Freiburg: N 67/3. 7 Näheres über den Aufgabenbereich der Einsatzgruppen des SD im Polenfeldzug bei Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf, S. 273–283, und Krausnick/Wilhelm, Die Truppen des Weltanschauungskrieges. 8 Vgl. Kleßmann, Hans Frank, S. 41–51. 9 Umbreit, Deutsche Militärverwaltungen, S. 117 f. 10 Graf von der Schulenburg, „Dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt“, S.208 f.

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BA-MA Freiburg: RH 1/v. 58. Engel, Heeresadjutant bei Hitler 1938–1943, S. 67 f. 13 Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 245 f. 14 Lagebericht des O. B. Ost v. 6. 2. 40, in: BA-MA Freiburg: RH 53–23/23, Bl. 15; Zitat im Original durch Unterstreichung herausgehoben. 15 Ebenda: RH 20–9/2. 16 Umbreit, Der Militärbefehlshaber in Frankreich, S. 9. 17 Blaskowitz an Feldmarschall von Mackensen v. 10. 11. 40, in: BA-MA Freiburg: N 39/69. 18 Näheres in: Boog/Rahn/Stumpf/Wegener, Die Welt im Krieg 1941–1945, S. 855– 859. 19 Vgl. Burdick, Planungen für das Einrücken deutscher Kräfte, S. 164–178. 20 Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtführungsstab), Bd. IV, S. 300 (zit. KTB/OKW). 21.BA-MA Freiburg: RH 19 XII/2. 22 Schreiben v. 27. 7. 44, in: BA-MA Freiburg: N 39/69. 23 Ebenda: RH 19 XII/2. 24 Näheres in: Staiger, Rückzug durchs Rhônetal, und Ludewig, Der deutsche Rückzug. 25 Warlimont, Im Hauptquartier, S. 509. 26 KTB/OKW, S. 393. 27 Ebenda, S. 1469. 28 Vgl. Auszug aus der Anklageschrift gegen von Leeb und andere (mit Rand bemerkungen von Blaskowitz), in: BA-MA Freiburg: MSg 1/2435. 11 12

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599 ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg: MSg 1/1814, 1931, 2435 und 2603 (von Blaskowitz hinterlassene Schriftstücke); Personalakte Pers 6/20; RH 64: Heeresgruppenkommando 3; RH 20–8: 8. Armee; RH 53–23: Oberbefehlshaber Ost; RH 20–9: 9. Armee; RH 20–1: 1. Armee; RH 19 XII: Armeegruppe G; RH 19 XIII: Heeresgruppe H; Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 456, Bd. 13, Nr. 17 und Abt. 233, Nr. 12362. Gedruckte Quellen und Literatur Clark, Joachim: Der christliche General. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin 1995, S. 28–49. Giziowski, Richard: The Enigma of General Blaskowitz. London 1997. Ludewig, Joachim: Generaloberst Johannes Blaskowitz im Zweiten Weltkrieg. In: Militärgeschichte 5 (1995), H. 1, S. 12–19. Möller-Witten, Hanns: Generaloberst Blaskowitz. In: Deutscher Soldatenkalender 1958, S. 172f.

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Munzel, Oskar: Blaskowitz. In: Kampftruppen 1967, Nr. 3, S. 94. Gerd Brausch: Blaskowitz. In: Altpreußische Biographie, Bd. III. Marburg 1975, S. 865f. Stahl, Friedrich-Christian: Blaskowitz. In: Badische Biographien, Neue Folge, Bd. II. Stuttgart 1987, S. 41–45. Ders.: Blaskowitz. In: Ostdeutsche Gedenktage, Bonn 1997, S. 65–69.

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Generalfeldmarschall Werner von Blomberg* Werner Eduard Fritz von Blomberg wurde am 2. September 1878 in Stargard/Pommern als ältester Sohn des Oberstleutnants Emil von Blomberg und seiner Frau Emma geboren.1 1894 trat er in die Hauptkadettenanstalt Groß-Lichterfelde ein, und drei Jahre später, im März 1897, wurde er mit 19 Jahren Leutnant im 73. Füsilier-Regiment. Die nächsten sieben Jahre verbrachte Blomberg in der Infanterie – und mit dieser Waffengattung sollte er während seiner ganzen Laufbahn verbunden bleiben. Den Dienstgrad eines Oberleutnants erreichte Blomberg erst 1907, kurz vor seinem 30. Geburtstag und drei Jahre nach seinem Eintritt in die Kriegsakademie. Nachdem er diese absolviert hatte, diente er von 1908 bis 1911 im Großen Generalstab in Berlin und wurde 1911 zum Hauptmann befördert. Anfang 1914 wurde er Kompaniechef in einem Infanterie-Regiment. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs versetzte man ihn jedoch als Generalstabsoffizier an die Westfront, zunächst als Ia (1. Generalstabsoffizier) der 19. Re serve-Division, dann des XVIII. Reserve-Korps und schließlich der 7. Armee. Hier bewährte er sich als hervorragender Planer und Organisator, so daß er 1916 zum Major befördert und schließlich mit dem „Pour le mérite“, dem höchsten preußischen Orden, ausgezeichnet wurde.2 Der im Juni 1919 unterzeichnete Friedensvertrag von Versailles beließ Deutschland ein Heer von 100 000 Mann, von denen nur 4000 Offiziere sein durften. Blomberg gehörte zu denjenigen, die in das neue Reichsheer übernommen wurden. Als er 1920 die Beförderung zum Oberstleutnant erhielt, war er beim Stab der Brigade Döberitz. 1921 wurde er Chef des Stabes des Wehrkreiskommandos V in Stuttgart. 1924 holte ihn der Chef der Heeresleitung, General Hans von Seeckt, als Chef der Heeres-Ausbildungsabteilung ins Reichswehrministerium; im darauffolgenden Jahr wurde er zum Oberst befördert.3 Reichspräsident Generalfeldmarschall v. Hindenburg ernannte Blomberg 1928 zum Generalmajor und zum Chef des Truppenamtes. Das bedeutete, daß Blomberg im Alter von 50 Jahren praktisch Chef des Generalstabes war, obwohl es diesen Titel nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags (der den Generalstab verboten hatte) offiziell nicht mehr gab. Bald betrach* Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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tete Heye den hochgewachsenen Pommern als seinen rechtmäßigen Erben und als zukünftigen Chef der Heeresleitung.4 Wie seine Vorgänger versuchte General Heye den verhaßten Versailler Vertrag, der die deutschen Streitkräfte in den zwanziger und dreißiger Jahren lähmte, zu umgehen. Alle vier wichtigen militärischen Innovationen des Ersten Weltkriegs – Panzer, Flugzeuge, Unterseeboote und Giftgas – waren den Deutschen verboten. Infolgedessen entzog sich das Reichsheer einigen dieser Beschränkungen, indem es durch Geheimvereinbarungen mit Moskau geheime Stützpunkte in Rußland errichtete. Blomberg war in diese heimlichen Operationen stark verwickelt und besuchte während der zwanziger Jahre die Sowjetunion. Die Rote Armee und das totalitäre Regime Stalins beeindruckten ihn. Hier genoß das Militär – anders als im demokratischen Deutschland – Macht und Ansehen. Blomberg bekannte später: „Es fehlte nicht viel, und ich wäre als vollendeter Bolschewist nach Hause gekommen.“5 Diese Äußerung enthüllt eine grundlegende Schwäche von Blombergs Charakter: politische Naivität und eine romantische Neigung zu phantastischen Höhenflügen. Er sah deutlich die Vorteile, die eine totalitäre Regierungsform für das deutsche Volk und seine Streitkräfte haben konnte, war jedoch blind für deren möglicherweise negative Auswirkungen. Diese Kurzsichtigkeit behinderte seine militärische Karriere unter Heye allerdings nicht: 1929 wurde er zum Generalleutnant befördert.6 Blombergs rapider Aufstieg und die Tatsache, daß er die Förderung Heyes genoß, führte zu seinem ersten Zusammenstoß mit Kurt von Schleicher, dem damaligen Chef des Ministeramtes der Reichswehr. Dieser ehrgeizige Offizier war auf Blomberg eifersüchtig, denn er erstrebte das Amt des Chefs der Heeresleitung für einen seiner eigenen Verbündeten – und letzten Endes für sich selbst. Schleicher kam zu der Überzeugung, Blomberg stehe seiner persönlichen Karriere im Weg. Der idealistische Blomberg war dem rücksichtslosen Schleicher in einem Intrigenspiel zweifellos nicht gewachsen. Schleicher verschwor sich gegen Blomberg mit dem Reichswehrminister Wilhelm Groener, der seine Ernennung einer früheren Intrige Schleichers verdankte, und gemeinsam übertrugen sie Blomberg die Verantwortung für einige illegale Sicherheitsmaßnahmen an der Grenze. Als die Falle zuschnappte, mußte Blomberg in Schande zurücktreten. Generaloberst Heye mußte persönlich intervenieren, um Blombergs Karriere überhaupt noch zu retten. Er schickte seinen unglücklichen Kollegen vorläufig auf eine Dienstreise in die Vereinigten Staaten, damit die Skandalgeschichten in den öffentlichen Medien verblassen und die Gemüter der Politiker sich beruhigen konnten. Anschließend versetzte er Blomberg als Befehlshaber des Wehrkreises I in das

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durch den Versailler Vertrag vom Reich abgetrennte Ostpreußen. Es schien ein Posten ohne Aufstiegschancen zu sein, aber Blomberg durfte wenigstens im aktiven Dienst bleiben. Der Kandidat Schleichers, Generalleutnant Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord, löste Blomberg als Chef des Truppenamtes ab und wurde schließlich im Oktober 1930 Heyes Nachfolger als Chef der Heeresleitung.7 Inzwischen trat Blomberg in seinem neuen Hauptquartier in Königsberg sein erstes Truppenkommando seit 1914 an. Wie die übrigen sechs Wehrkreise hätte der Wehrkreis I – zumal bei seiner besonderen territorialen Verantwortung – ein Armeekorps haben müssen, verfügte aber nur über eine einzige Division. In Königsberg zeigte sich deutlich eine zweite Schwäche in Blombergs Charakter: er war allzu anfällig für die Beeinflussung durch eine starke Persönlichkeit. In Ostpreußen geriet er unter den Einfluß des Obersten Walter von Reichenau, seines energischen und intelligenten Stabschefs. Der äußerst ehrgeizige Reichenau war einer der ersten und fähigsten NSfreundlichen Offiziere in der Reichswehr. Nach seiner Auffassung sprach nichts dagegen, im Falle eines Krieges mit Polen die paramilitärischen SAEinheiten als militärische Hilfstruppen unter dem Wehrkreiskommando einzusetzen, und Blomberg stimmte dem zu.8 Deshalb war Blomberg sehr daran interessiert, freundliche Beziehungen zu den Nationalsozialisten zu pflegen. Später schrieb er: „Der Nationalsozialismus war mir, sofern sein Schwergewicht auf dem Nationalismus lag, in der bedrohten, abgetrennten Provinz Ostpreußen sehr nahe.“9 Mehr als das: Blomberg war bald von Adolf Hitler völlig fasziniert. Er begegnete dem Führer der NSDAP zum ersten Mal im August 1930, als dieser auf einer Wahlkampfreise nach Königsberg kam. Sie waren sich über die Ostpolitik im allgemeinen einig und über die Frage des Einsatzes der SA als militärischer Hilfstruppe im besonderen. Noch wichtiger: Der General gelangte zu der Auffassung, daß der ehemalige Gefreite für die Reichswehr schließlich das gleiche tun würde, was Stalin für die Rote Armee getan hatte: er würde sie mit Zustimmung des ganzen Volkes zu einer wahrhaft nationalen Einrichtung machen. Blombergs Unterstützung des Nationalsozialismus war – anders als bei Reichenau – eher auf die Anziehungskraft von Hitlers Persönlichkeit zurückzuführen als auf die Weltanschauung der NSDAP. 1931 erlitt Blomberg bei einem Sturz vom Pferd eine schwere Gehirn erschütterung. Diese Verletzung – vielleicht zusammen mit der Krankheit und dem Tod seiner Frau – steigerte die Nervosität und Labilität Blombergs. Deshalb berief ihn Groener 1932 aus Königsberg ab. Darauf übertrug man dem unglücklichen General wieder eine Aufgabe, die ihn kaltstellen

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sollte: Man ernannte ihn zum Leiter der deutschen Militärdelegation bei der Internationalen Genfer Abrüstungskonferenz. Diese Position war jedoch politisch wichtiger, als es schien, denn sie gewährte Blomberg unmittelbaren Zutritt zum Reichspräsidenten Hindenburg – damals ein ganz seltenes Privileg. Der Pommer mit seiner imposanten Statur war jetzt in der Lage, den alternden Generalfeldmarschall zu beeinflussen, und das zu einem Zeitpunkt, als dieser Einfluß für die deutsche Geschichte entscheidend war. Jetzt rächte sich Blomberg. Seine negativen Berichte an den Reichspräsidenten über die Abrüstungspolitik Brünings trugen zu dessen Sturz im Juni 1932 wesentlich bei. Auf Brüning folgte Franz von Papen, und ein halbes Jahr später Kurt von Schleicher. Als Hindenburg Ende Januar 1933 den Reichskanzler von Schleicher entließ, endlich dem Druck nachgab und Hitler zum Regierungschef ernannte, beförderte er gleichzeitig Blomberg in das Amt des Reichswehrministers. Obwohl die Nationalsozialisten mit Blombergs Ernennung nichts zu tun hatten, waren sie darüber zweifellos erfreut. Blomberg und Hitler kamen von Anfang an gut miteinander aus. Während der ersten Kabinettssitzung, am Nachmittag des 30. Januar 1933, sicherte Blomberg dem ‘Führer’ seine unbedingte Loyalität zu. Innerhalb einer Woche hatte Blomberg seine grundsätzliche Taktik festgelegt: Zusammenarbeit zwischen dem Regime und den Streitkräften. Zunächst befahl er der Reichswehr, an Wochenenden kurze Ausbildungskurse für die Braunhemden der NSDAP einzuführen.10 Es folgten Anweisungen an die Angehörigen der Reichswehr, alle uniformierten Mitglieder der NSDAP und ihre Fahnen zu grüßen. Blomberg öffnete die Schleusen für die Verbreitung von NS-Propaganda in den niedrigeren Rängen der Reichswehr/Wehrmacht; er wies die Soldaten an, mit „Heil“ zu grüßen, wenn sie in Zivil waren, und er befahl, an den Uniformen der Reichswehr den neuen Hoheitsadler zu tragen – so machte er das Symbol der NSDAP zum Bestandteil der Uniform eines jeden deutschen Sol daten. Blomberg erließ auch die ersten antisemitischen Befehle an Angehörige der Reichswehr. Am 8. Dezember 1933 wies er die lokalen Kommandeure an, alle SA-Boykotte gegen jüdische Warenhäuser und Läden zu respektieren. Schließlich befahl er, alle Juden aus der Reichswehr zu entlassen und in allen Offiziersausbildungsschulen – einschließlich der Kriegsakademie – politische NS-Schulungskurse einzurichten bzw. die bestehenden auszudehnen. Er verbot Soldaten die Eheschließung mit „nicht-arischen“ Frauen, und 1935 verbot er den Soldaten, überhaupt in jüdischen Warenhäusern und Läden einzukaufen.11 Im Juli 1935 gab Blomberg Anweisung, daß alle Offiziere die nationalsozialistische Weltanschauung zu bejahen hätten. Mitte Juli 1936 befahl er, politisch unzuverlässige Offiziere der Gestapo zu mel-

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den. Andere Befehle Blombergs beschränkten die Privilegien der Militärgeistlichen, verfügten, daß die Teilnahme an dem gemeinsamen Marsch zum sonntäglichen Militärgottesdienst nicht mehr obligatorisch sei, und verlangten, daß Angehörige der Wehrmacht SS-Männer als Kameraden behandeln sollten.12 Die Nazifizierung der Reichswehr erfolgte stufenweise; sie wurde vor allem dadurch ermöglicht, daß dieser Prozeß – mit voller Unterstützung durch Blomberg – weitgehend intern ablief. Blomberg ersetzte eine Anzahl von Offizieren, die gegen den Nationalsozialismus und für Schleicher waren, durch seine eigenen Leute. Ende Januar 1934 mußte schließlich auch Hammerstein zurücktreten.13 Als die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr/Wehrmacht und NSDAP immer enger wurde, nahm Blombergs Popularität beim Offizierskorps beträchtlich ab. Einst hatte man ihn in Heereskreisen als „Siegfried mit einem Monokel“ bezeichnet; um die Mitte der dreißiger Jahre nannte man ihn öfter den „Gummilöwen“ oder – nach einem damals beliebten deutschen Film, der einen abenteuerlustigen (und idealisierten) Hitlerjungen schilderte – „Hitlerjunge Quex“. Nur in einer einzigen Frage trat Blomberg Hitler mutig gegenüber: 1934 ergriff er für Hindenburg Partei und verlangte nachdrücklich von Hitler, daß er gegen Ernst Röhm und die SA vorgehe. Denn die SA-Führer drängten auf eine zweite Revolution und wollten die Aufgaben der Reichswehr übernehmen. Bei der Säuberung der SA, in deren Verlauf auch die Generale von Schleicher und von Bredow (der ehemalige Chef des Ministeramtes) ermordet wurden, stellte sich Blomberg auf die Seite Hitlers. Blomberg spielte auch eine zwielichtige Rolle bei der offiziellen Rechtfertigung der „Nacht der langen Messer“ und bei der Vertuschung der Morde an Schleicher und Bredow sowie an Frau von Schleicher. Dafür brach ein Sturm von Protesten hochrangiger Heeresoffiziere über ihn herein. Blombergs wachsender Ansehensverlust beim Offizierskorps und bei der Generalität hemmte seine persönliche Karriere nicht. Im August 1933 beförderte Hitler ihn zum Generaloberst; im Mai 1935 ernannte er ihn zum Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Schließlich benutzte Hitler die Feier seines 47. Geburtstages am 20. April 1936 dazu, Blomberg als ersten Offizier des ‘Dritten Reiches’ zum Generalfeldmarschall zu erheben.14 Damit hatte Werner von Blomberg den Gipfel seiner militärischen Karriere erreicht. Blombergs Ansehen beim ‘Führer’ begann zu sinken, als er während der Rheinlandbesetzung nach Hitlers Auffassung völlig die Nerven verlor. Der Diktator meinte später, Blomberg habe sich während dieser Krise wie eine „hysterische alte Jungfer“ benommen, und äußerte gegenüber General von Rundstedt, Blombergs Vorschlag, seine Bataillone auf dem Höhepunkt der

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Krise zurückzuziehen, sei geradezu ein Akt der Feigheit gewesen.15 Auch in der Frage einer deutschen Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg dachte Blomberg anders als Hitler, und er vertrat seine abweichende Auffassung frei und offen. Außerdem waren Blombergs strategische Planungen von 1936 ab zunehmend defensiv orientiert – zum Ärgernis des ‘Führers’. Während der sogenannten Hoßbach-Konferenz vom 5. November 1937 schien der Generalfeldmarschall von Hitlers Aggressionsplänen nicht begeistert. Er stellte fest, die Wehrmacht werde erst 1943–45 für einen großen europäischen Krieg gerüstet sein; auf keinen Fall solle man 1938 gegen die Tschechoslowakei vorgehen, wie es der ‘Führer’ wünschte. Seine Haltung (die von Generaloberst von Fritsch, dem Oberbefehlshaber des Heeres, geteilt wurde) verärgerte und bestürzte Hitler, der von seinen Generalen erwartete, daß sie sich für die Aussicht auf einen weiteren Krieg begeisterten.16 Blomberg war nach dieser Konferenz nervös und erregt – anscheinend erschrak er über seinen eigenen Mut. Jedenfalls gab er seinen Widerstand gegen den ‘Führer’ bald auf. Mitte Dezember billigte er einen Plan für die Besetzung der Tschechoslowakei, der feststellte, das Land könne – auch bevor die Wehrmacht voll gerüstet sei – erfolgreich angegriffen werden, falls Prag keinen Bundesgenossen außer Rußland habe. Dieses Schwanken Blombergs führte zu Reibereien mit Fritsch, dessen eigene Haltung – trotz Hitlers Feindseligkeit – unnachgiebig blieb.17 Blomberg hatte Anfang 1938, als er den Fehler beging, der seine Karriere beendete, praktisch keine Verbündeten mehr. Am 12. Januar 1938 heiratete der fast 60jährige Witwer plötzlich in aller Stille die 24jährige Margarethe Gruhn; Hitler und Göring fungierten als Trauzeugen. Blomberg wußte, daß Margarethe Gruhn eine Vergangenheit hatte, er wußte aber nicht, daß sie auch für pornographische Fotos posiert hatte und im Prostituierten-Milieu bekannt war.18 Innerhalb von vierzehn Tagen gelangte Frau v. Blombergs polizeiliche Akte in die Hände Hermann Görings, der Blomberg absetzen wollte, um selbst Kriegsminister zu werden. „Blomberg hat eine Hure geheiratet!“ rief Göring, als er dem ‘Führer’ am 24. Januar die explosiven Dokumente überreichte. Im Gegensatz zu Göring war Hitler über diese Entwicklung der Dinge überhaupt nicht erfreut und äußerte sogar die Hoffnung, es werde nicht nötig sein, den Generalfeldmarschall zu entlassen; aber Göring überzeugte ihn, daß Blomberg gehen müsse. In diesem Punkt hatte Göring zweifellos recht: Wegen seiner NS-freundlichen Maßnahmen besaß Blomberg im deutschen Offizierskorps keinen Rückhalt mehr. Am nächsten Tag reichte Blomberg sein Abschiedsgesuch ein, und Hitler entließ den ruinierten General.19 Jodl vermerkte in seinem Tagebuch, Hitler behandle Blomberg mit

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„übermenschlicher Freundlichkeit“, und das war anscheinend tatsächlich der Fall. Hitler riet dem Pommern, ein Jahr lang Deutschland fern zu bleiben und schenkte ihm 50 000 Reichsmark für eine Weltreise. Er verwarf die Bildung eines Ehrengerichtes für Blomberg, wie es mehrere hochrangige Offiziere gefordert hatten, sorgte dafür, daß der Generalfeldmarschall im Ruhestand weiterhin sein volles Gehalt bekam und beriet sich sogar mit Blomberg über seinen eventuellen Nachfolger. In dieser Unterredung versetzte Blomberg – den es tief verwundete, wie rasch und einmütig das Offizierskorps sich gegen ihn gestellt hatte – seinen Offizierskameraden einen letzten, vernichtenden Schlag. Er legte Hitler nahe, den Titel des Reichskriegsministers selbst anzunehmen. Eine Woche später übernahm der ‘Führer’ tatsächlich dieses Amt. Danach lebte Blomberg mit seiner Frau zurückgezogen und unbeachtet bis zum Kriegsende im bayerischen Bad Wiessee.20 Er war weiterhin ein Anhänger Hitlers und glaubte bis zum Schluß an den Endsieg.21 Im Krieg verlor er beide Söhne, und als die Amerikaner im Mai 1945 in Bayern einmarschierten, nahmen sie ihn fest. Selbst im Gefängnis wurde Blomberg von vielen seiner ehemaligen Kameraden ignoriert; denjenigen, die mit ihm sprachen, erzählte er früher oder später, seine zweite Ehe sei eine glückliche. Werner von Blomberg hatte viel dazu beigetragen, den Nationalsozialismus in der Reichswehr bzw. in der Wehrmacht zu fördern, und er hatte auch mitgeholfen, Hitler dasjenige Instrument zu liefern, das er zur Führung seines Krieges benötigte. Am 14. März 1946 starb er, „ein mitleiderregender, bettlägeriger Greis“, in der Nürnberger Untersuchungshaft an Krebs. 22 Er wurde ohne Zeremoniell in einem unbezeichneten Grab bestattet.23

Anmerkungen Huebsch, Field Marshal Werner von Blomberg, S.16f. Cooper, The German Army, S. 21; Huebsch, Field Marshal Werner von Blomberg, S.25–31, 44; O’Neill, The German Army, S. 186 f. 3 Taylor, Sword and Swastika, Nachdruck Chicago 1969, S. 61; O’Neill, The German Army, S.186f.; Huebsch, Field Marshal Werner von Blomberg, S.58. 4 Brett-Smith, Hitler’s Generals, S.183; Taylor, Sword and Swastika, S.61. 5 Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S. 318; Snyder, Encyclopedia of the Third Reich, S.29f. 6 O’Neill, The German Army, S. 186 f. 7 Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, S.144 f.; O’Neill, The German Army, S.190; Taylor, Sword and Swastika, S.61 f. 1 2

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Irving, The War Path, S. 28. Bei Kriegsausbruch kämpften tatsächlich SA-Einheiten als Teil der 3. Armee (früher Wehrkreis I) gegen die Polen. 9 Taylor, Sword and Swastika, S. 77. 10 Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, S. 204; O’Neill, The German Army, S.34. 11 O’Neill, The German Army, S. 36; Cooper, The German Army, S.28–34. 12 Cooper, The German Army, S.33–48. 13 Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S. 320–323; O’Neill, The German Army, S.6f. 14 O’Neill, The German Army, S. 17. 15 Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, S. 280–283; Deutsch, Das Komplott, S.44; Cooper, The German Army, S. 54. 16 Irving, The War Path, S. 63; Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S.382–384; Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, S.293–297. 17 Cooper, The German Army, S. 64; Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S.384–386. 18 Deutsch, Das Komplott, S. 80 f.; Cooper, The German Army, S.59. 19 Cooper, The German Army, S. 59; Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, S.301. 20 Huebsch, Field Marshal Werner von Blomberg, S.2. 21 Ebenda, S.3f., 314 f. 22 Wistrich, Who’s Who in Nazi Germany, S. 20. 23 Seine Überreste wurden später eingeäschert und in der Nähe seines Hauses in Bad Wiessee beigesetzt. Vgl. Huebsch, Field Marshal Werner von Blomberg, S.315f. 8

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg: N 52, Nachlaß mit unveröffentlichten Aufzeichnungen Blombergs und Akten zum Reichskriegsministerium. Gedruckte Quellen und Literatur Brett-Smith, Richard: Hitler’s Generals. San Rafael, Calif. 1977. Deutsch, Harold C.: Hitler and His Generals. The Hidden Crisis. Minneapolis 1974. Görlitz, Walter: Blomberg. In: Hitler’s Generals. Hrsg. v. Correlli Barnett. London 1989, S.129–138. Huebsch, Norbert A.: Field Marshal Werner von Blomberg and the Politicization of Wehrmacht. University of Cincinnati 1961. Janßen, Karl-Heinz und Tobias Fritz: Der Sturz der Generale. Hitler und die Blomberg-Fritsch-Krise 1938. München 1994. Mitcham, Samuel W.: Hitler’s Field Marshals and their Battles. London 1988, Chelsea 1990.

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Moll, Otto E.: Die deutschen Generalfeldmarschälle 1939–1945. Rastatt 1961. Müller, Klaus-Jürgen: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1833–1940. Stuttgart 1969. Müller, Richard R.: Werner von Blomberg. Hitlers „idealistischer“ Kriegsminister. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin/Frankfurt a. M. 1995, S.50–85. O’Neill, Robert J.: The German Army and the Nazi Party, 1933–1939. New York 1966. Taylor, Telford: Sword and Swastika. Generals and Nazis in the Third Reich. New York 1952, Chicago 1969. Wheeler-Bennett, John M.: The Nemesis of Power. The German Army in Politics 1918–1945. London 1964.

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Generalfeldmarschall Fedor von Bock* Fedor von Bock, Sohn des preußischen Generals Moritz von Bock, wurde am 3. Dezember 1880 in Küstrin/Neumark geboren. Von Jugend auf war es sein einziger Wunsch, Soldat zu werden und in die höchsten Ränge des Heeres aufzusteigen; sein Leben lang verachtete er praktisch alles, was nicht preußisch oder militärisch war. Er entwickelte sich zu einem allzu ernsten, höchst ehrgeizigen, arroganten, eigensinnigen und humorlosen jungen Mann. Ein Offizier erinnerte sich an seine „stechenden grauen Augen, (…) die einen durchbohrten und deren prüfender Blick durch keine freundliche Maske gedämpft wurde (…); seine kühle Distanziertheit würde ebensogut zu einem Scharfrichter passen.“1 Bock stürzte sich mit dem Eifer eines Fanatikers in den Soldatenberuf. In den Kadettenanstalten von Potsdam und Groß-Lichterfelde erzogen, wurde er 1899 Leutnant im 5. Preußischen Garde-Regiment zu Fuß in Spandau, in dem er acht Jahre später zum Regimentsadjutanten aufstieg. Bald darauf wählte man ihn für die Kriegsakademie aus. 1912 wurde er Hauptmann im Großen Generalstab.2 Fedor von Bock war für die militärische Laufbahn begabt, aber er war nicht brillant. Schon als junger Offizier war er bekannt für sein seriöses Auftreten, seine Zielstrebigkeit, seine aristokratische Haltung und seine Begeisterung, wenn es um Beruf und Karriere ging. Diese Eigenschaften, zusammen mit seinem unbestreitbaren physischen Mut, brachten ihm schließlich den höchsten militärischen Rang ein. Obwohl Hauptmann von Bock im August 1914 unbedingt an die Front wollte, wurde er zunächst im Generalstab des Gardekorps verwendet; 1916 erfolgte die Beförderung zum Major.3 Im gleichen Jahr erhielt er endlich ein Truppenkommando als Bataillonskommandeur im 4. Preußischen GardeRegiment zu Fuß. Er führte sein Bataillon in den Schlachten an der Somme und bei Cambrai mit geradezu fanatischem Mut. So bekam er schließlich den höchsten preußischen Orden, den „Pour le mérite“. Normalerweise wurde diese Auszeichnung für „hervorragenden“ Mut verliehen; Bocks Mut wurde in der lobenden Erwähnung als „unglaublich“ bezeichnet.4 Dann wurde er zum 1. Generalstabsoffizier (Ia) der 200. Infanteriedivi sion ernannt. Bock war bei fast allen seinen Offizierskameraden unbeliebt, * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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hauptsächlich wegen seiner Schroffheit und weil er ihre Ideen sich selbst zuschrieb.5 Trotz dieser internen Reibereien hielt sich die Division gut und galt als „eine der besten Divisionen im deutschen Heer“.6 Während der letzten anderthalb Jahre des Krieges war Bock Ia-Offizier im Generalstab der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz. Die Niederlage von 1918 traf ihn als überzeugten Soldaten schwer. Nach dem Waffenstillstand wurde Bock Mitarbeiter des Chefs der Heeresleitung, General Hans von Seeckt. Als Chef des Stabes des Wehrkreiskommandos III in Berlin war er während der frühen zwanziger Jahre in die Aktivitäten der ‘Schwarzen Reichswehr’ verstrickt – einer Geheimorganisation illegaler militärischer Verbände, die sich als freiwilliger Arbeitsdienst tarnte. Im Herbst 1923 geriet diese Organisation außer Kontrolle, und Seeckt mußte sie mit Gewalt zerschlagen. Im darauffolgenden Prozeß sagte Oberstleutnant von Bock als Zeuge aus, er habe von der ‘Schwarzen Reichswehr’ nicht gewußt. Das war natürlich eine Lüge, aber man ließ sie ihm wie auch anderen Offizieren (z.B. Kurt v. Hammerstein und Kurt v. Schleicher) durchgehen. Die Linkspresse warf Bock auch vor, in mehrere „Fememorde“ verwickelt zu sein, konnte aber ihre Behauptungen nie beweisen. Bocks spätere Karriere in der Reichswehr war weniger umstritten. 1924 wurde er Bataillonskommandeur, 1926 Regimentskommandeur, 1929 Divisionskommandeur und 1931 Befehlshaber des Wehrkreises II in Stettin. In diesen Jahren stieg er vom Oberstleutnant zum Generalleutnant auf. Bock war kein Anhänger, aber zweifellos auch kein Gegner des Nationalsozialismus. Uneingeschränkt unterstützte er die Militärpolitik Hitlers; seine Außen- und Innenpolitik war ihm weitgehend gleichgültig. Für den ‘Führer’ und seine NS-Freunde war eine solche Einstellung akzeptabel. Als viele Standesgenossen und Kameraden Bocks entlassen oder in den Ruhestand geschickt wurden, äußerte er keinerlei Protest, um ihnen zu helfen. So betrachtete ihn Hitler immer mehr als williges Werkzeug. 1935 wurde Bock als General der Infanterie zum Oberbefehlshaber des Gruppenkommandos 3 (in Dresden) ernannt und im März 1938 zum Generaloberst befördert. Im selben Jahr wurde er Oberbefehlshaber der rasch aufgestellten 8. Armee und erhielt den Auftrag, Österreich zu besetzen; dann sollte er Verbände des früheren österreichischen Heeres in die Wehrmacht eingliedern. In Wien zeigte Bock unverhüllt seine Verachtung für alles Österreichische, einschließlich der k.u.k. Kriegsorden, die er als „Alteisen“ bezeichnete. Bald mußte Hitler ihn nach Dresden zurückversetzen, doch schon im Herbst 1938 befehligte Bock einen Teil der Truppen, die das Sudetenland besetzten. Dann wurde er als Oberbefehlshaber des Heeresgruppenkommandos 1 nach Berlin berufen.7 Im Spätsommer 1939 wurde Bocks Hauptquartier in Heeresgruppe Nord

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umbenannt und auf rund 630 000 Mann verstärkt; ihr Angriffsziel war, Nordpolen zu überrollen. Bock freute sich über diesen Auftrag, denn die Polen mochte er noch weniger als Süddeutsche oder Österreicher. Er fiel in den Polnischen Korridor ein und stieß bis Brest-Litowsk in Ostpolen vor, wo er der Roten Armee die Hand reichte. Gegen die Greueltaten, die die Einsatzgruppen des SD in seinen rückwärtigen Gebieten begingen, protestierte er nicht. Ende Oktober hatte Bocks Hauptquartier alle seine Aufgaben erfolgreich erfüllt und war auf dem Weg zur Westfront. Nach dem ursprünglichen deutschen Aufmarschplan sollte Bocks Heeresgruppe (die jetzt Heeresgruppe B hieß) den deutschen Hauptangriff führen. Dieser Plan war jedoch ein einfallsloser Aufguß des alten Schlieffen-Planes, der 1914 gescheitert war. Bock kritisierte ihn in einer Denkschrift scharf, und Hitler pflichtete ihm bei. Als General Erich von Manstein – der Chef des Stabes der Heeresgruppe A – eine weit bessere Lösung vorschlug, übernahm sie der ‘Führer’. Abermals vertraute er Bock eine untergeordnete, jedoch äußerst wichtige Aufgabe an: Er sollte durch die Niederlande so kraftvoll vorstoßen, daß die Alliierten dies für den Hauptangriff halten würden. Niemand kann bezweifeln, daß Bock einen glänzenden Erfolg errang. Seine beiden verhältnismäßig schwachen Armeen überrollten die Niederlande und den größten Teil Belgiens, erledigten die Überreste der französischen Hauptarmee bei Dünkirchen und machten dabei Zehntausende von Gefangenen. Dann wurden Bocks Truppen nach Süden verlegt, wo sie Westfrankreich überrollten, bis zur spanischen Grenze vorstießen und dabei die Reste des französischen Heeres besiegten. Nach der Kapitulation von Paris wurde Bock – wie einige andere Oberbefehlshaber – am 19. Juli 1940 von Hitler zum Generalfeldmarschall befördert. Vorübergehend war Bock mit dem Kommando über Besatzungstruppen in Frankreich und der Vorbereitung der Landung in Großbritannien betraut. Als diese nicht stattfand, erhielt er von Hitler im Herbst 1940 ein neues Kommando in Polen, wo er den Aufmarsch gegen die UdSSR leiten sollte. Die Gesundheit des Generalfeldmarschalls begann allerdings nachzulassen, und in den Wintermonaten war er magenkrank. Anfang 1941 mißbilligte Bock die geplante ideologische Verschärfung des Krieges gegen die Sowjetunion. Er ging sogar so weit, wissentlich Mitglieder der Verschwörung gegen Hitler in seinem Stab zu dulden. Diejenigen, die auf seine Unterstützung bei einem Staatsstreich gegen den Diktator hofften, wurden freilich bald enttäuscht. Bocks Einstellung war bezeichnend für allzuviele deutsche Generale im Zweiten Weltkrieg: er war bereit, sich den Verschwörern anzuschließen, falls sie erfolgreich waren, wollte jedoch nichts mit ihnen zu tun haben, falls sie scheiterten. An diesem Standpunkt hielt Bock den ganzen Krieg hindurch fest. Leutnant Fabian von Schlabren-

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dorff schrieb später: „Obgleich auch Bock das Getriebe des Nationalsozialismus innerlich zuwider war, war er nie gewillt, jemals seine Hand gegen Hitler zu erheben. Von seinem Charakter waren die Hypotheken der Eitelkeit und des Egoismus in Abzug zu bringen. Was übrig blieb, war wenig genug.“8 Beim Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 hatte Bocks Heeresgruppe Mitte die wichtigsten Aufgaben des Feldzuges, z. B. die Einnahme von Moskau. Obwohl er in bezug auf die Chancen Deutschlands pessimistisch war, errang er anfänglich glänzende Erfolge. So waren zum Beispiel seine Panzerspitzen binnen einer Woche nach Beginn des Rußlandfeldzuges im Begriff, Minsk – immerhin 270 km hinter der russischen Grenze – einzuschließen. Als der Kessel von Minsk am 3. Juli genommen war, hatten Bocks Verbände 324 000 Gefangene gemacht und Tausende von Panzern und Geschützen erbeutet oder zerstört.9 Truppen unter seinem Oberbefehl gewannen unter anderem die Kesselschlachten von Smolensk, Roslawl und Gomel und waren Ende August nur noch 200 km von Moskau entfernt. Der Weg zur sowjetischen Hauptstadt lag offen vor ihnen, als – zu Bocks großer Empörung und unter seinen lautstarken Protesten – Hitler der Heeresgruppe Mitte vier ihrer fünf Panzerkorps entzog und den Schwerpunkt des Feldzuges nach Norden und Süden – gegen Leningrad und Kiev – verlagerte. Bock verlor dadurch seine eigentliche Angriffsspitze. Diese Umgruppierungen gaben Stalin die Zeit, die er so verzweifelt benötigte, um die Verteidigung seiner Hauptstadt zu organisieren. Man könnte durchaus sagen, daß diese Entscheidung Hitlers – mehr als irgendeine andere – ihn um den Sieg im Zweiten Weltkrieg brachte. Nachdem Kiew Anfang September gefallen war, hofften Bock und Generaloberst Halder, der Chef des Generalstabes des Heeres, immer noch, Moskau ohne eigene Panzerspitze einnehmen zu können – obwohl die Truppen erschöpft, ihre Ausstattung unzureichend, die Panzer abgenutzt und die Wetteraussichten für einen Feldzug schlecht waren. Hitler gab grünes Licht für das Unternehmen „Taifun“. Als die Heeresgruppe Mitte am 7. Oktober 1941 die Offensive wiederaufnehmen konnte, standen ihr fast 2 Millionen Russen gegenüber. Trotzdem gelang es Bock, in der Doppelschlacht von Vjasma und Brjansk, die man als „die vollkommenste Umfassungsschlacht der Weltgeschichte“ bezeichnet hat,10 81 sowjetische Divisionen zu vernichten. Als die Schlacht am 17. Oktober beendet war, hatte Bock 663 000 Russen gefangengenommen und 1242 Panzer und 5412 Geschütze erbeutet oder vernichtet. 11 Aber 110 km vor Moskau hielten die Truppen Bocks, völlig erschöpft, an. Inzwischen hatten sich die russischen Straßen durch starken Regen und Schneefall in Schlammflüsse verwandelt; motorisierte Nachschubkolonnen konnten

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kaum 8 km pro Tag zurücklegen. Außerdem besaßen die deutschen Truppen keine Winterbekleidung und litten schrecklich. Rundstedt und Leeb, die beiden anderen Heeresgruppen-Oberbefehlshaber an der Ostfront, appellierten an Hitler, zur Defensive überzugehen; aber Bock bestand eigensinnig darauf, den Vorstoß wiederaufzunehmen, sobald die Erde gefroren und damit die Zufuhr von Lebensmitteln und Munition wieder möglich war. Am 15. November trat Bock erneut zum Angriff an. Ohne Winteruniformen kämpften sich die Soldaten bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad vorwärts. Obwohl 70 Prozent ihrer Fahrzeuge infolge von Kälte, Pannen und Überbeanspruchung lahmgelegt waren, kamen deutsche Truppen bis auf 30 km an den Kreml heran, konnten aber die Stadt Moskau nicht einnehmen. Am 6. Dezember begann Stalin eine massive Gegenoffensive, und bald zeigte sich, daß Bock durch seinen Eigensinn seine ganze Heeresgruppe schwer gefährdet hatte. Die Kampfverbände standen am Ende einer langen, dünnen Nachschublinie, mehrere Divisionen meldeten täglich 1000 Ausfälle durch Erfrierungen, und viele Einheiten lebten tagelang nur vom Fleisch ihrer geschlachteten Pferde. Trotz Hitlers Befehlen, die Stellungen um jeden Preis zu halten, wurde die Heeresgruppe Mitte in schweren Kämpfen langsam zurückgedrängt. Bald war die 9. Armee in Gefahr, eingeschlossen zu werden; überall waren die Verluste erschreckend. Fedor von Bock hatte seine erste Niederlage erlitten – und zwar eine schwere. Als die Katastrophe über seine Front hereinbrach, nahm Bock Verbindung mit Oberst Rudolf Schmundt, dem Wehrmachtsadjutanten Hitlers, auf. Er klagte über seinen sich verschlechternden Gesundheitszustand, besonders seine Magengeschwüre, und bat Schmundt, das dem ‘Führer’ zu melden. Zwei Tage später, am 18. Dezember 1941, rief der Chef des OKW, Generalfeldmarschall Keitel, Bock an, um ihm mitzuteilen, Hitler empfehle ihm einen längeren Genesungsurlaub. Bock ergriff diese Gelegenheit. Noch am selben Tag wurde er durch Generalfeldmarschall von Kluge abgelöst. Hitler machte jedoch nicht Bock, sondern Brauchitsch für das Scheitern vor Moskau verantwortlich, und die Ablösung Bocks war nicht endgültig. Tatsächlich dauerte Bocks Beurlaubung nur einen Monat. Am 17. Januar 1942 erlag Generalfeldmarschall von Reichenau, der Rundstedt als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd abgelöst hatte, einem Schlaganfall. Am nächsten Tag berief Hitler den auf wundersame Weise genesenen Bock ins Führerhauptquartier und ernannte ihn zum neuen Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd. Der neue Befehlsbereich, den Bock am 20. Januar übernahm, war bald einem schweren sowjetischen Angriff ausgesetzt, aber die Lage war bei weitem nicht so ernst wie im Dezember bei der Heeresgruppe Mitte. Im März 1942 war die Offensive der Roten Armee an allen Frontab-

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schnitten abgewehrt, und beide Seiten begannen, Nachschublinien für die Frühjahrskämpfe aufzubauen. Der Generalfeldmarschall von Bock, der die Heeresgruppe Süd führte, war in mancherlei Hinsicht nicht mehr derselbe General, der sich in Polen, Frankreich und beim Unternehmen „Barbarossa“ als schneidiger Draufgänger hervorgetan hatte. Er operierte viel vorsichtiger als früher; seine Niederlage vor Moskau hatte ihn offenbar verändert. Als die Sowjets am 12. Mai plötzlich ihre Frühjahrsoffensive eröffneten (bevor Bock die Vorbereitungen für seine eigene abgeschlossen hatte), reagierte der Generalfeldmarschall nervös und wollte voreilig seine Reserven einsetzen. Hitler lehnte mehrere aufgeregte Bitten Bocks ab und ließ die Russen bis auf 20 km an Charkow herankommen, bevor er den Vorstoß der deutschen Panzer genehmigte. Das Ergebnis war ein glänzender Sieg der Deutschen. Die Heeresgruppe Süd machte 240 000 Gefangene und erbeutete oder vernichtete mehr als 1200 Panzer und 2000 Geschütze. Die deutschen Verluste betrugen nur 20 000 Mann. Hitler war jedoch verständlicherweise enttäuscht über die Nervosität, die Bock bei Charkow gezeigt hatte. 12 Jetzt eröffnete der ‘Führer’ die zweite Phase seiner Frühjahrsoffensive, indem er Bock befahl, als Vorbereitung für die Angriffe gegen Stalingrad und gegen den Kaukasus den Don zu nehmen. Bock übte offen Kritik an dem Plan Hitlers, weil dieser sich zu stark darauf verlasse, daß die Flanken des deutschen Heeres beim Vormarsch durch Truppen von Verbündeten gedeckt würden, und er äußerte seine Gedanken auf die für ihn bezeichnende taktlose Weise. Trotzdem rückte Bock am 28. Juni mit 1 Million Mann vor. Sein Tempo war jedoch weit langsamer als 1941. Gegen ausdrückliche Befehle Hitlers ließ er sich bei Woronesch vom Gegner in schwere, fruchtlose Kämpfe verwickeln – und er führte diese Schlacht sogar noch weiter, nachdem Hitler ihm befohlen hatte, sie abzubrechen. Infolgedessen gelang es mehreren russischen Armeen, über den Don zu entkommen; Hitler, der auf Hunderttausende von Gefangenen gehofft hatte, war enttäuscht. Am 15. Juli enthob er Bock seines Kommandos und verwendete ihn nie wieder. Trotz dieser Demütigung stellte er sich jedoch nicht gegen Hitler. Anfang Mai 1945, als Hitler tot und Berlin schon in russischer Hand war, erfuhr Bock, der inzwischen in Ostholstein wohnte, durch ein Telegramm Mansteins, daß Großadmiral Dönitz bei Hamburg eine neue Regierung bilde. Der ehrgeizige Feldmarschall brach sofort auf – selbst jetzt noch versuchte er, sich ein neues Kommando zu sichern. Am 3. Mai wurde sein Auto auf dem Weg zu Manstein von einem britischen Jagdbomber beschossen.13 Bock wurde schwer verletzt und starb am 4. Mai 64jährig; mit ihm kamen seine Frau und seine Tochter ums Leben. Er war der einzige Generalfeldmarschall Hitlers, der feindlichen Kugeln zum Opfer fiel.

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Gewöhnlich gilt Fedor von Bock als unsympathischer Mensch. Telford Taylor schrieb über ihn: „Er verschloß sich gegenüber allem, was nicht unmittelbar mit ‘Kämpfen für den König’ zu tun hatte. […] Das friderizianische Preußentum war ihm in Fleisch und Blut übergegangen; er war ein leidenschaftlicher Nationalist, ein strenger Vorgesetzter und nur darauf aus, das Heer zu stärken und seine eigene militärische Karriere zu fördern, in der er sich mehr durch Eifer und Zielstrebigkeit als durch Intelligenz hervortat.“14 Trotz seiner keineswegs makellosen Persönlichkeit war er jedoch während der ersten drei Kriegsjahre ein fähiger Truppenkommandeur. Und er stellte sich dem ‘Führer’ als Befehlshaber mehrfach zur Verfügung, obwohl er – beispielsweise durch Generalmajor von Tresckow, seinen Neffen und 1. Generalstabsoffizier – von den Verbrechen der Nationalsozialisten und von Massakern an jüdischen Frauen und Kindern wußte. Umstritten ist, ob auch er zu seinem 60. Geburtstag im Dezember 1940 von Hitler eine Dotation in der üblichen Höhe von 250 000 Reichsmark entgegennahm, wie der ehemalige Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk in seinen Erinnerungen angab. Anmerkungen 1 2

Hart, Hitler’s Generals, S. 154. Brett-Smith, Hitler’s Generals, S. 64 f.; Snyder, Encyclopedia of the Third Reich,

S.4. Bradley u. a., Die Generale des Heeres, Bd. 2, S. 40. Nach Wistrich, Who’s Who in Nazi Germany, S.21, wurde Bock erst 1918 zum Major befördert. 4 Hart, Hitler’s Generals, S. 160. 5 Ebenda, S.160ff. 6 United States Army, Intelligence Section of the General Staff, American Expeditionary Force, Histories of Two Hundred and Fifty-One Divisions of the German Army, S.647. 7 Hart, Hitler’s Generals, S. 177. 8 Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler, S.44. 9 Lucas, War on the Eastern Front, S.176. 10 Carell, Hitler Moves East, S.134. 11 Ebenda, S.134–142. 12 Shaw, Red Army Resurgent, S. 35; Seaton, The Russo-German War, S. 260 f.; Ziemke, Stalingrad to Berlin, S. 33. 13 Schröter, Der Soldatentod, S. 167 ff.; vgl. Brett-Smith, Hitler’s Generals, S. 84 f.; Keilig, Die Generale des Heeres. 14 Taylor, Sword and Swastika, S. 240 f. 3

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 22: Nachlaß v. Bock; ebenda, Pers. 6/2: Personalakte. Gedruckte Quellen und Literatur Brett-Smith, Richard: Hitler’s Generals. San Rafael, Calif. 1977. Generalfeldmarschall Fedor von Bock. Zwischen Pflicht und Verweigerung. Das Kriegstagebuch. Hrsg. v. Klaus Gerbet. München/Berlin 1995. Liddell Hart, Basil H.: The German Generals Talk. New York 1948. Moll, Otto E.: Die deutschen Generalfeldmarschälle 1939–1945. Rastatt 1961. Mühleisen, Horst: Fedor von Bock – Soldat ohne Fortune. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. von Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin/Frankfurt a. M. 1995, S. 66–82. Reinhardt, Klaus: Die Wende vor Moskau. Das Scheitern der Strategie Hitlers im Winter 1941/42. Stuttgart 1972. Schlabrendorff, Fabian von: Revolt against Hitler. London 1948 (dt. Ausgabe u. d. T.: Offiziere gegen Hitler. Berlin 1984). Schröter, Bernhard: Der Soldatentod des Generalfeldmarschalls Fedor von Bock bei Lensahn. In: Jahrbuch für Heimatkunde im Kreis Oldenburg-Holstein 10 (1966), S.167–175. Shaw, John: Red Army Resurgent. Alexandria 1979. Taylor, Telford: Sword and Swastika. Generals and Nazis in the Third Reich. New York 1952, Chicago 1969. Turney, Alfred W.: Disaster at Moscow: von Bock’s Campaign 1941–1942. Albuquerque 1970. United States Army, Intelligence Section of the General Staff. American Expeditionary Force, Histories of Two Hundred and Fifty One Divisions of the German Army Which participated in the Great War (1914–1918). Washington 1920. Ziemke, Earl F.: Stalingrad to Berlin. The German Defeat in the East. Washington 1966.

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Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch* Walther von Brauchitsch – der letzte Berufssoldat, der im Dritten Reich Oberbefehlshaber des Heeres werden sollte – wurde am 4. Oktober 1881 in Berlin als Sohn eines preußischen Generals der Kavallerie geboren. Er war von Geburt an für eine militärische Laufbahn bestimmt. Der junge von Brauchitsch wuchs als Mitglied des Pagenkorps am Kaiserhof auf und war eine Zeitlang Leibpage der Kaiserin Auguste Victoria, der Gattin Wilhelms II. Im März 1900 wurde der Achtzehnjährige zum Leutnant im elitären Garde-Grenadier-Regiment Nr. 3 ernannt, aber schon ein Jahr später zum 3. Garde-Feldartillerieregiment versetzt, und er blieb fast während seiner ganzen übrigen Laufbahn mit der Artillerie verbunden. Brauchitsch durchlief eine Karriere, wie sie für einen zukünftigen General durchaus üblich war. Er absolvierte eine Artillerieausbildung, tat Dienst bei der Truppe und wurde 1906 zum Adjutanten einer Artillerieabteilung ernannt. Im April 1909 übernahm er den Posten eines Regimentsadjutanten im 3. Garde-Artillerieregiment. Ein halbes Jahr später wurde er zum Oberleutnant befördert und an die Kriegsakademie kommandiert, wo er zum Generalstabsoffizier ausgebildet wurde. Folgenreich für sein Leben und seine Karriere sollte die Eheschließung mit Elisabeth von Karstedt am 29. Dezember 1910 werden. 1912 wurde Brauchitsch zum Großen Generalstab in Berlin abkommandiert, 1913 zum Hauptmann befördert, und als der Erste Weltkrieg ausbrach, arbeitete er im Generalstab des Heeres.1 Während des ganzen Krieges war er Generalstabsoffizier bei verschiedenen Truppeneinheiten an der Westfront. Bei Kriegsende war er Major und Träger des Hohenzollerischen Hausordens – danach wurde er in das Reichsheer übernommen. In der Zeit der Weimarer Republik setzte Brauchitsch seinen Aufstieg in die höchsten Ränge des Heeres stetig fort. Er war im Stab des Wehrkreiskommandos II, dann im Stab des Artillerieführers II, bevor er von 1921 bis 1922 Truppendienst als Batteriechef im 2. Artillerieregiment absolvierte. Die folgenden drei Jahre verbrachte er im Truppenamt (d. h. im Generalstab des Heeres); dann tat er wieder zwei Jahre Dienst bei der Truppe, diesmal als Kommandeur der II. Abteilung des 6. Artillerieregiments. 1927 bis 1930 war er Chef des Stabes der 6. Division im Wehrkreis VI in Münster; danach * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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kehrte er ins Truppenamt nach Berlin zurück, wo er zunächst Chef der Heeresausbildungsabteilung und dann von 1932 bis 1933 Inspekteur der Artillerie war. Nach Hitlers Machtübernahme trat er seinen nächsten Posten als Befehlshaber im Wehrkreis I in Königsberg an. Während der Weimarer Republik war Brauchitsch stetig befördert worden: 1925 zum Oberstleutnant, 1928 zum Oberst und 1931 zum Generalmajor. Im Dritten Reich setzte sich sein Aufstieg bruchlos fort: im Oktober 1933 wurde er Generalleutnant, 1936 General der Artillerie.2 Brauchitsch war alles andere als ein NS-freundlicher Offizier; seine Einstellung zu den Nationalsozialisten schwankte zwischen distanzierter Mißbilligung und regelrechter Feindschaft. Selbst nach Hitlers Machtergreifung nahm er gegenüber Erich Koch, dem radikalen Gauleiter von Ostpreußen, eine feste Haltung ein, und er schloß sogar SS-Einheiten, deren Benehmen ihm mißfiel, von den Manövern seines Wehrkreises aus. Als Brauchitsch einmal zu einem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg eingeladen war, sagte er offen zu General Wilhelm Adam, dem Chef des Truppenamtes, er würde sich wünschen, im Ausland zu leben. Später, als Joseph Goebbels ein diffamierendes Gerücht über sein Privatleben verbreitete, forderte General von Brauchitsch ihn zum Duell. Brauchitsch bekannte sich auch zu seiner evangelischen Religion; man wußte, daß auf seinem Nachttisch immer eine Bibel lag.3 Er galt keineswegs als ein Mensch, der den Nationalsozialisten zu gefallen suchte. Dafür war er bei der deutschen Generalität als „ein hervorragender Repräsentant aristokratischer preußischer Tradition“ geachtet,4 und General Werner von Fritsch, der Oberbefehlshaber des Heeres, bezeichnete ihn als sein „bestes Pferd“.5 1937 ernannte ihn Fritsch zum Oberbefehlshaber des Gruppenkommandos 4 in Leipzig, womit ihm sämtliche Panzer- und leichten Divisionen, d.h. alle damaligen mobilen Angriffstruppen des Deutschen Reiches unterstanden. Das war eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe und ein Anzeichen dafür, daß auf den General noch höhere Ämter warteten. Brauchitsch aber sah sich keinesfalls kurz vor der glänzenden Krönung seiner Karriere; er hatte vielmehr das Gefühl, seine Karriere nähere sich ihrem Ende. Der Grund für diese düstere Aussicht war eine Frau – genauer gesagt: zwei Frauen. Elisabeth v. Brauchitsch und der General lebten schon fünf Jahre lang getrennt. Aber als sie noch zusammenlebten, hatte Brauchitsch mindestens ein außereheliches Verhältnis gehabt: mit der bezaubernden Charlotte Rüffer, der geschiedenen Frau eines Offizierskameraden. Brauchitsch hatte sie 1925/26 in Breslau kennengelernt und damals seine Gattin gebeten, in eine Scheidung einzuwilligen; diese aber hatte abgelehnt. Die unerlaubte Beziehung endete, Charlotte heiratete einen Bankdirektor namens Schmidt.

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Nach dessen frühem Tod war es ihr möglich, die Liaison mit Brauchitsch wiederaufzunehmen, als dieser 1937 aus Ostpreußen zurückkehrte. Anfang 1938 war Brauchitsch fest entschlossen, die verwitwete Frau Schmidt zu heiraten; aber seine Gattin lehnte eine Scheidung immer noch ab – es sei denn, er würde sie mit einer hohen Summe in bar abfinden. Der General war bereit, ihr einen beträchtlichen Teil seines Gehaltes als Unterhalt zu zahlen, aber damit gab sie sich nicht zufrieden. Es drohte also ein öffentlicher Skandal. Trotzdem entschloß sich Brauchitsch, die Scheidung zu betreiben, selbst wenn ihn das seine Karriere kosten sollte; denn seine Lage schien ihm unerträglich.6 Da kam – aus einer gänzlich unerwarteten Richtung – plötzlich eine Lösung für sein Problem. Am 26. Januar 1938 wurde Generalfeldmarschall Werner von Blomberg als Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht entlassen. Der nächste Anwärter für sein Amt war Generaloberst Freiherr von Fritsch, der Oberbefehlshaber des Heeres; er war jedoch kein ausdrücklicher Freund des Nationalsozialismus. Man beschuldigte ihn homosexueller Vergehen, was frei erfunden war. Aber diese Vorwürfe lieferten Hitler einen Vorwand, Fritsch seines Postens zu entheben. Am 28. Januar 1938 übernahm Hitler die Aufgaben des Reichskriegsministers selbst, und General Wilhelm Keitel, den er zum Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) ernannte, wurde sein oberster militärischer Büroleiter. Hitler brauchte nun aber einen neuen Oberbefehlshaber des Heeres. Zuerst schlug er den NSfreundlichen General Walter von Reichenau vor; als dieser von Keitel und anderen hohen Generalen abgelehnt wurde, verzichtete Hitler auf seine Ernennung. Rundstedt, der rangälteste Heeresgeneral, wurde verworfen, da er zu alt sei; Stülpnagel galt als „illoyal“ (d. h. als NS-Gegner); Leeb wurde wegen seiner Frömmigkeit abgelehnt – und weil man nicht erwarten durfte, daß er mit den Nationalsozialisten zusammenarbeiten würde. Schließlich nannte Keitel seinen eigenen Kandidaten: Walther von Brauchitsch. Der Chef des OKW empfahl ihn als einen unpolitischen Soldaten, als Könner in Fragen der Organisation und der Ausbildung und als erprobten Truppenführer. Hitler war nicht begeistert; vielleicht erinnerte er sich an Berichte über die skeptische Haltung Brauchitschs gegenüber dem Nationalsozialismus in Ostpreußen. Schließlich erklärte er sich aber bereit, selbst mit Brauchitsch zu sprechen, damit er sich eine eigene Meinung über ihn bilden könne.7 Als Brauchitsch am nächsten Tag, dem 29. Januar, bei Hitler erschien, hatte er bereits von Keitel erfahren, daß seine Beförderung an Bedingungen geknüpft war; er war jedoch willens, Kompromisse zu schließen. Jodl, Keitels Gehilfe, vermerkte in seinem Tagebuch: „Dieser Mann ist zu allem bereit.“8

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Dem ‘Führer’ war Reichenau (der den Nationalsozialismus aufrichtig unterstützte) immer noch lieber als Brauchitsch (der das nicht tat). Aber schließlich ernannte er Brauchitsch zum Oberbefehlshaber des Heeres, nachdem auch dessen Scheidungsangelegenheit geregelt werden konnte: Brauchitschs Gattin war mit einer Scheidung einverstanden, falls ihre finanziellen Forderungen erfüllt würden. Zudem stellte Göring Nachforschungen über Charlotte Schmidt an und erfuhr, daß das Objekt der Zuneigung des Generals eine begeisterte Nationalsozialistin war und einen starken Einfluß auf Brauchitsch ausübte. Deshalb empfahl er dem ‘Führer’, Frau von Brauchitsch auszuzahlen und Brauchitschs Ernennung bekanntzugeben. Von dem Augenblick an, als Brauchitsch Hitler und den Nationalsozialisten erlaubte, sich in sein Privatleben einzumischen, war er in seinem Handeln nicht mehr frei. Seine Wahlmöglichkeiten waren ebenso offensichtlich wie eingeschränkt. Wenn er sich mit Hitler arrangierte, wurden alle seine persönlichen Probleme gelöst; er konnte die Frau, die er liebte, heiraten und gleichzeitig den Gipfel seiner militärischen Karriere erreichen. Die Alternative war: in Schande seinen Abschied zu nehmen oder aber mit einer Frau verheiratet zu bleiben, mit der er nicht mehr zusammenlebte und die er nicht liebte. So verkaufte sich Brauchitsch an die Nationalsozialisten. Am 4. Februar wurde er zum Generaloberst befördert und zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt. Dafür erklärte er sich bereit, das Heer näher an die nationalsozialistische Weltanschauung heranzuführen, als Fritsch dies bisher getan hatte. Frau von Brauchitsch bekam eine hohe Abfindung in bar, direkt aus der Kasse der NSDAP; am 23. September heiratete Brauchitsch Charlotte Schmidt-Rüffer. Und es kam zu einem umfassenden personellen Revirement, denn Brauchitsch hatte auch erheblichen Personalveränderungen in den höchsten Rängen des Heeres zugestimmt. So wurden zahlreiche Generale versetzt oder verabschiedet, z. B. Generalleutnant Viktor von Schwedler, der Chef des Heerespersonalamtes; der nach Rundstedt rangälteste Heeresgeneral, Wilhelm von Leeb; der Monarchist Ewald von Kleist und der bayerische Freiherr Franz Kress von Kressenstein; ferner Oswald Lutz, der erste General der Panzertruppen, sowie die späteren Generalfeldmarschälle Georg von Küchler, Maximilian von Weichs und Günther von Kluge. Im November wurde auch General von Rundstedt in den Ruhestand versetzt, zusammen mit den Generalen Curt Liebmann, Wilhelm Adam, Hermann Geyer und Wilhelm Ulex. Insgesamt wurden 16 hochrangige Generale des Heeres ihres Kommandos enthoben und 44 weitere auf andere Posten versetzt.9 An ihre Stelle traten überwiegend Männer, die zu diesem Zeitpunkt als NS-freundlich galten. Der amerikanische Historiker Telford Taylor charakterisierte diese Situation treffend: „Um seinen neuen Posten zu erlangen, fand sich Brauchitsch

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zu den schändlichsten Zugeständnissen bereit und verpflichtete sich zu ewigem Dank gegenüber Göring und Keitel wie auch gegenüber Hitler. Diese schmähliche Preisgabe der Moral um der Karriere willen kam das deutsche Offizierskorps bald teuer zu stehen.“10 Brauchitsch gelang es nie mehr, sich der Verpflichtung, die er eingegangen war, zu entziehen, und während seiner gesamten Amtszeit als Oberbefehlshaber des Heeres zeigte er im allgemeinen keinerlei Rückgrat. Angewidert von seinem Wankelmut, seiner Gewissenlosigkeit und seiner mangelnden Zivilcourage trat Ludwig Beck, der Chef des Generalstabes, im August 1938 zurück. Sein Nachfolger, General Franz Halder, blieb bis 1942 in seinem Amt, ärgerte sich aber ebenfalls über Brauchitschs Mangel an Zivilcourage. Brauchitsch selbst mußte sich abfinden mit Hitlers Tiraden und mit den ständigen Eingriffen des Diktators in militärische Angelegenheiten, die sehr bald sogar die Details militärischer Operationen betrafen. Außerdem glaubte Brauchitsch, Deutschland könne einen zweiten Weltkrieg nicht gewinnen; er war jedoch nicht imstande, Hitler davon abzuhalten, sich Hals über Kopf in einen solchen zu stürzen. Fachlich und taktisch war seine Amtsführung von Operation zu Operation unterschiedlich, im großen ganzen jedoch mittelmäßig. In der Regel bestimmte Generalstabschef Halder die Operationsplanung und -führung, zumal er die stärkere Persönlichkeit in dieser Konstellation war. In die taktischen Operationen des Polenfeldzuges griff Hitler nicht ein, und diese verliefen nach Plan. Die Pläne des OKH für die Eroberung Frankreichs und der Niederlande enthielten jedoch Schwächen, und Hitler tat recht daran, einer weit besseren Alternative – nämlich dem Vorschlag des Generals Erich von Manstein – zuzustimmen. Auf der anderen Seite hätten die deutschen Panzertruppen, wenn es nach dem Willen Brauchitschs gegangen wäre, vor Dünkirchen nicht angehalten, und die britischen Expeditionsstreitkräfte wären fast mit Sicherheit vernichtet worden. Brauchitsch, nach dem Sieg über Frankreich im Juli 1940 zum Generalfeldmarschall befördert, betrachtete die für Herbst 1940 vorgesehene Landung in Großbritannien mit gemischten Gefühlen. Trotzdem unterzeichnete er am 9. September 1940 eine Anweisung, die vorsah, daß nach der Eroberung der Insel alle männlichen Personen zwischen 17 und 45 Jahren als Zwangsarbeiter auf den Kontinent verbracht werden sollten.11 Dieses Dokument (und es gibt noch weitere ähnlichen Inhalts) beweist, wie weit Brauchitsch zu gehen bereit war, um seinen Herrn zufriedenzustellen und die eigene Stellung zu behalten. Brauchitsch stellte Hitler oder dem OKW nie die Frage, ob der ab Juli 1940 betriebene Angriff gegen die Sowjetunion ratsam sei – obwohl dieser zu dem gleichen gefürchteten Zweifrontenkrieg führen mußte, der das Kaiserreich

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nachweislich ins Verderben gestürzt hatte. Als alle drei Oberbefehlshaber der vorgesehenen Heeresgruppen Bedenken gegen Hitlers beabsichtigten rassenideologischen Vernichtungskrieg im Osten äußerten, erwiderte Brauchitsch lediglich, er teile ihre Befürchtungen, könne aber nichts unternehmen. Er erhob auch keinerlei Einspruch, als Hitler direkt befahl, im Osten einen „erbarmungslosen Rassenkrieg“12 zu führen, und wehrte sich nicht einmal gegen den ‘Kommissarbefehl’ vom 6. Juni 1941. Mehrere Offiziere forderten Brauchitsch auf, gegen einen so offenkundig völkerrechtswidrigen Befehl zu protestieren, aber Brauchitsch tat nichts dergleichen. Er hatte aufgegeben. Manstein schrieb später: „Ich bin überzeugt, daß er sich im Kampf mit diesem rücksichtslosen Willensmenschen [Hitler] innerlich aufgerieben hat. […] Brauchitsch fraß seinen Ärger, seine Empörung in sich hinein, zumal er Hitler dialektisch keineswegs gewachsen war.“13 Während der Operation „Barbarossa“ drängte Brauchitsch – zusammen mit Halder – den ‘Führer’, Moskau zum Hauptziel des Feldzuges zu erklären, und erhielt dafür wieder einmal eine scharfe Abfuhr. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sich Hitler zu beugen, nach dessen Willen zuerst Kiev erobert werden sollte. Nachdem die ukrainische Hauptstadt gefallen war, gehörte Brauchitsch mit Halder zu denjenigen, die Hitler dringend aufforderten, doch noch gegen die sowjetische Hauptstadt vorzustoßen, obwohl das OKH praktisch keinerlei Vorsorge für einen Winterfeldzug getroffen hatte. Der ‘Führer’ erklärte sich einverstanden. Ende 1941 hatte Brauchitsch vier Jahre unaufhörlich von seiten Hitlers Demütigungen, haßerfüllte Zornausbrüche und grobe Verunglimpfungen hingenommen. Am 10. November erlitt er seinen ersten Herzanfall. Im Lazarett erfuhr er, daß er an einer bösartigen Herzkrankheit leide, die wahrscheinlich unheilbar sei.14 Trotzdem nahm er schon Mitte November seinen Dienst wieder auf – mehr als je entschlossen, Moskau einzunehmen. Das aber war unmöglich – selbst für das deutsche Heer, das fast in Sichtweite Moskaus in Schlamm und Frost steckenblieb. Brauchitsch war psychisch und physisch angeschlagen und ahnte wahrscheinlich, daß man ihn zum Sündenbock für die erste schwere Niederlage der deutschen Wehrmacht machen würde. Am 6. Dezember – genau an dem Tag, an dem Stalin seine große Winteroffensive eröffnete – legte Brauchitsch dem ‘Führer’ sein Rücktrittsgesuch vor. Dieser erwiderte darauf, ein Wechsel im OKH komme im Augenblick nicht in Frage. Brauchitsch erhob sich und verließ den Raum, ohne eine Wort zu sagen.15 Der Generalfeldmarschall hatte richtig geahnt: Man machte ihn zum Sündenbock für das Scheitern des deutschen Heeres vor Moskau – und das mit einem gewissen Recht. Am 19. Dezember entließ ihn Hitler und übernahm selbst den direkten Oberbefehl über das Heer, um ihn nie wieder abzugeben.

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Wie viele andere vor ihm zog sich Brauchitsch aus dem öffentlichen Leben zurück. Eine Zeitlang überwachte ihn die Gestapo, aber bald verzichtete man darauf. Der ehemalige Oberbefehlshaber des Heeres war nur noch ein müder, kranker, gebrochener Greis. Nach dem Attentat Stauffenbergs auf Hitler vom 20. Juli 1944 distanzierte er sich öffentlich von seinen früheren Generalstabsoffizieren im OKH und gratulierte „als Nationalsozialist“ dem ‘Führer’ zur Überwindung des Putschversuches. Er begrüßte sogar die Ernennung des Reichsführers-SS Heinrich Himmler zum Befehlshaber des Ersatzheeres. Im Mai 1945 wurde Brauchitsch in Schleswig-Holstein von den Briten festgenommen. Obwohl er inzwischen fast erblindet war, zwang man ihn, eine Zwei-Mann-Zelle mit fünf anderen Gefangenen zu teilen. Später brachte man ihn nach Hamburg, um ihn dort als Kriegsverbrecher vor ein britisches Militärgericht zu stellen. Er starb jedoch vor Eröffnung des Verfahrens am 18. Oktober 1948 in einem britischen Militärhospital in Hamburg-Barmbek an Herzversagen.

Anmerkungen O’Neill, The German Army and the Nazi Party, S.187; auch zum Folgenden. Ebenda; vgl. dazu Bradley u.a., Die Generale des deutschen Heeres, Bd.2, S.215f. 3 Irving, The War Path, S. 79. 4 Deutsch, Das Komplott, S.190. 5 Ebenda, S.191. 6 Ebenda, S.191, 419. 7 Taylor, Sword and Swastika, S. 167; Deutsch, Das Komplott, S. 189 f.; Shirer, Aufstieg und Fall, S.302–306. 8 Deutsch, Das Komplott, S.192. 9 Taylor, Sword and Swastika, S. 170 f.; Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S. 395 f.; Irving, The War Path, S. 161. Die meisten der zwangsweise in den Ruhestand Versetzten wurden beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges reaktiviert. Man kann sich vorstellen, was sie damals von Brauchitsch hielten. 10 Taylor, Sword and Swastika, S. 173. 11 Brett-Smith, Hitler’s Generals, S.48. 12 Seaton, The Russo-German War, S.54. 13 Manstein, Verlorene Siege, S.73. 14 Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S. 547 f. 15 Irving, The Trail of the Fox, S.351. 1 2

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg: Pers. 6, Personalakte v. Brauchitsch und BA Berlin-Lichterfelde (ehem. BDC Berlin): Personalunterlagen v. Brauchitsch; Archiv IfZ München: Zeugenschrifttum. Gedruckte Quellen und Literatur Bond, Brian: Brauchitsch. In: Hitler’s Generals. Ed. by Correlli Barnett, London 1989, S.75–100. Brett-Smith, Richard: Hitler’s Generals. San Rafael, Calif. 1977. Deutsch, Harold C.: Hitler and His Generals. The Hidden Crisis. January–June 1938. Minneapolis 1974 (dt. Ausgabe u. d. T.: Das Komplott). Halder, Generaloberst Franz: Kriegstagebuch. Tägliche Aufzeichnungen des Chefs des Generalstabes des Heeres 1933–1942, 3 Bde. Hrsg. v. Hans-Adolf Jacobsen. Stuttgart 1962–1964. Janßen, Karl-Heinz: Walther von Brauchitsch – Der überfordete Feldherr. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. Hrsg. von Ronald Smelser u. Enrico Syring. Berlin, Frankfurt a. M. 1995, S. 33–98. Janßen, Karl-Heinz/Tobias Fritz: Der Sturz der Generäle. Hitler und die BlombergFritsch-Krise 1938. München 1994. Manstein, Erich von: Aus einem Soldatenleben 1887–1939. Bonn 1958. Ders.: Verlorene Siege. München 1981. Mitcham, Samuel W.: Hitler’s Field Marshals and Their Battles. London 1988, Chelsea 1990. Müller, Klaus-Jürgen: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Re gime 1933–1940. Stuttgart 1969. O’Neill, Robert: The German Army and the Nazi Party, 1933–1939. New York 1986. Taylor, Telford: Sword and Swastika. Generals and Nazis in the Third Reich. New York 1952, Chicago 1969. Wheeler-Bennett, John W.: The Nemesis of Power. The German Army in Politics, 1918–1945. London 1964 (dt. Ausgabe u. d. T.: Die Nemesis der Macht). Westphal, Siegfried: Der deutsche Generalstab auf der Anklagebank. Nürnberg 1945–1948. Mainz 1978.

Heinz Höhne

Admiral Wilhelm Canaris Den meisten seiner Zeitgenossen war er ein Rätsel, selbst die Historiker bemühen sich noch immer, die Legenden zu enträtseln, die sich um seine Person ranken. Admiral Wilhelm Canaris, der Chef des OKW-Amtes Ausland/Abwehr und zugleich Beschützer des konservativen Widerstands gegen das NS-Regime, bleibt der mystery man unter den deutschen Militärs: flüchtig und unstet, politisch schwer zu fassen, schemenhaft wie seine berühmten Tagebücher, die spurlos verschwunden sind. Skurrile Wesenszüge verstärkten noch das Mysteriöse seiner Erscheinung. Canaris war ein Hypochonder und sternengläubig, er traute nur wenigen unter seinen Mitarbeitern und beurteilte Menschen gern nach der Reverenz, die sie seinen beiden Rauhhaardackeln erwiesen. Er war wortkarg und liebte es, sich in dunklen Andeutungen zu ergehen, die oft falsch verstanden wurden, was mancherlei Verwirrung anrichtete. Gleichwohl war es just seine Geheimniskrämerei, die vermeintliche Kenner nach 1945 verlockte, Canaris zur grauen Eminenz des Widerstands emporzustilisieren, gar zum „gefährlichsten Gegner Hitlers“1. Für sie war er die „Spinne im Netz“, die im Fuchsbau der Abwehrzentrale tausenderlei Fäden gegen die Nazis gesponnen hatte, mit den Alliierten im Bund und geheimste Pläne der Wehrmacht verratend. Die Wirklichkeit sah anders aus, wie die Forschung inzwischen weiß. Wilhelm Canaris war so wenig ein Todfeind der braunen Diktatur wie der Stichwortgeber eines patriotisch verstandenen Landesverrats, sondern nur der schier allgegenwärtige Exponent der Geheimdienstbranche, der auf allen Ebenen mitmischte, ohne sich je endgültig festzulegen, Opfer seines Berufes und seiner Veranlagung, die ihn inmitten der Barbarei und Massenverbrechen des NS-Staates widersprüchlichste Doppelrollen spielen ließen. Hinter all seiner ruhelosen Unrast aber verbarg sich die tiefe Ratlosigkeit eines Konservativen und Nationalisten, der den Glauben an die Zukunft verloren hatte. Verzweifelt versuchte er, wenigstens einen Rest jener von den totalitären und demokratischen Mächten der Zeit gleichermaßen bedrohten bürgerlich-restaurativen Welt zu retten, die ihn, den Abkömmling italienischer Einwanderer, der 1887 als Sohn eines späteren Hüttendirektors in Aplerbeck nahe Dortmund geboren wurde, von Jugend an bestimmt hatte. Er wuchs auf in der Blütezeit des wilhelminischen Imperialismus, dessen

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Träume von Weltmacht und Seegeltung auch ihn mitrissen, den schon früh maritime Abenteuer und fremde Länder faszinierten. Folgerichtig drängte es den jungen Canaris zur Marine, in der er zügig Stufe um Stufe der Karriereleiter erklomm: 1905 Eintritt in die Kaiserliche Marine, Ausbildung auf der Kreuzerkorvette „Stein“, 1908 Beförderung zum Leutnant, 1911 Oberleutnant und anschließend Dienst auf Auslandskreuzern, zuletzt im Atlantik an den Küsten Lateinamerikas. Der „tüchtige, fleißige und unbedingt zuverlässige Offizier“ (so eine Eintragung in seiner Personalakte)2 zeigte sehr bald diplomatische und linguistische Fähigkeiten, die ungewöhnlich waren. In der Venezuela-Krise von 1908 erwies sich Canaris als geschickter Unterhändler, und auf dem Kleinen Kreuzer „Dresden“ geriet gar sein Faible für die Welt der Spionage zur einzigen Überlebenschance des Schiffes, als es in der Karibik jäh vom Kriegsausbruch 1914 überrascht wurde. Es waren vor allem seine konspirativen Verbindungen, die es der „Dresden“ ermöglichten, sich in den Südatlantik zu schmuggeln und vor den Geschützrohren britischer Übermacht einen munteren Kaperkrieg zu führen. Als sie dann doch im März 1915 die Flagge streichen mußte, machte Canaris weiter. Er floh mit einem falschen Paß aus chilenischer Internierungshaft und schlug sich nach Deutschland durch, um gleich darauf wieder in Spanien aufzutauchen: als Agentenchef „Kika“, Herr über eine geheime Nachrichten- und Versorgungsorganisation, die nicht wenig zu den Erfolgen des deutschen U-Boot-Krieges im Mittelmeer beitrug. Am Ende schoß er, mitlerweile Kommandant eines eigenen U-Boots, noch selber mit, zielsicher auch hier. Desto heftiger trafen ihn Niederlage und Umsturz des November 1918, die für den Kapitänleutnant Canaris die aufwühlendste Erfahrung seines Lebens waren. Verbittert schloß er sich den Freikorps an, deren Aktivitäten so recht seiner Stimmungslage entsprachen, zumal er ihren ungezwungenen Lebensstil als den Beginn eines neuen, freieren Soldatentums mißverstand. Kein Wunder, daß er als Noskes Verbindungsoffizier bei den Freikorps bald zu deren führenden Köpfen zählte, ein vielgesichtiger Mann, der sich darauf verstand, die militante Bürgerkriegstruppe vor den ärgsten Folgen ihrer oft blutigen Übergriffe zu bewahren. Im Kriegsgerichtsverfahren gegen die Mörder Luxemburgs und Liebknechts organisierte der Beisitzer Canaris heimlich deren Verteidigung, als „Oberleutnant Lindemann“ befreite er einen der Haupttäter aus der Haft und ließ ihn untertauchen. Als jedoch im Kapp-Putsch von 1920 sein Doppelspiel allzu durchsichtig wurde, mußte er die Marineleitung verlassen. Man schob ihn in das Stationskommando Ostsee ab, was ihn freilich nicht hinderte, in die Illegalität abdriftende Freikorpshaufen weiterhin zu unterstützen. Canaris frustrierte der Dienst in der Marine zusehends, das dort wieder

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auflebende rigide System von Befehl und Gehorsam altpreußischer Machart verdroß ihn. 1924 wollte er, inzwischen I. Offizier auf dem Schulkreuzer „Berlin“, den Dienst quittieren, was ihm jedoch sein Stationschef ausredete – mit der Aussicht auf neue Abenteuer, diesmal im Interesse der geheimen Aufrüstung der Marine. „Kika“ erwachte zu neuem Leben. Rastlos war er unterwegs, um mit seinen V-Männern aus der Kriegszeit in Spanien, Argentinien und Japan neue Verbindungen zu Marinestäben, Reedereien und Werften anzuknüpfen, die allesamt nicht abgeneigt waren, den Deutschen die ihnen durch Versailles verbotenen Kriegsschiffe zu bauen. Schon galt der Dezernent Canaris in der Marineleitung als einer der kommenden Männer, da holte ihn die eigene Vergangenheit ein. Der „Helfershelfer der Mörder“ von 1919, wie ihn ein Ankläger im Reichstag nannte,3 geriet 1928 in die Schußlinie der linken Presse, die mit gepfefferten Enthüllungen über seine wahre Rolle im Fall Luxemburg/Liebknecht aufwartete. Einen so belasteten Mann aber mochte der neue Marinechef Raeder, damals noch um republikanische Reputation bemüht, nicht länger in der Marineleitung dulden, ja in der Marine überhaupt. Eine große Zukunft gab er ihm nicht mehr: noch ein Kommando auf der alten „Schlesien“, dann ein Festungskommando, am Ende das Kapitänspatent – dann sollte es zu Ende sein mit der „unordentlichen“ Karriere des Wilhelm Canaris. Derartig ins Abseits gestellt, geriet Canaris zunehmend in das Fahrwasser des anwachsenden Nationalsozialismus, der radikalen Wandel in Deutschland versprach. Zwar stieß Canaris der Massenkult der Braunen ab, gleichwohl verband ihn der gemeinsame Haß auf Bolschewismus und Versailles mit einigen ihrer Führer. Dem Hamburger Gauleiter Kaufmann bot er 1932 Waffen für den Fall eines Putsches der KPD an, Himmler vermittelte er Führungspersonal für die SS, und auch zum SA-Chef Röhm mit dessen Milizplänen er, der alte Freikorpsler, sympathisierte, bestanden Kontakte Das machte Canaris zwar noch nicht zu dem „begeisterten Nationalsozialisten“, für den ihn Kameraden hielten,4 wohl aber zu einem Mitträger des neuen Regimes – Grund genug für den Reichswehrminister von Blomberg, ihn Ende 1934 als troubleshooter ins Ministerium zu holen, als die Abwehr und ihre neue Konkurrenz rund um Gestapo und SD immer unversöhnlicher aufeinandertrafen. Den bisherigen Abwehrchef Patzig wollte Blomberg durch den beweglicheren Canaris ersetzen, wogegen Raeder sofort protestierte. Doch Blomberg verließ sich auf die kecken Canaris-Sprüche: „Seien Sie ganz beruhigt, mit diesen Jungs werde ich schon fertig.“5 Er wurde es in der Tat, zumindest auf einige Zeit. Canaris, seit 1. Januar 1935 Chef der Abwehrabteilung des Reichswehrministeriums, schottete seinen Apparat gegen alle Übergriffe der SS-gesteuerten Konkurrenz ab, ohne sich freilich mit ihr frontal anzulegen. Im Gegenteil: Er propagierte engste

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Zusammenarbeit mit Gestapo und SD, wobei er sich den Zufall zunutze machte, daß der Herausforderer auf der Gegenseite, der Chef der Sicherheitspolizei Reinhard Heydrich, einst unter ihm auf der „Berlin“ gedient hatte und fast ein Hausfreund der Familie Canaris gewesen war, dessen sensibles Geigenspiel die sonst so spröde Erika Canaris erfreut hatte. Der Abwehrchef und der Sipochef, unersättlich in ihrer Lust am gegenseitigen Belauern und Ausforschen, schienen fortan unzertrennlich. Gemeinsam inspizierten sie ihre Dienststellen, schrieben die Kompetenzen ihrer Ämter in förmlichen Abkommen fest und tauschten Nachrichten sowie gelegentlich auch Personal aus. Das band Canaris, nun bereits Konteradmiral, immer mehr in den Repressionsapparat des NS-Regimes ein, in dem sein Geheimdienst keineswegs nur militärische Erkundungs- und Abwehraufgaben wahrnahm. Auch die Überwachung der Arbeiterschaft in den Rüstungsbetrieben gehörte dazu, ebenso die grenznahen Kontrollen und die Propaganda gegen Sabotage und Landesverrat. Canaris aber hatte kaum einen Blick dafür, wie sehr er damit zum Gehilfen des skrupellosen Systems wurde, das ganz Deutschland in seinem eisernen Griff hielt. Er sah nur, daß die Abwehr von Jahr zu Jahr wuchs und mit ihr der Einfluß ihres Chefs, der zusehends zu den Wortführern der militärischen Interessenpolitik im Machtdreieck von Wehrmacht, Partei und Bürokratie zählte. Selbst in der Außenpolitik spielte Canaris kräftig mit: Seine Agenten waren es, die die Intervention im Spanischen Bürgerkrieg ermöglichten, seine Liaison mit Japans Nachrichtendienst, die den Pakt mit Tokio vorbereitete. Erst der Sturz Blombergs und die schmutzige Gestapo-Intrige gegen Generaloberst Freiherr von Fritsch im Februar 1938 ernüchterten Canaris, sosehr ihm auch der Skandal eine neuerliche Erweiterung seiner Macht eintrug: Die Abwehr übernahm die alte Auslandsabteilung und mauserte sich zur OKW-Amtsgruppe Ausland/Abwehr. Doch die gerade erst erlebte Unmoral Hitlers und der Polizeiorgane erschütterte Canaris so schwer, daß er sich nun zum erstenmal den Argumenten regimekritischer Abwehroffiziere um den mit ihm befreundeten Oberstleutnant Hans Oster, bald die Nr. 2 des künftigen Amtes Ausland/Abwehr im OKW, öffnete, die auf ihren Zusammenkünften die Entmachtung der Gestapo, ja des ganzen Regimes forderten. Von da an saß Canaris mit am Tisch der Verschwörer, freilich meist nur als ein zuhörender Partner, der anderen das Pläneschmieden überließ. Immerhin ließ er es zu, daß Oster seine gerade entstehende Zentralabteilung in der Abwehr nebenbei zu einer Lenkungszelle des Widerstands ausbaute, wobei alte Canaris-Vertraute aus der Freikorpszeit wie Friedrich Wilhelm Heinz6 und Franz Liedig, die der Admiral vor den Nachstellungen der

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Gestapo bei sich in Sicherheit gebracht hatte, zu den treibenden Elementen gehörten. Doch just deren Mitwirkung bestärkte Canaris eher in seiner aufkeimenden Skepsis. Daß der politische Phantast Heinz, der ihn schon früher mit seinem prosowjetischen „deutschen Sozialismus“ genervt hatte, nun China zur Zähmung Hitlers mobilisieren wollte und Oster die Sowjets durch eine Defensivallianz, mußte dem militanten Antikommunisten Canaris recht bizarr erscheinen, ganz zu schweigen von ihren Attentatsplänen gegen Hitler, die er nicht guthieß. Wie wenig das alles zusammenpaßte, zeigte sich im September 1938, als Hitler in der Sudetenkrise das Land in den Krieg stürzen wollte. Da liierte sich Canaris mit einer Gruppe hoher Militärs um den Generalstabschef Halder, entschlossen, Hitler im letzten Augenblick das Kriegsinstrument aus der Hand zu schlagen. Oster aber drang auf die völlige Beseitigung des NSRegimes, Heinz will gar mit einem Stoßtrupp die Ermordung Hitlers beabsichtigt haben, was indes nur noch wohlmeinende Heinz-Chronisten vorbehaltlos glauben mögen. 7 Die Kriegsgefahr ging noch einmal vorüber, doch die Spannungen zwischen den Verschwörern am Tirpitzufer wuchsen weiter. Während sich Oster und sein neuer Gehilfe Hans von Dohnanyi auf den Krieg als einzig wirkliche Chance zum Sturz des Regimes einstellten, blieb Canaris’ geheime Aktivität allein auf die Erhaltung des Friedens ausgerichtet, mußte doch in seiner Optik jeder neue Weltkrieg mit der Zerstörung des deutschen Machtstaates enden, der ihm alles bedeutete. Als die Katastrophe dann doch 1939 kam, resignierte der Abwehrchef: „Das ist das Ende Deutschlands.“8 Und dennoch war er im Winter 1939/40 wieder mit dabei, als Hitler nach dem Polenkrieg die Militärs zum Angriff gegen den Westen trieb. Deren Bestürzung über eine so hemmungslose Kriegsausweitung machte sich Canaris zunutze, um die Heeresführung gegen Hitler aufzuwiegeln. Wie stürmisch er aber auch zum sofortigen Handeln drängte, es blieb stets ein Stück Vagheit in seinen Forderungen, was Oster und Dohnanyi bewog, ihn nicht in alle ihre Pläne einzuweihen. Über Details von Josef Müllers Friedensmission am Vatikan war Canaris kaum informiert, und völlig ahnungslos traf ihn die Preisgabe der Offensivpläne durch Oster und Müller – eine böse Über raschung für den Mann, der jeden Landesverrat verabscheute. Canaris deckte noch einmal Oster und würgte eine interne Untersuchung ab, doch von da an trennten sich ihre Wege. Seit Sommer 1940 sahen sich Osters aktivste Anhänger (mit der Ausnahme Dohnanyis) zusehends aus der Zentrale verdrängt, meist auf Auslandsposten versetzt, während der Abwehrchef – inzwischen Admiral – trotz seiner tendenziell noch immer gegen

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die Politik Hitlers gerichteten Intentionen wieder im weitesten Sinne der regimekonforme Funktionär wurde, der er früher gewesen war. Das gab ihm seine verwirrende Janusköpfigkeit: Seine Abwehrtrupps bahnten den deutschen Invasionsarmeen den Weg in einen immer uferloseren Krieg, den er um jeden Preis abbrechen wollte. Er unterstützte die Opposition gegen Hitlers wahnwitzigen „Barbarossa“-Beschluß und inszenierte doch sein größtes Täuschungsspiel, um die Welt von den deutschen Angriffsabsichten abzulenken. Er rettete bedrohte Juden wie im „Unternehmen 7“ vor den SS-Häschern9 und instrumentalisierte zugleich Hitlers Judenhaß, um ihm suspekte Sondierungsgespräche mit Moskau zu hintertreiben. So geriet Canaris allmählich in eine ausweglose Situation. Ohne Zutrauen zum Widerstand, weder den Sieg Hitlers wünschend noch die deutsche Niederlage, sah der Abwehrchef schließlich nur noch eine Lösung, riskant zwar und zwielichtig, aber gerade deshalb so recht nach seinem Geschmack: das Zusammenspiel mit den westlichen Geheimdiensten, an dessen Ende ein Sonderfrieden mit Deutschland stehen sollte. Menzies und Donovan, die Spionagechefs Englands und der USA, waren nicht abgeneigt und peilten schon Ende 1942 ein Treffen mit Canaris an, doch ihre Regierungen unterbanden die sich jäh anbahnende Annäherung der drei Top-Spione. Der Admiral verfiel und mit ihm die Organisation der Abwehr, deren Leistungsfähigkeit allerdings immer umstritten gewesen war. Schon der Sturz Osters und Dohnanyis im Zuge einer Devisenaffäre im April 1943 zeigte, wie wenig Canaris noch Herr seines Apparats war. Hilflos, ohne die verhafteten Mitarbeiter zu entlasten, ließ er die Untersuchung durch die Wehrmachtjustiz über sich ergehen und hielt sich nur noch mühsam im Amt, bis die nie schlafende SS-Konkurrenz neue Pannen der Abwehr dazu nutzte, bei Hitler auf eine radikale Änderung zu dringen. Am 12. Februar 1944 wurde Canaris abgesetzt und das Gros der Abwehr kurz darauf dem SD zugeschlagen. Was folgte, hatte der Fatalist Canaris seit langem vorausgeahnt. Nach dem Anschlag des 20. Juli geriet auch er in das Blutbad der nazistischen Rachejustiz, aus dem es für ihn, den Unbeteiligten, kein Entrinnen gab. Dohnanyis fatale Leidenschaft für Aktennotizen lieferte einem SS-Standgericht im KZ Flossenbürg am 8. April 1945 genügend Vorwände, um Canaris wegen der Beteiligung an den Putschplänen von 1938/40 zum Tode durch Erhängen zu verurteilen. Ehe Wilhelm Canaris am nächsten Morgen vor seine Mörder trat, klopfte er eine letzte Botschaft an die Zellenwand: „Meine Zeit ist um. War kein Landesverräter. Habe als Deutscher meine Pflicht getan.“10

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Anmerkungen Pechel, Admiral Canaris, in: Die Zeit, 8. 8. 1946. Qualifikationsbericht zum 1. Dezember 1913, in: Personalakte Canaris, Fotokopie im IfZ München. 3 Das Werk des Untersuchungsausschusses 1919–1928. 9. Bd., 1. Halbband, S. 126. 4 MGFA Potsdam: Bericht von Admiral a. D. Conrad Patzig an das Militär geschichtliche Forschungsamt am 18./19. 1. 1966. 5 IfZ München, ZS 540: Patzig an Prof. Walter Baum, 10. 11. 1953. 6 Meinl/Krüger, Friedrich Wilhelm Heinz, S. 45 f. 7 Ebenda, S. 48. 8 Gisevius, Bis zum bitteren Ende, S. 280. 9 Meyer, Unternehmen Sieben. 10 Lunding, Stemplet fortroligt, S. 107. 1 2

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff..) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg: Handakte Canaris II M 65/2, II M (Pr) RM 5/v. 2228: 2. Admiralstab Erster Weltkrieg. OKM Box 20, 48903: Spanien-Aktivitäten; Amt Ausland/Abwehr in: RW 5; Personalakten Pers 6/2293 und 105; Abwehrstellen in: RW 49; MSg 120: Arbeitsgemeinschaft ehem. Angehöriger der Abwehr. Nachlässe Groscurth N 104 und Buchheit N 612; Archiv, Institut für Zeitgeschichte München: Personalakte Canaris (Fotokopie) in: 1858/56. Personalnachweis H. Oster (Fotokopie) in: F 87. Sammlung Dr. Josef Müller in: ED 92. Abwehr II Diensttagebuch in: F 23. Zeugenaussagen u. Ermittlungen im Prozeß Huppenkothen in: ZS 249. Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv, Hannover: Nds. 721, Lüneburg Acc. 69/76: Ermittlungsverfahren Roeder. National Archives, Washington: Record Group 238: Vernehmungen von Bürkner, Lahousen, Schellenberg, Höttl. Noch weitgehend unausgewertet: Studien u. Vernehmungen des CIC zum Thema Abwehr im Zentralarchiv des U.S. Army Intelligence and Security Command, Fort Meade. Gedruckte Quellen und Literatur Abshagen, Karl Heinz: Canaris. Stuttgart 1949. Brissaud, André: Canaris. Frankfurt a. M. 1976. Buchheit, Gert: Der deutsche Geheimdienst. München 1966. Chowaniec, Elisabeth: Der „Fall Dohnanyi“ 1943–1945. München 1991. Das Werk des Untersuchungsausschusses 1919–1928. Hrsg. v. Albrecht Philip. Berlin 1928. Gisevius, Hans Bernd: Bis zum bitteren Ende, 2 Bde. Hamburg 1947 und einbändige Neuauflage Berlin/Frankfurt a. M. 1964. Hettler, Friedrich Hermann: Josef Müller („Ochsensepp“). München 1991.

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Höhne, Heinz: Canaris. München 1976. Kahn, David: Hitler’s Spies. New York 1978. Meinl, Susanne/Krüger, Dieter: Der politische Weg von Friedrich Wilhelm Heinz: Vom Freikorpskämpfer zum Leiter des Nachrichtendienstes im Bundeskanzleramt. In: VfZG 42 (1994), S. 39–69. Meyer, Winfried: Unternehmen Sieben. Frankfurt a. M. 1993. Paine, Lauran: The Abwehr. London 1984. Thun-Hohenstein, Romedio Galeazzo Graf von: Der Verschwörer. Berlin 1982.

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Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch In den Vormittagsstunden des 22. September 1939 fällt vor Praga, einer Vorstadt von Warschau, Generaloberst a. D. Freiherr von Fritsch, der ehemalige Oberbefehlshaber des Heeres. Immer noch, fast sechzig Jahre nach seinem Tode, wuchern die Legenden, die dieses Ende umgeben. War es Selbstmord? Suchte Fritsch in Polen den Tod, weil er die Schmach, die ihm im Frühjahr 1938 widerfahren war, nicht vergessen konnte? Werner Freiherr von Fritsch wurde am 4. August 1880 im Schloß Benrath bei Düsseldorf geboren. Seine Eltern Georg von Fritsch, zuletzt preußischer Generalleutnant, und Adelheid, geborene von Bodelschwingh, erzogen ihren Sohn streng. Vaterlandsliebe und Pflichttreue, Zuverlässigkeit und Ehrenhaftigkeit gehörten ebenso zur Richtschnur für den künftigen Offizier wie eine strenge Dienstauffassung und gesellschaftliche Formen. Im September 1898 trat Fritsch in das Großherzoglich Hessische Feldartillerie-Regiment 25 in Darmstadt ein und wurde am 27. Januar 1900 zum Leutnant ernannt. Zu seinen wenigen Freunden gehörte Georg von Küchler, sein Regimentskamerad und spätere Generalfeldmarschall. Der junge Offizier bewährte sich außerordentlich. Das Heer bot indessen für einen Truppenoffizier kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Fritsch war ehrgeizig und bestand die Aufnahmeprüfung für die Kriegsakademie, die er ab Herbst 1908 besuchte. Am 1. April 1910, nach Abschluß der Akademie, wurde Oberleutnant von Fritsch zum Großen Generalstab kommandiert und drei Jahre danach, im April 1913, in die Kriegsgeschichtliche Abteilung II versetzt, die die Kriege Friedrichs des Großen bearbeitete. Im März 1914 erfolgte seine Versetzung in die Aufmarsch-Abteilung des Generalstabes. Im Weltkriege war er lange erster Generalstabsoffizier der 1. Garde-Division, die Prinz Eitel Friedrich von Preußen, der zweite Sohn des Kaisers, kommandierte und für die Fritsch „mit allen Fähigkeiten des Geistes und Herzens“ arbeitete, „der er wahrhaft diente in verstehender und belebender Fürsorge, mit der er aber auch jedes Schwere teilte“, wie Generaloberst von Brauchitsch am 26. September 1939 in seiner Trauerrede sagen wird.1 Im Dezember 1918 fand der polnische Aufstand in Posen statt. Die Oberste Heeresleitung begann, nachdem polnische Insurgenten ihre Überfälle verstärkt hatten, Freiwilligentruppen aufzustellen, um diese im Osten einzusetzen. Mitte Dezember bildete sie das Armeeoberkommando (AOK) Heimatschutz Ost, das im Januar 1919 in die Kommandos Nord und Süd aufge-

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teilt wurde. Das AOK Grenzschutz Nord befand sich in Bartenstein/Ostpreußen. Generalmajor von Seeckt war dort Chef des Generalstabes und Major von Fritsch erster Generalstabsoffizier. „Es war eine stürmische Zeit“, schrieb Fritsch rückblickend über diese Verwendung.2 Die Zusammenarbeit mit Seeckt prägte ihn entscheidend, und der spätere Chef der Heeresleitung (ab 1920) förderte Fritsch bis zu seinem Rücktritt im Herbst 1926. Damit erfüllte sich der Wunsch des Obersten Albrecht von Thaer, der im November 1918 notiert hatte, man müsse „Männer wie Bock, Beck und Fritsch auch für eine sehr kleine heruntergesetzte Armee sich reservieren. Alle 3 sind Männer 1. Klasse.“3 In den Jahren, die nach Fritschs Rückkehr aus Ostpreußen und dem Baltikum, wo er Chef des Generalstabes des VI. Reservekorps gewesen war, folgten, verlief seine Laufbahn in stetem Wechsel zwischen Stabs- und Truppendienst. Wie aber stand er zur Weimarer Republik? Mitte November 1924 schrieb Fritsch, Chef des Stabes der 1. Division in Königsberg, an Joachim von Stülpnagel, Oberstleutnant und Chef der Operationsabteilung im Truppenamt des Reichswehrministeriums, nach allgemeinen Betrachtungen zur politischen Lage: „Ich bitte mir es nicht übel zu nehmen, wenn ich vor zu großem Optimismus in Bezug auf Ebert u[nd] Marx warne. Ersteren halte ich für einen ganz einseitigen sozialdemokratischen Parteimann u[nd] großen Schweinehund (trotz Schleicher). Letzterer Marx ist vielleicht ehrlich, ist aber zu unbedeutend […].“ Er fuhr fort: „In letzterer Beziehung macht mich aber immer das Vertrauen auf einen Ebert stutzig. Denn letzten Endes sind Ebert, Pazifisten, Juden, Demokraten, Schwarzrotgold u[nd] Franzosen alles das Gleiche, nämlich die Leute, die die Vernichtung Deutschlands wollen.“4 Fritschs Ansichten sind bezeichnend für einen höheren Reichswehroffizier; es sind die eines Antidemokraten und Antisemiten, der die Republik verachtete, weil sie zu einem schwachen Staat führte. Nur die Armee war – wie in der Monarchie – der Garant der Stärke, nicht die parlamentarische Demokratie. Fritsch hatte sich sein Feindbild bewahrt, das im Kaiserreich verkündet worden war, und das mit dem nationalsozialistischen Gedankengut viele Gemeinsamkeiten besaß. Er vergaß indessen, daß es demokratische Kräfte waren, die sich 1919 zusammengeschlossen hatten, diese Republik zu bilden, mit Ebert, dem Präsidenten, der sich bereit erklärte, diesen Staat zu stabilisieren; auch vergaß Fritsch, daß Hindenburg und Groener am Ausgang des Jahres 1918 mit Scheidemann, Ebert und Noske zusammenarbeiten wollten, um das Reich zu retten. Im Februar 1926 übernahm Fritsch die Heeresabteilung T 1. Militärisch hochbegabt hatte er in allen Verwendungen vorzügliche Beurteilungen erhalten. Er besaß Autorität. Ein Jahr vor seinem Tode schrieb er: „Ich habe

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es mir zur Richtschnur gemacht, mich nur auf mein militärisches Gebiet zu beschränken und mich von jeder politischen Betätigung fern zu halten. Meine militärische Arbeit füllt mich mehr wie reichlich aus, und zur Politik fehlt mir alles.“5 Außenstehenden erschien Fritsch verschlossen und schroff, kühl und hochmütig, gehemmt und unpersönlich; er hatte nicht geheiratet. Er war indessen hilfsbereit und kameradschaftlich, gütig und liebenswürdig; er vereinte starke Gegensätze in sich, die seine Antriebskräfte waren, die aber auch seinen ambivalenten Charakter ausmachten. Er sei „eben ein stiller u. wortkarger Geselle, der selbst am Klatsch über seinen lieben Nächsten keine Freude hat, sondern dem der Klatsch in jeder Form aufs äußerste verhaßt ist“, teilte er Margot von Schutzbar-Milchling, seiner Vertrauten, mit. 6 Derselben Empfängerin bekundete er: „Wenn Sie ferner schreiben, ich sei oft so schwer zu verstehen, so haben Sie damit zweifellos recht. Schon seit jeher habe ich niemals mit Jemand über mich selbst gesprochen. Das kann ich einfach nicht u. falls Jemand in dieser Beziehung in mich eindringen will, erreicht er nur das Gegenteil.“7 Dies ist das Psychogramm eines Offiziers, eines Nur-Soldaten, der selbst während des Urlaubs nur militärische Veröffentlichungen las und der am 1. Februar 1934 als Nachfolger von Generaloberst v. Hammerstein-Equord Chef der Heeresleitung wurde. „Schaffen Sie mir ein Heer in größtmöglicher Stärke u. innerer Geschlossenheit und Einheitlichkeit auf dem denkbar besten Ausbildungsstand“, sagte Hitler zu Fritsch bei der Amtsübernahme, und dieser fügte später stolz hinzu: „Nach diesem Auftrag habe ich seitdem gehandelt.“8 Die Generale von Blomberg, der Reichswehrminister, von Fritsch und von Reichenau, der Chef des Wehrmachtamtes, setzten auf Hitler. „Nationaler Umbruch“ lautete die Losung für die politische wie militä rische Führung: Revision des Versailler Vertrages und Wiederaufrüstung. Bei seinem Amtsantritt fand Fritsch bereits das zweite Rüstungsprogramm vor, das Anfang April 1933 angelaufen und bis Ende März 1938 geplant war. Dieses Programm umfaßte alle materiellen Rüstungsmaßnahmen des Heeres. Ende Februar 1934 fand eine Besprechung mit Hitler statt, an der u. a. Blomberg, Fritsch und Beck, der Chef des Truppenamtes, teilnahmen. Sie legten fest, das Verteidigungsheer innerhalb von fünf Jahren und die Angriffsarmee in acht Jahren aufzustellen. Bereits im Oktober 1933 hatte Hitler dem britischen Botschafter in Berlin, Sir Eric Phipps, angeboten, die deutsche Aufrüstung auf ein Friedensheer von dreihunderttausend Mann zu beschränken. Dieses Angebot war möglich geworden, weil die materielle Ausstattung des „A[ufstellungs]-Heeres“, für das eine Verdreifachung der sieben (Infanterie-)Divisionen vorgesehen war, rasch verwirklicht werden konnte. Nun war es möglich, das A-Heer (Kriegsheer) zum Friedensheer umzubilden.

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Anfang Oktober 1934 umfaßte die Reichswehr noch nicht dreihunderttausend Mann. Doch Hitler kannte die Erwartungen und Stimmungen der Offiziere und verstand, sie zu motivieren. Er setzte auf ihren Ehrgeiz und Sinn für nationale Töne. Am 16. März 1935 führte er die allgemeine Wehrpflicht ein und befahl ein Friedensheer von zwölf Korpskommandos und sechsunddreißig Divisionen aufzustellen. Sorgenvoll beurteilten Fritsch und Beck die überstürzte Heeresvergrößerung, aber nicht aus politischen, sondern aus sachlichen Gründen. Auch nachdem Ende Mai desselben Jahres das Wehrgesetz erlassen und die Wehrhoheit wiederhergestellt worden war, protestierten die Westmächte England, Frankreich und Italien nur formell gegen den Bruch des Versailler Vertrages durch die Regierung Hitler. Nun war das Heer, neben der Partei, zur zweiten Säule des nationalsozialistischen Staates geworden. Das Bündnis, das Hitler und Fritsch eingegangen waren, hatte sich bewährt. Und seit dem Mord an Röhm und an anderen SA-Führern war diese Organisation bedeutungslos geworden. Zu den Mordopfern zählten auch zwei ehemalige Generale, von Bredow und von Schleicher, der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik. Indes hatte sich Fritsch während dieser Liquidierungen völlig passiv verhalten, obgleich Wehrkreisbefehlshaber und auch Vizekanzler von Papen ihn bedrängt hatten zu handeln. Fritsch, sich der Ungeheuerlichkeit der Morde bewußt, tat nichts und duldete diese Gewaltaktionen; so machte er sich mitschuldig. Am 5. November 1937 fand jene durch das „Hoßbach-Protokoll“ bekannt gewordene Besprechung in Berlin statt, über die viel Falsches berichtet worden ist. Ausführlich erläuterte Hitler sein außenpolitisches Programm und kündete seine Kriegsabsichten an. Indes sagte er nichts Neues. Blomberg, Fritsch und Neurath widersprachen Hitlers Plänen nicht; sie waren ihnen schon bekannt. Ihre Einwände waren sachlich und gering. Fünf Tage danach, am 10. November, fuhr Fritsch nach Ägypten und kehrte Anfang Januar 1938 zurück.9 Nun aber bahnten sich wichtige personelle Umwälzungen an. Am 12. Januar heiratete der Witwer Blomberg in zweiter Ehe Margarethe Gruhn. Nur Hitler und Göring, die beiden Trauzeugen, waren zuvor unterrichtet worden. Einige Tage nach der Eheschließung erfuhr die Kriminal polizei, daß die Berliner Sittenpolizei Unterlagen über Blombergs Gattin besaß. Groß war das Entsetzen. Am 4. Februar trat der Reichskriegsminister zurück. Er selbst hatte seinen Sturz verursacht. „Ich erlebe zur Zeit viel Schweres“, äußerte Fritsch Ende Januar 1938. 10 Fünf Tage zuvor, am 26. Januar, hatte zwischen Hitler und Fritsch eine Unterredung stattgefunden, in der der Oberbefehlshaber des Heeres dem ‘Führer’ und Reichskanzler sein Ehrenwort gegeben hatte, nicht homosexuell zu sein. Auch war die Gegenüberstellung mit dem angeblichen Bela-

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stungszeugen, dem Erpresser Otto Schmidt, erfolgt. Fritsch war über die Vorwürfe fassungslos. Er hatte alles getan, um seinen Auftrag zu erfüllen: „Ganz unabhängig davon ist, daß die Grundlage unseres heutigen Heeres nationalsozialistisch ist und sein muß […]“, notierte er.11 Nie war er wankend geworden. Und fast ein Jahr nach seinem Sturz bekannte er: „Ich habe mir eingebildet, ein guter Nationalsozialist gewesen und noch zu sein.“12 Er blieb es bis zu seinem Tode. Dennoch mußte Fritsch am selben Tage wie Blomberg aus seinem Amt ausscheiden. Was folgte, war sein Kampf, seine Ehre wiederzuerlangen, waren die Untersuchungen der Geheimen Staatspolizei, die für Fritsch sehr entwürdigend waren, und die des Reichskriegsgerichts. Dann stellte sein Rechtsanwalt Graf von der Goltz fest, daß eine Namenverwechslung vorlag: nicht Werner von Fritsch, sondern Achim von Frisch, Rittmeister a. D., war der Erpreßte. Der Urteilspruch des Reichskriegsgerichts vom 18. März 1938 lautete: „Die Hauptverhandlung hat die Unschuld des Generaloberst a. D. Freiherr von Fritsch in allen Punkten ergeben.“13 Was war nun der ‘Fall Fritsch’? Er bildete den Endpunkt einer Entwicklung, des Machtkampfes zwischen der Partei, der rivalisierenden SS und dem Heer, das diesen Kampf verlor. Schwer haderte Fritsch mit seinem Schicksal, seiner Verabschiedung und der Schmach. Er fühlte sich nicht rehabilitiert, auch nicht nach seiner von seinem Nachfolger Brauchitsch betriebenen Ernennung zum Chef des Artillerie-Regiments 12 in Schwerin; denn dies war nur eine äußere Geste. Margot von Schutzbar-Milchling wollte ihn heiraten. Fritsch aber lehnte ab: „Ich bin durch die Ereignisse des letzten Jahres in meinem inneren Gleichgewicht gestört. Das gilt in rechter Linie für das persönliche Erleben, das ich durchgemacht habe. Aber auch die Entwicklung der innen- und außenpolitischen Lage hat mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Wenn ich auch mit einem Fußtritt aus meiner Lebensarbeit entfernt bin, das Geschehen der letzten 4 1/2 Jahre ist doch unlösbar innerlich mit mir verknüpft. Darum kann ich der weiteren Entwicklung nicht gleichgültig gegenüberstehen. Ich ringe darum, endlich zur Ruhe zu kommen.“14 Die Ruhe und die Einsamkeit, die er sich wünschte, fand er indessen nicht. „Ich komme immer noch nicht darüber hinweg, daß der Mann, für den ich auch persönlich 4 Jahre gearbeitet habe, und gerade dieser Mann mich verraten und im Stich gelassen hat“, schrieb er Ende November 1938 an seine Vertraute.15 Zutiefst hatte Fritsch resigniert und litt an Depressionen. Im selben Brief, den er nach dem Pogrom gegen die Juden schrieb, notierte er: „Der Kampf mit dem Weltjudentum hat allerdings jetzt schon offiziell begonnen. Folgerichtig muß das zum Krieg mit England u[nd] U.S.A., den politischen Hochburgen des Judentums, führen.“ 16 Indes ist diese

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Äußerung nur die Vorankündigung einer noch übleren Entgleisung. Wenige Wochen später, im Dezember, schrieb Fritsch: „Bald nach dem Kriege kam ich zur Ansicht, daß 3 Schlachten siegreich zu schlagen seien, wenn Deutschland wieder mächtig werden sollte. 1. die Schlacht gegen die Arbeiterschaft, sie hat Hitler siegreich geschlagen. 2. gegen die katholische Kirche, besser gesagt gegen den Ultramontanismus u. 3. gegen die Juden. In diesen Kämpfen stehen wir noch mitten drin. Und der Kampf gegen die Juden ist der schwerste. Hoffentlich ist man sich über die Schwere dieses Kampfes klar.“17 Der Antisemit Fritsch offenbarte, wieder einmal, sein diffuses und dumpfes Weltbild. Dann aber, wenige Tage nach dieser Hetze, bekundete er: „Ich kann das Gefühl nicht loswerden, als ob die Dinge doch noch zu einem großen Kriege treiben, obwohl ich mir keinen rechten Vers daraus machen kann.“18 Dies war eine nüchterne Beurteilung der Lage, die er, der geschulte Generalstabsoffizier, gelernt hatte. Ahnte Fritsch, daß der Weg in den Krieg nun unaufhaltsam war? Er kannte Hitlers oft wiederholte Absicht, im Osten ‘Lebensraum’ zu gewinnen. Bereits Mitte Januar 1939 aber schrieb er: „Da ich den nächsten Krieg als Frontsoldat erleben will, muß man den Körper trainieren.“19 Hoffte er nun auf eine militärische Auseinandersetzung? Anfang Februar 1939 zog Fritsch von Achterberg, seinem „Asyl“, wie er das Jagdhaus bei Soltau in der Lüneburger Heide bezeichnete, nach BerlinZehlendorf. Dort, in der Albertinenstraße, hatte ihm das Heer ein Haus geschenkt, „Haus Treue“. Brauchitsch hatte dazu den Anstoß gegeben. Dennoch war Fritsch verbittert. Er hatte keine Aufgabe mehr, und je länger er über die Geschehnisse im Frühjahr 1938 nachdachte, desto mehr resignierte er. Er mied die Hauptstadt nicht nur, weil er keine Ruhe und Einsamkeit fand, sondern auch, weil Berlin und die Menschen, denen er begegnete, Erinnerungen in ihm wachriefen, die er verdrängen wollte. Erneut suchte Fritsch Achterberg auf. „Aber auch für mich persönlich ist es schwer zu sehen, wie jeder Soldat fieberhaft militärisch beschäftigt ist, für mich gibt es aber weder im Frieden noch im Krieg eine Tätigkeit in Deutschland des Herrn Hitler. Denn im Kriege begleite ich mein Regiment nur als Scheibe, da ich nicht zu Hause bleiben kann“, schrieb er im August an seine Vertraute. 20 Mit „Scheibe“ meinte Fritsch, er wäre als Chef seines Regiments nur nutzlos. Mitte August kehrte er in die Hauptstadt zurück. Wenig später teilte ihm Brauchitsch mit, Hitler betrachte den Krieg mit Polen als unvermeidlich. Fritsch beabsichtigte, wie er es im September 1938 während der Krise mit der Tschechoslowakei auch getan hatte, sich wieder seinem Artillerie-Regiment anzuschließen, das sich in Ostpreußen befand; dies war für ihn eine selbstverständliche Pflicht.

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Am 21. August 1939 verließ Fritsch Berlin und erreichte am folgenden Tag sein Regiment in Ortelsburg. Leutnant der Reserve Werner Rosenhagen wurde sein Begleitoffizier. Launig notierte er Ende August: „Hier erwarten wir bei Schwüle, großer Hitze u. viel Staub die Dinge, die da kommen sollen. Ein klares Urteil über die Lage habe ich natürlich nicht. […] Hoffentlich werden uns die nächsten Tage eine Entscheidung bringen.“21 Die Entscheidung kam bald. Am 1. September überschritt die 12. Infanterie-Division, zu deren Verband das Artillerie-Regiment 12 gehörte und die dem Armeeoberkommando 3 unterstand, im Süden Ostpreußens die polnische Grenze. Der Zweite Weltkrieg begann. Die 3. Armee mit ihrem Oberbefehlshaber, General der Artillerie von Küchler, trat am 14. September zum Angriff in Richtung Praga, einer Vorstadt von Warschau, an. Eine gewaltsame Erkundung war indessen noch notwendig, die für den 22. September befohlen wurde. Einen Tag zuvor schrieb Fritsch: „Zu tun habe ich hier nichts, absolut gar nichts. Dieser ganz unwürdige Zustand ist nicht nur schwer zu ertragen, sondern auch bodenlos langweilig, da wir nur wenig mit dem Feind in Berührung gekommen sind.“22 Es war daher Langeweile, die Fritsch veranlaßte, sich dem Unternehmen anzuschließen. Fritsch bricht am 22. September 1939 gegen acht Uhr vom Gefechtsstand des Artillerie-Regiments 12 in Drewnica mit dem Kraftwagen auf. Rosenhagen begleitet ihn. Aufmerksam beobachtet er den Feuerüberfall seines Regiments auf Praga, der um neun Uhr einsetzt, und begibt sich mit Rosenhagen in die vorderste Linie. Nach neun Uhr vierzig, bereits auf dem Rückweg, trifft ihn am linken Oberschenkel ein Querschläger, der ihn schwer verletzt. Fritsch bricht sofort zusammen. Seine letzten Worte sind: „Lassen Sie nur.“ Sie sind an Rosenhagen gerichtet, der versucht, das Bein abzubinden. Nach einer Minute ist Fritsch tot. Soldaten bergen seinen Leichnam unter erheblichen Mühen und bringen ihn in die Kirche von Struga. Dort nimmt Küchler Abschied von seinem Freund und Regimentskameraden. Am nächsten Tag, dem 23. September, bevor der Sarg in die Hauptstadt abtranportiert wird, hält er eine kurze Ansprache vor den in der Kirche versammelten Offizieren und Angehörigen des Artillerie-Regiments 12 und anderen Offizieren. Der von Hitler angeordnete Staatsakt findet am 26. September in Berlin, Unter den Linden, statt. Brauchitsch hält die Trauerrede. Danach wird der Sarg auf dem Inva lidenfriedhof beigesetzt. Ein Jahr danach, zum ersten Todestag, bat der Kommandeur des Artillerie-Regiments 12 einen Stabsoffizier, einen Kranz am Grabe niederzulegen. Der Kranz war bereits bestellt, als dieser Offizier einen Anruf des

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Amtes Ausland/Abwehr mit dem Hinweis erhielt, daß der ‘Führer’ solche Ehrungen verbiete. Es war derselbe ‘Führer’, der am 26. September 1939 einen Tagesbefehl an die Wehrmacht erlassen hatte: „Die Deutsche Wehrmacht senkt ehrend ihre Fahnen vor der Größe dieses Soldatentums.“ 23 Jetzt, im September 1940, nach dem siegreichen Feldzug gegen Frankreich, hatte nur der ‘Führer’ und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht das Heer aufgebaut – und kein anderer.

Anmerkungen 1 Vgl. BA-MA Freiburg, Nachlaß Fritsch N 33/15: Rede des Oberbefehlshabers des Heeres, Generaloberst von Brauchitsch, am 26. 9. 1939. 2 Vgl. ebenda, N 33/11, fol 4r: Fritsch an Margot von Schutzbar-Milchling, 28. 1. 1939. 3 Vgl. Albrecht von Thaer, hrsg. v. Siegfried A. Kaehler, S. 278. 4 Vgl. BA-MA, Nachlaß Stülpnagel N 5/20, fol. 47r, 48r: Stülpnagel an Fritsch, 16.11. 1924. 5 Vgl. ebenda, Nachlaß Fritsch N 33/9, fol. 16–17: Fritsch an Margot von SchutzbarMilchling, 17. 5. 1938. 6 Vgl. ebenda, N 33/10, fol. 75r: Fritsch an Margot von Schutzbar-Milchling, 4. 9. 1938 (?). 7 Ebenda, fol. 74v–75r. 8 Vgl. ebenda, Nachlaß Beck N 28/3, fol. 3 v: Aufzeichnung Fritschs vom 1. 2. 1938. 9 Vgl. ebenda, N 33/10, fol. 2rv: Fritsch an Margot von Schutzbar-Milchling, 4. 1. 1938. 10 Vgl. ebenda, fol. 10r: Fritsch an Margot von Schutzbar-Milchling, 31. 1. 1938. 11 Vgl. ebenda, N 28/3, fol. 3r: Aufzeichnung Fritschs vom 1. 2. 1938. 12 Vgl. ebenda, Nachlaß Fritsch N 33/20, fol. 114r: Aufzeichnung Fritschs vom 18. 1. 1939. 13 Vgl. ebenda, fol. 49r: Schreiben Fritschs an die Kommandierenden Generale (undat. Entwurf, Mai 1938, nicht abgesandt). 14 Vgl. ebenda, N 33/10, fol 68 v–69 r: Fritsch an Margot von Schutzbar-Milchling, 3.11. 1938. 15 Vgl. ebenda, N 33/30, fol. 52r: Fritsch an Margot von Schutzbar-Milchling, 22. 11. 1938. 16 Ebenda, fol. 53r–54r. 17 Nicholas Reynolds, Der Fritsch-Brief vom 11. Dezember 1938, S. 370. – Eine Kopie in: BA-MA Freiburg, Nachlaß Fritsch N 33/30, fol 57r–66r. 18 Vgl. ebenda, N 33/18: Fritsch an Margot von Schutzbar-Milchling, 19. 12. 1938. 19 Vgl. ebenda, N 33/11, fol. 3r: Fritsch an Margot von Schutzbar-Milchling, 13. 1. 1939. 20 Vgl. ebenda, N 33/3, fol. 91r–92r: Fritsch an Margot von Schutzbar-Milchling, 7. 8. 1939.

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Vgl. ebenda, N 33/8, fol. 1–2: Fritsch an Hauptmann Otto-Heinrich Großkreutz, seinen letzten Adjutanten, 28. 8. 1939. 22 Vgl. ebenda, N 33/11, fol. 56r: Fritsch an Margot von Schutzbar-Milchling, 21. 9. 1939. 23 Ebenda, N 33/21: Tagesbefehl des Armeeoberkommandos 14 vom 26. 9. 1939. 21

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA–MA Freiburg: Nachlaß Fritsch, N 33; ebenda: Archivalien, die wenige Briefe einschließen, in den Nachlässen Beck, Hoßbach, Mackensen und Stülpnagel (N 28, 24, 39, 5); ebenda, MSg 1/45: Bericht von Rechtsanwalt Rüdiger Graf von der Goltz, 1938 Fritschs Verteidiger, von 1945/46, über den Prozeß gegen den Generaloberst v. Fritsch; MSg 2/1999: Artikelserie „Der Streich gegen Fritsch“ in: „Die Welt“ vom 1. 2.–12. 2. 1949; BA Koblenz: Kleine Erwerbungen Nr. 653/3, fol. 167–229. Lebenserinnerungen des Rechtsanwalts Rüdiger Graf von der Goltz (1894–1976); nach 1954 abgeschlossen; darin Kap. VI: „Der Fritschprozeß“, die Ereignisse. Gedruckte Quellen und Literatur Bradley, Dermot/Karl Friedrich Hildebrand/Markus Rövekamp: Die Generale des Heeres 1921–1945. Die militärischen Werdegänge der Generale, sowie der Ärzte, Veterinäre, Intendanten, Richter und Ministerialbeamten im Generalsrang. Band 4. Osnabrück 1996, S. 115–116. Brausch, Gerd: Der Tod des Generalobersten Werner Freiherr von Fritsch. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen, Bd. 1/1970, S. 95–113. Deutsch, Harold C.: Das Komplott oder die Entmachtung der Generale. Blombergund Fritsch-Krise. Hitlers Weg in den Krieg. Zürich 1974. Foertsch, Hermann: Schuld und Verhängnis. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 als Wendepunkt in der Geschichte der nationalsozialistischen Zeit. Stuttgart 1951. Janßen, Karl-Heinz/Fritz Tobias: Der Sturz der Generäle. Hitler und die BlombergFritsch-Krise 1938. München 1994. Kielmansegg, Johann Adolf Graf von: Der Fritsch-Prozeß 1938. Ablauf und Hintergründe. Hamburg 1949. Messerschmidt, Manfred: Die Wehrmacht im NS-Staat. Zeit der Indoktrination. Hamburg 1969. Mühleisen, Horst: Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938. Neue Dokumente aus dem Nachlaß des Generalobersten. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen, Bd. 56/1997, Heft 2. Müller, Klaus-Jürgen: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime. Stuttgart 1969. Murray, Williamson: Werner Freiherr von Fritsch – Der tragische General. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Frankfurt a. M. 1995, S. 153–170.

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O’Neill, Robert: Fritsch, Beck and the Führer. In: Hitler’s Generals. Ed. by Correlli Barnett, London 1989, S. 19–41. Reynolds, Nicholas: Der Fritsch-Brief vom 11. Dezember 1938. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 28 (1980), S. 358–371. Zeitgeschichte. Fritsch-Prozeß. Dieser Dreck. (Anonym.) In: Der Spiegel (1965), Heft 36 v. 1. 9. 1965, S. 46–57.

Gene Mueller

Generaloberst Friedrich Fromm* Im Jahr 1938, und erneut im Jahr 1939, waren viele Generale der Wehrmacht wegen eines eventuellen Kriegsausbruchs beunruhigt. Selbst nach dem Sieg im Blitzkrieg gegen Polen machten sich manche von ihnen weiterhin Sorgen über den bevorstehenden Kampf gegen England und Frankreich. General Friedrich Fromm hatte im Gegensatz zu ihnen großes Vertrauen zu Hitler und zur Wehrmacht. Im April 1940 sagte er zu Ulrich von Hassell: „Durch Holland und Belgien würden wir in einem Schwunge durchstoßen, dann in vierzehn Tagen Frankreich erledigen; die Franzosen würden so laufen wie die Polen. Frankreich würde dann Frieden machen, England allein noch etwas weiter fechten und schließlich auch erledigt werden. Dann aber würde der Führer einen ganz maßvollen, staatsmännischen Frieden machen.“1 Friedrich Fromm, am 8. Oktober 1888 geboren, stammte aus einer Familie des Mittelstandes. Sein Großvater war königlich-preußischer Steuer-Inspektor, sein Vater preußischer Generalleutnant.2 Während des Ersten Weltkriegs kämpfte er zunächst in Frankreich, dann in Rußland und in Rumänien. Nach der Niederlage von 1918 blieb er als Hauptmann und Generalstabsoffizier im Reichsheer. Als Hitler Reichskanzler wurde, war Fromm Oberst im Wehramt des Reichswehrministeriums. Ab 1934 war er Chef dieser Dienststelle, die im folgenden Jahr „Allgemeines Heeresamt“ genannt wurde und seit Kriegsausbruch zur Dienststelle „Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres“ ausgebaut wurde. 1935 wurde Fromm zum Generalmajor, 1938 zum Generalleutnant, 1939 zum General der Artillerie und 1940 zum Generaloberst befördert. Selbstbewußt, ehrgeizig und stolz auf seine Stellung, beteiligte sich Fromm an der Auseinandersetzung über die Organisation des Oberkommandos. Er schlug ein zweiteiliges System – Führung und Rüstung – vor.3 Indem er gegen einen kombinierten Wehrmachtsstab argumentierte, gewann er das Wohlwollen des Oberkommandos des Heeres (OKH); indem er andererseits für eine Aufhebung der führenden Position des Generalstabes eintrat, stellte er auch ein Organisationsmodell vor, das vielleicht dem Reichswehrminister Werner von Blomberg zusagen würde. Die Argumente * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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Fromms erwecken den Eindruck, daß er „alle Zielpunkte im Schußfeld hatte“ und zugleich hoffte, seine gelehrten Ausführungen würden ihm eine Beförderung einbringen.4 Diese Auseinandersetzung wurde erst 1938 beendet, als Hitler den Posten des Reichskriegsministers selbst übernahm und das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) schuf. Als Chef des Allgemeinen Heeresamtes befürwortete Fromm die Pläne für eine Verstärkung des deutschen Heeres. Gegen den Widerstand von Generalstabschef Ludwig Beck unterstützte er Hitlers Forderungen nach einem 300 000-Mann-Heer. Er argumentierte, diese Vergrößerung würde die organisatorische Leistungsfähigkeit des Heeres maximieren. Das Erreichen dieses Zieles mußte auch seinen eigenen Ruf als begabter und fähiger Offizier steigern. Im August 1936 legte Fromm eine Untersuchung über die Erfordernisse eines Aufrüstungsprogramms im Falle eines totalen Krieges vor. Auf Ersuchen des Oberbefehlshabers des Heeres, Generaloberst von Fritsch, listete er detailliert auf, welche Geldmittel, welches Menschenpotential und welche wirtschaftlichen Ressourcen man für einen totalen Krieg benötige. Er kam zu der Schlußfolgerung, mit seinem Menschenpotential könne Deutschland ein Jahr lang Krieg führen; seine Kraftstoffreserven würden jedoch nur sieben Monate ausreichen.5 Diese grundlegende Untersuchung behielt Fromm stets im Gedächtnis; je länger der Krieg dauerte, desto besorgter wurde der Chef der Heeresrüstung. Der begabte Fromm war ein Überlebenskünstler. Seine harte Arbeit wurde belohnt, und er fand zu einer reibungslosen Zusammenarbeit mit seinen jeweiligen Vorgesetzten: Fritsch, Hammerstein, Blomberg und Brauchitsch. Fromm begrüßte auch, daß Hitler ein neues Regierungssystem und eine neue Richtung der Außenpolitik versprach. Er glaubte, das neue Deutschland werde die 1918/19 verlorenen Gebiete zurückgewinnen. Zudem sah er Chancen für einen beruflichen Aufstieg voraus.6 Als Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres hatte Fromm während des Krieges und schon vorher eine wichtige Stellung inne. Nach der Neuorganisation des Oberkommandos von 1938 unterstand er – zu seinem Bedauern – unmittelbar Generaloberst von Brauchitsch, dem Oberbefehlshaber des Heeres. Er wollte unbedingt direkten Zugang zu Hitler. Das aber wußte General Keitel, der neue Chef des OKW, zu verhindern. Zudem kam es zu einem „heftigen Zwist und ständigen Kampf“ zwischen den beiden Generalen.7 Auch mit dem Propagandaminister Goebbels hatte Fromm Schwierigkeiten. Die feindselige Haltung Goebbels’ gegenüber Fromm begann im Juli 1940 anläßlich eines Vorbeimarsches der aus Frankreich zurückkehrenden Truppen; dabei gewann der kleinwüchsige Goebbels fälschlicherweise den Eindruck, er sei von dem hünenhaften Fromm in den

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Hintergrund gedrängt worden.8 In seinen Tagebüchern tadelte er den General, zog seine Loyalität in Zweifel und erhob Vorwürfe gegen ihn. Fromms Stellung als Befehlshaber des Ersatzheeres („im Heimatkriegsgebiet“) war entscheidend für die Offiziere, die sich gegen Hitler verschworen hatten. Schon 1938 verweigerte Fromm die Teilnahme an einem Plan, Hitler während der Sudetenkrise zu stürzen. 1939 nahm General Franz Halder, der Chef des Generalstabes des Heeres, abermals Kontakt zu Fromm auf. Im Oktober/November sagte er zu Fromm, die geplante Offensive im Westen müsse verhindert werden; vielleicht werde man Hitler und die Reichsregierung festnehmen und ausschalten müssen, um zu einer friedlichen Regelung des Konflikts zu kommen. Fromm weigerte sich, Halder eine Antwort zu geben. Anschließend fragte er seinen Stabschef, Oberstleutnant Kurt Haseloff, wie er über Halders Bemerkungen denke. Haseloff antwortete, nach seiner Auffassung sei Halder zu einem Staatsstreich entschlossen, und das sei glatter Hochverrat. Einige Tage danach meldete Fromm die Äußerungen Halders Brauchitsch. Wieder einmal war es Fromm gelungen, durch eine gefährliche Situation zu lavieren, indem er Halder eine Antwort verweigerte (ob das eine endgültige Absage war, blieb offen); und er hatte seine Pflicht getan, indem er Brauchitsch darüber informierte.9 Brauchitsch wurde nervös, die Widerstandsgruppe glaubte, Fromm habe eindeutig abgelehnt, und bald schwand jede Hoffnung, einen erfolgreichen Putsch durchführen zu können. Fromms Verhältnis zur Opposition gegen Hitler blieb während des ganzen Krieges zweideutig. Er ging niemals eine Verpflichtung ein, sich den Verschwörern anzuschließen; er versuchte aber auch nicht, sie von der Ausführung ihrer Pläne abzuhalten. Diese Unentschlossenheit mußte er schließlich mit seinem Leben bezahlen. Interessanterweise gab es ein hochrangiges Mitglied der NS-Führung, das die Fähigkeiten des Generals bewunderte: Albert Speer, der während des Krieges das Amt des Rüstungsministers innehatte. Fromm war beeindruckt von Speers Bericht über das Rüstungspotential der USA um 1942.10 Speer entschloß sich, den General zu den Besprechungen mit Hitler einzuladen – eine Entscheidung, über die Fromm hoch erfreut war, denn schon lange hatte er direkten Zugang zum ‘Führer’ gewünscht. In seinen Memoiren hat Speer das Auftreten des Generals in den Besprechungen geschildert: „Fromm verfügte über eine klare Vortragsweise, er trat bestimmt auf und besaß diplomatischen Takt. Den Säbel zwischen die Knie gepreßt, die Hand auf dem Säbelknauf, saß er energiegeladen da (…).“11 Fromms Ansehen bei Hitler stieg – was Keitel beunruhigte. Auch Goebbels ärgerte sich und „stellte ihm bei Hitler ein denkbar schlechtes Zeugnis aus“.12 Da Fromm naiverweise glaubte, er besitze das uneingeschränkte Vertrauen des ‘Führers’, verfaßte er im November 1942 eine schonungslose

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Denkschrift über die personelle und materielle Auszehrung Deutschlands. Er stand unter beträchtlichem Druck, der Ostfront Munition und Ersatzbedarf zu liefern, und er sah, daß die deutschen Produktionskapazitäten bis zum äußersten beansprucht waren. Keitel war damit einverstanden, daß Fromm seine Denkschrift dem ‘Führer’ persönlich vorlas. Darin hieß es: „Bei weiterer Fortdauer des Krieges muß die Unterlegenheit Deutschlands, besonders gegenüber der Rüstung Amerikas, sich immer fühlbarer machen. Die Erschöpfung des deutschen Volkes macht sich immer mehr bemerkbar. In dieser Situation ist ein militärischer Sieg nicht mehr zu erwarten. Vielmehr muß der Zweifrontenkrieg beendet werden, wenn ein militärischer Zusammenbruch vermieden werden soll. Chef H. Rüst u. BdE kommt daraus zu folgender aus der Lage sich ergebender Forderung: Sofortige Einleitung politischer Verhandlungen mit dem Ziele eines Friedensschlusses, solange die Deutsche Wehrmacht noch unbesiegt im Felde steht.“13 Des weiteren schlug Fromm vor, die Führung der militärischen Operationen „einem Soldaten und militärischen Fachmann zu übertragen, während der Führer sich ausschließlich den entscheidenden politischen Verhandlungen widmen sollte“. Aufgrund dieser Feststellungen wurde Fromm für Hitler persona non grata, und Speer erhielt Anweisung, Fromm nicht mehr zu Besprechungen mitzubringen. Doch selbst als Fromm in Ungnade fiel, setzte er immer noch auf Hitler. Am 10. November sagte er zu von Hassell, als dieser von dem furchtbaren Ernst der Lage sprach: „Ja, aber unser Führer hat in seinem kleinen Finger mehr strategisches Können als alle Generäle zusammen.“14 Im gleichen Monat fiel Fromms einziger Sohn an der Ostfront. Inzwischen ging Fromm weiter seinen Dienstgeschäften nach; er interessierte sich immer mehr für das Rüstungsprogramm und für neue Waffen. Ein weiteres Mal stieß er mit Goebbels zusammen, als er sich beklagte, Goebbels belüge die Menschen über die Stärke der deutschen Rüstungsproduktion. Spätestens im Sommer 1943 stand es für Fromm fest, daß die Niederlage Deutschlands unvermeidlich war. Der Menschenmangel machte es immer schwieriger, die Forderungen der Truppenkommandeure nach Ersatz zu erfüllen. Außerdem wurde Fromm bei der Rekrutierung von Ersatzeinheiten für das Heer durch Ansprüche der SS behindert. Fromm protestierte gegen deren Übergriffe, was zu einem ernsten Streit mit dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler führte.15 Infolgedessen versuchten Himmler, Goebbels und Martin Bormann, der „Sekretär des Führers“, jemanden zu finden, der Fromm ablösen konnte. Sie fanden jedoch keinen Nachfolger, der ihre Bedingungen erfüllte: dieser mußte die von Hitler verlangten Referenzen aufweisen und gleichzeitig ihren Forderungen gegenüber willfährig sein. Deshalb behielt Fromm seinen Posten.

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Fromm bemerkte auch, daß sein Stellvertreter, der Chef des Allgemeinen Heeresamtes General Friedrich Olbricht, der Militäropposition angehörte. Erneut lehnte es Fromm ab, sich dem Widerstand gegen Hitler anzu schließen. Er war fest davon überzeugt, daß dieser scheitern müsse; die Mehrzahl der Truppen sei gegenüber Hitler allzu loyal und würden daher den Verschwörern den Gehorsam verweigern.16 Fromm wußte auch, daß Olbrichts Stabschef, Oberstleutnant i.G. Claus Graf von Stauffenberg, in die Verschwörung gegen Hitler verwickelt war. Fromm schwieg dazu – und dieses Schweigen war sein Verderben. Stauffenberg wurde schließlich sogar als Oberst i. G. sein Chef des Stabes, und ein weiterer Verschwörer, Oberst i. G. Ritter Mertz von Quirnheim, wurde Stabschef bei Olbricht. Am 20. Juli 1944 schlugen die Verschwörer los. Gegen 16 Uhr teilte Olbricht seinem Chef in Berlin mit, Hitler sei durch ein Attentat ums Leben gekommen. Fromm wollte sich nicht zu übereiltem Handeln zwingen lassen und antwortete, er müsse sich bei Keitel im ‘Führerhauptquartier’ in Ostpreußen vergewissern. Keitel, der Chef des OKW, teilte ihm mit, daß Hitler lebe und nur leicht verletzt sei. Da befahl Fromm Olbricht, die „Operation Walküre“ (die getarnte Operation zum Sturz des Hitler-Regimes) abzubrechen. Nach Stauffenbergs Ankunft in der Bendlerstraße wurde Fromm von den Adjutanten Olbrichts überwältigt. Sie nahmen ihn fest und stellten ihn in einem der Amtszimmer des Bendlerblocks unter Bewachung.17 Nachdem der Putsch gescheitert und er von Offizieren seines Amtes unter Oberst Bolko von der Heyde befreit worden war, ließ Fromm Mertz von Quirnheim, Olbricht, Stauffenberg und dessen Adjutanten von Haeften im Hof des Bendlerblocks standrechtlich erschießen. Zudem ließ er Generaloberst a.D. Hoepner, der vorübergehend seinen Posten eingenommen hatte, verhaften, Generaloberst a.D. Beck beging Selbstmord. Ganz offenkundig war Fromm darauf bedacht, dem ‘Führer’ seine unwandelbare Treue zu beweisen und sich auf die Seite der ‘Sieger’ zu stellen.18 Eine zweite von Fromm angeordnete Runde von Exekutionen wurde durch ankommende Gestapo-Beamte verhindert. Immer noch hoffend, sich entlasten zu können, schickte Fromm folgendes Fernschreiben hinaus: „Putschversuch von unverantwortlichen Generalen blutig niedergeschlagen. Alle Anführer erschossen. Befehle des Gen.Feldmarschall v. Witzleben, Genobst. Hoepner, General Beck und General Olbricht sind nicht zu befolgen. Ich habe die Befehlsgewalt wieder übernommen, nachdem ich vorübergehend durch Waffengewalt festgenommen war.“19 Im Hof des Bendlerblocks hielt Fromm noch eine zündende Ansprache, in der er den ‘Führer’ pries und der Vorsehung dankte. Dann brachte er ein dreifaches „Sieg Heil!“ auf Hitler aus, ehe er wegfuhr, um sich bei Goebbels zu melden.

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Doch die Würfel waren bereits gefallen. Daß Fromm es nicht fertiggebracht hatte, den Putsch schon im Keim zu ersticken, sah man als Versagen und Feigheit an. Am 21. Juli wurde er von der SS verhaftet und am 14. September 1944 von Hitlers Ehrenhof aus der Wehrmacht ausgestoßen. In der Zwischenzeit war er zunächst im Berliner Gestapogefängnis, später im Zuchthaus Brandenburg-Göhrden inhaftiert.20 Dort blieb Fromm bis März 1945, als sein erbitterter Feind Goebbels nachdrücklich von Hitler seine Hinrichtung verlangte. Nur Albert Speer versuchte noch, Fromm durch ein fünfseitiges Schreiben an den Justizminister Thierack zu entlasten.21 Es war vergeblich. Am 9. März vermerkte Goebbels in seinem Tagebuch, Fromm sei „wegen Feigheit vor dem Feinde“ zum Tode verurteilt worden.22 Vor seiner Exekution am 12. März 1945 erklärte Fromm stolz: „Ich sterbe, weil es befohlen wurde. Ich habe immer nur das Beste für Deutschland gewollt.“ Die kolportierte Version, seine letzten Worte seien „Es lebe der Führer!“ gewesen, wurde später von einem Augenzeugen kategorisch bestritten.23 Nachdem Fromm von einem Erschießungskommando hingerichtet worden war, wurde sein Leichnam eingeäschert und dem Reichsjustizministerium übergeben. Damit endete das Leben eines der schillerndsten Generale der höheren militärischen Führung des NS-Staates, der lange Zeit für äußerste Effizienz im Ersatzwesen und in der Heeresrüstung im ‘Heimatkriegsgebiet’ gesorgt hatte, obwohl er die Niederlage des Reiches realistischerweise kommen sah.

Anmerkungen Die Hassell-Tagebücher, S. 193. Zu den biographischen Angaben siehe generell Kroener, Generaloberst Friedrich Fromm. 3 O’Neill, The German Army, S. 107. 4 Das würde zu seinem Charakter passen. So schrieb Gerhard Ritter (Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, S. 359), Fromm sei „ein Streber und Opportunist“ gewesen. Nach Fritz-Dietlof v. der Schulenburg und Olbricht war Fromm auch „träge und ohne Mut“. 5 O’Neill, The German Army, S. 92 f. (BA-MA Freiburg, RH 15/70). 6 Kroener, Generaloberst Friedrich Fromm, S.560. 7 US Army, Historical Division: German Army, MS P-041dd (1946), S. 172. Der Abschnitt über Fromm wurde von Generalmajor a. D. Hellmuth Reinhardt verfaßt. Im folgenden zitiert als: Reinhardt, P-041dd. 8 Kroener, Generaloberst Friedrich Fromm, S.563. 9 Hoffmann, Widerstand, München 31979, S. 173 f.; Ueberschär, Generaloberst Franz Halder, in diesem Band, S. 41. 1 2

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Reinhardt, P-041dd, S. 177. Speer, Erinnerungen, S.248 f. 12 Ebenda. 13 Reinhardt, P-041dd, S. 178 f. [in der deutschen Fassung S. 214 f.], auch zum Folgenden. 14 Die Hassell-Tagebücher, S. 338. 15 Reinhardt, P-041dd, S. 195. 16 Liddell Hart, The German Generals Talk, S. 110 (Interview mit General Edgar Röhricht). 17 Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S. 671 f. 18 Ebenda, S.679–682. 19 Hoffmann, Widerstand, S.904. 20 Ebenda, S.629. 21 Speer, Erinnerungen, S.450 f. 22 Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 15, S.468. 23 Kroener, Generaloberst Friedrich Fromm, S.571 mit Anm. 70. 10 11

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, RH 15: Wehramt und Allgemeines Heeresamt, ferner Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres sowie Diensttagebuch des Chefs des Stabes beim Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres; US Army, Historical Division: German Army, MS P-041, dann Hellmuth Reinhardt, P-04 dd. Gedruckte Quellen und Literatur Hoffmann, Peter: The History of the German Resistance 1933–1945. Cambridge Mass. 1977 (dt. Ausgabe u. d. T.: Widerstand, Staatsstreich, Attentat. München 1979). Kroener, Bernhard: Generaloberst Fritz Fromm und der deutsche Widerstand. Annäherung an eine umstrittene Persönlichkeit. In: Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933–1945. Hrsg. v. Heinrich Walle, Berlin 1994, S. 556–578. Ders.: Friedrich Fromm. Der „starke Mann im Heimatkriegsgebiet“. In: Die Militär elite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin/Frankfurt a. M. 1995, S. 171–186. Ders.: Die personellen Ressourcen des Dritten Reiches im Spannungsfeld zwischen Wehrmacht, Bürokratie und Kriegswirtschaft 1939–1942. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bd 5/1: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1939– 1942. Stuttgart 1988, S. 693–1002.

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Ders.: Der Kampf um den „Sparstoff Mensch“. Forschungskontroversen über die Mobilisierung der deutschen Kriegswirtschaft 1939–1942. In: Der Zweite Weltkrieg. Analysen – Grundzüge – Forschungsbilanz. Hrsg. v. Wolfgang Michalka. München 1989, S. 402–417. Ders.: „Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet“. Generaloberst Friedrich Fromm. Eine Biographie. Paderborn 2005. Liddell Hart, B. H.: The German Generals Talk. New York 1948. O’Neill, Robert: The German Army and the Nazi Party 1933–1939. New York 1966. Ritter, Gerhard: The German Resistance. Carl Goerdeler’s Struggle Against Tyranny. New York 1958 (deutsche Ausgabe u.d.T.: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Stuttgart 1984). Speer, Albert: Inside the Third Reich. New York 1970. The Von Hassell-Diaries 1938–1944. London 1948 (dt. Ausgabe u. d. T.: Die HassellTagebücher 1938–1944. Hrsg. v. Frhr. Hiller von Gaertringen. Berlin 1988). Wheeler-Bennett, John W.: The Nemesis of Power. The German Army in Politics 1918–1945. London 1964.

Gerd R.Ueberschär

Generaloberst Franz Halder Generaloberst Franz Halder erlebte wie kaum ein anderer Soldat Höhepunkte und Tiefpunkte einer militärischen Laufbahn vom deutschen Kaiserreich bis zum Dritten Reich.1 Während der ersten drei Jahre des Zweiten Weltkrieges war er als Generalstabschef des Heeres in einer der höchsten militärischen Führungspositionen und maßgeblicher Berater Hitlers, zugleich aber in führender Position am Widerstand gegen dessen Regime beteiligt. Ab Sommer 1944 wurde er als Gefangener der Nationalsozialisten in mehrere Konzentrationslager verschleppt. Hätten ihn die Amerikaner nicht im Mai 1945 aus der NS-Haft befreit, wäre er wohl von Himmlers Sicherheitsdienst erschossen worden. In den ersten Jahren nach 1945 galt er als aufrechter Hitler-Kritiker und NS-Gegner. Als seine Verstrickung in die NSVerbrechen mit Hilfe der von den Westalliierten an die Bundesrepublik zurückgegebenen Akten immer exakter nachgewiesen werden konnte, kam es zu heftigen Vorwürfen wegen seines Versagens und der schweren politischen Irrtümer; denn sie verhinderten, daß Hitler in seiner verheerenden Kriegspolitik und bei seinen verbrecherischen Aktionen aufgehalten werden konnte. Insgesamt schwanken so das Bild von Halder und das Urteil über seine Haltung in der NS-Zeit. Franz Halder wurde am 30. Juni 1884 in Würzburg geboren. Er stammte aus einer im schwäbischen Allgäu bei Isny beheimateten bayerischen Offiziersfamilie.2 Sein Vater Maximilian Halder brachte es bis zum bayerischen Generalmajor und Festungskommandanten. Wie seine Mutter Mathilde geb. Steinheil wurde Franz Halder im evangelisch-lutherischen Glauben getauft und erzogen.3 Bereits in der Schule zeigte er sehr großen Fleiß, lobenswerte Leistungen und besonderes Pflichtgefühl. Nach dem Abitur an einem humanistischen Gymnasium im Juli 1902 trat er als Offiziersanwärter in das 3. königlich bayerische Feldartillerie-Regiment ein. Dort erhielt er auch im März 1904 seine Beförderung zum Leutnant. Im September 1907 heiratete der junge Offizier Gertrude Erl, Tochter des bayerischen Majors a.D. Rudolf Erl. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor. Die Generalstabsausbildung absolvierte Franz Halder, ab 1912 Oberleutnant, an der königlich-bayerischen Kriegsakademie von Oktober 1911 bis August 1914. Nach glänzendem Abschlußzeugnis kam er im Ersten Weltkrieg sogleich in mehrere Generalstabsdienststellungen. Zuletzt war er ab

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Dezember 1917 als Führungsgehilfe (Id-Offizier) im Stab der Heeresgruppe „Kronprinz Rupprecht von Bayern“ eingesetzt. Seit dieser Zeit verband ihn eine besondere gegenseitige Wertschätzung mit dem bayerischen Thronfolger, welche die Kriegszeit überdauerte. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde Halder als befähigter Generalstabsoffizier im Mai 1919 in das bayerische Ministerium für militärische Angelegenheiten übernommen und hatte dort allgemeine Organisationsfragen im Zusammenhang mit dem Neuaufbau der Wehrstruktur des demokratischen Deutschen Reiches zu bearbeiten. Als die bayerische Armee im August 1919 aufgelöst wurde, kam er zur neuen Heeresleitung der vorläufigen Reichswehr nach Berlin. Bereits im folgenden Jahr unterrichtete er wieder in München als Taktiklehrer der 7. Division bei der dezentralisiert durchgeführten Führergehilfenausbildung. Dem Wirken der politischen Parteien stand Halder reserviert gegenüber, zumal er dadurch eine Schwächung der nationalen Wehrhaftigkeit befürchtete. Er mißbilligte das „Parteiengezänk“ um den Ausbau der Landesverteidigung des Reiches. Nach weiteren Dienststellungen – unter anderem in der Heeresausbildungsabteilung des Truppenamtes in Berlin ab März 1929 – rückte er im August 1931 in die Stelle des Chefs des Stabes der 6. Division im Wehrkreis VI in Münster auf. Hier unterhielt er als Oberst gute Kontakte zu Industriekreisen in Westfalen, Hannover und Oldenburg. In dieser Zeit erlebte er Hitlers Regierungsantritt als Reichskanzler. Dessen Vorstellungen von der Wiederwehrhaftmachung des Volkes und der Wehrertüchtigung der Jugend entsprachen Halders Ideal einer starken militärischen Macht des Staates. Trotz dieser „Teilidentität der Ziele“ betrachtete er aber die Radau- und Gewaltmethoden der NSDAP mit Distanz. Als Urheber dieser kritisch beobachteten Aktionen erkannte er nicht den Parteiführer Hitler, sondern nachgeordnete, „völlig unzulängliche, z. T. wahrhaft minderwertige Ausführungsorgane“4 der vielen NS-Gliederungen. Halders Berichte als Generalmajor (seit Oktober 1934) und Artillerieführer VII in München an den Chef der Heeresleitung, Generaloberst Freiherr von Fritsch, bezeugen denn auch seine sorgenvolle Betrachtungsweise der Gewalttaten beim Auf- und Ausbau des NS-Staates nach 1933. Wie viele andere Offiziere hat sich Halder damals über Hitlers Absichten und Ziele gewaltig geirrt. Er erkannte dies erst einige Jahre später. Im Zuge der raschen Aufrüstung wurde er im Oktober 1935 zum Kommandeur der neu aufgestellten 7. Division und im August 1936 zum Generalleutnant ernannt. Bereits im November 1936 übertrug ihm von Fritsch die Vorbereitung und Leitung der großen Wehrmachtsmanöver von 1937, die er anschließend mit großem Erfolg vor Hitler präsentierte.5 Danach blieb Halder als Oberquartiermeister II im Generalstab des Heeres unter

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General Beck in Berlin. Er war zuständig für Ausbildungsfragen sowie militärwissenschaftliche und kriegsgeschichtliche Arbeiten. Die Blomberg-Fritsch-Affäre im Februar 1938 brachte in Halders Einstellung zu Hitler eine Wende. Er suchte die beschämende Behandlung des von ihm verehrten Generalobersten von Fritsch abzuwenden und rückgängig zu machen. Dabei stieß er zum Kreis der zum NS-Regime kritisch und oppositionell eingestellten Stabsoffiziere hinzu und war bereit, die Veränderung oder Abschaffung von Hitlers Herrschaft in seine Überlegungen zur Neuformung der innenpolitischen Situation im Reich einzubeziehen. Aber erst nach General Becks Entlassung und der eigenen Ernennung zu dessen Nachfolger als Chef des Generalstabes des Heeres und zum General der Artillerie Ende August 1938 gelangte Halder in eine Stellung, aus der er selbst gegen Hitler und dessen Regime handeln konnte. Als Generalstabschef arbeitete er als zuverlässiger und „unermüdlicher Arbeiter“6 eng mit Generaloberst von Brauchitsch, dem neuen Oberbefehlshaber des Heeres, zusammen. Beide verstanden sich gut. Obwohl sich Hitler im Februar 1938 mit dem Oberkommando der Wehrmacht unter General Keitel einen eigenen militärischen Stab geschaffen hatte, verstand sich Halder weiterhin als wichtigster Berater des Staatschefs. Zugleich erfuhr er nun aber die gleichen Schwierigkeiten wie noch wenige Monate zuvor General Beck. Auch er fand nur sehr wenige Generale wie z. B. von Witzleben und Hoepner, die als überzeugte Hitlergegner bereit waren, mit ihm direkt in einer militärischen Oppositionsgruppe gegen den Diktator zusammenzuarbeiten. Als verantwortlicher Generalstabschef des Heeres war es zudem zweifellos nicht einfach, zur gleichen Zeit sowohl höchster Operationschef als auch Spitze und Leitfigur der Militäropposition gegen Hitler zu sein. Bei allen Widerstandsplänen gegen Hitler war Halder kein blinder Draufgänger. Auf politischem Gebiet fühlte er sich unsicher. Außerdem war er von Hitlers außenpolitischen Erfolgen ab 1938 beeindruckt. Trotz gelegentlich scharfer Kritik an Hitlers rücksichtsloser und rechtswidriger Politik wurde Halders Tatkraft durch sensible Gemütsregungen und Zögern gerade im ungewohnten Bereich des politischen Handelns gebremst. Mehrfach war er während der Sudetenkrise, als Hitlergegner den vom Diktator angestrebten Kriegsausbruch zu verhindern suchten, unsicher, ob hinter den militärischen Widerstandskreisen größere Bevölkerungsgruppen standen und ihn bei einem Putsch unterstützen würden. Nach wie vor ist nicht leicht zu beurteilen, wie weit Halder als Planer des militärischen Widerstandes im September 1938 bei der Sudetenkrise gegen Hitler gegangen wäre, wenn das Münchener Abkommen den Krieg nicht verhindert hätte. Wiederholt zweifelte der Generalstabschef, ob der richtige Zeitpunkt für einen Staatsstreich gegen Hitler gegeben war, denn die militärischen und politischen Erfolge

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Hitlers durch das Münchener Abkommen und in der Blitzkriegszeit vom Herbst 1939 bis zum Sommer 1941 versprachen einen enormen Machtzuwachs für das Reich und für den eigenen Berufsstand. Auch Halder erhielt dadurch Ehrungen und Beförderungen: Ende Oktober 1939 verlieh ihm Hitler das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz, und am 19. Juni 1940 ernannte ihn der ‘Führer’ nach dem Sieg über Frankreich zum Generalobersten. Letztlich blieben Widerstandsaktionen – trotz einiger Planungen – sowohl bei Kriegsbeginn als auch vor dem Angriff auf Frankreich und die BeneluxStaaten aus. Halder hat es 1938 und 1939/40 nicht vermocht, den Oberbefehlshaber des Heeres von Brauchitsch eindeutig auf die Seite der zum Staatsstreich bereiten Hitlergegner zu ziehen. Die militärischen Erfolge der Wehrmacht in den Feldzügen gegen Polen, Frankreich, Holland, Belgien und Luxemburg sowie auf dem Balkan hoben Halders Ansehen als Generalstabschef. Erfolgreich hatte er den von Generalleutnant von Manstein entwickelten „Sichelschnitt-Plan“ in Nordwestfrankreich in die Tat umgesetzt und souverän geleitet. Zweifellos hatten diese Siege Auswirkungen, als im Sommer 1940 erkennbar wurde, daß Hitler seinen schon lange beabsichtigten Vernichtungskrieg gegen die UdSSR als den Hort des jüdischen Bolschewismus in Angriff nehmen wollte. Obwohl Halder wie Brauchitsch noch im Januar 1941 der Sinn des neuen Krieges gegen die seit August 1939 mit Berlin verbündete Sowjetunion „nicht klar“ war,7 hat er bereits im Sommer 1940 eigenständig im Generalstab die Planungen für einen Angriff auf die UdSSR aufnehmen lassen, denn er wußte spätestens seit 1938 von Hitlers Eroberungsabsicht im Osten8 und wollte dem Diktator bereits bei konkreter Auftragserteilung einen fertigen Operationsplan vorlegen.9 Halder und Brauchitsch machten sich ferner durch unmittelbare Anweisungen für die Truppe bereitwillig an die Umsetzung der von Hitler ausgegebenen verbrecherischen Befehle. Hatte Halder bis dahin Eingriffe Hitlers in die Operationsführung weitgehend abwehren können, so zeigte sich ab Sommer 1941, daß der Diktator beim ideologisch begründeten Weltanschauungskrieg gegen die Sowjetunion immer häufiger und stärker in den Befehlsbereich des Oberkommandos des Heeres eingriff. Hitler bestimmte nicht nur die allgemeine Kriegführung im Osten, sondern auch Kiev und Leningrad statt Moskau als vorrangige Operationsziele in der ersten Phase des „Unternehmens Barbarossa“, das am 22. Juni 1941 mit dem vertragswidrigen Angriff der Wehrmacht auf die UdSSR begann. Noch einmal erlebte der Generalstabschef danach aufgrund seiner Operationsplanung gegen die Rote Armee herausragende Schlachtenerfolge und Siege in den großen Kesselschlachten. Fälschlicherweise nahm Halder an, der Feldzug gegen Rußland sei „innerhalb 14 Tagen“ gewonnen.10 Als

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Mißerfolg endete jedoch die von Halder im September und Oktober 1941 durchgesetzte Angriffsoperation „Taifun“ gegen Moskau. In fataler Weise hatte er dabei ganz im Sinne Hitlers zur letzten Willensanstrengung und zum „äußersten Einsatz“ der deutschen Soldaten aufgefordert, um das Angriffsziel Moskau trotz unzureichender Ausstattung und Versorgung im Winter 1941 zu erreichen. Die Niederlage vor Moskau symbolisierte insgesamt das Scheitern des erhofften Blitzkrieges gegen die UdSSR. Während Generalfeldmarschall von Brauchitsch als Oberbefehlshaber des Heeres im Dezember 1941 um seinen Abschied bat und abgelöst wurde, blieb Halder – mit Zustimmung Brauchitschs – auf seinem Posten. Er hoffte auf eine neue, fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Diktator, der selbst den Oberbefehl über das Heer übernahm und dem er nun direkt unterstellt war. Mit großer Energie betrieben Hitler und Halder dann auch die neue Sommer-Offensive 1942 („Operation Blau“), die die Wehrmacht bis an die Wolga und in das südrussische Erdölgebiet führte. Die Zweiteilung der Angriffsspitze nach Stalingrad und in Richtung Kaukasus führte allerdings zu neuen fachlichen Auseinandersetzungen zwischen Hitler und dem Generalstabschef. Noch bevor sich die Katastrophe in der Wolgametropole und der Untergang der 6. Armee abzeichneten, wurde Halder nach mehrfachen Auseinandersetzungen mit Hitler am 24. September 1942 als Generalstabschef entlassen. Halder, der in den letzten Jahren und Monaten Hitler mit voller Arbeitskraft gedient hatte, war durch die abrupte und kühle Ablösung – obwohl er sie selbst mehrfach erwogen hatte – schmerzlich berührt und tief verärgert, denn er hatte trotz kritischer Distanz zur NS-Führung Heer und Generalstab zu beachtlichen Leistungen und Erfolgen geführt. Dies rechnete er sich zweifellos zugute. Seine glanzlose Verabschiedung empfand er als unwürdig und ungerecht. Er zog sich als Pensionär nach Berlin und nach Aschau im Chiemgau zurück. Als 1943/44 jüngere Offizier um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Henning von Tresckow und Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim neue Widerstandskreise gegen Hitler aufbauten, kam Halder noch einmal am Rande mit Hitlerkritikern im Kreis um den bayerischen Reichsstatthalter General Ritter von Epp und den früheren bayerischen Gesandten in Berlin, Franz Sperr, in Kontakt. Ein Gespräch mit Stauffenberg hatte offensichtlich bereits im Dezember 1942 zur Erkenntnis geführt, daß der frühere Generalstabschef in seiner resignierten Haltung für weitere Widerstandspläne nicht zur Verfügung stand. Zudem wurde Halder von der Gestapo beobachtet. Von dieser Observierung wußten die Verschwörer in Berlin um Beck, Goerdeler und Stauffenberg, so daß sie den Kontakt zu Halder mieden, um nicht unnötige Spuren zu hinterlassen.

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Vom Attentatsversuch gegen Hitler am 20. Juli 1944 wurde Halder überrascht. Im nachhinein kritisierte er dessen organisatorische und führungsmäßige Unzulänglichkeiten, gleichwohl sprach er den Akteuren um Stauffenberg seine besondere Hochachtung aus. Bereits am 21. Juli 1944 wurde Halder unter dem Vorwurf des Hochverrats in Aschau von der Gestapo verhaftet. Er kam ins Polizeigefängnis nach München und in die Konzentrationslager Dachau und Ravensbrück/Fürstenberg sowie in das SD-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin. Auch seine Ehefrau und die älteste Tochter wurden Mitte August 1944 in Sippenhaft genommen. Noch in der Einzelhaft erfolgte am 31. Januar 1945 Halders Entlassung aus dem aktiven Wehrdienst. Nach weiteren Haftstationen im Konzentrationslager Flossenbürg ab Februar 1945 und im Lager Dachau ab April 1945 sowie der Verschleppung nach Toblach wurden Halder und seine Frau am 5. Mai 1945 in Südtirol durch vorrückende US-Truppen aus der SD-Haft befreit. Danach erfüllte sich allerdings nicht die Hoffnung, sogleich in Freiheit nach Bayern zurückkehren zu können. Als Kriegsgefangener der Alliierten und ab 1. Juli 1946 als Zivilinternierter kam Halder über Italien und Frankreich in das Lager Falkenstein im Taunus. Als Zeuge trat er im Sommer 1946 im Nürnberger Prozeß und nochmals beim Nürnberger Nachfolgeprozeß gegen das OKW (im sogenannten „Fall XII“) auf. Wiederholt befürchteten Halder und seine Familie, er werde wie andere führende Militärs als Kriegsverbrecher in Nürnberg angeklagt. Mit Zufriedenheit registrierte er dann im September 1946, daß der Generalstab des Heeres von der Anklage, eine verbrecherische Institution gewesen zu sein, freigesprochen wurde. Wie viele andere Generale und Feldmarschälle wies Halder für sich als Angehöriger der militärischen Führungselite eine persönliche Schuld oder Mitschuld an Hitlers verbrecherischer Politik zurück. Es entsprach der Verteidigungslüge, die Verwicklung von OKW und OKH in die NS-Verbrechen insbesondere im Osten zu leugnen und die von Halder maßgeblich mitgeplante Aggression gegen die UdSSR als angeblich „militärische Notwendigkeit“ im Abwehrkrieg gegen den Bolschewismus zu bezeichnen. Die Nürnberger Prozesse waren für Halder dann auch „keine Stätte des Rechts, sondern der Politik“11. Das gegen ihn im September 1948 in München im Rahmen der allgemeinen „Entnazifizierung“ in Deutschland durchgeführte Spruchkammerverfahren fand in der deutschen Presse große Beachtung und unter stärkster Anteilnahme der Öffentlichkeit statt.12 Das Ergebnis, ihn als „nicht belastet“ einzustufen,13 wurde überwiegend begrüßt. Nur wenigen blieb unverständlich, daß sich ausgerechnet Halder, der beim Zustandekommen der „verbrecherischen Befehle“ beteiligt war, als uninformiert über das Wüten der SD-Einsatzgruppen hinter der Ostfront 1941/42 bezeichnete. Zudem

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konnte in seinem wieder aufgetauchten privaten Kriegstagebuch,14 das alsbald zur herausragenden Quelle für die Erforschung des Zweiten Weltkrieges bis 1942 wurde, sein Anteil an Mitarbeit, Mitschuld und Verstrickung bei den völkerrechtswidrigen Befehlen Hitlers überprüft werden. In dieser prekären Situation kam es Halder zugute, daß er seit Sommer 1946 für die Historische Abteilung der US-Armee als Leiter einer umfangreichen Forschungsgruppe von teilweise mehr als 150 deutschen Offizieren kriegswissenschaftliche Studien über den Verlauf des Zweiten Weltkrieges erstellte. In dieser Funktion setzte der frühere Generalstabschef alles daran, den Alliierten das fachliche Können der deutschen Generalstabsoffiziere und deren ‘saubere’ Denkweise in der Tradition von Clausewitz, Moltke, Schlieffen und Ludendorff ebenso wie die besondere „Kunst der deutschen Truppen- und Operationsführung“ zu beweisen. 15 Heeresführung und Generalstabsdienst wurden dabei als von Hitlers verbrecherischer Politik mißbrauchte Institutionen hingestellt. Letztlich hatte er damit Erfolg, so daß eine Revision gegen den Freispruch beim eigenen Entnazifizierungsverfahren verhindert werden konnte. Die US-Regierung unter Präsident Kennedy würdigte sogar im November 1961 den Abschluß der kriegsgeschichtlichen Studien unter Halder als Leiter der Control Group der „Historical Division“ und die langjährige, loyale Zusammenarbeit mit der Verleihung des „Meritorious Civilian Service Award“. Halder erlangte dadurch in den fünfziger und sechziger Jahren als Doyen der deutschen Kriegsgeschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg großen Einfluß. Vor dem Hintergrund der erlangten Anerkennung durch den ehemaligen Gegner hatte Halder für Vorwürfe wegen der NS-Verbrechen wenig Verständnis. Er sprach jüngeren Wissenschaftlern und Historikern die Fähigkeit ab, die schwierige Situation in der NS-Zeit erfassen zu können, die sowohl zur Opposition, zum Konflikt als auch in die Verstrickung mit Hitlers verbrecherischen Befehlen und dessen grausamer Politik führen konnte. Gleichwohl kritisierte er sehr deutlich die bekanntgewordenen Verbrechen, die in deutschem Namen und unter Verantwortung der Wehrmacht erfolgt waren. Er unterließ es aber, ein öffentliches Schuldbekenntnis abzugeben oder etwa im Rahmen der Niederschrift von Memoiren das Eingeständnis persönlicher oder institutioneller Verstrickung und Mitschuld zu erklären. So hinterließ er keine Erinnerungen, als er am 2. April 1972 in Aschau/Bayern im 88. Lebensjahr starb. Die Trauerfeier fand mit militärischen Ehren durch die Bundeswehr statt. Bei aller Anerkennung seiner persönlichen Leistung als Stratege der militärischen Operationen fällt heute das Urteil über Generaloberst Halder erheblich kritischer aus als in den ersten Jahren nach dem Ende des Dritten Reiches. Denn im Spannungsverhältnis zwischen Widerstand

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und Resignation auf der einen Seite und Anpassung sowie Mitwirkung auf der anderen Seite ist Halder in hohem Maße mitverantwortlich, daß der Soldat an der Front „Zubringerdienste für Henkersknechte“ leisten mußte,16 die nicht selten im Einzelfall zu schweren Gewissenskonflikten der Soldaten und Offiziere führten. Im vertraulichen Gespräch bekannte Halder allerdings, daß es falsch war, sich von Hitlers militärpolitischen Zielen „einfangen zu lassen“17 und daß auch er „auf diesem Gebiet schwere Fehler gemacht“ habe.18 Moralische und kriminelle Schuld beim verbrecherischen Wüten der Nationalsozialisten wies er für sich persönlich jedoch zurück. Er wich damit bis zu seinem Tod der Beantwortung der für die Kriegsgeneration so überaus wichtigen Frage nach der Verantwortung und dem Versagen der militärischen Funktionselite im Dritten Reich aus, so daß sein Bild trotz militärischer und menschlicher Qualitäten und Leistungen von großer Zwiespältigkeit geprägt bleibt.

Anmerkungen 1 Zur Biographie siehe Hartmann, Halder und Ueberschär, Generaloberst Halder. Der Verf. dankt Herrn Hans U. Stenger, Frankfurt, für freundliche Hinweise und Anregungen. 2 Halder, Die Halder in der Bayerischen Armee; Gräfin Schall-Riaucour, Aufstand und Gehorsam; Ueberschär, Generaloberst Halder, S. 9f. 3 Es trifft somit nicht zu, daß Halder katholisch war, wie gelegentlich behauptet wird und wie es auch Hitler vermutete. 4 BA-MA Freiburg, N 28/1: Brief Halders an Generalleutnant Beck v. 6. 8. 1934. 5 Heeresadjutant bei Hitler 1938–1943, S. 24; vgl. Ueberschär, Generaloberst Halder, S.24. 6 Archiv IfZ München, ZS/A 33/3: Stellungnahme von General Blumentritt, No vember 1946. 7 Halder, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 261 (28. 1. 1941). 8 Vgl. IMT, Bd. 28, S. 238ff. (Aussage Halders gegenüber dem US-Konsul R. H. Geist vom Dezember 1938). 9 Archiv IfZ München, ED 115/5: Aussage Jodls v. 22. 8. 1945; siehe ferner Ueberschär, Generaloberst Halder, S. 61f. 10 Halder, Kriegstagebuch, Bd.3, S. 28 (3. 7. 1941). 11 Ueberschär, Generaloberst Halder, S. 86, zit. nach Brief Halders in: BA-MA Freiburg, N 220/76. 12 Vgl. dazu die Sammlung im Archiv/Registratur S des Amtsgerichts München: Spruchkammerverfahren gegen Halder. 13 Ebenda: Urteil der Spruchkammer München X gegen Halder v. 19. 10. 1948. 14 Halder, Kriegstagebuch, 3 Bde. 15 BA-MA Freiburg, N 220/80; ebenda 118: Halders Ansprache vor US-Offizieren

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in Washington v. 6. 12. 1955; vgl. dazu Ueberschär, Generaloberst Halder, S. 82ff.; Wegner, Erschriebene Siege, S. 287ff. 16 Briefwechsel Halder mit Heinrich Uhlig in: BA-MA Freiburg, N 220/88 und 85 (Brief von Uhlig an Halder v. 17. 11. 1963). 17 Ebenda, N 220/91: Briefwechsel Halder mit Helmut Krausnick v. 10. 2. 1956. 18 Ebenda, N 220/88: Halder an Uhlig v. 3. 2. 1954.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 220: Nachlaß Halder; ebenda, RH 2: OKH, Generalstab des Heeres; Bayerisches Hauptstaatsarchiv/Kriegsarchiv München, OP 41450: Personalunterlagen; Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München, ZS 240: Zeugenschrifttum; Amtsgericht München, Registratur S: Akten zum Spruchkammerverfahren gegen Halder. Gedruckte Quellen und Literatur Bor, Peter: Gespräche mit Halder. Wiesbaden 1950. Burdick, Charles B.: Vom Schwert zur Feder. Deutsche Kriegsgefangene im Dienst der Vorbereitung der amerikanischen Kriegsgeschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg. Die organisatorische Entwicklung der Operational History (German) Section. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen Bd.10/1971, S.69–80. Erfurth, Waldemar: Generaloberst a.D. Halder zum 70. Geburtstag. In: Wehrwissenschaftliche Rundschau 4 (1954), S.241–251. Halder, Franz: Hitler als Feldherr. Der ehemalige Chef des Generalstabes des Heeres berichtet die Wahrheit. München 1949. Halder, Generaloberst Franz: Kriegstagebuch. Tägliche Aufzeichnungen des Chefs des Generalstabes 1939–1942. Bearb. v. Hans-Adolf Jacobsen in Verb. mit Alfred Philippi. 3 Bde., Stuttgart 1962–64. Halder, Max: Die Halder in der Bayerischen Armee 1689 bis 1910. Entwicklungsgeschichte einer bayerischen Offiziersfamilie. Erlangen 1911. Hartmann, Christian: Halder. Hitlers Generalstabschef 1938–1942. Paderborn 1991. Ders.: Franz Halder – Der verhinderte Generalstabschef. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin 1995, S. 209–222. Ders.u. Sergej Slutsch: Franz Halder und die Kriegsvorbereitungen im Frühjahr 1939. Eine Ansprache des Generalstabschefs des Heeres. In: VfZG 45 (1997), S. 467– 495. Horn, Martin: Halder. Schuld oder Tragik? München 1948. Leach, Barry A.: Halder. Colonel-General Franz Halder. In: Hitler’s Generals. Ed. by Correlli Barnett. London 1989, S. 101–126.

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Müller, Klaus-Jürgen: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933–1940. Stuttgart 1969, 2. Aufl. 1988. Schall-Riaucour, Heidemarie Gräfin: Aufstand und Gehorsam. Offizierstum und Generalstab im Umbruch. Leben und Wirken von Generaloberst Franz Halder, Generalstabschef 1938–1942. Wiesbaden 1972. Ueberschär, Gerd R.: Generaloberst Franz Halder. Generalstabschef, Gegner und Gefangener Hitlers. Göttingen 1991. Ders.: Generaloberst Halder im militärischen Widerstand 1938–1940. In: Wehrforschung H. 1/1973, S.20–31. Ders.: General Halder and the Resistance to Hitler in the German High Command 1938–40. In: European History Quaterly 18 (1988), S.321–347. Bernd Wegner: Erschriebene Siege. Franz Halder, die „Historische Division“ und die Rekonstruktion des Zweiten Weltkrieges im Geiste des deutschen Generalstabes. In: Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Festschrift für Klaus-Jürgen Müller. Hrsg. v. Ernst Willi Hansen, Gerhard Schreiber und Bernd Wegner. München 1995, S. 287–302.

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SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS Paul Hausser* Paul Hausser, der die militärische Entwicklung der Waffen-SS wahrscheinlich stärker beeinflußte als irgend jemand sonst, wurde am 7. Oktober 1880 in Brandenburg als Sohn eines preußischen Offiziers geboren.1 Er wurde in der Kadettenanstalt Berlin-Lichterfelde ausgebildet und trat 1899 als Leutnant in das 155. Infanterieregiment in Ostrow/Posen ein. Nachdem er dort acht Jahre Dienst getan hatte, besuchte er von 1907 bis 1912 die Kriegsakademie. 1912 wurde er in den Großen Generalstab versetzt und 1914 zum Hauptmann befördert. Während des Ersten Weltkriegs war er in verschiedenen dienstlichen Funktionen als Generalstabsoffizier tätig. Er kämpfte in Frankreich, Kurland und Rumänien und erhielt zahlreiche Tapferkeitsauszeichnungen. Nach Kriegsende gehörte er einem Freikorps an der Ostgrenze an, bevor er 1920 in das Reichsheer übernommen wurde.2 Von 1930 bis 1932 war er Infanterieführer IV und stellvertretender Kommandeur der 4. Infanteriedivision. Im Januar 1932, im Alter von 51 Jahren, wurde Generalmajor Hausser mit dem Ehrenrang eines Generalleutnants in den Ruhestand versetzt. 3 Jetzt engagierte sich Hausser, der immer ein leidenschaftlicher Nationalist gewesen war, für den Nationalsozialismus. Nach vorübergehender Tätigkeit als ‘Stahlhelm’-Führer war er SA-Standartenführer im Gebiet Berlin-Brandenburg, als ihm Heinrich Himmler, der Reichsführer-SS, 1934 die Ausbildung der SS-Verfügungstruppe (SS-VT) – der Keimzelle der späteren Waffen-SS – anbot. Im November 1934 wurde Hausser als Standartenführer in die SS übernommen. Seine erste Aufgabe war die Leitung der SS-Führerschule in Braunschweig. In der SS-VT fand Hausser begeisterte, aber unausgebildete junge Nationalsozialisten vor, die dem ‘Führer’ fanatisch ergeben waren. Man brauchte und schätzte die Führungs- und Organisationserfahrung des ehemaligen Generalstabsoffiziers Hausser. Rasch machte er das Ausbildungsprogramm der Schule zu einem Modell, das nicht nur von anderen SS-Führerschulen, sondern von Unteroffiziers- und Waffenschulen im gesamten Reich – später in ganz Europa – kopiert wurde. Unter seiner Führung übertraf die SS-Elite bald alles, was das Heer auf den Truppenübungsplatz schicken konnte – wenigstens dem Anschein nach. Himmler war so beeindruckt, daß er Hausser * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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zum Inspekteur der SS-Führerschulen ernannte, dem die Junkerschulen in Braunschweig und Bad Tölz sowie die SS-Ärztliche Akademie in Graz unterstanden. Am 20. April 1936 wurde er zum SS-Oberführer, fünf Wochen später zum SS-Brigadeführer befördert. Im Oktober desselben Jahres wurde Hausser – aufgrund der rapiden Expansion der SS – zum Inspekteur der SS-Verfügungstruppe ernannt; damit war er für die militärische Ausbildung aller SS-Einheiten mit Ausnahme der ‘Totenkopf’-Verbände verantwortlich. Hausser erwies sich als intelligenter und großzügiger Ausbildungschef. Er sorgte beispielsweise dafür, daß die SS-VT als erste Truppe im Feld Tarnuniformen trug, und er hielt an dieser Entscheidung fest, obwohl die Soldaten des Heeres seine SS-Männer deswegen als „Laubfrösche“ verspotteten. Während der nächsten drei Jahre überwachte Hausser die Organisation, Entwicklung und Ausbildung der SS-Standarten „Deutschland“, „Germania“ und „Der Führer“ als motorisierte Verbände, die für die innenpolitische Sicherung des NS-Regimes vorgesehen waren. Im Spätsommer 1939 war Hausser gerade dabei, die erste Division der SS-VT aufzubauen; aber der Kriegsausbruch überraschte ihn, und nicht alle seine Einheiten hatten ihre Ausbildung abgeschlossen; deshalb war keine SS-Division als solche am Polenfeldzug beteiligt. Die erste vollständige Division der „Waffen-SS“ wurde am 10. Oktober 1939 aufgestellt; ihr Kommandeur war der soeben zum SS-Gruppenführer beförderte Paul Hausser.4 Ab Dezember 1939 wurde der Name „Waffen-SS“ dann auch offiziell verwendet. Im Frühsommer 1940 führte Hausser seine motorisierte Division ruhmreich bei der Eroberung von Holland, Belgien und Frankreich, wo er bis zur spanischen Grenze vorstieß. Aufgrund der Erfolge der Waffen-SS bei diesem Feldzug erlaubte Hitler im Winter 1940/41 die Aufstellung neuer Waffen-SS-Divisionen. Den Kern dieser Divisionen bildete die Division Haussers, die zuerst als Division „Deutschland“, seit Anfang 1941 als SS-Division „Das Reich“, später als 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“ bezeichnet wurde. Im April 1941 nahm diese Division an der Eroberung Jugoslawiens teil. Dann wurde sie in das Aufmarschgebiet für das „Unternehmen Barbarossa“, nach Polen, verlegt. Dort war ihr Umbildungsprozeß immer noch im Gange, als am 22. Juni 1941 der Angriff gegen die Sowjetunion begann. Haussers Division war an den Kesselschlachten im Bereich der Heeresgruppe Mitte beteiligt. Innerhalb von fünf Monaten hatte sie in schweren Kämpfen 40 Prozent Verluste. In der Schlacht bei Gjatsch erlitt Paul Hausser eine schwere Gesichtsverletzung und verlor das rechte Auge. Man brachte ihn nach Deutschland, wo er mehrere Monate brauchte, um zu genesen.

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Im Mai 1942 kehrte Hausser – seit Oktober 1941 SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS – als Kommandeur des neugeschaffenen SSPanzerkorps, das in Nordfrankreich stationiert war, zur Truppe zurück. Damit war er der erste SS-Führer, der Kommandierender General eines Armeekorps der Waffen-SS wurde. Ihm unterstanden die 1., 2. und 3. SS-Division, die jetzt zu modern ausgestatteten Panzergrenadier-Divisionen („Leibstandarte Adolf Hitler“, „Das Reich“ und „Totenkopf“) umgerüstet wurden. Im Januar 1943, als die Ostfront in größter Gefahr war, beorderte Hitler das SS-Panzerkorps schleunigst von Frankreich nach Charkov, zur viertgrößten Stadt der Sowjetunion, die aus Prestigegründen „bis zum letzten Mann“ gehalten werden sollte. Am 15. Februar mittags war Hausser von zwei sowjetischen Armeen nahezu eingeschlossen. Anstatt seine beiden Elite-SS-Divisionen (die Division „Totenkopf“ war noch nicht in Rußland eingetroffen) zu opfern, befahl Hausser seinem Korps, nach Südwesten auszubrechen – ohne sich um die Befehle Hitlers oder der Heeresgenerale zu kümmern. Haussers direkter Vorgesetzter, General Hubert Lanz, war entsetzt: Ein Führerbefehl wurde bewußt nicht befolgt! Deshalb funkte er an Hausser: „Charkov ist unter allen Umständen zu verteidigen!“5 Hausser ignorierte auch diesen Befehl. In den Morgenstunden des 16. Februar zog sich die letzte deutsche Nachhut aus Charkov zurück. Hausser hatte durch seine Entscheidung auch die 320. Infanteriedivision des Heeres sowie die bewährte Panzergrenadierdivision „Großdeutschland“ gerettet. Die Frage war nun: Wie würde Hitler auf diese bewußte Befehlsverweigerung reagieren? Die Mentalität Adolf Hitlers verlangte nach einem Sündenbock für diese jüngste Katastrophe; aber Hausser eignete sich dafür nicht. Er war schließlich SS-Offizier und Träger des Goldenen Parteiabzeichens, das Hitler ihm gerade drei Wochen zuvor verliehen hatte. An seiner Stelle entließ Hitler keinen anderen als Hubert Lanz – eben den General, der bis zuletzt darauf bestanden hatte, daß der Befehl des ‘Führers’ zu befolgen sei.6 Hitler verzieh Hausser jedoch nicht sofort, selbst als Berichte allen Einsichtigen bewiesen, daß Hausser richtig gehandelt hatte. Zur Strafe wurde ein Vorschlag, Hausser mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz auszuzeichnen, bis Juli 1943 nicht ausgeführt. Inzwischen ersann Generalfeldmarschall von Manstein, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, einen glänzenden Plan, um den Südabschnitt der Ostfront zu stabilisieren. Er ließ die Sowjets vorwärtsdrängen und hielt seine Panzerverbände für eine massive Gegenoffensive zurück. Dieses Manöver erforderte eine Zangenbewegung, um den massierten Durchbruch der Sowjets südlich von Charkov zu stoppen; danach wollte man versuchen, die Stadt zurückzuerobern. Hausser, mittlerweile durch die SS-Division

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„Totenkopf“ verstärkt, sollte den linken Flügel der Zangenbewegung kommandieren. Diese dritte Schlacht von Charkov begann am 19. Februar 1943. Die Kämpfe waren erbittert, aber am 9. März waren die 6. sowjetische Armee samt der Panzergruppe Popow vernichtet. Am folgenden Tag drangen Haussers Angriffsspitzen wieder in die brennende Stadt Charkov ein und eröffneten eine der umstrittensten Schlachten dieses Generals. Die meisten Militärhistoriker sind sich darüber einig, daß Charkov zu diesem Zeitpunkt für die Rote Armee bereits verloren war und daß Hausser die Stadt hätte einschließen sollen; statt dessen griff er sie von Westen her frontal an und ließ sich auf sehr verlustreiche Straßenkämpfe ein, die bei dem fanatischen Widerstand der Sowjets sechs Tage lang dauerten. Im Juli 1943 stellte Hausser dann seinen militärischen Ruf wieder her – in der Schlacht von Kursk („Unternehmen Zitadelle“), der größten Panzerschlacht der Geschichte. Seine Truppe, jetzt als II. SS-Panzerkorps bezeichnet, stieß dabei weiter vor als irgendein anderer deutscher Verband und vernichtete über 1000 sowjetische Panzer. Trotzdem erlitten die Deutschen bei Kursk eine Niederlage. Am 25. Juli 1943 kam der Sturz des italienischen Diktators Benito Mussolini hinzu. Sofort ordnete Hitler die Verlegung des II. SS-Panzerkorps nach Norditalien an, obgleich am Ende nur das Hauptquartier und die 1. Panzergrenadierdivision die Ostfront verließen. Hausser blieb bis Dezember 1943 in Italien, wurde jedoch nicht in Kämpfe verwickelt. Dann wurde er nach Frankreich versetzt, wo sein Korpsstab die neu aufgestellten SS-Panzerdivisionen „Hohenstaufen“ und „Frundsberg“ übernahm. Das Korps Haussers sollte bis zu der erwarteten „D-Day“-Invasion in Reserve gehalten werden. Als aber im April 1944 die 1. Panzerarmee in Galizien eingeschlossen war, holte man das II. SS-Panzerkorps an die Ostfront zurück, um sie zu retten, was auch gelang. Anstatt das SS-Korps nun aber nach Frankreich zurückzuschicken, verlegte Hitler es nach Polen, wo es eine Reserve gegen die Russen bildete. Erst am 11. Juni – fünf Tage nach den Landungen der Alliierten in der Normandie – beorderte Hitler das Korps nach Frankreich zurück, wo es einen Abschnitt westlich von Caen zugewiesen bekam. Die Schlacht um die Normandie war die schwierigste und härteste in der Karriere Haussers. Zahlenmäßig weit unterlegen, stand er einem Feind gegenüber, der die Luft und das Meer unangefochten beherrschte und es ihm fast unmöglich machte, seine Truppen zu bewegen oder ihnen Nachschub zuzuführen. Nichtsdestoweniger hielt Hausser, trotz schwerer Verluste, seine Stellungen. Unterdessen befand sich die linke Hälfte der Front in der Normandie, für die Generaloberst Dollmann mit der 7. Armee verantwort-

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lich war, in ernsten Schwierigkeiten. Kurz nach dem Fall von Cherbourg erlag der schwerbedrängte Oberbefehlshaber einem Herzanfall. Seinen Posten übernahm Paul Hausser, der bald danach zum SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS befördert wurde. Er war damit der erste SS-Führer, der auf Dauer als Oberbefehlshaber einer Armee eingesetzt wurde.7 Die Armee Haussers war weit schwächer als die rechts von ihr stehende 5. Panzerarmee. Seine Divisionen wurden allmählich zurückgedrängt und langsam aufgerieben. Mitte Juli mußte Hausser zu taktischem Flickwerk greifen, um überhaupt noch eine Reserve bilden zu können. Der entscheidende Durchbruch der Alliierten in der Normandie erfolgte im Abschnitt Haussers am 25. Juli 1944. An diesem Tag warfen in der „Operation Cobra“ 2500 alliierte Flugzeuge etwa 5000 Tonnen hochbrisanten Sprengstoff, gelartiges Benzin (Napalm) und Phosphor auf eine Fläche von 15 Quadratkilometern und fügten so den Divisionen Haussers verheerende Verluste zu. Zweifellos verhielt sich Hausser gegenüber der ganzen „Operation Cobra“ falsch: er hatte es versäumt, die Panzerdivisionen aus der Front in die rückwärtige Reserve zu ziehen, wie es ihm Generalfeldmarschall von Kluge vorgeschlagen hatte. „Hausser beschränkte sich praktisch darauf, Ersatz für die Verluste, zusätzliche Artillerie, Nachschub und eine sichtbare Luftunterstützung anzufordern“, heißt es in der offiziellen US-Darstellung des Zweiten Weltkriegs. 8 Während des Kampfes kamen die rasch vorstoßenden US-Verbände bis auf wenige hundert Meter an den vorgeschobenen Gefechtsstand der 7. Armee – 5 km nördlich von Avranches – heran. Derart abgeschnitten, mußten Hausser und viele seiner hohen Stabsoffiziere versuchen, zu Fuß durch die Zwischenräume der amerikanischen Wagenkolonnen zu entkommen. So konnte Hausser nichts unternehmen, um den Verlauf der Schlacht zu beeinflussen. Als Kluge schließlich vom Ausmaß der Katastrophe der 7. Armee erfuhr, erreichte seine Unzufriedenheit mit der Führung dieser Armee ihren Höhepunkt. Da er nicht befugt war, den SS-General abzulösen, entließ er den Stabschef Haussers und den Kommandierenden General des LXXXIV. Armeekorps und ersetzte sie durch eigene Leute.9 Aber die Schlacht war längst verloren. Als die 3. Armee des US-Generals Patton die 5. Panzerarmee und die 7. Armee südlich von Caen einzuschließen drohte, widersetzte sich Hausser – zusammen mit Kluge – dem unrealistischen Plan Hitlers, neun dezimierte Panzerdivisonen am westlichen Rand der Frontausbuchtung zu konzentrieren, um nach Westen bis zur Küste durchzustoßen und Patton abzuschneiden. Statt dessen wollten Kluge und Hausser sich hinter die Seine zurückziehen. Kluge konnte sich aber nicht durchsetzen, und es ist bezeichnend,

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daß auf Hitlers Befehl der letzte Versuch, die Westküste zu erreichen, von einer ad hoc gebildeten Panzergruppe unter General Heinrich Eberbach, dem früheren Oberbefehlshaber der 5. Panzerarmee, durchgeführt wurde – nicht von Hausser. Auf jeden Fall scheiterte dieser Versuch, und das Gros der Heeresgruppe B wurde am 17. August im Kessel von Falaise eingeschlossen. Hausser, der sich mit seinen Männern noch im Kessel befand, befahl allen kampffähigen Einheiten, in der Nacht vom 19./20. August in einzelnen Kampfgruppen auszubrechen. Es war charakteristisch, daß er persönlich dabei die Führung übernahm. Diese Entscheidung Haussers rettete etwa ein Drittel seiner Armee. Der General selbst schloß sich der 1. SS-Panzerdivision „Leibstandarte Adolf Hitler“ an und marschierte am 20. August mit umgehängter Maschinenpistole, als ihn eine amerikanische Granate schwer verwundete. Einigen Männern der „Leibstandarte“ gelang es schließlich, ihn hinter die deutschen Linien zurückzubringen, so daß er versorgt werden konnte und in ein Lazarett in Greifswald kam. Sechs Tage nach seiner Verwundung erhielt Hausser das Eichenlaub mit Schwertern zum Ritterkreuz. Er konnte jedoch erst am 23. Januar 1945 wieder an die Front zurückkehren, wo er den Oberbefehl über die Heeresgruppe Oberrhein übernahm. Schon sechs Tage später wurde diese aufgelöst, und er wurde Oberbefehlshaber der Heeresgruppe G mit dem Auftrag, Süddeutschland zu verteidigen. Der Krieg war jedoch längst verloren, und Hausser blieb kaum etwas anderes übrig, als sich in hinhaltenden Kämpfen durch das Saarland und die Pfalz zurückzuziehen. Im Februar 1945 erließ Hausser einen berüchtigten und radikalen Durchhaltebefehl, der die sofortige Erschießung eigener versprengter Soldaten androhte.10 Auch er schien bemüht, den „Endkampf um das Reich“ zu verlängern. Bald aber war Hausser nicht nur von der NS-Führung völlig enttäuscht, sondern auch durch Hitlers ständiges Eingreifen in Details seiner militärischen Operationen verärgert. Das persönliche Verhältnis zwischen den beiden Männern, das sich seit der zweiten Schlacht um Charkov allmählich verschlechtert hatte, erreichte im Frühjahr 1945 einen neuen Tiefpunkt. Am 30. März 1945 äußerte Hitler, weder Sepp Dietrich noch Hausser zählten zu den großen operativen Begabungen.11 Drei Tage später schlug Hausser vor, eine Lücke zwischen der 1. und der 7. Armee durch einen weiteren Rückzug nach Süddeutschland zu schließen. Unverzüglich enthob ein wütender Hitler Hausser seines Kommandos und ersetzte ihn durch den General der Infanterie Friedrich Schulz. Für die restlichen Wochen des Krieges war Hausser unbeschäftigt; im Mai ergab er sich in Österreich den Amerikanern. Bei den Nürnberger Prozessen war er 1946 der wichtigste Entlastungszeuge für die Waffen-SS, indem er aussagte, seine Männer seien Soldaten wie alle anderen gewesen. Trotzdem wurde die gesamte SS, einschließlich der Waffen-SS, als

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„verbrecherische Organisation“ verurteilt. Hausser selbst blieb bis 1948 im Gefängnis. Paul Hausser war weitgehend verantwortlich für die Entwicklung der Waffen-SS zu einer starken bewaffneten Macht, die von ihm maßgeblich geprägt worden war. Gern stellte er sie als vierten Zweig der Wehrmacht dar, die im Grunde von anderen SS-Organisationen unabhängig gewesen sei, obwohl es einen Personalaustausch zwischen Waffen-SS und KZ-Wachmannschaften gab. Als General war Hausser ein überdurchschnittlicher Divisionskommandeur und ein begabter – manchmal sogar glänzender – Korpskommandeur. Dagegen gab seine Leistung als Oberbefehlshaber der 7. Armee in der Normandie Anlaß zu Kritik. Hausser besaß nicht nur persönlichen Mut, sondern auch Zivilcourage: Oft trotzte er ‘Führerbefehlen’, weil er seine Männer nicht sinnlos opfern wollte. In der Nachkriegszeit war er aktives Mitglied der ‘Hilfsorganisation der Waffen-SS auf Gegenseitigkeit’ (HIAG), besuchte häufig Veranstaltungen von Veteranen der Waffen-SS und verfaßte zahlreiche Artikel für deren Zeitschrift („Wiking-Ruf“, später „Der Freiwillige“). 1953 schrieb er sein erstes Buch, „Waffen-SS im Einsatz“, das er 1966 erweiterte und mit dem Untertitel „Soldaten wie andere auch“ versah. Er starb am 21. Dezember 1972, im Alter von 92 Jahren, in Ludwigsburg.12 An seiner Bestattung nahmen einige Tausend seiner ehemaligen Soldaten der Waffen-SS teil.

Anmerkungen 1 Sein Vater, Kurt Hausser, stieg bis zum Rang eines Majors auf. Vgl. dazu und zum Folgenden Krätschmer, Die Ritterkreuzträger, S. 159; ferner Preradovich, Die Generale der Waffen-SS, S.26 f. 2 Yeager, Hausser, S.10. 3 Ebenda. 4 Bender/Taylor, Uniforms, Organization and History, Bd. II, S.80. 5 Carell, Verbrannte Erde, S.162. 6 Bis zum Fall von Charkov war Lanz Kommandeur der ad hoc gebildeten „Armee-Abteilung Lanz“, zu der Reste der Heeresgruppe B und das Korps Haussers gehörten. Lanz wurde durch Werner Kempf abgelöst. Kurz darauf wurde die ArmeeAbteilung zur 8. Armee aufgewertet. Lanz übernahm den Befehl über das XXII. Gebirgsjägerkorps. 7 Der erste SS-Führer, der vorübergehend den Oberbefehl über eine Armee erhielt, war Sepp Dietrich, der am 9. und 10. Juni 1944 als Vertreter des schwerverwundeten Generals Geyr v. Schweppenburg die Reste der Panzergruppe West (später 5.Panzerarmee) führte. 8 Blumenson, Breakout and Pursuit, S. 226. 9 Ebenda, S. 328. An die Stelle von Generalmajor Max Pemsel, Haussers Chef des

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Stabes, trat Oberst i. G. Rudolf-Christoph v. Gersdorff. Generalleutnant Otto Elfeldt übernahm vorübergehend das Kommando über das LXXXIV. Armeekorps; er geriet am 20. August in Gefangenschaft. Der Mann, den er ablöste, Dietrich v. Choltitz, wurde drei Tage nach seiner Ablösung zum General der Infanterie befördert. Als Wehrmachtsbefehlshaber in Groß-Paris übergab er die Stadt am 24. August 1944 kampflos. 10 BA-MA Freiburg, RH 20–19/196. 11 Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 15, S.649. 12 Krätschmer, Die Ritterkreuzträger, S.181.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA Koblenz und BA-MA Freiburg: kleine Erwerbungen und Sammlungen; N 756: Sammlung Vopersal zur Geschichte der Waffen-SS, RS-1: Kommandoamt der Waffen-SS, RS-2: SS-Panzerkorps, RS-3: SS-Divisionen; BA Berlin-Lichterfelde: SSUnterlagen und Personalakte Hausser. Gedruckte Quellen und Literatur Befehl des Gewissens. Charkow Winter 1943. Hrsg. v. Bundesverband der Soldaten der ehem. Waffen-SS e.V. Osnabrück 1976. Bender, Roger J. /Hugh P. Taylor: Uniforms, Organization, and History of the WaffenSS. Mountain View 1969–82. Blumenson, Martin: Breakout and Pursuit. Washington DC 1969. Carell, Paul: Scorched Earth. New York 1964. Goebbels Tagebuch 1945. Die letzten Aufzeichnungen. Hamburg 1977. Hausser, Paul: Waffen-SS im Einsatz. Göttingen 1953. Ders.: Soldaten wie andere auch. Der Weg der Waffen-SS. Osnabrück 1966. Höhne, Heinz: Der Orden unter dem Totenkopf, Gütersloh 1967. Klietmann, Kurt: Die Waffen-SS. Eine Dokumentation. Osnabrück 1965. Koehl, Robert: The Black Corps. Madison 1983. Krätschmer, Ernst-Günther: Die Ritterkreuzträger der Waffen-SS. Preußisch Oldendorf 1983. Mathias, Karl-Heinz: Paul Hausser. Generaloberst der Waffen-SS. Riesa 2002. Prerodovich, Nikolaus v.: Die Generale der Waffen-SS. Berg am See 1965. Seaton, Alfred: The Fall of Fortress Europe 1994–1945. York 1981. Stadtler, Sylvester: Die Offensive gegen Kursk 1943. II. SS-Panzerkorps als Stoßkeil im Großkampf. Osnabrück 1980. Stein, Georg H.: Geschichte der Waffen-SS. Düsseldorf 1978. Wegner, Bernd: Hitlers politische Soldaten. Paderborn 1988. Yeager, Mark C.: SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS Paul Hausser. Winnipeg 1986.

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Generaloberst Hans Jeschonnek Jan Hans Wenzel Ernst Jeschonnek wurde am 9. April 1899 in Hohensalza/Westpreußen als Sohn des späteren Studiendirektors Dr. phil. Friedrich Karl Jeschonnek, Hauptmann der Reserve, und dessen Ehefrau Klara Emma Karoline geboren. Von 1905 bis April 1908 besuchte Jeschonnek die Bürgerschule in Bromberg, danach ein Jahr das dortige Gymnasium. Schon früh war sein Berufswunsch, Offizier zu werden1, und so trat er 1909 in die Kadettenanstalt Köslin/Pommern ein. Im April 1913 wechselte er in die Kadettenanstalt Groß-Lichterfelde bei Berlin über. Nach Ausbruch des Krieges meldete er sich am 10. August 1914 als Fähnrich aus der Obersekunda zum Kriegseinsatz. Als er im Herbst 1914 zum Leutnant befördert wurde, war er gerade 15 Jahre alt. Er kämpfte an der Westfront und wurde im Oktober 1915 verwundet. Im November 1916 übertrug ihm sein Regimentskommandeur die Führung einer Maschinengewehr-Kompanie. Sommer 1917 meldete sich Jeschonnek zur Fliegertruppe und wurde zum Flugzeugführer ausgebildet, bis er im Frühjahr 1918 zur Jagdstaffel 40 versetzt wurde. Bis zum Kriegsende errang er zwei Luftsiege und erhielt das Eiserne Kreuz I. Klasse. Nach dem Krieg flog Jeschonnek bis Anfang 1920 im niederschlesischen Grenzschutz in der Fliegerabteilung 401 in Gleiwitz und der Fliegerstaffel 129. Danach übernahm ihn die Reichswehr als Zugführer ins Reiterregiment 11: Auf Grund der Versailler Friedensvertragsbestimmungen durfte Deutschland keine Luftstreitkräfte unterhalten. 1924–1928 diente er im Heereswaffenamt, ab 1. 4. 1925 als Oberleutnant. Als planmäßiger Hilfsoffizier der Abteilung T-3 im Truppenamt beim Reichswehrministerium ab solvierte Jeschonnek 1928–1931 eine Führergehilfenausbildung, 1930 unterbrochen durch eine Blindflugausbildung bei der Deutschen Verkehrsflie gerschule Braunschweig. Sein fliegerisches Können wurde als „guter Durchschnitt“ beurteilt. Als Hauptmann (ab 1. 6. 1932) gehörte Jeschonnek ab Februar 1933 zur Inspektion der Waffenschulen (L) und zwei Monate später zum Luftschutzamt. Am 21. August 1933 schied er aus dem Heer aus, um zum Reichsluftfahrtministerium als Führungsstabsoffizier (Adjutant) beim Staatssekretär Milch2 und Verbindungsoffizier zum Reichswehrministerium überzutreten. In dieser Position erhielt er am 1. 4. 1935 die Beförderung zum Major. Der rasche Aufbau der Luftwaffe förderte auch Jeschonneks Karriere. Am 1. 4. 1936 erhielt er das Kommando über die Fliegergrup-

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pe Greifswald (II./K.G. 152 „Hindenburg“) und den dortigen Fliegerhorst. Wenige Monate später folgte die Lehrgruppe Greifswald. Daraus entstand am 1. 10. 1936 das Lehrgeschwader 1. Ihr erster Kommodore war Jeschonnek. Wegen dreier Totalverluste im Übungsbetrieb beim zu tiefen Fliegen über See kam es allerdings zur Zerrüttung des bisher guten Verhältnisses zum Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium Milch3. Als Oberstleutnant (1. 4. 1937) wurde Jeschonnek am 1. 10. 1937 zum Chef der Operationsabteilung des Generalstabs der Luftwaffe ernannt. Damit trat er in den Kreis der Offiziere ein, die den Auf- und Ausbau der jungen Luftwaffe unter Göring, ihre Organisation und Ausbildung maßgeblich beeinflußten. Am 1. 2. 1938 stieg Jeschonnek zum Chef des Führungsstabes des Generalstabs der Luftwaffe auf und wurde am 1. 11. 1938 Oberst. Am 1. 2. 1939 ernannte Göring den 39jährigen zum Chef des Generalstabs der Luftwaffe. Die Beförderung zum Generalmajor folgte am 14. 8. 1939. Das war ein wahrhaft kometenhafter Aufstieg eines Offiziers, der durch seine kritiklose Verbundenheit mit dem NS-Regime ermöglicht wurde. Richard Suchenwirth, Autor der einzigen Biographie Jeschonneks, bemerkt: „Vom Oberst angefangen war seine Beförderung jedenfalls überstürzt und nicht mehr gesund. Sie war und wurde sein Schicksal!“4 Jeschonneks Jugend war in den Augen Görings zunächst keineswegs von Nachteil. Dieser war im Gegenteil „glücklich“, einen so jungen Generalstabschef zu haben. Er war ihm auch deshalb willkommen, weil er zunächst als potentieller Konkurrent bei Hitler ausschied. Auch dieser war von der Jugendfrische Jeschonneks begeistert. Ihm gefiel die ausgesprochen soldatische Erscheinung des jungen Offiziers. Auf Jeschonnek wirkte Hitler „wie ein geheimnisvoller Magnet“. Der Diktator war in seiner spartanischen Lebensführung sein Ideal. Trotz seiner mangelhaften Sachkenntnis in Luftwaffenfragen und seines pompösen schauspielerhaften Auftretens übte aber auch Göring auf seinen Kreis von Untergebenen eine seltsame Anziehungskraft aus, gegen die auch Jeschonnek nicht gefeit war, so sehr ihn Görings Gehabe während des Krieges irritiert haben mag. Ihm muß das selbst aufgefallen sein, denn er sagte einmal: „Ich kann nicht gegen Göring, ich bin Soldat!“5 Und dies war er auch, aber nur dieses6. Schließlich hatte er Göring viel zu verdanken. Bezeugt sind Jeschonneks militärisches Leistungsvermögen und Können. Generalleutnant Rieckhoff bescheinigt ihm eine rasche Auffassungsgabe und eine gute formale Intelligenz, die ihn schnell das Wesentliche einer Sache erkennen ließ. Seine Energie habe sich ausgewirkt in Fleiß und rascher Entschlußkraft. Rieckhoff bemängelte jedoch, daß es ihm an persönlichen Werten fehlte, um eine Rolle als Erzieher zu spielen. Wohl vermochte er sich als Vorgesetzter durchzusetzen und als Kamerad Achtung zu ver-

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schaffen. „Er besaß die Kraft und zeitweilig auch das diplomatische Geschick, um Göring und Hitler für seine Auffassung zu gewinnen, aber er verfügte nicht über die durchsetzerische Kraft, um sich diesen beiden Phantasten und Dilettanten der Kriegführung entgegenzustemmen.“7 Politisch hat sich Jeschonnek nie geäußert, aber er galt als treuer Gefolgsmann Hitlers.8 Dadurch, daß er zusammen mit Göring Hitler eine viel stärkere und schlagkräftigere Luftwaffe vorgaukelte, als diese wirklich war, hat er Hitler in seinen Aggressionsplänen bestärkt und trägt dadurch Mitschuld am Krieg. Verständlicherweise war es für Jeschonnek nicht leicht, sich gegenüber den anderen Führungskräften der Luftwaffe, den meist an Dienst- und Lebensalter überlegenen Generalen durchzusetzen. Nur mit dem späteren Feldmarschall von Richthofen und General der Flieger Otto Hoffmann von Waldau (1898–1943) bestand ein engeres Verhältnis. In der Luftwaffe gab es allerdings verschiedene Ansichten über die Freundschaft Jeschonneks mit von Richthofen. Generaloberst Kurt Student war überzeugt, daß diese nur eine „Vernunftsehe“ sei und keine echte Freundschaft, während von Richthofens Stabschef, Oberst i. G. Torsten Christ, von einer „herzlichen Freundschaft“ sprach. Dies bestätigte auch Jeschonneks langjährige Sekretärin, Frau Lotte Kersten.9 Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte ein Freundeskreis um Göring, gegen den der Generalstabschef nicht ankam. Zu diesem Kreis gehörten der Generaloberst Bruno Loerzer, der Staatssekretär Paul Körner und General der Flieger Karl Bodenschatz, Görings Verbindungsmann bei Hitler. Diese drei hatten kaum Verständnis für einen in so jungen Jahren zum Generalstabschef aufgestiegenen Offizier wie Jeschonnek. Nach dem Polenfeldzug verlieh Hitler Jeschonnek 1939 das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes und beförderte ihn bereits nach dem gewonnenen Frankreichfeldzug am 19. Juli 1940 „wegen hervorragender Verdienste in der Leitung der Operationen der Luftwaffe“ unter Überspringung des Generalleutnants zum General der Flieger. Als dann Görings Stern sank und die Luftwaffe an allen Fronten ins Hintertreffen geriet, erging sich Göring oft in ungehemmten Vorwürfen gegen seinen Generalstabschef.10 Für Jeschonneks Amtsführung war von wesentlicher Bedeutung, daß er Hitler für einen großen Staatsmann hielt und ein militärisches Genie, dessen Forderungen an die Luftwaffe zu erfüllen er für seine vornehmste Aufgabe hielt.11 Trotz seines raschen Aufstiegs fehlten Jeschonnek verschiedene für einen hohen militärischen Führer unerläßliche Eigenschaften: Menschenkenntnis, schöpferische Phantasie und Verständnis für Fragen der Technik und der Wirtschaft.12 Die daraus resultierende innere Unsicherheit führte dazu, daß sich Jeschonnek oft betont kurz gab, nicht aus sich herausging und eine ihm eigene Neigung zu sarkastischer Schärfe übertrieb. Eine andere Meinung

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konnte er diktatorisch ablehnen. Sein Führungsstil war dadurch gekennzeichnet, daß er sich von seinen Mitarbeitern „im allgemeinen wenig beraten ließ“. Aussprachen duldete er kaum. So bestand die Tätigkeit des Luftwaffenführungsstabes oft nur darin, Weisungen Hitlers, die Jeschonnek von den Lagebesprechungen mitbrachte, als Befehle auszufertigen und weiterzuleiten13. Jeschonneks war nicht besonders religiös. So verfügte er wohl über keine seelischen Reserven, als die Wende des Krieges sein tiefstes Vertrauen in die Führung zerbrach und seine bis dahin kometenhafte Laufbahn gefährdete – am 1. 2. 1942 war er zum Generaloberst befördert worden. Im Grunde war Jeschonnek, wie von Zeugen ausdrücklich bestätigt wird, ein einsamer Mensch.14 So fand der von Göring und Hitler enttäuschte und auch gesundheitlich angeschlagene Offizier keinen anderen Ausweg, als am 18. August 1943 freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Andere Gründe dürfte es für Jeschonnek nicht gegeben haben. Die Verbrechen des NS-Systems, von denen er sich bis zuletzt nicht distanzierte, waren nicht der Grund für seinen Freitod, vielmehr ließen ihm die fachlichen militärischen Probleme im anstehenden Krieg keinen Ausweg möglich erscheinen. Vergebens hatte er Göring um Ablösung gebeten. Generalleutnant Rieckhoff kam zu kritischer Bewertung der tragischen Persönlichkeit Jeschonneks: „Jeschonneks Fehler waren groß und zahlreich gewesen. Seine Mitschuld am Krieg steht außer Frage. Das Versagen der Heimatluftverteidigung im Sommer 1943 bot den äußeren Anlaß zu dramatischen Auseinandersetzungen zwischen ihm, Göring und Hitler […] Jeschonnek ging in den Tod, als die beiden Männer sich gegen ihn wandten. Jetzt warfen sie ihm seine Nachgiebigkeit, seine Bereitwilligkeit, mit der er alle Forderungen erfüllt hatte, vor. Sein ‘Ja-Sagen’ war seine größte Schuld. Sein freiwilliger Tod war sein erstes und letztes ‘Nein’.“15 Ähnlich wie im Fall des Todes von Generaloberst Ernst Udet wurde offiziell wahrheitswidrig bekanntgegeben, daß Generaloberst Je schonnek am 19. August 1943 „einem schweren Leiden“ erlegen sei. Auch eine tückische Krankheit „habe seine unerschöpfliche Arbeitskraft bis zur letzten Stunde nicht im geringsten lähmen“ können. Anmerkungen 1 Auch zwei Brüder Jeschonneks waren aktive Offiziere. Paul kam im Juni 1929 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Gert, 1912 geboren, trat 1930 in die Reichsmarine ein und war als Vizeadmiral von 1967 bis 1971 Inspekteur der Bundesmarine. 2 Suchenwirth, Hans Jeschonnek, S. 9. Milch hatte zu dieser Zeit ein gutes Verhältnis zu Jeschonnek und nannte ihn „Hänschen“. 3 Irving, Die Tragödie der deutschen Luftwaffe, S. 120 f.

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Suchenwirth, Hans Jeschonnek, S. 11. Ebenda, S. 135. 6 Ebenda, S. 21. 7 Rieckhoff, Trumpf oder Bluff, S. 87 f. 8 Ebenda, S. 89. 9 Suchenwirth, Hans Jeschonnek, S. 16. 10 Rieckhoff, Trumpf oder Bluff, S. 15. 11 Fischer, Über den Entschluß zur Luftversorgung Stalingrads, S. 36. 12 Aussage von General der Flieger a. D. Rudolf Meister (1897–1958) vom 20. 3. 1956. 13 Suchenwirth, Hans Jeschonnek, S. 25. 14 Fischer, Über den Entschluß zur Luftversorgung Stalingrads, S. 36. 15 Rieckhoff, Trumpf oder Bluff, S. 273. 4 5

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg Pers. 6/41: Personalakte Jeschonnek. Gedruckte Quellen und Literatur Boog, Horst: Die deutsche Luftwaffenführung 1935–1945. Stuttgart 1982. Fischer, Johannes: Über den Entschluß zur Luftversorgung Stalingrads. Ein Beitrag zur militärischen Führung im Dritten Reich. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2/1969, S. 7–67. Irving, David: Die Tragödie der Deutschen Luftwaffe. Aus den Akten und Erinnerungen von Feldmarschall Milch. Frankfurt a. M. 1970. Rieckhoff, Herbert J.: Trumpf oder Bluff? 12 Jahre deutsche Luftwaffe. Genf 1945. Suchenwirth, Richard: Hans Jeschonnek. Ein Versuch über Wesen, Wirken und Schicksal des vierten Generalstabschefs der deutschen Luftwaffe. Studiengruppe „Geschichte des Luftkrieges“. Karlsruhe 1957 (unveröffentlichte Studie). Völker, Karl-Heinz: Die deutsche Luftwaffe 1933–1939. Aufbau, Führung und Rüstung der Luftwaffe sowie die Entwicklung der deutschen Luftkriegstheorie. Stuttgart 1967.

Kenneth Macksey

Generaloberst Alfred Jodl* Am 16. Oktober 1946, um 2 Uhr morgens, wurde Generaloberst Alfred Jodl von den siegreichen Alliierten in Nürnberg gehängt. Er war nicht der einzige deutsche General, den man zum Tod verurteilte, er gehörte jedoch – wie sein Vorgesetzter, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel – zu den wenigen, die am Ende des großen Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses in allen vier Anklagepunkten für schuldig befunden wurden: Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Verschwörung (die den Bruch von Verträgen, die Planung eines Angriffskrieges, die Verfolgung und Ermordung von Menschen umfaßte), Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wie kam es, daß man diesen hervorragenden und einst angesehenen Generalstabsoffizier, den General Heinz Guderian einmal als „anständigen Mann“ bezeichnete, so unnachsichtig beurteilte und mit dem Tode bestrafte? Wie konnte ein glänzender Stabsoffizier, der sich an die Maxime hielt „Viel leisten, wenig scheinen“, so tief fallen? In Jodls frühen Jahren gab es keinerlei Hinweise auf verbrecherische Neigungen. Er stammte aus einer intellektuellen Familie, unter deren Vorfahren weit mehr Geistliche, Philosophen und Juristen waren als Soldaten. Der Vater war Artilleriehauptmann im bayerischen Heer, reichte jedoch seinen Abschied ein, als er eine Bauerntochter heiratete, die nicht den erforderlichen gesellschaftlichen Rang aufwies. Alfred Jodl, am 10. Mai 1890 in Würzburg geboren, wurde ebenfalls ein intelligenter und bescheidener junger Artillerieoffizier in bayerischen Diensten. Auch sein jüngerer Bruder Ferdi nand wurde Offizier und wie Alfred in der NS-Zeit General. Alfred Jodl war freilich zu beträchtlicher Verstellung fähig und von einem brennenden Ehrgeiz erfüllt. Dies zeigte sich zum ersten Mal, als er die große Chance ergriff und Irma Gräfin von Bullion heiratete, die fünf Jahre älter als er und eine reiche Erbin war. Von nun an konnte er, der sich in Adelskreisen bewegte und weniger mit finanziellen Sorgen belastet war, müheloser als mancher Angehörige des preußischen Landadels das Ziel eines jeden wirklich intelligenten Offiziers verfolgen: die Laufbahn eines Stabsoffiziers. Während des Ersten Weltkriegs bewährte er sich so hervorragend, daß ihn das Truppen* Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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amt der Reichswehr 1920 zu einem Führergehilfenlehrgang nach München einberief; und da er zu den zehn Jahresbesten aller Divisionen gehörte, wurde er schließlich in den elitären Berliner Führergehilfenlehrgang aufgenommen: er war auf dem Weg zum Generalstabsoffizier. In diesen Entwicklungsjahren wurde Jodl nach seiner eigenen Aussage stark von zwei bayerischen Landsleuten beeinflußt. Der wichtigste war sein Lehrer, General Wilhelm Adam, der – von dem späteren Reichswehrminster Kurt von Schleicher gefördert – 1929 Chef des Truppenamtes wurde. Dieser hatte eine starke Abneigung gegen die Nationalsozialisten, die Jodl während der zwanziger Jahre bis zu einem gewissen Grade teilte. Der andere Landsmann war Oberst Konstantin Hierl, ein überzeugter Nationalsozialist mit revolutionären Ideen, den von Seeckt entließ, als er den unannehmbaren Vorschlag machte, anstelle der vom Versailler Vertrag verbotenen allgemeinen Wehrpflicht eine allgemeine Arbeitsdienstpflicht einzuführen. Vielleicht geriet Jodl infolge seiner Verbindung mit Hierl in den Ruf eines Revolutionärs. Andererseits gibt es keinen Zweifel, daß Jodl – wie fast alle Offiziere der Reichswehr – eine starke Abneigung gegen die Kommunisten empfand, nachdem ihn die Nachkriegswirren, die in Bayern am schlimmsten gewesen waren, tief erschüttert hatten. Es war Adam, der Major Jodl in die wichtige Heeresabteilung T 1 des Truppenamtes brachte. Diese begehrenswerte Tätigkeit war denjenigen vorbehalten, die für höchste Positionen vorgesehen waren. Es war eine Zeit entscheidender institutioneller Veränderungen: Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg Hitler zum Reichskanzler; ferner machte er – als politisches Gegengewicht zu Hitler – General Werner von Blomberg anstelle Schleichers zum Reichswehrminister. Es war außerdem die Zeit, in der Hermann Göring und Erhard Milch mit der Aufstellung einer heimlichen Luftwaffe begannen. Jodl, ein kluger Beobachter, war daher Zeuge folgenschwerer Ereignisse: 1935 wurde aus dem Ministeramt das Wehrmachtamt, Blomberg erhielt den Titel eines Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht und berief General Walter von Reichenau zu seinem Chef des Stabes, zusammen mit dem ziemlich mittelmäßigen General Wilhelm Keitel, der „das Büro leiten“ sollte. Es war logisch, daß diese drei Generale, die an Hitler als potentiellen Retter Deutschlands und der Wehrmacht glaubten, sich von dem Hitlergegner Adam trennten und diesen durch den brillanten General Ludwig Beck ersetzten. Beck hatte, als Adam einmal über Hitler schimpfte, bemerkt: „vielleicht würde doch aus dem Trommler, Propagandisten und Volksverführer [Hitler], der beim Aufbau seiner Macht so große Fähigkeiten bewiesen habe, ein wirklicher Volksführer (…), dessen Staatsmannskunst sich weiter entwickeln würde“.1

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Beck, dem Jodl jetzt mit der für ihn charakteristischen beharrlichen Loyalität diente und den er außerdem immer mehr bewunderte, war Rheinländer und ebenfalls Artillerist. Er war seinerseits von Jodl beeindruckt und bezeichnete ihn in einem Dienstzeugnis als einen „Mann mit Zukunft“.2 Diese Zukunft ging, wie sich herausstellte, ganz auf in den laufenden Auseinandersetzungen zwischen dem Wehrmachtamt, dem Heer, der Kriegsmarine und der Luftwaffe über die Bildung eines gemeinsamen Oberkommandos für die drei Wehrmachtteile. Blomberg und Reichenau befürworteten diesen Gedanken. Aber die Oberbefehlshaber der drei Waffengattungen und ihre Generalstabschefs, vor allem Beck, waren davon keineswegs begeistert; denn es war offensichtlich, daß dadurch ihre Unabhängigkeit und besonders die politische Macht des Generalstabes des Heeres innerhalb der Militärhierarchie bedroht wurden. Diese Ereignisse bildeten jedoch lediglich den Hintergrund des Kampfes, der sich 1934 innerhalb der NSDAP abspielte: Hitler ließ Röhm, Schleicher und Bredow ermorden; Hindenburg starb und Adolf Hitler nahm den Titel „Führer und Reichskanzler“ an. Blomberg ließ die Wehrmacht einen neuen Treueid auf Hitler persönlich als den obersten Befehlshaber ablegen. Jodl gehörte bereits zu denjenigen, die wie Adam glaubten, Hitler bedeute Krieg. Auch Beck schwenkte zu dieser Meinung um und versuchte das Heer gegen Hitler zu stärken, obwohl dieses durch die Ablegung des Gefolgschaftseides für Hitler Anfang August 1934 schon in eine verhängnisvolle Abhängigkeit geraten war. In der Hoffnung, die Begeisterung für das kommende Oberkommando der Wehrmacht zu dämpfen, entsandte Beck 1935 den von ihm protegierten willensstarken Oberst Jodl ins Wehrmachtamt, damit er dort unter Blomberg und Keitel als Chef der Führungsabteilung arbeite. Er wurde freilich enttäuscht, denn Jodl wandte sich – kühl berechnend, wenn nicht instinktiv – von seinem bisherigen Gönner ab. Bald mußte Beck erkennen, daß Jodl sich ganz an Blomberg und den „großen K“ (so nannte Jodl seinen Chef manchmal in Briefen) band, daß er der Idee eines Oberkommandos für alle drei Wehrmachtteile zustimmte und daß er im Begriffe war, sich zu einem Bewunderer Hitlers zu entwickeln, obwohl er einstweilen mit dem ‘Führer’ noch wenig zu tun hatte. Es liegt auf der Hand, daß es Meinungsverschiedenheiten mit seinem alten Chef gab, die durch Keitels wachsende persönliche Abneigung gegen Beck noch verschlimmert wurden. Im Laufe der Zeit unterstützte Jodl seinen neuen Vorgesetzten Blomberg „geradezu leidenschaftlich“, wie Walter Warlimont bezeugte. Jodl stürzte sich so rückhaltlos in seine Arbeit im Wehrmachtamt, daß er 1937 sogar die Ernennung zum Chef des Generalstabes der Luftwaffe ausschlug. Er tat dies vielleicht deshalb, weil es für ihn einen Abstieg bedeutet hätte, unterhalb der expandierenden Organisation nahe der Machtspitze für Göring statt für

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Hitler zu arbeiten. Denn inzwischen war Jodl vom ‘Führer’ fasziniert und gänzlich davon überzeugt, daß ein Wehrmachtministerium – mit einem eigenen Generalstab – die einheitliche Kommandobefugnis über alle drei Wehrmachtteile übernehmen und damit dem Heer seine traditionelle Zuständigkeit für Militärpolitik und militärische Operationen entziehen sollte.3 Das durch diese Pläne hervorgerufene Gerangel erreichte einen Höhepunkt, als der verwitwete Blomberg zurücktrat, nachdem er eine ehemalige Prostituierte geheiratet hatte. Dieses politische Ereignis betrachtete ein schockierter Jodl als „entscheidende Stunde für das deutsche Volk“, um so mehr als es zusammenfiel mit der Ablösung des Oberbefehlshabers des Heeres, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, nachdem die SS ihn fälschlicherweise der Homosexualität beschuldigt hatte (Jodl fand diese Beschuldigung ebenso empörend und unglaubwürdig wie die gesamte übrige Generalität). Ein Wendepunkt war es sicherlich. Denn aufgrund dieser Ereignisse wurde Hitler nach komplizierten Verhandlungen, an denen Jodl beteiligt war, am 4. Februar 1938 selbst Reichskriegsminister und „Oberster Befehlshaber der Wehrmacht“; Keitel wurde Chef des neuen Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) im Range eines Reichsministers und Jodl Chef des Wehrmachtführungsamtes (ab 8. August 1940 „Wehrmachtführungsstab“).4 Den Weg zu dieser Lösung hatte eine Denkschrift eröffnet, die Warlimont ohne Rücksprache mit Blomberg oder Fritsch im September 1937 direkt an Hitler geschickt hatte. Damit verschaffte er dem ‘Führer’ reichlich Zeit, darüber nachzudenken, wie vorteilhaft es für ihn war, die Generale noch fester an die Kandare zu nehmen; und Hitler war mit dem Gedanken vollständig vertraut, als er den neuen Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Walther von Brauchitsch, überredete, „allem zuzustimmen“.5 Diese Denkschrift hatte auch zur Folge, daß Warlimont in das neugeschaffene OKW eintrat, wo er unter Jodl arbeitete. Als dieser zum Generalmajor befördert und im Oktober 1938 als Artilleriekommandeur 44 nach Wien versetzt wurde, übernahm Warlimont das Amt seines Chefs, der ihm recht sympathisch war.6 So begann Jodls enge Verbindung mit Hitler, die – abgesehen von dem einen Jahr als Artilleriekommandeur 44 – bis April 1945 dauern sollte. Zusammen mit Keitel wurde er im März 1938 sogleich in die überstürzte Besetzung Österreichs verstrickt. Wie Keitel unterstützte auch Jodl einige Monate später eifrig Hitlers Absicht, das Sudetenland zu besetzen, und mißbilligte die Haltung von Generalen wie Halder, die zusammen mit Brauchitsch einen Staatsstreich erwogen, um Hitler von einem nach ihrer Auffassung wenn nicht verfrühten, so doch sinnlosen Abenteuer abzuhalten. Damals vertraute er seinem Tagebuch deutliche Ansichten über die Generale und

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über Hitler an. Den Generalen warf er „mangelnde Seelenstärke“ und „Mangel an Gehorsam“ vor. Ihr Ungehorsam entspringe „letzten Endes ihrer Überheblichkeit. Sie können nicht mehr glauben und nicht mehr gehorchen, weil sie das Genie des Führers nicht anerkennen, in dem sie z. T. sicher noch den Gefreiten des Weltkrieges sehen, aber nicht den größten Staatsmann seit Bismarck.“7 Die Bedeutung dieses Tagebucheintrags liegt vielleicht in dem Umstand, daß Jodl damals Hitler im Fach Kriegskunst unterwies; während der Mahlzeiten saß er regelmäßig neben ihm und bildete ihn allmählich in Strategie und Taktik aus. Zwangsläufig wurde Jodl dabei mit der nationalsozialistischen Ideologie indoktriniert. Außerdem spielte er bei der Vorbereitung des von Hitler geplanten Krieges eine weit wichtigere Rolle als Keitel. Ein Artillerieoffizier des Ersten Weltkriegs ohne Kommandoerfahrung, der den Anschluß an die moderne Theorie der beweglichen Kriegführung verpaßt hatte, verführte einen Infanteriegefreiten des Ersten Weltkriegs, dessen militärisches Wissen nur durch vier Jahre Stellungskrieg geprägt war; dabei stand Jodl unter dem hypnotischen Einfluß eines rabiaten Demagogen. Es spricht einiges dafür, daß Jodl für die bizarre Führung des Krieges durch Hitler in weit höherem Maße verantwortlich war als gemeinhin angenommen. Für den kultivierten Jodl (der nicht nur rauchte, sondern auch gutes Essen und Trinken schätzte) war das Leben in der Nähe Hitlers nicht leicht; er mußte sich abfinden mit den langatmigen und schwülstigen Tischgesprächen des ‘Führers’, der weder rauchte noch Alkohol trank und sich an eine ausgefallene Diät hielt. Jodl begrüßte daher im Sommer 1939 die Ablösung von sechs Jahren Schreibtischarbeit und freute sich darauf, im Oktober das Kommando über die 4. Gebirgsdivision übernehmen zu dürfen – bis Keitel diese Hoffnung plötzlich zunichte machte, indem er ihn am 23. August, unmittelbar vor Kriegsausbruch, auf seinen alten Posten als Chef des Wehrmachtführungsamtes zurückberief. Anfänglich wurde der Anteil des OKW am Zweiten Weltkrieg überschattet durch die drei Wehrmachtteile, die dazu neigten, bei ihrem Handeln das OKW zu ignorieren. Als Hitler sich jedoch für den Angriff auf Polen entschied, bestand Jodl auf einer „Weisung“, um die Position des OKW durchzusetzen, obgleich diese Weisung lediglich bestätigte, was durch die Vorbereitungen auf den „Fall Weiß“ schon geregelt war. 8 Mit seinem kleinen Stab konnte das OKW kaum mehr tun, als Hitler bei denjenigen Gelegenheiten zu unterstützen, bei denen er die Strategie zu beeinflussen suchte, und im Zusammenhang mit der Verlegung von Truppen an die Westfront einfache Weisungen zu erlassen. Als jedoch ein Feldzug auf den anderen folgte, kam dem OKW eine immer beherrschendere Rolle zu. Während man die Durchführung des

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„Falles Gelb“ (den Angriff im Westen 1940) noch dem Heer überließ, entschied Hitler, von Großadmiral Raeder zur Besetzung Norwegens („Weserübung“) gedrängt, daß für diese kombinierte amphibische Operation das OKW zuständig sei, wobei Jodl die treibende Kraft hinter ihrer Planung und Durchführung war. Sehr wahrscheinlich veranlaßte Jodl den ‘Führer’ zu der Entscheidung, die „Weserübung“ bereits vor dem „Fall Gelb“ anlaufen zu lassen.9 Daraufhin übernahm Hitler die persönliche Befehlsgewalt, während Jodl die drei Wehrmachtteile koordinierte, das OKH ausschaltete und das Generalkommando XXI einsetzte, um im April 1940 die Operationen in Dänemark und Norwegen durchzuführen. „Weserübung“ war ein glänzender Erfolg, bei dem Jodl in großartiger Weise die Ruhe behielt, so oft ein hochgradig nervöser Hitler ein Chaos verursachte, wenn er dilettantisch auf allen möglichen Ebenen eingriff. Es kann kaum einen Zweifel geben, daß Jodl – nicht Hitler – den Norwegenfeldzug gewann.10 Bald sollten weitere ‘OKW-Kriegsschauplätze’ folgen. Das Überrollen Hollands, Belgiens und Frankreichs im Mai/Juni 1940 war ein Sieg des Heeres und der Luftwaffe, der vielleicht zu einem Triumph geworden wäre, wenn Keitel und Jodl hätten verhindern können, daß der ‘Führer’ dem berühmten Haltebefehl beipflichtete – was den britischen Truppen das Entkommen aus Dünkirchen ermöglichte. So wie die Dinge lagen, trugen Keitel und Jodl unterwürfig dazu bei, daß die unbedrohte Südflanke verstärkt wurde; dabei überging Jodl sogar das OKH und die Heeresgruppe A, indem er untergeordneten Verbänden direkt Befehle erteilte.11 Damit lieferte er zweifelhafte Argumente für Behauptungen, Hitler – nicht das Heer – habe letztlich den Sieg errungen (der in Wirklichkeit ein grandioser Fehler war). So wurde die Grundlage geschaffen für Hitlers Ruf als „Größter Feldherr aller Zeiten“. Infolge dieses Rufes konnte von jetzt ab niemand mehr Hitler im Zaum halten – nicht einmal seine bevorzugten Mitarbeiter wie Göring, Himmler und Ribbentrop, von Keitel oder Jodl ganz zu schweigen. Während Keitel fortan zu einem „Echo der Stimme seines Herrn“ absank, konnte der soeben zum General der Artillerie beförderte Jodl bestenfalls feinsinnige Varianten der großen Strategie Hitlers durchsetzen. So plädierte er etwa 1940 entschieden für eine Landung in England und unterstützte Raeder bei dem Versuch, die Herrschaft im Mittelmeerraum zu erkämpfen und Großbritannien auszuschalten, bevor sich Hitler 1941 in einen Zweifrontenkrieg gegen die Sowjetunion stürzte. Dieses fragwürdige Manöver führte jedoch, unter Mitwirkung Italiens, schon vor dem Angriff auf die Sowjetunion zu einem Mehrfrontenkrieg. Verführt durch seine eigenen ehrgeizigen Machenschaften und seine Doppelzüngigkeit, wurde Jodl – obgleich nie Mitglied der NSDAP – durch

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seine Beihilfe zu Hitlers barbarischen und verbrecherischen Maßnahmen ebenso korrumpiert wie nur irgendein Parteigenosse. Zusammen mit den übrigen hohen Offizieren der Wehrmacht hatte er am 22. August 1939 schweigend zur Kenntnis genommen, wie Hitler die Polen zu behandeln gedachte. Als Hitler am 30. März 1941 die Beseitigung von politischen Kommissaren der Roten Armee, von Bolschewisten und Juden forderte und sagte, die Wehrmacht brauche sich bei der Auseinandersetzung mit den Menschen des Ostens nicht an den Buchstaben des Kriegsstrafrechts oder der Disziplinarordnung zu halten, war Jodl bereits damit beschäftigt, entsprechende mörderische Befehle auszuarbeiten – auch wenn er das später beim Nürnberger Prozeß zu leugnen versuchte. Jodl hatte das Pech, Hitler näher zu sein, als es für ihn gut war. Da er sich unwiderruflich auf blinde Treue gegenüber einem Wahnsinnigen festgelegt hatte und sich durch den Soldateneid gebunden fühlte, wäre Selbstmord für ihn praktisch der einzige Ausweg gewesen, um dem Martyrium einer schlimmen Isolierung zu entfliehen. Vielleicht ahnte Jodl, daß es Verschwörungen zur Beseitigung Hitlers gab, doch er und Keitel waren die letzten Generale, die man aufgefordert hätte, sich an einem Attentat und damit an einem Wechsel des Regimes und der Politik zu beteiligen. Denn sie waren ebenso hoffnungslos verstrickt und durch die Verbrechen belastet wie die Nationalsozialisten. Jodls Streit mit Hitler wegen der Katastrophen bei Stalingrad, im Kaukasus und in Nordafrika im Februar 1943 verringerte nicht seine Loyalität gegenüber einem Mann, den er immer noch für ein Genie hielt. Aber seitdem waren seine Chancen, der Vernunft Geltung zu verschaffen, stark reduziert, wenn auch nur deshalb, weil sein Urteilsvermögen infolge seiner Isolierung von der wirklichen Welt beeinträchtigt war. Jodl, der nie eine starke Neigung verspürte, andere um Rat zu fragen, zog sich immer mehr zurück. Er machte nur selten Urlaub. Gelegentlich wurde er beauftragt, die Front zu inspizieren. Im November 1943, nach dem Tod seiner ersten Frau, nahm er eine Zeitlang Urlaub, um eine neue Ehe zu schließen. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944, bei dem er an Hitlers Seite verwundet wurde, harrte er in einer Atmosphäre des Schreckens einfach aus; er bestätigte weiterhin Hitlers zunehmend sinnlose Entscheidungen und führte immer noch seine Fehde gegen das OKH – eine Fehde, die infolge des rapiden Machtverlusts des Generalstabes des Heeres zur politischen Destabilisierung Deutschlands und zu dessen schließlicher Niederlage beitrug. Schon lange vor Kriegsende hatte Jodl seine militärische Tätigkeit in beträchtlichem Umfang der politischen Aktivität untergeordnet. Am 6. Juni 1942 verfaßte Jodl für das OKW einen wichtigen Bericht mit dem Titel

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„Wehrkraft 1942“, in dem er die beschränkte Situation Deutschlands glänzend und schonungslos analysierte; er faßte das Ergebnis zusammen in den Worten: „Wehrkraft geringer als im Frühjahr 1941.“ Im Zusammenhang mit der Reaktion auf dieses Dokument findet sich bei Warlimont die aufschlußreiche Bemerkung: es sei zweifelhaft, ob Hitler diese Analyse überhaupt zu Gesicht bekam; denn Keitel habe wohl kaum gewagt, sie weiterzuleiten, und Jodl, der Chef des Wehrmachtführungsstabes, habe für diesen Bereich der Wehrmachtführung letztlich nur geringes Interesse gezeigt. 12 Zweifellos hätten Jodl und Keitel Hitlers Schicksal in Berlin geteilt, wenn dieser es befohlen hätte. Statt dessen schickte er sie nach dem 22. April 1945 nach Westen mit dem Auftrag, den Kampf fortzusetzen. Fern der Realität machte Jodl dort am 25. April 1945 einen letzten triumphierenden Tagebucheintrag: „Nacht 24./25. unterschreibt Führer den Befehl über die Befehlsführung und die Zusammenlegung der Stäbe.“ Endlich hatte Jodl erreicht, wofür er seit fast zehn Jahren gekämpft hatte: Das OKH existierte nicht mehr; es wurde mit dem OKW zusammengelegt. Hitler gab nun dem OKW, der Kriegsmarine und der Luftwaffe direkt Befehle – bis zum 30. April, als er sich das Leben nahm und das ganze korrupte Regime in den Ruinen Deutschlands, dem Jodl so schlecht gedient hatte, unterging.13 Zusammen mit der „Regierung“ von Großadmiral Dönitz wurde Jodl am 23. Mai von den Briten verhaftet. Bei Shakespeare heißt es einmal, der Ehrgeiz sei „die Tugend des Soldaten“, und Francis Bacon bemerkte: „Wenn man einem Soldaten den Ehrgeiz nimmt, raubt man ihm seine Sporen.“ Das mag zutreffen. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß für Jodl – einen maßlosen und indoktrinierten Menschen von beschränkter Phantasie, der sein Ego über das Wohl seines Volkes und die moralische Pflicht stellte – der Ehrgeiz zur Niederlage, zur Schande und zum Galgen führte. Jodl war nicht unwissend, was die verbrecherischen Befehle anging; er war vielmehr insgesamt dafür verantwortlich, daß den deutschen Soldaten vom OKW völkerrechtswidrige Befehle erteilt wurden. Anmerkungen Reynolds, Beck, S.37. Görlitz, Keitel, Jodl und Warlimont, S. 155. 3 Warlimont, Im Hauptquartier, S. 25. 4 Ebenda, S.29. 5 Wheeler-Bennett, Nemesis der Macht, S.453 f. 6 Görlitz, Keitel, Jodl und Warlimont, S. 157. 1 2

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Warlimont, Im Hauptquartier, S.32. Ebenda, S.44f. 9 Ebenda, S.86ff. 10 Ebenda, S.92–97; Görlitz, Keitel, Jodl und Warlimont, S.158. 11 Warlimont, Im Hauptquartier, S.112–114. 12 Ebenda, S.251f. 13 Ebenda, S.545f. 7 8

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg: N 69 Nachlaß Jodl; ebenda, Personalakten Jodl; BA Koblenz, Kleine Erwerbungen 441–4: Percy Ernst Schramm: Generaloberst Jodl. Ein biographischer Versuch. Juni 1945. Gedruckte Quellen und Literatur Feuersenger, Marianne: Mein Kriegstagebuch. Führerhauptquartier und Berliner Wirklichkeit. Freiburg 1983. Friedrich, Jörg: Das Gesetz des Krieges. Das deutsche Heer in Rußland 1941 bis 1945. Der Prozeß gegen das Oberkommando der Wehrmacht. München, Zürich 1993. Generalfeldmarschall Keitel. Verbrecher oder Offizier? Hrsg. von Walter Görlitz. Göttingen/Frankfurt am Main 1961. Görlitz, Walter: Keitel, Jodl und Warlimont. In: Hitler’s Generals. Ed. by Correlli Barnett. London 1989, S.139–174. Hitler’s Generals. Ed. by Correlli Barnett, London 1989. Jodl, Luise: Jenseits des Endes. Leben und Sterben des Generaloberst Alfred Jodl. Wien 1976. Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht 1940–1945. Hrsg. v. Percy E. Schramm. 4 Bde. Frankfurt a. M. 1961–1965. Lagebesprechungen im Führerhauptquartier. Hrsg. von Helmut Heiber. München 1963. Loßberg, Bernhard von: Im Wehrmachtführungsstab. Bericht eines Generalstabsoffiziers. Hamburg 1949. Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg. 14. November 1945–1. Oktober 1946 (IMT), 42 Bde. Nürnberg 1947ff. Scheurig, Bodo: Alfred Jodl. Gehorsam und Verhängnis. Berlin/Frankfurt a.M. 1991. Taylor, Telford: Sword and Swastika. Generals and Nazis in the Third Reich. New York 1962, Chicago 1969. Trial of the Major War Criminals. Before the International Military Tribunal. Washington, D.C. 1946–48. Warlimont, Walter: Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 1939–1945. Frank-

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furt am Main 1962 (engl. Ausgabe u. d. T.: Inside Hitler’s Headquarters. London 1962). Wheeler-Bennett, John M.: The Nemesis of Power. The German Army in Politics 1918–1945. London 1964. Wilt, Alan P.: Alfred Jodl – Hitlers Besprechungsoffizier. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin/Frankfurt a.M. 1995, S. 236–250.

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Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel * Wilhelm Keitel wurde am 22. September 1882 auf dem Landgut Helmscherode bei Bad Gandersheim, im damaligen Herzogtum Braunschweig, geboren. Schon als junger Mensch zeigte er diejenigen Eigenschaften, die seinen zukünftigen Charakter prägen sollten: einen bedingungslosen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit und eine nur durchschnittliche Intelligenz. Sein ganzes Leben lang war es sein sehnlichster Wunsch, wie seine Vorfahren Landwirt zu werden; aber seine Mutter starb früh, sein Vater heiratete wieder, und das kaum 230 Hektar große Keitelsche Landgut galt als zu klein, um zwei Familien zu ernähren. So trat Wilhelm auf Wunsch seines Vaters 1901 ins 46. Feldartillerie-Regiment in Wolfenbüttel (südlich von Braunschweig) als Fahnenjunker ein, obwohl er die Kavallerie vorgezogen hätte.1 Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten amerikanische Psychologen und Journalisten Keitel als einen typischen preußischen Junker darzustellen. Das war er nicht. Er stammte aus einer hannoverschen Familie, und sein Großvater war mit dem Königshaus von Hannover, das 1866 von Bismarck entthront wurde, eng verbunden gewesen. Deshalb erlaubte der Großvater seinem Sohn nicht, sein Haus in einer preußischen Uniform zu betreten. 2 Keitel, der 1902 sein Leutnantspatent erhielt, galt als guter und strammer, aber gewiß nicht hervorragender Offizier. Er schien jedoch mit jedermann gut auszukommen. Er liebte Pferde, die Jagd, gesellige Veranstaltungen, gutes Essen und Trinken und bewegte sich gern im Freien. Seine Persönlichkeit war kaum ein Hindernis für seine militärische Karriere. 1908 wurde er zum Regimentsadjutanten, 1910 zum Oberleutnant und 1914 zum Hauptmann befördert.3 Am 18. April 1909 vermählte sich Keitel mit Lisa Fontaine, der Tochter eines hannoverschen Ritterguts- und Brauereibesitzers. Sie war schön, klug und hegte für ihren Gatten ehrgeizige Hoffnungen. Das Paar hatte schließlich drei Söhne, die alle wie der Vater die Offizierslaufbahn einschlugen, und drei Töchter, von denen eine schon in früher Jugend starb. Lisa, eindeutig die stärkere Persönlichkeit in dieser Partnerschaft, entwickelte sich später zu einer Bewunderin Adolf Hitlers und erwies sich als ein wichtiger Faktor bei der Förderung der militärischen Karriere ihres Gatten.4 * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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Im Frühjahr 1914 nahm Keitel an einem Vorbereitungskurs für Generalstabsoffiziere teil, zog jedoch Anfang August mit seinem Regiment ins Feld. Er kämpfte in Belgien und Frankreich und wurde im September 1914 durch einen Granatsplitter schwer verwundet. Sofort nach seiner Genesung kehrte er zum Feldartillerie-Regiment Nr. 46 zurück, wo er im November Batteriechef wurde. Im März 1915 erhielt Keitel die Stellung als Generalstabsoffizier und wurde in das Hauptquartier des X. Reservekorps versetzt. Später diente er als Generalstabsoffizier beim XIX. Reservekorps (1916–17), bei der 19. Reserve-Infanteriedivision (1917) und bis zum Ende des Krieges im Generalstab des Heeres in Berlin bzw. in Flandern. 1919 soll er bei einem Freikorps an der polnischen Grenze Dienst getan haben.5 Nach dem Weltkrieg setzte Keitel seinen Aufstieg stetig, aber unspektakulär fort. Er verbrachte drei Jahre als Instrukteur an der Kavallerieschule in Hannover (1920–23), bevor er zum Stab des 6. Artillerie-Regiments versetzt wurde. 1923 erhielt er die Beförderung zum Major. Anfang 1925 machte seine Karriere einen gewaltigen Sprung nach vorn: Oberst Erich von dem Bussche-Ippenburg, der Chef des Heerespersonalamtes, wies ihn der Organisationsabteilung des Truppenamtes (so hieß damals der durch den Versailler Friedensvertrag verbotene Generalstab) zu. Keitel und Bussche-Ippenburg hatten sich vor dem Krieg angefreundet und im Frühjahr 1914 zusammen einen Kurs für Generalstabsoffiziere besucht. Zu Keitels Aufgabenbereich gehörte es, bescheidene Reservestreitkräfte zu schaffen, was nach den Bestimmungen des verhaßten Versailler Vertrages illegal war. Trotzdem war Keitel zufrieden mit seiner Arbeit, die er solide und zuverlässig erledigte. Während seines Aufenthalts in Berlin schloß oder erneuerte er Freundschaften mit einigen wichtigen Militärs, darunter Werner von Blomberg, Werner von Fritsch und Walther von Brauchitsch. Im November 1927 zog Keitel von Berlin nach Münster i.W., um dort im 46. Artillerieregiment die Führung einer Abteilung zu übernehmen. Nachdem er Anfang 1929 zum Oberstleutnant befördert worden war, kehrte er im Oktober als Chef der Organisationsabteilung in den Generalstab zurück. Selbst Erich von Manstein – später einer seiner erbitterten Feinde – gab zu, daß Keitel auf diesem Posten hervorragende Arbeit leistete. Keitel war stark an Vorbereitungen beteiligt, den Umfang der Reichswehr im Falle eines nationalen Notstandes von 10 auf 30 Divisionen erhöhen zu können, und 1931 reiste er mindestens einmal in die Sowjetunion, um dort geheime Ausbildungslager der Reichswehr zu inspizieren. Trotz seiner imposanten Erscheinung und Statur war Wilhelm Keitel von Natur aus ein nervöser, leicht erregbarer Mensch, diese Veranlagung verstärkte sich noch seit 1929. Seine Tätigkeit umfaßte viele Aspekte, die gegen den Buchstaben des Gesetzes verstießen; das belastete ihn stark, und mit

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dieser Belastung wurde er schwer fertig. Vielleicht ahnte er auch, daß er seiner hohen Stellung nicht gewachsen war, und unter diesem Streß verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Er zog sich eine schwere Venenentzündung am rechten Bein zu, ignorierte jedoch das Problem und ging weiterhin täglich zu Fuß von seiner Wohnung im Berliner Westen zu seinem Büro im Reichswehrministerium in der Bendlerstraße. Diese physische Anstrengung, zusammen mit der psychischen Belastung, führte schließlich zu einer Thrombose, die durch eine doppelseitige Lungenentzündung kompliziert wurde. Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 die Macht ergriff, erholte sich Keitel in einem tschechoslowakischen Sanatorium in der Hohen Tatra. Bald nachdem Keitel, seit Ende 1931 Oberst, wieder genesen war und seine Arbeit wiederaufgenommen hatte, begegnete er im Juli 1933 in Bad Reichenhall zum erstenmal Hitler. Er war vom ‘Führer’ sofort fasziniert und verehrte ihn abgöttisch bis zu seinem Todestag.6 Im Oktober begann für Keitel ein weiterer Abschnitt des Dienstes bei der Truppe, diesmal als Infanterieführer III und Stellvertretender Kommandeur der 3. Division in Potsdam. Am 1. April 1934 wurde er zum Generalmajor befördert.7 Um dieselbe Zeit starb Keitels Vater, und der General erbte das Familiengut in Helmscherode. Wilhelm Keitel hatte schon immer Landwirt werden wollen, und jetzt sah er seine Chance: Er reichte – gegen den Willen seiner Frau – zum 1. Oktober 1934 sein Abschiedsgesuch ein. Als jedoch General von Schwedler, der Chef des Heerespersonalamtes, Keitels Abschiedsgesuch erhielt, bestellte er ihn auf Befehl von Keitels altem Freund, General Werner von Fritsch, der inzwischen Chef der Heeresleitung geworden war, zu sich. Schwedler erklärte dem Abschiedswilligen, Fritsch wolle ihn nicht verlieren; deshalb sei er bereit, ihm das Kommando einer der neuen Divisionen zu übertragen, die demnächst aufgestellt werden würden, wenn Hitler den Vertrag von Versailles aufkündige und den Beginn der militärischen Expansion öffentlich bekanntgebe. Außerdem werde Keitel, nachdem man ihn zunächst nach Liegnitz versetzen wollte, sein Kommando selbst wählen dürfen. Dieser Chance konnte Keitel nicht widerstehen; er suchte sich die 22. Division in Bremen aus, was auch der Wunsch seiner Frau war. „So entscheiden sich menschliche Schicksale“, schrieb er später.8 Keitel befehligte die 22. Division nicht einmal ein ganzes Jahr. Im August 1935 berief ihn der Reichskriegsminister Blomberg – auf Empfehlung von Fritsch – zum Chef des Wehrmachtamtes. Er wurde Nachfolger des Generals Walter von Reichenau, den man zum Befehlshaber des Wehrkreises VII ernannt hatte. Keitel wäre am liebsten in Bremen geblieben; er wollte „mit der Politik nichts zu tun haben“.9 Aber zum Unglück des willensschwachen Generals drängte ihn seine Gattin, die Ernennung anzunehmen. So trat er

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im September 1935 sein Amt an. Lisa Keitel hegte für ihren Gatten sehr ehrgeizige Pläne und wußte, daß der neue Posten die Aussicht auf Beförderung bedeutete. Und sie hatte recht: Im Januar 1936 wurde Keitel Generalleutnant, im August 1937 General der Artillerie. Keitels neues Amt brachte hohe Verantwortung mit sich. Es umfaßte drei Abteilungen: eine für strategische Planung, eine für Landesverteidigung und eine für militärische Führung. Das Amt war zuständig für den gesamten militärischen Nachrichtendienst, für das militärische Fernmeldewesen und für die administrativen Aufgaben des Kriegsministeriums; es hatte außerdem eine Führungsfunktion in bezug auf die einzelnen Wehrmachtteile. Keitel arbeitete mit Reichskriegsminister von Blomberg reibungslos zusammen; er war ihm gegenüber ein Jasager, so wie er später gegenüber Hitler ein Jasager war. Trotzdem blieb ihr Verhältnis ziemlich unpersönlich, selbst nachdem Blombergs Tochter Dorothea sich mit seinem Sohn, dem Leutnant Karl Heinz Keitel, verlobt hatte.10 Als Blomberg eine Frau heiratete, die früher eine Prostituierte gewesen war, unternahm Keitel nichts, um ihn zu schützen. Im Gegenteil, als Graf Helldorff, der Polizeipräsident von Berlin, Keitel das Belastungsmaterial aushändigte, vernichtete dieser es nicht, was er ohne weiteres hätte tun können; statt dessen wies er Helldorff an, es an Göring weiterzugeben, der – wie Keitel gewußt haben muß – das Amt Blombergs erstrebte. Telford Taylor schrieb später: „Keitel verriet Blomberg regelrecht, sei es mit Absicht, sei es aus Unfähigkeit.“11 Am 27. Januar 1938 verabschiedete sich Hitler in der Reichskanzlei von Blomberg. Der in Ungnade gefallene Generalfeldmarschall empfahl Hitler, das Amt des Kriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht selbst zu übernehmen. Hitler ging auf diesen Vorschlag zunächst nicht ein, fragte Blomberg jedoch, wen er, falls er das Amt übernehme, als Chef des Wehrmachtstabes empfehle. Blomberg nannte keinen Namen. Da fragte Hitler, wer zur Zeit der Chef von Blombergs Stab sei. Keitel, lautete die Antwort, aber dieser komme nicht in Betracht; der sei nur Vorsteher seines Büros gewesen. „Das ist ja gerade der Mann, den ich suche!“ rief der ‘Führer’ und befahl, Keitel solle sich noch am gleichen Nachmittag bei ihm melden.12 In Wilhelm Keitel fand Hitler genau den Offizierstyp, den er brauchte: einen, der seine Befehle buchstäblich und ohne Fragen zu stellen ausführte – einen Jasager, der lediglich ein besserer Verwaltungsbeamter war, ohne selbständige Kommandobefugnisse zu besitzen oder zu erstreben. Mit Wirkung vom 4. Februar 1938 ernannte er Keitel zum Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW). Bei seinem Amtsantritt hatte Keitel zunächst mehr Einfluß bei Hitler, als er jemals wieder haben sollte. Als eine Woche nach der Entlassung Blom-

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bergs General von Fritsch seines Postens enthoben wurde, weil man ihn (zu Unrecht) der Homosexualität beschuldigte, wollte Hitler Walter von Reichenau zu seinem Nachfolger ernennen. Aber Keitel, der eine starke Abneigung gegen Reichenau hatte, redete dem ‘Führer’ ein, dieser Kandidat werde fast von der gesamten Generalität des Heeres abgelehnt. Es gelang Keitel, den Posten für Walther von Brauchitsch zu sichern. Außerdem konnte er durchsetzen, daß sein Bruder, Bodewin Keitel, zum Chef des Heerespersonalamtes und der NS-freundliche Major Rudolf Schmundt – als Nachfolger von Friedrich Hoßbach – zum Wehrmachtsadjutanten Hitlers ernannt wurde. Schließlich erreichte er auch seine eigene Beförderung zum Generaloberst am 1. November 1938.13 General Keitel träumte von der Errichtung eines Oberkommandos der Wehrmacht, das wirkliche Befehlsgewalt über das Heer, die Kriegsmarine und die Luftwaffe haben sollte, aber die beiden anderen Wehrmachtteile verweigerten die Zusammenarbeit. Göring schrieb sogar einen persönlichen Brief an Keitel, in dem er feststellte: „Ob (und in bezug auf diesen Punkt möchte ich mich ganz deutlich ausdrücken) diese Befehle unterzeichnet sind ‘Im Namen des Führers: Generaloberst Keitel’ oder ‘Im Namen des Führers: Feldwebel Maier’, ist für mich völlig belanglos.“14 Erich Raeder, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, drückte sich diplomatischer aus, aber auch er lehnte eine gemeinsame Befehlsgewalt des OKW entschieden ab. Keitel fühlte sich seiner hohen Stellung nie gewachsen (er war es auch nicht); deshalb vertraute er blind auf das Genie des ‘Führers’, der privat äußerte, Keitel sei ein Mann mit dem Gehirn eines Kinoportiers.15 Das war Hitler jedoch gerade recht, solange der Chef des OKW seine Befehle weitergab und ihm bedingungslos gehorchte. Keitel war tatsächlich von Natur aus unfähig, sich mit Hitler auseinanderzusetzen, und die wenigen Fälle, in denen er gegen einen „Führerbefehl“ etwas einzuwenden versuchte, endeten stets damit, daß er von dem Diktator scharf zurechtgewiesen wurde. Keitel kehrte daher zu seiner alten Gewohnheit zurück, jedem Befehl automatisch zu gehorchen, ohne Fragen zu stellen – mit katastrophalen Folgen für ihn selbst, Hitler, die Wehrmacht, Deutschland und einen Großteil der übrigen Welt. Jede Kritik am ‘Führer’ oder seinen Befehlen war für Keitel ein Akt der Illoyalität, der an Hochverrat grenzte. Ein Befehl Hitlers war für Keitel wie ein Gebot des allmächtigen Gottes – man mußte ihn sofort befolgen, ohne Rücksicht darauf, was er verlangte. Nach dem Krieg sagte Keitel einem der ihn vernehmenden Offiziere: „Im Grunde meines Herzens war ich ein treuer Schildhalter von Adolf Hitler und meine politische Überzeugung war nationalsozialistisch.“16 Da Keitel nie wirklich Befehlsgewalt ausübte, sind in dieser biographi-

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schen Skizze keine Schlachten zu erörtern; wir haben lediglich (wenigstens teilweise) Keitels Verbrechen aufzulisten. In gewissem Sinne waren es nicht einmal Verbrechen Keitels, denn sie gingen nicht von ihm aus; er war lediglich ein Komplize. Oft bedeutete das nur, daß er einen Befehl unterzeichnete. Im Polenfeldzug erließ Wilhelm Keitel Befehle an die Wehrmacht, der SS und der Gestapo bei der Verwirklichung von Hitlers Politik zu helfen, d. h. polnische Juden, Intellektuelle, Priester und Adlige auszurotten, um den Willen des polnischen Volkes zu brechen. Er billigte auch Maßnahmen, die zu Massenmorden führten.17 Im Mai 1941 unterzeichnete Keitel für den geplanten Krieg gegen die Sowjetunion den berüchtigten ‘Kommissarbefehl’; dieser wies die deutschen Befehlshaber an, Funktionäre der Kommunistischen Partei nach der Gefangennahme sofort zu erschießen, ohne sie vor ein Kriegsgericht oder ein anderes Gericht zu bringen. Manche Generale protestierten gegen diesen verbrecherischen Befehl, aber Keitel stellte ihn nie in Frage und bestand auf seiner buchstäblichen Befolgung. Am 27. Juli 1941 unterzeichnete Keitel einen Befehl, der dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler uneingeschränkte Vollmacht gab, das rassistische Programm Hitlers in Rußland durchzusetzen. Dieser Befehl lief auf Beihilfe zum Massenmord hinaus, und tatsächlich wurden Zehntausende von Juden und Slawen erschossen. Am 16. Dezember 1942 erließ Keitel für die Wehrmacht einen Befehl zur „Bandenbekämpfung“, in dem es unter anderem heißt: „Die Truppe ist (…) berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt. Rücksichten, gleich welcher Art, sind ein Verbrechen gegen das deutsche Volk und den Soldaten an der Front (…).“18 Keitel unterzeichnete auch Hitlers ‘Nacht-und-Nebel-Erlaß’, der die Bevölkerung der besetzten Gebiete Europas, besonders die Franzosen und die Niederländer, terrorisieren sollte. Aufgrund dieses Erlasses verschwanden Menschen, die des Widerstands gegen das nationalsozialistische Deutschland verdächtig waren, einfach bei Nacht und Nebel, so als hätten sie nie existiert. In Wirklichkeit wurden sie der Gestapo übergeben, die sie ermordete. Keitel rechtfertigte diesen Erlaß mit einem einzigen Satz: „Es ist der langerwogene Wille des Führers!“19 Für Keitels blinden Gehorsam gegenüber dem Willen des ‘Führers’ ließen sich Dutzende von weiteren Beispielen nennen; besonders erstaunlich ist jedoch seine Bereitschaft, die Weisungen Hitlers sogar dann zu befolgen, wenn das eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Verlust von Menschenleben unter deutschen Frontsoldaten bedeutete. Als zum Beispiel die 6. Armee in Stalingrad eingeschlossen wurde, verweigerte ihr Hitler die Erlaubnis auszubrechen. Wider jede taktische Vernunft unterstützte Keitel ge-

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horsam den Willen des ‘Führers’ – gegen die Proteste des Generalfeldmarschalls von Manstein, der Generalobersten von Weichs und von Richthofen und aller kommandierenden Generale der eingeschlossenen Armee. Seit Stalingrad verteidigte Keitel jeden einzelnen „Durchhaltebefehl“, den Hitler erließ – mit verhängnisvollen Konsequenzen: Die Heeresgruppe Afrika wurde in Tunesien, die 17. Armee auf der Halbinsel Krim vernichtet; die 1. Panzerarmee wurde in Galizien eingeschlossen; die Heeresgruppe Süd wurde in der Ukraine zerschlagen; die Heeresgruppe Nord wurde vor Leningrad zurückgeworfen und dann in Kurland abgeschnitten, obwohl sie leicht nach Deutschland hätte entkommen können; die Heeresgruppe Mitte wurde in Weißrußland praktisch aufgerieben; die Heeresgruppe B wurde in der Normandie zerschmettert und später im Ruhrkessel vernichtet. Diese Liste ist keineswegs vollständig, enthält jedoch die meisten größeren militärischen Katastrophen. An den Entscheidungsprozessen war Keitel selbst nicht beteiligt; er billigte lediglich die Entscheidungen des ‘Führers’. Bei taktischen Diskussionen mit anderen Generalfeldmarschällen wandte sich Hitler in kritischen Augenblicken an seinen OKW-Chef Keitel und fragte ihn nach seiner Meinung: er konnte sich jedesmal darauf verlassen, daß diese mit seiner eigenen genau übereinstimmen würde. Auf diese Weise gewann Hitler jede Diskussion – und verlor fast jede Schlacht. Keitel, am 19. Juli 1940 zum Generalfeldmarschall befördert, akzeptierte Beschimpfungen von seiten Hitlers als den Preis, den er für seine Stellung bezahlen mußte. Außerdem wurde er – früher ein angesehenes Mitglied des Offizierskorps und des Generalstabes – von seinen Standesgenossen bald verachtet. Selbst rangjüngere Generale bezeichneten ihn als „Lakaitel“ und „Nickesel“. Zu seinem 60. Geburtstag empfing Keitel von Hitler eine Dotation von 250 000 Reichsmark. Bis zum Jahresende 1942 gelang es Keitel, diesen Betrag auf über 1 Million Reichsmark aufzustocken, um sich dafür Landbesitz kaufen zu können. Schließlich zahlte Keitel für seine Stellung und für seinen blinden Gehorsam den höchsten Preis. Am 9. Mai 1945 unterzeichnete er in Berlin-Karlshorst die bedingungslose Kapitulation der gesamten Wehrmacht; dann wurde er in Nürnberg als Hauptkriegsverbrecher angeklagt. Selbst dort bewahrte er seinem ‘Führer’ die Treue. Er sagte aus: „Ich bin ein überzeugter Anhänger Adolf Hitlers“, fügte allerdings hinzu: „Das schließt nicht aus, daß ich manche Punkte des Parteiprogramms ablehne.“20 In seiner Verteidigungsrede vertrat er die Auffassung, er habe nur Befehle befolgt. Das traf durchaus zu, reichte aber nicht aus, um seinen Kopf zu retten. So wurde er in allen vier Anklagepunkten schuldig gesprochen: Verschwörung zur Planung eines Angriffskrieges, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er war besonders verant-

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wortlich für die Verstrickung der Wehrmacht als Institution in die verbrecherischen Aktionen des NS-Regimes. „Mildernde Umstände liegen nicht vor“, erklärte der Richter. „Befehle von oben, auch wenn einer Militärperson erteilt, können nicht als mildernde Umstände betrachtet werden, wenn derart empörende und weitverbreitete Verbrechen bewußt und rücksichtslos begangen worden sind.“21 Schließlich endete Keitel am 16. Oktober 1946 in Nürnberg am Galgen. Anmerkungen Davidson, The Trial of the Germans, S.329 f. Generalfeldmarschall Keitel. Verbrecher oder Offizier? Hrsg. von W. Görlitz, S. 11 (im folgenden zitiert als: Görlitz, GFM Keitel). Eine gute Untersuchung über Keitel ist Mueller, The Forgotten Field Marshal. 3 O’Neill, The German Army, S.192; Görlitz, GFM Keitel, S.15f. 4 Davidson, The Trial of the Germans, S. 331; Görlitz, GFM Keitel, S. 17 f.; O’Neill, The German Army, S.193. 5 O’Neill, The German Army, S. 192 f.; Görlitz, GFM Keitel, S. 18–21; Wistrich, Who’s Who in Nazi Germany, S.186. 6 Görlitz, GFM Keitel, S. 53. 7 O’Neill, The German Army, S.192 f.; Görlitz, GFM Keitel, S.64. 8 Görlitz, GFM Keitel, S. 71 f. 9 Ebenda, S.79f. 10 Davidson, The Trial of the Germans, S. 331; vgl. Görlitz, GFM Keitel, S. 82 ff., 101 Anm. 170. 11 Taylor, Sword and Swastika, S. 149. 12 Warlimont, Im Hauptquartier, S. 29 Anm. 22; Görlitz, GFM Keitel, S. 105 Anm. 184. 13 Bodewin Keitel wurde im März 1938 zum Generalmajor, im März 1941 zum Generalleutnant und im Oktober 1941 zum General der Infanterie ernannt. Siehe Keilig, Die Generale des Heeres. Vgl. Görlitz, GFM Keitel, S.108f., 174. 14 Unveröffentlichtes Manuskript von Richard Suchenwirth, Command and Leadership in the German Air Force, United States Air Force Historical Studies Nr. 174, United States Air Force Historical Division, Aerospace Studies Institute (Maxwell Air Force Base, Montgomery, Alabama: Air University 1969). 15 Die Hassell-Tagebücher, S. 294. 16 Görlitz, GFM Keitel, S. 405. 17 Wistrich, Who’s Who in Nazi Germany, S. 169. 18 IMT, Bd. XXXIX, S.129 (Geheime Kommandosache). 19 Davidson, The Trial of the Germans, S. 338. Vgl. auch Irving, Hitler’s War, S.423f.; Görlitz, GFM Keitel, S.420–422. 20 Nazi Conspiracy and Aggression IV, S. 592–597. 21 Gilbert, Nürnberger Tagebuch, S.434. Zu einer detaillierten Darstellung des Prozesses gegen Keitel siehe: IMT, Band X. 1 2

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 54: Nachlaß Keitel, RW 4: Aktenbestand OKW/WFSt. Gedruckte Quellen und Literatur Görlitz, Walter: Keitel, Jodl and Warlimont. In: Hitler’s Generals. Ed. by Correlli Barnett. London 1989, S.139–174. Die Hassell-Tagebücher 1938–1944. Revidierte und erweiterte Ausgabe. Hrsg. v. Friedrich Hiller Frhr. v. Gaertringen. Berlin 1988. Adolf Hitler. Monologe im Führerhauptquartier 1941–1944. Hamburg 1980. Irving, David: Hitler’s War. New York 1977. Lagebesprechungen im Führerhauptquartier. Hrsg. v. Helmut Heiber. München 1963. Mitcham, Samuel W.: Hitler’s Field Marshals and Their Battles. London 1988/Chelsea 1990. Moll, Otto E.: Die deutschen Generalfeldmarschälle 1939–1945. Rastatt 1962. Mueller, Gene: Wilhelm Keitel. Der gehorsame Soldat. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg.v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin/Frankfurt a.M. 1995, S. 251–269. Ders.: The Forgotten Field Marshal. Wilhelm Keitel. Durham 1979. O’Neill, Robert J.: The German Army and the Nazi Party 1933–1939. New York 1966. Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg. 14. November 1945 bis 1. Oktober 1946 (= IMT). 42 Bände, Nürnberg 1947–1949. Schneller, Helmut: Hitler und Keitel. An Investigation of the of the Influence of Party Ideology on the Command of the Armed Forces in Germany. Between 1938– 1945. Fort Hays 1970. Taylor, Telford: Sword and Swastika. Generals and Nazis in the Third Reich. New York 1962, Chicago 1969. Trial of the Major War Criminals. Before the International Military Tribunal. Washington, D.C. 1946–48. Warlimont, Walter: Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 1939–1945. Grundlagen, Formen, Gestalten. Frankfurt a.M. 1962.

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Generalfeldmarschall Albert Kesselring Albert Kesselring, geboren 1885 im fränkischen Marktsteft als Sohn eines Lehrers und späteren Stadtschulrats, trat nach dem Abitur 1904 in das in Metz stationierte 2. Bayerische Fußartillerieregiment ein. In seiner vielseitigen Ausbildung stand bald die neue schwere Artillerie des Feldheeres im Vordergrund, was später in seinem Interesse an der Flakartillerie nachgewirkt hat. Das Kriegsende 1918 erlebte er als Hauptmann, und die folgenden Monate erschienen ihm aufgrund der Willkürakte der Räte- und Spartakusbewegung rückblickend als die dunkelste Zeit seines Lebens. 1945 war es ihm eine Genugtuung, daß Deutschland trotz seiner totalen Niederlage eine Wiederholung der Geschehnisse von 1918/19 erspart blieb.1 In den zwanziger Jahren nahm Kesselring Truppenkommandos in Bayern und Aufgaben im Reichswehrministerium wahr, wobei er zum Experten der militärischen Verwaltung und des Finanzwesens wurde und als „Sparkommissar“ galt. Die Heeresleitung stellte 1933 den Oberst für den Aufbau der Luftwaffe zur Verfügung, zunächst als Verwaltungschef (Abteilung D) in Görings künftigem Ministerium. Zu seinen Aufgaben gehörte die Überwachung und Finanzierung der Flugzeugproduktion sowie der Bau von Flugzeugen und Kasernen. Seine Fähigkeit zum Management und die joviale Umgangsart brachten ihn bei Industriellen und hohen Militärs in Gunst. 1935 wurde er Generalmajor und 1936 Generalleutnant. Bei diesem beachtlichen Aufstieg dürfte neben dem Können auch sein Talent, sich strikt auf die Wünsche der Vorgesetzten einzustellen, eine Rolle gespielt haben. Die nationalsozialistische Umwälzung berührte den in der Seecktschen Tradition des unpolitischen Soldaten erzogenen Offizier zunächst wenig, zumal Göring seiner neuen Truppe die unmittelbare politische Indoktrinierung ersparte. Mit den außenpolitischen Erfolgen Hitlers, der Stabilisierung seiner Macht und dem Aufstieg Görings wurde der General zum Bewunderer und Diener des NS-Regimes, ohne der Partei und ihren Machenschaften besonderes Augenmerk zu widmen. Sein gewinnendes Wesen brachte ihm Achtung und Zuneigung ein. Doch wird ihm auch unterstellt, daß sein nach außen getragener Frohsinn Fassade war.2 Im Frühjahr 1935 lüftete Hitler den Schleier des Geheimnisses der deutschen Luftrüstung. Göring wurde Oberbefehlshaber der Luftwaffe, die als eigenständiger Wehrmachtsteil neben Heer und Marine trat. 1936 wurde Kesselring als Nachfolger des tödlich verunglückten Generals Wever Chef

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des Generalstabs der Luftwaffe. Als solcher konnte er, 1937 zum General der Flieger befördert, in Fragen der Organisation und Ausbildung, der Koordination von Fliegertruppe, Flakartillerie und Luftnachrichtentruppe sowie beim Aufbau der Luftlandeverbände sein Managertalent weiter entfalten. Allerdings wird ihm wegen dieser Zeit auch die Verantwortung für das spätere Scheitern der Luftwaffe zugeschrieben, weil er Göring in der Ablehnung der Produktion des Langstreckenbombers unterstützte.3 1936 befürwortete er unbedingt die kriegsmäßige Erprobung der neuen Waffe im Spanischen Bürgerkrieg. Doch fühlte sich Kesselring bald durch Eingriffe Milchs4 beengt. Nur schwer einen Gott neben sich duldend, ersuchte er um seine Ablösung, wurde zunächst kommandierender General des Luftkreises 3 (Dresden) und übernahm im Oktober 1939 den Oberbefehl über die künftige Luftflotte 1 in Berlin. Sie kam nach Kriegsbeginn 1939 zur Unterstützung der Heeresgruppe Nord unter Generaloberst von Bock zum Einsatz. Kesselrings Taktik entsprach den Lehren des italienischen Generals Douhet.5 In den ersten zwei Kriegstagen vernichteten seine Flieger einen großen Teil der polnischen Luftwaffe am Boden und wandten sich dann den gegnerischen Nachschublinien zu. Durch den kombinierten Einsatz von Luftwaffe und Heer mit den Panzerverbänden wurde der Polenfeldzug zum „Blitzkrieg“. Ein schweres Bombardement Warschaus, bei dem auch Wohngebiete zerstört wurden und die Zivilbevölkerung Verluste erlitt, wurde mit der wiederholt verweigerten Übergabe der polnischen Hauptstadt gerechtfertigt. Im Januar 1940 übernahm Kesselring den Oberbefehl über die für den Raum Holland, Belgien und Nordfrankreich zuständige Luftflotte 2, die im Westfeldzug eng mit der Heeresgruppe B (wiederum General von Bock) zusammenwirken sollte. Besonders stolz war Kesselring auf die Erfolge der Luftlandetruppen unter General Student bei der Sicherung strategisch wichtiger Brücken und Befestigungsanlagen. Die Bombardierung der Altstadt Rotterdams am 14. Mai 1940 erregte als Terrorangriff die Weltöffentlichkeit. Auch hier ging es darum, die Kapitulation der als verteidigt geltenden Stadt zu erzwingen. Als sie zur Übergabe dann bereit war, konnten die gestarteten Maschinen nicht mehr informiert werden. Kesselring sah sich von der Haager Landkriegsordnung gedeckt, die den Angriff auf eine verteidigte Stadt zuläßt.6 Gleichwohl stellt sich die Frage, ob militärische Verbände in einer von der Zivilbevölkerung nicht geräumten Stadt oder die Nichtbeantwortung einer Kapitulationsaufforderung bereits deren Verteidigung belegt. Bemerkenswert ist, daß gerade zuvor die irrtümliche Bombardierung Freiburgs durch deutsche Flieger von der deutschen Propaganda als britischer Terrorangriff hochgespielt worden war.7 Kurz nach Rotterdam begann die Royal Air Force den strategischen Luftkrieg gegen Deutschland.

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Als Görings Luftwaffe nach Hitlers Haltebefehl vor Dünkirchen den Auftrag zur „endgültigen Vernichtung des Feindes“ erhielt, waren Kesselrings erschöpfte Besatzungen nicht in der Lage, die sich unter einem Schirm von Jägern der Royal Air Force vollziehende Evakuierung des britischen Expeditionskorps von über 200 000 Mann und zusätzlich 123 000 Franzosen zu verhindern. Danach war die Luftflotte 2 an der Zermürbung der französischen Armee beteiligt. Kesselring wurde am 19. Juli 1940 unter Überspringung des Ranges des Generalobersten zum Feldmarschall befördert. Im folgenden Kampf um England gelang es der deutschen Luftwaffe nicht, die britische Jagdabwehr auszuschalten. Die deutschen Geschwader mit den bis an die Grenze der physischen Leistungsfähigkeit strapazierten Besatzungen erlitten erhebliche Verluste. Die geplante Luftherrschaft über Südengland zur Vorbereitung einer Landung (Operation „Seelöwe“) konnte nicht erreicht werden. Anfang Juni 1941 wurde die Luftflotte 2 in den ostpreußischen Raum verlegt, um von hier aus beim Angriff auf die Sowjetunion zum Einsatz zu kommen. Zum drittenmal kam es zur Zusammenarbeit mit Feldmarschall von Bock bei dessen Vorstoß bis vor Moskau. Doch im November 1941 wurden die Geschwader nach Sizilien verlegt. Kesselring hatte als Oberbefehlshaber Süd Rommels ‘Panzergruppe Afrika’ zu unterstützen und ihren Nachschub über das Mittelmeer zu sichern. Nach einem Rückzug durch die Cyrenaika bis Tripolitanien verfügte Rommel Mitte Januar über genügend Material und Treibstoff für einen Gegenangriff. Als er am 21. Juni Tobruk einnahm, waren seine Panzerspitzen tief in ägyptisches Gebiet eingedrungen. Kesselring vertrat die Meinung, daß zunächst Malta ausgeschaltet werden müsse, um das in Afrika Eroberte zu halten.8 Doch Rommel glaubte, in wenigen Tagen Alexandria und Kairo erreichen zu können. Der Oberbefehlshaber Süd aber sah wie der italienische Generalstabschef Cavallero logistische Schwierigkeiten voraus. Dennoch gab er nach, denn der „Wüstenfuchs“ stand auf der Höhe seines Ruhms und war zum Feldmarschall befördert worden. Nach Kesselrings Meinung übte Rommel zu jener Zeit „einen fast hypnotischen Einfluß“ auf Hitler aus, was jede objektive Lagebeurteilung behinderte. Die Rivalität der beiden Marschälle wird wiederholt in Kesselrings Erinnerungen wie in Rommels Aufzeichnungen deutlich. Als Rommels Vorstoß bei El Alamein zum Stehen kam, sah sich Kesselring in seinen Befürchtungen bestätigt. Nach dem britischen Durchbruch durch die deutsche Abwehrfront am 23. Oktober 1942 befahl Rommel am Morgen des 3. November den Rückzug. Kesselring trug dazu bei, daß Hitler nicht auf seinem zunächst erteilten „Sieg oder Tod“-Befehl bestand. Nach der alliierten Landung in Marokko und Algerien hielt Rommel Afrika für verloren und wollte seine Truppen

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bereits nach Italien überführen. Doch dafür war der Oberbefehlshaber Süd nicht zu gewinnen, der sich mit Hitler und dem Duce einig war, Tunesien zum Brückenkopf auszubauen, wohin er alle in Italien entbehrlichen Kräfte verlegte. General Nehring, Oberbefehlshaber in Tunis, der zweifelte, den Brückenkopf auf Dauer halten zu können, ließ er an die Ostfront versetzen. Zweifel oder Widerspruch konnte Kesselring schwer ertragen. Das Kommando über die neu gebildete 5. Panzerarmee übernahm Generaloberst von Arnim. Kesselring hatte damit seinen Kriegsschauplatz mit der Verfügung über eine Armee. Sie hatte Ende 1942 eine Stärke von 100 000 Mann und wurde weiterhin aufgefüllt. Nach dem Willen Hitlers, und Kesselring stimmte dem zu, sollte Tunesien zum Ausgangspunkt für einen Vorstoß durch Algerien nach Marokko und nach Osten zum Suezkanal werden. Doch das waren Illusionen. Mit dem Rückzug in Libyen verschärfte sich der Gegensatz zwischen Rommel und Kesselring, zumal dieser mehr zu den Italienern als zum „Wüstenfuchs“ hielt. Die Offensive zum Durchbruch der tunesischen Westfront scheiterte am alliierten Widerstand, am unzulänglichen Treibstoffvorrat und an der mangelnden operativen Kooperation von Arnims und Rommels. Dieser war für die radikale Verkleinerung des Brückenkopfes, aber Kesselring unterstützte ihn nicht. Die Ablösung Rommels war jetzt eine zwischen Hitler und Mussolini beschlossene Sache. Nach wenigen Tagen des Oberbefehls über die neu gebildete Heeresgruppe Afrika9 verließ Rommel schließlich am 9. März Tunesien. Nun aber kam es zum Konflikt zwischen Kesselring und von Arnim. Dieser erkannte, als am 20. März die britische Offensive begann, die aussichtslose Lage und forderte Konsequenzen. Kesselring aber behinderte eine korrekte Berichterstattung an das OKW und beschönigte die Situation, obwohl die Sizilienstraße ganz unter alliierter Kontrolle war. Am 12. und 13. Mai kapitulierte dann der Rest der Heeresgruppe Afrika, und 240 000 deutsche und italienische Soldaten gingen in Gefangenschaft. Wieder war eine Armee in aussichtsloser Lage geopfert worden, und hier hatte Kesselring ein großes Maß an Schuld. Nach dem Verlust Siziliens und den feindlichen Landungen in Süditalien zog Kesselring seine Verbände auf die gut ausgebaute ‘Gustavlinie’ zurück. Inzwischen war Mussolini gestürzt und verhaftet worden. Die am 12. September durchgeführte Befreiungaktion mit SS-Hauptsturmführer Skorzeny war in ihren Einzelheiten in Kesselrings Hauptquartier vorbereitet worden. Der Abfall Italiens zog die deutsche Besetzung des Landes und die Entwaffnung der italienischen Streitkräfte nach sich („Fall Achse“). Die in Norditalien stehenden Divisionen wurden zur Heeresgruppe B unter Feldmarschall Rommel zusammengefaßt, dessen Befehlsbereich sich bis zu

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einer Linie ca. 100 km nördlich von Rom erstreckte. Erneut prallten die gegensätzlichen Lageeinschätzungen der beiden Marschälle aufeinander. Während Rommel für einen Rückzug nach Norden zur ‘Gotenlinie’ war, wollte Kesselring den Gegner in Süditalien schlagen. Hitler wollte zunächst Rommel den Oberbefehl in ganz Italien geben, aber Kesselring gewann beim Lagevortrag durch Eingehen auf die Wünsche Hitlers und Görings das Spiel. Rommel wurde an die Atlantikküste versetzt und Kesselring Oberbefehlshaber Südwest mit dem Oberkommando über alle zur Heeresgruppe C zusammengefaßten Verbände in Italien. Die beiderseits verlustreichen Kämpfe um die ‘Gustavlinie’ im Winter 1943/44 konzentrierten sich schließlich um Cassino. Mitte Februar wurde die Benediktinerabtei auf dem Monte Cassino von alliierten Bombern gänzlich zerstört, obwohl Kesselring sie zur neutralen Zone erklärt hatte, die kein deutscher Soldat betreten durfte. Die Kunstschätze und Teile des Archivs hatte er zuvor in Sicherheit bringen lassen. Die Ruine des Klosters wurde nun zur deutschen Festung. Die hohen Verluste auf beiden Seiten standen in keinem Verhältnis zur Bedeutung des Platzes. Im Mai 1944 durchbrach der Gegner die Front, am 4. Juni zogen die Alliierten in Rom ein. Der deutsche Rückzug kam im folgenden Herbst nördlich der ‘Gotenlinie’ zum Stehen. Bald darauf erlitt Kesselring bei einem Verkehrsunfall eine schwere Schädelverletzung. Er kehrte erst im Februar 1945 an die Front zurück. Während seiner Abwesenheit vertrat ihn Generaloberst von Vietinghoff. Wenige Wochen später ernannte Hitler Kesselring als Nachfolger Rundstedts zum Oberbefehlshaber West, verantwortlich für die Westfront von Norwegen bis zur Schweizer Grenze. Als Kesselring am 10. März 1945 in seinem neuen Hauptquartier in Ziegenberg eintraf, schenkte er den Lageberichten seines Stabschefs wie auch Feldmarschall Model, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, keinen Glauben. Für ihn war nur Hitler maßgebend. Nach mehreren Rheinübergängen jedoch war der Vormarsch der Alliierten mit ihrer unangefochtenen Luftherrschaft nicht mehr aufzuhalten. Trotzdem war Kesselring, wenn er von Besprechungen im Führerhauptquartier zurückkehrte – und das war bis zum 12. April noch dreimal der Fall –, noch immer von Hitlers Durchhaltewillen beeindruckt, und er bemühte sich, ihn auf seine Untergebenen zu übertragen. Stets spielte er den Optimisten. Gegen Kriegsmüdigkeit und Lockerungen der Disziplin gingen fliegende Standgerichte vor. Gegenüber Speers Bemühungen, die Ausführung von Hitlers ‘Nero-Befehl’ der verbrannten Erde zu verhindern, zeigte er sich unzugänglich.10 In der zweiten Aprilhälfte 1945 wurde das noch feindfreie Deutschland gemäß einem Befehl Hitlers in einen Nord- und Südraum eingeteilt. Großadmiral Dönitz erhielt im Norden, Kesselring im Süden den Oberbe-

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fehl und die vollziehende Gewalt. Der Feldmarschall erkannte die Aussichtslosigkeit des Krieges, aber er sah sich an seinen dem ‘Führer’ gegebenen Eid gebunden und stand zugleich im Banne der eigenen Macht. Die von Abgesandten Vietinghoffs und Wolffs in der Schweiz geführten Verhandlungen führten am 29. April in Caserta zur Unterzeichnung der Kapitulation der Italienfront. Kesselrings spätere Behauptung, die seit dem Spätjahr 1944 geführten geheimen Kontakte hätten mit seiner Billigung stattgefunden, entspricht nicht dem Sachverhalt.11 Er versuchte vielmehr noch jetzt, die Teilkapitulation rückgängig zu machen, enthob Vietinghoff seiner Funktion und ersetzte Wolff durch den berüchtigten SS-Obergruppenführer Kaltenbrunner, Chef des Reichssicherheitshauptamtes. Als jedoch die Nachricht von Hitlers Tod eintraf und Dönitz’ Entschlossenheit zur Kapitulation vor den Westmächten erkennbar war, schwenkte Kesselring um. Die für Caserta Verantwortlichen wurden wiedereingesetzt, und die Kapitulation erhielt seine Billigung. Sie trat am 2. Mai in Kraft. Am 4. Mai kapitulierte auch die Heeresgruppe G, die aus den Resten der 1. und 19. Armee bestand. Die Kapitulation aller Streitkräfte des süddeutschen Raums trat am 6. Mai in Kraft. Kesselring nahm für sich in Anspruch, damit die Gesamtkapitulation vorbereitet zu haben. Auch das ist unzutreffend. Die Vorgänge im Süden spielten bei den Verhandlungen in Reims keine Rolle. Für Kesselring begann die Gefangenschaft. Nach Aufenthalten in verschiedenen Lagern und einer fünfmonatigen Einzelhaft im Nürnberger IMT-Gefängnis wurde er im Sommer 1946 in das von der Historical Division der US-Armee geführte Lager Allendorf gebracht. Hier hatten ehemalige Generale und Generalstabsoffiziere ihre Kriegserfahrungen niederzuschreiben, und diese Arbeit war in vieler Beziehung lohnend. Kesselring hatte mehrere Projekte zu beaufsichtigen und arbeitete emsig an seinen eigenen Erinnerungen. Merkmal der in Allendorf entstandenen „studies“ ist das Bestreben, eine auf deutscher Seite saubere Kriegsführung nachzuweisen und die Zuverlässigkeit und Kampfesüberlegenheit des deutschen Soldaten zu belegen.12 Im Frühjahr 1947 stand Kesselring wegen der Vorgänge in den Ardeatinischen Höhlen im März 1944 vor einem britischen Militärgericht in Venedig. Bei einem von italienischen Partisanen durchgeführten Sprengstoffattentat in der Via Rasella in Rom waren damals 33 Angehörige des Polizeiregimentes Bozen zu Tode gekommen. Die vom OKW befohlene Sühnemaßnahme bestand in der Erschießung von Geiseln im Verhältnis 1 : 10. Kesselring wie Generaloberst von Mackensen, Oberbefehlshaber der 14. Armee, und Ge-

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neralleutnant Maelzer, Stadtkommandant von Rom, akzeptierten, daß der Polizei- und SD-Führer Kappler dafür Häftlinge aus römischen Gefängnissen zur Verfügung stellte, die angeblich bereits zum Tode verurteilt waren, was in etlichen Fällen nicht dem Sachverhalt entsprach. Ob die Hinrichtung von 330 Geiseln kriegsrechtlich als gedeckt gelten kann, ist umstritten, nicht aber die das Verhältnis 1:10 überschreitende Hinrichtung von 335 Opfern. Ein Verbrechen war die unbeschreiblich brutale Art der Exekution in den Ardeatinischen Höhlen in Rom. Kesselring hat sich, ebenso wie von Mackensen und Maelzer, wenig darum gekümmert, dürfte aber von Kappler über den Vollzug informiert worden sein. Da ihm als Oberbefehlshaber Südwest auch die SS-Einheiten des Kriegsschauplatzes unterstanden, war er letztlich für den Vorgang mindestens mitverantwortlich.13 Bei dem Verfahren zeigte er kein Schuldbewußtsein und bestritt seine damalige Zuständigkeit. Belastend waren zudem zwei im Sommer 1944 erlassene Befehle Kesselrings, die dem Gericht als Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs galten. Immerhin heißt es im Befehl vom 17. Juni 1944: „Ich werde jeden Führer decken, der in der Wahl und Schärfe des Mittels über das bei uns übliche Maß hinausgeht.“ 14 Gerade das hatte Kappler getan, der sicher sein konnte, für sein Vorgehen nicht belangt zu werden. Hatte doch der Oberbefehlshaber Südwest schon zuvor durch etliche Anweisungen für die Art der Durchführung von Sühnemaßnahmen gezielt Enthemmungen bewirkt.15 Wie Mackensen und Maelzer zuvor in Rom, so wurde auch Kesselring zum Tode durch Erschießen verurteilt. Sein überzogen selbstbewußtes Auftreten mag dazu beigetragen haben, daß ihm ein Schlußwort verweigert wurde. Doch wurde das Urteil in lebenslängliche Haft umgewandelt, worauf er ins Zuchthaus Werl verlegt wurde, wo er die Arbeiten für die Historical Division fortsetzen durfte. Seine Entlassung 1952 war offiziell krankheitsbedingt, in erster Linie aber, wie die Mackensens, Mansteins und anderer, Folge von Bedingungen, die die mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag befaßten Persönlichkeiten den Alliierten stellten. Kesselrings im folgenden Jahr erschienene Erinnerungen »Soldat bis zum letzten Tag« waren in Werl vorbereitet worden und dokumentieren das starke Bedürfnis der Selbstdarstellung und Rechtfertigung. Nicht selten stoßen wir auf Arroganz und gelegentlich gar Zynismus. Zwar ging es dem Autor darum, „ein Ehrenmal für unsere Wehrmacht zu schaffen“, doch dringt an vielen Stellen die Hochschätzung des ‘Führers’ durch, und man kann Kesselring als einen der treuesten Paladine Hitlers bis in dessen letzte Tage bezeichnen. Sogar für die Taten Himmlers als Oberbefehlshaber des Ersatzheeres fand er nach dem Krieg noch Lob.16 Gewiß verdankte Kesselring seine Karriere zunächst den Fähigkeiten in Planung, Administration, Organisation und Truppenführung. Doch hinzu

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kam, besonders in den Kriegsjahren, die Anpassung nach oben und das rechtzeitige Gespür für die richtige Windrichtung. Eine besondere Achtung des menschlichen Lebens hat ihn nicht ausgezeichnet. In seinen letzten Lebensjahren war Kesselring engagiert in Traditionsverbänden wie „Stahlhelm“ oder „Verband deutsches Afrikakorps“. Von diesen wurde er auch als Held und Märtyrer gefeiert. 1960 verstarb er an Herzversagen. In Bad Wiessee wurde er mit großer Anteilnahme von Veteranen bestattet. Die Grabesrede hielt sein ehemaliger Geschwaderkommodore, der späterer General der Flieger Josef Kammhuber, damals Inspekteur der Bundesluftwaffe. Anmerkungen 1 Kesselring, Soldat, S. 14; zu den biographischen Angaben vgl. auch Lingen, Kesselrings letzte Schlacht. 2 Irving, Rommel, S. 221. Hier dazu: „Sein breites Lachen, bei dem er sein starkes Gebiß entblößte, war sein Markenzeichen.“ 3 Lewis, Kesselring, S.274. 4 Milch war Görings Staatssekretär und Stellvertreter, Generalinspekteur der Luftwaffe und Generalluftzeugmeister. 5 General Giulo Douhets Buch »Il domino dell’aria« erschien in Rom 1921, deutsche Ausgabe u. d. T. »Luftherrschaft«, Berlin 1935. 6 Kesselring, Soldat, S. 77. Kesselring störte es nicht, daß schon der deutsche Einfall in Holland eine Verletzung des internationalen Rechts darstellte. 7 Hierzu Ueberschär/Wette, Bomben und Legenden. 8 Kesselrings Meinung über die Bedeutung des Verzichts auf die Einnahme von Malta erschließt bes. BA-MA Freiburg, T 3 P 1. 9 Kesselring hat später wenig überzeugend behauptet, die Ernennung Rommels zum O. B. der H. Gr. Afrika sei ausschließlich zur Beseitigung der politischen und militärischen Schwierigkeiten mit dem italienischen Verbündeten erfolgt. BA-MA Freiburg, C 066 S.2f. 10 Vgl. Speer, Erinnerungen, S. 446 und 454. Daß der O.B. West den Befehl am 20. März 1945 zunächst mit Nachdruck an die Armeen weitergab, belegt BA-MA Freiburg, RH 20–19/212, Bl. 12f. 11 Hierzu Smith/Argagossi, Unternehmen „Sonnenaufgang“. 12 Nahezu alle „studies“ sind im BA-MA Freiburg zugänglich. Die von Kesselring verfaßten und mitverfaßten Arbeiten erschließt: Guide to Foreign Military studies 1945–1954. Catalogue and Index. Headquarter of the United States Army, Europe. 13 Zu dem Vorgang Schreiber, Deutsche Kriegsverbrechen, S.120ff. 14 Kesselring, Soldat, S.437 ff. 15 Das belegt nunmehr Schreiber, Deutsche Kriegsverbrechen, S. 100 ff., gestützt auf die dazu einschlägigen Akten im BA-MA Freiburg. 16 BA-MA Freiburg, T 123, Bd.1, S.640.

Generalfeldmarschall Albert Kesselring

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, Pers. 6/6: Personalakte Kesselring; N 750: Nachlaß Kesselring; verschiedene von Kesselring verfaßte „studies“, so bes. T 3 P 1 (Ansichten über den Krieg in Afrika), C 064 (Feldzug in Italien), T 123 (Geschichte des O.B. West, T III. Febr. bis Mai 1945, 3 vols.), RH 19–20 (Oberbefehlshaber Süd, Südwest, Heeresgruppe C), RH 20–19/212 (Kriegstagebuch der 19. Armee). Gedruckte Quellen und Literatur Andrae, Friedrich: Auch gegen Frauen und Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943–1945. München 1995. Bidwell, Shelford: Kesselring. In: Hitler’s Generals. Ed. by Corelli Barnett. London 1989, S.261–289. Boog, Horst: Die deutsche Luftwaffenführung 1935–1945. Stuttgart 1982. Fraser, David: Rommel. Berlin 1995. Heuer, Gerd F.: Die deutschen Generalfeldmarschälle und Großadmirale 1939–1945. 2. Aufl. Rastatt 1988. Irving, David: Die Tragödie der deutschen Luftwaffe. Berlin/Frankfurt a.M. 1970. Kesselring, Albert: Soldat bis zum letzten Tag. Bonn 1963. Ders.: Gedanken zum Zweiten Weltkrieg. Bonn 1955. Kurowski, Franz: Generalfeldmarschall Albert Kesselring. Berg am See 1985. Lewis, Samuel J.: Albert Kesselring – Der Soldat als Manager. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. Hrsg. v. Ronald Smelser/Enrico Syring. Berlin 1995, S.270–287. Lingen, Kerstin von: Kesselrings letzte Schlacht. Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung. Der Fall Kesselring. Paderborn 2004. Moll, Otto E.: Die deutschen Generalfeldmarschälle 1939–1945. Rastatt 1961. The Rommel Papers. Ed. by Lidell Hart. London 1953.

Gene Mueller

Generalfeldmarschall Günther von Kluge* Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb Walter Warlimont, die „Haltung seines ehemaligen verehrten Kommandierenden Generals [v. Kluge]“ sei ihm „vorbildlich“ erschienen.1 Andere hingegen bewerteten Generalfeldmarschall von Kluge überaus kritisch, so daß das Urteil über ihn insgesamt ambivalent ausfällt. Hans Günther von Kluge wurde am 30. Oktober 1882 in Posen als Sohn eines preußischen Offiziers geboren. 1901 trat er als Leutnant in das 46. Feldartillerie-Regiment in Wolfenbüttel ein, dem auch der spätere Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel angehörte. Nach dem Besuch der Kriegsakademie wurde er 1910 zum Großen Generalstab kommandiert. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Hauptmann in verschiedenen Stäben teil und wurde bei Verdun schwer verwundet.2 Nach dem Krieg wurde Kluge in die Reichswehr übernommen, wo er abwechselnd bei der Truppe und in diversen Stabsstellungen Dienst tat. 1930 erfolgte seine Beförderung zum Oberst, 1933 zum Generalmajor und schon 1934 zum Generalleutnant; gleichzeitig wurde er Kommandeur der 6. Division in Münster. Im August 1936 ernannte ihn Hitler zum General der Artillerie.3 Die Blomberg-Fritsch-Krise Anfang 1938 war ein schwerer Schlag für Kluge. Er hatte Werner Freiherr von Fritsch, den Oberbefehlshaber des Heeres (1934–1938), immer bewundert. Als Hitler Fritsch entließ, weil man ihn (zu Unrecht) der Homosexualität beschuldigte, bekam Kluge allmählich Zweifel am NS-Regime. Vor allem beunruhigte ihn Hitlers Außen- und Kriegspolitik. Seine Besorgnis wurde akut, als Hitler 1938 seine aggressive Politik gegen die Tschechoslowakei realisierte. Kluge wurde dann nach der Fritsch-Krise im Februar 1938 von dem neuen Oberbefehlshaber des Heeres, General von Brauchitsch, zum Kommandierenden General des VI. Armeekorps ernannt. Obgleich Kluge eine Abneigung gegen den Nationalsozialismus hatte, lehnte er es aber ab, sich gegen das NS-Regime zu stellen. Der US-Historiker Matthew Cooper charakterisiert ihn als „energisch, ehrgeizig, nicht zu Halbheiten und Kompromissen bereit“.4 Andere Historiker halten Kluge jedoch für einen wankelmütigen Charakter und schwächlichen Opportu nisten. * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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Seit 1937 wandten sich Oppositionskreise bei verschiedenen Gelegenheiten an Kluge, aber dieser wollte sich nicht festlegen. Er zögerte ständig, irgendeine Entscheidung hinsichtlich seiner Haltung gegenüber der Oppositionsgruppe um Generaloberst Ludwig Beck zu treffen. Kluge interessierte sich offenbar für die Verschwörung, war jedoch nicht bereit, darin irgendeine konkrete Aufgabe zu übernehmen. Im Anschluß an die Sudetenkrise wurde Kluge im Oktober 1938 wieder in den aktiven Dienst berufen; man übertrug ihm das neugeschaffene Heeresgruppenkommando 6 (das bald zur 4. Armee umgebildet wurde) in Hannover.5 Obwohl Hitler die Loyalität Kluges anzweifelte, benötigte er die Erfahrung des Generals. Im Polenfeldzug vom September 1939 bewährte sich Kluge als Armeeoberbefehlshaber hervorragend. Von Pommern aus stieß er mit seiner 4. Armee in nur drei Tagen durch den Korridor und drang dann in Richtung Warschau vor. Hitler war begeistert und beförderte Kluge nach dem Sieg über Polen zum Generaloberst. Im Mai 1940 nahm Kluges 4. Armee am Frankreichfeldzug teil. Sie griff im Abschnitt Malmedy an und stieß in Richtung Calais vor. Bei Dünkirchen konnten etwa 340 000 britische und französische Soldaten entkommen und später weiterkämpfen. Gleichwohl wurde Frankreich von der deutschen Wehrmacht besiegt. Im Juli 1940 erhob ein hocherfreuter Hitler ein Dutzend seiner Truppenkommandeure, darunter auch Kluge, zu Generalfeldmarschällen. Auch beim Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 führte Kluge die 4. Armee. Im Gegensatz zu anderen deutschen Generalen befürwortete er diesen Angriff.6 Schon bald übertrug ihm Hitler zusätzlich den Oberbefehl über die beiden Panzergruppen Guderian und Hoth. Kluges Infanterie war an dem Vorstoß gegen Moskau beteiligt, der im russischen Winter steckenblieb. Schon Ende Oktober hatte Kluge die Auswirkungen des Wetters auf die deutschen Transportfahrzeuge beklagt. 7 In der Winterkrise vor Moskau im Dezember 1941 übernahm er an Stelle des erkrankten Generalfeldmarschalls von Bock den Oberbefehl über die Heeresgruppe Mitte und setzte Hitlers Befehle, die Front um jeden Preis zu halten, rücksichtslos durch. Als General Guderian dagegen protestierte, ersuchte Kluge Ende Dezember den ‘Führer’ in einem Funkspruch, entweder ihn selbst oder Guderian zu entlassen. Hitler wußte, daß er auf Kluge sicher rechnen konnte, und entließ deshalb Guderian. Im Spätherbst 1942 suchte ein führender Kopf der Opposition, der frühere Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler, Kluge in seinem Hauptquartier bei Smolensk auf. Der Feldmarschall war beeindruckt von den Argumenten, die Goerdeler für den Widerstand gegen Hitler vortrug. Kluge blieb von jetzt an mit den Verschwörern in Verbindung, hat aber „zum akti-

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ven Aufstand […] nie den Entschluß oder die Möglichkeit gefunden“.8 Ein Grund dafür, daß er sich dem Widerstand nicht voll anschloß, war möglicherweise der Scheck über 250 000 Reichsmark, den er von Hitler als Dotation zu seinem 60. Geburtstag im Oktober 1942 erhielt. Hitler schätzte Kluge sehr; gegenüber Goebbels nannte er ihn im Dezember 1941 einen „Führer vom Scheitel bis zur Sohle“.9 Es ist anzunehmen, daß Kluge als Oberbefehlshaber einer Armee beziehungsweise einer Heeresgruppe sehr wohl von den Mordaktionen der hinter seinem jeweiligen Befehlsbereich tätigen SD-Einsatzgruppen wußte und somit die Konsequenzen des verbrecherischen Rasse- und Weltanschauungskrieges im Osten sah. Die zur Durchführung eines Staatsstreichs entschlossene Oppositionsgruppe beschloß zu handeln, wenn Hitler die Heeresgruppe Mitte besuchen würde. Dafür brauchten sie die Unterstützung Kluges, der seit etwa zwei Jahren in ihre Pläne eingeweiht war. Truppen des Oberstleutnants Georg von Boeselager sollten Hitler erschießen, während er im März 1943 Kluges Hauptquartier bei Smolensk besuchte. Der Feldmarschall weigerte sich jedoch, die entsprechenden Befehle zu geben, und das Attentat fand nicht statt. Kluge wollte sich an keinem Putsch beteiligen, solange der ‘Führer’ nicht tot war; statt dessen blieb er dem lebenden ‘Führer’ treu und förderte so die eigene Karriere.10 1943 wurde selbst dem trickreichen Günther von Kluge klar, daß Deutschland die Sowjetunion nicht besiegen konnte. Er sah das Scheitern des Unternehmens „Zitadelle“ – der deutschen Offensive gegen Kursk im Sommer 1943 – richtig voraus. Der deutsche Panzerangriff brach in der Schlacht von Kursk zusammen, und sowjetische Truppen begannen, die deutschen Linien zu durchstoßen. Da flog Kluge in Hitlers Hauptquartier und holte sich die Erlaubnis, seine Truppen auf die ‘Hagen-Linie’ zurücknehmen zu dürfen.11 Aber Ende August brachen die Russen auch hier durch, und Kluge zog sich erneut zurück, diesmal nach Weißrußland, wo er im Oktober mehrere sowjetische Angriffe abwehrte. Im gleichen Monat wurde Kluge bei einem Autounfall schwer verletzt. Man brachte ihn zu ärztlicher Behandlung in die Heimat, und Hitler verlieh ihm das Eichenlaub mit Schwertern zum Ritterkreuz; den Oberbefehl über die Heeresgruppe Mitte übernahm Generalfeldmarschall Busch. Der Unfall Kluges erschütterte nicht nur Hitler, sondern auch die Oppositionsgruppe um Goerdeler. Einen Monat zuvor war Kluge bei einem Berlinbesuch mit Goerdeler und Generaloberst a.D. Beck zusammengetroffen. Kluge erklärte, die militärischen Kräfte Deutschlands reichten nicht aus, um alle Fronten zu halten.12 Seine beiden Gesprächspartner schlugen vor, sich mit den westlichen Alliierten zu verständigen. Kluge meinte, „noch sei es möglich, bei rechtzeitiger Verständigung mit den Angelsachsen die Ostfront

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östlich der alten Ostgrenze Polens zu stabilisieren und unüberwindlich zu machen“.13 Da Hitler solchen Entscheidungen niemals zustimme, müsse er ausgeschaltet werden, und zwar mit Gewalt. Goerdeler plädierte für ein offenes Gespräch mit dem ‘Führer’; die Verantwortung für ein Attentat überließ er den Generalen. Kluge erklärte, diese Verantwortung werde er übernehmen. Kühne Worte aus dem Munde eines Mannes, der nicht bereit war, die Verschwörung wirklich zu unterstützen oder Hitler entgegenzutreten. Verärgert über die erfolgreiche Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 in der Normandie und ihren weiteren Vormarsch, ernannte Hitler Anfang Juli den wieder genesenen Kluge als Nachfolger Rundstedts zum Oberbefehlshaber West. Dieser war, nach Unterredungen mit Hitler auf dem Obersalzberg, wieder sehr siegesgewiß und zuversichtlich. Als er jedoch Gelegenheit hatte, sich selbst ein Bild von der Lage zu machen, erkannte Kluge die gewaltige Überlegenheit der Alliierten, besonders in der Luft. Beim Attentat am 20. Juli 1944 wurde Hitler nur leicht verletzt. Die Verschwörer hatten zugeschlagen – und das Attentat war gescheitert. Dieser Tag sollte für Feldmarschall von Kluge noch sehr turbulent werden. Als Kluge am frühen Abend in sein Hauptquartier zurückkehrte, fand er zwei Nachrichten vor. Die erste (von dem neuen Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Generalfeldmarschall von Witzleben) besagte: Hitler sei tot; die zweite (ein Auszug aus einer vom Deutschlandsender verbreiteten Erklärung): Hitler sei am Leben und werde noch an diesem Abend über den Rundfunk zum deutschen Volk sprechen. Kaum hatte er diese beiden gegensätzlichen Nachrichten gelesen, da erhielt er einen Telefonanruf von Beck, der ihm sagte, in Berlin würden Maßnahmen zum Sturz der Regierung Hitler getroffen.14 Gisevius schrieb später, Beck habe Kluge gefragt, ob er diese Aktion billige und ob er sich ihm (Beck) unterstelle. „Es folgen ein paar Sätze, die Kluge augenscheinlich aus gequälter Seele hervorsprudeln, so verschwommen versteht er sich auszudrücken.“15 Beck wiederholte seine Frage. Da antwortete Kluge, „das Mißglücken des Attentats habe eine unerwartete Situation geschaffen. Er müsse sich mit seinem Stab beraten. In einer halben Stunde werde er wieder anrufen.“ Er rief nie zurück. Statt dessen telefonierte Kluge mit Keitel, dem Chef des OKW, der ihm versicherte, Hitler sei wohlauf. Kluge hatte seine Entscheidung getroffen; er hatte nicht vor, sich einer ungewissen Sache anzuschließen. Gegen 20 Uhr erschienen bei Kluge General von Stülpnagel, der Militärbefehlshaber in Frankreich, und ein Mitglied seines Stabes, Oberstleutnant von Hofacker. Die beiden appellierten an Kluge, sich von Hitler loszusagen. Stülpnagel eröffnete ihm, daß er bereits die Verhaftung aller SD- und SSFührer in Paris angeordnet habe. Kluge war entsetzt.16 Da erinnerte ihn Hofacker daran, daß er sich im vergangenen Jahr bereit erklärt habe, bei

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dem Putsch mitzumachen. Der Feldmarschall entgegnete, diese Bereitschaft sei an die Voraussetzung geknüpft gewesen, daß Hitler tot sei. Hofacker, davon unbeeindruckt, ließ nicht nach. Da unterbrach ihn Kluge mit einem unzweideutigen Nein. Er befahl Stülpnagel, die verhafteten SD- und SSFührer schleunigst wieder freizulassen, und sagte ihm, er sei seines Postens enthoben. Gleichzeitig gab er ihm seelenruhig den Rat, in Zivilkleidung unterzutauchen. So ließ Kluge seine Kameraden fallen. In einem Versuch, die eigene Haut zu retten, sandte Kluge ein Fernschreiben an Hitler: Die Verschwörer seien „ruchlose Mörder“; er hingegen sei ihm völlig ergeben.17 Es war vergeblich. Hofacker, wenige Tage später verhaftet, zog bei seinen Verhören Kluge mit in die Verschwörung hinein. Von nun an war der Feldmarschall für Hitler ein „Mitwisser des Attentats“. Während der nächsten vier Wochen lebte Kluge zweifellos in der Angst, die Racheaktion Hitlers gegen die Verschwörer werde auch ihn treffen. Unter dieser Belastung beging Kluge Ende Juli einen strategischen Fehler, indem er Panzerverbände der Reserve ohne Schutz durch die Luftwaffe nach vorne verlegte. Am 25. Juli überschütteten fast 3000 amerikanische Flugzeuge die Panzerlehrdivision mit einem so fürchterlichen Bombenhagel, daß diese 70 Prozent Verluste erlitt. Dann durchbrach das amerikanische VII. Korps unter General J. Lawton Collins die deutschen Linien. General Patton nutzte diesen Anfangserfolg der Amerikaner und befahl seinen Panzerdivisionen, so rasch wie möglich in das Gebiet des Gegners vorzustoßen. Mitte August wurden rund 100 000 deutsche Soldaten – zusammen mit ihrem Oberbefehlshaber von Kluge – im sogenannten ‘Kessel von Falaise’ eingeschlossen. Am 15. August war Kluge, der die Schlacht in Frontnähe leiten wollte, 12 Stunden lang unerreichbar. Hitler, der Kluge inzwischen nicht mehr traute, hatte den Verdacht, dieser suche Kontakt zu den Alliierten, um möglicherweise den Krieg im Westen zu beenden; er befahl ihm über Funk, den Kessel sofort zu verlassen. Am 17. August erschien im Gefechtsstand des Oberbefehlshabers West überraschend Generalfeldmarschall Walter Model, um den schockierten und gedemütigten Generalfeldmarschall von Kluge abzulösen. Er übergab Kluge ein Handschreiben Hitlers, das mit dem drohenden Satz schloß, Kluge habe zu melden, nach welcher Gegend Deutschlands er zu gehen gedenke. Auf der Rückfahrt nach Deutschland befahl Kluge seinem Fahrer, in der Nähe von Metz anzuhalten. Dort nahm der Zweiundsechzigjährige am 19. August 1944 Zyankali. Am Tag zuvor hatte er einen Abschiedsbrief an den ‘Führer’ geschrieben, eine „würdelose Apologie“, die mit den Worten endet: „Mein Führer, ich habe stets Ihre Größe, Ihre Haltung in diesem gigantischen Kampf und Ihren eisernen Willen, sich und den Nationalsozialismus zu erhalten, bewundert. […] Sie haben einen ehrlichen, ganz großen

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Kampf geführt. Die Geschichte wird Ihnen das bescheinigen. Zeigen Sie nun auch die Größe, die notwendig sein wird, wenn es gilt, einen aussichtslos gewordenen Kampf zu beenden. Ich scheide von Ihnen, mein Führer, der ich Ihnen innerlich näher stand, als Sie vielleicht geahnt, in dem Bewußtsein, meine Pflicht bis zum äußersten getan zu haben. Heil mein Führer!“18 Ob Hitler diesen Brief je erhielt, ist unsicher. Am 31. August 1944 sagte er bei einer Besprechung in der „Wolfsschanze“, es bestünden „sehr schwerwiegende Verdachtsmomente, daß [Kluge], wenn er nicht Selbstmord verübt hätte, ohnehin sofort verhaftet worden wäre.“19 Dem ‘Führer’ war es recht, daß Kluge Selbstmord beging; auf diese Weise blieben dem NS-Regime Peinlichkeiten erspart. Günther von Kluge starb einen höchst unehrenhaften Tod. Er lehnte es ab, sich der konspirativen Gruppe um Ludwig Beck und Carl Goerdeler anzuschließen; gleichzeitig erweckte er jedoch den Eindruck, ihre Sache zu unterstützen. Mehr als das: 1943 sagte er ihnen, man müsse Hitler ausschalten, um Deutschland zu retten. Aber im Juli 1944 trug er entscheidend dazu bei, daß der Putsch gegen Hitler in Paris scheiterte. Er schwankte ständig zwischen seinen vermeintlichen Pflichten gegenüber Hitler und seinen Pflichten als Offizier in der preußisch-deutschen Tradition. Sein Abschiedsbrief enthüllt, was ihm mehr bedeutete. Es war angemessen, daß er ohne militärische Ehren bestattet wurde. Anmerkungen Warlimont, Im Hauptquartier, S. 262 f. Air University Archives, Günther von Kluge, Personnel Record; ferner: Hitler’s Generals, S.395; Moll, Die deutschen Generalfeldmarschälle, S.84; sowie NDB. 3 O’Neill, The German Army, S.207. 4 Cooper, The German Army, S.205. 5 Mitcham, Hitler’s Field Marshals, S. 296. 6 Ebenda, S.297. 7 Entscheidungsschlachten des Zweiten Weltkriegs, S.158. 8 Ritter, Carl Goerdeler, S.348. 9 Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 2, S.539 (18.12.1941). 10 Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S. 584–586, 594–596. 11 Clark, Barbarossa, S. 351–360. Clark gibt die Führerbesprechung vollständig wieder, und es ist interessant zu lesen, wie hartnäckig Kluge sein mußte, um sein Ziel zu erreichen. 12 Ritter, Carl Goerdeler, S.363 f. 13 Ebenda, S.364f. 14 Gisevius, Bis zum bitteren Ende, Bd.2, S.340. 15 Ebenda, auch zum Folgenden. 1 2

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Mitcham, Hitler’s Field Marshals, S. 303. Ebenda, S.304. 18 Ose, Entscheidung im Westen, S.340. 19 Warlimont, Im Hauptquartier, S.482. 16 17

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, Verschiedene Aktenbestände zu Kluges Kommandostellen; Air University Archives, Maxwell Air Force Base, Alabama: Personnel Record Günther v. Kluge; Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München: Zeugenschrift zum Widerstand gegen Hitler, Scheurigs Materialsammlung zu Henning v. Tresckow. Gedruckte Quellen und Literatur Clark, Alan: Barbarossa. The Russian German Conflict, 1944–45. New York 1965. Cooper, Matthew: The German Army 1933–1945. Its Political and Military Failure. Chelsea 1991. Deutsch, Harold C.: Hitler and His Generals. The Hidden Crisis. January–June 1938. Minneapolis 1974. Ders.: The Conspiracy against Hitler in the Twilight war. Minneapolis 1958. Gersdorff, Rudolf-Christoph v.: Soldat im Untergang. Frankfurt a.M./Berlin 1977. Gisevius, Hans-Bernd: To the Bitter End. New York 1947 (dt. Ausg. u. d. T.: Bis zum bitteren Ende. Vom Reichstagsbrand bis zum 20. Juli 1944. Hamburg 1961). The Goebbels-Diaries. New York 1948. Hoffmann, Peter: Der deutsche Widerstand 1933–1945. Paderborn 1986. Lamb, Richard: Kluge. In: Hitler’s Generals. Ed. by Correlli Barnett. London 1989, S.379–410. Mitcham, Samuel W.: Hitler’s Field Marshals. London 1988. Ders./Gene Mueller: Hitler’s Commanders. New York 1992. O’Neill, Robert: The German Army and the Nazi Party, 1933–1939. New York 1986. Ose, Dieter: Entscheidung im Westen. Der Oberbefehlshaber West und die Abwehr der alliierten Invasion. Stuttgart 1985. Reinhardt, Klaus: Die Wende vor Moskau. Das Scheitern der Strategie Hitlers im Winter 1941/42. Stuttgart 1972. Ritter, Gerhard: The German Resistance. Carl Goerdeler’s Struggle Against Tyranny. Freeport, N. Y. 1958 (dt. Ausgabe u. d. T.: Carl Goerdeler und der deutsche Widerstand. Stuttgart 1972). Schlabrendorff, Fabian v.: Offiziere gegen Hitler. Berlin 1984. Schramm, Wilhelm von: Aufstand der Generale. Der 20. Juli in Paris. Ein Bericht. München 1964. Speidel, Hans: Aus unserer Zeit. Erinnerungen. Berlin u.a. 1977.

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„Spiegelbild einer Verschwörung“. Die Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der SD-Berichterstattung. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt. Hrsg. von Hans-Adolf Jacobsen. 2 Bde., Stuttgart 1984. Steinbach, Peter: Hans Günther von Kluge – Ein Zauderer im Zwielicht. In: Die Militärelite des Dritten Reichs. Hrsg. von Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin/Frankfurt a.M. 1995, S. 288–324. Ders.: „Kinder ihr habt mich! – Generalfeldmarschall Günther von Kluge. In: Der 20. Juli in Paris. Verlauf–Hauptbeteiligte–Augenzeugen. Berlin–Kleinmachnow 1993, S.104–132. Taylor, Telford: Sword and Swastika. Generals and Nazis in the Third Reich. New York 1952, Chicago 1969. Thun-Hohenstein, Romedio Galeazzo Graf von: Generalfeldmarschall Günther von Kluge. In: Militärgeschichte 4/1994, H. 3, S. 39–51. Westphal, Siegfried: Der deutsche Generalstab auf der Anklagebank. Nürnberg 1945–1948. Mainz 1978. Wheeler-Bennett, John W.: The Nemesis of Power. The German Army in Politics, 1918–1945. London 1964.

John McCannon

Generalfeldmarschall Georg von Küchler* Bis zum heutigen Tag bleibt Georg Karl Friedrich-Wilhelm von Küchler eine Gestalt, die schwer zu fassen ist. Der Historiker Brett-Smith schrieb: „Von allen Generalfeldmarschällen Hitlers ist er derjenige, der uns am verschwommensten erscheint.“ 1 Diese Aussage gilt sowohl für seine Karriere als auch besonders für seine Persönlichkeit. Wie alle hochrangigen Offiziere in Hitlers Wehrmacht war Küchler unmittelbar mit Befehlen der NSFührung konfrontiert, die moralisch unannehmbar waren. Am Ende konnte er auf solche Befehle nur noch inkonsequent und zweideutig reagieren. Ebenso hinterließ Küchler nur ganz undeutliche Eindrücke von seiner wahren Haltung gegenüber der NS-Politik. Georg von Küchler wurde am 30. Mai 1881 auf Schloß Philippsruhe bei Hanau (Kurhessen, seit 1866 preußisch) geboren. 2 Von Jugend an wurde er auf eine militärische Karriere vorbereitet. In einer preußischen Kadettenanstalt erzogen, wurde er 1901 Leutnant bei der Artillerie. Im Ersten Weltkrieg kämpfte Oberleutnant von Küchler zunächst als Batteriechef an der Westfront. Dann wurde er zum Hauptmann befördert und diente bei verschiedenen Verbänden als Generalstabsoffizier. In der Zwischenkriegszeit setzte er in der Reichswehr seinen Aufstieg stetig fort. Von Hitler wurde er 1937 zum Kommandierenden General des I. Armeekorps (später 3. Armee) und Befehlshaber im Wehrkreis I (Ostpreußen) befördert und gleichzeitig zum General der Artillerie. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs befand sich Küchler in der vordersten Kampflinie. Im September 1939 wirkte seine 3. Armee bei der Eroberung Polens mit. Zwei Monate später wurde Küchler Oberbefehls haber der 18. Armee. Im Mai 1940 spielte er eine führende Rolle bei der Unterwerfung der Niederlande. Durch Einsatz motorisierter Verbände und überlegener Luftwaffeneinheiten zwang er die Holländer nach nur fünftägigem Kampf zur Kapitulation. Der Höhepunkt des Westfeldzugs war für Küchler, daß die 18. Armee den Auftrag erhielt, Paris einzunehmen. Am 14. Juni zogen seine Truppen in Paris ein; einen Monat später wurde Küchler für seine Verdienste durch die Beförderung zum Generaloberst belohnt. Nach der Einnahme von Paris wurde die 18. Armee nach Polen – das Auf* Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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marschgebiet für den Krieg gegen die Sowjetunion – verlegt. Als am 22. Juni 1941 das „Unternehmen Barbarossa“ begann, gehörte Küchlers 18. Armee zur Heeresgruppe Nord. Deren Oberbefehlshaber, Generalfeldmarschall Ritter von Leeb, sollte durch das Baltikum vorstoßen und Leningrad erobern.3 Die Heeresgruppe Nord erreichte Leningrad, aber es gelang ihr nicht, die Stadt einzunehmen. Im Januar 1942 bat Leeb um Ablösung von seinem Posten. Hitler entsprach dieser Bitte und ernannte am 17. Januar Küchler zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord. Damit übernahm Küchler die Verantwortung für die Belagerung Leningrads, eine der bedeutendsten Operationen des ganzen Krieges. Vor den Toren Leningrads erlosch Küchlers militärischer Stern rasch. Küchler hatte zwar bei der Abwehr der sowjetischen Offensive im Winter 1941/42 treue Dienste geleistet und war dafür im Juni 1942 zum Generalfeldmarschall befördert worden; aber mit Leningrad hatte er ebensowenig Glück wie Leeb. Ende 1943 war der deutsche Belagerungsring um Leningrad unhaltbar geworden, und am 17. Januar 1944 mußte Küchler schließlich seine Truppen zurückziehen. Wie zu erwarten war, machte Hitler Küchler zum Sündenbock für das Scheitern der Wehrmacht vor Leningrad. Am 31. Januar 1944 enthob er ihn seines Postens und verwendete ihn bis zum Kriegsende nicht mehr. Ob Küchler – wie andere Feldmarschälle – von Hitler zu seinem 60. Geburtstag im Mai 1941 eine Dotation erhielt, ist umstritten. Nachdem die Amerikaner im Mai 1945 Bayern besetzt hatten, betreute Küchler zunächst in Garmisch ein Programm der US-Army für historische Studien über den Zweiten Weltkrieg. Aber dann verhafteten ihn die Amerikaner und beschuldigten ihn, als Oberbefehlshaber der 18. Armee und der Heeresgruppe Nord Kriegsverbrechen begangen zu haben. Sie stellten Küchler vor den Militärgerichtshof V der Vereinigten Staaten in Nürnberg und verurteilten ihn im Oktober 1948 zu einer Haftstrafe von 20 Jahren, die drei Jahre später auf 12 Jahre herabgesetzt wurde. Er wurde jedoch schon im Februar 1952 freigelassen und lebte dann zurückgezogen in GarmischPartenkirchen, wo er im Mai 1968 starb. Auf den ersten Blick scheint Küchler in ein sehr verbreitetes Klischee zu passen. Er war ein Produkt des traditionsbewußten Militäradels, einer Gruppe, die – so wird gemeinhin angenommen – mit Hitler als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber schwer zurechtkam. In ethischer Hinsicht gab es an der NS-Bewegung vieles, was die Generale ablehnen mußten. Neben dem umfassenden Ziel des NS-Regimes, Juden, Slawen, Zigeuner, Homosexuelle, Geisteskranke und andere „unerwünschte“ Personen in den besetzten Gebieten auszurotten, gab es eine Reihe spezieller Anweisungen (meist im Hinblick auf Operationen in der Sowjetunion), die ein Großteil der mi-

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litärischen Elite verabscheute. Hitler wußte sehr wohl, daß viele seiner Generale seinen Weltanschauungskrieg nicht billigten und seine Politik unausstehlich fanden. So erklärte er 1941, er könne nicht verlangen, daß seine Generale seine Befehle verstünden, aber er verlange, daß sie sie befolgten. Deshalb wurden Truppenkommandeure für die Durchführung solcher Befehle persönlich verantwortlich gemacht.4 Generale, die sich für Christen hielten,5 gerieten in Verlegenheit, wenn sie mit verwerflichen Weisungen Hitlers konfrontiert wurden; sie hatten nur einen Ausweg: die Befehle des ‘Führers’ zu umgehen, indem sie diese ignorierten und sich weigerten, sie an ihre Untergebenen weiterzuleiten. Küchler scheint in mancher Hinsicht diesem Bild entsprochen zu haben. Nach allen Berichten war er tapfer in der Schlacht und bei seinen Truppen äußerst populär. Mehrfach setzte er sich persönlich großen Gefahren aus, um das Leben verwundeter Soldaten zu retten.6 Küchler scheute sich auch nicht, hochgestellten NS-Funktionären entgegenzutreten. Während der ersten Monate des Polenfeldzuges äußerte er mehrmals sein Mißfallen über die schlechte Behandlung polnischer Zivilisten. Am 10. September 1939 hatten Angehörige einer SS-Brigade 50 Juden grundlos erschossen. Als ein Kriegsgericht die Täter zu einem Jahr Gefängnis verurteilte, weigerte sich Küchler, diese nach seiner Auffassung allzu milde Strafe zu bestätigen. Es kam deswegen zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem ostpreußischen Gauleiter Erich Koch und mit dem Reichsführer-SS Himmler. Allerdings behielt Himmler am Ende die Oberhand; das Urteil wurde sogar gänzlich aufgehoben.7 Küchler trat auch Hitler entgegen, allerdings hauptsächlich in Fragen, die militärische Angelegenheiten – nicht die allgemeine Politik – betrafen. Wie viele andere deutsche Generale war er empört über die anmaßende Haltung Hitlers, wenn es um militärische Entscheidungen ging. Vor allem ärgerte er sich über Hitlers hartnäckige Weigerung, seinen Heerführern einen Rückzug zu gestatten, selbst wenn die Lage einen solchen offenkundig erforderte. Ende 1943 ersuchte Küchler den ‘Führer’ wiederholt, den Rückzug der Heeresgruppe Nord auf die „Panther-Linie“ (Narva – Peipussee) zu erlauben. Hitler lehnte sein Ersuchen jedesmal ab und nannte Küchler einen Feigling, weil er sich zurückziehen wolle, obwohl er „die stärkste Heeresgruppe an der Ostfront“ habe.8 Im Januar 1944 teilte Küchler dem ‘Führer’ schließlich mit, er gehe auf jeden Fall zurück – auch wenn er keine Genehmigung bekomme. Diese Vorgänge haben manchen Historiker veranlaßt, Küchler unter positiven Vorzeichen zu betrachten und ihn zu jenen Generalen zu rechnen, die sich der Politik Hitlers aus moralischen Gründen widersetzten. Gehört Küchler in diese Kategorie? Der Militärgerichtshof V in Nürnberg, der ihn

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zu 20 Jahren Haft verurteilte, war offenbar anderer Auffassung. Zusammen mit Leeb, seinem ehemaligen Vorgesetzten, und elf weiteren Angeklagten stand Küchler im sogenannten OKW-Prozeß vor Gericht; man machte ihn für Kriegsverbrechen verantwortlich, die während seiner Zeit als Oberbefehlshaber an der Ostfront begangen worden waren. Unter anderem warf man ihm vor: Hinrichtung von Zivilpersonen, die verdächtigt wurden, Partisanen zu sein oder diese unterstützt zu haben; Einsatz von sowjetischen Kriegsgefangenen zur Räumung von Minenfeldern; Durchführung des berüchtigten ‘Kommissar-Befehls’ vom 6. Juni 1941, nach dem alle politischen Kommissare der Roten Armee, die in Gefangenschaft gerieten, erschossen werden sollten; Hinrichtung sowjetischer Juden aufgrund des sogenannten ‘Reichenau-Befehls’ vom 10. Oktober 1941, der von der „Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschen“ sprach; die Tötung von 230–240 Patientinnen der Irrenanstalt von Makarjevo im Dezember 1941; und schließlich die Liquidierung von 128 Zigeunern in Novorshew im Juni 1942.9 Als er zum ersten Mal den Zeugenstand betrat, wandte Küchler eine einfache Strategie an: Mit großer Dreistigkeit bestritt er, von den Vorfällen, die man ihm zur Last legte, gewußt zu haben, oder er verteidigte diese Vorfälle als legitimes militärisches Vorgehen, als Kriegsnotwendigkeit. Hatte Küchler sowjetische Kriegsgefangene zum Räumen von Minenfeldern eingesetzt? Natürlich nicht. Hatte er gewußt, daß in der Irrenanstalt von Makarjevo hilflose Frauen umgebracht wurden? In seiner Antwort schlug Küchler fast fromme Töne an: „Als ich von diesem Anklagepunkt zum ersten Mal hörte, war ich ziemlich betroffen. Es ist etwas, was völlig außerhalb normaler Kriegsereignisse liegt. Es berührt mein menschliches Empfinden zutiefst.“10 Hatte er den Kommissarbefehl durchgeführt und die Hinrichtung von politischen Kommissaren, die in Gefangenschaft geraten waren, gebilligt? Küchler erklärte an Eides Statt: „Ich habe diesen Befehl nie in Händen gehabt; ob er meine Dienststelle je erreicht hat, weiß ich nicht; ob und auf welche Weise meine Truppenführer darüber unterrichtet worden sind, kann ich nicht sagen.“11 Küchler bestritt nicht, daß Juden und Zigeuner erschossen worden waren, schwor jedoch, dies sei nur geschehen, weil sie sich an Partisanenaktionen beteiligt hatten, nicht aus „unvernünftigen, weltanschaulichen oder politischen Gründen“.12 Ob er Partisanen hingerichtet habe? Nach Küchlers Auffassung war das eine völlig legitime militärische Maßnahme, da die sowjetischen Partisanen – wie Moskau selbst zugegeben habe – für die Deutschen eine echte militärische Bedrohung darstellten. Im Laufe der Zeit begann die Verteidigung Küchlers jedoch zu bröckeln. Im Kreuzverhör – und durch die Vorlage unanfechtbarer Dokumente aus den Archiven des OKW und des OKH – wurde deutlich, daß Küchler dem

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Gericht nicht die Wahrheit sagte. So hatte er politische Kommissare routinemäßig und ohne Gewissensbisse erschießen lassen. Die Aussagen Küchlers zu diesem Punkt wurden immer widersprüchlicher. Schließlich erklärte er, ihm sei nichts anderes übriggeblieben, als den Kommissarbefehl weiterzugeben: „Ich wollte nicht Gefahr laufen, als ein ungehorsamer Befehlshaber angesehen zu werden.“13 Die Vertreter der Anklage hielten Küchlers Argumente für Schönfärberei. Die größte Belastung für den Angeklagten war die eisige Kälte, die von Meldungen in seiner eigenen Handschrift ausging. Zum Beispiel stand in einem von ihm unterzeichneten Dokument: „Keine besonderen Vorkommnisse. Heute 16 Kommissare erschossen.“14 Ebenso widerlegte das Gericht die Aussagen Küchlers zu den übrigen Anklagepunkten, etwa über die Erschießung von Partisanen, den Einsatz von sowjetischen Gefangenen zur Räumung von Minenfeldern und die Liquidierung von Zigeunern. Bei dem Versuch, die schauerliche Episode in der Irrenanstalt von Makarjevo zu erklären, mußte Küchler zu der faulen Ausrede greifen, die dort untergebrachten Frauen hätten Syphilis und andere ansteckende Krankheiten gehabt und er habe seine Truppen keiner Gefahr aussetzen wollen.15 Als er schließlich zur Erschießung von Juden befragt wurde, brach Küchler regelrecht zusammen. Er begann mit einer trotzigen und moralisierenden Verwerfung des ‘Reichenau-Befehls’. Als ihn aber die Ankläger in die Enge trieben, schloß er seine Zeugenaussage in unterwürfiger Konfusion und rief gereizt: „Wenn ich die Frage [ob Juden wegen ihrer Rassen- und Religionszugehörigkeit erschossen wurden] verneine, dann werden Sie mir einfach ein Dokument mit einem Befehl vorlegen, der das Gegenteil beweist!“16 Am Ende des Verfahrens gab der einst so stolze Feldmarschall eine traurige Figur ab. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären? Wie läßt sich der Küchler, der Koch und Himmler mutig entgegentrat, vereinbaren mit dem Kriegsverbrecher, der in Nürnberg auf der Anklagebank saß? Manche Historiker behaupten, Küchler habe sich der NS-Politik nie wirklich widersetzt. Zumindest zwei Aussagen deuten darauf hin, daß dies vielleicht tatsächlich so war. Schon im Juli 1940 wies Küchler seine Truppenkommandeure an, darauf hinzuwirken, „daß sich jeder Soldat, besonders der Offizier, der Kritik an dem im Generalgouvernement durchgeführten Volkstumskampf […] enthält. Der an der Ostgrenze seit Jahrhunderten tobende Volkstumskampf bedarf zur endgültigen völkischen Lösung einmaliger, scharf durchgreifender Maßnahmen.“17 Und ein Dreivierteljahr später, im April 1941, teilte er den Divisionskommandeuren der 18. Armee mit, von Rußland, das schließlich ein „asiatischer Staat“ sei, trenne Deutschland „weltanschaulich und rassisch ein tiefer Abgrund“. Deshalb müsse das Ziel sein, „das europäische Rußland zu vernichten“.18

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Anstatt anzunehmen, daß Küchler der NS-Politik grundsätzlich zustimmte und seine Konflikte mit Gestalten wie Koch und Himmler nur persönliche Auseinandersetzungen waren, gibt es eine andere – und vielleicht plausiblere – Erklärung für die Grausamkeiten, die Küchler schließlich beging: Wahrscheinlich veränderten ihn seine Erlebnisse an der Ostfront. 1939 und 1940, als der Krieg gerade anfing und die Feinde des ‘Dritten Reiches’ wie Kegel umfielen, war es für einen Mann wie Küchler relativ leicht, seine moralische Integrität zu bewahren. Die Situation änderte sich, als die Heeresgruppe Nord die Vorstädte Leningrads erreichte. Jetzt war der Einsatz höher. Hitler hatte die Weisung erlassen, „die Stadt Petersburg vom Erdboden verschwinden zu lassen“.19 Der Krieg gegen die Russen sollte ein Blutbad werden; darüber machte sich niemand Illusionen. Vor Leningrad erlitten die Truppen Küchlers unvorstellbar Schreckliches: nicht nur materielle Entbehrungen, besonders während der harten russischen Winter, sondern auch erbarmungslose sowjetische Gegenangriffe und ständige Bedrohung durch Partisanen, die Nachschubbasen der deutschen Wehrmacht plünderten und deutsche Soldaten aus dem Hinterhalt überfielen. Dazu kam – von Tag zu Tag deutlicher – die niederschmetternde Erkenntnis, daß die Deutschen nicht mehr hoffen konnten, den Krieg gegen die Sowjets zu gewinnen. Die plausibelste Erklärung für die Kriegsverbrechen Küchlers ist, daß er seine Definition von angemessenem militärischen Vorgehen und legitimen militärischen Zielen unter dem Druck der Situation in bedenklicher Weise strapazierte. Je verzweifelter seine Lage wurde, desto schwieriger fand es Küchler, sich an die moralischen Wertmaßstäbe zu halten, die in der Anfangsphase des Krieges für ihn selbstverständlich gewesen waren. Hier liegt die wahre Tragödie Küchlers. Er besaß anscheinend das Potential, sich zu einem Menschen zu entwickeln, der seine sittlichen Grenzen selbst definierte, statt sie sich von der NSDAP vorschreiben zu lassen. Er war jedoch nicht imstande, dieses Potential zu verwirklichen. Letzten Endes war Küchlers Moral opportunistisch; er begnügte sich damit, nach ihr zu leben, wenn es wenig oder keine Anstrengung erforderte; aber er trat nicht selbstbewußt für sie ein. Nach seiner Entlassung 1944 boten ihm Carl Goerdeler und Johannes Popitz die Chance, sich der Verschwörung gegen Hitler anzuschließen. 20 Die Antwort Küchlers war aufschlußreich. Er sagte beiden, er bewundere ihre Haltung, sei jedoch nicht bereit, sich ihnen anzuschließen. Bedenkt man das spätere Schicksal der Verschwörer, so war das vielleicht eine kluge, aber kaum eine vorbildliche Entscheidung. In bezug auf das Hitler-Regime und die NS-Politik war Küchler nicht ohne Wertmaßstäbe, aber leider war er nicht bereit, für diese Wertmaßstäbe zu kämpfen, wenn es notwendig und richtig war.

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Anmerkungen Brett-Smith, Hitler’s Generals, S.94. Zu Details von Küchlers Leben und Karriere siehe Mitcham, Hitler’s Field Marshals, S.255–268. Ferner Moll, Die deutschen Generalfeldmarschälle, S.95–99; v. Leeb, Tagebuchaufzeichnungen, S. 272, Anm. 31, auch zum Folgenden. 3 Salisbury, The 900 Days, S. 117. Die Heeresgruppe Nord umfaßte etwa 30 Prozent der gesamten deutschen Streitmacht, die im Juni 1941 gegen die Sowjetunion antrat. 4 Dallin, Deutsche Herrschaft in Rußland, S.45. 5 Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, S. 604. Zu der Gewissenskrise, in die deutsche Generale gerieten, vgl. auch Davidson, The Trial of the Germans, S.565f. 6 Mitcham, Hitler’s Field Marshals, S. 258. Ein Amerikaner in Berlin, Louis P. Lochner, Korrespondent der Associated Press, berichtete ebenfalls, Küchler sei dafür bekannt gewesen, daß er sich um seine Soldaten wie ein Vater kümmere. 7 Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, S. 604. 8 Keegan, The Second World War, S. 476–479. Es ist bemerkenswert, daß Hitler diese Meinung genau zu dem Zeitpunkt äußerte, als er der Heeresgruppe Nord ständig Truppen entzog. Nach dem Kriegstagebuch des OKW, Bd. II, S. 1396 f. (zitiert bei Mitcham, Hitler’s Field Marshals, S. 262) schrumpften die Truppen Küchlers zwischen Dezember 1942 und Oktober 1943 von 51 auf 43 Divisionen. 9 Zu allen diesen Anklagepunkten und zu Küchlers Aussagen dazu vgl. Bartov, The Eastern Front, S. 106, 114; Davidson, The Trial of the Germans, S. 336 f., 566 f.; Harris, Tyranny on Trial, S. 184 f., 207; Nazi Conspiracy and Aggression, vol. VI, S. 961 f.; und vor allem Trials of War Criminals, vol. X, S. 1056–1058, 1195–1205, 1224–1227; ebenda, vol. XI, S. 337 f., 398–406. Ferner, auch zum Folgenden, Fall XII. Das Urteil gegen das OKW, gefällt am 28. Okt. 1948 in Nürnberg vom Militärgerichtshof V der Vereinigten Staaten von Amerika, (Ost-)Berlin 1961, S. 147–163; Krausnick/Wilhelm, Die Truppe des Weltanschauungskrieges, passim. 10 Trials of War Criminals, vol. X, S.1205. 11 Ebenda, vol. XI, S.337. Zitiert nach Fall XII, S. 148. 12 Trials of War Criminals, vol. X, S.1201. 13 Ebenda, vol. XI, S.337. Zitiert nach Fall XII, S.148. 14 Davidson, The Trial of the Germans, S. 568. Vgl. auch Bartov, Hitlers Wehrmacht, S. 195, wo nachgewiesen wird, daß Küchler im Sinne von Hitlers Intentionen und dessen Erklärung vom 30. März 1941 schon im April 1941 gegenüber seinen Divisionskommandeuren die politischen Kommissare als „Kriminelle“ bezeichnete. 15 Davidson, The Trial of the Germans, S.566 f. 16 Trials of War Criminals, vol. X, S.1225. 17 Davidson, The Trial of the Germans, S.566. 18 Bartov, Hitlers Wehrmacht, S.195. 19 Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, S.778 f. 20 Mitcham, Hitler’s Field Marshals, S. 266. 1 2

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 184: Nachlaß Küchler; verschiedene Bestände zu Küchlers Kommandostellungen (u.a. 18. Armee, Heeresgruppe Nord). Gedruckte Quellen und Literatur Bartov, Omar: The Eastern Front, 1941–45: German Troops and the Barbarization of Warfare. New York 1986. Ders.: Hitler’s Army: Soldiers, Nazi and War in the Third Reich. New York 1991 (dt. Ausgabe u. d. T.: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges. Reinbek 1995). Brett-Smith, Richard: Hitler’s Generals. San Rafael, Calif. 1977. Clark, Alan: Barbarossa: The Russian-German Conflict, 1941–45. New York 1985. Dallin, Alexander: German Rule in Russia, 1941–1945. A Study of Occupation Politics. New York 1957 (dt. Ausgabe u. d. T.: Deutsche Herrschaft in Rußland 1941– 1945. Eine Studie über Besatzungspolitik. Düsseldorf 1958, Königstein 1981). Davidson, Eugene: The Trial of the Germans. An Account of the Twenty-Two Defendants before the International Military Tribunal at Nuremberg. New York 1966. Generalfeldmarschall Ritter von Leeb. Tagebuchaufzeichnungen und Lagebeurteilungen aus zwei Weltkriegen. Hrsg. v. Georg Meyer. Stuttgart 1976. Harris, Whitney R.: Tyranny on Trial: The Evidence at Nuremberg. Dallas 1954. Mitcham, Samuel W.: Hitler’s Field Marshals and Their Battles. Chelsea 1990. Moll, Otto E.: Die deutschen Generalfeldmarschälle 1939–1945. Rastatt 1961. Müller, Rolf-Dieter/Gerd R. Ueberschär: Hitler’s War in the East. A Critical Assessment. Providence/Oxford 1997. Nazi Conspiracy and Aggression. Vol. VI. Washington/D.C. 1946. Stachow, Hasso G.: Fiasko an der Newa. Die Blockade Leningrads. Fazit eines Zeitzeugen der 18. Armee. München 1997. Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Cauncil Law No. 10, October 1946–April 1949, Vols. XX/I. Washington/D.C. 1951.

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Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb* Frustriert durch Hitlers Befehle im Januar 1942, die von Einkesselung bedrohten Stellungen vor Leningrad zu halten und offensive Aktionen vorzubereiten, bat Generalfeldmarschall Wilhelm von Leeb um seine Ablösung als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord. „Sein Herz war nicht bei der Sache“, vermutet der Historiker Liddell Hart1. Tatsächlich war Leeb nie ein Anhänger des NS-Regimes und hatte die Notwendigkeit eines Angriffskrieges schon immer bezweifelt. Am 5. September 1876 in Landsberg am Lech geboren, trat Wilhelm Ritter von Leeb nach der Reifeprüfung im Juli 1895 als Fahnenjunker in das königlich-bayerische Heer ein. 1897 wurde er Leutnant und besuchte dann die Artillerie- und Ingenieurschule. Als 1900 in China der Boxeraufstand ausbrach, meldete sich der junge Offizier zum Deutschen Ostasienkorps, wo er bei Kiautschou seine Feuertaufe erhielt. Nach Absolvierung der bayerischen Kriegsakademie diente er 1907–1911 in München und in Berlin als Generalstabsoffizier. 1912 wurde er Batteriechef im 10. bayerischen Feldartillerie-Regiment. 2 Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Leeb im Generalstab des I. bayerischen Armeekorps in München. Mit der 11. bayerischen Infanterie-Division kämpfte er in Serbien, Galizien, Rumänien sowie bei Verdun. Für seine hervorragenden Leistungen als Erster Generalstabsoffizier dieser Division wurde er im Juni 1916 mit dem Ritterkreuz des Militär-Max-Joseph-Ordens ausgezeichnet und erwarb dadurch den persönlichen Adelstitel „Ritter von“. 3 Von Mai 1917 bis zum Ende des Krieges diente er an der Westfront im Generalstab der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von Bayern, zuletzt als Oberquartiermeister.4 Nach dem Krieg blieb Leeb im Heer und setzte während der Weimarer Republik seinen Aufstieg rasch fort. Schon im Dezember 1929 wurde er zum Generalleutnant befördert, und ab Januar 1930 war er Befehlshaber des Wehrkreises VII (München) und Kommandeur der 7. (bayerischen) Division.5 Obgleich Leeb so rasch befördert wurde, waren seine Offiziers kameraden offenbar weder verstimmt noch eifersüchtig. Wilhelm von Leeb genoß hohes Ansehen und galt als Experte für defensive Kriegführung. In der Zwischenkriegszeit schrieb er mehrere Aufsätze zu diesem Thema und * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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war auch im Ausland für seinen Scharfblick und seine Gründlichkeit bekannt.6 Sein Buch ›Die Abwehr‹, 1938 vom deutschen Reichkriegsministerium veröffentlicht, fand in militärischen Fachkreisen hohes Lob. Leeb glaubte, die Abwehr, d. h. die Defensive, sei der wichtigste Aspekt der Kriegführung und der Sieg werde derjenigen Armee zufallen, die über die beste taktische und strategische Defensive verfügt. In Weiterführung dieser Argumentation behauptete Leeb, die beste Offensive Deutschlands im Zweiten Weltkrieg sei eine gute Defensive: den Feind zur Ader lassen und erst dann, wenn er geschwächt ist, angreifen. Als frommer Katholik war Leeb ein Mann mit Grundsätzen, der den kirchenfeindlichen Nationalsozialisten mißtraute. Er fiel nicht auf die NS-Propaganda herein. Am 3. Februar 1933 hielt der neue Reichskanzler Hitler seine erste Ansprache vor den Befehlshabern des Heeres und der Marine. Hitler bezeichnete darin die Reichswehr als „Waffenträgerin der Nation“ und sprach von der „Eroberung neuen Lebensraumes im Osten und dessen rücksichtsloser Germanisierung“.7 Nach dieser Ansprache sagte Leeb, der ‘Führer’ versuche, Unterstützung für seine zweifelhafte Politik zusammenzutrommeln. Zu Hitlers demagogischer Art meinte er, „ein Geschäftsmann, dessen Ware gut sei, brauche sie doch nicht in den höchsten marktschreierischen Tönen anzupreisen“.8 Der Regierung Hitler war Leebs reservierte, wenn nicht sogar ablehnende Einstellung zum Nationalsozialismus bekannt. Deshalb ordnete Hitler eine Überwachung Leebs durch die Gestapo an – der erste Fall, daß ein General von der Geheimpolizei observiert wurde.9 Leebs Ansehen bei der NSDAP erreichte seinen Tiefpunkt, als er – während er Befehlshaber des Heeresgruppenkommandos 2 in Kassel war – sich weigerte, an einem Bankett für Alfred Rosenberg teilzunehmen, bei dem dieser Apostel einer antichristlichen Weltanschauung eine Rede hielt.10 Nach der Blomberg-Fritsch-Affäre wies Hitler den neuen Oberbefehlshaber des Heeres, Brauchitsch, an, ältere hochrangige Militärs, deren Loyalität zum Nationalsozialismus unsicher war, in den Ruhestand zu versetzen; sie sollten Platz machen für jüngere Offiziere, die sich mehr mit dem NS-Regime identifizierten. So wurde Wilhelm von Leeb am 28. Februar 1938 mit dem Rang eines Generalobersten entlassen.11 Im Juli desselben Jahres wurde er jedoch wegen der Sudetenkrise wieder einberufen. Nachdem die Krise durch das Münchener Abkommen beigelegt war, wurde Leeb abermals entlassen. Dieser zweite zwangsweise Ruhestand war fast ebenso kurz wie der erste. Die Polenkrise drohte im Sommer 1939 in einen Krieg umzuschlagen. Leeb erhielt das Kommando über die Heeresgruppe C an der französischen Grenze. Diese auf dem Papier eindrucksvolle Heeresgruppe war erheblich geschwächt, weil man ihr mehrere Armeekorps für die Offen-

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sive gegen Polen entzogen hatte.12 So mußte Leeb, während die Haupt masse der Wehrmacht im September 1939 in Polen einfiel, die deutsche Westgrenze gegen Frankreich mit nur 12 regulären Divisionen, 10 ReserveDivisionen und 15 Landwehr-Divisionen verteidigen. Nach dem glänzenden Sieg über Polen wandte sich Hitler nach Westen, um Großbritannien und Frankreich entgegenzutreten. In seiner Reichstagsrede vom 6. Oktober 1939 bot der ‘Führer’ den Westmächten Frieden an, wenn sie Deutschland in Polen freie Hand lassen und die 1919 geraubten Kolonien zurückgeben würden. Gleichzeitig hatte er jedoch angeordnet, eine Offensive im Westen vorzubereiten. Leeb war entsetzt. Er notierte in seinem Tagebuch: „Alle Anordnungen […] deuten darauf hin, daß man diesen Wahnsinnsangriff unter Verletzung der Neutralität Hollands, Belgiens und Luxemburgs wirklich machen will.“13 Es war seine feste Überzeugung, daß Deutschland im Westen nicht die Offensive ergreifen sollte. Er stimmte darin mit anderen Generalen überein. Am 11. Oktober 1939 schickte er eine „Denkschrift über die Aussichten und Auswirkungen eines Angriffs auf Frankreich und England unter Verletzung der Neutralität Hollands, Belgiens und Luxemburgs“ an Generaloberst von Brauchitsch, den Oberbefehlshaber des Heeres, und an General Halder, den Chef des Generalstabes im Oberkommando des Heeres (OKH); eine Kopie ging an Generaloberst Fedor von Bock, den Oberbefehlshaber der benachbarten Heeresgruppe B. Militärische, wirtschaftliche und politische Gründe, so schrieb Leeb, sprächen dafür, daß Deutschland eine Politik des Friedens, nicht des Krieges verfolgen sollte. Seine Denkschrift enthielt moralische Nebentöne, z. B. verurteilte er den geplanten Überfall auf Belgien, dessen Neutralität zu achten die Regierung erst wenige Wochen zuvor feierlich versprochen hatte.14 Die Tatsache, daß Leebs Sohn Alfred, Leutnant im 99. Gebirgsjäger-Regiment, einen Monat zuvor bei Lemberg in Polen gefallen war, verstärkte zweifellos die kriegsfeindliche Haltung Leebs. Der Tod seines Sohnes traf den Vater hart. Gleichwohl erhob er auch politische Einwände: nicht nur gegen die vom NS-Regime geplanten Verstöße gegen das internationale Recht (Verletzung der belgischen und holländischen Neutralität), sondern auch gegen die Kriegspolitik Hitlers, die einer diplomatischen Regelung des Konflikts im Wege stand. Auch die Betonung einer defensiven Taktik spielte in der Argumentation Leebs eine wichtige Rolle. Er kam nämlich zu dem Schluß, die Wehrmacht sei stark genug, eine „abwartende Haltung“ einzunehmen. 15 Mit anderen Worten: Da das intakte deutsche Heer an der Westgrenze „unangreifbar“ sei, arbeite die Zeit für Deutschland. Leebs Denkschrift blieb jedoch unbeantwortet, und die Vorbereitungen für den von Hitler beabsichtigten Angriff gingen unter Hochdruck weiter. In einem Privatbrief an Brauchitsch vom 31. Oktober 1939 legte Leeb

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noch einmal seine Bedenken dar. Die Generalobersten Bock und Rundstedt schalteten sich in die Auseinandersetzung ein und lehnten in ähnlichen Denkschriften eine Offensive im Westen ebenfalls eindeutig ab.16 Im Gegensatz zu Leeb verzichteten sie jedoch darauf, politische oder moralische Argumente dagegen anzuführen. Das Oberkommando ignorierte weiterhin die Proteste der Generale und fuhr nach Hitlers Anweisungen fort, die Offensive vorzubereiten. Da entschloß sich Leeb zu einem ungewöhnlichen Schritt. Er arrangierte ein Treffen aller drei Oberbefehlshaber der Heeresgruppen an der Westfront – von Leeb, von Bock und von Rundstedt – im Hauptquartier Rundstedts in Koblenz. Nur auf diesem Weg, so glaubte Leeb, könne man Brauchitsch dazu bewegen, Hitler entgegenzutreten. Er schlug vor, sie sollten gemeinsam Brauchitsch aufsuchen und ihn „auffordern, Hitler die Stirn zu bieten“.17 Wenn Hitler nicht nachgebe, sollten sie gemeinsam zurücktreten. Aber davon wollte weder Bock noch Rundstedt etwas wissen. Enttäuscht kehrte Leeb in sein Hauptquartier zurück und erwog ernsthaft, abermals in den Ruhestand zu gehen. General von Sodenstern, sein Chef des Generalstabes, konnte ihn jedoch überreden, zu bleiben; er argumentierte, sein Rücktritt wäre nur eine folgenlose Geste. Leeb stimmte dem zu und gab seinen Widerstand gegen die Politik Hitlers auf.18 Während der Jahre 1938 und 1939 wußte Leeb zu keinem Zeitpunkt, daß es eine organisierte Opposition gegen Hitler und die NS-Herrschaft gab. Zu keinem der Verschwörer, die Hitler ausschalten wollten, hatte er direkten Kontakt, außer im Herbst 1939 zu Generalstabschef Halder. Und er besaß nicht die innere Kraft, den Widerstand gegen Hitler auf eigene Faust fortzusetzen. Nachdem er sich entschlossen hatte, dem Krieg im Westen nicht länger entgegenzutreten, erfüllte er seine Aufgabe als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe C nach besten Kräften.19 Obwohl bei der Eröffnung des Frankreichfeldzuges Leebs Heeresgruppe entlang der Maginot-Linie nur in begrenzte Kämpfe verwickelt wurde, band sie in diesem Frontabschnitt wichtige französische Ressourcen. Und durch Panzer verstärkt, schloß Leeb die französische Heeresgruppe 2 ein, wobei er 200 000 Gefangene machte. Der überraschend schnelle Sieg über Frankreich versetzte Hitler – wie auch viele andere in der Wehrmacht – in Hochstimmung, und ein dankbarer ‘Führer’ verteilte an seine Offiziere Beförderungen. Ritter von Leeb gehörte zu den zwölf Generalobersten, die am 19. Juli 1940 zu Generalfeldmarschällen erhoben wurden. Außerdem belohnte Hitler mehrere Generale mit beträchtlichen Geldsummen. Leebs nächster Auftrag lautete, beim Angriff gegen die Sowjetunion im Juni 1941 die Heeresgruppe Nord zu führen. Seine Hauptziele waren, die sowjetischen Truppen aus den baltischen Staaten zu vertreiben und dann gegen Leningrad vorzurücken. Das war eine sehr schwierige Aufgabe. Das

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Terrain war großenteils sumpfig, bewaldet und von zahlreichen Flüssen und Seen durchzogen, und es gab kaum feste Straßen. Trotzdem erließ ein zuversichtlicher Generalfeldmarschall von Leeb im Mai 1941 an seine Truppen folgenden Befehl: „Vorwärts! Macht nirgends halt! Der Feind darf sich nicht wieder sammeln, sobald er zurückgeworfen ist.“20 Der Feldzug der Heeresgruppe Nord begann mit großen Erfolgen: Panzerspitzen stießen tief in das feindliche Territorium vor. Zum ersten Mal in seiner langen und ruhmreichen Karriere befehligte Leeb Panzerverbände. Stets ein vorsichtiger Offizier, sorgte er sich ständig wegen der Gefährdung seiner Flanken. Sein Panzerkommandeur, General Erich Hoepner, trat für rasche Vorstöße der Panzerverbände ein, auch wenn dabei die Flanken ungeschützt waren. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Generalen liefen immer darauf hinaus, daß Leeb sich mit einem Kompromiß abfand, der für seine Heeresgruppe nur zusätzliche Probleme erzeugte. Im Baltikum stieß Leeb auf beträchtliche Schwierigkeiten, die den erhofften baldigen Kampf um Leningrad verzögerten. Zudem weigerte sich Finnland, seine Offensive gegen die UdSSR bis nach Leningrad auszudehnen. Hitler entschloß sich deshalb zu der Weisung Nr. 35, die Moskau zum nächsten Hauptziel erklärte. Infolgedessen sollten die Panzerverbände Hoepners sowie das VIII. Fliegerkorps von der Heeresgruppe Nord zur Heeresgruppe Mitte verlegt werden.21 Als Leeb über Stabsoffiziere des OKH von der bevorstehenden Weisung hörte, entschied er sich, einen Frontalangriff gegen Leningrad zu eröffnen, bevor Hoepners Panzerverbände abgezogen wurden. Nach erbitterten Kämpfen und dem Verlust zahlreicher Panzer nahmen Leebs Truppen mehrere strategisch wichtige Anhöhen 12 km vor Leningrad. Am 12. September befahl Generalstabschef Halder, Leeb solle Leningrad einschließen, nicht erobern. Am nächsten Tag schickte Hitler jedoch eine neue Weisung an Leeb: er solle die Panzer- und Fliegerverbände erst dann abziehen, wenn die „enge Umklammerung abgeschlossen“ sei.22 Hitler sah zwar immer noch Moskau als Hauptziel an, glaubte aber gleichzeitig, man könne Leningrad isolieren und schließlich zur Kapitulation zwingen. Der Winter begann 1941 schon im Oktober. Kräftige sowjetische Gegenangriffe setzten ein. Beide Seiten erlitten schwere Verluste. Als die deutschen Soldaten bei tiefem Schnee und eisiger Kälte nicht mehr leistungsfähig waren, befahl Leeb Mitte Dezember einen Rückzug hinter den Wolchow.23 Die Lage verschlechterte sich immer mehr, und Leeb war empört über den bedingungslosen Haltebefehl Hitlers. Am 7. Januar 1942 eröffnete Stalin eine neue Offensive gegen die dezimierten Truppen Leebs. Die Heeresgruppe Nord hatte bereits Tausende von Soldaten durch Erfrierungen verloren. Am 12. Januar bat Leeb um die Erlaubnis, das von Einkes-

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selung bedrohte II. Armeekorps zurücknehmen und die Frontlinie verkürzen zu dürfen. Hitler lehnte ab. Nach seiner Auffassung fesselten Ausbuchtungen der deutschen Front mehr Kräfte der Roten Armee als der Wehrmacht. Wilhelm von Leeb konnte diese Kriegspolitik nicht mehr mittragen. Der Rußlandfeldzug hatte ihn nicht nur physisch, sondern auch psychisch erschöpft. Am 15. Januar vermerkte Halder in seinem Kriegstagebuch, Leeb habe um seine Ablösung gebeten.24 Einen Tag später entband ihn Hitler von seiner Stellung und ernannte Generaloberst von Küchler zu seinem Nachfolger; bereits am 24.Juni 1940 erhielt Leeb das Ritterkreuz. Leeb lehnte den Nationalsozialismus ab, schloß sich aber keiner der Widerstandsgruppen an. Politisch bekannte er sich zur „traditionellen Überparteilichkeit, von der das alte Offizierskorps durchdrungen war“.25 Man könnte auch sagen, auf diese Weise habe er den leichten Ausweg aus einem moralischen Dilemma gesucht. Ist ein Offizier nur dem Staatsoberhaupt gegenüber verantwortlich und verpflichtet? Von Ende Januar 1942 bis zum Ende des Krieges lebte der Generalfeldmarschall zurückgezogen in Bayern. Noch vor seiner Verabschiedung hatte er zu seinem 65. Geburtstag im September 1941 von Hitler eine Dotation von 250 000 Reichsmark erhalten, um sich ein Gut zu kaufen. Es gelang ihm, diesen Betrag bis Juli 1944 durch weitere Bewilligungen Hitlers auf fast 890 000 Reichsmark zu erhöhen, so daß er davon einen beachtlichen Staatswald bei Seestetten kaufen konnte26. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 sandte dann auch Leeb dem ‘Führer’ eine Ergebenheitsadresse und versprach ihm weiterhin Treue. Die Dotation führte also offensichtlich zur gewünschten Ergebenheit des Feldmarschalls. Am 2. Mai 1945 wurde Ritter von Leeb von den Amerikanern festgenommen. Im Nürnberger OKW-Nachfolgeprozeß wurde Leeb 1948 als Kriegsverbrecher zu drei Jahren Haft verurteilt (die jedoch durch seine Internierung seit Mai 1945 als verbüßt galten). Die Richter bestätigten, daß er „kein Freund oder Anhänger der Nazi-Partei“ gewesen sei. 27 Mit dem Nationalsozialismus und mit vielen politischen Maßnahmen Hitlers war Leeb tatsächlich nie einverstanden gewesen; aber Hitlers Geldgeschenk nahm er trotzdem an. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Ritter von Leeb in Hohenschwangau/Bayern. Er starb am 29. April 1956 im achtzigsten Lebensjahr. Anmerkungen Liddell Hart, German Generals Talk, S. 196 f. Mitcham, Hitler’s Field Marshals, S. 126. Vgl. dazu und zum Folgenden insbesondere die Tagebuchaufzeichnungen des Generalfeldmarschalls Wilhelm Ritter v. Leeb. 1 2

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Wistrich, Who’s Who in Nazi Germany, S. 186. Moll, Die deutschen Generalfeldmarschälle, S. 104. 5 Ebenda, S.104f. 6 Mehrere Historiker haben sich zu Leebs Erfolg als Verfasser von Abhandlungen über militärische Taktik geäußert. Vgl. etwa die Werke von John F. C. Fuller. 7 Hofer, Der Nationalsozialismus, S. 181. 8 Cooper, The German Army, S. 52; Klaus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, Stuttgart 1969, S.40. 9 Brett-Smith, Hitler’s Generals, S.53. 10 Deutsch, Verschwörung gegen den Krieg, S. 224. 11 Taylor, Sword and Swastika, S.170. 12 Mitcham, Hitler’s Field Marschals, S.130. 13 Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter v. Leeb, Tagebuchaufzeichnungen, S.187f. 14 Deutsch, Verschwörung gegen den Krieg, S. 224–226. 15 Ebenda. Leebs Denkschrift ist abgedruckt in: Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter v. Leeb, Tagebuchaufzeichnungen, S.468–471. 16 Deutsch, Verschwörung gegen den Krieg, S. 224–226. 17 Ebenda, S.272. 18 Ritter, Carl Goerdeler bis Juli 1944, S.246 mit Anm. 13. 19 Andere – und das ist keineswegs überraschend – glaubten immer noch, Leeb sei der Widerstandsbewegung gegen Hitler zuzurechnen. Vgl. das Gespräch zwischen Ulrich v. Hassell, dem ehemaligen deutschen Botschafter in Rom, und Hasso v. Etzdorf, dem Vertreter des Auswärtigen Amtes beim OKH, in: Die Hassell-Tagebücher, S.163. 20 Cooper, The German Army, S.301. 21 Clark, Barbarossa, S. 122. 22 Ebenda. 23 Mitcham, Hitler’s Field Marshals, S. 142. 24 Liddell Hart, German Generals Talk, S.197. 25 Cooper, The German Army, S.205. 26 Vgl. dazu die Akten im BA Berlin, R 43 II (Reichsminister Lammers); ferner Gerd R. Ueberschär und Winfried Vogel: Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten. 27 Brett-Smith, Hitler’s Generals, S. 58. 3 4

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S.599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 145: Nachlaß v. Leeb; ebenda, verschiedene Aktenbestände zu Leebs Kommandostellen (vor allem der Bestand zur Heeresgruppe Nord mit Kriegstagebuch); Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München: Zeugenschrifttum zum Widerstand gegen Hitler.

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Gedruckte Quellen und Literatur Brett-Smith, Richard: Hitler’s Generals. San Rafael, Calif. 1977. Clark, Alan: Barbarossa. The Russian-German Conflict. 1941–45. New York 1965. Cooper, Matthew: The German Army: 1933–1945. Its Political and Military Failure. Chelsea 1991. Deutsch, Harold C.: The Conspiracy Against Hitler in the Twilight War. Minneapolis 1968 (dt. Ausgabe u. d. T.: Verschwörung gegen den Krieg. Der Widerstand in den Jahren 1939–1940. München 1969). Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb. Tagebuchaufzeichnungen und Lagebeurteilungen aus zwei Weltkriegen. Hrsg. v. Georg Meyer. Stuttgart 1976. Generaloberst Franz Halder: Kriegstagebuch. Tägliche Aufzeichnungen des Chefs des Generalstabes des Heeres 1939–1942. Hrsg. v. Hans-Adolf Jacobsen. 3 Bde. Stuttgart 1962–64. Liddell Hart, B. H.: The German Generals Talk. New York 1948. Mitcham, Samuel W.: Hitler’s Field Marshals and Their Battles. London 1988. Ders./Gene Mueller: Hitler’s Commanders. New York 1992. Moll, Otto E.: Die deutschen Generalfeldmarschälle 1939–1945. Rastatt 1961. Ritter, Gerhard: The German Resistance. Carl Goerdeler’s Struggle Against Tyranny. Freeport, N.Y. 1958 (dt. Ausgabe u. d. T.: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Stuttgart 1984). Taylor, Telford: Sword and Swastika. Generals and Nazis in the Third Reich. New York 1952.

Norbert Haase

Generaloberstabsrichter Dr. Rudolf Lehmann Für den in der Wehrmachtrechtsabteilung im Oberkommando der Wehrmacht tätigen konservativen Juristen Werner Hülle war der Chef des Wehrmachtrechtswesens, Rudolf Lehmann, eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Am Grabe des verstorbenen früheren Vorgesetzten sprach der inzwischen in Diensten der bundesdeutschen Justiz tätige Hülle im Sommer 1955 vielen ehemaligen Berufskollegen aus dem Herzen: „Gerechtigkeit und Menschlichkeit, das waren die hohen Ziele, um die er mit echter männlicher Leidenschaft gerungen hat. Darin lagen Reichtum und Bedrängnis dieses zu früh vollendeten Lebens. Seine Ideale hat er uns, die wir seine Weggefährten waren, als sein bleibendes Vermächtnis tief ins Bewußtsein gesenkt.“1 Es ist anzunehmen, daß sich das vormalige Justizoffizierskorps der Wehrmacht (Offizierkorps des Truppensonderdienstes für Wehrmachtrichter) nach der Gründung der Bundeswehr im selben Jahr bei der Bundesregierung mit den hier beschriebenen Tugenden hatte empfehlen wollen. Nunmehr mußte die entsprechende Einflußnahme auf die Adenauer-Regierung allerdings auf einen wichtigen Lobbyisten verzichten. Rudolf Lehmann wurde am 11. Dezember 1890 in einem protestantischen Elternhaus in Posen geboren. Sein Vater war Jurist. Rudolf Lehmann verlebte seine Kindheit in Breslau und Hanau und studierte bis 1912 an den Universitäten München, Freiburg, Leipzig und Marburg Rechtswissenschaften. Die Referendarzeit absolvierte er in der hessischen Justiz, nachdem er 1912 in Kassel die 1. juristische Staatsprüfung abgelegt hatte. Als Kriegsfreiwilliger zog er im August 1914 in den Ersten Weltkrieg, den er, mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, als Frontoffizier mitmachte. Im Sommer 1919 promovierte Lehmann an der Universität Marburg und legte 1920 die Große Staatsprüfung ab.2 „Er war ein vielseitig interessierter, gebildeter und kultivierter Mann“, beschreibt ihn der Jurist Erich Schwinge.3 Der Kriegsheimkehrer Lehmann tat seit 1920 in verschiedenen Stellungen u. a. bei der hessischen Justiz Dienst, er arbeitete 1921 im Reichspostministe rium, 1922–1925 als Landgerichtsrat am Landgericht II Berlin, 1925 im Reichsjustizministerium und wurde 1933 als Ministerialrat in den Justizdienst des NS-Staates übernommen. Lehmann war indes kein Parteimitglied der NSDAP.4 1933 bis 1936 war er in der „Kleinen Strafprozeßkommission“ des Reichsjustizministeriums mit der Erarbeitung des Entwurfs

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der Strafverfahrensordnung vom Februar 1936 befaßt. 1936–38 fungierte er in der Strafgesetzgebungsabteilung als Referent für Strafprozeßrecht. Die Mitgliedschaft in der „Großen Strafprozeßkommission“, die an der Reform des Strafprozeßrechts arbeitete, übte er seit seiner Tätigkeit am Reichskriegsgericht (RKG) nur noch kommissarisch aus. Stets galt sein Wirken der Erhöhung der Wirksamkeit der Rechtsprechungsorgane der zivilen Justiz des NS-Staates. Im Sinne einer Einführung des Führerprinzips in die Strafverfahrensordnung suchte Lehmann einen Kompromiß zwischen individualrechtlicher Orientierung und den „Bedürfnissen der Staatsführung“.5 Gleichwohl überwog bei ihm die nationale Staatsräson vor den als „liberalistisch“ verworfenen rechtsstaatlichen Rudimenten. Im Oktober 1937 wurde Lehmann als Senatspräsident an das Reichskriegsgericht versetzt. Daß dies wegen angeblicher Konflikte mit JustizStaatssekretär Roland Freisler geschah, ist eher unwahrscheinlich.6 Der Wechsel in die Militärgerichtsbarkeit, die seit dem 1. Januar 1934 wieder eingerichtet war, erfolgte bei Lehmann im Vergleich zu anderen Kollegen der Wehrmachtjustiz relativ spät.7 Reichskriegsminister v. Blomberg hatte ihn von Reichsjustizminister Gürtner erbeten, um „die freiwerdende Stelle mit einem hervorragend befähigten Juristen und mit einem Beamten zu besetzen, der auch in der Lage ist, in den vom Obersten Gerichtshof der Wehrmacht zu treffenden Entscheidungen der Truppe klare Grundsätze hinsichtlich der Disziplin zu geben“.8 Als „besonders tüchtiger Jurist und eifriger Förderer der Militärstrafrechtspflege“ sowie als Reserveoffizier schien Lehmann deshalb besonders geeignet. Einschneidend für die juristische Praxis als Reichskriegsgerichtsrat muß seine Beteiligung am Sondergericht gegen den Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Frhr. v. Fritsch, gewesen sein. Als Beisitzer verfaßte Lehmann im Februar 1938 in diesem „Ehrengerichtsverfahren“ gegen Fritsch das Urteil. 9 Er folgte im Juli 1938 den Militärjuristen Semler und Rosenberger im Amt des Chefs der Wehrmachtrechtsabteilung im OKW.10 Er war zugleich ständiger Mitarbeiter der »Zeitschrift für Wehrrecht« und Mitherausgeber der völkischen Zeitschrift »Reich, Volksordnung, Lebensraum«, an der auch der führende SS-Funktionär Werner Best und andere Spitzenbeamte quer durch alle obersten Dienststellen mitwirkten.11 Die Wehrmachtrechtsabteilung war mit Offizieren und Beamten besetzt, die in fünf Referaten über grundsätzliche juristische Fragen der Wehrmacht wachten.12 Dazu gehörte die Koordinierung der Rechtsprechung aller Wehrmachtteile und federführende Bearbeitung von Gesetzesangelegenheiten. Der Chef der Wehrmachtrechtsabteilung war auch der Rechtsberater des Chefs des OKW (Keitel). Er schrieb ferner Gutachten bei Todesurteilen gegen Offiziere und solchen des Reichskriegsgerichts zur Vorlage bei

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Hitler. Hinzu kam die Dienstaufsicht über das Reichskriegsgericht und andere Kriegsgerichte. Unter Lehmanns Mitverantwortung wurden 1938 die verschärften Strafrechtsbestimmungen der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) und der Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) vorbereitet, die erklärtermaßen dazu dienten, etwa durch den „Wehrkraftzersetzungs-Paragraphen“ (§ 5) jeglichen Widerstand im Keime zu ersticken.13 Die Planung einer Standgerichtsbarkeit gegen „Freischärlerei“ im Polenfeldzug14 fiel ebenso in sein Ressort. Kurz vor Beginn des Überfalls auf Polen 1939 hatte Lehmann auf dem ‘Großdeutschen Rechtswahrertag’ in Leipzig vor Richtern und Gerichtsherren der Wehrmachtjustiz die Mahnung ausgesprochen, sich an NS-typischen Gemeinschaftsrechtsvorstellungen auszurichten. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, eine „abstrakte“ Wahrheit an sich zu suchen. Recht und Gesetz galten Lehmann als „die vornehmste Form des Führerbefehls“.15 Die Rolle des Richters sei die des „stürmischen Angreifers“.16 Schwinge hat später behauptet, diese Formulierungen seien lediglich zur Tarnung gebraucht worden.17 Die Frage, inwieweit Lehmann in seinem Wirkungsbereich auch mäßigenden Einfluß nahm, muß indes unbeantwortet bleiben. Wenn die „Führerrichtlinien“ für die Strafzumessung bei Fahnenflucht tatsächlich diesen Einfluß auf die Spruchpraxis der Kriegsgerichte ausüben sollten, so ist anzunehmen, daß Lehmann an der Aufstellung dieser Richtlinien beteiligt war. In der Konsequenz entsprachen sie durchaus militärischer Logik: Effektive Abschreckung seitens der Kriegsgerichte durfte nicht so weit führen, daß die Kampfkraft dezimiert würde. Lehmann war es auch, der als Ministerialdirigent und Leiter der Wehrmachtrechtsabteilung im OKW an der Beschränkung der Militärgerichtsbarkeit im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion maßgeblich beteiligt war. Entsprechend einer Forderung Hitlers vom 3. März 1941 war vorgesehen, neben der „Vernichtung der jüdisch-bolschewistischen Intelligenz“ auch diese einem eher traditionellen Machtdenken entspringende Maßnahme einzuleiten. Die Wehrmachtjustiz sollte sich – anders als in den westlichen besetzten Gebieten – nur noch mit Gerichtssachen innerhalb der Truppe befassen, Straftaten der Zivilbevölkerung „auf andere Weise“ geahndet werden. In einem zweiten Entwurf für die „Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Nr. 21“ vom 5. März 1941 versuchte Lehmann diesem Ansinnen dadurch zu entsprechen, daß er die Zuständigkeit der Wehrmachtgerichte im Operationsgebiet und in den Reichskommissariaten auf Straftaten von Sowjetbürgern gegen die Wehrmacht „mit klarer Beweislage“ beschränkte.18 Die anderen Fälle sollten an die SS übergeben werden. Ende April 1941 legte Lehmann einen mit Generalmajor Warlimont und dem Chef des Wehrmachtführungsstabes, General Jodl, abgestimmten Entwurf für den am 13. Mai 1941 erlassenen „Barbarossa-Gerichtsbarkeitserlaß“ vor, der die

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unbeschränkte Intervention der Truppe gegen Angriffe der sowjetischen Zivilbevölkerung einkalkulierte: „Freischärler sind durch die Truppe im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen. Andere Angriffe von feindlichen Zivilpersonen gegen die Wehrmacht, ihre Angehörigen und das Gefolge sind durch die Truppe ebenso entschlossen und mit allen Mitteln auf der Stelle bis zur Vernichtung des Angriffes abzuwehren (...) Nur wo das ausnahmsweise nicht geschehen ist, werden sie gerichtlich verfolgt.“19 Lehmann wollte zudem den Verfolgungszwang gegenüber Straftaten von Wehrmachtsoldaten gegen sowjetische Zivilisten aufgehoben sehen. Diese sollten nur dann verfolgt werden, wenn es die „Aufrechterhaltung der Manneszucht“ oder die Sicherheit der Truppe erforderten. Am Ende befürwortete er eine völlige Ausschaltung der Wehrmachtgerichtsbarkeit über Landeseinwohner und trug so entscheidend zur Brutalisierung und verschärften Ideologisierung der Kriegführung der Wehrmacht bei.20 Die fragwürdige Exkulpierung der Wehrmachtjustiz seitens ehemaliger Kriegsrichter ist durch jüngere Forschungen, insbesondere zur Todesurteilsbilanz der Kriegsgerichte, hinlänglich widerlegt. Es ist auch nicht erkennbar, daß Lehmann einer von dem neuen Reichsjustizminister Thierack geforderten „nationalsozialistischen Rechtspflege“ 1942 entgegengetreten wäre. Zwar wurden Versuche des Reichsjustizministeriums, in die Wehrmacht hineinzuwirken und ihr die Zuständigkeit für die politischen Straftaten ihrer Angehörigen zu entziehen, von der Wehrmachtjustiz aus Kompetenzgründen abgelehnt. Da aber ein herausgehobenes Interesse an einer Intensivierung der Abschreckungswirkung bestand, fand Hitlers Erlaß zur Einrichtung eines Sonderstandgerichts für die Wehrmacht vom 21. Juni 1943 in der Wehrmachtrechtsabteilung rasche Umsetzung. Lehmann kam Thieracks Vorstellungen weit entgegen. Zur Jahreswende 1942/43 wurden Maßnahmen getroffen, die verschiedenen Verfolgungskomplexe von Wehrmacht- und ziviler Justiz zu verzahnen. Lehmann zeichnete einen Erlaß des Reichsjustizministers vom 11. März 1943 mit, in dem es u. a. hieß: „Die Todesstrafe kann durch Erschießen vollzogen werden. Die Ausführung übernimmt ein Kommando der Polizei oder ein Kommando der Wehrmacht.“21 Vereinbart wurde ferner, daß kriegsgerichtliche Todesurteile in einer Reihe von Richtstätten der Reichsjustizverwaltung vollstreckt werden konnten. Lehmann nahm noch am 13. Oktober 1944 an einer Beratung des Reichsjustizministeriums mit dem OKW und dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) teil, in der über die Abgabe politischer Gefangener an die zivile Justiz beraten wurde.22 Die führenden Wehrmachtjuristen waren somit für eine Entwicklung verantwortlich, die seit 1942/43 zur Übertragung der Zuständigkeit in politischen Strafsachen der Wehrmacht auf den Volksgerichtshof und die Sondergerichte geführt hat.23 Es ist schwer zu beurteilen, in welchem Maße Lehmann im Fall des Wi-

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derstandskämpfers Hans von Dohnanyi aus politischer Sympathie für die Verschwörer oder aus einer gewissen institutionellen Selbstbehauptung gegenüber dem konkurrierenden Reichssicherheitshauptamt heraus handelte, als er mit Sack die Ausstoßung der Verhafteten aus der Wehrmacht zu verhindern versuchte.24 Zweifel sind auch bei der Behauptung angebracht, Lehmann sei „schon zwei Jahre nach Kriegsbeginn von jedem persönlichen Kontakt abgeschnitten“ gewesen,25 zumal auf einem Heeresrichtertreffen 1972 Fotos kursierten, die ihn 1942 bei Lagebesprechungen in der Wolfsschanze zeigten.26 Nach Hitlers „Befehl für die Bildung des Truppensonderdienstes“ vom 24. Januar 1944 wurde ein weiterer Schritt der Anpassung an den „Führerstaat“ vollzogen. Die Schaffung militärischer Unterstellungsverhältnisse in der Wehrmachtjustiz würdigte Lehmann als „eine Anerkennung und damit eine neue Verpflichtung. Wir werden auch als Offiziere, im Dienst als Richter wie im soldatischen Einsatz, unsere Pflicht in voller Hingabe tun, mit aufrechtem Sinn und festem Herz. Der Führer gibt unserer Arbeit Richtung und Ziel. Wir folgen ihm in Gehorsam, in Treue und gläubigem Vertrauen auf den deutschen Sieg.“27 Lehmann, der als Generaloberstabsrichter ranghöchster Militärjurist des ‘Dritten Reiches’ war, wurde am 24. Oktober 1947 von den Amerikanern im Kriegsgefangenenlager Hersbruck bei Nürnberg verhaftet. In einem der Nürnberger Nachfolgeverfahren, dem sogenannten OKW-Prozeß („Fall 12“), wurde er am 28. Oktober 1948 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Verteidigungsstrategie setzte auf Apologetik und Legendenbildung. So wollte sich Lehmann in seiner Tätigkeit als Chef der Wehrmachtrechtsabteilung darum bemüht haben, die Auswirkungen der verbrecherischen Befehle zu mildern.28 Das Gericht hingegen befand ihn für schuldig, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Soldaten, Kriegsgefangene und Zivilisten begangen zu haben, da er an der Abfassung völkerrechtswidriger, verbrecherischer Befehle beteiligt war.29 Bereits 1950 erfolgte seine Begnadigung.30 Die Tatsache, daß die Verurteilung Lehmanns „nur wegen Beteiligung an der Formulierung als völkerrechtswidrig bezeichneter Befehle“ erfolgt sei, hat für die Apologeten der Wehrmachtjustiz eine wichtige Rolle gespielt. 31 Das Urteil sei in der Verkennung der Rolle des Chefs der Wehrmachtrechtsabteilung ausgesprochen worden: Tatsächlich habe Lehmann – nach Otto Peter Schweling eigentlich die „Seele des Widerstandes“32 – die Eigenständigkeit der Wehrmachtjustiz gegen die justizfeindliche Einstellung Hitlers zu behaupten versucht. Vor seinem Tode war der nicht wieder verbeamtete Lehmann als Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung „Bergbau“ e.V. mit Sitz in Bad Godesberg tätig. In diesen Jahren bemühte er sich mit anderen Weggenos-

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sen wie den Wehrmachtjuristen Dombrowski, Lattmann, Kraell und Schwinge um die Aufbereitung eines besonderen Geschichtsbildes der NSMilitärjustiz, das eine reibungslose Integration ihrer Protagonisten in die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft ermöglichen sollte. Zuletzt sprach Lehmann im Mai 1954 in Marburg auf einem Heeresrichtertreffen zu den alten Kameraden.33 Er starb am 26. Juli 1955 in Bonn, wo er unter Anteilnahme zahlreicher ehemaliger Kriegsrichter auf dem Alten Friedhof seine letzte Ruhe fand. Der Justizbeamte im Reichsjustizministerium, Rudolf Lehmann, hatte bereits vor seinem Eintritt in die Wehrmachtjustiz die für die nationalkonservative Juristenschaft symptomatische Anpassung an den Unrechtsstaat mitvollzogen. Als führender Justizfunktionär im OKW hatte er maßgeblichen Anteil an der Normierung völkerrechtswidriger staatlicher Verbrechen im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.34 Nicht zuletzt im Bereich der Wehrmachtjustiz, mit einem kurzen Intermezzo am Reichskriegsgericht, trug Lehmann Mitverantwortung für die extensive Ausdehnung der Strafvorschriften und die rigorose Abschreckungsjustiz der Kriegsgerichte im Sinne des Nationalsozialismus. Anmerkungen Rundbrief Hanns Dombrowski (Traueranzeige September 1955), in: Nachlaß Sieber, BA-MA Freiburg, N 623. 2 Bundesarchiv-Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten (BA-ZDH), R 22/66098 u. 66099: Reichsjustizministerium, Personalakten Rudolf Lehmann. Vgl. auch „Fall 12“. Das Urteil gegen das Oberkommando der Wehrmacht, S. 283 ff. Die juristische Dissertation Lehmanns ist heute bibliographisch nicht mehr nachweisbar. 3 Schweling/Schwinge, Die deutsche Militärjustiz, S.87. 4 Gruchmann, Justiz, S.243; Fall 12, S.283 ff. 5 Gruchmann, Justiz, S.1034 u. 1065. 6 Schweling/Schwinge, Die deutsche Militärjustiz, S.86ff. 7 Vgl. Messerschmidt, Zur Rechtsprechung des Reichskriegsgerichts, S.30. 8 Personalakten Lehmann, BA-ZDH, R 22/66098, fol. 3. 9 Vgl. Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle, S. 174ff., ferner unter Vorbehalt: Bösch, Dr. Karl Sack. 10 Angaben nach Schweling/Schwinge, Die deutsche Militärjustiz, S. 86 ff., und Gruchmann, Justiz, S.259 u. 994. 11 Vgl. Herbert, Best, S.284 f. 12 Stellenplan vom 13. 3. 1945, in: Messerschmidt/Wüllner, Wehrmachtjustiz, S.338f. 13 Vgl. Garbe, „In jedem Einzelfall“, S. 47 ff. Vgl. auch Messerschmidt/Wüllner, Wehrmachtjustiz, S. 132 ff. 14 Vgl. Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen, S. 41. 1

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Lehmann, Die Aufgaben des Rechtswahrers der Wehrmacht, S. 1265–1269. Vgl. Bösch, Dr. Karl Sack, S.108 f. 17 Vgl. Garbe, „In jedem Einzelfall“, S.46. Vgl. auch Messerschmidt/Wüllner, Wehrmachtjustiz, S.28. 18 Vgl. Förster, Das Unternehmen „Barbarossa“, S. 426. 19 Streit, Keine Kameraden, S. 37 f. Vgl. auch Messerschmidt/Wüllner, Wehrmachtjustiz, S.205ff. 20 Messerschmidt/Wüllner, Wehrmachtjustiz, S.208. 21 BA Koblenz, R 22/5020, Bl. 112, zit. nach: Seidler, Die Militärgerichtsbarkeit, S.175, Anm. 213. Seidler behauptet, Lehmann hätte nur pro forma mitgezeichnet. 22 BA Koblenz, R 22/4696. 23 Siehe Wüllner/Messerschmidt, Wehrmachtjustiz, S. 179ff. 24 Vgl. Chowaniec, Der „Fall Dohnanyi“, S. 99 f. 25 Schwinge, Der Jurist, S. 70 f., zit. nach: Garbe, „In jedem Einzelfall“, S.76. 26 Rundbrief Hanns Dombrowski vom 30. 12. 1972, in: BA-MA Freiburg, N 623: Nachlaß Sieber. Zweifel bei Messerschmidt/Wüllner, Wehrmachtjustiz, S.186. 27 Zeitschrift für Wehrrecht IX, August 1944, S. 145, zit. nach: Messerschmidt/Wüllner, Wehrmachtjustiz, S.275. 28 Vgl. Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen, S. 263 f., Anm. 104 und 105, S. 264 u. 280. 29 Vgl. „Fall 12“. 30 Taylor, Die Nürnberger Prozesse, S.104 ff. 31 Schweling/Schwinge, Die deutsche Militärjustiz, S.92. 32 Ebenda, S.227. 33 BA-MA Freiburg, N 623: Rundbrief Hanns Dombrowski. 34 „Fall 12“, S.287 f. 15 16

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 623: Nachlaß des ehemaligen Marinekriegsrichters Karl Helmut Sieber, Protokolle der Heeresrichtertreffen in der Nachkriegszeit. BundesarchivZwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten (BA-ZA DH), R 22/66098 u. 66099: Perso nalakten des Reichsjustizministeriums; Institut für Zeitgeschichte, München, Serie NOKW: Unterlagen zum Nürnberger OKW-Prozeß. Gedruckte Quellen und Literatur Bösch, Hermann: Dr. Karl Sack. Wehrmachtrichter in der Zeit des Nationalsozialismus. Scheinfeld 1993. Chowaniec, Elisabeth: Der „Fall Dohnanyi“ 1943–1945. Widerstand, Militärjustiz, SSWillkür. München 1991. Fall 12. Das Urteil gegen das Oberkommando der Wehrmacht. Berlin (Ost) 1960. Förster, Jürgen: Das Unternehmen „Barbarossa“ als Eroberungs- und Vernichtungs-

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krieg. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Band 4: Der Angriff auf die Sowjetunion. Stuttgart 1983, S.413ff. Garbe, Detlef: „In jedem Einzelfall … bis zur Todesstrafe“. Der Militärstrafrechtler Erich Schwinge. Ein deutsches Juristenleben. Hamburg 1989. Gruchmann, Lothar: Justiz im Dritten Reich. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, 1933–1940. München 1988. Jacobsen, Hans-Adolf: „Kommissarbefehl und Massenexekutionen sowjetischer Kriegsgefangener“. In: Anatomie des SS-Staates, Band 2. Hrsg. von Martin Broszat u.a. Olten 1965. Janßen, Karlheinz/Fritz Tobias: Der Sturz der Generäle. Hitler und die BlombergFritsch-Krise 1938. München 1994. Lehmann, Rudolf: Die Aufgaben des Rechtswahrers der Wehrmacht. In: Deutsches Recht 9 (1939), S.1265–1269. Messerschmidt, Manfred/Fritz Wüllner: Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Zerstörung einer Legende. Baden-Baden 1987. Schweling, Otto Peter: Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus. Hrsg. v. Erich Schwinge. Marburg 21978. Taylor, Telford: Die Nürnberger Prozesse. Kriegsverbrechen und Völkerrecht. Zürich 1951.

Dieter Hartwig

Generaladmiral Wilhelm Marschall „Das Panzerschiff ADMIRAL GRAF SPEE ist mit wehender Flagge untergegangen. (…) Ein Kommandant, der gemäß den vorstehenden Auffassungen handelt, hat seine Pflicht bis zum Äußersten getan. Er hat danach (…) keine verpflichtende Ursache, von sich aus den Tod zu suchen. Selbst wenn ein Führer und Soldat seine Aufgabe erfüllt, so kann er doch nicht übersehen, welche Aufgaben für sein Volk seiner früher oder später noch harren.“1 Mit diesen Worten nahm Admiral Wilhelm Marschall2 als Flottenchef am 3. Januar 1940 Stellung zur Selbstversenkung des Panzerschiffs ADMIRAL GRAF SPEE am 17. 12. 1939 und zum späteren Freitod des Kommandanten, Kapitän zur See Hans Langsdorff. Wie kein anderer Admiral zu Beginn des Zweiten Weltkrieges konnte er sich als ehemaliger Kommandant in Frieden und Krieg in Langsdorffs Lage versetzen. Er konnte aber nicht wissen, daß er selber schon bald im Urteil des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine (ObdM), Großadmiral Dr. h.c. Erich Raeder, als Seebefehlshaber versagen und dadurch in ganz andere Dienststellungen gelangen und mit neuen Situationen konfrontiert werden würde. In seiner Stellungnahme betonte Marschall zwar die Übereinstimmung mit dem ObdM, tatsächlich aber formulierte er eine deutliche Gegenposition. Raeder nämlich hatte in seiner „Veröffentlichung zum Tode des Kapitän z. S. Langsdorff” schon am 19. 12. 1939 u. a. geschrieben: „Die Kriegsmarine versteht und würdigt diesen Schritt. Der Kapitän z. S. Langsdorff hat damit als Kämpfer und Held die Erwartung erfüllt, die sein Führer, das deutsche Volk und seine Marine auf ihn setzten.“ 3 Der Widerspruch zwischen ObdM und Flottenchef war unübersehbar. Wegen seiner Ablösung im Juni 19404 hat Marschall sich immer wieder und bis fast zu seinem Lebensende mit Raeder, seinem Führungsstil und seinen Entscheidungen auseinandergesetzt. Bis an sein Lebensende litt Marschall an seiner Enthebung als Flottenchef und an Raeders Weigerung, sich darüber mit ihm auszusprechen. Marineöffentlich aber wurden die konträren Anschauungen der beiden Offiziere niemals so deutlich wie bei der Beurteilung des Langsdorff-Freitodes. Darüber hinaus ist die Stellungnahme Marschalls ein Schlüsseldokument sowohl zu seinem Verhältnis zu Raeder als auch zum Verständnis seiner Person, seines Denkens und Handelns sowie seines ‘Scheiterns’ als Seebefehlshaber. Dies wiederum könnte sein Einverständnis mit der Übernahme des Dienstpostens als

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„Sonderbevollmächtigter des Führers für die Donau“ sowie den späten NSDAP-Eintritt erklären. Marschalls Stellungnahme reflektiert die Summe der Erfahrungen eines Offiziers, der sich frühzeitig in verantwortliche Positionen gemeldet hatte5 und bewußt in das wenig angesehene Vermessungswesen, die „vorzügliche Schule für Seemannschaft, Navigation, Selbständigkeit und Verantwortungsbereitschaft”6, gegangen war. Als U-Boot-Kommandant im Ersten Weltkrieg wurde er mehrfach im Admiralstabsbericht erwähnt und mit dem Orden Pour le mérite ausgezeichnet. Kriegseinsatz mit Auszeichnung also, weltweiter Vermessungsdienst vor und nach dem Weltkrieg, Zugehörigkeit zur deutschen Kommission bei den Abrüstungsverhandlungen des Völkerbundes – dieser Erfahrungshintergrund unterschied sich ganz wesentlich von jenem Großadmiral Raeders.7 Marschalls Lebensweg8 war die Musterlaufbahn eines kaiserlich geprägten, national gesinnten und seinem Vaterland bis zum Tode verpflichteten Marineoffiziers, der später eine allenfalls unbewußte, im Grunde jedoch nur vordergründige Verstrickung in die NSPolitik hinzugefügt wurde. Allerdings immunisierte selbst der besondere Erfahrungshintergrund als Marineoffizier im Auslands- sowie im diplomatischen Dienst Marschall nicht gegen den Antisemitismus. Im Kriegsgefangenenlager nach 1945 erkannte er zwar die jüdische Herkunft einiger Vernehmungsoffiziere,9 hielt aber z. B. den gelben Stern oder die Pogrome im November 1938 nicht für notierenswert, obwohl auch in Wilhelmshaven, wo er als Befehlshaber der Panzerschiffe residierte, die Synagoge brannte.10 Das Beispiel Marschall zeigt, wie menschliche Integrität und fachliche Kompetenz in den Bereich des Politischen führen, beide aber nicht genügen, die damit verbundenen, völlig andersartigen Herausforderungen zu erkennen, geschweige denn zu bewältigen. Die eingangs zitierte Stellungnahme Marschalls zum Langsdorff-Freitod war nicht nur kennzeichnend für seinen Werdegang, sondern auch ‘seherisch’ in bezug auf seine Zukunft. Daß Marineoberbefehlshaber und Flottenchef konträr urteilten, zeigt, inwieweit der Schreibtisch-Admiral Raeder die Vorgaben und Erwartungen des „Dritten Reichs“ als Handlungs- und Bewertungsmaßstab verinnerlicht hatte, der Flottenoffizier Marschall aber nicht. Sein Urteilsvermögen als kriegserfahrener Offizier hielt Marschall wahrscheinlich auch davon ab, bei der sich ab 1937 anbahnenden Wende gegen Großbritannien eine aktive Rolle zu spielen. Als Chef der Operationsabteilung im Oberkommando der Kriegsmarine war er in der „Inkubationszeit des europäischen Krieges“ (Gerhard Schreiber), zwar in verantwortlicher Position. 11 Auch hatte er bei Dienstantritt vom Oberbefehlshaber der Kriegsmarine (ObdM) den Auftrag zur Ausarbeitung einer „Operativen

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Studie für den Zweifrontenkrieg“12 erhalten. Seine Studie13 wies aber mehr auf Gefahren als auf Erfolgsaussichten hin. Weil nämlich „ein aktives englisches Eingreifen gegen Deutschland früher oder später (…) nicht ausgeschlossen“14 werden konnte, wurde der „Krieg mit England“ an erster Stelle aller Kriegsszenarien behandelt. Unter Hinweis auf Adolf Hitlers »Mein Kampf« hieß es warnend: „Der Führer hat (…) der Vorkriegspolitik mit Recht den schweren Vorwurf gemacht, dass sie den Krieg gegen Rußland und England zugleich nicht vermieden hat. (…) Noch ist die heutige Lage nicht anders als im Jahre 1914: Deutschland muß (…) mit ähnlicher Übermacht rechnen.“15 Folglich „muß die deutsche Seekriegsführung und (…) Wehrmachtkriegführung auf nachhaltigen und entscheidenden Erfolg in einem deutsch-englischen Krieg verzichten.“16 Als Abteilungschef trug Marschall die Verantwortung für diese Studie; ob er wegen ihrer „bemerkenswerte(n) pessimistisch(en)“17 Grundstimmung nur wenige Monate später und für ihn selbst überraschend Befehlshaber der Panzerschiffe wurde, muß dahingestellt bleiben. Unaufgefordert aber warnte er auch in dieser neuen Funktion vor einem Krieg gegen England, Rußland und Frankreich.18 Marschall hat also, als er mit seiner Kriegserkenntnis „Krieg gegen England ist weiterhin unmöglich!“ in Widerspruch zur Marineleitung und zum ‘Führer’ geriet, durchaus gegengehalten – und doch blieben ihm, dem persönlich Widerstand oder Bitte um Verabschiedung unmöglich waren, Verstrickungen in die NS-Politik nicht erspart. Marschall war schon im Sommer 1934 durch ein SA-Führertreffen in Godesberg „von einem Skeptiker zu einem Anhänger Hitlers, nicht aber zu einem Anhänger der Partei“19 geworden; für ihn hatte Hitler „das Zeug zu einem Staatsmann. Die kommenden Jahre mit ihren für uns so wünschenswerten Ergebnissen bestärkten mich in meiner Einschätzung.“20 Mit dem persönlichen Kennenlernen Hitlers endete Marschalls Unsicherheit gegenüber dem Nationalsozialismus: Ihm waren die „propagierten Ziele des Nationalsozialismus (…) im großen und ganzen sympathisch“, und zeitlebens hielt er am Einheitsstaat und an der Notwendigkeit starker Führungspersönlichkeiten für „das deutsche Volk mit seinen Querköpfen“21 fest. Allerdings ließ sich Marschall in seiner Ansprache zur Indienststellung des Panzerschiffs ADMIRAL SCHEER am 12. 11. 1934 wie auch im zweiten Vorwort seines Buches »Torpedo Achtung! Los!« zu nur mäßigem ‘Führerlob’ hinreißen.22 Denn er war kein ‘Nationalsozialist’ im Sinne totaler Hingabe und völliger Zielidentifikation, vielmehr „tolerierten er (und andere Admirale) den Nationalsozialismus, glaubten, daß er ihrer Weltanschauung ähnlich sei, verkannten jedoch völlig den wahren Charakter Hitlers und seines Systems“.23 Die Ablehnung der NSDAP ergab sich zum einen aus der unterschieds-

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losen Ablehnung aller Parteien, zum anderen aus den Zusammenstößen zwischen Reichswehr und Parteimitgliedern, womit Marschall als Chef des Stabes der Marinestation der Ostsee (Kiel) fast täglich zu tun gehabt hatte. Sie manifestierte sich z. B. 1937, als er während des Spanischen Bürgerkrieges als Befehlshaber der deutschen Seestreitkräfte in den spanischen Gewässern (BdSp) riet, statt „durch unverantwortliche Parteimitglieder“ solle man in Wirtschaftsfragen allein durch die verantwortliche Botschaft Einfluß auf die spanische Führung nehmen. 24 Beim nächsten Kommando als BdP in Wilhelmshaven war Marschall froh, mit der Partei nichts zu tun zu haben, zumal ihn ein Gespräch mit dem dortigen Kreisleiter in seiner Meinung bestärkte, es (einschließlich des Gauleiters) mit „gefährlichen Dummköpfen“25 zu tun zu haben. Die Unterscheidung zwischen (dem guten) Hitler und der (schlechten) NSDAP zeitigte kurz vor Kriegsende eine aus heutiger Sicht unerklärliche Folge: Marschall wurde Mitglied der NSDAP. Ende Juni 1943 erstmals und November 1944 zum zweiten Mal ‘z.V.’ gestellt, sah er wie andere Admirale eine neue Aufgabe „mitten im schwersten Ringen unseres Volkes“26 als Landrat des Kreises Schleswig. Überzeugt, die Partei verhindere die an sich guten Ziele Hitlers, meinte Marschall, diese Diskrepanz zwischen ‘Führer’ und Gefolgschaft in seiner Person überbrücken zu können: „nach langer und gründlicher Überlegung entschloß ich mich, dies zu tun, obwohl ich von jeher mit der Partei schlecht gestanden hatte. Ich hoffte, wenigstens im Landkreis Schleswig ihren Einfluß eindämmen zu können u. damit Übergriffe zu verhindern.“ 27 Als „Sonderbevollmächtigter Donau“ war er mit allen Parteigrößen fertig geworden; jetzt verhinderte sein alter Kontrahent in der Partei, Gauleiter Heinrich Lohse, seine Ernennung zum Landrat. Letztlich bleibt Marschalls Verhältnis zum Nationalsozialismus so ungeklärt wie das vieler anderer höherer Marineoffiziere; 28 die Forschung ist mangels glaubhafter Aussagen der Betroffenen auf Schlußfolgerungen angewiesen. Zwar notiert Marschall im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944, daß er „heute [1957] Hitler verachte u. hasse“; 29 dies blieb aber die einzige distanzierende Bemerkung – bei sehr viel längeren ablehnenden Ausführungen zum militärischen Widerstand. Ganz offenkundig war es Marschall im Krieg unmöglich, in Hitler – und nicht nur in der Partei – den Verbrecher an Deutschland zu erkennen. Diese Unfähigkeit kontrastiert auffallend mit den deutlichen, entschiedenen Urteilen über deutsche und ausländische hohe und höchste Persönlichkeiten in Militär und Gesellschaft. Vielleicht versagte Marschalls Analyse- und Kritikfähigkeit, sobald er Persönlichkeiten „patriotisch“ handeln oder Aufgaben „als für das Vaterland geboten“ sah, in seinem Falle also den Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg, als „Sonderbevollmächtigter Donau“ im Sommer 1944 schon im Bewußtsein der sicheren Niederlage und – nur drei

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Wochen vor Kriegsende – die erneute Übernahme des Oberbefehls über das Marineoberkommmando West mit Hauptquartier in – Lindau am Bodensee! Mit dem Spanischen Bürgerkrieg war Marschall dreimal dienstlich befaßt: Zuerst als Kommandant des Panzerschiffs ADMIRAL SCHEER; dann als A 1 OKM und zuletzt als Befehlshaber der deutschen Seestreitkräfte in spanischen Gewässern. Eine Vorlage der Operationsabteilung, die dem ObdM am 22. 8. 193730 als Vortragstext beim ‘Führer’ diente, wies auf die „Gefahr sehr schnell um sich greifender europäischer Verwicklungen“ hin. Denn „in keinem Falle kann es im Interesse einer nüchternen deutschen Politik liegen, wertvolles deutsches Material und Kräfte für eine Sache einzusetzen, der letzten Endes doch nicht zum Sieg verholfen werden kann“. Hier ist die gleiche pessimistische Grundhaltung erkennbar wie schon in der Juni-Studie. Als Befehlshaber der deutschen Seestreitkräfte in spanischen Gewässern verhielt sich Marschall nach eigener Einschätzung als schlichter „Soldat und (hatte) somit nichts mit rein politischen Dingen zu tun“,31 erging sich dann aber in langen politischen Erörterungen zu aktuellen und zukünftig möglichen Bündnissen. Daß Marschall während seiner mehrfachen Einsätze in und vor Spanien in völkerrechtswidrige Vorkommnisse32 verwickelt war, ist nicht nachweisbar. Gleiches gilt für die Zeit als „Sonderbevollmächtigter des Führers für die Donau“,33 wobei die im KTB der Seekriegsleitung zweimal verwendete Bezeichnung „Donau-Diktator“ eine niemals eingetretene Dramatik andeutet. Hier unterstützte Marschall mit seiner Autorität den Inspekteur des Minenräumdienstes bei dessen Hauptaufgabe, den Schiffsverkehr auf der Donau für Nachschubtransporte in beiden Richtungen aufrechtzuerhalten. Durchaus von dramatischen Umständen, nämlich vom sich abzeichnenden Kriegsende war sein letztes Kommando als (erneuter) Oberbefehlshaber des Marinekommandos West geprägt. Hier stellt sich die Frage, warum sich Marschall auf dieses Kommando einließ, sich also wieder einmal dem ‘Führer’, vertreten durch den ObdM, zur Verfügung stellte, statt sich krankheitsbedingt zu verweigern, zumal er seit Sommer 1944 von der Unmöglichkeit eines deutschen Sieges überzeugt war34 und durchgreifende Maßnahmen in den letzten drei Kriegswochen nicht mehr zu veranlassen waren. Aufgrund fehlender Quellen läßt sich diese Frage nicht beantworten, muß dieser Widerspruch hingenommen werden. Marschall verstand sich als Marineoffizier bzw. als Seebefehlshaber, und in diesem Zusammenhang waren aktive Verstrickungen in die NS-Politik nicht zu erwarten. Anders im Oberkommando der Kriegsmarine, wo er aber als Warner und eben nicht als ‘Scharfmacher’ auftrat. Selbst mit seiner Antwort an Raeder, bei einer Besetzung Dänemarks müsse man auch Norwe-

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gen einbeziehen,35 vertrat Marschall ‘nur’ eine seit 192936 zumindest bei jüngeren Marineoffizieren verbreitete Überzeugung. War Marschall krankheitsbedingt an der Besetzung Norwegens und Dänemarks auch nicht beteiligt, erfüllte sich doch sein ‘Schicksal als Seeoffizier’ im Kontext dieses „in der Seekriegsgeschichte einzig dastehenden Erfolges“ (so Raeder). Mit dem Unternehmen JUNO schloß sich der Kreis: Der selbständig handelnde Seebefehlshaber geriet in Konflikt mit der Führungsmaxime des „Dritten Reiches“: ‘Alles wagen, aber nichts verlieren’. Diesen Widersinn machte er sich, ganz im Gegensatz zu Raeder, nicht zu eigen. Trotzdem ließ sich Marschall vom „Hitlerjungen Dönitz“ (so Raeder), einem Angehörigen der „zweiten Generation des technokratischen Nationalsozialismus”37 noch zweimal in die Pflicht nehmen. Befehlstreu bis zuletzt, überzeugt von einer eigenen Vorstellung von Gerechtigkeit, hoffend auf eine irgendwie erträgliche Zukunft, sah Generaladmiral a.D. Wilhelm Marschall sehr klar die Schuld bei anderen. Nur seine eigene, allzu menschliche, zwar undramatische, aber doch gegebene Verstrickung in die NS-Politik wollte er nicht sehen. Ein pflichtbewußter Marineoffizier war in den Mahlstrom der Politik geraten, wo ihn seine Bewertungsmaßstäbe glauben ließen, seinem Volk und einem großen Staatsmann für berechtigte Ziele zu dienen. Dabei hegte er – entsprechend seinem Selbstverständnis als Soldat und Patriot – die Illusion, sich mit dem Verbrecherischen der NS-Politik nicht in abschließender Konsequenz auseinandersetzen zu müssen. Anmerkungen 1 Flottenkommando B. Nr. P 4/40 A2 v. 3. 1. 1940 (Abschrift im Archiv des Verfassers; Original im BA-MA Freiburg nicht auffindbar); dagegen der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine v. 22. 12. 1939: „Die (…) Maßnahmen der Zerstörung und Versenkung des Schiffes ändern nichts an meiner grundsätzlichen Einstellung (…). ‘Das deutsche Kriegsschiff kämpft unter vollem Einsatz seiner Besatzung bis zur letzten Granate, bis es siegt oder mit wehender Flagge untergeht.’“ BA-MA Freiburg, RM 2/91; 1. Skl KTB Teil B Heft V, Bl. 79. 2 Geboren am 30. 8. 1886 als Sohn eines Ingenieurs in Augsburg; gestorben am 20.3.1976 in Mölln. 3 BA-MA Freiburg, RM 7/91, Bl. 78; in: Ebenda, RM 7/1330, Bl. 202 als DNB-Meldung für die In- und Auslandspresse. 4 Nach dem Unternehmen JUNO, worauf hier nicht weiter einzugehen ist; vgl. dazu Salewski, Die deutsche Seekriegsleitung, Bd.1, S. 194 ff.; Marschall, Unternehmen „JUNO“, Atlantische Welt 1967, H. 6, S. 4–7, H. 7, S. 5–7. 5 Schon als Fähnrich zur See nahm Marschall 1909 geistesgegenwärtig die Ge legenheit wahr, „Aushilfskommandant“ auf „S 23“ zu werden. Vgl. Marschall,

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Chronik der Familie Marschall, S. 28. Diese Chronik wurde 1994 von Marschalls zweitältestem Sohn Jürgen Marschall, dem sie zu Lebzeiten seines Vaters nicht bekannt war, abgeschrieben und dem BA-MA Freiburg übergeben (N 256/6). Sie zeichnet sich durch Offenheit aus und stand erstmals für diesen Aufsatz zur Verfügung. 6 Marschall, Chronik, S. 30. 7 Erich Raeder bekleidete bis auf eine kurze Zeit als Kommandant des Kleinen Kreuzers CÖLN II ausschließlich Dienststellungen ohne Führungsverantwortung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wies Marschall auf diesen Unterschied besonders hin; siehe BA-MA Freiburg, N 256/6: Nachlaß Marschall „Ausarbeitung zur Seekriegführung 1939/40 von GenAdmiral Marschall“, S. 6; siehe auch: Zur deutschen Seekriegführung 1939–1940, Stellungnahme von Generaladmiral a. D. Wilhelm Marschall, Flottenchef bis 8. 7. 1940, in: Marine-Rundschau 1/2, 1972, S. 55–79; hier fehlt u. a. Hinweis auf Raeders Qualifikationsdefizite. Zu Raeder siehe den Beitrag von Kurt Fischer in diesem Band, S. 185 ff. 8 Biographische Angaben in Hildebrand/Henriot, Deutschlands Admirale. 9 Vgl. Marschall, Chronik, S. 142 ff.; deutsche Emigranten, die ihm als Angehörige der US-Army gegenübertraten, stufte er bezeichnenderweise fast immer als „jüdischer Herkunft“ ein. 10 Ganz anders z.B. Konteradmiral Rolf Johannesson in seinen Erinnerungen »Offizier in kritischer Zeit«, Herford 1989, S. 56. Marschall verstand das Wort „Judenhaß“ als Haß von, nicht auf Juden; sein Einsatz für von den „Nürnberger Rassegesetzen“ Betroffene ist nur mündlich (durch Jürgen Marschall an den Verfasser) überliefert. 11 22. 9. 1936 bis 30. 9. 1937. 12 Abgedruckt bei Güth, Die Marine des Deutschen Reiches, S.200. 13 BA-MA Freiburg RM 7/817 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine A 1 op 18. 6. 1937: Operative Weisung Op 8–1. November 1936 bis September 1938: Studie über die Aufgaben der Seekriegführung 1937/38, Bl. 70–118 (zit. Studie 1937); als Bearbeiter gilt Marschalls Untergebener FKpt Heye; vgl. Dülffer, Weimar, Hitler und die Marine, S. 440 f., Salewski, Seekriegsleitung, Bd.1, S. 33 f., vor allem aber Schreiber, Deutschland und Frankreich, S. 202 f. 14 Studie 1937, S.1f. 15 Ebenda, S.8. 16 Ebenda, S.10. 17 Salewski, Seekriegsleitung, Bd.1, S. 34. 18 BA-MA Freiburg, M 28/34142 BdP 354/Gkds. 19 Marschall, Chronik, S.74. 20 Ebenda. 21 Ebenda, S.50 u. darin „Erkenntnisse“ 5. 5. 57, S.2. 22 Vgl. Köhler’s Flottenkalender 1937, S. 134. 23 So Salewski, Seekriegsleitung, Bd. 2, S. 443; gemeint sind auch Boehm, Albrecht, Carls und Schniewind. 24 BA-MA Freiburg, RM 50/22: „Beurteilung der Lage am 1. 11. 1937”; ebenso äußerte Marschall sich später (8. 2. 1938) in Kirchenfragen. 25 Marschall, Chronik, S.97 u. S. 128 a zu Saukel und Kaufmann.

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Ebenda, S. 130 c; nach dem Vorbild des Vizeadmirals a. D. Hans Kolbe im Landkreis Eckernförde u. Generaladmirals a. D. Rolf Carls im Landkreis Lauenburg. Aus der Chronik wird nicht klar, ob dies nach der Verabschiedung 30. 6. 1943 oder zum 30. 11. 1944 war. Die Unterlagen des heutigen Kreises Schleswig-Flensburg legen den Eindruck nahe, daß im März 1943 ein Ende der Amtszeit Kolbes anstand. 27 Ebenda. 28 Wenig ergiebig dazu Marschall, Marine, Nationalsozialismus und Widerstand, S.105–108. 29 Marschall, Chronik, S. 134. 30 BA-MA Freiburg, RM 20/1279, Bl. 36–39: Vortrag des ObdM bei Hitler am 22.8.1937. 31 BA-MA Freiburg, RM 50/25: BdSp im Gespräch mit einem nationalspanischen Vertreter am 23. 1. 1938. 32 Herzog, Piraten vor Malaga, DIE ZEIT, 29. 11. 1991, deutet sie mehr an, als daß er sie nachweist; auf die schwierige Akten- und Zeitzeugenlage weist Herzog zu Recht hin. Das „Verzeichnis für Vernichtung“ von Akten aus dem Spanieneinsatz (BA-MA Freiburg, RM 50/15) ist außerordentlich unvollständig. 33 Vgl. BA-MA Freiburg, RM 7/251, 1. Skl KTB Teil C, Heft XIVa, worin Marschall nur sehr selten erwähnt wird. 34 So Jürgen Marschall gegenüber dem Verf. im November 1995. 35 Vgl. Dülffer, Weimar, Hitler und die Marine, S. 443. 36 Wegener, Die Seestrategie des Weltkrieges. 37 Salewski, Das maritime Dritte Reich, Vortrag gehalten auf der 25. HistorischTaktischen Tagung der Flotte, Herford 1985, Anm. 76 u. S.125. 26

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff,) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, RM 7/5: KTB Seekriegsleitung; N 256: Nachlaß Marschall; Pers 6/2203: Personalakte Marschall; RM 50/22: KTB des BdSp Konteradmiral Marschall; RM 7/817: Stellungnahme Kommando der Marinestation Ostsee [zur Denkschrift v. 18. 6. 1937 und Kriegsspiel 1937/38]. Gedruckte Quellen und Literatur Dülffer, Jost: Weimar, Hitler und die Marine. Düsseldorf 1973. Güth, Rolf: Die Marine des Deutschen Reiches 1919–1939. Frankfurt a.M. 1972. Hildebrand, Hans H./E. Henriot: Deutschlands Admirale 1849–1945. Osnabrück 1982. Johannesson, Rolf: Offizier in kritischer Zeit. Herford 1989. Marschall, Wilhelm: Unternehmen „Juno“. In: Atlantische Welt 7 (1967), H. 6, S. 4–7, H. 7, S.5–7. Ders.: Marine, Nationalsozialismus und Widerstand. Eine Entgegnung zu der gleich-

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namigen Abhandlung von Walter Baum in Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Januarheft 1963. In: MOH-Nachrichten, 1983, H. 6, S.105–108. Salewski, Michael: Die deutsche Seekriegsleitung. München 1970/75. Ders.: Das maritime Dritte Reich – Ideologie und Wirklichkeit 1933–1945. In: Die deutsche Flotte im Spannungsfeld der Politik 1848–1985. Vorträge und Diskussion der 25. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte 1985. Hrsg vom Deutschen Marine Institut und vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Herford 1985. Schreiber, Gerhard: Deutschland und Frankreich 1936–1939. In: Beihefte der Francia. Hrsg. vom Deutschen Historischen Institut Paris, Bd. 10 (15. Deutsch-französisches Historikerkolloquium des Deutschen Historischen Instituts, Paris), München/Zü rich 1981. Stellungnahme von Generaladmiral a. D. Wilhelm Marschall, Flottenchef bis 8. 7. 1940. In: Marine-Rundschau 1/2, 1972, S.55–79. Wegener, Wolfgang: Die Seestrategie des Weltkrieges. Berlin 1929.

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Generalfeldmarschall Erhard Milch Als Erhard Milch 1933 als Führungsperson zur NS-Regierung stieß, hatte er beruflich schon viel erreicht und brauchte keine besondere Förderung von der Partei mehr. Aber er war ehrgeizig, skrupellos und durchsetzungsfähig und dazu ein Mann mit überragenden organisatorischen Fähigkeiten, unermüdlicher Arbeitskraft und einem ausgeprägten Verständnis für wirtschaftliche, rüstungstechnische und finanzielle Fragen. Die Chancen, die ihm der neue Staat bot, nutzte er vorbehaltlos aus. So brachte er es dann auch zum Generalfeldmarschall und zum zweiten Mann hinter Göring in der Luftwaffe. Erhard Milch wurde am 30. März 1892 in Wilhelmshaven als Sohn des kaiserlichen Marine-Apothekers Anton Milch und seiner Ehefrau Clara geb. Vetter geboren. Beide Eltern waren evangelischer Religion. Die vom Vater her bestehende jüdische Abkunft wurde später durch eine abenteuerliche Geschichte mit Wissen Hitlers und Görings kaschiert, um den für die NS-Führung unangenehmen Tatbestand zu vertuschen, daß Milch „jüdischer Mischling“ war.1 Von Göring ist der Satz überliefert: „Wer bei mir Jude ist, bestimme ich.“2 Danach galt Milch als „arisch“ und konnte im antisemitischen NS-Staat Führungsfunktionen übernehmen. Milch wuchs in Wilhelmshaven auf. Als der Vater im Sommer 1905 als Oberstabsapotheker aus der Marine ausschied und in Gelsenkirchen eine Apotheke kaufte, besuchte Milch das dortige Städtische Gymnasium. Ein weiterer Schulwechsel wurde erforderlich, als die Mutter mit den sechs Kindern nach Berlin umzog, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Dort hatte ein Nachbar großen Einfluß auf den heranwachsenden Milch. Es war Admiral Ludwig von Schröder, im Ersten Weltkrieg Chef des Marinekorps in Flandern. Milch sah ihn fast als Vater an. Am Joachimsthaler Gymnasium in Berlin legte Milch im Februar 1910 die Reifeprüfung ab. Im gleichen Monat trat er als Fahnenjunker in die 1. Batterie des FußartillerieRegiments „von Linger“ (Ostpreußisches) Nr. 1 in Königsberg ein. Bereits im August 1911 wurde Milch Leutnant. Nach Kommandierung zur Fußartillerie-Schießschule in Jüterbog (1. 10. 1913–1. 1. 1914) meldete er sich zum erstenmal zur Fliegertruppe, denn schon als Schüler hatte Milch das Fliegen fasziniert. Er hatte die Flüge von Orville Wright auf dem Tempelhofer Feld miterlebt und war bei den Johannisthaler Flugtagen dabeigewesen. Aber

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sein Kommandeur lehnte das Gesuch mit den Worten ab: „Meine Offiziere sind mir zu schade für derlei Narrenpossen.“ Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges war Milch Adjutant beim II. Reserve-Bataillon seines Regiments. Ende August 1914 kam es zum Einsatz an die Ostfront. Das Eiserne Kreuz 2. Klasse erhielt er schon zwei Monate später. Ein Telegramm vom 1. 7. 1915 brachte ihm dann die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches: Er wurde zur Ausbildung als Flugzeugbeobachter zur Flieger-Ersatzabteilung nach Döberitz kommandiert. Die Ausbildung dauerte nur wenige Wochen, dann wurde der am 18. 8. 1915 zum Oberleutnant beförderte Milch zur neu aufgestellten Artillerie-Fliegerabteilung 204 an die Westfront versetzt,wo er im Juni 1916 das Eiserne Kreuz I. Klasse erhielt. Eine weitere Versetzung, diesmal auf die Stelle als Adjutant des Kommandeurs der im Aufbau befindlichen Artilleriefliegerschule Ost I in GroßAuz/Kurland, folgte am 15. 8. 1916. Milchs nächstes Kommando zum Armeeflugpark der 6. Armee als stellvertretender Abteilungskommandeur der Fliegerabteilung 5 brachte ihn im Juni 1917 wieder in den Westen. Knapp zwei Monate später wurde Milch Bildoffizier. Eine wichtige Stufe seiner militärischen Laufbahn war die am 1. 4. 1918 erfolgte Benennung als Anwärter für den großen Generalstab und die Versetzung zum Armeeflugpark 17. Um den notwendigen Dienst bei einer Fronttruppe zu erfüllen, tat Milch ab April 1918 als Kompanieführer des ostpreußischen Infanterie-Regiments Nr. 41 und ab Juni 1918 des Feldartillerie-Regiments Nr. 273 Dienst, bis er am 19. 7. 1918 als Nachrichtenoffizier zum Stab des Kommandeurs der Flieger der 17. Armee zurückversetzt wurde. Aus der Generalstabsausbildung wurde jedoch angesichts der Kriegsentwicklung nichts mehr. Als Hauptmann übernahm Milch ab 20. 9. seine alte Artillerie-Fliegerabteilung 204 und wurde zudem ab 1. 10. 1918 mit der Führung der Jagdgruppe 6 beauftragt. Nach Kriegsende ging Milch zum Grenzschutz Ost, führte die Fliegersonderstaffel des XVII. Armeekorps, dann die freiwillige Fliegerabteilung 412, ehe er ab 5. 9. 1919 Staffelkapitän der Polizei-Fliegerstaffel Königsberg wurde. Schließlich erfolgte am 31. Januar 1920 die Verabschiedung aus dem Heeresdienst. Ehe seine Polizeistaffel aufgrund der Versailler Friedensvertragsbestimmungen ihre Flugzeuge abliefern mußte, verließ Milch Ende März 1921 den Polizeidienst, in den er eingetreten war, um weiter fliegen zu können. In der Hoffnung, im neugeschaffenen Freistaat Danzig leichtere Voraussetzungen für einen bescheidenen deutschen Luftverkehr zu erreichen, war am 26. 2. 1921 eine „Danziger Luftpost GmbH“ gegründet worden. Milch wurde ihr Geschäftsführer. Ende 1923 wechselte Milch als Chef der Betriebsleitung zum Junkers Luftverkehr nach Dessau über. Am 1. 1. 1926

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wurde er mit erst 33 Jahren Vorstandsmitglied der neugegründeten Deutschen Lufthansa AG. Er war für Flugdienst und Technik zuständig. Später kam noch die kaufmännische Leitung dazu. Nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete Milch die Jahre bei der Lufthansa als „die befriedigendste Zeit meines Lebens“.3 Sein alter Bekannter Göring brachte Milch mit Hitler zusammen. Er war von Hitlers „Bescheidenheit, Freundlichkeit, Klarheit und Intelligenz sehr beeindruckt“.4 Da ihm der Rundfunk in Deutschland verschlossen war, charterte Hitler ab April 1932 für jeden Wahlkampf gegen Zahlung des vollen Charterpreises ein Flugzeug der Lufthansa und konnte so an jedem Tag in zwei oder drei Städten auftreten. Vor Hitlers Machtantritt erschien Göring am Abend des 28. 1. 1933 in Milchs Wohnung und drängte ihn, sein Stellvertreter als Staatssekretär im geplanten Luftfahrtministerium zu werden. Milch erbat sich Bedenkzeit, und als Hitler ihn drei Tage später selbst überredete – „(…) Deutschland will Sie haben für diese Stelle“5 –, stimmte er zu. Göring wurde dann zunächst „Reichskommissar für die [Zivil-]Luftfahrt“. Erst am 27. 4. 1933 entstand daraus das Luftfahrtministerium. Noch spielte sich alles in zivilem Rahmen ab, obwohl der Hauptzweck des neuen Ministeriums der Aufbau der bisher durch den Versailler Vertrag verbotenen Luftstreitkräfte war. Am 28. 10. 1933 verlieh Reichspräsident Hindenburg Milch den Charakter als Oberst, dem am 24. 3. 1934 der Charakter als Generalmajor folgte. Wieder ein Jahr später erhielt Milch den Charakter als Generalleutnant. An Hitlers Geburtstag am 20. April 1936 wurde Milch zum General der Flieger ernannt unter gleichzeitiger Übernahme in die Luftwaffe. Sein Amt als Staatssekretär der Luftfahrt behielt er. Inzwischen war Milch zum überzeugten Anhänger und Bewunderer Hitlers geworden. Er sah in ihm anfangs den „Retter“ Deutschlands. Schon Anfang 1929 hatte Milch Göring gegenüber seine grundsätzliche Bereitschaft zum Eintritt in die NSDAP signalisiert, Hitler wünschte das aber aus taktischen Gründen zunächst nicht. Erst nach Hitlers Regierungsübernahme wurde Milch im März 1933 mit rückwirkendem Eintrittsdatum vom 1. April 1929 Parteimitglied. Hitler verlieh ihm schließlich am 30. 1. 1937 das Goldene Parteiabzeichen. Zum 50. Geburtstag im März 1942 schenkte Hitler ihm eine steuerfreie Dotation von 250 000 Reichsmark. Nach (eigener) persönlicher Aussage vor dem späteren Nürnberger Prozeß geschah dies, um ihm den Ankauf eines Landgutes zu ermöglichen.6 Je weiter der Krieg sich entwickelte, um so skeptischer beurteilte er allerdings die deutschen Siegeschancen. Dennoch folgte er Hitler bis zum Ende. Es ging ihm letztlich nicht mehr um Hitler und schon gar nicht um den Nationalsozialismus, sondern um die eigenen Anstrengungen zur Abwendung der militärischen Niederlage. Der Freiburger Militärhistoriker Horst Boog nennt Milch einen

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Durchhaltefanatiker, obwohl er es aufgrund der selbst erkannten Gesamtsituation besser wissen konnte.7 Man kann sich kaum ein ungleicheres Paar an der Spitze der Luftwaffe vorstellen als Göring und Milch. Auf der einen Seite der Reichsminister, eitel, selbstsüchtig, dem Wohlleben und der Bequemlichkeit frönend, und auf der anderen Seite ein intelligenter, kompetenter, vor Tatendrang strotzender und zupackender Fachmann als Staatssekretär. Göring war eifersüchtig auf Milch und befürchtete wohl auch, daß dieser sich nicht lange mit der Rolle des zweiten Mannes abfinden würde. Nur eines verband beide Männer: Von der übrigen Generalität wurden sie als nicht vollwertig angesehen. Milch galt als „Zivilist“ und Göring als „Politiker“. Beide waren vom Dienstgrad Hauptmann a. D. zu hohen Generalsrängen aufgestiegen, Milch wurde am 1. 11. 1938 zum Generaloberst befördert und später noch Generalfeldmarschall. Göring erhielt schließlich den Rang eines ‘Reichsmarschalls’. Beide hatten keine Generalstabsausbildung durchlaufen und sich auch nicht in der Reichswehr hochgedient, gleichwohl erreichten sie im ‘Dritten Reich’ Spitzenstellungen mit höchsten Rangbezeichnungen. Bei einer Vorführung in der Erprobungsstelle der Luftwaffe in Rechlin am 3. Juli 1939 – Milch war inzwischen am Anfang des Jahres zum Generalinspekteur der Luftwaffe ernannt worden – wagte Milch, Hitler darauf aufmerksam zu machen, daß die vorgeführten Flugzeuge und Waffen Versuchsmuster seien. Sie könnten frühestens in fünf Jahren bei der Truppe sein. Er wollte vermeiden, daß Hitler falsche politische Schlüsse zog und glaubte, seine Wehrmacht könne ihm alles ermöglichen. Göring paßte das nicht. Er zischte ihm ins Ohr „Halt’s Maul!“, und Hitler erklärte, es werde keinen Krieg geben.8 Als dann der Krieg dennoch begonnen wurde, erhielt Milch 1940 sogar ein kurzes Frontkommando. Für die Zeit vom 12. 4. bis 10. 5. 1940 wurde er Chef der Luftflotte 5 in Norwegen und nach dem Erfolg des Unternehmens Weserübung und der Eroberung Norwegens mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Bei der großen Beförderungswelle nach dem gewonnenen Westfeldzug am 19. 7. 1940 erhielt Milch „wegen hervorragender Verdienste für den Aufbau der Luftwaffe“ den Rang eines Generalfeldmarschalls. Milchs 1940 auf Grund seiner Kenntnis russischer Verhältnisse Göring gegenüber vorgebrachten Bedenken gegen einen Krieg mit der Sowjetunion blieben wirkungslos. Nach Udets Freitod am 17. 11. 1941 übernahm er auch noch dessen Posten als Generalluftzeugmeister9, und nach dem Tode des Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Lufthansa (DLH), Staatsrat Dr. Georg-Emil von Stauß, im Dezember 1942 wurde Milch auch noch Präsident der Deutschen Lufthansa. Als Milch am 14. 1. 1943 von Hitler an Göring vorbei mit der Neuordnung der Luftversorgung für die in Stalingrad

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eingeschlossene 6. Armee beauftragt wurde, zeigte sich Hitlers Wertschätzung und seine Hoffnung auf Milchs Organisationstalent und Durchhaltewillen. Milch konnte zwar die täglichen Lande- bzw. Abwurfmengen steigern, scheiterte aber an der unlösbaren Aufgabe, eine ganze Armee unter den schlechten Bedingungen aus der Luft versorgen zu können. Nach der Stalingrad-Katastrophe bewies Milch bei seiner Rückmeldung bei Hitler am 5. 3. 1943 Mut, als er – nach eigenem Bekunden – diesem geraten haben will, insgesamt und besonders an der Ostfront zur Verteidigung überzugehen, die Zahl der Jagdflugzeuge drastisch zu erhöhen und Personalveränderungen vorzunehmen. Dazu gehörte der Rat, Generalfeldmarschall von Manstein zum Generalstabschef zu machen und Göring als Oberbefehlshaber der Luftwaffe wegen Unfähigkeit abzusetzen. 10 Im Kampf um die Steigerung der Jägerproduktion wandte sich Milch angesichts der wachsenden Luftbedrohung gegen Hitler, Göring und den Luftwaffengeneralstab, die immer noch in Angriffsvorstellungen verharrten und Bomber forderten. Selbst den überlegenen Düsenjäger Me 262 wollte Hitler als Bomber verwendet sehen. So wurden weiterhin bewährte, aber inzwischen veraltete Jagdflugzeuge produziert. Das ohnehin nicht gute Verhältnis zwischen Milch und Göring verschlechterte sich weiter, vor allem, als dieser ihm seinen Protegé, einen Fliegerkameraden aus dem Ersten Weltkrieg, Generaloberst Bruno Loerzer, als „Chef der Personellen Rüstung und Nationalsozialistischen Führung der Luftwaffe“ zuordnete und damit Milchs Arbeitsgebiet reduzierte. Angesichts der ständig schlechter werdenden Kriegslage hielt es Milch für angebracht, sich aus der Verantwortung für die Luftwaffe zurückzuziehen, sich gewissermaßen ‘herauszuorganisieren’. Daher betrieb er mit seinem Freund Albert Speer die Überführung der Luftrüstung in die Verantwortung des Rüstungsministeriums. Am 20. Juni 1944 kam es endlich dazu. Milchs Stellung als Staatssekretär der Luftfahrt und Generalluftzeugmeister wurde aufgehoben. Speers Ministerium war nun für die gesamte Rüstung zuständig. Das war ein längst überfälliger Schritt, der nun viel zu spät erfolgte. Milch wurde nominell Speers Stellvertreter, konnte jedoch in dessen Ministerium nie richtig Fuß fassen. Er begleitete Speer auf dessen Dienst reisen, so auch am 1. Oktober 1944 im Raum Arnheim. Bei hoher Geschwindigkeit kam sein Auto ins Schleudern und prallte gegen einen Baum. Milch wurde schwer verletzt mit Rippenbrüchen ins Lazarett gebracht. Bis Anfang Januar 1945 lag er danach bewegungsunfähig in seinem Jagdhaus. Uneingeladen erschien er zu Görings Geburtstag am 12. Januar 1945 in Karinhall. Göring zeigte sich „erstaunt und betont freundlich“. Drei Tage danach nahm ihm Göring auch den längst überflüssig gewordenen Posten als ‘Generalinspekteur der Luftwaffe’ ab. Diese Funktion war ohnehin nie mit

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einem eigenen Arbeitsstab ausgestattet worden und damit zur Wirkungslosigkeit verdammt gewesen. In einem Gutshaus bei Neustadt an der Ostsee geriet Milch am 4. Mai 1945 in britische Kriegsgefangenschaft. Unter dem Eindruck von KZ-Greueln entriß ihm ein britischer Brigadegeneral seinen Marschallsstab und schlug ihn damit zusammen. Milch hatte bei Disziplinschwierigkeiten tatsächlich oft mit Kriegsgericht, Einweisung ins ‘KZ’ und Erschießung gedroht, wie er sich überhaupt eine harte Haltung und einen rauhen Kasernenhofton angewöhnt hatte. Ein Todesurteil hat er jedoch nicht unterschrieben.11 Drei Jahre später entschuldigte sich die Royal Air Force dafür auf persönliche Veranlassung von König Georg VI. Als einziger Angeklagter wurde Milch im Kriegsverbrecher-Nachfolgeprozeß Fall 2 in Nürnberg am 17. April 1947 wegen Zwangsverschleppung ausländischer Arbeiter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt. Tatsächlich war für die Beschaffung von Arbeitskräften der Gauleiter Fritz Sauckel verantwortlich gewesen. Der Vorwurf der Deportation und Folterung ungarischer Juden wurde fallengelassen, da die Verschleppungen erst nach Milchs Absetzung als Staatssekretär und Generalluftzeugmeister erfolgten. Am 31. Januar 1951 wurde Milchs Strafe auf 15 Jahre herabgesetzt und am 28. Juni 1954 erfolgte seine vorzeitige Entlassung aus dem Zuchthaus Landsberg. Danach war Milch bis zu seinem Tod am 25. Januar 1972 in Wuppertal als Industrieberater tätig. In seiner Todesanzeige stand bezeichnenderweise: „Erhard Milch Feldmarschall meldet sich ab.“ Anmerkungen 1 Boog, Milch, S. 350–354, stützt sich auf Prof. Dr. Klaus J. Herrmann von der Concordia University in Montreal, Kanada, der eine lückenlose und überzeugende väterliche Ahnenreihe Milchs festgestellt hat, aus der dessen jüdische Herkunft eindeutig hervorgeht. Eine weitere Studie über Juden in der Wehrmacht bereitet der US-Historiker Bryan M. Rigg vor. 2 Irving, Tragödie, S. 72. 3 Ebenda, S. 39. 4 Ebenda, S. 50. 5 Ebenda, S. 62. 6 Ebenda, S. 218, Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Militärgerichtshof (IMT), Bd. 9, S. 90. 7 Boog, Milch, S. 349 f. 8 Irving, Tragödie, S. 128. 9 Vgl. zu Udet den Beitrag auf S. 258 ff. in diesem Band. 10 Boog, Milch, S. 302 f.; Irving, Tragödie, S. 268 und 274f. 11 Irving, Tragödie, S. 390.

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 179: Nachlaß Milch; Itinerarartiges Merkbuch (1910–1950); RL 3/1–64: Sammlung Milch (darunter auch etwa 9600 Schreibmaschinenseiten Wortprotokolle der Informationsbesprechungen Milchs mit seinen Referenten und Verbindungsoffizieren in der Zeit von März 1942 bis Juli 1944); Pers. 6/11: Personalakten Milch; BA-MA Lw 21/4: Richard Suchenwirth: Der Staatssekretär Milch. Lebenslauf und Werdegang. Ungedrucktes Manuskript 1956. Studiengruppe „Geschichte des Luftkrieges“, Karlsruhe. Nur für den US-Dienstgebrauch gedruckt u. d. T.: Richard Suchenwirth: Command and Leadership in the German Air Force. USAF Historical Division, Air University, Maxwell AFB, Alabama, July 1969 (= USAF Historical Studies Nr. 174); Archiv IfZ, München: Sammlung Irving über Milch; BA Berlin: Material des ehem. Berlin Document Center; Staatsarchiv Nürnberg: Protokolle des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses. Gedruckte Quellen und Literatur Absolon, Rudolf: Rangliste der Generale der deutschen Luftwaffe nach dem Stand vom 20. April 1945. Friedberg 1984. Boog, Horst: Erhard Milch – Architekt der Luftwaffe. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. Hrsg. von Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin 1995, S. 349–367. Boog, Horst: Die deutsche Luftwaffenführung 1935–1945. Führungsprobleme – Spitzengliederung – Generalstabsausbildung. Stuttgart 1982. Deutschlands Rüstung im Zweiten Weltkrieg. Hitlers Konferenzen mit Albert Speer 1942–1945. Frankfurt a. M. 1969. Hrsg. v. Willi A. Boelcke. Hentschel, Georg: Die geheimen Konferenzen des Generalluftzeugmeisters. Koblenz 1989. Hildebrand, Karl Friedrich: Die Generale der deutschen Luftwaffe 1935–1945, Bd. 2. Osnabrück 1991. Irving, David: Die Tragödie der deutschen Luftwaffe. Aus den Akten und Erinnerungen von Feldmarschall Milch. Frankfurt a. M. 1970. Speer, Albert: Erinnerungen. Berlin 1969. Völker, Karl-Heinz: Die deutsche Luftwaffe 1933–1939. Aufbau, Führung und Rüstung der Luftwaffe sowie die Entwicklung der deutschen Luftkriegstheorie. Stuttgart 1967.

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Generalmajor Oskar Ritter von Niedermayer* Oskar Ritter von Niedermayer war ein Exot in der Generalität des ‘Dritten Reiches’, gehörte aber nicht zu ihrem engeren Führungskreis. Wenn er trotzdem seinen Platz in diesen Skizzen der militärischen Elite findet, dann deshalb, weil seine Biographie das Verhältnis von Wissenschaft und Kriegsvorbereitung sowie die Friktionen in den deutsch-sowjetischen Beziehungen der Zwischenkriegszeit besonders illustriert. Das Soldatische einerseits und die Wissenschaft andererseits prägten schon früh den am 8. 11. 1885 in Freising/Oberbayern geborenen Oskar Niedermayer. Er trat 1905 ins Heer ein und war im Ersten Weltkrieg Artillerieoffizier, bevor er zu einer Geheimmission berufen wurde. Denn nach seinem Geographie- und Geologiestudium hatte er von 1912 bis 1914 eine Forschungsreise nach Persien und Indien unternommen und führte daher mit dem Diplomaten von Hentig (1886–1984) eine Afghanistan-Expedition durch, um dort Aufstände gegen England und Rußland zu provozieren. Obwohl das mißlang, wurde Niedermayer 1916 zum Ritter des Militärischen Max-Joseph-Ordens von Bayern ernannt.1 Er verstand es, diese Mission wie einen Karl-May-Roman zu verkaufen, doch entbrannte später ein erbitterter Streit mit von Hentig darüber, wer der eigentliche Expeditionsleiter gewesen sei. Nach einem Einsatz bei der Heeresgruppe F im Bereich des heutigen Irak und Palästina, im ehemaligen Osmanischen Reich, erlebte von Niedermayer das Kriegsende wieder an der Westfront. 1919 war er an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligt, anschließend promovierte er über die „Binnenbecken des iranischen Hochlandes“. In Karl Haushofers geopolitischem Kreis lernte er vermutlich früh Rudolf Heß kennen. Im Dezember 1921, nach einem Intermezzo im Heereswaffenamt, nahm von Niedermayer den Abschied vom aktiven Dienst, um bis 1931 in wechselnden Funktionen die geheime Zusammenarbeit von Reichswehr und Roter Armee von Moskau aus zu organisieren. Die Entwicklung unter Stalin, die Industrialisierung, Kollektivierung der Landwirtschaft und den Aufbau der Roten Armee verfolgte er dabei mit großem Respekt gegenüber der „Leidensfähigkeit und Lebensstärke“2 des russischen Volkes, und er befürwortete die deutsch-sowjetische Kooperation trotz der ideologischen Differenzen. *

Für Hinweise danke ich Uwe Mai.

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Nach Deutschland zurückgekehrt, trat er kurzzeitig erneut in den Heeresdienst ein und schied zum 31. Januar 1933 wieder aus, denn nach der Habilitation über „Wachstum und Wanderung im russischen Volkskörper“ erhielt er zum 31. Juli 1933 die Venia Legendi für Wehrgeographie und Wehrpolitik an der Universität Berlin. Die dafür notwendige NSDAP-Mitgliedschaft erlangte er trotz der Aufnahmesperre durch die Intervention von Heß. Wegen seiner früheren Tätigkeit galt er jedoch als Sympathisant der Sowjetunion, weshalb er im Juli 1935 parteiintern Selbstkritik üben mußte, weil er zu spät erkannt habe, „daß einzig und allein die Außenpolitik des Führers den richtigen Weg [… ] zu weisen imstande ist“.3 Damit waren die Zweifel an seiner Linientreue vorerst ausgeräumt, zumal ihn auch der Reichswehrminister, Generaloberst von Blomberg, und der Reichsführer-SS, Himmler, unterstützten. Zur Sicherheit trat Niedermayer im November 1935 trotzdem als Ergänzungs-Offizier wieder in die Wehrmacht ein, denn seine Gegner gaben nicht auf. Die Ernennung zum Universitätsprofessor im September 1936 wurde zunächst nicht wirksam, weil Joseph Goebbels „erhebliche Bedenken“4 geltend machte. Das Propagandaministerium warf ihm „prosowjetische Tendenzen“ vor: Niedermayer begreife die Sowjetunion als einen in nationalrussischen Traditionen stehenden, nur weltrevolutionär verbrämten Staat. Solche Ansichten, hieß es, „stehen in direktem Gegensatz zur nationalsozialistischen Auffassung“5, denn sie würden verkennen, daß die Sowjetunion „volksfremd“, d. h. vom „Internationalen Judentum“ regiert werde. Erziehungsminister Rust konnte jedoch klärend eingreifen, so daß Niedermayer im Januar 1937 den Lehrstuhl für „Allgemeine Wehrlehre“ an der Universität Berlin erhielt und zugleich Direktor des neugeschaffenen „Instituts für Allgemeine Wehrlehre“ wurde. Er bezeichnete die Wehrwissenschaft als „politische Zweckwissenschaft“, die „der politischen Erziehung des Volkes und […] der politischen und militärischen Leitung des Staates“ dient, indem sie die „militärisch[e] Verwendung der gegebenen natürlichen und kulturellen Kräfte eines Staates im Macht- und Selbstbehauptungskampf in Krieg und Frieden“6 erforscht. Seit dem Wintersemester 1933/34 hielt Niedermayer Lehrveranstaltungen ab und trieb die Institutionalisierung seines Faches voran. Die Lehr- und Forschungstätigkeit wurde zunächst vom Reichswehrministerium, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und später vom OKW mit erheblichen Geldern für Auftragsarbeiten – z. B. wehrgeographische Atlanten Frankreichs, Großbritanniens und der Sowjetunion – finanziert. Im Frühjahr 1937 lancierte Niedermayer ein „nationalpolitisches Forschungsinstitut“, das die Regierung „in der Führung des Deutschtumskampfes durch Forschungen und Publikationen“7 unterstützen sollte. Bereits ein

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halbes Jahr später konnte das „Institut für Heimatforschung“ den Dienstbetrieb aufnehmen und seit dem Frühjahr 1938 Lehrveranstaltungen anbieten. Das faktisch von dem stellvertretenden Direktor, dem Staatswissenschaftler Arno Winter, geleitete Institut gehörte zur Berliner Universität, hatte aber seinen Sitz in Schneidemühl. Bereits kurz nach dem Überfall auf Polen im September 1939 beantragte Niedermayer seine Verlegung an die geplante Reichsuniversität Posen, da dort „der Sammelpunkt der wichtigsten aktuellen völkischen und raumpolitischen Probleme (Flüchtlingsprobleme, Umvolkung, Rückwanderung)“8 liege. Angesichts des Widerstandes gegen dieses Vorhaben empfahl Niedermayer jedoch die Auflösung des Instituts, die 1942 erfolgte, da es „bisher im östlichen Volkstumskampf nicht eingesetzt wurde“.9 Doch schon zuvor war er desillusioniert worden. In einer wohl von dem Berliner Germanisten Koch stammenden Denkschrift vom November 1939, als deren Mitautor Niedermayer sich ausgab, wurde die zu einer „Grenzverwirrung von Wissenschaft und Politik“10 führende Bildungsfeindlichkeit der NS-Führung beklagt. In einer für das OKW verfaßten Stellungnahme zu einem Memorandum des Dresdner Professors Guertler betonte Niedermayer, daß „eine Rehabilitierung des Lehrers und Professors“11 notwendig sei. Mit dem Hinweis auf das geringe Ansehen des Akademikers begründete er auch im Mai 1941 seine Bitte um ein Frontkommando. Im Oktober wurde er zuerst zur Infanterieschule nach Döberitz kommandiert. Im Mai 1942 übernahm Niedermayer dann eine Infanterie-Division und wurde im September zum Generalmajor befördert. Seine 162. (Turk) Infanterie-Division bestand überwiegend aus Freiwilligen der nordkaukasischen Völker der Sowjetunion. Im Juli 1942 nannte er es Deutschlands Ziel, „den durch den Bolschewismus unterdrückten Völkern die Freiheit zu bringen [… ]“. 12 In den „Anhaltspunkten für den politischen Unterricht in turkvölkischen Einheiten“ vom Januar 1943 formulierte er sogar, seinen früheren Äußerungen widersprechend, daß Deutschland einen aufgezwungenen Krieg gegen den weltrevolutionären Sowjetstaat führe, um die „Vernichtung des Bolschewismus“ und „Ausschaltung des Judentums“13 zu erreichen. Die oft unmenschliche Besatzungspolitik der Militär- und Zivilverwaltung im Osten provozierte jedoch den Widerstand der Bevölkerung und konterkarierte die deutsche Propaganda. Niedermayer hat daher in einem Fall die Deportation von Zwangsarbeiterinnen nach Deutschland gestoppt und auch die Maßnahmen des später als Mitwisser des 20. Juli hingerichteten Obersten Nikolaus Graf von Üxküll-Gyllenband gegen die Erschießung von Zivilisten gedeckt.14 Direkte Beziehungen zum militärischen Widerstand sind jedoch nicht nachweisbar, auch wenn sich Niedermayer im Sommer 1943 Gedanken über eineVerwendung der 162. Infanterie-Division im Inneren gemacht haben soll.15

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Der erste Einsatz seiner Division bestand aus Kampagnen gegen Partisanen in Slowenien und Norditalien von Oktober bis Dezember 1943. Bei den weiteren Kämpfen im Frühjahr 1944 wuchs die Kritik an den militärischen Fähigkeiten Niedermayers. Für den Oberbefehlshaber Südwest/Heeresgruppe C, Generalfeldmarschall Kesselring, war er „mehr Gelehrtennatur als Truppenführer“. 16 Zum 21. Mai 1944 wurde er daher seines Kommandos enthoben und zum Kommandeur der Osttruppen z. b. V. 703 beim Oberbefehlshaber West ernannt. Als Kommandeur der Freiwilligenverbände, wie dieses Amt eigentlich hieß, war er auf einen bedeutungslosen Posten abgeschoben. Die Aussichtslosigkeit der militärischen Lage Deutschlands trat nach der alliierten Landung in der Normandie immer klarer zutage. Im vertrauten Kreis verhehlte Niedermayer seine Einschätzung nicht. So soll er im Spätsommer 1944 geäußert haben: „Unsere Politik ist vollkommen falsch. Es hätte von 1933 an nur eines gegeben: Zusammengehen mit Rußland [… ].“ Über die Verurteilung der Verschwörer des 20. Juli sagte er angeblich: „Ich bin von Sowjetrußland schon etwas gewöhnt, aber so etwas Beschämendes und Furchtbares hat es dort nicht gegeben.“ Als ihn schließlich einer seiner Offiziere mit der Bemerkung reizte, das deutsche Volk müsse bis zum Untergang weiterkämpfen, entgegnete Niedermayer erregt: „Nie darf das deutsche Volk für seine Führung oder ein politisches Programm untergehen. Dann muß die Führung weg. Der Führer hat oft gesagt, daß er nur für sein Volk kämpfe. Wenn er keine Folgerungen zieht, dann bin ich der erste, der gegen ihn persönlich vorgeht.“17 Niedermayers Bemerkungen wurden denunziert, doch er verwies darauf, sich der „Erkenntnis der großen Gefahren des Bolschewismus […] nie verschlossen“ zu haben. Den 20. Juli wollte er nur als „furchtbare Tragik“ bezeichnet haben und den Satz „dann muß die Führung weg“ bestritt er energisch. 18 Was Niedermayer, der zu spontanen Reaktionen neigte, tatsächlich geäußert hat, ist indes nicht mehr zu klären. In der aufgeheizten Stimmung nach dem Hitler-Attentat bot auch seine Berühmtheit keinen Schutz mehr. Er wurde im Oktober 1944 ins Wehrmachtgefängnis Torgau überführt und wegen „Wehrkraftzersetzung“ vor dem Reichskriegsgericht angeklagt. Da seit dem September 1944 der Volksgerichtshof auch bei Wehrmachtangehörigen für alle ‘politischen’ Delikte zuständig war, wurde sein Fall dahin abgegeben und von Niedermayer aus der Armee ausgestoßen. Aus unbekannten Gründen zogen sich die Ermittlungen sehr lange hin. Möglicherweise wollten einflußreiche Freunde die Angelegenheit bis zum Kriegsende hinauszögern. Richard Korherr, der im Stab Himmlers für die statistische Erfassung der ‘Endlösung’ gesorgt hatte, versuchte in einer Eingabe an seinen Chef, die Einstellung des Verfahrens zu erreichen, und der langjährige Assistent am Wehrpolitischen Institut, Ar-

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thur Kühn, leitete ein Gnadengesuch der Ehefrau Niedermayers mit der Bitte an Himmler weiter, er möge in seiner Eigenschaft als neuer Befehlshaber des Ersatzheeres intervenieren, was dieser jedoch strikt ablehnte.19 Das weitere Schicksal Niedermayers verliert sich in Gerüchten. Sicher ist, daß für den 11. April 1945 seine Verhandlung vor dem Volksgerichtshof anberaumt wurde, die jedoch nicht mehr stattfand.20 Am 14. April befand er sich statt dessen noch immer in Torgau.21 Wahrscheinlich hat er sich, kurz bevor US-Truppen am 25. April 1945 die Stadt erreichten, aus dem von den deutschen Wachmannschaften bereits geräumten Wehrmachtgefängnis Fort Zinna abgesetzt, weil er glaubte, wegen seiner früheren Tätigkeit in Rußland ohnehin ausgeliefert zu werden. Daher ließ er sich nicht von den Amerikanern gefangennehmen, sondern ging zur Roten Armee über. Seine Hoffnung, an die Kontakte aus der Zwischenkriegszeit anknüpfen zu können, erfüllte sich indes nicht. Ein Mithäftling im Lubjanka-Gefängnis in Moskau berichtete, was er durch Niedermayer selbst erfahren hatte. Demnach sei dieser freiwillig übergelaufen, „weil unzweifelhaft nun für Deutschland das russische Zeitalter beginne und ihm vielleicht eine freiwillige Geste den Russen gegenüber nütze“.22 Niedermayer wurde wegen angeblicher Spionage in den zwanziger Jahren zu 25 Jahren Haft verurteilt und verstarb, schwer erkrankt, am 25. 9. 1948 in der Haftanstalt Vladimir östlich von Moskau. Niedermayers Versuch, in seinem Leben Soldatentum und Wissenschaft zu verbinden, muß als gescheitert angesehen werden. Er sah sich zwar zuerst als Soldat, doch wurde er angesichts der langen Entwöhnung vom aktiven Dienst den Anforderungen an einen Truppenführer nicht mehr gerecht. Als Wissenschaftler war er jedoch zu sprunghaft und ohne genügenden institutionellen Rückhalt, um dauerhaft Spuren hinterlassen zu haben. Die Forschung stellte er dabei ganz bewußt in den Dienst der Militarisierung des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Lebens. Hier waren seine Interessen – wie die der Wehrmachtführung, in deren Auftrag er handelte – mit denen der NS-Machthaber weitgehend kongruent. Zwar verschloß er nicht die Augen davor, daß die extreme Ideologisierung der Wissenschaft die Basis für jedes wissenschaftliche Arbeiten zerstörte, doch ging er über eine partielle Systemkritik nicht hinaus. Es spricht aber für ihn, daß er seine Kritik unmißverständlich verlauten ließ. Unter dem vermeintlichen Schutz der Wehrmacht glaubte er, sich das erlauben zu können. Er verkannte, daß die Nischen im totalitären Staat immer enger wurden. Trotz zahlreicher Vorbehalte und einer herausragenden Bildung und Weltläufigkeit hat sich von Niedermayer damit den Zielen der NS-Machthaber dienstbar gemacht, denn er erlag der Faszination nationaler Machtpolitik. Dafür nahm er den für totalitäre Systeme typischen Terror und das zur Staatsdok-

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trin erhobene völkisch-rassische Denken in Kauf, von dem er als Wissenschaftler nur zu gut wußte, daß es die Realität des ideologischen Hauptgegners Sowjetunion völlig verzerrte. Den letzten Irrtum, die Hoffnung, an die Verbindungen zu Rußland aus den zwanziger Jahren anknüpfen zu können, bezahlte er mit dem Leben. Abermals hatte ihn die bei seiner Intelligenz und Lebenserfahrung erstaunliche politische Naivität ins Verderben laufen lassen. Anmerkungen 1 Vgl. Virtuti pro patria, S. 248 u. 368 f.; die Ordensverleihung erfolgte rückwirkend 1919; ferner generell Seidt, Berlin – Kabul – Moskau. 2 BA-MA Freiburg, N 42/35: Niedermayer an v. Schleicher, 19. 4. 1930. 3 BA Berlin, NS 10/177 Bl. 146: Niedermayer an den Adjutanten des Führers, Wiedemann, 6. 8. 1935. 4 BA Berlin, WI (Personaldossier, ehem. BDC): NSDAP Stab Stellvertreter des Führers, Helms, an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (RMWEV), Rust, 28. 10. 1936. 5 BA Berlin, NS 10/230 Bl. 12: „Gutachten über die wissenschaftliche Lehrmeinung von Oberstleutnant Oskar Ritter von Niedermayer“, undatiert [1935/1936]. 6 UA-HU Berlin, Phil. Fak. 84 Bl. 40: Niedermayer an den Dekan der Philosophischen Fakultät, 28. 12. 1937. 7 BA Berlin, R 49.01/1491 Bl. 18: Denkschrift v. Niedermayers, 15. 7. 1937. 8 UA-HU Berlin, Rektor und Senat 227 Bl. 32: Niedermayer an das RMWEV, 3.10.1939. 9 Ebd. Bl. 90: Niedermayer an das RMWEV, 12. 6. 1940. 10 BA-MA Freiburg, N 122/9: Denkschrift „Schweigen hieße Verrat“, Nov. 1939, gez. Koch/v. Niedermayer. 11 BA Berlin, R 43 III/940 Bl. 26: „Stellungnahme zur Denkschrift Prof. Dr. W. Guertler“, 20. 4. 1940. 12 BA-MA Freiburg, RH 26–162/16: Ansprache v. Niedermayers an die Soldaten der 162. I.D., Juli 1942. 13 BA-MA Freiburg, RH 26–162/19. 14 BA-MA Freiburg, MSg. 2/4143, Aufzeichnung K. Bahr, 30. 5. 1992, S. 2; Bahr war IIa der 162. I.D.; vgl. auch A. Späth: Zum Andenken an Nikolaus Graf von Üxküll. In: VfZG 8, (1960), S.188–192. 15 Bay. HStA-KA München, HS 3414 S. 6f.: K. v. Schowingen, Ritter von Niedermayer und die Turk-Division, Ms. 1973; v. Schowingen war Heeresrichter im Stab der 162. I.D.; auch eine Äußerung Heinrich Brünings im amerikanischen Exil, in der er v. Niedermayer neben Halder, v. Kluge und v. Weichs als politisch intelligenten und zugleich handlungsbereiten General mit antinazistischer Gesinnung klassifizierte, bezeugt jedenfalls, wie verbreitet sein Ruf als NS-Skeptiker war (Gespräch mit John Wheeler-Bennett, 30. 9. 1943, PRO London/Kew: FO 371/34416). 16 BA-MA Freiburg, Pers 6/1679 Bl. 17: Beurteilung durch Kesselring, 29. 4. 1944.

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BA-MA Freiburg, N 304/17: Alle Zitate aus den Aussagen Major Hohlfelds, 13.9.1944. 18 Ebenda: Alle Zitate aus der Erwiderung v. Niedermayers auf die Aussagen Hohlfelds. 19 Vgl. BA Berlin (ehem. BDC) HA SS-Gericht A 549 Bl.271–277. 20 BA-MA Freiburg, N 304/17: OKH/Verbindungsstelle Heerespersonalamt an OKW III/Inspektionschef 15, 28. 3. 1945. 21 Ebenda: Bertha v. Niedermayer an W. Hansen, 12. 6. 1946. 22 Ebenda: Bertha v. Niedermayer an W. Hansen, 21. 12. 1946. 17

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 122: Nachlaß Niedermayer; Pers 6/1679: Personalakte; RH 26– 162: Akten der 162. I.D; ergänzend MSg. 2/4143; ferner N 304: Nachlaß Walther Hansen; BA Berlin: Ministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung; Personalunterlagen (ehem. Berlin Document Center); Universitätsarchiv der Humboldt-Universität (UA-HUB) zu Berlin: Personalakte, Phil. Fak., Rektor und Senat; Bayerisches Hauptstaatsarchiv-Kriegsarchiv (Bay. HStA-KA) München: Personalakte, OP 45584; HS 3414. Gedruckte Quellen und Literatur Hoffmann, Joachim: Die Ostlegionen 1941–1943. Turkotataren, Kaukasier und Wolgafinnen im deutschen Heer. Freiburg 1976. Jacobsen, Hans-Adolf: Karl Haushofer. Leben und Werk, 2 Bde. Boppard 1979. Seidler, Franz W.: Oskar von Niedermayer im Zweiten Weltkrieg. In: Wehrwissenschaftliche Rundschau (WWR) 20 (1970), S. 168–174 und S.193–208. Ders.: Zur Führung der Osttruppen in der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. In: WWR 20 (1970), S.683–702. Seidt, Hans-Ulrich: Berlin – Kabul – Moskau. Oskar Ritter von Niedermayer und Deutschlands Geopolitik. München 2002. Seier, Hellmut: Niveaukritik und partielle Opposition. Zur Lage an den deutschen Hochschulen 1939/40. In: Archiv für Kulturgeschichte 58 (1976), S.227–246. Torgau – Ein Kriegsende in Europa. Hrsg. v. Norbert Haase und Brigitte Oleschinski. Bremen 1995. Virtuti pro patria. Der kgl. bay. Militär-Max-Joseph-Orden. Kriegstaten und Ehrenbuch. Hrsg. v. R. v. Kramer u. O. Frhr. v. Waldenfels. München 1966. Vogel, Renate: Die Persien- und Afghanistanexpedition Oskar v. Niedermayers. Osnabrück 1976. Zeidler, Manfred: Reichswehr und Rote Armee 1920–1933: Wege und Stationen einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit. München 1993.

Kurt Fischer

Großadmiral Dr. phil. h.c. Erich Raeder Erich Raeder, Chef der Marine in Deutschland von 1928 bis 1943, wurde am 24. April 1876 in Wandsbek/Schleswig-Holstein als Sohn eines Studienrats geboren. Er trat im April des Jahres 1894 als Seeoffiziersanwärter in die Kaiserliche Marine ein. In seinem langen Berufsleben sollte er sich als ehrgeiziger Offizier erweisen, der nicht nur das seemännische Handwerk verstand, im Krieg unerschrocken seine Pflicht tat und sich als verantwortungsbewußter Vorgesetzter bewährte, sondern auch durch seine geistige Veranlagung auffiel. Er beherrschte mehrere Sprachen, u. a. Russisch, Französisch und Spanisch. Als junger Offizier tat sich Raeder durch ungewöhnlichen publizistischen Eifer und vielfältige Übersetzungen hervor und von 1906 bis 1908 diente er im Reichsmarineamt als Referent für „Fremde Presse“. In seiner Laufbahn wurde Raeder durch seine Erfahrungen als Wachund Navigationsoffizier gefördert sowie durch die Tätigkeit als Erster Admiralstabsoffizier von 1913 bis 1918 beim Befehlshaber der Aufklärungsstreitkräfte der Hochseeflotte, Admiral Ritter von Hipper. Er nahm an den Seeschlachten an der Doggerbank Januar 1915 und vor dem Skagerrak Ende Mai 1916 teil. Im letzten Kriegsjahr erhielt Raeder, seit 1917 Fregattenkapitän, ein eigenständiges Kommando als Kommandant des neugebauten Kleinen Kreuzers „Cöln“. Er wurde Mitglied der Waffenstillstandskommission, kurz darauf Chef der Zentralabteilung des Reichsmarineamts und damit Berater des Staatssekretärs des Amtes, später des Chefs der Admiralität. Von dieser Position hatte er direkten Einblick in die von der Marine ausgehenden Turbulenzen, die im November 1918 den Zusammenbruch der Monarchie verursachten. Von hier nahm er auch Einfluß auf die Veränderungen an der Spitze der Marine, die zur Berufung von Konteradmiral Adolf von Trotha, ehemals enger Mitarbeiter von Großadmiral Tirpitz, zum Chef der Admiralität der Reichsmarine führten. Raeder arbeitete auch an der Verkleinerung der Marine, dem Abbau des Personals auf 15000 Mann gemäß dem Versailler Vertrag und am Umbau zur Reichsmarine mit. Ein Stolperstein für Raeder, seit 1919 Kapitän z. S., hätte der Kapp-Lüttwitz-Putsch vom März 1920 werden können. Denn Admiral von Trotha, dessen Chef des Stabes Raeder war, stellte sich mit der Marine der Kapp-Regierung zur Verfügung. Nach Scheitern des Putsches wurde von Trotha entlassen. Raeder kam glimpflich mit der Versetzung in das Marine-Archiv davon. Dort arbeitete er von 1920 bis 1922 am amtlichen Seekriegswerk

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»Der Krieg zur See 1914–1918« mit. Er verfaßte zwei Bände über den Kreuzerkrieg in ausländischen Gewässern, wofür er 1926 von der Kieler Universität mit dem Ehrendoktor ausgezeichnet wurde. In der Reichsmarine der Weimarer Republik setzte sich der Aufstieg Raeders bald wieder fort. 1922 wurde er als Inspekteur des Bildungswesens eingesetzt, befördert zum Konteradmiral, der mit der systematischen Neuordnung der Ausbildung in der Marine Ansehen erlangte. 1924 führte er als Befehlshaber die Leichten Seestreitkräfte der Nordsee, allerdings nur für ein Vierteljahr, denn schon im Januar 1925 stieg er, nunmehr zum Vizeadmiral befördert, zum Chef der Marinestation der Ostsee auf. Er gab sich ‘unpolitisch’, schon um seine Distanz zur Republik vorzuführen. Das hinderte ihn jedoch nicht, hinter den Kulissen mit beiden Händen auf der politischen Klaviatur zu spielen. Der Chef der Marineleitung, Admiral Hans Zenker, wurde von Reichswehrminister Wilhelm Groener im September 1928 wegen des „Lohmannfalles“1 vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Seit Herbst 1927 waren nach und nach Projekte des Kapitäns zur See Lohmann ans Licht gekommen, die, aus Sonderfonds finanziert, die restriktiven Bestimmungen des Versailler Vertrages für die Marine zu umgehen helfen sollten. So wurden im Ausland durch deutsche Ingenieure U-Boote, Schnellboote und Torpedos entwickelt sowie Fachpersonal ausgebildet. Die Affäre führte zum Rücktritt des Reichswehrministers Otto Geßler. Sein Nachfolger Groener entschied sich für den 52jährigen Raeder als neuen Chef der Marineleitung. Nach 34 Dienstjahren übernahm dieser am 1. Oktober 1928 die Verantwortung für die deutsche Marine. Raeder hatte die Berufung erst nach besonderen Zugeständnissen durch Minister Groener angenommen. Er postulierte eine einheitliche, straffe Führung der Marine, den direkten Zugang zum Minister in allen Marine angelegenheiten, Unabhängigkeit von der Heeresleitung sowie Eigenständigkeit bei allen Personalentscheidungen in der Marine.2 Diese Vorstellungen charakterisieren sein Führungsverständnis während der 15 Jahre bis zu seinem Ausscheiden 1943. Der Historiker Klaus-Jürgen Müller hat ihn wohl zutreffend gekennzeichnet: „Er war ein Fanatiker der Korrektheit, der absoluten Loyalität und Unterordnung, zudem voller Ressortegoismus.“3 Raeder war klein von Statur, wirkte steif und förmlich, was durch den Eckenkragen, den er stets trug und gegen dessen Abschaffung er sich vehement wehrte, noch unterstrichen wurde. Wegen seiner Besserwisserei und Humorlosigkeit wurde er von vielen gefürchtet. Seinem Selbstverständnis kam es entgegen, daß er 1930 nach dem Abgang des Chefs der Heeresleitung, General Heye, dienstältester Offizier der gesamten Reichswehr geworden war. Die Führungsstruktur der Marine war seit

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ihrer Neuorganisation 1919/20 auf den Chef der Marineleitung zugeschnitten; alle Kommando- und Verwaltungsbehörden unterstanden ihm in jeder Hinsicht. Selbst geringe Änderungen dieser zentralistischen Führungsorganisation lehnte Raeder bis zum Ende seiner Dienstzeit ab. Die Gründe dafür sind gewiß in der autoritären Persönlichkeitsstruktur des Marinechefs zu suchen. Als Raeder im Oktober 1928 die Leitung übernahm, befand sich das Ansehen der Marine in Politik und Öffentlichkeit auf einem Tiefpunkt. Das Ausmaß der verdeckten Aktivitäten der Lohmann-Affäre hatte ihrer Reputation immensen Schaden zugefügt, selbst wenn Verstöße gegen den Versailler Vertrag von vielen Bürgern im Prinzip keineswegs verurteilt worden wären. Es war wesentlich Reichswehrminister Groener zuzurechnen, daß ein Ausweg aus der verfahrenen Situation gefunden und mit Billigung des Kabinetts ein Teil der Projekte fortgeführt werden konnte. Die am Ende für die Marine günstige Entwicklung nutzte Raeder, um durch straffe Führung, absolute Korrektheit und intensivere Information der politischen Kontrollinstanzen die Marineinteressen voranzubringen. Dabei galt sein Augenmerk vor allem der Modernisierung der Flotte. Nach langen innenpolitischen Kontroversen, in denen Groener sich sehr nachdrücklich für die Marine eingesetzt hatte, war im November 1928 der Bau des ‘Panzerschiffes A’ vom Reichstag mit der Aussicht auf weitere Neubauten gebilligt worden.4 In dieser Debatte konnte die Marine einen weiteren Pluspunkt gewinnen: Von verschiedener Seite war für den Ersatz der alten Schiffe die Vorlage eines Bauprogramms verlangt worden. So stellte die Marineleitung einen Schiffbau-Ersatzplan auf, der vier weitere Panzerschiffe vorsah. Der Reichstag billigte im Frühjahr 1931 mit der Finanzierung des zweiten Panzerschiffs (B) auch diese Planung. Das dritte Schiff (C) wurde mit dem Etat 1932 akzeptiert. Im November des gleichen Jahres genehmigte Reichswehrminister von Schleicher den von Raeder vorgeschlagenen „Umbauplan“. Damit war der Kurs von einer „Küstenmarine“ hin zu einer expandierenden „Nach-Versailles-Marine“ abgesteckt, die für Nordsee und Atlantik gerüstet sein sollte. Mit der Fünfmächte-Erklärung von Lausanne vom 11. Dezember 1932 hatten die USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan den Anspruch des Deutschen Reiches auf militärische Gleichbehandlung akzeptiert. Raeder konnte die Reichsmarine vier Jahre nach seinem Amtsantritt auf dem Weg zu einer respektierten europäischen Seemacht sehen. Ende 1932 hätte Raeder, trotz der katastrophalen wirtschaftlichen Lage des Landes und seiner instabilen politischen Verhältnisse persönlich eine zufriedenstellende Bilanz ziehen können: im 58. Lebensjahr blickte er auf 38 Dienstjahre zurück. In den vier Jahren an der Spitze der Reichsmarine hatte er

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Disziplin und Moral festigen, eine straffe Führung etablieren und das öffentliche Vertrauen zurückgewinnen können. Am 30. Januar 1933 „kam Hitler an die Macht“. Raeder lernte den neuen Reichskanzler bereits wenig später am 2. Februar im Haus des Chefs der Heeresleitung persönlich kennen. Was dieser dort zur Stellung der Wehrmacht als einzigem Waffenträger im Staat ausführte, muß Raeder mit großer Befriedigung erfüllt haben, stimmte es doch in den Grundzügen mit seinen eigenen Vorstellungen überein. Hitler bekannte sich zudem zum Prinzip der Überparteilichkeit der Reichswehr. Kein abträgliches Wort fiel dabei über die Kaiserliche Marine und Tirpitz Flottenbaupolitik, wie noch in seinem Buch »Mein Kampf« zu lesen war. 5 Von den zwölfeinviertel Jahren, die das ‘Dritte Reich’ währte, hat Raeder immerhin zehn Jahre lang an der Spitze der Marine gestanden.6 Diese lange Zeit als Oberbefehlshaber unter Hitler muß verwundern. Von Wesen und Herkommen ein von der Kaiserlichen Marine geprägter, deutschnational denkender Offizier evangelischen Glaubens, den er auch, zum Ärger der Partei, praktizierte,7 hat ihm die nationalsozialistische Ideologie ferngelegen, wenngleich viele ihrer Elemente seinen eigenen Zielvorstellungen entsprachen. Man muß annehmen, daß er, anders als sein Nachfolger Dönitz, die Beweggründe und die eigentlichen Absichten Hitlers nie wirklich begriffen hat, weil ihm das Gespür für diese Art Weltanschauung fehlte. Dennoch fand er sich von der Machtübernahme an in Übereinstimmung mit vielen Vorstellungen Hitlers: die Ablehnung des „Weimarer Systems“, die Aushebelung des Versailler Vertrages, das Streben nach einer über die Grenzen Europas hinauswirkenden Großmachtpolitik sowie im Reich die Begründung eines nationalkonservativen, starken Obrigkeitsstaates – das waren gemeinsame Politikfelder. Noch in seiner Abschiedsrede am 30. Januar 1943 lobte er sich selbst, weil es ihm gelungen sei, die Marine im Januar 1933 „(…) geschlossen und reibungslos dem Führer in das Dritte Reich zuzuführen. Das war dadurch zwanglos gegeben, daß die gesamte Erziehung der Marine in der Systemzeit (…) auf eine innere Haltung hinzielte, die von selbst eine nationalsozialistische Einstellung ergab.“8 Goebbels weiß in seinem Tagebuch 1945 zu berichten, daß der ‘Führer’ Raeder großes Lob gezollt habe: „Raeder sei von großem Format gewesen; jedenfalls habe er ihm (Hitler) gegenüber eine blinde Treue an den Tag gelegt und seine Waffe in einem Geist erzogen, der sie bis heute befähige, die Scharte der deutschen Kriegsmarine aus dem Weltkrieg wieder auszuwetzen.“9 Hitler ließ seinem Marinechef in vielem freie Hand. Er selbst war von der Technik der großen Schiffe fasziniert, verstand von der Marine und ihren Besonderheiten aber wenig, die See war ihm „unheimlich“, so sein Marineadjutant Kapitän zur See von Puttkamer. Bei Raeder wußte Hitler die Ma-

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rine in der Hand eines erfahrenen Fachmanns, dessen Gefolgschaft, so hatte er mit seinem instinkthaften Gespür für Menschen erkannt, er sich sicher sein konnte, der sich nicht in Dinge außerhalb der Marine einmischen würde. Einer der Flottillenchefs kennzeichnet das mit den Worten: „Raeders ganzes Denken (kreiste) ausschließlich um die Marine, die er persönlich zu verkörpern beanspruchte.“10 Darin liegt die Verstrickung von Raeder, daß er sich dem Staat für die Marine verpflichtet fühlte, ohne die aus dieser Stellung erwachsene Mitverantwortung für die Gesamtheit staat lichen Handelns zu erkennen. Zwar hat er einige Male seinen Rücktritt erwogen, aber immer hat ihn die Verantwortung für „seine“ Marine davon abgehalten. Bei Beginn des Krieges war es dafür endgültig zu spät. Die von Hitler geschickt inszenierte Eröffnung des Reichstages am 21. März 1933, der ‘Tag von Potsdam’, hatte Raeders Hoffnung bestärkt, der neue Reichskanzler werde das politische Gewicht des Reiches in den internationalen Beziehungen wiederherstellen. Damit würde sich die Notwendigkeit ergeben, eine der neuen Rolle angemessene Marine aufzubauen, wodurch der Tirpitz-Verehrer Raeder in die Nähe seines Idols hätte rücken können. Solchen Hoffnungen boten Hitlers außenpolitische Erfolge zunächst viel Nahrung. Die Proklamation der Wehrhoheit im März 1935 sowie die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht mit einjähriger Dienstzeit entsprachen den Forderungen der Reichswehrführung. Das deutschenglische Flottenabkommen vom 18. Juni 1935, das die deutsche Flottenstärke auf 35 Prozent, bei U-Booten auf 45 Prozent der englischen Flotte begrenzte, schien ein Zeichen für künftige stabile Verhältnisse und die Rehabilitierung des Deutschen Reiches. Tatsächlich waren diese Quoten nicht einmal zu Beginn des Krieges im Herbst 1939 ausgeschöpft. Raeder seinerseits hatte sich bemüht, Hitler positive Vorstellungen von der Marine zu vermitteln. Zu dem dreitägigen Besuch des Reichskanzlers in Kiel im Mai 1933 hatte er die gesamte Flotte zur Besichtigung herange zogen. Nach Beendigung paradierte sie vor Hitler, wobei das neue Panzerschiff „Deutschland“ mit seinen 28-cm-Drillingstürmen ein Glanzlicht setzte. Es gibt keine Aufzeichnungen über die Wirkung dieser ersten großen Visite bei der Marine, die Raeder mit psychologischem Einfühlungsvermögen hatte organisieren lassen. Hitler hat keine besondere Zuneigung zur Marine entwickelt. Die außenpolitische Bedeutung einer deutschen Flotte vermochte er jedoch sehr wohl zu beurteilen und zu nutzen. Daraus konnte Raeder zu seinem Bedauern allerdings keinen Gewinn für eine beschleunigte Aufrüstung der Marine ziehen. Vielmehr mußte er hinnehmen, daß Hitler den Flottenaufbau im Blick auf die internationalen Abrüstungskonferenzen und seine Absichten gegenüber England bremste. Er bewertete die Flotte unter dem Aspekt seiner politischen Ziele: zunächst „Lebens-

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raum“ im Osten und gute Beziehungen zu London.11 Deshalb blieb der moderate „Umbauplan“ vom November 1932 in Kraft. Erst im November 1934 hatte Hitler seinen Marinechef auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Marinerüstung zu beschleunigen, da ein Krieg ohne den Schutz der Erzeinfuhr aus Skandinavien ausgeschlossen sei. Nach dem deutsch-englischen Flottenabkommen von 1935 konnte Raeder mit dem Ausbau einer operativ zusammengesetzten Flotte beginnen. Rasch erwies sich jedoch, daß die Kapazitäten der in Frage kommenden Werften als erste Baurate nur zwei Schlachtschiffe („Scharnhorst“ und „Gneisenau“), zwei Schwere Kreuzer, 16 Zerstörer, 28 U-Boote sowie Minensuch- und Geleitfahrzeuge, Schnellboote und Hilfsfahrzeuge zuließen. Mit dem Flottenabkommen glaubte Raeder „(…) daher guten Grund zu haben, mit Vertrauen in die Zukunft zu sehen – um so mehr, als mir der Leiter der deutschen Politik, Hitler, immer wieder zum Ausdruck gebracht hatte, daß an einen Gegensatz zu England niemals mehr zu denken wäre“. 12 Diese Einlassung Raeders kann man nur als Fassade ansehen. Aufgrund seiner Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg sowie der eigenen Vorstellungen der Rolle „seiner“ Marine in der Zukunft müßte er mehr als blauäugig gewesen sein, wenn er diese Feststellung Hitlers als endgültiges Fundament für die Fortentwicklung des Marinekonzeptes angesehen hätte. Es muß sich auch ihm damals der Gedanke aufgedrängt haben, daß der außenpolitische Kurs Hitlers in nicht allzu ferner Zukunft zumindest die Gefahr einer erneuten Kollision mit England mit sich bringen könnte. Daß ihm dieser Gedanke vielmehr sehr nahe lag, läßt eine Gesprächsnotiz anläßlich der Rückmeldung des Kommandanten des Leichten Kreuzers „Karlsruhe“ bei Hitler im Juni 1934 erkennen. Es heißt dort: „Der Oberbefehlshaber der Marine spricht die Ansicht aus, daß die Flotte später doch gegen England entwickelt werden müsse, daß daher von 1936 an die großen Schiffe mit 35-cm-Geschützen armiert werden müßten (wie King George Klasse).“13 Die Verläßlichkeit seines ersten Admirals honorierte Hitler durch die Beförderung zum Generaladmiral am 20. April 1936, seinem eigenen Geburtstag. Das war ein neu eingeführter Rang, dem des Generalobersten beim Heer entsprechend. Den Stapellauf des Schlachtschiffs „Tirpitz“ am 1. April 1939 in Wilhelmshaven nahm Hitler zum Anlaß, den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine zum Großadmiral zu befördern. Am 30. September 1939 dekorierte er ihn schließlich mit dem Ritterkreuz. Auch finanziell zeigte sich der ‘Führer’ nicht kleinlich: so konnte Raeder an seinem 65. Geburtstag 1941 als Dotation einen Barscheck über 250 000 RM, steuerfrei, entgegennehmen. Zu seinem 50. Militärjubiläum im April 1944 ließ Hitler ihm ein Ölgemälde des Niederländers Simon De Vlieger mit dem Titel „Marine“

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aus dem 17. Jahrhundert überreichen, das er zum Preis von 37 793,49 RM in Amsterdam hatte kaufen lassen.14 Die innen- und außenpolitischen Erfolge Hitlers hatten bei Raeder die Zuversicht gefestigt, daß der ‘Führer’ fähig sein würde, auch in kritischen Situationen für Deutschland vorteilhafte Lösungen auszuhandeln, wie ihm das beim ‘Anschluß’ Österreichs und der Übernahme des Sudetenlands gelungen war. Selbst die von Hitler angeordnete Beschleunigung der Rüstung, die erklärte Absicht, rasch Ergebnisse seiner expansiven Absichten in Mitteleuropa zu erzielen, die Anordnung an die Wehrmacht 1937 zur steten Kriegsbereitschaft, auch gegen England, haben bei Raeder offenbar keine gravierenden Zweifel wachgerufen, ob der ‘Führer’ noch Herr der Entwicklung sei. Andererseits hat Raeder es nicht an Mahnungen Hitler gegenüber fehlen lassen, Krieg gegen England vorerst unter allen Umständen zu vermeiden. Gelegenheiten, diese Ansicht auch für andere hörbar zu artikulieren, wodurch er seiner über die Marine hinausgehenden Verantwortung Rechnung getragen hätte, ergriff er allerdings nicht. Am 27. Mai 1938 hat Raeder nach einem Gespräch mit Hitler im Oberkommando der Marine berichtet, daß in einem Kriegsfalle damit zu rechnen sei, nicht nur Frankreich, sondern auch England als Gegner zu haben. Auch die folgenden Entwicklungen, die einen Krieg mit England wahrscheinlicher werden ließen, die Anordnung des vorrangigen Ausbaus der Flotte nach dem Z-Plan im Januar 1939, die Kündigung des deutsch-englischen Flottenabkommens am 28. April 1939 sowie des deutsch-polnischen Abkommens, hat der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine nicht zum Anlaß genommen, Hitler um Amtsenthebung zu bitten, um ihn zum Einlenken zu bringen oder wenigstens seinen vorgeblichen Dissens deutlich zu machen. Mit der Anordnung des ZPlans zum weiteren Ausbau der Flotte durch Hitler im Januar 1939 mußte Raeder wissen, daß der Krieg mit England programmiert war. Der Angriff auf Polen bot die letzte Gelegenheit, ein Zeichen gegen Hitlers Politik zu setzen, Raeder ließ sie jedoch ungenutzt verstreichen. Die fatale Konsequenz seiner Anpassung an die Politik Hitlers legte er am 3. September 1939 in den „Gedanken des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine zum Kriegsausbruch“ nieder. Dort stellt er fest: „(…) Die Überwasserstreitkräfte aber sind noch so gering an Zahl und Stärke gegenüber der englischen Flotte, daß sie – vollen Einsatz vorausgesetzt – nur zeigen können, daß sie mit Anstand zu sterben verstehen und damit die Grundlage für einen späteren Wiederaufbau zu schaffen gewillt sind.“15 Und sterben mußten sie, die Männer der Kriegsmarine, denn wenigstens den Kardinalfehler der Kaiserlichen Marine im Ersten Weltkrieg, die eigenen Kräfte zurückgehalten zu haben, ohne deren strategisches Potential zu nutzen, wollte ihr Oberbefehlshaber auf keinen Fall wiederholen. Er setze

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seine Männer und Schiffe über und unter Wasser mit unerbittlicher Konsequenz ein. Die praktizierte „straffe Führung“ verstärkte er, indem er nicht nur als Oberbefehlshaber fungierte, sondern zugleich als Chef der Seekriegsleitung.16 Raeder hat die Bedeutung der U-Boot-Waffe für den Tonnagekrieg unterschätzt. Anders der Befehlshaber der U-Boote, Karl Dönitz, der geschickt führte und die bei Kriegsbeginn geringe Zahl von 56 Booten mit großer Effizienz nach der von ihm bereits vor dem Krieg entwickelten und erprobten „Rudeltaktik“ einsetzte. Raeder hingegen erhoffte, seinem Werdegang als „Dickschiff-Mann“ entsprechend, die kriegsentscheidende Auswirkung von den Überwassereinheiten. Erst die Versenkung des modernsten Schlachtschiffs „Bismarck“ durch englische Seestreitkräfte im Mai 1941 zeigte ihm, daß diese Vorstellung Illusion war. Selbst die Eroberung der französischen Kanalhäfen sowie die überraschende Besetzung Dänemarks und Norwegens, eine gemeinsame Operation von Heer, Luftwaffe und Marine, die auf Raeders Vorschlag zurückging,17 also seestrategisch glänzende Verbesserungen der Ausgangslage, konnten das entscheidende Dilemma der Kriegsmarine, die eigene Schwäche, nicht beseitigen; die Ausdehnung der Operationen auf das Mittelmeer vergrößerte das Problem noch.18 Der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg im Dezember 1941 mußte für Raeder endgültiges Signal sein, daß eine Niederringung der angelsächsischen Seemächte ausgeschlossen war. Zwar führte die Kriegsmarine noch bis in das Jahr 1943 hinein erfolgreich U-Boot-Krieg gegen die alliierten Handelsschiffe. Doch die schwierige Lage der deutschen Flotte nach der Versenkung der „Bismarck“ machte es notwendig, die schweren Schiffe wegen ihrer Gefährdung durch die britische Luftüberlegenheit im Februar 1942 aus den Kanalhäfen nach Norden zu verlegen. 19 Hitler war im Verlaufe des Krieges mit Raeder immer häufiger wegen des Einsatzes dieser Schiffe aneinandergeraten. Ein Unternehmen der Schweren Kreuzer „Hipper“ und „Lützow“ Ende Dezember 1942 gegen einen Murmansk-Geleitzug, das zunächst erfolgreich zu verlaufen schien, dann aber aus vernünftigen taktischen Gründen und wegen der Anweisung, Risiken zu vermeiden, abgebrochen worden war, führte zu einem Wutausbruch Hitlers und dem Argwohn, von Raeder hintergangen worden zu sein. 20 Das Verhältnis Hitlers zu seinem Oberbefehlshaber der Kriegsmarine hatte sich inzwischen „stark getrübt“. Er verlangte nunmehr kategorisch die Außerdienststellung der schweren Einheiten. Den Lagevortrag Raeders am 6. Januar 1943 nützte Hitler zu längeren Ausführungen über die Rolle der Marine in allen Kriegen seit 1864, die er als außerordentlich unrühmlich bewertete. In dem anschließenden Gespräch unter vier Augen bat Raeder, der in seinem 68. Jahr stand, um seine Ablösung zum 30. Januar 1943, dem 10. Jah-

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restag der ‘Machtergreifung’, da er sich nach den Vorwürfen Hitlers nicht mehr als geeignet zur Führung der Kriegsmarine ansehen könnte.21 Hitler willigte ein. Das symbolische Datum und die Verleihung des neugeschaffenen Titularranges eines „Admiralinspekteurs“ sollte den Bruch kaschieren helfen. Zu seinem Nachfolger bestimmte er den Befehlshaber der U-Boote, den 51jährigen Admiral Dönitz. Bis zum Ende des Krieges lebte Raeder zurückgezogen in Berlin-Babelsberg. Nach dem Attentat auf Hitler hielt er es für notwendig, ihm in einem unterwürfigen Brief seine unverbrüchliche Treue zu versichern. Im Juni 1945 wurde Raeder zu Vernehmungen nach Moskau verbracht, im November dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg überstellt. Der verurteilte ihn am 1. Oktober 1946 wegen Kriegsverbrechen sowie der Planung und Führung eines Angriffskrieges zu lebenslänglichem Gefängnis: Ab 18. Juli 1947 war er im alliierten Militärgefängnis in Spandau inhaftiert. Aus Gesundheitsgründen wurde der 80jährige 1955 entlassen. Erich Raeder starb am 6. November 1960 im 85. Lebensjahr an seinem Wohnort Lippstadt und wurde in Kiel beigesetzt. Der Bundesminister der Verteidigung hatte angeordnet, daß das Ministerium bei der Trauerfeier nicht vertreten sein solle, hatte aber genehmigt, daß der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Ruge, sowie einige Offiziere in Uniform teilnehmen durften. Anmerkungen Dülffer, Weimar, Hitler und die Marine, S.90. Raeder, Mein Leben, Bd. 1, S.220 f. 3 Müller, Das Heer und Hitler, S. 59, Anm. 121. 4 Dazu Rahn, Reichsmarine. 5 Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof (zit. IMT), Bd. XIV, S. 28. 6 In einem Exkurs „Die Funktion Raeders in Hitlers Psyche“ hat Knut Stang eine psychologische Erklärung der langjährigen Zusammenarbeit Hitlers und Raeders zu geben versucht, vgl. Stang, Das zerbrechende Schiff. 7 BA-MA Freiburg, N 391/1: „Meine religiöse Einstellung“. 3 Blatt, maschinengeschrieben, ohne Datum (nach Kriegsende), möglicherweise zur Vorbereitung auf den Nürnberger Prozeß geschrieben. 8 Salewski, Von Raeder zu Dönitz, S. 139 ff.: „Ansprache Raeders vor den Offizieren des Oberkommandos der Kriegsmarine zur Niederlegung des Oberbefehls am 30. Januar 1943“. 9 Goebbels, Tagebücher 1945, S.55 f. 10 Johannesson, Offizier in kritischer Zeit, S. 55. 11 Weinberg, Germany, Hitler, and World War II, S. 85 ff. 12 Raeder, Mein Leben, Bd.1, S.309. 1 2

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IMT, Bd. II, S.367. BA Koblenz, R 43 II, und Studie von Gerd R. Ueberschär und Winfried Vogel zu Hitlers Dotationen, Dienen und Verdienen. 15 „Gedanken des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine zum Kriegsausbruch“, 3.9.1939, in: Lagevorträge des Oberbefehlshabers, hrsg. von Gerhard Wagner, S.20. 16 Salewski, Von Raeder zu Dönitz, S. 101 ff. 17 Gemzell, Raeder, Hitler und Skandinavien. 18 Wegweisend für die Themen „Mittelmeer“ und „Zusammenarbeit der Kriegsmarineführung mit der italienischen Marine“: Schreiber, Revisionismus und Weltmachtstreben. 19 ITM, Bd. XIV, S.143 ff. 20 Salewski, Die deutsche Seekriegsleitung, Bd. 2, S. 202–224. 21 IMT, Bd. XIV, S.141 ff. 13

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 391: Nachlaß Raeder; RM 6: (ObdM) Sammlung Raeder. Gedruckte Quellen und Literatur Jost Dülffer: Weimar, Hitler und die Marine. Reichspolitik und Flottenbau 1920– 1939. Düsseldorf 1973. Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648–1939. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt durch Friedrich Forstmeier, Wolfgang von Groote, Othmar Hackl, Hans Meier-Welcker und Manfred Messerschmidt; Projektleitung und Gesamtredaktion: Gerhard Papke und Wolfgang Petter. 5 Bde. München 1979. Das Kriegstagebuch der Seekriegsleitung, Teil A, vom 15. August 1939 bis zum 20. April 1945. Hrsg. von Werner Rahn und Gerhard Schreiber unter Mitwirkung von Hansjoseph Maierhöfer. Herford, Bonn 1988 ff. Lagevorträge des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine vor Hitler 1939–1945. Hrsg. von Gerhard Wagner. München 1972. Raeder, Erich: Mein Leben. 2 Bde. Tübingen 1956, 1957. Ders.: Kreuzerkrieg in den ausländischen Gewässern. Bd. 1: Das Kreuzergeschwader, Berlin 1922; Bd. 2: Die Tätigkeit der Kleinen Kreuzer „Emden“, „Königsberg“ und „Karlsruhe“. Berlin 1923. Salewski, Michael: Die deutsche Seekriegsleitung. Bd. 1: 1935–1941. Frankfurt a. M. 1970; Bd. 2: 1942–1945. München 1975; Bd. 3: Denkschriften und Lagebetrachtungen 1938–1945. Frankfurt a. M. 1973. Ders.: Erich Raeder – Oberbefehlshaber „seiner“ Marine. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin, Frankfurt a.M. 1995. Ders.: Von Raeder zu Dönitz. Der Wechsel im Oberbefehl der Kriegsmarine 1943. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen Bd. 11/1973, S. 101–146.

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Generalfeldmarschall Walter von Reichenau Sie sollten „Nationalsozialisten auch ohne Parteibuch“ sein, verlangte Walter von Reichenau von seinen Offizieren, „die besten, treuesten und ernstesten“.1 Man darf diese Aufforderung als ebenso knappe wie treffende Selbstcharakterisierung lesen. Reichenau verkörperte den Typus des politischen Militärs, der sich über Standesvorurteile salopp hinwegsetzte und mit dem Nationalsozialismus gemeinsame Sache machte. Geboren 1884 in Karlsruhe als Sohn eines Majors, trat er mit 18 Jahren als Fahnenjunker in die Armee ein und diente bis Beginn des Ersten Weltkriegs beim 1. Garde-Feld-Artillerie-Regiment in Berlin, seit 1904 als Leutnant. Bereits damals pflegte er das Image des Außenseiters. Zwar heiratete er durch seine Ehe mit einer Gräfin von Maltzahn in den schlesischen Adel ein. Das hinderte ihn aber keineswegs, öffentlich mit Arbeitern Fußball zu spielen und sich zeitlebens in der olympischen Bewegung zu engagieren, seit 1938 als deutsches Mitglied des IOK. Überdies trug er, nach mehreren Aufenthalten in Großbritannien, einen betont anglomanen Habitus in Kleidung und Sprache zur Schau. Seiner Laufbahn tat all dies keinen Abbruch. Nachdem der Kriegsbeginn 1914 die Generalstabsausbildung vorzeitig beendet hatte, diente Reichenau zunächst als Adjutant, später als Generalstabsoffizier bei verschiedenen Divisionen und Armeekorps und kehrte 1918 als Hauptmann hochdekoriert zurück. Nach dem Krieg wurde er in die neue Reichswehr übernommen und war bis 1927 bei verschiedenen Truppenteilen als Generalstabsoffizier tätig. Von 1929 bis 1931 war er Chef des Stabes der Inspektion der Nachrichtentruppen in Berlin. Entscheidend für Reichenaus spätere Karriere wurde seine anschließende Versetzung nach Ostpreußen als Stabschef der 1. Division. Am 1. Februar 1932 wurde er zum Oberst befördert und war Stabschef des dortigen Wehrkreisbefehlshabers, Werner von Blomberg. Blomberg hatte zuvor als Chef des Truppenamtes im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee die Sowjetunion mehrfach besucht, wo ihn die materielle Ausstattung und die soziale Integration des Militärs positiv beeindruckt hatten. Reichenau lernte den stellvertretenden sowjetischen Verteidigungskommissar Tuchačevskij persönlich kennen, als dieser 1930 Ostpreußen besuchte. Noch im Sommer 1933 versicherte Reichenau dem sowjetischen Botschaftsrat, daß die Reichswehr auch unter Hitlers Regierung die bisheri-

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ge Zusammenarbeit mit der Sowjetunion fortsetzen werde.2 Doch dann schwenkte er schnell auf die Politik des neuen Regierungschefs ein, mit dem er seit einiger Zeit auch persönlich bekannt war. Durch Vermittlung des damaligen Wehrkreispfarrers und späteren ‘Reichsbischofs’ Ludwig Müller hatte Reichenau Anfang April 1932 mit Hitler ein erstes Gespräch über dessen politische Ziele. Weitere Kontakte ergaben sich vor allem in der Frage des Grenzschutzes, an dem sich die SA im Gegensatz zu anderen nationalen Verbänden nicht beteiligte. Reichenaus schriftliche Bitte vom Dezember 1932, diese Position zu überdenken, lehnte Hitler jedoch ab.3 Wenig später honorierte er aber die politischen Sympathien Reichenaus, indem er ihn Anfang Februar 1933 zum Chef des Ministeramts unter dem neuen Reichswehrminister Blomberg ernannte. Reichenau trug in dieser Position entscheidend dazu bei, die Reichswehr an den Nationalsozialismus heranzuführen, dem er als einziger politischer Kraft die innere Stabilisierung und äußere Stärkung Deutschlands zutraute. Folglich ließ er keinen Zweifel, wem die Loyalität der Streitkräfte fortan zu gelten habe: „Unser Weg geht nach vorn, das heißt also: Hinein in den neuen Staat und dort die uns gebührende Position behauptet!“4 Dem Terror der Gleichschaltungsphase leistete er durch strikte Neutralität ausdrücklich Vorschub: Nach dem Reichstagsbrand verlangte er von seinen Befehlshabern, Verfolgten keinerlei Asyl zu gewähren. Weder die Zerschlagung der Parteien und Gewerkschaften noch die Gleichschaltung der Länder stellten für Reichenau einen Interventionsgrund dar. Auch die Pressefreiheit zählte für ihn zum „Morschen“ im Staat, das fallen mußte. Um die Armee ideologisch zum zuverlässigen militärischen Arm des Nationalsozialismus zu machen, führte er umgehend neue Unterrichtspläne und -materialien an den Heeresfachschulen und im Herbst 1933 den ‘Nationalpolitischen Unterricht’ ein. Gleichzeitig begann er mit der Einbeziehung der Jugendpflege in die vormilitärische Ausbildung und bereitete die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht vor. Trotz dieser forschen Nazifizierungspolitik blieben Karriererückschläge und Mißerfolge nicht aus. Die von Blomberg betriebene und von Hitler zunächst beabsichtigte Ernennung Reichenaus zum Chef der Heeresleitung scheiterte im Oktober 1933 am Widerstand der konservativen Generäle, vor allem an Hindenburg. Ihnen erschien Reichenau nicht standesgemäß, vor allem zu politisch. Zudem büßte sein Ministeramt Einfluß ein, nachdem die operative Planung der Landesverteidigung an die Heeresleitung übergegangen war. Deren Planungen durchkreuzten Reichenaus eigene Vorstellungen, die auf die Einbindung der SA in die Reichswehr als eine Art Miliz hinausliefen. Er machte sich aber bald die Auffassung zu eigen, in den braunen Garden Hitlers den „gefährlichsten Feind“ der Reichswehr, einen ernstzu-

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nehmenden Konkurrenten um das Monopol der Waffenträgerschaft zu sehen. Um die Reichswehr als im Sinne der Regierung zuverlässige Organisation zu präsentieren und gegenüber der SA aufzuwerten, übernahm Blomberg im Februar 1934 den Arierparagraphen des Beamtengesetzes und schloß damit ‘nichtarische’ Angehörige aus den eigenen Reihen aus. Diese Politik fand in der Anbringung des Hakenkreuzes als neues Hoheitsabzeichen auf der Uniform ihren symbolischen Ausdruck. Aber entscheidender war, daß Reichenau bei der Ausschaltung der SA – an der er sich zumindest beratend beteiligte – die Zusammenarbeit der Reichswehr mit Himmlers Polizei und SS enttabuisierte.5 Ihre Beteiligung am blutigen Komplott gegen die Röhm-Truppe band die Reichswehr noch enger an das NS-Regime. Ein weiterer Schritt auf diesem Weg war die eigenhändige Neuformulierung des Soldateneids durch Reichenau. Bereits am Tag nach Hindenburgs Tod wurden die Soldaten auf den „Führer des deutschen Reiches und Volkes“ und „Oberbefehlshaber der Wehrmacht“ vereidigt: der personale Bezug des Eides sollte konservative Offiziere an monarchistische Traditionen erinnern und sie an Hitler als legitimen Inhaber der Macht binden. Nach dem vollzogenen Schulterschluß mit Himmler in der Röhm-Affäre bestand für Reichenau kein Anlaß, gegenüber der SS nun ebenfalls auf dem Monopol der Waffenträgerschaft zu bestehen. Vielmehr förderte er Himmlers militärische Ambitionen, dem Hitler für die Ausschaltung der SA-Führung mit dem Ausbau der Leibstandarte zum bewaffneten Regiment, dem Kern der späteren Waffen-SS, gedankt hatte. Dies wurde deutlich, als Reichenau Himmler zusammen mit Heydrich und dem Führer der Leibstandarte, Sepp Dietrich, im Frühjahr 1935 an einer militärischen Übung im Kraichgau teilnehmen ließ. Aber auch Konflikte zwischen Angehörigen der Streitkräfte und der SS oder des SD suchte er nach Möglichkeit ohne Aufsehen beizulegen. Nach zwei Jahren „Öffnungspolitik“ war Reichenau selbstbewußt genug, um der Öffentlichkeit die einer Rede Hitlers entlehnte „Zwei-Säulen-Theorie“ vorzustellen, der zufolge die NSDAP der politische Willensträger des Volkes, die Armee dagegen dessen einziger Waffenträger sei. Auch wenn dieses Bild die Realität verzerrte, Reichenaus Absicht, die Streitkräfte im neuen Staat aufzuwerten, wurde dadurch allemal deutlich. Als er sich im August 1935 vom Wehrmachtamt verabschiedete und das Wehrkreiskommando in München übernahm, hinterließ er seinem Nachfolger Keitel in Grundzügen die organisatorische Struktur für ein künftiges Oberkommando der Wehrmacht. Auch in München setzte Reichenau die Politik des Einvernehmens mit der Partei und ihren Organisationen fort, wobei er künftige Entwicklungen gelegentlich vorwegnahm. Bevor nämlich die Heeresleitung Richtlinien hierzu erließ, hatte Reichenau bereits mit der HJ enge Zusammenarbeit

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vereinbart. Besonderen Wert legte er auf die „nationalpolitische Erziehung“, die wöchentlich einmal auf dem Lehrplan der Wehrpflichtigen und Unteroffiziere stand. Kritik an der SA untersagte er ausdrücklich. Somit hatte Hitler allen Grund, sich Reichenau als Nachfolger des Anfang Februar 1938 entlassenen Oberbefehlshabers des Heeres, Werner Freiherr von Fritsch, zu wünschen. Keitel allerdings lehnte dies rundweg ab: Reichenau sei „nicht gründlich, nicht fleißig, Hans Dampf in allen Gassen, zu oberflächlich, wenig beliebt, ein Soldat, dessen Ehrgeiz auf politischem, nicht aber rein militärischem Gebiet Befriedigung sucht“.6 An seiner Stelle setzte er General Walther von Brauchitsch bei Hitler durch. Reichenau, seit 1936 im Rang eines Generals der Artillerie, erhielt den Oberbefehl über das Gruppenkommando 4 in Leipzig. Acht Tage später bildete er zusammen mit den Generälen Sperrle und Keitel das uniformierte „Drohkommando“, das Hitler aufbot, um dem österreichischen Bundeskanzler Schuschnigg das Berchtesgadener Abkommen abzupressen. Beim ‘Anschluß’ Österreichs vier Wochen später rückte Reichenau, von Hitler eigens von einer Konferenz des IOK aus Kairo abberufen, mit seinen Truppen in die neue ‘Ostmark’ ein. Im August befürwortete er bei einer Besprechung im OKH als einziger General außer Busch ein militärisches Eingreifen in der Tschechoslowakei und war an der Besetzung des Sudetenlandes im Oktober 1938 vorübergehend selbst beteiligt. Mit seiner aus dem Leipziger Truppenkommando hervorgegangenen 10. Armee war er ein Jahr später entscheidend an der Vernichtung der polnischen Truppen beteiligt, wofür er mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet und zum Generaloberst befördert wurde. Zwei Interventionen Reichenaus im Spätjahr 1939 haben die häufig wiederholte Legende entstehen lassen, daß er sich damals der militärischen Opposition angenähert habe.7 Die erste betraf Vorgänge in Polen. Nachdem zahlreiche Berichte über Plünderungen, Brandschatzungen, Vergewaltigungen und Morde durch seine Truppen bekanntgeworden waren, befahl er – um die Disziplin aufrechtzuerhalten – die strenge Bestrafung der Täter. Auch Reichenaus entschiedener Widerspruch gegen Hitlers Absicht, unmittelbar nach dem Sieg in Polen im Westen anzugreifen, ist als Gegensatz zu den Kriegszielen des Diktators gedeutet worden. 8 Aber wie andere Generäle hatte Reichenau lediglich fachliche Einwände, denen sich Hitler letztlich auch nicht verschloß: Nach dem Sieg im Westen erhielt Reichenau den Marschallstab. Beim Überfall auf die Sowjetunion operierte Reichenau mit der 6. Armee an der linken Flanke der Heeresgruppe Süd und nahm eine Reihe von Städten ein, darunter Shitomir, Kiev, Poltava und zuletzt Ende Oktober 1941 Charkov. Reichenau selbst bezeichnete den Rußlandfeldzug als

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„Vernichtungskrieg“9 – und führte ihn auch so. Sein berüchtigter Armeebefehl vom 10. Oktober 1941, der anderen Befehlshabern wie Manstein und Hoth als Vorlage für entsprechende Befehle diente, war programmatisch: Ziel des Ostfeldzugs war die Vernichtung des „jüdisch-bolschewistischen Systems“ durch die Ermordung von Kommunisten, Juden, versprengten Rotarmisten – vor allem der Asiaten –, Frauen in Uniform, Flüchtlingen und Zivilisten auf Nahrungssuche sowie durch brutalste Repressalien gegen alle, die sich nicht aktiv am Kampf gegen ihre eigene Regierung beteiligten. „Der Soldat“, schrieb Reichenau, „ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und der Rächer für alle Bestialitäten, die deutschem und artverwandtem Volkstum zugefügt wurden. Deshalb muß der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben.“ Vom ersten Tag des Ostkriegs an hat die 6. Armee die „verbrecherischen Befehle“ vom Frühjahr 1941 ausgeführt. Besonders die Zusammenarbeit mit der SD-Einsatzgruppe C und ihren Kommandos bei der Ermordung von Juden verlief in der Regel reibungslos und zur Zufriedenheit des der 6. Armee zugeordneten Sonderkommandos 4 a. Die meisten Massaker des SD, etwa in Luck, Shitomir, Lubny, Belaja Zerkov und Kiev, fanden mit Wissen und Unterstützung Reichenaus statt. Seine Soldaten schossen so häufig freiwillig bei Exekutionskommandos mit, daß sich Reichenau zum Einschreiten gezwungen sah: Derlei verrohenden Geschäften sollte seine Truppe nur auf Befehl nachgehen. Aber Reichenau sorgte dafür, daß der SD kaum Probleme hatte, aus den Gefangenenlagern der 6. Armee Kommissare und Juden zur Exekution abzuholen. Ende Juli 1941 ließ er sich zur ‘Säuberung’ des rückwärtigen Armeegebiets von Himmler die 1. SS-Infanterie-Brigade unterstellen, die bis Mitte September rund sechstausend Menschen, fast ausschließlich Juden, erschoß. Den allgemeinen Befehl zu diesen ‘Sonderaufgaben’ hatte zwar Himmler der Brigade erteilt, aber erst die umfangreichen ‘Säuberungs-’ und ‘Befriedungsaufträge’ des Oberbefehlshabers der 6. Armee und der rückwärtigen Befehlshaber von Armee und Heeresgruppe Süd ließen seine Ausführung möglich werden. 10 Gleichzeitig befahl Reichenau seinen eigenen Divisionen rücksichtsloses Vorgehen gegen Zivilbevölkerung und Kriegsgefangene. Unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung wurden Zivilisten wahllos zur Vergeltung erschossen oder öffentlich erhängt, wobei die Truppe als Opfer vornehmlich Juden und Kommunisten auswählte, die sie in ‘Konzentrationslagern’ zu Tausenden als Geiseln zu diesem Zweck festhielt. Als angebliche Partisanen wurden reguläre Rotarmisten ebenso erschossen wie Fallschirmspringer, Frauen in Uniform und überhaupt alle, die hinter die deutschen Linien ge-

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raten waren. Den Marschweg der 6. Armee säumten die Leichen erschossener Kriegsgefangener. Wiederum zeigte sich Hitler erkenntlich: Nachdem er Rundstedt den Befehl über die Heeresgruppe Süd entzogen hatte, übergab er Reichenau am 9. Dezember 1941 dessen Kommando. Dieser führte bis zum Eintreffen seines Nachfolgers bei der 6. Armee, Generalleutnant Friedrich Paulus, beide Stäbe in Personalunion. Nachdem Hitler im Dezember auch Brauchitsch kaltgestellt und selbst die Führung des Heeres übernommen hatte, nutzte Reichenau die Gelegenheit, seiner Karriere noch mehr Schwung zu geben. Sein Aufruf an die Soldaten der Heeresgruppe Süd aus diesem Anlaß war ein unsäglich schwülstiger Treueschwur: „Von jetzt ab sind wir dem Führer näher verbunden, denn er ist ganz unser Führer geworden. Deshalb wollen wir uns alle geloben, unsere Liebe und Treue durch größte Härte in Ausdauer und Kampf zu beweisen.“11 Am selben Tag reagierte Reichenau mit einem Tagesbefehl auf Stalins Ankündigung vom 6. November 1941, den „Vernichtungskrieg“ der „deutschen Landräuber“ mit Tod und Vernichtung zu beantworten. Darin warnte er vor dem „Mordgelüst“ der „völlig vertierten“ sowjetischen Führung und bezeichnete „den Russen“ als „rote Bestie“, „imstande, jede Gemeinheit zu begehen“. Der Befehl fand wiederum die ausdrückliche Billigung Hitlers und wurde den Heeresgruppen Mitte und Nord bekanntgegeben.12 Dennoch äußerte Reichenau gleichzeitig Zweifel an der Zweckmäßigkeit der deutschen Besatzungspolitik. Auf Dauer, befürchtete er in einer Denkschrift an das OKW, werde die rücksichtslose Ausbeutung der Ukraine die Bevölkerung zum bewaffneten Widerstand zwingen und damit letztlich „eine schwere Gefahr für die kämpfende Truppe und ihre überempfindlichen, rückwärtigen Verbindungen“ bilden. 13 Wie Reichenaus Forderung nach eingehender „Nachprüfung unserer bisherigen Haltung“ zu bewerten ist, muß offenbleiben: gesundheitlich seit längerem angeschlagen, starb er am 17. Januar 1942 an den Folgen eines drei Tage zuvor erlittenen Schlaganfalls. Reichenau, so betrauerte Hitler noch am selben Tag den Verlust seines Parteigängers, habe „den ewigen Soldatentugenden“ durch seine „mitreißende Persönlichkeit“ auch in der „neuen Zeit“ zu „neuem Glanz“ verholfen.14 Die Familie des verstorbenen Generalfeldmarschalls soll der ‘Führer’ für dessen treue Dienste deshalb mit einer Dotation für den Erwerb von Grundbesitz belohnt haben.15

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Anmerkungen Müller, Das Heer und Hitler, S. 194. Zeidler, Reichswehr und Rote Armee, S. 110 ff., 114, 215f., 268f. 3 Vogelsang, Hitlers Brief an Reichenau, S. 429–437. 4 Zitiert nach Röhricht, Pflicht und Gewissen, S. 43. 5 Dazu ausführlich Müller, Das Heer und Hitler, S. 94–127. 6 Zitiert nach Müller, Das Heer und Hitler, S. 52, Anm. 90. 7 So vor allem Deutsch, Verschwörung; ferner Müller, Das Heer und Hitler, S.517f. 8 Deutsch, Verschwörung, S. 11f. 9 Zum Folgenden: Boll/Safrian, Weg nach Stalingrad, passim. 10 Boll, „Aktionen nach Kriegsbrauch“. 11 BA-MA Freiburg, RH 26–62/41: Aufruf Reichenaus vom 20. 12. 1941. 12 BA-MA Freiburg, RH 26–62/41: OB der HGr Süd, von Reichenau: Tagesbefehl, 20.12.1941. 13 BA-MA Freiburg, RW 31/203: Geheime Denkschrift Reichenaus zur Ukrainefrage, Januar 1942. 14 BA-MA Freiburg, RH 26–62/68: 62. ID/Ia, Weitergabe des Tagesbefehls Hitlers vom 17. 1. 1942 an unterstellte Einheiten, 18. 1. 1942. 15 So jedenfalls Schwerin von Krosigk, Erinnerungen, S.185. 1 2

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen Der persönliche Nachlaß Reichenaus ist nicht öffentlich zugänglich. Akten zur Tätigkeit im Ministeramt und als Truppenführer befinden sich im Militärarchiv Freiburg. BA-MA Freiburg, RH 20–6: Aktenbestände der 6. Armee; ferner die Akten der ihr unterstellten Korps und Divisionen. Gedruckte Quellen und Literatur Boll, Bernd: „Aktionen nach Kriegsbrauch“. Wehrmacht und 1. SS-Infanteriebrigade 1941. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), S. 775–788. Ders./Hans Safrian: Auf dem Weg nach Stalingrad. Die 6. Armee 1941/42. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Hrsg. von Hannes Heer und Klaus Naumann, Hamburg 21995, S. 260–296. Deutsch, Harold C.: Verschwörung gegen den Krieg. Der Widerstand in den Jahren 1939–1940. München 1968. Foertsch, Helmut: Schuld und Verhängnis. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938. Stuttgart 1951. Groscurth, Helmuth: Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938–1940. Hrsg. von Helmut Krausnick und Harold C. Deutsch unter Mitarbeit von Hildegard von Kotze, Stuttgart 1970.

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Krausnick, Helmut: Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 1938–1942. Frankfurt a.M. 1989. Krosigk, Lutz Graf Schwerin von: Persönliche Erinnerungen, Teil II. Eigenverlag, Essen um 1973. Messerschmidt, Manfred: Die Wehrmacht im NS-Staat. Zeit der Indoktrination. Hamburg 1969. Müller, Klaus-Jürgen: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933–1940. Stuttgart 1969. Röhricht, Edgar: Pflicht und Gewissen. Erinnerungen eines deutschen Generals 1932–1944. Stuttgart 1965. Vogelsang, Thilo: Hitlers Brief an Reichenau vom 4. Dezember 1932. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1(1959), S. 429–437. Zeidler, Manfred: Reichswehr und Rote Armee 1920–1933. Wege und Stationen einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit. München 1993. Eine ausführliche Biographie über Reichenau liegt bislang nicht vor.

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General der Infanterie Hermann Reinecke Hermann Reinecke, 1888 in Wittenberg als Sohn eines Oberstleutnants geboren, Zögling der Preußischen Hauptkadettenanstalt, trat 1905 in das preußische Heer ein. Die ersten Stationen seiner Laufbahn ließen eine vielversprechende Karriere erwarten: 23jährig wurde er Bataillonsadjutant, zwei Jahre später Regimentsadjutant. Nach Verwundung 1915 und kurzem Dienst im preußischen Kriegsministerium ernannte man den 29jährigen Hauptmann zum Bataillonskommandeur. Das Kriegsende erlebte Reinecke im Kriegsministerium.1 In der Weimarer Zeit tat er meist im Reichswehrministerium Dienst. Erst 1929 wurde der inzwischen 41jährige zum Major befördert. Die Machtübertragung an Hitler erlebte er als Bataillonskommandeur in Lübeck. Die nationalsozialistische Aufrüstungs- und Kriegspolitik eröffnete auch ihm eine rasante Karriere. Im Juni 1933 wurde er Oberstleutnant; zwei Jahre später war er Oberst, 1939 Generalmajor, 1940 Generalleutnant und am 1.6.1942 General der Infanterie. Im Februar 1934 wurde er ins Reichswehrministerium zurückgeholt. Er erhielt kein weiteres Truppenkommando, sondern blieb bis 1945 in der Führungsspitze der Wehrmacht. Zunächst leitete er die Abteilung für Heeresfachschulen und Versorgungswesen in der Heeresleitung. 1935 wechselte er in das im Februar 1934 geschaffene Wehrmachtamt und im Juni 1938 übernahm er die Amtsgruppe Allgemeine Wehrmachtangelegenheiten, aus der im Oktober 1939 das Allgemeine Wehrmachtamt im Oberkommando der Wehrmacht (OKW/AWA) hervorging, dessen Chef er bis Kriegsende blieb. Seine erste große Aufgabe war die Erarbeitung eines neuen Versorgungsgesetzes, das, ganz im Sinne der geplanten Kriegspolitik, eine großzügigere Versorgung der Soldaten und Hinterbliebenen vorsah. Schon im Juli 1934 galt Reinecke als zuverlässiger Nationalsozialist. Damals wurde er auf Vorschlag Blombergs zum ehrenamtlichen Richter am neugeschaffenen Volksgerichtshof ernannt. Der ‘Stellvertreter des Führers’, Rudolf Heß, lehnte mehrere der für diese Funktion Vorgeschlagenen – u. a. die immerhin von Göring benannten Geschwaderkommodores Felmy und Stumpff – ab, da sie bisher „als Nationalsozialisten nicht bekannt“ seien.2 Bei Reinecke bestanden solche Bedenken offenkundig nicht. Von 1937 an organisierte er sogenannte ‘nationalpolitischer Lehrgänge’, in denen Spitzenvertreter der NSDAP Wehrmachtoffiziere für die Partei gewinnen sollten. Für Reinecke

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bedeutete dies ständige Kontakte mit Parteigrößen wie Heß, Goebbels, Rosenberg und Himmler. Die Partei trat damals mehr werbend als fordernd auf. Ende 1938 durfte er eine Vortragsreihe der Wehrmacht in der Parteikanzlei eröffnen. Rosenberg vermerkte dabei geradezu stolz: „Der Leiter der W[elt]-A[nschaulichen] Schulung General Reinicke [sic] schien ehrlich zufrieden.“ Reinecke, dessen Amt auch die „Interessen der Frontkämpfer für die Siedlung“ vertrat, hatte auch ein so „gute[s] Einvernehmen […] mit dem RFSS persönlich“, daß der Chef des Stabsamtes für die Festigung deutschen Volkstums, SS-Gruppenführer Greifelt, im Dezember 1941 Himmler vorschlagen konnte, Reinecke in der Siedlungsfrage gegen Parteistellen zu unterstützen, da Reinecke „wegen seiner positiven Haltung [zu Himmler] von der alten Generalität sehr stark attackiert“ werde.3 Reineckes Einstellung zur NSDAP 1938 geht aus einem gedruckt verbreiteten Vortrag hervor. Der Offizier, so erklärte er da, müsse „praktischen Nationalsozialismus treiben“, er unterscheide sich „hierin in nichts von den Führern der NSDAP !!“ Der Fahneneid binde „nicht nur an die Person [Hitlers], sondern ebenso verpflichtend an […] die nationalsozialistische Weltanschauung“. Erforderlich sei ein „vorbehaltloses inneres ‘Ja’ zu allen Forderungen und Lehren des Nationalsozialismus“. Die Wehrmacht sei eines der wichtigsten Instrumente in der Hand des ‘Führers’: „Wie er das Instrument einsetzt – [ist] allein seine Sache!“ Ziel der Erziehung sei nicht nur der „ausgebildete Kämpfer“, sondern auch der „politische Glaubensträger!“ Die Erziehung müsse deshalb „abstellen auf die Ziele des Führers, Volkstum – Lebensraum“.4 Mit Beginn des Krieges traten für Reinecke neue Aufgaben in den Vordergrund. Als Leiter des AWA mit der Abteilung Kriegsgefangene war er für die Behandlung der Kriegsgefangenen verantwortlich. Unter seinem Einfluß entwickelte sich schon 1939/40 für die Kriegsgefangenen aus den einzelnen Feindstaaten eine vielfach abgestufte Hierarchie ungleicher Rechte und Rechtssicherheit, die sich einerseits an der nationalsozialistischen Rassenskala, andererseits an der Gefahr von Repressalien gegen deutsche Kriegsgefangene orientierte.5 An der Spitze dieser Hierarchie standen die englischen, an unterster Stelle die polnischen Gefangenen. Reineckes Bereitschaft, die Behandlung der Kriegsgefangenen an der NS-Ideologie auszurichten, hatte besonders für die sowjetischen Kriegsgefangenen furchtbare Folgen. In einem Grundsatzbefehl Reineckes vom 8. 9. 1941 hieß es, der sowjetische Soldat habe „jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenhafter Soldat […] verloren“.6 Bei sowjetischen Gefangenen gelte der Waffengebrauch „in der Regel als rechtmäßig“. Diese Befehlsgebung trug entscheidend mit dazu bei, daß die sowjetischen Gefangenen weithin als ‘Untermenschen’ behandelt und zu Tausenden grundlos

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erschossen wurden. Noch folgenschwerer war eine Entscheidung, die unmittelbar nach dem Angriff auf die UdSSR gefallen war. Nach einem Abkommen Reineckes mit dem RSHA7 sollte sich die Wehrmacht „umgehend“ von allen „politisch unerwünschten Elementen“ befreien. Neben kommunistischen Funktionären aller Art und anderen Gruppen sollten „alle Juden“ von Einsatzkommandos des SD „ausgesondert“ und erschossen werden. Damit war in einem Teilbereich die Ermordung der Juden in ihrer Gesamtheit ins Werk gesetzt, noch bevor die Einsatzgruppen im Osten begannen, alle Juden umzubringen. Dies war eine Schlüsselentscheidung in der Genese der ‘Endlösung’, denn im Juni 1941 war noch offen, wie die Truppe auf die Morde der Einsatzgruppen reagieren würde.8 Im Herbst war dann klar geworden, daß sich die Wehrmacht dem Völkermord nicht widersetzen würde. Entscheidend war dabei im Feldheer die Einstellung von Befehlshabern wie dem Feldmarschall von Reichenau, die die ihnen unterstellten Verbände auf die vorbehaltlose Unterstützung der Mordkommandos verpflichteten, und im OKW die Haltung von Keitel und Reinecke. In der Abteilung Ausland/Abwehr des OKW versuchte am 15. 9. 1941 Graf v. Moltke mit Unterstützung des Admirals Canaris, über die Aufhebung des Befehls Reineckes vom 8. 9. 1941 eine grundsätzliche Änderung der Behandlung der sowjetischen Gefangenen zu erreichen. Keitel wies den Versuch schroff ab: „Hier handelt es sich um die Vernichtung einer Weltanschauung! Deshalb billige ich die Maßnahmen u. decke sie.“9 Reinecke trug dazu bei, die „Aussonderungen“, die zunächst auf den OKW-Bereich beschränkt waren, auf die dem OKH unterstellten Frontgebiete auszuweiten. Gegenüber Kriegsgefangenenbezirkskommandanten aus dem OKH-Bereich verteidigte er am 4.9.1941 die Mordaktionen. Diese Maßnahmen seien ein „Teil des im Osten von deutschen Soldaten zu lösenden Problems“.10 Heydrich konnte kurz darauf entsprechende Richtlinien an die Einsatzgruppen geben. Diese hatten bereits befriedigt festgestellt, daß Reineckes Befehl vom 8.9.1941 die „Lösung der Judenfrage“ wesentlich erleichterte.11 Den „Aussonderungen“ fielen bis Kriegsende weit über 140 000 sowjetische Gefangene zum Opfer. 12 Die ideologischen Implikationen der Behandlung der sowjetischen Gefangenen führten dazu, daß Reinecke der Partei immer größeren Einfluß einräumte. Er gab alle relevanten Befehle an die Parteikanzlei weiter, die sie bis auf Kreisleiterebene verbreitete. Die Partei konnte so die Ausführung der Befehle eng überwachen und gegen menschlich handelnde Soldaten vorgehen. Im Kriegsgefangenenwesen herrschte damit ein Maß an Parteikontrolle, das in der Gesamtwehrmacht erst im März 1945 erreicht wurde. Die Folge war, daß seitens der NSDAP immer nachdrücklicher gefordert wurde, alle Kriegsgefangenen wie die sowjetischen zu be-

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handeln. Damit war die Einhaltung des Kriegsvölkerrechts überhaupt in Frage gestellt.13 Bis Anfang 1943 hatten die Bemühungen Reineckes um eine engere Bindung der Wehrmacht an die NSDAP wenig Erfolg. Dies hatte mit Widerstand der Truppe wenig zu tun; abgelehnt wurde vielmehr die direkte Einflußnahme der Partei auf Angelegenheiten der Wehrmacht. Die beginnenden Rückzüge seit der Wende von Stalingrad sowie das Auftreten deutscher Generale im Nationalkomitee Freies Deutschland weckten nicht nur bei Hitler und in der NSDAP ernsthafte Zweifel an der ideologischen Festigkeit der Soldaten. Auch aus der Truppe heraus wurde nach Wegen gesucht, über eine stärkere ideologische Indoktrinierung die Wehrmacht für den immer hoffnungsloseren Kampf zu motivieren.14 Bei diesen Bemühungen war Reinecke auf Wehrmachtseite die entscheidende Figur, und er spielte mitnichten jene passiv-abwehrende Rolle, die er nach 1945 für sich in Anspruch nahm. Bereits Ende Mai 1943 organisierte er zusammen mit der Parteikanzlei in der Ordensburg Sonthofen eine Tagung zur „Ausrichtung“ von 300 „frontbewährten“ Parteifunktionären, die die Truppe agitieren sollten. Redner waren u. a. Goebbels, Rosenberg und Himmler. Reinecke forderte, „auch de[r] letzte Mann“ der Wehrmacht müsse „gläubig“ gemacht werden. Nur jemand, der von „der Berechtigung unserer stolzen rassischen nationalsozialistischen Weltanschauung überzeugt“ sei, könne auf Dauer dem Feind widerstehen.15 An einer weiteren Tagung im Oktober 1943, bei der Hitler selbst erschien, nahmen 180 Generale teil. Reinecke klagte damals Goebbels über die „großen Schwierigkeiten, die ihm in der wehrgeistigen Ausrichtung der Wehrmacht gemacht“ würden. Nach weiteren Gesprächen Reineckes mit Himmler und Bormann notierte letzterer am 21. 12. 1943: „Der Führer müßte einmal Reinecke anhören!“16 Am folgenden Tag wurde Reinecke zum Chef des Nationalsozialistischen Führungsstabes im OKW ernannt. Die Entscheidung für ihn mußte Hitler um so leichter fallen, als Reinecke seit dem 25. 10. 1943 Mitglied der NSDAP war.17 Das Goldene Parteiabzeichen war ihm schon im Januar als besondere Auszeichnung durch Hitler verliehen worden. Reinecke durfte sein Konzept für den „Nationalsozialistischen Führungsoffizier“ (NSFO) am 7. 1. 1944 Hitler selbst vortragen. Er äußerte dabei die Überzeugung, „daß der Krieg mit 51 Prozent Sicherheit durch die weltanschauliche Einstellung und Ausrichtung aller Offiziere gewonnen werden“ könne.18 In der Folgezeit stürzte sich Reinecke, wie Keitel in einer Beurteilung vom 31. 3. 1944 festhielt, „mit Begeisterung […] auf seine Aufgabe als Chef NS-Führungsstab“, in der er Hitler unmittelbar unterstand.19 Er organisierte nun laufend NSFO-Lehrgänge und Generalstagungen, auf denen Hitler, Himmler, Goebbels, Bormann oder andere NS-Größen sprachen. Bei der

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Eröffnung des ersten Lehrgangs in der Ordensburg Krössinsee am 8. März 1944 erklärte Reinecke, Aufgabe der NSFO sei es, „den Soldaten zum fanatischen Glaubensträger zu machen […]. Hinsichtlich der politischen Willensbildung und Ausrichtung [dürfe] kein Offizier der Wehrmacht von einem Amtsträger der Partei übertroffen“ werden.20 Das gescheiterte Attentat vom 20. Juli ermöglichte die Verschärfung der ideologischen Indoktrination der Wehrmacht. Reinecke, dem Hitler am 20. 7. 1944 das Kommando über die Truppen in Berlin übertrug, war selbst an der Niederschlagung des Aufstands beteiligt. Auch bei der Aburteilung der Verschwörer spielte er eine nicht unwesentliche Rolle. Seit 1934 Laienrichter am Volksgerichtshof, saß er nun an der Seite Freislers über die wichtigsten Verschwörer zu Gericht, u. a. über Goerdeler, von Hassell und Popitz und seine Generalskameraden von Witzleben, Hoepner, von Hase und Stieff. Seine Einstellung geht aus einem Erlaß hervor, den er am 2. 8. 1944 an die NSFO richtete: „Mit dem Ausmerzen der Verräter sind die letzten Widersacher einer entscheidenden Politisierung der Wehrmacht beseitigt. Es darf nunmehr für die NS-Führungsarbeit keine Hindernisse mehr geben.“21 Am 25.10.1944 meldete Freisler allerdings an Justizminister Thierack, Reinecke habe ihm mitgeteilt, es sei ihm „ganz unmöglich“, an weiteren Prozessen teilzunehmen, vo r allem am Verfahren gegen Generaloberst Fromm, der 1934/35 sein Vorgesetzter gewesen war.22 Reinecke versuchte nun, die NSFO-Organisation noch stärker unter die Kontrolle der Partei zu stellen. Selbst der hitlergläubige Chef des Heerespersonalamts, General Burgdorf, protestierte am 2. 9. 44 gegen die Annäherung dieser Organisation an das sowjetische ‘Politruk-System’, wie sie Reinecke vorgeschlagen habe. Wenn trotzdem in der Parteikanzlei Kritik an Reinecke laut wurde, so lag dies daran, daß man nun glaubte, er werde in der Wehrmacht nicht anerkannt, da er „vor 30 Jahren zum ersten und letzten Mal nur ganz kurze Zeit die Front gesehen hat“.23 Am 15. 3. 1945 eröffnete Keitel einem völlig ahnungslosen Reinecke, er sei von seinem Auftrag entbunden. Reinecke, so schrieb Keitel an Bormann, sei „ein viel zu guter Nationalsozialist, um die Enthebung anders als durch die Entwicklung der Verhältnisse bedingt aufzufassen“. Bormann wollte aber wegen der katastrophalen Lage keine Organisationsänderungen vornehmen. So blieb Reinecke bis zur Auflösung am 10. 5. 1945 Chef von OKW/NSF. Sein letzter erhaltener Aufruf zu fanatischem Kampf stammt vom 9. 4. 1945.24 Im Nürnberger OKW-Prozeß 1947/48 stand Reinecke vor Gericht, wobei ihm die Verantwortung für die völkerrechtswidrige Behandlung, Mißhandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen zur Last gelegt wurden.25 Wie weit Reinecke selbst damals wegen seiner Bindung an die NSDAP von seinen Kameraden gemieden wurde, zeigt die überaus apologetische „Gene-

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ralstabsdenkschrift“, die zur Verteidigung der Generalität verfaßt wurde. Reinecke gehörte zu der Handvoll Generale, denen darin eine zu große Nähe zu Hitler vorgeworfen wurde.26 In seiner Verteidigung stellte sich Reinecke als bloßen Befehlsempfänger dar, der stets gezwungen gewesen sei, gegen seine christlichen Überzeugungen27 zu handeln. Die inkriminierten Entscheidungen seien von Keitel befohlen worden – eine Verteidigung, die die Richter mit der Bemerkung verwarfen, der Chef des AWA sei kein Stenotypist gewesen, der lediglich Befehle seines Vorgesetzten ausgeschrieben und weitergegeben habe.28 Reinecke wurde am 28.10.1948 zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Wie die anderen verurteilten Militärs wurde er im Zusammenhang mit der Entscheidung für die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik vorzeitig begnadigt und im Oktober 1954 aus dem Landsberger Kriegsverbrechergefängnis entlassen. Er starb am 10. Oktober 1973 im Alter von 85 Jahren. Reinecke gehört zweifellos zu den Offizieren, die in allererster Linie für die Verstrickung der Wehrmacht in die NS-Verbrechen verantwortlich waren. Es sind von ihm keine Äußerungen bekannt, in denen er sich zu dieser Verantwortung bekannte. Anmerkungen 1 Personalangaben, auch im folgenden, nach der Personalkarteikarte Reineckes, Kopie im IfZ München, ZS. 1344, Bd. 1, bzw. nach den Angaben in BA-MA Freiburg, N 356. 2 Akten der Parteikanzlei, Microfiches 101 27255–272. 3 Ebenda, Microfiches 307 00933; 107 01284–89; BA-MA Freiburg, RW 6/v. 156; Tagebuch Alfred Rosenbergs, S.79 f. 4 BA-MA Freiburg, RW 6/v.156, Hervorhebungen im Original. 5 Streit, Keine Kameraden, S.69–72. 6 Vgl. Streit, Keine Kameraden, S. 72 ff. Der Befehl ist gedruckt in: „Unternehmen Barbarossa“, S.351–54. 7 Streit, Keine Kameraden, S.87 ff. 8 Vgl. ebenda, S.83–127; ders., Ostkrieg. 9 Streit, Keine Kameraden, S. 231 f. Die Denkschrift Moltkes in: „Unternehmen Barbarossa“, S.355f. 10 Streit, S.92 und 104 mit Anm. 125. 11 Ebenda, S.101f. 12 Ebenda, S.105; Streim, Die Behandlung, S.244. 13 Streit, Keine Kameraden, S. 260–65, 257. 14 Vgl. dazu Berghahn, NSDAP und ‘geistige Führung’; Messerschmidt, Wehrmacht im NS-Staat, S.306ff.; Zoepf, Wehrmacht. 15 BA-MA Freiburg, RW 6/v.157. 16 Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 10, S.40 und 93 f.; Zoepf, Wehrmacht, S.79.

General der Infanterie Hermann Reinecke

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Koch, Volksgerichtshof, S. 526. Der „Führerbefehl“ v. 22. 12. 1943 und weitere Dokumente bei Besson, NSFO. 18 Protokoll der Besprechung in: Weinberg, Hitler und der NS-Führungsoffizier. 19 Personalkarteikarte im IfZ München. 20 BA-MA Freiburg, RW 6/v.587. 21 Besson, NSFO, S.113. 22 BA Koblenz, R 22/4694. Nach den erhaltenen Akten des Volksgerichtshofs war Reinecke insgesamt an 112 Verfahren beteiligt, bei denen 185 Angeklagte abgeurteilt wurden, 50 davon zum Tode. Frau Gudrun Menze, Münster, danke ich für die Mitteilung dieses Ergebnisses ihrer Untersuchung. 23 Stumpf, Wehrmachtelite, S.348; Zoepf, Wehrmacht, S.190. 24 Ebenda, S.362ff. Der Aufruf in: BA-MA Freiburg, RH 53–3/37. 25 Vgl. Trials, Bd. X und XI. 26 Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd. 1, S. 672f. 27 Laut Personalkarteikarte war Reinecke „gottgläubig“. 28 Trials, Bd. XI, S. 651. 17

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 356: weitgehend unergiebig; Pers 6/2484: Personalakte; von OKW/AWA sind im BA-MA Freiburg nur einige Aktensplitter erhalten; dort auch die Akten des OKW-Prozesses; IfZ München, Zs 1344/Reinecke. Gedruckte Quellen und Literatur Berghahn, Volker R.: NSDAP und ‘geistige Führung’ der Wehrmacht. In: VfZG 17 (1969), S. 17–71. Messerschmidt, Manfred: Die Wehrmacht im NS-Staat. Hamburg 1969. Streim, Alfred: Die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener im ‘Fall Barbarossa’. Heidelberg 1981. Streit, Christian: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegs gefangenen. Stuttgart 1978, Bonn 41997. Ders.: Ostkrieg, Antibolschewismus und ‘Endlösung’. In: Geschichte und Gesellschaft 17 (1991). Weinberg, Gerhard L.: Adolf Hitler und der NS-Führungsoffizier. In: VfZG 12 (1964), S. 443–456. Zoepf, Arne W.G.: Wehrmacht zwischen Tradition und Ideologie. Frankfurt a. M. 1988.

Wolfgang U. Eckart

Generalarzt Ernst Rodenwaldt Ernst Robert Carl Rodenwaldt wurde am 5. August 1878 in Berlin als Sohn eines Gymnasialprofessors geboren. Sein für das Bildungsbürgertum des aufstrebenden Kaiserreichs typisches Elternhaus, die strenge Ausbildung am Berliner Köllnischen Gymnasium und der medizinisch-soldatische Drill auf der Militärärztlichen Akademie formten Charakter und Haltung des jungen Arztes, der im Januar 1903 sein medizinisches Staatsexamen bestand und im September des folgenden Jahres in Halle mit einer psychiatrischen Arbeit über »Aufnahmen des geistigen Inventars Gesunder als Maßstab für Defektprüfungen bei Kranken« promoviert wurde. Rodenwaldt hatte bereits im Sommer 1897 als Einjährig-Freiwilliger im Garde-Füsilier Regiment zu Berlin den aktiven verkürzten Militärdienst aufgenommen und zugleich seine ärztliche Ausbildung an der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen begonnen. Während des Medizinstudiums gehörte er als Unterarzt dem 6. Thüringischen Infanterie-Regiment 95 an und war auch ein Jahr an die Charité kommandiert. Die militärische Karriere des 25jährigen Sanitätsoffiziers schien vorprogrammiert und sollte tatsächlich ohne Unterbrechungen zunächst bis zum August 1919 dauern. Kurzen Dienstzeiten als Assistenzarzt im Leibkürassier-Regiment „Großer Kurfürst“ sowie als Adjutant des Korpsarzts des III. Korps (1905–1907) folgte eine Ausbildung am Hamburger Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten in den Jahren 1907 bis 1910. Diese Kommandierung freilich war nicht „besondere Auszeichnung“1, sondern zwingende Notwendigkeit, denn Rodenwaldt hatte sich beim Reichskolonialamt für eine Anstellung in den kaiserlichen Schutzgebieten beworben. In Togo war Rodenwaldt zwischen 1909 und 1913 in Anecho, Lomé und Atakpame als Regierungsarzt tätig. Im Zusammenhang mit seinem Kolonialdienst hat sich Rodenwaldt gern selbst als hygienischer und sozialer Förderer auch der indigenen kolonialen Bevölkerung beschrieben,2 tatsächlich hat sich der junge Kolonialarzt durch die Entwicklung der Hebammenausbildung in Togo besonders in sozialhygienischer Hinsicht bemüht. Überschätzt werden dürfen diese Aktivitäten nicht, denn sie waren doch eher von marginaler Bedeutung, und die wesentlichen Akzente deutscher regierungsärztlicher Tätigkeit in Togo wurden durch sie kaum beeinflußt, allenfalls ergänzt. 3 Sie lagen auf dem Feld der interventionistischen Seuchenbekämpfung. Zur Einführung eines vorsorgenden Gesundheitsdienstes für

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die schwarze Bevölkerung hat Rodenwaldt insgesamt wenig beigetragen. Daß der Regierungsarzt mit seiner ganzen Persönlichkeit auch hinter der durchaus gewalttätigen Kolonialherrschaft stand, kann in den Memoiren Rodenwaldts nachgelesen werden. Im Rahmen seiner unmittelbar fachbezogenen Tätigkeit als Impfarzt mußte der beamtete Regierungsarzt schwere Vorwürfe wegen unsachgemäßer Impfungen hinnehmen. Das gehäufte Auftreten von Pockenfällen in Togo trotz vorausgegangener Impfungen war häufig auf die bewußte Verwendung aufgrund mangelhafter Kühlung oder zu langer Tierpassagen unwirksamer Lymphrationen zurückzuführen. Besondere Vorwürfe trafen deshalb auch Rodenwaldt.4 In seinen umfangreichen Lebenserinnerungen hat Rodenwaldt der Kolonialzeit in Togo nur wenig Raum gewidmet. Gleichwohl ist gerade diese Episode seiner Biographie in der Nachkriegszeit immer gern zu hagiographischen Überhöhung des Hygienikers genutzt worden, denn unhinterfragt fügte sie sich ja auch tadellos in den Versuch, die Anfänge der deutschen Nachkriegsentwicklungshilfe in Afrika mit kolonialer Tradition zu verquicken,5 die weit vor dem nationalsozialistischen Trauma lag. Während des Ersten Weltkriegs war Rodenwaldt als Stabsarzt und hygienischer Berater der 5. kaiserlich-osmanischen Armee in Kleinasien tätig. Seine Arbeit wurde durch die ständige Konfrontation mit osmanischen Hygiene- und Verpflegungsvorschriften, die der deutsche Stabsarzt für „alte Zöpfe“ hielt, extrem erschwert. 6 Nach dem militärischen Zusammenbruch des Osmanischen Reichs (31. Oktober 1918) blieb Rodenwaldt noch bis Mitte 1919 in einer dem Majorsrang vergleichbaren Stellung. Seine Erfahrungen hat er 1921 in dem populär gehaltenen Bericht »Seuchenkämpfe« 7 niedergeschrieben. Die wissenschaftliche Auswertung seiner Malariastudien hatte ihm wenige Monate nach der Rückkehr aus Kleinasien die Habilitation8 für das Fach Hygiene in Heidelberg ermöglicht. Am 10. Oktober 1919 wurde ihm die Beibehaltung des in preußischen Diensten für seine Kolonialtätigkeit erlangten Professorentitels gestattet. Der ehemalige Kolonialarzt verspürte offenbar wenig Neigung, in der bedrückenden Nachkriegszeit in Deutschland, das überdies seiner Kolonien verlustig gegangen war, seine Karriere fortzusetzen. Es zog ihn wieder hinaus in den Kolonialdienst. Zwischen 1921 und 1934 war er in niederländischen Diensten in Ostindien tätig, zunächst als Leiter der kolonialen Malariabekämpfung, dann als Inspektor des Volksgesundheitsdienstes in Ostjava und schließlich von 1932 bis 1934 als Direktor des hygienischen Zentrallaboratoriums (Eijkman-Institut für Volksgesundheit) in Batavia (heute: Djakarta, Indonesien). Die niederländische Kolonialzeit muß mit 39 Publikationen zweifellos als eine der wissenschaftlich produktivsten des Hygienikers gewertet werden.

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Dort wendet sich der karriereorientierte Rodenwaldt der boomenden Eugenik zu und propagierte immer deutlicher die Rassenhygiene als deren praktisches Instrument. Daß er sich damit zugleich einer radikalen Bevölkerungspolitik öffnete, die besonders von der politischen Rechten instrumentalisiert wurde, hat Rodenwaldt möglicherweise nicht in ganzer Tragweite realisiert. Beeinflußt 9 von den Arbeiten Wilhelm Schallmeyers und Eugen Fischers, wandte sich Rodenwaldt der Bastardisierungsfrage am Beispiel der »Mestizen von Kisar« zu, über die er 1927 eine zweibändige Darstellung publizierte. Wie für Fischer, so gilt auch für Rodenwaldt, daß deren frühe Bastardisierungsstudien einerseits die Gültigkeit der Mendelschen Regeln für den Menschen belegen konnten und damit von wissenschaftlich unzweifelhaftem Wert waren, gleichzeitig aber auch in ihrer rassistischen Diktion entscheidende Ausgangspunkte einer Forschungsrichtung markierten, deren reduktionistisch wertende Rassenkunde der nationalsozialistischen Bevölkerungs- und Rassenideologie und -politik die entscheidende Legitimationsbasis lieferte. Seine ostindischen Rassenforschungen haben Rodenwaldt zu einem enthusiastisch überzeugten Gegner jeglicher Rassenmischung werden lassen, eine persönlichkeitsprägende Obsession, die ihn bis unmittelbar vor seine amerikanischen Kriegsgefangenschaft im März 1945 gefangen hielt, dann aber aus erklärlichen Gründen unterdrückt wurde. In die Auslandsorganisation der NSDAP trat Rodenwaldt am 1. März 1932 in Batavia ein. Die NSDAP, der er bis zum 25. Februar 1933 angehörte,10 entsprach seinen radikalen Vorstellungen zur Rassentrennung, widerstrebte ihm andererseits aber – zumindest ex post im Verhör als Kriegsgefangener11 und in der späteren Autobiographie12 – wegen ihrer antiintellektuellen Primitivität und wegen der Unvereinbarkeit der meisten ihrer Inhalte mit seiner entschieden römisch-katholischen Überzeugung. Daß gerade eine solche Haltung seinen rassistischen Ansichten nicht entgegenstand, ist immerhin bemerkenswert. Der spontane Parteiaustritt im Februar 1933 war in erster Linie Ausdruck der Verärgerung über den Versuch der NSDAP, politisch auf den 1919 gegründeten ‘Bund der Auslandsdeutschen’ einzuwirken,13 dem er in führender Position angehörte. Aber auch ohne Parteimitgliedschaft nahm Rodenwaldt eine nicht unbedeutende Stellung im ‘Dritten Reich’ ein: 1934 als Ordinarius für Hygiene in Kiel, 1935 auf dem Hygienelehrstuhl in Heidelberg, Leiter des dortigen Medizinaluntersuchungsamtes, Sachverständiger für erbbiologische Gutachten und in der Funktion eines Generalarztes als tropenhygienischer Berater der Heeresführung sowie als Leiter des Tropenmedizinischen Instituts der Militärärztlichen Akademie. Rodenwaldt verkörperte die Persönlichkeit des intellektuellen, militaristischen Fanatikers der Rassentrennung, der sich

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auch in akademischer Umgebung gern als „Herr General“ anreden ließ. Es läßt sich heute nicht mehr klären, ob seine im privaten und engsten Kollegenkreis angeblich schon vor 1945, vernehmlich aber erst nach dem Fall des Regimes vorgetragene Distanz zum Nationalsozialismus eher intellektuellmilitärischer Koketterie oder innerer Überzeugung entsprach. Ebenso gern aber, wie er sich als General vom ‘Scheitel bis zur Sohle’ gerierte, war er doch in einer für seine Zeit bereits gedanklich recht einfachen und wenig wissenschaftlichen Weise Rassenanthropologe und ideologischer Rassist vom Scheitel bis zur Sohle. Genau damit aber fügte er sich in die unintellektuelle rassenhygienische Strömung des nationalsozialistischen Regimes seiner Zeit und betrieb so nolens volens die Hoffähigkeit des Systems. Rodenwaldts ‘wissenschaftliche’ Äußerungen jener Jahre sind an Deutlichkeit unüberhörbar. So betrachtete der Heidelberger Hygieniker die „Rassenmischung“ prinzipiell als „ein Risiko für jede menschliche Gemeinschaft von der Familie bis zum Nationalstaat“14; die Reinerhaltung besonders des deutschen Blutes war ihm oberstes Gesetz.15 Gebetsmühlenartig wiederholte Rodenwaldt seine Auffassung von der Minderwertigkeit des Rassenmischlings, dessen Existenz von Glücklosigkeit 16 und „vollkommener Wurzellosigkeit“ geprägt sei. Die „Pflicht biologischer Staatsführung“ und „menschlicher Ethik“ verlange „zu verhindern, daß Menschen entstehen, die sich selbst und anderen zur Last leben und niemals den vollen Wert einer Persönlichkeit zu gewinnen imstande“ seien.17 Daß der Heidelberger Hygieniker die deutsche „Rassengesetzgebung“18, besonders aber die „Durchführung des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“19 als etwas „Selbstverständliches“20 verlangte, überrascht nicht; ob der Hygieniker realisiert hat, daß er mit solchen Auffassungen zugleich einen nationalsozialistischen Antisemitismus geistig stützte, der Millionen in die Gaskammern trieb, steht dahin. Erfolgreich war Ernst Rodenwaldts Lehrbuch »Tropenhygiene«, das 1941 bereits in zweiter Auflage erschien und gar als unentbehrlich im Hinblick „auf die zukünftige koloniale Tätigkeit Deutschlands“ 21 besprochen wurde. Ebenso richtungweisend – auch im Sinne der NS-Ideologie – war die zusammen mit Heinz Zeiss22 verfaßte »Einführung in die Hygiene und Seuchenlehre«23 und das »Handbuch der Erbbiologie des Menschen« von 1940. Dort heißt es: „Bedarf es noch vieler Worte, wie einer Rassenzersetzung vorzubeugen, wie eine schon begonnene Zersetzung behoben werden kann durch Neuaufbau? Doch nur durch eine bewußte Gestaltung der biologischen Zukunft seines Volkes! Ausschaltung aller entarteten Rassenelemente von der Fortpflanzung, Förderung aller wertvollen, Schließen des Tors für das Einströmen fremder Rassenelemente, ihre Ausscheidung aus dem Volkskörper, soweit das noch möglich ist [...].“24

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Als Vorbereitung der von Rodenwaldt geforderten Anwendung der NSRassengesetze auf die neuen Kolonialgebiete in Afrika und im pazifischen Raum legte das Kolonialpolitische Amt der NSDAP am 7. Oktober 1940 der Reichskanzlei den Entwurf eines „Kolonialblutschutzgesetzes“25 vor, der die Handschrift Rodenwaldts stark vermuten läßt. Der Gesetzentwurf stand klar für eine an rassenbiologischen Prinzipien orientierte Gestaltung der neuen Kolonialpolitik, so, wie sie von keinem nachdrücklicher als von Ernst Rodenwaldt propagiert worden war. Immerhin gab es aber auch ohne die Rückeroberung des deutschen Kolonialbesitzes konkrete Probleme im Rodenwaldtschen Sinne. Mit den besetzten Niederlanden terrorisierte das NS-Regime bereits eine Kolonialmacht, die zugleich eine ‘Mischlingspopulation’ von erheblichem Umfang aufwies. Wie man mit unerwünschten Mischlingskindern umgehen konnte, hatte die brutale Zwangssterilisierung der sogenannten Rheinlandbastarde, farbige Besatzungskinder, die während der alliierten Besetzung des Rheinlandes und einiger rheinischer Großstädte nach 1920 gezeugt worden waren, 1937 bereits gezeigt.26 Eine vergleichbare Aktion plante die SS-Leitung auch in den seit 1940 besetzten Niederlanden. Vom Rassenpolitischen Amt der NSDAP wurde Rodenwaldt in Vorüberlegungen zur Sterilisation der gesamten indoeuropäischen Bevölkerung in den besetzten Niederlanden einbezogen. Seine pragmatische Ablehnung dieses Plans der SS-Leitung in „Holland“ begründete der „Sachverständige für erbbiologische Gutachtenerstattung“ in seiner Autobiographie (1957) mit Hinweis „auf die zahllosen Verflechtungen dieser Menschen gemischten Blutes in Indien mit deutschen Familien“ 27, die das Vorhaben von vornherein undurchführbar erscheinen ließen. Für Rodenwaldt stand allerdings generell fest, daß die Tropenmedizin nun eine ausschließlich rassenbiologisch orientierte Medizin sein und dem kolonisierenden Europäer drei „Probleme“ lösen müsse, nämlich erstens, „als Individuum und als Rasse in tropischem Klima leben und gedeihen zu können“, dann, „die biologische Zukunft der seinem Schutz anvertrauten eingeborenen Völker zu sichern“ und schließlich drittens, „eine klare Entscheidung über die Regelung der biologischen Beziehungen zwischen der kolonisierenden europäischen Rasse und den Rassen der Eingeborenen“ zu treffen. Hier sei die „Durchführung“ der deutschen „Rassengesetzgebung etwas Selbstverständliches“.28 Ernst Rodenwaldt gilt zudem als einer der Begründer der sogenannten Geomedizin.29 Diese geographisch, anthropologisch und politisch orientierte Betrachtungsweise seuchenhygienischer Problemstellungen orientierte sich zunächst an der in den frühen zwanziger Jahren durch den Münchener Geographen Karl Haushofer geprägten Geopolitik. Während die Geopoli-

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tik deterministisch die sozialdarwinistisch gefärbte These von der Raumbedingtheit der Politik vertrat und nach dem Ersten Weltkrieg besonders von der extremen politischen Rechten agitatorisch vertreten wurde, betonte die Geomedizin die räumliche und zeitliche Abhängigkeit der Entstehung und Ausbreitung von Krankheiten vom geographischen Milieu (Klima, Landschaft, Ökosystem, Kultur, Geschichte), wobei rassenanthropologische Gesichtspunkte stark eingebunden waren. Ihre Brisanz erhielt die Wiederauflage der Geomedizin im nationalsozialistischen Deutschland besonders aus der Verquickung mit den eigentümlichen Blut-, Raum- und Bodenvorstellungen der NS-Volkskunde. Daß Rodenwaldt und sein als medizinischer Kundschafter in der Sowjetunion tätiger Kollege und Schüler Heinz Zeiss besondere Affinitäten zu den Zusammenhängen von Medizin und Raum entwickelten, überrascht wenig, und daß eine an der ideologischen Metapher »Volk ohne Raum« orientierte NS-Politik bei der Eroberung neuer Räume besonders an Zusammenhängen von Raum und Gesundheit stark interessiert sein mußte, liegt auf der Hand. Mit dem zunehmenden Verlust eroberter Räume in den letzten Kriegsjahren verblaßte aber die innovative Ausstrahlung der Trenddisziplin Geomedizin zunehmend. Ernst Rodenwaldt hat nach 1945 auf der Grundlage der alten Richtung, aber unter Verzicht auf die bis 1945 gepflegte rassenanthropologische Terminologie sowie unter peinlichst genauer Vermeidung jeden Hinweises auf Beziehungen zur Haushoferschen, d. h. zur nationalsozialistischen Geopolitik versucht, die Geomedizin als eigenständige Forschungsrichtung weiterzuentwickeln. Als Senior Author der Hygieneabteilung des von der Militärregierung der drei westlichen Besatzungsmächte in Auftrag gegebenen „FIAT [Field Information Agency, Technical] Review of German Science“ hat Rodenwaldt der geomedizinischen Orientierung eine unangemessen – aus seiner Biographie freilich verständlich – große Repräsentanz eingeräumt. Rodenwaldt mühte sich, seine „Geomedizin“ auch den neuen Machthabern im harmlosen Gewande30 schmackhaft zu machen. Ohne viel Erfolg in England, Frankreich oder den USA, wie es scheint; in Heidelberg indessen blühte die alte Forschungsorientierung im neuen terminologischen und konzeptionellen Gewande weiter. Die Heidelberger Akademie der Wissenschaften förderte sie in einer eigenen Arbeitsstelle von der Nachkriegszeit bis 1997. 1933, als es um die Stelle des Direktors des Hamburger Instituts für Schiffsund Tropenkrankheiten ging, scheiterte Rodenwaldt mit seiner Bewerbung. Statt dessen trat er am 18. September 1934 das vergleichsweise geringerwertige Ordinariat für Hygiene in Kiel an, um gut ein Jahr später die Leitung des Hygieneinstituts der Heidelberger Universität als Ordinarius zu übernehmen. Rodenwaldt behielt diese Position – freilich nicht im gleichen Dienstver-

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hältnis – bis 1951. Die Entfachung des Zweiten Weltkrieges durch den deutschen Überfall auf Polen eröffnete Rodenwaldt den Wiedereinstieg in seine militärische Karriere. Im August 1939 wurde der Einundsechzigjährige Oberstabsarzt im Heeresdienst, im Februar 1940 avancierte er zum Leiter des Tropenmedizinischen Instituts an der Militärärztlichen Akademie31 und zum Beratenden Sanitätsoffizier für Tropenhygiene; 1941 wurde er Oberfeldarzt, 1942 Oberstarzt und 1943 schließlich Generalarzt. Als beratender Tropenhygieniker im Dienst des im Nürnberger Ärzteprozesses 1947 zu lebenslänglicher Haft verurteilten Chefs des Wehrmachtsanitätswesens und Heeres-Sanitäts-Inspekteurs, Generaloberstabsarzt Siegfried Handloser, führten Rodenwaldts Einsätze nach Frankreich, wo ihm bei Bordeaux ein kolonialmedizinisches Sonderlazarett unterstand, in die Niederlande und nach Belgien, nach Italien, auf den Balkan und nach Nordafrika. Dabei interessierten den Geomediziner neben rassenhygienischen und Mischlingsproblemen vor allem Zusammenhänge zwischen Geomorphologie und Malaria. Besonderes Augenmerk wurde 1943/44 den malariaverseuchten Regionen um Monte Cassino zuteil. Italienische Malariahistoriker gehen derzeit Anhaltspunkten nach, die darauf hinweisen, daß Rodenwaldt und sein Mitarbeiter Erich Martini an konkreten Plänen zur waffentechnisch unterstützten Ausnutzung der Malariasituation um Monte Cassino im Sinne einer biologischen Kriegführung gearbeitet haben. Solche Aktivitäten scheinen heute möglicherweise unter dem Zwang militärischer Notwendigkeiten erklärlich, sie standen aber auch für eine neue politisch-wissenschaftliche Orientierung der Tropenmedizin schlechthin. Bis in die letzte Kriegsphase teilte Rodenwaldt seine Aufmerksamkeit in militärische Forschungsinteressen in Bad Nauheim und akademische Lehrund Forschungsverpflichtungen in Heidelberg. In Bad Nauheim, wohin das Tropenmedizinische Institut der Militärärztlichen Akademie kriegsbedingt umgezogen war, kreiste die Forschungsthematik zunächst kolonialrevisionistisch, immer stärker aber kriegsnotwendig orientiert, um „Protozoologie, Helmithologie und Klimatologie in Verbindung mit der pathologischen Anatomie“32. In Heidelberg waren die Forschungsziele eher an den gesundheitlichen Problemen der Zivilbevölkerung im totalen Krieg orientiert; Ruhr, Diphtherie und Ernährungsfragen standen im Vordergrund. Aber auch die rassenanthropologisch und völkerpsychologischen Neigungen des Generalarztes sollten nicht zu kurz kommen. Noch im Wintersemester 1944/45 wurde in Heidelberg eine Ringvorlesung über „Japan und Deutschland“ zusammengestellt. Den letzten Vortrag in dieser Reihe hielt Rodenwaldt am 26. Februar 1945, wenige Wochen vor seiner Gefangennahme durch amerikanische Befreiungstruppen und insgesamt in einer historisch extrem bizarren Situation über „Das Hindu-Javanische Reich Madjapait“.

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Wenige Wochen nach seinem Heidelberger Vortrag begann im März 1945 für Rodenwaldt die Nachkriegszeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Ein vermutlich Ende März von Major Paul Kubala mit dem Gefangenen geführtes und am 13. April 1945 niedergeschriebenes Verhör33 erstreckte sich auf die Karrieredaten, Fragen der biologischen Kriegführung, auf Humanexperimente und Nuklearversuche sowie auf die Organisation der Wehrmachtsanitätsinspektion. Bemerkenswert ist die sofortige Bereitschaft Rodenwaldts, sich mit seinen hygienischen Forschungen uneingeschränkt unter amerikanischen Befehl zu stellen. Über die von Rodenwaldt im Zusammenhang mit ‘wehrgeographischen’ Wasserforschungen im Kraichgau unternommenen Studien fiel kein Wort, auch nicht über seine Tätigkeit im Sonderlazarett für afrikanische Kriegs gefangene nahe Bordeaux. Hingegen wußte er von Malariastudien des „SS Ahnenerbe“ und vermutete richtig, daß in deren Versuchsstationen auf dem Gebiet der biologischen Kriegführung experimentiert worden war. Obwohl die allgemeine Charakteristik Rodenwaldts am Beginn des Verhörprotokolls durchaus positiv ausfiel,34 scheinen die Amerikaner doch nicht ganz von der Aufrichtigkeit ihres Gesprächspartners überzeugt gewesen zu sein, denn sie ließen ihn insgeheim abhören. In einem am 21. April 1945 aufgezeichneten Gefängnisgespräch35 rühmte sich Rodenwaldt seiner kurz vor dem Abschluß stehenden tropenmedizinischen Experimente und seiner Tätigkeit in einem „Neger-Gefangenenlager“ (1940) bei Bordeaux im besetzten Frankreich. Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs des Reichs, der völligen Zerstörung nicht nur der nordbadischen Industrieregion, des Wissens um die verbrecherische Dekadenz der nationalen und regionalen NS-Führungsschicht und des Wissens um die ambivalente eigene Haltung gegenüber dem untergehenden System und der amerikanischen Besatzungsmacht klingen die in der Zelle mitgeschnittenen Auslassungen Rodenwaldts auf eine bizarre Weise kulturimperialistisch und trotzig-arrogant zugleich. Demnach pries er die kulturelle Überlegenheit des deutschen Volkes und war zutiefst überzeugt, daß Deutschland nach 25 oder 50 Jahren wieder eine große Nation sein würde. Amerika hingegen sei ohne Kultur und barbarisch.36 Am 31. Oktober 1945 wurde Ernst Rodenwaldt gemäß Erlaß der amerikanischen Militärregierung wegen nationalsozialistischer Belastung seiner Ämter als Ordinarius für Hygiene und Direktor des Heidelberger HygieneInstituts entlassen, nachdem die am 31. März 1945 geschlossene Universität Mitte August ihren Betrieb wiederaufgenommen hatte. Doch die Universitätstore sollten nicht lange für Rodenwaldt geschlossen bleiben. Bereits im November 1948 wurde ihm von der Medizinischen Fakultät ein Lehrauftrag für das Fach Hygiene erteilt. Rodenwaldt, nicht zuletzt durch die

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Hilfe seines jungen Fakultätskollegen Wilhelm Doerr37 rehabilitiert, war wieder auf dem alten Posten, wenngleich nicht in alter Stellung. Am 27. November 1951 wurde er dreiundsiebzigjährig aus Altersgründen entpflichtet. Rodenwaldt gelang es in der Nachkriegszeit, auch ohne das alte Ordinariat schnell wieder die Akzeptanz der Alliierten, des Fachpublikums und der konservativen akademischen Öffentlichkeit in Heidelberg zu gewinnen. Die Westalliierten betrauten ihn bald nach Ende der Kriegsgefangenschaft mit der Herausgabe der drei Hygienebände des „Fiat review of German science 1939–1946“. Daß der gesamte FIAT-Report und mithin seine HygieneBände Teil einer durchaus erfolgreichen Besatzungsstrategie der Abschöpfung militärwissenschaftlicher Forschungsergebnisse auf den Forschungsfeldern Biologie, Chemie, Mathematik, Medizin, Physik und Geographie war, dürfte Rodenwaldt kaum verborgen geblieben sein. Die spannende Frage, welche Formen der wissenschaftlichen Camouflage einerseits in diesen Berichten gepflegt wurden und wo sie andererseits der Profilierung und Karrieresicherung unter neuen politischen Verhältnissen dienten, harrt bislang der Bearbeitung. Publizistisch trat Rodenwaldt nach den FIAT-Bänden (1948) bereits 1949 mit seinem Lehrbuch der »Hygiene in ihren Grundzügen« hervor. Sein Standardwerk der ersten Nachkriegsjahre »Lehrbuch der Hygiene« erschien 1951. Daß darin antisemitischen Tönen und der vor 1945 so deutlich betonten Rassenhygiene und Mischlingsideologie kein Raum mehr gewidmet wurde, ist verständlich. Im Jahre 1952 gelang es Rodenwaldt, die Gründung der Geomedizinischen Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften zu veranlassen; er verfolgte hier erfolgreich seinen alten Plan einer kartographischen Darstellung der Seuchenbewegungen, und tatsächlich konnte er zusammen mit seinem Schüler Helmut Jusatz von 1952 bis 1961 den dreibändigen Welt-Seuchen-Atlas herausgeben. Der Wert dieses ebenso großformatigen wie anspruchvollen Werkes hinsichtlich der ‘Seuchen’Epidemiologie kann und soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Ernst Rodenwaldt engagierte sich in der 1950er und frühen 1960er Jahren auch im Rahmen der jungen deutschen Entwicklungshilfemedizin, sei es als Referent bei Tagungen der Deutschen Stiftung für Entwicklungsländer oder der Gesundheitskommission der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, sei es als Gutachter für den Entwicklungsdienst, sei es im wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit unter Walter Scheel.38 Heute erinnern die Namen zweier Hygiene-Institute noch an Ernst Rodenwaldt. 1967 hatte das nationale Hygiene-Institut der Republik Togo den

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Namen Rodenwaldts angenommen. Anläßlich des 100. Geburtstags Rodenwaldts enthüllten der damalige Würzburger Ordinarius für Hygiene, Heinz Seeliger, zusammen mit dem Tropenmediziner und Oberstarzt der Bundeswehr, K. Schaller, am 5. August 1978 in Lomé sogar ein Rodenwaldt-Relief. Dem Institut für Wehrmedizin und Hygiene der Bundeswehr in Koblenz wurde am 15. Dezember 1967 gleichfalls der Name Ernst-Rodenwaldt-Institut verliehen. Mit der Benennung des Koblenzer Bundeswehrinstituts habe die „Deutsche Bundeswehr“ einen Sanitätsoffizier geehrt, „der nicht wechselnden Ideologien gefolgt, sondern dem des Heilberufes, humanitär zu wirken, treu geblieben“39 sei. Ernst Rodenwaldt soll, so der Schüler und Biograph Helmut Jusatz, sein Gesamtwerk einem selbstgewählten Lebensspruch gewidmet haben: „Nichts ist vergebens getan, was tief erlebt wurde“.40 Was aber wurde tief erlebt, was blieb für die Zukunft? Anmerkungen Jusatz, Ernst Rodenwaldt in memoriam, S. 148 ff., hier S.148. Rodenwaldt, Tropenhygiene, Vorwort: „Man kann keine Europäerhygiene in den Tropen treiben, ohne gleichzeitig für die Bevölkerung des Landes die gleichen Ziele anzustreben […].“ 3 Sebald, Togo 1884–1914, S. 734. 4 Paschen, Bericht über die Reise zur Erforschung und Bekämpfung der Pocken in Togo, S. 26; Rodenwaldt, Medizinal-Berichte über die Deutschen Schutzgebiete, S.490. 5 Vgl. Schulze, Deutsche Ärzte in Togo, S.1000–1079, 1145–1147. 6 Vgl. Rodenwaldt (mit Heinrich Zeiss), Malariastudien im Wilajet Aïdin, S. 97– 128. 7 Rodenwaldt, Seuchenkämpfe. Vgl. zusammenfassend auch Becker, Äskulap zwischen Reichsadler und Halbmond, S.130–139. 8 Rodenwaldt, Zur Frage der Chininresistenz, S. 555–602. 9 Rodenwaldt, Das Rassenmischlingsproblem, S.70–73, hier 70f. 10 BA Berlin (ehemaliges BDC), Personalakte Rodenwaldt. NSDAP-Eintritt: 1. März 1932 (Mitgl.-Nr.914.994); NSDAP-Austritt: 25. Februar 1933. 11 Vgl. BA Koblenz, FC 6178 P, 2: Aliierter Prozeß 1, Bd.2, Seventh Army Interrogation Center, US Army, APO 758, 13. April 1945, Protokoll: Paul Kubala (1945) (weiterhin zitiert als BA Koblenz, FC 6178 P, 2: Verhör Rodenwaldt 1945). 12 Vgl. Rodenwaldts Autobiographie: Ein Tropenarzt erzählt sein Leben. 13 BA Koblenz, FC 6178 P, 2: Verhör Rodenwaldt 1945, S.1. 14 Rodenwaldt, Vom Seelenkonflikt des Mischlings, S.364–375, hier S.374. 15 Rodenwaldt, Wie bewahrt der Deutsche die Reinheit seines Blutes, S.623–628. 16 Rodenwaldt, Rassenbiologische Probleme in Kolonialländern, S.1029–1032. 17 Rodenwaldt, Das Rassenmischlingsproblem, S. 73. 1 2

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Rodenwaldt, Rassenbiologische Probleme in Kolonialländern, S.1–17, hier S.17. Ebenda, S.1031. 20 Rodenwaldt, Rassenhygiene und Kolonialpolitik, S.180–185. 21 S. Müller [Rezension], in: Hippokrates 12 (1941) [unpag. Rezensionsteil]. 22 Zeiss, Heinrich (12. 7. 1888 Frankfurt a.M. bis 31. 3. 1949 Vladimir/UdSSR). Vgl. Paul Weindlings Beitrag in: Ärztelexikon; zur Tätigkeit Zeiss’ in der Sowjetunion vgl. Medizin und auswärtige Kulturpolitik der Republik von Weimar, S.105–142. 23 Zeiss/Rodenwaldt, Einführung in die Hygiene und Seuchenlehre, bes. S.34f. 24 Rodenwaldt, Allgemeine Rassenbiologie, S.645–678, hier S.671. 25 BA Koblenz, R 2/4965: Kolonialpolit. Amt der NSDAP, v. Asmis, an Reichsfinanzministerium, 7. Oktober 1940, Anlage: Entwurf eines Kolonialblutschutzgesetzes. 26 Pommerin, Rheinlandbastarde. 27 Vgl. Rodenwaldt, Ein Tropenarzt erzählt sein Leben, S.411. 28 Rodenwaldt, Rassenbiologische Probleme in Kolonialländern, S. 1029–1032, hier S.1029 u. 1031. 29 Vgl. Zeiss, Geomedizin; Rodenwaldt, Geomorphologische Analyse, S. 375–381; Jusatz, Ernst Rodenwaldt als Begründer, S. 23 ff. 30 Rodenwaldt, Geomedizin, S. 65–73. 31 Nicht Leiter des „Kolonialmedizinischen Instituts“, wie bei Roth, Von der Tropenheilkunde zur ‘Kolonialmedizin’, S. 123–130, bes. S.127 angegeben. 32 BA Koblenz, R 73/14014, DFG: Rodenwaldt an den Bevollmächtigten für Seuchenforschung im Reichsforschungsrat, Generalarzt Prof. Dr. Schreiber, 18. 12. 1944. 33 BA Koblenz, FC 6178 P, 2: Verhör Rodenwaldt 1945. 34 In der einleitenden Charakteristik heißt es: „Dr RODENWALD [sic!] is a 66year old HEIDELBERG University professor who is acquainted with leading medical scientists throughout the world. He appears to have an open, honest character, and to abhor falsehood. Although he admires HITLER’s social policy, he disagrees with most of the National Socialist principles because of his religious beliefs (Roman Catholic) and his humanitarian sentiments, and he cannot understand why the German leaders do not stop the war, since it is obviously lost for Germany. Nevertheless he still considers himself bound to the present government by his military oath of allegiance to HITLER.“ 35 BA Koblenz, Filmrolle SAIC/X/2: Medical and other scientific experiments, 21.April 1945 , 9 S. Tonbandprotokoll. 36 Ebd., S.8. 37 Persönliche Mitteilung Wilhelm Doerrs vom 21. Januar 1994. 38 Jusatz, Ernst Rodenwaldt zum 85. Geburtstag, S.1569f. 39 Knoche, Begründer der Geomedizin Ernst Rodenwaldt vor 100 Jahren geboren (zitiert nach Sonderdruck). 40 Jusatz, Ernst Rodenwaldt in memoriam, S. 150. 18 19

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA Berlin (ehem. BDC): Personalakte Rodenwaldt; BA Koblenz, FC 6178 P, 2: Alliierter Prozeß 1, Bd.2. Gedruckte Quellen und Literatur Ärztelexikon. Hrsg. v. Wolfgang U. Eckart und Christoph Gradmann. München 1995. Becker, Helmut: Äskulap zwischen Reichsadler und Halbmond. Sanitätswesen und Seuchenbekämpfung im türkischen Reich während des Ersten Weltkriegs. Herzogenrath 1990. Eckart, Wolfgang U.: Medizin und auswärtige Kulturpolitik der Republik von Weimar–Deutschland und die Sowjetunion 1920–1932. In: Medizin in Geschichte und Gesellschaft 11 (1993), S. 101–142. Jusatz, Helmut J.: Ernst Rodenwaldt in memoriam. In: Ruperto-Carola 38 (1965), S.148–150. Ders.: Ernst Rodenwaldt (1878–1965) als Begründer der geomedizinischen Forschung. In: Heidelberger Jahrbücher 14 (1970), S. 23–25. Ders.: Ernst Rodenwaldt zum 85. Geburtstag. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift 88 (1963), S.1569–1570. Knoche, Bernhard: Begründer der Geomedizin Ernst Rodenwaldt vor 100 Jahren geboren. In: Der Deutsche Apotheker 30 (1978), H. 9, S. 481–484. Paschen, Enrique: Bericht über die Reise zur Erforschung und Bekämpfung der Pocken in Togo im Auftrage des Reichskolonialamts. In: Beihefte zum Archiv für Schiffs- u. Tropenhygiene 16 (1912), S.26. Pommerin, Reiner: „Sterilisierung der Rheinlandbastarde“. Das Schicksal einer farbigen deutschen Minderheit 1918–1937. Düsseldorf 1979. Rodenwaldt, Ernst: Medizinal-Berichte über die Deutschen Schutzgebiete DeutschOstafrika, Kamerun, Togo, Deutsch-Südwestafrika, Neu-Guinea, Karolinen, Marshall-Inseln und Samoa für das Jahr 1910/11. Berlin 1913. Ders. (mit Heinrich Zeiss): Malariastudien im Wiljet Aïdin (Kleinasien). In: Archiv für Schiffs- u. Tropenhygiene 16 (1912). Ders.: Seuchenkämpfe. Bericht des beratenden Hygienikers der V. kaiserlich-osmanischen Armee. Heidelberg 1921. Ders.: Vom Seelenkonflikt des Mischlings. In: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 34 (1934), S. 364–375. Ders.: Ein Tropenarzt erzählt sein Leben. Stuttgart 1957. Ders.: Das Rassenmischlingsproblem. In: Beiheft zum Reichs-Gesundheitsblatt Nr.52, 1938, S.70–73. Ders.: Wie bewahrt der Deutsche die Reinheit seines Blutes in Ländern mit farbiger Bevölkerung. In: Der Auslandsdeutsche 19 (1936), S.523–628. Ders.: Rassenbiologische Probleme in Kolonialländern. In: Deutsche medizinische Wochenschrift 65 (1939), S. 1029–1032.

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Ders.: Geomedizin. In: Fiat Review of German Science 1939–1946, Hygiene, Part I, Wiesbaden 1948, S.65–73. Ders.: Rassenbiologische Probleme in Kolonialländern. In: Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Rassenforschung 10 (1940), S. 1–17. Rodenwaldt, Ernst: Allgemeine Rassenbiologie des Menschen. In: Handbuch der Erbbiologie des Menschen. Hrsg. v. Günther Just mit Karl Heinrich Bauer u. a., Berlin 1940, S.645–678. Ders.: Geomorphologische Analyse als Element der Seuchenbekämpfung. In: Hippokrates 6 (1935), S.375–381. Ders.: Rassenhygiene und Kolonialpolitik. Nationalsozialistische Rassenerkenntnis als Grundlage für die koloniale Betätigung des neuen Europas. In: Deutscher Kolonialdienst 4 (1939), S. 180–185. Roth, Karl Heinz: Von der Tropenheilkunde zur „Kolonialmedizin“. In: Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg. Hrsg. v. Angelika Ebbinghaus, Heidrun Kaupen-Haas und K. H. Roth, Hamburg 1984, S.123–130. Schulz, E.: Leben und Werk des Hygienikers Martin Hahn (1865–1934). Diss. med. Erfurt 1986. Schulze, Wilhelm: Deutsche Ärzte in Togo. Entwicklungshilfe mit Tradition. In: Deutsches Ärzteblatt 70 (1973), S. 1000–1079, 1145–1147. Sebald, Peter: Togo 1884–1914. Eine Geschichte der deutschen „Musterkolonie“ auf der Grundlage amtlicher Quellen. Berlin 1988. Sieger, Robert: Geopolitik. In: Politisches Handwörterbuch. Hrsg. v. Paul Herre, Bd.1, Leipzig 1923, S.690. Ders.: Staatenkunde. In: Politisches Handwörterbuch. Hrsg. v. Paul Herre, Bd. 2, Leipzig 1923, S.667. Stieve, Friedrich: Kjellen. In: Politisches Handwörterbuch. Hrsg. v. Paul Herre, Bd. 1, Leipzig 1923, S.953. Wulf, Stefan: Das Hamburger Tropeninstitut 1919 bis 1945 – Auswärtige Kulturpolitik und Kolonialrevisionismus nach Versailles. Berlin/Hamburg 1994. Zeiss, Heinz: Ernst Rodenwaldt. Einführung in die Hygiene und Seuchenlehre. Stuttgart 51943. Ders.: Geomedizin (geographische Medizin) oder medizinische Geographie? In: Münchner medizinische Wochenschrift 78 (1931), S. 198–201. Ders.: Die zukünftige Aufgabe einer deutschen Volkskunde. In: Archiv für Bevölkerungswissenschaft 5 (1935).

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Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt Gerd von Rundstedt wurde am 12. Dezember 1875 in Aschersleben/Harz als Sohn eines preußischen Husarenoffiziers geboren. Er wuchs in der Tradition einer alten Soldatenfamilie auf und befand sich bereits hinter den Kasernenmauern einer Kadettenanstalt, als er noch nicht einmal 13 Jahre alt war. Es gelang ihm in den folgenden Jahren durch Können und Ehrgeiz, die Stufen der Offiziersdienstgrade zu ersteigen und am Ende des Ersten Weltkrieges sein lang anvisiertes Ziel zu erreichen, nämlich im Großen Generalstab der preußischen Armee tätig zu sein.1 Nach dem verlorenen Krieg konnte Rundstedt im Heer bleiben. Seine fachliche Qualifikation muß für diese Bevorzugung ebenso entscheidend gewesen sein wie seine vornehme Haltung, ein grenzenloser Anpassungswille und seine konservativ-monarchistische Einstellung. Er paßte somit in das von General Hans von Seeckt so nachhaltig postulierte Bild eines höheren Offiziers der Reichswehr. Diese Merkmale waren es auch, die Rundstedts Handeln – oder Nichthandeln – sowie viele seiner Äußerungen von 1933 bis nach dem Krieg maßgeblich bestimmten. Als Rundstedt während des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses im August 1946 befragt wurde: „Wie stand die militärische Führung zur Außen- und Innenpolitik?“ antwortete er scheinbar konsequent: „Um die Politik haben wir Generale uns nicht gekümmert. (…) Zur Partei stand die hohe Generalität entweder ablehnend oder gleichgültig, was die Judenfrage betrifft, durchaus ablehnend.“ Von Plänen Hitlers, einen Angriffskrieg zu beginnen, will Rundstedt erst kurz vor Beginn der Kampfhandlungen erfahren haben. Was die sogenannten „verbrecherischen Befehle“ anging, so hätten sich die hohen Wehrmachtsoffiziere damit die Hände nicht schmutzig gemacht. 2 Das erste Mal trat Rundstedt aus der relativen Anonymität eines höheren Reichswehroffiziers hervor, als die Regierung Papen/Schleicher – der Rückendeckung Hitlers sicher – in den letzten Monaten der Weimarer Republik die preußische Regierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Braun absetzte. Die vollziehende Gewalt übertrug Reichswehrminister Schleicher damals auf von Rundstedt, den Oberbefehlshaber des Gruppenkommandos Berlin. Dieser erfüllte seinen Auftrag schnell und gründlich. Er ließ sofort die Gebäude der Staatsregierung von Soldaten besetzen und hohe Beamte und Minister verhaften.

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Damit war eine der letzen demokratischen Bastionen der Republik gefallen. Möglicherweise hat Rundstedt bei diesen Aktionen an sein großes Vorbild, Generaloberst von Seeckt, gedacht, von dem er in Nürnberg äußerte: „Seeckt hat in der loyalsten Weise sowohl nach rechts, wie beim KappPutsch, als auch nach links, siehe Kommunistenaufstand (…) verfassungsgemäß die Regierung von Weimar unterstützt.“ Sollte Rundstedt noch im August 1946 tatsächlich nicht gewußt haben, daß Seeckt zwar keinen Augenblick zögerte, die Reichswehr gegen linke Aufständische zu verwenden, daß er aber beim rechtsgerichteten Kapp-Putsch im März 1920 die Regierung schmählich im Stich gelassen hatte?3 Wenn der Oberbefehlshaber in Berlin im Juli 1932 auch nur gehorsam einen Befehl ausführte, so wurde hier bereits deutlich, was Rundstedt unter der ‘unpolitischen’ Haltung vieler Reichswehroffiziere verstand: eine klare Parteinahme für die Rechte. Rundstedt sah die wenig später erfolgte Machtübernahme Hitlers und der NSDAP im Januar 1933 deshalb in günstigem Licht. Denn, so Rundstedt nach dem Krieg: „Wir haben also die Gleichberechtigung [er meinte damit die Annulierung des Versailler Vertrages, d. Verf.], die Hitler anstrebte und auch schließlich erreichte, begrüßt, und was an der nationalsozialistischen Bewegung Gutes war, (…) zum großen Teil altpreußisches Gedankengut, haben wir auch begrüßt.“4 Nur wenige Tage nach Hitlers Regierungsantritt erfuhren die Befehlshaber, mit welchen Mitteln dieses „altpreußische Gedankengut“ erreicht werden sollte. Der Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium, General von Reichenau, erklärte ihnen im Februar 1933: „Erkenntnis ist notwendig, daß wir in einer Revolution stehen. Morsches im Staat muß fallen, das kann mit Terror geschehen. Die Partei wird gegen Marxismus rücksichtslos vorgehen. Aufgabe der Wehrmacht, Gewehr bei Fuß. Keine Unterstützung, falls Verfolgte Zuflucht bei der Truppe suchen.“ Wenn sich Rundstedt und andere Befehlshaber über diese menschenverachtende Ordre auch entrüstet haben mögen, so leiteten sie sie dennoch, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, an unterstellte Kommandobehörden weiter.5 Damit verpflichtete sich die Reichswehrführung, dem Terror der Nazis tatenlos zuzusehen. Die hohe Generalität gab etwa noch vorhandene moralische Grundsätze von diesem Zeitpunkt an widerstandslos auf. Die Verhaltensweise Rundstedts und anderer höchster Offiziere während des ‘Röhm-Putsches’ von 1934 – als Hitler viele SA-Führer ermorden ließ – setzte diese Entwicklung fort. Der Diktator und seine Gefolgsleute benutzten die Gelegenheit, weitere mißliebige Persönlichkeiten ebenfalls zu beseitigen. Darunter befanden sich auch zwei hohe Offiziere, die Generale von Schleicher und von Bredow. Bezeichnenderweise beteiligte sich auch die

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Reichswehr an den Aktionen gegen die SA. Galt es doch, einen gefährlichen Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. Der Protest gegen die Mordorgien von Hitlers Schergen fiel deshalb auch sehr verhalten aus. Nach den Darstellungen des Generals von Manstein, damals Generalstabsoffizier im Berliner Wehrkreis, sollen Rundstedt und andere Offiziere (v. Witzleben und v. Leeb) eine kriegsgerichtliche Untersuchung der Liquidierungen Schleichers und Bredows gefordert haben. Der Widerstandskämpfer Ewald von Kleist-Schmenzin hingegen berichtete, er habe vergeblich von Rundstedt eine deutliche Reaktion gefordert.6 Andere dagegen fanden sich durchaus befugt zu protestieren. Zum Beispiel richteten der Befehlshaber im Wehrkreis Dresden, General List, und Olbricht, einer seiner Generalstabsoffiziere, an Reichenau einen geharnischten Brief, in dem sie die gesetzlosen Hinrichtungen in ihrem Befehlsbereich anprangerten. All dies fruchtete freilich nichts. Generaloberst von Blomberg, der Reichswehrminister, wischte die Bedenken dieser wenigen Offiziere vom Tisch. Nach dem Tod Hindenburgs im August 1934 befahl Blomberg zudem die Vereidigung aller Soldaten nicht wie bisher auf Volk und Vaterland, sondern einzig auf die Person Hitlers. 7 Alle, auch der General von Rundstedt, leisteten diesen Eid ohne Widerspruch. Als im September 1934 Blomberg, Fritsch, Rundstedt und andere hohe Offiziere als Ehrengäste auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP erschienen, war das Bündnis zwischen Hitler und seinen Generalen inniger denn je.8 Vier Jahre später jedoch geriet dieses Verhältnis in eine ernste Krise. Der Anlaß war zunächst privater Natur: Blomberg, der Reichskriegsminister, hatte in zweiter Ehe eine junge Dame mit zweifelhafter Vergangenheit geheiratet und Fritsch, der Oberbefehlshaber des Heeres, stand im Verdacht, homosexuelle Kontakte zu pflegen. Die höchsten Offiziere der Wehrmacht waren damit für das Ansehen der Armee untragbar geworden. In dieser Situation rief Hitler Ende Januar 1938 Rundstedt als Doyen des Offizierskorps zu sich. Der Offizier soll dabei eine Untersuchung der Vorwürfe gegen Fritsch verlangt haben. Hitler brachte dagegen den General von Reichenau als möglichen Nachfolger Fritschs ins Gespräch. Das lehnte Rundstedt ab, so wie er auch schon 1934 bei Hindenburg gegen diesen Offizier als Kandidaten für den Posten des Chefs der Heeresleitung opponiert hatte. Reichenau schien ihm ein allzu „rechter Rabauke“ zu sein. Auf der Suche nach einem anderen Nachfolger einigten sich Hitler und Rundstedt auf General von Brauchitsch, den auch Keitel mit der bezeichnenden Qualifika tion „Nur-Soldat“ favorisierte.9 Ohne das Ergebnis der Untersuchungen gegen Fritsch abzuwarten, wurde Brauchitsch schon am 4. Februar 1938 neuer Oberbefehlshaber des Heeres. In Kreisen höherer Offiziere sprach es sich schnell herum, daß die Vor-

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würfe gegen Fritsch jeder Grundlage entbehrten und vermutlich von den SS-Führern Heydrich und Himmler inszeniert worden waren. Als sich deshalb sogar Reichsbankpräsident Schacht an Rundstedt mit der Bitte wandte, zugunsten von Fritsch zu intervenieren, lehnte dieser jedoch ab. Auch dem schriftlichen Ersuchen von Fritsch, Himmler eine Duellforderung zu überbringen, versagte sich Rundstedt. Er überredete Fritsch vielmehr, den Antrag zurückzunehmen.10 Offensichtlich wollten weder Rundstedt noch andere hohe Generale weitere Unruhe im Gefüge der Heeresspitze riskieren. Daß Hitler die günstige Gelegenheit ergriff und sich an Stelle Blombergs als Oberbefehlshaber der Wehrmacht etablierte, nahmen die Generale widerstandslos hin. Als Hitler im Zuge seiner Expansionsabsichten die Wehrmachtführung im Mai 1938 wissen ließ, die Zerschlagung der Tschechoslowakei sei das nächste Ziel, wurde Generaloberst von Rundstedt dafür als Oberbefehlshaber einer Armee vorgesehen. Die Kriegspläne des deutschen Diktators hatten jedoch auch Bedenken ausgelöst. Beck, der Generalstabschef des Heeres, fürchtete einen allgemeinen Krieg, dem die Wehrmacht aufgrund ihres noch unzureichenden Rüstungsstandes nicht gewachsen sei. Er schlug den Befehlshabern sogar vor, aus Protest von ihren Posten zurückzutreten. Bei einer Besprechung hoher Militärs bei Brauchitsch am 4. August 1938 sprach man sich zwar einhellig gegen Hitlers Absichten aus, zu einem Konsens über gemeinsame Aktionen kam es indes nicht. Rundstedt bat Brauchitsch sogar, wegen dieser Angelegenheit bei Hitler keine Krise um die Heeresleitung zu riskieren. Allein Beck erklärte am 18. August seinen Rücktritt, weil er die Verantwortung für diese Politik nicht mehr mittragen wollte. Etwa 14 Tage später sprach General Adam, damals Oberbefehlshaber im Westen, nochmals bei Rundstedt vor, um ihn zur Teilnahme an einem von General Halder geplanten Staatsstreich gegen Hitler zu bewegen. Wiederum lehnte der Offizier ab. Anders als es in seinen Darstellungen vor dem IMT nach dem Krieg zum Ausdruck kam, macht die Schilderung dieser Ereignisse unzweideutig klar, daß Rundstedt frühzeitig von den Kriegsplänen des ‘Führers’ erfuhr. Auch teilte er durchaus die Befürchtungen seiner Kollegen, Hitlers Absichten könnten in einem katastrophalen Krieg enden. Das Vertrauen zur neuen Staatsführung und ein ungetrübtes, gutes Verhältnis zu Hitler als obersten Befehlshaber der Wehrmacht hatten für Rundstedt aber offensichtlich einen höheren Stellenwert als diese Bedenken. Am 1. November 1938 wurde er, im Alter von 63 Jahren, in den Ruhestand versetzt.11 Der dauerte allerdings nicht lange. Bereits sechs Monate später hatte Hitler eine neue Verwendung für ihn. Rundstedt war dazu ausersehen, beim Überfall auf Polen die Heeresgruppe Süd zu befehligen. Der

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Diktator machte ihm und anderen Generalen vor dem Angriff klar, welche Ziele er in Polen verfolgte. Mit „größter Härte“ solle jetzt für Deutschland Territorium im Osten gewonnen werden. Die „große Härte“ bekamen die Polen gleich zu Beginn der Operationen zu spüren. SD-Einsatzgruppen mordeten, brandschatzten, plünderten und vergewaltigten in den Dörfern und Städten des Landes; denn es galt, so erklärte Hitler, im Zuge einer „volkspolitischen Flurbereinigung“ vor allem die Intelligenz und den Mittelstand Polens auszurotten. Die Wehrmacht sah diesem Treiben zu, oftmals aber, vor allem wenn es gegen die Juden ging, machte sie auch mit. 12 Einige Offiziere jedoch meldeten Kritik an. General Blaskowitz beispielsweise, ein Untergebener Rundstedts, protestierte – allerdings vergeblich – gegen die Verbrechen in Polen beim Oberkommando des Heeres. Rundstedt jedoch interessierte das Schicksal der Polen nicht, was bei der Belagerung Warschaus durch seine Truppen Ende September deutlich zum Ausdruck kam. Um deutsches Blut zu sparen, beantragte Rundstedt beim Oberkommando des Heeres den Einsatz von Brandbomben durch die Luftwaffe, um den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen. Als weiteres Druckmittel schien es ihm angebracht, die Flucht der verängstigten Zivilisten aus Warschau zu verhindern. Obwohl ihm die völkerrechtliche Problematik einer solchen Maßnahme bewußt war, gab er doch den Befehl, „daß auf alles, was sich der Truppe nähert, geschossen wird“. Am 30. September erhielt Rundstedt vom ‘Führer’ das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz. Blaskowitz hingegen, der seine Kritik an den Kriegsverbrechen der Deutschen in Polen nochmals wiederholt hatte, wurde von seinem Posten abberufen.13 Unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen in Polen betraute Hitler Ende Oktober 1939 Rundstedt wiederum mit dem Kommando über eine Heeresgruppe an der neuen Front im Westen. Wegen des Angriffsbefehls auf Frankreich und der Neutralitätsverletzung beim gleichzeitigen Überfall auf die Benelux-Staaten plante die Militäropposition nochmals einen Umsturz. Obwohl sogar Halder, der Generalstabschef des Heeres, die Beseitigung Hitlers befürwortete, lehnte Rundstedt wiederum jede Beteiligung ab. Nach dem Ende des Feldzuges gegen Frankreich wurde er im Juli 1940 zum Generalfeldmarschall befördert. Schon sechs Wochen zuvor hatte ihm Hitler seine neuen Pläne mitgeteilt: Er wollte möglichst bald die Sowjetunion überfallen. Im Gegensatz zu den bisherigen Kriegsabsichten des Diktators unterstützten nahezu alle Gruppierungen der hohen Militärs dieses Vorhaben.14 Hitler ließ seine Generale nicht lange im unklaren, was er mit diesem Angriff bezweckte. Es ging ihm um einen Vernichtungskrieg, bei dem insbeson-

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dere die „jüdisch-bolschewistische Intelligenz“, wie er es nannte, ausgerottet werden sollte. Brauchitsch hatte dazu am 27. März 1941 sowohl Rundstedt als auch anderen Befehlshabern im Osten erklärt: „Die Truppe muß sich darüber klar sein, daß der Kampf von Rasse zu Rasse geführt wird und mit der nötigen Schärfe vorgehen.“ Drei Tage später bekräftigte Hitler vor zahlreichen hohen Offizieren seine Absichten, wobei er ihnen auftrug, „von dem Standpunkt der soldatischen Kameradschaft abzurücken“.15 Bis zum Beginn des Überfalls, am 22. Juni, erreichten dann auch die berüchtigten „verbrecherischen Befehle“ die Truppe. Sie waren von der militärischen Führung ausgearbeitet worden. Der Kommissarbefehl sah vor, die politischen Instrukteure und Kommissare der Roten Armee bei ihrer Gefangennahme sofort zu erschießen. Allerdings fielen darunter auch sogenannte „politisch untragbare Elemente (…) und Hetzer“.16 Weiterhin wurde die Kriegsgerichtsbarkeit gegenüber deutschen Soldaten für den Bereich der Sowjetunion ausgesetzt. Was das Los der sowjetischen Kriegsgefangenen anging, so standen sie nicht, wie die Soldaten anderer Nationen, unter völkerrechtlichem Schutz. Von Rundstedt ist eine signifikante Äußerung überliefert, die zeigt, wie er selbst diese Anordnungen verinnerlicht hatte. Im Oktober 1942 machte er den Vorschlag, für den Bau des Atlantikwalls russische Kriegsgefangene einzusetzen, da diese „einfachen Geistes“ seien und: „Wenn er [der sowjetische Kriegsgefangene, d. Verf.] nicht pariert, kann er einfach erschossen werden.“ 17 Rundstedt behauptete in Nürnberg, die militärischen Führer hätten sich in der Sowjetunion stets an das Kriegsvölkerrecht gehalten und die „verbrecherischen Befehle“ nicht ausgeführt. Gerade aber in seinem Befehlsbereich sollte es von Beginn an zu den schlimmsten Exzessen kommen. Die Zusammenarbeit von Einsatzgruppen und Wehrmacht gestaltete sich hier zur vollsten Zufriedenheit der SS. So berichtete ein SS-Brigadeführer im November rückblickend: „Die Zahl der durch das Sonderkommando 4a durchgeführten Exekutionen hat sich inzwischen auf 55 432 erhöht, (…) in erster Linie Juden, und hier wieder ein großer Teil von durch die Wehrmacht überstellten jüdischen Kriegsgefangenen.“18 Obwohl nach einer Richtlinie des OKW die Einsatzkommandos nicht im Operationsgebiet tätig werden sollten, gingen sie dennoch in der Praxis mit den Kampftruppen vor. Rundstedts Heeresgruppe Süd hatte den dortigen Einsatzkommandos im Juli 1941 ausdrücklich gestattet, sich in der Nähe vorderster Verbände zu bewegen. So begannen die Erschießungen von Juden und Kommunisten unmittelbar nach der Eroberung der Ortschaften durch die Wehrmacht.19 Zu einer der folgenschwersten Aktionen kam es dabei in Kiew. Dort waren Rundstedts Truppen am 19. September 1941 eingedrungen, und nur

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fünf Tage später meldete die Einsatzgruppe C, als Vergeltung für Sprengungen in der Stadt sei die „Exekution von mindestens 50 000 Juden vorgesehen. Wehrmacht begrüßt Maßnahmen und erbittet radikales Vorgehen“. Der Stadtkommandant, Generalmajor Kurt Eberhard, forderte daraufhin die Juden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen auf, sich an einem bestimmten Ort in Kiew zu sammeln. So wurden schließlich in der unweit der Stadt gelegenen Schlucht von Babi Jar am 29. und 30. September 33 771 Menschen ermordet. Die Wehrmacht hatte dabei nicht nur Hilfe geleistet, mit „Durchkämmaktionen“, dem Bereitstellen von Transportraum und Absperrdiensten, sondern auch selbst an Exekutionen teilgenommen. 20 Diese Verbrechen waren Gegenstand einer Befragung Rundstedts vor dem IMT fünf Jahre später. Darauf soll hier etwas näher eingegangen werden, weil sie auf die Verhandlungsführung des Nürnberger Gerichts ein bezeichnendes Licht wirft. Obwohl dem IMT die Meldung der Einsatzgruppe C vom 7. 10. 1941 vorlag – „In Kiev wurden sämtliche Juden verhaftet und am 29. und 30. 9. insgesamt 33 771 Juden exekutiert“21 –, wurde Rundstedt dennoch folgendes vom Verteidiger gefragt: „Nach Behauptung der russischen Anklage sollen im November 1941 in Kiev 33 000 Juden erschossen worden sein. Wo standen die Armeen der Heeresgruppe Süd im November 1941?“ Rundstedt ergriff sofort die günstige Gelegenheit und antwortete: „Meine Armeen standen von Rostow (…) bis ostwärts Charkow. Die rückwärtige Heeresgrenze zu dem in Zivilverwaltung befindlichen Ukrainegebiet verlief ostwärts Kiev und am Dnjepr entlang.“22 Demnach hätte Kiew also außerhalb seines Befehlsbereiches gelegen. In Wirklichkeit fanden die Erschießungen aber Ende September im Operationsgebiet der Heeresgruppe Süd statt, wenige Tage nachdem Rundstedts Verbände die Stadt erobert hatten. Der alliierte Ankläger aber bemerkte diesen sicherlich vorher abgesprochenen Trick nicht und ließ die Sache auf sich beruhen. Rundstedt erklärte sich im Oktober 1941 mit einem Befehl des Generalfeldmarschalls von Reichenau „voll einverstanden“, in dem dieser die „völlige Vernichtung“ des Sowjetstaates verlangte und den deutschen Soldaten als „Träger einer unerbittlichen völkischen Idee“ bezeichnete. Rundstedt ließ den Befehl als Muster in seiner Heeresgruppe verteilen.23 In Nürnberg hingegen gab er vor, sich an diesen Befehl und seine Weiterleitung nicht zu erinnern. Im übrigen sei die hohe Generalität, „was die Judenfrage anbetrifft“, mit den Maßnahmen der Nationalsozialisten nicht einverstanden gewesen. Wie Rundstedt selbst die Juden einschätzte, geht aus einem Brief an seine Frau vom Juli 1941 hervor: „(…) Mir geht es gut. Wir gehen morgen nach Zamosch, werden den Unterschied zwischen hier und dem dreckigen Judennest sehr merken (…).“ 24

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Anfang Dezember 1941 wurde Rundstedt von Hitler seines Postens enthoben. Der Diktator hatte ihn kurzzeitig für die erste Niederlage der Wehrmacht im Krieg gegen die Sowjetunion verantwortlich gemacht: Rostow am Don, von den Deutschen bereits genommen, konnte von der Roten Armee kurz darauf zurückerobert werden. Gleichwohl erhielt Rundstedt von Hitler zum 65. Geburtstag nachträglich eine Dotation von 250 000 Reichsmark – für damalige Verhältnisse eine beachtliche Summe. 25 Rundstedts neuerlicher Ruhestand währte wiederum nicht lange. Obwohl er mittlerweile 67 Jahre alt und herzkrank war, schrieb er dem „lieben Keitel“ am 1.3.1942: „(…) fühle ich mich verpflichtet zu melden, daß ich nach Urteil meines behandelnden Arztes wieder dienstfähig bin.“ Bereits 14 Tage später ernannte ihn Hitler zum Oberbefehlshaber in den besetzten Ländern Westeuropas.26 Diese Stelle nahm Rundstedt bis zum Juli 1944 ein. Im Hinblick auf seine Tätigkeit im Westen ist er in Nürnberg unter anderem zu Hitlers Kommandobefehl vom Oktober 1942 befragt worden. Danach waren feindliche Trupps, wenn sie hinter den deutschen Linien oder in besetzten Ländern ergriffen wurden, ohne Pardon zu erschießen. Rundstedt behauptete, während seiner Zeit als Oberbefehlshaber West wäre niemand aus diesem Grund ums Leben gekommen. Es sind jedoch zahlreiche Beispiele aktenkundig, nach denen vor allem aufgegriffene britische Kommandoangehörige aufgrund dieses Befehls hingerichtet wurden.27 Bevor Rundstedt im Juli 1944 entlassen wurde, traten Offiziere aus Widerstandskreisen nochmals an ihn heran, um ihn zur Teilnahme am Sturz Hitlers zu bewegen. Es verwundert wenig, daß der Feldmarschall wiederum ablehnte. Dies wäre, so Rundstedt nach dem Krieg, nichts weniger als „gemeiner Verrat“ gewesen. Nach dem gescheiterten Anschlag Stauffenbergs vom 20. Juli ließ sich Rundstedt von Hitler sogar zum Vorsitzenden eines sogenannten ‘Ehrenhofes’ ernennen. Von diesem wurden Offiziere, die sich an dem Putsch beteiligt hatten, aus der Armee ausgestoßen und dann dem berüchtigten zivilen ‘Volksgerichtshof’ überantwortet. In 50 Fällen sprach man den Beschuldigten die Eigenschaft als Offizier ab. Sie wurden anschlie ßend, wenn sie nicht bereits Selbstmord verübt hatten, von Freislers Gericht zum Tode verurteilt.28 Hitler ernannte seinen gehorsamen Feldmarschall im September 1944 erneut zum Oberbefehlshaber West und entließ ihn dann endgültig im März 1945. Voll Dankbarkeit für Rundstedts Mitwirken gegen die Verschwörer des 20. Juli verlieh ihm Hitler zum Abschied die Schwerter zum Ritterkreuz.29 Rundstedt war zweifellos einer der wenigen hohen Offiziere des Heeres, denen Hitler rückhaltlos vertraute. Ganz gleich zu welchem Zweck ihn der

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Diktator auch benötigte, ohne Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand oder sein Alter, er stellte sich immer zur Verfügung. Rundstedt handelte dabei ganz im Sinne des ‘Führers’, weil er in ihm den besten Garant für die Stabilität des Heeres erblickte. Außerdem ging der Offizier weitgehend mit Hitlers Ideologie und seinen Zielen konform. Rundstedt war deshalb keineswegs ‘unpolitisch’, wie er es nach dem Krieg gerne glauben machen wollte. Seine zunächst konservativ-monarchistische Grundhaltung mündete rasch in eine beträchtliche Affinität zum Nationalsozialismus. Aus dieser Einstellung heraus verbot sich jeder auch nur passive Widerstand gegen Hitler von selbst. Moral, Ritterlichkeit und Völkerrecht mochte Rundstedt zwar hinter vorgehaltener Hand verteidigt haben, aber offen dafür einzutreten, war seine Sache nicht. Im Gegenteil, er setzte sich für die Ausführung auch kriegsvölkerrechtswidriger Befehle ein und ordnete sie auch selbst an. Rücksicht und Kameradschaft dem wehrlosen Zivilisten oder Feind gegenüber waren für ihn oft nur überflüssige „Gefühlsduselei“, wie er es im Mai 1944 als Oberbefehlshaber West einmal zum Ausdruck brachte.30 Wenn unter Preußentum auch Zivilcourage, Mut und Ritterlichkeit zu verstehen sind, so gab es in der deutschen Armee sicherlich einige Offiziere, die diesen Idealen gerecht wurden – Generalfeldmarschall von Rundstedt gehörte dazu nicht. Anmerkungen Blumentritt, Von Rundstedt, S.15ff.; Messenger, The Last Prussian, S.3ff. IMT, Bd.21, S.28ff., 44 ff.; Kempner, Kreuzverhör, S. 87. 3 Högner, Verratene Republik, S. 344 ff.; Messenger, The Last Prussisan, S.56; Ziemke, Gerd von Rundstedt, S. 478; Morsey, Preußenschlag, S. 4430 ff.; IMT, Bd. 21, S. 45; Erger, Kapp-Lüttwitz-Putsch, S.144 f. 4 IMT, Bd.21, S.47. 5 Zit. nach Fest, Das Gesicht, S.324; Müller, Das Heer und Hitler, S.64. 6 Ebenda, S.88ff., 125 und 131. 7 Müller, Das Heer und Hitler, S. 125 ff.; Kempner, Kreuzverhör, S. 80 ff.; Krausnick, Widerstand, S.38. 8 Ebenda; Ziemke, Rundstedt, S. 180. 9 Darstellung Rundstedts: IMT, Bd. 21, S. 30; ebenso dazu: Messenger, The Last Prussian, S. 61 und 70 f.; Ziemke, Gerd von Rundstedt, S. 480 f.; ders, Rundstedt, S. 181; Müller, Das Heer und Hitler, S. 263. 10 Ebenda, S.277f.; Messenger, The Last Prussian, S.76. 11 Ebenda, S. 79; Ziemke, Rundstedt, S. 182; Messerschmidt, Kriegsvorbereitung, S. 640 ff.; Kempner, Kreuzverhör, S. 82 f.; IMT, Bd. 21, S. 44 und Müller, Das Heer und Hitler, S.335. 12 Ebenda, S. 409 und 433 ff.; Messenger, The Last Prussian, S. 84; Ueberschär, Dilemma der Militäropposition, S.15; Janßen, Überfall auf Polen. S.12. 1 2

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Ebenda, S. 94; Jacobsen, 1939–1945, S. 606 f.; Müller, Das Heer und Hitler, S. 438; Zitat Rundstedt: BA-MA Freiburg, RH 19 I/5: KTB Heeresgruppe Süd v. 24. 9. 1939. 14 Müller, Das Heer und Hitler, S. 510 ff.; Ueberschär, Ansätze, S. 89; Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 163 und 538, Anm. 72; Streit, Keine Kameraden, S. 119; „Unternehmen Barbarossa“, S. 35; Förster, Hitlers Entscheidung, S.13. 15 Ebenda, S. 416 f. (Zitat Brauchitschs); „Unternehmen Barbarossa“, S. 302 f. (Zitat Hitlers). 16 Ebenda, S.313ff.; Streit, Keine Kameraden, S.100. 17 BA-MA Freiburg, RH 2/v.534: Lage West v. 14. 10. 1942; „Unternehmen Barbarossa“, S.305ff.; Förster, Hitlers Entscheidung, S.426 f.; Ziemke, Rundstedt, S.193. 18 Streit, Keine Kameraden, S. 101; IMT, Bd.21, S. 39. 19 Steit, Keine Kameraden, S. 110 ff.; „Unternehmen Barbarossa“, S. 371 ff.; Der Krieg gegen die Sowjetunion, S. 122. 20 Streit, Keine Kameraden, S. 114; Förster, Hitlers Entscheidung, S. 1046; Der Krieg gegen die Sowjetunion, S. 124; Vernichtungskrieg, S.15. 21 IMT, Bd.38, S.279 ff., Zitat von S.292–293. 22 IMT, Bd.21, S.33 f. (Hervorhebungen durch den Autor). 23 „Unternehmen Barbarossa“, S. 339 f.; Streit, Keine Kameraden, S. 115; Messenger, The Last Prussian, S.147 ff.; Förster, Hitlers Entscheidung, S.1049ff. 24 BA-MA Freiburg, MSg 1/1893, SHAEF, Letters by Field Marshal von Rundstedt; IMT, Bd.21, S.29 und 54 f. 25 Mitcham, Hitler’s Field Marshals, S. 288 f. und Vogel, Unwürdig, S.44. 26 BA-MA Freiburg, Pers 6/16: Pers. Akte Rundstedt, S.129ff. 27 BA-MA Freiburg, RW 4/v.707: WFSt, Notiz Warlimonts v. 6. 1. 1944 und Fschr. v. 9. 1. 1944; BA Koblenz, Allgem. Prozeßakten, 8/JAG 220, 349 und 21/215; IMT, Bd. 21, S. 34, 52 f. und ebd., Bd. 22, S. 92 f.; Das Dritte Reich, Bd. 2, S. 211 f.; Kempner, Kreuzverhör, S.90ff. 28 Messenger, The Last Prussian, S. 22 f. und 314; BA-MA Freiburg, N 252/15: Nachlaß Blumentritt; Ziemke, Rundstedt, S.201. 29 Ebenda, S.203; Blumentritt, Von Rundstedt, S.279. 30 BA-MA Freiburg, RH 19 IV/39: KTB Oberbefehlshaber West v. 29. 5. 1944. 13

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen Staatsarchiv Stuttgart: Verhandlungsprotokolle des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg (IMT); ferner BA-MA Freiburg (Akten der Heeresgruppen und Oberbefehlshaber West, Personalakte) Gedruckte Quellen und Literatur Blumentritt, Günther: Von Rundstedt. The Soldier and the Man. London 1952. Förster, Jürgen: versch. Beiträge in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bd.4. Stuttgart 1983.

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Messenger, Charles: The Last Prussian. A Biography of Field Marshal Gerd von Rundstedt 1875–1953. London 1991. Mitcham, Samuel W.: Hitler’s Field Marshals and Their Battles. Chelsea, Ma. 1990. Müller, Klaus-Jürgen: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933–1940. Stuttgart 1969. Streit, Christian: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945. Stuttgart 1978, 4. Aufl. Bonn 1997. Ueberschär, Gerd R.: Ansätze und Hindernisse der Militäropposition gegen Hitler in den ersten beiden Kriegsjahren (1939–1941). In: Vorträge zur Militärgeschichte. Hrsg v. MGFA. Bd.5, Freiburg 1984, S. 81–109. Ders.: Das Dilemma der deutschen Militäropposition. Berlin 1988. „Unternehmen Barbarossa“. Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941. Hrsg v. Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette, Paderborn 1984, Frankfurt a. M. 1991, 3.Aufl. 1997. Vogel, Winfried: „… schlechthin unwürdig“. In: Die Zeit, Nr.14 v. 28. 3. 1997, S.44. Ziemke, Earl F.: Gerd von Rundstedt. Des ‘Führers’ gehorsamer Diener. In: Die Militäreliten des Dritten Reiches. Hrsg. v. Ronald Smelzer/Enrico Syring, Frankfurt a.M. 1995, S. 476–496. Ders.: Rundstedt. In: Hitler’s Generals. Hrsg. v. Corelli Barnett. London 1989, S. 175– 202.

Gerhard Hümmelchen

Generalfeldmarschall Hugo Sperrle Als General Sperrle als Kommandeur der ‘Legion Condor’ Ende Oktober 1937 nach Deutschland zurückgerufen wurde, sagte der spanische Staatschef General Franco über ihn: „Ein sehr grober Mensch, aber ein tüchtiger General mit Herz und Verstand und ein verläßlicher Kamerad.“1 Dies kann rückschauend als treffende Charakterisierung von Sperrle gelten. Hugo Sperrle wurde am 8. Februar 18852 in der württembergischen Garnisonstadt Ludwigsburg als Sohn des Braumeisters Johannes Sperrle und seiner Ehefrau Luise Karoline geb. Nägele geboren. Nach Gymnasiumsbesuch in Ludwigsburg trat er am 5. Juli 1903 als Fahnenjunker in das 8. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 126 „Großherzog Friedrich von Baden“ in Straßburg ein und wurde noch im Oktober zum Leutnant befördert. 1913 erfolgte seine Kommandierung zur Kriegsakademie als Oberleutnant (seit 18. 10. 1912). Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete sich Sperrle sogleich zur Fliegertruppe. Als Hauptmann (28. 11. 1914) flog er zunächst als Beobachter bei der Feldfliegerabteilung 4, dann als Staffelführer bei den Feldfliegerabteilungen 42 und 60; er war Kommandeur der Fliegerbeobachtungsschule Köln und zuletzt Kommandeur der Flieger bei der 7. Armee. In dieser Funktion verlieh ihm der Kaiser den Hohenzollernschen Hausorden mit Schwertern. Während der Nachkriegswirren führte Sperrle eine Fliegerstaffel beim Freikorps Lüttwitz und meldete sich dann zur Reichswehr, in der er beim Stab der 5. Division in Stuttgart Dienst tat. Noch als Hauptmann wechselte er ins Reichswehrministerium über, wo er seit 1926 als Major in der Abt. T 2 im Truppenamt tätig war. Diese Abteilung beschäftigte sich insgeheim mit der Fliegerei. 1929 wurde er zur Truppe zurückversetzt, als Kommandeur des III. Bataillons des Infanterie-Regiments 14 in Konstanz. Nach der Beförderung zum Oberst am 1. 8. 1933 übernahm Sperrle zum 1. 10. 1933 das Inf. Rgt. 8 in Frankfurt/Oder als Kommandeur. Am 1. 4. 1934 trat Oberst Sperrle als „Flieger-Kommodore“ zur neu aufgebauten Luftwaffe über und erhielt das Kommando über die 1. Fliegerdivision. Gleichzeitig war er auch Kommandeur der Heeresflieger. Als nächstes Kommando folgte 1935 die Dienststellung ‘Höherer Flieger-Kommandeur 2’ im Luftkreis Berlin. Mit der Beförderung zum Generalmajor (1. 10. 1935) wurde Sperrle Befehlshaber im Luftkreis V (München). Am 1. 11. 1936 ging er als Kommandeur der berüchtigten ‘Legion Condor’ nach Spanien. Sein

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Einsatz dort gegen die junge spanische Republik brachte ihm das zweifelhafte Lob Francos ein. Sperrles Beförderungen zum Generalleutnant und General der Flieger folgten 1937 rasch aufeinander und waren Ausdruck der besonderen Aufmerksamkeit der NS-Führung für die ‘Legion Condor’. Nach der Rückkehr aus Spanien wurde er am 4. 2. 1938 Kommandierender General und Befehlshaber des Luftwaffengruppenkommandos 3 (München), das im Februar 1939 in Luftflotte 3 umbenannt wurde. Mit dieser übernahm er nach Kriegsbeginn im September 1939 zusammen mit der Luftflotte 2 unter General Felmy die Sicherung der Westfront. Im Westfeldzug ab 10. Mai 1940 war die Luftflotte 3 der Heeresgruppe A unter Generaloberst v. Rundstedt zugeteilt, die durch Luxemburg und Belgien vorstoßen sollte. Kurz zuvor hatte Sperrle darauf hingewiesen, daß seine Verbände wegen aufgeweichter Flugplätze nicht starten könnten. Hitler hatte den Angriff im Westen wegen ungünstiger Wetterlage immer wieder verschieben müssen, zugleich aber jegliche Vorbereitungen für einen Beginn der späteren Offensive strengstens untersagt.3 Trotz Sperrles pessimistischer Voraussage gelang es den Luftflotten 2 und 3 dennoch in wenigen Tagen, die uneingeschränkte Luftherrschaft zu gewinnen und den Vormarsch des Heeres wirksam zu unterstützen. Dabei versetzten vor allem die Sturzkampfbomber des VIII. Fliegerkorps den Gegner wie schon zuvor in Polen in Panik. Schon am 18. Mai 1940 erhielt Sperrle für seine Operationsführung das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Bei der großen Beförderungswelle am 19. Juli 1940 ernannte Hitler Sperrle unter Übergehung des Ranges eines Generalobersten zum Generalfeldmarschall. Nach dem Sieg im Westen bestimmte Hitlers Weisung vom 1. 8. 1940 die Niederringung der britischen Luftwaffe durch eigene Luftangriffe. Hierfür wurden die Luftflotten 2, 3 und 5 eingesetzt. Nach Görings Vorstellungen sollte es gelingen, die Luftherrschaft über England in zwei, höchstens drei Tagen zu erringen. Als Angriffstag war unter dem Stichwort „Adlertag“ der 13. August 1940 bestimmt. Da die britischen Jäger sich anfangs fühlbar zurückhielten und von ihrer Führung für die Abwehr der erwarteten deutschen Landung in England aufgespart werden sollten, schien zunächst Aussicht auf Erfolg. Sehr bald aber entwickelte sich aus der „Luftschlacht um England“ bei ständig steigenden deutschen Verlusten ein immer aussichtsloseres Ringen. Ein Niederkämpfen Englands aus der Luft erwies sich als unmöglich. Dazu reichten Stärke und Ausstattung der deutschen Verbände nicht aus. Durch die Fakten jäh aus seinem Wunschdenken gerissen, rief Göring seine drei Luftflottenchefs nach Karinhall, um sie abzukanzeln. Sperrle warf er vor, er schicke zu viele Bomber auf schwierige Einsätze, die

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nur für ausgesuchte Besatzungen geeignet wären. Vor welchen Schwierigkeiten die Besatzungen standen, zeigte beispielsweise der erste Angriff auf Liverpool Anfang September. Mit der gesamten Kampfkraft von fast 400 Flugzeugen warf die Luftflotte 3 ihre Bomben auf eine große Scheinanlage südlich der Stadt und meldete wegen der starken Brände großen Erfolg. In Wirklichkeit hatte sie das Ziel überhaupt nicht erreicht.4 Die Vernichtung der Royal Air Force scheiterte dann auch. Im Mai 1941 wurden die meisten Luftwaffenverbände aus dem Westen zum Angriff auf die Sowjetunion nach Osten verlegt. Im Westen blieb nur Sperrles Luftflotte 3 mit einer Stärke von etwa 20% der gesamten deutschen Luftwaffe. Mit dieser reduzierten Streitmacht mußte Sperrle den Luftkrieg gegen England weiterführen, der schon mit wesentlich stärkeren Kräften 1940/41 gescheitert war. Der Luftflottenchef stand damit vor einer wahrhaft unlösbaren Aufgabe und einem Gegner gegenüber, der ständig stärker wurde. Der mächtige, seinem Oberbefehlshaber in der Statur gleichende, ihn aber um Haupteslänge überragende Sperrle mit dem unentbehrlichen Monokel im rechten Auge, war dem ‘Führer’ unsympathisch. „Wegen ständiger Warnungen vor weiteren militärischen Abenteuern“ schätzte er ihn wenig.5 Angesichts der bekannten Vorliebe des Feldmarschalls für gutes Essen äußerste sich Hitler am 9. 3. 1943 sehr abfällig über ihn und meinte, daß Sperrle „der Luftkrieg gegen England vermutlich nicht viel mehr als ein auserlesenes Mittagessen interessiere“.6 Konsequenzen hatte dies aber für Sperrle nicht. Dabei war er wie einige andere Luftflottenchefs gewiß kein Nazi.7 Sperrle wurde von seinen Soldaten gefürchtet. Er beklagte sich vor der Besichtigung von Anlagen des Atlantikwalls im Mai 1944 bei seinem Ordonnanzoffizier Graf Holtzendorff darüber: „Überall, wo ich hinkomme, eisiges Schweigen, sie starren mich an, wie die Kinder einen Bösewicht. Was haben denn die Leute bloß gegen mich! Und dann, überall wo ich hinkomme, werde ich beschissen! Und nun morgen wieder so ein Theater, das mit dem Atlantikwall ist doch nichts weiter als lauter Blödsinn. Keinen Pfifferling ist das alles wert! Das wissen die da drüben doch ganz genau.“8 Als „Glauben an den Endsieg“ konnte man dies wahrlich nicht bezeichnen. Wenn auch Bemerkungen über Hitler nicht vorliegen, so äußerte sich Sperrle über dessen Umgebung doch schwäbisch grob: „Hitler (…) ist dort oben von lauter Scheißkerlen umgeben.“9 Obwohl Sperrle ein „unerbittlicher Weiberfeind“10 war und die Ansicht vertrat, Frauen hätten bei militärischen Kommandos nichts zu suchen, hatte er schließlich 16 000 Luftwaffenhelferinnen unter seinem Kommando. Da es keine Alternative gab, mußte Sperrle diesen Umstand akzeptieren, denn genügend Männer für diese Aufgaben waren nicht verfügbar.

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Die Sperrle unterstellten Fliegerverbände wurden 1942 bis 1944 in verlustreichen, sinnlosen und wenig wirksamen ‘Vergeltungsangriffen’ gegen England verbraucht. Der Verlust an Flugzeugen konnte zwar einigermaßen ersetzt werden, nicht aber die Zahl der gefallenen oder in Gefangenschaft geratenen Besatzungen, vor allem Flugzeugführer. Ob es von Sperrle dazu kritische Äußerungen gegenüber Göring gab, ist nicht bekannt. Zu Beginn der alliierten Invasion in Westfrankreich am 6. 6. 1944 standen unter Sperrles Kommando das II. Jagdkorps, die Fliegerkorps II, IX und X sowie die 2. Fliegerdivision. Das schien immerhin eine beachtliche Streitmacht zu sein. Aber von den 17 unterstellten Kampfgruppen (Bomber) waren einige nur noch Rahmenverbände, die der Auffrischung bedurften. Nur 319 deutsche Flugzeuge insgesamt flogen am Invasionstag gegen die 14 674 Einsätze der Alliierten. 11 Insgesamt besaß Sperrle am 6. 6. 1944 731 Flugzeuge, davon 398 einsatzbereit. 12 Seine Luftflotte 3 war zu dieser Zeit ein aus 323 139 Offizieren, Beamten, Unteroffizieren und Mannschaften bestehender aufgeblähter Apparat, zu dem noch 16 109 Luftwaffenhelferinnen, 45 331 ausländische und deutsche Zivilarbeiter und 24 019 Männer des Reichsarbeitsdienstes gehörten.13 In dieser Phase des Krieges gab es für den Luftflottenchef Sperrle nichts mehr zu führen. Die im Westen eingesetzten deutschen Fliegerverbände verbluteten sich in aussichtslosem Kampf gegen die überwältigende alliierte Übermacht. Die Luftflotte 3 konnte weder die Invasion stören noch die eigene Truppe gegen Luftangriffe schützen. Nach dem Desaster im Westen ließ Göring alle Generale und Generalstabsoffiziere der westlichen Luftgaue monatelang unter Arrest stellen.14 Er machte sie pauschal für den Zusammenbruch im Westen verantwortlich. Allgemein fiel auf, daß Sperrle sich nicht unter den unter Arrest Gestellten befand. Es muß erwähnt werden, daß Sperrle seine Generale dadurch zu decken suchte, daß er sich mit ihren Maßnahmen einverstanden erklärte und diese auf von ihm gegebene Befehle zurückführte. Hitler begnügte sich schließlich damit, Sperrle am 23. 8. 1944 seines Kommandos zu entheben. Göring hatte nach Ansicht von General Rieckhoff auf eine Verhaftung Sperrles verzichtet, weil er mit Recht annehmen konnte, daß der Feldmarschall wahrscheinlich sehr peinliche und für ihn belastende Aussagen gemacht hätte.15 Nach der Kommandoenthebung trat Sperrle am 24. 8. 1944 zur Führerreserve des Oberkommandos der Luftwaffe und ab 5. 10. 1944 zur Verfügung Görings16. Eine weitere Verwendung fand er nicht mehr. Sein Nachfolger als Chef der Luftflotte 3, Generaloberst Otto Dessloch, übernahm vertretungsweise, unter Beibehaltung seines Kommandos über die Luftflotte 4, eine ‘Luftflotte’, die eigentlich keine mehr war. Sie wurde denn auch am 27. Sep-

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tember 1944 aufgelöst. Noch im Februar 1945 erhielt Sperrle zum 60. Geburtstag ein Bild als Dotation Hitlers im Wert von knapp 100 000,– Reichsmark. Im Mai 1945 geriet Sperrle in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Gegenüber Mitgefangenen erklärte er, alles, was gewesen sei, ginge ihn jetzt nichts mehr an, er lebe nur noch dem Glauben. In Nürnberg mußte er sich 1946 als Angeklagter im OKW-Prozeß vor dem Internationalen Militärtribunal verantworten. Er konnte sich rechtfertigen. Nachdem ein britischer Luftwaffengeneral als Zeuge aussagte, er habe gegen England fair gekämpft, wurde er am 22. 10. 1946 freigesprochen. Im Juni 1949 mußte sich Sperrle vor der Entnazifizierungsspruchkammer in München verantworten. Die Kammer sprach ihn frei und stufte ihn als „nicht belastet“ ein. Hugo Sperrle starb am 2. April 1953 im Alter von 68 Jahren. Auf dem Dorffriedhof von Thaining/Bayern wurde er beigesetzt.

Anmerkungen Moll, Die deutschen Generalfeldmarschälle 1939–1945, S. 140. Lt. Auskunft des Evangelischen Kirchenbuchamtes Ludwigsburg am 8. 1. 1996. BA-MA Freiburg, Pers. 6/17 nennt in einem Dokument vom 9. Juli 1940 den 7. 2. 1885 als Geburtsdatum. 3 Moll, Die deutschen Generalfeldmarschälle, S. 241. Generaloberst Halder, Kriegstagebuch Bd. I, S. 160 f. 4 Rieckhoff, Trumpf oder Bluff?, S. 225. 5 Zentner/Bedürftig, Das große Lexikon des Zweiten Weltkrieges, S. 531. 6 Die Tagebücher des Joseph Goebbels, Bd. 7, S. 505. 7 Rieckhoff, Trumpf oder Bluff?, S. 84. 8 Holtzendorff, Landsknecht und Hofnarr, S. 289. 9 Ebenda, S. 289. 10 Ebenda, S. 290. 11 Invasionsbeginn 1944 im Westen. Studie der 8. Abt./Chef Genst. der Luftwaffe. 12. 8. 1944 vorgelegt (Abschrift im Besitz des Verfassers). 12 Luftlagekarte des OKL/Füst. op 1 a vom 6. 6. 1944 (Auszug im Besitz des Verfassers). 13 Kriegstagebuch der Luftflotte 3, Eintrag 7. 9. 1944 (Abschrift im Besitz des Verfassers). 14 Rieckhoff, Trumpf oder Bluff?, S. 284. 15 Ebenda. 16 Absolon, Rangliste der Generale der deutschen Luftwaffe, S. 16. 1 2

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, Pers. 6/17: Personalakte Sperrle (dort jedoch nur ein einziges Blatt „Gegenüberstellung der Dienstlaufbahnen der Generale der Flieger Kesselring und Sperrle“); Registratur S des Amtsgerichts München: Akten aus dem Entnazifizierungsverfahren vor der Spruchkammer München von 1949. Gedruckte Quellen und Literatur Eine Biographie Sperrle fehlt. Holtzendorff, Hans Graf von: Landsknecht und Hofnarr. Göttingen 1971. Moll, Otto E.: Die deutschen Generalfeldmarschälle 1939–1945. 2. Aufl. Rastatt 1961, S. 239–245. Rieckhoff, Herbert J.: Trumpf oder Bluff? 12 Jahre deutsche Luftwaffe. Genf 1945. Völker, Karl-Heinz: Die deutsche Luftwaffe 1933–1939. Aufbau, Führung und Rüstung der Luftwaffe sowie die Entwicklung der deutschen Luftkriegstheorie. Stuttgart 1967. Zentner, Christian/Friedemann Bedürftig: Das große Lexikon des Zweiten Weltkrieges. München 1988.

Friedrich-Christian Stahl

General der Infanterie Karl-Heinrich von Stülpnagel Unter den fünf Generalen mit dem Namen von Stülpnagel, die der Reichswehr bzw. der Wehrmacht angehört haben und – selbst in der wissenschaftlichen Literatur – nicht selten miteinander verwechselt werden,1 nimmt Karl-Heinrich von Stülpnagel wegen seiner Mitwirkung im Widerstand seit 1938 eine besondere Stellung ein. Zugleich war er auf Grund seiner vielseitigen Verwendungen in Geschehnisse verstrickt, die er angesichts der bestehenden Machtverhältnisse nicht zu ändern in der Lage war. Er wurde am 2. Januar 1886 in Berlin geboren. Sein Vater schied als Generalleutnant und Kommandant von Frankfurt a. M. 1907 aus dem Militärdienst aus. Seine Mutter war eine Tochter des bayerischen Generals Freiherr von der Tann-Rathsamhausen.2 Am humanistischen Lessing-Gymnasium in Frankfurt bestand Stülpnagel Ostern 1904 als Primus seiner Klasse das Abitur.3 Trotz seiner vielseitigen Interessen im Bereich der Naturwissenschaften und der Geschichte wählte er den Soldatenberuf und verbrachte die Friedenszeit beim Leibgarde-Infanterieregiment in Darmstadt und auf der Kriegsakademie in Berlin. Den Ersten Weltkrieg erlebte er als Kompaniechef, Regimentsadjutant und Generalstabsoffizier. Im März 1920 geriet Stülpnagel als Hauptmann in den Konflikt zwischen Einsicht und Gehorsam, als er – so seine Bewertung – in das „blödsinnige Unternehmen“ des Kapp-Putsches „gegen (…) bessere Einsicht“ verwickelt wurde.4 In das 10 0 000-Mann-Heer der Reichswehr übernommen, wurde er in Berlin, Hannover, Deutsch-Eylau, Münster, Neuruppin und Dresden im Truppen- und Generalstabsdienst eingesetzt. In Dresden wirkte er als Lehrgangsleiter an der Infanterieschule und betätigte sich zugleich unter der Leitung von General Ludwig Beck als für die Infanterie zuständiger Autor an der richtungweisenden Dienstvorschrift ‘Truppenführung’. Am 1. Dezember 1932 wurde Stülpnagel zum Chef der Abteilung T 3 im Truppenamt ernannt, die für das Studium der fremden Heere und die Beurteilung ihrer operativen Absichten sowie für den neu entstehenden Attachédienst zuständig war. Intensiv befaßte sie sich nach der durch Hitler beendeten Phase der Zusammenarbeit zwischen Roter Armee und Reichswehr5 mit den politischen, militärischen und propagandistischen Verhältnissen in der Sowjetarmee.6 Die dabei gewonnene Sicht hat zweifellos das Bild Stülpnagels und

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anderer hoher Militärs über die Sowjetunion und ihr politisches System bis in den Zweiten Weltkrieg hinein geprägt. Im Herbst 1936 wurde Stülpnagel Kommandeur der in Aufstellung begriffenen 30. Division in Lübeck. Mit leichter Hand verstand er es, seine Untergebenen zu freudiger Mitarbeit anzuregen, indem er bei Übungsreisen, Truppenmanövern und Planspielen bei seinem Offizierkorps Überzeugungsarbeit leistete.7 Aus den Erfahrungen im eigenen Bereich äußerte er gegenüber General Beck seine Sorgen über das schnelle Tempo des Heeresaufbaus.8 Skeptisch betrachtete er Ende des Jahres 1936 auch die auswärtige Politik. Die vielen großen Erfolge wurden „wieder eingeschränkt durch das Maß von Mißtrauen, Angst und Hast, das wir erwirken“. Er sei froh, nicht mehr „dauernd als unnötiger Warner und Schwarzseher Ärgernisse zu erregen“. Interessant sei, „daß auch bei führenden Leuten der Partei, wenn man vorsichtig verfährt, die Erkenntnis beginnt, daß nicht alles zum Besten besteht“.9 Ab 4. Februar 1938 unterstanden Stülpnagel als Oberquartiermeister II die Ausbildungsabteilungen des Generalstabes. Hier erhielt er Einblick in die durch die Selbsternennung Hitlers zum Oberbefehlshaber der Wehrmacht eingetretenen grundlegenden Veränderungen im Verhältnis von Politik und militärischer Führung. Nach Becks Ausscheiden im Spätsommer 1938 rückte Stülpnagel in die Position eines Oberquartiermeisters I auf und wurde damit zugleich Stellvertreter des neuen Generalstabschefs Franz Halder. Bereits zu dieser Zeit war Stülpnagel im Rahmen des geplanten Staatsstreichs gegen Hitler mit der Ausarbeitung von Einzelplänen beschäftigt.10 Nach dem Münchener Abkommen, das den geplanten Staatsstreich gegen Hitler gegenstandslos machte, war Stülpnagel – für die Bereiche Operationsführung, Transportwesen, Versorgung, Landesverteidigung und Kartenwesen zuständig – in alle operativen Planungen eingeweiht und gelangte nach seinen persönlichen Beobachtungen an den Orten des politischen Geschehens – in Bad Godesberg (Oktober 1938) und Prag (März 1939) – zur Überzeugung, daß Hitler ein Hasardeur sei,11 der Deutschland ins Unglück treibe und daher nur durch eine Widerstandsaktion des obersten Führungskorps gebremst werden könne. Während des Polenfeldzuges kam Stülpnagel in einer am 24. September beendeten Studie zu dem Ergebnis, „daß das Heer im Westen vorläufig nicht zum Angriff gegen die französische Festungsfront befähigt sei“.12 Bestrebt, Deutschland vor einer Ausweitung des Krieges zu bewahren, war Stülpnagel sowohl an den operativen Überlegungen im Anschluß an die von Hitler erlassenen Weisungen als auch im Herbst 1939 an den Plänen zur Entmachtung Hitlers maßgeblich beteiligt.13 Die militärische Widerstands -

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aktion unterblieb jedoch, und der Angriffstermin im Westen wurde in kurzen Abständen immer wieder bis zum Frühjahr 1940 verschoben. Am 30. Mai übernahm Stülpnagel die Führung des II. Armeekorps, das am rechten Flügel der Westfront eingesetzt war und in der „Schlacht um Frankreich“ bis zur Bahnlinie Rouen–Dieppe vorrückte.14 Bereits drei Wochen später wurde er zum Vorsitzenden der deutschen Waffenstillstandskommission in Wiesbaden ernannt und dem OKW unmittelbar unterstellt. Neben den im besetzten und unbesetzten Frankreich – in Absprache mit der italienischen Waffenstillstandskommission15 – zu lösenden schwierigen Problemen war auch das Verhalten gegenüber den in Nordafrika stationierten französischen Streitkräften zu klären. Mit seinem den Gegner von einst achtenden Verhandlungsstil bewies Stülpnagel viel diplomatisches Geschick.16 Sein Verständnis für die französische Verhandlungsseite, etwa im Hinblick auf die auch ihm viel zu hoch erscheinenden Besatzungskosten, brachte ihm allerdings den Unwillen des Chefs des OKW ein, der ihm telegraphierte, er habe „nicht den französischen Interessen Vorschub zu leisten“.17 Am 22. Februar 1941 übernahm Stülpnagel den Oberbefehl über die im Südabschnitt der Ostfront zur „Sicherung der deutsch-russischen Interessengrenze“ eingesetzte 17. Armee. Im März 1941 machte Hitler die hohe Generalität mit seiner Forderung bekannt, den von ihm seit dem Hochsommer 1940 in Aussicht genommenen Krieg gegen die Sowjetunion als „Kampf zweier Weltanschauungen“ zu führen.18 Einsatz- und Sonderkommandos des SD hatten die ihnen von Himmler bzw. Heydrich gestellten Aufgaben „in eigener Verantwortung“ durchzuführen.19 Die Einschränkung der Gerichtsbarkeit und die OKW-Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare der Roten Armee verlangten von den Frontbefehlshabern Entscheidungen, die mit den ihnen anerzogenen Ehrbegriffen schwer zu vereinbaren waren. Auch Stülpnagel konnte diesen Verstrickungen nicht entgehen. Nur mit Mühe erreichte das Armeeoberkommando 17 die Einstellung der Mitte Februar angelaufenen „Ein- und Umsiedlungsaktion (…) der Juden und Polen aus dem Reich und den rückgegliederten Ostgebieten“, die zeitgleich mit dem Quartierraum beanspruchenden Aufmarsch der Armee erfolgte. 20 Über den „Führerbefehl betreffend ‘Kommissare’“ wurden die der 17. Armee unterstehenden kommandierenden Generale am 18. Juni 1941 im Armeehauptquartier mit der Weisung, ihn „nur mündlich“ weiterzugeben, in Gegenwart Stülpnagels unterrichtet.21 Stülpnagel wird vorgeworfen, daß die Zusammenarbeit seines Armeeoberkommandos mit dem SD „sehr eng“ war und daß er „die Hitlersche Gleichsetzung von Judentum und Kommunismus vollkommen akzeptiert hatte“.22 Zu bedenken ist aber, daß die Stabsarbeit der dem Armeeober-

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kommando angehörenden etwa 135 Offiziere und Beamten von Oberst i. G. Vincenz Müller geleitet wurde, der „im Winter 1939/40 (…) unbedingt der Militäropposition im Westen zuzurechnen war“.23 Die 17. Armee war an den Schlachten bei Lemberg, Uman und Kiew maßgeblich beteiligt und sollte danach über Charkow in das Donez-Industriegebiet vorstoßen.24 Während der Operationen bis Anfang Oktober 1941 unterstanden ihr neun Armeekorps und 30 Divisionen, darunter slowakische, ungarische, kroatische und italienische Verbände. Für ihre Führung, ihren Einsatz, ihre Versorgung und ihre Sicherheit im Front- und rückwärtigen Armeegebiet trug Stülpnagel die Verantwortung. Diese Sicherheit war nur zu erreichen, wenn es ihm gelang, von der Masse der in seinem Befehlsbereich lebenden ukrainischen Bevölkerung, die der in ihr Gebiet einrückenden Wehrmacht zunächst nicht feindlich gegenüberstand, als Recht wahrende Autorität respektiert zu werden. Dazu gehörte auch, daß im Falle von unaufgeklärten Sabotagefällen nicht wahllos Angehörige des ukrainischen Volkes den zu ergreifenden kollektiven Maßnahmen unterliegen, sondern daß – laut Stülpnagels Weisung – „bei Notwendigkeit raschen Zugriffs notfalls die Angehörigen der russischen Staatsjugend (Komsomolzen)“ herangezogen werden sollten, wobei allerdings „besonders die jüdischen Komsomolzen als Träger der Sabotage und Bandenbildung Jugendlicher anzusehen“ seien.25 In einem Bericht an die Heeresgruppe Süd, den diese an das OKW weiterleitete, hat sich Stülpnagel am 12. August 1941 auf Grund von Gefangenenaussagen nach der Schlacht bei Uman und seiner jüngsten Erfahrungen bei Truppenbesuchen ausführlich über die mangelhafte deutsche Kriegszielpropaganda geäußert und Vorschläge für die Behandlung der Bevölkerung im besetzten Gebiet gemacht.26 Stülpnagel verlange, „das russische Volk“ müsse, „um von sich aus zur Beendigung des Krieges beizutragen, wissen, was Deutschland mit Rußland zu machen beabsichtige“, und schlug als bestes Mittel zur Verhinderung des Partisanenkrieges „die Heranziehung zur Mitarbeit, vernünftige Behandlung und auch Versorgung der Bevölkerung im besetzten Gebiet“ vor. Über die Lage des Judentums berichtete er, daß „vielfach eine gereizte Stimmung gegen die Juden“ herrsche, denen die häufige Betätigung „als Agenten und Zutreiber der G. P. U.“ vorgeworfen werde. Andererseits hätten „drakonische Maßnahmen gegen Juden bei einzelnen Bevölkerungskreisen Mitleid und Sympathie für sie erzeugt“. Hatte Stülpnagel mehrfach darauf hingewiesen, daß die Sicherheit der Truppe auf Dauer nur dann zu erreichen wäre, wenn die Bedürfnisse der Bevölkerung hinsichtlich ihrer politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebenserwartung befriedigt würden,27 so hielt er es darüber hinaus für erforderlich, daß die Ukrainer und Juden in einem Verhältnis miteinander lebten, das die gereizte Stimmung der Ukrainer gegenüber den Juden beseitigte. Das war

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nach Stülpnagels Ansicht nur möglich, wenn die Juden ihre führende Stellung im Handel verlören und daran gehindert würden, „sich als Zentren einer Widerstandsbewegung betätigen“ zu können.28 Wie man auch Stülpnagels Einstellung gegenüber dem Judentum in der Sowjetunion und speziell in der Ukraine sowie seine Forderung, „nachdrückliche Aufklärung über das Judentum unter der Bevölkerung“ zu leisten, rückschauend beurteilen mag, so muß man ihm doch zugestehen, daß seine die Lebensverhältnisse der Juden zwar einschränkenden, aber nicht ihr Leben bedrohenden Forderungen seiner damaligen Lagebeurteilung entsprachen und nicht mit dem aus rassistischen und ideologischen Gründen an Himmler erteilten Befehl Hitlers in Verbindung gebracht werden dürfen, die besetzten Ostgebiete „judenfrei“ zu machen.29 Dem ständigen Druck der vorgesetzten, dem „Führerwillen“ folgenden Kommandobehörden ausgesetzt, war Stülpnagel Anfang Oktober 1941 nicht bereit, seine Armee in ein ungewisses Abenteuer zu führen und weiter „Mitwisser verbrecherischer Maßnahmen“ in den rückwärtigen Gebieten zu sein 30. Er bat – eine Magenkrankheit als Grund angebend – um Enthebung von seinem Kommando. Nach seiner Genesung wurde er Mitte Februar 1942 zum Militärbefehlshaber in Frankreich ernannt. Das militärische Sagen im besetzten Frankreich hatte jedoch der Oberbefehlshaber West, seit März Generalfeldmarschall von Rundstedt, der sich im Küstenbereich auf die Abwehr einer Invasion vorbereitete und im Hinterland die Ausbildung von Verbänden überwachte. Die am 9. März 1942 neu aufgestellte Dienststelle des „Höheren SS- und Polizeiführers im Bereich des Militärbefehlshabers in Frankreich“ erhielt für die politische Tätigkeit ihre Weisungen vom Reichsführer-SS Heinrich Himmler. SS-Brigadeführer Oberg unterstand zwar Stülpnagel persönlich, empfing von ihm jedoch lediglich Weisungen „für die militärische Sicherung des Landes und für alle militärischen Operationen“. Damit wurden Stülpnagel die Möglichkeiten entzogen, in die polizeilichen Maßnahmen, zu denen „auch Sühnemaßnahmen gegen Verbrecher, Juden und Kommunisten anläßlich ungeklärter Anschläge gegen das Deutsche Reich oder deutsche Reichsangehörige“ gehörten,31 einzugreifen. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in das unbesetzte Südfrankreich war Oberg in polizeilichen und Volkstumsfragen Alleinherrscher in Frankreich und vereinbarte mit dem Generalsekretär der französischen Polizei, die gegen die Sicherheit gerichteten Angriffe „mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln vorbeugend zu bekämpfen und abzuwehren“.32 Stülpnagel hatte es verstanden, seinen Stab weitgehend mit Offizieren und Beamten zu besetzen, die seinen politischen Vorstellungen entsprachen. Allgemein wird die freimütige Atmosphäre in seinen außerdienstlichen Gesprächsrunden hervorgehoben. Die bis zum Eintreffen Obergs von

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Stülpnagel zu verantwortenden Sühnemaßnahmen, die nach den Attentaten in ihrem Umfang häufig von Hitler angeordnet wurden, plagten ihn noch nachträglich, so daß er die Gruppe Justiz (Bargatzky) beauftragte, „für die Zeit nach dem Krieg festzuhalten, welchen Kampf die Militärverwaltung gegen Hitlers Schießbefehle geführt hat“. Ein Exemplar dieser Dokumentation übergab er James Graf v. Moltke.33 In die Absichten der Berliner Widerstandsgruppe frühzeitig eingeweiht – Cäsar von Hofacker fungierte als Mittelsmann zu Stauffenberg – und von Mitarbeitern wie Freiherr von Teuchert und Bargatzky hervorragend unterstützt, hatten Stülpnagel und Hofacker alle Vorbereitungen so weit abgeschlossen, daß der General am Abend des 20. Juli auf ein Stichwort aus Berlin den Befehl geben konnte, unverzüglich die etwa 1000 Köpfe zählenden Angehörigen der in Paris stationierten SS-Dienststellen zu verhaften. Doch vermochte Stülpnagel nicht, den Oberbefehlshaber West, Feldmarschall von Kluge, zum Handeln zu bewegen, da sich herausstellte, daß Hitler das Attentat überlebt hatte. Kluge enthob Stülpnagel vielmehr seiner Stellung und befahl die sofortige Freilassung der SS-Angehörigen. Am 21. Juli zur Berichterstattung nach Berlin befohlen, versuchte Stülpnagel, sich in der Nähe von Verdun das Leben zu nehmen. An der Schußwunde erblindet, wurde er nach Ausstoßung aus der Wehrmacht durch den von Hitler eingesetzten „Ehrenhof“ am 30. August vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, nachdem er die Nennung von Mitbeteiligten abgelehnt hatte. Noch am gleichen Tag wurde er in Berlin-Plötzensee hingerichtet. 34

Anmerkungen 1 So z. B. in den Tagebüchern von Joseph Goebbels, Teil I, Bd. 2, S. 40. und Interims-Register, S. 283. 2 Soldatisches Führertum, Bd. 8, S. 166–173 u. 357 ff. 3 Bücheler, Frankfurt war die geistige Heimat des Hitlergegners, FAZ. 4 Brief vom 23. 3. 1920, in: Bücheler, Stülpnagel, S. 95. 5 Vgl. dazu die biographische Skizze zu Adam, S. 1–8. 6 BA-MA Freiburg: RH 1/v. 78 und RH 2/1442. 7 Archiv der Hansestadt Lübeck, Nachlaß Fink, Nr. 47. 8 Vgl. Bücheler, Stülpnagel, S. 134–137. 9 BA-MA Freiburg: N 28/2, Bl. 103 f., Brief an Beck vom 30. 12. 1936. 10 Hoffmann, Widerstand – Staatsstreich – Attentat, S. 106. 11 Heusinger, Befehl im Widerstreit, S. 56. 12 Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht 1940–1941. Teilband II, S.950. 13 Die Fakten sind in den Tagebüchern von Helmuth Groscurth, Franz Halder und Wilhelm Ritter von Leeb belegt; vgl. auch Müller, Witzleben – Stülpnagel – Speidel, S. 171–174.

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14 Siehe BA-MA Freiburg: RH 24-2/45 Kriegstagebuch des II. Armeekorps, Abt. I a; vgl. auch Teske, Die silbernen Spiegel, S. 79 ff. 15 Von Senger und Etterlin, Krieg in Europa, S. 56 f. 16 Siehe dazu Neugebauer, Die deutsche Militärkontrolle. 17 Westphal, Heer in Fesseln, S. 141. 18 Ueberschär, Generaloberst Franz Halder, S. 62. 19 Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen, S. 97. 20 BA-MA Freiburg: RH 20–17/2: Tätigkeitsbericht das AOK 17, Führungsabteilung. 21 Ebenda, RH 20–17/23: Aktennotiz über Besprechung mit Kommandierenden Generalen vom 18. 6. 41. 22 Streit, Keine Kameraden, S. 117 und 119. 23 Meyer, Drei deutsche Generale, S. 54. 24 Vgl. Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 4, S. 451–652. 25 BA-MA Freiburg: RH 20–17/276: AOK 17, Gr. I c/AO Nr. 2784/41 geh. v. 30. 7. 41; vgl. Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen, S. 191, und Streit, Keine Kameraden, S.118 f. 26 BA-MA Freiburg: RH 20–17/280. 27 Vgl. ebenda, RH 20–17/276: O. B. der 17. Armee betr. Behandlung der Bevölkerung und Aufrechterhaltung der Disziplin v. 24. 8. 1941. 28 Vgl. Förster, Die Sicherung, S. 1040. 29 Reichsführer: … Briefe an und von Himmler, S. 134. 30 Meyer, Drei deutsche Generale, S. 54. 31 BA-MA Freiburg: RW 35/617: Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht v. 9. 3. 1942. 32 Ebenda, RW 34/v. 28: Der Höhere SS- und Polizeiführer im Bereich des Militärbefehlshabers in Frankreich, II pol 1–106/1 o. D. 33 Bargatzky, Hotel Majestic, S. 82 f. 34 Näheres in: Von zur Mühlen/Bauer (Hrsg.), Der 20. Juli 1944 in Paris.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen Stülpnagels schriftlicher Nachlaß wurde im Herbst 1944 von der Gestapo beschlagnahmt; BA-MA Freiburg: RH 2, Generalstab des Heeres; RH 24-2, II. Armeekorps; RW 34, Deutsche Waffenstillstandskommission; RH 20–17, Armeeoberkommando 17; RW 35, Militärbefehlshaber in Frankreich. Gedruckte Quellen und Literatur Bargatzky, Walter: Hotel Majestic. Ein Deutscher im besetzten Frankreich, Freiburg i. Br. 1987. Bücheler, Heinrich: Carl-Heinrich von Stülpnagel. Soldat – Philosoph – Verschwörer, Berlin 1989.

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Ders.: Frankfurt war die geistige Heimat des Hitlergegners. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19. 11. 1985, S. 95. Der 20. Juli 1944 in Paris. Verlauf – Hauptbeteiligte – Augenzeugen. Hrsg. v. Bengt von zur Mühlen/Frank Bauer, Berlin–Kleinmachnow 1995. Müller, Klaus-Jürgen: Carl-Heinrich von Stülpnagel – Die „Zentralfigur“ in Paris. In: „Für Deutschland“. Die Männer des 20. Juli. Hrsg. v. Klemens von Klemperer/Enrico Syring/ Rainer Zitelmann, Frankfurt a. M. 1994, S. 261–286. Ders.: Witzleben – Stülpnagel – Speidel. Offiziere im Widerstand. In: Kriegsjahr 1944 – Im Großen und im Kleinen, Stuttgart 1995. Schmidtchen, Volker: Karl Heinrich von Stülpnagel. In: 20. Juli. Portraits des Widerstandes. Hrsg. v. Rudolf Lill/Heinrich Oberreuther, Düsseldorf 1984, S. 297–305. Speidel, Hans: Aus unserer Zeit. Erinnerungen. Berlin 1977. Ueberschär, Gerd R.: Generaloberst Franz Halder. Göttingen 1991. Weniger, Erich: Zur Vorgeschichte des 20. Juli 1944 – Heinrich von Stülpnagel. In: Sammlung, 4. Jg., S. 475–492.

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General der Infanterie Georg Thomas „Opportunist und Doppelspieler“ nannte ein Anwalt im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozeß 1946 den General der Infanterie Georg Thomas. Die Handlungen des Offiziers lassen tatsächlich innere Widersprüche erkennen, die größer und vielschichtiger kaum sein konnten. Auf der einen Seite war er lange Zeit führender Rüstungsmanager der deutschen Armee und zudem als Schreibtischtäter mitverantwortlich für die Verbrechen der Wehrmacht im Osten. Auf der anderen Seite engagierte sich Thomas von 1939 bis 1942 im militärischen Widerstand gegen Hitler. Geboren wurde Georg Thomas am 20. Februar 1890 in Forst (Lausitz) als Sohn eines Fabrikbesitzers.1 Der Beruf seines Vaters bestimmte wohl auch die spätere Neigung des Offiziers zur Wirtschaft, nachdem er mit 18 Jahren in ein Infanterie-Regiment als Fahnenjunker eingetreten war. Im Ersten Weltkrieg bis zum Generalstab aufgestiegen, kam er danach zum Grenzschutz nach Schlesien und Ostpreußen. Die Versetzung ins Reichswehrministerium als Hauptmann stellte am 1. November 1927 die entscheidende Weiche für seine Zukunft. Im dortigen Heereswaffenamt verfaßte Thomas schon ein Jahr später eine programmatische Denkschrift über die Zielsetzung des Amtes. Der bürokratisch formulierte Titel der Studie, »Zweck, Notwendigkeit und Umfang der wirtschaftlichen Aufstellungsvorarbeiten«2, verdeckt ihre Brisanz nur unzureichend. Thomas propagierte darin ein umfassendes Verständnis des modernen Krieges, dem „alle Mittel (…) dienstbar gemacht werden (müßten), neben dem Menschen in erster Linie die Industrie und Wirtschaft“. Ein neues Kriegsamt solle die künftige Rüstungsproduktion schon im Frieden „durch wohlüberlegte Vorarbeiten“ in die Wege leiten. Neben der technischen Vorbereitung bestimmter Betriebe forderte die Studie auch eine bessere Versorgung mit Rohstoffen. Die Arbeit gehörte so zu den wichtigsten Vorläufern des Vierjahresplanes von 1936. Obwohl diese Forderungen gegen den Versailler Vertrag verstießen, wurde mit ihrer Umsetzung begonnen – allerdings ohne Zustimmung der Reichsregierung, „meist auf eigene Verantwortung“ und mit Hilfe „schwarzer Gelder“, so Thomas später. Den Lohn für die geheime Aufrüstung erhielt er mit dem raschen Aufstieg zum Chef des Stabes im Heereswaffenamt 1930 und zum Oberstleutnant 1932. Doch erst Hitlers Macht antritt verschaffte Thomas die Möglichkeit, seine Ideen umfassender umzu-

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setzen: Ab 1. November 1934 wurde er, seit kurzem Oberst, Chef der neugeschaffenen Dienststelle „Wehrwirtschafts- und Waffenwesen“ beim Wehrmachtamt des Reichswehrministeriums. Mit Hilfe dieser mehrfach umbenannten Dienststelle, die 1938 vom Oberkommando der Wehrmacht (OKW) übernommen wurde, trieb Thomas die deutsche Aufrüstung voran. Am 1. August 1940 erklomm der Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im OKW als General der Infanterie den Gipfel seiner Karriere. Allerdings konnte Thomas mit dem Ergebnis seiner Arbeit nicht zufrieden sein, obwohl ihn OKW-Chef Keitel noch 1944 als „Organisator von Format“ rühmte.3 Trotz aller Vorbereitungen schlitterte die Rüstungswirtschaft schon kurz nach Kriegsbeginn Ende 1939 in die erste von vielen Krisen. In der Folge blieb der Ausstoß an Waffen und Rüstungsgütern immer mehr hinter dem Bedarf der Wehrmacht zurück. Den Fabriken fehlten sowohl Arbeitskräfte als auch die wichtigsten Produktionsmittel. Thomas entwarf deshalb ein System von Dringlichkeitsstufen, das die bedeutendsten Rüstungsprogramme bevorzugt mit Beschäftigten, Maschinen und Rohstoffen versorgen sollte. In der Praxis entstand daraus aber ein verwirrender bürokratischer Apparat, hinter dessen Fassade zahlreiche Machtkämpfe abliefen. So verkam die sogenannte Organisation der Rüstungswirtschaft zu einem „System der Aushilfen“, wie Thomas nachträglich eingestehen mußte.4 Sicherlich gehörte der politische Widerwille, Wirtschaft und Gesellschaft auf den Krieg umzustellen, zu den Hauptursachen für die heikle Lage der Rüstungsindustrie. Die Unternehmen hatten in dieser „kriegsähnlichen Friedenswirtschaft“ (Rolf-Dieter Müller) genügend Spielraum, eine Umstellung ihrer Produktion auf den Kriegsbedarf hinauszuzögern. Zudem wies der Aufbau der Wirtschaftsorganisation „erhebliche Mängel auf“, erklärte Thomas Mitte November 1939.5 So lieferten sich selbst Heer, Luftwaffe und Marine untereinander Konkurrenzkämpfe um die Produktionsmittel. Darüber hinaus spielte die persönliche Auffassung von Georg Thomas über die militärische Führung der Industrie eine wichtige Rolle. Später erklärte er: „Es war ganz selbstverständlich, daß die Wirtschaft stark von der Wehrmacht beeinflußt werden mußte, weil sie völlig auf die Wehrmacht umgestellt und dieser dienen mußte.“6 Die Unternehmer sahen sich deshalb einer „Art Planwirtschaft“ gegenüber, die mit militärischen Befehlen vorging. Ohne Gewinnreiz und Mitsprache nahm sie den Betrieben den Willen zur Kooperation, besser gesagt: Deren Eigeninteresse behielt so im Zweifel die Oberhand. Seit 1940 gewann der Konflikt „Industrie gegen den Soldaten“7 mit der Ernennung von Fritz Todt zum Minister für Bewaffnung und Munition an Härte, zumal Todt in der Munitionsproduktion auf die Mitar-

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beit der Unternehmer setzte. So zählten Kompetenzkämpfe und Reibungsverluste bis Ende 1941 zu den Hauptmerkmalen der Kriegswirtschaft. Sie streuten insbesondere auf der regionalen Ebene Sand ins Getriebe, zumal die militärischen Rüstungsinspekteure hier ihren Führungsanspruch gegenüber den zivilen Wirtschaftsämtern durchsetzen wollten.8 Als die Wehrmacht durch die fehlgeschlagene Offensive vom Winter 1941/42 in große Bedrängnis geriet, kam für die Rüstungswirtschaft die Wende. Die Berliner Führung mußte das Reich jetzt auf einen langen Abnutzungskrieg einstellen und setzte dabei auf Albert Speer, den Nachfolger des verunglückten Reichsministers Fritz Todt. Speer verließ sich weniger auf die schwerfällige Militärbürokratie und bezog statt dessen die industriellen Praktiker stärker in die Rüstungsorganisation ein. Sein Erfolg gab ihm recht, das Scheitern von Georg Thomas war offensichtlich. 1942 verlor der General sein Amt als Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes. Der neue Minister hatte Thomas zwar zunächst mit taktischen Versprechungen in den Umbau der Organisation eingebaut. Er betrieb dann aber die Kaltstellung. Am 15. Januar 1943 verließ der Rüstungsoffizier mit „tiefer Enttäuschung und maßlos(er) Verbitterung“ auch die Chefposition des Wehrwirtschaftsamtes im OKW. Keitel gab Thomas jetzt zwar den Auftrag, eine Studie über die Wehr- und Rüstungswirtschaft in Deutschland anzufertigen. Doch das sollte den Ausstieg nur noch abfedern.9 Nach dem Krieg erklärte Georg Thomas das große Engagement für die deutsche Rüstung mit seinem nationalkonservativen Verständnis vom Dienst für das Vaterland. Hitler habe wiederholt seine friedliche Absicht betont. Thomas schrieb, „für jeden guten Deutschen (mußte es, R.P.) selbstverständlich sein“, an einer Aufrüstung mitzuarbeiten, „die nach unserer aller Auffassung allein dem Schutz unserer Grenze dienen sollte“.10 Der Rüstungsökonom sah sich demnach als naiver, wohl auch verführter Patriot, nicht aber als Nationalsozialist und Kriegstreiber – im Gegenteil. Die Gegnerschaft zu Hitler und „sein leidenschaftlicher Kampf gegen den Krieg“ hätten dazu geführt, daß Thomas sich am Widerstand beteiligte, unterstreicht sein Biograph Werner Birkenfeld. 11 Als zusätzliches Argument dient die immer wieder hervorgekehrte christliche Lebenseinstellung des Offiziers. Tatsächlich aber läßt sich zeigen, daß zum einen Thomas’ Ablehnung des Nationalsozialismus nicht auf moralisch-politischen Prinzipien beruhte, sondern auf unterschiedlichen sachlichen Vorstellungen und auf der Enttäuschung über die Behandlung der Generalität durch Hitler. Zum anderen lehnte er nicht den Krieg an sich ab, sondern nur Zeitpunkt und Ausweitung der Katastrophe. Letztlich paßte sich der General den verbrecherischen Zielen des NS-Staates an.

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Schon 1933 entstanden Dissonanzen zwischen Hitler und Thomas über die unterschiedliche Bewertung der Sowjetunion. Der Offizier gehörte seit 1920 zu den Pionieren einer Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten, die sich zu einer engen Kooperation zwischen Reichswehr und Roter Armee entwickelte. Um diesen Kontakt nach Hitlers Machtantritt aufrechtzuerhalten, reiste Thomas zusammen mit dem Chef des Heereswaffenamtes, Generalleutnant Alfred von Vollrad-Bockelberg, in die UdSSR. Der Rüstungsökonom kam tief beeindruckt zurück. Er unterstrich das „große Ausmaß“ der dortigen Industrie und forderte Hitler dazu auf, „ein freundschaftliches Verhältnis“ mit der UdSSR zu suchen. Die Offiziere trafen aber auf die ideologischen Vorbehalte des Diktators. Hitler warf ihnen vor, auf „Potemkinsche Dörfer“ hereingefallen zu sein. Der „Bolschewismus“ sei niemals zu einer „aufbauenden Organisation fähig“.12 Ein weiterer Streitpunkt war seit 1936 die Rüstungspolitik. Der Offizier verwahrte sich noch 1939 dagegen, sie mit einer Breitenrüstung oberflächlich auf „blitzartige Entscheidungen“ hin aufzubauen. Statt dessen müsse eine Tiefenrüstung mehr Vorräte bereitstellen, um die „Durchhaltemöglichkeit“ der Wirtschaft zu verbessern.13 Die Position des Ökonomen unterschied sich hierbei weniger im wirtschaftlichen Bereich als vielmehr durch seine militärische Geringschätzung des Blitzkrieges von der NS-Politik. Thomas bekam deshalb das Etikett eines „Pessimisten“ verpaßt, das Hitler nicht mehr vergessen sollte.14 Diese Auseinandersetzungen mit dem Diktator erfuhren durch die ‘Fritsch-Affäre’ von 1938 ihre Krönung. Thomas sah in der Intrige gegen den Heereschef eine „ungeheure Schmach“, die Hitler dem Offizierskorps angetan habe. Die Desavouierung der militärischen Elite führte zum „völligen inneren Bruch mit dem System“, behauptete der General.15 Im Sommer 1939 beteiligte sich der Offizier zusammen mit dem Kreis um den früheren Generaloberst Ludwig Beck und den ehemaligen Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, aktiv am Widerstand. Thomas wollte so den Ausbruch des Krieges verhindern, da er einen deutschen Sieg für illusorisch hielt. Im August 1939 arbeitete er zwei Denkschriften aus, die er kurz vor Kriegsbeginn OKW-Chef Wilhelm Keitel vorlegte. Sie unterstrichen, daß Hitlers „Eroberungspläne (…) zum Weltkrieg führen“ würden. Die Folge eines solchen Waffenganges wäre ein „lange(r) Materialkrieg (…), (den) Deutschland aus Rohstoff- und Ernährungsgründen nicht ohne starke Bundesgenossen durchhalten könne. Ein verlorener Krieg würde Deutschlands Untergang bedeuten, der Krieg müsse also unterbleiben.“16 Es muß angemerkt werden, daß Georg Thomas mit diesen Aktionen sein Leben riskierte. Allerdings ging es ihm nicht, wie etwa von Hassell und Beck, um den Sturz der Diktatur. Sein Ziel war 1939/40 ebenso wie 1941

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ausschließlich, den Ausbruch des Krieges und die als sicher angesehene Niederlage zu verhindern. Der Widerstand des Generals entsprang also vor allem der unterschiedlichen Bewertung der Risiken, die mit Hitlers Plänen verbunden waren.17 Auch die angestrebten Methoden unterschieden sich, da der General einen Anschlag auf Hitler strikt ablehnte. Dem „korrekten, im kaiserlichen Dienst aufgewachsenen Soldaten war der Gedanke an politischen Mord entsetzlich“.18 Thomas drängte statt dessen auf die Verhaftung der Regierung durch die Armee. Ein Staatsgerichtshof solle den Diktator aburteilen und seinen Nimbus zerstören.19 Im Herbst 1939 und Frühjahr 1940 zeigte sich eine weitere Diskrepanz zum übrigen Widerstand, als die geheime Opposition den Angriff der Wehrmacht auf Frankreich zu verhindern suchte. Kontakte mit der britischen Regierung sollten Zusagen erbringen, um die Heeresführung unter den Generalen von Brauchitsch und Halder zu einem Putsch zu veranlassen. Der sogenannte ‘X-Bericht’ faßte die Ergebnisse der Sondierungen zusammen. Thomas übergab ihn im April 1940 an Generalstabschef Halder. Bemerkenswert ist, daß sich der General, der erst nachträglich über die diplomatischen Aktivitäten informiert worden war, zugleich von dem ‘X-Bericht’ als ‘unsoldatisch’20 distanzierte. Es läßt sich festhalten, daß Thomas trotz seiner Gegnerschaft zu Hitler nicht dazu bereit war, bestimmte Grenzen zu überschreiten. Nicht einmal die ihm längst bekannten Verbrechen beim Polenfeldzug konnten den Offizier zu einem solchen Schritt bewegen, obwohl er selbst den moralischen Verfall der Gesellschaft beklagte. General Thomas blieb damit selbst im Widerstand dem militärischen Traditionsdenken verhaftet. Der geplante Angriff auf die UdSSR, über den der General bereits seit August 1940 informiert war, stellte ihn vor eine neue Situation. Er stemmte sich zunächst wie im Jahr zuvor aus ökonomischen Erwägungen gegen die Ausweitung des Krieges – zumal angesichts der umfangreichen RohstoffLieferungen aus der UdSSR nach dem deutsch-sowjetischen Vertrag von 1939. Nach Analysen seines Wirtschafts- und Rüstungsamtes würde der ‘Fall Barbarossa’ die Wehrmacht vor allem bei Treibstoff und Gummi vor erhebliche Probleme stellen. Thomas wies deshalb die OKW-Führung am 8. Februar 1941 „mit größtem Ernst auf die Gefahren einer solchen Nachschublage hin“: Treibstoff sei „höchstens“ für zwei Kampfmonate gesichert, der für LKW-Reifen wichtige Kautschuk nur für acht. Die Antwort von Generalfeldmarschall Keitel war bezeichnend: Hitler lasse sich „in seinen Plänen von diesen wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht beeinflussen“. Auch Göring lehnte am 12. Februar Erörterungen mit derselben Begründung ab.21 Einwände hatten also keine Bedeutung mehr.

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Thomas paßte sich an. Schon ein auf den 13. Februar datiertes Gutachten über die „wehrwirtschaftlichen Auswirkungen“ eines Angriffs auf die Sowjetunion verfolgte eine neue Linie.22 Die Analyse des sowjetischen Wirtschaftspotentials zeigte zwar bei genauem Studium noch immer die Schwierigkeiten auf, die Deutschland bei einem Krieg entstehen könnten. Doch diese Tendenz wurde durch den Verweis auf die schnelle „Entlastung“ konterkariert, die für den Ernährungs- und Rohstoffsektor möglich sei. Einzige Voraussetzung: Die Wehrmacht müsse die Zerstörung der Vorräte, der Erdölanlagen im Kaukasus und der Transportmittel durch „schnelle(s) Zufassen“ verhindern.23 Der General lieferte Hitler damit ein eindeutiges Gefälligkeits-Gutachten. Schließlich wußte er seit dem Streit von 1933 über die Leistungsfähigkeit der UdSSR, daß der Diktator den „Bolschewismus“ ebensosehr unterschätzte, wie er ihn verachtete. Ein schneller Sieg der Wehrmacht stand für Hitler deshalb fest. Da die Denkschrift in einem solchen Fall die Lösung der deutschen Rohstoff-Probleme voraussagte, entsprach sie Hitlers Erwartungen. Thomas erachtete es zudem als unbedingt notwendig, das Erdölgebiet von Baku einzunehmen und bestätigte so sogar Hitlers Kriegsziele. Der Ökonom schwächte aber nicht nur die Kritik erheblich ab; es fehlte auch ein ausdrücklicher Hinweis auf die Gefahren, sollte ein schneller Sieg der Wehrmacht doch ausbleiben. Das Urteil, dem General sei es darum gegangen, „Hitler mit den Mitteln des Ressorts von seinem Entschluß abzubringen“, wie Birkenfeld behauptet, greift gründlich daneben.24 Allerdings ist es auch überzogen, die Thomas-Denkschrift als Ausgangspunkt für die geplante verbrecherische Besatzungspolitik zu verstehen.25 Dagegen spricht schon, daß die Studie nicht von einer Vernichtungsstrategie ausgeht, sondern eine „Mitarbeit“ der russischen Bevölkerung voraussetzt. Außerdem war der Ruf des Generals als Pessimist bei Hitler viel zu schlecht, um seinen Ausführungen eine solche Bedeutung zu geben. Nach dem Zeugnis Speers schimpfte der Diktator noch Ende 1943 „voller Hohn“ über die Ausarbeitung des Generals, weil er das sowjetische Kriegspotential als „außerordentlich bedeutend hingestellt hatte“.26 Demnach verwarf Hitler die Auffassungen des Rüstungsökonomen von vornherein. Unabhängig davon aber liegt das opportunistische Vorgehen von Georg Thomas auf der Hand. Aber nicht nur in diesem Punkt markiert das Frühjahr 1941 eine persönlich tiefgreifende Wende für General Georg Thomas. Göring beauftragte ihn im Februar damit, die „Ausnützung des besetzten Rußlands“ vorzubereiten und dafür eine „völlig selbständige Organisation“ zu errichten. 27 Der Rüstungsökonom bekam damit die Gelegenheit, auf die er seit langem gewartet hatte: unter dem Schild Görings eine führende und unangefochtene

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Position als Wirtschaftslenker aufzubauen. Um diese Chance nicht zu verpassen, schwenkte der General gleich doppelt um. Zum einen unterstützte er jetzt den Überfall und letztlich auch das Ziel einer Ausbeutung der UdSSR, wie eine Erklärung vom 20. Juni 1941 unterstreicht: „Wenn die militärische Führung in der Lage ist, die fehlenden Rohstoffvorkommen durch Eroberung sicherzustellen, wird dies von der Wirtschaftsführung besonders begrüßt werden.“ Zum zweiten gab er die Zusammenarbeit mit der UdSSR auch innerlich auf. Der General ließ sich nicht einmal abschrecken, als Göring ihm die wahren Ziele des Angriffs auf die UdSSR enthüllte: „Ausrottung des Kommunismus, Beseitigung aller politischen Führer“. Thomas paßte sich der radikal antikommunistischen und rassistischen Auffassung an, die in großen Teilen der Militärführung verbreitet war. So bemerkte er: „Die Russen (sind) ein stures Pack und schwer zur Arbeit heranzubekommen.“28 Damit stand die Ausgangsposition fest, als Thomas die gewaltsame Ausbeutung der UdSSR geschäftsmäßig vorbereitete und von Göring in den Führungsstab der neuen Wirtschaftsorganisation Ost berufen wurde. Er verfaßte Ende April 1941 einen Entwurf über die Wirtschaftsführung in den Ostgebieten, die mit einer Kriegsführung nach dem Völkerrecht nichts mehr zu tun hatte. Das Ziel sei, die dort vorhandenen „wirtschaftlichen Kräfte, Mittel und Vorräte (…) in den Dienst der Gesamtkriegsführung einzusetzen“. Gebiete ohne ökonomische Bedeutung könnten „bei weitestgehender Ausbeutung wirtschaftlich vernachlässigt werden“. Die Bevölkerung wurde bei diesem Vorgehen als überflüssig angesehen, wie Anfang Mai eine Besprechung der Staatssekretäre aus den Wirtschaftsressorts klarmachte: „1: Der Krieg ist nur weiterzuführen, wenn die gesamte Wehrmacht (…) aus Rußland ernährt wird. 2. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Land herausgeholt wird.“29 Daß Thomas diesen Weg persönlich unterstützte, unterstrich er bei einer Besprechung über den Einsatz der Wirtschaftsorganisation Ost am 31. Juli 1941: „Wir können nicht das ganze Land verwalten. Die Intelligenz ist totgeschlagen, die Kommissare sind weg. Große Gebiete werden sich selbst überlassen bleiben müssen (verhungern).“30 Auch die Einzelheiten dieser Politik waren ihm nicht fremd. Ende 1941 bemerkte Thomas in einem Vortrag über die „Ernährungslage“, es sei eine der wichtigsten Aufgaben, aus den besetzten Ostgebieten „soviel wie möglich an Nahrungsmitteln für die deutsche Versorgung herauszuholen“. Um die widerspenstige Landbevölkerung am Verzehr ihrer eigenen Produkte zu hindern, kündigte der General „wirkungsvolle Maßnahmen“ an. Über deren Charakter kann kein Zweifel bestehen. Im Februar 1942 machte Thomas sich dafür stark, mit 4000 Lastwagen des Heeres etwa 300 000 Tonnen

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Getreide aus der Ukraine zu holen.31 Der Schreibtischtäter nahm ohne Skrupel den Hungertod von Millionen Menschen in Kauf und machte sich zum Komplizen von NS-Führung und SS. Georg Thomas zählt zu den besonders prägnanten Beispielen für die Mitwirkung willfähriger Militärs am Vernichtungskrieg im Osten. Nicht unschuldig daran sind besondere Charakterzüge des Offiziers, sein maßloser Ehrgeiz und die ständige Suche nach äußerer Bestätigung.32 Hinzu kam, daß der General seinen Dienst in der Wehrmacht ausschließlich in „Treue und Opferbereitschaft“ für Deutschland ausgeübt haben wollte und ihn entschieden von einer Unterstützung des NS-Regimes trennte. Im Gegensatz zu seinem Mitkämpfer Ulrich von Hassell wollte er nicht erkennen, daß beide Bekenntnisse spätestens dann zu gemeinsamen verbrecherischen Handlungen führten, als sich die Spitze der Armee am Vernichtungskrieg beteiligte. Diese illusionäre Unterscheidung machte es dem General möglich, weiterhin „im Kampf um Deutschlands Ehre und Reinheit seine Pflicht“ zu tun und sich zugleich für den Widerstand zu engagieren. Bis zur Niederlage in Stalingrad Anfang 1943 beteiligte er sich mit Denkschriften oder Überzeugungsversuchen bei hohen Generälen an der geheimen Opposition. Danach zog er sich zurück, der Krieg sei verloren: Jetzt könne auch eine neue Regierung nur noch einen „Schmachfrieden“33 erlangen. Insgesamt sorgte so ein Gemisch aus nationalkonservativen Traditionen, einer neu gewonnenen rassistischen Zielsetzung und charakterlichen Verfehlungen für die Mitwirkung von Georg Thomas an den deutschen Verbrechen in Osteuropa. Der geplanten ehrenhaften Entlassung des Generals aus der Wehrmacht zum Jahresende 1944 kam am 11. Oktober 1944 seine Verhaftung durch die Gestapo wegen „hochverräterischer Umtriebe“ zuvor. Anfang Februar 1945 wurde Thomas ins KZ Flossenbürg, zwei Monate später ins KZ Dachau eingeliefert. Die Wehrmacht befreite die Häftlinge nach einer längeren Irrfahrt der Wachmannschaften am 28. April in Südtirol. Die endgültige Freilassung des Generals erfolgte nach einer kurzen Festnahme durch US-Truppen am 16. Juni 1945. 34 Georg Thomas verfaßte noch mehrere Rechtfertigungsschriften, bevor er am 29. Oktober 1946 in Frankfurt am Main starb.

Anmerkungen BA-MA Freiburg, Pers 6/365. Thomas, Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft. S. 60 und 488– 497, auch zum Folgenden. 3 BA-MA Freiburg, Pers 6/365: Beurteilung von Thomas durch OKW-Chef Keitel vom 1. 3. 1944. 1 2

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BA-MA Freiburg, RW 19/1258: Thomas bei Besprechung der Rüstungsinspekteure, 21. 1. 1942, S. 39 f. 5 BA-MA Freiburg, RW 19/560: Besprechung bei General Thomas, 13. 11. 1939. 6 BA-MA Freiburg, RW 1258: Thomas-Vortrag bei Inspekteuren, 29. 8. 1942, Bl. 83. 7 Ebenda. 8 Peter, Rüstungspolitik in Baden, S. 19 ff. 9 BA-MA Freiburg, Pers 6/365: Birkenfeld, Der Verfasser, S. 3 (Zitat). 10 Thomas, Gedanken und Ereignisse, S. 539. 11 Birkenfeld, Der Verfasser, S. 6 ff. 12 Zeidler, Reichswehr und Rote Armee, S. 49 und 288 f. 13 BA-MA Freiburg, RW 19/573: Protokoll der Inspekteur-Besprechung vom 28. 3. 39, Bl. 13ff. 14 General Jodl am 6. 6. 1946, in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher (künftig: IMT), Bd. 15, S. 475. 15 Thomas, Gedanken und Ereignisse, S. 540 f. 16 Ebenda, S. 542. 17 Vgl. Schmädeke, Militärische Umsturzversuche, S. 299f. 18 Ritter, Carl Goerdeler, S. 242. 19 Thomas, Gedanken und Ereignisse, S. 543 f. 20 Ritter, Carl Goerdeler, S. 259. 21 BA-MA Freiburg, RW 19/185: Aktennotizen vom 8. 2. und 12. 2. 1941. 22 BA-MA Freiburg, RW 19/164: Kriegstagebuch WiRüAmt/Stab, 13. 2. 1941, S. 152 und 19. 2. 1941, S. 171. 23 Thomas, Geschichte, S. 531 f. 24 Schwendemann, Die wirtschaftliche Zusammenarbeit, S. 290; Birkenfeld, Der Verfasser, S. 17. 25 Müller, Von der Wirtschaftsallianz, S. 127 f. 26 Speer, Erinnerungen, S. 315 f.; ähnlich auch Jodls Aussage in Nürnberg, IMT, Bd. 15, S. 475. 27 BA-MA Freiburg, RW 19/185: Aktennotiz vom 26. 2. 1941, Bl. 170ff. 28 Thomas, Geschichte, S. 301 (Zitat 1); BA-MA Freiburg, RW 19/164: Kriegstagebuch (KTB) WiRüAmt/Stab 26. 2. 1941, S. 180; ebenda, RW 19/165: KTB WiRüAmt/Stab, 31. 7. 1941, S. 174 (Zitat 2). 29 Müller, Industrielle Interessenpolitik, S. 117 f.; IMT, Bd. 31, S. 84: Aktennotiz vom 2. 5. 1941. 30 BA-MA Freiburg, RW 19/165: KTB WiRüAmt/Stab, 31. 7. 1941, S. 173–178 (Klammer im Original). 31 BA-MA Freiburg, WiID 1112: WiRüAmt/Stab, Material zum Vortrag des Amtschefs, Nov. 41, Bl. 2–4 (Zitate); ferner RW 19/560: KTB WiRüAmt/Stab, 16. 2. 1942. 32 Birkenfeld, Der Verfasser, S. 21. 33 Thomas, Gedanken und Ereignisse, S. 544 und 558. 34 Thomas, Gedanken und Ereignisse, S. 544 ff. 4

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg: Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt (RW 19), Rüstungsinspektionen und -kommandos (RW 20) und Wirtschaftsstab Ost (RW 31). Auf Film im BAMA und im Münchener Institut für Zeitgeschichte (Bestand Zeugenschrifttum): Aufsätze von Georg Thomas. Gedruckte Quellen und Literatur „Aufstand des Gewissens“. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933–1945. Hrsg. v. MGFA. 4. Aufl. Berlin 1994. Birkenfeld, Werner: Der Verfasser. In: Georg Thomas: Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft. Koblenz 1966. Gisevius, Hans Bernd: Bis zum bitteren Ende. 2 Bände. Zürich 1946. Hassell, Ulrich von: Vom anderen Deutschland. Freiburg o. J. (1947). Hoffmann, Peter: Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler. München, Zürich 1969. Müller, Klaus-Jürgen: Über den „militärischen Widerstand“. In: Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Hrsg. v. Peter Stembach/Johannes Tuchel. Bonn 1994, S. 266–279. Müller, Rolf-Dieter: Von der Wirtschaftsallianz zum kolonialen Ausbeutungskrieg. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 4. Stuttgart 1983, S. 127ff. Ders.: Die Mobilisierung der deutschen Wirtschaft für Hitlers Kriegsführung. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 5,1. Stuttgart 1988, S. 349–692. Reuter, Franz: Der 20. Juli und seine Vorgeschichte. Berlin 1946. Schmädeke, Jürgen: Militärische Umsturzversuche und diplomatische Oppositionsbestrebungen. In: Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Hrsg. von Peter Steinbach/Johannes Tuchel. Bonn 1994, S. 294–318. Schwendemann, Heinrich: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion von 1939 bis 1941. Alternative zu Hitlers Ostprogramm? Berlin 1993. Thomas, Georg: Gedanken und Ereignisse. In: Schweizer Monatshefte 25 (1945), S. 537–559. Ders.: Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918–1943/45). Hrsg. v. Werner Birkenfeld. Koblenz 1966.

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Generaloberst Ernst Udet Ernst Udet wurde am 26. April 1896 in Frankfurt a. M. als Sohn des Ingenieurs Adolf Udet und seiner Frau Paula geboren. Er besuchte in München die Volksschule und von 1906–1912 das dortige Theresien-Gymnasium. 1913 war Udet Schüler des Collège Buvignies in Verdun-sur-Marne und legte noch im gleichen Jahr in München das Einjährigen-Examen ab. 1914 meldete sich Udet als 18jähriger voller Kriegsbegeisterung freiwillig zum Heer, wurde jedoch abgewiesen. Nun sprach er fast täglich in der Münchener Geschäftsstelle des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs vor. Udet war stolzer Besitzer eines eigenen Motorrades. Der ADAC vermittelte damals „Herrenfahrer“ mit eigenen Fahrzeugen zur Nachrichtenübermittlung und zu Transporten hinter der Front. So diente der kleine, schmächtige 18jährige bald als Kraftfahrer beim Stab der 26. Infanterie-Division, beim Gouvernement Straßburg und kurz darauf beim Kraftfahrpark Namur. In dieser Zeit entstand in ihm der Wunsch, Flieger zu werden, und so meldete er sich erneut freiwillig, diesmal bei einer Flieger-Ersatzabteilung in München. Aber wieder wurde er abgewiesen. Danach ließ er sich auf eigene Kosten bei den Otto-Flugzeugwerken in München zum Piloten ausbilden und bewarb sich erneut: Am 15. Juni 1915 stellte ihn die Flieger-Ersatzabteilung 9 in Darmstadt als Flugzeugführer ein und versetzte ihn Anfang September 1915 zur Artillerie-Fliegerabteilung 206, wo er kurz darauf zum „etatmäßigen Gefreiten“ befördert wurde und das Eiserne Kreuz 2. Klasse erhielt. Schon einen Monat später war Udet Unteroffizier und wurde zur Feldfliegerabteilung 68 in Habsheim bei Mülhausen im Elsaß versetzt. Bei diesem Verband erzielte Udet im März 1916, inzwischen Vizefeldwebel, seinen ersten Luftsieg und wurde mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Sein sehnlichster Wunsch blieb jedoch, Jagdflieger zu werden. Der erfüllte sich im Herbst 1916 mit der Versetzung zur Jagdstaffel 15, bei der er Leutnant der Reserve wurde. Anfang Oktober zur Jagdstaffel 37 versetzt, übernahm er deren Führung am 7. November 1917. Bis dahin hatte er weitere Auszeichnungen erhalten: das Württembergische Verdienstkreuz mit Krone und Schwertern und wenig später das Ritterkreuz des Hausordens von Hohenzollern. Am 5. April 1918 holte Rittmeister Manfred Frhr. von Richthofen, der erfolgreichste Jagdflieger des Ersten Weltkrieges, Udet, der bis dahin 20 Luftsiege errungen hatte, als stellvertretenden Führer der Jagdstaffel 11 in sein

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Jagdgeschwader. Knapp einen Monat danach avancierte Udet zum Führer der Jagdstaffel 4. Geschwaderkommodore von Richthofen war am 21. April 1918 gefallen. Kurz zuvor war Udet mit dem höchsten preußischen Orden, dem Pour le Mérite, ausgezeichnet worden. Als er am 14. 9. 1918 zum Oberleutnant der Reserve befördert wurde, hatte er bereits 62 Luftsiege erzielt und war damit der erfolgreichste Jagdflieger, der den Ersten Krieg überlebt hatte. Auch nach der durch den Abschluß des Waffenstillstandes bedingten Entlassung aus der Armee am 10. Januar 1919 blieb Udet der Fliegerei verbunden. Im Sommer 1921 begann er in Milbertshofen mit dem Bau von Flugzeugen und gründete im Oktober 1922 die Firma „Udet-Flugzeugbau“ München-Ramersdorf; Gesellschafter waren Ernst Udet, Heinz Pohl, Dipl. Ing. Erich Scheuermann und Dipl. Ing. Hans Herrmann. Schon 1925 schied Udet aber wieder aus der Firma aus und flog nun auf Flugveranstaltungen. Hier verblüffte er das Publikum durch akrobatische Kapriolen und bewies dabei sein außerordentliches fliegerisches Können. 1927 startete er als erster mit einem Segelflugzeug von der Zugspitze und im nächsten Jahr landete er mit einem Klemm-Sportflugzeug in den höchsten Schneeregionen. Seine überragende fliegerische Kunst machte ihn zum Kassenmagneten bei Flugschauen und populärsten Flieger Deutschlands. So war es kein Wunder, daß er 1928 auch für den Film entdeckt wurde. Es entstanden die Schneeund Gletscherfilme „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ und „Stürme über dem Mont Blanc“ sowie „SOS Eisberg“, der in Grönland gedreht wurde. Die Filme, in denen Udet flog, wurden Welterfolge. Es folgten Film-Expeditionen nach Afrika und 1934/35 der Terra-Film „Wunder des Fliegens“. 1931 sah Udet in den USA Schauflüge mit einem für Flugzeugträger entwickelten Sturzbomber der Firma Curtiss. Hier und in Schweden waren in dieser Zeit erfolgreiche Sturzflugangriffe auf alte Kriegsschiffe mit gutem Ergebnis erprobt worden. Die „Hawk“-Flugzeuge der Firma Curtiss beeindruckten Udet. Ihn überzeugte die hohe Trefferquote dieser SturzbomberTaktik. Als Göring Reichskommissar für die Luftfahrt wurde, beschaffte er die Mittel, mit denen Udet zwei „Hawks“ ankaufen konnte. An Bord des Fahrgastschiffes EUROPA brachte er sie im November 1933 nach Deutschland und führte sie den maßgebenden Männern des Reichsluftfahrtministeriums anschließend vor. In der Aufbauphase der deutschen Luftwaffe war der Sturzfluggedanke allerdings stark umstritten. Trotzdem erhielt das erste, im April 1934 in Döberitz aufgestellte Jagdgeschwader 132 den Auftrag, neben der Jagdausbildung auch Sturzkampfausbildung zu betreiben. Diese erfolgte in Ermangelung eines besseren Flugzeugs auf der „He 50“. Nach ersten Erfahrungen ging aus dem Jagdgeschwader 132 am 28. März 1935 als Stukaverband die Fliegergruppe Schwerin, die I. Abteilung des Jagdgeschwaders 162 hervor, der der Traditionsname „Immelmann“ verliehen wurde.1

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Oberst Robert Ritter von Greim, ein ebenfalls mit dem Pour le Mérite ausgezeichneter Jagdflieger des Ersten Weltkrieges und mit Udet befreundet, warb diesen für die neue Luftwaffe unter Göring an. Zum 1. Juni 1935 wurde Udet als Oberst in die Luftwaffe eingestellt.2 Am 7. 11. 1935 erfolgte die Vereidigung auf den „Führer und Reichskanzler“. Udets erste Dienststellung war ab 10. Februar 1936 die eines Inspekteurs der Jagd- und Sturzkampfflieger. In einer Beurteilung pries General Milch noch im gleichen Jahr das große technische und fliegerische Verständnis Udets sowie dessen „hohe Begabung, Künstlernatur, große Weltkenntnis“. Udet galt als „besonders praktisch veranlagt“. Er bemühe sich „erfolgreich in die ihm ungewohnten militärischen Verhältnisse hineinzuwachsen“ und widme sich den „außergewöhnlichen Aufgaben des Technischen Amts mit sehr großem Fleiß und Tatkraft“. Er bezeichnete Udet als „einmalige Persönlichkeit, deren Auswirkung von entscheidender Bedeutung für die neue deutsche Luftwaffe sein wird“. Udet blieb nur vier Monate Inspekteur der Jagd- und Sturzkampfflieger. Dann ernannte Göring ihn zum Chef des Technischen Amtes. Dies war eine Dienststellung, die Udet gar nicht behagte. Er brachte zwar eine reiche fliegerische Erfahrung mit, aber er besaß kein umfassendes technisches Wissen und auch keinerlei Kenntnisse der industriellen Flugzeugproduktion. Nach dem Bekunden von Ernst Heinkel sagte er dies auch zu Göring: „Ich verstehe doch nichts von Produktion. Ich verstehe nichts von Großflugzeugen. Das ist mir unheimlich und liegt mir nicht.“ Aber Göring konnte Udets Bedenken zerstreuen. Er machte ihm klar: „Es kommt doch auf den Erfindungsreichtum an. Für das andere bekommst du so viel Leute, wie du willst. Wir brauchen vor allen Dingen vor der Welt auch deinen Namen. Der ist im Augenblick mehr wert als vieles andere …“3 Im Technischen Amt gab es eine Mehrheit, die sich gegen die Sturzbomber-Idee wandte. Einen Tag vor Udets Amtsantritt hatte Oberst Wolfram Frhr. von Richthofen als Chef der Entwicklungsabteilung sogar die Einstellung der Weiterentwicklung des Junkers-Sturzbombers Ju 87 angeordnet. In der neuen Dienststellung sah Udet nun die Möglichkeit, seine Ideen durchzusetzen. Er wollte die Kritiker durch praktische Vorführungen überzeugen und ließ ein Schulflugzeug vom Typ Focke Wulf 56 mit provisorischen Abwurfvorrichtungen für Zementbomben versehen. Damit demonstrierte er in Berlin vor Offizieren des Reichsluftfahrtministeriums seine Vorstellungen. 40% der ‘Bomben’ dieser Maschine lagen im Ziel! Danach wurde die Ju 87 weiterentwickelt und erwies sich in der ersten Hälfte des Zweiten Weltkrieges als äußerst wirkungsvolles Kampfmittel der Luftwaffe. Udet machte eine steile Karriere. Er wurde in rascher Folge weiterbefördert: am 20. April 1937 zum Generalmajor und am 1. November 1938 zum

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Generalleutnant. Zum 1. Februar 1939 erhielt er den Posten des Generalluftzeugmeisters „unter Beibehaltung seiner Dienststellung als Amtschef im Reichsluftfahrtministerium“. Göring hatte Udet diese besondere Stellung verschafft, weil sein Staatssekretär Milch ihm zu mächtig geworden war. Er sah in diesem einen direkten Konkurrenten. Göring wußte, was er tat, als er Udet und Milch zu Rivalen machte. Er ging davon aus, daß sich die beiden unterschiedlichen Männer aneinander aufreiben und ihm nicht mehr gefährlich werden würden. So begann ein Spiel, das der optimistische und vertrauensselige Udet auf die Dauer verlieren mußte.4 Heinkel nannte Udet „einen wirklich genialen Flieger, der nur aus dem ‘Gefühl’ heraus und dementsprechend unbeschreiblich flog. Auf der anderen Seite war Udet ein Bohémien, künstlerisch beschwingt, leichtlebig, ein liebenswerter Mensch, ein zuverlässiger Freund, aber von Natur ein Feind aller Bindungen, aller Fesseln und jeder beruflichen und bürokratischen Ordnung. Er war voller Humor und konnte ausgelassen sein. Innerlich war er weich und empfindlich, sensibel und beeinflußbar. Er bezauberte Menschen durch seine Herzlichkeit, seinen Witz und seine Bereitschaft, alles mitzumachen.“5 Da war Milch aus ganz anderem Holz geschnitzt. Er war hart, rücksichtslos und schlau, ein blendender Organisator und – er hatte Hitlers Ver trauen. 6 Milch war zu klug, um seine Feindseligkeit gegenüber Udet offen zu zeigen. Augenscheinlich wurde sie erst, als Udet im Reichsluftfahrtministerium eine Position bezog, die ihn in seinen Entscheidungen von dem vorgesetzten Staatssekretär Milch unabhängig machte. Denn Udet war nun nicht mehr diesem, sondern Göring direkt unterstellt.7 Als dann im September 1939 Hitler den Krieg begann, war die deutsche Luftwaffe allen ihren Gegnern in Europa überlegen und konnte wesentlich zum Sieg gegen Polen und die Westmächte beitragen. Udet war am 1. April 1940 zum General der Flieger aufgestiegen und meinte nach dem gewonnenen Frankreichfeldzug: „Der Krieg ist vorüber, unsere Produktionspläne brauchen wir nicht mehr, sie sind nichts mehr wert!“ 8 Die erste große Ernüchterung kam bei dem vergeblichen Versuch, Großbritannien durch Luftangriffe friedensbereit zu bomben. Mit seiner Einschätzung hielt sich Udet an das, was Hitler ihm im Januar 1940 gesagt hatte. 9 Der Diktator glaubte an einen kurzen Krieg, der nach dem Westfeldzug so gut wie gewonnen schien. Görings voreiliger Entwicklungsstopp vom 3. 2. 1940 zeigte das sehr deutlich! Danach sollten nur noch Entwicklungen gefördert werden, „die im Jahre 1940 bzw. bis zum Frühjahr 1941 zur Auswirkung kommen können“. Ein länger andauernder Krieg wurde überhaupt nicht in Rechnung gestellt. Es war auch nicht berücksichtigt worden, daß besonders Flugzeuge sehr schnell veralteten. Bei der großen Beförderungswelle am 19. Juli 1940 wurde Udet, der kurz

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zuvor das Ritterkreuz erhalten hatte, nach dem Sieg im Westen „wegen hervorragender Verdienste für den Aufbau der Luftwaffe mit sofortiger Wirkung“ zum Generaloberst befördert. Udets Amt bestand schließlich aus insgesamt 26 Abteilungen mit über 4000 Mitarbeitern. Der Generalstabsrichter a. D. Dr. Christian Frhr. von Hammerstein kritisierte Udets Amtsführung hart: „Es fehlten ihm alle Eigenschaften für ein führendes Amt, es fehlte ihm vor allem an wirklichen Kenntnissen, an sittlichem Ernst und Verantwortungsbewußtsein […]. Wenn er zu Göring kam, dann sprachen sie von alten Zeiten […] jedes Gespräch über den Dienst wurde peinlich vermieden.“10 Und General der Flieger Bodo von Witzendorff, der Chef des Zentralamtes im Reichsluftfahrtministerium, sagte von Udet, daß er „wenig Neigung zur Schreibtischarbeit zeige und sich ganz und gar auf seinen Stab verließe, dessen Macht schließlich größer war als die eigene.“ 11 Es konnte daher zu keiner Zeit davon die Rede sein, daß Udet den ihm zur Verfügung stehenden Apparat je beherrscht hätte. Es war Udets große Tragik, daß er gegen seinen Willen mit einer Aufgabe betraut worden war, die, wie sich später zeigen sollte, selbst ein versierter Fachmann nicht bewältigen konnte. Udet empfand Milch als großen Schatten, der über ihm schwebte. Als Göring im Frühjahr 1941 in Urlaub fuhr, beklagte er sich darüber und fühlte sich alleingelassen. Er sagte zu Heinkel: „Milch vertritt ihn jetzt beim Führer. Und er wird dafür sorgen, daß dem Führer jeder Fehler, den ich jemals begangen habe, aufgetischt wird (…).“ Resigniert meinte er: „Ich komme gegen das alles nicht mehr an (…).“12 Udet hatte sich nicht geirrt. Als Göring zurückkam, wirkte Hitler auf Göring ein, Milch Vollmachten für Lenkungsmaßnahmen im Technischen Amt zu geben. Göring – um sein eigenes Prestige bei Hitler besorgt – verfuhr entsprechend. Und Milch, fest davon überzeugt, die Entwicklung selbst meistern zu können, nutzte seine Chance. Nun folgte zwischen den beiden Generalen eine Auseinandersetzung nach der anderen. Im August 1941 war Udet bereits ein völlig gebrochener Mensch und meldete sich krank. Vergeblich hoffte er auf Görings Hilfe. Wie schon zuvor suchte dieser nur Deckung für sich selbst. Die einfachste Lösung wäre gewesen, Udet offen aus dem Amt zu entlassen und Milch an seine Stelle zu setzen. Aber davor scheute auch Göring zurück. Statt dessen beschwor er Udet mehrfach: „Du mußt bleiben! Du mußt mit Milch zusammenarbeiten (…)! Wenn ich dich ablöse, merkt die ganze Welt, daß etwas nicht stimmt.“13 Als Udet nach dem Krankenurlaub wieder in sein Amt zurückkehrte, fand er es verändert vor. Einige seiner Vertrauten waren inzwischen versetzt worden. Am Morgen des 17. November 1941 griff Udet zum Revolver und erschoß sich. Über seinem Bett hatte er mit roter Kreide an die Wand geschrieben: „Eiserner [d. i. Göring] du hast mich verlassen.“

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Dazu die Frage, warum Göring ihn den „Juden Milch und von Gablenz ausgeliefert“ habe. Udets Adjutant Oberst Max Pendele wischte die Schrift aus. In einem Brief an Göring hatte Udet geschrieben: „Es ist mir unmöglich, mit dem Juden Milch zusammenzuarbeiten.“14 Offiziell hieß es, Udet sei am 17. 11. 1941 den Folgen einer bei der Erprobung einer neuen Waffe erlittenen schweren Verletzung erlegen. Dementsprechend erhielt Udet denn auch ein Staatsbegräbnis. Milch übernahm nach Udets Tod zu seinen sonstigen Ämtern auch noch das Amt des Generalluftzeugmeisters. Was er vorgefunden hatte, nannte er einen „Augiasstall“. Drei Jahre später, als Göring am 25. 11. 1944 den General der Flieger Karl Koller in sein Amt als Chef des Luftwaffen-Generalstabs einführte, sagte er im Rückblick auf die damalige Situation, an der er selbst die größte Schuld trug: „(…) den Führern der Rüstung war die Sache völlig über den Kopf gewachsen. Der Eine [d. i. Udet] tat denn auch, als er das Chaos sah, einen Schritt, den man natürlich nicht billigen kann, den ich aber heute besser verstehe als jemals zuvor.“15 Der Selbstmord des unpolitischen Udet erfolgte nicht, um seine Distanz zu dem verbrecherischen System zu zeigen, das er tatsächlich kaum durchschaute, sondern in erster Linie auf Grund seiner großen menschlichen Enttäuschung über Göring. Auf dessen Versprechungen bei der Amtsübernahme hatte er vertraut. Am Ende fühlte er sich alleingelassen und als Sündenbock. Anmerkungen Brütting, Das waren die deutschen Stuka-Asse, S. 8 f. Gem. LP Nr. 2190/35 g. Kdos. Lfd. Nr. 173 vom 18. Mai 1935 (Kopie im Besitz des Verfassers). 3 Heinkel, Stürmisches Leben, S. 301. 4 Herlin, Udet, S. 231. 5 Heinkel, Stürmisches Leben, S. 292. 6 Siehe dazu den Beitrag zu Milch in diesem Band, S. 171ff. 7 Herlin, Udet, S. 229. 8 Kiehl, Kampfgeschwader „Legion Condor“ 53, S. 94. 9 Generalluftzeugmeister Besprechungs-Protokoll vom 30. 1. 1940 (Abschrift im Besitz des Verfassers). 10 Irving, Tragödie der deutschen Luftwaffe, S. 184 f. 11 Ebenda, S. 184. 12 Heinkel, Stürmisches Leben, S. 375. 13 Irving, Tragödie der deutschen Luftwaffe, S. 203. 14 Irving, Tragödie der deutschen Luftwaffe, S. 203. Milch und Freiherr Karl-August v. Gablenz, Generalmajor und Chef des Planungsamtes, waren nach den Nürnberger Rassegesetzen „jüdisch belastet“, beide erhielten aber von Hitler den Status 1 2

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Gerhard Hümmelchen

„deutschblütig im Sinne der deutschen Rassengesetzgebung“ zuerkannt, zu Milch vgl. S. 171ff. in diesem Band. Gablenz starb am 21. 8. 1942 bei einem Flugzeugabsturz. Zum Problem der „nicht-arischen“ Soldaten und Offiziere in der Wehrmacht bereitet der US-Historiker Bryan Rigg eine Studie vor. 15 Irving, Tragödie der deutschen Luftwaffe, S. 433.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, Pers. 6/60: Personalakte Udet; RL 3: Generalluftzeugmeister; RL 21/3: Richard Suchenwirth: Ernst Udet, Generalluftzeugmeister der deutschen Luftwaffe 1939–1941. Karlsruhe ca. 1955 Gedruckte Quellen und Literatur Brütting, Georg: Das waren die deutschen Stuka-Asse 1939–1945. Stuttgart 41984. Burda, Franz: Fünfzig Jahre Motorflug. Offenburg 1953. Conradis, Heinz: Nerven, Herz und Rechenschieber. Kurt Tank, Flieger, Forscher, Konstrukteur. Göttingen 1955. Heinkel, Ernst: Stürmisches Leben. Hrsg. von Jürgen Thorwald. Stuttgart 1954. Herlin, Hans: Ernst Udet – eines Mannes Leben. Hamburg 1958. Ders.: Der Teufelsflieger. Ernst Udet und die Geschichte seiner Zeit. München 41975. Irving, David: Die Tragödie der Deutschen Luftwaffe. Aus den Akten und Erinnerungen von Feldmarschall Milch. Frankfurt a. M. 1970. Ishoven, Armand van: Willy Messerschmitt. Der Konstrukteur und seine Flugzeuge. Herrsching 1975. Kiehl, Heinz: Kampfgeschwader „Legion Condor“ 53. Stuttgart 1983. Selbstbiographie Udets unter dem Titel „Mein Fliegerleben“. Berlin 1935. Eine Neuausgabe, hrsg. von Jürgen Thorwald, erschien 1954 in Berlin. Völker, Karl-Heinz: Die deutsche Luftwaffe 1933–1939. Aufbau, Führung und Rüstung der Luftwaffe sowie die Entwicklung der deutschen Luftkriegstheorie. Stuttgart 1967.

Gene Mueller

Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben* Erwin Job von Witzleben war einer der wenigen Generale, die sehr früh den Nationalsozialismus als einen Irrweg und den Soldateneid auf Hitler als eine Schande ansahen. Er war der erste, der sich – lange vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges – bedingungslos in der militärischen Opposition engagierte und der „nie schwankend wurde oder abwich“.1 Ulrich von Hassell charakterisierte ihn mit den Worten: „Klarer Wille und gute Erkenntnis“.2 Witzleben, der am 4. Dezember 1881 in Breslau als Sohn eines preußischen Offiziers geboren und in der Kadettenanstalt Groß-Lichterfelde ausgebildet wurde, trat 1901 als Leutnant in das 7. Grenadier-Regiment in Liegnitz ein. 1910 wurde er zum Oberleutnant und zwei Monate nach Beginn des Ersten Weltkriegs zum Hauptmann befördert. Als Kompaniechef lernte er den Krieg an der Westfront kennen; wie Tausende anderer junger Männer kämpfte er ein Jahr im Stellungskrieg und dann bei Verdun. Im April 1917 erhielt er das Kommando über ein Infanterie-Bataillon. Nach einer schweren Verwundung wurde er im August 1918 in den Generalstab versetzt. Als der Erste Weltkrieg zu Ende war, kehrte er zum 7. Grenadier-Regiment zurück. In der Zeit der Weimarer Republik war er abwechselnd Generalstabsoffizier und Truppenkommandeur. Seine Karriere fand ohne Unterbrechungen statt: 1923 wurde er zum Major, 1929 zum Oberstleutnant, 1931 zum Oberst und 1934 zum Generalmajor befördert.3 Als General von Fritsch im Februar 1934 zum Chef der Heeresleitung ernannt wurde, übernahm Witzleben seinen Posten als Befehlshaber des Wehrkreises III. Da das Hauptquartier dieses Wehrkreises in Berlin lag, konnte Witzlebens Dienststelle eine wichtige Operationsbasis für die spätere Militäropposition gegen Hitler sein. Ende 1934 wurde Witz leben zum Generalleutnant und 1936 zum General der Infanterie befördert.4 Der Nationalsozialismus war ihm ein Greuel, erst recht nach den Morden der Röhm-Affaire, und im Sommer 1937 entschloß er sich zum Widerstand gegen Hitler.5 Er fürchtete, die Politik Hitlers werde zu einem großen Krieg führen, in dessen Verlauf die abgründigen Seiten des NS-Regimes über* Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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mächtig würden. Im September 1937 sagte er, „Hitler steuere unaufhaltsam auf einen Krieg zu. Sein Weg sei kriminell, und alle würden zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ihm nicht Einhalt geboten würde“.6 Er und seine „Freunde“, so fuhr er fort, seien bereit, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen Krieg zu verhindern. Er fragte Ursula von Witzleben, die Frau eines Verwandten, die praktisch im Hause des Generals von Rundstedt aufgewachsen war und die auch General Fromm gut kannte, ob es ratsam sei, sich an diese Männer zu wenden. Sie meinte, Fromm sei auszuschließen. Mit Rundstedt könne man reden; er sei aber nicht der Mann, der sich für ein solches Unternehmen engagiere. Der US-Historiker Harold C. Deutsch nimmt an, daß zu Witzlebens „Freunden“ Generalmajor Walter Graf von Brockdorff-Ahlefeldt, ein direkter Untergebener Witzlebens, gehörte.7 Deutsch führt Belege dafür an, daß Brockdorff den ehemaligen Gewerkschaftsführer August Winnig sowie den Grafen Fritz-Dietlof von der Schulenburg über ein „Komplott zum Sturz des Regimes“ informierte. Man besprach konkrete Fragen, besonders die Rolle, die das 9. Infanterie-Regiment dabei übernehmen sollte.8 Man erwähnte auch Namen von eventuellen Mitverschwörern, zum Beispiel Ewald von Kleist und General Erich Hoepner, „der sich das Anbringen des üblichen Hitlerbildes in seinem Büro verbeten hatte“.9 Schließlich weist Deutsch darauf hin, daß Schulenburg und Witzleben im Februar 1938 Kontakt miteinander aufnahmen und daß sie bereit waren, Putschpläne gegen Hitler zu entwickeln. Leider erholte sich Witzleben gerade in einem Dresdener Sanatorium, als es zur Blomberg-Fritsch-Krise kam. Seine Abwesenheit bedeutete, daß den Verschwörern in Berlin eine entschlossene Führung fehlte. 10 Nach der Ablösung Fritschs ernannte Hitler zu dessen Nachfolger als Oberbefehlshaber des Heeres den loyalen Walther von Brauchitsch. Nach dem vergeblichen Versuch des Generalstabschefs Beck, Hitlers Kriegspolitik aufzuhalten, kam Witzleben mit General Halder, dem Nachfolger Becks, in Kontakt. Beide waren Gegner des Nationalsozialismus und planten im Herbst 1938 den Sturz Hitlers. Witzleben, der als Befehlshaber des Wehrkreises Berlin eine zentrale Rolle einnahm, befürchtete, Hitler werde vorsätzlich das internationale Recht mißachten und den Frieden eines Volks bedrohen, das sich in keiner Weise aggressiv gegen Deutschland verhalten hatte. Witzleben zeigte nicht nur großen Eifer, sich an der Opposition gegen Hitler zu beteiligen, sondern er erklärte auch, er werde „mit Halder oder ohne ihn“ aufs Ganze gehen.11 In der einer neuen Regierung nach Hitler sollte Witzleben den Oberbefehl über die Wehrmacht übernehmen. Viele Mitglieder der Opposition glaubten, Hitler werde seine Drohung, die Tschechoslowakei zu zerschlagen, wahr machen. Immerhin erließ der

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‘Führer’ die Weisung für den ‘Fall Grün’, die dem OKH befahl, Pläne für die Eroberung dieses Landes auszuarbeiten. Den Marschbefehl gegen die Tschechoslowakei wollten die Verschwörer als Anlaß benutzen, um den ‘Führer’ zu stürzen und einen allgemeinen Krieg zu verhindern. Halder sollte sie informieren, wenn Hitler diesen Befehl erteilte. Die Potsdamer Garnison und Einheiten der Berliner Polizei sollten Regierungsgebäude besetzen und Hitler festnehmen. General Hoepners Panzerverbände würden Berlin abschirmen, falls die in München stationierte SS-Leibstandarte ‘Adolf Hitler’ eingreifen würde.12 Darüber hinaus gab es noch einen Alternativplan, in dessen Szenario Witzleben und einige Offiziere seines Stabes Hitler in der Reichskanzlei aufsuchen und ihn zum Rücktritt auffordern sollten. Major Friedrich Wilhelm Heinz, der – als Begleitschutz für Witzleben – einen Stoßtrupp zusammenstellen sollte, würde einen Zwischenfall provozieren, in dessen Verlauf Hitler – vermutlich von Heinz selbst – erschossen werden sollte.13 Witzleben hieß beide Pläne gut. So schienen im September 1938 alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Staatsstreich gegeben zu sein. Die Zuversicht Witzlebens übertrug sich auf die anderen Verschwörer; sie waren sicher, daß die britische Regierung den Versuchen Hitlers, die Tschechoslowakei zu zerschlagen, entgegentreten würde, und sie hatten zuverlässige Truppen zur Verfügung, um in Berlin zu handeln. Aber der britische Premierminister Neville Chamberlain stimmte nach Verhandlungen den Forderungen Hitlers zu. Wieder einmal war es dem Diktator gelungen, alle zu überrumpeln und seine Kritiker auszumanövrieren. Wie andere Verschwörer kam auch Witzleben zu dem Ergebnis, daß sie gegen einen politisch so überaus erfolgreichen Hitler nicht vorgehen konnten.14 So verpufften die Putschpläne. 1938 vermied die Appeasement-Politik den Krieg, aber im August 1939 blieben die Westmächte fest. Jetzt verloren die Verschwörer ihren Elan und mußten sich erst neu gruppieren, Witzleben war nicht mehr in Berlin, sondern als Oberbefehlshaber des Gruppenkommandos 2 in Frankfurt. Als die Wehrmacht Ende August 1939 im Begriffe war, Polen zu überfallen, trat Witzleben – inzwischen Oberbefehlshaber der 1. Armee an der deutsch-französischen Grenze – erneut für einen Putsch gegen Hitler ein. Er nahm wiederum Kontakt zu Brauchitsch und Halder auf; beide lehnten es jedoch ab, sich an einer Bewegung zu beteiligen, die Hitler zu diesem Zeitpunkt stürzen wollte. Obgleich Witzleben die Verbindung zur Opposition aufrechterhielt, war er von ihrer Passivität enttäuscht. Nach dem Sieg über Polen wurde Witzleben im November 1939 zum Generaloberst befördert. Seine 1. Armee hatte 1939 am Westwall kaum Berührung mit dem Feind. Als Halder im Herbst und Winter 1939/40 erneut

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Putschüberlegungen anstellte, stand Witzleben wiederum bereit, sich mit seinen Verbänden gegen Hitler zu wenden. Aber auch dieser Staatsstreich unterblieb. Der europäische Krieg, den Witzleben so sehr gefürchtet hatte, schien durch den raschen Sieg über Frankreich schon bald vorbei zu sein. Im Juli 1940 entschloß sich ein optimistisch gestimmter Hitler, seine hochrangigen Truppenkommandeure durch Beförderungen zu belohnen. Auch Witzleben wurde bei diesem Anlaß zum Generalfeldmarschall erhoben. Offenbar hat er aber zu seinem 60. Geburtstag keine Dotation von Hitler empfangen. Während die Masse der deutschen Truppen für den geplanten Überfall auf die Sowjetunion nach Osten verlegt wurde, übernahm Witzleben im Oktober 1940 das Oberkommando über die Heeresgruppe D in Frankreich und wurde im Frühjahr 1941 Oberbefehlshaber West. Im März 1942 mußte er Urlaub nehmen, um sich einer Operation zu unterziehen. Hitler, der an seiner Loyalität schon immer gezweifelt hatte, entließ den Generalfeldmarschall aus gesundheitlichen Gründen aus seinem Kommando. Witzlebens Posten übernahm Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt. Hitler besaß anscheinend keine konkreten Beweise für die konspirativen Aktivitäten Witzlebens. Dessen kritische Äußerungen gegen die NS-Regierung und ihre Maßnahmen müssen ihm jedoch bekannt gewesen sein. Er war sich sicher, durch die Verabschiedung des Generalfeldmarschalls einen Offizier loszuwerden, der nicht an den ‘Führer’ und an das ‘Dritte Reich’ glaubte. Seinen Ruhestand verbrachte Witzleben bei Zossen, unweit von Potsdam, auf dem Gut des mit ihm befreundeten Grafen zu Lynar. Er hatte weiterhin gesundheitliche Probleme und litt 1943 an Magengeschwüren. Trotzdem blieb er in Verbindung mit der Opposition. So spielte der Generalfeldmarschall bei dem Putschversuch des Grafen Stauffenberg vom 20. Juli 1944 eine aktive Rolle: er wollte es übernehmen, anstelle Hitlers als Oberbefehlshaber der Wehrmacht zu handeln. Nachdem Stauffenbergs Bombe im Führerhauptquartier explodiert war, fuhr Witzleben am Nachmittag dieses Tages plangemäß zum Oberkommando des Heeres.15 Da Generaloberst Fromm, der Befehlshaber des Ersatzheeres, es ablehnte, sich dem Staatsstreich anzuschließen, wurde er unter Arrest gestellt; Witzleben ernannte Generaloberst Erich Hoepner zum Befehlshaber des Ersatzheeres. Ferner ernannte er Generalleutnant Karl von Thüngen-Roßbach zum Befehlshaber des Berliner Wehrkreises. General von Stülpnagel, der Militärbefehlshaber in Frankreich, erhielt den Befehl, alle SS-Führer und SD-Leiter in Paris festzunehmen. Ein schwerer Schlag für die Verschwörer war, daß Keitel, der Chef des OKW, schon um 16.15 Uhr einen Blitz-Funkspruch an die Wehrkreise hin-

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ausschickte, in dem er mitteilte: „Der Führer lebt! [...] Reichsführer-SS OB [= Oberbefehlshaber] Ersatzheer, nur seine Befehle gelten. Befehle von Generaloberst Fromm, Feldmarschall von Witzleben, Generaloberst a. D. Hoepner nicht ausführen!“16 In Unkenntnis dieses hektischen Funkspruchs von Keitel spielte Witzleben weiter seine Rolle als Oberbefehlshaber der militärischen Seite des Staatsstreiches und schickte gegen 17.00 Uhr ein Fernschreiben an die Wehrkreiskommandos. Darin wurde behauptet, hinter dem Putsch stünden unzufriedene Elemente der Partei.17 Weiter hieß es, die Reichsregierung habe zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung Witzleben den Oberbefehl über die Wehrmacht und zugleich die vollziehende Gewalt übertragen. Nachdem ein aufgeregter Keitel und Martin Bormann, der Sekretär des Führers, diese Worte gelesen hatten, schickten sie Funksprüche und Fernschreiben hinaus, die Witzlebens Befehle aufhoben. Die Würfel waren gefallen: Der Putsch war gescheitert, noch ehe der Prozeß der Machtübernahme begonnen hatte. Inzwischen gingen von der Bendlerstraße weitere Fernschreiben hinaus. Generalfeldmarschall Günther von Kluge, der Oberbefehlshaber West, erhielt gegen 15 Uhr die Mitteilung, Hitler sei tot; er solle die Anweisungen durchführen „wie geplant. (gez.) Witzleben, Oberbefehlshaber der Wehrmacht“.18 Aber als Kluge mit dem OKW telefonierte, erfuhr er die Wahrheit – und blieb Hitler treu. Gegen 19.30 Uhr suchte Witzleben Beck und Stauffenberg im Bendlerblock auf; zornig machte er beiden schwere Vorwürfe wegen der dilettantischen Ausführung des Putsches.19 Dann verließ er, sichtlich erregt, die Bendlerstraße und fuhr nach Hause. Warum er den Putsch so demonstrativ für gescheitert hielt und aufgab, bleibt unklar. Um 22 Uhr war es offenkundig, daß der Putschversuch zusammengebrochen war. Am folgenden Tag wurde Witzleben verhaftet. Als einer der ersten Verschwörer wurde er am 7. August zusammen mit Generaloberst Hoepner, General Stieff und General Paul von Hase vor den ‘Volksgerichtshof’ gestellt, nachdem er von Hitlers ‘Ehrenhof’ aus der Wehrmacht ausgestoßen worden war. Der Präsident des ‘Volksgerichtshofs’, Roland Freisler, ein fanatischer Nationalsozialist, schrie die Offiziere wütend an. Witzleben stand ohne Zahnprothese und ohne Gürtel da; beides hatte ihm die Gestapo während eines brutalen Verhörs weggenommen. Um Jahre gealtert, starrte er leer vor sich hin.20 Anstatt seinem Mandanten zu helfen, lobte der Pflichtverteidiger Witzlebens nicht nur den ‘Führer’, sondern auch Freisler und überschüttete den alten Generalfeldmarschall ebenfalls mit Beschimpfungen. Witzleben gestand freimütig, welche Rolle er bei der Verschwörung gespielt hatte; sein Stolz und seine Rechtschaffenheit ließen kein anderes Ver-

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halten zu. Er wurde schuldig gesprochen und zum Tod durch den Strang verurteilt. Hitler wünschte, daß man die Verschwörer wie Vieh an Fleischerhaken aufhänge und diesen Vorgang sogar für Propagandazwecke filme. Witzleben war der erste, den man auf diese Weise hinrichtete. Binnen einer Stunde wurden sieben weitere Verschwörer ebenso erhängt. Später wurden die Filmaufnahmen aber doch nicht für Goebbels’ Propaganda eingesetzt. Vielleicht hing dies damit zusammen, daß die Verurteilten – wie Feldmarschall von Witzleben – die unwürdige Todesstrafe standhaft ertrugen.

Anmerkungen Deutsch, Das Komplott, S. 48. Die Hassell-Tagebücher, S. 295. 3 O’Neill, The German Army, S. 197 f. 4 Ebenda. 5 Deutsch, Das Komplott, S. 48 ff. 6 Ebenda, S.49. 7 Ebenda. 8 Das Infanterie-Regiment 9 war eine elitäre preußische Gardetruppe, in der die meisten Offiziere junge Adlige waren. 9 Deutsch, Das Komplott, S. 50. 10 Hoffmann, Widerstand, Staatsstreich, Attentat (3. Aufl.), S.64. 11 Gisevius, Bis zum bitteren Ende, Bd.2, S.45. 12 Mitcham Jr., Hitler’s Field Marshals, S. 344. 13 Ebenda. 14 Deutsch, Verschwörung gegen den Krieg, S. 37. 15 Hoffmann, Widerstand, Staatsstreich, Attentat (3. Aufl.), S. 521, 615 f., auch zum Folgenden; ferner Pommerin, Erwin v. Witzleben, S. 360. 16 Irving, Hitlers Krieg, Bd.2, S.294. 17 Ebenda. 18 Galante, Operation Valkyrie, S.24. 19 Gisevius, Bis zum bitteren Ende, Bd.2, S.342. 20 Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S. 703 f., auch zum Folgenden. 1 2

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 228: Nachlaß Witzleben und mehrere Aktenbestände zu Witzlebens Kommandostellen; Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München: Zeugenschrifttum zum Widerstand gegen Hitler.

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Gedruckte Quellen und Literatur Deutsch, Harold C.: The Conspiracy against Hitler in the Twilight war. Minneapolis 1958 (dt. Ausgabe u. d. T.: Verschwörung gegen den Krieg. Der Widerstand in den Jahren 1939–1940. München 1969). Ders.: Hitler and the Generals. The Hidden Crisis January–June 1938. Minneapolis 1974. Galante, Pierre: Operation Valkyrie. The German Generals’ Plot Against Hitler. New York 1986. Gisevius, Hans-Bernd: To the Bitter End. Boston 1947 (dt. Ausgabe u. d. T.: Bis zum bitteren Ende. Zürich 1961). Hoffmann, Peter: The History of the German Resistance 1933–1945. Cambridge 1972 (Dt. Ausgabe u. d. T.: Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler. München 1979). Mitcham, Samuel W.: Hitler’s Field Marshals and Their Battles. London 1988. Ders./Gene Mueller: Hitler’s Commanders. New York 1992. O’Neill, Robert: The German Army and the Nazi Party, 1933–1939. New York 1986. Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der SD-Bericht erstattung. Hrsg. v. Hans-Adolf Jacobsen. 2 Bde., Stuttgart 1984. Pommerin, Rainer: Erwin von Witzleben. In: 20. Juli. Portraits des Widerstands. Hrsg. v. Rudolf Lill und Heinrich Oberreuter, Düsseldorf 1984, S.349–362. Ders.: Erwin von Witzleben – Der designierte Oberbefehlshaber. In: „Für Deutschland“. Die Männer des 20. Juli. Hrsg. v. Klemens von Klemperer, Enrico Syring, Rainer Zitelmann. Frankfurt a.M./Berlin 1994, S. 328–343. Schlabrendorff, Fabian von: Offiziere gegen Hitler. Zürich 1962, Berlin1984 (engl. Ausgabe u.d.T.: Revolt against Hitler. London 1948). Taylor, Telford: Sword and Swastika. Generals and Nazis in the Third Reich. Chicago 1952. Wheeler-Bennett, John W.: The Nemesis of Power. The German Army in Politics, 1918–1945. London 1964.

Manfred Messerschmidt

Admiral Max Bastian Die Lebensgeschichte des Admirals Max Bastian könnte belanglos genannt werden, wäre er nicht während des Zweiten Weltkrieges Präsident des Reichskriegsgerichts gewesen, das 1943 wegen der Bombenangriffe von Berlin nach Torgau verlegt worden ist. Im Jahre 1883 geboren, führte sein Weg in der Marine seit 1902 über Dienststellungen als Wachoffizier, Befehlshaber der Linienschiffe (1932–1934), 2. Admiral der Ostseestation (1934–1935), Chef des Allgemeinen Marineamtes im Oberkommando der Kriegsmarine (1935–1938) zur Position des Präsidenten des Reichsfürsorgeund Versorgungsgerichts der Wehrmacht. Erich Raeder, Chef der Marineleitung und Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, erwähnt in seinen Erinnerungen Bastian lediglich wegen seiner hilfreichen Rolle als Chef der Marinehaushaltsabteilung im Jahr 1930 beim „Schiffbauersatzplan“ und bei den Auseinandersetzungen um das Panzerschiff „B“.1 Die Marineführung sah in Bastian nicht den Mann für Befehlshaberpositionen im Kriege. Er selbst urteilte nicht anders, meinte er doch, Raeder habe ihn zutreffend beurteilt, als er ihn für den Posten des Präsidenten des Reichsfürsorge- und Versorgungsgerichts vorschlug. Ganz andere Empfindungen löste dagegen am 10. September 1939 die Mitteilung aus dem OKW bei ihm aus, er solle für längere Zeit die Vertretung des Präsidenten des Reichskriegsgerichts (RKG), des Generals der Artillerie Walter Heitz, übernehmen.2 Bastian war äußerst skeptisch und überlegte, ob er nicht um eine andere Verwendung bitten sollte. Dann aber traf er den „allein richtigen Entschluß“, nämlich „widerspruchslos dahin zu gehen, wo man mich hinschickte“3. Vom September 1939 bis Oktober 1944, als er aus Altersgründen pensioniert wurde, fungierte Bastian als Präsident des RKG. Er will bei Dienstantritt „Leit- und Grundsätze“ für sein Wirken formuliert haben: „Gewissenshandlungen gelten als so gut wie unantastbar; lieber hundert Schuldige laufen lassen, als auch nur einen unschuldig zu verurteilen. Eine gesunde, menschlich und rechtlich zu vertretende Synthese zwischen dem ‘Wohl’ des Volkes und der vertretbaren Rücksicht auf das ‘Wehe’ des Einzelnen zu finden.“4 In diesem Sinne zu handeln bot seine Dienststellung Möglichkeiten, denn ihm oblag als Gerichtsherr des RKG gemäß § 80 Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) die Bestätigung und Aufhebung der Urteile mit Ausnahme der Todesurteile gegen Offiziere oder Wehrmachtbeamte im Offi-

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zierrang, bei denen Hitler dieses Recht ausübte, wie auch allgemein, wenn Anklage gegen Offiziere oder Beamte im Generals- oder Admiralsrang erhoben wurde. Die KStVO hatte den Instanzenzug abgeschafft. Auch das RKG war im Kriege lediglich erstinstanzliches Gericht, zuständig für politische Strafsachen, u. a. für Hoch-, Landes- und Kriegsverrat und Zersetzung der Wehrkraft nach § 5 Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) – hier allerdings nicht für das Feldheer und die schwimmenden Verbände der Kriegsmarine. Diese zuletzt genannte Zuständigkeit ist durch die 7. Durchführungsverordnung zur KStVO vom 18. Mai 1940 eingegrenzt worden auf Fälle des § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO, der als der eigentliche politische Tatbestand konstruiert war. Er sah die Todesstrafe vor für Soldaten und Zivilisten, die „den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen“ suchten. Dem RKG blieb aber auch die Zuständigkeit für die Aburteilung der Wehrdienstverweigerer vorbehalten, die für ihre Haltung religiöse Gründe geltend machten. Aufgrund eines OKW-Erlasses vom 18. Mai 1940 hatten in solchen Fällen die Gerichtsherren den Präsidenten des RKG um Übernahme der Untersuchung und Aburteilung zu ersuchen. 5 Bastian war aufgrund dieser Zuständigkeitsregelung Präsident und Gerichtsherr des politischen Wehrmachtgerichts. Da fast alle dem RKG zugewiesenen Tatbestände mit der Todesstrafe bedroht waren, oblag ihm eine besonders große Verantwortung. Angesichts der zahlreich verhängten Todesurteile war die Rolle Bastians zwischen der dem Gericht zugeordneten Reichskriegsanwaltschaft – der Anklagebehörde unter dem Oberreichskriegsanwalt – und den Senaten des RKG sowie sein Verhältnis zum Chef OKW und zu Hitler von entscheidender Bedeutung. Der Gerichtsherr war nach alter preußischer Tradition Herr des gesamten Verfahrens, abgesehen von der Hauptverhandlung des erkennenden Senats. Von seiten ehemaliger Militärjuristen wird immer wieder gesagt, die Gerichte seien bei der Urteilsfindung unabhängig gewesen. Formal trifft dies zu. Faktisch besaß der Gerichtsherr jedoch wesentlichen Einfluß auf den Gang des gesamten Verfahrens. In den „Erläuterungen zur Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz“ vom 17. August 1938 heißt es entsprechend: „Das Schwergewicht des militärischen Strafverfahrens ruht beim Gerichtsherrn. Er ist die alles beherrschende Persönlichkeit und trägt die Verantwortung dafür, daß mit der nötigen Schärfe und Beschleunigung durchgegriffen wird.“6 Diese Aufgabe vertrug sich prinzipiell nicht mit der Unabhängigkeit des Gerichts. Bastian hat zusammen mit dem damaligen Oberreichskriegsanwalt (ORKA) von Kriegsbeginn an das Verfahren entwickelt, mit dem er für Schärfe und Beschleunigung sorgen konnte. Nach Vorlage der Anklageschrift durch die

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Reichskriegsanwaltschaft erließen ORKA und Bastian die Anklageverfügung. Bastian erörterte mit dem Sachbearbeiter, häufig auch mit dem ORKA, vor der Hauptverhandlung, welche Strafe „auszuwerfen“ sei.7 Dies sollte zwar nur ein Anhalt sein für die Hauptverhandlung, mußte aber den Effekt haben, daß der erkennende Senat davon ausgehen konnte, der für die Bestätigung zuständige Gerichtsherr habe seine Auffassung über Schuld und Strafmaß bereits vorgegeben. Stets war das Gericht damit konfrontiert, daß das Votum des Gerichtsherrn schon vor der Urteilsfindung präsent war. Der Eifer bei der Beschleunigung der Verfahren setzte die Richter nicht selten unter Druck. Die Frage stellt sich, ob Bastian angesichts der Vorgeschichte der Urteile später bei der Entscheidung über Bestätigung oder Aufhebung noch unvoreingenommen sein konnte. Er selbst bejahte dies. Die Entscheidung bereitete er wiederum durch Gespräche mit ihm „geeignet erscheinenden Persönlichkeiten“ vor, etwa dem ORKA, dem Sachbearbeiter, dem Gutachter, dem Senatspräsidenten oder anderen Richtern. Stimmte er mit dem Gutachter überein, dann war das Urteil zu bestätigen oder aufzuheben,wenn nicht, hatte Vorlage an den Chef OKW zu erfolgen, der vom Chef der Wehrmachtrechtsabteilung (OKW/WR), Lehmann, beraten wurde. Nach Aufhebung begann das Verfahren vor einem anderen Senat des RKG. Im Laufe der Zeit, so Bastian, sei es ihm immer schwerer gefallen, sich für eine Aufhebung zu entschließen.8 Hierzu trug, wie er einräumte, auch der wachsende Widerstand der Senatspräsidenten bei. Entscheidend sei aber der Respekt vor der „richtigen Einstellung des Richtertums zu seiner erhabenen Aufgabe“ gewesen. 9 Dieses Richtertum bestand in den Senaten des RKG aus zwei Juristen im Generalsrang und drei Offizieren vom Oberst bis zum Generalleutnant, die von Zeit zu Zeit wechselten, um Offizieren mit frischer Fronterfahrung Platz zu machen. Diese militärischen Richter wie auch die Juristen – Senatspräsidenten, Reichskriegsgerichtsräte – hat Bastian als innerlich unabhängige Persönlichkeiten gekennzeichnet, „die jede politische Bindung, erst recht aber jede parteipolitische Abhängigkeit weit von sich gewiesen hätten“. Kein Richter habe jemals ein Urteil gefällt, das er nicht vor seinem Gewissen hätte verantworten können. Ja, es sei durchweg „eine stark-kritische, ja, wohl nicht gerade selten skeptisch-ablehnende Geistesrichtung den ‘modernen’ Auffassungen und den von ihnen getragenen allgemeinen Regierungsmaßnahmen gegenüber“ fühlbar gewesen.10 Folgt man Bastian, so muß das RKG ein konservativ eingestelltes Gericht gewesen sein, stets bemüht, rechtlichen und ethischen Maßstäben verpflichtet zu bleiben und damit doch auch ein Vorbild für die Rechtsprechung der Wehrmachtgerichte zu sein. Dieser Anspruch ist anhand seiner Urteile nachprüfbar.

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Einen Maßstab hierfür liefert die Problematik der Abschreckungsurteile, die laut Bastian niemals gefällt und also von ihm auch nicht bestätigt worden seien. Ist dies ein zuverlässig berichtetes Exempel für „die richtige Einstellung des Richtertums zu seiner erhabenen Aufgabe“? Die Antwort hierauf ist auch geeignet, die historische Zuverlässigkeit der im Dezember 1956 abgeschlossenen Lebenserinnerungen des Admirals zu bewerten. Die kleine Gruppe der zum Wehrdienst einberufenen Zeugen Jehovas stellte im Millionenheer der Wehrmacht nur eine vernachlässigenswerte Größe dar. Im Jahre 1933 umfaßte die Gemeinschaft der Bibelforscher in Deutschland insgesamt 20 000–30 000 Mitglieder. Entsprechend klein war der Anteil der Wehrpflichtigen. Einige Hundert haben den Wehrdienst verweigert, ein Delikt, das als Wehrkraftzersetzung gewertet worden ist und aufgrund § 5 Abs. 1 Ziff. 3 KSSVO mit dem Tode bestraft wurde. In einer frühen Entscheidung hat das RKG definiert, bei § 5 handle es sich „um den Schutz der Wehrkraft in ihren physischen und ihren seelischen Grundlagen“.11 In minder schweren Fällen konnten Freiheitsstrafen verhängt werden. Das RKG besaß mithin die Möglichkeit zu differenzieren. Dabei hätten durchaus Hitlers Richtlinien für die Strafzumessung bei Fahnenflucht vom 14. April 194012 entsprechend herangezogen werden können, wonach u. a. „nicht unehrenhafte Beweggründe“ eine mildere Bestrafung ermöglichten. Das RKG ist unter Bastian dieser Möglichkeit nicht gefolgt, vielmehr ist es von der typisch nationalsozialistischen Vorstellung einer Gefährdung der Gemeinschaft – der Volksgemeinschaft – durch den Täter ausgegangen. Diese Auffassung war einer der Gründe für weit über zweihundert Todesurteile des RKG gegen Wehrdienstverweigerer. Am 30. Mai 1940 erstattete Bastian dem Chef des OKW „als Vorgesetzten und Chef der Aufsichtsbehörde des Reichskriegsgerichts“ einen Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 26. August 1939 bis 30. April 1940. 13 Von den in diesen acht Monaten gefällten 100 Todesurteilen waren 63 gegen Bibelforscher verhängt worden. Bis Ende September 1940 erhöhte sich die Anzahl der vollstreckten Todesurteile gegen Verweigerer auf 112, was einem Anteil an der Gesamtzahl der Todesurteile in der Wehrmacht von 20% entsprach.14 Diese Zahlen spiegeln die Überzeugungen der Richter und des Gerichtsherrn des RKG wider, wie sie in den „Rechtsgrundsätzen des Reichskriegsgerichts zu § 5 KSSVO“ formuliert worden sind. Hier heißt es: „Gegen den hartnäckigen Überzeugungstäter (Bibelforscher) wird wegen der propagandistischen Wirkung seines Verhaltens im Normalfall die Todesstrafe angezeigt sein.“15 Wer waren diese so rücksichtslos Verfolgten? Bastian berichtete Keitel, es habe sich meist um ältere Männer gehandelt, „fast alles primitiv denkende Menschen mit niedrigem Bildungsgrad.“16

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Er hat in seinen Lebenserinnerungen versucht, seine persönliche Einstellung zur Frage der Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen darzulegen. Er beginnt mit dem Hinweis, bei Übergabe der Geschäfte durch seinen Vorgänger, General Heitz, an ihn am 11. September 1939 habe er die grundsätzliche Entscheidung des ‘Führers’ über die Behandlung der Bibelforscher erfahren. Hitler habe sich dahingehend ausgesprochen, daß er den Zeugen Jehovas keine Sonderstellung und also keinen sicheren Schutz vor dem Tod einräumen könne. 17 Bastian darf wohl geglaubt werden, daß die radikale Rechtsprechung gegen Täter, die nach ihrem Gewissen handelten, gegen sein inneres Empfinden gegangen sei. Es sei aber nicht leicht, gegen eine Entscheidung des für die Sicherheit des Staates im Kriege verantwortlichen Staatschefs „aus gerichtsherrlicher Befugnis heraus“ Einwendungen zu erheben, es sei denn, „daß man der Überzeugung sein konnte oder gar mußte, daß ein 70 Millionen Volk auch im Kriege eine verhältnismäßig doch recht kleine Schar solcher religiösen – man darf wohl sagen – Außenseiter verwinden (…) könnte“.18 Vielleicht hat Bastian so gedacht, aber dennoch die Entscheidungen der Senate und die ‘Rechtsgrundsätze’ des Gerichts mitgetragen, obwohl er am 30. Mai 1940 dem Chef OKW schon mitgeteilt hatte, die bei Kriegsbeginn aufgetretene „Massendienstverweigerung der Bibelforscher“ sei abgeklungen. Bei den letzten Einberufungen seien nur noch verhältnismäßig wenige junge wehrdienstverweigernde Bibelforscher in Erscheinung getreten.19 Bastian hat Versuche unterstützt, Bibelforscher umzustimmen, letztlich hat er jedoch Todesurteile bestätigt, die mit durchsichtiger Begründung erlassen worden waren. Urteile im Telegrammstil sind reihenweise gefällt worden. Oft wurde verfügt: „Wird nicht zur Veröffentlichung vorgeschlagen.“ Auch dies entsprach Bastians Auffassung. Er hatte schon am 30. Mai 1940 Keitel gegenüber den Standpunkt vertreten, daß die „Veröffentlichung vom feindlichen Ausland nur zu einer gegen Deutschland gerichteten Propaganda ausgenutzt würde, die Bibelforscher aber (…) nicht abgeschreckt, sondern vielmehr in ihrem Fanatismus als Märtyrer gestärkt würden. Alle zum Tode verurteilten Bibelforscher sind mit bewundernswerter Fassung in den Tod gegangen.“ Bastian war demnach ganz und gar nicht von der Ehrlosigkeit dieser Menschen überzeugt. Dennoch hat er die Urteile bestätigt und nicht mit einer Aufhebung auf eine Milderung der Strafe hingewirkt. Das RKG hat nach einer eigenen Statistik bis zum 7. Februar 1945 1189 Todesurteile verhängt. 1049 davon sind vollstreckt worden. Der Anteil der Todesurteile wegen Wehrdienstverweigerung lag bei 251.20 Bastian stand bis Oktober 1944 an der Spitze des Gerichts. Im Sinne der politischen und militärischen Führung hat er auf eine schnelle und zupackende Erledigung der Verfahren hingewirkt und die Senate angewiesen, mit ihrer Rechtsprechung

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die Schlagfertigkeit der Wehrmacht zu stärken und sich an die Kriegslage und Härte des Krieges anzupassen.21 Viele Urteile in Verweigerungssachen sind Zeugnisse solcher Beflissenheit. Mit der häufigen Verwendung von formelhaften ‘Begründungen’ wie Notwendigkeit der Abschreckung, gefährliche Werbekraft, Ehrlosigkeit der Haltung ließen sich Todesurteile in gewollten Schnellverfahren produzieren. Bastians Darstellung in seinen Lebenserinnerungen entspricht nicht der Wirklichkeit. Es ist schwer vorstellbar, daß die Richter des RKG innerlich das System abgelehnt haben. Ihre Urteile reden eine andere Sprache. Bastian hat Abschreckungsurteile bestätigt. In seinen Lebenserinnerungen entwirft er das Bild einer engen Kooperation von Gerichtsherr und Gericht mit dem Ziel rücksichtsvoller Behandlung der Bibelforscher: „Ich war mir von vornherein klar darüber, daß ich den § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung den Bibelforschern gegenüber mit einem weitgehenden Verständnis anwenden und jede Rücksicht nehmen wollte, die der gebotenen Staatssicherheit und damit der gegebenen Weisung gegenüber nur irgendwie vertretbar war. Mein Bestreben wurde mir dadurch leicht gemacht, daß meine juristischen Mitarbeiter und Berater mir bei der Durchführung meiner dahingehenden Absicht bereitwillig folgten.“ 22 Immerhin erinnert sich Bastian, in einigen Fällen mit Erfolg für eine Begnadigung eingetreten zu sein. Das Reichskriegsgericht hat auch bei den „Zersetzungssachen“ des § 5 Abs. 1 Ziffer 1 KSSVO kurz nach Beginn der Präsidentschaft Bastians eine folgenschwere Entscheidung gefällt, die Tausenden Soldaten und Zivilisten zum Verhängnis werden sollte, weil die Rechtsprechung des RKG für die anderen Kriegsgerichte bindend war. Am 1. Dezember 1939 rückte es von der Auffassung ab, daß für den öffentlichen Versuch zur Lähmung oder Zersetzung des Willens „des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung“ eine Lähmungs- oder Zersetzungsabsicht erforderlich sei. Nunmehr entschied der 2. Senat, auch derjenige sei strafbar, der eine wehrkraftzersetzende Wirkung zwar nicht beabsichtige, sich aber darüber im klaren sei. 23 Diese Entscheidung hat zusammen mit der Rechtsprechung zur Frage der „Öffentlichkeit“ von „zersetzenden“ Äußerungen den § 5 KSSVO zum Verhängnis für Tausende werden lassen.24 „Öffentlich“ war nun selbst, was im engsten Familienkreis besprochen wurde. Bastian muß sich diese Entwicklung zurechnen lassen, die überdies die Denunziation außerordentlich gefördert hat. Eine riesige Dunkelziffer ist zu unterstellen. Immerhin sind von Wehrmachtgerichten 30 000–40 000 Fälle abgeurteilt worden. Im Laufe des Krieges trat das Delikt immer häufiger auf.25 Zur „Selbstverstümmelung“, die ebenfalls als Wehrkraftzersetzung aufgefaßt wurde, bemerkte Bastian, er lasse anklagen, wenn auch nur im geringsten die Möglichkeit eines Nachweises bestehe. Die Senatspräsidenten wies er auf eine

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strengere Beurteilung der Selbstverstümmeler in der Heimat hin, was er doch wohl als Beeinflussung der Rechtsprechung angesehen haben wird. In Bastians Präsidentschaft fielen die Verfahren gegen Angehörige der „Roten Kapelle“. Mehr als zwanzig Verfahren sind zwischen Dezember 1942 und September 1943 durchgeführt worden, bei denen etwa 80 Angeklagte zum Tode oder zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Der 2. Senat unter Vorsitz von Senatspräsident Kraell sprach allein am 19. Dezember 1942 zehn Todes- und zwei Zuchthausurteile aus, darunter die Todesurteile gegen Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack. Bastian oblag in diesem Verfahren nicht die Bestätigung. Hitler hatte sich dies vorbehalten. In seinen Erinnerungen nimmt Bastian zum Widerstand der „Roten Kapelle“ in einer Weise Stellung, die so nicht einmal im Urteil gegen Schulze-Boysen und Harnack zum Ausdruck gebracht worden ist: „Die ‘Rote Kapelle’ war eine, um es auf eine kurze Formel zu bringen, ausgesprochene kommunistische Verschwörung, die zwar auch die nationalsozialistische Regierung beseitigen wollte, aber nicht aus vaterländischen Motiven heraus, sondern um in Deutschland eine Kommunistenherrschaft aufzurichten.“ 26 Eine Absicht, das Vaterland vor dem Untergang zu bewahren, habe bei den Angehörigen der „Roten Kapelle“ überhaupt keine Rolle spielen können, weil damals die Aussicht einer deutschen Niederlage noch nicht bestanden habe. Daß hier Sozialisten und Anhänger der Idee eines Zusammengehens mit der Sowjetunion, auch einige Kommunisten, Widerstand geleistet hatten, machte ihr Handeln für Bastian von vornherein zum moralisch zu verurteilenden verbrecherischen Unternehmen.27 Vielleicht hat bei dem Admiral das Meuterei-Trauma von 1918 eine Rolle gespielt. Kommunisten, das waren innere Feinde par excellence. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang eine Anklageverfügung Bastians und des Oberreichskriegsanwalts vom 24. April 1944 gegen den Soldaten J. Kosir, der für Angehörige „marxistischer Häftlinge“ Spenden aufgebracht hatte.28 Das Fazit der Anklageverfügung lautete: „Spendensammlungen für die Angehörigen festgenommener Kommunisten dienen aber nicht nur zu wohltätigen, sondern auch hochverräterischen Zwecken. Durch derartige Unterstützungsaktionen sollen die Gesinnungsgenossen vor Entmutigung geschützt, das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt und damit die revolutionäre Stoßkraft gefestigt werden …“ Die Verfahren in „Nacht- und Nebel“-Sachen (N. u. N.) vor dem Reichskriegsgericht aufgrund von „Richtlinien für die Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten“ vom 7. Dezember 1941, erwähnt der Admiral in seinen Erinnerungen nur am Rande. Keitel erklärte am 12. Dezember 1941: der ‘Führer’ sei der Ansicht, bei solchen Taten sei eine wirksame Abschreckung nur durch Todesstrafen

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oder durch Maßnahmen zu erreichen, die die Angehörigen und die Bevölkerung über das Schicksal des Täters im Ungewissen halten. Diesem Zweck diene die Überführung nach Deutschland. In allen Verfahrenslagen war Geheimhaltung vorgeschrieben. Es durften keinerlei Auskünfte über den Verbleib der Gefangenen erteilt werden. Dieses Ziel mußte im Falle eines Freispruchs verfehlt werden. Deshalb entwarf die Rechtsabteilung OKW eine Verordnung zur Vorlage bei Keitel, in der vorgesehen war, daß das erkennende Gericht auf Antrag des Vertreters der Anklage die Hauptverhandlung auszusetzen hatte. Dem Präsidenten des RKG wurde der vom Chef WR Lehmann unterschriebene Entwurf mit Schreiben vom 16. Juni 1942 vorgelegt. Keitel setzte ihn am 25. Juli in Vollzug.29 Bastian erwähnt dieses beschämende rechtswidrige Verfahren mit keinem Wort, obwohl es „eine ungeheuerliche Belastung des richterlichen Gewissens, die zu den schwersten Folgen für den Charakter des deutschen Richters und für die Rechtspflege überhaupt führen muß“ bedeutete, wie der Oberkriegsgerichtsrat d.R. Ranft bemerkte.30 Bastian, der nach eigener Aussage ein gutes Verhältnis zum Chef WR Lehmann hatte, meldete keine Bedenken an. Das RKG hat unter Bastian zahlreiche N. u. N.-Gefangene – Norweger, Niederländer, Belgier und Franzosen – zum Tode verurteilt, viele kamen nach Zuchthausurteilen in Konzentrationslager. Verläßliche Hinweise auf die Zahl der Todesurteile liegen wegen der bruchstückhaften Überlieferung nicht vor. Der 2., 3. und 4. Senat verhängten in fünf Verfahren zwischen Juli 1941 und Juni 1942 allein gegen norwegische Widerstandskämpfer wegen Spionage und Feindbegünstigung 32 Todesurteile.31 Bastian hat hierzu in seinen Erinnerungen nichts zu sagen. Der Gerichtsherr Hitler stand für ihn offenbar jenseits aller Kritik. Seine Einstellung war eher die eines militärischen Untergebenen zu seinem Vorgesetzten. Er selbst hat hierzu gesagt, Direktiven, Gesetzesauslegungen Hitlers oder Keitels seien von ihm daraufhin geprüft worden, ob sie seine Befugnisse als Gerichtsherr in von ihm nicht vertretbarer Weise berührten. „Taten sie das nicht, wurden sie (…) zur Grundlage unseres Handelns auf dem Gebiet der Strafrechtspflege gemacht.“32 Die Verfahren gegen Angehörige des militärischen Widerstandes nach dem Attentat Stauffenbergs sind nach ihrer Ausstoßung aus der Wehrmacht durch den Spruch des sogenannten ‘Ehrenhofs’ vom Volksgerichtshof durchgeführt worden. Das RKG ist dennoch mit dem ‘20. Juli’ befaßt gewesen. Es hat den Major i. G. Joachim Kuhn in Abwesenheit wegen Fahnenflucht und Kriegsverrats am 6. Februar 1945 zum Tode verurteilt. Kuhn hatte Sprengstoff für das Attentat besorgt.33 Das Urteil wurde nach Bastians Pensionierung gefällt. Befaßt war er aber mit einem damit in Zusam-

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menhang stehenden Verfahren gegen Kuhns Divisionskommandeur, Generalleutnant Gustav Heistermann v. Ziehlberg, der Kuhn über den Befehl zu seiner Verhaftung informiert und ihm Gelegenheit zur Flucht verschafft hatte. Der 1. Senat verurteilte den General am 2. Oktober 1944 wegen fahrlässigen Ungehorsams zu neun Monaten Gefängnis. Bastian hatte das Glück, mit dem Fortgang des Verfahrens nichts mehr zu tun zu haben. Hitler hob das Urteil nämlich auf und ordnete eine neue Verhandlung vor dem RKG an. Am 21. November 1944 verhängte der 3. Senat unter Senatspräsident Schmauser das Todesurteil. Vertreter der Anklage war ORKA Kraell.34 Der Senat fügte sich somit Hitlers Willen. Bastian war zuvor noch einmal in die Nähe von Oppositionskreisen gekommen, ohne die Hintergründe zu ahnen: Er verfügte am 21. 9. 1943 zusammen mit ORKA Kraell eine Anklage gegen Dietrich Bonhoeffer wegen Wehrdienstentziehung gem. § 5 Abs. 1 Ziff. 3 KSSVO. Ermittelt wurde auch wegen Fluchthilfe für Juden. Bonhoeffer blieb in Haft und wurde nach dem 20. Juli der Gestapo überstellt.35 Die Motive der Verschwörer beruhten nach Bastians Überzeugung auf dem Verlust des „gesunden Augenmaßes“. Sie nahmen zu Unternehmungen Zuflucht, „die mit unseren ethischen Auffassungen nicht mehr in Einklang zu bringen und daher auch nicht zu decken sind“. Der Verschwörer belastet nach ihm sein Handeln mit dem Makel des Verrats eigener Kameraden „und rüttelt damit an den Grundfesten von Treu und Glauben in unserer Wehrgemeinschaft, ein Delikt, für das es in einem gesund empfindenden Volk wohl niemals eine anzuerkennende Erklärung, geschweige denn eine Entschuldigung gegeben hat und wohl auch nie geben dürfte“.36 Admiral Bastian hat sich nach Entlassung aus französischer Gefangenschaft um Kontakte zu ehemaligen RKG-Mitgliedern bemüht sowie um die von Militärjuristen betriebene interessengesteuerte Vermittlung eines positiven Bildes der Militärjustiz. Seine „Lebenserinnerungen“, zwar in erster Linie der Familie gewidmet, sind ein beredtes Zeugnis dieses Anliegens. Der Mangel an Selbstkritik, die Auslassungen und der Versuch, den Dienst am Recht vorzuführen, gehören zum Rechtfertigungsinstrumentarium seiner Generation von Richtern, Anklägern und Gerichtsherren. Diese Generation kann nur schwer hinnehmen, daß Dienst für und mit Unrecht, wie es in zahllosen Gesetzen, Verordnungen, Erlassen und Verfügungen gegeben war, schwerlich zum Dienst am Recht werden kann. Es gab drastischer agierende Gerichtsherren als Bastian. Dies kann dem 1958 verstorbenen Admiral zugestanden werden.

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Anmerkungen Raeder, Mein Leben, S. 252, 254. BA-MA Freiburg, Nachlaß Bastian, N 192/1: Bastian, Lebenserinnerungen, S. 4. 3 Ebenda, S. 5. 4 Ebenda, S. 5f. 5 Schwinge, Kommentar zum Militärstrafgesetzbuch, S. 437. 6 Anhang 2 zur HDv. 3/13, abgedruckt bei Absolon, Das Wehrmachtstrafrecht im Zweiten Weltkrieg, Erlasse, Kornelimüster 1958, S. 179–189. 7 BA-MA Freiburg, N 192/1: Bastian, Lebenserinnerungen, S. 26. 8 Ebenda, S. 38. 9 Ebenda. 10 Ebenda, S. 30f. 11 Entscheidungen des Reichskriegsgerichts, Bd. 2, S. 43. 12 RGBl 1940, I, S. 1353. 13 BA Berlin (Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten), Filmrolle A 35/M 1000 1/2: Präsident RKG, Az 14n/Nr. 87/140 g. 14 Messerschmidt, Die Verweigerer aus Gewissensgründen vor dem Reichskriegsgericht, S. 73–96 (83). Die Zahlen beruhen auf einer Aufstellung der Wehrmachtrechtsabteilung, Verteilerexemplar für den Chef des Allgemeinen Wehrmachtamtes (AWA). In: BA-MA Freiburg, RW 6/v. 537. 15 BA-MA Freiburg, RW 2/v. 23 D: Gesetzesdienst für die Wehrmachtgerichte, OKW/WR, 1941, S. 5–15. 16 Wie Anmerkung 13. 17 BA-MA Freiburg, N 112/1: Bastian, Lebenserinnerungen, S. 56. 18 Ebenda, S. 56. 19 Wie Anmerkung 13. 20 Militärhistorisches Archiv (MHA) Prag: RKG, Karton 64; zit. nach Haase, Reichskriegsgericht, S. 14 u. 29. 21 Haase, Reichskriegsgericht, S. 44 ff.: Dienstliche Richtlinien v. 14. August 1944. 22 BA-MA Freiburg, N 192/1: Bastian, Lebenserinnerungen, S. 56f. 23 RKG 1940, I, Nr. 13, S. 41 (wie Anmerkung 11). 24 Urteile vom 27. Februar 1940 (2. Senat) und 28. Februar 1940 (3. Senat) und 2. April 1940 (1. Senat); RKG 1940, I, Nr. 22 u. 23, S. 60–62, Nr. 24, S. 62f. (wie Anmerkung 11). 25 BA-MA Freiburg, RH 12–23, H 20/482: OKW/WR (II/9) v. 4.6.1943 an den Leiter des Psychiatrisch-Wehrpsycholog. Instituts, Oberstarzt Prof. Dr. Wuth. 26 BA-MA Freiburg, N 192/1: Bastian, Lebenserinnerungen, S. 65. 27 Vgl. den Bericht des zur Roten Kapelle gehörenden Heinrich Scheel, Vor den Schranken des Reichskriegsgerichts, S. 330 ff. 28 BA-MA Freiburg, RW 2/v. 17. 29 BA Berlin (Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten), Filmrolle M 1001/2, Akte 36 (RKG): OKW/WR (I/3,4), 242/42 g v. 16. Juni 1942. 30 Ebenda. 31 Urteile im BA-ZNS Aachen-Kornelimüster, RKG, Arch. Nr. 24, 25, 53–55. 32 BA-MA Freiburg, N 192/1: Bastian, Lebenserinnerungen, S. 48. 1 2

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Urteil-Kopie im BA Berlin, (Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten), Filmrolle M 1001/3, Akte 62. Zu seiner Rolle beim 20. Juli s. a. Hoffmann, Stauffenberg und seine Brüder, S. 374ff. 34 Das Urteil ist wiedergegeben bei Haase, Reichskriegsgericht, S. 240–248. 35 Wiedergabe der Anklageverfügung bei Haase, Reichskriegsgericht, S. 161. 36 BA-MA Freiburg, N192/1: Bastian, Lebenserinnerungen, S. 224f. 33

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA–MA Freiburg: Nachlaß Bastian, N 192/1: Max Bastian, Lebenserinnerungen 1. 9. 1939–20. 10. 1945. Aufzeichnungen v. 29. 12. 1956, Schreibmaschinen-Manuskript, ebenda: RW2/17 v. 23 D; RW 6/v. 537: Aufstellung über Todesurteile; ebenda: RH 12–23 (H 20/482): Heeressanitätsinspektion, Mitteilung über Anstieg der Wehrkraftzersetzungsfälle; BA Berlin, Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten: Filmrolle M 1001/2, Akte 36 RKG; und Filmrolle M 1001/3, Akte 62: RKG-Urteile; ebenda: Filmrolle A 35/M 1000 1/2: Reichskriegsgericht, Präsident; Militärhistorisches Archiv (MHA) Prag: RKG, Karton 64, Reichskriegsgericht, Urteilsstatistik; BA-Zentralnachweisstelle Aachen-Kornelimünster: RKG, Archiv Nr. 24, 25, 53–55. Gedruckte Quellen und Literatur Absolon, Rudolf: Das Wehrmachtstrafrecht im Zweiten Weltkrieg: Sammlung der grundlegenden Gesetze, Verordnungen und Erlasse. Kornelimünster 1958. Entscheidungen des Reichskriegsgerichts. Berlin 1938 ff., Bd. 1 u. 2. Gesetzesdienst für die Wehrmachtgerichte, OKW/WR. o. J. (1941). Haase, Norbert: Das Reichskriegsgericht und der Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Katalog zur Sonderausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Berlin 1993. Hoffmann, Peter: Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder. 2. Aufl. Stuttgart 1992. Messerschmidt, Manfred: Die Verweigerer aus Gewissensgründen vor dem Reichskriegsgericht. In: Ders.: Was damals Recht war. NS Militär- und Strafjustiz im Vernichtungskrieg. Hrsg. v. Wolfram Wette. Essen 1996, S. 73–96. Raeder, Erich: Mein Leben. Bis zum Flottenabkommen mit England 1935. Tübingen 1956. Reichsgesetzblatt 1940, Teil I. Scheel, Heinrich: Vor den Schranken des Reichskriegsgerichts. Mein Weg in den Widerstand. Berlin 1993. Schwinge, Erich: Kommentar zum Militärstrafgesetzbuch nebst Kriegssonderstrafrechtsverordnung. 6. Aufl. Berlin 1944.

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SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Prof. Dr. med. Karl Brandt Als Sohn des preußischen Majors Julius Brandt wurde Karl Brandt1 am 8. Januar 1904 im elsässischen Mühlhausen geboren. 1919 verließ der Fünfzehnjährige mit seiner Familie die nunmehr französische Geburtsstadt und setzte seine Gymnasialausbildung an der Dresdener ‘Landesschule’ fort, um nach dem Abitur in Jena, Freiburg im Breisgau, München und Berlin Medizin zu studieren. Dem medizinischen Vorexamen in Dresden (1923), dem Staatsexamen (1928) und der Promotion (1929)2 folgten die chirurgische Facharztausbildung am Bochumer ‘Bergmannsheil’ und schließlich 1935 eine Anstellung als Oberarzt an der Berliner chirurgischen Universitätsklinik unter Professor Georg Magnus. Karl Brandt kam spätestens 1926 auf dem Weimarer Parteitag der NSDAP mit der NS-Bewegung in Berührung, wurde 1932 Parteimitglied3 und engagierte sich in der SA-Gruppe Westfalen sowie als Leiter der Ortsgruppe Bochum des ‘Reichsschutzbundes’. Erste persönliche Kontakte zu Hitler ergaben sich 1932 anläßlich der Verlobung Brandts mit der seit 1925 mit Hitler befreundeten Schwimmeisterin Anni Rehborn. Entscheidend für das spätere enge Verhältnis zu Hitler dürfte jedoch der Kontakt zu dessen Adjutanten Wilhelm Brückner gewesen sein, den Brandt nach einem Autounfall im August 1933 in Reit im Winkel persönlich in eine Klinik brachte, operierte und sechs Wochen betreute. Im Juni 1934 trug die ärztliche Fürsorge Früchte: Durch Vermittlung Brückners bestellte Hitler Karl Brandt, der soeben von der SA zur SS übergetreten war, zu seinem Begleit- bzw. Leibarzt. Seine nun folgende SS-Karriere verlief steil. Brandt trat als Untersturmführer von der SA zur SS über (29. Juli 1934)4, wurde bald darauf SS-Sturmführer (1. Oktober 1934), SS-Obersturmführer (1. Januar 1935) und schließlich SS-Sturmbannführer (9. November 1937) beim Stab des SS-Haupt amtes. Für den Fall eines Krieges sollte Brandt auf Anweisung Hitlers unmittelbar in die Reichskanzlei abgestellt werden und ständig in der Nähe des ‘Führers’ sein, gleichzeitig wurde er beauftragt, Lazarette und Unfall stationen zu inspizieren und Hitler darüber direkt Bericht zu erstatten. Unmittelbar nach dem Überfall auf Polen wurde Brandt SS-Obersturmbannführer, in die Waffen-SS zur „Leibstandarte Adolf Hitler“ versetzt und

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ab Mitte Mai 1940 für die Dauer des Krieges zum ‘Führer’ kommandiert, nachdem er noch kurz zuvor zum Professor ernannt worden war. Hitler beauftragte Brandt nach dem Überfall auf die Sowjetunion mit der Koordination des militärischen und zivilen Sanitätswesens und erweiterte 1942 dessen Sonderbefugnisse auf die Gebiete Medizinische Forschung, Bedarf an Ärzten und Krankenhäusern sowie auf die Medikamentenherstellung und -verteilung; auch die „Lebensborn“-Organisation wurde ihm unterstellt.5 Weitere Beförderungen folgten: Im August 1942 wurde Brandt Standartenführer der Waffen-SS, im Januar 1943 Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS und am 20. April 1944 SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS. Obwohl es mit Dr. Leonardo Conti (1900–1945)6 einen sogenannten ‘Reichsgesundheitsführer’ gab, der diese Funktion als Staatssekretär im Reichsinnenministerium wahrnahm, wurde Brandt auf eigenen Wunsch von Hitler am 28. Juli 1942 zum „Bevollmächtigten für das Sanitäts- und Gesundheitswesen“ ernannt und dem ‘Führer’ unmittelbar unterstellt.7 Schließlich erlangte Brandt im September 1943 eine Ausweitung seiner Befugnisse und wurde zum „Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen“ berufen.8 Am 25. August 1944 wurde er mit diesem Aufgabenfeld für die Dauer des Krieges sogar zum „Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen“ bestellt und stand damit an der Spitze einer obersten Reichsbehörde.9 Diese Ernennung fand allerdings die Kritik von Reichsminister Goebbels, der sie als weiteren Beitrag zum „Organisationsdurcheinander“ im Gesundheitswesen bezeichnete.10 Aber nicht diese Funktion als Reichskommissar ab 1944 brachte Brandt nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes 1946/47 auf den Anklagestuhl in Nürnberg, sondern seine besondere Rolle als Vertrauter und Sonderbevollmächtigter Hitlers auf dem Feld des Gesundheitswesens beim Kriegsbeginn im September 1939. Welche Anklagepunkte kamen dort zur Verhandlung? Am schwersten wog Brandts führende Rolle bei der als „Euthanasie“ getarnten Mordaktion an psychisch Kranken seit Kriegsbeginn 1939. Wie war diese Aktion legitimiert, wer zeichnete verantwortlich? Dazu liegt ein schriftlicher Hinweis Hitlers vor, bei dem es sich im strengen Sinne weder um einen Befehl und schon gar nicht um ein Gesetz handelte, sondern allenfalls um eine private Ermächtigung des Diktators zum Töten. Es ist dies ein Brief Hitlers, rückdatiert auf den 1. September 1939, also auf den Tag des deutschen Überfalls auf Polen, an den ‘Leiter der Kanzlei des Führers der NSDAP’ Philipp Bouhler11 und an den ärztlichen Vertrauten und Begleitarzt Hitlers Dr. Karl Brandt. Der Text lautet: „Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind

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unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“12 Das Schreiben stellt ein Meisterstück mehrdeutiger Formulierung dar. Sein Verfasser nimmt sich scheinbar aus jeder Verantwortung und überträgt diese zur weiteren Delegation an zwei seiner Vertrauten. Unter dem Strich bleibt letztlich nicht mehr als ein weitest möglicher Ermessensspielraum im Töten, der dann auch tatsächlich in jeder Hinsicht ausgeschöpft worden ist. Vor dem Hintergrund einer seit den frühen 20er Jahren konstruierten volkswirtschaftlichen Notwendigkeit der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ war 1939 der konkrete Anlaß das Gesuch eines Vaters gewesen, sein mißgebildetes Kind töten lassen zu dürfen. „Hitler gab mir seinerzeit den Auftrag, mich dieser Sache anzunehmen“, gab Brandt als Angeklagter im Nürnberger Prozeß zu Protokoll.13 Brandt nahm sich der „Sache“ an, und nicht nur dieser, sondern auch Zehntausender ähnlicher „Sachen“, denn er organisierte die Umsetzung der Tötungslegitimation Hitlers minutiös und buchhalterisch genau. Der Krieg schien als Deckmantel geeignet, um die Aktion schnell durchführen zu können. Hitler hatte bereits 1935 seinem Ärzteführer Gerhard Wagner (1888–1939) zu verstehen gegeben, so erklärte Brandt 1946 vor dem Nürnberger Gerichtshof, „daß, wenn ein Krieg sein soll, er diese Euthanasiefrage aufgreifen und durchführen werde“, weil „ein solches Problem im Kriege zunächst glatter und leichter durchzuführen [sei], daß offenbar Widerstände, die von kirchlicher Seite zu erwarten wären, in dem allgemeinen Kriegsgeschehen nicht diese Rolle spielen würden“.14 Das Morden begann wenig später als „Aktion T4“ getarnt, und es wurde in vielfältiger Gestalt vollzogen: In stationären und mobilen Gaskammern mit Kohlenmonoxyd der I.G. Farben oder einfacher direkt mit Auspuff gasen. Getötet wurde auch durch Injektion schwerer Narkotika wie etwa Veronal, Luminal oder Morphium-Scopolamin. Zentrale Orte des Mordens waren das hessische Hadamar (mit ca. 15 000 Tötungen), Schloß Grafeneck bei Reutlingen (mit ca. 10 000 Tötungen), Schloß Hartheim bei Linz (mit mehr als 18 000 Ermordeten), die Vergasungsanstalt Sonnenstein in Pirna bei Dresden (mit ca. 14 000 Tötungen), die Heil- und Pflegeanstalt Bernburg (mit annähernd 9000 Ermordeten) und das Zuchthaus Brandenburg (mit annähernd 10 000 Tötungen). Während die Nazis die Kriterien für die klinische Hinrichtung in den folgenden Jahren gegenüber der eigenen Bevölkerung differenzierten und zugleich ausweiteten, ließen sie nach dem Überfall auf die Sowjetunion in den eroberten Gebieten unterschiedslos alle vorgefundenen Insassen psychiatrischer Krankenhäuser unmittelbar nach dem Einmarsch ermorden.

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Die Euthanasieaktion „T4“ läßt sich in zwei Phasen unterteilen, deren erste bis zum sogenannten ‘Stopp’ im August 194115 dauerte, als die durch Fragebogen in allen deutschen psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalten vorermittelte Richtgröße von etwa 70 000 bis 75 000 Getöteten erreicht worden ist. Danach beginnt eine zweite Phase der ‘Neuorientierung’, die dadurch charakterisiert ist, daß immer neue Menschengruppen in den Kreis derer, die selektiert und dann getötet werden sollten, hineingestellt werden: Tuberkulosekranke, Alte und Schwache, wohnungslose Streuner, Arbeitsunwillige, schwache und kränkliche KZ-Insassen, insbesondere sowjetische Kriegsgefangene, Sinti, Roma (sogenannte Zigeuner) und viele andere mehr. Diese Phase mündet unmittelbar in die „Endlösung der Judenfrage“, die auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 besiegelt wurde. 1942 gibt die Aktionszentrale „Tiergartenstraße 4“ über 100 ihrer ‘Spezialisten’ zur „Endlösung der Judenfrage“ nach Osten ab. Die ersten Kommandanten der Lager Belzec, Sobibor und Treblinka kamen aus der „T4“ und wurden weiterhin von ihr bezahlt. Die Krankenmordaktion „T4“ ist vom millionenfachen Mord an der jüdischen Bevölkerung Europas nicht zu trennen. Sie steht folglich am Beginn einer Spirale des technisch perfekten Tötens, die sich seit der Erprobung von Zyklon B im Konzentrationslager Auschwitz am 3. September 1941 immer schneller zu drehen begann, die ihren Ausgang aber bei den Kohlenmonoxydvergasungen der nationalsozialistischen Scheineuthanasie genommen hatte. Brandts organisatorische Verstrickung in diesen nationalsozialistischen Krankenmord läßt seine verantwortliche Mitbeteiligung an den verbrecherischen Gelbsucht- und Kampfstoff-Forschungen an Insassen deutscher Konzentrationslager in den Hintergrund treten. Aber auch sie waren, wenngleich am Rande, Gegenstand der Verhandlungen in Nürnberg, haben aber nicht wesentlich zum Todesurteil gegen den Generalleutnant der Waffen-SS und Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen beigetragen. Brandt, der selbst das Töten Kranker in Gang gesetzt hatte, war in den letzten Kriegswochen seinerseits durch die NS-Führung vom Tode bedroht, wenngleich nicht als Gegner des Regimes, sondern als vermeintlich Abtrünniger. Nach rasanter militärischer Karriere erfolgte sein Sturz abrupt im April 1945. Hitlers Begleitarzt hatte seine Frau und sein Kind in Thüringen durch die vorrückenden amerikanischen Truppen angeblich bewußt „überrollen“ lassen und die Familie in Sicherheit gebracht. Hitler tobte in einem seiner üblichen Wutausbrüche und verfügte ein Standgericht über Brandt, das sich u. a. aus dem SS-Obergruppenführer Gottlob Berger in Vertretung von Goebbels, aus dem ‘Reichsjugendführer’ Artur Axmann und einem Zivilrichter zusammensetzte. Der Hauptvorwurf bestand darin, daß Brandt seine Familie nicht auf den Obersalzberg evakuiert, sondern zusammen mit

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den Familien von Mitarbeitern nach Bad Liebenstein/Thür. und Garmisch in Sicherheit gebracht habe, um sie nicht in sowjetische Hände fallen zu lassen. Auch war der Verdacht entstanden, daß er seine Frau mit Geheimakten den Amerikanern entgegengeschickt habe.16 Brandt wurde am 16. April 1945 in der Villa von Goebbels auf der Insel Schwanenwerder unter dem Vorwurf „Defätismus und Feigheit“ verhaftet. Das Gericht, dem ein handschriftliches Verlangen Hitlers nach Todesstrafe für seinen Begleitarzt vorlag, verurteilte Brandt bereits am 17. April 1945 wegen „Defätismus, fehlenden Glauben[s] an den Sieg und Hochverrat“ zum Tode. Zur Vollstreckung freilich kam es nicht mehr. Der Verurteilte wurde mehrfach verlegt, gelangte über Schwerin, Kiel und Rendsburg nach Flensburg, wo er am 3. Mai 1945 auf Veranlassung Speers, dessen Einfluß wohl auch die Hinauszögerung der Erschießung Brandts zuzuschreiben war,17 entlassen und am 23. Mai 1945 mit der Regierung Dönitz von den Engländern verhaftet wurde. Als einer der Hauptverantwortlichen für die medizinischen Verbrechen unter der NS-Diktatur stand Karl Brandt seit dem 25. Oktober 1946 im Nürnberger Ärzteprozeß vor Gericht und wurde dort am 20. August 1947 durch den Ersten Amerikanischen Militärgerichtshof zum Tod durch Erhängen verurteilt. Der Urteilsspruch lautete: „Karl Brandt, Military Tribunal I has found and adjudged you guilty of war crimes, crimes against humanity, and membership in an organization declared criminal by the judgment of the International Military Tribunal, as charged under the indictment heretofore filed against you. For your said crimes on which you have been and now stand convicted Military Tribunal I sentences you, Karl Brandt, to death by hanging.“18 In der Urteilsbegründung ist besonders stark gewichtet worden, daß die von Anfang an geplante und in der zweiten Phase auch vollzogene Ausdehnung der sogenannten ‘Euthanasie’-Aktion auf „Mischlinge (Halbjuden)“19, Juden, „unerwünschtes Volkstum“20 und KZ-Häftlinge auch „machtlose Menschenwesen anderer Nationalität“ dem Morden ausgesetzt habe und Brandt sich mithin „der Ausrottung fremder Staatsangehöriger schuldig gemacht“ habe.21 Dabei sei es unerheblich gewesen, ob Brandt unmittelbar an der ‘Euthanasie’ beteiligt gewesen sei oder nicht. Schon die Behauptung Brandts, daß er das „Programm“ nach dessen Initiierung „nicht weiterverfolgt“, sondern die „verwaltungsmäßigen Durchführungseinzelheiten“ Reichsleiter Philipp Bouhler überlassen habe, stelle „die ernsteste Pflichtverletzung dar“.22 Ähnlich lautete die Begründung auch hinsichtlich der Verantwortung Brandts für die in Konzentrations lagern durchgeführten Humanexperimente: „Im Gesundheitswesen hatte der Angeklagte eine höchste Stellung direkt unter Hitler inne. In Bezug auf

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ärztliche Angelegenheiten war er in der Lage, als Autorität einzugreifen; es scheint sogar, daß dies seine bestimmte Pflicht war. Man hat nicht den Eindruck, daß er irgendwelche Schritte unternahm, um ärztlichen Versuchen am Menschen Einhalt zu gebieten.“23 Hätte Brand seine Aufsichtspflicht wahrgenommen, so urteilte das Gericht, „wäre eine große Anzahl von Nichtdeutschen vor der Ermordung bewahrt geblieben“24. Am 2. Juni 1948 wurde das Urteil in Landsberg vollstreckt. Bezeichnenderweise hat Karl Brandt wie viele seiner Mitangeklagten während des Tribunals sowie noch bis unmittelbar vor Vollstreckung des Urteils seine ärztlichen Verbrechen als Ergebnisse tragischer Konflikte zwischen Befehl und Gehorsam gedeutet, den Opfern dieser Verbrechen freilich keine Aufmerksamkeit gezollt.25 Bereits im Prozeß hatte er auf die Frage seines Rechtsanwalts, ob er sich „irgendwie belastet“ fühle „durch die Ausübung der Euthanasie“, geantwortet: „Nein. Ich fühle mich dadurch nicht belastet. Ich habe die Vorstellung und Überzeugung, daß ich das, was ich in diesem Zusammenhang getan habe, vor mir selbst verantworten kann.“26 Der Gerichtshof konnte sich solcher Auffassung nicht anschließen; für ihn war das Brandt übertragene ‘Euthanasie-Programm’ das, was es war, „ein nationaler, vom Reich gebilligter Plan für vorsätzlichen und überlegten Massenmord“27.

Anmerkungen 1 Preradovich, Die Generale der Waffen-SS, S. 74 f.; Speer, Erinnerungen; Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit; Schenck, Patient Hitler. 2 Brandt, Angeborener Verschluß der Gallenausfuhrgänge, Diss. med. Freiburg, 19. Okt. 1929. 3 BA Berlin (ehem. BDC): Mitgliedsnr. 1 009.617. 4 Ebenda: SS-Nr. 260.353. 5 Siehe Erlaß des Führers über das Sanitäts- und Gesundheitswesen v. 28. 7. 1942. In: Heeresverordnungsblatt, S. 25. Zur Geschichte der „Lebensborn“-Organisation vgl. Lilienthal, Der „Lebensborn e. V.“. 6 Vgl. Labisch/Tennstedt, Der Weg, und Kröner, Conti. Conti trat als praktischer Arzt 1927 in Berlin der NSDAP bei und gehörte 1929 zu den Gründern des NSDÄB. 1936 organisierte er den medizinischen Dienst der Berliner Olympiade. Hitler ernannte ihn 1939 zum „Reichsgesundheitsführer“ und beauftragte ihn als Staatssekretär im Ministerium des Innern mit der Leitung des gesamten zivilen Gesundheitswesen. Durch die Ernennung Karl Brandts zum Reichsbeauftragten für das Sanitäts- und Gesundheitswesen wurde Conti 1943 faktisch entmachtet. Am 6. 10. 1945 erhängte er sich in seiner Zelle in Nürnberg. 7 Gestützt auf Ueberschär, Der NS-Führerstaat im Krieg, auch zum Folgenden. 8 Siehe RGBl. 1943, Teil I, S. 533. 9 RGBl. 1944, Teil I, S.185.

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Goebbels, Tagebücher, Teil II, Bd.13, S.534 (21. 9. 1944). Noakes, Philipp Bouhler. 12 Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, S.184. 13 Ebenda. 14 Ebenda. 15 Mündlicher Befehl Hitlers an Brandt, den dieser telefonisch an Philipp Bouhler weitergab. Schriftliche Unterlagen sind nicht auffindbar. Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, S.204 f. 16 Speer, Erinnerungen, S. 469; Schenck, Patient Hitler, S.470. 17 Schenck, Patient Hitler, S.471. 18 Trials of War Criminals before the Nuremberg Military Tribunals. 19 Im Rahmen der sogenannten „Kinder-Euthanasie“ etwa 1943 in Hadamar; vgl. Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, S.212f. 20 Ebenda, S.210, auch zum Folgenden. 21 Aus der Urteilsbegründung im Prozeß gegen Angehörige des SS-Rasse- und Siedlungshauptamtes […] und anderer SS-Organisationen [auch „Genocidiumprozeß“] vom 10. 3. 1948. Vgl. Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S.267. 22 Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, S.209. 23 Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S.68 f. 24 Ebenda, S.69. 25 Vgl. Brandts Ausführungen zur „Hitler-Legende“ v. 15. 8. 1945: BA Koblenz, Kleine Erwerbungen, 441–3. 26 Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, S.208. 27 Aus der Urteilsbegründung im Prozeß gegen Angehörige des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes [auch „Pohl-Prozeß“] vom 3. 11. 1947, in: Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S.267. 10 11

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA Berlin (ehem. BDC): Personalunterlagen zu Brandt; Staatsarchiv Nürnberg: Unterlagen zum Ärzteprozeß und Befragungsunterlagen zu Brandt. Gedruckte Quellen und Literatur Brandt, Karl Franz Friedrich: Angeborener Verschluß der Gallenausfuhrgänge. Marburg 1929 [Diss. med. Freiburg, 19. Okt. 1929]. Heeres-Verordnungsblatt 24 (1942), 47. Ausgabe. Heinze, Kurt/Karl Schilling: Die Rechtsprechung der Nürnberger Militärtribunale – Sammlung von Rechtsthesen der Urteile und gesonderten Urteilsbegründungen der dreizehn Nürnberger Prozesse. Bonn 1952. Kröner, Peter: Leonardo Conti. In: Ärztelexikon – Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Wolfgang U. Eckart und Chr. Gradmann. München 1995, S.99 f.

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Labisch, Alfons/Florian Tennstedt: Der Weg zum Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934. T. 2, Düsseldorf 1985. Lilienthal, Georg: Der „Lebensborn e. V.“ – Ein Instrument nationalsozialistischer Rassenpolitik. Stuttgart, New York 1985. Mitscherlich, Alexander/Fred Mielke: Medizin ohne Menschlichkeit. Frankfurt a. M. 1978. Noakes, Jeremy: Philipp Bouhler und die Kanzlei des Führers der NSDAP: Beispiel einer Sonderverwaltung im Dritten Reich. In: Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Hrsg. von Dieter Rebentisch und Karl Teppe. Göttingen 1986, S.208–236. Preradovich, Nikolaus von: Die Generale der Waffen-SS. Berg am See 1985. Reichsgesetzblatt, 1943 und 1944, Teil I. Schenck, Ernst Günther: Patient Hitler – Eine medizinische Biographie. Düsseldorf 1989. Speer, Albert: Erinnerungen. Frankfurt a. M. 1969. Trials of War Criminals before the Nuremberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10. Nuremberg, October 1946 – April 1949. Washington D.C.: U.S. G.P.O., 1949–1953. Ueberschär, Gerd R.: Der NS-Führerstaat im Krieg. Maschinenschriftl. MS 1996.

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Generalfeldmarschall Ernst Busch* Gemeinhin gilt Stalingrad als die größte militärische Katastrophe der deutschen Wehrmacht, aber zu Unrecht. Feldmarschall Paulus verlor bei Stalingrad etwa 230 000 Mann, Feldmarschall Busch in den Schlachten von Vitebsk und Minsk, die man als „Cannae der Heeresgruppe Mitte“ bezeichnet hat,1 mehr als 300 000. Wer war dieser Feldmarschall Busch? Ernst Busch wurde am 6. Juli 1885 in Essen geboren. Sein Vater war Direktor des dortigen Militärwaisenhauses. Wie es sich für einen künftigen Offizier gehörte, besuchte er die Kadettenanstalt in Groß-Lichterfelde. Fast während des ganzen Ersten Weltkriegs diente er an der Westfront im Infanterieregiment 56, zunächst als Chef einer Kompanie, dann als Kommandeur eines Bataillons. 1915 wurde er zum Hauptmann befördert. Wegen besonderer Tapferkeit erhielt er 1918 den Orden „Pour le mérite“. Nach dem Krieg wurde er in die Reichswehr übernommen, wo er abwechselnd im Stabsdienst und in der Truppenausbildung tätig war. Als Major wurde er 1925 Chef des Transportwesens der Reichswehr, 1930 wurde er Oberstleutnant, Anfang 1932 Kommandeur des Infanterieregiments 9 und zum Ende desselben Jahres Oberst.2 Busch war begeistert von der NS-Bewegung und folgte Adolf Hitler in blindem Gehorsam. Er gab sich dazu her, am ‘Volksgerichtshof’ als Laienrichter zu fungieren.3 Bereitwillig deckte er später auch verbrecherische Befehle Hitlers während des Krieges.4 Vor 1933 verlief Buschs Karriere normal; im ‘Dritten Reich’ stieg er dann rasch auf. Schon 1935 war er Generalmajor und Kommandeur der 23. Infanteriedivision in Potsdam. 1937 wurde er zum Generalleutnant befördert und war während der Blomberg-Fritsch-Krise Anfang 1938 offensichtlich ein treuer Gefolgsmann Hitlers. Die Belohnung ließ nicht lange auf sich warten. Schon im Februar 1938 wurde er mit noch nicht einmal 53 Jahren zum General der Infanterie befördert, einen Monat später erhielt er die Stelle des Befehlshabers im Wehrkreis VIII (Breslau). Im Sommer 1939 stellte er sich gegen den Generalstabschef Ludwig Beck, als dieser Bedenken gegen Hitlers Kriegespolitik äußerte. Im Polenfeldzug befehligte Busch mit seinem VIII. Armeekorps den linken Flügel der 14. Armee unter Generaloberst List; er eroberte Krakau und * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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stieß bis Lemberg (Lvov) vor.5 Im Frankreichfeldzug war Busch Oberbefehlshaber der 16. Armee. Er verstand nichts von Panzertaktik und bezweifelte, ob der von Guderian geplante Panzervorstoß je über die Maas hinausgelangen würde. Trotzdem erhielt er den wichtigen Auftrag, beim Vorstoß Guderians dessen linke Flanke abzusichern.6 Im zweiten Abschnitt des Westfeldzuges führte er 13 Infanteriedivisionen und folgte den Panzerverbänden ins Innere Frankreichs.7 Nach der französischen Kapitulation wurde Busch, der schon im Mai 1940 für seine Erfolge das Ritterkreuz erhalten hatte, im Juli zum Generaloberst befördert.8 Buschs 16. Armee blieb zunächst in Frankreich; im Mai 1941 wurde sie nach Ostpreußen verlegt. Beim ‘Unternehmen Barbarossa’ bildete sie den rechten Flügel der Heeresgruppe Nord. Sie sollte vor allem die rechte Flanke dieser Heeresgruppe bei deren Vorstoß auf Leningrad absichern und nach Süden Verbindung zur Heeresgruppe Mitte halten. In der zweiten Augustwoche eroberten Buschs Divisionen Staraja Russa, waren dann aber in Gefahr, von weit überlegenen Kräften der 38. Sowjetarmee abgeschnitten zu werden. General Mansteins LVI. Panzerkorps, das gegen Leningrad vorstieß, mußte umkehren, um die Situation zu retten. Ihm gelang es, die 38. Sowjetarmee in einer glänzenden Operation zu umgehen und zu zerschlagen.9 In der russischen Winteroffensive 1941/42 wurde Buschs 16. Armee Anfang Januar bei 40 Grad Kälte von fünf sowjetischen Armeen angegriffen. Busch teilte seinen Kommandeuren mit, jede Truppe müsse dort standhalten, wo sie stehe, wie es der ‘Führer’ im Dezember befohlen habe. So wurden Generalleutnant Scherer mit 5500 Mann aus verschiedenen Verbänden am 28. Januar bei Cholm und General Brockdorff-Ahlefeldts II. Armeekorps am 8. Februar bei Demjansk eingekesselt. Inzwischen hielt die abgeschnittene 290. Infanteriedivision große Teile der 34. Sowjetarmee südlich des Ilmensees wochenlang in heroischem Kampf auf, wurde dabei aber fast ganz aufgerieben. Busch konnte Staraja Russa, eine wichtige Nachschub basis, nur durch den Einsatz seiner letzten Reserve, der 18. motorisierten Infanteriedivision, halten. Der Kontakt zur Heeresgruppe Mitte ging während dieser Kämpfe völlig verloren. Generaloberst v. Küchler, der neue Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, war mit Buschs Führung so unzufrieden, daß er sogar um die Erlaubnis bat, ihn seines Kommandos entheben zu dürfen. Zum Glück für die Truppen Buschs stieß ein Großteil der sowjetischen Armeen weiter nach Süden in den Rücken der Heeresgruppe Mitte vor. Kurz vor Vitebsk und Smolensk wurden sie dann von General Model gestoppt.10 Während sich der sowjetische Angriff erschöpfte, verstärkten Hitler und Küchler die immer schwächer werdende 16. Armee. Im Sommer 1942 konn-

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te Busch die Kampfgruppe Scherer in Cholm befreien und durch General von Seydlitz die Verbindung zu dem II. Armeekorps bei Demjansk wiederherstellen.11 Vom Frühjahr 1942 bis 1944 konzentrierten sich die Offensiven der Roten Armee im nördlichen Frontabschnitt hauptsächlich auf die 18. Armee, die Leningrad belagerte. Busch war nur mit kleineren Angriffen konfrontiert und erlitt – abgesehen von dem Verlust von Neval – keine größeren Niederlagen mehr. Allerdings hatte er auch keine Siege zu verzeichnen. Trotz seiner eher mittelmäßigen Leistungen wurde er am 30. Januar 1943, dem 10. Jahrestag von Hitlers Machtergreifung, ebenso wie Generaloberst Paulus zum Generalfeldmarschall ernannt. Diese Beförderung verdankte er genaugenommen seiner NS-freundlichen Haltung und Hitlers Günstlingswirtschaft. Nachdem Feldmarschall von Kluge im Oktober 1943 bei einem Autounfall schwer verletzt worden war, ernannte Hitler Busch zu seinem Nachfolger als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte. Damit war Busch eindeutig überfordert, und das sollte sich verhängnisvoll auswirken. Hitler schätzte Busch als überzeugten Nationalsozialisten und als Jasager. Schon im August 1943 hatte er ihn mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz ausgezeichnet. Busch wußte, daß er sich nicht wirklich bewährt hatte; deshalb neigte er dazu, sich auch in taktischen Fragen auf Hitlers Lagebeurteilung zu verlassen. Eine Weisung des ‘Führers’, meinte Busch, müsse unbedingt befolgt werden. Mit dieser Einstellung war Busch zu diesem Zeitpunkt ein völlig unfähiger Oberbefehlshaber. Buschs Heeresgruppe Mitte bestand aus der 3. Panzerarmee (Generaloberst Georg Hans Reinhardt), der 4. Armee (Generaloberst Gotthard Heinrici), der 9. Armee (General Hans Jordan) und der 2. Armee (General Walter Weiß). Außerdem unterstanden Busch sechs ungarische Infanterie divisionen, drei deutsche Sicherungsdivisionen und eine slowakische sowie zwei Ausbildungsdivisionen. Insgesamt verfügte die Heeresgruppe über 76 Divisionen. Allerdings waren die ungarischen Divisionen und die Luftwaffenfelddivisionen kaum einsatzfähig; die Sicherungs- und Ausbildungsdivisionen waren nicht für den Kampf an der Front ausgerüstet. Von den verbleibenden 55 Divisionen hatte keine ihre volle Stärke.12 Busch legte mehrere dieser Truppenverbände zusammen, so daß er im Juni 1944 über 38 Divisionen verfügte. Eine normale Infanteriedivision umfaßte damals 2000 Mann in sechs Bataillonen. Im Winter 1943/44 gelang es Busch sogar, Orša und Vitebsk erfolgreich zu verteidigen. Aber seine Rolle bei diesen Erfolgen war größtenteils passiv. Außerdem nahm er wiederholt Zuflucht zu Rückversicherungen beim ‘Führer’. Obwohl Models Heeresgruppe Nordukraine sich auf den Dnjepr

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zurückzog und dadurch Buschs rechte Flanke gefährdete, befahl Hitler der 2. Armee auf Buschs rechtem Flügel, nicht zurückzuweichen. Busch äußerte keine Bedenken gegen Hitlers Lagebeurteilung und hielt die Stellung. Infolge dieses Haltebefehls entstand zwischen Buschs 2. Armee und Models Nordflanke jedoch eine 100 km breite Lücke. Die Erfolge im Winter 1943/44 wurden von der deutschen Propaganda selbstverständlich besonders herausgestellt; aber anderswo hatte das Ostheer schwere Probleme: Mitte Januar 1944 durchbrach die Sowjetarmee den Belagerungsring von Leningrad und drängte die Heeresgruppe Nord zurück; im Frühjahr 1944 mußte die Wehrmacht die Ukraine räumen. Als das Tauwetter eine Kampfpause brachte, war die strategische Lage der deutschen Ostfront auf einem Tiefpunkt. Im Mai 1944 kämpften 2,2 Millionen deutsche Soldaten gegen 6 Millionen sowjetische Soldaten. An allen Frontabschnitten war die Initiative völlig an die Russen übergegangen und die sowjetischen Luftstreitkräfte hatten die Luftherrschaft errungen, besonders bei der Heeresgruppe Mitte, wo die 6. Luftflotte General Greims den 3000 sowjetischen Flugzeugen nur 40 einsatzfähige Jäger entgegenstellen konnte. Die Heeresgruppe Mitte war mit fast 800 000 Mann zwar die stärkste deutsche Heeresgruppe; aber sie mußte einen großen Frontvorsprung verteidigen, der auf beiden Flanken feindlichen Angriffen ausgesetzt war.13 Anfang Mai 1944 sagte die Abteilung ‘Fremde Heere Ost’ im OKH voraus, die sowjetische Sommeroffensive werde südlich der Pripjet-Sümpfe erfolgen und gegen Rumänien, Ungarn, die Slowakei und den Balkan gerichtet sein; am Frontabschnitt nördlich der Pripjet-Sümpfe werde es ruhig bleiben. Busch freilich war beunruhigt durch Hinweise auf Truppenkonzentrationen im Gebiet von Kovel–Tarnopol. Generaloberst Zeitzler, der Generalstabschef des Heeres, meinte ebenfalls, die dortige Truppenkonzentration müsse man ernst nehmen, und schlug die Schaffung einer Reserve auf Buschs rechtem Flügel vor, damit man gegen eine eventuelle Offensive gerüstet sei. Das dafür vorgesehene LVI. Panzerkorps unter General Friedrich Hoßbach mußte aber Ende Mai 1944 an Models Heeresgruppe Nord ukraine abgegeben werden; damit verlor Buschs Heeresgruppe ihre motorisierte Reserve.14 Am 21. Juni 1944 standen den knapp 800 000 Mann der Heeresgruppe Mitte 2,5 Millionen Rotarmisten gegenüber, die von 4000 Panzern, 24 400 Geschützen und Mörsern und 5300 Flugzeugen unterstützt wurden.15 Die 9. Armee war beunruhigt wegen dieser Truppenmassierungen, aber Busch reagierte kaum. „Unter Busch“, schrieb der US-Historiker Ziemke, „war das Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte zu einem ideenlosen Werkzeug geworden, das lediglich den Willen des ‘Führers’ übermittelte.“ 16 Im April erklärte Hitler Vitebsk, Orša, Mogilev und Bobruisk zu „Festen Plätzen“,

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die bis zum letzten Mann verteidigt werden müßten. Busch akzeptierte auch diesen Führerbefehl ohne Bedenken.17 Am 20. Mai hatte Busch das Führerhauptquartier aufgesucht und um die Erlaubnis gebeten, sich auf den Dnjepr oder die Beresina zurückziehen zu dürfen. Hitler hatte schroff abgelehnt und zynisch bemerkt, er habe nicht gewußt, daß nun auch Busch zu jenen Generalen gehöre, die immer nach hinten blickten. Diese wohlkalkulierte Bemerkung traf Busch tief und sollte sein künftiges Verhalten beeinflussen. Nie wieder wollte er ‘illoyal’ erscheinen; statt dessen würde er alle Weisungen des ‘Führers’ akzeptieren, selbst wenn sie seiner eigenen besseren Einsicht zuwiderliefen.18 Ein Mitglied seines Stabes charakterisierte Busch als einen „Mann, der weder militärisch seiner Aufgabe gewachsen war, noch politisch jenen Grad innerer Selbständigkeit besaß, über den sonst ein denkender Mensch zu verfügen pflegt“.19 Wohlüberlegt verschob Stalin im Sommer 1944 die Eröffnung seiner Offensive, bis die Alliierten in der Normandie gelandet waren. Am 22. Juni, nach einem verheerenden Bombardement durch Flugzeuge und Artillerie, schlugen die sowjetischen Streitkräfte an einer 500 km langen Front los. Stalin setzte fast 200 Divisionen ein, mit 6000 Panzern und Sturmgeschützen, unterstützt von 7000 Flugzeugen. Diesem Ansturm standen nur 34 deutsche Divisionen mit einigen dezimierten Panzerregimentern und 40 Flugzeugen gegenüber. Die Panzerverbände der Heeresgruppe Mitte mußten gegen eine fünfeinhalbfache Übermacht kämpfen.20 General von Tippelskirch, der als Stellvertreter von Generaloberst Heinrici die 4. Armee führte, schlug vor, Teile seiner Verbände sofort hinter den Dnjepr zurückzunehmen; aber Busch lehnte das rundweg ab: „Eine freiwillige Aufgabe intakter Teile der Hauptkampflinie kommt unter keinen Umständen in Frage!“21 So blieb Tippelskirch nichts anderes übrig als zu versuchen, den Gegner an der Front zu stoppen. Mehrfach forderte Busch nachdrücklich, die Front müsse gehalten werden. Mehrere Truppenausbrüche nach Westen erfolgten viel zu spät, so daß viele Divisionen völlig aufgerieben wurden. Am 24. Juni sprach Busch in seinem Hauptquartier in Minsk mit Generalstabschef Zeitzler. Selbst jetzt bat der Feldmarschall nicht um die Erlaubnis zu einem allgemeinen Rückzug, obwohl er dazu entschlossen gewesen war; er bat nur, man möge ihm gestatten, Vitebsk aufzugeben und die 3. Panzerarmee zurückzunehmen. Als Zeitzler diese Bitte Hitler vortrug, stieß er erneut auf Ablehnung. Der ‘Führer’ war lediglich bereit, der Heeresgruppe Mitte zur Verstärkung die 212. Infanteriedivision und die 5. Panzerdivision zu schicken. Bis zu deren Ankunft würden Tage vergehen. Daher telefonierte Busch noch am gleichen Abend mit Hitler persönlich, aber dieser blieb hart; Vitebsk sei zu verteidigen, befahl er.22 „Was soll ich machen?“ fragte Busch immer wieder seinen Stabschef, Generalleutnant Krebs. Auf die Idee,

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die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, kam er nicht. Vermutlich war es auch ohnehin schon zu spät. Der „Feste Platz“ Vitebsk war bereits eingeschlossen.23 Am 29. Juni wurde die 9. Armee bei Bobruisk eingekesselt; von ihren 100 000 Mann entkamen nur 30 000. Bereits am 25. Juni war das Zentrum der 4. Armee durchstoßen worden, und die Armeen nördlich und südlich von ihr brachen zusammen. Aus eigener Machtbefugnis befahl General von Tippelskirch den Rückzug zum Dnjepr. Busch hob diesen Befehl sofort auf und wies die 4. Armee an, ihre alten Stellungen wieder einzunehmen; aber Tippelskirch kümmerte sich nicht darum und setzte den Rückzug fort. Erst am 28. Juni ließ Busch Tippelskirch den Befehl übermitteln, sich hinter die Beresina zurückzuziehen. Dieser befand sich bereits dort, hatte aber von seinen 165 000 Männern 130 000 verloren. Hätte er Busch gehorcht (so wie dieser Hitler gehorchte), wäre die 4. Armee vollständig vernichtet worden. Noch am 28. Juni berief Hitler Busch ab und ersetzte ihn durch Feldmarschall Model. Busch war tief gekränkt, denn er war der Überzeugung, bloß Befehle befolgt zu haben. Das war nur zu wahr; aber er hatte durch sein Verhalten etwa 350 000 Mann eingebüßt und 28 Divisionen waren zerschlagen worden. Dies war die größte Niederlage, die Deutschland je an der Ostfront erlitt. Als es Model gelang, die sowjetischen Verbände zu stoppen, standen sie bereits an der Weichsel und an der Grenze Ostpreußens. Nach diesen Niederlagen an der Ostfront schien Buschs Karriere beendet zu sein. Er zog sich zunächst nach Schlesien, später nach Ostbevern (Westfalen) zurück. Im Juli 1944 wurde er als „gebrochen und deprimiert“ beschrieben.24 Am 10. September erhielt Guderian, der neue Generalstabschef des Heeres, einen Brief von Reinhardt, der seit dem 16. August Models Nachfolger als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte war. Dieser teilte ihm mit, über Buschs Schicksal gebe es viele Gerüchte, zum Beispiel: er habe Selbstmord begangen, oder er sei gar zu den Russen übergelaufen. Guderian möge Hitler dazu bewegen, Busch ein Zeichen zu geben, daß er immer noch die Wertschätzung des ‘Führers’ genieße. Als General Schmundt, Chef des Heerespersonalamtes und Chefadjutant Hitlers, im September den Verletzungen erlag, die er bei dem Attentat vom 20. Juli 1944 erlitten hatte, durfte Busch bei dessen Begräbnis die Rede halten. Allmählich gewann er Hitlers Gunst zurück, und am 20. März 1945 wurde er zum „Oberbefehlshaber Nordwest“ ernannt. Obgleich dieser Titel eindrucksvoll klang, befehligte Busch nur eine einzige Kampfgruppe, die aus einigen Arbeitsdienstbataillonen, Hitlerjungen, Volkssturmmännern und vermischten Verbänden bestand. Sein Befehlsgebiet umfaßte die Nordseeküste, Schleswig-Holstein und einen Streifen der

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östlichen Niederlande, der noch von den Deutschen besetzt war. Busch versuchte, seinen Frontabschnitt durch Standgerichte und unrealistische Weisungen zu halten, war jedoch machtlos. Seine Soldaten waren völlig demoralisiert, und selbst die wenigen jungen Offiziere, die noch verbissen kämpften, hatten vor ihm keinen Respekt mehr. Der letzte Akt seiner militärischen Karriere war die Unterzeichnung der deutschen Kapitulation vor dem britischen Feldmarschall Montgomery am 4. Mai 1945. Am 23. Mai wurde Busch von den Briten gefangengenommen. Nach England gebracht, überlebte er seinen ‘Führer’ nur wenige Monate. Am 17. Juli 1945 starb er, ein gebrochener Mann, in britischer Haft. Er wurde ohne Zeremonie in einem unbezeichneten Grab in Aldershot bestattet25 – ein ehrloses Ende für Hitlers treuen Feldmarschall, dem jedes politische Urteilsvermögen fehlte. Anmerkungen Carell, Verbrannte Erde, S. 426. Paul Carell ist das Pseudonym des früheren Propagandakompaniemannes Paul Karl Schmidt. 2 Snyder, Encyclopedia of the Third Reich, S. 47; Wistrich, Wer war wer, S. 48; Moll, Die deutschen Generalfeldmarschälle, S. 33 f. 3 Wistrich, Wer war wer, S.48. 4 Fabian v. Schlabrendorff, der 1944 als Leutnant im Stabe Buschs diente, schreibt: „Eines Tages erzählte er, er sei früher Mitglied des Volksgerichtshofes gewesen. Da er von juristischen Dingen nichts verstehe, habe er sich vorgenommen, alle Angeklagten zum Tode zu verurteilen. Das habe er auch dann durchgeführt, wenn die gelehrten Richter anderer Meinung gewesen seien. Im Anschluß hieran kamen wir auf einen außerordentlichen Befehl Hitlers zu sprechen. Dieser hatte angeordnet, daß alle Fallschirmspringer, Engländer und Amerikaner, ohne Rücksicht darauf, ob sie Zivil oder Uniform trügen, sofort zu erschießen seien. Busch verstieg sich dazu, diesen Befehl richtig zu finden. Der hohe militärische Rang von Busch hinderte mich nicht, seiner Auffassung auf das Entschiedenste zu widersprechen. Busch gab ruhig zu, daß dieser Befehl gegen das Völkerrecht verstoße, zumal angeordnet worden war, der Befehl dürfe nur mündlich weitergegeben werden, während die an die Heeresgruppe gerichteten schriftlichen Exemplare sofort zu vernichten seien“ (Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler, S. 106). 5 Kennedy, The German Campaign in Poland, S. 74, Karten 7, 9 und 10. 6 Guderian, Erinnerungen, S. 82. 7 KTB des OKW/WFSt, Bd. I, S. 1123. 8 Keilig, Die Generale des Heeres, S. 57. 9 Manstein, Verlorene Siege, S. 201f.; Carell, Unternehmen Barbarossa, S.210–212. 10 Seaton, Der russisch-deutsche Krieg, S. 182 f.; Carell, Unternehmen Barbarossa, S.301–344. 11 Ziemke, Stalingrad to Berlin, S. 113. 1

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KTB des OKW/WFSt, Bd. III, S.1157; Stand vom 4. 10. 1943. Seaton, Der russisch-deutsche Krieg, S. 328; Irving, Hitlers Krieg, S. 268 f.; Ziemke, Stalingrad to Berlin, S.311 f. 14 Gackenholz, Der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte, S.452. 15 Ziemke, Stalingrad to Berlin, S. 314 f. 16 Ebenda, S.315f. 17 Gackenholz, Der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte, S.450f. 18 Ebenda, S.451f. 19 Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler, S.106. 20 Gackenholz, Der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte, S. 456 ff.; BrettSmith, Hitler’s Generals, S.196 f. 21 Gackenholz, Der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte, S.459. 22 Ebenda, S.459f. 23 Carell, Verbrannte Erde, S.440. 24 Snyder, Encyclopedia of the Third Reich, S.47. 25 Brett-Smith, Hitler’s Generals, S.197. 12

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, RH 19 II: Heeresgruppe Mitte; RH 20–16: Armeeoberkommando 16; RH 21–8: VIII. Armeekorps. Gedruckte Quellen und Literatur Buchner, Alexander: Ostfront 1944. Friedberg 1988. Gackenholz, Hermann: Zum Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944 (Dokumentation). In: VfZG 3 (1955), S. 317–333. Ders.: Der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte. In: Entscheidungsschlachten des Zweiten Weltkrieges. Hrsg. v. Hans-Adolf Jacobsen und Jürgen Rohwer. Frankfurt a. M. 1960, S. 445–474 (engl. Ausgabe u. d. T.: The Collapse of Army Group Center. In: Decisive Battles of World War II. New York 1965, S.355–382). Hinze, Rolf: Der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Osten 1944. Stuttgart 1980. Ders.: Das Ostfront-Drama 1944. Stuttgart 1987. Kennedy, Robert M.: The German Campaign in Poland (1939). Washington, D.C. 1956.

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Generaloberst Eduard Dietl Eduard Dietl1 war einer der getreuesten Gefolgsleute und Anhänger Adolf Hitlers. Von Anfang an war er verstrickt in den Aufstieg der HitlerBewegung und des Dritten Reiches, und er blieb es bis zu seinem Tod. Am 19. Juni 1919 hatte er in der Münchner Türkenkaserne dem Ex-Gefreiten Adolf Hitler den ersten öffentlichen Auftritt als Redner ermöglicht.2 Hitlers letzter Auftritt als Redner in der Öffentlichkeit galt dem in der Steiermark tödlich verunglückten Generalobersten Dietl. Hitler sagte am 1. Juli 1944 beim Staatsakt auf Schloß Kleßheim bei Salzburg, was Dietl für ihn war: „Als ich zum ersten Mal diesem Mann gegenüberstand, da ermöglichte er mir mit seiner Kompanie die erste Einflußnahme auf ein deutsches Regiment. Als erster Offizier der deutschen Wehrmacht hat er mir seinen Verband zur Verfügung gestellt, um politisch auf ihn einzuwirken. Eine Stunde nachdem ich damals zur dritten Kompanie seines Regiments gesprochen hatte, gab mir dieser Mann seine Hand und erklärte, er würde von jetzt an mein Gefolgsmann und Anhänger sein. Und dabei ist es dann geblieben, Jahr für Jahr. (…) Er ist für mich der erste Offizier der deutschen Wehrmacht, der in meine Gedankenwelt eingedrungen war und sich blind und ohne Kompromisse zu ihr bekannte. (…) Dietl hat eigentlich den Typ des nationalsozialistischen Offiziers geschaffen, (…) ein Nationalsozialist also nicht der Phrase, sondern dem Willen, der Überlegung und doch auch dem Herzen nach.“3 Am 30. November 1941 hatte Hitler Dietl gegenüber erklärt: „Eigentlich sind Sie Geburtshelfer des Dritten Reiches.“4 Woher stammte dieser Offizier, der so treu zu Hitler hielt? Am 21. Juli 1890 erblickte Eduard Dietl im oberbayerischen Bad Aibling das Licht der Welt. Er trat 1909 als Fahnenjunker in das Infanterie-Regiment 5 in Bamberg ein. Wie seine Brüder Paul und Benno wurde auch Dietl in den Augusttagen 1914 vom Taumel der Kriegsbegeisterung erfaßt. Der Krieg begann für den jungen Leutnant am 10. August 1914 in der Schlacht von Lothringen. Wie Hitler so war auch Dietl während des gesamten Krieges ausschließlich an der Westfront eingesetzt. Er kämpfte 1914 in Lothringen, an der Somme und bei Arras, 1915 in den Stellungskämpfen in Flandern, 1916 in der Schlacht an der Somme, 1917 in Flandern und 1918 am Kemmelberg. Wie viele Soldaten des Ersten Weltkriegs, die außer dem Kriegshandwerk nichts gelernt hatten und im Zivilleben nicht Fuß fassen konnten, fand Dietl

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nach dem Krieg in der Freikorps-Bewegung, wo der Geist der Frontkameradschaft weiterlebte, eine ‘geistige’ Heimat. Als Angehöriger des „Freikorps Epp“ beteiligte er sich im Mai 1919 an der Niederschlagung der Räteherrschaft in München. Dietls politische Haltung war von Anfang an völkisch und reaktionär: Schon im Oktober 1919 trat er der im Januar desselben Jahres gegründeten Deutschen Arbeiterpartei (DAP) bei,5 die sich ab dem 24. Februar 1920 NSDAP nannte. Aus dienstlichen Gründen mußte er zwar im Sommer 1920 aus der NSDAP wieder austreten, doch war er, wie aus einer Denkschrift des Generals von Lossow hervorgeht, auch an den Vorbereitungen zum Kapp-Putsch beteiligt.6 Er spielte sodann eine wichtige Rolle in der militärischen Ausbildung der SA.7 Bei den Vorbereitungen für den Hitler-Ludendorff-Putsch im November 1923 gehörte er „zu den Scharfmachern“;8 in einem geheimen Gespräch mit Hitler hatte er den Auftrag erhalten, die Besetzung der Infanterie-Kaserne durch SA und „Bund Oberland“ zu betreuen.9 Nach dem Scheitern des Putsches verschwand Dietl vorübergehend von der politischen Szene. Er wurde als Taktiklehrer an die Infanterieschule in Ohrdruf (Thüringen) versetzt. Am 1. Februar 1930 wurde er als Major zum Kommandeur des Gebirgsjäger-Bataillons der Reichswehr in Kempten (Allgäu) ernannt. Hier fand er wieder Gelegenheit, sich politisch zu betätigen: „Wenn die NSDAP in Kempten Versammlung hatte, brauchten ihre Redner um den Saalschutz nie bange zu sein. Eine ganze Kompanie garantierte abwechselnd für die Sicherheit der nationalsozialistischen Kämpfer. Eine Kompanie in Zivil. Dietls Kompanie.“10 Am 20. April 1934, an Hitlers Geburtstag, wurde die Kaserne des in München stationierten I. Bataillons des Infanterie-Regiments 19 im Beisein Hitlers auf den Namen „Adolf-Hitler-Kaserne“ umgetauft. Oberstleutnant Dietl, seit 1. April 1934 im Regimentsstab, marschierte an seinem Reichskanzler in der Parade vorbei.11 1936 wurde Dietl, nun Oberst, Standortältester in Füssen. Beim ‘Anschluß’ Österreichs marschierte er mit seinem Gebirgsjäger-Regiment 99 in die neue ‘Ostmark’ ein. Es war der ausdrückliche Wunsch des ‘Führers’ gewesen, seinen alten Kampfgefährten nach Graz, in die „Stadt der Volkserhebung“, zu entsenden.12 Beim Überfall auf Polen war Dietl als Generalmajor Kommandeur der 3. Gebirgs-Division. Als die Wehrmacht am 9. April 1940 Dänemark und Norwegen überfiel, hatte Dietl den Angriff auf die strategisch wichtige Hafenstadt Narvik in Nordnorwegen zu führen. Zum Mythos wurde er durch die hartnäckige Kriegführung, mit der Narvik gegen die Briten gehalten werden konnte. Ein Volksheld war geboren, als am 10. Juni 1940 das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) bekanntgab: „Der heldenhafte Widerstand, den die Kampfgruppe des Generalleutnants Dietl seit vielen Wochen,

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vereinsamt unter schwersten Bedingungen, in Narvik gegen eine überwältigende feindliche Übermacht geleistet hat, erhielt heute seine Krönung durch den vollen Sieg.“ Goebbels machte den „Held von Narvik“ zum Propagandaprodukt, er verklärte seine Tat zu einem „modernen Nibelungenlied“13. Unter dem tosenden Beifall des Großdeutschen Reichstages wurde Dietl am 19. Juni 1940 als erstem Soldaten der Wehrmacht das Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen. Dietls verbissene Kriegführung beim Kampf um Narvik war möglicherweise von entscheidendem Einfluß auf Hitler, der damals zum ersten Mal bereit gewesen war, zu kapitulieren. Später forderte Hitler stets zum ‘Halten um jeden Preis!’ auf. Narvik war der Beginn jener Sinneswandlung Hitlers, die dann Hunderttausenden Soldaten das Leben kosten sollte.14 Am 22. Juni 1941 überfiel die Wehrmacht die Sowjetunion. Im Norden stand die Wehrmacht „im Bunde mit finnischen Divisionen (…) mit dem Sieger von Narvik am nördlichen Eismeer“.15 Die Gebirgstruppen Dietls begannen am 29. Juni 1941 von Finnland aus den Vorstoß in Richtung Murmansk. Dietl befahl: „Der Feind ist mit rücksichtsloser Härte niederzuringen.“16 Bald stießen die deutschen Truppen auf verbissenen Widerstand. Man erzählte, daß „General Dietl die deutschen Soldaten rücksichtslos in das russische Feuer jage. Er werde deshalb der Schlächter von Murmansk genannt.“ 17 In der Tat hatten Dietls Gebirgsdivisionen bis zum Winter 1941/42 prozentual die größten Verluste der gesamten Ostfront aufzuweisen. Diese Verluste werden auf die falsch eingeschätzte Stärke des Feindes sowie „die unrichtige Bewertung der geographischen Bedingungen des Kampfgeländes“, aber auch auf operative Führungsfehler Dietls zurückgeführt.18 Unverständlich ist es, daß noch 1989 behauptet wurde: „Dietls Leistungen als Truppenführer sind unbestritten und anerkannt. Sein menschlicher Umgang über Dienstgrade hinweg, seine auf Vermeidung von Verlusten bedachte Führungsweise und seine Fürsorge für Untergebene (…) können auch nach heutigen Maßstäben als vorbildlich gelten.“19 Es gibt Einzelschilderungen, die exakt das Gegenteil besagen; Dietl wird als Hauptschuldiger der schweren Verluste angesehen.20 Gleichwohl beförderte Hitler, als er am 4. Juni 1942 zum 75. Geburtstag des finnischen Oberbefehlshabers Marschall v. Mannerheim nach Finnland reiste, seinen alten Kampfgefährten zum Generaloberst. Dietl stand dann auch weiterhin treu zu Hitler: „Wir müssen aus innerster Überzeugung an unseren Obersten Befehlshaber glauben und mit heiliger Begeisterung die Aufgabe, die der Führer der Wehrmacht gestellt hat – die Erringung des Endsieges – erfüllen.“21 Aufschluß über Dietls rassistische Gesinnung gibt seine „sehr ernste Mahnung an die Vorgesetzten aller Dienstgrade“, in der er kurz vor Weih-

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nachten 1942 die allgemein geltenden Bestimmungen über die Heirat deutscher Soldaten mit Frauen aus nordischen Staaten verschärfte. Er lehnte Ehen deutscher Soldaten mit Norwegerinnen rundweg ab, zum einen, weil „es sich (…) nur um recht geringwertige Vertreterinnen der Nachbarvölker“ und um „rassisches Treibholz“ handele, zum anderen, weil in der Heimat „Hunderttausende frischer deutscher Mädels und leider auch zahlreiche junge Kriegerwitwen auf unsere heimkehrenden Soldaten“ warten.22 Durch zwei Tatbestände verstrickte sich Dietl23 schuldhaft in Kriegsverbrechen: Der erste betrifft die Weitergabe des ‘Kommissarbefehls’, der im Juni 1941 auf Initiative der Wehrmachts- und Heeresführung ausgearbeitet worden war. Unverblümt hatte Hitler in einer Rede am 30. März 1941 kriegsverbrecherisches Vorgehen gegen die UdSSR gefordert; er hatte erklärt, das Heer müsse in diesem „Kampf zweier Weltanschauungen (…) von dem Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken“. Über das Armeeoberkommando Norwegen unter Generaloberst von Falkenhorst wurde der Befehl auch an Dietls Gebirgskorps weitergegeben und dort bekannt gemacht.24 Auch im Befehlsbereich von Dietl wurden Kriegsgefangene zur Erschießung an den berüchtigten Sicherheitsdienst (SD) weitergegeben. Diese Morde waren von 1968 bis 1978 Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen. Es kam zwar zu keiner Verurteilung, weil die Taten nicht eindeutig zugeordnet werden konnten, am Tatbestand selbst hatte die Staatsanwaltschaft jedoch keine Zweifel.25 Der zweite Tatbestand betrifft die als „Konzentrationslager für die Wehrmacht“ 26 bezeichneten Feldstraflager in Finnland und Nordnorwegen. In Norwegen ließ Dietl Rückzugswege bauen. Dabei wurden Arbeitseinheiten von Strafgefangenen („Moorsoldaten“ aus den Emslandlagern) der Organisation Todt eingesetzt. 27 Weitere Einheiten wurden im Fort Zinna/Torgau aufgestellt; es waren Arbeitssklaven aus den Feldstraflagern I und II in Finnland und Norwegen, für die Generaloberst Dietl truppendienstlich verantwortlich war. Diese Feldstraflager waren die militärische Variante der Vernichtung durch Arbeit. Zum sogenannten Bewährungsprogramm gehörte der Fußmarsch von Rovaniemi nach Petsamo am Eismeer, bei dem immer wieder zu schwache Strafsoldaten vom Wachpersonal der Wehrmacht durch Genickschüsse getötet wurden.28 Dietl selbst drohte in einer Ansprache am 16. Juni 1942 mit der Ermordung der Strafsoldaten, wenn sie bei den Märschen nicht mitkommen sollten.29 Stalingrad brachte im Winter 1942/43 die Wende des Krieges. Den zehnten Jahrestag der Machtergreifung wollte man im Januar 1943 feierlich begehen; zu dessen Anlaß wurde etlichen Generälen, darunter Schörner und Dietl, das Goldene Ehrenzeichen der NSDAP verliehen.30 Als Goebbels nach der Kapitulation von Stalingrad am 18. Februar 1943 im Sportpalast

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von Berlin den „totalen Krieg“ verkündete, telegraphierte ihm Dietl die „uneingeschränkte Sympathie der Front“31. Im November führten Goebbels’ Mitarbeiter und Dienststellen einen großangelegten Propagandafeldzug zum zwanzigsten Jahrestag des Hitler-Putsches von 1923. Auch hier tat sich Generaloberst Dietl hervor: Als Oberbefehlshaber der 20. Gebirgsarmee ließ er zum 9. November 1943 verkünden: „Das deutsche Volk gedenkt am 9. November des Tages, an dem der Führer das große Wagnis unternahm, mit einer Handvoll entschlossener Männer die Führung des Reiches an sich zu reißen und damit das deutsche Schicksal entscheidend zum Guten zu wenden. (…) Wir feiern (…) den Tag der unbedingten Treue zum Führer, zur Idee des Reiches, zur Ehre der Nation und zur nationalen Gemeinschaft des deutschen Volkes.“32 Höhepunkt dieses Propagandafeldzuges war die Durchhalterede, die Dietl auf den Stufen der Feldherrnhalle in München hielt: „Der Frontsoldat weiß, daß es sich um den Schicksalskampf des deutschen Volkes handelt, daß sich die Juden der ganzen Welt zusammengeschlossen haben zur Vernichtung Deutschlands und Europas. (…) Der Krieg ist der unerbittliche Läuterer der Vorsehung. Ich erkläre feierlich: Ich glaube an den Führer!“33 Am 22. Juni 1944 kam es auf dem Obersalzberg zur letzten Begegnung zwischen Hitler und Dietl. Es ging um die Waffenbrüderschaft mit Finnland. Am 23. Juni 1944 kam Dietl bei einem Flugzeugunfall zu Tode.34 In Hitlers Tagesbefehl zum 1. Juli 1944 heißt es: „Als hervorragender Soldat im Ringen um unser nationalsozialistisches Großdeutschland hat sich Generaloberst Dietl besonders im Kampf um Norwegen und Finnland ausgezeichnet (…). Generaloberst Dietl wird für alle Soldaten und für das ganze deutsche Volk der Inbegriff des Glaubens an unser nationalsozialistisches Deutschland und seinen Sieg sein. (…) Als fanatischer Nationalsozialist hat sich Generaloberst Dietl in unwandelbarer Treue und leidenschaftlichem Glauben seit Beginn des Kampfes unserer Bewegung für das Großdeutsche Reich persönlich eingesetzt. Ich verliere deshalb in ihm einen meiner treuesten Kameraden aus langer, schwerer, gemeinsamer Kampfzeit.“35 Postum verlieh ihm Hitler das Eichenlaub mit Schwertern zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Hitlers Wunsch, daß Dietls Name „in seiner stolzen Gebirgsarmee weiterleben wird“, ging in Erfüllung: Im Mai 1964 wurde Dietl Kasernenpatron der Bundeswehr in Füssen. Im Januar 1982, anläßlich der Neubenennung einer Straße in Dietls Geburtsort Bad Aibling,36 begann der öffentliche Meinungskampf. Im Juli 1987 forderte eine Bürgerinitiative in Kempten die Umbenennung der „General-Dietl-Straße“. ‘Pax Christi’ verlangte im Februar 1988 die Umbenennung der „Generaloberst-Dietl-Kaserne“ in Füssen. Wütende Reaktionen folgten: Wer gegen diese Neuauflage falscher

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Glorie öffentlich Stellung bezog, stieß auf erbitterten Widerstand in Form von anonymen Anrufen, Zuschriften und Morddrohungen.37 Der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages hingegen empfahl, durch Aufklärung der Truppe Verständnis für die Umbenennung der Kaserne zu wecken. Die Neubenennung wäre zugleich ein Beitrag zur „Aufarbeitung der jüngsten deutschen Vergangenheit“ 38. Der örtliche CSU-Abgeordnete hielt dagegen: „Generaloberst Dietl war und ist für mich auch heute noch Vorbild in menschlichem und soldatischem Handeln.“39 Schließlich ging am geschichtsträchtigen 9. November 1995 der Kampf um Dietl zu Ende. Bundesminister der Verteidigung Volker Rühe entschied, „die Generaloberst-Dietl-Kaserne in Füssen und die General-Kübler-Kaserne in Mittenwald neu zu benennen“40. Die Kaserne in Füssen erhielt den Namen Allgäu-Kaserne, die Kaserne in Mittenwald den Namen Karwendel-Kaserne. Diese überfällige Entscheidung stieß auf die herbe Kritik des Kameradenkreises der Gebirgstruppe, obwohl historische Erkenntnisse bezeugen, daß Dietl wahrlich keine sinnstiftende Tradition für die Streitkräfte unserer freiheitlichen Demokratie begründen kann. Anmerkungen 1 Der Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung des Kapitels „Braune Flecken auf dem Edelweiß“ aus meinem Buch „Falsche Glorie“, Berlin 1995. Ich danke Dr. Gerd R. Ueberschär für die tatkräftige Unterstützung. 2 Vgl. Richardi, Hitler und seine Hintermänner, S.134 ff. 3 Archiv der Gegenwart vom 1. Juli 1944. 4 Monologe im Führerhauptquartier, S. 147. 5 Vgl. IfZ München: Erstes alphabetisch geordnetes Mitgliederverzeichnis (aufgestellt im Herbst 1919) der „Deutschen Arbeiter-Partei“, Ortsgruppe München. 6 Gumbel, Verschwörer, S.28 ff. 7 Ebenda, S.182f.: „Ueber die Sturmtrupps orientiert der folgende Befehl Nr.3 der ‘Reichsflagge’ vom 10. April 1923: ‘[…] Hauptmann Dietl, Infanterieregiment Nr. 19, 1. Bataillon, meldet sich 11.30 vormittags zum gleichen Zwecke beim Führer der Nationalsozialisten. […] gez. Röhm“. 8 Drei Offiziere des IR 19 hatten den Befehl verweigert, gegen die Putschisten auszurücken: Hauptmann Dietl, Oberleutnant Le Suire und Leutnant Kammhuber. Dietl war und Kammhuber ist für die Bundeswehr traditionswürdig. General Le Suire war für die Greueltaten von Kalavrita am 13. Dezember 1943 truppendienstlich verantwortlich; vgl. auch Heinemann, Eduard Dietl, S.101. 9 Am 8. November 1923 hatte Hitler Hauptmann Dietl aufgesucht. Vgl. Dornberg, Der Hitlerputsch, S.101. 10 Weinberger, Kamerad Dietl, S. 13 f. Diese Propagandaschrift aus dem Zentralverlag der NSDAP wurde von General Dietl selbst autorisiert. 11 Vogel, Der falsche Held, S.56.

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Kaltenegger, Generaloberst Dietl, S.312 ff. (auch zum Folgenden). Zitiert in: Reuth, Goebbels, S.470. 14 Zentner, Illustrierte Geschichte des Zweiten Weltkriegs, S.99f. 15 Zitiert in: Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion, S.265ff. 16 Kurowski, Generaloberst Dietl, S. 203. 17 Militärhistorisches Archiv (MHA) Prag, Bestand RKG: Feldurteil in der Strafsache gegen den katholischen Geistlichen Friedrich Lorenz; vgl. hierzu auch: Haase, Aus der Praxis des Reichskriegsgerichts, S.389–411. 18 Siehe Ueberschär, Kriegführung und Politik in Nordeuropa, S.814. 19 Bundestagsdrucksache 11/4967 vom 18.07.1989: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Häfner und der Fraktion DIE GRÜNEN. 20 MHA Prag, Bestand RKG: Feldurteil in der Strafsache gegen den Jäger Friedrich Laminger. 21 BA-MA Freiburg, RH 20–20/34: AOK 20. Gebirgsarmee – Oberbefehlshaber am 14. 9. 1942. 22 Ebenda, RH 20–20/185: AOK 20. Gebirgsarmee IIa Nr.1234/42 v. 23. 12. 1943. 23 In ‘Die Militärelite des Dritten Reiches’ führt Heinemann, S. 105, aus: „Inwieweit Berichte zutreffen, wonach Dietl eine Mitschuld an der Ermordung von Insassen zweier Feldstraflager trifft, die ihm im Sommer 1942 unterstellt waren, muß derzeit noch offenbleiben.“ In der MGFA-Studie zu Dietl vom 23. 9. 1993 schreibt Heinemann zum Kommissarbefehl auf Seite 7: „Dagegen muß jetzt aufgrund der Akten der Zentralen Stelle in Ludwigsburg doch davon ausgegangen werden, daß im Bereich der 20. Gebirgsarmee auch im September/Oktober 1941 sowie 1942 sowjetische Kriegsgefangene ‘ausgesondert’ und dem SD zur Ermordung übergeben worden sind.“ Dagegen Heinemann in ‘Die Militärelite des Dritten Reiches’, S. 105: „Auch Erschießungen von politischen Kommissaren der sowjetischen Armee sind nicht bekannt.“ 24 Ludwigsburg ZSL 319 AR-Z 215/76; publiziert und nachgewiesen bei Ueberschär, Die Einbeziehung Skandinaviens, S. 402 f. 25 Ludwigsburg ZSL 319 AR 819/72: „Aufgrund der hier vorliegenden Unterlagen steht als sicher fest, daß in den Stalags 309 und 322 Aussonderungen und Liquidationen stattgefunden haben. (…) Die Bekundungen lassen erkennen, daß die hauptsächlichen Aussonderungen im Herbst 1941 bis zum Sommer 1942 stattgefunden haben.“ 26 Hodes, Die Strafvollstreckung im Kriege, S.407. 27 Die aus den Emslandlagern nach Nordnorwegen verbrachten Insassen wurden der OT zugeteilt, die der Feldstraflager aber nicht. Die OT war kein Teil der Wehrmacht. Wenn sie aber zu Arbeiten für die Wehrmacht eingesetzt war – wie hier in Nordnorwegen –, fiel sie unter den Begriff „Wehrmachtsgefolge“. Straftaten des Wehrmachtsgefolges wiederum fielen in die Zuständigkeit der Militärjustiz. 28 Das Torgau-Tabu. 29 MGFA Potsdam, Generaloberst Dietl und die Feldstraflager I–III in Finnland, 23. 9. 1993. 30 BA Berlin (früher BDC), Sign. 767/86/ab. 31 Am 20. Februar 1943 jubelte Goebbels: „Am meisten bin ich beglückt über Telegramme von Generaloberst Dietl und Generalfeldmarschall Richthofen, die mir 12 13

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die uneingeschränkte Sympathie der Front zum Ausdruck bringen.“ Vgl. Goebbels, Die Tagebücher, S.381. 32 Zitiert in: Kaltenegger, Generaloberst Dietl, S.372 f. 33 Der Donaubote (Ingolstadt) vom 15. 11. 1943; Tagespost (Graz – „Stadt der Volkserhebung“) vom 17. 11. 1943; Rosenheimer Anzeiger vom 14. 11. 1943; Münchner Neueste Nachrichten vom 15. 11. 1943. 34 Der Tod Dietls wurde zunächst verschwiegen. Dietls Leiche wurde im Kühlraum des Schlachthofes Graz aufbewahrt. 35 Archiv der Gegenwart vom 1. 7. 1944. 36 Im März 1990 wurde Dietls Ehrenbürgerschaft von der Landeshauptstadt Graz (Steiermark) getilgt. Die „General-Dietl-Straße“ in Kempten wurde im Januar 1993 umbenannt (neu: „Prälat-Götz-Straße“). Die „General-Dietl-Straße“ in Bad Aibling wurde Januar 1996 umbenannt (neu: „Am Sonnenfeld“). Im Januar 1997 stimmte der Rat der Stadt Füssen für die Umbenennung der „Dietlstraße“ (neu: „BaumeisterFischer-Straße“). Die „General-Dietl-Straße“ in Freyung wurde im Januar 1998 in „Ahornöder Straße“ umbenannt. Die Dietl-Gedenktafel in Ringelai (Bayerischer Wald) – bis 1977 (!) eine Gedenkstätte für Albert Leo Schlageter – wurde im Sommer 1997 abmontiert. Der Dietl-Gedenkstein im Wald von Breitenbrunn (Steiermark) an der Absturzstelle Dietls bleibt aus Gründen der Pietät unangetastet. 37 Der Spiegel Nr.21/1993, S. 79 ff.: Bundeswehr – Des Führers General. 38 Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 24. 11. 1992 (Pet 5-12-14-563-23201). 39 Kurt J. Rossmanith, CSU-MdB, an BMVg Volker Rühe, Schreiben vom 18. 1. 1993. Von Januar bis Juni 1998 war Rossmanith Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung rechtsradikaler Vorfälle in der Bundeswehr. 40 Mitteilung des BMVg an die Presse vom 10. 11. 1995.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA Koblenz, R 58/214: Ereignismeldung UdSSR Nr. 27 vom 19. Juli 1941; BA-MA Freiburg, RH 20–20/185; BA Berlin (ehem. BDC), Sign. 767/86/ab; Bayerisches Hauptstaatsarchiv/Kriegsarchiv München, OP 61453: Personalunterlagen; Archiv Institut für Zeitgeschichte, München, MF 102 01536: Reichsführer-SS v. 17. 6. 1943; MGFA Potsdam: Generaloberst Dietl und die Feldstraflager I–III in Finnland, 23. 9. 1993; Militärhistorisches Archiv Prag, Bestand RKG: Feldurteil in der Strafsache gegen den katholischen Geistlichen Friedrich Lorenz, Feldurteil in der Strafsache gegen den Jäger Friedrich Laminger; Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg: ZSL 319 AR-Z 215/76, ZSL 319 AR 819/72, ZSL 107 ARZ 41/67; Staatsarchiv Nürnberg, Staatsanwalt beim LG Nürnberg–Fürth, Sign. Nr. 368: Vernehmungsniederschrift der Bayerischen Landpolizei Döckingen, 18. August 1953.

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Gedruckte Quellen und Literatur Dornberg, John: Der Hitlerputsch. München, 8. und 9. November 1923. Frankfurt a.M. 1989. Gumbel, Emil Julius: Verschwörer. Zur Geschichte und Soziologie der deutschen nationalistischen Geheimbünde 1918–1924. Heidelberg 1979 (Neuauflage). Heinemann, Winfried: Eduard Dietl – Lieblingsgeneral des ‘Führers’. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen, Hrsg. v. Ronald Smelser u. Enrico Syring. Berlin/Frankfurt a. M. 1995, S.99–112. Hodes, Fritz: Die Strafvollstreckung im Kriege. In: Zeitschrift für Wehrrecht, 1939/40 (Bd.4), S.402ff. Kaltenegger, Roland: Generaloberst Dietl. Der Held von Narvik. München 1990. Knab, Jakob: Falsche Glorie. Das Traditionsverständnis der Bundeswehr. Berlin 1995. Ders.: Bundeswehr und Tradition – Die Suche nach den ‘richtigen’ Kasernennamen. In: Vom Krieg zur Militärreform. Zur Debatte um Leitbilder in Bundeswehr und Nationaler Volksarmee. Hrsg. v. Detlef Bald u. Andreas Prüfert. Baden-Baden 1997, S.151–171. Kurowski, Franz: Generaloberst Dietl. Deutscher Heerführer am Polarkreis. Berg 1990. Reuth, Ralf G.: Goebbels. Eine Biographie. München 1990. Richardi, Hans-Günther: Hitler und seine Hintermänner. Neue Fakten zur Frühgeschichte der NSDAP. München 1991. Das Torgau-Tabu. Wehrmachtstrafsystem, NKWD-Speziallager, DDR-Strafvollzug. Hrsg. v. Norbert Haase und Brigitte Oleschinski. Leipzig 1993. Ueberschär, Gerd R.: Die Einbeziehung Skandinaviens in die Planung „Barbarossa“. Kriegführung und Politik in Nordeuropa. In: Boog, Horst, u. a.: Der Angriff auf die Sowjetunion. Stuttgart 1983, S.365–412 und S.810–882. Vogel, Winfried: Der falsche Held. In: ZEIT-Punkte Nr. 3/1995, S.54–57. Weinberger, Andreas: Kamerad Dietl. Ernstes und Heiteres um den Jäger-General. München 1942.

William T. Allbritton und Samuel W. Mitcham, Jr.

SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS Joseph (Sepp) Dietrich* Joseph (Sepp) Dietrich wurde am 28. Mai 1892 in Hawangen (Landkreis Memmingen) im bayerischen Schwaben geboren. Sein Vater, Pelagius Dietrich, und seine Mutter waren fromme Katholiken. Sie hatten sechs Kinder, drei Söhne und drei Töchter. Sepp, der älteste Sohn, besuchte nur acht Jahre lang die Volksschule. Mit 15 Jahren wanderte er, von der Ruhelosigkeit der Jugend getrieben, durch Österreich, Italien und die Schweiz. In Zürich begann er eine Lehre im Hotelfach, die er mit Erfolg abschloß. 1911 wurde er zum königlich-bayerischen Heer eingezogen. Aber seine militärische Laufbahn fing unrühmlich an: Schon wenige Wochen nach seinem Eintritt in das bayerische Feldartillerie-Regiment 4 stürzte er bei der Ausbildung vom Pferd und wurde entlassen. Er zog wieder zu seiner Familie und arbeitete bei einem Bäcker als Laufbursche. Bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zum Heeresdienst. Im Ersten Weltkrieg erfüllte er seine Pflicht ruhmreich. Er kämpfte vier Jahre an der Westfront, zunächst bei der Artillerie, dann in einem Sturm bataillon. Dabei wurde er dreimal verwundet. Nachdem er einige Erfahrungen im Kampf gegen eine neue Waffe, den Panzer, gesammelt hatte, meldete er sich Anfang 1918 zur bayerischen Sturmpanzerkampfwagen-Abteilung 13, einer der wenigen deutschen Panzereinheiten. Für seine herausragende Tapferkeit erhielt er neben diversen anderen Auszeichnungen das Eiserne Kreuz beider Klassen. Als Sepp Dietrich 1919 im Rang eines Vizewachtmeisters aus dem bayerischen Heer entlassen wurde, zog er nach München. Diese Stadt, die sich zu einem Mittelpunkt für Nationalisten und Rechtsradikale entwickelte, wurde damals von kommunistischen Räten regiert. Als Feldwebel in einem Freikorps nahm Dietrich an der Niederwerfung der kurzlebigen Münchener Räterepublik teil. 1920 trat er als Hauptwachtmeister in die bayerische Landespolizei ein. Gleichzeitig schloß er sich dem nationalistischen „Bund Oberland“ an, dessen Mitglieder häufig Zusammenstöße mit der Polizei hatten. Nachdem polnische Freischärler (von französischen Beratern unter* Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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stützt) in Oberschlesien eingefallen waren, kaufte sich Dietrich eine Fahrkarte und fuhr nach Schlesien. Bei den dortigen Kämpfen, etwa bei der Erstürmung des Annabergs im Mai 1921, bewies Dietrich außergewöhnliche Tapferkeit und trug so zu dem teilweise erfolgreichen Versuch bei, Oberschlesien gegen polnische Ansprüche für Deutschland zu retten. Danach kehrte er nach Bayern zurück und tat weiter Dienst bei der Polizei, bis man ihn 1924 entließ – wahrscheinlich weil er bei Hitlers gescheitertem Putsch im November 1923 eine aktive Rolle gespielt hatte. In den folgenden Jahren verdiente er sich seinen Lebensunterhalt mit verschiedenen Gelegenheitsarbeiten; er war Angestellter einer Zigarettenfirma, Kellner, Tankwart und Expedient bei einem Verlag. 1928 trat Dietrich in die NSDAP und in die SS ein. Er gewann rasch die Gunst Hitlers, zu dem er bewundernd aufblickte, und begleitete den zukünftigen ‘Führer’ während seiner Wahlfeldzüge im Auto durch das ganze Land. In dem Maße wie die NSDAP in Deutschland populärer wurde, stieg auch Dietrichs Bedeutung innerhalb der Partei. Im Juli 1930 wurde er zum SS-Führer für Süddeutschland ernannt; im Herbst 1930 zog er als NSDAP-Abgeordneter in den Reichstag ein; 1931 erfolgte die Beförderung zum SS-Gruppenführer; 1932 wurde er Kommandeur von Hitlers persönlicher Leibwache.1 Hitler, der am 30. Januar 1933 als Reichskanzler die Macht übernahm, betrachtete Dietrich als einen idealen Leibwächter. Mit seinem kräftigen Körperbau, seiner Härte und seinem derben Humor war er geradezu dafür geschaffen, einen SS-Verband zum Schutz der Reichskanzlei aufzustellen.2 Das „SS-Wachbataillon Berlin“ (so die ursprüngliche Bezeichnung für Hitlers Stabswache) wuchs von 117 Mann im März 1933 rasch auf 800 im September 1933; sie hieß nun „Leibstandarte Adolf Hitler“.3 In der berühmten „Nacht der langen Messer“ am 30. Juni 1934 befehligte Dietrich ein Exekutionskommando, das auf Befehl Hitlers den SA-Chef Ernst Röhm und andere prominente SA-Führer im Gefängnis MünchenStadelheim erschoß. Er verkündete jedem von ihnen das Urteil, indem er rief: „Sie sind vom Führer wegen Hochverrat zum Tod verurteilt worden. Heil Hitler!“ Aber seine Nerven hielten nicht bis zum Ende durch. Als sein zum Tode verurteilter Freund, SA-Obergruppenführer August Schneid huber, erklärte: „Kamerad Sepp, was ist los? Wir sind unschuldig“, wurde ihm übel. Trotz dieses Zwischenfalls konnte Dietrich seinem Chef gelassen melden: „Die Verräter haben gebüßt.“ Für den blutigen Dienst beförderte Hitler seinen loyalen Gehilfen am 5. Juli 1934 zum SS-Obergruppenführer.4 Nun war Sepp Dietrich mit den Pflichten eines umfassenden militärischen Befehlsbereichs betraut. Dabei unterstützten ihn der Reichswehr minister Werner von Blomberg und der Chef der Heeresleitung, General

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Frhr. von Fritsch, persönlich. Obgleich diese höfliche Hilfestellung durch zwei Berufsoffiziere Dietrichs Fähigkeiten als Kommandeur zweifellos verbesserte, war seine Ausbildung immer noch jämmerlich dürftig. „Anständig, aber dumm“, so beschrieb ihn Feldmarschall von Rundstedt später. Nach dem Krieg faßte der ehemalige General der Waffen-SS Wilhelm Bittrich sein Urteil über Dietrichs Fähigkeiten in einer kurzen Episode zusammen: „Ich habe einmal den Versuch gemacht, Sepp Dietrich an Hand einer Karte in einem anderthalbstündigen Vortrag die Lage zu schildern. Es hat keinen Zweck gehabt. Er hat nichts verstanden.“ 5 Seine militärische Unkenntnis wurde teilweise ausgeglichen durch Dietrichs Fähigkeit, sich hervorragende Untergebene auszusuchen, durch seine Begeisterung und seinen Mut sowie durch seine angeborene bayrische Bauernschläue. Als Truppenkommandeur gewann er die Zuneigung und Treue seiner Männer. Dietrich führte die ‘Leibstandarte’ bereits bei frühen militärischen Aktionen Hitlers, z. B. 1936 bei der Remilitarisierung des Rheinlandes, 1938 beim ‘Anschluß’ Österreichs und 1938/39 bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei. Nach diesen Operationen kommandierte Dietrich seinen Eliteverband als motorisiertes Infanterieregiment bei der erfolgreichen Eroberung Polens (1939) sowie Hollands, Belgiens und Frankreichs (1940). Dabei war Dietrichs ‘Leibstandarte’ an der Ermordung von polnischen Juden und an der Erschießung von britischen Kriegsgefangenen bei Wormhoudt beteiligt. Im Juli 1940 erhielt Dietrich das Ritterkreuz. Im improvisierten Balkanfeldzug vom Frühjahr 1941 nahm Dietrich – zum Ärger Mussolinis – am 20. April die Kapitulation des griechischen Oberbefehlshabers, General Tsolakoglou, entgegen.6 Bevor am 22. Juni 1941 das ‘Unternehmen Barbarossa’ (der Angriff auf die UdSSR) begann, wurde Dietrichs ‘Leibstandarte’ in eine motorisierte Division umgewandelt. Sie kämpfte an der neuen Ostfront als Bestandteil der Panzergruppe 1 in der Heeresgruppe Süd und war an der Kesselschlacht von Uman, am Übergang über den Dnjepr und an der Einnahme von Rostov beteiligt. Ende Dezember 1941 erhielt Dietrich das Eichenlaub zum Ritterkreuz und wurde von der Propaganda Goebbels’ als moderner nationalsozialistischer Truppenführer gefeiert. Im Januar 1942 kehrte er nach Deutschland zurück, um Erfrierungen an seinem linken Fuß auszuheilen. Während dieses Genesungsurlaubs heiratete Dietrich in zweiter Ehe Ursula Moninger, die ihm 1939 seinen ersten Sohn, Wolf-Dieter, geboren hatte.7 Zu seinem 50. Geburtstag am 28. Mai 1942 bekam er von Hitler eine Dotation in Höhe von 100 000 Reichsmark.8 Inzwischen wurde die ‘Leibstandarte’ im Westen erneut umgerüstet und in 1. SS-Panzerdivision ‘Leibstandarte Adolf Hitler’ umbenannt; im Dezember 1942 kehrte sie mit ihrem Kommandeur an die Ostfront zurück.

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Die restlichen Kriegsjahre verbrachte Sepp Dietrich überwiegend im Fronteinsatz. 1943 kämpfte er hauptsächlich an der Ostfront, zunächst in der Defensive. Aber bei Mansteins Gegenangriff auf Charkov im März 1943 bildete seine Division als Teil des I. SS-Panzerkorps unter SS-Obergruppenführer Paul Hausser die Angriffspitze und eroberte Mitte März die Stadt zurück. Nach diesem Erfolg spielte die Division eine Rolle bei der letzten größeren deutschen Offensive im Osten, beim ‘Unternehmen Zitadelle’ in der Nähe von Kursk im Juli 1943. Als der Angriff nach schweren Verlusten scheiterte, wurden Dietrich und seine Männer nach Norditalien verlegt; dort sollten sie – wiederaufgefrischt – die nach der Landung der Alliierten in Sizilien sinkende Kampfmoral der Italiener stützen.9 Ende Juli 1943 erhielt Dietrich Befehl, ein neues I. SS-Panzerkorps aufzustellen; Haussers Korps, das bisher diesen Namen getragen hatte, wurde nun zum II. SS-Panzerkorps. Am 8. Juni 1944, zwei Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie, ging Dietrichs I. SS-Panzerkorps im Raum Caen gegen britische und kanadische Truppen vor. Obwohl seine Männer fast pausenlos aus der Luft angegriffen wurden und überlegenen feindlichen Kräften gegenüberstanden, konnten sie die Stadt längere Zeit verteidigen. Am 12. Juni mußte Dietrich den Oberbefehl über die Panzergruppe West (später 5. Panzerarmee) übernehmen, weil viele ihrer Offiziere bei einem alliierten Luftangriff gefallen oder verwundet worden waren. Dietrich war von Hitler als Feldherr zunehmend enttäuscht. Mehrmals kritisierte er unrealistische Befehle des ‘Führers’. Am 17. Juli 1944 hatte er eine Unterredung mit Feldmarschall Erwin Rommel. Als dieser ihn fragte, ob er seine Befehle ausführen werde, auch wenn sie im Widerspruch zu denen Hitlers stünden, soll Dietrich geantwortet haben: „Sie sind mein Oberbefehlshaber, Herr Feldmarschall. Ich gehorche nur Ihnen, was Sie auch befehlen.“10 Nach Meinung des Rommel-Biographen David Fraser glaubte der Feldmarschall offenbar, wenn er sich Hitler widersetze, würden „auch Leute wie Dietrich“ seine Befehle befolgen.11 Da Rommel am 20. Juli wegen einer schweren Verwundung ausfiel, bleibt es jedoch Spekulation, ob Dietrich sich tatsächlich unter Rommels Führung den Verschwörern des 20. Juli angeschlossen hätte.12 Im August 1944 wurde Dietrich von Hitler abermals für seinen Einsatz belohnt: Er wurde zum SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS befördert und erhielt gleichzeitig die Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern. Während Dietrich Oberbefehlshaber der 5. Panzerarmee war, wandelte sich die Enttäuschung über seinen alten Freund Hitler in Abscheu. Nach dem Krieg sagte er voll Bitterkeit: „Hilferufe wurden im Führerhauptquartier nicht gehört, und wenn doch, dann war es immer schon zu spät.“13

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Hasso von Manteuffel löste Sepp Dietrich als Oberbefehlshaber der 5. Panzerarmee ab; Hitler übertrug seinem bewährten Freund danach den Oberbefehl über die neue 6. Panzerarmee (im Januar 1945 umbenannt in 6. SS-Panzerarmee). Nachdem Dietrich seine Verbände zusammengestellt und koordiniert hatte, sollte er bei der letzten großen Offensive der deutschen Wehrmacht, der Ardennen-Offensive, die Hauptrolle übernehmen. Der SSGeneral beurteilte allerdings die Erfolgschancen dieser Operation pessimistisch. Er argumentierte gegenüber Hitler – er war einer der wenigen Menschen, die so etwas wagten –, der Operationsplan sei zu ehrgeizig. Aber es gelang ihm nicht, den zuversichtlichen Diktator zu überzeugen. Trotzdem wurden die meisten seiner Bitten um weitere Truppen und zusätzliches Material erfüllt, denn seine 6. Panzerarmee sollte bei der Offensive den entscheidenden Stoß führen. Dietrich befolgte die von Hitler ausgearbeiteten Befehle mit der für ihn bezeichnenden Hingabe, beging dabei jedoch einen seiner größten Fehler als Truppenkommandeur: Als es ihm nicht gelang, die amerikanischen Verteidigungslinien rasch zu durchbrechen, hielt er seine beträchtlichen Reserven – gemäß dem ursprünglichen Plan Hitlers – zurück, anstatt Manteuffels 5. Panzerarmee, die südlich von ihm erfolgreich vordrang, zu unterstützen. Damals kam es übrigens in Dietrichs Befehlsabschnitt bei Malmedy zu einem Massaker an amerikanischen Kriegsgefangenen. Nach dem Zusammenbruch der Ardennen-Offensive versetzte Hitler Sepp Dietrich wieder an die Ostfront im Raum Budapest. Dieser scheiterte dort gegen einen überlegenen Feind an dem unerfüllbaren Auftrag, die vorrückenden Sowjetarmeen zu vernichten. Es gelang ihm zwar, deren Vormarsch auf Wien zu verzögern; aber die 6. SS-Panzerarmee war zu schwach, um die alte österreichische Hauptstadt zu verteidigen. Damals sagte Dietrich zu seinen Stabsoffizieren in seiner trockenen Art: „Wir nennen uns 6. Panzerarmee, weil wir nur noch 6 Panzer haben.“14 Gegen Hitlers sinn losen Befehl, die Stadt um jeden Preis zu halten, zog er sich am 13. April von Wien zurück. Hitler, inzwischen bitter empört über die Niederlagen und den ‘Verrat’ seiner Generale, ließ seine Wut an seinem alten NS-Kameraden aus. Er warf Dietrichs Truppen mangelnden Kampfgeist vor und befahl, alle SS-Panzerdivisionen seiner Armee müßten ihre charakteristischen Ärmelstreifen abtrennen.15 Aber Dietrich lehnte es ab, diese erniedrigende Weisung Hitlers an seine Männer weiterzuleiten. Bald darauf, am 8. Mai 1945, ergab er sich mit den Resten seiner Armee dem US-General George S. Patton – nicht der Roten Armee. Als Truppenkommandeur begriff Sepp Dietrich gewisse strategische Grundsätze nicht, die ein professionell ausgebildeter Offizier verstanden

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hätte. Er war kein erstrangiger Heerführer; trotzdem verdient er nicht den Ruf eines typischen, ungebildeten, bornierten NS-Verbrechers. Gegenüber den ihm unterstellten jungen Soldaten bewies er einen fast väterlichen Instinkt. Sein rücksichtsvoller Umgang mit ihnen ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß er – im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Befehlshabern des Zweiten Weltkriegs – im Ersten Weltkrieg als einfacher Soldat gedient hatte. Vielen der übrigen Truppenkommandeure war Sepp Dietrich ein loyaler Kamerad oder Vorgesetzter. Er scheute sich nicht, Kritik zu üben, als Hitler die Generalobersten Heinz Guderian und Kurt Zeitzler sowie die Feldmarschälle Gerd von Rundstedt und Ewald von Kleist entließ. Seine Unterstützung half diesen fähigen Offizieren, ihre Karriere zu retten. Sein Eintreten für Generalleutnant Hans Speidel, der im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli verhaftet worden war, bewahrte diesen zweifellos vor dem Galgen. Dietrich – den die Sowjetunion wegen Kriegsverbrechen, die Angehörige seiner SS-Panzerdivision 1943 in Charkov begangen hatten, in Abwesenheit zum Tod verurteilte – wurde nach dem Krieg zweimal zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Das erste Mal wegen des Malmedy-Massakers während der Ardennen-Offensive, bei dem 74 Angehörige der Waffen-SS 86 amerikanische Kriegsgefangene erschossen hatten. Dietrich wurde schuldig gesprochen und im Juli 1946 zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Die Strafe wurde später auf 25 Jahre reduziert, und im Oktober 1955, nachdem die Leidenschaften des Krieges abgeflaut waren, entließ man Dietrich auf Bewährung. In seinem Werk „Massacre at Malmedy“ hat Charles Whiting nachgewiesen, daß Dietrich fast mit Sicherheit von dieser Greueltat nichts wußte.16 Aber Joseph Dietrich blieb nicht lange ein freier Mann. Die bayerischen Behörden beschuldigten ihn eines Verbrechens, an dem er ohne jeden Zweifel beteiligt war, nämlich der Ermordung von SA-Führern während des sogenannten ‘Röhm-Putsches’ im Juni 1934. Nachdem man ihn wegen Beihilfe zum Totschlag zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt hatte, mußte Dietrich im August 1958 wieder ins Gefängnis. Aber schon sechs Monate später wurde er wegen seines schweren Herzleidens entlassen. Der ehemalige Generaloberst der Waffen-SS kehrte in sein leeres Haus nach Ludwigsburg zurück (seine Frau hatte sich während seiner ersten Gefängnishaft von ihm getrennt) und widmete sich in seinen letzten Lebensjahren der HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit – eine Vereinigung ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS). Als überzeugter Anhänger Hitlers und hochrangiger SSFührer war Sepp Dietrich zweifellos persönlich schuldig geworden. Als militärischer Führer war er über die Funktion eines Regiments- oder Brigadekommandeurs hinaus überfordert. Gleichwohl verkörperte er im Dritten

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Reich den Typ des neuen volksnahen und mitreißenden Heerführers. Am 21. April 1966 starb Sepp Dietrich im Alter von fast 74 Jahren an Herzversagen – im Bett, wahrscheinlich während er schlief.

Anmerkungen 1 Snyder, Encyclopedia of the Third Reich, S. 66; Messenger, Hitler’s Gladiator, S. 38–49; vgl. ferner Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf; Preradovich, Die Generale der Waffen-SS; Stein, Geschichte der Waffen-SS; Wegner, Hitlers politische Soldaten. 2 Mellenthin, Deutschlands Generale, S. 235. 3 Kurowski, Dietrich and Manteuffel, S. 413. 4 Gallo, Der Schwarze Freitag der SA, S.242 f. 5 Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf, S. 407. 6 Kurowski, Dietrich and Manteuffel, S. 415. 7 Es folgten zwei weitere Söhne: 1943 Lutz und 1944 Götz-Hubertus. 8 Vgl. BA Berlin, R 43 II/985 sowie auch die Studie von Ueberschär / Vogel, Dienen und Verdienen. 9 Dupuy, Hitler’s Last Gamble, S.16. 10 Irving, Rommel, S.560. 11 Fraser, Rommel, S.499. 12 Dietrich verurteilte öffentlich das Vorgehen der Verschwörer. Vielleicht war das seine aufrichtige Meinung; vielleicht mußte er sich aber einfach so äußern, um sich gegen den Verdacht, er habe persönliche Kontakte zu den Verschwörern gehabt, abzusichern und um ihrem schrecklichen Schicksal zu entgehen. 13 Krätschmer, Die Ritterkreuzträger der Waffen-SS, S.44. 14 Messenger, Hitler’s Gladiator, S.170. 15 Weidenberg, Kameraden bis zum Ende, S. 369–709. 16 Siehe dazu Whiting, Massacre at Malmedy.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA Berlin (ehem. BDC Berlin): SS-Personalunterlagen zu Dietrich; BA-MA Freiburg, RS 2: SS-Panzerkorps; RS 3: SS-Divisionen; ebenda, N 756: Sammlung Vopersal zur Geschichte der Waffen-SS. Gedruckte Quellen und Literatur Dupuy, T. N.: Hitler’s Last Gamble. New York 1994. Fraser, David: Knight’s Cross. New York 1992. Gallo, Max: Der Schwarze Freitag der SA. Wien/München 1972 (engl. Ausgabe u.d.T.: The Night of the Long Knives. New York 1972).

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Goralski, Robert: World War II Almanac. 1931–1945. New York 1981. Hausser, Paul: Soldaten wie andere auch. Der Weg der Waffen-SS. Osnabrück 1966. Ders.: Waffen-SS im Einsatz. Göttingen 1953. Klietmann, Kurt G.: Die Waffen-SS – eine Dokumentation. Osnabrück 1965. Koehl, Robert L.: The Black Corps: The Structure and Power Struggles of the Nazi SS. Madison, USA 1983. Krätschmer, Ernst-Günther: Die Ritterkreuzträger der Waffen-SS. Preußisch Oldendorf 1982. Kurowski, Franz: Dietrich and Manteuffel. In: Hitler’s Generals. Edited by Correlli Barnett. London 1989, S.411–437. Messenger, Charles: Hitler’s Gladiator. The Life and Times of Oberstgruppenführer und Panzergeneraloberst der Waffen-SS Sepp Dietrich. London 1988. Preradovich, Nikolaus v.: Die Generale der Waffen-SS. Berg am See 1965. Die SS: Elite unter dem Totenkopf. 30 Lebensläufe. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Paderborn 2000, 2. Aufl. 2003. Stadtler, Sylvester: Die Offensive gegen Kursk 1943. II. SS-Panzerkorps als Stoßkeil im Großkampf. Osnabrück 1980. Stein, George H.: Geschichte der Waffen-SS. Königstein 1978. Ueberschär, Gerd R./Winfried Vogel: Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten. Frankfurt am Main 1999, 2. Aufl. 2000, Taschenbuchausgabe 2000, 2. Aufl. 2001, 3. Aufl. 2001, 4. Aufl. 2009. Wegner, Bernd: Das Führerkorps der Waffen-SS im Kriege. In: Das deutsche Offizierkorps 1860–1960. Hrsg. v. Hans Hubert Hofmann. Boppard am Rhein 1980, S.327–350. Ders.: Die Garde des „Führers“ und die „Feuerwehr“ der Ostfront. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen Nr.23/1978, S.210–236. Weidenberg, Otto: Kameraden bis zum Ende. Preußisch Oldendorf 1969. Weingartner, James J.: Hitler’s Guard. The Story of the Leibstandarte SS Adolf Hitler, 1933–1945. London 1974, Nashville 1989. Ders.: Joseph „Sepp“ Dietrich – Hitlers Volksgeneral. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin u.a. 1995, S.113–128. Whiting, Charles: Massacre at Malmedy. Briarcliff Manor, N.Y. 1971.

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Großadmiral Karl Dönitz Karl Dönitz kam am 16. September 1891 in Grünau bei Berlin zur Welt. Nach dem frühen Tod seiner Mutter im März 1895 wurden er und sein zwei Jahre älterer Bruder Friedrich von ihrem Vater, dem Ingenieur Emil Dönitz, allein aufgezogen.1 Nach dem Abitur trat Karl Dönitz am 1. April 1910 als Seekadetten-Anwärter in die Marine ein. Im aufstiegsorientierten bürgerlich-protestantischen Milieu des jungen preußisch-deutschen Kaiserreiches aufgewachsen und vom Vater wie auch in der Schule zu Staatstreue, Nationalbewußtsein und monarchischer Gesinnung erzogen,2 verfügte Dönitz über die Voraussetzungen, in der Kaiserlichen Marine eine sichere, sozial geachtete Karriere zu beginnen. In seinen Dienststellungen bis 1918 lernte Dönitz zum einen die Rolle und das Ansehen ausgeübter deutscher Seemacht kennen, zum anderen erfuhr er auch persönlich Erfolg und Anerkennung. Seine Heirat 1916 mit Ingeborg Weber, Tochter eines Generals, bestätigte seinen sozialen Aufstieg, der durch eigene Leistung und Anpassung an die Normen des Kaiserreichs begründet war. Die Brüchigkeit dieser Gesellschaft, die auf den Großkampfschiffen der Hochseeflotte 1917/18 so kraß zum Vorschein kam, blieb ihm in der U-Boot-Waffe verborgen. Um so härter traf ihn 1918 die Nachricht von Niederlage und Revolution. Sein wenig reflektiertes, bislang fest gefügtes Weltbild war in den Grundfesten erschüttert und zwang den energiegeladenen und strebsamen jungen Mann, einen neuen Kurs zu finden. Dabei kam Dönitz schon im Kriegsgefangenenlager zu der Überzeugung, daß Deutschland nicht dem überlegenen Potential seiner Gegner erlegen, sondern vor allem dem Mangel an innerer Geschlossenheit der Deutschen selbst zum Opfer gefallen sei. Er blieb als Offizier in der Reichsmarine und arbeitete ab 1919 als Referent in der Personalabteilung des Stationskommandos der Ostsee an der Auswahl der Offiziere mit. Dem Chef des Stationskommandos, Vizeadmiral von Levetzow, persönlich bekannt, wurde er von ihm am 13. Februar 1920, dem ersten Tag des „Kapp-Lüttwitz-Putsches“, zum Kommandanten des in Kiel liegenden Torpedobootes „V 5“ ernannt, um es der Marineführung, die sich den Putschisten „zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung“ zur Verfügung stellte, bereitzuhalten. Das Scheitern des Putsches erlebte Dönitz auch als persönliche Niederlage an Bord seines Bootes und mußte mit Bitterkeit erkennen, daß die alte Ordnung mit Waffengewalt gegen den Wi-

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derstand in der Arbeiterschaft wie auch bei den eigenen Mannschaften nicht wiederhergestellt werden konnte. In der Endphase der Weimarer Republik wurde Dönitz auch dienstlich mit innenpolitischen Fragen konfrontiert. Als Erstem Admiralstabsoffizier beim Kommando der Marinestation der Nordsee gehörten auch Maßnahmen zum Schutz bei inneren Unruhen zu seinem Aufgabenbereich. Die Besprechungen darüber wurden im Reichswehrministerium anberaumt. „Ihr Thema war die Notwendigkeit des Kampfes der Reichswehr gegen die extremen Parteien von rechts und links, also gegen die NSDAP und die KPD.“3 Dönitz selbst führt in seinen Erinnerungen mit knappen Worten aus, daß Hitler in seinen Augen damals für einen notwendigen nationalen Neuanfang stand. Er begrüßte schon 1933 die Machtergreifung auf legalem Wege und gehörte demzufolge auch zu denen, die den Einsatz der Reichswehr zum inneren Schutz der Demokratie gegen die nationalsozialistische Bedrohung abgelehnt haben. Wie für so viele seines sozialen Umfeldes, vermied die Form der durch Hindenburg ermöglichten Machtergreifung die Gefahr eines Loyalitätskonfliktes schon im Ansatz. Die Aufrüstung der Marine bot auch Karl Dönitz neue Aufgaben und Aufstiegsmöglichkeiten. Der Machtgewinn des Reiches korrespondierte mit dem persönlichen Fortkommen und schien Dönitz zu beweisen, daß Hitlers Nationalsozialismus sowohl Deutschland als auch ihm selbst eine zweite und zu diesem Zeitpunkt einmalige Chance bot, den bitter empfundenen Niedergang seit 1918 zu überwinden. Diese Kombination war eine tragfähige Basis für die später nicht mehr hinterfragte Loyalität dem Diktator gegenüber. Somit konnte Dönitz seinen großen persönlichen Ehrgeiz, seinen starken Gestaltungswillen und sein Bedürfnis nach Anerkennung unter Hitlers zunehmend persönlicher Patronage mit aller Tatkraft und all seinen Talenten bis zum Mai 1945 verwirklichen. Zum 1. Oktober 1935 wurde Dönitz mit dem Neuaufbau der Unterseebootwaffe betraut und zum Kapitän zur See befördert. Er machte sich zielstrebig daran, nicht nur mit seiner Waffe in Konkurrenz zu den anderen Teilen der Marine durch Leistung zu überzeugen, sondern ihr durch umfassende taktische, operative und strategische Überlegungen zentrale Geltung im seestrategischen Gesamtkonzept zu verschaffen. Von der Unvermeidbarkeit des Krieges mit Großbritannien überzeugt, argumentierte Dönitz durchaus politisch und scheute die Auseinandersetzung mit der herrschenden Meinung innerhalb der Marine nicht. In den 31/4 Jahren seiner Stellung als Befehlshaber der Unterseeboote von 1939–1943 hat Dönitz mit vollem Engagement, ohne je einen Zweifel an der Richtigkeit der deutschen Kriegführung zu äußern, den U-Boot-Krieg, dem nach seinen Ergebnissen wichtigsten Teil der deutschen Seekrieg-

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führung, mit wechselndem, doch insgesamt unerwartet großem Erfolg geführt. Dies wurde durch die schnellen Beförderungen zum Vizeadmiral ein Jahr nach Kriegsbeginn und zum Admiral am „Heldengedenktag“ 1942 von Hitler honoriert. An der zunehmenden Härte des Seekrieges, der die im Oktober 1939 proklamierte Grenze der „Achtung der Gebote soldatischer Kampfsittlichkeit“ 4 immer weiter überschritt, trug auch Dönitz Schuld. In seinem ständigen Befehl Nr. 154 vom November 1940 heißt es: „Wir müssen hart in diesem Krieg sein. Der Gegner hat den Krieg angefangen, um uns zu vernichten, es geht also um nichts anderes.“5 In direkter Reaktion auf die alliierte Bombardierung eines Schiffbrüchige rettenden U-Bootes befahl Dönitz: „Rettung [Besatzungsangehöriger versenkter Schiffe] widerspricht den primitivsten Forderungen nach Vernichtung feindlicher Schiffe und Besatzungen.“6 Mit dieser Rhetorik betrieb er die Indoktrination seiner Untergebenen für eine Art der Kriegführung, die dem nationalsozialistischen Vernichtungsgedanken entsprach. Als Großadmiral Raeder, der 1943 fast 15 Jahre an der Spitze der Marine gestanden hatte, nach heftiger Kritik des Diktators an seinem Konzept der Seekriegführung um den Abschied bat, wurde Karl Dönitz am 30. Januar 1943 unter gleichzeitiger Beförderung zum Großadmiral zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine (ObdM) ernannt. Daß Hitlers Wahl auf Dönitz und nicht auf den von Raeder ebenfalls vorgeschlagenen Generaladmiral Carls gefallen war, ist damit zu erklären, daß Carls ein Vertreter des alten Raederschen Seekriegskonzeptes war, Dönitz dagegen der Exponent des bis dahin erfolgreichen U-Boot-Krieges. Politische Erwägungen haben bei seiner Ernennung keine Rolle gespielt, da sich Dönitz bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht über das verbreitete Maß hinaus als treuer Gefolgsmann des nationalsozialistischen Regimes erwiesen hatte. Erst die Nähe zu Hitler bewirkte, daß er auch in dieser Hinsicht aus dem ‘mainstream’ seines sozialen Umfeldes heraustrat. Dönitz Ernennung fiel in eine Wendephase des Krieges, in der dieser auf deutscher Seite einen weiteren Schub der Radikalisierung, Ideologisierung und der psychologischen Umdeutung 7 zum „Verteidigungskrieg“ Europas gegen die „Gefahr aus dem Osten“ erfuhr. Die am 24. Januar auf der Konferenz von Casablanca verkündete alliierte Forderung nach bedingungsloser Kapitulation Deutschlands, die Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad am 2. Februar und Goebbels Verkündung des totalen Krieges im Berliner Sportpalast am 18. Februar markieren den Beginn dieses neuen Kriegsabschnittes, in dem auf deutscher Seite die Zielvorstellungen nicht nur Hitlers in immer irrealere Hoffnungen abglitten.8 Da die Niederlage mit ihren Konsequenzen nicht gedacht werden durfte, wurde der Rückzug „rücksichtslos“

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und „fanatisch“ zu verhindern versucht, um zwei Standardvokabeln von Dönitz zu gebrauchen. Die wichtigste Änderung der Führungsgrundsätze nach dem Wechsel des Oberbefehlshabers war Dönitz’ bewußter, von Beginn an praktizierter Entschluß, persönlich die Nähe Hitlers zu suchen und die Marine vollständig in den nationalsozialistischen Staat zu integrieren. Er hatte sich ein grundlegendes Funktionsprinzip des ‘Führerstaates’ zu eigen gemacht, nach dem die offene Rivalität der obersten Institutionen durch das Maß der Nähe zum Diktator entschieden wurde.9 Durch das Hervorkehren seiner eigenen nationalsozialistischen Sichtweise des Charakters dieses Krieges und seiner unbedingten Loyalität gewann Dönitz das Vertrauen Hitlers. Durch diese späte ‘Gleichschaltung’ der Marine und seinen persönlichen Einfluß in der nächsten Umgebung Hitlers schaffte es Dönitz, trotz der nach dem Scheitern der ‘Schlacht im Atlantik’ im Frühjahr 1943 objektiv untergeordneten Rolle der Marine in der Gesamtkriegführung, eine erhebliche Verlagerung der immer knapperen personellen und materiellen Ressourcen des Reiches zugunsten seiner Teilstreitkraft durchzusetzen. Die neuen Bauprogramme der Marine bedeuteten neben der quantitativen Rüstungssteigerung und der Einführung neuer Techniken vor allem die Abgabe bis dahin von Raeder streng gehüteter eigener Rüstungskompetenzen der Marine an das zentrale Rüstungsministerium Speers. Die Zusammenarbeit mit Speer beleuchtet aber auch Dönitz’ Mitverantwortung für den Einsatz von Zwangsarbeitern aus den Konzentrationslagern für die Marinerüstung. Dönitz forderte in einer Denkschrift vom 20. Dezember 1944 die „Verstärkung der Werftbelegschaften durch KZ-Häftlinge“ und, zur Abschreckung gegen Sabotage in dänischen und norwegischen Werften, den „Einsatz betroffener Belegschaften (ganz oder teilweise) als KZ-Arbeiter“.10 Nach dem Verlust auch der operativen Initiative im Osten entschied Hitler, den Parteieinfluß in der Wehrmacht zu verstärken, und befahl am 22. 12. 43 und am 8. 1. 44 die Einführung der nationalsozialistischen Führungsoffiziere (NSFO). Vor allem der Chef der Parteikanzlei, Martin Bormann, drängte darauf, die weltanschauliche Erziehung in der Wehrmacht in die Hand zu bekommen und erhielt ein Vorschlags- und Einspruchsrecht bei der Auswahl der NS-Führungsoffiziere. Dagegen wandte sich Dönitz. Er erreichte, daß die NSFO in der Marine keinen Einfluß auf die Kommandoführung erhielten.11 Sein Widerstand erklärt sich aus drei Gründen. Erstens erwartete Dönitz durch „Kommissare“ keine Qualitätsverbesserung der Kommandoführung; einen diesbezüglichen Mangel konnte ihm Hitler, angesichts des hohen Einsatzes der U-Boot-Besatzungen, auch nicht vorwerfen. Zweitens betrachtete er den Nationalsozialismus als eine primär soldatisch bestimmte Weltanschauung. Infolgedessen bestimmte nicht die

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„zivile Verwaltung“ der Partei den Kurs, sondern die nationalsozialistische Wehrmacht mit dem Soldaten Hitler als ‘Führer’ und Feldherren. Und drittens gab es in der Marine unter Dönitz Führung kein Defizit an weltanschaulicher Erziehung, da er selbst als Oberbefehlshaber auch ideologisch führte. Deshalb ging er für die Einbindung der Marine in den NSStaat einen eigenen, seinen Vorstellungen nach besseren Weg. Auf die Ereignisse des 20. Juli 1944 reagierte Dönitz, indem er die Marine schnell und entschlossen hinter Hitler scharte und damit seinem ‘Führer’ die Geschlossenheit und besondere Zuverlässigkeit dieses Wehrmachtteiles bewies. In seiner Ansprache vom 24. August fordert Dönitz von jedem Offizier, „fanatisch hinter dem nationalsozialistischen Staat zu stehen“, und von der Wehrmacht, „fanatisch an dem Mann [zu] hängen, dem sie Treue geschworen hat“. Auch nur Zweifel zu äußern, bedeute Hochverrat. „Jeder, der sich im geringsten defätistisch äußert, schwächt den Widerstandswillen des Volkes und muß infolgedessen rücksichtslos ausgerottet werden.“12 Die Bestätigung von Todesurteilen wegen Wehrkraftzersetzung in der Marine zeigt, daß Dönitz auch entsprechend seinen Ankündigungen handelte. Karl Dönitz vertrat keinen pseudowissenschaftlich-biologischen, sondern einen gesellschaftlich-opportunistischen Antisemitismus. Sowohl in der Öffentlichkeit als auch vor der Marineführung hetzte er gegen Juden, da sie seiner eigenen Überzeugung nach die ihm zum Fetisch gewordene Geschlossenheit der Volksgemeinschaft gefährdeten.13 Zudem hielt er es für nötig, auch in dieser Frage deutlich Übereinstimmung mit Hitler zu demonstrieren. Selbst wenn er, wie von ihm behauptet, von dem Grauen der Vernichtungspraktiken nichts wußte, so war ihm doch die Tatsache bekannt, daß das Regime, dem er diente, aus rassistischen Gründen tötete.14 Dies nahm Dönitz billigend in Kauf. Am 30. Januar 1944, dem elften Jahrestag der Machtergreifung, verlieh Hitler Dönitz als neuem Ehrenmitglied der NSDAP das Goldene Parteiabzeichen. Dies war, besonders zu diesem Zeitpunkt, eine Geste besonderer Wertschätzung Hitlers und der Dank an einen Mann, der sich, wie in diesem Maße nur wenig andere, für die Zukunft des nationalsozialistischen Deutschland eingesetzt hatte. Es war keine Anerkennung für spezifische Verdienste um die Partei, wohl aber um solche für den NS-Staat. In all seinen Reden, in denen Dönitz den ‘Führer’ und den Nationalsozialismus preist, fehlt dergleichen in bezug auf die NSDAP. Dies weist darauf hin, daß in Dönitz’ Sicht die Partei eine Verwaltungsorganisation war, der Nationalsozialismus dagegen eine von ihr unabhängige Staatsgesinnung. Nachdem Hitler tot war, hat Dönitz dann auch in seiner Ansprache vom 9. Mai 1945 die Fortdauer eines reformierten Nationalsozialismus propagiert. An der Spitze eines Wehrmachtteiles zu stehen hatte für Dönitz unaus-

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weichlich zur Folge, sich von Amts wegen intensiv mit der Gesamtkriegführung auseinanderzusetzen. Er war als einer der höchststehenden militärischen Berater des Diktators gefordert, auch die politischen Auswirkungen seiner Vorschläge zu berücksichtigen und sich zu den militärischen Möglichkeiten bei Fortführung des Krieges bzw. zur Notwendigkeit der Kapitulation zu äußern. All dies hat Karl Dönitz auch getan, vor allem indem er sich als einer der entschlossensten Befürworter der uneingeschränkten Weiterführung des Krieges bis zu Hitlers Tod profilierte. Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine bestärkte Hitler bis in die letzte Kriegsphase – noch im April 1945 sprach er von den Folgen einer „vorzeitigen“ Kapitulation – in dessen Überlegungen, durch rücksichtsloses Festhalten an objektiv verlorenen Bastionen die Alliierten dazu zu bewegen, seinen Hoffnungen auf das Wunder einer unerwarteten politischen Wendung zu entsprechen. Im Laufe des Sommers 1943 mußte Hitler jede Hoffnung, den militärischen Sieg aus eigener Stärke zu erzwingen, aufgeben. Er brauchte jetzt ein neues, ein Überlebenskonzept. Dönitz trug dazu bei, es zu schaffen. Der Oberbefehlshaber der Marine, der Hitlers Vorstellung vom diesem Krieg als völkischem Schicksalskampf teilte, nahm „einen immer wachsenden Einfluß auf alle Belange der Staats- und Kriegführung“15. Seit August 1942 schöpfte Hitler Hoffnung aus Hinweisen auf politische Differenzen im Lager der Alliierten. Man müsse auf deutscher Seite nur lange genug ausharren, dann würde die Härte des Krieges, auf die das durch den Nationalsozialismus geeinte deutsche Volk besser vorbereitet sei, die gegnerische Koalition sprengen. Diesen Vorstellungen stimmte Dönitz voll zu und bestärkte Hitler in dessen „unbeirrter Zuversicht“. Sein Hauptbeitrag zu dieser ‘Strategie’ bestand darin, den modernen U-Boot-Krieg mit den neuen Bootstypen umfassend vorzubereiten und schnellstmöglich in Gang zu bringen. Durch die effektive Wiederaufnahme des offensiven Tonnagekrieges würde dem oben skizzierten Plan Hitlers entscheidende Durchschlagskraft verliehen.16 In dieser Phase des Krieges wurden Hitler und Dönitz zu einem ‘Team’, indem sie sich gegenseitig ihre Hoffnungen und Durchhalteforderungen bestätigten und diese gegenüber Kritik von anderer, skeptischer Seite mit dem Vorwurf des unverantwortlichen Defätismus durchsetzten. Es besteht allerdings kein Zweifel daran, daß Dönitz in diesem Team die Rolle des ‘Juniorpartners’ spielte. Als sich am 12. Juli 1944 die Lage an der Ostfront katastrophal verschlechterte, beauftragte Dönitz die Seekriegsleitung, Evakuierungspläne auszuarbeiten. Mit Beginn der sowjetischen Großoffensive am 12. Januar 1945 wurde – ohne den U-Boot-Krieg und die Ausbildung auf den neuen Booten einzuschränken – auch die Räumung der östlichen und mittleren Ostsee in die Wege geleitet.

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Dönitz stellte seine unverbrüchliche Treue und Zuverlässigkeit gegenüber Hitler erneut dadurch unter Beweis, daß er nach der Forderung Hitlers vom 25. April 1945, zugunsten der Verteidigung Berlins alle anderen Aufgaben zurückzustellen, alles was an Marinetruppen greifbar war und mit Handwaffen ausgerüstet werden konnte zum Abtransport in die Hauptstadt bereitstellen ließ.17 Über die militärische Sinnlosigkeit dieses ‘Entsatzes’ hat sich Dönitz keine Illusionen gemacht.18 Aber auch dieser letzte Treuebeweis mußte Dönitz in den Augen des ‘Führers’ dazu qualifizieren, als sein Nachfolger den Kampf in seinem Sinne bis zum letzten Mann, bis zum „Untergang mit wehender Flagge“ fortzusetzen. Karl Dönitz wurde nicht zu Hitlers Nachfolger aufgebaut. Die Rolle des ‘Kronprinzen’ spielte er nur 161/2 Stunden lang zwischen der Aushändigung des ersten und zweiten, die Nachfolge betreffenden Funkspruches aus Berlin. Hitler hat weder mit seinem Ende in Berlin gerechnet, noch konnte und wollte er sich vorstellen, daß irgendein Mensch seine Stelle adäquat auszufüllen in der Lage wäre. Seine Entscheidung war improvisiert, da sich die möglichen anderen Kandidaten, Göring und Himmler, in seinen Augen selbst desavouiert hatten. Dennoch entschied er aus freiem Willen. Er mußte keinen Nachfolger benennen, schon gar keinen, der ihm nicht genehm war. Da er für die von ihm geforderte Fortführung des Kampfes eine Persönlichkeit wählen mußte, deren Autorität in der Wehrmacht anerkannt war, und da andere nicht oder noch nicht profiliert genug waren, deutete alles mit einer gewissen Zwangsläufigkeit auf Dönitz hin. Entscheidend war aber, daß dieser bis zu Hitlers Tod durch sein gesamtes Bekunden und Verhalten die sichere Gewähr zu bieten schien, den Kampf in Hitlers Sinn, d. h. mit nationalsozialistischer Erbitterung, fortzusetzen – wenn es sein mußte bis zur völligen Vernichtung alles Deutschen. Darin sollte sich Hitler geirrt haben. Am 30. April 1945 wurde Großadmiral Dönitz der Funkspruch vorgelegt, in dem er an Stelle Görings von Hitler zu seinem Nachfolger ernannt worden ist.19 Da Dönitz noch nicht wußte, daß Hitler zu diesem Zeitpunkt bereits tot war, bezeugte er in seinem Antwortspruch vom 1. Mai Hitler seine Treue und kündigte die Fortsetzung der Versuche, Berlin zu entsetzen, an. Erst nach Eingang eines zweiten Funkspruches aus Berlin am selben Tag, der Dönitz zur Mittagszeit vorlag und aus dem eindeutig auf Hitlers Tod geschlossen werden konnte, entschloß sich Dönitz seine neuen Kompetenzen als Staatsoberhaupt zu nutzen und die deutsche Politik anstatt auf einen Kampf bis zum letzten Mann auf die Kapitulation in Verbindung mit der Rettung der deutschen Zivilbevölkerung und Truppenverbände vor dem Zugriff der Sowjets auszurichten.20 Am 7. Mai unterzeichnete Alfred Jodl auf Dönitz’ Befehl die bedingungslose Kapitulation. Karl Dönitz hat nach

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Hitlers Tod in erstaunlich kurzer Zeit die einzig sinnvolle Konsequenz aus einer realistischen Lagebeurteilung gezogen und entgegen seiner Rhetorik und seinem Verhalten vor dem 1. Mai die schnelle Kapitulation angestrebt. Das humanitäre Ziel der Rettung Deutscher aus dem Osten kollidierte allerdings auch nicht mit den politischen Hoffnungen auf ein Auseinanderbrechen der „Anti-Hitler-Koalition“ und der weltanschaulichen Überzeugung, „Deutsches Volkstum“ zu retten und die „Volkssubstanz“ zu erhalten.21 Die „Regierung Dönitz“ bestand nicht lange. Am 23. Mai wurden Dönitz, Generaloberst Jodl und Generaladmiral von Friedeburg, der Nachfolger von Dönitz als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, zur Überwachungskommission bestellt und als Kriegsgefangene verhaftet. Die wohlinszenierte Gefangennahme nicht nur der drei Offiziere, sondern aller Angehörigen der aufgelösten Regierung und des OKW unter demütigenden Umständen sollte aller Welt und insbesondere den Deutschen demonstrativ vor Augen führen, daß jede Kontinuität des ‘Dritten Reiches’ gebrochen war und die Siegermächte uneingeschränkt die Regierungsgewalt übernommen hatten. Karl Dönitz hat nach dem Krieg behauptet, ein „unpolitischer Soldat“ gewesen zu sein. Tatsächlich war er das, was er selbst von einem Offizier der Kriegsmarine verlangt hatte: ein ausgesprochener Exponent dieses Staates.22 Am 1. Oktober 1946 wurde Karl Dönitz in Nürnberg vom Internationalen Militärgerichtshof wegen Verbrechen gegen den Frieden und wegen Kriegsverbrechen zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Am 30. September 1956 aus dem Spandauer Gefängnis entlassen, lebte er bis zum 24. Dezember 1980 in Aumühle bei Hamburg. Die Beisetzung erfolgte ohne militärische Ehren seitens der Bundeswehr.

Anmerkungen Dönitz, Mein wechselvolles Leben, S. 8. Sandhofer, Dokumente zum militärischen Werdegang des Großadmirals Dönitz, S.59 f.; vgl. ferner generell Hartwig, Großadmiral Karl Dönitz. 3 Dönitz, Zehn Jahre, S. 295. 4 BA-MA Freiburg, Case 535, PG 32611: Denkschrift der Seekriegsleitung über den verschärften Seekrieg gegen England vom 15. 10. 1939, abgedruckt in: Salewski, Die deutsche Seekriegsleitung, BandIII, S. 72. 5 Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof (IMT), Band XXXV, Dok. 642-D, S.270. 6 Dönitz, Zehn Jahre, S. 256. Die Problematik in Dönitz’ Befehlsgebung liegt in der Formulierung, nach der die Vernichtung feindlicher Besatzungen Kriegserfordernis sei und dies von Kommandanten unterschiedlich interpretiert werden konnte. 1 2

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Vgl. Salewski, Die deutsche Seekriegsleitung, Bd. II, S.250. Vgl. Messerschmidt, Die Wehrmacht. 9 Vgl. Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung. 10 Abgedruckt in Salewski, Seekriegsleitung, Bd. III, S.395. 11 Vgl. Dönitz, Zehn Jahre, S.306; Messerschmidt, Die Wehrmacht, S.475. 12 Ansprache Dönitz’ vom 24. 8. 1944, abgedruckt in: Salewski, Seekriegsleitung, Bd. II, S.640–648, hier S.645 f. 13 Vgl. IMT, Bd. XXXI, S. 250, Dok. 2878-PS: Dönitz’ Rede zum „Heldengedenktag“ am 12. 3. 1944 und die Ansprache vom 24. 8. 1944. 14 Vgl. z. B. Rohwer, Die Versenkung der jüdischen Flüchtlingstransporter. Die auf dem Dienstweg eingegangenen ‘Empfehlungen’ Admiral Frickes zum Völkermord wurden zwar von Dönitz nicht angenommen, führten aber auch nicht zu einer Maßregelung des Gruppenbefehlshabers. Daraus ist zu schließen, daß für Dönitz derartige Vorschläge durchaus im Bereich des Möglichen, ja eben auch der Normalität lagen. 15 Salewski, Das maritime Dritte Reich, S.127. 16 Vgl. IMT, Bd. XXXV, Dok. 640-D, S. 242: „Die Sehnsucht des englischen Volkes, kein Blut mehr zu verlieren und den Krieg möglichst bald zu beenden, damit die Gesamt-Weltlage sich nicht weiter zu seinen Ungunsten verändert, ist groß. Umsomehr können wir uns von einem Aufleben des Tonnagekrieges, ganz abgesehen von dem Versenken der Schiffe, auch psychologisch viel versprechen.“ 17 Steinert, Die 23 Tage der Regierung Dönitz, S. 40 f. und Anm. 132; Salewski, Seekriegsleitung, Bd. II, S. 545; Rahn, Die deutsche Flotte im Spannungsfeld der Politik, S.146. 18 BA-MA Freiburg, OKW/41: Ansprache Dönitz’ vom 9. 5. 1945 über die militärische Lage des 30. April: „Der Kampf zum Entsatz der Reichshauptstadt und des Führers war aussichtslos“, abgedruckt in: Salewski, Seekriegsleitung, Bd. II, S.650. 19 Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht 1940–1945, Bd. IV/2, S.1468. 20 Vgl. Sjöstedt, Das Programm des Grossadmirals Dönitz, S.195–233. 21 Fernschreiben Dönitz’ an Kaufmann vom 30. April, abgedruckt in: Lüdde-Neurath, Regierung Dönitz, S. 129, sowie Ansprache Dönitz’ vom 9. 5. 1945, abgedruckt in: Salewski, Seekriegsleitung, Bd. II, S. 650. 22 IMT, Bd. XXXV, Dok. 443-D: Ansprache von Dönitz vor Befehlshabern der Kriegsmarine am 17. Dezember 1943, S.106. 7 8

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg: N 236 Nachlaß Dönitz; RM7: Akten der Seekriegsleitung, case 535, PG 326ff. Gedruckte Quellen und Literatur Dönitz, Karl: Mein wechselvolles Leben. Göttingen 1968. Hartwig, Dieter: Großadmiral Karl Dönitz. Legende und Wirklichkeit. Paderborn 2010. Lüdde-Neurath, Walter: Regierung Dönitz. Die letzten Tage des Dritten Reiches. 5. Aufl. Leoni 1981. Messerschmidt, Manfred: Die Wehrmacht: Vom Realitätsverlust zum Selbstbetrug. In: Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine perspektivische Rückschau. Hrsg. von Hans-Erich Volkmann. München 1995, S. 223–257. Rahn, Werner: Diskussionsbeitrag zum Vortrag von Michael Salewski. In: Die deutsche Flotte im Spannungsfeld der Politik 1848–1985. Hrsg. vom Deutschen Marine Institut und vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Herford 1985, S.146. Rebentisch, Dieter: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939–1945. Stuttgart 1989. Rohwer, Jürgen: Die Versenkung der jüdischen Flüchtlingstransporter Struma und Mefkure im Schwarzen Meer. Stuttgart 1964. Salewski, Michael: Das maritime Dritte Reich – Ideologie und Wirklichkeit 1933– 1945. In: Die deutsche Flotte im Spannungsfeld der Politik 1848–1985: Vorträge und Diskussionen der 25. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte 1985. Hrsg. vom Deutschen Marine Institut und vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Herford 1985, S.113–139. Sandhofer, Gert: Dokumente zum militärischen Werdegang des Großadmirals Dönitz. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1/1967, S.59f. Sjöstedt, Lennart: Das Programm des Grossadmirals Dönitz bei seinem Regierungsantritt 1945. In: Probleme deutscher Zeitgeschichte. Lund Studies in International History 2. Stockholm 1971, S.195–233. Steinert, Marlis: Die 23 Tage der Regierung Dönitz. Düsseldorf 1967.

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Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg Der letzte Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Generaladmiral HansGeorg v. Friedeburg, geboren am 15. Juli 1895 zu Straßburg, entstammte einer badischen Soldatenfamilie. Einer frühen Neigung folgend trat er in die Kaiserliche Marine ein und wurde 1914 in die Seeoffiziercrew 1914 eingereiht.1 Auf dem Linienschiff SMS „Kronprinz“ nahm er an der Skagerrak-Schlacht gegen die britische Flotte teil. Im Juli 1916 wurde er Leutnant zur See, ein Jahr später kam er zur neuen U-Boot-Waffe. Nach Kriegsende begann er in Freiburg ein Studium der Jurisprudenz und Nationalökonomie, aber bereits Oktober 1919 trat er wieder in die neue Reichsmarine ein. Trotz der Umbrüche durch Revolution, Zusammenbruch des Kaiserreiches, Ausrufung der Republik und ‘Kapp-Putsch’ ließ er sich offenbar von dem selbstgewählten Motto seiner Crew leiten: „Wir wissen, wer wir sind. Wir bleiben, was wir waren.“ Und er, überzeugt von der Notwendigkeit einer Seemacht für ein großes Volk, fühlte sich als Marineoffizier vor allem der Aufgabe verpflichtet mitzuhelfen, daß in späterer Zeit „unsere Flaggen und Wimpel wieder machtvoll draußen auf den Ozeanen wehen“.2 Dieses Ziel konnte nach verbreiteter Auffassung in der Reichsmarine auch ohne Rücksicht auf die konkrete Staatsform verfolgt werden etwa nach dem Beispiel des Reichspräsidenten v. Hindenburg: „Man kann seinem Vaterland dienen und ihm seine besten Kräfte widmen, ohne alt überbrachte Ideale dabei zu opfern!“3 Dieses ‘unpolitisch’ gemeinte Staatsverständnis sollte sich jedoch zunehmend als eminent politisch herausstellen, verwies doch die erwünschte Einheit von Volk und Wehrmacht auf ein Ideal, das ‘Vaterland’, so als ob es einen unbestrittenen „absoluten Begriff des Staates“ geben würde. Damit öffnete sich dieses Staatsverständnis „völkischen Gedanken“.4 Durchweg sehr gut beurteilt, stand v. Friedeburg schon bald mit an der Spitze seiner Crew. Wegen seiner angenehmen gesellschaftlichen Umgangsformen – seine Beurteilungen sprechen „von tadelloser Erziehung“ und „einwandfreien gesellschaftlichen Formen“ – empfahl er sich besonders für Verwendungen als Adjutant. Daneben wurde ihm schon früh eine besondere Befähigung zur Menschenführung attestiert, ergänzt durch „schnelle Auffassungsgabe, gutes Organisationstalent, Eifer und Tatkraft aus“. Friedeburgs politische Laufbahn begann ab April 1929 auf dem herausgehobenen Dienstposten als Kapitänleutnant und Verbindungsoffizier der

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Marine beim Wehrkreiskommando I (1. Division) in Königsberg. Dort lernte er im Herbst 1929 nämlich v. Blomberg als neuen Kommandeur des Wehrkreises kennen, der als Chef des Stabes Anfang 1931 v. Reichenau nachzog. Zur gleichen Zeit wirkte in Königsberg als evangelischer Wehrkreispfarrer Ludwig Müller, der frühere Marinepfarrer aus Wilhelmshaven und spätere Reichsbischof. Hier bahnte sich ein mannigfaches dienstlich-persönliches Beziehungsgeflecht an. Wenn dabei die politische Gesinnung Müllers, der 1931 Mitglied der NSDAP geworden war, auch Friedeburg nicht entgangen ist und das isolierte Ostpreußen damals als die Provinz galt, in der es am wenigsten gelungen war, die Truppe von den nationalsozialistischen Einflüssen fernzuhalten, so dürfte die Übereinstimmung doch mehr in der Betonung des Nationalen gelegen haben. Beschleunigend wirkte sich auf v. Friedeburgs Karriere der Rücktritt des Reichswehrministers Groener und der nachfolgende Sturz des Kabinetts Brüning Ende Mai 1932 aus, durch den ein Personalkarussell ausgelöst und v. Friedeburg überraschend in die Wehrmachtsabteilung nach Berlin versetzt wurde. Für diese Stellung hatte er sich als „eine militärisch auffallend gut beanlagte Persönlichkeit“, die nicht nur mit ihrem „Verständnis weit in die verschiedenen Probleme des Heeres und der Landkriegführung eingedrungen“ war, sondern auch „Urteil und Takt“ in allen politischen Fragen besaß, besonders empfohlen. In der Wehrmachtsabteilung des Reichswehrministeriums, die gleichzeitig auch die bearbeitende und mitprüfende Stelle des Chefs der Marineleitung für alle die Marine betreffenden Angelegenheiten war, ist er mit der deutschen Innen- und Wirtschaftspolitik vertraut gemacht worden und hat sich überraschend schnell eingearbeitet. Ende Januar 1933 erfolgte die Berufung zum Marineadjutanten beim neuen Reichswehrminister v. Blomberg, eine Wahl, die auf Grund des besonderen Vertrauensverhältnisses zu diesem nicht verwundern kann. Friedeburg stieg schließlich zu dessen ‘Ersten Adjutanten’ auf. Als solcher hat er zweifellos eine große Einflußmöglichkeit auf den dafür empfänglichen Generaloberst v. Blomberg gehabt. In welcher Weise und in welche Richtung hat v. Friedeburg aber diese ausgeübt? Für die Folgezeit sind wenig Eingriffe seitens des Reichswehrministers in die Belange der Marine bekannt geworden. Dabei wird man der vermittelnden Tätigkeit des inzwischen zum Korvettenkapitän beförderten v. Friedeburg eine gewisse Bedeutung nicht absprechen können. Auch die Reichsmarine selber war in ihrem Bestreben, sich richtig zu plazieren, d. h. die neuen Machthaber für sich einzunehmen und dadurch ihre Stellung zu festigen, zu zumindest äußeren Anpassungsmaßnahmen bereit. Der Eindruck, den Goebbels anläßlich der Besichtigung der Flotte Ende

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Mai 1933 in Kiel gewann – „Raeder bekennt sich mit der Marine zu Hitler. (…) Diese Flotte muß wunderbar und groß werden. Dafür wollen wir kämpfen. (…) Hitler ist ganz beglückt“5 – und der Erlaß des Reichswehrministers vom September 1933, daß die Kriegsschiffe künftig das Hoheitszeichen des nationalsozialistischen Deutschen Reiches, also das Hakenkreuz mit dem fliegenden Adler, zu führen haben, mögen das belegen.6 Mit anderen Worten: Über die Teilkongruenz gemeinsamer Ziele kam es bei der Reichsmarine zu einer als ‘Pflicht’ verstandenen Bejahung der neuen Regierung, wie nach Meinung Raeders auch bei der „Mehrheit des deutschen Volkes und auch der Marine“7. Dadurch entstand bei Außenstehenden leicht der Eindruck, daß „die meisten Seeoffiziere sehr stramm ‘pro’“ waren, „begeistert über die Machtpolitik“.8 Dies gilt erst recht für v. Friedeburg in seiner dienstlichen Stellung als Marineadjutant, zumal er in der Aufbruchstimmung jener Tage wohl auch persönlich zu einem Anhänger Hitlers geworden war. Bei ihm darf man von nun an von einer Übereinstimmung mit den ‘nationalen Zielen’ der nationalsozialistischen Bewegung zumindest im Hinblick auf eine Förderung des Auf- und Ausbaues einer deutschen Flotte sprechen.Von dieser Zielbestimmung her bedeutet das aber zugleich, daß er sich den unabhängigen Standpunkt als Marineoffizier zu wahren gesucht hat.9 Das läßt sich an den so problematischen Beziehungsfeldern wie dem der Anwendung des ‘Arier-Paragraphen’ auf die Wehrmacht oder dem Zusammenspiel zwischen Wehrmacht, Partei, SA oder SS aufzeigen. Im ersten Fall nahm ein durch den ‘Arierparagraphen’ betroffener Marineoffizier im März 1934 Kontakt mit Friedeburg auf, der diesem ausweichend sowohl die politische Dimension der ‘Arier-Frage’ aus seiner Sicht erläuterte als ihm auch kameradschaftlich riet, zunächst beim Bordkommando die weitere Entwicklung abzuwarten. Erst seine, die negative Entscheidung der Marineleitung dann begründende Auskunft gegenüber einem Dritten bewegte sich sowohl von der Tendenz her als auch nach der Diktion eindeutig im Rahmen dessen, was die Reichswehrführung bei ihrer Mitwirkung an dieser insgesamt mehr als fragwürdigen Gesetzgebung im Februar 1934 vorgegeben hatte.10 Kurze Zeit nach dem ‘Röhm-Putsch’ unternahm v. Blomberg an Bord des Flottentenders „Hela“ zur Entspannung eine Ostsee-Rundreise, die Ende Juli 1934 jedoch wegen der dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Reichspräsidenten Hindenburg abgebrochen wurde. Friedeburg verknüpfte seine militärische Berichterstattung über die Reise mit durchaus kritischen Aussagen zur Auslandsorganisation der NSDAP. Er fühlte sich mithin mitverantwortlich für das Erscheinungsbild der Partei im Ausland und artikulierte das.11

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Durch die auch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung fortgesetzten Angriffe verschiedenster Art durch Vertreter der Partei, der SA oder der SS auf die Reichswehr sahen sich die Adjutanten häufig gefordert zu vermitteln. Dazu einen möglichst „engen persönlichen Kontakt zu halten, wie er in einer Diktatur wesentlicher ist als alle Arbeit in den Ministerien“, war sicher förderlich.12 Der Adjutant Himmlers, Karl Wolff, gibt so für die Zeit vor 1938 an, er sei mit von Friedeburg befreundet gewesen.13 Das aber glaubt die Witwe Friedeburgs sowohl in bezug auf Wolff als auch auf Himmler sicher verneinen zu können. Beides muß sich indes nicht ausschließen. Richtig ist daher wohl, daß Friedeburg sich im Sinne eines do ut des um einen Ausgleich und Abbau der bestehenden oder vermeintlichen Divergenzen zwischen Wehrmacht und SS bemüht hat in der Überzeugung, daß beide nur für Deutschland und den ‘Führer’ arbeiten. Diese vermittelnde Tätigkeit läßt sich für ihn bis zum Sommer 1944 nachweisen.14 Entsprechend berief er sich damals auch Himmler gegenüber ausdrücklich auf die seit 1933 bestehende enge Verbindung, „die ja im Jahre 1934 ihre Erprobung erfuhr“15. Selbstverständlich pflegte v. Friedeburg als Adjutant des Reichswehrministers von Anfang an ebenfalls Kontakte zu den anderen Ministerien. Weitaus stärker als zu Himmler sollen solche zu Göring und Goebbels bestanden haben. Letzterer notierte für Anfang Juni 1936 in seinem Tagebuch: „Blomberg und Friedeburgs da. Den ganzen Tag auf dem Wasser. Ein schöner, geruhsamer Tag. Viel erzählt.“16 Das unterstreicht die Nähe zu den politischen Machthabern, in der sich Friedeburg auf Grund seiner Dienststellung, aber auch wohl wegen seiner Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut bewegte. Als Ausdruck seiner Korrektheit, jedoch vielleicht ebenfalls als Maß der Bereitschaft, selbst äußerlich mit den Nationalsozialisten konform zu gehen, mag dann die Rückgabe des „Johanniter-Ordens“ Anfang Oktober 1936 gelten. Nach fast zehnjähriger Verwendung an Land drängte Friedeburg nun aber darauf, trotz des Widerstrebens Blombergs wieder ein Bordkommando zu erhalten. So wurde er Ende September 1936 Erster Offizier auf dem Kreuzer „Karlsruhe“ und erhielt bei seiner Abkommandierung im März 1938 das begehrte Zeugnis ausgestellt: „Er ist in jeder Beziehung zum Kommandanten eines Schiffes voll geeignet.“ Im Grunde war er damit trotz seiner Bemühungen, seine einmal gewonnenen persönlichen Kontakte aufrechtzuerhalten, aus dem politischen Rampenlicht in das Seeoffizierkorps zurückgetreten. Inwieweit er jetzt noch Kenntnis von der sich anbahnenden ‘unstandesgemäßen’ Liaison des

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Reichskriegsministers erhielt und sich einzuschalten versucht hat, ist nicht sicher. Ihn deswegen aber in die Nähe des damaligen Intrigenspiels um die Ablösung und Nachfolgebesetzung des Reichskriegsministers bzw. des Oberbefehlshabers des Heeres, wofür auch Himmler von interessierter Seite ins Spiel gebracht wurde, rücken zu wollen, wäre wohl zu weitgehend. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, daß Friedeburg zu dem Kreis jener Offiziere zu rechnen ist, die sich damals von einer solchen Berufung Himmlers die Beendigung des leidigen Zwistes zwischen Wehrmacht und SS und die Herstellung des dringend notwendigen Vertrauens zwischen Staats- und Heeresführung versprochen haben könnten.17 Aus der Verwirrung jener Tage stammt das Verdikt von Generaloberst Freiherr von Fritsch, der ihn rückblickend als das „Störungsorgan der Partei“ zwischen Blomberg und ihm bezeichnete. „Er war mit Himmler sehr befreundet und hat wohl damals Himmler auch großen Einfluß bei Blomberg verschafft.“18 Bestimmend für das weitere Schicksal v. Friedeburgs wurde seine Abkommandierung 1939 zum Befehlsbereich des Führers der U-Boote (FdU, später BdU, also Befehlshaber der U-Boote), Kapitän zur See Dönitz. Ursprünglich als dessen Nachfolger vorgesehen, konnte er während des Zweiten Weltkrieges zunächst in der BdU-Organisation, dann als „2. Admiral der Unterseeboote“ und später als „Kommandierender Admiral der Unterseeboote“, verbunden mit Beförderungen zum Konter- bzw. Vizeadmiral, sein Organisationsgeschick und seine Befähigung zur Menschenführung unter Beweis stellen. Ihm oblag nämlich die Verantwortung für die Ausbildung des gesamten Nachwuchses und den Weiterbau der U-Boot-Waffe, die Betreuung der eingesetzten U-Boote in allen truppendienstlichen, disziplinaren, waffentechnischen, organisatorischen und verwaltungstechnischen Fragen sowie die gesamte Personalsteuerung. 19 Er gilt hierbei als der Schöpfer des zur Lösung dieses schwierigen und komplizierten Organisationsauftrages entwickelten „laufenden Bandes“, durch das die Neubauten und ihre jeweiligen Besatzungen zusammengebracht, in einer genau aufeinander abgestimmten Abfolge für ihren Kampfeinsatz geschult und der Front zugeführt wurden.20 Die Zahlen von über 1100 während des Krieges neu in Dienst gestellten U-Booten und etwa 36 000 ausgebildeten U-Boot-Fahrern belegen dies hinlänglich. Für die Bedeutung dieser undankbaren, weil im Hintergrund bleibenden Aufgabe prägte er einmal den selbstbewußten, für seine Mitarbeiter motivierend gemeinten Vergleich: „Ohne seinen Gneisenau würde man von Blücher heute nicht mehr sprechen, und ohne die Handlanger hinter der Front käme die Ubootwaffe rasch zum Erliegen, ja, sie wäre überhaupt schon ausverkauft!“21 Der von Friedeburg an anderer Stelle verwendete

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Begriff des „Büchsenspanners“ zielt auf diese dienende Rolle im Hintergrund.22 Als treuer Untergebener Dönitz’ muß er sich einerseits auch dessen aus Anlaß des 20. Juli 1944 eingeschlagene Marschrichtung des fanatischen Weiterkämpfens, des sturen Gehorsams ohne Gedanken an eine militärische Zweckmäßigkeit und des Verzichts auf jedwedes politisches Denken, mithin die absolute Unterordnung unter die nationalsozialistische Führung zurechnen lassen. Andererseits ließ v. Friedeburg nach Rücksprache mit Dönitz z. B. schon im Dezember 1944 insgeheim vorbereitende Maßnahmen treffen, um seine Ausbildungseinheiten rechtzeitig vor den anrückenden sowjetischen Truppen aus Memel und Pillau evakuieren zu können. Er war offenbar auch bereit mitzuhelfen, den mit ihm verwandten und im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 gesuchten Oberfähnrich zur See Georg Lindemann, den Sohn des verhafteten Generals Fritz Lindemann, dem Zugriff der Gestapo zu entziehen.23 Ferner verwandte er sich zugunsten von dessen inhaftierter Mutter, wenn auch erfolglos, bei Himmler.24 Am 1. Mai 1945 wurde Friedeburg in Plön mitgeteilt, daß Dönitz neues Staatsoberhaupt und er selbst als Generaladmiral zu dessen Nachfolger als Oberbefehlshaber der Marine ernannt sei, für ihn formal die Krönung seiner Laufbahn. Von Dönitz persönlich damit beauftragt, konnte er noch einmal sein Verhandlungsgeschick und seine Fähigkeit zum Vermitteln beim Abschluß der Teilkapitulation der deutschen Streitkräfte in Norddeutschland gegenüber dem britischen Feldmarschall Montgomery am 4. Mai und bei der Vorbereitung der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 7. Mai in Reims einbringen. Von der Reichsregierung Dönitz weiterhin in die Pflicht genommen, sah er schließlich auf Grund seiner Erziehung keinen anderen Ausweg, als seine Ehre im Freitod zu bewahren. Er, der das schon im Herbst 1944 für den Fall einer deutschen Niederlage im vertrauten Kreis angekündigt und auch mit seiner Frau besprochen hatte, nahm am 23. Mai 1945 bei seiner Gefangennahme Gift und liegt auf dem Friedhof Adelby bei Flensburg begraben. Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg kann insgesamt als ein hochbefähigter Marineoffizier, auffallend begabter Menschenführer und glänzender Organisator gelten, der sich mit aller Kraft für den Auf- und Ausbau ‘seiner’ Marine eingesetzt hat. Sein Bekenntnis zum Nationalsozialismus, von ihm zuletzt noch als die Schaffung einer „wahren Volksgemeinschaft“ gewürdigt, muß man dabei im Sinne eines bewußten Einsatzes politischer Mittel werten.25

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Anmerkungen 1 Vgl. BA-MA Freiburg, Pers 6/2277 (Personalakte v. Friedeburg); die weiteren Belege zum militärischen Werdegang und die Beurteilungen sind weitgehend dieser Akte entnommen. 2 Friedeburg, 32000 Seemeilen, S. 240. 3 Schreiben Großadmiral a. D. Prinz Heinrich von Preußen an v. Friedeburg, Dezember 1927, Privatbesitz Frau v. Friedeburg. 4 Vgl. Raeder, Mein Leben, Bd.1, S. 184 f.; Bd. 2, S. 22; bei der Marine hat nach F. Ruge „immer die Treue gegen Volk und Staat“ im Vordergrund der soldatischen Erziehung gestanden, s. ders., Schreiben an General a. D. F. von Senger vom 13. 8. 1956, in BA-MA Freiburg, N 379 /109a. 5 Goebbels, Tagebücher Tl. I, Bd. 2, S. 423. 6 Vgl. Marine-Rundschau, Oktober 1933, S.470. 7 Vgl. Raeder, Mein Leben, Bd. 2, S.22 f. 8 Vgl. Hassell, Tagebücher, S. 88. 9 Im Grunde verkörperte damit Friedeburg nur die eigene Wehrmachtspropaganda, vgl. Canaris, Politik, S. 48; er sah vor allem den Auf- und Ausbau der Marine, vgl. Wichmann, 45 Jahre, S.5. 10 Vgl. BA-MA Freiburg, N 656/2 und RW 6/73; auch Messerschmidt, Wehrmacht, S.40–47 und S.34. 11 Vgl. BA-MA Freiburg, RH 1/13a, Bl. 166–188. 12 Zitiert bei Röhricht, Pflicht, S. 44. 13 Vgl. Lang, Der Adjutant, S.85. 14 Vgl. sein Schreiben in: BA Berlin, NS 19/922. 15 Vgl. sein Schreiben vom 31. 8. 1944, das aus konkretem Anlaß möglicherweise kompensatorische Züge aufweist, BA Berlin, NS 19/1222. 16 Vgl. Goebbels, Tagebücher, Teil I, Bd. 2, S. 620. 17 Vgl. Heeresadjutant, S. 15, FN 15. 18 Niederschrift des Adjutanten vom 1. Februar 1938 mit Originalunterschrift v. Fritsch, s. BA-MA Freiburg, N 28/3, Bl. 3v; das Schreiben wurde von Hoßbach, Wehrmacht, S. 70, publiziert und in der Literatur vielfach kolportiert; das IfZG weist im Zeugenschrifttum dafür keine weiteren Belege nach. 19 Vgl. sein Schreiben vom 14. 5. 1942, in: BA-MA Freiburg, N 374/5. 20 Vgl. Frank, Die Wölfe, S. 220. 21 Vgl. Brief vom 21. 1. 1941, in: BA-MA Freiburg, N 374/6. 22 Vgl. Dönitz, Zehn Jahre, S.121. 23 Vgl. dazu Baum, Marine, S. 39, Anm.: 173; Georg Lindemann hat in der CrewZeitung „Die Flüstertüte“ unter der Überschrift „Vierzig Jahre danach … wird deshalb aus der Deutschen Wehrmacht ausgestoßen“ selber darüber berichtet, freundlicher Hinweis von Ministerialrat a.D. Wilhelm Josephi. 24 Vgl. BA Berlin, NS 19/1222. 25 Vgl. Lüdde-Neurath, Regierung, S.197.

Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA Berlin, Abt. R: NS 19 (Persönlicher Stab Reichsführer-SS)/922 und 1222; BA-MA Freiburg: RH 1 (Oberbefehlshaber des Heeres/Adjutantur)/13a; RW 6/73; N 28 (Nachlaß L. Beck)/3; N 374 (Nachlaß H. G. v. Friedeburg)/5 und 6; N 379 (Nachlaß F. Ruge)/109a; N 656 (Nachlaß H. H. Lebram)/2; Pers 6/2277 (Personalakte v. Friedeburg). Der Verfasser dankt der Witwe, Frau U. Kähler von Friedeburg, Bad Neuenahr, und deren Sohn, Prof. Dr. L. von Friedeburg, Frankfurt a. M., für ihre freundlich gewährte Unterstützung. Ein gleicher Dank gilt auch MinR a. D. F. Tobias, Hannover, für die bereitwillige Zurverfügungstellung von Unterlagen aus seinem Archiv. Gedruckte Quellen und Literatur Baum, Walter: Marine, Nationalsozialismus und Widerstand. In: VfZG 11 (1963), S.16–48. Borgert, Heinz-Ludger: Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg (1895–1945). In: MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen 2 (1996), S.178–206. Canaris, Wilhelm: Politik und Wehrmacht. In: Wehrmacht und Partei. Hrsg. von Richard Donnevert. Leipzig 1938, S.43–54. Dönitz, Karl: Zehn Jahre und zwanzig Tage. Bonn 1958. Frank, Wolfgang: Die Wölfe und der Admiral. Triumph und Tragik der U-Boote. 2. Aufl. Oldenburg 1953. Friedeburg, Hans-Georg v.: 32 000 Seemeilen auf blauem Wasser. Erlebnisse auf der Weltreise des Kreuzers „Hamburg“ 1926/27. Minden 1927. Hoßbach, Friedrich: Zwischen Wehrmacht und Hitler. 1934–1938. Wolfenbüttel 1949. Lang, Jochen v.: Der Adjutant. Karl Wolff: Der Mann zwischen Hitler und Himmler. München 1985. Lindemann, Georg: „Vierzig Jahre danach … wird deshalb aus der Deutschen Wehrmacht ausgestoßen“. In: Crew-Zeitung „Die Flüstertüte“. Lüdde-Neurath, Walter: Regierung Dönitz. Die letzten Tage des Dritten Reiches. 4. Aufl. Leoni 1980. „Marine-Rundschau“. Monatsschrift für Seewesen, hrsg. vom Reichswehrministe rium 38 (1933). Raeder, Erich: Mein Leben. 2 Bde. Tübingen 1956. Röhricht, Edgar: Pflicht und Gewissen. Erinnerungen eines deutschen Generals 1932 bis 1944. Stuttgart 1965. Wichmann, Herbert: 45 Jahre danach. Bericht des Kapitäns zur See a. D. Herbert Wichmann, s. Zt. Leiter der Abwehrstelle Hamburg. München 1981.

Wolfgang U. Eckart

SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Prof. Dr. med. Ernst Grawitz Als Sohn des Medizinprofessors Ernst Grawitz erblickte Ernst Robert Grawitz1 am 8. Juni 1899 zu Berlin das Licht der Welt. Unmittelbar nach der schulischen Ausbildung an einer Privatschule sowie an Berliner Gymnasien trat er als Kriegsfreiwilliger am 4. Juni 1917 ins Jäger-Ersatz-Bataillon 1 ein, wurde im August 1917 zum Gefreiten, am 10. März 1918 zum Oberjäger und im Juni 1918 zum Fähnrich befördert. Als Mitglied der 3. Kompanie des Hannoverschen Jäger-Bataillons Nr. 10 wurde Fähnrich Grawitz am 1. August 1918 bei Epéhy vermißt gemeldet. Er war in britische Gefangenschaft geraten, aus der er erst im November 1919 entlassen wurde. Gemäß Verordnungsblatt der Personalabteilung des Reichswehrministeriums erhielt Grawitz danach den Charakter als Leutnant.2 Unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft nahm Grawitz in Berlin das Studium der Medizin auf und war nach Approbation (1. Juli 1925) und Promotion (13. Juli 1925)3 zunächst für vier Jahre als Assistenzarzt am Kreiskrankenhaus Berlin Westend und dann als Facharzt für Innere Medizin tätig. Seine Laufbahn in der SS begann am 1. Juli 1933 als Sturmbannführer beim SS-Oberabschnitt Ost in der Funktion des Gruppenarztes Ost und sollte rasant verlaufen. Bereits am 16. August 1933 war Grawitz SS-Obersturmbannführer in gleicher Dienstverwendung und am 5. Mai 1934 SS-Standartenführer im Amt eines Oberabschnittarztes. Neben seiner Tätigkeit in der SS nahm Grawitz auch an sanitätsdienstlichen Übungen der Wehrmacht teil, so beispielsweise im März 1935 als Assistenzarzt der Reserve beim Standortlazarett in Berlin. Nach weiteren Reserveübungen erfolgte am 10. Januar 1937 die Beförderung zum Oberarzt der Reserve bei der Sanitätsabteilung 23. Zwischenzeitlich hatte auch seine SS-Karriere ihren Fortgang genommen: Zunächst im Rang eines SS-Oberführers als Chef des Sanitätsamtes im SS-Hauptamt (von April 1935 bis April 1937), erfolgt am 1. Juni 1937 seine Ernennung zum Reichsarzt-SS. Drei Jahre später, Grawitz ist mittlerweile SS-Brigadeführer, wird ihm von Himmler zusätzlich das Amt des Sanitätsinspekteurs der Waffen-SS übertragen (1. April 1940). Inzwischen Professor4 wird Grawitz am 30. März 1941 SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS. Bereits im Oktober 1941 ist er SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS, im Oktober 1943 wird er von

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Himmler zum Reichsarzt-SS und Polizei bestellt und im April 1944 zum SSObergruppenführer und General der Waffen-SS ernannt. 5 Grawitz, der Himmler direkt unterstand, hatte damit als medizinischer Chef und Leiter des gesamten Sanitätswesens der SS und der Polizei höchste Machtfülle erlangt, und er wußte sie zu nutzen, so zum Beispiel bei der Bekämpfung der Homosexualität,6 in der Kampfstoff-Forschung,7 im gesamten Bereich der SS-Gesundheitsführung und Sanitätspolitik während des Krieges,8 hier insbesondere im Bereich der menschenverachtenden Humanexperimente der SS in Konzentrationslagern, für die er in seiner Funktion als Reichsarzt-SS verantwortlich war. 9 Grawitz hat jeden dieser Versuche in enger Fühlungnahme mit den Ausführenden und in permanentem Kontakt mit seinem Dienstherrn Himmler begleitet. In besonderer Weise war er involviert in die Dachauer Versuche zur „Rettung aus großen Höhen“, über langandauernde Unterkühlungen und zur Trinkbarmachung von Meerwasser. Auf seinen Befehl hin experimentierten NS-Ärzte in den Konzentrationslagern Buchenwald und Natzweiler (Struthof) mit Fleckfieberimpfstoffen, im KZ Sachsenhausen mit Hepatitis-epidemica-Viren. Mit persönlichem Ehrgeiz begleitete er ferner die Sulfonamid-, Knochentransplantation- und Phlegmoneversuche in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Dachau. Ausschließlich im Konzentrationslager Dachau bei München wurden die brutalen für Luftwaffe und Marine als kriegswichtig erklärten Versuche zur „Rettung aus großen Höhen“ und zur Erforschung langandauernder Unterkühlungen durchgeführt. Eine führende Rolle bei diesen Humanexperimenten übernahm der Luftwaffenstabsarzt und SS-Untersturmführer Dr. Sigmund Rascher. Minutiös berichtete der Arzt seinem obersten Dienstherrn Himmler über die Versuche, denen auch der Reichsarzt-SS Grawitz und der SS-Standartenführer Wolfram Sievers, Generalsekretär der Gesellschaft Ahnenerbe und Direktor des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung, zeitweilig beiwohnten. Rascher verstand seine Experimente ausdrücklich als „terminale Versuche“, bei denen der Tod der Versuchsperson nicht nur billigend in Kauf genommen wurde, sondern mit Blick auf die sich anschließende pathologische Sektion sogar erwünscht war und somit zum Versuchsablauf gehörte. Einen Besuch von Grawitz im April 1942 nutzte Rascher, um auch den Reichsführer-SS für seine Versuche besonders zu interessieren.10 Seit dem 15. August 1942 wurden in Dachau auch Unterkühlungsversuche an Menschen durchgeführt, die zur Klärung von Fragen dienen sollten, wie sie sich im Laufe des Krieges durch den Absturz von Fliegern ins Meer ergaben. Man suchte für die Praxis eine zweckmäßige Schutzkleidung. Außerdem sollten die verschiedenen Wege der Wiederaufwärmung nachge-

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prüft werden. Bereits am 24. Februar 1942 hatte Prof. Dr. Ernst Holzlöhner, Kiel, vom Inspekteur des Sanitätswesens der Luftwaffe einen entsprechenden Forschungsauftrag erhalten, der darauf hinzielte, „die Wirkung der Abkühlung auf den Warmblüter“ zu untersuchen. Federführend bei diesen Versuchen war ebenfalls Dr. Rascher. Auch hier dokumentiert die Ver suchsanordnung die Brutalität des „verbrauchenden“ Menschenexperiments. Am 10. September 1942 berichtete Rascher Himmler von der ‘Versuchsanordnung’: „Die VPn (Versuchspersonen, d. Verf.) werden mit voller Fliegeruniform, Winter- und Sommerkombination und Fliegerhaube bekleidet ins Wasser gebracht. Eine Schwimmweste aus Gummi oder Kapok soll das Untergehen verhindern. Die Versuche wurden durchgeführt bei Wassertemperaturen zwischen 2,5 und 12 Grad Wärme. Bei der einen Versuchsreihe war der Hinterkopf so wie Hirnstamm außerhalb des Wassers, während bei den anderen Versuchsreihen der Nacken (Hirnstamm) und Hinterhirn im Wasser lagen. Es wurden Unterkühlungen im Magen von 26,4 Grad, im After von 26,5 Grad elektrisch gemessen. Todesfälle traten nur ein, wenn der Hirnstamm sowie das Hinterhirn mit unterkühlt wurden. Es fanden sich bei der Sektion derartiger Todesfälle stets innerhalb der Schädelkapsel größere Mengen freien Blutes, bis zu einem halben Liter. Das Herz zeigte regelmäßig schwerste Erweiterungen der rechten Kammer. Sobald die Unterkühlung bei diesen Versuchen 28 Grad erreicht hatte, starb die VP mit Sicherheit trotz aller Versuche zur Rettung.“11 Auch Versuche dieser Art, besonders sogenannte „Trockenfrierversuche“, bei denen sich Lagerhäftlinge bei Temperaturen um –5 bis –10 Grad Kälte stundenlang nackt vor ihrem Block aufstellen mußten und stündlich mit Kübeln kalten Wassers übergossen wurden, initiierte und forcierte Grawitz. So berichtete der KZ-Häftling Neff, daß Grawitz persönlich gefordert habe, „daß mindestens 100 Versuche dieser Art durchgeführt werden“ müßten.12 Mit größtem persönlichen Engagement förderte Grawitz auch die Versuche zur Trinkbarmachung von Meerwasser.13 Aus den Erfahrungsberichten der Luftwaffe ging seit den frühen 40er Jahren hervor, daß sich, bedingt durch die Verschärfung des Luftkrieges über dem Atlantik und dem Mittelmeer, Fälle von Seenot häuften; Hauptgefahr war in solchen Situationen, besonders im Mittelmeerbereich, das Verdursten. Unter Leitung von Dr. Konrad Schäfer, Assistent am chemotherapeutischen Laboratorium der Schering AG und Unterarzt im Stab des Forschungs-Instituts für Luftfahrtmedizin, wurden auch diese Versuche auf Anregung des Luftwaffen sanitätschefs im Konzentrationslager Dachau durchgeführt.14 Es ist heute nicht mehr zu klären, wie viele Opfer die Dachauer Versuche zu Trinkbarmachung von Meerwasser forderten. Besonderes Engagement entwickelte Grawitz außerdem auf dem Gebiet

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der Infektionsforschung in Konzentrationslagern. So erfolgte die Gründung einer Fleckfieberstation im KZ Buchenwald, die der Herstellung eines „SSeigenen Impfstoffes“ gegen Fleckfieber dienen sollte, auf seinen vom Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti15 angeregten und mit Himmler abgestimmten Befehl.16 Eine Reihe von Experimenten zum Testen von Fleckfieberimpfstoffen wurde Ende 1941 vor allem im KZ Buchenwald durchgeführt, darüber hinaus aber auch in Kriegsgefangenenlagern im rückwärtigen Gebiet der Ostfront. Diese Fleckfieber-Experimente im KZ Buchenwald sind im wesentlichen durch das Stations-Tagebuch des im Lager arbeitenden SS-Hauptsturmführers Dr. Erwin Ding-Schuler,17 durch verschiedene Zeugenaussagen europäischer Forscher, die in Buchenwald in Haft gehalten wurden, und durch Dr. Eugen Kogon, der dazu im Nürnberger Ärzteprozeß vernommen wurde und dem auch die Rettung des Tagebuches zu verdanken ist, belegt. Das Institut zur Impfstoffherstellung wurde auch deshalb in einem Konzentrationslager errichtet, um inhaftierte ausländische Forscher zur Mitarbeit heranziehen zu können, wie z. B. Prof. Ludwig Fleck aus Lemberg, Prof. Balachowsky aus Paris oder Prof. van Lingen aus Amsterdam. Unmittelbar beteiligt an dieser Versuchsreihe waren Prof. Gildemeister vom Robert-Koch-Institut, Dozent Dr. Joachim Mrugowsky vom Hygiene-Institut der Waffen-SS sowie der Leitende Luftwaffenhygieniker Prof. Gerhard Rose. Die Probanden wurden systematisch artifiziell infiziert und dann experimentell mit unterschiedlichen Impfstoffen behandelt, wobei als Referenzgruppe immer eine Anzahl unbehandelter, aber gleichfalls infizierter Patienten zur Verfügung stand. Die genaue Anzahl der Todesopfer dieser Versuche ist nicht bekannt, es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß es sich um Hunderte gehandelt haben muß, da die Versuchsgruppen immer relativ groß waren. Ein Prestigeobjekt von herausragender Art, geeignet wie kein anderes, den Ruf der Dienststelle des Reichsarztes-SS und der Polizei sowie der SS insgesamt als kriegswichtige medizinische ‘Forschungsförderungsinstitution’ zu mehren, stellten die größtenteils im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück und in Dachau umgesetzten Sulfonamidversuche dar.18 Das Lager Ravensbrück lag in der Nähe der orthopädischen SS-Heilanstalt Hohen lychen, die vom beratenden Chirurgen der Waffen-SS, Prof. Dr. Paul Gebhardt, einem Sauerbruchschüler und Jugendfreund Himmlers, geleitet wurde. Hintergrund waren die hohen Verluste von Wehrmacht und SS im Osten. Während auf alliierter Seite Sulfonamide und Penicillin erfolgreich angewandt wurde, gab es bei der Wehrmacht und Waffen-SS keine erfolgreiche Sulfonamidbehandlung, und in der Penicillinforschung war die deutsche Medizin restlos ins Hintertreffen geraten. Zudem hatte Hitler entschieden, daß „grundsätzlich, wenn es um das Staatswohl geht, der Menschenversuch

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zuzulassen“ sei. Es könne nicht angehen, daß einer, „der in einem KZ oder Gefängnis ist, vollkommen unberührt vom Kriege bleiben soll, während die deutschen Soldaten das fast Untragbare leisten müssen und die Heimat mit Frau und Kind unter der Phosphorbrandbombe zusammengeschlagen“19 werde. Vor diesem Hintergrund befahl Himmler im Mai 1942 eine schnelle Lösung der Sulfonamidfrage. In diese Situation platzte am 27. Mai 1942 das Attentat auf den Chef des Reichssicherheitshauptamtes und stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich. Dieses Ereignis erlangte für Grawitz und Gebhardt die Sulfonamidfrage größte Bedeutung und kann hinsichtlich der menschenverachtenden Sulfonamidversuche in Ravensbrück kaum überschätzt werden. Heydrich, der wenige Tage nach dem Anschlag einer schweren Sepsis erlag, dürfte den letzten Anstoß zum Beginn der Sulfonamidversuche geliefert haben. Denn Gebhardt, als beratender Chirurg der Waffen-SS eilends nach Prag eingeflogen, hatte nichts mehr ausrichten können und war heftiger Kritik des Leibarztes von Hitler, Dr. Theo Morell,20 und Himmlers ausgesetzt, der ihm die Auffassung Hitlers, daß „Heydrich eine verlorene Schlacht“ von nie erlittenem Ausmaß21 sei, in scharfer Form übermittelt hatte. Gebhardt begann daraufhin, unterstützt von seinem Mitarbeiter, SS-Obersturmführer Dr. Fritz Fischer, die lebensgefährlichen Versuche. Systematisch wurden in Ravensbrück vor allem an polnischen Jüdinnen Verletzungen im Muskelbereich vorgenommen und dann mit Gasbranderregern22 aber auch mit anderen Erregerkulturen infiziert. Danach wurden Therapieexperimente mit SulfonamidPräparaten der Bayer-Werke durchgeführt. Die Versuche, die allesamt in Hohenlychen vorgenommen wurden, müssen unter entsetzlichen Qualen der Probandinnen vollzogen worden sein. Beteiligt waren an den Versuchen auch die Lagerärztin Dr. Herta Oberheuser und zeitweilig der SS-Arzt Dr. Gerhard Schiedlausky. Hierzu gibt die polnische Probandin Wladislawa Karolewska einen erschütternden Einblick: „Eine Decke wurde über meine Augen gestülpt und ich wußte nicht, was mit meinem Bein getan wurde. Aber ich fühlte große Schmerzen und ich hatte den Eindruck, daß aus meinem Bein etwas herausgeschnitten wurde. (…) Zwei Wochen später wurden wir alle wieder in den Operationssaal gebracht und auf einen Operationstisch gelegt. Der Verband wurde abgenommen und da sah ich zum ersten Male mein Bein wieder. Der Einschnitt war so tief, daß ich den Knochen selbst sehen konnte. Man sagte uns dann, daß ein Arzt von Hohenlychen, Dr. Gebhardt käme, um uns zu examinieren. Wir warteten auf seine Ankunft 3 Stunden, während wir auf Tischen lagen. Als er kam, wurde ein Tuch über unsere Augen gebreitet. Dann wurden wir wieder in unser Zimmer zurückgebracht. Am 8. Septem-

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ber wurde ich in den Block zurückgeschickt. Ich konnte nicht gehen. Der Eiter floß von meinem Bein und ich konnte nicht gehen. Im Block verblieb ich dann eine Woche im Bett. Dann wurde ich wieder ins Krankenhaus gerufen und da ich nicht gehen konnte, trugen mich meine Genossinnen.“23 Nach Abschluß der Versuche mit artifizieller Erregung von Gasbrand meldeten Prof. Gebhardt und Dr. Fischer für die „3. Arbeitstagung Ost der beratenden Fachärzte vom 24. bis 26. Mai 1943 in der Militärärztlichen Akademie Berlin“ ein Referat an. Grawitz und Gebhardt waren über die Bekanntgabe der Ergebnisse allerdings uneins. Grawitz wollte die Veröffentlichung der Experimente überhaupt nicht oder aber nur getarnt vornehmen.24 Immerhin war es ihm in einer Auseinandersetzung mit Gebhardt gelungen, die Überschrift „Menschenversuche über Sulfonamidwirkungen“ camouflierend in „Besondere Versuche über Sulfonamid-Wirkungen“ umzuformulieren. Gebhardt erläuterte zu dem Referat, daß die Versuche auf Befehl höchster staatlicher Stellen durchgeführt worden seien; bei den Versuchspersonen habe es sich um zum Tode Verurteilte gehandelt, denen für ihre Versuchsteilnahme Begnadigung zugesichert worden sei. Er verschwieg freilich, daß es sich bei den Probanden um politische Gefangene und ausschließlich um weibliche Häftlinge gehandelt hatte. Drei Todesfälle wurden in dem Vortrag eingestanden. Während der angeregten Diskussion, die sich freilich auf alle Vorträge des Tages bezog, war Widerspruch der anwesenden Militärärzte gegen die Menschenversuche der SS-Ärzte nicht zu vernehmen. Auch die in den Konzentrationslagern Dachau und Auschwitz ausgeführten Phlegmoneversuche gingen auf das persönliche Forschungsinteresse Himmlers zurück, der sich wiederum seines Reichsarztes-SS Grawitz als Forcierer und Berichterstatter der Versuche bediente. Bei diesen Expe rimenten ging es darum, künstlich gesetzte und infizierte Wunden mit „biochemischen“ Mineralsalzpräparaten in homöopathisch niedrigen Dosierungen zu ‘behandeln’, um in einer Vergleichsstudie die Wirksamkeit von Sulfonamiden zu testen. Himmler, dem daran lag, „alte verschüttete Volksheilmittel usw. zu entdecken“, war als dezidierter Gegner der Schulmedizin von Sinn und Rechtmäßigkeit der Versuche fest überzeugt. 25 Es zeigte sich indessen bald, daß mit homöopathischen Präparaten die künstlich gesetzten Infektionen und schon gar nicht die schweren Formen der Sepsis als Folgeerscheinungen behandelt werden konnten. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Grawitz mit Gebhardt vor dem I. Amerikanischen Militärgerichtshof wegen ihrer maßgeblichen Beteiligung an den menschenverachtenden und mörderischen Humanversuchen in Konzentrationslagern angeklagt, zur Verantwortung gezogen und zum Tode

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verurteilt worden wären. Am 24. April 1945 entzog sich Ernst Robert Grawitz indessen der Verantwortung für die von ihm zu verantwortenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Selbstmord.

Anmerkungen 1 Preradovich, Die Generale der Waffen-SS, S. 34 f.; zum Vater: Ernst Grawitz (1860–1911), Medizinstudium Berlin, Dr. med. 1882, Militärarzt, dann 1886–89 Prosektor am Augusta-Hospital, 1890–96 Ass. C. Gerhardts an der Charité, Habil. 1890, 1897 Extraordin. und dirigierender Arzt am Städtischen Krankenhaus in Charlottenburg; siehe Biogr. Lexikon der hervorragenden Ärzte, S.531. 2 BA Berlin, PN, LL; Ehrenrangliste, S. 378; Preradovich, Die militärische und soziale Herkunft der Generalität, S. 177, 194, 204, 209. 3 Grawitz, Ein Fall von Gonokoccen-Sepsis. 4 Honorarprofessor an der Grazer Medizinischen Fakultät. Vgl. Grenzfeste Deutscher Wissenschaft, S.62 f.; Klee, Auschwitz, S. 34. 5 BA Berlin, PN, LL; Dienstaltersliste der SS, 9. 11. 1944; Erich Stockhorst, Fünftausend Köpfe, S.162. 6 Im Sommer 1943 schloß Grawitz einen Vertrag mit dem dänischen SS-Sturmbannführer und Hormonforscher Carl Vaernet, der Homosexuelle durch den Einbau einer ‘künstlichen Drüse’ kurieren wollte. Vgl. Grau, Die Verfolgung und „Ausmerzung“ Homosexueller. 7 Klee, Auschwitz, S.86, 177 ff. 8 So etwa auch im Problembereich einer gezielten militärischen Weiterverwendung eingeschränkt Tauglicher in militärischen Sondereinheiten (z. B. Magen- und Ohrenbataillone). Bericht von Grawitz an Himmler vom 19. 12. 1943 über eine entsprechende Unterredung mit Göring, zitiert nach Lemmens/Thom, Zur Entwicklung und Wirksamkeit des Wehrmachtssanitätswesens, S.374, 380. 9 Vgl. Hommel/Thom, Verbrecherische Experimente, S. 387; Klee, Auschwitz, S.140. 10 Nürnberger Dokument Nr. 1971a-PS, zitiert nach Medizin ohne Menschlichkeit, S 22. 11 Nürnberger Dokument Nr. 1618-PS; zitiert nach Medizin ohne Menschlichkeit, S 53f. 12 Medizin ohne Menschlichkeit, S.65 f. 13 Medizin ohne Menschlichkeit, S. 72, 90; Baader, Ärzte und medizinische Verbrechen, S.191–194; Klee, Auschwitz, S.243–255 14 Nürnberger Dokument Prot. S. 8504 f., zitiert nach Medizin ohne Menschlichkeit, S.72–90. 15 Conti (1900–1945) war SS-Gruppenführer, Reichsgesundheitsführer und Staatssekretär für das Gesundheitswesen im Reichsministerium des Inneren. 16 Medizin ohne Menschlichkeit, S.91 f.; Baader, S.187, 190f. 17 Klee, Auschwitz, S.321–341.

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Klee, Auschwitz, S.144–150. Nürnberger Dokument Prot. S. 4045, zitiert nach Medizin ohne Menschlichkeit, S.132. 20 Vgl. dazu Katz, Prof. Dr. med. Morell. 21 Vernehmungsprotokoll Gebhardts, Nürnberger Dokument Prot. S. 4050 ff., hier zitiert nach Medizin ohne Menschlichkeit, S.133. 22 Vgl. dazu Klee, Auschwitz, S. 150–158, zu den Versuchen mit weiblichen Häftlingen aus Ravensbrück in Hohenlychen ebenda, S. 158–161. 23 Nürnberger Dokument Prot. S. 857 ff., hier zitiert nach Medizin ohne Menschlichkeit, S.141ff. 24 Vernehmungsprotokoll Gebhardt, Nürnberger Dokument Prot. S. 4134, hier zitiert nach Medizin ohne Menschlichkeit, S. 151. 25 Verhörprotokoll Gebhardt, Nürnberger Dokument Prot. S. 4149 ff., hier zitiert nach Medizin ohne Menschlichkeit, S. 165. 18

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA Berlin (früher BDC), NS 33: SS-Führungshauptamt, Kommandoamt der WaffenSS, PN LL, Ehrenrangliste, Dienstaltersliste der SS, 9. 11. 1944. Gedruckte Quellen und Literatur Baader, Gerhard: Ärzte und medizinische Verbrechen. Menschenexperimente. In: Ärzte im Nationalsozialismus. Hrsg. von Fridolf Kudlien. Köln 1985, S.191–194. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Hrsg. von Isidor Fischer. Berlin 1932/33. Eckart, Wolfgang U.: „Der größte Versuch, den die Einbildungskraft ersinnen kann“ – Der Krieg als hygienischbakteriologisches Laboratorium und Erfahrungsfeld. In: Die Medizin und der Erste Weltkrieg. Hrsg. von Wolfgang U. Eckart und Christoph Gradmann. Pfaffenweiler 1996, S.299–319. Grau, Günter: Die Verfolgung und „Ausmerzung“ Homosexueller zwischen 1933– 1945 – Folgen des rassenhygienischen Konzepts der Reproduktionssicherung. In: Medizin unterm Hakenkreuz. Hrsg. von Achim Thom und Genadij I. Caregorodcev. Berlin (Ost) 1989, S. 91–110. Grawitz, Ernst Robert: Ein Fall von Gonokoccen-Sepsis. Diss. (unpubliziert) Berlin 1925. Grenzfeste Deutscher Wissenschaft. Über Faschismus und Vergangenheitsbewältigung an der Universität Graz. Hrsg. von der Steirischen Gesellschaft für Kulturpolitik. Wien 1985. Hommel, Andrea/Achim Thom: Verbrecherische Experimente in den Konzentra tionslagern – Ausdruck des antihumanen Charakters einer der faschistischen Machtpolitik untergeordneten medizinischen Forschung. In: Medizin unterm

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Hakenkreuz. Hrsg. von Achim Thom und Genadij I. Caregorodcev. Berlin 1989, S.383–400. Katz, Ottmar: Prof. Dr. med. Morell. Hitlers Leibarzt. Biographie. München 1985. Klee, Ernst: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. Frankfurt a.M. 1997. Lemmens, Franz/Achim Thom: Zur Entwicklung und Wirksamkeit des Wehrmachtssanitätswesens in den Jahren 1933 bis 1945. In: Medizin unterm Hakenkreuz. Hrsg. von Achim Thom und Genadij I. Caregorodcev. Berlin 1989, S.363–381. Preradovich, Nikolaus von: Die militärische und soziale Herkunft der Generalität des deutschen Heeres. Osnabrück 1978. Ders.: Die Generale der Waffen-SS. Berg am See 1985.

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Generalfeldmarschall Robert Ritter von Greim* Ritter von Greim, der letzte von Hitler beförderte Generalfeldmarschall, wurde am 22. Juni 1892 in Bayreuth geboren. Der Sohn und Enkel bayerischer Offiziere trat in die Fußstapfen seiner Vorfahren und wurde 1911 Fahnenjunker im Königlich Bayerischen Heer. Nachdem er 1912 das Leutnantspatent erhalten hatte, wurde er zum 8. Feldartillerie-Regiment versetzt.1 In diesem Regiment war der junge Greim von 1913 bis 1915 Batteriechef und Adjutant, seit Beginn des Ersten Weltkriegs an der Westfront. Nach einer Ausbildung als Flugzeug-Beobachter wurde er der Beobachtungsabteilung des Artillerie-Regiments 204 zugewiesen. Ein Jahr später meldete er sich freiwillig für die Fliegerschule in Schleißheim und wurde, nachdem er im Februar 1917 seine Ausbildung abgeschlossen hatte, als Flugzeugführer eingesetzt.2 Als Oberleutnant kehrte Greim an die Front im Westen zurück und erwies sich als hervorragender Jagdflieger und Vorgesetzter. Idealistisch und patriotisch, geschickt und tapfer, war er von der Gerechtigkeit der deutschen Sache vollkommen überzeugt. Durch diese Eigenschaften, gepaart mit Kompetenz, einer imposanten Statur und einer einnehmenden Persönlichkeit, gewann er rasch die Achtung und Bewunderung seiner Kameraden, seiner Vorgesetzten und Untergebenen. Trotz seines relativ niedrigen Dienstalters wurde er bald zum Chef der 34. Jagdstaffel ernannt. Später führte er die 10. Jagdgruppe, schließlich die „Jagdgruppe Greim“. Aufgrund seiner 28 Luftsiege verlieh ihm König Ludwig III. von Bayern das Ritterkreuz des Militär-Max-Josephs-Ordens und damit den persönlichen Adels titel „Ritter von“. Außerdem wurde Greim im Oktober 1918 mit dem höchsten preußischen Orden, dem „Pour le mérite“, ausgezeichnet. Nach Kriegsende kehrte er zunächst nach Schleißheim zurück, wurde jedoch im März 1920 mit dem Charakter eines Hauptmanns verabschiedet, da der Reichswehr nach dem Versailler Vertrag keine Luftstreitkräfte erlaubt waren.3 Wie so viele andere gehörte Greim zur ‘verlorenen Generation’. Er schien sich treiben zu lassen – auf der Suche nach einem Platz in der Welt, die er nicht mehr begriff. Anfang der zwanziger Jahre studierte Greim in München eine Zeitlang Jura, vorübergehend arbeitete er – zusammen mit seinem Freund Ernst Udet – als Kunstflieger. Dann flog er als Pilot für eine * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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Charterfluggesellschaft. Das nachwilhelminische republikanische Deutschland entsprach nicht seinen Vorstellungen. 1919 oder 1920 begegnete Greim Adolf Hitler und wurde rasch ein begeisterter Anhänger. Wie viele andere Zeitgenossen fand er es höchst attraktiv, daß Hitler den Nationalismus mit dem Sozialismus verband. Greim, der sein Leben lang ein Romantiker war, hatte wieder eine Sache gefunden, an die er glauben konnte. Das ehemalige Flieger-As war auch von Hitlers charismatischer Persönlichkeit gefesselt. Mit ihm flog Hitler übrigens zum ersten Mal in einem Flugzeug. Als die alliierte Waffenstillstandskommission auch Greims Flugzeug konfiszierte, wurde er vorübergehend Bankangestellter, kehrte dann jedoch in die Zivilluftfahrt zurück. Nach dem Scheitern von Hitlers BürgerbräukellerPutsch im November 1923 verließ Greim Deutschland und ging von August 1924 bis Mai 1927 nach China, wo er für General Chiang Kai-shek eine chinesische Fliegertruppe aufbaute. Im Oktober 1927 wurde er Direktor des Bayerischen Luftsportverbandes und Geschäftsführer einer privaten Flugschule, die Niederlassungen in Würzburg, Nürnberg und München hatte.4 Im Januar 1934 trat er wieder in die Reichswehr ein; zum Major befördert, leitete er die Deutsche Verkehrsfliegerschule in Würzburg, die heimlich Piloten für die künftige deutsche Luftwaffe ausbildete.5 Drei Monate später wurde Greim Kommandeur des Jagdgeschwaders 132 (des ersten Jägerverbandes der Luftwaffe), das in Döberitz bei Berlin aufgestellt wurde. Als Hitler im März 1935 die Wehrhoheit verkündete und das Geheimnis, das die neue Luftwaffe bis dahin umgab, lüftete, wurde Greim zum Inspekteur der Jagd- und Sturzkampfflieger ernannt.6 Ritter von Greims Aufstieg in der Luftwaffe vollzog sich rasch, und das aus guten Gründen. Er besaß nicht nur Talent, Erfahrung und Sachkenntnis, sondern auch den richtigen gesellschaftlichen Hintergrund sowie die entsprechenden politischen Überzeugungen und Beziehungen. So wurde er 1935 Oberstleutnant, 1936 Oberst und Inspekteur für Flugsicherung und Gerät, 1937 Chef des Personalamtes im Reichsluftfahrtministerium, 1938 Generalmajor und Mitglied der Deutschen Akademie für Luftfahrtforschung und 1939 Kommandeur der 5. Fliegerdivision. 7 Die 5. Fliegerdivision nahm am Polenfeldzug nicht teil, wurde aber trotzdem im darauffolgenden Winter zum V. Fliegerkorps aufgewertet; mit Wirkung vom 1. Januar 1940 wurde Greim zu dessen Kommandierenden General ernannt und gleichzeitig zum Generalleutnant befördert. Sein erster größerer Einsatz im Zweiten Weltkrieg erfolgte im Frankreichfeldzug, in dem Greims Fliegerkorps den Auftrag erhielt, an der Südflanke des Hauptangriffs dem Heer direkte Luftunterstützung zu geben. Mit seinen Fliegern zerschlug er erfolgreich das französische Transport- und Nach-

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schubsystem.8 Nach der Kapitulation Frankreichs wurde Greim mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet und bei dem Beförderungsschub am 19. Juli 1940 zum General der Flieger ernannt. Bis zu diesem Stadium des Krieges hatte Greim achtbare, aber keineswegs spektakuläre Leistungen vollbracht. Im Frühjahr 1941 wurde das V. Fliegerkorps nach Osten verlegt, wo es zu Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion die Heeresgruppe Süd unterstützte. Für den Rest des Krieges kämpfte Greim an der Ostfront. Allein vom 22. bis 25. Juni 1941 flogen seine Männer 1600 Angriffe, zerstörten 77 sowjetische Flugplätze und vernichteten 900 feindliche Flugzeuge am Boden oder in der Luft. Das V. Fliegerkorps unterstützte General Kleists 1. Panzerarmee in den gewaltigen Kesselschlachten von Uman und Kiev, die Speerspitzen Rundstedts, die den Brückenkopf von Dnjepropetrovsk eroberten und die sowjetische DnjeprFlanke bei Saporošje aufrollten, und dann wieder Kleists 1. Panzerarmee in der Schlacht am Asovschen Meer.9 Im September 1941 wurde das V. Fliegerkorps zur Heeresgruppe Mitte verlegt, um diese bei der Schlacht um Moskau zu unterstützen. Hier konnte Greim die Luftherrschaft nicht mehr aufrechterhalten. Trotzdem gelang es seinen Piloten, sowjetische Marschkolonnen, Truppenkonzentrationen und Eisenbahnen weit im russischen Hinterland unter Beschuß zu nehmen. Innerhalb eines Monats zerstörten sie 300 sowjetische Züge, so daß Marschall Timošenko mehrere geplante Gegenangriffe aufgeben mußte, weil sein schwer angeschlagenes Versorgungsnetz nicht mehr funktionierte. Dann wurde das V. Fliegerkorps wieder nach Süden beordert; dort setzte Greim, obwohl sein letztes Jagdgeschwader im Oktober abgezogen worden war, seine Luftangriffe fort – auch ohne Deckung durch Jagdflugzeuge. Ende November 1941 wurde das V. Fliegerkorps nach Belgien verlegt, um ein Minenleger-Korps zum Einsatz gegen Großbritannien aufzubauen. Aber die Situation im Osten verschlechterte sich schnell; am 6. Dezember begannen Stalins Armeen ihre Gegenoffensiven von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Das OKL teilte daraufhin das V. Fliegerkorps: Ein Teil blieb in Belgien, der Rest kehrte als „Sonderstab Krim“ unter Greims Führung an die Ostfront zurück, wo er Mansteins 11. Armee half, sowjetische Angriffe auf die deutsche Südflanke abzuwehren.10 Im Februar 1942 wurde das V. Fliegerkorps bei Smolensk wieder zusammengelegt, im April in „Luftwaffenkommando Ost“ umbenannt und beauftragt, der Heeresgruppe Mitte umfassende Luft- und Flakunterstützung zu geben.11 Bis Ende 1942 mußten Greims Männer immer wieder von einem gefährdeten Frontabschnitt zum nächsten fliegen, weil die Front zu ausgedehnt und zu schwach besetzt war. Dies war für Greim keine leichte Führungsaufgabe. Der Jagdflieger Johannes Steinhoff beschrieb Greim für

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diese Zeit als einen „männlichen, sympathischen Bayern, (der) Beständigkeit ausstrahlte“.12 Greims Soldaten hatten schwere Lufteinsätze gegen einen zahlenmäßig zunehmend überlegenen Feind zu bestehen. Im November 1942 hatte das Luftwaffenkommando Ost alle seine Staffeln für Panzerbekämpfung und Tiefflugangriffe eingebüßt, war von elf Bombergeschwadern auf sieben und von fünf Jagdgeschwadern auf vier geschrumpft. 1943 ging der unbarmherzige Zermürbungskrieg weiter. Während die Heeresgruppe Mitte auf Vitebsk zurückgedrängt wurde, fungierten Greims Piloten als eine Art Krisen-Feuerwehr.13 Wegen seiner taktischen Erfolge wurde Greim im Februar 1943 zum Generaloberst befördert. Im April verlieh ihm Hitler das Eichenlaub zum Ritterkreuz, 14 und im Mai wurde das Luftwaffenkommando Ost formal zur 6. Luftflotte aufgewertet. Aber trotz seiner besonderen Fähigkeiten vermochte Greim das Blatt im Osten nicht zu wenden. Nach der unglücklichen Schlacht von Kursk befanden sich die Heeresgruppe Mitte und die arg mitgenommene 6. Luftflotte ständig auf dem Rückzug. Obwohl Greim mit einer Übermacht der sowjetischen Luftstreitkräfte von 1: 4,4 und mehr konfrontiert war, blieb er ein treuer Gefolgsmann Hitlers.15 Zweifellos hatte er die Begabung, seine Leute zu begeistern, und war bei ihnen sehr beliebt, wie sein Stabschef Plocher nach dem Krieg schrieb. 16 Am 22. Juni 1944 griff die Rote Armee die Heeresgruppe Mitte mit einer gewaltigen Übermacht an.17 Da sie achtmal soviel Flugzeuge besaßen wie Greim, konnte dieser wenig tun, um die fast völlige Vernichtung der Heeresgruppe zu verhindern; sie verlor 28 Divisionen und rund 350 000 Soldaten. Auch die 6. Luftflotte erlitt schwere Verluste. Hitler machte jedoch Greim keine Vorwürfe wegen dieses Debakels, obwohl dieser den Umfang der sowjetischen Truppenmassierungen nicht bemerkt hatte. Ende August 1944 überreichte er Greim das Eichenlaub mit Schwertern zum Ritter kreuz.18 Für Hitler zählte Greim zusammen mit Kesselring und Freiherr von Richthofen immer noch zu den besten Generalen der Luftwaffe. Um diese Zeit erwog Hitler ernsthaft, Göring als Oberbefehlshaber der Luftwaffe abzulösen. Richthofen war inzwischen schwer krank, und Kesselring schien an der italienischen Front unentbehrlich. Daher begann Hitler in Greim einen möglichen Oberbefehlshaber der Luftwaffe zu sehen. Als General Korten, der Chef des Generalstabes der Luftwaffe, beim Attentat vom 20. Juli 1944 tödlich verwundet wurde, schlug Hitler Greim als dessen Nachfolger vor. Göring ernannte jedoch bereits am 24. Juli General Kreipe, der ihm als Konkurrent weniger gefährlich schien. Göring fürchtete Greim mit Recht. Mitte September erwog Hitler, Greim mit der Führung der Luftwaffe zu betrauen.19 Am 21. September führte er mit Greim ein Gespräch; dabei bot er ihm den Posten des Stellvertretenden Oberbefehlshabers der

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Luftwaffe an. Das bedeutete, daß Greim de facto Oberbefehlshaber und Göring lediglich ein Aushängeschild sein sollte. Während der nächsten vierzehn Tage sprach Greim mit Bormann, Himmler und SS-Gruppenführer Fegelein über dieses Angebot. Als Göring schließlich den Mut aufbrachte, Greim am 3. Oktober zu sich zu befehlen, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung. Nach Greims späterer Schilderung schien Göring „vor Wut von Sinnen“ zu sein. „Er war in seiner Scheinwelt des Jagdhauses von ‘Karinhall’ wieder der starke Schöpfer der Luftwaffe.“20 Göring beklagte sich später gegenüber Kreipe bitter, Greim sei „ein Verräter“, man wolle ihn loswerden.21 Letztlich nahm Hitler von seiner Idee wieder Abstand. Während des Winters 1944/45, als die Rote Armee in Ostpreußen die Reichsgrenze erreichte, geriet Greim in eine Krise. Obwohl er immer noch an Hitler glaubte, war er hin- und hergerissen zwischen seiner Verpflichtung gegenüber dem ‘Führer’ und seiner Verantwortung gegenüber Deutschland und der Luftwaffe. Am Abend des 13. Januar 1945 erschienen in seinem Hauptquartier in Polen Oberst Günther Lützow und Oberst Johannes Steinhoff. Beide baten Greim, er solle persönlich an Hitler appellieren, Göring als Oberbefehlshaber der Luftwaffe zu entlassen. Als sie geendet hatten, sprach er über das, was ihn quälte: „Stellen Sie sich vor, meine Herren, in was für eine Lage man mich gebracht hat! Mich, der ich viele Jahre lang dem Reichsmarschall treu gedient habe! Der ich an den Führer geglaubt habe – und verdammt noch mal, noch immer an ihn glaube. Ich versuche es wenigstens (…). Was glauben Sie, was ich alles widerstrebend unterschreiben muß! Da muß man schon – da braucht man eben einen festen Glauben, um das durchstehen zu können. Was Sie in Ihren Verbänden erleben, das habe ich hier hundertfach! (…) Und bei meiner Luftflotte wird die Lage tagtäglich aussichtsloser. Nein, meine Herren, Sie verlangen zu viel von mir. Ich kann nicht zum Verräter werden. Ich nicht! Und schon gar nicht Hermann Göring gegenüber. Verstehen Sie? Ich kann nicht.“22 Anfang April 1945 wurde Greims Befehlsgewalt auf alle Luftwaffenverbände an der Ostfront ausgedehnt. Er verfügte damit über 2200, die Sowjets jedoch über 15 000 Flugzeuge; die meisten der besten deutschen Piloten waren bereits gefallen, und Greim besaß praktisch kein Flugbenzin mehr. Am 23. April, als Berlin von der Roten Armee schon völlig eingeschlossen war, fragte Göring von Bayern aus im Führerbunker an, ob Hitler wünsche, daß er als ‘Reichsmarschall’ die Führung des Reiches übernehme. Von Bormann aufgestachelt, reagierte Hitler wütend: Er enthob Göring aller seiner Ämter und befahl seine Verhaftung. Am nächsten Tag beorderte er Greim, der inzwischen sein Hauptquartier in München hatte, nach Berlin. Ein weniger fanatischer Mann hätte diesen Befehl ignoriert, denn ein Flug nach Berlin kam unter den gegebenen Umständen einem Selbstmordver-

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such gleich. Aber Greim – begleitet von der ebenso fanatischen Testpilotin Hanna Reitsch – gehorchte und flog. Beim Anflug über dem Berliner Tiergarten wurde Greims Fuß von einer Flak-Granate zertrümmert; aber Reitsch gelang es, auf einer mit Granattrichtern übersäten Straße in der Nähe der Reichskanzlei zu landen. Während Greims Fuß verbunden wurde, erklärte Hitler, Göring sei ein Verräter, beförderte den verdutzten Bayern zum Generalfeldmarschall und ernannte ihn zum neuen Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Greim, noch immer ein Nationalist, war von der irrationalen Atmosphäre im Führerbunker beeindruckt. „Nur nicht den Glauben verlieren“, sagte er am Telefon zu General Koller, dem letzten Generalstabschef der Luftwaffe. „Es gedeiht noch alles zu einem guten Schluß. Mich haben das Zusammensein mit dem Führer und seine Kraft außerordentlich gestärkt.“23 In der Nacht vom 28. auf den 29. April befahl Hitler Greim, aus dem Kessel von Berlin wieder auszufliegen. Greim und Hanna Reitsch wollten allerdings bei ihrem ‘Führer’ bleiben, aber Hitler war unnachgiebig. Vor Tagesanbruch flogen Greim und Reitsch ab; trotz schweren Maschinengewehrund Flakfeuers gelang es ihnen, aus Berlin zu entkommen und – nach einigen Umwegen – beim Hauptquartier des Großadmirals Dönitz in Schleswig-Holstein zu landen, den Hitler unmittelbar vor seinem Selbstmord zu seinem Nachfolger ernannt hatte. Dönitz hielt Greim für „einen ausgezeichneten Mann und Offizier“. Er wollte ihn als Oberbefehlshaber der Luftwaffe behalten, doch Greim lehnte ab. Am 2. Mai, so schreibt Dönitz in seinen Memoiren, sprach Hitlers letztbeförderter Feldmarschall mit Bitterkeit davon, „daß der Idealismus und die Hingabe der Soldaten, die geglaubt hätten, einem reinen Ziel zu dienen, nun in dieser Katastrophe enden müßten. Er wolle sein Leben nicht weiterführen. Bewegt schieden wir voneinander.“24 Greim war nun völlig demoralisiert. Alle seine Träume waren vernichtet, als er kurz darauf von den Alliierten gefangengenommen und in ein Salzburger Lazarett eingeliefert wurde. Dort beging er am 24. Mai 1945 im Alter von 52 Jahren Selbstmord. Vielleicht benutzte er dazu die Giftkapsel, die ihm Hitler Ende April noch im ‘Führerbunker’ überreicht hatte.25 In mancherlei Hinsicht war Greim, der bis zuletzt zu Hitler hielt, ein tragischer und typischer Vertreter seiner verführten und zugleich bereitwillig mitmachenden Generation und der deutschen Wehrmacht.

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Anmerkungen 1 Zu biographischen Hinweisen siehe Wistrich, Wer war wer, S. 122 f.; ferner Maxwell Air Force Base, Alabama: „General Officers of the German Air Force“, Air University Archives, Document EO 11652 (im folgenden zitiert als: General Officers, GAF). 2 Ebenda. 3 Ebenda. 4 Ebenda. 5 Ebenda. 6 Ebenda; Cooper, The German Air Force, S.4. 7 General Officers, GAF. 8 Ebenda; Bekker, Angriffshöhe 4000, S.138. 9 Vgl. BA-MA Freiburg, Lw 4/2: Plocher, Der Feldzug im Osten, S.32ff., 243ff. 10 Ebenda, Lw 4/14, S.28 ff.; vgl. auch Manstein, Verlorene Siege. 11 Vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd.14, S. 307; generell BA-MA Freiburg, Lw 4/1–26: Plocher, Der Feldzug im Osten. 12 Steinhoff, In letzter Stunde, S. 126. 13 BA-MA Freiburg, Lw 4/20–21: Plocher, Der Feldzug im Osten. 14 General Officers, GAF. 15 Maxwell Air Force Base, Alabama, Dokument in den Air University Archives: „General Ritter von Greim“. 16 BA-MA Freiburg, Lw 4/1–26: Plocher, Der Feldzug im Osten. 17 Dupuy/Martell, Great Battles of the Eastern Front, S.157. 18 General Officers, GAF. 19 Irving, Hitlers Krieg Bd.2, S. 341, 348, auch zum Folgenden. 20 Steinhoff, In letzter Stunde, S. 135. 21 BA-MA Freiburg, Lw 21/3: Suchenwirth, Hermann Göring, S.161ff. 22 Steinhoff, In letzter Stunde, S. 135 f. 23 Koller, Der letzte Monat, S. 100. 24 Dönitz, Zehn Jahre und zwanzig Tage, S. 454. 25 Wistrich, Wer war wer, S. 123; Brett-Smith, Hitler’s Generals, S. 132; General Officers, GAF.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, RL 2 I, RL 7, RL 8: Kriegsakten verschiedener Kommandostellen Greims; ebenda, Lw 21/3: Richard Suchenwirth: Hermann Göring (Manuskript); ebenda, Lw 4/1–26: Hermann Plocher: Der Feldzug im Osten, 1941–1945 (Manu skript); Bayerisches Hauptstaatsarchiv/Kriegsarchiv München, OP 63169: Personalunterlagen; ebenda, MMJO V K 7–4: Militär Max Joseph Orden; Montgomery, Alabama, Maxwell Air Force Base (USA): General Officers of the German Air

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Force: Richard Suchenwirth: Command and Leadership in the German Air Force, 1969; Hermann Plocher: The German Air Force versus Russia 1943 (Manuskript ca. 1965). Gedruckte Quellen und Literatur Bekker, Cajus: Angriffshöhe 4000. Ein Kriegstagebuch der deutschen Luftwaffe. Oldenburg 1964. Dupuy, T. N./Paul Martell: Great Battles of the Eastern Front. Indianapolis 1982. Koller, Karl: Der letzte Monat. 14. April bis 27. Mai 1945. Tagebuchaufzeichnungen des ehemaligen Chefs des Generalstabes der deutschen Luftwaffe. Esslingen/ München 1985. Steinhoff, Johannes: In letzter Stunde. Verschwörung der Jagdflieger. München 1974.

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Generaloberst Heinz Guderian* Heinz Wilhelm Guderian gebührt der Ruhm, fast der einzige deutsche General zu sein, der Hitler in einer stürmischen Auseinandersetzung entgegentrat und trotzdem seine Stellung behielt. Allein durch diese Leistung – abgesehen von seinen Fähigkeiten als Truppenkommandeur und Generalstabsoffizier – hebt er sich von der übrigen Generalität des Zweiten Weltkriegs ab. Guderian war durch und durch Preuße, der auf eine Reihe von Vorfahren blicken konnte, die als Militärs Karriere gemacht hatten. Sein Vater war Kommandeur des Jägerbataillons 10, in das der achtzehnjährige Heinz als Fähnrich eintrat, und brachte es schließlich bis zum Generalleutnant. So war Guderian, 1888 in Kulm in Westpreußen geboren, von Kind auf den harten Realitäten preußischer Disziplin und Ehre unterworfen, die lebenslänglich das Verhalten dieses Soldaten bestimmten, der wußte, wann er sich auflehnen mußte – obwohl er dabei gelegentlich über die Stränge schlug. Denn innerlich war der ernste Guderian ein ungestümer Mensch.1 Er spezialisierte sich auf die drahtlose Nachrichtenübermittlung, damals für einen Leutnant ein unübliches Fach. Diese Entscheidung für die neueste Technik sollte seine spätere Laufbahn stark beeinflussen. Sie fiel zusammen mit zwei anderen wichtigen Ereignissen: seine Eheschließung mit Margarete Goerne – einer Kusine zweiten Grades seines besten Freundes Bodewin Keitel – im Jahr 1913 und unmittelbar danach sein Eintritt in die Kriegsakademie als jüngster dieses Jahrgangs.2 Die Ausbildung an der Berliner Kriegsakademie, die normalerweise drei Jahre dauerte, wurde schon nach einem Dreivierteljahr durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. Für Guderian war das ein Vorteil, denn der Krieg förderte seine Laufbahn; jetzt konnte Guderian seine Qualitäten als hervorragender Truppenführer und Stabsoffizier beweisen. Seine technische Begabung als Funker und der Eifer, mit dem er als junger Hauptmann des Nachrichtendienstes die feindlichen Linien vom Flugzeug aus erkundete, erhöhten sein Ansehen als Mitglied des Generalstabes, nachdem er sich auf einem verkürzten Generalstabs-Lehrgang in Sedan Anfang 1918 die roten Uniformstreifen erworben hatte. Nach Kriegsende wurde er problemlos in die Reichswehr übernommen. * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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Als er jedoch zum Grenzschutz ging, um der berühmten „Eisernen Division“ im Baltikum als Stabsoffizier zu dienen, geriet er in Schwierigkeiten. Die schmähliche Behandlung Deutschlands im Vertrag von Versailles empörte ihn so, daß er seinen Abschied einreichen wollte. Seine Frau brachte ihn aber schließlich davon ab. Das war ein Wendepunkt in Guderians Karriere – in einer hektischen Zeit der Revolution, in der er den traditionellen Werten des Generalstabes treu zu bleiben versuchte: „Lauterkeit der Gesinnung, Klugheit, Bescheidenheit, Zurückstellen der eigenen Person hinter die Interessen der Gesamtheit, Festigkeit in der eigenen Überzeugung, Fähigkeit, diese eigene Ansicht in taktvoller Form seinem General vorzutragen.“3 In den Kämpfen des Freikorps bewies er seine taktische Begabung als Truppenführer sowie eine leidenschaftliche Neigung, sich auf Gedeih und Verderb mit den nationalistischen Kräften der Rechten zusammenzutun, um den russischen Kommunismus zu bekämpfen. Er machte einen tiefen Eindruck auf so prominente Vorgesetzte wie von Seeckt, Heye und Freiherr von Fritsch (die nacheinander Chef der Heeresleitung wurden). Wahrscheinlich war es Heye, der Guderian für den Soldatenberuf rettete, indem er ihm einen politisch ungefährlichen Posten verschaffte und ihn dann zum Truppendienst in seinem alten Jägerbataillon 10 versetzte.4 1922 wechselte er, nach einer kurzen Ausbildung bei einer Kraftfahr-Abteilung, zum Reichswehrministerium, wo er die Organisation und Verwendung motorisierter Truppen – ein für ihn neues Gebiet – zu bearbeiten hatte.5 Wie so viele Offiziere des ehemaligen Generalstabes sehnte er sich in der Politik nach einem starken Mann, der die Leiden des Vaterlandes heilen würde. Aber während der nächsten Jahre stürzte er sich – getreu der Forderung Seeckts, die Reichswehr müsse sich aus der Politik heraushalten – mit seiner ganzen Energie auf die Ausbildung und Entwicklung der motorisierten Truppe, und zwar mit wachsender Begeisterung, als ihm klar wurde, welche Möglichkeiten sie der modernen beweglichen Kriegführung bot. Durch Beschäftigung mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs, durch die Lektüre englischer und französischer Berichte über Erprobungen von Panzern, durch die heimliche technische Entwicklung von Panzern in Rußland und Schweden, durch intensive Planspiele, die für die Entwicklung neuer operativer, taktischer und technischer Konzepte durch das Truppenamt so wichtig waren, sowie durch Versuche mit Panzer-Attrappen erkannte Guderian im Panzer ein entscheidendes Waffensystem, das Beweglichkeit, Feuerkraft und Schutz verband. 1929 war er freilich auch überzeugt, „daß der Panzer allein und in der Bindung an die Infanterie niemals zu entscheidender Bedeutung gelangen könne“. Statt dessen wollte er „Panzerdivisionen,

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in denen alle Waffen enthalten waren, deren die Panzer zu wirkungsvollem Kampf bedurften“; und sie sollten per Funk geführt werden.6 Danach engagierte sich Guderian für die Entwicklung moderner Panzertruppen, 1930 wurde er zum Kommandeur der Kraftfahr-Abteilung 3 und 1931 (als Oberstleutnant) zum Chef des Stabes der Inspektion der Kraftfahrtruppen ernannten. Ermutigt wurde er auch durch eine Begegnung mit Hitler im Januar 1934 auf einem geheimen Truppenübungsplatz bei Kummersdorf. Dabei führte Guderian 30 Minuten lang die Elemente eines motorisierten Verbandes vor, darunter einen „Landwirtschaftlichen Schlepper“, den Prototyp eines Panzers der Reichswehr. Als Hitler – wohl im Hinblick auf das Abwerfen der Fesseln des Versailler Vertrags und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht – bei Kummersdorf zu Guderian bemerkte: „Das kann ich gebrauchen! Das will ich haben!“,7 entstand eine schicksalhafte Bindung zwischen diesen beiden ‘Führern’, deren Wertmaßstäbe und Erziehung so verschieden waren. Zugleich war die Bahn frei für einen rapiden Aufschwung der Panzerwaffe unter Guderians begeisterter Leitung als Chef des Generalstabes der Inspektion der Panzertruppen. Guderian übernahm selbst das Kommando über eine der drei Panzerdivisionen, die man 1935 aufstellte. Er wurde auch rasch befördert: 1933 zum Oberst, 1936 zum Generalmajor, 1938 zum Generalleutnant als Kommandierender General des begehrten XVI. Armeekorps in Berlin. Beim ‘Anschluß’ Österreichs und beim Einmarsch in das Sudetenland bildeten Guderians Verbände die Speerspitze dieser Invasionen. Auf andere Weise berühmt wurde Guderian, als 1937 sein Buch „Achtung – Panzer!“ erschien. Es wurde ein Bestseller, der den Namen des Verfassers zu einem festen Begriff machte und ihm auch beträchtliche Honorare einbrachte. Doch obgleich er den Erfolg und die immer häufigeren Kontakte mit dem Staatsoberhaupt und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht still genoß, äußerte er Bedenken gegen die Entwicklung Deutschlands in einer Zeit institutioneller Veränderungen. Als die Reichswehr im August 1934 nach dem Tod Hindenburgs den Treueid auf Hitler leistete, schrieb er an seine Frau: „Gebe Gott, daß er beiderseits mit der gleichen Treue gehalten wird zum Wohle Deutschlands. Die Armee ist gewohnt, ihren Eid zu halten. Möge sie es in Ehren tun können.“ 8 Und als Hitler seit 1937 auf einen Angriffskrieg zusteuerte, war Guderian besorgt, daß Deutschland für einen Krieg keineswegs gerüstet sei. Trotzdem gehörte er vor dem 1. September 1939 zu denjenigen, die schwiegen, als Hitler klar zu verstehen gab, daß er gegen das Völkerrecht verstoßen werde. Als jedoch in den folgenden Jahren die Beweise für grundlose Aggression und kriminelle Unmenschlichkeit, befohlen von Hitler und vom OKW, immer offenkundiger wurden, fühlte sich Guderian bei den Na-

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tionalsozialisten immer unbehaglicher. Aber wie die übrigen Mitglieder des Generalstabes war er gegen direkten Widerstand und folgte dem „Führer“ weiterhin. Im November 1938 war Guderian zum General der Panzertruppen befördert worden. Am 26. August 1939, als der Krieg unmittelbar bevorstand, wurde er Kommandierender General des neugebildeten XIX. Armeekorps (mot.), das aus einer Panzerdivision und zwei motorisierten Divisionen bestand. Es hatte den Auftrag, den polnischen Korridor zu durchschneiden, in Ostpreußen einzurücken und dann nach Süden in Richtung auf BrestLitowsk vorzustoßen, um die Umklammerung der gesamten polnischen Armee zu vollenden. Diese Aufgabe erledigte Guderian mit großem Elan und erfolgreich. In den späteren Feldzügen ging er ebenso vor; zum gelegentlichen Entsetzen vorsichtigerer Generale wie Kleist oder Kluge – oder selbst Hitlers – schien er alles zu riskieren, indem er mit unzureichenden Kräften und ohne Flankenschutz weit ins feindliche Hinterland vorstieß. Als er im Mai 1940 mit seinen Panzern bis zum Ärmelkanal vorstoßen wollte und General von Kleist ihm vorwarf, er habe sich bewußt über einen Anhaltebefehl hinweggesetzt, bat Guderian zornig um die sofortige Enthebung von seinem Kommando. Aber verständnisvolle Vorgesetzte fanden einen Kompromiß und bewahrten ihn dadurch vor einer unbedachten Dummheit. Seine Leistungen im Frankreichfeldzug brachten ihm am 19. Juli 1940 die Beförderung zum Generaloberst, propagandistisches Lob und – so schien es – den hohen Respekt Hitlers. Als nach dem Angriff auf die Sowjetunion wegen der Frage, ob der Vorstoß auf Moskau Vorrang haben solle, im August 1941 die erste größere Krise im Rußlandfeldzug entstand, kam der Gedanke auf, Brauchitsch als Oberbefehlshaber des Heeres durch Guderian, damals Befehlshaber der Panzergruppe 2 in der Mitte der Ostfront, abzulö sen, weil Hitler vor diesem weit mehr Achtung hatte.9 In Übereinstimmung mit dem OKH trat Guderian damals mit hervorragenden Argumenten dafür ein, daß Moskau das entscheidende strategische Ziel sei. Hitler aber vertrat die Auffassung, daß Leningrad und Kiev wichtiger seien. In einem letzten verzweifelten Versuch sollte Guderian am 23. August Hitler aufsuchen, um ihn im Auftrag der Heeresführung von dieser Meinung abzubringen. Im entscheidenden Moment verbot Brauchitsch dem Panzergeneral jedoch, Hitler gegenüber Moskau zu erwähnen. Guderian stand Hitler und seinem Stab allein gegenüber und konnte den Diktator nicht überzeugen. Er glaubte damals noch, „dem Oberhaupt des Reiches nicht in Gegenwart seiner ganzen Umgebung eine erregte Szene liefern zu können“; schließlich erklärte sich Guderian einverstanden, „das Unmögliche möglich zu machen“ und Kiev einzunehmen.10

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Als die Heeresgruppe Mitte unter Generalfeldmarschall von Bock am 30. September – viel zu spät – dann doch noch ihren Vorstoß auf Moskau begann, trieben die Befehlshaber bei entsetzlichen Wetterbedingungen ihre Männer nochmals bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit vorwärts, bis der Feind, der soeben Verstärkung erhalten hatte, sie stoppte. Umsonst versuchte Guderian, Hitler in einer persönlichen Unterredung zu veranlassen, anstelle des von ihm erteilten starren Haltebefehls eine hinhaltende Verteidigung zu erlauben. Gegen die Weisung seines Oberbefehlshabers Feldmarschall von Kluge nahm Guderian deshalb von Einschließung bedrohte Verbände zurück. Da mußte er feststellen, daß er ebensowenig vor einer Entlassung sicher war wie zahlreiche andere Generale, die um die Jahreswende 1941/42 ihres Kommandos enthoben wurden. Im Ruhestand wich Guderian weder von seinen Grundsätzen ab noch gab er die Hoffnung auf, doch wieder eine Rolle spielen zu können. Als Mitglieder der Verschwörung Kontakt zu ihm aufnahmen, wies er sie ab. Der Eid war für ihn unverletzlich, und er hatte zu den Beteiligten kein Vertrauen. Statt dessen nahm er im Oktober 1942 von Hitler eine Dotation an, um ein Gut im Osten zu erwerben. Seine intensiven Bemühungen um das Gut Deipenhof (Kreis Hohensalza), das fast 1000 ha umfaßte und über 1 Million Reichsmark wert war, brachte ihn zweifellos in materielle Abhängigkeit von Hitler.11 Im Februar 1943 erhielt Guderian einen neuen Ruf: Ob er bereit sei, Generalinspekteur der Panzertruppen – dem ‘Führer’ unmittelbar unterstellt – zu werden, um dieser entscheidenden Waffengattung die Stärke zurückzugeben, die sie inzwischen im Krieg verloren hatte. Dieser Vorschlag kam nach der Katastrophe von Stalingrad vom neuen Chef des Heerespersonalamtes, General Schmundt, der Hitler und Guderian wieder zusammenzubringen suchte. Die schließlich ausgehandelte Dienstanweisung sah „die Weiterentwicklung der Panzertruppe“ vor; Guderian sollte Forschung, Entwicklung und Produktion rationalisieren, gemeinsam mit Rüstungsminister Speer, mit dem Guderian reibungslos und effizient zu sammenarbeitete.12 Es ist jedoch ganz offensichtlich, daß Guderian mehr erreichen wollte; denn von Anfang an griff er in die Organisation und Planung ein. So versuchte er, freilich vergebens, die Aufstellung von Luftwaffenfeld- und SS-Divisionen zu verhindern. In zahlreichen Besprechungen bemühte er sich, Hitler von so katastrophalen Plänen wie der verhängnisvollen Offensive gegen Kursk im Juli 1943 und von dem verfehlten Einsatz von Panzerverbänden bei der Verteidigung Frankreichs 1944 abzubringen. Aber wie die Opportunisten des OKW (Keitel und Jodl) oder wie Brauchitsch (im Dezember 1941 abgelöst), wie Halder (im September 1942 entlassen) und wie später auch Zeitzler (im

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Juli 1944 abgelöst), so erfuhr Guderian nun ebenfalls unmittelbar, daß gute Ratschläge bei einem Mann wie Hitler wirkungslos blieben. Im Juli 1944, als Deutschlands Situation auf einem Tiefpunkt angelangt war, erreichte Guderians Karriere ihren Höhepunkt. Nachdem das Attentat vom 20. Juli gescheitert war, beauftragte Hitler Guderian, an Stelle von Generaloberst Zeitzler die Geschäfte des Generalstabschefs des Heeres wahrzunehmen; und dieser gehorchte, weil er den Versuch machen wollte, „das Ostheer und die Heimat zu retten“.13 Später schrieb Guderian, „daß es nicht verlockend war, sich im Juli 1944 freiwillig zur Bearbeitung der Angelegenheiten der Ostfront zu drängen“.14 Die Heeresgruppe Mitte war gerade vernichtet worden, und die Russen standen an der Weichsel. Anderswoher war kaum Hilfe zu erwarten, denn die Fronten in der Normandie und in Italien brachen ebenfalls zusammen. Aber was die Lage noch schlimmer machte: Guderian lag ständig – und mit überraschender Offenheit – im Streit mit Hitler, während dieser weiterhin absurde militärische Weisungen gab und gleichzeitig an jedem, der auch nur vage mit dem Attentat vom 20. Juli in Verbindung gebracht wurde, fürchterliche Rache übte – zum Schaden des Oberkommandos des Heeres, das umgebildet und ideologisch neu ausgerichtet werden sollte. Dabei verlangte Guderian von seinen Generalstabsoffizieren nunmehr umfassende Treue zu Hitler und zum Nationalsozialismus. Guderian gelang es, sich der Mitarbeit an dem unter Generalfeldmarschall v. Rundstedt tagenden „Ehrenhof“ weitgehend zu entziehen, der wegen des Attentats verdächtige Offiziere aus der Wehrmacht auszustoßen hatte, damit sie vor Freislers ‘Volksgerichtshof’ angeklagt werden konnten. Er tat, was er konnte, um einige Offiziere zu retten.15 Gleichwohl stand er treu zu Hitler. Im Februar 1945 spitzten sich die Dinge zu, und es geschah das Unvorstellbare: „Mit blitzenden Augen und wahrhaft gesträubtem Schnurrbart“ (so Speer) forderte Guderian Hitler in einem lautstarken Wortwechsel heraus und schüchterte ihn sichtlich ein – konnte sich aber in der Sache trotzdem nicht durchsetzen.16 In einem erneuten Zusammenstoß, bei dem es um die Unfähigkeit des zum Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe ernannten Reichsführers-SS Himmler ging, behielt Guderian sogar die Oberhand: „die letzte Schlacht, die ich gewann“.17 Von nun an waren alle Besprechungen mit Hitler von Haß geprägt; sie gipfelten in einer letzten Explosion am 27. März 1945, als der Diktator die Tapferkeit der Truppe anzweifelte und Guderian ihm wütend widersprach. Hitler schickte Guderian am nächsten Tag erst einmal in einen sechswöchigen Erholungsurlaub. Vor Ablauf dieser Frist aber war Hitler tot, der Krieg war vorbei, und Guderian befand sich seit dem 10. Mai 1945 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Obwohl Polen seine Auslieferung als Kriegsverbrecher verlangte, be-

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hielten ihn die Amerikaner und entließen ihn im Juni 1948, nachdem man alle Anklagen wegen Kriegsverbrechen mangels Beweisen hatte fallenlassen. Während seiner Kriegsgefangenschaft arbeitete Guderian für die Historical Division der Amerikaner, um die deutschen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg aufzuarbeiten.18 Gleichzeitig sammelte er Material für seine 1951 veröffentlichten „Erinnerungen eines Soldaten“, die unter dem Titel „Panzer Leader“ auch in englischsprachigen Ländern immer wieder aufgelegt werden. Am 14. Mai 1954 starb Guderian in Schwangau im Allgäu.

Anmerkungen Macksey, Guderian, S. 17–21. Ebenda, S.21ff. 3 Guderian, Erinnerungen, S. 416 f. 4 Macksey, Guderian, S. 55–61. 5 Guderian, Erinnerungen, S. 13 f. 6 Ebenda, S.18. 7 Macksey, Guderian, S. 97. 8 Ebenda, S.100. 9 Ebenda, S.227. 10 Guderian, Erinnerungen, S. 180 ff.; Macksey, Guderian, S.227–233. 11 Vgl. BA Koblenz, R 43II/1092; Groehler, Die Güter der Generale, S.657. 12 Guderian, Erinnerungen, S. 258–266; Macksey, Guderian, S.261–264. 13 Guderian, Erinnerungen, S. 307ff.; Macksey, Guderian, S.285–293. 14 Guderian, Erinnerungen, S. 308. 15 Macksey, Guderian, S. 303 f. 16 Speer, Erinnerungen, S. 428; zitiert bei Macksey, Guderian, S.309f. 17 Guderian, Erinnerungen, S. 375 ff. 18 Macksey, Guderian, S. 318–323. 1 2

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 1339 (MSg 1/440, 500, 501): Nachlaß Guderian; RH 19 II: Heeresgruppe Mitte; RH 21–2: Panzergruppe 2, 2. Panzerarmee. Gedruckte Quellen und Literatur Groehler, Olaf: Die Güter der Generale. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 19 (1971), S.655–663. Guderian, Heinz: Mit den Panzern in Ost und West. Berlin 1942.

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Ders.: Erinnerungen eines Soldaten. Neckargemünd 1951, 15. Aufl. 1996. Ders.: Panzer Leader. London 1952. Ders.: Achtung! Panzer! Berlin 1937. Macksey, Kenneth: Guderian der Panzergeneral. Düsseldorf/Wien 1976 (engl. Ausgabe u. d. T.: Guderian. Panzer General. London 1952). Ders.: Guderian. In: Hitler’s Generals. Edited by Correlli Barnett. London 1989, S.441–459. Nehring, Walther: Die Geschichte der deutschen Panzerwaffe 1916 bis 1945. Berlin 1969, Stuttgart 1974. Walde, Karl J.: Guderian. Frankfurt a. M. 1976. Ders.: Guderian und die Schlacht um Moskau. In: Wehrforschung Nr. 4/1972, S. 124– 132.

Wolfgang U. Eckart

Generaloberstabsarzt Prof. Dr. med. Siegfried Handloser Siegfried Handloser1 wurde am 25. März 1885 in Konstanz geboren. Nach der Gymnasialzeit trat er 1904 in die Kaiser Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin ein, wo er 1910 sein medizinisches Staatsexamen bestand. Die Promotion erfolgte 1911 in Straßburg mit einer Arbeit über die „spezifische Behandlung des Typhus abdominalis“2. Nach Ernennung zum Assistenzarzt im Mai 1910 und zum Oberarzt im Juni 1912 und nach verschiedenen Stellungen im Sanitätsdienst während des Ersten Weltkrieges im Westen und Osten wurde Handloser nach Kriegsende zunächst an die Gießener Medizinische Universitätsklinik zur Facharztausbildung in Innerer Medizin kommandiert. Danach leitete er die Innere Abteilung eines Lazaretts. In den Jahren 1928 bis 1932 war er als Oberstabsarzt und Oberfeldarzt Referent in der Heeressanitätsinspektion des Reichswehrministeriums, um danach im Rang eines Oberstarztes als Korps- und Wehrkreisarzt V in Stuttgart sowie als General- (1. Januar 1935) bzw. Generalstabsarzt (1. April 1938) und Heeresgruppenarzt in Dresden und danach in Wien beim Heeresgruppenkommando 3 (1938) zu wirken. In Wien, wo er seit November 1938 als Dozent über Wehrmedizin las, wurde er im Oktober 1939, in Berlin im September 1943 zum Honorarprofessor ernannt. Während des Zweiten Weltkriegs war Handloser zunächst Armeearzt der 14. und 12. Armee. Im November 1940 wurde er zur Sanitätsinspektion kommandiert, bis er mit Wirkung vom 1. Februar 1941 als Nachfolger von Generaloberstabsarzt Prof. Dr. Anton Waldmann nach dessen Tod unter Beförderung zum Generaloberstabsarzt von Hitler zum Heeressanitätsinspekteur und wenig später zum Heeresarzt beim Generalquartiermeister im OKH ernannt wurde. Handloser war als Heeres-Sanitätsinspekteur höchster Disziplinar- und Fachvorgesetzter des Sanitätspersonals des Heeres und war unter anderem verantwortlich für die Ausbildung der Sanitätstruppe und der Ärzte sowie für den Rücktransport der Verwundeten und Kranken in die Lazarette im Heimatkriegsgebiet. Ebenso oblag ihm die Aufsicht über Ergänzung und Nachschub des Sanitätsgerätes. Ferner war er oberster Gutachter in allen ärztlichen Fragen des Heeres.3 Seit Juni 1942 bekleidete Handloser zusätzlich im Oberkommando der Wehrmacht das neu einge richtete Amt eines „Chefs des Wehrmachtssanitätswesens“. Damit war er Hauptverantwortlicher für das gesamte Sanitätswesen der Wehrmacht

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(Heer, Kriegsmarine, Luftwaffe) und Waffen-SS sowie dienstaufsichtspflichtig über alle Sanitätsoffiziere. Beide Verantwortlichkeiten wogen schwer angesichts einer mit Dauer des Krieges zunehmend schwieriger zu handhabenden Sanitätsversorgung eines Millionenheeres4 und hinsichtlich der sicher nicht leicht zu überschauenden Vielgestaltigkeit medizinischer Verbrechen einer großen Zahl ihm unterstehender Sanitätsoffiziere insbesondere der Waffen-SS. Handloser ist letztlich an beiden Aufgaben gescheitert, an der sich mit Kriegsverlauf zunehmend katastrophaler gestaltenden und schließlich kollabierenden Sanitätsversorgung5 ebenso wie an der fachlichen und dienstrechtlichen Beaufsichtigung seiner in Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagern verbrecherisch experimentierenden Ärzte. Er war das Opfer einer unübersichtlichen nationalsozialistischen Überorganisation des Sanitätswesens, aber er war auch schuldig durch nicht wahrgenommene Dienstaufsichtspflicht. Denn der Chef des Wehrmachtssanitätswesens wußte sehr wohl um die verbrecherischen Handlungen seiner Sanitätsoffiziere in Konzentrationslagern, griff aber nicht ein. So war etwa in seiner Anwesenheit, die er als Gefangener 1945 für „möglich“ hielt, an die er sich aber nicht mehr erinnern konnte,6 mit dem leitenden Hygieniker der Waffen-SS, SS-Oberführer Professor Dr. med. Joachim Mrugowsky, auf einer gemeinsamen Sitzung am 29. Dezember 1941 vereinbart worden7, „die Erprobung von Fleckfieber-Impfstoffen an gefährdeten Personen durchzuführen“, und bei der „3. Arbeitstagung Ost“ der beratenden Fachärzte vom 24. bis 26. Mai 1943 in der Militärärztlichen Akademie Berlin wurde offen und folgenlos von Himmlers ‘Leibarzt’, SS-Gruppenführer Prof. Dr. Karl Gebhardt, über medizinische Experimente an KZ-Häftlingen berichtet.8 Zu Handlosers Aufgaben gehörten eben auch die ärztlichen Angelegenheiten der Kriegsgefangenen, so daß er für die „mancherorts“ auftretenden „Unzulänglichkeiten“ in der Kriegsgefangenenfürsorge verantwortlich war.9 Im Herbst 1944 wurde Handloser als Heeressanitätsinspekteur und Heeresarzt von Generalleutnant Walter abgelöst;10 er blieb Chef des Wehrmachtssanitätswesens und war befugt, „auf den fachlichen Gebieten seines Aufgabenbereiches“ für die gesamte Wehrmacht und Waffen-SS „Befehle zu erteilen“. Bei Kriegsende geriet er in Gefangenschaft und stand vom 9. Dezember 1946 bis zum 19. Juli 1947 im Nürnberger Ärzteprozeß vor dem I. Amerikanischen Militärgerichtshof, der ihn am 20. August 1947 des Kriegsverbrechens und des Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig sprach und zu lebenslänglicher Haft verurteilte. In der Urteilsbegründung hieß es: „Das Kriegsgericht legt einem Offizier, der eine befehlende Stellung innehat, die positive Pflicht auf, alle die in seiner Macht stehenden und den Umständen angemessenen Schritte zu unternehmen, um diejenigen in

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seiner Befehlsgewalt stehenden Personen von der Begehung von Handlungen abzuhalten, welche Verletzungen des Kriegsrechtes darstellen.“11 Handloser habe es in dieser Hinsicht an der notwendigen Wahrnehmung seiner Aufsichtspflicht mangeln lassen.12 Die Verteidigung Handlosers hat in einem Antrag an das Supreme Court der Vereinigten Staaten versucht, eine Urteilsbestätigung zu verhindern, da die im Prozeß inkriminierten Humanexperimente (Erfrierungs-, Sulfonamid- und Fleckfieberversuche) ausschließlich in Konzentrationslagern und nicht von Angehörigen der Wehrmacht durchgeführt worden seien. Das „Gesuch auf Versagen der Bestätigung des Urteils“ wurde jedoch vom US Supreme Court mit 5 gegen 3 Stimmen abgelehnt. 13 Tatsächlich unterstanden dem Chef des Wehrmachtssanitätswesens seit 194214 nicht nur die Chefs des Sanitätswesens von Heer, Luftwaffe und Marine, sondern auch der Chef des Sanitätswesens der Waffen-SS, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS, Dr. Karl Genzken, so daß sich der Aufsichtsbereich Handlosers letztlich auch auf alle von SS-Ärzten zu verantwortenden Humanexperimente erstreckte.15 Für die Ärzte und Einrichtungen in Kriegsgefangenenlagern oder Lazaretten galt dies ohnehin. So unterstand Handloser etwa der Beratende Hygieniker und Tropenmediziner beim Chef des Sanitätswesens der Luftwaffe, Generalarzt d. R. Prof. Dr. Gerhard Rose,16 der wegen seiner Beteiligung an Fleckfieberversuchen ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.17 Handloser leitete letztlich in fachlicher Hinsicht das gesamte Sanitätswesen der Wehrmacht und Waffen-SS, so daß die Entlastungsstrategie der Verteidigung als gezieltes Täuschungsmanöver gewertet werden muß. Sie konnte vom Supreme Court nicht berücksichtigt werden, wenngleich unklar bleibt, ob Handloser von allen Verbrechen der ihm unterstellten Sanitätsoffiziere gewußt hat. Siegfried Handloser starb am 3. Juli 1954 nach schwerer Erkrankung in einer Münchener Klinik. Er war aufgrund von Krankheit und einer notwendig gewordenen komplizierten Operation aus der Haft entlassen worden. Die wenigen Nachrufe des Jahres 1954 schildern ihn als „liebenswürdigen“ und „religiösen“ Menschen. „Nach dem Zusammenbruch Deutschlands 1945 schuldlos in Elend und tiefes Leid“ geraten, sei dem „einst rastlosen Mann ein Otium in dignitate nicht vergönnt“ gewesen.18 Dies freilich gilt auch für die zahllosen Opfer der unter Handlosers Dienstaufsicht stehenden Sanitätsoffiziere. Man mag das Versagen des Chefs des Wehrmachtssanitätswesens einem Zusammentreffen schwieriger Umstände und mangelnder Wahrnehmung der Aufsichtspflicht zuschreiben, er gehört auch zweifellos nicht in die Reihe der Haupttäter der medizinischen Gewaltverbrechen des NS-Regimes. Doch schwere Schuld, die Handloser anzurechnen ist, war auch ohne unmittelbare Täterschaft möglich. So „beklagenswert und unverdient“, wie es in den larmoyanten Nachrufen auf seine Tod beschrieben wurde,19 war deshalb

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in historisch-kritischer Beurteilung das „Schicksal“ 20 des Nachkriegshäftlings nicht. Anmerkungen 1 Vgl. generell Zoske, Handloser; Hirt, Handloser; Hartleben, Handloser; zu nachfolgenden Beförderungsdaten siehe die Beförderungsdatei und Dienstaltersliste der Sanitätsoffiziere im BA-ZNS Aachen-Kornelimünster. 2 Siegfried Handloser, Die spezifische Behandlung des Typhus abdominalis. Diss. med., Straßburg 1911. 3 Siehe Heeresdienstvorschrift (HDV) 3/11 v. 21. 4. 1936, Pers. XII: Der Heeressanitätsinspekteur. 4 Zoske, Handloser, S.609. 5 Vgl. dazu Guth, Sanitätsdienst. 6 BA Berlin, Personalakten Handloser: Eidesstattliche Erklärung v. 13. 10. 1945; woher der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 1950 die sichere Erkenntnis schöpfte, daß Handloser nicht „an der Konferenz am 29. 12. 41 teilgenommen“ hat, bleibt unklar!; vgl. BA-MA Freiburg, N 414/v. 3, Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, gez. Bürger, Heilmeyer, Schoen, Kauffmann, an den Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten v. Amerika, John McCloy, Wiesbaden, 10. 6. 1950. 7 StA Nürnberg, Dok. NO-265: Tagebuch Ding-Schuler, hier zit. nach Klee, Auschwitz, S. 322f. 8 Gebhardt wurde durch das Nürnberger Tribunal wegen seiner medizinischen Versuche zum Tode verurteilt. Zu Mrugowsky siehe BA-Berlin: Handlosers eidesstattliche Erklärung v. 13. 10. 1945. 9 BA Berlin: Eidesstattliche Erklärung Handlosers v. 13. 10. 1945. 10 Weisung Hitlers vom 7. 8. 1944, Nr. 3: „Die Personalunion zwischen dem Chef des Wehrmachtssanitätswesens und dem Heeres-Sanitätsinspekteur/Heeresarzt wird mit dem 1. 9. 1944 aufgehoben“, in: BA-MA Freiburg, RH 12–23/v. 3. 11 Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, S.291. 12 Ebenda. 13 Ebenda, S.292. 14 Siehe dazu den Erlaß des Führers über das Sanitäts- und Gesundheitswesen vom 28. Juli 1942, in: Heeres-Verordnungsblatt 24 (1942), S. 25; ferner die Dienstanweisung für den Chef des Wehrmachtssanitätswesens vom 7. 8. 1944, in: Allgemeine Heeresmitteilungen 11 (1944), S.275 ff. 15 BA Berlin (ehem. Bestand ZStA Potsdam): NÄP. Film-Nr. 53202/53216 P, hier zitiert nach: Medizin unterm Hakenkreuz, S. 375 (Organigramm des deutschen Gesundheitswesens unter Reichskommissar Prof. Karl Brandt). 16 Vondra, Die Malaria; ders., Malariaexperimente. 17 Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, S.96ff., 101–112, 121–124. 18 Hartleben, Handloser, S.510. 19 Ebenda. 20 Hirt, Handloser, S.1261.

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, RH 12–23: Heeres- und Wehrmachtssanitätsinspektion; N 414 Nachlaß Handloser; BA Berlin (ehem. BDC): Personalunterlagen, Erklärungen und Karteikarten zu Handloser; BA-ZNS Aachen-Kornelimünster: Beförderungskartei, Dienstaltersliste der Sanitätsoffiziere; Staatsarchiv Nürnberg: Prozeßunterlagen. Gedruckte Quellen und Literatur Allgemeine Heeresmitteilungen v. 1944. Bader, Karl: Der Prozeß gegen nationalsozialistische Ärzte. In: Deutsche RechtsZeitschrift 2 (1947), S. 401. Guth, Ekkehart: Der Sanitätsdienst der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg – Ein Überblick. In: Sanitätswesen im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von Ekkehart Guth. Herford/Bonn 1990, S.11–24. Handloser, Siegfried: Die spezifische Behandlung des Typhus abdominalis. Diss. Straßburg 1911. Ders.: Praktische Ausbildung des Sanitätsoffiziers. In: Medizinische Welt 9 (1935), S.1499–1502. Ders.: Die Beurteilung der Dienstbeschädigungsfrage bei epidemischer Genickstarre. In: Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Heeres-Sanitätswesens 104 (1937), S.63–77, 89–92. Ders.: Der Heeres-Sanitätsdienst im Wehrmachtmanöver 1937. In: Der deutsche Militärarzt 3 (1938), S.79–85. Ders.: Wehrmedizin. In: Wiener klinische Wochenschrift 52 (1939), S.1–4. Ders.: Musterung und Volksgesundheit. In: Wiener klinische Wochenschrift 52 (1939), S.606f., 608f. Hartleben, Hans: Handloser [Nekrolog]. In: Ärztliche Mitteilungen 39 (1954), S.510. Heeresverordnungsblatt v. 1942. Hirt, Otto: Handloser. In: Münchener Medizinische Wochenschrift 96 (1954), S.1260f. Klee, Ernst: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. Frankfurt a. M. 1997. Medizin unterm Hakenkreuz. Hrsg. von Achim Thom und Genadij Caregorodcev. Berlin (Ost) 1989. Mitscherlich, Alexander/Fred Mielke: Medizin ohne Menschlichkeit. Frankfurt 1978. Neumann, Alexander: „Arzttum ist immer Kämpfertum“. Die Heeressanitätsinspektion und das Amt „Chef des Wehrmachtssanitätswesens“ im Zweiten Weltkrieg (1939–1945). Düsseldorf 2005. Vondra, Hana: Die Malaria – ihre Problematik und Erforschung in Heer und Luftwaffe. In: Sanitätswesen im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von Ekkehart Guth. Herford/Bonn 1990, S.109–126. Ders.: Malariaexperimente in Konzentrationslagern und Heilanstalten während der Zeit des Nationalsozialismus. Diss. med., Hannover 1989. Zoske, Horst: Handloser. In: Neue Deutsche Biographie Bd. 7 (1966), S.608f.

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Generaloberst Erich Hoepner* Der Zweite Weltkrieg begann in Europa mit dem deutschen Angriff auf Polen, dem ersten ‘Blitzkrieg’. Ein Grund für den Erfolg der deutschen Wehrmacht war die verblüffende Schnelligkeit und Kampfkraft ihrer Panzerverbände. Ein herausragendes Beispiel waren die von General Erich Hoepner geführten Panzer. Auf ihrem Vormarsch gegen Warschau legten sie innerhalb einer Woche 225 km zurück. Hoepner stand 1939 an der Spitze des XVI. motorisierten Armeekorps, und seine Erfolge machten ihn nach dem Urteil des Historikers Brett-Smith rasch zu „einem der besten Panzerkommandeure des deutschen Heeres“.1 Während der ersten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs zeigte Hoepner weiterhin hervorragende Leistungen. Im Westfeldzug 1940 überquerte Hoepners XVI. Armeekorps mit seinen Panzern die Maas und stieß durch Belgien gegen Brüssel vor. Nachdem jedoch die Panzer der Heeresgruppe A die Ardennen durchbrochen hatten, wurde sein Korps verlegt, um diesen Vorstoß zu unterstützen und die alliierten Streitkräfte im Westen einzuschließen. Abermals erfüllten Hoepners Panzerverbände ihren Auftrag ausgezeichnet. Dieser äußerst fähige General, der den Erfolg der Panzertruppen im Zweiten Weltkrieg verkörperte und sich – nach außen hin – im Krieg mit ganzer Kraft einzusetzen schien, um die Befehle des ‘Führers’ auszuführen, hatte sich überraschenderweise 1938 angeboten, bei einem Plan zum Sturz Hitlers mitzuwirken. Eine Reihe von Männern, darunter Generaloberst a. D. Ludwig Beck und General Franz Halder, der Generalstabschef des Heeres, befürchteten im Herbst 1938 einen Krieg, und weil nach ihrer Auffassung Deutschland zu dieser Zeit noch nicht kriegsbereit war, begannen sie darüber nachzudenken, wie man Hitler stoppen könnte. Die Verschwörer entwarfen verschiedene Szenarien für einen Sturz Hitlers, unter anderem auch einen Militärputsch. Entscheidend für dessen Gelingen war der Standort wichtiger Befehlshaber; eine zentrale Rolle spielte General von Witzleben, der Befehlshaber des Wehrkreises Berlin. General Hoepner, damals Kommandeur der 1. Leichten Division im Raum Wuppertal, versicherte Witzleben, er stehe ihm mit seiner Division zur Verfügung.2 Die Widerstandsaktion kam dann aber im Herbst 1938 nicht zustande, da das Münchener Abkommen die Kriegsgefahr beseitigte. * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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Hoepner, 1886 in Frankfurt/Oder geboren, wurde statt dessen im November 1938 als Generalleutnant zum Kommandierenden General des XVI. Armeekorps ernannt. Ihm, der als Kavallerieoffizier ausgebildet worden war, jedoch den Ersten Weltkrieg als Generalstabsoffizier bei einer Infanteriedivision beendet hatte, waren damit die vier modernsten Panzerdivisionen der Wehrmacht unterstellt. Hoepner mochte die neue nationalsozialistische Ordnung nicht besonders. Er stand eindeutig für die alte preußische Tradition und betrachtete NS-Organisationen wie SA und SS als Produkte einer chaotischen Hysterie. Selbst vor dem ‘Führer’ zeigte er wenig Respekt. So verbat er sich beispielsweise das Aufhängen des üblichen Hitlerbildes in seinem Amtszimmer.3 Während des ganzen Krieges unterhielt Hoepner Beziehungen zu den Verschwörern, und 1944 wurde er eine zentrale Figur in dem Putschversuch Stauffenbergs gegen Hitler. Gleichwohl erfüllte er seine Aufgabe als hervorragender Panzerkommandeur – nicht nur im Westfeldzug, sondern auch im ‘Unternehmen Barbarossa’, dem Krieg gegen die Sowjetunion. Beim Westfeldzug hatte Hoepner einen aufschlußreichen Zusammenstoß mit dem brutalen SS-Gruppenführer Theodor Eicke. Hoepner hörte von einem Massaker bei Le Paradis, wo offenbar etwa 100 britische Soldaten, die sich nach verbissenem Kampf ergeben hatten, getötet worden waren. Aus dem ihm vorliegenden Material ging eindeutig hervor, daß die Täter Eickes SS-Totenkopf-Division angehörten. Hoepner mißbilligte diese Tat. Als er später von dem SS-Gruppenführer verlangte, daß einige Brücken köpfe unbedingt gehalten werden müßten, meldete Eicke: „Die SS wird halten, Menschen spielen dabei gar keine Rolle.“ Hoepner war über diese Bemerkung so empört, daß er Eicke eine scharfe Antwort gab und ihm vor allen anderen Divisionskommandeuren entgegenschleuderte: „Ein Schlächter sind Sie und kein Offizier!“4 Obwohl dieser Zwischenfall die Abneigung Hoepners gegen NS-Organisationen, besonders gegen die SS, beweist, deutet nichts darauf hin, daß er den Vorfall dem OKH meldete. Hoepner vollbrachte im Frankreichfeldzug weiterhin großartige Leistungen und wurde nach dem Sieg im Westen im Juli 1940 von Hitler zum Generalobersten befördert. Danach bereitete er seine Truppen auf den bevorstehenden Angriff gegen Rußland vor. Hoepner war kein Nazi und gewiß kein begeisterter Anhänger des Hitler-Regimes; trotzdem hielt er es für seine Pflicht, Hitlers Befehle auszuführen. Außerdem glaubte er, wenn der Kampf einmal begonnen habe, müsse man alles daran setzen, den Feind zu besiegen. Kritisch zu werten sind allerdings Hoepners Tagesbefehle vom 2. Mai 1941, 22. Juni 1941 und 17. November 1941, in denen er jeweils die NS-Diktion vom notwendigen „Kampf der Germanen gegen den jüdischen Bol-

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schewismus“ übernahm und dessen „rücksichtslose Vernichtung“ verlangte. General Hoepner – dessen Verhalten im Jahr 1938 und wieder im Jahr 1940 Anlaß zu der Frage geben könnte, ob er wirklich mit dem Herzen bei der Sache des ‘Führers’ war – befürwortete zweifellos den Angriff gegen die Sowjetunion. Er war davon überzeugt, daß der Bolschewismus böse und daß die deutsche Kultur der slawischen überlegen sei. Außerdem akzeptierte er die These, daß es Deutschlands Bestimmung sei, den Osten zu beherrschen. Diese Überzeugungen kamen zum Vorschein, als er am 2. Mai 1941 folgenden Befehl „zur bevorstehenden Kampfführung im Osten“ unterzeichnete: „Der Krieg gegen Rußland ist ein wesentlicher Abschnitt im Daseinskampf des deutschen Volkes. Es ist der alte Kampf der Germanen gegen das Slawentum, die Verteidigung europäischer Kultur gegen moskowitisch-asiatische Überschwemmung, die Abwehr des jüdischen Bolschewismus. Dieser Kampf muß die Zertrümmerung des heutigen Rußland zum Ziele haben und deshalb mit unerhörter Härte geführt werden. Jede Kampfhandlung muß in Anlage und Durchführung von dem eisernen Willen zur erbarmungslosen, völligen Vernichtung des Feindes geleitet sein. Insbesondere gibt es keine Schonung für die Träger des heutigen russisch-bolschewistischen Systems.“5 Freilich stand Hoepner mit dieser Verurteilung des russischen Bolschewismus nicht allein. So gaben die Generale von Manstein und Hoth später ähnliche Befehle heraus, in denen sie die Ausrottung des jüdisch-bolschewistischen Systems in Rußland forderten.6 Als Deutschland im Juni 1941 das ‘Unternehmen Barbarossa’ begann, war Generaloberst Hoepner Befehlshaber der Panzergruppe 4 in der Heeresgruppe Nord des Generalfeldmarschalls von Leeb. Abermals zeigte Hoepner, was er als militärischer Führer zu leisten vermochte: Seine Panzergruppe riß in die russische 3. Armee eine breite Lücke, die es dem LVI. Panzerkorps des Generals Erich von Manstein ermöglichte, in rasantem Tempo durchzustoßen und den Weg nach Leningrad zu öffnen. Während Hoepners Panzerverbände mit unglaublicher Schnelligkeit vorwärts stürmten, machte Leeb sich Sorgen wegen einer ausgedehnten Flanke (über 300 km), die seine Infanterie eventuellen sowjetischen Gegenstößen aussetzte. Deshalb befahl er Hoepners Panzerverbänden – zu dessen Verdruß – anzuhalten und die Flanken der Infanterie zu decken. Dadurch wurde ein früher Vorstoß auf Leningrad verhindert. An dem folgenden Kräftemessen bei Leningrad sollte Hoepner nicht teilnehmen. Im September wurde seine Panzergruppe zur Heeresgruppe Mitte des Generalfeldmarschalls von Bock verlegt, um den entscheidenden Angriff auf Moskau zu führen. Am 7. Oktober 1941 vereinigte sich Hoepner mit den Verbänden des Panzergenerals Hoth bei Vjasma; dabei wurden noch einmal 55 sowjetische Divisionen in einem gewaltigen Kessel einge-

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schlossen. Nach dem Sieg über diese Divisionen rückten die Panzerverbände, unter dem Oberbefehl des Generalfeldmarschalls von Kluge, gegen Moskau vor. Sie besaßen jedoch nicht mehr genug Kraft, das entscheidende Ziel – die Einnahme der sowjetischen Hauptstadt – zu erreichen, vor allem weil die Rote Armee durch frische Divisionen aus Sibirien verstärkt wurde. Bei Hoepners grundsätzlichem Antibolschewismus ist es keine Überraschung, daß er seine Truppen zu einem letzten Vorstoß auf Moskau anfeuerte. In einem Tagesbefehl an seine Kommandeure vom 17. November heißt es: „Rütteln Sie die Truppe auf. Beleben Sie ihren Geist! Zeigen Sie ihr das Ziel, das für sie einen ruhmreichen Abschluß der schweren Kämpfe und die Aussicht auf die verdiente Ruhe gibt. (…) Der Lenker der Schlachten gebe Ihnen Glück!“ Zudem verlangte er einen „harten Willen zur erbarmungslosen Vernichtung des Gegners“7. Aber es war zu spät. Die deutsche Kampfkraft war erschöpft, und der russische Winter forderte seinen Tribut. Trotzdem rückten Hoepners Truppen vor, blieben jedoch infolge des erbitterten Widerstands der Roten Armee rasch stecken. Anfang Dezember waren die Divisionen Hoepners ausgelaugt und kläglich zusammengeschrumpft, und manche besaßen nur noch 15 einsatzfähige Panzer. Viele Soldaten kämpften zu Fuß, mit Seitenwaffen. Allmählich sah Hoepner ein, daß er – um eine drohende Katastrophe zu vermeiden – für seine Truppen eine zweckmäßige Verteidigungsstellung schaffen mußte. Aber Hitler erließ am 20. Dezember 1941 die Weisung für die Heeresgruppe Mitte, die Truppe müsse aushalten und sich dort verteidigen, wo sie stehe. Um sich gegen jegliche Kritik abzuschirmen, befolgte Kluge Hitlers Weisungen exakt und lehnte jedes Zurücknehmen der Front ab. Andere Befehlshaber hingegen, etwa Hoepner und Guderian, glaubten an einigen Stellen zurückweichen zu müssen, um das Überleben ihrer Truppen zu sichern. So befahl Hoepner am 8. Januar 1942 die Rücknahme seiner 4. Panzer armee aus dem Frontbogen von Borovsk. Wütend beschuldigte ihn Hitler, seinen Befehl nicht befolgt zu haben, und entließ ihn. Wie erfuhr Hitler von Hoepners Plan, die Front zurückzunehmen? Es war Kluge, der dem ‘Führer’ vorgetragen hatte, Hoepner habe seine Truppen bereits zurückgezogen.8 Hoepner wurde nicht nur seines Kommandos enthoben; Hitler erniedrigte ihn noch mehr, indem er ihn sogar aus der Wehrmacht ausstieß. So machte man Hoepner zum Sündenbock für das Scheitern der Wehrmacht vor Mos kau im Dezember 1941. Hoepner kehrte nach Deutschland zurück; wegen seiner Entlassung war er nicht nur auf Kluge, sondern auch auf Hitler wütend. Als er merkte, daß man ihm zudem sein Ruhegehalt vorenthielt, entschloß er sich zu handeln. Hoepner klagte beim Reichsgericht in Leipzig gegen die Regierung, um

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seine Pensionsrechte wiederzuerlangen. Als Hitler davon erfuhr, war er empört und forderte, der Reichstag solle ein Gesetz beschließen, daß der ‘Führer’ und seine Maßnahmen über dem Gesetz stünden, so daß er auch legitime Rechtsansprüche für nichtig erklären konnte. Im April 1942 erhielt Hitler vom Reichstag diese Generalvollmacht als „Oberster Gerichtsherr des deutschen Volkes“. In der nächsten Zeit beteiligte sich Hoepner unmittelbar an der Verschwörung, an deren Spitze Generaloberst a.D. Ludwig Beck und Carl Goerdeler standen. Hoepner wurde zu einer der Schlüsselfiguren des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944. Die Geschichte Claus Schenk Graf von Stauffenbergs und seines Attentats auf Hitler am 20. Juli ist oft dargestellt worden und hat geradezu eine eigene Spezialliteratur hervorgebracht. Hoepner gehörte zwar zu den wichtigeren Verschwörern, spielt in der Literatur jedoch eine relativ untergeordnete Rolle. Wäre der Putsch gelungen, dann wäre sein Stern vielleicht noch einmal zu neuen Höhen aufgestiegen. Er sollte als Nachfolger von Generaloberst Fromm den Posten des Befehlshabers des Ersatzheeres übernehmen – eine Stellung, die für die Ergreifung der Macht in ganz Deutschland und in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten Europas entscheidend war. Am 20. Juli 1944 ging Hoepner mit General Friedrich Olbricht in die Bendlerstraße, um diesen Posten nach dem Attentat auf Hitler zu übernehmen. Die beiden Männer traten vor Generaloberst Fromm. Als dieser es ablehnte, sich dem Putsch anzuschließen, nahmen sie ihn fest und schlossen ihn in einem leerstehenden Büro ein: ihr erster Fehler. Dann teilte Olbricht Hoepner mit, er solle sein Amt antreten. Aber Hoepner wollte den Oberbefehl im Heimatkriegsgebiet erst übernehmen, nachdem ihm ein schriftlicher Befehl vorlag und die Legalität der Kommandoübernahme bestätigt war.9 Das war ein weiterer Fehler. Dieses Beharren auf Formalitäten zu einem Zeitpunkt, als die Widerstandskämpfer wie Revolutionäre hätten handeln müssen, beweist eindeutig, wie absurd ihr Vorgehen war. Hoepner blieb während des ganzen Nachmittags und Abends im Bendlerblock. Obwohl er in Zivil ankam und diese Kleidung vorerst anbehielt, hatte er seine Uniform mitgebracht. Als er den erbetenen Befehl von Feldmarschall von Witzleben erhalten hatte, zog er sich um und trat als Generaloberst wieder auf.10 Als „Oberbefehlshaber im Heimatkriegsgebiet“ traf Hoepner einige Verabredungen und genoß für einen kurzen Augenblick seine neue Befehlsgewalt. Aber sie endete noch am gleichen Tag, als gegen 22 Uhr regimetreue Truppen in den Bendlerblock eindrangen und Fromm wieder die Befehlsgewalt übernahm. Hoepner entging zwar der standrechtlichen Erschießung, die Fromm für die anderen vier Verschwörer sofort anordnete, wurde je-

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doch festgenommen und ins Untersuchungsgefängnis gebracht. Hoepners spätere Aussage besiegelte auch das Schicksal von Generaloberst Fromm, den man daraufhin verhaftete. Anfang August 1944 wurde Hoepner vor dem ‘Volksgerichtshof’ in Berlin angeklagt. Den Vorsitz führte Roland Freisler; neben ihm fungierten als Laienrichter General Hermann Reinecke vom OKW und der Rat des Volksgerichtshofes Lemmle. Hoepner saß in „Reithosen, Hemd und Wolljacke“ neben Witzleben und „blickte stumpf um sich, während sein Gesicht immer wieder nervös zuckte“.11 Es war ein reiner Schauprozeß, in dem die Nationalsozialisten an den Verschwörern Rache übten; alle Angeklagten galten als schuldig und sollten sich nur anhören, warum sie schuldig waren und wie schwer ihre Schuld war. Überdies demütigte Freisler die Angeklagten, indem er sie unqualifiziert anbrüllte. Niemand war überrascht, als sie zum Tod durch den Strang verurteilt wurden. So starb Hoepner am 8. August 1944 einen einsamen Tod in Plötzensee. Ein glänzender Panzerkommandeur, der 1939 gegen Polen, 1940 im Westfeldzug und 1941 an der Ostfront unbestreitbar seine überragenden Führerqualitäten bewiesen hatte, fiel dem Henker der Nationalsozialisten zum Opfer. Hoepner war entsetzt über das Verhalten von SS-Truppen in Frankreich, und indem er das Aufhängen eines Hitlerbildes in seinem Amtszimmer verbot, weigerte er sich, gegenüber dem ‘Führer’ unterwürfige Loyalität zu demonstrieren. Gleichwohl befürwortete er den Angriff auf die Sowjetunion, und im Juli 1941 meldete er sogar die befohlene Liquidierung von Kommissaren. Sein Verhalten wirft sicherlich zahlreiche Fragen auf. Ließ er sich von den Erfolgen des Diktators verführen und stimmte der Ermordung des Diktators erst zu, als sich die Niederlage im Osten abzeichnete? Kann jemand als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus hervorgehoben werden, der gleichzeitig die Vernichtung des „jüdischen Bolschewismus“ befürwortete? Seit mehr als einem Jahrzehnt beschäftigt sich die Forschung kontrovers mit diesen Fragen. Gleichwohl läßt sich sagen: Als 1939 der Krieg begann, handelte General Hoepner so, wie er es für seine nationale Pflicht hielt. Seine Verantwortung als Soldat erblickte er darin, Befehle nach besten Kräften auszuführen. Den ihm anvertrauten Soldaten fühlte er sich in besonderem Maße verpflichtet. 1939 und 1940 bewegte er sich im Rahmen der soldatischen Tradition. Was jedoch den Krieg im Osten betrifft, so deutet alles darauf hin, daß er glaubte, die kommunistische Sowjetunion sei böse und die germanische stehe über der slawischen Kultur. Ob Hoepner eine Ausnahme im Offizierskorps war, muß bezweifelt werden – viele dachten wie er. Seine Teilnahme an der Verschwörung vom 20. Juli beweist zweifellos seine Abneigung gegen das

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Hitler-Regime. Er blieb bis zuletzt ein tapferer Offizier, der wußte, was er wollte und warum er gegen Hitler handelte.

Anmerkungen Brett-Smith, Hitler’s Generals, S. 174; vgl. auch generell Bücheler, Hoepner. Galante, Operation Valkyrie, S.68. 3 Deutsch, Das Komplott, S.50. 4 Bücheler, Hoepner, S. 110. 5 Abgedruckt in: Ueberschär/Wette (Hrsg.), Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion, S.251. 6 Bartov, Hitlers Wehrmacht, S.197 f. 7 Carell, Unternehmen Barbarossa, S.151. 8 Ebenda, S.300f.; Hahn, Zum 8. Januar 1942. 9 Fest, Hitler, S.974. 10 Nach Bücheler, Hoepner, S. 185, zog sich Hoepner in der Geheimregistratur des Bendlerblocks um. 11 Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S. 702 f. 1 2

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 51: Nachlaß Hoepner; RH 21–4: Akten der Panzergruppe 4. Gedruckte Quellen und Literatur Bücheler, Heinrich: Hoepner. Ein deutsches Soldatenschicksal des XX. Jahrhunderts. Herford 1980. Deutsch, Harold C.: Das Komplott oder Die Entmachtung der Generale. Blombergund Fritsch-Krise. Hitlers Weg zum Krieg. Eichstätt 1974. Fest, Joachim C.: Hitler. Eine Biographie. Frankfurt a. M./Wien 1973. Galante, Pierre: Operation Valkyrie. The German Generals’ Plot Against Hitler. New York 198l. Zum 8. Januar 1942. Die Rücknahme der 4. Panzerarmee aus dem „Balkon von Borowsk“. Das militärische Vermächtnis von Generaloberst Erich Hoepner. Hrsg. von Oswald Hahn. Nürnberg 1982.

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Generalfeldmarschall Ewald von Kleist Am 26. Oktober 1954 verstarb im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Vladimir Feldmarschall Ewald von Kleist, nachdem er die Zeit seit 1945 in 27 Gefangenenlagern und Gefängnissen zugebracht und seine Frau 1954 die erste Nachricht seit 1946 von ihrem Manne „mit der großen Hoffnung auf baldige Heimkehr“ erhalten hatte.1 Dieses in seiner Härte einmalige Schicksal eines deutschen Heerführers fordert die Beschäftigung mit der Verstrickung Kleists in die Geschehnisse des ‘Dritten Reiches’ geradezu heraus, gipfelnd in der Frage: Welche Rolle spielte Kleist in der Wehrmacht des ‘Dritten Reiches’? Er entstammte einem uradeligen Geschlecht, das in Pommern, Ostpreußen und im Baltikum begütert war und der königlich preußischen und der kaiserlich russischen Armee zahllose Generale und Offiziere gestellt hat. Ewald von Kleist wurde am 8. August 1881 als Sohn eines Geheimen Studienrates und einer dem Bürgertum angehörigen Mutter in Braunfels an der Lahn geboren. 1900 bestand er am humanistischen Gymnasium in Aurich das Abitur. Seine von hervorragenden Beurteilungen begleitete Laufbahn als Soldat2 begann er bei der Feldartillerie in Brandenburg, wo er auch Leutnant wurde. Als passionierter Reiter ließ er sich aufgrund „verminderter Hörfähigkeit“ zur Kriegsakademie in die Kavallerie versetzen. Im Ersten Weltkrieg zunächst als Führer von Kavallerie-Abteilungen – u. a. als Rittmeister in der Schlacht bei Tannenberg – eingesetzt, wurde Kleist ab 1915 im Generalstab verwendet. Im Übergangsheer zur Reichswehr gelang es ihm als Generalstabsoffizier im Generalkommando in Münster, durch eine „kleine Kriegslist“ die Arbeiterführer im Ruhrgebiet dazu zu bewegen, ihren Generalstreik zu beenden, bevor es zu ernsthaften Kämpfen zwischen Militär und aufständischen Arbeitern kam.3 Als Taktiklehrer und Lehrgangsleiter an der Kavallerieschule in Hannover ließ Kleist – seit 1921 Major und 1926 Oberstleutnant – schon „überragende Fähigkeiten erkennen“4. Nach einer Verwendung als Chef des Stabes der 2. Kavalleriedivision in Breslau und des Wehrkreiskommandos III in Berlin ab 1928 wurde er 1931 Kommandeur des Infanterieregiments 9 in Potsdam. Um vorzeitig Kommandeur der 2. Kavalleriedivision zu werden, wurde Kleist zu Beginn des Jahres 1932 der Charakter als Generalmajor verliehen – ein einmaliger Personalvorgang in der Geschichte des Reichsheeres. Im Rahmen der Aufrüstung des deutschen Heeres nach Hitlers Regie-

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rungsantritt wurde Kleist am 1. Oktober 1933 als Generalleutnant zum Wehrgau-Befehlshaber Breslau ernannt. Ein Jahr später übernahm er die Führung des in Aufstellung befindlichen VIII. Armeekorps. Die Machtbestrebungen der SA in Schlesien kritisch beobachtend, hielt er dennoch mit SA-Obergruppenführer Heines Verbindung und unterrichtete die Heeresleitung über die ihm von Heines übermittelte Lagebeurteilung der SAFührung, freilich zu spät, um die angelaufenen Maßnahmen gegenüber der SA-Führung in München am 30. Juni 1934 zu stoppen.5 Die fortdauernden Auseinandersetzungen mit den Parteiorganisationen, die Kleist – seit 1936 General der Kavallerie – sogar rückblickend als „4. Schlesischen Krieg“ bezeichnete, endeten mit seiner von Hitler geforderten Ablösung. Sie erfolgte im Rahmen der mit der Blomberg-FritschKrise verbundenen Personalveränderungen.6 Bezeichnenderweise mußte Kleist seine Verfügung über die Militärseelsorge in seinem Korpsbereich wieder zurücknehmen, weil sie in Berlin keine Zustimmung fand. Er tat dies in der Form, daß er „bei der Schlußbesprechung des Korpsmanövers des VIII. A. K. vor versammeltem Offizierkorps u(nd) allen Zuschauern seinen Standpunkt über die Notwendigkeit der Heeresseelsorge noch einmal darlegte, auf sein Rundschreiben in der Sache hinwies und mit der Bemerkung schloß: Auf Befehl habe ich diese Verfügung zurückzuziehen.“7 Diese Erfahrungen waren für Kleist, der sich nach seiner Verabschiedung auf seinen Landbesitz bei Breslau zurückzog und sich als Landwirt betätigte, nicht Anlaß genug, um sich einer aktiven Widerstandstätigkeit gegen Hitler und seine Partei zuzuwenden. Für den Fall einer Mobilmachung wollte die Heeresführung auf eine Verwendung Kleists dennoch nicht verzichten und stellte ihn zur Verfügung des Heeres (z. V.). Bereits im Herbst 1938 wurde er kurze Zeit wiederverwendet. Wenige Tage vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges erhielt Kleist den Befehl, die Führung des in Hamburg neu aufgestellten Generalkommandos des XXII. Armeekorps zu übernehmen. Sein Chef des Generalstabes war Oberst i. G. Zeitzler. Damit begann eine Zusammenarbeit zwischen beiden Männern, die zwei Jahre und acht Monate anhielt und auf vier Kriegsschauplätzen zu beachtlichen Erfolgen führte, weil sie sich glänzend verstanden und ergänzten. Ab dem 2. September übernahm Kleists Generalkommando die Führung über die 2. Panzerdivision, die 4. leichte Division und die 3. Gebirgsdivision am rechten Flügel der 14. Armee unter Generaloberst List, um „aus dem die Westkarpaten durchschneidenden Orava-Tal von Süden her auf Krakau vorzustoßen“8. Kleists im Polenfeldzug bewiesene Fähigkeit, schnelle Verbände zu führen, veranlaßte die Heeresführung, ihm Anfang März 1940 als erstem militärischen Befehlshaber die Bildung einer aus mehreren Armeekorps

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und einem zugeteilten Flakkorps bestehenden motorisierten Gruppe, der „Gruppe von Kleist (mot)“, zu übertragen, die mit der Hälfte der deutschen Panzerverbände die „umfangreiche Sonderaufgabe“ erhielt, bei Sedan durchzubrechen und bis zur Kanalküste vorzustoßen.9 Auch wenn es über die Operationsführung wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Kleist und dem ihm unterstellten Panzerspezialisten General Guderian kam,10 wurde sie als ein beeindruckender, den Einsatz der motorisierten Kräfte voll nutzender „Blitzkrieg“-Erfolg gewertet, eingeschränkt lediglich durch Hitlers Haltebefehl vor Dünkirchen, der es den Engländern erlaubte, unter Zurücklassung ihres schweren Materials die Masse ihrer Truppen nach England einzuschiffen. Aufgrund seiner Erfolge als „frische energische Persönlichkeit mit kavalleristischem Schwung“ beurteilt, hielt Generaloberst von Rundstedt Kleist für geeignet, unter Wiedereintritt in den aktiven Heeresdienst Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe zu werden.11 Nach seiner Beförderung zum Generaloberst wurde Kleist im Spätherbst 1940 die Überwachung der Ausbildung der im Heimatkriegsgebiet befindlichen schnellen Truppen anvertraut. Mitte November liefen die Vorbereitungen für ein Unternehmen gegen Griechenland über Jugoslawien und Bulgarien Richtung Ägäisches Meer an. In dem am 6. April 1941 beginnenden Balkan-Feldzug war es Aufgabe der von Kleist geführten Panzergruppe 1, aus dem Raum westlich von Sofia auf Belgrad vorzustoßen. Bereits am fünften Tag gewannen Kleists Truppen die Höhen von Belgrad und vereinigten sich mit den Panzerverbänden der von Norden entgegenkommenden 2. Armee unter Generaloberst von Weichs,12 so daß Kleists Operation erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Für den Krieg gegen die Sowjetunion im Bereich der Heeresgruppe Süd als motorisierte Stoßkraft vorgesehen, mußten die Verbände der Panzergruppe 1 nach dem Balkanfeldzug in sehr kurzer Zeit wieder technisch instand gesetzt und aufgefüllt werden. Kleists Panzergruppe wurde dabei im nördlichen Aufmarschraum der Heeresgruppe Süd eingesetzt und kämpfte erfolgreich in den Schlachten bei Uman und Kiev. Über die Zusammenarbeit zwischen der Panzergruppe 1 und den Einsatz- und Sonderkommandos des SD berichtete der 3. Generalstabsoffizier (I c), Major i. G. Graf zu Münster, daß sie „sich auf gelegentliche Besuche der K(omman)do-Führer beim I c“ beschränkt habe, während in ihrem Aufgabenbereich die Geheime Feldpolizei „dauernde Fühlung mit diesen K(omman)dos hält“13. Im Laufe des Herbstes 1941 gelang es Kleist mit seinem inzwischen zur „1. Panzerarmee“ umgewandelten Großverband bis Rostov am Don vorzustoßen.14 Dort traten Kleists Panzerarmee aber so starke sowjetische Kräfte entgegen, daß ein rechtzeitiger Rückzug auf die Mius-Stellung geboten war,

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der auch die Billigung Feldmarschall von Rundstedts fand, jedoch nicht der Lagebeurteilung Hitlers entsprach. Dieser ersetzte vielmehr Rundstedt durch Feldmarschall von Reichenau und erschien wenige Tage später im Armeehauptquartier Kleists in Mariupol, „um an Ort und Stelle die Notwendigkeit des Zurückgehens zu überprüfen“ und sie nach Anhörung der Generale und des Kommandeurs seiner „Leibstandarte“, Sepp Dietrich, als „militärisch einzig mögliche Maßnahme“ nunmehr doch anzuerkennen.15 Die im Südabschnitt der Ostfront andauernden schweren Abwehrkämpfe in den Wintermonaten 1941/42 verlangten von Führung und Truppe ständige Aushilfen. Als Feldmarschall von Reichenau Mitte Januar 1942 nach einem Herzschlag verstarb, empfand es Kleist als „schmerzlich“, daß er trotz seiner ihm seit langem bescheinigten Eignung nicht zum Nachfolger Reichenaus als Heeresgruppen-Oberbefehlshaber bestimmt wurde.16 Dagegen wurde Ende Januar im Bereich der Heeresgruppe Süd die „Armeegruppe v. Kleist“, bestehend aus der 1. Panzerarmee, der 17. Armee und der „Gruppe v. Mackensen“, gebildet, um der Krisensituation an der Front Herr zu werden. Sie wurde erst Ende Mai wieder aufgelöst. Mit Hitlers Weisung vom 5. April 1942 liefen die Vorbereitungen zu den für den Sommer 1942 geplanten Operationen an, die „auf dem Südflügel der Heeresfront (…) den Durchbruch in den Kaukasus-Raum (…) erzwingen“ sollten, um „die Ölgebiete im kaukasischen Raum“ und sogar „den Übergang über den Kaukasus selbst zu gewinnen“.17 In der am 17. Mai beginnenden Schlacht um Charkov, die die Sommeroperation im Süden der Ostfront einleitete, nahmen Verbände der 1. Panzerarmee über 160 000 Sowjetsoldaten gefangen. Seit dem 7. Juli der neu gebildeten Heeresgruppe A unter Generalfeldmarschall List unterstellt, kämpfte sich die 1. Panzerarmee zum Kaukasus durch, dabei mehrfach aufgrund der Weisungen Hitlers die Richtung wechselnd, überschritt am 26. Juli den Manytsch und nahm am 9. August Maikop ein. Einen Monat später wurde die Lage von Kleist so beurteilt, daß seine Truppen nur noch „stückweise“ vordringen konnten.18 Im gleichen Monat empfing Kleist – ebenso wie andere in der Gunst Hitlers stehende Oberbefehlshaber – eine beachtliche Dotation von insgesamt 480 000 RM, um seinem Gut Weidenbrück weitere Ländereien in Niederschlesien hinzukaufen zu können.19 Der Zustand seiner Panzerarmee und die Verhältnisse in der KaukasusRegion bereiteten Kleist zunehmend Sorge. Das Absinken der eigenen Gefechtsstärken und die mehrwöchige fehlende Unterstützung durch die Luftwaffe beherrschten die militärischen Überlegungen und Möglichkeiten Kleists. Er bemühte sich zudem, das Wohlwollen und die Akzeptanz der kaukasischen Bevölkerung durch eine weitgehende Selbstverwaltung zu erreichen, denn er war überzeugt, daß die Wehrmacht die Rote Armee nur

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schlagen könne, „wenn das russische Volk weiß, daß wir es nur vom Bolschewismus befreien, das Volk aber nicht versklaven und Rußland nicht zerstückeln wollen“20. Diese Einstellung suchte Kleist mit dem ihm seit langem vertrauten General Köstring, der ihm als „Beauftragter für Kaukasusfragen“ zur Seite stand, durch Aufstellung von Ostlegionen und ihren Einsatz „im Kampf zur Befreiung ihrer Heimat“ in die Praxis umzusetzen.21 Nach der Einschließung der 6. Armee bei Stalingrad beauftragte Hitler Kleist am 22. November 1942 mit der Führung der Heeresgruppe A und beförderte ihn am 1. Februar 1943 zum Generalfeldmarschall. Infolge des sowjetischen Vordringens in Richtung Rostov drohte die im Kaukasus eingesetzte Heeresgruppe abgeschnitten zu werden. Kleist hat den dann von Generalstabschef Zeitzler für seine Verbände erwirkten Rückzugsbefehl zunächst nicht als Befreiungsakt, sondern nach den der kaukasischen Bevölkerung gegenüber gemachten Zusagen als „katastrophal“ empfunden.22 Nach dem gelungenen Rückzug und der Errichtung des Kuban-Brückenkopfes gelang es der Heeresgruppe unter seiner Führung, während der 1943/44 sich anschließenden Abwehrkämpfe und Rückzugsbewegungen den Zusammenhalt der Front zu wahren. Am 30. März 1944 wurde Kleist jedoch in die ‘Führerreserve’ versetzt, nachdem er Hitler zuvor am 29. November 1943 in einem dramatisch verlaufenen, über zwei Stunden dauernden Gespräch seine Sorgen über die Kriegführung im Osten und die Zersplitterung der Wehrkraft in verschiedenartige Organisationen vorgetragen und ihn aufgefordert hatte, den Oberbefehl über die Ostfront niederzulegen und sich statt dessen mehr der Außen- und Innenpolitik zu widmen, was Hitler jedoch strikt ablehnte.23 Bei Kriegsende gelangte Kleist, zuletzt in Bayern wohnend, zunächst in amerikanische, dann in englische Gefangenschaft. Die Zeit in England nutzte Kleist, um seine „Erinnerungen und Plaudereien“ niederzuschreiben. 24 Als er vom Internationalen Militärgericht in Nürnberg zur Gruppe „Generalstab und Oberkommando der deutschen Wehrmacht“ zugeordnet wurde, beantragte er, als Zeuge vorgeladen zu werden. In einer detaillierten Erklärung wies er darauf hin, daß die Oberbefehlshaber als nachgeordnete Führungsorgane des OKH bzw. des OKW wirkten und die Weisungen, an deren Zustandekommen sie nicht beteiligt waren, mit den ihnen unterstellten Streitkräften auszuführen hatten.25 Von Nürnberg wurde Kleist an Jugoslawien ausgeliefert und nach Verurteilung zu 15 Jahren Haft von dort in die Sowjetunion überführt, wo er 1952 erneut verurteilt wurde. 26 Von seiner Verurteilung kehrte er stolz mit den Worten zurück: „Der Name von Kleist wird unter keinem Dokument stehen, das meine Soldaten belastet.“27 Mitgefangene berichteten nach ihrer Heimkehr von der bewundernswerten Haltung Kleists in der Gefangen-

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schaft. „Seine Energie, sein Humor und seine geistige Regsamkeit versetzten uns alle in Erstaunen. (…) Unermüdlich im Erzählen (…) war er zweifellos der menschliche und intellektuelle Mittelpunkt unserer Gemeinschaft.“ Erst 1954 wurde ihm erlaubt, an seine Familie zu schreiben und Pakete in der Haft zu empfangen, doch schon im Oktober des Jahres starb er.

Anmerkungen Nehring, Generalfeldmarschall Ewald v. Kleist, S. 60. BA-MA Freiburg, Pers 6/7, auch zum Folgenden. 3 Ebenda, N 354/25: Kleist, Erinnerungen und Plaudereien, H. III, S. 76ff. 4 Gersdorff, Soldat im Untergang, S. 37. 5 Bennecke, Die Reichswehr und der Röhm-Putsch, S. 52f., 85. 6 BA-MA Freiburg, N 354/7: Schreiben des Chefs des Heerespersonalamts v. 4. 2. 1938: „Im Auftrage des Herrn Oberbefehlshabers des Heeres habe ich mitzuteilen, daß der Führer und Reichskanzler Ihr Ausscheiden aus dem Heeresdienst erwartet.“ 7 BA-MA Freiburg, N 354/26: Kleist, Erinnerungen und Plaudereien, H. IV, S. 6. 8 Manstein, Verlorene Siege, S. 39. 9 BA-MA Freiburg, RH 21-1/16: Korps-Tagesbefehl v. 4. 3. 1940. 10 Guderian, Erinnerungen, S. 90. 11 BA-MA Freiburg, Pers 6/7: Beurteilung durch Rundstedt v. 4. 7. 1940. 12 Zu v. Weichs siehe in diesem Band, S. 547ff. 13 BA-MA Freiburg, RH 21-1/470: Tätigkeitsbericht der Panzergruppe 1, Abt. I c v. 22. 6.–31. 10. 1941. 14 Messe, Der Krieg im Osten, S. 117–202; BA-MA Freiburg, N 527/51: Mit Kleist durch die Ukraine. 15 BA-MA Freiburg, MSg 1/1049: Prinz Wilhelm Karl von Preußen, Rußland 1941– 1943, S. 22. 16 BA-MA Freiburg, N 354/21: Kleist, Tagebucheintrag v. 15. 1. 42. 17 Hitlers Weisungen für die Kriegführung, S. 184. 18 BA-MA Freiburg, N 354/21: Kleist, Tagebucheintrag v. 9. 9. 1942. 19 Siehe BA Berlin, R 43 II/985 b, S. 92 f. 20 BA-MA Freiburg, N 354/21: Kleist, Tagebucheintrag v. 3. 12. 1942; vgl. auch Hoffmann, Kaukasien 1942/43; Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 262–277. 21 Hoffmann, Kaukasien 1942/43, S. 35. 22 BA-MA Freiburg, N 354/21: Kleist, Tagebucheintrag v. 29. 12. 1942. 23 Ebenda, N 354/22: Kleist, Tagebucheintrag v. 29. 11. 1943. In den „Erinnerungen und Plaudereien“, H. IV, S. 66–71 (ebenda, N 354/26) ist das Gespräch auf den 1. Dezember 1943 datiert. 24 Ebenda, N 354/24–27. 25 Ebenda, N 354/29. 26 Näheres in: Hoffmann, Kaukasien 1942/43, S. 456–466 sowie Moskauer NKWDArchiv, Fonds R-9401. 1 2

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Kummer, Die letzte Karte vor dem Sterben. In: Welt am Sonntag v. 3. 5. 1992, S. 31, auch zum Folgenden. 27

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, Pers 6/7: Personalakte; N 354, Nachlaß von Kleist; N 527/51, Nachlaß List, Mit Kleist durch die Ukraine; MSg 1/1049, Aufzeichnungen des Prinzen Wilhelm Karl von Preußen: Rußland 1941–43; RH 21-1, XXII. Armeekorps, Panzergruppe von Kleist, Panzergruppe 1, 1. Panzerarmee, Armeegruppe v. Kleist; RH 19 V, Heeresgruppe A. Gedruckte Quellen und Literatur Bennecke, Heinrich: Die Reichswehr und der „Röhm-Putsch“. München 1962. Herwarth, Hans von: Zwischen Hitler und Stalin. Frankfurt a.M. 1982. Hoffmann, Joachim: Kaukasien 1942/43: Das deutsche Heer und die Orientvölker der Sowjetunion. Freiburg 1991. Kummer, Jochen: Die letzte Karte vor dem Sterben. In: Welt am Sonntag v. 3. 5. 1992, S. 31. Messe, Giovanni: Der Krieg im Osten. Zürich 1948. Nehring, Walther K.: Generalfeldmarschall Ewald v. Kleist. In: Deutscher SoldatenKalender 1974, S. 51–60. Zeitzler, Kurt: Die Panzer-Gruppe v. Kleist im West-Feldzug 1940. In: Wehrkunde 8 (1959), H. 4, S. 182–188. Ders.: Der Vorstoß der Panzer-Gruppe v. Kleist über Sedan nach Abbeville und Dünkirchen im Mai 1940. In: Ebenda, H. 5, S. 239–245. Ders.: Die Panzer-Gruppe v. Kleist im zweiten Teil des Feldzuges 1940. In: Ebenda, H. 6, S. 293–298. Ders.: Erkenntnisse und Erfahrungen der Panzer-Gruppe v. Kleist im West-Feldzug 1940. In: Ebenda, H. 7, S. 366–372. Ders.: Generalfeldmarschall Ewald v. Kleist zum 75. Geburtstag am 8. August 1956 (Zeitungsausschnitt).

Wolfgang Welkerling

General der Artillerie Fritz Lindemann Niemand hätte dem am 11. April 1894 in Charlottenburg geborenen Offiziersohn Fritz Lindemann, dessen Vater die Prinzen Oskar, August Wilhelm und Joachim von Preußen auf die Offizierprüfung vorbereitet hatte, voraussagen mögen, daß er einmal zu denen gehören würde, die ein deutsches Staatsoberhaupt beseitigen wollten. Allerdings galt es dabei, ein verbrecherisches System aus den Angeln zu heben. Als Jahrgangsbester legte Lindemann 1912 am Potsdamer Viktoria-Gymnasium das Abitur ab, wurde 1913 Leutnant im 4. Garde-Feld-Artillerieregiment, zeichnete sich im Ersten Weltkrieg mehrfach aus und gehörte 1919 zu den Offizieren, welche die Deutsche Friedensdelegation in Versailles zu schützen hatten. Nunmehr Oberleutnant im Artillerieregiment 3, absolvierte er die „Führergehilfenausbildung“. Es folgte die Versetzung ins Reichswehrministerium, 1926 in das Truppenamt und danach ins Ministeramt, wo Lindemann bis 1929 unter Generalmajor Kurt von Schleicher arbeitete. Darauf folgten drei Jahre Dienst als Batteriechef in Sprottau. Nach Absolvierung des sogenannten „Reinhardt-Kurses“, in dem jährlich zehn der besten Generalstabsoffiziere weitergebildet wurden, und einem Studienaufenthalt in den USA, wurde Lindemann 1933 als Lehrer für Taktik und Kriegsgeschichte sowie Hörsaalleiter zu den „Offizier-Lehrgängen Berlin“ versetzt. Von 1936 bis 1938 als erster Generalstabsoffizier (I a) im Generalkommando des X. Armeekorps (Hamburg) und danach bis Kriegsbeginn als militärpolitischer Mitarbeiter der „Kieler Neuesten Nachrichten“ und beim „Hamburger Fremdenblatt“ bewährte sich Lindemann auf neuen Arbeitsgebieten. Während des Polen- und Frankreichfeldzuges war er als Oberst Kommandeur des Artillerieregiments 27. 1941 wurde er Artilleriekommandeur 138 im Südabschnitt der Ostfront. Mit der Führung der 46. Infanteriedivision beauftragt, half er die Landenge von Perekop zu überwinden. Im Januar 1942 wurde er Generalmajor und Kommandeur der 132. Infanteriedivision. Mit ihr kämpfte er auf der Krim, so bei der Rückgewinnung der Hafenstadt Feodosia, der Halbinsel Kertsch und bei der Eroberung von Sevastopol. An den Nordabschnitt der Ostfront verlegt, wurde seine Division 1942/43 an der Volchovfront in schwere Kämpfe verwickelt. Lindemann, seit Januar 1943 Generalleutnant, wurde im September 1943 ins Oberkommando des Heeres versetzt, im Dezember desselben Jahres zum General der Artillerie

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befördert und zum Waffengeneral der Artillerie beim Chef des Generalstabes des Heeres ernannt. In dieser Funktion wirkte er aktiv an der Vorbereitung des Umsturzversuches gegen Hitler vom 20. Juli 1944 mit, tauchte danach zunächst unter, wurde jedoch am 3. September aufgespürt und starb am 22. September 1944 in Berlin an einem Bauchschuß, den er bei seiner Verhaftung erlitten hatte.1 Die Kenntnis des vorzüglichen Rufes von General Lindemann blieb neben Zeitzeugen bisher nur wenigen Historikern vorbehalten. Dies zeigt auch sein geringer Bekanntheitsgrad selbst in Publikationen über die Ereignisse des 20. Juli 1944. Es gibt in Lindemanns zahlreich nachgelassenen Papieren nur wenige, die eine Aussage über sein Verhältnis zur NSDAP und deren Ideologie gestatten. Anders ist es in bezug auf Hitlers Kriegspolitik, wo seine Kritik in zahlreichen Briefen an seine Frau zum Ausdruck kommt. Als die Gestapo 1944 den Schwerverwundeten nach seiner Verhaftung in das Berliner Polizeikrankenhaus einlieferte, rief er aus: „Sie sollen es alle wissen. Ich bin der General der Artillerie vom Oberkommando des Heeres. Grüßen Sie meine Frau, denn mein Schicksal ist mir gewiß. Ich habe aus reinem Gewissen gehandelt. Ich sterbe für Deutschland!“2 Damit durchkreuzte er nicht nur das Geheimhaltungsstreben der Gestapo, sondern kennzeichnete eine wesentliche Grundposition seines Handelns. „Für Deutschland“ war ein Schlüsselbegriff des Widerstandes, den in jenen Tagen auch Oberst Graf v. Stauffenberg angesichts seines Todes auf den Lippen hatte, der aber auch von ihren schlimmsten Feinden im Munde geführt wurde. Dies ist Anstoß, nach Lindemanns Einstellung zu Begriffen zu suchen, an denen die Nazis das Konglomerat ihrer weltanschaulichen Rechtfertigungsversuche festmachten. Begriffe, die oft das Erbe lange vorher vorhandener rechtskonservativer Auffassungen darstellten, die auch Fritz Lindemann in jungen Jahren beeinflußt haben dürften. Erstrangige Grundwerte waren aus Tradition und Erkenntnis das Bekenntnis zu Deutschland und der volle Einsatz seiner Person für das Vaterland. Sie galten für den Offizier, besonders nach dem Sturz des Kaiserreiches, über das Militärische hinaus zunehmend in politischer und auch wirtschaftlicher Hinsicht. Auf Anforderung des Grafen von Brockdorff-Rantzau wählte man Oberleutnant Lindemann 1919 als einen von sechs jungen Offizieren aus, die mit dem Schutz der Delegierten und der Akten der Deutschen Friedensdelegation betraut wurden.3 Lindemanns erhalten gebliebenes Tagebuch dokumentiert jene Erschütterungen, die der hautnah erlebte Umgang der Sieger mit den Besiegten, das Unvermögen, sich auf das rein Militärische zurückzuziehen, und der Zwang zu ungewohnter politischer Stellungnahme mit

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sich brachten. Am 7. Mai 1919 notierte er: „Lese von 11 bis 2 Uhr Nachts im ‘Friedens’-Vertrage. Viel zu optimistisch war ich. Wir sollen die Kolonie der Entente werden, zur Strafe für unsere Missetaten. Die Wut kocht in einem.“4 Am 26. August 1920 notierte er bezeichnenderweise: „Ich bin der Überzeugung, daß wir vor einem langen Frieden stehen, wie es natürlich ist, nach einer derartigen kriegerischen Anspannung. Wir müssen ihn ausnutzen, um die Kräfte für den siegreichen Gegenschlag zu sammeln. Hoffentlich erlebe ich ihn noch.“ 5 Lindemanns Auffassung ähnelte der vieler aktiver und ehemaliger Offiziere. In der Ablehnung des „Versailler Diktats“ fand er sich zugleich einig mit großen Teilen des deutschen Volkes, die das gesamte politische Spektrum von links bis rechts repräsentierten. Die Erlebnisse in Versailles, der Zusammenbruch der Monarchie und nicht zuletzt die politischen und bewaffneten Auseinandersetzungen in den ersten Jahren der Weimarer Republik hinderten ihn, sich nach dem Bild des Generals von Seeckt zum unpolitischen Soldaten zu entwickeln. In dem Maße, wie Lindemann lernte, neben militärischen auch politische und wirtschaftliche Kräfteverhältnisse in Betracht zu ziehen, rückte er immer mehr von einer revanchistischen Position ab und entging zugleich der Gefahr, sich mit kriegslüsternen, chauvinistischen Kräften einzulassen. Zunehmend sah Lindemann ausschließlich die Verteidigung des Landes und nicht den Angriffskrieg als Aufgabe der Streitkräfte. So wich auch seine anfängliche Zustimmung für Hitlers Wiederaufrüstungspolitik zunehmender Skepsis. Auf Ablehnung stieß dessen Abenteurertum im Zusammenhang mit der Rheinlandbesetzung, dem Einmarsch in die Sudentengebiete sowie der Okkupation Österreichs und der Rest-ČSR. Die immer weitergehenden Ansprüche Hitlers beunruhigten ihn sehr. Aktiver Widerstand lag damals jedoch noch außerhalb seines Denkens. Bereits kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges wies Lindemann vor einem befreundeten Teilnehmerkreis mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Argumenten darauf hin, daß ein neuer Krieg nicht gewonnen werden könne. Das blieb kein Einzelurteil. Ebenso deutlich schrieb er seiner Frau im Frühjahr 1940: „Ich glaube nicht mehr so ohne weiteres an die ‘Entschlüsse’ unserer oberen Führung, eher an die zwingenden Gegebenheiten des Wetters und sonstiger Faktoren, die der stärkste Wille nicht verändern kann, mit denen Politiker vom Schlage eines Bismarck aber von vornherein gerechnet hätten. (…) Ich sehe einen Schatten unserer Geschichte aufsteigen, und ich bereite mich in voller Ruhe auch auf die Möglichkeit eines ungünstigen Ausgangs dieses Krieges vor, der uns nur ein verstümmeltes Preußen lassen würde.“6 Daß Lindemann den Krieg trotz dieser Überzeugung als erfolgreicher Truppenführer mitmachte, war neben seiner Einbindung als Offizier in die Kriegsmaschinerie wohl in erster Linie sei-

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nem Verantwortungsbewußtsein zuzuschreiben, das ihn schon in Friedenszeiten ausgezeichnet hatte. Obwohl er sich als Teil einer Elite fühlte, waren ihm die Lage und die Sorgen einfacher Leute nie gleichgültig. Ohne daß Lindemann jemals linken Positionen anhing, begegnete er dem Drang nach politischen Veränderungen mit einem gewissen Verständnis. Das machen mehrere Tagebucheintragungen deutlich. So schrieb er beispielsweise als Resümee einer Eisenbahnfahrt: „Ich werde jetzt möglichst viel 4. Kl. fahren, um neben der Preisersparnis die Nöte und Anschauungen des Volkes aus dem Urquell, aus ihm selbst kennen zu lernen.“ 7 Wenig später finden wir die Feststellung: „Gestern war (…) ich in Berlin in verschiedenen Lokalen der Lebewelt. So ‘nett’ es war, so empfinde ich doch einen inneren Gegensatz, fast Haß gegen diese Schmarotzer des Lebens, diese Drohnen der Gesellschaft. Ich kann die Stimmung des Arbeiters gut verstehen, wenn er derartiges sieht. Warum nicht Sozialismus, wenn Sozialismus gleich Preußentum?“8 Bemerkenswert ist, daß Lindemann nicht nur so dachte, sondern auch entsprechend handelte. In Sprottau, wo er Anfang der 30er Jahre Batteriechef und Standortältester war, organisierte er Kleidersammlungen und unterstützte die Winternothilfe. Die Art und Weise mit der Lindemann auf soziale und politische Fragen seiner Zeit reagierte, unterschied sich deutlich vom demagogischen Umgang der Nazis mit solchen Problemen. ‘Völkische’ Phrasen, Chauvinismus, Deutschtümelei, Rassismus oder Blut-und-BodenKult waren ihm fremd. Bei allem Patriotismus wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, einer „Herrenrasse“ anzugehören. Während seiner Tätigkeit im Ministeramt des Reichswehrministeriums war er dessen Beobachter in den Reichstagssitzungen. So lernte er die Nazis samt ihrer Demagogie aus nächster Nähe kennen. Wie Briefwechsel bezeugen, wurde Lindemann durch General von Schleicher in seiner Aversion gegen die NSDAP bestärkt. Bis zur Ermordnung von Schleicher und dessen Frau am 30. Juni 1934 unterhielten Fritz Lindemann und seine Frau gute Beziehungen zu ihnen. Dieser Mord, den er nie verwinden konnte, spielte bei der Herausbildung und Verfestigung von Lindemanns oppositioneller Einstellung eine wesentliche Rolle. Interessant ist Lindemanns Reaktion auf Aktivitäten von Nazigegnern im Ausland. Während seiner Reise in die USA machte er 1933 in Paris Station, von wo er seiner Frau schrieb: „Man sieht an den Zeitungskiosken viele deutsche Blätter, sowohl legale Inlandspresse wie illegale, hier gedruckte. Das ‘Tagebuch’ und die ‘Weltbühne’, unsere alten pazifistischen Freunde aus der W. (Weimarer Zeit; d. Verf.) werden hier an den Cafés entlang zum Verkauf angeboten.“9 Er registrierte das ohne Aufregung, fast mit Vergnügen.

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Selbstverständlich begrüßte Lindemann nach 1933 die Stärkung der Wehrmacht. Zugleich stellte er sich gegen deren Vereinnahmung durch die Nazis und deren politisch-ideologische Einflußnahme. Demonstrativ zitierte er 1934 in einem Vortrag „Von der staatserhaltenden Kraft des deutschen Soldatentums“ General von Seeckt: „Mit allen Kräften soll die politische Betätigung vom Heere ferngehalten werden“, denn „politische Kämpfe vertragen sich weder mit dem Geist der Kameradschaft noch mit der Disziplin“. Als Schlußsatz zitierte er aus Hindenburgs Testament: „Immer und zu allen Zeiten muß die Wehrmacht ein Instrument der obersten Staatsführung bleiben, das unberührt von allen innenpolitischen Entwicklungen seiner hohen Aufgabe der Verteidigung des Landes gerecht zu werden trachte!“10 Der Vortrag erschien in überarbeiteter Form 1936 in der „Militärwissenschaftlichen Rundschau“. Dabei ergänzte er ihn durch eine Passage, die dem Ausschließlichkeitsanspruch der Nazis prinzipiell entgegentrat. Dazu benutzte er ein Zitat aus einem Vortrag, den Johann von Müller 1807 vor der Berliner Akademie der Wissenschaften über Friedrich II. gehalten hatte: „Er überzeugte sich, das Haupt der Monarchie müsse frei sein von Parteigeist, von unterjochenden Meinungen, von Vorurteilen des großen Haufens.“11 Die besondere Weltoffenheit Lindemanns und dessen weit über die Ausbildung eines Offiziers jener Zeit hinausreichender Bildungsstand werden in einer Beurteilung durch Generalleutnant Petzel von 1938 deutlich: „Oberst L. ist (…) geistig ausgezeichnet begabt, von umfassender Allgemeinbildung und scharfem Verstand, mit klarem Urteil über Menschen und Dinge und sehr bestimmten Ansichten, die er bei seiner guten Beherrschung des Wortes sehr sicher vorzutragen und zu vertreten versteht. Auch seine schriftstellerische Betätigung hat sehr viel Beachtung gefunden. Vielseitig interessiert auch für nichtmilitärische Dinge, Besonders auf historischem Gebiet, sowie für wirtschaftliche Fragen und Politik. Er verfügt über ein nüchternes, unabhängiges Urteil“.12 Lindemanns Wissen, politisches Einschätzungsvermögen und Verantwortungsbewußtsein ließen ihn immer deutlicher gegen die Kriegführung des NS-Regimes Front machen. Zunächst galt die Kritik eher militärischen Fragen: „Gestern Mittag wurde uns dienstlich der Polenfilm der Luftwaffen ‘Feuertaufe’ vorgesetzt. (…) Etwas barbarisch kommt einem ja der Bombenregen auf Warschau vor, das man durch Aushungerung 8 Tage später wahrscheinlich auch gehabt hätte.“13 Schließlich geriet er auch mit der deutschen Besatzungspolitik in Polen aneinander. Am 15. Oktober 1939 wurde Lindemann von der Funktion als Stadtkommandant von Chelm entbunden, wo er sich neben der Wiederherstellung der Infrastruktur besonders um das polnische Lazarett und die Linderung des Flüchtlingselends bemüht hatte.14

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Am 3. November 1939 hielt er fest: „Der neue Generalgouverneur von Polen, Herr Frank, hat seine Tätigkeit mit einer recht törichten Proklamation begonnen. Man gewinnt die Bevölkerung nicht, wenn man auf die letzte poln. Regierung schimpft, sondern man verletzt den durchaus vorhandenen Nationalstolz. Kein Soldat, der den Feldzug mitgemacht hat, hätte so etwas Dummes veröffentlicht. Das Echo kommt uns hier, wo wir alle etwas Fühlung mit der Bevölkerung genommen haben, schon zu Ohren. Aber diese Heimat-Partei-Strategen wissen ja alles.“15 Diese Bitterkeit entsprang Lindemanns Vorstellung von Ritterlichkeit und Anstand auch gegenüber dem besiegten Gegner. Während die Erfolge im Westfeldzug seine kritische Position etwas abschwächten, wurde sie nach dem Überfall auf die Sowjetunion ab Juni 1941 wieder stärker, zunächst wieder vorrangig aus militärischen Gründen. Zwar hatte Lindemann als Kommandeur mit seiner Division bemerkenswerte Erfolge errungen, dabei jedoch meist außergewöhnlich hohe Verluste erlitten. Die Sorge um seine Soldaten und die Zukunft des deutschen Volkes beschäftigten ihn immer wieder. Am 12. November 1941 schrieb er seiner Frau: „Die Truppen pfeifen auf dem letzten Loch. (…) Man hat sich wohl den Ablauf dieses Feldzuges, auch an oberster Stelle, erheblich anders vorgestellt.“16 Immer kamen Lindemann Gedanken über einen Ausweg. Für sich hielt er am 15. November 1941 fest: „Ich glaube, nach diesem Kriege bin ich ‘Pazifist’.“17 Doch er blieb eingebunden in den Mechanismus eines Krieges, den er nicht gewollt hatte. Die hohen Verluste seiner Division in den schweren Kämpfen des Jahres 194218 führten zur völligen Erschöpfung der Soldaten. In einem Bericht an seinen Kommandierenden General schrieb Lindemann am 2. Oktober 1942: „Auf meine Bemerkung, ich wüßte von einem Btls.-Führer und einem Kp.-Führer, daß sie ihre Leute mit der Pistole in der Hand hätten zum Vorgehen veranlassen müssen, erklärten mir zwei Btls.-Führer, (…) das sei nahezu täglich nötig. Vielfach seien außerdem Fußtritte nötig, um die Leute überhaupt zum Aufstehen zu bringen. (…) Die Division glaubt nicht, daß die Verhältnisse bei ihr schlechter liegen, als in anderen Divisionen.“19 Seitdem trat immer mehr die Notwendigkeit eines Friedens ohne „Endsieg“ in Lindemanns Blickfeld. Verbunden mit der Empörung über die fürchterlichen Verbrechen im Hinterland der Front wurde so der Boden bereitet, der ihn zum aktiven Widerstand gegen das Hitlerregime führte. Noch sah er jedoch keinen gangbaren Ausweg. Das änderte sich, als er zum Stab des Waffengenerals der Artillerie versetzt wurde und ab 1. Dezember 1943 dessen Funktion beim Chef des Generalstabs übernahm. Im Oberkommando des Heeres in Ostpreußen traf Lindemann auf zahlreiche Generale und Offiziere, die er seit Jahrzehnten kannte, darunter auf jene, die ent-

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schlossen waren, Hitler zu stürzen. Das militärische Bemühen, den Gegner möglichst weit von den deutschen Grenzen fernzuhalten, mußte mit der Ausschaltung des Machthabers verbunden werden, weil die Koalition gegen Hitler mit dem Diktator nicht verhandeln würde. So verband Lindemann seine dienstlichen Belange zur Stabilisierung der Front mit konspirativen Aufgaben. Der General war nicht nur artilleristischer Berater des Generalstabschefs des Heeres, sondern sein Stab war für die Ausbildung an den Waffenschulen und in Ersatzeinheiten der Artillerie ebenso verantwortlich wie für die Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie und reichte u. a. bis zu Fragen der Einsatzvorbereitung der V 2 gegen England. Das erforderte zahlreiche Reisen an die Front und in verschiedene Teile Deutschlands. Lindemann konnte dadurch in voller Kenntnis der Pläne der Verschwörer Emissär und Anbahner sein, wurde aber zugleich immer mehr mit inhaltlichen Fragen betraut. So hatte er mehrfach Gespräche mit Hjalmar Schacht und Friedrich Flick, um deren Bereitschaft für einen Frieden an allen Fronten zu erlangen, erarbeitete er im Auftrag von Generaloberst Beck Aufrufe, die er nach Gelingen des Staatsstreichs über den Rundfunk verlesen sollte, und war für eine Tätigkeit im Propagandaapparat der neuen Regierung vorgesehen. Er gehörte zu den treibenden Kräften für ein Attentat gegen Hitler. Welches Gewicht er zuletzt gewonnen hatte, beweist die Aussage von Generalmajor Stieff vor dem Volksgerichtshof am 7. August 1944 über eine Besprechung der Verschworenen am 7. Juli 1944: „Es wurde bei dieser Gelegenheit in erster Linie von General Wagner und General Lindemann über politische Dinge gesprochen. Es war die Frage der Besetzung, der Regierungsbildung (…).“20 General der Artillerie Fritz Lindemann gehörte zu der kleinen Zahl von Militärs, die – geprägt durch Charakter, Wissen und Erfahrung – bereit waren, Fesseln abzuwerfen und damit eine preußische Tradition fortsetzten, die „das eigene Nachdenken und das eigene Ehrgefühl nicht aus der Rechnung“ ausklammerte, „die dem Staat gegenüber aufgemacht wurde“.21 Anmerkungen Weitere Angaben zur Biographie siehe: Sie gaben ihr Leben, S. 118–121. BA Berlin, VGH/ORA OJ 43/44 g Bd. 3, Bl. 68: Bericht des Kriminalrates Sader vom 4. 9. 1944. 3 Vgl. Riesser, Von Versailles zur UNO, S. 38. 4 Nachlaß Fritz Lindemann (Privatbesitz), Tagebuch, S. 6f. 5 Ebenda, S. 55. 6 Nachlaß Lina Lindemann (Privatbesitz), Brief von Fritz Lindemann vom 23. 1. 1940. 1 2

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Nachlaß Fritz Lindemann (Privatbesitz), Tagebuch, S. 60f. Ebenda, S. 64. 9 Nachlaß Lina Lindemann (Privatbesitz), Brief von Fritz Lindemann vom 10. 8. 1933. 10 Nachlaß Fritz Lindemann (Privatbesitz), Manuskript: Von der staatserhaltenden Kraft des deutschen Soldatentums. Vortrag gehalten vor den Offizier-Lehrgängen Berlin am 26. 10. 1934. 11 Lindemann, Die staatserhaltende Kraft, S. 298. 12 Nachlaß Fritz Lindemann (Privatbesitz), Auskunft von Generalleutnant Petzel, Kommandeur der 3. Division, über Oberst Lindemann vom 27. Juli 1938. 13 Nachlaß Lina Lindemann (Privatbesitz), Brief von Fritz Lindemann vom 19. 4. 1940. 14 Ebenda, Brief vom 15. 10. 1939. 15 Ebenda, Brief vom 3. 11. 1939. 16 Ebenda, Brief vom 8./9. 11. 1939. 17 Ebenda, Brief vom 15. 11. 1941. 18 Früherer Standort der Quelle: Staatliche Archivverwaltung der DDR, Film 42 565, Aufnahme 000 557 f. Danach verlor die 132. ID beim Angriff auf Sevastopol innerhalb von 12 Tagen 3265 Tote und Verwundete. Im September 1942 bei der Schlacht südlich des Ladoga-Sees waren es 4098. Vom 22. Juni 1941 bis Ende September 1942 betrugen die Verluste 19 735 Mann, darunter 536 Offiziere, ca. das Anderthalbfache des Bestandes im Juni 1941. 19 Ebenda, Film 44 716, Aufnahme 000 004. 20 Originalton in TV-Dokumentation „Sie gaben ihr Leben. Unbekannte Opfer des 20. Juli 1944. General Fritz Lindemann und seine Fluchthelfer“, Chronos-Film GmbH (1994). 21 Vortrag von Prof. Dr. Werner Knopp, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, am 21. 7. 1996 im Schloß Neuhardenberg (Tonbandmitschnitt im Besitz des Verf.). 7 8

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen Privatbesitz Georg W. Lindemann, Celle: Nachlaß der Eheleute Fritz und Lina Lindemann; BA Berlin, Außenstelle Dahlwitz-Hoppegarten, VGH/ORA OJ 43/44g; Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im BA Berlin, Bestand SED NJ 1614; BA-MA Freiburg, Pers 6/259 und N 240: Fritz Lindemann, N 114: Helmuth Stieff, N 138: Kurt von Schleicher, RH 2: OKH/Generalstab des Heeres, RH 11 II: Stab General der Artillerie, RH 53–10: X Armeekorps, RH 41/183: Artillerieregiment 27; Helmholtz-Gymnasium Potsdam, Sammlung der Reifezeugnisse; Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München, ED 95: Eduard Wagner, ZS 3139: Dr. med. Charlotte Pommer; Imperial war Museum London, Archiv, German Army General Staff Officer Files: Lindemann, Fritz; Politisches Ar-

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chiv des Auswärtigen Amtes Bonn, R 22484: Deutsche Friedensdelegation Versailles; Staatsarchiv Nürnberg, KV-Anklage Interrogations Nr. L 53: Lindemann, Georg, Nr. L 67: Litzenberg, Willi, Nr. S 208: Sensky, Wilhelm. Gedruckte Quellen und Literatur Bidermann, G. H.: Krim – Kurland mit der 132. Infanteriedivision 1941–1945. o. O. 1964. Deutsches Kriminalpolizeiblatt, Berlin. Jg. 1944. Hamburger Fremdenblatt, Hamburg. Jg. 1939–1943. Kieler Neueste Nachrichten, Kiel. Jg. 1938–1939. Lindemann, Fritz: Die staatserhaltende Kraft des deutschen Soldatentums. In: Militärwissenschaftliche Rundschau 1(1936) H. 3, S. 291–308. Lindemann, Georg: Vierzig Jahre danach. In: Die Flüstertüte, November 1984, S. 29– 38. Mitteilungsblatt der Kameradschaft der ehem. 268., 132. und 362. ID. Bregenz. Oertzen, Major a. D. von: Das 4. Garde-Feldartillerie-Regiment im Weltkriege. Zeulenroda (1933). Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der SD-Bericht erstattung. Hrsg. von Hans-Adolf Jacobsen. 2 Bde. Stuttgart 1989. Riesser, Hans E.: Von Versailles zur Uno. Bonn 1962. Sie gaben ihr Leben. Unbekannte Opfer des 20. Juli 1944. General Fritz Lindemann und seine Fluchthelfer. Hrsg. von Bengt von zur Mühlen unter Mitarbeit von Frank Bauer. Berlin-Kleinmachnow 1995. Sprottauer Tageblatt (Sprottauer Wochenblatt), Sprottau. Jg. 1932. Stahl, Friedrich-Christian: General Fritz Lindemann. In: Neue Deutsche Biographie Bd. 14. Berlin 1985, S. 585–586. Welkerling, Wolfgang: Ein Wehrmachtsgeneral auf dem Weg zum Antifaschisten. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 37 (1989) H. 9, S. 796–811.

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Generalfeldmarschall Wilhelm List Als Sohn eines Arztes wurde Wilhelm List am 14. Mai 1880 in Oberkirchenberg bei Ulm geboren. Er verbrachte seine Jugend in München und bestand dort auf einem humanistischen Gymnasium 1898 die Reifeprüfung. 1 Anschließend trat er als Avantageur in das bayerische 1. Pionierbataillon ein, war später als Oberleutnant (1908) Bataillonsadjutant und wurde nach seinem dreijährigen Kommando an der Münchener Kriegsakademie in der Zentralstelle des bayerischen Generalstabes beschäftigt. Den Ersten Weltkrieg erlebte List als Hauptmann und Generalstabsoffizier an der West- und Ostfront. Im Januar 1918 zum Major befördert, wurde er 1921 in das Reichsheer übernommen, wo er als Führungsstabsoffizier und Kommandeur des Kemptener Jägerbataillons Verwendung fand. Mit diesem Bataillon war List vom 8. bis 21. November 1923 zur „Unterdrückung der Unruhen“ nach München befohlen worden.2 Danach mit der Führergehilfenausbildung im Wehrkreis VII beauftragt, wurde List als Oberstleutnant 1927 die Leitung der Abteilung T 4 im Truppenamt in Berlin anvertraut, die sich u. a. mit Truppenübungen, dem Vorschriftenwesen, der Auswertung von Kriegserfahrungen sowie der praktischen und militärwissenschaftlichen Ausbildung der Offiziere befaßte. Seine in dieser Stellung gewonnenen Erfahrungen konnte er als Kommandeur der Infanterieschule in Dresden reichlich nutzen. In dieser Position wurde er zum Generalmajor und Generalleutnant befördert. Er wachte auch darüber, daß Versuche politischer Einflußnahme – nicht zuletzt der NSDAP – abgewehrt wurden. Als Vorgesetzter von seinen Offizieren und Offizieranwärtern hoch geachtet, blieb List nach seiner 1933 erfolgten Ernennung zum Befehlshaber im Wehrkreis IV in Dresden. Als solchem unterstanden ihm die Wehrgauleitung in Dresden, Leipzig und Magdeburg, die im Rahmen der Heeresvermehrung die Aufstellung je einer Division betrieben. 1935 wurde List zum Kommandierenden General des IV. Armeekorps ernannt. Dem Nationalsozialismus stand List weitgehend abwartend gegenüber. Als im Zusammenhang mit der Röhm-Affäre SS-Kräfte in der Nähe Dresdens Exekutionen durchführten, entsandten List und sein Stabschef Olbricht unverzüglich einen Generalstabsoffizier mit einem geharnischten Protestschreiben nach Berlin.3 Von der Anfang 1938 in Berlin schwelenden Blomberg-Fritsch-Krise drangen zunächst keine Nachrichten zu den Kom-

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mandostellen des Heeres. So überraschte Goerdeler die Generale List und Olbricht mit seinem Lagebericht und seiner Forderung, in Berlin militärisch einzugreifen, was die beiden Generale schon aus „mangelnder Informiertheit“ über die Zusammenhänge und wegen des Fehlens einer einheitlichen militärischen Führung ablehnten.4 Am 4. Februar 1938 wurde List zum Oberbefehlshaber der Heeres gruppe 2 in Kassel ernannt und schon zwei Monate später nach Wien versetzt, wo ihm als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe 5 die Aufgabe zufiel, das österreichische Bundesheer nach dem Anschluß Österreichs in die Wehrmacht einzugliedern. Dies gestaltete sich insofern schwierig, als sich die österreichischen Offiziere im Gegensatz zu ihren deutschen Kameraden seit Ende des Ersten Weltkrieges parteipolitisch betätigen durften und es daher 1938 innerhalb des Offizierkorps erhebliche Spannungen gab. List bemühte sich, die Übernahme der Offiziere des Bundesheeres in die Wehrmacht so gerecht wie möglich zu handhaben.5 Dazu unterbreitete er dem Heeres-Personalamt am 10. Mai 1938 seinen „Vorschlag für die Patentregelung des österr(eichischen) Off(i)z(ier-)Korps“6. Die Verabschiedung schlug er nur für solche Offiziere vor, die sich als Richter betätigt oder politisch so weit engagiert hatten, daß ihre Weiterverwendung als „untragbar“ erschien. Insgesamt wurden 994 österreichische Offiziere in die Wehrmacht übernommen.7 40 Offiziere wurden nach eingehender Überprüfung „ohne Uniform“ verabschiedet.8 Danach war List mit Truppen seines Bereichs an den Einmärschen ins Sudetenland und in die Rest-Tschechei beteiligt, wo er im Auftrag des Oberbefehlshabers des Heeres für kurze Zeit die vollziehende Gewalt über Mähren ausübte. Im Frühjahr 1939 wurde List zum Generaloberst befördert. Im Polenfeldzug, ab September 1939, wurde die von List geführte 14. Armee am rechten Flügel der deutschen Heeresfront vom oberschlesischen Industriegebiet, dem Ostteil Mährens und der westlichen Slowakei aus eingesetzt. Sie nahm Krakau und stieß über Lemberg hinaus vor. Teile von Lists Armee zwangen die polnische „Armee Lublin“ mit 60 000 Mann zur Kapitulation. 9 Für diese Leistung erhielt List das Ritterkreuz. Unlieb same Zusammenstöße gab es mit den im Bereich der 14. Armee eingesetzten SS- und Polizeiverbänden, deren sofortigen Abzug und Bestrafung List nach Bekanntwerden ihres Wirkens (willkürliche Festnahme und Erschießung von jüdischen Zivilisten) forderte,10 allerdings ohne Erfolg. Nach Verlegung seines in „A.O.K. 12“ umbenannten Armeeoberkommandos nach Mayen in der Eifel nahm die Auseinandersetzung mit der SS durch das Bekanntwerden des berüchtigten Himmler-Erlasses vom 28. Oktober 1939, in dem der Reichsführer-SS zur Zeugung von Kindern auch außerhalb der Ehe aufrief, ihren Fortgang. List gab die ihm vorgelegten

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Meldungen mit dem Zusatz an Generaloberst von Rundstedt weiter, daß es „bestimmt nicht richtig“ sei, „in dieser ernsten Zeit einen Einbruch in das größte Sittengesetz des Menschen vorzuschlagen“.11 Im Laufe des Westfeldzuges drang Lists 12. Armee in der ersten Phase bis zur Aisne vor und überwand in der zweiten Phase nach schweren Kämpfen beiderseits Rethel diesen Fluß, um den geschlagenen Gegner bis zur Saône zu verfolgen.12 War Lists Führung wie schon im Osten „über jedes Lob erhaben“, so daß „nie ein Eingriff seitens der Heeresgruppe nötig“ war, so bewies er mit seiner Sicherheit ausstrahlenden Autorität die Gabe, Konflikte mit oder zwischen unbequemen Untergebenen zu beenden.13 Am 19. Juli 1940 wurde List zum Generalfeldmarschall befördert. Ende Januar 1941 verhandelte List in Predeal mit einer bulgarischen Offiziersdelegation über Vorbereitungen für einen deutschen Einmarsch in Bulgarien und über die Möglichkeiten für eine Mobilisierung bulgarischer Truppen. Anfang Februar übernahm er den Oberbefehl über die Truppen des deutschen Heeres in Rumänien, die für den am 2. März beginnenden Einmarsch in Bulgarien vorgesehen waren. Nachdem sich kurz nach dem Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt durch den Militärputsch in Belgrad die Lage auf dem Balkan geändert hatte, beschloß Hitler, Jugoslawien anzugreifen und zu zerschlagen. Das bedeutete für Lists 12. Armee, daß sie sich zunächst an der Niederwerfung Jugoslawiens beteiligen und zugleich das Florina-Becken von Saloniki besetzen mußte, um in einem zweiten Akt von dort aus „zum entscheidungssuchenden Angriff gegen die englisch-griechischen Kräftegruppen in Nordgriechenland anzutreten und die Besetzung des restlichen griechischen Festlandes einschl(ießlich) des Peloponnes einzuleiten“14. Gleichzeitig waren die Kämpfe der Italiener im Epirus zu unterstützen. Die Operationen verliefen trotz tapferer Gegenwehr so zügig, daß List bereits am 21. April die Kapitulation der griechischen Truppen unter den mit Billigung Hitlers getroffenen Bedingungen entgegennehmen konnte. Als Hitler Mussolinis Forderungen erfuhr, daß die Kapitulation der griechischen Armee auch gegenüber der italienischen Armee vollzogen werden müsse, befahl er, den Kapitulationsakt in Gegenwart der italienischen Armeeführung zu wiederholen. List weigerte sich, sich an diesem „in aller Kriegsgeschichte wohl einmaligen Vorgang“ zu beteiligen, so daß Jodl beauftragt wurde, die Kapitulationsurkunde für die deutsche Seite zu unterzeichnen.15 In die Operationen gegen die Sowjetunion wurde List nicht einbezogen, sondern blieb mit seinem Armeeoberkommando auf dem Balkan. Während den Italienern weitgehend die Sicherung des griechischen Raumes und des westlichen Balkans überlassen wurde, hatte List die von der Luftwaffe gegen Kreta geführte Luftlandeoperation zu unterstützen. Am 9. Juni 1941 zusätzlich zum „Wehrmachtbefehlshaber im Südosten“ ernannt, hatte er

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von Saloniki aus über die von deutschen Truppen besetzten Gebiete des Balkans die vollziehende Gewalt auszuüben. Dazu wurden ihm die Befehlshaber „Serbien“, „Saloniki–Ägäis“ und „Südgriechenland“ unterstellt. Über die „Verteidigung der von deutschen Truppen besetzten Teile Serbiens und Griechenlands einschl(ießlich) der griechischen Inseln gegen Angriffe und Unruhen“ hinaus hatte List für die Leitung und Sicherung der Seetransporte nach Kreta zu sorgen, die Zusammenarbeit mit der italienischen und bulgarischen Wehrmacht zu regeln, die Versorgung der auf dem Balkan eingesetzten Wehrmachtteile zu steuern und die militärische Verwaltung in den besetzten Gebieten zu beaufsichtigen. 16 Die ihm für diese Aufgabe zur Verfügung stehenden Divisionen waren zum größten Teil Neuaufstellungen aus dem Jahre 1941, deren Personal zumeist älteren Jahrgängen angehörte. Im Rahmen der weitgehend strategisch bedingten Aufgabenstellung nahm im Laufe des Spätsommers 1941 die Bekämpfung von Unruhen in bedrohlichem Ausmaße zu. Ende August berichtete der in Serbien als Befehlshaber eines Höheren Kommandos eingesetzte General Bader, daß sich „die Überfälle auf Bahnstationen, Bergwerke, Gemeindekassen" häuften und die Aufständischen mit dem Ziel arbeiteten, „das ganze Land in Aufruhr zu bringen“. Die „bisher meist nur kommunistischen Kräfte“ bekämen „täglich erheblichen Zuzug auch aus panslawistischen Kreisen, (…) die Rußland seit Jahrhunderten als den natürlichen Beschützer Serbiens ansehen“. Zugleich wies Bader auf die schwierige Situation der serbischen Gendarmerie hin, der der Vorwurf gemacht würde, „daß sie mit der deutschen Truppe gegen ihre eigenen Landsleute und Patrioten kämpfe“. Bader bezweifelte, daß die serbische Polizeitruppe die „schwere moralische Belastungsprobe“ auf Dauer bestehen würde.17 List fand den Bericht Baders nach Rückkehr von seinem Sommerurlaub vor und erließ wenige Tage später „Richtlinien für die Niederwerfung der serbischen Aufstandsbewegung“, die ihm wegen ihrer Härte sechs Jahre später im Nürnberger Prozeß gegen die Südostgenerale zur Last gelegt wurden.18 Allerdings hatte Hitler bereits während Lists Abwesenheit verlangt, „durch schnelles und schärfstes Eingreifen“ der Truppe „Ruhe und Ordnung baldigst wieder voll herzustellen“.19 List wurde sich Mitte September 1941 klar, daß er von seinem noch in Athen befindlichen Hauptquartier aus nur schwer den Kampf gegen die Aufständischen in Serbien leiten konnte, daß aber die „bedrohliche Entwicklung der Gesamtlage in Serbien (…) durchgreifende Maßnahmen“ erfordere. Er schlug daher dem OKW vor, „die gesamte vollziehende Gewalt einschl(ießlich) der Befehlsgewalt über die einzusetzenden Truppen in einer Hand“ zu vereinigen, da die „derzeitige Befehlsregelung (…) auf ruhige Verhältnisse zugeschnitten und für die jetzigen, unruhigen Kampfverhältnisse untragbar“ sei.20 Hitler beauftragte daraufhin General Böhme mit der

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Führung der militärischen Operationen in Serbien. Zugleich übertrug ihm List aufgrund des Führerbefehls das Recht, „allen militärischen und zivilen Dienststellen (…) als alleiniger Inhaber vollziehender Gewalt (…) bindende Weisungen“ zu erteilen. 21 Mitte Oktober 1941 erkrankte List so schwer, daß er nach einer Operation für eine längere Zeit ausfiel und der Oberbefehl auf dem Balkan einem Stellvertreter übertragen werden mußte. Noch während seiner Genesung wurde List als Nachfolger des scheidenden Feldmarschalls Ritter von Leeb vorgesehen, dann aber mit Erkundungen auf dem skandinavischen Kriegsschauplatz beauftragt. 22 Schließlich übernahm er Anfang Juli 1942 auf Vorschlag Keitels und Halders die Führung der auf den Kaukasus angesetzten Heeresgruppe A. Hitler hatte lange gezögert, dieser Ernennung zuzustimmen. Offenbar mißtraute er List, so daß er das Denken, Handeln und Auftreten des Feldmarschalls mit kritischem Blick verfolgte. Lists Truppen erwiesen sich für die von ihnen zu bewältigenden Operationen beim Vorstoß in den Kaukasus als zu schwach. War es Truppen Lists im Rahmen des Unternehmens „Blau“ gelungen, über Rostov hinaus in den Kaukasus vorzustoßen und Teile der Schwarzmeerküste zu besetzen, so erwiesen sich die Geländeverhältnisse im Kaukasus für weitere Operationen, insbesondere von motorisierten Verbänden als ungeeignet, die Vermutungen über eine schnelle Nutzungsmöglichkeit der Ölvorkommen als unzutreffend und die Einnahme von Küstenorten wie Gudauta als zu riskant, da hier die sowjetischen Truppen zu erbittertem Widerstand bereit waren und die Operationen sowohl taktisch als auch versorgungstechnisch auf größte Schwierigkeiten stießen.23 Während seines Vortrages bei Hitler in Vinnica am 31. August 1942 hatte List zwar „würdige Ruhe“ bewiesen, so daß scheinbar „alle Mißbilligung verflogen“ war, doch war er letztlich „nicht recht zu Worte“ gekommen, weshalb er Generaloberst Jodl – nicht den Generalstabschef Halder – bat, ihn in seinem Hauptquartier in Stalino zu besuchen, um die Frage des Einsatzes des XXXXIX. Gebirgskorps bei Gudauta „noch einmal eingehend zu besprechen“24. Jodl ließ sich überzeugen, daß das Absetzen von Fallschirmtruppen in diesem Gelände ein Verbrechen wäre, und vertrat diese Überzeugung anschließend Hitler gegenüber, der seinen „Traum eines Durchstoßes nach Persien“ schwinden sah und in einen von Jodl bis dahin nicht erlebten Wutausbruch geriet.25 Durch Keitel ließ Hitler List wissen, daß er seines Postens enthoben sei und sich zur Verfügung des ‘Führers’ in Garmisch aufzuhalten haben.26 Damit trennte sich Hitler von einem besonders befähigten Truppenbefehlshaber, dessen Verantwortungsgefühl für die ihm unterstellten Soldaten ihn daran hinderten, Hitlers Befehlen mit ihren weit gesteckten, die Truppen überfordernden Zielen kritiklos zu folgen. Diese – zweifellos von Hitler als fachlicher Widerstand empfundene – Haltung ent-

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sprang militärischem Denken und war nicht das Ergebnis einer oppositionellen Einstellung. In Garmisch erlebte List das Ende des Krieges, sich zuletzt dafür einsetzend, daß die Stadt nicht verteidigt wurde. Während seiner Kriegsgefangenschaft wurde er im Fall VII (Prozeß gegen die Südostgenerale) angeklagt und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 1952 kam er vorzeitig aus der Landsberger Haft frei und verbrachte in Garmisch-Partenkirchen seinen Lebensabend, wo er am 16. August 1971 verstarb.

Anmerkungen BA-MA Freiburg: Pers 6/10. Ebenda. 3 Müller, Das Heer und Hitler, S. 103. 4 Ebenda, S. 278 und 282. 5 Broucek, Ein General im Zwielicht, Bd. 3, S. 578; Manstein, Aus einem Soldatenleben, S. 331. 6 Österreichisches Staatsarchiv Wien: Bestand Heeresgruppenkommando 5. 7 Dienstaltersliste der Generalstabs- und Truppenoffiziere des ehemaligen österreichischen Bundesheeres, Stand: 1. 8. 1938, Geheim. 8 Österreichisches Staatsarchiv Wien: Bestand Heeresgruppenkommando 5, Karton 18, Mappe H 6: Pensionierungen. 9 KTB OKW/WFSt, Bd. 2, S. 1151. 10 Gersdorff, Soldat im Untergang, S. 71. 11 Müller, Das Heer und Hitler, S. 459 f. 12 Näheres in: Jacobsen, Fall Gelb. 13 BA-MA Freiburg: Pers 6/10; ferner Walde, Guderian, S. 94f. und 105. 14 Hitlers Weisungen für die Kriegführung, S. 112 f. 15 Warlimont, Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht, S. 145f. 16 Hitlers Weisungen für die Kriegführung, S. 122–125. 17 BA-MA Freiburg: RW 40/5: Höheres Kommando LXV an Wehrmachtbefehlshaber Südost v. 28. 8. 1941. 18 BA-MA Freiburg: RW 40/11; vgl. auch Browning, Wehrmacht Reprisal Policy; Mazower, Militärische Gewalt, S. 166. Zur Vernehmung Lists durch Mr. Walter H. Rapp am 16. 1. 1947 siehe StA Nürnberg, Bestand KV-Anklage, Interrogation Nr. L 65, Bl. 14–24. 19 BA-MA Freiburg: RW 40/5, Anl. 22: Chef OKW WFSt./Abt. L IV Qu – Nr. 01664/41 geh. v. 9. 8. 1941. 20 Ebenda: RH 20–12/455, Bl. 16 f.: WB Südost (AOK 12) I a Nr. 1913/41 g. K. an OKW/Führungsgruppe v. 13. 9. 1941. 21 Ebenda, Bl. 20: WB Südost (AOK 12) I a Nr. 1953 g. K. v. 18. 9. 1941. 22 Generalfeldmarschall Ritter von Leeb, S. 432; KTB OKW/WFSt, Bd. 3, S. 124, 310. 1 2

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Näheres bei Wegner, Der Krieg gegen die Sowjetunion 1942/43, S. 881–961. Heeresadjutant bei Hitler, S. 125; Below, Als Hitlers Adjutant, S. 314; Wegner, Der Krieg gegen die Sowjetunion 1942/43, S. 941. 25 Jodl, Jenseits des Endes, S. 65 f. 26 Generalfeldmarschall Keitel, S. 306. 23

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg: Personalakte Pers 6/10; Nachlaß List N 527; RH 20–14: 14. Armee; RH 20–12: 12. Armee; RW 40: Territoriale Befehlshaber in Südosteuropa; RH 19 V: Heeresgruppe A; Bayerisches Hauptstaatsarchiv/Kriegsarchiv München, OP 34343: Personalunterlagen; StA Nürnberg: Bestand KV-Anklage, Interrogation Nr. L 65; Österreichisches Staatsarchiv Wien: Bestand Heeresgruppenkommando 5. Gedruckte Quellen und Literatur Broucek, Peter: Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau. Bd. 3. Wien 1988. Browning, Christopher R.: Wehrmacht Reprisal Policy and the Mass Murder of Jews in Serbia. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1/83, S. 31–47. Walde, Karl J.: Guderian. Eine Biographie. Frankfurt a.M. 1978.

Siegwald Ganglmair

Generaloberst Alexander Löhr Die Österreicher Alexander Löhr, Erhard Raus und Lothar Rendulic erreichten in der deutschen Wehrmacht den Rang eines Generalobersten und waren somit im Dritten Reich die ranghöchsten Offiziere des ehemaligen österreichischen Bundesheeres. Wegen des unter seinem Kommando erfolgten Bombardements von Belgrad am 6. April 1941 und der ebenfalls unter seinem Oberbefehl verübten Verbrechen auf dem Balkan wurde Löhr von Jugoslawien als Kriegsverbrecher abgeurteilt und am 26. Februar 1947 erschossen. Anfang 1986 geriet der ehemalige Generaloberst ganz plötzlich in die Schlagzeilen der Presse.1 Unmittelbarer Anlaß war eine Gedenktafel für Löhr. Als man sich anläßlich der parallel verlaufenden „Waldheim-Affäre“ entsann, daß der österreichische Präsidentschaftskandidat unter Löhr auf dem Balkan gedient hatte, erwachte auch das Interesse an diesem. Die jugoslawische Nachrichtenagentur „Tanjug“ brachte den Stein ins Rollen und meldete im Januar 1986, einen Monat zuvor habe der österreichische Aero-Club in der Landesverteidigungsakademie in der Wiener Stiftskaserne zu Ehren des Gründers der österreichischen Luftstreitkräfte eine Gedenktafel angebracht; gestiftet sei die Tafel jedoch nicht vom zivilen Aero-Club, sondern von den „Angehörigen der österreichischen Luftstreitkräfte“. „Tanjug“ wies darauf hin, Jugoslawien sei „besonders empfindlich“, man könne den Löhr des Bundesheeres nicht vom Löhr des NSRegimes trennen. Diese österreichische militärische Traditionspflege stehe nicht im Einklang „mit dem Wunsch nach der Überwindung der Belastungen der Vergangenheit noch mit der gut nachbarschaftlichen Zusammenarbeit“2. Daraufhin kam es zum „Tafelstreit“ in Österreich. Die „Schandtafel“ sei eine „Desavouierung“ österreichischer Offiziere, die Widerstand geleistet hatten, und gehöre entfernt, sie rücke das österreichische Bundesheer der Zweiten Republik in die Nähe und Nachfolge der deutschen Wehrmacht, sprachen die einen; „von höchster Wertschätzung“ für Löhr, der „die besten Traditionen österreichischen Soldatentums verkörperte“, sprachen die anderen – vorwiegend aus dem Umfeld der FPÖ. Der Verteidigungsminister, dessen notorischer Handschlag mit dem gerade aus italienischer Haft entlassenen Kriegsverbrecher Walter Reder noch in aller Erinnerung war, sah

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keinen Anlaß zur Entfernung der Tafel, diese beziehe sich seiner Auffassung nach nicht auf die Rolle Löhrs im Krieg.3 Kurz darauf erhitzte eine zweite, ältere Löhr-Gedenktafel in der Stiftskirche, der Garnisonskirche von Wien, die Gemüter, gestiftet 1972 anläßlich des 25. Todestages des Generals. Während diese Tafel noch heute dort hängt, wurde jene in der Landesverteidigungsakademie erstaunlich rasch – am 4. Februar 1986 – auf Anweisung des zuständigen Bautenministers abmontiert. Die Anbringung solcher Tafeln müsse in Zukunft von einer Historikerkommission geprüft werden. Eine dritte Tafel mit Löhrs Namen gelangte Ende 1989 eher zufällig ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, und zwar im Entrée zur Hofburgkapelle: Unter den „auf dem Felde der Ehre gebliebenen österreichischen Generalstabsoffizieren“ beider Weltkriege befand sich neben Löhr auch noch Arthur Phleps, SS-Führer und Kommandeur der balkanerprobten SS-Gebirgsdivision „Prinz Eugen“. Die Historikerkommission empfahl die Tilgung der Namen, die 1992 unter dem Protest der FPÖ entfernt wurden. Der „Tafelstreit“ um Löhr hatte damit vorläufig sein Ende gefunden. Welche Funktion hatte Löhr im Dritten Reich, daß er lange nach seinem Tod solche Polarisation bewirkte? Alexander Löhr wurde am 20. Mai 1885 in Turn-Severin, Rumänien, als Sohn eines Kapitäns der Österreichischen Donauschiffahrtsgesellschaft und einer Russin geboren.4 Elternhaus und Schule boten ihm hinsichtlich Sprachen und Landeskunde den für die k. u. k. Monarchie bekannt weiten Rahmen, der dann nach der Ausmusterung als Infanterieleutnant 1906 an der Theresianischen Militärakademie Wiener Neustadt noch seine Fortsetzung in Aufenthalten in diversen Teilen Österreich-Ungarns fand. Nach der Absolvierung der dreijährigen k. u. k. Kriegsschule in Wien wurde Löhr Ende 1913 dem Generalstab zugeteilt und war bei der Verkehrstruppenbrigade, der die Militärluftfahrt unterstand, eingesetzt. Ende 1915 wurde er der neugeschaffenen Abteilung Luftfahrt des Kriegsministeriums zugeteilt; den Ausbau der österreichischen Luftfahrt auf über 1700 Maschinen bei Kriegsende stellt Löhrs Biograph hauptsächlich als dessen Verdienst hin.5 Nach der Auflösung der Doppelmonarchie wurde Löhr in die Volkswehr sowie ab 1920 als Major in das Bundesheer Österreichs übernommen und mit der Abteilung Luftkriegswesen betraut. Hier bereitete er gezielt den Aufbau einer kleinen und schlagkräftigen Fliegertruppe vor. Da es Österreich gemäß dem Friedensvertrag von Saint-Germain verboten war, eine Fliegertruppe zu besitzen, sammelte Löhr vorerst die Fliegerkameraden des Weltkriegs um sich und betätigte sich schriftstellerisch. Er systematisierte schon damals seine Theorie des Luftkrieges, wonach es jene Punkte eines Feindstaates zu finden galt, die, wenn schlagartig getroffen, die Lähmung

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des gesamten Organismus bewirken6 – eine Luftkriegslehre, die er später konsequent verwirklichen sollte. Ab 1927/28 wurde die Wiederaufrüstung zur Luft schrittweise realisiert. Unter Geheimhaltung und unterstützt von der schon 1923 gegründeten Österreichischen Luftverkehrs AG trainierten Offiziere in Wien-Aspern, bald darauf auch in Graz-Thalerhof, mit Flugzeugen der Polizei-Flughafeninspektion. 1929 begann auf meist aus dem Weltkrieg stammenden Maschinen die Ausbildung von Offizieren. Anfang der dreißiger Jahre wurden die Friedensvertragsbestimmungen bewußt umgangen.7 Löhr konnte mit ausländischer Unterstützung eine getarnte Jagdstaffel in Graz aufstellen, das Jahr darauf wurden zwei kleine Fliegerformationen als „Lehrabteilungen“ in das Bundesheer übernommen und dann am 1. April 1935 in „Luftschutzabteilungen“ umbenannt. Im Sommer 1935 fiel die Camouflage endgültig, das Kommando der Luftstreitkräfte unter Generalmajor Löhr (seit September 1935) wurde aufgestellt. Nun schritt er unbehindert an den Ausbau der beiden Fliegerregimenter und einer umfassenden Bodenorganisation dafür. Schon Anfang 1938 verfügte die Luftwaffe des österreichischen Bundesheeres über 93 Kampfund 72 Schulflugzeuge. Die deutsche Besetzung Österreichs verhinderte Löhrs für Mitte 1938 in Aussicht gestellte Beförderung zum Feldmarschalleutnant. Der statt dessen vom Dritten Reich zum Generalleutnant Beförderte wurde durch besondere Protektion des Staatssekretärs im Reichsluftfahrtministerium, General Milch, in die Luftwaffe übernommen und mit der Aufgabe betraut, aus den ehemaligen österreichischen Luftstreitkräften und aus Stammeinheiten des „Altreichs“ das Luftwaffenkommando Österreich, später „Ostmark“, aufzubauen, das dann ab 1. April 1939 als Luftflotte 4 unter Löhrs Leitung (bis 3. Juli 1942) fungierte. 8 Für diesen bedeutete das Kommando über die Luftflotte 4 einen beachtlichen Aufstieg. Am 14. März 1938 legte Löhr in Wien den Eid auf den ‘Führer’ ab, Tage später gelobte er in einem Tagesbefehl, seine Fliegertruppe werde im Großdeutschen Reich „ein scharfes Schwert“ sein, bereit, „jeden Feind zu zerschmettern“.9 Dieses „Schwert“ gelangte im Polenfeldzug erstmals wirkungsvoll zum Einsatz. Vor Warschau konkretisierte sich der Auftrag für die Luftflotte 4 zum schweren Bombardement der polnischen Hauptstadt am 25. September 1939. Löhr sah – gleichsam als Bestätigung seiner Theorie – das Kapitulationsangebot der polnischen Kapitale am Tag danach „in ursächlichem Zusammenhang“ mit dem von ihm geführten Luftangriff.10 Am Beispiel Warschaus drängte sich für die deutsche Führung die Frage auf, ob nicht ein Terrorangriff auf die Hauptstadt in den „allerersten Tagen“ des Krieges wesentlich schneller zum Ziel geführt hätte.11 Noch interpretierte man die Art

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des tatsächlich geflogenen Einsatzes als „offenkundigen Beweis“ für „den Willen und das Streben“ des OKW, Terrorangriffe aus den Kampfhandlungen herauszuhalten. Gut eineinhalb Jahre später bestanden bei Belgrad derlei Skrupel nicht mehr. Ohne Kriegserklärung wurde am 6. April 1941 die zur „offenen Stadt“ erklärte jugoslawische Hauptstadt von aus dem Raum Wien startenden Bomberformationen von Löhrs Luftflotte 4 mit Brandund Sprengbomben belegt. Der Auftrag lautete: „Zerstörung Belgrads durch Großangriff. (…) Es kommt darauf an, mit den Brandbomben Großbrände zu verursachen, um für den anschließend geplanten Nachteinsatz die Zielauffindung zu erleichtern.“12 Schon nach dem ersten Angriff standen wesentliche städtische Einrichtungen Belgrads in Flammen; die Zahl der Ziviltoten konnte nie restlos geklärt werden. Das ‘Verdienst’ am raschen Zusammenbruch des jugoslawischen Staates – am 17. April 1941 erfolgte die Gesamtkapitulation – fiel unbestritten der Luftflotte 4 zu, und Löhr wurde am 9. Mai 1941 zum Generaloberst befördert. Als Hitler den Angriff auf Kreta mittels Luftlandetruppen anordnete, befehligte Löhr eine Aktion, in der erstmals im Krieg Heeres-, Luftwaffenund Marineverbände unter dem Kommando eines Luftwaffengenerals standen. Seine Luftflotte kämpfte zwischen der Kapitulation Jugoslawiens und Griechenlands im April 1941 und dem Start der Luftlandeaktion auf Kreta am 20. Mai 1941 den Luftraum über der Ägäis frei. Die anschließende Eroberung der Insel brachte Löhr die nötige Anerkennung (nach Göring ein „unvergleichlicher Sieg“), insgesamt aber hohe deutsche Verluste. Beim Angriff auf die UdSSR im Juni 1941 unterstützte Löhrs Luftflotte 4 die Heeresgruppe Süd. Er galt als „grundsätzlicher Gegner“ des Rußlandkrieges.13 „Aus siegreicher Aktion“ wurde Löhr im Juli 1942 als Wehrmachtsbefehlshaber Südost auf den Balkan nach Saloniki versetzt. Er empfand die Versetzung als Demütigung („Leichenbegängnis I. Klasse“)14, den Abschied von der Luftflotte 4 sah er als „endgültigen Abschluß einer fast dreißigjährigen Aufbauarbeit am Luftkriegswesen“.15 Als Wehrmachtsbefehlshaber Südost (ab Jahresbeginn 1943 Oberbefehlshaber Südost) war Löhr oberster Territorialbefehlshaber sämtlicher deutscher Truppen in Kroatien, Serbien und Griechenland. Als er im August 1942 auf dem Balkan eintraf, herrschten dort bereits Vertreibung, Ausrottung, Partisanenwiderstand und brutaler Besatzungsterror. In Kroatien und Bosnien-Herzegowina hatte das Ustascha-Regime mit der Verfolgung und Liquidierung von Juden und Serben begonnen, in Serbien kam es durch die Besatzer zum Terror gegen Juden, Zigeuner und Kommunisten. Die Bekämpfung der Partisanen Serbiens war anfangs der Feldpolizei, Feld gendarmerie und dem SD, bald aber auch der Wehrmacht übertragen worden, insbesondere einigen stark von „Ostmärkern“ durchsetzten Infanterie-

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divisionen (717. und 718. ID). Vor allem unter dem Bevollmächtigten Kommandierenden General in Serbien, dem aus Österreich stammenden Franz Böhme, nahmen die Repressalien und Massaker an der einheimischen Zivilbevölkerung enorme Ausmaße an. Als Basis dienten Ressentiments und österreichische Feindbilder aus dem Ersten Weltkrieg sowie der OKW-Befehl vom 10. Oktober 1941, demzufolge für jeden getöteten oder verwundeten deutschen Soldaten 100 bzw. 50 einheimische Geiseln zu erschießen und Ortschaften, die im Kampf genommen werden mußten, niederzubrennen seien. Aus der Vielzahl daraus resultierender Verbrechen ragen die Massaker in Kraljevo und Kragujevac im Oktober 1941 hervor. Hitler befürwortete die „allerbrutalsten Mittel (…) auch gegen Frauen und Kinder“. Zur „Befriedung“ des Balkans wurde Löhr mit der Aufgabe betraut, die inzwischen in bedrohlichem Ausmaß angewachsene „Bandenbewegung vom Grund auf zu zerschlagen“. Hitler „unmittelbar“ unterstellt, sollte er das in einer konzertierten Aktion mit den italienischen Besatzungstruppen, der Ustascha und den Tschetniks erreichen. In mehreren Großaktionen vom Januar bis Juni 1943 konnten die Tito-Partisanen tatsächlich aus Kroatien vertrieben, aber nicht aufgerieben werden, sie kämpften sich über die Herzegowina ins nördliche Montenegro durch und tauchten bald wieder in Kroatiens Hinterland mit neuen schlagkräftigen Partisanengruppen auf. 16 Nach dem Ausscheiden Italiens aus dem Achsenverband übernahm Generalfeldmarschall von Weichs im August 1943 die Funktion des Oberbefehlshabers Südost, Löhr blieb bis Kriegsende Chef der Heeresgruppe E, zuständig für Griechenland und die vorgelagerten Inseln. Die Heeresgruppe E war an den Verfolgungsmaßnahmen gegen die Juden des Festlands und der griechischen Inseln (insbesondere Rhodos, Korfu) durch Hilfeleistung bei der Registrierung, Deportation und durch Bereitstellung von Transportgut „instrumental“ beteiligt.17 In ihren Zuständigkeitsbereich fielen außerdem die deutschen ‘Sühneaktionen’ im Dezember 1943 im Raum von Kalavrita. Ab September 1944 leitete Löhr die Rückführung seiner Heeresgruppe von den ägäischen Inseln durch den Balkan bis an die slowenisch-österreichische Grenze – ein angesichts der schwierigen Topographie und der Feindeinwirkungen beachtliches logistisches Unternehmen.18 Noch kurz vor Kriegsende, am 23. März 1945, wurde Generaloberst Löhr wieder in seine frühere Position als Oberbefehlshaber Südost eingesetzt. Die in den Nachkriegsprozessen vor allem von jugoslawischer Seite vorgelegten Unterlagen dokumentieren den rücksichtslosen Einsatz der Wehrmachts- und SS-Truppen gegen Frauen, Kinder, Greise und Schwerverwundete. Dabei wurden Ortschaften in Brand gesteckt, Männer nach Deutschland zwangsverschickt, Zivilisten in Gebäuden festgehalten und verbrannt

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sowie Angehörige der Nationalen Befreiungsfront grundsätzlich erschossen. Die Maßnahmen erfolgten „unabhängig von den militärischen Operationen, grundlos bzw. aus terroristischen Motiven“19 unter Löhrs Verantwortung. Dessen Kommando wurde als Teil eines verbrecherischen Systems gewertet, das auf die Vernichtung einer ganzen Nation ausgerichtet gewesen sei.20 Das Fehlen einer kritisch recherchierten Studie ist in manchen Punkten dieser biographischen Skizze fühlbar. Löhr war, wie in vielen Aussagen belegt, offensichtlich ein kultivierter General von „umfassender, außergewöhnlicher Fach- und Allgemeinbildung“ und menschlicher Bescheidenheit. 21 Über eine Zugehörigkeit zur NSDAP oder zu einer ihrer Gliederungen liegen keine Unterlagen vor.22 Sein „Denken und Empfinden“ sei dieser Ideologie „strikt entgegengesetzt“ gewesen, deren „Erscheinungsformen“ mußten auf ihn „geradezu abstoßend“ wirken, sagen die Apologeten.23 Andererseits leistete Löhr den Eid auf den ‘Führer’, er stieß oft genug in das Horn, aus dem NS-Parolen tönten: Er erwarte, so erklärte er, von jedem seiner Soldaten, daß er ein „Nationalsozialist der Tat“ sei, der „mit leidenschaftlicher Hingabe“ der „herrlichen Aufgabe“ Hitlers diene; er empörte sich über „den fluchwürdigen Anschlag“ vom 20. Juli 1944 und antwortete darauf mit „unverbrüchlicher Treue“ zu Hitler.24 Daß seine Heeresgruppe E bei der Judendeportation Schützenhilfe leistete, steht fest, die direkte Rolle Löhrs ist dabei bislang nicht auszunehmen. Was Juden betrifft, äußerte er sich in seiner höchst verstiegenen Vorstellung der „Organisierung Mitteleuropas: Das Reich“ eindeutig: Er verlangte eine Festlegung der Judenquote in diesem Reich, rief nach dem Davidstern, sprach von WehrSturmpflicht, Förderung der Auswanderung von Juden und vom Verbot jüdischer Zuwanderung. 25 Insofern war er unzweifelhaft ein überzeugter Verfechter des Nationalsozialismus.

Anmerkungen 1 Sämtliche Zeitungsberichte im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Wien, Stichwort Löhr. Der Autor dankt Herrn Walter Manoschek für die großzügig gewährte Einsicht in dessen Privatbestände und einschlägige Recherche zum vorliegenden Thema. 2 „Tanjug“, 13. 1. 1986. 3 „Neue AZ“, 15. 1. 1986, 28. 1. 1986. 4 Zur Biographie siehe Österr. Staatsarchiv Wien, B/521: Nachlaß Löhr, insbes. f 54: „Meine Stellung in Österreich 1906–1938“, Personalakt Löhr. 5 Diakow, Generaloberst Alexander Löhr, S. 20. 6 Österr. Staatsarchiv Wien, B/521, f 54: „Meine Stellung in Österreich 1906–1938“, S.10f.

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Österr. Staatsarchiv Wien, B/521, f 52: Löhr an Diakow, 18. 3. 1944. Tuider, Die Luftwaffe in Österreich. 9 „Volksstimme“, 2. 2. 1986. 10 Österr. Staatsarchiv Wien, B/521, f 13: Löhr in der Einführung zu: von Siegler, Luftsieg über Polen, S.15. 11 Ebenda, S.16. 12 BA-MA Freiburg, RL 7/657: Befehl für die Luftkriegführung Jugoslawien, 31. 3. 1941; vgl. Österr. Staatsarchiv Wien, B/521, f 30: „Überblick über den Luftkrieg auf dem Balkan im Jahre 1941“ (Diakow, 31. 8. 1944). 13 Diakow, Generaloberst Alexander Löhr, S. 72. 14 Österr. Staatsarchiv Wien, B/521, f 52: Löhr an Diakow, 8. 7. 1942. 15 Ebenda, f 44: Abschiedsrede Löhrs vor den Angehörigen des Luftflottenstabes 4. 16 Piekalkiewicz, Krieg auf dem Balkan, S. 210. 17 Bericht der internationalen Historikerkommission über Kurt Waldheim, S. 81– 94, insbes. 88 (DÖW Bibl.). 18 Kreuter, Der Rückzug der Heeresgruppe E, S. 111–116; Piekalkiewicz, Krieg auf dem Balkan, S. 272–308; Österr. Staatsarchiv Wien, B/521, f 46: Die Absetzbewegung im Südosten, Januar 1945. 19 DÖW, E 19.897. 20 Ebenda. 21 Diakow, Generaloberst Alexander Löhr, S. 9, 125, 128. 22 DÖW-Anfrage beim BA Berlin, 17. 1. 1986. 23 Diakow, Generaloberst Alexander Löhr, S. 24f., 128. 24 „Tagebuch“, März 1986; „Wiener Neueste Nachrichten“, 1. 4. 1938. 25 Österr. Staatsarchiv Wien, B/521, f 54: „Meine Stellung in Österreich 1906– 1938“, Beilage 1. 7 8

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen Österreichisches Staatsarchiv Wien, Generaldirektion, Bestandsgruppe Nachlässe und Sammlungen: B/521 Nachlaß Löhr; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien (DÖW): BDC-Anfrage vom 17. 1. 1986; ebenda, E 19.897: Deutsche Übersetzung des Schuldspruchs des Militärgerichts III der Armee, Belgrad, 16. 2. 1947; E 20.307: Diverse Dokumente aus dem Militärarchiv der ehem. DDR; E 21.388: Jugoslav War Crimes Investigation Team. Nachtrag zum jugoslawischen Bericht, Belgrad, 25. 1. 1946. Gedruckte Quellen und Literatur Bericht der internationalen Historikerkommission über Kurt Waldheim. (Wien) 1988. Diakow, Jaromir: Generaloberst Alexander Löhr. Ein Lebensbild. Freiburg i.Br. 1964.

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Hahn, Oswald: Generaloberst Alexander Löhr. Gedanken zum 100. Geburtstag am 20. Mai 1985. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 4. München 1985. Kreuter, Siegbert: Der Rückzug der Heeresgruppe E aus Griechenland. In: Österreichische Militärische Zeitschrift, H. 2./1982, S.111–116. Manoschek, Walter: „Serbien ist judenfrei“. Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien. 2. Aufl. München 1995. Ders. u. Hans Safrian: 717./117. ID. Eine Infanterie-Division auf dem Balkan. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944. Hrsg. von Hannes Heer und Klaus Naumann. Hamburg 1995, S. 359–373. Dies.: Österreicher in der Wehrmacht. In: NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945. Hrsg. von Emmerich Tálos u.a. Wien 1988, S. 331–360. Piekalkiewicz, Janusz: Krieg auf dem Balkan 1940–1945. München 1984. Rausch, Josef: Die „dritte Front“ – zum Partisanenkrieg in Europa. In: Walküre und der Totenwald. Das Kriegsjahr 1944. Katalog zur Sonderausstellung des Heeresgeschichtlichen Museums. Wien 1994, S. 71–101. Report on the Crimes of Austria and the Austrians Against Yugoslavia and her Peoples. Yugoslav War Crimes Commission. Belgrad 1947. Schmidt-Richberg, E.: Der Endkampf auf dem Balkan. Die Operationen der Heeresgruppe E von Griechenland bis zu den Alpen. Heidelberg 1955. Tuider, Othmar: Die Luftwaffe in Österreich 1938–1945. Hrsg. Heeresgeschichtliches Museum (Militärwissenschaftliches Institut). Wien 1985.

Norbert Haase

Generalstabsrichter Werner Lueben In den Annalen der Kriegsrichter des NS-Staates, die – weitgehend integriert in die Justizverwaltung des Bundes und der Länder nach 1945 – ihre eigene Geschichte schrieben, taucht sein Name nicht auf: Werner Lueben verkörpert als einer der höchsten Richter der Wehrmacht wie kein zweiter das Spannungsfeld zwischen nationalkonservativer Rechtstradition und der Einbindung in den Unrechtsstaat. Lueben, der als Senatspräsident am 2. Senat des Reichskriegsgerichts (RKG) an einer Vielzahl von Todesurteilen verantwortlich beteiligt war, darunter zum Beispiel an jenem gegen den katholischen Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter, bewies in einem nachweisbaren Einzelfall seiner Entscheidungspraxis Zivilcourage. Ob sein Selbstmord am 28. Juli 1944 im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen die Stettiner Geistlichen Dr. Carl Lampert, Friedrich Lorenz, Herbert Simoleit und andere vor dem RKG steht, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Werner Lueben wurde am 23. März 1894 in Breslau geboren. Er stammte aus einem protestantischen Elternhaus. Sein Vater, der 1919 starb, war zuletzt Proviantmeister im preußischen Heer und in der Militärverwaltung tätig.1 Unmittelbar nach seinem Abitur nahm Lueben an der Universität Halle das Studium der Staats- und Rechtswissenschaften auf, das er wegen seines Heeresdienstes im Ersten Weltkrieges mehrfach unterbrechen mußte. Anfang August 1914 wurde er als Kriegsfreiwilliger zum Mansfelder FeldArtillerieregiment 75 eingezogen. Im März 1915 wurde er zum Unteroffizier, im Januar 1916 zum Leutnant der Reserve befördert. Seit April 1914 war Lueben Adjutant im II./Feld-Artillerieregiment 75. Das Heer entließ ihn – ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse – nach Kriegsende im Februar 1919 zum „Freiwilligen Landesjägerkorps“, das in der Folgezeit an der militärischen Bekämpfung von Arbeiteraufständen mitwirkte. Im Mai 1920 legte Lueben seine Erste juristische Staatsprüfung ab, im September 1923 erfolgte die Große Staatsprüfung. Am Anfang seiner Berufslaufbahn stand die Tätigkeit als Referendar am Oberlandesgericht Naumburg in den Jahren 1920 bis 1923. Danach wurde Lueben in Bartenstein (Ostpreußen) in den Justizdienst berufen. Im Mai 1925 heiratete er Klara von Scholten. Aus der Ehe gingen zwei Töchter und ein Sohn hervor.

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Am 1. Juni 1928 erfolgte Luebens Versetzung nach Königsberg. Offenbar war er wie der mit ihm befreundete spätere Kriegsrichter am Reichskriegsgericht, Otto Barwinski, in Ostpreußen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit Parteidienststellen der NSDAP in Konflikt geraten. Auf eigenen Wunsch wechselte er nach einer kurzen Amtszeit als Landgerichtsrat am Landgericht Berlin am 1. November 1933 probeweise zur Heeresanwaltschaft im Wehrkreis III, Zweigstelle Breslau. Ende März 1934 erfolgte seine Ernennung zum Kriegsgerichtsrat beim Wehrkreisgericht III, Zweigstelle Breslau, mit Wirkung vom 1. Januar 1934. Am 24. August 1934 auf den ‘Führer’ vereidigt, gehörte Lueben seit dem 1. Januar 1935 dem Gericht der Heeresdienststelle Breslau an, wo er am 8. März 1935 zum Oberkriegsgerichtsrat ernannt wurde. Anfang des Jahres 1936 kommandierte man Lueben im Rang eines Ministerialrates in die Heeresrechtsabteilung (HR) im Reichskriegsministerium. Nach Gründung des RKG am 1. Oktober 1936 wurde Lueben als Reichskriegsanwalt dorthin kommandiert. Im September 1939 erfolgte die Überführung auf eine Planstelle für Reichskriegsgerichtsräte. Im August 1937 wurde Lueben zum „rechtskundigen Mitglied des Wehrmachtdienststrafhofes“ bis zum 30. Juni 1940 ernannt. Bereits seit November 1939 übte er eine Tätigkeit als Rechtsberater beim Heeresgruppenkommando B, dann als Oberstkriegsgerichtsrat und Rechtsberater beim Oberbefehlshaber Ost aus. Ab Mai 1940 war Lueben Oberstkriegsgerichtsrat beim Armeeoberkommando 9, seit Mitte Juni 1940 Oberstkriegsgerichtsrat und Rechtsberater beim Militärbefehlshaber in Frankreich. Obgleich Stülpnagel seine Arbeit schätzte und ihn in Paris zu behalten suchte, fand Lueben seit dem 1. Juli 1942 dann wieder Verwendung beim Reichskriegsgericht, wo er mit Wirkung vom 1. Januar 1944 zum Senatspräsidenten ernannt wurde. Mit der Überführung der Wehrmachtrichter in das Offizierskorps des Truppensonderdienstes seit 1. Mai 1944 war er Generalstabsrichter im Range eines Generalleutnants. Bei einer Zählung der erhalten gebliebenen Abdrucke der Todesurteile des Gerichts läßt sich ermitteln, daß Lueben in der Zeit seiner Tätigkeit am Reichskriegsgericht vor dem im Sommer 1944 laufenden „Stettin-Prozeß“ an mindestens 100 Todesurteilen als Vorsitzender des erkennenden Gerichts beteiligt war. Das RKG agierte als zentrales deutsches Militärgericht systemkonform, indem es das 1939 erlassene Kriegssonderstrafrecht konsequent zur Anwendung brachte und Widerstand von innen und außen verfolgte. Unter den Opfern von Luebens Entscheidungspraxis befanden sich eine Gruppe Zeugen Jehovas, die als Kriegsdienstverweigerer wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ verurteilt wurden, mehrere Gruppen und Einzel-

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personen der Widerstandsbewegung in den besetzten Ländern Europas, insbesondere Frankreichs und Polens, aber auch deutsche Widerstandskämpfer. Rechtliche oder ethische Skrupel wie dann im Falle der Stettiner Geistlichen sind in anderen Fällen in den erhalten gebliebenen Akten nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Lueben schöpfte den Strafrahmen des NS-Sonderstrafrechts im allgemeinen extensiv aus und verhängte systematisch die Todesstrafe. Im Falle der Stettiner Geistlichen, Provikar Dr. Carl Lampert, Pater Friedrich Lorenz und Kaplan Herbert Simoleit überwogen dann jedoch rechtliche Bedenken gegenüber der massiven Einflußnahme der Gestapo auf das Ermittlungsverfahren. Lueben hatte in diesem Fall in einem Schreiben an den Präsidenten des RKG vom 27. Mai 1944 die Beweiswürdigkeit von Protokollen der Gestapo in Frage gestellt, da „die polizeilichen Protokolle, auch insoweit sie nicht durch verschärfte Vernehmung (Folter, d.V.) zustande gekommen sind, keine geeignete Grundlage für ein Geständnis darstellen“ 2. Tatsächlich hatte die Gestapo einen agent provocateur gegen die oppositionellen Geistlichen angesetzt, der später als Kronzeuge diente, und hatte im Zuge des Ermittlungsverfahrens offensichtlich gewaltsame Methoden angewandt. Lueben, der im Dissens zu den anderen Senatsmitgliedern stand, nahm sich am 28. Juli 1944 gegen sechs Uhr früh in seiner Torgauer Wohnung das Leben. Gründe für den Selbstmord mögen in der Gewissensnot des Juristen gelegen haben, der am selben Tag, dem 28. Juli 1944, die Todesurteile gegen die Pfarrer hätte verhängen müssen.3 Über seine Angehörigen war nach dem Krieg zu erfahren, sein Fahrer hätte ihn in seinem Torgauer Privatquartier tot aufgefunden. Die Waffe hätte neben ihm gelegen. In der Todesurkunde, die erhalten blieb, hieß es, Lueben sei „plötzlich gestorben“, es habe ein „seelischer Erschöpfungszustand“ vorgelegen.4 Unmittelbar nach dem fehlgeschlagenen Anschlag Stauffenbergs auf Hitler vom 20. Juli 1944 könnten aber auch andere Implikationen im Spiel gewesen sein. Doch ein Zusammenhang mit dem am 20. Juli beteiligten Militärbefehlshaber in Frankreich, General Karl-Heinrich von Stülpnagel, dessen zeitweiliger Rechtsberater Lueben war, und der wenige Tage zuvor ebenfalls versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, bleiben Vermutung. Der Wehrmacht war daran gelegen, den Selbstmord des Senatspräsidenten in Torgau offiziell zu verschleiern, damit in der ‘Zentrale’ des Wehrmachtstrafsystems die Moral des Justizoffizierskorps durch solch einen Eklat nicht untergraben würde. Vor der Überführung nach Halle wurde in Torgau eine Trauerparade abgehalten, anläßlich deren der Präsident des Reichskriegsgerichts, Admiral Max Bastian, namens aller Angehörigen des Gerichts einen Kranz niederlegte.5 Die feierliche Beisetzung erfolgte weni-

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ge Tage später auf dem Hallenser Gertraudenfriedhof. Offiziell galt Lueben als bei einem Luftangriff ums Leben gekommen. Angehörige halten 50 Jahre nach den Ereignissen eine Verstrickung in die Attentatspläne für ausgeschlossen. Lueben sei ein „Mann des Rechts“ gewesen. Die Erinnerung an den Kriegsrichter Lueben ist ähnlich spannungsgeladen wie seine Funktion zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges – wie auch Benedicta Maria Kempners Versuch zeigt, ihn als „Justizmärtyrer“ zu qualifizieren, der lieber den Freitod wählte, als selbst Todesurteile fällen zu müssen. Die Ehefrau des ehemaligen stellvertretenden US-Hauptanklägers in Nürnberg, der ursprünglich die Absicht verfolgt hatte, auch die Wehrmachtjustiz wegen ihrer Unrechtspraxis vor Gericht zu bringen, hat Lueben ein Denkmal gesetzt. Sie konnte jedoch seinerzeit 1970 die Akten des RKG noch nicht kennen. Ein „Justizmärtyrer“ ist Lueben vermutlich nicht. Denn dem Zaudern im Prozeß gegen die Stettiner Geistlichen ging ein hundertfaches systemkonformes Absegnen von Todesurteilen voraus. Für eine generelle historische Bewertung der führenden Militärjuristen der NS-Zeit reicht derzeit die Quellen- und Forschungslage nicht aus. Vermutlich wird man ohnehin den verschiedenen Richterpersönlichkeiten nur gerecht, wenn man möglichst vielfältige biographische Studien erstellen würde. Fest steht nur, daß der frühzeitige Eintritt in die Wehrmachtjustiz den betreffenden Juristen eine steile Karriere innerhalb dieser Institution bescherte. Auch die Beziehung zum Nationalsozialismus läßt sich nicht ohne weiteres mit der „Flucht in die Wehrmachtjustiz“ umschreiben, ohne die „Teilidentität der Ziele“ (Manfred Messerschmidt) zu berücksichtigten. Kooperation und Konfrontation im Verhältnis zum NS-Regime hatten nebeneinander Bestand. Zweifellos gehört die Biographie Werner Luebens in diesem Kontext zu den interessantesten Richterbiographien der Wehrmachtjustiz.

Anmerkungen 1 Alle biographischen Angaben sind der Personalakte Werner Lueben, BA-MA Freiburg, Pers 6/262 entnommen sowie der Personalakte Lueben im Bestand „Reichskriegsgericht“ im Militärhistorischen Archiv Prag (MHA Prag, Bestand RKG), 39 3/49 Karton 19. 2 MHA Prag, Bestand RKG: Schreiben des Senatspräsidenten Lueben an den Präsidenten des RKG vom 27. 5. 1944, abgedruckt in: Haase, Das Reichskriegsgericht, S.75. 3 Zum Fall Stettin ausführlich: Knauft, Ferngesteuert. 4 Vgl. „Er ging in den Tod, um nicht mitschuldig zu werden.“ Werner Lueben –

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Widerstand gegen das NS-Regime – Eine Hamburger Familie erinnert sich. In: Hamburger Abendblatt v. 16. 7. 1984; ferner Kempner, Generalstabsrichter Werner Lueben. 5 MHA Prag, Bestand RKG: 39.2/10, Kommando-Befehle 1944.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, Pers 6/262: Personalakte Werner Lueben; MHA Prag, Bestand RKG: weitere Personalunterlagen und Einzelentscheidungen des RKG; BA Berlin, M 900 – M 1000: Teile des Prager Bestandes auf Mikrofilm. Gedruckte Quellen und Literatur Haase, Norbert: Das Reichskriegsgericht und der Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Berlin 1993. Kempner, Benedicta Maria: Priester vor Hitlers Tribunalen. München 1966 (Neuauflage München 1996). Dies., Generalstabsrichter Lueben. Ein Justizmärtyrer. In: Publik Nr.12/1970, S.21. Knauft, Wolfgang: Ferngesteuert. Der Stettin-Prozeß 1944. Berlin 1994. Das Torgau-Tabu. Wehrmachtstrafsystem – NKWD-Speziallager – DDR-Strafvollzug. Hrsg. von Norbert Haase und Brigitte Oleschinski. Leipzig 1993 (Neuauflage Leipzig 1997).

Gerhard Hümmelchen

Admiral Günther Lütjens Als sich der Flottenchef Admiral Lütjens am 26. April 1941 in Berlin beim Oberbefehlshaber der Marine, Großadmiral Raeder, abgemeldet hatte, sagte er anschließend zu dem späteren Konteradmiral Hans Voss: „Ich möchte mich verabschieden, ich werde nicht wiederkommen“, und er fügte auf dessen fragenden Blick hinzu: „Bei der Überlegenheit der Briten ist ein Überleben unwahrscheinlich.“1 Der Flottenchef gab diese resignierte und zutreffende Antwort wenige Tage vor dem Auslaufen zur AtlantikOperation – immerhin mit dem neuesten deutschen Schlachtschiff, der „Bismarck“. War diese Einschätzung für den Admiral symptomatisch? Günther Lütjens wurde am 25. Mai 1889 in Wiesbaden als Sohn des Kaufmanns Johannes Lütjens und seiner Ehefrau Luise, geb. Volz, geboren. Das Abitur erwarb er am Freiburger Berthold-Gymnasium. Im April 1907 trat er als Seekadett in die Kaiserliche Marine ein. Nach der Grundausbildung verbrachte er seine Kadettenzeit bis zum März 1908 auf dem Schulkreuzer „Freya“. Es folgte der Besuch der Marineschule in Mürwik, am 21. August 1908 wurde Lütjens zum Fähnrich zur See ernannt. Über die Zeit in Mürwik äußerte sich ein Crewkamerad, der spätere Oberst der Luftwaffe Georg Freytag: „Lütjens war einer der Besten. Theorie und Praxis machten ihm keine Mühe.“ 2 Fast ein Jahr, von Oktober 1909 bis September 1910, fuhr Lütjens dann auf dem Linienschiff „Elsaß“. Seine besondere Befähigung brachte ihn daran anschließend als Ausbildungsoffizier bis Ende März 1911 auf die alte Panzerfregatte „König Wilhelm“, einem stationären Wohn- und Exerzierschiff für Schiffsjungen. In ähnlicher Funktion diente er als Leutnant und Kadettenoffizier bis 31. März 1913 auf dem Großen Kreuzer „Hansa“, auf dem er zwei Auslandsreisen mitmachte. Danach kehrte Lütjens noch einmal für ein halbes Jahr auf die „König Wilhelm“ zurück.3 Drei Tage ehe er sie verließ, erfolgte am 27. September 1913 seine Beförderung zum Oberleutnant zur See. Seit Oktober 1913 fuhr Lütjens als Wachoffizier auf Torpedobooten. Sein erstes selbständiges Kommando erhielt er am 4. September 1914. Er wurde Kommandant des alten Torpedobootes „T 68“, im Januar 1915 übernahm er das noch ältere kleine Schulboot „T 21“. Sicher waren dies keine Wunschkommandos für einen jungen Seeoffizier, aber sie vertieften seine Opera tionserfahrungen mit kleinen Booten, die er dann später im Kriegseinsatz

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so meisterhaft und wagemutig beherrschte. Ab Mai 1915 führte Lütjens in der Torpedobootsflottille „Flandern“ die Boote „A 5“ und „A 20“ und übernahm in Februar 1916 die A-Halbflottille im gleichen Verband, ab Dezember 1916 auf dem neuen Führerboot „A 40“. In dieser Stellung wurde er am 14. Mai 1917 zum Kapitänleutnant befördert. In dieser Funktion bewährte sich Lütjens bei mehreren Zusammenstößen mit britischen und französischen Zerstörern und Schnellbooten im Ärmelkanal und beim Beschluß von Dünkirchen. Er blieb Halbflottillenchef bis zum 10. November 1918. Zu seinen Auszeichnungen gehörte das Ritterkreuz mit Schwertern, des Hausordens von Hohenzollern und das Eiserne Kreuz I. Klasse. Nach dem Krieg blieb Lütjens bei der Reichsmarine, ab Dezember 1918 bis September 1919 jeweils wenige Wochen als Leiter der Seetransportstelle Warnemünde und Lübeck, für kurze Zeit auch im Reichsmarineamt. 1919– 21 diente er als Kompanieführer in der Küstenwehrabteilung IV in Cuxhaven. Danach arbeitete er als Dezernent der Flottenabteilung in der Marineleitung, ehe er am 4. Oktober 1923 als Chef der 3. Torpedobootsflottille wieder zu seiner alten Waffe zurückkehrte. Nach einem Zwischenspiel von 1923–29 als Adjutant der Marinestation der Nordsee übernahm Lütjens im Oktober 1929 die 1. Torpedobootsflottille in Swinemünde. Inzwischen war er am 1. April 1926 zum Korvettenkapitän befördert worden. 1929 heiratete er Margarete Backenköhler, Tochter des Geheimen Sanitätsrats Dr. Gerhard Backenköhler. Das Paar bekam drei Söhne und eine Tochter. Seit September 1931 diente der am 1. Oktober 1931 zum Fregattenkapitän beförderte Lütjens ein Jahr als Dezernent in der Flotten- und Marineoffizierspersonal-Abteilung der Marineleitung und wurde, da er sich des besonderen Vertrauens des Chefs der Marineleitung, Admiral Raeder, erfreute, im September 1932 Leiter der Marineoffizierspersonal-Abteilung. In dieser Dienststellung wurde Lütjens am 1. Juli 1933 zum Kapitän zur See befördert. Am 16. September 1934 erhielt Lütjens wieder ein Bordkommando: er wurde für ein Jahr Kommandant des Kreuzes „Karlsruhe“. Ein damaliger Leutnant bezeichnete ihn als einen Offizier, den die jüngeren Offiziere von sich aus nicht mehr als nötig aufgesucht hätten. „Dafür war er zu reserviert, fast düster erschienen. Dennoch hatten wir erkannt, daß das so eigentlich gar nicht zutraf. Im Grunde strahlten seine Erscheinung, sein ganzes Wesen hohe Lauterkeit und Vertrauenswürdigkeit aus.“4 Für nur knapp sechs Monate übernahm Lütjens ab September 1935 die Position des Chefs des Stabes der Marinestation der Nordsee. Danach holte Raeder ihn ins Oberkommando der Marine: Vom März 1936 bis September 1936 als Leiter der Marinepersonalabteilung und schließlich vom 1. Oktober 1936 für ein Jahr als Chef des Marinepersonalamtes. Am 8. Oktober

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1937 übernahm der frisch beförderte Konteradmiral Lütjens das Kommando als Führer der Torpedoboote, das er bis zum 20. Oktober 1939 behielt. Nun unterstanden ihm nicht nur die Torpedoboote, sondern auch alle Zerstörer und Schnellboote der Kriegsmarine. Am 26. Oktober 1939 trat Lütjens als Befehlshaber der Aufklärungsstreitkräfte (BdA) in Kiel die Nachfolge von Vizeadmiral Hermann Densch an. Lütjens Beförderung zu diesem Dienstgrad erfolgte am 1. Januar 1940. In Vertretung des erkrankten Flottenchefs Admiral Marschall führte er die See-Deckungsgruppe bei der Besetzung Norwegens (Unternehmen „Weserübung“) und wurde am 1. September 1940 zum Admiral ernannt. Zuvor war er am 14. Juni 1940 mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet worden. Im Februar und März 1941 operierte Lütjens erfolgreich mit den Schlachtschiffen „Gneisenau“ und „Scharnhorst“ im Atlantik. 22 Handelsschiffe mit 115 622 BRT wurden versenkt oder aufgebracht. Großadmiral Raeder wollte diesen ozeanischen Zufuhrkrieg so rasch wie möglich weiterführen. Der Plan, zugleich mit dem neuen Schlachtschiff „Bismarck“ und dem Schweren Kreuzer „Prinz Eugen“ sowie den in Brest liegenden Schlachtschiffen „Gneisenau“ und „Scharnhorst“ zu operieren, mußte jedoch aufgegeben werden, weil die Brest-Gruppe wegen Reparaturen für Monate ausfiel. Am 25. April 1941 besprach der Oberbefehlshaber der Marine Raeder mit Lütjens die beabsichtigte Operation mit der „Bismarck“ und der „Prinz Eugen“. Lütjens wollte mit dem Unternehmen warten, bis wenigstens die „Scharnhorst“ wieder einsatzbereit wäre oder aber bis zur Frontreife des neuen Schlachtschiffs „Tirpitz“. Schließlich beugte er sich den Argumenten Raeders, ohne letztlich von ihnen überzeugt zu sein.5 Gegenüber seinem Vorgänger als Flottenchef, Admiral Wilhelm Marschall, erklärte er am 11. Mai in Kiel, er werde die Befehle der Seekriegsleitung konsequent durchführen.6 Als Hitler am 5. Mai 1941 die „Bismarck“ in Gotenhafen (Gdingen/Gdynia) besichtigte, hatte er auch eine mehrstündige Besprechung mit Lütjens. Hitler äußerte Bedenken gegen die Unternehmung, und der Flottenchef vermochte sie nicht auszuräumen. Er wies jedoch darauf hin, daß der „Bismarck“ eher Gefahr durch britische Torpedoflugzeuge von Flugzeugträgern drohe als durch Schlachtschiffe. Die deutsche Kampfgruppe ging am 22. Mai zum Unternehmen „Rhein übung“, wie die Operation bezeichnet wurde, in See. Am Morgen des 24. stieß sie südlich der Dänemarkstraße auf den britischen Schlachtkreuzer „Hood“ und das neue Schlachtschiff „Prince of Wales“. Die „Hood“ flog bereits nach kurzem Schußwechsel in die Luft, „Prince of Wales“ erhielt mehrere schwere Treffer. Anstatt nun aber dem angeschlagenen Gegner

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nachzusetzen, wie der „Bismarck“-Kommandant, Kapitän zur See Ernst Lindemann, ein erfahrener Artillerist, Lütjens riet, brach dieser das Gefecht ab, getreu dem Operationsbefehl, daß seine Hauptaufgabe der ozeanische Zufuhrkrieg sei und nicht die Versenkung von Schlachtschiffen. Es ist überliefert, daß Lütjens „entmutigt war über die offensichtliche Überlegenheit der neuen britischen Radareinrichtungen“7. Seine Rede an seinem Geburtstag am 25. Mai verursachte tiefe Niedergeschlagenheit, der entgegenzuwirken die Offiziere alle Mühe hatten. Denn er erklärte, daß der Gegner nun, da er einen westfranzösischen Hafen ansteuern wolle, seine Kräfte sammeln und die „Bismarck“ zum Kampf stellen würde. „Das deutsche Volk ist bei euch und wir werden schießen, bis die Rohre glühen und bis das letzte Geschoß die Rohre verlassen hat. Für uns Soldaten heißt es jetzt: Siegen oder Sterben.“ 8 Möglicherweise hatte Lütjens die Wirkung seiner Worte so nicht vorausgesehen. Er wollte nüchtern und ohne Beschönigungen seinen Männern zeigen, daß er sich keine Illusionen mache. Und so geschah am 27. Mai das, was Lütjens vorausgesehen hatte. Westlich Brest zerstörte ein britischer Lufttorpedo die Steueranlage der „Bismarck“, so daß sie der “Home Fleet” nicht mehr entkommen konnte: 2106 Männer gingen mit dem Schiff unter, darunter der gesamte Flottenstab und auch Lütjens. Nur 115 überlebten die Katastrophe, darunter 3 Offiziere. Wer war Admiral Lütjens, der so verschlossen, unnahbar, herb und kühl und, wie manche Untergebenen empfanden, „düster“ wirkte? Es ist schwer, hier zu einer halbwegs sicheren Darstellung zu kommen. Andere Marinesoldaten und -offiziere bestätigen, daß er sowohl fröhlich als auch „spröde und ziemlich trocken“ sein konnte. Es sei schwer gewesen, an Lütjens „heranzukommen“. Wegen seines großen Diensteifers und Tatendrangs hielt man ihn „für etwas ehrgeizig und auch etwas egozentrisch“9. Großadmiral Dönitz schrieb über Lütjens: „Er war sehr klug, besonders logisch in seinem Denken; als Charakter ausgesprochen aufrecht und offen, jeder eitlen Äußerung abhold. Wenn jemand das ‘Angeben’ nicht gelegen hat, war es Lütjens. Allerdings wirkte er manchmal etwas nüchtern und war vielleicht in der Menschenbehandlung gelegentlich etwas kompromißlos; eine ‘weichere Hand’ lag ihm anscheinend weniger. Sein taktisches Können und seine Schulung auf diesem Gebiet waren sehr groß.“10 Wie sehr Lütjens in erster Linie Offizier war, beleuchtet seine Erklärung vor einem kleinen, befreundeten Kreis, daß ein Offizier in seiner Stellung und mit derartiger Verantwortung belastet eigentlich gar nicht verheiratet sein dürfte. Lütjens selbst wurde jedoch ein „ungewöhlich glückliches Familienleben“ nachgesagt. Es ist später viel darüber gerätselt worden, warum Lütjens nicht auch

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noch die „Prince of Wales“ vernichtet hatte, wie ihm der Kommandant der „Bismarck“ geraten hatte, und dann erst umgekehrt ist. Lütjens wußte, wie schwer ein Durchbruch in den Atlantik für das Gelingen der Hauptaufgabe sein würde. Daß er die errungene günstige operative Stellung weder durch ein weiteres für seine Aufgabe nicht mehr erforderliches Gefecht gefährden noch durch den Versuch der Rückkehr nach Norwegen aufgeben wollte, erscheint durchaus plausibel. Nachdem sich Lütjens für die Fortsetzung des Unternehmens entschieden hatte, gab es für ihn zwei Möglichkeiten: Entweder er versuchte, in die Weite des Atlantiks auszuweichen, um dort die Gefechtsschäden zu beheben und aus einem Versorger Öl zu ergänzen, oder er führte dies in einem Hafen der französischen Atlantikküste aus. Vorsorglich funkte er deshalb 90 Minuten nach Beendigung des Gefechts seine Absicht, Saint-Nazaire anzulaufen. Aber das Kriegsglück verließ ihn, und er hat damit wohl auch in aller Nüchternheit gerechnet, wie seine Bemerkungen vor dem Auslaufen andeuteten. Er war offensichtlich „so sehr auf das strategische Wunschdenken der Seekriegsleitung fixiert, daß er seine eigentliche, kaum lösbare Aufgabe, aus der eingetretenen Lage mit taktischem Geschick das Beste zu machen, nicht mehr wahrzunehmen vermochte. Seine Tragik lag in dem unauflöslichen Widerspruch zwischen eigener Erkenntnis und soldatischem Gehorsam. Er rechnete wohl fest damit, daß er sich ‘früher oder später’ werde opfern müssen. Aber wenn dies geschehen sollte, dann jedenfalls in Übereinstimmung mit den gegebenen Befehlen.“11 War nun Admiral Lütjens ein überzeugter Nationalsozialist? Dies kann man verneinen. Er war, geprägt durch seine Erziehung in der Kaiserlichen Marine, durch und durch Soldat. Das bedeutete für ihn unabdingbare Treue zum Staat und Vaterland. Und Hitler verkörperte für ihn den Staat. Daran änderte auch Lütjens Eintreten gegen die Judenverfolgung und das Niederbrennen der Synagogen im November 1938 nichts. Zusammen mit Dönitz meldete er sich deshalb bei seinem Flottenchef Admiral Hermann Boehm und erklärte, daß „derartige Vorkommnisse von einem anständigen Offizierkorps abgelehnt werden müßten“. In der Marine hatten die Ereignisse allgemeine Empörung ausgelöst.12 Auch durch den letzten Funkspruch von Lütjens an Hitler ist eine besondere politische Einstellung oder gar eine Nähe zum Nationalsozialismus nicht zu beweisen. Das Funktelegramm hielt sich fast wörtlich an den Text eines Erlasses des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine vom 22. Dezember 1939, der im Zusammenhang mit dem Verlust des Panzerschiffes „Admiral Graf Spee“ entstanden war.13 Der Funkspruch lautete: „Wir kämpfen bis zum Letzten im Glauben an Sie, mein Führer und im felsenfesten Glauben an Deutschlands Sieg.“14

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Anmerkungen Müllenheim-Rechberg, Schlachtschiff Bismarck, S. 80. Brennecke, Schlachtschiff Bismarck, S. 255. 3 Kommandos lt. Hildebrand und Henriot, Deutschlands Admirale Bd. II, S. 407f. 4 Müllenheim-Rechberg, Schlachtschiff Bismarck, S. 217. 5 Raeder, Mein Leben, Bd. II, S. 266; vgl. dazu auch Brennecke, Schlachtschiff Bismarck, S. 259. 6 Brennecke, Schlachtschiff Bismarck, S. 15; Bekker, Verdammte See, S. 158. 7 Statz, Schlachtschiff „Bismarck“, S. 52. 8 Müllenheim-Rechberg, Schlachtschiff Bismarck, S. 158. 9 Brennecke, Schlachtschiff Bismarck, S. 257 f., auch zum Folgenden. 10 Ebenda, S. 258. 11 Bekker, Verdammte See, S. 217 f. 12 Raeder, Mein Leben, Bd. II, S. 133; Brennecke, Schlachtschiff Bismarck, S. 256; Dönitz, 10 Jahre und 20 Tage, S. 302 f. 13 Salewski, Die deutsche Seekriegsleitung, Bd. I, S. 165. 14 Die letzten Funksprüche der „Bismarck“ sind abgedruckt im Kriegstagebuch der Seekriegsleitung, Teil A, Bd. 21, S. 408. 1 2

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, Pers 6/2236: Personalunterlagen Lütjens. Allerdings wurde 1947 auf Anordnung der britischen Admiralität aus einer Reihe von Offizier-Personalakten der Akteninhalt ganz bzw. teilweise entnommen und vernichtet, darunter auch die Unterlagen über Lütjens (vgl. Deutsche Dienststelle Berlin-Borsigwalde Ref. VIC/RL vom 14. 12. 1959). Gedruckte Quellen und Literatur Bekker, Cajus: Verdammte See. Ein Kriegstagebuch der deutschen Marine. Oldenburg 1971. Bidlingmaier, Gerhard: Erfolg und Ende des Schlachtschiffes Bismarck. In: Wehrwissenschaftliche Rundschau 9 (1959), S. 261–281. Ders.: Einsatz der schweren Kriegsmarineeinheiten im ozeanischen Zufuhrkrieg. September 1939 – Februar 1942. Neckargemünd 1963. Brennecke, Jochen: Schlachtschiff Bismarck, Höhepunkte und Ende einer Epoche. 2. Aufl. Herford 1967. Busch, Fritz Otto: Das Geheimnis der Bismarck. Hannover 1950. Förste, Erich: Gedanken zu einem Buch über Schlachtschiff „Bismarck“. In: MarineRundschau 58 (1961), S. 335–344. Hinsley, F. H.: British Intelligence in the Second World War. Vol. I, London 1979.

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Müllenheim-Rechberg, Burkhard von: Schlachtschiff Bismarck. Ein Überlebender in seiner Zeit. 2. Aufl. Frankfurt 1993. Raeder, Erich: Mein Leben. Bd. 2: Von 1935 bis Spandau. Tübingen 1957. Roskill, Stephen Wentworth: The War at Sea 1939–1945. Bd. I, London 1976. Schofield, Brian Betham: Der Untergang der Bismarck. Stuttgart 1976. Statz, Josef: Schlachtschiff „Bismarck“. Ein Überlebender berichtet … gesunken … gerettet … gefangen. Münster 1994.

Bernd Boll

Generalfeldmarschall Erich von Lewinski, gen. von Manstein Für Erich von Manstein blieb Hitler zeitlebens der ‘Führer’. Ihm hielt er bis zum Ende loyal den Eid, ungeachtet aller Versuche der Militäropposi tion, ihn für ihre Reihen zu gewinnen. Am Widerstand gegen Hitler hinderten ihn die Schranken seiner Herkunft. Erich von Manstein wurde am 24. November 1887 in Berlin als zehntes Kind des Generals Eduard von Lewinski geboren und wenig später, wie zwischen den Familien vereinbart, von der kinderlosen Schwester seiner Mutter und ihrem Mann, dem späteren Generalleutnant Georg von Manstein, adoptiert. Der zukünftige Generalfeldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg war ein Onkel Mansteins. Daß – worauf neuere Forschungen hindeuten1 – zu seinen Vorfahren auch Juden zählten, dürfte für seine Einstellung zum Nationalsozialismus von Bedeutung gewesen sein. Das militärisch geprägte Lebensumfeld seiner Kindheit und ein durch die Adoption ausgelöster familiärer Legitimitätskonflikt prädestinierten ihn für eine Karriere in der Armee, die ihm als legitimer Verband fortan die Familie ersetzte.2 Seit seinem zwölften Lebensjahr in verschiedenen Kadettenanstalten ausgebildet, diente Manstein nach dem Abitur 1906 in Berlin im 3. Garderegiment zu Fuß, in dem er 1907 zum Leutnant befördert wurde. Der Kriegsbeginn im Sommer 1914 beendete eine an der Kriegsakademie begonnene Ausbildung vorzeitig. Als Regimentsadjutant, als Ordonnanzoffizier und später als Generalstabsoffizier nahm er an verschiedenen Fronten am Ersten Weltkrieg teil. Die revolutionären Umwälzungen am Ende des Kaiserreichs erlebte Manstein im Rang eines Hauptmanns als 1. Generalstabsoffizier der 213. Infanterie-Division. Er nahm sie gleichermaßen als Bedrohung für seine Klasse wie für die Armee wahr. Verstärkt wurde dieses Gefühl noch durch die Friedensbedingungen der Alliierten, vor allem die personelle Beschränkung der deutschen Armee und die territorialen Abtretungen an Polen. Dennoch diente Manstein der Republik als neuer Trägerin der ‘Reichsidee’ – selbst während des Kapp-Putsches – loyal, wenn auch mit kaum verhohlener Abneigung. Nach der Übernahme in die Reichswehr wurde Manstein im Herbst 1919 Generalstabsoffizier beim Gruppenkommando in Kassel, später war er einige Jahre lang als Führerstabsoffizier Lehrer in den Wehrkreisen Stettin und

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Dresden. Mit der Berufung zum Gruppenleiter im Truppenamt des Reichswehrministeriums Ende September 1929 stand dem inzwischen zum Major beförderten Manstein die Generalstabskarriere offen. Seine strategische Begabung machte dem ehrgeizigen Offizier nicht nur Freunde im Operationsstab der Heeresleitung. Von Nutzen war Manstein später, daß General Wilhelm Adam, der Chef des Truppenamts, ihn Ende 1931 als Begleiter zu Gesprächen mit dem stellvertretenden Kriegsvolkskommissar der UdSSR Tuchačevski in Moskau wählte. Ein Jahr später beobachtete Manstein als Adams Vertreter Manöver der Roten Armee im Kaukasus. Die Reise bestätigte erneut sein Feindbild: überall drohte der „Schatten asiatischer Despotie“, nicht zuletzt in Gestalt der Truppenkommissare in der Roten Armee. Nach seiner Rückkehr wurde Manstein zunächst als Bataillonskommandeur nach Kolberg versetzt. Zum 1. Februar 1934 avancierte er, inzwischen Oberst, zum Stabschef im Wehrkreiskommando Berlin. Die Kanzlerschaft Hitlers war für Manstein eher ein Grund zum Optimismus als zur Sorge. Zwar hatte er dessen Putschversuch im November 1923, an dem bayrische Verbände der Reichswehr beteiligt gewesen waren, wenn nicht aus politischen, so doch aus formalen Gründen abgelehnt. Die Umstände der Machtübernahme 1933 indes ließen ihn weder an der Legitimität der neuen Regierung noch an deren geschlossener Unterstützung durch die Streitkräfte zweifeln. In zentralen Punkten setzte er auf das Programm der neuen Regierung seine Hoffnung, vor allem auf die „Betonung des nationalen Gedankens“, den „kompromißlosen Kampf gegen die Kommunisten“ und das Konzept der „Volksgemeinschaft“, von dem er sich innenpolitische Stabilisierung versprach. Besonders überzeugten ihn die vormilitärische Ausbildung der Jugend, das „Aufbegehren gegen das Versailler Diktat“ und die beabsichtigte Aufrüstung Deutschlands. Vorbehalte hatte er jedenfalls gegenüber den Methoden, mit denen die NSDAP die Straßen erobert hatte, und ihrer „Uniform-Manie“. In der SA sah er einen Konkurrenten um das Monopol der Waffenträgerschaft der Reichswehr, weshalb er die Ausschaltung ihrer Führer – selbst um den Preis der Ermordung zweier Reichswehrgeneräle – begrüßte. Dagegen hatte Manstein durchaus Achtung vor der Masse der „Idealisten“ in der SA, deren Radikalisierung er sich mit dem Einfluß ehemaliger Kommunisten erklärte. Sonstige Bedenken gegen die neue Regierung wehrte er mit der gängigen Fiktion ab, daß Hitler von „Fehlgriffen und Entgleisungen oder gar Missetaten seiner Leute nichts wisse und sie sicher nicht billigen würde, falls er sie erführe“3. Der Diktator, der für Manstein wie einst der Kaiser die Legitimität verkörperte, hatte auf ihn bei ihrer ersten Begegnung Ende März 1934 „einen starken Eindruck gemacht“. Die Aufwertung der Streitkräfte im

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Zuge der Remilitarisierung zerstreute Mansteins letzte Bedenken. Selbst die Einführung des „Arierparagraphen“ durch Reichswehrminister Blomberg im Februar 1934 ließ ihn nur gegen die rückwirkende Entlassung, nicht jedoch gegen das Verbot der künftigen Neuaufnahme jüdischer Reichswehrangehöriger protestieren. Aber nicht politische oder humane Erwägungen motivierten seine Intervention: Manstein konnte in Blombergs Erlaß nur einen Verstoß gegen das Prinzip der Kameradschaftlichkeit, keine Übernahme nationalsozialistischer Prinzipien erkennen. Ungeklärt ist, inwieweit sein eigener Familienhintergrund dabei eine Rolle spielte. So stellte für ihn auch der neue Eid auf Hitler wenig später kein Problem dar, solange er sich den Glauben an eine unabhängige Armee bewahren konnte. Noch weniger gab ihm der Terror gegen die politische Opposition zu denken, von dem er wenig bemerkt haben will.4 Als Manstein im Juli 1935 als Chef der Operationsabteilung in den Generalstab des Heeres wechselte, eröffneten sich ihm neue Karrieremöglichkeiten. Im Oktober 1936 wurde er Generalmajor und als Oberquartiermeister 1 erster Gehilfe und Vertreter des Generalstabschefs Ludwig Beck – und damit dessen designierter Nachfolger. In seiner neuen Position arbeitete Manstein am Ausbau des Kriegsheeres mit. Im Rahmen der Mobilmachungspläne war er an den Vorbereitungen für den „Anschluß“ Österreichs ebenso beteiligt wie an den Überlegungen für die Spitzengliederung der Wehrmacht im Kriegsfall. Diese hätten auch Mansteins Position weiter aufgewertet. Doch dazu kam es nicht mehr. Im Zuge des Revirements nach den Affären um Reichskriegsminister v. Blomberg und den Oberbefehlshaber des Heeres Freiherr v. Fritsch im Februar 1938 bestand Hitler persönlich auf der Versetzung Mansteins. Sein Nachfolger wurde General Halder. Vorerst behielt ihn Beck aber noch als Experten für Mobilisierung, Grenzschutz- und Gliederungsmaßnahmen im Generalstab. Erst zum Oktober wechselte Manstein offiziell als Divisionskommandeur nach Liegnitz. Wie sich bald zeigte, war er durch die Versetzung keineswegs kaltgestellt. Von bevorstehenden Kriegsvorbereitungen will Manstein damals nicht erfahren haben, auch nicht, nachdem Hitler am 5. November 1937 in der Reichskanzlei den Kriegs- und Außenminister sowie die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtteile über seine bevorstehenden Kriegsabsichten informiert hatte. In Wirklichkeit vertrat Manstein gegenüber Beck die Auffassung, daß die Tschechoslowakei als Staat keine Lebensberechtigung habe, und befürwortete eine möglichst rasche Annektion des Sudetenlandes. Als Generalstabschef zur 12. Armee des Generalobersten Ritter von Leeb kommandiert, war er an der Besetzung beteiligt, kehrte jedoch auf eigenen Wunsch bald zu seiner Division zurück. Wenig später bereitete Manstein als Stabschef des Arbeitsstabs Rundstedt die Planungen für die Invasion Polens

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mit vor.5 Dieser wurde mit Kriegsbeginn in Heeresgruppe Süd umbenannt, wiederum mit Manstein, inzwischen zum Generalleutnant befördert, als Chef des Generalstabs. Neun Tage vor dem Überfall auf Polen hatte Hitler den führenden Generalen auf dem Obersalzberg die Ziele des Polenfeldzugs erläutert: „Es komme dabei nicht auf die Erreichung einer bestimmten Linie an, sondern auf die Vernichtung der lebendigen Kräfte des Gegners. Durch propagandistische Maßnahmen werde er den Anlaß zur Auslösung des Konflikts herbeiführen. (…) es gehe nicht um Recht, sondern um Sieg. Daher dürfe es auch kein Mitleid, keine menschlichen Regungen geben.“6 Eine Vernichtungsabsicht gegenüber der Bevölkerung, besonders der jüdischen, habe er der Rede nicht entnehmen können, schrieb Manstein später. Ebensowenig wollte er sich erinnern, daß die Massenmorde an Juden und Polen im September 1939 einige Armeeführer in Rundstedts Heeresgruppe zu scharfen Stellungnahmen veranlaßt hatten. Ende Oktober ging Rundstedts Stab als Heeresgruppe A an die Westfront und arbeitete in Koblenz die Angriffspläne gegen Frankreich aus. Manstein holte sich Henning von Tresckow als Mitarbeiter in seine Führungsabteilung. Da er den Offensivplan des OKH für wenig erfolgversprechend hielt, verfaßte er mit Unterstützung Rundstedts einen Gegenentwurf, den er gegen Brauchitsch und Halder bei Hitler, wenn auch mit Abstrichen, durchsetzen konnte. An seiner Ausführung teilnehmen ließ ihn der Diktator jedoch nicht: Als Kommandierender General befehligte Manstein seit 1940 das in Stettin neu aufgestellte XXXVIII. Armeekorps, mit dem er Ende Mai 1940 nur noch unwesentlich in die von ihm konzipierten Blitzkriegsoperationen eingreifen konnte. Die Beförderung zum General der Infanterie erfolgte dafür bereits am 1. Juni. Nach acht Monaten Besatzungstätigkeit an der Kanalküste wurde Manstein im März 1941, in Vorbereitung des Ostfeldzugs, Kommandierender General des LVI. Panzerkorps. In seinem Korps, mit dem er am 22. Juni 1941 im Eilmarsch von Tilsit in Richtung Leningrad vorrückte, will Manstein mit dem Einverständnis von General Hoepner, seinem Vorgesetzten als Oberbefehlshaber der Panzergruppe 4, den ‘Kommissarbefehl’ boykottiert haben. In seinem Befehlsbereich sei er auch nicht durch die Waffen-SS ausgeführt worden. Tatsächlich aber erschossen Hoepners Truppen zahlreiche Kommissare, auch für Mansteins Korps ist dies belegt.7 Nach kaum drei Monaten im Nordabschnitt erhielt Manstein das Kommando über die 11. Armee (AOK 11) auf der Krim, deren Oberbefehlshaber, General von Schobert, tödlich verunglückt war. Die Kooperation von SD und Wehrmacht bei der Ermordung von Zivilisten und Kriegsgefangenen hatte sich bei der 11. Armee bereits eingespielt, als Manstein dort eintraf. Anfang Januar 1942 belief sich die Zahl der jüdischen Opfer der SD-Einsatzgruppe D unter SS-Gruppenführer Otto Ohlen-

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dorf auf der Krim bereits auf 23 000. Mansteins Truppen halfen beim Judenmord durch Bereitstellen von Fahrzeugen, Absperr- und Exekutionskommandos. Aber die Armee nahm Ohlendorfs Leuten gelegentlich auch die Arbeit ab oder befahl ihnen die Durchführung bestimmter Einsätze. In Simferopol etwa verlangte das AOK 11 vom SD Anfang Dezember 1941, die erst für das Frühjahr geplante Exekution von 10 000 Juden noch vor Weihnachten durchzuführen, um angesichts der zu erwartenden Hungersnot deren Lebensmittel auf die übrige Bevölkerung verteilen zu können. Das war ganz im Sinne von Mansteins Armeebefehl vom 20. November 1941, in dem er von seiner Truppe Verständnis für „die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum, dem geistigen Träger des bolschewistischen Terrors“, gefordert hatte. Aber nicht nur Juden, Zigeuner und Krimchaken wurden von SD und Wehrmacht exekutiert. Auch andere Zivilisten, die in irgendeiner Form als Partisanen verdächtig waren, wurde von der Geheimen Feldpolizei erschossen oder zu diesem Zweck dem SD übergeben. In allen belegten Orten wurden Zivilisten als Geiseln festgenommen, um sie als Vergeltung für Partisanenangriffe zu erschießen oder öffentlich aufzuhängen. Nachdem Anfang Januar 1942 der Roten Armee, mit Unterstützung Tausender Einwohner, vorübergehend die Einnahme von Eupatoria geglückt war, ließ die 11. Armee nach der Rückeroberung an die 1200 gefangene Zivilisten als Partisanen erschießen. Bei Selektionen von Juden und Kommunisten in den Kriegsgefangenenlagern übergaben Dienststellen der Armee zwischen Dezember 1941 und August 1942 3311 Rotarmisten dem SD, im selben Zeitraum wurden weitere 7504 als verstorben oder von den Wachmannschaften erschossen gemeldet.8 Als Anfang Juli Sevastopol gefallen und die Krim in der Hand der Wehrmacht war, konnte Manstein den ersehnten Marschallstab von Hitler in Empfang nehmen. Nun übertrug ihm dieser die Leitung der geplanten Einnahme und völligen Zerstörung von Leningrad, dem verhaßten Symbol der bolschewistischen Revolution. Manstein hatte in diesem Fall Bedenken gegen die Wirksamkeit einer reinen Materialschlacht und hätte es vorgezogen, „die Stadt einzuschließen und Verteidiger wie Bewohner verhungern zu lassen“9. Sowjetische Abwehrkämpfe und Gegenangriffe verhinderten die Einnahme von Leningrad und banden die 11. Armee am Ladoga-See. Die Blockade dauerte noch bis zum Januar 1944; bis dahin verhungerten mehr als 800 000 Einwohner. Anfang November 1942 verlegte Manstein das AOK 11 in den Raum Vitebsk, am 20. November schickte Hitler ihn und seinen Stab als neugebildete Heeresgruppe Don an die südliche Ostfront, um die drohende Ein schließung der 6. Armee in Stalingrad zu verhindern. Nachdem die Rote Armee den Kessel geschlossen hatte, schätzte Manstein die Chance für eine

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Entsatzoperation zunächst sehr günstig ein, sofern die Luftwaffe genügend Nachschub einzufliegen imstande sei. Ein Durchbruch der eingeschlossenen Truppen, der auf eine Räumung hinausgelaufen wäre, war für ihn nur die äußerste Option. Er stand mit dieser Auffassung unter den Generalen allein, fand aber ein offenes Ohr bei Hitler, für den eine Räumung nicht in Frage kam. Allerdings stand für Manstein nicht nur die 6. Armee, sondern auch seine eigene Karriere auf dem Spiel: Befahl er gegen Hitlers Weisungen den Ausbruch, ließ ihn dieser womöglich fallen; gab er hingegen Befehl, die Stadt zu halten, riskierte er den Verlust sämtlicher Truppen. General Paulus, der nicht wagte, mit seiner 6. Armee eigenmächtig auszubrechen, bat Manstein verzweifelt um den Befehl dazu. Aber unter Hinweis auf Hitlers fehlende Zustimmung schob ihm dieser die alleinige Verantwortung zu.10 Hitlers unflexible Strategie ließ Manstein damals bereits das Schlimmste befürchten, während er ein „militärisches Remis“ durchaus noch für möglich hielt. Abhilfe versprach er sich von einer Neuauflage seiner Pläne zur „Spitzengliederung der Wehrmacht“ aus der Zeit in der Operationsabteilung des Heeres. Bei einer Lagebesprechung wenige Tage nach dem Fall von Stalingrad stieß er, wie später noch mehrfach, bei Hitler mit diesem Thema aber auf taube Ohren.11 Das Thema Spitzengliederung war 1943 auch Gegenstand einer Reihe von Gesprächen mit Angehörigen der Militäropposition, die Manstein für ihr Vorhaben zu gewinnen suchten. Dabei ließen Tresckow – der Manstein mehrfach besuchte –, Fellgiebel, Stauffenberg und Gersdorff keinen Zweifel daran, daß der Weg zu einer effektiveren Organisation der Wehrmachtführung nur durch die Beseitigung Hitlers frei werden konnte. Manstein war der gesuchte Mann der Opposition. Er lehnte jedoch ab. Später rechtfertigte er seine Zurückhaltung mit der Begründung, daß er ein „Chaos in Deutschland“ vermeiden wollte, das er nach Hitlers Sturz für unvermeidbar hielt. Andererseits ließ er Gersdorff gegenüber durchblicken, daß er durchaus bereit wäre, „sich stets der legalen Staatsführung loyal zur Verfügung“ zu stellen. 12 Mochte Manstein Hitler als Feldherrn auch für unfähig halten, so verschloß er sich jedoch geradezu zwanghaft der Einsicht, daß er zudem der Urheber millionenfacher Verbrechen war. Dabei ist bezeugt, daß er von zuverlässiger Seite mehrfach über die Massenmorde des SD informiert wurde.13 Aber ungeachtet seiner häufigen Begegnungen mit dem Diktator und der Informationen durch Mitglieder der Opposition hielt er stets an der Behauptung fest, er habe durch die jahrelange Beanspruchung an der Front die Natur des Regimes nicht erkennen und von irgendwelchen Verbrechen niemals erfahren können. Nachdem die letzte deutsche Offensive im Sommer 1943 abgebrochen werden mußte, leitete Manstein die Abwehrkämpfe der Heeresgruppe Süd,

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die sich im Herbst bis hinter den Dnjepr zurückziehen mußte. Seine Truppen hinterließen schon seit Jahresbeginn die geräumten Gebiete geplündert und verwüstet, die arbeitsfähigen Zivilisten wurden hinter die Front verschleppt und zum Stellungsbau eingesetzt oder zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert.14 Offenbar glaubte Manstein seither immer weniger, jemals von Hitler noch den erhofften Oberbefehl im Osten zu erhalten. Eine Durchhalterede Hitlers vor Generalen und Admiralen Ende Januar 1944 unterbrach er mit einem – vorsichtshalber sehr zweideutig formulierten – Zwischenruf, für den er sich eine heftige Rüge des Diktators einhandelte, der nun ernsthaft über die Entlassung seines Marschalls nachzudenken begann. Darin bestärkte ihn, daß Manstein angesichts fehlenden Nachschubs immer häufiger seine Haltebefehle ignorierte und schließlich selbst mit Rücktritt drohte. Nach wiederholten Auseinandersetzungen bestellte Hitler Manstein und Feldmarschall v. Kleist zum 30. März 1944 auf den Obersalzberg, verlieh ihnen das Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern – und teilte ihnen zugleich ihre Entlassung mit. Allerdings wollte er sich den ehrgeizigen Manstein gewogen halten und deutete an, ihn als Oberbefehlshaber West wiederzuverwenden.15 Dank eines Hinweises von General Fellgiebel konnte sich Manstein für das Attentat ein Alibi verschaffen, indem er seit dem 13. Juli 1944 Urlaub auf Usedom machte. Einige Monate später beauftragte Hitler den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Herbert Backe, Manstein ein Gut zu besorgen. Zu solchen Dotationen wurden inzwischen Staatsgüter verwendet, deren Pächter nach dem 20. Juli verhaftet worden waren.16 Angesichts der sich abzeichnenden Niederlage wollte Manstein wenigstens noch als Retter der Wehrmacht vor der Roten Armee in die Geschichte eingehen. Aber Hitler rief ihn nicht und verweigerte ihm Ende Januar 1945 sogar eine Audienz. Manstein blieb hartnäckig und bemühte sich noch Ende April und Anfang Mai um Kontakte zu Heeresgruppenbefehlshabern in Norddeutschland. Admiral Dönitz wollte nach dem Selbstmord Hitlers Keitel im OKW durch Manstein ersetzen, der die Truppen an der Ostfront in die Nähe der westlichen Alliierten zurücknehmen lassen sollte. Kommunikationsprobleme verhinderten jedoch, daß Manstein wenigstens in der Niederlage noch für einige Tage ein hohes Kommando führte. Statt dessen wurde er am 26. August 1945 von der britischen Armee verhaftet. Ein Jahr später sagte er als Zeuge vor dem Alliierten Militärgerichtshof in Nürnberg aus. Eine Denkschrift über die Heeresgeschichte von 1919 bis 1945, die er mit den Generälen Brauchitsch, Halder, Warlimont und Westphal verfaßt hatte, diente der Generalität fortan als Grundlage ihrer Verteidigungsstrategie in den anstehenden Kriegsverbrecherprozessen und prägte

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das Bild der Wehrmacht in der Öffentlichkeit noch für Jahrzehnte. 17 Manstein selbst galt 1949 das letzte britische Verfahren wegen Kriegsverbrechen gegen einen General der Wehrmacht. Diese Prozesse waren inzwischen so umstritten, daß das Urteil gegen Manstein wesentlich milder ausfiel als in früheren vergleichbaren Verfahren. Er wurde am 19. Dezember 1949 der Tötung von Kommissaren und versprengten Rotarmisten sowie von Zivilisten im Zuge von Vergeltungsmaßnahmen schuldig gesprochen und zu 18 Jahren Haft verurteilt.18 Nach einer Reihe von befristeten Haftverschonungen aus Gesundheitsgründen wurde Manstein zum 7. Mai 1953 entlassen. In den folgenden Jahren stellte er, wenn auch nicht in offizieller Funktion, seine Fachkenntnisse dem neuen Verteidigungsministerium und der Bundeswehr zur Verfügung, die ihm seine Mitarbeit durch zahlreiche Ehrungen dankten. Eine Distanzierung vom Nationalsozialismus, dessen Eroberungs- und Vernichtungskrieg er an verantwortlicher Stelle geführt hatte, findet sich in Mansteins Erinnerungsbüchern nur als wohlfeile Referenz gegenüber dem veränderten Zeitgeist. Trauer über „verlorene Siege“ und die Unfähigkeit, die Rolle der Wehrmacht und seine eigene Funktion ohne Illusionen zu reflektieren, verhinderten bis an sein Lebensende Lernprozesse. Manstein starb am 10. Juni 1973 in Irschenhausen bei München und wurde unter militärischen Ehrenbezeigungen der Bundeswehr beigesetzt. Anmerkungen Riggs Liste; Bryan M. Rigg: Hitlers jüdische Soldaten. Paderborn 2003. Dazu Schneider, Denkmal Manstein, passim. 3 Manstein, Soldatenleben, S. 179. 4 Manstein, Soldatenleben, S.185, 209 f., 273 ff.; Müller, Das Heer und Hitler, S.83f.; Hillgruber, In der Sicht des kritischen Historikers, passim. 5 Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle, S. 9–21; Messerschmidt, Außenpolitik und Kriegsvorbereitung, S. 780; Manstein, Soldatenleben, S. 341; Mitcham, Hitler’s Field Marshals, S.243. 6 BA Koblenz, N 1033/13, Nachlaß Greiner: Ansprache des Führes auf dem Berghof am 22. 8. 1939. 7 Manstein, Verlorene Siege, S. 176 f. u. 215; Streit, Keine Kameraden, S.88. 8 BA-MA Freiburg, RH 23/69: AOK 11/O.Qu./Qu7/Sto.d.Fg. Nr. 147/41 geh. vom 12. 9. 1941; RH 20–11/337: Tätigkeitsberichte der GFP-Gruppe 647, März bis Oktober 1942; All. Proz. 9: Dok. NOKW-1284 und NOKW-1286 (Kriegsgefangenenmeldungen, Dezember 1941 bis August 1942); Krausnick, Hitlers Einsatzgruppe, S. 230 u. 240 ff.; Friedrich, Gesetz des Krieges; S. 647 f.; Müller, Deutsche Besatzungspolitik, S.115 f. (Dok. 41). 9 Wegner, Der Krieg gegen die Sowjetunion, S. 1025. 1 2

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Manstein, Verlorene Siege, S. 367, 384 f., 392; Stahlberg, Verdammte Pflicht, S.250; Wegner, Der Krieg gegen die Sowjetunion, S.1173–1194. 11 Manstein, Verlorene Siege, S.318 u. 384; Stahlberg, Verdammte Pflicht, S.279. 12 Stahlberg, Verdammte Pflicht, S. 220–282 und 339; Manstein, Verlorene Siege, S.317 f.; Gersdorff, Soldat im Untergang, S. 134 ff. 13 Manstein, Verlorene Siege, S.603; Stahlberg, Verdammte Pflicht, S.314f. u. 345. 14 Der Krieg gegen die Sowjetunion, S. 233 (Dok. 149); Müller, Deutsche Besatzungspolitik, S.338–341 (Dok. 145), S. 340 f. (Dok. 146). 15 Stahlberg, Verdammte Pflicht, S. 358 u. 370. 16 BA Berlin, NS 19/909: Backe an Manstein, 17. 10. 1944; Backe an Bormann, 17. 10. 1944; Backe an Himmler, 17. 10. 1944; vgl. Stahlberg, Verdammte Pflicht, S.367. 17 Manstein/Fuchs, Soldat, S. 219–226; dazu ausführlich Messerschmidt, Vorwärtsverteidigung. 18 Paget, Manstein, S. 112–127 u. 225 f.; Wrochem, Rehabilitation oder Strafverfolgung, passim; ders., Auseinandersetzung mit Wehrmachtsverbrechen, passim. 10

Bibliographische Hinweise (Vgl auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA Koblenz, N 1033/13: Nachlaß Greiner; BA-MA Freiburg, N 507: Nachlaß Manstein; RH 20–11: AOK 11; RH 23: Rückwärtige Armeegebiete; All. Proz. 9: Nürnberger Prozesse; BA Berlin, NS 19/909: Persönlicher Stab Reichsführer SS; All. Proz. 5: Manstein-Prozeß; All. Proz. 8: Britische Prozesse. Der übrige Nachlaß ist im Besitz seines Sohnes Rüdiger von Manstein in Irschenhausen bei München. Gedruckte Quellen und Literatur Blakemore, Porter Randall: Manstein in the Crimea. The Eleventh Army Campaign, 1941–42. Diss. University of Georgia 1978. Breithaupt, Hans: Zwischen Front und Widerstand. Ein Beitrag zur Diskussion um den Feldmarschall Erich von Manstein. Bonn 1994. Engelmann, Joachim: Manstein. Stratege und Truppenführer. Ein Lebensbericht in Bildern. Friedberg o. J. [1981]. Hillgruber, Andreas: In der Sicht des kritischen Historikers. In: Nie außer Dienst. Zum 80. Geburtstag von Generalfeldmarschall Erich v. Manstein. Köln 1967, S. 65– 83. Leverkühn, Paul: Verteidigung Manstein. Hamburg 1950. Manstein, Erich von: Verlorene Siege. Bonn 1955. Manstein, Erich von: Aus einem Soldatenleben. Bonn 1958. Manstein, Rüdiger von/Theodor Fuchs (Hrsg.), Erich von Manstein, Soldat im 20. Jahrhundert. Koblenz 2. Aufl. 1983. Paget, Reginald T.: Manstein. Seine Feldzüge und sein Prozeß. Wiesbaden 1951.

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Rigg, Bryan M.: Riggs Liste. Warum gehorchten Soldaten jüdischer Herkunft einem Regime, das ihre Familien umbrachte? In: Die Zeit Nr.15, 4. 4. 1997. Ders.: Hitlers jüdische Soldaten. Paderborn 2003. Schneider, Christian: Denkmal Manstein. Psychogramm eines Befehlshabers. In: Mittelweg 36, Nr.5/1994, S. 23–36. Stein, Marcel: Generalfeldmarschall Erich von Manstein. Kritische Betrachtung des Soldaten und Menschen. Mainz 2000. Ders.: Der Januskopf – Generalfeldmarschall von Manstein. Eine Neubewertung. Bissendorf 2004 (engl. Ausgabe u. d. T.: Field Marshal von Manstein. Solihull 2007). Ders.: Die 11. Armee und die „Endlösung“ 1941/42. Eine Dokumentensammlung mit Kommentaren. Bissendorf 2006. Wallach, Jehuda L.: Feldmarschall Erich v. Manstein und die deutsche Judenausrottung in Rußland. In: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, Universität Tel Aviv, 4/1975, S.457–472. Wrochem, Oliver von: Rehabilitation oder Strafverfolgung. Kriegsverbrecherprozeß gegen Generalfeldmarschall Erich von Manstein im Widerstreit britischer Interessen. In: Mittelweg 36, Heft 3/1997, S. 26–36. Ders.: Die Auseinandersetzung mit Wehrmachtsverbrechen im Prozeß gegen den Generalfeldmarschall Erich von Manstein 1949. In: ZfG 46 (1998), S.329–353. Ders.: Erich von Manstein. Vernichtungskrieg und Geschichtspolitik. Paderborn 2006, 2. Aufl. 2009.

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Generalfeldmarschall Walter Model* Walter Model hatte den Spitznamen „Hitlers Feuerwehrmann“, denn er wurde von Hitler immer wieder an kritische Punkte seines zerbröckelnden Reichs geschickt, um scheinbar hoffnungslose Frontsituationen zu retten. Andere Feldmarschälle assoziiert man gewöhnlich mit bestimmten Orten: so Paulus mit Stalingrad, Kesselring mit Italien oder Rommel mit der nordafrikanischen Wüste. Model wird ganz allgemein mit der zweiten Kriegshälfte in Beziehung gebracht. Er erhielt in dieser Zeit nur die schwierigsten Aufträge. Model war Preuße, er war robust, von mittelgroßer, etwas gedrungener Statur, mit kurzem militärischem Haarschnitt und natürlich mit dem unentbehrlichen Monokel, das er ständig trug. Er stammte jedoch aus dem Mittelstand, nicht aus der Junkerschicht. Model wurde am 24. Januar 1891 in Genthin bei Magdeburg als Sohn eines Musiklehrers geboren. Seine Vorfahren waren Lehrer, Bauern und Gastwirte – nicht Offiziere. Weil er in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs die Vernichtung seiner Privatpapiere anordnete, weiß man wenig über seine Kindheit. Er wuchs in einer frommen lutherischen Familie auf, die oft unter Geldknappheit litt und wiederholt umzog. Der junge Model besuchte ein humanistisches Gymnasium, wo er sich in Griechisch, Latein und Geschichte hervortat1, und war Mitglied der literarisch orientierten Körner-Gesellschaft in Naumburg. Im Februar 1909 trat er als Fahnenjunker in das preußische Infanterie regiment Nr. 52 in Cottbus ein, was er wohl hauptsächlich den Beziehungen seines Onkels zu verdanken hatte, der Reserveoffizier und einflußreicher Bankier war.2 Am 22. August 1910 wurde er Leutnant. Als junger Offizier entwickelte Model eine Leidenschaft für das Reiten und die Jagd. Er galt als fähig und ehrgeizig sowie als unbequemer Untergebener, denn er scheute sich nicht, seine Ansichten offen zu äußern – auch gegenüber Vorgesetzten. Er arbeitete hart, zeigte eine unglaubliche Energie und schloß selten Freundschaften. Diese Eigenarten kennzeichneten ihn während seines ganzen Lebens. Im Ersten Weltkrieg kämpfte Model an der Westfront, wo er zum Regimentsadjutanten aufstieg. Als er nach einer schweren Verwundung zu seinem Regiment zurückkam, empfahl ihn sein Brigadekommandeur, Prinz * Aus dem Englischen übersetzt von Karl Nicolai.

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Oskar von Preußen (einer der sechs Söhne des Kaisers), für einen verkürzten Lehrgang zur Generalstabsausbildung. 1916 kehrte er an die Front zurück; als Kompaniechef kämpfte er bei Verdun, wo er mehrmals verwundet wurde und ihm das Eiserne Kreuz I. Klasse ebenso wie das Ritterkreuz des Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern verliehen wurde.3 Beim Waffenstillstand im November 1918 war Model 2. Generalstabsoffizier der 36. Reservedivision. 1921 wurde Hauptmann i.G. Model in die Reichswehr übernommen. 4 Während der Niederwerfung kommunistischer Aufstände war er in Elberfeld-Barmen (heute Wuppertal) einquartiert; dort lernte er Herta Huyssen kennen, die er 1921 heiratete. Ihrer Ehe entstammten drei Kinder. Seltsamerweise haßte Model Erzählungen vom Krieg; mit seiner Familie sprach er nie über Militärisches oder Politik.5 Model sah im Offiziersberuf eine besondere Berufung und glaubte, ein pflichtbewußter Offizier sollte sich aus der Politik heraushalten und nur ein einziges Ziel verfolgen: dem Staat zu dienen. Persönlich unbestechlich – so erhielt er später als Feldmarschall von Hitler auch keine Dotation –, verkörperte er die typisch deutschen Werte der Religiosität und des Dienens, und er verband sie mit fachlicher Kompetenz, Elan und Ehrgeiz; so erwarb er in der Reichswehr den Ruf, der Inbegriff des preußischen Offiziers zu sein. Später, während des Dritten Reiches, übernahm er jedoch immer mehr die Weltanschauung des Nationalsozialismus; sein großer Ehrgeiz, seine konservative Haltung, seine Ordnungsliebe und seine Überzeugung, der einzelne habe sich dem Staat zu unterwerfen, verbanden sich mit der Hitlerschen Vorstellung und Politik, so daß seine militärischen Fähigkeiten schließlich mißbraucht wurden für Zwecke, die alles andere als edel waren. In der Zeit der Weimarer Republik schrieb Model eine kleine Studie über Gneisenau, was sein Ansehen innerhalb der Reichswehr noch erhöhte.6 Im November 1932 erhielt er, drei Monate vor der ‘Machtergreifung’ Hitlers, den Rang eines Oberstleutnants; im Oktober 1934 wurde er zum Oberst befördert.7 Während der ersten Hälfte der dreißiger Jahre war Model in der Ausbildungsabteilung des Reichswehrministeriums eingesetzt; in diese Zeit fällt eine Dienstreise in die Sowjetunion, wo er Aspekte der Wiederaufrüstung studierte. 8 Nach zweijähriger Truppenverwendung als Bataillons- und Regimentskommandeur wurde er im Oktober 1935 zum Chef der Technischen Abteilung im Generalstab des Heeres ernannt. Obwohl Model aus der Infanterie kam, unterstützte er bereits zu einem frühen Zeitpunkt Ideen der Motorisierung, der Luftunterstützung und des Blitzkriegs; General Guderian lobte ihn später als „einen kühnen, unermüdlichen Soldaten“9. 1938 wurde Model zum Chef des Generalstabes des IV. Armeekorps in Dresden ernannt; dort machte er sich unbeliebt, weil er „ein rastloser, ungeduldiger Vorgesetzter

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war, der seine Untergebenen unerbittlich antrieb“10. Während seiner ganzen Laufbahn wurde Model von seinen Stabsoffizieren und seinen direkten Untergebenen nicht geliebt; aber die Unteroffiziere und Mannschaften schätzten seine energische Art und sein unerschrockenes Verhalten. In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre kam Model erstmals direkt mit den Nationalsozialisten in Berührung. Er machte dabei auf Goebbels einen besonderen Eindruck; dieser stellte ihn Hitler vor, der ebenfalls von ihm beeindruckt war. Im März 1938 wurde er zum Generalmajor befördert. Im Polenfeldzug war er Chef des Generalstabes des IV. Armeekorps, im Frankreichfeldzug Stabschef der 16. Armee. 1940 zum Generalleutnant avanciert, führte er im Ostkrieg seit dem 22. Juni 1941 die 3. Panzerdivision, die zu Guderians Panzergruppe 2 gehörte. Er überschritt den Bug, dann die Beresina und den Dnjepr, eroberte Bobruisk und nahm an den Einkreisungsschlachten von Bialystok, Minsk und Smolensk teil. Außerdem bildete er bei der Einkesselung von Kiev die Spitze von Guderians Panzerarmee. Als er sich am 15. September bei Sencha mit der 9. Panzerdivision vereinigte, hatte er die umfassendste Einkesselung des Zweiten Weltkriegs vollbracht. Da er offensichtlich erfolgreich führen konnte, erhielt er im Oktober 1941 das Kommando über das XXXXI. Panzerkorps und nahm an dem entscheidenden Vorstoß auf Moskau teil.11 Während dieses Vorstoßes wurde er zum General der Panzertruppen befördert. Anfang Januar 1942 befand sich die 9. Armee (an der Nordflanke der Heeresgruppe Mitte) in einer verzweifelten Lage; sie war in Gefahr, von den Russen eingeschlossen zu werden. Ihr Oberbefehlshaber, Generaloberst Adolf Strauß, wurde aus gesundheitlichen Gründen abgelöst. Zur allgemeinen Überraschung wurde Walter Model zu seinem Nachfolger ernannt.12 Als Model den Oberbefehl übernahm, schien das Schicksal der 9. Armee schon besiegelt zu sein. Ihr XXIII. Korps war südöstlich des Wolga-Sees, westlich von Rzhev, abgeschnitten. Model rettete es durch einen Gegenangriff, der nun die sowjetische 29. Armee abschnitt. Inzwischen hielt er fünf sowjetische Armeen auf, die trotz großer Kälte in Wellen gegen die deutschen Linien anrannten. Wegen dieser Schlacht hatte Model seinen ersten Zusammenstoß mit Hitler. Dieser schickte ihm zwar Verstärkung, wollte sie jedoch rund 150 km südlich von dem Raum, den Model vorschlug, einsetzen. Nach heftigen Auseinandersetzungen sah Model den ‘Führer’ durch sein Monokel ungerührt an und fragte: „Mein Führer, befehligen Sie die 9. Armee oder ich?“ Ohne die Antwort des verblüfften Diktators abzuwarten, erklärte Model unmißverständlich, daß er die Lage an der Front weit besser kenne als Hitler; denn im ‘Führerhauptquartier’ könne man nur von der Karte her urteilen. Völlig überrascht gab Hitler nach. Die nächsten Angriffe der Roten Armee erfolgten genau dort, wo Model sie erwartet hatte,

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und sie wurden von den frischen deutschen Truppen zurückgeschlagen.13 „Haben Sie das Auge gesehen?“ bemerkte Hitler zu seinem Chefadjutanten. „Dem Mann traue ich es zu, daß er es schafft. Aber ich möchte selber nicht unter ihm dienen.“14 Vorfälle wie diesen gab es im weiteren Verlauf des Krieges immer wieder. „Model trat Hitler in einer Weise entgegen, wie es kaum ein anderer gewagt hätte.“15 Allerdings resultierte aus dieser Haltung keine Ablehnung des NS-Staates; Model stand loyal zu Hitlers Herrschaft. Inzwischen wehrten Models Divisionen die 29. Armee der Sowjets ab; dabei töteten sie 27 000 Mann und machten 5000 Gefangene.16 Stalins Winteroffensive erlitt bei Rzhev einen unerwarteten Rückschlag; Model hatte dadurch die Heeresgruppe Mitte gerettet. Im Februar 1942 wurde er zum Generaloberst befördert, und Hitler zeichnete ihn persönlich mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz aus.17 Nach dem Fall von Stalingrad gelang Model im März 1943 die Räumung des von zehn sowjetischen Armeen bedrohten Frontvorsprungs von Rzhev. Infolgedessen standen praktisch alle Truppen Models für Hitlers Offensive gegen Kursk zur Verfügung. Dabei überredete Model den ‘Führer’, die Offensive zu verschieben, bis die neuen Panzertypen – „Tiger“, Panther“ und der 70 Tonnen schwere „Ferdinand“ – an seine Panzerdivisonen ausgeliefert waren. Das erwies sich als ein verhängnisvoller Fehler, denn die Rote Armee nutzte diese Zeit, um dichte Minenfelder anzulegen und den bedrohten Frontabschnitt zu befestigen; zudem erfüllte der Panzer „Ferdi nand“ keineswegs die in ihn gesetzten Erwartungen. Hitlers letzte größere Offensive im Osten – die größte Panzerschlacht der Geschichte – endete mit einer entscheidenden deutschen Niederlage bei Kursk. Das Ansehen Models bei Hitler sank nach dieser Niederlage kaum. Der ‘Führer’ übertrug ihm – zusätzlich zur 9. Armee – sogar den Oberbefehl über die 2. Panzerarmee und gestattete ihm im Frontabschnitt von Orel eine „elastische Kampfführung“. Bei seinem Rückzug wandte Model das Prinzip der „verbrannten Erde“ an; er ließ russische Getreidefelder (unmittelbar vor der Ernte) in Brand stecken, trieb 250 000 Zivilisten mit allem, was sie tragen konnten, zusammen und zwang sie, nach Westen zu marschieren. Er konfiszierte auch ihre Viehbestände und vernichtete alles, was er nicht mitnehmen konnte. 18 Gemäß Hitlers Weisungen verfuhr Model zweifellos hart mit der sowjetischen Zivilbevölkerung; anscheinend kooperierte er auch mit den SS-Einsatzgruppen – allerdings sind die Quellen in diesem Punkt widersprüchlich. Model war nicht nur energisch, für Neuerungen aufgeschlossen und mutig, er neigte auch dazu, die Kontrolle zu übertreiben, und mischte sich häufig in die Angelegenheiten ihm unterstellter Verbände und Kommandeure ein. Er konnte dabei ziemlich schroff

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und egoistisch sein: gelegentlich nahm er anderen Kommandeuren einfach ihre Einheiten weg. Ein Führungsstil, den er sich von oben verbat. Noch bevor Model am 1. April 1944 zum Generalfeldmarschall befördert wurde, unterzeichnete er mit den anderen aktiven Feldmarschällen eine Treue- und Ergebenheitsadresse für Hitler. Diese war von Hitlers Chefadjutant Schmundt und Propagandaminister Goebbels organisiert worden, um Hitlers Besorgnis über ein möglicherweise positives Echo auf die Frontpropaganda des in der UdSSR gegründeten „Nationalkomitees Freies Deutschland“ zu zerstreuen.19 Bis zum Sommer 1944 fungierte Model permanent als Retter kritischer Situationen im Osten, wobei er nacheinander die Heeresgruppe Nord, Nord-Ukraine (ehemals Süd) und Mitte führte. Er war ein anerkannter Abwehrexperte und galt allgemein als taktisches Genie. Mitte August 1944 bezeichnete ihn Hitler öffentlich als „Retter der Ostfront“20. Unmittelbar nach Stauffenbergs Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 hat Model als loyaler Anhänger Hitlers dem Diktator ein Ergebenheitstelegramm geschickt. Am 16. August wurde Model an die Westfront versetzt – als Oberbefehlshaber West und gleichzeitiger Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B. Nun sollte er noch der „Retter der Westfront“ werden – ein Auftrag, den aber auch er nicht zu erfüllen vermochte. Die Situation im Westen hatte sich derart verschlechtert, daß Model nur noch die Überreste der 5. Panzerarmee und der 7. Armee retten konnte. Erst als er Paris aufgegeben und Frankreich und Belgien geräumt hatte, gelang es ihm, die deutschen Stellungen vorübergehend an der „Siegfried-Linie“ zu stabilisieren. Inzwischen sah Hitler ein, daß niemand gleichzeitig die Funktionen des Oberbefehlshabers West und des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe B ausfüllen konnte; deshalb ernannte er Rundstedt zum Nachfolger Models als Oberbefehlshaber an der Westfront. Als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B zerschlug Model die britischen Luftlandetruppen bei Arnheim und errang damit den letzten größeren deutschen Sieg im Westen. Er widersetzte sich Hitlers Plan einer Ardennenoffensive; aber dieses Mal ließ sich der ‘Führer’ nicht umstimmen.21 So stürzte sich Model, als gehorsamer Untergebener, mit seiner ganzen Energie in diese Offensive und versuchte, den Angriff zu einem Erfolg zu machen, indem er sich und seine Soldaten weiterhin unerbittlich antrieb.22 In der Ardennenoffensive sollte Model das Unmögliche vollbringen. Er brachte zwar die Amerikaner mehrfach in große Schwierigkeiten und fügte ihnen hohe Verluste zu (76 000 Mann); er selbst verlor aber mindestens ebenso viele Soldaten und außerdem 600 Panzer und Sturmgeschütze.23 Schlimmer war jedoch, daß nun die Kampfmoral der Deutschen im Westen endgültig gebrochen war. Als die 9. US-Armee am 8. Februar 1945 die Roer über-

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querte, war der Widerstand so schwach, daß sie dabei weniger als 100 Soldaten verlor.24 Vielleicht ist es angemessen, daß „Hitlers Feuerwehrmann“ letztlich einem der Haltebefehle des ‘Führers’ zum Opfer fiel: Model sollte mit 15 Divisionen das Ruhrgebiet verteidigen. Allerdings waren die meisten seiner 320 000 Soldaten schlecht ausgebildete Volkssturmmänner, Bodenpersonal der Luftwaffe, Flakhelfer, Hitlerjungen und Männer älterer Jahrgänge. Model selbst wurde von einer seltsamen Apathie ergriffen – vielleicht weil er nun einsah, daß der Krieg verloren war, und weil die Sowjetregierung seinen Namen auf die Liste der Kriegsverbrecher gesetzt hatte, da er das von Hitler befohlene Prinzip der verbrannten Erde in der Sowjetunion so unerbittlich ausgeführt hatte. Er wußte nunmehr – und das erklärt möglicherweise seine fatalistische Haltung –, daß weiterer Widerstand den unvermeidlichen Zusammenbruch lediglich verlängerte – auf Kosten von Tausenden von Menschenleben. Aber offensichtlich hielt Model auch in militärisch aussichtsloser Lage an seinem fanatischen Behauptungswillen fest, der ihn lange Zeit Schwierigkeiten ignorieren ließ. Immerhin hatte ihn Hitler mit den Schwertern (1943) und Brillanten (1944) zum Eichenlaub des Ritterkreuzes ausgezeichnet. Auf jeden Fall war die Schlacht um das Ruhrgebiet die schlechteste Operation, die Feldmarschall Model je leitete. Am 1. April war das Ruhrgebiet eingeschlossen. Die Kämpfe dauerten noch drei Wochen; dabei ignorierte Model Hitlers Befehle, alle Industrieanlagen zu zerstören. Mehrfach setzte er sich bewußt dem feindlichen Feuer aus; offenbar suchte er den Tod in der Schlacht, wurde jedoch nie getroffen.25 In aussichtsloser Lage – auch aus Verantwortung gegenüber seinen Soldaten – löste Model am 17. April die Heeresgruppe B auf. Er und seine Stabsoffiziere waren jetzt nur noch Flüchtlinge, die durch das zerstörte Ruhrgebiet streiften und amerikanischen Patrouillen auszuweichen suchten. „Ein Feldmarschall geht nicht in Gefangenschaft“, erklärte Model.26 Am 21. April – einen Tag nach Hitlers 56. Geburtstag – tötete er sich mit einem Schuß in den Kopf.27 Damit erfüllte Model als einziger Feldmarschall des Dritten Reiches die Forderung des ‘Führers’, ein Inhaber des höchsten militärischen Ranges dürfe sich keinesfalls lebend in Gefangenschaft be geben. Jahrelang ruhte Model in einem geheimen, nicht gekennzeichneten Grab in einem Wald bei Duisburg. Erst im Juli 1959 ließ sein Sohn im Einvernehmen mit den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Überreste des Vaters auf dem Soldatenfriedhof Vossenack im Hürtgenwald bestatten, wo auch die Soldaten begraben liegen, die unter Models Befehl an der Westfront kämpften.28

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Anmerkungen D’Este, Model, S.319 f. Keilig, Die Generale des Heeres, S. 228. 3 Mellenthin, Deutschlands Generale, S. 154. 4 Eisenhower, The Bitter Woods, S. 16; Wistrich, Wer ist wer, S. 243; Moll, Die deutschen Generalfeldmarschälle, S.137. 5 D’Este, Model, S.321. 6 Görlitz, Model, S. 38; die 27seitige Studie erschien 1929 in dem Band „Führertum“. 7 Ebenda, S.228. 8 Mellenthin, Deutschlands Generale, S. 155; Wistrich, Wer ist wer, S.243. 9 Guderian, Erinnerungen eines Soldaten, S.304. 10 D’Este, Model, S.322. 11 Carell, Unternehmen Barbarossa, S. 142. 12 Ebenda, S.324. 13 Mellenthin, Deutschlands Generale, S.156 f.; Görlitz, Model, S.116. 14 Görlitz, Model, S.114; vgl. auch D’Este, Model S. 323. 15 Liddell Hart, Jetzt dürfen sie reden, S. 122 (Interview mit General Hasso von Manteuffel). 16 Carell, Unternehmen Barbarossa, S. 334 f. 17 Wistrich, Wer ist wer, S. 243. 18 Ziemke, Stalingrad to Berlin, S. 139 ff.; Maxwell AFB, USA: Plocher, The German Air Force versus Russia. 19 Ueberschär, Das NKFD, S.38 f. 20 Wilmot, The Struggle for Europe, S. 255 f. 21 MacDonald, A Time for Trumpets, S. 35. 22 Eisenhower, The Bitter Woods, S.16. 23 Brett-Smith, Hitler’s Generals, S. 200; Eisenhower, The Bitter Woods, S.18. 24 Wilmot, The Struggle for Trumpets, S. 673. 25 Mellenthin, Deutschlands Generale, S.163 f. 26 Brief Models vom 24. 3. 1945, zitiert bei Ludewig, Walter Model, S.383. 27 Whiting, Battle of the Ruhr Pocket, S. 145 f. 28 MacDonald, The Last Offensive, S. 372. 1 2

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 6: Nachlaß Model; Pers 6/12: Personalakte Model; RH 19 I–IV: Kriegsakten Heeresgruppe Mitte, Nord, Nordukraine, OB West; RH 20–9: KTB und andere Unterlagen Armeeoberkommando 9; RH 21–2: KTB und andere Unterlagen Panzer-Armeeoberkommando 2; Maxwell Air Force Base, USA: Hermann Plocher: The German Air Force versus Russia 1943 (ca. 1965).

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Gedruckte Quellen und Literatur D’Este, Carlo: Model. In: Hitler’s Generals. Ed. by Correlli Barnett. London 1989, S.319–334. Bradley, Dermot/Hans Georg Model: Generalfeldmarschall Walter Model. Dokumentation eines Soldatenlebens 1891–1945. Osnabrück 1990. Eisenhower, John D. S.: The Bitter Woods. New York 1969. Görlitz, Walter: Model. Strategie der Defensive. Wiesbaden 1975. Guderian, Heinz: Erinnerungen eines Soldaten. Neckargemünd 1951, 15. Aufl. Stuttgart 1996. Leppa, Konrad: Generalfeldmarschall Walter Model. Nürnberg 1961. Ludewig, Joachim: Walter Model. Hitlers bester Feldmarschall? In: Die Militärelite des Dritten Reiches. Hrsg. v. Ronald Smelser u. Enrico Syring. Berlin. Frankfurt a.M. 1995, S.368–387. MacDonald, Charles B.: The Last Offensive. Washington, D.C. 1973. Ders.: Time for Trumpets. New York 1985. Stein, Marcel: Generalfeldmarschall Walter Model. Legende und Wirklichkeit. Bissendorf 2001, 2. Aufl. u. d. T.: Generalfeldmarschall Walter Model. Eine Neubewertung. Bissendorf 2008. Ueberschär, Gerd R.: Das NKFD und der BDO im Kampf gegen Hitler 1943–1945. In: Das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und der Bund Deutscher Offiziere. Hrsg. von Gerd R. Ueberschär. Frankfurt a.M. 1995, S.31–51. Whiting, Charles: Battle of the Ruhr Pocket. New York 1970 (dt. Ausgabe u. d. T.: Die Schlacht um den Ruhrkessel. Wien/München 1978). Wilmot, Chester: The Struggle for Europe. New York 1981.

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Generalfeldmarschall Friedrich Paulus Auch heute, über fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, ist selbst dem historisch wenig Interessierten zumindest ein Schauplatz des damaligen Geschehens ein Begriff: Stalingrad. Fest verbunden mit dieser Stadt an der Volga, die längst einen anderen Namen trägt, und mit dem Massensterben, das sich dort im Winter 1942/43 ereignete, ist der Name eines Mannes. Schon vor vierzig Jahren hieß es in einem Nachruf: „Die Kriegsgeschichte kennt heute kaum noch den oder die Sieger dieser fürchterlichsten Menschenschlacht. Sie kennt den Namen Paulus.“1 Der Träger dieses Namens, Friedrich Wilhelm Ernst Paulus, wurde am 23. September 1890 in Breitenau, Kreis Melsungen, in der damaligen preußischen Provinz Hessen-Nassau geboren. Sein Vater Ernst wirkte als subalterner Beamter in einem staatlichen Erziehungsheim. Die Mutter Bertha war eine Tochter des Oberinspektors Nettelbeck, dem Leiter dieser Anstalt. 1909 bestand Friedrich Paulus am Wilhelmsgymnasium in Kassel das Abitur. Sein Berufswunsch Marineoffizier wurde ihm nicht erfüllt: Die kaiserliche Marine lehnte den Beamtensohn ab. So schrieb sich Paulus im Wintersemester 1909/10 an der Universität Marburg im Fach Jura ein. Doch bereits nach einem Semester kehrte er der Alma mater den Rücken und trat im Februar 1910 in Rastatt als Fahnenjunker bei einem badischen Infanterieregiment ein. 1912 heiratete Paulus Elena Constance Rosetti-Solescu (1889–1949), Tochter eines verarmten rumänischen Großgrundbesitzers. 1914 wurde die Tochter Olga, 1918 die Zwillinge Friedrich und Ernst Alexander geboren. Den Beginn des Ersten Weltkrieges erlebte Paulus als Bataillons-Adjutant. 1915 tat er Dienst als Ordonnanzoffizier beim Stab eines Alpenkorpsregiments, das in Rumänien und Mazedonien zum Einsatz kam. Die letzten Kriegsmonate verbrachte er als Generalstabsoffizier einer Division an der Westfront. Trotz einschneidender Folgen des Versailler Vertrages für die Größe und Ausstattung der neuen Reichswehr konnte Paulus in der Weimarer Republik seine militärische Laufbahn fortsetzen. In die Reichswehr übernommen, war er dennoch durch die Wertvorstellungen des kaiserlichen Heeres geprägt und gewiß kein überzeugter Anhänger der Republik. Sein distanziertes Verhältnis zum neuen politischen System zeigte sich 1919 bei seinem Engagement für die Freikorpsbewegung im „Grenzschutz Ost“. Auch hegte

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Paulus Sympathien für den auf Beseitigung der Weimarer Republik zielenden Kapp-Putsch. 1920 trat Paulus in Konstanz, fern von den Berliner Machtzentralen, seinen Dienst als Regimentsadjutant an. Die zweite Hälfte der zwanziger Jahre verbrachte er überwiegend in Stuttgart, wo er als Generalstabsoffizier diente. Mittlerweile war man auch in der Hauptstadt auf seine „operative Begabung“2 aufmerksam geworden und versetzte ihn 1931 nach Berlin ins Reichswehrministerium. Als Lehrgangsleiter mit der Ausbildung des Offiziersnachwuchses betraut, konnte Paulus seiner „Leidenschaft für Kriegs- und Planspiele am Kartentisch oder Sandkasten“3 nachkommen. Durch die Anfang 1935 von Adolf Hitler wiedereingeführte Wehrpflicht, die als „Wiederherstellung der Wehrhoheit des deutschen Volkes“ begrüßt wurde, konnte Paulus, bereits im Juni 1935 zum Oberst ernannt, von der raschen Aufrüstung und den damit verbundenen Aufstiegschancen profitieren. Im September 1935 trat er seinen Dienst als Generalstabschef der Kraftfahrtruppen bei Berlin an. Dort war Paulus mit anderen maßgeblich am Aufbau der neuen Panzertruppe beteiligt. Anfang 1939 zum Generalmajor ernannt, erlebte Paulus den Beginn des Zweiten Weltkrieges als Generalstabschef der 10. Armee (später in 6. Armee umbenannt) unter deren Oberbefehlshaber Walter v. Reichenau und wirkte an der Besetzung Polens, Belgiens und Frankreichs mit. Im September 1940 wurde Paulus Oberquartiermeister I des Generalstabes des Heeres und somit zugleich Stellvertreter des Generalstabschefs Generaloberst Halder. Damit schien der Zugang zu höchsten militärischen Führungspositionen für Friedrich Paulus offenzustehen. Als er am 3. September 1940 seinen neuen Posten antrat, hatte Hitler den obersten militärischen Führungsstäben bereits eine neue Aufgabe gestellt: Ein Angriff auf die Sowjetunion war zu planen, mit der noch im Vorjahr ein Nichtangriffspakt abgeschlossen worden war. Nach ersten Operationsstudien im August übernahm es Paulus, die Planungen zu koordinieren und voranzubringen. Daß die Durchführung dieser Aufgabe die Mithilfe zur Vorbereitung eines Angriffskrieges bedeutete, scheint ihm zwar bewußt gewesen zu sein, beeinflußte sein Handeln als befehls- und gehorsamsgewohnter Offizier zur damaligen Zeit aber nicht erkennbar. Wie andere Offiziere auch akzeptierte er die Entscheidungen der NS-Führung.4 Betraut mit der operativen Planung, leitete er im Dezember 1940 im kleinen Kreis von Generalstabsoffizieren im OKH eine zweitägige vorbereitende Planübung, die sich den strategischen Führungsfragen zuwandte, „wobei alle übrigen Punkte, wie z. B. Tarnung der Angriffsabsicht, Besetzung rückwärtiger Gebiete usw., außer Betracht blieben“ 5. Nachdem die theoretischen Überlegungen der militärischen Fachleute um Paulus abgeschlossen waren, wurde die praktische Vorbereitung des Angriffs durch Hitlers Weisung Nr. 21, Fall Barbarossa, vom

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18. Dezember 1940 in die Wege geleitet. Daß Hitler indes nicht nur einen Angriffskrieg, sondern auch einen ‘Weltanschauungskrieg’ gegen die Sowjetunion zu führen beabsichtigte, scheint Paulus gleichfalls nicht vollkommen entgangen sein: „Hitler beurteilte die Lage grundsätzlich anders [als das OKH; P.S.]. Sein Interesse galt den Flügeln. Er hatte die wunderliche Idee, mit der Einnahme von Leningrad zugleich das politisch-weltanschauliche Zentrum der Sowjetmacht ausschalten zu können.“6 Es fällt auf, wie ein sich als unpolitisch betrachtender, aber militärisch versierter Generalstabsoffizier die Absicht, den zu führenden Krieg um eine politisch-weltanschauliche Dimension zu erweitern, lediglich als „wunderliche Idee“ zur Kenntnis nahm. Im ersten Halbjahr 1941 war Paulus vornehmlich in die Verhandlungen mit den für den Angriff auf die Sowjetunion als notwendig angesehenen Verbündeten Rumänien, Ungarn und Finnland beteiligt. In den ersten Monaten des deutsch-sowjetischen Krieges ab dem 22. Juni 1941 wurde der Oberquartiermeister I wiederholt von Generalstabschef Halder zur Beurteilung der Lage an verschiedene Frontabschnitte geschickt und auch mitunter in Vertretung zum Wehrmachtsführungsstab zu Führerbesprechungen entsandt. Mit der Ernennung seines früheren Vorgesetzten Generalfeldmarschall v. Reichenau zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd Anfang Dezember 1941 ergab sich für Paulus eine weitere Aufstiegsmöglichkeit: Er wurde Oberbefehlshabers der 6. Armee. Paulus, der in seiner bisherigen militärischen Laufbahn nur selten und bereits vor längerer Zeit Truppenführer gewesen war, befehligte nun rund 300 000 Mann. Mit der Befehlsübergabe an Paulus änderte sich auch der Führungsstil im Hauptquartier der 6. Armee in der Nähe von Charkov. Das zuweilen haudegenhafte, immer Bewunderung durch die Truppe heischende Auftreten v. Reichenaus lag dem Planer und Wäger Paulus fern. Doch auch die bereitwillige Durchführung des weltanschaulich motivierten Vernichtungskrieges, den v. Reichenau von seiner Armee gefordert hatte und den diese auch führte, scheint der neue Armeeoberbefehlshaber zu unterbinden versucht haben. So berichtet der 1. Adjutant der 6. Armee, Wilhelm Adam, daß bei einem Frontbesuch im März 1942 Paulus in Belgorod erregt den Abbau eines öffentlich aufgestellten Galgens befohlen habe, an dem hingerichtete Zivilisten hingen. 7 Gerade im Bereich des der 6. Armee unterstellten XXIX. Armeekorps, das zu dieser Zeit seinen Stab in Belgorod hatte, war es vor allem im Februar 1942 im Rahmen der Partisanenbekämpfung und der Abwehr von Spionageverdächtigen immer wieder zu öffentlichen Exekutionen von Zivilisten gekommen. Ein vom Armeekorps an die Divisionen verteiltes „Merkblatt für Behandlung von Zivilisten und Partisanen“ befahl nicht nur sofortiges Erschießen aller ohne Personalpapiere angetroffenen

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männlichen Zivilisten, sondern dehnte auch den Begriff der Partisanenunterstützung extrem weit aus: Demnach waren Bewohner von Orten als Partisanenunterstützer hinzurichten, „wenn nicht einwandfrei nachgewiesen wird, daß die Bevölkerung sich selbst gegen die Partisanen gewehrt und dabei Verluste [!] erlitten hat“8. Bereits „bolschewistische Schrift- oder Mundpropaganda“9 galt laut Befehl vom 27. Februar 1942 im Bereich dieses Armeekorps als Partisanentätigkeit, zu der es hieß: „Die Verfolgung und Vernichtung der Partisanen und ihrer Helfershelfer ist mit rücksichtsloser Schärfe durchzuführen.“10 Offensichtlich war auf der Befehlsebene der Korps- und Divisionskommandeure der 6. Armee die Bereitschaft zur Ausgabe von derartigen Befehlen, die unter dem Mantel der Partisanenbekämpfung einen fast unterschiedslosen Hinrichtungsterror gegen vermeintliche und tatsächliche Partisanen zur Folge haben mußten, größer als die Rücksichtnahme auf die vom Armeeoberbefehlshaber gewünschte, aber wohl nicht energisch genug durchgesetzte völkerrechtskonforme Kriegführung. Nachdem im Mai 1942 von der 6. Armee ein massiver sowjetischer Angriff auf den Großraum Charkov abgewiesen werden konnte, wofür Paulus mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurde, begann im Sommer die großangelegte deutsche Offensive im Süden der Ostfront. Doch die Aufsplitterung in zwei verschiedene Angriffsrichtungen, sowohl zur Volga als auch in den Kaukasus, sollte bei mangelnden Reserven für die 6. Armee vor Stalingrad schon bald größte Schwierigkeiten nach sich ziehen. Obwohl bereits Anfang September die Vororte der Stadt erreicht worden waren, gelang es nicht, die Stadt vollständig zu besetzen: Um beinahe jeden Häuserblock fanden blutige Gefechte statt. Ein zangenförmiger Gegenangriff der Roten Armee ab dem 19. November führte hingegen in wenigen Tagen zur vollständigen Einkesselung des größten Teiles der 6. Armee im Raum Stalingrad. Bereits getroffene Ausbruchsvorbereitungen ließ Paulus wieder einstellen, nachdem Hitler befohlen hatte, die 6. Armee habe sich „einzuigeln“. Am bedingungslosen Gehorsam gegenüber den Befehlen Hitlers hielt Paulus auch in den folgenden Wochen konsequent fest. Weder konnte er sich im Dezember dazu entschließen, ohne eindeutigen Befehl der begonnenen Entsatzoffensive entgegenzustoßen, um so die wohl letzte Möglichkeit zum Ausbruch zu nutzen, noch war er bereit, sich gegen weitere Haltebefehle Hitlers in aussichtsloser Lage im Januar 1943 zu stellen und von sich aus zu kapitulieren, um weitere Opfer zu vermeiden.11 Noch am 29. Januar, als bereits seit Tagen keine Verpflegung an Verwundete mehr ausgegeben wurde und Tausende von munitionslosen, halbverhungerten und von Erfrierungen gezeichnete Soldaten dem schweren Artilleriefeuer der Roten Armee fast schutzlos ausgesetzt waren, sandte er einen Ergebenheitsfunk-

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spruch an Hitler, obwohl er annehmen mußte, daß solche Bekundungen allein der nationalsozialistischen Propaganda zugute kamen. Der noch buchstäblich in letzter Minute zum Generalfeldmarschall beförderte Paulus bemerkte später zu dem Konflikt, in den er sich als Oberbefehlshaber der 6. Armee gestellt sah: „Das Bewußtsein dieser alles bisher vorstellbare Maß übersteigende Leiden meiner Soldaten und Offiziere lastete schwer auf meinen Entschließungen. In dem Konflikt zwischen dem Gehorsam, der von mir gefordert wurde mit den schärfsten Hinweisen, daß es auf jede Stunde ankomme [beim Halten des Kessels; P.S.], und der menschlichen Rücksicht auf meine Soldaten glaubte ich damals dem Gehorsam den Vorrang geben zu müssen.“12 Am 31. Januar ging Paulus mit seinem Stab in Gefangenschaft, nachdem einige seiner Stabsoffiziere mit der Roten Armee verhandelt hatten. Paulus weigerte sich dann auch, trotz mehrfacher Aufforderung den noch kämpfenden Teilen seiner Armee den Befehl zur Feuereinstellung zu geben. Er mußte sich vom vernehmenden General Rokossovskij den Vorwurf machen lassen: „Daß Sie Hitler politisch gefolgt sind, verstehen wir nicht!“13 Anfang Februar wurde Paulus dann zunächst in das Kriegsgefangenenlager Krasnogorsk bei Moskau, danach in das Lager Susdal gebracht. Bei der Diskussion des Jahres 1943 in Offiziers- und Generalskreisen über Gründung von und Beitritt zum Nationalkomitee ‘Freies Deutschland’ (NKFD) und Bund Deutscher Offiziere (BDO) nahm er zunächst die Rolle eines Schlichters ein, trat dann aber doch im August 1944 nach dem Attentat Stauffenbergs dem BDO bei.14 Am 8. August unterschrieb er einen Aufruf, Deutschland habe sich von Hitler loszusagen. Neben der aussichtslosen militärischen Lage Deutschlands im Sommer 1944 und dem immer erkennbarer werdenden Ausmaß der deutschen Verbrechen gegen die sowjetische Zivilbevölkerung und die Kriegsgefangenen mag Paulus auch das Beispiel ihm bekannter Offiziere, die am Umsturzversuch des 20. Juli beteiligt waren, zu diesem Handeln gebracht haben. Indes blieb sein öffentliches Auftreten für die Ziele der Bewegung ‘Freies Deutschland’ eher selten. Dennoch wurde Paulus’ Frau im Deutschen Reich in „Sippenhaft“ genommen. Im Dezember 1944 unterzeichnete er als Ranghöchster einen Aufruf von fünfzig gefangenen Generalen, in dem die Beendigung des Krieges gefordert wurde; der Aufruf blieb jedoch ohne Echo. Im Nürnberger Prozeß trat er gegen die Hauptkriegsverbrecher als Zeuge der Anklage auf. Nachdem er sich in der Gefangenschaft nach Beendigung des Krieges bereits schriftlich auf seine Aussagen vorbereitet hatte, bestätigte er am 11. Februar 1946 die deutschen Angriffsvorbereitungen gegen die Sowjetunion. Aufgrund seiner detaillierten Kenntnisse der operativen Vorbereitungen war er ein wichtiger Belastungszeuge und trug damit

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zur Verurteilung der angeklagten Spitzenmilitärs bei. Spätestens damit, verstärkt noch durch den einsetzenden Kalten Krieg, galt er vielen seiner ehemaligen Kameraden und Untergebenen als Verräter im Dienste der Sowjets. Aus Paulus, dem „Löwen von Stalingrad“, war für sie nun der „‘Saulus’ der Gefangenschaft“15 geworden. Wieder in ein Landhaus bei Moskau zurückgebracht, verlebte er den Rest seiner Gefangenschaft in einer Art Hausarrest. Als 1949 erste Vorbereitungen für einen Kriegsverbrecherprozeß gegen Paulus in der UdSSR getroffen wurden, war es Stalin selbst, der eine Einleitung dieses Prozesses verhinderte.16 Schließlich wurde Paulus Ende Oktober 1953 nach Ost-Berlin entlassen und ließ sich anschließend in Dresden und damit bewußt in der DDR nieder. Gewiß war der in kaiserlicher Zeit erzogene Paulus kein Sozialist geworden, aber sein Engagement in der DDR betrachtete er als Beitrag für ein friedlicheres Deutschland. Neben gelegentlichen Stellungnahmen zur Schlacht um Stalingrad äußerte sich Paulus aber auch zu aktuellen politischen Themen: Die Westbindung der Bundesrepublik beurteilte er kritisch, die damit verbundene Wiederaufrüstung Westdeutschlands lehnte er ab. In diesem Sinne organisierte er 1955 mit Hilfe der SED-Führung zwei Treffen ehemaliger Wehrmachtsoffiziere aus Ost- und Westdeutschland in Ost-Berlin. Schwer erkrankt, zog sich Paulus schon bald aus der Öffentlichkeit zurück. Am 1. Februar 1957 starb er an einem chronischen Hirnleiden. Seine 1949 verstorbene Frau hatte er nach seiner Gefangennahme in Stalingrad nicht mehr wiedersehen können. Der „unpolitische Soldat“ Paulus, der im Konflikt zwischen Gehorsam und eigenem Gewissen bewußt dem Gehorsam den Vorzug gegeben hatte, der den Vernichtungskrieg gegen die sowjetische Zivilbevölkerung zwar ablehnte, sich aber als Armeeführer nicht konsequent dagegen stellte, der trotz Mitleid mit seinen in Stalingrad qualvoll sterbenden Soldaten untätig blieb, der sich in der Gefangenschaft erst zu spät von Hitler abwandte und schließlich mit seinem Auftreten im Nürnberger Prozeß erstmals wirkungsvoll seinem Gewissen folgte, hatte jenen, die in ihm nunmehr nur noch einen Verräter sahen, eines voraus: Er bekannte sich zu seiner Mitverantwortung, indem er konstatierte: „Subjektiv glaubten sie [die Wehrmachtsgenerale; P.S.], ihrem Volk zu dienen. Objektiv wurden sie zu Stützen eines von ihnen selbst abgelehnten und für unser Volk unheilvollen Systems. Auch ich unterlag damals diesem Irrtum, zögere aber nicht, es zuzugeben.“17

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Anmerkungen Nachruf in: Der Spiegel, 13. 2. 1957, S. 27. Görlitz, Paulus, S.27. 3 Ebenda. 4 Vgl. ebenda, S.107. 5 Zit. nach ebenda, S.110. 6 Zit. nach ebenda, S.115. 7 Adam/Rühle, Der schwere Entschluß, S. 19 f. 8 BA-MA Freiburg, RH 24–29/47: Merkblatt für Behandlung von Zivilisten und Partisanen (Zusammenfassung aller bisher ergangenen Befehle), undat. [handschr. Vermerk: „Am 12. 2. 42 an die Div. verteilt.“]. 9 Ebenda, RH 24–29/48: XXIX. AK/Ic. – Für diese beiden Hinweise danke ich Dr. Bernd Boll, Freiburg. 10 BA-MA Freiburg, RH 24–29/48. 11 Vgl. dazu Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit. 12 Zit. nach Görlitz, Paulus, S. 251 f. 13 Zit. nach Paulus, Beitrag zum Verständnis von Führungsentscheidungen, S.18. 14 Siehe dazu Dreetz, Weg und Bekenntnis des Generalfeldmarschalls Friedrich Paulus; Rešin, Die Bemühungen um den Eintritt. 15 Leserbrief von Johannes Paul, in: Der Spiegel v. 6. 3. 1957, S.7. 16 Vgl. hierzu Rešin, Die Bemühungen um den Eintritt, S. 250. Rešin bleibt zwar konkrete Belege schuldig, scheint aber auf Grund seiner Aktenkenntnisse glaubwürdig. 17 Zit. nach Paulus, Beitrag zum Verständnis von Führungsentscheidungen, S.18. 1 2

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 372: Nachlaß Friedrich Paulus. Gedruckte Quellen und Literatur Adam, Wilhelm/Rühle, Otto: Der schwere Entschluß. Autobiographie. Berlin (Ost) 15. Aufl. 1974 (1. Aufl. 1965). Blank, Aleksander S.: Begegnungen und Gespräche mit Generalfeldmarschall Paulus. In: Militärgeschichte 6/1977, S.716–724. Ders./Boris Chavkin: Vtorija Žizn Feldmaršala Pauljusa [= Das zweite Leben des Feldmarschalls Paulus]. Moskau 1990. Boll, Bernd/Hans Safrian: Auf dem Weg nach Stalingrad. Die 6. Armee 1941/42. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944. Hrsg. von Hannes Heer/Klaus Naumann. Hamburg 1995, S.260–296. Diedrich, Torsten: Friedrich Paulus. Patriot in zwei Diktaturen. In: Die Militärelite

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des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. von Ronald Smelser/Enrico Syring. Berlin 1995, S.388–405. Ders.: Paulus. Das Trauma von Stalingrad. Eine Biographie. Paderborn 2008. Diesener, Gerald: Der Beitritt kriegsgefangener Generale zur Bewegung ‘Freies Deutschland’ 1944. In: Militärgeschichte 5/1988, S. 455–460. Dreetz, Dieter: Weg und Bekenntnis des Generalfeldmarschalls Friedrich Paulus zum Nationalkomitee ‘Freies Deutschland’. In: Zeitschrift für Militärgeschichte 1/1962, S.89–102. Görlitz, Walter: Paulus. „Ich stehe hier auf Befehl!“. Lebensweg des Generalfeldmarschalls Paulus. Mit den Aufzeichnungen aus dem Nachlaß, Briefen und Dokumenten. Frankfurt a.M. 1960. Kehrig, Manfred: Stalingrad. Analyse und Dokumentation einer Schlacht. Stuttgart 1974. Lebedewa, Natalija: Generalfeldmarschall Paulus als Zeuge der Anklage im Nürnberger Prozeß gegen die faschistischen Hauptkriegsverbrecher. In: Militärgeschichte 5/1985, S.421–428. Middlebrook, Martin: Paulus. Field-Marshal Friedrich Paulus. In: Hitler’s Generals. Ed. by Corelli Barnett. London 1988, S. 361–373. Paulus, Alexander F.: Die Schlacht um Stalingrad. Ausbruch oder Verteidigung? [2 Teile]. In: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 12/1993, S. 497–501 und 1/1994, S.25–28. Paulus, Ernst A[lexander]: Beitrag zum Verständnis von Führungsentscheidungen während der Schlacht um Stalingrad. Erinnerungsnotizen über Äußerungen des Oberbefehlshabers der 6. Armee GFM Friedrich Paulus in den Jahren 1953–1956, o.O. [masch. unveröff.] 1959/63. Ders: Wer darf über die Verantwortung für Stalingrad ein endgültiges Urteil fällen? In: Frankfurter Hefte 3/1963, S. 157–167. Rešin, Leonid: Die Bemühungen um den Eintritt von Generalfeldmarschall Paulus in das NKFD und den BDO im Spiegel Moskauer Akten. In: Das Nationalkomitee ‘Freies Deutschland’ und der Bund Deutscher Offiziere. Hrsg. von Gerd R. Ueberschär. Frankfurt a.M. 1995, S. 239–250. Seydlitz, Walther v.: Stalingrad. Konflikt und Konsequenz. Erinnerungen. Oldenburg 1977. Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht. Hrsg. von Wolfram Wette und Gerd R. Ueberschär. Frankfurt a. M. 1992. Steinkamp, Peter: Generalfeldmarschall Friedrich Paulus. Ein unpolitischer Soldat? Erfurt 2001. Wieder, Joachim: Stalingrad und die Verantwortung des Soldaten. München 4., völlig überarb. Aufl. 1993 (1. Aufl.: 1962).

Gerhard Hümmelchen

Generalfeldmarschall Wolfram Frhr. v. Richthofen Wolfram Freiherr von Richthofen wurde am 10. Oktober 1895 auf dem väterlichen Gut Barzdorf, Kreis Striegau in Schlesien, als Sohn des königlichen Kammerherrn und Rittergutsbesitzers Rittmeister der Reserve Wolfram Frhr. von Richthofen und Therese, geb. Götz von Olenhusen, geboren. Er besuchte von 1903 bis 1907 das Realgymnasium in Striegau und wechselte dann auf das Realgymnasium in Bad Godesberg bei Bonn über. 1911 trat Richthofen in die Preußische Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde bei Berlin ein. 1913 bestand er das Fähnrichsexamen und wurde an das Husaren-Regiment von Schill (1. Schlesisches) Nr. 4 in Ohlau überwiesen. Im September kam er zur Kriegsschule Kassel. Als Leutnant ritt er am 2. August 1914 mit seinem Regiment in den Krieg. Er kämpfte zunächst im Westen bei Dinant, Namur und Saint-Quentin, dann im Osten am Dnjestr, Pruth und in den Pripjet-Sümpfen. Während er am 4. Juni 1917 zum Chef der 5. Eskadron seines Regiments avancierte, lief schon ein Versetzungsgesuch zur Fliegertruppe. Ein Vierteljahr später ging sein Wunsch mit der Versetzung zur Flieger-Ersatzabteilung 14 in Halle in Erfüllung. Danach holte ihn sein berühmter Vetter, Rittmeister Manfred Frhr. von Richthofen, Ende März 1918 in sein Jagdgeschwader. Bis zum Kriegsende errang er acht anerkannte Luftsiege, wofür er im Juni 1918 mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet wurde. Noch als Angehöriger der Streitkräfte erwarb er in einem Kriegsteilnehmerkurs in Breslau das Reifezeugnis und schrieb sich im Januar 1920 an der Technischen Hochschule in Hannover ein. Am 20. Februar 1920 schied er als Oberleutnant aus dem aktiven Heeresdienst aus. Nach seiner Diplomprüfung im Juli 1923 wurde Richthofen am 1. November 1923 wieder als Leutnant im 11. Preußischen Reiter-Regiment in die Reichswehr übernommen und zum Heereswaffenamt kommandiert. Im September 1920 hatte er in Breslau Jutta von Selchow, die Tochter des Generalleutnants Udo von Selchow, geheiratet. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Im April 1925 wurde von Richthofen zum Oberleutnant befördert. Zweieinhalb Jahre später erfolgte seine Versetzung zum Reiter-Regiment 13 mit gleichzeitiger Kommandierung zur Kommandantur Berlin. In einer Beurteilung aus dieser Zeit wird Richthofen als „ein ungewöhnlich kluger, strebsamer, umsichtiger und zuverlässiger Offizier von angenehmen Charakter -

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eigenschaften und sehr guter Allgemeinbildung“1 bezeichnet. Aufgrund einer Lungentuberkulose-Erkrankung war er ab Sommer 1927 für längere Zeit „nicht mehr frontverwendungsfähig“2. Am 28. Januar 1929 erfolgte eine neuerliche Kommandierung zum Reichswehrministerium, wo er am 1. Februar zum Hauptmann befördert wurde. Danach wurde Richthofen auf sechs Monate „zu Studienzwecken“ nach Italien beurlaubt. Hinter dieser Formulierung verbarg sich eine Abordnung zur Deutschen Botschaft in Rom als Militärattachée, tatsächlich aber eine Kommandierung zur italienischen Luftwaffe. Der Aufenthalt wurde schließlich bis September 1932 verlängert. Nach seiner Rückkehr aus Italien, wo er sich sehr gute italienische Sprachkenntnisse angeeignet hatte, ließ sich Richthofen zur 6. (Preußischen) Fahr-Abteilung nach Wolfenbüttel versetzen. Am 1. Oktober 1933 schied er aus dem Heer aus und trat zur neuen Luftwaffe als Referent im Luftwaffenkommandoamt über, einer Dienststelle im Reichsluftfahrtministerium (RLM). Am 1. Juni 1934 zum Major befördert, wurde der inzwischen an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg zum Dr. Ing. promovierte Richthofen3 zwei Monate später zum Abteilungsleiter im Technischen Amt im RLM ernannt. In einer Beurteilung vom Juni 1934 wurde Richthofens „charakterlich abgeschlossene starke Persönlichkeit“ betont. Er galt als zielbewußter, energischer und pflichtgetreuer Offizier mit recht guten allgemeinen und militärischen Fähigkeiten sowie gewandt und selbstbewußt, dabei aber doch bescheiden und von sympathischem Wesen. Die Beurteilung ließ insgesamt einen weiteren militärischen Aufstieg des Offiziers erwarten, obwohl Richthofens neuer Chef im Technischen Amt, Oberst Udet, den inzwischen am 20. April 1936 zum Oberstleutnant beförderten Abteilungsleiter etwas kritischer bewertete, da er hinzufügte, dessen Arbeit würde mehr an Wert gewinnen, „wenn er etwas realer in der technischen Auffassung wäre und mehr seinem eigenen gesunden Urteil folgen würde, anstatt sich gelegentlich durch fremde Einflüsse von seiner an und für sich richtigen Linie abbringen zu lassen“4. Das Verhältnis zu Oberst Udet war gespannt. Viele der Offiziere, die sich in der Reichswehr hochgedient hatten, lehnten die „Seiteneinsteiger“ und „Emporkömmlinge“ in der neuen Luftwaffe, wie Milch und Udet, ab und bezweifelten deren militärische Kompetenz. Als Udets Vorgänger, Oberst Wilhelm Wimmer, im Juni 1936 das Technische Amt abgab, hatte Richt hofen gerade entschieden, die Weiterentwicklung des Sturzkampfbombers (Stuka) Junkers 87 aufzugeben. Als begeisterter Anhänger der Sturzflug idee hob Udet die Verfügung wieder auf. Richthofen bemühte sich danach um eine andere Verwendung bei Generalmajor Sperrle, dem ersten Kommandeur der „Legion Condor“ in Spanien. Im November 1936 wurde er dessen Chef des Stabes. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß Richthofen

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nun auf diesem Kriegsschauplatz den von ihm zunächst abgelehnten „Stuka“ weiter vervollkommnen half. Der erste Aufenthalt in Spanien dauerte nur wenige Monate. Schon am 1. März 1937 wurde Richthofen Kommandeur der IV. Gruppe des Kampfgeschwaders 153 und zugleich Kommandant des Fliegerhorstes Liegnitz. Nach Beförderung zum Oberst am 1. Januar 1938 übernahm er drei Monate später das Kampfgeschwader 257 als Kommodore. Danach folgte mit der Beförderung zum Generalmajor am 1. November 1938 seine zweite Kommandierung nach Spanien, diesmal als Befehlshaber des „Führungsstabs 88“, wie die „Legion Condor“ amtlich hieß. Er führte die deutschen Verbände bis zum endgültigen Sieg Francos und präsentierte die zurückkehrende Legion am 6. Juni 1939 bei der großen Abschiedsparade vor Hitler in Berlin. Richthofens in Spanien gewonnene Kampferfahrung bestimmte seine Angriffstaktik im drei Monate später ausbrechenden Krieg. Er konnte sie als „Fliegerführer z. b. V.“ eines aus Sturzkampfbombern bestehenden Verbandes, der ab 1. Oktober 1939 in „Fliegerdivision z. b. V.“ und ab 3. Oktober in VIII. Fliegerkorps umbenannt wurde, im Polenfeldzug einsetzen. Seine Sturzkampfbomber unterstützten erfolgreich die vorrückenden Panzerverbände und demoralisierten die polnischen Truppen. Das VIII. Fliegerkorps blieb das einzige Nahkampffliegerkorps der deutschen Luftwaffe. Es bewährte sich auch im Westfeldzug ab 10. Mai 1940 bei der Unterstützung der Heeresgruppe B. Aber schon in den ersten Tagen der „Luftschlacht um England“ ab Mitte August 1940 erlitten die Stuka-Gruppen durch britische Jäger so schwere Verluste, daß sie zurückgezogen werden mußten. Bei der großen Beförderungswelle durch Hitler am 19. Juli 1940 nach dem Sieg über Frankreich wurde Richthofen unter Überspringung des Dienstgrades eines Generalleutnants zum General der Flieger ernannt, vorher hatte Hitler ihm bereits das Ritterkreuz verliehen. Im Balkanfeldzug ab 6. April 1941 kam das Nahkampffliegerkorps erneut zum Einsatz. Die „Stukas“ behinderten den Rückzug der griechischen und britischen Truppen und fügten ihrer Evakuierungsflotte schwere Verluste zu. Auch bei der Eroberung der Insel Kreta spielte das VIII. Fliegerkorps eine entscheidende Rolle. Beim Angriff auf die Sowjetunion ab 22. Juni 1941 wurde Richthofens VIII. Fliegerkorps erneut zur Unterstützung des Heeres eingesetzt. Es wiederholte seine großen Erfolge in Polen und Frankreich. Auf dem linken Flügel der Luftflotte 2 unter Generalfeldmarschall Kesselring unterstützten Richthofens Verbände den Vormarsch des Heeres auf Moskau. Am 17. Juli 1941 verlieh Hitler Richthofen das Eichenlaub zum Ritterkreuz. Ähnlich wie viele andere Generale, so z. B. der Chef des Generalstabs des Heeres Halder, glaubte Richthofen im Juli 1941, daß der größte Teil der Roten

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Armee bereits vernichtet sei. Selbst nach dem Desaster vor Moskau blieb sein Optimismus ungebrochen, obwohl die Luftwaffe bis zum Jahresende 1941 schwere Verluste hatte hinnehmen müssen, die nicht ausreichend durch Neuproduktion ausgeglichen werden konnten. Nach Beförderung zum Generaloberst am 1. März 1942 half Richthofens Korps im Mai 1942 bei der Zerschlagung der sowjetischen „Krim-Front“ auf der Halbinsel Kertsch und danach bei der Eroberung von Sevastopol am 1. Juli 1942. Am 24. Juni 1942 bekam er den Befehl über die Luftflotte 4, der er schon bisher unterstellt war. Als es ab November 1942 um die Luftversorgung der in Stalingrad eingeschlossenen 6. Armee ging, versuchte Richthofen „mit allen Mitteln“, der Führung der Armee darzulegen, daß eine Luftversorgung unmöglich sei.5 In diesem Sinne sprach er auch mit dem Chef des Luftwaffengeneralstabs, Generaloberst Jeschonnek, und dem Chef des Generalstabs des Heeres, General Kurt Zeitzler, sowie mit dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, Generaloberst Frhr. von Weichs. Richthofen und sein Nachfolger im Kommando des VIII. Fliegerkorps, Generalleutnant Martin Fiebig, blieben jedoch die einzigen hohen Offiziere, die sofort eindeutig auf die Unmöglichkeit der Luftversorgung der 6. Ar mee hingewiesen haben.6 Hitler ließ Richthofen mitteilen, er habe seine Beurteilung der Lage zur Kenntnis genommen, stimme ihr aber nicht zu, denn Richthofen „übersehe die Lage nicht“7. Die Katastrophe von Stalingrad bestätigte Richthofens Lagebeurteilung in schrecklicher Weise. Nicht nur die 6. Armee ging verloren, auch die Luftflotte 4 erlitt schwere Verluste. Das sinnlose Opfer von 488 Transportflugzeugen mit rund 1000 Mann fliegenden Personals hatte schwerwiegende Folgen für den weiteren Einsatz und Ausbildungsbetrieb der Luftwaffe. Richthofen, der am 16. Februar 1943 von Hitler zum vierten Generalfeldmarschall der Luftwaffe befördert wurde, erhielt am 12. Juni 1943 den Befehl über die Luftflotte 2 in Italien. Diese hatte bis dahin Generalfeldmarschall Kesselring geführt, der nun zum Oberbefehlshaber Süd ernannt worden war. Dessen ehemaliger Chef des Stabes, Generalleutnant Paul Deichmann, sagte Richthofen aus seiner langjährigen Kenntnis der Verhältnisse im Süden: Italien „ist ein Kriegsschauplatz, auf dem man Ehre und Reputation verlieren kann“8. Trotz aller Bemühungen Richthofens waren die Kräfteverhältnisse im Südraum dann auch so ungünstig für Deutschland, daß er mit seiner Luftflotte 2 im Kampf gegen die überlegenen Luftstreitkräfte der Westalliierten vor einer unlösbaren Aufgabe stand. Obwohl Richthofen und Kesselring ständig die Zuführung weiterer Kräfte forderten, blieb die Luftflotte 2 viel zu schwach, um das Heer bei der Verteidigung von Sizilien wirksam zu unterstützen oder gar die Landungen der Alliierten auf dem italienischen Festland zu verhindern. So besaß die Luft-

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flotte 2 am 31. August 1943 nur 181 Jagdflugzeuge (91 einsatzbereit), 90 Schlachtflugzeuge und Jagdbomber (51 einsatzbereit) sowie 280 Bomber (110 einsatzbereit).9 Fast ein Jahr lang vermochten die schwachen Verbände der Luftflotte 2 gemeinsam mit den deutschen Heeresverbänden dennoch den Vormarsch der Alliierten zu stören und hinauszuzögern. Verluste wurden materiell nur noch teilweise ersetzt, personell kaum noch, vor allem, was erfahrenes fliegendes Personal betraf. Am 10. Juni 1944 verfügte die Luftflotte 2 noch über 24 Fernaufklärer (davon 15 einsatzbereit), 161 Jäger (93), 64 Schlachtflugzeuge (57) und 20 Nachtschlachtflugzeuge (12), d. h. über 177 einsatzbereite Flugzeuge. 10 Das war nicht einmal mehr die Stärke einer früheren Fliegerdivision! Daran konnte auch der energische und immer wieder „zu halsbrecherischen Improvisationen“11 greifende Richthofen nichts ändern. Drakonische Befehle von oben und Androhung von Strafen verbreiteten nur Unsicherheit und steigerte die allgemeine Nervosität. Fehlende Kraft konnten sie nicht ersetzen. Wer allerdings wie Göring die ausbleibenden Erfolge vor allem auf den absinkenden Angriffsgeist der Flieger zurückführte, der machte es sich zu leicht. Auch Richthofen war im rückblickenden Urteil „nicht frei von derartigen Vorurteilen über die innere Lage seiner Verbände“ 12: Selbstverständlich sah Richthofen das ständige Absinken der Stärke seiner Luftflotte und hatte Hitler schon bei seinem Besuch im ‘Führerhauptquartier’ am 22./23. Mai 1944 und erneut im Juni eine Auflösung des Luftflottenstabes vorgeschlagen, aber Göring glaubte damals noch an einen Wiederaufbau der Luftflotte. Als sie dann schließlich am 27. September 1944 endgültig von der Lagekarte verschwand, war sie längst nur noch ein Schatten ihrer selbst. Einen Monat später mußte sich Richthofen einer Tumoroperation unterziehen und trat ab 28. November 1944 zur Führerreserve des Oberkommandos der Luftwaffe. Nach Kriegsende starb er in amerikanischer Gefangenschaft am 12. Juli 1945 in einer Klinik in Bad Ischl. War Richthofen ein Gefolgsmann Hitlers? Zunächst glaubte er an dessen politische Fähigkeiten, mit nationalsozialistischen Ideen regieren und ab September 1939 auch den Krieg gewinnen zu können. Seine Begeisterung für Hitler war nicht überschwenglich. Für gewöhnlich war Richthofen schonungslos offen und oft sarkastisch und kühl. Nach Bekundungen des Luftwaffenadjutanten bei Hitler, Nicolaus von Below, war er jedoch zurückhaltend und hat sich vorsichtig verhalten, wenn er mit Hitler sprach. Er wählte den richtigen Ton, äußerte sich oft kritisch, schob aber nie anderen die Schuld in die Schuhe und war immer optimistisch,13 so daß er zweifellos Hitlers politische und militärische Ziele insgesamt unterstützte. Widerstand gegen den ‘Führer’ lag ihm fern.

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Anmerkungen 1 Beurteilung durch den späteren General der Flieger H. Volkmann, zuletzt Kommandeur der Luftkriegsakademie in Berlin-Gatow. BA-MA Freiburg, Pers 6/14. 2 BA-MA Freiburg, Pers 6/14. 3 Ebenda: Der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, L. P. Nr. 26762/39 2 I B, Berlin, den 30. Oktober 1939: „Sie erhalten hiermit die Berechtigung, vor dem Zunamen den Titel ‘Dr. Ing.’ zu führen.“ 4 Ebenda: Beurteilung vom 29. 10. 1936. 5 Tagebuch Richthofen, Eintragung vom 21. 11. 1942. 6 Fischer, Über den Entschluß zur Luftversorgung Stalingrads, S. 52 und 65. 7 Tagebuch Richthofen, Eintragung vom 24. 11. 1942. Er hebt hier ausdrücklich hervor, daß Zeitzler derselben Ansicht gewesen sei, während Jeschonnek „gar keine“ Ansicht gehabt habe. Zit. nach Fischer, Luftversorgung Stalingrads, S. 54. 8 Gundelach, Die deutsche Luftwaffe im Mittelmeer, Bd. II, S. 593. 9 Ebenda, S. 665. 10 Ebenda, S. 810. 11 Moll, Die deutschen Generalfeldmarschälle, S. 188. 12 Gundelach, Die deutsche Luftwaffe im Mittelmeer, S. 855. 13 Homze, Wolfram Freiherr von Richthofen, S. 457.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 671: Nachlaß v. Richthofen; Pers 6/14: Personalakte; RL 8/47 und RL 8/49: Oberst i. G. Wilhelm Deichmann, Einsatz des VIII. Fliegerkorps auf dem Balkan und in Rußland; Richthofen Tagebücher (Privatbesitz), hier zitiert nach Karl Gundelach: Die deutsche Luftwaffe im Mittelmeer. Gedruckte Quellen und Literatur Absolon, Rudolf: Rangliste der Generale der deutschen Luftwaffe nach dem Stand vom 20. April 1945. Friedberg 1984. Fischer, Johannes: Über den Entschluß zur Luftversorgung Stalingrads: In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2/1969, S. 7–68. Gundelach, Karl: Die deutsche Luftwaffe im Mittelmeer 1940–1943. Frankfurt 1981. Homze, Edward L.: Wolfram Freiherr von Richthofen – Hitlers Schlachtfliegergeneral. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. Hrsg. v. Ronald Smelser und Enrico Syring. Frankfurt 1995, S. 446–459. Rieckhoff, Herbert J.: Trumpf oder Bluff? 12 Jahre deutsche Luftwaffe. Genf 1945. Völker, Karl-Heinz: Die deutsche Luftwaffe 1933–1939. Aufbau, Führung und Rüstung der Luftwaffe sowie die Entwicklung der deutschen Luftkriegstheorie. Stuttgart 1967.

Erich Kosthorst

General der Infanterie Edgar Röhricht Der wenig bekannt gewordene General Röhricht war eine bemerkenswerte Persönlichkeit – dem Dichter Gerhart Hauptmann nahestehend, selbst literarisch begabt,1 trat er leider erst spät mit brillant geschriebenen, jedoch von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Erinnerungen hervor.2 Röhricht repräsentiert jene kleine Gruppe militärischer Führer, die zwar Gegner des NS-Regimes waren, sich jedoch nicht zur Teilnahme an einem Staatsstreich entschließen konnten, weil sie ihn für chancenlos hielten. So kämpfte auch Röhricht – wie die in traditionellem Gehorsam gegenüber dem Staatsoberhaupt operierende Mehrheit der Generalität – bis zum Kriegsende weiter. Es war dabei nicht der Hitler geschworene Eid, der ihn band, er fühlte sich im Dilemma eines ständigen inneren Konfliktes zwischen „Pflicht und Gewissen“ einer höheren Vaterlandsidee verpflichtet. Dieser Problematik ist die folgende knappe Porträtskizze gewidmet.3 Friedrich Edgar Röhricht wurde am 16. Juni 1892 in Niederschlesien in dem kleinen Städtchen Libau als Sohn eines Postmeisters geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er als Kompanieführer und Regimentsadjutant Dienst tat, trat er 1920 nach den Grenzschutzkämpfen in Schlesien in die Reichswehr ein und wurde nach der Generalstabsausbildung als Hauptmann in das Pressereferat der Wehrmachtsabteilung des Ministeriums unter dem damaligen Oberst von Schleicher übernommen. Nach dem Machtantritt Hitlers blieb er in diesem Amt weiterhin tätig, jetzt unter Leitung des neuen Chefs General von Reichenau. Seine dienstliche Tätigkeit war mit der Aufgabe der Beobachtung des politischen Geschehens verbunden, so daß er zu eigener politischer Urteilsbildung gelangte und im Unterschied zur Mehrheit der höheren militärischen Führer, bei welcher die Parolen der „nationalen Erhebung“ Sympathien erweckten, skeptisch blieb. Den scheinbaren Sieg der Armee in der Auseinandersetzung mit der SA um den Primat der Waffenträgerschaft erkannte Röhricht schnell als einen Pyrrhus-Sieg und durchschaute nach der Ermordung Röhms und zahlreicher anderer Mißliebiger am 30. Juni 1934 als einer der wenigen die demagogische Rhetorik des Usurpators. Er erkannte in der Substanz der Hitlerschen Rechtfertigung für diese Mordtaten die Perversion der Herrschaft dieses Mannes, wie sie sich hinter der nationalen Fassade vollzog. Röhrichts reservierte Haltung gegenüber dem NS-Regime verstärkte sich

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im Jahre 1935 zur entschiedenen Gegnerschaft, als ihm seine Überwachung durch Himmler wegen vorgeblicher verdächtiger Beziehungen zu Emigrantenkreisen bekannt wurde. Er betrieb nunmehr seine Versetzung zur Truppe und wurde nach einem Zwischenspiel bei der 19. Division in Hannover 1936 im Range eines Oberstleutnants Erster Generalstabsoffizier beim Wehrkreiskommando IV in Dresden und damit Mitarbeiter und Vertrauter von Generalmajor Olbricht, einer der späteren Führungspersonen beim Staatsstreich des 20. Juli 1944. In Dresden kam Röhricht in Kontakt zu Goerdeler, der dessen politische Einstellung kannte. Goerdelers Forderung nach einem unverzüglichen Eingreifen, nach einem Staatsstreich also, lehnte Röhricht damals ab. Er hielt dem entgegen: Das Offizierkorps sei „ein loses Konglomerat von einer Handvoll Aktiver, außerdem Reaktivierte, Reserve-Offiziere aus dem Kriege, Polizei- und überalterte E (Ergänzungs)-Offiziere aus dem Kriege – und es dürfe nicht vergessen werden, daß die Leutnants durchweg aus der HJ stammten. Wer annehme, daß dieser Truppe ein Befehl genüge, um sie gegen die Regierung marschieren zu lassen, dürfte sich in einem verhängnisvollen Irrtum befinden.“4 An dieser Lagebeurteilung hat Röhricht auch fernerhin bei allen Staatsstreicherwägungen mit zeitbedingten Varianten festgehalten. Sie verfestigte sich zu einer konstanten Größe. Ihre schwerwiegende Schlußfolgerung bedeutete: Ein Coup d’État hat keine Erfolgschance und muß daher unterbleiben. Angesichts dieser Beurteilung hielt Röhricht die bekannten Staatsstreichvorbereitungen in der Tschechenkrise ein halbes Jahr später nicht weniger für verfehlt als ähnliche Überlegungen in der Fritsch-Krise. Das, was Röhricht damals an Planungen vor sich sah und bei deren Ausführungen er hätte mitspielen sollen, betrachtete er überdies als gänzlich unzulänglich und war deswegen erleichtert über die Münchener Lösung der Krise. Im Sommer 1939 wurde Röhricht als Oberst Regimentskommandeur in Heilbronn, danach Chef der Ausbildungsabteilung im Oberkommando des Heeres (OKH) vom Oktober 1939 bis Oktober 1940, danach war er bis Juni 1942 Generalstabschef beim Oberkommando der 1. Armee in Frankreich. Am 1. Januar 1942 erfolgte seine Beförderung zum Generalmajor. Im Herbst 1942 wurde er Kommandeur der 95. Infanterie-Division in Rußland. Im Januar 1942, als Röhricht noch als Generalstabschef bei Generaloberst Blaskowitz in Frankreich tätig war, kam es noch einmal zu einem Treffen mit Goerdeler. Nach wie vor interessierte Goerdeler brennend die bedenkliche deutsche Gesamtlage. Wie zu erwarten, forderte er wiederum sofort schleunigste Kriegsbeendigung, steckte dann aber angesichts der von Röhricht ins Spiel gebrachten unerbittlichen Ziele der Kriegsgegner zurück. Daß diese sich nun keinesfalls auf Friedensverhandlungen einlassen würden, sah auch Goerdeler ein.

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Mit dem Wechsel zur 95. Infanterie-Division bei Rzhev in Nordrußland im Jahre 1942 war ein entscheidender Wendepunkt in Röhrichts Leben erreicht. Er gelangte zur Erkenntnis, daß dieser von Hitler ausgelöste Krieg nicht mehr zu gewinnen sei. Diese Erkenntnis behielt er nun nicht für sich, sondern erklärte sie auch einer Offiziersrunde und sogar einem zusätzlich eingeladenen jungen Schützenzugsoffizier. In solch radikaler Offenheit zu sprechen, war nur in einem kleinen Kreis möglich, den man genau kannte und in den der Gast sich zu seiner Überraschung einbezogen sah. Die Eröffnung Röhrichts machte das für sie alle zentrale Dilemma dieses Krieges deutlich: Pflicht und Gewissen.5 Wenn Generäle einen Krieg verloren geben, dann muß der Kampf so schnell wie möglich eingestellt, das Blutvergießen beendet und Frieden gesucht werden. Ist aber das Staatsoberhaupt dazu nicht bereit, dann ergibt sich für die Führungsschicht daraus die Folgerung, ihn dazu zu zwingen bzw. ihn und sein Regime zu beseitigen. Im Falle Hitlers und seines Regierungssystems war dies aber ein außerordentlich schwieriges Unterfangen: Das Volk und damit das Heer stand im Banne des Tyrannen oder wurde von ihm mit brutalem Terror niedergehalten; andererseits waren die Kriegsgegner nicht zu einem Friedensschluß mit Hitler und dem ‘Hitlerismus’, aber auch nicht mit dem deutschen Volk als solchem bereit. Außerdem war die abendländische Tradition des Widerstandsrechtes gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt in Vergessenheit geraten; es galt nahezu fraglos die preußisch-deutsche Treue- und Gehorsamspflicht. So befand sich General Röhricht in einem schweren Konflikt: Wenn ein Staatsstreich nur geringe oder überhaupt keine Erfolgschancen hatte, vielmehr bei einem Aufstand Chaos zu befürchten war, andererseits bei einem Nichthandeln weitere materielle und moralische Zerstörungen des Vaterlandes drohten, was war dann zu tun? Ein tief in Traditionen wurzelndes Pflichtgefühl gegenüber dem Staat und seiner Führung forderte zum Weiterkämpfen auf – das Gewissen verlangte aktiven Widerstand gegen die Vernichtung der Substanz des Vaterlandes. Ein tiefer Zwiespalt, eine verhängnisvolle Verstrickung, aus der Generalmajor Röhricht auch nach langen Gesprächen mit dem befreundeten General Olbricht im Februar 1942 nicht mehr herausfand. Er vermochte nicht, sich zur Mitwirkung an den Staatsstreichvorbereitungen zu entschließen. Röhricht mochte im Oktober 1942 glauben, den Zwiespalt verdrängt zu haben. Doch holte ihn dieser nach gut einem Jahr bei einem Streitgespräch mit Oberst Henning von Tresckow beim Armeeoberkommando 1 – am 30. Januar 1944 – wieder ein. Hier ist der dramatische Höhepunkt des militärischen Lebensweges von Edgar Röhricht erreicht. Wegen seiner exemplarischen Bedeutung sei das Geschehen in den eigenen Worten Röhrichts wiedergegeben:

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„Tresckow: ‘Das einzige, was sich in diesem Jahrzehnt als erstaunlich immun erwiesen hat, ist der Generalstab. Erfreulicherweise gilt das auch von dem improvisiert herangebildeten Nachwuchs, ein Beweis von der lebendigen Kraft, die noch in unserer Tradition steckt. Darin liegen gewisse Möglichkeiten, aber wer nutzt sie aus? Was haben wir von unserem taktischen und sonstigen Können, wenn dabei die entscheidenden Fragen ungelöst bleiben? Wir erschöpfen uns darin, immer wieder Fronten zu leimen, ein wankendes Gebäude zu stützen, ohne uns darum zu scheren, wie es oben aussieht und zugeht, wo alle Fäden zusammenlaufen. Wir klammern uns daran, daß unser Kampf für den Bestand des Vaterlandes geführt wird, aber dürfen wir dabei völlig übersehen, daß das im Dienst eines – Verbrechers geschieht?’ Wortlos blickte ich ihm ins Gesicht. – Doch schon klang die Stimme weiter, ruhig und sachlich wie bei einem Generalstabsvortrag. ‘Der Kreis, der eingesehen hat, daß nunmehr gehandelt werden muß, nicht von andern, sondern von uns, ist erfreulich gewachsen. Angesichts der durchorganisierten Himmlerschen Überwachung lag die Hauptschwierigkeit darin, die kleinen Einzelgruppen, die voneinander nichts wissen, zusammenzuführen und damit die Grundlage für eine Aktion zu schaffen. Dieser Vorgang ist trotz der damit verbundenen Gefahren und Schwierigkeiten jeder erdenklichen Art in Gang gekommen. So können wir hoffen, daß bald genügend entschlossene Männer zur Verfügung stehen, dann aber auch, daß es gelingt, das Wild bei der nächstmöglichen Gelegenheit zu stellen, notfalls unter Durchbrechung der Absperrung, hinter der es haust.’ (…) ‘Mit welcher Absicht decken Sie mir hier Ihre Karten auf? Wie Sie wissen, werde ich den Bereich der Heeresgruppe demnächst verlassen.’ ‘Unlängst wurde ich in der Umgebung von Fromm auf Sie angesprochen, sicherlich wissen Sie von wem, und vergessen Sie Oertzen nicht, Ihren getreuen Schildknappen! Feldmarschall Model, der Sie, wie es heißt, nachholen will, hat sich unseren Gedankengängen bisher unzugänglich gezeigt, auch das spricht mit, zumal Sie ja seit Jahren mit ihm bekannt sind und zu den Wenigen gehören, die offen mit ihm reden. Außerdem dürfte es überhaupt nicht unzweckmäßig sein, wenn man in der Front vom Eintritt gewisser Ereignisse nicht gänzlich überrascht wird.’ Nach einer kurzen Pause des Überlegens sagte ich: ‘Das Herunterschießen des wahnsinnig gewordenen Kapitäns von der Kommandobrücke stellt, vom Ganzen her gesehen, ein technisches, also untergeordnetes Problem dar. Wesentlich ist, was darauf folgen soll. Auf welchem Wege, mit welchen Mitteln können sich die Leiter einer Aktion in den Besitz des Führungsapparates setzen, nicht bloß des militärischen, wichtiger noch, des politischen, der Staatsgewalt also? Alle Macht-

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positionen sind über das ganze Reich hin von der Partei durchsetzt und eng mit ihr gekoppelt. Über den gesamten Propaganda- und Nachrichtenapparat verfügt uneingeschränkt der Gegner. Auch die Masse des Volkes und unserer Mannschaft, die ja ahnungslos ist, steht nicht auf Ihrer Seite.’ Tresckow begann Zeichen von Nervosität zu zeigen. ‘Auf den zündenden Funken kommt es an, das Weitere findet sich dann von selbst. Die Masse braucht doch nur den Anstoß, zumal sie in den letzten Jahren zur Genüge gelernt hat, Ordre zu parieren.’ (…) Röhricht: ‘Ein Staatsstreich, der aufs Ganze geht, und etwas anderes kommt ja nicht in Frage, setzt voraus, daß eine politische Organisation vorhanden ist, die sich rasch durchzusetzen vermag und die Ansätze der neuen Macht bilden kann. Eine Handvoll Bataillone reicht dafür nicht aus, auch sind sie für diese Aufgabe ungeeignet. Elf Jahre lang hat die Partei alles zerschlagen, was auch nur Ansatzmöglichkeiten einer tätigen Opposition abgeben könnte. Zwar zweifle ich nicht daran, daß allerhand Idealisten schon genügend Entwürfe für Richtlinien bereitliegen haben, nach denen später regiert werden soll, aber das löst die Frage nicht, wie man sich erst einmal in den Besitz der dazu nötigen Macht setzt. Für diese entscheidende Voraussetzung schien mir bisher immer eine erfolgversprechende Lösung zu fehlen. Die einzige Chance läge vielleicht im Zusammengehen mit einem Teil der Partei, die ja selber manchen Riß aufweist. Man dürfte sich dafür nicht gerade den Schwächsten aussuchen. Aber würde sich das lohnen? Mit Himmler kämen wir vom Regen in die Traufe.’ ‘Indiskutabel!’ erklärte Tresckow. ‘Und was ist von der Luftwaffe zu erwarten?’ Tresckow hob die Schultern und schwieg. (…) Röhricht: ‘Verständigung mit den Sowjets also?’ ‘Wenn ein so vorbildlicher Offizier wie Seydlitz, ein Edelmann ohne Fehl und Tadel, sich dazu hergab, müßte es auch für uns möglich sein, dort anzuknüpfen und auf diesem Wege zu retten, was sich retten läßt!’ ‘Ist das nur eine vage Hoffnung? Oder hat man schon Positiveres in der Hand?’ Tresckow verneinte. „Aber auch das wird sich finden!’ ‘Ist die Ostlösung allgemein anerkannt? Ich entsinne mich nämlich, aus dem Munde eines prominenten Mannes, der Ihnen vermutlich nicht ganz fernsteht, die entgegengesetzte Tendenz gehört zu haben, allerdings auch nur als vage Wunschidee.’ Nunmehr trat Tresckows Unmut offen zutage. ‘Ist das im Grunde nicht gleichgültig, mit welchen Hoffnungen sich dieser oder jener trägt? Wer das Gesetz des Handelns durch die Tat an sich reißt, bestimmt auch den Kurs!’

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‘Umsturz in schwerer Kriegsbedrängnis wird vom Gegner nicht zu Unrecht als Auflösungserscheinung gewertet und entsprechend ausgenutzt. Wie soll der Krieg weitergehen, falls die Front eine Belastungsprobe dieser Art überhaupt durchsteht?’ ‘Es ist doch klar, daß wir zum Schluß kommen müssen!’ ‘Bedingungslose Kapitulation also, mit allen Folgen, die wir uns vermutlich nicht annähernd ausmalen können. Die Masse des Volkes ist immer urteilslos. So wird man in Ihren Männern die Urheber des Unglücks sehen. Und glauben Sie bloß nicht, daß es den Feinden da draußen nur um die Beseitigung des Hitler-Regimes geht! Deutschland ist es, das als Staat ausgelöscht werden soll! Man wird dieses Volk, das eingezwängt in Mitteleuropa sitzt, jahrhundertelang das Tummelfeld aller fremden Interessenkämpfe, das, wie ein Dampfkessel unter Druck gesetzt, höchstens ab und zu einmal nach außen explodierte und deshalb als Störenfried galt, obwohl man ja nur im historischen Atlas zu blättern braucht, um zu sehen, wer jedesmal den Gewinn einsteckte – man wird dieses Land niedertreten, aufteilen, das Volk dezimieren und zum Heloten der Welt machen. Was wir auch tun, der Nutznießer sitzt draußen. Das einzige, was für unser Volk herausspringen dürfte, wäre die Beschleunigung des Zusammenbruches, die ihm möglicherweise Kriegsopfer spart. Ob andere auch, ich wage es zu bezweifeln.’ Mit dem Ausdruck von Verbissenheit hob Tresckow die Stimme. ‘Herr General, der Grundsatz, daß Zuwarten und Entschlußlosigkeit schwerer wiegen als ein Fehlgreifen in der Wahl der Mittel, gilt nicht nur für den taktischen Bereich! In solcher Lage muß auch mal der Sprung ins Ungewisse gewagt werden!’“6 So verlangte Tresckow gegenüber Röhricht, der sich in diesem Gespräch als Cunctator zeigte, mit Vehemenz, sich freizumachen „von allen Bindungen, auch denen der Tradition“. Nach dem Scheitern des Staatsstreiches am 20. Juli 1944, bei dem auch der geliebte Pflegesohn Ulrich von Oertzen sich als einer der engsten Mitarbeiter Tresckows und Stauffenbergs am 20. Juli erwies, der sich danach selbst den Tod gab, zweifelte Generalleutnant Röhricht grundsätzlich an dem Sinn des Geschehens, an dem weiterlaufenden Krieg. Entsprechend der Logik seiner bisherigen Argumentation sieht er im Scheitern des Staatsstreiches die „Endquittung“ für einen verfehlten, einen sinnlosen Ansatz und findet in der nun verschärften allgemeinen Misere keinen Ausweg. Sich selbst sieht Röhricht mit besonderer Verantwortung an die Frontaufgabe der Verteidigung gefesselt. Er verwirft den Gedanken, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen und den „Karren laufen zu lassen“, und versinkt in tiefem Fatalismus.

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Edgar Röhricht bricht aus der Aporie, in der er sich nach dem gescheiterten Staatsstreich findet, dezisionistisch aus. Er schiebt ein Versagen der militärischen Führungselite, ein eigenes Versagen beiseite und statuiert die militärische Führungsleistung als einzig gültigen Maßstab für ihr Handeln. Eine Verabsolutierung militärischen Könnens! Welche Alternative gab es noch für Röhricht, nachdem er in qualvollem Ringen um einen Ausweg auch einen Staatsstreich für aussichtslos, für undurchführbar hielt und sich deswegen einer Mitwirkung verweigert? Es gibt kein Entrinnen, so lautet sein resigniertes Credo! Es bleibt die Frage nach der inliegenden Logik, auf die man bei einem nüchtern kalkulierenden Generalstäbler nicht verzichten kann. War denn das hoffnungslose, fatalistische Weiterkämpfen tatsächlich die unausweichliche Alternative? Wir wissen heute, wie viele Opfer eine „Beschleunigung des Zusammenbruchs“, der wohl hinausgezögert, aber nicht mehr, wie auch Röhricht es selbst sah, verhindert werden konnte, dem deutschen Volk erspart hätte. 7 Die Ziffern sprechen für eine bewußt herbeizuführende Beschleunigung einer von Röhricht als unvermeidlich erkannten Niederlage, die nur als Zusammenbruch denkbar war. Sie sprechen erst recht für den tiefen Sinn des Versuchs einer Regimebeseitigung, so gering die Chancen für ein Gelingen auch sein mochten. Da General Röhricht spätestens seit 1942 den Krieg für verloren hielt, nicht einmal zeitweise auf ein Remis zu setzen vermochte, nicht an die Möglichkeit eines Friedensarrangements mit den Feindmächten glaubte und schon gar nicht auf ein rettendes Ingenium Hitlers vertraute; da er den Versuch eines Coup d’État für sinnlos hielt, zugleich aber auf keinen Fall eine Kapitulation zulassen wollte, auch keine Gehorsamsbindung mit Eidverpflichtung gegenüber dem ‘Führer’ gelten ließ und trotz alledem weiterkämpfte und weiterkämpfen ließ – so war er in seinem von ihm beanspruchten nüchtern-logischen Generalstabsdenken in eine Lage geraten, die man nicht anders als einen Circulus vitiosus nennen kann. Aus dieser Problematik gab es tatsächlich kein Entrinnen, außer in der Tat weiterzukämpfen bis zum Ende im Mai 1945. Edgar Röhricht wurde noch am 1. September 1944 zum General der Infanterie befördert. In seinem nach 1945 verfaßten Erinnerungswerk „Pflicht und Gewissen“ hat er versucht, sich über sein Denken und Tun in der NSZeit Rechenschaft zu geben. Nicht der Eid hat ihn gehalten. Dafür seien auf der Gegenseite die Voraussetzungen längst entfallen; aber es bestünden ja noch andere Bindungen.8 Welche anderen Bindungen können es gewesen sein, die einen so entschiedenen Gegner Hitlers und seines Regimes gehindert haben, den gleichen Sprung zu tun, wie ihn Tresckow getan hat? Die Antwort ist im Titel des Erinnerungswerkes gegeben: die Pflicht. Diese

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Pflicht hatte jedoch mit der von Hitler usurpierten und pervertierten Staatsgewalt ihre Eindeutigkeit verloren. Schon bald nach seiner Beförderung zum General wurde Röhricht Ende Januar 1945 seines Kommandos enthoben. In die sogenannte „Führerreserve“ versetzt, wartete er in Dresden auf die Entscheidung zu einer neuen Verwendung. Dort erlebte er gemeinsam mit Gerhart Hauptmann die barbarische Zerstörung der Stadt am 14./15. Februar.9 Zwei Tage später machte er sich auf den Weg zu seinem neuen Auftrag im Westen Deutschlands, in den die Westalliierten bereits tief eingedrungen waren. Am Rande des Thüringer Waldes wurde er am 1. April 1945 gefangengenommen. An den Kämpfen im letzten Halbjahr des Krieges war Röhricht somit kaum mehr beteiligt. Nach kurzer Gefangenschaft in England war er zeitweilig Mitarbeiter in der „Historical Division“, die unter Leitung des ehemaligen Generalobersten Halder deutsche Kriegserfahrungen für die Amerikaner auswertete. 1965 brachte er seine Erinnerungen unter dem Titel „Pflicht und Gewissen“ heraus. Er starb 1967.

Anmerkungen Röhricht ist u.a. Verfasser eines Romans „Rätsel um Pylar“. Röhricht, Pflicht und Gewissen. Das Porträt fußt in wesentlichen Aussagen auf diesen Erinnerungen, so daß daraus Einzelbelege nur in wenigen Fällen gegeben werden. 3 Ein ausführliches Porträt von Röhricht erschien im „Jahrbuch der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau“, 1997, S. 329–364. 4 Röhricht, Pflicht und Gewissen, S.114. 5 Der Gast war der Verfasser. Er hat von jenem Zeitpunkt an eine engere Beziehung zu General Röhricht gewonnen und wurde von diesem 1944 nach Ausheilung einer Verwundung als OI in seinen Stab geholt. Die Verbindung wurde nach dem Krieg weitergeführt. 6 Röhricht, Pflicht und Gewissen, S. 203–208. Die Gesprächsnotizen wurden von Röhricht in seiner Heilbronner Wohnung versteckt aufbewahrt. 7 Der Durchschnitt der Opfer betrug bis zum Staatsstreich des 20. Juli 1944, auf den Tag umgerechnet, 1588; in den wenigen verbleibenden Monaten mehr als das Zehnfache, nämlich 16 641 täglich – gerechnet nur in Personen deutscher Staatsangehörigkeit. 8 Röhricht, Pflicht und Gewissen, S.213. 9 Bericht darüber in einem Brief Röhrichts (Privatbesitz). 1 2

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, Mitteilungen zur Personengeschichte (Personalbögen); kriegsgeschichtliche Manuskripte aus den Jahren 1952–1954. Gedruckte Quellen und Literatur Kosthorst, Erich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geist des Gehorsams. Deutschlands Generäle und Hitler. Erfahrungen und Reflexionen eines Frontoffiziers. Bonn 1998. Röhricht, Friedrich Edgar: Wehrhafte Jugend. Vormilitärische Jugendausbildung in rüstungsfreien Staaten. Leipzig 1934. Ders.: Rätsel um Pylar. Stuttgart 1949 (Roman). Ders.: Probleme der Kesselschlacht, dargestellt an Einkreisungsoperationen im Zweiten Weltkrieg. Karlsruhe 1958. Ders.: Pflicht und Gewissen. Erinnerungen eines deutschen Generals 1932–1944. Stuttgart 1965.

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Generalfeldmarschall Erwin Rommel Erwin Rommel1 galt als treuer und aufrichtiger Mensch. Er war ein Mann, der Illoyalität auf allen Gebieten ablehnte. Seine moralischen Eigenschaften entsprachen denen, die er für einen Soldaten als grundlegend erachtete: Beständigkeit, Tapferkeit und Ehrlichkeit im Umgang. Es ist ein tragisches Paradox, daß dieser Mann, der von vielen deutschen Soldaten wegen seiner Gradlinigkeit respektiert wurde, ein überzeugter Anhänger und ergebener Gefolgsmann eines ‘Führers’ wurde, der jeden Grundsatz verriet, an den Erwin Rommel glaubte. Dies lag zunächst an Rommels Unvermögen, politische Tatbestände differenziert wahrzunehmen. Politische Probleme beurteilte er meistens sehr naiv. Viele Jahre diente er einem Diktator, dessen militärische und politische Absichten er verkannte. Der zweite Grund für dieses Paradoxon ist im Kontext der politischen Entwicklung zu sehen. Für Rommels Generation hatte Deutschlands politische Führung 1918 versagt. Er war als junger Offizier 1912 in die württembergische Armee eingetreten und hatte den begeisterten Patriotismus erfahren, der die Jugend aller europäischen Nationen in den schrecklichen Krieg von 1914–18 getrieben hatte. Rommel hatte sich in diesem Weltkrieg einen Namen gemacht; ausgezeichnet mit dem Orden „Pour le mérite“ und dem Eisernen Kreuz, galt er als ein außerordentlich tapferer und intelligenter junger Führer. Die Niederlage von 1918, der als Erniedrigung empfundene Vertrag von Versailles und der anschließende politische Niedergang Deutschlands hatten ihn tief verletzt. Die Weimarer Zeit hinterließ in ihm, trotz seiner Karriere als Reichswehroffizier, ein Gefühl der Enttäuschung. Dann kam Hitler mit seinen einfachen und gradlinigen Lösungen sowie großen Versprechungen. Für Rommels Generation boten sie Trost, Sicherheit und Hoffnung. Als Rommel 1933 die Führung über ein Bataillon in Goslar übernahm, hatte der Reichstag sieben Monate zuvor dem Führer der NSDAP, Adolf Hitler, die Regierungsgewalt für vier Jahre übertragen. Rommel, der Führerschaft anerkannte und bewunderte, reagierte darauf sofort positiv. Allerdings schloß er sich nie der nationalsozialistischen Partei an. Selbst dann nicht, als für ihn als Soldat die Parteimitgliedschaft erlaubt war. Rommel hatte in der Reichswehr unter strikter „Überparteilichkeit“ gedient, auf die die Reichswehrführung bestanden hatte. Er hatte wenig Freunde unter den Nazigrößen. Allerdings bestand ein guter Kontakt

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zum Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, der in ihm die Anlagen zum Star für Propagandazwecke erkannte: ein praktischer, aber einfach strukturierter General mit gesundem Menschenverstand, der kein Interesse an irgendeiner politischen Theorie, auch nicht der nationalsozialistischen hatte. Als Oberster Befehlshaber der Reichswehr und später der Wehrmacht verdiente Hitler in den Augen eines Mannes mit Rommels einfachen Grundsätzen strikte Loyalität. Diese Loyalität gab Rommel mit ganzem Herzen. Er wurde 1935, nach seiner Zeit als Bataillonskommandeur, Ausbilder an der Kriegsakademie in Potsdam, an der er sich bald einen besonderen Namen machte. Inzwischen vergrößerte sich das deutsche Heer rasch. Im März desselben Jahres war die Wehrpflicht wiedereingeführt worden und überall herrschte das Gefühl, daß Deutschland bald wieder gleichberechtigt neben seinen europäischen Nachbarn stehen würde. Rommel wurde auch noch zum Verbindungsoffizier des Reichskriegsministeriums zur Hitlerjugend ernannt, und obwohl er Meinungsunterschiede mit deren Führer Baldur von Schirach hatte, genoß er es, die Ausbildung und Erziehung der deutschen Jugend militärisch zu fördern. 1937 gehörte Rommel zu Hitlers militärischer Begleitung beim Parteitag in Nürnberg. Darüber hinaus ernannte man ihn zum Kommandanten von Hitlers Hauptquartier während der Besetzung des Sudetenlandes 1938, einen Dienstposten, den er im August 1939 erneut einnahm. Dadurch sah Rommel Hitler in jenen Vorkriegstagen häufig. Was er sah, bewunderte er. Wie so viele Offiziere des Heeres war er Hitler dankbar für die aus seiner Sicht bewundernswerte Ausschaltung der SA im Jahre 1934. Zudem schätzte er an Hitler dessen Eingehen auf die Probleme und Nöte des Heeres. Rommel führte lange persönliche Gespräche mit Hitler, vor allem in seiner Zeit als Verantwortlicher für dessen Hauptquartier. Er war stets von Hitlers militärischem Verständnis und Interesse beeindruckt. Es handelte sich dabei nicht nur um die ‘natürliche’ Ergebenheit des Untergebenen gegenüber dem Vorgesetzten, sondern um das Einanderverstehen zweier Gleichgesinnter. Im Gegensatz zu vielen Alterskameraden und auch älteren Kameraden in Offiziersuniform empfand er Hitler, der ohne Startvorteile das politische Schicksal einer großen Nation bestimmt hatte, als beeindruckende Person, die Loyalität und Hingabe zu Recht verdiente. Die dunkle und gefährliche Seite dieses fanatischen und charismatischen Führers sah und fühlte Rommel nicht. Bei Kriegsbeginn war Rommel ein junger Generalmajor. Er war nie Offizier des Generalstabes gewesen. Seine Vorzüge und Begabungen waren praktischer Natur. Obwohl er gut schrieb und seine eigenen Feldzüge und Taktiken mit besonderem Wahrnehmungsvermögen analysierte, versenkte

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er sich nie in Strategie oder Geopolitik. An den Kriegsvorbereitungen der NS-Führung hatte Rommel als Lehrer an der Kriegsakademie oder als Truppenkommandeur keinen Anteil. Seine Haltung gegenüber Ereignissen wie z. B. der Remilitarisierung des Rheinlandes, des Anschlusses Österreichs oder der Besetzung der Tschechoslowakei war denen seiner Zeitgenossen ähnlich. Auch als bekannt wurde, daß Hitler seine Rechnung mit Polen zu begleichen gedachte, war Rommel wie die Mehrzahl seiner Kameraden zuversichtlich, daß Hitler die Polenfrage, die für viele Deutsche eine ungerechte Behandlung und die Verstümmelung des historischen Preußen implizierte, durch findige Diplomatie, Schöntuerei und kluge Drohungen zu lösen vermochte. Der Krieg aber kam, und obwohl Rommel ihn einerseits nach außen hin bedauerte, war er froh über die Gelegenheit, seine soldatischen Ideen in die Tat umsetzen zu können. Rommels Zeit als Kommandeur von Hitlers Hauptquartier im Polenfeldzug verschaffte ihm Einsichten in die moderne Kriegführung, das Vermögen mechanisierter Kräfte und die Nutzung der Luftmacht. Seine nächste Verwendung war mit Hitlers Unterstützung das Kommando über die 7. Panzerdivision. An ihrer Spitze nahm er im Sommer 1940 am Frankreichfeldzug teil, der im Sieg über die französische und belgische Armee und der Evakuierung der britischen Expeditionsstreitkräfte von Kontinentaleuropa gipfelte. In diesem Feldzug machte sich Rommel einen großen Namen. Er beeindruckte mit seiner Energie und Dynamik und seiner schnellen Beurteilung und Entschlußfreude. Sein Fingerspitzengefühl für die taktische Entwicklung der Ereignisse galt als legendär. Er führte seine Division als Teil des großen Durchbruchs, der von der Maas bis zum Ärmelkanal reichte, er führte sie über die Seine, um die britische Armee bei Fécamp einzuschließen und er führte sie zur Einnahme der großen Festung Cherbourg mit ihrem Hafen. Aber er führte sie auch in beträchtliche logistische Schwierigkeiten, für die er scharf kritisiert wurde. Letztlich wurden aber seine Abweichungen von der üblichen Methode und die Risiken bei der Versorgung durch seinen Sieg gerechtfertigt. Im Führerhauptquartier verfolgte Hitler Rommels Erfolge mit Bewunderung und Unruhe zugleich: „Wir waren alle um Sie sehr besorgt“, bemerkte er ihm gegenüber und spielte dabei auf den kühnen Vorstoß der 7. Panzerdivision an. Rommel blieb in seiner Art zu führen unvorhersehbar, aben teuerlustig und erfolgreich. Dies zeigte sich auch bei seiner nächsten Verwendung, die die stärkste Spur in der Geschichte hinterlassen sollte. Am 12. Februar 1941 landete Rommel im nordafrikanischen Tripoli, um die Führung einer kleinen deutschen Armee zu übernehmen, die dort die sehr viel stärkeren italienischen Streitkräfte beim Kampf gegen die Briten in Libyen zu unterstützen hatte.2 Die Italiener waren schwer geschlagen worden.

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Am 7. Februar hatten sich mehrere italienische Divisionen ergeben müssen, und 30 000 Mann wurden gefangengenommen. Die Briten standen an der Grenze der Cyrenaika zu Tripolitanien, dem Nordwestteil Libyens, das praktisch ohne Verteidigung war. Die deutsche militärische Investition für einen nordafrikanischen Feldzug sollte allerdings begrenzt bleiben. Denn Hitler plante bereits das ‘Unternehmen Barbarossa’, den Krieg gegen die UdSSR, der das Geschehen für die nächsten vier Jahre dominieren sollte. Aber aus Hitlers Sicht war es wichtig, Italien im Krieg zu halten. Also mußte seine Niederlage in Afrika vermieden werden. Ebenso war es von Vorteil, das Mittelmeer für britische Schiffe zu sperren, was mittels der Beherrschung der nordafrikanischen Küste und Häfen möglich war. Und es bestand sogar die Möglichkeit, die ganze britische Position im Mittleren Osten und seine Ölvorkommen zu bedrohen. Dies bedeutete eine große Offensive, die gleichsam als Zange in Verbindung mit einem erfolgreichen deutschen Stoß entweder durch die Türkei oder den Kaukasus in einem erfolgreichen Feldzug gegen die südliche Sowjetunion kulminieren könnte. Es waren ferne Träume, und auf der Höhe seines Triumphes glaubte auch Rommel in gewisser Weise an sie. Inzwischen hatte er die Aufgabe, die operative Lage der Achsenmächte in Nordafrika wiederherzustellen und einen Wüstenkrieg gegen die Kräfte des britischen Imperiums zu führen, was er für die nächsten zwei Jahre tat. Rommels größter Erfolg ergab sich im Mai 1942, als er die Briten in der Gazala-Stellung inmitten der Cyrenaika angriff und sie nach einer fast einmonatigen, kostspieligen Schlacht bis an die Grenze Ägyptens zurücktrieb und den Hafen von Tobruk einnahm. Sein Lohn war die Beförderung zum Generalfeldmarschall. Es schien, als ob er und die von ihm geführte Panzerarmee Afrika – nunmehr eine deutsch-italienische Streitmacht bestehend aus einigen zehn Divisionen – in der Lage waren, die Briten aus Ägypten zu vertreiben und faktisch das Mittelmeer zu einem Meer der Achsenmächte zu machen. Dies erforderte die Wiederaufnahme der Offensive, und am 30. April 1942 führte Rommel seine Panzerarmee gegen El Alamein. Die folgende Schlacht war ein Mißerfolg, der das Ende seines triumphalen Vormarsches und eine Gezeitenwende bedeutete. Die Schlacht von Alam Halfa wurde durch Rommel nach dreitägigem Kampf abgebrochen. Er hatte erkannt, daß sein Angriff fehlgeschlagen war. Die Briten beherrschten die Luft, und Rommels Verluste waren schwer. Er gelangte zu der Überzeugung, daß ein Sieg oder ein offensives Operieren in einem modernen Krieg nur noch dann möglich war, wenn sich die Luftlage günstig gestaltete. Rommel war während der ganzen Kämpfe in Nordafrika durch die logistische Lage, die teilweise schwierig, teilweise katastrophal war, eingeengt.

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Für die Panzerarmee mußte alles Notwendige herbeigeschafft werden, insbesondere Betriebsstoff für die Fahrzeuge. Dem Armeeoberkommando stand dafür keine Eisenbahn zur Verfügung und die Versorgung aus der Luft konnte den Bedarf nur zum geringen Teil befriedigen. Mit Malta in britischer Hand gestaltete sich selbst nach der Einnahme Tobruks die Versorgung über das Mittelmeer so schwierig, daß Rommels Kräfte während der Monate August bis Oktober 1942 in zunehmendem Maße praktisch bewegungsunfähig wurden. Dagegen sah sich Rommel einer britischen Armee gegenüber, die ständig verstärkt wurde. Im September flog er schließlich nach den Strapazen von 18 Monaten unaufhörlichem Wüstenkampf als kranker Mann zur medizinischen Behandlung und Erholung nach Deutschland. Am 24. Oktober wurde Rommel durch einen Anruf aus Hitlers Hauptquartier nach Nordafrika zurückbeordert, da die Briten ihre Großoffensive bei El Alamein gestartet hatten. Alamein, wo seine Kräfte entscheidend geschlagen wurden, brachte die Wende in der Karriere Rommels und im Nordafrikafeldzug. Tatsächlich endete der Kampf mit der Zerschlagung oder Gefangennahme der Masse von Rommels italienischen Divisionen und dem Rückzug der wenigen Überreste seiner mobilen deutschen Kräfte nach schweren Verlusten. Er leitete den Rückzug nach Tunesien mit gewohntem Geschick und rettete, was er konnte; aber er sah, daß der Nordafrikafeldzug der Achsenmächte verloren war, nachdem zudem anglo-amerikanische Kräfte am 8. November 1942 im französischen Nordafrika gelandet waren. Danach waren Rommels Kräfte von Ost und West bedroht. Er erkannte, daß er bestenfalls auf eine Verzögerung des unausweichlichen Rückzugs vom afrikanischen Kontinent hoffen konnte, und versuchte, die Operationen gegen Briten und Amerikaner im Norden und Westen mit den neuen deutschen Truppen unter General von Arnim zu koordinieren. Die leidvollen Erfahrungen von El Alamein bedeuteten auch eine Trendwende in Rommels Beziehung zu Hitler. Diese erholte sich zwar bis zu einem gewissen Grade, da Rommel nach seiner Rückkehr nach Europa und nach Wiederherstellung seiner Gesundheit erneut des ‘Führers’ Persönlichkeit und seiner Fähigkeit, Hoffnung zu inspirieren, erlag. Allerdings hatte Hitler in El Alamein jeden Rückzug durch persönliches Eingreifen per ‘Führerbefehl’ verboten. Dies hätte nicht nur die Niederlage, sondern das Auslöschen der Panzerarmee bedeutet, was für Rommel unverständlich war. Hitler genoß bis dahin bei ihm stets Vertrauen und Respekt für sein militärisches Urteil, doch in diesem Augenblick war ihm befohlen worden, fatale Handlungen vorzunehmen und Männer ohne erkennbaren strategischen Zweck zu opfern. Für kurze Zeit beklagte sich Rommel bitter über Hitlers mangelndes Urteilsvermögen und zweifelte sogar an dessen geisti-

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ger Klarheit. Er hatte schließlich Hitlers Befehl, jedem eigenen Instinkt für Prinzip und Disziplin zuwiderlaufend, mißachtet und den Rückzug angeordnet, ohne dann Vergeltungsmaßnahmen erleiden zu müssen. Schließlich verließ Rommel nach weiteren Niederlagen am 9. März 1943 bei schlechter Gesundheit und Moral Afrika und seine Armee. Seine Führung des Nordafrika-Feldzuges war gekennzeichnet durch Phasen außerordentlich tatkräftiger und handlungsschneller Brillanz, in denen sein Operationsgeschick immer wieder gegen die überlegene Zahl gewonnen hatte. Trotz seines Abfluges aus Afrika behielt sein Name für seine alten „Afrikaner“ (und für seine Feinde) einen magischen Klang. Nach Deutschland zurückgekehrt, fand sich Rommel bald wieder in der Gunst Hitlers, obwohl er bei diesem nun in einem gewissen Ruf als Defätist stand, dem es an Durchhaltevermögen bei Rückschlägen mangelte. Sein eigenes Vertrauen in Hitler kehrte zurück, als er dessen Belastungen zur Kenntnis nahm und sah, mit welchen Schwierigkeiten Deutschland konfrontiert war. Damals und später entwickelte Rommel große Abscheu und Verachtung für die meisten Männer um Hitler, sowohl für hohe Soldaten wie Feldmarschall Keitel als auch für Parteifunktionäre wie NSDAPReichsleiter Bormann. Er unterstellte, daß diese ihrem Oberbefehlshaber die Wahrheit vorenthielten und sich fürchteten, sich ihm zu widersetzen. Gleichzeitig wurde Rommel zum Teil wieder in den Bann der auf ihn magnetisch wirkenden Hitlerschen Persönlichkeit gezogen. Rommels nächste Aufgabe bestand darin, mit deutschen Truppen im Sommer 1943 in Norditalien einzumarschieren und die dortige Verteidigung gegen eine anglo-amerikanische Invasion zu verstärken. Rommel führte im Norden das Kommando unter dem Oberbefehl des Feldmarschalls Kesselring. Er sollte die italienischen Truppen entwaffnen und internieren. Britische und amerikanische Truppen waren im September in Süditalien gelandet; eine neue italienische Regierung hatte den Waffenstillstand verkündet, und die bisherigen Verbündeten der Deutschen waren nun ihre Feinde. Rommels Hauptquartier befand sich am Gardasee, aber er hatte keine Verantwortung für den Gang der Schlacht, die in den Bergen nördlich von Rom tobte. Bereits im November wurde er für eine neue Verwendung zurückberufen. Inzwischen war Rommel davon überzeugt, daß der Krieg für Deutschland nicht mehr zu gewinnen war. Briten und Amerikaner kämpften sich langsam durch Italien hoch, die letzte große deutsche Offensive im Osten, die ‘Operation Zitadelle’ bei Kursk, war fehlgeschlagen, die Westalliierten zogen offensichtlich enorme Invasionskräfte in England zusammen und beherrschten nun die atlantischen Seeverbindungen. Deutschland und seine Bevölkerung litten unter den zunehmenden Bombenangriffen aus der Luft.

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Als Rommel Italien verließ, war ihm bewußt, daß Versuche für einen Verhandlungsfrieden mit den westlichen Alliierten unternommen werden mußten. Mit diesen Erkenntnissen trat Rommel seinen nächsten Dienstposten als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B an (unter dem Befehl des Feldmarschalls von Rundstedt als Oberbefehlshaber West). Er hatte die Aufgabe, Kontinentaleuropa gegen eine Invasion von See aus zu verteidigen.3 Am 15. Januar 1944 übernahm er die Verantwortung über das Gebiet am Ärmelkanal und an der Atlantikküste. Rommel war politisch desillusioniert und militärisch pessimistisch. Sein Vertrauen in Hitler, bereits erschüttert in Nordafrika, hatte durch den Fortgang des Krieges und Hitlers Weigerung, die richtigen Schlüsse aus der Lage zu ziehen, weiter gelitten. Während dieser Zeit, im Winter 1943–44, erfuhr Rommel erstmals überzeugende Einzelheiten über die Greueltaten seitens des Regimes. Noch immer versuchte er zu glauben, daß es sich dabei eher um die Politik von Untergebenen als die Hitlers handelte, aber die Wahrheit begann schmerzlich zu ihm durchzudringen.4 Er versuchte deshalb, sich auf die militärische Aufgabe der Abwehr einer anglo-amerikanischen Invasion zu konzentrieren, und er hoffte, diese Invasion abwehren und alle Kräfte für eine erfolgreiche Invasion im Osten konzentrieren zu können, während im Westen aus einer Position der Stärke heraus verhandelt werden würde. Diese Hoffnung war falsch, aber sie war alles, was Rommel geblieben war. Er zog nicht die unausweichliche Schlußfolgerung, daß ein solcher Erfolg die Position Hitlers wahrscheinlich gestärkt hätte, dessen Entfernung als Regierungschef er nun für den Frieden als wesentlich erachtete. Rommel machte sich mit der ihm eigenen Energie und Führungskraft nun daran, seinen Befehlsbereich darauf vorzubereiten, die Invasion abzuwehren. Die Qualität der Heeresgruppe B, ihre Kampfbereitschaft und ihre Moral verbesserte er enorm. Als dann die Invasion tatsächlich am 6. Juni erfolgte, begann Rommel seine letzte Schlacht. Seine Maßnahmen waren durch erhebliche Kontroversen gekennzeichnet. Rommel war stark durch seine Erfahrungen in Nordafrika geprägt und davon überzeugt, daß großangelegte operative Bewegungen mit mobilen Kräften wegen der völligen Luftüberlegenheit der militärischen Gegner undurchführbar waren. Er glaubte deshalb, daß das beste und einzige operative Konzept die völlige Stärkung der statischen Verteidigung war und motorisierte Kräfte vielmehr unter lokalem Kommando in der Nähe der bedrohten Küstenabschnitte bereitzuhalten waren. Diejenigen, die nicht zustimmten, führten an, daß die Küste eine vorgeschobene Postenkette darstellte und daß „der Hauptkampf nicht an der Vorpostenlinie geschlagen werden sollte“. Der Hauptexponent gegen Rommels Ansicht war General Geyr von Schweppenburg, Befehlshaber der Panzergruppe West unter von Rundstedt, der ein ambivalentes

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Verhältnis zur Heeresgruppe B hatte und fest an die Notwendigkeit einer starken, zentral bereitgehaltenen Reserve mit den meisten der verfügbaren Panzerdivisionen unter seinem Kommando glaubte. Diese Reserve konnte nach Ansicht Geyr von Schweppenburgs dann eine größere Schlacht schlagen, wenn der alliierte Schwerpunkt feststand, an dem dieser Kampf stattzufinden hatte. Es sei hoffnungslos, damit zu rechnen, die Invasion an allen Stellen zurückwerfen zu können. Rommel meinte, daß ein Bewegungskrieg nicht in Betracht gezogen werden müßte, wenn die Invasion bereits an der Küste zurückgeworfen wurde. Truppen- und Panzerbewegungen hielt er angesichts der Luftmacht des Feindes für ausgeschlossen. Das Ergebnis der unterschiedlichen Ansichten war ein gewisser Kompromiß. Vom 6. Juni an führte Rommel die eigentliche Schlacht in der Normandie mit Geschick und Nachdruck, aber nachdem die Alliierten einmal an der Küste Fuß gefaßt und eine durchgehende Frontlinie etabliert hatten, erkannte er, daß die Niederlage unausweichlich war. Deutschland war jetzt in einen Krieg mit zwei Fronten verwickelt, der nicht durchgestanden werden konnte, es sei denn, ein Frieden oder ein Waffenstillstand konnte mit dem Westen ausgehandelt werden. Nachdem er letztmalig am 29. Juni Hitler ohne Erfolg von den harschen Fakten zu überzeugen versucht hatte, kehrte Rommel in die Normandie zurück, überzeugt, daß die einzige Hoffnung in einer einseitigen Aufgabe im Westen lag, was sich vielleicht dann ergab, wenn die Alliierten tatsächlich aus ihrem Brückenkopf ausbrachen und einen großen Vormarsch begannen. Dann, so glaubte Rommel, wäre es möglich, Kontakt zum alliierten Oberkommando herzustellen und nach Mitteleuropa „die Türen aufzustoßen“. Er merkte an, daß er damit vor der Geschichte in Ungnade fiele, betrachtete dies aber als seinen letzten Dienst an Deutschland. Am 17. Juli wurde Rommel jedoch bei einem britischen Luftangriff schwer verwundet, als er von der Front zu seinem Hauptquartier zurückfuhr. Nach einer kurzen Zeit im Hospital wurde er zum Genesungsurlaub nach Hause entlassen. Er kehrte nicht mehr zu seinem Kommando zurück. Drei Tage nach Rommels Verwundung, am 20. Juli 1944, fand der fehl geschlagene Versuch des Obersten Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Hitler zu töten, statt. In der einsetzenden Untersuchung und Verfolgung Verdächtiger wurde Rommels Name erwähnt, und Hitler gelangte zu der Überzeugung, daß sein favorisierter Feldmarschall in die Verschwörung gegen ihn verwickelt war. Rommel hatte stets die Vorstellung einer Tötung Hitlers abgelehnt, obwohl er inzwischen von der Notwendigkeit, den Krieg zu beenden, überzeugt war und erkannte, daß dies die Ausschaltung Hitlers einschloß. Sein Defätismus und Pessimismus waren inzwischen weithin bekannt, er hatte daraus in letzter Zeit in seinem unmittelbaren Umkreis auch kein Geheim-

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nis gemacht. Jeder Vorschlag, gegenüber Feindkommandeuren selbständige Annäherungsversuche zu unternehmen, so wie es Rommel beabsichtigt hatte, bedeutete Hochverrat. Obwohl frei von Schuld bei der Verschwörerschaft am eigentlichen Attentatsversuch Stauffenbergs, war Rommel ein gekennzeichneter Mann und deshalb nicht völlig überrascht, als ihn zwei Generale als Abgesandte Hitlers am 14. Oktober 1944 in seinem Haus aufsuchten und ihm ein Ultimatum stellten. Er sollte entweder festgenommen und vor dem „Volksgerichtshof“ des Verrats angeklagt werden – mit anschließender Verurteilung –, oder er sollte bereits mitgebrachtes Gift einnehmen und damit den Anschein erwecken, einer Herzattacke erlegen zu sein, seine Familie würde dann nicht verfolgt werden. Falls er sich für die zweite Möglichkeit entschließen sollte, würde ihm ein Staatsbegräbnis zuteil werden, und er behielte seine öffentliche Wertschätzung. Rommel entschied sich für das Gift und damit für den Freitod. Er wurde nach einem feierlichen Zeremoniell, bei dem Generalfeldmarschall von Rundstedt Hitlers Vertretung übernahm und die Sterberede hielt, in Ulm beerdigt. Erst am Ende des Krieges wurde bekannt, was sich tatsächlich ereignet hatte. Rommel war ein Meister des Manövrierens auf dem Gefechtsfeld und hatte ein klares Verständnis für die Realitäten des Krieges. Er war praktisch und klarsichtig veranlagt und urteilte vernünftig über den Gang des Krieges. Seine Fähigkeit zu führen war besonders ausgebildet. Zuweilen war er überoptimistisch, aber wenn ein Feldzug (wie in Afrika) oder der Krieg selbst verloren war, war er bereit, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Gleichwohl war er politisch naiv. Hitler beeindruckte ihn besonders, ohne daß er – entweder aus Unwissenheit oder vorsätzlich – dessen verbrecherische Seiten zur Kenntnis nahm. Anmerkungen 1 Zur Biographie Rommels siehe Fraser, Rommel; Koch, Erwin Rommel; Lewin, Rommel; Remy, Mythos Rommel; Reuth, Des Führers General; Ders., Rommel; Young, Rommel; Irving, Rommel. 2 Vgl. dazu u. a. Theil, Rommels verheizte Armee; Heckmann, Rommels Krieg in Afrika; Esebeck, Afrikanische Schicksalsjahre. 3 Siehe Speidel, Invasion; Ruge, Rommel und die Invasion. 4 Zur Entwicklung dieser Position gegen Hitler siehe Speidel, Invasion; Ueberschär, Rommel zwischen Loyalitat und militärischem Widerstand.

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Sir David Fraser

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 117: Nachlaß Rommel; Imperial War Museum London; EP Microfilm Ltd. Wakefield, England; National Archives Washington, DC, USA. Gedruckte Quellen und Literatur Erwin Rommel. Geschichte und Mythos. Hrsg. v. Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Karlsruhe 2009. Esebeck, Hans Gert von: Afrikanische Schicksalsjahre. Wiesbaden 1949. Fraser, David: „Knight’s Cross“. London, New York 1996 (dt. Ausgabe u. d. T.: Rommel. Berlin 1996). Heckmann, Wolf: Rommels Krieg in Afrika. Bergisch Gladbach 1976. Irving, David: Rommel. Eine Biographie. 2. Aufl. Hamburg 1979. Koch, Lutz: Erwin Rommel. Wandlung eines großen Soldaten. Stuttgart 1950 Lewin, Ronald: Rommel as Military Commander. Batsford/London 1968. Mordal, Jacques: Rommel. Paris 1975. Remy, Maurice Philip: Mythos Rommel. München 2002, Taschenbuchausgabe Berlin 2004. Reuth, Ralf: Des Führers General. München 1987. Ders.: Rommel. Das Ende einer Legende. München 2004. Rommel, Manfred: 1944 – Das Jahr der Entscheidung. Erwin Rommel in Frankreich. Stuttgart 2010. The Rommel Papers. Ed. by Basil H. Lidell Hart. London 1953. Ruge, Friedrich: Rommel und die Invasion. Stuttgart 1959. Speidel, Hans: Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal. Tübingen/Stuttgart 1949, 1950. Theil, Edmund: Rommels verheizte Armee. Kampf und Ende der Heeresgruppe Afrika von El Alamein bis Tunis. Wien/München 1979. Ueberschär, Gerd R.: Rommel zwischen Loyalität und militärischem Widerstand. Anmerkungen zur neueren Literatur. In: Wehrwissenschaftliche Rundschau 29 (1980), S.188–197. Young, Desmond: Rommel. London 1950.

Peter Steinkamp

General der Infanterie Karl von Roques Selbst einigen der zwölf anderen Militärs, die sich am 5. Februar 1948 im Nürnberger Nachfolgeprozeß gegen das Oberkommando der Wehrmacht auf der Anklagebank niederlassen mußten, dürfte der zwischen ihnen sitzende Karl von Roques ein weitgehend Unbekannter gewesen sein. Wer war dieser ehemalige General, der im letzten der US-Nachfolgeprozesse am 28. Oktober des gleichen Jahres zur zweithöchsten dort ausgesprochenen Freiheitsstrafe, zu zwanzig Jahren Haft, verurteilt wurde? Karl Jerome Christian Georg Kurt von Roques wurde am 7. Mai 1880 in Frankfurt am Main geboren. Über die Mutter Hedwig, geborene von TallenWilczewska, ist wenig bekannt, der Vater Theodor diente bei der Geburt des Sohnes als Hauptmann und Kompaniechef eines Infanterieregimentes. Karl legte im März 1899 am Kasseler Wilhelms-Gymnasium das Abitur ab und trat bereits zwei Tage später als Fahnenjunker in ein Kasseler Infanterieregiment ein, dort wurde er im Oktober 1905 Adjutant. Zuvor hatte er im Mai desselben Jahres Caroline (Lilly) von Apell geheiratet. Nach ihrem Tod im Februar 1935, heiratete von Roques im September 1936 in zweiter Ehe Marie Gertrud Hellwig (geborene Keibel). Karl von Roques wurde im April 1912 zum Großen Generalstab nach Berlin kommandiert. Nun war er nahe an die militärischen Schaltzentralen des Kaiserreichs herangerückt. Den Beginn des Ersten Weltkrieges erlebte er zunächst im Stab eines Reserve-Korps, sodann bei einer Ersatzdivision und schließlich im Generalstab einer Infanteriedivision jeweils in Abschnitten zwischen Maas und Marne und in der Champagne. Früh schon mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse, bald auch mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet, kehrte von Roques Anfang 1917 der Front krankheitshalber den Rücken und wurde bis Kriegsende ins preußische Kriegsministerium versetzt. Mittlerweile zum Major befördert, übernahm man den Generalstabsoffizier am 1. Oktober 1919 in das neu gegründete Reichswehrministerium der Republik. 1923 übernahm von Roques ein Truppenkommando als Bataillonskommandeur in einem württembergischen Infanterieregiment. Im November des selben Jahres marschierte er mit seinem Bataillon unter den Klängen von „Preußens Gloria“ zum Schutz der Republik in Plauen ein, wo man angesichts der krisenhaften innenpolitischen Lage mit einer ähnlichen Konfrontation wie im März 1921 rechnete, als bewaffnete Arbeitertrupps sich vor allem bei Eisleben und Halle bürgerkriegsähnliche Gefechte mit

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der Polizei geliefert hatten.1 Nach einem weiteren Generalstabsposten in Kassel, einer Stellung als Regimentskommandeur in Oldenburg und als Infanterieführer im ostpreußischen Allenstein wurde er als Generalleutnant zum 31. Januar 1933 planmäßig aus dem aktiven Dienst verabschiedet. Der Pensionär ging seinen militärischen Neigungen aber auch weiterhin nach, indem er wehrpolitische Vorträge an der Forsthochschule Hannoversch Münden hielt. Ohnehin sollte ihm noch kein allzu beschauliches Pensionärsdasein beschieden sein, interessierte sich doch auch der Staat Adolf Hitlers für von Roques’ Erfahrungen. Offensichtlich hatten sich hochrangige Persönlichkeiten in Görings Reichsluftfahrtministerium an von Roques erinnert, als es darum ging, den raschen Ausbau des Reichsluftschutzbundes (RLB) voranzutreiben. Am 1. August 1934 trat der Pensionär in Berlin seinen neuen Posten als Stabschef und Vizepräsident des RLB an und wurde bereits Ende April 1936 zum Präsidenten ernannt. Ab dem 1. Mai desselben Jahres wurde er auch soldmäßig als aktiver Generalleutnant der Luftwaffe geführt. Selbst nachdem er angesichts des neuerlichen Krieges Ende 1939 aus dem RLB ausgeschieden war, um wieder aktiv eingesetzt werden zu können, erinnerte man sich seiner noch immer an höchster Stelle des Ministeriums: Eine besondere Freude war es ihm, als anläßlich seines Geburtstages 1942 neben Göring auch Hitler mit einem Glückwunschtelegramm gratulierte. Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurden dann jene Umstände geschaffen, die von Roques später vor die Schranken des Nürnberger Gerichtes führen sollten. Doch noch herrschten bei ihm, der seit 1. Juli 1941 General der Infanterie war, eher euphorische Gefühle vor: „Im übrigen bin ich stolz und glücklich, (…) ebenso wie zu Beginn des Ostfeldzuges [gemeint: Polenfeldzug; P.S] jetzt auch zum Abschluß [gemeint: anläßlich des Unternehmens „Barbarossa“; P.S.] hereingeholt [worden] zu sein.“2 Es war wohl dieser trügerische Stolz, auch als alter Soldat wieder gebraucht zu werden, der es Karl von Roques akzeptieren ließ, Hitlers ideologische Kriegführung mitzutragen. In seinen „Kriegserinnerungen“ notierte von Roques hierzu: Ich „versammelte (…) am Vormittag dieses denkwürdigen Tages [22. 6. 1941; P.S.] mein Offizierskorps in unserem Dienstgebäude in Krakau, um die Herren mit den bis dahin streng geheim gewesenen Weisungen des Führers für die Kampfführung im Osten und dergl. vertraut zu machen und sie auf den Ernst des bevorstehenden Entscheidungskampfes eindringlichst hinzuweisen. Ich habe sie auf des großen Preussenkönigs Wort verpflichtet: ‘Es ist nicht nötig, dass ich lebe, wohl aber, dass ich meine Pflicht tue!’“3 Nachdem Karl von Roques am rechten Flügel der Heeresgruppe Süd zwei seiner drei Sicherungsdivisionen in den ersten Angriffstagen beim

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Übergang über den San befehligt hatte, mußte er zu seinem Mißfallen in der ersten Juliwoche zu seiner dritten Sicherungsdivision an den linken Rand der Heeresgruppe fahren. Er nutzte diese Fahrt, um sich bei Lemberg mit dem von dort aus operierenden Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) Rußland Süd, SS-Obergruppenführer Friedrich Jeckeln, zu treffen, der, so die Erinnerung von Roques’, „von den ungeheuren Greueltaten der Bolschewiken in Lemberg erzählte. Was er vortrug ist nicht wiederzugeben!“4 Dieses Treffen war der Beginn einer reibungslosen Zusammenarbeit im Sinne der verbrecherischen Kriegführung. Zumindest noch bei der Niederschrift seiner „Kriegserinnerungen“ im November 1941 und im Jahre 1942 war er der Ansicht, von dem „mir unterstellten SS-Obergruppenführer Jeckeln“ schreiben zu können; erst in den nach seinem Tode an das Bundesarchiv weitergegebenen Kopien war zuvor handschriftlich „unterstellten“ in „zugeteilten“ umgewandelt worden. Ab dem 8. Juli 1941 residierte von Roques dann mit seinem Stab in Lemberg, von wo aus er als Befehlshaber des „rückwärtigen Heeresgebietes Süd“ das eroberte Gebiet zu verwalten begann. Neben Verwaltungstätigkeiten gegenüber der Zivilbevölkerung war es vor allem seine Aufgabe, das besetzte Gebiet mittels der drei zugeteilten Sicherungsdivisionen ruhig zu halten und die Nachschubwege an die Front zu sichern sowie die Kriegsgefangenenlager zu versorgen. Zugleich operierte aber im selben Gebiet der erwähnte Jeckeln mit seinen Leuten, dem zur Durchführung seiner „Polizeiaufgaben“ (diese bestanden in der Hauptsache im Drangsalieren und der Ermordung insbesondere der jüdischer Bevölkerung) unter anderem drei eigens aufgestellte SS-Brigaden unterstanden, mit denen es schon ab Juli im Befehlsbereich von Roques’ zu einer fortgesetzten Kooperation kam. Sobald nämlich die SS-Einheiten im rückwärtigen Heeresgebiet Einsatzbefehle gegen vermeintliche und tatsächliche Partisanen durchführten, ergab sich für von Roques die mehrfach dankbar genutzte Möglichkeit, seine eigenen Sicherungsdivisionen für anderweitige Einsätze verwenden zu können. Doch gab es auch ein direktes Zusammenwirken von SS und Wehrmacht: So operierten die 1. SS-Infanteriebrigade Jeckelns und von Roques’ 454. Sicherungsdivision im August 1941 mehrere Tage gemeinsam zur „Befriedung“ und „Sicherung“ der Rollbahn Owrutsch–Tschernobyl.5 Schwerwiegender aber als diese Zusammenarbeit schien den Nürnberger Richtern später die Tatsache, daß die von Roques unterstehenden Gefangenendurchgangslager für die verbrecherischen Taten des SD weit offen standen. Dessen Angehörige konnten dort „untragbare Elemente“ (politische Kommissare der Roten Armee, kommunistische Funktionäre und jüdische Kriegsgefangene) „aussondern“, d.h. ermorden.6 Ein Marsch mehrerer Tausender Gefangener aus dem überfüllten Lager Chorol(j), die sich Mitte Oktober

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1941 ins neunzig Kilometer entfernte Krementschug schleppen mußten, wurde in Nürnberg exemplarisch für den Umgang mit den Kriegsgefangenen in von Roques’ Befehlsbereich beleuchtet.7 Obwohl der Kommandeur der mit der Marschbewachung betrauten 24. Infanteriedivision, Hans von Tettau, behauptete, es seien auf der Marschroute vorausschauend Teeküchen eingerichtet und die gehunfähigen Gefangenen mit Panjewagen befördert worden,8 hatten schließlich die Wachmannschaften der Division am Ende des Marsches etwa jeden zehnten Gefangenen teils aus Überforderung, teils aus Bequemlichkeit kurzerhand erschossen. Am 26. Oktober 1941 erließ Karl von Roques einen Tagesbefehl, in dem er der 24. Infanteriedivision ausdrücklich seine „Anerkennung für diese Leistung“ aussprach.9 Danach reiste von Roques in die Heimat, um eine zweimonatige Kur anzutreten. – Dennoch müssen seine Eindrücke in diesen rund vier Monaten als Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes zumindest mitunter etwas zwiespältig gewesen sein, müssen dem oft sichtlich mit der Durchführung seiner Aufgaben Überforderten, der wohl deswegen um so bereitwilliger mit dem HSSPF Jeckeln zusammenarbeitete, auch leise Zweifel an der Richtigkeit der extremsten Besatzungsmethoden gekommen sein. Gewiß mag dabei die Furcht vor einer Untergrabung der „Manneszucht“ seiner Soldaten durch deren Teilnahme an Massakern ebenso im Vordergrund gestanden haben, wie eine gewisse als notwendig erachtete, aber unter den Bedingungen dieses Krieges nur schwer durchführbare Rücksichtnahme auf die Belange der ukrainischen Bevölkerung, um diese nicht den Partisanen zuzutreiben. Dies zeigt seine Haltung bei einem von ihm selbst geschilderten Ereignis in Lemberg Ende Juni 1941: „Einen Kummer [!] hatte ich noch in den letzten Tagen, als mir vom Stadtkommandanten (…) am 26. 7. früh gemeldet wurde, dass am Abend vorher sich Soldaten der Wehrmacht in der übelsten Weise an einem von rache- und vergeltungslüsternen Ukrainern in dem dortigen Gefängnis vorgenommenen Judenprogrom beteiligt hätten. Ich bestellte mir darauf für den Nachmittag sämtliche Kommandeure der in und bei Lemberg liegenden Truppen und habe sie – mit Verlaub zu sagen – angeblasen wie ich es noch nie bei Offizieren getan habe. Aber das hat gewirkt! Jedenfalls ist mir nachher nie wieder ein ähnlicher Fall zu Ohren gekommen.“10 Offensichtlich war es Karl von Roques nicht möglich, die wohl als regulär und in Anbetracht des von ihm als „Entscheidungskampf“ gesehenen Krieges mit seiner Unterstützung durch Jeckelns SS-Einheiten, aber auch von Teilen seiner eigenen Truppen durchgeführten ausufernden Gewaltmaßnahmen als ebenso verwerflich anzusehen wie die nicht militärisch geordnete und somit die „Manneszucht“ gefährdende Beteiligung von Wehrmachtsangehörigen an einem Pogrom. Entsprechend diffus, aber wohl der mentalen

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Verarbeitung seiner Erlebnisse entsprechend, faßte von Roques Ende 1941 seine Eindrücke zusammen: „Wenn ich dann so oft in der Heimat gefragt wurde, wie es da draußen im unwirtlichen Osten gewesen sei, so hatte ich nur das eine Wort als Antwort gefunden: ‘Unvorstellbar!’“11 Auch nach von Roques’ Rückkehr am 11. Januar 1942 beherrschten rücksichtslose Maßnahmen die Besatzungspolitik im rückwärtigen Bereich der Heeresgruppe Süd.12 Ebenso änderte sich nichts an der Behandlung der Kriegsgefangenen. Obwohl von Roques in Nürnberg im Anklagepunkt der „verbotenen Kriegsgefangenenarbeit“ aus Mangel an vorliegenden Beweisen freigesprochen wurde,13 bestätigte er selbst beiläufig in einer Rede vor Mitgliedern der „Organisation Todt“ anläßlich der Einweihung einer von diesen miterbauten Brücke über den Dnjepr den Einsatz zwangsarbeitender Kriegsgefangener für deutsche Zwecke.14 Doch trotz der weiterhin unhaltbaren Zustände in seinem Verwaltungsgebiet glaubte von Roques später resümierend noch für Mitte 1942 „(a)n der guten Stimmung und der willigen Mitarbeit der Bevölkerung“ 15 der Ukraine erkannt zu haben, daß seine Maßnahmen insgesamt doch von einem gewissen Erfolg gekrönt gewesen seien. Mitte Juni 1942 wurde von Roques zur „Führerreserve“ versetzt, trat aber nach einmonatigem Heimaturlaub erneut einen Kommandoposten an. Zu seiner großen Freude war er nun „Kommandierender General der Sicherungstruppen und Befehlshaber im Heeresgebiet A“ im eroberten Teil des Kaukasus. Offensichtlich gefiel er sich nun zunehmend in der Rolle eines hart, aber gerecht die Eingeborenen regierenden Kolonialherren, der „von Anfang an größten Wert auf richtige und gerechte Behandlung der kaukasischen Bevölkerung“16 legte, um deren Deutschfreundlichkeit weiter zu fördern. Als sich ab Mitte November 1942 auch in von Roques‘ Befehlsbereich die Ausläufer der sowjetischen Gegenoffensive im Großraum Stalingrad bemerkbar machten, konnte er sich nochmals als Führer einer eigens nach ihm benannten Kampfgruppe betätigen. Doch schon nach wenigen Tagen erreichte ihn die Mitteilung seiner endgültigen Versetzung zur „Führerreserve“ ab Anfang 1943 (und damit faktisch in den Ruhestand), obwohl er sich als Zweiundsechzigjähriger „noch verdammt frisch und rüstig fühlte“17. Den Rest des Krieges verbrachte der General dann unbelastet von militärischen Aufgaben. Nach Kriegsende blieb er mit Ausnahme des obli gaten Entnazifizierungverfahrens unbehelligt. Ende 1947 wurde Karl von Roques in Nürnberg von der US-Anklagebehörde jedoch in Haft genommen. Während des Prozesses verlegte er sich vor allem darauf, die ihm zur Last gelegten Anklagepunkte dahingehend zu negieren, daß er zur frag lichen Zeit wegen seiner Urlaube oder seiner Kur gar nicht anwesend gewesen sei oder aber der fragliche Ort eines Geschehens just zum Tatzeitpunkt

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noch nicht oder nicht mehr in seinem Befehlsbereich gelegen habe. Doch auch die Verteidigungsstrategie seines Anwaltes vermochte die Nürnberger Richter nicht zu überzeugen. Das Hauptargument, von Roques sei nur rein formal Inhaber der vollziehenden Gewalt im rückwärtigen Heeresgebiet gewesen, während tatsächlich nur die SS die Verbrechen durchgeführt habe,18 konnte angesichts der Vielzahl der vorliegenden von Roques unterzeichneten Befehle widerlegt werden. Die Verurteilung zu zwanzig Jahren Haft scheint den noch auf der Anklagebank rüstig wirkenden von Roques schwer mitgenommen zu haben. Bereits im Mai 1949 mußte er aus der Landsberger Haftanstalt wegen massiver Gesundheitsprobleme in ein Nürnberger Krankenhaus verlegt werden. Nach einer Operation starb der ehemalige General Karl von Roques am 24. Dezember 1949. Bis zuletzt konnte er wohl nicht verstehen, warum man ihn wegen seiner knapp einjährigen Tätigkeit in der Ukraine vor Gericht gestellt und verurteilt hatte. Anmerkungen 1 BA-MA Freiburg: NS 152/10 (Kriegs-Erinnerungen des General [!] der Infanterie Karl von Roques aus der ersten Zeit des Ostfeldzuges 1941 Teil I), S.12. 2 NOWK 1538, zit. nach Friedrich, Das Gesetz des Krieges, S.233. 3 BA-MA Freiburg: NS 152/10, S. 1. – Bedauerlicherweise wurden vor Übergabe an das Bundesarchiv hier einige Textstellen herausgeschnitten. 4 Ebenda, S.5. 5 Boll, „Aktionen nach Kriegsbrauch“, S. 5, 8. 6 Fall 12, S.219–225. 7 Ebenda, S.228–230; Friedrich, Das Gesetz des Krieges, S.753–757. 8 Trials of War Criminals, vol. XI, S. 57–60. 9 Friedrich, Das Gesetz des Krieges, S. 752 f. 10 BA-MA Freiburg: NS 152/10, S. 9 f. 11 Ebenda, S.19. 12 Vgl. BA-MA Freiburg: NS 152/11 (Kriegserinnerungen des Generals der Infanterie Karl von Roques an den Feldzug im Osten, II. Teil), S.2–11. 13 Fall 12, S.225f. 14 BA-MA Freiburg: NS 152/11, Anlage 8 [S. 20 f]. 15 Ebenda, S.11. 16 BA-MA Freiburg: NS 152/12 (Kriegserinnerungen des Generals des Infanterie Karl von Roques an den Feldzug im Osten, III. Teil), S.7 f. 17 Ebenda, S.13f. 18 Vgl. BA-MA Freiburg: NS 152/1 (Schlußplädoyer) und NS 152/2–4 (Schlußausführungen).

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA/MA Freiburg: NS 152: Nachlaß Karl von Roques (darin auch die dreiteiligen „Kriegserinnerungen“ von Roques’ aus den Jahren 1941/1942); RH 19: Heeresgruppen; RH 22: Rückwärtige Heeresgebiete; Staatsarchiv Nürnberg: Abteilung A, S. 4876–5469, S. 7596–7605, S. 8012–8024, S. 8489–8544, S. 8605–8711, S. 8885–8939, Abteilung K: Stenographische Protokolle der Hauptverhandlung des OKW-Prozesses. Gedruckte Quellen und Literatur Boll, Bernd: „Aktionen nach Kriegsbrauch“. Wehrmacht und I. SS-Infanteriebrigade 1941. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), S. 775–788.. Fall 12: Das Urteil gegen das Oberkommando der Wehrmacht gefällt am 28. Oktober 1948 in Nürnberg vom Militärgerichtshof V der Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin (Ost) 21961. Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10: Nuernberg October 1946 – April 1949. Volume X: „The High Command Case“. Washington 1951; Volume XI: The High Command Case. „The Hostage Case“. Washington 1950.

Norbert Haase

Generalstabsrichter Karl Sack In die öffentlichen Diskussion um die Frage der Rechtmäßigkeit der Urteile der Wehrmachtjustiz wurde von konservativen Befürwortern stets der Name Karl Sack eingebracht, da sie in dem damaligen Chef der Heeresjustiz eine der „edelsten und tapfersten Gestalten des deutschen Widerstandes“ (Gerhard Ritter) sahen. Eine biographische Skizze zu Sack sieht sich mit einer lückenhaften Quellenlage zu seiner Rolle im Widerstand und einer Fülle apologetischer Deutungen seiner kriegsrichterlichen Tätigkeit konfrontiert, die anhand der quellenmäßig belegbaren Tatsachen überprüft werden müssen. Karl Sack wurde am 9. Juni 1896 als zweites Kind einer Pfarrersfamilie im hessischen Bosenheim geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er Jura an der Heidelberger Universität. Durch sein protestantisches, deutschnationales Elternhaus geprägt, meldete er sich 1914 freiwillig zum Ersatzbataillon des Infanterieregiments 168 in Offenbach. Sack wurde als Infanterist an der Front mehrfach verwundet. 1915 absolvierte er einen Offizierslehrgang und wurde zum Leutnant der Reserve befördert. Mit seinen Fronteinsätzen in Flandern und an der Ostfront sowie 1917 an der Westfront waren für Sack weitere schwere Verwundungen verbunden. Seine Kriegsbeschädigungen führten dazu, daß er am 22. September 1918 mit hohen Tapferkeitsauszeichnungen aus dem Militärdienst entlassen wurde. 1918 nahm Sack das in Heidelberg begonnene Studium in Frankfurt wieder auf. Seit Sommer 1919 studierte er an der Landesuniversität Gießen, wo er 1920 die Erste juristische Staatsprüfung ablegte. In der daran anschlie ßenden Referendarzeit folgte die Promotion, im Oktober 1922 absolvierte Sack die Große (zweite) Staatsprüfung. Unmittelbar danach heiratete er Wilhelmine Weber, mit der er später zwei Söhne hatte. Seit Dezember 1922 arbeitete der junge Gerichtsassessor im französisch besetzten Rheinhessen. Seine richterliche Tätigkeit nahm er 1923 am Amtsgericht Gießen auf. Seit März 1923 im Auftrag des hessischen Justizministeriums als Aushilfsrichter in Ober-Ingelheim (Kreis Bingen), machte Sack prägende Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit den rheinischen Separatisten, die für eine „Rheinische Republik“ eintraten, und mit den französischen Besatzungsbehörden. In diesem Klima festigte sich seine deutschnationale, antifranzösisch eingefärbte Haltung, die sich mit einer starken

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Aversion gegen die politische Linke verband. Die Separatisten galten ihm als asozial und kriminell. In der Folgezeit fand Sack in verschiedenen Gerichten der hessischen Justiz als Richter Verwendung. Seit 1927 Mitglied der Deutschen Volkspartei, deren rechtem Flügel des Landesverbandes Hessen er angehörte, hegte Sack Sympathien für die Außenpolitik Gustav Stresemanns. Weggenossen sagten ihm eine ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus nach, in der er sich 1933 offenbar durch öffentliche Richterschelte an seiner eigenen Entscheidungspraxis bestärkt sah. Nach Wiederherstellung der durch die Weimarer Reichsverfassung abgeschafften Militärgerichtsbarkeit mit Wirkung vom 1. Januar 1934 gehörte auch der soldatisch geprägte Sack zu denjenigen, die um Übernahme in den höheren Heeresjustizdienst baten, da sie hier besondere persönliche Karrierechancen erwarteten. Auch Karl Sack bot die Militärjustiz zu diesem Zeitpunkt im Gegensatz zur allgemeinen Justiz bessere Entfaltungsmöglichkeiten. Einen Kompromiß der Anpassung stellte Sacks Mitgliedschaft im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen seit 1933 dar. Vom 1. Oktober 1934 an war Sack Wehrmachtrichter am Wehrkreisgericht VI, Zweigstelle Hannover, seit Ende März 1935 Kriegsgerichtsrat beim Gericht des Infanterieführers V in Gießen. Schon 1936 wurde er zum Oberkriegsgerichtsrat beim Gerichtsherrn und Kommandierenden General des VII. Armeekorps in München befördert. Bereits in den dreißiger Jahren galt Sack als Befürworter einer drakonischen Strafpraxis zur Aufrechterhaltung der inneren Disziplin der Truppe. Im Januar 1936 stieß die ihm zugeschriebene „Überspannung in der Anwendung reiner Abschreckungstheorie“ auf Kritik aus der Rechtsabteilung des Reichskriegsministeriums (RKM). Durch seinen Dienstaufsichtsrichter wurde Sack in dieser Sache sogar belehrt. 1 Im Juli 1936 in das RKM kommandiert, stieg Sack dort im Januar 1937 zum Ministerialrat auf. Nachdem im Oktober 1936 in Berlin das Reichskriegsgericht (RKG) in der Tradition des Reichsmilitärgerichts ‘wieder’errichtet worden war, erfolgte zum 1. Februar 1938 die Einsetzung Sacks als Reichskriegsgerichtsrat am Senat für Hoch- und Landesverratssachen. Zwischen März 1938 und Oktober 1939 sind 14 Verurteilungen wegen Landesverrats belegt, an denen er beteiligt war und die auf der Grundlage der verschärften NS-Strafrechtsbestimmungen alle mit dem Todesurteil endeten. Zunächst jedoch trat diese Tätigkeit wegen der Blomberg-Fritsch-Krise in den Hintergrund. Sack war in dem Ermittlungsverfahren eines militärischen Sondergerichts hinzugezogen worden. Hintergrund waren Vorwürfe sittlicher Verfehlungen gegen die Ehefrau des Reichskriegsministers von

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Blomberg und gegen den Oberbefehlshaber des Heeres Generaloberst von Fritsch wegen Homosexualität. Von ehemaligen Richterkollegen wird Sack als „treibende Kraft“ bei dem Bemühen bezeichnet, das Verfahren gegen Fritsch der Gestapo zu entwinden. 2 Denn er wurde auf Verabredung des Reichsjustizministers Gürtner von dem Chef der Wehrmachtrechtsabteilung im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), Rosenberger, als Protokollführer zur Unterstützung dem mit der Durchführung des Ermittlungsverfahrens beauftragten RKG-Rat Biron beigeordnet. Die postume Würdigung des späteren Chefs der Heeresjustiz hat viel mit der Alibifunktion zu tun, die der Fall Fritsch in der deutschen Militärgeschichtsschreibung jahrzehntelang eingenommen hat. Es gelang Bannerträgern der Wehrmachtapologie, die Mitverantwortung der Wehrmacht für die verhängnisvolle Rüstungs- und Großmachtpolitik und ihre spätere Beteiligung an Kriegs- und Menschheitsverbrechen zu verschleiern. In einem „Meisterstück an Verdrängung“ (Janßen/Tobias) wurden dabei, um die Ehre der Armee und ihrer Justiz zu retten, ehedem loyale, nationalsozialistische Offiziere zu überzeugten Kriegsgegnern und Widerstandskämpfern hochstilisiert. Auch die Verdienste des Protokollführers und späteren Widerstandskämpfers Sack wurden in diesem Kontext in ein besonders strahlendes Licht gestellt.3 Die Legitimation der Wehrmacht im NS-Staat durch führende ehemalige Offiziere in den frühen Jahren der Bundesrepublik hat jedoch offensichtlich zu einer sachlich unbegründeten Überhöhung der Rolle Sacks im FritschVerfahren geführt. Ehemalige Berufskollegen, die den Widerstandskämpfern des 20. Juli nachweislich indifferent bis ablehnend gegenüberstanden, versuchten, das aus ihren eigenen Reihen stammende NS-Opfer nach 1945 für ihre Exkulpierung zu vereinnahmen. Der führende Kommentator des nationalsozialistischen Militärstrafrechts, Erich Schwinge, der später eine Rechtfertigungsschrift ehemaliger Wehrmachtrichter dem Heeresrichter Sack widmete, hatte 1959 geschrieben: „Die deutsche Militärgerichtsbarkeit vermag vieles für sich zu verbuchen: das günstige Urteil auf ehemals feind licher und neutraler Seite, das scharfe Mißtrauen der Machthaber des Dritten Reiches, die Hinrichtung des einstigen Chefs der Heeresjustiz, das Vertrauen der Truppe und weitester Teile der Bevölkerung bis in die letzte Phase des Krieges hinein, schließlich viele, viele Urteile, durch die schweres Unheil von Soldaten und Zivilpersonen abgewendet worden ist.“4 Sack war nach seiner Dienstzeit am RKG von November 1939 bis September 1941 Rechtsberater bei der Heeresgruppe A und wurde danach, bzw. schon parallel seit Februar 1941, in die Wehrmachtrechtsabteilung (WR) im OKW als stellvertretender Abteilungschef versetzt. In einer Beurteilung des Chefs des Generalstabes des Heeresgruppenkommandos A, Ge-

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neral v. Sodenstern, vom 5. September 1940 heißt es floskelhaft über ihn: „Seine Rechtsberatung ist von warmem menschlichen Verständnis und absoluter Unbestechlichkeit des Urteils getragen und wurzelt im Boden nationalsozialistischer Weltanschauung.“5 Die Beurteilung war mit der Empfehlung verbunden, Sack in höchsten Richterstellen der Wehrmacht zu verwenden. Nach seinen Personalakten waren es möglicherweise aber gesundheitliche und familiäre Gründe – ein Sohn war 1941 gefallen –, die für seine Versetzung nach Berlin den Anlaß gaben. Obschon offenbar Vorbehalte gegen Sack innerhalb des OKH existierten, wurde er mit Wirkung vom 1. Oktober 1942 Chef des Heeresjustizwesens und der Heeresrechtsabteilung. Er hatte dabei – von Rundstedt hoch geschätzt6 – im Sommer 1942 die Rückendeckung des Chefs der Wehrmachtrechtsabteilung Lehmann und des Chefs des OKW Keitel. Eine nähere Betrachtung des Datums des 26. September 1942 läßt die Berufung Sack auf diesen Posten in einem eigentümlichen Licht erscheinen, zumal zu diesem Zeitpunkt mehrere führende Positionen in der Wehrmachtjustiz neu besetzt wurden. Aufgrund eines ‘Führererlasses’ wurden mit diesem Datum als besonders „weich“ oder „zurückhaltend“ geltende RKG-Richter in den Ruhestand versetzt, während besonders zuverlässig und effektiv agierende Juristen in wichtige Positionen aufstiegen.7 In einem Schreiben an den Chef des Heeresjustizwesens vom 26. September 1942 betonte Keitel, daß nach dem Willen des ‘Führers’ „zur Erfüllung der Aufgaben des Großdeutschen Reiches eine starke Rechtspflege erforderlich“ sei, auch für die Wehrmacht. Zufriedenheit mit der Arbeit der Heeresjustiz äußerte er, da sie dazu beigetragen habe, Zersetzungserscheinungen im Keime zu ersticken. Keitel hob eindringlich die Notwendigkeit für die Kriegsgerichte hervor, auf dieser Linie fortzufahren: „Nicht zuletzt setze ich als selbstverständlich voraus, daß der Richter jeden Ranges fest in der nationalsozialistischen Weltanschauung wurzelt und seine Arbeit danach ausrichtet. Dieses Gedankengut weiter zu vertiefen, ist eine Aufgabe, die ich dem Chef der Heeresjustiz besonders ans Herz lege.“8 In diesen Worten wird das Bild einer Militärgerichtsbarkeit erkennbar, die unter verstärkter Aufsicht seitens der politischen und militärischen Führung in der zweiten Kriegshälfte als herrschaftsstabilisierendes Instrument gegen Zersetzungserscheinungen und Widerstand in der Wehrmacht kämpfte. In dieser Situation begegnete Sack seiner Ernennung mit einer gewissen Skepsis, zumal er in einem verantwortungsvollen Amt in der Justiz „weder eine reine Freude noch eine Erholung“ sehen wollte. 9 Bis zu seiner Ernennung zum Ministerialdirektor im OKH am 21. Dezember 1942 führte Sack die vorläufige Amtsbezeichnung „Chefrichter des Heeres“. Mit der Überführung der Wehrmachtrichter in das Offizierskorps des Truppenson-

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derdienstes seit 1. Mai 1944 wurde er Generalstabsrichter mit dem Rang eines Generalleutnants. Wenige Beispiele mögen genügen, um zu illustrieren, daß Sack als Verfechter einer rigorosen Abschreckungsjustiz in diesem System Mitverantwortung trug.10 Die faktische Konformität Sacks mit der Kriegführung wird auch nicht von Schweling/Schwinge bestritten, denenzufolge er – unabhängig von seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus – „streng darauf [achtete], daß der Manneszucht innerhalb der Wehrmacht und ihrer Sicherheit kein Schaden entstand. Die Truppe – so war seine Überzeugung – mußte unter allen Umständen intakt und schlagkräftig erhalten bleiben, damit nach Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes kein Vakuum entstand und erträgliche Friedensbedingungen durchgesetzt werden konnten. Deshalb vertrat er den Standpunkt, bei der Ahndung von Straftaten gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung seien Milde und Nachsicht regelmäßig nicht am Platze.“11 Besonders deutlich wird diese Haltung im „Erfahrungsbericht Nr. 1 in Bestätigungssachen“ vom 1. September 1943, der ähnlich den Richterbriefen der allgemeinen Justiz zur einheitlichen Rechtsanwendung und Strafzumessung in der Heeresjustiz herausgegeben wurde. Hier ließ sich Sack auf eine Diktion herab, in der man den widerständigen Juristen vergeblich sucht. Zur Strafverfolgung von Deserteuren heißt es: „Erschwerungsgründe sind vor allem staats- und wehrfeindliche Einstellung und asoziale Persönlichkeit. Der Krieg fordert harte Opfer der besten Männer, rafft volksbiologisch wertvolle Menschen hinweg und bringt unsägliches Leid über sittlich und körperlich hochstehende Sippen. Es kann daher ein besonderer Schutz minderwertiger Menschen nicht in Frage kommen, mag es sich im einzelnen auch um bemitleidenswerte Personen handeln. Bei wehrfeindlicher Einstellung ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen.“12 In dem selben Bericht wird eine drakonische Strafpraxis gegenüber jeglichen Auflösungserscheinungen gefordert: „Im übrigen muß auch der Soldat, der nicht mehr den Willen hat, an gefährdeten Stellen zu kämpfen, wohl aber in anderen Feldtruppenteilen, etwa bei rückwärtigen Einheiten Dienst tun will, bei richtiger Würdigung der heutigen Kampfverhältnisse als Fahnenflüchtiger behandelt werden. Die Flucht vor der kämpfenden Truppe fällt oft zusammen mit schlappem, nachlässigem oder verantwortungslosem Verhalten. Der Begriff der Furcht vor persönlicher Gefahr darf dabei nicht zu eng gefaßt werden. Der Krieg erfordert restlosen Einsatz des letzten Mannes. Wer sich den Unbilden der Witterung und den Beschwerlichkeiten des Landes entziehen will, handelt aus Mangel an Mut und muß dem Täter gleichgestellt werden, der sich vor der feindlichen Waffenwirkung scheut. Mehr wie je in einem Kriege hängt der Endsieg im gegenwärtigen Lebens-

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kampfe unseres Volkes davon ab, daß jeder Mann sich in unerschütterlicher Treue auf dem ihm anvertrauten Posten hält.“13 Derartige systemkonforme Positionen werden auch an anderer Stelle sichtbar. In dem Brief eines Divisionsrichters vom 15. Juni 1944 erfährt man z. B.: „Der Chef des Heeresjustizwesens, Herr Generalstabsrichter Dr. Sack, läßt heute 11.30 Uhr fernmündlich mitteilen, dass das Urteil bestätigt worden ist und dass die 5 zum Tode verurteilten Angeklagten Maurer, Staracek, Wolter, Lakosil und Sobotka noch heute durch Erhängen hinzurichten sind. Die Erhängung sei vom Chef H. Rüst und BdE. nach Fühlungnahme mit Reichsmarschall Görung [sic!], dem Reichsjustizministerium und dem Reichsführer SS angeordnet worden.“14 Die Kriegsgerichte liefen im Sommer 1944 auf Hochtouren. Sack bestätigte zu diesem Zeitpunkt täglich drei bis fünf Todesurteile. Noch Anfang September 1944 meldete er dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, der inzwischen als Befehlshaber des Ersatzheeres sein unmittelbarer Vorgesetzter war, daß die Vollstreckung der Todesstrafe durch Enthaupten bei der allgemeinen Justiz in der Strafanstalt Plötzensee im Monat nur zwei- bis dreimal stattfand und infolgedessen ständig etwa 400–500 Verurteilte auf die Vollstreckung dort warteten.15 Es war die Zeit, in der in der Hinrichtungsstätte Plötzensee die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 auf besonders grausame Weise ermordet wurden. Für Sack, der für den Fall eines erfolgreichen Umsturzversuches als Justizminister vorgesehen war, muß diese Situation eine harte persönliche Prüfung gewesen sein, da er befürchten mußte, selbst wachsende Schuld in dem Verfolgungssystem des NS-Staates auf sich zu laden und andererseits persönlich in dessen Fänge zu geraten. Obendrein waren beide Söhne im Krieg umgekommen. Naturgemäß ist es in der Frage der Darstellung des Widerstandes ungeheuer schwierig, hierfür anhand von Quellen Gewißheit zu erlangen. Die Quellenlage ist zu lückenhaft, um eine grundsätzlich und von Anfang an bestehende Ablehnung des Nationalsozialismus bei Sack zu konstatieren. Frühe Verbindungen zu Persönlichkeiten des Widerstandes reichten jedoch offensichtlich in die Zeit des Fritsch-Prozesses, als er zur Gruppe Oster/ Dohnanyi Kontakt erhielt und hier bereits an Plänen beteiligt war, Hitler nach einer möglichen Gefangennahme den Prozeß zu machen. Durch seine dienstliche Tätigkeit hatte er außerdem engen Kontakt zu Arthur Nebe, dem Leiter des Reichskriminalamtes, der seinerseits in die Attentatsplanungen eingeweiht war, als Leiter der SD-Einsatzgruppe B in den besetzten Gebieten der UdSSR aber schwere Schuld an NS-Gewaltverbrechen auf sich geladen hatte. Den Kontakt zu Oster und Canaris konnte Sack auch während seiner Tätigkeit in der Wehrmachtrechtsabteilung und später als

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Heeresjustizchef aufrechterhalten. Er war gleichsam eingebunden in ein Warnsystem der Verschwörer. Als Chef der Heeresjustiz wird ihm von ehemaligen Kollegen hinhaltender Widerstand gegen Versuche des Reichsjustizministers Thierack nachgesagt, auf die politische Rechtspflege in der Wehrmacht Einfluß zu nehmen. Die systemimmanente Opposition Sacks in der Zeit seiner Tätigkeit als Chef der Heeresjustiz konnte sich allenfalls auf Verzögerung von Strafverfahren oder mehr oder weniger direkte Einflußnahme beschränken. Allem Anschein nach hat er jedoch verfolgten Widerstandskämpfern, besonders Hans von Dohnanyi, vereinzelt Hilfestellung gewähren können. Sack selbst soll nach Aussagen ehemaliger Richterkollegen am 20. Juli 1944 nachmittags Kontakt zu den Verschwörern im Bendlerblock unterhalten haben. Er soll deutlich gewarnt worden sein. Himmler verpflichtete am 21. Juli alle Abteilungsleiter im OKH zur Treue auf den Führer, darunter auch Generalstabsrichter Sack. Ein weiteres Indiz liefert der Bericht von SD-Chef Kaltenbrunner an Bormann vom 7. September 1944, demzufolge Sack den Widerstandskämpfer Wilhelm Staehle nach dessen Verhaftung im Wehrmachtgefängnis aufgesucht hat, um ihn über den Inhalt seiner Gestapo-Verhöre ausführlich zu befragen.16 Diese offensichtliche Unvorsichtigkeit blieb nicht ohne Folgen. Am 8. September 1944 wurde Sack von SS-Gruppenführer Heinrich Müller, dem Gestapo-Chef, in Berlin verhaftet. Als am 22. September durch einen Sonderermittler der Gestapo, Sonderegger, in Zossen belastendes Material aufgefunden wurde – Sacks Name befand sich auf einer Ministerliste der Verschwörer –, verschlechterten sich die Aussichten für Sack. Das Auffinden der Tagebücher Canaris’ machte die Situation noch aussichtsloser für ihn. Auf Vorschlag des „Ehrenhofes“ entließ Hitler Sack am 10. Oktober 1944 aus der Wehrmacht. Er mußte nun monatelang im Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße Nr. 8 in Berlin verbringen. Nach Aussage im späteren ‘Huppenkothen-Prozeß’ des Jahres 1955 ergingen am 5. April 1945 Anweisungen, am 8. April im Konzentrationslager Flossenbürg ein Standgericht gegen Wilhelm Canaris, Hans Oster, Dietrich Bonhoeffer, Ludwig Gehre, Theodor Strünck und Karl Sack zusammentreten zu lassen. Dorthin waren die Angehörigen des Oster-Kreises am 7. Februar 1945 verbracht worden, wo sie unter verschärften Haftbedingungen Verhören und Folterungen ausgesetzt waren. Am 8. April 1945 tagte das Standgericht unter Vorsitz des SS-Richters Dr. Otto Thorbeck. SS-Standartenführer Huppenkothen vertrat die Anklage in dem Scheinverfahren. Die fünf Verschwörer, die keine Verteidiger hatten, wurden zum Tode verurteilt. Ihre Ermordung geschah am 9. April 1945: Canaris, Oster, Bonhoeffer,

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Gehre, Strünck und Sack wurden nacheinander völlig unbekleidet im Hof des Lagers erhängt. Der führende Heeresjurist und Widerstandskämpfer Karl Sack wurde am Kriegsende Opfer eines Terrorapparates, in dessen Strukturen er im Verlauf des Krieges verantwortlich verstrickt war. Die besondere Tragik seiner Person läßt sich kaum besser versinnbildlichen als durch die unmittelbare Nachbarschaft zweier Gedenktafeln am Ort seines zeitweiligen Wirkens: Neben der 1981 errichteten Plakette am Gebäude des ehemaligen Reichskriegsgerichts in Berlin-Charlottenburg zur Erinnerung an sein Schicksal wird zugleich seit 1989 öffentlich der Opfer der Wehrmachtjustiz gedacht.

Anmerkungen 1 BA-MA Freiburg, W-10/2344: Personalakte Karl Sack, fol. 134: Schreiben der Heeresrechtsabteilung im RKM (Dr. Rehdans) an den Oberstkriegsgerichtsrat des Dienstaufsichtsbezirks III Kassel vom 8. Januar 1936. 2 Vgl. Bösch, Dr. Karl Sack, S. 45, Anm. 60. 3 Janßen/Tobias, Der Sturz der Generale, S.171. 4 Schwinge, Die deutsche Militärgerichtsbarkeit, S. 352. 5 BA-ZNS Aachen-Kornelimünster, H 2–32164: Heeresgruppe A, Der Chef des Generalstabes, Beurteilung vom 5. 9. 1940. 6 Ebenda, Beurteilung vom 22. 6. 1942. 7 An diesem Tag wurde beispielsweise Alexander Kraell, ein Vertrauter Sacks, zum Oberreichskriegsanwalt ernannt. 8 MHA Prag, Bestand Reichskriegsgericht: Schreiben des Chefs des OKW (14n 19 WR [II/7] Tgb. Nr. 926/42g) vom 26. 9. 1942 an den Chef des Heeresjustizwesens (Hervorhebung im Original). 9 Vgl. Bösch, Dr. Karl Sack, der einen Privatbrief Sacks vom 6. 12. 1942 zitiert. 10 Wüllner, Die NS-Militärjustiz, S. 372 ff. 11 Schweling, Die deutsche Militärjustiz, S.100. 12 BA-ZNS Aachen-Kornelimünster, Ordner Disziplin und Rechtspflege: Erfahrungsbericht Nr.1 in Bestätigungssachen vom 1. 9. 1943. 13 Ebenda (Hervorhebung im Original). 14 Schreiben des Divisionsrichters des Gerichts der Div. Nr. 177 in Wien vom 15. 6. 1944, zit. nach Wüllner, Die NS-Militärjustiz, S. 374. 15 BA Berlin, Außenstelle Zehlendorf: Ordner 234 Ia SS-Gerichtsbarkeit: Fernschreiben von SS-Standartenführer Bender an den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Kaltenbrunner vom 6. 9. 1944. 16 Vgl. Spiegelbild einer Verschwörung, S. 362 ff.

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA Berlin, Außenstelle Zehlendorf: Ordner 234 Ia SS-Gerichtsbarkeit; BA Koblenz: Reichsjustizministerium; BA-MA Freiburg, N 772: Nachlaß Sack; RH 14: Heeresrechtsabteilung; W-10/2345: Personalakte Dr. Karl Sack des Oberkommandos des Heeres; BA-ZNS Aachen-Kornelimünster, H 2–32164: Personalnachweis Dr. Karl Sack und Ordner Disziplin und Rechtspflege; Militärhistorisches Archiv Prag, Bestand Reichskriegsgericht: Personalnachweis Sack. Gedruckte Quellen und Literatur Bösch, Hermann: Heeresrichter Dr. Karl Sack im Widerstand. München 1967. Ders.: Dr. Karl Sack. Wehrmachtrichter in der Zeit des Nationalsozialismus. Scheinfeld 1993. Haase, Norbert: Das Reichskriegsgericht und der Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Berlin 1993. Messerschmidt, Manfred/Fritz Wüllner: Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Zerstörung einer Legende. Baden-Baden 1987. Messerschmidt, Manfred: Karl Sack: Opposition und Militärjustiz. In: Dr. Karl Sack. Ein Widerstandskämpfer aus Bosenheim. Bekenntnis und Widerstand. Gedenkschrift anläßlich der 40. Wiederkehr des Tages seiner Ermordung im KZ Flossenbürg am 9. April 1945. Hrsg. von Stephan Dignath. Bad Kreuznach 1985, S.62–66. Dr. Karl Sack. Ein Widerstandskämpfer aus Bosenheim. Bekenntnis und Widerstand. Gedenkschrift anläßlich der 40. Wiederkehr des Tages seiner Ermordung im KZ Flossenbürg am 9. April 1945. Hrsg. v. Stephan Dignath. Bad Kreuznach 1985. Schweling, Otto Peter: Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus. Hrsg. von Erich Schwinge. 2. Aufl. Marburg 1978. Schwinge, Erich: Die deutsche Militärgerichtsbarkeit im zweiten Weltkrieg. In: Deutsche Richterzeitung 37 (1959), S.350 ff. Wüllner, Fritz: Die NS-Militärjustiz und das Elend der Geschichtsschreibung. Ein grundlegender Forschungsbericht. Baden-Baden 1991.

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General der Infanterie Max von Schenckendorff „Bisher ist von unserer Seite wenig dazu getan worden, die Sympathie der Bevölkerung zu gewinnen.“ General von Schenckendorff meinte damit die Bevölkerung im besetzten Teil der Sowjetunion – und er mußte es wissen, hatte er selbst doch ebenfalls „wenig dazu getan“, als „Befehlshaber im rückwärtigen Heeresgebiet Mitte“ Sympathie zu wecken. Seine Dienststellung begründet das Interesse an dem weithin unbekannten und in der Literatur allenfalls als farblose Randfigur auftretenden Offizier.1 Auf diesen Aspekt, zwei Jahre aus einer Lebensspanne von fast siebzig und einer militärischen Laufbahn von gut vierzig Jahren des am 24. Februar 1875 in Prenzlau (Uckermark) geborenen Generals muß sich die Betrachtung im wesentlichen beschränken.2 Das rückwärtige Heeresgebiet bildete den Aufmarsch- und Versorgungsraum hinter der Front der Heeresgruppe Mitte.3 Anfang Juli 1941 eingerichtet, bewegte es sich als Teil des Operationsgebietes mit der Front zuerst nach Osten und dann wieder zurück, bis es im Herbst 1943 von der Bildfläche verschwand. Dem Befehlshaber als Chef der Militärverwaltung oblag die vollziehende Gewalt über knapp 10 Mio. Einwohner auf einer Fläche von etwa 150 000 km2. Seine militärische Aufgabe bestand vor allem in der Aufrechterhaltung der Infrastruktur und der Unterdrückung jeden Widerstandes. Trotz doppelter Abhängigkeit – taktisch von der Heeresgruppe, administrativ vom Generalquartiermeister im OKH – und der Einschränkung seiner Befugnisse auf ökonomischem und polizeilichem Gebiet verblieb Schenckendorff doch genügend Handlungsspielraum und damit Verantwortung.4 Ein vergleichbares Kommando von kleinerem Maßstab hatte Schenckendorff schon unmittelbar nach seiner Reaktivierung beim Überfall auf Polen innegehabt5: Sicherungsdienst mit einer heterogenen Truppe, die für den Fronteinsatz nicht taugte. Trotz eines Herzleidens und seines Alters von fast 65 Jahren stürzte er sich nach Kriegsbeginn mit Freude und Elan in „diese schöne Aufgabe“.6 Die eingangs zitierte Passage entstammt Schenckendorffs Denkschrift „Vorschläge zur Vernichtung der Partisanen“ vom 1. März 1942, die sich auch mit den politischen Voraussetzungen für die Eindämmung der Partisanentätigkeit befaßte.7 Der General betrat nur unter dem Druck der Verhältnisse dieses sensible politische Terrain. Der Blitzkrieg war im Dezember

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1941 gescheitert, die provisorisch gedachte Militärverwaltung wurde zum Dauerzustand, und zudem sah sich Schenckendorff nun einer militärisch wirksamen Untergrundbewegung gegenüber. Lange vor Stalingrad befand sich die deutsche Herrschaft im Heeresgebiet Mitte in Auflösung.8 Es erschien dringend geboten, das Potential der gegen Stalin gestimmten Russen zu nutzen. Der General erkannte: „Mit einem Rußland als deutscher Kolonie kann der Russe sich nicht abfinden, lieber duldet er den Terror des Bolschewismus.“9 Die wirtschaftliche Ausplünderung zugunsten der „Volksgemeinschaft“ und die Rekrutierung von „Ostarbeitern“ paßten nicht in Schenckendorffs Konzept. Er war ein gebildeter und kultivierter Mann. Obwohl nicht frei von Überlegenheitsdünkeln, hatte er die Russen doch nie als „Untermenschen“ betrachtet. Seine politische Vorstellung, die er auf einer Krisensitzung im Ostministerium am 18. Dezember 1942 formulierte,10 hielt sich im Rahmen deutscher Hegemonie über eine halbwegs autonome osteuropäische Staatenwelt. Es war die Perspektive von 1918 nach dem Frieden von Brest-Litowsk. Damals hatte Schenckendorff als Major dem Generalstab angehört. Um der chronischen Personalknappheit abzuhelfen, hatte er schon im Herbst 1941 bewaffnete Hilfstruppen aus entlassenen Kriegsgefangenen aufgestellt.11 Ein Treffen mit dem russischen General Vlassov, den Schenckendorff anscheinend stark beeindruckte,12 im Februar 1943 bildete den Höhepunkt dieser Bemühungen. Schenckendorffs Loyalität galt der Armee. Seit 17. März 1894 Offizier, die reguläre Laufbahn schon vor Hitlers Machtübernahme beendet, verdankte er nur die letzte Karrierestufe dem Dritten Reich. Seine Forderung nach „altpreußischer Pflichterfüllung“ war Ausdruck dieser Traditionsverwurzelung.13 Er war nicht der erste, der erkannte, daß die maßlosen Kriegsziele Hitlers den militärischen Erfolg gefährdeten. Gerade die Heeresgruppe Mitte war ein Zentrum des späteren militärischen Widerstandes. Doch kann man Schenckendorff in diesen Zusammenhang stellen, wie es der Historiker Alexander Dallin getan hat?14 Der alte General kannte zweifellos die führenden Köpfe der Militäropposition, als Offizier aus preußischem Adel teilte er ihren gesellschaftlichen Hintergrund. Zwischen 1920 und 1923 war er Bataillons-Kommandeur im Infanterieregiment 9 gewesen, von dem Freiherr v. Boeselager sagt, „daß aus diesem Regiment mehr Widerstandskämpfer hervorgegangen sind als aus jedem anderen“.15 Doch wie manchem späteren Verschwörer des 20. Juli ermöglichte es Schenckendorff eine autoritäre, militaristische Grundeinstellung, den weltanschaulichen Kampf im Osten erst einmal mit durchzufechten.16 Der „Kommissarbefehl“ bereitete dem General kein Kopfzerbrechen. Auf das Aufspüren von Kommissaren in den Gefangenenlagern legte er be-

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sonderen Wert, ließ sogar anfragen, ob nicht alle Sowjetoffiziere als Kommissare zu gelten hätten 17 und setzte ein Kopfgeld für jeden durch Anzeige gefaßten Kommissar aus.18 Über das Schicksal der Juden mußte sich Schenckendorff spätesten seit November 1939 im klaren sein, als er mittelbar Zeuge eines Massakers in Polen – auch an Frauen und Kindern – wurde. Obwohl er die fadenscheinige Rechtfertigung der Verantwortlichen hinnahm, war er doch hinreichend schockiert, um dem vorgesetzten „Oberbefehlshaber Ost“ General Blaskowitz einen ganzseitigen Bericht zu übermitteln.19 Damals tröstete ihn, daß die Truppe unbeteiligt geblieben war. Im besetzten Teil der UdSSR ab 1941 aber lagen die Dinge anders. Schenckendorff machte sich zum Komplizen. Seine Verwaltung schuf mittels Befehlsgabe, Registrierung, Kennzeichnung, Entrechtung und Ghettoisierung die Grundlagen für den folgenden Massenmord an den Juden.20 Den Aktivitäten von Himmlers Vollzugsorganen leistete er nach Kräften Vorschub.21 Die SS-Kavallerie-Brigade konnte beispielsweise unter dem Deckmantel der „selbständigen Befriedung“ den Holocaust durchführen – und Schenckendorff pries ihr Verfahren als vorbildlich.22 Wiederholt verlangte er nach SD-Kommandos für besondere „Säuberungen“.23 Und er ergriff selbst die Initiative, etwa im Frühjahr 1942, zur Beseitigung ‘unzuverlässiger Elemente’ – eben der Juden – unter der Bevölkerung.24 Dabei war Schenckendorff kein Judenhasser. Obwohl er sich in anderem Zusammenhang mit verbaler Aggression nicht zurückhielt, ist antisemitische Rhetorik in seinen Befehlen nirgendwo zu finden.25 Sein für alle Untergebenen ausgesprochenes Verbot der Teilnahme an „Sondermaßnahmen oder Erschießungen“ durch SD und Polizei, im Kriegstagebuch als „Judenerschießungen“ präzisiert, kam ebenfalls ohne die sonst übliche „politische Wendung“ aus.26 Glaubte Schenckendorff tatsächlich an eine potentielle Gefährlichkeit der Juden, obwohl keine objektiven Gründe dafür vorlagen? In jedem Fall ließ sich an dieser Minderheit Härte demonstrieren, ohne das Gros der Bevölkerung allzusehr aufzubringen. Und er konnte auf diese Weise die gute Zusammenarbeit mit den Truppen Himmlers festigen.27 Diese unterstanden dem General nicht direkt, sondern wurden auf Anforderung vom Höheren SS- und Polizeiführer von dem Bach-Zelewski jeweils zugeteilt. Zu ihm pflegte Schenckendorff enge Beziehungen.28 Beide waren sich 1939 in Polen erstmals begegnet, dort entstand das Muster ihrer späteren Kooperation. Der Partisanenkrieg bildete die Klammer um Schenckendorffs vielseitiges Wirken auf sowjetischem Territorium. Dabei erfreute er sich der völligen Freiheit von jeder rechtlichen Bindung. Kriegs- und völkerrechtliche Kategorien standen ohnehin weitgehend außerhalb seines Denkens, weder

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in seinem „Handbuch für den Offizier“ von 1928 noch in den Akten seines Befehlsbereichs ist davon jemals die Rede. Die deutsche Partisanenfurcht bei Kriegsbeginn im Osten trug wahnhafte Züge. Schenckendorff grauste es beim Gedanken an Räume, „die die Truppe noch niemals betreten hat“.29 Ironischerweise hatte Schenckendorff selbst Jahre zuvor ein Szenario entworfen, wie die Reichswehr gegen einen überlegenen Feind den „Kleinen Krieg“, „d. h. die Schädigung durch blitzartige Überfälle an möglichst unwahrscheinlicher Stelle“ führen könnte.30 So fiel es ihm nicht schwer, bei einer Analyse der sowjetischen Partisanen deren „schnelle Entschlußkraft und Kühnheit“ zu bewundern.31 Doch wie man umgekehrt als Besatzungsmacht darauf angemessen reagierte, davon hatte er offensichtlich keine Vorstellung. Gewalt, von höchster Stelle empfohlen, war die Ultima ratio. Innerhalb weniger Zeilen seiner Analyse vollzog Schenckendorff den Schwenk vom sachlichen Beobachter zum skrupellosen Scharfmacher: „Der Feind muß vollständig vernichtet werden. (…) Richtig handelt, wer unter vollkommener Hintansetzung etwaiger persönlicher Gefühlsanwandlungen rücksichtslos und unbarmherzig zupackt.“32 Und danach handelte er zunächst auch selbst. Bis Jahresende konnte Schenckendorff eine Erfolgsbilanz von über 63 000 vernichteten „Partisanen“ bei minimalen eigenen Verlusten vorlegen. Und das, obwohl „bis zum Dezember 1941 das Gebiet (…) als ziemlich partisanenfrei gelten konnte“33. Der scheinbare Widerspruch klärt sich durch die Logik der „Säuberungsaktionen“: Der Begriff Partisan wurde weit ausgelegt, ein Großteil der Opfer ohne eigenes Zutun kurzerhand zu Partisanen erklärt. So auch versprengte Rotarmisten, die sich aus gutem Grund der Gefangennahme entzogen.34 Nach Ablauf einer Frist wollte Schenckendorff sie „als Freischärler behandelt“ wissen.35 Schenckendorffs eigene Wendung zur politischen Kriegführung vom Frühjahr 1942 an mußte zwangsläufig mit den bisherigen „Befriedungs“Methoden in Konflikt geraten. Deren kontraproduktive Auswirkungen waren ihm nicht verborgen geblieben. Mit der Feststellung „Wir führen keinen Krieg gegen die Bevölkerung“ untersagte der General am 3. August 1942 die gängige Praxis der bisherigen Kollektivmaßnahmen.36 Er setzte sich nicht durch. „Die Lust der Soldaten, etwas brennen zu sehen“, ließ sich nicht mehr abstellen.37 Schenckendorffs Kritik am Terror beruhte allerdings auf reinem Zweckmäßigkeitsdenken. Sie kam nicht aus ethischer Überzeugung, stand nicht auf dem Fundament unveräußerlicher Rechtsnormen. Das verlieh seinen Anweisungen einen zwiespältigen Charakter. Symptomatisch die Erklärung zur „Sonderaktion Freundschaft“ Ende Mai 1942: „Grundsätzlich soll die Befriedung auf friedliche Art mit Mitteln der Propaganda versucht werden.

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Wo sich aber Widerstände zeigen, sind dieselben mit allen Mitteln zu brechen“.38 Die moralische Erosion war bei Schenckendorff zu weit fortgeschritten, um noch eine prinzipielle Umkehr zu erlauben. Ihr ganzes Ausmaß enthüllt sich angesichts der allen Ernstes erörterten Frage, ab welchem Alter man Kinder erschießen dürfe.39 Der Partisanenkrieg entwickelte sich insgesamt ab Jahresende 1942 zu einer Kette von Raub- und Vernichtungszügen, die Agrargüter und Zwangsarbeiter einbrachten und tote Zonen zurückließen. Für politische Zugeständnisse blieb da kein Raum. Im Frühjahr 1943 begab sich Schenckendorff zur Kur ins Riesengebirge, wo er am 6. Juli einem Herzschlag erlag. 1928 hatte Max von Schenckendorff formuliert: „Der Offizier darf weder Unrecht tun, noch leiden, daß ihm selbst oder anderen Unrecht geschieht.“40 Daran gemessen ist der General in der UdSSR nicht nur politisch und militärisch, sondern auch persönlich gescheitert. Anmerkungen 1 Außer bei Thorwald, Die Illusion, der Interviews mit zwei von Schenckendorffs Stabsoffizieren geführt hat. 2 Auch aufgrund der Quellenlage, es standen weder persönliche Aufzeichnungen noch Schenckendorffs Personalakte zur Verfügung. 3 Zur Struktur der deutschen Besatzung s. Förster, Die Sicherung des „Lebens raumes“, S.1030ff. 4 Schulte, The German Army, S. 57 f. u. 224. 5 Schenckendorff hatte am 28. 2. 1930 den Abschied erhalten, wurde am 26. 8. 1939 reaktiviert und übernahm das Grenzschutz-Abschnittskommando 13 in Glogau. 6 BA-MA Freiburg, RH 24–35/2, Eintragung v. 5. 9. 1939. 7 Ebenda, RH 22/230, Bl. 134–137; siehe auch Dallin, Deutsche Herrschaft, S.532. 8 Förster, Die Sicherung des „Lebensraumes“, S. 1061. 9 BA-MA Freiburg, RH 22/230, Bl. 135: Vorschläge zur Vernichtung der Partisanen. 10 Siehe Dallin, Deutsche Herrschaft, S. 163f. u. 560 ff.; Heer, Logik des Vernichtungskrieges, S.128f. 11 Schulte, The German Army, S. 204. 12 „Ein großartiger Mensch“ – Thorwald, Die Illusion, S.148. 13 BA-MA Freiburg, RH 22/233, Bl. 278: Divisionskommandeur-Besprechung am 8. 10. 1942. 14 Dallin, Deutsche Herrschaft, S.163, Anm. 2 u. S. 560. In der einschlägigen Literatur zur militärischen Opposition wird Schenckendorff nicht genannt. 15 Boeselager, Der Widerstand in der Heeresgruppe Mitte, S.12. 16 Zur zwiespältigen Haltung der Offiziere im Widerstand s. Gerlach, Männer des 20. Juli. 17 BA-MA Freiburg, RH 22/228, Bl. 72; Schulte, The German Army, S.222.

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Ebenda, RH 22/224, Bl. 207: Flugblatt vom August 1941. Ebenda, RH 20–18/14: Bericht über die Vorgänge in Ostrow-Mazowiecka am 9./11. 11. 1939; siehe auch Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen, S.76. 20 BA-MA Freiburg, RH 22/247, Bl. 41: Sonderanordnungen für die Juden. 21 Zum Holocaust im Heeresgebiet Mitte siehe Heer, Killing Fields sowie Kwiet, From the Diary of a Killing Unit. 22 BA-MA Freiburg, RH 22/225, Bl. 26 bzw. 48: Anweisung f. d. SS-Kav.-Brigade v. 5. 9. 1941 bzw. Korpsbefehl Nr. 52 v. 14. 9. 1941; Birn, Zweierlei Wirklichkeit, S.275f.; Förster, Das andere Gesicht des Krieges, S. 159 f. und Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen, S.194. 23 BA-MA Freiburg, RH 22/225, Bl. 95 u. 192: Korpsbefehle Nr. 55 u. 69 v. 29. 9. bzw. 23. 11. 1941; Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen, S. 214f. 24 BA-MA Freiburg, RH 22/248, Bl. 314: Verwaltungsanordnungen Nr. 19 v. 29. 4. 1942. 25 Nach Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen, S. 217, sind „antijüdische Tendenzen“ durch „zustimmende Randzeichen“ auf einem SS-Bericht festzustellen. Die fraglichen Markierungen stammen jedoch mit ziemlicher Sicherheit nicht von Schenckendorff. Sie sind rot ausgeführt, Schenckendorff benutzte üblicherweise einen grünen Stift – so auch bei der Durchsicht dieses Berichts, siehe BA-MA Freiburg: RH 22/224, Bl. 241. 26 BA-MA Freiburg: RH 22/230, Bl. 220: Anordnung vom 21. 3. 1942. Es handelte sich offensichtlich um die Wiederholung eines identischen Befehls vom 28. 10. 1941, siehe Hilberg, Wehrmacht und Judenvernichtung, S. 27 und Förster, Sicherung des „Lebensraumes“, S.1049; ferner Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen, S.211. 27 Vgl. generell Streit, Keine Kameraden, S.111. 28 Siehe Bachs Tagebuch. In: Birn, Zweierlei Wirklichkeit, S.282. 29 BA-MA Freiburg, RH 22/224, Bl. 153: Korpsbefehl Nr.28 v. 15. 7. 1941. 30 Schenckendorff, Frontdienst, S.153. 31 BA-MA Freiburg, RH 22/225, Bl. 121: Der Partisan – seine Organisation und seine Bekämpfung, Entwurf v. 12. 10. 1941. 32 Ebenda, Bl. 122. 33 BA-MA Freiburg, RH 22/230, Bl. 144: Vorschläge zur Vernichtung der Partisanen v. 1. 3. 1942. 34 Zum Massensterben der Kriegsgefangenen in Schenckendorffs Bereich und dessen völlig unzureichender Intervention siehe Streit, Keine Kameraden, bes. S.130 ff., 155–169 u. 189. 35 BA-MA Freiburg, RH 22/224, Bl. 204: Korpsbefehl Nr. 39 v. 11. 8. 1941. 36 Ebenda, RH 22/233, Bl. 67. 37 Ebenda, RH 22/231, Bl. 304: Punkt 11 für die Kommandeurs-Besprechung am 12. 6. 1942; siehe dazu auch Heer, Logik des Vernichtungskrieges, S.119–122. 38 BA-MA Freiburg, RH 22/231, Bl. 264: Anweisung v. 31. 5. 1942. 39 Ebenda, RH 22/233, Bl. 156: 2. 9. 1942. 40 Schenckendorff, Frontdienst, S.7. 18

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, RH 22/224–251: Der Befehlshaber des rückw. Heeresgebietes Mitte, verschiedene KTB mit Anlagen; RH 24–35/2: Kriegstagebuch Nr. 2 Grenzschutzabschnittskommando 13 (ab 5. 9. 1939 Gruppe Schenckendorff) 3. 9.–12. 9. 1939. Gedruckte Quellen und Literatur Birn, Ruth B.: Zweierlei Wirklichkeit? Fallbeispiele zur Partisanenbekämpfung im Osten. In: Zwei Wege nach Moskau. Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zum „Unternehmen Barbarossa. Hrsg. von Bernd Wegner. München 1991, S.275–290. Chiari, Bernhard: Alltag hinter der Front. Besatzung, Kollaboration und Widerstand in Weißrussland 1941–1944. Düsseldorf 1996. Dallin, Alexander: Deutsche Herrschaft in Rußland 1941–1945. Eine Studie über Besatzungspolitik. Düsseldorf 1958. Förster, Jürgen: Das andere Gesicht des Krieges: Das „Unternehmen Barbarossa“ als Eroberungs- und Vernichtungskrieg. In: „Unternehmen Barbarossa“. Zum historischen Ort der deutsch-sowjetischen Beziehungen von 1933 bis Herbst 1941. Hrsg. v. Roland G. Foerster. München 1993, S.151–161. Ders.: Die Sicherung des „Lebensraumes“. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 4: Der Angriff auf die Sowjetunion. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Stuttgart 1983, S. 1030–1078. Gerlach, Christian: Männer des 20. Juli und der Krieg gegen die Sowjetunion. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht. Hrsg. von Hannes Heer und Klaus Naumann. Hamburg 1995, S.427–446. Hartmann, Christian: Wehrmacht im Ostkrieg. Front und militärisches Hinterland 1941/42. München 2009. Heer, Hannes: Killing Fields. Die Wehrmacht und der Holocaust. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht. Hrsg. von Hannes Heer und Klaus Naumann, Hamburg 1995, S.57–77. Ders.: Die Logik des Vernichtungskrieges. Wehrmacht und Partisanenkampf. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht. Hrsg. von Hannes Heer und Klaus Naumann. Hamburg 1995, S.104–138. Hense, Erich: Der sowjetrussische Partisanenkrieg 1941 bis 1944 im Spiegel der deutschen Kampfanweisungen und Befehle. Göttingen 1969. Hilberg, Raul: Wehrmacht und Judenvernichtung. In: Die Wehrmacht im Rassenkrieg. Der Vernichtungskrieg hinter der Front. Hrsg. von Walter Manoschek. Wien 1996, S.23–38. Kwiet, Konrad: From the Diary of a Killing Unit. In: Why Germany? National Socialist Anti-Semitism and the European Context. Ed. by John Milfull. Oxford 1993, S.75–90.

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Musial, Bogdan: Sowjetische Partisanen 1941–1944. Mythos und Wirklichkeit. Paderborn 2009. Schenckendorff, Max von, Oberst und Kommandeur des 8. (preuß.) Infanterie-Regiments: Frontdienst. Ein Handbuch für den Offizier. Erfahrungen und Ratschläge eines Regimentskommandeurs. Berlin 1928. Schulte, Theo J.: The German Army and Nazi Policies in Occupied Russia. Oxford 1989. Ders.: Die Wehrmacht und die nationalsozialistische Besatzungspolitik in der Sowjetunion. In: „Unternehmen Barbarossa“. Zum historischen Ort der deutsch-sowjetischen Beziehungen von 1933 bis Herbst 1941. Hrsg. von Roland G. Foerster. München 1993, S.163–176. Shepherd, Benjamin V.: War in the Wild East. The German Army and Soviet Partisans. Cambridge 2004. Sowjetische Partisanen in Weißrussland. Innenansichten aus dem Gebiet Baranovici 1941–1944. Hrsg. v. Bogdan Musial. München 2004. Thorwald, Jürgen: Die Illusion. Rotarmisten in Hitlers Heeren. Zürich 1974.

Friedrich-Christian Stahl

Generaloberst Rudolf Schmidt Zu den weniger bekannten Armeeführern des Zweiten Weltkrieges gehört Generaloberst Rudolf Schmidt. Er wurde am 12. Mai 1886 in Berlin als Sohn eines Oberstudiendirektors geboren. Nach dem Abitur trat Schmidt 1906 als Fahnenjunker beim Infanterie-Regiment von Wittich in Kassel ein und wurde dort 1908 zum Leutnant befördert. 1911 wurde er zur Telegraphentruppe versetzt, die damals im Rahmen der Heeresvermehrung eine Erweiterung erfuhr. Während des Ersten Weltkrieges wurde er bei der Feldtelegraphentruppe 1914 zum Oberleutnant und 1915 zum Hauptmann befördert. Als Generalstabsoffizier fand er u. a. im Oberkommando der 4. Armee Verwendung. Im 100 000-Mann-Heer ab 1921 zwischen Truppen- und Generalstabsdienst wechselnd, war Schmidt als Gruppenleiter für Abwehr und Leiter der Chiffrierstelle des Reichswehrministeriums sowie als Chef des Stabes der Nachrichtentruppe (1931) tätig. Als Taktiklehrer und Lehrgangsleiter für Führergehilfen genoß Schmidt – seit 1931 Oberstleutnant – ein solches Ansehen, daß ihm 1932 die Leitung der als „Führungs- und Steuerungsorgan“ geschaffenen „Offizierslehrgänge Berlin“, des Vorläufers der späteren Kriegsakademie, anvertraut wurde.1 1933 zum Oberst befördert, war Schmidt nur etwa ein Jahr lang Kommandeur des Infanterie-Regiments 13 in Ludwigsburg. 1935 wurde er zum Oberquartiermeister III im Generalstab des Heeres ernannt, der für das Transport- und Nachschubwesen des Heeres zuständig war, und 1936 zum Generalmajor befördert. Im Oktober 1937 übernahm Schmidt das Kommando über die 1. PanzerDivision in Weimar. Um den Wandel zu begreifen, der sich bei Schmidt und in den Köpfen zahlreicher Kameraden innerhalb weniger Jahre vollzogen hat, empfiehlt es sich, einige Sätze aus einer Ansprache Schmidts anläßlich der Vereidigung von Rekruten am 9. November 1937 zur Kenntnis zu nehmen: „Wir sind wieder ein mächtiges, geachtetes Volk geworden, das in der Welt eine entscheidende Rolle spielt. Dieser gewaltige Umschwung (…) vollzog sich ohne größere Störungen dank der Genialität unseres Führers, eine in der Geschichte noch nicht dagewesene Erscheinung. Als starker Hort des Friedens, für die Sicherheit des deutschen Volkes, steht hinter dem Führer die deutsche Wehrmacht, 100 000 Mann einst und jetzt ein Millionenheer.“2 Diese Ansprache wurde vor der Blomberg-Fritsch-Krise gehalten, d. h.

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bevor sich Hitler zum Oberbefehlshaber der Wehrmacht ernannte und bevor er sich in die militärischen Planungen unmittelbar einmischte. Mochte sich Schmidt damals noch durch die Persönlichkeit Hitlers blenden lassen, so bereitete er den „täglichen und nächtlichen Reibereien zwischen der SS und Angehörigen der 1. Panzer-Division“ dadurch ein Ende, daß er sogar Offizierspatrouillen einsetzte, „um notfalls mit Waffengewalt der SS entgegenzutreten“3. Mit seiner Division erlebte Schmidt, inzwischen Generalleutnant, den Polenfeldzug. Dem XVI. Armee-Korps unter General Hoepner unterstellt, überschritt die 1. Panzer-Division bei Grunsruh die Grenze und bildete nach zügigem Vormarsch über Tomaszow südöstlich von Gora Kalwarja einen Brückenkopf über die Weichsel. Die vielfachen Überraschungen und Unsicherheiten für eine den nachfolgenden Infanterie-Verbänden weit vorauseilende Panzerdivision werden in der Divisionsgeschichte besonders geschildert.4 Sie forderten vom Divisionskommandeur und seinem Stab mehrfach ein hohes Maß an Übersicht, Reaktionsfähigkeit und Einschätzung des der eigenen Truppe Zumutbaren. Im Februar 1940 wurde Schmidt zum Kommandierenden General des XXXIX. Armeekorps ernannt, jedoch erst am 12. Mai mit seinem Korps der 18. Armee unter General von Küchler zugewiesen. Mit den ihm unterstellten Divisionen – 7. Flieger-Division (Fallschirmjäger), 9. Panzer-Division, 254. Infanterie-Division und der SS-Leibstandarte „Adolf Hitler“ – hatte er den Angriff auf die ‘Festung Holland’ „mit Schwerpunkt bei Rotterdam – Dordrecht einzuleiten“5. Widerstand in Rotterdam sollte er „mit allen Kräften (…) brechen, nötigenfalls (… mit) Vernichtung der Stadt (…) drohen“ und diese auch durchführen.6 „Um unnötiges Blutvergießen bei der Zivilbevölkerung von Rotterdam zu vermeiden“, forderte Schmidt den holländischen Kommandanten der Stadt am 14. Mai durch einen Parlamentär zur Kapitulation auf. Obwohl Schmidt gegenüber dem Luftflottenkommando 2 darauf hinwies, daß der auf 15.00 Uhr festgesetzte „Angriff wegen Verhandlungen“ aufgeschoben werden sollte und obwohl von seiten der beteiligten Luftwaffendienststellen alles getan wurde, die bereits gestarteten fliegenden Verbände zurückzurufen bzw. den Bombenabwurf zu verhindern, gelang es nicht, die Verbindung zu allen anliegenden Verbänden herzustellen und sie von ihrem Angriffsflug abzuhalten. Rotterdams Bombardierung war dadurch nicht mehr aufzuhalten, so daß die Stadt schwer zerstört wurde, obwohl sie zu kapitulieren bereit war.7 Anschließend wurde Schmidts Korpsstab bei Arras eingesetzt, um den britischen Generalangriff vom 21. Mai abzuwehren.8 Im Rahmen der Umgliederung für die am 5. bzw. 9. Juni beginnende Offensive über die Aisne in den Süden Frankreichs wurde Schmidt, inzwischen zum General der Pan-

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zertruppen befördert, mit seinem aus zwei Panzerdivisionen und einer motorisierten Infanteriedivision bestehenden Korps der „Gruppe Guderian“ unterstellt. Ab 10. Juni erreichte Schmidts Korps im zügigen Vormarsch die Schweizer Grenze bei Pontarlier und konnte sich danach am Westrand der Vogesen mit den über den Rhein vorgestoßenen Verbänden der 7. Armee vereinen. Nach Beendigung des Westfeldzuges erließ Schmidt einen Tagesbefehl an seine an der Demarkationslinie eingesetzten Truppen, in dem er mit aller Klarheit von seiner Truppe forderte, „daß Ihr, solange Ihr als Besatzungstruppe in den von der Deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten Frankreichs verbleibt, eine eines deutschen Soldaten würdige Haltung zeigt. Jede Plünderung, als welche auch die Wegnahme von Gegenständen jeder Art ohne Bezahlung gehört, ist verboten und wird strengstens bestraft. Gewalttätigkeiten gegen Landesbewohner sind nicht nur eines deutschen Soldaten unwürdig, sondern ziehen auch strengste Bestrafung nach sich.“ 9 Schmidts Armeekorps blieb bis zum Frühjahr 1941 in Frankreich und wurde dann nach Allenstein verlegt und der Panzergruppe 3 unter Generaloberst Hoth unterstellt. Zeitweise war auch daran gedacht, Schmidt den Befehl über das Afrikakorps zu übertragen. Nachdem sich die für den Einsatz gegen die Sowjetunion dem XXXIX. Armee-Korps unterstellten Divisionen in Ostpreußen versammelt hatten, überschritten sie am 22. Juni 1941 bei Suwalki die Grenze und stießen über Olita auf Wilna vor. Den optimistischen Vorstellungen der deutschen Führung zum Trotz nahm der Widerstand der Roten Armee an Kraft zu, so daß die gesteckten Ziele nur in erheblich aufwendigerer Zeit nach wechselvollen Kämpfen erreicht werden konnten. Am 10. Juli nahmen Truppen des XXXIX. Armee-Korps Vitebsk. Schmidt wurde dafür als erstem Soldaten des deutschen Heeres im Einsatz gegen die Sowjetunion das Eichenlaub zum Ritterkreuz verliehen. Am 18. Juli bildete das Korps gegen den nordwestlich von Smolensk entstandenen Kessel mit etwa 10 bis 15 eingeschlossenen sowjetischen Divisionen eine Abwehrfront. Nach der „Zertrümmerung einer großen Zahl feindlicher Divisionen im Kessel von Smolensk“10 wurde Schmidts Korps mit drei Divisionen am 16. August 1941 in den Bereich der Heeresgruppe Nord verlegt, um der Stadt Leningrad „den Gnadenstoß zu versetzen“11. Doch es kam anders. Für den Angriff auf Leningrad von Südosten her wurde die „Gruppe Schmidt“ gebildet, der neben dem XXXIX. Armee-Korps das XXVIII. Armee-Korps unterstellt wurde. Im Gruppenbefehl Nr. 1 hieß es noch sehr optimistisch und illusionär: „Feindnachrichten lassen einen Umsturz in Leningrad bei der Annäherung deutscher Truppen und keinen Widerstand der Bevölkerung erwarten.“ Tatsächlich aber mußten sich Schmidts Verbände sehr bald heftiger Angriffe des Gegners erwehren und schieden für den weiteren direkten Angriff auf Leningrad aus.

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Wie frontfremd die Lage vor Leningrad im Hinblick auf Feindkräfte, Zustand der eigenen Verbände und Geländeschwierigkeiten für motorisierte Verbände von Hitler gesehen wurde, geht aus seiner Weisung 35 vom 6. September 1941 hervor, in der er eine Einschließung der „im Raum von Leningrad fechtenden Feindkräfte (nach Besitznahme auch von Schlüsselburg)“ forderte, so „daß spätestens am 15. 9. wesentliche Teile der Schnellen Truppen (…) für die Heeresmitte freiwerden“ sollten.12 Schmidt gehörte zu den Offizieren, die auch darüber nachdachten, wie man die ideologisch bestimmte Situation in der Kriegführung entschärfen könne. Unabhängig davon, ob er der Veranlasser oder nur der Adressat der von Wachtmeister Hertel im September 1941 verfaßten „Denkschrift über die Möglichkeiten der Erschütterung des bolschewistischen Widerstandes von innen her“ war, kam sie Schmidt doch so gelegen, daß er sie nicht nur auf dem Dienstweg, sondern auch über einen Privatweg an Hitler sandte, zumal er schon vor Beginn des Rußland-Feldzuges bei Feldmarschall von Brauchitsch gegen die Anordnung des Kommissarbefehls protestiert hatte.13 Die Denkschrift des im Stabe Schmidts als Soldat dienenden Funktionärs der NSDAP enthielt die Forderung, den berüchtigten Kommissarbefehl aufzuheben und „auf weite Sicht (…) dem russischen Volke eine positive Zukunft zu zeigen“14. Hitler lehnte jedoch den von General Jodl vorgelegten Antrag ab und befahl zugleich, daß seine negative Entscheidung von den Heeresgruppen nur mündlich weitergegeben werden dürfe. Am 8. Oktober 1941 befahl Hitler die Herauslösung des XXXIX. ArmeeKorps und seine Versammlung zum Angriff gegen Osten. Acht Tage später erfolgte der Angriff auf Tichvin, das nach schweren Kämpfen bei eisiger Kälte am 8. November genommen wurde. Offenbar aufgrund dieses Erfolges wurde Schmidt am 11. November zum Vertreter des erkrankten Oberbefehlshabers der am rechten Flügel der Heeresgruppe Mitte eingesetzten 2. Armee, Generaloberst Freiherr von Weichs, bestimmt. 15 Es belastete Schmidt, daß er sein Korps „in scheußlicher Lage“ im Stich lassen sollte. Als Schmidt seinen Armeebereich am 26. November 1941 übernahm, war er sich bewußt, „daß bei ihm der kritischste Punkt der ganzen Front lag“16. Trotz mehrerer Ermahnungen des Feldmarschalls von Bock und der eigenen Überzeugung, „daß auch der Schaden, den wir der russischen Kampfkraft noch zufügen können, den Einsatz nicht mehr lohnt“17, trieb Schmidt den Angriff seiner Armee noch bis Jelez vor, da er der Ansicht war, „daß dieser wichtige Knotenpunkt unmöglich unzerstört vor seiner Front bleiben“ dürfe.18 Jelez wurde dann auch am 5. Dezember erobert und „nach Zerstörung der militärisch wichtigen Anlagen“ wieder geräumt. Die weit auseinandergezogene 2. Armee wurde am 9. Dezember durch Angriffe der Roten Armee durchbrochen. Die Moral der deutschen Truppe war derart

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gesunken, daß Schmidt den – uns heute verwerflich erscheinenden – Befehl erteilte, „einzelne Leute, die defaitistische Reden führen, herauszugreifen und exemplarisch umzulegen“19. Mitte Dezember hielt Schmidt die Lage der 2. Armee für äußerst gefährdet, so daß bei einem Durchbruch der Roten Armee die gesamte Ostfront „mitten im Winter in Bewegung“ gerate. Die Folgen seien „dann nicht abzusehen“. Die aus dieser Lage sich ergebenden „notwendigen Folgerungen“ wurden seines Erachtens jedoch nicht gezogen. Seit 26. Dezember Nachfolger Guderians als Oberbefehlshaber der 2. Panzerarmee führte Schmidt bis 15. Januar 1942 zugleich die 2. Armee, der es nach dem selbständigen Ausweichen in die „Winterstellung“ immerhin gelungen war, „eine neue Front aufzubauen und den russischen Durchbruch auf Orel zu verhindern“20. Von Orel aus führte Schmidt, der zum 1. Januar 1942 zum Generaloberst befördert wurde, die 2. Panzerarmee 15 Monate lang. Um dem im rückwärtigen Gebiet immer wieder aufflackernden Partisanenkrieg die Schärfe zu nehmen, entschloß er sich entgegen aller sonst üblichen Besatzungspolitik zu einer „bemerkenswerten Ausnahme“21, indem er eine „lokale russische Zivilverwaltung“ förderte. Unter Schmidts Protektion entwickelte B. V. Kaminski, ein im Zwangslager zum Antikommunisten bekehrter Ingenieur, das Gebiet von Lokot „zu einem Musterbeispiel dessen, was Russen ohne deutsche Einmischung in dem besetzten Gebiet leisten konnten“. Im Juli 1942 gelang es Schmidt, einen sowjetischen Durchbruchsversuch mit überlegenen Kräften und bisher nicht erlebten Panzermengen abzuwehren. Bei einer Besprechung im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte am 13. März 1943 warf Hitler den Generalen vor, sie verfügten nicht über genügend Kriegserfahrung, da sie den Ersten Weltkrieg nicht im Schützengraben erlebt hätten. Als Feldmarschall von Kluge dem Diktator mit Nachdruck widersprach, Hitler aber auf seiner Meinung beharrte und „seiner Verachtung gegenüber den Generalen freien Lauf“ ließ, sagte Generaloberst Schmidt zu Hitler „mit betonter Kühle“: „Ihre Kriegserfahrung trägt ein Spatz auf dem Schwanz weg!“22 Das verschlug selbst Hitler die Sprache, doch sein Mißtrauen gegenüber Schmidt war geweckt und sollte nicht mehr ruhen. Es verging auch keine lange Zeit, daß sich in der überwachten Korrespondenz Schmidts an seine Familie ein Brief fand, in dem der Generaloberst seine Sorge und seine Kritik an der obersten Führung zum Ausdruck brachte. Der Brief lag auf einer Linie mit Schmidts Äußerungen zu General von Senger im Oktober 1942, als beide die „gemeinsame Abscheu vor dem Regime und die Kritik an ihm“ als einen selbstverständlichen Gesprächsstoff konstatierten.23 Die Auffindung des Briefes genügte, um Schmidt seiner Stellung zu entheben, im Juli 1943 zur ‘Führerreserve’ zu versetzen,

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schließlich zu verhaften und vor dem Reichskriegsgericht anzuklagen. Vor dem ihm drohenden Todesurteil bewahrte ihn Karl Sack, der Chef des Heeresjustizwesens. Ihm gelang es, Schmidt in einer Anstalt unterzubringen und nach längerer Beobachtungszeit ein Gutachten zu erwirken, wonach „der Generaloberst Rudolf Schmidt damals außerhalb seiner freien Willensbestimmung war“24. Nach Bekanntgabe seiner Entlassung zum 30. September 1943 bat Schmidt, dem wiederholt SS-Verbände unterstellt waren, den ReichsführerSS, sich „für eine Wiederverwendung von ihm einzusetzen“. Himmler gab ihm darauf den Rat, „sein Vertrauen gegenüber dem Führer zu beweisen“. Der Krieg gebe „noch solche Möglichkeiten, daß eine Wiederverwendung nicht ausgeschlossen“ sei. Ein Jahr später versuchte Himmler als Oberbefehlshaber des Ersatzheeres zweimal vergeblich, Hitlers Zustimmung für eine Wiederverwendung Schmidts zu erlangen.25 Nach seiner Entlassung ging Schmidt einer zivilen Beschäftigung in Berlin und in Baden nach. Nach dem Kriege betätigte er sich landwirtschaftlich in der Nähe von Göttingen. Als er glaubte, als Zivilist nach Weimar fahren zu können, um aus seiner früheren Wohnung einige Gegenstände zu holen, wurde er dort – 1947 – erkannt, „freudig begrüßt“, doch schnell verhaftet, nach Rußland überführt und zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt. Erst 1955 kehrte er nach Deutschland zurück und starb nach kurzer, jedoch schwerer Krankheit am 7. April 1957 in Krefeld.

Anmerkungen 1 Model, Der deutsche Generalstabsoffizier, S. 34; zur Biographie Schmidts siehe Woche, Zwischen Pflicht und Gehorsam. 2 Stadtarchiv Weimar: Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland vom 10. 11. 1937. 3 Schlabrendorff, Begegnungen in fünf Jahrzehnten, S. 261f. 4 Stoves, 1. Panzer-Division 1935–1945. 5 Jacobsen, Der deutsche Luftangriff auf Rotterdam, S. 275. 6 Ebenda; vgl. BA-MA Freiburg, RH 24–39/1: KTB des XXXIX. A. K., Nr. 1, Bl. 18. 7 Jacobsen, Der deutsche Luftangriff auf Rotterdam, S. 278–283; vgl. ferner Kesselring, Soldat bis zum letzten Tag, S. 74 ff.; BA-MA Freiburg, RH 24–39/1: KTB des XXXIX. A. K., Bl. 26 und RH 24–39/2 (Wortlaut des Ultimatums und Verteiler des in deutsch und holländisch verfaßten Textes). 8 Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 344–361; Teske, Bewegungskrieg, S. 44f. 9 BA-MA Freiburg, RH 24–39/29.

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Hoth, Panzer-Operationen, S. 102. Chales de Beaulieu, Der Vorstoß der Panzergruppe 4 auf Leningrad, S. 113. 12 Hitlers Weisungen für die Kriegführung, S. 152. 13 Siehe Vollmacht des Gewissens, Bd. II, S. 321 (Mitteilung Schmidts v. 15. 3. 1957). 14 BA-MA Freiburg, RH 24–39/181: KTB des XXXIX. A. K., Abt. I c v. 17. 9. 1941; vgl. Vollmacht des Gewissens, Bd. II, S. 382 f. (Dok. NOKW 2413); Abdruck in: Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. Hrsg. von Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette, S. 340f. 15 BA-MA Freiburg, RH 24–39/37: Vfg. OKH PA AgP1 1. Abt. (aII) v. 11. 1. 1941. 16 Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 4, S. 606. 17 Reinhardt, Die Wende vor Moskau, S. 168 f. 18 Bock, Zwischen Pflicht und Verweigerung, S. 338, 442, auch zum Folgenden. 19 Reinhardt, Die Wende vor Moskau, S. 212. 20 Ebenda, S. 240. 21 Hoffmann, Deutsche und Kalmyken, S. 74; zum folgenden Zitat auch Neulen, An deutscher Seite, S. 334 f. 22 Schlabrendorff, Begegnungen in fünf Jahrzehnten, S. 264. 23 Senger und Etterlin, Krieg in Europa, S. 71. 24 Schlabrendorff, Begegnungen in fünf Jahrzenten, S. 266; ferner Bösch, Dr. Karl Sack, S. 159. 25 Tätigkeitsbericht des Chefs des Heerespersonalamtes, S. 80f., 89, 234 und 243. 10 11

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, RH 27–1: 1. Panzerdivision; RH 24–39: XXXIX. Armeekorps; RH 20–2: 2. Armee; RH 21–2: 2. Panzerarmee; Stadtarchiv Weimar: Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland 1937–39; Nachlaß Oberst a. D. Grampe (Privatbesitz). Gedruckte Quellen und Literatur Bösch, Hermann: Dr. Karl Sack. Wehrmachtrichter in der Zeit des Nationalsozialismus. Bonn 1993. Chales de Beaulieu, Walter: Der Vorstoß der Panzergruppe 4 auf Leningrad – 1941. Neckargemünd 1961. Frieser, Karl-Heinz: Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940. 2. Aufl. München 1996. Geschichte der 121. ostpreußischen Infanterie-Division 1940–1945. Münster 1970. Hoffmann, Joachim: Deutsche und Kalmyken 1942 bis 1945. Freiburg 1974. Hoth, Hermann: Panzer-Operationen. Die Panzergruppe 3 und der operative Gedanke der deutschen Führung Sommer 1941. Heidelberg 1956.

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Jacobsen, Hans-Adolf: Der deutsche Luftangriff auf Rotterdam (14. Mai 1940) – Versuch einer Klärung. In: Wehrwissenschaftliche Rundschau, 8. Jg. (1958), S. 257–284. Kesselring, Albert: Soldat bis zum letzten Tag. Bonn 1953. Model, Hansgeorg: Der deutsche Generalstabsoffizier. Seine Auswahl und Ausbildung in Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr. Frankfurt a. M. 1968. Neulen, Hans Werner: An deutscher Seite. Internationale Freiwillige von Wehrmacht und Waffen-SS. 2. Aufl. München 1992. Reinhardt, Klaus: Die Wende vor Moskau. Das Scheitern der Strategie Hitlers im Winter 1941/42. Stuttgart 1972. Schlabrendorff, Fabian von: Begegnungen in fünf Jahrzehnten. Tübingen 1979. Stoves, Rolf O. G.: 1. Panzer-Division 1935–1945. Chronik einer der drei Stammdivisionen der deutschen Panzerwaffe. Bad Nauheim 1961. Teske, Hermann: Bewegungskrieg. Führungsprobleme einer Infanterie-Division im Westfeldzug 1940. Heidelberg 1955. Woche, Klaus-Rainer: Zwischen Pflicht und Gehorsam. Generaloberst Rudolf Schmidt 1886–1957. Berlin – Potsdam 2002.

Reinhard Stumpf

General der Infanterie Rudolf Schmundt Am 1. Oktober 1942 ernannte Adolf Hitler seinen militärischen Chefadjutanten, Generalmajor Rudolf Schmundt, unter Beibehaltung seiner bisherigen Aufgaben zum Chef des Personalamtes im Oberkommando des Heeres (HPA). Die Tatsache, daß ein Mann, der fast während seines gesamten Berufslebens Adjutant gewesen war, nun an die Spitze eines der wichtigsten Ämter des Heeres trat, mochte bei älteren Offizieren zunächst Befremden auslösen. Aber man beruhigte sich doch bald bei dem Gedanken, daß Hitler eigentlich nur die alte Einheit zwischen Vortragendem Generaladjutant und Chef des Militärkabinetts wiederhergestellt hatte, wie man sie in Preußen bis 1918 gekannt hatte. Es war Krieg, und der Krieg war nach dem Scheitern der „Wiederholungsfeldzüge“ von 1942 in seine entscheidende Phase getreten. So schien es der Sache förderlich zu sein, wenn nun die Kräfte zusammengefaßt und das Personalwesen der Offiziere wieder von einem General gesteuert wurde, der zur engeren und vertrauten Umgebung des Obersten Befehlshabers gehörte. Aber der Oberste Befehlshaber war kein christlicher Monarch mehr wie im Ersten Weltkrieg, sondern ein absolut und mit beispielloser Grausamkeit herrschender Diktator, der soeben, 1942, sein Vernichtungswerk an den Juden begonnen hatte. Freilich hielt er die Sphären seines Wesens sorgfältig getrennt: In militärischer Umgebung war er der Frontsoldat des Ersten Weltkrieges, im engeren Kreis im Führerhauptquartier oder auf dem Obersalzberg wurde von Judenmorden und Konzentrationslagern nicht gesprochen.1 Mit Hilfe Schmundts wollte Hitler strukturelle Fehlentwicklungen korrigieren, die sich im Offizierkorps des Heeres aus der Spannung zwischen traditionellem Personalrecht und Kriegsnotwendigkeit ergeben hatten. Im Zorn über das angebliche Versagen der „verknöcherten“ Generale versprach er sich von einer solchen Strukturveränderung auch eine „politische“ Veränderung des Offizierkorps überhaupt.2 In der Stunde der Krise machte Hitler aus der Not eine Tugend und besann sich beim Entwurf seiner neuen Personalpolitik auf alte nationalsozialistische Vorstellungen von einem „neuen Menschen“. Die Ernennung Schmundts zum Chef des Heerespersonalamtes gehört also in den Zusammenhang der Ausweitung von Hitlers Befugnissen in der Wehrmacht und im Heer. Sie erfolgte nicht zufällig und nicht ohne Konsequenz. In jeder Institution und im Staat überhaupt ist der Einfluß auf die

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Personalpolitik, insbesondere auf die Besetzung der Spitzenstellen, ein wichtiger Teil der Führung. Dies gilt ganz besonders für die Streitkräfte: Wer an der Spitze des Personalamtes stand, besaß eine Schlüsselstellung. Wer war der Mann, der am 1. Oktober 1942 in dieses Amt gelangte? Rudolf Schmundt3 wurde am 13. August 1896 im lothringischen Metz geboren, das 1871 an das Deutsche Reich gefallen war. Auch Schmundts Vater Richard war Soldat: Major in einem preußischen Infanterieregiment. Er war in Ostpreußen geboren, und Ostpreußen blieb auch die Heimat des Sohnes. Der Vater wurde dann 1913 Regimentskommandeur in Brandenburg an der Havel und im Ersten Weltkrieg General. In Brandenburg besuchte Rudolf Schmundt das Realgymnasium und erhielt vier Tage nach Kriegsausbruch das Notabitur. Dann trat er in das Regiment seines Vaters, das Füsilierregiment Prinz Heinrich von Preußen (Brandenburgisches) Nr. 35, ein, mit dem er nach kurzer Ausbildung ins Feld zog. Er wurde Leutnant, erhielt das Eiserne Kreuz II. und I. Klasse, wurde 1916 Bataillonsadjutant und kam damit als Gehilfe des Kommandeurs zum ersten Mal in eine Verwendung, die ihm besonders gelegen haben muß. Offenbar war er der ideale Adjutant: kommunikativ und kameradschaftlich, im Schriftlichen gewandt, mit Begabung und Gedächtnis in Personalsachen, dabei diskret und selbstbewußt genug, um in der schwierigen Position zwischen Kommandeur und Kameraden bestehen zu können. So war ihm die Adjutantenlaufbahn vorgezeichnet. Im Juli 1917 holte ihn der Regimentskommandeur, Oberst Tietze, als Regimentsadjutant an seine Seite. Das Regiment kämpfte den gesamten Krieg über im Westen; es nahm an den schrecklichen Materialschlachten an der Somme, an der Marne und in der Champagne teil. Nach dem Krieg beteiligte sich Schmundt in den Reihen des Detachements Graf Stillfried 1919 an den Straßenkämpfen in Berlin; im August desselben Jahres trat er in die Vorläufige Reichswehr ein. Am 1. Januar 1921, als sich die Reichswehr etabliert hatte, wurde er in das 9. (Preußische) Infanterieregiment in Potsdam übernommen, das als Traditionstruppenteil die Überlieferung der preußischen Garde fortführte und daher bald zum Sammelbecken des deutschen – nicht nur preußischen – Adels wurde. Schmundt war 24 Jahre alt und immer noch Leutnant. Er hatte vier Jahre härteste Kämpfe im Stellungskrieg hinter sich. Dann hatte er in unsicheren militärischen Verhältnissen die Nachkriegswirren erlebt; er sah in der Hauptstadt den Kampf der jungen Demokratie ums Überleben. Für das Verständnis einer parlamentarischen Demokratie, parteipolitischer Auseinandersetzungen und der Meinungsvielfalt einer Weltstadt fehlten ihm nach seiner Herkunft alle Voraussetzungen.

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So fand er Halt in der festgefügten Welt seines Regiments. Schmundt wurde wieder Adjutant: Zunächst war er Ordonnanzoffizier, dann stellvertretender Regimentsadjutant, schließlich Offizier in verschiedenen Kompanien. 1925 besuchte er den Waffenschullehrgang, um die Offizierschule nachzuholen, und wurde Oberleutnant. Dann wiederholte er, wie die meisten Reichswehroffiziere, im Frieden seine Kriegsverwendungen: 1926/27 war er Bataillons-, 1927 bis 1929 Regimentsadjutant. 1926 heiratete er in der Potsdamer Garnisonskirche eine junge Adelige, Anneliese v. Kummer. Aus dieser Ehe entstammten vier Kinder, zwei Mädchen und zwei Jungen. Als Adjutant des 9. Regiments hatte Schmundt eine Dienststellung erreicht, die ihn deutlich aus der Reihe seiner Kameraden heraushob: Der Adjutant des hauptstadtnahen Regiments hatte neben der militärischen auch eine gesellschaftliche Funktion, und auf dem gesellschaftlichen Parkett scheint sich Schmundt sicher behauptet zu haben. Jedenfalls wurden Vorgesetzte auf ihn aufmerksam, und dies sollte sich für seine Karriere günstig auswirken. Im März 1929 legte Schmundt die Wehrkreisprüfung ab, deren Bestehen die Voraussetzung für die dreijährige „Führergehilfenausbildung“ war, wie die verbotene Generalstabsausbildung nun hieß.4 Schmundt ging zur 1. Division/Wehrkreis I nach Königsberg und wurde im Februar 1931 Hauptmann. Am 1. Oktober 1932 wurde er in die Organisationsabteilung des Truppenamtes im Reichswehrministerium versetzt; hier und in der Abteilung Landesverteidigung blieb er drei Jahre. In diesen Abteilungen wurde die Aufrüstung der Reichswehr durch die Umwandlung des Berufsheeres in eine Wehrpflichtarmee organisatorisch vorbereitet. Vom Sommer 1935 bis zum Herbst 1936 war Schmundt Kompaniechef im 2. (Preußischen) Infanterieregiment in Allenstein, das in der Aufrüstungsphase „Infanterieregiment Allenstein“ hieß. Am 1. Januar 1936 wurde Schmundt Major, im Oktober 1936 in den Generalstab der 18. Infanteriedivision in Liegnitz in Niederschlesien versetzt. Hier leitete er im Januar 1938 gerade einen Adjutantenlehrgang, als er überraschend erfuhr, daß er zum „Chefadjutanten der Wehrmacht beim Führer und Reichskanzler“ ernannt worden sei.5 Der Anstoß zur Ernennung Schmundts ging von dem damaligen Chef des Wehrmachtamtes im Reichskriegsministerium, Generalmajor Keitel, aus. Dieser kannte ihn aus seiner Potsdamer Adjutanten- und aus der Truppenamtszeit und schlug ihn Hitler als Nachfolger Hoßbachs vor. 6 Die Dienststelle Schmundts wurde anders organisiert als die Hoßbachs: Die Verbindung Generalstab – Reichskanzlei wurde aufgehoben, ebenso die Personalunion des Wehrmacht- mit dem Heeresadjutanten. Schmundt wurde als Chefadjutant der Wehrmacht in das OKW versetzt, hinzu kam mit Hauptmann Engel ein besonderer Heeresadjutant, so daß die militärische Adju-

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tantur des ‘Führers’ nun aus vier Offizieren, mit Schmundt an der Spitze, und einem kleinen Unterbau bestand.7 Schmundt stieg rasch auf: Im Oktober 1938 wurde er Oberstleutnant, bereits im August 1939 Oberst und am 1. Januar 1942, mit 45 Jahren, Generalmajor. Bemerkenswert ist, daß das Urteil seiner Generalskameraden bei aller Kritik an seiner Hitlerhörigkeit nicht durchweg negativ ist. Schmundt hatte ein Herz für die Truppe, hörte sich die Sorgen der Frontbefehlshaber an und suchte bei Hitler und anderen Stellen zu vermitteln, so gut er konnte. Versuche von Parteiorganisationen, in die Heerespersonalien hineinzuwirken, konnte er meist abwehren. Eine gewisse Blauäugigkeit und sein naives Verhältnis zu Hitler nahm man dem menschlich sympathischen Schmundt weniger übel; als „Jünger Johannes“ traf ihn eher gutmütiger Spott.8 Die Freundschaft Schmundts mit Tresckow, dem aktiven Kopf des militärischen Widerstandes vor Stauffenberg, blieb bis zum 20. Juli 1944, dem beide auf verschiedenen Seiten des Hügels (Liddell Hart) zum Opfer fielen, bei allen inhaltlichen Differenzen äußerlich ungetrübt. Schon im Winter 1937/38 erkannte Tresckow Schmundts Anfälligkeit für Hitler, aber er gab im Krieg seine Bemühungen nicht auf, Schmundt ein ungeschminktes Bild der Lage zu vermitteln, um damit Hitler zu beeinflussen. Für die Organisation des Widerstandsnetzes war die Personalpolitik, die er über Schmundt betreiben konnte, von unschätzbarem Wert. Seine Bemühung jedoch, 1944 durch Schmundts Vermittlung selbst ins Führerhauptquartier versetzt zu werden, scheiterte. Noch wenige Wochen vor dem 20. Juli stritten sich Schmundt und Tresckow eine ganze Nacht hindurch über die Beendigung des Krieges. Aber zu diesem Zeitpunkt betrachteten sich beide im Grunde ihre Herzens schon längst mit „Skepsis, wenn nicht gar Ablehnung“9. Schmundts Tätigkeit als Chefadjutant gewann um die Jahreswende 1939/40 besondere Bedeutung, als er den ‘Manstein-Plan’ der Heeresgruppe A unter Umgehung des OKH an Hitler herantrug, der ähnliche Gedanken verfolgte: nämlich Frankreich statt mit einem erneuerten Schlieffen-Plan, wie der Generalstab des Heeres es wollte, mit einem massierten Panzerstoß durch die Ardennen zu Fall zu bringen, wie es dann auch geschah. 10 Auch sonst war Schmundt oft an der Front, um Aufträge Hitlers auszuführen. Im Februar 1941 begleitete er beispielsweise Rommel nach Nordafrika, um bei den italienischen Kommandobehörden das persönliche Interesse Hitlers an der Verteidigung Italienisch-Nordafrikas zu dokumentieren und um Hitler über Rommels Absichten zu berichten.11 Am 1. Oktober 1942 wurde der Chefadjutant Hitlers als Nachfolger des Generals der Artillerie Bodewin Keitel, des jüngeren Bruders des Feldmarschalls, auch Personalchef des Heeres. An dieser zweiten Ernennung

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Schmundts war Feldmarschall Keitel nicht mehr beteiligt, denn die dritte Generalskrise im September 1942 hatte auch Hitlers Verhältnis zum OKW getrübt. Zum Amtsantritt als Chef des HPA erhielt Schmundt den Auftrag, die „Handhabung“ der Offizierpersonalpolitik des Heeres „grundlegend“ zu ändern.12 Denn seit Kriegsbeginn waren 16 000 Offiziere gefallen und verwundet worden, 30% des aktiven Offizierkorps. Um diese Verluste auszugleichen, bildete man mehr Soldaten zu Offizieren aus, im Herbst 1942 fast fünfmal mehr als 1941. Außerdem hatte man die Laufzeiten in den einzelnen Dienstgraden verkürzt und schließlich am 7. Juni 1942 die Leistungsbeförderung eingeführt. Die Ablösung des Anciennitäts- (Dienstalters-) durch das Leistungsprinzip war „der Grundgedanke des Führers zur Neugestaltung der Personalpolitik“13. Vorher hatte nämlich das „Rangdienstalter“, das bei der Beförderung zum Leutnant aufgrund der Offizierprüfung erstmals festgelegt wurde, die Beförderung der Offiziere bestimmt. Für einige Offiziergruppen, die jung in höhere Dienstgrade gelangen sollten, vor allem Generalstabsoffiziere und Piloten der Luftwaffe, gab es allerdings regelmäßige Dienstaltersverbesserungen. Im Krieg konnte sich die Leistung eines Offiziers an der Front nur wenig auf seine Laufbahn auswirken, da ein Leutnant mit älterem Patent, auch wenn er frontunerfahren war, grundsätzlich früher befördert wurde als ein jüngerer Leutnant mit Fronterfahrung. Diese Verzerrungen in der Rangstruktur14 wollte Hitler durch die Einführung des Leistungsprinzips beseitigen. Schmundt berichtet schon am 4. Oktober 1942 von der beabsichtigten Einführung neuer Beförderungsrichtlinien, die auf dem Leistungsprinzip basieren und eine raschere Beförderung fähiger Truppenoffiziere zum Ziel haben sollten. Dadurch wurde die „gleichmäßige Beförderung aller Offiziere abgeschafft“. Die entsprechende Verfügung zur „Förderung von Führerpersönlichkeiten“ wurde, von Schmundt „im Auftrage des Führers“ unterzeichnet, am 4. November 1942 herausgegeben.15 Schmundts Maßnahmen waren das Ergebnis intensiver Gespräche mit Hitler. Bestimmte Stoßrichtungen der neuen Beförderungspolitik zeigen, daß auch andere als rein militärische Motive mitspielten: So wollte Hitler den Zugang zum Generalstab öffnen und die besonderen Uniformabzeichen der Generalstabsoffiziere abschaffen.16 Hier spielten „soziale“ Aspekte eine Rolle, die den ständischen Prinzipien des alten Offizierkorps entgegenwirken sollten: „In Zukunft soll jeder junge Deutsche, aus allen Kreisen der Bevölkerung ohne Rücksicht auf Herkunft, nur ausgelesen auf Grund der Persönlichkeit und Bewährung vor dem Feinde“, Offizier werden können. 17 Am 15. Oktober 1942 wurde das traditionelle Ehrengerichtsverfahren abgeschafft. Hitler milderte den „Prinzenerlaß“, wonach Angehörige früher

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regierender Häuser zu entlassen waren, dahin ab, daß sie außerhalb der Front verwendet werden dürften. Im Ton des „Tätigkeitsberichts“ ist hier ein leises Bedauern Schmundts über die Behandlung der Prinzen herauszuhören – ein Hinweis auf Unterschiede im Denken zwischen dem Ideologen Hitler und dem Preußen Schmundt.18 Ein Herzensanliegen Schmundts war die Einführung einer „höheren Adjutantur“, wodurch er eine eigene ‘Hausmacht’ erhalten hätte, denn die höheren Adjutanten sollten gleichberechtigt neben die Generalstabsoffiziere treten. Hitler verlangte auch von diesen Offizieren Frontbewährung. Aus der Idee ist jedoch nicht viel geworden.19 Ebenfalls im Oktober 1942 beschloß man die Abschaffung des Hochschulstudiums für ausgewählte Offiziere („Ein studierender Offizier ist an sich ein Widerspruch“), und am 31. Oktober gab Schmundt eine Verfügung heraus, die klarstellte, daß die „Einstellung (…) zum Judentum“ ein „kriegsentscheidender Teil der nat. soz. Haltung des Offiziers“ sei. Am 20. November sprach er zum ersten Mal von einem neuen künftigen „Führerkorps des Heeres“, in das bestimmte Wehrmachtbeamte, Offiziere der Sonderlaufbahnen und Zahlmeister einbezogen werden sollten.20 Mit diesen Beispielen wird deutlich, daß die „neue Personalpolitik“, für die sich Hitler in Schmundt einen fähigen Helfer geholt hatte, zwar durch den Kriegsverlauf veranlaßt wurde, daß dieser aber für Hitler die Begründung abgab, alte national-‘sozialistische’ Ideen nun auch im Offizierkorps des Heeres zu verwirklichen. Die „Volksgemeinschaft“ sollte im neuen Einheitsoffizierkorps, das wie bei der Waffen-SS „Führerkorps“ heißen sollte, verwirklicht werden. Richtpunkt der Bewährung war der sozialdarwinistische Kampf als Sinn des Lebens: Tapferkeit, Willenskraft und „fanatischer Glaube“ an den ‘Führer’ waren die Tugenden, die den neuen Offizier auszeichnen sollten. Es besteht kein Zweifel, daß Schmundt in diesen Zielen mit Hitler übereinstimmte. Jedoch wurde Schmundts ‘revolutionärer’ Schwung der Anfangszeit bald durch die Tagesnotwendigkeiten überlagert, und er mußte erkennen, daß eine moderne technisierte und bürokratisierte Armee nicht allein von der Front aus geführt werden kann, sondern auch fähige „Strategen des Hinterlandes“ benötigt. Zwar führte Schmundt seine Planungen mit Hartnäckigkeit bis 1944 fort, aber die Widerstände aus dem Offizierkorps selbst und aus dem Generalstab häuften sich, und die Kriegslage setzte andere Prioritäten. Der Mangel an ausgebildeten Generalstabsoffizieren z. B. ließ die geforderte obligatorische Frontbewährung gar nicht zu. So behielten die Generalstabsoffiziere das Vorrecht der „bevorzugten Beförderung“ nach dem Leistungsprinzip, und seit 1943 dehnte Schmundt die bevorzugte Beförderung sogar noch weiter aus, indem er besonders ausgewählte Truppen-

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offiziere in höheren Kommandobehörden und Schulen, Sanitäts- und Veterinäroffiziere und Offiziere des Truppensonderdienstes (TSD, also ehemalige Wehrmachtbeamte), die in der kämpfenden Truppe Dienst taten, einbezog. Auch höhere Adjutanten und die NS-Führungsoffiziere kamen in den Genuß der Leistungsbeförderung.21 Die Leistungsbeförderung wurde im Oktober und November 1942 auch in der Luftwaffe und der Waffen-SS eingeführt. Die Kriegsmarine, deren kleines Offizierkorps sich nach der Befähigung zum Kommandanten differenzierte, hatte bereits bei Kriegsbeginn 1939 die Leistungsbeförderung eingeführt. Seit 1942 kam es zu den berühmten „Blitzkarrieren“ vor allem von Infanterie-, Panzer-, Flieger- und U-Boot-Offizieren. Jüngster General der Wehrmacht war der Schlachtflieger Peltz, der 1944 mit 29 Jahren Generalmajor wurde. Durch die enorme Beschleunigung der Beförderung von Offizieren wurde ohne Zweifel die Dynamik der Führung gefördert und fähigen Offizieren die Möglichkeit zur Bewährung eröffnet. Insofern war die neue Beförderungspolitik Hitlers und Schmundts ausgesprochen modern; in anderen Armeen des Zweiten Weltkriegs gab es ähnliche Entwicklungen.22 Hinzu kommt auf deutscher Seite das ideologische Motiv: Hitler wollte den jungen, gläubigen, willensstarken General, denn bei ihm fielen nach seiner Meinung Wollen und Können zusammen. Nur so konnte der „Endsieg“ errungen werden. Am 1. Januar 1943 war Schmundt, mit 46 Jahren, Generalleutnant geworden. Am 20. Juli 1944 zündete der 36jährige Oberst i. G. Graf v. Stauffenberg seine Bombe im Führerhauptquartier in Ostpreußen. Hitler überlebte, aber Schmundt wurde schwer verletzt: ein Auge mußte entfernt werden, er erlitt Verbrennungen und schwere Verletzungen an beiden Beinen. Mit der Vertretung Schmundts in seinen beiden Funktionen wurde Generalleutnant Burgdorf, sein bisheriger Stellvertreter, beauftragt. Das Heerespersonalamt wurde dem Ersatzheer und damit Himmler unterstellt.23 Am 25. Juli besuchte Hitler den Verletzten im Lazarett Carlshof bei Rastenburg und beförderte ihn zum General der Infanterie.24 Im September verschlechterte sich sein Zustand, und am 1. Oktober 1944 starb er. Schmundt hatte sich als letzten Willen eine Trauerfeier im Reichsehrenmal Tannenberg gewünscht. Hitler befahl „unter Würdigung der wesentlichen Verdienste“ Schmundts einen Staatsakt, der am 6. Oktober stattfand. Generalfeldmarschall Busch, der ehemalige Regimentskommandeur des Infanterieregiments 9, hielt die Trauerrede und gab am Schluß bekannt, daß Hitler Schmundt als erstem Deutschen den höchsten Orden des „Großdeutschen Reiches“, die höchste Stufe des „Deutschen Ordens“ mit Schwertern, verliehen habe. Am Tag darauf, bei der Beisetzung Schmundts auf dem Invalidenfriedhof in Berlin, sprach Generaloberst Guderian, der kommissarische Chef

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des Generalstabes des Heeres. Er betonte Schmundts Herkunft aus dem „herben Preußentum“ und sein idealistisches Bemühen, dessen Geist mit dem Nationalsozialismus zu versöhnen. Er habe den ‘Führer’ verstanden und an sein Werk geglaubt. Für Hitler sei er ein „unentbehrlicher Weggenosse“ gewesen.25 Schmundt war einer jener preußischen Offiziere, die zu Beginn des Dritten Reiches in Hitler eine Hoffnung für Volk und Armee sahen. Sie glaubten wie viele Deutsche, daß sich in ihm Altes und Neues zwanglos vereinigen ließe: Preußentum und Nationalsozialismus, Nationalismus und Sozialismus sollten in der „Volksgemeinschaft“ verbunden werden. Viele Offiziere und viele Deutsche nahmen Hitlers „Preußenkult“, der im „Tag von Potsdam“ gipfelte, ernst. Während sich aber im Heer die meisten Offiziere abwartend verhielten, sahen es einige wenige wie Blomberg, Reichenau, Keitel und Schmundt als ihre Aufgabe an, ihre noch zögernden Kameraden an Hitler und den Nationalsozialismus heranzuführen. Hitlers wahre Gesinnung konnten sie damals nicht erkennen; sein verbrecherisches Gesicht hat Hitler vor den Soldaten lange Zeit verborgen, und Schmundt war nicht der Mann, um hinter die Kulissen zu sehen. Anders als sein Nachfolger Burgdorf, der nach Goebbels’ Worten „aus anderem Holz geschnitzt“ war,26 hat Schmundt das Heer zwar mit nationalsozialistischem Geist, wie er ihn verstand, erfüllen, es jedoch von direktem Parteieinfluß freihalten wollen. Daß ein nationalsozialistisches Heer preußischer Prägung ein Widerspruch in sich war, sah er im Gegensatz etwa zu Tresckow nicht. Wie den meisten in Hitlers Umgebung war ihm jede Kritik am ‘Führer’ undenkbar. Sein persönliches Verhältnis zu Hitler war eng,27 sechs Jahre lang befand er sich in der unmittelbaren Nähe des Diktators, 1942 bis 1944 erlebte er die entscheidende Phase des Zweiten Weltkrieges im Zentrum des Geschehens mit. Er kannte die handelnden Personen auf deutscher und verbündeter Seite. Bei seinen häufigen Frontbesuchen hätte er die katastrophale Lage an den Fronten mit Händen greifen können. Aber man sieht nur, was man sehen will. Daß eine fanatische Ideologie Idealisten wie Schmundt besonders leicht verführen kann, ist keine neue Erkenntnis.

Anmerkungen 1 Vgl. Speers Erinnerungen oder z.B. die Aussagen des etwas einfältigen persönlichen Adjutanten Hitlers, Julius Schaub, bei Kempner, SS im Kreuzverhör, S.274. 2 Stumpf, Wehrmacht-Elite, S.341 ff. 3 Zur Biographie vgl. Tätigkeitsbericht Schmundt, Anhang, S. 14 ff.; Stumpf, Wehrmacht-Elite, S.320f.; Schönherr, Schmundt.

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Model, Generalstabsoffizier, S. 21 ff. Tätigkeitsbericht Schmundt, Anhang, S.16. 6 Generalfeldmarschall Keitel, S. 109; ähnlich S.65. 7 Heeresadjutant bei Hitler, S.9 f. 8 Senger u. Etterlin, Krieg, S.307 f. 9 Scheurig, Tresckow, S. 58, 67, 79 f., 98, 181; das Zitat nach mündlicher Aussage des Generals der Kavallerie a. D. Westphal 1970 (ebenda, S. 237, Anm. 40). Nach Speer, Erinnerungen, S. 388, wurde Stauffenberg auf Initiative Schmundts Chef des Generalstabes bei Fromm. 10 Manstein, Verlorene Siege, S. 109; Frieser, Blitzkrieg-Legende, S.80f. 11 Rommel, Krieg, S.12 f. 12 Tätigkeitsbericht Schmundt, S. 2 (2. 10. 1942). 13 Ebenda, S.4 (3. 10. 1942). 14 Vgl. dazu auch Hobohm, Heeresmißstände, S.104 ff. 15 Tätigkeitsbericht Schmundt, S. 5 (4. 10. 1942); Abdruck der Verfügung in: Untersuchungen, S.286ff., Nr.20. 16 Tätigkeitsbericht Schmundt, S. 6 f. (5. 10. 1942). 17 Ebenda, S.8f. (9. 10. 1942). Die Verordnung erging am 13. 10. 18 Ebenda, S.10f. (16. 10. 1942). 19 Ebenda, S.12 (19. 10. 1942); vgl. ebd., S. 14, 17 u.ö. 20 Ebenda, S.12f. (19. 10. 1942). 21 Stumpf, Wehrmacht-Elite, S.337, auch zum Folgenden. 22 Eine vergleichende Untersuchung des Beförderungswesens fehlt. 23 Tätigkeitsbericht Schmundt, S. 166, 170, 204 (20./21., 7. und 14. 8. 1944). 24 Ebenda, S.176 (25. 7. 1944); Fehler im Kommentar, Anhang, S.16. 25 Abdruck der Reden: Tätigkeitsbericht Schmundt, Anhang, S.59ff., 62f. 26 Zitat bei Stumpf, Wehrmacht-Elite, S. 345. 27 Below, Adjutant, S.389. 4 5

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, RH 2: Unterlagen Heerespersonalamt. Gedruckte Quellen und Literatur Frieser, Karl-Heinz: Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940. München 1995. Hobohm, Martin: Soziale Heeresmißstände als Teilursache des deutschen Zusammenbruches von 1918. Berlin 1929. Hoßbach, Friedrich: Zwischen Wehrmacht und Hitler. 1934–1938. 2. Aufl. Göttingen 1965. Kempner, Robert M. W.: SS im Kreuzverhör. München 1964. Model, Hansgeorg: Der deutsche Generalstabsoffizier. Seine Auswahl und Ausbildung in Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr. Frankfurt a.M. 1968.

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Rommel, Erwin: Krieg ohne Haß. Hrsg. von Lucie-Maria Rommel und Fritz Bayerlein. 3. Aufl. Heidenheim/Brenz 1956. Scheurig, Bodo: Henning von Tresckow. Eine Biographie. 3. Aufl. Oldenburg 1973. Senger und Etterlin, Frido v.: Krieg in Europa. Köln/Berlin 1960. Tätigkeitsbericht des Chefs des Heerespersonalamtes General der Infanterie Rudolf Schmundt, fortgeführt von General der Infanterie Wilhelm Burgdorf, 1. 10. 1942– 29. 10. 1944. Hrsg. von Dermot Bradley u. Richard Schulze-Kossens. FaksimileAusgabe. Osnabrück 1984.

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Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner Kaum ein ehemaliger Wehrmachtsgeneral hat die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft der fünfziger und sechziger Jahre mehr polarisiert als Ferdinand Schörner. Während etwa der spätere Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß nach der Rückkehr Schörners aus sowjetischer Haft forderte, „Nie wieder Schörners in einer deutschen Armee!“1, stellte noch 1976 ein Biograph Schörners mit Bedauern fest: „Ich hatte nie die Ehre, unter diesem großen Heerführer zu kämpfen.“2 Wie kam es zu diesen ganz unterschiedlichen Bewertungen der Person Schörners? Johann Ferdinand Schörner wurde am 12. Juni 1892 in München geboren und katholisch getauft. Seine Eltern waren der königlich-bayerische PolizeiKommissär Johann Schörner und dessen Frau Anna, geborene Bauer. Nach dem Besuch des humanistischen Luitpold-Gymnasiums in München und dem Eintritt als Einjährig-Freiwilliger beim bayerischen Infanterie-Leibregiment im Oktober 1911 nahm Schörner, als Unteroffizier zur Reserve entlassen, an der Universität München ein philologisches Studium auf, das ihn auch nach Lausanne, Grenoble und Florenz führte. Nach einer Reserveübung 1913 zum Vizefeldwebel befördert, wurde er 1914 eingezogen und zunächst an der Westfront verwendet, wo er rasch bis zum Leutnant avancierte. Mitte Mai 1915 wurde sein Regiment in die Dolomiten verlegt, wo er zum Kompanieführer aufstieg, ehe er an der Herbstschlacht 1915 in Serbien teilnahm. 1916 bei der Schlacht um Verdun durch eine Granate schwer verwundet, nahm er ab Herbst des Jahres an den Kämpfen in den Karpaten teil und wurde Anfang 1917 mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet. Schörners Kompanie wurde dann an die Westfront und nach einem kurzen Zwischenspiel in Rumänien zurück an die italienische Front verlegt, wo er seine 12. Kompanie derart erfolgreich führte, daß er am 17. Dezember 1917 mit dem Orden Pour le mérite ausgezeichnet wurde. 1918 wieder an der Westfront, wurde der im Juli zum Oberleutnant Beförderte im August 1918 an der Somme erneut schwer verwundet. Nach dem Krieg schloß er sich, stark von den Fronterlebnissen geprägt, dem Freikorps seines ehemaligen Regimentskommandeurs Franz Xaver Ritter von Epp an und beteiligte sich an der Zerschlagung der Münchner Räterepublik. Spätestens hier im Umfeld des Freikorps war Schörner zu jenem erbitterten Feind des Kommunismus geworden, der er zeitlebens

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bleiben sollte. Wie andere Mitglieder des Freikorps Epp wurde auch Schörner, dem offensichtlich der Schritt zurück ins Zivilleben nicht mehr glückte, von der Reichswehr übernommen und 1923 nach der Wehrkreisprüfung als „Führergehilfe“ (Generalstabsoffizier) verwendet. Ab Oktober 1925 im Reichswehrministerium in Berlin beschäftigt und im Sommer des folgenden Jahres zum Hauptmann ernannt, heiratete er 1927 Liselotte Karboschewsky, Tochter eines Berliner Industriedirektors. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne und eine Tochter hervor. Er wurde Taktiklehrer an der Kriegsschule der Infanterie, ehe er, seit August 1934 Major, am 14. Mai 1936 ins Reichskriegsministerium zur 3. Abteilung des Generalstabes des Heeres wechselte, die die Stärken der fremden Heere beobachtete. Als Oberstleutnant wurde er 1937 Kommandeur des Gebirgsjägerregimentes 98, mit dem er im September 1939 beim Polenfeldzug den ehrgeizigen Plan verwirklichte, als erster in Lemberg einzutreffen, obwohl dies hohe eigene Verluste mit sich brachte. Zeitweilig auch an Kämpfen in Frankreich beteiligt, zuletzt als Kommandeur der 6. Gebirgsdivision, wurde er am 1. August 1940 zum Generalmajor befördert. Im Balkanfeldzug kämpfte Schörners Division in Griechenland, durchbrach die Verteidigungsstellung der Metaxa-Linie und erreichte als erste Athen. In einer dienstlichen Beurteilung des Generalfeldmarschalls Wilhelm List vom 20. März 1941 heißt es über Schörner: „Impulsive Soldatennatur. Ausgeprägtes Geltungsbedürfnis. Neigt dazu, den Bogen zu überspannen. Unerschrocken und tapfer v[or] d[em] Feind bestens bew[ährt].“3 Für diese Kämpfe erhielt Schörner zu seinem großen Stolz am 20. April 1941 das Ritterkreuz. Mittlerweile mit seiner 6. Gebirgsdivision an der arktischen Front bei Murmansk eingesetzt, wurde er am 15. Januar 1942 als Nachfolger General Dietls zum Generalleutnant und zum Kommandierenden General des Gebirgskorps Norwegen ernannt. Am selben Tag gab sein alter und neuer Vorgesetzter Dietl eine Beurteilung Schörners ab: „Sehr tüchtig, tatkräftig, hält Truppe in straffer Zucht. (…) Rücksichtslos gegen sich selbst. Darf manchmal sein Temperament und Selbstbewusstsein etwas mehr zügeln, um seine Untergebenen nicht in ihrer Verantwortungs- und Arbeitsfreudigkeit zu beeinträchtigen. (…).“4 Vollends zum Anhänger Hitlers geworden,5 trat Schörner am 1. Januar 1943 der NSDAP bei und erhielt bereits vier Wochen später das Goldene Parteiabzeichen.6 Am 15. März 1944 wechselte er ins OKH, wo er den Posten als „Chef des NS-Führungsstabes des Heeres“ antrat, einer neuen Schnittstelle zwischen Partei und Wehrmacht. Obwohl er diesen Posten nur für kurze Zeit innehatte, da er wohl mit dem Hitlers Entscheidungen immer mehr beeinflussenden NSDAP-Reichsleiter Martin Bormann aneinandergeraten war, hatte Schörner hier eine Stelle bekleidet, die angesichts der

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Kriegslage nur von einem überzeugten Nationalsozialisten besetzt werden konnte. Ab Mai 1944 für kurze Zeit Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Südukraine, übernahm er – seit 1. April Generaloberst – am 23. Juli 1944 den Oberbefehl über die Heeresgruppe Nord in Kurland und schließlich Mitte Januar 1945, in militärisch fast aussichtsloser Lage, dafür aber noch kurz zuvor mit den Brillanten zum Eichenlaub mit Schwertern des Ritterkreuzes ausgezeichnet, die Befehlsgewalt über die Heeresgruppe Mitte, die inzwischen von der Roten Armee nach Schlesien und Böhmen zurückgedrängt worden war. Hier tat er sich durch härtestes Vorgehen gegen die eigenen Leute im Angesicht der drohenden Niederlage hervor, was ihm bei seiner Rückkehr nach Deutschland noch zehn Jahre später nicht nur das Interesse der Justiz an seinen Taten einbrachte, sondern auch den Haß und die Verachtung von vielen der Überlebenden. Am 5. April 1945 von Hitler noch zum Generalfeldmarschall befördert, verließ er allerdings, nachdem die Niederlage feststand, wenige Stunden nach Eintreten der Waffenruhe in den frühen Morgenstunden des 9. Mai 1945 seine Heeresgruppe in Zivil mit einem Flugzeug in Richtung österreichische Alpen, wo er wenig später bei Zell am See landete und die nächsten Tage auf einer Almhütte verbrachte. Dieser Flug und seine Motive waren später Gegenstand eines Disziplinarverfahrens gegen Schörner, der aber zeitlebens bei seiner Behauptung blieb, Hitler, der ihn in seinem Testament als Oberbefehlshaber des Heeres benannte, habe ihm den Befehl zur Errichtung der Alpenfront erteilt, und der Flug nach Kriegsende habe dieser besonderen Aufgabe gedient.7 Nach einigen Tagen auf der Alm stellte sich Schörner Mitte Mai US-Truppen, die ihn jedoch im Juni an die sowjetischen Behörden auslieferten. Zunächst für einige Wochen im Kriegsgefangenenlager Krasnogorsk bei Moskau interniert, wurde er im August ins Gefängnis Lubjanka gebracht. Am 8. Februar 1952 vom Obersten Militärgericht in Moskau zu 25 Jahren Haft verurteilt,8 die nach einer Beschwerde Schörners von Stalin auf die Hälfte herabgesetzt wurde, kam er schließlich nach Vladimir, etwa 200 km von Moskau entfernt, wo er am 25. Dezember 1954 entlassen und nach Berlin-Ost gebracht wurde. Dort wurde er dann von einer Delegation, geleitet von dem ehemaligen Generalmajor der Wehrmacht und späteren Mitglied des „Bundes Deutscher Offiziere“, Martin Lattmann, empfangen, die in den nächsten Tagen versuchte, Schörner zum Bleiben in der DDR zu bewegen und Sohn und Tochter (die Ehefrau und der älteste Sohn waren während seiner Gefangenschaft gestorben) zu sich zu holen.9 Dort sollte er eine ähnliche Rolle wie der schwerkranke Friedrich Paulus einnehmen, der noch im gleichen Jahr Treffen von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren aus West- und Ostdeutschland organisierte und sich gegen die westdeutsche Wiederbewaffnung wandte. 10 Schörner lehnte

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dieses Ansinnen jedoch ab und reiste Ende Januar 1955 nach München weiter. In der Bundesrepublik waren, seitdem Schörners Rückkehr aus der UdSSR bekanntgeworden war, zahlreiche Presseartikel erschienen, die über sein Vorgehen gegen Untergebene berichteten11 und die die Staatsanwaltschaft München veranlaßten, am 28. Januar 1955 ein Ermittlungsverfahren wegen NS-Gewaltverbrechen gegen ihn einzuleiten12. Vorgeworfen wurde ihm, er habe ohne kriegsgerichtliche Verfahren Soldaten, die er für straffällig hielt, eigenhändig erschossen oder deren Hinrichtung befohlen. Zudem habe er rechtswidrig in kriegsgerichtliche Verfahren eingegriffen und die Höhe des Strafmaßes befohlen sowie unerlaubt Degradierungen vorgenommen. Gestützt durch Presseaufrufe meldeten sich innerhalb kürzester Zeit Dutzende von Zeugen, die Verfehlungen von Schörner zu Protokoll gaben. Dennoch verfügte die Generalstaatsanwaltschaft bereits am 23. Mai 1955 die Einstellung des Verfahrens. 13 In einer ausführlichen Würdigung jedes einzelnen der beinahe hundert zusammengetragenen Fälle wurde entweder auf fehlende strafrechtliche Relevanz verwiesen, die Rechtmäßigkeit auch von Hinrichtungen anerkannt oder die Unglaubwürdigkeit von Zeugen, die sich mehr als zehn Jahre nach dem Geschehen nicht mehr an alle Details erinnern konnten, angenommen. So konnte beispielsweise die Hinrichtung von fünf Soldaten unter Schörners Beteiligung nachgewiesen werden, die Ermittler erkannten aber die Rechtmäßigkeit des Kriegsgerichtsverfahrens an: „Mitte Okt. 1944 hat der Beschuldigte Schörner auf halbem Wege zwischen Divisionsgefechtsstand und Hauptkampflinie den Feldwebel F. und 4 weitere Angehörige des Regiments 409 (der 122. Infanteriedivision) aufgegriffen. F. war leicht verwundet. Die übrigen 4 Soldaten wollten, so schützten sie vor, den leicht verwundeten F. zum Gefechtstross bringen. Schörner befahl eine Untersuchung, die vom Kriegsrichter sofort durchgeführt wurde und mit der Verurteilung der 5 Soldaten wegen Feigheit vor dem Feind zum Tode endete. (…) Schörner lehnte eine Begnadigung der Verurteilten ab. Noch am gleichen Tag wurden die 5 Soldaten hingerichtet.“14 In einem anderen Fall hatte Schörner im November 1944 die Degradierung und Versetzung eines Oberzahlmeisters zur Front befohlen. Dieser war als Diabetiker von seinem Truppenarzt zu einem Lazarett in Marsch gesetzt worden, von Schörner angehalten und von einem Arzt in dessen Begleitung ohne jede Untersuchung als Simulant bezeichnet worden. 15 Ebenso hatte Schörner wiederholt die „Auskämmung“ von Lazaretten befohlen oder selbst durchgeführt, um so vermeintliche Simulanten umgehend an die Front zu versetzten. Auch hatte er im Sommer 1944 „in Riga alle Besucher von Soldatenkinos ‘beschlagnahmt’ und diese ohne Personalpapiere und Stammrollenauszüge der 93. ID zugeführt“16. Noch während gegen Schörner ermittelt

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wurde, leitete das Innenministerium ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Gegenstand war vor allem der Abflug von der Heeresgruppe Mitte am 9. Mai 1945 sowie mehrere Fälle von Degradierungen und Eingriffen in Kriegsgerichtsverfahren.17 Hintergrund dieses Vorgehens waren Schörners Versuche, seine Pensionsansprüche als Generalfeldmarschall durchzusetzen, die man ihm nicht gewähren wollte. Aus diesem Grund billigte der Bundestag im Sommer 1955 ein Gesetz zur Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung, das es ermöglichte, während schwebender Disziplinarverfahren Bezüge einzubehalten, und das von Schörner und seinen Anwälten zur „Lex Schörner“ stilisiert wurde. Doch auch die Staatsanwaltschaft München ermittelte weiter gegen Schörner. Am 31. August 1956 wurde Anklage erhoben wegen Totschlags und versuchten Totschlags.18 Es wurde ihm zum einen vorgeworfen, am 24. März 1945 bei Groß-Gorschütz in der Nähe von Mährisch-Ostrau den Obergefreiten Walter A. ohne Kriegs- oder Standgerichtsverfahren zum Tode verurteilt zu haben, da dieser betrunken am Steuer seines Lastwagens eingeschlafen war. Zum anderen wurde Schörner angeklagt, am 22. März 1945 den Kommandanten der Festung Neiße, Oberst Georg Sparre, und dessen vermeintlichen Stellvertreter ohne Verfahren zum Tode verurteilt zu haben, da sie die Stadt weitgehend kampflos der Roten Armee überlassen hatten. Diese hatten nur überlebt, da ein mit der Durchführung der Hinrichtungen beauftragter General den Befehl absichtlich verschleppt hatte. Der vom 1. bis 15. Oktober 1957 vor dem Landgericht München I durchgeführte Schwurgerichtsprozeß sorgte bereits im Vorfeld für Aufregung. Insbesondere die in Kameradschaften organisierten ehemaligen Gebirgsjäger, bei denen Schörner teilweise hohes Ansehen, wenn nicht gar Verehrung genoß, wandten sich mit Unterschriftenlisten, Petitionen und Leserbriefen gegen den Prozeß. Die dabei gezeigten Aufgeregtheiten scheinen aus heutiger Sicht schwer verständlich, lassen sich aber durch ein offensichtlich immer noch intaktes Bewußtsein einer wie auch immer gearteten Identifizierung mit der Wehrmacht oder mindestens mit der eigenen ehemaligen Waffengattung erklären.19 Schörner selbst war über die Anklage ebenso empört, wie er von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt war: „Heute muß in einer Zeit bürgerlicher Ruhe, die hierfür zu großen Abstand hat, über damals notwendige härteste Maßnahmen entschieden werden. Mit der Zukunftsentwicklung haben sich die Auffassungen geändert. Heute gilt als rechtswidrig, was damals ein Gebot der Stunde war! Mein Verschulden ist, das der Krieg verloren ging“20, so meinte er. Doch auch die Gegner Schörners gingen in die Offensive. Als Schörner am 10. Oktober 1957, dem dritten Verhandlungstag, seine Wohnung verließ, wurde er von dem ehemaligen Oberschützen Rode-

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rich Böttner, der unter Schörner an der arktischen Front gedient hatte und mittlerweile Mitglied der Internationale der Kriegsdienstgegner geworden war, aufgehalten und mit einem Schlag ins Gesicht zu Boden gestreckt. Am folgenden Tag erhielt Schörner von ihm eine Postkarte: „Im Namen der ermordeten Kameraden schlug ich Ihnen eben in die Fresse, Du Schuft. Selbst bist Du nachher auch getürmt. Mich hast Du außerdem persönlich tödlich beleidigt.“21 In der Schwurgerichtsverhandlung gegen Schörner sagte neben zahlreichen anderen Belastungszeugen sein ehemaliger Generalstabschef bei der Heeresgruppe Mitte, Generalleutnant a. D. Oldwig von Natzmer, aus, so auch über die „etwas ander(en) Methoden“ von Schörner: „Wenn man das auf einen (,) sagen wir (,) etwas kommunen Nenner bringen will (,) könnte man sagen, daß Schörner […] – nun (,) sagen wir (,) eine diabolische Freude daran hatte, Furcht und Schrecken zu verbreiten. Ohne daß er bösartig, böswillig oder herzlos oder nicht für die Truppe eingenommen war. Er war sich selber, nach meiner Ansicht, völlig darüber bewußt, daß er Furcht und Schrecken verbreitete, freute sich daran und wußte aber auch, daß Maßnahmen, die er an Ort und Stelle irgendwie traf – Ordensentziehungen, Degradierungen usw. – hinterher wieder abgebogen wurden (,) und das hat er stillschweigend geduldet. Er wußte, daß die Leute sich hinterher bei mir Hilfe holten und sagten, ja (,) was sollen wir nun machen, sollen wir dem das Ritterkreuz wiedergeben usw.(;) ich habe gesagt (,) jawoll, hängt’s ihm wieder um. Und das wußte Schörner auch und hat sich stillschweigend damit abgefunden.“22 Angemerkt sei, daß allerdings auch ein Stabschef bereits durchgeführte Hinrichtungen nicht mehr rückgängig machen konnte wie ein abgenommenes Ritterkreuz, wobei den meisten Delinquenten wohl ohnehin der Zugang zur rechten Hand des Kommandierenden versperrt gewesen war. Schörner selbst beharrte im Prozeß weitgehend auf der Notwendigkeit seiner harten Disziplinarmaßnahmen bis hin zu Hinrichtungen unter Hinweis auf die Lage in den letzten Kriegsmonaten und versuchte zudem, den Widerstand seiner Heeresgruppe gegen die Rote Armee als nicht nur militärisch notwendig, sondern auch aus übergeordneten Erwägungen begründet darzustellen: „Wir kämpften für die Bewahrung der Heimat vor dem Bolschewismus und für die Rettung von Hunderttausenden von Ostfrontkämpfern, von Flüchtlingen der Trecks (…).“23 Dennoch sah es das Gericht als erwiesen an, daß Schörner im Fall der beiden Festungskommandanten und des hingerichteten Kraftfahrers nicht rechtmäßig gehandelt hatte und verurteilte ihn am 15. Oktober 1957 wegen Totschlags und zweifachen versuchten Totschlags zu vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe, nachdem der Staatsanwalt auf acht Jahre Freiheitsentzug plädiert hatte.24 Trotz

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versuchter Revision und Verfassungsbeschwerde25 mußte Schörner am 4. August 1958 in Landsberg am Lech seine Haftstrafe antreten, die jedoch zwei Jahre später unter Bewilligung von Bewährung bis August 1965 aus Gesundheitsgründen ausgesetzt wurde, ehe ihm am 22. Dezember 1966 die Reststrafe erlassen wurde. Noch aus der Haft bemühte sich Schörner, der über seine Haft höchst verbittert war,26 um ein Wiederaufnahmeverfahren, wobei seine Anwälte sich mit großem Aufwand bemühten, Beweise für das Überleben des hingerichteten Kraftfahrers ausfindig zu machen,27 da dieser von mehreren Personen nach Kriegsende gesehen worden sein wollte. Obwohl dies nicht gelang, blieb Schörner auch nach seiner Haftentlassung unbeirrt und behauptete: „Im Kern handelt es sich um einen eminent politischen Prozess – und aufgeben werde ich nie. Dies sei allen Freunden und alten Kameraden versichert. Und es handelt sich um den klärenden Prozess für die Ehre der Deutschen Wehrmacht des zweiten Weltkriegs.“28 In seinen letzten Lebensjahren finanziell von ehemaligen Kameraden und anderen Bewunderern unterstützt, starb Schörner am 2. Juli 1973 in München. Die Bundeswehr untersagte ihren Angehörigen die Teilnahme in Uniform am Begräbnis des unbelehrbaren Nazi-Generals.

Anmerkungen 8 Uhr Blatt Nürnberg v. 1. 2. 1955. Kern, Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner, S. 384. 3 BA-MA Freiburg, N 60/25: Abschrift [Beurteilungen] ohne Datum [Anfang 1955]. 4 Ebenda. 5 Zu Schörners nationalsozialistischer Einstellung vgl. BA-MA Freiburg, N 60/17: Einschreiben Schörners an von Trotha, 22. 2. 1945 (teilweise zit. in: Schönherr, Ferdinand Schörner, S. 497) und ebenda, N 60/51: Erste Vernehmung betr. Disziplinarverfahren, 21. 10. 1955. 6 BA-MA Freiburg, N 60/3: Abschrift der Klageschrift Spruchkammer-Hauptkammer München, 23. 4. 1951. 7 Vgl. ebenda, N 60/58 (Manuskripte zum Oberbefehl über die Alpenfront). 8 Vgl. dazu die Personalunterlagen im Archiv Lubjanka, Moskau. 9 Vgl. ebenda, N 60/2: Abschrift Aktennotiz v. Rudolf Aschenauer, 17. 3. 1960 und ebenda N 60/21. 10 Vgl. dazu den Beitrag Steinkamp, Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, in diesem Band, S. 432ff. 11 Vgl. BA-MA Freiburg, N 60/22 und N 60/24. 12 Ebenda, N 60/25: Abschrift (Einleitung des Ermittlungsverfahrens) v. 28. 1. 1955. 13 Vgl. ebenda (Einstellungsverfügung) v. 23. 5. 1955. 14 Ebenda, S. 19f. Name des Feldwebels von mir anonymisiert; P. S. 1 2

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Ebd., S. 27ff., auch zum Folgenden. Ebenda, S. 31. 17 BA-MA Freiburg, N 60/51: Abschrift v. 31. 3. 1955 betr. Einleitung eines Disziplinarverfahrens. 18 Ebenda, N 60/28: Anklageschrift, 31. 8. 1956. 19 Ebenda, N 60/102: Abschrift [Treuerklärung], 13. 8. 1957: „Wenn Sie (,) hochverehrter Herr Generalfeldmarschall (,) wirklich vor den Schranken eines Gerichts stehen sollten, so haben Sie die Gewissheit, dass hinter Ihnen Hunderttausende stehen, die sich mitangeklagt fühlen und dass Ihre Ehre (,) die man anzutasten wagt, die unsere ist und die Ehre unserer unvergessenen gefallenen Kameraden, die in den Weiten Europas, Russlands und Afrikas ruhen.“ 20 Ebenda, N 60/26: Zusätzliche Gedanken, 12. 6. 1958. 21 Zit. nach Wolfgang Kraushaar, Die Protest-Chronik 1949–1959: Eine illustrierte Geschichte von Bewegung, Widerstand und Utopie, Hamburg 1996, S. 1727. Vgl. auch BA-MA Freiburg, N 60/67. 22 BA-MA Freiburg, N 60/34: Abschrift Bandaufnahme Bayrischer Rundfunk. 23 Ebenda, N 60/35: Für Karlsruhe, 8. 7. 1958. Auch wenn es sich hier um Notizen Schörners für eine Verfassungsklage gegen sein Urteil handelt, durchzieht dieser Gedanke doch seine ganzen Verteidigungsbemühungen. 24 Ebenda, N 60/29: Abschrift Gerichtsprotokoll. 25 Vgl. ebenda, N 60/35 und N 60/36. 26 BA-MA Freiburg, N 60/7: Entwurf Betr. Prozeß, Oktober 1958: „Wir müssen geduldig der Stunde harren, und unsere Gesundheit dafür erhalten, zu der diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die ihre Pflicht nicht erfüllt und trotz der Niederlage für alle Zeiten ein gefährliches Beispiel gegeben haben. Der bedauerliche Zustand, daß man vorübergehend Pflichterfüllung in einer Zeit höchster Staats- und Volksnot auf der Suche nach strafrechtlichen, kriminellen Tatbeständen verfolgte, wird einst als verhängnisvolle Krankheit unserer Epoche zur Schande gereichen.“ 27 Vgl. ebenda, N 60/37–47. 28 BA-MA Freiburg, N 60/47: Rundschreiben v. 28. 1. 1965. 15 16

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 60: Nachlaß Ferdinand Schörner; Bayerisches Hauptstaatsarchiv/ Kriegsarchiv München, OP 13359: Personalunterlagen; Archiv Lubjanka, Moskau: Personalkarteikarte Schörner. Gedruckte Quellen und Literatur Aschenauer, Rudolf: Der Fall Schörner. Eine Klarstellung. München o. J. (1962/63). Kaltenegger, Roland: Schörner. Feldmarschall der letzten Stunde. Biographie. München/Berlin 1994.

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Kern, Erich: Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner. Ein deutsches Soldatenschicksal. Preußisch Oldendorf 1976. Schönherr, Klaus: Ferdinand Schörner. Der idealtypische Nazi-General. In: Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Hrsg. von Ronald Smelser und Enrico Syring. Berlin 1995, S. 497–509.

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Generalleutnant Dr. phil. Hans Speidel Hans Speidels berufliche Laufbahn umfaßt den Zeitraum vom ersten Kriegsjahr 1914 bis zum Höhepunkt des Kalten Krieges 1964 und spiegelt somit Zeit- und Militärgeschichte unseres Jahrhunderts wider. Sie enthält zwei Karrieren, deren erste hier im Vordergrund stehen soll. Die Darstellung des Lebens und Wirkens Speidels sieht sich der Schwierigkeit gegenüber, daß sie auf keine umfassenden biographischen Vorarbeiten zurückgreifen kann.1 Viele Aspekte, die für den Zeit- und Militärhistoriker bedeutend sein mögen, können hier nur angerissen werden, womit die Notwendigkeit der Erstellung einer die vorhandenen Quellen2 ausschöpfenden Biographie betont sein soll. Hans Speidel, geboren 1897 in Metzingen, entstammt einer Familie des schwäbischen Bildungsbürgertums, humanistischer und militärischer Tradition verbunden. In Stuttgart besuchte er das berühmte Eberhard-LudwigsGymnasium, an dem er wenige Monate nach dem Kriegsausbruch 1914 das Notabitur ablegte, um dann als Fahnenjunker in das Grenadierregiment „König Karl“ zu Ulm einzutreten. An der Westfront wurde er im November 1915 zum Leutnant befördert und fungierte in den weiteren Kämpfen seines Armeekorps als Zug- und Kompanieführer. Ein weiterer Kompanieführer seines Regiments war Leutnant Erwin Rommel. 1919 wurde Speidel, Träger der goldenen Württembergischen Kriegsverdienstmedaille sowie des Eisernen Kreuzes I. Klasse, in die Reichswehr übernommen. Neben der zweijährigen Führergehilfenausbildung, der getarnten Ausbildung für den Generalstabsdienst, nahm er in Stuttgart und Tübingen das Studium der Volkswirtschaft und Geschichte auf, das er im Februar 1925 mit der Promotion zum Doktor der Philosophie abschloß. Die Dissertation: „1813/1924 – Eine militärpolitische Untersuchung“ ist nach eigenen Worten „zweckbestimmt“ und vergleicht die Lage Preußens nach dem Frieden von Tilsit mit der Deutschlands nach Versailles, wobei sich der Verfasser als Anhänger der Dolchstoßlegende wie Gegner der Weimarer Verfassung bekennt und zugleich die Hoffnung ausspricht, „daß Deutschland nicht seinen letzten Kampf der Waffen und Geister gekämpft hat“3. Nach Truppenjahren als Kompanieführer in Ludwigsburg absolvierte der Oberleutnant 1929/30 in Berlin das dritte Jahr der Generalstabsausbildung. Unter den fünfzehn Auserwählten war auch Adolf Heusinger. Nach anschließender dreijähriger Leitung des Referates Westeuropa im Truppen-

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amt fungierte Speidel bis Herbst 1935 im Hauptmannsrang als Gehilfe des deutschen Militärattachés in Paris. Als Frankreichexperte des Generalstabs, Major und Leiter der Abteilung Fremde Heere West, begleitete er 1937 den Chef des Generalstabs des Heeres, Generaloberst Ludwig Beck, nach Paris zu Gesprächen mit Marschall Pétain, Kriegsminister Daladier und dem Generalstabschef Gamelin. Beck hat offenbar auf dieser Reise Speidel näher kennen- und schätzengelernt, denn er bescheinigte ihm hernach in einer Beurteilungsnotiz „eminent rasche Auffassungsgabe, messerscharfen Verstand, überdurchschnittliche Arbeitskraft, eine besondere Fähigkeit der Menschenbehandlung, gewinnendes Wesen und die völlige Beherrschung des Ausdrucks in allen Nuancen“. Speidel achtete und verehrte Beck,4 wurde aber in dessen oppositionelle Pläne nicht eingeweiht. Wie der größte Teil des Offizierskorps stand Speidel in jenen Jahren dem Nationalsozialismus indifferent gegenüber. Der Ausbau der Wehrmacht barg große Chancen für den karriereorientierten Offizier, und Opposition stand nicht zur Diskussion. Im Oktober 1937 wurde er als Major erster Generalstabsoffizier (Ia) der 33. Division in Mannheim, und wenige Monate nach Kriegsbeginn erhielt er als Oberstleutnant die gleiche Funktion im IX. Armeekorps am Westwall, das im Nordflügel der 6. Armee im Mai 1940 von Venlo bis Dünkirchen vorstieß. Nach dem Waffenstillstand fiel ihm als Stabschef des Befehlshabers von Paris die Aufgabe zu, am frühen Morgen des 28. Juni Hitler mit seiner Begleitung zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt zu führen.5 Der erste Chef der Militärverwaltung Frankreich, General Streccius, übernahm Speidel als Chef des Kommandostabs. In dieser Funktion blieb er auch, als im Oktober General Otto von Stülpnagel Streccius ablöste. Wohl war Speidel für eine deutsch-französische Verständigung, allerdings mit der Einschränkung, daß allein eine deutsche Führung Frankreich zum Heile gereichen könne.6 Er sorgte dafür, daß das Hotel Majestic für viele Personen des künstlerischen Lebens Frankreichs offenstand. Der deutsche Dichter Ernst Jünger, als Chef einer Wachkompanie nach Paris gekommen, wurde im Verwaltungsstab untergebracht. Jünger und Speidel waren die Initiatoren der „Georgsrunde“, in der Schriftsteller und Journalisten historische und literarische Themen abhandelten und gelegentlich auch „Kniébolo“ (so die heimliche Bezeichnung für Hitler) zynischer Kritik unterworfen wurde. Eine neuere Studie besagt, daß in den Stäben der Militärverwaltung „eine relativ homogene Gruppe entstand, deren Habitus durch elitären Konservatismus, eine aus intellektueller Verachtung, sozialer Arroganz und politischer Gegnerschaft zu Hitler und den ‘Parteileuten’ sowie durch einen deutschnational durchwirkten Patriotismus geprägt war und nur von wenigen Außenseitern gestört wurde“7.

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Der Militärbefehlshaber Stülpnagel stand zwischen Gewissen und Gehorsam. Der im Herbst 1940 auf Betreiben Görings einsetzenden Ausschaltung der Juden aus der französischen Wirtschaft glaubte er sich nicht widersetzen zu können, zumal Brauchitsch als Oberbefehlshaber des Heeres sogar dazu antrieb.8 Bei der Beschlagnahme jüdischen Eigentums aber lehnte er jede Mitwirkung ab, da sich, wie er schrieb, sein Empfinden und rechtliches Denken dagegen wehre.9 Speidel war im Zusammenhang mit der Beschlagnahme jüdischen Kunstbesitzes gleicher Meinung. Dennoch war durch verschiedene Verordnungen der Militärverwaltung bis Ende 1940 die Lage der Juden in der besetzen Zone mit der Deutschlands 1938 vergleichbar.10 Verstärkte Aktivitäten der Résistance dienten ab Frühsommer 1941 als Vorwand für ein schärferes Vorgehen gegen Juden und Kommunisten, die in erster Linie von den ‘Sühnemaßnahmen’ für Attentate gegen Wehrmachtsangehörige betroffen waren.11 Als Hitler und das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) den Militärbefehlshaber wegen zu großer Nachsicht bei den Sühnemaßnahmen tadelte und die Hinrichtung von 50–100 Geiseln pro Attentat forderten, ersuchte Stülpnagel mit Erfolg um seine Ablösung. Doch vertrat er in einem Brief an den OKW-Chef Keitel den Standpunkt, daß „die notwendige Sühne bei Attentaten auf anderem Wege, nämlich durch Abtransport größerer Massen von Kommunisten und Juden nach Osten“ erreicht werden könne.12 Speidel hat den Militärbefehlshaber ausdrücklich auf die negative Auswirkung der Geiselerschießungen aufmerksam gemacht. Warnend heißt es in einem Lagebericht vom 30. Oktober 1941, die französische Bevölkerung stehe „im Augenblick erschüttert der Tatsache gegenüber, daß Personen erschossen werden, die unmittelbar für die Attentate nicht verantwortlich sind“13. Der Militärbefehlshaber zog sich mit den Maßnahmen den Haß der Bevölkerung zu, zumal alle Exekutionen in der Presse und auf Anschlägen bekannt gemacht wurden. Unter seinem Nachfolger und Vetter Karl Heinrich von Stülpnagel fielen Sühnemaßnahmen in den Bereich des Höheren SS- und Polizeiführers Karl Oberg. Man muß um diese Vorgänge wissen, um die später von Gaullisten und Kommunisten initiierte Kampagne gegen Speidel zu verstehen, als dieser 1952 von der Bundesregierung nach Paris zu den Verhandlungen über die Bildung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) entsandt wurde. Daß Speidel kein Freund der Gaullisten und Kommunisten war, belegen die von ihm gezeichneten monatlichen Tätigkeits- und Lageberichte.14 Eine von Speidel damals ausgearbeitete Studie über de Gaulle beurteilt den Führer der France Libre abfällig.15 Zusammen mit Botschafter Abetz trug Speidel auch maßgeblich zur Abberufung des den Achsenmächten nicht genügend willfährigen Generals Weygand bei, der in Französisch-Nordafrika als Vertreter von Marschall Pétain fungierte.16

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Nach der Ablösung Stülpnagels ließ sich Speidel an die Ostfront versetzen und wurde Stabschef des V. Armeekorps, das mit der 17. Armee über Rostov bis Novorossisk vordrang. Stabschef der Armee war Generalmajor Vinzenz Müller, der in den fünfziger Jahren an die Spitze der Nationalen Volksarmee der DDR trat. Speidel kannte Müller seit der Generalstabsausbildung in Stuttgart.17 Ende Oktober 1942 konnte er einen längeren Heimaturlaub antreten, während dessen sich die Einschließung von Stalingrad und die Aufgabe des Kaukasus vollzog. Hernach wurde er als Generalmajor Stabschef der Armeeabteilung Lanz an der südlichen Ostfront, die nach den Kämpfen im Raum Charkov zur 8. Armee umgebildet wurde. Die in die Fachliteratur eingegangene Behauptung, Lanz und Speidel hätten im Februar 1943 Hitler bei einem Besuch an der Front festnehmen und bei Widerstand erschießen lassen wollen, ist Legende.18 Im Januar 1944 wurden zwei Armeekorps der 8. Armee mit über 50 000 Mann westlich von Tscherkassy, etwa 150 km südöstlich von Kiev, eingeschlossen. Marschall Žukovs Aufforderung zur Kapitulation sowie eine Propagandaaktion des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ blieben vergeblich. 19 Statt dessen wollte man den Kordon von innen und außen aufbrechen, und Speidel koordinierte die Operationen. Der Plan basierte auf der Einnahme der hinter dem Einschließungsring liegenden Höhe 239, die jedoch in sowjetischer Hand blieb, was von der Führung der 8. Armee dem den Ausbruch befehlenden General Stemmermann vorenthalten wurde. Gezielte Funksprüche Speidels sollten ihn sogar in gutem Glauben lassen.20 In Unkenntnis des Sachverhalts forderte der Ausbruch dann auch hohe Verluste, auch Stemmermann fiel dabei. Ungefähr 30 000 Mann gelang der Durchbruch. Etwa 1500 Schwerverwundete wurden einer Weisung Speidels folgend mitgeführt, mußten aber im Chaos auf der Höhe 239 dem Schicksal überlassen werden. Ein rechtzeitiges Einstellen auf die bestehende Lage hätte das Ausmaß des Chaos und die Zahl der Toten verringern können. Tscherkassy wurde von der deutschen Propaganda als großer Erfolg gepriesen, tatsächlich aber war es der Beginn der großen Katastrophe der 8. Armee, die in den folgenden Wochen über die polnisch-sowjetische Vorkriegsgrenze zurückgeworfen wurde. Speidel blieb die Teilnahme am weiteren Schicksal der Armee erspart, denn er sollte nun, inzwischen Generalleutnant, Stabschef des Oberbefehlshabers der an der Atlantikküste stehenden Heeresgruppe B, Generalfeldmarschall Rommel, werden. Am 1. April erhielt er auf dem Obersalzberg aus der Hand Hitlers das Ritterkreuz. Zum Festakt der Stadt Freudenstadt – hier hatte die Familie Speidel nach der Bombardierung Mannheims 1943 ihren Wohnsitz genommen – kam auch der Stuttgarter Oberbürgermeister Strölin, Freund und alter Regimentskamerad.21 Er war angeblich von Goer-

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deler, Haupt des zivilen Widerstands, beauftragt, über Speidel den Feldmarschall Rommel für die Verschwörung zu gewinnen und ein Treffen zwischen dem Feldmarschall und dem früheren Außenminister von Neurath zu vermitteln. Rommel aber hielt sich zurück und ließ Speidel am 27. Mai die Gespräche über die wichtige Rolle Rommels, die dieser nach einem Umsturz spielen sollte, in Freudenstadt führen. Stülpnagel, Haupt der Verschwörung in Paris, wurde informiert, und nach seinen Vorstellungen sollten noch vor der Invasion, spätestens bis zum 15. Juni, Kontakte zu den Anglo-Amerikanern zwecks eines separaten Waffenstillstands angebahnt werden.22 Doch die Invasion begann bereits am 6. Juni. Nach den ersten Niederlagen wurde der Oberbefehlshaber West, Feldmarschall von Rundstedt, durch Feldmarschall von Kluge ersetzt, der bald die Meinung Stülpnagels und Rommels über die Lage teilte. Am 9. Juli traf auf Rommels Gefechtsstand in La Roche Guyon Oberstleutnant von Hofacker ein, engster Mitarbeiter Stülpnagels und Verbindungsmann zur Berliner Verschwörung. Er sprach mit Rommel über die Lage und Notwendigkeit eines Staatsstreichs, jedoch nicht über das bevorstehende Attentat.23 Hofacker ging in dem Glauben, den Feldmarschall gewonnen zu haben. Rommel wollte Hitler zur Vernunft bringen oder zur Umkehr bewegen, notfalls ihn auch festnehmen lassen. Am 16. Juli gab Rommel das am Tag zuvor mit Speidel abgefaßte Fernschreiben an Hitler auf den Weg, das mit dem vom Feldmarschall eigens angefügten Satz schloß: „Es ist m. E . nötig, die Folgerungen aus dieser Lage zu ziehen.“24 Kluge leitete es jedoch nicht weiter. Am nächsten Tag wurde Rommel schwer verwundet und fiel damit für die Verschwörung aus. Kluge war nach dem mißlungenen Attentat am 20. Juli nicht mehr bereit, die Erhebung an der Westfront in die Hand zu nehmen. Von General Stülpnagel bereits getroffene Maßnahmen wie die Festsetzung der SS-Führung und des SD mußten aufgehoben werden. Stülpnagel, von Keitel ins Führerhauptquartier befohlen, versuchte vergeblich, sich das Leben zu nehmen, wurde aber schwer verwundet und erblindet nach Berlin überstellt, wo er Ende August mit Hofacker zum Tod verurteilt wurde. Die Hinrichtung Stülpnagels wurde sofort vollzogen, die Hofackers aufgeschoben, da seine weiteren Aussagen von Bedeutung waren. Stülpnagel hatte im Lazarett im Delirium Rommels Namen genannt. Mitte August hatte die Gestapo Material, das Kluge und Rommel der Mitwisserschaft mindestens am Staatsstreichplan belastete. Goerdeler war inzwischen gefaßt. Am 5. September wurde Speidel seiner Stellung enthoben. Nach einem Besuch Rommels in Herrlingen wurde er in Freudenstadt verhaftet und nach Berlin gebracht, wo ihn die Gestapo übernahm und in das Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße brachte. Hier traf er auf Hofacker,

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der, offenbar unter Folter, ausgesagt haben soll, mit Speidel und Rommel über die Verschwörung gesprochen zu haben. Der von Hitler eingesetzte Ehrenhof des Heeres, der über den Ausstoß von Verdächtigten aus der Wehrmacht zu befinden hatte, was Auslieferung an den Volksgerichtshof und in der Regel das Todesurteil bedeutete, befand nach einem Plädoyer Guderians, daß Speidel über sein Gespräch mit Hofacker Feldmarschall Rommel informiert und damit pflichtgemäß gehandelt habe. Speidel wurde nicht aus der Wehrmacht ausgestoßen.25 Rommel aber, von Hitler vor die Entscheidung gestellt, zwischen Verhaftung und Prozeß oder Selbstmord durch Gift zu wählen, zog den zweiten Weg vor und schied am 14. Oktober aus dem Leben. Denn von den Boten Hitlers war ihm die Belastung durch Hofacker, Speidel und Stülpnagel vorgehalten worden.26 Leider existieren weder Protokolle der Aussagen Hofackers noch Aufzeichnungen der Verhöre Speidels.27 Dieser hat nach dem Krieg bestritten, den Feldmarschall irgendwie belastet zu haben.28 Allerdings muß Hofacker Speidel zunächst verdächtigt haben, denn er hat in einer mehrstündigen Gegenüberstellung bei Kaltenbrunner seine Aussage als mögliche Gedächtnisverwechslung widerrufen.29 Die Auffassung, daß Rommels seit Mai 1944 zunehmende Ablehnung des Diktators vorrangig dem Einfluß Speidels zuzuschreiben sei und dieser zum inneren Kreis der Verschwörung gehörte,30 steht auf tönernen Füßen. Speidel hat, bevor er zu Rommel kam, keinen einschlägigen Kontakt mit der Verschwörung gehabt, und er war auch in keine konkreten Pläne eingeweiht. Rommel hat sich seine Meinung in erster Linie aufgrund eigener Kenntnisse gebildet, wenngleich er offen mit Speidel darüber sprach. Daß Speidel den Verschwörern im Falle eines Erfolges zur Verfügung gestanden hätte, kann als gesichert gelten. Dennoch gehörte er nicht zum ‘inneren Kreis’, und entsprechend zurückhaltend verhielt er sich am Abend des 20. Juli, als Stülpnagel vergeblich auf Kluge einzuwirken suchte. Speidels Rolle im Widerstand ist „nicht ohne eigenes Zutun“ in den folgenden Jahren „überbewertet“ worden.31 Speidel hat nach dem 20. Juli etliche Haftstationen durchlaufen. Manche Erleichterungen hat er der Fürsprache des SS-Oberstgruppenführers Sepp Dietrich und von Albert Speer zu verdanken. Auch SS-Obergruppenführer Gottlob Berger, Chef des SS-Hauptamtes, war bei diesen Bemühungen für Speidel eingeschaltet.32 Darauf mag es zurückzuführen sein, daß Kaltenbrunner den Verdächtigen schließlich am 19. Dezember 1944 freiließ, so daß er die Weihnachtszeit bei seiner Familie verbringen konnte. Hernach wurde ihm die Festung Küstrin als Zwangsaufenthalt zugewiesen und er hier einer Gruppe hochrangiger in- und ausländischer Häftlinge zugeteilt. Als die Ostfront sich näherte, mußte die Gruppe verlegt werden. Ihre weitere Odyssee

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verlor bald den Charakter eines Gefangenentransports und führte im April 1945 über Ludwigsburg nach Urnau, wo es galt, die formelle Befreiung durch die Alliierten abzuwarten. Sie erfolgte am 29. April; im Juli konnte Speidel zu seiner Familie in Freudenstadt zurückkehren. Als politisch Verfolgter und von alliierten Truppen befreit brauchte er die übliche Verhaftung von Generalen der Wehrmacht nicht zu fürchten. Die „Stunde Null“ dauerte für Speidel nicht lang. Er konnte sich bald auf Freunde und Bekannte früherer Jahre stützen wie zum Beispiel den Regierungschef des neuen Landes Württemberg-Hohenzollern Carlo Schmid.33 Ein Lehrauftrag an der Universität Tübingen sowie Arbeiten für die Historical Division der U.S.-Armee sorgten für Einkünfte. Seine Intelligenz und seine Umgangsart erleichterten es, das enge, nicht immer ohne Kalkül geknüpfte Netz der Beziehungen bald zu erweitern. Speidels im Rahmen eines Forschungsauftrags der Landesregierung erstelltes und 1949 erschienenes Werk „Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal“ wurde ein Bestseller und in viele Sprachen übersetzt. Dem Autor wurde später nachgesagt, er habe gezielt Rommel zum Widerstandskämpfer erhoben, um „vom Widerschein des Ruhms angestrahlt“ zu werden. 34 Tat sächlich wurden Speidel und Rommel in den zuvor erschienenen Arbeiten zum deutschen Widerstand kaum erwähnt. In verschiedenen Denkschriften trat Speidel schon damals für die Neuaufstellung deutscher Streitkräfte und ihre Mitwirkung bei der Verteidigung Westeuropas ein.35 Auf der für die Vorgeschichte der Bundeswehr bedeutenden Konferenz von Himmerod 1950 fungierte er als Vorsitzender des militärpolitischen Ausschusses. Zusammen mit seinem Kameraden Heusinger stand er dann dem von Adenauer mit militärischen Fragen betrauten Theodor Blank zur Seite, als dieser zunächst mit den Hochkommissaren und dann in Paris über die Teilnahme der Bundesrepublik an der geplanten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) verhandelte.36 Die EVG scheiterte, doch nach dem Deutschlandvertrag wurde die Bundesrepublik in die NATO aufgenommen. Bundespräsident Heuss ernannte am 10. November 1955 Speidel und Heusinger zu den ersten Dreisternegeneralen der Bundeswehr. Speidel wurde Chef der Abteilung Gesamtstreitkräfte im Verteidigungsministerium. Seine Karriere setzte sich nun in der NATO fort. Im April 1957 wurde er Oberbefehlshaber der Verbündeten Landstreitkräfte von Mitteleuropa mit Sitz in Fontainebleau, und kurz darauf erhielt er den vierten Generalsstern. Nach einigen Jahren erfolgreichen Wirkens gab es politische Schwierigkeiten. Ehemalige Angehörige der französischen und belgischen Résistance protestierten dagegen, daß ein Offizier, der eine Schlüsselstellung in der

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deutschen Besatzungsmacht eingenommen hatte, an der NATO-Spitze in Frankreich wirke. Verleumdungen aus der DDR kamen hinzu.37 De Gaulle blies der Kampagne Wind in die Segel. Gewiß spielte die Erinnerung an die Deportationen von Résistancemitgliedern und französischen Juden im Krieg eine Rolle, und Speidels Entgegnung, daß diese erst nach seiner Versetzung an die Ostfront eingesetzt hatten, war nicht überzeugend. Warum sollte de Gaulles Geheimdienst nicht Kenntnis der deutschen Militärakten haben? Von Gewicht war auch, daß beide Generale unterschiedliche Auffassungen von der künftigen Rolle der NATO hatten. Gewiß beruhte die Abneigung auf Gegenseitigkeit, doch de Gaulle ließ sie spürbar werden. Beim Empfang Adenauers zum Staatsbesuch im Juli 1962 verweigerte er dem deutschen General geradezu demonstrativ jegliche Aufmerksamkeit, was als Replik auf dessen Haltung gegenüber de Gaulle und der Résistance im Krieg verstanden werden sollte. Schließlich setzte er bei Adenauer ultimativ Speidels vorzeitige Abberufung durch. Am 31. März 1964 wurde der General verabschiedet. In den folgenden Jahren blieb er ein in den USA und Westeuropa gefragter Experte in Sachen atlantische Verteidigung und internationale Politik. Kurz vor Vollendung seines 87. Lebensjahres starb er 1984 in Bad Honnef. Zusammen mit Heusinger hat Speidel 1951 General Eisenhower die Ehrenerklärung für den deutschen Soldaten abgerungen und sich dann erfolgreich für die Freilassung etlicher von alliierten Gerichten verurteilter ehemaliger deutscher Generale eingesetzt. Nicht selten war er auch auf Veranstaltungen der Traditionsverbände zugegen. Damit trug er dazu bei, daß die Bundeswehr zu sehr an die Tradition der Wehrmacht anknüpfte, aber in Schriften, Vorträgen und Verhandlungen hat er auch darauf verwiesen, daß die feste Einbindung einer deutschen Streitmacht in ein großes Bündnis die beste Garantie gegen ein Wiederaufleben des Militarismus sei.

Anmerkungen 1 Vgl. die biographischen Hinweise bei Rothfels, Der Lebensweg eines deutschen Soldaten; Heuer, Die höchsten militärischen Führer; Range, Generale und Admirale; Meyer, Drei deutsche Generale, und Müller, Witzleben, Stülpnagel und Speidel. 2 Der gut erschlossene Nachlaß Speidels ist leider noch nicht frei und wird von seiner Tochter Frau Dr. Ina Saame verwahrt. Ihr sei für Auskünfte gedankt. Findbuch dazu BA-MA Freiburg. 3 Speidel, 1813/1824, bes. S.3, 37, 69, 77, 86, 91. 4 Vgl. Speidel, Zeitbetrachtungen S.145–164. 5 Speidel, Erinnerungen, S. 98 ff., datiert den Besuch Hitlers irrtümlich auf den 23. Juni.

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BA-MA Freiburg, RW 35/308, S. 107, ähnlich RW 35/12, S.6. Herbert, Die deutsche Militärverwaltung, S. 429. 8 Brauchitsch an Stülpnagel v. 12. 11. 1940, in: BA-MA Freiburg, RW 35/2, S.40. 9 Ebenda, RW 35/238, S.4 f. 10 Herbert, Die deutsche Militärverwaltung, S.433 mit Anm.8. 11 BA-MA Freiburg, RW 35/238 passim und RW 35/255 passim; s. auch Jäckel, Frankreich, S.185ff. und Umbreit, Der Militärbefehlshaber, S.140ff. 12 BA-MA Freiburg, RW 35/1, S.108 f. Hierzu auch Jäckel, Frankreich, S.193. 13 BA-MA Freiburg, 35/238, S. 117. 14 BA-MA Freiburg, 35/238, S. 34 und 48. 15 Ebenda, S.27ff. 16 Ebenda, S.114ff. und BA-MA Freiburg, RW 19/335a und b. 17 Vinzenz Müller war ab 1944 Mitglied des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ und des Bundes Deutscher Offiziere in der Sowjetunion. Er leitete den Aufbau der Kasernierten Volkspolizei in der SBZ/DDR, wurde 1956 stv. Minister für Nationale Verteidigung der DDR und starb 1961. 18 Hoffmann, Widerstand, S. 307 ff.; Aufstand des Gewissens, S. 409. Eine Erklärung Speidels vom 19. 5. 1946 in: BA-MA Freiburg, B 340, bestätigt das nicht. Speidel hätte es wohl auch in seinen Erinnerungen erwähnt. 19 Hierzu Vormann, Tscherkassy; Speidel, Zeitbetrachtungen, S. 121–144; ferner Seydlitz, Stalingrad, S. 334 f.; Das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und der Bund Deutscher Offiziere, S.109 f. 20 BA-MA Freiburg, RW 20–8, S.62 und 89. 21 Die Teilnahme Strölins ist im Ehrenbuch der Stadt Freudenstadt belegt. Sein Name steht unmittelbar hinter der Familie Speidel. 22 Speidel, Invasion 1944, S.91ff.; Schramm, Aufstand, S.36ff. 23 Nach einer schriftlichen Mitteilung Dr. Horsts, Schwager Speidels, der Hofacker begleitet hatte, an Fraser 1975, in: Fraser, Rommel, S. 503, Anm. 24. 24 Speidel, Erinnerungen, S.187. 25 Fraser, Rommel, S.503. 26 Eidesstattliche Erklärung Manfred Rommels am 27. April 1945. Hierzu Stumpf, Erwin Rommel, S. 53, Anm. 1; Südkurier v. 8. 9. 1945. Wortlaut auch in Pechel, Deutscher Widerstand, S. 242. 27 Die Kaltenbrunner-Berichte erwähnen den Namen Speidels nicht. Rommel wird nur zweimal unbedeutend erwähnt. Vgl. Spiegelbild einer Verschwörung. 28 Erklärung Speidels in Urnau am 9. 7. 1945, in: BA-MA Freiburg, BW 2/7.147 und Südkurier v. 16. 10. 1945. 29 Irving, Rommel, S. 580, nach einem unveröffentlichten Manuskript Speidels von 1945, das in den Erinnerungen nicht erwähnt wird. 30 So Müller, Witzleben, Stülpnagel und Speidel, S.62. 31 Range, Generale und Admirale, S.33. 32 Nach Inventar Nachlaß Speidel BA-MA Freiburg, N 683, S.19 betr. Dos. 35. 33 Carlo Schmid stand als Militärverwaltungsrat in Lille 1941/42 in gutem dienst lichen und persönlichen Kontakt. 34 Irving, Rommel, S.597; nach Müller, Witzleben, Stülpnagel and Speidel, S.62, hat 6 7

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Speidel nach dem Krieg selbst geäußert, daß er entschlossen sei, Rommel zum deutschen Nationalhelden zu erheben. 35 Denkschriften 1948–1950 in Speidel, Erinnerungen, S.454–496. 36 Hierzu BA-MA Freiburg, 9/3064 S.130 ff. und S.194; ebenda, BW 9/3255. 37 Hierzu BA-MA Freiburg, BW 2/184 und BW 2/7.1.

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, RH 20–8: 8. Armee; RW 35: Militärbefehlshaber in Frankreich; BW 9: Deutsche Dienststellen zur Vorbereitung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft; BW 2/184 und 2/7.147: Abschrift aus ST.A. Bonn 1959; N 683: Nachlaß Speidel; A 870, B 718, B 720, B 721, B 815, C 017: Studies der Historical Division; Hans Speidel. 1813/1924. Eine militärpolitische Untersuchung. Ms. Tübingen 1935. Gedruckte Quellen und Literatur Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956. Bd. 2, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. München 1990. Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933–1945. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Herford/Bonn o. J. Bargatzky, Walter: Die letzte Runde – in Paris. In: Erich Zimmermann und HansAdolf Jacobsen: Der 20. Juli 1944. 5. Aufl. Bonn 1964, S.170ff. Ders.: Hotel Majestic. Ein Deutscher im besetzten Frankreich. Freiburg 1987. Beck, Ludwig: Studien. Hrsg. v. Hans Speidel. Stuttgart 1955. Herbert, Ulrich: Die deutsche Militärverwaltung in Paris und die Deportation französischer Juden. In: Von der Aufgabe der Freiheit. Festschrift für Hans Mommsen zum 5. November 1995. Hrsg. v. Christian Jansen, Lutz Niethammer und Bernd Weisbrod. Berlin 1996. Heuer, Gerd F.: Die höchsten militärischen Führer der Bundeswehr von 1955 bis 1990. Hamburg 1991. Jäckel, Eberhard: Frankreich in Hitlers Europa. Stuttgart 1966. Krüger, Dieter: Das Amt Blank. Die schwierige Gründung des Bundesministers für Verteidigung. Freiburg 1993. Maizière, Ulrich de: Hommage an Speidel. In: Rothfels, Hans: Bereitbleiben zur Tat. Köln 1967, S.31–41. Meyer, Georg: Drei deutsche Generale. Dienst in der Diktatur und im Spannungsfeld des Kalten Krieges. In: Vom Kalten Krieg zur Deutschen Einheit. Hrsg. v. Bruno Thoß. München 1995, S. 51–62. Müller, Klaus-Jürgen: Witzleben, Stülpnagel and Speidel. In: Hitler’s Generals. Ed. by Corelli Barnett. London 1989, S. 43–72. Pechel, Rudolf. Deutscher Widerstand. Erlenbach/Zürich 1947.

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Range, Clemens: Die Generale und Admirale der Bundeswehr. Herford/Bonn 1990. Rautenberger, Hans-Jürgen/Norbert Wiggershaus: Die „Himmeroder Denkschrift“ vom Oktober 1950. Karlsruhe 1977. Rothfels, Hans: Bereitbleiben zur Tat. Zum siebzigsten Geburtstag von General a. D. Dr. Hans Speidel. Köln 1967. Ders.: Der Lebensweg eines deutschen Generals. In: Ebenda, S.7–21. Schramm, Wilhelm von: Aufstand der Generale. Der 20. Juli in Paris. München 1964. Seydlitz, Walter von: Stalingrad. Konflikt und Konsequenz. Erinnerungen. Oldenburg 1977. Speidel, Hans: Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal. Tübingen 1948. Ders.: Zeitbetrachtungen. Ausgewählte Reden. Mainz 1969. Ders.: Aus unserer Zeit. Erinnerungen. Frankfurt a. M./Wien 1977. Spiegelbild einer Verschwörung. Die Kaltenbrunner-Berichte an Bormann und Hitler über das Attentat vom 20. Juli 1944. Stuttgart 1961. Stumpf, Reinhard: Erwin Rommel und der Widerstand. In: Militärgeschichtliche Beiträge 1991, S. 48–53. Umbreit, Hans: Der Militärbefehlshaber in Frankreich 1940–1944. Boppard 1968. Vormann, Nicolaus von: Tscherkassy. Heidelberg 1954.

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Generalmajor Henning von Tresckow Bereits in einer der ersten Veröffentlichungen der heute sehr umfangreichen Literatur über die Militäropposition gegen Hitler wurde die herausragende Bedeutung von Generalmajor Henning von Tresckow für den innerdeutschen Widerstand gegen den Diktator erkennbar.1 Denn es war Tresckow, der als gerade zum General beförderter Generalstabschef der 2. Armee an der Ostfront mit seiner Feststellung, der Staatsstreich gegen Hitler müsse – koste es, was es wolle („coûte que coûte“) – auch in politisch aussichtsloser Situation als Beweis des ‘anderen’ Deutschland vor der Welt gewagt werden, Oberst Graf v. Stauffenberg im Juni 1944 zur Durchführung des Attentats ermunterte. Wer war der junge Generalmajor, der einerseits so hartnäckig den Staatsstreich gegen Hitler verlangte, gar als Motor und treibende Kraft der Militäropposition bezeichnet wurde, und andererseits als vielversprechender und überaus fähiger militärischer Führer in Hitlers Krieg galt? Henning von Tresckow wurde am 10. Januar 1901 in Magdeburg geboren. Er entstammte einer alten preußischen Adelsfamilie. Sein Vater war General der Kavallerie, die Mutter Tochter des preußischen Kultusministers Graf Robert Zedlitz-Trützschler. In straffer Ordnung und auch militärischer Umgebung erzogen, war es nicht verwunderlich, wenn der Generalssohn nach Besuch eines Realgymnasiums in Goslar 1917 in das 1. Garderegiment zu Fuß in Berlin eintrat. Am 5. Juni 1918 wurde er zum Leutnant befördert, danach als Zugführer an der Westfront eingesetzt. Nach der deutschen Niederlage und dem Zusammenbruch der Monarchie mußte der junge Leutnant zwar von der Garde Abschied nehmen, wurde aber in die neue Reichswehr übernommen und kam im Juni 1919 in das Potsdamer Infanterieregiment Nr. 9, das die Tradition des alten Garderegiments fortführte. Schon im Oktober 1920 verließ Tresckow das Militär, um ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Kiel aufzunehmen, das er aber im Januar 1923 abbrach. Anschließend trat er als Börsenmakler in ein Berliner Bankhaus ein. Dieser „Ausbruch aus der Armee“2 hat seine persönliche Entwicklung zweifellos gefördert. Vielleicht steckte hinter dem Berufswechsel auch die Suche nach einer Synthese zwischen Preußentum und Sozialismus, nach Verbindung zwischen preußischem Gardeoffizier und Industriezeitalter. Eine im Juli 1924 gemeinsam mit seinem ehemaligen Offizierskameraden

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und Freund Kurt Hesse begonnene Weltreise brach Tresckow im November des gleichen Jahres ab, um finanzielle Schwierigkeiten vom väterlichen Familiengut Wartenberg in der Neumark abzuwenden. Nach seiner Heirat mit Erika v. Falkenhayn, der Tochter des ehemaligen preußischen Kriegsministers und Chefs der zweiten Obersten Heeresleitung im Ersten Weltkrieg, im Januar 1926 konnte er mit Hilfe des Reichspräsidenten von Hindenburg im folgenden Monat wieder als Leutnant in die Reichswehr eintreten. Der Weimarer Republik stand Tresckow distanziert gegenüber. Als national gesinnter Offizier, der 1928 zum Oberleutnant befördert wurde, beklagte auch er die parteipolitische Zerrissenheit seines Vaterlandes und wurde von Hitler und dem Nationalsozialismus angezogen. Er war den nationalen Gedanken des Nationalsozialismus in seiner Frühzeit eng verbunden. Bezeichnenderweise waren Tresckows Koffer bei seiner Weltreise „mit den preußischen Farben“ gekennzeichnet.3 Als „nüchtern abwägender Mann“4 und Befürworter einer parlamentarischen Monarchie nach englischem Muster stand er aber der übersteigerten nationalen Erregung keineswegs vorbehaltlos gegenüber. Freilich traute er es Hitler und dessen Bewegung zu, die militärischen und politischen Fesseln des Versailler Friedensvertrages überwinden zu können. Tresckow begrüßte Hitlers Eintreten für die Belange des Militärs und damit für die Vergrößerung und Verbesserung der militärischen Macht sowie der Aufstiegsmöglichkeiten der Offiziere.5 Wie manche andere Kameraden tat er Hitlers überzogene Großmachtpläne und dessen Rassenlehre als unvernünftig ab. Die nationalsozialistischen Terrormaßnahmen nach der Machtergreifung Hitlers sah er zuerst als „vorübergehende Begleiterscheinungen“ einer nationalen Erhebung an.6 Als aber mit der Ermordung der Generale v. Schleicher und v. Bredow bei der Röhm-Krise das Offizierkorps der Reichswehr direkt berührt wurde, war Tresckow, seit 1. April 1934 Hauptmann, über den verbrecherischen Charakter des Systems erschüttert. Bereits während seiner Zeit an der Kriegsakademie in Berlin ab Oktober 1934 traten erste Zweifel an Hitlers Weg auf. Das fortwährende und bewußte Hinwegsetzen Hitlers über Recht, Ordnung und Verfassung wurde zum Wendepunkt für Tresckow. Bezeichnend ist auch seine oppositionelle Einstellung zum nationalsozialistischen Kampf gegen die Kirchen. Als fähiger und hervorragend beurteilter Generalstabsoffizier im Oberkommando des Heeres ab 1936 verfolgte Tresckow die Operations- und Aufmarschpläne gegen die Nachbarstaaten mit Zurückhaltung. Die Vor gänge um die Ablösung des Generalfeldmarschalls v. Blomberg als Reichskriegsminister und von Generaloberst Freiherr v. Fritsch als Oberbefehlshaber des Heeres im Februar 1938 trafen ihn um so schmerzlicher, als ihm die perfide Handlungsweise Hitlers und das Unvermögen der Generalität,

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entsprechend zu reagieren, nicht verborgen blieben. Das Ausschalten der obersten Wehrmacht- und Heeresführung als innenpolitischer Machtfaktor führte bei Tresckow zum ersten Kontakt mit oppositionellen Kreisen um General v. Witzleben, deren Ziel es damals noch war, Hitler von Gestapo und SS zu befreien. Während der Wintermonate 1938/39 tat er als Kompaniechef in Elbing in Ostpreußen Dienst, am 1. März 1938 wurde er zum Major befördert. Im Juli 1939 kam er mit seinem Vetter Fabian v. Schlabrendorff, auf den er sich fortan in seinen Widerstandsbemühungen stützen konnte, zur Einsicht, daß ein Krieg nur durch das Ausschalten Hitlers verhindert werden könne. Allerdings besaßen beide keine Möglichkeit, diese Erkenntnis zu verwirklichen. Nach Kriegsbeginn im September 1939 stand auch Tresckow als 1. Generalstabsoffizier der 228. Infanteriedivision im Polenfeldzug sehr bald vor der grundsätzlichen Frage nach dem besten Augenblick für einen Staatsstreich gegen Hitler trotz Kriegssituation. Im Westfeldzug war er als Oberstleutnant im Generalstab (seit März 1940) im Stab der Heeresgruppe A eingesetzt und für die Operationsführung zuständig. Wie viele andere Offiziere begrüßte er den beeindruckenden und schnellen Sieg über Frankreich. Als 1. Generalstabsoffizier bei der Heeresgruppe Mitte, die unter dem Befehl seines Onkels Generalfeldmarschall von Bock stand, oblag ihm ab Frühjahr 1941 die detaillierte Angriffsvorbereitung im mittleren Teil der neuen Front gegen die Sowjetunion. Vergeblich bedrängte er Bock, bei Hitler die Rücknahme des berüchtigten Kriegsgerichtsbarkeitserlasses vom 13. Mai und auch des nachfolgenden Kommissarbefehls vom 6. Juni 1941 zu erreichen. Bock unternahm jedoch nur einen schwachen Protest gegen die Mordbefehle, wonach die juristische Verfolgung bei Straftaten deutscher Soldaten gegenüber der Bevölkerung in den eroberten Gebieten der UdSSR ausgesetzt wurde und alle gefangengenommenen Kommissare der Roten Armee zu erschießen waren. Die von Tresckow gewünschte Auflehnung aller Oberbefehlshaber im Osten gegen die verbrecherischen Befehle Hitlers blieb aus. Durch interne Zusätze zu den Befehlen suchte man deren Durchführung abzuschwächen. Sowohl der Kommissarbefehl als auch der Kriegsgerichtsbarkeitserlaß stellten die vorgesetzten Dienststellen – so auch den Stab der Heeresgruppe Mitte – vor eine problematische Situation. Denn beide Befehle sanktionierten verbrecherische Handlungen von Wehrmachtangehörigen gegen militärische und zivile Angehörige der sowjetischen Bevölkerung, ohne daß diese juristisch verfolgt werden konnten. Nur wenn Manneszucht und Disziplin der Truppe in Gefahr war, sollte eingeschritten werden, so hatte Generalfeldmarschall v. Brauchitsch als Oberbefehlshaber des Heeres in einem Zusatz, dem Disziplinarerlaß vom 24. Mai 1941, angeordnet.7

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Mit den Einsatzkommandos und Einsatzgruppen des SD sowie mit den 1. und 2. SS-Infanterie-Brigaden und zwei besonderen SS-Kavallerieregimentern, die im Auftrage Himmlers Teile der einheimischen slawischen Bevölkerung und die ansässigen Juden in den besetzten Gebieten der UdSSR auch im Bereich der Heeresgruppe Mitte systematisch umzubringen hatte, bestanden einerseits logistische Absprachen und eine taktische Zusammenarbeit, andererseits waren diese bei der Ausführung ihres Mordauftrages unabhängig und dafür allein dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler verantwortlich, wie es nach der Vereinbarung zwischen Generalquartiermeister Eduard Wagner und SD-Chef Reinhard Heydrich vom 28. April 1941 festgelegt worden war. Aus fester antibolschewistischer Grundeinstellung verstand Tresckow den unbestritten rücksichtslosen Kampf gegen die umfangreiche sowjetische Partisanentätigkeit, der sich allerdings auch gegen die jüdische Bevölkerung richtete, als selbstverständliche militärische Aktion der Wehrmacht. Größere Widerstände gegen die undifferenzierten Methoden des Partisanenkampfes, denen auch Frauen, Kinder und Greise zum Opfer fielen, blieben dann auch im Bereich der Heeresgruppe Mitte aus. Von den fortdauernden Mordaktionen des SD unmittelbar hinter der Front im rückwärtigen Heeresgebiet Mitte erfuhr auch Tresckow. Mehrfach nahm er die Berichte der SD-Einsatzgruppe B zur Kenntnis, zeichnete sie auch als 1. Generalstabsoffizier (Ia) ab.8 Eine Zustimmung oder Teilhabe an den grausamen Mordaktionen resultierte daraus nach Zeugenaussagen nicht. Es lag zudem nicht in seiner Macht als Ia-Offizier der Heeresgruppe, sie abzustellen. Auch in der Nähe des eigenen Stabes kam es in Borissov am 20./21. Oktober 1941 zu einem grauenvollen Massaker an Juden durch ein lettisches SS-Polizeikommando.9 In einer schriftlichen Meldung protestierte Generalfeldmarschall v. Bock zwar dagegen, allerdings nur halbherzig und ohne Erfolg. Dieses ihn persönlich belastende Wissen von den Verbrechen an der slawischen und jüdischen Bevölkerung bestärkte Tresckow in seinem Kampf gegen Hitlers Regime. Je deutlicher die Kriegsziele und Mordaktionen in Rußland nach dem 22. Juni 1941 den kriminellen Charakter des NS-Regimes offenbarten, um so eindeutiger war Tresckow bereit – anfangs im Gegensatz zu Stauffenberg und anderen oppositionell eingestellten Gleichgesinnten10 –, auch während des Krieges den Staatsstreich gegen Hitler zu wagen. Es gelang ihm, mit Leutnant Fabian v. Schlabrendorff, Leutnant Heinrich Graf v. Lehndorff, Major Carl-Hans Graf v. Hardenberg, Major Rudolf-Christoph v. Gersdorff, Major Bernd v. Kleist und später Oberstleutnant Georg Schulze-Büttger sowie Major Alexander v. Voss den Stab der Heeresgruppe Mitte zu einem Zentrum des Widerstandes im Offizierkorps des Heeres auszubauen. Im September 1941 trat Tresckow mit Hilfe von

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Schlabrendorff zu Beck, Goerdeler und v. Hassell in Kontakt. Während eines Krankenurlaubs im Januar 1943 nahm er selbst mit zivilen Widerstandskreisen in Berlin Verbindung auf. Er vermochte aber nicht, seinen Onkel, den Oberbefehlshaber v. Bock, zur Mitarbeit im Widerstand zu bewegen. Tresckow, in seiner Entschlossenheit zur Anwendung äußerster Gewalt gegen Hitler bestärkt, erprobte eigenhändig Sprengstoffmaterial auf seine Brauchbarkeit, um die Pläne zum Sturz des Diktators verwirklichen zu können. Er bemühte sich wiederholt, die Generalfeldmarschälle v. Bock, v. Manstein oder v. Kluge als herausragende Truppenführer für den Widerstand zu gewinnen. Erfolglos waren der von Tresckow initiierte Anschlag auf Hitlers Flugzeug, seine Pläne für ein Pistolenattentat oder der beabsichtigte Sprengstoffanschlag im Berliner Zeughaus durch Major v. Gersdorff. Bezeichnend für Tresckows Haltung ist die überlieferte Beobachtung, daß er nicht deshalb zum Anschlag auf Hitler drängte, um den Krieg noch zu gewinnen, denn den hielt er längst für verloren, wie verschiedene Zeugnisse bestätigen. Für ihn war der Vorwurf schlimmer, „überhaupt nicht gehandelt zu haben“11. Es ist besonders Tresckows Verdienst, daß nach dem Ausfall der Widerstandsgruppe um Generalmajor Oster im Amt Ausland-Abwehr im Herbst 1943 der für das Ersatzheer in der Heimat aufgestellte Operationsplan „Walküre“ für die Durchführung des Attentates auf Hitler umfunktioniert wurde. Zusammen mit Stauffenberg kam er dabei zu dem Ergebnis, daß der entscheidende Frontbefehlshaber und Truppenführer für den Staatsstreich weiterhin nicht zur Verfügung stand, daß sie sich als Stabsoffiziere deshalb nun selbst einschalten mußten. Tresckows Hoffnung, an einer Stelle in Berlin oder im „Führerhauptquartier“ eingesetzt zu werden, von der aus er das Attentat leiten könnte, erfüllte sich nicht. Er blieb ab Oktober 1943 als Oberst und Regimentskommandeur, später als Chef des Generalstabes der 2. Armee weiterhin an der Ostfront. Dort hatte Tresckow mit Generaloberst Wilhelm Weiß wiederum einen Oberbefehlshaber, der sich dem Widerstand versagte. Aufgrund der großen räumlichen Entfernung nach Berlin läßt sich Tresckows Einfluß auf die politischen Vorstellungen des Widerstandes nur schwer feststellen. Für den Fall des Gelingens des Staatsstreiches gab es Pläne, Tresckow zum „Chef der Deutschen Polizei“ zu machen. Ablehnend stand er Goerdelers Idee eines autoritären stufenweisen Aufbaus des Staates gegenüber. Für unwahrscheinlich gilt, daß Tresckow an die Möglichkeit dachte, nach einem Attentat mit Stalin zu einer Absprache zu kommen, da er als „anglophil“ eingeschätzt wurde.12 Deutlich wird der von Tresckow empfundene Generationskonflikt, wenn er sich verbittert und enttäuscht über seine älteren Generalskameraden beklagte, die gegenüber Hitler nicht

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ihrer Verantwortung gerecht wurden und weiterhin dessen Befehle gehorsam befolgten, obwohl sie wie Tresckow sahen, daß der Krieg verloren war und nur noch unnötige Opfer verlangte. So hatte er im November 1943 erneut vergeblich versucht, Feldmarschall v. Manstein für den Staatsstreich zu gewinnen.13 Nach der Invasion der Alliierten im Juni 1944 in der Normandie war es Tresckow, der als fest entschlossener Verfechter eines Sprengstoffattentates auf Hitler Graf v. Stauffenberg riet, das Attentat zu wagen, auch wenn man einen Fehlschlag des Umsturzversuches einkalkulieren müsse. Es kam ihm nun „nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat“ 14. Die Ereignisse des 20. Juli 1944, dem Tag des Attentats auf Hitler durch Stauffenberg in Rastenburg in Ostpreußen und des Staatsstreichversuches in Berlin, konnte Tresckow, der am 1. Juli 1944 zum Generalmajor befördert worden war, nur mühsam von der Front aus verfolgen. Nach dem Scheitern des Anschlags war ihm klar, daß ihn nur ein selbstgewählter Tod vor der Gestapofolter bewahren konnte. Am 21. Juli 1944 nahm er sich unter Vortäuschung eines Gefechts an der Front das Leben. Als der Widerstand Tresckows, der zu Recht als einer der aktivsten Gegner Hitlers gewertet werden kann, bei den Gestapo-Untersuchungen nach dem 20. Juli deutlich erkennbar wurde, hat der von Hitler eingesetzte „Ehrenhof“ ihn im August 1944 noch nachträglich und willkürlich aus der Wehrmacht ausgestoßen.

Anmerkungen 1 Zum Lebenslauf Tresckows siehe Scheurig, Tresckow; Aretin, Henning von Tresckow; ders., Tresckow – Patriot; Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler; Hesse, Der Geist von Potsdam. 2 Scheurig, Tresckow, S. 20. 3 So Hesse, Der Geist von Potsdam, S.97. 4 Scheurig, Tresckow, S. 42. 5 Siehe Hesse, Der Geist von Potsdam, S.96. 6 Scheurig, Tresckow, S. 45. 7 Vgl. Abdruck in: Der deutsche Überfall (hrsg. v. Ueberschär/Wette), S.253f. 8 Dies betont besonders Gerlach, Männer des 20. Juli, S. 431. 9 Vgl. Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler, S. 50 f.; Gersdorff, Soldat im Untergang, S.97ff.; Krausnick/Wilhelm, Die Truppe, S. 576 ff. 10 Müller, Oberst i.G. Stauffenberg, S. 216. 11 Scheurig, Tresckow, S.129. 12 Hesse, Der Geist von Potsdam, S.205.

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Zu den Gesprächen Tresckows mit Manstein siehe u. a. Stahlberg, Die verdammte Pflicht. 14 Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler, S. 138 und Archiv IfZ München, Zeugenschrifttum und Material zu Tresckow. 13

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599 ff.) Ungedruckte Quellen Archiv IfZ München: Zeugenschrifttum ZS/A 31 und weiteres Material zu Tresckow; BA-MA Freiburg, RH 19 II: Unterlagen zur Heeresgruppe Mitte; RH 20–2: Unterlagen zur 2. Armee; MSg 1/424. Gedruckte Quellen und Literatur Aretin, Karl Otmar Freiherr v.: Henning von Tresckow. In: 20. Juli. Portraits des Widerstands. Hrsg. von Rudolf Lill und Heinrich Oberreuter. Düsseldorf/Wien 1984, S.307–320. Ders.: Henning von Tresckow – Patriot im Opfergang. In: „Für Deutschland“. Die Männer des 20. Juli. Hrsg. von Klemens von Klemperer, Enrico Syring und Rainer Zitelmann. Frankfurt a. M. 1994, S. 287–310. Boeselager, Philipp Freiherr v.: Der Widerstand in der Heeresgruppe Mitte. Berlin 1990. Gerbet, Klaus: Carl-Hans Graf von Hardenberg. 1891–1958. Ein preußischer Konservativer in Deutschland. Berlin 1993. Gerlach, Christian: Männer des 20. Juli und der Krieg gegen die Sowjetunion. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944. Hrsg. von Hannes Heer und Klaus Naumann. Hamburg 1995, S. 427–446. Carl-Hans Graf von Hardenberg. Ein deutsches Schicksal im Widerstand. Dokumente und Auskünfte. Hrsg. von Günter Agde. Berlin 1994. Hesse, Kurt: Der Geist von Potsdam. Mainz 1967. Mühleisen, Horst: Patrioten im Widerstand. Carl-Hans Graf von Hardenbergs Erlebnisbericht. In: VfZG 41 (1993), S.419–477. Müller, Christian: Oberst i.G. Stauffenberg. Eine Biographie. Düsseldorf 1971. Scheurig, Bodo: Henning von Tresckow. Eine Biographie. 3. Aufl. Oldenburg 1973 (Taschenbuchausgabe 1990). Schlabrendorff, Fabian von: Begegnungen in fünf Jahrzehnten. Tübingen 1979 (zu Tresckow S.186–238). Schwerin, Detlef Graf von: „Dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt“. Die junge Generation im deutschen Widerstand. München 1991, Neuausgabe 1994.

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General der Artillerie Eduard Wagner Aus dem „Gentleman-Feldzug“ im Westens sei im Osten ein „Religionskrieg“ geworden, bekannte Generalquartiermeister Eduard Wagner im Herbst 1941 gegenüber seiner Frau Elisabeth. „Heilfroh“ sei er, mit diesen „ganzen politischen Dingen nichts zu tun zu haben.“1 Daß sich der General der Artillerie mit dieser Ansicht selbst etwas vormachte, hat die Forschung längst erwiesen: Wagner trug eine erhebliche Verantwortung dafür, daß die SS im Krieg gegen die UdSSR ihre Verbrechen hinter der Front begehen konnte. Doch der Generalquartiermeister gehörte zugleich auch zu den Verschwörern des 20. Juli. So treten bei Eduard Wagner die inneren Widersprüche und Konflikte der Opposition gegen die NS-Diktatur besonders deutlich zutage. Eduard Wagner wurde am 1. April 1894 in Kirchlamitz im Fichtelgebirge als Sohn eines Richters geboren. 1912 als Fahnenjunker in ein bayerisches Regiment eingetreten, beendete er den Ersten Weltkrieg als Leutnant mit mehreren Auszeichnungen. 2 1919 beteiligte er sich als Mitglied des Freikorps Epp an der Niederschlagung der Münchener Räterepublik.3 Kriegsverherrlichung, die Ablehnung des Versailler Vertrags und die Sehnsucht nach einem Diktator markierten die politische Haltung Eduard Wagners. Er begrüßte sowohl den Machtantritt Hitlers 1933 als auch die außenpolitischen Erfolge der NS-Diktatur bis 1939. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges bekannte Wagner: „Mit den Polen glauben wir rasch fertig zu werden und wir freuen uns offen gestanden darauf. Die Sache muß bereinigt werden.“4 Angesichts dieser Position ist kaum anzunehmen, daß Eduard Wagner schon dem frühen Widerstandskreis um Generalstabschef Ludwig Beck angehörte.5 Ein Umschwung trat erst nach dem Sieg über Polen ein, da Wagner das Risiko des geplanten Feldzuges gegen Frankreich und Großbritannien als zu hoch einschätzte. Er schloß sich deshalb der Militäropposition um Becks Nachfolger Franz Halder an.6 Eine Rolle spielten dabei wohl auch die Verbrechen in Polen. Wagner, seit 1937 Oberst, protestierte ebenso wie andere Offiziere vergeblich gegen den „Volkstumskampf“ der SS. Als Halder am 5. November 1939 den geplanten Staatsstreich absagte, suchte Helmut Groscurth, einer der entschiedensten Hitler-Gegner, Wagners Unterstützung.7 Doch der Oberst machte

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sich Halders Haltung später ebenfalls zu eigen, nachdem der Westen Hitlers Friedensangebot zurückgewiesen hatte.8 Daß es bei Wagners Opposition vor allem um militärische, weniger um moralisch-ethische Motive gegangen war, zeigte sich nach dem Erfolg des Westfeldzugs. Der Oberst schwenkte in der ersten einer Reihe von Positionswechseln um und wurde wieder zum Bewunderer der „ungeheuren Dynamik“ Hitlers. Auch Wagners Beförderung vom 1. August 1940 zum Generalmajor trug wohl zu dieser Wende bei. Noch 1941 bejubelte er das Feldherrn-Geschick Hitlers.9 Währenddessen bemühte sich der „ungewöhnlich leistungsfähige und schnelle Arbeiter“, die Aufgaben als Generalquartiermeister des Heeres „voller Energie und Tatendrang“ zu erledigen.10 De facto hatte Wagner das Amt schon seit Kriegsbeginn ausgeübt. Am 1. Oktober 1940 beförderte ihn Generalfeldmarschall Walter von Brauchitsch auch offiziell in diese Position. Am 3. März 1941 verkündete der OKW-Entwurf für die „Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Nr. 21“ (Fall Barbarossa) Hitlers Absicht, im Osten einen gnadenlosen Eroberungs- und Vernichtungskrieg zu führen. Ein erstes Ziel sei die Vernichtung der „jüdisch-bolschewistischen Intelligenz“.11 General Wagner wurde kurz darauf bei einer Besprechung in der Reichskanzlei von Hitler auch persönlich in diese Pläne eingeweiht.12 Als Organ für diese „Auseinandersetzung zweier Weltanschauungen“ sah Hitler in erster Linie die SS. Die Wehrmacht mußte deshalb auf ihren bisherigen Status als Inhaber der vollziehenden Gewalt in ihrem Operationsgebiet verzichten. Der Diktator erteilte den Formationen der SS zur Erledigung eines „Sonderauftrages“, wie die Mordpläne in den endgültigen Richtlinien vom 13. März 1941 umschrieben wurden, freie Hand.13 Damit wurde eine Absprache über die genaue Verteilung der Aufgaben in den Kriegsgebieten mit der SS notwendig. Wagner führte die Verhandlungen für die Wehrmacht, SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des SD, für die SS. Der General war trotz der eingeschränkten Befugnis für die Wehrmacht nicht gegen eine solche Verein barung eingestellt. Kurz darauf schrieb er: „Das Heer kann nicht mit allen Aufgaben belastet werden, daher Zusammenarbeit mit Reichsführer SS.“14 Die Verhandlungen wurden am 26. März 1941 abgeschlossen und am 28. April 1941 als „Regelung des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des SD im Verbande des Heeres“ von Feldmarschall v. Brauchitsch unterzeichnet. Das Abkommen15 beauftragte die SS-Einsatzgruppen im rückwärtigen Heeresgebiet mit der „Erforschung und Bekämpfung der staats- und reichsfeindlichen Bestrebungen, soweit sie nicht der feindlichen Wehrmacht eingegliedert sind“. Vom Heer versorgt, sollten die Kommandos „in eigener

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Verantwortlichkeit“ handeln und zu selbständigen „Exekutivmaßnahmen“ gegenüber der Bevölkerung schreiten. Diese Vereinbarung bezog sich allerdings nur auf das sogenannte rückwärtige Heeresgebiet hinter der Front. Im Raum unmittelbar im Anschluß an das Kampfgebiet waren die Aufgaben der Kommandos dagegen wesentlich eingeschränkt. Wagner schaffte es also, die SS aus den direkten Kriegshandlungen herauszuhalten. Sein Konzept ging davon aus, die Sicherungsaufgaben des Heeres auf das rückwärtige Gebiet und auf die Kontrolle der Nachschubrouten („Rollbahnen“) zu beschränken. Den Einsatzgruppen der SS blieben dafür die Gebiete „abseits der Rollbahnen“ für „grössere Aktionen“ überlassen, wie Wagners Stellvertreter, Major Hans-Georg Schmidt von Altenstadt, bei einer Offiziers-Besprechung am 19. Mai 1941 erklärte.16 Nach den Vorgaben der SS sollten die Kommandos „die Grundlage für die endgültige Beseitigung des Bolschewismus“ schaffen. Dazu gehöre die Erfassung politisch gefährlicher Persönlichkeiten: „Juden, Emigranten, Terroristen“.17 Wagner hatte so den Willen Hitlers umgesetzt, die Kommandos erhielten freie Bahn. Doch das Abkommen hatte eine weitere Konsequenz. Da es die Bekämpfung der feindlichen Truppe und ihrer Angehörigen der Wehrmacht übertrug, führte es zu ihrer direkten Verwicklung in die Mordaktionen, also zur Arbeitsteilung mit der SS im „Krieg der Weltanschauungen“. Hitler befahl in einer Ansprache am 30. März 1941 vor etwa 250 Offizieren die Ermordung der „bolschewistischen Kommissare“ in der Roten Armee. Der sogenannte ‘Kommissarbefehl’ des OKW ordnete daraufhin an: Die politischen Kommissare seien „sofort abzusondern (und) zu erledigen“.18 Als Generalquartiermeister war Wagner auch zuständig für die Versorgung der Truppe und der Kriegsgefangenen. Die Wehrmacht stieß dabei auf Schwierigkeiten, da der geplante schnelle Vormarsch den Nachschub aus dem Reich gefährdete. Die Lösung hieß in der militärischen Logik: Versorgung aus den besetzten Gebieten. Wagner legte im Februar 1941 Richtlinien für die künftige Besatzungspolitik vor, die eine „Ausnutzung des Landes (…) nach wohldurchdachtem Plan“ vorsahen. Besonders in Weißrußland sei „rücksichtslos“ vorzugehen.19 Bei einer Besprechung der Stabschefs des Ost-Heeres in Orša am 13. November 1941 unterstrich er nochmals: Die Bedürfnisse der Truppe stünden an erster Stelle. Dagegen spielte die gegnerische Bevölkerung vor allem der Großstädte keine Rolle. Wagner: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß insbesondere Leningrad verhungern muß.“20 Die Konsequenzen dieser Politik der Aushungerung zeigten sich insbesondere bei den Kriegsgefangenen. Eine „vorausschauende“ Bearbeitung dieser Frage, die ein Apologet für Wagner in Anspruch nehmen wollte,21 war nur dann vorhanden, wenn das OKW von vornherein allein ein Ziel

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kannte: den Tod vor allem der arbeitsunfähigen Kriegsgefangenen. Fast 60 Prozent der über 3,3 Millionen sowjetischen Gefangenen des Jahres 1941 starben bis 1. Februar 1942 an mangelhafter Ernährung und schlechter Unterbringung.22 Wagner berief sich bei den geringen Essenszuteilungen an die Gefangenen auf eine „ungeheuerlich“ angespannte Ernährungslage. Im Oktober 1941 ordnete er an, die Rationen vor allem für nichtarbeitende Gefangene drastisch herabzusetzen, etwa an Fett um 36 und an Kartoffeln um 44 Prozent.23 Daß er damit ein klares Ziel vor Augen hatte, machte der General ebenfalls in Orša klar: „Nichtarbeitende Kriegsgefangene in den Gefangenenlagern haben zu verhungern.“ Arbeitende Gefangene dürften nur „im Einzelfalle“ aus Heeresbeständen ernährt werden.24 Erst am 26. November 1941 erhöhte Wagner die Rationen. Das Sterben aber war jetzt nicht mehr zu stoppen.25 Wagner war bereit, für den schnellen Sieg der deutschen Truppen Humanität und die Haager Landkriegsordnung außer acht zu lassen. Er ist somit ein Beispiel für diejenigen Generäle, die aufgrund ihres übersteigerten Nationalismus und Rassismus mit den Zielen der Nationalsozialisten übereinstimmten und ihnen deshalb bei ihren Verbrechen willig folgten. Der Generalquartiermeister entwickelte sich erst dann zum entschiedenen Gegner Hitlers, als sich die Niederlage Deutschlands abzeichnete. Im Juni 1942 kamen Wagner erste Zweifel an Hitlers ‘Feldherrengenie’, nachdem der Diktator die deutschen Armeen an der südlichen Ostfront aufgeteilt hatte, um gleichzeitig Stalingrad und die kaukasischen Ölfelder zu erobern. Bei Lagebesprechungen häuften sich deshalb Zusammenstöße zwischen Wagner und Hitler. Spätestens seit 1943 erwog der Generalquartiermeister seinen Rücktritt.26 Lockere Kontakte zum Widerstand bestanden seit 1942. Henning von Tresckow, einer der wichtigsten Verschwörer, zählte Wagner aber noch im Frühjahr 1943 zu denjenigen Generälen, die nicht dazu bereit seien, „Hitler aus dem Sattel zu heben“. 27 Tatsächlich stellte Wagner noch im Februar 1944 zusammen mit General Hellmuth Stieff die Unterstützung der Verschwörung ein. Sie befürchteten, daß ein Anschlag den gesamten militärischen Führungsapparat lahmlegen könnte. Dieses erneute Wechselspiel führte erst im Juni 1944 zur „entschieden(en)“ Absicht Wagners, den Krieg zu beenden, wie Stieff später gegenüber der Gestapo offenbarte. Ausschlaggebend sei der drohende Einmarsch der Roten Armee in das Reichsgebiet gewesen, den der Generalquartiermeister als „den absoluten Untergang“ betrachtete. Seiner Absicht, die Invasion durch Verhandlungen abzuwenden, habe Hitler im Weg gestanden.28 Danach zählte Wagner zu den wichtigsten Wegbereitern des Attentats

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gegen den Diktator und zum engeren Kreis der Verschwörer. Bei einer Besprechung mit den Generälen Lindemann, Stieff und Fellgiebel am 3. Juli in Berchtesgaden drängte er am stärksten auf „ein baldiges gewaltsames Vorgehen“ gegen Hitler.29 Am 20. Juli stellte Wagner dem Attentäter Stauffenberg dann auch ein Flugzeug für den Rückflug vom „Führerhauptquartier“ nach Berlin zur Verfügung. Nach dem Fehlschlag zog er sich allerdings sofort von den weiteren Bemühungen um den Staatsstreich zurück.30 „Um seiner bevorstehenden Verhaftung zu entgehen“, wie der SD später meldete, erschoß sich Eduard Wagner am 23. Juli 1944 um 12.41 Uhr.31

Anmerkungen 1 BA-MA Freiburg, N 510/32: Briefe an Elisabeth Wagner vom 20. 9. und 21. 10. 1941. 2 Der Generalquartiermeister, S.19. 3 Ebenda, S.27 und 29 (Zitat). 4 Ebenda, S.82, 91, 93, 109 (Zitat, Hervorhebung im Original). 5 Krausnick, Vorgeschichte und Beginn des militärischen Widerstandes, S.340. 6 Der Generalquartiermeister, S.141 ff., 148 ff. 7 Groscurth, Tagebücher eines Abwehroffiziers, S. 209, 225 und 277. 8 Der Generalquartiermeister, S.117 und 150. 9 Ebenda, S.182 (Zitat), 195 und 204. 10 BA-MA Freiburg, N 510/37: Beurteilungen vom 11. 4. 1941 und 1. 5. 1942 (Kopien). 11 Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, 3. März 1941, S. 340 ff., zit. nach: Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 19. 12 Halder, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 320 (Eintrag vom 17. März 1941). 13 Ebenda, Bd. 2, S.311 (Eintrag vom 13. März 1941). 14 BA-MA Freiburg, RH 2/169: Punkte für die Besprechung mit den Chefs der Generalstäbe am 4. und 5. 6. 1941, Bl. 62–65, zit. nach: Ogorreck, Einsatzgruppen, S.27. 15 BA-MA Freiburg, RH 22/155. 16 BA-MA Freiburg, NOKW 486: Besprechung Ic-Offiziere vom 19. 5. 1941; vgl. Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 42 f. 17 Ausführungen von Standartenführer Nockemann, dem Leiter des Amtes II im RSHA, bei der Besprechung vom 6. Juni 1941 mit Offizieren des Heeres und Vertretern der Sicherheitspolizei. Auch Wagner war zugegen. Zitiert nach: Ogorreck, Einsatzgruppen, S.43. 18 Ogorreck, Einsatzgruppen, S.38 f.; Jacobsen, Kommissarbefehl, S.225f. 19 BA-MA Freiburg, RH 3/132: Anordnungen über militärische Hoheitsrechte, Sicherung und Verwaltung im rückwärtigen Gebiet und Kriegsgefangenenwesen, Februar 1941, Bl. 78f., zitiert nach: Gerlach, Wirtschaftsinteressen, S.269f. 20 BA-MA Freiburg, NOKW 1535.

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Rücker, Die Vorbereitungen, S. 314. Streit, Keine Kameraden, S. 136; BA-MA Freiburg, RH 22/284: Besprechung beim Generalquartiermeister, 17./18. 4. 1942. 23 Streit, Keine Kameraden, S, 142 und 173 f. 24 BA-MA Freiburg, NOKW 1535. 25 BA-MA Freiburg, RH 22/92: Besprechung vom 16. 6. 1942, S.46f. 26 Der Generalquartiermeister, S. 220 f.; BA-MA Freiburg, N 510/44: Eidesstatt liche Versicherung von Max Wolf Eckert (ehemaliger Adjutant Wagners) vom 22. 6. 1961. 27 Schwerin, Die Jungen des 20. Juli 1944, S. 121, 192. 28 Spiegelbild einer Verschwörung, S.90 f. 29 Ebenda, S.91 und 125. 30 Hoffmann, Widerstand, Staatsstreich, Attentat, S. 520 f.; BA-MA Freiburg, N 510/82: Erklärung von Graf von Kanitz (ehemaliger Adjutant Wagners) v. 14. 4. 1964. 31 BA-MA Freiburg, N 510/59: Zeuge Gartmayr (Mitarbeiter Wagners) an Elisabeth Wagner, 17. 10. 1961; Der Generalquartiermeister, S. 240f.; Spiegelbild einer Verschwörung, S.33. 21

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, N 510: Nachlaß Wagner; RH 3: OKH/Generalquartiermeister; Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München, ED 95: Eduard Wagner, „Der Verlauf des 20. Juli“ (Manuskript). Gedruckte Quellen und Literatur Der Generalquartiermeister: Briefe und Tagebuchaufzeichnungen des Generalquartiermeisters des Heeres, General Eduard Wagner. Hrsg. von Elisabeth Wagner. München 1963. Gerlach, Christian, Deutsche Wirtschaftsinteressen, Besatzungspolitik und der Mord an den Juden in Weißrußland 1941–1943. In: Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939–1945. Hrsg. v. Ulrich Herbert. Frankfurt a.M. 1998, S.263–291. Jacobsen, Hans-Adolf: Kommissarbefehl und Massenexekutionen sowjetischer Kriegsgefangener. Dokumente 2 und 3. In: Hans Buchheim u. a.: Anatomie des SSStaates Bd. 2. Freiburg 1965, S.137–232. Krausnick, Helmut: Vorgeschichte und Beginn des militärischen Widerstandes gegen Hitler. In: Die Vollmacht des Gewissens. Hrsg. v. d. Europäischen Publikation e.V., Bd.1., Frankfurt a.M./München 1956, S. 177–384. Ogorreck, Ralf: Die Einsatzgruppen und die „Genesis der Endlösung“. Berlin 1996. Rücker, Wilhelm von: Die Vorbereitungen für den Feldzug gegen Rußland. In: Der Generalquartiermeister (siehe oben), S.313–319. Schwerin, Detlef Graf von: Die Jungen des 20. Juli 1944. Berlin 1991.

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„Spiegelbild einer Verschwörung“: Die Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der SD-Berichterstattung. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt. Hrsg. von Hans-Adolf Jacobsen. Stuttgart 1984.

Horst Mühleisen

General der Artillerie Walter Warlimont Walter Warlimonts Laufbahn war außergewöhnlich. Er war ein hochbegabter, sehr ehrgeiziger Offizier, der von 1939 bis 1944 in der Zentrale der Wehrmacht arbeitete, dessen Name aber mit verbrecherischen Befehlen verbunden ist. Er wurde am 3. Oktober 1894 in Osnabrück als Sohn des Verlagsbuchhändlers und Antiquars Louis Warlimont, dessen Familie wallonischer Herkunft ist und aus Eupen eingewandert war, und seiner Frau Anna geborene Rinck geboren. Warlimont legte das Abitur ab und trat am 17. Februar 1913 in das Fußartillerie-Regiment 10 in Straßburg (Elsaß) ein. Im Juni 1914 zum Leutnant ernannt, war er im Weltkrieg Batteriechef im Westen und an der Isonzofront in Italien. Das Kriegsende erlebte er in Lothringen. Er gehörte danach dem Freikorps Maercker an und wurde im Herbst 1919 in die Reichswehr übernommen und im Oktober 1925, nachdem er die Führergehilfen-Prüfung abgelegt hatte, in das Reichswehrministerium versetzt. 1927 heiratete er Anita Freiin von Kleydorff (1899–1987); zwei Töchter und ein Sohn gingen aus der Ehe hervor. Der Chef der Heeresleitung, Generaloberst Heye, kommandierte War limont im Mai 1929 in die Vereinigten Staaten, um die wirtschaftliche Mobilmachung des amerikanischen Heeres zu studieren. Dieser einjährige Aufenthalt prägte ihn; sein Gesichtskreis weitete sich. Danach verlief Warlimonts Laufbahn in stetem Wechsel von Stabs- und Truppendienst. Von August bis Dezember 1936 vertrat er den Reichskriegsminister bei Franco in Spanien und führte bis Oktober 1937 die II. Abteilung des ArtillerieRegiments 34 in Trier, um danach bis Ende März 1938 das Artillerie-Regiment 26 in Düsseldorf zu kommandieren. Im selben Monat erfolgte Warlimonts Kommandierung in das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) zur Abteilung Landesverteidigung (L), die Oberst i. G. Jodl leitete, ein Offizier, über den Warlimont Jahre später schreibt, er sei ihm „immer wesensfremd geblieben“1. Nachdem Jodl im Herbst 1938 Artillerie-Kommandeur in Wien geworden war, wurde Warlimont am 10. November dessen Nachfolger; gleichzeitig übernahm der junge Oberst die Geschäfte des Chefs der Amtsgruppe Führungsstab. Im Sommer 1939 verschärfte sich die Polenkrise, und Keitel, der Chef des OKW, rief Jodl als Chef des Wehrmacht-Führungsamtes zurück. Am 24. August notiert Oberst i. G. Wagner, der Chef des Generalstabes des Generalquartiermeisters: „Jodl ist beim OKW wieder eingetroffen, sehr zum

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Mißvergnügen von Warlimont.“2 Immer mehr entwickelte sich dieses Amt, das am 8. August 1940 in Wehrmachtführungsstab (WFSt) umbenannt wur de, zu Hitlers militärischem Arbeitsstab. Mit Warlimont, der im Kriege vom Generalmajor zum General der Artillerie aufstieg, sind zwei Befehle verbunden, die vom Oberkommando des Heeres ausgegangen und dem OKW/WFSt zugeleitet worden waren: der „Erlaß über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet ‘Barbarossa’ und über besondere Maßnahmen der Truppe“ vom 14. Mai 1941 und, drei Wochen später, die „Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare“ vom 6. Juni. Es waren Befehle, die eindeutig gegen das Landkriegsvölkerrecht verstießen und Hitlers Absicht, einen brutalen Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen den Bolschewismus zu führen, offenbarten. Warlimonts Abteilung Landesverteidigung war maßgeblich beteiligt gewesen, den Gerichtsbarkeitserlaß ‘Barbarossa’ auszuarbeiten. Und er hatte am 12. Mai eine Vortragnotiz verfaßt, die in die Endfassung des Kommissarbefehls aufgenommen wurde, vorerst zivile politische Kommissare „unbehelligt“ zu lassen, „die sich keiner feindlichen Handlung schuldig machen“.3 Damit waren Generale, auch der Oberbefehlshaber und der Chef des Generalstabes des Heeres, die in der Tradition der Alten Armee aufgewachsen waren, zu willfährigen Handlangern Hitlers geworden, sie hatten geschwiegen und versucht, sich gegenseitig in ihrem bürokratischen Eifer, der ein verbrecherischer war, zu übertreffen. Ehre, Ritterlichkeit und Anständigkeit waren hinweggefegt worden. Jetzt war der Damm gebrochen. „Erkenne die Lage!“ Gottfried Benns Wort galt auch für Walter Warlimont. Aber vermochte er sie im Führerhauptquartier, in der „windstillen Mitte des Taifuns“, um Felix Hartlaubs Bild aufzugreifen, überhaupt zu erkennen? Denn dies war eine Scheinwelt, in der Warlimont, seit 1. Januar 1942 Stellvertretender Chef des Wehrmachtführungsstabes, Dienst tat. Zum 1. März 1944 gab Jodl seine Beurteilung über Warlimont ab. Sie lautet: „Hat sich von Jahr zu Jahr immer besser entwickelt; neben seinen schon immer hervorstechenden geistigen Eigenschaften, seinem Weitblick und seinen umfassenden Kenntnissen und Erfahrungen hat sich auch seine nationalsozialistische Grundhaltung stark ausgeprägt. […] Als mein Stellvertreter und Leiter des gesamten Stabes für mich von unersetzlichem Wert.“ In die Rubrik ‘Starke Seiten’ schrieb der Vorgesetzte: „Besondere Klugheit, Gewandtheit, Organisationsgabe.“ Und bei ‘Schwache Seiten’: „Seines Wertes bewußt, denkt er viel an sich.“ Des Generalobersten ‘Zusammenfassendes Urteil’ lautete: „Überragend“ und fügte hinzu: „Durch Führerbefehl an die jetzige Stellung gebunden.“4 Diese Aussage macht deutlich, daß Hitler Warlimont sehr schätzte. Vier Tage später, am 5. März, wurde Oberstleutnant d. G. Karl Christian

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Kleyser in den Wehrmachtführungsstab versetzt und der Operationsabteilung zugewiesen. Rückblickend sagte Kleyser über Warlimont, er sei eitel gewesen, wollte, daß man ihn anerkennt. Immer hatte Kleyser den Eindruck, daß Warlimont sein Wissen wie auf einem Silbertablett vor sich hertrug und betonte, Jodls Stellvertreter sei „der absolute Bürogeneral“ gewesen, der alle Vorgänge sehen wollte, im Dienstbetrieb sehr beherrscht, mehr Diplomat als Offizier; doch habe er seine Generalstabsoffiziere selbständig arbeiten lassen und sei nicht bösartig gewesen.5 Am 20. Juli 1944 nahm Warlimont an der Lagebesprechung im Hauptquartier „Wolfschanze“ in Ostpreußen teil, als Stauffenbergs Bombe explodierte. Er hatte, so schien es, abgesehen von Prellungen, keine ernsthaften gesundheitlichen Schäden erlitten. Warlimont versah weiter seinen Dienst, bis der behandelnde Arzt eine Gehirnerschütterung feststellte. Am 6. September schied Warlimont aus und „war sehr traurig, daß sein Posten neu besetzt werde!“6. Das Heerespersonalamt versetzte ihn am 15. November 1944 zur Führerreserve des OKW. Warlimont kehrte zu seiner Familie nach Dürnbach-Finsterwald am Tegernsee zurück und ließ sich von KZ-Häftlingen einen privaten Luftschutzstollen in der Nähe seines Hauses, Am Ackerberg, bauen. Mitte Dezember bat er den Reichsführer-SS, Himmler, „die Häftlinge nach dem demnächstigen Abschluß dieses Baues noch eine Zeitlang der Gemeinde Gmund zu belassen. Bürgermeister Hiltl, mit dem ich in enger Verbindung stehe, wäre dann zu seiner großen Freude in die Lage versetzt, auch in der Mitte der Ortschaft, am hohen Ufer der Mangfall, einen Stollen zu bauen und damit allen hiesigen Volksgenossen gleichmäßige Sicherheit zu bieten.“ Himmler stimmte Warlimonts Bitte zu. War dieser indes so uneigennützig, wie er vorgab? Oder wußte er, der geschulte Generalstabsoffizier, erfahren in Beurteilungen von Lagen, daß das Ende des Krieges bevorstand, um danach auf seine vermeintlichen Dienste verweisen zu können? War es nur eine vorausschauende Maßnahme? Den Anlaß, Himmler zu schreiben, benutzte er auch, „um Ihnen, sehr verehrter Herr Reichsführer, die aufrichtigsten Wünsche zum neuen Jahr zu übermitteln und damit noch die Meldung zu verbinden, daß ich erwarten kann, im Laufe des Januar [1945] endlich wieder dienstfähig zu werden“7. Alle Bekundungen Warlimonts, die er über sein Ausscheiden aus dem Wehrmachtführungsstabe machte, sei es in Verhören, sei es in seinem Bericht, den er 1962 veröffentlichte, treffen nicht zu. Nicht belegt sind auch Warlimonts Behauptungen, er habe durch den Bau des Stollens das Leben dieser KZ-Häftlinge gerettet und habe sich 1945 eingesetzt, die MangfallBrücke bei Gmund nicht zu sprengen. Auch will er den Kommandierenden General bewogen haben, die Kämpfe einzustellen und den Ort Tegernsee

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nicht zu verteidigen, sondern zur Lazarettstadt zu erklären, um die Verwundeten zu schützen.8 Amerikanische Soldaten verhafteten Warlimont im Mai 1945 in Dürnbach und brachten ihn nach Mondorf in Luxemburg. Im November befand er sich in Nürnberg, wo er seine ehemaligen Vorgesetzten, Keitel und Jodl, die zu den Hauptangeklagten gehörten, wiedertraf. Er war Mitverfasser der Denkschrift „Das Deutsche Heer von 1920–1945“, eines sehr apologetischen Memorandums, das alle Schuld auf Hitler schob.9 Die alliierte Anklagebehörde war so beeindruckt, daß sie den Generalstab und das OKW nicht zur „verbrecherischen Organisation“ erklärte. Warlimont, dessen Selbstwertgefühl ungebrochen war und der sich immer noch „General der Artillerie“ nannte, dachte auch nach der Kapitulation nicht über das Regime nach, dem er vorbehaltlos und gläubig gedient hatte. Nach Jodls Hinrichtung mußte Warlimont damit rechnen, daß auch gegen ihn ein Prozeß eröffnet wird. Daher bat er im März 1947 Paul Leverkuehn, einen angesehenen Rechtsanwalt, den er 1929 in den Vereinigten Staaten kennengelernt hatte, ihn zu verteidigen. Leverkuehn entsprach dieser Bitte. Dieser Prozeß, bekannt als Nürnberger OKW-Prozeß (Fall XII), war die letzte große Verhandlung vor dem amerikanischen Militärtribunal V und dauerte vom 5. Februar bis 28. Oktober 1948. 14 Angeklagte, darunter drei Generalfeldmarschälle, mußten sich verantworten. Das Gericht verhandelte gegen Warlimont, den ehemaligen Chef der Abteilung Landesverteidigung und Stellvertretenden Chef des Wehrmachtführungsstabes, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, begangen durch Mitwirkung 1. bei dem Entwurf des von Keitel am 13. Mai 1941 erlassenen Gerichtsbarkeitserlaß’ ‘Barbarossa’, der die Tötung feindlicher Zivilpersonen bei Straftaten gegen die Wehrmacht anordnete und Straftaten von Wehrmachtsangehörigen gegen feindliche Zivilpersonen vom Verfolgungszwang ausnahm, 2. bei dem Entwurf des von Hitler am 6. Juni 1941 erlassenen Kommissarbefehls, der anordnete, kriegsgefangene russische Kommissare sofort zu töten, 3. bei dem Entwurf des von Keitel am 16. September 1941 erlassenen Befehls, um die kommunistische Aufstandsbewegung in den besetzten Gebieten zu bekämpfen, der als Sühne für die Tötung eines deutschen Soldaten anordnete, fünfzig bis hundert Kommunisten zu töten, 4. bei dem Entwurf und der Ausführung des von Hitler am 10. Oktober 1942 erlassenen Kommandobefehls, der anordnete, Angehörige gegnerischer Kommandounternehmen im Kampf oder auf der Flucht sofort zu töten,

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5. bei dem Entwurf eines Planes, um die Lynchjustiz an alliierten Fliegern (Verhinderung von Maßnahmen der Polizei, Justiz und Wehrmacht bei Lynchungen notgelandeter oder abgesprungener alliierter Flieger durch die Zivilbevölkerung) zu fördern, 6. bei der Verschleppung und Versklavung von Zivilisten. Das Gericht erklärte Warlimont für überführt, an der Ausarbeitung dieser Befehle maßgeblich beteiligt gewesen zu sein und verurteilte ihn am 27./28. Oktober 1948 zu lebenslanger Haft. Man brachte ihn, wie die übrigen Verurteilten, in das Gefängnis Landsberg am Lech, wo er sich mit militärgeschichtlichen Studien befassen konnte. Leverkuehn ließ nichts unversucht, eine Begnadigung zu erreichen. Indes war es John J. McCloy, der amerikanische Hochkommissar, der am 31. Januar 1951 seine Entscheidung bekanntgab, neunundachtzig deutsche Kriegsverbrecher zu begnadigen. Seit langem war er bereit gewesen, die Fälle zu überprüfen, um Gerechtigkeit wie Gnade walten zu lassen. Warlimonts Strafe setzte er auf achtzehn Jahre herab. Drei Jahre danach, Anfang Juni 1954, wurde Walter Warlimont entlassen. Nach seiner Entlassung wohnte er in Rottach-Egern und veröffentlichte kriegsgeschichtliche Arbeiten. 1962 legte er seinen Bericht ‘Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 1939–1945’ vor, keine Erinnerungen, sondern eine Analyse der deutschen Operationen im Zweiten Weltkrieg und ihrer Planungen. Ende Juli desselben Jahres zog Warlimont nach Gmund am Tegernsee. Wie Halder führte er eine umfassende Korrespondenz mit Historikern, denen er bereitwillig Auskünfte erteilte, um sie zu beeinflussen. Wiederholt gab er für Fernsehsendungen Interviews, in denen er über seine Erlebnisse berichtete. Niemals aber erwähnte Warlimont seine persönliche Schuld, seine Verstrickung, an verbrecherischen Befehlen mitgewirkt zu haben. War es Verdrängung? Walter Warlimont starb am 9. Oktober 1976 in Kreuth/ Oberbayern. Anmerkungen 1 BA Koblenz, Nachlaß Greiner NL 33/24, fol. 25: Aufzeichnung Warlimonts ‘Polen 1939’ vom 25. 9. 1945. 2 Der Generalquartiermeister, hrsg. v. Elisabeth Wagner, S. 93. 3 Diese Vortragsnotiz vom 12. 5. 1941 ist abgedruckt in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher (IMT), Bd. XXVI, S. 406–408 (Dokument PS-884). 4 BA-MA Freiburg, Personalakte Warlimont, Pers 6/387, fol. 50rv; Beurteilung Jodls vom 1. 3. 1944; vgl. auch die Beurteilung vom 28. 3. 1943 zum 1. 4. 1943, ebenda, fol. 48r. 5 Tel. Mitteilungen des Generalmajors (Bw) a. D. Kleyser am 27. 6. und 2. 9. 1995. 6 BA-MA Freiburg, Nachlaß Keitel N 54/35: Randnotiz Keitels zu Warlimonts Aussage in dem Vernehmungs-Protokoll vom 13. 11. 1945, S. 9.

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BA Berlin NS 19/723: Warlimont an Himmler, 18. 12. 1944. BA Koblenz, All. Proz. 3, Leverkuehn 1, fol. 9r: Notiz von Dr. Werner Knieper, Leverkuehns Mitarbeiter, 4. 2. 1947; Warlimont an Dr. Knieper. Nürnberg, 3. 3. 1947, ebenda, fol. 80r. 9 Die Denkschrift ist datiert: Nürnberg, 19. 11. 1945; vgl. Westphal, Der deutsche Generalstab, S. 28–87. 7 8

Bibliographische Hinweise Ungedruckte Quellen: BA-MA Freiburg: Personalakte, Pers 6/387; ebenda, einige Nachlässe (Wilhelm Keitel: N 54/35, Detlev Rudelsdorff: N 113/3, Wolfgang Foerster: N 121/9, Enno von Rintelen: N 433/24, Walter Görlitz: N 735/3, 15) enthalten Unterlagen zur Biographie; ferner MSg 2/5078 Aufzeichnung v. 24. Juli 1945 (VII Armée U. S. 2e Bureau: Centre d’interrogation de la VII Armée. Rapports d’interrogations de haute personalités allemandes 1945: Resumé des campagnes allemandes, depuis 1939 jusqu’au mois de Septembre 1943 par le GendArt Walter Warlimont); BA Koblenz: Nachlaß Helmuth Greiner, NL 33, insbes. Band 24 und 25; ebenda, Bestand Alliierte Prozesse 1–3, darin All. Proz. 2/SIM/11: Vernehmungen Warlimonts durch Harold C. Deutsch im September 1945; BA Berlin NS 19/723: Persönlicher Stab Reichsführer-SS; Staatsarchiv Nürnberg: Materialien des Nürnberger OKW-Prozesses Rep. 501 KV-Prozesse Fall 12 A-74-83: Verhöre in den Sitzungen 21. 6.–2. 7. 1948; Rep. 501 KV-Prozesse Fall 12 0-1-23: Anklage- und Verteidigungsdokumente, Schriftsätze und Plädoyer; Rep. 501 KV-Prozesse Fall 12-Q-1; Urteil, Rep 502-KVAnklage Interrogations W-24: Urteil, Verhöre Warlimonts; Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München: ZS 312 Zeugenschrifttum Warlimont; Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg: Akten über Warlimont. Gedruckte Quellen und Literatur Feuersenger, Marianne: Mein Kriegstagebuch. Zwischen Führerhauptquartier und Berliner Wirklichkeit. Freiburg 1982. Görlitz, Walter: Keitel, Jodl and Warlimont. In: Hitler’s Generals. Ed. by Corelli Barnett. London 1989, S. 139–171. Schulz, Alfons: Drei Jahre in der Nachrichtenzentrale des Führerhauptquartiers. Stein am Rhein 1996, S. 39–55.

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Generalfeldmarschall Maximilian Freiherr von und zu Weichs an der Glon Am 12. November 1881 als Sohn eines anhaltischen Oberstallmeisters in Dessau geboren, zog Weichs nach dem frühen Tode des Vaters 1895 mit seiner aus München stammenden Mutter in die bayerische Hauptstadt, wo er 1900 am Wilhelm-Gymnasium die Reifeprüfung bestand.1 Im bayerischen 2. Schweren Reiter-Regiment wurde er 1902 zum Leutnant befördert und war zeitweise Adjutant dieses Regiments. Nach Absolvierung der bayerischen Kriegsakademie (1910–1913) fand er in der Zentralstelle des Generalstabes in München Verwendung. Im März 1914 wurde er zum Rittmeister befördert. Den Ersten Weltkrieg erlebte er als Ordonnanzoffizier, Brigadeadjutant und Generalstabsoffizier in mehreren an der Westfront eingesetzten Kommandobehörden. Nach Kriegsende war er im Reichsheer u. a. Taktiklehrer an der Infanterieschule (1925), Kommandeur des 18. ReiterRegiments in Stuttgart-Cannstatt (1928) und Chef des Stabes der 1. Kavallerie-Division in Frankfurt/Oder (1930). 1923 erhielt Weichs ein Majorspatent von 1921, 1928 wurde er Oberstleutnant und 1930 Oberst. Er genoß „als stiller Mann (…) größte Autorität“2. Bei seiner Ernennung zum Infanterieführer III in Potsdam am 1. Februar 1933 legte der Chef der Heeresleitung, General Frhr. von HammersteinEquord, Weichs nahe, „in geeigneter Weise der politischen Anfälligkeit des Potsdamer Offizierkorps entgegenzutreten“3. Anfang März 1933 begegnete Weichs Hitler, als dieser sich vor der Reichstagseröffnung mit den Örtlichkeiten der Potsdamer Garnisonskirche vertraut machen wollte. Aus Hitlers Äußerungen „ergab sich klar, daß der Reichstag (…) kein Parlament im eigentlichen Sinne sein werde“4. Im April 1933 zum Generalmajor befördert, wurde Weichs ein halbes Jahr später zum Kommandeur der 3. Kavallerie-Division in Weimar ernannt, die 1934 zu einer motorisierten und 1935 zu einer Panzerdivision umgerüstet wurde, nachdem Weichs eine vierwöchige Übung mit einer „Übungs-Panzerdivision“ im Munsterlager geleitet hatte. Ziel dieser Übung war es, „die Möglichkeiten der Führung großer Panzerverbände in schneller Bewegung und im Kampf sowie im Zusammenwirken mit den Ergänzungswaffen unter Beweis zu stellen“5. Den Aufbau der 1. Panzerdivision leitete Weichs, der 1935 zum Generalleutnant und 1936

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zum General der Kavallerie befördert wurde, „bei persönlicher Bescheidenheit (…) sicher und mit dem Blick für das Wesentliche“; er galt als „Grandseigneur“6. Wie die Offiziere aus der kaiserlichen Zeit „wenig dazu erzogen (waren), einen klaren Blick für die politischen Verhältnisse zu haben“7, suchte Weichs den Nationalsozialismus nicht vom Gedankengut der NSDAP her zu verstehen, sondern die „seelische Haltung“ des Heeres als den Grundpfeiler für nationalsozialistisches Denken herauszustellen, indem „das in der Wehrmacht neu entstandene Volksheer deutsches Wesen und deutsche Art dem ganzen Volk“ vorleben solle.8 Weichs’ besondere Verfügung zur „Erziehung der Offizierkorps“ vom 2. März 1937 fand die „volle Zustimmung“ des Oberbefehlshabers des Heeres 9 und dürfte weitgehend dem damaligen Denken des aus dem Reichsheer stammenden höheren Offizierkorps entsprochen haben. Nachdem Weichs 1936 bereits fünf Monate stellvertretend die Führung des VII. Armeekorps in München innegehabt hatte und dort mit den verschiedenen gegeneinander ringenden Parteigrößen10 konfrontiert worden war, wurde er am 1. Oktober 1937 zum Kommandierenden General des XIII. Armeekorps in Nürnberg ernannt. Seiner Zurückhaltung und Klugheit war es zu danken, daß es zu keinen Konflikten zwischen ihm und dem berüchtigten „Frankenführer“ und NSDAP-Gauleiter Julius Streicher kam.11 Mit seinem Korps war Weichs am Einmarsch in Österreich im März 1938, an der Inbesitznahme des Sudetenlandes im Herbst 1938 und an der Besetzung der Resttschechei im März 1939 beteiligt. Im Polenfeldzug der 8. Armee unter General Blaskowitz unterstellt, war das XIII. Armeekorps an der Einnahme von Lodz, den Kämpfen an der Bzura und der Belagerung von Warschau beteiligt.12 Am 20. Oktober zum Oberbefehlshaber der 2. Armee ernannt, wurde diese Armee während des Westfeldzuges zunächst in Reserve gehalten, um in der zweiten Phase ab Juni 1940 den Übergang über die Aisne zu erzwingen und bis Nevers vorzustoßen.13 Nach dem Feldzug zeichnete Hitler Weichs mit dem Ritterkreuz aus und beförderte ihn am 19. Juli 1940 zum Generaloberst. Im Anschluß leitete Weichs ab September 1940 von München aus die Ausbildung von vier Generalkommandos mit 19 Divisionen, die entweder motorisiert oder neu aufgestellt wurden. Im April 1941 erhielt Weichs nach Hitlers Entschluß, Jugoslawien „so rasch als möglich“ zu zerschlagen,14 ohne operative Vorbereitungen den Auftrag, mit den seinem Armeeoberkommando zugeführten, von der Steiermark und Westungarn her operierenden Verbänden Jugoslawien zu besetzen und bis Belgrad vorzudringen. Am 17. April 1941 konnte Weichs dann auch in Belgrad die Kapitulation der jugoslawischen Armee entgegennehmen.15

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Am 22. Juni 1941 – dem Beginn des Unternehmens „Barbarossa“ gegen die Sowjetunion – der Heeresgruppe Mitte unter Feldmarschall von Bock unterstellt, übernahm Weichs am 3. Juli den Befehl über die bisher der 4. Armee zugehörigen Verbände, erreichte mit ihnen die Beresina und sicherte während des weiteren Vormarsches die rechte Flanke der Heeresgruppe. Die Ausführung des umstrittenen „Kommissarbefehls“ suchten die Oberbefehlshaber im Bereich der Heeresgruppe Mitte (von Bock, von Kluge, von Weichs, Guderian) dadurch zu umgehen, daß sie seine Ausführung für „nicht erwünscht“ erklärten.16 Aufgrund von Hitlers Eingreifen in die Operationsplanung der Heeresführung drehten Weichs’ 2. Armee und Guderians Panzergruppe 2 Ende August 1941 nach Süden ab, um die im Raum Kiev befindlichen sowjetischen Kräfte einzukesseln. Nach Rückkehr von diesem Unternehmen mußte die Heeresgruppe Mitte ihre gegen Moskau gerichteten Operationen ab Oktober 1941 unter erschwerten Wetterbedingungen fortsetzen, wobei die 2. Armee wieder den rechten Flügel bildete, an den Kämpfen um die Brjansker Kessel beteiligt war und Kursk einnahm. Mitte November erkrankte Weichs und wurde als Armeeoberbefehlshaber zwei Monate durch General Rudolf Schmidt vertreten.17 Nach seiner Genesung übernahm Weichs am 15. Januar 1942 wieder die Führung der 2. Armee, die am gleichen Tag der Heeresgruppe Süd unterstellt wurde. Schwere Kämpfe hatte die Armee während des harten Winters bei Schtschigry zu bestehen. Dabei machten sich Abnutzungserscheinungen auf allen Gebieten bemerkbar. Insbesondere wies Weichs auf die trostlose Kraftfahrzeuglage seiner Armee hin.18 Während des ganzen Winters wirkte sich das „Partisanenunwesen im rückwärtigen Gebiet der 2. Armee (…) unangenehm“ aus.19 Für die neuen Operationen des Sommerfeldzuges 1942 wurde am 4. Juni die „Armeegruppe v. Weichs“ gebildet, zu der außer der 2. Armee die 4. Panzerarmee unter Generaloberst Hoth und die 2. unga rische Armee unter Generaloberst Jany gehörten. Weichs’ Armeegruppe stieß bis Voronež vor. Während der Operationen kam es schon bald zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der obersten Führung und der Heeresgruppe Süd (ab 7. Juli Heeresgruppe B). Während Feldmarschall von Bock den Vorschlägen von Weichs, die aus seinen die regionalen Verhältnisse berücksichtigenden Lagebeurteilungen hervorgingen, weitgehend entsprach, drang Hitler darauf, mit den schnellen Verbänden zügig Raum zu gewinnen. Die angebliche Führungsschwäche Bocks veranlaßte Hitler, diesen am 15. Juli abzulösen und Weichs die Führung der Heeresgruppe B zu übertragen. Unter seiner Führung stießen die 6. Armee unter General Paulus und die 4. Panzerarmee auf Stalingrad vor, während der Schutz der weit gedehnten Nord- und Südflanken den vier verbündeten rumänischen, italienischen und ungarischen

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Armeen, die für den Kampf gegen Panzer ungenügend ausgerüstet waren, sowie am linken Flügel der deutschen 2. Armee anvertraut wurde. Infolge der ungenügenden Panzerabwehrkraft der verbündeten Armeen und der Unterschätzung der sowjetischen Streitkräfte durch Hitler, den Generalstab des Heeres und die Frontbefehlsstellen gelang der von der Roten Armee am 19. November 1942 begonnene Zangenangriff gegen die beiden nordwestlich und südlich von Stalingrad eingesetzten rumänischen Armeen. Die danach erfolgte Einschließung der 6. Armee veranlaßte Weichs, nach Rücksprache mit dem Oberbefehlshaber der Luftflotte 4, Generaloberst Freiherr von Richthofen, Hitler die Aufgabe von Stalingrad, den Ausbruch der 6. Armee und die Bildung einer neuen Front vorzuschlagen. Dieser Vorschlag wurde vom Chef des Generalstabes des Heeres, General Zeitzler, lebhaft unterstützt. Doch Hitler lehnte ab und beließ Weichs lediglich noch die Führung über die 8. italienische, 2. ungarische und 2. deutsche Armee, während er den Führungsstab der 11. Armee in „Oberkommando der Heeresgruppe Don“ umbenannte und Feldmarschall von Manstein mit der Bildung einer neuen Abwehrfront südwestlich Stalingrad und mit der Befreiung der 6. Armee beauftragte. Nachdem Weichs am 1. Februar 1943 zum Generalfeldmarschall befördert worden war, wurde 14 Tage später das Oberkommando der Heeresgruppe B aus der Ostfront herausgelöst 20 und der Feldmarschall am 10. Juli 1943 in die „Führerreserve“ versetzt. Bereits Ende Juli 1943 wurde Weichs – von Hitler als „sehr ruhiger Mann“ eingeschätzt21 – als künftiger Oberbefehlshaber Südost vorgesehen. Um sich mit den Verhältnissen in Griechenland, auf Kreta und Rhodos vertraut zu machen, unternahm er eine 14tägige Orientierungsreise. Am 26. August zugleich zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe F ernannt und dem OKW unmittelbar unterstellt, unterstanden ihm die in Griechenland befehlsführende Heeresgruppe E unter Generaloberst Löhr und die 2. Panzerarmee unter General Dr. Rendulic, die auf das Stichwort „Achse“ ab 8. September in die bislang von Italien besetzten westkroatischen Gebiete einrückte und die italienischen Besatzungstruppen zur Kapitulation zwang.22 Aufgrund der Lageentwicklung im Mittelmeerraum hatte Weichs die Aufgabe, die Küste der Adria und die Ägäis zu sichern. Die Masse seiner Verbände mußte daher in Küstennähe stationiert werden, während für den Kampf im Landesinnern gegen die Partisanen, die allmählich den Charakter einer durchorganisierten Armee angenommen hatten, zu wenig Truppen vorhanden waren. Bei einer Besprechung im Führerhauptquartier am 27. September forderte daher Weichs „mit allem Nachruck (…), daß sein Auftrag, den Balkan und das umgebende Inselreich zu verteidigen, angesichts des Mangels an Kräften aller Art wesentlich eingeschränkt werden“ müsse. Trotz der Unter-

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stützung durch Großadmiral Dönitz „in diesem Ringen um eine Strategie der Vernunft“ blieb Hitler, der die „militärische Richtigkeit“ der vorgebrachten Argumente „ausnahmweise anerkannte, auf seinem politisch begründeten Standpunkt, den ganzen Balkan samt den Inseln verteidigen zu müssen, unbeirrt bestehen“23. In Verbindung mit dem Gesandten Neubacher bemühte sich Weichs, die als übertrieben und unzulässig empfundene Praxis der Sühnemaßnahmen zu lindern und zu Regelungen zu gelangen, die den Partisanen ihr patriotisches Ansinnen zuerkannten. Dabei stützte sich Weichs auf seine Erfahrungen, die er „durch Beobachtung der verheerenden Politik“ des Gauleiters Koch in der Ukraine gemacht hatte. 24 Den „Kommandobefehl“ suchte Weichs zu umgehen, indem er Inselkommandanten anwies, eine etwaige Landung „als eine normale Truppenlandung aufzufassen“. Nachdem Hitler aus „Haß und Rachegefühl gegen (…) Admiral Horthy“, der Ungarn aus dem Krieg führen wollte, Weichs mit der Besetzung Ungarns im März 1944 beauftragt hatte, gelang es dem Feldmarschall, „die Entwaffnung der ungarischen Streitkräfte (…) zu verhindern“, so daß diese bei der Verteidigung ihrer Grenzen gegen die Rote Armee zur Verfügung standen und sich weiterhin „als die deutschen Verbündeten früherer Zeiten bewährten“25. Bei seinen operativen Überlegungen hatte Weichs die unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und religiösen Gegebenheiten in den Balkanländern sowie die Empfindlichkeiten der maßgebenden Persönlichkeiten zu berücksichtigen. Das traf in besonderem Maße für den „Unabhängigen Staat“ Kroatien zu.26 In allen Fragen der Militärverwaltung war nicht Weichs, sondern der dem Generalquartiermeister nachgeordnete Militärbefehlshaber Südost zuständig, dem wiederum die Territo rialbefehlshaber in Griechenland und der Deutsche Bevollmächtigte General in Kroatien unterstanden. Den Vorschlag Guderians, Feldmarschall von Weichs im Januar 1945 den Oberbefehl über die Heeresgruppe Weichsel zu übertragen, lehnte Hitler ab, nachdem er aus seiner militärischen Umgebung „eine abfällige Bemerkung über die tiefe und echte Religiosität des Feldmarschalls“, der als frommer Katholik galt, vernommen hatte.27 Daß es gerade Weichs gelungen war, einen „langwierigen und sorgfältig inszenierten Rückzug“ der Südost-Verbände erfolgreich zu leiten, 28 wurde nicht gewürdigt. Am 25. März 1945 übergab Weichs schließlich die Geschäfte des Oberbefehlshabers Südost an Generaloberst Löhr und wurde erneut in die „Führerreserve“ versetzt. Am 2. Mai 1945 geriet Weichs in amerikanische Gefangenschaft und wurde Anfang 1947 im Nürnberger Prozeß gegen die Südostgenerale (Fall VII) angeklagt. Nach eingehenden Vernehmungen wurde er noch während

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des Prozesses wegen einer schweren Nervenentzündung entlassen. Seine Akten wurden dem bayerischen Justizministerium zur Prüfung übersandt, ob ein deutsches Gerichtsverfahren gegen ihn in Frage komme.29 Nach fast neunmonatigem Aufenthalt in der Medizinischen Universitätsklinik Erlangen durfte Weichs im Juli 1949 zu seinem Wohnsitz Burg Rösberg bei Bonn zurückkehren. Dort starb er am 27. September 1954.

Anmerkungen BA-MA Freiburg: Pers 6/62. Von Senger und Etterlin, Krieg in Europa, S. 46. 3 Müller, Das Heer und Hitler, S. 38. 4 BA-MA Freiburg: N 19/5, S. 2. 5 Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, S. 427f. 6 Stoves, Die 1. Panzer-Division 1935–1945, S. 26. 7 StA Nürnberg, Bestand KV-Ankl. Interrogations Nr. W 36, Bl. 82. 8 Müller, Das Heer und Hitler, S. 192 f. Müller fügt in Klammern hinzu: und nicht die Partei, so darf man wohl ergänzen. 9 Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten, S. 264ff. 10 BA-MA Freiburg: N 19/5, Bl. 41 ff. 11 Ebenda: N 19/6, Bl. 6 ff. 12 Näheres in: Elble, Die Schlacht an der Bzura 1939. 13 Jacobsen, Fall Gelb, S. 37. 14 Hitlers Weisungen, S. 106. 15 Näheres in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 3, S. 479–482. 16 Fest, Staatsstreich, S. 180. 17 Siehe in diesem Band, S. 489 ff. 18 Generalfeldmarschall Fedor von Bock, S. 377. 19 Ebenda, S. 385, 418, 421, 435, auch zum Folgenden. 20 Näheres zu den Operationen der Heeresgruppe B in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 6, S. 868–1075. 21 Warlimont, Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht, S. 379. 22 Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (KTB OKW/WFSt), Bd. 6, S. 1082. 23 Warlimont, Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht, S. 394f. 24 StA Nürnberg, Bestand KV-Ankl. Interrogations Nr. W 36, Bl. 104, auch zum Folgenden Bl. 107ff. 25 Warlimont, Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht, S. 442f. 26 Vgl. Fricke, Kroatien 1941–1944, S. 140–168. 27 Walde, Guderian, S. 257. 28 Weinberg, Eine Welt in Waffen, S. 756. 29 Weichs an Oberst a. D. Grampe vom 15. 11. 1948 (im Privatbesitz). 1 2

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Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg: Personalakte Pers 6/62; N 19: Nachlaß Freiherr von Weichs; RH 53–13: Wehrkreiskommando XIII; RH 24–13: XIII. Armeekorps; RH 20–2: 2. Armee; RH 19 I: Heeresgruppe B; RH 19 XI: Heeresgruppe F, zugleich Oberbefehlshaber Südost; Bayerisches Hauptstaatsarchiv/Kriegsarchiv München, OP 35298: Personalunterlagen; Staatsarchiv Nürnberg, Bestand KV-Anklage Interrogations Nr. W 36; im Privatbesitz: Korrespondenz Freiherr von Weichs mit Oberst a.D. Grampe. Gedruckte Quellen und Literatur Broucek, Peter: Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau, Bd. 3, Wien 1988. Elble, Rolf: Die Schlacht an der Bzura im September 1939 aus deutscher und polnischer Sicht. Freiburg 1975. Fest, Joachim: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. Berlin 1994. Fricke, Gert: Kroatien 1941–1944. Der „Unabhängige Staat“ in der Sicht des Deutschen Bevollmächtigten Generals in Agram, Glaise v. Horstenau. Freiburg 1972. Generalfeldmarschall Fedor von Bock. Zwischen Pflicht und Verweigerung. Das Kriegstagebuch. Hrsg. von Klaus Gerbet. München 1995. Jacobsen, Hans-Adolf: Fall Gelb. Der Kampf um den deutschen Operationsplan zur Westoffensive 1940. Wiesbaden 1957. Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten. Hrsg. von MGFA. Stuttgart 1964. Senger und Etterlin, Frido v.: Krieg in Europa. Köln 1960. Stoves, Rolf O. G.: 1. Panzer-Division 1935–1945. Chronik einer der drei Stammdivisionen der deutschen Panzerwaffe. Bad Nauheim 1961. Walde, Karl J.: Guderian. Eine Biographie. Frankfurt a.M. 1978.

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Generaloberst Kurt Zeitzler Der jüngste Generaloberst des deutschen Heeres wurde am 9. Juni 1895 als Sohn eines Pfarrers in Goßmar (Kreis Luckau) geboren und bestand 1914 am humanistischen Gymnasium dieser Kreisstadt die Reifeprüfung. Ende März 1914 trat er als Fahnenjunker in das 4. Thüringische Infanterieregiment Nr. 72 in Torgau ein, in dem er den Ersten Weltkrieg verbrachte, im Dezember 1914 zum Leutnant ernannt und als Führer einer InfanteriePionierkompanie sowie als Regimentsadjutant verwendet wurde. 1 Diese vierjährige Frontzeit in Frankreich gab ihm 25 Jahre später Gelegenheit, Hitler auf der Stelle zu widersprechen, als dieser ihm vorwarf, als Generalstabsoffizier keine Ahnung vom Denken des Frontsoldaten zu haben.2 In das Reichsheer übernommen, war Zeitzler u. a. Bataillonsadjutant und Kompanieführer im Infanterieregiment 18 und nach seiner Ausbildung zum Führergehilfen in mehreren Divisionsstäben tätig. Im Februar 1934 wurde er in das neu geschaffene Wehrmachtamt versetzt und in dieser Verwendung am 1. Juli 1934 zum Major und am 1. Januar 1937 zum Oberstleutnant befördert. Zu seinen Tätigkeiten gehörten die Bearbeitung von Themen, die die Wehrmacht- und Gesamtkriegführung betrafen, die Vorbereitung des Wehrmachtmanövers 19373 und die Mitwirkung am Entwurf der gegen die Tschechoslowakei gerichteten „Operation Grün“. Am 1. April 1939 wurde er zum Kommandeur des Infanterieregiments 60 in Lüdenscheid ernannt und zwei Monate später zum Oberst befördert. Laut Mobilmachungsbestimmung wurde Zeitzler Ende August 1939 Chef des Generalstabes des XXII. Armeekorps, dessen Generalkommando unter seiner Leitung in Hamburg aufgestellt und nach seiner Zuführung zur Heeresgruppe Süd am rechten Flügel der 14. Armee unter Generalobest List Anfang September eingesetzt wurde. Dem in Schlesien beim Generalkommando eingetroffenen Kommandierenden General, General der Kavallerie z. V. von Kleist, wurde eine Panzer-, eine leichte und eine Gebirgsdivision unterstellt. Weder Kleist noch Zeitzler besaßen praktische Erfahrungen in der Führung motorisierter Truppen. Beide haben aber schnell die auf sie zukommenden Aufgaben zur vollen Zufriedenheit ihrer vorgesetzten Stellen gemeistert. Im Herbst 1939 nach dem Westen verlegt und zunächst am rechten Flügel im Raum Wesel als Infanteriekorps eingesetzt, wurde Kleist mit seinem Chef Zeitzler im März 1940 dazu auserkoren, mit drei motorisierten Ar-

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meekorps eine „Panzerdurchbruchsgruppe“ zu bilden,4 um mit ihr über Sedan bis zur Kanalküste durchzustoßen. Die Organisation und die taktischen sowie versorgungstechnischen Vorbereitungen fanden in Zeitzler einen „Meister der Improvisation“, der unter seinem Befehlshaber mit einer außerordentlichen Energie die in der Kriegsgeschichte neue Aufgabe, eine motorisierte Armee in enger Zusammenarbeit mit der Luftwaffe als operativen Entscheidungsträger zu nutzen, bewältigte. General Halder beauftragte daher Zeitzler nach dem Feldzugsende im Westen, seine Erfahrungen über die Organisation und Führung großer schneller Verbände schriftlich niederzulegen. Im Dezember 1940 wurde Zeitzler mit dem aus 15 Offizieren bestehenden „Erkundungsstab Sofia“ beauftragt, in Zivil die bulgarischen Straßenund Einsatzverhältnisse für einen Aufmarsch gegen Griechenland zu erkunden. Zeitzler berichtete nach abenteuerlichen Erlebnissen über die „winterbedingten Schwierigkeiten, mangelhafte Straßen- und Brückenzustände“, glaubte aber, daß „die auf dem Balkan herrschende Auffassung, daß größere Operationen im Winter nicht möglich seien, (…) der Tarnung des Unternehmens ‘Marita’ zugute“ käme. 5 Die durch den Militärputsch in Belgrad veränderte politische Lage führte dann dazu, daß die Panzergruppe 1 nicht gegen Griechenland, sondern gegen Jugoslawien eingesetzt wurde. Zeitzler erlebte diesen Feldzug als einen „eigenartigen Krieg“, denn „kriegserprobte und kriegserfahrene Panzer“ standen noch „ochsenbespannter Artillerie“ gegenüber. „Zwei Zeitalter schienen aufeinanderzustoßen.“6 Als einer der wenigen Generalstabsoffiziere wurde Zeitzler nach dem Balkanfeldzug mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Im Krieg gegen die Sowjetunion ab 22. Juni 1941 bildete die Panzer gruppe 1 – ab Oktober 1941 in 1. Panzerarmee umbenannt – die motorisierte Stoßgruppe der Heeresgruppe Süd und hatte wesentlichen Anteil an den Schlachten bei Uman und Kiev. Im Herbst 1941 stieß sie bis zum Asovschen Meer und bis Rostov vor. Daß die sowjetische Militärmacht noch nicht – wie Hitler glaubte – gebrochen war, bewiesen ihre Gegenangriffe, vor denen sich die 1. Panzerarmee wieder hinter den Mius zurückziehen mußte. Seine den Kommissarbefehl ablehnende Haltung hat Zeitzler dem Chef adjutanten Hitlers, Oberst Schmundt, in aller Deutlichkeit erklärt und auch Hitler gegenüber bei späteren Zusammenkünften die Unsinnigkeit des Befehls hervorgehoben, bis schließlich im Mai 1942 die versuchsweise Auf hebung des Kommissarbefehls erreicht wurde.7 Im April 1942 wurde Zeitzler unter Verleihung des Patents als Generalmajor zum Chef des Generalstabes der unter dem Oberbefehl des Feldmarschalls von Rundstedt stehenden Heeresgruppe D ernannt. Dieses Oberkommando hatte die Aufgabe, sich auf die Abwehr einer Invasion an der

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Kanal- bzw. Atlantikküste vorzubereiten. Als ein britisches Kommando im August 1942 bei Dieppe landete, gab er sogleich von sich aus den entscheidenden Einsatzbefehl, so daß nicht – wie später bei der im Juni 1944 erfolgten Invasion – wichtige Stunden für rechtzeitige Gegenmaßnahmen verlorengingen. Obwohl Zeitzler seit dem 9. September 1942 zum Nachfolger Halders als Chef des Generalstabes des Heeres vorgesehen war, eröffnete ihm Hitler erst am 24. September das bis dahin auch von Schmundt gehütete Geheimnis in längerer Rede, ohne ihm Gelegenheit zu geben, sich dafür oder dagegen zu äußern.8 Da Zeitzler zugleich unter Überspringung des Generalleutnants zum General der Infanterie befördert wurde, wird er als Beispiel für eine „unter dem NS-Regime“ möglich gewesene „phantastische Karriere“ genannt. 9 Für die Dienstgradlaufbahn des 47jährigen Generals trifft das zweifellos zu. Doch kann es nicht völlig überraschen, daß ein Generalstabsoffizier, der die Chefposten vom Armeekorps bis zur Heeresgruppe durchlaufen hat, schließlich auch noch die Endstufe des Chefs des Generalstabes des Heeres erreichte. Bei Antritt seiner neuen Stellung fand Zeitzler eine starke Verstimmung Hitlers gegenüber dem Generalstab und der aus dem Generalstab hervorgegangenen höheren Generalität vor. Zeitzler stand offenbar unter dem Eindruck, diesen für die Entscheidungsfindung abträglichen Zustand ändern zu müssen, und verlangte von seinen Mitarbeitern neben der Erfüllung ihrer Pflichten als Generalstabsoffiziere nicht nur den „Glauben an den Führer und seine Führung“, sondern auch die Ausstrahlung dieses Glaubens auf ihre Umwelt.10 Zeitzler wird nachgesagt, er sei ein „mit der Partei seit langem in enger Beziehung stehender Generalstabsoffizier“11 gewesen. Daß er einer Einladung Görings im Sommer 1942 in Paris auf Anraten seines Oberbefehlshabers gefolgt ist und sich während seiner Amtszeit als Generalstabschef häufig mit Speer traf,12 kann ihm kaum angelastet werden. Von Hitler in der ersten Zeit seines Wirkens „überfreundlich“ behan delt,13 nutzte Zeitzler die von ihm vorgefundene Atmosphäre, um seine Stellung als allein für die Ostfront zuständiger Berater Hitlers zu festigen und den Wehrmachtführungsstab auf die Verantwortung für die übrigen „Wehrmachtkriegsschauplätze“ zu beschränken. Damit wandte er sich – zur Enttäuschung Keitels, Jodls und Warlimonts – von früheren Anschauungen, die er als erster Mitarbeiter Jodls bis zum März 1939 über die Rolle der Wehrmachtführung vertreten hatte, ab. Freilich hatte sich inzwischen seit der Entlassung des Feldmarschalls von Brauchitsch Entscheidendes geändert. Im Gegensatz zur Kriegsmarine und zur Luftwaffe besaß das Heer seit der Selbsternennung Hitlers zum Nachfolger Brauchitschs keinen eigenen Oberbefehlshaber mehr. Die letztlich führende Position im Heer hatte der

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Chef des Generalstabes des Heeres mit den ihm verbliebenen Aufgaben (Organisation, Feindlage, Ausbildung, Versorgungswesen, Entwicklung der Waffengattungen, Militärverwaltung in den besetzten Gebieten) inne. Auf operativem Gebiet konnte er nur dann seine Stellung als erster Berater Hitlers für den Bereich der Ostfront wahren, wenn er für sie die gleiche Kompetenz besaß wie der Wehrmachtführungsstab für die übrigen Kriegsschauplätze. Einen gewichtigen Eingriff in die bisherigen Rechte des Generalstabschefs hatte Hitler dadurch vorgenommen, daß er ihm die Personalführung aller Generalstabsoffiziere entzog und seinem Chefadjutanten, General Schmundt, den er zugleich zum Chef des Heerespersonalamts ernannte, übertrug.14 Zeitzler gelang es jedoch, als Abteilungschef für die Bearbeitung der Generalstabspersonalien einen Generalstabsoffizier, der sein Vertrauen besaß, durchzusetzen und selbst ein besonderes Mitbeteiligungsrecht bei der Stellenbesetzung eingeräumt zu bekommen.15 War Zeitzlers Ernennung zunächst von kritischen Köpfen – auch in Widerstandskreisen – mit Bedauern zur Kenntnis genommen worden, so stellten diese schon bald fest, daß Zeitzler durchaus in der Lage und willens war, Hitler gegenüber seine abweichende Meinung zum Ausdruck zu bringen und dafür zu kämpfen. So bat er beispielsweise Hitler, Pauschalangriffe gegen die Feldmarschälle oder gegen die Generalstabsoffiziere in seiner Gegenwart künftig zu unterlassen. Anfangs unterschätzte Zeitzler, der vor seinem Amtsantritt Hitler um eine Orientierungsreise zu den Front-Oberbefehlshabern gebeten hatte, die Stärke der Roten Armee und die Führungsfähigkeit ihrer Befehlshaber, erkannte aber zunehmend „das ungeheure Improvisationsvermögen der Russen“ und kämpfte nach der Einkesselung der 6. Armee in wochenlangem Ringen mit Hitler um die Rettung und den Ausbruch dieser Armee. Dar über hinaus bemühte er sich mit Erfolg, ein Vertrauensverhältnis zu den Front-Oberbefehlshabern, insbesondere zu Feldmarschall von Manstein, herzustellen, der ihn zunächst „in einer unerfreulichen Tonart“ mit Lagebeurteilungen, Forderungen und Beschwerden „traktierte“.16 Um der Demonstration willen scheute sich Zeitzler auch nicht, sich nur die „auf ein Minimum gekürzten Portionen“ zuzubilligen, wie sie die „Verteidiger Stalin grads“ erhielten.17 Als er entsprechend an Gewicht verlor, verbot ihm Hitler diese selbst auferlegte Beschränkung. Solange ein Ausbruchsversuch der 6. Armee noch gelingen konnte, beschwor Zeitzler wiederholt Hitler, diesen zu befehlen. Es klingt fast wie ein Wunder, daß es Zeitzler am 29. Dezember gelang, unter Umgehung von Keitel und Schmundt durch Vermittlung von Hitlers Diener Linge vom ‘Führer’ empfangen zu werden und ihm die Genehmi-

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gung der Räumung des Kaukasus abzutrotzen. Die Gefahr witternd, daß Hitler seinen Entschluß wieder rückgängig machen würde, gab Zeitzler noch aus dem Vorzimmer Hitlers den Rückzugsbefehl an die Heeresgruppe A heraus. Um Reserven für die zu erwartenden Abwehrkämpfe gegen sowjetische Angriffsoperationen frei zu bekommen, schlug Zeitzler Ende Januar 1943 Hitler vor, den Demjansk-Kessel aufzugeben und damit vier bis fünf Divisionen zu gewinnen. Die Genehmigung solcher Vorschläge durch den Diktator mußte in zähem, oft lange andauernden Ringen erkämpft werden, da Hitler sie zunächst grundsätzlich ablehnte und nur dann seine Zustimmung gab, wenn die Genehmigung mit einem Gewinn für einen anderen Zweck verbunden war oder wenn sich eine unmittelbar bevorstehende Katastrophe für ihn sichtbar abzeichnete. So genehmigte er die „Büffel-Bewegung“, d. h. die Aufgabe des 400 km breiten und 150 km tiefen Bogens bei Ržev und Vjasma nur, um die dort frei werdenden Divisionen für die von ihm beabsichtigte Sommer-Offensive 1943 (Operation „Zitadelle“) zu verwenden. Die Meinung der obersten Führung und der Front-Oberbefehlshaber über die Opportunität dieses Unternehmens waren hinsichtlich der Durchführbarkeit, der Erfolgschancen und des Zeitpunkts geteilt. Zeitzler mußte sich später bei Hitler dagegen verwahren, von Oberst Scherff, dem „Beauftragten des Führers für die militärische Geschichtsschreibung“, nach dem Scheitern der Operation an Stelle des ‘Führers’ als Urheber des Unternehmens bezeichnet zu werden. 18 Zwar hielt er den Angriff ebenso wie Hitler zunächst für aussichtsreich, „wenn er bis Mitte Juni erfolge“. Nach den mehrfachen Verschiebungen hat er jedoch nicht mehr auf seine Ausführung gedrängt. Das Unternehmen kostete schließlich auch hohe Verluste an Menschen und Material, insbesondere bei der Panzerwaffe, die nicht mehr ersetzt werden konnten. Als die Initiative in der Kriegführung auf dem östlichen Kriegsschauplatz danach endgültig auf die sowjetische Armee übergegangen war, häuften sich die Zusammenstöße zwischen Hitler und Zeitzler in den Lagebesprechungen, so daß der Generalstabschef dem ‘Führer’ schließlich vorwarf, „daß er keine Entschlüsse mehr fasse, alles nur verschob und die dann doch notwendigen Entschlüsse zu spät kämen“19. Die Beförderung von Jodl und Zeitzler, der eine Dotation abgelehnt hatte, zu Generalobersten am 30. Januar 1944 wirkte sich so aus, daß Zeitzlers „Gefolgschaftstreue“ durch die aller Vernunft widersprechende „Führung Hitlers im Osten“ und die „daraus folgenden fortgesetzten Niederlagen immer mehr zu zerreißen schien“20. Das Jahr 1944 begann mit dem von der Roten Armee erzwungenen Rückzug der durch laufende Truppenabgaben geschwächten Heeresgruppe

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Nord hinter eine vom Peipus-See bis Neval verlaufende Verteidigungsstellung. Die erkennbare Absicht der sowjetischen Führung, im Süden der Ostfront die Heeresgruppen Süd und A einzukesseln bzw. an die Küste des Schwarzen Meeres zu drängen, veranlaßte Zeitzler, gemeinsam mit den beiden Oberbefehlshabern Hitler zur Aufgabe vorspringender, zur Einkesselung einladender Frontabschnitte zu drängen. Dessen starres Festhalten an eroberten Gebieten, seine Abneigung gegen operative Bewegungen im Abwehrkampf und sein Sträuben, die Errichtung eines Ostwalls zu genehmigen, weil die Kenntnis davon angeblich den Abwehrwillen der Fronttruppe beeinträchtige, führten dazu, daß der Chef des Generalstabes des Heeres gemeinsam mit den Oberbefehlshabern der Heeresgruppen fortwährenden Streit mit Hitler um die der Lage gerecht werdende Lösung hatte. Die wiederholt zu späten Entscheidungen führten beispielsweise zu den verlustreichen Rückzügen des Čerkassy-Kessels und auf der Krim. Hitler, der den Militärs bezeichnenderweise einseitiges Denken vorwarf und sich bei seinen militärischen Entscheidungen auch auf die Berücksichtigung politischer und wirtschaftlicher Gesichtspunkte berief, von denen seine Generale nichts verstünden, war letztlich nicht bereit, seine Stellung als Oberbefehlshaber des Heeres bzw. der Ostfront aufzugeben. Entsprechende Forderungen Zeitzlers oder einzelner Oberbefehlshaber wies er barsch zurück. Als Hitler nach dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944 entschlossen war, von der Heeresgruppe Nord die Verteidigung von Kurland zu verlangen, d. h. sich dort einschließen zu lassen, kam es zu einem scharfen und schweren Ringen zwischen Hitler und seinem Generalstabschef, in dem Zeitzler dem Diktator vorwarf, er habe seinen Berater zweimal gezwungen, gegen seine Überzeugung zu handeln: „Einmal bei Stalingrad, einmal wegen der Krim“. Ein drittes Mal lasse er sich nicht dazu zwingen. Die Verantwortung vor seinem Gewissen könne ihm niemand nehmen, auch Hitler nicht. Er halte es für seine Pflicht, seinem „Führer und Oberbefehlshaber“ zu erklären, daß der Krieg militärisch verloren sei und daß „jetzt irgendetwas unternommen werden“ müsse, „ihn zu beenden“.21 Nachdem Zeitzler Hitler fünfmal vergeblich „sein Portefeuille zur Verfügung gestellt“ hatte22, meldete er sich Anfang Juli 1944 krank. An der Verschwörung des 20. Juli 1944 war Zeitzler nicht beteiligt. Doch hatte er dafür gesorgt, daß führende Persönlichkeiten des Widerstandes wie Stauffenberg, Stieff und Lindemann, die aus ihrer Haltung gegenüber Hitler und seinem Führungsstil keinen Hehl zu machen pflegten, aufgrund ihrer Eignung in wichtige Führungspositionen gelangten. Als General Fritz Lindemann Zeitzler bei seinem letzten Vortrag angesichts „der Schwierigkeit der derzeitigen Lage“ von der Notwendigkeit einer gewaltsamen Beseiti-

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gung Hitlers sprach, hat Zeitzler – nach Aussage Stieffs – „ganz spontan geantwortet: ‘Das kommt nicht in Frage!’“23. Noch am 21. Juli hat General Eduard Wagner vormittags Zeitzler über den Verlauf des 20. Juli „im La ger“ Zossen vorgetragen. Darauf befahl Zeitzler, „alles schriftlich niederzulegen“24. Wagner fertigte den Bericht am gleichen Tage an und meldete Zeitzler: „Ich versichere Ihnen auf Ehrenwort, daß ich an den Vorgängen des 20. 7. unbeteiligt bin.“ Zeitzler war am 20. Juli ein zwar krank gemeldeter, aber doch noch amtierender Generalstabschef. Sein Vertreter bei der „Führerlage“, General Heusinger, war an seiner Stelle durch das Attentat verletzt worden. Wegen der Beteiligung mehrerer unmittelbarer Untergebener an der Verschwörung, darunter sein ihm befreundeter Adjutant, Oberstleutnant i. G. Günther Smend, geriet Zeitzler in eine für ihn äußerst unangenehme Lage, zumal wenn man seine scharfen Auseinandersetzungen mit dem ‘Führer’ unmittelbar vor seiner Krankmeldung bedenkt. Er hat sich daher in einem Brief an Hitler gewandt, mit dem ihn trotz der Meinungsverschiedenheiten eine 21monatige enge Zusammenarbeit verband. Der Text seines Briefes ist nicht bekannt. Doch hat Zeitzler darin zweifellos Hitler seiner Treue versichert, da dieser ihn Anfang August durch Speer wissen ließ, er glaube an die von ihm „erneut versicherte Treue“ und hoffe, daß Zeitzlers Gesundheit „bald wiederhergestellt“ sei und daß er „in dieser Zeit nicht durch nutzlose Grübeleien“ seine Krankheit verschlimmere „oder gar falsche Entschlüsse“ fasse.25 Mitte August 1944 wurde Zeitzler jedoch in die „Führerreserve“ versetzt und erhielt am 12. November von General Burgdorf die Nachricht, daß nach einer Entscheidung Hitlers „eine Verwendung in der Wehrmacht nicht mehr vorzusehen“ sei.26 Generaloberst Guderian wurde sein Nachfolger. Am 31. Januar 1945 wurde Zeitzler – im 50. Lebensjahre stehend – aus der Wehrmacht entlassen, allerdings unter Aussetzung der Erlaubnis zum Tragen seiner bisherigen Uniform. Zweifellos hat Hitler ihm als höchsten Vorgesetzten des Generalstabs die Verantwortung für die im Generalstab verbreitete Kritik an seiner Person und seinem Führungsstil angelastet. Hatte doch Smend in seinem Bericht vom 1. August 1944 bekundet, daß Zeitzler zwar „wahrlich der treueste Generalstabschef war, den der Führer sich wünschen konnte“, daß sich aber „im gesamten Generalstab allmählich ein Stimmung dumpfer Verzweiflung breit“ gemacht habe, „die, durch schlechte Nachrichten von anderen Kriegsschauplätzen noch genährt, allmählich die von niemand im anderen Sinne beeinflußte Meinung aufkommen ließ: ‘Der Krieg ist verloren’“.27 Damals noch unverheiratet, von den meisten Bekannten gemieden, beschäftigte Zeitzler danach sogar der Gedanke, freiwillig aus dem Leben zu

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scheiden. In seiner Not wandte er sich im Januar 1945 an seinen ehemaligen Regimentskommandeur und Oberbefehlshaber, Feldmarschall von Rundstedt, der ihm jedoch antwortete, daß es „leider ganz ausgeschlossen“ sei, Hitler auf seine Person anzusprechen, da „der Generalstab (…) sehr schlecht im Kurse“ stehe.28 Danach wandte sich Zeitzler an Reichsminister Speer, er könne sich „nicht denken, daß die entehrende Uniformentziehung während des Krieges vom Führer ausgeht, für den ich doch alles tat, dem ich alles rücksichtslos offen u(nd) ehrlich vortrug, für den ich mich krank gearbeitet habe u(nd) der (…) im August noch so besorgt um mich war“. Speer antwortete ihm, daß er ohne Erfolg versucht habe, eine Erleichterung seiner Lage zu ermöglichen und „den Entschluß des Führers zu mildern.29 Bei Kriegsende geriet Zeitzler in britische Gefangenschaft, die er weitgehend im Internierungslager Neuengamme verbrachte. Ein schweres Herzleiden hinderte ihn daran, sich der Verteidigung des Generalstabs während der Nürnberger Prozesse im gewünschten Umfange zur Verfügung zu stellen. Danach hat er in der unter Leitung von Generaloberst Halder arbeitenden Historical Division der US-Armee an umfangreichen Studien mitgewirkt, die in erster Linie die Operationen der Panzergruppe Kleist und der 1. Panzerarmee betreffen. Mit dem militärischen Sachbearbeiter des Instituts für Zeitgeschichte, General a. D. Hermann Foertsch, stand er in Verbindung, als das Institut sich Gedanken über die Erforschung der Beziehungen zwischen Wehrmacht und Nationalsozialismus machte. In zahlreichen unveröffentlichten Ausarbeitungen und Vorträgen hat sich Zeitzler mit den Problemen des Generalstabes während seiner Chefzeit und mit die Kriegführung beeinflussenden Elementen, wie Mensch und Raum oder Politik und Strategie, befaßt. Sein umfangreicher, ausschließlich in der Nachkriegszeit entstandener Nachlaß enthält seine Studien, Quellensammlungen und Korrespondenzen und bedarf als wissenschaftliches Desiderat einer umfassenden Biographie noch der kritischen Auswertung. Wegen seines verhältnismäßig frühen Todes – Zeitzler starb in Aschau am 26. September 1963 – ist es zu amtlichen Befragungen durch das Militärgeschichtliche For schungsamt über seine Reflexion zur Rolle der Wehrmacht und des Generalstabes im Dritten Reich nicht mehr gekommen.

Anmerkungen 1 Gruson, Das Kgl. Preuß. 4. Thür. Infanterieregiment Nr. 72 im Weltkriege, S. 204 u. 306. 2 BA-MA Freiburg, N 63/19: Zeitzler, 2 Jahre Chef, S. 67. 3 Mündliche Mitteilung Zeitzlers an den Verf. v. 14. 4. 1962.

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BA-MA Freiburg, N 63/19: Zeitzler, 2 Jahre Chef, S. 3ff. KTB des OKW/WFSt, Bd. 1, S. 250. 6 Hartmann, Halder, S. 259. 7 Siewert, Schuldig?, S. 104; vgl. auch Streit, Keine Kameraden, S. 404; KTB OKW/WFSt, Bd. 3, S. 341. 8 BA-MA Freiburg, N 63/19: Zeitzler, 2 Jahre Chef, S. 37ff. 9 Rosinski, Die deutsche Armee, S. 200. 10 Heusinger, Befehl im Widerstreit, S. 212; vgl. auch Heeresadjutant bei Hitler, S. 129. 11 Hartmann, Halder, S. 339. 12 Sereny, Albert Speer, S. 467. 13 Mündliche Mitteilung Zeitzlers an den Verf. v. 14. 4. 1962. 14 Vgl. dazu die biographische Skizze, S. 533 ff. 15 Stahl, Heisterman von Ziehlberg, S. 279. 16 Mündliche Mitteilung Zeitzlers an den Verf. v. 14. 4. 1962. 17 Warlimont, Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht, S. 295. 18 BA-MA Freiburg, N 63/80: Zeitzler, Abwehrschlachten in Rußland, S. 75f. 19 Der Generalquartiermeister, S. 227. 20 Warlimont, Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht, S. 449. 21 BA-MA Freiburg, N 63/80: Zeitzler, Abwehrschlachten in Rußland, S. 165ff. 22 Guderian, Erinnerungen eines Soldaten, S. 309. 23 Sie gaben ihr Leben, S. 263. 24 Ebenda, S. 221, zum folgenden Zitat S. 219. 25 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München, MA-95/1, Bl. 4712. 26 BA-MA Freiburg, Pers 6/65, auch zum Folgenden. 27 Kageneck, Zwischen Eid und Gewissen, S. 175–181. 28 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München, MA-95/1, Bl. 4715: Rundstedt an Zeitzler v. 19. 1. 1945. 29 Ebenda, Bl. 4730–4732 u. 4717: Zeitzler an Speer v. 10. 2. 1945 und Speer an Zeitzler v. 28. 2. 1945. 4 5

Bibliographische Hinweise (Vgl. auch die weiteren Literaturangaben in der Gesamtbibliographie ab S. 599ff.) Ungedruckte Quellen BA-MA Freiburg, Pers 6/65 Personalakte; N 63: Nachlaß Zeitzler; RH 21–1: XXII. Armeekorps, Panzergruppe von Kleist, Panzergruppe 1, 1. Panzerarmee; RH 19 IV: Heeresgruppe D (zugleich Oberbefehlshaber West); RH 2: Generalstab des Heeres; Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München: MA-95/1. Gedruckte Quellen und Literatur Frieser, Karl-Heinz: Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940. 2. Aufl. München 1996.

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Gruson, Ernst: Das Königlich Preußische 4. Thüringische Infanterieregiment Nr. 72 im Weltkriege. Oldenburg i. O. 1930. Hartmann, Christian: Halder. Generalstabschef Hitlers. Paderborn 1991. Kageneck, August Graf von: Zwischen Eid und Gewissen. Roland von Hößlin. Ein deutscher Offizier. Berlin 1991. Sie gaben ihr Leben. Unbekannte Opfer des 20. Juli 1944. General Fritz Lindemann und seine Fluchthelfer. Hrsg. von Bengt von zur Mühlen unter Mitarbeit von Frank Bauer. Berlin-Kleinmachnow 1995. Rosinski, Herbert: Die deutsche Armee. Vom Triumph zur Niederlage. Düsseldorf 1977. Sereny, Gitta: Albert Speer. Das Ringen mit der Wahrheit und das deutsche Trauma. München 1997. Siewert, Curt: Schuldig? Die Generale unter Hitler. Stellung und Einfluß der hohen militärischen Führung im nationalsozialistischen Staat. Das Maß ihrer Verantwortung und Schuld. Bad Nauheim 1968. Stahl, Friedrich-Christian: Gustav Heisterman von Ziehlberg. In: Ostdeutsche Gedenktage 1998. Bonn 1997. Zeitzler, Kurt: Verschiedene Beiträge in: Wehrkunde 8 (1959), H. 4, S. 182–188; H. 5, S. 239–245; H. 6, S. 293–298; H. 7, S. 366–372; 9 (1960), H. 3, S. 109–117; H. 6, S. 289–293; H. 7, S. 347–353; 10 (1961), H. 1, S. 2–8; H. 11, S. 564–570; Wehrwissenschaftliche Rundschau 1 (1951), H. 6/7, S. 44–48; H. 8, S. 20–29.

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Zwischen Gefolgschaft, Gehorsam und Widerstand Entwicklungen im Militär Nicht nur die jüngsten heftigen Kontroversen über die „Wehrmachtsausstellung“, über die Anerkennung der Deserteure als Regimegegner und die Beteiligung der Wehrmacht an den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit der ‘Goldhagen-Debatte’ haben wieder einmal gezeigt, in welchem Umfang seit vielen Jahren in Deutschland über die Geschichte der Wehrmacht gestritten wird. Diese Auseinandersetzung ist verständlich, denn in den Jahren 1939 bis 1945 gehörten weit mehr als zehn Millionen Deutsche einer bewaffneten Macht an, die von der nationalsozialistischen Führung als Instrument ihrer rassenideologisch begründeten Herrschaftspläne eingesetzt worden war. Nach ihrer persönlichen Überzeugung haben die meisten deutschen Soldaten ihr Leben für die Verteidigung des Reiches, der ‘Heimat’, eingesetzt. Dennoch konnten sie sich nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht nicht auf diesen Standpunkt zurückziehen. Zunächst waren viele ehemalige Soldaten geneigt, der nationalsozialistischen Propaganda immer wieder zu folgen, die nicht müde wurde zu betonen, ‘seit 5.45 werde an der deutsch-polnischen Grenze zurückgeschossen’, mit dem Angriff auf die Sowjetunion sei die deutsche Wehrmacht einem von Stalin geplanten Angriff lediglich zuvorgekommen, Deutschland sei schließlich der Krieg nicht nur 1939 von der britischen Regierung, sondern zwei Jahre später auch vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, Franklin D. Roosevelt, geradezu aufgezwungen worden. Bis heute finden sich diese Argumente in der fälschlich als ‘revisionistisch’ bezeichneten Literatur jener Zeitgenossen, welche sich weiterhin in diese Lebenslügen einer ‘Weltkriegsgeneration’ flüchten, die nicht selten willig die Rechtfertigungsschriften hoher Militärs akzeptiert hat. Hinzu kamen weitere Erklärungen des Verhaltens von Soldaten nach 1939: Die Wehrmacht sei ein Ort der inneren Emigration gewesen, so hörte man; sie hätte sich immer an den Regeln des Völkerrechts orientiert und vor allem seit 1944 in der Verteidigung des Heimatgebiets eine entscheidende Motivation für ihren Durchhaltewillen besessen. Kennzeichen dieser Argumente war der bewußte Versuch mancher damals militärisch Verantwortlichen, die Kriegsereignisse von den Zielen der

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NS-Führung zu trennen. Diese Argumentation wurde allerdings von den ehemaligen militärischen Gegnern und der deutschen Öffentlichkeit nicht akzeptiert. Für die angegriffenen und besetzten europäischen Staaten stellte sich die Zeit des Zweiten Weltkrieges nämlich ganz anders dar: Überfallartig waren deutsche Truppen in Nachbarländer eingefallen, unterstützt von modernen Waffen, die jede Unterscheidung zwischen Front und Heimatgebiet aufhoben. Die Zivilbevölkerung wurde nicht nur in die Kampfhandlungen verwickelt, sondern auch einer drückenden Besatzungsherrschaft ausgesetzt. Arbeitskräfte wurden zwangsweise rekrutiert, Juden deportiert, das Wirtschaftssystem der besiegten Völker ausgenutzt. Die militärische Vorherrschaft der Deutschen in Europa war die Voraussetzung für eine Ausbeutungspolitik, die ihren Garanten in der Wehrmacht hatte. Hitler hatte frühzeitig, bereits Anfang Februar 1933, vor der Reichswehrführung das Ziel verkündet, im Osten ‘Lebensraum’ erobern zu wollen. Seit Ende 1937 war keinem hohen Militär mehr verborgen, daß Deutschland für einen Waffengang rüstete, der nur noch als Angriffskrieg zu deuten war. Der damalige Generalstabschef, Generaloberst Ludwig Beck, zog sogar daraus seine Konsequenzen und nahm 1938 seinen Abschied, nachdem sein Rücktrittsappell, den er an die militärische Führung gerichtet hatte, ohne Resonanz geblieben war. Auch nach Becks Demission wurden in der Folgezeit im deutschen Generalstab Aufmarsch- und Angriffspläne aufgestellt, deren Ziele durch Hitler immer weiter gesteckt wurden. Ging es bis 1936 vor allem um die Remilitarisierung des Rheinlands, bis 1938/39 dann um die Revision der deutschen Ostgrenzen und den ‘Anschluß Österreichs’, so veränderte sich bald die Zielrichtung. Den Eingeweihten konnte deshalb spätestens seit Anfang 1938 nicht mehr zweifelhaft sein, daß die deutsche Regierung die Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in der Mitte Europas als Voraussetzung für die geplante Ostexpansion suchte. Im Januar 1939 drohte Hitler für den Fall eines Krieges auch dem „europäischen Judentum“ schlimmste Konsequenzen an. Der Krieg um die Vorherrschaft in Europa war auf deutscher Seite seitdem immer auch ein Rassenkrieg. Kam es im August 1939 auch zu einem Vertrag mit Stalin, so war seit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 ganz deutlich, daß der Krieg ein Weltanschauungskrieg geworden war. Dies alles war der Generalität und Admiralität bekannt; deshalb stellt sich die Frage, wie hohe Militärs auf praktische Konfrontationen mit Angriffsplänen und Verletzungen des Völkerrechts reagiert haben. Mit dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf Polen im September 1939 begann somit ein Krieg, den die Deutschen nicht mehr nur um die Vorherrschaft in Europa oder ihre Beteiligung an der Weltherrschaft führten, sondern es ging um einen Umbau Europas, um eine Verschiebung ganzer Völ-

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ker, auch um radikale Maßnahmen, die nicht selten camouflierend durch mißverständliche Begriffe umschrieben wurden – ‘Endlösung’ konnte doch nur, wie Eingeweihte und Zeugen von Übergriffen wußten, ‘Völkermord’ bedeuteten. Und ‘Sonderbehandlung’ bedeutete Mord, der ‘Gerichtsbarkeitserlaß’ bezeichnete den Versuch, im Schatten der Kriegsereignisse verübte Verbrechen, an denen auch Wehrmachtsangehörige unmittelbar oder indirekt beteiligt waren, straflos zu stellen. Der ‘Kommissarbefehl’ war nur auf den ersten Blick ein Befehl zur Behandlung des militärischen Gegners, der dadurch zum politischen Feind gemacht wurde; tatsächlich handelte es sich um die Anweisung zu einem politisch motivierten Gruppenmord, der ebenso durch den ‘Gerichtsbarkeitserlaß’ ungestraft bleiben sollte. Es ist unzweifelhaft: Die nationalsozialistische Führung verband diesen von ihr entfesselten Krieg von Anbeginn mit der Absicht, zugleich einen Rassenkrieg zu führen, der sich als Kampf der Weltanschauungen darstellen sollte – und die höheren militärischen Führer waren daran beteiligt. Der Zweite Weltkrieg war deshalb von deutscher Seite aus niemals ein herkömmlicher Verteidigungskrieg, und er läßt sich auch nicht als ‘Präventivkrieg’ bezeichnen. Er wurde langfristig geplant und war sowohl die Voraussetzung als auch der Begleitumstand einer großangelegten ethnischen Säuberung, die in ganz Europa nicht mehr zu tilgende Spuren hinterließ und als ‘Makroverbrechen’ schlechthin gilt. Das europäische Judentum wurde durch den Zweiten Weltkrieg im Kern bedroht, das osteuropäische Judentum weitgehend ausgerottet. Keiner der beteiligten Zeitgenossen war angesichts dieser Verbrechen schuldlos, auch die vielschichtig beteiligte Wehrmacht nicht. Denn der systematisch betriebene Völkermord war nur im Rücken der Front möglich. Deshalb wurden Wehrmachtsangehörige und vor allem die Spitzen der Wehrmachtsführung seit Kriegsende immer wieder mit den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Verbindung gebracht. Dies führte zu heftigen Debatten, denn die These von der Verstrickung der Wehrmachtsführung in die NS-Gewaltverbrechen berührte eine ‘Lebenslüge’ vieler Soldaten, die sich selbst und ihren Angehörigen wiederholt versichert hatten, „anständig gekämpft“ und nur das Reich vor dem „Einfall der Roten Armee“ – manche sprachen auch von „bolschewistischen Horden“ – bewahrt zu haben. Diese Kaschierung des Versagens und fehlenden Mutes führte nach der Befreiung von der NS-Herrschaft zu heftigen Diskussionen, nicht nur in Verbindung mit der Frage, ob die Wehrmacht insgesamt oder nur das Oberkommando der Wehrmacht oder der Generalstab als „verbrecherische Organisation“ zu bezeichnen oder gar zu verurteilen sei und ihre Führung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden müsse. Bis heute sind Nachwirkungen dieser Diskussionen zu spüren. Sie prägten die Auseinan-

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dersetzungen in der deutschen Gesellschaft im Zusammenhang mit der deutschen Wiederbewaffnung seit den fünfziger Jahren, sie beeinflußten die Diskussionen über die Prinzipien der Inneren Führung, und sie zeigen sich bis heute in der Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Prinzipien einer modernen Militärgeschichte, die seit den späten sechziger Jahren entwickelt worden ist. In der Tat bedeutete die NS-Zeit für die Geschichte der bewaffneten Macht in Deutschland einen Wendepunkt. Er berührte nicht zuletzt das Selbstverständnis der führenden Militärs. Von ihrem Selbstverständnis her sind Soldaten nicht nur sichtbarer Ausdruck des Willens, staatliche Souveränität zu demonstrieren; sie sind vor allem auf die Verteidigung ihres Staates gegen Übergriffe von außen verpflichtet. Dieser defensive Grundcharakter wurde vor allem nach der Niederlage der bewaffneten Macht des Kaiserreiches betont. So betrachtet, konnte es seit der NS-Zeit keine Rechtfertigung des Gehorsams durch die Verpflichtung zum unbedingten Gehorsam mehr geben. Seit der Erfahrung des NS-Staates rückt ein verdrängter Begriff in den Vordergrund, der eigentlich auch im militärischen Denken eine lange Tradition hat, der Begriff des ‘soldatischen Widerstands’. Dieser Begriff bezeichnet eine Ungewöhnlichkeit, ganz unabhängig von der deutschen Besonderheit. Widerstand des Soldaten richtet sich nach landläufiger Meinung auf das soldatische Verhalten im Kampf. Der Soldat hat im Kampf standzuhalten – Widerstand ist mithin dem Gegner im Feld zu leisten. Widerstand im Innern, gegen die politische Führung und aus innenpolitischer Absicht, kann für den Soldaten in der Regel nur dann eine akzeptable Herausforderung sein, wenn er sich nach einer militärischen Niederlage in der Auseinandersetzung mit einem Besatzungsregime befindet. Der Auftrag des Soldaten lautet im Frieden: Ausbilden, Erziehen, Üben, um seine Einsatzbereitschaft für den Kampf zu sichern; im Krieg lautet dieser Auftrag hingegen – wie Johann Adolf Graf v. Kielmansegg knapp konstatiert hat – „Kämpfen“, also: „unter dem Gesetz von Befehl und Gehorsam auf Befehl sterben und andere dem Tod aussetzen müssen“1. Im 19. Jahrhundert wurde immer fester fundiert, daß der Soldat seiner politischen Führung zu folgen hat. Grundlegendes findet sich dazu bei Clausewitz, der den Primat des Politischen reflektierte und damit ein neues Selbstbewußtsein der Träger militärischer Macht ausdrückte, die ihre politische Funktion akzeptierten und auf diese Weise die Übereinstimmung mit der Gesellschaft suchten, der sie militärisch zu dienen hatte. Dies war die nachwirkende Bedeutung der Ära der Befreiungskriege und der Reformzeit, die entscheidende und einschneidende Änderungen für die militärische Organisation, aber auch für das Selbstverständnis der Militärs brachte. ‘Soldatischer Ungehorsam’ galt zu dieser Zeit allerdings noch als Aus-

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druck der Befehlsverweigerung oder gar als ‘Meuterei’ – so war er vor allem militärstrafrechtlich zu ahnden.2 Über die Grenzen militärischen Gehorsams ist aber nicht erst seit der Erfahrung der NS-Zeit, sondern immer wieder eindrucksvoll nachgedacht worden, seitdem es Soldaten gab, die sich in den Dienst ihres Staates stellten und zugleich über die Grenzen ihres Gehorsams nachdachten. 3 Es gab aber nicht nur politisch abgeleitete, sondern auch genuin militärische Normen für eine Abweichung von Befehlen. Jeder Offizier kannte die entscheidenden Bestimmungen des Militärstrafgesetzbuches, vor allem den von Axel von dem Bussche4 immer wieder akzentuierten ‘Notwehrparagraphen’. Häufiger Ausgangspunkt dieser Überlegungen war eine Ermahnung von Prinz Friedrich Carl von Preußen gegenüber preußischen Offizieren in Bezug auf das Gehorsamsverhältnis zu ihrem König: „Seine Majestät hat Sie nicht deshalb zum Offizier gemacht, damit Sie einfach alle Befehle ausführen, sondern damit Sie auch wissen, wann Sie Befehle nicht ausführen müssen.“ Hier wird deutlich, daß keineswegs der Zusammenhang zwischen Befehl und Gehorsam das ethische Grundproblem des Soldaten darstellt, sondern vielmehr die exakte Markierung der Grenzen des Befehls als Voraussetzung der Verweigerung von Gehorsam. Gehorsam in diesem Sinne stellte allerdings nicht den Gegensatz zum Widerstand dar, sondern markierte eine höhere soldatische Verantwortung. Verweigerung des Gehorsams konnte sogar legitimiert sein, wenn sich herausstellte, daß die Nichtdurchführung eines Befehls militärisch angemessener war als der sogenannte ‘Kadavergehorsam’. Eine neue Dimension der Befehlsverweigerung wird allerdings im Zuge der weltanschaulichen Auseinandersetzung seit der Französischen Revolution erreicht: Es ging nun nicht mehr um Dynastien, sondern um Staaten und Nationen – die Offiziere, die sich einem Befehl widersetzten, konnten gerade dadurch nicht selten das höhere Interesse einer Nation vertreten. Dies wurde deutlich in den Befreiungskriegen gegen Napoleon, als Offiziere, die sich den Kapitulationsbefehlen der preußischen Staatsführung nicht beugten, durch spätere Entwicklungen gerechtfertigt wurden. Hier wird eine neue Begründung militärischen Ungehorsams sichtbar – seine Rechtfertigung aus einem höheren staatlichen Interesse heraus, das sich am „Bestand der Nation“ – einen 1938 von General Beck benutzten Begriff – orientierte. „Befehlsverweigerung“ zielte so auf mehr als nur auf die Verweigerung eines dienstlichen Befehls im soldatischen Alltag; zunehmend speiste sich die Rechtfertigung militärischer Befehlsverweigerung aus der Einsicht in die begrenzte Legitimität einer politischen Führung. Unter dem Eindruck der militärischen Auseinandersetzungen des Zweiten Weltkriegs, vor allem im Krieg gegen die Sowjetunion, kam eine weitere Er-

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fahrung dazu und beeinflußte die Vorstellung von Befehl und Gehorsam. Denn Kriegführung unter nationalsozialistischem Oberbefehl – dies hieß zunehmend: Gefährdung der eigenen Truppe durch rigorose Durchhaltebefehle, dies hieß: Ausbeutung der Bewohner in den besetzten Gebieten, dies hieß vor allem, so schwer es jenen fällt, die bis heute gegen die zeitgeschichtliche Forschung glauben, die Wehrmacht sei grundsätzlich völlig außerhalb des NSStaates zu verorten: Verstrickung der Truppe in die rassenpolitischen Endziele der NS-Führung. Nationalsozialismus und Krieg – dies hieß also mehr als Gefährdung des Nationalstaates, sondern bedeutete: zunehmend eine Gefährdung der Seele durch Verstrickung in ein verbrecherisches Regime5 und schließlich die Zerstörung der Überlebensgrundlagen des Volkes nach der Niederlage, die bald unabweislich war. Das höhere Recht der Nation, aber auch der Wille, sich durch eine Kooperation mit der NS-Diktatur individuell gerade nicht in Schuld verstricken zu lassen, bestimmten nun die Überlegungen der Regimegegner und mündeten schließlich in die innere Bereitschaft, das bis dahin fast Unvorstellbare zu wagen und – wie Generalmajor Henning von Tresckow es so unvergleichlich klar, tapfer und konsequent ausgedrückt hatte – das „Nessushemd“ anzuziehen. Lieber den Tod in Kauf nehmen als sich selbst und die Nation mit den rechtswidrigen oder gar verbrecherischen Befehlen zu belasten, dies war schließlich die individuelle Voraussetzung für die Bereitschaft, durch eine demonstrative Aufkündigung des soldatischen Gehorsams das Blatt grundlegend zu wenden. Nach dem alten Militärstrafrecht hatten die militärischen Regimegegner alle guten Gründe auf ihrer Seite, ebenso wie jene, die sich im bürgerlichen Leben den Zumutungen des Regimes verweigerten und sich gegen diese mit allen ihnen jeweils zu Gebote stehenden Mitteln verteidigten – gewissermaßen als prinzipielle Dimension der Eigenverantwortung, die den großen Mut zur Eigenmächtigkeit konspirativer Aktionen hervorbrachte, die auch das wohl größte Risiko verlangten, das ein Soldat einging: durch seine Tat das Leben der Angehörigen zu belasten, wenn nicht zu gefährden. Widerstand ist so allerdings auch mehr als Eigenmächtigkeit oder Befehlsverweigerung, mehr als die Ausübung der Pflicht zur Notwehr – denn Widerstand richtet sich gegen die Führung des Staates, dem der Soldat gerade zu dienen hat. Insofern wird unsere Vorstellung vom soldatischen Widerstand durch die zeitgeschichtlichen Erfahrungen mit dem NS-Staat auf eine ganz neue, aber auch auf eine ganz konkrete Grundlage gestellt. Immer wenn vor 1933 im Zusammenhang mit dem Selbstverständnis der Soldaten vom Widerstand die Rede war, dann hatte es sich entweder um gelungene Beispiele einer Behauptung spezifischer soldatischer Würde gehandelt, indem Zumutungen soldatischer Unehrenhaftigkeit abgewehrt werden konnten, oder es hatte sich um den gelungenen Versuch gehandelt, sich

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selbst in der Stunde großer Gefährdung des Staates nicht einem Usurpator zu unterwerfen. Diese Abwehr einer Zumutung unehrenhaften Verhaltens wird deutlich im Beispiel des Offiziers von der Marwitz, der sich im Siebenjährigen Krieg geweigert hatte, den Besitz des Grafen Brühl zu plündern und lieber unwiderruflich seinen Dienst quittierte, als den Ehrenkodex eines Offiziers zu verletzen, der kein Landsknecht mehr sein wollte. Theodor Fontane hat diese Geschichte eindrucksvoll überliefert, und Theodor Heuss hat in seiner großen Rede anläßlich des 10. Jahrestages des Anschlags auf Hitler im Jahre 1954 daran erinnert, als er den Spruch auf dem Grabstein des von der Marwitz zitierte: „wählte Ungnade, wo Gehorsam keine Ehre brachte“. – Ungnade war nicht Unehre. Derartige Überlegungen waren den hohen Militärs keineswegs fremd. Die Erfahrungen von General Beck nach seiner Demission im Herbst 1938 zeigten aber, in welchem Maße die ‘bewaffnete Macht’ in Deutschland mit dem jeweiligen System verknüpft war. Dies war vor allem eine Verschüttung bürgerschaftlicher Traditionen der Befreiungskriege und eine Folge des monarchischen Prinzips, vor allem aber auch der fehlenden revolutionären Traditionen und der Zivilcourage. Die Armee galt in Deutschland immer als eine Schule der Nation. Und zugleich grenzten sich die Offiziere durch ihren Verhaltenskodex von ihrer Umwelt ab und pflegten bei aller Systemnähe im deutschen Obrigkeitsstaat ein professionelles Selbstverständnis, welches Systemunabhängigkeit zu ermöglichen schien6. Diese Haltung setzte sich in der Kultivierung ganz besonderer, als ‘Kameradschaft’7 bezeichneter Verhaltensweisen fort. Dies war möglich, weil sich das Selbstverständnis von Militärs aus einer klar definierten Defensivfunktion ableitete und seine Träger dennoch besonders aufgerufen schienen, in Gestalt eines selbstlosen Gemeinschaftsdienstes den Staat zu verteidigen, dessen oberster Repräsentant gleichzeitig den militärischen Oberbefehl ausübte. Kennzeichen der ‘bewaffneten Macht’ ist die Unveränderlichkeit wesentlicher Verhaltensmaximen und Werte – Befehl und Gehorsam, Tapferkeit und Kameradschaft, Verantwortungsgefühl und Opferbereitschaft werden so ganz systemunabhängig betont8. Dies ist die Voraussetzung für die Kontinuität der systemunabhängigen Bedeutung vieler Symbole und Rituale, die in der Regel als Ausdruck der Tradition gelten sollen und deshalb auch für Nachwachsende aus ganz anderen Sozialisationszusammenhängen verbindlich gemacht werden können.9 Kontinuität trotz eines Umbruchs der Systeme ist das Kennzeichnen der ‘bewaffneten Macht’. Nach 1918 aber zeigten Auflösungserscheinungen des Heeres die allgemeine politische Krise, vor allem aber den Zusammenbruch des militärischen Bezugssystems – Streiks, Meuterei, schließlich Übergriffe gegen Offiziere und die Bildung eines Rangunterschiede ni-

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vellierenden Soldatenrates, in dem auch Offiziere saßen, kündigten die Niederlage an. Sie verstärkten bei den späteren Generalen und Admiralen des Zweiten Weltkriegs den Wunsch, sich „aus der Politik heraushalten zu können“. Gerade die militärischen Führer erwiesen sich als besonders unfähig zur Behauptung der Prinzipien von Verantwortung und Eigenständigkeit des Militärischen; insofern spiegelt sich in ihrem Schicksal wohl gerade die Verstrickung des Funktionsträgers in ein diktatorisches System mit allen Konsequenzen für das Selbstverständnis und das Bild der Beteiligten in der Geschichte. Um so überraschender ist es, daß die Isolierung des militärischen Bereichs in den Systemen seit 1918 nicht in dieses Deutungsschema des Institutionenwandels einbezogen wurde, der nach der Novemberrevolution auch die Exklusivität des militärischen Bereichs zerstörte. Dennoch zerbrachen die unpolitischen militärischen Verhaltensmuster nicht, im Gegenteil: sie steigerten sich im Zusammenhang mit den revolutionären Auseinandersetzungen der frühen Jahre der Weimarer Republik noch einmal zu einer Rechtfertigung soldatischer Wertvorstellungen und Verhaltensweisen, die den Trend einer Militarisierung der gesamten deutschen Gesellschaft in der Weimarer Republik fortsetzten. Diese Entwicklung bestimmte nach 1920 in zunehmenden Maße die deutsche Gesellschaft, deren Uniformierung, Militarisierung, Ritualisierung geradezu als Kennzeichen einer politischen Kultur gedeutet worden ist. Verstärkt wurden die desintegrierenden Wirkungen militärischer Institutionen überdies durch das Selbstverständnis einer militärischen Führung, die sich nicht in die neuen republikanischen Strukturen einfügte, sondern vielmehr das Ideal eines überpolitischen und den gesellschaftlichen Konflikten enthobenen ‘Staates im Staate’ verstärkte10. Gestützt wurde diese Isolation der Armee im Verfassungsstaat nach 1920 durch militärgeschichtlich begründete, völkerrechtliche, aber auch soziale Statusprobleme einer radikal verkleinerten Armee, des sogenannten ‘100 000-Mann-Heeres’. Dankbar nahmen Militärs, aber auch die Soldaten des Ersten Weltkrieges die Bekundungen auf, das deutsche Heer sei im Felde unbesiegt geblieben und nur durch einen Dolchstoß in den Rücken in den Waffenstillstand und den – wie man sagte – „Schandfrieden von Versailles“ getrieben worden. Letztlich seien die europäischen Mächte zumindest in den Krieg hineingeschlittert und deshalb allesamt für den Kriegsausbruch verantwortlich. Deutschland sei vielleicht Opfer seiner Vertragstreue geworden, aber keineswegs aggressiv gewesen. Diese Deutung war geeignet, nicht nur die ‘bewaffnete Macht’ zu eskamortieren, sondern betraf die gesamte in den ersten totalen Krieg Europas verstrickte deutsche Bevölkerung. Seit 1918 wird der Defensivcharakter der ‘bewaffneten Macht’ im deut-

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schen Sprachgebrauch betont. Dies änderte sich auch mit der nationalsozialistischen Machtergreifung nicht: Auf die Reichswehr folgte 1935 die Wehrmacht. Die Militärgeschichte betont in ihren Forschungen jeweils die Kontinuität der Verbände und ihrer Führung über Systembrüche hinweg. Kennzeichen dieser Kontinuitäts-Diskussion ist der Versuch, die Prinzipien eines abstrakten ‘Soldatentums’ zu verteidigen und von jeder Verstrickung mit verbrecherischen Systemen zu lösen. Die Neigung, das eigene Verhalten zugleich mit der Institution des ‘Soldatentums’ zu verteidigen, begünstigte die Übernahme verhaltenssteuernder Normen des Militärs auch im nichtmilitärischen Leben und erklärt zugleich, daß die Isolation der Armee als ‘Staat im Staat’ auch nach 1918 nicht korrigiert wurde,11 denn in diesem Schlagwort drückt sich nicht nur das Vertrauen zur Institution der ‘bewaffneten Macht’ aus, sondern auch die selbstbewußte Distanzierung von der Tagespolitik. Hitler kam diesem in der Reichswehr weit verbreiteten Gefühl entgegen, zum einen durch die Militarisierung seiner ‘Bewegung’, zum anderen durch die demonstrative Respektierung der soldatischen Normen etwa während der Potsdamer Zeremonie am 21. März 1933 – also in der Zelebrierung des Bündnisses zwischen Generalfeldmarschall und Gefreiten –, aber auch durch das sehr früh abgelegte Bekenntnis zur weitgehenden politischen Autonomie der Reichswehr Anfang Februar 1933. Er schien zunächst die Eigenständigkeit der ‘bewaffneten Macht’ als zweite Säule seines neuen Regimes zu respektieren, opferte ihr sogar seinen eigenen Kampfverband SA am 30. Juni 1934, rüstete auf und schuf ein welt anschaulich stark auf nationalsozialistische Ziele hin orientiertes Offizierskorps, das jüngeren Offizieren beste Aufstiegschancen bot und sie auf diese Weise schlagartig von sozialen Problemen befreite, welche die Reichswehr nach der Reduzierung der Truppenzahlen 1919 belastet hatte. Der Verhaltenskodex der Reichswehr (und auch der Wehrmacht) blieb auch nach 1933 zunächst noch traditionell geprägt – weiterhin empfanden sich manche Soldaten als Angehörige eines ‘Staates im Staate’ und erklärten noch lange Zeit später, sie seien geradezu in die Wehrmacht „emigriert“. Dennoch war unübersehbar, in welchem Maße die Reichswehr bzw. ab 1935 die Wehrmacht politisch für nationalsozialistische Ziele instrumentalisiert wurde. Erst mit der schweren Führungskrise, die Hitler im Februar 1938 zu seinen Gunsten entschied, war eine Verschiebung der Verhaltensnormen spürbar, die schließlich immer stärker die Politisierung der ‘bewaffneten Macht’ forcierte. Sie war nach 1939 die Grundlage der militärischen Expansion, die der aggressiv betriebenen Etablierung eines Ostimperiums („Generalplan Ost“) als Folge der Eroberung von ‘Lebensraum im Osten’ diente. Damit öffnete sich die ‘bewaffnete Macht’ immer stärker den Tendenzen, vor

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denen sie sich eigentlich abzuschließen suchte. Die Wehrmacht wurde zu einer tragenden Säule des NS-Staates, sie wurde auch indoktriniert und politisiert, was nicht zuletzt am Einsatz von weltanschaulichen Führungsoffizieren und an der Einführung des Hitlergrußes sowie an der denkbar engen Verzahnung von (Waffen-)SS-Verbänden und Wehrmachtsverbänden deutlich wurde. Das Problem lag nach 1936 aber nicht in der Verteidigung, sondern im Angriff, und es lag vor allem auch in der Verknüpfung von Krieg und Verbrechen. Die Einsicht in diesen Zusammenhang mußte zunehmend zur Entwicklung eines neuen Führungs-12 und Verhaltensmodells und damit auch zur Entwicklung eines gewandelten Rollenverständnisses von Offizieren und Soldaten13 führen. Das Ende des Dritten Reiches war somit mehr als eine bedingungslose militärische Niederlage; es war auch eine denkbar schwere Erschütterung eines in langen Jahrzehnten gewachsenen Verhaltenskodex der Angehörigen einer Institution, die sich geradezu als unabhängig von Regimen empfunden hatte, weil eben – und dieses Argumentationsmuster ist im Zusammenhang mit der Rechtfertigung der ‘bewaffneten Macht’ in ganz unterschiedlichen Systemen gehört worden – jeder Staat eine Armee hat, um sich zu verteidigen. Und dennoch haben ja jene nicht Unrecht, die betonen, daß zum Staat auch eine Armee gehört. Das institutionengeschichtlich schwierige Problem erwuchs nach 1950 vor allem aus der Frage, wie im Zuge des Neuaufbaus einer ‘bewaffneten Macht’ die neue Institution begründet werden und welche verhaltenssteuernden Mechanismen sie entfalten könnte, wie sie ihre Traditionen in einem Verfassungsstaat begründen und die Geschichte der Wehrmacht als ein Instrument der nationalsozialistischen Diktatur und ihrer Rassenpolitik reflektieren würde. Nicht zuletzt aber wurde der Neuaufbau einer ‘bewaffneten Macht’ deshalb problematisch, weil sich die Bundesregierung dabei in erheblichem Maße auf Wehrmachtsangehörige stützen mußte. Deshalb war es geradezu unvermeidlich, daß sich immer wieder Kontroversen an den Namen hoher Offiziere entzündeten. Deren Spektrum war breit, sowohl im Hinblick auf ihre Herkunft und ihre Sozialisation als auch auf ihre Karriere. Immer wieder wurde in diesem Zusammenhang darüber gestritten, ob die ‘bewaffnete Macht’ wirklich durch ihre Defensivfunktion zu charakterisieren sei. Dabei kam es zu heftigen, aber auch zu verwirrenden Diskussionen. Denn die Übergänge zwischen der ‘offensiven Verteidigung’ und einer Offensive, die Sicherheit durch militärisch errungene Vorherrschaft anstrebt, sind fließend. So wurde immer wieder über Angriffspläne diskutiert, die innerhalb der Reichswehr entwickelt worden waren. Denn diese wurde in den Zusammenhang von Absichten gerückt, die Ostgrenzen des Reiches zu revi-

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dieren. Nach der NS-Regierungsübernahme standen manche Revisionsbestrebungen deshalb in der Kontinuität von Reichswehrplanungen, konnten die Admirale und Generale die seit längerer Zeit diskutierten Angriffspläne und die Absichten der NS-Führung als deckungsgleich ansehen. Nicht darum kann es aber bei einer Bewertung hoher Militärs gehen, denn sie operierten wie andere Zeitgenossen auch aus den Horizonten von Vorstellungen und Illusionen, die sie mit anderen teilten. Sondern es geht letztlich bei einer Bewertung des Verhaltens der Führung um ein prinzipielles moralisches und ethisches Problem. In der geschichtlichen Überlieferung wurde deutlich, in welchem Maße die hohen Maßstäbe militärischer Verantwortung im Hinblick auf die Soldaten, im Hinblick auf die Zivilbevölkerung und die Besiegten in den Jahren des Zweiten Weltkrieges verletzt worden waren. In manchen Kriegserinnerungen wichen die Verantwortlichen ihren eigenen Taten aus, aber sie konnten ihrer Verantwortung selbst nicht entkommen. Denn zu dem wenigen, was wir Menschen nicht verändern können, gehört die Vergangenheit. Wohl deshalb holt sie die Menschen immer wieder ein. Angesichts dieser Schwierigkeit hilft nur die Konfrontation mit der Geschichte. Sie ist im Bereich der Versuche, Verantwortlichkeiten zu bestimmen und so ethische Normen zu begründen, auf die Konfrontation mit dem Individuum in seiner Zeit angewiesen. Diesem Ziel dient der vorliegende Sammelband biographischer Skizzen. Sein Ziel ist nicht die Belastung oder gar ‘Beschmutzung’ der Soldaten, sondern der Versuch, in der Auseinandersetzung mit den Lebensgeschichten und Verhaltensweisen führender Militärs an die spezifische Verantwortung auch des in hervorgehobener Position stehenden Angehörigen der ‘bewaffneten Macht’ zu erinnern. Schwierigkeiten ergeben sich ja nicht aus der Darstellung der Krieges in der Nachkriegszeit, sondern aus der Kriegsgeschichte selbst. In diesen Krieg sah sich der Überlebende gestellt, und zugleich wurde er herausgefordert, auch moralisch seine Erlebnisse und Verstrickungen zu bewältigen. Und das größte Dilemma ergibt sich aus einer merkwürdigen Ambivalenz des Urteils und der daraus resultierenden Gefährdung der Forschung. Denn Deutungen der Vergangenheit sind nicht mehr als Möglichkeiten der Interpretation. In der pluralistischen Gesellschaft stellen diese Möglichkeiten nicht mehr als Diskussionsangebote, nicht mehr als Skizzierungen von Erklärungen dar – alles Vergangene war, seine Existenz kann nicht bestritten, sondern lediglich so oder so erklärt werden, ebenso wie die Folgen dieser Vergangenheit unterschiedlich gedeutet werden können. So ganz falsch ist der Eindruck nicht, daß der Historiker versucht ist, immer wieder seine Meinungen als historische Erkenntnis auszugeben.

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Was in Gestalt des Gedenkens – etwa an das Geschehen des Zweiten Weltkriegs – scheinbar als eine besondere Form der verantwortungsvollen Erinnerung daherkommt, zielt dabei auf die Normierung des Verhaltens. Damit kommt der Deutung der Vergangenheit eine hohe Bedeutung für die Entwicklung verhaltensleitender Normen zu. Dies teilt die Auseinandersetzung mit der Geschichte mit anderen Übungen; dennoch erstirbt angesichts der NS-Zeit die Kritik an der Verwendung der Geschichtsdeutung in praktischer Absicht. Denn als Tiefpunkt der deutschen Geschichte gilt die nationalsozialistische Zeit, die ihren denkbar negativsten Ausdruck in Auschwitz gefunden hat. Auschwitz ist mehr als eine Metapher – es ist ein Sinnbild destruktiver menschlicher Möglichkeiten. Vor diesem Hintergrund muß auch das Verhalten der höheren militärischen Führer vom Historiker beurteilt werden. Heute den Eindruck erwecken oder gar den Anspruch durchsetzen zu wollen, die Geschichte der Wehrmacht und ihrer Führungselite sei von der Verantwortung für das deutsche Verhängnis zu trennen, ist nicht zu verantworten und sachlich auch nicht zu rechtfertigen. Die Wehrmacht war zumindest in jenen Teilen tief in die Verbrechen der Deutschen verstrickt, die sich nicht aus den Zumutungen eines Weltanschauungskrieges lösten. Die Umstände dieser Befreiung verliefen bei den einfachen Soldaten, den Truppenführern und den Generalstabsoffizieren und Generalen auf jeweils andere Weise. Aber diese Formen eines ‘abweichenden Verhaltens’ waren möglich und erinnern so daran, daß die Zeit des unbedingten Gehorsams von Militärs vorüber ist, daß sich auch militärischer Gehorsam an Zielen einer menschenwürdigen Gesellschaft auszurichten hat und daß ‘soldatischer Widerstand’ das Gebot der Stunde sein kann, wenn der moralische oder – durch militärische Zielvorgaben der politischen Führung – auch der politische Bestand der Nation auf dem Spiele steht. Vor dieser Nagelprobe standen alle höheren militärischen Führer. Sie haben ihre persönliche Herausforderung unterschiedlich bestanden. In der Regel haben sie soldatisch und kameradschaftlich versagt, denn die meisten ihrer Entscheidungen lassen sich keinesfalls als vorbildhaft deuten. Sie widersetzten sich weder den militärisch unsinnigen Befehlen der NS-Führung, noch leisteten sie Widerstand gegen die Einbeziehung von einzelnen ihnen anvertrauten Soldaten und Verbänden in die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Die deutschen Feldmarschälle, Generale und Admirale entsprachen während des Zweiten Weltkrieges – und unter dem NS-Regime – ohne Zweifel nur selten dem Anspruch, den man traditionellerweise gegenüber Truppenführern hegt. Das Fehlverhalten zu konstatieren, das ist das eine, es zu erklären, das ist etwas anderes. Hier leisten die biographischen Beiträge dieses

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Sammelbandes eine wichtige Hilfe für die Interpretation – denn sie konfrontieren den Leser mit den Führern einer Truppe, die bis zuletzt zu der Fahne stand, die das Hakenkreuz trug.

Anmerkungen 1 Johann Adolf Graf von Kielmannsegg: Gedanken eines Soldaten zum Widerstand. In: Aufstand des Gewissens. Hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Herford/Bonn 41994, S.205 ff. 2 Daß heute andere Bewertungsgrundsätze gelten, mag man daran erkennen, daß die nach Berlin umgezogene Spitze des Bundesverteidigungsministeriums im ehemaligen Amt Canaris und im Reichsmarineamt residiert, in dem am Landwehrkanal gelegenen ehemaligen Tirpitz- und heutigen Reichpietschufer, an einer Straße mithin, die nach einem der Seeleute benannt wurde, die wegen ihrer Teilnahme an einer Meuterei 1917 hingerichtet worden waren. 3 Davon zeugen Tragödien und Dramen, etwa „Der Prinz von Homburg“ von Heinrich von Kleist, der Roman „Vor dem Sturm“ von Theodor Fontane, nicht zuletzt auch Essays der „Weltbühne“ oder Romane der Weimarer Republik. 4 Jürgen Engert: „Er wollte Hitler töten“: Ein Portrait des Axel von dem Bussche. In: Axel von dem Bussche. Hrsg. v. Gervinom von Medem. Mainz/München 1994, S.143 ff. 5 Die Konsequenzen dieser Einsicht werden vor allem im Leben und Sterben des Ernst Jägerstetter deutlich. Vgl. Klemens von Klemperer: Sie gingen ihren Weg … Ein Beitrag zur Frage des Entschlusses und der Motivation zum Widerstand. In: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus: Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler. Hrsg. v. Jürgen Schmädeke u. Peter Steinbach. München 1994, S.1097 ff. 6 Ove Ovens: Militärischer Professionalismus: zum Berufs- und Selbstverständnis der Streitkräfte. In: Militär als Gegenkultur? Streitkräfte im Wandel der Gesellschaft I. Hrsg. v. Wolfgang R. Vogt. Opladen 1986, S.257 ff. 7 Lutz Unterseher: Mehr als Kameraderie? Über Funktion, Genese und Verfall des Korpsgeistes. In: Ebenda, S. 283 ff. 8 Gerhard Vowinckel: Vom edlen Ritter zum Bürger in Uniform: Soziomoralisches Orientierungswissen über die bewaffnete Macht im Wandel. In: Ebenda, S.193ff. 9 Wilfried von Bredow: Erkundungsziel „Militärwelt“: Vorüberlegungen zu einer ethnomethodologischen Erweiterung der Militärsoziologie. In: Militär als Lebenswelt: Streitkräfte im Wandel der Gesellschaft II. Hrsg. v. Wolfgang R. Vogt. Opladen 1988, S.171ff. 10 Die Anfänge der Ära Seeckt: Militär und Innenpolitik 1920–1922. Bearb. v. Heinz Hürten. Düsseldorf 1979. 11 Zwischen Revolution und Kapp-Putsch: Militär und Innenpolitik 1918–1920. Bearb. v. Heinz Hürten. Düsseldorf 1977; Das Krisenjahr 1923: Militär und Innenpolitik 1922–1924. Bearb. v. Heinz Hürten. Düsseldorf 1980.

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Vom Kalten Krieg zur deutschen Einheit: Analysen und Zeitzeugenberichte zur deutschen Militärgeschichte 1945 bis 1995. Hrsg. v. Bruno Thoß. München 1995, S.261ff. 13 Wolfgang Gessenharter: Politische Kultur der Bundesrepublik im Wandel – Auswirkungen auf die Streitkräfte. In: Gegenkultur (wie Anm. 6), S.109ff. 12

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Das Bild der Wehrmacht-Elite nach 1945 Bereits in der Schlußphase des Krieges sowie in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde von Angehörigen der militärischen Führungsschicht ein bestimmtes Bild von der Wehrmacht und deren Elite konzipiert und propagiert. Dieses Unternehmen sollte zum vielleicht größten Erfolg der Wehrmacht überhaupt werden. Ein treffendes Scherzwort sagt, die deutsche Wehrmacht habe den Zweiten Weltkrieg zwar verloren, dafür aber nach 1945 einen Sieg davongetragen, nämlich den Sieg im Kampf um ein positives Bild der Wehrmacht in der Öffentlichkeit. Erst fünfzig Jahre nach Kriegsende bröckelt dieses. Historiker beginnen allmählich, die erstaunliche Erfolgsgeschichte der Wehrmacht-Legende zum Thema der Forschung zu machen. In einigen Arbeiten der letzten Zeit – etwa denen von Omer Bartov und Bernd Wegner1 – werden Aspekte der Forschungsgeschichte behandelt. Die Aufmerksamkeit richtet sich besonders auf die Erkenntnisfortschritte der Militärgeschichtsforschung, aber auch auf deren Defizite. Dies erfolgt zugleich im Kontext weiterer Arbeiten zur „Vergangenheitspolitik“, wie sie Norbert Frei, Ulrich Herbert/Olaf Groehler, Ulrich Brochhagen, Gerd R. Ueberschär und Klaus Naumann vorgelegt haben. 2 Manche Facetten dieser Legende kennen wir inzwischen, aber noch lange nicht alle. Noch kaum erforscht ist beispielsweise die gesellschaftspolitische Dimension des Themas, also die Frage, welche politischen und gesellschaftlichen Gruppen an welchem Bild von der Wehrmacht, besonders ihrer Elite, interessiert waren und mit welchen Mitteln sie ihre jeweilige Version durchzusetzen suchten. Dieser Frage soll hier in einer ersten Übersicht vor dem Hintergrund der angedeuteten Forschungslage nachgegangen werden. Gab es bei Kriegsende 1945 in der deutschen Öffentlichkeit bereits ein klar konturiertes Bild von der Institution Wehrmacht und ihrer Elite? Konnte es ein solches Bild überhaupt geben? Oder muß man eher annehmen, daß in der Phase des militärischen Zusammenbruchs ganz unterschiedliche Vorstellungen von dieser Institution, ihrem obersten Führungspersonal und ihrer Rolle im Kriege existierten? Zum einen Teil dürften die damals verbreiteten Vorstellungen noch von der glorifizierenden nationalsozialistischen Propaganda geprägt gewesen sein; zum anderen jedoch von der gegenläufigen Realität, nämlich dem Tatbestand, daß die alliierten Streitkräfte die Wehrmacht – allem Gerede vom „Endsieg“ und von den „Wunderwaffen“ zum Trotz – zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen

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hatten. Darüber hinaus aber wird man – drittens – vermuten können, daß sich in den damaligen Wehrmachtbildern die keineswegs gleichförmigen persönlichen Erfahrungen widerspiegelten. Wahrscheinlich waren letztere sogar die ausschlaggebenden. Das aber bedeutete, daß die Menschen in Deutschland die Wehrmacht bei Kriegsende ganz unterschiedlich sahen: Für jene ostpreußischen Flüchtlinge, die von Schiffen der deutschen Kriegsmarine über die Ostsee evakuiert wurden, war die Wehrmacht der Retter in der Not. Für andere Flüchtlinge, die erleben mußten, daß die zurückflutenden deutschen Truppen im Osten ihnen kaum Hilfe leisteten,3 sondern auch jetzt noch verbissen ihren längst verlorenen Krieg führten, sah das schon anders aus. Wiederum ein anderes Bild von der Wehrmacht dürften die Bewohner deutscher Städte und Dörfer gehabt haben, die seit Januar 1945 erlebten, wie abgerissene, kriegsmüde und demoralisierte deutsche Soldaten sich mitunter wie Angehörige einer fremden Soldateska benahmen.4 Im Furor der Endphase des Krieges müssen schließlich Millionen von einfachen Wehrmachtsoldaten jene ihrer Vorgesetzten gehaßt haben, die sich einem gnadenlosen Durchhalteterror5 verschrieben hatten und mit Standgerichten, willkürlichen Erschießungen und Erhängungen gegen jeden vorgingen, der vor der Realität der unmittelbar bevorstehenden Kapitulation nicht die Augen verschloß und sein Verhalten danach ausrichtete. Wieder ein anderes Bild von der Wehrmacht hatten gewiß jene Offiziere,6 die sich im Jahre 1945 selbst das Leben nahmen: Es sollen Tausende gewesen sein, darunter auch 67 Generale und Admirale.7 Ob ihr Freitod als ein Schuldeingeständnis zu werten ist, kann vermutet, aber nicht bewiesen werden. Die Mehrzahl der Angehörigen der verantwortlichen Führungsschicht der Wehrmacht schlug jedoch einen anderen Weg ein. Sie war entschlossen, auch künftig – wie bereits im Krieg begonnen – die Spuren des Vernichtungskrieges zu verwischen. Das Bild der Wehrmacht existierte also noch nicht. Es wurde geschaffen, und zwar offiziell, von hohen Repräsentanten des NS-Regimes und der Wehrmacht. Als einen der Ausgangspunkte wird man die letzte Ausgabe des Wehrmachtberichts vom 9. Mai 1945 ansehen müssen.8 Verantwortet wurde sie von Großadmiral Dönitz, der zu diesem Zeitpunkt als Hitlers Nachfolger, d. h. als neues Staatsoberhaupt, sowie als Oberbefehlshaber der Wehrmacht fungierte.9 Dönitz und seine Berater beschränkten sich nicht auf die sehnlichst erwartete Mitteilung, daß endlich nicht mehr geschossen würde, sondern sie nutzten zugleich die Gelegenheit, dem Krieg und der Wehrmacht jene Deutung zu geben, die den Interessen der professionellen Wehrmachtelite entsprach. Die entsprechenden Passagen lauten: „Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Auf Befehl des Großadmirals hat die Wehrmacht den aussichtslos gewordenen Kampf

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eingestellt. Damit ist das fast sechsjährige, heldenhafte Ringen zu Ende. Es hat uns große Siege, aber auch schwere Niederlagen gebracht. Die deutsche Wehrmacht ist am Ende einer gewaltigen Übermacht ehrenvoll unterlegen. Der deutsche Soldat hat, getreu seinem Eid, im höchsten Einsatz für sein Volk für immer Unvergeßliches geleistet. Die Heimat hat ihn bis zuletzt mit allen Kräften unter schwersten Opfern unterstützt. Die einmalige Leistung von Heimat und Front wird in einem späteren gerechten Urteil der Geschichte ihre endgültige Würdigung finden. Den Leistungen und Opfern der deutschen Soldaten zu Lande, zu Wasser und in der Luft wird auch der Gegner die Achtung nicht versagen. Jeder Soldat kann deshalb die Waffe aufrecht und stolz aus der Hand legen …“10 Die zentrale Botschaft hieß also: Zwar sei der Krieg gegen die Übermacht der Feinde verloren, aber die deutsche Wehrmacht habe ihn „heldenhaft“, „ehrenvoll“, „mit allen Kräften“, leistungsstark und effizient, unter großen Opfern, immer getreu dem Soldateneid geführt. Unausgesprochen wurde damit zugleich verkündet, daß ein Vernichtungskrieg nirgendwo stattgefunden hatte. Damit war die Linie für die weitere Legendenbildung vorgegeben. Es soll jedoch nicht unterschlagen werden, daß es unmittelbar nach der Kapitulation vereinzelt auch bei Wehrmacht-Generalen Ansätze zu einem der Wahrheit verpflichteten Rückblick gegeben hat. So schrieb der ehemalige Panzergeneral Hans Röttiger im November 1945 zur Vorbereitung auf den Nürnberger Prozeß nieder, er sei zu der Erkenntnis gekommen, „daß die Bandenbekämpfung, die wir führten, im Endziele den Zweck hatte, den militärischen Bandenkampf des Heeres dazu auszunutzen, um die rücksichtslose Liquidierung des Judentums und anderer unerwünschter Elemente zu ermöglichen“11. Diese Niederschrift wurde später, wohl auf Anraten seines Anwalts, zurückgezogen und durch eine gereinigte Fassung ersetzt. Röttiger avancierte dann in der Bundeswehr zum ersten Inspekteur des Heeres. Ungefähr zur gleichen Zeit – November 1945 – verfaßten der frühere Generalfeldmarschall Walther v. Brauchitsch, der ehemalige Generalfeldmarschall Erich v. Manstein, der ehemalige Generaloberst Franz Halder, der ehemalige General der Artillerie Walter Warlimont und der ehemalige General der Kavallerie Siegfried Westphal eine gemeinsame Denkschrift für das Internationale Nürnberger Militärtribunal. Den Anstoß hatte US-General William J. Donovan gegeben, der es anders als seine Regierung für falsch hielt, den deutschen Generalstab als verbrecherische Organisation anklagen zu wollen und der daher – entgegen seinem Auftrag – den Generalen die Möglichkeit zu einer optimalen Prozeßvorbereitung bieten wollte.12 Die so genannte Nürnberger Generalsdenkschrift – der genaue Titel lautet „Das Deutsche Heer von 1920–1945“13 – ist charakterisiert durch eine

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Abwehr jeglicher Schuld. Sie bildete damit eine weitere Etappe jener großen Vertuschungsaktion, aus welcher schließlich die Legende von der „sauberen Wehrmacht“ hervorgehen sollte. Wie der Historiker Manfred Messerschmidt konstatiert, sahen die Verfasser ihr wichtigstes Anliegen darin, „darzulegen, daß das Heer gegen Partei und SS eingestellt gewesen sei, nahezu alle wichtigen Entscheidungen Hitlers mißbilligt und gegen Kriegsverbrechen opponiert habe“14. „Nicht einer der Verfasser“ habe sich „der Verantwortung für sein eigenes Handeln oder Unterlassen gestellt“.15 Die Schutzbehauptungen der Generalsdenkschrift vom November 1945 sollten dann in den Kriegsverbrecherprozessen den „roten Faden“ der Verteidigung bilden. Die Wirkung dieser Schrift bei den ehemaligen Wehrmachtsoffizieren war bedeutend. Denn wegen der hohen militärischen Ränge und der prominenten Namen der Unterzeichner wurden die apologetischen Behauptungen in diesen autoritätsgläubigen Kreisen gleichsam „in den Rang der geschichtlichen Wahrheit erhoben“16. Allerdings zeichneten die – in den Jahren 1945 bis 1949 durchgeführten – Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse ein anderes Bild von der Wehrmacht. Im sogenannten Hauptkriegsverbrecherprozeß (IMT) wurden insgesamt 20 Angeklagte verurteilt. Sechs von ihnen waren führende Militärs: „Reichsmarschall“ Hermann Göring, Wilhelm Keitel, Alfred Jodl, Erich Raeder und Karl Dönitz.17 Die Vorstellung von einer gemeinschaftlichen Verantwortung der deutschen Eliten spiegelte sich auch in den zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse wider. In vier von ihnen standen ebenfalls Angehörige der militärischen Elite vor Gericht: im Ärzteprozeß (Fall 1), im Milch-Prozeß (Fall 2), im Südostgenerale-Prozeß (Fall 7) und im OKW-Prozeß (Fall 12). Schon im IMT-Prozeß war die Gruppe „Generalstab und OKW“ neben dem Führerkorps der NSDAP, der Gruppe „Gestapo und SD“, der SS, der SA und der Reichsregierung als „verbrecherische Organisationen“ angeklagt worden.18 Die Anklage faßte darunter das höchstrangige militärische Führungspersonal der Wehrmacht zusammen, nämlich zunächst annähernd 130 namentlich aufgelistete Offiziere, die zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen dem Februar 1938 und dem Kriegsende 1945 im Oberkommando der Wehrmacht, in den Oberkommandos des Heeres, der Marine und der Luftwaffe, im Generalstab sowie als Oberbefehlshaber von Truppen der Wehrmachtteile Dienst getan hatten.19 Schon während der Prozeßvorbereitungen stellte sich jedoch heraus, daß das Vorhaben, „Generalstab und OKW“ insgesamt als eine „verbrecherische Organisation“ zu verurteilten – und nicht etwa die gesamte Wehrmacht! –, in formaler Hinsicht nur schwer zu begründen war.20 Denn weder der Generalstab noch das OKW konnten als eine „Organisation“ oder als eine „Gruppe“ im Sinne des Artikels 9 der Gerichtssatzung21 angesehen werden. Aus diesem formalen Grunde wurden

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„Generalstab und OKW“ nicht zu einer „verbrecherischen Organisation“ erklärt. Ein inhaltlicher Freispruch war dies allerdings keineswegs. Denn das Urteil wurde mit einem schwerwiegenden moralischen Schuldspruch für die führenden Offiziere der Wehrmacht versehen, wie die einschlägige Passage aus dem Urteil im Hauptkriegsverbrecherprozeß dokumentiert, der sich mit der Wehrmachtelite befaßt: „Sie sind in großem Maße verantwortlich gewesen für die Leiden und Nöte, die über Millionen Männern, Frauen und Kindern gekommen sind. Sie sind ein Schandfleck für das ehrbare Waffenhandwerk geworden. Ohne ihre militärische Führung wären die Angriffslüste Hitlers und seiner NaziKumpane akademisch und ohne Folgen geblieben. Wenn diese Offiziere auch nicht eine Gruppe nach dem Wortlaut des Statuts bilden, so waren sie doch sicher eine rücksichtslose militärische Kaste. Der zeitgenössische deutsche Militarismus erlebte mit seinem jüngsten Verbündeten, dem Nationalsozialismus, eine kurze Blütezeit, wie er sie in der Vergangenheit kaum schöner gekannt hat. Viele dieser Männer haben mit dem Soldateneid des Gehorsams gegenüber militärischen Befehlen ihren Spott getrieben. Wenn es ihrer Verteidigung zweckdienlich ist, so sagen sie, sie hatten zu gehorchen; hält man ihnen Hitlers brutale Verbrechen vor, deren allgemeine Kenntnis ihnen nachgewiesen wurde, so sagen sie, sie hätten den Gehorsam verweigert. Die Wahrheit ist, daß sie an all diesen Verbrechen rege teilgenommen haben oder in schweigender Zustimmung verharrten, wenn vor ihren Augen größer angelegte und empörende Verbrechen begangen wurden, als die Welt je zu sehen das Unglück hatte. Dies mußte gesagt werden. Wo es der Sachverhalt rechtfertigt, sollen diese Leute vor Gericht gestellt werden, damit jene unter ihnen, die dieser Verbrechen schuldig sind, ihrer Bestrafung nicht entgehen.“22 Trotz dieses eindeutigen moralischen Schuldspruchs gingen die ehemaligen Berufssoldaten der Wehrmacht sogleich daran, die aus formalen Gründen nicht zustande gekommene Verurteilung der im IMT-Prozeß angeklagten Gruppe „Generalstab und OKW“ in der Öffentlichkeit in einen inhalt lichen Freispruch umzudeuten. Bis heute wird von interessierten Kreisen die Behauptung wiederholt, die Wehrmachtsführung sei in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen von der von ihnen so genannten „Siegerjustiz“ freigesprochen worden. Dies ist eine der folgenschweren Nachkriegslegenden. Einer der Gründe für die Durchführung der 12 Nachfolgeprozesse im allgemeinen und für den OKW-Prozeß im besonderen war denn auch die durchaus berechtigte Befürchtung der Amerikaner gewesen, daß nach dem Abschluß des Hauptkriegsverbrecherprozesses in Deutschland eine gefährliche Legendenbildung um sich greifen könnte. So erklärte der amerikani-

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sche Ankläger Walter H. Rapp 1948 in einem Rundfunkinterview,23 der wichtigste Effekt, den man mit dem OKW-Prozeß erzielen wolle, sei „die Verhinderung von Legenden“ gewesen. Ohne die Anklage von „zwei bis drei Generalfeldmarschällen, ein Dutzend oder eineinhalb Dutzend Generalobersten“ hätte sich, „wie wohl nach dem Ersten Weltkrieg“, in der Bevölkerung der Eindruck verbreitet, „daß die Generale gütige, alte, hochgebildete feine Herren waren oder seien, die sich mit solchen Dingen, wie sie beschuldigt worden sind … niemals abgeben würden oder abgegeben hätten“. Rapp fuhr fort: „Ich glaube, die Tatsache, daß die Maske von den Generalen heruntergerissen worden ist und sie jetzt im Lichte erscheinen müssen, was sie tatsächlich sind, ein großer Beitrag dazu sein muß, daß sich die gesamte Bevölkerung in Zukunft nicht blind glaubwürdig (sic!) an den Rock eines Generals hängt oder von ihm die Wiedergeburt oder den Wiederaufbau Deutschlands erwartet.“ Tatsächlich wurde in Teilen der deutschen Öffentlichkeit schon früh der Versuch gemacht, die Verantwortung für unbestreitbar begangene Kriegsverbrechen auf die im IMT-Prozeß bereits Verurteilten und zum Teil auch Hingerichteten als Sündenböcke zu projizieren und zu kanalisieren. Die noch nicht zur Rechenschaft gezogenen Kriegsverbrecher, unter ihnen auch Angehörige der militärischen Elite, sahen nun die Chance, sich in der Öffentlichkeit als freigesprochen und moralisch entlastet darzustellen. Im Rückblick wird man sagen können, daß die Befürchtungen bezüglich apologetischer Legendenbildungen nur allzu berechtigt waren. Bereits Ende der vierziger Jahre begann sich in den deutschen Westzonen der politische Wind insoweit gründlich zu drehen, als wachsende Teile der Öffentlichkeit die Kriegsverbrecherprozesse ablehnten. Dies geschah auf der Basis einer beschönigenden und verdrängenden „Vergangenheitspolitik“24. In der Summe gesehen, haben die Kriegsverbrecherprozesse jedenfalls nicht dazu geführt, daß es zu einer allgemeinen mentalen Distanzierung der Deutschen von der Wehrmacht kam. Die westlichen Siegermächte boten ehemaligen Generalen der Wehrmacht schon bald nach dem Kriege noch eine weitere Möglichkeit, die zurückliegenden Kriegsereignisse und die Rolle der Wehrmacht in ihrer ganz spezifischen Sicht für die Nachwelt festzuhalten, und zwar mit der Kriegsgeschichtsschreibung im Dienste der Alliierten.25 Das war ein Novum und ein wahrhaft erstaunlicher Vorgang. Denn bis dahin galt, daß der Sieger eines Krieges auch dessen Geschichte schreibt. Die Möglichkeit zur Selbstdarstellung ihrer militärischen Taten im Zweiten Weltkrieg wurde kriegsgefangenen deutschen Offizieren unter anderem in der „Historical Division“ der US-Army geboten,26 obwohl sie – mit Ausnahme des Generals Dr. Waldemar Erfurth – keine gelernten Historiker waren. Im Juni 1946 arbeiteten

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nicht weniger als 328 deutsche Offiziere, die meisten von ihnen im Generalsrang, in amerikanischer Kriegsgefangenschaft an dem historischen Programm mit. Bis März 1948 verfaßten sie über 1000 Manuskripte mit ungefähr 34 000 Seiten.27 Der amerikanischen Militärführung gelang es dabei, den im deutschen Offizierskorps allseits hochgeschätzten früheren Chef des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder, für die Übernahme der Gesamtleitung des Projekts zu gewinnen. Dieser entschloß sich zur Zusammen arbeit mit den Amerikanern mit der bezeichnenden politischen Begründung, es gehe darum, „den Kampf gegen den Bolschewismus fortzusetzen“.28 In gleicher Weise argumentierten damals auch Großadmiral Dönitz und der Geheimdienstgeneral Gehlen (Abteilung „Fremde Heere Ost“). Als Halders Stellvertreter amtierte General Adolf Heusinger, der später der erste Generalinspekteur der Bundeswehr werden sollte. Seit etwa 1947 verlagerte sich das Interesse der amerikanischen Auftraggeber der „Operational History (German) Section“ und des parallellaufenden „Naval Historical Team“ immer mehr von der Darstellung deutscher Operationen im Zweiten Weltkrieg auf die Erarbeitung von Studien über die Sowjetunion, was im Zusammenhang mit dem sich verschärfenden OstWest-Gegensatz gesehen werden muß.29 Beide Felder boten die Möglichkeit, das vermeintlich überragende professionelle Können der militärischen Führungsschicht der Wehrmacht sowie die außergewöhnliche Tapferkeit und Durchhaltebereitschaft der deutschen Soldaten zu beschreiben. Diese Sicht hinterließ auch bei den Siegermächten ihre Spuren. Zumal in den britischen und amerikanischen Streitkräften festigte sich (neben dem Abscheu über die Kriegsverbrechen von Angehörigen der Wehrmacht) nämlich die bereits „aus den Erfahrungen des Schlachtfeldes erwachsene Bewunderung für die Professionalität des deutschen Soldatentums“30. Auf diese Weise entstand eine Art internationale Solidarität der Berufsmilitärs. Die erwähnte Hochschätzung des militärischen Könnens der Wehrmacht setzte sich auch in Büchern wie denen des bekannten englischen Militärschriftstellers Liddell Hart sowie in etlichen Memoiren britischer und amerikanischer Militärs fort. Im rechtsradikalen Milieu und in anderen wehrmacht-apologetischen Kreisen wird sie bis zum heutigen Tage ins Feld geführt, wenn es darum geht, gegen die Erkenntnisse der kritischen militärhistorischen Forschung die Fiktion eines hart, aber „anständig“ und „fair“ geführten Krieges der Wehrmacht aufrechtzuerhalten. In der Historical Division wurden einmal mehr die Spuren des von der Wehrmachtführung zu verantwortenden Vernichtungskrieges verwischt. Charakteristisch für die Art und Weise, in der ehemalige hohe Wehrmachtoffiziere an der Legendenbildung über ihre Institution arbeiten durften, war

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eine Weisung des ehemaligen Generalfeldmarschalls von Küchler vom März 194731 an seine militärischen Mitarbeiter im Lager Garmisch der Historical Division. Als Leitlinie für die Abfassung der kriegsgeschichtlichen Studien befahl er: „Es werden die deutschen Taten, vom deutschen Standpunkt gesehen, festgelegt und dadurch unseren Truppen ein Denkmal gesetzt.“ Es dürfe, so Küchler, „keine Kritik an Führungsmaßnahmen“ erfolgen; niemand dürfe „irgendwie belastet“ werden und die Leistungen der Wehrmacht seien gebührend herauszustellen. Ein als „wissenschaftliche Kommission“ getarntes Zensurgremium wachte über die Ausführung dieser Weisung. Die im Korpsgeist, Gehorsam und persönlicher Loyalität erzogenen ehemaligen Wehrmachtoffiziere dürften keine Schwierigkeit darin gesehen haben, diesen Vorgaben Folge zu leisten. Einer der deutschen Offiziere, die in der Historical Division an ihrem Bild der Wehrmacht feilten, der ehemalige General Geyr v. Schweppenburg, hat bestätigt, daß dort nicht nur die allgemeine Richtung vorgegeben wurde. Es sei darüber hinaus auch durchaus möglich gewesen, berichtet er, „das eine oder andere Belastungsmaterial, das im Nürnberger Prozeß hätte verwendet werden können, verschwinden zu lassen. Dies sei sogar mit amerikanischer Hilfe geschehen.“32 Die in der Historical Division und anderen vergleichbaren Einrichtungen verfaßten Studien über die Wehrmacht, die Rote Armee der Sowjetunion und deren Operationen erblickten zwar nicht das Licht der großen Öffentlichkeit, wurden von der US-Regierung jedoch ab 1950 als „Studies“ gedruckt. Der Geist der Wehrmacht, in dem sie geschrieben waren, fand auf diese Weise den Weg nach draußen, zum großen Publikum. Hinzu kamen die in den fünfziger Jahren publizierten Memoiren von Wehrmachtgeneralen33, in denen die „verlorenen Siege“ nachträglich wenigstens auf dem Papier doch noch gewonnen werden sollten. Unter anderen sind hier exemplarisch die Bücher von Manstein, Halder, Guderian, Warlimont, Heusinger, Philippi/Heim, Frießner und Kesselring34 zu nennen. Denselben Geist vermittelten viele Filme und Illustrierte jener Zeit und nicht zuletzt die unzähligen Landserromane, die in der Regel von ehemaligen Offizieren der Wehrmachtpropaganda geschrieben wurden. In den späten sechziger Jahren unternahm es der frühere Wehrmachtgeneral Curt Siewert, in einem – die bisherigen apologetischen Bestrebungen gleichsam resümierenden – Buch die militärischen Führer im nationalsozialistischen Staat noch einmal von jeder Schuld freizusprechen.35 Diese Tendenzen korrespondierten mit Entwicklungen auf der Ebene der internationalen Politik. Für das Selbstwertgefühl der Wehrmachtelite sowie für das Bild der Wehrmacht in der deutschen Öffentlichkeit war der halbe Freispruch von „Nürnberg“ – wie sie das IMT-Urteil interpretierten – von einiger Bedeutung. Gleichsam als ganzen Freispruch werteten sie allerdings

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erst die von dem NATO-Oberkommandierenden in Europa, US-General Dwight D. Eisenhower, am 23.1.1951 sowie von Bundeskanzler Konrad Adenauer am 5.4.1951 öffentlich abgegebenen Ehrenerklärungen. Sie erfolgten unter dem Druck einer Situation, in der sowohl die Regierung der USA als auch die Bundesregierung wußten, daß es in absehbarer Zeit wieder deutsche Streitkräfte geben würde und daß zu ihrem Aufbau der Rückgriff auf Angehörige der früheren Wehrmachtelite unumgänglich sein würde. Adenauer entlastete allerdings die Wehrmacht nicht pauschal, sondern nur jene Soldaten, „die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen“36. Wie ist die politische Wirkung dieser beiden Ehrenerklärungen von 1951 zu bewerten? Im Hinblick auf die ehemaligen Angehörigen der Wehrmachtelite wird man sagen können, daß die Nachkriegszeit – die von ihnen als eine Phase der Demütigungen, der Ohnmacht und der fehlenden beruflichen Perspektiven erlebt worden war – nun im wesentlichen als abgeschlossen betrachtet worden sein dürfte. Die deutsche Justiz hat in den 50er Jahren keine besonderen Anstrengungen unternommen, deutsche Verbrechen aus der NS-Zeit vor Gericht zu bringen. Durch die Erkenntnis alarmiert, das schwerste Verbrechen ungesühnt geblieben waren, faßten die Justizminister der deutschen Bundesländer im Oktober 1958 den Entschluß, in Ludwigsburg eine „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ ins Leben zu rufen. Von den Staatsanwälten, die in dieser Behörde beschäftigt waren, wurde in der Folgezeit wertvolle Ermittlungsarbeit geleistet, auf welche die historische Forschung künftig in starkem Maße zurückgreifen dürfte. Die deutsche Justiz hat erstaunlicherweise keinen einzigen Offizier der Wehrmacht wegen Kriegsverbrechen oder NS-Verbrechen verurteilt. Der langjährige Leiter der Zentralen Stelle, Oberstaatsanwalt Alfred Streim, berichtet, daß „über 1000 Ermittlungsverfahren gegen eine Vielzahl von Angehörigen der ehemaligen Wehrmacht, insbesondere des Heeres“, eingeleitet und an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden abgegeben worden seien. „In keinem Fall“ sei es jedoch zu einer Anklage gekommen. „Die Verfahren wurden durch Einstellung mangels Beweises sowie Verjährung abgeschlossen oder waren durch den Tod der Beschuldigten erledigt.“37 Streim urteilt abschließend, die strafrechtliche Aufklärung von Verbrechen ehemaliger Wehrmachtangehöriger sei „insbesondere aus poli tischen Gründen unterblieben“.38 Damit sagte er, daß auf diesem Gebiet spezielle politische Rücksichtnahmen und besondere Einflüsse am Werke waren.39 Letztlich blieb es der historischen Forschung vorbehalten, auf der Basis ihrer Quellenarbeit nach und nach ein neues Bild der Wehrmacht und ihrer

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Elite zu zeichnen. Diese Arbeit konnte erst Anfang der 60er Jahre beginnen, nachdem die Wehrmachtsakten von den USA und Großbritannien an die Bundesrepublik zurückgegeben und durch das deutsche BundesarchivMilitärarchiv vereinnahmt und zugänglich gemacht worden waren. Wichtige Erkenntnisfortschritte brachten in den sechziger Jahren Andreas Hillgrubers Werk „Hitlers Strategie“, die Gutachten von Helmut Krausnick und Hans-Adolf Jacobsen über den Kommissarbefehl und das KZ-System sowie die im Jahre 1969 veröffentlichten Bücher von Manfred Messerschmidt und Klaus-Jürgen Müller über die Wehrmacht. In den siebziger und achtziger Jahren folgten die Forschungen von Christian Streit und Alfred Streim über das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam sowie die – in einer ganzen Reihe von Buchpublikationen niedergelegten – Forschungsergebnisse von Historikern des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes.40 Sie beschreiben den Vernichtungskrieg im Osten, aber auch deutsche Kriegsverbrechen in Jugoslawien, Griechenland und in Italien. Die Forschungen des Wiener Historikers Walter Manoschek legten Wehrmachtsverbrechen in Serbien offen, und die Arbeiten von Paul Kohl und Hannes Heer warfen ein neues Licht auf den Vernichtungskrieg der Wehrmacht in Weißrußland. Manfred Messerschmidt41 faßte die gewonnenen Erkenntnisse über die Wehrmacht bereits Anfang der achtziger Jahre zu einem neuen Bild zusammen: „So muß der Krieg gegen die Sowjetunion, ein Angriffskrieg, wie alle anderen deutschen kriegerischen Unternehmungen seit 1939, über den allgemeinen Unrechtsgehalt des Angriffskrieges hinaus als ein von der Wehrmacht-, Heeres-, Luftwaffen- und Marineführung mitgeplantes kriminelles Ereignis gewertet werden, das den absoluten Tiefpunkt der deutschen Militärgeschichte darstellt.“42 Gegen die sich anbahnende neue Interpretation der Wehrmacht liefen insbesondere die Soldatenverbände Sturm.43 Sie fürchteten, das von ihnen jahrzehntelang gepflegte positive Bild von der „sauberen Wehrmacht“ würde endgültig zu bröckeln beginnen. Allerdings gelang es ihren Wortführern, die sich ähnlich wie Hans Filbinger als Angehörige einer „geschmähten Generation“44 verunglimpft fühlten, zunehmend weniger, ihr Bild der Wehrmacht als herrschende Meinung zu bewahren bzw. durchzusetzen. Der Historikerstreit von 1986 belebte auf Jahre hinaus die Diskussionen über die jüngere deutsche Geschichte und schärfte das historisch-politische Bewußtsein der nachgewachsenen Generationen. Sie fragten immer deutlicher nach den verfügbaren Sachinformationen über die Rolle der Wehrmacht im NS-Staat, insbesondere über die Rolle der Wehrmacht im Krieg gegen die Sowjetunion. Fernsehen und große Wochenzeitungen machten sich verdient, indem sie solche Informationen verstärkt verbreiteten und ein schärferes Bild von Hitlers militärischer Elite zeichneten.45

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Fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Zeit schließlich reif für eine weitgehende Revision der in der Öffentlichkeit noch immer verbreiteten Vorstellung, die Wehrmacht und ihre Führung habe einen ganz normalen, völkerrechtskonformen Krieg geführt und habe sich keine Verbrechen zuschulde kommen lassen. Zum Katalysator wurde die 1995 eröffnete Wehrmachtausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Sie griff die vorhandenen Forschungsergebnisse auf und setzte sie mit zeitgenössischen Fotografien publikumswirksam ins Bild.46 Hinter den Kulissen brachen noch einmal die alten Kontroversen aus. In den Leserbriefspalten der großen Tages- und Wochenzeitungen dominierten jetzt allerdings – anders als früher – die kritischen Beiträge. Gleichzeitig ging der „siebenjährige Krieg“ zur Rücknahme der Entscheidung, Bundeswehr-Kasernen nach den Wehrmachtgeneralen Dietl und Kübler zu benennen, für die Traditionalisten verloren. In der seit 1982 in der bundesdeutschen Öffentlichkeit geführten Debatte über eine Rehabilitierung und Entschädigung von Wehrmacht-Deserteuren wurden große Fortschritte erzielt.47 Bundesverteidigungsminister Volker Rühe hielt im Oktober 1996 in München vor Kommandeuren der Bundeswehr eine Rede, in welcher er die politischen Konsequenzen deutlich machte, die sich aus dem gewandelten Wehrmachtbild ergaben: „Die Wehrmacht war als Organisation des Dritten Reiches in ihrer Spitze, mit Truppenteilen und mit Soldaten in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Als Institution kann sie deshalb keine Tradition begründen …“48 Damit wurde eine jahrzehntelange Auseinandersetzung innerhalb der Bundeswehr vorläufig beendet – soweit Ministerworte dies überhaupt vermögen. Wichtiger wäre allerdings, die Diskussion über die Wehrmacht in der Bundeswehr nun auch inhaltlich zu führen, damit die alte Legende nicht unterschwellig fortwirken kann und neonazistische Tendenzen fördert. Raul Hilberg, der wohl bedeutendste Holocaust-Forscher, bemerkte einmal bitter, seine Erkenntnisse über die Ermordung der europäischen Juden seien über lange Zeit hinweg als „unerbetene Erinnerung“ 49 abgewehrt worden. Ähnliches läßt sich über die Geschichte der Wehrmacht und ihrer Führung sagen. Auch dieses Wissen war „unerbeten“, unerwünscht. Es stieß in Teilen der deutschen Öffentlichkeit auf geradezu aggressive Abwehr. Die Historiker, die sich gleichsam in der Rolle von Überbringern schlechter historischer Nachrichten gedrängt sahen, wurden als „Nestbeschmutzer“ denunziert. Erst ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des Zusammenbruchs des nationalsozialistischen Terrorregimes erreicht das längst erarbeitete Wissen über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht im Osten die breite Öffentlichkeit. Die an der Aufrechterhal-

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tung der Legende von der „sauberen Wehrmacht“ interessierten Kreise können nun den Durchbruch zur Wahrheit nicht verhindern. Diese späte Bereitschaft zum Abschiednehmen von liebgewordenen Geschichtslegenden, welche die Epoche des Zweiten Weltkrieges und des europäischen Faschismus betreffen, ist im übrigen nicht nur in Deutschland zu beobachten. Auch in Italien, in Frankreich, in der Schweiz, in Schweden, Dänemark und anderswo läßt sich seit Mitte der 90er Jahre beobachten, wie die Wahrheit allmählich zum Durchbruch kommt.50 Allenthalben bröckeln die nationalen Mythen. Anmerkungen 1 Omer Bartov: Hitler’s Army. Soldiers, Nazis, and War in the Third Reich. Oxford 1992 (deutsche Ausgabe u. d. T.: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges. Reinbek bei Hamburg 1995); ders.: Wem gehört die Geschichte? Wehrmacht und Geschichtswissenschaft. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Hrsg. von Hannes Heer und Klaus Naumann. Hamburg 1995, S. 601–619. Bernd Wegner: Erschriebene Siege. Franz Halder, die ‘Historical Division’ und die Rekonstruktion des Zweiten Weltkrieges im Geiste des deutschen Generalstabes. In: Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs. Festschrift für Klaus-Jürgen Müller. Hrsg. v. Ernst Willi Hansen, Gerhard Schreiber und Bernd Wegner. München 1995, S. 287–302. 2 Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996; Ulrich Herbert/Olaf Groehler: Zweierlei Bewältigung. Vier Beiträge über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten. Hamburg 1992; Ulrich Brochhagen: Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer. Hamburg 1994; Gerd R. Ueberschär: Der Mord an den Juden und der Ostkrieg. Zum Forschungsstand über den Holocaust. In: Täter – Opfer – Folgen. Der Holocaust in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. v. Heiner Lichtenstein u. Otto R. Romberg. Bonn 1995, S. 49–81; Der 20. Juli. Das „andere Deutschland“ in der Vergangenheitspolitik nach 1945. Hrsg. von Gerd R. Ueberschär. Berlin 1998; Klaus Naumann: Wenn ein Tabu bricht. Die Wehrmachtausstellung in der Bundesrepublik. In: Mittelweg 36, 5 (1996), S. 11–22; ders.: Nachkrieg. Vernichtungskrieg, Wehrmacht und Militär in der deutschen Wahrnehmung nach 1945. In: Mittelweg 36, 6 (1997), S.11–25. 3 Vgl. dazu die Forschungen von Heinrich Schwendemann: Endkampf und Zusammenbruch im deutschen Osten. In: Freiburger Universitätsblätter 130 (1995), S.9– 27. 4 Klaus-Dietmar Henke: Die amerikanische Besetzung Deutschlands. München 1995, S.958. 5 Vgl. ebenda, S.809–814. 6 Ebenda, S.964f. 7 Josef Folttmann/Hans Möller-Witten: Opfergang der Generale. Die Verluste der

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Generale und Admirale und der im gleichen Rang stehenden sonstigen Offiziere und Beamten im Zweiten Weltkrieg. 2. Aufl. Berlin 1953, S.100ff., 118, 124, 128, 131. 8 Kurt Pätzold: Der Streit um die Wehrmacht. In: Bulletin Nr. 9 der Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung e.V., Berlin 1997, S. 3–47, spricht von der „Ausgangslegende“ (S. 23), was aber nur teilweise zutrifft, da es zuvor schon ähnliche Verlautbarungen gegeben hat. 9 Näheres zu ermitteln bei Reimer Hansen: Das Ende des Dritten Reiches. Die deutsche Kapitulation 1945. Stuttgart 1966; Marlis G. Steinert: Die 23 Tage der Regierung Dönitz. Düsseldorf 1967, und – mit apologetischer Ausrichtung – Walter LüddeNeurath: Regierung Dönitz. Die letzten Tage des Dritten Reiches. 4. Aufl. Leoni am Starnberger See 1980. 10 Wehrmachtbericht vom 9. 5. 1945. In: Die Niederlage 1945. Aus dem Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht. Hrsg. v. Percy Ernst Schramm. 2. Aufl. München 1985, S.403 f., Zitat S. 404. 11 Zit. nach Manfred Messerschmidt: Vorwärtsverteidigung. Die „Denkschrift der Generale“ für den Nürnberger Gerichtshof. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945. Hrsg. von Hannes Heer und Klaus Naumann. Hamburg 1995, S.531–550, hier: S.532. 12 Diese erstaunliche Geschichte des Zustandekommens der Generalsdenkschrift schildert Georg Meyer: Zur Situation der deutschen militärischen Führungsschicht im Vorfeld des westdeutschen Verteidigungsbeitrages 1945–1950/51. In: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956. Hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Bd. 1: Von der Kapitulation zum Pleven-Plan. München, Wien 1982, S.577–726, hier: S.680 f. 13 Abgedruckt in: Siegfried Westphal, Der Deutsche Generalstab auf der Anklagebank, Nürnberg 1945–1948. Mainz 1978, S. 28–87. 14 Messerschmidt, Vorwärtsverteidigung, S. 531. 15 Ebenda, S.546. 16 Meyer, Zur Situation, S. 672. 17 Nach Robert M. W. Kempner: Übersicht über die Nürnberger Prozesse. In: Telford Taylor: Die Nürnberger Prozesse. Kriegsverbrechen und Völkerrecht. Sonderausgabe Zürich 1951, S.161. 18 Zur Problematik vgl. Telford Taylor: Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht. München 1995, 10. Kapitel: Die SS, der Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht, S. 282 ff. sowie 597–603, 610–614, 676f. 19 Siehe: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, 14. November 1945–1. Oktober 1946. 41 Bde. Nürnberg 1947 (IMT), Bd.1, S. 311 f. 20 Als Generalstab bezeichnet man in der deutschen Militärgeschichte zum einen die Summe der speziell ausgebildeten Generalstabsoffiziere, die der obersten militärischen Führung zuarbeiten, zum anderen eine bestimmte Institution. In der Zeit des deutschen Kaiserreiches hatte die Oberste Heeresleitung (OHL) diese Funktion. Dieser deutsche Generalstab wurde 1919 im Versailler Vertrag verboten, bestand aber getarnt weiter und wurde seit 1935 offiziell wieder so benannt.

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Die wichtigsten Gesetzesquellen, auf denen die Nürnberger Prozesse beruhten, sind abgedruckt in: Taylor, Die Nürnberger Prozesse (1951), S. 141–159; darunter auch das Statut des Internationalen Gerichtshofs, S.143 f. 22 IMT, Bd.1, S. 313 f. Leicht abweichende Übersetzung bei Taylor, Die Nürnberger Prozesse (1995), S.677. 23 Rundfunkinterview Rapps vom 8. Juni 1948 u. d. T. „Prozesse der Zeit“. Zit. nach Georg Meyer, Soldaten ohne Armee. Berufssoldaten im Kampf um Standesehre und Versorgung. In: Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. Hrsg. von Martin Broszat, Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller. 3. Aufl. München 1990, S.683–750, hier: S.709f. 24 Dazu jetzt Norbert Frei, Vergangenheitspolitik, S. 133–306. 25 Wegner, Erschriebene Siege, S.287. 26 Vgl. Charles Burdick: Vom Schwert zur Feder. Deutsche Kriegsgefangene im Dienst der Vorbereitung der amerikanischen Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2/1971, S. 69–80; Christian Greiner: „Operational History (German) Section“ und „Naval Historical Team“. Deutsches militärstrategisches Denken im Dienst der amerikanischen Streitkräfte von 1946 bis 1950. In: Militärgeschichte. Probleme – Thesen – Wege. Stuttgart 1982, S.409– 435. 27 Nach Burdick, Vom Schwert zur Feder, S. 71 und 77. 28 Ebenda, S.75. General a. D. Franz Halder nahm in den 50er und 60er Jahren wesentlichen Einfluß auf die Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland, indem er – auf der Basis des in den „Studies“ angesammelten Wissens – Historikern und historisierenden ehemaligen Soldaten einschlägige Informationen und Auskünfte gab. Dazu jetzt die Halder-Biographie von Gerd R. Ueberschär: Generaloberst Franz Halder. Generalstabschef, Gegner und Gefangener Hitlers. Göttingen, Zürich 1991, S.92 ff. 29 Hierzu im einzelnen Christopher Simpson, Der amerikanische Bumerang. NSKriegsverbrecher im Sold der USA. Wien 1988. 30 Wegner, Erschriebene Siege, S.290. 31 Weisung des ehemaligen Generalfeldmarschalls von Kübler vom 7. 3. 1947. In: BA-MA Feiburg i. Br., ZA 1/70. 32 Ueberschär, Halder, S. 95. 33 Einige dieser Memorien untersucht Friedrich Gerstenberger: Strategische Erinnerungen. Die Memoiren deutscher Offiziere. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Hrsg. von Hannes Heer und Klaus Naumann. Hamburg 1995, S.620–629. 34 Erich v. Manstein: Verlorene Siege. Bonn 1955; Franz Halder: Hitler als Feldherr. Der ehemalige Chef des Generalstabes berichtet die Wahrheit. Tübingen 1949; Heinz Guderian: Erinnerungen eines Soldaten. Heidelberg 1950; Walter Warlimont: Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 1939–45. Frankfurt a. M. 1962; Adolf Heusinger: Befehl im Widerstreit. Schicksalsstunden der deutschen Armee. Tübingen 2. Aufl. 1957; Alfred Philippi/Ferdinand Heim: Der Feldzug gegen die Sowjetunion 1941–1945. Stuttgart 1962; Hans Frießner: Verratene Schlachten. Die Tragödie der deutschen Wehrmacht in Ungarn und Rumänien. Hamburg 1956; Albert Kesselring: Soldat bis zum letzten Tag. Bonn 1953. 21

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Curt Siewert: Schuldig? Die Generale unter Hitler. Stellung und Einfluß der hohen militärischen Führer im nationalsozialistischen Staat. Das Maß ihrer Verantwortung und Schuld. Bad Nauheim 1968. 36 Formulierung aus der Ehrenerklärung von Bundeskanzler Adenauer für die Wehrmacht-Soldaten am 5. 4. 1951 im Deutschen Bundestag anläßlich der Beratungen des Art. 131 GG. Quelle: Deutscher Bundestag. 1. Wahlperiode. Stenographische Berichte 1951, S.4984. 37 Alfred Streim, Saubere Wehrmacht? In: Vernichtungskrieg, S.569–597, S.578. 38 Ebenda, S.593. 39 Vgl. dazu die Andeutungen bei Adalbert Rückerl: Die Strafverfolgung von NSVerbrechen 1945–1978. Eine Dokumentation. Heidelberg 1979, S. 238f. Dort wird berichtet, ein ehemaliger prominenter Angehöriger des Reichssicherheitshauptamtes (vermutlich Werner Best, W. W.) habe in den 60er Jahren den Versuch unternommen, eine zentral gesteuerte „Argumentationshilfe“ für die in NS-Prozessen Angeklagten zu schaffen. Nach der Aufdeckung seien zahllose Hinweise auf Kontaktpersonen und Verbindungen zu Zusammenschlüssen ehemaliger Angehöriger nationalsozialistischer Organisationen und deren Sympathisanten bekannt geworden. 40 Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bde. 1–6. Stuttgart 1979ff.; „Unternehmen Barbarossa“. Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär u. Wolfram Wette. Paderborn 1984 (Taschenbuchausgabe u. demselben Titel. Frankfurt a. M. 1991, 3. Aufl. 1997); Der Zweite Weltkrieg. Analysen, Grundzüge, Forschungsbilanz. Hrsg. von Wolfgang Michalka. 2. Aufl. München, Zürich 1990; Zwei Wege nach Moskau. Vom Hitler-Stalin-Pakt zum „Unternehmen Barbarossa“. Hrsg. von Bernd Wegner. München, Zürich 1991; Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht. Hrsg. von Wolfram Wette u. Gerd R. Ueberschär. Frankfurt a. M. 1992, 3. Aufl. 1997; Stalingrad. Ereignis, Wirkung, Symbol. Hrsg. v. Jürgen Förster. München, Zürich 1992; Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten. Hrsg. von Wolfram Wette. München, Zürich 1992, 2. Aufl. 1995. 41 Aufsehen erregte sein Vortrag in der Evangelischen Akademie Hofgeismar im Mai 1979, der seinerzeit von der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht wurde und ein ungewöhnlich großes Leserecho hervorrief. Siehe weiterhin: Ders.: Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 17/1981, S. 11–23; ders.: Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung: In: Tradition als Last? Legitimationsprobleme der Bundeswehr. Hrsg. von Klaus-M. Kodalle. Köln 1981, S. 57–77; ders.: Der Kampf der Wehrmacht im Osten als Traditionsproblem. In: „Unternehmen Barbarossa“ (Taschenbuchausgabe), S. 225–237; ders.: Wehrmacht, Ostfeldzug und Tradition. In: Der Zweite Weltkrieg. Hrsg. v. Wolfgang Michalka. München, Zürich 1990, S.314–328. 42 Manfred Messerschmidt: Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung. In: ders.: Militärgeschichtliche Aspekte des deutschen Nationalstaates. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Düsseldorf 1988, S.233–255, Zitat S.243. 43 Zusammenfassend Karl Seidl: Ein Kampf um die Geschichte der deutschen Wehrmacht. Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg unter Beschuß von rechts. In: Badische Zeitung Nr. 40, 16./17. 2. 1985. 35

Das Bild der Wehrmacht-Elite nach 1945

593

Vgl. das Buch des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger: Die geschmähte Generation. München 1987. 45 Vgl. etwa die Wehrmacht-Diskussion in der ZEIT vom Frühjahr 1995 und die inzwischen mehr als 100 000mal verkaufte Broschüre mit dem Titel „Gehorsam bis zum Mord? Der verschwiegene Krieg der Wehrmacht“, erschienen in der Reihe ZEIT-Punkte 1/95. 46 Die öffentliche Wehrmacht-Kontroverse sowie die in diesem Zusammenhang vorgetragenen Fachbeiträge von Historikern wurden in mehreren Sammelpublikationen festgehalten. Vgl.: Die Wehrmacht im Rassenkrieg. Hrsg. von Walter Manoschek. Wien 1996. Befreiung von der Wehrmacht? Dokumentation der Auseinandersetzung über die Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ in Bremen 1996/97. Hrsg. von Helmut Donat und Arn Strohmeyer. Bremen 1997; Die Wehrmachtsausstellung. Dokumentation einer Kontroverse. Hrsg. von Hans-Günther Thiele. Bremen 1997; Wehrmachtsverbrechen. Eine deutsche Kontroverse. Hrsg. von Heribert Prantl. Hamburg 1997. 47 Deserteure der Wehrmacht. Feigling – Opfer – Hoffnungsträger? Dokumentation eines Meinungswandels. Hrsg. v. Wolfram Wette. Essen 1995. 48 Diese Passage aus der Rede Rühes in München vom November 1996 zit. nach: Winfried Vogel: Die Wehrmacht ist kein Vorbild. Volker Rühes klares Wort zum Selbstverständnis der Bundeswehr. In: DIE ZEIT Nr.49, 1. 12. 1996, S.16. 49 Raul Hilberg: Unerbetene Erinnerung. Der Weg eines Holocaustforschers. Frankfurt a.M. 1994. 50 Zum Bröckeln der nationalen Mythen in Europa vgl. die Beobachtungen von Marion Gräfin Dönhoff: Wandel der Wahrheit. Wie Nationen sich ihre Geschichte schreiben. In: DIE ZEIT Nr. 45, 31. Oktober 1997, S. 1, sowie die Berichte über den Umgang mit der „Last der Vergangenheit“ in Deutschland, Schweden, Frankreich und der Schweiz. In: Ebenda, S. 9–13. 44

Abkürzungsverzeichnis Abt. a.D. ADAP A.K. All. Anl. Anm. AO AOK Aufl. Ausg. AWA Az. BA Berlin BA Koblenz BA-MA Freiburg BA-ZA DH

Abteilung außer Dienst Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik Armeekorps Alliierte Anlage Anmerkung Abwehroffizier Armeeoberkommando Auflage Ausgabe Allgemeines Wehrmachtamt im OKW Aktenzeichen Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde Bundesarchiv Koblenz Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg Bundesarchiv-Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten BA-ZNS Bundesarchiv-Zentralnachweisstelle (jetzt BA-MA Freiburg) Bay. HStA-KA München Bayerisches Hauptstaatsarchiv-Kriegsarchiv München BDC Berlin Document Center (jetzt BA Berlin) BdE Befehlshaber des Ersatzheeres BDO Bund Deutscher Offiziere BdP Befehlshaber der Panzerschiffe BdSp Befehlshaber der deutschen Seestreitkräfte in den spanischen Gewässern Bearb. Bearbeitet Bl. Blatt BW, Bw. Bundeswehr CIC Counter Intelligence Corps (US-Dienst) DC. District Capital (Washington) DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft Div. Division

Abkürzungsverzeichnis

DNB DÖW dt. Ed. FIAT fol. FPÖ Frhr. g. GAF gem. Gen. GFM GFP g. Kdos. g. Rs. Gr, Gr. H. HA SS-Gericht HDv. HGr, H. Gr. HIAG HPA HSSPF I. D. i. G. IfZ Mùnchen IMT Inf. Kav. Kdos. kgl. KSSVO KStVO KTB KV-Ankl.

595

Deutsches Nachrichtenbiiro Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien deutsch Edited (herausgegeben) Field Information Agency, Technical folio, auf dem Blatt Freiheitliche Partei Österreichs Freiherr geheim German Air Force gemäß General Generalfeldmarschall Geheime Feldpolizei geheime Kommandosache (Geheimhaltungsgrad) geheime Reichssache (Geheimhaltungsgrad) Gruppe Heft, Heer Hauptamt SS-Gericht (Dienststelle) Heeresdienstvorschrift Heeresgruppe Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit (der ehemaligen Waffen-SS) Heerespersonalamt Höherer SS- und Polizeiführer Infanterie-Division im Generalstab Institut für Zeitgeschichte München Internationaler Militärgerichtshof (Internationales Militär-Tribunal) in Nürnberg Infanterie Kavallerie Kommandosache königlich Kriegssonderstrafrechtsverordnung Kriegsstrafverfahrensordnung Kriegstagebuch Kriegsverbrecher-Anklageunterlagen

596

L Lfd., lfd LPA Lw MF MGFA MHA Prag MinR Mitgl.-Nr. Ms MSg. N, NL NDB NKFD NOKW NS NSDAP NSFO N. u. N.-Erlass OB, Ob. OB Ost ObdH ObdM Offz o. J. OKH OKL OKM OKW o. O. ORKA PA Pers PG PRO London Pz Red. RFSS RGB1 RH

Abkürzungsverzeichnis

Abteilung Landesverteidigung im OKW/WFSt Laufend, laufend Luftwaffenpersonalamt Luftwaffe Mikrofilm-Signatur Militärgeschichtliches Forschungsamt (Freiburg, später Potsdam) Militärhistorisches Archiv Prag Ministerialrat Mitgliedsnummer maschinenschriftliches Manuskript Militärgeschichtliche Sammlung Nachlass Neue Deutsche Biographie Nationalkomitee „Freies Deutschland” Nürnberger OKW-Dokument Nationalsozialistisch, Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Führungsoffizier Nacht- und Nebel-Erlass Oberbefehlshaber Oberbefehlshaber Ost Oberbefehlshaber des Heeres Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Offizier ohne Jahresangabe Oberkommando des Heeres Oberkommando der Luftwaffe Oberkommando der Kriegsmarine Oberkommando der Wehrmacht ohne Ortsangabe Oberreichskriegsanwalt Personalamt Personal Marine-Archivsignatur (alter Art) Public Record Office London/Kew (Archiv) Panzer Redaktion Reichsführer-SS Reichsgesetzblatt Reichsheer, Heer

Abkürzungsverzeichnis

RKG RKM RL RLB RLM RMWEV

Reichskriegsgericht Reichskriegsministerium Luftwaffe (Archivsignatur) Reichsluftschutzbund Reichsluftfahrtministerium Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Rs. Reichssache RS Waffen-SS (als Archivsignatur) RSHA Reichssicherheitshauptamt der SS RW Reichswehr SD Sicherheitsdienst der SS SS Schutzstaffel der NSDAP SS-VT SS-Verfügungstruppe StA Nürnberg Staatsarchiv Nürnberg T Truppenamt in der Reichswehr TSD Truppensonderdienst UA-HUB Universitätsarchiv der Humboldt-Universität in Berlin u. d. T. unter dem Titel unpag. unpaginiert, ohne Seitenzählung u. ö. und öfter US United States USAF Historical Division United States Air Force Historical Division (Historische Abteilung) USAF Historical Studies United States Air Force Historical Studies (Historische Studien) v. vom, vorläufig (bei Aktensignatur) VfZG Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VGH Volksgerichtshof vol. volume (Band) WFSt Wehrmachtführungsstab im OKW (bis 8.8.1940 Wehrmachtführungsamt) WiRüAmt Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt im OKW WR Wehrmachtrechtsabteilung im OKW WWR Wehrwissenschaftliche Rundschau ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft zit. zitiert Zs. Zeitschrift ZS Zeugenschrifttum (im Archiv)

597

598

ZSL Ludwigsburg Ia Ib Ic

Abkürzungsverzeichnis

Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg 1. Generalstabsoffizier in einem Stab 2. Generalstabsoffizier in einem Stab 3. Generalstabsoffizier in einem Stab

Bibliographie Aufgeführt sind Titel, die in den Anmerkungen erwähnt, jedoch nicht in die bibliographischen Hinweise der einzelnen Beiträge aufgenommen worden sind, da sie allgemeiner Natur oder mehrmals genannt sind. Zusätzlich ist eine Auswahl neuerer Arbeiten mit biographischen Bezügen aufgeführt. Akten der Parteikanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verlorenen Bestandes. Sammlung der in anderen Provenienzen überlieferten Korrespondenzen, Niederschriften von Besprechungen usw. mit dem Stellvertreter des Führers und seinem Stab bzw. der Partei-Kanzlei, ihren Ämtern, Referaten und Unterabteilungen sowie mit Heß und Bormann persönlich. Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte. Bearb. von Helmut Heiber u. a. München 1983. Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1934–1956. Hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Bd. 1: Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan. München 1982. Bartov, Omer: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges. Reinbek 1995, Paperback 1999 (engl. Ausgabe u. d. T.: Hitler’s Army. Soldiers, Nazis, and War in the Third Reich. New York 1992). Bastian, Till: Furchtbare Ärzte. München 2. Auflage 1996. Ludwig Beck: Studien. Hrsg. v. Hans Speidel. Stuttgart 1955. Below, Nicolaus v.: Als Hitlers Adjutant 1937–1945. Mainz 1980. Berger, Walter: Die deutsche Aufrüstung 1934–1939. Militärische und politische Konzeptionen und ihre Einschätzung durch die Alliierten. Frankfurt am Main 1982. Besson, Waldemar: Zur Geschichte des Nationalsozialistischen Führungsoffiziers. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 9 (1961), S. 76–116. Biographisches Lexikon zum Dritten Reich. Hrsg. v. Hermann Weiß. Frankfurt a. M. 1998, 2. Aufl. 1998, Taschenbuchausgabe 1999. Blockade Leningrad 1941–1944. Dokumente und Essays von Russen und Deutschen. Redaktion: Antje Leetz und Barbara Wenner. Reinbek 1992. Boog, Horst: Die deutsche Luftwaffenführung 1935–1945. Führungsprobleme, Spitzengliederung, Generalstabsausbildung. Stuttgart 1982. Ders. / Jürgen Förster / Joachim Hoffmann / Ernst Klink / Rolf-Dieter Müller / Gerd R. Ueberschär: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bd. 4: Der Angriff auf die Sowjetunion. Stuttgart 1983, 2. Aufl. 1987 (Taschenbuchausgabe u.d.T: Der Angriff auf die Sowjetunion. Frankfurt am Main 1991). Ders. / Werner Rahn / Reinhard Stumpf / Bernd Wegner: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bd. 6: Der globale Krieg. Die Ausweitung zum Weltkrieg und der Wechsel der Initiative 1941–1943. Stuttgart 1990 (Taschenbuchausgabe u. d. T.: Die Welt im Kriege 1941–1943. Bd. I: Von Pearl Harbor zum Bombenkrieg in Europa; Bd. II: Von Alamein bis Stalingrad. Frankfurt am Main 1992).

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Personenregister Die Seitenzahlen beziehen sich auf Text und Anmerkungen, jedoch nicht auf die Bibliographie. Soweit Autorenangaben und Namensnennungen nur als Quellenbelege aufgeführt sind, wurden sie nicht berücksichtigt. Die kursiv gesetzten Zahlen weisen auf den Beitrag über die betreffende Person hin. Abetz, Otto 518 Adam, Wilhelm 1–8, 12, 46, 48, 103 f., 226, 415, 434 Adenauer, Konrad 523, 586 Altenstadt s. Schmidt v. Altenstadt Arnim, Hans-Jürgen v. 124 Auguste Victoria, Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen 45 Axmann, Artur 286 Bach-Zelewski, Erich v. dem 483 Backe, Herbert 420 Backenköhler, Gerhard 408 Backenköhler, Margarete 408 Bacon, Francis 109 Bader, Paul 390 Bahr, Konrad 183 Bargatzky, Walter 245 Bartov, Omer 578 Barwinski, Otto 403 Bastian, Max 1–11, 404 Beck, Ludwig 5, 9–79, 49, 62–64, 72, 75, 81, 83, 103 f., 131–133, 135, 226, 240 f., 251, 266, 269, 291, 364, 368, 384, 416, 517, 531, 534, 565, 568, 570 Belachowsky, Dr. Alfred Serge 337 Below, Nicolaus v. 444 Benn, Gottfried 542 Berger, Gottlob 286, 521 Best, Werner 155, 592 Birkenfeld, Werner 250 Biron, Walter 310, 474 Bismarck, Fürst Otto v. 106, 112, 380 Bittrich, Wilhelm 310

Blank, Theodor 522 Blaskowitz, Johannes 20–27, 227, 447, 483, 548 Blomberg, Dorothea 115 Blomberg, Emil v. 28 Blomberg, Margarete v., geb. Gruhn 33, 64 Blomberg, Werner v. 2–4, 12, 25–56, 47, 55 f., 63–65, 71 f., 81, 103–105, 113–115, 130, 147, 155, 179, 195– 197, 203, 225 f., 266, 291, 293, 309, 327–329, 372, 387, 416, 473 f., 489, 504, 528 Blücher v. Wahlstatt, Fürst Gebhard Leberecht 330 Bock, Fedor v. 37–44, 62, 122f., 131, 148 f., 355 f., 366, 492, 529–531, 549 Bock, Moritz v. 37 Bodenschatz, Karl 99 Boehm, Hermann 411 Boeselager, Georg v. 132, 482 Böhme, Franz 390, 398 Bonhoeffer, Dietrich 280, 478 Boog, Horst 173 Bormann, Martin 74, 206 f., 269 , 319, 347, 460, 508 Böttner, Roderich 511 f. Bouhler, Philipp 284, 287, 289 Bradley, Omar Nelson 134 Brandt, Dr. Karl 283–290 Brandt, Julius 283 Brauchitsch, Charlotte v., gesch. Rüffer, verw. Schmidt 46–48

Personenregister Brauchitsch, Elisabeth v., geb. v. Karstedt 45 f., 48 Brauchitsch, Walther v. 5, 15, 23, 41, 45– 52, 61, 65–67, 72f., 81–83, 105, 113, 116, 130, 147–149, 198, 200, 225 f., 228, 252, 266 f., 354, 417, 420, 492, 518, 529, 535, 556, 580 Braun, Otto 223 Bredow, Ferdinand v. 3, 32, 64, 104, 224f., 528 Brett-Smith, Richard 138, 364 Briesen, Kurt v. 22 Brochhagen, Ulrich 578 Brockdorff-Ahlefeldt, Walter Graf v. 266, 292 Brockdorff-Rantzau, Ulrich Graf v. 379 Brückner, Wilhelm 283 Brühl, Graf Heinrich v. 570 Brüning, Heinrich 31, 183, 327 Bülow, Bernhard Wilhelm v. 13 Burgdorf, Wilhelm 207, 503 f., 560 Busch, Ernst 198, 291–298, 503 Bussche, Axel v. dem 568 Bussche-Ippenburg, Erich v. dem 113 Canaris, Erika 56 Canaris, Wilhelm 15, 53–60, 205, 477 f., 567 Carls, Rolf 169, 318 Cavallero, Ugo 123 Chamberlain, Neville 21, 267 Chiang Kai-shek (Tschiang Kai-schek) 344 Choltitz, Dietrich v. 96 Christ, Torsten 99 Clark, Alan 135 Clausewitz, Carl v. 85, 567 Conti, Dr. Leonardo 284, 288, 337, 340 Cooper, Matthew 130 Daladier, Edouard 517 De Vlieger, Simon 191 Deichmann, Paul 443 Densch, Hermann 409 Dessloch, Otto 237 Deutsch, Harold C. 266 Dietl, Benno 299

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Dietl, Eduard 299–306, 508, 588 Dietl, Paul 299 Dietrich, Joseph (Sepp) 308–315, 374, 464, 521 Dietrich, Pelagius 308 Dietrich, Sepp 4, 94f., 197 Dietrich, Wolf-Dieter 310 Ding-Schuler, Dr. Erwin 337 Doerr, Wilhelm 218 Dohnanyi, Hans v. 57f., 157, 477 f. Dollmann, Friedrich 92 Dombrowski, Hanns 158 Dönitz, Emil 316 Dönitz, Friedrich 316 Dönitz, Ingeborg, geb. Weber 316 Dönitz, Karl 42, 109, 125, 167, 188, 192f., 316–324, 591, 343, 348, 410 f., 420, 551, 579, 581, 584 Donovan, William J. 58, 580 Douhet, Giulio 122 Draper Jr., William H. 6 Eberbach, Heinrich 94 Eberhard, Kurt 229 Ebert, Friedrich 62 Eicke, Theodor 365 Eisenhower, Dwight D. 523 Eisner, Kurt 1 Eitel Friedrich, Prinz von Preußen 61 Elfeldt, Otto 95 Engel, Gerhard 499 Epp, Franz Xaver Ritter v. 83, 532, 534 Erl, Rudolf 79 Etzdorf, Hasso v. 152 Falkenhayn, Erich v. 528 Falkenhorst, Nikolaus v. 302 Fegelein, Hermann 346 Fellgiebel, Erich 452, 538 Felmy, Hellmuth 203 Fiebig, Martin 443 Filbinger, Hans 587 Fischer, Dr. Fritz 671 Fischer, Eugen 212 Fleck, Dr. Ludwig 337 Foertsch, Hermann 561 Fontane, Theodor 570

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Personenregister

Franco y Bahamonde, Francisco 234f. Frank, Hans 22, 383 Fraser, Sir David 311 Frei, Norbert 578 Freisler, Roland 155, 207, 269, 356, 369 Freytag, Georg 407 Friedeburg, Dr. Ludwig v. 333 Friedeburg, Hans-Georg v. 323, 326–333 Friedrich II., der Große, König von Preußen 61, 382, 568 Frießner, Hans 585 Frisch, Achim v. 65 Fritsch, Adelheid, geb. v. Bodelschwingh 61 Fritsch, Georg v. 61 Fritsch, Werner Frhr. v. 3, 12, 15, 21, 33, 46–48, 56, 61–70, 72, 801, 105, 1131, 116, 130, 147, 155, 198, 2251, 251, 261, 291, 310, 330, 352, 372, 387, 416, 492, 477, 489, 528 Fromm, Friedrich 71–78, 207, 266, 268f.369, 445, 505, 528 Gablenz, Karl-August Frhr. v. 263 f. Gamelin, Maurice-Gustave 517 Gaulle, Charles de 518, 523 Gebhardt, Dr. Paul 337–340, 360, 362 Gehlen, Reinhard 584 Gehre, Ludwig 542 Genzken, Dr. Karl 361 Georg VI., König von England 176 Gerhardt, Dr. C. 340 Gersdorff, Rudolf-Christoph v. 95, 419, 530 f. Geßler, Otto 186 Geyer, Hermann 48 Geyr v. Schweppenburg, Leo Frhr. 95, 462, 585 Gildemeister, Dr. 337 Gisevius, Hans Bernd 133 Gneisenau, August Wilhelm Anton Graf Neidhardt v. 330 Goebbels, Joseph 46, 72–75.132, 179, 188, 204, 206, 270, 284–287, 301–303, 305, 310, 318, 327, 329, 426, 428, 456, 504

Goerdeler, Carl Friedrich 9, 83, 131 f., 135, 143, 207, 368, 388, 442, 519 f., 531 Goltz, Rüdiger Graf v. d. 65 Göring, Hermann 33, 49, 63, 981, 100, 103, 105, 107, 1151, 121–123, 125, 128, 171, 173–175, 203, 235, 237, 252–254, 259–263, 322, 329, 952, 346–348, 397, 444, 466, 477, 518, 556, 581 Görlitz, Walter 2 Grawitz, Dr. Ernst Robert 334–342 Greifelt, Ulrich 204 Greim, Robert Ritter v. 260, 294, 343–350 Groehler, Olaf 578 Groener, Wilhelm 291, 62, 181, 327 Groscurth, Helmut 534 Guderian, Heinz 17, 102, 131, 292, 296, 313, 351–358, 367, 392, 425, 491, 493, 504, 549, 551, 560, 585 Guderian, Margarete, geb. Goerne 351, 425, 491, 521 Gürtner, Franz 155, 474 Haeften, Werner v. 75, 79–88, 105, 1481, 1501, 183, 2261, 241, 252, 2661 Hafner, Gerald 305 Halder, Franz 15, 40, 49, 50, 57, 73, 364, 391, 416, 420, 433, 442, 453, 534, 545, 555, 561, 580, 584, 591 Halder, Gertrude, geb. Erl 79 Halder, Maximilian 79 Hammerstein, Christian Frhr. v. 262 Hammerstein-Equord, Kurt Frhr. v. 3, 30, 38, 63, 72, 547 Handloser, Anna Maria 359 Handloser, Dr. Siegfried 216, 359–363 Handloser, Konstantin 359 Hardenberg, Carl-Hans Graf v. 530 Harnack, Arvid 278 Hart s. Liddell Hartlaub, Felix 542 Hase, Paul v. 207, 269 Haseloff, Kurt 73 Hasse, Otto 1 Hassell, Ulrich v. 9, 71, 74, 152, 207, 251, 255, 265, 531

Personenregister Hauptmann, Gerhart 446, 453 Haushofer, Karl 178, 214 Hausser, Kurt 95 Hausser, Paul 89–96, 311 Heer, Hannes 587 Heim, Ferdinand 585 Heines, Oskar 372 Heinkel, Ernst 260–262 Heinrici, Gotthard 293, 295 Heinz, Friedrich Wilhelm 561, 267 Heistermann v. Ziehlberg, Gustav 280 Heitz, Walter 272, 276 Helldorff, Wolf Heinrich Graf v. 115 Hentig, Werner Otto v. 178 Herbert, Ulrich 578 Hermann, Klaus J. 176 Herrmann, Hans 259 Hertel (Wachtmeister) 492 Heß, Rudolf 178, 203 Hesse, Kurt 528 Heusinger, Adolf 516, 522 f., 560, 584f. Heuss, Theodor 522, 570 Heyde, Bolko v. der 75 Heydrich, Reinhard 56, 205, 226, 242, 338, 530, 535 Heye, Wilhelm 28 f., 186, 352, 541 Hierl, Konstantin 103 Hilberg, Raul 588 Hillgruber, Andreas 587 Hiltl (Bürgermeister) 543 Himmler, Heinrich 22, 51, 74, 79, 89, 107, 117, 127, 140, 142f., 181, 197, 199, 204, 206, 226, 242, 244, 322, 329–331, 324– 340, 356, 360, 388, 450, 477 f., 483, 494, 503, 530, 543 Hindenburg, Paul v. Beneckendorff und v. 3f., 31 f., 62, 103f., 173, 196f., 225, 317, 326, 328, 353, 382, 414 Hipper, Franz Ritter v. 185 Hitler, Adolf 1–3, 5–6, 9, 12–18, 21–25, 30–34, 38–43, 46–51, 53, 56–58, 63 f., 66 f., 71–76, 79–86, 90–94, 98–100, 103– 109, 112, 114–118, 121, 123–127, 130– 134, 138–141, 143 f., 146–152, 155–158, 164 f., 171, 173–175, 188–193, 195–198,

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200, 203 f., 206, 223–228, 230 f., 235– 238, 240–242, 244, 248, 250–253, 261– 263, 265–268, 270, 275f., 283–287, 289, 291–297, 299–304, 309–313, 347–323, 328, 337 f., 343–348, 351, 353 f, 355, 359, 361f, 365, 367, 371–375, 379 f., 384, 389–391, 396–399, 404, 409, 411, 415– 420, 425–429, 434–437, 442–444, 446, 448, 451 f, 455–464, 466, 475, 478, 482, 490, 492–494, 497, 500–505, 508 f., 517– 521, 527–261, 534–538, 542–544, 547– 551, 554–561, 565, 570–572, 579, 582, 587 Hoepner, Erich 75, 81, 150, 207, 266–269, 364–370, 417, 490 Hofacker, Cäsar v. 133 f., 245, 520 f. Hoffmann v. Waldau, Otto 99 Hoffmann, Peter 18 Holtzendorff, Hans Graf v. 236 Holzlöhner, Dr. Ernst 336 Horthy v. Nagybänya, Miklos 551 Hoßbach, Friedrich 116, 294, 499 Hoth, Hermann 131, 199, 366, 491, 549 Hülle, Werner 154 Huppenkothen, Walter 478 Jacobsen, Hans-Adolf 587 Jägerstätter, Franz 402 Janßen, Karl-Heinz 474 Jany, Kurt 549 Jeckeln, Friedrich 467 f. Jeschonnek, Gert 100 Jeschonnek, Hans 97–101, 443, 445 Jeschonnek, Paul 100 Jodl, Alfred 2, 33, 47, 102–111, 156, 322f., 389, 391, 492, 541–544, 556, 581 Jodl, Ferdinand 102 Jodl, Irma, geb. Gräfin v. Bullion 102 Johannesson, Rolf 168 Jordan, Hans 239 Josephi, Wilhelm 332 Jünger, Ernst 517 Jusatz, Helmut 218f. Kahler v. Friedeburg, U. 333 Kaltenbrunner, Ernst 126, 521 Kaminski, Bronislav V. 493

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Personenregister

Kammhuber, Josef 128, 304 Kapp, Wolfgang 414 Kappler, Herbert 127 Karolewska, Wladislawa 338 Kaufmann, Karl 55 Keitel, Bodewin 116, 119, 500 Keitel, Karl Heinz 115 Keitel, Lisa, geb. Fontaine 102, 115 Keitel, Wilhelm 5, 41, 47, 49, 72–75, 81, 102–109, 112–120, 130, 133, 155, 197f., 205–208, 225, 230, 250f., 268 f., 275f., 278f., 351, 391, 475, 499, 501, 504, 518, 520, 544, 556 f., 581 Kempf, Werner 95 Kempner, Benedicta Maria 405 Kennedy, John F. 61 Kersten, Lotte 99 Kesselring, Albert 121–129, 181, 346, 424, 442, 460, 585 Kielmansegg, Johann Adolf Graf v. 567 Kleist, Bernd v. 530 Kleist, Ewald v. 3, 48, 225, 266, 313, 345. 354, 371–377, 420, 554 Kleyser, Karl Christian 542 f. Kluge, Günther v. 24, 41, 48, 93, 130–137, 183, 245, 269, 293, 354, 367, 493, 520f., 531, 549 Knochenhauer, Wilhelm 48 Koch, Erich 46, 140, 142 f. Koch, Hans 551 Kogon, Eugen 337 Kolbe, Hans 169 Koller, Karl 263, 348 Korherr, Richard 181 Körner, Paul 99 Körten, Günther 346 Kosir, J. 278 Köstring, Ernst 375 Kraell, Alexander 158, 278, 280 Krausnick, Helmut 587 Krebs, Hans 295 Kreipe, Werner 346 f. Kress v. Kressenstein, Franz Frhr. v. 48 Kubala, Paul 217 Kubier, Ludwig 304, 588

Küchler, Georg v. 22, 48, 61, 67, 138–145, 151, 292, 490, 585 Kühn, Arthur 182 Kuhn, Joachim 279 f. Lakosil (Häftling) 477 Lampert, Dr. Carl 402, 404 Langsdorff, Hans 162f. Lanz, Hubert 91, 95, 519 Lattmann, Erich 158 Lattmann, Martin 509 Le Suire, Karl v. 304 Leeb, Alfred 148 Leeb, Wilhelm Ritter v. 41, 47f., 139, 141, 146–153, 225, 366, 391, 416 Lehmann, Rudolf 154–161, 274, 279, 475 Lehndorff, Heinrich Graf v. 530 Lemmle (Laienrichter am VGH) 369 Leverkuehn, Paul 544 Levetzow, Magnus v. 316 Lewinski, E. v. s. Manstein, Erich v. 414 Liddell Hart, Basil Henry 146, 500, 584 Liebknecht, Karl 54 f. Liebmann, Curt 48 Liedig, Franz 56 Lindemann, Ernst 410 Lindemann, Fritz 331, 378–386, 410, 538, 559 Lindemann, Georg 331 f. Lindemann, Oberstleutnant (d. i. Wilhelm Canaris) 54 Linge, Heinz 557 Lingen, Dr. van (Hygieniker) 337 List, Wilhelm 22, 225, 291, 372, 374, 387– 393, 508, 554 Lochner, Louis P. 144 Loerzer, Bruno 175 Lohmann, Walter 186 f. Löhr, Alexander 394–401, 550 f. Lohse, Heinrich 165 Lorenz, Friedrich 402, 404 Lörzer, Bruno 99 Lossow, Otto v. 300 Ludendorff, Erich 1, 12, 85 Ludwig III., König von Bayern 343 Lueben, Klara, geb. Schölten 402

Personenregister Lueben, Werner 402–406 Lütjens, Günther 407–413 Lütjens, Johannes 407 Lütjens, Luise, geb. Volz 407 Lütjens, Margarete, geb. Backenköhler 407 Lutz, Oswald 48 Lützow, Günther 347 Luxemburg, Rosa 54 f. Lynar, Wilhelm Friedrich Graf zu 268 Mackensen, Eberhard v. 126, 374 Maelzer, Kurt 127 Magnus, Georg 283 Maltzahn, Alexandrine Gräfin v. 195 Mannerheim, Carl-Gustav Frhr. v. 301 Manoschek, Walter 399, 587 Manstein, Erich v. 1, 39, 42, 49, 82, 91, 113, 118, 127, 175, 199, 225, 292, 311, 345, 366, 414–422, 531, 550, 580, 585 Manteuffel, Hasso v. 312 Marschall, Jürgen 168 Marschall, Wilhelm 162–170, 409 Martini, Erich 216 Marx, Karl 62 Maurer (Häftling) 477 McCloy, John J. 362, 545 Menzies, Stewart 58 Mertz v. Quirnheim, Albrecht Ritter 75, 83 Messerschmidt, Manfred 405, 581, 587 Milch, Erhard 97f., 100, 103, 122, 128, 777–777, 260–264 , 396 Model, Walter 125, 134, 292–294, 296, 424–431, 449 Moltke, Helmuth Graf v. 85, 205, 245 Moninger, Ursula 310 Montgomery of Alamein, Viscount Bernard Law 297, 331 Morell, Dr.Theo 338 Mrugowsky, Dr. Joachim 337, 360 Müller, Heinrich 478 Müller, Johann v. 382 Müller, Josef 57 Müller, Klaus-Jürgen 186, 587 Müller, Ludwig 196, 327

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Müller, Vincenz 3, 243, 519, 524 Münster, Eberhard Graf zu 373 Mussolini, Benito 92, 124, 310, 386, 389 Napoleon I., Kaiser von Frankreich 24 Natzmer, Oldwig v. 512 Naumann, Klaus 578 Nebe, Arthur 477 Neff, W. (Häftling) 337 Nehring, Walter 124 Nettelbeck, Friedrich Wilhelm 432 Neubacher, Hermann 551 Neurath, Konstantin Frhr. v. 64, 520 Niedermayer, Oskar Ritter v. 178–184 Nockemann, Dr. Hans-Emil 538 Noske, Gustav 54, 62 Oberg, Carl-Albrecht 244, 518 Oberheuser, Dr. Herta 338 Oertzen, Ulrich v. 449, 451 Ohlendorf, Otto 417f. Olbricht, Friedrich 75f., 225, 364, 447f. Oster, Hans 15, 56–58, 477f., 531 Papen, Franz v. 31, 64, 223 Patton, George S. 93, 134, 312 Patzig, Conrad 55 Paulus, Bertha 432 Paulus, Constance Elena, geb. RosettiSolescu 432, 436 f. Paulus, Ernst 432 Paulus, Ernst-Alexander 432 Paulus, Friedrich (Sohn) 432 Paulus, Friedrich 200, 291, 293, 419, 424, 432–439, 509, 549 Paulus, Olga 432 Peltz, Dietrich 503 Pemsel, Max 95 Pendele, Max 263 Pétain, Philippe 517 f. Petzel, Walter 382 Philippi, Alfred 585 Phipps, Sir Eric 63 Phleps, Arthur 395 Plocher, Hermann 346 Pohl, Heinz 259 Popitz, Johannes 143, 207 Preußen, Prinz August Wilhelm v. 378

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Personenregister

Preußen, Prinz Friedrich Carl v. 568 Preußen, Prinz Heinrich v. 498 Preußen, Prinz Joachim v. 378 Preußen, Prinz Oskar v. 378, 424 f. Raeder, Erich 55, 107, 116, 162f., 167f., 185–194, 272, 318, 319, 328, 406–409, 581 Ranft (Oberkriegsgerichtsrat) 279 Rapp, Walter H. 583 Rascher, Dr. Sigmund 335 f. Raus, Erhard 394 Reder, Walter 394 Rehborn, Anni 283 Reichenau, Walter v. 2f., 30, 41, 47f., 63, 103 f., 114, 116, 141 f., 195–202, 205, 224f., 229, 327, 374, 434, 446, 504 Reinecke, Hermann 203–209, 467 Reinhardt, Georg Hans 293, 296 Reinhardt, Hellmuth 76 Reitsch, Hanna 348 Rendulic, Dr. Lothar 406, 550 Ribbentrop, Joachim v. 15, 107 Richthofen, Dr. Ing. Wolfram Frhr. v. 305, 346, 769–774, 550 Richthofen, Jutta v., geb. v. Selchow 439 Richthofen, Manfred Frhr. v. 258 f., 440 Richthofen, Therese Frfr. v., geb. Götz v. Olenhusen 440 Richthofen, Wolfram Frhr. v. 99, 118, 260 Rieckhoff, Herbert J. 98, 100 Rigg, Bryan M. 176, 264 Ritter, Gerhard 76, 472 Rodenwaldt, Ernst 210–222 Röhm, Ernst 3, 32, 55, 64, 104, 197, 224, 265, 309, 528 Röhricht, Friedrich Edgar 446–454 Rommel, Erwin 123–125, 128, 311, 424, 455–464, 500, 516, 519–522, 524 f. Rommel, Juliusz 22 Roosevelt, Franklin D. 564 Roques, Caroline v., geb. v. Apell 465 Roques, Hedwig v., geb. v. Tallen-Wilczewska 365 Roques, Karl v. 465–471

Roques, Marie Gertrud v., geb. Kerbel 465 Roques, Theodor v. 465 Rose, Dr. Gerhard 337, 361 Rosenberg, Alfred 147, 204, 206 Rosenberger, Heinrich 155, 474 Rosenhagen, Werner 67 Rossmanith, Kurt J. 326 Röttiger, Hans 580 Rüge, Friedrich 193 Rühe, Volker 304, 306, 588 Rundstedt, Gerd v. 22, 25, 32, 41, 47 f., 125, 133, 149, 200, 223–233, 235, 244, 266, 268, 310, 313, 315, 356, 373 f., 389, 416 f., 428, 461, 463, 520, 555, 561 Rupprecht, Kronprinz von Bayern 146 Rust, Bernhard 179 Saame, Dr. Ina 523 Sack, Karl 158, 472–480, 494 Sack, Wilhelmine, geb. Weber 472 Sauckel, Fritz 176 Schacht, Hjalmar 226 Schäfer, Dr. Konrad 336 Schaller, K. 219 Schallmeyer, Wilhelm 212 Scheel, Walter 218 Scheidemann, Philipp 62 Schenckendorff, Max v. 481–488 Scherer, Theodor 292 f. Scherff, Walter 558 Scheuermann, Erich 259 Schiedlausky, Dr. Gerhard 338 Schlabrendorff, Fabian v. 39, 297, 529– 531 Schlageter, Albert Leo 306 Schleicher, Elisabeth v., geb. v. Hennings 32 Schleicher, Kurt v. 3, 12, 29, 31 f., 38, 62, 64, 103 f., 187, 223–225, 378, 381, 446, 528 Schlieffen, Alfred Graf v. 85, 500 Schmauser, Dr. Karl 280 Schmid, Carlo 522, 524 Schmidt v. Altenstadt, Hans-Georg 536 Schmidt, Otto 65

Personenregister Schmidt, Rudolf 489–496, 549 Schmundt, Anneliese, geb. v. Kummer 499 Schmundt, Rudolf 41, 116, 296, 428, 497– 526, 555–557 Schneidhuber, August 309 Schobert, Eugen Ritter v. 417 Schölten, Klara v. 402 Schörner, Anna, geb. Bauer 507 Schörner, Ferdinand 302, 507–515 Schörner, Liselotte, geb. Karboschewsky 508 Schowingen, Karl v. 183 Schröder, Ludwig v. 171 Schulenburg, Fritz-Dietlof Graf v. der 11, 76, 266 Schulz, Friedrich 94 Schulze-Boysen, Harro 278 Schulze-Büttger, Georg 530 Schutzbar-Milchling, Margot v. 63, 65 Schwedler, Viktor v. 48, 114 Schweling, Otto Peter 158, 475 Schwerin v. Krosigk, Lutz Graf 43 Schwinge, Erich 154, 156, 159, 474 f. Seeckt, Hans v. 28, 38, 62, 103, 121, 223 f., 352, 380, 382 Seeliger, Heinz 219 Selchow, Jutta v. 440 Selchow, Udo v. 440 Semler, Paul 155 Senger und Etterlin, Frido v. 493 Seydlitz, Walther v. 293, 450 Shakespeare, William 109 Sievers, Wolfram 335 Siewert, Curt 585 Simoleit, Herbert 402, 404 Skorzeny, Otto 124 Smend, Günther 560 Sobotka (Häftling) 477 Sodenstern, Georg v. 149, 474 f. Sonderegger, Franz Xaver 478 Sparre, Georg 511 Speer, Albert 73f., 76, 125, 175, 250, 253, 287, 319, 356, 521, 556, 561 Speidel, Dr. Hans 313, 516–526

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Sperr, Franz 83 Sperrle, Hugo 198, 234–239, 441 Staehle, Wilhelm 478 Stalin, Josef 30, 41, 50, 150, 178, 200, 295, 345, 427, 437, 509, 531, 564f. Stang, Knut 193 Staracek (Häftling) 477 Stauffenberg, Claus Schenk Graf v. 9, 17, 51, 75, 83, 245, 279, 365, 368, 379, 404, 419, 428, 436, 451, 462 f., 500, 503, 505, 527, 531 f., 538, 543, 559 Stauß, Georg-Emil v. 174 Steinhoff, Johannes 345–347 Stemmermann, Wilhelm 519 Stieff, Hellmuth 20, 207, 269, 384, 537f., 559f. Stillfried, Graf 498 Strauß, Adolf 426 Strauß, Franz Josef 507 Streccius, Alfred 517 Streicher, Julius 548 Streim, Alfred 586 f. Streit, Christian 587 Stresemann, Gustav 473 Strölin, Karl 519, 524 Strünck, Theodor 478 f. Student, Kurt 99, 122 Stülpnagel, Joachim v. 62 Stülpnagel, Karl-Heinrich v. 14, 47, 133 f., 240–247, 268, 404, 518, 520 Stülpnagel, Otto v. 403, 517–519 Stumpff, Hans-Jürgen 203 Suchenwirth, Richard 98 Taylor, Telford 43, 49, 115 Tettau, Hans v. 468 Teuchert, Friedrich Frhr. v. 245 Thaer, Albrecht v. 62 Thierack, Otto Georg 76, 157, 207, 478 Thomas, Georg 248–257 Thüngen-Roßbach, Karl v. 268 Thorbeck, Otto 478 Tietze, Hans 498 Timosˇenko, Semjon K. 345 Tippelskirch, Kurt v. 295 f. Tirpitz, Alfred v. 185, 188f.

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Personenregister

Tobias, Fritz 474 Todt, Fritz 249 Tresckow, Erika v., geb. v. Falkenhayn 528, 537 Tresckow, Henning v. 9, 43, 83, 417, 419, 448–633, 500, 504, 527–533, 537, 569 Trotha, Adolf v. 185 Tsolakoglou, Georgios 310 Tuchacˇevskij, Michail 195 Udet, Adolf 258 Udet, Ernst 100, 174, 258–264, 343, 441 Ueberschär, Gerd R. 578 Ulex, Wilhelm 48 Üxküll-Gyllenband, Nikolaus Graf v. 180 Vaernet, Carl 339 Vietinghoff, Heinrich v. 125 f. Vlassov, Andrej A. 482 Volkmann, Hellmuth 445 Vollrad-Bockelberg, Alfred v. 251 Voss, Alexander v. 530 Voss, Hans 407 Wagner, Eduard 534–540, 541, 560 Wagner, Elisabeth 534 Wagner, Gerhard 285 Waldheim, Kurt 394 Waldmann, Dr. Anton 359 Walter, Dr. Paul 360 Warlimont, Anita, geb. Freiin v. Kleydorf 541 Warlimont, Anna 541 Warlimont, Louis 541

Warlimont, Walter 104 f., 109, 130, 420, 541–546, 556, 580, 585 Wegner, Bernd 578 Weichs an der Glon, Maximilian Frhr. v. und zu 373, 398, 443, 492, 547–553 Weichs, Maximilian v. 48, 118, 183 Weiß, Walter 293 Weiß, Wilhelm 531 Westphal, Siegfried 420, 505, 580 Wever, Walther 121 Weygand, Maxime 518 Whiting, Charles 313 Wilhelm II., Deutscher Kaiser, König von Preußen 45 Wimmer, Wilhelm 441 Winnig, August 266 Winter, Arno 180 Witzendorff, Bodo v. 262 Witzleben, Erwin v. 75, 81, 133, 207, 225, 265–271, 364, 368f., 529 Witzleben, Ursula v. 266 Wolff, Karl 58, 126 Wolter (Häftling) 477 Woroschilow (Vorosilov), Kliment E. 2 Wright, Orville 171 Zedlitz-Trützschler, Graf Robert v. 527 Zeiss, Heinz 213, 215 Zeitzler, Kurt 294–296, 313, 356, 372, 443, 445, 550, 554–563 Zenker, Hans 186 Ziemke, Earl F. 294 Zˇukov, Georgij 519

Die Autoren des Bandes Allbritton, William T., M.A., geboren 1970, Lehrer und Lehrbeauftragter für Geschichte, University of Louisiana at Monroe, Louisiana / USA. Boll, Bernd, Dr. phil., geboren 1951, Historiker und Gymnasiallehrer im höheren Schuldienst. Borgert, Heinz-Ludger, Dr. phil., geboren 1944, zuletzt Archivoberrat am Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg. Eckart, Wolfgang U., Dr. med., geboren 1952, seit 1992 Professor für Geschichte der Medizin an der Universität Heidelberg. Fischer, Kurt, Dr. phil., geboren 1937, Flottillenadmiral a. D. Fraser, Sir David, General a. D., geboren 1920, 1940–1980 britische Armee, Divisionskommandeur, stellvertr. Chef des Generalstabes, zuletzt Kommandant des Royal College of Defence Studies. Ganglmair, Siegwald, Dr. phil., geboren 1941, zuletzt wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien. Haase, Norbert, Dr. phil., geboren 1960, 1995–2008 Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft in Dresden, seit 2008 im sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. Hartwig, Dieter, Dr. phil., geboren 1943, 1965–1993 Marineoffizier, zuletzt Dozent für Wehrgeschichte an der Führungsakademie der Bundeswehr Hamburg, Marinehistoriker. Höhne, Heinz, 1926–2010, bis 1992 Ressortleiter im „Spiegel“, danach freier Publizist. Hümmelchen, Gerhard, Dr. phil., 1927–2014, 1959–1990 Geschäftsführer des Arbeitskreises für Wehrforschung, seit 1990 im Ruhestand. Jahr, Christoph, Dr. phil., geboren 1963, Privatdozent an der Humboldt-Universität zu Berlin. Knab, Jakob, geboren 1951, Gymnasiallehrer im höheren Schuldienst in Kaufbeuren. Kosthorst, Erich, Dr. phil., 1920–2001, war zuletzt Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Münster. Kraus, Herbert, M.A., geboren 1958, Marinestabsoffizier, 1998–2001 Dozent für Militärgeschichte an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, Dezernent im Bundesministerium der Verteidigung in Berlin. Krautkrämer, Elmar, Dr. phil., geboren 1927, 1970–1993 Professor für Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, danach freier Publizist und Historiker.

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Die Autoren des Bandes

Macksey, Kenneth, 1923–2005, 1944 bis 1948 Offizier bei der britischen Panzertruppe, danach zuletzt freier Publizist und Historiker. McCannon, John, Ph. D., geboren 1967, seit 2001 Professor of History an der University of Saskatchewan, Canada. Messerschmidt, Manfred, Dr. phil., geboren 1926, Direktor und Professor, 1970–1988 Leitender Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg. Meyer-Düttingdorf, Ekkehard, geboren 1963, 1998 M. A. in Geschichte und Geographie an der Universität Freiburg. Mitcham, Samuel W., Jr., Ph. D., geboren 1949, 1995–2000 Professor an der University of Louisiana at Monroe, Louisiana. Mühleisen, Horst, Dr. phil., geboren 1943, zuletzt Archivar an der Universität Trier. Mueller, Gene, Ph. D., geboren 1942, bis 2010 Professor an der Texas A&M University in Texarkana, USA. Müller, Klaus-Jürgen, Dr. phil., geboren 1930, 1973–1995 Professor an der Bundeswehruniversität Hamburg und 1977–1995 an der Universität Hamburg. Peter, Roland, Dr. phil., geboren 1959, 1998–2008 Redakteur beim Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, seit 2009 Pressesprecher der SPD-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg. Stahl, Friedrich-Christian, Dr. phil., 1918–2010, 1966–1980 Leitender Archivdirektor des Bundesarchiv-Militärarchivs in Freiburg. Steinbach, Peter, Dr. phil., geboren 1948, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, seit 2007 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Mannheim. Steinkamp, Peter, Dr. phil., geboren 1968, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Freiburg. Streit, Christian, Dr. phil., geboren 1942, zuletzt Gymnasiallehrer im höheren Schuldienst. Stumpf, Reinhard, Dr. phil., geboren 1942, 1980–1993 Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg, zuletzt 1993–2007 Regierungs direktor im Bundesministerium der Verteidigung in Bonn. Ueberschär, Gerd R., Dr. phil., geboren 1943, 1976–1996 Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg / Potsdam, zuletzt am BundesarchivMilitärarchiv in Freiburg und Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg. Vogel, Detlef, Dr. phil., geboren 1942, zuletzt 1978–1994 Stabsoffizier und Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg. Welkerling, Wolfgang, geboren 1937, Diplom-Lehrer für Geschichte im Ruhestand. Wette, Wolfram, Dr. phil., geboren 1940, 1972–1995 Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg, zuletzt apl. Professor am Historischen Seminar der Universität Freiburg.