Historismus und Kirchengeschichtsschreibung: Leben und Werk Albert Haucks (1845-1918) bis zu seinem Wechsel nach Leipzig 1889 9783666552052, 9783525552056


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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung: Leben und Werk Albert Haucks (1845-1918) bis zu seinem Wechsel nach Leipzig 1889
 9783666552052, 9783525552056

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Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Herausgegeben von Thomas Kaufmann und Volker Henning Drecoll

Band 94

Vandenhoeck & Ruprecht

Martin Teubner

Historismus und Kirchengeschichtsschreibung Leben und Werk Albert Haucks (1845-1918) bis zu seinem Wechsel nach Leipzig 1889

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55205-6

© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Gesamtherstellung: c Hubert & Co, Göttin gen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort ........................................................................................................

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1. Einleitung ............................................................................................

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1.1 Bedeutung des Themas ............................................................... 1.2 Der Historismus von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum wissenschaftlichen Methodenstreit in der deutschen Geschichtswissenschaft 1891 ..................................................... 1.2.1 Charakteristika der geschichtstheoretischen Fundierung des Historismus .................................................................. 1.2.2 Das Bewusstsein einer Krise historistischen Denkens ..... 1.2.3 Die Historiographie im Historismus ..................................

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1.3 Forschungsüberblick über Leben und Werk Albert Haucks bis 2006 ...................................................................................... 1.3.1 Albert Haucks Kirchengeschichtsschreibung in memorial geprägten Würdigungen ..................................................... 1.3.2 Die Würdigung Albert Haucks durch Heinrich Boehmer .. 1.3.3 Analytische Forschungen über Leben, Werk und Historiographie Albert Haucks ......................................... 1.4 Fragestellung, Materialgrundlagen und Methode der Untersuchung ............................................................................. 1.4.1 Forschungsdesiderate und Fragestellung .......................... 1.4.2 Archivalien ......................................................................... 1.4.3 Publikationen Albert Haucks von 1877 bis 1889 ............. 1.4.4 Methode ........................................................................... 2. Familienverhältnisse, Kindheit und schulische Bildung von 1845 bis 1864 .................................................................................. 2.1 Familiäre Beziehungen, religiöse Sozialisation sowie theologische und kirchenpolitische Rahmenbedingungen .......... 2.1.1 Familiäre Herkunft ............................................................. 2.1.2 Fränkische Erweckungsbewegung und lutherischer Konfessionalismus Erlanger Prägung ................................ 2.1.3 Kirchliche, politische und kirchenpolitische Rahmenbedingungen zur Zeit Maximilians II. von Bayern ...........

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

2.2 Neuhumanistische Bildung am Gymnasium Carolinum in Ansbach 1860 bis 1864 .............................................................. 2.3 Zusammenfassung ......................................................................

81 85

3. Theologiestudium in Erlangen und Berlin von 1864 bis 1868 ..............

89

3.1 Lebensweltliche Kontexte .......................................................... 3.1.1 Politische und kirchliche Verhältnisse im Königreich Bayern in den 1860er Jahren ............................................. 3.1.2 Preußische Kirchenpolitik zwischen 1866 und 1867 ........ 3.1.3 Erlangen und die Erlanger Theologische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität ....................................... 3.1.4 Die Berliner Theologische Fakultät ...................................

89

3.2 Studium in Erlangen von 1864 bis 1866 .................................... 3.2.1 Studentischer Alltag, Theologischer Studentenverein und politische Eindrücke ................................................... 3.2.2 Theologiestudium und Dozenten .......................................

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3.3 Studium in Berlin von 1866 bis 1867 ......................................... 3.3.1 Studentenleben und Kommentator des Zeitgeschehens .... 3.3.2 Professoren und Lehrveranstaltungen ............................... 3.4 Studium in Erlangen von 1867 bis 1868 .................................... 3.5 Zukunftsplanung und Pfarramtskandidatenprüfung ................... 3.6 Zusammenfassung ......................................................................

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95 98

4. Münchner Predigtamtskandidat, Verweser des Münchner Stadtvikariats II und ständiger Vikar zu Feldkirchen von 1868 bis 1875 .................................................................................. 131 4.1 Kandidat des Münchner Predigerseminars von 1868 bis 1870 und Verweser des Münchner Stadtvikariats II 1870/71 .............. 131 4.2 Ständiger Vikar zu Feldkirchen von 1871 bis 1875 und die Theologische Anstellungsprüfung 1872 ..................................... 141 4.3 Zusammenfassung ...................................................................... 147 5. Landpfarrer in Frankenheim bei Schillingsfürst von 1875 bis 1878 ..... 149 5.1 Innere und äußere Verhältnisse in der Kirchengemeinde Frankenheim und in der Diözese Insingen ................................. 149 5.2 Amtsführung, theologische Schwerpunktsetzung und kirchenpolitische Ansichten ....................................................... 153 5.3 Zusammenfassung ...................................................................... 160

Inhalt

6. Albert Haucks Erstlingswerk »Tertullian’s Leben und Schriften« (1877) ............................................................................ 6.1 Die Tertullian-Forschung im 19. Jahrhundert bis in die 1870er Jahre ......................................................................... 6.1.1 Patristik und Patrologie als Teilgebiete kirchenhistorischer Forschung ........................................... 6.1.2 Tertullian als Gegenstand kirchenhistorischer Untersuchungen – ein Überblick ....................................... 6.2 Albert Haucks Interpretation des altchristlichen Schriftstellers Tertullian .................................................................................... 6.2.1 Die Schriften Tertullians als Grundlage der Untersuchung – Quellenkritik ...................................... 6.2.2 Die Interpretation .............................................................. 6.2.3 Albert Haucks Tertullian-Bild in seiner Vorlesung »Patristik/Geschichte der altchristlichen Literatur« .......... 6.2.4 Die Wirkung des Tertullian-Bildes von Albert Hauck ...... 6.3 Zusammenfassung ......................................................................

7

163 164 164 165 174 175 177 193 193 194

7. Lehre an der Universität Erlangen von 1878 bis 1889 .......................... 197 7.1 Gesellschaftliche Verhältnisse und Beziehungen zur Universitätstheologie .................................................................. 7.1.1 Kirchenpolitische, kirchliche und theologische Rahmenbedingungen ......................................................... 7.1.2 Impulse der Ekklesiologie Albrecht Ritschls für kirchengeschichtliche Betrachtungen ............................................ 7.1.3 Albert Haucks Beziehungen zu Erlanger Universitätstheologen ........................................................................... 7.2 Ausführungen zur Kirchen- und Theologiegeschichte ............... 7.2.1 Begrifflichkeit und Methode ............................................. 7.2.2 Durchführung ..................................................................... 7.2.3 Zusammenfassung .............................................................. 7.3 Ausführungen zur Dogmengeschichte ........................................ 7.3.1 Einleitung ........................................................................... 7.3.2 Methode sowie schriftliche bzw. mündliche Dogmengeschichtsschreibung ......................................................... 7.3.3 Zusammenfassung .............................................................. 7.4 Ausführungen zur Symbolik ....................................................... 7.4.1 Geschichte der Disziplin ................................................... 7.4.2 Methode und Darstellung ................................................... 7.4.3 Zusammenfassung ..............................................................

197 197 200 204 215 215 220 232 234 234 235 242 244 244 245 249

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

7.5 Ausführungen zur christlich geprägten Kunst ............................ 7.5.1 Einleitung ........................................................................... 7.5.2 Methode und Durchführung ............................................... 7.5.3 Zusammenfassung ..............................................................

250 250 251 255

7.6 Ausführungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur ........ 7.6.1 Einleitung ........................................................................... 7.6.2 Methode und Durchführung ............................................... 7.6.3 Zusammenfassung ..............................................................

256 256 257 260

7.7 Zusammenfassung ...................................................................... 260 8. Kirchengeschichtliche Forschungen an der Universität Erlangen von 1880 bis 1889 .................................................................................. 263 8.1 Albert Haucks Kirchengeschichtsforschung und -schreibung am Beispiel seiner Lexikonartikel in der RE2 ............................. 8.1.1 Zum enzyklopädischen Konzept der RE ........................... 8.1.2 Albert Haucks Verständnis der Kirchengeschichte als theologischer Disziplin ..................................................... 8.1.3 Albert Haucks kirchlich-historiographische Methode ...... 8.1.4 Albert Haucks Lexikonartikel als Beispiele dargestellter Geschichtsforschung ......................................................... 8.2 Aufsätze ...................................................................................... 8.2.1 Vittoria Colonna (1882) ..................................................... 8.2.2 Die Bischofswahlen unter den Merovingern (1883) ......... 8.2.3 Zur Theophilusfrage (1884) .............................................. 8.2.4 Ueber die s. g. Instructiones Columbani (1885) ............... 8.2.5 Zur donatio Constantini (1888) .......................................... 8.2.6 Zur Missionsgeschichte Ostfrankens (1888) ..................... 8.3 Zusammenfassung ...................................................................... 9. Der erste Band der »Kirchengeschichte Deutschlands« (1887) in Albert Haucks historiographischem Konzept ........................................ 9.1 Perspektiven der Mittelalterforschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ........................................................ 9.1.1 Mittelalterbilder ................................................................. 9.1.2 Von Albert Hauck rezipierte Mittelalterforschung ........... 9.2 Albert Haucks mediävistische Kirchengeschichtsschreibung ..... 9.2.1 Ideentheorie und Periodeneinteilung ................................. 9.2.2 Begrifflichkeit ....................................................................

263 263 268 274 282 291 291 293 297 298 299 300 300 303 303 303 305 312 312 320

Inhalt

9.3 Prägende Einflusskräfte auf die Geschichtsschreibung Albert Haucks ............................................................................ 9.3.1 Anlehnung an den Organismusbegriff im Kirchenverständnis Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers ........ 9.3.2 Anlehnung an Johann Gustav Droysens Ideen-Interpretation ........................................................... 9.3.3 Anlehnung an Leopold Rankes Geschichtstheorie ...........

9

337 337 339 340

9.4 Zusammenfassende Bemerkungen in Anlehnung an die literaturwissenschaftliche Analyse Hayden Whites .................... 342 10. Albert Haucks Berufung nach Leipzig 1889 ......................................... 345 10.1 Die Leipziger Theologische Fakultät in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ................................................................... 345 10.2 Die Berufung Albert Haucks nach Leipzig ................................ 348 11. Ertrag der Untersuchung ........................................................................ 355 12. Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... 369 13. Literatur .................................................................................................. 371 13.1 Quellen ....................................................................................... 371 13.1.1 Ungedruckte Quellen ......................................................... 371 13.1.2 Gedruckte Quellen ............................................................. 380 13.2 Forschungsliteratur ..................................................................... 383 14. Personenregister ..................................................................................... 419

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist auf Anregung des Leipziger Kirchenhistorikers Kurt Nowak entstanden, der kurz nachdem ich die Bearbeitung des Themas in Angriff genommen hatte, nach schwerer Krankheit im Alter von 59 Jahren verstarb. Ihm verdanke ich, mich für die Kirchengeschichte des späten 19. Jahrhunderts und für die Theorie der Kirchengeschichtsschreibung begeistert zu haben. Seit Januar 2002 betreute der Leipziger Reformations- und Neuzeithistoriker Günther Wartenberg den Fortgang meiner Dissertation, dem ich für seine zahlreichen Ratschläge, Hinweise und für die kritische Durchsicht des Manuskriptes herzlich danke. Für die sorgfältige und detaillierte wissenschaftliche Analyse des Lebens und Werkes Albert Haucks waren mir ausdrücklich die intensiven Gespräche mit dem Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann richtungsweisend, der meine Arbeit im Juni 2003 in seine Obhut nahm und kritisch begleitete. Dank seiner Unterstützung und Förderung konnte ich die Dissertation zu einem Abschluss bringen und unter dem Titel »Historismus und Kirchengeschichtsschreibung: Leben und Werk Albert Haucks (1845–1918) bis zu seinem Wechsel nach Leipzig 1889« an der Theologischen Fakultät der Georg-AugustUniversität Göttingen einreichen. Diesbezüglich danke ich den Referenten Thomas Kaufmann und Ekkehard Mühlenberg für ihre Gutachten. Das Rigorosum fand am 28. Juni 2006 an der Theologischen Fakultät der Georg-AugustUniversität Göttingen statt. Mein ganz besonderer Dank gilt der Familie Friedrich Hauck, Münster. Sie schenkte 1995 zum Anlass des 150-jährigen Gedenkens an den Geburtstag Albert Haucks dem Institut für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig den Briefwechsel zwischen Albert Hauck und seiner Mutter Sophie Hauck geb. Greiner bzw. seinen Geschwistern aus den Jahren 1864 bis 1896. Diese Quelle ersten Ranges war für die Bearbeitung des Dissertationsthemas grundlegend. Ein vierjähriger Doktorandenförderplatz am Institut für Kirchengeschichte der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig, der mir auf Betreiben von Kurt Nowak, Günther Wartenberg, Hartmut Mai und Michael Beyer bewilligt worden war, sicherte meine finanziellen Aufwendungen ab. Ihnen bin ich für ihre Unterstützung ausgesprochen dankbar. Weiterführende Impulse und themenrelevante Fragestellungen erwarb ich mir in den kirchengeschichtlichen Oberseminaren an der Theologischen Fakul-

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

tät Leipzig unter Leitung von Günther Wartenberg, Klaus Fitschen und Michael Beyer sowie an der Theologischen Fakultät Göttingen unter Leitung von Thomas Kaufmann und Ekkehard Mühlenberg. Diese gewinnbringenden Diskussionsrunden lenkten meinen Blick auf bis dahin unberücksichtigt gebliebene Untersuchungsgegenstände. Danken möchte ich deshalb neben den bereits Genannten auch Gisa Bauer (Leipzig), Jonas Flöter (Leipzig), Andreas Gößner (Leipzig, Göttingen, München), Markus Hein (Leipzig), Anselm Schubert (Göttingen), Andres Straßberger (Leipzig), Andreas Waschbüsch (Göttingen) und Alexander Wieckowski (Leipzig). Dem Leipziger Kirchenhistoriker Gerhard Graf, der mit frischen Fragen wiederholt meine Begeisterung für das Thema weckte, danke ich besonders für die freundlichen Hinweise und das kritische, aber stets motivierende Nachfragen bezüglich des Fortganges meiner Dissertation. Mein weiterer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den von mir aufgesuchten Archiven. Für die Unterstützungen und Hilfestellungen danke ich besonders dem Archivbeauftragten der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Otto Merk, dem Leiter des Universitätsarchives der Universität Erlangen-Nürnberg Clemens Wachter sowie Michael Merchel im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden, Frau Archivamtfrau Annemarie Müller im Landeskirchlichen Archiv der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg, und Steffen Hoffmann in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Leipzig. Für die Bereitstellung der Literatur möchte ich ausdrücklich den Mitarbeiterinnen der Zweigstelle Theologie der Universitätsbibliothek Leipzig unter Leitung von Renate Rochler danken. Unter anderem ließen sie mir ihre große Unterstützung bei Literaturrecherchen zuteil werden. In die Liste derer, denen ich zu danken habe, möchte ich auch Frau Kamm, Mitarbeiterin der Kirchengemeinde St. Kilian in Schillingsfürst, aufnehmen, die mir den Zugang in das Pfarrarchiv der Kirchengemeinde gewährte. Weiterhin gebührt mein ausdrücklicher Dank der Ehefrau meines verstorbenen Lehrers, Gisela Nowak, die mir manchen wertvollen Hinweis auf die archivalische Hinterlassenschaft ihres Mannes zukommen ließ. Die Veröffentlichung der Dissertation wird dankenswerterweise in erheblichem Umfang gefördert von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Die Aufnahme der Dissertation in die Reihe »Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte« verdanke ich Thomas Kaufmann. Zuletzt möchte ich meiner Ehefrau, meinen Eltern und meinen Schwiegereltern für ihre Hilfe während der Jahre des Entstehens und der Drucklegung der Dissertation danken, ohne die manche Schwierigkeit nicht so leicht zu meistern gewesen wäre. Meerane, im Dezember 2007

Martin Teubner

1. Einleitung

1.1 Bedeutung des Themas A. Hauck, geboren am 9. Dezember 1845 in Wassertrüdingen (Franken) und in Leipzig am 7. April 1918 gestorben, war »[n]eben Adolf von Harnack [...] der bedeutendste protestantische Kirchenhistoriker im wilhelminischen Deutschland«1 in der Hochblüte des Historismus. Auf dem Hintergrund fränkischer Frömmigkeit versuchte A. Hauck als Pfarrer der evangelischen Kirche im Königreich Bayern und als Erlanger und Leipziger Universitätslehrer der Theologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Antworten auf die Historisierungsprozesse innerhalb der akademischen Theologie zu finden. Führten in der Lebenswelt A. Haucks bis 1877/78 die Auswirkungen dieses Spannungsfeldes vornehmlich zu praktisch-theologischen Schlussfolgerungen, so trat der in Erlangen, Berlin und München ausgebildete Frankenheimer Landpfarrer2 mit seiner Erstlingsschrift über den Kirchenvater Tertullian3 an die kirchenhistorisch interessierte Öffentlichkeit. Infolgedessen verfing er sich in der Grundsatzdebatte über die historisch bedingte Relativierung ethischer Normen und der Religion. In Würdigung seiner Tertullian-Monographie als außerordentlicher Theologieprofessor 1878 nach Erlangen berufen, dort zwei Jahre später in die Herausgeberschaft der zweiten Auflage der »Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche«4 eingebunden und im Jahr 1882 zum Ordinarius der Theologischen Fakultät aufgerückt, musste er nun reflektierbar und methodisch begründet zwischen individuell gelebter Frömmigkeit und wissenschaftlich fundierter Theologie vermitteln. Als Mitherausgeber und seit 1

1471.

Nowak, Hauck, Albert, 472ff; Nowak, Albert Hauck: Historiker, 27; Th. Kaufmann, Hauck,

2 A. Hauck, Sohn eines fränkischen Advokaten, schlug nach dem Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen und Berlin (1864 bis 1868) zunächst die Laufbahn eines Pfarrers ein. Prägende Impulse des Erlanger Luthertums empfing er von J.Ch.K. Hofmann, G. Thomasius und G.L. Plitt. Nach der theologischen Aufnahmeprüfung in Ansbach 1868 trat A. Hauck in den kirchlichen Dienst ein. 3 A. Hauck, Tertullian’s Leben. 4 Die RE erschien in drei Auflagen: Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche/in Verb. mit vielen protestantischen Theologen und Gelehrten hg. v. J.J. Herzog, 1. Aufl. Bd. 1 Hamburg 1854, Bd. 2–9 Stuttgart 1854–58, Bd. 10–21 Gotha 1858–66, Generalreg.-Bd. Gotha 1868; Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche/unter Mitw. vieler protestantischer Theologen und Gelehrten hg. v. J.J. Herzog u. G.L. Plitt, [ab Bd. 8] mithg. v. A. Hauck, [ab Bd. 11] allein fortgeführt v. A. Hauck, 2. Aufl. 18 Bd. Leipzig 1877–1888; Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche/begr. v. J.J. Herzog, unter Mitw. vieler Theologen und Gelehrten hg. v. A. Hauck, 3. 24 Bd. Leipzig 1896–1913.

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

1882 als Alleinherausgeber der RE2 übernahm er ihr von J.J. Herzog in der ersten Auflage vorgelegtes Konzept der Erkenntnisgewinnung, basierend auf dem Schrift- und auf dem historischen Beweis, und Erkenntnisbeschreibung. Erlangte A. Hauck mit der Herausgabe dieses theologischen Lexikons eine nicht zu gering zu veranschlagende Bedeutung als Wissenschaftsorganisator, so beweisen zahlreiche Ehrungen seine Wertachtung in der Theologie und in anderen Wissenschaftszweigen: vierfache Ehrendoktorwürde (1882 D. theol. Dorpat, 1897 Dr. phil. h.c. Leipzig, 1902 Dr. jur. h.c. Freiburg, 1911 D. theol. Christiania), außerakademische Ehrungen (Komtur II. Klasse des Sächsischen Albrechtsordens, Ritter I. Klasse des Sächsischen Verdienstordens, Geheimer Rat, Verdun-Preis, Peter-Vischer-Preis), Mitgliedschaft mehrerer in- und ausländischer Akademien (1891 Königlich-Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, 1894 Göttinger Akademie der Wissenschaften, 1900 Berliner Akademie der Wissenschaften, 1902 Münchner Akademie der Wissenschaften). Darüber hinaus wirkte A. Hauck universitätspolitisch als Rektor der Universität Leipzig 1898/99 und als Dekan der Theologischen Fakultät in den Jahren 1891/92, 1904/05, 1909/10 sowie 1916/17. Ungeachtet dessen basiert bis heute die Bedeutung A. Haucks signifikant auf seinem Hauptwerk, der »Kirchengeschichte Deutschlands«,5 das er in den Jahren 1887 bis 1911 bis zum ersten Teil des fünften Bandes selbst herausgab, und dessen (von A. Hauck bereits handschriftlich ausgearbeiteter) zweiter Teil des fünften Bandes unter Federführung H. Boehmers 1920 zur Drucklegung kam. Es zählt bis auf den heutigen Tag zur mediävistischen Referenzliteratur. Der verstorbene Göttinger Historiker H. Heimpel erkannte dem Werk, das von den ersten Spuren des Christentums auf deutschem Boden bis zu den Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts führt, den Rang eines Klassikers zu.6 Lag der Schwerpunkt der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung bis dahin auf dem Zeitalter der Alten Kirche und der Reformation, so verhalf A. Haucks »Kirchengeschichte Deutschlands« dem geächteten Mittelalter im Protestantismus zu einem neuen Stellenwert. A. Hauck begriff das Mittelalter als Zeitalter einer langgestreckten Umgestaltung. Bei seinen historischen Analysen verwendete er höchst modern anmutende Instrumentarien. Aus der Entwicklung der Mediävistik zu einer Spezialdisziplin der allgemeinen Geschichtswissenschaft und der Kirchengeschichtsschreibung ist A. Hauck nicht wegzudenken. Die Konzentration auf das Mittelalter und damit auf den vortridentinischen römischen Katholizismus war nicht nur wissenschaftlich, sie war auch konfessionspolitisch von erheblicher Bedeutung, zumal A. Hauck an Theologischen Fakultäten wirkte, die als Hochburgen des Luthertums galten: Erlangen (1878 bis 1889) und Leipzig (1889 bis 1918). Seine die negative protestantische Wertungstradition 5

1896 6

A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands. Bd. 1 1887 3/41904, Bd. 2 1890 1906, Bd. 4 1903 3/41913, Bd. 5 1920, Bd. 5/1 1911, Bd. 5/2 1920 3/41929. Heimpel, Hauck, 75.

3/4

3/4

1906, Bd. 3

Einleitung

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überwindende Sicht des Mittelalters vermittelte wesentliche Impulse an die deutsche Geschichts- und Kirchengeschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts. Einem geographischen Deutschlandbegriff verpflichtet, setzte er bei der Ausbreitung des Christentums in den Rheinlanden während der Römerzeit ein und endete mit dem Niedergang des religiösen und national negativ bewerteten Hussitentums und dem Scheitern der konziliaren Theorie (1436). Die kirchengeschichtliche Entwicklung stellte A. Hauck unter Einbeziehung frömmigkeits-, liturgie- und kunstgeschichtlicher Fragestellungen in engster quellennaher Verbindung mit der allgemeinen Rechts-, Verfassungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Religionsgeschichte dar. Doch erschöpft sich A. Haucks Bedeutung nicht in seinem opus magnum, so bahnbrechend es war. Er leistete darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Implementierung der historischen Methode in das Fach Evangelische Theologie. Der Kirchenhistoriker war zwar kein herausragender Theoretiker des Historismus wie zum Beispiel E. Troeltsch, er besaß aber einen klaren Blick für die historische Methode als der Erkenntnisform des neuzeitlich-modernen Menschen. Seine besonderen Anstrengungen galten der Integration von Weltgeschichte und Kirchengeschichte. Wie ließ sich auf dem Boden der radikalen Vergeschichtlichung der Welt das heilsgeschichtliche Weltbild des Christentums aufrechterhalten? A. Haucks Beitrag zur Theorie der Geschichte und dessen Realisierung in seinen Publikationen bedarf im Horizont der neueren und neuesten Forschungen zum Historismus der vertieften Betrachtung.7 Die vorgelegte Dissertation widmet sich dem Leben und Werk A. Haucks von 1845 bis 1889, dem Jahr, in dem er aufgrund seines ersten Bandes der »Kirchengeschichte Deutschlands« von Erlangen nach Leipzig berufen wurde. Die thematische Zentrierung der Untersuchung auf die Verhältnisbestimmung von »Historismus und Kirchengeschichtsschreibung« erlaubt, in dieser Berufung eine Zäsur im Schaffen des Kirchenhistorikers zu sehen, da er in Leipzig einerseits die bereits begonnene Arbeit an der »Kirchengeschichte Deutschlands« nur weiterführte, d.h. auf der bereits gefundenen methodischen und historiographischen Basis weiterarbeitete, und andererseits keine neuen thematischen Felder erschließende kirchenhistorischen Monographien herausgab.8 Weil der vorgenommene Schnitt werkgeschichtlich bestimmt ist, ermöglicht er, die »Krise des Historismus«9, die in den 1890er Jahren ihre fundamentale Ausprägung und Theoretisierung erfuhr, größtenteils auszublenden, ohne diese kritischen Reflexionen im Hinblick auf die Historisierung des Lebens und des geistigen Denkens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu übersehen. 7

Vgl. Nowak, Historische oder dogmatische Methode?, 283. Vgl. Bibliographie A. Haucks: Zum 90. Geburtstag/zusammengestellt von E. Hauck, 565ff. 9 Zur Krise des Historismus vgl. die neuesten Veröffentlichungen u.a. R. Laube, Karl Mannheim; Nordalm, Historismus; Hebekus, Klios Medien; Heinßen, Historismus; Neumann, Geburt der Interpretation; F.W. Graf (Hg.), Troeltschs »Historismus«; Wittkau-Horby, Historismus. 8

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

A. Haucks Entwicklung bis 1889 enthält für die historische Biographieforschung und die Wissenschaftsgeschichtsschreibung zahlreiche Anstöße. In methodischer Hinsicht geht es um die Verknüpfung von A. Haucks Lebensgeschichte mit den Entwicklungen der Kirchengeschichtsschreibung unter dem Einfluss des Historismus und der Geschichte des Historismus selbst. Der Gesamthorizont ist durch ein integratives Verständnis von Wissenschaft und Lebenswelt gegeben. Bei der Erforschung von A. Haucks erstem Lebensabschnitt kristallisieren sich drei Schwerpunkte heraus. Sie sollen den Aufbau der Dissertation bestimmen. An erster Stelle stehen A. Haucks Bildungsjahre: seine Studienjahre in Erlangen und Berlin, seine Ausbildung im evangelischen Predigerseminar München unter Leitung von K. Burger, sowie die Zeit im Pfarrdienst: ständiger Vikar zu Feldkirchen und Pfarrer in der Diasporagemeinde Frankenheim bei Schillingsfürst. Den zweiten Schwerpunkt bildet der Gegenstand und der Inhalt der kirchenhistorischen Arbeiten des jungen A. Hauck, der thematisch breit angelegten Lexikonartikel in der RE2 sowie der Erlanger Vorlesungen. Der Rahmen ist mit seinem Erstlingswerk und dem Erscheinen des ersten Bandes der »Kirchengeschichte Deutschlands« im Jahr 1887 gesetzt. Auf Grundlage dieses genannten Quellenmaterials entfaltet sich ein dritter Schwerpunkt: die Einzeichnung von A. Haucks Schriften der ersten Lebensetappe und ihrer methodisch-methodologischen Prämissen in den Historismusdiskurs der 1870er und 1880er Jahre. Insofern wird hierbei untersucht, inwieweit A. Haucks Kirchengeschichtsschreibung in der Lage war, die relativistischen Konsequenzen des Historismus für Normen und Institutionen zu übernehmen oder dessen Verhältnisbestimmung von Ideen, Individuen und Kollektivsingularen nachzuvollziehen. Letztlich stellt sich die Frage, wie A. Hauck die Kirchengeschichte im Verhältnis zur Universalgeschichte begreift und ob jene eine theologische Deutung der Geschichte aufweist. Grundlegend für A. Haucks kirchliche Historiographie ist sein fachenzyklopädisch gefasster Lexikonartikel über Wesen und Aufgabe der Kirchengeschichte aus dem Jahr 1880. Der kurz zuvor berufene Theologieprofessor legte hierin seine hermeneutische Sicht auf den historischen Verlauf der Kirchengeschichte dar, wobei er diesen sowohl anthropologisch als auch theologisch begründet: Wenn demnach die innerliche Bewegung des h[ei]l[igen] Geistes der Trieb des kirchlichen Werdens ist, so ist die Gestalt, welche das Werden annimmt, doch nicht durch sie allein bedingt, sondern zugleich durch die Arbeiter, deren sich der heil[ige] Geist bedient. Die Arbeiter des Geists aber sind wie die einzelnen menschlichen Persönlichkeiten, so auch die verschiedenen Völker. Er nimmt die Anlagen jener, die Eigenart dieser in seinen Dienst und wirkt durch sie. Wirken des Geistes und menschliche Tätigkeit treffen also auf jedem Punkte zusammen. Sie sind die Kräfte, aus deren Zusammenwirken jedes kirchengeschichtliche Ereignis entspringt. Denn die menschliche Freiheit wird durch das Wirken des Geistes nicht ausgelöscht, sondern geleitet, so weit sie sich ihm hingibt. Für die Ent-

Einleitung

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wicklung der Kirche liegt demnach alles daran, in welchem Maße und in welcher Reinheit die Glieder der Kirche der Einwirkung des h[ei]l[igen] Geistes Raum gewären, oder wie weit sie sich gegen dieselbe verschließen und sich durch fremdartige, nicht-kirchliche Einflüsse bestimmen lassen. [...] Dieses Ineinander von Wirksamkeit des h[ei]l[igen] Geistes und menschlicher Freiheit ist für die Kirchengeschichte wesentlich. [...] Sie ist ganz göttlich und ganz menschlich: beides deshalb, weil sich das Göttliche durch das Menschliche verwirklicht.10

Ich fasse A. Haucks Gedanken kurz zusammen: 1. Das Ineinandergreifen menschlicher Freiheit und göttlichen Wirkens bestimmt die Entwicklung der Kirche in ihrer Geschichte, wobei der Mensch zum Handeln, d.h. zum Gestalten seiner Welt aufgefordert ist (Kultur). 2. Historische Ereignisse sind Folge sowohl menschlicher als auch göttlicher Intentionen. 3. Menschliches Handeln bedarf göttlicher Führung. 4. Der Mensch kann die ihn betreffende Führung durch den Heiligen Geist zulassen oder sich ihr widersetzen. 5. Die historische Entwicklung der Kirche ist abhängig davon, inwieweit sich der handelnde Mensch, hier verstanden als Glied der Kirche als Gemeinschaft des Heils, auf die Führung durch den Geist einlässt. 6. Die sichtbare Kirche verdeutlicht als geschichtliche Größe göttliches Wirken anhand menschlicher Handlungen. Da A. Hauck die historische Entwicklung der Kirche von anthropologischen Anschauungen abhängig sah, musste er sich mit dem Verhältnis des Individuellen zum Allgemeinen beschäftigen. Dieses in den Mittelpunkt von Geschichtsdarstellungen und -interpretationen gerückt zu haben, ist u.a. das Verdienst des Historismus, eines Denkens, das F. Meinecke 1936 als »eine der größten geistigen Revolutionen, die das abendländische Denken erlebt hat«,11 bezeichnete.

1.2 Der Historismus von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum wissenschaftlichen Methodenstreit in der deutschen Geschichtswissenschaft 1891 Obwohl sich die Begriffsgeschichte des Historismus bis in die 1790er Jahre zurückverfolgen lässt,12 fand er erst hundert Jahre später als wissenschaftstheoretischer Begriff vertiefte Beachtung. Trotz unterschiedlicher Definitionen 10 11 12

A. Hauck, Kirchengeschichte, 733. Meinecke, Historismus, 1. Vgl. Blanke, Historiographiegeschichte, 56.

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vertraten die Historiker E. Troeltsch, K. Heussi und F. Meinecke gemeinsam die Anschauung, dass die Denkkategorien des Historismus zwangsläufig einen Gegensatz von normativer Sinngebung und wissenschaftlicher Tatsachenerkenntnis provozieren. Zu dieser Auffassung hatte innerhalb der Geschichtswissenschaft eine Entwicklung geführt, die in den 1850er Jahren durch die Erkenntnistheorie J.G. Droysens ihren Anfang genommen hatte.13 An den Beginn der Ausführungen über die Konnotationen des Historismus sei ein Zitat aus dem »Handlexikon zur Wissenschaftstheorie« von 1989 gestellt: »Historismus« ist die konsequent auf alle Sachgebiete und Lebensbereiche angewendete Überzeugung, daß alle untereinander vergleichbaren historischen Einheiten nicht nur verschiedenartig, sondern auch gleichwertig sind. Dies bedeutet also, daß nicht nur verschiedene Zeitalter, sondern auch gleichzeitig bestehende regionale und ethnische Gebilde, Staaten, Nationen, Völker, Rassen – ferner auch Religionsgemeinschaften, Gesellschaftsschichten, politische und weltanschauliche Gruppierungen und so fort – gleichwertig sind und man nicht die eine Einheit gegen die andere abwerten darf.14

Diesem hier mit »Gleichwertigkeit der Verschiedenartigkeit« verständlich definierten Wertmaßstab und Gestaltungsprinzip historistischer Geschichtsschreibung und historistischen geschichtlichen Denkens hatte F. Meinecke mehr als fünzig Jahre zuvor ein philosophiegeschichtliches Fundament gelegt: Seiner Meinung nach basierte der Historismus zum einen sowohl auf der Entdeckung des Individuellen durch J. Möser, J.G. Herder und J.W. Goethe als auch auf der wissenschaftlich-methodischen Sammlung einer unendlichen Fülle von Eigengesetzlichkeiten, die das Leben einzelner Menschen und das Leben von Kollektivsingularen bestimmen; zum anderen setzte nach F. Meinecke15 die 13

Zur theoretischen Grundlegung des Historismus in der Aufklärungshistorie vgl. die auf B. Croce zurückgehende These von U. Muhlack, Geschichtswissenschaft, 20: »Historismus bedeutet damit die totale Historisierung der Wirklichkeit im Gegensatz zu einer Auffassung, die zwischen historischer und überhistorischer Wirklichkeit trennt, bedeutet immanente Geschichtsbetrachtung im Gegensatz zu einer dualistischen Geschichtsbetrachtung. Die dualistische Geschichtsbetrachtung kennt eine doppelte Realität: auf der einen Seite stehen Übergeschichte, Welt der Ideen und der Werte, vernunftgemäße, vollkommene Wirklichkeit; auf der anderen Seite stehen Geschichte, niedere Welt, unvollkommene Geschichte, Geschichte schlechthin; Ziel ist, daß die Geschichte der Übergeschichte angenähert wird und schließlich in ihr aufgeht. Die immanente Geschichtsbetrachtung des Historismus leugnet diese Zweiteilung der Realität. Sie kennt nur eine einzige Realität: die historische, in der die beiden bis dahin getrennten Realitäten als identisch erscheinen. Sie erhebt nicht die Welt der Ideen und der Werte über die niedere Welt, sondern vereinigt beide Welten. Sie holt die Welt der Ideen und der Werte in die niedere Welt herab, oder umgekehrt: sie hebt die niedere Welt zur Welt der Ideen und der Werte empor, aber nicht mehr im Sinne einer Annäherung und Anpassung, sondern in dem Sinne, daß sie immer schon Welt der Ideen und der Werte ist.« Vgl. U. Muhlack, Theorie der Geschichte, 19–37. 14 Seiffert, Geschichtstheorie, 107. 15 Vgl. demgegenüber die Meinung von Figal, Historismus, 1794f: Zwar könne auch G.W.F. Hegels Konzeption einer sich in der Geschichte frei entfaltenden Vernunft unter dem Begriff Historismus zusammengefasst werden, doch sei im 19. Jahrhundert hauptsächlich unter diesem Begriff ein Denken gemeint gewesen, dass sich einseitig für historische Fakten interessiere.

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Philosophie von J.G. Herder bis zu G.W.F. Hegel die begrifflichen Fundamente des Historismus: Dem aufklärerischen Postulat des Fortschritts bis zur Vollkommenheit stellten sie den Individualitäts- und den Entwicklungsgedanken entgegen.16 Der historistischen Anschauung, dass sich das Unendliche im Endlichen abbilde, folgend,17 übte L. Ranke Kritik am Naturrecht und an G.W.F. Hegels Konstruktion der Weltgeschichte, erforschte die historische Wirklichkeit empirisch und erkannte Zusammenhänge innerhalb der Geschichte unter den Voraussetzungen eines geschichtsimmanenten Drängens der Menschheit nach sittlicher Freiheit und einer speziellen Konstellation von Kräften und Ideen. Nach 1830 setzte sich auch in der Theologie die historisch-kritische Betrachtung aller christlich-religiösen Inhalte durch, sodass nach 1890 im deutschen Bildungsbürgertum F. Overbecks Formel vom finis christianismi breite Akzeptanz fand.18 Zeitgleich wies K. Lamprecht die Unwissenschaftlichkeit der Historischen Ideenlehre nach, die als theoretische Fundierung des Historismus bis dahin nahezu uneingeschränkt galt, und erledigte damit ihren Anspruch, die einzige wirklichkeitsabbildende Betrachtungsweise von Geschichte zu sein. Vor ihm hatte bereits W. Dilthey19 die Interpretation der Vergangenheit anhand 16 Der Prämisse folgend, allein die Tendenzen der Entwicklung des Historismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu reflektieren, beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung nicht mit der Verhältnisbestimmung des historischen Denkens zwischen Aufklärung und Historismus bzw. der Entstehung des Historismus als neuer Wissenschaftskonzeption, vgl. zu dieser Problematik Reill, Aufklärung, 45–68; Blanke, Aufklärungshistorie, 69–97; Blanke, Historiographiegeschichte, 299; Walther, Der »gedrungene« Stil, 99–116; Muhlack, Geschichtswissenschaft, 414; F. Jaeger/Rüsen, Geschichte des Historismus, 24: »Der zentrale Impuls historischen Denkens und des Historismus als geisteswissenschaftlicher Bewegung zu Beginn des 19. Jahrhunderts resultiert aus den Erfahrungen eines beschleunigten gesamtgesellschaftlichen Wandels, die den historischen Rückgriff auf die vergangenen Realisationsformen der menschlichen Existenz zum Zwecke der Lösung drängender Orientierungs- und Identitätsprobleme notwendig machte. Dem Historismus ging es um die Erkenntnis vergangenen menschlichen Handelns, Denkens und Leidens, um in einer als bedrohlich erfahrenen Gegenwart die Handlungs- und Deutungsfähigkeit der Mitglieder des gesellschaftlichen Systems zu garantieren. Er beharrte gerade in einer Situation drohenden Sinn- und Orientierungsverlustes auf der Überzeugung, daß Geschichte sinnhaft konstituiert und ein Produkt des menschlichen Geistes und Handelns ist und daß es gerade gilt, eben diesen ›Sinn‹ sich im Rahmen einer hermeneutischen Methodenkonzeption empirisch anzueignen, um in der Gegenwart orientierungsfähig zu sein.« 17 Vgl. Gadamer, Historismus, 369ff. 18 Vgl. Peter, Ernst Troeltsch, 102 u. 110. 19 Dilthey, Einleitung. H.W. Blanke sieht im Wirken und Denken W. Diltheys die Grundlagenkrise innerhalb des Historismus beginnen, vgl. Blanke, Historiographiegeschichte, 206; Stöve, Kirchengeschichtsschreibung, 556, 8–14: »Die die diskontinuierlichen Epochen bindende Meta-Instanz verblaßt dann bei Dilthey zur Metapher des Lebensstroms, ohne daß von dieser Metapher noch irgendeine, die Forschung strukturierende Wirkung ausgehen könnte. Historismus wird zunehmend zum Ausdruck der Erfahrung historischer Relativität. Hinzu kommt, daß die klassischen Handlungsträger historischer Geschichtsdarstellung wie Handlungen und Ideen der interessegeleiteten großen Individuen, Staaten als kollektive Elementareinheiten, kollektive Aktionen von Klassen usw. im Zuge der Detailforschung immer mehr an Plausibilität eingebüßt haben.« Neben W. Dilthey trat das neukantianische Erkenntniskonzept der Kulturwissenschaften durch W. Windelband und H. Rickert an die Öffentlichkeit. Beide Philosophen gingen von der Existenz eines Systems universell gültiger Werte aus. Doch

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von konstruierten Ideen kritisiert und deren absolutem Verstehensanspruch das individuelle Leben gegenübergestellt.20 Im Folgenden soll eine alle Denkrichtungen beachtende und kritisch analysierte Geschichte des Historismus nicht explizit vorgestellt, sondern nur dort reflektiert werden, wo sie Einfluss auf die protestantische Theologie- und Kirchengeschichtsschreibung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann. Dabei wird von generationenübergreifenden Spannungen innerhalb der evangelischen Theologenschaft auszugehen sein, die F.W. Graf folgendermaßen beschreibt: Im theol[ogischen] Sprachgebrauch bez[eichnet] H[istorismus] die komplexen Prozesse umfassender Historisierung akademischer Theol[ogie]. Seit den Kontroversen um das 1835/36 publizierte ›Leben Jesu‹ von D. F. Strauß gebrauchten ›moderne Theologen‹ H[istorismus] als Programmbegriff für ihr krit[isches] Forschungsethos. Konservative sahen im H[istorismus] hingegen einen antidogmatischen Denkstil, der die normativen Fundamente des christl[ichen] Gemeinwesens unterminierte.21

1.2.1 Charakteristika der geschichtstheoretischen Fundierung des Historismus 1.2.1.1 Individualisierung als Ausgangspunkt der historistischen Geschichtsforschung Die historistische geschichtswissenschaftliche Erkenntnismethode22 bezieht sich auf die historische Entität. Bereits I. Kant hatte menschliche Handlungen in der bereits M. Weber stellte die Wahrheitsfähigkeit kulturwissenschaftlicher Erkenntnis und die Annahme eines ewig-gültigen Wertekanons wieder in Frage. 20 Vgl. Fülling, Geschichte, 53f: »Während Herder und Hegel das Absolute in die Geschichte hereinholten, wobei sich aber unter der Hand diese selbst absolut setzte und dadurch in eine ungeborgene Leere gerät, sucht Dilthey auf Grund seines modernen Realitätsempfindens das Unbedingte aus der geschichtlich-gesellschaftlichen Welt zu entfernen, nicht dadurch, daß er es verwirft, sondern historisiert.« 21 F.W. Graf, Historismus, 1795. 22 Im Folgenden soll der Historismus in der Charakteristik H.W. Blankes vorgestellt werden, vgl. Blanke, Historiographiegeschichte, 61: »[...] ein individualisierendes Moment der Geschichtsforschung, das ›Verstehen‹ (d.h. die hermeneutisch geregelte Intuition, die quellenkritisch fundierte Interpretation) als das maßgebliche methodische Verfahren, die Historische Ideenlehre, die Beschränkung auf die Nation und den Staat als die Bezugsgrößen historischer Forschungsarbeit.« Vgl. Blanke, Aufklärungshistorie, 87f: »Im Hinblick auf die einzelnen Basisfaktoren kann man die Veränderungen, die die geschichtswissenschaftliche Matrix von der Aufklärung zum Historismus in formaler Hinsicht vollzieht, interpretieren: a) als die theoretische Begründung eines explizit formulierten Parteilichkeitspostulates, b) als Formulierung einer historischen Ideenlehre, c) als Hermeneutisierung der historischen Methode, d) als Individualisierung der historiographischen Darstellungsformen und, schließlich, e) als Historisierung der menschlichen Identität im Sinne einer Repartikularisierung. Was die konkrete inhaltliche Füllung der Matrix betrifft, so bedeutete der frühe und klassische Historismus: 1) eine mehr oder weniger bewußte, jedenfalls konsequente Parteinahme für einen nationalstaatlichen Reichsgedanken bzw., auf der Gegenseite und in erklärter Ablehnung jeglichen (partei)politischen Engagements,

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Geschichte eruiert, um geschichtliche Ereignisse zu systematisieren.23 Seiner Meinung nach könne sich die Menschheit nur dann weiterentwickeln, wenn sich das Individuum als Teil einer Gattung begreife, sich seiner Naturanlagen bewusst werde und diese im Rahmen einer durch den Staat verfassten Gesetzlichkeit vollständig entfalte.24 Folge dieser objektiv teleologischen Betrachtung, die einen den vielfältigen menschlichen Handlungen und unabhängig von subjektiven Ansichten innewohnenden Endzweck eruierte, war das Modell der Weltgeschichte als Heilsgeschichte.25 J.G. Herder kritisierte die Absolutsetzung von Werten und Kultur sowie den Rationalismus der Aufklärung, indem er die Individualität und die Signifikanz von Geschichtsepochen akzentuierte.26 Infolgedessen prägte er einen Entwicklungsbegriff unter modernen Konnotationen: »Entwicklung als Transformation, Umgestaltung des Ganzen, nicht nur seiner äußeren Aspekte und Erscheinungsweisen«.27 Zwar ging er hierbei noch von den »Stufen einer Leiter« (den Altersstufen des Menschen vergleichbar) aus, billigte aber diesen einzelnen Stufen eine ihnen innewohnende Exklusivität zu; das Telos der Geschichte erkannte J.G. Herder in der Evolution der Humanivom eigenen Selbstverständnis her eine objektivistische Selbstbescheidung auf reine Tatsächlichkeiten; 2) die Arbeit mit historischen ›Ideen‹ (als den leitenden theoretischen Hinsichten der Interpretation) – mit ›Ideen‹ wie ›Volk‹, ›Nation‹, ›Staat‹, ›Entwicklung‹, ›Freiheit‹ und ›Individualität‹ (wobei im klassischen Historismus ohne Zweifel die wichtigste Bezugsgröße der Interpretation die Idee der Nation war); 3) die Dominanz von Quellenkritik und Interpretation (des individualisierenden Verstehens) als dem maßgebenden methodischen Verfahren; 4) die narrative Beschreibung historischer Individualitäten (einzelner Personen, einzelner Nationen, einzelner Ereignisse, einzelner Epochen etc.) in Form von Entwicklungsgeschichten; und 5) die Affirmation eines bürgerlichen Bewußtseins, das in der Nation seine Identität findet.« Vgl. Rüsen, Historismus, 129: J. Rüsen versteht den Historismus als Ausprägung einer disziplinären Matrix, die eine spezielle Epoche historischen Denkens charakterisiert: 1. Orientierungsbedürfnis aufgrund beschleunigter Veränderung von Lebenserfahrungen, 2. idealistische Geschichtsphilosophie als leitende Einsicht, 3. Verstehen als Forschungsstrategie und Methodengrundlage, 4. epische Erzählung als historistische Darstellungsform, 5. Daseinsorientierung durch Ausprägung menschlicher und kollektiv-nationaler Identität. 23 Vgl. Schnädelbach, Geschichtsphilosophie, 10: »Die anthropologische Prämisse Kants, die den Menschen die Fähigkeit, planmäßig zu verfahren, prinzipiell zuspricht, bedingt, daß ihm zufolge der Gegenstand der Geschichte – als Geschichte des Menschen und nicht als bloße Naturgeschichte – menschliches Handeln [Hervorhebung im Original] ist.« 24 Zu I. Kants Geschichtsbetrachtung vgl. Benrath, Geschichte, 639, 6–19. 25 Vgl. Schnädelbach, Geschichtsphilosophie, 24: »Der geschichtliche Ablauf wird nur als die zunehmende Manifestation dessen angesehen, was der Mensch als Gattungswesen immer schon ist. [...] Wichtig ist jedoch, daß die Aufklärung nicht [Hervorhebung im Original] mit der Möglichkeit einer veränderten Rückwirkung der Geschichte auf die Menschennatur selbst rechnet. Statik und Dynamik in der Geschichte bleiben verteilt auf Wesen und Erscheinung der Gattung ›Mensch‹. Wichtig ist zudem, daß von diesem Modell der Fortschrittsgedanke, mit dem gemeinhin das Geschichtsdenken der Aufklärung verknüpft wird, systematisch unabhängig ist.« 26 Vgl. Neumann, Geburt der Interpretation, 66: »Rationalismus oder Historismus, ›Vernunft‹ oder ›Geschichte‹ – darauf beginnt es gegen Ende des 18. Jahrhunderts unvermeidlich hinauszulaufen. Entweder Abschied von der ›überzeitlichen Vernunft‹, die es unmöglich machte, die ›Anderen‹ (die Vergangenheit ebenso wie die fremden Völker und Kulturen) in ihrem – immer stärker zu Bewusstsein kommenden – Anderssein anzuerkennen und gelten zu lassen, oder Verzicht auf ein wirklich ›historisches Verstehen‹ [Hervorhebung im Original].« 27 Schnädelbach, Geschichtsphilosophie, 26.

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tät.28 Indem W. Humboldt daraufhin den Menschen als Träger dieses Humanitätsideals definierte,29 etablierte dieser den Begriff der Individualität in der modernen Geschichtswissenschaft. Stand I. Kant mit seinem geschichtlichen Wahrheitsanspruch und Interpretationsverständnis am Übergang von der Aufklärung zum Historismus, so wurde J.G. Herder zum Wegbereiter des Historismus. Zwischen den Herangehensweisen I. Kants und J.G. Herders vermittelte F.D.E. Schleiermacher, der die Individualisierung mit einem Organismusdenken verknüpfte:30 Letzteres basiert auf der universellen sittlichen Weltsicht, dass die Identität der Weltgeschichte aus der Korrelation von Natur- und Sittengeschichte erwachse. Führten diese Methoden schrittweise zur Historisierung und Anthropologisierung der Vergangenheit, so begriff J.G. Droysen in deren Nachfolge die Handlungsträger der Geschichte als selbstverantwortliche Individuen mit eigenem Denken und spezifischem Handeln. Er erkannte, dass die Individualität bzw. die individuelle Totalität die Grundkategorie historistischer Geschichtsbetrachtung ist, beide aber in historische Strukturen eingebunden sind: In ihrer Ursprünglichkeit und Singularität ist die individuelle Totalität nicht hinterfragbar. In geschichtlicher Perspektive tritt sie dennoch in den Status der Bedingtheit. Indem die historische Denkform sie in ihrer Geschichtlichkeit faßt, leistet sie einen Beitrag zur kritischen Selbstidentifizierung von Mensch und Gesellschaft.31

L. Rankes geschichtswissenschaftliche Leistung bestand darin, dass er den Individualitätsgedanken auf die politische Geschichte übertrug.32 Das Prinzip der Individualität in ihrer geschichtlichen Bedingheit wurde zur maßgeblichen Kategorie des Verstehens der Vergangenheit. Im Zirkelschluss behauptete J.G. Droysen gar, dass das Interesse des Menschen an seiner Historie seiner geschichtlichen Existenz zugrunde liege. Nach U. Muhlack sind daher Historisierung und Individualisierung der Geschichte zwei komplementäre Anschauungen, die die Werte nicht relativieren sondern konkretisieren und damit die Wirklichkeit eines Absoluten ermöglichen.33 28 Zu J.G. Herder vgl. Benrath, Geschichte, 639, 43–641, 23, bes. 640, 53f: »Übernatürliche Eingriffe des ›wunderbaren Gottes‹ erschienen ihm [J.G. Herder, M. T.] ausgeschlossen.« 29 Vgl. Mehlhausen, Geschichte, 646, 17f: »Geschichte wird von Humboldt als eine universale Entelechie des Humanum gedeutet.« 30 Vgl. Neumann, Geburt der Interpretation, 71: »Diese Wahrheit erscheint dann aber im Fortgang der Zeit, da sie individuell (nach-)erlebt werden will, offenbar stets in individualisierter Form, ist ein Wechselgeschehen zwischen ›Allgemeinem‹ (der biblischen Überlieferung, den vorgegebenen ›Inhalten‹ der Tradition der jeweiligen Religion, Kirche oder Konfession) und ›Individuellem‹ (deren Aneignung in lebendiger Anschauung).« 31 Nowak, Die »antihistoristische Revolution«, 139. 32 Vgl. Mehlhausen, Geschichte, 650, 26–652, 6, bes. 650, 35–39: »Das zentrale Erkenntnisproblem des Historikers Ranke war das Verhältnis zwischen dem jeweils Besonderen, das als Ereignis, Person oder Gedanke dem Historiker in seinen Quellen begegnet, und dem Allgemeinen, das aber in den Quellen nicht explizit zum Ausdruck kommt [...].« 33 Vgl. Muhlack, Geschichtswissenschaft, 21: »Sie [die immanente Betrachtung, M. T.] erkennt

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1.2.1.2 Verstehen als Hermeneutik34 Im Denken des Historismus stand die historisch-kritische Quellenforschung im Dienst einer speziellen methodologisch verankerten Geschichtserkenntnis, die die Quellen unter dem Gesichtspunkt betrachtete, welchen normativen Sinn sie in ihrer jeweiligen Gegenwart haben – wodurch sie natürlich ihren unmittelbaren Charakter verloren.35 Die Vertreter des Historismus erarbeiteten aus ausgewählten Materialgrundlagen historisches Wissen mit Hilfe methodischer Forschungsregeln, die dieses Wissen empirisch menschlicher Vergangenheit nachprüfbar machten, deren normative Fundierung zeitlich einordneten sowie einen Erkenntnisfortschritt durch Zuwachs an Wissen ermöglichten.36 Diese historische Methode wurde in den Dienst eines lebenspraktischen Orientierungsdenkens gestellt, indem sie ihre Erkenntnisgewinnung auf die Triebkräfte menschlichen Handelns und ihr Objektivitätskriterium auf ethische Prämissen ausrichtete.37 Ein Charakteristikum der historistischen Wissenschaftskonzeption ist also die Prämisse, dass empirische Zeugnisse die geistige Intentionalität der Geschichte erschließen und diese dann interpretiert wird.38 Jedoch sahen J.G. Droysen, G.G. Gervinus und J. Burckhardt die sich bahnbrechende Verabsolutierung der Quellenkritik als eine Gefährdung des Bildungsanspruches der Historie an. Ersterer anerkannte deshalb als historische Tatsachen nur Erkenntnisse von Forschung und Interpretation, was letztlich zu einer Geschichtsphilosophie, zum »objektiven Idealismus« führte.39 Indem er aber die historische Methode als »forschendes Verstehen« begriff, bewirkte er eine »entscheidende methodologische Innovation des Historismus«:40 Er veränderte mit diesem Insistieren auf dem Begriff des Verstehens den funktionalen Stellenwert der Hermeneutik. In Anlehnung an die historische Ideenlehre W. Humboldts sprach J.G. Droysen, um die Verknüpfung von Ideen und subnicht das Irrationale in der Geschichte an, sondern sucht auch die Rationalität des vermeintlich Irrationalen zu ergründen und steigert damit, über die im Grunde eher rudimentären Ansprüche jenes ›empirisch-rationalen Historismus‹ hinaus, die Vernunft in der Geschichte bis zur völligen Identität beider [...].« 34 Der hier gebrauchte Begriff des Verstehens als Erfragen von Sinngehalten in Menschenwerken beruht auf einer Definition von Rothacker, Die dogmatische Denkform, 40. 35 Vgl. Muhlack, Geschichtswissenschaft, 21. 36 Vgl. ebd., 434: »Der Gebrauch der historisch-kritischen Methode zielt damit also nicht mehr auf Normativität, sondern auf historisches Verständnis: die philologische Wiederherstellung der Dokumente dient nunmehr dem Ziel, den ihnen eigenen geschichtlichen Sinn wiederherzustellen.« 37 Vgl. F. Jaeger/Rüsen, Geschichte des Historismus, 41–50, bes. 52: »Der Historismus richtet also das historische Denken auf eine spezifisch ›moderne‹ dynamische Identitätskonzeption zugleich menschlicher und nationaler Qualitäten von Zugehörigkeit und Gemeinsamkeit aus. Das bedeutet in der systematischen Hinsicht auf die disziplinäre Matrix, daß das forschend gewonnene und historiographisch gestaltete historische Wissen eine ihm selbst inhärente Bildungsfunktion ausübt: [...].« 38 Vgl. Rüsen, Konfigurationen, 9–12. 39 Vgl. Schiffer, Theorien, 125; Blanke, Historiographiegeschichte, 254. 40 Ebd., 280: »Hermeneutik und Interpretation steigen in der praktischen Arbeit zu den maßgebenden methodischen Operationen der Geschichtswissenschaft auf; man könnte geradezu von einer Hermeneutisierung der historischen Methode sprechen.«

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jektivem Willen zu betonen, von »Gedanken«, die in natürlichen (Familie, Stamm, Volk u.a.), praktischen (Gesellschaft, Staat, Recht u.a.) und idealen Gemeinschaften (Sprache, Kunst, Wissenschaft, Religion) zum Ausdruck kämen. So erkannte er mit G.W.F. Hegel zwar Gottes planmäßiges Handeln in der Welt, deckte aber die Heilsgeschichte nicht wie dieser geschichtsphilosophisch auf, sondern eruierte sie empirisch aus einem wellenförmig vorgestellten geschichtlichen Entwicklungsgang.41 Um dieses Verstehen methodisch abzusichern, verknüpfte er das Erkenntnismodell I. Kants mit G.W.F. Hegels geschichtsphilosophischem Postulat der Ideenlehre.42 Das Verstehen wurde zum Hermeneutik-Postulat einer speziellen Art historischen Denkens und einer diesem Denken entsprechenden Konzeption in der Geschichtswissenschaft.43 Damit verbunden war eine kritisch-polemische Konnotation des methodologisch produzierten Wissens in Bezug auf die menschliche Vergangenheit, da ihm jede kulturelle Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft abgesprochen wurde. Dennoch ermöglichte gerade das Postulat des Verstehens, positiv gewertet, dass jede Epoche ihren Wert aus sich selbst heraus gewann und dass die Vergangenheit in ihrer vielgestaltigen Gemengelage zur Geltung kam. Die Verknüpfung der Epochen untereinander gelang unter Zuhilfenahme der Begriffe Entwicklung und Fortschritt. Diese Kontinuität (als metaphysische Annahme) ermöglichte trotz aller Kausalität das Erkennen von Sinn, Werten und Ideen im Geschichtsverlauf:44 »Geschichtliche Kontinuität ist demnach eine sukzessive und fluktuierende Entfaltung des Spektrums der je einzelnen und verschiedenen Ideen im Sinne einer fortschreitenden Gerichtetheit.«45 Infolge41 Vgl. Schiffer, Theorien, 135: »Historische Bedeutung erhalten vergangene Vorgänge also erst dann, wenn sie unter der Idee eines Entwicklungszusammenhangs der sittlichen Mächte aufgefaßt werden und dieser Zusammenhang wird schließlich erst manifest und vermittelbar in und durch die historische Darstellung [Hervorhebung im Original].« 42 Vgl. Wittkau-Horby, Historismus, 32: »Die spekulative Geschichtsphilosophie versucht, Antwort auf die Frage nach Sinn und Ziel der Geschichte zu geben. Die empirische Geschichtswissenschaft gibt auf eng begrenzte Fragen über die Vergangenheit Antworten, die die Qualität des strengen Wissens haben. Beide Formen ergänzen sich also und sind deshalb prinzipiell miteinander verknüpfbar.« 43 F. Jaeger/Rüsen, Geschichte des Historismus, 1: »Die für diese Forschung maßgebliche Methode ist hermeneutisch definiert: Historische Erkenntnis ist Verstehen von zeitlichen Zusammenhängen durch Einsicht in handlungsleitende Absichten [...].« F. Jaeger und J. Rüsen sprechen sich gegen die Interpretation G.G. Iggers aus, der den Historismus als Zerstörung der (aufklärerischen) Vernunft charakterisiert. Sie schließen sich mit ihrer Interpretation an H. Schnädelbach an, der im Historismus die »Vernunftansprüche des historischen Denkens an die menschliche Lebenspraxis« zur Geltung gebracht sieht, vgl. ebd., 10. 44 Vgl. Nowak, Die »antihistoristische Revolution«, 151: »Kontinuität war jenseits eines naivobjektivistischen Verhältnisses von Geschichte eine geschichtslogische und -philosophische Kategorie, die den generellen Zusammenhang des Werdens auf einen Sinn sicherte. Der Gegenstand war bereits von Hause aus in einer Sinnidee zusammengefaßt, die sich in Beziehung zur Gegenstandswelt setzte – ein erkenntnislogischer Vorgang der subjektiven Sinnkonstitution im Durchgang durch die Objektwelt und von ihr zurück auf das Subjekt.« 45 Schiffer, Theorien, 128.

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dessen erlangte innerhalb des klassischen Historismus die »geschichtstheoretische Fundamentalkategorie des ›Geistes‹«46 Bedeutung. J.G. Droysen hatte in Anlehnung an I. Kant die prinzipielle Orientierung des menschlichen Geistes an der Zukunft postuliert: Menschlicher Wille lasse ideelle Anschauungen Wirklichkeit werden.47 Der Anspruch, Geschichte zu verstehen, galt im Historismus als genuiner Wahrheitsanspruch: das Allgemeine werde im Einzelnen existent. Daher eliminierte die historistische Betrachtungsweise aus der Geschichte jede Fremdbestimmung bzw. jede Kausalität und betonte stattdessen die Selbstbestimmung, die sie mit den Begriffen Freiheit, Autonomie und Selbstverwirklichung umriss: das historische Individuum wurde zum einen als geschichtlich bedingt, zum anderen aber auch als »Vorkämpfer einer allgemeinen Tendenz« verstanden, seine dynamische Fähigkeit zur Vervollkommnung des Lebens in Freiheit widersetze sich dem apriorisch gesetzten äußeren Telos von Geschichte.48 1.2.1.3 Die Historische Ideenlehre Die Historische Ideenlehre deutete die menschliche Vergangenheit auf Grundlage von Ideen; folgten mehrere Ideen aufeinander, sprach sie von einer Entwicklung.49 Die Historische Ideenlehre des 19. Jahrhunderts basierte auf der Anschauung, aus dem überlieferten Quellenmaterial die Sinnsprache eines in der Geschichte manifesten Geistes als objektiv Gegebenes zu entziffern: 46 F. Jaeger, Bürgerliche Modernisierungskrise, 11; vgl. 262: Geschichte wurde »als Geschichte des menschlichen Geistes im Historismus zur Bedingung der Möglichkeit einer gesellschaftlichen Lebensform, deren Freiheitsnatur in ihrer Einheit von Intentionalität, Normativität und Sinn begründet lag und so als ein in sich geschlossener und konsistenter Kulturzusammenhang denkbar wurde«. 47 Vgl. ebd., 43: »Das Werk Droysens repräsentiert eine Epoche des Historismus, in der die enge Beziehung zwischen lebendigem Willen und verwissenschaftlichter Vernunft noch nicht zerbrochen war. Der schöpferische Handlungswille des Menschen war hier noch konsequenter Ausdruck menschlicher Vernunftfähigkeit, und umgekehrt stellte die in der Wissenschaft nur in ihrer reinsten Form existierende Vernunft einen unverzichtbaren Beitrag zur Realisierung der utopischen Ziele des menschlichen Willens dar.« Vgl. Nowak, Die »antihistoristische Revolution«, 162f: »Das historistische Relationengefüge war vermittelt auf einen geistigen Grund. Geist war das die geschichtliche Welt durchwirkende und sie umgreifende Sinn-Absolute. [...] Daß jene Teile der protestantischen Theologie, die dem Historismus verpflichtet waren und die durch ihn promulgierte Weltorientierung in ihrer Anwendung auch auf Christentums- und allgemeine Religionsgeschichte für unabdingbar hielten, sich stets in einer bewußten Nähe zum transzendentalen Hintergrund der historischen Denkform wußten, ist deutlich. Eine sich in ihrer geistigen Ausstattung noch weithin als christlich verstehende Kultur brauchte über Nähe oder Ferne des ›Ewigen‹ und ›Jenseitigen‹ der Geschichte zu dessen Fassung im christlichen Gottesbegriff noch in keinen Fundamentalkonflikt zu geraten.« 48 Vgl. Muhlack, Geschichtswissenschaft, 428f: »Das Gesetz, das der Historismus der Geschichte auferlegt, ist das Gesetz, das der in der Geschichte frei handelnde Mensch sich selbst auferlegt. Freiheit und Notwendigkeit werden in diesem Verständnis identisch.« Eine entgegengesetzte Meinung vertritt Flaig, Identität, 232: »Der Historismus spielt die historisch gewordene oder im Werden begriffene Identität, die grundsätzlich unverfügbar ist, gegen die politische Autonomie aus.« 49 Vgl. Rüsen, Konfigurationen, 107: »Die Ideen umgreifen also Geschichte als Sachverhalt auf der einen Seite und die historische Erkenntnis auf der anderen; sie stellen eine Totalität der geistigen Bestimmtheit des menschlichen Lebens dar.«

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Die historische Ideenlehre geht also von einer Objekt-Subjekt-Identität des historischen Erkenntnisprozesses aus: Die historischen Ideen umgreifen einerseits die Geschichte als Sachverhalt sowie andererseits den Forschungsprozeß der Vergegenwärtigung dieses Sachverhalts; sie stellen damit eine Totalität der geistig-kulturellen Bestimmtheit des menschlich-gesellschaftlichen Lebens dar.50

W. Humboldt51 beschrieb das Wesen von geschichtsimmanten Ideen52 folgendermaßen: Sie setzen sich langsam durch, ergreifen verschiedene Umstände und entwickeln nach und nach Kräfte, um sich aus diesen zuvor annektierten Umständen wieder herauszuheben. Seine Theorie der Historischen Ideenlehre beruhte auf folgenden Elementen: Verallgemeinerung eines beobachteten Spezialfalls, Vermeiden dogmatischer Werturteile, Anerkennen der Gleichwertigkeit aller Ideen und ihrer Geschichtsimmanenz, Geringschätzung des Einflusses von Individuen, kein Interesse an der Entstehung von Ideen, Erkennen geschichtlicher Zusammenhänge. Im letztgenannten Theorieelement zeigte sich ausdrücklich die Distanz zu G.W.F. Hegels teleologischer Ideenlehre. Um die in der Weltgeschichte wirksamen Ideen historiographisch kenntlich zu machen, forderte W. Humboldt die Verknüpfung von kritischer Quellenforschung mit der produktiven Phantasie des Historikers. Neben ihm charakterisierte auch L. Ranke in seiner Ideenlehre die Idee als für eine Epoche einzigartig und zugleich wesentlich und konstitutiv, als mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Gesetze erklärbar, als Verkörperung von Zusammenhängen und als Folge historisch-methodischer Forschung; also der Geschichte immanent:53 Mit einem Wort, der Narrativismus als historische Theorie der narrativen Substanz ist ein Historismus, der gründlich gesäubert ist von allen seinen metaphysischen Wucherungen und von den letzten Resten des Substantialismus der Aufklärung, die Historisten wie Humboldt und Ranke (im Gegensatz zu Droysen) in ihrer Vorstellung von der historischen Idee immer noch bewahrten.54

Eine so definierte Historische Ideenlehre bleibt etwas rein Geistiges und steht daher nicht im Widerspruch zur menschlichen Autonomie oder zum humanistischen Bildungsideal. W. Humboldts Ideenlehre deutete im klassischen Historismus die Phänomene der Vergangenheit, indem sie konstatierte, dass Ideen den Kausalzusammenhängen gegenüber mächtigere Wirkungen im Geschichtsverlauf erzielten. Wenn nach Auffassung des Historismus das Wesen eines Gegenstandes in seiner Geschichte, seinem Dasein (Entität) zur Ausgestaltung komme, musste folglich auch das Wesen einer Idee anhand der Betrachtung ihrer historischen 50 51 52

Blanke, Historiographiegeschichte, 62. Vgl. Fester, Humboldt’s und Ranke’s Ideenlehre, 235–256. Zum Begriff der Idee vgl. Figal, Idee, 16ff; F.W. Graf, Ideengeschichte, 18ff; Hirsch, Idee,

20–25. 53 54

Vgl. Ankersmit, Historismus, 401f. Vgl. ebd., 403.

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Entwicklung und Bedingtheit eruiert werden.55 Die protestantische Theologie des 19. Jahrhunderts deutete diese geschichtsimmanente Idee schlechthin als Evangelium, als Kraft Gottes.56 1.2.1.4 Staat und Nation als Bezugsgrößen historischer Forschungsarbeit In der historistischen Geschichtsschreibung wurden die den Quellen innewohnenden Ideen unter Bezugnahme auf die Institution der Nation bzw. auf die Institution des Staates konkretisiert. Der Nation-Begriff ermöglichte zum einen nach außen eine Abgrenzung der Nationen gegeneinander durch die Behauptung einer nationalen kulturellen und sprachlichen Einheit und Identität und zum anderen nach innen die Vergesellschaftung hin zur kulturellen Einheit von Individuen kraft einer nationalen Verfassung: Ein wichtiger Gegenstandsbereich historistischer Geschichtsschreibung ist die politische Geschichte der deutschen Nation. Ihr kommt im Zuge des Nationsbildungsprozesses eine entscheidende Bedeutung zu: die von den historistischen Historikern erstellten Entwürfe einer deutschen Kulturnation gehen ihrer politisch-territorialen Realisierung in der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1870/71 um Jahrzehnte voraus; ja, indem sie die Einstellung und Werthaltung des Bürgertums artikulieren und zugleich entscheidend beeinflußten, ermöglichten sie erst die Reichsgründung.57

Im klassischen Historismus gelang demnach die Repartikularisierung der historischen Identität unter der Kategorie der nationalen Identität, hier besonders in der Form politisch-staatlicher Einheit.58 Vertreter des klassischen Historismus betonten bezüglich des Nation-Gedankens recht unterschiedlich urwüchsigvölkische Elemente, konkrete politische Gestaltung oder nationalstaatliche Gründung. Die historistische Geschichtswissenschaft lehrte die geschichtliche Individualität unter dem Konzept nationaler Identität begreifen, wobei »nationale Identität als subjektive Teilhabe an den kulturschöpferischen geistigen Triebkräften des geschichtlichen Lebens«59 verstanden wurde. Der Gedanke der Nation wurde zur Schnittstelle zwischen Individuum und »Volksgeist«.60 In den 1880er Jahren etablierte sich eine Rankerenaissance, der eine doppelte Charakteristik eignete: erstens Objektivitätsanspruch und Ablehnung politi55

Ebd., 389. Vgl. Pannenberg, Problemgeschichte, 317–322. 57 Blanke, Historiographiegeschichte, 62. 58 Vgl. Blanke, Historiographiegeschichte, 293: »Idealtypisch läßt sich dieser Schritt von der Aufklärung zum Historismus als Entwicklung vom Kosmopolitismus zum nationalstaatlichen Denken beschreiben. Denn die Idee der Nation wurde eben nicht, anders als in der Aufklärung, als eine vornehmlich geistig-kulturelle Einheit konzipiert, sondern in erster Linie als eine politische Einheit, in einem staatlichen Rahmen, der erst noch zu erreichen war. Symptomatisch kommt dieser Gegensatz in der Gegenüberstellung von einer (aus den partikularen Geschichten einzelner Fürstentümer aggregierten) ›teutschen Reichshistorie‹ mit einer deutschen Nationalgeschichte, die mit der (Idee der) Staatsnation ihr Subjekt hat, zum Ausdruck.« 59 F. Jaeger/Rüsen, Geschichte des Historismus, 61. 60 Vgl. Rüsen, Historische Methode, 367. 56

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schen Eintretens für die sich etablierende deutsche Nation; zweitens Primat der Außenpolitik, um die Auseinandersetzungen zwischen den Nationen herauszustellen.61 Die politische Geschichtsschreibung im Sinne H. Treitschkes aber fand seit den 1880er Jahren keine direkten Nachahmer, möglicherweise aber bei D. Schäfer, der gegen eine Kulturgeschichtsschreibung agitierte. 1.2.2 Das Bewusstsein einer Krise historistischen Denkens Auf den klassischen Historismus folgte die Krise des Historismus, weil das Problem des Relativismus von Geschichte und Werten unüberbrückbar schien.62 Stand die Geschichtswissenschaft bis in die 1860er Jahre fast ausschließlich unter dem Primat der Geschichtsphilosophie G.W.F. Hegels, so wurde sie um die Jahrhundertmitte durch J.G. Droysens empirisch-wissenschaftliche und methodologische Begründung von Geschichte in ihrer Absolutheit und in ihrem Stellenwert angegriffen. Nunmehr wirkte sich der – seit den 1850er Jahren in den Naturwissenschaften sich durchsetzende – Positivismus auch in den Geisteswissenschaften aus: im Gegensatz zur idealistischen Deutung von Geschichte eines W. Humboldt oder L. Ranke führte das Anhäufen und Auswerten von Quellen- und Erkenntnisgrundlagen zu einer immer tiefergründigen Naturbzw. Geschichtserkenntnis. Dennoch erlebte J.G. Droysens Bestimmung der Geschichtswissenschaft als reine Forschungsleistung keinen schnellen Durchbruch.63 Bereits J. Burckhardt reflektierte in den 1840er Jahren den Bruch traditioneller Anschauungen in Religion, Geschichte und Politik. Er konnte die Teleologie von Geschichte nicht mehr vertreten, weil die von ihm so genannten Potenzen Staat, Religion und Kultur sich in seinen Augen nicht auf der Bahn einer zielgerichteten Entwicklung oder eines gesellschaftlichen Fortschrittes bewegten. In Burckhardts historischer Anthropologie stellte die Fundamentalkategorie des Geistes den Menschen in eine prinzipielle Spannung von Tradition und Fortschritt, so dass allein die Kultur den Menschen dazu befähigen konnte, angesichts der bedingten Wirklichkeit an eine Zukunft zu glauben.64 Einen Historis61

Vgl. Blanke, Historiographiegeschichte, 359: »In bewußter Abwendung von der zweckgeleiteten politischen Historie der Reichsgründungszeit versuchten seit den 1880er Jahren eine Reihe jüngerer Historiker das Rankesche Objektivitätsideal und dessen ›Universalität‹ wieder neu zur Geltung zu bringen; [...].« 62 Vgl. Steenblock, Transformationen, 10; Oexle, Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus: Bemerkungen, 17–40, bes. 37: »Aus dieser grundsätzlichen Historisierung unseres Wissens und Denkens durch den Historismus resultiert das Problem der Relativierung aller Werte, sobald sie in den Bereich dieser universalen Historisierung geraten.« 63 Erst M. Weber griff J.G. Droysens geschichtswissenschaftliches Postulat in seiner geschichtsund kulturwissenschaftlichen Erkenntnistheorie wieder auf. 64 Vgl. F. Jaeger, Bürgerliche Modernisierungskrise, 87. Besonders an Wendepunkten, »Krisen« genannt, treten nach Ansicht J. Burckhardts kulturelle Neuanfänge hervor, die durch eine Verschmel-

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mus, der die Kontinuität der Geschichte unter einem einheitsstiftenden religiösen Prinzip sicherte, strafte J. Burckhardt als Ideologie ab.65 Stattdessen versuchte er, den Entwicklungsgedanken des Historismus durch ein anthropologisches Interpretationsmodell zu ersetzen: die Kultur. Burckhardt hat den Gesamtprozeß, der die zeitliche Folge partieller Kulturentwicklungsprozesse umgreift, als Sachverhalt auf doppelte Weise zum Ausdruck gebracht: einerseits als anthropologische Identität des menschlichen Handelns und Leidens (sie garantiert die Applizierbarkeit vergangener kultureller Hervorbringungen des Geistes auf die Gegenwart); andererseits als Natur, d.h. als Kampf ums Dasein, Rasse, Machttrieb und dergleichen (sie garantiert die Hoffnung, daß die historische Applikation gesamtgesellschaftlich nicht folgenlos bleibt).66

Beide Geschichtsbetrachungen, die geschichtsphilosophisch-spekulative und die empirisch-wissenschaftliche, lehnte F. Nietzsche in seiner Historismuskritik ab, weil er in ihnen keinen Nutzen für das Leben sah.67 Um 1900 griff W. Dilthey dessen Forderung nach einer Philosophie, die sich auf das Leben und dessen Erfahrungen beziehen sollte, auf. Infolge einer konsequenten Historisierung menschlichen Denkens postulierte er die Relativität von Werten und Religionen. Zwischen dem romantischen Erbe und dem Erfahrungsstandpunkt vermittelnd rieb ihn die Frage auf, wie angesichts der totalen Geschichtlichkeit der Gegenwart jemals objektive Erkenntnis denkbar sei. So legte er eine Wissenschaftstheorie der Geisteswissenschaften vor, in der er historisches Wissen als Tatsachenwissen bzw. Kulturwissenschaften als wahrheitsfähige Wissenschaften rechtfertigte. Dennoch gelang es auch ihm nicht mehr, Sinn und Telos von Geschichte und menschlichen Daseins zu benennen.68 Der badische Neuzung von alten und neuen materiellen Kräften möglich wurden, vgl. ebd., 154: »Das kulturelle Erbe der geschichtlichen Überlieferung als notwendige Bedingung einer kulturellen Erneuerung der Gegenwart zu sichern, hat Burckhardt als eminent praktische Aufgabe seines historischen Denkens begriffen und angenommen.« 65 J. Burckhardt versuchte stattdessen eine universalgeschichtliche Rekonstruktion menschlicher Sinnstrukturen, vgl. Jaeger, Bürgerliche Modernisierungskrise, 171: »Kulturgeschichte ist eine Form der Mentalitätsgeschichte, die die spezifische Signatur einer Zeit aus den allgemeinen Strukturen der menschlichen Subjektivität, aus Handlungsmotiven, Sinnstrukturen, Willensartikulationen der geschichtlichen Akteure deutet, [...].« 66 Rüsen, Konfigurationen, 327. 67 Vgl. Wittkau-Horby, Historismus, 51: »Während der ersten beiden Drittel [des 19. Jahrhunderts, M. T.] konnte die lebensfeindliche Wirkung der geschichtswissenschaftlichen Erkenntnis noch dadurch überwunden werden, daß man die empirische Geschichtswissenschaft in das idealistische Weltbild integrierte. Für Nietzsche ist diese Lösung 1874 nicht mehr akzeptabel, weil er an die Axiome der idealistischen Philosophie nicht mehr glaubt.« F. Nietzsche erkannte drei Krankheitssymptome der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft: beliebige Sammlung von historischen Quellen (Positivismus), Irrglaube an eine objektive Geschichtserkenntnis (Objektivismus), Wertlosigkeit geschichtlichen Wissens (Relativismus). 68 Vgl. Scholtz, Strukturwandel, 22. G. Scholtz erkennt in dieser geistigen Bewegung seit W. Dilthey vier Tendenzen der Kritik am Historismus: Erstens setze sich eine moralische und autoritative Abwertung der Begriffe Kultur und Geist durch, ohne die idealistischen Strömungen gänzlich beseitigen zu können, die I. Kants apriorische Vernunft in den Geist der Geschichte überführen; zweitens

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kantianer W. Windelband kritisierte W. Diltheys Anschauungen als historischen Relativismus.69 Unter anderen entwarf daraufhin K. Lamprecht seine Kulturzeitaltertheorie.70 Grundlage hierfür war eine radikale Änderung der Kategorien geschichtswissenschaftlicher Arbeit: Die Idee der Nation wurde abgelöst von der Idee des Staates bzw. der Idee der Gesellschaft.71 Letztlich ging K. Lamprecht aber gerade darin fehl, dass er die Gesetzlichkeit der Naturwissenschaften analog auf die Geschichtswissenschaft übertrug. M. Weber trug die Leitkategorie des Historismus, die Versittlichung der Gesellschaft als Triebkraft der menschlichen Freiheit und Grund geschichtlichen Fortschritts, nicht mehr mit.72 Er betrachtete demgegenüber die sittliche Welt als Kosmos versachlichter Zusammenhänge, bei der die menschliche Freiheit keine Rolle mehr spiele73, und löste das Kernproblem des Historismus, die Relativierung der Werte, durch Trennung von Tatsachen- und Werterkenntnis.74 breche sich die Tendenz Raum, oberhalb und unterhalb der Geschichte eine feste Basis zu finden; drittens dränge jede Geschichtsinterpretation zum historischen Relativismus; viertens erfolge eine strikte Distanzierung der empirischen Wirklichkeit von einer Wissenschaftsphilosophie. 69 Vgl. Raphael, Die »Neue Geschichte«, 67. L. Raphael identifiziert in der Geschichtswissenschaft der 1880er Jahre den »Durchbruch zu einer größeren Vielfalt von Forschungsansätzen«, die zum einen hinsichtlich ihrer Erhebungsmethoden und Interpretationsverfahren dem Trend zum Relativismus, zum Konstruktivismus und zur Spezialisierung nachgehen, zum anderen aber zahlreiche neue »historische Ideen« benennen. Die Vorstellungen von Ideen gehen seiner Meinung nach von der Ebene der Individuen auf die Ebene kollektiver Kräfte als Handlungsträger über. 70 Vgl. Oexle, Einleitung, 11: »Es ist diese Gemengelage von Objektivitätsfrage, Wertproblem und Erkenntnis der gesellschaftlichen Bedingungen geschichtlicher Prozesse wie der wissenschaftlichen Erkenntnis selbst, in der sich um 1900 die bereits genannte Historische Kulturwissenschaft formiert hat.« O. G. Oexle konstatiert, dass gerade in den Jahren zwischen 1880 und 1930 das Mittelalter in der Geschichtswissenschaft als Vorbild für Gemeinschaft gilt. Ausgangspunkt einer solchen Mediävistik ist seiner Meinung nach der Zusammenbruch des Fortschritt-Paradigmas nach der Reichsgründung 1870/71 gewesen, vgl. Oexle, Troeltschs Dilemma, 32: »Die Fundamentalkritik des Historismus und [Hervorhebung im Original] der modernen Wissenschaft, insbesondere der historischen, trat dann vor allem in Nietzsches moralgenealogischen Schriften aus der Mitte der 1880er Jahre abermals scharf hervor.« 71 Vgl. F. Jaeger/Rüsen, Geschichte des Historismus, 140: »Inhaltlich bedeutete die kulturgeschichtliche Wendung Lamprechts eine Umstrukturierung des Objektbereichs der historischen Forschung von politischen und ideengeschichtlichen Phänomenen hin zu einer stärkeren Berücksichtigung der ›sozialen und materiellen Kollektivkräfte‹ des geschichtlichen Entwicklungsprozesses.« 72 Vgl. F. Jaeger, Bürgerliche Modernisierungskrise, 185: »Die Geschichte zerbricht in eine nur noch als Chaos und ›an sich‹ sinnloses Geschick zu begreifende geschichtliche Objektivität und in ein auf das transzendentale Sinnbedürfnis des Menschen zurückgehendes Erkenntnisinteresse der Kulturwissenschaften, die das objektiv sinnlose Chaos des Lebens zu einem nur ›gedachten‹ und allein subjektiv bedeutungsvollen Zusammenhang, zu Kultur und Geschichte transformieren.« 73 Diese Entwicklung der Kulturgeschichte von J.G. Droysen über J. Burckhardt zu M. Weber kritisiert F. Jaeger, Bürgerliche Modernisierungskrise, 264: »Der theoriegeschichtliche Prozeß hin zu Weber impliziert eine folgenschwere Uminterpretation der Kultur zur geistigen Produktionsleistung einer willens-, wert- und sinnschöpferisch verinnerlichten Subjektivität, deren soziale und geschichtliche Konnotationen konsequent ausgeblendet werden.« 74 Vgl. Wittkau-Horby, Historismus, 17: »Das Problem des Wertrelativismus entsteht nämlich nur dann, wenn man die Geltung eines bestimmten (z.B. irgendeines gegenwärtig gerade geltenden) Wertkonzeptes als ewig und objektiv-gültig mißversteht. [...] Sieht man dagegen (wie Max Weber es

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So wurde seit den 1880er Jahren der Historismus-Begriff gebraucht, um die durch einen Relativismus provozierte Infragestellung der Werte abendländischer, christlicher Bildung zu bezeichnen.75 Infolgedessen exponierten sich Historismusstreite in der Nationalökonomie in den Jahren 1883/84 und in der Jurisprudenz im Jahr 1888. Innerhalb der protestantischen Theologie griff M. Kähler 1892 diese Kritik am Historismus auf. Auch ihn beschäftigte die Frage, wie sich trotz der Auflösung aller absoluten Werte und Wahrheiten in geschichtliche Bedingtheit sich die Unbedingtheit rechtlicher und sittlicher Normen vor der Zersetzung durch historische Reflexionen schützen lasse. 1.2.3 Die Historiographie im Historismus Der historistischen Historiographie76 wurde die Aufgabe zuteil, anhand der Kategorien Entwicklung und Fortschritt eine Geschichtsschreibung zu entwerfen, die den drohenden Verbindlichkeitsverlust von Geschichte und ihre Relativität mit Hilfe einer künstlerisch-narrativen und ästhetisch-konzeptionellen Herangehensweise ausglich.77 Bereits I. Kant hatte das Grundproblem der Getut) das Charakteristische der Werterkenntnis darin, daß sie eine Form der normativen Erkenntnis ist, d.h. eine Form der Erkenntnis dessen, was sein soll, dann ist die Werterkenntnis vor allem dadurch bestimmt, daß sie postularisch festlegt, wie gehandelt werden soll.« 75 Vgl. Iggers, Historismus im Meinungsstreit, 9: »Für diese Diskussion wurde der Historismus als Problem gesehen, als eine Gefährdung der Werte und Überzeugungen der modernen abendländischen, aber in erster Linie der christlichen Welt.« Iggers bezeichnet die Jahre zwischen 1880 und 1930 als »Krise des Historismus«. Wie die Verknüpfung von historischem Denken und Theodizee bei G.W.F. Hegel, L. Ranke und J.G. Droysen zeigte, prägte, so G.G. Iggers, eine kirchlich-christliche Bindung den Idealismus und das Bildungsideal des 19. Jahrhunderts. Infolgedessen trete an die Stelle der alten protestantischen Theologie der Kulturprotestantismus. G.G. Iggers resümiert, dass der Historismus der deutschen Geschichtswissenschaft eine ideologische Komponente verleiht, die sich auf die Spezialisierung der Historiker auswirkt und von diesen politisch instrumentalisiert wird. 76 Zur Historiographiegeschichte im Historismus vgl. Ritter, Entwicklung; Fueter, Geschichte; Wegele, Geschichte; Below, Geschichtsschreibung. H.W. Blanke analysiert die Historiographiegeschichte des deutschen Historismus unter zwei Gesichtspunkten: zum einen die »systematische Rekonstruktion der historischen Wissenschaftsmatrix« und zum anderen die historiographische Reflexionsarbeit, vgl. Blanke, Historiographiegeschichte, 190. G. Below ließ mit dem Jahr 1878 einen neuen Abschnitt in der Entwicklung der deutschen Geschichtsschreibung beginnen, vgl. Below, Geschichtsschreibung, 84: »Die Historiker erweitern jetzt ihr Gebiet, indem sie sich in einem Maß, wie es bisher nicht der Fall gewesen, der Erforschung der Kulturgeschichte, insbesondere der Wirtschaftsgeschichte zuwenden; aber nicht in der Art, daß sie sich etwa der politischen Geschichte entgegensetzten, sondern sie treiben diese Studien wesentlich unter politischem Gesichtspunkt, dem der Wechselwirkung von Staat und Wirtschaft, großenteils mit der Betonung der Beeinflussung der Wirtschaft durch den Staat.« 77 Vgl. Nowak, Die »antihistoristische Revolution«, 133. Zu den Merkmalen einer literarischnarrativen Historiographie vgl. Noiriel, Wiederkehr, 355–370: Menschen und ihre Lebensumstände als zentrale Fragestellung der Historiographie; Anthropologie und Psychologie als die wichtigsten Einflüsse; Individuen als Untersuchungsgegenstand; zusammenhängende und multikausale Erklärungsmodelle historischen Wandels, Aufführung von Einzelbeispielen als Methode, deskriptive Vorgehensweise. Vgl. Hardtwig, Preußens Aufgabe, 271: »Die Geschichte, welche die institutionelle Identität zerstört, bildet Identität neu durch Erzählen von Geschichten unter den leitenden Gesichtspunkten von Individualität,

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schichtsschreibung in der Verhältnisbestimmung von Makroebene (soziohistorische Bedingungen) und Mikroebene (individuelles Handeln) angemerkt. Diese intendierte die Frage nach dem Zweck von Geschichtsschreibung, die ein Historiker intentional beantworten musste. I. Kant seinerseits beschrieb Geschichte als Erzählung von menschlichen Handlungen, die sich teleologisch auf die Selbsterhaltung der Menschheit ausrichten. Hatte G.W.F. Hegel nun I. Kants Konzeption weiterentwickelt, indem er die menschliche Autonomie als Instanz zur Vermittlung von Besonderem und Allgemeinem hinzufügte, so wurde für die historistische Geschichtsschreibung die Verknüpfung von Quellenkritik und Hermeneutik bestimmend und wegweisend. Doch gerade diese Verknüpfung von Analyse und Synthese rief eine vehemente Kritik an der historistischen Historiographie hervor: Der Historismus hat eindeutig identifizierbare Vorannahmen über diesen Syntheseschritt, ohne sie aber zu explizieren. Dieser Syntheseschritt stellt das eigentliche Problem der Vorgehensweise in der Geschichtswissenschaft dar, was sowohl angesichts der auftretenden Anomalien im Gegenstandsbereich selbst als auch im Analyse- und Syntheseschritt der Geschichtsschreibung deutlich wurde.78

L. Ranke, der unter Anwendung einer methodischen Quellenkritik historische Individualitäten verstehen und Objektivität erreichen wollte, gelang der Syntheseschritt über den Rückgriff auf die Historische Ideenlehre W. Humboldts. Sie, die von einer Identität immanenter und transzendenter Ideen ausging, wurde zur Programmatik der Historiographie im klassischen Historismus: Die »Ideen«, d.h. diejenigen theorieförmigen Konstrukte, mit denen die Historiker des klassischen Historismus praktisch arbeiteten, betreffen unterschiedliche logische Ebenen: Es waren im wesentlichen – auf der Ebene geschichtlicher Bewegungsbegriffe – die Ideen der Individualität und der Entwicklung, ferner – auf der Ebene geschichtsphilosophischpolitischer Zielvorstellungen – die Idee der Freiheit, weiterhin – auf der Ebene sozialer Beziehungen – die Idee der Nation und die Idee des (Nation-) Staates, schließlich auch die Idee des Volkes.79

Mit Hilfe einer künstlerisch vermittelten geschlossenen Darstellung vereinigte L. Ranke die Individualitäten mit der Universalität geschichtsimmanenter Ideen. Auf dem Hintergrund einer platonisierenden Gottesvorstellung dachte er wie W. Humboldt das Verhältnis von Gott und Geschichte im Modus von Wesen und Erscheinung.80 Entnahm L. Ranke seine Tatsachenschilderungen direkt aus den Quellen, so eruierte J.G. Droysen zunächst die überlieferungsgeschichtlichen Ebenen des Quellenmaterials, um eine implizite Ideen-Interpretation zu gewinnen. In seiner »Historik« synthetisierte er die vier TraditionEntwicklung, Sittlichkeit.« Vgl. Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 20: »[...] ohne Geschichtstheorie ist sinnvoll Geschichtsschreibung unmöglich [...].« 78 Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 171. 79 Blanke, Historiographiegeschichte, 272. 80 Vgl. Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 98, Anm. 77.

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stränge metahistorischer Reflexionsarbeit (humanistisch-rhetorisch, methodisch-enzyklopädisch, geschichtsphilosophisch, erkenntnistheoretisch) und thematisierte darin die Frage nach den Universalien, nach den sittlichen Mächten bzw. ethischen Werten. Die Einheit der menschlichen Gattung war für ihn der Kristallisationspunkt innerhalb kultureller Verschiedenheit.81 Die historistisch denkenden Historiker, so H.W. Blanke, verlagerten »die Frage der narrativen Kohärenz des historischen Wissens« von der Darstellungsebene auf die Ebene der langfristigen Umschichtungsprozesse, d.h. hinein in eben diejenige zeitliche Kontinuität, durch die die Vergangenheit mit der Gegenwart zusammengeschlossen wird zur gedanklichen Einheit eines geschichtlichen Gesamtverlaufs, zur Einheit »der« Geschichte. »Geschichte« wird gedacht als eine überindividuelle ideelle Einheit, als ein universelles Kontinuum [...].82

Damit wurde die Erkenntnis von Ideen83 für historiographische Kompositionen84 grundlegend, in dessen Folge die Entrhetorisierung der Darstellungsform vorangetrieben wurde. Gerade der normative Anspruch der Geschichte in der Ranke- und Droysen-Schule wird über die theologisierenden Varianten der historischen Ideenlehre abgesichert, so daß das Bewußtsein des Relativismus erst mit der Enttheologisierung, wenn man will: »Entzauberung« des historischen Bewußtseins (Burkhardt, Dilthey) auftritt.85

Stand zwar in der historistischen Geschichtsbetrachtung und Historiographie das Proprium des Individualitätsaxioms unumstritten fest, so ermöglichte gerade die methodisch erschlossene Kollision der Persönlichkeit bzw. der Kollektivindividualitäten wie Staat, Kultur, Religion u.a. als eigenständige schöpferi81 Vgl. Rüsen, Konfigurationen, 265: »Droysen hat zwar betont [...], daß ›Geschichte‹ das Resultat einer nachmaligen Betrachtung der ›Geschäfte‹ der Vergangenheit sei, also das Ergebnis einer von der Gegenwart interessegeleitet erfolgenden Rekonstruktion der Vergangenheit darstelle [...]. Nichtsdestoweniger hat er jedoch im Rahmen seiner historischen Ideenlehre eine innere Einheit der historischen Erfahrung in der Form einer umgreifenden allgemeinen Entwicklungstendenz in den zeitlichen Veränderungen des Menschen und seiner Welt formuliert. Diese universalgeschichtliche Einheitsvorstellung ist bei Droysen letztlich theologisch begründet, und daran wird die Bedeutung des Protestantismus für den deutschen Historismus deutlich.« 82 Blanke, Historiographiegeschichte, 268: »Im Historismus wurden die leitenden Hinsichten des historischen Erkenntnisprozesses dadurch theoretisiert, daß die historische Erfahrung auf eine ihr immanente innere Qualität hin erschlossen wird: eine ideale Qualität, die ›Idee‹ genannt wird.« 83 Vgl. Rüsen, Konfigurationen, 61: »Er [der Historismus, M. T.] verlagert die Methode der narrativen Synthesebildung von der Ebene der historiographischen Komposition auf diejenige der Forschung. Der spezifisch historische Zusammenhang der quellenkritisch ermittelten Tatsachen wird nicht mehr von der Wirkungsabsicht des Geschichtsschreibers her bestimmt, sondern von den Befunden der Quellen.« 84 J. Rüsen erkennt drei historiographische Konzeptionen, vgl. Rüsen, Konfigurationen, 126: 1. Auf methodischer Quellenkritik aufbauendes Denken, dass »die Tradition europäischer Kultur als hinreichende Bedingung zum Selbstverständnis der Gegenwart« erweist (L. Ranke), 2. Hinwendung zur politischen Emanzipation des Bürgertums und zur nationalstaatlichen Einigung Deutschlands (J.G. Droysen), 3. innerwissenschaftliche Spezialisierung und Differenzierung historischen Denkens. 85 Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 114f, Anm. 130.

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sche Potenzen in historischen Kausalitäten eine teleologische Geschichtsbetrachtung, die historiographisch unter der Verhältnisbestimmung von Erklären und Verstehen bzw. von Individualität und Entwicklung umgesetzt wurde.86 L. Ranke vermied unter Anwendung der genetischen Erzählung moralisierende Elemente und erreichte eine innere Geschlossenheit der Darstellung, indem er kausale Zusammenhänge der erzählten Begebenheiten und eruierte Ideen als Strukturen zur Grundlage nahm. Gelang ihm die Synthese von Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung in beachtenswerter Art und Weise, so trennte er in seiner Historiographie die Erzählung historischer Ereignisse und Personen säuberlich von quellenkritischen Untersuchungen.87 Dem Trend zur genetischen Erzählung widersetzte sich J.G. Droysen, der in der Historiographie Theorieprobleme postulierte. Er unterschied anhand der Kriterien, welchen Charakter das zugrundegelegte Quellenmaterial aufwies, welche Eigenart das Thema besaß und welche Funktion die historiographische Darstellung haben sollte, zwischen einer untersuchenden, einer erzählenden, einer didaktischen und einer kritisch-diskursiven Darstellungsform. J.G. Droysen sprach sich daher gegen die Identität von Geschichtsschreibung und Erzählprosa aus und bestimmte zur historistischen Historiographiemethode allein die untersuchende Darstellung. L. Rankes Kunstwerk-Theorie und G.G. Gervinus’ künstlerische Behandlung der Geschichte verwarf er als Illusionen. J.G. Droysen wandte sich gegen eine Ausformung und Ästhetisierung der historischen Darstellung, weil sie die Möglichkeit eines vollständigen Verlaufes und eine geschlossene Abfolge von Ereignissen vorzuweisen angebe, obwohl die historischen Tatsachen nicht objektiv vorliegen würden. Die erzählerische Darstellung füge Geschichte mittels ihres genetischen Verlaufs in einen festgesetzten Rahmen, obwohl Anfang und Ende der Geschichte relativ seien. J.G. Droysen sprach sich daher für die diskursive Darstellungsform aus, um seinen Lesern mit Hilfe der Historie konkrete Entscheidungshilfen für die Gegenwart an die Hand geben zu können. Demgegenüber versuche die untersuchende Darstellungsform dort, wo keine wissenschaftlich eruierbare Interpretation historischer Zusammenhänge gefunden werde, dem Leser eine eigene subjekti86 Vgl. Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 182: »Soweit der Historismus von idealistischen Vorannahmen bestimmt worden ist, tritt der Gottesbegriff an die Stelle des ungelösten Problems, die Einheit der Geschichte trotz der Pluralität ›individueller Totalitäten‹ aussagen zu können. Dadurch wird der Gottesbegriff vermittels eines Rückschlusses aus der Geschichte funktional als derjenige Ort bestimmt, der die Einheit und Totalität verbürgen soll. Folglich kehrt im Historismus das kosmologische Argument des Gottesbeweises wieder, bei dem der Gottesgedanke aber von seinem Ausgangspunkt (Welt, Geschichte) abhängig bleibt.« 87 Vgl. Blanke, Historiographiegeschichte, 284: »Die Tendenz zur Entlastung der erzählenden Darstellung setzte sich immer mehr durch, wobei die Bereitstellung des Quellenmaterials einerseits und die kritische Auswertung dieses Materials andererseits nun endgültig besonderen Textgattungen zugewiesen wurden. Damit wurde die eigentliche Darstellung frei für eine neue Ästhetik: die Darstellung besitzt nun in aller Regel eine geschlossene Form, die dann auch zu Recht Kunstcharakter beanspruchen kann.«

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ve Vorstellung kommunikativ zu ermöglichen;88 die erzählende Darstellungsform rege die Phantasie des Lesers an. Innerhalb dieser letztgenannten Form differenzierte J.G. Droysen nochmals: 1. Die pragmatische Erzählung frage nach dem Kausalnexus von Bewegungen (Interpretation der Bedingungen), 2. die biographische Erzählung frage nach der Entwicklung eines und mehrerer Gedanken in einem historischen Handlungsträger (psychologische Interpretation), 3. die monographische Erzählung frage nach der Genese einer Idee (Interpretation nach Ideen bzw. sittlichen Mächten), 4. die katastrophische Erzählung frage nach der Auseinandersetzung rivalisierender Ideen. Bezüglich letzterer nahm J.G. Droysen Anleihe an der griechischen Tragödie, die unter Anwendung eines offenen Schlusses den Erzählfaden in eine weitere Auseinandersetzung übergehen lasse. Letztlich, so W. Schiffer, habe J.G. Droysen »seine Theorie der geschichtlichen Wirklichkeit gewissermaßen über einer universalen Erzählstruktur konzipiert«.89 Ein entscheidendes Charakteristikum der historistischen Wissenschaftskonzeption ist die historiographische Umsetzung der methodisch gewonnenen Erkenntnisse über historische Entwicklungen und Veränderungen, um diese für gegenwärtiges konsensfähiges Handeln nutzbar zu machen.90 Von der Spätaufklärung übernahm der Historismus eine »bestimmte Form institutionalisierter Fachlichkeit«.91 Betrachtete die Spätaufklärung Historiographie insbesondere als ein nationales Politikum, da sie die bürgerliche Emanzipation im nationalen Rahmen beschrieb, schuf J.G. Herder als Vertreter der Romantik dezidiert eine Kirchengeschichtsschreibung92 unter Reflexion des spätaufklärerischen Verwis88 Vgl. Schiffer, Theorien, 106: »Da sich diese systematische Korrespondenz zwischen Form und Appell, wie gelegentlich schon angedeutet, auch für die ›erzählende‹ Darstellung nachweisen läßt, scheint es mir zutreffend, Droysens Typologie der historischen Darstellungsformen als eine pragmatische Theorie der Historiographie zu qualifizieren. Präzisierend ist hinzuzufügen, daß es sich dabei nicht um eine Rezeptionstheorie handelt, sondern um eine kommunikativ orientierte Produktionstheorie, bzw. eine Produktionstheorie mit rezeptionstheoretischen Prämissen [Hervorhebung im Original].« 89 Schiffer, Theorien, 115. 90 Vgl. Blanke, Historiographiegeschichte, 423: »Die Geschichtsschreibung des klassischen Historismus hatte als ihr wichtigstes Ziel die nationalstaatliche Einigung formuliert. Indem diese erreicht wurde, schien ihre Aufgabe unmittelbar erfüllt. Die Historiographie des nachklassischen Historismus ist denn auch durch zwei gegensätzliche Tendenzen gekennzeichnet, die mir typisch für die politische Kultur des Wilhelminismus zu sein scheinen: einerseits ist sie durch die Fortsetzung und, vor allem, die weitere Verengung der Partikularisierungstendenzen geprägt, andererseits bedeutete sie eine Rückwendung zur universalistischen Geschichtsschreibung der Aufklärung.« 91 Blanke, Historiographiegeschichte, 208. 92 Zur Kirchengeschichtsschreibung der Aufklärung in Deutschland vgl. Stöve, Kirchengeschichtsschreibung, 544, 29–38: »Der Fortschritt der Kirchengeschichtsschreibung im protestantischen

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senschaftlichungsprozesses der Historie, die ausdrücklich religiöse Kriterien einband, um das Wirken des »Geist[es] der Geschichte« zu ermitteln: Die Auflösung des temporal geschlossenen Geschichtsbildes, basierend auf der Kontinuität der einen Wahrheit, verlangte die Konzeption einer anderen, dynamisch, prozessual verstandenen Wahrheit, die Identität über zeitliche Erfahrungsbrüche hinweg garantiert. Solche Kontinuität bildete für die Theologen des 18. J[ahr]h[underts] der »moralischvernünftige Inhalt der christlichen Lehrwahrheiten«. Historische Kritik befreit die Überlieferung von zeitbedingten Verdunkelungen und Irrtümern und bringt so den vernünftigmoralischen Kern der christlichen Wahrheit zur Geltung.93

Eruierte die romantische Richtung94 die Geschichte und die kulturelle Vielfalt des Mittelalters, so analysierte die liberale Richtung die neueste Geschichte unter der Fragestellung ihrer Gegenwartsbedeutung. F.D.E. Schleiermacher z.B. forderte eine genetische Geschichtsbetrachtung ein, die jede geschichtliche Tatsache als etwas allmählich Gewordenes begreife und ihren Akzent auf die Entwicklungsstufen dieser Erscheinungen lege. Im Anschluss an F.D.E. Schleiermacher unterschied Ph.K. Marheineke zwischen einer »gestaltlosen Religion der Innerlichkeit« und einer »objektivierten, d.h. Gestalt und Form gewordenen Religion«,95 die Ausdruck im Handeln des Menschen gewinnt und in ihrem Verlauf an Ideen gebunden ist.96 Während J.K.L. Gieseler innere und äußere Veränderungen der Kirche analysierte, ging A. Neander der Entwicklungsgeschichte von Sitte und Recht in ihren christlichen Prägungen nach und schrieb eine Frömmigkeitsgeschichte.97 Deutschland des 18. Jh. ist gekennzeichnet durch: 1. Übernahme der pragmatischen Methode, die nach innerweltlichem Ursache-Wirkungszusammenhang fragt, aus der politischen Geschichtsschreibung, 2. Übernahme des naturwissenschaftlichen Weltbildes, Verabschiedung der Heilsgeschichte und damit endgültige Ausscheidung der Weltgeschichte aus der Kirchengeschichte, 3. Übernahme kirchenrechtlicher Vorstellungen: Kirche als societas [Hervorhebung im Original]; 4. Übernahme des Gliederungsprinzips der Profangeschichte; 5. quellenbezogene Forschungen [...].« 93 Stöve, Kirchengeschichtsschreibung, 555, 16–24. 94 Vgl. Nigg, Kirchengeschichtsschreibung, 150: »Die mechanische Auffassung der Geschichte, der die Pragmatiker huldigten, ist zugunsten einer ganz vitalistischen und genetischen Anschauung überwunden. Für die Romantiker ist dadurch die Geschichte zu einer Projektion der eigenen seelischen Wirklichkeit geworden, die sie nun sowohl in ihrer Allgemeinheit als auch in ihrer Besonderheit zu erforschen suchen. Gleichzeitig kommt auch ein religiöses Moment in die Geschichtsanschauung hinein. Aus einem personalistischen wird ein transpersonalistisches Geschichtsbild. Es kommt eine ganz neue Ehrfurcht vor dem Überpersönlichen in der Geschichtsschreibung zum Ausdruck.« 95 Meinhold, Geschichte, 199. 96 Vgl. ebd., 200: »Die so dargestellte Geschichte ist nicht nur Kenntnis der Vergangenheit, sondern auch Verständnis der Gegenwart und gleichzeitig Ahnung von der geschichtlichen Entwicklung der Zukunft. Bei Marheineke ist mit diesem Gedanken jene entscheidende Idee des Historismus vorbereitet, die aus der Geschichtserkenntnis das Handeln für die Zukunft ableitet, indem sie auf Grund ihrer historischen Einsichten die Werte und Vorstellungen der Vergangenheit aufgibt, die in der Gegenwart unwirksam sind, und so die Zukunft vorbereitet.« 97 Vgl. ebd., 165: »Auch sein [A. Neanders, M. T.] Kirchenbegriff, der protestantisches mit romantischem Verständnis verbindet, dient der frommen Unterweisung. Zwar ist auch für Neander die Kirche eine sichtbare Erscheinung, aber ihr eigentliches Wesen liegt im Unsichtbaren.«

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R. Rothe identifizierte als Vertreter der idealistischen Geschichtsschreibung die Geschichte der Welt mit der Geschichte des Reiches Gottes. F.Ch. Baur, ebenfalls ein Vertreter dieser idealistischen Geschichtsbetrachtung, unterschied zwischen dem Wesen und den überkommenen Erscheinungen von Dingen, speziell der Kirche. Baur begriff, indem er die Individuen als Handlungsträger vernachlässigte, die Kirchengeschichte als eine Geschichte von Ideen, deren Bewegung in einem kontinuierlichen dialektischen Prozess verläuft. Andere Ansichten vertraten M. Schneckenburger und K.B. Hundeshagen. Beide reduzierten das konfessionelle und individuelle Heilsinteresse auf psychologische Gesetze und fassten die Kirche zum einen als eine rein sakramentale und zum anderen als eine rein ethische Größe auf. Beide konstatierten auch, dass in der Kirchengeschichte das religiöse Motiv das sittliche Motiv dominiere. K.B. Hundeshagen forderte deshalb, dass die Kirche, um soziale Verhältnisse umgestalten zu können, die Identität von unsichtbarer und sichtbarer Kirche erstreben müsse: Allein die Kirche sichere für die Gemeinschaft und das Individuum die Einheit von Religiosität und Sittlichkeit, ihr gebühre dem Staat gegenüber Selbständigkeit.98 Wies K.R. Hagenbach der Kirchengeschichte ein neues Aufgabenfeld zu, weil er im Geschichtsverlauf von einer Vermischung göttlicher und menschlicher Elemente ausging, so wandte demgegenüber K. Hase dem Werden des Individuellen sein Interesse zu, verknüpfte Sitten-, Kultur-, Wirtschafts- und Kunstgeschichte miteinander und erklärte die Geschichte als einen Prozess des Werdens, in dem der menschliche Geist der bewegende Faktor sei: Realisiert werde nicht eine Idee von Kirche, sondern die Kirche selbst sei ein in Entwicklung und Werden begriffener geschichtlicher Gegenstand.99 Indem K. Hase von der Prämisse ausging, dass sich die Verkündigung Christi in den Perioden der Geschichte unterschiedlich entfalte, lehnte er die Vorstellung eines geschichtlichen Verfalls oder Fortschritts ab100 und machte somit für die protestantische 98 Vgl. Wichelhaus, Kirchengeschichtsschreibung, 30: »Hundeshagen hat die Kirchengeschichte bewußt als die Geschichte mehrerer Kirchen behandelt; die eine Kirche blieb zukünftiges Ziel. Die Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichem und kirchlichem Leben lockten sein Forschungsinteresse. Unter den gesellschaftlichen Einflüssen verstand er die staatlichen und politischen Lebensbedingungen des Raumes, in dem sich eine Kirche bildet.« 99 Vgl. ebd., 233: »Dadurch erhält die Kirchengeschichte ihren Charakter als eine kritische, auf die Erforschung der Tatsachen gerichtete Wissenschaft, die zugleich die Tatsachen nach ihrem ursächlichen Zusammenhang erschließt, für dessen Erklärung allerdings der schöpferische Geist selbst und die sich konsequent entfaltende Macht der Idee die Grenze bilden. Ebenso hat Hase von diesen Gedanken aus den theologischen Charakter der Kirchengeschichte hervorheben können. Er besteht darin, daß der Historiker die geschichtlichen Tatsachen und Ideen zum religiösen Geist in Beziehung setzt, der als etwas Gegebenes sich in ihnen ausdrückt.« 100 Vgl. Nigg, Kirchengeschichtsschreibung, 183: »Mit dieser Deutung vertritt Hase als erster die moderne Auffassung des kirchlichen Geschichtsprozesses, die eine durch alle Zeiten hindurchgehendes, wellenförmiges Sinken und Steigen beobachtet.« Vgl. ebd., 192: »Hase wertet die Kirchengeschichte nicht mehr wie Neander als Erbauungsmittel, sondern als ein großartiges und ästhetisches Schauspiel, das er unter Einsatz seiner ganzen künstlerischen Fähigkeit darzustellen versucht.«

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Kirchengeschichtsschreibung die Beschäftigung mit dem Mittelalter wieder fruchtbar. Dennoch teilten J.H. Kurtz und F. Overbeck auch weiterhin die Vorstellung, dass der Kirchengeschichte eine Geschichte des Verfalls innewohne: So sei das Christentum eine historische Erscheinung, die den geschichtlichen Gesetzen (Anfang, Blüte, Untergang) unterliege. Die methodische Assimilation der Kirchengeschichte an die Profanhistorie führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer profanen Kirchengeschichtsschreibung, die die hegelianische Geschichtsmetaphysik F.Ch. Baurs verwarf. Ihre exemplarischen Vertreter waren A. Ritschl, A. Harnack und E. Troeltsch. A. Ritschl legte eine psychologisch-kausale Geschichtsbetrachtung christlicher Gemeinschaftsformen, die er von Nationalcharakteren abhängig sah, vor. Während er das Kulturbewusstsein, die bürgerliche Frömmigkeit und die Kirche als reine Sachwalterin der göttlichen Offenbarung für die menschliche Sittlichkeit als gewinnbringend hervorhob, übertrug er dem Staat die Aufgabe der Disziplinierung der Bevölkerung. Zwar ordnete auch der Kirchenrechtler R. Sohm wie A. Ritschl das Recht in den weltlichen Bereich ein, verwarf es aber für die ecclesia invisibilis und widersprach vehement dessen These, dass die Bevölkerung durch christliche Werte zu disziplinieren sei. Auch G. Uhlhorn wandte sich der Problematik zu, wie der Staat, die Gesellschaft und die Familie von christlichen Maximen durchdrungen werde. Er forderte, dass der Rechtsstaat zu einem Sozialstaat werde, indem er christlichen Maßstäben zum Durchbruch verhelfe. A. Ritschls These von der Kulturkraft des Christentums negierte er, weil s.E. die Kirche als unsichtbare Größe in ihrer Geschichte nicht anhand von soziologischen Kategorien erfasst werden dürfe. Verknüpfte A. Ritschl die historische mit der dogmatischen Methode, so dehnte A. Harnack die historische Betrachtungsweise auf das gesamte Gebiet der Theologie aus und konstatierte, dass der christliche Individualismus auf einem Gemeingefühl basiere. Wie A. Harnack wandte auch Th. Kolde sein Forschungsinteresse empirischen Gegenständen zu, mögliche Glaubensinhalte vernachlässigte er. E. Troeltsch ordnete, indem er die Relativität historischer Erscheinungen postulierte, das Christentum in eine religionsgeschichtliche Entwicklung ein und ermittelte mit Hilfe der soziologischen Analyse kirchengeschichtliche Zusammenhänge. Die kritische Beschreibung der ethischen Normen und Werte in der Geschichte des Christentums sollte Möglichkeiten gegenwärtiger Veränderungen und erzieherischer Neugestaltungen in der Kirche und für die Gesellschaft erkennen lassen. E. Troeltsch versuchte durch historische Wesensbestimmung zur gegenwärtigen Wesensgestaltung des Christentums beizutragen.101

101

Vgl. Wichelhaus, Kirchengeschichtsschreibung, 14.

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A. Troeltsch korrigierte F.Ch. Baur, indem er erstens forderte, die historischen Persönlichkeiten eingehender nach ihren Intentionen zu untersuchen, und zweitens Vergesellschaftungsformen und deren Niederschlag auf das Leben des Einzelnen analysierte. Gegen diese Gleichsetzung von Kirchengeschichte mit Religionsgeschichte wandte sich A. Hegler. Er verstand die Kirche als überindividuelle Ursache und Trägerin persönlicher Glaubensüberzeugungen. Auch G. Krüger und H. Schubert suchten in ihren Kirchengeschichtsforschungen nach mannigfaltigen Auswirkungen christlichen Glaubenslebens. In dieser Tradition stand R. Seeberg, der in den Mächten der Geschichte, darunter zählte er die Kirche, die leitenden Ideen der Geschichte realisiert sah. Demgegenüber vertrat K. Müller einen kritischen Ansatz: Er betrachtete die Kirchengeschichte als einen Teil der allgemeinen Geschichte, die »das kirchliche Leben [...] in Zusammenhang mit der allgemeinen Geschichte von Volk und Staat, Wirtschaft und Recht bringt«.102 Um 1900 begriff die kirchliche Historiographie schließlich ihre Aufgabe darin, »politisches und wirtschaftliches, gesellschaftliches und religiöses Leben in historischer Darstellung zu vereinigen«.103 So beschrieb K. Sell die Vielgestaltigkeit christlichen Gemeindelebens innerhalb einer umfassenden Gemengelage unter der Prämisse christlichen Selbstbewusstseins und des ihm innewohnenden Triebes zur Gemeinschaftsbildung. Schließlich konstatierte A. Jülicher die »Demokratisierung der Kirchengeschichte«.

1.3 Forschungsüberblick über Leben und Werk Albert Haucks bis 2006 1.3.1 Albert Haucks Kirchengeschichtsschreibung in memorial geprägten Würdigungen Bald nach seinem Tod wurde A. Hauck als eine »in der ganzen wissenschaftlichen Welt erste Autorität auf dem Gebiet der Kirchengeschichte«104 geschätzt und seine wissenschaftlichen Leistungen in der theologischen Wissenschaftsorganisation, in der Kirchengeschichtsforschung und -schreibung als herausragend gewürdigt. W. Köhler und G. Seeliger105 rühmten vor allem A. Haucks Herausgeberschaft der zweiten und dritten Auflage der RE, weil sie die historische Herangehensweise an die zu behandelnden Gegenstände eingefordert und infolgedessen ein unabkömmliches Repertoire theologischen Wissens geschaf102 Nigg, Kirchengeschichtsschreibung, 232. W. Nigg resümiert daraufhin ebd., 247: »Die Idee der Kirche hat demnach in der Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung einen Degenerationsprozeß erlitten.« 103 Wichelhaus, Kirchengeschichtsschreibung, 62. 104 [Laible,] Professor Albert Hauck, 317; Mirbt, Hauck, 257; W. Köhler, Vermischtes, 371f. 105 Seeliger, Hauck, 17–30.

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fen und begleitet habe. In den Nachreden wurde auch A. Haucks »liberale[] Weitherzigkeit«106 gelobt, die neben seinen offenbarungstheologischen Ansichten auch das Bemühen aller theologischen Richtungen, in ihren Forschungen der evangelischen Wahrheitssuche verpflichtet zu sein, anerkannte.107 A. Haucks Erstlingsschrift, die Tertullian-Monographie, analysierte N. Bonwetsch eingehender.108 Er erkannte eine historiographische Stärke des Verfassers gerade darin, dass dieser die Entwicklung einer historischen Person an deren zeitimmanenten sittlich-religiösen Einstellungen nachwies.109 Wie N. Bonwetsch sah auch M. Riemer110 A. Haucks typische methodische Herangehensweise in dieser Monographie entfaltet und historiographisch illustriert.111 M. Riemer kritisierte aber, dass die historiographische Konzentration auf den (psychologischen) Entwicklungsgang einer Person dogmengeschichtliche Perspektiven, die die zeitgenössische Tertullian-Forschung kontrovers diskutiert hatte, missachtete. L. Ihmels erkannte gerade in den persönlich gefärbten Urteilen des Verfassers einen Beweis dafür, dass A. Hauck anfangs um seine Anerkennung in wissenschaftlichen Kreisen ringen musste, obwohl er als Historiker methodisch exakt gearbeitet und sich selbst strengste Objektivität abverlangt hat. Stellten N. Bonwetsch112, M. Riemer und W. Laible das Objektivitätsideal in A. Haucks Kirchengeschichtsforschung heraus, zeichnete vornehmlich G. Seeliger A. Haucks Hinwendung zur Historischen Ideenlehre nach: In der »Kirchengeschichte Deutschlands« beschreibe er das Verhältnis von Politik und Kirche anhand einer Ideengeschichte, die auf dem Ideal einer fortschreitenden Kulturgeschichte basiere. G. Seeliger erkannte A. Haucks große wissenschaftliche Leistung nunmehr darin, die Einzelerscheinungen zu großen historischen Entwicklungslinien zusammengefasst zu haben.113 Da A. Hauck diese Entwick106

W. Köhler, Vermischtes, 371. Vgl. [Laible,] Professor Albert Hauck, 317: »Denn er [A. Hauck, M. T.] selbst stand mit beiden Füßen in der Theologie der Offenbarung, und er hat sich oft scharf genug gegen die moderne religiöse Richtung ausgesprochen, gegen ihre wissenschaftliche Oberflächlichkeit sowohl, wie er, der Historiker, es nannte, als gegen die kritiklose Nachbeterei der dii inferiores.« 108 Bonwetsch, Gedächtnis, 514–520. 109 Vgl. Merz, Wege, 142–150. 110 Riemer, Hauck, 98–111 u. 129–140. 111 Vgl. Riemer, Hauck, 132: »Tertullians Art und Charakteranlage, seine innere Entwicklung vom katholischen Christen zum Apologeten und vom Apologeten dann wieder zum Montanisten, seine ganze innere Stellung zum Christentum, zu den Problemen und Fragen seiner Zeit: m.a.W. die ganze psychologische Analyse des Charakters verrät eine solche kundige Hand, wie sie nur ein geborener Künstler und Meister auf diesem Gebiete haben kann.« 112 Vgl. Bonwetsch, Gedächtnis, 515: »Ueberall zeigt sich die allseitige, sorgfältige Durchforschung des Quellenmaterials und wohlerwogene, selbständige Stellungnahme im klaren und bestimmten Urteil zu allen einschlägigen Fragen. Der Text aber bietet die Darstellung in durchsichtiger, fesselnder Form, ohne jedes überflüssige Wort und doch auch ohne jedes Zusammenpressen des Inhalts. Leidenschaftslose Objektivität, der es nur um die Feststellung des wirklichen Sachverhalts und um ein zutreffendes Urteil zu tun ist, zeigt sich geeint mit lebendiger Anteilnahme. Nur den Gegenstand selbst läßt Hauck reden, und doch ist alles zugleich ein persönliches Wort des Erzählers.« 113 Vgl. Seeliger, Hauck, 26: »Hauck, dieser Mann der peinlichsten Ordnung im Kleinsten, dieser 107

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lung auf die »deutsche Volkspsyche« beziehe, gebühre der »Kirchengeschichte Deutschlands« die Wertschätzung als »klassisches Geschichtswerk unserer Literatur«.114 Diese Einschätzung korrigierte L. Ihmels dahingehend, dass A. Hauck zu Lebzeiten die Internationalität der Wissenschaft gefördert und geschätzt habe.115 Gewürdigt wurde in A. Haucks kirchlicher Historiographie vor allem die Verknüpfung von politischer Geschichte mit einer Kirchengeschichte, die das Staat-Kirche-Verhältnis, die Frömmigkeit, die Kultur, die kirchliche Verfassung, das sittliche und religiöse Leben beschrieb.116 Nach Meinung N. Bonwetschs habe A. Haucks Vorstellung des Christentums als eine in der Geschichte wirkende religiöse Kraft die Bedingung für eine derartige Herangehensweise geschaffen.117 Dass zwischen A. Haucks Interesse an Frömmigkeit und Religiosität des Mittelalters und seiner persönlichen Frömmigkeit ein enger Zusammenhang bestehen könnte, reflektierten bereits manche Nachredner. L. Ihmels und N. Bonwetsch versuchten gar, in frömmigkeitsgeschichtlichen Passagen der »Kirchengeschichte Deutschlands« A. Haucks eigene Frömmigkeits- und Glaubensvorstellungen herauszulesen.118 G. Seeliger betrachtete A. Haucks Leben und Wirken unter dem Gesichtspunkt des Zusammenspiels von Seelsorge und wissenschaftlicher Theologie. M. Riemer, C. Mirbt und F. Hauck119 spürten der Verbindung von theologischer Ausbildung bzw. pfarramtlicher Lebenswelt und wissenschaftlicher Forschung in der Tertullian-Monographie nach.120 W. Caspari erkannte eine Wechselbeziehung zwischen A. Haucks kulturfreundlichen Positionen in der kirchlichen Historiographie und seinem Wirgewissenhafte Sucher der Wahrheit, bleibt immer der sorgsamste, die Quellen befragende Historiker, unbestechlich, wahrhaftig, im ganzen Denken echt historisch. Aber sein Bedürfnis nach Klarheit und Geschlossenheit und dazu die Wirksamkeit einer schöpferischen Phantasie ließen ihn manches bestimmt sagen, was anfechtbar oder zweifelhaft ist. Die starke wissenschaftliche Persönlichkeit schuf einen starken, über das Künstlerische der Darstellung hinausgehenden Subjektivismus.« Vgl. Mirbt, Hauck, 255: »H[auck] war der souveräne Beherrscher eines staunenerregenden Einzelwissens, das er in den zahlreichen Anmerkungen niedergelegt und zur Nachprüfung ausgebreitet hat. Aber er hat sich nicht darauf beschränkt, über die Resultate seiner sich weitverzweigenden Einzelforschungen streng sachlich zu referieren, sondern er war zugleich ein Geschichtsschreiber großen Stils. Es ist für H[auck] selbstverständlich gewesen, die Einzeltatsachen in große Zusammenhänge einzureihen und damit Weltgeschichte zu schreiben. Voll Verständnis für die Wichtigkeit der Institutionen und festen Ordnungen des Lebens hat er zugleich die überaus anziehende Gabe, mit wenigen knapp gehaltenen Worten Menschen und Verhältnisse plastisch zu charakterisieren. Mit besonderem Geschick stellte er sich die Aufgabe, die geistigen Strömungen der einzelnen Perioden und die in ihnen waltenden religiösen und sittlichen Kräfte herauszuarbeiten.« 114 Seeliger, Hauck, 27. 115 Vgl. Ihmels, Gedächtnis, 492–495. 116 Vgl. W. Köhler, Vermischtes, 372; Grauert, Hauck, 90–98. 117 Vgl. Bonwetsch, Gedächtnis, 518. 118 Vgl. Caspari, Gedächtnis, 668–673. 119 Vgl. F. Hauck, Hauck, 222. 120 Vgl. Mirbt, Hauck, 254: »Diese Jahre stiller Beobachtung deutschen Volkstums sind für seine spätere Darstellung christlicher Sitten und christlicher Sittlichkeit ein gewiß nicht unwichtiges Vorstadium gewesen.«

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ken in kirchlichen Vereinen sowie der Wertschätzung kultureller Volkserziehung. Auch die methodologischen Wurzeln der Kirchengeschichtsforschung und Kirchengeschreibung A. Haucks analysierten die Nekrologe. G. Seeliger und W. Caspari führten dessen geschichtswissenschaftliche Methode auf L. Ranke, auf die konfessionell geprägten Erlanger Theologen und auf die Anthropologie in F.D.E. Schleiermachers Glaubenslehre zurück. Im Urteil G. Seeligers sei A. Hauck kein Bahnbrecher einer neuartigen kirchlichen Historiographie geworden: [...] er [Hauck, M. T.] stand scheinbar ganz abseits, ein Vertreter des Alten. [...] Er hat das Widerspiel individueller und kollektiver Kräfte in der historischen Entwicklung, er hat die Einheit und den Zusammenhang der mannigfachen historischen Bildungen zu erfassen gesucht, er hat von der Geschichte der Kirche aus, die ja im Mittelalter den Mittelpunkt des geschichtlichen Lebens überhaupt bildete, tiefsinnig Kulturgeschichte im wahren Sinne geschrieben und das erfolgreich getan, was manche bewußte Reformer nicht zu erreichen vermochten.121

Auch C. Mirbt und später F. Hauck, der zudem den Einfluss des Berliner Philosophen F.A. Trendelenburg auf seinen Großvater konstatierte – stellte A. Hauck in die Schülerschaft der Erlanger Theologen G. Thomasius und J.Ch.K. Hofmann und des Berliner Historikers L. Ranke hinein. Doch gerade in A. Haucks beabsichtiger Distanz zu historischen Ereignissen entdeckte G. Merz den entscheidenden Unterschied zu L. Rankes Historiographie, die jenem eine präzisere Betrachtung der Vergangenheit erlaubte als diesem.122 1.3.2 Die Würdigung Albert Haucks durch Heinrich Boehmer Neben den memorial geprägten Würdigungen unternahm 1919 H. Boehmer einen ersten Anlauf zur wissenschaftlich-analytischen Erforschung des Lebens und Werkes seines ehemaligen Kollegen an der Theologischen Fakultät Leipzig. Sein großer Aufsatz »Albert Hauck: ein Charakterbild« erschien 1920 in den »Beiträgen zur Sächsischen Kirchengeschichte«.123 H. Boehmer stellte A. Hauck in die Bildungstradition des Neuhumanismus und in die theologische Prägung der Erlanger theologischen Richtung hinein. In Berlin habe L. Ranke124 121

Seeliger, Hauck, 28. Vgl. Merz, Wege, 149f. 123 Boehmer, Hauck, 1–78. 124 Vgl. ebd., 13: »Hauck hat später oft versichert, dass Ranke der grösste Mann sei, den er in seinem Leben gesehen habe. Dies Urteil gründete sich vor allem auf die Charakteristik Napoleons, die er damals in dem Kolleg über neueste Geschichte seit 1792 aus Rankes Munde gehört hatte. Man darf unbedenklich behaupten: diese Stunde ist für seine ganze weitere Entwicklung entscheidend geworden. Seitdem wusste er, was Geschichte schreiben heisst. Seitdem war er entschlossen, zwar noch nicht selbst Historiker zu werden – solche Gedanken lagen dem Bescheidenen gerade jetzt, wo er den gröss122

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sein kirchengeschichtliches Interesse geweckt, das zuvor auch J.Ch.K. Hofmann und G. Thomasius geprägt hatten: Die Geschichtlichkeit der Offenbarung Gottes in ihrem Entwicklungsprozess stand in dessen Mittelpunkt. Laut H. Boehmer haben die Tertullian-Monographie und der erste Band der »Kirchengeschichte Deutschlands« A. Haucks wissenschaftlichen Werdegang entscheidend geprägt. War die Monographie Anlass der Berufung auf eine außerordentliche Professur an der Erlanger Theologischen Fakultät seit dem Wintersemester 1878/79, so brachte ihm die zweite größere Veröffentlichung den Ruhm und 1889 den Ruf nach Leipzig ein. In Erlangen und Leipzig habe A. Hauck universitätspolitisch agiert und aufmerksam die politische und kirchliche Lage seiner Zeit verfolgt, ohne an deren Kämpfen in der Gegenwart teilzunehmen. H. Boehmer würdigte insbesondere die Leistungen A. Haucks als Dozent: [...] er war nicht das, was man einen glänzenden Dozenten nennt. Aber sehr bald stellte sich das wohltuende Gefühl ein, einem absolut sicheren Führer zu folgen, der immer direkt aus den Quellen schöpfte und stets nur das sagte, was er vor Gott und seinem Gewissen verantworten konnte, und allmählich kam dann doch selbst den ganz jungen Semestern das Verständnis für die klare Schönheit des Stiles, die tiefe Perspektive der historischen Anschauung, das oft überraschend neue und immer unvergesslich treffsichere Urteil über die grossen historischen Persönlichkeiten und Ereignisse.125

Größer als der Dozent sei der Gelehrte und der Schriftsteller A. Hauck gewesen, obwohl seine erste Monographie sowohl von den Pfarrern als auch von den Historikern ignoriert worden sei. H. Boehmer sah im Vortrag über »Die Entstehung des Christustypus in der abendländischen Kunst«126 den gereiften Darsteller und Kritiker sowie den vollendeten Hermeneuten der Leserschaft gegenübertreten: Stil und Komposition der Darstellung, Klarheit und Schärfe des Urteils sowie Feinfühligkeit zeichneten den Kirchenhistoriker fortan aus. Besonders in der Archäologie habe er wissenschaftliche Leistungen vollbracht: Als Künstler erkannte er die Technik, als Historiker die dahinterstehenden Ideen und Gedanken. Weil A. Haucks Bedeutung als Historiker und Theologe weltweit anerkannt war, habe er als Wissenschaftsorganisator, als Herausgeber der zweiten und dritten Auflage der RE agieren können. Auch für die Abfassung der »Kirchengeschichte Deutschlands« sei A. Hauck aufgrund seiner Fähigkeiten als Historiker und aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausbildung prädestiniert gewesen. So habe er als erster die Bedeutung religionsgeschichtlicher, sitten- und rechtsgeschichtlicher Quellen verstanden.127 In die Interpretatiten aller Historiker kennen gelernt hatte, noch fern – aber wenn er Geschichte treibe, sie nur im Geiste Rankes zu treiben.« 125 Ebd., 34. 126 A. Hauck, Christustypus. 127 Vgl. Boehmer, Hauck, 46: »Oft genug aber hatte er es mit ganz jungfräulichem Boden zu tun, und zwar gerade bei den Quellen, die für ihn besonders wichtig waren, den Werken der Theologen, den Predigtbüchern, den liturgischen Denkmälern, den Legenden, den Konzilsbeschlüssen. Diese Quellen,

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on der Quellen und der Zeitumstände habe er sein eigenes religiöses Verständnis hineingetragen. Jede Charakteristik historischer Individuen prüfte er an den Quellen.128 H. Boehmer erkannte in den Personendarstellungen eine Parallele zu L. Rankes Darstellungskunst, obwohl A. Hauck immer einen persönlichen Strich hinzugefügt habe, weil er das Wesen einer Person intuitiv zu erkennen pflegte: »Diese ›Intuition‹ wird sich aber bei grossen Historikern nicht nur in der Schilderung der Persönlichkeiten, sondern auch in der blitzartigen Erfassung des Wesentlichen in den Ereignissen offenbaren.«129 A. Haucks Geschichtsschreibung zeichne sich zum einem gerade darin aus, dass er großen Wert auf die genaue Erforschung des Besonderen und Unwiederholbaren legte.130 Zum anderen versuche er festzustellen, ob der innere Zusammenhang der mannigfaltigen Zustände und Ereignisse und dessen Veränderung ein Fortschritt oder ein Rückschritt in der eingeschlagenen Richtung bedeutete.131 Indem er aber Kritik an den religiösen und sittlichen Zuständen übe, sei er niemals einem Historismus verfallen, der sich auf Grundlage eines immoralistischen Relativisimus definierte. Auch in seiner Hermeneutik habe sich A. Hauck von Anfang an als RankeSchüler verstanden. So gehe er von der Wirkung verschiedenartiger Tendenzen und Kräfte aus, die im gegenseitigen Ringen den Fortgang der Geschichte bestimmten. Dennoch sei der Mensch frei, weil er entscheiden könne, welcher überpersönlichen Kraft und welcher überpersönlichen Tendenz er zum Durchbruch verhelfe, und dann schöpferisch tätig werde.132 auf denen geradezu die Möglichkeit seines Unternehmens beruhte und die für ihn immer primum gradum certitudinis hatten, weil sei unabsichtlich, unfreiwillig und unbewusst stets den jeweiligen status ecclesiae et religionis verraten [...], lagen nur zu einem kleinen Teile in kritischen Ausgaben vor.« 128 Vgl. ebd., 53: »Die Treffsicherheit der Hauckschen Charakteristiken nimmt natürlich im Laufe der Darstellung immer mehr zu: denn je weiter er sich von der Urzeit entfernt, um so reicher wird die hierfür ihm zu Gebote stehende Überlieferung. Bei den Menschen des Frühmittelalters lassen sich nur selten die Linien schärfer ziehen.« 129 Ebd., 55. 130 Vgl. ebd., 64: »Diese Zustandsbilder sind, wie mich dünkt, das Grossartigste, was Hauck geschaffen hat. In ihnen bekundet er am glänzendsten all die Eigenschaften und Gaben, die den grossen Historiker kennzeichnen: die genaueste Erforschung des Einzelnen, den immer mit dem vollkommensten Sachverständnis verbundenen scharfen Blick für das Wesentliche in den Erscheinungen, die klare Einsicht in den inneren Zusammenhang der Ereignisse und Zustände und in das ständige Ineinander von sachlicher Notwendigkeit und persönlicher Initiative und die Fähigkeit, dies Ineinander und Miteinander so darzustellen, dass der Leser es vor sich schaut, wie ein Mitlebender.« 131 Vgl. ebd., 65: »Dabei greift er jedoch niemals für eine bestimmte Richtung Partei. Er spricht nie, obgleich er, genau wie Ranke, niemals verschweigt, dass er sich als evangelischer Christ fühlt, von seinem Standpunkte aus über die Erscheinungen der Vergangenheit an. [...] Wenn er aber einmal ein Wort der Kritik fallen lässt, so lässt er sich dabei doch nie von den eigenen religiösen und sittlichen Anschauungen leiten, sondern von den allgemein anerkannten Überzeugungen der betreffenden Zeit.« 132 Vgl. ebd., 67: »Das Individuum bleibt für ihn daher, wie für Ranke, immer ein Ineffabile und die Aufgabe, dies Ineffabile und Unbegreifliche der individuellen Erscheinung zwar nicht zu erklären, aber zu erfassen und zu beschreiben, eine der wichtigsten Aufgaben der Historie. Aber wichtiger

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In Anlehnung an L. Ranke übernehme A. Hauck das Ideal eines Zusammengehörigkeitsgefühls der europäischen Völker. So verknüpfe er in der kirchlichen Historiographie das Nationale mit dem Internationalen. Von L. Ranke verschieden ist zum einen A. Haucks Glaube, dass Gott die Menschheit zu einem bestimmten Ziel führe, zum anderen die Fokussierung auf die Regungen eines Volkes – nicht auf die der Oberschicht –, um sittliche und religiöse Verhaltensweisen, soziale und wirtschaftliche Momente aufzuweisen. Diese Betrachtungsweise, die sich gegen die geschichtslogischen Konstruktionen R. Sohms richtete, übernehme er von J.R. Green133. H. Boehmer resümierte: Haucks Kirchengeschichte [...] ist ein Ergebnis solidester Forschung, eine Arbeit, auf Grund deren man weiter arbeiten kann, endlich wirklich ein echtes, ein rein historisches Werk grössten Stils und auch als Darstellung eine so vollendete Leistung, dass sie wie die grossen Werke Rankes stets als eine charakteristische Schöpfung der deutschen Nationalliteratur betrachtet und als solche auch dann noch studiert werden wird, wenn sie in manchen ihrer einzelnen Angaben, wie es nicht anders sein kann, veraltet.134

So glänzend H. Boehmers »Charakterbild« auch ist, die Nähe zu dem Kollegen und H. Boehmers eher narrativer als analytischer Duktus lassen das Pendel nach der memorialen Seite ausschlagen. Dennoch weist sein Aufsatz genau die Probleme aus, mit denen sich eine Analyse des Lebens und Werkes A. Haucks beschäftigen muss: Zusammenhang von Lebenswelt und Werkgeschichte, theologische und pfarramtliche Ausbildung und Tätigkeit, Zusammenhang von Geschichtstheorie und Geschichtsschreibung im Zeitalter des Historismus, Analyse der »Kirchengeschichte Deutschlands« und der zu ihr hinführenden Arbeiten. Von einer Hauck-Forschung im strengen Sinne kann deshalb erst seit den fünfziger Jahren gesprochen werden. 1.3.3 Analytische Forschungen über Leben, Werk und Historiographie Albert Haucks Der Philosoph H. Kayser135 erkannte in A. Haucks opus magnum geschichtsphilosophische Züge, die die Geschichte als Entwicklung begreifen, »in der sich ›die Lebensinteressen‹ der geschichtsbildenden Faktoren auswirken [...], eine Entwicklung, die sich nicht einfach bestimmen oder ›aufhalten‹ läßt«.136 So sei erscheint ihm doch stets die Ermittlung und Beschreibung der überpersönlichen Tendenzen und am allerwichtigsten: das ganz selten nur völlig ›entwirrbare Ineinander von sachlicher Notwendigkeit und persönlicher Initiative‹, das sich aus diesem Zusammenwirken von überpersönlichen Kräften und einzelnen Persönlichkeiten ergibt, im engsten Anschlusse an die Überlieferung darzustellen.« 133 Green, Geschichte. 134 Boehmer, Hauck, 76. 135 Kayser, Haucks Bewertung, 429–444. Zur Verhältnisbestimmung von Persönlichkeit und Idee vgl. W. Köhler, Idee. 136 Kayser, Haucks Bewertung, 430.

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A. Haucks Kirchengeschichte vornehmlich Ideengeschichte:137 Auf der Grundlage von Gemeinschaft, Zuständen und Ereignissen bilden sich Ideen und Persönlichkeiten aus, die von allgemeinen Tendenzen bestimmt würden. Daraus folgt, dass die Durchsetzung einer Idee von ihrem Träger und/oder den Umständen abhängig ist. A. Hauck erkenne eine qualitative Verschiedenartigkeit der Zeitalter, die mit der qualitativen Verschiedenheit der Ideen in eins zu setzen ist: Das Gewordene müsse stets die reine abstrakte Theorie kritisieren, d.h. wirkliche Kräfte seien der Herrschaft einer Idee immer vorzuziehen, weil diese dann eine qualitativ höherwertige Idee ausbilden: »Die Idee also macht die Geschichte nicht; auch nicht dann, wenn sie sich mit einer starken Persönlichkeit verbindet.«138 A. Hauck behaupte das relative Recht des gewordenen Zustandes. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts setzte eine zunehmend kritische Beschäftigung mit A. Haucks Historiographie ein. W. Delius ordnete A. Hauck, dessen Kirchengeschichtsschreibung seiner Meinung nach keinen Fortschritt bewirkt habe, neben A. Harnack in die Schule F. Overbecks ein, die die Kirchengeschichtsschreibung als Teil einer Weltgeschichtsschreibung betrachtete. Einen Kirchenbegriff habe A. Hauck explizit nicht erarbeitet, sondern einen solchen stets als Einengung einer »religiös fundamentierte[n] historische[n] Weltanschauung« verstanden.139 Auf Grundlage seines Verständnisses der christlichen Religion habe A. Hauck daher das kirchengeschichtliche Geschehen der Vergangenheit und den Stoff der Geschichte philologisch-kritisch bis in die Einzelheiten analysiert: »Seine klassische Darstellung wurde zum Gemeingut der Theologie, ja der Geschichtswissenschaft überhaupt. Allen Fachgenossen war Hauck an Gestaltungs- und Charakterisierungskunst überlegen. Die Gegenwartsbedeutung zog ihn zur Geschichte.«140 137

Vgl. ebd.: »In der deutschen Kirchengeschichte ringen die weltliche und die geistliche Idee miteinander, jede wiederum in verschiedenen, im Lauf der Geschichte sich verändernden Formen.« 138 Ebd., 439. 139 Delius, Kirchengeschichte, 18. 140 Delius, Kirchengeschichte, 17f. W. Delius gab darin ein bereits zu Lebzeiten A. Haucks oft geäußertes Urteil über dessen Kirchengeschichtsschreibung wieder, vgl. Schubert, Kirchengeschichte, 32: »Nun soll ich zum Schluss noch sprechen über die letzte Arbeit, die dem Historiker obliegt, die Darstellung. Wir haben Muster derselben auch auf unserem Gebiet: ich nenne wieder die Hauck’sche Kirchengeschichte Deutschlands. Sie hat durchaus die Vereinigung, die man heute verlangen zu müssen einig ist. Die Geschichtsschreibung ist mit der Dichtkunst verwandt: kein wirklicher Historiker ohne Phantasie. Die versunkene Welt muss ihm in der Stille der Studierstube und auf dem Lehrstuhle vor dem geistigen Auge mit körperlicher Lebendigkeit wieder erstehen, und er muss die Gabe besitzen, dahinein die Leser und Hörer mitzuziehen. Der Sinn fürs Individuelle und Konkrete führt notwendig auf die Würdigung der grossen Menschen in der Geschichte.« Vgl. auch [Anonymus,] Dresdner Anzeiger, 15: »Heute feiert der hervorragende Leipziger Kirchenhistoriker Kirchenrat o. Prof. Dr. Albert Hauck seinen 70. Geburtstag. Man darf ihm einen erheblichen Anteil nachrühmen an der Förderung der deutschen Geschichtswissenschaft pragmatischer Observanz, die sich von dem Streben nach Sachlichkeit leiten läßt und sich das Arbeiten unter Abwehr persönlicher Impulse und problematischer Gesichtspunkte zur festen Maxime gemacht hat. Seine Hauptwerk, ›Kirchengeschichte Deutschlands‹, ist die erste großangelegte Zusammenfassung der fast unübersehbaren Einzelstudien zur Geschichte des

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Auch H. Bornkamm analysierte A. Hauck als Historiograph.141 A. Hauck habe von J.Ch.K. Hofmann die »Verbindung einer ehrfürchtigen Schriftdeutung mit einem starken Sinn für wahre Geschichte«142 gelernt. Von L. Ranke sei A. Hauck in die Personencharakteristik und Menschenbeobachtung eingeführt worden. Auch deshalb habe sich A. Hauck zuerst einer Person, Tertullian, zugewandt, die psychologisch zu untersuchen und deren komplizierte Theologie zu verstehen er als äußerst interessante Arbeitsaufgabe wahrgenommen habe sowie deren Schriften als genaue Beschreibung der kirchlichen, religiösen und sittlichen Zustände seiner Gegenwart galten. Doch erst in der »Kirchengeschichte Deutschlands« habe sich seine Quellenkritik,143 die auf den neuesten Quelleneditionen beruhte, und Geschichtsschreibung als meisterhaft erwiesen. Die psychologische Analyse der Handlungsträger und die sich an den Menschen orientierende Zustandsschilderung habe er nunmehr so weit entwickelt, dass eine lebendige historische Darstellung dem Leser vor Augen trat. Hatten W. Delius und H. Bornkamm prägnante Urteile über die kirchliche Historiographie A. Haucks vorgelegt, so versuchte B. Scholz in ihrer Dissertation »Der Geschichtsschreiber Albert Hauck (1845–1918): Persönlichkeit und Werk«144 eine Analyse seiner Methode und Historiographie darzubieten. Indem sie aber zwischen A. Haucks Lebenswelt und Werkgeschichte trennte und indem ihre Untersuchung auf den Prämissen basierte, dass A. Hauck »lebenslang stolz gewesen [ist], ein Schüler Rankes zu sein«145 und er vor allem als Profanhistoriker in der Gelehrtenwelt wahrgenommen worden sei, lässt sie die theologischen Implikationen seiner Kirchengeschichtsschreibung außer Betracht. A. Haucks »Kirchengeschichte Deutschlands« bezeichnete B. Scholz als die »bedeutendste deutsche Geschichte und Kulturgeschichte des Mittelalters« und Mittelalters, an denen drei Generationen von Historikern Anteil haben, zu einem in sich geschlossenen selbständigen Werk. [...] Während Hauck im Anfang seiner Forschertätigkeit jenem nordafrikanischen Kirchenvater sein Interesse zugewendet hatte, dessen Schriften und Persönlichkeit der Forschung immer neue Rätsel aufgeben, Tertullian, widmete er bislang drei Jahrzehnte emsigsten Gelehrtenfleißes der Erforschung der mittelalterlichen Entwicklung, und wie heute allgemein zugestanden wird, mit einem so unbestrittenen Erfolg, wie er kaum jemals einer Darstellung jenes Zeitraums zuteil geworden ist. Als der erste Band seiner Kirchengeschichte erschien, der mit der berühmten Zeichnung des Bonifatius abschließt, erkannte man alsbald die außergewöhnliche Bereicherung unserer historischen Arbeit, die damit eingeleitet wurde, und die Bewunderung galt nicht minder der Feinheit in der Charakteristik der Persönlichkeiten als dem Aufweis des wechselseitigen Zusammenhangs unter den Hauptfaktoren der geschichtlichen Entwicklung, der hier erreichten Einheit von Dokument und Darstellung ebensosehr als der Klarheit der Gliederung und der edlen Sprache.« 141 Bornkamm, Geschichtsschreiber, 420–431. 142 Ebd., 420. 143 Vgl. ebd., 422: »Hauck hat eine eigene, fast vibrierende Methode der Quellenbefragung. Er befindet sich in stetem Gespräch mit ihr, Satz um Satz seiner Darstellung ist belegt. Es ist seine Leidenschaft, gelegentlich auch seine Gefahr, aus einzelnen Sätzen und Mitteilungen der Quelle allgemeine Schlüsse zu ziehen. So entsteht eine Schilderung von höchster Sorgfalt und Objektivität, die aber von einem Hauch persönlichen Lebens durchweht wird.« 144 Scholz, Hauck. 145 Ebd., 1. Über die von H. Boehmer vorlegte Biographie A. Haucks geht B. Scholz nicht hinaus.

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»als eine der größten deutschen geschichtlichen Darstellungen seit Ranke«.146 Die historiographischen Linien vertiefe er anhand von stammesgeschichtlichen, rechts- und verfassungsrechtlichen, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen, kultur- und bildungsgeschichtlichen Fragestellungen. Dabei zeichne sich ab, dass A. Hauck Religion als Urheber aller Kultur betrachte.147 In der Anwendung der historischen Methode weise sich A. Hauck als Ranke-Schüler aus. A. Hauck analysiere das Quellenmaterial philologisch-kritisch und erarbeite unter Einbeziehung einer psychologisch gearteten Analyse die Intuitionen der Handlungsträger. Über L. Ranke habe er hinausgehen können, da ihm ein umfangreicheres Quellenmaterial zur Verfügung gestanden habe und da er in seiner Quellenkritik unter Einbeziehung der modernen wissenschaftlichen Diskussion zu selbständigen Urteilen gelangt sei. Trotz aller objektiven Herangehensweise interpretiere A. Hauck die Aussagen der Quellen subjektiv bis hin zu einer eigenständigen Darstellung: Exemplarisch hierfür sind die Personencharakteristiken. Beachtenswert sei, dass A. Haucks Reflexion des Volkslebens die historiographische Zentrierung auf die einzelnen Handlungsträger aufsprenge. Somit gelange er zu Urteilen, die auf den Maßstäben der jeweiligen Periode basieren. Die »Kirchengeschichte Deutschlands« bezeichnete B. Scholz als ein Kunstwerk, weil die inhaltliche Abgeschlossenheit der einzelnen Bücher zur Geschlossenheit der historischen Perioden beitrage. In ihnen veranschauliche Hauck das Neben- und Ineinander der verschiedenen kirchengeschichtlichen Linien und der sie bestimmenden Kräfte und Tendenzen. Seine Geschichtsauffassung lehne sich an die Überlegungen der Historische Ideenlehre an, dass Kräfte göttlichen Ursprungs die Geschichte bewegen. Im Mittelpunkt seiner Geschichtsdarstellung stehe also die Wechselwirkung der geistigen Kräfte und der menschlichen Interessenlage sowie der jeweiligen Zustände. Dennoch lasse A. Hauck nur einen relativen Fortschritt innerhalb der geschichtlichen Entwicklung gelten. B. Scholz erkannte, dass [d]ieses von Hauck in so vielfältigen, einander durchkreuzenden Linien von sachlicher Notwendigkeit und persönlicher Initiative gesehene Bild der geschichtlichen Entwicklung zeigt, dass er keine feste Formel für das Verhältnis von Zuständen, Ideen, Einzelpersönlichkeit und Volk, die mit logischer Folgerichtigkeit die geschichtliche Entwicklung auch in der Zukunft bestimmen wird, kennt und kennen will.148

Letztlich habe A. Hauck als protestantischer Theologe – wobei B. Scholz nicht nach seiner Theologie fragte149 – eine untendenziöse, unpolemische Geschichts146

Ebd., I. Vgl. ebd., 429: »Da es sich für Hauck in der Kirchengeschichte vornehmlich um Zustände und Erlebnisse des Volkes handelt, widmet er nicht nur der Missionsgeschichte und dem kirchlichen Leben des Volkes im Laufe der Jahrhunderte, sondern auch der volkstümlichen Religiosität und Sittlichkeit eindringende Betrachtung.« 148 Ebd., 135. 149 Ebd., 443. 147

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schreibung verfasst, weil er sich der Wandelbarkeit solcher Urteile bewusst gewesen sei. Stimme A. Hauck zwar mit L. Rankes Bewertung des Staates überein, so vertrete jener ihm gegenüber ein konfessionell lutherisches Kirchenverständnis: »Hauck lehnt scharf jede Betätigung der Kirche ab, die sie irgendwie zum politischen Gegengewicht oder nur zum politischen Einflussgeber des Staates macht, da sie dadurch ihrem notwendigen Heilsberuf an den Menschen und ihrem eigenen Wesen entfremdet wird.«150 B. Scholz resümierte, dass A. Hauck ein Vertreter der profanen Kirchengeschichtsschreibung und ein »selbständige[r] grosse[r] Vollender begonnener Entwicklungen«151 gewesen sei. Gegen B. Scholz’ Postulat, dass theologische Überzeugungen in A. Haucks Historiographie keine Rolle spielten, wandte sich H.-D. Loock 1956 in seiner Dissertation »Christus und die Geschichte: Betrachtungen zum Werke Albert Haucks«.152 Er ging von der Prämisse aus, dass A. Haucks Geschichtsanschauung und -theologie in seinem Erstlingswerk »Tertullian‘s Leben und Schriften« in Grundzügen feststand und es deshalb »nicht möglich und nötig [sei], die Entwicklung seines historischen Denkens darzustellen«153. Die vorherrschende Meinung, A. Hauck sei Ranke-Schüler gewesen, relativierte er. A. Hauck sehe die Offenbarung Gottes sich in der Geschichte der Menschen verwirklichen und betrachte Geschichte unter dem Gesichtspunkt »eine[r] apologetische[n] Auseinandersetzung mit der ›Bildung‹ seiner Zeit«.154 An der Historiographie A. Haucks untersuchte H.-D. Loock exemplarisch die geschichtswissenschaftliche und systematische Reflexion der Person Jesu Christi. Frömmigkeitsgeschichte schreibe A. Hauck als Geschichte der christlichen Weltanschauung und bestimme sie als metahistorisches und methodisches Element seiner Geschichtsanschauung. Dem christlichen Glauben spreche er eine erkenntnistheoretische Aufgabe zu. Dass die Heilstatsachen in ihrer Objektivität durch Vernunft ermittelt werden können, habe er an der Universität Erlangen kennengelernt. Da H.-D. Loock die Erlanger Erkenntnismethode den erkenntnistheoretischen Grundsätzen des deutschen Idealismus zuordnete, steht seiner Meinung nach A. Haucks Methodologie fern der »von Kant beeinflußten Methodenlehre Droysens«.155 A. Haucks Geschichtsbetrachtung beruhe sowohl auf einer theologischen Anthropologie als auch auf einer Hauck-typischen Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft: Wenn er Geschichte als 150

Ebd., 481. Ebd., 536; vgl. 538: »In einer Zeit, da in der Geschichtswissenschaft überall Neuerer eine gärende Bewegung hervorriefen, ging Hauck unbeirrt und still auf altbewährten Wegen, forschte und schrieb. Er wollte keine neue Methode oder Auffassung einführen, er wollte nichts Erstaunliches verkünden, er wollte nur, bemüht um die grosse Erkenntnis des geschichtlichen Ablaufs und der Zustände, ein Werk im Sinne Rankes schreiben.« 152 Gedruckt als Loock, Offenbarung. 153 Ebd., 6. 154 Ebd. 155 Ebd., 43. 151

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»Prozess der gedanklichen Durchdringung des Glaubensbesitzes«156 verstehe, führe ihn der Geschichtsverlauf zum eschatologischen Gehorsam gegenüber Gottes Willen. A. Hauck habe seine Kirchengeschichtsschreibung in der »Zeit des verfallenden Historismus«157 verfasst: Das Problem des Individualitätsgedankens habe er als Problem des Relativismus verstanden und mit der individualistischen Orientierung an der Person Christi zu lösen versucht. Deshalb binde er die Individualität als menschliche Wesensart eng an die Beziehung zu Gott158 und zugleich an ihre geschichtliche Bedingtheit, den zeitimmanenten Anschauungen von Gott. H.-D. Loock erkannte, dass sich diese beiden Seiten des Individualitätsgedankens bei A. Hauck auf die anthropologischen Konstanten Glaube und Vernunft beziehen und unter Zuhilfenahme der Kategorie »Entwicklung« zusammengebunden wurden: Der Individualitätsgedanke werde damit zu einer eschatologischen Kategorie.159 Entwicklung interpretiere A. Hauck als Entfaltung eines »heilsgeschichtlichen Individualisierungsprozesses«.160 Diesen charakterisieren der Gedanke an die Wiederkehr des Ähnlichen und die Verhältnisbestimmung von Freiheit und Notwendigkeit: »Man wird in diesem Rhythmus auch den Kern der Hauckschen Vorstellungswelt wiedererkennen: die Spannungen und Widersprüche der geschichtlichen Bewegung sind nichts anderes als die Spannung zwischen Sünde und Gnade, die Haucks Frömmigkeit konstituierte.«161 Deshalb billige A. Hauck dem Menschen eine Freiheit zu, die sich als Entscheidungsfreiheit für oder gegen den Fortschritt, aber nicht als schöpferische Freiheit gestalten lasse. Freiheit und Notwendigkeit greifen zwar ineinander und ermöglichen eine eigene Wirkungsgeschichte, aber letztlich werde die Entwicklung stets von heilsgeschichtlichen Komponenten bestimmt.162 Gerade mit diesem VernunftVerständnis stehe A. Hauck eigenständig in der Geschichte des Historismus, weil er die historistischen Kategorien der Entwicklung und der Individualität organisch aus seinen geschichtstheologischen, heilsgeschichtlichen und anthropologischen Anschauungen hervorwachsen ließ. Aus diesen aufgeführten Gründen widerspreche die Geschichtstheologie A. Haucks der Geschichtsauf156

Ebd., 49. Ebd., 55. 158 Vgl. ebd., 63: »Die Eigenart der Person, ihre Individualität, erscheint als das Ergebnis eines Prozesses der Aneignung der Wahrheit Gottes durch den Glauben.« 159 Vgl. ebd., 78: »Im Rahmen der auf das Eschaton gerichteten Entwicklung gewinnt auch die Kategorie der ›Anpassung‹ ihren geschichtstheologischen Sinn. Das Denken und Tun des Menschen ist bei Hauck nicht an historischen Positivitäten orientiert, sondern an den ›Tatsachen‹ und ›Erscheinungen‹, die nach Analogie der Persönlichkeit in einem Verhältnis zu Gott gedacht werden.« 160 Ebd., 81. 161 Ebd., 105. 162 Ebd., 112: »Die Bewahrung von Freiheit und Sünde in der Vorstellung einer heilsgeschichtlichen Entwicklung ist freilich nur möglich, wenn man die menschliche Vernunft so versteht, wie Hauck es tut; nämlich als eine sich unter der Leitung des Glaubens an den Tatsachen entwickelnde Vernunft.« 157

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fassung L. Rankes: »Die Erlanger Theologie war für den Historiker Hauck keine ungeeignete Schule.«163 War die Problematik der theologischen und geschichtswissenschaftlichen Einflüsse auf A. Haucks historische Methode und kirchliche Historiographie als Aufgabe der Hauck-Forschung benannt, so formulierten Historiker und Kirchenhistoriker zunächst weiterhin zusammenfassende Deutungen oder wandten sich themenspezifischen Einzelfragen zu. P. Meinhold wies auf A. Haucks Postulat hin, dass die irdische Gemeinde Christi der Handlungsträger der Geschichte der Kirche sei: Insbesondere betrachte A. Hauck deshalb die Wechselwirkung zwischen dem in der christlichen Gemeinde wirksamen Geist Gottes und dem freien menschlichen Willen und interpretiere empirische Tatsachen anhand in der Geschichte wirkender göttlicher Ideen.164 Mit Hilfe der subjektiven, interpretierenden Historiographie wolle er nicht nur kirchenleitendes Handeln kritisch reflektieren, sondern auch Christen die historische Kontinuität ihres gegenwärtigen Glaubens bewusst werden lassen. H. Heimpel wies A. Hauck in die Schülerschaft J.Ch.K. Hofmanns, F. Pipers und L. Rankes. Die RE3 zeuge von A. Haucks Offenheit gegenüber theologischen Strömungen seiner Zeit: »Persönlich fest in seinem ›Erlanger Luthertum‹ stehend, faßte H[auck] den Zweck der ›der prot[estantischen] Christenheit‹ dienenden Encyklopädie als ›nach wie vor nicht exklusiv‹.«165 Sein hohes Ansehen basiere auf dem »klassischen Werk[]« der »Kirchengeschichte Deutschlands«166 und er wurde aufgrund seiner »[s]elbsterworbene[n] Meisterschaft der Quellenbenutzung und Quellenkritik sowie [der] Verflechtung der mittelalterlichen Kirchengeschichte mit der Reichsgeschichte«167 von Historikern und Theologen geschätzt. H. Heimpel würdigte dessen historiographische Personenschilderungen und Zustandsbeschreibungen des religiösen Lebens: 163

Ebd., 123: H.-D. Loock konstatierte, dass A. Haucks Denken von J.Ch.K. Hofmanns »in Christo vermittelten Gemeinschaft Gottes mit den Menschen« geprägt worden ist. Der Begriff der Erfahrung, den A. Hauck theologisch interpretiere, habe jener als Objekt der theologisch-enzyklopädischen Methodenlehre verstanden. Die Einflüsse der Erlanger Theologen auf A. Hauck arbeitete auch H. Kreßel heraus, vgl. Kreßel, Hauck, 25–28. 164 Vgl. Meinhold, Geschichte, 317: »So wird die Kirchengeschichte für Hauck zu einem wunderbaren ›Epos‹, das ebenso durch das göttliche Wirken wie durch die Freiheit des menschlichen Handelns und die Eigenart der jeweils in den Völkern herrschenden Kulturstufe bestimmt ist.« 165 Heimpel, Hauck, 76. 166 Vgl. ebd.: »Dieses [die ›Kirchengeschichte Deutschlands‹, M. T.] ist als klassisches Werk in die Kirchenhistorie wie in die allgemeine Geschichtswissenschaft eingegangen – auch sie ein Kind einer Zeit, die genug Quellen und Forschungen bereitgestellt hatte, um das in der Nachfolge Rettbergs begonnene Werk möglich zu machen, aber die Methode noch nicht so weit verfeinert hatte, daß der Verfasser abgeschreckt worden wäre. Das bis zur 4. Auflage gediehene Werk fesselt durch dichte, nie gedrängte, plastische, vorwärtsdrängende Schreibweise; Erzählung und Urteil werden nicht durch Forschung unterbrochen, diese vielmehr in die oft hoch auf der Seite aufsteigenden Anmerkungen verwiesen.« 167 Ebd., 75.

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Gegenstände, welche nicht aus verhältnismäßig geschlossenen Quellengruppen zu bearbeiten sind, sondern aus versteckten Andeutungen aufgebaut werden müssen, somit religiöse Erfahrung des Autors und die ausgebreitete Lektüre fordern, die ›zwecklos‹ erwachsene Bildung, die den großen Gelehrten ausmacht.168

Exemplarisch beschäftigte sich 1972 der Leipziger Historiker G. Graf mit der Quellenkritik A. Haucks: »Albert Hauck über Jan Hus: zur Selbstkritik der Reformationshistoriographie«.169 G. Graf analysierte an A. Hauck als klassischem Vertreter der Reformationsgeschichtsschreibung punktuell die Entfaltung der nationalen deutschen Historiographie am Ende des 19. Jahrhunderts. Greife A. Hauck in seiner Deutung J. Hus’ zwar auf Sekundärliteratur zurück, so gründe aber sein scharfes Urteil insbesondere auf einer breiten Quellenbasis, um ein Hus-Bild zeichnen zu können, das J. Hus’ theologischen Überlegungen und politischen Einschätzungen gerecht werden sollte. G. Graf ordnete das Hus-Bild A. Haucks in die »nationale Denkungsart« der deutschen Geschichtsschreibung, die sich stark vom tschechischen Nationalismus und der tschechischen Kultur abgrenze und beide abwerte, ein.170 A. Haucks Persönlichkeitsbeschreibung J. Hus’ würdigte G. Graf mit partieller Kritik: Er bemängelte, dass A. Hauck Quelleninhalte, hier exemplarisch die Auswertung der Predigten J. Hus’, nur nach deren Auswirkungen auf das Handeln des Volkes interpretierte, ohne diese Reflexionsebene am Inhalt der Quellen zu verifizieren bzw. Unterschiede zwischen geistlicher und theologischer Aussage und öffentlicher Wirksamkeit aufzuzeigen. Deshalb verkenne er das theologische Anliegen J. Hus’ und verstehe ihn als national orientierten Agitator. Letztlich sei A. Hauck aus der Position objektiver Geschichtsforschung in die Position persönlicher Feindschaft gegen J. Hus hinübergewechselt, die infolgedessen seine Quellenkritik unzuverlässig machte. Nach einer mehr als zwanzig Jahre währenden Forschungspause verlebendigte sich die Hauck-Forschung in den neunziger Jahren. K. Beyschlag ordnete A. Hauck unter die »großen Erlanger Historiker«.171 Seine »Kirchengeschichte Deutschlands« führe dem Leser »ein Geschichtspanorama von größter Extensität vor Augen«,172 das A. Hauck bereits in Erlangen konzipiert hatte. K. Beyschlag vermisste in A. Haucks kirchlicher Historiographie theologische Leitlinien. Teilweise fand er sie in den Personencharakteristiken und Zustands168

Ebd., 76. G. Graf, Hauck, 34–51. 170 Vgl. ebd., 40: »Zusammenfassend läßt sich sagen, daß in einem gewissen Unbehagen gegenüber einem nationalbewußten Tschechentum und in jener unmutigen inneren Ablehnung, die sich gegen die tschechische Verkennung deutscher Kulturleistung richtet, zwei Grundstimmungen Haucks zu ermitteln sind. Sah er dieses Unbehagen bestätigt durch gemachte Erfahrungen im politischen Geschehen seiner Zeit, so war sein Unmut eine Frucht eigener Quellenstudien, welche ihn zum Vorwurf tschechischer Undankbarkeit bestimmten.« 171 Beyschlag, Erlanger Theologie, 132–136. 172 Ebd., 133. 169

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schilderungen, in die A. Haucks Erfahrungen aus seiner pfarramtlichen Tätigkeit eingeflossen seien. K. Nowak beschäftigte sich 1994 im Rahmen des 40. Deutschen Historikertages in einem Referat mit A. Haucks Werdegang und wissenschaftlicher Spezialisierung. Dabei untersuchte er die zeit- und wissenschaftsgeschichtlichen Abfassungsverhältnisse der »Kirchengeschichte Deutschlands« sowie der Herausgabe der RE, zeigte an ausgewählten Beispielen die Zusammenhänge zwischen Wissenschaft und Lebenswelt auf und analysierte A. Haucks Geschichtsverständnis.173 Obwohl A. Hauck wie selbstverständlich die historisch-kritische Methode anwende, habe er nie eine rein historische Betrachtung der Kirchengeschichte verfolgt. Das Wissenschaftsparadigma des Historismus korrigiere er durch eine uneinholbare Vorlage: das Wirken des Geistes. Hier sei A. Haucks Färbung durch die heilsgeschichtliche Theologie Erlanger Prägung erkennbar: Mit der These, aus dem historischen Tatsachenzusammenhang erschließe sich ein religiöser Wertzusammenhang (das Wirken des Heiligen Geistes), hat Hauck Geschichtstheorie und Geschichtstheologie nicht sorgfältig unterschieden. [...] Zur Bekräftigung seines Theologenblicks auf die Kirchengeschichte entwickelte Hauck eine Konstruktion aus Elementen des älteren, idealistischen Historismus. Sie lief auf ein organisches Werden und Wachsen der Kirche in allen Widersprüchen hinaus. [...] Der teleologische, pneumatologische und ekklesiologische Unterboden der Kirchenhistoriographie verblieb in Haucks Werk im Status der theologischen Überzeugung. Zum kirchenhistorischen ›Materialprinzip‹ konnte er nicht werden. Dies hätte das Einschwenken in eine vorhistorische Form der Kirchengeschichtsschreibung bedeutet.174

Da er sich als Professor zu den großen theologischen Debatten der 1880er und 1890er Jahre nicht öffentlichkeitswirksam äußerte, rege ihn auch die Debatte um eine »Entzauberung der Heilsgeschichte« in der Theologie nicht zu neuen kirchenhistorischen Betrachtungen an.175 Nachdem A. Hauck erste Studien in der Patristik und zur Wende vom Spätmittelalter zur Reformation vorgelegt hatte, finde dessen wissenschaftliche Spezialisierung ihr Ziel in der Mittelalterforschung, da er in der mittelalterlichen Kirchengeschichte gesellschaftliche Umbrüche entdeckte, die sein Interesse weckten. A. Haucks mediävistische Fähigkeiten, so K. Nowak, zeigten sich bereits in seiner Antrittsrede für den Akademischen Senat der Universität Erlangen.176 So habe er das Mittelalter nicht unter einem verfallsgeschichtlichen 173 Vgl. Nowak, Albert Hauck: Historiker, 28; Nowak, Hauck, Albert, 472ff; Nowak, Albert Hauck (1845–1918), 119–139. 174 Nowak, Albert Hauck: Historiker, 43. 175 Vgl. ebd., 31: »War das Schweigen ein Ausdruck seiner Doppelbalance im Spannungsfeld von Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit? Hauck wandte die historisch-kritische Methode mit größter Selbstverständlichkeit an. Doch es lag ihm fern, daraus theologische Konsequenzen für das Verständnis des Christentums zu ziehen, wie es Harnack mit seinem Christentum ohne Dogma tat.« 176 Vgl. ebd., 32: »In der Beschäftigung mit den Merowingern war eine vaterländische und reformatorische Perspektive sichtbar. Dies festzuhalten scheint wichtig, weil hier ein Schlüssel für Haucks Hauptarbeitsfeld, die deutsche Kirchengeschichte im Mittelalter, liegt.«

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Blickwinkel betrachtet, sondern es unter der Kategorie der Entwicklung als Vorläufer der Reformation interpretiert, wobei die Institutions- und Ereignisgeschichte, die Gesellschafts- und Alltagsgeschichte, die Frömmigkeitsgeschichte, die Herrschaftsgeschichte und die Kulturgeschichte herausragende Rollen spielten. Es sei ausgesprochen wichtig für A. Hauck gewesen, das Mittelalter als Vorstufe der Reformation zu interpretieren, um die Geschichte der deutschen Kirche und des deutschen Volkes als Ganzes zu betrachten. Die »Kirchengeschichte Deutschlands«, eine Kirchengeschichte im nationalstaatlichen Rahmen,177 habe A. Hauck ohne Selbstdeutungen oder Begriffsklärungen im Vollzug konstituiert, beginnend mit der geographischen Ortsbestimmung. Im Gegensatz zu F.W. Rettbergs deutscher Kirchengeschichte habe er als Leitmotiv die Königsebene gewählt, weil das »Imperium und Sacerdotium [...] das Rückgrat des historischen Körpers [bildete]«.178 Neben A. Haucks Leistungen als Historiker würdigte K. Nowak dessen wissenschaftsorganisatorische Fähigkeiten, die sich insbesondere in der Herausgabe der zweiten und dritten Auflage der RE bewiesen. A. Haucks Wissenschaftsorganisation gründe auf den Konstanten, dass sich Theologie und Kirche einander bedingen und die Theologie der Kirche zu dienen habe. Die RE3 ist nach K. Nowak ein Beispiel dafür, dass sich die Historisierung des Christentums flächendeckend und mit »professioneller Selbständigkeit« verbreitete.179 Anlässlich des 150. Geburtstages A. Haucks trieb ein Leipziger Kolloquium die Analyse von A. Haucks Leben und Werk voran.180 K. Nowak erkannte nunmehr A. Haucks »prägende Wirkungen nicht allein in der Kirchengeschichtsschreibung, sondern in der Geschichtswissenschaft überhaupt«.181 Als Historiker habe A. Hauck sowohl an Verfallserscheinungen als auch an vielfältigen Formen und Inhalten eines Neubeginns Erkenntnisse für die Beziehung der Gegenwart zur Vergangenheit ermittelt. Da die bisherigen Vorarbeiten für eine Kirchengeschichte Deutschlands nicht den Ansprüchen moderner Historiographie genügten, musste A. Hauck »den Aufbau eines historischen Gesamtpanoramas [...] leisten«,182 infolgedessen er Personencharakteristiken mit geschichtsimmanenten Strukturen verknüpfte. K. Nowak würdigte A. Hauck schließlich als einen »Repräsentant[en] des Historismus«,183 der, ohne darin einen Widerspruch zu entdecken, das Ineinandergreifen von göttlichen und menschlichen Handlungen in der Geschichte postulierte. 177 K. Nowak sieht A. Hauck mit seinem Urteil über J. Hus, mit seinem Wirken während des Ersten Weltkrieges und mit seiner Rektoratsrede von 1898 als einen konservativ-nationalen Gelehrten der Wissenschaftswelt gegenübertreten, vgl. Stöve, Kirchengeschichtsschreibung, 546, 11f. 178 Nowak, Albert Hauck: Historiker, 35. 179 Ebd., 38. 180 Wartenberg (Hg.), Hauck. 181 Nowak, Albert Hauck: zur Erinnerung, 15. 182 Ebd., 18. 183 Ebd., 20.

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K. Flasch bewunderte in A. Haucks Historiographie die prinzipielle Scheidung von Untersuchung und Darstellung und analysierte den philosophischen Hintergrund von A. Haucks geschichtswissenschaftlichem Denken.184 So habe dieser zwar ein Methodenkonzept vertreten, das auf F.D.E. Schleiermacher, F.Ch. Baur, I. Kant und E. Hartmann gründete, sich aber nie direkt zur Theorie des geschichtlichen Wissens geäußert. A. Hauck vertrete zwar zu der einen Seite eine providentielle Einheitlichkeit, zu der anderen Seite aber betrachte er das vergangene und gegenwärtige Leben als irrationales Rätsel: Vielleicht war er noch zu wenig Historist, sah er doch in der Nation und im »Staat«, vor allem aber in einer neukantianisch-moralistisch gedeuteten christlichen Innerlichkeit, also in der religiös vertieften Autonomie des Sittlichen den Bezugspunkt, im Blick auf den er geschichtlichen Fortschritt glaubte ausmachen zu können; [...].185

K. Flasch charakterisierte A. Haucks historiographische Konzeption an vier Merkmalen: 1. universalhistorisch; 2. entwicklungstheoretisch-narrativ in Anlehnung an G.W.F. Hegel und L. Ranke186 und in gewisser Nähe zu J. Burckhardts skeptischer Nachdenklichkeit: Geschichte werde auch von Zufällen bestimmt; 3. eigenständig-charakteristisch: Erzählung der Vergangenheit im Fließtext, Detailforschung in den Fußnoten; 4. Verknüpfung von »Persönlichkeitsorientierung mit der Darstellung überindividueller sozialer Bewegungen und Zustände«.187 L. Schorn-Schütte188 definierte die Krise des Historismus als eine Krise der Frage nach dem Charakter wissenschaftlicher Erkenntnis und der Frage nach dem Verhältnis von Kulturgeschichte und politischer Geschichte. Setzten sich an der Universität Leipzig zwar zahlreiche Historiker mit K. Lamprechts Positionsbestimmung auseinander, so entzogen sich gerade die Theologen dieser Diskussion.189 Dennoch widmete sich auch die Theologie und die Kirchengeschichte dieser in der Geschichtswissenschaft heftig umstrittenen Problematik: also der Frage nach den Bedingungen wissenschaftlicher Kultur-Erkenntnis und der Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Leben. Indem A. Hauck 184

Flasch, Konzeption, 23–31. Ebd., 30. 186 Vgl. ebd., 26: »Dies ist vermutlich keine prinzipielle Bestreitung der Willensfreiheit, aber doch eine schroffe Herausstellung der objektiven Mächte. Die früheren Entscheidungen, die das gegenwärtige Handeln determinieren, bilden von ihnen nur einen Teilaspekt. Denn ihnen liegen wiederum geographische und biologische, soziale, besonders institutionelle und sprachliche Bedingungen voraus, ebenso Bedürfnisse, körperliche zunächst, auch ästhetische und ethische.« 187 Ebd., 25. 188 Schorn-Schütte, Geschichtswissenschaft, 33–45. 189 Ebd., 36. 185

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wie J.G. Droysen Geschichte als Wissenschaft des Individuellen bestimme – exemplarisch vorgeführt an der Geschichte der christlichen Sitte –, wende er sich von einer Kirchengeschichtsforschung ab, die allein an historischen Handlungsträgern Entwicklungen innerhalb der Geschichte festmacht. Dennoch betone A. Hauck gerade die Wechselwirkung von Freiheit und Notwendigkeit – ein Ansatz, den K. Lamprecht mit den Begriffen »Art« und »organische Entwicklung« umschreibt. Gegen die Behauptung der Neorankianer, dass die Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart allein in der Kontinuität menschlicher Willensfreiheit besteht, wandte sich K. Lamprecht mit seiner Erkenntnis, dass Vergangenheit und Gegenwart sich diskontinuierlich zueinander verhalten. Letztlich habe A. Hauck dem Anliegen der Kulturhistoriker nahe gestanden: Mit seiner Charakterisierung des Verhältnisses von Kirche und Welt, das sich selbstverständlich immer wieder in den Konflikten von Kirche und Staat dokumentierte, näherte sich Hauck sogar den Argumentationen Otto Friedrich von Gierkes und Lamprechts. Dieses Verhältnis nämlich war keineswegs als Unterordnung der Institution Kirche unter die Institution Staat zu verstehen.190

Demgegenüber trug die Rankerenaissance zur Verstaatlichung von Konfession und Kirche bei. Die neuesten Erkenntnisse der Hauck-Forschung benennen Th. Kaufmann und E. Lessing191. In Anlehung an K. Beyschlag positionieren beide A. Hauck in der Tradition der konfessionell-lutherischen Erlanger Theologie (heilsgeschichtliches Denken, lutherische Ekklesiologie, J.Ch.K. Hofmanns Organismusgedanke) unter dem Hinweis, dass er in seinem historistischen Denken prägende Impulse von L. Ranke erhielt.192 A. Hauck arbeite die kirchengeschichtliche Entwicklung unter frömmigkeits-, liturgie- und kunstgeschichtlichen Fragestellung heraus und setze diese in ein enges Verhältnis zur allgemeinen Rechts-, Wirtschafts-, Religions- und Sozialgeschichte. Indem er deskriptiv betrachtend vorgehe, um der Mannigfaltigkeit der Individualitäten gerecht zu werden,193 vermeide er es, Konstruktionen der Geschichte zu entwerfen. A. Haucks historiographische Leistungsfähigkeit zeige sich vornehmlich in den historiographischen Zustandsbeschreibungen: Sie sind mehr als Charakterbilder im Sinne Harnacks. Denn das leitende Interesse ist, die inneren Kräfte und Tendenzen einer Epoche sichtbar werden zu lassen. Die Zustandsbil190

Ebd., 44. Lessing, Geschichte. 192 Ebd., 195: »Der Geist der Rankeschen Geschichtsschreibung wird am klarsten von den Erlangern aufgenommen, großartig von Albert Hauck. Zumal seine ›Kirchengeschichte Deutschlands‹ tritt Ranke ebenbürtig zur Seite.« 193 Vgl. ebd., 205: »Die Objektivationen des Geistes werden hierbei nicht übersehen. Aber einen ähnlich festen Anhaltspunkt, wie ihn bei Harnack und Müller die Institutionen bilden, gibt es nicht. Für die Erlanger ist wichtig, wie Institutionen entstehen und wie sie angenommen werden.« 191

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der haben immer schon, wenigstens implizit, andere Zeiten im Blick, nicht zuletzt die Gegenwart, und zwar so, daß jeweils die mannigfaltigen Verflechtungen der einzelnen Phänomene in historischen Gesamtzusammenhängen deutlich werden.194

Idealisierungen von Geschichte lagen A. Hauck dennoch fern, da er Personen und Ereignisse als geschichtlich bedingt beurteile. Stattdessen setze A. Hauck die Objektivation des Geistes voraus, der als Gottes Weisheit Grund und Ziel der Geschichte ist. Infolgedessen führe A. Haucks Historiographie und Geschichtsforschung nicht zum historischen Relativismus.

1.4 Fragestellung, Materialgrundlagen und Methode der Untersuchung 1.4.1 Forschungsdesiderate und Fragestellung Der herausragenden Bedeutung A. Haucks in der Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung, die bereits bald nach seinem Tod in Nekrologen gewürdigt worden ist, steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine adäquate Forschung gegenüber. Während andere Wissenschaftspersönlichkeiten der Theologie im Umbruch des 19. zum 20. Jahrhundert erhebliches Interesse finden, muss sich A. Hauck derzeit mit einer Randposition begnügen, die dem Rang seines Werkes nicht entspricht. Eine Problematik in A. Haucks Kirchengeschichtsforschung und -schreibung wurde in den Nachreden früh erkannt: Unreflektiert hatte A. Hauck das offenbarungstheologische Denken Erlanger Prägung mit der historisch-kritischen, modernen geschichtswissenschaftlichen Methode verknüpft. Erlaubte ihm dieses Vorgehen eine gewisse Offenheit gegenüber den theologischen Richtungen seiner Zeit, so führte es in seiner Historiographie zur subjektiven Interpretation historischer Entwicklungen und Personencharakteristiken. N. Bonwetsch nannte diese Herangehensweise eine psychologische Erkenntnismethode. Neben dieser berücksichtigte A. Haucks Kirchengeschichtsschreibung kulturgeschichtliche Momente. Die Hauck-Forschung spezialisierte sich seit den dreißiger Jahren auf drei Aufgabenfeldern: 1. 2. 3. 194

Erkennen von geschichtstheoretischen Prämissen in A. Haucks Kirchengeschichtsschreibung, Verhältnisbestimmung von A. Haucks Geschichtsforschung und Geschichtsinterpretation und Positionierung der Kirchengeschichtsschreibung A. Haucks im Zeitalter des Historismus. Ebd., 205.

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Im ersten Aufgabenfeld wurden zwei Einflüsse auf A. Haucks metahistorische Erkenntnistheorie benannt: Einerseits der Einfluss der Historischen Ideenlehre W. Humboldts und andererseits der Einfluss der Erkenntnistheorie des deutschen Idealismus, mit deren Hilfe er Geschichte als Prozess der gedanklichen Durchdringung des Glaubensbesitzes interpretierte. Konstatiere der erste die Gedanken Gottes als Tendenzen in der Geschichte, so beurteilte der zweite – ausgehend von einer theologischen Anthropologie – den religiösen Christusbezug eines einzelnen Christen bezüglich dessen Verständnis von Sünde, Gnade und Erlösung. A. Haucks Kirchengeschichtsschreibung erhob demzufolge die Frömmigkeitsgeschichte zum Postulat metahistorischer Erkenntnisgewinnung und den christlichen Glaube zum Erkenntnisprinzip der Geschichte. Letzteres herausgearbeitet zu haben, ist das Verdienst H.-D. Loocks. Vermissten B. Scholz und K. Beyschlag theologische Implikationen in A. Haucks Kirchengeschichtsschreibung, so konstatierte K. Nowak demgegenüber, dass A. Hauck Geschichtstheorie und Geschichtstheologie unreflektiert verknüpft habe. Unter welchen Prämissen A. Hauck geschichtstheoretisch arbeitete und in welcher Art und Weise seine Geschichtstheologie in seinen Werken sowie seinen Vorlesungen z.B. über die Dogmengeschichte oder die Kirchengeschichte zum Ausdruck kam, bleibt weiterhin ein Forschungsdesiderat. Daneben fehlen in der bisherigen Hauck-Forschung die Einordnung der Kirchengeschichtsschreibung in die Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung sowie dessen Positionierung innerhalb der Entwicklung der Geschichtswissenschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Ebenfalls blieb die bisherige Hauck-Forschung es schuldig, A. Haucks Frömmigkeit in ihrer Entwicklung nachzugehen. Diesen Desideraten soll die vorliegende Untersuchung nachspüren. Im zweiten Aufgabenfeld galt das Hauptaugenmerk der Hauck-Forschung der Verknüpfung von historischer Methode und Quelleninterpretation. Sie stellte fest, dass A. Hauck für die Erarbeitung von Personencharakteristiken die psychologische Methode anwandte, die er in eine enge Beziehung zur Interpretation der historischen Bedingungen setzte. Verdienstvoll erwies sich G. Grafs Untersuchung, die exemplarisch Haucks Quellenkritik mit dessen subjektiver Interpretation und apriorisch konstatierten Postulaten in Beziehung setzte. Die Hauck-Forschung stellte darüber hinaus fest, dass A. Haucks Frage nach der historischen Kontinuität christlichen Glaubens mit seiner persönlichen Frömmigkeit und der Wahrnehmung der gesellschaftlichen Frömmigkeit korrelierte. Einen Nebenschauplatz eröffneten begriffsgeschichtliche Fragestellungen. K. Nowak erkannte, dass A. Hauck seiner Historiographie keine Begriffsklärungen voranstellte. Da A. Hauck einen Kirchenbegriff nicht explizit erarbeitete, beurteilte W. Delius dessen Historiographie als Teil einer Weltgeschichtsschreibung. Andere konstatierten, dass A. Hauck ein konfessionell lutherisches Kirchenverständnis vertrat, das sich auf die Betrachtung des Staat-KircheVerhältnisses auswirkte. Einen weiteren Nebenschauplatz eröffnete die Frage nach den Forschungsgegenständen A. Haucks. K. Nowak hielt als Erster fest,

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dass sich A. Hauck der mittelalterlichen Kirchengeschichte zuwandte, weil diese von Umbrüchen bestimmt wurde. So ergibt sich ein weiteres Forschungsdesiderat: Der Begrifflichkeit in A. Haucks Kirchengeschichtsschreibung muss nachgegangen werden, weil sie sein protestantisches Selbstverständnis – vor allem hinsichtlich des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts heftig umstrittenen Kirchenverständnisses im StaatKirche-Verhältnis, des Nationenbegriffs usw. – verdeutlichen hilft. Erst von hier aus kann A. Haucks Geschichtsinterpretation und sein Verhältnis zu L. Ranke einer näheren Bestimmung unterzogen werden. Im dritten Aufgabenfeld blieben die Ausführungen der Hauck-Forschung ambivalent: H.-D. Loock stellte A. Hauck als einen eigenständigen Vertreter des Historismus vor, weil dieser mit seiner theologischen Anthropologie heilsgeschichtliche Linien in der Geschichte verfolgt und diese geschichtstheoretisch überfrachtet. H. Heimpel arbeitete A. Haucks Standpunkt im Erlanger Luthertum heraus, ohne diesen in dessen Historiographie nachzuweisen. K. Nowak kritisierte zwar, dass A. Hauck sich nicht in die Debatte um eine Entzauberung der Heilsgeschichte eingeschaltet hatte, bezeichnete ihn aber – obwohl er geschichtstheologische Prämissen in seiner kirchlichen Historiographie voraussetzte – dennoch als Repräsentanten des Historismus. K. Flasch nannte A. Hauck einen Vertreter der Vorstufe des Historismus, weil A. Hauck neukantianisch die christliche Sittlichkeit als geschichtliches Fortschrittsideal herausstelle. Th. Kaufmann positionierte A. Hauck zwischen konfessionell-apologetischen und liberalen Kirchengeschichtsauffassungen. E. Lessing wiederum stellte ihn in das heilsgeschichtliche Denken Erlanger Prägung hinein, das vornehmlich in J.Ch.K. Hofmanns Subjektivitätsverständnis zum Tragen kommt. Einen Nebenschauplatz eröffnete die Frage nach A. Haucks Kulturverständnis. L. Schorn-Schütte positionierte ihn in einer zeitlich bedingten Geschichtswissenschaft, die einen Spagat zwischen dem Erkenntnisprinzip der politischen Geschichte und dem Erkenntnisprinzip der Kulturgeschichte leistete. Das Kulturverständnis A. Haucks (in den 1880er Jahren wurde der Kulturbegriff zu einer entscheidenden Konstante im Historismus), das bisher nur beiläufig beachtet worden ist, ermöglicht meines Erachtens die Verhältnisbestimmung zwischen seiner protestantischen Geschichtsbetrachtung, seiner pfarramtlichen Tätigkeit, seinem theologischen Denken und seiner kirchlichen Historiographie. Die bisherige Hauck-Forschung hatte A. Haucks Kirchengeschichtsschreibung zwar vielfältig beurteilt, ihre Beziehungen zur Theologiegeschichte, Geschichte des Historismus und Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung aber fast gänzlich außer Acht gelassen. Infolgedessen ist A. Haucks Kirchengeschichtsschreibung vornehmlich nach ihren geschichtsphilosophischen Einflüssen untersucht worden. Die Entwicklung A. Haucks, seine theologische Ausbildung, seine theologischen Ansichten während der pfarramtlichen Tätigkeit, seine Reflexionen der politischen Zeitgeschichte, seine Ausführungen zur theologischen Enzyklopädie, zur Dogmengeschichte, zur Kirchenge-

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schichte, zur Kunstgeschichte sowie seine Vorarbeiten zur »Kirchengeschichte Deutschlands« blieben weitestgehend außerhalb jeder Betrachtung. Seine Kirchengeschichtsschreibung wurde bisher hauptsächlich von seinem opus magnum her betrachtet, als ob ihr keine Entwicklung eignete. Um dieses Forschungsdesiderat zu füllen, wird sich die folgende Untersuchung vor allem der biographischen Entwicklung A. Haucks in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuwenden, sie wird theologiegeschichtliche, frömmigkeitsgeschichtliche und allgemeingeschichtliche Implikationen im Leben und Denken A. Haucks kenntlich machen und ihn als Kirchenhistoriker historistischen Denkens mit eigenständigen Prämissen und Konstanten innerhalb der Geschichte des Historismus positionieren.

1.4.2 Archivalien Die Quellenlage der Hauck-Forschung ist insgesamt schwierig, da der Nachlass A. Haucks in der Universitätsbibliothek Leipzig nur wenige Mappen umfasst. Alles Private ist aus diesem Nachlass herausgenommen. 1.4.2.1 Briefe Albert Haucks an seine Mutter Sophie Hauck geb. Greiner von 1864 bis 1889 Eine Quelle ersten Ranges ist der Briefwechsel zwischen A. Hauck und seiner Mutter S. Hauck geb. Greiner aus den Jahren 1864 bis 1896. Er steht aufgrund der Schenkung der Familie K. Hauck (Münster) von 1995 dem Institut für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig (TFIfKGL) zur Verfügung. Der Briefwechsel lag bereits F. Hauck vor, wurde aber von ihm nur unvollständig ausgewertet, sodass eine wissenschaftliche Analyse neue Aspekte über A. Haucks Werdegang ermöglicht. Folglich kann der Kirchenhistoriker A. Hauck in seinem zeitgeschichtlichen Kontext betrachtet, in die Beziehung zwischen Lebenswelt und Wissenschaft hineingestellt und für die wissenschaftstheoretische Analyse des Phänomens Historismus fruchtbar gemacht werden. Der Briefwechsel zwischen A. Hauck und seiner Mutter in der Zeit vom 27. Oktober 1864 bis zum 16. Februar 1889 – A. Hauck zog Anfang April 1889 nach Leipzig um – umfasst ingesamt mehr als 500 Briefe, Zettel und Postkarten sowie 13 Briefe an seine Geschwister Elise, Franziska, Frida und Robert: 88 Briefe während seines Studiums in Erlangen vom 27. Oktober 1864 bis zum 10. März 1866 und vom 6. Mai 1867 bis zum 11. August 1868, 29 Briefe aus Berlin vom 14. April 1866 bis zum 9. März 1867, drei Briefe von der von ihm jährlich veranstalteten Urlaubsreise in den Süden (aus Urach vom 30. August 1866, aus Landeck in Tirol vom 28. August 1867, aus Meran vom 13. August 1868), zwei Briefe während des vierzehntägigen Theologiestudiums in

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Tübingen vom 12. und 19. August 1867, ein Brief aus Nürnberg vom 12. April 1866, 69 Briefe während der Zeit im Predigerseminar und auf der Pfarrverweserstelle aus München vom 14. Oktober 1868195 bis zum 15. April 1871196, drei Briefe von der Reise in den Süden nach Venedig vom 24. (Bodensee) und 28. August (Mailand) sowie vom 2. September 1869 (Venedig), zwei Briefe an seine Geschwister vom 11. März 1870 (an Robert) und vom 12. Juli 1870 (an Elise), 30 Briefe aus der Zeit des ständigen Vikariats in Feldkirchen vom 24. Juni 1871 bis zum 16. August 1873, fünf Briefe an seine Schwester Frida aus dem Frühjahr 1872 und Februar 1873, 29 Briefe während seiner Pfarramtstätigkeit in Frankenheim bei Schillingsfürst vom 9. April 1875 bis zum 3. September 1878, 234 Briefe aus Erlangen vom 17. Oktober 1878 bis zum 16. Februar 1889, sechs Briefe an seine Schwester Frida aus den Jahren 1879, 1880, 1883 und 1884, sechs Briefe von der Reise in den Süden aus Augsburg (12. September 1880), aus Bingen und Deutz (24. und 27. August 1883), aus Sienna (25. September 1885), aus Rom (24. September 1886) und aus Bellagio (19. August 1888) sowie 21 undatierte oder ungenau beschriftete Briefe und Postkarten. Die mehr als 120 Briefe A. Haucks an seine Mutter während seiner Studienzeit veranschaulichen insbesondere die persönlichen Eindrücke des Studenten hinsichtlich seiner theologischen Lehrer, seines Studentenlebens, seines Auftretens im studentischen Vereinsleben, seiner thematischen Schwerpunktsetzung im Theologiestudium. Interessant sind A. Haucks Stellungnahmen zu politischen und kirchenpolitischen Ereignissen. Beschreibt der Briefwechsel A. Haucks Aufenthalt in München über den vollständigen Zeitraum, so bricht der Schriftverkehr während seines ständigen Vikariats in Feldkirchen im August 1873 ab, da die Mutter mit ihren Töchtern zu ihm zog. Der Briefwechsel wird erst wieder in Frankenheim aufgenommen. Von dort berichtet A. Hauck über seine Ehe und seine Kinder sowie über die sozialen Zustände im Ort und der Diözese Insingen. A. Haucks Schriftverkehr aus Erlangen 1878 bis 1889 enthält nur wenige Stellungnahmen zur Professorenschaft. Seiner Mutter berichtet er vornehmlich über den Fortgang seiner Arbeit an der RE2. Quellenkritisch muss zum einen beachtet werden, dass die chronologische Datierung mancher Briefe kritisch bearbeitet werden musste, da entweder Ortsund/oder Datumsangaben fehlten oder nachträglich ergänzt wurden. Zum anderen muss kritisch reflektiert werden, dass A. Hauck sehr persönlich an seine Mutter schrieb: Inwieweit seine Ausführungen seinen Gedanken entsprachen, kann erst im Vergleich mit ähnlichen Bemerkungen festgestellt werden.

195 Dieser Brief ist auf den 14. datiert. Das Datum 14. Oktober 1868 erschließt sich aus dem Inhalt des Briefes. 196 Dieser Brief ist auf den 15. datiert. Das Datum 15. April 1871 erschließt sich aus dem Inhalt des Briefes.

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1.4.2.2 Schulische Ausbildung Über A. Haucks schulische Bildungsjahre liegt eine Akte im Archiv der Historischen Bibliothek des Gymnasiums Carolinum Ansbach (AHBGCA) vor. Sie gibt Auskunft über A. Haucks Ausführungen zu den Absolutorialprüfungen von 1864. 1.4.2.3 Theologische Prüfungen, kirchengeschichtliche Forschungen und praktische Tätigkeit im geistlichen Amt von 1868 bis 1878 Über A. Haucks Zeit als Kandidat des Münchner Predigerseminars, als Pfarramtsverweser in München, als ständiger Vikar in Feldkirchen und als Pfarrer in Frankenheim bei Schillingsfürst geben mehrere Akten Auskunft. Im Landeskirchlichen Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (LAELKB) liegen die Dienstinstruktion für den Pfarrvikar zu Feldkirchen vom 14. Oktober 1829, Akten über Predigerkonferenzen, Akten über die Theologische Aufnahmeprüfung der Pfarramtskandidaten 1868, über das Predigerseminar München, über die Stadtvikariate München, über den Religionsunterricht im Taubstummen-Erziehungsinstitut München, über die Theologische Anstellungsprüfung zu Ansbach vom 23. bis zum 29. Juni 1872, über das Vikariat zu Feldkirchen, über das Rettungshaus Feldkirchen, über die Pfarrei Feldkirchen, ein Protokoll über die am 15. November 1874 in Feldkirchen abgehaltene Kirchenvisitation unter dem Münchner Dekan K. Buchrucker, Akten über die Predigerarbeiten im Dekanatsbezirk München, über die Pfarrei Frankenheim-Schillingsfürst, ein Protokoll über die am 4. Juli 1875 in Frankenheim abgehaltene Kirchenvisitation unter dem Insinger Dekan J.F.F. Blank, Jahresberichte der Pfarreien des Dekanats Insingen von 1875 und 1878, Protokolle und Beilagen zu den Synoden der Diözese Insingen in den Jahren 1875, 1877 und 1878, eine Personalakte A. Haucks des Ansbacher Konsistoriums, eine Personalakte A. Haucks des OKM, ein Nachlass A. Hauck und Exzerpte aus Kirchenvätern von A. Hauck. Im Pfarrarchiv der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde St. Kilian zu Schillingsfürst (PfA Schillingsfürst) liegen ein Auszug aus der Pfarrbeschreibung des Pfarrers R. Hagen in Frankenheim von 1835, ein Protokoll der am 4. Juli 1875 zu Frankenheim abgehaltenen Kirchenvisitation durch den Insinger Dekan J.F.F. Blank sowie die Beurteilung der allgemeinen Kirchenvisitation im Jahr 1875 durch den Präsidenten des OKM A. Harleß, die Berichterstattung des Insinger Dekans J.F.F. Blank und die konsistoriale Beurteilung durch den Ansbacher Konsistorialrat J. Staedelen betreffend die Dekanatsvisitation 1876, die vom 16. bis zum 23. Juli 1876 im Dekanat durchgeführt wurde, sowie abschließende Beurteilung dieser allgemeinen Kirchenvisitation des Jahres 1876 durch den Präsidenten des OKM, Protokolle der Kirchenvorstandssitzungen der Kirchengemeinde Frankenheim unter Pfarrer A. Hauck vom 8. April 1875 bis 13. Oktober 1878, die Abschiedspredigt von Pfarrer Hauck über 1Petr 1,22–25.

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1.4.2.4 Berufung nach Erlangen auf eine außerordentliche Professur 1878 und auf eine ordentliche Professur 1882 Im Universitätsarchiv der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (UAE) gibt eine Akte Auskunft über die Berufung A. Haucks auf eine außerordentliche Professur an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen im Jahr 1878. Im Archiv der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (ATFE) finden sich einzelne Akten, die die Verleihung des Licentiaten-Diploms an A. Hauck vom 23. Oktober 1878 sowie die Berufung A. Haucks auf eine ordentliche kirchengeschichtliche Professur in Nachfolge Th. Koldes betreffen. 1.4.2.5 Lehrtätigkeit in Erlangen von 1878 bis 1889 Im LAELKB liegen Mitschriften zu den Vorlesungen A. Haucks, die dieser während seiner Lehrtätigkeit an der Universität Erlangen hielt. Ist zwar der größte Teil dieser Manuskripte in Stenographie verfasst, so sind Gliederungsabschnitte und Inhaltszusammenfassungen am Rand in deutscher Schrift wiedergeben. Zu berücksichtigen ist, dass die Mitschriften unvollständig sein können oder auch A. Haucks Intentionen und Inhaltsbeschreibungen unrichtig wiedergegeben wurden. Beachtenswert ist, dass zu diesem Quellenmaterial eine Vorlesung A. Haucks zählt, die für das Thema der Dissertation eine wichtige Rolle spielt: eine Vorlesung über die Theologische Enzyklopädie. So liegen studentische Mitschriften von Vorlesungen über die Geschichte der christlichen Kunst (WH 1878/79), Patristik (SH 1879), Geschichte der christlichen Poesie (WH 1879/80), Symbolik (SH 1880), Kirchengeschichte I (WH 1880/81), Kirchengeschichte II (SH 1881), Offenbarung des Johannes/Apokalypse (SH 1881), Ausgewählte Kapitel aus der christlichen Kunstarchäologie (SH 1881), Kirchengeschichte I (WH 1881/82), Pastoralbriefe (SH 1882), Kirchengeschichte II (SH 1882), Dogmengeschichte (SH 1883), Briefe an die Epheser, Philipper und Colosser (WH 1883/84), Christliche Kunstarchäologie (WH 1883/84), Kirchengeschichte II (WH 1883/84), Kirchengeschichte III (SH 1884), Symbolik (SH 1886), Kirchengeschichte I (WH 887/88), Theologische Encyklopädie (WH 1887/88), Kirchengeschichte seit der Reformation bzw. Kirchengeschichte der neueren Zeit (WH 1888/89) vor. Quellenkritische Schwierigkeiten bereiten die in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Leipzig (HUBL) liegenden handschriftlich ausgearbeiteten Vorlesungen A. Haucks: Sie geben den Stand der Erkenntnis und Forschung A. Haucks in seinem letzten Lebensjahrzehnt wieder. Eine Einschränkung dieses Quellenmaterials auf A. Haucks wissenschaftliche Tätigkeit in Erlangen ist aufgrund sorgfältig durchgearbeiteter Manuskripte, die Notizen ohne Datumangabe einschieben oder ganze Passagen streichen bzw. umarbeiten, nicht möglich. Die Benutzung dieses Quellenmaterials geschieht daher unter der Prämisse, dass bereits in Erlangen Grundlinien und Schwerpunktset-

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zungen sowie die methodische Herangehensweise an den Stoff und das Thema ausgebildet waren und kontinuierlich übernommen wurden. Es liegen vor: Vorlesungsmanuskripte über die Neuere Theologie, die Dogmengeschichte, die Symbolik, die Geschichte der altchristlichen Literatur, die Geschichte der christlichen Poesie, die Quellenkunde zur Kirchengeschichte des Mittelalters, die Alte Kirchengeschichte, die mittelalterliche Kirchengeschichte, die Kirchengeschichte der Reformation, die Kirchengeschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution, die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts und die Geschichte der kirchlichen Kunst. 1.4.2.6 Gescheiterte Berufung nach Marburg 1888 Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (GStA PK) erteilt eine Akte Auskunft über die Besetzung einer o. Professur für Kirchengeschichte in der Nachfolge A. Harnacks an der Theologischen Fakultät der Universität Marburg und die Ablehnung dieser Berufung durch A. Hauck im Jahr 1888. 1.4.2.7 Berufung und Wechsel nach Leipzig 1889 Im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden (SächsHStA) erteilt die Personalakte Th. Briegers Auskunft über die gescheiterte Absicht der Leipziger Theologieprofessoren Ch.E. Luthardt und F. Delitzsch, A. Hauck bereits 1886 als Nachfolger in der Professur K.F.A. Kahnis’ zu installieren. Zudem liegt im SächsHStA die Personalakte A. Haucks, die über die Besetzung einer o. Professur für Kirchengeschichte in der Nachfolge von V. Lechler an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig Auskunft erteilt. 1.4.3 Publikationen Albert Haucks von 1877 bis 1889 Um eine bibliographische Erfassung publizierter Druckschriften war erstmals E. Hauck bemüht. 1935 veröffentlichte sie in der »Zeitschrift für Kirchengeschichte« ihren Beitrag »Zum 90. Geburtstag von Albert Hauck, den 9. Dezember 1935, Bibliographie«. Diese ist unvollständig. A. Haucks Veröffentlichungen im Zeitraum von 1877 bis 1889 untergliedern sich 1. in Monographien: »Tertullian’s Leben und Schriften« (1877), »Kirchengeschichte Deutschlands«, Band 1 (1887); 2. in kleinere Studien mit teils kunsthistorischen, teils institutionsgeschichtlichen, teils quellenkritisch-methodischen Sujets: »Entstehung des Christustypus in der abendländischen Kunst« (1880), »Vittoria Colonna« (1882), »Die Bischofswahlen unter den Merovingern« (1883), »Zur Theophilusfrage« (1884), »Über die sogenannten Instructiones Columbani« (1885), »Zur Donatio Constantini« (1888), »Missionsgeschichte Ostfrankens« (1888); 3. in eine Reihe von Artikeln für die RE2 von 1880 bis 1888 und 4. in die Neubearbeitung von H. Schmids »Lehrbuch der Dogmengeschichte« (1887).

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1.4.4 Methode Bis heute mangelt es an einer Forschungsperspektive, die A. Haucks biographische Entwicklung und Lebenswelt, seine theologische Ausbildung und pfarramtliche Tätigkeit mit seiner werkgeschichtlichen Auffassung einer Kirchengeschichte, seiner kirchlichen Historiographie, seinem Wirken als Universitätsdozent und Wissenschaftsorganisator sowie seiner geschichtswissenschaftlichen Methode im Zeitalter der Hochblüte des Historismus vereint betrachtet. Von daher ergibt sich die Aufgabe, in A. Haucks Biographie und Lebenswelt nach Einflüssen zu suchen, die ihn zum Historiker der mittelalterlichen deutschen Kirchengeschichte formten. Die Ausarbeitung des Problemfeldes »Historismus und Kirchengeschichtsschreibung« wird am geschichtlichen und biographischen Zusammenhang verdeutlicht. Die Dissertation analysiert, indem sie die Historisierung des Individuums vornimmt, Handeln und Denken A. Haucks. Diese Herangehensweise ermöglicht eine Erkenntnis der Handlungsspielräume und kirchenhistoriographischen Gestaltungsmöglichkeiten A. Haucks. Sie geht von der Prämisse aus, dass sich Lebenserfahrungen auf das Denken einer Person auswirken: Jedes Theologisieren ist dann Folge einer Lebensdeutung. Infolgedessen setzt die Arbeit, die insbesondere lebensweltliche und wissenschaftstheoretische sowie -praktische Komponente in ihrer Wechselbeziehung zueinander an einer Person untersucht, eine biographiegeschichtliche Methode voraus, die einen chronologischen Längsschnitt zieht. Sie möchte den Prozess der Selbstfindung (Ausbildung), Selbstdeutung (praktische Tätigkeit) und Selbstdarstellung (Wirken durch literarische Publikationen) nachzeichnen und die Person A. Hauck in ihren Beziehungen zu relevanten Interaktionspartnern (Historismus und die Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung) theoretisieren.197 Der Zugang zur lebensgeschichtlichen Methode gelingt durch das Herausarbeiten von Lebensabschnitten, die durch Selbstfindung, -deutung und Selbstdarstellung charakterisiert und anhand der jeweils spezifischen Konstellationen der Sozialbeziehung des Individuums bzw. dessen Einbindung in die jeweiligen Lebensaufgaben gegeben sind. Makrohistorische (Ortswechsel) und mikrohistorische (Aufgabenwechsel) Ereignisse stecken deren zeitlichen Rahmen ab. Diese längsschnittartige Unterteilung wird ergänzt durch eine querschnittartige, die A. Haucks Handlungsbereiche (wissenschaftliche Schwerpunktsetzung) reflektieren. Letztlich geht diese Untersuchung davon aus, dass eine Analyse der Wechselbeziehung von Lebenswelt und wissenschaftlicher Orientierung die Identität A. Haucks erfasst. 197 Zur Methode vgl. Rosenmayr, Lebensalter, 47–67: »Der Interaktionismus [...] suchte beides zusammenzufassen: den Prozeß der Selbstfindung, Selbstdeutung und -darstellung einerseits und den der Eingebundenheit in Beziehungen mit relevanten Interaktionspartnern, die nach Deutungsvorgängen sich gestalten. Dieses Wechselverhältnis wird nun unter dem Aspekt von Lebensverläufen gesehen.«

2. Familienverhältnisse, Kindheit und schulische Bildung von 1845 bis 1864

2.1 Familiäre Beziehungen, religiöse Sozialisation sowie theologische und kirchenpolitische Rahmenbedingungen 2.1.1 Familiäre Herkunft Im Jahr 1854 zog S. Hauck, die 33-jährige Witwe des Advokaten J.A. Hauck, mit ihren fünf Kindern – Frida (geb. 1844), Albert (geb. 1845), Robert (geb. 1847), Franziska (geb. 1848) und Elise (geb. 1851) – von Wassertrüdingen zurück nach Ansbach, wo ihre eigene Verwandtschaft und ihre Schwiegereltern wohnten. Ihr verstorbener Ehemann war als zweiter Sohn der Eheleute J.H. und Ch. Hauck in Nürnberg zur Welt gekommen, die bald darauf aus beruflichen Gründen ihren Wohnsitz nach Ansbach verlegten. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Erlangen und München kehrte J.A. Hauck nach Ansbach zurück, arbeitete als Akzessist bei dem Cousin der Frau seines Vaters aus erster Ehe und seinem späteren Schwiegervater F. Greiner. In Wassertrüdingen, dem alten Stammsitz der Familie Hauck, übernahm er 1843 die Anstellung als Notar.1 Sein plötzlicher Tod ließ die Hauckschen Familientradition für das Leben des späteren Kirchenhistorikers im Vergleich zum religiösen und familiären Herkommen der Familie Greiner an Bedeutung in den Hintergrund treten.2 Zusammen mit seinen Geschwistern wuchs A. Hauck in der Ansbacher Karolinenstraße bei der Mutter und den Großeltern auf. S. Hauck wurde als älteste Tochter der zweiten Ehe ihres Vaters mit F. Bayer, nachdem er deren ältere Schwester in erster Ehe verloren hatte, geboren. Die Familie Bayer war ein eingesessenes Theologengeschlecht: A. Haucks Urgroßvater war der Erlanger Philosophieprofessor, Ansbacher Stadtpfarrer und Konsistorialrat A. Bayer, der in seinen theologischen Anschauungen zwischen Orthodoxie und Aufklärung vermittelte und für eine undogmatische Bibelexegese eingetrat.3 S. Hauck ließ ihren Kindern eine Bildung angedeihen, die auf Werken der Dichter J.W. Goethe und F. Rückert beruhte und die sie sich im Ansbacher 1

Vgl. PAH, Familiengeschichte, 16. Vgl. Boehmer, Hauck, 4. Dennoch urteilte Nowak, Albert Hauck: Historiker, 28: »Sein Vater war Advokat. Haucks Interesse für kirchenrechtliche Fragen geht möglicherweise auf dieses Erbteil zurück.« Das ist denkbar, doch muss beachtet werden, dass die Familie von A. Haucks Mutter schon seit mehreren Generationen angesehene Juristen hervorbrachte. 3 Vgl. F. Hauck, Bayer, 1–4. 2

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Theresieninstitut unter dem Vorstand C.L. Hoffmann angeeignet hatte. Im abendlichen »Missionskranz« bei F. Hommel las sie theologische Literatur.4 S. Hauck und ihre Kinder pflegten den Kontakt zu den Familien K. Helferich, dem Direktor der Landwirtschaftlichen Akademie in Weihenstephan – verheiratet mit der Tochter des Konsistorialrates H. Ranke –, zur Familie des zweiten Pfarrers an St. Johannis H. Caselmann, zur Familie des Konsistorialrats H. Ranke und zur Familie des Religionsprofessors C.L. Hoffmann.5 Zur Familiensitte gehörten regelmäßige Gottesdienstbesuche sowie Hausandachten, in denen jeweils ein kleiner Abschnitt aus der Familienbibel gelesen und Verse aus W. Löhes »Samenkörner[n] des Gebets«6 gesprochen wurden.7 2.1.2 Fränkische Erweckungsbewegung und lutherischer Konfessionalismus Erlanger Prägung 2.1.2.1 Die fränkische Erweckungsbewegung In Ansbach ist A. Hauck vom Konsistorialrat H. Ranke, dem Schwiegersohn des dominierenden Repräsentanten der süddeutschen Erweckungsbewegung8 H. Schubert9, geprägt worden. Dieser war seit 1849 zweiter Konsistorialrat und ab 1859 erster Konsistorialrat und zugleich erster Ansbacher Hauptprediger. H. Ranke, der sich »stets dem Geist einer konfessionell weitherzig eingestellten Erweckungsbewegung verpflichtet« fühlte, setzte sich in Ansbach u.a. für eine institutionelle christliche Armenpflege ein.10 Am Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich eine Erweckungstheologie herausgebildet, die sich, wie der Supranaturalismus neben ihr, gegen den Rationalis4

Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 13. November 1864. Vgl. PAH, Familiengeschichte, 19. 6 Zu Löhe, Samenkörner, vgl. Kreßel, Löhe 42ff. W. Löhe hat in seinem Gebetsbuch ein ökumenisches Kirchenverständnis vertreten, das seinen exklusiven lutherischen Konfessionalismus teilweise aufsprengte, vgl. Weigelt, Gebetbüchlein, 603–616. 7 PAH, Familiengeschichte, 19. 8 Zu den allgemeinen Merkmalen der Erweckungsbewegungen vgl. Benrath, Erweckung, 205– 220, bes. 206, 11–22: 1. Reaktion auf das selbstgewisse Denken der Aufklärung und der sozialen Nöte der Zeit, 2. evangelisierende Predigt und organisierte Mission innerhalb und außerhalb der Landeskirchen, 3. Durchschlagen der reformatorischen und biblischen Elemente der christlichen Verkündigung auf die mittleren und unteren Schichten der Bevölkerung. Zu den süddeutschen Erweckungsbewegungen vgl. ebd., 212, 37–213, 44. 9 Zu H. Schubert vgl. Christophersen, Schubert, 1014; Bonwetsch, Schubert. Über H. Schuberts und J. Hambergers theosophische Anschauungen äußerte sich A. Hauck kritisch in TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 20. Januar 1871: »Er [J. Hamberger, M. T.] ist sozusagen der Rest einer früheren Zeit. Für unsere nur die Thatsachen anerkennende u[nd] aller Spekulation abholde Zeit paßt er nimmer, wie denn auch seine Gesinnungsgenossen, wie z.B. der alte Schubert, fast alle schon todt sind. Sie bauten sich aus ihren eigenen Gedanken ein Bild der Welt, u[nd] fragten mit der größten Naivität gar nicht danach, ob es der wirklichen Welt auch ähnlich sei. Das setzten sie als Selbstverständlichkeit voraus.« 10 Vgl. Kantzenbach, Evangelischer Geist, 266. 5

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mus und dessen Bibelkritik wandte.11 In Predigten und Erbauungsschriften reflektierten die Vertreter der Erweckungsbewegungen über ihre Frömmigkeitserfahrungen, über Themen wie Sünde und Gnade, Rechtfertigung und Erlösung, Schuld und Versöhnung: »Einen hohen Stellenwert hatten die religiöse Deutung der Geschichte und die Erörterung eschatologischer Sachverhalte (Tausendjähriges Reich und Allversöhnung), und natürlich spielten ethische Fragen eine große Rolle.«12 Mit unterschiedlicher Intensität wuchsen die Erweckungsbewegungen in den Landeskirchen zur spürbaren Macht in Theologie und Kirche heran, vor allem in der fränkischen Kirche.13 Die herausragenden Vertreter der fränkischen Erweckungsbewegung mit ihren Zentren in Nürnberg und Erlangen waren der reformierte Theologieprofessor Ch. Krafft, der von der Philosophie F.W. Schellings14 beeinflusste H. Schubert und der Pädagoge und Geologe K. Raumer. Diese Erlanger Universitätslehrer zeichneten sich durch ihre Nähe zur biblischen Grundeinsicht und vor allem durch das Anerkennen der Sünde als Urgeheimnis der Menschheit aus.15 Die Erweckungsbewegung fand daher ihren sichtbaren Ausdruck in karitativen, sozialen und missionarischen Tätigkeiten: in Rettungshäusern und Handwerkervereinen.16 Bei dem Ansbacher Dekan Th. Lehmus führten exemplarisch ein spekulativer Idealismus und ein bibelnahes Luthertum zu einem konfessionellen Bewusstsein, das sich in der Folgezeit von der unionistisch geprägten fränkischen Erweckungsbewegung distanzierte. Er vertrat eine Theologie, die eine moderne Bibelinterpretation mit einem konservativen Traditionalismus und F.W. Schellings Philosophie mit einem konfessionellen Luthertum verknüpfte. Bereits seit 1825/26 kämpfte das von Ch. Brandt herausgegebene »Homiletisch-Liturgische Correspondenzblatt«17, in dem Pfarrer des Ansbacher Gebietes und Professoren der Erlanger Universität ihre theologischen Ansichten publizierten, um eine tiefgreifende Besinnung auf das lutherische Bekenntnis. In Neuendettelsau 11

Vgl. Jung, Protestantismus 1815–1870, 42. Ebd., 43. 13 Beyreuther, Erweckungsbewegung, 31; vgl. Kantzenbach, Evangelischer Geist, 91. 14 F.W. Schellings Philosophie basierte auf einem Theismus, der vom Ausgangspunkt des absoluten Vollendetseins Gottes das souveräne Handeln Gottes in der Geschichte interpretierte. Die Ideenlehre G.W.F. Hegels lehnte er ab, um eine geschichtliche Philosophie aus dem Geist der Offenbarung heraus zu entfalten, vgl. Kantzenbach, Evangelischer Geist, 102f: »Anders als Hegels logischer Idealismus, der Geschichte als ein letztlich nicht störbares Sichentfalten der Idee versteht, weiß Schelling von Freiheit und Bruch, denn das Grundfaktum menschlicher Existenz ist der Sündenfall, der, in kosmischer Dimension (Röm 8) verstanden, das Sein zerstört hat. Es bedarf darum der Heimholung durch Gottes Sohn, aufgrund der freien Initiative des lebendigen Gottes. [...] Das heißt, daß Schelling von vornherein gegen die individualistische Verengung der Rechtfertigungsbotschaft in Erweckung und weiten Kreisen der Neuorthodoxie opponierte.« 15 Vgl. M. Schmidt, Ringen, 107. 16 Vgl. Weigelt, Erweckungsbewegung, 50. 17 Zum »Homiletisch-Liturgische[n] Correspondenzblatt« vgl. Schindler-Joppien, Neuluthertum; Biener, Pressekrieg, 117–147. 12

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legte W. Löhe eine eigenständige Erweckungstheologie aus, die das persönliche christliche Bewusstsein den Glaubensaussagen der Institution Kirche und ihrer Gewissheit, Gottes Schöpfung zu sein, entgegenstellte.18 2.1.2.2 Von der fränkischen Erweckungsbewegung zum lutherischen Konfessionalismus Erlanger Prägung19 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten unterschiedliche Motive zum lutherischen Konfessionalismus.20 In einer Stoßrichtung gegen den Rationalismus verbündeten sich die Erweckungsbewegung und die konfessionalistische Erneuerung.21 Die Reformationsjubiläen von 1817 und 1830 regten eine »Neubesinnung auf die Theologie der Reformation«22 in der akademischen Theologie an. Diese Orientierung und die Ekklesiologie W. Löhes, die auf die schlesischen Kämpfe in den 1830er Jahren reagierte,23 überführten die fränkische Erweckungsbewegung in den lutherischen Konfessionalismus.24 Eine Sonderstellung nahm die Erlanger Theologische Fakultät ein: »Mit den Neuberufungen im 19. Jahrhundert trat eine Generation in den Dienst, die sich die Impulse der Erlanger Erweckungsfrömmigkeit zu eigen gemacht hatte. Von ihr erhielt die Frage nach dem kirchlichen Bekenntnis neue Relevanz.«25 Die Besinnung auf die lutherischen Bekenntnisschriften gaben fortan der Fakultät eine konfessionell lutherische Prägung. Für A. Harleß wurde das kirchliche Bekenntnis »das organisierende Prinzip der christlichen Theologie«.26 Seine 18

Vgl. M. Schmidt, Ringen, 109. Ich beziehe mich auf konfessionell lutherische Dogmatiken Erlanger Professoren, die sich auf das Neuluthertum in Bayern auswirkten, vgl. Kantzenbach/Mehlhausen, Neuluthertum, 327–341. Der Begriff Neuluthertum bezeichnet einen lutherischen Neukonfessionalismus, vgl. E. Hirsch, Geschichte, 208f. Hermelink, Christentum, 403, zählt die Erlanger Theologische Schule zum Neuluthertum; vgl. auch Simon, Entwicklung, 206–129. N. Slenczka erkennt in der Erlanger Theologie eine enge Verbindung von Erweckungsbewegung und lutherischem Konfessionalismus, vgl. Slenczka, Studien I, 15–41, bes. 15; vgl. auch Kantzenbach, Erlanger Theologie, 99–114. Zur Erlanger konfessionellen Theologie vgl. Pannenberg, Problemgeschichte, 89–100; Beyschlag, Erlanger Theologie, 11–32; Jelke, Eigenart, 19–63. 20 Vgl. H. Fischer, Konfessionalismus, 426–431, bes. 427: »Nur in der Rückbindung an die reformatorischen Grundlagen und in der kritischen Stoßrichtung ist der Konfessionalismus einheitlich, ansonsten nimmt er nach Zeit, Ort und politischer Konstellation unterschiedliche Formen an, die sich zu förmlichen Gegensätzen verhärten können.« 21 Zur Entstehung des Neuluthertums in Bayern und seinem Verhältnis zu den Erweckungsbewegungen vgl. Schindler-Joppien, Neuluthertum, 246. U. Schindler-Joppien erkannte drei Phasen in dessen Entwicklungsgeschichte: 1. Politisierung der Erweckungsbewegung als Folge der Bekämpfung des Rationalismus (ab 1825), 2. von der Erweckungsbewegung geprägte Theologen gelangen unter Berufung auf die Tradition der lutherischen Bekenntnisschriften in führende Positionen der Kirchenleitung (um 1830), 3. Eigenständigkeit und Organisation einer konfessionell gebundenen Territorialkirche (1837/38). 22 Keller, Spätaufklärung, 35. 23 Vgl. Besier, Luthertum, 131–152; Klän, Kirchenbildung, 153–170. 24 Vgl. Weigelt, Erweckungsbewegung, 118. 25 Vgl. Keller, Spätaufklärung, 41; Hein, Erlangen, 162, 8–52. 26 Spindler (Hg.), Bayerische Geschichte II, 889; vgl. Kantzenbach, Erlanger Theologie, 124. 19

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und andere gleichlautende Erkenntnisse wurden in der »Zeitschrift für Protestantismus und Kirche« publiziert und verteidigt, die sich aber selbst jeder innerprotestantischen Polemik enthielt.27 Die auf der Erweckungsbewegung und dem konfessionellen Neuluthertum gründende geistliche Erneuerung innerhalb der evangelischen Kirche breitete sich unter der Pfarrerschaft einer bis dahin traditionslosen bayerischen Landeskirche aus.28 Die Erweckungsbewegung stand dem kirchlichen Konfessionalismus, wie ihn das Neuluthertum vorantrieb, aufgeschlossen gegenüber, in Erlangen gelangte er zur wissenschaftlichen Reflexion.29 Das neulutherische Verständnis wirkte sich insbesondere im Amtsverständnis und im Verständnis der Kirchenverfassung aus. J.W.F. Höfling legte Wert auf den Gemeindegedanken und lehnte hochkirchliche Tendenzen, wie W. Löhe sie vertrat, ab.30 A. Harleß und Th. Harnack nahmen eher vermittelnde Positionen ein. Die Erlanger Theologie basierte auf einer kirchenrechtlichen und subjektivitätstheologischen Konstruktion: Die ETS [Erlanger theologische Schule, M. T.] ist programmatisch profiliert durch eine nichthistorist[ische] Bibelhermeneutik, eine erfahrungstheol[eologische] Gewißheitslehre und eine konfessionalistische Ekklesiologie. [...] Ethisch-ekklesiologisch anpassungsfähige, aber dogmatisch defensive Modernisierung ist das Signum der ETS.31

Theologie war damit vom Bekenntnis abhängig zur Funktion der Kirche geworden. Bei mehreren Vertretern spielte neben dem Begriff Erfahrung der romantische Organismus- und Entwicklungsgedanke,32 »die organische Entfaltung der Offenbarung«,33 eine bedeutende Rolle, besonders bei J.Ch.K. Hofmann und G. Thomasius.34 J.Ch.K. Hofmann entwarf eine heilsgeschichtlich27

Vgl. Keller, Spätaufklärung, 43. In der Literatur betonen Beschreibungen der neulutherischen Theologie vor allem deren kirchliche Prägung, vgl. Keller, Spätaufklärung, 49. 29 Vgl. Beyschlag, Erlanger Theologie, 15; Brennecke, Erlanger Schule, 1420: »Als Erlanger theol[ogische] Schule (ETS) bez[eichnet] man die von der Erweckungsbewegung und der damit verbundenen Erfahrungstheol[ogie] herkommende Form luth[erischer] Theol[ogie], [...].« F.W. Graf hält die Bezeichung »Schule« aufgrund neuester Forschungen für unzutreffend. Unterschiede bei den Erlanger Theologien erkennt er in deren Ausführungen zur Ekklesiologie, zur Ethik, zur Kirchenpolitik und zur Gelehrtenpolitik, vgl. F.W. Graf, Erlanger Theologie, 122. Als Programmschrift der Erlanger Theologie etablierte sich Harleß, Encyklopädie, da hierin der Begriff Erfahrung auf die wissenschaftliche Theologie und auf Kirche und Bekenntnis bezogen wurde, vgl. Keller, Spätaufklärung, 43; Slenczka, Studien I, 16. 30 Höfling, Grundsätze. 31 Assel, Erlanger Schule, 1421. 32 Vgl. Fagerberg, Bekenntnis, 18–12; Weigelt, Erweckungsbewegung, 118f. 33 Kantzenbach/Mehlhausen, Neuluthertum, 332, 4. 34 Zu Genese und Inhalt des Erfahrungsbegriffes und des Gedankens einer organischen Entwicklung vgl. Hein, Lutherisches Bekenntnis, 46–51 u. 82–89 u. 138f. Im Unterschied zu F.D.E. Schleiermacher war der Erfahrungsbegriff der Erlanger Theologie antisubjektivistisch und antiindividualistisch ausgerichtet, da er auf der geoffenbarten Gemeinschaft Gottes mit den Menschen beruhte. Der Orga28

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erfahrungstheologische Konstruktion,35 die die Substanz christlicher Wahrheit sich in einzelnen Entwicklungsstufen darlegen sah:36 das Bekenntnis erschließe sich aus der Geschichte der Kirche. Diese Grundanschauung erlaubte den Neulutheranern, auf dem Hintergrund eines eigenen Entwurfes die Bekenntnisschriften zu interpretieren und organisch weiterzuentwickeln. A. Haucks Zeitgenosse K.B. Hundeshagen unterschied infolgedessen zwischen »Abendmahlslutheranern«, »Amtslutheranern« und »Autoritätslutheranern«.37 Vor allem in der Ekklesiologie wurden Meinungsdifferenzen sichtbar: J.W.F. Höfling betonte gegen F.J. Stahl und W. Löhe die Aussagen von CA VI und VII, weil er die Kirche als Sammlung der Gläubigen als eine unsichtbare auffasste, hingegen er aber die sichtbare Kirche als Institution der Menschen unter dem Beistand des Heiligen Geistes verstand. Der wesentliche Unterschied zwischen Löhe und Vilmar als Einzelgängern im Rahmen des Neuluthertums gegenüber Thomasius und Franz Hermann Reinhold von Frank als Vertretern der Erlanger Schule besteht darin, daß erstere mit ihren Lehren einen ausgesprochenen handfesten neuen Konfessionalismus mit unterschiedlich starken autoritären Strukturen begründeten, während die Erlanger keinen neuen Konfessionalismus, weder ein ›sakramentales Luthertum‹ noch ein ›Amtsluthertum‹ wollten, sondern aufgrund des kirchlichen Konsens’ den behutsamen, wissenschaftlich verantworteten theologischen Fortschritt suchten.38

Da sich die Erlanger Schule mit Fragen der neuzeitlichen Kritik und der historischen Wissenschaft auseinandersetzte, wurde sie von der Frage nach einer Kulturfähigkeit des Protestantismus ebenso berührt wie die Rationalisten zuvor.39 Wollte der 1863 gegründete Protestantenverein zwischen christlichem Glauben und Kultur vermitteln, so entschied sich der Neukonfessionalismus Erlanger Prägung für ein Traditionsdenken, das eine Konstanz von christlichen Werten in der Geschichte wahrnahm und postulierte. Die Anwendung des Organismusgedankens erlaubte ihnen, die menschlichen, subjektiven Vorstellungen und Erfahrungen als Teil eines Gesamtzusammenhanges zu verstehen. nismusbegriff wiederum implizierte Bewegung und ein geordnetes, Ganzheit beanspruchendes Zusammenspiel. 35 Vgl. H. Fischer, Konfessionalismus, 428, 36–38. 36 Vgl. Kantzenbach/Mehlhausen, Neuluthertum, 332, 26–30: »Die neulutherische Bekenntnistheologie, die Erlanger Schule eingeschlossen, vertrat [...] eine einheitliche Konzeption: Das Bekenntnis stehe in einem positiv zu wertenden Verhältnis zur Heiligen Schrift; es entwickele sich in der Geschichte der Kirche organisch, indem es sich dem menschlichen Bewußtsein sukzessiv immer weiter erschließe.« 37 Hundeshagen, Beiträge. 38 Kantzenbach/Mehlhausen, Neuluthertum, 335, 24–30. 39 Vgl. Jacobs, Entstehung, 28–63: »Der Neukonfessionalismus bejaht die christliche Grundlage der zu erneuernden Gesellschaften und bejaht ebenso die geschichtliche Kontinuität im Bereich der religiös-kirchlichen Denkgebilde. Die Frage, die im Blick auf den Historismus als zeitgleicher Erscheinung entsteht, ist die, ob die konservativen Theorien der Konfessionellen noch das Ganze der Kultur in den Blick fassen oder ob sie sich auf eine exklusive Bedeutung lediglich für die Kirchengemeinschaft reduzieren.«

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J.Ch.K. Hofmann stellte den Christen »in eine das Ganze des Christentums darstellende Tradition und Kulturkette hinein«.40 Letztlich anerkannten die Vertreter der Erlanger Theologie die Grundlagen sittlichen Gemeinschaftslebens – Familie, Staat, Recht – als göttliche Schöpfungsordnungen unter der Prämisse, dass sie in einer geschichtlichen, noch nicht vollendeten Entwicklung stehen.41 Daher lehnten sie die Konstruktion einer christlichen Staatsform, wie sie F.J. Stahl entwarf, ab.42 Den Erlanger Theologen gemeinsam war die »Verbindung der gegenwärtigen Subjektivität des Glaubens mit einer entschiedenen Affirmation der Geltung der gegenständlichen Aussagen der lutherischen Bekenntnisse«.43 A. Harleß antwortete auf D.F. Strauß’ Kritik der Heilsgeschichte mit einer kirchlich verantworteten Exegese. Er setzte voraus, dass sich ein Christ die Tatsache der Heilsgeschichte durch Erfahrungen erschließe. Damit definierte er den Glauben als »die Realisation des biblisch bezeugten Gottesverhältnisses am Ort des Individuums«:44 Diese als Religion bezeichnete Realität der Erfahrung liege dem wissenschaftlichen Vollzug der Theologie zugrunde. Die Vergewisserung des Glaubens lag nach Ansicht A. Harleß’ nicht im Fürwahrhalten der Bekenntnisse, sondern in der Vergewisserung des Glaubens.45 Den Nachweis, dass die Aussagen der Bibel mit dem geschichtlichen und gegenwärtigen Glauben übereinstimmen, leistete die Theologie J.Ch.K. Hofmanns. Er vermittelte zwischen der Heteronomie des Glaubensgegenstandes und der Autonomie des Glaubensvollzugs, der persönlichen Erfahrung. Die Freiheit der theologischen Wissenschaft ließ J.Ch.K. Hofmann »nicht durch die externe Instanz des kirchlichen Dogmas, sondern durch die subjektive Erfahrung des Tatbestandes der durch Christus vermittelten Gemeinschaft mit Gott normier[en]«.46 Mit seinem Postulat, dass die Erfahrung ein unverfügbarer Lebensstand des Christen ist, gelang es ihm, die Inhalte des Christentums vor Kritik von außen zu schützen. J.Ch.K. Hofmann zentrierte die Inhalte des Christentums auf die Soteriologie, G. Thomasius in dessen Folge die Soteriologie auf die Christologie: Allein die in Christus vermittelte Versöhnung47 des 40

Ebd., 41. Vgl. ebd., 43: »Glaubensgeschichte und Kulturgeschichte stehen im Zusammenhang geschichtlicher Entwicklung, aber doch so, daß sich im Glauben und Gehorsam des einzelnen Christen die Wirklichkeit Christi als tragende Wahrheit der Kirche erweist.« 42 Vgl. Hermelink, Christentum, 407; vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte I, 438: »[...] die orthodoxen Lutheraner in Erlangen z.B. konnten mit der Stahlschen Idee des ›christlichen Staates‹ im katholischen Bayern verständlicherweise nicht so viel anfangen; sie relativierten darum die Staatsform in Blick auf Geschichte und Volk, und so war einer von ihnen, Harleß, konstitutionell und großdeutsch, ein anderer, Hofmann, kleindeutsch und fortschrittlich; [...].« 43 Slenczka, Studien I, 16. 44 Ebd., 18. 45 Ebd., 20. 46 Ebd., 22. 47 Zum Streit um die Versöhnungslehre der Erlanger Theologen vgl. Bachmann, Hofmanns Versöhnungslehre; Steffen, Hofmanns und Ritschls Lehren; Wenz, Versöhnungslehre. 41

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trinitarischen Gottes ermögliche eine durch Glauben vermittelte Gemeinschaft des Menschen mit Gott. G. Thomasius positionierte den Glauben als Heilserlebnis über alle externen Glaubensnormen. Gerade die Erlanger Theologie zeichnete sich darin aus, dass sie den Gegensatz von autonomer Subjektivität und kollektiver, externer Normativität ausglich.48 Sie ging von der Prämisse aus, dass der christliche Glaube in der persönlichen Erfahrung des Evangeliums realisiert wird. 2.1.2.3 Wilhelm Löhe Die Intensivierung des lutherischen Konfessionalismus basierte auch auf W. Löhes49 Forderungen, im Sakramentsverständnis und in der Ekklesiologie zwischen Lutheranern und Reformierten zu unterscheiden. Das hatte zur Folge, dass er die Abendmahlsgemeinschaft beider Konfessionen negierte. Diese Exklusivität der evangelisch-lutherisch Getauften und die Abgrenzung von evangelisch-reformierten Christen teilte A. Hauck später nicht.50 Obwohl er das Sakramentsverständnis W. Löhes ablehnte,51 begeisterte sich jener für dessen gedruckte Predigten,52 die die Rechtfertigung des Sünders in den Mittelpunkt stellten. Die Frömmigkeit der Hauckschen Familie förderte der spätere Erlanger Theologiestudent und Ansbacher Examenskandidat, indem er W. Löhes Erbauungsbücher empfahl.53 Regen persönlichen Kontakt mit dem Löhe-Anhänger, Ansbacher Juristen und Bezirksgerichtsrat F. Hommel, der als Laie persönlich von W. Löhe auf die Neuendettelsauer Pastoralkonferenz im März 1848 eingeladen worden54 und dessen Schwager, S.G. Liesching, W. Löhes Stuttgarter Verlagsbuchhändler war, pflegte A. Hauck und seine Familie: F. Hommel händigte A. Hauck Empfehlungsschreiben für die Erlanger Theologen und dem Berliner Verleger G. Schlawitz aus.55 48

Vgl. Slenczka, Studien I, 29. Zu W. Löhe vgl. Schlichting, Löhe, 410–414. 50 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 30. November 1864. A. Hauck beruhigte seine Mutter, dass der Theologische Studentenverein nicht Gesinnungen W. Löhes vertrete, sondern einer Aufnahme evangelisch-reformierter und unierter Theologiestudenten offen stehe. Der Sohn riet seiner Mutter nicht ab, in Neuendettelsau zu kommunizieren, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 19. Dezember 1866. 51 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 14. Januar 1865. A. Hauck las in den »Pastoral-theologische[n] Blätter[n]« seiner Äußerung nach »von Geistlosen der Löhischen Richtung«: »Der Geistliche, wenn er das heilige Abendmahl austheilt, theilt sein eigenes [Hervorhebung im Original] Fleisch u[nd] Blut (wirklich so) an die Gemeinde aus. Ist das nicht der glatteste Unsinn; [...].« Ebenso kritisierte er Lehrinhalte des Löhe-Anhängers G. Zezschwitz, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 15. Juli 1867. 52 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 10. Dezember 1868. 53 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 9. Februar 1868. A. Hauck empfahl Löhe, Conrad. 54 Vgl. Kantzenbach, Evangelischer Geist, 169. 55 Empfehlungsschreiben gingen z.B. an K. Raumer, K. Heyder und F. Delitzsch, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 31. Oktober 1864, und G. Schlawitz, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 13. Januar 1866. 49

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Unter A. Löhe wurde Neuendettelsau neben Erlangen »zum Zentrum lutherischer Theologie und Kirchlichkeit«.56 Als dortiger Pfarrer forderte er seit der im März 1848 abgehaltenen, auf Grundlage persönlicher Einladungen einberufenen Pfarrkonferenz die Trennung von protestantischer Kirche und Staat sowie eine Neugestaltung der protestantischen Kirche auf Grundlage der lutherischen Bekenntnisschriften und der lutherischen Kirchenzucht im Königreich Bayern. Seine Stoßrichtung zielte gegen den landesherrlichen römisch-katholischen Summepiskopat, gegen die Union bzw. Unionsbemühungen und gegen die Volkskirche. Er lehnte die Ergebnisse der Ansbacher Generalsynode des Jahres 1849 ab,57 die seiner Meinung nach das Bekenntnis des evangelischlutherischen Glaubens abwerteten, den landesherrlichen Summepiskopat nicht abschafften und die Einführung von Kirchenvorständen widersinniger Weise verordneten.58 W. Löhe drohte infolgedessen mit der kirchlichen Separation, die heftige, aber auch milderne Reaktionen aus Rostock, Leipzig und Erlangen hervorrief. Mit einer Appellation an das Münchner OKM, für zukünftige Kandidaten die lutherischen Bekenntnisschriften verpflichtend zu machen, unterstützten bald darauf J.Ch.K. Hofmann, G. Thomasius sowie A. Harleß diesbezügliche Anliegen W. Löhes. Die Zuspitzung des Konfliktes zwischen W. Löhe und der protestantischen Kirche in Bayern lief nunmehr auf die Frage nach einer Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten hinaus. Um eine Separation W. Löhes und der Vertreter seiner Richtung zu vermeiden, bemühte sich die protestantisch gesinnte und evangelisch getaufte Königin Maria von Bayern um eine Lösung, die den Rücktritt des Präsidenten des OKM, des Juristen F.Ch. Arnold, veranlasste. Der evangelische bayerische Ministerpräsident L. von der Pfordten setzte sich daraufhin bei Maximilian II. von Bayern für die Berufung A. Harleß’ an die Spitze des OKM ein, der am 1. Oktober 1852 sein Amt in München antrat. Institutionalisierte dieser zwar einen eigenständigen lutherischen und einen eigenständigen reformierten Kirchenkörper in Bayern, so konnte auch er die Frage der Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten nicht lösen. Dennoch wandte er die Separation W. Löhes ab. W. Löhe hat auf verschiedenen Feldern kirchlicher Praxis nachhaltig gewirkt.59 Dazu gehören die außerkirchliche institutionelle lutherische Diakonie, die liturgische Bewegung, die Gründung der lutherischen Mission, die Beto56

Kantzenbach/Mehlhausen, Neuluthertum, 329, 40. Im Vorfeld der Synode hatte W. Löhe am 21. Januar 1849 eine Petition verfasst, die sein Konzept zur kirchlichen Erneuerung darlegte und die von 334 Personen unterschrieben wurde, vgl. Kantzenbach, Evangelischer Geist, 171. 58 Vgl. Löhe, Generalsynode. 59 Vgl. Kantzenbach/Mehlhausen, Neuluthertum, 331, 49–52: »Die theologischen Neubildungen, Löhes Entwicklung zum ›sakramentalen Luthertum‹ wie Vilmars Amtslehre [...], können als eine Art neuer Konfessionalismus geltend gemacht werden, obgleich sie als organische Weiterentwicklung gesicherter theologischer Erkenntnisse ausgegeben wurde.« 57

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nung der Beichte, Seelsorge und Kirchenzucht. Innere – W. Löhe gründete 1849 die »Gesellschaft für Innere Mission im Sinne der lutherischen Kirche« – und Äußere Mission – 1842 hatte W. Löhe die ersten lutherischen Missionare nach Amerika ausgesandt – gründeten auf der Anschauung, dass Mission nicht allein auf Erweckung, sondern vor allem auf Eingliederung der Getauften in den Organismus der Kirche als Heilsanstalt abziele. 2.1.3 Kirchliche, politische und kirchenpolitische Rahmenbedingungen zur Zeit Maximilians II. von Bayern Maximilian II. verfolgte im Gegensatz zu seinem Vater Ludwig I. von Bayern eine Kirchenpolitik, die auf eine Parität von evangelischer und römischkatholischer Kirche setzte.60 War bislang die protestantische Kirchenleitung dem Innenministerium und dem Summepiskopat des römisch-katholischen Landesherrn unterstellt,61 so wurde seit 1849 die Vereinigte Generalsynode der beiden Konsistorialbezirke Ansbach und Bayreuth von der staatlichen Regierung als die »verfassungsmäßig bestehende Repräsentation der protestantischen Kirche angesehen«.62 Infolge der Ereignisse der Jahre 1848 und 184963 musste sich die staatsabhängige protestantische Kirche als Autorität im Staat behaupten und in einem pluralen Spannungsfeld ihre eigenen Interessen gegenüber anderweitig orientierten Werten des Bürgertums und der Gesellschaft behaupten. In den 1860er und 1870er Jahren, der Ära des Liberalismus, verschärften sich auch in Bayern die Spannungen zwischen Staat und Kirche sowie zwischen einem protestantisch-liberal gesinnten Bürgertum und einem religiösrepristinatorischen Fundamentalismus im Katholizismus.64 Das Neuluthertum trat nun verstärkt als kirchenpolitische Strömung auf: Im Landtag saßen J.Ch.K. Hofmann als Vertreter der liberalen Fortschrittspartei und A. Harleß als Anhänger einer konservativen, antipreußischen Politik. 60

Vgl. Blessing, Politik, 76. Vgl. Pfeiffer, Bayern, 376, 3–6: »Sie [die protestantische Kirche, M. T.] war in ihrem zentralistischen, bürokratischen Aufbau das Ebenbild dieses Staates, bei dem die übergeordneten kirchenregimentlichen Behörden ›im befehlenden Ton‹ bis herab zum ›königlichen Pfarrer‹ reskribierten, die Untergeordneten ›gehorsamst‹ berichteten. Die Staatsbehörden im engeren Sinne griffen in das Leben der Kirche ein [...].« 62 Böttcher, Entstehung, 19. 63 Vgl. Magen, Protestantische Kirche. Einerseits konnte sich die Staatsmacht auf eine staatsloyale und revolutionsfeindliche Pfarrerschaft stützen, wie exemplarisch auf den Ansbacher Konsistorialrat H. Ranke. Andererseits vertraten Geistliche eine moderne, im Nationalgedanken verankerte staatspolitische Position, vgl. Blessing, Politik, 81: »Den Jüngeren [unter der Pfarrerschaft, M. T.] hatten die Erlanger Neulutheraner das pfarrhaustypische Nationalbewußtsein geschichtstheologisch vertieft, indem sie die Dignität des christlichen Volkes in seiner je nationalen Ausprägung lehrten, dabei das deutsche seit der Reformation besonders unter Gottes Gnade sahen.« Eine gemäßigte Fraktion der Pfarrerschaft sah in der Monarchie lediglich eine der Zeit entsprechende Staatsform. 64 Vgl. Blaschke, Kulturkampf. 61

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Die Berufung A. Harleß’ zum Präsidenten des OKM wirkte sich auf das kirchliche Verständnis des Staates aus. Hatte noch F.J. Stahl einen christlichen Staat gefordert, so betonte das Neuluthertum demgegenüber die Existenz und Handlungsweise eines christlichen Volkes.65 Die Amtskirche wurde nunmehr konservativ-autoritär ausgerichtet und drängte rationalistische und erweckungstheologische Ansichten in den Hintergrund. Politisierung und Staatstreue charakterisierten die protestantische Kirche in Bayern, führten aber zur Distanz gegenüber der Kultur der modernen Gesellschaft. Die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat war aufs Engste verflochten mit Fragen nach der Kirchenverfassung und dem kirchlichen Amt.66 Die Generalsynode von 1849 stellte synodal-presbyteriale Elemente in den Vordergrund, ließ aber den Summepiskopat des römisch-katholischen Landesherrn und konsistoriale Verfassungselemente unangetastet. Die Vertreter des lutherischen Konfessionalismus setzten sich deshalb weiterhin für eine Modernisierung der Kirchenverfassung ein, um die Autorität und die Interessen der evangelisch-lutherischen Kirche in der Öffentlichkeit behaupten zu können.67 Infolgedessen verlebendigte sich in den 1850er Jahren die Debatte um den Kirchenbegriff. Gestritten wurde um die Interpretation von CA VII68 sowie um das Verhältnis von sichtbarer und unsichtbarer Kirche. Verwies F.J. Stahl auf den institutionellen Charakter der Kirche, so betonte J.W.F. Höfling demgegenüber die institutionslose Glaubensgemeinschaft. Dieser Meinung schloss sich der Präsident des OKM an, der die Kirche als heiliges Volk Gottes und folglich als unsichtbar interpretierte: Allein die notae ecclesiae sind sichtbar. Th. Kliefoth widersprach A. Harleß, indem er Kirche als einen Organismus begriff, der die Gemeinde zusammenschließt. So betrachtete auch Th. Harnack Kirche unter christologischen Fragestellungen und verstand sie auf der Grundlage eines organischen Kirchenbegriffs als »göttlich-menschliche Realität«.69 Indem er sich auf CA VII berief, sah er wie F.J. Stahl und J.W.F. Höfling die göttliche Ordnung als eine für die Kirche konstituierende an.70

65 Vgl. Blessing, Politik, 83: »Eine religiös fundierte Ordnung sollte nicht etatistisch verbürgt, sondern im neutralen Staat gesellschaftlich geleistet werden.« 66 Auch vor 1848 war über die Kirchenverfassung und das kirchliche Amt diskutiert worden, vgl. Rothe, Anfänge; Stahl, Kirchenverfassung. Zu J.W.F. Höflings und W. Löhes Amtsbegriff vgl. Fagerberg, Amt, 586, 45–590, 48; Seeberg, Studien, 221–236. 67 Vgl. Kantzenbach/Mehlhausen, Neuluthertum, 339, 26–28: »Was [...] das Neuluthertum im Rahmen der konfessionellen Bewegung auszeichnete, war die besondere kirchliche Einsicht und Praxis seiner Vertreter.« 68 Zur Diskussion über CA VII vgl. Schneemelcher, Confessio Augustana VII, 308–333; Hermann, Begriff, 3–39. 69 Th. Harnack, Kirche, 11. 70 Vgl. Fagerberg, Bekenntnis, 131: »Die Unsichtbarkeit gilt der für Menschenaugen unfassbaren göttlichen Wirklichkeit, welche die Kirche vermittelt und wodurch diese Gegenstand des Glaubens wird. Die Sichtbarkeit aber betrifft die äusseren Formen, worin sich das Göttliche kleidet, um unter den Menschen wirken zu können.«

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

Die Frage der Kirchenverfassung und des Staat-Kirche-Verhältnisses blieb in den 1850er und 1860er Jahren weiterhin ungelöst: Th. Harnack plädierte für eine volksnahe Bekenntniskirche, weil Kirche und Amt eine soteriologische Aufgabe zu erfüllen hätten;71 der Ansbacher Konsistorialrat A. Stählin antwortete mit einer Apologie des Landeskirchentums;72 der Präsident des OKM73 ergriff 1870 Partei für Th. Harnack74 und vermittelte wie dieser zwischen den Positionen F.J. Stahls und D. Schenkels. Die grundlegende Frage nach dem kirchlichen Bekenntnis in Bayern aber, die seit 1828 zur Diskussion stand,75 wurde mit der Einsetzung A. Harleß’ ins Präsidentenamt 1852 zur Verständigung gebracht. Das Streben nach lutherischer Einheit fand nun auch im OKM Widerhall und bewirkte, die angedrohte Separation konfessioneller Lutheraner abzuwenden.76 Das Oberkonsistorium in München war durch die Berufung von Harleß und Höfling direkter als bisher in eine Traditionslinie zur Erlanger Theologischen Fakultät getreten. [...] Oberkonsistorium und Fakultät gingen also eng zusammengehörige Wege im Dienst einer kirchlich verantworteten Theologie und einer theologisch verantworteten Kirchenleitung.77

War die verfassungsrechtliche Selbständigkeit der reformierten Kirche in Bayern am 11. Mai 1849 durch eine Königliche Entschließung78 geregelt worden, so konnte A. Harleß 1852 die Bezeichnung »evangelisch-lutherische Kirche rechts des Rheins« für den innerkirchlichen Dienstgebrauch anordnen. Die 71

Vgl. ebd., 117. Stählin, Kirchenregiment. A. Stählin schrieb: »Was versteht man denn unter Trennung von Kirche und Staat insgemein? Zunächst offenbar die Trennung des Staates von allen kirchlichen und wahrhaft religiösen Prinzipien, die Herstellung des abstrakten Rechtsstaates oder des religionslosen Humanitäts- und Culturstaates. Und sodann: die Trennung der Kirche von ihrer eigenen geschichtlich positiven Basis, die Umwandlung, Zersetzung, Demokratisierung der Kirche nach der politischen Schablone, eine Verselbständigung der Kirche, da sie in Wahrheit nur ein Annexum und gefügiges Werkzeug eben jenes von positiven religiösen Prinzipien losgelösten Staates geworden ist.«, zitiert nach Kantzenbach, Evangelischer Geist, 334. 73 Harleß, Staat. 74 Th. Harnack, Volkskirche, 96: Th. Harnack sprach sich gegen ein Landeskirchentum aus, weil dieses eine »Einverleibung der Kirche in den Staatsorganismus« bedeute. Er forderte daher die Verfassung einer freien, selbständig organisierten lutherischen Volkskirche. Von der Volkskirche unterschied er die Nationalkirche: »Demnach kann christliche, lutherische Volkskirche überhaupt nicht eine solche Gestaltung der Kirche sein, bei welcher die natürlichen Potenzen der Geburt und Familie, der Nationalität, der Politik, der Cultur und Bildung die zuoberst bestimmenden und Ausschlag gebenden sind.« 75 Vgl. Blessing, Politik, 82. 76 Vgl. Keller, Spätaufklärung, 65: »Die so entstandene lutherische Exklusivität wurde keineswegs von allen Seiten dankbar begrüßt. Sie war aber in vielen Jahren gewachsen und verdankte sich einem bewegten gemeinsamen Weg, den man gegangen war. Dieser Weg führte aber nicht zu einer neuen Sicht der Bekenntnisfrage, sondern hier hatte man den alten, vom Reichskirchenrecht getragenen Standpunkt durch die Erfahrung der Erweckungsbewegung wiedergefunden.« 77 Ebd., 68. 78 E.R. Huber/W. Huber (Hg.), Staat, 367f: Entschließung König Maximilians II. von Bayern, die Verhandlungen der außerordentlichen Generalsynode für den Konsistorialbezirk Speyer betreffend. 72

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»Erste ungeteilte Synode evangelisch-lutherischen Bekenntnisses« zu Bayreuth verabschiedete 1853 die Neuordnung liturgischer Fragen unter Bezug auf die lutherischen Bekenntnisschriften. Wegweisend wandelte der Präsident des OKM den aus der Erweckungsbewegung herkommenden Zentralmissionsverein in einen evangelisch-lutherischen Zentralmissionsverein um; auch wurden die Geistlichen der Landeskirche nunmehr auf die lutherischen Bekenntnisschriften verpflichtet. Andere Neuerungen (Einführung eines neuen Gesangbuches und einer neuen Gottesdienstordnung 1854, Vorlage eines »Agendenkerns«79 und des Landeskatechismus sowie Erlasse zu einzelnen Fragen der Kirchenzucht 1855) führten aber bald zum Unmut in der Bevölkerung und zur Distanz gegenüber der Kirchenleitung.80 Der sog. »Agendensturm« 1856 in München und Augsburg erzwang das Eingreifen des Königs. Fortan stand A. Harleß auch bei innerkirchlichen Meinungsverschiedenheiten unter – in Teilen auch missbilligender – Beobachtung des Königs.81 Neben der inneren Erneuerung der evangelischen Kirche in Bayern setzte sich A. Harleß für eine enge Verbindung der rechtlich voneinander unabhängigen deutschen lutherischen Landeskirchen ein. Dem von J.H. Wichern geforderten evangelischen Kirchenbund und den »Eisenacher Konferenzen« stand er skeptisch gegenüber. A. Harleß trieb demgegenüber die Gründung der »Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz« voran, deren erster Tagung er 1868 als Präsident vorstand. Die Nationale Frage der 1860er Jahre, die aufgrund soziokultureller Entwicklung und bürgerlicher Opposition auf den Schild der Tagespolitik gehoben worden war, hatte auch den bayerischen Protestantismus ergriffen.82 Widersprach die revolutionär-nationale Bewegung zwar der neulutherischen Orientierung auf den Staat und deren Arrangement mit der konstitutionellen Monarchie,83 so gab sie dennoch den Kirchen den entscheidenden Anstoß, die Armenfürsorge auf neue Fundamente zu stellen.84 Dem Gesellschaftsbild des Neuluthertums lag aber weiterhin der liberale Blick auf die soziale Frage (Pauperisierung, religiöse Desozialisation u.a.) fern. Indem das Neuluthertum einerseits die ökonomischen Ordnungen bewahrte und die Linderung der Lage der wirtschaftlich und gesellschaftlich Benachteiligten nur punktuell vorantrieb 79

Zur Entstehungsgeschichte der bayerischen Agende vgl. Kerner (Hg.), Reform. Vgl. Blessing, Politik, 83f: »Die Konsequenz, mit der die Kirche unter Harleß lutherischer und einheitlicher wurde, stärkte die pastorale Wirkung und sicherte, wo immer traditionale Verhältnisse herrschten, eine überdurchschnittliche Geltung. Aber sie brachte auch Einbußen, da sie alternative religiöse Muster abdrängte. Im Widerspruch gegen die konservativ-autoritäre Ausrichtung der Amtskirche, wie er auf Synoden und Adressen laut wurde, äußerte sich eine auf Mündigkeit bedachte Bürgerreligiosität häufig rationalistischer, teilweise auch erweckter Herkunft.« 81 Vgl. Hermelink, Christentum, 413. 82 Vgl. Blessing, Politik, 85. 83 Vgl. Spindler (Hg.), Bayerische Geschichte I, 228: »Ein fortschrittsgewilltes konstitutionelles Königtum und ein christlicher Staat galten durchweg noch als Selbstverständlichkeit.« 84 Nowak, Geschichte, 127. 80

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sowie andererseits mit geistlicher Seelsorge die sittlichen und religiösen Einstellungen der Bevölkerung zu beeinflussen beabsichtigte,85 gestaltete sie den beginnenden Strukturwandel nicht mit. Nur zaghaft und exemplarisch stimmte die neulutherisch organisierte Kirche einer Vereinstätigkeit zu, die sich dafür einsetzte, die Armut der Menschen durch direkte Hilfe zu lindern. So war die kirchliche Entwicklung von einem nüchternen Umgang mit den vorfindlichen weltlichen Tatsachen gekennzeichnet, infolgedessen sozialethische Impulse auf die theologischen Reflexionen wirkten und dogmatische Überlegungen zunächst verdrängten.86 Die Politik Bayerns87 bestimmte vom 22. März 1848 an Maximilian II. Er räumte infolge der Märzrevolution seinem Ministerrat der Effizienz der Staatsleitung wegen größere Mitwirkungsmöglichkeiten und den Länderregierungen liberale Bürgerrechte ein. Die Landtagswahlen im November 1848 und im Juli 1849 ermöglichten demokratisch legitimierte Gesetzgebungsprozesse, so auch das 1849 in Angriff genommene Schulgesetz. Gegen dieses Ansinnen, die Kirche von ihrer Schulaufsicht zu entbinden, regte sich unter den bayerischen Bischöfen heftiger Widerstand. Auch gegen die sozial- und kirchenpolitischen Verordnungen des Königs verschärfte sich öffentliche Kritik, sodass der König den Landtag vorzeitig auflöste. Ein neu gewählter Landtag drängte das Ministerium unter Führung L. von der Pfordtens zum Rücktritt. An die durch die Märzrevolution ausgelösten und gescheiterten Reformprozesse schloss sich eine Epoche der Restauration (1849 bis 1858) an. Als das Herzogtum Holstein am 19. März 1863 den Deutschen Bund zur militärischen Unterstützung aufforderte, weil Dänemark die Annexion Schleswigs beabsichtigte, drohten Hannover und Bayern am 9. Juli 1863 mit einer ultimativen Exekution gegenüber Dänemark. Preußen und Österreich hingegen drängten Dänemark, eine Gemeinstaatsverfassung durchzusetzten. Die gesellschaftli85

Vgl. ebd.: »Innere Mission meinte die Hinordnung aller Lebensäußerungen des Volkes, des Staates, der Familie, der Gesellschaft, der Wissenschaft und Kunst und eben auch des Sozial- und Wirtschaftslebens auf das Reich Gottes.« 86 Vgl. Nowak, Geschichte, 130. 87 Zur Politik im 19. Jahrhundert vgl. das Urteil von Blessing, Politik, 70: »Politik im ›langen 19. Jahrhundert‹ wurde in Deutschland von zwei Faktoren bestimmt, die in der epochalen Wende der europäischen Kultur durch die Aufklärung gründen. Zum einen kam der vom Reformabsolutismus des 18. Jahrhunderts entworfene moderne Staat – rational, säkular und mit Gewaltmonopol – Anfang des 19. zum Durchbruch, allerdings, da dies in einer gedrängten Evolution, keiner Revolution geschah, mit traditionaler Legitimität: Der Fürst blieb Souverän. Krone und Bürokratie bildeten einen macht- und ordnungsstarken Obrigkeitsstaat, der jedoch ein Rechtsstaat war, bis zur Jahrhundertmitte überall zum Verfassungsstaat mit einer Repräsentation wurde und schließlich sozial-staatliche Züge gewann. Dieser Wandel folgte aus dem zweiten Faktor, einem von der aufgeklärten Öffentlichkeit ausgelösten gesellschaftlichen Streben nach politischer Emanzipation und Partizipation. Auch wenn diese 1848/49 nicht erreicht wurde, schritt doch die Politisierung so fort, daß die Konstitutionelle Monarchie, dieser deutsche Kompromiß zwischen Fürstenherrschaft, Bürokratie und Bürgertum, um 1900 vom Demokratieverlangen bedrängt wurde. Das Jahrhundert, begonnen im Zeichen des ›starken Staates‹, mündete ins Zeitalter der Gesellschaft.«

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che Meinung sah in diesem Konflikt zwischen Bayern, Hannover, Österreich und Preußen die deutsche Frage einer Lösung zustreben.88 Am 10. März 1864 starb der bayerische König. Sieben Monate später wurde ohne Zutun des neuen Königs Ludwig II. von Bayern ein Friedensvertrag geschlossen, der die Abtretung Schleswigs, Holsteins und Lauenburgs an die Monarchen von Österreich und Preußen besiegelte. Bis zur Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 und dem Friede von Prag war der Deutsche Bund handlungsunfähig geblieben. Erst die Auflösung des Deutschen Bundes und die Gründung des Norddeutschen Bundes befähigte Preußen zur Vorherrschaft über die deutschen Staaten.

2.2 Neuhumanistische Bildung am Gymnasium Carolinum in Ansbach 1860 bis 1864 Für die Schulbildung A. Haucks galt die vom bayerischen Minister Th. Zwehl in die Wege geleitete revidierte Schulordnung für Höhere Lehranstalten vom 24. Februar 1854. Das Schulgesetz vom 10. November 1861 ordnete das Verhältnis zwischen Lehrern und Gemeinden neu. Seit 1840 wurde das Fach Geschichte konfessionell getrennt unterrichtet. Der Lehrplan89 für humanistische Gymnasien sah für den Lateinunterricht sechs bis sieben, für den Griechischunterricht fünf bis sechs, für Mathematik drei, für die Fächer Religion, Deutsch, Französisch und Geschichte je zwei sowie in den beiden letzten Jahrgangsstufen für Physik je zwei Wochenstunden vor. In Ansbach übernahm der dritte und spätere zweite Pfarrer von St. Gumbertus, Th.A.L.F. Rabus, das Amt des Destriktschulinspektors, der für die Leitung des Unterrichts und die religiössittliche Erziehung der Schüler verantwortlich zeichnete. Das Gymnasium war zu Beginn des 19. Jahrhunderts Stätte des institutionellen Neuhumanismus.90 Als Regelschule der höheren Bildung wurde es in seiner Ausrichtung auf die Alten Sprachen als eine staatliche Einrichtung angesehen: »Das Gymnasium setzte allgemeine und universalistische Maßstäbe, Denkgewohnheiten und Inhalte gegen regionale, konfessionelle und ständische Unterschiede und Partikularitäten; es erzog eine gesamtstaatliche Bürgerschicht; [...].«91 Diese Nationalisierung zeigte sich exemplarisch im Lehrplan für das Fach Deutsch, der statt über antike Texte über mittelalterliche und klassische 88

Vgl. Spindler (Hg.), Bayerische Geschichte I, 250. Vgl. Liedtke (Hg.), Handbuch. 90 Vgl. Prange, Neuhumanismus, 317, 7–15. Zum Begriff Neuhumanismus vgl. ebd., 315, 39–45: »Von ›Neuhumanismus‹ hat zuerst Friedrich Paulsen 1884 in seiner Geschichte des gelehrten Unterrichts gesprochen, um die spezifisch ästhetisch-pädagogische Rezeption der klassischen Antike im Deutschland des 18. und 19. J[ahr]h[underts] zu kennzeichnen. [...] Die herkömmliche Opposition von vorbildlicher Antike und nachschöpferischer Moderne wird durch das Nebeneinander der humanistischen und der realistischen Bildung abgelöst.« 91 Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte I, 455. 89

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Nationalliteratur informierte. So beschränkte sich der neuhumanistische Bildungsansatz vornehmlich auf eine literarisch-historische Kulturvermittlung.92 Die Stärkung des Latein- auf Kosten des Griechischunterrichts und die Übungen in lateinischer Sprachkompetenz veränderten die humanistische Bildungskonzeption hin zu einer rein formalen Bildung ohne ideellen Hintergrund.93 A. Hauck besuchte das Ansbacher Königliche Gymnasium unter dem Rektorat des tief religiös geprägten Ch. Elsperger.94 Als Schüler F. Thierschs stellte Ch. Elsperger den klassischen Unterricht in den Mittelpunkt seiner Bildungsziele, die sich aus poetischen, historischen, rhetorischen und philosophischen Inhalten zusammensetzten, und übertrug F. Thierschs restaurierten Humanismus auf das Ansbacher Gymnasium.95 Mit Vorliebe lehrte er über die allgemeine Geschichte, über die neuere deutsche Literaturgeschichte sowie über das klassische Altertum.96 Der Klassenlehrer von A. Haucks erster Klasse auf der Oberstufe war der Religionslehrer und Gymnasialprofessor C.L. Hoffmann, ein weitläufiger Verwandter – A. Hauck schnitt in diesem Schulfach immer mit der besten Note, einem Ausgezeichnet ab97 – wurde nach dem »Lehrbuch der heiligen Geschichte« von Kurtz98 gelehrt; daneben interpretierten die Schüler biblische Texte und lernten Gesangbuchlieder. J.H. Kurtz, pietistisch und konfessionell lutherisch geprägt, betonte in seiner konservativen Bibelexegese die Wechselwirkung von Glaube und Wissenschaft.99 Eine historisch-kritische Interpretation mied er, da er eine voraussetzungslose Exegese nicht anerkannte. Er vertrat die heilsgeschichtliche Anschauung, dass die Geschichte Gottes mit den Menschen auf die Erlösung der Menschheit hinausführe. In der dritten und in der Obergymnasialklasse las A. Hauck unter Anleitung seines Religionslehrers und dritten Ansbacher Pfarrers H. Caselmann die Glaubenslehre von G. Thomasius,100 die die dogmatische Grundlage des konfessionellen Luthertums beschrieb. G. Thomasius entfaltete darin Bibelstellen und Bekenntnistexte unter Aufnahme und Reflexion gegenwärtiger individueller Glaubenserfahrung.101 Schwerpunkt 92

Vgl. ebd.: »Dennoch, die Orientierung an der klassischen Antike, die Identifikation mit der Idealität der Griechen, der literarisch-philosophische Zug – das bleibt erhalten.« 93 Vgl. Landfester, Humanismus, 1945; Prange, Neuhumanismus, 317, 39–43: »Das Programm zielte auf Emanzipation des Subjekts im Medium einer klassischen Kultur; [...] die Gesamtansicht der Antike verdünnte sich zur formalen Schulung.«; vgl. auch Nipperdey, Deutsche Geschichte I, 458: »Aber die bewegende Kraft eines Lebensideals blaßte ab zu Literatur und Bildungsgut und oft zum Museal-Antiquarischen oder bloß Rhetorischen oder Formalen.« 94 Zorn/Elsperger, Elsperger, 112. 95 Vgl. Paulsen, Geschichte, 425 u. 476f. 96 Vgl. Zorn/Elsperger, Elsperger, 114. 97 Vgl. Verzeichniss 1860/61; Verzeichniss 1861/62; Verzeichniss 1862/63; Verzeichniss 1863/64. 98 Kurtz, Lehrbuch. 99 Zu J.H. Kurtz vgl. Bitter, Kurtz; Siemens, Kurtz, 837–839, Bonwetsch, Kurtz, 187–190. 100 Thomasius, Christi Person. 101 Zu G. Thomasius und seiner Glaubenslehre vgl. Beutel, Thomasius, 488–492.

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seiner Darstellung war die Christologie, hierin die Lehre von der Erlösung der Menschheit durch Jesus Christus: Die durch Jesus Christus geschehene Erlösung bewerkstellige die Aufhebung der Macht der Sünde und des mit ihrer Herrschaft verknüpften Unheils; die Versöhnung der Menschen mit Gott ermögliche die Aufhebung der menschlichen Schuld, nicht allein des subjektiven Schuldbewusstseins, wie F.D.E. Schleiermacher interpretierte. Die Versöhnung beschrieb nach G. Thomasius die veränderte religiöse Stellung des Menschen vor Gott, die Erlösung den veränderten ethisch-sittlichen, wiedergeborenen und eschatologischen Zustand des Menschen. In seiner Kenosis-Lehre ging er von der Menschwerdung des Sohnes aus und verband die geschichtliche mit der dogmatischen Lehre von der Person Christi. Aufgrund der Besprechung von »In der Stille: prosaischer Theil«102 – Interpretationsversuche zeitgenössischer Dichtung und Anthologien, herausgegeben vom reformierten Theologen und Gegner des Neuluthertums K.J. Sudhoff103 – erhielt A. Hauck in der ersten Klasse der Oberstufe den protestantischen Religionspreis von C.L. Hoffmann zuerkannt. In der dritten Klasse wurde A. Haucks Ausarbeitung über das von O. Gerlach104 mit Anmerkungen und Erläuterungen versehene Neue Testament nach M. Luther105 ausgezeichnet. In der Abschlussprüfung des Faches Protestantische Religion wurden den Schülern Fragen zur Soteriologie, zur lutherischen Rechtfertigungs- und Erlösungslehre gestellt – nach dem Zweck des göttlichen Gesetzes und nach der menschlich-individuellen Teilhabe an der Erlösung durch Christus. A. Hauck antwortete, dass das Gesetz Gottes aufgehört habe, das Volk Israel von der Menschheit auszusondern, und dass die Vorbildfunktion des Gesetzes durch das Kommen des Urbildes, des Christus, an Bedeutung verloren habe. Er bezog sich auf den reformatorischen usus legis und unterschied nicht zwischen einem formalen und einem materialen Gesetzesbegriff. Seine Aussagen interpretierten den usus legis elenchticus.106 Indem er neben die Tatsünden den sündigen Zustand der Menschheit stellte, setzte er in der Lehre von der Versöhnung auf die Wiederherstellung der Gemeinschaft Gottes mit dem sündigen Menschen durch Werk und Person Christi: Die Versöhnung Gottes mit den Menschen geschehe primär in Gott selbst. Die Kenosislehre G. Thomasius’ aufnehmend,107 wandte er sich scharf gegen die sozinianische und gegen die rationalistische Lehre von der Erlösung. Um dieses Verdienstes Christi teilhaftig zu werden, muss der 102

Sudhoff (Hg.), In der Stille. Zu K.J. Sudhoff vgl. Dechent, Sudhoff, 127–129. 104 Zu O. Gerlach vgl. F.W. Graf, Gerlach, 745. 105 Gerlach (Hg.), Heilige Schrift. 106 Vgl. AHBGCA, Schulakte, Religionslehre, A 2: »In der Christenheit besteht seine [des Gesetzes, M. T.] Bedeutung namentlich darin, daß es im Menschen Erkenntnisse seiner Sünde u[nd] Buße bewirken u[nd] ihn so zu Christus führen soll.« 107 Vgl. ebd.: »Er [Jesus Christus, M. T.] wurde ein wirklicher Mensch, verus und perfectus homo u[nd] nahm die Menschennatur mit all ihren Schwächen u[nd] Mängeln auf sich, nur ohne Sünde; [...].« 103

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Mensch nach Meinung A. Haucks Christi Erlösungstat vertrauen, also eine »subjektive Empfänglichkeit« vorweisen.108 A. Hauck interpretierte die Schöpfungsordnungen als Rahmen des erlösten Lebens und die Soteriologie als Versöhnung des trinitarischen Gottes mit sich selbst und mit den Menschen. Dabei nahm er die Anthropologie G. Thomasius’ auf, die den Menschen zu einem gelingenden Leben befähigt sah, obwohl dieser Mensch selbstverschuldet die menschliche Beziehungswelt zerstöre. Somit vertrat auch A. Hauck eine exklusive Verwirklichung des Christusheils, d.h. die Annahme und Zueignung des Heils für jeden einzelnen als Voraussetzung für ein Gültigwerden des bereits geltenden Heils. Im Geschichtsunterricht – das Fach mit A. Haucks zweitbester Leistung, einer standhaften 1,4 – wurden den Schülern nach der Auffassung H. Dittmars allgemeine Geschichte von den griechischen und römischen Anfängen und die Geschichte Bayerns gelehrt. H. Dittmar hatte Jesus Christus in den Mittelpunkt der Weltgeschichte gesetzt. A. Hauck hörte auch bei Ch. Elsperger, der die deutsche Geschichte bis zum Wiener Kongress in den Mittelpunkt seiner Vorträge stellte.109 In den Alten Sprachen Griechisch (Noten zwischen 2 bis 1 und 2,6) und Latein (Noten zwischen 1,4 und 2,1) lasen die Schüler des Carolinums neben Übungen an Syntax und Rhetorik u.a. aus den Werken des Ependichters Homer mit seinem anthropomorphen Götterbild, aus den Werken der Historiker Herodot, Sallust und Tacitus, aus den Werken der großen griechischen Tragödiendichter Euripides mit seiner antisokratischen Position und Sophokles, aus den Werken der Politiker Cicero und Caesar, aus den Werken der Philosophen Lukian von Samosata, Protagoras, Plutarch, Philo von Alexandrien, Plato und Xenophanes, einem Kritiker der anthropomorphen Mythologien Homers.110 Im Fach Deutsch – A. Hauck erreichte hier Noten zwischen 1,0 und 1,9 – konzentrierte sich die Schulbildung auf ausgewählte Gedichte F. Schillers und auf die deutsche Literaturgeschichte,111 bearbeitet vom »hervorragendste[n] Hymnolog des 19. Jahrhunderts«112 Ph. Wackernagel, der eine christliche, nationale Erziehung gefordert hatte. Im Deutschaufsatz innerhalb der Absolutorialprüfungen äußerte sich A. Hauck zu »Gedanken über die Gefahren des Glücks«. Glückseligkeit unterschied er nach den Kategorien innerliches Glück und äußeres Glück, erörterte diesbezüglich, ob das innerliche oder das äußere 108 Vgl. ebd., A 4: »Theilhaftig wird der Einzelne der durch Christum geschehenen Erlösung durch die Rechtfertigung. Ihre Bedingung ist die durch Christum geschehene Erlösung, ihre Ermöglichung der Glaube des Menschen.« 109 Zorn/Elsperger, Elsperger, 115: »Für Elsperger war die Geschichte nicht Chronik von Tatsachen, sondern das Urteil über die Taten der Menschen; dieses Urteil durch genaue Erforschung der Tatsachen zu gewinnen, war für ihn die hohe Aufgabe der Geschichtswissenschaft.« 110 Zur Theologie der griechischen Philosophen vgl. W. Jaeger, Theologie. 111 Gelesen wurde Wackernagel, Edelsteine. 112 Schulze, Wackernagel, 768, 22f.

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Glück das wahre Glück sei und definierte letzteres folgendermaßen: »Das wahre Glück muß nothwendig so beschaffen sein, daß es für den Menschen nicht Ursache zu Unglück wird.«113 Da das innerliche Glück auf Pflichterfüllungen beruhe, wirke es sich nie negativ auf den Urheber aus, so A. Hauck. Das auf materiellen Dingen beruhende äußere Glück hingegen ziehe die Gefahr des Unglücks an. Ein Mensch würde dekadent, wenn das Glücklichsein den Charakter des Menschen so negativ verändere, dass der Mensch keine Pflichten mehr erfüllen wolle.114 A. Hauck resümierte, dass das äußere Glück Auswirkungen auf den inneren Menschen habe, und stellte die Frage, ob ein Mensch gegenüber seiner Außenwelt überhaupt glücklich werden könne, da sein Glück wieder Neid hervorrufe: Allein die Pflichterfüllung führe zu wirklichem Glück. A. Hauck bezog sich in seiner Definition von Glück115 auf die Ebene der Erfahrung. Das Streben nach Glück betrachtete er als ein universales Element menschlichen Denkens und stellte das auf einem idealen, pflichterfüllenden sittlichen Leben basierende Glück einer genusssüchtigen Lebensweise entgegen, ohne diese Überlegungen divinatorisch oder theologisch zu begründen. Mit dem Begriff und der Anschauung einer Innerlichkeit des Glücks griff er auf vorsokratische Anschauungen zurück, die die innere Verfassung des Menschen äußerem Besitzstreben entgegensetzten. A. Hauck betrachtete das menschliche Glücksstreben sowohl individualethisch als auch politisch. Eine eschatologische bzw. teleologische Begründung des Glücks formulierte der Schüler dem humanistischen Denken entsprechend nicht; eher kannte er eine teleologische Begründung des Unglücks. Letztlich vertrat er einen sittlich strengen, kantianischen Antieudämonismus. Mathematik zählte nicht zu A. Haucks Talenten: Noten zwischen 2,0 und 3,4 – erstaunlich ist daher die Note unter seiner Absolutorialarbeit im Fach Mathematik: »I, sehr gut«. In der Fremdsprache Französisch (Noten zwischen 1 bis 2 und 2,0) behauptete er sich dagegen gut.

2.3 Zusammenfassung A. Hauck wuchs in Ansbach in einem von Erweckungstheologie und lutherischem Konfessionalismus geprägten Umfeld auf. Ansbach und Erlangen waren 113

AHBGCA, Schulakte, Aufsatz, C 1. AHBGCA, Schulakte, Aufsatz, C 2f: »Kommt aber ein träger Charakter zu einem großen Glück, so wird seine schwache Thatkraft, die durch Unglück angestrengt und dadurch gehoben worden wäre, nicht angespannt u[nd] erschlafft deshalb leicht immer mehr. [...] Ebenso wird ein solcher Mensch in seinem Streben nachlassen, ja er wird endlich so weit kommen, daß er alles Streben und alle Anstrengung des Geistes für Unsinn erklärt, zu jener Trägheit des Geistes, der nichts Großes, nichts Edles mehr der Mühe werth, und alles ganz gleich erscheint.« 115 Vgl. Gilhus, Glück, 1015f; Steinmann, Glück, 1016–1018; Sarot, Glück, 1018–1020; Lange, Glück, 1020f. 114

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Mittelpunkte der fränkischen Erweckungsbewegung und des Neuluthertums. Seine Familie verkehrte sowohl mit Familien, die erweckungstheologische Positionen bezogen, als auch mit Familien, die begeisterte Anhänger der Kirchenpolitik W. Löhes waren. Herausragenden Einfluss auf ihn gewann der Ansbacher Konsistorialrat und Hauptprediger H. Ranke. Stellte die Erweckungstheologie in der Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem die Themen Sünde und Gnade, Rechtfertigung und Erlösung sowie ethische Fragen in den Mittelpunkt ihrer Evangeliumsverkündigung, so diskutierte der lutherische Konfessionalismus vornehmlich über ekklesiologische und kirchenverfassungsrechtliche Fragen. Das Neuluthertum Erlanger Prägung erkannte gerade in den Jahren nach der Revolution von 1848/49 die Notwendigkeit, auf Grundlage eines protestantischen Kirchen- und Amtsverständnisses Positionen gegenüber einer liberal eingestellten Bevölkerung zu beziehen. Es gründete seine Anschauungen u.a. auf F.W. Schellings Philosophie, die Gott aufgrund seines absoluten Vollendetseins als einen in der Geschichte souverän Handelnden bezeichnete. Blieb F.J. Stahls Gedanke eines christlichen Staates zwar in der Pfarrer- und Theologenschaft präsent, so entschieden sich gerade die neulutherischen Kirchenpolitiker um A. Harleß und Th. Harnack für ein Kirchenverständnis, dass als Gegenüber nicht mehr den institutionalisierten Staat, sondern die Gesellschaft und das Volk sah. Gegen die dominierende Position der Volkskirche und der Institution Kirche engagierte sich in Neuendettelsau W. Löhe für die Förderung des individuellen christlichen Bewusstseins. Seit den 1860er Jahren, während A. Haucks schulischer Ausbildung, setzte sich im Protestantismus die Anschauung durch, das Volk durch die Vermittlung christlicher Traditionen kulturell zu prägen: Christliche Werte wurden auf ihre geschichtliche Entwicklung hin untersucht und modern interpretiert. Hierbei erwies sich die Erlanger Theologie als Vorreiter: Sie band die subjektive Glaubensvorstellung mit der kirchlichen historischen Glaubenstradition unter Zuhilfenahme des romantischen Organismusgedankens und des Entwicklungsgedankens zusammen. Infolgedessen stellten sich die Neulutheraner die göttlichen Schöpfungsordnungen als historisch bedingt und entwicklungsfähig vor. Die erfahrungstheologische Gewissheitslehre wurde zum Markenzeichen des Neuluthertums Erlanger Prägung, die aber im Gegensatz zu F.D.E. Schleiermacher anti-subjektivistisch bzw. anti-individualistisch geformt war und auf der geoffenbarten Gemeinschaft Gottes mit den Menschen beruhte. Die Vermittlung traditioneller christlicher Werte und das Festhalten an überlieferten gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen schwächten die gesellschaftliche Relevanz der protestantischen Kirche in Bayern in ihrer Wirksamkeit: Die evangelische Kirche bestimmte nicht die politische und gesellschaftliche Entwicklung, sondern reagierte auf sie. Exemplarisch sei hier auf die Lösung der deutschen Frage und auf die Problematik der sozialen Frage verwiesen.

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A. Hauck lernte in seiner schulischen Ausbildung, dass nationale Kultur vornehmlich durch literarische Bildung vermittelt wird. Im Religions- und Geschichtsunterricht wurde ihm eine heilsgeschichtliche Anschauung der Weltgeschichte gelehrt: In Anlehnung an die Anschauung J.H. Kurtz’ erkannte er, dass die Geschichte Gottes mit der Menschheit auf die Erlösung der Menschheit hinausführe. Von der Glaubenslehre G. Thomasius’ geprägt, sah A. Hauck die Erlösung des Menschen als Grundlage eines individuellen religiösen Lebens in der Gemeinschaft mit Gott und als Grundlage für die Sittlichkeit und Moralität eines Volkes an: Schuldbewusstsein vor Gott und strikte christlich orientierte Pflichterfüllung, eingebunden in die kirchliche Glaubensvermittlung, bildeten auch im Leben A. Haucks bis zu seinem Studienbeginn den Rahmen seines theologischen Denkens.

3. Theologiestudium in Erlangen und Berlin von 1864 bis 1868

3.1 Lebensweltliche Kontexte 3.1.1 Politische und kirchliche Verhältnisse im Königreich Bayern in den 1860er Jahren Unter dem Ministerium Chlodwigs Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst fanden liberale Gedanken regierungsverantwortliche Ausprägung und wiesen in eine fortschrittliche und nationaldeutsche Richtung.1 Spannungen zur konservativen Mehrheit im Landtag traten exemplarisch im Schulgesetzentwurf F. Gressers2 und in der Behandlung der nationalen Frage3 hervor, die infolge des Krieges von 1866 erneut diskutiert wurde. Wurde die liberale Sozialgesetzgebung von 1867 bis 1869 weitestgehend akzeptiert, so attakierten die Konservativen die kultur- und religionspolitischen Reformen in dem Maße, dass das Ministerium später zurücktreten musste.4 Die Reformen stießen in der protestantischen Kirche nur vereinzelt auf Wohlwollen, z.B. bei J.Ch.K Hofmann, die überwiegende Mehrheit der protestantischen Theologen, Pfarrer und Gemeindeglieder 1

Vgl. Kramer, Bayern, 1187–1192. Heftig tobte der Kampf zwischen Staat und Kirche um die Volksschule. Sahen die Liberalen den Schulauftrag darin, dass die Schüler zu freien Staatsbürgern ausgebildet werden sollten, so legten die Konservativen Wert auf eine christlich-religiöse Erziehung und forderten die geistliche Aufsicht über die Schule. Die Abgeordnetenkammer drängte 1866 den Kultusminister, das Schulwesen auf freisinniger Grundlage gesetzlich zu regeln. Ludwig II. stärkte demgegenüber auf Anraten A. Harleß’ die kirchlich-konservative Richtung. Schließlich verhinderte 1869 die zweite Reichskammer F. Gressers Schulgesetzentwurf. 3 Die nationale Frage traf den bayerischen Protestantismus in seinen Wesenszügen, lag doch dem Neuluthertum die liberal-nationale Perspektive fern. In Schleswig-Holstein-Vereinen setzten sich konservativ geprägte Pfarrer zwar für ihre ausländischen Amtsbrüder ein, agitierten aber gegen den preußischen Hegemonialanspruch. Da der Krieg als ein kalkulierter Rechtsbruch verstanden wurde, konnten die Neulutheraner nur zögerlich und mit polemischem Unterton Preußens Sieg akzeptierten, vgl. Nowak, Geschichte, 142: »Betrachtet man das protestantische Lager des Jahres 1866, so gab es in ihm mehr Konflikte, Irritationen und Unzuträglichkeiten, als die katholischen Beobachter glaubten. Die ›Revolution von oben‹ ist für das protestantisch-kirchliche Deutschland anfangs ein schwer verdaulicher Brocken gewesen. [...] Bismarck handelte nach Ordnungsmustern, die nicht mehr mit den Prinzipien einer vorrevolutionären Politik in Übereinstimmung zu bringen waren.« Der innerdeutsche Krieg führte im Neuluthertum zu einer nationalen Orientierungskrise, vgl. Blessing, Gottesdienst, 216–253. Erst die Reichsgründung von 1870/71 stärkte wieder das Nationalbewusstsein der Neulutheraner, weil sie den Sieg als Erfüllung der deutschen Geschichte ansahen. 4 Vgl. Behr, Liberalismus. 2

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sowie die römisch-katholische Kirche missbilligten diese Haltung des Staates gegenüber den Kirchen. Unter Führung A. Harleß’ verringerte die protestantische Kirche ihre Unterstützung für die liberal gesinnte Regierung, auch weil seit 1866 »das unter Vormacht Preußens im Werden begriffene Reich zu einer kirchlichen Vereinheitlichung im unionistischen Sinne dränge«.5 Der Sieg des protestantisch dominierten Preußens über das katholische Österreich wirkte sich auf die katholische Bevölkerung katastrophal aus.6 Hatte das Papsttum und die ultramontane Bewegung den Liberalismus und den deutschen Nationalismus heftig attakiert7 (1864 veröffentlichte Papst Pius IX. im Syllabus errorum einen Angriff auf die moderne Welt, das Unfehlbarkeitsdogma des Ersten Vatikanischen Konzils »war Ausfluß einer kompensatorischen Selbstüberhöhung des Stellvertreters Christi auf Erden«,8 so äußerte sich nun der Ultramontanismus in einer konsequenten Mobilisierung römisch-katholischer Interessen. Ohne staatliche Einmischung konstituierte sich diese ultramontan ausgerichtete Kirche und leistete eine enorme Anpassungsfähigkeit an die gesellschaftlichen und politischen Ereignisse.9 Die katholische Frömmigkeit und ihr Frömmigkeitskultus gewannen wieder an Bedeutung und führten zu einer aktiven sozialen Betätigung in örtlichen Vereinen. Daneben entwickelte sich eine organisierte Massenreligiosität.10 So bekämpfte der Katholizismus unter Anleitung des Bischofs W. Ketteler sowohl die wirtschaftliche Freizügigkeit des Liberalismus als auch die Tendenz zu einem staatlichen Absolutismus.11 Die Ultramontanisierung des Klerus war grundlegende Bedingung für die Organisation der katholischen Religiosität.12 3.1.2 Preußische Kirchenpolitik zwischen 1866 und 1867 Die beginnende Einigung Deutschlands unter der Vormacht Preußens führte im innerkirchlichen Raum zu heftigen Kontroversen.13 Die konfessionell lutherisch 5

Kantzenbach, Evangelischer Geist, 317. Vgl. Nowak, Geschichte, 141. 7 Vgl. Blessing, Gottesdienst, 219: »Die römisch-katholische Kirche, die seit der Jahrhundertmitte im Zeichen des Antimodernismus progressive [Hervorhebung im Original] Ideologien bekämpfte und zudem in Rom selbst wie als universale Anstalt von nationalen Bewegungen bedrängt war, wandte sich allenthalben gegen den Nationalismus.« 8 Nowak, Geschichte, 132; vgl. Fitschen, Katholizismus, 174. 9 Vgl. Grane, Kirche, 140f. 10 Vgl. Mooser, Katholische Volksreligion, 144–156. 11 Vgl. Fitschen, Katholizismus, 172f: »Das Erwachen des deutschen Katholizismus um die Jahrhundertmitte hatte viele Kräfte mobilisiert, die sich aber allesamt der Frage stellen mußten, wie sie sich nach dem Scheitern aller national-kirchlichen Pläne in eine universal gedachte Kirchenstruktur einfügen wollten.« 12 Vgl. Olenhusen, Klerus, 113–143. 13 Besier, Preussische Kirchenpolitik, V: »Nach 1866 hatte die preußische Kirchenpolitik vor allem drei Probleme zu bewältigen. Da war zunächst das Problem der oktroyierten Union von 1817, die 6

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geprägten annektierten Landesteile fühlten sich durch die Kirchenpolitik Preußens bedroht, obwohl es zu einer »religiös-kulturellen Fundamentierung des Zweiten Reiches« nicht kam.14 Versuchte der EOK die oberste Verwaltung der evangelischen Kirchen in den neuen Landesteilen zu übernehmen,15 so widersprach ihm O. Bismarck: Er wollte die politische Integration der annektierten Landesteile demgegenüber durch die verfassungsrechtliche Unversehrtheit der bestehenden Kirchen erreichen. Einen dritten Weg schlug E.W. Hengstenberg vor: er sprach sich für die Unterordnung der lutherischen Landeskirchen unter dem Summepiskopat des preußischen Königs aus und setzte sich für eine einheitliche evangelische Landeskirche auf der Grundlage der CA ein.16 Hatte sich das preußische Neuluthertum mit den süddeutschen Anhängern einer großdeutschen Lösung solidarisiert, so verband sich der vermittlungstheologisch orientierte EOK mit dem preußischen Nationalpatriotismus. Der liberale Protestantismus wiederum setzte sich für eine Nationalkirche mit basisdemokratischen Elementen ein. Zwischen diesen Anschauungen vermittelte F. Fabri. Sein Entwurf, der in den einzelnen Provinzen eine selbständig presbyteriale und synodale Ordnung zu schaffen und den EOK in ein staatskirchliches Obertribunal umzugestalten gedachte, nahm Einfluss auf die Politik O. Bismarcks.17 Zerfiel in Altpreußen der Widerstand gegen die Denkschrift infolge von ausgleichenden und beruhigenden Stellungnahmen der Generalsuperintendenten, so setzte sich in Neupreußen mit Unterstützung aus Süddeutschland der Kampf gegen die preußischen Unionsbewegungen in unverminderter Stärke fort.18 3.1.3 Erlangen und die Erlanger Theologische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Die bayerische Kleinstadt Erlangen – im Jahre 1867 zählte sie annähernd 12.000 Einwohner, von denen 1052 das Wahlrecht besaßen – bezog noch in den vom lutherischen Konfessionalismus immer nachhaltiger in Frage gestellt wurde; da war zum anderen die Frage der Weiterentwicklung der Kirchenverfassung in Richtung auf eine größere Freiheit und Selbständigkeit der Kirche; und da war schließlich das Verhältnis von Kirche und Staat, das im Zeitalter des selbstbewußten Liberalismus in seiner traditionellen staatskirchlichen Form einem wachsenden Veränderungsdruck ausgesetzt war.« 14 Besier, Religion, 67. 15 I.A. Dorner und der Berliner Generalsuperintendent W. Hoffmann initierten 1867 eine Denkschrift, die eine konförderative Kirchenunion favorisierte, um eine unierte Nationalkirche zu befördern und um das Neuluthertum theologisch und kirchenpolitisch einzudämmen. Zur Denkschrift des EOK über die gegenwärtige Lage der evangelischen Landeskirche Preußens vgl. E.R. Huber/W. Huber (Hg.), Staat, 334f; Besier, Preussische Kirchenpolitik, 117–150. 16 Vgl. Besier, Preussische Kirchenpolitik, 59–63. 17 Ebd., VI. 18 Vgl. Besier, Preussische Kirchenpolitik, 199–254; vgl. Besier, Luthertum, 145: »Dem preußischen Neuluthertum haftete fortan in maßgeblichen politischen wie kirchlichen Kreisen der Ruch politischer Unzuverlässigkeit an; ein guter Lutheraner [...] galt fortan als schlechter Patriot.«

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1860er Jahren ihre Wasserversorgung aus Brunnen, eine unterirdische Abwasserkanalisation fehlte.19 Am Ende der 1860er Jahre begann sich die Industrie in der Stadt zu entwickeln, große Brauereien, Handschuh-, Horn- und Elfenbeinkammfabriken sowie Mühlen und Tabakfabriken gaben ihr ein charakteristisches Gepräge. Bald darauf wurde in ein Gasleitungsröhrennetz investiert. Das Interesse der Erlanger Bevölkerung an politischer Einflussnahme äußerte sich 1863 exemplarisch in der Gründung der national-liberalen »Bayerischen Fortschrittspartei«, deren Geschäftsleitung die Universitätsprofessoren H. Marquardsen und J.Ch.K. Hofmann übernahmen: Sie forderten die bundesstaatliche nationale Einigung Deutschlands und die Wiederherstellung eines gesamtdeutschen Parlaments. J.Ch.K. Hofmann engagierte sich in dieser Partei auch, weil er glaubte, dass zwischen allgemeiner und christlicher Sittlichkeit vermittelt und diese Beziehung politisch zur Geltung gebracht werden muss.20 Ebenfalls 1863 gründete der Rechtsrat und spätere Bürgermeister A. Papellier in Verbindung mit H. Marquardsen den »Schleswig-HolsteinischenVerein«, der gegen die dänische Expansionspolitik sowie gegen die Großmachtpolitik Preußens und Österreichs agierte.21 Eine am 16. April 1866 in Erlangen abgehaltene Volksversammlung bewies, dass die preußische Politik nur unter den norddeutschen Universitätslehrern und Studenten und unter einigen Kaufleuten Anhänger fand.22 Infolge der Niederlage des bayerischen Heeres in der Schlacht von Königsgrätz hatte die Erlanger Bevölkerung den ganzen August 1866 über die Einquartierung von mecklenburgischen Soldaten zu verantworten. Seit 1868 beherbergte die Stadt das 6. Jägerbataillon der bayerischen Armee. Die Erlanger Friedrichs-Universität, die letzte protestantische Universitätsgründung im Alten Reich, orientierte sich zunächst an den Aufklärungsuniversitäten in Halle und Göttingen, später an der Forderung W. Humboldts, Forschung und Lehre zu verknüpfen. Infolgedessen wuchs die Hochschule zu einem geistigen Mittelpunkt in Bayern heran. »Als prot[estantische] U[niversität], an der viele Nichtbayern lehrten, war E[rlangen] weithin von einer propreußischen, auf einen Nationalstaat gerichteten Mentalität geprägt.«23 Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellte die Theologische Fakultät die Hälfte der Erlanger Studenten im wissenschaftlichen Großbetrieb. 19

Vgl. Sandweg (Hg.), Erlangen, 234. Obwohl sich Hofmann für eine Trennung von Schule und Kirche aussprach, trat er gegen die grundsätzliche Entflechtung beider Bereiche ein, vgl. Behr, Liberalismus, 260: »Die Notwendigkeit des Religionsunterrichtes überhaupt begründete Hofmann zum einen geschichtlich, indem er darauf verweist, daß das Leben des Volkes in der christlichen Religion verwurzelt ist. Zum anderen ist in ihm auch die sittliche Erziehung mit eingeschlossen; denn einen ausschließlich sittlichen Unterricht kann es gar nicht geben, weil die Einheit von Religion und Sittlichkeit nicht auseinandergerissen werden kann.« 21 Um für die Selbständigkeit der Herzogtümer Schleswig und Holstein einzutreten, trafen sich am 28. Februar 1864 7.000 Bayern in Erlangen zur Landesversammlung, vgl. Rehm, Marquardsen, 216. 22 Sandweg (Hg.), Erlangen, 231. 23 Brennecke, Erlangen, 1418. 20

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An der Theologischen Fakultät wurden zukünftige evangelische Pfarrer in einem vierjährigen Studium ausgebildet. Obwohl sich die Mitglieder der Fakultät auf die lutherischen Bekenntnisschriften verpflichten mussten, prägte bis in die Mitte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Geist der Spätaufklärung die Fakultät. Die Gedanken des deutschen Idealismus, das Geschichtsbewusstsein der Romantik und der Historischen Schule sowie die Erweckungsbewegung lösten die aufklärerische Denkrichtung ab. Unter F. Roth übte das OKM Einfluss auf die Lehrstuhlbesetzung an der Fakultät aus. Die am Bekenntnis der Ordinarien orientierte Berufungspolitik der obersten Kirchenbehörde trug zur Förderung und Festigung der neulutherischen Prägung bei. So bot die Fakultät rund fünfzig Jahre ein Bild bemerkenswerter Geschlossenheit, die in dem charakteristischen theologischen Ansatz begründet lag: Um der Selbständigkeit der Theologie willen wählte man ihn – methodisch sich an Schleiermacher anlehnend – bei der Heilserfahrung des christlichen Subjekts als dem unmittelbar Gegebenen (Heilsgewißheit), suchte diese aber in Beziehung zur Schrift als dem Zeugnis der göttlichen Heilsgeschichte und zum Bekenntnis der lutherischen Kirche als dem Ausdruck des christlichen Gemeinglaubens zu setzen [Hervorhebung im Original].24

Die Erlanger Theologie war die konfessionell-kirchlich ausgerichtete Antwort auf das rationalistisch-abstrakte Denkschema von Vernunft und Offenbarung.25 Zum Primat ihres theologischen Denkens wurde die Offenbarungsgewissheit von Sünde und Gnade. Die Bekenntnisse M. Luthers erhielten eine am Erfahrungsbegriff orientierte Füllung.26 A. Harleß bemühte sich als einer der ersten, die Wahrheit der subjektiven Erfahrung mit Hilfe wissenschaftlicher Reflexionen zu erweisen. Indem die Erlanger Theologen das lutherische Bekenntnis als Ausdruck kirchlichen Glaubens betrachteten, entwickelten sie eine Bekenntnislehre, die die geltenden Symbole zeitgemäß interpretierte.27 J.Ch.K. Hofmann interpretierte – auf die idealistische Geschichtsphilosophie zurückgreifend – die Wirklichkeit der Geschichte als Heilsgeschichte, die er in der Heiligen Schrift bezeugt fand. In seinem geschichtstheologischen Konzept 24

Hein, Erlangen, 162, 25–32. Vgl. Beyschlag, Erlanger Theologie, 21. 26 Vgl. ebd., 25: »Die vielbeklagte historisch-kritische Abstinenz der Erlanger Theologen zugunsten einer glaubens- und bibelimmanenten Wissenschaft ist also kein zufälliges, vielmehr ein durchaus notwendiges erfahrungstheologisches Element.« 27 Vgl. Hein, Lutherisches Bekenntnis, 285: »Daß im Zuge dieser Überlegungen das Verhältnis des kirchlichen Bekenntnisses zum Glauben wie zur Schrift als eigentlicher Norm des Glaubens bedacht werden mußte, war unerläßlich, ließ sich doch durch den Nachweis einer Identität mit dem Glauben des einzelnen Christen sowie der Schriftgemäßheit die hervorgehobene Bedeutung, die den lutherischen Symbolen beigemessen wurde, begründen. Gleichermaßen kam es in Erlangen zu einer umfassenden Rückbesinnung auf die Geschichte des christlichen Dogmas und der lutherischen Bekenntnisse, der allgemeine geschichtstheoretische Gedankengänge zugrundelagen und die die Dignität der Symbole der lutherischen Kirche aus ihrer Kontinuität mit dem Glauben der alten Christenheit zu erweisen suchte.« 25

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spielte das religiöse Bewusstsein des historischen Subjekts eine aufschlussreiche Rolle.28 Eine übernatürliche Offenbarung lehnte er ab. Indem er die subjektive Erfahrung, die Kirchegeschichte und den Bezug auf die Heilige Schrift als Grundlagen seiner theologischen Anschauungen benannte, erwies er sich als Vertreter einer – organisch weiterentwickelten – lutherischen Theologie. In dogmatischen und dogmengeschichtlichen Werken verknüpfte G. Thomasius die lutherische Theologie mit der Erfahrungstheologie: Dogmengeschichte verstand er als »kirchlichen Erfahrungsprozeß«, wobei er den »Gemeingeist« zum organisatorischen Prinzip erhob. F.H.R Frank führte diese theologischen Anschauungen auf ihren Höhepunkt: Er setzte sich für die »Wahrung und Begrenzung des Rechtes eines ›Subjektivismus‹«29 ein, indem er die Gewissheit des Subjekts mit einer subjekttranszendenten Voraussetzung einholte. Gewissheit ist seiner Meinung nach eine Erkenntnis, die von einer Gemeinschaft bereits vorformuliert wurde, in die das Individuum eingebunden wird.30 F.H.R. Frank vertrat damit ein strikt offenbarungstheologisches Programm, das die Vergewisserung christlicher Glaubensgegenstände allein aus rationaler Erfahrung heraus ablehnte, demgegenüber aber die Glaubensinhalte als Bestand christlicher Heilsgewissheit nachwies. Auch für Th. Harnack galten die Theologie M. Luthers und ihre Fortbildungen in der lutherischen Orthodoxie als unabdingbares Apriori.31 Die »sich selbst erbauende Kirche« wurde zum Grundbegriff der praktisch-theologischen Anschauungen Th. Harnacks. Das Wesen der Kirche bestimmte er vom Begriff des Reiches Gottes her.32 Seine begriffliche Unterscheidung von geistlicher Kirche und rechtlich-organisiertem Kirchentum wandte sich gegen eine Eigengesetzlichkeit der Kirchenverfassung, weil diese das Wesen der Kirche als unabdingbare Basis einer Kirchenstruktur postuliere.33 »Harnacks Hauptanliegen galt der kulturpraktischen Konsolidierung der Kirchlichkeit durch eine ebenso konfessionell eindeutige wie geistlich entschiedene theologische Grundlagenvergewisserung.«34 Die Erlanger Theologen deuteten Geschichte als umfassenden göttlichen Werdeprozess. Betonte J.Ch.K. Hofmann den modernen Rechtsstaat, der jede kirchliche Bevormundung zurückwies und die Selbständigkeit des Glaubens gegenüber kirchlicher Bevormundung betonte, so hob A. Harleß, der eine fortschreitende Sittlichkeit nicht kannte, die Ordnungsfunktion eines Staates her28 Vgl. Kantzenbach, Evangelischer Geist, 153: »Das historisch Individuelle hat für ihn [J.Ch.K. Hofmann, M. T.] seinen sinnvollen Platz nur im Zusammenhang des Ganzen und muß sich der Heilsgeschichte unterordnen.« 29 Slenczka, Studien I, 81. 30 Vgl. ebd., 108. 31 Vgl. Drehsen, Konfessionalistische Kirchentheologie, 146–181; Schröder, Wissenschaft, 151– 206. Zur Aufnahme lutherischer Traditionslinien vgl. Th. Kaufmann, Harnacks, 165–222. 32 Vgl. Lessing, Geschichte, 255. 33 Vgl. Drehsen‚ Konfessionalistische Kirchentheologie, 158. 34 Ebd., 171.

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vor. Er und F.H.R. Frank unterschieden in ihren Anschauungen göttlichen Ursprung und menschliche Ausprägung des Staates. Infolgedessen behauptete F.H.R. Frank, dass sich der christliche Glaube nicht im Wesen staatlicher Institutionen, sondern durch das Wirken einzelner Christen in diesen Institutionen verwirklicht. 3.1.4 Die Berliner Theologische Fakultät Die 1810 gegründete Berliner Universität, förderte die geistige Freiheit und strenge Wissenschaftlichkeit in Forschung und Lehre.35 Auch die Theologie wurde als Teil dieses Wissenschaftsorganismus betrachtet, freilich war für eine konfessionelle Theologie kein Raum.36 Von 1819 an berief die preußische Regierung kirchlich-positive, erweckte und unionsfreundliche Professoren auf die theologischen Lehrstühle.37 Nach F.D.E. Schleiermachers Tod stärkten A. Twesten und später dann K.I. Nitzsch und I.A. Dorner die Vermittlungstheologie, die zwischen radikaler Kritik und konfessionalistischer Erweckungsbewegung ihre gelehrten Positionen vertreten mussten: Beide strebten einen Ausgleich der Lehren von F.D.E. Schleiermacher und G.W.F. Hegel an. Auf dem niedrigen Niveau einer kirchlichen Fachschule hielt sich die Fakultät nach den ersten beiden Jahrzehnten ihrer klassischen Periode vier Jahrzehnte lang unter der Diktatur des einem massiven reaktionären Orthodoxismus huldigenden Hengstenberg, bis endlich [...] seit 1868 und 1869 die Berufungen Dorners und Dillmanns auf die Lehrstühle für Systematik und Altes Testament Weite und Strenge wissenschaftlicher Arbeit aufs neue garantierten.38

3.2 Studium in Erlangen von 1864 bis 1866 3.2.1 Studentischer Alltag, Theologischer Studentenverein und politische Eindrücke A. Hauck traf am 26. Oktober 1864 in Erlangen ein. Eine Woche später inskribierte er sich an der Friedrich-Alexander-Universität im 121. Jahr ihres Beste35

Vgl. Dreß, Berlin, 631–638. Vgl. Besier/Gestrich, Einleitung, 21. 37 Vgl. Liwak‚ Alte Testament, 181: »Mit ihm [E.W. Hengstenberg, M. T.] ist zum ersten Mal dauerhaft das Alte Testament in Forschung und Lehre repräsentiert worden, zum Schaden für die Fakultät. [...] Eine generell die literarische und geschichtliche Authentizität biblischer Schriften verteidigende Auslegung in seinen exegetischen Arbeiten und eine aggressive, Denunziation einschließende Kirchenpolitik in der von ihm redigierten ›Evangelischen Kirchenzeitung‹ folgten.« 38 Dreß‚ Berlin, 636, 20–25. Zur Geschichte des Lehrstuhles für Systematische Theologie an der Berliner Theologischen Fakultät vgl. Gestrich‚ Erbe Hegels, 183–206. 36

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hens im Studiengang Evangelische Theologie, um später in das Amt eines Landpfarrers39 eintreten zu können.40 I. Müller, Schwiegersohn des Ansbacher Gymnasialprofessors C.L. Hoffmann und seit 1864 Dozent für Philologie und Pädagogik in Erlangen, führte A. Hauck in das Theologiestudium und in das Studentenleben ein.41 A. Hauck mietete sich zunächst ein eigenes Zimmer, das er aber im WH 1865/66 wegen Schwierigkeiten mit den Vermietern wieder aufgab. Daraufhin suchte er sich für preisgünstigere 30 Gulden pro Semester eine größere Unterkunft in der Nähe vom Familiensitz der Müllers. Hatte die Mutter ihrem Sohn zwar geraten, der Verbindung der Uttenruthia beizutreten, so stießen ihn aber deren Versammlungen wie die der Wingolfiten ab.42 Um nicht ohne Umgang bleiben zu müssen, sah A. Hauck vorerst über diese Unannehmlichkeiten hinweg. Am 13. November 1864 trat er dann in den Theologischen Studentenverein ein.43 Dieser Verein, dem Studenten verschiedener »Nationen« angehörten, veranstaltete wöchentlich einmal abends eine Diskussion über wissenschaftlich-theologische Forschungserkenntnisse, ein anderes Mal organisierte er ein geselliges Beisammensein. Die sonntägliche Wanderung des Vereins endete oft im nahegelegenen Bruck. Am wissenschaftlichen und geselligen Leben des Vereins beteiligten sich die Theologieprofessoren der Erlanger Universität rege. Auch A. Hauck fand in diesem Verein eine zweite Heimat, ihm blieb er bis zum Studienende 1868 und weit darüber hinaus treu. In der Streitfrage, ob eher der Satzungsgrundsatz der Wissenschaftlichkeit oder der Satzungsgrundsatz des lutherischen Bekenntnisses hervorgehoben werden sollte, schlug sich A. Hauck auf die Seite derjenigen, die das lutherische Bekenntnis betonten.44 39

Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 26. Januar 1868 [nicht 26. Januar

1867]. 40

Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. November 1864. Th. Harnack hielt im Rahmen der Immatrikulationsfeier eine Rede über Rechte und Pflichten eines Akademikers. Die Studenten mussten sich daraufhin mit Handgelübde auf die Gesetze und Satzungen der Universität verpflichten. Die Immatrikulation schlug mit sieben Gulden zu Buche. 41 Zu I. Müller vgl. Gruber‚ Müller, 417f. I. Müller und C.L. Hoffmann wollten A. Hauck noch im WH 1864 für das Studium der Philologie gewinnen. Doch erkannte A. Hauck früh sein Interesse an theologischen Vorlesungen und Studien, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 30. November 1864. Freundschaftlichen Kontakt pflegte A. Hauck während seines Studiums auch zu seinem ehemaligen Rektor Ch. Elsperger. Dieser saß in der Ansbacher Prüfungskommission für Pfarramtskandidaten, vgl. Schiller, Elsperger‚ 70. 42 Seit 1850 bestanden in Erlangen beide christlichen Studentenverbindungen nebeneinander. Im WH 1864/65 trug die Verbindung der Wingolfiten die Gefahr einer Zersplitterung in kleinere Kreise in sich, vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 31. Oktober 1864. 43 TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 13. November 1864. Der Theologische Studentenverein wurde am 10. Mai 1860 von F.H.R. Frank gegründet. Unter dessen Präsidium von 1860 bis 1886 schlossen sich eine große Zahl von Studenten aus Nord- und Süddeutschland zusammen. Die Vereinsstatuten unterstrichen das konfessionell lutherische Bekenntnis. Beitreten konnten auch unierte Lutheraner und Reformierte, doch sie besaßen kein Stimmrecht. 44 Befürchtungen, dass der Verein deshalb »löhisch« gesinnt sei, negierte A. Hauck. Zu den Satzungsstreitigkeiten vgl. TFIfKGL‚ Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 29. Januar, vom 1. Febru-

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Im ersten Semester bestimmte das Vereins- und Studentenleben45 den Tagesrhythmus: Aufstehen um 6.45 Uhr, von 8 bis 11 Uhr Kollegien, 11 bis 12 Uhr Vorbereitungen auf die akademischen Veranstaltungen, 12 bis 13 Uhr Mittagessen in der Kneipe des Vereins, 13 bis 14 Uhr Hebräischlektüre, 14 bis 15 Uhr weitere Vorbereitungen, 15 bis 16 Uhr Kolleg, 16 bis 17 Uhr Spaziergänge, 17 bis 18 Uhr Kolleg, 18 bis 20 Uhr wiederholte Vorbereitungen, 20 bis 20.15 Uhr Abendessen in der Wohnung, zweimal wöchentlich 20.30 bis 23 Uhr Zusammenkunft im Verein.46 Neben der halbjährlichen Zahlung von Kollegiengeldern in Höhe von ungefähr 40 Gulden schränkten die Vereinsaktivitäten den finanziellen Handlungsspielraum des Studenten stark ein. Da Haucks Antrag auf Befreiung von den Kollegiengeldern zu Beginn seines Studiums – er war Halbweise – negativ beschieden worden war, musste seine alleinerziehende Mutter die finanzielle Unterstützung ihres ältesten Sohnes erhöhen.47 Um eine weitere Aufbesserung der zur Verfügung stehenden Mittel zu erreichen, bewarb sich A. Hauck um das Ansbach-Heilsbronner Stipendium, das ihm ab dem SH 1865 ausgezahlt wurde.48 Das bayerische Staatsstipendium bekam er demgegenüber nicht zugesprochen. In Bezug auf A. Haucks politische Anschauungen in der Studentenzeit lässt sich folgendes ausmachen: Interessiert zeigte er sich gegenüber den politischen Verhältnissen der Gegenwart. So nahm er Ende 1865 regelmäßig an den Sitar, vom 5. Februar und vom 12. Februar 1865. Am 25. Januar 1865 eskalierte die Auseinandersetzung. Der Konflikt führte zu Parteibildungen. Anträge zur Satzungsänderung wurden eingereicht. A. Hauck schloss sich derjenigen Partei an, die das lutherische Bekenntnis bewahren und in enge Beziehung zu modernen wissenschaftlichen Methoden setzen wollte. Während G.L. Plitt zwischen beiden Parteiungen vermittelte, enthielt sich nach Ansicht A. Haucks F. Delitzsch einer Meinung. 45 Vgl. Möller‚ Wissenschaft, 106. Das Verbindungsleben drohte das eigentliche Studium an Bedeutung zu übertreffen. Auf der untersten Ebene der Hierarchie studentischer Verbindungen standen die wissenschaftlichen Vereine, die die wissenschaftliche Pflege eines Faches in den Vordergrund stellten, Erziehung und Lebensbünde aber in den Hintergrund treten ließen. Die Studentenverbindungen erfuhren ihre Prägung durch organisierte Stammtische und verbindungsähnliche Zusammenschlüsse. 46 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 10. Dezember 1864. 47 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 6. Dezember 1864. Um dem befürchteten mütterlichen Vorwurf der Geldverschwendung zuvorzukommen, gab A. Hauck die Verwendungen der Geldmittel an: Neben den Kollegiengeldern zahlte er 28,37 Gulden für Bücher, 5,24 Gulden für Weihnachtsgeschenke, 12 Gulden halbjährliche Wohnungsmiete und 5,02 Gulden für Holz und Kohlen, 12,20 Gulden für Mittagessen, Frühstück, Licht, Vereinseintritt, monatliche Vereinsbeiträge, Bier, Brot etc. 48 Vgl. Möller‚ Wissenschaft, 192: »Bei den von den Fakultäten der Universität jährlich ausgeschriebenen Preisaufgaben mußten fachliche Kompetenzen durch schriftliche Ausarbeitung der gestellten Aufgaben nachgewiesen werden. Zusätzlich gab es Preise von privaten Stiftungen, die zum Teil erhebliche Summen zu vergeben hatten. Weit verbreitet waren Stipendien, die sowohl von staatlicher Seite als auch von privaten Stiftungen vergeben wurden.« Im März 1865 unterzog sich A. Hauck einer Stipendiatenprüfung bei J.Ch.K. Hofmann. Das Ansbach-Heilsbronner Stipendium überwies ihm halbjährlich 20 Gulden. Aus dem Nürnberger Stipendium der Stiftung Straub bekam er im Juli 1865 43,15 Gulden auszahlt. Zusätzlich erhielt er Geld aus einer Augsburger Stiftung und ein Magistratstipendium. Die finanzielle Unterstützung aus der mütterlichen Haushaltskasse belief sich auf monatlich 35 Gulden.

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zungen des Schleswig-Holstein-Vereins teil, um die preußische Expansionspolitik zu kritisieren und um für die Eigenständigkeit der deutschen Kleinstaaten einzutreten.49 Als der Verein aber gesamtdeutsch-nationale Tendenzen anschlug, blieb A. Hauck den Versammlungen fern.50 Er verwehrte sich damit einem ideell praktizierten deutschen Gemeinsinn, der seine politische und soziale Basis in der »Verbindung von bürgerlichem Nationalbewußtsein mit historischem Dynastenrecht«51 fand. Er sah die Nationalbewegung als eine vom Liberalismus okkupierte an. 3.2.2 Theologiestudium und Dozenten Das Studium der evangelischen Theologie bot einen relativ offenen Studienplan.52 Die Examensrichtlinien bestimmten die Fächerwahl, vorgeschrieben war eine Studiendauer von mindestens acht Semestern. Standen finanzielle Einschränkungen einem Studienortswechsel nicht im Wege, konnten die Studenten innerhalb der deutschen Staaten ohne Einschränkung ihren Aufenthalt bestimmen.53 Im ersten Semester hörte A. Hauck die Vorlesungen »Neutestamentliche Geschichte« bei J.Ch.K. Hofmann, »Jesaja 1–39« bei F. Delitzsch, »Theologische Enzyklopädie und Methodologie« bei G.L. Plitt und »Der Staat des Plato (VI. und VII. Buch)« bei I. Müller als Diktat, montags die »Confessionen des Augustin« im Hauskreis bei K. Raumer und samstags bei F. Delitzsch »Hebräische Grammatik« als exegetisches Seminar zur Vorlesung sowie die Vorlesung »Logik und Metaphysik« bei K. Heyder im Fach Theoretische Philosophie. Im SH 1865 finanzierte er sich für 48 Gulden die Vorlesungen über »Jesaja 40–66« bei F. Delitzsch, »Das Evangelium nach Matthäus« bei F.H.R. Frank, »Deutsche Literaturgeschichte seit Lessing« bei K. Raumer und »Theokrits Idyllen« bei I. Müller. Im WH 1865/66 besuchte er die Vorlesungen »Dogmatik 1. Theil 49

In seiner Polemik gegen die kirchlichen Verhältnisse in Preußen und in Mecklenburg ließ sich A. Hauck vom Mitglied der bayerischen Fortschrittspartei J.Ch.K. Hofmann anstecken, vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 10. Dezember 1864. 50 TFIfKGL, Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 30. November und vom 6. Dezember 1864. 51 Blessing‚ Gottesdienst, 235: »In der Schleswig-Holstein-Bewegung hatte sich der bayerische Protestantismus erheblich über seine theologisch-weltanschauliche Position hinaus auf den Liberalismus eingelassen, und zwar auf einen Jungliberalismus [Hervorhebung im Original], der sich politisch in der Fortschrittspartei formierte. [...] Zugleich verlor Preußen durch den Verfassungskonflikt als nationaler Hoffnungsträger auch für die bayerischen Liberalen viel an Kredit, ohne daß sich Österreich, ein Feind aller nationalen Betrebungen, über eine taktische Annäherung hinaus als wirkliche Alternative anbot. Als Bismarcks Politik die Liberalen auf diese Weise in Irritation und Mißerfolg getrieben hatte, verloren sie für kirchliche Kreise rasch an Akzeptanz.« 52 Möller‚ Wissenschaft, 76. 53 Vgl. Nipperdey‚ Deutsche Geschichte 2/1‚ 469–476; Janz, Bürger, 156f; Möller‚ Wissenschaft, 77.

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– Dogmengeschichte« bei G. Thomasius, »Einleitung in das Neue Testament« sowie »Briefe an die Epheser, Philipper, Colosser und Philemon« bei J.Ch.K. Hofmann, bei F. Delitzsch ein exegetisches Seminar über den Römerbrief, bei F.H.R. Frank die Vorlesung über den »Hebräerbrief« und bei F. Will ein Kolleg über »Anthropologie«. In jedem der ersten drei Semester besuchte A. Hauck Lehrveranstaltungen bei F. Delitzsch, der von 1850 bis 1867 die Professur für alttestamentliche Exegese, christliche Apologetik, theologische Moral vertrat. Ihn lernte der 18Jährige als »kleines, weißhaariges, lebhaftes Männchen«54 kennen, der dem Studenten anbot, Bücher aus seiner Privatbibliothek zu entleihen. F. Delitzschs didaktisch ausgearbeitete Vorlesungen verknüpften philologische Exegesen mit lutherischem Bibelrealismus.55 Charakterisierte er das Wirken Gottes in der Geschichte zwar als unmittelbar, so erkannte er in den Bibeltexten in Ansätzen auch ein freies menschliches Streben. Um die Schriften der Bibel heilsgeschichtlich auslegen zu können, forderte F. Delitzsch den christlichen Glauben eines Exegeten.56 Seiner Meinung nach setze die Kirche die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen fort, wenn sie unter Anwendung der theologischen Wissenschaft die Heilserkenntnis vorantreibe.57 Diese Vorstellung des Organischen, das Einheit und Vielheit, teleologische Entwicklung und Kontinuität gegenüber der Vergangenheit bestätigt und einschließt, prägte sein Denken wie das J.Ch.K. Hofmanns. So zeigten auch seine Kommentare Einflüsse des romantischen Denkens J.G. Herders.58 Über die heilsgeschichtliche Exegese F. Delitzschs urteilte A. Hauck zunehmend kritisch: »[...] dabei darf man, wenn Delitzsch da ist, kein Fenster aufmachen, da ihm sonst seine Gedanken fortfliegen, wie er selbst sagt. Es scheint also, seine Gedanken sind Treibhausgewächse, die ja auch die Blätter hängen lassen, wenn man sie in die freie Luft bringt.«59 Demgegenüber erwärmte sich A. Hauck für F. Delitzschs systematisches und erbaulich formuliertes Abendmahlsverständnis. F. Delitzsch, der die Anschauungen W. Löhes, dass Wortverkündigung und Bekenntnis die Kennzeichen der wahren Kirche seien, um die Bedeutung der Sakramente erweiterte und somit die Gemeinde der Getauften in den Mittelpunkt seines Kirchenverständnisses stellte, hatte seine Auffassung im Andachtsbuch »Das Sacrament des wahren Leibes und Blutes Jesu Christi: Beicht- und Communionbuch« dargelegt, das A. Hauck frühzeitig las. Hierin zeigte sich F. Delitzschs religiöse Richtung, »eines in den Bahnen streng lutherischer Bekenntnistreue wandelnden gesunden Pietismus, 54

TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 31. Oktober 1864. Vgl. Beyschlag‚ Erlanger Theologie, 86. 56 Vgl. Plümacher‚ Delitzsch‚ 431, 48f. Um diese Erkenntnisse zu gewinnen, wandte F. Delitzsch die typologische Auslegungsmethode an, vgl. A. Köhler‚ Delitzsch, 568, 40–52. 57 Vgl. Plümacher‚ Delitzsch, 432, 5–15; Kantzenbach‚ Gestalten, 150. 58 Vgl. Lessing‚ Geschichte, 162. 59 TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 24. Juni 1865. 55

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welcher ab und zu auch von Mystik und Theosophie sich beeinflussen ließ«.60 Indem F. Delitzsch die Kirche als eine zugleich sichtbare und unsichtbare verstand,61 band er die Sichtbarkeit der Kirche an den christlich gesinnten Menschen und an dessen Verhalten. Vielleicht teilte A. Hauck in Anlehnung an diese Gedanken die kirchenpolitischen Ansichten des Professors, der die kirchlichen Zustände in Mecklenburg und Preußen zu Beginn des Jahres 1865 heftig kritisierte.62 Wie F. Delitzsch fand A. Hauck Gefallen an den Gottesdiensten des Universitätspredigers G. Thomasius,63 an den sonntäglichen akademischen Missionsstunden sowie an dem alljährlich von F. Delitzsch organisierten Nürnberger Missionsfest. Die von F. Delitzsch seit 1863 herausgegebene Zeitschrift für die Judenmission »Saat auf Hoffnung« las A. Hauck regelmäßig im Verein. Müller machte Hauck mit dem Geologen, Geographen und Pädagogen K. Raumer64 bekannt, der strikt antirationalistische Positionen bezog.65 Den Widerspruch zwischen christlichem Glauben und naturwissenschaftlichen Forschungserkenntnissen versuchte er durch einen aufklärerischen Supranaturalismus unter Zuhilfenahme des romantischen Organismusgedankens zu lösen. K. Raumer vertrat einen ausgeprägten Biblizismus, der historisch-kritische Fragestellungen der Aufklärung und des Idealismus ablehnte.66 Indem er einen Offenbarungsglauben in enge Beziehung zur persönlichen Wiedergeburt setzte und von einer ständigen Bedrohung der Heilsgewissheit ausging, galt er als Wegbereiter der Erlanger Theologie.67 K. Raumer sammelte wöchentlich einen Kreis von Studenten um sich, die gemeinsam eine erweckliche Bibelauslegung betrieben.68 Seinen Schülern vermittelte er seine Liebe zur Poesie.69 In Erlangen gab er 1856 eine kommentierte Ausgabe der »Confessiones Augustini« heraus, wobei er Augustins christlichen Lebenswandel und sittlichen Charakter in den Mittelpunkt seiner Forschungen stellte.70 Noch im hohen Lebensalter setzte er seine Lieblingsvorlesungen über 60

A. Köhler‚ Delitzsch, 566. Vgl. Fagerberg‚ Bekenntnis, 129: »Die Unsichtbarkeit betrifft ihren ›Lebensgrund‹, die Sichtbarkeit ihre Ausgestaltung als Christi Leib.« 62 TFIfKGL‚ Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 22. Januar und vom 19. März 1865: Im letztgenannten Brief bezog sich A. Hauck auf die Auseinandersetzung zwischen Th. Kliefoth und der Erlanger Fakultät, in der sich die Erlanger unter Federführung von Th. Harnack und F. Delitzsch gegen den Vorwurf wehren mussten, ihre liberalen Auffassungen zum Staat-Kirche-Verhältnis und zu ekklesiologischen Fragestellungen ähnelten denen des Badenser liberalen Vermittlungstheologen und Mitbegründer des Protestantenvereins D. Schenkel, vgl. Kliefoth, Theologen, 268–271. 63 TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 14. Januar 1865. 64 Vgl. Weigelt, Raumer: seine Bedeutung, 28–43. 65 Vgl. Beyschlag‚ Erlanger Theologie, 18f. 66 Vgl. Weigelt‚ Erweckungsbewegung, 47. 67 Vgl. Kolde‚ Universität, 321. 68 Vgl. Beyschlag‚ Erlanger Theologie, 20. 69 Vgl. A. Hauck‚ Hofmann, 234, 55–235, 3. 70 Raumer (Hg.), Confessionum. 61

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Pädagogik71, über die Geographie Palästinas und über Augustins Konfessionen fort. Daneben engagierte er sich auf karitativ-sozialem Gebiet.72 Vom außerordentlichen Professor für Kirchengeschichte und theologische Enzyklopädie, dem Hofmann-Schüler G.L. Plitt,73 wurde A. Hauck geprägt und gefördert.74 Er schätzte die einfache und natürliche Art des rein historisch denkenden Gelehrten.75 G.L. Plitt setzte seine Forschungsschwerpunkte auf dem Gebiet der Reformationsgeschichte und der Theologie F.W. Schellings, dessen Briefwechsel er 1869/70 in drei Bänden herausgab.76 Seine Reformationsgeschichtsschreibung widerlegte die bis dahin gängige Geschichtsinterpretation, dass sich die Reformation nur mit Hilfe weltlicher Gewalt durchzusetzen und zu behaupten vermochte: Er sah demgegenüber bereits in den Werken B. von Clairvaux’ die evangelische Wahrheit hervortreten.77 Als Herausgeber vertrat er in der geschichtlichen Einleitung zu den »Loci communes« Ph. Melanchthons die These, dass die Vergangenheit zwar nicht normativ sei, dass sich aber jeder Fortschritt organisch an die Vergangenheit anschließen müsse.78 In den Jahren 1867 und 1868 veröffentlichte G.L. Plitt eine zweibändige Einleitung zur CA.79 In seinen kirchengeschichtlichen Arbeiten fand die monumentale Theologie, wie F. Piper sie reflektierte, seine Zustimmung. Neben seiner wissenschaftli71 Die Vorlesungen über die Pädagogikgeschichte waren Vorarbeiten für Raumer‚ Geschichte; vgl. Weigelt, Raumer: seine Bedeutung, 35. K. Raumer sprach sich gegen den Freiheits- und Fortschrittsglauben der Aufklärung aus und legte stattdessen in seiner Erziehungsarbeit Wert auf das Heilsgeschehen der Offenbarung Gottes. 72 Vgl. Keller, Spätaufklärung, 39. Zu K. Raumer vgl. Weigelt, Raumer (1783–1865)‚ 15–26. 73 Vgl. A. Hauck‚ Plitt, 304: »Was er [G.L. Plitt, M. T.] Hofmann verdankte, war das Ideal einer kirchlichen Wissenschaft, das ihm während seines ganzen Wirkens vorschwebte. [...] Sein Ziel war: als Historiker der Kirche zu dienen, wie ihr Hofmann als Bibelforscher diente.« 74 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 17. Februar 1866: »Plitt, der seine ganze Zuneigung auf mich geworfen zu haben scheint [...].«; vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 12. November 1880: »Seit Plitt todt ist, gilt mir persönlich keiner [der Erlanger Universitätsprofessoren, M. T.] etwas, [...].« 75 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 26. Januar 1868. 76 Vgl. Kantzenbach‚ Evangelischer Geist, 101f. 77 Vgl. Frank, Plitt‚ 487,25f. 78 G. Plitt (Hg.), Loci Communes. 79 G. Plitt‚ Einleitung. G.L. Plitt sah gerade mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der CA die Möglichkeit gegeben, der gegenwärtigen Kirche, die ihre Verbindung zum Staat löst, Stabilität zu verleihen und ihre Einheit zu sichern, vgl. A. Hauck, Plitt, 306: »Daraus erklärt sich, daß er unternahm, die Geschichte der evangelischen Kirche bis zum Augsburger Reichstag darzustellen, also bis zu einem Punkte, den man schwerlich als eine Epoche abschließend bezeichnen kann. Der praktische Zweck des Werkes erwies sich hier als hinderlich. [...] Wol erweiterte P[litt] unsere Kenntniß der Vorgänge nicht wesentlich, er arbeitete, so viel ich sehe, nur mit gedrucktem Materiale: aber er besaß eine ausgebreitete Kenntniß der gedruckten Quellen, ihm eignete die Gabe einfach und anschaulich zu erzählen, er war unbefangen und gerecht in seinem Urtheile.« F.H.R. Frank urteilte ähnlich, vgl. Frank, Plitt, 487: »In diesem größeren Werk spiegelt sich am deutlichsten die Eigentümlichkeit seiner Richtung und Begabung: sorgfältigste Detailforschung, die auch das Kleinste nicht für gering achtet, Objektivität und Unabhängigkeit des Urteils bei aller persönlichen Hingabe an die evangelische Auffassung des Lehrbegriffes, eine leicht überblickliche, allenthalben vom Hauche persönlich-christlicher Überzeugung durchdrungene Darstellung.«

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chen Arbeit erwarb sich G.L. Plitt besonders auf dem Feld der Missionswissenschaft und als konfessionell-lutherisch geprägter Prediger einen Namen. Regelmäßig besuchte A. Hauck J.Ch.K. Hofmanns Vorlesungen über neutestamentliche Themenbereiche.80 A. Hauck charakterisierte das Leben und Werk J.Ch.K. Hofmanns später so: J.Ch.K. Hofmanns Theologie, ethische Auslegungen und Bibelinterpretationen fanden in der Erlanger Studentenschaft einen »empfänglichen Boden«, mit seiner Rückkehr nach Erlangen 1845 begann dort eine »Blüteperiode«, tiefen Eindruck hinterließ die »Wahrhaftigkeit seiner Exegese«.81 Eine wissenschaftliche Untersuchung des dogmatischen Schriftbeweises82 hielt von J.Ch.K. Hofmann für durchführbar, weil er aus drei Gründen das christliche Dasein unabhängig von der wissenschaftlichen Tätigkeit eines Theologen betrachtete: Es gebe christliches Dasein aufgrund 1. dem unmittelbaren Tatbestand der Wiedergeburt eines Christen, d.h. des christlichen Daseins in der durch Christus vermittelten persönlichen Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, 2. der Geschichte und dem Bestand der Kirche, 3. des Zeugnisses der Bibel.83 Aus der Ganzheit der Schrift führte er den Beweis des »Lehrganzen«.84 Grundlegend für J.Ch.K. Hofmanns heilsgeschichtliche Geschichtsinterpretation, die er eschatologisch ausrichtete, war die organische Entwicklung innerhalb der Geschichte, also die stufenweise und sukzessive Entfaltung des teleologisch-ökonomischen geschichtlichen Verlaufs.85 Die geschichtliche Tatoffenbarung korrelierte seiner Ansicht nach mit dem Tatbestand der gegenwärtigen Glaubenserfahrung, die persönliche Erfahrung der Wiedergeburt ergänzte er aber um biblische Aussagen. J.Ch.K Hofmann sprach von der Ewigkeit Gottes nur im Zusammenhang mit der geschichtlichen Welt. In der Geschichte erweise sich die werdende Ge80

Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 31. Oktober 1864: Die Vorlesungen J.Ch.K. Hofmanns zeichneten sich nach Einschätzung A. Haucks durch »die konsequente Beschränkung auf den Gegenstand« und durch den »klare[n], präzise[n] [...] Fortschritt des Gedankens« aus. Die Zahl der Zuhörerschaft J.Ch.K. Hofmanns (150 bis 200 Studenten) beeindruckte den jungen Studenten. Dagegen erregte J.Ch.K. Hofmanns mehrmalige Abwesenheit als Landtagsabgeordneter von 1863 bis 1867 Ärgernis unter den Studenten. Im SH 1865 blieb er in München. 81 In der RE2 widmete A. Hauck seinem theologischen Lehrer einen Aufsatz, dem auch persönliche Erfahrungen zugrunde lagen, vgl. A. Hauck, Hofmann, 221–235. Umgearbeitet und gekürzt fand dieser Artikel in der RE3 Aufnahme, vgl. A. Hauck, Hofmann, 231. 82 J.Ch.K. Hofmann‚ Schriftbeweis. 83 Vgl. A. Hauck, Hofmann, 232: »Seine eigene Lösung dieser Aufgabe nannte er bescheiden einen theologischen Versuch; man wird sie als Muster wissenschaftlicher Schriftbeweisfürung bezeichnen dürfen: hier wird in der Tat nicht prinziplos in der Schrift gewült, nicht sind einzelne Stellen willkürlich herausgegriffen, sondern das Werden und Wachsen der Heilstatsachen wird aus der Schrift erhoben.« 84 Mildenberger‚ Hofmann, 477, 52f. 85 Vgl. Asendorf‚ Eschatologie‚ 323, 16–18: J.Ch.K. Hofmanns Geschichtsrealismus zeichnet sich durch einen »eschatologischen Totalaspekt der heilsgeschichtlichen Theologie« aus, wobei die Voraussetzung eines »antizipatorische[n] Verständnis[ses] der Christologie [...] pneumatologisch erschlossen wird«.

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meinschaft Gottes mit dem Menschen, deren Verlauf von ihrem Anfang her eindeutig bestimmt sei.86 Gott wirke durch eine »Geistervielheit«, die von dem einen Geist Gottes in seinem einheitlichen Wirken zusammengefasst und auf ein Telos der Welt ausgerichtet werde.87 Deshalb vollziehe sich die Selbstbestimmung des Menschen erst vollgültig in seiner Bewegung zu Gott hin. J. Ch.K. Hofmann setzte die Kontinuität und Einheit der Geschichte voraus: Zwar könne sich der Mensch innerhalb der Geschichte für einen gottfeindlichen Willen entscheiden, dessen Auswirkungen werden aber durch die gottgewollte Kontinuität beeinflusst. So konnte er die Sündhaftigkeit des Menschen als menschliche Wesenseigenschaft anerkennen, weil mit dem Wirken und dem Werk Jesu Christi von außen eine neue Heilsgemeinschaft in die Geschichte hineingetragen worden sei. Doch beziehe sich Gottes Heilswirken nicht nur auf das menschliche Wesen, sondern auch auf Institutionen wie Familie und Staat. In sein chiliastisch geprägtes Geschichtsbild integrierte er politische Elemente, wodurch er den Rechts- und Nationalstaat theologisch begründen konnte. Durch die Kirche – sie ist die vom Heiligen Geist geschaffene Gemeinschaft von Gläubigen und damit Reich Gottes88 – gelange der einzelne Christ in die durch Christus vermittelte Gemeinschaft mit Gott: Im Gegensatz zu F.D.E. Schleiermachers »schlechthinnigem Abhängigskeitsgefühl« als »innerer Grundtatsache der christlichen Frömmigkeit« sah J.Ch.K. Hofmann die Grundtatsache in der durch Christus vermittelten Gemeinschaft Gottes mit den Menschen. Betonte F.D.E. Schleiermacher »den Reflex eines metaphysischen Verhältnisses im Bewußtsein des Einzelnen«, so hob J.Ch.K. Hofmann »die Folge geschichtlicher Tatsachen für das Leben, [...] für das Bewußtsein des Einzelnen« hervor.89 Der individuelle Glaube, also die Erfahrungsgewissheit des menschlichen Gottesverhältnisses, gewann somit eine ähnliche Bedeutung wie das in der Gemeinschaft der Glaubenden vermittelte Bekenntnis.90 Indem J.Ch.K. Hofmann den Geist Gottes als die bewegende Kraft der Geschichte interpretierte, konnte er den im Liberalismus gängigen Begriff »Zeitgeist« in seiner Anschauung transformieren: Die einlinig teleologisch gedachte heilsgeschichtliche Entwicklung beweise sich im Ideal der Zivilisation und der Humanität, schließe sittlichen und kulturellen Fortschritt ein.91 Er ging im Ge86

Vgl. Behr‚ Liberalismus, 74: »Gott, der Schöpfer, ist der ›überweltliche‹ Urheber des Werdens, der Geist wird zum ›innerweltliche(n)‹ Beweggrund des Werdens in der Welt und Christus ist das ›urbildliche Weltziel‹, weil auf ihn als den sich selbst zu Gott bestimmenden Menschen alles Werden in der Welt zielt.« 87 Vgl. ebd., 80. 88 Vgl. Behr‚ Liberalismus, 116: »Dem geschichtsimmanenten Wirken des göttlichen Geistes hat die werdende Menschheit Gottes zu entsprechen.« 89 A. Hauck‚ Hofmann, 233. 90 Vgl. Fagerberg‚ Bekenntnis, 147: J.Ch.K. Hofmann sah die Erfahrungen der Christen die Aussagen der Bibel bestärken; vgl. Hummel‚ Enzyklopädie, 735, 9–21: »Kaum irgendwo anders hat der Empiriecharakter der theologischen Wissenschaft eine solche Stringenz.« 91 Vgl. Behr‚ Liberalismus, 130.

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gensatz zu A. Harleß davon aus, dass innerweltlicher, sittlich-kultureller Fortschritt der Vollendung des Reiches Christi dient. Das historische Individuum ordnete er in diesen heilsgeschichtlichen Zusammenhang unter Vorstellung einer göttlichen Providenz ein.92 Wie G.W.F. Hegel betrachtete J.Ch.K. Hofmann die Geschichte als ein Ganzes, das sich teleologisch entwickelt, und anerkannte dem historischen Individuum eine Freiheit für moralische und religiöse Entscheidungen: Im Gegensatz zu G.W.F. Hegel aber stellte er das Individuum der geschichtlichen Entwicklung passiv gegenüber.93 Somit ist der Entwicklungsbegriff des Erlanger Theologen ein anderer als der G.W.F. Hegels: Jener kannte eine einlinige teleologische Entwicklung ohne Dialektik, dieser lehnte ein bruchlose Entwicklung der Geschichte ab. In seiner Anschauung zwischen L. Ranke und G.W.F. Hegel stehend, nahm J.Ch.K. Hofmann Gedanken der Philosophie F.W. Schellings auf, der das Tatsächliche zwar betonte, das Ideal einer apriorischen Erkenntnis aber dennoch nicht aufgab: F.W. Schelling dachte den trinitarischen Gott als von der Welt unabhängig, nicht wie G.W.F. Hegel als unmittelbar mit der Welt verkoppelt.94 J.Ch.K. Hofmann betrachtete daher die Kirchengeschichte supranatural durch den Heiligen Geist gelenkt. Indem er die Heilsgeschichte auf die Wiedergeburtserfahrung eines Christen gründete, übernahm er von F.D.E. Schleiermacher den systematischen Ausgangspunkt der Geschichte des Glaubens bei der menschlichen Subjektivität und lehnte G.W.F. Hegels absoluten Geistbegriff ab.95 Letztlich begriff J.Ch.K. Hofmann die Geschichte im Sinne L. Rankes als Tatsachengeschichte, die aufgrund der absoluten Gewissheit christlichen Selbstbewusstseins interpretiert werden muss.96 92 Vgl. Wendebourg‚ Theologie, 74: »Bei Ranke reiben sich wirklich beide Prinzipien, das der Freiheit des persönlichen Handelns und das der Notwendigkeit der Geschichtsdetermination. [...] Hofmann dagegen läßt beide Prinzipien nebeneinander ungehindert stehen, er trennt beide Bereiche, indem unter den Bereich der Freiheit die persönliche Gottesbeziehung, unter den Bereich der göttlichen, durch den Geist bewirkten Geschichtsnotwendigkeit die Betätigung des Menschen in der Heilsgeschichte gerechnet wird.« 93 Vgl. ebd., 83: »Er [J.Ch.K. Hofmann, M. T.] versteht unter Freiheit wirklich den Willen, der rein kontingente Entscheidungen fällen kann, wie der Historismus; nur gesteht er ihm im Gegensatz zu diesem keine wirklich geschichtliche Bedeutung zu.« 94 Vgl. ebd., 93. 95 Vgl. ebd., 101: »Bei Hofmann sahen wir, daß sein Hegelianismus im Sinne einer historisierenden Geschichtsbetrachtung durchbrochen ist. Aus dieser rudimentär identitätsphilosophischen Betrachtungsweise folgt eine Einschränkung des absoluten Geistes im Sinne einer Subjektivierung des Ausgangspunktes.« 96 Vgl. ebd., 104: »Die transzendente Begründung der Geschichte liegt zwar nicht in einem strikt durchgeführten identitätsphilosophischen Prinzip, aber es wird auch nicht vermieden, daß das Handeln Gottes in der Geschichte als eine einzige Selbstvollziehung zum Zwecke der Entfaltung der in der Trinität selbst liegenden Tendenz erscheint, die Menschheit Gottes zu schaffen. Schließlich kann der absolute Standpunkt des heilsgeschichtlichen Theologen der Geschichte gegenüber nur mit dem Hegels verglichen werden, wenn auch abgeschwächt und ungleich weniger radikal gedacht, weil Hofmann es nicht wagte [...], wie Hegel diesen Standpunkt des Christen in der Geschichte als den Schlußpunkt der Geschichte zu betrachten.«

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Auch für den Hofmann-Schüler von F.H.R. Frank – er baute J.Ch.K. Hofmanns exegetisch-theologische Ansichten systematisch-theologisch aus97 –, dem A. Hauck im ersten Semester an den wissenschaftlichen Abenden des Theologischen Studentenvereins begegnete und dessen Kolleg »Der Brief an die Hebräer« er im WH 1865/66 mit fünf anderen Studenten hörte,98 beruhte der christliche Glauben auf der individuellen Erfahrung: Von daher erschließe der Glaubende »das Ganze der Lehre in seiner inneren Einheit«.99 Weil F.H.R. Frank »zeigen [wollte], daß sich die unmittelbare Gewißheit der Erfahrung auf das Widerfahrnis von Wiedergeburt, Bekehrung und Erneuerung bezieht«,100 galten seine Forschungsinteressen der neueren Philosophie und der altlutherischen Dogmatik.101 Zugleich bekämpfte er die Theologie A. Ritschls.102 In seinen Forschungen erhob der Erlanger Dozent die »Theologie der Erfahrung« zum dogmatischen Leitbegriff.103 In seinem ersten Hauptwerk104 bemühte er sich »um eine neuzeitliche Reformulierung der reformatorisch-altprotestantischen Theologie«.105 Die Bekenntnisaussagen der Konkordienformel betrachtete er als zeitimmanente, historische Wahrheitsaussagen.106 Gründete er zwar seinen dogmatischen Ausgangspunkt auf die theologischen Aussagen der Konkordienformel, so legte er aber auch Wert auf einen organischen Zusammenhang der dogmatischen Erkenntnisse.107 Von der heilsgeschichtlich orientierten Exegese J.CH.K Hofmanns unterschied sich F.H.R. Frank durch seine systematisch durchdachte begrifflich-argumentative Darstellungsart.108 Mit seinen Über97 Vgl. Seeberg‚ Frank, 160: »Wie nämlich Hofmann das Christentum als einen Komplex subjektiv erlebter geistlicher Realitäten [...] aufrecht erhalten hat, so hat Frank seine ganze Theologie an jenem ersten Gedanken Hofmanns orientiert und hat durch die durchgeführte Anwendung desselben der religiösen Erkenntnis der Kirche gedient.« 98 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 23. November 1864. 99 Track‚ Erfahrung‚ 123, 4. 100 Ebd., 123, 23–25. 101 Vgl. Beyschlag‚ Erlanger Theologie, 100. 102 Vgl. Slenczka‚ Studien I, 124–218: »Es geht in der Auseinandersetzung zwischen v. Frank und Ritschl somit um die Vereinbarkeit des Absolutheitsprädikates mit der christlichen Gotteserfahrung; [...].« 103 F.H.R. Frank legte sein erfahrungstheologisches System in drei Schritten vor: das »System der christlichen Gewißheit« als Prinzipienlehre, das »System der christlichen Wahrheit« als dogmatische Reflexion« und das »System christlicher Sittlichkeit« als individualethische Orientierung, vgl. F.W. Graf, Erlanger Theologie, 128f. 104 Frank‚ Theologie. 105 Edelmann‚ Frank, 322. 106 Vgl. Wagner‚ Lutherische Erfahrungstheologie, 208. 107 Vgl. Kantzenbach‚ Erlanger Theologie, 222. 108 Vgl. Wagner‚ Lutherische Erfahrungstheologie, 211: »Frank will zwar dem Bewußtsein der Moderne insoweit Rechnung tragen, als er die Vergegenwärtigung der christlichen Gehalte durch die freie Aneignung des christlich-religiösen Bewußtseins vermittelt sein läßt. Diese freie Aneignung macht er davon abhängig, daß sich das christliche Bewußtsein der supranaturalen und theonomen Instanz des im biblischen Wort niedergelegten göttlichen Willens vorab unterordnet. So besteht die Freiheit des christlichen Selbstbewußtseins allein darin, sein Denken und Handeln in Abhängigkeit von der Positivität des den göttlichen Willen repräsentierenden biblischen Wortes zu vollziehen.«

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legungen trug er zur Konsolidierung der kirchlich-positiven Theologie und des konfessionellen Luthertums bei. Letztlich blieb er »einem subjektivistischpsychologisierenden, kausal-mechanischen und immanenz-gebundenen Verständnis der christlichen Gewißheit verhaftet«.109 Die Kirche begriff er als die Darstellung eines neuen Lebensstandes.110 Den theologischen Ansichten des Dogmenhistorikers G. Thomasius war A. Hauck sehr zugeneigt.111 G. Thomasius vertrat eine ideengeschichtliche, organisch-dialektische Periodisierung der Dogmengeschichte, die ihren Abschluss in der Konkordienformel fand.112 In seiner christologisch zentrierten Dogmatik ging es ihm »um eine wissenschaftliche Vertretung des kirchlichen Bekenntnisses«,113 worin er zwischen Theologie und Bekenntnis unterschied und das Element der Wiedergeburt in den Mittelpunkt seiner Überlegungen rückte. Er begriff das Christentum als verwirklichte Gottesgemeinschaft.114 Indem G. Thomasius auf G.W.F. Hegels dialektisch-prozeßhafte Geschichtsschau zurückgriff, gelang ihm eine geschichtlich-genetische Darstellung des kirchlichen Lehrbegriffs:115 In der Geschichte eignet sich der Glaubende die bereits gegebenene Wahrheit und das in Christus bereitete Heil mittelbar und sukzessive an, wobei das Individuum an ständig fortschreitender und wachsender Einsicht in das Wesen der Offenbarung gewinnt; dieses Wachstum gestalte sich in einer dialektischen Bewegung, deren Folgerichtigkeit der Geist Gottes gewährleistet.116 G. Thomasius sah im Gegensatz zu J.Ch.K. Hofmann »das Werden der Kirche nicht in einem mittelbaren Zusammenhang mit dem sittlichen Fortschritt der Menschheit«.117 Seiner Meinung nach schützt der kirchlich vermittelte Glauben vor Irrtümern.118 Dessen stufenförmigen Prozess zeigte er auf: Bewahrung der göttlichen Gnade geschieht durch Treue zu Gottes Wort; biblisch bezeugtes Heil und individuell-religiöse Selbstfindung sind die Entwicklungs109 110 111

Keller-Hülschemenger‚ Problem, 75. Vgl. Lessing‚ Geschichte, 64. Vgl. TFIfKGL‚ Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 2. Juli 1865 und vom 3. August

1867.

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Vgl. Beutel‚ Thomasius, 490, 51; Hauschild, Dogmengeschichtsschreibung, 119, 15–31: »Die Eigenart des Dogmas ergibt sich für Thomasius aus dem Wesen des Christentums, das als ›welterneuernde Lebensmacht‹ mit dem in Jesus gegründeten religiösen Bewußtsein ein Prinzip bringt, aufgrund dessen das Individuum, welches seine denkende Selbstvergewisserung im Bekenntnis artikuliert, auf die Gemeinschaft der Kirche angewiesen ist, die von dem Zentralpunkt des Christusbekenntnisses die Aufgabe hat, ›ihren Gemeinglauben zum Lehrbegriff zu entwickeln‹ [...].« 113 Kantzenbach‚ Evangelischer Geist, 152. 114 Vgl. Fagerberg‚ Bekenntnis, 141f. 115 Vgl. Beutel‚ Thomasius, 488, 25: »Als Ausgangspunkt dient dabei die Unterscheidung der objektiv gegebenen Offenbarung Gottes in Jesus Christus von der Geschichte ihrer subjektiven Aneignung im individuellen und kirchlichen Glaubensbewußtsein.« 116 Vgl. Thomasius, Origenes; vgl. Fagerberg, Bekenntnis, 146–163. 117 Behr‚ Politischer Liberalismus, 277. 118 Vgl. Kantzenbach‚ Gestalten, 145.

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faktoren des Glaubens; das christliche Glaubensbewusstsein erfasst eine außerhalb des Christen stehene göttliche Wirklichkeit. Diesen Glaubensinterpretationen begegnete A. Hauck in den Universitätsgottesdiensten und im Theologischen Studentenverein. G. Thomasius’ Predigten, die das biblische Wort als göttliches Wort interpretierten119 und in deren Mitte die reformatorische Rechtfertigung stand, sprachen A. Hauck an.120 Auch G. Thomasius’ Autobiographie und Beschreibung der Entstehung der lutherischen Kirche in Bayern121 fand A. Haucks Interesse. Kenntnisse in der Philologie erwarb sich Hauck bei I. Müller. Dieser legte Wert auf seminaristische Übungen, denen er gegenüber Vorlesungen den Vorrang einräumte. Seine durchdachte Organisation wissenschaftlicher Arbeit schlug sich insbesondere in dem von ihm herausgegebenen Handbuch über klassische Altertumswissenschaften nieder.122 Er setzte Schwerpunkte in der Theorie des lateinischen Stils und der griechischen Syntax sowie in der Interpretation des Denkens Platos. Dessen Staatstheorie und Ideenlehre lernte A. Hauck in der Interpretation des Philologen kennen.123 In die Geschichte der Philosphie unter besonderer Berücksichtigung Hegelscher Anschauungen führte K. Heyder den jungen Studenten ein.124 1845 publizierte er den ersten und einzigen Band der »Kritische[n] Darstellung und Vergleichung der Methoden Aristotelischer und Hegelscher Dialektik«.125 Am 9. Dezember 1857 hatte K. Heyder das archäologische Museum in Erlangen eröffnet, das eine Sammlung von Gipsabgüssen antiker Kunstwerke zeigte.126 Gleich zu Beginn seines Studiums besuchte A. Hauck die bei den Studenten außerordentlich beliebte Vorlesung von J.F. Will über medizinische Anthropologie.127 Dieser hatte 1848 den Lehrstuhl für Zoologie, der vergleichenden Ana119 Vgl. Kantzenbach‚ Erlanger Theologie, 177; Stählin‚ Thomasius, 632: »Ein tiefes und gewissenhaftes Schöpfen aus der Schrift, freudigstes und kräftigstes Bekenntnis, eine klare, fassliche und zugleich vom Inhalte unmittelbar gehobene, poetisch durchhauchte Form charakterisirt seine Predigtweise, soweit wir sie verfolgen können.« 120 Vgl. TFIfKGL‚ Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 15. Juli 1867 und vom 24. Juni 1865: »Thomasius ist doch der einzige bei dem man die Kirche jedesmal befriedigt verläßt.« 121 Thomasius‚ Wiedererwachen. 122 I. Müller, Handbuch. 123 Vgl. Wyller‚ Plato‚ 677–693. 124 Die Beachtung der Philosophien G.W.F. Hegels und F.W. Schellings bei K. Heyder hebt Kantzenbach‚ Evangelischer Glaube, 130 u. 134 hervor; vgl. auch TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 28. November 1886: A. Hauck beschreibt K. Heyder als einen bescheidenen Gelehrten, der nicht viel Geld verdienen oder großen Ruhm ernten wollte. K. Heyder sei ein Philosoph und doch ein einfältiger Christ geblieben: »Über Menschen und Dinge hat er nie geistreich gespottet oder vornehm abgeurtheilt: er suchte den sittlichen Werth oder Unwerth und dadurch imponirte er auch den Oberflächlichen, oder wenn das zu viel sein sollte, er hielt sie wenigstens in Schranken. Ein solcher Mann ist in den akademischen Kreisen, der Heimath des Spottens und Aburtheilens, sehr viel werth: seine Fakultät wird ihn in vielen Dingen schwer vermissen.« 125 Heyder‚ Kritische Darstellung. 126 Vgl. Kolde‚ Universität, 435. 127 Vgl. Heß‚ Will, 244.

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tomie und Tierheilkunde an der Universität übernommen. Durch die unermüdliche Erweiterung der zoologischen Sammlung erwarb er sich große Verdienste um die Erlanger Universität.

3.3 Studium in Berlin von 1866 bis 1867 3.3.1 Studentenleben und Kommentator des Zeitgeschehens Im SH 1866 hatten sich 362 Theologiestudenten an der Universität eingeschrieben: Zu den 66 Nichtpreußen zählte an April 1866 auch A. Hauck.128 Sein dortiges Studentenleben und Theologiestudium waren von politischen Auseinandersetzungen um den Preußisch-Österreichischen Krieg zur Lösung der »deutschen Frage« und vom Krieg selbst nachhaltig geprägt worden: An theologisches Arbeiten war nach A. Haucks eigener Aussage nicht zu denken. Die Fahrt von Ansbach nach Berlin über die sich für einen Krieg rüstende Stadt Wittenberg hinterließ auf A. Hauck einen niederschlagenden Eindruck.129 Am 29. März 1866 hatte Preußen die Mobilmachung seiner Armee angeordnet. Am Tag vor der Rede von Napoleon III. vom 6. Mai 1866 hielt A. Hauck einen Krieg unter deutschen Volksgruppen gerade deshalb für wahrscheinlich, weil der »gebildete Pöpel« einen Krieg aus purer Lust am Annektieren befürworte: [...] es ist dieser traurige Wahnsinn hier tief in alles Volk eingedrungen. Welches falsche Spiel aber dabei die hiesige [preußische, M. T.] Regierung treibt kannst Du daraus sehen, daß während sie noch mit Sachsen verhandelt, heute ein Soldat bei Tische erzählte, daß sein Regiment, wie alle hiesigen Truppen, Marschbefehl erhalten hätten, um am nächsten Mittwoch [9. Mai 1866, M. T.] in Sachsen einzurücken.130

Trost fand der Wahlberliner allein in der Hoffnung, dass der Krieg mit einer Niederlage Preußens ein rasches Ende finde, »daß hoffentlich das Sprichwort in 128 Vgl. Lenz‚ Geschichte III, 496. Im WH 1866/67 erhöhte sich die Studentenzahl auf 401, die der Nichtpreußen auf 68. Als Grund für den Studienortwechsel vermutete F. Hauck, Hauck, 221, dass A. Hauck von der Strahlkraft des Historikers L. Ranke nach Berlin gezogen wurde. Dafür lassen sich aus den persönlichen Briefen A. Haucks an seine Mutter keine Begründungen finden. Der Entschluss zum Studienortwechsel stand für ihn seit Juli 1865 fest, da ein befreundete Kommilitone zum Studium nach Berlin aufgebrochen war. In Berlin fand A. Hauck bei dem Verleger G. Schlawitz, der ein Gönner des Erlanger Theologischen Studentenvereins und ein »furchtbarer Eisenfreßer u[nd] Bismarckler« war, freundliche Aufnahme, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 12. April 1866. Bald urteilte A. Hauck, dass es mit den Berliner Theologen »im allgemeinen nicht weit her« sei, E.W. Hengstenberg zwar ein »sehr verdienter Mann« aber einzig der Philosoph F.A. Trendelenburg ein bedeutender Mann sei, vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Mai 1866. 129 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 14. April 1866: »In Wittenberg sah es ser kriegerisch aus, die Gräben der Festung sind ganz mit Wasser gefüllt, auch ein Theil des vor den äußeren Wällen liegenden Landes ist unter Wasser gesetzt, die Bäume an den Wällen sind geschlagen, u[nd] alles neu verpallisadirt.« Die Wittenberger Bevölkerung verfalle in Depressionen und befürchte wegen der Kriegsvorbereitungen große wirtschaftliche Schäden. 130 TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Mai 1866.

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Erfüllung gehen wird: Hochmuth komme vor dem Fall; man [Preußen, M. T.] thut gerade als ob man mit Österreich so schnell fertig werden könnte als mit Dänemark«.131 Mit der Mobilmachungserklärung der bayerischen Armee vom 9. Mai 1866 änderte sich A. Haucks Situation so grundlegend, dass er eine reguläre Beendigung seines Studiums in Berlin fortan in Zweifel zog. Die militärische Aushebung seines Geburtsjahrganges konnte er im Kriegsfall nicht durch die Offerte eines Ersatzmannes abwenden. Um die gesetzliche Voraussetzung für eine mögliche, aber nicht offiziell bestätigte Befreiung der Theologen von der Wehrpflicht in Anspruch nehmen zu können, hielt er am 12. Juni 1866 im Wochengottesdienst der Bartholomäi-Gemeinde die geforderte Predigt.132 Ende Mai hielt A. Hauck einen innerdeutschen Krieg wegen der Annexionspolitik und Kriegstreiberei Preußens für unabwendbar,133 obwohl die Kriegsbegeisterung der Berliner Bevölkerung in stetiger Abnahme begriffen war: Die Wirtschaft Preußens lag am Boden, kriegsähnliche Zustände belasteten das Alltagsleben der Bevölkerung, Schulen schlossen, Firmenbankrotte nahmen zu. Deshalb fand er es auf ironische Art und Weise »großartig«, dass ein Volk gegen seinen Willen von dem »gewissenlosen« Minister O. Bismarck in einen unüberschaubaren Krieg verwickelt wird.134 Allein weil O. Bismarck Wilhelm I. von Preußen zum Krieg überredet habe, möchte A. Hauck in der bayerischen Armee gegen das preußische Heer kämpfen, »denn weshalb sollte ich, wenn es darauf ankommt, nicht das Gewer ebensogut in die Hand nehmen können wie ein anderer?«135 Nachdem die Schleswig-Holstein-Frage von Österreich vor den Bundestag gebracht worden war, ist nun auch A. Hauck davon überzeugt, dass Preußen »fertig zum Losschlagen« ist: Vor allem der revolutionär denkende, atheistisch 131

TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Mai 1866. Zum Verhältnis von Nation und Konfession in Bayern vgl. Blessing‚ Konfession, 208–226. W.K. Blessing stützt sich in seinen Ausführungen auf die These, dass der Nationalgedanke der Gesellschaft einen eigenen Ordnungsentwurf vorlege und deshalb Identität stifte. Konfessionelle Differenzierungen hätten aber demgegenüber unter der bayerischen Bevölkerung zu unterschiedlichen Lösungsvorschlägen der »deutschen Frage« geführt. Hatte die Schleswig-Holstein-Frage den Nationalgedanken noch in ein überkonfessionelles Blickfeld gerückt, so trat die konfessionelle Disposition erneut hervor, als sich die Auseinandersetzung zwischen den Großmächten Preußen und Österreich stärker im Bewusstsein der Deutschen verankerte. Nach dem Sieg Preußens 1866 beugten sich die bayerischen Liberalen der kleindeutschen Lösung unter Vorherrschaft eines fortschrittlichen Preußens. Schritt für Schritt stellten sich auch die konservativ gesinnten Protestanten auf die Seite des vornehmlich evangelischen Preußens, die Mehrheit der Katholiken aber blieben dem bayerischen Staat gegenüber loyal und empfanden eine religiöse Aversion gegen Preußen. 132 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 16. Mai 1866: A. Hauck lehnte es ab, sein Studium unterbrechen zu müssen, um in einer Kaserne auf den Kriegseinsatz zu warten. 133 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 27. Mai 1866: Fraglich war ihm, ob Bayern zu Kriegsbeginn auf Seite seines Bundespartners Österreich in die kämpferische Auseinandersetzung eingreifen wird. 134 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 27. Mai 1866. 135 TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 27. Mai 1866.

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und kirchenfeindlich eingestellte, von F. Lassalle 1863 gegründete »Allgemeine Deutsche Arbeiterverein«136 und die »Hofpreußen« stünden hinter O. Bismarcks Kriegstreiberei. Die Mehrheit der Konservativen, so schätzte er, sprächen sich zwar gegen diesen Krieg aus, wollten sich aber gegen eine Bedrohung Preußens durch Österreich wehren.137 A. Hauck äußerte hierin eine grundsätzliche traditionelle Loyalitätspflicht gegenüber einem Monarchen, dem preußischen König, die seinen nationalen Ansichten nicht widersprach. Er trug an Preußen eine gewisse nationale Erwartung heran, die vor allem in Preußens evangelischer Konfessionalität gründete. Dennoch hielt er in diesem Loyalitätskonflikt als Bürger zu Bayern, weil er in der Politik des preußischen Ministerpräsidenten eine Aggression gegen die deutschen Einzelstaaten erblickte. Wie den Neulutheranern ging es A. Hauck hier also weniger um den Staat, der von Berufspolitikern organisiert wurde, als um die Gesinnung des Königs. Er dachte national anders als der politische Liberalismus und der liberale Protestantismus, wenn er die traditionell-konservative Ansicht einer »Nation als sittliche Gemeinschaft kraft Volkscharakter und christlicher Haltung, verbunden durch einen religiösmoralischen Habitus«138 vertrat. Am 9. Juni 1866 besetzte Preußen das von Österreich verwaltete Holstein, einen Tag später legte es einen Reformplan des Norddeutschen Bundes unter Ausschluss Österreichs vor. Daraufhin forderte am 11. Juni 1866 Österreich die Mobilisierung der nicht-preußischen Bundesheere. Da die betreffenden Länder diesen Antrag annahmen, marschierte Preußen am 15. Juni 1866 zuerst in Sachsen ein. Am 16. Juni wurde die Bundesexekution beschlossen.139 Den Kriegsverlauf hatte der »bayerische Student im Feindesland« so nicht erwartet: Bis zum 29. Juni 1866 waren die hannoversche und die kurhessische Armee geschlagen, am 3. Juli 1866 gelang dem preußischen Heer der Sieg über das österreichische in der Schlacht bei Königsgrätz. Sachsen und Kurhessen wurden von Preußen als annektiert angesehen. A. Hauck zeigte sich enttäuscht: Er hatte nicht erwartet, dass die Kleinstaaten und Österreich so schnell durch Preußen hätten besiegt werden können.140 So wie die Popularität O. Bismarcks 136

Vgl. Greschat‚ Zeitalter, 132. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. Juni 1866: »[...] zum Krieg drängt nur ein ser kleiner Theil der Linken, die Socialdemokraten, in deren Zeitungen man Artikel lesen [könne] des Inhalts: Preußen habe jetzt das Messer in der Hand, jetzt solle es auch kein Weib sein u[nd] sich dumm-gewissenhafte Bedenken machen, sondern jetzt solle es frisch darauf losschneiden, eine solche Gelegenheit käme nicht sobald wieder.« A. Hauck bewertete den Krieg als größten Schaden für die Einigung Deutschlands. 138 Blessing‚ Gottesdienst, 231. 139 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 17. Juni 1866: A. Hauck sehnte sich nun nach friedlichen Zuständen: »Möge uns nur Gott einen baldigen siegreichen Frieden verleihen! Hier verläßt man sich auf gezogene Kanonen u[nd] Zündnadelgewere u[nd] stützt sich auf den Korstab Italien u[nd] treibt ›hohe‹ Politik. Hoffentlich werden sie bald merken, daß Gott die hohen Augen demütigt.« 140 Vgl. Blessing‚ Staat, 132: »Der Schock der Niederlage, die Not der unterfränkischen Kampfgebiete, die deprimierende Rückkehr der ruhmlosen Truppen, die durch die Besetzung nachdrücklich 137

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in der Berliner Bevölkerung wuchs, stieß sie in A. Haucks patriotischpartikularistischen Ansichten auf heftige Ablehnung.141 Es zeigte sich, dass er der nationalen Einigung durch die Annexionspolitik Preußens skeptisch gegenüberstand: Er positionierte sich damit im Gegenüber zum liberalen Protestantismus und zum Ultramontanismus. Dass Preußen und Mecklenburger später bis nach Franken eindrangen, führte auch bei A. Hauck zu einem innerlichen Konflikt, da fremde, konfessionsgleiche Truppen die Heimat besetzten, während der katholische Summepiskopus mit der Apostolischen Majestät von Österreich gegen diese Glaubensbrüder vorging.142 Mitte Juli 1866 erwartete A. Hauck, dass bis zum Herbst Frieden geschlossen wird, falls nicht Napoleon III. eingreife: Dem Studenten behagte es nicht, gemeinsam mit den Franzosen gegen die Preußen kämpfen zu müssen.143 Die neue politische Konstellation hatte nun auch ihn sich mit der kleindeutschen Lösung der nationalen Frage arrangieren lassen. Im April 1867 wurde der nach Ansbach zurückgekehrte Student in seiner Semesterpause zur Ersatzmannschaft der Infanterie einberufen und nach einem Monat Übung wieder beurlaubt, sodass er sein Studium am 6. Mai 1867 in Erlangen fortsetzen konnte. Der Sieg Preußens wirkte sich auch auf kirchenpolitische Entscheidungsprozesse aus. E.W. Hengstenberg und mit ihm viele Gleichgesinnte forcierten das Ende der preußischen Unionsbestrebungen und verlangten den Zusammenschluss aller lutherischen Gemeinden in den neupreußischen Provinzen mit denen Preußens sowie die Gründung einer Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Preußen. Der preußische König und der EOK unterstrichen demgegenüber die Bedeutung der Union. O. Bismarck gelang es in dieser Situation, die Eigenständigkeit der Provinzialkirchen zu bewahren. Im WH 1866/67 hatten diese Auseinandersetzungen auch A. Haucks Interesse gefunden. Der Student befürchtete, dass die Lutheraner sich einer Kabinettsordre nicht widersetzen könnten: Ich glaube dieser Kampf, der jetzt gekämpft wird, ist wichtiger u[nd] folgenreicher als der des vergangenen Sommers. Gebe Gott, daß er zu einem entschiedenen Sieg fürt. Ich habe wenig Hoffnung; ich fürchte einen faulen Frieden. Zwar hat die Bewegung wie ich glaube noch nicht iren Höhepunkt erreicht, aber werden sie auch aushalten?144

erlebte preußische Macht ließen dann allerdings den Pegel des Patriotismus in Neubayern wieder rasch fallen.«, vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Juli 1866: »Aber die Mittelstaaten mögen nur so fortfaren einer den anderen im Stich zu lassen; das ist das sicherste Mittel daß sie alle zu Grund gehen. Was ist es auch für eine Idee, einen alten abgelebten Mann wie unseren Prinzen Karl zum Oberfeldherrn zu machen!?« 141 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Juli 1866: »Welches Heil daraus entstehen kann vermag ich nicht einzusehen; ich fürchte es wird nichts folgen als Unheil.« 142 Vgl. Blessing‚ Gottesdienst, 236: »Das kirchlich-evangelische Bayern empfand diesen Krieg wahrhaft als Bruderkrieg, in dem nationale Identität ziellos und die Staatstreue belastet wurde.« 143 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 15. Juli 1866. 144 TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 8. Dezember 1866.

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In Berlin besuchte A. Hauck die Gottesdienste der separierten Lutheraner: Die Predigten von F. Lasius fanden sein Wohlwollen, hier nahm er das Abendmahl ein.145 Weil A. Hauck die preußische »künstliche und schwache« Gottesdienstliturgie nicht zusagte, mied er die von G. Schlawitz empfohlenen Gottesdienste im Bethanien-Diakonissenkrankenhaus. Auch sagte ihm die »typisch norddeutsch-preußische« phrasengeschmückte Predigtweise, wie sie der berühmte Berliner Prediger L. Büchsel gebrauchte, nicht zu.146 Die Auseinandersetzungen um Politik und Kirche beeinträchtigten auch A. Haucks Visiten bei den Professoren. Wie schon in Erlangen wurde der Student auch in Berlin zu gesellschaftlichen und privaten Abenden seiner Dozenten eingeladen. Anfangs nahm er diese Angebote gern wahr, zum Ende seines Studiums hin empfand er sie als lästige Verpflichtungen, die zu einem »liederlichen Studentenleben« beitrugen, weil solche Vergnügungen am theologischen Arbeiten hinderten:147 Die Abende verbrachte der Student montags beim Ehepaar Schlawitz, dienstags mit einer Diskussionsrunde bei R. Kranichfeld über das Buch Daniel und mit parallellaufendem Aramäisch-Unterricht, mittwochs beim »Konkordienformelabend« bei G. Schlawitz, donnerstags in der Sozietät bei I.A. Dorner, die sich mit Augustin beschäftigte, freitags mit einem Museums- oder Theaterbesuch148 oder persönlichen Einladungen. Allein über die Weihnachtsfeiertage 1866 fand A. Hauck Zeit, eine wissenschaftliche Hausarbeit über das alttestamentliche Opferverständnis für A. Dorners Sozietät, in der sich Studenten mit unterschiedlichen theologischen Prägungen trafen,149 anzufertigen.150 Von den Berliner theologischen Dozenten erwartete er im Januar 1867 keine weiteren Anregungen für sein theologisches Denken: Mir geht es soweit gut, nur daß ich mich fortwärend ärgere, hier so zwecklos meine Zeit hinbringen zu müßen. Neulich sagte ein Bekannter, der auch in Erlangen war, man werde durch Erlangen was die Theologie anlange blasirt; denn es wolle einem, wenn man einmal die dortige gekostet habe, keine andere mer zusagen; u[nd] wenigstens was mich anbetrifft, hat er ganz recht: mir scheinen die hiesigen Profeßoren beinahe sämtlich furchtbar 145 Vgl. TFIfKGL‚ Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Mai 1866 und vom 26. Dezember 1866. Zu der altlutherischen Gemeinde und ihrer hundertjährigen Geschichte vgl. die sehr persönlich gehaltene Darstellung von Stier, 100 Jahre, 59: »Lasius Predigten gingen immer in gut bekenntnismäßig-lutherischer Weise auf die heilige Taufe als das Bad der Wiedergeburt zurück.« 146 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. Juni 1866. 147 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 9. Dezember 1866. 148 TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 24. Mai 1866. Die Gemäldegalerie besuchte A. Hauck häufig. Vor allem die Kaulbachschen Wandfresken, ein Bildzyklus über die gesamte kulturgeschichtliche Entwicklung der Menschheit, fanden sein reges Interesse. 149 Vgl. A. Dorner‚ Dorner‚ 42. 150 Vgl. TFIfKGL‚ Zeugnisabschrift vom 12. März 1867: »Daß Herr stud. theol. Hauck aus Baiern meine Vorlesungen über Symbolik, sowie meine theolog[ische] Societät sehr fleißig besucht, dabei wissenschaftlichen Sinn und Eifer gezeigt, auch eine wackere Arbeit eingeliefert hat, bezeugt [...].« Zu Beginn spürte A. Hauck eine gewisse Abneigung gegenüber der Verschiedenheit der theologischen Prägungen der Studenten, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 27. Mai 1866.

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hol u[nd] ledern u[nd] langweilig u[nd] fad u[nd] ich weiß nicht was alles noch. Ich glaube in Erlangen kann man an einem Tag mer lernen als hier in einem Monat.151

Dass die Berliner Semester teurer wurden als gedacht, ärgerte ihn zunehmend.152 Verstärkt wurde sein Unmut durch einen Beschluss der Stipendienverordnung des bayerischen Ministeriums, der an auswärtigen Universitäten Studierenden jede staatliche Unterstützung verweigerte: Nun meinetwegen mögen sie Bayern hermetisch verschließen u[nd] es zu einem großen Schafstall mit Stallfütterung machen, es wird dergleichen Unsinn nur dazu dienen, Annexionisten zu erzeugen, wie ich nächstens einer sein werde, wenn man uns alle Luft abschneidet; denn das ist geradezu Mord jeglicher Wißenschaft. Es ist ser schlau ausgesonnen, daß nur das Ministerium selbst von dieser Bestimmung dispensiren kann; denn da wird natürlich unser ultramontaner Kultusminister nur dispensieren wenn einer nach Österreich will, ja einem solchen wird er noch etwas schenken.153

3.3.2 Professoren und Lehrveranstaltungen Bei I.A. Dorner gewann A. Hauck Einblicke in eine spekulative, vom hegelianischen Spätidealismus inspirierte Theologie, die dem jungen Studenten widerstrebte, weil sie zu »objektiver Langeweile« führte.154 Er hörte Vorlesungen über »Ethik und christliche Moral« im SH 1866 und im WH 1866/67 über »Komparative Symbolik«.155 A. Dorners Theologie, die auf I. Kants ethischem Idealismus und F.D.E. Schleiermachers Religionsbegriff basierte, bestimmte das Wesen des Sittlichen nicht anthropologisch, sondern leitete es entwicklungsgeschichtlich aus dem transzendenten Wesen Gottes und aus der Teleologie der Geschichte ab.156 Vom Postulat eines christlich gedachten Gottes her erklärte er die Sittlichkeit der Welt, die er in der Gottmenschheit Jesu vollkommen realisiert sah. Bemühte sich I.A. Dorner zwar, die Werte eines überlie151

TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 25. Januar 1867. Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 23. Februar 1867: In den Monaten Januar und Februar 1867 zahlte A. Hauck 65 Taler für Miete, Heizung, Bedienung, Reisekosten und das Berliner Abgangszeugnis. Um einerseits Geld zu sparen und weil andererseits das Vorlesungsverzeichnis der Erlanger Fakultät ihm zusprach sowie er an den mittelmäßigen Zuständen des Theologischen Studentenvereins litt, entschied sich A. Hauck gegen ein Studium in Leipzig oder Tübingen. 153 TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 23. Februar 1867. 154 TFIfKGL‚ Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 18. Januar 1867 und vom 8./9. Dezember 1867. A. Hauck bemerkte ironisch, dass er lieber Landpfarrer werden will, als wie I.A. Dorner Theologie zu treiben: »[...] da hätte ich doch wenigstens noch Sinn für lebendige Kühe u[nd] Ochsen und nicht nur für solche grauen schattenhafte Dinge, gemeiniglich Ideen genannt, die alle schwindsüchtig sind von Geburt an, weil sie das Licht der Welt niemals erblickt haben«. 155 Vgl. Kirn‚ Dorner, 807, 20–23: I.A. Dorners Vorlesungen über christliche Ethik übten große Anziehungskraft auf die Studenten aus, »kam doch in ihnen die Durchdringung von universeller Humanität und christlichem Ethos zu unmittelbarem Ausdruck, welche die Seele seiner theologischen Arbeit bildete«. 156 Vgl. Kirn‚ Dorner, 804, 3–7. 152

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ferten Glaubens in Lösungen ethischer und dogmengeschichtlicher Fragestellungen zu transformieren, so gelangten aber seine Interpretationen nicht zur Akzeptanz in der Gesellschaft und in der theologischen Wissenschaft.157 Da seines Erachtens Ethik und Dogmatik aufgrund ihrer Geschichtlichkeit in einem gegenseitigen Wechselverhältnis stünden, beschäftigte sich I.A. Dorner gerade in seiner Symbolik-Vorlesung mit der historischen Entfaltung des christlichen Prinzips.158 Den reformatorischen Glauben sah er sowohl auf der Rechtfertigungslehre als auch auf der Heiligen Schrift gegründet: »Es geht ihm darum, das Rechtfertigungsprinzip durch die Trinitätslehre auf eine objektive Basis zu stellen. Dabei leitet ihn die Einsicht in das Wesen des Glaubens selbst. Dieser ist unmittelbare Gewißheit von Gott als seinem Grund und verweist daher an sich selbst auf Gott als das ihn Begründende.«159 Indem der Berliner Systematiker Dogmatik als spekulative Wissenschaft trieb, berücksichtigte er die Regeln der philosophischen Logik: Zwar liege in der religiösen Erfahrung des Individuums der materiale Inhalt der Glaubenslehre vor, diese müsse aber spekulativ durchdrungen werden. Das Christentum betrachtete er infolgedessen vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Einheit von Idee und deren Realisierung in der Geschichte. Gegen eine spekulative Theologie wandten sich der Philosoph F.A. Trendelenburg160 und der Theologe A. Twesten. A. Hauck besuchte F.A. Trendelenburgs Vorlesungen über die »Logik« und über die »Geschichte der Philosophie«. Auf den Überlegungen des Aristoteles aufbauend, interpretierte F.A. Trendelenburg die organische Entwicklung der Geschichte. Seine ethischen Anschauungen aber stießen in der Öffentlichkeit auf heftige Kritik. Über die »Philosophischen Principien der Theologie« hörte A. Hauck bei A. Twesten. Sowohl gegen die spekulative als auch gegen die neuorthodoxe Theologie führte er die Tradition seines Lehrers F.D.E. Schleiermacher fort: Zum einen hob er den kirchlichen Charakter der Theologie hervor, zum anderen vertrat er die Ansicht, dass Theologen Interesse an einer wissenschaftlichen Gründlichkeit und an der geschichtlichen Entwicklung des kirchlichen Lehrbegriff zeigen sollten.161 Er konstatierte, dass philosophische Kategorien in theologisches Denken eingeführt werden müssen, um die theologischen Ge157

Vgl. Kantzenbach‚ Evangelischer Geist, 138. Vgl. Rothermundt‚ Dorner, 155, 33. 159 Axt-Piscalar‚ Grund des Glaubens, 254. 160 Zu F.A. Trendelenburg vgl. A. Richter, Trendelenburg, 469–472. 161 Vgl. Lenz‚ Geschichte II/2, 111f: »So nahm Twesten an unserer Universität in der Theologie die Stellung ein ähnlich derjenigen, welche sein Freund und Landsmann Trendelenburg zur Philosophie hatte. Beide waren klare norddeutsche Naturen, verständig und maßvoll, zu skeptisch, um sich der Wucht, mit der die empirische Forschung in die Welt der Natur und der Geschichte eindrang, zu entziehen, und zu ehrlich, um mit der Zuversicht der Alten ein Gott und Welt umspannendes Denk- und Glaubenssystem aufzubauen; und dennoch beide erfüllt von dem Glauben an Ewigkeitswerte, welche dem Hoffenden und Strebenden, dem unermüdlich Schaffenden sich entfalten müssen, [...]. Hand in Hand damit ging bei ihnen eine wachsende Neigung zu historischen Forschungen.« 158

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genstände erschöpfend begreifen zu können.162 A. Twestens Hang zu F.D.E. Schleiermacher erkannte A. Hauck früh. Dies führte ihn zu der Bemerkung: F.D.E. Schleiermacher sei der »Gott« der Berliner Theologen.163 Neben Vertretern einer hegelianisch-spekulativen und einer theologischphilosophischen Theologie neigte A. Hauck in Berlin sein Interesse biblizistisch geprägten Theologen zu. Im WH 1866/67 besuchte er bei E.W. Hengstenberg die exegetische Vorlesung über die »Leidensgeschichte [Jesu]«. E.W. Hengstenberg kritisierte die rationalistische Schriftauslegung164 und ging als Lutheraner publizistisch gegen jede Form von Liberalismus in Kirche und Theologie vor. Obwohl sich A. Hauck von E.W. Hengstenbergs Polemik distanzierte, schätzte er dessen strenggläubige lutherische Theologie und sein Eintreten für die CA.165 In Berlin trat E.W. Hengstenberg in bewussten Gegensatz zur maßgebenden Hegel-Schule.166 In seinen exegetischen Arbeiten betrieb er eine christologische Auslegung des Alten Testaments. Lutherisches Bekenntnis, altprotestantischer Lehrbegriff und die Autorität der Bibel galten für ihn als die Basis allen theologischen Nachdenkens.167 Auf diesen Bekenntnissen gründete seiner Meinung nach die Existenz der Kirche, »denn die gemeinsame Glaubensauffassung ist von allergrößter Bedeutung für die kirchliche Einheit«.168 Unter dem Einfluss J. Stahls gelangte E.W. Hengstenberg zu der Erkenntnis, dass Theologie und kirchliches Leben sich auf dem Hintergrund eines unsichtbaren Glaubensinhaltes öffentlich beweisen muss.169 Wie E.W. Hengstenberg wandte auch der Berliner Universitätsprediger F. Steinmeyer eine biblizistische Schriftauslegung an. A. Hauck hörte bei ihm die 162

Vgl. Heinrici‚ Twesten‚ 173, 43–47. Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 24. Mai 1866. 164 Vgl. Mehlhausen, Hengstenberg, 40, 15. 165 Vgl. TFIfKGL‚ Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Mai 1866: »In seinen [E.W. Hengstenbergs, M. T.] Sprechstunden benimmt er sich wie Sokrates oder Plato [...]. Doch ist er jedenfalls immer ein ser verdienter Mann, u[nd] vertritt eigentlich hier ziemlich allein die strenggläubige Theologie, denn die vielen Licentiaten, die immer nur reine Abklätsche von ihm sind, kommen kaum in Betracht; nur ist das so sehr unangenehm bei ihm, daß er sich so viel gerade auf die Art seiner Theologie einbildet u[nd] immer nur allzuser geneigt ist, diejenigen, welche dasselbe in einer anderen Form wollen u[nd] lehren als er, für Ketzer u[nd] Rationalisten zu erklären, obgleich man ihm selbst sehr oft Rationalismus vorwerfen könnte, u[nd] vielleicht mit vielmehr Recht als er jenen.« 166 Fagerberg, Bekenntnis, 83: »Hengstenberg interessierte sich sehr wenig für systematischtheologische Fragestellungen, und seine philosophische Bildung war ziemlich dürftig.« Schon A. Kahnis urteilte ähnlich, vgl. Kahnis, Gang, 206: »Als Theologe war Hengstenberg weder für die historische, noch für die systematische, noch für die praktische Theologie bestimmt so eingehend auch die Kenntnisse waren, die er auf diesen Gebieten hatte. Selbst die neutestamentliche Auslegung war eigentlich nicht sein Gebiet. Er war alttestamentlicher Theologe.« 167 Vgl. Elliger, 150 Jahre, 28: E.W. Hengstenberg »hat seiner inneren Labilität durch eine selbstgewollte Bindung an eine normative Kirchlichkeit entgegengewirkt und seine wissenschaftlichen Fähigkeiten einem bewußten Doktrinarismus unterworfen.« 168 Fagerberg, Bekenntnis, 48f. 169 Vgl. ebd., 41f. 163

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Vorlesung über die »Briefe an Timotheus und Titus«. F. Steinmeyer, der in seinem Theologiestudium von F.D.E. Schleiermacher und R. Rothe beeinflusst worden war, entfaltete auf der Grundlage einer erbaulichen Exegese eine glänzende Predigertätigkeit.170 Dennoch haftete ihm der Mangel methodischer Unexaktheit an: Als Parteigänger E.W. Hengstenbergs lehnte er einen formalen Dogmatismus und jede Art von rationalistischer Bibelbetrachtung ab.171 Seine geschichtlichen Interessen befriedigte A. Hauck bei L. Ranke und H. Weingarten. Bei letzterem, dem »wohl bedeutendste[n] Vertreter der Haseschen kirchenhistorischen Schule«172 hörte er die Vorlesung »Geschichte und Lehrbegriff der protestantischen Secten« sowie die beiden Teile der Vorlesung über Kirchengeschichte. H. Weingarten hatte die aprioristische Geschichtsanschauung der Tübinger Schule anfangs zwar zurückgewiesen, sie aber später mehr und mehr auf die Betrachtung des Entwicklungsganges der Alten Kirche übertragen:173 Nun interpretierte er die Kirchengeschichte anhand eines ihr innewohnenden Wirkens Gottes. Seine Methode gründete auf einem tiefschürfenden Quellenstudium und auf der Interpretation von Ereignissen und Personen aus ihren historischen Zusammenhängen heraus. Sie führte im Ergebnis zu einer schlichten erzählerischen Historiographie.174 Im WH 1866/67 besuchte A. Hauck L. Rankes Vorlesung »Neueste deutsche Geschichte (in Verbindung mit der allgemeinen) seit 1792«.175 Dessen historisches Nachdenken war von den Erfahrungen französischer Hegemonie und der deutschen Nationalbewegung geprägt worden.176 Er stand dem preußischen Staatskonservatismus nahe.177 L. Ranke gilt als der Begründer der wissenschaftlich fundierten historischen Erzählung:178 Vom geschichtlichen Einzelereignis gelangte er zur Anschauung allgemeiner Ansichten.179 Personalismus und Kollektivismus sah L. Ranke als 170

Vgl. Elliger, 150 Jahre, 54. Vgl. Kawerau, Steinmeyer, 798, 58–799, 3. 172 F.Ch. Arnold, Weingarten, 62, 47–51: »Aber was er [H. Weingarten; M. T.] von Hase mitnahm, war nicht so sehr dessen rationalistischer Standpunkt, obwohl dieser nicht ohne Einfluß auf ihn blieb, als die historische Betrachtungsweise, ästhetisches Verständnis, Wertlegen auf geschmackvolle Darstellung, Freude am Charakteristischen und Individuellen, verbunden mit dem Blick für das Wesentliche in den mannigfachen Erscheinungsformen der christlichen Frömmigkeit.« 173 Vgl. Jülicher, Weingarten, 367. 174 Vgl. Elliger, 150 Jahre, 61: »Seine Gabe intuitiven Erfassens und geistvoller Kombination war wohl größer als sein Vermögen kritischer Analyse, und die Geistigkeit eines übersteigerten Intellektualismus war nicht die Atmosphäre, in der sein außergewöhnlicher Scharfsinn zu leben vermochte.« 175 Vgl. Berg, Ranke, 245. Zu L. Ranke vgl. Vierhaus, Idee, 337–345; Vierhaus, Ranke, 346–357. 176 Vgl. Hardtwig, Ranke, 133, 50–52. 177 Vgl. ebd., 134, 19f: »Neben dem Staat sah er die Religion als maßgebliche Potenz für die Herausbildung des spezifisch europäischen Staatensystems an.« 178 Vgl. ebd., 134, 51–53. 179 Vgl. Demandt, Ranke, 27–32: L. Ranke verknüpfte die Ergebnisse seiner Quellenkritik mit einer modernen historischen Erzählung der Ereignisse. Er verfuhr damit an der Nahtstelle zwischen Geschichtswissenschaft und Literatur. Der Forscher prüft die Überlieferung, der Erzähler organisiert den Stoff für die Darstellung. L. Rankes Erzählung erstreckte sich auf drei Ebenen: auf der grundlegen171

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Grund und Folge geschichtlicher Entwicklung. Seiner Meinung nach vereinigte exemplarisch der Volksbegriff Individualität und Universalität. Mit J.G. Herder, G.E. Lessing und G.W.F. Hegel verband er die einzelnen geschichtlichen Ereignisse zu einer universalen Einheit: So konnten geschichtliche Einzelentscheidungen allgemeinen epochalen Tendenzen unterliegen. L. Ranke sah geschichtliches Handeln als providenzgetragen an: Jede geschichtliche Betrachtung gründet auf einem Gottesbewusstsein, Erkenntnissuche in der Geschichte ist immer auch Suche nach der Erkenntnis Gottes. Mit seinem vorrangig geschichtstheologisch abgesicherten Objektivitätsideal distanzierte er sich vom Fortschrittsgedanken in der Universalgeschichte. In Anlehnung an den deutschen Idealismus deutete er den Fortschritt eher quantitativ statt qualitativ, d.h. er interpretierte die historischen Ereignisse als Erscheinungen individueller Ideen. Die Aufgabe der Menschheit entdeckte er in der Entwicklung der Kultur, die des Staates und der Kirche in der Sicherung der Ordnung: Kultur entwickelt sich dann, wenn sich der Staat bzw. die Kirche ihrer inhärenten Aufgaben bewusst werden. L. Ranke unterschied dabei zwischen Volkstum bzw. Nationalität und Staatlichkeit. In seiner Geschichtsbetrachtung standen sich die Staaten und Nationen in einem Kräfteverhältnis gegenüber.180 Für sein Weltbild waren drei Aspekte bedeutsam: sein Wissenschaftsbegriff, seine Geschichtsauffassung und sein Verhältnis zur Politik. L. Ranke bemühte sich um neutrale Sachlichkeit und stellte dabei seine persönliche, politische und moralische Wertung zurück. Dennoch gab er auch der Möglichkeit, die Geschichte nach humanitären Maßstäben zu kritisieren, nach.181 Nach seinem Diktum sollte eine freie und objektive Wissenschaft erst in das Leben eingreifen, nachdem die geschichtlichen Tatsachen mit wissenschaftlicher Methodengenauigkeit ermittelt wurden.182 Die deutsche Geschichte der Gegenwart thematisierte er zwar in seinen Vorlesungen, in seinen Veröffentlichungen spielte sie jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Die Schwierigkeit einer objektiven Darstellung der Gegenwart zwang ihn zu diesem vorsichtigen Umgang. Forschungsschwerpunkte setzte er bei den individuellen Ereignissen und Entscheidungen in der Geschichte. In der den Ebene die Beschreibung der Einzelbegebenheit, darauf aufbauend der Bereich der großen Begebenheiten, abgeschlossen durch die großen Konflikte der providentiellen Notwendigkeit; vgl. ebd., 41: Um der Entzweiung des Wissens entgegenzutreten, definierte L. Ranke die Historie über die Historiographie, d.h. er vollzog einen Paradigmenwechsel »von der enzyklopädischen zur ästhetischen Organisation des historischen Wissens«. Mit literarischen Stilmitteln sollten die historischen Erfahrungen zusammengedacht und an eine breite Bevölkerungsschicht vermittelt werden können. 180 Vgl. ebd., 37: »In den Kämpfen um Machtaneignung und Machtverteidigung entfaltet sich die Individualität der Personen, Völker und Staaten.« 181 Vgl. ebd., 12. 182 Vgl. ebd., 39f: L. Ranke sah die praktische Aufgabe der Historie im »Orientierungswissen als Ergebnis theoretischer Anstrengung mit praktischer Wirkung. Seine Geschichtsschreibung will Identität stiften: ein methodisch sauber geklärtes Wissen darüber, woher wir kommen, dient als Wegweiser, wohin wir zu gehen haben.«

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Vorlesung »Deutsche Geschichte seit 1792« behandelte L. Ranke u.a. die Frage nach dem Hegemonialstreben des revolutionären und des konservativen Europas: Seit der Französischen Revolution verlaufe die Geschichte »regelgeleitet, im Rahmen einer Ordnung und in den Grenzen eines vollendeten Systems [Hervorhebung im Original] von Beziehungen, das selbst nicht dem Wandel unterworfen sein soll«.183 Interpretierte L. Ranke die Geschichte bis zur Französischen Revolution noch mit Hilfe des Wechsels von Kampf und Vermittlung zwischen Staat, Kirche und Völkern, so betrachtete er in seinem eigenen Zeitalter diese historischen Kräfte als in einem mechanischen System gleichgewichtet.184 Im SH 1866 vertiefte A. Hauck im Rahmen der »Archäologischen Übungen« unter Leitung von F. Piper seine künstlerischen Neigungen.185 F. Piper, der sein wissenschaftliches Handwerkszeug bei A. Neander erlernt hatte, hatte seine Liebe zum christlichen Kalenderwesen und zu den christlichen Monumenten entdeckt. Mit Hilfe Friedrich Wilhelms IV. von Preußen gründete er 1849 das »Christliche Museum« in Berlin und blieb bis zum Lebensende dessen Direktor.186 Für die Anfänger von archäologischen Forschungen galt diese Ausstellung als zuverlässiger Leitfaden. In seinen Vorlesungen thematisierte F. Piper vor allem das christliche Altertum. Daneben analysierte er den Quellenwert von Bildwerken und Denkmälern in dem von ihm begründeten Fachbereich »Monumentale Theologie«. Praxisnah hielt Piper seine archäologischen und epigraphischen Übungen in den Museumsräumen ab.187 In seinen Ausarbeitungen ließ er vornehmlich die Inhalte der Monumente gelten, ihr Verhältnis zur Kunstgeschichte fand sein Interesse nicht. In den Werken der christlichen Kunst erkannte er eine unschätzbare Quelle für die Kirchengeschichte: »Besonders für die Erforschung des christli183

White, Metahistory, 221. Vgl. ebd., 221: »Bewegung, Wachstum und Entwicklung sollen weitergehen, freilich auf einer Grundlage, die deutlich von der unterschieden ist, die vor [Hervorhebung im Original] dem vollständigen Aufbau der Elemente im System bestanden hatte.« 185 A. Hauck äußerte sich zu Beginn des neuen SH kritisch über F. Pipers Seminarstil, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Mai 1866: »Piper ist ein höchst sonderbarer Mann, hastig u[nd] eilig in seiner Sprache wie in all seinen Bewegungen, springt er auch in seinen Reden von einem Gedanken zum andern, ohne jemals einen bis ans Ende zu verfolgen.« Als Professor für Kirchengeschichte urteilte A. Hauck wohlwollender, vgl. A. Hauck, Piper, 405, 11–16: »Die archäologischen Übungen, die er in seinen [des christlichen Museums der Berliner Universität, M. T.] schönen Räumen mit den Studierenden abhielt, waren vielleicht manchmal etwas springend und unmethodisch, aber anregend waren sie immer, und kein Teilnehmer wird je aufhören dankbar des Greises zu gedenken, dessen Begeisterung für die Sache, die er trieb, nur übertroffen wurde von dem Wohlwollen und der Freundlichkeit gegen die Schüler, deren Führer er war.« 186 Vgl. Schwarze, Piper, 67: »Durch einen staatlichen Zuschuß von jährlich 1500 Mark, sowie durch geschenkweise Zuwendungen und die treue, unermüdliche Sammlerthätigkeit seines Gründers und Directors gelangte des christliche Museum bald zu einem ansehnlichen Bestande, dessen werthvollstes Stück neben den großen litterarischen Werken ein Gypsabguß vom Sarkophag des Junius Bassus, eines römischen Stadtpräfekten aus dem 4. Jahrhundert, war.« 187 Vgl. Lenz, Geschichte III, 20. 184

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chen Lebens kämen sie in Betracht; denn in ihnen offenbare sich der religiöse und sittliche Charakter jedes Zeitalters, man sei berechtigt, von dem, was den Künstler erfüllt, einen Schluß auf die Gesamtheit zu machen.«188 Auf dieser Grundlage hielt F. Piper sechs Vorlesungen in einem Abstand von drei Semestern ab: Archäologie der biblischen Urgeschichte und des Lebens Jesu, Monumentale Kirchengeschichte, Monumentale Dogmatik, Archäologische Kritik und Hermeneutik, Epigraphik des christlichen Altertums, Quellenkunde der Kirchengeschichte.

3.4 Studium in Erlangen von 1867 bis 1868 Zum SH 1867 übernahm A. Hauck die Senioralgeschäfte des Studentenvereins:189 Er war Leiter und oberster Repräsentant des Vereins, zeichnete verantwortlich für die Organisation des jährlichen Stiftungsfestes zu Pfingsten.190 In seinem Amt kam er mit den Erlanger Professoren, vor allem aber mit von F.H.R. Frank und F. Delitzsch in einen intensiven persönlichen Kontakt.191 Neben den Aufgaben im Verein widmete sich A. Hauck in seinen zwei vorletzten Semestern verstärkt praktisch-theologischen Vorlesungen und Seminaren. Die Praktische Theologie vertrat seit 1866 G. Zezschwitz192, der über Homiletik, Katechetik, Liturgik und Pastoraltheologie las und katechetischhomiletische Seminare anbot. Der Stil seiner Vorlesungen und deren Lehrinhalte begeisterten den Erlanger Studenten nicht.193 Haucks Interesse fanden demgegenüber die katechetisch-homiletischen Seminare,194 obwohl der Dozent 188

A. Hauck, Piper, 404, 37ff. A. Hauck hatte in Berlin von der Situation des Erlanger Theologischen Studentenvereins gehört und beschlossen, die Statuten wieder in Anwendung zu bringen, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 25. Mai 1867. Öfters hielt er wissenschaftliche Vorträge, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 25. Mai 1867. 190 Vgl. Möller, Wissenschaft, 141: »Das konnte eine recht einflußreiche Aufgabe sein, denn der hohe Grad der Formalisierung machte dies zu einem wichtigen Teil des täglichen Zusammenlebens.« 191 An den Professorenvisiten fand A. Hauck Gefallen. In angenehmer Erinnerung blieb ihm die Einladung bei K. Heyder, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 4. Juni 1867. 192 Zu G. Zezschwitz vgl. Ficker, Zezschwitz, 670–674; Ambrosy, Zezschwitz, 663–665. 193 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 25. Mai 1867. Zwar vermittle G. Zezschwitz viel Wissensstoff, doch fehle nach Meinung A. Haucks deren notwendige Zuspitzung und Konkretisierung; auch vermag der Dozent den Stoff nicht vollkommen zu beherrschen, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 15. Juli 1867: »Überhaupt ist das Urteil über in im Allgemeinen ein ser ungünstiges, nur die äußersten Löhaner schrauben sich in eine Art Begeisterung für in hinauf: die meisten andern haben jetzt schon den Geschmack an dieser allzu gewürzten Speise verloren. [...] Zezschwitz’ Predigt von vor einiger Zeit dagegen war weder einf[ach], noch kam sie von Herzen, sondern ein guter Theil derselben waren nichts als hohe u[nd] tiefempfundene Worte: summa summarum Zezschwitz ist ein tönendes Erz u[nd] eine klingende Schelle.« 194 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 8./9. Dezember 1867: A. Hauck schätzte G. Zezschwitz’ Predigtrezensionen, »denn das muß man im laßen, daß wenn s[eine] Vorlesungen auch nicht besonders sein mögen, sein Seminar doch ausgezeichnet ist.« 189

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seinen studentischen Predigtentwurf nicht günstig beurteilte.195 Dennoch prägte G. Zezschwitz A. Haucks praktisch-theologische Ansichten und bemühte sich, ihn auf dieser wissenschaftlichen Ebene zu fördern.196 Im WH setzte sich dieses »komische Verhältnis« zwischen dem Studenten und dem Dozenten fort: Anziehung und Abstoßung zugleich, mit Betonung der Abstoßung.197 Sein Wohlwollen erregte 1868 das von G. Zezschwitz gegründete Studienhaus, weil es Studenten aller theologischen Richtungen offen stand. Auch G. Zezschwitz’ Eintreten gegen innerprotestantische Unionsbestrebungen und sein »sakramentstheologischer Entwurf von Praktischer Theologie«198, der auf das Modell einer Volkskirche ausgerichtet war, stießen bei A. Hauck auf Zustimmung. Seine Theologie basierte vornehmlich auf dem altprotestantischen ordo salutis.199 Sie folgte nicht dem Subjektivismus J.Ch.K. Hofmanns, sondern suchte in Anlehnung an G. Thomasius, A. Harleß und A. Oettingen nach einem objektiven Fundament für die Kirche: Seiner Meinung nach verwirklicht sich letztlich in der Kirche das Reich Gottes in der Welt.200 Seinen Kirchenbegriff entlehnte er der spekulativen Theologie: Kirche ist für ihn »erscheinendes Wesen«. Wandte sich A. Hauck seither von der akademischen Lehre F. Delitzschs ab, so interessierte er sich weiterhin für J.Ch.K. Hofmanns Schriftauslegung.201 Bei ihm hörte er im SH 1867 die Vorlesung über »Ausgewählte Psalmen«. Daneben besuchte er bei K. Heyder die Vorlesung über »Psychologie«, bei von F.H.R. Frank »Apologetik«202 und bei G. Thomasius den zweiten Teil der »Dogmatik«. Auch »Die Geschichte der neueren Theologie« ließ sich A. Hauck im SH 1868, die einzige Vorlesung, die er in diesem Semester besuchte, von G. Thomasius auslegen. Ein neues Interessengebiet eröffnete sich dem Studenten im Kirchenrecht. A. Scheurl203 führte ihn im WH 1867/68 in rechtswissenschaftliche Fragestellungen ein, die sich vornehmlich mit der Verfassung der evangelischen Kirche in Bayern beschäftigten. Zur Lehre vom Kirchenregiment, zum Problem der Ge195

Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 29. Juni 1867. Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 10. Januar 1868: »Er [G. Zezschwitz, M. T.] verschlingt mich beinah vor Freundschaft, so daß es mir nachgerade ganz unheimlich dabei zu Mut wird; ich fürchte einmal einen jähen Fall bei einem so rasch gebauten Gebäude.« 197 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 10. November 1867. 198 Ambrosy, Zezschwitz, 665, 18f. 199 Vgl. ebd., 665, 20ff: »Insgesamt begründet sich für von Zezschwitz hieraus nicht nur der normative Anspruch kirchlichen Handelns, sondern der Kirche selbst kommt dabei die Seinsqualität eines handelnden ›Idealwesens‹ zu, dessen ureigenste Aufgabe die der Heilsvermittlung ist.« 200 Vgl. Lessing, Geschichte, 252. 201 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 25. Mai 1867: »Mit Delitzsch kann ich mich gar nicht verstehen, es ist eine gewiße Scheidewand zwischen uns; [...].« A. Hauck wünschte sich zum Weihnachtsfest 1867 J.Ch.K. Hofmanns Kommentar über die Korintherbriefe, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 8./9. Dezember 1867. 202 [Frank,] Apologetik. 203 Vgl. Sehling, Freiherr von Scheurl, 3–6; Sehling, Scheurl, 564–568; Stumpf, Kirchenrecht. 196

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wissensfreiheit, zur Problematik »Bekenntniskirche oder Landeskirche«, zum Eherecht, zu den Aufgaben eines christlichen Staates sowie zur religiösen Kindererziehung formulierte er streng kirchlich gesinnte Positionen. Von 1865 bis 1884 gehörte er der Generalsynode an, die Einrichtung eines ständigen Synodalausschusses 1887 ging auf sein Betreiben zurück. Der Generalsynodalausschuss sollte, da die Schaffung eines christlichen Staates von ihm zeitbedingt mehr und mehr für unmöglich gehalten wurde, die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat in die Wege leiten.204 Indem er die Christlichkeit eines Staates an die Christlichkeit eines Volkes band, verwarf er J. Stahls Verknüpfung von Staat und Religion. Da seines Erachtens der Glauben der Kirche aus dem Individualglauben der Gemeindeglieder erwachse, betrachtete er die Gemeinde als die Kirche konstituierend.205 Auf Grundlage seiner Rechtsauffassungen unterschied er zwischen Bekenntniskirche und Landeskirche.206 Im August 1867 studierte A. Hauck drei Wochen lang in Tübingen. Zu Beginn des WH 1867/68 sah der Theologiestudent das Examen heranrücken. Zuversichtlich schrieb er der Mutter, dass er genügend Zeit für seine Studienarbeiten und zum Lernen findet. Zeitkontingente verschlang aber eine für G. Zezschwitz anzufertigende Predigt. A. Hauck gestand sich bald ein, dass ihm die Ausarbeitung schwerfalle: Obwohl er bereits mehrmals den ersten Teil der Predigt abgeändert hatte, bezeichnete er ihre Einleitung weiterhin als »jämmerlich«.207 Auch die im SH 1868 angeforderte Katechese bereitete ihm große Mühe. Um Zeit zur Vorbereitung auf das Examen zu finden, schränkte A. Hauck im SH 1868 Visiten und die Senioralgeschäfte des Theologischen Studentenvereins ein. Unter Lektüre von G. Thomasius’ Buch »Das Wiedererwachen das evangelischen Lebens in der lutherischen Kirche Bayerns« bereitete sich der Student auf die Prüfungen vor. Auch kaufte er sich, weil es sich »für einen luth[erischen] Pfarrer gezieme«, die bis dahin erschienene Erlanger Werkausgabe M. Luthers.208

204 Vgl. Kantzenbach, Evangelischer Glaube, 318: »Der Staat habe auf die Lebensanschauung und Gesinnung, die wirklich im Volk lebt, Rücksicht zu nehmen, habe aber nicht die Pflicht, die Untertanen zur Erfüllung religiöser Pflichten zu nötigen. Die religiöse Bindung muß deshalb dem Einzelnen vom Staat freigestellt bleiben. Die Kirche muß aber die Freiheit haben, ihre Glieder zur kirchlichen Pflichterfüllung anzuhalten.« 205 Vgl. Stumpf, Kirchenrecht, 268: »[I]n konsequenter Weise übertrug er [A. Scheurl, M. T.] die von der historischen Rechtsschule aufgestellte Theorie über die Rechtsschöpfung aus dem Gemeingeist eines Volkes auf die Bildung des Rechts aus dem Gemeinglauben innerhalb der Kirche.« 206 Vgl. ebd., 200: »Von der geistlichen Kirche unterschied Scheurl die rechtliche Kirche. Diese bildete die rechtliche Organisation der Gläubigen in der Welt. Indem Gott den Grundstein für die geistliche Kirche als geistlichen Organismus gelegt habe, habe er es dem Menschen auch überlassen, hieraus einen rechtlichen Organismus zu schaffen. Diese Verrechtlichung war nicht notwendigerweise im Wesen der Kirche angelegt. Doch war sie gleichzeitig durchaus legitim.« 207 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 8./9. Dezember 1867. 208 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 6. Juni 1868.

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3.5 Zukunftsplanung und Pfarramtskandidatenprüfung Um das Weihnachtsfest 1867 wurde A. Haucks Zukunftsplanung virulent. Er sollte sich entweder für eine Repetentenausbildung an der Erlanger Theologischen Fakultät oder für ein Vikariat in der evangelischen Kirche in Bayern entscheiden: G. Zezschwitz warb ihn für die Ausbildung zum Lizenziaten der Theologie, F.H.R. Frank riet ihm demgegenüber zum Vikariat.209 A. Hauck gab letzterem Recht, der behauptet hatte, dass nicht jeder Theologiedozent später auf eine Pfarrstelle wechseln könnte: Wenn künftig jemand sagt, ich wollte Prof[essor] werden, so kannst Du einfach sagen, dem sei keineswegs so, sondern ich wollte zunächst Landvikar werden u[nd] dann Bauernpfarrer. [...] Und ich habe in Warheit keine Lust mein ganzes Leben lang wiederzukauen, was andere Leute vor mir Kluges u[nd] Unkluges, Abstraktes und Konkretes gedacht haben u[nd] was sie Knappes u[nd] Breites geschrieben haben, möchte vil lieber Kol pflanzen u[nd] Schinken und Sauerkraut eßen, wie man ja auch als Landpf[arrer] tun soll.210

Gegenüber dem Repetentendasein bevorzugte er nun zielorientiertes Arbeiten. Wider Erwarten gestaltete sich die Suche nach einem angemessenen Vikariatsplatz als schwierig. Auch die unangeforderte Unterstützung seines ehemaligen Religionslehrers und Familienverwandten C.L. Hoffmann fruchtete nicht: Den Platz in Oestheim bekam A. Hauck nicht zugewiesen. Damit wurde ihm ein Aufenthalt im Predigerseminar München, einer elitären Ausbildungsstätte für Pfarramtskandidaten, wieder wahrscheinlicher, wenn auch nicht wünschenswert.211 Letztlich wurde ihm vom Ansbacher Konsistorialrat A. Stählin verboten, sich nach einem Vikariatplatz umzusehen.212 Der Vorstellung, eines Tages Dozent in Erlangen zu werden, wie sie von seinen Lehrern favorisiert wurde, mochte sich A. Hauck weiterhin nicht anschließen: »Ich möchte wißen, welcher gute oder böse Geist solche Gerüchte über mich verbreitet, als ob ich Wunder was wiße.«213 In den Prüfungen sah A. Hauck mit fortschreitender Zeit das Ende eines anstrengenden Lernens. Nachdem er die Predigt über Hebräerbrief 11,8–10, in der er neben dem Glauben Abrahams auch den Glauben der gegenwärtigen Gemeinde thematisierte,214 an der Theologischen Fakultät abgegeben hatte, trat der 209

Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 10. Januar 1868. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 1. Mai 1868. 211 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 6. Juni 1868. A. Hauck nahm später eine Ausbildung im Predigerseminar München in Betracht, obwohl dies hieße, »ein Jahr in der Theologie faulenzen«, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 14. Juni 1868. 212 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 2. August 1868: »Denn das heißt mit andern Worten: [Predigerseminar, M. T.] München. Nun will ich aber ins Seminar ser ungern, u[nd] doch sind mir jetzt die Hände gebunden.« 213 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 2. August 1868. 214 Vgl. LAEKLB, P 0307, Aufnahmeprüfung 1868, Predigt. 210

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Pfarramtskandidat in Ansbach vor das Konsistorium, um sich prüfen zu lassen.215 Nachdem sich A. Hauck am 19. Juli 1868 im Konsistorium Ansbach angemeldet hatte, wurde er in der ersten Septemberwoche vom Dekan J.G. Staedelen sowie von den Pfarrern E.K.W. Nägelsbach und J.F.W. Lichtenstein geprüft.216 Für die Exegese des Alten Testaments über Deuteronomium 32,1–9, die ihm die Bestnote einbrachte, stützte A. Hauck seine Ausführungen auf die Kommentare M. Baumgartens und K.F. Keils217, die die Bibel als offenbartes Gotteswort interpretierten und jede historisch-kritische Fragestellung ablehnten.218 Eine hervorragende Beurteilung erhielt A. Hauck auch für seine Ausführungen zur Aufgabe im Fach Systematische Theologie: Locus de munere sacerdotali Jesu Christi, ejus ratione, efficacia, perpetuitate exponatur. A. Hauck analysierte das Thema anhand der lutherischen Dogmatik H. Schmids sowie unter Bezugnahme auf die Dogmatiken F. Philippis, G. Thomasius’ und A. Kahnis’219, die als Lutheraner auf der CA als Grundlage lutherischer Systematik beharrten. Im Rückgriff auf den »Schriftbeweis« J.Ch.K. Hofmanns gelang es A. Hauck, christliche Lehrnormen von individuellen Erfahrungen einer wiederhergestellten Gottesgemeinschaft her zu begreifen. Ebenfalls bravourös schnitt der Pfarramtskandidat mit seinen Ausführungen zur dogmengeschichtlichen Fragestellung ab: »Von welchem Punkte giengen die kirchlichen Festsetzungen über die Trinität aus, welchen geschichtlichen Verlauf nahmen sie, welchen Abschluß hatten sie bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts gefunden?« Hier stützte er sich auf die Dogmengeschichtsschreibung F.Ch. Baurs, F.C. Meiers und W. Münschers sowie auf die Kirchengeschichtsschreibung A. Neanders und K.L. Gieselers220. Dies zeigte, dass A. Hauck in seiner Betrachtung der Dogmengeschichte nicht eine einzige Methode vertrat, sondern sowohl die rationalistisch-pragmatische Methode, als auch die von G.W.F. Hegel beeinflusste spekulative Methode anwandte. In Anlehung an K.L. Gieseler konnte er die Entwicklung der Heilslehre bereits in der Alten Kirche besiegelt sehen.221 Um die Trinitätslehre in spezieller Weise darzustel215

Die Aufnahmeprüfung in den Pfarrdienst war nach Abschluss des Universitätsstudiums vor einer Kommission aus zwei Geistlichen, einem Gymnasialprofessor und unter Leitung eines Konsistorialrates im zuständigen Konsistorium abzulegen, vgl. Biastoch, Studenten, 78. In der Examensprüfung vor den Konsistorien wurde nach theoretischem Wissen in christlicher Glaubens- und Sittenlehre, Kirchen- und Dogmengeschichte, Kirchenrecht, Praktischer Theologie, Homiletik, Katechetik und Exegese des Alten und Neuen Testaments gefragt und das Anfertigen einer Probepredigt verlangt. Vgl. auch Böttcher, Entstehung, 26. 216 Vgl. LAELKB, P 0307, Aufnahmeprüfung 1868. 217 Baumgarten, Pentateuch; Keil, Deuteronomium. 218 Vgl. Fohl, Baumgarten, 351, 20. 219 Schmid, Dogmatik; Philippi, Glaubenslehre; Thomasius, Christi Person; Kahnis, Dogmatik. 220 Baur, Dogmengeschichte; Baur, Dreieinigkeit; Meier, Dogmengeschichte; Gieseler, Kirchengeschichte; Münscher, Dogmengeschichte. Zu W. Münscher vgl. A. Hauck, Münscher, 537f. 221 Vgl. Mühlenberg, Göttinger Kirchenhistoriker, 232–255.

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len, griff A. Hauck auf Lehrbücher von G. Thomasius und I.A. Dorner222 zurück. Auch hierin zeigte sich, dass er die spekulative Konstruktion einer immanenten Wesenstrinität anerkannte, diese nicht gänzlich aus der Offenbarung Gottes erschloss, sondern wie I.A. Dorner mit dem Begriff der Liebe zwischen Notwendigkeit und Freiheit des Gott wesensgleichen Objektes unterschied. Im Fach Kirchengeschichte, dessen Aufgabenstellung223 er mit Bestnote löste, schilderte A. Hauck das Reformationszeitalter sowie die Geschichte vom Augsburger Reichstag bis zum Westfälischen Frieden u.a. nach den Darstellungen L. Rankes224 und P.K. Marheinekes225. Verstand L. Ranke die Reformation als eine eigenständige Periode der deutschen bzw. europäischen Geschichte226, so interpretierte P.K. Marheineke jede Entwicklung des Christentums als zeitbedingte Konstruktion des Urchristentums.227 A. Hauck konnte infolgedessen behaupten: Wenn man einen Blick auf die christlichen Völker am Ausgang des Mittelalters wirft, so gewahren wir überall den gleichen Drang nach einer Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern; u[nd] überall ist es das tiefste Bedürfnis der Menschen, das Verlangen nach Vergebung der Sünde, von dem dieser Drang nach einer Reformation hervorgerufen ist.228

Über das Verhältnis von Staat und Kirche und seine Auswirkung auf das Verständnis einer christlichen Ethik musste A. Hauck im Fach Kirchenrecht eine Erörterung schreiben: »In welchem inneren Verhältniß stehen Staat und Kirche zu einander, welche Verpflichtungen ergeben sich hieraus für den Christen gegen beide, und wie grenzen diese Pflichten sich gegenseitig ab?« A. Hauck antwortete: Der Staat ist die Gemeinschaft des Rechts, die Kirche die Gemeinschaft der Wiedergeburt. Und zwar ist das Recht, das der Staat fordert, ein äußeres: es genügt ihm die Übereinstimmung der äußeren Handlungen mit dem Gesetz: Legalität. Die Wiedergeburt dagegen, welche in der Kirche ihr Dasein hat, ist zunächst etwas Innerliches: der Mensch bleibt äußerlich, was er ist, nur seine Stellung zu Gott wird durch die Wiedergeburt geändert. Demnach könnte es scheinen, als ob die Gebiete der beiden Gemeinschaften: Staat und Kirche vollständig auseinanderfielen. Doch ist dies nicht der Fall. [...] In der Wiedergeburt erhält der Gerechtfertigte die Kraft zu einem neuen Leben, d.i. zur Verwirklichung des Willens Gottes. Das Recht aber ist der ausgesprochene und auf den einzelnen Fall angewandte Gotteswille[;] so ist die Verwirklichung des göttlichen Willens zugleich die volle Ausführung des Rechts. In der Gemeinschaft der Wiedergeburt, der Kirche, ist 222

Thomasius, Christi Person; I.A. Dorner, Entwicklungsgeschichte. Vgl. LAELKB, P 0307, Aufnahmeprüfung 1868, Kirchengeschichte: »Wie kam es, daß im Reformationszeitalter zwei getrennte Kirchen neben der römischen entstanden, wie setzten sie sich gegenseitig auseinander und wie gestaltete sich ihre staatsrechtliche Stellung in Deutschland vom Augsburger Reichstag 1530 bis zum westfälischen Frieden?« 224 Ranke, Deutsche Geschichte. 225 Marheineke, Reformation. 226 Vgl. Seebaß, Reformation, 393, 16–27. 227 Vgl. Drehsen, Marheineke, 109–115. 228 LAELKB, P 0307, Aufnahmeprüfung 1868, Kirchengeschichte. 223

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demnach das gegeben, worauf uns der Staat hinzuweisen schien. Sollte demnach nicht seine Bestimmung sein, der Kirche zu dienen durch Verwirklichung seines Wesens, Gemeinschaft des Rechts zu sein?229

Mit seinen Gedanken führte A. Hauck die Ansichten A. Harleß’ und J.Ch.K. Hofmanns aus. A. Harleß hatte in seiner »Christlichen Ethik«230 das Christentum als Humanismus in dessen vollkommener Ausbildung begriffen, das auf der Bewahrung christlichen Heilsgutes beruhte.231 Bezug nahm A. Hauck ebenfalls auf das »Handbuch der christlichen Sittenlehre« von A. Wuttke.232 Dieser sah in der Erlösung durch Christus die Möglichkeit gegeben, dass der von Natur aus schuldhafte Mensch durch Wiedergeburt der Gnade Gottes teilhaftig werden kann.233 A. Hauck griff diesen ursächlichen Zusammenhang von Glauben und Ethik auf, wie ihn auch J.Ch.K. Hofmann in seinem »Schriftbeweis« ausgeführt hatte. Mit ihm und A. Harleß widersprach A. Hauck in seinen Ausführungen der Forderung R. Rothes, dass die Kirche in einem christlichen Staat aufgehen müsse, und trat für eine Trennung der staatlichen und kirchlichen Aufgabenbereiche ein.234 Nach Ansicht A. Haucks gewährleistet der Staat die Ordnung menschlichen Zusammenlebens.235

3.6 Zusammenfassung Lebensweltliche Kontexte hatten A. Hauck während seines Studiums der evangelischen Theologie zu einer eigenständigen Position im Blick auf die politische und kirchenpolitische Lage sowie zur Reflexion dieser Position gedrängt. 229

LAELKB, P 0307, Aufnahmeprüfung 1868, Kirchenrecht. Harleß, Ethik. 231 Vgl. Hein, Harleß, 445, 30–37. 232 Wuttke, Sittenlehre. Zu A. Wuttke vgl. Schulze, Wuttke, 567–574. 233 Vgl. LAELKB, P 0307, Aufnahmeprüfung 1868, Kirchenrecht: »Die alte Menschheit hat ihre Bestimmung verfehlt; die Sünde, das Verderben ist in die Welt gekommen und zwar nicht als etwas Ruhendes, sondern als eine lebendige Kraft; das Verderben wächst, schreitet unaufhaltsam fort.« 234 Vgl. ebd.: »Jede der beiden Gemeinschaften hat ihr besonderes Gebiet, ihre besondere Aufgabe. Eine jede Überschreitung dieses Gebiets wird die größten Nachtheile mit sich bringen; überschreitet die Kirche ihr Gebiet, indem sie zugleich Staat werden will, so gibt sie damit ihr Wesen auf, Gemeinschaft der Wiedergeburt zu sein: sie veräußerlicht. Will der Staat die Kirche in sich aufheben, so hebt er das Ziel auf, dem er dienen soll, und unternimmt etwas, das er mit den Mitteln, mit denen allein er wirken kann, niemals zu leisten vermag.« 235 Vgl. ebd.: »Darum kam es zu der Bildung des Staats, der Gemeinschaft der Legalität; denn ohne sie hätte bald das Verderben eine solche Höhe erreicht, daß die Menschheit die Verwirklichung ihrer Bestimmung unmöglich gemacht hätte. So diente der Staat der Menschheit, indem sie durch ihn aufgehellt blieb auf die Erscheinung der Gemeinschaft der Wiedergeburt. Dieser aber dient er, indem er ihr die Erfüllung ihrer Aufgabe möglich macht, die Menschheit zur Menschheit Gottes zu machen. So ist also das innere Verhältniß von Staat und Kirche dies, daß der Staat der Kirche auf seinem Gebiet und mit seinen Mitteln dient, ihre Aufgabe zu erfüllen. Der Staat wird aufhören, wenn die Kirche ihre Aufgabe erfüllt hat; die Kirche dagegen, als die neue Menschheit, in der die Menschheit zur Erfüllung ihrer Bestimmung kommt wird nie aufhören.« 230

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Kritisch stand er dem Erstarken des Ultramontanismus in Bayern gegenüber, der den politischen Liberalismus attackierte und politische Wirren erzeugte. Ihm gegenüber erkannte A. Hauck wie sein Lehrer J.Ch.K. Hofmann die Notwendigkeit liberaler kulturpolitischer Reformen, exemplarisch die Notwendigkeit des liberalen Schulgesetzentwurf F. Gressers: Verteidigte A. Hauck zwar eine christlich-religiöse Erziehung der Schulkinder, so trat er für eine Trennung von Staat und Kirche in der Schulfrage ein. Hierbei positionierte er sich gegen die Ansichten des Präsidenten des OKM A. Harleß, der die kirchlichkonservative Richtung vertrat. Im Gegenüber zu seinen innenpolitischen Ansichten dachte A. Hauck in Bezug auf die Außenpolitik der bayerischen Regierung streng partikularistischkonservativ und lehnte die liberal-nationale Perspektive ab. Damit vertrat er die Tradition des neulutherischen Staatsloyalismus. Den Expansionsbestrebungen Preußens und O. Bismarcks stand er ablehnend gegenüber. Der innerdeutsche Krieg von 1866 und dessen Ausgang führte wie im Neuluthertum so auch bei A. Hauck zu einer Orientierungskrise. Ausschlaggebend für seine ablehnende Haltung gegenüber der Einigung Deutschlands unter der Vorherrschaft Preußens war seine Angst vor der kirchlichen Vereinheitlichung im unionistischen Sinn. A. Hauck positionierte sich an der Seite des Präsidenten des OKM A. Harleß und unterstützte die Gründung einer Allgemeinen Evangelischlutherischen Konferenz. Wie das bayerische Neuluthertum Erlanger Prägung machte sich A. Hauck die großdeutsche Lösung der »deutschen Frage« zu eigen. Dabei vertrat er die traditionell-konservative Ansicht, die Nation als eine Gemeinschaft auf Grundlage christlicher Gesinnung zu verstehen. Maßgebliche theologische Impulse erhielt A. Hauck von den Erlanger Neulutheranern und damit von der Erlanger Theologie: Ihr Ausgangspunkt war die Heilserfahrung des christlichen Subjekts, deren Korrelat die Heilige Schrift und das Bekenntnis der lutherischen Kirche als Ausdruck christlichen Glaubens war. Die Erlanger Theologie entgegnete kirchlich und konfessionell gebunden dem rationalistischen Denkschema von Vernunft und Offenbarung, um die unaufgebbare theologische Beziehung von Sünde und Gnade im Leben eines Menschen zu betonen. Stieß sich A. Hauck an der historisch-kritischen Abstinenz einiger Erlanger Theologen – vor allem eines F. Delitzsch’ –, so brachte er der heilsgeschichtlich-idealistischen Geschichtsinterpretation J.Ch.K. Hofmanns großes Interesse entgegen: Wie dieser lehnte A. Hauck eine übernatürliche Offenbarung ab und sicherte die christlichen Glaubensinhalte auf dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen des in der Geschichte handelnden Subjekts, das in der geschichtlichen Tradition und Entwicklung des christlichen, kirchlich vermittelten Glaubens stand (F.H.R. Frank vertrat demgegenüber eine Offenbarungstheologie, die christliche Glaubensinhalte als Bestand christlicher Heilsgewissheit nachwies).

Theologiestudium von 1864 bis 1868

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Von G. Thomasius lernte A. Hauck Dogmengeschichte als einen kirchlichen Erfahrungsprozess, der von einem Gemeingeist organisiert wird, hegelianischdialektisch zu begreifen. In der Geschichte erkannte G. Thomasius keinen sittlichen Fortschritt. Für ihn galt die schrittweise Aneignung der Heilsoffenbarung Gottes als Indiz einer historischen Entwicklung. Zur objektiv gegebenen Offenbarung Gottes musste nach Meinung G. Thomasius’ demnach die subjektive Aneignung im individuellen Glaubensleben treten. In Erlangen erfasste A. Hauck, Geschichte als umfassenden göttlichen Werdeprozess zu verstehen und darin kirchliches und staatliches Gebiet zu unterscheiden: J.Ch.K. Hofmann und A. Harleß hoben die Ordnungsfunktion des modernen Rechtsstaates hervor und anerkannten dessen göttlichen Ursprung; dies veranlasste später F.H.R. Frank, die menschliche Ausprägung des Staates zu beachten und damit die Christlichkeit von Institutionen und von den darin wirkenden Subjekten abhängig zu machen. Bereits F. Delitzsch hatte die Sichtbarkeit der Kirche an das Handeln der Christen gebunden. Die ekklesiologischen Anschauungen A. Haucks prägte Th. Harnack, der Wesen und Erscheinung der Kirche begrifflich unterschied, das Wesen der Kirche vom Begriff des Reiches Gottes her erklärte und sich daher gegen eine Eigengesetzlichkeit der Kirchenverfassung aussprach. Auch G. Zezschwitz vertrat eine Ekklesiologie, die die innergeschichtliche Selbstverwirklichung der Kirche in den Mittelpunkt theologischen Denkens stellte. So setzte er sich für das Modell einer Volkskirche ein und interpretierte Kirche als ein Idealwesen, das für die Vermittlung göttlichen Heils an die Menschheit konstituiert wurde. Spekulativ-theologisch war damit der Kirche eine objektive Grundlage gegeben, die der Kirche als Reich Gottes in der Welt Existenzrecht gewährte und die die Kirche zur Vollendung ihrer Selbstverwirklichung aufforderte. A. Haucks dogmengeschichtliche und dogmatische Anschauungen gründeten auf der organisch-dialektischen und ideengeschichtlichen Betrachtungsweise I.A. Dorners und G. Thomasius’. Bei beiden stand das Christentum als verwirklichte Gemeinschaft Gottes mit den Menschen im Mittelpunkt ihrer Überlegungen. In den exegetischen Wissenschaften vertrat A. Hauck vornehmlich biblizistische Ansichten. G.L. Plitt vermittelte A. Hauck, dass sich jeder geschichtliche Fortschritt organisch an die Vergangenheit anschließt, die Vergangenheit aber nicht für die Gegenwart und Zukunft normativ sein kann. So lernte A. Hauck in Erlangen die Interpretation von Geschichte zum einen bei G.L. Plitt, der auf einer breit angelegten Quellenbasis und sorgfältigen Detailforschungen zu abwägenden, objektiven Urteilen kam, ohne dabei auf persönlich-christliche Urteile zu verzichten, zum anderen bei J.Ch.K. Hofmann. Letzterer vertrat eine heilsgeschichtliche, eschatologisch ausgerichtete Interpretation, die die Vergangenheit als sukzessive Entfaltung eines teleologisch-ökonomischen Verlaufs verstand und darin die werdende Gemeinschaft von Gott und Mensch analysierte, die christologische Voraussetzungen zur Bedingung hat. Im Geist Gottes sah J.Ch.K. Hofmann die

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bewegende Kraft der Geschichte. Seiner Ansicht, dass sittlich-kultureller Fortschritt zur innerweltlichen Vollendung des Reiches Gottes führt, stand A. Hauck kritisch gegenüber. Er übernahm die Ansicht A. Harleß’, der zwischen Fortschritt und Vollendung des Reiches Gottes eine Zäsur konstatierte. Zwar betrachtete J.Ch.K. Hofmann wie G.W.F. Hegel die Geschichte als ein Ganzes und anerkannte dem historischen Individuum die Freiheit zur moralischen und religiösen Entscheidung, doch stellte J.Ch.K. Hofmann im Unterschied zu G.W.F. Hegel das Individuum passiv in die Geschichte hinein. J.Ch.K. Hofmanns Sichtweise griff F.H.R. Frank auf. Er deutete sie um, weil seines Erachtens das christliche Bewusstsein sich einer supranaturalen und theonomen Instanz unterordnet. Infolgedessen interpretierte F.H.R. Frank Geschichte subjektivistisch-psychologisch und kausal-mechanisch. Vor ihm – doch ohne methodische Überlegungen angestrengt zu haben – hatten sich bereits K. Raumer und G. Thomasius in ihren wissenschaftlichen Forschungen mit dem christlichen Lebenswandel und sittlichen Charakter einer historischen Persönlichkeit beschäftigt. Auch der Berliner H. Weingarten analysierte die individuelle Ausprägung christlicher Frömmigkeit. Von diesem Ansatz her führte er A. Hauck in eine Geschichtsinterpretation ein, die Gottes Wirken in der Geschichte zum Ausgangspunkt nahm. Bei I.A. Dorner lernte A. Hauck während seines Berliner Studienaufenthalts die Interpretation der Geschichte auf dem Hintergrund ethischer Maximen und Entwicklungslinien kennen. I.A. Dorner unterschied dabei zwischen individuellem und gesellschaftlichem Handeln. Das Christentum sah er als eine metahistorische Idee an, die sich in der Geschichte verwirklicht. E.W. Hengstenberg betrachtete demgegenüber das Christentum aus geschichtsimmanenter Perspektive: Die Kirche gestaltet sich aus ihrem unsichtbaren, aber Einheit gewährenden Glaubensgrund heraus sichtbar aus. Einfluss auf die Geschichtsforschung, -interpretation und -darstellung des Berliner Studenten übte vor allem L. Ranke aus. Von ihm lernte A. Hauck, Personalismus und Kollektivismus als Folge geschichtlicher Entwicklung zu begreifen. L. Ranke distanzierte sich von der Anschauung eines in der Geschichte immanenten Fortschritts und vertrat ein geschichtstheologisch abgesichertes Objektivitätsideal. Fortschritt definierte er nicht qualitativ, sondern quantitativ: Der Menschheit eignet eine sich entwickelnde Kulturgeschichte, weil verschiedene Ideen zur historischen Ausprägung gelangen. Geschichte interpretierte A. Hauck in Anlehnung an seinen Lehrer L. Ranke ideengeschichtlich. A. Haucks Position zum Staat-Kirche-Verhältnis gründete auf den Ausführungen A. Scheurls, der zum einen auf ein enges Wechselverhältnis von Kirche und Staat drängte und zum anderen die Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat betonte. Er trat für eine Verrechtlichung des Wesens der Kirche ein, die er als legitim erachtete. A. Hauck trennte zwischen den Aufgabenbereichen der Kirche (Vermittlung der Heilserkenntnis) und des Staates (Sicherung einer

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Ordnung). So betrachtete er staatliches Recht in seiner letzten Konsequenz als sich verwirklichendes Gottesrecht. Einen christlichen Staat sah A. Scheurl erst dann gegeben, wenn ein Volk christlich gesinnt ist. Anders gesagt: Das Volk bzw. die Gemeinde konstituiert den Staat bzw. die Kirche. Den Begriff des Volkes als Bindeglied von Individualismus und Kollektivismus lernte A. Hauck bei L. Ranke und A. Scheurl kennen als eine die Geschichte beeinflussende, die Kirche konstituierende und das Rechtssystem eines Staates begründende Größe. Das Volk wird somit zum Subjekt und Objekt sittlichen Handelns, das die Erlanger Theologie als eine im Christentum auf die Höhe getriebene und eine dem Wesen der Menschheit entsprechende Humanität deutete. Gerade deshalb verwirkliche sich die Kirche in der Ausprägung ihres Wesen.

4. Münchner Predigtamtskandidat, Verweser des Münchner Stadtvikariats II und ständiger Vikar zu Feldkirchen von 1868 bis 1875

4.1 Kandidat des Münchner Predigerseminars von 1868 bis 1870 und Verweser des Münchner Stadtvikariats II 1870/71 Das Evangelische Predigerseminar zu München bereitete ausgewählte Kandidaten der Theologie eines Jahrganges, vornehmlich die besten drei (zeitweise auch vier) Examinanten, unter der Aufsicht der obersten Kirchenbehörde praxisnah und unter wissenschaftlicher Fortbildung auf das Predigeramt vor.1 Die Kandidaten wurden verpflichtet, neben den angestellten Stadtvikaren und Reisepredigern die geistliche Betreuung der Matthäusgemeinde sowie der weit ausgedehnten Diaspora der Münchner Diözese zu übernehmen.2 An internatsähnliche Vorschriften waren die Seminaristen nicht gebunden. Die finanzielle Unterstützung durch die Landeskirche konnte durch eigenverantwortete Morgenandachten und beauftragten Schulunterricht aufgebessert werden. Bald nach ihrer Gründung ist in den 1840er Jahren die Institution des Predigerseminars von bayerischen Geistlichen auf Generalsynoden infrage gestellt worden: U.a. erregte die mangelhafte Leitung des Predigerseminars durch überlastete Vorstände und Leiter der Kirchenbehörde und die in der Zeit eines großen Kandidatenmangels zeit- und personalaufwendige Eliteanstalt die Gemüter ihrer Gegner.3 Die Pastorisierung der an Gemeindegliedern stark anwachsenden Münchner Gemeinde und der Diaspora in Oberbayern ließ den größeren Teil der den Kandidaten zur Verfügung stehenden Zeit im Predigtamt und im Schulunterricht aufgehen; nur wenig Zeit blieb für die eigene wissenschaftliche Beschäftigung mit Theologie und Kirchengeschichte übrig. Erst die seit 1873 vom Münchner Dekan K. Buchrucker eingeführten Predigerkonferenzen, auf denen die Seminaristen jährlich wissenschaftliche Vorträge zu halten hatten, rückte die theologische Wissenschaft wieder in das Blickfeld der Ausbildung.

1 Vgl. Festschrift zum Andenken. Lehre und Ausbildung übernahmen ein Mitglied des OKM, vornehmlich der erste Oberkonsistorialrat, und ein Geistlicher, vornehmlich der Münchner Dekan, vgl. Cohrs, Bildungswesen, 301–318. 2 Vgl. Daumiller (Hg.), Predigerseminar, 9: Die Matthäusgemeinde war im Kern »zu Beginn des Jahrhunderts die Hofgemeinde gewesen, an die sich die nach München berufenen oder ernannten Gelehrten, Beamten und Offiziere, Künstler, Kaufleute und Gewerbetreibende angeschlossen hatten.« 3 Vgl. Bäumler, Eröffnungsrede, 16.

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Am 24. September 1868 vom Oberkonsistorium berufen, trat A. Hauck Mitte Oktober in das Predigerseminar ein, das seit 1866 K. Burger leitete.4 Mit seinem theologischen Wissen hatte A. Hauck die Prüfungskommission am Ansbacher Konsistorium beeindrucken können; als Mangel empfanden die Konsistorialräte aber seinen Predigtvortrag.5 Die Ausbildung im Predigerseminar sollte diesem Mangel abhelfen und der erbaulichen Zurüstung zum Pfarrberuf dienen.6 Drei Tage vor Beginn der Ausbildung im Predigerseminar reiste A. Hauck aus Ansbach an. Als Neuankömmling besuchte er die Herren der Münchner Kirchenbehörde: den Präsidenten des OKM, A. Harleß, den Leiter des Predigerseminars, Oberkonsistorialrat K. Burger, die Oberkonsistorialräte H. Ranke und J.Ch. Edelmann sowie den Münchner Dekan M. Meyer. Die Ausbildung der Seminaristen lag in den Händen K. Burgers, der die wöchentlichen Probepredigten zensierte, und M. Meyers. K. Burgers Exegese und Predigtweise, die auf dem Grundsatz scriptura sui interpres basierte,7 galt A. Hauck bald als Vorbild,8 obwohl ihm dessen nicht von Vorurteilen und polemisch geäußerten Abneigungen freie Predigtrezensionen zunächst missfielen9. Demgegenüber kritisierte er die Predigtweise M. Meyers sowie dessen Gemeindeleitung.10 Schon früh urteilte er geringschätzig über das Predigerseminar: »Es ist kein 4

Zu Karl Burger, vgl. Burger, Burger, 566, 12f. Vgl. LAELKB, OKM 3349, Predigerseminar, Schreiben vom 21. September 1868; vgl. auch LAELKB, P 0307, Aufnahmeprüfung 1868. Zur Ausbildung der Pfarrer in der evangelischen Kirche in Bayern vgl. Silbernagl, Verfassung, 197–200; Böttchner, Entstehung, 26: »Nach bestandener Prüfung waren die betreffenden Personen – mit der Bezeichnung Predigtamtskandidat – berechtigt, übertragene Predigten, Katechisationen, Leichenreden (jedoch ohne Einsegnung) und Betstunden zu halten sowie Religionsunterricht zu erteilen. Bis zu acht der besten Absolventen der Aufnahmeprüfung wurden vom Oberkonsistorium nach München berufen, um dort in einem Predigerseminar speziell im Predigtfach weiter vorbereitet zu werden. Anfangs fünf, schließlich zwei Jahre nach der Aufnahmeprüfung war die Anstellungsprüfung, ebenfalls in Ansbach, abzulegen. Nach bestandener Anstellungsprüfung war man Pfarramtskandidat und durfte ordiniert werden. Durch die Ordination wurden die Würde des geistlichen Standes verliehen und das Recht, alle Befugnisse dieses Standes auszuüben, gleichzeitig der Anspruch auf Versorgung. [...] Innerhalb eines Zeitraumes von jeweils fünf Jahren hatte jeder Predigtamts- und Pfarramtskandidat wie auch jeder Pfarrer eine wissenschaftliche Arbeit (Synodalaufgabe) und zwei Predigten vorzulegen, die Synodalaufgabe regelmäßig in Latein [Hervorhebung im Original].« 6 Vgl. LAELKB, OKM 3349, Predigerseminar, Stiftungsurkunde vom 30. Mai 1833: »Um die Bildung der protestantischen Seelsorger möglichst zu fördern, und insbesondere den durch rastlosen Eifer, gründliches Studium und musterhaftes Betragen sich auszeichnenden Theologen eine entsprechende Aufmunterung zuzuwenden [...].« 7 Vgl. Burger, Burger, 567, 3–5: »Sie [die Predigten, M. T.] sind eben aus ernster Arbeit entstanden, Frucht des Gebets, der christlichen Erfahrung und vor allem auch des gründlichsten Fleißes.« 8 Vgl. TFIfKGL, Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 30. März 1869 [nicht 30. April 1869], vom 7. Mai 1869 [nicht 7. Mai 1870] und vom 27. November 1870 [nicht 27. September 1868]. 9 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 30. November 1868. 10 Vgl. TFIfKGL, Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 14. August 1869: »[...]; denn dazu paße ich viel zu schlecht zum Dekan, der die Güte einer Predigt nach der Stärke der Stimme u[nd] die Tüchtigkeit eines Kandidaten nach der Geläufigkeit seiner Zunge beurtheilt, deßen Kirchenpolitik in der Schwäche u[nd] deßen Gemeindeleitung in Unordnung besteht.«, und vom 27. November 1870 [nicht 27. September 1868]. 5

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Zug in der ganzen Sache, man treibt die Theologie wie ein Kaufmann seine Kaffeesäcke oder Schnupftabakpakete zählt.«11 Binnen Monatsfrist verschärfte er sein Votum: Das hiesige Seminar ist, glaube ich, die eigenthümlichste Anstalt, die es auf Gottes Erdboden gibt; man ist von allem etwas u[nd] doch nichts; ich bin Prediger u[nd] predige doch nicht, bin Schulmeister u[nd] doch eigentlich nicht, habe nichts zu thun u[nd] doch immerfort zu arbeiten, wir wohnen zusammen, sehen uns aber Wochenlang nicht, mit einem Wort wir leben hier u[nd] wißen nicht warum, u[nd] daß wir hier leben können, verdanken wir nicht dem Seminar, das uns zwingt hier zu leben – denn wären wir nur Seminaristen, so könnten wir mit der größten Gemüthlichkeit verhungern –, sondern das verdanken wir dem, was wir noch nebenbei sind.12

An persönlichen Bekanntschaften zum Münchner Kirchenregiment sowie zu seinen Seminarkollegen lag dem ehemaligen Erlanger Studenten wenig,13 seine persönlichen Kontakte pflegte er außerhalb des Seminars: U.a. bemühte sich A. Hauck, den am Münchner königlichen Kadettenkorps lehrenden Theosophen J. Hamberger zu besuchen, obwohl er seiner idealistischen Beweisführung der christlichen Lehre14 skeptisch gegenüberstand.15 In Auseinandersetzung mit diesem Theosophen schärfte A. Hauck, wie er selbst meinte, sein historisches Verständnis der Gegenwart und entwickelte eine realistische, wirklichkeitsnahe Deutung der Gegenwart.16 In der Bibelexegese blieb er biblizistischen und orthodoxen Anschauungen nahe.17 Da den Müchner Lehrern A. Haucks Schwachstelle – das mangelhafte Ausfertigen von Predigten – bewusst war, beauftragten sie ihn binnen Wochenfrist mit der ersten Probepredigt im gerade begonnenen Ausbildungsjahr. Seine theologischen Überlegungen ließ er u.a. an den gedruckten Predigten A. Stählins und W. Löhes reifen.18 Im Sechs-Wochen-Rhythmus musste sich jeder Kandidat dieser Aufgabe erneut stellen. Weil A. Hauck nach fünfmonatiger 11

TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 17. Oktober 1868. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 1. November 1868. 13 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 17. Oktober 1868. 14 Vgl. Hamberger, Physica sacra. J. Hamberger wies die Vollkommenheit Gottes nach, indem er zwischen philosophischem Denken und biblischer Offenbarung vermittelte. 15 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 21. Februar 1869: »Das allgemeinste Kennzeichen für diese Gattung Leute ist, daß sie eine andere Logik haben als die gewöhnlichen Menschen, was auf diejenigen, die gerne einen geistreichen Schein sehen, einen gar anziehenden Eindruck macht; denn man kann sich ja so ungeheuer viel unter ihren Reden denken, ebendeshalb, weil kein Mensch versteht, was sie damit sagen u[nd] weil sie im Grund genommen gar nichts sagen, was einen verständlichen Inhalt hat.« 16 Vgl. TFIfKGL, Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 20. Januar 1871 und vom 26. März 1869. L. Stählin, ein befreundeter ehemaliger Seminarist, urteilte über A. Hauck folgendermaßen, wie A. Hauck mit eigenen Worten wiedergab: »[...] in der Theologie bleibt er [A. Hauck, M. T.] außen hängen ohne den höheren Sinn zu verstehen (weil ich nämlich mehr auf das Geschichtliche gebe als auf das Spekulative, bei welchem man meiner Ansicht nach, nie zu einer Gewißheit kommt; gerade das Spekulative ist aber Stählins Steckenpferd).« 17 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. Februar 1869. 18 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 10. Dezember 1868. 12

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Ausbildung seine Predigten noch immer abstrakt hielt, hoffte er, in einer konkreten Gemeindesituation schließlich doch verständlich predigen zu können. Daneben wurden die Kandidaten zu Katechesen in der Münchner Gemeinde und zu Unterrichtsstunden in Schulen aufgefordert sowie die Lektüre von homiletischen und seelsorgerlich-erbaulichen Schriften erwartet.19 In A. Haucks Aufgabenbereich fiel zudem die geistliche Betreuung des Münchner evangelischen Handwerkervereins.20 Seit März 1869 verfolgte A. Hauck in der bayerischen Abgeordnetenkammer und im Reichsrat aufmerksam die Diskussion über den Schulgesetzentwurf, den der Staatsminister des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten bereits am 31. Oktober 1867 zur Beratung vorgelegt hatte.21 Der Entwurf förderte zwar eine moderne Volksschule,22 hielt aber an Konfessionsschulen fest und ließ nur in konfessionell gemischten Gebieten Simultanschulen zu; dennoch sah er die Bildung von politischen Schulbezirken vor. Heftige Auseinandersetzungen begleiteten die Diskussion um die Beschränkung der geistlichen Schulaufsicht. Nachdem der vielfach abgeänderte Schulgesetzentwurf von der Abgeordnetenkammer angenommen worden war, sprach sich die Mehrheit der Reichsräte dagegen aus. A. Harleß, der Münchner und Freisinger Erzbischof G. Scherr und der Augsburger Bischof P. Dinkel hatten den Vorschlag torpediert. A. Hauck konnte dagegen der Trennung von Staat und Kirche Positives abgewinnen: 19 Vgl. LAELKB, OKM 3349, Predigerseminar, Instruktion für die Kandidaten des Münchner Predigerseminars vom 1. März 1837: § 1 »Das hiesige Prediger-Seminar hat den Zweck, daß die aufgenommenen Kandidaten während ihres Verbleibens darin unter der abgeordneten Aufsicht und Leitung nach den dargebotenen Hilfsmitteln: a) ihre theologischen Studien tiefer begründen und vollständiger begreifen, b) und zur praktischen Ausbildung für ihren geistlichen Beruf Anweisung, Gelegenheit und Aufforderung erhalten sollen.« § 8 Die Privatstudien des Seminaristen werden nicht beschränkt, doch erfordert sein Aufenthalt, dass »a) die stete und sorgfältige Beschäftigung mit der heiligen Schrift der Hauptgegenstand und der Mittelpunkt aller seiner Studien bleibt, womit die biblische Philologie überhaupt, dann die Lektüre eines Klassikers, wozu eine Schrift von Cicero, eine Auswahl aus Quintilian, Xenophon oder Plato mit täglich ½ Stunde ausreichend erachtet wird, in fortgesetzter und wo möglich gemeinschaftlicher Übung zu verbinden ist; b) daß unter den theologischen Wissenschaften die Apologetik vorzugsweise betrieben werde.« § 9 Der Seminarist soll die reiche Bücherauswahl im Predigerseminar zum eigenen Erkenntnisgewinn nutzen. § 10 »Die Anordnungen der Direktion zum Selbstinterpretieren und zu Konservatorien über gewählte wissenschaftliche, besonders exegetische und apologetische Gegenstände ist jeder Zeit willige Folge zu leisten.« § 11 »Jeder Seminarist hat am Schlusse des Jahres über ein in Beziehung auf die verhandelten Materialien aufgegebenes oder ein selbstgewähltes Thema eine gelehrte Abhandlung in lateinischer Sprache an dem bestimmten Termin zu liefern.« 20 Der 1848 von G. Seiler gegründete Münchner Handwerkerverein nahm soziale und diakonische Aufgaben wahr. Er war ein Laienverein, der durch die freie Wahl eines geistlichen Vereinsvorsitzenden seine Unabhängigkeit von der Institution Kirche und der Kirchengemeinde sowie von staatlichen Stellen bewahrte. Die Leitung übernahmen Vikare aus dem Predigerseminar, um den Gesellen eine kirchliche Prägung nahe zu bringen, vgl. Jesse, Geschichte, 160. 21 Vgl. Eichenlaub, Schulgesetzentwurf. 22 Zum Schulwesen vgl. Böttcher, Entstehung, 22–25.

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»Denn über kurz oder lang wird es doch zu einer solchen Trennung kommen, warum soll man sie nicht lieber jetzt vollziehen, wo es noch in ziemlichen Frieden geschehen kann, als später, wer weiß unter welchen ungünstigen Verhältnißen?«23 Er war Pragmatiker: Eine christliche Gesinnung der Kinder würde durch Lerninhalte nicht beeinflusst, ebensowenig führe der Gesetzesentwurf zur Entchristlichung des Volkes, eher solle die Geistlichkeit darauf achten, dass die Elternhäuser ihren Kindern einen christlichen Glauben vermittelten.24 Seiner Meinung nach hätte die Ablehnung des Entwurfes fatale Folgen für die Beziehung zwischen Schullehrern und Pfarrern. Mit seiner Auffassung, die nicht Mehrheitsmeinung der neulutherisch gesinnten Pfarrer Bayerns war,25 unterstützte er die liberale politische Linie seines ehemaligen Lehrers J.Ch.K. Hofmann. Dennoch konnte er auch die heftige Agitation von Seiten der römisch-katholischen Kirche verstehen: Für diese Konfession habe die schulische Zucht eine wichtige Bedeutung, denn »deren Religion [...] besteht auch, wie mir scheint, nur im Kreuzschlagen u[nd] im Gehorsam gegen ihren Petrus«.26 Diese Einsicht in die katholische Volksfrömmigkeit, die vor allem auf eine Kritik am Marienkult und Ultramontanismus hinauslief, hatte A. Hauck auf seinen Reisen durch die Diaspora in der Münchner Diözese gewonnen. Entrüstet nahm er deshalb zur Kenntnis, das der Präsident des OKM auf politischer Ebene für die Interessen der Ultramontanen stritt. Ein Jahr darauf kommentierte er: Es ist mir unbegreiflich, daß ein Mann wie Harleß so ganz sich von politischer Leidenschaft beherrschen laßen kann, ein Mann der noch dazu sehr vernünftige Ansichten über das Politische hat drucken laßen. Aber man sieht eben, was Theorien werth sind, die man sich am Schreibtisch ausgedacht u[nd] fein in ein System gebracht hat.27

Die Diasporasituation der lutherischen Gemeinden in Oberbayern schärfte A. Haucks Differenzierungsbewusstsein zwischen Katholiken und Protestanten. Karikierte er zwar zum einen die katholische Passionsfrömmigkeit als »ein Versenken in geistige Betrunkenheit«28 und den römisch-katholischen Gottesdienst als ein Harmoniekonzert, weil statt geistlicher Erbauung der Kunstgenuss im Vordergrund stehe,29 so billigte er aber dem Katholizismus eine »Macht über die Gemüther« zu, da sein Kult das Empfinden der Menschen trifft.30 Der Se23

TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. März 1869. Vgl. ebd. 25 Vgl. Jesse, Geschichte, 153. 26 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. März 1869. 27 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 26. März 1870. 28 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 30. März 1869 [nicht 30. April 1869]. 29 Vgl. ebd. 30 Vgl. TFIfKGL, Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 12. Juni 1869 und vom 23. April 1870. A. Hauck nahm die konfessionell geprägte Interpretation der Leidensbotschaft Jesu zur Maßgabe: Die Protestanten hielten Bußpredigten, die Katholiken predigten von Liebe, gutem Gewissen und Humanität. »Besser wird durch diese Predigten zwar kaum ein Zuhörer geworden sein; aber Eindruck haben sie gewiß gemacht; denn rhetorisch waren sie bedeutend besser als die meisten prot[estantischen] Passionspredigen zu sein pflegen, oft wirklich beredt.« 24

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minarist sah in der Frömmigkeit, die die römisch-katholische Kirche förderte, zwar eine kulturelle, aber keine sittliche Diktion. Demgegenüber dient seiner Meinung nach die protestantische Evangeliumsverkündigung der Versittlichung des Menschen nach Gottes Geboten in den Schöpfungsordnungen.31 Seiner Ordination maß A. Hauck – er wurde am dritten Sonntag nach Trinitatis, am 13. Juni 1869, in der St. Matthäi-Kirche zu München vom Oberkonsistorialrat H. Ranke ordiniert – keine große Bedeutung zu. Wie J.W.F. Höfling, der das Amt als iure divino betrachtet und dieses auf das allgemeine Priestertum aller Gläubigen übertragen hatte, interpretierte auch A. Hauck die Ordination als eine kirchliche Segenshandlung.32 Vermehrt richtete sich A. Haucks Interesse im Jahr 1869 auf die Reform der evangelischen Kirchenverfassung in Bayern.33 Bereits die Vereinigte Generalsynode in Ansbach von 1849 hatte sich in zahlreichen Anträgen dafür eingesetzt, dass das Oberkonsistorium nur in Fragen der Kirchenhoheit dem Ministerium untergeordnet sein, in übrigen Angelegenheiten aber direkt mit dem König verhandeln sollte. Sie forderte die eigenständige Gesetzgebungsgewalt für innerkirchliche Angelegenheiten und das Zustimmungsrecht in kirchenpolitischer Gesetzgebung.34 Die Rechte der Kirche gegenüber dem Staat durch Verankerung in der Verfassung abzusichern, war Grundproblem vieler Debatten nach den politischen Ereignissen von 1866. A. Hauck ging mit den Ansichten A. Stählins konform, der eine Volkskirche auf fester Bekenntnisgrundlage zu institutionalisieren gedachte. Aufmerksam verfolgte er deshalb die in Ansbach Ende September 1869 stattfindende Generalsynode.35 Sie stellte die Frage nach einem partnerschaftlichen Verhältnis bzw. nach der Entflechtung von Kirche und Staat. A. Scheurls Entwurf akzentuierte eine episkopale Funktion kirchlicher Ämter.36 Sein Anliegen, einen Generalsynodalausschuss als eine Art Ge31

Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 23. April 1870. Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. Mai 1869: »[...]; daß nur Ordinirte die Sakramente verwalten dürfen, hat weder in der Natur der Sakr[amente] noch in der der Ordination einen Grund, sondern ist nur eine äußere Ordnung. Wenn man zu großes Gewicht auf die Ordination legt, so erinnert sie beinahe an die kath[olische] Priesterweihe. Und davon hat unsere Kirche nie etwas wißen wollen; denn sie kennt den Unterschied zwischen Klerus u[nd] Laien nicht. Diejenigen welche man Geistliche nennt sind nichts weiter als die verordneten Diener am Wort. Dies aber bin ich, sobald ich von der geordneten Vertretung der Gemeinde, nach unseren Verhältnissen also ein Kirchenregiment, dazu angestellt bin öffentlich zu predigen.« 33 Vgl. Kantzenbach, Selbständigkeit, 163–189. 34 Vgl. Kantzenbach, Evangelischer Geist, 317. 35 Eine Zusammenfassung der Generalsynode in Ansbach vom 3. bis zum 15. Oktober 1869 bietet [Anonymus,] Generalsynode, 86–120. 36 Vgl. Kantzenbach, Evangelischer Geist, 319: »Der Synodalausschuß sollte die Arbeit der Generalsynode aufwerten, nicht schmälern, denn die kirchenregimentlichen Behörden würden in bekenntnistreuen Synoden in einer Zeit großer Umbrüche den kräftigsten Beistand haben. Was Scheurl 1872 in einer Abhandlung über ›Verfassungsmäßige Stellung der evangelisch-lutherischen Kirche zur Staatsgewalt‹ noch eingehender darlegte, verdichtet sich in folgendem Urteil: ›[...] Verzichtet man dann demgemäß mit richtigem Bewußtsein darauf, eine größere Christlichkeit des Staates haben zu wollen, als sie in Wahrheit möglich ist, so muß man folgerichtig auf eine kräftigere Entwicklung des kirchlichen Organismus Bedacht nehmen, die es der Kirche ermögliche, dem Staat gegenüber eine selbständi32

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samtvertretung der Landeskirche zu installieren, wurde mehrheitlich abgelehnt, obwohl er in G. Thomasius einen engagierten Unterstützer fand. Nunmehr wandten Erlanger Theologen den neugegründeten Pfarrkonferenzen ihr Augenmerk zu, um eine Reform der Kirchenverfassung voranzutreiben. Mit Interesse verfolgte A. Hauck den Verlauf der ersten bayerischen Pfarrkonferenz in Gunzenhausen am 17. Mai 1870, die, gegründet »zur amtsbrüderlichen Festigung«,37 versuchte, eine jährliche Zusammenkunft der Pfarrer zu organisieren, um ohne bindende Beschlüsse sich über die Aufgaben des geistlichen Amtes zu verständigen und in aktuellen Fragestellungen sich zu orientieren.38 Da er eine Kirchenverfassungsreform von unten befürwortete, missbilligte er zugleich das Ansinnen des OKM, unter Anwendung eines außer Dienst gestellten Ministerialresorigts derartige kirchenleitungsfernen Verhandlungen zu verbieten.39 A. Hauck band die Entwicklung der Kirchenverfassung an die vorherrschenden Verhältnisse und Tendenzen, ohne eigenständige Aktivitäten in die eine oder andere Richtung zu zeigen. Er setzte gegen revolutionäre Veränderungen auf einen wie auch immer gearteten organischen Fortschritt, der aus den Meinungen des Volkes erwuchs.40 Diese Einstellung, die immer den Fortschritt im Blick hatte, wenn sich Tendenzen in Politik und Volk zeigten, kann an einem weiteren Beispiel zeitgenössischer Kommentare A. Haucks nachgewiesen werden. Der Aufenthalt in der bayerischen Haupt- und Residenzstadt wirkte sich auf A. Haucks Anschauungen zur deutschen Frage aus. Hatte er als Erlanger und gere Stellung einzunehmen und zu behaupten. Und dazu hält man mit Recht, wie ich glaube, eine Verbindung presbyterial-synodaler Einrichtungen mit der Konsistorialverfassung für nöthig. Um so mehr aber dürfte dies m.E. der Fall sein, je mehr, wie ich wünschte, jenes berechtigte Streben auch zu einer Stärkung des in der Konsistorialverfassung schon enthaltenen episkopalen Elements führen würde.‹« 37 Seitz, Entwicklungen, 143. 38 Vgl. Baum, 70 Jahre, 3. Zu den Pfarrkonferenzen vgl. R. Friedrich, Kirchliches Leben, 105– 107; [Anonymus,] Pastoralconferenz, 374–378. 39 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 11. Mai 1870: »Die Sache ist von einigen fränkischen Pfarrern im Verein mit Thomasius u[nd] Zezschwitz angeregt – zum großen Schreck u[nd] Misvergnügen der hiesigen hohen Herrn. Denn da diese sich allein für klug halten, so erwarten sie ganz schreckliche Folgen von einem Unternehmen, das ins Werk gesetzt werden soll, ohne daß sie um ihre Zustimmung gefragt worden wären, ohne daß sie ihre Weisheit dazu gegeben hätten.« 40 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 24. Mai 1870: »[...] so können sie [die Konferenzen, M. T.] doch einst von großem Werth sein, wenn wir genöthigt sein werden, das gegenwärtige Verhältnis zwischen Staat und Kirche zu lösen. Dann werden sie uns vor Zersplitterung der Kräfte bewahren. Die Synoden sind in einem solchen Fall ganz ohne Werth; denn da dominiren die altersschwachen Dekane u[nd] die furchtsamen Konsistorialräthe, die beide gleich unfähig sind, sich einen Zustand der Kirche zu denken, wo man die Kinder nicht mehr durch Gendarmen kann zur Taufe holen lassen, einen Zustand aber auch, wo Pfarrer nicht mehr durch Polizeidiener zur Trauung von Ehebrechern können gezwungen werden.« Zu A. Haucks Kritik an Synoden vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 9. August 1873: »Kürzlich war Diöcesansynode, eine zwecklose, langweilige u[nd] kostspielige Zusammenkunft. Dekan Buchrucker scheint nicht der Mann[,] in eine Versammlung Geist u[nd] Leben zu bringen.« Vgl. Böttcher, Entstehung, 20f: »Der Diözesansynode oblagen vor allem die Wahrnehmung und Besprechung der kirchlichen Zustände und Bedürfnisse innerhalb des Dekanats, Anregung und Äußerung von Wünschen und die Wahl zur Generalsynode.«

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Berliner Student die nationalstaatlichen Bemühungen Preußens heftig kritisiert und die Partikularität des Königreiches Bayern verteidigt, so revidierte er in Anbetracht des Münchner geselligen Lebens seine Ansichten. Beispielgebend ist seine Meinung gegenüber der aufstrebenden bayerischen Hauptstadt, die dem Seminaristen aus verschiedenen Gründen missfiel.41 Bayerischer Patriotismus wurde für ihn mehr und mehr ein Zeichen für Fortschrittsfeindlichkeit und Rückständigkeit: Er deutete das Münchner Oktoberfest als »Treibhaus des bairischen Patriotismus«, das »hinreichend [ist,] um vor aller Welt den unumstößlichen Beweis zu liefern, daß Baiern nicht vermag sich selbst zu regieren u[nd] daß diesem Volk also nicht anders zu helfen sei als durch Annexion«.42 Die politischen Auseinandersetzungen im Vorfeld der Landtagswahlen im November 1869 bestätigten ihn in seiner Ansicht.43 Gegen die ablehnende Haltung der bayerischen Regierung in Bezug auf die preußischen politisch-nationalen Einigungsbemühungen opponierte A. Hauck zunehmend. Mit großer Enttäuschung nahm er wahr, dass in der bayerischen Abgeordnetenkammer am 15. Juli 1870 über Formulierungen gestritten wurde, »während nächstens ganz Deutschland in Brand steht«.44 Demgegenüber verteidigte er Preußens Außenpolitik.45 Seinen Ärger über einen fehlenden Patriotismus adressierte er zudem an das OKM.46 Mit Empörung nahm der Seminarist Äußerungen des Präsidenten des OKM auf: »Will uns der Herr von Harleß Patriotismus lehren? Ich glaube, wenn man ihn selbst abrechnet, wird es keinen Geistlichen geben, bei dem eine solche Belehrung nöthig wäre.«47 41 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. Februar 1869: »Aber ich weiß nicht, ob Du es für ein großes Lob halten würdest, wenn ich Dir schreibe, wie sie verstehen Bier aus Maaskrügen zu trinken u[nd] ungeheuer Portionen von Schweinefleisch u[nd] Sauerkraut zu essen, wie sie nicht allzu fortschrittlich sind, indem sie zwar reden wie die Neuesten Nachrichten, aber denken wie der Volksbote, wie sie gar haushälterisch sind u[nd] das Ihrige zu Rath halten, indem sie andere Leute betrügen, wo sie nur können, wie sie gar nicht spitzig sind wie die Berliner, indem sie viel zu dumm sind, es zu sein u[nd] was dergleichen treffliche Eigenschaften noch mehr sind [...].« 42 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 9. Oktober 1869. 43 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 27. November 1869: »Mir ist dies Parteiwesen, wie es gegenwärtig hier an der Tagesordnung ist, unaussprechlich zuwider; denn es ist kaum zu sagen, welche Menge von Schmutz auf allen Seiten aufgewühlt wird.« 44 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 16. Juli 1870 [nicht 16. August 1870]. 45 Vgl. ebd.: »Von Berlin mußte ein eigener Gesandter hierher kommen, um unsere Regierung zu bewegen, dem Bundesvertrag treu zu bleiben u[nd] das soll ihm nach ziemlicher Mühe erst heute früh gelungen sein. Ist das nicht eine Schmach?« 46 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 3. August 1870: »Ich kann kaum sagen, wie ich mich in dieser Zeit wieder über diese hochwürdige Behörde geärgert habe [...]. Der Krieg war erklärt, in Preußen war ein Bettag anberaumt, der hiesige Erzbischoff hatte dasselbe gethan, aber das O[ber]C[onsistorium] dachte natür[lich] noch immer nicht daran auch etwas zu thun: endlich wählte man einen Tag, an dem womöglich die Hauptschlacht schon vorüber ist. Mit dem Kriegsgebet ists ebenso – u[nd] dazu welch ein langathmiges u[nd] schwächliches Machwerk ist dies Gebet.« 47 Ebd. Vgl. Blessing, Politik, 86f: »So sehr die bayerischen Pfarrer vor allem unter den einfachen Leuten für die innere Reichsbildung wirkten – zum herrschenden bürgerlich-protestantischen Zeitgeist hielt sie ihr fundamentaler Bekenntnishorizont doch in gewisser Distanz. [...] So hegten die konservativ-lutherischen Kreise Bayerns bei allem Bekenntnis zu Kaiser und Reich doch Vorbehalte gegen die nationale Wirklichkeit. Damit behielt der kirchliche Raum eine überdurchschnittliche menta-

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Bald nach Kriegsbeginn lagen in Münchner Krankenhäusern Verwundete verschiedener Nationalitäten, die A. Hauck im Rahmen seiner Ausbildung seelsorgerlich betreuen musste. Vermutlich blieb er aufgrund dieser Erfahrungen auch nach der Entscheidungsschlacht bei Sedan am 1. September 1870 in seinem Patriotismus erstaunlich reserviert und wartete die Folgen der Einkesselung der französischen Armee bei Metz ab.48 Der Deutsch-Französische Krieg überschattete A. Haucks Abgang aus dem Predigerseminar. Die Ernennung des Reisepredigers A. Ortloph und des zweiten Stadtvikars A.W. Volck zu Feldpredigern hatten die Wahlmöglichkeiten der Seminaristen stark eingeschränkt, weil sie nach Anordnung des OKM die Verwesung beider Ämter bis zum Kriegsende zu gewährleisten hatten. A. Hauck sehnte das Ende seiner Ausbildungszeit im Predigerseminar herbei, auch weil ihn der Unterricht an einer Münchner Mädchenschule nicht mehr befriedigte. Den Vorschlag der Mutter, eine Repetentenstelle an der Fakultät in Erlangen anzustreben, nahm er nicht an.49 Bereits vor dem Krieg hatte sich der Seminarist um ein Vikariat in Schalkhausen beworben. Den Ausbildungsplatz im Fabrikdorf Stein lehnte er mit der Begründung ab, dass die Arbeiter eines Seelsorgers bedürften, der er nicht sei.50 So hoffte er auf ein Angebot aus den Konsistorien und favorisierte statt einer halbjährlichen Pfarramtsverwesung ein selbständiges Vikariat. Schwierig gestaltete sich dieses Unterfangen aber, weil seine Bewerbungen für Geißlingen und Dillingen trotz Unterredungen der Mutter mit dem Ansbacher Konsistorialrat A. Stählin keine Unterstützung im OKM fanden.51 Maßlos verärgert war A. Hauck auch darüber, dass das OKM seine Bewerbung um das Privatvikariat beim Gunzenhausener Dekan W. Koch grundlos überging.52 le Bedeutung, was bergende Gemeinschaft und feste Orientierung gab, aber von der Hauptlinie der politischen Kultur in der protestantischen Bevölkerung abführte.« 48 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 6. September 1870. 49 Vgl. TFIfKGL, Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 26. April 1869 [nicht 26. März 1869], vom 27. Oktober 1869, vom 12. November 1869 und vom 10. April 1870: »Wenn man aber die Aussicht hat Pfarrer zu werden, ist es dann nicht höchst ungeschickt, 2 Jahre lang nach einer Richtung hin zu arbeiten, die von dem was ein Pfarrer zu thun hat weit abführt? [...] Darum hat Repet[ent] zu werden nur für den einen Sinn, der die feste Absicht hat, Professor zu werden, es koste was es wolle. Aber dazu gehört mehr Geist u[nd] mehr Geduld, als ich aufzuwenden habe. [...]« 50 Vgl. ebd. Zur Problematik des Pauperismus und der Industrialisierung vgl. Blessing, Staat, 154: »Wo allerdings durch räumliche Nähe, eine Fernstraße oder enge wirtschaftliche und soziale Beziehung eine dichtere Kommunikation mit der urbanen Gesellschaft bestand, wo der Pauperismus über das herkömmliche Maß hinauswucherte, wo eine überdurchschnittlich mobile, ökonomisch anfällige Kleingewerbebevölkerung überwog, wo in Großbetrieben ›von allen Weltengegenden zusammengekommene Arbeiter‹ als Element der Desorientierung und Desintegration wirkten – wo einer oder mehrere dieser Faktoren den traditionsfixierten Horizont aufweichten, wurde die religiöse Restauration deutlich gehemmt.« 51 Vgl. TFIfKGL, Briefe an seine Mutter Sophie Hauck vom 23. August 1870 und vom 2. September 1870. 52 A. Hauck hatte dem Gunzenhausener Dekan W. Koch zugesagt, am 21. Oktober 1870 das Vikariat anzutreten. Einen Monat zuvor erhob Oberkonsistorialrat K. Burger dagegen Einspruch, vgl. LAELKB, OKM 3349, Predigerseminar, Schreiben vom 17. September 1870. Ende November 1870

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Nie war A. Hauck gern in München gewesen, nun musste er auf Drängen des OKM das zweite Münchner Stadtvikariat unter Pfarrer W.N. Rodde, zu dessen »Verteidigern« er sich später rechnete,53 verwesen.54 Ab Oktober 1870 unterrichtete er am Taubstummeninstitut, an der Volksschule und an der Gewerbeschule. Kirchengeschichte zu lehren bereitete ihm Freude.55 In seiner Freizeit gab er ein Liederbuch für den Münchner Handwerkerverein mit Trink- und Liebesliedern heraus. Mit Hilfe der Lektüre der Predigtreihe G. Zezschwitz’ und dessen Apologie des Christentums bildete sich der Vikariatsverweser fort.56 Ende Januar 1871 – nach Ende des Krieges – fand A. Hauck einen Vikariatsplatz, der ihm zusagte: Feldkirchen, die »beste Gemeinde in Oberbayern«.57 Vier Monate zuvor hatte er es für nahezu unmöglich gehalten, dorthin versetzt zu werden: »Wenn Du aber den Gedanken hast, ich könnte sein [F. Rankes, M. T.] Nachfolger werden, so hast Du das Ziel zu hoch genommen; denn Feldkirchen ist eines der besten Vikariate in Baiern; daher nur älteren Kandidaten und Söhnen von Oberkons[istorial-] Räthen zugänglich. Auch ists eine Stelle, wo man einen braucht, mit dem man Staat machen kann; denn die dortigen Anstalten sind das Schooskind der Königin u[nd] darum der hohen Münchner Gesellschaft. Du siehst, wie wenig ich dahin paßte.«58 Am 15. Februar 1871 wurde A. Hauck vom OKM nach Feldkirchen berufen. Bereits im März besuchte er die Gemeinde mit ihren 400 Gliedern und das Rettungshaus mit seinen 40 Kindern und Pensionären.59 Im selben Monat erverfügte das OKM, dass A. Hauck bis zur Rückkehr des Feldpredigers A.W. Volck das zweite Münchner Stadtvikariat verwesen sollte, vgl. LAELKB, OKM 3349, Predigerseminar, Schreiben vom 23. November 1870; vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 30. September 1870. 53 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 13. November 1870. 54 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 29. Oktober 1870 [nicht 29. März 1871]: »So muß ich hier bleiben, wer weiß wie lange, arbeiten ohne Erfolg u[nd] kann endlich fort ohne Dank. An dem allen ist nur die Thorheit des Oberkonsistor[iums] Schuld, die man allerdings nun einzusehen anfängt. Wahrhaftig, diese Herrn sind allesamt werth, pensionirt zu werden. [...] Über den hiesigen Dekan muß ich bei der Geschichte immer lachen. Denn er tröstet mich, so oft ich zu ihm komme, es sei das allerbeste gar keine eigenen Wege zu gehen, sondern rein die Sache gehen zu lassen wie es gehe, u[nd] d[er]gl[eichen] mehr. Freilich, den Herrn im Kirchenregiment ists das allerbequemste, wenn wir gar nicht wollen, sondern sie mit uns machen können, was ihnen beliebt, ohne ein Wort des Widerspruchs hören zu müssen.« 55 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 27. November 1870: »Was wird bei diesem Unterricht herauskommen, wenn ich Kirchengeschichte von einem Standpunkt aus vortrage, mein Nachfolger von einem zweiten u[nd] [A.W.] Vol[c]k von dem 3.? Wenn die Kinder nicht dadurch aufs Höchste verwirrt werden, so müßten sie alle Genies sein – u[nd] dazu felt viel.« 56 Zezschwitz, Zeugnisse; Zezschwitz, Apologie. 57 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Februar 1871 [nicht 5. März 1871]. A. Hauck sollte auf Ansinnen des Münchner Dekans M. Meyer und unterstützt vom Oberkonsistorialrat H. Ranke in Feldkirchen die Schullehrerstelle und das ständige Vikariat übernehmen. A. Hauck überredete daraufhin seine Schwester Frida, Haushaltsgehilfin zu werden, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Februar 1871: »Sehr viel Schönes kann ich ihr [F. Hauck, M. T.] zwar nicht versprechen; gar keinen Umgang als mich, meinen Schulgehilfen u[nd] verwahrloste Kinder, eine häßliche Gegend, lauter katholische Nachbarn, ein altbairisches Dorf.« 58 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 23. September 1870. 59 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 21. März 1871.

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nannte ihn die Königlich Bayerische Regierung von Oberbayern zum Schullehrer.60 Zur einen Seite hin freute er sich auf dieses Vikariat, weil er möglicherweise Zeit für seine wissenschaftlichen Studien haben und bis zur endgültigen Anstellung dort bleiben konnte61 – zur anderen Seite hin empfand er den Umgang mit verwahrlosten Kindern und das Fehlen jeden theologischwissenschaftlichen Austausches als unangenehm. Seine Zweifel sollten sich bald zerstreuen.

4.2 Ständiger Vikar zu Feldkirchen von 1871 bis 1875 und die Theologische Anstellungsprüfung 1872 A. Hauck war froh gewesen, der Residenzstadt München den Rücken kehren zu können: Die Menschentypen dieser Stadt hatten ihm nie zugesagt, ihrer christlichen Religiosität hatte er von Beginn an ablehnend gegenübergestanden.62 Am 1. Mai 1871 übernahm er als Nachfolger von F. Ranke das ständige Vikariat zu Feldkirchen bei München, einer Diasporagemeinde,63 und die an diese Anstellung gebundene Schullehrerstelle64. Die auf Anregung des protestantischen Kabinettpredigers F. Schmidt geschaffene und mit finanzieller Unterstützung der Königin Karoline von Bayern sowie der Kronprinzessin Therese von Bayern ausgestattete evangelische Schulstelle des Ortes sicherte dem Vikar ein Auskommen.65 Das 1833 eingerichtete ständige Vikariat blieb der Pfarrei München unterstellt. Da sich die evangelische Gemeinde Feldkirchen aus Gliedern lutherischer und reformierter Konfession zusammensetzte, wurde jeder Pfarrvikar laut 60

Vgl. LAELKB, OKM 4069, Feldkirchen, Schreiben vom 26. März 1871. Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 22. Februar 1871. 62 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 1. März 1872. 63 Die Diasporasituation der Gemeinde nötigte den Vikar zum unanstößigen Umgang mit der römisch-katholischen Nachbargemeinde, vgl. LAELKB, BayD München I 719, Feldkirchen, Paragraph 25 der Dienstinstruktion für den Vikar zu Feldkirchen vom 14. Oktober 1829: »Von dem Pfarrvikar gewärtigt man, daß er nicht nur allen anzüglichen und anstößigen Ausfällen gegen die anderen christl[ichen] Confessionen sich entbehren, sondern auch unablässig sich bemühen werde, durch Verträglichkeit und gefälliges Benehmen die Achtung und nachbarliche Freundschaft derselben sich zu erwerben. Dabei wird er sich unausgesetzt bemühen, daß auch die ihn anvertrauten Pfarrgemeindeglieder sich ebenso verhalten und ihren anders denkenden Nachbarn Dienstfertigkeit und gefälliges Betragen beweisen.« 64 Vgl. ebd., Paragraph 7 der Dienstinstruktion: »In der Schule hat der Pfarrvikar den für die Protestanten erforderlichen Religionsunterricht seinen Schulkindern nach dem luthers[chen] Katechismus mit Beziehung auf den hannövrischen zu ertheilen, bis etwa wegen Einführung eines Landeskatechismus Anordnung getroffen sein wird.« Offiziell eingeführt wurde 1836 als Hilfsbuch für den Religionsunterricht ein Spruchbuch von Boeckh, Erklärung. Erst 1877 wurde die Frage nach einem offiziellen Katechismus erneut diskutiert und 1898 mit der offiziellen Einführung der Auslegung von Buchrucker, Katechismus, beantwortet, vgl. Cohrs, Katechismen, 135–164. 65 Vgl. Jesse, Geschichte, 110. A. Hauck erhielt insgesamt 700 Gulden Gehalt inkl. Kaltmiete der Wohnung, Gartennutzung und Holzbedarf, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 22. Februar 1871 [nicht 22. November 1870]. 61

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Dienstinstruktion angewiesen, sich in Katechisation und Predigt konfessioneller Polemik zu enthalten. Zu den Verpflichtungen des Pfarrvikars gehörten, den sonn- und feiertägigen Gottesdienst66, eine einstündige Katechese für alte und junge Gemeindeglieder am Sonntag, den Katechumenenunterricht und das Abendmahl viermal im Jahr zu feiern, Taufen, Begräbnisse und Ehen der Agende und den Bekenntnissen gemäß durchzuführen, Seelsorge zu üben sowie Kirchenvorstandssitzungen zu organisieren. Ferner wurde dem Vikar die Inspektion des örtlichen Rettungshauses für verwahrloste Kinder übertragen.67 Bei diesen Aufgaben unterstützten ihn seine unverheiratete älteste Schwester Frida, die Mägde des Rettungshauses und ein Schulgehilfe. So urteilten die Feldkirchner Kirchgemeindevertreter bald günstig über die Amtsführung ihres Vikars.68 Auf großen Zuspruch stießen A. Haucks Gottesdienste und der daran anschließende Katechumenenunterricht. Zu Konflikten innerhalb der Gemeinde führten aber seine sittenstrengen Bemerkungen zum Verhalten mancher Gemeindeglieder.69 Dennoch stellte der Münchner Dekan nach seiner Visitation 1874 A. Haucks Pfarramtsführung ein sehr gutes Zeugnis aus.70 In Anlehnung an Abendvorträge eines Münchner Stadtpfarrers71 rief A. Hauck im Herbst 1872 eine Veranstaltung ins Leben, um öffentlichkeitswirksam aus theologischen Werken zu lesen. Vierzehntägig referierte er u.a. über die Ethik H.L. Martensens72 sowie über apologetische Vorträge Ch.E. 66 Vgl. LAELKB, BayD München I 719, Feldkirchen, Paragraph 2 der Dienstinstruktion: Die Perikopenordnung sah die Auslegung einer Auswahl von Evangelientexten, von Episteltexten und freigewählter Bibeltexte vor. Die Evangelientexte sollten in jedem Gottesdienst verlesen werden. Den Gottesdiensten sollte die kurpfälzische evangelisch-lutherische Agende zugrunde gelegt werden. 67 Vgl. Jesse, Geschichte, 136: Die Anregung zur Gründung eines Rettungshauses für München und Oberbayern ging von Feldkirchen aus, nachdem der Vikar O. Schamberger zusammen mit Feldkirchner Familien verwahrloste Kinder aus der oberbayerischen Diaspora aufgenommen hatten. 1853 wurde das neuerbaute Rettungshaus unter dem Protektorat der Königin Maria von Bayern eröffnet. 68 Vgl. LAELKB, BayD München I 723, Kirchenvisitationen, Visitationsprotokoll vom 15. November 1874: »Dieselben [die Kirchgemeindevertreter, M. T.] gaben ihrem Geistlichen das Zeugniß, daß er das Wort Gottes nach dem Bekenntniß der Kirche predige u[nd] durch treue Seelsorge demselben Bahn und Wirkung zu erhalten suche.« 69 Vgl. ebd.: »Der Visitator [der Münchner Dekan K. Buchrucker, M. T.] nimmt Anlaß zu der Ermahnung, daß man es doch einem treuen Geistlichen danken solle, wenn er mit Ueberwindung seiner selbst aus Liebe zu den Seelen die Wahrheit sage; einen Ort müsse es in dieser verlogenen Welt noch geben, wo man die Wahrheit sagen dürfe, u[nd] das sei die Kanzel.« 70 Vgl. ebd.: »Pfarrvikar Hauck arbeitet seine Predigten auf das sorgfältigste aus u[nd] legte die Excerpte derselben sehr sauber geschrieben vor. Seine Bibliothek, welche neben den besten theologischen Werken Luther’s Werke u[nd] sehr werthvolle Ausgaben von Vätern enthält, umfaßt auch bedeutende Bücher geschichtlichen u[nd] philosophischen Inhalts, u[nd] gibt, wie die ganze Studierstube, Zeugniß von eingehenden gelehrten Studien des Besitzers.« 71 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. November 1871. 72 Martensen, Ethik. H.L. Martensen, als Bischof von Seeland höchster kirchlicher Vertreter Dänemarks, kritisierte darin I. Kants Begriff menschlicher Autonomie und entwickelte in Anlehnung an G.W.F. Hegels Ausführungen eine Theonomie, die christlichen Glauben und Freiheit des Einzelnen in Übereinstimmung brachte. Er entwarf seine Ethik als Kulturtheorie, die ihre Begründungen in einer eschatologisch orientierten Geschichtstheologie fand, vgl. F.W. Graf, Theonomie, 193–230.

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Luthardts73 bzw. G. Zezschwitz’. Neben der Bildung von Erwachsenen74 setzte sich A. Hauck engagiert für die Bildung der Jungen und Mädchen im Rettungshaus ein: Er förderte deren Konversation untereinander75 und lehrte sie in bayerischer Geschichte.76 Als Lehrer der örtlichen Schule vertrat er eine an Personen orientierte sowie eine strikt konfessionell ausgerichtete Geschichtsinterpretation.77 Im Juni 1872 legte A. Hauck am Ansbacher Konsistorium erfolgreich seine theologische Anstellungsprüfung ab. Seine Ausführungen in den Fächern Kirchengeschichte, Dogmatik/Dogmengeschichte78 und Pädagogik, seine Exegesen im Alten Testament (über Ps 11,1–10) und im Neuen Testament (über Phil 2,1– 11) sowie seine zwei Predigtentwürfe bewerteten die Prüfer mit der Note »Sehr gut«, im Fach Ethik sogar mit »Vorzüglich«. Demgegenüber kam er in der Katechese über eine III+ nicht hinaus und versagte im Kirchenrecht79 (Note IV). 73

Den Schriften E.Ch. Luthardts stand A. Hauck zurückhaltend gegenüber, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 26. Januar 1873: »Leute [wie E.Ch. Luthardt, M. T.], deren ganze Virtuosität darin besteht, fremdes Eigenthum aufzusagen u[nd] in das gehörige Licht stellen zu können, sind mir zuwider. Doch darf man diese Ketzerei kaum denken, geschweige denn schreiben, denn Luthardt ist der ›berühmte‹ Luthardt.« 74 Vgl. dazu das Urteil von Blessing, Staat, 148: »In den 1850er und 1860er Jahren setzte sich der für die Landeskirche [in Bayern, M. T.] bis ins 20. Jahrhundert typische Pfarrer durch. Von der ›Erlanger Theologie‹ geprägt, beeinflußte er seine Gemeinde in Gottesdienst und Katechese durch spezielle Gruppenbetreuung, Lektüresteuerung und die vielfältige Alltagskommunikation, die seine soziale Rolle ermöglichte, entschieden neuorthodox.« 75 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 17. September 1871. 76 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 26. Januar 1872: »Ich will anfangen den Kindern Geschichtsunterricht zu geben u[nd] muß sie zunächst in bair[ischen] Geschichten [sic!] unterrichten. Ich weiß aber nichts davon; willst Du darum nicht so gut sein, mir die bairische Geschichte von Wolf – das Lügenbuch mit den Stahlstichen in schwarzem Einband mit rothem Schnitt – zuschicken.« A. Hauck bezog sich vermutlich auf Wolf, Wittelsbach. 77 Vgl. A. Haucks Ausführungen zur Fragestellung (»Ist der Geschichtsunterricht konfessionell oder konfessionslos zu ertheilen?«) im Fach Pädagogik im Rahmen seiner theologischen Anstellungsprüfung, LAELKB, P 0686, Anstellungsprüfung 1872, Pädagogik: »Die größte That des deutschen Geistes ist nach dem protestant[ischen] Urtheil das Werk der Reformation. U[nd] dies soll ein Protestant konfessionslos erzählen? Göthe sagt irgendwo, das Beste an der Geschichte sei die Begeisterung, welche sie wirke. [...] Aber welche Begeisterung für Luther kann entstehen, wo er u[nd] sein Werk, seine Gesinnung u[nd] seine Handlungen konfessionslos geschildert werden? Zur Charakterbildung vor allem soll die Geschichte in der Schule dienen. Ist dies möglich, wenn die größten Charaktere verwaschen u[nd] ihrer Schärfe u[nd] Kraft durch die Darstellung entkleidet werden?« 78 Vgl. LAELKB, P 0686, Anstellungsprüfung 1872, Dogmatik/Dogmengeschichte: Die Aufgabenstellung (»Die Lehre von der Person Christi ist nach der Ausbildung, die sie in der lutherischen Theologie gefunden hat, darzulegen, und die vornehmsten Gegensätze zu bezeichnen, welche durch dieselbe ausgeschlossen werden!«) beantwortete A. Hauck – wie bereits in den Aufnahmeprüfungen der Pfarramtskandidaten 1868 – auf Grundlage von Thomasius, Christi Person; I.A. Dorner, Entwicklungsgeschichte; zudem griff er zurück auf Frank, Gewissheit; Frank, Theologie. Als Basis seiner Ausführungen diente A. Hauck Luthardt, Compendium. 79 Vgl. LAELKB, P 0686, Anstellungsprüfung 1872, Kirchenrecht: »Nach welchen Normen richtet sich in Bayern die religiöse Erziehung der Kinder in gemischten Ehen und zwar so wohl der ehelichen als der unehelichen, dann der Findelkinder? Welchen Einfluß übt auf diese Erziehung der Konfessionswechsel der Eltern, welchen die Ehescheidung, welchen das Ableben eines der Eltern oder beider? Kann ein vor dem Eheabschluß vereinbarter Vertrag über die religiöse Erziehung der Kinder

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Dennoch schloss der Feldkirchner Vikar mit der Note II+ und dem ersten Platz unter zwölf Kandidaten ab. Die Exegesen erarbeitete A. Hauck zum einen aus Kommentaren F. Delitzschs,80 A. Ewalds sowie W. Meyers und J.Ch.K. Hofmanns. Im Fach Kirchengeschichte81 griff er auf die Darstellungen A. Neanders, J.K.L. Gieselers, H.L.Th. Giesebrechts und auf L. Rankes Papstgeschichte zurück.82 Einer genaueren Analyse bedürfen A. Haucks ethische Überlegungen, die er auf Ausführungen A. Harleß’, J.Ch.K. Hofmanns, A. Oettingens und H.L. Martensens stützte.83 Im Rückgriff auf diese unterschied A. Hauck zwischen gesetzlichen und sittlichen Forderungen und konstatierte, dass die Gesetzgebung die sittlichen Ansprüche, die der christliche Glaube vermittelt, institutionell verankern soll.84 Wie A. Harleß verknüpfte er Glaubenslehre und Ethik eng miteinander und sah die am christlichen Glauben orientierten Verhaltensweisen als »Erfüllung des Natürlichen« an.85 während der Ehe wieder abgeändert werden? Wenn ja, unter welcher Voraussetzung, u[nd] welche Normen sind dabei zu beobachten?« 80 Vgl. A. Köhler, Delitzsch, 568, 46–50: »Allen diesen Kommentaren [...] ist das Streben gemeinsam, die biblischen Bücher als Produkte der göttlichen Offenbarungs- und Heilsgeschichte mit allen Mitteln einer staunenswert ausgebreiteten Gelehrsamkeit zu geschichtlichem und geistlichem Verständnis zu bringen.« 81 Vgl. LAELKB, P 0686, Anstellungsprüfung 1872, Kirchengeschichte: »In welcher Weise und welchem Grade haben sich in der Zeit von Karl dem Großen bis zum Untergang des Hohenstaufschen Kaisergeschlechtes die Stellung u[nd] die Ansprüche des Papsttums geändert? Welche Mittel wurden dazu angewandt? Durch welche Umstände wurde die Veränderung gefördert?« 82 Vgl. ebd. A. Hauck endete mit den Worten: »Blickt man zurück auf die ganze Zeit bis auf Karl den Großen, so ist ersichtlich: die Forderung der Freiheit der Kirche ward zu dem Anspruch der Herrschaft. Die Einigkeit mit dem Staat ward zur erbittertsten Feindschaft. Die Kirche siegte durch ihre geistliche Macht, aber nicht ohne die Unterstützung der nationalen Sonderung u[nd] der aufstrebenden Fürstenmacht; der Geist der Zeit trug sie empor. Allein in ihrem Sieg wandte er sich von ihr ab, so daß der Fall unvermeidlich war, wenn die selbständigen Mächte, die unter dem Kampf mit dem Kaiserthum erstarkt waren, sich gegen sie wandten.« 83 Vgl. ebd., Ethik: »Welcher Unterschied besteht zwischen einer gesetzlichen u[nd] einer ethischen Forderung? Inwiefern treffen beiderlei Forderungen zusammen? Warum ist es gleichwohl richtig, sie nicht zu vermengen oder zu verwechseln?« A. Hauck griff auf Harleß, Ethik; Hofmann, Schriftbeweis; Martensen, Ethik; Oettingen, Moralstatistik, zurück. Vgl. zur damaligen Auseinandersetzung um eine christliche Sozialethik [Anonymus,] Socialethik, 75–109. 84 Vgl. LAELKB, P 0686, Anstellungsprüfung 1872, Ethik. A. Hauck führte aus: »Zunächst gilt den Christen die sittliche Forderung. Sie sollen dem, was durch die neue Geburt in sie gepflanzt ist, gemäß sich erzeigen. Das drückt Luther aus, wenn er in der bekannten Stelle, die Sonne vergleicht, der man nicht gebieten muß zu scheinen, sondern die dies von selbst thue u[nd] der Apostel, wenn er ihnen kein Gesetz mehr gelten läßt. Aber neben der sittlichen Forderung bleibt die gesetzliche stehen gleichsam als ein Wächter, sie in ihrer Strenge zu erhalten. Denn da die Christen in ihrer ständigen Natur leben, so wäre es unumgänglich, daß die sittliche Forderung sich allmählich ermäßigte, nach dem, was die Christen sind, wenn nicht das Bild, dem sie gleichen sollen, ihnen immerdar vor Augen stände. Darum ists so richtig, die gesetzliche Forderung nicht mit der sittlichen zu vermengen oder gar zu verwechseln, sondern sie in ihrer von Gott gesetzten Unabhängigkeit u[nd] Strenge zu erhalten. Andererseits aber darf auch die sittliche Forderung nicht mit der gesetzlichen vermengt oder verwechselt werden. [...] In ihrem Nebeneinanderstehen dagegen erfüllt stets eine die andere.« 85 Vgl. Rendtorff, Ethik, 509, 24–510, 38; zu A. Harleß vgl. 509, 35–39: »Religion und kirchlicher Sinn bestimmten so die in vielen Auflagen verbreitete Christliche Ethik [Hervorhebung im Origi-

Predigtamtskandidat, Vikariatsverweser und ständiges Vikariat

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Vornehmlich H.L. Martensen, der wie O. Pfleiderer eine religionslose Moral kritisierte, gab A. Haucks Denken wichtige Impulse. H.L. Martensen forderte eine Prädominanz der Güterlehre sowie eine »kritische Analyse der destruktiven Sozialfolgen der Realisierung kulturpraktischer Autonomieansprüche«.86 Indem er die Geschichte heilsgeschichtlich-teleologisch betrachtete, konnte er eine Kulturentwicklung normativ interpretieren. Hier wird sichtbar, wie der dänische Lutheraner zwischen Kultur und Religion vermitteltete: »Die ideale Kultur hat nur in dem Maße Bestand, als sie theonom fundiert bzw. mit religiösem Gehalt erfüllt ist.«87 Infolgedessen vertrat H.L. Martensen ein »radikal dualistisches Geschichts- und Wirklichkeitsverständnis«,88 das in einer zweifachen Sittlichkeit mündete: Einerseits eine bloß weltliche oder autonome Sittlichkeit (morale indépendante), in welcher der Mensch sein eigener Gesetzgeber ist und seinen Endzweck in sich selber hat, andererseits eine religiöse oder theonome Sittlichkeit, in welcher der Mensch sich in Wahrheit als Gottes Geschöpf erkennt, daher auch das Gesetz seines eigenen Wesens vor allem als Gottes Gesetz, und das Leben in Gott als seine höchste Aufgabe.89

Die (Volks-)Kirche sah er deshalb vor die Aufgabe gestellt, die Kultur umfassend zu rechristianisieren.90 Haucks Prüfungsleistungen beeindruckten den Ansbacher Konsistorialrat A. Stählin, sodass er sich an einer wissenschaftlichen Förderung des Vikars interessiert zeigte. Doch ließ sich dieser nur widerwillig auf die Bearbeitung der Synodalaufgabe über die Bedeutung der Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche ein.91 Größere Freude bereitete ihm die Ausfertigung der nal] von A. v. Harleß (1824), die den ›Begriff des christlichen Lebens‹ im Gange vom Heilsgut ›als objektiver Basis‹ zum Heilsbesitz ›als dem subjektiven Daseyn des Heilsgutes‹ zur ›Heilsbewahrung‹ geht und die christliche Frömmigkeit als Mutter der Tugenden bestimmt.«; 509, 25–34: »Die theologische Ethik ist mehrheitlich nicht Hegel, sondern Schleiermacher gefolgt. [...] Der Anschluß an Schleiermacher erfolgte insofern vor allem, um auch in der Ethik das religiöse Verhältnis als Auslegung einer Beziehung zu Gott zu konkretisieren, die nicht auf eine Identität des ethischen Subjektes und den Geist Gottes hinauslief.« 86 F.W. Graf, Theonomie, 194. 87 Ebd., 206; vgl. auch 218: »Die Rückbindung von Sittlichkeit an Religion bzw. die Behauptung einer konstitutiven Einheit von Religion und Sittlichkeit läßt sich insofern als Ausdruck des Interesses begreifen, die Unbedingtheit sittlicher Verbindlichkeit einzuschärfen und der angesichts zunehmender Differenzierung und Segmentierung der Kultur drohenden Pluralisierung des Ethischen entgegenzuwirken: [...] Insoweit ist auch Martensen jener Tradition ethischer Theoriebildung in der protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts zuzurechnen, die die bürgerliche Gesellschaft wesentlich durch Tendenzen ethischer Dekomposition bedroht sieht, dieser Gefahr sittlicher Anarchie allein durch eine kulturpraktische Stärkung substantieller Verbindlichkeit begegnen zu können meint und dazu religiöse Traditionsbestände als politisch unaufgebbaren gesellschaftlichen Normenkonsens auslegen muß.« 88 Ebd., 203. 89 Martensen, Ethik, 11. 90 Vgl. F.W. Graf, Theonomie, 212: »Theonomie bedeutet keine unbeschränkte Offenheit gegenüber der spezifisch neuzeitlichen kulturellen Entwicklung, sondern den Versuch, deren Emanzipationsdynamik in einem traditionellen religiösen Normensystem zielgerichtet zu kanalisieren.« 91 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 10. Dezember 1872: »Das Thema ist von Stählin gestellt, mir ists nicht gerade angenehm; schwer ist es nicht. Die Arbeit ist mir zuwider,

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jährlichen Predigerarbeit. Hier ist sein charakteristischer Predigtstil zu erkennen: theologisch tiefschürfende Gedanken, durchdachtes Vorgehen und leicht verständliche Sprache.92 Zwei Jahre nach Dienstantritt trieb der Feldkirchner Vikar eigenständig kirchengeschichtliche Forschungen. Er konnte hierzu auf eine reich ausgestattete Bibliothek zurückgreifen. Ein Blick in sein (verschollenes) Bibliotheksbuch zeigt, dass sich der Theologe mit Werken I. Kants und E. Hartmanns, mit der philosophischen Sittenlehre F.D.E. Schleiermachers sowie neben den Geschichtswerken L. Rankes, J.K.L. Gieselers, A. Neanders und H.L.Th. Giesebrechts auch mit historischen Untersuchungen eines F.Ch. Dahlmann, Th. Mommsen und E. Gibbon auseinandersetzte.93 Weitreichende Bedeutung aber sollte die Anschaffung der Oehlerschen Ausgabe der Werke Tertullians erlangen.94 Nachdem seine Mutter mit ihren Töchter im September 1873 ins Feldkirchner Pfarrhaus eingezogen war, konnte A. Hauck nun vermehrt die Zeit aufbringen, die seine wissenschaftlichen Studien benötigten.95 denn ich sehe nicht ein, zu welchem Zweck ich ein halbes Dutzend Bögen vollschreiben soll; mein Rezensent ist unglücklicher Weise [H.] Ranke u[nd] der versteht von dem, was ich schreibe, gewiß nicht den zehnten Theil.« Die Synodalaufgabe des Konsistoriums Ansbach vom 15. April 1872 lautete, vgl. LAELKB, BayD Insingen 169, Synodal-Arbeiten: »Da neuerdings das Bekenntniß der lutherischen Kirche, wie solches in der ungeänderten augsburg’schen Confession und den übrigen dieselbe genauer erklärenden Bekenntnisschriften unserer Kirche enthalten ist, von verschiedenen Seiten wieder heftige Angriffe erfährt und die Fortdauer seiner Geltung und daher auch der Verpflichtung der Diener der Kirche auf dasselbe als nicht mehr zeitgemäß und dem Prinzipe des Protestantismus widersprechend angefochten, anderseits aber auch in extrem gesetzlicher Weise überspannt wird, so ist es von großer Wichtigkeit, über die Bedeutung, den Werth und die Geltung desselben ein wohlbegründetes, festes und sicheres Urtheil zu gewinnen, sowohl um die feindlichen Angriffe auf das Bekenntniß richtig zu würdigen und mit Erfolg abzuweisen, als auch um vor jener ungesunden Überspannung desselben sich zu bewahren. Es ist daher, 1. die Bedeutung der Bekenntnisschriften unserer Kirche festzustellen, 2. die fortdauernde kirchliche Geltung derselben gegenüber den feindlichen Angriffen und die Nothwendigkeit einer Verpflichtung der Diener der Kirche auf dieselben nachzuweisen und 3. darüber sich auszusprechen, in welchem Sinne diese Verpflichtung gefaßt und festgehalten werden muß, um die Kirche ebensowohl vor willkürlichen Abweichungen von den Grundlehren des Evangeliums zu bewahren, als auch gegen mißbräuchliche Überspannung des Werthes der Bekenntnisschriften zu schützen.« Im LAELKB ließen sich dazu keine Ausführungen A. Haucks finden. 92 Zur Predigerarbeit A. Haucks vgl. das vom Münchner Dekan K. Buchrucker verfasste Urteil vom 17. Februar 1875 in LAELKB, OKM 3014, Predigerarbeiten: »Diese Predigt zeugt von tüchtiger theologischer Bildung und heiligem Ernste. [...] Aber abgesehen davon, daß seine Gedanken hie u[nd] da zu hoch geraten sind für die Gemeinde, gehen auch viele derselben auf der schneidenden Linie zwischen Wahrem u[nd] mindestens Mißverständlichem einher, wie wenn das Leben des HErrn‚ im Leben des Elends, der Erfolglosigkeit u[nd] des Fluchs’ genannt wird. Was er getragen hat, ist noch nicht der Inhalt seines Lebens. Wie wird man auch die Störung der Schöpfungsharmonie so darstellen dürfen, der Mensch habe das Urtheil Gottes, daß Alles sehr gut sei, mit Nein beantwortet! Aber sonst sind die Gedanken tief, die Sprache einfach und edel. II. Sehr gut.« 93 Vgl. Boehmer, Hauck, 18. 94 Vgl. ebd., 20. 95 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 8. März 1873. Schwierige Wohnungsverhältnisse in Ansbach und die angeschlagene Gesundheit der Mutter hatten die Familie zu diesem Schritt veranlasst.

Predigtamtskandidat, Vikariatsverweser und ständiges Vikariat

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So genoss er [A. Hauck, M. T.] schon damals die Annehmlichkeit und das Behagen einer eigenen Häuslichkeit. Er empfand das um so nachhaltiger, als er zur selben Zeit die Leiden und Freuden des Diasporageistlichen in reichstem Masse zu kosten bekam und zugleich im Feldkirchener Rettungshause einen tiefen Einblick in die sittlichen Nöte des Volkslebens erhielt.96

4.3 Zusammenfassung Die lebensweltliche Gemengelage hatte A. Hauck auf zwei praktischtheologische Problemfelder geführt: Er musste Stellung beziehen gegenüber einer sich anbahnenden Trennung von Staat und Kirche und gegenüber Antworten auf die soziale Frage. Seine ethisch-sittlichen Überlegungen und Reflexionen waren einerseits von einer biblizistisch-christologischen Evangeliumsverkündigung geprägt, die er im Predigerseminar bei K. Burger vertieft hatte: Einzig dem protestantischen Verständnis der Glaubensvermittlung billigte er folglich die Eigenschaft zu, die Menschheit nach Gottes Willen zu erziehen; demgegenüber verwarf er eine römisch-katholische Frömmigkeit, die die Kultur nicht als ein Erziehungsideal, sondern als ein rein reflexives Erfahren von Traditionen begriff. Zum anderen stützte er seinen Überlegungen auf H.L. Martensens Verständnis einer Theonomie, die nach hegelianischen Prämissen christlichen Glauben und Freiheit des Einzelnen in Übereinstimmung brachte. H.L. Martensen hatte seine Ethik als Kulturtheorie entworfen. Wie er forderte nun auch A. Hauck vom weltlichen Regiment, die gesellschaftlichen Verhältnisse nach christlichen Grundsätzen gesetzlich zu ordnen. Indem dieser die »Sittlichkeit« eines Menschen und einer Gesellschaft in Anlehnung an H.L. Martensen religiös bestimmte, stellte er auf dem Hintergrund eines ethisch-theologischen Sündenverständnisses die Unaufhebbarkeit des menschlichen Gottesverhältnisses heraus. Die Ethisierung der Gesellschaft setzte er mit der kulturellen Entwicklung in eins. Augenfällig trat der Feldkirchner Vikar in der Diskussion um eine Reform der Kirchenverfassung für die Stärkung der gemeindlichen Mitbestimmungsrechte ein. Mit J.W.F. Höfling forderte er deshalb, dass der Gemeindevertretung die Bedeutung eines Kirchenregiments zukommt. Hierin stützte er sich auf Überlegungen des Erlanger Kirchenrechtlers A. Scheurl: Weil dieser die reformatorische Idee eines christlichen Staates als gescheitert ansah, ermutigte er das OKM zu einer selbstbewussten Eigenständigkeit gegenüber dem Staat. Letztlich kämpfte er wie auch A. Hauck für eine Kirchenreform von unten. Dass der Predigtamtskandidat und Vikar vielerorts aktuelle Tendenzen in der Gesellschaft erkannte und beachtete, zeigt exemplarisch auch sein Eintreten für eine Trennung von Kirche und Staat im Schulwesens. Lehnte er hier zwar die 96

1872.

Boehmer, Hauck, 18; vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 27. Dezember

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geistliche Aufsicht ab, so setzte er sich dennoch vehement für die christliche Erziehung und Bildung des Volkes bzw. der Gesellschaft ein. Gegenüber der Mehrheit der bayerischen neulutherischen Pfarrer vertrat er somit eine Einzelmeinung, die sich an der liberalen politischen Linie seines ehemaligen Lehrers J.Ch.K. Hofmann orientierte. A. Haucks Gegenwartsanalyse ruhte auf seinem Fortschrittsglauben. Deshalb kritisierte er den einst geschätzten bayerischen Patriotismus und Partikularismus bald als rückständig und stellte sich nach 1871 auf die Seite derer, die eine deutsche Reichsgründung von oben verfochten. Vorbehalte gegen die nationale Wirklichkeit versuchte A. Hauck wie konservativ-lutherische Kreise durch die Betonung der Einheit des deutschen Protestantismus zu überwinden.

5. Landpfarrer in Frankenheim bei Schillingsfürst von 1875 bis 1878

5.1 Innere und äußere Verhältnisse in der Kirchengemeinde Frankenheim und in der Diözese Insingen Ludwig II. von Bayern übertrug A. Hauck am 15. August 1874 die Landpfarrei zu Frankenheim. Diese trat der ehemalige Feldkirchner Vikar am 8. April 1875 an.1 Mitten im Kulturkampf wurde dem ledigen 29-Jährigen somit eine evangelische Pfarrstelle zugewiesen, die unter römisch-katholischem Patronat der Familie eines Beauftragten der Reichsregierung stand.2 Die evangelische Kirchengemeinde zu Frankenheim zählte in den 1870er Jahren um die 1200 Gemeindeglieder.3 Ihnen standen in den Orten Schillingsfürst, Frankenheim, Bellershausen, Stilzendorf, Schaafhof, Wittum, Thiergartenhof und Ziegelhütte annähernd die gleiche Zahl an römisch-katholischen 1 Vgl. LAELKB, OKM 4096, Frankenheim-Schillingsfürst. Als Nachfolger des am 3. Mai 1874 verabschiedeten Pfarrers J.L. Füller wurde A. Hauck vom Patronatsherrn Ch. Fürst zu HohenloheSchillingsfürst präsentiert und mit einem Schreiben vom 18. Juli 1874 des Ansbacher Konsistorialrates J.G. Staedelen bestätigt. Weil seine Entlassung aus Feldkirchen aber von der Kirchenbehörde in München bis Februar 1875 hinausgezögert wurde, wandte sich A. Hauck mit einem Schreiben vom 23. Februar 1875 an das OKM, in dem er auf das baldige Ende der Verwesungsperiode (31. März 1875) in Frankenheim aufmerksam machte und vorschlug, nach dem Konfirmationssonntag am 4. April 1875 (Quasimodogeniti) den Wechsel nach Frankenheim zu veranlassen. 2 Zum Kulturkampf in Bayern vgl. Spindler, Bayerische Geschichte I, 321–329; Besier, Kulturkampf, 215, 13–223, 46. Bereits im Vorfeld des Vatikanischen Konzils 1870 hatte sich in Bayern der deutsche Episkopat mehrheitlich gegen die Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit ausgesprochen. Die preußische Regierung betrachtete die Beschlüsse des Ersten Vatikanums als nicht bindend, sondern als rein innerkirchliche Angelegenheit. Kultusminister A. Falk löste daraufhin die enge Verbindung zwischen Regierung und römisch-katholischer Kirche und schränkte mit Hilfe legislativer Maßnahmen den Einfluss des Ultramontanismus auf die Staatspolitik ein. Sichtbares Zeichen dafür war der »Kanzelparagraph« im Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches vom 10. Dezember 1871. Manche »Kulturkampfgesetze« ordneten auch das Verhältnis zwischen dem Staat und den protestantischen Kirchen neu: Exemplarisch hierfür sind das Schulaufsichtsgesetz vom 11. März 1872 und das Personenstandsgesetz vom 6. Februar 1875. Im Sommer 1875 verschärfte die preußische Regierung ihr Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche in einer »dritten Serie von Kulturkampfgesetzen«. Die bayerische Regierung folgte größtenteils diesen Vorgaben. Der Kulturkampf brachte auch eine Problemstellung des bisherigen Staat-Kirche-Verhältnisses zur Geltung, die eng mit der Durchsetzung der Hoheitsansprüche eines nationalen Machtstaates gegenüber den traditionellen Rechten der Kirchen zusammenhing. 1878 ebbte der Kulturkampf ab und es setzten Gespräche ein, die seit 1886 zu »Friedensgesetzen« führten. Der Kulturkampf in Bayern erreichte seinen Höhepunkt erst mit Beginn der 1880er Jahre, als sich in Preußen schon einzelne Verständigungen anbahnten. 3 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 256, Kirchenvisitations-Protocolle, Protokoll Frankenheim.

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Christen gegenüber.4 Die evangelische Gemeinde hatte knapp fünfzig Jahre vor A. Haucks Dienstantritt einen Kirchenneubau einweihen können. Ein Jahr danach richtete der römisch-katholische Patronatsherr in einem Haus unweit der neuen Kirche eine Wohnung für den evangelischen Geistlichen ein und baute ein neues evangelisches Schulhaus. Diese von Toleranz geprägte Beziehung zwischen der römisch-katholischen Herrschaft und den protestantischen Geistlichen wirkte sich positiv auf das nachbarschaftliche Verhältnis der evangelischen und römisch-katholischen Kirchengemeinde aus. Beispielhaft dafür ist, dass sich infolge der Schulsprengelverordnung vom 29. August 1873, die u.a. die Zusammenlegung von Konfessionsschulen zu Simultanschulen genehmigte, auch in Frankenheim Protestanten entschlossen, die Wahl der Schulausbildung für ihre Kinder nicht vom Bekenntnis, sondern von der Leistungsfähigkeit der Lehrer abhängig zu machen: Sie delegierten ihren Nachwuchs an die ortsansässige, von römischkatholischen Schulschwestern geleitete Volks- und Mädchenschule.5 In den Kirchenvorständen, die im Allgemeinen neben dem Ortsgeistlichen die Interessen und Verordnungen der protestantischen Kirche zu bewahren hatten, wurde eine solche Haltung indessen kritisiert, weil sie den Ultramontanismus stärke.6 In den staatlichen Schulen war zudem das Verhältnis zwischen den Lehrern und ihrer geistlichen Aufsicht zunehmend Spannungen ausgesetzt.7 Die Gemeinde Frankenheim bewies ihren religiös-sittlichen Charakter u.a. mit einem überdurchschnittlich frequentierten Gottesdienstbesuch.8 Dennoch wies die Statistik der Kommunikantenzahlen in den 1870er Jahren einen Rück4

Vgl. PfA Schillingsfürst, III/97, Pfarrbeschreibungen, Pfarrbeschreibung vom 18. Juni 1968. Vgl. LAELKB, BayD Insingen 256, Kirchenvisitations-Protocolle, Protokoll Frankenheim. Der Insinger Dekan J.F.F. Blank tadelte 1875 die sich abzeichnende Geringschätzung der protestantischen Konfession und mahnte ein entschiedenes und glaubwürdiges Entgegentreten gegen den Ultramontanismus an: »Da diese katholische Mädchenschule, so viel der Dekan in Erfahrung bringen konnte, aber Volksschule ist und auf gleicher Stufe mit derselben steht, so wird dem [Frankenheimer evangelischen, M. T.] Lehrer Uhl nicht blos ein Schulgeld entzogen, sondern auch auf die prot[estantische] Schule der Schein gewälzt als leiste sie weniger als jene, was gewiß nicht der Fall ist, wenn auch die k[atholische] Schule einige Lehrgegenstände mehr in ihrem Schulplan aufgenommen hat und sich dadurch den Schein höherer Leistungen zu geben versteht.« 6 Vgl. ebd.: »Wie wenig ein solcher Protestantismus geeignet ist, dem Ultramontanismus wirksam entgegenzutreten, liegt auf der Hand.« 7 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 73, Diöcesansynode 1875, Bericht des Dekans: »Geistliche und Lehrer leben im Destrikt in gutem Frieden. Der Dekan, zugleich Distriktsschulinspektor, sucht im versöhnlichen Sinne zu wirken und Lehrer und Geistliche nach dieser Richtung hin zu beeinflussen.« Die schwierigen Verhältnisse zwischen Lehrern und Geistlichen benannte A. Harleß, vgl. PfA Schillingsfürst, II/33, Kirchenvisitationen 1819 bis 1911, Kirchenjahrgangsberichte: »Wie schwierig heutzutage die Stellung der Geistlichen zu den Lehrern ist, bedarf nur erwähnt zu werden.« 8 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 256, Kirchenvisitations-Protocolle 1875, Protokoll Frankenheim. In den Wochengottesdiensten und den biblischen Erbauungsstunden wurde aus den Württemberger Summarien gelesen und in Gebetsgottesdiensten wurden freie Vorträge gehalten. Die Liturgievorschläge des Jahres 1852 hatte die Gemeinde in den 1870er Jahren eingeführt, vgl. LAELKB, BayD Insingen 73, Diöcesansynode 1875, Bericht des Dekans. 5

Landpfarrer von 1875 bis 1878

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gang der Teilnehmer auf. Folgte Frankenheim hierin einem allgemeinen Trend, so schlug sich im Zeugnis des Dekans ausgesprochen negativ nieder, dass einige Gemeindeglieder aus unterschiedlichsten Motiven weder am Gottesdienst noch am Abendmahl teilnahmen: »Möge der neue Pfarrer diesen Fremden mit seelsorgerischer Liebe nahe zu kommen suchen!«9 Auch in Bezug auf die Zahl unehelicher Geburten, die kontinuierlich anstieg, musste die Gemeinde ihren Tribut an die Überzeugungen der Zeit zollen. Beklagt wurde ebenfalls die Nachtschwärmerei der Jugendlichen, die die Sonntagsruhe beeinträchtigte.10 Positive Erwähnung fand demgegenüber die von Jahr zu Jahr sich erhöhende Spendenbereitschaft für das Vereinswesen und für die eigene Gemeinde: Obwohl die Kirchengemeinde die ärmste Gemeinde des Insinger Distriktes war, konnte sie durch Geldspenden Paramente anschaffen und auf dem paritätisch genutzten Gottesacker ein Kreuz im Wert von 230 Gulden aufrichten.11 Außerdem unterstützte sie im ortsansässigen Elisenstift die verarmte Bevölkerung des Distrikts.12 Der Bauernstand prägte das Glaubensleben der Pfarrei.13 Familie, Dorf- und Pfarrgemeinde, allesamt traditionsstarke Sozialkörper, bestimmten auch in Frankenheim das soziale Leben auf dem Land.14 Die Abhängigkeit des Lebensunterhaltes von der Landwirtschaft führte die Trias Land, Haus und Familie zu einer eng verknüpften »Produktions- und Lebenseinheit« zusammen.15 Wie man sich verhielt, das sagte die Sitte, die Tradition, das Leben war traditionsgeleitet. Die Dorfkultur war nicht reflektiert und verbalisiert, sie war eine Kultur von Zeichen, von ritualisierten Normen, von Formeln. [...] Der Sinn des Daseins war in der Kirche und den religiösen Gebräuchen präsent. Bauern waren darum unmittelbarer und naiver als die Städter religiös, römisch-katholisch oder protestantisch.16

Die Diözese Insingen zählte Anfang der 1870er Jahre annähernd 6850 Gemeindeglieder.17 Bei den Geistlichen und den Gemeindevertretern des Distrikts stieß das Institut des Kirchenvorstands18 auf rege Zustimmung. Auf seinen 9

heim.

Vgl. LAELKB, BayD Insingen 256, Kirchenvisitations-Protocolle 1875, Protokoll Franken-

10 Vgl. ebd.: »Was im Übrigen die Sonntagsfeier betrifft, so wird dieselbe durch das Nachtschwärmen der ledigen Leute bis tief in die Nacht hinein nicht unwesentlich gestört.« 11 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 73, Diöcesansynode 1875, Bericht des Dekans. 12 Ebd. 13 Vgl. dazu die Äußerung A. Haucks in TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 9. Juli 1876: »Käme nicht immer von außen neues Blut, so würden die Gläubigen hier bald sehr dünne stehen.« 14 Vgl. Schindler, Bayerische Geschichte II, 768; Nipperdey, Deutsche Geschichte I, 219. 15 Ebd. 16 Ebd., 220f. 17 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 73, Diöcesansynode 1875, Bericht des Dekans. 18 Zum presbyterial-synodalen Element in der Verfassungsstruktur der protestantischen Kirche vgl. Böttcher, Entstehung, 20f: Die Beratungen des Kirchenvorstandes bezogen sich auf kirchliche Angelegenheiten der Gemeinde, auf die Förderung des geistlichen Lebens und die Wahl zur Diözesansynode.

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Sitzungen diskutierten die Mitglieder u.a. über politische Strömungen, über medial vermittelte Meinungen, über regierungsamtliche Gesetzesvorschläge, über Verhandlungen der Generalsynode, über Vereinstätigkeiten, über innergemeindliche Angelegenheiten wie Kirchenstuhlvergabe, Erbauungsstunden, Kirchenordnungen. Die Diözese Insingen wies eine »ausgeprägt kirchliche Charakteristik« auf.19 Im jährlichen Spendenaufkommen – die Spenden für die Missionsvereine erreichten hier das höchstes Niveau in der gesamten evangelischen Kirche in Bayern20 – dokumentierte sie ihr grundlegendes Interesse an sozialen und missionarischen Diensten. Die Geistlichen übten in gewissenhafter Treue ihr Amt aus, erteilten Christenlehre und Religionsunterricht mit größter Sorgfalt und fühlten sich einem guten Verhältnis zu Lehrern verpflichtet.21 Dennoch war die Diözese vor Einbrüchen der Moderne nicht gefeit: Es gab eine hohe Zahl unehelicher Geburten, Wirtshausschlägereien, eheliche Streitigkeiten, Völlerei u.a. Da die Ermahnung der Geistlichen zu einer sittlich-religiösen Erziehung des Nachwuchses die fehlende häusliche Erziehung nicht ersetzen konnte, blieb die Arbeit der Kirche gegen die anwachsende »Unsittlichkeit« oft erfolglos. Im wachsenden Maß lag die Seelsorge an den Dienstboten in der Verantwortung der Pfarrer. Die Einrichtung der Zivilehe 1876 führte die Geistlichen zudem auf ein neues Gebiet seelsorgerischer Verantwortung. Kirchenamtlich wurde verfügt, dass sie sich jeder kirchenpolitischen Agitation gegen diese Institution enthalten sollten. Die Diskussionen über kirchliche Zustände sowie die exegetischen Studien und Vorträgen der Oestheimer Predigerkonferenzen stärkten den Zusammenhalt der Pfarrer und förderten ihre Amtsführung. Die Konferenzen sicherten gerade in den theologischen und kirchenverfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen der 1870er Jahre in Bayern eine gewisse Einigkeit unter den Amtsbrüdern.22 A. Hauck referierte am 5. Juli 1876 über sein Lieblingsthema: das 19 Vgl. PfA Schillingsfürst, II/33, Kirchenvisitationen 1819 bis 1911, Kirchenvisitationsprotokolle 1877: »Aus den gesammten Visitationsakten konnte entnommen werden, daß der äußere kirchliche Stand in den protestant[ischen] Gemeinden des Consistorialbezirks [Ansbach, M. T.] im Ganzen ein wohlbefriedigender ist. Die kirchliche Sitte ist noch in den Landgemeinden fast ausnahmslos eine Macht, welcher die verschiedenartigen Versuche, das kirchliche Leben zu lockern oder aufzulösen, bis jetzt nichts haben abgewinnen können.« 20 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 73, Diöcesansynode 1875, Bericht des Dekans. 21 Vgl. PfA Schillingsfürst, II/33, Kirchenvisitationen 1819 bis 1911, Kirchenvisitationsprotokolle 1876: »[...] die kirchliche Haltung der Gemeinden ist auf dem Lande fast ausnahmslos eine würdige und gibt Zeugniß, daß Predigt und Unterricht, Wort und Sakrament und die Thätigkeit der Geistlichen überhaupt von ihnen geschätzt wird.«; vgl. LAELKB, BayD Insingen 74, Diöcesansynode 1877, Bericht des Dekans. 22 Vgl. ebd.: »Unser Capitel hat stets eine gewisse Freiheit der Anschauung mit festem Halten an den ewigen Gnadenthatsachen des Heils zu verbinden gewußt. Wir sind nicht uniform, aber wir sind conform. [...] Wollen wir in dieser Einigkeit [im Glauben an den Heilsbringer Jesus Christus, M. T.], die den theils destructiven theils hyperorthodoxen und überkirchlichen Bestrebungen der Zeit gegenüber so noth thut, festhalten!«

Landpfarrer von 1875 bis 1878

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Wirken des Heiligen Geistes in der natürlichen Welt.23 Er ließ seinen Vortrag aber nicht publizieren, weil er seine Behauptungen absichtlich auf die Spitze getrieben hatte, um zu provozieren: Ohne Gottes Geist geschehe nichts auf der Welt.24 In der zweiten Märzhälfte des Jahres 1877 rezensierte er in Oestheim eine Schrift Augustins, um katechetische Fragen aufzuwerfen.25 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich zunehmend die ländliche Mentalität infolge der Modernisierung der Landwirtschaft zu ändern.26 Schulpflicht und Militärdienst stärkten den Einfluss des Staates auf die dörfliche Gemeinschaft, der sich in Justiz und Bürokratie, Zoll- und Steuerpolitik fortsetzte. Die Zunahme des Vereinswesen führte zu einer Verbürgerlichung des Dorfes, die Orientierung an der Gemeinsamkeit und an der Tradition waren im Abnehmen begriffen, die Selbstbestimmung stand im Vordergrund: »Aber typischer ist, daß die Dorfgesellschaft insgesamt noch intakt bleibt, auch als Institution sozialer Kontrolle, daß das Traditionsgefüge der Bauern nicht nur für diese, sondern gerade auch für die Nicht- und Nichtmehr-Bauern maßgeblich bleibt.«27 Das Interpretationsmonopol der Kirche gegenüber der Welt und ihrer Geschichte blieb im Bauerntum fest verankert und durch dessen Brauchtum gesichert.28

5.2 Amtsführung, theologische Schwerpunktsetzung und kirchenpolitische Ansichten Mit gutgemeinten Hinweisen des Insinger Dekans J.F.F. Blank trat A. Hauck sein Amt in Frankenheim an.29 Er stieß dort auf Frömmigkeitsformen, 23 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 16. Juli 1876: Die sich an den Vortrag anschließende Debatte sei sehr lebendig gewesen, weil nach Urteil A. Haucks seine Amtsbrüder eher an einen Gott glauben würden, »der von außen stricke«. Für seine wissenschaftlichen Untersuchungen nahm sich A. Hauck neben seiner Pfarramtstätigkeit ausreichend Zeit, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 13. August 1876: A. Hauck beschäftigte sich mit theologischen und kirchenhistorischen Fragen, »die alle darin übereinstimmen, daß man bei der Antwort nicht über das Wahrscheinliche hinauskommt«. 24 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 9. Juli 1876: »Aber wenn ich ihn wollte drucken lassen, so müßte ich hier glätten und dort abstumpfen, hier weiterführen u[nd] dort angedeutete Grundlagen tiefer legen, so daß mir der Aufwand an Zeit zu viel u[nd] der Gewinn für mich zu wenig wäre.« 25 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 25. März 1877: A. Hauck bedauerte, dass die Erlanger »Zeitschrift für Protestantismus und Kirche« ihr Erscheinen Ende 1876 eingestellt hatte, weil er dort seinen Vortrag publizieren wollte. 26 Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte I, 221. 27 Ebd., 224f. 28 Vgl. Marhold, Stellung, 185. 29 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 256, Kirchenvisitations-Protocolle, Protokoll Frankenheim: »Der Dekan ermahnt denselben [A. Hauck, M. T.], in Predigt und Unterricht fest zu halten an dem Bekenntniß der Kirche, in Ausübung seines Berufes sich aller Willkühr und Eigenmächtigkeit zu enthalten, der Unterweisung der Confirmanden, dem Religionsunterricht der Kinder die erforderliche

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welche den Geistlichen mit Muth u[nd] Freudigkeit erfüllen dürfen, wenn auch anderseits nicht verkannt werden darf, daß das kirchliche Gemeindeleben an ernsten Gebrechen leidet, auf denen Besserung und Beseitigung hinzuarbeiten allen [...] Pflicht sein muß, denen das Wohl der Gemeinde und ihrer Kirche am Herzen liegt.30

A. Haucks Amtsführung in den ersten drei Monaten quittierte die Kirchenbehörde mit Lob.31 Sein Wirken stärkte im Distrikt Insingen die Position der Protestanten:32 Er ermahnte protestantische Eltern, ihren Nachwuchs statt auf die römisch-katholische Mädchenschule auf die ortsansässige evangelische Töchterschule zu schicken.33 In seiner Wahlheimat fühlte sich A. Hauck wohl, auch weil die mittelfränkische »Gutmütigkeit« seinem Wesen entgegenkam.34 Sein Verhältnis zum Patronatsherrn gestaltete sich unproblematisch,35 ihm hatte er keine Mitwirkung in Amtsgeschäften einräumen müssen.36 In Frankenheim sah sich der neue Pfarrer vor allem mit der schwierigen sozialen Situation der Landbevölkerung konfrontiert.37 Krankheit und Sterben bestimmten den Alltag. Erschütternd stellte sich die Lage derjenigen Armen dar, denen das Geld für Arznei und Nahrung fehlte.38 Von Mittellosigkeit blieb Zeit und Sorgfalt zu widmen, die Seelsorge recht treu zu üben und durch seine Werke der Gemeinde stets vorweg leuchten.« 30 Vgl. ebd. 31 Drei Monate nach der Amtsextraktion führte der Insinger Dekan eine Kirchenvisitation durch, vgl. ebd.: »Der Visitator erhält von der Amtsführung des Pfarrers Hauck den besten Eindruck. Überall tritt der Sinn für Ordnung und Pünktlichkeit wohlthuend entgegen.« Ein Jahr später urteilte das Ansbacher Konsistorium, vgl. PfA Schillingsfürst, II/33, Schreiben vom 14. August 1876: »Pfarrer Hauck hat in kurzer Zeit das Vertrauen der Gemeinde Frankenheim sich erworben und versieht sein Amt in jeder Beziehung mit der hingebenden Treue und gewissenhaften Gründlichkeit, welche sich für einen Geistlichen geziemt.« 32 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 256, Kirchenvisitations-Protocolle, Protokoll Frankenheim: »Pfarrer Hauck ist, soviel man ihn bei seiner noch kurzen Wirksamkeit in Frankenheim kennen zu lernen Gelegenheit hatte, ein wissenschaftlich sehr tüchtiger Geistlicher, an dem das Kapitel viel hat. Auch sonst zeichnet er sich durch seine Bildung und großem Tact aus, welch letzterer Umstand in Frankenheim der kath[olischen] Gemeinde gegenüber sehr wohlthuend berührt. In praktischer Hinsicht möchte man seinen Predigten größere Popularität wünschen. 33 Vgl. ebd. A. Hauck vermerkte am 18. Juli 1875: »Nach Vernehmung der betreffenden Eltern kann ich konstatiren, daß kein protestantisches Kind die katholische Mädchenschule besucht; auch die Mädchen jüngeren Alters frequentiren das Töchterinstitut.« 34 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 9. April 1875. 35 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 15. [Juni] 1878. 36 Vgl. dazu das gegenteilige Urteil von Blessing, Staat, 45: »Obwohl im wesentlichen auf das Recht der Pfarrstellenbesetzung und loyalitätseffektive Repräsentationsrechte beschnitten, genügte doch die weitgehende Verfügung über den Geistlichen und, aufgrund der Kirchenbaulast, der bestimmende Einfluß auf den äußeren Zustand von Kirche, Pfarrhof und Pfarrökonomie, um dem Adel einen regional teilweise dicht gestreuten maßgeblichen Einfluß auf die Kirche zu erhalten.« 37 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 11. März 1877: »Diese Armuth ist wirklich ein Elend; u[nd] das Schlimmste ist, daß man nicht absieht, wie es besser werden soll, ja daß man voraussehen kann, daß es noch ärger wird.« 38 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 15. März 1877. A. Hauck musste ein Kind bestatten, dessen mangelhafte Ernährung zum Tod durch Lungenentzündung geführt hatte.

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kein Stand ausgenommen: Tagelöhner, Hausbesitzer, Handwerksmeister. Diese Erfahrungen ließen A. Hauck die sozialen Zustände heftig kritisieren: »Bei solchen Verhältnissen muß man sagen, daß die ein Verbrechen begehen, die vom Heruntersetzen des Arbeitslohnes reden. Die gebildete Welt lebt daneben in gebildeter Freude.«39 In gleicher Weise missbilligte A. Hauck die Zunahme des Unglaubens im Volk und den – angeblichen – Verfall der Sitten. Beides stellte er in einen engen Zusammenhang, sodass ihm die Gegenwart als eine Übergangszeit erschien, in der sich geistige Kräfte gegeneinander erheben und um Vorherrschaft im Volk kämpfen.40 Einer Prognose über den Ausgang dieses Kampfes zwischen Glauben und Unglauben verweigerte er sich. Aber er spürte gerade im Distrikt Insingen die Gegenwehr des bekenntnistreuen Christentums,41 weil es den Glauben an Gott als die einzig wahre Sicherheit anerkenne.42 A. Hauck ermahnte Christen und Kirchenführung deshalb, sich nicht in die Unsichtbarkeit zurückzuziehen; denn es schade dem deutschen Volk, wenn es Gottes Wort ignoriere: »Aus Liebe zu dem Volke, dem wir angehören, wollen wir deshalb in der Zeit, die uns noch gegeben ist, unseres Amtes walten u[nd] nicht müde werden, das Wort Gottes zu verkündigen ohne Scheu. Schlimmes, das wir etwa zu erfahren haben, soll uns nicht irre machen.«43 Auf diese und auf ähnliche Weise reagierte der Frankenheimer Pfarrer auf politisch-liberale Tendenzen, die 39 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 15. März 1877. A. Haucks Ärger entzündete sich an der geselligen Geburtstagsfeier eines Vorstandsmitgliedes des Gesangvereins, der er pflichtgemäß beigewohnt hatte. 40 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 73, Diöcesansynode 1875, Predigt: »Offener, u[nd] wollen wir es uns nicht verbergen, wohlgerüsteter als jemals erhebt der Unglaube sein Haupt u[nd] ringt um die Herrschaft über den Geist unseres Volkes.« In seiner Predigt über 2Tim 4,1–10 verglich A. Hauck die Erfahrungen des Paulus mit denen seiner Zeitepoche (Überdruss der Evangeliumsverkündigung, zahlreiches Auftreten falscher Propheten, viel Phantasterei usw.). Die Ansbacher Konsistorialräte urteilten über diese Predigt, vgl. LAELKB, BayD Insingen 171, Predigtarbeiten, Urtheil: »Die Synodalpredigt des Pfarrers Hauck verdient viel Lob. Sie benützt den Text mit Geschick und ist wohl disponirt, die Entwicklung ist klar und einfach, ruhig und doch nicht ohne Wärme und Leben, das Urtheil des Verfassers ist eben so ernst als besonnen. Auszusetzen ist nur, daß ausschließlich oder doch fast ausschließlich den Geistlichen gepredigt wird und nicht der Gemeinde. Die Predigt bei öffentlichem Gottesdienst gehört der Gemeinde. II, sehr gut.« Bibeltreue, Gegenwartsbezug und Gliederung der Predigten A. Haucks wurden vielmals gelobt, vgl. LAELKB, BayD Insingen 171, Predigtarbeiten, Censuren: »Luc. 2, 1–14: Ein ächt evangelisches, aus dem Texte geschöpftes, mit der dem Verfasser eigenen Klarheit des Geistes disponirtes, in edler Sprache gehaltenes Zeugniß der Macht und Liebe Gottes, die uns in der Geburt Jesu Christi entgegentritt.« 41 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 73, Diöcesansynode 1875, Predigt: »Was die Gemeinden, wenigstens die in unserem Bezirke betrifft, so kann man noch nicht sagen, daß die Zeit da ist, wo sie die gesunde Lehre nicht leiden wollen: noch hört man im Allgemeinen das Wort vom Kreuze, u[nd] hört es nicht nur, sondern hält es auch werth.« 42 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 75, Diöcesansynode 1878, Bericht des Dekans: »Da thut es noth, daß ein Jeder festen Halt gewinne. Der Christ findet ihn nicht in der fortschreitenden Cultur, nicht in den zu 9/10 unsicheren Inhalten der vielgepriesenen Wissenschaft – nicht in dem, was von unten ist, und wäre es auch sonst noch schützenswerth, er findet seinen Halt für Zeit und Ewigkeit nur allein in dem zuversichtlichen Glauben an Seinen Heiland und in der Hoffnung Seines herrlichen Reiches.« 43 LAELKB, BayD Insingen 73, Diöcesansynode 1875, Predigt.

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den Einfluss des Christentums und der Kirche aus dem öffentlichen Leben zurückdrängen wollten.44 A. Hauck kritisierte, dass die Anschauung: Menschen, Volk und Welt bedürfen der Religion, verlorengehe,45 und sah den Bestand der Kirchen und der christlichen Völker gefährdet: »Mitten in der Christenheit beginnt ein neues Heidenthum zu entstehen, ein Geschlecht nicht nur betrogen durch seine Unwißenheit in den Dingen des Glaubens, sondern erfüllt von Haß gegen Gott und das Göttliche.«46 A. Haucks Zeit in Frankenheim war eine politisch sehr aufgeregte Zeit: 1875 fanden Wahlen zum Bayerischen Landtag, 1877 und 1878 Wahlen zum Reichstag statt. Aus diesen Anlässen warnte die Kirchenbehörde ihre Pfarrer vor der Vermischung von geistlichen und weltlichen Angelegenheiten.47 An der Reichstagswahl des Jahres 1878 fand A. Hauck kein besonderes Interesse: 44

Vgl. ebd.: »Manches äußere Gut der Kirche ist in unseren Tagen schon hingefallen, wir können vermuthen, daß noch mehr fallen wird. Aber wollen wir uns doch nicht daran hängen. Es mag fallen, was nicht bleiben mag; wir wollen uns der evangelischen Wahrheit allein ergeben, daß wir nichts kennen wollen als sie, nichts sein wollen als ihre Verkündiger, auf alles verzichten, um sie zu behalten. In der Nüchternheit des Geistes wollen wir halten an dem alten aber ewig jungen Bekenntniß der gesunden Lehre.« 45 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 74, Diöcesansynode 1877, Bericht A. Haucks: »Nun herrscht in weiten Kreisen bewußt oder unbewußt die Tendenz, den Einfluß des Christenthums aus dem öffentlichen Leben auszuschließen; als Sache einer Minorität kann man es dulden oder ignoriren; aber man hat die Überzeugung verloren, daß Religion für den Menschen, das Volk, die Welt nöthig sei. Der Charakter der Zeit soll religionslos werden; der nächste Schritt wird sein, daß er antireligiös wird. Hierin liegt eine große Gefahr, nicht für das Christenthum und die Gemeinde der Gläubigen, aber für den Bestand der Kirchen und, verbergen wir uns auch dies nicht, für das Heil der christlichen Völker; denn so enge ist deren Volksart mit dem Christenthum verwachsen, daß dies Band nur zu ihrem eigenen Schaden gelöst werden kann. Sehr erfreulich sind deshalb alle Unternehmungen, welche dem Zurückdrängen der Religion und des Christenthums entgegen wirken, welche daran arbeiten, dem Glauben eine Bahn zu bereiten. Dem kirchlichen Amte kommt vornehmlich die Sorge für Erhaltung und Pflege des Bestehenden zu; diese Thätigkeit dagegen ist Sache freiwilliger Vereinigungen.« 46 LAELKB, BayD Insingen 75, Diöcesansynode 1878, Bericht A. Haucks; vgl. ebd., Bericht des Dekans: »Die Predigt des Glaubens in Kirche und Schule thut uns noth. Die schlimmste Hilfe von allen wäre das Staatschristenthum! Die Bevormundung der Kirche durch den Staat und das sich Hineinmischen desselben in innerkirchliche Verhältnisse und Angelegenheiten hat schon unsägliche Verwirrung erzeugt. Ich erinnere an die Unionskämpfe in Preußen und was hat der Culturkampf genützt?« Der Dekan forderte daraufhin den Staat auf, die Kirche zu schützen und fuhr fort: »Ein Volk, dem die Religion abhanden zu kommen droht, treibt dem Untergang entgegen.« Vgl. Liermann, Staatsgedanke, 139: »Kirchenpolitik ist Kulturpolitik, mit ihr untrennbar verbunden, weil sie nur ein Teil der letzteren ist, allerdings neben der Schulpolitik, mit der sie gleichfalls unlösbar verknüpft ist, ihr wichtigster Teil. Es ist daher ohne weiteres verständlich, daß die eigene Kirchenpolitik Bayerns zu einer eigenen, vor zentralistischen Einflüssen sorgsam behüteten Kulturpolitik des Staates führen mußte.« 47 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 74, Diöcesansynode 1877, Bericht des Dekans: »Die h[eilige] Schrift ist eine Regel und Richtschnur dafür, wie ein Mensch Gottes recht glauben, christlich leben und selig sterben könne, niemals aber Kanon für ein politisches System, so wenig als sie ein Codex für naturwissenschaftl[iche] Probleme ist.« Die Pfarrer sollten sich jeder politischen Agitationen enthalten. Staatliche Angelegenheiten zum Gegenstand der Kanzelabkündigungen zu machen und damit zur Gefährdung des öffentlichen Friedens beizutragen, verbot der am 10. Dezember 1871 in Kraft getretenen »Kanzelparagraph«. Das Ansbacher Konsistoriums forderte am 19. April 1877 die Pfarrer auf, ihr passives Wahlrecht wahrzunehmen, um nicht als Friedensstörer angeklagt zu werden.

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»Denn je näher sie [die Reichstagswahl, M. T.] kommt, um so klarer wird es mir, daß ich noch am ersten dem Kandidaten meine Stimme geben könnte, dem ich sie ohne Zweifel nicht geben kann, dem Kandidaten der Ultramontanen.«48 Dieses Eingeständnis hatte auf einer Oestheimer Predigerkonferenz Anstoß erregt: A. Hauck wollte wahrscheinlich in der Zeit des Kulturkampfes den sittlichen Einfluss der (römisch-katholischen und protestantischen) Kirche auf das Volksleben unterstützen und Fortschritt und Modernität des Deutschen Reiches auf eine christliche Grundlage stellen, d.h. nach römisch-katholisch interpretiertem Naturrecht dem freien Individuum Schranken durch die übernatürliche Ordnungsmacht der Kirche setzen.49 Die Begeisterung in den Wahlversammlungen stieß ihn ab, die Ergebnisse demokratischer Wahlen ließen sein Vertrauen in die Politik sinken: Die Politik löste seines Erachtens die Aufgaben der Zeit nicht.50 Zu diesen zählte der Frankenheimer Pfarrer vornehmlich die Bekämpfung der »Sittenlosigkeit« – er richtete hierbei sein Augenmerk vor allem auf die unehelichen Geburten51 – und die Verbreitung des Evangeliums. Weil beide Aufgaben auch in der Kirche nur unbefriedigend in Angriff genommen würden, sparte er nicht an Kritik gegenüber der Kirchenbehörde und seinen Amtsbrüdern.52 Er musste oft nahegelegene Pfarreien verwesen. Das in Bayern am 1. Januar 1876 in Kraft getretene Staatsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und der Eheschließung wirkte sich wie im Dekanat Insingen so auch in Frankenheim nicht einschneidend aus,53 weil Kirchenvorstand – eine »Herzensangelegenheit« Haucks54 – und Pfarrer eng zusammenarbeiteten und jede Eheschließung zur Anzeige brachten.55 Beide ver48

Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 26. Juli 1878. Vgl. Bornkamm, Staatsidee, 295: »So sehr diese Konservativen für sich und die eigene Kirche am lutherischen Bekenntnis festhielten und offenkundige Übergriffe der Ultramontanen zurückzuweisen bereit waren, sie schauten doch auf das von den säkularen Mächten der modernen Zeit gefährdete Volksleben und ließen für die politischen und erzieherischen Aufgaben die Glaubensunterschiede auf sich beruhen.« 50 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 26. Juli 1878: »Ich will sehen, wie lange die Freude am Wählen in Deutschland noch vorhält, u[nd] wann man endlich zu der Einsicht kommt, daß mit Wahlen oder ohne Wahlen genau das geschieht, was geschehen soll.« 51 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 14. Januar 1878. 52 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. März 1876 [nicht 7. März 1874]: »Aber die Herren [Dekane, M. T.] machen die Faust im Sack, schreiben schlechte Noten in ihre Verzeichnisse, [...] statt daß sie denen, die Unrecht thun, die Wahrheit sagten.« 53 Vgl. PfA Schillingsfürst, II/38, Kirchenvorstandssitzungen, Protokoll vom 10. Juni 1876: »Es wurden Mittheilungen über die Wirkungen der Civilstandsgesetzgebung auf das kirchliche Leben der Gemeinde, u[nd] des Dekanatsbezirkes Insingen gemacht; sie sind erfreulicher Art u[nd] wurden mit Befriedigung entgegengenommen.« 54 Vgl. ebd., Protokoll vom 1. Januar 1878. A. Hauck hielt in seiner Frankenheimer Zeit 18 Kirchenvorstandssitzungen ab. 55 Vgl. ebd., Protokoll vor dem 27. März 1876: »Der Vorstand erwähnt die Einführung der Civilehe, spricht sein Vertrauen aus, daß in der hiesigen Gemeinde die kirchl[iche] Trauung nicht unterlaßen werden würde, bittet aber die Mitglieder, wenn es geschehen sollte, ihren Einfluß anzuwenden, um es zu verhindern.« 49

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fügten am 28. November 1875, jedem getrauten Paar eine »Bibel mittlerer Größe« aus dem Geldfonds des Bibelverbreitungsvereins zu schenken.56 In den ersten Jahren wurden alle Eheschließungen und Beerdigungen kirchlich vollzogen, auch blieb kein Kind ungetauft.57 Unbeirrt rief der Frankenheimer Pfarrer Kollegen und Gemeindevertreter auf, in die Gesellschaft hinein missionarisch zu wirken. Mission, so A. Hauck, sei Dienst am Reich Gottes und geschehe im Verborgenen.58 Um »den Lauf des Wortes Gottes durch die Welt zu fördern«,59 forderte er die kirchlichen Vereine auf, Einrichtungen in der Diaspora zu gründen, Bibeln und Erbauungsbücher zu verbreiten sowie Rettungshäuser zu errichten. A. Hauck ging mit gutem Beispiel voran: In seiner pfarramtlichen und seelsorgerlichen Verantwortung lag die Aufsicht über das Elisenstift zu Schillingsfürst – einer Erziehungsanstalt für verwaiste Kinder und einer Herberge für alte Menschen. Leidenschaftlich kritisierte er deshalb die geringe Anteilnahme unter den Geistlichen und Gemeindegliedern, die diese Einrichtung erfuhr.60 Demgegenüber war im Distrikt die Spendenbereitschaft für die Arbeit der Missionswerke in Leipzig, Neuendettelsau, St. Chrischona bei Basel und Hermannsburg sowie für die Arbeit der Judenmission, der Goßnerschen Mission und der Brüdergemeine enorm hoch. Als Mittelpunkt der Missionstätigkeit etablierte sich das jährlich in Oestheim stattfindende Missionsfest.61 Die in den 1870er Jahren stetig sinkenden Geldzuweisungen für den Gustav-Adolf-Verein bedauerte der Frankenheimer Pfarrer, weil die Gemeinde mit ihrem Desinteresse die gestiegene evangelische Gemeindegliederzahl in der Diaspora nicht schätzen würde.62 56

Vgl. ebd., Protokoll vom 28. November 1875. Vgl. LAELKB, BayD Insingen 74, Diöcesansynode 1877, Bericht des Dekans: »Wir wünschen es einzig und allein im Interesse unseres Volkes, weil wir der festen Überzeugung sind, daß mit jeder entschwindenden guten Sitte ein Stück Sittlichkeit dahinfällt und daß je mehr die Kirche ihren Einfluß auf das Volksleben verliert dies Volksleben selbst in seinen tiefsten Grundfesten erschüttert und immer unfähiger wird, dem erstürmenden Wildwasser revolutionärer Bewegungen energischen Widerstand zu leisten.« 58 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 73, Diöcesansynode 1875, Jahresbericht: »Der Mißionssinn soll in ihnen [den Missionsvereinen, M. T.] gepflegt werden, das Verständniß dafür, wie wichtig die Ausbreitung des Reiches Gottes auch in unserer Zeit ist, die Einsicht, daß jeder Christ die Verpflichtung hat betend u[nd] helfend an diesem Werke mitzuarbeiten, die Freude über die Siege, welche das Wort der Wahrheit auch jetzt noch erringt.« 59 LAELKB, BayD Insingen 75, Diöcesansynode 1878, Bericht A. Haucks. 60 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 74, Diöcesansynode 1877, Bericht A. Haucks. 61 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 31. Juli 1876. Am 30. Juli 1876 organisierte A. Hauck in Oestheim ein Missionsfest. Das Fest sei »halb und halb mißglückt«, weil der angereiste Afrika-Missionar J.M. Flad einen Tag zuvor schwer erkrankte. A. Hauck übernahm kurzerhand die Festpredigt. 62 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 75, Diöcesansynode 1878, Bericht A. Haucks: »Die unter andersgläubigen zerstreuten Protestanten sind, wenn ihnen nicht hilfreich Hand geboten wird, in Gefahr, entweder in völligem Unglauben zu versinken oder den Versuchungen zum Abfall von ihrer Kirche zu unterliegen.« A. verschwieg nicht die umstrittene Stellung des Gustav-Adolf-Vereins zu den Konfessionen: »Ich weiß, daß die konfessionelle Stellung des Gustav-Adolf-V[ereins] manche Bedenken erregt; darüber will ich nicht rechten; nur ist zu wünschen, daß, wer kein Herz für den Gustav-Adolf-Verein 57

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Stolz schaute A. Hauck seit Juni 1876 auf einen geordneten Haushalt mit Pfarrfrau,63 im September 1877 wurde er Vater eines Sohnes. Da ihn aber die Routine des Pfarramtes ermüdete,64 stellte er sich die Aufgabe, Leben und Werk des Kirchenvaters Tertullian in einer Monographie zu beschreiben.65 Die Veröffentlichung seiner Untersuchungen honorierte die Theologische Fakultät in Erlangen Anfang April 1878 mit der Berufung A. Haucks auf eine außerordentliche Professur mit einem anfänglichen Jahresgehalt von 3180 Mark.66 Im Gutachten sprach sich der Fakultätsrat mit »einhelligem Beschluss« für die Einstellung des Pfarrers aus.67 Am 28. Juni 1878 nahm dieser den Ruf an und teilte eine Woche später dem Dekan A. Köhler mit, dass er eine vierstündige Vorlesung über die »Briefe Pauli an die Epheser, Philipper und Colosser« privatim halten werde, daneben publice eine zweistündige Vorlesung über die Geschichte der christlichen Kunst.68 Im Oktober erhielt A. Hauck das Licentiaten-Diplom honoris causa »ob diligentiam sagacitatem doctrinae copiam in describendis et dijudicandis Septimii Tertulliani libris abunde comprobatis«.69 Wenig später unterzeichnete er die theologische Eidesformel und bekannte: hat, sich nicht deshalb der Sorge für die zerstreuten Glaubensgenossen ganz entschlage. Das scheint jedoch der Fall zu sein; denn die dem Gustav-Adolf-Ver[ein] gegenüber gestellten konfessionellen Unternehmungen haben bedenklich geringe Einnahmen.« 63 Nachdem sich A. Hauck im September 1875 mit A. Helferich, der Tochter des Direktors der Landwirtschaftsakademie von Weihenstephan, K. Helferich (Schwager von A.H. Helferich geb. Ranke, Tochter des Oberkonsistorialrates H. Ranke und H. geb. Schubert), verlobt hatte, wurden beide vom Konsistorialrat S. Bäumler im Juni 1876 in Ansbach getraut, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 22. Juni 1876. 64 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 24. Januar 1878. 65 Vgl. LAELKB, BayD Insingen 169, Synodal-Arbeiten, Synodalaufgabe: »Dem Pfarrer Hauck von Frankenheim ist zu eröffnen, daß die unterfertigte Stelle das von ihm verfaßte Buch: ›Tertullians Leben und Schriften‹ mit großer Freude in Empfang genommen hat. Schon der flüchtigste Einblick läßt dasselbe als eine Frucht des beharrlichsten Fleißes und der eingehendsten Studien erscheinen. Die Bearbeitung rubricirter Aufgabe wird unter diesen Umständen von Pfarrer Hauck nicht erwartet.« 66 Vgl. LAELKB, OKM 4096, Frankenheim-Schillingsfürst, Registratur 1329. Am 19. Juli 1878 wurde A. Hauck zum außerordentlichen Professor der Theologie an der Universität Erlangen ernannt. 67 Vgl. ATFE, Dekanatsakten, Schreiben des Dekans vom 8. April 1878: »Da aber die deshalb von uns gepflogenen Verhandlungen zu einem Ziele nicht geführt haben und bei Hauck wie bei Hackenschmidt der Mangel einer Bewährung im akademischen Lehramte schon durch die vorhandene literarische Bewährung aufgewogen wird, so tragen wir kein Bedenken, beide Männer allein in Vorschlag zu bringen. [...] Diejenigen Mitglieder unserer Facultät, welche ihn [A. Hauck, M. T.] schon während seiner Studienzeit kannten, hielten bereits damals von der Gründlichkeit seiner Studien und von seiner Lehrbegabung so hoch, daß sie ihn, wie wohl vergeblich, zu bestimmen suchten, sich als Privatdocent bei der theologischen Facultät zu habilitiren. Eine im verfloßenen Jahre von ihm veröffentlichte größere wissenschaftliche Arbeit ›Tertullian’s Leben und Schriften. Erlangen, Deichert 1877. 8°. VI u. 410 S.‹ wurde von der Kritik sehr beifällig aufgenommen. Obgleich sich an der Form wohl Manches aussetzen läßt, so ist sie doch ein höchst anerkennenswerthes specimen eruditionis. Sie zeigt, daß ihr Verfaßer nicht etwa bloß eine gründliche Kenntniß Tertullian’s und seiner Zeit, sondern überhaupt eine tüchtige theologische Durchbildung, einen aufgeschlossenen wissenschaftlichen Sinn und namentlich große kritische Schärfe besitzt.« Am 26. Juni 1878 erging der Ruf an A. Hauck. 68 Vgl. UAE, A2/1 Nr. H 49, Acta, Schreiben des Dekans vom 4. Juli 1878. 69 ATFE, Dekanatsakten, Entwurf des Licentiaten-Diploms.

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Als Schüler der theologischen Fakultät Erlangen wurde zuerst die Überzeugung in mir lebendig, die sich mir dann unter anderen Verhältnißen nur bestärkte, daß die höchste Aufgabe der theologischen Wißenschaft Dienst an der Erbauung der Kirche sei. Nun, da ich als Lehrer hieher berufen bin, kann ich nur wünschen, daß es mir vergönnt sein möge, so in der Wißenschaft zu arbeiten, daß der Kirche dadurch gedient wird.70

Zum Abschied ließ A. Hauck die Pfarrkirche renovieren und gestaltete deren Innenraum um. Die Gemeinde freute sich über die Veränderungen und lobte ihren scheidenden Pfarrer für die Verschönerung der Kirche.71 In seiner Abschiedspredigt über 1Petr 1, 22–25 führte er tief gerührt aus: Wenn ich heute zum letzten Male von dieser Stelle zu euch rede, so kann ich es nicht tun, ohne das Gefühl des Dankes gegen euch. Ihr habt mich vor 3 Jahren aufgenommen nicht wie einen Fremden, dem man mit Misstrauen begegnet, sondern als einen Freund, dem man Vertrauen entgegenbringt. Und es ist dieses Verhältnis des Vertrauens bisher nicht gestört worden. Umso mehr könntet ihr erwarten, dass ich einen längeren Zeitraum hier verbliebe. Wenn nun doch die Zeit meines hiesigen Aufenthalts bereits abgelaufen ist, so kann ich mich nicht wundern und kann mich nicht beklagen, wenn ich von euch darüber getadelt werde. Doch kann ich soviel sagen: Was mich hinwegführt, ist nicht der Geiz nach Geld, noch der Geiz nach Ehrenstellen, auch nicht die Unlust zu arbeiten, sondern ich gehe hinweg, weil ich der Überzeugung bin, dass Gottes Wille mich hinwegruft; ihm will ich und ihm kann ich nicht widerstreben. Dass es mir in mancher Beziehung schwer wird, von hier zu scheiden, das werdet ihr mir wohl glauben, wenn ihr bedenkt, dass mein Abschied von hier zugleich der Abschied vom Predigtamt ist.72

Am 13. Oktober 1878 verabschiedete sich A. Hauck von den Mitgliedern der Frankenheimer Kirchenverwaltung und des Kirchenvorstandes und übergab das Pfarramt an seinen Nachfolger R.Ch. Pöschel,73 der sich im Juni 1878 bei ihm in Frankenheim vorgestellt hatte.74

5.3 Zusammenfassung In Zeiten der Verschärfung des sog. Kulturkampfes, einer Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche um die Ausübung und Einflussnahme staatlicher 70

ATFE, Dekanatsakten, Schreiben des A. Hauck vom 31. Oktober 1878. Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 26. August 1878. Spenden flossen reichlich: Die Bewohner des Elisenstiftes spendeten 100 Mark – die A. Hauck auf das Spendenkonto des Distriktmissionsvereins und des Bibelverbreitungsvereins umleitete –, ein Gemeindeglied stiftete einen Leichenkranz für 95 Mark, ein anderes Gemeindeglied beabsichtigte, ein Melanchthonbildnis zu schenken; vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 12. Juni 1878. A. Hauck übergab der Gemeinde eine neue Altarkanne; vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 3. September 1878. Die geplanten, bereits projektierten Fenster erschienen A. Hauck mit 130 Mark zu kostenintensiv. 72 Vgl. PfA Schillingsfürst, III/97, Pfarrbeschreibung, Abschiedspredigt. 73 Vgl. PfA Schillingsfürst, II/38, Kirchenvorstandssitzungen, Protokoll vom 13. Oktober 1878. 74 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 12. Juni 1878. 71

Landpfarrer von 1875 bis 1878

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Kirchenhoheitsrechte, übernahm A. Hauck in Bayern eine evangelische Pfarrstelle, die unter römisch-katholischem Patronat stand. Im Gegenüber zum liberalen Zeitgeist, zum konservativen Ultramontanismus und zur desolaten sozialen Lage gerade der Landbevölkerung musste er hier als Pfarrer eigene Positionen vertreten. Den legislativen Maßnahmen des Staates gegenüber der Kirche (»Kanzelparagraph«, Schulaufsichtsgesetz, Personenstandsgesetz) hatte er Folge zu leisten. Die von außen herangetragene Zuspitzung der Auseinandersetzungen zwischen der protestantischen und der römisch-katholischen Konfession sowie zwischen Preußen und dem Ultramontanismus schlug auf A. Haucks Amtsführung nicht durch, weil er sich einer Toleranz gegenüber der römischkatholischen Konfession verpflichtet wusste. A. Hauck sah eher in den Säkularisierungstendenzen der liberalen Politik Preußens und Bayerns eine Gefahr für die Traditionen und die kulturelle Integrität beider Konfessionen. Der Frankenheimer Pfarrer wurde von seiner Gemeinde geschätzt und geachtet. Seine Predigten fanden bei der Kirchenbehörde Anerkennung. Früh wurde vom Ansbacher Konsistorium A. Haucks Amtsführung und wissenschaftliche Denkfähigkeit wertgeschätzt. Er erwies sich darin und im Religionsunterricht als konfessioneller Lutheraner. Im Landpfarramt lernte A. Hauck die sozialen Nöte der Bevölkerung kennen. Diesen begegnete er mit Ermahnungen, auf dem Hintergrund biblischer Evangeliumsverkündigung christliche Sittlichkeit zu üben. Um die von ihm missbilligten sozialen Verhältnisse zu verbessern, setzte er sich für die in Vereinen organisierten Aktivitäten der Inneren und Äußeren Mission ein, die vornehmlich auf lutherischer Bekenntnisgrundlage agierten. Innere und Äußere Mission erkor er zu seinen theologischen Schwerpunkten, hier setzte er mit seinem praktisch-kirchlichen Handeln an. Er trat säkularen Strömungen entgegen, die den Einfluss der Kirche auf die Sittlichkeit der Menschen und des Volkes vermindern und beseitigen wollten. Demgegenüber postulierte A. Hauck, dass allein die Kirche mit ihrem Anspruch, die Sittlichkeit eines Volkes zu heben, die Menschen zur christlich geprägten Humanität erziehen könnte. Dies entsprach seinem Bild, dass die Kirche als die Gemeinschaft der Heiligen die einzig wahre Bezugsgröße der Menschen und des Volkes ist. Seinen konservativen Ansichten kam die Struktur des Dekanatsbezirkes Insingen und das Denken der Landbevölkerung entgegen. In der Dorfgemeinschaft eignete der Kirche noch immer ein Interpretationsmonopol. So konnte A. Hauck ohne gesellschaftstheoretische Reflexionen die Bildungs- und Erziehungsaufgabe des Protestantismus mit kirchlichem sozialen Handeln verknüpfen. Er vertrat dabei eine Theologie, die die Erlösungstat Jesu Christi als Heilstatsache in den Mittelpunkt christlichen Glaubenslebens stellte: Die persönliche Annahme der Gnade Gottes ist Vorbedingung für eine religiös-sittliche Lebensführung. A. Hauck erkannte in Geschichte und Gegenwart das Wirken des Geistes Gottes, der Menschen bewegt, deren Handeln beeinflusst und somit den Verlauf der Geschichte zur Heilsgeschichte werden lässt. Die Gegenwart interpretierte

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er unter der Voraussetzung, dass gegensätzliche Tendenzen im Volk um Vorherrschaft kämpfen und den Volksgeist beeinflussen. Revolutionären, d.h. nicht aus der Geschichte kontinuierlich hervorgebrochenen Strömungen trat er agitatorisch entgegen. Dabei ging er von der Prämisse aus, dass das deutsche Volk ein christliches Volk ist, das Gottes Wort nicht ignorieren darf. Für ihn war die Annahme des christlichen Glaubens Grundbedingung eines Volkslebens. A. Hauck konstatierte keinen christlichen Staat, sondern ein christliches Volk. Ein Staatschristentum lehnte er gerade deshalb ab, weil der Staat nicht in kirchliche Belange eingreifen dürfe. Erwärmte sich A. Hauck zwar für die demokratischen Institutionen Kirchenvorstand und Synoden, weil sie die Evangeliumsverkündigung auf eine breite Basis stellten und die Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat förderten, so stand er demokratischen Legitimationen in der staatlichen Politik skeptisch gegenüber. Die staatliche Obrigkeit sollte seines Erachtens einzig eine Ordnung gewährleisten, die der Ausbreitung des Reiches Gottes dient. In das Interpretationsmonopol der Kirche hinsichtlich Geschichte und Kultur sollte der Staat nicht eingreifen.

6. Albert Haucks Erstlingswerk »Tertullian’s Leben und Schriften« (1877)

Angesichts der aposteriorischen Überzeugung, dass »[...] die kirchliche Gegenwart [...] in mancher Hinsicht den ersten Jahrhunderten der Christenheit [gleiche]«, und der didaktisch-teleologischen Interpretation, dass »[...] die Kenntniß der Geschichte der alten Kirche [...] deshalb nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch praktischen Werth [habe]«, nahm A. Hauck seine ersten kirchenhistorischen Klärungsversuche und Gegenwartsdeutungen auf dem Feld der Patristik in Angriff.1 In seiner Untersuchung stellte er die Person und das Wirken Tertullians in einen engen Zusammenhang zur Geschichte der Ausbreitung der Kirche, ihren karitativen Werken, der Theologie sowie den Gefährdungen des christlichen Glaubens und Lebens im zweiten und dritten Jahrhundert. In seinem Fazit, die Kirche habe Tertullian stets als ihren Lehrer anerkannt,2 lehnte er sich an dem in der Dogmatik der römisch-katholischen Kirche gebrauchten kanonischen Begriff der doctores ecclesiae an.3 Entsprechend dem Schwerpunkt der Arbeit, die Kirchengeschichtsschreibung A. Haucks zu beleuchten, wird die Tertullian-Monographie im Folgenden unter inhaltlichen und historiographischen Gesichtspunkten ausgewertet. Dennoch soll nicht darauf verzichtet werden, einzelne Problemfelder der zeitgenössischen Tertullianforschung schlaglichtartig vorzustellen, um das Erstlingswerk des Frankenheimer Landpfarrers in das Umfeld patristischer Analysen hineinzustellen. Forschungsgeschichtlichen Fragestellungen wird nicht nachgegangen.

1 Im Unterschied zu F. Nietzsche trieb A. Hauck Geschichtsforschung, um seine Gegenwart interpretieren zu können, vgl. A. Hauck, Tertullian’s Leben, III: »Die Beschäftigung mit ihr [der Geschichte der Alten Kirche, M. T.] wird den Vorwurf eines unfruchtbaren, von den Interessen der Gegenwart sich abwendenden Thuns nicht zu fürchten haben.« 2 Vgl. ebd., 410. 3 Vgl. Mühlenberg, Patristik, 97, 16–33. Der Begriff Kirchenväter bezeichnet Schriftsteller der ersten sechs Jahrhunderte, »die als Zeugen der Glaubenswahrheit gelten und deren Lehre in der Kirche Autorität genießt« (97, 16f). Patristiker analysieren die Biographie dieser Schriftsteller und interpretieren deren Werke als Quellen ihres Lebens, der Lehren und der Institutionen der Alten Kirche bzw. der Christenheit.

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6.1 Die Tertullian-Forschung im 19. Jahrhundert bis in die 1870er Jahre 6.1.1 Patristik und Patrologie als Teilgebiete kirchenhistorischer Forschung Seit Mitte des 19. Jahrhunderts interpretierten Theologen und Historiker fast ausschließlich Biographie und Werke altchristlicher Schriftsteller aus dem Spannungsfeld und der Gemengelage der Alten Kirche: »Patristik und Altertumswissenschaften kamen sich näher, als der liberale Protestantismus im Christentum ein Kulturphänomen sah.«4 K.R. Hagenbach hob 1859 im RE1Artikel »Patristik« hervor, dass die Patristik neben der Lehre und der literarischen Hinterlassenschaft der Kirchenväter vor allem deren Leben eruieren und deren Individualität in den Entwicklungsgang der Kirche stellen sollte.5 Er unterschied zwischen einer Patristik, die den dogmatischen Aussagen der Kirchenväter nachging, und einer Patrologie, die darüber hinaus das biographischgeschichtliche Element dieser Gedanken analysierte.6 J. Wagenmann sah sich 1883 am gleichen Ort genötigt,7 bei patristischen Studien einzufordern, literaturwissenschaftliche Fragestellungen aufzugreifen, um die »Geschichte der Entwicklung des christlichen Geistes« nachzeichnen zu können.8 Hatte doch die philologische Wissenschaft ihre literaturgeschichtliche Methode mit Hilfe textund traditionskritischer Fragestellungen präzisiert und die Wiener Akademie (CSEL) seit 1866 kritische Werkausgaben altchristlicher Schriftsteller herausgegeben. Infolgedessen wurde die Kontinuität frühchristlicher Literatur nicht mehr im biographischen, sondern im literaturgeschichtlichen Moment gesucht.9 Eine umfassende Reflexion altkirchlicher Theologie konnte an der Werkanalyse Irenaeus’ von Lyon und Tertullians nicht vorbeigehen: Diesen beiden Schriftstellern hatte sich die Forschergeneration der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts insbesondere zugewandt.10 Die Beschäftigung mit den Theologen der Alten Kirche sollte nach F. Nitzsch auf Positionen innerhalb der Theologiegeschichte 4

Ebd., 102, 46f. Vgl. Hagenbach, Patristik, 212: »Endlich aber gebührt der deutschen und zunächst der protestantisch-deutschen Wissenschaft das Verdienst, die Patristik auf die höhere Stufe einer künstlerischen Behandlung, im Zusammenhange mit der ganzen Kirchengeschichte, in Form der kirchlichen Monographie gehoben zu haben.« 6 In der Patrologie standen biographisch-literaturgeschichtliche Ausführungen im Fokus der Untersuchungen, vgl. Tetz, Literaturgeschichte, 3. 7 Vgl. Wagenmann, Patristik, 300–309. 8 Ebd., 303. Vgl. zur Methode der »organischen Betrachtungsweise« altchristlicher Schriften F. Nitzsch, Geschichtliches, 37–63. 9 Vgl. Schneemelcher, Wesen, 207–222. 10 Vgl. Engelhardt, Uebersicht vom Jahre 1825 I, 214: »Mit dem Interesse für die Kirchengeschichte überhaupt, also mit dem Streben nach objectiver Darstellung der Geschichte der einzelnen Perioden derselben, war namentlich auch das Interesse an der Literatur der sechs ersten Jahrhunderte erwacht; die Patristik zog aus diesem Umschwunge ihren Theil von Nutzen.« 5

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eingehen sowie das individuelle Ringen um die lebensgeschichtliche Verwirklichung des Anspruches Gottes reflektieren. Eine andere Ansicht vertrat F. Overbeck: Er wandte ausschließlich die literaturgeschichtliche Methode an.11 In der Kritik noch weiter ging A. Harnack, der in der Patristik eine Hilfswissenschaft der Kirchen- und Dogmengeschichte sah. 6.1.2 Tertullian als Gegenstand kirchenhistorischer Untersuchungen – ein Überblick12 6.1.2.1 Editionen und Textkritik der Werke Tertullians im 19. Jahrhundert Nachdem E.G. Gersdorfs »Bibliotheca Patrum ecclesiastica« (1839–1841) erschienen war und J.P. Migne in der Reihe »Patrologia cursus completus. Series latina« (1844–1855) die Werke Tertullians textkritisch ediert hatte, publizierte F. Oehler 1853 eine umstrittene Edition der Werke Tertullians, die Anmerkungen älterer Kommentatoren unkritisch in die Texte einarbeitete.13 E. Klussmann überprüfte 1860 »Die neueste Texteskritik Tertullian’s«14 und forderte die Anfertigung eines handschriftlichen Apparates für die Kritik der Werke Tertullians. Seinem Verriss der Gesamtausgabe F. Oehlers schlossen sich H. Rönsch15 und A. Harnack an. Letzterer forderte noch 1877 eine kritische Werkedition, d.h. eine sichere Konstituierung der Texte.16 Fünf Jahre später realisierte H. Kellner dessen Wunsch und besorgte gemeinsam mit G. Esser die Übersetzung und Einleitung ausgewählter Schriften in der BKV, nachdem er bereits 1876 »Ueber die sprachlichen Eigenthümlichkeiten Tertullians«17 gearbeitet hatte. 6.1.2.2 Inhalt und Chronologie ausgewählter Schriften Tertullians C.J. Hefele übersetzte und analysierte im Aufsatz »Tertullian als Apologet«18 das »Apologetikum« und resümierte, dass der Kirchenvater aufgrund seiner Ausbildung zum Rechtsgelehrten geradewegs zum Apologeten prädestiniert 11

Vgl. Overbeck, Anfänge, 417–472. Vgl. Butterweck, Tertullian, 104, 41–43. 13 Zu F. Oehlers kritischer Herausgabe der Schriften Tertullians vgl. Krabinger, Rez. Tertulliani, 336: »[...] um so gewagter aber ist es, bei einer so lückenhaften und verdorbenen Schrift, wie die vorliegende ist [das »Apologeticum«, M. T.], mit nur einiger Gewißheit die Hand des Verfassers errathen zu wollen.« Dieser Ansicht widersprach J.G.V. Engelhardt, Uebersicht vom Jahre 1850, 192: »Für den so wichtigen und eben in unsrer Zeit des eifrigsten Studiums würdigen Tertullianus entspricht die Ausgabe von Oehler auch strengsten Anforderungen.« 14 Klussmann, Texteskritik, 82–100 u. 363–393. E. Klussmann referierte über die verschiedenen Ausgaben der Schrift »De spectaculis«. Gegenüber F. Oehler verbesserte E. Klussmann den Text an mindestens 150 Stellen. Vgl. Oehler, Berichtigung, 204–211. 15 Vgl. Rönsch, Tertullianus, 295–302. 16 Vgl. A. Harnack, Uebersicht, 132. 17 Kellner, Eigenthümlichkeiten, 229–251. 18 Hefele, Tertullian, 30–82. 12

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gewesen ist. Der Historiker würdigte Tertullians Leistungen darin, dass dieser die christliche Sittlichkeit als Stärke und Alleinstellungsmerkmal des Christentums benannte. Kritisch äußerte er sich gegenüber Tertullians einseitigem und unreflektiertem Einsatz für persönliche Überzeugungen und gegenüber den Provokationen und Beschimpfungen seiner Gegner.19 Um die literarische Methode der Polemik Tertullians zu analysieren, näherte sich A. Hilgenfeld20 unter textkritischer Fragestellung der Streitschrift »Adversus Marcionem«. Der Frage nach der Chronologie einzelner Schriften ging R.A. Lipsius im Aufsatz »Ueber Tertullian’s Schrift wider Praxeas«21 nach. Aus dem Inhalt der Schrift schloss er, dass sich Tertullian mit der gegnerischen Partei der Patripassianer auseinandersetzte, ohne explizit zu erwähnen, dass Praxeas noch deren Oberhaupt gewesen ist: Tertullian, bereits zum Montanismus übergetreten, bekämpfe selbstbewusst den Patripassianismus als Teil der katholischen Kirche, weil diese die Meinung des Praxeas noch nicht verurteilt hatte. R.A. Lipsius vertrat gegen K. Hesselberg und G. Uhlhorn die These, dass diese Schrift erst 210 verfasst wurde. Auch H. Kellner leitete im Aufsatz »Ueber Tertullians Abhandlung de pallio und das Jahr seines Uebertrittes zum Christenthum«22 biographischchronologische Daten aus den Werken des lateinischen Schriftstellers ab. Die Meinung, die Schrift sei 208 verfasst worden, widerlegte H. Kellner unter Hinweis auf die Dreikaiserherrschaft, die nur von Juni 193 bis Winter 194 belegbar ist. Indem er zugleich »De pallio« als die erste Schrift Tertullians benannte, wie die Schreib- und Ausdrucksweise bzw. die Tatsache, dass Tertullian das Pallium trug, um nach seiner Bekehrung sittliche Strenge zu symbolisieren, beweise, stellte er die These auf, dass Tertullian 193 zum Christentum übertrat. Im Aufsatz »Zur Chronologie Tertullians. Zweiter Artikel«23 wandte H. Kellner wiederholt die literarkritische Methode an und präzisierte diese mit Hilfe theologie- und literaturgeschichtlicher Fragestellungen. Schließlich griff er auch auf die in den Werken wiedergegebenen persönlichen Lebenssituationen zurück, um die Chronologie der Schriften Tertullians zu vervollständigen. Ebenfalls theologiegeschichtlichen Fragestellungen ging B. Fechtrup nach.24 Er resümierte, dass Tertullian der Möglichkeit zur mehrmaligen Buße und Absolution bei Unzuchtsünden, Idolatrie und Mord widersprach und darin als Montanist die Praxis der katholischen Kirche hart angriff.

19 Vgl. ebd., 44: »Gewiß aber hat die Vertheidigung Tertullians nicht dazu beigetragen, die Lage der Christen günstiger und ihr Schicksal freundlicher zu gestalten, wenigstens hat Kaiser Sever bald nach Abfassung des Apologetikums, da er doch bisher den Christen so freundlich war, den Uebertritt zum Christenthum förmlich verboten.« 20 Hilgenfeld, Apostolikon Marcion’s, 427–484. 21 Lipsius, Tertullian’s Schrift, 701–724. Vgl. Reiser, Praxeas, 349–404. 22 Kellner, Tertullians Abhandlung, 547–566. 23 Kellner, Chronologie, 585–609. 24 Fechtrup, Grundsätze, 430–470.

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6.1.2.3 Tertullian als Schriftsteller und Theologe in Monographien Nachdem bereits im 18. Jahrhundert Theologen Tertullians Lebens- und Werkgeschichte zum Sujet theologischer Graduierungsschriften und patristischer Handbücher erhoben hatten,25 gab 1825 A. Neander im »Antignostikus«26 mithilfe theologiegeschichtlicher Fragestellungen der Tertullian-Forschung weiterführende Impulse.27 Sein Forschungsansatz war, anhand historischer Personen kirchen- und theologiegeschichtliche Entwicklungslinien aufzuzeigen, um im Unterschied zur Historiographie des Rationalismus und Supranaturalismus göttliches Handeln in der Geschichte zu benennen.28 Die Kausalität des Einzelnen trat in seiner Historiographie hinter eine teleologische Interpretation zurück, das Individuum wurde ihm als »Träger des christlichen Lebens«29 interessant.30 Theologiegeschichtliche und biographische Betrachtung verknüpfend, erklärte er das Abstrakte aus dem Beispielhaften. Person und Werk Tertullians beschrieb der Planck-Schüler, um Theologie und sittlichen Anspruch der Alten Kirche für seine Gegenwart fruchtbar zu machen. Die Methode der Werkanalyse31 erlaubte es A. Neander, Tendenzen, Inhalt und Entwicklung des Denkens Tertullians nachzuzeichnen. Er versuchte dabei, »ohne die Deduction aus einem Hauptgedanken [...] den Gesammtinhalt der tertullianeischen Schriften nach allen Seiten zu erschöpfen«,32 um Tertullian umfassend verstehen zu können. Letztlich stellte der Kirchenhistoriker fest, dass Tertullians Hinwendung zum Montanismus von Anbeginn an in dessen Charakter, Individualität und Frömmigkeit verwurzelt war:33 A. Neander begründete seine These mit Beispielen, die von einer Entwicklung der Übereinstimmung von literarischen Äußerungen und der Frömmigkeit Tertullians zeugten.34 A. Neanders Untersuchungsergebnis, sein wohlwollendes Tertullian-Bild und seine Methode stieß u.a. bei C.F. Hefele und D. Cölln auf Kritik.35 25

Vgl. Pamelius, Tertulliani; Allix, Dissertatio; Nourry, Apparatus; Mosheim, Tertulliani; Noesselt, Tertulliani; Semler, Tertulliani; Kaye, Ecclesiastical history. 26 Neander, Antignostikus1; Neander, Antignostikus2. 27 Vgl. Engelhardt, Uebersicht vom Jahre 1825 II, 101. Im 19. Jahrhundert ist das Tertullianbild durch die Werkinterpretation bei Eusebius und Hieronymus geprägt worden, vgl. Butterweck, Tertullian, 93, 24f. Vgl. Nowak, Albert Hauck: Historiker, 27: »Der altlateinische Kirchenschriftsteller und Apologet aus Karthago gehörte damals [in der Mitte des 19. Jahrhunderts, M. T.] zu den Lieblingsautoren der theologisch und kirchengeschichtlich interessierten jungen Generation.« 28 Vgl. Uhlhorn, Neander, 679–687. 29 Ebd., 684, 2. 30 Zur Umsetzung dieser Methode vgl. Neander, Bernhard. 31 A. Neander analysierte Abfassungszeit, Inhalt, Adressaten, Zeitumstände, Anlass, theologischen Gehalt, Methode und deren Umsetzung sowie systematisches Durchdenken der Ansichten Tertullians und trieb Textkritik. Der Erklärung schwieriger Stellen widmete sich A. Neander eingehend. 32 Engelhardt, Uebersicht vom Jahre 1825 II, 109. 33 Vgl. Neander, Antignostikus1, 80. 34 Vgl. Neander, Antignostikus2, XI: »Ich muß es aber als die Aufgabe des Geschichtsschreibers wie des Malers betrachten, die Seele des Mannes, die ihn beseelende Idee in seiner Physiognomie hervortreten zu lassen. Erst von hier aus kann sich auch der Schlüssel ergeben, um das Karikaturartige, wodurch die Erscheinung der Seele und Idee getrübt wird, recht verstehen zu lernen. [...] Das göttliche

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Der Katholik und scharfe Reformationskritiker36 J.A. Möhler malte im Gegenüber zum Protestanten A. Neander ein düsteres Tertullian-Bild:37 Tertullian habe mit seiner Individualität, seinen sonderbaren Geistesgaben und seinem cholerischen Gemüt der katholischen Kirche geschadet. J.A. Möhler erkannte im ethischen Rigorismus und im Hang des Kirchenvaters zum Dämonischen einen Grund dafür, extremen Richtungen innerhalb und außerhalb der Alten Kirche nachgegangen zu sein.38 Mit seinem Übertritt zum Montanismus – J.A. Möhler machten diesen am literarisch »gesteigerten Grad der Gereiztheit« und an der »unsanften Leidenschaftlichkeit« fest – habe er die Einheit der Kirche verlassen. Der Kirchenhistoriker hielt Tertullian vor, die Theologie und die Institutionen der römischen Kirche verspottet sowie die montanistische Sekte zu einem unberechtigten Ansehen verholfen zu haben. Dennoch hob J.A. Möhler positiv hervor, dass Tertullians lateinische Schreibweise die römische Kirchensprache gebildet und befördert hatte.39 F.X. Reithmayr, der J.A. Möhlers Manuskripte posthum publiziert hatte, gewann Tertullians literarischer Hinterlassenschaft weit mehr positive Aspekte ab, weil dieser dogmatische und moralische Fragestellungen, kirchliche Riten und philosophische Spekulationen praxisnah vermitteln konnte. Schließlich lobte F.X. Reithmayr Tertullians Denken, weil es die göttliche Inkarnation in die Mitte der theoretischen und praktischen Darstellung des Christentums gestellt hatte.40 Eine eher vermittelnde römisch-katholische Position vertrat A. Besnard in seiner literargeschichtlichen Untersuchung.41 Aus den Werken des Kirchenvaters interpretierte der Herausgeber Tertullians Denken und Handeln, wobei er theologiegeschichtliche und historische Entwicklungen erörterte. So gelangte er zu der Überzeugung, dass auch im Montanisten Tertullian ein »katholischer und kirchlicher Geist« wehte, der die theologische und kirchenpolitische Differenz zwischen Rom und Karthago so klein wie möglich zu halten gedachte. Gepräge in der Erscheinung zu erkennen, dies aus seinen zeitlichen Trübungen heraus zum Bewußtsein zu entwickeln, das kann allein die würdige Aufgabe des Geschichtsschreibers sein, um deren willen es allein der Mühe werth ist, Geschichte darzustellen.« 35 Hefele, Rez. Neander, 337; Cölln, Rez. Antignostikus, 499. Beide Rezensenten kritisierten, dass A. Neander eine Erbauungsschrift und keine kritische Auseinandersetzung mit dem Kirchenvater auf Grundlage quellenkritischer Analyse der Schriften Tertullians ausgearbeitet hatte. Auch bemängelten sie, dass dessen Übersetzung der Tertullian-Schriften dem Denken des Kirchenvaters unangemessen sei sowie die Chronologie der Schriften uneinsichtig bleibe, weil A. Neander ihre textkritische und rezeptionsgeschichtliche Interpretation, die Philosophie- und Literaturgeschichte sowie Veranlassung und Zeitgeschichte außer Acht gelassen habe. Ihren signifikanten Kritikpunkt sahen beide Rezensenten aber in A. Neanders Methode: Ihrer Meinung nach kann das Denken eines kirchlichen Schriftstellers nicht unter Aufzählung von Beispielen, sondern ausschließlich durch kritische Einordnung seiner theologischen Grundansichten in die jeweilige Zeit bestimmt werden. 36 Vgl. Möhler, Symbolik. 37 Reithmayr (Hg.), Möhler’s Patrologie; zu Tertullian vgl. ebd., 701–789. Zu J.A. Möhler vgl. Wagenmann/Hauck, Möhler, 203–208. 38 Vgl. Reithmayr (Hg.), Möhler’s Patrologie, 733. 39 Ebd., 705. 40 Ebd., 760. 41 Besnard, Tertullian’s Sämmtliche Schriften.

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A. Besnard urteilte, dass Tertullian sich am Ende seines Lebens der römischen Kirche wieder angenähert habe. Er würdigte eingehend, dass Tertullians sittlicher Rigorismus auf der Verehrung des einzig wahren Gottes gründete. 42 Der evangelische Kirchenhistoriker G.F. Böhringer strich in seiner Historiographie die individuelle Verschiedenheit des Christuszeugnisses heraus und beleuchtete deren psychologische Voraussetzungen.43 Sein Augenmerk auf die Bekehrung Tertullians zum Christentum richtend, versenkte er sich deshalb in den Charakter des altchristlichen Schriftstellers. Er resümierte, dass sowohl Tertullians Bekehrung wie auch sein Übertritt zum Montanismus Folge innerer Veranlagungen und darauf aufbauender Überzeugungen gewesen war und äußere Einflüsse nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatten: Der Kirchenvater neige zu extremen Haltungen und Ansichten, er sei kein Mann der Vermittlung gewesen.44 Der Kirchenhistoriker würdigte Tertullians ethischen Rigorismus, der gegen den moralischen Verfall der Institution Kirche ankämpfte, und zog vereinzelt Parallelen zwischen dessen Ansichten und reformatorischem Gedankengut.45 Obwohl G.F. Böhringer Tertullian neben Origenes als größten Kirchenvater der ersten drei Jahrhunderte stellte, äußerte er auch Kritik: Tertullian habe einseitig argumentiert und seine Entscheidungen nicht objektiv reflektiert. Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts schien die Wechselwirkung zwischen Tertullians Biographie und schriftstellerischer Tätigkeit nicht erschöpfend analysiert, denn auch K. Hesselberg widmete sich dem Schaffen des Kirchenvaters unter ähnlicher Fragestellung.46 K. Hesselbergs Historiographie, die unterschiedliche christliche Lebenserfahrungen nachzeichnete, hatte eine Intention: Den Nachweis der Katholizität der einen Kirche zu führen.47 Infolgedessen stellte er Tertullian vornehmlich auf den Kampfplatz der katholischen Lehre gegen die Gnosis. Die inneren und äußeren Abhängigkeiten der Ansichten des Kirchenvaters aufzuhellen, um Tertullians Rechtgläubigkeit nachzuweisen, war Impuls der Untersuchung.48 K. Hesselberg bemühte sich redlich, Tertullian trotz seiner Wendung gegen die römische Kirche in eine Reihe mit »allen den Vätern jener ersten Zeit« zu stellen, indem er dessen theologischen und ethischen Leis42

Ebd., Bd. I, 116 (Anm.). Böhringer, Kirche Christi; über Tertullian ebd., 270–374. 44 Vgl. ebd., 293. 45 Vgl. ebd., 363: »Ueberschauen wir diese Grundsätze, so müssen wir bekennen, dass in dem, was Tertullian als Prinzip der Wahrheit im Gegensatze zur äusserlichen, römischen Tradition, was er als Entwicklung der Kirche im Gegensatz zur Stabilität feststellt, ein, wenn auch etwas abstrakt gehaltener, doch grossartiger evangelischer Geist sich kund gibt.« 46 Hesselberg, Tertullian’s Lehre. 47 Vgl. ebd., 3. 48 Vgl. ebd., 19: »Wenn es zur göttlichen Geschichtsleitung gehört, daß die Kirche für die grundlegenden Acte ihrer geistlichen Selbsterbauung kirchenvertretende Persönlichkeiten gefunden hat, die dabei so wenig rein äußerlich Träger dieses Berufs oder auch nur Momente der sich verwirklichenden Idee sind, daß sie vielmehr auf dem Gebiet der Individualität, wie der religiösen Selbstbestimmung ungehemmt ihr freies persönliches Leben entfalten, so wird das an keinem Zweiten mehr so deutlich als an Septimius Tertullianus, dem Begründer lateinischer Theologie.« 43

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tungen zur historischen Gemengelage in Beziehung setzte. Die literarische Hinterlassenschaft analysierend, erkannte K. Hesselberg eine geistliche Entwicklung des Kirchenvaters: von der ersten öffentlichen ethischen Äußerung hin zu einer tiefgreifenden Konfrontation mit dem menschlichen Seelenleben.49 Der Kirchenhistoriker stellte dabei heraus, dass diese Entwicklung den historischen Gegensätzen der Zeit geschuldet war. Letztlich konnte K. Hesselberg daher Tertullians Engagement für den Montanismus positiv bewerten: Der Montanismus habe Gottes Wort Achtung entgegengebracht und evangelischen Geist geatmet.50 6.1.2.4 Leben und Werk Tertullians in Lexikonartikeln und Lehrbüchern F. Laufkötter ging in einem Lexikonartikel von der These aus, dass Tertullian den sittlichen Rigorismus des Christentums bewunderte und sich deshalb zum christlichen Glauben bekehrte.51 Von der katholischen Sittenlehre wieder abgestoßen, habe er die Sittenstrenge der Montanisten in seinen Schriften verteidigt. F. Laufkötter betonte, dass Tertullians cholerischer Charakter und seine schriftstellerischen Fähigkeiten die Ausbreitung des Christentums beförderten.52 Auch Ph. Schaff richtete sein Augenmerk auf den Charakter Tertullians,53 dem es »an logischer Klarheit und Besonnenheit, an Ruhe und Selbstbeherrschung, an Mäßigung und harmonischer Durchbildung«54 fehlte. Er erklärte Tertullians oppositionelle Haltungen gegenüber der römischen Kirche unter Verweis auf dessen punische Nationalität, literarische Bildung und wissenschaftliche Ausbildung. Ph. Schaff unterstrich, dass der Kirchenvater zu einem Apologeten des Christentums heranwuchs, dessen Theologie auf dem Anspruch sittlicher Ernsthaftigkeit und auf dem paulinischen Verständnis von Gesetz und Gnade beruhte. Er zählte ihn deshalb zu einem Vorgänger Augustins. Wie F. Laufkötter sah auch Ph. Schaff den Grund für Tertullians Übertritt zum Montanismus sowohl in dessen »exzentrischem Naturell« und »sittlichem Rigorismus« als auch in dessen Kritik an der katholischen Sittenlehre des Calixtus I. Dessen ungeachtet würdigte Ph. Schaff den Kirchenvater als Schrittmacher der kirchlichen Lehrbildung über Anthropologie und Soteriologie und bezeichnete ihn als Vertreter der katholischen Orthodoxie. 49

Vgl. ebd., 34. Vgl. ebd., 133. 51 Laufkötter, Tertullianus, 745–765. 52 Vgl. ebd., 748: »In allen Schriften indeß hat sich Tertullian ein bleibendes Denkmal seines kräftigen, originellen Geistes, seines scharfen und durchdringenden Verstandes, sowie seines glühenden Eifers für die Sache des Christenthums gesetzt; Geist und Form, Gedanke und Sprache harmoniren aufs Innigste; durchaus eigenthümlich, oft freilich hart und selbst derb, aber innerlich gediegen und folgerichtig.« 53 Vgl. Schaff, Tertullianus1, 555: »Tertullianus [...], der geniale Bahnbrecher der lateinischen Theologie und Kirchensprache und überhaupt einer der merkwürdigsten Männer des kirchlichen Alterthums, ist uns nach seinem äußeren Leben wenig bekannt; während sein geistiger und sittlichreligiöser Karakter uns mit sehr scharf ausgeprägten Zügen aus seinen Schriften entgegentritt.« 54 Ebd., 558. 50

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Kirchenhistorische Lehrbücher ordneten Tertullian vornehmlich in die Theologiegeschichte der Alten Kirche ein und verglichen ihn mit anderen bedeutenden Theologen. A. Neanders historiograpischer Entwurf,55 Kirchengeschichte als »Geschichte des Durchdringungsprozesses des von oben hineingesenkten göttlichen Lebens mit dem menschlichen«56 zu interpretieren, stellte Tertullian als »ersten Repräsentanten der theologischen Geistesrichtung in der nordafrikanischen Kirche und als Repräsentanten der montanistischen Denkart« vor.57 Hob er auf der einen Seite hervor, dass Tertullian mithilfe des punischen Lateins dem christlichen Glauben eine neue Sprachfähigkeit eröffnete, so bemängelte er auf der anderen Seite, dass ihn die angewandte lateinische Rhetorik oft vom Weg der Wahrheitsfindung abirren ließ. Lobend hob der Historiker hervor, dass Tertullian als Vertreter des Montanismus das Wirken des Heiligen Geistes für den Bestand der Institution Kirche als unabdingbar erachtete und dieses Wirken deshalb Dogmen und Verlautbarungen der Institution Kirche voranstellte. Ein ganz anders geartetes Urteil formulierte der Göttinger Planck-Nachfolger J.K.L. Gieseler: Er verortete Tertullian unter die Häretiker. Dem Abendland »fremde Productionen« aus dem Morgenland verteidigend, habe Tertullian Stellung gegen Praxeas bezogen, der die Gemeinschaft zwischen Rom und dem Montanismus bekämpfte. J.K.L. Gieseler erkannte, dass Tertullians cholerischer Charakter der Auseinandersetzung nicht gewachsen war und er sich deshalb in die Meinung hineinsteigerte, sich von der katholischen Kirche trennen zu müssen.58 Zugute hielt ihm der Historiker, die Beschäftigung mit christlicher Ethik und Frömmigkeit in den Mittelpunkt theologischer Fragestellungen gerückt zu haben. In einer zwar ähnlichen Historiographie, die das Individuum in den Mittelpunkt der Darstellungen stellte, malte K. Hase aber ein J.K.L. Gieseler widersprechendes Tertullian-Bild.59 Er charakterisierte Tertullian als einen christlichen Apologeten im Dienst der Kirche. Den Übertritt Tertullians zum Montanismus versuchte K. Hase damit zu begründen, dass die römische Kirche von ihren Grundsätzen abwich und Tertullian sich deshalb nicht mehr in ihr beheimatet fühlte.60 Einen Gewinn für die Kirchengeschichte sah der Historiker in Tertullians Kampf gegen das Heidentum und für die ethischen und pneumatologischen Grundsätze des Montanismus. Der christliche Schriftsteller des zweiten Jahrhunderts habe eine Theologie vertreten, »welche die historischen 55 Neander, Geschichte. Vgl. Mehlhausen, Neander 241, 9–11: »Jedes Einzelphänomen, insbesondere jede große Persönlichkeit in der Geschichte der Kirche, sollte als eine charakteristische Ausformung des christlichen Geistes wahrgenommen und für sich verstanden werden.« 56 Uhlhorn, Neander, 683, 3f. 57 Neander, Geschichte II, 449. 58 Vgl. Gieseler, Kirchengeschichte I, 232. 59 Hase, Kirchengeschichte. Zu K. Hase vgl. Krüger, Hase, 460. K. Hase konzentrierte sich in seiner Geschichtsschreibung auf das unberechenbare, »jedoch allein als Moment übergreifender Verläufe idiographisch faßbare Individuum«, Hase, Kirchengeschichte, 89. 60 Vgl. ebd., 90.

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Grundlagen des Christentums als das Gemeinsame festzuhalten und seine praktischen Beziehungen wissenschaftlich aufzufassen strebte, daher mit Ablehnung der Philosophie nur das historisch Überlieferte und volksmäßig Verständliche für das wahrhaft Christliche achtete«.61 Auch der Pietist J.H. Kurtz stellte Tertullian als einen hervorragenden Kirchenlehrer vor und erkannte ihm dieselbe Bedeutung wie Cyprian von Karthago zu, weil beide dem gnostischen Denken die apostolische Tradition, die Heiligung des Lebens und eine strenge Askese entgegensetzten.62 J.H. Kurtz negierte, dass sich Tertullian vom Schwärmertum des Montanismus angezogen fühlte, und behauptete, dass der Kirchenvater die montanistischen Ansichten zum Prophetentum berichtigte. Dass Tertullian die apostolische Tradition verteidigte und sich auf die regula fidei berief, strich auch das wohlwollende Urteil des Dogmenhistorikers F.Ch. Baur heraus.63 Eindeutig rückte er Tertullians Bekenntnis zur religiösen Selbstbestimmung in ein helles Licht, um so begründen zu können, dass bereits frühchristliche Apologeten das protestantische Prinzip der Glaubens- und Gewissensfreiheit als ein Wesensattribut der Religion vertraten. Kritisch äußerte sich schließlich der Vermittlungstheologe K.R. Hagenbach über Tertullian, nachdem er diesen »Realisten« mit dem »Idealisten« Origenes verglichen hatte.64 »Düster« sei sein Geist, seine Sprache keineswegs elegant gewesen. In Tertullians supranaturalistischer Theologie erkannte K.R. Hagenbach einen Grund dafür, ethische Ansätze zu Glaubenswahrheiten zu erheben. K.R. Hagenbach verglich Tertullians Gesinnung mit der der Quäker und Wiedertäufer des 16. Jahrhunderts. 6.1.2.5 Über dogmatische und ethische Äußerungen Tertullians Die Frage nach dem Sakramentsverständnis des Kirchenvaters war ein Schwerpunkt der Tertullianforschung. Neben J.G.V. Engelhardt, der als erster die symbolische Bedeutung des Begriffes figura für Tertullians Abendmahlslehre erkannte,65 wandte in mehreren Aufsätzen C.L. Leimbach seine Aufmerksamkeit diesem Thema zu.66 Er ging von der These aus, dass Tertullian eine häretische Auffassung vertrat, weil er keine Beweise für eine Transubstantiationslehre anführte. C.L. Leimbach konstatierte, dass der altchristliche Schriftsteller Begrifflichkeiten der Profanlatinität weiterentwickelte, auf das Etymon zurückging und Inhalte des Mysterium-Begriffes für seine Ansicht transformierte. Obwohl er Textstellen fand, die einerseits von einer realen Gegenwart des 61

Ebd., 89. Kurtz, Seitenstück. 63 Baur, Geschichte. 64 Hagenbach, Kirchengeschichte von der ältesten Zeit, 213: »Dem seichten, alles glatt und eben machenden Rationalismus hat Tertullian einen über alle Vernunftbedenken sich hinwegsetzenden Glaubenstrotz entgegengesetzt.« 65 Engelhardt, Bemerkungen, 3–20. 66 Leimbach, Tertullian, 108–157 u. 430–459; Leimbach, Sacramentsbegriff, 483–502; Leimbach, Beiträge. 62

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Leibes und Blutes Christi im Abendmahl sprechen, andererseits aber auch ein symbolisches Verständnis zulassen, schlussfolgerte er, dass Tertullian eine symbolische Deutung des Abendmahls nicht vertrete und »wesentlich die wahre und reale Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in den Abendmahlselementen deutlich genug behauptete«.67 Der Behauptung, Tertullian sei ein Vordenker der reformierten Abendmahlslehre, widersprach er damit. Der Lutheraner J.A. Wagenmann reagierte auf dieses Forschungsergebnis mit einer Kritik an der Ausgangsfrage C.L. Leimbachs: Lutheraner würden ihre Lehren nicht »von dem consensus patrum oder gar von der Autorität eines einzelnen Kirchenvaters abhängig«68 machen. J.A. Wagenmann unterstrich, dass »der massive Realismus der tertullianischen Weltanschauung und Ausdrucksweise auch in seiner Sacramentslehre sich ausprägt«.69 Auch auf das Bekenntnis Tertullians lenkte J.G.V. Engelhardt sein Forschungsinteresse.70 Der Historiker identifizierte die regula fidei als Grundlage dogmatischer Äußerungen des altchristlichen Schriftstellers, konstatierte aber, dass Tertullians Bildung auf der Lektüre biblischer Schriften, griechischer Kirchenväter sowie griechischer und römischer Profanschriftsteller gründete.71 J.G.V. Engelhardts These, dass die regula fidei wahre Interpretation der Heiligen Schrift und daher auch deren Erkenntnisprinzip ist, verifizierte J. Kuhn.72 Über J.G.V. Engelhardt hinausgehend bestätigte deshalb J. Kuhn das Recht der Kirche, eine Lehrtradition auszubilden. Über das Verständnis der Ehe näherte sich A. Hauber der Ethik Tertullians. Er charakterisierte Tertullian als einen Chiliasten, der aus theoretischen Überlegungen heraus Gesetzmäßigkeiten für die ethische Praxis des Christentums entwickelte.73 Den Kirchenvater in die Geschichte der christlichen Sittlichkeit stellend, versuchte er, mit Hilfe psychologischer Methodik74 dessen Eigenart ethischen Reflektierens herauszuarbeiten und sodann häretisches Gedankengut nachzuweisen. A. Hauber stellte fest, dass Tertullian scharf zwischen dogmatischer Theorie und asketischer Praxis trennte, und resümierte: »Der Montanismus ist das häretische Product einer ascetischen Krise in der alten Kirche.«75 6.1.2.6 Forschungen zur Rechtsgeschichte und zum Montanismus A. Thiel hatte in seinen rechtsgeschichtlichen Forschungen erkannt, dass das Wesen des Christentums den altrömischen Rechtsauffassungen entgegenstand 67

Guericke, Rez. Leimbach, 511. Wagenmann, Rez. Leimbach, 507. 69 Ebd., 509. 70 Engelhardt, Charakter, 316–319. 71 Vgl. ebd., 318. 72 Kuhn, Principien, 3–62 u. 185–251 u. 385–442. 73 Hauber, Tertullian’s Kampf, 661. 74 Vgl. ebd., 641: »Daher das Recht und die Nothwendigkeit einer psychologischen und pragmatischen Geschichtsbetrachtung, ohne welche die höhere Geschichtsforschung der Leiblichkeit und sicher begrenzter historischer Gestalten verlustig geht.« 75 Ebd., 656. 68

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und auch deshalb dem Staatsorganismus fremd und unbegreifbar blieb.76 Dem altrömischen Staatswesen mit der Religion als ein Staatsinstitut stellte er die Gewissensfreiheit und Toleranz eines christlichen Staates entgegen. Über K. Graul77 fand A. Hauck Zugang zu einem Verständnis des Montanismus, das die Verengung christlicher Heilsanliegen in dieser partikularistischen Bewegung heftig kritisierte.78 Vor K. Graul hatte bereits A. Schwegler79 aus den Werken Tertullians, den er als den »vollgültigste[n] Vertreter« des Montanismus bezeichnete, das Wesen des Montanismus eruiert: »Man kann sagen, die Differenz des Montanismus von der Kirchenlehre des zweiten Jahrhunderts ist gleich der Differenz der montanistischen und vormontanistischen Schriften Tertullians.«80 A. Schwegler würdigte Tertullian als den Theologen des Abendlandes, der die Ausbildung des orthodoxen Dogmas durch seine Streitigkeiten entscheidend beförderte.81 Neben diesen Forschungen, die Tertullian als einen umstrittenen partikularistischen Theologen innerhalb des Christentums vorstellten, analysierten andere Historiker Tertullians Kritik an der Gnosis und den Gnostikern82 und Tertullians Verständnis eines christlichen Märtyrertums83.

6.2 Albert Haucks Interpretation des altchristlichen Schriftstellers Tertullian A. Hauck disponierte seine Monographie nach den Forderungen F. Nitzschs: Unter Anwendung der philologischen Methode analysierte er die Entwicklung 76 Thiel, Rechtsanschauung, 237–263. A. Hauck nahm A. Thiels Werk zur Grundlage seiner Tertullian-Forschung, vgl. LAELKB, Nachlass Hauck, Ms 1816 I, Tertullian. 77 Graul, Kirche. 78 Vgl. ebd., 110f: »Der Montanismus verunreinigte durch seinen Anspruch auf Schriftergänzung die christlichen Erkenntnisquellen und verrückte durch gesetzliche Bindung die christliche Heilsordnung.« 79 Schwegler, Montanismus. 80 Ebd., 6. 81 Vgl. ebd., 301f: »Bleiben wir einen Augenblick vor dem Bilde dieses Mannes [Tertullian, M. T.] stehen, wie es in die Jahrhunderte der Geschichte hineinragt – dieses Gemüth voll wilder Widersprüche, voll ruheloser Thatkraft; diese altrömische imperatorische Natur, die, wie einst ihre Ahnen vom Sieg und der Weltherrschaft des capitolinischen Jupiters, so vom Siege des Nazareners träumt und von seinem Gericht über die Welt; dieser Römer, der alle Halbheiten, alle Vermittlungen, alle Capitulationen hasst, der ungerecht ist in Verfolgung seines Rechts, weil er ungerecht seyn will [Hervorhebung im Original], ein Meister in der Sophistik der Leidenschaft; dieser Römer, dem die Welt nur als Opferstätte erscheint, und das Leben als Knechtsdienst; der alle Blüthen der heidnischen Welt, auch wo sie Christum weissagen, mit unbarmherzigem Fusse niedertritt, wie seine Altvordern unterjochte Nationen; ein Römer, vor dessen finsterdrohendem Antlitz die Lüste der Welt, selbst in ihren reitzendsten Gestalten, in denen sie den Menschen umgaukeln, als hässliche Larven dahinschwinden; ein Römer auch in der Sprache, rasch pointirt, gedrängt, kategorisch, sententiös, voll verhaltenen Zorns und grollender Kürze, der Tacitus des jungen Christenthums.« 82 A. Harnack, Quellenkritik, 143–226. 83 Gaß, Märtyrerthum I, 352–362; Gaß, Märtyrerthum II, 315–324.

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eines Theologen,84 um dessen Überlegungen anachronistisch für die Gegenwart fruchtbar zu machen.85 Indem A. Hauck voraussetzte, dass das Handeln und Denken einer historischen Person aus inneren Willensakten erwächst und sich dann das individuell Gewollte in eine sachliche Beziehung zur Außenwelt setzt, machte er sich die Herangehensweise J.G. Droysens zu eigen. Parallelen zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem zweiten Jahrhundert entdeckte der Frankenheimer Landpfarrer in der Ausbreitung der Kirche, in der Ausübung karitativer Werke, in der literarisch-theologischen Beschäftigung mit Grundlagen des christlichen Glaubens sowie in den Gefahren, die den traditionellen Bestand der Kirche bedrohen. 6.2.1 Die Schriften Tertullians als Grundlage der Untersuchung – Quellenkritik 6.2.1.1 Sprachliche Analyse, Text- und Literarkritik Die Schriften Tertullians analysierte und interpretierte A. Hauck auf der Grundlage der Edition F. Oehlers, in die er in Folge selbständiger Textvergleiche korrigierend eingriff.86 Mit Hilfe der Konstruktion inhaltlicher Zusammenhänge wies er Schreibfehler nach.87 Auch nahm A. Hauck eigenständige Interpunktionen vor, um ein angemesseneres Textverständnis zu ermöglichen.88 Vereinzelt verwarf er auch A. Neanders Emendationen, weil er die Logik komplexer Sätze Tertullians erkannte.89 Aufgrund sprachlicher Analyse und der These, Tertullian argumentiere sophistisch, gelangte A. Hauck zu selbständigen Übersetzungvarianten.90 Er fühlte sich infolgedessen auch genötigt, C.L. Leimbachs Interpretation des Abendmahlverständnisses Tertullians korrigieren zu müssen.91 Auch A. Neanders 84 Vgl. Hauck, Tertullian’s Leben, 1: »Will man sich seinen Lebensgang vergegenwärtigen, so ist man fast allein auf die Erforschung seiner Werke angewiesen. [...] Doch wenn man unter dem Lebensgange eines Mannes vielmehr seine innere Entwicklung zu verstehen hat, und wenn die Thatsachen des äußeren Lebens hauptsächlich deshalb Werth haben, weil sie die Wendepunkte bezeichnen, an welche sich die Bildung der Gesinnung anschließt, so sind die Schriften Tertullians reichlich fließende Quellen: sie gewähren Einblick in den Entwicklungsgang seiner Persönlichkeit.« 85 Vgl. ebd., IV: »Die Kenntniß der Geschichte hat deshalb nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch praktischen Werth. [...] Denn die Geschichte der Vergangenheit ist die Lehrmeisterin für die Zukunft. Nichts ist für diejenigen, welche in der Bewegung des Lebens stehen, so nöthig als ein gerechtes und ruhiges Urtheil, das sich von den Parteimeinungen des Tages nicht rasch hinreißen läßt. Die Geschichte ist es vor allem, welche so urtheilen lehrt. In diesem Sinne, um der Gegenwart zu dienen, habe ich versucht, das Leben Tertullians auf dem Hintergrunde seiner Zeit darzustellen.« 86 Vgl. ebd., 22 (Anm. 2). 87 Vgl. ebd., 36 (Anm. 1) u. 126 (Anm. 1). 88 Vgl. ebd., 66f (Anm. 1). 89 Vgl. ebd., 122 (Anm. 1). 90 Vgl. ebd., 43 (Anm. 1) u. 71 (Anm. 1) u. 84 (Anm. 1). 91 Vgl. ebd., 128 (Anm. 1) u. 341 (Anm. 1). A. Hauck übersetzte repraesentare mit gegenwärtig machen. Eine präzise Klärung nahm er nicht vor.

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Übersetzungs- und Interpretationsversuche kritisierte A. Hauck, weil er im Gegensatz zu A. Neander Wendepunkte in Tertullians Denken herausarbeitete.92 A. Haucks text- und gattungsanalytische Bearbeitungen dienten der Substantialisierung der chronologischen Ordnung des Tertullianischen Schriftencorpus.93 Die Literarkritik gab ihm Argumente für eine Textkritik an die Hand.94 Dass Tertullian sich durch die Bildung einer lateinischen Kirchensprache hervorgetan und damit die lateinische Theologie begründet hatte,95 beachtete der Frankenheimer Landpfarrer zwar, ließ aber die Möglichkeit einer vergleichenden Sprachwissenschaft außer Acht, um das Denken Tertullians eingehender zu untersuchen. 6.2.1.2 Gattungs-, Traditions- und Kompositionskritik Die Bestimmung der Textgattung stellte A. Hauck zusammen mit der Beschreibung der zeitgeschichtlichen Situation an den Anfang der Auslegung der Schriften Tertullians. Mit ihrer Hilfe analysierte er die Gefühls- und Lebenssituation des Kirchenlehrers sowie die chronologische Reihenfolge der Schriften.96 Anschließend umschrieb er die Grundgedanken Tertullians, die er paraphrasierend verifizierte. Mit diesen Erkenntnissen gelang es ihm, eine Kompositionskritik anzuwenden, d.h. den »Plan« der Schriften zu erschließen, den er einer eigenen Beurteilung unterzog. Abschließend bestimmte er den Zweck der Schriften, um zu untersuchen, ob sie eine Wirkungsgeschichte entfalteten. Seine methodische Herangehensweise erlaubte es ihm, Ausdrucksweise und Charakter Tertullians anhand dessen literarischer Hinterlassenschaft zu erschließen. Indem er die Schriften miteinander verglich, erkannte A. Hauck Motive, die der Kirchenlehrer mehrmals aufgriff, und stellte somit einen Zusammenhang zwischen den Themen her. Aus der Traditionskritik entnahm er Argumente, um seine Thesen zur Kompositionskritik97 und zur Textkritik98 zu verifizieren: Exemplarisch konnte er traditionskritisch Tertullian in Bezug auf den Kampf gegen Häretiker in die Nähe zu Irenäus stellen. Tertullians Schrift »Adversus 92

Vgl. ebd., 132f (Anm. 3) u. 334 (Anm. 2). Vgl. ebd., 167 (Anm. 1) u. 274 (Anm. 2). 94 Vgl. ebd., 309 (Anm. 1). 95 Vgl. ebd., 1. 96 Vgl. ebd., 167: »Daß es in Ton und Haltung zu diesem Höhepunkte der Tertullian’schen Thätigkeit wohl paßt, wird sich kaum bestreiten lassen.«; vgl. 274 (Anm. 2): »Die Schrift in den Beginn der antignostischen Polemik Tertullians zu verlegen, veranlaßt mich ihr allgemeiner Charakter.« 97 Vgl. ebd., 57f (Anm. 2): »Wie endlich die Benützung des Oktavius im Apologetikum keinen Zweifel an der Priorität des letzteren den Büchern ad nat[iones] gegenüber lassen soll, ist mir unverständlich. [...] Man sieht, Tertullians Schriften verhalten sich der fremden gegenüber gleich; unter sich sind sie so verschieden, daß die Dunkelheit im Ausdruck der ersteren in der zweiten entfernt wird. [...] Auch hier stehen Tertullians Schriften dem Oktavius gleich gegenüber, und unterscheiden sich von einander dadurch, daß im Apol[ogetikum] ein überflüssiges Wort weggelassen ist.« 98 Vgl. ebd., 84 (Anm. 1). 93

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Judaeos« hielt A. Hauck auf Grundlage seiner Untersuchungen zur Literar- und Kompositionskritik nur zum Teil für echt.99 Um die Angabe von Bibelstellen erweiterte A. Hauck die Motiv- und Traditionskritik.100 6.2.2 Die Interpretation A. Hauck interpretierte die Schriften Tertullians nach dem Postulat J.G. Droysens, dass eine Quelleninterpretation den Standpunkt des Verfassers eruieren muss,101 unter sachlicher (kirchen- und theologiegeschichtlich) und unter subjektiver Perspektive (Entwicklung der Persönlichkeit Tertullians). A. Hauck interessierte sich vorwiegend für die Wirkung der historischen Gemengelage auf die Entwicklung des Einzelnen und des Volkes. Die pragmatische Interpretation, die auf Tertullians Beschreibungen der Zeitgeschichte einging, diente dem Pfarrer zur kontemplativen Einordnung des Kirchenlehrers in die Kirchenund Theologiegeschichte.102 Den Schwerpunkt aber legte er auf die psychologische Deutung der Persönlichkeit Tertullians: »Er war ein Mann, der sich in unaufhörlichem Streite bewegte: sein ganzes Leben trägt die Spuren hiervon.«103 6.2.2.1 Die Interpretation der Bedingungen oder: Chronologie der Schriften Voraussetzung für die Interpretation der Schriften Tertullians war deren chronologische Einordnung. A. Hauck trat in einen offenen Diskurs ein. Diskussionsstand und eigene Argumente gab er in seinen Anmerkungen wieder. Grundlegend für die Chronologie war die Interpretation der Bedingungen der Schriften, deren Analogie sowie Bezugnahmen untereinander. Mit Hilfe kirchen- und theologiegeschichtlicher Exkurse und unter Rückgriff auf zeitgenössische Schriftsteller sowie Sekundärliteratur ermittelte A. Hauck die zeitlichen, materiellen und moralischen Bedingungen, in denen Tertullian seine Schriften verfasst hatte.104 Auf dieser Analyse aufbauend, beschrieb er in 99

Vgl. ebd., 94–96. Vgl. ebd., 279 (Anm. 3) u. 309f (Anm 2). 101 Vgl. Droysen, Historik, 66: »Ein Vorgang, eine Tatsache wird entweder aufgefaßt mit dem Zweck möglichst sachgemäßer Darlegung, also möglichst pragmatisch – und zwar kann das geschehen entweder nach den äußeren Momenten des Zusammenhangs oder nach dem inneren, dem kausalen Zusammenhang, also entweder mehr referierend oder mehr kombinierend – oder es überwiegt das subjektive Element gegen das sachliche. Und auch da wieder ist eine doppelte Form möglich: das subjektive Element überwiegt entweder, weil die Erregtheit des Empfindens stärker ist als das sachliche [...]; oder weil das sachliche nur als Material und Anlaß anderweitiger Kontemplationen und Argumentationen dient [...].« 102 Ebd., 1: »[...] die Thatsachen des äußeren Lebens [haben] hauptsächlich deshalb Werth [...], weil sie die Wendepunkte bezeichnen, an welche sich die Bildung der Gesinnung anschließt, [...].« 103 Ebd. 104 A. Hauck nahm Bezug auf Böhringer, Kirche Christi; Neander, Geschichte I; Uhlhorn, Kampf; Gieseler, Kirchengeschichte; Graul, Kirche; Schwegler, Montanismus. 100

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einem ersten Schritt den Stand der Gesellschaft und der institutionalisierten Kirche, ihr Verhältnis zum Staat, die Religiosität und Sittlichkeit des Christentums, den Kultus und das theologische Denken der Zeit. In einem zweiten Schritt arbeitete er die Ansichten Tertullians und deren organische Entwicklung heraus.105 A. Hauck zeichnete Tertullians literarisches Schaffen in die letzten Jahre des zweiten Jahrhunderts, einer »Zeit des Schreckens«,106 ein. Als den entscheidenden Grund für Tertullians ersten schriftstellerischen Auftritt benannte er dessen energische Verteidigung christlicher Moralvorstellungen,107 die A. Hauck in einer theologiegeschichliche Abhandlungen mit den Ansichten u.a. Tatians, Athenagoras’, Irenaeus’ von Lyon und Clemens’ von Alexandrien verglich. Mit der subjektiven Überzeugung: »Denn es war ihnen [den Christen, M. T.] nicht zum Bewußtsein gekommen, daß das Christentum nur dann ruhen kann, wenn es herrscht, und daß seine Weltherrschaft und die Auflösung des römischen Reiches in seiner damaligen Gestalt zusammenfallen mußte.«,108 führte der Frankenheimer Pfarrer in die zeitgeschichtlichen Umstände der apologetischen Schriften ein. Ihr folgte ein Exkurs über das literarische Schaffen altchristlicher Schriftsteller, exemplarisch über dasjenige Justins, Tatians, Melitos von Sardes und Theophilus’ von Antiochien. A. Hauck sah Tertullians Wandel zum Apologeten darin begründet, dass dieser den Staat in seinem Verhalten zur Kirche in rechtliche Schranken weisen wollte.109 Als Presbyter habe sich Tertullian dann in seinem Kampf gegen Häretiker dogmatischen Fragestellungen zugewandt. Um Tertullians Positionen eingehend zu beschreiben, führte A. Hauck in Exkursen in die Geschichte der Bibelauslegung und der christlichen Sitte ein, die er aus den Werken Tertullians und aus den Äußerungen von Zeitgenossen erhob. Tertullians Einschätzung, dass die Kirche verweltlichte und dass sich deshalb im Christentum gegensätzliche Strömungen ausgebildet hatten,110 veranschaulichte A. Hauck am Streit über Ehevorstellungen. In einem längeren Exkurs untersuchte A. Hauck die Bedeutung des Gnostizismus, die er vornehmlich aus den Darstellungen Justins, Irenaeus’ von Lyon, Tatians und Tertullians sowie aus den Ausführungen K. Grauls erschloss. Er 105

Vgl. Droysen, Historik, 173: »Sie [die Interpretation der Bedingungen, M. T.] erwartet nichts anders, als daß zu jedem Vorgang ein Hintergrund verschiedener Stimmungen, Tendenzen, Leidenschaften vorhanden ist, die miteinander ringen, daß jede so hervortretende Tatsache oder Person ein mannigfaches Für und Wider entflammt, und daß erst in diesem Ringen die Charaktere ihre Erfolge, die Taten ihre Wirkungen finden.« 106 Hauck, Tertullian’s Leben, 7. 107 Vgl. ebd., 41: »Das Christenthum mußte als die die Gestalt des sozialen Lebens beherrschende Macht anerkannt werden, ehe man daran denken konnte, daß neben ihm noch manches andere einen Anspruch auf Berücksichtigung hatte. Man kann die Stellung des Christenthums zu der heidnischen Gesellschaft mit der zum heidnischen Staat vergleichen. Hier wie dort mußte gekämpft werden.« 108 Ebd., 53. 109 Ebd., 70: »Denn alles kam darauf an, sie [die Obrigkeit, M. T.] von der Ungerechtigkeit des gesetzmäßigen Verfahrens zu überzeugen, damit die Gesetze geändert würden.« 110 Vgl. ebd., 132.

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kritisierte den Gnostizismus als »Nebenbuhler des Christenthums«, der den Nerv der Zeit traf, nämlich das religiöse Bedürfnis der Menschen zu befriedigen.111 Der Historiker erkannte die Gefahr, dass der Gnostizismus seine Anhänger durch seine vorgebliche Wissenschaftlichkeit gewann.112 So kam er zu dem Urteil, dass es für die institutionalisierte Kirche zerstörerisch wirken musste, wenn Gnostiker den Unterschied zur Kirche nicht im Glauben, sondern in der Verfassung konstituierten. Auch dem Leben und Wirken Markions widmete der Theologe einen eigenständigen Exkurs. Würdigte er auf der einen Seite Markions asketischen und ernsthaften Glauben sowie seine konsequente Bibelexegese, so kritisierte er diese auf der anderen Seite vernichtend als eine Vergewaltigung des ursprünglichen Evangeliums. Schließlich urteilte er nach eigener Maßgabe: »Der Gedanke der Entwicklung mangelte ihm vollständig. In ungebrochener Starrheit stehen sich die Realitäten gegenüber; ihre Kraft liegt nicht im Werden, sondern geht darin auf, daß sie sind.«113 Den Beginn der Verweltlichung der Kirche legte A. Hauck in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts und konstatierte, dass ihr nun die Aufgabe zuwuchs, die Welt und das Leben mit christlichem Geist zu durchdringen: »Es war nicht eine klare Erkenntniß, in welcher man handelte, sondern eine Tendenz der Zeit, welche sich allmählich bildete, erst einzelne, dann mehrere ergriff und beherrschte und sich so ausbreitete.«114 Die Antipode zu dieser Tendenz sah er im Montanismus,115 den er anachronistisch mit dem Pietismus verglich. Die montanistische Verschärfung der Zucht kritisiert er deutlich. Um die Gefahr herausarbeiten, die während der Verfolgung unter Kaiser Severus Alexander von den Gnostikern ausging, schob A. Hauck einen Exkurs über die ethischen und sittlichen Grundsätze der gnostischen Religion ein. Ihre Ansichten zu widerlegen, war nach Ansicht A. Haucks nur mit einer autoritisierten Schriftauslegung möglich. Dies erkannt zu haben, billigte er Irenaeus von Lyon und Tertullian zu. Die Darstellung des Lebens und Wirkens Hermogenes’ erarbeitete A. Hauck aus Ausführungen dessen Gegners Tertullian. Würdigte er zwar dessen Scharfsinn und Hang zur Spekulation, so schien es dem Historiker wichtig, die Psychologie und die Bibelexegese des Hermogenes zu kritisieren.116 Dass er wie Apelles die subjektive Seite des Glaubens betonte, stellte A. Hauck als einseitiges Verständnis heraus. 111

Vgl. ebd., 152–166; vgl. Graul, Kirche, 89. Vgl. Hauck, Tertullian’s Leben, 155. 113 Ebd., 180. 114 Ebd., 191. 115 Vgl. ebd., 192: »Er [der Montanismus, M. T.] wollte mehr als bisher gesetzlich binden, verlangte, daß das Ideal völlig in die Wirklichkeit trete, suchte die Menschen ganz pneumatisch zu machen. Es begegnete ihm nothwendig, daß sein Ideal leer wurde; nie hat es eine äußerliche Ethik gegeben als die dieser geistlichen Menschen.« 116 Vgl. ebd., 259. 112

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An eine theologiegeschichtliche Erörterung der christlichen SeelenInterpretation fügte der Frankenheimer Pfarrer Standpunkte der christlichen Auferstehungshoffnung an.117 Der Glaube an die Auferstehung sei Nichtchristen suspekt gewesen. Die Verteidiger des christlichen Glaubens hätten aber gerade diese Grundlage nicht verschweigen können und im Martyrium darauf gehofft. Für A. Hauck hat Athenagoras die Auferstehungshoffnung am eindrücklichsten formuliert: »Der Tod sei nur eine Unterbrechung des Lebens.«118 A. Hauck datierte den vollständigen Bruch zwischen der Kirche und dem Montanismus, der diesen zu einer Sekte werden ließ, in das Jahr 207. Zwangsläufig sei es zu Lehrauseinandersetzungen zwischen beiden gekommen. Weil vor allem Praxeas den Montanisten verhasst gewesen war, untersuchte A. Hauck in der Gestalt eines Exkurses die Geschichte der Christologie sowie die Gedanken des Monarchianismus, als dessen Vertreter Praxeas sich gebärdete. Interessiert an dessen Beweggründen urteilte er: Die römische Kirche stand in dieser Sache vor einer Entscheidung von viel größerer Wichtigkeit, als die handelnden Personen wußten. Es wäre wirklich ein Abweichen von dem Wege gewesen, auf dem sich die römischen Bischöfe schon befanden, und den sie mit so viel Ruhm fortsetzen sollten, wenn sie sich mit der schwärmerischen, weltfeindlichen Richtung des Montanismus verbunden hätten.119

A. Hauck wandte interpretative Kriterien stufenweise an, um die Chronologie der Schriften Tertullinans zu eruieren. Mit Hilfe der pragmatischen Quelleninterpretation, der komparativen Methode und der Analogie untersuchte er den sachlichen Zusammenhang der Schriften: Erstens fragte er nach montanistischen Tendenzen innerhalb einer Schrift; zweitens stellte er die Schriften nach Gruppen zusammen, deren Inhalte voneinander abhängig sind;120 drittens bezog er zeitgeschichtliche Umstände in seine Überlegungen ein. Zudem griff er auf Ergebnisse der Literarkritik121 und der Sprachanalyse122 zurück. Schließlich beantwortete A. Hauck die Frage, ob sich Tertullian offen zu einer Trennung von der Kirche bekannte und in welchem Maße er seine Stellung gegenüber der 117

Vgl. ebd., 312–316, bes. 312f: »Wenn Tertullian dann über die Auferstehung schrieb, so erwählte er damit einen Gegenstand, der den Heiden und Häretikern ebenso anstößig, als den Christen werth und theuer war. Nicht nur der Verstand wollte sich der neuen, unbegreiflichen Lehre nicht beugen, nicht nur widersprach sie der Geringschätzung des Leibes, wie sie allgemein verbreitet war, sondern die Heiden hatten ein Gefühl davon, daß in dem Glauben an die Auferstehung die Uebermacht des Christenthums über das Heidenthum wurzele.« 118 Ebd., 316. 119 Ebd., 367. 120 Vgl. ebd., 391f (Anm. 1): »[...] mir ist wahrscheinlicher, daß diese Schrift [›De pudicitia‹, M. T.] zuerst geschrieben wurde; denn de jej[unio] scheint mir am maßlosesten zu sein und deshalb an das Ende zu gehören. [...] Mir scheint es dem ganzen Charakter Tertullians nach viel wahrscheinlicher.« 121 Vgl. ebd., 57f (Anm. 2): »Ist es unglaublich, daß Tertullian umgekehrt aus einem leicht verständlichen einen undeutlichen Ausdruck gemacht hat?« 122 Vgl. ebd., 167 (Anm. 1): »Nach seinem [Tertullians, M. T.] Sprachgebrauch kann die Stelle sehr wohl so gemeint sein, daß er die Erwartung ausspricht, das schon geschriebene Buch werde leisten, was er sagt.«

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Kirche änderte.123 Vorrangiges Kriterium blieb aber, wie sich eine organische Entwicklung der Persönlichkeit Tertullians nachzeichnen ließ.124 A. Hauck erkannte, dass Glaube, Wahrheitssuche und christliche Lebensordnung für Tertullian eine feste Einheit bildeten. Obwohl der Kirchenlehrer die Kirche als Heilsanstalt betrachte, spare er ihr gegenüber nicht an Kritik. Der Frankenheimer Pfarrer konstatierte, dass Tertullian zwangsläufig zum Montanismus übertreten musste. Vornehmlich als Folge montanistischen Enthusiasmus’ konzentriere sich Tertullians Fragen nach christlicher Wahrheit auf deren Verwirklichung im individuellen Leben. A. Hauck bekräftigte, dass Tertullian stets einen persönlichen Bezug zu den jeweiligen Untersuchungsgegenständen hatte125 und sich dessen ethische Grundsätze zunehmend radikalisierten. 6.2.2.2 Die psychologische Interpretation Tertullians A. Hauck stützte sein Tertullian-Bild vornehmlich auf die Methode J.G. Droysens, der das Quellenmaterial psychologisch interpretierte. Mit ihm ging A. Hauck von der Prämisse aus, dass die Geschichte durch Menschen geprägt wird und deshalb Begabungen, Charakter und Leidenschaften historischer Handlungsträger analysiert sowie die Auswirkungen ihres Handelns auf einen geschichtlichen Verlauf reflektiert werden.126 Die psychologische Interpretation fragt nach dem Willen einer historischen Person, kann diesen aber aus dessen Handlungen nicht umfassend eruieren. J.G. Droysen sah mit dieser Methode die Schwierigkeit gegeben, aus einer sich entwickelnden Persönlichkeit ein fixes Bild zu entwerfen.127 A. Hauck wollte Charakter, Denken und historische Wirkung Tertullians aus dessen Schriften ermitteln und in seiner Tertullian-Monographie vornehmlich den »Entwicklungsgang seiner Persönlichkeit« nachzeichnen. Er malte schließlich ein Bild, dass »der düsteren Flamme einer Fackel« ähnelt,128 weil der Kirchenvater in seinen Äußerungen kaum differenzierte, leidenschaftlich und egozentrisch argumentierte, eigene Widersprüche nicht beachtete und Selbstbeherrschung nicht kannte. Positiv rechnete er ihm zu, dass er das sittlich-religiöse Gefühl der Christenheit förderte sowie die Praxis christlicher Lebensweise 123

Vgl. ebd., 200f (Anm. 6): »Ueberhaupt wird ein Fortschreiten Tertullians im Montanismus [...] sich bei der Natur dieser Sekte schwer denken und aus seinem Schriften kaum nachweisen lassen. Was sich änderte, war seine Einstellung zur Kirche und zu seinen kirchlichen Gegnern.« 124 Vgl. ebd., 108f (Anm. 4). »Wichtiger als dergleichen Anhaltspunkte scheint mir, ob sich bei der angenommenen Reihenfolge der Schriften ein verständliches Bild der Entwicklung Tertullians ergibt.« 125 Vgl. ebd., 240: »Seine [Tertullians, M. T.] Leidenschaftlichkeit ließ ihn kaum zu ruhiger Betrachtung kommen: von wissenschaftlicher Ruhe, von Freiheit von Voraussetzungen, von Gleichgiltigkeit gegen das Endergebnis der Untersuchung war er unendlich weit entfernt.« 126 Vgl. Droysen, Historik, 176: »Also dies große Moment in dem Wesen der Persönlichkeit, die Energie des Willens, wird in dem, was getan ist, wieder zu erkennen sein.« 127 Vgl. ebd., 176: »[...] das Ich des Menschen ist ein unendlich bewegter, unablässig aktiver und phosphoreszierender Punkt.« 128 Hauck, Tertullian’s Leben, 407.

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betonte. Eindringlich kritisierte der Frankenheimer Pfarrer, dass sich Tertullian gegen seine Überzeugung von der Kirche trennte. Nicht Einsicht, sondern sein leidenschaftlicher Charakter habe Tertullians Bekehrung sowohl zum Christentum als auch später zum Montanismus bewirkt: Menschliche Leidenschaft dränge fernab von ruhigen Überlegungen zur Tat, so Haucks psychologische Erklärung.129 Doch versöhnlich formulierte A. Hauck am Ende seines Buches: »Die Gerechtigkeit der Geschichte offenbart sich darin, daß die Kirche, welche er zuletzt so heftig bekämpfte, ihn stets als einen ihrer Lehrer anerkannt hat.«130 Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie A. Hauck unter Anwendung der psychologischen Interpretation die persönliche Entwicklung des Kirchenvaters anhand von dessen literarischer Hinterlassenschaft im Einzelnen beschrieb. A. Hauck ordnete diejenigen Äußerungen des Kirchenvaters, die sich mit der sittlichen Vollkommenheit christlichen Lebens auseinandersetzten, in dessen erste literarische Schaffensphase ein. Er bemerkte, dass Tertullians Charakter und rigoroser Glaube schrittweise durchbrach: Habe Tertullian zunächst seine leidenschaftliche Erregung zugunsten einer feinfühligen Liebe unterdrückt, so habe er sittliche Verwerfungen schließlich heftig und verletzend kritisiert. Beispiel dieser feinfühligen Liebe ist für A. Hauck die Ermahnungs- und Trostschrift »Ad martyras« aus dem Sommer 197. Der Leitfrage: Soll ein Christ um der Wahrheit Gottes willen leiden?, gehe Tertullian ohne überdachte Anordnung seiner Aussagen in einem kunstlosen Stil nach und breche dann abrupt ab. A. Hauck würdigte die erfrischenden Bilder, mit denen der altchristliche Schriftsteller seine Argumentation veranschaulichte. Leidenschaftlicher und persönlicher gehe Tertullian in »De spectaculis« gegen die Einbindung der Christen in das politische und religiöse Leben im Römischen Reich und gegen Versuchungen heidnischen Lebens vor, stoße mit seiner Überzeugung aber auf Widerstand: »Denn nur langsam pflegt die Menge der Menschen denen zu folgen, welche ihr den rechten Weg weisen.«131 Weil die Festspiele eng mit dem sozialen Leben verknüpft waren, ist es, so A. Hauck, für Christen schwierig gewesen, sich ihrer zu verweigern. Deshalb verwerfe Tertullian diese Tradition unter »religiösen Gesichtspunkten«: Der wahre Glaube an den wahren Gott und der wahre Gehorsam gegen diesen Gott lasse sich nicht mit Schauspielen vereinbaren. Führe der Kirchenvater zunächst noch kirchliche Lehrtraditionen an, so trete mehr und mehr seine Individualität und Überzeugung hervor: »Insofern ist diese Schrift ein Abbild seines Lebens.«132 A. Hauck fasste zusammen, dass Tertullian von den Anschauungen der Kirche abwich, obwohl er sich selbst als Repräsentant der Kirche verstand. Dass der altchristliche Schriftsteller auch in der Schönheitspflege der Frauen einen Widerspruch zur christlichen Sitte entdeckte, war für A. Hauck notwen129 Vgl. ebd., 5: »Nicht unbeweglich sind solche Naturen, und nicht unveränderlich beharren sie bei der einmal genommenen Stellung; nur lassen sie sich nicht durch Gründe überführen.« 130 Ebd., 410. 131 Ebd., 15. 132 Ebd., 24.

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dige Folge vorangegangener Ausführungen. Dass er seine Kritik in zwei Büchern über »De cultu feminarum« ausführte, ließ A. Hauck zu der Erkenntnis gelangen, dass Tertullian sich noch keine endgültige Meinung gebildet hatte, sondern die erste korrigieren musste.133 Bescheiden, maßvoll und demütig reihe er die Gedanken aneinander, um seine Sorge um das Heil der christlichen Frauen134 argumentativ zu untermauern. Ausdrücklich beanstandete A. Hauck die Argumente in »De idololatria«, mit denen Tertullian jede Bilderverehrung als Götzendienst bekämpft. Er stellte diese Schrift an den Schluss der ersten Schaffensperiode, weil hier den Lesern Tertullians einseitiger Standpunkt, der keine Rücksicht auf die Verhältnisse nimmt und alles Irdische verwirf, sowie seine Leidenschaft sehr ausgeprägt entgegentritt.135 Den Ansichten Tertullians stellte der Frankenheimer Pfarrer die altchristliche Meinungsvielfalt gegenüber. A. Hauck ließ sich zu dem persönlichen Urteil hinreißen, dass das Christentum zu einer das soziale Leben beherrschenden Macht werden muss, um die Sitte der Gesellschaft christlich zu prägen.136 Indem A. Hauck Tertullian in dessen zweiter literarischen Schaffensphase als einen Apologeten vorstellte, der das Christentum gegenüber der politischen Führungsriege des Römischen Reiches verteidigte, untermauerte er seine Ansicht, dass die Auseinandersetzung zwischen Christentum und nichtchristlich geprägtem Staatswesen nur dann gelöst werden kann, wenn eines von beiden die Macht über den Gegner erringt – ein vom Staatswesen nur geduldetes Christentum lehnte er ab.137 In Tertullian sah der Pfarrer deshalb einen ehrlichen und schlagkräftigen Werber für das Christentum. A. Hauck lobte, dass Tertullian in »Ad nationes«138 zum Angriff auf nichtchristliche Werte überging, und würdigte die Leidenschaft Tertullians, die von einer Deutlichkeit der Darstellung und von sachlichen Argumentationen nichts wissen wollte: »[...] niederschlagen, nicht gewinnen wollte Tertullian«139 die Nichtchristen. A. Hauck schloss sich auf dem Hintergrund eigener Erfah133 Phrasen, die montanistisches Gedankengut aufnahmen, ließ A. Hauck nicht als Argumente gelten, um diese Bearbeitung in einer späteren Schaffensperiode Tertullians zu positionieren. Entgegen der Meinung K. Hesselbergs beurteilte A. Hauck die Bearbeitung nicht als Fortsetzung der ersten, sondern als eine abgeschlossene, selbständige Schrift. 134 Vgl. ebd., 26: »Denn an der Sittlichkeit der Frauen kann man die eines Volkes und einer Zeit überhaupt messen.« 135 Ebd., 48: »Die Verachtung des Irdischen und Weltlichen geht weit über das rechte Maß hinaus; aber einer Macht des Glaubens entstammt sie, welche hinreißt.« 136 Vgl. ebd., 41: »Man kann die Stellung des Christenthums zu der heidnischen Gesellschaft mit der zum heidnischen Staat vergleichen. Hier wie dort mußte gekämpft werden. Dem Staate gegenüber mußte es sein Dasein als Religion, der Gesellschaft gegenüber sein Dasein als sittliche Macht behaupten.« 137 Vgl. ebd., 53: »Denn es war ihnen [den Christen, M. T.] nicht zum Bewußtsein gekommen, daß das Christentum nur dann ruhen kann, wenn es herrscht [...].« 138 Als Abfassungszeit für »Ad nationes« ermittelte A. Hauck das Jahr 199 und für das »Apologetikum« das Jahr 200. K. Hesselbergs Chronologie lehnte er unter Hinzuziehung eigener Textkritik ab. 139 Ebd., 59.

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rungen Tertullians Vorwurf an, dass Nichtchristen christliche Glaubensinhalte nicht kennen, und pflichtete dem Kirchenvater bei, dass die Auseinandersetzung zwischen Christentum und nichtchristlicher Religiosität auf der Frage nach dem wahren Fundament der Religion beruht: dem Gottesglauben. Obwohl A. Hauck den Kirchenvater würdigte, dass er das politische und soziale Elend der römischen Welt aufdeckte,140 kritisierte er ihn auch, weil er letztlich doch in ungerechtfertigtem Maß klagte. Mit großer Anerkennung näherte sich A. Hauck den Ausführungen im »Apologetikum«, mit denen Tertullian die Obrigkeit für den christlichen Glauben gewinnen wollte. Der Stil der Schrift sei gewählt und ihr Inhalt mit Bedacht ausgesucht: Tertullian löse im Gegensatz zu »Ad nationes« Wortwiederholung auf, füge Sätze aneinander, verkürze Ausdrücke, erkläre undeutliche Sätze; dem Inhalt nähere er sich mit Milde. Als schönsten Abschnitt der Schrift bezeichnete er Tertullians Beschreibung des christlichen Gemeindelebens: »Hierauf wendet er allen Eifer, die liebevollste Sorgfalt.«141 Auch »De testimonio animae« fand A. Haucks ungeteiltes Lob: Der Stil sei einfach und die inhaltliche Darstellung poetisch verfasst. Er urteilte, dass Tertullian in der Natur fand, was er in der Kultur vergeblich suchte: den allen Menschen innewohnenden Drang zur Annahme der christlich vermittelten Offenbarung Gottes, das in der menschlichen Seele inneliegende Gottesbewusstsein.142 Auf dieser Anschauung basierte nach Meinung A. Haucks auch »Adversus Judaeos«, deren ersten Teil er für echt hielt, weil ihr Inhalt mancherlei Bezüge zu »Adversus Marcionem« aufzeigte.143 Tertullians dritte literarische Schaffensphase fasste A. Hauck unter der Kapitelüberschrift »Tertullians Wirken im Dienste der Kirche« zusammen. Er sah es als selbstverständlich an, dass sich Tertullian als Vertreter der institutionalisierten Kirche nach göttlicher Inspiration sehnte. Zwangsläufig musste, so A. Hauck, dieses Hin-und-her-Geworfensein zwischen institutionalisierter Lehre und freier Geistwirkung ein Ventil finden: Zum Ventil wurden die Auseinandersetzungen um eine rigorose christliche Ethik. Diesen persönlichen Kampf 140

Vgl. ebd., 97: »Denn die Stimmung, welche den Hintergrund seines Kampfes wider das Heidenthum und seiner Vertheidigung des Christenthums bildete, war der Zeit nichts Fremdes: die Verzweiflung an den politischen und sozialen Zuständen: nicht Religion, nicht Wissenschaft, nicht Bildung können Hilfe bieten, die Welt ist faul durch und durch; die Macht der Legionen, nicht die innere Stärke erhält das gewaltige Römerreich.« 141 Ebd., 77. 142 Vgl. ebd., 85: »Interessant ist seine Betrachtung vornehmlich auch zur Charakteristik Tertullians. Er suchte ein sicheres Zeugniß für die Wahrheit, und er, durchaus ein Mann der Reflexion, dem nichts ferner lag als das Unmittelbare, Natürliche, der aber ausgestattet war mit einem vielseitigen, man möchte sagen, bunten Wissen, meinte, es allein bei der Natur, in den unbedachten Aeußerungen der Unwissenden finden zu können.« 143 Vgl. ebd., 94: »Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß ein widerstrebender Stoff in eine Form gepreßt werden soll, der er sich nicht fügt. Die Absicht und die Ausführung entsprechen einander nicht.« Wie A. Neander urteilte A. Hauck, dass im zweiten Teil der Schrift keine Zweckmäßigkeit zu erkennen ist. K. Hesselbergs Argumente für eine spätere Vollendung der Schrift teilte A. Hauck nicht.

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bezeichnete A. Hauck als den entscheidenden Wendepunkt in Tertullians Entwicklung zum Kirchenlehrer, den er vorwurfsvoll kritisierte: »Der höchste Punkt auf der Bahn eines Mannes ist derselbe, mit welchem der Niedergang beginnt.«144 Terullians Sicht auf die Häretiker und seine Forderung nach einer strikten Trennung von Gnostizismus und Kirche in »De baptismo haereticorum« unterstützte der Frankenheimer Pfarrer ausnahmslos. Obwohl er hier dem sittlichen Rigorismus Tertullians positive Seiten abgewinnen konnte,145 bemerkte er, dass sich der Kirchenvater in Rom mit seinen Überzeugungen nicht durchsetzen konnte, und urteilte: »[...] die Richtung Tertullians führte ihn aus der Gemeinschaft der Kirche in die Enge einer Sekte: sie war einseitig.«146 Sowohl in der Taufunterweisung »De baptismo« als auch in »De poenitentia« erkannte A. Hauck einen bescheiden und liebevoll auftretenden Tertullian, der Katechumenen unterwies und unter Verweis auf biblische Aussagen kirchliche Traditionen erörterte.147 Schildere Tertullian seine abweichende Gesinnung zwar noch mit Milde, so trete er Schritt für Schritt der Lehrmeinung der institutionalisierten Kirche entgegen. A. Hauck interpretierte den Kirchenvater psychologisch, dass er seinen Bruch mit der Kirche zunehmend einkalkulierte. Erkannte A. Hauck an der »Wärme der Sprache«, dass Tertullian aus Überzeugung sprach, so vermisste er diese Wärme nun, als der altchristliche Schriftsteller die kirchlich-traditionelle Möglichkeit einer zweiten Buße verteidigte. Praxisnahe Überlegungen wie über die Buße fand der Frankenheimer Pfarrer auch in »De oratione« – einer Auslegung über das Vaterunser. Für Tertullian stehe fest: Christus hat das Gesetz vollendet und sein Leben ist das höchste Gesetz, der Gedanke an Gott ist mit dem an die Kirche gleichzusetzen, Leib und Geist befinden sich in einer engen Beziehung zueinander, christlicher Glaube muss sich im Handeln beweisen. Weil sich Tertullian in der Frage nach der Möglichkeit einer zweiten Buße nicht eindeutig positioniert hatte, sah A. Hauck den Kirchenvater zunehmend Vorwürfen ausgesetzt, die ihn tief verletzen mussten: Tertullian wünsche sich innerlichen Frieden, sein Urteil über andere werde vorsichtiger. Auf diesem 144 Ebd., 104. Vgl. ebd., 151: »Er [der Montanismus, M. T.] war gleichsam die Antwort auf das Begehren seiner Seele.« 145 Vgl. ebd., 107: »Nicht immer waren es Kleinigkeiten, über die verschieden geurtheilt wurde; man denke nur an die Frage über das Recht der Kindertaufe; aber nach der Meinung der Gegenwart war dies doch gewöhnlich der Fall. Nur sollte man nicht zu hart darüber urtheilen; denn diese geringfügigen Dinge erhielten dadurch eine Bedeutung, die ihnen selbst fehlte, daß in dem Streit über sie die verschiedenen Richtungen in der Kirche, die freiere und die ängstlichere, sich maßen. Welche von beiden im Recht war, läßt sich kaum sagen. Denn wer möchte die Aengstlichkeit billigen, mit der man auf die kleinlichsten Dinge achtete, oder das Vertrauen, welches man auf die äußere Uebung der christlichen Vorschriften setzte? Oder wie könnte man denen zustimmen, welche doch nur sehr äußerlich vom christlichen Wesen berührt waren? Das Streben nach Heiligung, die ernste Arbeit an der eigenen Besserung war bei vielen kaum vorhanden.« 146 Ebd., 104. 147 Vgl. ebd., 117: »Nicht übel würde es für ihn passen, daß er durch solche Demuth die Ehre erwidern wollte, welche er sich in der Wahl zum Priester erzeigt sah.«

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Hintergrund lässt A. Hauck Tertullian die Schrift »De patientia« verfassen, um die gegen ihn gerichteten Anklagen mit Demut zu ertragen und um trotz seines ethischen Rigorismus’ Milde walten zu lassen. Sein unerfülltes Verlangen nach der Gabe des göttlichen Geistes lasse ihn schließlich resignieren. Diese Demut hat es Tertullian nach Ansicht A. Haucks ermöglicht, der Kirche weiterhin treu zu bleiben. So verwerfe der Kirchenvater in »Ad uxorem« zwar die kirchliche Interpretation der Ehe nicht, spreche aber mit Ehrfurcht von denen, die ehelos bleiben. Rate er zunächst auch von einer Wiederverheiratung nicht ab, so lehne er später als Montanist die erneut geschlossene Ehe als eine willentlich begangene Sünde ab. Neben diesem Interesse für die Frömmigkeitspraxis der Gemeinden bemerkte der Frankenheimer Pfarrer im literarischen Schaffen Tertullians auch einen engagierten Kampf gegen Irrlehren des christlichen Glaubens, die dieser mit systematischen und historischen Argumenten führte.148 A. Hauck hob heraus, dass Tertullian in »De praescriptione haereticorum«149 ruhig und gewissenhaft argumentierte, die Problematik und den zu behandelnden Stoff überschaute und sich in seinen Äußerungen als würdiger Vertreter der Kirche und ihres Glaubens erwies. Demgegenüber bemerkte A. Hauck in der ersten, später verloren gegangenen Fassung des »Adversus Marcionem«, dass der altchristliche Schriftsteller in seiner Auseinandersetzung mit der Christologie Markions – »Er ist eine Persönlichkeit, wie sie wohl von untergehenden Kulturperioden hervorgebracht werden.«150 – die Autorität der Kirchenlehre missachtete und eine eigenständig Kritik vertrat, in der montanistische Tendenzen anklungen.151 Unter die vierte literarische Schaffensperiode ordnete A. Hauck die Schriften, die Tertullians Übergang zum Montanismus bezeugten. Er stellte die These auf, dass der Presbyter sich mehr und mehr nach pneumatischer Mitwirkung sehnte und diese im Montanismus fand. In Tertullians Kritik an der kirchlichen Zuchtübung des Optatus von Karthago machte A. Hauck dessen Übertritt zum Montanismus fest: Das ist das Unglück der Menschen, daß sie im Augenblick der wichtigsten Entschlüsse nicht mehr frei sind. Denn was eigene Entscheidung scheint, ist das Resultat einer oft 148 Vgl. ebd., 156: »Neben des Irenäus Christologie ist seine [Tertullians, M. T.] Anthropologie, um von der im Aufblühen begriffenen alexandrinischen Schule nicht zu reden, Beweis, daß die besten Männer nach Erkenntniß rangen. Aber man befand sich noch im Beginn. Es gab wohl Anfänge einer christlichen Literatur, aber noch keine christliche Wissenschaft, wohl Glauben, aber noch keine Theologie.« 149 A. Hauck widersprach K. Hesselberg, der »De praescriptione haereticorum« nicht zu den antignostischen Schriften Tertullians zählte. 150 Ebd., 188. 151 Vgl. ebd., 190: »Wir sind zu Ende mit dem Ueberblick der Schriften, welche Tertullian verfaßte, ehe er sich zum Montanismus bekannte. Wie er sich ihm innerlich näherte, ohne daß sich doch nachweisen ließe, daß er in direkte Berührung mit ihm kam, wie sich zugleich seine Stellung in der Kirche änderte, wurde bereits dargestellt. Wenn er ihn nun kennen lernte, so ist begreiflich, daß er sich der Anziehungskraft der ihm verwandten Richtung nicht entziehen konnte.«

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lange vorher eingeschlagenen Richtung. Sie meinen Herr über ihre Thaten zu sein; in Wahrheit sind sie gewöhnlich beherrscht durch die Folgen früherer Handlungen.152

Der Frankenheimer Pfarrer charakterisierte diese Entscheidung als Tragödie, mit der die persönliche und theologische Entwicklung Tertullians ihre Richtung änderte: »Die Bahn, auf welcher er [Tertullian, M. T.] sich befand, war abschüßig, jedoch erkannte er es nicht; dazu war seine Ueberzeugung von dem Werthe und der Wahrheit der parakletischen Offenbarungen zu gewiß.«153 Tertullians einseitiges montanistisches Argumentieren identifizierte A. Hauck in »De virginibus velandis«154 an dessen Wahrheitsverständnis, das den Parakleten als Vollender der Wahrheit betrachtete.155 Obwohl der Pfarrer diese Engführung nicht vertrat, unterstützte er die Argumente des Kirchenvaters, weil er moralische Laxheit nicht gutheißen wollte. Konnte für Tertullian die Verschleierung von Jungfrauen noch ohne kirchengesetzliche Anordnung bleiben, so führte ihn in »De corona militis« die Frage nach dem rechten Verhalten von Christen zum römischen Herrscherkult zu einer folgenreichen Stellungnahme, die A. Hauck ihm nicht verübelte:156 Gesetze ohne Vernunft sind sittenwidrig. Doch obwohl der Frankenheimer Pfarrer diesen Gedanken als kühn und großartig bezeichnete, urteilte er abwägend: Man möchte sagen, Tertullian ist zu groß für die Ansichten, welche er vertritt. Er gleicht einem Manne, der ernsthaft und eifrig Kinderspiele treibt. Es liegt etwas wie Wahnsinn in dieser Inkongruenz des Zwecks der Schrift und des Reichthums an Geist und Hingebung, welche sie zeigt. Er war nicht ungestraft Montanist.157

Den Höhepunkt für Tertullians eiferndes und schroffes Richten erkannte A. Hauck in »De fuga in persecutione«, in der jener zum Martyrium aufrief.158 Vernichtend urteilte der Pfarrer, dass Tertullian seinem Thema nicht gerecht wurde, weil er statt Einzelfälle zu behandeln nur Allgemeines forderte. Dennoch würdigte er wiederholt die »Größe der Gedanken« des Kirchenvaters, die der Kirchenvater auch in »Scorpiace« unter Anwendung einer exegetischhermeneutischen Bibelinterpretation formulierte, die den Wortsinn eruierte, wo Prophetenwort und Realität zusammentrafen, und die die allegorische Schrift152

Ebd., 198. Ebd., 239. 154 Gegen G. Uhlhorn erkannte A. Hauck in Tertullians literarischem Schaffen als Montanist keine Entwicklung, allein seine Stellung zur Kirche habe sich geändert. Mit K. Hesselberg entschied er sich deshalb für eine Voranstellung der Schrift »De virginibus velandis«. 155 Vgl. ebd., 206: »Mochte er [Tertullian, M. T.] indessen bessere Gründe vorbringen als seine Gegner, so vertrat er doch die schlechtere Sache: er glaubte für die Wahrheit zu reden und redete für ihre schlimmste Feindin, eine kleinliche Gesetzlichkeit.« 156 Vgl. ebd., 212: »Wer will es ihm verübeln, wenn er [Tertullian, M. T.], ein Mann furchtlosesten Muthes, über die Mattherzigkeit seiner Glaubensgenossen entrüstet war?« 157 Ebd., 215. 158 Vgl. ebd., 223: »Für die Schwachheit hatte er [Tertullian, M. T.] kein Gefühl; gegen das Mitleid, das sonst die Menschen bewegt, verhärtete er sich. Was ihn erfüllte, war Leidenschaft.« 153

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erklärung der Gnostiker mit philologischer Textkritik korrigierte. Gerade in der Bekämpfung der Wissenschaftlichkeit der Gnostiker erblickte A. Hauck das Lebenswerk Tertullians.159 Indem der altchristliche Schriftsteller das christliche Martyrium als von Gott geboten interpretiere, hoffe er noch immer, montanistische Anschauungen in der institutionalisierten Kirche integrieren zu können. Dass Tertullian diesen Wunsch bald aufgab, erschloss A. Hauck aus »De exhortatione castitatis«. Nun mische sich der Kirchenvater mit Eifer ungefragt in innergemeindliche Streitigkeiten ein, scharre eine Anhängerschaft um sich und spalte die Kirche. Hauck kritisierte nunmehr auch dessen Bibelinterpretation, die die Deutungen der Schrift »verwüstete«160 und die ihn als Gnostiker auswies: »Während er sich vordem vor den Worten der Heiligen Schrift gebeugt hatte, [...] so zwang er ihnen nun seine eigene Meinung auf.«161 Sowohl aus »Hermogenes« als auch aus »Adversus Valentinianos« arbeitete A. Hauck heraus, dass sich Tertullian zunehmend ironisch, sogar spöttisch und oberflächlich mit den Argumenten seiner Gegner auseinandersetzte, weil sich der altchristliche Schriftsteller mit den Häretikern in keinen Streit einlassen wollte. Obwohl A. Hauck manche Äußerungen und Erkenntnisse des Kirchenvaters nicht teilte, schätzte er in (verloren gegangenen) Schriften wie »Gegen Apelles«, »Vom Ursprung der Seele«, »Von dem Paradiese« und »Über das Fatum« das wissenschaftliche Nachdenken und Nachsinnen über wichtige theologische Themen.162 Sein Urteil spezifizierte A. Hauck in der inhaltsschweren und bedeutenden Schrift »De anima«, in der Tertullian der Theologie einen Weg zur Naturwissenschaft aufwies. Obwohl A. Hauck die philosophische Herangehensweise des Kirchenvaters, die die platonische Lehre vertrat, kritisierte, hob er dennoch hervor, dass Tertullian die Offenbarung Gottes als Erkenntnisquelle für die Wissenschaft zum Schwingen brachte. Zu diesen literarischen Auseinandersetzungen mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zählen auch »De carne Christi« und »De resurrectione mortuorum«.163 A. Hauck erkannte, dass Tertullian den Argumenten seiner Gegner bibelexegetisch und mit Hilfe polemischer Logik widersprach: »Es war der Haß der Verzweiflung gegen den Trost des Glaubens, der sich dabei [in der Auferstehung, M. T.] wirksam bewies.«164 Doch führte Tertullian auch naturwissen159

Vgl. ebd., 241: »Seine Leidenschaftlichkeit ließ ihn kaum zu ruhiger Betrachtung kommen: von wissenschaftlicher Ruhe, Freiheit von Voraussetzungen, von Gleichgiltigkeit gegen das Endergebniß der Untersuchung war er unendlich weit entfernt. Für ihn hatte alles eine persönliche Spitze; einen wissenschaftlichen Gegner behandelte er wie einen persönlichen Feind.« 160 Ebd., 249. 161 Ebd., 239. 162 Vgl. ebd., 284: »Wer auf eine neue Bahn hinweist, thut der Wissenschaft einen Dienst, auch wenn alles, was er sagt, falsch sein sollte.« 163 Mit der chronologischen Einordnung dieser letztgenannten Schriften widersprach A. Hauck K. Hesselberg und G. Uhlhorn, die die Trennung Tertullians von der institutionalisierten Kirche voraussetzten. A. Hauck führte Stellen auf, die Tertullians Bleiben in der römischen Kirche belegen sollten. 164 Ebd., 313.

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schaftliche Argumente an, um den Glauben an die Auferstehung zu verteidigen: Der Kreislauf der Natur lässt eine Auferstehung denkbar erscheinen. In seiner fünften literarischen Schaffensphase trenne sich Tertullian endgültig von der Kirche und setze seinen Kampf gegen christliche Irrlehrer fort. Nach Einsicht Haucks wandte sich im Jahr 207 der altchristliche Schriftsteller gemeinsam mit Christen aus der Gemeinde zu Karthargo von der institutionalisierten Kirche ab, um eine Gemeinde der Vollkommenen zu gründen. Dennoch billigte der Frankenheimer Pfarrer dem Kirchenvater zu, dass dieser seinen Schritt nicht mit leichtem Herzen gegangen war.165 A. Hauck ermittelte aus der zweiten und dritten Bearbeitung des »Adversus Marcionem«166, wie grundlegend Tertullian seine einstmaligen Ansichten änderte. Mit Eifer arbeitete jener dessen Emotionen und montanistische Ansichten heraus. Er war beeindruckt davon, wie selbstverständlich der Kirchenvater eine Bibelinterpretation anwandte, die Jesus Christus von alttestamentlichen Weissagungen her deutete, und maß dieser Beweisführung einen Wert für die Gegenwart zu. Zusammenfassend konstatierte A. Hauck: Tertullian und Markion sind verwandte Naturen, die sich für das Christentum begeisterten, denen Lehre und Erkenntnis nicht genügten, die beide ausgesprochen subjektiv argumentierten und die beide zum Bruch mit der institutionalisierten Kirche bereit waren. Den Unterschied sah er letztlich darin, dass Markion sich eine eigene Autorität zumaß, Tertullian demgegenüber sich einer ihm gleichgesinnten Autorität unterwarf: Es war eine falsche Autorität; aber er [Tertullian, M. T.] machte nicht den Versuch, sich ihrer zu erwehren: denn es fehlte ihm die Freiheit des Sinnes, die den eigenen Fehler wenigstens dann erkennt, wenn er ihr an anderen entgegentritt; es fehlte ihm auch die heilsame Inkonsequenz, welche vermag, auf halbem Wege stehen zu bleiben. Daß er sich von der Kirche trennte, geschah nicht ohne seine Schuld; aber mehr noch war es sein Unglück.167

Bestritt A. Hauck oft, dass der Kirchenvater in dieser literarischen Phase dem Thema oder/und den Adressaten gemäß argumentierte, so betonte er gerade in Bezug auf »Adversus Praxean«168, dass »Tertullians Kritik an ihrem Platze 165

Vgl. ebd., 336f: »Die bittere Stimmung, welche alle seine folgenden Schriften durchzieht, und welche sich von einer zu der andern steigert, ist Zeuge, daß er nicht leichten Herzens den Schritt der Trennung that, wenn er auch gewiß keinen Augenblick zweifelte, daß er ihn thun müsse. Er verletzte, weil er sich verletzt fühlte; denn dem Verbitterten thut es wohl, wehe zu thun. [...] Dadurch empfieng er eine Wunde, welche niemals vernarbte.« 166 K. Hesselbergs und G. Uhlhorns Ansicht, dass beide Fassungen sechs Jahre auseinanderlagen, hielt A. Hauck für unwahrscheinlich, da Neubearbeitungen ein zügiges Fortschreiten der Ansichten und Beschreibungen voraussetzen. 167 Ebd., 365. 168 A. Hauck ordnete »Adversus Praxean« in die Zeit nach Tertullians Trennung von der katholischen Kirche, wahrscheinlich sogar nach der dritten Bearbeitung des »Adversus Marcionem« ein. Demgegenüber setzten K. Hesselberg und G. Uhlhorn, die die Entwicklung der Tertullianischen Formulierungen bezüglich der Glaubensregel verglichen hatten, »Adversus Praxean« an den Anfang der Lehrschriften.

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[gewesen ist]. Sie ist nicht nur glänzend und scharfsinnig, sondern ebenso eindringend als wohlbegründet.«169 Mit seiner Einschätzung stellte sich der Frankenheimer Pfarrer auf die Seite Tertullians, der Praxeas heftig angriff, weil dieser ein Gegner des Montanismus war. Selbst A. Hauck konnte anschließend sein scharfzüngiges Urteil gegenüber Praxeas nicht unterdrücken: Praxeas, der die Verwerfung des Montanismus zur Sache der römischen Politik gemacht hatte, »scheint jene niedere Klugheit besessen zu haben, welche die Lieblingsgedanken der Menschen leicht erräth, und kein Bedenken trägt, auf sie einzugehen, um sie als Werkzeuge zur Erreichung des eigenen Ziels zu benützen«.170 Auch gegenüber Nichtchristen argumentiere Tertullian zunehmend polemisch und spöttisch. Aus »De pallio« arbeitete A. Hauck heraus, wie stark der Kirchenvater sich nach seiner Trennung von der Kirche von der Welt abwandte und wie scharf er ohne Rücksicht auf Traditionen einen nichtchristlichen Lebensstil tadelte: So schreibe er ohne Hoffnung, seine Worte bergen keine Heiterkeit, sondern nur spöttische Verachtung. A. Hauck fiel auch in »Ad Scapulam« auf, dass sich der Kirchenvater mit den Verhältnissen abgefunden hatte, keine Besserung sah und deshalb vollends resignierte.171 Letztlich enttäuscht zeigte sich der Frankenheimer Pfarrer, dass gerade das siebenbändige Werk über die Ekstase, in dem Tertullian seine persönlichen Ansichten über den Montanismus niederlegte, verloren gegangen ist. A. Hauck erklärte sich diesen Verlust so: »Die Kirche bewies ihre Macht über die Geister auch darin, daß sie das ihr Widersprechende vergessen ließ.«172 Tertullians letzte literarische Schaffensperiode173 zeichnete sich nach Ansicht A. Haucks durch dessen heftige Kritik an einzelnen Vertreter der Kirche aus, die ethische Maßstäbe missachteten.174 Der Frankenheimer Pfarrer musste letztlich feststellen, dass Tertullian der christlichen Wahrheitssuche nicht mehr diente, weil er für eine sektiererische Gemeinschaft warb. A. Hauck betonte, dass Tertullian »De pudicitia« schrieb, um den Montanismus gegen kirchliche und nichtchristliche Angriffe zu verteidigen. Selbstbewusst trete der Kirchenvater auf, weil er den Montanismus gegenüber der 169

Ebd., 379. Ebd., 367. 171 Vgl. ebd., 387: »Den Standpunkt, welchen die Kirche der ungläubigen Welt gegenüber einnehmen sollte, hatte er völlig verlassen: er sprach auch zu den Heiden als der Anhänger einer kleinen Sekte, welche befriedigt war, wenn sie geduldet wurde.« 172 Ebd., 380. 173 A. Hauck datierte wie K. Hesselberg die letzte Schaffensperiode in die Jahre nach 211, weil Tertullian eine antikirchliche Einstellung vertrat. Demgegenüber setzte G. Uhlhorn die betreffenden Schriften früher an. 174 Vgl. ebd., 388: »Tertullian war davon durchdrungen, daß der Montanismus der Kirche gegenüber im Recht sei; aber er irrte, und die Gewißheit, welche er zu haben glaubte, bewirkte nur, daß er für die Wahrheit unzugänglich ward. Seiner natürlichen Anlage nach war er stets geneigt, alles bis zum Extreme zu führen; nur der Zusammenhang mit der Kirche, und daß er mit Einsicht und Liebe an ihrem großartigen Leben theilnahm, hatte ihn anfangs vor sektirerischer Beschränktheit bewahrt. [...] Er that es mit voller Hingebung an seine Sache; aber alle schlimmen Seiten seines Wesens offenbarten sich in diesen Streitigkeiten.« 170

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Institution Kirche wegen seiner sittlich-religiösen Reinheit höherwertig betrachtete. Der Frankenheimer Pfarrer kritisierte jedoch Tertullians Ansicht, dass in der Kirche die wahren Häretiker zu finden seien. Weder Tradition noch Heilige Schrift sehe der altchristliche Schriftsteller als einendes Band an. Desweiteren arbeitete A. Hauck aus »De monogamia« heraus, wie sehr Tertullian über die Häresie in kirchlichen Gemeinden verbitterte. Die sarkastische Fastenschrift »De ieiunio« charakterisierte A. Hauck als die letzte erhalten gebliebene Abhandlung Tertullians. Sie zeuge mit ihrem Stil von der Frische und Feurigkeit des Kirchenvaters, dieser blicke mit Spott auf die Inkonsequenz der kirchlichen Vertreter herab. Dennoch markierte Hauck, dass Tertullians Bruch mit der Kirche diesen tief verletzt hatte: Geliebtes wollte er nun zerstören. A. Hauck erkannte einen deutlichen Missklang am Ende des Lebens des altchristlichen Schriftstellers: »Es ist mit dem Ende seiner literarischen Laufbahn wie mit ihrem Beginne: nicht als ein Anfänger trat er auf den Schauplatz, sondern als ein Mann; so verließ er ihn auch.«175 6.2.2.3 Die Interpretation der sittlichen Mächte bzw. Ideen Unter Kirche verstand A. Hauck einen historisch gewordenen Körper, der sich erst durch das Handeln und Denken ihrer Vertreter in die Beziehung zu Menschen und zur Welt einlässt.176 Weil ihr der Wille zur Ausbreitung eigne, trete sie als Konkurrentin gesellschaftlicher Strukturen auf. Auf das Leben und Denken der Christen, denen A. Hauck die freie Entfaltung ihrer Individualität zugestand, übt seiner Meinung nach die Kirche eine Macht aus, damit diese ihre Lehrsätze annehmen.177 Infolgedessen billigte A. Hauck gerade der Einheit der Kirche eine spezielle Bedeutung für den Fortgang der Geschichte zu, die aber durch Angriffe von innen und außen gefährdet sei.178 Indem der Frankenheimer Pfarrer die Institution Kirche als eine weltliche Größe begriff, gab er zwar die Vorstellung auf, dass sich in ihr das ideale Christentums verwirkliche, eröffnete aber infolgedessen – und dies wertete A. Hauck als Fortschritt – dem christlichen Glauben vielfältige Lebensgebiete: »Hieraus erwuchs für die Kirche die Aufgabe, alles mit dem christlichen Geiste zu durchdringen.«179 Neben die Institution Kirche stellte Hauck das Christentum, das sich in individuellen sittlich-religiösen Gesinnungen von Christen, die ihre Positionen in sozialen Beziehungen finden müssen, äußert.180 Zur christlichen Sittlichkeit, die es nach Meinung Haucks zu erstreben galt, rechnete er vor allem geduldiges und reflektiertes Urteilen. Erregte Leidenschaft, die unreflektiert zur Tat drängt, kritisierte der Frankenheimer Pfarrer.181 Seiner Ansicht nach soll das Christen175 176 177 178 179 180 181

Ebd., 407. Vgl. ebd., IV. Vgl. ebd., 22f. Vgl. ebd., 24. Ebd., 191. Vgl. ebd., 5. Vgl. ebd., 8.

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tum zur beherrschenden Macht des sozialen Lebens werden.182 Zwischen Sittlichkeit und Religiosität stellte er deshalb eine enge Verbindung her. Mit Kultur charakterisierte A. Hauck jedwede Bildung und weltliche Verhältnisse; Natur bezeichnete er als ihr Gegenüber.183 Kulturepochen können seiner Ansicht nach vergehen.184 Mit Staat bezeichnete A. Hauck eine Obrigkeit, die das Gewaltmonopol gegenüber dem Volk besitze und dieses nach eigenem Rechtsverständnis ausübe. Schütze der Staat seine Existenz durch historisches Recht, so bestätige das Christentum sein Dasein durch den Glauben.185 Weil der römische Staat seine Existenz auf nichtchristlichem Recht aufgebaut habe, musste er zwangsläufig das Christentum auszurotten versuchen; das Christentum musste demgegenüber den nichtchristlich verfassten römischen Staat vernichten, um existieren und die Weltherrschaft erlangen zu können.186 Letztlich konnte nach A. Hauck das Christentum die historischen Rechtsauffassungen verändern, weil der nichtchristliche Kultus sittlich verfallen war. Eine Entwicklung sah der Historiker sowohl von einzelnen Individuen abhängig als auch von äußeren Prozessen angeregt: Neue Gedanken ermöglichen neue Entwicklungen.187 Entwicklungen werden, so A. Hauck, von Stillständen gebremst, die vorfindliche Realitäten als präexistente Wahrheit annehmen und deren historisches Dasein als Existenzrecht genügt.188 Demgegenüber führe der Kampf um die »Tendenzen der Zeit« zu Entwicklung und Fortschritt: Es war nicht eine klare Erkenntniß, in welcher man handelte, sondern eine Tendenz der Zeit, welche sich allmählich bildete, erst einzelne, dann mehrere ergriff und beherrschte und sich so ausbreitete. Nichts in der Welt ist so mächtig als die Tendenz, die stille aber unaufhaltsame Strömung der Jahrhunderte. Aber nie wird eine neue herrschend ohne Kampf; denn sie entsteht nicht, ohne daß sich sofort eine Gegenströmung zeigt, welche das Alte nicht nur festhalten will, sondern bei diesem Streben dahin gelangt, es über das rechte Maß hinaus zu steigern und dadurch zu überwinden. Denn keine geschichtliche Erscheinung wird durch die entgegengesetzte bewältigt; jede stirbt an ihrer eigenen Konsequenz.189

Infolgedessen konstatierte A. Hauck, dass sich Geschichte entwickelt.190

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Vgl. ebd., 41. Vgl. ebd., 86. 184 Vgl. ebd., 188. 185 Vgl. ebd., 53: »Denn das im Besitz befindliche historische Recht gebraucht gegen das natürliche Recht des Neuen stets die Gewalt, die ihm eignet.« 186 Vgl. ebd., 52: »Daß die Christen im römischen Reich verfolgt wurden, war nicht eine That der Willkühr oder Grausamkeit, sondern religiöser und politischer Nothwendigkeit. Zwischen dem römischen Staat, wie er war und sein wollte, und dem Christenthum konnte es keinen Frieden geben.« 187 Vgl. ebd., 36. 188 Vgl. ebd., 180. 189 Ebd., 191. A. Hauck bezeichnete dieses Postulat als »Gesetz der Weltgeschichte«. 190 Vgl. ebd., 367. 183

»Tertullian’s Leben und Schriften« (1877)

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6.2.3 Albert Haucks Tertullian-Bild in seiner Vorlesung »Patristik/Geschichte der altchristlichen Literatur« Unter Anwendung patristischer Forschungsmethoden analysierte der Erlanger Historiker die Wechselwirkung zwischen literarischer Tätigkeit und geistigem Leben, um den Entwicklungsgang der Kirche zu verstehen. Literaturgeschichtliche Fragestellungen ermöglichten es ihm, literarische Denkmäler zu interpretieren und aus ihnen Interessen und Tendenzen einer Zeit herauszuarbeiten. A. Hauck stellte Tertullian als einen Kämpfer gegen die Häresie neben Irenaeus von Lyon und Hippolyt von Rom. Den Montanismus charakterisierte er als »Opposition gegen die beginnende Verweltlichung der K[irche], eine Opposition, die nun ihrerseits den Bogen überspannte«.191 Der Historiker bemerkte zwischen Montanismus und Kirche keine Lehrunterschiede, sondern begründete die rigorosen ethischen Forderungen des Montanismus mit Hilfe der Weissagungen des Parakleten. A. Hauck stellte Tertullians Talent, Eigentümlichkeit und Reichtum seiner Schriften heraus. Dennoch fehle diesen »Maaß und Schönheit«. In seinen apologetischen Abhandlungen zeige sich Tertullian als ein Parteimann, gebe sich menschlichen Emotionen hin und neige zu weitläufiger Phantasie. A. Hauck hob heraus, dass ein friedliches Zusammenleben von Nichtchristen und Christen Tertullian angefochten hatte. Sein Übertritt zum Montanismus um 201/202 sei daher folgerichtig gewesen, denn innerlich habe er schon immer dem Montanismus nahe gestanden. A. Hauck bedauerte, dass der Kirchenvater sich leidenschaftlich gegen die institutionalisierte Kirche wandte: [...] er ist auf das höchste ungerecht gegen alles, was er dort fand: selbst solches, das er früher verehrte, die Agapee, die Sorge für die Märtyrer zieht er jetzt in den Schmutz. So schließt seine schriftstellerische Laufbahn mit einer Dissonanz. Der falsche Schritt, den er gethan, als er zum Montanismus übertrat, hat sich schwer an ihm gerächt.192

Dennoch billigte der Historiker Tertullians Wirken und seinen Schriften eine große Bedeutung für die Kirchen- und Dogmengeschichte der ersten Jahrhunderte zu, weil der Kirchenvater eine christliche Anthropologie in seine theologischen Untersuchungen einbezog. 6.2.4 Die Wirkung des Tertullian-Bildes von Albert Hauck A. Haucks Tertullian-Monographie fand bei F.X. Funk freundliche Aufnahme,193 obwohl er beanstandete, dass eine derartige Entwicklungsgeschichte des 191

HUBL, Nachlass, Ms 0937, »Patristik«, Bl. 20. Ebd., Bl. 28. 193 Vgl. Funk, Rez. Albert Hauck, 658: »Sein [A. Haucks, M. T.] Urtheil ist besonnen, die Diathese des Stoffes sachgemäß, die Darstellung klar und bündig.« 192

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Kirchenschriftstellers besser nach einer »in Aussicht stehende[n] neue[n] Ausgabe der Schriften Tertullian’s«194 verfasst worden wäre. F.X. Funk kritisierte, dass der Frankenheimer Pfarrer die neueste Literatur zur Chronologie der Schriften nicht berücksichtigt hatte, weshalb manche zeitliche Einordnung von den wissenschaftlichen Überlegungen anderer Forscher abweicht. F.X. Funk stimmte A. Hauck zu, dass sich 207 Tertullian gemeinsam mit den Montanisten von der Kirche getrennt hatte. In einer Rezension kritisierte auch A. Harnack, dass A. Hauck im Gegensatz zu N. Bonwetsch195 »nicht überall selbständig und erschöpfend« die Schriften Tertullians analysiert hatte.196 Dennoch bestätigte A. Harnack in der »Theologischen Literaturzeitung«, dass A. Haucks Erstlingswerk »von langjähriger und selbständiger Beschäftigung mit diesem Schriftsteller, von nicht gewöhnlicher Belesenheit in der altkirchlichen Literatur und von einem nüchternen Urtheil« zeugt.197 Jener hob hervor, dass der Frankenheimer Pfarrer zwar mit kritischen Exkursen und trefflichen Inhaltsreferaten wissenschaftlich-analytisch in das literarische Schaffen des Kirchenlehrers einführte, sich aber nicht von einer römisch-katholischen Geschichtsbetrachtung emanzipierte, weil er Tertullians Gegenwartsanalyse stets mit Hilfe der Kirchenväter korrigierte.198 Zudem verwarf der Rezensent das Ansinnen, eine Tertullian-Monographie zu schreiben, weil weder eine kritische Edition der Werke des Kirchenvaters vorliege noch vielschichtige Fragestellungen erschöpfend beantwortet seien. So bemängelte A. Harnack, dass A. Hauck weder die Begrifflichkeit in Tertullians Sprache noch die Wirkung altchristlicher Literatur auf Tertullians schriftstellerische Tätigkeit untersucht hatte. Auch aus diesen Gründen beanstandete der Rezensent A. Haucks Chronologie der Schriften des Kirchenvaters und resümierte: »Leider ist der letzte Satz des Werks: ›Die Gerechtigkeit der Geschichte offenbart sich darin, dass die Kirche, welche er zuletzt so heftig bekämpfte, ihn stets als einen ihrer Lehrer anerkannt hat‹ unrichtig. Die ›Gerechtigkeit der Geschichte‹ hat sich vielmehr hier wieder einmal nicht ›offenbart‹; [...].«199

6.3 Zusammenfassung Während seines Landpfarramts in Frankenheim befasste sich A. Hauck mit dem Leben und Werken Tertullians, weil er an den Verhältnissen des Christentums 194

Ebd. Bonwetsch, Schriften. 196 A. Harnack, Chronologie, 572. 197 Vgl. A. Harnack, Rez. Hauck, 55. 198 Vgl. ebd., 55: »Wann wird endlich das Vorurtheil gebrochen sein, dass mit der Einführung einiger evangelisch-kritischer Richtlinien in die katholische Geschichtsbetrachtung die Massstäbe zur gesicherten Beurtheilung der alten Kirche, ihrer Lehr- und Lebensentwicklung, ihrer Weltstellung, gegeben seien!« 199 Ebd., 56. 195

»Tertullian’s Leben und Schriften« (1877)

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zur Zeit der Alten Kirche interessiert war und damit auch Rückschlüsse auf die Entwicklungen in seiner Zeit zu ziehen gedachte. Indem er vornehmlich die Methode der Literaturkritik (Quellensammlung, -kritik, -interpretation) anwandte, analysierte er die Schriften des Kirchenvaters in historischphilologischer, kaum in historisch-dogmatischer Perspektive. Als ein typischer Vertreter der protestantischen Theologiegeschichtsschreibung stellte A. Hauck Tertullian als einen altchristlichen Schriftsteller und altkirchlichen Glaubensund Lebenszeugen vor. Unter der Prämisse, dass das Christentum ein Kulturphänomen ist, betrachtete der Frankenheimer Pfarrer die christliche Literaturgeschichte als Teil einer allgemeinen Kulturgeschichte. Mit Hilfe einer formund entstehungskritischen Analyse der altchristlichen Literatur konnte er Tertullian als Kirchenvater benennen, obwohl die römisch-katholische Rezeption diesen aus ihren Reihen ausgeschlossen hatte. Wie F. Nitzsch sah er in der christlichen Literaturgeschichte die Möglichkeit aufgezeigt, sich die Anfänge der Kirche und der Theologiegeschichte an ausgewählten Theologen temporär zu verdeutlichen. A. Hauck untersuchte Tertullians Leben und Werk, indem er A. Neanders pragmatische Methode mit J.G. Droysens Methode einer psychologischen Interpretation verknüpfte: Ziel dessen war, göttliches Handeln in der Geschichte am Wirken von Personen zu manifestieren. In Anlehnung an J.G. Droysen interpretierte A. Hauck die Schriften Tertullians unter sachlicher und subjektiver Perspektive, um die Wirkung historischer Tatsachen auf das Leben und literarische Schaffen sowie auf die Entwicklung einer historischen Persönlichkeit zu eruieren. Auf dem Hintergrund der Beschreibung der Gesellschaft und der institutionalisierten Kirche, des Staat-Kirche-Verhältnisses, des Kultus und des theologischen Denkens positionierte A. Hauck Tertullian. Wie J.G. Droysen würdigte A. Hauck Stimmungen und Tendenzen eines Zeitabschnittes, gegenüber denen sich historische Subjekte positionieren mussten. Dies gelang ihnen unter der Prämisse, dass die Kausalität des Einzelnen hinter die teleologische Interpretation von Geschichte zurücktritt. Erklärte A. Hauck zwar wie A. Neander das Abstrakte aus dem Exemplarischen, so ordnete er im Unterschied zu A. Neander den altchristlichen Schriftsteller in dessen gesellschaftliches und politisches Umfeld ein, trennte also göttliche Prägung und zeitimmanente Äußerungen des Kirchenvaters nicht, sondern wies daran dessen Entwicklung nach. Zudem bezog der Frankenheimer Pfarrer wie J.A. Möhler und F. Böhringer textkritische und rezeptionsgeschichtliche Interpretationen ein. Von K. Hesselberg übernahm er dessen historiographische Methode, Lebensgeschichte und schriftstellerisches Wirken bzw. christliches Bewusstsein und individuelle Entwicklung einer bedeutenden Persönlichkeit miteinander zu verknüpfen, und die Anschauung, dass die Entwicklung der Kirche in ihrer Verschiedenheit am besten am Einzelnen nachgewiesen werden kann. Hatten K. Hesselberg, Ph. Schaff, F. Böhringer Tertullians exzentrisches Naturell und sittlichen Rigorismus herausgearbeitet, so hatte J.K.L. Gieseler eine Entwicklung in den Schriften Tertullians nachgewiesen. Hier musste A. Hauck

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keine neuen Wege gehen. Auch andere Gedankengänge und Ansätze reproduzierte er: von F.Ch. Baur die ethisch-sittlichen Fragestellungen; von K.R. Hagenbach das Interesse für das Wechselverhältnis von Kirche, Kultur und Literatur; von A. Thiel die Auffassung, dass die Idee der freien Sittlichkeit die Grundlage eines christlich geprägten Staates ist und dass deshalb das Christentum den Kampf gegen nichtchristliche Glaubensarten gewinnen muss; von A. Schwegler das Bild das Montanismus als eine Verengung und Radikalisierung christlicher Ethik. Dem Ansinnen Tertullians, Christen zur Vollkommenheit ihres Glaubenslebens zu erziehen, stand A. Hauck skeptisch gegenüber, da es zu radikalen Thesen führte. A. Hauck kritisierte den Kirchenvater, weil er das Verhältnis von Sünde und Gnade – die Grundbedingung christlichen Lebens – zugunsten der einen Seite unter Missachtung der anderen Seite ausgelegt hatte. Das Ideal christlichen Lebens hielt der Frankenheimer Pfarrer im Gegensatz zum altchristlichen Schriftsteller aufgrund der Sündhaftigkeit der Menschen für unerreichbar. Obwohl A. Hauck dem sittlichen Rigorismus Tertullians auch positive Seiten abgewann, vornehmlich dem beherzten und ernst gemeinten persönlichen Streben nach Heiligung, lehnte er jede kleinliche Gesetzlichkeit im Hinblick auf Ethik und Sittlichkeit ab. Der Frankenheimer Pfarrer schätzte weiterhin an Tertullian, dass er die Offenbarung Gottes zur wissenschaftlichen Erkenntnisquelle machte. Im Christentum sah A. Hauck eine Macht, die das gesellschaftliche und soziale Leben beherrschen soll, weil es von einer individuellen sittlich-religiösen Ernsthaftigkeit geprägt ist. Formt seines Erachtens das Christentum eine Kultur – diese betrachtete A. Hauck vornehmlich als Bildung und Traditionsvermittlung sowie als Grundlage gesellschaftlicher Verhältnisse –, so führt diese nicht zwangsläufig zum christlichen Gottesbewusstsein. Infolgedessen forderte der Frankenheimer Pfarrer, dass ein Staat unter Anwendung seiner Rechtssatzungen die christliche Sittlichkeit im gesellschaftlichen Leben eines Volkes zum Tragen bringen soll. Dies bewirke die historisch gewachsene institutionalisierte Kirche. Ihre geschichtliche Entwicklung, die Tendenzen und zeitgeschichtliche Strömungen im Volk reflektiert, würdigte Hauck – auch wenn er damit die Verwirklichung eines idealen Christentums aufgab –, weil er von einer notwendigen Entwicklung der Geschichte ausging und jeden Stillstand ablehnte. Tendenzen setzen sich seines Erachtens in der Geschichte durch, wenn ihnen eine historische Persönlichkeit zur Herrschaft über Teile eines Volkes verhilft. Deshalb missbilligte der Frankenheimer Pfarrer, wenn sich Strömungen von der Einheit einer Institution lossagten, anstatt um die Vorherrschaft zu kämpfen: So habe, als sich der Kirchenvater Tertullian von der Kirche trennte, bald sein geistlicher Niedergang begonnen.

7. Lehre an der Universität Erlangen von 1878 bis 1889

7.1 Gesellschaftliche Verhältnisse und Beziehungen zur Universitätstheologie 7.1.1 Kirchenpolitische, kirchliche und theologische Rahmenbedingungen Obwohl der konservative Regent Ludwig II. von Bayern nur in Ansätzen mit der Politik seiner Ministerien übereinstimmte, so war er politisch zu schwach, um Regierungen aufzulösen.1 Sein Nachfolger, der Prinzregent Luitpold von Bayern, vertraute bis 1890 dem politisch liberal gesinnten Ministerium unter J. Lutz, das vom Reichskanzler Bismarck und vom Bildungsbürgertum unterstützt wurde. Infolge des Sieges der Patriotenpartei in der Landtagswahl von 1881 spitzte sich Anfang der 1880er Jahre die Auseinandersetzung zwischen dem Ultramontanismus und der liberalen Regierung zu. Der Kulturkampf und dessen Abmilderung in den 1880er Jahren durch die »Friedensgesetze« von 1886 hatten wie im Reichstag so auch im bayerischen Landtag die katholisch dominierte Zentrum-Partei zu einer machtbewussten Partei werden lassen. Eine Folge der Auseinandersetzung zwischen Leo XIII. und J. Lutz war, dass die 1873 erlassene Schulsprengelverordnung, die auch konfessionell gemischte Schulen zuließ, zehn Jahre später in derjenigen Weise modifiziert wurde, dass nur sehr eingeschränkt konfessionell gemischte Schulen eingerichtet werden durften. Dem Papst gelang es letztlich, dass die staatliche Kirchenpolitik seit 1886 auf die Positionen des Ultramontanismus einlenken und J. Lutz am 30. Mai 1890 zurücktreten musste. Um der Machtfülle des Ultramontanismus entgegenzutreten, 1 Vgl. Spindler (Hg.), Bayerische Geschichte I, 329: »Die bayerische Innenpolitik und Reichspolitik der siebziger und achtziger Jahre ist gekennzeichnet durch die Tatsache, daß ein weltanschaulich liberales, politisch staatskonservatives, reichsfreundlich und staatskirchlich orientiertes Ministerium fortgesetzt gegen eine konservative, betont bayerisch-eigenstaatlich und katholisch bestimmte Mehrheit der Kammer der Abgeordneten regiert; daß der politische Konservativismus der Kammermehrheit durch diese Opposition (und durch ihre soziologische Struktur) zunehmend mit demokratischparlamentarischen Forderungen angereichert und erheblich modifiziert wird, während gleichzeitig der Etatismus des liberalen Ministeriums immer konservativere Züge annimmt; daß das Ministerium fortgesetzt durch die Kammermehrheit attackiert wird, aber keine Veranlassung zu größeren Zugeständnissen oder gar zum Rücktritt sieht, weil es in seinen Handlungen und seiner Existenz ebenso fortgesetzt vom Monarchen gedeckt und gesichert wird.«

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gründete W. Beyschlag 1886 den »Evangelischen Bund zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen«, der zu einer nationalen und liberalprotestantischen Gesinnung tendierte: W. Beyschlag postulierte eine moderne protestantisch-deutsche Kulturnation.2 Doch der Anspruch des Protestantismus auf die deutsche Leitkultur stieß im säkularen Staat an seine Grenzen. Sich dieser Grenzen bewusst forderte A. Ritschl eine auf die Kultur ausgerichtete Modernisierung des Protestantismus, die eine christliche Gesinnung im Volk befördern sollte. Mit dem Lutherjubiläum 1883 nahm die nationale Selbstfindung des Protestantismus rasant Fahrt auf und führte in der protestantischen Bevölkerung zur allgemein anerkannten Synthese von Protestantismus und deutscher Nation. Vorkämpfer dieser Ansicht war der liberale Protestantismus, wohingegen der konservative Protestantismus das neue national-zentrierte Reich unter Führung Preußens nur schwerfällig akzeptierte.3 Als erster »Deutscher Kaiser« regierte von 1871 bis 1888 Wilhelm I., der die Regierungsgeschäfte seinem Reichskanzler O. Bismarck überließ. Wilhelms I. nationale Monarchie band er vornehmlich an den liberalen Protestantismus.4 Nachdem der Reichskanzler und die Liberalen im Kulturkampf eine Niederlage erlitten hatten – auch aus diesem Grund entließ ihn 1890 Wilhelm II. von Preußen –, wandte sich Bismarck den Konservativen zu und kämpfte gegen den aufstrebenden Sozialismus. Die Reichstagswahl 1878 schwächte den politischen Liberalismus und stärkte die konservativen Parteien, wodurch er sich in der Lage sah, sein »Sozialistengesetz« durch den Reichstag zu bringen, das alle Aktivitäten der Sozialisten verbot und unter Strafe stellte: Nun wurde der Rechtsstaat zum Gewaltstaat. U.a. wurde auch diese Politik in den Reichstagswahlen von 1881 und 1884 abgestraft. Nach der Präsidentschaft des OKM unter M. Meyer, die keine kirchenpolitischen Akzente gesetzt hatte, führte seit 1883 A. Stählin die Landeskirche durch ruhiges Fahrwasser.5 Kirchenpolitisch prägten die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem Forderungen nach größerer Selbständigkeit der evangelischen Kirche gegenüber dem Staat und nach einer einflussreichen Stellung der Synoden.6 Ludwig II. gestand den Generalsynoden 1881 zu, sich frei konstituieren zu können, und erteilte ihnen das Zustimmungsrecht zu »kirchlichen Einrichtungen und Verordnungen, welche sich auf Lehre, Liturgie, Kirchenord2

Vgl. Nowak, Geschichte, 161. Vgl. ebd., 159: »Im Pro und Kontra um Ideen- und Symbolgehalt des Reiches traten die Schwierigkeiten der Protestanten mit dem neuen Zentralstaat hervor.« 4 Vgl. Jung, Protestantismus von 1870 bis 1945, 45: »Der Nationalismus war die herrschende Ideologie des deutschen Kaiserreiches. Der moderne Nationalismus, der die Dominanz des Nationalen über alle Lebensgebiete intendierte, hatte seine Wurzeln in der Französischen Revolution. Dennoch wurde diese Ideologie nicht nur von Vertretern des Liberalismus, sondern von fast allen gesellschaftlichen Kräften, auch vom deutschen Protestantismus, propagiert.« 5 Vgl. Seitz, Entwicklungen, 141. 6 Vgl. Kantzenbach, Selbständigkeit, 163–189. 3

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nung und Kirchenverfassung beziehen«.7 Dieses Recht beschränkte weniger den königlichen Summepiskopat als das OKM. Sechs Jahre später billigte das OKM die Konstituition eines Generalsynodalausschusses. Weil die Folgen der sozialen Frage um 1880 u.a. als »Bedrohung der konstitutionellen Monarchie angesehen«8 wurden, bemühte sich der Reichskanzler, mit Hilfe einer Arbeiter-Sozialversicherung ein soziales Netz zu knüpfen. Vertrat der Katholizismus einen sozialreformerischen organischen Ansatz,9 so sprach sich der Protestantismus für missionarisch-regionale Vereine aus: Lokale Vereinigungen schlossen sich auch in Bayern kaum überregional zusammen, auch die von K.C.W. Buchrucker 1866 gegründete Konferenz für Innere Mission blieb über Jahrzehnte ein loser Zusammenschluss interessierter Mitstreiter. Deren Aufgaben übernahmen eigenverantwortlich die Ortspfarrer. Erst 1886 konstituierte sich der »Landesverein für Innere Mission in der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins« mit Sitz in Nürnberg. Liberale und konservative Theologen gründeten ihre evangelische Sozialethik vornehmlich auf F.D.E. Schleiermachers Kulturphilosophie, die das Höchste Gut als weltimmanentes Ideal betrachtet hatte, »das sich durch die vernunftmäßige Strukturierung des menschlichen Lebens in Familie, Staat, Kultur und Religion realisieren lasse. Christliche Ethik füge diesem Ideal keinen neuen Inhalt, höchstens den Gedanken der Erlösung hinzu, der die Realisierung der Königsherrschaft Gottes ermögliche und garantiere [...].«10 Noch R. Rothe hatte F.D.E. Schleiermachers Verständnis fortgeführt und die Kirche als Instrument der Christianisierung eines Staates verstanden. Von ihm geprägt, postulierte A. Ritschl die gegenseitige Hilfsbereitschaft einer Gesellschaft: Die durch die Rechtfertigung ermöglichte Gemeinschaft mit Christus führe die Christen zwangsläufig zu tätiger Nächstenliebe.11 A. Oettingen interpretierte in seinem sozialethischen Konzept menschliche Handlungen als Symptome gesellschaftlicher Unordnung bzw. Ordnung. Das Ideal eines christlichen Kulturstaates und einen radikalen sozialethischen, staatssozialistischen Ansatz vertrat A. Stoecker, indem er »die Rechristianisierung des gesamten gesellschaftlichen und politischen Lebens auf dem Fundament eines christlichen Glaubens- und Ordnungsverständnisses«12 herbeiführen wollte: »Das Neue wurde nun, daß der konservative Pfarrer in die Öffentlichkeit der Versammlung ging, ein Volkstribun von rhetorischen und auch demagogischen Fähigkeiten, daß er sich auf die 7

Böttcher, Entstehung, 21. Cansier, Sozialversicherung, 1516. 9 Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte II/1, 459. 10 Hebblethwaite, Sozialethik, 507, 6–9. 11 Vgl. ebd., 507, 28–31: »Ritschls Konzeption hatte jedoch erhebliche Schwächen. Zum einen, weil er sein ethisches Ideal im historischen Jesus unüberbietbar realisiert sah, zum anderen, weil er es unterließ, auf die historischen und sozialen Rahmenbedingungen gesellschaftlicher Verhältnisse und sozialen Engagements einzugehen.« 12 Brakelmann, Stoecker, 194, 15–17. 8

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neue Form der Politik, Parteibildung, Wahlkämpfe, Mobilisierung von Massen einstellte, sich nicht mehr, wie sonst Konservative und Kirchenleute, auf die Autorität von Tradition und Establishment verließ. Es geht Stoecker um die Initiative, ja die Offensive zur (Rück-)Gewinnung der Arbeiter.«13 1877 gründete A. Stoecker den »Central-Verein für Social-Reform auf religiöser und constitutionell-monarchischer Grundlage«, 1878 die Christlich-soziale Arbeiterpartei, die gegen die sozialdemokratischen Lösungsversuche der sozialen Frage, die die protestantische Sozialtherapie verwarfen, ankämpfte.14 7.1.2 Impulse der Ekklesiologie Albrecht Ritschls für kirchengeschichtliche Betrachtungen Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde Geschichte zum Leitthema der Theologie erhoben.15 Prononcierte zwar weiterhin die freie Theologie ihren Anspruch auf metaphysische Reflexionen und verteidigte die lutherischkonfessionelle Theologie »die tragende theologische Bedeutung der christlichen Erfahrung«,16 so modifizierten beide Richtungen ihre Ansätze unter Anwendung der historisch-kritischen Methode. Akzeptierten nach 1870 überwiegend alle theologischen Richtungen und Schulen das historische Objektivitätsideal, so reflektierten es unter theologischer Betrachtung der Ritschl-Schüler Th. Brieger, der Vertreter der Erlanger Fakultät17 Th. Kolde und der Vertreter der positiven Theologie P. Tschakert.18 Die Anwendung der historisch-kriti13

Nipperdey, Deutsche Geschichte II/1, 498. Vgl. Greschat, Zeitalter, 211: »In diesen Verdammungen waren umgekehrt alle die Werte und Ideale beschworen, die Stoecker ebenso wie seine Freunde und Anhänger lebenslang bestimmt haben: Ihre feste Verwurzelung in einer konservativen Gesellschaftsordnung mit monarchischer Spitze und christlicher Legitimation, die darin gegründete Überzeugung von der sozialen Verantwortung des Staates gegenüber den Notleidenden und Schwachen und nun insbesondere gegenüber der Arbeiterschaft, die Gewißheit endlich, daß von alledem nur sinnhaft im Zusammenhang mit einer starken und einflußreichen evangelischen Kirche geredet werden konnte, die als das Gewissen der Nation wirkte und die für Sittlichkeit, Zucht und Ordnung in der Öffentlichkeit eintrat.« Vgl. Blessing, Staat, 93; Kantzenbach, Landeskirchentum, 206–226. 15 Vgl. Lessing, Geschichte, 33: »Die Veränderung, die sich in der Theologie nach 1870 vollzieht, markieren vor allem zwei Theologen: Albrecht Ritschl und Hermann Cremer, dem alsbald Martin Kähler an die Seite tritt. So unterschiedlich, ja gegensätzlich ihre Auffassungen sind – sie stimmen in zwei entscheidenden Gesichtspunkten überein: die Theologie der Gegenwart kann ihren Stand nur behaupten, indem sie sich erneut auf die Reformation, insbesondere auf die reformatorische Rechtfertigungslehre, besinnt; sie muß sich dazu von der das theologische Denken des 19. Jahrhunderts weithin beherrschenden philosophisch-theologischen Metaphysik befreien, den Wert des geschichtlich Gegebenen erkennen und methodisch fruchtbar machen.« 16 Lessing, Geschichte, 34. 17 Th. Kolde ging in der Dogmengeschichtsschreibung einen eigenständigen Weg, indem er statt der Gleichsetzung von Dogma und Lehrbegriff die Gleichsetzung von Kultus und Lehrbegriff untersuchte. Unter Kultus verstand er das religiöse Bewusstsein eines Volkes. 18 Vgl. ebd., 195: »Die hier bestehenden Probleme, die später durch die Arbeit der religionsgeschichtlichen Schule, aber auch durch die Methodendiskussion der Profangeschichte besser erkannt 14

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schen Methode wirkte sich u.a. in der reformationsgeschichtlichen Forschung auf die Diskussion mit der römisch-katholischen Historiographie fruchtbringend aus. Vertreter einer freien Theologie bemühten sich, ohne Rücksicht auf Traditionen und Institutionen ein eigenständiges Profil des Christentums zu erarbeiten. Sie interpretierten die Geschichte des Christentums kritisch, indem sie es in die Geistesgeschichte einordneten und alle supranaturalen Vorstellungen aus einer christlichen Theologie eliminierten.19 Ihrem universalistischen Interesse gemäß analysierten sie das Wesen der Religion unter der Perspektive der Religionspsychologie, -geschichte und -philosophie. Deshalb konnte O. Pfleiderer im Unterschied zu A. Ritschl die Mystik als ein religiöses Grundphänomen herausheben.20 A. Ritschl baute seine theologischen Betrachtungen auf einer rein geschichtlichen Grundlage auf: Er fragte nach der Kontinuität in der Geschichte des Christentums und verknüpfte den Glauben an die Bekenntnisse und an die Heilige Schrift mit dem Subjektivismus der Erweckungstheologie.21 Jesu Verkündigung, die die Kirche als sittlich-religiöse Gemeinschaft begründete, um das Reich Gottes aufzurichten, interpretierte er ethisch. Seiner Anschauung nach ist das Reich Gottes Gegenstand menschlichen Handelns. Im Gegensatz zum lutherischen Konfessionalismus verwarf er repristinatorische Überlegungen und entfaltete in Anlehnung an I. Kants Religionsphilosophie eine stark praxisbezogene Interpretation des christlichen Glaubens.22 A. Ritschl erwies sich in seinen Überlegungen als ein biblischer Theologe.23 Seine Theologie war kirchlich gesinnt, weil sie voraussetzte, dass die geschichtliche Wirklichkeit Jesu nur aus dem Glauben der christlichen Gemeinde heraus umfassend begriffen werden könne. Den Glauben an die Sündenvergebung und deren Empfang im individuell-christlichen Leben bezeichnete er als das typiwerden, lassen es verständlich erscheinen, daß nach 1890 eine langsam lebhafter werdende Auseinandersetzung über die Aufgaben der Kirchengeschichtsschreibung entbrennt, die allerdings nur von wenigen Fachvertretern geführt wird.« 19 Vgl. ebd., 65: »In diesem Sinn weiß sich die freie Theologie dem Erbe der klassischen deutschen Philosophie (Kant, Schleiermacher, Hegel) verpflichtet.« 20 Vgl. ebd., 70: »Pfleiderer will den idealen Gehalt des christlichen Glaubens herausgestellt sehen. [...] Er würdigt einerseits die Fortschritte, die sie [die Epochen, M. T.] jeweils gebracht haben. Andererseits weist er ihre Grenzen auf, dies nicht primär unter historischen Gesichtspunkten, sondern im Blick auf Rezeptionsmöglichkeiten in der Gegenwart.« 21 Vgl. Pannenberg, Problemgeschichte, 121–136. 22 Vgl. Greschat, Zeitalter, 224: »Im Unterschied zu den Naturwissenschaften und anderen positivistischen Wissenschaften, die nach dem Objektiven fragen und mit Gesetzmäßigkeiten rechnen, orientiert die Religion sich an Werturteilen, d.h. an dem Maß der Sittlichkeit und dem Grad der Entfaltung des Individuums nach sittlichen Gesichtspunkten. Unter solchen Voraussetzungen kam dem Christentum nach der Überzeugung Ritschls dann deshalb die höchste Wertigkeit zu, weil es qualitativ am meisten für die Entwicklung der sittlichen Persönlichkeit zu leisten vermochte. [...] In der Sittlichkeit des einzelnen im Rahmen der Gemeinschaft beginnt das Reich Gottes sich zu verwirklichen.« 23 Vgl. Rohls, Protestantische Theologie, 773.

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sche Charakteristikum dieser Gemeinschaft. F.D.E. Schleiermachers Definition des Christentums als Erlösungsreligion präzisierte A. Ritschl, indem er den Glauben und das ihm entsprechende Handeln auf das Reich Gottes als den geschichtlichen Telos bezog.24 Weil er das Reich Gottes als eine religiössittliche Idee verstand, konnte er es auch als eine universalistisch-historische Größe betrachten. Jede Art asketischer Weltverneinung verwarf er, weil er den Christen in die Erfahrungen sowohl von Freiheit als auch von religiös-sittlicher Herrschaft über die Welt hineinstellte: Ein Christ solle sich dafür einsetzen, dass das Christentum als die vollkommene Religion die Welt sittlich-religiös beherrscht. A. Ritschls Leitgedanke, dass die christliche Gemeinde mit der institutionalisierten Kirche gleichzusetzen sei,25 fragte insbesondere nach den Motiven des Christentums, die seine Verrechtlichung begünstigt hatten. Verneinten F.D.E. Schleiermacher und R. Rothe die Verrechtlichung der Kirche, so zeigte sich A. Ritschl als Kirchen- und Dogmenhistoriker an der kirchlichen Institutionentheorie interessiert.26 Die Notwendigkeit von Rechtssatzungen sah er darin, »daß das gesellschaftlich gefährdete Individuum in seiner religiösen und sittlichen Bestimmung institutionell unterstützt wird. Daher entwickelt Ritschl ein Verständnis der religiösen Institution, das zum einen der neuzeitlichen Differenzierung von Religion, Sittlichkeit und Recht Rechnung trägt und zum anderen das sittliche Individuum gegen die Überforderung durch die Ansprüche der Gesellschaft stabilisiert.«27 In seinem Kirchenbegriff unterschied er drei Ebenen: 1. die religiös-dogmatische Ebene der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung, 2. die kulturtheoretische Ebene der verwirklichten Evangeliumsverkündigung unter sozio-kulturellen Bedingungen, die sich auf religiöse und sittliche Bildung der Institution Kirche bezieht, 3. die Ebene der institutionalisierten Sittlichkeit im kirchlichen Amt.28 A. Ritschl entnahm G.W.F. Hegels Geschichtsphilosophie, dass sich ein Volk rechtlich organisieren müsse und dass sich die Richtung der Geschichte »aus dem Maß der Entwicklung des Rechts«29 ergebe. Deshalb forderte er in Bezug auf die zeitgenössische Kirche die Organisationsform der Volkskirche ein, weil gerade in ihr »die im Reich24

Vgl. Rohls, Protestantische Theologie, 774: »Erlösung und Endzweck bedingen sich dabei gegenseitig, insofern der von Christus aufgefaßte Zweck des universellen sittlichen Gottesreiches in ihm den Entschluß zu der Art von Erlösung hervorgerufen hat, die er durch Bewährung seiner Berufstreue und seiner Gemeinschaft mit Gott im Leben bis zum Tode vollzogen hat.« 25 Vgl. Zelger, Gemeindetheologie, 187. 26 Vgl. Scheliha, Protestantismus, 78. 27 Ebd., 84. 28 Vgl. ebd., 93: »Einmal ist die ethisch-rechtliche Kultgemeinschaft (›Kirche‹) das kulturelle Introduktionsmedium für die Realisierung des Reiches Gottes. Dieses repräsentiert die ideale Zielbestimmtheit dieser Welt, die durch das religiöse Bewußtsein der Christen und ihr dadurch mögliches sittliches Wirken innerweltlich verwirklicht wird. [...] Umgekehrt dient der Gedanke des Reiches Gottes der Kirche dazu, ihre ethische Erscheinungsform dem religiösen Zweck zu unterstellen und daran auszurichten.« 29 Ebd., 94.

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Gottes-Gedanken ausgedrückte Universalität der christlichen Religion sich ausbreitet und die kulturellen Güter (Bildung, Sitte, Recht) für diesen Zweck in den Dienst stellt«.30 Die Ritschl-Schule erschloss dem Fach Kirchengeschichte neue Forschungsfelder, indem sie sich der Dogmen- und der Konfessionskunde (hier vor allem F. Kattenbusch) zuwandte. Hierin teilten die von lutherischen Theologen als Kulturprotestanten bezeichneten Ritschlianer zwar u.a. die starke Akzentuierung des Verhältnisses von Religiosität und Sittlichkeit, verwarfen aber einen sozialtheoretisch gefassten Reich-Gottes-Gedanken: »[...] statt in der Willenstätigkeit wurde der Glaube wieder verstärkt im Gefühlsleben verortet.«31 A. Harnack interessierte sich für die Ursprünge der historischen Phänomene und für geschichtliche Übergänge, um das Fortschreiten der Geschichte herauszuarbeiten. Mit Hilfe seiner Geschichtsinterpretation wollte er gegenwärtiges Handeln verstehbar machen. Deshalb ließ er ein dezidiert subjektives Element in historischen Biographien ebenso zur Geltung gelangen wie eine objektiv beschreibbare Verlaufs- und Institutionengeschichte. Er untersuchte die gegenseitige Bedingtheit von Ideen-, Personen- und Institutionengeschichte, um deren historische Bedeutung herauszuarbeiten. Dennoch war seiner Meinung nach Kirchengeschichte vornehmlich als Institutionengeschichte zu betrachten. K. Müller differenzierte in seiner Kirchengeschichtsschreibung zwischen Religion und Theologie. Zudem war er sich wie F.D.E. Schleiermacher der Schwierigkeit bewusst, eine geschichtliche Entwicklung postulieren zu wollen. Sein Augenmerk galt daher der Charakterisierung einzelner Epochen, weniger dem Gesamtverlauf der Geschichte. Er achtete auf biographisch-psychologische Momente, weniger auf die Institutionengeschichte. Neigten die Nachfolger A. Ritschls vornehmlich geschichtswissenschaftstheoretischen Fragestellungen zu, so favorisierten die Vertreter der Erlanger Theologie eine deskriptiv-betrachtende Historiographie, die Konstruktionen vermied. Sie untersuchten die menschliche Individualität. Mit Hilfe der Methode der Analogie wandten sie sich dem Phänomen des historischen Individuums zu. Obwohl sie die Institutionsgeschichte nicht in den Mittelpunkt ihrer Historiographie stellten, erkannten sie die Objektivation eines Geistes an. Der Reformationshistoriker Th. Brieger indentifizierte weder in Ideen noch in Institutionen historisch-konstitutive Elemente: Allein auf Grundlage historischer Personen und Nationen wollte er Geschichte analysieren. Eine ideen- oder institutionsgeschichtliche Betrachtung der Geschichte verwarf schließlich P. Tschackert, der das christliche Bewusstsein in den Vordergrund kirchenhistorischer Analysen stellte. F. Overbeck plädierte für eine nicht-religiöse Interpretation der Geschichte. Indem er gemeinsam mit J. Burckhardt und F. Nitzsche den Niedergang einer 30 31

Ebd., 96. Oberdorfer, Ritschlianer, 538f.

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Entwicklung in den Mittelpunkt seiner historischen Reflexionen stellte, erkannte er auch im Christentum einen Verfallsprozess, der begonnen habe, als sich das Christentum mit der Kultur verband, die Kultur aber ihre Eigenständigkeit betonte. Er sah alle Vermittlungsbemühungen zwischen Religion und Kultur daher zwangsläufig scheitern. 7.1.3 Albert Haucks Beziehungen zu Erlanger Universitätstheologen Die Zusammensetzung der Erlanger Theologischen Fakultät hatte sich seit A. Haucks Studium verändert: Im Fach Altes Testament wurde als Nachfolger von Delitzsch 1868 der Bonner Ordinarius A. Köhler berufen; zum Nachfolger von J.Ch.K. Hofmann wurde 1877 Th. Zahn bestimmt; von 1856 bis 1882 war H. Schmid als Ordinarius mit dem Lehrauftrag über »Sämtliche Teile der Historischen Theologie« versehen worden, nachdem er bereits seit 1846 in Erlangen über Kirchengeschichte und Systematische Theologie gelesen hatte; neben H. Schmid wirkte G.L. Plitt, der von 1875 bis 1881 das Ordinariat für Kirchengeschichte und Theologische Enzyklopädie übernahm; G.L. Plitts Nachfolger wurde 1881 der Marburger Extraordinarius Th. Kolde, der im darauffolgenden Jahre auf die Nachfolge H. Schmids wechselte; 1882 wurde A. Hauck auf die durch diesen Wechsel frei gewordene Stelle berufen; im Fachbereich der Systematischen Theologie war von F.H.R. Frank 1875 G. Thomasius nachgefolgt; im Fach Praktische Theologie lehrte bis 1886 G. Zezschwitz, dessen Nachfolger wurde der Ansbacher Pfarrer W. Caspari. Der Altestamentler A. Köhler war in der bayerischen Pfarrerschaft umstritten, weil er die historische Bibelkritik konsequent anwandte und die altprotestantische Inspirationslehre kritisch hinterfragte.32 Hatte J.Ch. K. Hofmann bis zu seinem Tod noch an einer Gesamtauslegung des Neuen Testaments gearbeitet, so reflektierte nun Th. Zahn wie A. Köhler die Ergebnisse der historischen Bibelkritik. H. Schmid polemisierte scharf gegen die rationalistische und liberale Theologie, gegen die Ritschlianer und den Protestantenverein. Der Kirchenhistoriker Th. Kolde fühlte sich der historistischen Betrachtungsweise von Geschichte verpflichtet. Seine Kirchengeschichtsschreibung band er eng an die allgemeine Geschichtsschreibung.33 Mit seinen Arbeiten über die Reformationsgeschichte und die bayerische Landesgeschichte brachte er neue Forschungsfelder nach Erlangen, seit 1885 richtete er seinen Blick auf die Konfessionskunde. F.H.R. Frank legte in seinem erfahrungstheologischen System vor 32 Vgl. F.W. Graf, Erlanger Theologie, 126: »Für die Traditionsbildung in Erlangen repräsentativ ist Köhlers Programm wegen der Widersprüche, in die er bei seinem Versuch geriet, historische Forschung und theologische Deutung zu verbinden.« 33 Vgl. ebd., 128: »Sein historiographisches Programm kann als eine deutliche Distanznahme zur prononcierten Theologisierung des Geschichtsbegriffs gesehen werden, wie sie für die ›heilsgeschichtlich‹ orientierte Erlanger Tradition repräsentativ war.«

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allem eine Individualethik vor, die »die Inadäquanz überkommener individualethischer Konzepte gegenüber den Realitäten der schnell sich modernisierenden Gesellschaft des Kaiserreichs« widerspiegelte: Mit Ständen, Zünften und kleinen organischen Gemeinschaften sowie dem Appell an die Gesinnung der Christen wollte von Frank eine Gesellschaft wieder integrieren, die bereits durch vielfältige Differenzierungsschübe und elementare politische Ordnungskonflikte zwischen Liberalen, Konservativen und Sozialdemokraten geprägt war.34

G. Zezschwitz betonte in seinem Katechetik-Lehrbuch35 die fortschreitende Selbstverwirklichung der Kirche in der Welt, wobei er einen starken Akzent auf die Mission legte. A. Hauck zog am 16. Oktober 1878 nach Erlangen. Bald darauf beklagte er sich über die Denkweisen und Stimmungen an der Theologischen Fakultät, die seines Erachtens früheren Erfahrungen nicht mehr entsprachen.36 Dass er aus dem Pfarramt an die Universität berufen worden ist, hat seinem eigenen Urteil nach zu Widerwillen und Eifersucht unter den Pfarrern der Stadt geführt,37 da sich das Verhältnis zwischen den Pfarrern und den Theologieprofessoren verschlechtert hatte. Dies bedauerte A. Hauck ausdrücklich. Er übernahm stattdessen oder trotz dieser äußerlich vernehmbaren Spannung zwischen wissenschaftlicher Theologie und praktischer Frömmigkeit die Direktion der Erlanger Sonntagsschule. Er bemühte sich, über Sonntagsschule und Gottesdienste seine Verbindung zum Pfarramt nicht abreißen zu lassen, da er noch nicht entschieden hatte, ob er auf einer Universitätsdozentenstelle verweilen wollte. Jährlich besuchte er das Nürnberger Missions- und Bibelfest, bereitwillig übernahm er Predigten in der Erlanger Universitätskirche in Vertretung für den gesundheitlich angeschlagenen Universitätsprediger G. Zezschwitz, bemühte sich um seelsorgerliche, auf die Gemeinde zugeschnittene Ansprachen:38 Er thematisierte in seinen Predigten ausdrücklich die soziale Lage der Erlanger Bevölkerung.39 34

Ebd., 129. Zezschwitz, System. 36 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 25. Oktober 1878. Die Zusammensetzung der Universität hatte sich von 1868 bis 1878 geändert, »daß zu ihrem Vortheil, wage ich kaum zu sagen. Der Ton ist luxeriöser geworden; in einigen Jahren herrscht geradezu Pracht u[nd] Prunk. Daneben stehen noch etliche von den alten einfachen Profeßorenfamilien der vorigen Jahrzehnte. Ich zweifele, ob dieser größere Reichtum an Geld auch einen größeren Reichtum an Geist entspricht.« A. Hauck zeigte sich erfreut, dass er als a.o. Professor nicht in das von ihm kritisierte Professorium eintreten musste. 37 Vgl. ebd.: »Sollten die Herrn [Erlanger Stadtpfarrer, M. T.] sich dadurch zurückgesetzt fühlen, daß man mich hierher berufen hat?« 38 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 26. Februar 1881. 39 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 31. Dezember 1879: »Man möchte wünschen, daß das neue Jahr eine Beßerung in den Erwerbsverhältnißen mit sich brächte, wenn man nur hoffen könnte, daß beßere Erwerbsverhältniße nicht eine Verschlechterung der sittlichen Zustände in ihrem Gefolge hätten. Aber wie es steht, muß man fürchten, daß wenn die Leute mehr verdienen, sie 35

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A. Hauck war Anhänger einer fortschrittlichen Politik und verwahrte sich gegen jede konservative Neigung sowie Loyalitätsbekundung gegenüber dem Wittelsbacher Herrscherhaus:40 Heftig kritisierte er die verschwenderischen Geldausgaben Ludwigs II.41 Mit großer Freude nahm er zur Kenntnis, dass zu Beginn des Jahres 1883 A. Stählin zum neuen Präsidenten des OKM ernannt worden war.42 Die Beerdigung von R. Wagner im Februar 1883, die der Pfarrer H. Caselmann in Bayreuth vornahm, nötigte A. Hauck zu einer Abrechnung mit einer speziellen Religiosität des 19. Jahrhunderts: »Ein allgemeines Interesse haben die baireuther Vorgänge sicherlich: sie zeigen, wie das gebildete 19. Jahrhundert, nachdem es mit dem Glauben an Gott fertig ist, direkt in die Anbetung des Genies als solchen, ganz abgesehen von seiner sittlichen Grundlage verfällt.«43 A. Hauck referierte im Juni 1883 auf der seit 1870 jährlich in Erlangen oder Nürnberg stattfindenden »Allgemeinen Pastoralkonferenz«, doch ließen ihn diese Pfarrkonferenzen, in denen Pfarrer, ohne bindende Beschlüsse zu fassen, über die Aufgaben des geistlichen Amtes diskutierten und wissenschaftlichund praktisch-theologische Problemlagen erörterten, mehr und mehr unbefriedigt. Die 1884 von W. Kahl in seinem Vortrag »Die Stellung des Geistlichen zur socialen Frage« angestoßene Lösung der sozialen Frage, die auf A. Stoeckers Ansätzen basierte, widerstrebte A. Hauck so ungemein, dass er gemeinsam mit von F.H.R. Frank, A. Scheurl und dem Erlanger Pfarrer F.K.S. Winter gegen dessen Thesen stimmte.44 Unter den Universitätsprofessoren verkehrte A. Hauck freundschaftlich mit seinen Fakultätskollegen G.L. Plitt und Th. Zahn, mit den theistisch-spätes nur dazu verwenden in Saus u[nd] Braus zu leben. Und da scheint es mir doch für das Volk beßer zu sein, wenn es hungert statt daß es säuft.« 40 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 1. August 1880: »Doch bewunderte ich Frank, mit welchem Pathos er von ›des Königs Majestät‹ von ›dem allergnädigst regierenden König‹ u[nd] dgl. sprach. Mir wären solche Loyalitätsphrasen nicht so glatt über die Lippen gegangen.« In einer Rede zum Philisterabend des theologischen Vereins fühlte sich A. Hauck bemüßigt, über Politik zu sprechen, um über seine fortschrittlichen Ansichten Auskunft zu erteilen. 41 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 13. November 1881. 42 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 13. Januar 1883. 43 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 3. März 1883. 44 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 19. Juni 1884: »Frank ärgerte sich so, daß er gleich nach der ersten Abstimmung fortging; mich amüsirte es mehr; ich wußte ja längst, wie die Sachen standen. Erfreulich finde ich es freilich auch nicht, daß jeder Landpfarrer sich gegenwärtig als socialer Reformator aufspielt. Aber es wird auch hier gesorgt sein, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Immerhin ist es bemerkenswert, daß unter den ungefähr 200 Anwesenden eine solche Gleichheit der Überzeugung herrschte. [...] Sind auch Männer, die studirt haben und öffentliche Stellungen einnehmen, so völlig unfähig zu einem selbständigen Urtheil, was will man dann von den gewöhnlichen Leuten verlangen.« Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 22. Juni 1884. A. Hauck meinte, dass die Sieger der betreffenden Abstimmung sich über die Gegner ihrer Thesen mächtig aufgeregt hätten, dabei aber nicht die Tendenzen der Meinung der mittelfränkischen Pfarrerschaft berücksichtigt hätten und deshalb ihre Anschauungen nicht durchsetzen konnten. A. Hauck verwahrte sich gegen eine Gründung von »nutzlosen Vereinen«.

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idealistisch geprägten Philosophen G. Claß und K. Heyder – nach Aussage A. Haucks ein bescheidener Gelehrter und ein einfacher Christ45 – sowie mit dem »einzigen gläubigen Naturforscher der Universität«,46 F. Pfaff, anderen stand er provokativ kühl gegenüber.47 In die in Erlangen heimisch gewordene Anschauung der historisch-kritischen Bibelkritik und der historistischen Kirchengeschichtsschreibung wollte A. Hauck sich anfangs nicht finden.48 Für den Universitätsprediger G. Zezschwitz fand er kein lobendes Wort,49 er kritisierte dessen Predigten.50 A. Hauck wollte selbst nicht Universitätsprediger werden: »Und daß ich nicht zum Universitätsprediger paßte, darüber mußte ich mir völlig klar sein: der Gedanke als Seelsorger der Professoren wirken zu müssen, war mir zu widerwärtig.«51 Im WH 1884/85 und im SH 1885 begleitete A. Hauck pünktlich – die sechs Ordinarien wechselten sich jährlich ab – das Amt des Dekans der Erlanger Theologischen Fakultät. A. Hauck beklagte sich bald, dass zwar seine Vorlesung über die Geschichte der christlichen Kunst in der Studentenschaft auf großes Interesse stieß, demgegenüber aber nicht mehr als ein Dutzend Studenten in seiner neutestamentlichen Vorlesung über die Briefe an die Epheser, Philipper und Kolosser saßen: »Denn für einen zukünftigen Pfarrer hat genau genommen die Bibelerklärung allein Werth; Kunstgeschichte ist mehr nur eine schöne Verzierung als etwas 45

Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 28. November 1886: »Ueber Menschen und Dinge hat er [K. Heyder, M. T.] nie geistreich gespottet oder vornehm abgeurtheilt: er suchte den sittlichen Werth oder Unwerth und dadurch imponirte er auch den Oberflächlichen, oder wenn das zu viel sein sollte, er hielt sie wenigstens in Schranken. Ein solcher Mann ist in den akademischen Kreisen, der Heimath des Spottens und Aburtheilens, sehr viel werth: seine Fakultät wird ihn in vielen Dingen schwer vermissen.« 46 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 17. Juli 1886. Nach F. Pfaffs Tod im Juli 1886 schrieb A. Hauck: »Die Folgezeit wird wahrscheinlich über den selbständig denkenden und urtheilenden Mann die Parteimeinung der Gegenwart nicht bestätigen. Mir war er auch persönlich lieb: ein Mann, wahr und klar, schlicht und einfach, ohne die Großartigkeit, mit der unsere kleinen Berühmtheiten ihren zukünftigen Ruhm schon in der Gegenwart vorwegnehmen.« 47 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 12. November 1880: »Seit Plitt todt ist, gilt mir persönlich keiner etwas, und warum sollte ich mich grämen, wenn ich Ihnen äußerlich genau so kühl und fern gegenüberstehe, als ich es innerlich von Anfang an that?« 48 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 16. Januar 1881. 49 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 10. Mai 1884: »Er [G. Zezschwitz, M. T.] versteht es vortrefflich, seine Arbeit auf fremde Schultern abzuladen und mit fremder Arbeit seine eigene Unwissenheit aufzustützen.« Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 28. November 1884: »Doch bleibt Zezschwitz trotz alledem eine Kirchensäule; denn er kann ja auf der Kanzel sich dieser Welt nicht gleich stellen. Mags sein; ich habe nichts dagegen, daß die große Seifenblase noch weiter in allen Farben schillert; es wird schon die Zeit kommen, wo sie platzt, und es klar wird, wie hohl sie war.« A. Hauck möchte mit G. Zezschwitz eines Tages auf wissenschaftlichem Gebiet »ein Hühnchen mit dem berühmten Wortemacher rupfen«. Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 15. Februar 1885. A. Hauck empörte sich über die Beerdigungsrede des Universitätsprediger über das jüngste Kind des Universitätsprofessors J.J. Herzog, weil dieser »allerlei geistlose Geistreichigkeiten« erzählt hatte. »Überhaupt bin ich so ziemlich fertig mit diesem Mann: er steht genau auf der Grenzlinie, wo die Leute anfangen mir verächtlich zu werden.« 50 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. April 1885. 51 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 28. Februar 1885.

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Nöthiges.«52 Die Vorlesungsgegenstände seines zweiten Semesters als a.o. Professor, christliche Literaturgeschichte/Patristik und neueste Theologiegeschichte, zogen sowohl A. Haucks Forschungsinteresse als auch das studentische Interesse an:53 Ich sehe je länger je mehr, daß ich mir schier ein wenig zu viel aufgeladen habe mit zwei Vorlesungen, [...] Es scheint, daß ich doch ein Stück von einem Geschichtsschreiber in mir trage. Zuhörer habe ich mehr, als ich bei diesen etwas abseits von der großen Hauptstraße der Vorlesungen liegenden Gegenständen erwarten konnte, [...].54

Auch seine Vorlesungen über Dogmengeschichte und über Geschichte der christlichen Poesie im anschließenden Semester fanden einen großen Zuhörerkreis: In der ersten, so schrieb er, sitzen um die 15, in der zweiten um die siebzig Studenten, etwas weniger als die Hälfte der Zahl der Erlanger Theologiestudenten, da über diesen Gegenstand in Erlangen noch nicht gelesen worden war;55 sein prominentester Zuhörer war der ehemalige Erlanger Dekan W. Biarowsky. Auch seine kirchengeschichtlichen Vorlesungen erfreuten sich regen Zuspruchs. Im SH 1883 erreichte A. Hauck seine bis dahin höchste Zuhörerzahl.56 Danach sank sie kontinuierlich, so dass er sich im SH 1887 Gedanken über die geringe Begeisterung der Studenten machte.57 Anfang September 1880, nach G.L. Plitts Tod, übernahm A. Hauck die Redaktion der zweiten Auflage der RE: Man scheint es als selbstverständlich anzusehen, daß ich Plitts Arbeit sofort übernehme. [...] Ich bin in einer eigenthümlichen Lage; denn wenn ich auf meine Neigung sehe, so habe ich nicht die geringste Lust Redakteur zu sein. Ziehe ich aber die Umstände in Betracht, so scheint es kaum ein Ausweichen zu geben. Nun, es wird werden, was sein soll.58

Diese Arbeit bereitete ihm keine Freude, doch ermöglichte sie ihm fruchtbringenden Kontakt zu bedeutenden Professoren und Theologen der Gegenwart, manchmal oblag ihm die Auswahl der Autoren.59 Dennoch beklagte er sich über 52

TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 16. November 1878. Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 27. April 1879: »Viele sind es freilich nicht; doch kann das bei der Art der Gegenstände, über die ich gegenwärtig lese, nichts anders sein u[nd] habe ich es auch nicht anders erwartet.« 54 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 22. Mai 1879. 55 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 18. November 1879. 56 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 6. Mai 1883. A. Hauck las über die Dogmengeschichte und über die Geschichte der Alten Kirche. 57 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 15. Mai 1887. Einen Grund sah A. Hauck in seinem Unwillen, die Vorlesungen neben seiner literarischen Tätigkeit am zweiten Band der »Kirchengeschichte Deutschlands« ausführlich vorzubereiten, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. Juni 1887: »Es ist wirklich eine Versuchung für mich, neben dem litterarischen Arbeiten das Vorlesungenhalten nur als eine Last zu betrachten. Es ist ja eigentlich der nächste Beruf. Aber zu einem s[o] g[enannten] Studentenprofessor bin ich, wie es scheint, gänzlich verloren.« 58 TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 18. September 1880. 59 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 13. Oktober 1880. A. Hauck veranlasste H. Beck zu einem RE-Artikel. Dieser schrieb daraufhin Beck, Müller, 337–339. 53

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den enormen Zeitaufwand, den die Mitarbeit an der RE2 kostete: »Zumal wegen der vielen Verwirrung, die der gute alte, unendlich vergessene und sehr wenig pünktliche Herzog anrichtet. Als Mensch ist er vortrefflich; aber als Mitredakteur gehört er zu den schlimmsten Lasten, die ich jemals zu tragen hatte.«60 A. Hauck schien sich aufgrund seiner Mitarbeit an der von G.L. Plitt und J.J. Herzog herausgegebenen RE2 Hoffnung gemacht zu haben, G.L. Plitt auf dessen Lehrstuhl – er war Ordinarius für Kirchengeschichte und theologische Enzyklopädie – nachzufolgen. Die Bevorzugung des fünf Jahre jüngeren a.o. Professors Th. Kolde aus Marburg traf ihn zutiefst und ließ den Entschluß reifen, keine weiteren universitären Verbindungen einzugehen.61 Dennoch konnte A. Hauck nicht ernsthaft an einen Weggang aus Erlangen denken, da ihn die Redaktion der RE2 an die Universität band. Er rechnete Anfang 1881 damit, bis 1885 oder 1887 in Erlangen bleiben zu müssen. Hatte A. Hauck Anfang 1882 gezweifelt, ob er jemals auf ein Ordinariat berufen werde62 – noch Mai 1882 schlug die Theologische Fakultät als Nachfolger H. Schmids wiederholt A. Haucks Fakultätskollegen Th. Kolde vor –, so wurde er nun zum Nachfolger Th. Koldes bestimmt: Zu dessen [Th. Koldes ehemaliges Ordinariat, M. T.] Wiederbesetzung wissen wir keine geeignetere Persönlichkeit in Vorschlag zu bringen, als den dermaligen hiesigen außerordentlichen Professor der Theologie Lic. theol. Albert Hauck. Derselbe hat all den Hoffnungen, welche wir in unserem gehorsamsten Berichte vom 8. April 1878 darlegten, in der erwünschtesten Weise entsprochen. Er hat eine ebenso umfassende als erfolgreiche Lehrthätigkeit entwickelt und zugleich durch die Theilnahme an der Redaction der zweiten Auflage der Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche sowie durch Bearbeitung einzelner Artikel in derselben sich neue literarische Verdienste erworben. Unter diesen Umständen erscheint es uns als eine unabweisbare Pflicht, gehorsamst die Bitte zu stellen, es wolle bei allerhöchster Stelle beantragt werden, den bisherigen außerordentlichen Professor der Theologie Lic. theol. Albert Hauck zum ordentlichen Professor der Kirchengeschichte und der theologischen Encyklopädie zu ernennen, u[nd] zwar mit dem Anfangsgehalt von M. 4200.63

60

TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 6. November 1880. Vgl. ebd.: »Denn obgleich ich mich nicht darüber gräme, [...] so finde ich dann doch, daß man mir von Seiten der Fakultät dadurch ein Unrecht gethan hat, nur ich habe natürlich um so weniger Lust mit den Herrn der Fakultät freundschaftlichen Verkehr zu pflegen.« G.L. Plitt war am 10. September 1880 infolge einer schweren Krankheit verstorben. Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 12. Januar 1883: »Ihm [C.L. Hoffmann, M. T.] verdanke ich viel, [...]; jedenfalls unendlich viel mehr als den verklungenen Erlanger Berühmtheiten, die ich meine Lehrer nenne.« 62 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 8. Januar 1882: »Auch meine NichtBeförderung. Ich glaube, es wäre ganz gut, wenn Du Dich darein als in eine bereits vollendete Thatsache fügen würdest. Da mir Erlangen mit der ganzen Schaar seiner dürftigen Berühmtheiten niemals sympathisch war und immer unsympathischer wird, so liegt ja auch wirklich sehr wenig daran, wenn meine Erlanger Lebensperiode in nicht all zu ferner Zeit ein Ende nimmt.« H. Schmid war im August 1881 nach Vollendung seines 70. Lebensjahres in den Ruhestand eingetreten. 63 Vgl. ATFE, Dekanatsakten, Schreiben des Dekans vom 15. Mai 1882. 61

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Mitte Juni 1882 beantragte der Königliche Akademische Senat der Universität im zuständigen Ministerium in München die Beförderung A. Haucks, wobei dieses sich mit der Beantwortung der Anfrage bis zum 15. Juli 1882 Zeit ließ.64 Die Ernennung zum o. Professor erfolgte zum 1. August 1882, am 25. November 1882 hielt A. Hauck seine Antrittsvorlesung, die er im darauffolgenden Jahr als eigenständige, erweiterte Monographie veröffentlichte.65 Anfang Oktober 1882 wurde A. Hauck an der Universität Dorpat zum Doktor der Theologie ehrenhalber promoviert.66 Die dortige Theologische Fakultät, deren Bedeutung und wissenschaftlicher Einfluss vornehmlich auf dem Wirken des Ordinariats für Systematische Theologie, das von 1851 bis 1890 A. Oettingen vertrat, gründete, erhielt ihre Prägung von der Erlanger Schule und ihrer heilsgeschichtlichen Theologie her. Neben A. Oettingen lehrten der Kirchenhistoriker M. Engelhardt von 1853 bis 1881 und der Alttestamentler J.W. Volck in Dorpat.67 Dieser, auf den die Ehrenpromotion A. Haucks vermutlich zurückging – er begleitete zu dieser Zeit das Amt des Dekans der Fakultät –, wurde bald nach seinem Tod von seinem Schüler und Nachfolger J. Köberle charakterisiert als »wohl der entschiedenste aller Schüler Hofmanns, Hauptvertreter der sog. Erlanger (heilsgeschichtlichen) Schule«.68

64

Vgl. UAE, A2/1 Nr. H 49, Acta, Allerhöchste Entschließung vom 19. Juli 1878; vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 14. Juli 1882: »Denn es scheint, daß man diesmal meine Beförderung in München nicht will, wie man sie das letzte Mal hier nicht wollte. Dann aber bin ich entschlossen, mich wegzumelden; dazu eigentlich auch genöthigt. Ärgern würde ich mich, aber nicht gerade grämen; denn ich habe die Erlanger Zustände in mehr als einer Hinsicht über und über satt, und es packt mich manchmal die Lust fortzugehen wie einstmals in Feldkirchen. So gerne würde ich später dann jedenfalls nicht an Erlangen zurückdenken als jetzt an Feldkirchen.« Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 31. Januar 1883. Der spätere Präsident des OKM A. Stählin hatte A. Hauck als Erster über dessen Berufung in Kenntnis gesetzt. 65 A. Hauck, Bischofswahlen. 66 Der Rektor der Universität Tartu, E. von Wahl, bestätigte auf dem Universitätsconseil vom 7. Oktober 1882 den Vorschlag der Theologischen Fakultät, »A. Hauck, dem ordentlichen Professor der Theologie in Erlangen, die Würde eines Dr theologiae honoris causa« zuzuerkennen, der auf der Sitzung der Theologischen Fakultät vom 27. September 1882 gefasst worden war, vgl. EHAT, Signatur 402, Verz. 8, Arch 739, Tischregister. Diese Auskunft verdanke ich Lea Teedema, Archivarin am EHAT. Vgl. UAE, A2/1 Nr. H 49, Acta, Schreiben des Dekans vom 18. November 1882. 67 Vgl. R. Wittram, Dorpat, 253: »Auch die Inhaber der Lehrstühle für exegetische und praktische Theologie (F. Mühlau, F. Hoerschelmann) waren mit den führenden Kollegen eng verbunden, so daß die Fakultät auf dem Boden des luth[erischen] Bekenntnisses bewußt einheitlich zusammenwirkte. Den größten Einfluß hatte M. v. Engelhardt, der auch als Persönlichkeit über die Universität hinaus ungewöhnlich starke Wirkungen hinterließ.« Als Nachfolger von M. Engelhardt wurde dessen Schüler N. Bonwetsch 1882 zum a.o. und 1883 zum o. Professor in Dorpat berufen, vgl. Hauptmann, Dorpat, 158–162. P. Hauptmann lässt den Einfluss der Erlanger Theologie 1861 mit der Berufung J.W. Volcks 1861 beginnen. A. Hauck hatte den Bruder des Dorpater Professors, A.W. Volck, im Predigerseminar München kennengelernt. Der Dorpater Professor J.W. Volck schrieb den Artikel »Thargumin« für die RE1, seit 1877 20 Artikel für die RE2 und 19 Artikel für die RE3. Über diese Arbeit war ihm A. Hauck bekannt geworden, weshalb er wahrscheinlich derjenige an der Theologischen Fakultät Dorpat war, der dessen Ehrenpromotion beantragt und begründet hatte. 68 Köberle, Volck, 730, 34f.

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Die Berufung zum o. Professor motivierte A. Hauck, die Redaktion und Herausgabe der RE2 voranzutreiben, sodass er im November 1882 davon ausgehen konnte, bereits im Sommer 1884 die Arbeit abschließen zu können. Im Sommer 1884 hoffte er auf eine Vervollständigung der RE2 zum August 1885, im Januar 1886 auf eine Vollendung im Herbst 1886: »Sie [die RE2, M. T.] hat mir mehr Zeit und Mühe gekostet als man ihr ansieht.«69 Im Mai 1886 bemühte er sich, bis zum Herbst des Jahres den letzten Band der RE2 und den ersten Band der »Kirchengeschichte Deutschlands« herauszugeben. Zunächst wollte er aber bis zum Beginn des WH 1886/87 die Neubearbeitung der Dogmengeschichte von H. Schmid vollenden, deren erste Lieferung Anfang November 1886 erschien,70 deren Vorwort, Titel und Inhaltsverzeichnis er aber erst im Oktober 1887 endgültig überarbeitet hatte. A. Hauck disponierte, in den Herbstferien 1886 die Arbeit an der »Kirchengeschichte Deutschlands« vorantreiben zu können,71 was ihm auch gelang. Die erste Lieferung der »Kirchengeschichte Deutschlands« erschien Ende November 1886. Nun wartete er Rezensionen der Kollegen ab.72 Den zweiten Band der »Kirchengeschichte Deutschlands« begann er im Sommer 1887. Im Oktober 1887 konnte A. Hauck den letzten Band der RE2 abschließen. Am 29. September 1888 erhielt A. Hauck aus Berlin den Ruf an die Marburger Theologische Fakultät.73 Geehrt fühlte er sich, weil er nun seinem Kollegen Th. Kolde, der dort ehemals zum a.o. Professor ernannt worden war, vorgezogen wurde. Die Marburger Fakultät hatte sich mit der Besetzung des durch die Wegberufung A. Harnacks nach Berlin freigewordenen kirchenhistorischen Lehrstuhls seit dem 21. September 1888 beschäftigt. Ihre erste Berufungsliste, die nicht unwidersprochen blieb,74 nannte die Namen: 1. A. Jülicher, 2. K. Mül69

TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 13. Dezember 1885. Die Neubearbeitung des Lehrbuches über die Dogmengeschichte von H. Schmid hatte A. Hauck nicht befriedigen können, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 31. Oktober 1886: »Ich werde niemals wieder auf den Leim gehen, aus einem schlechten Buch ein gutes machen zu wollen. Da ist eine Neuarbeit viel leichter.« 71 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 9. Mai 1886. 72 Der Verleger H. Rost erwartete den Erfolg des ersten Bandes der »Kirchengeschichte Deutschlands«. A. Hauck blieb demgegenüber zurückhaltend, vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 31. Oktober 1886; vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 11. Dezember 1886: »Die Kritiker haben natürlich noch nicht gesprochen; das Vergnügen von ihnen mehr oder weniger unsanft zerzaust zu werden, erwartet mich erst im nächsten Jahre. Ich bleibe übrigens ziemlich kühl dabei.« 73 Vgl. UAE, A 2/1 Nr. H 49, Acta, Schreiben des Geheimen Regierungsrates vom 29. September 1888. 74 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 76 Va, Sekt. 12, Tit. IV, Nr. 5, Bd. 2, Ministerium, Schreiben des Dekans vom 21. September 1888, Bl. 232 [darin enthalten der Vorschlag von F.Th. Althoff an G. Goßler vom 4. Oktober 1888]: »Ein Mitglied (Prof. Dr. Wolf Graf Baudissin) ist dem Vorschlag, Dr. Jülicher betreffend, nicht beigetreten, u[nd] ein anderes Mitglied (Prof. Consist. Rath Dr. Heinrici) hat vorgeschlagen, die Wahl zu verschieben und das Ersuchen an K. Ministerium zu richten, für das kommende Semester Herrn Dr. Jülicher nach Marburg zur Vertretung zu beurlauben.« Diesen Vorschlag G. Heinricis nahm F.Th. Althoff am 4. Oktober 1888, nachdem A. Hauck abgelehnt hatte, auf: »Ernen70

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ler, 3. A. Hauck. Den Ausschlag für die Berufung A. Haucks hatten unterschiedliche Motive der zu dieser Zeit wirkungsmächtigen Befürworter gegeben: Erstens lehnten F.T. Althoff und der Berliner Neutestamentler und Oberkonsistorialrat B. Weiß aus nicht mehr eruierbaren Gründen die Berufung K. Müllers nach Marburg ab und schlugen stattdessen ohne Rücksprache mit der Fakultät die Berufung P. Tschackerts vor. Gegen diesen Vorschlag opponierte die gesamte Fakultät;75 zweitens war durch den Tod E.C. Rankes im Juli 1888 ein zweites, das exegetisch-kirchenhistorische, Ordinariat frei geworden, weshalb der Dekan A. Harnack in Übereinstimmung mit dem Professorium eine kombinatorische Berufung auf die beiden Lehrstühle vorschlug: An erster Stelle nannte A. Harnack nunmehr die Kombination A. Hauck und E. Schürer bzw. A. Hauck und A. Jülicher.76 Die Erlanger Fakultät bemühte sich umgehend durch nung des Privatdocenten an der hies[igen Berliner, M. T.] Univ[ersität] und Predigers zu Rummelsburg Lic. theol. u[nd] Dr. phil Gustav Adolf Jülicher zum Extraordin[arius] in die theol[ogische] Fak[ultät] zu Marb[urg] mit der Verwaltung des Ranke’schen Ordinariats beauftragt. Verpflichtung, die neutestamentl[iche] Exegese und die Kirchengeschichte in Ergänzung der Lehrthätigkeit der übrigen für diese Fächer daselbst bestallten Professoren zu vertreten.« 75 Vgl. ebd., Schreiben des Dekans vom 26. September 1888, Bl. 233: »[...] 2) die Facultät hält an ihren Vorschlägen (Jülicher, Müller, Hauck) fest und weiß diesen Namen andere nicht hinzuzufügen. Sollte Keiner der Genannten für das kommende Wintersemester zu gewinnen sein, so bittet die Facultät darum, entweder den Lic. Dr. Krüger in Gießen oder auch den Lic. Mirbt in Göttingen mit den kirchenhistorischen Vorlesungen für das Wintersemester zu betrauen.«, vgl. ebd., Schreiben des Dekans vom 27. September 1888, Bl. 252–255. A. Harnack – und mit ihm W. Herrmann – sprach sich gegen eine Berufung P. Tschackerts aus, die F.Th. Althoff in Kombination mit A. Jülicher als Nachfolger von E.C. Ranke favorisierte, da dieser nicht wissenschaftlich, sondern polemisch arbeite. A. Harnack begründete seine Meinung mit seinem Verständnis der historisch-kritischen Methode, vgl. ebd., Bl. 254: »Eben deßhalb halte ich die Professur für Kirchen- und Dogmengeschichte für die wichtigste und kann Niemanden für dieselbe vorschlagen, bei dem ich nicht das Zutrauen habe, daß er die alte Kirchengeschichte gründlich kennt. Bei Jülicher, Hauck und Müller habe ich dieses Zutrauen, obgleich der Standpunkt Hauck’s nicht der meinige ist, sondern ohne Zweifel dem, was man confessionelle Theologie nennt, viel näher steht.« Den Vorwurf, dass die Marburger Fakultät nur eine theologische Richtung bevorzuge, den F.Th. Althoff und B. Weiß gegenüber der Marburger Fakultät aussprach, widersprach Dekan W. Herrmann, vgl. ebd., Schreiben des Dekans vom 17. Oktober 1888, Bl. 264f: »Eine einheitliche theologische Richtung war auch bisher in unserer Fakultät niemals vorhanden. Aber wir haben einander zugetraut, daß wir in Christus Gott und in dem Bekenntnis der Reformatoren Wahrheit gefunden haben; und wir haben von einander gewußt, daß wir nicht nur in unserer eigenen Arbeit die strengsten Forderungen der Wissenschaft zu erfüllen streben, sondern daß wir auch Keinen als Theologen achten, der das versäumte. Gegen den Verdacht, daß wir eine einzige theologische Richtung zur Herrschaft zu bringen suchten, glauben wir dadurch geschützt zu sein, daß wir Erw[ählte] Excellenz um die Berufung des erlanger Theologen Hauck und des baseler Theologen [R.] Stähelin gebeten haben.« Die Fakultät bedauerte, dass F.Th. Althoff aus einer Rücksicht heraus, die nicht die Marburger Fakultät betraf, von der Berufung K. Müllers absah. Am 20. November 1888 fügte sie sich den Anweisungen F.Th. Althoffs und ließ die Berufung K. Müllers fallen, vgl. ebd., Gutachten vom 20. November 1886, Bl. 275–283, bes. 283: »Die Facultät beehrt sich daher, falls die Gewinnung des Professors Müller ausgeschlossen bleibt und die Gewinnung der weiter für das Ordinariat in Vorschlag Gebrachten nicht zu erreichen ist, die Berufung des Lic. theol. Mirbt als Professor extraordinarius ganz gehorsamst zu beantragen.« 76 Vgl. ebd., Schreiben des Dekans vom 26. September 1888, Bl. 233: »[...] 3) die Frage nach der Besetzung der kirchengeschichtlichen Professur hängt mit der Frage nach der Besetzung der Ranke’schen Professur aufs engste zusammen. Die Facultät erlaubt sich schon jetzt auszusprechen, daß für sie die Combinationen Hauck u[nd] Schürer oder Hauck und Jülicher die wünschenswerthesten sind.

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eine finanzielle Aufwertung des Ordinariats A. Haucks um dessen Verbleib an ihrer Einrichtung.77 In der Folge billigte das Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten am 2. November 1888 rückwirkend zum Beginn des Monats eine mehr als dreißigprozentige Gehaltserhöhung auf 6000 Mark.78 Am 3. Oktober bereits hatte A. Haucks abgelehnt: Sie würde aber auch Müller-Schürer, resp. Jülicher-Schürer, resp. Müller-Jülicher gerne begrüßen. [...] Dabei erlauben wir uns, darauf aufmerksam zu machen, daß von jüngeren Kirchenhistorikern Prof. Bornemann in Magdeburg u[nd] Docent Dr. Krüger in Gießen im Stande sind, auch Neues Testament mitzuvertreten, sehen aber unsererseits noch von ihnen ab, solange wir die Möglichkeit haben, jene obengenannten Männer zu gewinnen.« 77 Vgl. UAE, A2/1 Nr. H49, Acta, Schreiben der Theologischen Fakultät vom 1. Oktober 1888: »Unsere theologische Facultät ist abermals von einem sehr schweren Verluste bedroht. [...] Die dortigen [Marburger, M. T.] Verhältnisse liegen für unseren Collegen sehr verlockend. Während hier zwei Ordinarien für Kirchengeschichte neben einander wirken, wäre Dr. Hauck dort der einzige Vertreter des Faches und zugleich Director des Kirchenhistorischen Seminars; und während der Vorgänger Dr. Hauck’s in Marburg, wie wir sicher wissen, dort einen Gehalt von über 7000 Mark bezog und kein Zweifel darüber besteht, daß Dr. Hauck den gleichen Gehalt bekommen würde, genießt letzterer an unserer Universität, einschließlich der ersten Quinquennialzulage, nur 4560 Mark. Nun müßten wir aber auf das Verbleiben Hauck’s an unserer Universität das allergrößte Gewicht legen. Derselbe hat sich durch den Abschluß der 2. Auflage der Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, durch die vollständige Neugestaltung des Lehrbuches der Dogmengeschichte von Dr. H. Schmidt [sic!] (Nördlingen 1887), durch seine Kirchengeschichte Deutschlands, wovon der I. Theil Leipzig 1887 erschien, und durch andere Schriften einen ganz hervorragenden Ruf als Forscher und als Schriftsteller erworben, so daß man, wie wir ebenfalls mit aller Bestimmtheit wissen, bereits an den größten Universitäten Deutschlands seine Berufung in’s Auge gefaßt hat. Ebenso ausgezeichnet ist Dr. Hauck aber auch als Lehrer durch seinen ebenso schlichten und klaren, wie stoffreichen und geistvollen Vortrag. Folgte Dr. Hauck der Berufung nach Marburg, so wären wir zur Zeit völlig außer Stande, einen entsprechenden Ersatz für ihn in Vorschlag zu bringen. Es liegt uns daher die Pflicht ob, alles zu thun, was wir können, um Dr. Hauck unserer Universität zu erhalten. Wir glauben uns der Hoffnung hingeben zu können, daß er den an ihn ergangenen Ruf ablehnen werde, wenn seine hiesigen Gehaltsverhältniße aufgebessert werden und ihm außerdem eine Summe zur Vervollständigung der Lehrmittel des von ihm geleiteten Seminars für kirchliche Kunstarchäologie zur Verfügung gestellt wird.« Vgl. ebd., Schreiben des Senats vom 4. Oktober 1888: »Abermals ist unsere Universität von einem Verluste bedroht, der zu ersetzen uns mehr als schwer fallen würde: unser College Hauck hat von obengenannter Stelle in Berlin aus vor Kurzem und zwar in dringendster Weise die Anfrage erhalten, unter welchen Bedingungen er einen Ruf nach Marburg an Profeßor Dr. Harnacks Stelle zu folgen bereit sey.« Der Senat beabsichtigte, für Lehrmittel im Unterricht für Kirchliche Kunstarchäologie 400 Mark bereitszustellen. »Diese letztere [Gehaltserhöhung um 1200 Mark, M. T.] scheint uns nemlich nicht allein der Schwere des uns drohenden Verlustes an sich nicht zu entsprechen, sondern auch mit den Gehaltsbewilligungen, wie sich die selben in den letzten Jahren fast schon als Regel in ähnlichen Fällen herausgebildet haben, nicht übereinzustimmen, wie königlichem Staatsministerium bekannt, selbst bei einigen Neuberufenen Jahresgehalte von 6000 Mark bewilligt werden mußten, dieser Gehalt dem Vernehmen nach auch unserem zukünftigen Collegen [...] bewilligt werden wird, wir es aber unbillig finden würden, wenn unser College Hauck, der vor mehr als 10 Jahren bereits, und zwar 6 Jahre als Ordinarius unserer Universität angehört und der die bei seiner Berufung auf ihn gesetzten Hoffnungen bisher in ausgezeichneter Weise entsprochen hat, in vorliegendem Falle nicht wenigstens diesen Gehalt erlangen würde. Bei unserer heutigen Berathung trat auch klar zu Tage, daß unsere theologische Facultät sich nur aus Rücksicht auf die Finanzlage der Universität mit dem Antrag auf eine Gehaltsmehrung um 1200 Mark begnügt hat, eine stärkere Gehaltsmehrung aber freudig begrüßen würde.« Der Senat beantragte, A. Haucks Gehalt von 4560 Mark auf 6000 Mark zu erhöhen. 78 Ebd., Schreiben des Staatsministerium vom 2. November 1888.

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Ich verkenne die Vorzüge nicht, welche Marburg in mancher Hinsicht im Vergleiche mit Erlangen bietet. Wenn ich gleichwohl nach reiflicher Überlegung mich für das Verbleiben an der hiesigen Universität entscheiden zu sollen glaubte, so war die Erwägung ausschlaggebend, daß ich in Marburg als Universitätslehrer einen weiteren Wirkungskreis als hier nicht finden würde. Auch die Bibliotheksverhältniße sind, wie ich höre, nicht wesentlich anders, jedenfalls nicht besser als hier. Die literarische Thätigkeit hat also mit ähnlichen Schwierigkeiten zu rechnen. In Anbetracht deßen schien es mir Pflicht, die Berufung abzulehnen: ich würde durch die Annahme wahrscheinlich persönliche Annehmlichkeiten gewinnen, dagegen meine Berufsarbeit eher einschränken als erweitern.79

A. Hauck fühlte sich in der Theologie enger an Erlangen als an Marburg gebunden.80 Außerdem betrachtete er die staatlichen Geldzuwendungen als entscheidenden Vorteil, obwohl ihm von Berlin aus mehr Gehalt geboten worden war. Er hatte ein um 1000 Mark höheres Jahresgehalt beantragt, woraufhin die Theologische Fakultät Erlangen beim Königlichen Akademischen Senat der Universität einen Antrag über 1200 Mark stellte. Dieser wiederum empfahl unter Federführung des Historikers K. Hegel beim Ministerium in München einen Zuschuss von 1400 Mark.81 Später befürchtete der Erlanger Professor, aufgrund seiner Tantimen für einen erneuten Ruf zu teuer geworden zu sein und fand sich deshalb mit einer lebenslangen Stellung an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen ab.82 79 GStA PK, I. HA Rep. 76 Va, Sekt. 12, Tit. IV, Nr. 5, Bd. 2, Ministerium, Schreiben des Albert Hauck vom 3. Oktober 1888, Bl. 238. Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. Oktober 1888: »Sie [die Berufung nach Marburg, M. T.] hat mich natürlich gefreut, da ich daraus sehe, daß man in Marburg das, was ich mit meinen Büchern will, billigt. Doch war ich von Anfang an nicht zweifelhaft, daß es das Richtige sei, wenn ich den Ruf ablehnte. Ich hätte in Marburg im günstigsten Falle eine ähnliche Wirksamkeit gefunden, wie ich sie hier habe, möglicher Weise auch eine bedeutend kleinere.« Vgl. GStA PK, Nachlaß »Harnack«, Kasten 32, Schreiben des Albert Hauck vom 14. Oktober 1888: »Zunächst möchte ich aussprechen, daß ich mich der Marburger Theol[ogischen] Fakultät zu großem Danke verpflichtet fühle, daß bei der Frage der Wiederbesetzung Ihrer Stelle an mich gedacht wurde; denn ich darf darin ein Urtheil über meine literarische Thätigkeit erblicken, das für mich von hohem Werth ist. Wenn ich gleichwohl bei der Frage, ob gehen oder bleiben, mich schließlich für das Letztere entschied, so war die Erwägung ausschlaggebend, daß der Wirkungskreis, welchen ich in Marburg gefunden hätte, schwerlich wesentlich weiter geworden wäre, als derjenige, in welchen ich hier arbeite. Dadurch gewannen die Gründe, welche für das Bleiben sprachen, ein Gewicht, das sie an sich nicht gehabt hätten. Zu Ihrem Übergange nach Berlin sage ich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche. Mit bestem Gruße Ihr ganz ergebener Hauck.« Als Nachfolger A. Harnacks wurde C. Mirbt zum a.o. Professor berufen. 80 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 5. November 1888. Zu den Richtungen an der Theologischen Fakultät der Universität Marburg vgl. Schneider, Marburg, 72, 29–73, 11, bes. 72, 48–50: »Dabei war die Fakultät durchaus nicht theologisch homogen. Verbunden waren ihre Mitglieder durch das wissenschaftliche Ethos streng historisch-kritischer Arbeit, [...].« Zur Zeit der beabsichtigten Berufung A. Haucks nach Marburg wirkten dort der Dogmatiker W. Herrmann (1879– 1917), der Alttestamentler W. Baudissin (1881–1900), der Neutestamentler und Kirchenhistoriker A. Jülicher (1888–1923), der Neutestamentler G. Heinrici (1873–1892) und der Vertreter des Faches der Praktischen Theologie E. Achelis (1882–1911). 81 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 7. Oktober 1888. A. Hauck freute sich, dass der Senat unter dem Historiker K. Hegel auf sein Bleiben Wert gelegt hatte. 82 Vgl. TFIfKGL, Brief an seine Mutter Sophie Hauck vom 31. Dezember 1888.

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7.2 Ausführungen zur Kirchen- und Theologiegeschichte A. Hauck begann im WH 1880/81, seinem fünften Semester als a.o. Professor an der Erlanger Theologischen Fakultät, über Kirchengeschichte zu lesen,83 nachdem er bereits früher über Patristik bzw. altchristliche Literaturgeschichte, Dogmen- sowie Theologiegeschichte referiert hatte. 7.2.1 Begrifflichkeit und Methode A. Hauck ging von der Prämisse aus, dass die Erforschung des historischen Entwicklungsganges der Gemeinde Christi auf Erden möglich ist, weil das Christentum als kirchliche Gemeinschaft handelt und existiert. Das Wesen der Kirche erklärte er folgendermaßen: K[irche] ist die Gemeinsch[aft] aller Gläubigen an Christo, ihrem Haupte: das Band, welches sie einigt, ist der H[eilige] Geist; die Mittel, durch welche diese Gemeinsch[aft] hergestellt wird, sind Wort u[nd] Sakrament, das Gut, welches alle Glieder dieser Gemeinsch[aft] ihr eigen nennen, ist des Reich Gottes. Aber die K[irche] in diesem Sinne, die K[irche] als der sich selbst erbauende Leib Christi, ist keine empirische Größe: sie gehört zu den Realitäten des Gl[aubens]. Eben deshalb kann sie nie direkt Gegenstand hist[orischer] Forschung sein. Wir glauben daran, daß die Zahl der Auserwälten im Lauf der Jarhunderte sich erfüllt: aber wir können nicht erforschen, wie diese Entwickelung sich vollzieht. Nur empirische Größen bilden das Objekt der Wißenschaft. Nun aber ist die Gemeinschaft der Gläubigen an Christo ihrem Haupte, stets auch Gemeinsch[aft] der Gläubigen untereinander. Von dieser Seite betrachtet ist die K[irche] irdisch-menschliche Gemeinsch[aft]. Sie tritt unter den Gesammtbegriff der sittlichen Gemeinschaften. Sie 83 Erstmalig las A. Hauck in zwei Teilen zu je fünf Stunden über Kirchengeschichte: im WH 1880/81 über die erste Hälfte der Kirchengeschichte (bis zum Wormser Konkordat 1122) – vgl. LAELKB, Ms 1155, »Kirchengeschichte I« Griebel; Ms 2100, »Kirchengeschichte I« Nonnenmacher; Ms 997, »Kirchengeschichte I« Bauer – und im SH 1881 über die zweite Hälfte der Kirchengeschichte (bis zum Westfälischen Frieden 1648) – vgl. ebd., Ms 2101, »Kirchengeschichte II« Nonnenmacher; Ms 1156, »Kirchengeschichte II« Griebel. Da A. Hauck aufgrund der begrenzten Semesterwochenstunden die zweite Hälfte der Kirchengeschichte nur bis in das Jahr 1648 fortsetzen konnte, bot er im anschließenden WH 1881/82 ein Supplement zu den bisherigen Vorlesungen an, vgl. ebd., Ms 2101, »Kirchengeschichte: Supplement« Nonnenmacher. Seit dem WH 1881/82 teilte A. Hauck seine kirchenhistorischen Vorlesungen von Anfang an in drei Teile zu je fünf Stunden (letztmalig referierte er im WH 1881/82 nur vierstündig über den ersten Teil der Kirchengeschichte bzw. die Alte Kirche), vgl. ebd., Ms 1339, »Kirchengeschichte I« Kinast; Ms 1340, »Kirchengeschichte des Mittelalters« Kinast, deren Abfolge A. Hauck chronologisch bis ins Jahr 1800 über drei Semester verteilte. Seit dem SH 1885 ergänzte er seine Vorlesungen über Kirchengeschichte um die dreistündige Vorlesung über die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts (SH 1885 und SH 1887), die aus dem Inhalt der dreistündigen Vorlesung über die Geschichte der Theologie des 19. Jahrhunderts (SH 1879 und SH 1882) hervorgegangen war. Er referierte demnach fünfstündig über die Geschichte der Alten Kirche im SH 1883, im WH 1884/85, im SH 1886 und im WH 1887/88. Über die Kirchengeschichte des Mittelalters las er fünfstündig im SH 1882, im WH 1883/84, im SH 1885, im WH 1886/87 und im SH 1888. Der Kirchengeschichte seit der Reformation wandte er sich fünfstündig zu im WH 1882/83, im SH 1884, im WH 1885/86, im SH 1887 und im WH 1888/89.

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entwickelt sich in denselben Gemeinschaftsformen wie sie, sie wirkt auf sie und wird manchfach durch sie beeinflußt. Das Band, welches ihre Glieder vereinigt, ist das ausdrückliche oder stillschweigende Bekenntnis zu Jesu Christo. Der Zweck der Gemeinschaft die Übung der christlichen Religion. Die Kirche in diesem Sinne, d.h. die religiöse Gemeinschaft derjenigen, welche sich zu Jesu Christo bekennen, ist die äußere, geschichtliche Erscheinungsform deßen, was wir unsichtbare Kirche nennen. Und sie kann ebenso gut Gegenstand der histor[ischen] Forschung sein wie der Staat oder die bürgerliche Gesellschaft, die Gemeinsch[aft] der Kunst oder der Wißenschaft, d.h. wie jede andere sittliche Gemeinschaft. Es ist klar, daß die K[irche] in diesem Sinne nicht identisch ist mit irgend einer Konfeßionskirche: sie ist identisch mit der Christenheit. Sie umspannt den ganzen Umkreis, auf welchen religiöse u[nd] ethische Wirkungen von Jesu Christo ausgehen.84

Als historisch bedingte Gemeinschaft ist die Kirche nach Ansicht A. Haucks demnach abhängig von dem Gesetz der Entwicklung, die mit Hilfe des Wirkens des Heiligen Geistes, der die Einheit dieser Gemeinschaft sichert, auf einem einheitlichen Streben der christlichen Gemeinde beruht.85 Das Wirken des Hei84

HUBL, Ms 0939 II, »Alte Kirchengeschichte 1«, Bl. K.G.1,1f. Vgl. LAELKB, Ms 1155, »Kirchengeschichte I«, 2f: »Die Kirche ist die Gemeinde des Heils. Als solche ist sie zunächst eine unsichtbare Gemeinschaft. Denn der Einzelne tritt in diese Gemeinschaft ein, indem er in Gemeinschaft tritt mit dem erhöhten Christus. Nach dieser Seite ist die Kirche ungeschichtlich; dagegen lebt und bethätigt sie sich als die Gemeinde des Heils in der Welt. Im Dieseits stellt sie sich dar als ein irdisches Gemeinwesen, als eine geschichtliche Erscheinung und als solche nimmt sie Theil an dem allgemeinen Gesetze des geschichtlichen Lebens, an der geschichtlichen Entwickelung. Vergegenwärtigen wir uns die Art dieser Entwicklung! Die bewegende Kraft für das Werden der Kirche liegt im Heiligen Geist. Der erhöhte Christus hat seinen Jüngern den Geist verheißen und gegeben und so wurde der Geist Christi zum Geiste der Gemeinde. Wie er die Jünger am ersten Pfingstfeste zu einer Gemeinde vereinigte, so durchwaltet er von da an die Christen. Durch ihn wird jede Lebensbethätigung der Kirche bewirkt. Ohne ihn ist sie unmöglich bestehbar. Nur dadurch daß überall wo Christen sind, und in allen Zeiten, wo Christen leben der Geist, der in ihnen waltet, der ein und derselbe heilige Geist ist, und nur durch ihn ist eine Einheit, eine Organismus, von dessen Einheit man noch reden kann. Nur infolge davon gibt es eine Thätigkeit und Handeln der Kirche und nicht nur einzelner Glieder. Somit ist die Kirchengeschichte der Gedanke der einheitlichen Bestrebung der christlichen Gemeinde. Daneben tritt aber nun noch manches. Die innerliche Bewegung des Heiligen Geistes ist der Trieb des christlichen Lebens; dagegen die Gestalt, welche dieses Leben annimmt, ist nicht sowohl durch den Heiligen Geist als durch die Arbeiter bedingt, welche derselbe benützt. Diese Arbeiter sind zunächst die einzelnen menschlichen Individuen, die verschiedenen Völker, confessionellen Kirchen. Der Heilige Geist benützt die Anlage der einzelnen Menschen zum Bau der Kirche und nicht minder die Völker, Konfessionen, welche die Ausbreitung der Kirche bewirken. So tritt das Wirken des Heiligen Geistes mit der Menschen Tätigkeit zusammen und aus beiden Kräften entsteht jedes kirchengeschichtliche Ereigniß. Daß neben dem Walten des Geistes menschliches Handeln betrachtet werden kann, liegt in der Freiheit des Menschen. Durch das Walten des Geistes wird die Freiheit des Menschen nicht ausgelöscht, sondern geleitet. Demnach liegt für die rechte Entwicklung der Kirche alles daran, daß die einzelnen Glieder der Kirche sich nicht von fremden Einflüssen leiten lassen. Das gleiche gilt von den Völkern und Confessionen. Hieraus ergibt sich die Entwicklung der Kirchengeschichte. Dabei ist zu beachten, daß es neben dem Fortschreiten ein Zurückschreiten gibt. Diese Entscheidung ist zu erklären durch die Leitung des Heiligen Geistes und die Freiheit der Menschen. Daraus aber ergibt sich, daß die Wirksamkeit des Geistes und die menschliche Freiheit unzertrennlich sind, daß man die Leitung des Heiligen Geistes nicht hervorheben, die Freiheit der Menschen nicht verachten darf.« 85

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ligen Geistes und das freie menschliche Handeln korrelieren miteinander, so der Historiker. A. Hauck zeichnete die geschichtliche Entwicklung nach, indem er Geschehnisse und Personen innerhalb von vier Kategorien, die er jeweils als historisch bedingt betrachtete, analysierte: die Kirche in ihrem Verhältnis zum Staat und den Völkern (Gegenstand der Untersuchung: Staatsrecht), die Entwicklung der Sittlichkeit (Kultur und Gesetze), der Fortschritt der religiösen Erkenntnis (Bewusstsein der Gottesgemeinschaft, Dogmengeschichte) und die Entfaltung der Organisationsform der Kirche (kultische Gemeinschaft der Christen, Gemeindeverfassung).86 Traten in diesen Abteilungen gleichartige Tendenzen im geschichtlichen Verlauf auf, so erkannte A. Hauck Entwicklungslinien, unterschieden sie sich, identifizierte er Wendepunkte: »Durch beides wird die ungefüge Maße der Tatsachen gewißermaßen geformt, nicht die Einzelheiten als solche kommen zur Geltung: sondern das Einzelne als ein Teil das Ganzen, das Frühere als Ursache des Späteren, das Spätere als Folge des Früheren.«87 Der Erlanger Kirchenhistoriker eruierte aus gleichartigen Strömungen innerhalb der vier Beobachtungsfelder die Herrschaft einer Idee, die der jeweiligen Periode ihre Richtung vorgibt. Um Kirchengeschichte zu schreiben, stellte er dasjenige Beobachtungsfeld in den Vordergrund, das die intensivsten Auswirkungen auf den Entwicklungsgang der Kirchengeschichte aufzuzeigen verhalf. Da innerhalb der Periodenabfolge eine Idee um die andere zur Geltung kommt und ihre Herrschaft wieder verliert, gewinnt nach Ansicht A. Haucks die Kirchengeschichte an Quantität und Qualität. Kirchengeschichtsforschung zeichnet sich deshalb gerade darin aus, sich in das »göttliche Epos zu versenken«, das erst in der Ewigkeit zu einem Abschluss kommt: Bis dahin reihen sich Ereignisse und Vorgänge innerhalb der Kirchengeschichte aneinander, die sich unmittelbarer Erkenntnis entziehen.88 86

An der Kirchengeschichtsschreibung K. Hases kritisierte A. Hauck die fehlende Erörterung des Staat-Kirche-Verhältnisses und die seines Erachtens zweifelhafte Verknüpfung von christlichem Leben und Kultus, denn zum Begriff christliches Leben gehört neben der Entwicklung der Religiosität und der Sittlichkeit auch das Verhältnis des Christentums zur Kultur, also zur Kunst und zur Wissenschaft. K. Hases Untersuchung des Kultus ging auf diese Sichtweise nicht ein. O. Zöcklers Gliederung der Kirchengeschichtsschreibung in sechs Gebiete lehnte A. Hauck ab, weil er nicht zwischen Rechtsund Verfolgungsgeschichte unterscheiden und die Literatur- nicht von der Dogmengeschichte trennen wollte. Bei J.A. Möhler fehlt nach A. Hauck, die grundlegende Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Staat. 87 HUBL, Ms 0939 II, »Alte Kirchengeschichte I«, Bl. K.G. 1,4. 88 Als Vorbild einer kritischen und auf Quellenbelegen aufbauenden Kirchengeschichtsschreibung nannte A. Hauck Gieseler, Lehrbuch. Vgl. dazu das Urteil von Bonwetsch, Gieseler, 663, 51–54: »G[ieseler]s Lehrbuch wird durch den Grundsatz charakterisiert, daß jedes Zeitalter nur verstanden werden kann, wenn man es selbst reden hört. Daher läßt er in auf ausgezeichneter Kenntnis beruhenden und trefflich gewählten Quellenauszügen, welche den knapp gefaßten Text begleiten, jede Zeit selbst in möglichstem Umfang zu Worte kommen.« J.K.L. Gieseler arbeitete seine theologische und ethische Würdigung der Entwicklung der Kirchengeschichte anhand der pragmatischen Deutung heraus, vgl. Ohst, Gieseler, 926

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Zum vornehmlichsten Untersuchungsgegenstand erklärte A. Hauck die historisch bedingten Individuen.89 Mit Hilfe einer Quelleninterpretation ordnete er diese Personen in ihre historischen Umständen ein, erkundete die Realisierung der an sie herangetragenen Aufgaben und eruierte die Tendenzen und Strömungen innerhalb des Volkes, um nach einer Übereinstimmung oder Dissonanz im Denken und Handeln der Handlungsträger und der Volksmasse zu fragen. Die Geschichte sah A. Hauck durch das Gesetz der Entwicklung bestimmt. Diese Entwicklung könne aber unterbrochen werden durch Katastrophen, die entweder aus der Entwicklung selbst herrühren oder aus dem Zusammenstoß widerstreitender Kräfte und Tendenzen hervorbrechen: »Nichts ist so mannigfaltig und vielgestaltig als die Entwicklung des geistigen Lebens: selten folgt Verwandtes auf Verwandtes, sondern entgegengesetzte Erscheinungen lösen sich ab.«90 A. Hauck sah die Geschichte in einer Art Wellenbewegung voranschreiten, da sich eine nachfolgende Periode aus dem Gegensatz zur vorangehenden entwickelt.91 Dabei verlieren diejenigen Ideen an Einfluss, die sich dem Zeitgeist verschließen. Als Quellen maß A. Hauck den Urkunden den größten Wert bei, da sie unmittelbare Produkte der geschichtlichen Entwicklung selbst sind; von geringerer Wichtigkeit seien die staatlichen Gesetze und Verordnungen sowie persönliche Briefe. Daneben führte der Historiker die zweite Klasse der Quellen, die Berichte, und die dritte Klasse, die Denkmäler, auf. Zu den urkundlichen Quellen zählte er Gesetze, gottesdienstliche Formulare, Briefsammlungen und Rechtsurkunden, die die Vorgänge rechtlicher Natur erklären und bezeugen.92 Aus diesen Akten eruierte er die sittlichen Zustände der Zeit. Die zweite Gruppe von Quellen, die beschreibenden, schildern die Personen und Ereignisse in ihrer Individualität. Um die beschreibenden Quellen zu analysieren, griff A. Hauck zur literaturgeschichtlichen Methode. Auf Basis seiner kirchenhistorischen Betrachtungsweise ermittelte A. Hauck die Entwicklungsgeschichte der Kirchengeschichtsschreibung. G. Arnolds Ansichten verwarf er als ausgeprägten Subjektivismus.93 Die erste objektive Geschichtsbetrachtung habe J.L. Mosheim vorgelegt: 89

Vgl. HUBL, Ms 0939 III, »Alte Kirchengeschichte II «, Bl. [2. Periode, 11. Kap.,] 4,2f: »Man versteht eine Persönlichkeit nur dann ganz, wenn man weiß, wie sie geworden ist. [...] Wir können in der Regel das Werden der Persönlichkeiten nicht belauschen: denn wir hören erst von ihnen wenn sie zu handeln beginnen.« 90 HUBL, Ms 0941 II, »Kirchengeschichte: Reformation I«, 1. 91 Vgl. ebd.: »Denn die Gesch[ichte] entwickelt sich nicht geradlinig, sie schreitet in Wellenbewegungen fort: nie als die Fortsetzung sondern als der Gegensatz zur vorangegangenen erscheint gewöhnlich die nachfolgende Epoche.« 92 Großen Wert maß A. Hauck Hefele, Conciliengeschichte, bei, vgl. HUBL, Ms 0938, »Quellenkunde«. Vgl. ebd., 3: »Ihre Beschlüße [der Synoden, M.T.] schufen jedoch nur in den seltensten Fällen neues kirchliches Recht; gewöhnlich charakterisieren sie sich als Erinnerung an das bestehende Recht, welche mit Rücksicht auf die augenblicklichen kirchlichen Verhältniße ausgesprochen wird.« 93 Vgl. HUBL, Ms 0939 II, »Alte Kirchengeschichte I«, 4: »Die Faßung des kirchengeschichtl[ichen] Verlaufs bei Arnold ist durchaus subjektiv; die subjektive Frömmigkeit erhob sich

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Das bleibende Verdienst der Geschichtsschreibung des 18. Jahrh[undert]s war, daß sie den Gedanken, daß es in der Gesch[ichte] auf die Erkenntnis des kausalen Zusammenhangs ankommt, zur Herrsch[aft] gebracht hat. Niemand hat ihn so knapp u[nd] klar formuliert wie Göthe; er sagt: die wahre Geschichte zählt überhaupt nicht das Geschehene auf, sondern stellt dar, wie sich das Geschehene auseinander entwickelt [...]. Das 19. Jahrh[undert] führte über den im 18. erreichten Punkt hinaus 1. durch die immer weitergehende Erschließung der Quellen, 2. durch die höheren Anforderungen an die Kritik u[nd] die dadurch bedingte Verfeinerung der kritischen Methode, 3. durch den Bruch mit der subjektivistischen Betrachtung der Menschheit: Es ist immer allgemeiner zur Anerkennung gekommen, daß der einzelne bedingt u[nd] getragen ist durch das Allgemeine, seien es Ideen, die ihn beherrschten oder wirtschaftl[iche] Verhältniße, die ihn einschränkten, oder die Kulturzustände, die ihn tragen. Erst durch die Anerkennung dieser Tatsache wird es möglich, die Gesammtentwicklung zu begreifen: sie ist die Summe aus der Wirkung der Zustände u[nd] dem Wirken der einzelnen.94

F.Ch. Baurs Bestreben, das organische Werden im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung zu erkennen, würdigte A. Hauck,95 weil »sie uns lehrt, wie das Gegenwärtige geworden ist: sie hilft uns die Gegenwart zu verstehen«.96 K. Hases Historiographie schätzte er, weil sie das Individuelle betonte. Als den Meister der modernen Geschichtsschreibung bezeichnete der Erlanger Kirchenhistoriker aber von L. Ranke, weil er auf die historische Forschung und Darstellung einen tiefen Einfluss ausgeübt hatte.97 Der Streit der Historiker, ob Staagegen die orthodoxe Geschichtsbetrachtung. Darin lag etwas Berechtigtes: das Urtheil der Gegenwart rang darnach unabhängig zu werden von dem Urtheil der Vergangenheit. Aber es ist doch unmöglich, den methodischen Fehler zu übersehen, der ihm begegnete: seine Überzeugung, daß bei den Ketzern mehr wahres Christent[um] zu finden sei als in der officiellen Kirche bestimmte sein Urtheil: sie selbst aber war nichts als eine willkührliche Annahme, eine unbewiesene Voraussetzung. Formell angesehen, ist Arnolds Ketzer- etc. Gesch[ichte] so unvollkommen, wie das meiste, was am Ende des 17. Jahrh[underts] in unserer Sprache geschrieben wurde.« 94 Ebd., Ergänzung 2: J.G.V. Engelhardt habe »die kühlste Objektivität« in seiner Kirchengeschichtsschreibung angewandt. Ihm entgegengesetzt habe sich A. Neander vom Aufschwung des Glaubensleben zu Beginn des 19. Jahrhunderts tragen lassen. Das Individuum habe ihm als Produkt seiner Zeit und seiner Umgebung gegolten. Obwohl ihm in den Charakterdarstellungen der historischen Persönlichkeiten die plastische Darstellungskraft nicht gelungen sei, weil er die Spitzen und Ecken der Individuen unabsichtlich geglättet habe und damit »Familienähnlichkeiten« heraufbeschwor, bleibe er »der bedeutendste K[irchen]historiker unseres Jahrhunderts«. 95 Vgl. ebd., 1: »Der Gedanke ist großartig, u[nd] den Vorstellungen der Aufklärung gegenüber berechtigt. Die Gefar liegt freilich nahe, daß man der bunten Mannigfaltigk[eit] des Wirklichen nicht gerecht wird u[nd] daß man das Willkürliche u[nd] Irrationale, das dem Wirklichen überall anhaftet, übersieht.« 96 HUBL, Ms 0941 IV, »19. Jahrhundert«, Bl. [0],1. Vgl. ebd., Bl. [1], Ergänzung 1. 97 Vgl. HUBL, Ms 0939 II, »Alte Kirchengeschichte I«, 3: »Was seine Methode auszeichnet, ist die Verbindung methodischer Quellenkritik mit der feinsten Kunst der Darstellung, die gleiche Aufmerksamkeit auf die allgem[einen] Strömungen wie auf den Wert des Handelns der Einzelpersönlichkeiten. Seine Auffaßung aber zeichnet sich aus durch die Verbindung gewißenhafter Gerechtigkeit im Urteil u[nd] warmen Intereßes am Gegenstand. Ranke verleugnete nie, daß er ein gläubiger evangel[ischer] Christ war, aber er schrieb keine protestant[ische] Tendenz- u[nd] Parteischriften. Denn indem er Personen u[nd] Ereigniße aus den Bedingungen ihrer Zeit zu verstehen suchte, war es ihm möglich, gerecht zu sein auch über anders Denkende.«

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ten- oder Kulturgeschichte zu schreiben ist, ob die Persönlichkeiten oder die Institutionen hervorzuheben sind, ob Kausalzusammenhänge oder Entwicklungsstufen der menschlichen Gemeinschaften zu untersuchen sind, berührte nach A. Hauck die Kirchengeschichtsschreibung wenig: Das erklärt sich aus dem Gegenstand mit dem wir uns beschäftigen. Er macht es unmöglich das Objekt der Geschichte so enge zu faßen, wie es von der hist[orisch-] politischen Schule zum Theil geschieht, und er macht es auf der anderen Seite unmöglich, daß entwicklungsgeschichtliche Prinzip in der Weise zu verwerten, wie es wol gefordert worden ist. Ich glaube überhaupt nicht, daß die Wahrheit in diesem Streit ausschließlich auf der einen oder anderen Seite ist: es handelt sich vielfach nicht um ein aut-aut. Das wirkliche Leben dünkt mich hier reicher als die Theorie.98

7.2.2 Durchführung Die Epoche der Alten Kirche unterteilte A. Hauck in zwei Perioden. In der ersten Periode stellte er als für die Entwicklung der Kirchengeschichte maßgebliches Betrachtungsfeld die Durchdringung der Welt durch die christliche Sittlichkeit heraus. Er stieg mit einer Beschreibung der religiös-sittlichen Zustände im Römischen Reich zur Zeit Jesu ein, um zu verdeutlichen, dass der christliche Monotheismus dem Polytheismus der griechisch-römischen Antike gegenüber auf religiös-sittlicher Ebene einen Fortschritt brachte und dass das religiöse Verständnis des Neuplatonismus den Verfall der »sterbenden antiken Welt« nicht aufhielt.99 Das Christentum kämpfte um seine Vorherrschaft, weil es die sittlich-religiösen Verhältnisse durch revolutionäre Ansichten verändern wollte.100 Um dauerhaft existieren zu können, musste sich das Christentum eine äußerliche Verfassung geben. Nachdem die christliche Religion ihr nationales Element ausgeschieden hatte, ließ aber nunmehr der moralisierende Zwang der altchristlichen Literatur101 das religiöse Verlangen der Menschen unbefriedigt.102 98

Ebd., Bl. K.G. 11, 3f. Vgl. ebd., Bl. K.G. 20a,3: »Der Glaube an die Götter, der noch vorhanden war, hatte aufgehört als sittliche Kraft zu wirken: er vertrug sich mit der unverhülltesten Sittenlosigkeit. Sollte der Menschheit geholfen werden, so war eine Erneuerung der Religiosität notwendig, eine neue Religion, die die Kraft der sittlichen Verwandlung in sich trug. U[nd] in diesem Moment erschien das Christentum: seine Zeit war erfüllt, [...] weil es der Welt niemals so notwendig war als damals.« 100 Vgl. ebd., Bl. [1. Periode, 2. Kapitel,] 4,3: »Nicht einen neuen Kult[us], aber eine neue Relig[ion] brachte das Christent[um] der Welt. Sie war eine Relig[ion] für den einzelnen u[nd] sie war doch geschichtliche Relig[ion] im höchsten Sinne des Wortes: sie bewärte sich ihm als das Ziel der Wege Gottes in der Welt. [...] In dem allen war das Christent[um] etwas Größeres als die Welt bisher gesehen hatte. Es war die Kraft der Welterneuerung.« A. Hauck griff in seiner Darstellung zurück auf Keim, Rom; Maaßen, Gründe des Kampfes; Uhlhorn, Kampf. 101 Der christlichen Literatur maß A. Hauck eine herausragende, wenn nicht sogar die entscheidende Stellung in Bezug auf die Durchdringung der antiken Kultur mit christlichen Überzeugungen zu, vgl. ebd., Bl. [1. Periode, 6. Kapitel,] 1,1: »Es wurde neulich hervorgehoben, daß das Christentum verhältnismäßig langsam auf dem literarischen Felde Boden gewann. Aber wenn das Christentum die 99

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A. Hauck erkannte dennoch im ethischen Rigorismus und im prophetisch veranlagten Schwärmertum eine geeignete Form, den Verfall der Sitten in der griechisch-römischen Antike aufzuhalten. In der Verweltlichung des Christentums sah er die Chance gegeben, mit gegenwärtigen und zukünftigen Strömungen im Gespräch zu bleiben.103 Weil neben der Kirche als hierarchisch verfasster Institution auch der Verkündigungseifer einzelner Christen in literarischer und lebenspraktischer Form zur Auseinandersetzung mit dem römischen Staatsund Religionsverständnis führte, untersuchte A. Hauck zum einen die Umprägung der Welt und ihrer Kultur durch den christlichen Glauben und zum anderen die Auswirkung christlicher Anschauungen auf den Kultus bzw. auf das Handeln der Christen innerhalb der Institution der Kirche. Er konstatierte, dass der enorme Bedeutungszuwachs des Christentums im sozialen und kulturellen Leben in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts sich zwangsläufig auf das Verhältnis von Kirche und Staat auswirken musste und der Staat die einzige Lösung darin sah, die Vernichtung des Christentums anzustreben. Wollte das Christentum siegen, so musste es vornehmlich auf literarischem und wissenschaftlichem Gebiet beweisen, dass es sich in dieser Welt und in seiner Verfassung behaupten konnte. In der Entwicklung der Kirche104 in dieser ersten Periode ihrer Geschichte erkannte A. Hauck zwei Stränge: zum einen den Strang des Ringens um ein Existenzrecht im Römischen Reich, zum anderen den Strang der Verknüpfung einer neuen religiösen Substanz mit vorfindlichen Prägungen. Mit der Forderung, Ethik und Religion als zwei untrennbare Elemente im Leben eines Menschen zu begreifen, habe das Christentum bewiesen, zur Weltreligion fähig zu sein.105 beherrschende geistige Macht in der Welt werden wollte, dann war es unumgänglich, daß es dem Gebiete der Lit[eratur] nicht fern blieb. Hier mußte es siegen, um die Anschauungen u[nd] Überzeugungen der Menschen sich zu unterwerfen u[nd] zu beherrschen. Daraus ergibt sich die Wichtigkeit der christl[ichen] Literargesch[ichte] für die Kirchengesch[ichte] überhaupt.« 102 A. Hauck bezog sich in seinen Ausführungen auf die Forschungen des Baur-Schülers und Vertreter einer liberalen Theologie A. Hilgenfeld, der die Tendenzkritik der Tübinger Schule um die literargeschichtliche Betrachtung erweiterte und jene damit streckenweise korrigierte, vgl. Hilgenfeld, Ketzergeschichte. A. Hauck behauptete aufgrund literargeschichtlicher Analysen, dass die damalige Welt den religiös-sittlichen Ansichten des Christentums eher zugeneigt gewesen ist als der Mischung von orientalischer Mythologie und christlichem Heilsglauben, wie sie der Gnostizismus propagierte. Mit A. Hilgenfeld widersprach A. Hauck sowohl der These F.Ch. Baurs, dass der Gnostizismus eine Religionsphilosophie ist, als auch A. Harnacks Hellenisierungsthese und betonte die mythischen Wurzeln des Gnostizismus innerhalb des Orients. 103 Vgl. ebd., Bl. [1. Periode, 11. Kapitel,] 3,4: »Indem die kath[olische] K[irche] den Montanism[us] von sich ausstieß, hat sie nicht darauf verzichtet ›heilig‹ zu sein. Aber man fing doch an die Heiligk[eit] der K[irche] nicht mehr in der Reinheit ihrer Glieder sondern in ihren Institutionen zu sehen. Damit war die Möglichkeit eröffnet, daß die K[irche] sich die Welt schickte. Man muß freilich auch sagen: So wurde die Möglichkeit gewahrt, daß sie auf die Welt wirkte.« 104 Seine Ausführungen gründete A. Hauck insbesondere auf Uhlhorn, Liebesthätigkeit; Ratzinger, Geschichte. G. Uhlhorn setzte auf die moralische Besserung aus dem Geist des Christentums. 105 Vgl. ebd., Bl. [1. Periode, 16. Kapitel, 3,] 1f: »Eines lag vor aller Augen. Aus der engen Genoßenschaft der Jünger Jesu Christi war eine religiöse Gemeinsch[aft] geworden, so ausgedehnt, daß

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In der zweiten Periode thematisierte A. Hauck das Verhältnis der Kirche zum Staat und zu den Völkern.106 Er hielt fest, dass die an Traditionen angepasste Organisation einer Reichskirche unter Konstantin dem Großen – dessen Wirken er differenziert beurteilte107 – Bedingung für die Ausbreitung des christlichen Glaubens in den römischen Provinzen gewesen ist. Obwohl er kritisierte, dass die innerkirchliche Herrschaft des Kaisers nicht Folge einer Entwicklung, sondern Schöpfung der Staatsgewalt auf Kosten einer Selbständigkeit der Kirche gewesen ist und dass die Träger staatlicher Gewalt unfähig waren, die Einheit der Kirche zu sichern, hob er positiv hervor, dass die enge Verknüpfung von Kirche und Staat dazu führte, dass sich die Interpretation des Christentums als Erlösungsreligion durchsetzen zu konnte – gefördert vom segensreichen Wirken eines Mönchtums, das die dogmatischen Erkenntnisse praktischtheologisch transformierte.108 Hatten kirchenpolitische Machtverhältnisse und spekulatives Denken zur Vollendung des byzantinischen Staatskirchentums geführt, so gründete nach Ansicht A. Haucks die kirchliche Macht Roms auf ethisch-sittlichen und theologischen Anschauungen. Hierin erkannte er den Dreh- und Angelpunkt der Entwicklung der Kirche bzw. des Papsttums und der Kulturgemeinschaft der Völker.109 Nach Ansicht A. Haucks begünstigte das politische Machtvakuum nach 476 die inner- und außerkirchliche Machtstellung des Papsttums.110 keine Volksreligion mit ihr zu wetteifern im Stande [war]. [...] Das Christent[um] war zur Weltreligion geworden. Dieses Ziel war erreicht unter dem härtesten Ringen mit dem Volk und der Staatsgewalt: es ist eine Tatsache, zu der es in der Gesch[ichte] keine Parallele gibt, daß das Christent[um] ohne jede Gewalttat, blos durch seine innere Kraft, besonders durch die Kraft zu dulden, die Träger der Staatsgewalt nötigte, es als berechtigt im röm[ischen] Reiche anzuerkennen. Indem das geschah, hatte sich eine zweite Entwickelung vollzogen: als das Christent[um] auf den Schauplatz trat, war es eine rein religiöse Gemeinsch[aft]. Aber dieselbe bewies alsbald das Vermögen, alle Bildungsformen der antiken Welt sich anzueignen: Literatur u[nd] Philosophie, Dichtung u[nd] bildende Kunst: nichts von dem allen blieb dem Christent[um] fremd. Auch darin wurde es zur Weltreligion, daß es alle diese Bildungsformen sich zu eigen machte.« 106 A. Hauck stützte seine Ausführungen auf Burckhardt, Zeit; Schultze, Geschichte. 107 Vgl. HUBL, Ms 0939 III, »Alte Kirchengeschichte II« Bl. [2. Periode, 1. Kap.,] Ergänzung B: »Durch seine Förderung der K[irche] legte Konstantin den Grund zum Staatskirchentum, zu jener Verbindung zw[ischen] Staatlichem u[nd] Kirchlichem, wie sie bis auf unsere Zeit die öffentlichen Verhältniße beherrscht hat u[nd] noch beherrscht. Nach der einen Seite erwuchs dadurch der K[irche] eine mächtige Förderung; allein nach der anderen Seite darf man doch auch nicht blind sein für die Schattenseite, die das hatte: nun wurden kirchl[iche] Zwecke mit ser unkirchlichen Mitteln verfolgt: das was nur Wert hat als freie Äußerung des Gl[aubens] wurde geboten als staatliches Gesetz. [...] Achtet man darauf, dann sieht man die Schattenseiten dieses Fortschritts: die Kirche bezalte die Gunst, die ihr von dem Herrscher widerfur, mit einem gr[oßen] Teil ihrer Freiheit u[nd] Selbständigkeit.« 108 Vgl. ebd., Bl. [2. Periode, 7. Kap.,] 1,1: »Keine andere Institution hat auf die sittl[ichen] Anschauungen sowol der alten als der m[ittel]a[lterlichen] K[irche], zum Teil selbst noch der Gegenwart einen so tiefgehenden Einfluß ausgeübt.« In seinen Ausführungen über das Mönchtum griff A. Hauck zurück auf J.A. Möhler, Geschichte; Weingarten, Ursprung; A. Harnack, Mönchthum. 109 Vgl. ebd., Bl. [2. Periode, 13. Kap.,] 1,1. A. Hauck griff zurück auf Planck, GesellschaftsVerfassung; Langen, Geschichte; Baxmann, Politik. 110 Vgl. ebd., Bl. [2. Periode, 13. Kap.,] K.G. 59,1: »Die Idee des Papstt[ums] beherrschte die Gemüter, u[nd] mit ihr hatte sich bereits die andere die der italien[ischen] Unabhängigk[eit] verbunden:

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Da der Erlanger Kirchenhistoriker die innere Entwicklung der Kirche nach der Maßgabe beurteilte, inwieweit sie auf die Sitte und die Sittlichkeit eines Volkes einwirkte, stellte er ihr in der Zeit Konstantins ein denkbar ungünstiges Zeugnis aus: Zwar hat das Christentum auf »ideale Gemeinschaften« wie Recht, Wissenschaft und Kunst gewirkt, das Rechtsbewusstsein und die Sittlichkeit des Volkes hat es aber weder erneuert noch durch christliche Anschauungen bereichert. Dennoch würdigte A. Hauck die enge Verbindung von Staat und Kirche, weil sie das Christentum in den Mittelpunkt der Kulturentwicklung und -geschichte hineingestellt und seine Ausbreitung befördert hatte: »Es ist diejenige Bewegung, die in ihrem Verlauf zum Untergang der alten Welt fürte; u[nd] auf der andererseits die moderne Welt entsprang.«111 Differenziert betrachtete A. Hauck schließlich die Entwicklung der Alten Kirche: So wird man auch hier Fortschritt u[nd] Rückschritt nebeneinander erkennen dürfen. Unverkennbar aber ist, was diese Jahrhunderte der allgem[einen] Entwicklung der Menschheit geleistet haben: sie haben das Christent[um] den Germanen überliefert. Sie aber u[nd] die durch sie erneuerten roman[ischen] Nationen wurden die Träger einer neuen Welt.112

Im Übergang zum Mittelalter identifizierte A. Hauck eine gewisse Diskontinuität:113 Sicherte die antike Kultur die Einheit Europas, so führte die ethnographische Entwicklung zur Aufspaltung der Welt in Nationen. Um die Entwicklung der Kirche in der »Fränkischen Zeit« zu beschreiben, richtete der Kirchenhistoriker sein Augenmerk wiederholt auf das Staat-KircheVerhältnis und auf die Sittlichkeit sowie die Rechtssatzungen.114 A. Hauck würdigte den fränkische König Chlodwig, weil dieser die nationalen Eigenheiten des fränkischen Volkes von der römischen Kultur durchdringen ließ und die Kooperation mit der katholischen Kirche einleitete, ohne vorhandene kirchliche Organisationen und Glaubensüberzeugungen preiszugeben. A. Hauck schätzte Hier liegt der Grund, wesh[alb] das Papstt[um] als eine unüberwindliche Macht in das Mittelalter überging; es war nicht eine gewaltsame, den Verhältnißen aufgezwungene Gründung, sondern geworden durch die Notwendigk[eit] der Umstände u[nd] die zielbewußte, konsequente Tätigkeit der bedeutendsten Männer u[nd] getragen durch die Überzeugung des V[olkes].« 111 Ebd., Bl. [2. Periode, 16. Kap.,] 13,1. 112 Ebd., Bl. [2. Periode, 14. Kap.,] 21,2. 113 Vgl. HUBL, Ms 0940 I, »Mitteralterliche Kirchengeschichte I«, Bl. [M.A. 1,] 1f: »Das M[ittel]A[lter] ist nun nicht die gerade Fortsetzung des Altertums. Man sagt, daß die Geschichte beherrscht wird durch das Gesetz der Entwicklung. Das ist auch richtig, aber nur bis zu einem gewißen Grad. Denn nicht ganz selten wird die Entwickelung unterbrochen durch Katastrophen, sei es daß diese durch die Zustände auf dem Entwicklungsgebiete selbst hervorgerufen sind – wie etwa die französische Revolution – sei es, daß dieselben verursacht sind durch den Zusammenstoß von Kräften, die sich bis dahin entwickelten, ohne sich zu berühren. Unter einer solchen Katastrophe bricht die Entwickelung des Altertums zus[ammen]: es ist die s[o] g[enannte] Völkerwanderung.« 114 A. Hauck griff zurück auf Löbell, Gregor von Tours; Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands; Loening, Geschichte; Friedrich, Kirchengeschichte Deutschlands; Green, Geschichte; Ebert, Geschichte; Langen, Geschichte; Hegel, Geschichte; Gregorovius, Geschichte; Reumont, Geschichte; Baxmann, Politik.

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auch das Wirken der iroschottischen und angelsächsischen Missionare hoch ein, weil es ihnen gelang, die religiösen und sittlichen Zustände der Völker Europas zu heben, sittlich gefestigte, d.h. durch Rechtssatzungen legitimierte Verhältnisse zu befördern sowie eine grundlegende literarische und kulturelle Bildung zu vermitteln. Mit Vergleichen der nationalen Kirchen untereinander arbeitete A. Hauck heraus, dass das Christentum nationale Unterschiede der Völker ausglich und auf das kulturelle Leben Europas kontinuierlich einwirkte. Als die Kirche aber ihren bis dahin stabilisierend wirkenden Faktor, die weltliche Herrschaft des Frankenreiches, verlor, zeigte der Erlanger Historiker in der Intervention angelsächsischer Missionare neue Perspektiven für die Entwicklung der Kirche auf:115 Bonifatius setzte auf das Papsttum, um eine zukunftsfähige Kirchenorganisation aufzubauen, die das religiös-sittliche und damit auch politische Leben aus der Kulturfähigkeit des Christentums herleitete. Diese kirchenpolitische Perspektive und die daraus folgenden diametral entgegenstehenden Machtansprüche des Papsttums und des Kaisertums beherrschten die Entwicklung des Mittelalters.116 A. Hauck meinte, dass die unvollendet gebliebene Durchsetzung des päpstlichen Anspruchs auf die kirchliche und weltliche Herrschaft – sie beruhte auf Rechtssätzen, die zeitimmanenten Tendenzen widersprachen – am Ende des neunten Jahrhunderts zum Niedergang des Papsttums führen musste. Dass sich dieser Niedergang nicht auf die Organisation und auf die moralischen Anschauungen der Kirche auswirkte, lag seiner Ansicht nach darin, dass die Nationen durch ihre Kultur den christlichen Glauben als Erlösungsreligion verinnerlicht und der Kirche apriorisch die letztgültige moralische Autorität zugebilligt hatten. Letztlich arbeitete A. Hauck heraus, dass die »Fränkische Zeit« zwei Grundlagen für die Entwicklung der Kirche legte: Erstens löste die kirchliche und kulturelle Einheit der abendländischen Völker die politische Einheit des Römischen Reiches ab, zweitens ließ die wissenschaftliche Theologie auf dem Gebiet der Kirchenlehre nationale Neubildungen zu. Die »Päpstliche Zeit« beschrieb A. Hauck vornehmlich am Niedergang und Aufstieg der Institution des Papsttums.117 Seiner Vorstellung vom Papsttum entsprechend, sah er dessen Aufstieg religiös-sittlich bedingt: Heinrich III. ermöglichte die Reform kirchlicher Zustände, indem er die moralische Autorität des Papsttums intensivierte; erst als in der Regentschaft Heinrichs IV. ein Machtvakuum auftrat, konnte das Papsttum neben den kirchlichen auch weltli115 Vgl. HUBL, Ms 0940 I, »Mitteralterliche Kirchengeschichte I«, Bl. M.A. 23,3: »Es ist ein weltgeschichtliches Ereignis ersten Ranges, daß die angelsächs[ische] Kirche sich der Verpflichtung, die ihr die Verhältniße auflegten, nicht entzog, sondern daß sie beßernd u[nd] fördernd in die kontinentalen Verhältniße eingriff.« 116 Vgl. ebd., Bl. M.A. 40,1: »Seit Karl die Kaiserkrone trug, standen die beiden Mächte neben einander, deren Zusammenwirken u[nd] Gegeneinanderwirken die K[irchen] [Geschichte] des Mittelalters bewegt hat: das Kaisert[um] u[nd] das Papstt[um].« 117 A. Hauck stützte seine Ausführungen auf Watterich (Hg.), Pontificum Romanorum; Höfler, Welt; Krusch, Studien; Munch, Aufschlüsse; Cruel, Geschichte.

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che Herrschaftsansprüche und das kanonische Recht durchsetzen.118 Schädigte nach Ansicht A. Haucks zwar der Kampf zwischen Sacerdotium und Imperium119 die Frömmigkeit und Religiosität der Völker, so entfaltete sich aber währenddessen eine intensive wissenschaftliche Arbeit, die die geistliche und moralische Autorität des Papsttums in Europa auch theologisch begründete: Die Folge war, daß als das Kaisert[um] erneuert wurde, die Einheit des Imperiums eine Fiktion, die Einheit der K[irche] eine Tatsache war. Dadurch befand sich die letztere dem Kaisert[um] gegenüber im unendlichen Vorteil. Das war von Anfang an für den Kampf zwischen beiden Mächten ausschlaggebend.120

A. Hauck identifizierte in der Folgezeit Symptome, die auf eine allmähliche Loslösung des Volksgeist von der Unterordnung unter die Hierarchie hinwiesen: Scholastik121 und mönchische Mystik122 standen sich als unter- und aufgehende Tendenzen entgegen. Letztlich konstatierte der Kirchenhistoriker den Niedergang der moralischen Autorität des Papstes, weil das Papsttum den Kampf um die Universalherrschaft bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts nicht für sich entscheiden konnte, und resümierte: Wir stehen damit am Ende der 2. Periode der m[ittel]a[lterlichen] Kirchengeschichte. In mancher Hinsicht ist sie einer der anziehendsten Gegenstände der histor[ischen] Forschung. Denn es gibt kaum ein zweites Beispiel, das in ähnlich klarer Weise zeigt, wie eine [Hervorhebung im Original] Idee zuerst um die Herrsch[aft] in der Menschh[eit] kämpft, dann dieselbe erreicht u[nd] sie schließlich doch nicht zu behaupten vermag. Es war die Idee von der Herrsch[aft] der Kirche in der Welt.123

In die dritte Periode der mittelalterlichen Kirchengeschichte führte A. Hauck mit der Niederlage Bonifatius’ VIII. im Streit um die Universalherrschaft ein.124 Er lobte den Beschluss des Frankfurter Reichstages, eine freie, vom Papst unabhängige Wahl eines deutschen Königs gesetzlich zu verbriefen, weil hierin das Volk die gesetzgebende Gewalt erlangte.125 Würdigte der Erlanger Kirchen118 Vgl. HUBL, Ms 0940 II, »Mitteralterliche Kirchengeschichte II«, Bl. M.A. 88,4: »Man wird selten deßen so unmittelbar inne, wie wenig die menschlichen Handlungen in der Weltgeschichte bedeuten als in diesem Moment. Nicht der größte Erfolg hätte dem Papstt[um] ein solches Übergewicht der Macht verleihen können, als ihm durch den Tod eines Mannes verliehen wurde.« 119 Für die Darstellung des Investiturstreites griff A. Hauck zurück auf J. Voigt, Hildebrand; Floto, Kaiser; Giesebrecht, Geschichte I; Ranke, Weltgeschichte. 120 Ebd., Bl. M.A. 111a,A. 121 A. Hauck griff zurück auf Denifle, Universitäten; G. Kaufmann, Universitäten; Prantl, Geschichte. 122 A. Hauck griff zurück auf Preger, Geschichte. 123 HUBL, Ms 0940 II, »Mitteralterliche Kirchengeschichte II«, Bl. [Kap.20,] letztes Blatt der Vorlesung. 124 A. Hauck griff zurück auf Höfler, Päpste; Riezler, Widersacher; K. Müller, Kampf; Preger, Kampf; Pastor, Geschichte. 125 Vgl. HUBL, Ms 0940 III, »Mitteralterliche Kirchengeschichte III«, Bl. [1. Kap.,] 3, Ergänzung 14: »Dem päpstl[ichen] Absolutismus tritt ein ebenso unbeschränkter Absolutism[us] der Majorität des V[olkes] gegenüber. [...] Es waren zunächst nur Gedanken; denn nirgends wurden die Verhältniß

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historiker, dass J. Wyclif vom nationalen Standpunkt aus mit dem hierarchischen Kirchenbegriff des Mittelalters brach, so kritisierte er die Reformideen J. Hus’, da sie das nationale Element zu stark betonten und im mittelalterlichen Gedankenkreis verhaftet blieben.126 Die Kurie schien äußerlich zwar einen Sieg errungen zu haben, aber dieser Sieg war, so A. Hauck, kein »Sieg im Reich der Ideen« gewesen. An die Stelle des Kaisergedankens sah er die Idee des Nationalstaates treten, die Idee des Papsttums löste sich gänzlich auf:127 »In dem allen liegt, daß der werdende moderne Staat auf den verschiedensten P[unkt]en gegen die kirchl[iche] Rechtsanschauung angieng. Die m[ittel]a[lterliche] Vorstellung über das Verhältnis der beiden Gewalten war unrettbar verloren.«128 Dass das Papsttum und die katholischen Orden nicht mehr den Vorstellungen der Zeit entsprachen, erklärte er mit der Veränderung des Kulturlebens im 14. Jahrhundert.129 Prangerten H. Savonarola und J. Wessel130 innerhalb der Kirche den Verfall christlicher Sitten an, so fanden auch außerhalb der Kirche asketische Vereine ihren Ort: Sie entsprachen der Tendenz der Zeit, übten mit ihrer Erbauungsliteratur einen positiven Einfluss auf die Volkssittlichkeit aus und hielten das religiöse Bedürfnis im Volk aufrecht. A. Hauck resümierte daher: Die weltbeherrschende K[irche] hatte sich unfähig bewiesen, den Gl[auben] u[nd] die Religion auf Erden zu bewahren. Das Ende war die Frage, sollte der Gl[auben] ganz überwuchert werden vom Abergl[auben], sollte er ganz überwunden werden vom Ungl[auben]? Die göttl[iche] Antwort auf diese Frage war die Reformation.131

In die Geschichtsbetrachtung der neuen Zeit führte A. Hauck mit der Reformation als einer großen kirchlichen Umwälzung ein, die eine neue Frömmigkeit, eine neue Sittlichkeit und eine neue Theologie bewirkte,132 und endete mit der Französischen Revolution als einer »politischen u[nd] sozialen Umwälzung«.133 ihnen gemäß gestaltet. Aber man darf die Macht eines einmal Ausgesprochenen, dem Zug der Zeit entsprechenden Gedanken nicht unterschätzen: nach u[nd] nach verschafft er sich Geltung: wenn im Jahrh[undert] vor der Reform[ation] überall die weltl[ichen] Obrigkeiten in alle kirchl[ichen] Dingen eingreifen u[nd] über dieselben bestimmen, so entspricht dies Verfaren, den im defensior pacis am Anfang uns[erer] Per[iode] ausgesprochenen Gedanken.« 126 Vgl. ebd., Bl. [Kap. 4,] 1,2. 127 Vgl. ebd., Bl. [Kap. 12,] 8,1: »Das Papstt[um] war unter den letzten Päpsten auf einem Punkte angekommen, daß die Zersetzung der Idee u[nd] die Auflösung der Institution unabwendbar schien, wenn es auf diesem Wege weiter gieng.« 128 Ebd., Bl. [Kap. 12,] 9,4. 129 Vgl. ebd., Bl. [Kap. 12,] 1,1: »Wärend die K[irche] im Kreise der m[ittel]a [lterlichen] Gedanken u[nd] Anschauungen fortlebte, wurde die Welt, in der sie lebte eine neue.« A. Hauck griff zurück auf Burckhardt, Cultur; G. Voigt, Wiederbelebung. 130 A. Hauck griff zurück auf Ranke, Savonarola, 181–357; Ullmann, Reformatoren. 131 HUBL, Ms 0940 III, »Mitteralterliche Kirchengeschichte III«, Bl. [Kap. 16,] 6,4. 132 Vgl. HUBL, Ms 0941 I, »Kirchengeschichte: Reformation I«, Bl. [Einleitung,] 1, Anmerkung A: »In dem Zeitalter der Reformation ist überall die reformator[ische] Richtung die aggreßivere, vordringende: aber das Resultat ist doch, daß es ihr nicht gelingt die Alleinherrschaft zu erkämpfen: [...].« 133 Ebd., Bl. [Einleitung,] 1,1. A. Hauck griff zurück auf Ranke, Deutsche Geschichte; Bezold, Geschichte; Egelhaaf, Deutsche Geschichte; Janssen, Geschichte.

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Wiederholt beschrieb der Erlanger Kirchenhistoriker anfangs die kirchlichen Zustände.134 Er kritisierte, dass das Renaissancepapsttum die religiöse Empfindsamkeit des Volkes für seine eigenen Interessen missbrauchte und dass auch die deutschen Stände als Träger des Reformgedankens diese religiöse Empfindsamkeit nicht dahingehend beeinflussten, das Wesen des Christentums zu begreifen. Nach Meinung A. Haucks hat erst M. Luther135 Wege aus dieser mittelalterlichen Frömmigkeit gewiesen, indem er auf Tendenzen der Zeit einging, die das Papsttum willentlich missachtete. Lösten Tendenzen im Volk demnach die Reformation aus, so erwartete der Historiograph vom Staat, diese Tendenzen politisch und institutionell zu festigen. Da es das Kaisertum nicht vermochte, die religiöse Einheit der Völker zu sichern, da sich die Reformatoren theologisch und politisch uneins waren und da sich auch das religiöse mit dem sozialen Element zunehmend vermischte, musste für A. Hauck die Ausbreitung des Reformationsgedankens und damit die religiöse Erneuerung der Menschheit Europas zwangsläufig scheitern. Seines Erachtens hat erst die Bildung von Landeskirchen eine Lösung im innerprotestantischen Streit herbeigeführt. Damit wurde der Territorialismus für die Durchführung des Reformationsgedankens bedeutend.136 Dieser förderte die Religiosität und Sittlichkeit des deutschen Volkes. Da an die Wiederherstellung der Einheit der Kirche nur unter Gewaltanwendung gedacht worden war, würdigte A. Hauck den Nürnberger Religionsfrieden ausgesprochen positiv. Doch die gegensätzlichen religiösen und kirchenpolitischen Einstellungen mussten zwangsläufig zum Krieg zwischen Protestantismus und Katholizismus führen, der in der Katastrophe des Schmalkaldischen Bundes endete und dennoch später – gestützt auf die »Überzeugungstreue des prot[estantischen] Volkes« – den Religionsfrieden von 1555 ermöglichte: »Der Prot[estantismus] blieb eine unüberwindliche Macht in Deutschl[and] u[nd] in der Welt. Die Einheit der K[irche] im röm[ischen] Sinn ist zerstört für immer. Der Rel[igions]Friede v[on] 1555 besiegelt den Untergang des M[ittel]A[lters].«137 Der Erlanger Kirchenhistoriker schätzte die Bedeutung der Reformation hoch ein: Die christliche Religiosität basierte nunmehr auf dem Gewissen des 134

A. Hauck griff zurück auf A. Baur, Deutschland. Zu M. Luther vgl. HUBL, Ms 0941 I, »Kirchengeschichte: Reformation I«, Bl. [Kap. I,] 3,1: »Man nennt Luther den Reformator der deutschen K[irche]. Mit Recht. Denn seine gewaltige Persönlichkeit hat die mächtige Bewegung, aus der die neue Zeit entsprang, entbunden. Gerade ihm gegenüber ist es klar, wie viel in der Gesch[ichte] auf das Thun der freien Persönlichkeit ankommt. Aber ebenso viel kommt es an auf die Verhältnisse unter denen eine Mann wirkt, auf die Zustände, die er nicht schafft, sondern die er findet. Auch bei Luther muß man urteilen: er konnte nur desh[alb] Großes wirken, weil die Zeit für ihn bereit war.« 136 Vgl. HUBL, Ms 0941 II, »Kirchengeschichte: Reformation II«, Bl. Kap. VI, §2, [1,]1: »Die Bildung einer gesonderten evangel[ischen] Kirche neben der katholischen lag im Beginn der reformat[orischen] Bewegung gänzlich außerhalb der Ziele, ja der Gedanken der fürenden Persönlichkeiten. Die Entwicklung, welche die Reformation unter dem Widerspruch der Autoritäten in K[irche] u[nd] Staat genommen hatte, fürte dazu.« 137 Vgl. ebd., Bl. [Kap. X, §3,] 7,2. 135

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Einzelnen, die innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten138 trieben die Theologie voran und religiös-sittliche Elemente des Christentums durchdrangen das Kulturleben und die Entwicklung kirchlichen Handelns. Aus diesen Gründen würdigte A. Hauck auch die Wirkung der von J. Calvin ausgehenden Reformation.139 In der Abhängigkeit der Reformation von geographischen, politischen und kulturellen Bedingungen sah der Historiograph den entscheidenden Grund für ihren Verlauf durch Europa.140 Eine Wiedervereinigung der getrennten Kirchen habe der Augsburger Religionsfriede unmöglich werden lassen. Die zweite Periode bezeichnete A. Hauck sowohl als Zeit der Orthodoxie als auch als Zeit der Restauration der römisch-katholischen Kirche, die auf das Volksempfinden durchschlug, weil ihre Bischöfe für die Religiosität ihrer Gemeinde Sorge trugen.141 Gewichtige Gründe für den Beginn und den Verlauf des Deißigjährigen Krieges142 sah der Erlanger Historiker in den unterschiedlichen politischen und kirchlichen Interessen der Nationen und ihrer Führer. Es sei letztlich Gustav II. Adolf von Schweden zu verdanken, dass er die Gefahr der Überwältigung des Protestantismus endgültig beseitigt hat. Den Friedensvertrag von 1648 würdigte A. Hauck, da mit ihm das gegenseitige Verhältniß der beiden Konfeßionen in Deutschland für 1½ Jahrh[underte] im wesentlichen zum Abschluß gekommen [ist]. Erst die politischen u[nd] wirtschaftlichen Veränderungen seit der [Französischen, M. T.] Revolution haben die Lage umgestaltet; doch sind die Nachwirkungen des alten Zustands immer noch zu bemerken. Prinzipiell bedeutete der Friede v[on] 1648 keinen Fortschritt im Vergleich mit dem von 1555. Denn das Prinzip der Parität der Stände, das dort aufgestellt war, blieb auch hier herrschend. Es bedurfte einer völligen Umgestaltung der Kulturverhältniße, um den Gedanken der Relig[ions]freiheit des einzelnen zur Durchführung zu bringen.143

Weil die kulturelle Prägekraft des Protestantismus in Frankreich im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte vernichtet worden sei,144 musste Frankreich 138

A. Hauck griff zurück auf Frank, Theologie; Walch, Einleitung; Planck, Lehrbegriffs; Thomasius, Dogmengeschichte; Dorner, Geschichte. 139 Vgl. HUBL, Ms 0941 II, »Kirchengeschichte: Reformation II«, Bl. [Kap. XIII, §1,] 1,2: »Ihm verdankt sie es, daß ihr Einfluß sich auf einen weiteren Kreis von Nationen ausdente als der der deutschen Reformation. Für die weltgesch[ichtliche] Betrachtung trat nun die reform[ierte] Kirche in die erste Linie vor die lutherische.« 140 Vgl. ebd., Bl. [Kap. XV,] §4, 1,1: »Man sagt wol nicht zu viel, wenn man behauptet, daß bei den Schotten mehr als bei allen übrigen europäischen Nationen die religiöse Anlage entwickelt ist. Das hat sich, wie im M[ittel]A[lter], so in der Reform[ations]zeit, nicht minder auch in der Gegenwart bewärt.« 141 Vgl. HUBL, Ms 0941 III, »Orthodoxie«, Bl. [2. Periode, Abschnitt1, Kap. 1, §2, 1,] 4: »In den drei nächsten Jahrzehnten nach dem Relig[ions]Frieden wurde der deutsche Kathol[izismus] umgestaltet, es wurde die engste Beziehung zu Rom wiederhergestellt, der Episkopat u[nd] der Klerus erneuert, das Volk mit neuem Vertrauen zu seiner K[irche] erfüllt.« 142 A. Hauck griff zurück auf Gindely, Illustrierte Geschichte; Pütter, Geist. 143 HUBL, Ms 0941 III, »Orthodoxie«, Bl. [2. Periode, Abschnitt 1, Kap. 2, 3,] Anmerkung. 144 Vgl. ebd., Bl. [2. Periode, Abschnitt 2, Kap. 8,] 1,1: »Die Vernichtung der reformirten Kirche in Frankreich war der schwerste Schlag, der den Protest[antismus] als europ[äische] Macht jemals

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seine Führungsrolle als europäische Kulturnation an England unter O. Cromwell weiterreichen. Doch musste A. Hauck anerkennen, dass das Papsttum einen Höhepunkt seiner Macht erklommen hat, indem es den Wunsch des Volkes nach der Einheit der Kirche zu befriedigen gedachte. Seine Machtausdehnung scheiterte aber wiederholt an seiner grundlegenden Kulturfeindlichkeit.145 Die Hochachtung dafür, dass während des Dreißigjährigen Krieges die sittlichen und religiösen Zustände im deutschen Volk nicht gänzlich verdarben,146 gestand A. Hauck dem evangelischen Pfarrstand zu: Seine Erbauungsliteratur rettete das Christentum für das deutsche Kulturleben. Demgegenüber schadete seines Erachtens gerade die literarische Leistung der lutherischen Orthodoxie der Entwicklung der Frömmigkeit und der Theologie.147 In der dritten Periode verfolgte A. Hauck die Entwicklung des Toleranzgedankens. Er räumte ihm ein, eine Wiedervereinigung der getrennten Kirchen zu bewirken.148 Obwohl er für dieses Ansinnen Chancen gerade in den modernen Anschauungen des Staat-Kirche-Verhältnisses erblickte,149 erkannte er scharfblickend, dass der konfessionelle Gegensatz vor allem in unausgleichbaren religiösen und damit auch kulturellen Überzeugungen lag.150 Diese zu überwinden, boten nach Meinung A. Haucks der Pietismus151 und die Aufklärung Gelegenheiten: Der Pietismus beabsichtigte, die kirchliche Lehre umzugestalten, die Aufklärung, Weltanschauungen zu revidieren. In der Aufklärung sah der Erlanger Kirchenhistoriker zunächst einen Angriff auf die Herrschaft der Autorität getroffen hat. Wenn man, wie es doch notwendig ist, die Dinge vom weltgeschichtl[ichen] Standpunkt aus beurteilt, so wurde dadurch die Kraft des Protestantismus weit mehr geschwächt als durch alle Erfolge der Gegenreformation in Deutschland.« 145 Vgl. ebd., Bl. [2. Periode, Abschnitt 3, Kap. 11, 1,] 4: »Die Kurie suchte u[nd] wähnte die Herrsch[aft] über den Geist der Zeit noch fest zu halten: sie merkte nicht, daß sie sie bereits verloren hatte.« 146 Vgl. ebd., Bl. [2. Periode, Abschnitt 1, Kap. 3,] Blatt A,2: »Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß es seit der Völkerwanderung in Europa kein ähnliches Beispiel von Kulturvernichtung gibt, wie sie der 30järige Krieg in unserem Vaterland herbeigeführt hat.« 147 Vgl. ebd., Bl. [2. Periode, Abschnitt 1, Kap. 5, §3, 9,] 2f: »Eine Wißenschaft die nur das Vorhandene wahren will, verurteilt sich selbst zu Tode: denn das Leben besteht eben in der Weiterentwicklung.« 148 Vgl. ebd., Bl. [3. Periode, Abschnitt 1, Kap. 3, 1,] Anmerkung 5: »In dem allen liegt die beginnenden Vernichtung des Zustands, daß die polit[ische] Grenze zugleich kirchl[iche] Grenze war. Ein großer Fortschritt!« 149 Vgl. ebd., Bl. [3. Periode, Abschnitt 1, Kap. 4,] a,1: »Die Toleranz verschiedener Kulte in demselben Staate und ihre unvermeidliche Konsequenz: die Religionsfreiheit entsprach durchaus den Forderungen, die aus der tatsächlichen kirchl[ichen] Lage Europas hervorgingen. Es ist nun aber begreiflich, daß der kirchliche Idealismus sich an der Erreichung des notwendigen u[nd] möglichen Ziels nicht begnügte, sondern darüber hinaus nach der Erreichung eines unmöglichen strebte: der Wiederausgleichung der kirchlichen Spaltung.« 150 Vgl. ebd., Bl. [3. Periode, Abschnitt 1, Kap. 4,] a,4: »Man kann kaum bezweifeln, daß sie [die kirchliche Trennung, M. T.] bestehen bleiben wird, so lange die europäische Kulturwelt ihre jetzige Gestalt trägt.« 151 A. Hauck griff zurück auf Schmid, Geschichte; Tholuck, Geschichte; Heppe, Geschichte; Ritschl, Geschichte.

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und der religiösen Weltbetrachtung,152 der zum Verfall der Sittlichkeit beitrug. Später würdigte er die Aufklärung, weil sie die naturwissenschaftliche Methode in der theologischen Wissenschaft verankerte. Obwohl es ihr nicht gelungen sei, die Rechtsgültigkeit der kurialistischen Idee zu bestreiten, habe sie dazu beigetragen, die Herrschaft der römisch-katholischen Kirche über die Anschauungen der gebildeten Kreise am Ende des 18. Jahrhunderts zu erschüttern.153 A. Hauck bewertete den Ertrag Periode differenziert: Negativ beurteilte er die Erschütterung der Glaubensgewissheit und der religiösen Weltbetrachtung, positiv würdigte er die kulturelle Überlegenheit des Protestantismus über den Katholizismus. Zudem ergänzte er: Viel wichtiger als das ist aber, daß das 18. Jahrh[undert] der Welt die geistige Befreiung des Individuums gebracht hat. Das ist gerade für die Religion die wichtigste Gabe: die Religion ist selbst das Individuellste was es gibt. Eine Frömmigk[eit], die nur Sitte, verdient den Namen der Relig[ion] kaum. Damit ist auf den schwachen P[unkt] in der Frömmigk[eit] der vorhergehenden Periode hingewiesen.154

Der Kirchengeschichte im 19. Jahrhundert näherte sich A. Hauck zunächst theologiegeschichtlich, dann zunehmend kirchenhistorisch.155 Um den Knotenpunkt 1800156 erkannte er verfassungspolitische, wirtschaftlich-soziale, kulturelle und theologiegeschichtliche Brüche. Gründe dafür lagen nach Meinung A. Haucks in der Aufklärung, »dieser größten Revolution auf dem Gebiete des geistigen Lebens«,157 die auch für den Rückgang der Religiosität verantwortlich sei.158 In der Orthodoxie demgegenüber fand der Erlanger Theologe die Erbin 152 Vgl. HUBL, Ms 0941 III, »Orthodoxie«, Bl. [3. Periode, Abschnitt 3, Kap. 10,] 2, Anmerkung 1: »Das für die Aufklärung Charakteristische tritt in allen diesen Erscheinungen klar hervor. [...] Man war nicht im Stande das Historisch-Gewordene in seinem Wert u[nd] seiner Bedeutung zu erfaßen: [...]. Hinzu kommt der Intellekt der Aufklärer: Sie lösten das Christent[um] in Moral auf u[nd] sie lebten der Überzeugung, daß es nur der richtigen Belerung bedürfe, um das richtige Leben herbei zufüren. Zu Grunde lag eine Unterschätzung der Macht des Bösen. Damit zusammen hängt der Individualism[us] der Aufklärung: man betrachtete die M[enschen] nur als Einzelindividuen: daß jeder bedingt u[nd] getragen ist durch die Gesammtheit, das war ein Gedanke, der vollständig felte.« 153 Vgl. ebd., Bl. [3. Periode, Abschnitt 3, Kap. 17,] 2,1: »Die Tatsache, daß die kath[olische] K[irche] weder im Äußeren noch im Inneren, weder in polit[ischer] noch in kultureller Hinsicht die Welt mehr beherrschte, stand am Ausgang des 18. Jahrh[undert]s vor aller Augen klar zu Tage. [...] Das Übergewicht, das der Katholiz[ismus] eine Zeit lang in der Welt gehabt hatte, war zerstört. Das ist ein Ertrag dieser Periode für die Gestammtkirche.« 154 Ebd., Bl. [3. Periode, Abschnitt 3, Kap. 17,] 3,2. 155 A. Hauck las in Erlangen im SH 1879 und im SH 1882 über die Geschichte der protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts dreistündig, im SH 1885 und im SH 1887 über die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts ebenfalls dreistündig. 156 A. Hauck lehnte es ab, die Aufklärung als Knotenpunkt zu interpretieren, weil er die Kirche als eine handelnde Korporation und nicht als Lehranstalt betrachtete, vgl. HUBL, Ms 0941 IV, »19. Jahrhundert«, Bl. [1], 3. 157 Ebd., Bl. 5a,1. 158 Vgl. HUBL, Ms 0934, »Neuere Theologie«, Bl. N.Th. 1,1: »Vergegenwärtigt man sich den Zustand der theolog[ischen] Wißensch[aft] auf dem Gebiete des deutschen Protestant[ismus] gegen den Ausgang des vorigen Jahrh[underts] [des 18. Jahrhunderts, M. T.], so kann man nicht anders urteilen als

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der christlichen Wahrheit, weil sie das Verhältnis von Sünde und Gnade thematisierte, und in der Philosophie des Idealismus wirkungsmächtige Elemente, die die Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts positiv beeinflussten.159 Dennoch trugen statt der theologischen Wissenschaft, in der sich Protagonisten mit ihren Anschauungen diametral entgegenstanden, Tendenzen im Volk zum Aufschwung der Religiosität bei. Als der Rationalismus seine Anziehungskraft auf die Zeitströmung verlor, wie A. Hauck am Beispiel des rationalistisch gesinnten Kirchengeschichtsschreibers G.J. Planck verdeutlichte,160 gewann der Supranaturalismus an Einfluss. A. Hauck würdigte R. Rothe, weil er die spekulative Methode meisterhaft anwandte und die Glaubenstatsachen realistisch begründete. Ebenfalls segensreich wirkte in den Augen des Erlanger Kirchenhistorikers der Lutheraner E.W. Hengstenberg, weil er die kirchlich autorisierten Überlieferungen mit den Mitteln der neueren Wissenschaft interpretierte. Vor allem aber schätzte A. Hauck die Bedeutung der konfessionellen Theologie hoch ein, weil ihr ein kirchliches Interesse eignete und weil sie eine organische Entwicklung der theologischen Wissenschaft auf dem Grunde des Glaubens erstrebte und damit die gläubige Erkenntnis vertiefte. Die Entwicklung des Christentums deutete er als eine revolutionäre Bewegung: »Denn wenn es jemals eine Revolution gegeben hat, so war es die, welche das Christent[um] in den relig[iösen] Überzeugungen der Welt hervorbrachte. Nicht einen verlorenen Posten vertritt demnach die kirchl[iche] Wißenschaft; sie vertritt Warheiten, die wißenschaftl[ich] unanfechtbar sind.«161 Neben der Theologiegeschichte stellte A. Hauck die Frage nach den Kirchenverfassungen in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Da der Erlanger daß derselbe ser wenig befriedigend war. [...] Es gab zwar noch Orthodoxe genug: aber sie hielten sich zumeist in der Stille: es felte ihnen das Vertrauen zu dem Sieg ihrer Sache gegenüber dem mächtigen Strom des Zeitgeistes. U[nd] daß dieses Gefül der Schwäche wol begründet war, das zeigte sich, sobald die Orthodoxie wagte, den Kampf gegen die neuen Anschauungen aufzunemen.« 159 Vgl. ebd., Bl. zu N.Th. 5,2: »Der Wiederaufschwung des geistigen Lebens in Deutschl[and] beginnt auf dem Gebiete der Nationalliterat[ur], bald folgt die Philosophie, die religiöse Erhebung, welche der beste Ertrag der Freiheitskriege war, machte das neue Geistesleben fruchtbar für die Theologie.« 160 Vgl. ebd., Bl. 7,4: »Sein Fehler war, daß er nicht auf die weltbewegende Idee u[nd] ihre Macht über die Individuen, nicht auf die geistige Strömung, welche den einzelnen beeinflusste achtete, sondern er löste die Geschichte auf in ein absichtl[iches] u[nd] planmäßiges Handeln einzelner Persönlichk[eiten]. Was nun aber die Einzelpersönlichkeiten anlangt, so sucht er die Gründe der Handlungen selten in der Überzeugung des Handelnden, in der Regel in den Verhältnißen mer oder weniger entsprechenden Überlegungen, in Absichten, die mit der Tat selbst nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Das war ein Mangel der historischen Methode in merfacher Hinsicht: so umfaßend sein Quellenstudium war, seine Geschichtsschreibung gründet sich doch weniger auf das, was er in den Quellen fand, als auf das, was er ›mit scharfem psycholog[ischem] Blick‹ zwischen den Zeilen der Quellen las; so entschieden er bestrebt war, den Kausalnexus der Dinge klarzulegen, so wie er ihn klarlegte vermochte er nicht die Ereigniße zu tragen; indem er das Allgem[eine] beseitigte, entfernte er aus der Gesch[ichte] den mächtigsten Faktor; u[nd] in dem er die Überzeugungskraft kaum kannte, übersieht er bei den Einzelnen das mächtigste Motiv.« 161 HUBL, Ms 0941 IV, »19. Jahrhundert«, Bl. 45,2.

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Kirchenhistoriker die Reorganisation der römischen-katholischen Kirche als Ausgangspunkt für eine Disziplinierung der Völker betrachtete, bezeichnete er das Pontifikat von Pius IX. als das verderblichste in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche. Doch auch die Konsistorialverfassung der protestantischen Landeskirchen beanstandete er, weil sie nicht die Bedürfnisse des Kirchenvolkes widerspiegelte.162 Hielt A. Hauck die Einführung der preußischen Agende zwar für einen Gewinn, weil sie die Frömmigkeit der Christen förderte, so kritisierte er diesbezüglich den Eingriff des Staates in Angelegenheiten der Kirche.163 Neben den Auseinandersetzungen um Kirchenverfassungen erkannte A. Hauck in theoretischen Reflexionen kirchlichen Handelns und in Bekenntnisfragen weitere Schwerpunkt in der Kirchengeschichte seines Jahrhunderts. Er resümierte daher, dass die protestantische Theologie des 19. Jahrhunderts stark differenziert betrachtet werden muss, dass aber der Protestantismus entwicklungsfähig war, weil er mit den Tendenzen der Zeit im Gespräch blieb. 7.2.3 Zusammenfassung In Anlehnung an F.D.E. Schleiermacher unterschied A. Hauck zwischen einer supranaturalistischen Interpretation der christlichen Lehre und einer rationalistischen Interpretation des menschlichen Wirkens. Ihm gelang es, supranaturalistische Elemente des christlichen Glaubens anthropologisch in den Geschichts162 Vgl. ebd., Bl. 13,3: »Man wird sich auch gegenwärtig ganz klar darüber sein müßen, daß die Erhaltung der V[olks]kirche nur möglich ist, wenn es gelingt, die presbyterial-synodalen Einrichtungen zu beleben, d.h. den Gemeinden u[nd] Gemeindekomplexen das Bewußts[ein] einzuflößen, daß sie selbständige Organisationen sind. Gelingt es nicht, so wird die Volkskirche zerfallen. [...] für die absolute Herrsch[aft] der Pfarrer u[nd] der k[öni]gl[ichen] Konsistorien in der Gem[einde] u[nd] in den Landeskirchen ist die Zeit vorbei.« 163 Vgl. ebd., Bl. 18,2: »Die Schwierigkeit sich zu verständigen liegt, wie mich dünkt an dem Begriff Kirche. Dies Wort ist bekanntlich eines der unklarsten Worte, das in unserer Sprache vorkommt, da es sehr verschiedene Dinge bezeichnet. Unter K[irche] versteht man dogmat[isch] vor allen Dingen die Gemeinschaft aller Gläubigen u[nd] Heiligen an Christo ihrem Haupte: jedermann weiß, daß diese Gemeinschaft etwas schlechthin Innerliches, Geistliches ist. Unter K[irche] versteht man aber sodann auch sehr äußerliche, ledigl[ich] historisch gewordene Gemeinschaften: die röm[ische] Kirche, die verschiedenen prot[estantischen] Landeskirchen. Diese Kirchen als hist[orisch] gewordene Gemeinsch[aften] sind alle irgend wie organisirt. Sie sind schlechthin geschichtl[iche] Größen u[nd] decken sich gar nicht mit dem, was die Dogmat[ik] ›sichtbare K[irche]‹ nennt: ein Begriff bei dem es unmöglich ist irgend wie auf einen klaren Inhalt zu kommen. Endlich aber spricht man von luth[erischer] u[nd] reform[ierter] Kirche. Die luth[erische] K[irche] ist nun weder eine schlechthin innerl[iche] Gemeinsch[aft] wie die Gemeinde der Heiligen, noch ist sie ein irgendwie verfaßter Organism[us], wie die römische oder anglikanische, die sächs[ische] oder mecklenburg[ische] Kirche, sondern sie ist lediglich die gedachte Summe aller zur luth[erischen] Lehre sich Bekennenden. Die gedachte Summe; denn es gibt gar kein äußeres Band, das sie einigte; u[nd] der sich Bekennenden, denn als Glieder der luth[erischen] K[irche] können nicht nur die gezählt werden, die wirklich wie Luther glauben, sondern es müßen alle gezählt werden, die diese stillschweigend oder ausdrücklich behaupten.«

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verlauf einzubinden, indem er voraussetzte, dass ein Christ, der an die geschichtliche Offenbarung Gottes glaubt, nach Gottes Willen handeln und dennoch frei entscheiden kann. Demnach ging er von einer anthropologischen Entscheidungsfreiheit aus, die von göttlichen Schöpfungsordnungen historisch bedingt blieb. Indem er das Wirken Gottes also mit der menschlichen Entscheidungsfreiheit korrelieren ließ, suchte er in historischen Ereignissen nach dem Göttlichen in der Geschichte. Er fand es vornehmlich in zeitlichen Tendenzen, in Gedanken und Ideen. Mit Hilfe der historischen Ideenlehre konnte er dann das einzelne historische Ereignis als Teil eines Ganzen und als Folge vorangegangener Entwicklungen begreifen. Seine kirchenhistorische Interpretation ruhte dabei auf einer entscheidenden Grundlage: Weil der christliche Glaube Ethik und Religion als zwei untrennbare Elemente im Leben eines Menschen begreift, verwirklicht er das Telos der Geschichte in der Geschichte. Die Kirche als irdisch-menschliche Gemeinschaft, die A. Hauck in Anlehnung an J.G. Droysens Methodologie als sittliche Gemeinschaft bezeichnete, war sein historiographisches Fundament. Unter der Prämisse, dass Christen in Bezug auf die Kirche als Gemeinschaft handeln und existieren – konstituiert durch den Heiligen Geist –, analysierte er vornehmlich den Entwicklungsgang der irdischen Gemeinde Jesu Christi. A. Hauck erhob also nicht die Zeichen der unsichtbaren Kirche zum Untersuchungsgegenstand, sondern die religiösen und ethischen Auswirkungen des christlichen Glaubens. Ausdruck dessen war für ihn das Staat-Kirche-Verhältnis, die menschliche Sittlichkeit bzw. die Durchdringung der Kultur mit christlichen Traditionen, das theologische Denken, d.h. die Interpretation des göttlichen Erlösungsgedankens, und die Entfaltung der Kirche als Organisationsform religiösen Glaubens. Es ist dem Erlanger Kirchenhistoriker anzumerken, dass er persönlich die Organisationsform der Volkskirche mit demokratischen Elementen schätzte. Inwieweit das Christentum auf die sittlichen Gemeinschaften und letztlich auf die Kultur Europas wirkte, war für A. Hauck oft Zielpunkt seiner Kirchengeschichtsinterpretation: Aus diesem Grund wandte er sich schwerpunktartig der christlichen Literaturgeschichte zu, weil sie nationen- und staatenübergreifend den christlichen Glauben interpretierte und Traditionen als Bildungselemente vermittelte. Im christlichen Glauben erblickte er einen einheitsstiftenden Faktor der europäischen Kultur. Infolgedessen war für ihn der Bezugspunkt der Kirche immer das Volk bzw. die Völker. Um von den Völkern akzeptiert zu werden, musste sie mit dem Staat ringen. Aus diesem Ringen heraus entstand das staatliche bzw. kirchliche Recht. Begriff A. Hauck im Gegensatz zu G.W.F. Hegel, dass die Verschiedenheit und Irrationalität menschlicher Handlungen wahrgenommen werden muss, so übernahm er von ihm den Gedanken an eine geschichtsimmanente Gesetzmäßigkeit organischen Werdens. Haucks Gesetz der Entwicklung basierte auf dem Interpretament, dass Tendenzen einen historischen Verlauf bestimmen: Indem unterschiedlich ausgerichtete Tendenzen um die Vorherrschaft ringen, verläuft

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die Geschichte wellenförmig. Wirkungen von außen – Ideen, wirtschaftliche Verhältnisse, Kulturzustand u.ä. – und das Handeln von Einzelnen bewirkten seines Erachtens die Akzeptanz bzw. die Herrschaft von Tendenzen. A. Hauck verknüpfte Staaten-, Kultur-, Persönlichkeiten- und Institutionengeschichte miteinander, um ein gerechtes Urteil über den Ertrag einer Epoche fällen zu können.

7.3 Ausführungen zur Dogmengeschichte 7.3.1 Einleitung Seit seinem zweiten Jahr als a.o. Professor las A. Hauck über die Dogmengeschichte.164 Aus diesen Vorarbeiten erwuchs die von ihm nur widerwillig übernommene, vom Beck-Verlag in Nördlingen angeforderte Neubearbeitung des von H. Schmid bereits in vermehrten Auflagen publizierten »Lehrbuch[es] der Dogmengeschichte« in vierter Auflage.165 Diese Neubearbeitung – sie war nach dem Tod des Erstverfassers 1885 und nach neunjährigem wissenschaftlichen Fortschritt in der Forschung zur Dogmengeschichte und der Dogmengeschichtsschreibung notwendig geworden – nahm A. Hauck unter dem Anspruch in Angriff, die für ein Studium der Dogmengeschichte als wünschenswert erscheinende umfassende Quellengrundlage in einem Lehrbuch zu veröffentlichen.166 H. Schmid hatte in seinem Lehrbuch den Entwicklungsgang der Dogmen nach den Ansprüchen der historisch-kritischen Methode untersucht und dargestellt.167 Seiner Hermeneutik legte er einen Entwicklungsbegriff zugrunde, der 164 A. Hauck las in Erlangen fünfstündig über die Dogmengeschichte von der Alten Kirche bis zum Abschluss der Dogmenbildung im Protestantismus im WH 1879/80, WH 1881/82 (ausnahmsweise nur vierstündig), im SH 1883, WH 1884/85, WH 1886/87 und WH 1888/89. 165 Die dritte Auflage des »Lehrbuch[es] der Dogmengeschichte« wurde vom H. Schmid durch Hinzufügung ausführlicherer Quellenbelege und bei sorgfältiger Revidierung des Haupttextes um annähernd 90 Seiten erweitert, vgl. die Vorrede zur zweiten und dritten Auflage Schmid, Lehrbuch3. 166 Vgl. Schmid, Lehrbuch4, III: »Ich habe demgemäss den Text durchweg knapper gefasst: er will nichts anderes sein, als der Faden, an welchem sich die Quellenstellen aufreihen. Was die letzteren anlangt, so habe ich die von Schmid ausgewählten Stellen fast sämtlich beibehalten, die Zahl der Stellen jedoch mindestens vervierfacht.« A. Hauck schien mit der Durchführung seines methodischen Ansatzes eher unzufrieden zu sein, da er sein Vorwort mit dem Satz beendete: »Ein Buch wie das vorliegende ist alles eher als schön; möge es wenigstens nützlich sein.« 167 Zu H. Schmid vgl. die persönlich gehaltene Lebensbeschreibung von Frank, Schmid, 647, 41– 43: »Schon in diesem Werke [Schmid, Dogmatik, M. T.] trat die entschiedene Begabung und Neigung Schmids zum Historiker deutlich hervor, insbesondere die ruhige Klarheit und Objektivität seines Urteils und seiner Darstellung.« H. Schmid wies als Verfechter der Versöhnungslehre J.Ch.K Hofmanns deren Übereinstimmung mit dem kirchlichen Bekenntnis nach, obwohl sie seines Erachtens der kirchlichen Dogmatik in vielen Punkten widersprochen hat. Er vertrat die Unterscheidung von kirchlichem Bekenntnis und kirchlicher Dogmatik, vgl. Wenz, Versöhnungslehre II, 51 (Anm. 26).

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den temporären Fortschritt in der Erkenntnis des christlichen Glaubens bemisst und der ausschließlich auf Kontinuität beruht, d.h. sich ausschließlich auf einer festen Grundlage bereits erlangter Erkenntnis entfaltet.168 Da er das Spezifische des christlichen Glaubens in der christologischen Erlösung der Menschheit erkannte, ging er der Frage nach, wie und inwieweit sich der Inhalt dieser Heilswahrheit in ihren einzelnen Elementen historisch erschloss.169 H. Schmid erkannte, dass diese Zwischenerkenntnisse in Dogmen festgehalten wurden, die aber einer weiteren quantitativen und qualitativen Füllung harrten.170 »Auf festem kirchlichen Boden« stehend,171 unterteilte er seine Dogmengeschichte von ihrem Beginn, dem Abschluss der Offenbarung der Heilswahrheit, bis zur »letzten geschichtlichen Bewegung, welche der Kirche einen Ertrag für ihr Bekenntnis gegeben hat«172 in drei Perioden: 1. Vertiefung in den Inhalt der Heilswahrheit als Basis für eine Weiterentwicklung, 2. Eintrübung der Erkenntnis aufgrund der Untreue der Kirche gegenüber diesem grundgelegten Bekenntnis, 3. Trennung der Kirchen wegen Irrtums einerseits und Rückkehr zum Ursprung andererseits. 7.3.2 Methode sowie schriftliche bzw. mündliche Dogmengeschichtsschreibung Das von A. Hauck überarbeitete »Lehrbuch der Dogmengeschichte« geht in konzeptioneller und methodischer Hinsicht auf die dogmengeschichtlichen 168 Vgl. Schmid, Lehrbuch3, 265f. Nach Ansicht W.-D. Hauschilds verstand H. Schmid das Dogma als »notwendige Lebensäußerung der Kirche«, das sich in einzelnen Dogmen zum einen formal als subjektive Äußerung von Menschen zeigt, sich aber zum anderen auch von ihren Inhalten her als geoffenbarte Wahrheit erweist und somit objektive Gültigkeit besitzt, vgl. Hauschild, Dogmengeschichtsschreibung, 119, 32–34. 169 Vgl. Schmid, Lehrbuch3, 1: »Das ist aber ein Schatz von solcher Fülle und Mannichfaltigkeit, dass der Christ nur allmählich sich des Inhalts desselben in seinen einzelnen Theilen bewusst wird. Er gelangt dazu, wenn er sich in den Inhalt des durch die Predigt an ihn gekommenen Evangeliums, und gleich sehr in das in heiliger Schrift niedergelegte, von diesem Evangelium zeugende, Wort Gottes vertieft. Dadurch wird er sich im Einzelnen dessen bewusst, was ihm durch die Erlösung zu Theil geworden ist, gewinnt er nähere Erkenntniss von dem Urheber der Erlösung, von sich, seiner Bedürftigkeit einer Erlösung, von den Mitteln, mit denen er sich die Erlösung aneignen und erhalten kann, und kommt ihm also nach und nach der Inhalt der Heilswahrheit in ihren einzelnen Theilen und in ihrem Zusammenhang unter einander zum Bewusstsein.« 170 Vgl. ebd., 2f: »Auch bringt es der Fortschritt, den die Kirche in der Erkenntniss macht, mit sich, dass die Dogmen am Anfang unbestimmteren, allgemeineren Inhalts sind, im Laufe der Zeit aber bestimmter und reicher an Inhalt werden. Dieser Gang der Entwicklung erleidet dann freilich oft eine Störung durch diejenigen, welche aus irgend einem Grunde die Wahrheit fälschen oder trüben, also durch die Häresie.« 171 Schmid, Dogmengeschichte, 656: »Man kann die Geschichte, welche die Kirche mit ihren Dogmen erlebt hat, unmöglich recht verstehen, wenn man nicht mit dem Sinn und Geist vertraut ist, in welchem die Kirche an ihnen gearbeitet hat, [...].« 172 Schmid, Lehrbuch3, 5.

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Werke von A. Ritschl, A. Kahnis und G. Thomasius zurück.173 In der Einleitung zum »Lehrbuch der Dogmengeschichte« verwies A. Hauck auf die dogmengeschichtliche Methode A. Ritschls174 und Th. Kliefoths175. A. Ritschl übertrug der Dogmengeschichte die Aufgabe, die innere Entwicklung der Kirche verständlich zu machen. Er sprach sich deshalb gegen die anatomische Methode aus, die den Lehrstoff als etwas Totes behandelt, ohne die Interessen und Tendenzen der jeweiligen zeitgenössischen Denkrichtung zu berücksichtigen, und wandte die psychologische Methode an.176 Indem Th. Kliefoth mit einer historischen Entwicklung rechnete, analysierte er die Dogmatiker177 sowie die geschichtlichen Tendenzen einerseits unabhängig voneinander, andererseits im historischen Zusammenhang: Er sammelte dogmengeschichtliche Quellen und unterzog sie einer Textkritik, legte ihren Inhalt dar und setzte sie in Bezug zur Persönlichkeit ihrer Verfassser und den Zeitumständen, arbeitete endlich diese Anschauungen in den geschichtlichen Zusammenhang ein. Im Dogma, der Erscheinung der christlichen Wahrheit, erkannte Th. Kliefoth »eine sich aus sich selbst entwickelnde Substanz [...], welche in die ganze Geschichte des Dogmas eine höhere Ordnung und ein ewiges Gesetz legt [...].«178 Da Th. Kliefoth dem einheitsstiftenden Wirken des Heiligen Geistes im theologischen Denken der Menschen einen Raum gab, erkannte er in der christlichen Lehre das gemeinsame Werk und den gemeinsame Besitz der Gemeinschaft der Gläubigen resp. der Kirche. »Dogma«, so definierte A. Hauck in seinem Lehrbuch, »ist der in einer kirchlichen Gemeinschaft öffentlich giltige Lehrbegriff«:179 Es entsprießt der religiösen Überzeugung der christlichen Gemeinschaft und wird durch die Autorität der Kirche zur rechtlichen Norm für die öffentliche Verkündigung.180 Um das zeitgeschichtliche Verständnis eines Dogmas zu begreifen, analysierte 173

Vgl. Kahnis, Dogmatik II; Thomasius, Dogmengeschichte. In der Literaturangabe seines Lehrbuches nannte A. Hauck neben F. Nitzsch auch A. Harnack, Dogmengeschichte. 174 Vgl. Ritschl, Methode, 191–214. 175 Vgl. Kliefoth, Einleitung. Vgl. Ohst, Kliefoths »Einleitung«, 47–70. 176 A. Ritschl sah die psychologische Methode grundsätzlich durchgeführt in F. Nitzsch, Grundriss. Vgl. Ritschl, Methode, 193. Die Christologie stellte A. Ritschl in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. 177 Vgl. Kliefoth, Einleitung, 3: »Jede wahrhafte That kommt aus dem Innern des Menschen, aus seinem Geiste und Gemüthe; sie ist der Funken, der im Zusammenstoß des Lebens dem Geiste entsprüht, den todten Stoff ergreift, und, seine rohe Natur verzehrend, ihm eine andere Gestalt giebt, in welcher er leuchtend und wärmend des Geistes eignes Wesen zeigt.« 178 Ebd., 377. 179 Schmid, Lehrbuch4, 1. 180 Vgl. HUBL, Ms 0935 I, »Dogmengeschichte I«, Bl. [o. Z.], Ergänzung 1: »Dogma ist ein Lehrsatz, welcher durch die Autorität der Kirche getragen wird und für welchen die K[irche] Anerkennung fordert von ihren Gliedern. Dog[ma] ist nicht ein theol[ogischer] sondern ein kirchlicher Lehrsatz. Diese Dignität muß dem Dogma durch einen kirchlichen Akt ausdrücklich beigelegt sein. Es genügt nicht, daß ein Satz in einer Kirche allgemein gelehrt wird, um ihn zum Dogma zu stempeln, sondern es ist nötig, daß die Kirche denselben symbolisch fixirt, ihn dadurch als Ausdruck ihres Glaubens anerkannt hat, und dem gemäß ihn für maßgebend für die öffentliche Lehre erklärt.«

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er dessen historische Entstehung und historisch-genetische Entwicklung. Einschränkend formulierte der Erlanger Kirchenhistoriker, dass es kein einheitliches christliches Dogma geben kann, weil es keine einheitliche christliche Kirche181 gibt. Da er die konfessionelle Trennung mit der Verschiedenartigkeit von Frömmigkeitsformen begründete, interessierte er sich in seinen dogmengeschichtlichen Fragestellungen für die lehrbegrifflichen Ausprägungen der christlichen Heilsgewissheit und ihrer jeweils zeitgenössischen Interpretation. Folgerichtig begriff er das Dogma als etwas Sekundäres,182 dass in seiner Entwicklung von den Glaubensfragen einer Generation und von kirchlichen Antworten abhängig war. Mit Hilfe der historischen Methode spürte er dem Wechsel in den Anschauungen nach. A. Haucks Interpretation der Dogmengeschichte kann damit als konzeptionelle Fortführung und enge Zusammenführung der pragmatischen Methode G.J. Plancks mit dem Anspruch und Urteil der konfessionellen Herangehensweise H. Schmids sowie mit der Metaphysik G.W.F. Hegels bezeichnet werden.183 Eine rein ideengeschichtliche Betrachtung der Dogmengeschichte verwarf er, weil er in der geschichtlichen Entwicklung keine Geradlinigkeit erkannte, sondern in ihr das Produkt komplizierter Verhältnisse sah. In seiner Dogmengeschichtsschreibung der Alten Kirche beschrieb A. Hauck die Grundlegung und die Ausbildung des altkirchlichen Dogmas. Er erkannte, dass jedes Zurückbleiben hinter der paulinischen Lehre zur Moralisierung des Christentums führte. Zunächst wandelte sich seiner Anschauung nach das breite religiöse Verständnis der nachapostolischen Zeit in einlinige grundsätzliche 181 Vgl. ebd., Bl. [o. Z.], Ergänzung 2a: »Die Kirche in diesem Sinne kann nur eine [Hervorhebung im Original] sein; sie ist die allgemeine; denn alle die von Anfang an durch den Glauben und im Gl[auben] selig geworden sind, gehören ihr an. Aber die Kirche in diesem Sinn ist ein Gegenstand des Glaubens, jedoch nicht eine historische Größe. Es hat nie und nirgends eine geschichtliche, irgendwie äußerlich organisirte Gemeinsch[aft] gegeben, welche sich mit der K[irche] in diesem Sinn zu identificiren das Recht gehabt hätte. [...] Historische Größen, Gegenstände historischer Untersuchung sind nur die christlichen Konfessionskirchen.« 182 Stellte A. Hauck in seiner Vorlesung noch heraus, dass die Kirche nur dann für einen kirchlich akzeptierten Lehrsatz öffentliche Anerkennung fordern konnte, wenn sie ihn als Bestandteil der geoffenbarten Wahrheit fixierte, so formulierte er in seinem Lehrbuch vorsichtiger: Hier sprach er von einer »kirchlichen Gemeinüberzeugung«, vgl. Schmid, Lehrbuch4, 1f. 183 Vgl. HUBL, Ms 0935 I, »Dogmengeschichte I«, Bl. 8,1: »Sie [die Philosophie G.W.F. Hegels, M. T.] sah in der Geschichte den Entwicklungsgang des Geistes: die Religionsgeschichte ist für sie der Nerv der Geistesgeschichte. Das geschichtliche Werden ist nun aber nicht beherrscht durch die Willkühr des Individuums, sondern durch das Gesetz organischer Entwicklung.« Vgl. ebd., Bl. 9,2: Dem Pragmatismus G.J. Plancks gegenüber ist »die Erinnerung an das Allgemeine, an die Notwendigkeit des Geschehens, an das organische Werden sehr am Platze: denn die Geschichte ist nicht das Resultat von tausend Zufälligkeiten, sondern sie ist stets die Summe von Freiheit und Notwendigkeit. Deshalb wirken sich in der Geschichte ewige Ideen aus. Daß dieser Gedanke heutzutage selbstverständlich ist, das verdanken wir doch im letzten Grund den von Hegel angeregten Historikern. Das muß man anerkennen, so sehr auf der anderen Seite zu betonten ist, daß das Schema von der Selbstentwicklung der Idee der Wirklichkeit nur halb gerecht wird: das Persönliche und das Zufällige läßt sich aus der Geschichte nicht eleminiren.« A. Hauck ließ entgegen A. Harnacks Anschauung das Dogma auf dem Boden der kirchlichen Heilsverkündigung entstehen und im Glauben der ältesten Christenheit wurzeln.

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Formulierungen um, die die durch Christus bewirkte Erlösung ethisch fassten. A. Hauck kritisierte, dass bereits frühzeitig die Umkehrung der Reihenfolge von Erlösung und Sittlichkeit drohte.184 Gerade in der Arbeit der Apologeten fand der Erlanger Kirchenhistoriker Gedanken, die unter Rückgriff auf die griechische Logoslehre das Christentum als Lehre und nicht mehr als eine durch Christus vermittelte Gemeinschaft der Menschen mit Gott interpretierten. Deshalb würdigte er Irenaeus, der an der geoffenbarten Fassung des Christentums als Erlösungsreligion festhielt, ohne zugleich zu beanstanden, dass er die institutionalisierte Kirche als überirdischen Leib Christi identifizierte. Dennoch interpretierte A. Hauck die beginnende Dogmenbildung nicht als Produkt menschlicher Willkür, sondern als Folge vorhandener Tendenzen. Die Ausbildung des Dogmas beschrieb der Erlanger Kirchenhistoriker in kirchlichen Dogmenkreisen: Trinitätslehre, Christologie, Anthropologie, Ekklesiologie. Er urteilte, dass weder der Monarchianismus noch Arius die religiösen und spekulativen Anforderungen seiner Zeit befriedigen konnten. Da seiner Meinung nach auch das Nizänum das biblische Zeugnis nur unvollkommen interpretiert, resümierte er: Ursprünglich an der Trinitätslehre ist der Glaube an den einen Gott und die religiöse Beurteilung der Person des Erlösers, die Logoslehre und die Bezeichnung Sohn Gottes für den präexistenten Erlöser sind demgegenüber Produkte geschichtlichen Werdens. In Bezug auf die Christologie erfasste A. Hauck das religiöse Bewusstsein der Völker, die Einheit der gottmenschlichen Person als auch die Verschiedenheit der beiden Naturen. Am Christusbild der Evangelien sich orientierend, urteilte er über die theologischen Ansätze der Zeit. So arbeitete er heraus, dass zwar die unterschiedlichen Anschauungen auf unterschiedlichen Frömmigkeiten beruhten,185 die Theologen aber über die Kenosislehre des Hilarius von Poitiers nicht hinauskamen.186 Zusammenfassend stellte A. Hauck fest, dass die alexandrinische Theologie dem biblischen Christuszeugnis nicht entsprach. Seines Erachtens formulierte Johannes von Damaskus das Dogma von der Person Christi, wie auch schon das Dogma der Trinitätslehre, abschließend.187 184 Vgl. ebd., Bl. [§2,] 6,1f: »Die moralisirende Betrachtung des menschlichen Verhaltens hindert, daß die religiösen Gedanken ganz zu ihrem Rechte kommen.« 185 Vgl. HUBL, Ms 0935 II, »Dogmengeschichte: Alte Kirche«, Bl. [IV, §2,] 2,4: »Im Abendlande gab es also in diesem Punkte eine alte, in der Hauptsache einhellige Lertradition. Der Unterschied von der orientalischen Entwicklung bestand darin, daß die Abendländer über den Punkt nicht reflektirten, der die Griechen beschäftigte: In welchem Verhältnis stehen das Göttl[iche] u[nd] das Menschliche in dem Menschengewordenen? Sie begnügten sich zu behaupten: Christus ist sowohl vollkommener M[ensch] als vollkommener Gott. War dies gewahrt, so schien ihnen der Lehre genug getan.« 186 Vgl. ebd., Bl. §2, 3,3: »Hier war ein Ansatz gemacht, um dem hist[orischen] Christusbilde gerecht zu werden.« 187 Vgl. ebd., Bl. [VII, 1,] 3f: »Mit dem Abschluß des christolog[ischen] Streites ist die Dogmenbildung in der griechischen Kirche zum Abschluß gekommen. Längst war die schöpferische Tätigkeit auf dem theolog[ischen] Felde erlamt; das Jarhunderte lang so lebhafte Intereße an den kirchlichen Lerfragen war erloschen. Es war untergegangen in der alles andere verschlingenden Rücksicht auf die Orthodoxie, auf die ungestörte Herrschaft der Lertradition; d.h. nun aber der rezipirten Formeln. [...]

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Auch in seiner Untersuchung der Entwicklung der christlichen Anthropologie griff der Erlanger Kirchenhistoriker eine zeitgeschichtliche Tendenz auf: »Die gemeinsame Überzeugung der Christenheit, dass das menschliche Heil ein Werk der Gnade Gottes sei, war getragen durch die allgemeine Anerkennung der Thatsache, dass der Zustand der Menschen abgesehen von der Erlösung Zustand des Verderbens ist.«188 Das Verdienst, diese Überzeugung ohne Rückgriff auf die griechische Lehrtradition theologisch und religiös-sittlich durchgebildet zu haben, erkannte er Augustin zu, ohne außer Acht zu lassen, dass ihm der Großteil der Christenheit darin nicht folgte:189 »Zur Herrschaft gelangt ist sie, etwas anders gewendet, erst im Protestantismus.«190 Würdigte A. Hauck zwar die anthropologischen Ausführungen Augustins, so kritisierte er aber dessen Ekklesiologie, weil sie die institutionalisierte Kirche mit dem Reich Gottes gleichsetzte.191 A. Hauck beschäftigte sich dennoch erschöpfend mit Augustins Anschauungen, weil er »der Lehrmeister der in die Kulturgemeinschaft eintretenden germanischen Völker geworden ist«,192 und arbeitete die Unterschiede gegenüber dem biblischen Zeugnis heraus. Den Ertrag dieser ersten Epoche zusammenfassend, urteilte A. Hauck, dass die kirchliche Lehre gerade in der Christologie mit dem urchristlichen Verständnis nicht konform ging, weil sie zeitgeschichtliches Denken aufgriff: Die historische Persönlichkeit des gottmenschlichen Erlösers und sein durch die apost[olische] Verkündigung im Gedächtnis der Christenh[eit] lebendiges Wirken trat zurück neben dem Gedanken, daß er die allgem[ein] wirksame göttliche Vernunft sei. Der klare Glaube an seine ewige Persönlichkeit wurde erschüttert durch die philos[ophische] Spekulation über die Vernunft Gottes.193

Entsprachen manche dogmatische Entscheidungen nach Ansicht A. Haucks demnach nicht biblischen Aussagen, so konnte er ihnen dennoch etwas PositiDer christl[iche] Orient hat keine m[ittel]a[lterliche] Geschichte: er hat manches erlebt, wenig Glück u[nd] viel Unheil, er hat manches gearbeitet, wenig Wertvolles u[nd] sehr viel Wertloses: aber Erlebniße u[nd] Arbeiten hatten kein Resultat: es felt an beherrschenden Strömungen, die Neues zu schaffen im Stande waren. Solche gab es nur im Abendlande.« 188 Schmid, Lehrbuch4, 110. 189 Vgl. HUBL, Ms 0935 II, »Dogmengeschichte: Alte Kirche«, Bl. [b, I,] 6,1: »Das war also das Ergebnis der Entwicklung: Im Orient eine völlig einheitliche Anschauung während zweier Jahrhunderte von allen Theologen übereinstimmend festgehalten. Aber diese Anschauung haftete an der Oberfläche der Dinge, an der Erscheinung des Bösen, ohne das große religiöse u[nd] ethische Problem, das hier vorliegt ernstlich ins Auge zu faßen. Im Abendlande eine in sich zwiespältige Anschauung, bedingt einerseits durch die abendländische Lere von der Bedeutung des sündhaften Zustands, andererseits durch die auch von den Abendländern getheilte Freiheitslere. Der Mann, der die abendländische Lehre darüber hinausfürte war Augustin.« 190 Ebd., Bl. [b, II, §4, 4,] 2. 191 Vgl. ebd., Bl. [b, II, §4,] 3,3: »Man brauchte auf das 1000järige Reich nicht mehr zu warten; denn es fällt nicht in die Zukunft, sondern in die Gegenwart: es besteht in der Herrsch[aft] der K[irche] in der Welt.« 192 Ebd., Bl. [b, VI,] 6,1. 193 Ebd., Bl. [b, VII, 1,] Ergänzung 2.

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ves abgewinnen: Die folgende Diskussion führte auf das biblische Zeugnis zurück. Über die Dogmenbildung des Mittelalters urteilte der Erlanger Kirchenhistoriker kritisch, weil sie – vom Papsttum beherrscht – den zeitgeschichtlichen Tendenzen widersprach und unvermittelbar blieb.194 Er erkannte, dass die päpstliche Universalmonarchie, die sakramentale Heilsvermittlung der Kirche, die Betonung der menschlichen Leistungen gegenüber der göttlichen Gnade usw. der mittelalterlichen Frömmigkeit diamentral entgegenstand. A. Hauck beanstandete deshalb, dass die scholastische Lehre, von der Hierarchie der Kirche gestützt und herausfordert,195 die kirchliche Wirklichkeit als Ideal der Kirche beschrieb.196 Seiner Meinung nach brach erst die Strömung der Renaissance dieses verhängnisvolle Verhältnis auf: »Man verachtete die Scholastik, man pries die Bibel u[nd] die K[irchen]Väter. Man war auch hier bereit, auf Neues zu hören. Das Neue kam durch Luther. Er ward zum Reformator, da er auf die Frage des Volkes nach Heil die Antwort zu geben wußte, durch welche das Heilsverlangen gestillt wurde.«197 Schließlich konnte sich A. Hauck eines polemischen Urteils nicht enthalten: »Die kirchliche Übung war weit schlimmer als ihre Lehre.«198 Mit M. Luthers Kampf gegen das Handeln der Kirche und dessen Widerspruch gegen die Lehre der Kirche führte A. Hauck in die Dogmengeschichte der getrennten Kirchen ein.199 Er arbeitete heraus, dass M. Luthers Glaubensverständnis die Gedanken Augustins auf eine bis dahin unbekannte Weise interpretierte: von der persönlichen Erfahrung aus.200 Infolgedessen gestaltete die 194 HUBL, Ms 0935 III, »Dogmengeschichte: Mittelalter«, Bl. [§3,] 5, Ergänzung 3: »Das schließliche Resultat des Streits liegt darin, daß der Augustinism[us] nicht [Hervorhebung im Original] durchdrang. Denn das ist der Beweis dafür, daß thatsächlich die Ansicht der K[irche] des 9. Jahrh[underts] eine andere war als die Augustins.« 195 Vgl. ebd., Bl. D.G. 52,2: »Das M[ittel]A[lter] ist die Zeit der Herrschaft der Kirche: sie galt als die höchste irdische, ja schließlich als die einzig berechtigte sittliche Gemeinschaft; als die oberste Quelle des Rechts wie der Moral, alle Gesetze und Rechte, alle bürgerlichen u[nd] staatlichen Gewalten wurden durch die K[irche] legetimirt.« 196 Vgl. ebd., Bl. D.G. 51, Ergänzung 1: »Sie [die Scholastik, M. T.] ist dialektische Erörterung des autoritativ Gegebenen. Sie ist demnach durchaus traditionalistisch u[nd] doch zugleich durchaus dialektisch. Sie beschränkt sich auf den Kern des Überlieferten; aber sie kann auch Neues bilden, freilich nur so, daß das Neue als Ergebnis der dialekt[ischen] Behandlung des Alten hervorspringt. Der kirchliche Charakter der Theologie ist gewährleistet durch den ersten Moment, das zweite aber ermöglichte es, die Philosophie in den Dienst der Theologie zu stellen.« 197 Ebd., Bl. [2. Epoche, §3,] D.G. 60,B,2. 198 Schmid, Lehrbuch4, 301. 199 A. Hauck stützte seine Anschauungen auf Köstlin, Martin Luther; Köstlin, Luthers Theologie; Kolde, Martin Luther; Th. Harnack, Luthers Theologie; Hering, Mystik; Lommatzsch, Luther’s Lehre; G. Plitt, Einleitung. 200 Vgl. HUBL, Ms 0935 IV, »Dogmengeschichte: Protestantismus«, Bl. [§1, 1,] 1: »Was der christlichen K[irche] nötig war, war die Wiederherstellung der Unmittelbarkeit des Verständnißes des Gläubigen zu Christus. Sie war gestört, indem die K[irche] mit ihrem Handeln, ihren Forderungen und Leistungen sich in die Mitte stellte zwischen den Erlöser u[nd] den Erlösten. Zum Reformator war Luther dadurch befähigt, daß er sich hindurchgerungen hatte zu jenem unmittelbaren Verhältnis zu

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reformatorische Bewegung die Dogmen gemäß der lutherischen Rechtfertigungslehre um.201 Als herausragend würdigte A. Hauck M. Luthers Christologie – die zwar der Menschheit Christi zu ihrem Recht verhalf, dennoch aber die Erniedrigung Gottes verschwieg –, M. Luthers Kirchenbegriff202 und die Schrift »De servo arbitrio«.203 Er bedauerte aber, dass sich die reformatorische Bewegung infolge des Streites um die Lehre vom Abendmahl spaltete.204 Kritisierte er zwar die philosophischen Gedankengänge U. Zwinglis, so würdigte er aber die Geschlossenheit und Logik der systematischen Methode J. Calvins.205 In der CA und ihrer Apologie sah A. Hauck die lutherische Lehre erschöpfend formuliert.206 Diese Bekenntnisbildung sowie die Kirchenordnungen verstand er als eine notwendige Folge der reformatorischen Bewegung, die mit der mittelalterlichen Dogmengeschichte gebrochen hatte. Beide nahmen seines Christo, das seine Zeitgenoßen verloren hatten. In den schwersten Anfechtungen des Gewißens hatte er Friede gefunden nicht in den Zusagen der K[irche], nicht in den eigenen Werken u[nd] Leistungen, sondern in dem Ergreifen der Gnade, die rechtfertigt. Damit wurde der rechtfertigende Glaube für ihn der Quell zu einem neuen Leben: er wurde der Mittelpunkt seiner relig[iösen] Anschauung.« 201 Vgl. ebd., Bl. D.G. 72,4: »So gewaltig bewies sich die Triebkraft des Prinzips der Reformation gegenüber den Hauptirrtümern der m[ittel]a[lterliche] Kirche: statt auf die priesterl[iche] Sündenvergebung wurde zurückgegriffen auf die göttl[iche], der ganze Bau des m[ittel]a[lterlichen] Kirchenbegriffs wurde gestürzt durch den Gedanken des geistl[ichen] Priesterth[ums] aller Gläubigen; die Lehre von den Sacr[amenten] wurde zurückgeführt auf ihren Schriftgrund, das rechte Verhältnis der Werke zum Gl[auben], als deßen Früchte aufgezeigt, endlich der Werkgerechtigk[eit] die Wurzel abgeschnitten durch den Nachweis von der Unfreiheit des menschl[ichen] Willens. Es liegt ein großartiger Zusammenhang in diesen ersten Schriften Luthers vor: die Wahrheit, die ihm aufgegangen ist macht sich dem alten Irrthum gegenüber geltend nach allen Seiten. Auch neuem Irrthum aber hatte sie gegenüber zu treten.« 202 Vgl. ebd., Bl. D.G. 70, Ergänzung 1: »Die K[irche] ist wesentlich Gemeinsch[aft] der Heiligen: eine Versammlung aller Christgläubigen auf Erden; eben dadurch eine geistliche Gemeinsch[aft], deren Einheit auf dem einen Glauben, der einen Taufe etc. beruht. Was nun heilig oder gläubig sei: das sehe niemand: die K[irche] ist also wesentlich innere, geistliche Gemeinschaft, unsichtbare K[irche]. Von ihr sei weit zu scheiden die leibl[iche], äußerliche Christenh[eit], welche [...] muß an Stätte und Ort gebunden sein, in der viele sind, die durch ihre Sünden aus der innerlichen geistl[ichen] Einh[eit] sich ausschließen.« 203 Vgl. ebd., Bl. D.G. 72,4: »Aber es läßt sich doch ihre Einseitigk[eit] nicht übersehen: sie liegt in dem Determinism[us], auf welchen die Lehre von der gänzlichen Unfreiheit des menschl[ichen] Willens gegründet ist. Die Überzeugung Luthers von der Unfreih[eit] des Willens zum Guten, hat hier eine spekulative nicht eine Glaubensgrundlage.« 204 Vgl. ebd., Bl. [Kap. 6, D.G. 106,] 5,4: »Man möchte diesen Ertrag der Entwicklung bedauern, wenn man denn bedenkt, daß die Warheit nur eine ist u[nd] nur eine sein kann. Aber sollte man sich nicht auch daran erinnern, daß die Stralen der einen Warheit sich verschieden brechen in den verschiedenen Individuen? [...] Die ganze chr[istliche] Warheit schauen unter dem Gesichtsp[unkt] der Ere Gottes, der sich alles beugen muß, u[nd] sie schauen im Bewußts[ein] deßen der im Gl[auben] gerechtfertigt wie ein Kind Gottes ist. Beides steht sich nicht gegenüber wie Warheit u[nd] Irrt[um].« 205 Ebd., Bl. [Kap.6, D.G. 112 bzw. 96,] 4,1. 206 Vgl. ebd., Bl. [Kap. 4, 1,] 1: »Was Luther lerte, das sprach er ohne sich um die schulmäßige Formulierung viel Sorge zu machen, als seine Überzeugung aus. Aber es war tatsächlich mehr als die Überzeugung eines Mannes. Denn die von ihm gefürte deutsche Reformation fand in seiner Lere ihre eigenen Überzeugungen. Das zeigen die ersten Auflagen der loci Melanchth[on]s in ihrer durchgehenden Abhängigkeit von Luthers Gedanken.«

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Erachtens die zeitgenössische christliche Frömmigkeit auf, die ihr Vertrauen auf Gott richtete, Gott anbetete und auf religiös-sittlichen Grundlagen den Pflichten des eigenen Berufes nachging. Dass diese enge Beziehung zwischen theologischen Überlegungen und dem Bekenntnis der Gemeinde in der Konkordienformel aufgebrochen wurde, dafür machte A. Hauck die Theologie nach M. Luther verantwortlich.207 Und er fuhr fort: Denn diese Verschiedenheit ist eine Tatsache. Und es ist gut, daß man sich daran erinnert, daß das Heil auf dem Glauben, nicht aber auf der Wiederholung dogmatischer Sätze beruht. Ist es deshalb berechtigt, jegliches Dogma abzulehnen? Daß in der Gegenwart weite Kreise dazu geneigt sind, weiß jedermann. Das Wort von dem undogmat[ischen] Christentum gehört zu den Modephrasen der Gegenwart. Es liegt demselben jedoch ein Misverständnis zu Grunde. Man betrachtet dabei das Dogma in seiner Beziehung zu dem einzelnen Subjekt. Aber man übersieht, daß das Dogma primär nicht in Beziehung zu dem Einzelsubjekt, sondern in Beziehung zur Kirche steht. Für sie aber ist es unentbehrlich. [...] Keine Gemeinsch[aft] kann bestehen, wenn nicht eine gewiße Übereinstimmung in den Grundanschauungen gesichert ist.208

Mit der Darstellung der Lehre der römisch-katholischen Kirche schloss der Erlanger Kirchenhistoriker sein dogmengeschichtliches Lehrbuch ab. Weil der Augustinismus definitiv aus deren Lehre ausgeschieden wurde, stellte er polemisch fest: »In keinem Punkte ist eine positive Einwirkung der evangelischen Anschauungen auf die römische Lehrbildung zu bemerken.«209 7.3.3 Zusammenfassung A. Hauck hatte nicht nur H. Schmids Lehrbuch durch Quellenbelege erheblich erweitert, sondern auch eine andere Dogmen-Definition vorangestellt: Er verstand unter Dogmen die von einer kirchlichen Gemeinschaft öffentlich geltend gemachten Lehrbegriffe, die auf zeitimmanten religiösen Überzeugungen beruhten und deshalb nicht, wie H. Schmid noch betonte, den Inhalt der christlichen Heilswahrheit systematisch auslegten. Damit stellte A. Hauck kirchliche Lehrüberzeugungen den von H. Schmid definierten geoffenbarten Glaubenswahrheiten gegenüber: A. Hauck unterschied nicht mehr wie H. Schmid zwischen einem absolut wahren Inhalt der Dogmen und ihrer subjektiven äußerli207 Vgl. ebd., Bl. [Kap. 9,] 3, Ergänzung [Stern Stern]: »Wenn man die F.C. neben das alte Taufbekenntnis stellt, so ist der Unterschied einleuchtend: jene ist eine theol[ogische] Lehrschrift, dieses ist eine Aussage des Gemeindeglaubens. Als theol[ogische] Lehrschrift aber trägt die F.C. selbstverständlich den Charakter ihrer Zeit. Von den Formeln, in welchen sie den religiösen Gehalt aussprach, gilt, was von den Gl[aubens]Formeln alle Zeiten gilt: sie sind unvollkommen. [...] So mag die Betrachtung dieses langen und ersten Bemühens adäquate Formeln für den religiösen Gehalt zu finden, uns demütig machen aller theol[ogischer] Erkenntnis gegenüber: wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort.« 208 Ebd., Bl. [Kap. 9,] 3, Ergänzungblatt. 209 Schmid, Lehrbuch4, 407.

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chen Form und Fassung, sondern ließ allein die religiöse Überzeugung einer Zeit sich in subjektiven Formen manifestieren. Erst unter dieser Prämisse konnte er nach den sich durchsetzenden religiösen Anschauungen suchen, die dem Christentum seinen Bekenntnisgrund gaben. Unter Glaubensinhalten verstand A. Hauck allgemeinchristliche Überzeugungen, die er der Fixierung eines Dogmas chronologisch vorordnete. Indem er postulierte, dass Tendenzen stets versuchen, an einmal gewonnenen Anschauungen festzuhalten, interpretierte er die Dogmengeschichte als ein qualitatives Fortschreiten, als ein Präzisieren christlicher Glaubensinhalte. Ging H. Schmid von einer Durchdringung der einmal gegebenen und abgeschlossenen Offenbarung der Heilswahrheit aus, so beruhte demgegenüber für A. Hauck die Dogmenbildung auf der gegebenen und historisch bedingten Frömmigkeit der Menschen. Betrachtete der Erlanger Kirchenhistoriker zwar wie A. Harnack,210 dessen erster Band des »Lehrbuch[es] der Dogmengeschichte« bereits 1886 erschienen war, Dogmengeschichte als Dogmenkritik – wobei A. Hauck den Dogmen noch einen relativen Wert beimaß, da sie aus religiösen Überzeugungen der Zeitgeschichte erwuchsen –, so übernahm er aber dessen Ansicht nicht, dass eine doktrinäre Überfremdung zur Fehlinterpretation des Evangeliums beigetragen hat. A. Harnacks »Konzeption eines undogmatischen, humanistischen Christentums«211 kritisierte A. Hauck, weil s.E. eine institutionelle Gemeinschaft zur Sicherung der eigenen Existenz berechtigt ist, eine Lehre auszubilden. Weiterhin hielt der Erlanger gegen den Marburger und späteren Berliner Theologen an der religiösen Dimension des Glaubens fest. A. Haucks dogmengeschichtliche Methode war damit ein Vorläufer derjenigen F. Loofs.212 Gegen W. Münschers rationalistisch-pragmatische Dogmengeschichtsschreibung, die in der Dogmenentwicklung eine diskontinuierliche, unmotivierte Interpretation der christlichen Heilsgewissheit sah, stellte A. Hauck im Rückgriff auf A. Neander und O. Baumgarten-Crusius eine Beschreibung, die religiösen Überzeugungen und theologisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzungen nachspürte. So suchte er in Anlehnung an F.D.E. Schleiermacher nach der Kontinuität der christlichen Lehre in ihren verschiedenen Ausprägungen, ohne die Trennung von allgemeiner und spezieller Dogmengeschichte nachzuvollziehen. Unter dieser Prämisse hatte bereits F.Ch. Baur in Nachfolge G.W.F. Hegels Dogmengeschichte geschrieben. A. Hauck verwarf aber deren Grund210 Zu A. Harnack vgl. Hauschild, Harnack, 1457–1459. Vgl. auch Kantzenbach, Harnack, 452, 25–28: »Harnack wollte für die christliche Religion, wie sie im Evangelium Jesu und in Jesu Person unüberbietbar rein hervorgetreten sei, offen eintreten, zumal das ›Wesen‹ des Christentums im Zeitalter der Naturwissenschaften einer wissenschaftlichen Begründung bedürfe.« 211 Hauschild, Dogmengeschichtsschreibung, 121, 21f. 212 Für diese These spricht meines Erachtens, dass A. Hauck F. Loofs den Artikel über die Dogmengeschichte in der RE3 schreiben ließ, vgl. Loofs, Dogmengeschichte, 752–764. Zu Loofs vgl. F. Steck, Loofs, 514f; Bitter, Loofs, 464–466.

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gedanken, dass sich eine Idee in unterschiedlichen Prägungen weiterentwickelt. Er überwand diese Einseitigkeit der Hegelschen Geschichtskonstruktion durch einen historischen Realismus, den er von F. Nitzschs übernahm. Die konfessionell-lutherische Dogmengeschichtsschreibung ging von dem Lehrbegriff des Konkordienbuches als Explikation der Offenbarungswahrheit der Heiligen Schrift aus. Th. Kliefoth hatte hier programmatisch gewirkt. G. Thomasius erkannte in seiner Beschreibung von Dogmenkreisen und Zentraldogmen eine fortlaufende Entwicklung des lutherischen Lehrbegriffs. A. Hauck ergänzte diese Auffassung um die reformierte und römisch-katholische Dogmenbildung. Hatte er in seinem Lehrbuch die schematische Stoffanordnung zwar noch nicht aufgegeben, so verstand er aber wie A. Harnack die einzelnen Dogmen zunächst als Teile der Gesamtanschauung vom Christentum und verband die Widerstandsfähigkeit und logische Entwicklungsfähigkeit der Dogmen mit zeitgeschichtlichen Faktoren ihrer Durchsetzung und Anerkennung. Letztlich setzte er wie auch später F. Loofs mit den Glaubensinhalten der nachapostolischen Zeit ein, um den kontroversen Fragen der neutestamentlichen Wissenschaft auszuweichen.

7.4 Ausführungen zur Symbolik 7.4.1 Geschichte der Disziplin Die Konfessionskunde entstand als theologische Disziplin auf dem Boden der lutherischen Lehrtradition.213 Da sie dort dem Ausgleich konfessioneller Gegensätze diente, kann erst G.J. Planck214 als Vater einer komparativen Symbolik gelten. Dessen Ansatz führte Ph.K. Marheineke fort, indem er neben dem Lehrbegriff auch den Kultus, die Verfassung und die Missionstätigkeit der Konfessionen reflektierte.215 Schwierigkeiten bereitete der Begriff: Wurden im Mittelalter nur gottesdienstliche Lehrformulierungen als Symbole bezeichnet, so wurden im Luthertum die CA, deren Apologie und die Schmalkaldischen Artikel Symbole genannte, »um diese Schriften als Erneuerung der Lehrtradition der altkirchlichen Bekenntnisse zu würdigen«;216 die reformierte Kirche lehnte diese Begriffserweiterung ab. Infolge des Streites zwischen J.A. Möhlers komparativer Symbolik und K. Hases Handbuch der protestantischen Polemik217 erkannte das Luthertum, dass sich ihr konfessionelles Wesen in Symbolen nicht

213 Vgl. Hauptmann, Konfessionskunde, 431, 22f. Zur Geschichte der Konfessionskunde vgl. Neve, Symbolik, 173–191; Schott, Grundlegung, 364–386. 214 Planck, Abriss. 215 Marheineke, Christliche Symbolik. 216 Hauptmann, Konfessionskunde, 432,35f. 217 Möhler, Symbolik; Hase, Handbuch.

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erschöpfend darstellen lässt. F. Kattenbusch218 interpretierte neben den Symbolen den Kultus, die Verfassung, die Sitte und die Frömmigkeit der Konfessionskirchen, um einen Vergleich umfassend begründen zu können. Der Begriffswechsel von Symbolik auf Konfessionskunde gründete auf dieser Bedeutungserweiterung. Würdige Vertreter seines Konzepts fand er im Erlanger reformierten Theologen K. Müller219 und in F. Loofs220, der aber F. Kattenbuschs historisch begründete Abstufung der Konfessionen negierte. Dennoch blieb G.L. Plitts »Grundriss einer Symbolik«221 in mehreren Auflagen der alten Methode einer komparativen Symbolik treu. 7.4.2 Methode und Darstellung A. Hauck stützte seine konfessionskundlichen Ausführungen222 auf die Symbolik R. Hofmanns223 und analysierte den gegenwärtigen Bestand der Konfessionskirchen historisch-kritisch in Bezug auf den theologischen Erkenntnisfortschritt und auf die Entwicklung des ethischen Nachdenkens bzw. Verhaltens. Er benannte den Mangel konfessioneller Polemik darin, dass sie den konfessionellen Unterschied aus abweichenden Lehren oder Institutionen eruiert, aber die unterschiedliche Frömmigkeitspraxis der Menschen nicht beachtet. Eine Abstufung der Konfessionskirchen lehnte er daher als subjektives Werturteil ab. Als Symbole definierte er kirchliche Bekenntnisse, die den individuellen Glauben an biblische Glaubensaussagen bindet: Sind sie damit zwar von zeitgeschichtlichen Einflüssen abhängig, so orientieren sie sich dennoch an objektiven Glaubensinhalten. A. Haucks konfessionshistorische Methode analysierte neben den Symbolen auch Liturgien, Katechismen, Privatschriften usw., um das Wesen einer Konfessionskirche zu beschreiben.224 Indem er ferner die Beziehungen der Kirchen untereinander verglich, bemühte er sich, ihr Verhältnis zur christlichen Wahrheit zu bestimmen. Die Untersuchung gliederte A. Hauck in zwei Teile: Quellenlehre und Lehrbegriff. Letzteren eruierte er aus dem »Hauptdogma«. Das Nizänum, das seines Erachtens auf einem römischen Taufsymbol von 140 beruht, charakterisierte er als das einzige ökumenisch anerkannte Symbol. Das Konstantinopolitanum positionierte er demgegenüber im Orient, da es auf einer semiarianischen Tauf218

Kattenbusch, Lehrbuch. E.F.K. Müller, Symbolik. 220 Loofs, Symbolik. 221 G. Plitt, Grundriss. 222 A. Hauck hielt die Vorlesung über Symbolik in Erlangen im SH 1880, SH 1884, SH 1886 und SH 1888. Davon sind folgende studentische Nachschriften erhalten geblieben, vgl. LAELKB, Ms 120, »Symbolik« Düll; Ms 2154, »Symbolik« Baum; Ms 1967, »Symbolik« Brendel. Die letztgenannte Vorlesung enthält eine ausführliche Gliederung der Vorlesung. 223 R. Hofmann, Symbolik. 224 Vgl. HUBL, Ms 0936 I »Symbolik I«, Bl. [Einleitung,] 1,1. 219

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formel basiere. Den Trinitarischen Streit würdigte der Erlanger Kirchenhistoriker, weil in ihm emotional über religiöse Grundanschauungen diskutiert worden war. A. Hauck kritisierte aber, dass das Konstantinopolitanum die einheitlichen und klaren Glaubenssätze des Nizänums letztlich verunklart hatte. Das Athanasium identifizierte er nicht als Taufbekenntnis, sondern als eine Privatarbeit. Deshalb sei es auch keine offizielle kirchliche Urkunde. Als Symbole der evangelisch-lutherischen Kirche benannte A. Hauck die sogenannten ökumenischen Bekenntnisse, die CA, die Apologie und die Konkordienformel, geprägt von Theologen »Melanchthonischer Gesinnung«. Das Wesen der lutherischen Kirche, die christliche Erbauung des Einzelnen, beschrieben s.E. am ehesten M. Luthers Katechismen. Deshalb analysierte der Erlanger Kirchenhistoriker die Frömmigkeit der Lutheraner als Folge der Lehre von der Rechtfertigung soli fidei.225 Sie erreiche eine ungemeine Vertiefung der Religiosität des Volkes, »[d]enn durch sie wurde für das religiöse Verhältnis alle sachlichen Vermittlungen wie alle kreatürlichen Mittler entfernt: Person steht der Person gegenüber: der hilfsbedürftige M[ensch] dem gnädigen Gott.«226 A. Hauck arbeitete heraus, dass der Protestantismus die altkirchlichen Dogmen unter diesem eigenständigen Gottesgedanken rezipiert hat.227 Indem er konstatierte, dass auch die lutherische Ekklesiologie von der Rechtfertigungslehre geprägt ist, widersprach er A. Ritschl: Kirche ist zunächst nicht Heilsanstalt, sondern Heilsgemeinde; während sie handelt, wird sie sichtbar.228 Er hob hervor, dass die Symbole der evangelisch-lutherischen Kirche die Unabhängigkeit von Staat und Kirche betonten: Der Staat ist seinem Wesen nach existenzberechtigt, ohne sich zum christlichen Staat fortentwickeln zu müssen, und schützt das individuelle Leben wie das von Institutionen durch 225 Vgl. ebd., Bl. [Teil II, Kap. 7, 2,] 3: »Dabei mag daran erinnert werden, daß der Protest[antismus] eine der großen historischen Erscheinungen ist, in denen das Christentum wirklich geworden ist. [...] Im Christent[um] handelt es sich immer um Religion, d.h. um die Gemeinsch[aft] des M[enschen] mit Gott; diese Gemeinsch[aft] wird so oder so als durch Christ[us] begründet und bedingt betrachtet.« 226 Ebd., Bl. [Teil II, Kap. 1,] 13, Ergänzung [Stern und Doppelstern]. 227 Vgl. ebd., Bl. [Teil II, Kap. 2,] 1,4: »Man sieht, wie lebendig der Gottesbegriff der Ref[ormations]zeit war: der letzte Ausgangsp[unkt] der rel[igiösen] Vorgänge liegt überall in Gott, seinem Wesen u[nd] Wirken. Aber ein Anlaß zu symbol[ischen] Festsetzungen war nicht vorhanden, da die Gegensätze sich nicht um den Gottesbegriff bewegten.« 228 Vgl. ebd., Bl. [Teil II, Kap. 3, 2,] 1: »Die K[irche] ist als Glaubensgemeinsch[aft] innerliche, unsichtbare Gemeinsch[aft]. Aber sie ist nicht etwas schlechthin Innerliches. Denn in ihrem Handeln tritt sie mit Notwendigk[eit] in die äußere Welt der Sichtbarkeit heraus. Bei dem Handeln ist nicht zunächst an die Betätigung des Glaubens im Leben der einzelnen gedacht, sondern an das Handeln der K[irche] als Gemeinsch[aft], an die Tätigkeit, durch welche sie sich selbst unabläßig erbaut: die Verkündigung des Ev[angeliums] u[nd] die Verwaltung der Sakr[amente]. Ohne dieselbe würde sie selbst aufhören. Hier ist der Punkt, an dem die geistige Gemeinsch[aft] der Gl[aubenden] zu einer äußerlich organisierten Gemeinsch[aft] wird. [...] Die organisierte Gemeinde ist stets äußerliche Gemeinsch[aft]. [...] Die K[irche] als äußerl[iche] Gemeinsch[aft] wird diesen Charakter der Mischung warer u[nd] scheinbarer Glieder wärend der ganzen Zeit dieser Welt behalten. Denn so lange ist das Reich Christi ein verborgenes Reich. Eine Änderung tritt erst ein, wenn das Reich Christi geoffenbart wird.«

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Rechtsordnungen.229 Eine von den Zeitumständen abhängige Verfassung der Kirche, die die natürlichen Ordnungen anerkennt, erachtete A. Hauck deshalb als notwendig.230 Damit widersprach er F.D.E. Schleiermacher, der behauptet hatte, dass der Protestantismus das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche abhängig macht von dessen Verhältnis zu Christus. Als Zentraldogma der reformierten Kirche identifizierte A. Hauck die Prädestinationslehre, die seiner Meinung nach keine Heilsgewissheit vermittelt:231 Indem die reformierte Frömmigkeit auf einer Selbstgewissheit basiert, die sich auf den unveränderlichen Willen Gottes stützt, unterscheidet sie sich von der lutherischen Frömmigkeit.232 Der Erlanger Kirchenhistoriker kritisierte, dass die reformierte Kirche das reformatorische Dogma somit erschüttert hatte und neben die CA Lokal- und Territorialbekenntnisse stellte. Infolgedessen und weil auch J. Calvin die Lehren U. Zwinglis nicht fortführte, ging A. Hauck davon aus, dass diese Konfessionskirche keine geschlossene Lehre vorgelegt hat. Ihr Zentraldogma bezeichnete er letztlich als einen Irrtum, weil sich seine Christologie nicht mit dem Bild der Evangelien deckt. Demgegenüber teilte er deren Ekklesiologie, Amtsverständnis und Theologie der Schöpfungsordnungen. Er resümierte daher, dass der Protestantismus vom Heilsbedürfnis des Individuums bedingt ist: »Man sucht das Gleiche: Gewisheit des Heils, von dem man sich bewußt ist, es allein der Gnade Gottes zu verdanken, aber man findet es in etwas Verschiedenen: luth[erischer] Seits in der rechtfertigenden Gnade, reformirter Seits in dem ewigen, schlechthin freien Gnadenwillen Gottes.«233 Zu den kleineren protestantischen Gemeinschaften zählte A. Hauck die Brüdergemeine, die Sozinianer, die Baptisten, die Quäker und die Methodisten. Die Eigenart der Brüdergemeine erkannte A. Hauck im betont subjektiven Ver229

Vgl. ebd., Bl. [Teil II, Kap. 6, 4,] Ergänzung 9: »Tatsächlich hat erst der Protestant[ismus] mit seiner [des Staates, M. T.] Anerkennung Ernst gemacht. Die Verschiedenheit der Überzeugungen trat nun nicht bei der Frage, ob auch der Staat von Gott geordnet sei, an den Tag, sondern vielmer bei der Frage nach dem Verhältnis der geistl[ichen] zur weltl[ichen] Gewalt.« 230 Vgl. ebd., Bl. [Teil II, Kap. 3,] AA: »Es ist aus dem Gesagten klar, daß die Verfaßung der luth[erischen] Kirchen nicht durch kirchliche Überzeugungen, sondern durch die äußeren Verhältniße bedingt ist. Das ist kein Mangel; denn es ist die notwendige Folge davon, daß nach evang[elischer] Überzeugung die K[irche] rein religiöse Gemeinschaft ist: deshalb muß für die Verwaltung der Gnadenmittel gesorgt werden.« 231 Vgl. HUBL, Ms 0936 II, »Symbolik II«, Bl. S.II. 15,1: »Man muß anerkennen, daß die reform[ierten] Bekenntniße im Allg[emeinen] die Lere von der Prädestination auf relig[iösen] Voraussetzungen: die Gl[aubens]Gewißheit, die ausschließliche Wirkung d[er] Gnade, die völlige Unfähigk[eit] des M[enschen] sich selbst zu helfen, gründeten. Dies ist nur zu billigen.« 232 Vgl. ebd., Bl. S.II. 21,2: »Die Verschiedenheit der ref[ormierten] u[nd] luth[erischen] Anschauungen tritt bes[onders] in dem Abschluß der Lere vom neuen Leben augenfällig an den Tag. Nach luth[erischer] Anschauung kann der M[ensch] aus der Gnade der Rechtfertigung fallen: damit verliert er den H[eiligen] G[eist] u[nd] das neue Leben hat ein Ende. Aber es ist möglich, daß das gestörte Verhältniß zu Gott wieder hergestellt werde. Das sind alles Gedanken, die für das reformirte Dogma unmöglich sind.« 233 Ebd., Bl. [S.II. 36,] Ergänzung [Stern Stern].

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ständnis der Rechtfertigung. Hob er hervor, dass sie ihre Ethik religiös begründete, so musste er den Sozinianismus bzw. Unitarismus gerade wegen seines rein moralistisch ausgerichteten Handelns ohne religiöse Bindung kritisieren: Hier tritt die Christologie hinter die Anthropologie zurück.234 Bei den Mennoniten, Baptisten und Quäkern fand A. Hauck keine ausgeformten Bekenntnisse, weil diese an eine Offenbarung im Wirken des Heiligen Geistes glaubten. Demgegenüber erfasste er im Methodismus bekenntnisartige Formulierungen in der Lehre und im Kirchenverständnis. A. Hauck urteilte, dass der Methodismus das religiöse Volksleben gefährdet, wenn er die Auflösung der kirchlichen Verhältnisse anstrebt, um in der Gemeinschaft der Heiligen den Zustand sittlicher Vollkommenheit zu erreichen. Deshalb teilte der Erlanger Kirchenhistoriker die Kirchenkritik der Darbysten: »Der Darbysm[us] ist eine Mahnung an das kirchl[iche] Amt, alles zu versuchen, um die verloren gegangene Fühlung mit dem V[olk] wieder zu finden.«235 An letzter Stelle referierte er über die Heilsarmee: Deren Forderung, mit dem bisherigen Lebensvollzug zu brechen, lehnte er ab. Die Ekklesiologie benannte A. Hauck als Zentraldogma236 der römischkatholischen Kirche: Sie identifiziert die Institution Kirche mit der unsichtbaren Gemeinschaft der Heiligen. Er kritisierte den Primat des Papstes.237 Beanstandete er unbiblische Veränderungen in der Anthropologie, so erkannte er in der Trinitätslehre und Christologie Übereinstimmungen zur protestantischen Lehre. Negierte er auf der einen Seite die römisch-katholische Sakramentenlehre: Ich brauche nicht auszuführen, wie fest durch diese Handlungen gerade die Abergläubischen an die K[irche] gebunden werden: sie scheint ihnen Sicherh[eit] u[nd] Friede dieses Lebens, wie das Heil im Jenseits zu versichern. Das woran wir Evang[elischen] Anstoß 234 Vgl. ebd., Bl. S. 39,2: »Die ganze Lere des Socin[ianismus] wie wir sie überblickt haben erweist sich als rationalisirende Auflösung des christl[ichen] Dogmas. Der Socinianism[us] wollte das Christent[um] festhalten, aber es sollte zugleich aufhören Religion zu sein. Das entsprach seinem Urspr[ung] aus einer wesentlich irreligiösen Strömung.« 235 Ebd., Bl. B. 236 Vgl. HUBL, Ms 0936 III, »Symbolik III«, Bl. 40,3, Ergänzung 11: »Die römische Kirche hat keine Symbole in demselben Sinne, in welchem wir von Symbolen der protestant[ischen] Kirchen sprechen. Die letzteren sind der Idee nach stets Zeugniße von dem Glauben der Gesammtheit, der sich auf dem Grunde des göttlichen Wortes erbaut. Weil sie das sind, verpflichten sie den einzelnen. Denn der Träger des Lehramts steht nicht über der Gemeinde, sondern er ist ihr Diener. Dagegen lehrt die röm[ische] Kirche die Existenz eines von Gott eingesetzten Lehrstandes, dem Gott die höchste u[nd] unfehlbare Lehrautorität übertragen u[nd] deßen Lehrvorschriften sich die einzelnen Gläubigen gehorsam unterzuordnen haben. An die Stelle der protest[antischen] Symbole treten demnach in der römischen Kirche die Lehrvorschriften der Hierarchie.« 237 Vgl. ebd., Bl. S. 45,4: »Die Verkerung der K[irche] in ein weltl[iches] Reich, wie wir es im röm[ischen] Dogma fanden, entspricht völlig die Verkerung des Kirchendienstes in das Regiment der im Papsttum ihren Gipfel erreichenden Hierarchie. Es felt ihr nicht nur der Schriftgrund, sie ist nicht nur genötigt, für Geschichte zu erklären, was doch nur Legende ist, um einen histor[ischen] Beweis für ihre Berechtigung leisten zu können, sondern, was die Hauptsache ist: sie schädigt das Werk Christi, zw[ischen] Christus u[nd] die gläubige Seele schiebt sich das Priestertum, als die lerende, opfernde, Gott versönende, das Irdische weihende Kirche ein.«

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nehmen, liegt auf der Hand: einerseits an der dualist[ischen] Voraussetzung, die gegen den Kanon verstößt, daß alle Kreatur Gottes gut ist, u[nd] andererseits an der Vorstellung einer dinglichen Heiligkeit: eine solche gibt es nicht.238,

so erkannte er auf der anderen Seite, dass dennoch in ihr ein Moment christlicher Wahrheit verankert ist: das soteriologische Zusammenwirken von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit. Deshalb resümierte A. Hauck: Fragt man nun, worin der einheitliche Charakter der röm[ische] Lere liegt, so ist die Antwort: Auch die römische K[irche] will zu dem Heil in und durch Jesum Christum füren. Aber sie sucht dies Ziel zu erreichen, indem sie die Religion ihres rein geistigen Charakters beraubt; sie verendlicht des Unendliche, sie versichtbart das Unsichtbare. [...] Mit diesem Grundcharakter der röm[ischen] Lere hängt auch die Gesetzlichk[eit] der röm[ischen] Frömmigk[eit] zusammen. Denn ist die K[irche] ein sichtb[ares], den irdischen Reichen nachgebildetes u[nd] gleichartiges Staatswesen, so ist ihm der Charakter der Gesetzlichk[eit] wesentlich.239

Auch die griechisch-orthodoxe Kirche kritisierte A. Hauck, weil sie ihre eigene Tradition über die Heilige Schrift stellte. Stimmten zwar die orthodoxe Theologie und Christologie mit dem altkirchlichen Dogmen überein, so widersprachen Anthropologie und Soteriologie dem biblischen Zeugnis. An erster Stelle kritisierte der Erlanger Kirchenhistoriker deren Sakramentenlehre und Ekklesiologie:240 Glauben und Lehre haben für die Religiosität nur eine sekundäre Bedeutung, primär ist die Feier des Gottesdienstes. Ethische Impulse vermittelt die orthodoxe Kirche nicht, so urteilte A. Hauck abschließend.241 Mit einem kurzen Überblick über schismatische Kirchen schloss der Erlanger Kirchenhistoriker seine Vorlesung.242 7.4.3 Zusammenfassung A. Hauck legte eine theologische und historische Analyse der kirchlichen bzw. religiösen Symbole vor,243 indem er das Wesen christlicher Konfessionskirchen untersuchte und ergänzte um eine kritische Durchsicht der Bekenntnisse und 238

Ebd., Bl. [S. 53a,] 3. Ebd., Bl. S. 55,3f. 240 Vgl. ebd., Bl. S. 60, Anmerkung A: »Die Verfaßung der oriental[ischen] Kirche ist so seltsam irregulär, als man sich irgend denken kann.« 241 Vgl. ebd., Bl. S. 60, Anmerkung B, Ergänzung 3: »Sittlich fruchtbar ist diese Gestalt des Christent[ums] unter allen, die es gibt, am wenigsten, obgleich die orientalische Theorie dem menschlichen Handeln unter allen christl[ichen] Konfeßionen den größten Wert beilegte. Der Protestant[ismus] u[nd] der röm[ische] Katholizismus haben zu allen Zeiten ihres Bestehens die Kraft bewärt, sittlich durchgebildete Charaktere auszugestalten: die orient[alische] Christenh[eit] ist seit einem Jartausend dieses Vermögen abhanden gekommen: die rußische K[irche] aber vermag nur das Zerrbild von Charakteren zu produzieren: Fanatiker.« 242 Vgl. ebd., Bl. [IV, Kap. 6,] 7, Ergänzung 1. 243 Vgl. Wagenmann, Symbolik, 87. 239

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um die Frömmigkeit, auf der die Bekenntnisbildung basierte. Diese Frömmigkeit, d.h. die religiösen Ideen der Menschen in Bezug auf die christliche Idee, benannte er als den ausschlaggebenden Untersuchungsgegenstand, der erst die Differenzierungen der einen Kirche in konfessionell getrennte Gemeinschaften erlaubt. In Anlehnung an F. Kattenbusch ermittelte er von der empirischen Erscheinungsform einer Konfessionskirche ausgehend deren prinzipielles Wesen, in Anlehnung an Ph.K. Marheineke die Sitten und Gebräuche, den Kultus und das Verhältnis zum Staat, die kirchliche Geographie und Statistik, in Anlehnung an M. Schneckenburger Katechismen, Predigt- und Erbauungsbücher. Konfessionskirchen betrachtete A. Hauck als die historisch-bedingte Form einer christlichen Gemeinschaft. Ihr Bezugspunkt war das Volk. Der Erlanger Kirchenhistoriker interessierte sich für literaturhistorische, historische, dogmatische und ethisch-praktische Fragestellungen und wandte J.A. Wagenmanns Methode an.244 Er verknüpfte die schematische Lokalmethode mit der systematisierenden Methode. Darin eingeschlossen war sein Anspruch, sich mit einer historischen Darstellung der christlichen Wahrheit zu nähern: Infolgedessen bemaß er die Grenze der Autorität jedes Symbols an der Bibel als der eigentlichen Glaubensregel. Vom lutherischen Standpunkt aus formulierte A. Hauck sowohl polemische als auch irenische Schlussfolgerungen, ohne eine Stufenfolge der Konfessionen zu vertreten. Er behandelte in seiner Darstellung die Konfessionskirchen nacheinander, um das vergleichende Moment in den Hintergrund treten zu lassen. Das mit Hilfe eines Zentraldogmas herausgearbeitete Wesen einer Konfession verglich er schließlich mit deren gegenwärtigem Charakter.

7.5 Ausführungen zur christlich geprägten Kunst 7.5.1 Einleitung Im 19. Jahrhundert begründete der Protestantismus seine Gegensätzlichkeit zum Katholizismus auch mit seiner kulturellen Entwicklung: Dazu gehörte die christliche Kunst.245 Unter zweifacher Perspektive analysierte H. Ulrici diese 244 Vgl. ebd., 88: »Die wissenschaftliche Grundlage wird stets die historische Betrachtung bilden müssen: die historisch-kritische Erforschung und Darstellung der Entstehung, geschichtlichen Entwicklung und des gegenwärtigen Bestandes der verschiedenen Kirchen und Kirchenparteien nebst der litterarisch-kritischen Untersuchung der verschiedenen Urkunden und Zeugnisse, der Gesamt- und Sonderbekenntnisse, worin dieselben ihre verschiedenen Lehren und Grundsätze zum Ausdruck gebracht haben. Und sofern die Lösung dieser Aufgabe nur im Zusammenhang mit der Gesamtgeschichte der Kirche und des kirchlichen Lehrbegriffs möglich ist, so bildet die Symbolik in diesem Sinne, als Geschichte der kirchlichen Bekenntnisse und der darin niedergelegten Unterscheidungslehren, einen Teil der historischen Theologie; [...].« 245 Vgl. F.W. Graf, Protestantismus, 574, 10–16: »Der Katholizismus sei in Kultur und institutioneller Repräsentation eine Religion des Auges, der sinnlichen Anschauungen. Der Protestantismus sei

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Kunstgeschichte:246 Er erörterte einerseits das Verhältnis von christlicher und heidnisch-antiker Kunstauffassung, andererseits die Entwicklung der Beziehung von christlichem Glauben und Kunst. Erkannte H. Ulrici – und in seiner Nachfolge V. Schultze247 – in einer plastischen Darstellung das Ideal antiker Kunst, so sah er in der christlichen Kunst den Anspruch formuliert, die Malerei zu bevorzugen, weil diese weit weniger als die Skulptur idealisiert, sondern das Charakteristische einer Person aufzuzeigen versucht.248 V. Krech interpretiert die Entwicklung der religiösen Kunst im 19. Jahrhundert von einem anderen Standpunkt her: Aufgrund der Transformationsprozesse von Religion wird der gesamte Bereich der Emotionalität, des Erlebens und Erfahrens, religiös konnotiert, was unter anderem eine Konjunktur kunstreligiöser Phänomene zur Folge hat. Die bürgerliche Religiosität strebt nach ästhetischen Realisierungen von Religion. Bildende und darstellende Kunst, Musik und Literatur erhalten religiöse Weihen oder avancieren gar zum Gegenstand religiöser Verehrung und bekommen eine erlösende Funktion, ohne sich selbst als religiös verstehen oder traditionelle religiöse Themata verarbeiten zu müssen.249

Die Kunst als religiöse Form versteht er damit als eine Antwort auf die Krise des christlichen Glaubens. Auch R. Rothe hatte die Kunst bereits als religiöse Gemeinschaft bezeichnet. 7.5.2 Methode und Durchführung Einen ersten kulturhistorischen Blick warf A. Hauck auf die Entwicklung der christlichen Poesie, die auf den Feldern begann, auf denen die antike Poesie erlahmte.250 Er begründete diesen kulturellen Verfall mit dem politischen Verfall des Römischen Reiches. Dem Christentum erwies er die Ehre, die »alternde Kulturwelt« mit Idealen durchdrungen und damit zukunftsfähig gemacht zu haben. Um diese christliche Kulturgeschichte für die Kirchengeschichte fruchtdemgegenüber eine Religion des Ohres. Für ihn sei ein prinzipieller Vorrang des Wortes vor dem Bilde kennzeichnend. Diese Selbstrepräsentation brachte es mit sich, daß Sprachkultur und Dichtung sowie die Musik im kulturprotestantischen Bildungskanon eine ungleich größere Bedeutung gewannen als die ›bildenden Künste‹.« 246 Vgl. Ulrici, Kunst, 308. 247 Vgl. Schultze, Kunst, 175, 27–32. 248 Vgl. Ulrici, Kunst, 312: »Erkennt man nun aber das Pittoreske, Phantastische, Humoristische als charakteristische Grundzüge unserer älteren wie neueren Kunst an, so erkennt man eben damit den spezifisch christlichen Ursprung und Charakter derselben an. Denn eben jene Überzeugung von der Erhabenheit des Geistes über die Natur, von seiner inneren Unendlichkeit, Freiheit und Selbständigkeit, und damit von der Unangemessenheit seines gegenwärtigen Daseins zu seinem waren Wesen und seiner göttlichen Bestimmung (Idealität) ist erst durch das Christentum in die Welt gekommen und aus dunklen Anungen zu einer bestimmten, durchgebildeten Lebensansicht entwickelt worden.« 249 Krech, Geburt, 22f. 250 A. Hauck las über die Geschichte der christlichen Poesie einmalig im WH 1879/80, vgl. LAELKB, Ms 405/1, »Geschichte der christlichen Poesie bis zur Reformation« Düll.

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bar zu machen, trug er an seine Quellen die Fragen heran, wie und in welchem Maße sich die Ideale und Ansichten des Christentums unter den Völkern bzw. Nationen behaupteten.251 A. Hauck stellte fest, dass in der apostolischen Zeit zunächst die Psalmodie ausgebildet wurde, weil die byzantinische Poesie auf den Inhalt alttestamentlicher Erzählungen zurückgriff. Daraus entstand der gottesdienstliche hymnologische Wechselgesang. Daneben, so der Erlanger Kirchenhistoriker, entwickelte sich in den ersten Jahrhunderten eine spezifisch christliche Volksdichtung, der es zwar an Ästhetik und Gelehrsamkeit mangelte, die aber das Christuslob ernst bezeugte. Er bedauerte, dass diese sich kirchenpolitisch nicht durchzusetzen vermochte. In der Frömmigkeit des Abendlandes verankerte sich die lateinischsprachige Hymnendichtung, da Ambrosius von Mailand diese formal eng an die antike Poesie band und Gregor I. diese Hymnen mit Volksmelodien unterlegte. In der lateinischsprachigen Kirche identifizierte A. Hauck neben dem Entwicklungsstrang der Hymnologie einen weiteren, der aber dem ersten in formaler wie in inhaltlicher Hinsicht mitnichten nahe komme: den der Lyrik. Seiner Meinung nach statuierte Aurelius Prudentius Clemens diesbezüglich mehrere Exempel.252 Auch den Grabinschriften des römischen Bischof Damasus I. maß A. Hauck eine kirchen- und kulturgeschichtliche Bedeutung zu, weil sie u.a. der »ersterbenden Culturwelt« noch einmal Schwung verliehen. Nach Meinung A. Haucks transportierte und transformierte das Christentum diese römische Kultur über die Völkerwanderung hinweg.253 Mit Argumenten untermauerte er diese These am Beispiel der Transformation des lateinischsprachigen Kirchenliedes. Er arbeitete heraus, dass erst das mittelalterliche deutschsprachige Lied den Laiengesang wieder zur Geltung gebracht hatte, dass aber die geistlich-theologische Dichtung stets im Fortschreiten begriffen war: Die christlichen Erfahrungen des Volkes gewannen gegenüber theologischen Aus251 Vgl. HUBL, Ms 0937, [Geschichte der christlichen Poesie,] Bl. 29,2: »Es ist ein Stück Culturgeschichte, das in ihr an uns[erem] Auge vorübergegangen ist, [...] noch mehr ein Stück K[irchen]Gesch[ichte]. Denn wenn die Aufgabe der K[irchen]Gesch[ichte] nicht nur die ist Nachricht zu geben von der Ausbreitung der Kirche, von der Umgestaltung ihrer Verfaßung, von der Entwicklung ihrer Lere, sondern wenn die K[irchen]Gesch[ichte] die Aufgabe hat, die Einwirkung erkennen zu laßen, die auf den Geist u[nd] die Anschauung der Nationen durch die K[irche] ausgegangen ist, so wird sie sich dem nicht entziehen können, hierauf ihr Augenmerk mer zu richten als es bisher geschehen ist.« 252 Vgl. ebd., Bl. 13,3: »Auch er steht innerhalb seiner Zeit, u[nd] leidet an den Schwächen derselben: ich erinnere nur an die Breite u[nd] Weitschweifigk[eit], in die er nicht selten verfällt, an die üble Art, wie Marterscenen bis ins Einzelste geschildert sind: ja selbst die Wahl seiner Stoffe, die ja vielfach auf geradezu Unpoetisches fällt, entspricht der poesielosen Zeit in der er lebte.« 253 Vgl. ebd., Bl. 15,4: »[...] nun konnte Karl der Große den höheren Gedanken einer Verschmelzung der Kultur der alten Welt mit dem germanischen Volksthum faßen, nun konnte er Hand an die Verwirklichung dieses Gedankens legen: die Reste der Kultur der alten Welt, die noch vorhanden waren, fanden Aufnahme u[nd] Pflege in dem fränkischen Reiche, das gilt von der Wißensch[aft] wie von der Kunst.«

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sagen an Bedeutung. A. Hauck urteilte, dass sich keine nationalsprachige Bearbeitung der biblischen Geschichte mit dem deutschsprachigen »Heliand« messen lassen kann. Als einen Höhepunkt der christlichen Epik bzw. Poesie bezeichnete er A. Dantes »Göttliche Komödie«. Als Beispiel dafür, dass sich die Poesie und Lyrik aus dem Raum kirchlicher Institutionen herausbewegte, führte A. Hauck die mittelalterlichen geistlichen Dramen an. Einen zweiten kulturhistorischen Blick warf A. Hauck auf den Entwicklungsgang der christlichen bzw. kirchlichen Kunst.254 Er interpretierte Kunst unter der Fragestellung, ob sich in ihr geschichtsimmanente Ideen der geoffenbarten Wahrheit Gottes abbilden.255 Um eine Entwicklung nachzeichnen zu können, reflektierte er das Wechselverhältnis von Ästhetik, Zweck, nationalkultureller Leistungskraft und theologischer Vorstellungskraft. Infolgedessen analysierte er Ursprung, Hermeneutik und Inhalt der künstlerischen Quellen. In seiner kunsthistorischen Betrachtung eruierte A. Hauck das Verhältnis von Kunst und Gottesdienst bzw. Liturgie.256 Er erkannte, dass der Kirchenbau in den ersten Jahrhunderten vornehmlich ästhetische und praxisorientierte Akzente setzte,257 weil er Räume gestaltete, die dem profanen Gebrauch entzogen waren. Kritisch urteilte er, dass dem Volk die schöpferische Kraft mangelte, die Bauform der Basilika weiterzuentwickeln. Neben der Architektur befasste sich der Erlanger Kirchenhistoriker mit der liturgischen Ausstattung und dem malerischen Schmuck und stellte fest, dass sich nicht die Form, sondern der geistige Inhalt von christlichen Überzeugungen durchdrungen wurden.258 Er lehnte die Verwendung des altchristlichen Bilderkreises weitestgehend ab – obwohl er die 254 Vgl. HUBL, Ms 0942, »Geschichte der kirchlichen Kunst«; LAELKB, Ms 121, »Geschichte der christlichen Kunst« Düll; LAELKB, Ms 2153, »Christliche Kunstarchäologie« Baum. A. Hauck hielt die Vorlesungen über die christliche bzw. kirchliche Kunstarchäologie im WH 1878/79, SH 1880, SH 1881, WH 1883/84, SH 1885, SH 1887 sowie als seminaristische Übung im WH 1887/88 und SH 1888. Vgl. auch A. Hauck, Kirchenbau, 774–793. 255 HUBL, Ms 0942, »Geschichte der kirchlichen Kunst«, Bl. K.K. 1,1: »Indem das Christentum die Kulturwelt eroberte, hat es eine neue Weltanschauung geschaffen. Ein unendlich weiter Kreis neuer Ideen u[nd] neuer Vorstellungen hat sich dabei der Menschheit erschloßen. Von welcher Seite aus man auch die Geschichte der Vergangenheit überblicken mag, so findet man keine zweite historische Erscheinung, durch welche in ähnlicher Weise das geistige Leben der Menschheit umgestaltet, und dabei zugleich vertieft u[nd] erweitert worden wäre, wie durch das Christentum.« 256 A. Hauck griff zurück auf Kraus, Kunst; Schultze, Studien; Lübke, Vorschule; Piper, Einleitung. 257 Vgl. A. Hauck, Kirchenbau, 775, 5–34: »Man hat wohl von christlicher Baukunst gesprochen. Aber in der Verbindung der beiden Worte liegt derselbe logische Fehler, wie wenn man von dem christlichen Staate spricht. Denn so wenig dadurch, daß die Bürger eines Staats Christen sind, der Begriff des Staats geändert wird, so wenig wird das Wesen der Baukunst dadurch umgestaltet, daß sie einem christlichen oder einem nichtchristlichen Volke dient. Nicht die Baukunst als solche ist durch das Christentum umgebildet worden, sondern eine der Aufgaben, die sie zu lösen hatte, wurde geändert: sie hatte nicht mehr Tempel, sondern Kirchen zu schaffen.« 258 Vgl. HUBL, Ms 0942, »Geschichte der kirchlichen Kunst«, Bl. [3. Kap.,] 1,1: »Auch hier weist die Zeit nach Konstantin auf die Jahrh[underte] vor ihm: in ihnen vollzog sich die Eroberung der antiken Kunstformen für den christlichen Gedanken.«

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ergänzende Darstellung von Christus und von Personen der Heilsgeschichte würdigte – und favorisierte die Darstellung biblischer Szenen: Hierin bestimmte er die Abhängigkeit der christlichen Kunst von der idealistischen und realistischen antiken Kunst. Die künstlerische Schaffenskraft des Mittelalters zeichnete sich nach Meinung A. Haucks durch die kontinuierliche Weiterentwicklung des Vorhandenen aus:259 Karl dem Großen gebühre die Ehre, die Kultur gefördert, die bildenden Künste sowie den Kirchenbau auf ihren Höhepunkt geführt und das altchristliche Element gegenüber dem keltischen und germanischen zum Durchbruch verholfen zu haben. Erkannte A. Hauck im romanischen Kirchenbau zunächst einen Ableger der altchristlichen Basilika,260 so hob er den ästhetischen Wert der romanischen Basilika heraus, da das liturgische Handeln des Geistlichen im Altarraum hier deutlicher betont wird. Gegenüber diesem liturgischtheologischen Nachdenken, so konstatierte er, führten technische Weiterentwicklungen dann zum gotischen Stil.261 Der Erlanger Kirchenhistoriker beanstandete aber, dass die Gotik zur Übertreibung neigte und sie letztlich scheitern musste, weil sie unfähig war, ein Kunstwerk in kleineren Dimensionen zu errichten. Nachdem in den Augen A. Haucks die Romanik einen quantitativen Fortschritt in der Malerei und Plastik hervorbrachte, verspürte er in der Kunst der Gotik auch einen qualitativen Aufschwung: »Es ist eine Malerei der Seele, der zart empfindenden, für das Himmlische offenen, u[nd] an das Göttl[iche] hingebenden Seele.«262 Obwohl er der Gotik eine hohe kulturelle Bedeutung einräumte, schränkte er diese mit Blick auf die uneinheitliche und charakterlose Architektur der Neuzeit263 ein: »Ich fürchte, daß die Bevorzugung der Gotik einer der Gründe ist, 259 Vgl. ebd., Bl. [5. Kap.,] 1,1: »Es ist eigentümlich, wie die der alten Welt verloren gegangene Schaffenskraft überall, wo sich german[isches] Wesen mit dem römischen vereinigte, wieder erwachte.« 260 Vgl. A. Hauck, Kirchenbau, 785, 32–34: »In der Basilika übererbte die untergehende antike Welt den neuen und erneuerten Völkern, die nun die Träger der Kulturentwicklung wurden, eine entwickelungsfähige, aber noch ziemlich unterentwickelte Bauform.« 261 Vgl. HUBL, Ms 0942, »Geschichte der kirchlichen Kunst«, Bl. [8. Kap., 1,] 3: »Demgemäß ist die Raumdisposition der gotischen Kirche identisch mit der der romanischen. Darin liegt, daß der gotische Stil keine Schöpfung der Kirche ist. Er ist eine Schöpfung der Technik.« Vgl. A. Hauck, Kirchenbau, 789, 57–790, 4: »Nichts ist eigentümlicher als der Ursprung der Gotik. Man kann sagen: Aus der altchristlichen Basilika mußte die romanische entstehen, das forderte die Entwickelungsfähigkeit und die Unvollkommenheit der ersteren. Aber niemand wird analog über die romanische und die gotische Kirche urteilen. Der Ursprung des gotischen Stils hat etwas Willkürliches, wie er denn aus der Lösung eines einzigen technischen Problems: beste Bildung des Kreuzgewölbes, erwachsen ist.« 262 HUBL, Ms 0942, »Geschichte der kirchlichen Kunst«, Bl. [9. Kap.,] Chr.K. 36,1. 263 Vgl. A. Hauck, Kirchenbau, 793, 47–49: »Denn die Baukunst ist nicht dazu da, dogmatische Gedanken auszusprechen, sondern praktischen Bedürfnissen zu dienen: der Zweckgedanke, nicht die dogmatische Vorstellung beherrscht sie. Das zweckmäßige Kirchen unter Verwendung der verschiedenen Baustile hergestellt werden können, zeigt die Erfahrung.«

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weshalb viele moderne Kirchen so wenig Individualität haben. Ohne sie aber ist ein Kunstwerk von bleibendem Wert nicht denkbar.«264 Einen dritten kulturhistorischen Blick warf A. Hauck auf die Entwicklung des Christusbildes in der abendländischen Kirche.265 Er konstatierte nach Auseinandersetzung mit der religionsgeschichtlichen Erläuterung des Christusbildes bei H. Holtzmann,266 dass das gegenwärtige Christusbildnis, das von erhabenen und freundlichen Gesichtszügen gekennzeichnet sei, aufgrund der Tradition und einer gläubigen Vorstellungskraft gerechtfertigt ist, obwohl es nicht in der biblischen Überlieferung, sondern im Werk Christi und in idealistischen Anschauungen verankert ist.267 Den Ausgangspunkt der Entwicklung des Christusbildes entdeckte der Erlanger Kirchenhistoriker im Bild des Guten Hirten – er bestritt aber dessen Abhängigkeit von der Darstellung des Hermes –, weil sich hier die urchristliche Vorstellung mit der symbolischen Darstellung deckte und sich Jesus selbst als solchen bezeichnet hatte. Er erkannte, dass in der Folgezeit malerische Darstellungen neutestamentlicher Szenen dieses Bild aufgriffen,268 und konstatierte, dass dieses idealisierte Jesusbild mit dem Bild des verherrlichten Christus übereinstimmte. Das Jesusbild des vierten Jahrhunderts, das statt der Lieblichkeit und Freundlichkeit eines Jünglings nun die Erhabenheit eines Mannes widerspiegelte, führte A. Hauck auf die dogmatischen Auseinandersetzungen um die Christologie zurück und widersprach damit einer möglichen Abhängigkeit von der heidnisch-antiken Kunst. Seine These, dass das symbolische Jesusbild später um das historische Jesusbild ergänzt wurde und dass beide letztlich miteinander verschmolzen, begründete er mit der Analyse christlicher Denkmäler.269 7.5.3 Zusammenfassung A. Hauck interpretierte Kunstwerke als Beispiele der kulturellen Entwicklungsund Assimilierungsfähigkeit des Christentums, indem er voraussetzte, dass 264 265

Ebd., 794, 1–3. A. Hauck, Christustypus. Zur Geschichte des Christusbildes vgl. N. Müller, Christusbilder,

63–82. 266

Holtzmann, Entwicklung, 71–84. Vgl. A. Hauck, Christustypus, 162: »Nicht mit Porträtstatuen beginnt der Versuch, Jesum der Gemeinde durch bildliche Mittel zu vergegenwärtigen, sondern mit symbolischen Deutungen.« 268 Vgl. ebd., 167: »Während man in späterer Zeit den Typus Christi auf die symbolische Figur des guten Hirten übertrug, geschah im christlichen Altertum das Umgekehrte: man entnahm den Typus für die historische Darstellung aus der symbolischen.« 269 Vgl. ebd., 179: »Die Umrisse des Christusbildes waren gezogen, die Aufgabe, an deren Lösung die Kunst zu arbeiten hatte, war gesteckt: nicht ein Bild jugendlicher Schönheit, sondern den Eindruck übermenschlicher Macht und Erhabenheit sollte den Beschauer empfangen. Diese Umrisse des Christusbildes gingen auf die spätere Zeit über, und was die sinkende Kunst der alten Welt nicht zu erreichen vermochte, das ist der vollkommeneren Kunst einer späteren Zeit gelungen: sie hat das Bild des Erhabenen verklärt durch einen Strahl überirdischer Schönheit.« 267

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christliche Traditionen, Ideen, Vorstellungen und andere Interpretamente antike Kunstauffassungen durchdrangen und transformierten. Die Völker mit ihrer kulturellen Leistungsfähigkeit charakterisierte er als Träger der Kultur und einer kulturellen Entwicklung, da sie auch Träger von Strömungen und Tendenzen eines Zeitalters bzw. einer Epoche sind. A. Hauck untersuchte die Entwicklung der christlichen Kunst als Teilgebiet der Geschichte des christlichen Kultus, Kulturgeschichte als Zweig der Kirchengeschichte. Er unterschied zwischen christlicher und profaner Kunst und verwarf eine religionsgeschichtliche Betrachtungsweise. Er erkannte, dass das Verhältnis von Christentum und Kunst durch die Politik begrenzt bzw. befördert sowie von der Dogmengeschichte beeinflusst wurde. Der Erlanger Kirchenhistoriker vertrat keine Pansakralität, forderte aber, den christlichen Glauben in einer vollkommenen künstlerischen Weise darzustellen. So konnte er künstlerische Produktionsprozesse als religiös bezeichnen. Er betrachtete das Verhältnis von Kunst und Christentum auf Grundlage einer historischen Entwicklung, die er unter Einbeziehung der Philologie, Architekturgeschichte sowie der philosophischen bzw. theologischen Ästhetik eruierte. Der bildenden Kunst, der Dichtung und der Literatur galt sein Augenmerk. In der bildenden Kunst analysierte er die Wechselwirkung von Form und Inhalt sowie – unter theologischer Perspektive – den Gebrauch und die Relevanz dieser Ausdrucksform in Bezug auf den christlichen Glauben: Er schrieb Kunstwerken sowohl katechetisch-religionspädagogische als auch systematisch-transzendente Potentiale zu. Schließlich konstatierte er, dass die Ästhetik mit der Religiosität korreliert, dass sich ästhetische und religiöse Erfahrungen berühren und dass theologische und ästhetische Interessen auch verschmelzen können.

7.6 Ausführungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 7.6.1 Einleitung Trieb F. Nitzsch noch Patristik, um mit literaturgeschichtlichen Analysen eine Kontinuität in der Geschichte des Christentums nachzuweisen,270 so galt zwischen 1870 bis 1930 das Augenmerk der Patristiker vornehmlich den Fragen nach der Bedeutung des Christentums in einer antik-heidnischen Umwelt und nach der Wechselbeziehung zwischen Christentum und Kultur.271 Gegenüber F. Overbeck, der die These vertrat, dass das frühe Christentum die Kultur missachtete, stellte A. Harnack ein Interesse des Christentums für die antike Bildung und deren kulturellen Leistungen fest. F.J. Dölger identifizierte zudem ein 270

Vgl. Tetz, Literaturgeschichte, 4f: »Kurzum: Kontinuität lasse sich nicht biographisch, sondern literaturgeschichtlich erfassen.« 271 Vgl. May, Konzept, 4.

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Interesse an der Mentalität des Volkes. Ging A. Harnack in seinen Forschungen von einer Hellenisierung des Christentums aus und analysierte die Religionsgeschichtliche Schule das Christentum als eine synkretistische Religion, so deutete u.a. G. Boissier das Christentum als Bewahrer antiken Kulturgutes. A. Harnack arbeitete Urphänomene des Christentums heraus, indem er Wesen und Idee des Christentums aus den antiken »Überlebensgerüsten« herausschälte.272 Um der altchristlichen Literaturgeschichte als Zeugnis historischer Entwicklungsprozesse gerecht zu werden, wandten zwischen 1870 und 1930 die führenden Patristiker und Philologen ihr Interesse geistes- und ideengeschichtlichen, begriffs-, literar- und gattungsgeschichtlichen Recherchen zu. 7.6.2 Methode und Durchführung Literatur galt A. Hauck als Maßstab geistigen Lebens und geistiger Ausdruckskraft.273 Die Patristik schätzte er als einen eigenständigen Zweig innerhalb der Kirchen- und Dogmengeschichte.274 Er interessierte sich vornehmlich für Anlass, Inhalt und Aufbau einer Schrift sowie für Methode und die – traditionskritisch eruierte – Theologie des Autors. In die Entwicklung der altchristlichen Literatur führte er mit dem »volksthümlichen« Schaffen275 der Apostolischen 272 Vgl. R. Herzog, Überwindung, 33: »Die früheste Phase vor solchen historischen Stabilisierungen aber wird nun konsequenter und ausschließlich historisch präpariert; in ihr herrscht die geschichtlich-kritische Methode unumschränkt. Was aber dann als sogenanntes Wesen [Hervorhebung im Original] erscheinen soll, stellt sich tatsächlich als Überwindung der historistischen Methode Overbecks dar: es ist das Ewige der Idee des Christentums; das Verhältnis der Einzelseele zu Gott, es weist auf dessen Transzendenz, eine überzeitliche Hoch-Ethik, einen kantisch-idealistischen Pflichtenkosmos. Die geschichtliche Methode, so kann man sagen, geht bis an das äußerste Ende eines Urphänomens zurück; dann aber übersteigt sie es.« 273 Vgl. HUBL, Ms 0937, »Patristik«, Bl. 1,1: »Denn nirgends sprechen die Kräfte, die eine Zeit bewegten, so unmittelbar u[nd] unverfälscht als in den literar[ischen] Produkten, die aus ihr erhalten sind.« A. Hauck las die »Geschichte der altchristlichen Literatur« einmalig im SH 1879. Seine Ausführungen fanden später in der Vorlesung »Kirchengeschichte I« im WH 1880/81 und WH 1881/82 sowie in der Vorlesung »Geschichte der Alten Kirche« im SH 1883, WH 1884/85, SH 1886 und WH 1887/88 Aufnahme, vgl. LAELKB, Ms 96, »Patristik« Düll. 274 Vgl. HUBL, Ms 0937, »Patristik«, Bl. 1,1: »Die Kirche [ist] ihrem Wesen nach geistige Gemeinsch[aft]. Das Band, das die Glieder d[er] K[irche] verbindet, [ist] nicht die gleiche Nationalität, die gl[eiche] Sprache u[nd] dgl., sondern das geistige Band des Gl[aubens]. Die K[irche] wird erhalten u[nd] fortgepflanzt nicht durch äußere Mittel, sondern durch das Wort vom Gl[auben]. Deshalb ist das Wort, die Lehre für die Kirche von unermeßlicher Wichtigkeit. Dies gilt zunächst vom geredeten, nicht minder aber auch vom geschriebenen Worte. Denn letzteres unterscheidet sich vom ersteren nur dadurch, daß seine Bestimmung über den Kreis der nächsten Umgebung u[nd] der gleichen Zeit hindurchreicht: es soll wie auf die räumlich Entfernten, so auf die zeitlich Späteren wirken. Deshalb ist, um den Entwicklungsgang der K[irche] zu verstehen nöthig, daß man die kirchl[iche] Literatur kenne.« 275 Vgl. ebd., Bl. 9,1: »Die einzelnen Schriften in Stil u[nd] Ausdruck sehr verschieden: aber die Gleichgiltigk[eit] gegen die Form überall gleich. Diese Männer dachten nicht daran, daß sie sich auf dem öffent[lichen] literar[ischen] Schauplatz bewegten, die Absicht zu glänzen oder sich lit[erarischen] Ruhm zu erwerben lag ihnen gänzlich ferne: sondern sie dachten zu wirken: alle erhaltenen Schriften sind Gelegenh[eits]Schriften u[nd] wirken durch das, was sie sagten, nicht durch das, wie sie es sagten.

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Väter ein, das nach seinem Urteil zwar hinter der rhetorischen Vollkommenheit der griechischen und lateinischen zeitgenössischen Schriftstellerei zurückstand, aber eigenständig die Septuaginta und Schriften des Neuen Testaments interpretierte. Im literarischen Wirken der Apologeten verspürte der Erlanger Kirchenhistoriker das Anliegen, die Anschuldigungen des Heidentums mittels philosophischer Überlegungen als ungerechtfertigt nachzuweisen. Diesbezüglich kritisierte er, dass sie nur vereinzelt auf das biblische Zeugnis zurückgegriffen hatten und dass die Interpretation der griechischen Logostheorie nicht zur eindeutigen Klärung christologischer Fragestellungen beitrug. Dennnoch lobte er die Apologeten, weil sie der Kunst in der altchristlichen Literatur zu einem hohen Stellenwert verhalfen. Als einen Fortschritt in der Entwicklung der altchristlichen Literatur bewertete A. Hauck diejenigen Schriften, die häretische Positionen bekämpften.276 Deshalb schätzte er die literarische Schaffenskraft des Irenaeus von Lyon, weil dieser in seiner Christologie, Theologie und Anthropologie von biblischen Aussagen her argumentierte und damit den christlichen Glauben deutlich vom Heidentum abgrenzte. A. Hauck kritisierte aber, dass dessen Kirchenverständnis die Lehre stark beeinflusste. Tertullian galt dem Erlanger Kirchenhistoriker als ein herausragender Theologe, der zwar für eine rigorose christliche Ethik eintrat, der aber den Wert der Anthropologie für den christlichen Glauben herausgearbeitet hatte. Weitaus kritischer stand A. Hauck den Theologen der alexandrinischen Richtung gegenüber, weil sie theologische Fragestellungen unter Berücksichtigung der politischen Verhältnisse zu beantworten versuchten und weil sie hierin Glaubenstraditionen und biblische Aussagen mit einer antiken Mystik und der Philosophie Platos vermischten. Dennoch würdigte er das systematische Denken des Origenes, den er als Ideengeber der alexandrinischen Schule bezeichnete. Um die Werke der abendländischen Theologen interpretieren zu können, die sich durch ihre Praxisbezogenheit und durch ihren Blick auf menschliche Bedürfnisse auszeichneten, analysierte A. Hauck die politische Zeitgeschichte. Unter den lateinischsprachigen Theologen hob er Novatian heraus, der in der Alten Kirche geschmäht und verachtet wurde, obwohl seine sittliche Integrität, seine geistige Bedeutung und seine Rechtgläubigkeit unbestreitbar gewesen Hierin liegt die innere Wahrhaftigk[eit] dieser Literat[ur], die Frische, welche anzieht, bei allem unleugbaren Mangel an Talent u[nd] Kunst. Dies verleiht ihnen auch ihren großen histor[ischen] Werth: sie sind aus dem Augenblick geboren, u[nd] der Augenblick spiegelt sich in ihnen wieder, um so treuer, je weniger die Verf[asser] selbst etwas sein wollten.« 276 Vgl. ebd., Bl. 20,2: »Die Nothwendigk[eit], den Gl[auben] der Kirche gegen seine Verkehrung im Gnostizismus zu vertreten, wurde der hauptsächlichste Anlaß zur weiteren Entfaltung der christl[ichen] Literatur. Im Streit gegen die Häresie begann das Aufblühen der christl[ichen] Theologie.«

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sind.277 A. Hauck stellte fest, dass sich neben diesen Ansichten auch eine rhetorisch-antik geprägte Apologie des Christentums entfaltete, die zu eigentümlichen Lehrentscheidungen beitrug.278 In den Leistungen der christlichen Poesie erkannte der Erlanger Kirchenhistoriker neue Impulse für die altchristliche Literatur: Ihre Bilder bewahrten die Natürlichkeit der Heiligen Schrift. Neben den dogmatischen und religiössittlichen Auseinandersetzungen bestellte nach Meinung A. Haucks auch die kirchliche Historiographie der Literatur ein neues Feld: Lebensbeschreibungen charakterisierte er als Erbauungsliteratur. Obwohl er Eusebius von Caesarea zubilligte, diese Geschichtsschreibung auf eine höhere Stufe gehoben zu haben, beanstandete er, dass dieser es nicht vermochte, Historiographie als Kunstform zu verstehen. Die Fähigkeit, Literatur als Kunst betrieben zu haben, gestand der Erlanger Kirchenhistoriker dem Hieronymus zu.279 Die Literaturgeschichte des vierten Jahrhunderts interpretierte A. Hauck unter der Voraussetzung, dass sich die Kirche nach innen festigen musste, um eine drohende Säkularisierung abzuwenden. Vornehmlich wandte er sich deshalb den Werken des Athanasius, Hilarius von Poitiers und Ambrosius von Mailand zu: Sie wirkten auf Kultur und Sitte der Zeit ein. Nach seiner Meinung markierte Augustin den Höhepunkt der kirchlichen Literatur im Abendland, weil dieser in seinen Bibelkommentaren u.a. auf sittliche und kulturelle Tendenzen seiner Zeit einging. Letztlich fasste A. Hauck zusammen: In der Ausbildung der christl[ichen] Literat[ur] liegt ein Stück an dem Siege des Christenth[ums] über die Welt: die Elemente der antiken Bildung sind in ihr nicht zurückgestoßen, sondern synonym, das Christenthum hat sie sich aßimiliert. Als die alte Welt unter dem Ansturm der german[ischen] Völkerschaften zerfiel, so ging doch das was sie geleistet hat der Kultur nicht verloren: durch die christl[iche] Literatur wurde sie dem Mittelalter u[nd] damit der modernen Welt vermittelt.280

277

Vgl. ebd., Bl. 37,1: »Wenn daher bis auf die Gegenwart kath[olische] Gelehrte nichts Gutes an Nov[atian] laßen, so beweisen sie damit nur, daß man, sobald es sich um die K[irche] handelt, bei ihnen alles suchen darf, nur nicht Wahrheit.« 278 Vgl. ebd., Bl. 39,2: »Der Schwerpunkt liegt überall in den positiven Ausführungen u[nd] da wieder ganz unzweifelhaft in den auf die Ethik bezüglichen. Hier hat L[aktanz] nicht ohne Geschick den Unterschied zwischen heidn[ischer] und christl[icher] Ethik hervorgehoben [...]. Für die Fortbildung der Theologie im Abendland war dann von größter Wichtigkeit, daß L[aktanz] nachdrücklich an dem Satze festhielt, daß im Christenth[um] die wahre Weish[eit], die wahre Philos[ophie] gegeben sei.« 279 Vgl. ebd., Bl. 51,2: »Hieronymus war ein großes schriftstellerisches Talent, zwar die philos[ophische] Begabung, den Gedanken bis in die Tiefe nachzugehen gieng ihm ab: aber er war ausgerüstet mit scharfem Verstand, mit Lebhaftigk[eit] des Geistes u[nd] der Phantasie, mit jener Vielseitigk[eit] der Anlagen, daß es ihm möglich war sein Wißen nach allen Seiten auszubreiten. Dazu kam eine eminente Gabe der Darstellung, nicht nur anschaulich zu schildern, sondern vor allem die Empfindung, die Leidensch[aft] in die Worte zu legen, für jede Gemüthserregung des Zustands, den Leser ergreifendes Wort zu finden.« 280 Ebd., Bl. 54,4.

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7.6.3 Zusammenfassung In der Patristik analysierte A. Hauck das Wechselverhältnis zwischen der sich entwickelnden Theologie und der literarischen Kunstform der Literatur. Diese altchristliche Literaturgeschichte betrachtete er neben der Kirchen- und Dogmengeschichte als eine eigenständige Disziplin innerhalb der Historischen Theologie. Seine Interpretation gründete auf den Kriterien und Kategorien der philologischen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts: Textkritik, Literaturgeschichte, Traditionskritik usw. Vornehmlich untersuchte er hierbei die Entwicklung der Theologie, Christologie, Anthropologie und Ekklesiologie, ohne die Relevanz dieser Anschauungen in Bezug auf seine Gegenwart zu reflektieren: Den Glauben der Kirchenväter betrachtete er als historisch bedingt und relativierbar. Indem A. Hauck die Entwicklung der altchristlichen Literaturformen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellte und an ihnen die kulturelle Prägekraft des Christentums herausarbeitete, nutzte er diese Quellen nur bedingt für eine Interpretation der Lehren und der Institutionen der Alten Kirche. Der Erlanger Kirchenhistoriker vermittelte zwischen den zwei Perspektiven auf die Patristik – die E. Mühlenberg folgendermaßen differenzierte: »Heftig wurde darüber gestritten, ob die altchristliche Literatur sich bruchlos in die Literaturgeschichte des Altertums integrieren lasse oder unter dem Titel Patrologie (oder altkirchliche Literaturgeschichte) dabei auch theologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien«281 –, indem er ausführte, dass die theologische Perspektive antike Kunstformen für das Mittelalter bewahrt, also letztlich der Inhalt die Form vor deren Verfall gerettet hat. A. Hauck charakterisierte das Christentum als Revolution, die die antike Kultur mit neuen, bleibenden Inhalten füllte, und deutete es infolgedessen als ein einzigartiges Kulturphänomen. Die organische Interpretation der altchristlichen Literaturgeschichte gelang ihm, indem er die theologischen Ideen in Beziehung zu ihrer Umwelt setzte und deren literarische Wiedergabe formkritisch untersuchte. Unbeachtet ließ er dogmatische Ausführungen.

7.7 Zusammenfassung A. Hauck war Erlanger Universitätsdozent in einer politisch, kirchenpolitisch und theologisch bewegten Zeit, die vor allem von Auseinandersetzungen zwischen konservativen und liberalen Gedanken geprägt war. Anfang der 1880er Jahre hatte sich im Kulturkampf die Konfrontation zwischen Ultramontanismus und liberaler Regierung verschärft, die zwar in Preußen 1886 schrittweise befriedet, in Bayern aber darüber hinaus bis 1890 mit Vehemenz ausgefochten 281

Mühlenberg, Patristik, 102, 28–31.

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wurde. Unter anderem stand die Frage nach dem Kulturverständnis bzw. der Leitkultur des neugegründeten Deutschen Reiches im Mittelpunkt der politischen, kirchenpolitischen, theologischen Diskussionen. Währenddessen wurde unter den Parteiungen die Stärkung der sittlichen Gesinnung des Volkes als kleinster gemeinsamer Nenner benannt. Exemplarisch forderte in Göttingen A. Ritschl die kulturelle Modernisierung des Protestantismus. Mit der Hegemonie Preußens im Deutschen Reich korrelierte die Hegemonie des liberalen Protestantismus, infolgedessen wurde der Nationalismus als die alles beherrschende Ideologie propagiert. Demgegenüber fanden sich der konservative Protestantismus wie auch der Ultramontanismus in einer Oppositionsrolle wieder, weil sie die sittliche Gesinnung des Volkes um religiöse Komponente ergänzen wollten: R. Rothe postulierte daraufhin einen christlichen Kulturstaat. Da die Sozialdemokratie und die Arbeiterbewegung eine andere Sicht gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnisse und der Lösung der sozialen Frage vertraten – sie strebten revolutionäre Veränderungen an – bemühten sich Staat und Kirche gemeinsam, die Arbeiterschaft mit der Monarchie zu versöhnen. Letztlich stand im Kulturkampf die Frage nach dem Einfluss des Staates auf kirchliche Belange im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Um seine Interessen durchzusetzen, veränderte sich unter Bismarck der Rechtsstaat zum Machtstaat. Die evangelische Kirche in Bayern begegnete dem mit ihrem Drängen zur Souveränität gegenüber dem Staat. Diese Forderung wurde von einer Synode untermauert, die seit 1887 gegenüber dem OKM die Konstitution eines Generalsynodalausschuss durchsetzen konnte. A. Hauck lehrte von 1878 bis 1889 an einer konfessionell lutherisch ausgerichteten Theologischen Fakultät. Er las über Gegenstände, denen eine historische Entwicklung eignete. Seit 1870 bemühte sich die Theologische Wissenschaft, sich vom philosophisch-metaphysischen Denken zu befreien und wieder ein Interesse für historische Entwicklungen zu wecken. Der historischkritischen Methode gelang nunmehr auch in der Theologischen Wissenschaft der Durchbruch. A. Ritschl postulierte ein Mitwirken der Menschen am Bau des Reiches Gottes, d.h. zum einen verknüpfte er die menschliche Freiheit mit der Erfahrung der religiös-sittlichen Zielbestimmung ihres Handelns und zum anderen erhob er die religiös-sittlichen Prinzipien innerhalb der Rechtsgeschichte zum Beurteilungsmaßstab historischer Entwicklung. Die Vertreter der Erlanger Fakultät vermieden geschichtstheoretische Konstruktionen und beschränkten sich auf eine deskriptive Geschichtsbetrachtung. Der Erlanger Kirchenhistoriker Th. Kolde distanzierte sich zudem von einer dort vorherrschenden heilsgeschichtlichen Interpretation von Geschichte. A. Hauck interpretierte die Vergangenheit, indem er zwischen einer supranaturalistischen Betrachtung der christlichen Lehre und der rationalistischen Betrachtung menschlichen Wirkens unterschied. Daneben bestimmte er Gottes Wirken in Schöpfungsordnungen, in denen sich göttliche Ideen manifestieren.

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Mit Hilfe der historischen Ideenlehre begriff A. Hauck das einzelne historische Ereignis als Teil eines Ganzen und als Folge vorangegangener Entwicklungen. Er ging in seinen kirchengeschichtlichen Betrachtungen von einem Gottesgedanken aus, der ihm die Annahme menschlicher Freiheit in ihrer Endlichkeit erlaubte. Indem er die Kirche als irdisch-menschliche Gemeinschaft in Anlehnung an J.G. Droysens Begriff der sittlichen Gemeinschaft konstatierte, konnte er die historisch-bedingte Entwicklung der menschlichen Sittlichkeit bzw. der Durchdringung der Kultur mit christlichen Traditionen, den historischbedingten Fortschritt im theologischen Denken und die historisch-bedingte Entfaltung der Kirche als Organisationsform religiösen Glaubens aufzeigen. Nach Meinungs A. Haucks beruhte die Dogmenbildung auf der historisch bedingten Frömmigkeit der Menschen. Die zeitgenössische Forderung eines undogmatischen Christentums verwarf er, da er Lehren bzw. Dogmen als notwendiges Element einer instutionalisierten Gemeinschaft verstand. Zum Beurteilungsmaßstab von Dogmen erklärte er die Reflexion des Christentums als Erlösungsreligion. Daher hielt er gegen A. Harnack an der religiösen Dimension des Glaubens fest. In Anlehnung an F.D.E. Schleiermacher suchte er nach der Kontinuität der christlichen Lehre in ihren verschiedenen Ausprägungen. Infolgedessen untersuchte A. Hauck in konfessionskundlichen Forschungen vor allem die hinter den Bekenntnissen stehende Frömmigkeit: Die religiösen Ideen in Bezug auf die christliche Idee erhob er zum Untersuchungsgegenstand. Daneben analysierte er die unterschiedlichen Sitten und Gebräuche, den Kultus und das konfessionelle Verhältnis zum Staat, die kirchliche Geographie und Statistik, Katechismen, Predigt- und Erbauungsbücher. Zum Bezugspunkt einer Konfessionskirche erkärte er das Volk. Er zeigte in seiner Symbolik Interesse an literaturhistorischen, historischen, dogmatischen und ethisch-praktischen Fragestellungen. Vor allem in der Kunst und in der Literatur erfasste A. Hauck die kulturelle Entwicklungsfähigkeit und Assimilierungskraft des Christentums, weil er erkannte, dass christliche Traditionen heidnisch-antike Kunstauffassungen transformierten. Er betonte, dass das Christentum der antiken Kulturwelt zu neuen Ideen und Inhalten verholfen hat. Als Träger von Kultur und deren Entwicklung betrachte er die einzelnen Völker. Literaturgeschichtlich analysierte er das Zusammenspiel von Theologie und deren kulturelle Assimilation.

8. Kirchengeschichtliche Forschungen an der Universität Erlangen von 1880 bis 1889

8.1 Albert Haucks Kirchengeschichtsforschung und -schreibung am Beispiel seiner Lexikonartikel in der RE2 8.1.1 Zum enzyklopädischen Konzept der RE Der Begriff Enzyklopädie bezeichnet seit dem 17. Jahrhundert einerseits ein umfassendes Realienwissen bzw. spezielles Fachwissen (materiale Enzyklopädie) und andererseits ein wissenschaftstheoretisches Konzept (formale Enzyklopädie).1 Als wissenschaftliche Vergewisserung des christlichen Glaubens ist die theologische Wissenschaft von ihren Anfängen her auf eine Verflechtung von formaler und materialer Enzyklopädie angewiesen.2 Infolgedessen schalten auch die Herausgeber einer Realenzyklopädie mit speziellem Blick auf das protestantische Verständnis von Theologie und Kirche ihrer materialen Enzyklopädie eine formale vor, um dem methodischen Herangehen an die zu bearbeitenden Gegenstände eine wissenschaftstheoretische Grundlage zu geben.3 Der Herausgeber der RE1, der reformierte Theologe J.J. Herzog, sah die Einheit der vier theologischen Disziplinen – der exegetischen, historischen, systematischen und praktischen Theologie – in deren Ausrichtung auf »praktischkirchliche Interessen«4 realisiert. In Bezug auf seine Auffassungen einer koope1

Vgl. Hummel, Enzyklopädie, 717, 5–8. Nach Ansicht G. Hummels bemühen sich die materialen Enzyklopädien neben der reinen Realiendarstellung »auch um die Methodik und das Verständnis der betreffenden Wissenschaft als solcher«, vgl. ebd., 720, 33f. 2 Zur Geschichte der theologischen Enzyklopädie vgl. ebd., 726, 29–738, 27, bes. 726, 32–42. 3 Zur Diskussion, ob eine formale Enzyklopädie der Methode theologischer Disziplinen zugrunde liegen soll, vgl. Stock, Theologie, 323, 49–53: »Weil die theologischen Disziplinen wegen der Konzentration auf ihre Gegenstände ihren Zusammenhang zu verlieren drohen, hat sie [die formale Enzyklopädie, M. T.] die Verantwortung aller Disziplinen dafür einzuschärfen, ihren Ort im Ganzen der theologischen Wissenschaft und ihre Funktion im Leben der Kirche in ihrer jeweiligen sozialen Umwelt zu bedenken.« 4 J.J. Herzog, Vorrede, III: »In dieser Beziehung heben wir hervor, [...] daß die RealEncyklopädie auch einen idealen Karakter habe, daß sie das Ziel vergegenwärtige, dem wir in unseren praktisch-kirchlichen Bestrebungen nachstreben sollen [...].« J.J. Herzog beauftrage den Basler Kirchenhistoriker K.R. Hagenbach, den Lexikonartikel über Encyklopädie zu schreiben, vgl. Hagenbach, Encyklopädie, theologische, 9–16. K.R. Hagenbachs »enzyklopädisches Standardwerk des 19. Jh.« (Hummel, Enzyklopädie, 733, 32f) – Hagenbach, Encyklopädie und Methodologie – polemisierte gegen die theologischen Enzyklopädien, die in der Nachfolge G.W.F. Hegels standen und auf dessen Anschauungen beruhten.

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rativen Wechselbeziehung zwischen Theologie und Kirche5 sowie des Protestantismus als »positives Christenthum« mit »positivem Bekenntnis« und mit seiner formal-enzyklopädischen Methode der Erkenntnisgewinnung durch Anwendung des Schriftbeweises und des historischen Beweises stand er in der Nachfolge F.D.E. Schleiermachers. F.D.E Schleiermachers Hermeneutik hatte die theologischen Disziplinen, die die Facetten menschlichen Gottesbewusstseins analysieren, in ihrer Zusammenschau vornehmlich auf die Leitung und Gestaltung der evangelischen Kirche ausgerichtet. Da er die wissenschaftliche Theologie und die kirchliche Praxis »in einem unmittelbaren Verwertungs- und Interessenzusammenhang«6 sah, konnte er behaupten: »Die christliche Kirche als das zu Regierende ist ein Werdendes, in welchem die jedesmalige Gegenwart begriffen werden muß als Produkt der Vergangenheit und als Keim der Zukunft.«7 Er definierte die Kirche als eine ethisch-soziologische Größe8 und charakterisierte ihr Wirken einerseits als »intensives« und andererseits als »extensives« Handeln: Extensives Handeln führe zur Ausbreitung der Kirche, intensives zur Vervollkommnung christlicher Gesinnung. Wie die Herausgeber der RE2, J.J. Herzog und G.L. Plitt, verfocht auch A. Hauck diesen Ansatz, als er 1880 in die Redaktion der RE2 eintrat und ab 1882 als alleiniger Herausgeber die Fortführung des Lexikons verantwortete.9 Er bemühte sich um ein einheitliches Auftreten des protestantischen Christentums, forderte die historische Kritik, beschränkte die Forschungsergebnisse auf ihren Zusammenhang von Theologie und Kirche, beabsichtigte eine Herausarbeitung der evangelischen Wahrheit und eine heilsgeschichtliche Ausrichtung der gewonnenen Erkenntnisse. A. Hauck umriss sein enzyklopädisches Konzept in Vorlesungen über die Enzyklopädie der Theologie, die er seit Herbst 1882 – er war kurz zuvor zum 5 Vgl. J.J. Herzog, Vorrede, III: »Die Theologie, auch wenn sie in die Höhen der Spekulation sich erhebt, oder in die speziellste Detailforschung eingeht, ist für die Kirche, dient der Kirche und übt auf sie eine Macht aus, entweder im Guten oder im Schlechten. [...] Allein die Theorie, ihr eigenes Leben entfaltend, immanenten Gesetzen der Entwicklung folgend, beherrscht wieder die Praxis in stärkeren oder feineren Beziehungen.« 6 Dinkel, Kirche, 28. 7 Zitiert nach ebd., 46. 8 Vgl. ebd., 54: »Auf der Kirche als organischer Verbindung der Gläubigen ruht die Verbreitung des christlichen Geistes im ›sittlichen Prozeß‹. Die Kirche ist es, die handelt, wenn Christen handeln. Die einzelnen menschlichen Subjekte werden von Schleiermacher im Grunde als Organe des die Kirche beseelenden Heiligen Geistes verstanden.« 9 A. Hauck, Vorwort, III: »Ich kann dabei das Wort wiederholen, das die Herausgeber der zweiten Auflage in der Vorrede derselben aussprachen: der Standpunkt des Werkes bleibt derselbe wie früher. Das gilt in kirchlicher Hinsicht: jetzt wie früher ist die Realencyklopädie bestimmt, der protestantischen Christenheit zu dienen, nicht einer einzelnen protestantischen Kirche. [...] Es gilt sodann in theologischer Hinsicht. Auch hier ist der Standpunkt der Realencyklopädie nach wie vor nicht exklusiv. Nicht die Anschauungen und die Interessen einer theologischen Schule können für sie bestimmend sein, sondern jeder Beitrag ist willkommen, der als Ergebnis wohlerwogener wissenschaftlicher Überzeugung sich darstellt.«

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ordentlichen Professor für Kirchengeschichte und theologische Enzyklopädie ernannt worden – in Abständen las.10 In diesen Auslegungen definierte er die theologische Wissenschaft in Anlehnung an J.Ch.K. Hofmann als »Wissenschaft vom Christentum« und forderte mit F.D.E. Schleiermacher eine supranaturalistische Interpretation der christlichen Lehre und eine rationalistische Interpretation des menschlichen Verhaltens, das zwar in historische Bedingungen eingebunden, aber von einem religiösen Gefühl bedingt sei.11 Die Ausdifferenzierung des theologischen Systems unterwarf A. Hauck einer funktionalen Deutung: Die Theologie erfüllt nur dann den Auftrag der Kirche, wenn sie ihre Forschungsergebnisse in den Kommunikationszusammenhang zwischen der Rede von Gott und dem Verhalten des Menschen hineinstellt. Die theologische Wissenschaft unterteilte A. Hauck in die historische und in die systematische Theologie: Unter der ersten verhandelte er die Schriftwissenschaft,12 die er bis in die Geschichte der apostolischen Zeit ausdehnte, und die Kirchengeschichte, unter der zweiten die Dogmatik, die Kultustheorie (untergliedert in eine Gemeindekultustheorie und in eine Privatkultustheorie) und die theologische Ethik (untergliedert in eine Sozialethik und in eine Personalethik). In der Folge F.D.E. Schleiermachers beschrieb A. Hauck hierin exemplarisch das Selbstbewusstseins der christlichen Gemeinde im Lehren und Handeln. Indem A. Hauck wie F.D.E. Schleiermacher und K.R. Hagenbach die wissenschaftliche Theologie als positive Wissenschaft bezeichnete, weil sie praktisch am Bau von Gottes Reich mithelfe,13 vertrat er die ältere Traditionsgeschichte der Theologie als habitus intellectus practicus, die von J.F. König in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts herausgearbeitet worden war.14 Oder mit K. Stocks Worten ausgedrückt: Infolgedessen der Erlanger Kirchenhistoriker christliche Lehre und menschliches Verhalten in einen engen Zusammenhang stellte und unter religiös-sittlichen Gesichtspunkten reflektierte, entfaltete er »in praktischer Absicht den Interpretationsrahmen einer Offenbarungserfahrung«.15 Auch M. Kähler hatte 1883 diesen Blickwinkel eingefordert.16 Für A. Haucks enzyklopädisches Verständnis von Theologie ist eine weitere Beobachtung konstitutiv: Als Herausgeber der RE3 beauftragte er G. Heinrici, der dem enzyklopädischen Versuch F.D.E. Schleiermachers eine epochema10

A. Hauck las über die Enzyklopädie der Theologie dreistündig im WH 1882/83, WH 1885/86 und zweistündig im WH 1887/88, vgl. LAELKB, Ms 2193, »Einleitung« Schwab. 11 Zur Theoriegeschichte des Erfahrungsbegriffes vgl. Stock, Theologie, 325, 15–41. 12 A. Hauck las vierstündig über die Briefe an die Epheser, Philipper und Kolosser im WH 1878/79, WH 1880/81 und WH 1883/84, zweistündig über die Pastoralbriefe im SH 1880, SH 1882 und WH 1885/86, vierstündig über die Offenbarung des Johannes im SH 1881, vgl. LAELKB, Ms 1422, »Pastoralbriefe« Ringler; LAELKB, Ms 2122, »Pastoralbriefe« Nonnenmacher; LAELKB, Ms 1160/1, »Apokalypse« Griebel; LAELKB, Ms 542, »Briefe an die Epheser, Philipper und Colosser« Keller. 13 Vgl. A. Hauck, Vorwort, IV. 14 König, Theologia. 15 Stock, Theologie, 326, 4f. 16 Kähler, Wissenschaft.

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chende Wirkung zuerkannte,17 die Neufassung des Artikels Enzyklopädie zu bewerkstelligen.18 Der Leipziger Neutestamentler gestand darin der historischen Theologie den Primat der Theologie zu, weil er die Gegenstände der Theologie in ihrer Geschichte offenbart sah, unterteilte die Wissenschaft in eine historische und in eine normative Disziplin und forderte von diesen, ihr Hauptaugenmerk auf die Ausbreitung der religiös-sittlichen Weltanschauung des Christentums in Geschichte und Gegenwart zu richten.19 Aus diesem Ansatz heraus analysierte er einerseits den Glauben des historischen Individuums und andererseits den Glauben einer Gemeinschaft und postulierte: »Somit hat jeder Versuch, die Theologie als Wissenschaft zu begreifen, auszugehen von der Bestimmung des Kirchenbegriffs, des Begriffs der Wissenschaft und des Charakters der Weltanschauung, an welcher der Encyklopädiker sich orientieren will.«20 Seines Erachtens interpretiert und bewertet eine theologische Betrachtung von Geschichte daher geschichtliche Ereignisse und Leistungen nach ihren Auswirkungen auf den Bestand kirchlichen Lebens.21 G. Heinricis kirchliche Historiographie22 untersuchte folglich Epocheneinschnitte (»entscheidende Wendepunkte«, »Wandlung der Ideale«, Verschiebung der Interessen),23 um Veränderungen kirchlichen Lebens und dessen Anpassung an Bedingungen zu beschreiben. An erster Stelle der heuristischen Disziplinen nannte er deshalb auch die Literaturgeschichte.24 Die Gegenstände der Kirchengeschichte ordnete 17

Vgl. Heinrici, Encyklopädie, theologische, 357, 17; Heinrici, Theologische Encyklopädie. Zu G. Heinricis enzyklopädischen Versuch vgl. Hummel, Enzyklopädie, 735, 22–41. 19 Vgl. Heinrici, Theologische Encyklopädie, 14: »Die historische Theologie erfasst in wissenschaftlich legitimirter Methode das Wesen und die Erscheinung des Christentums nach seinem Ursprunge und nach seiner Entwickelung bis zur Gegenwart, die normative Theologie bearbeitet die Gesichtspunkte und Regeln, nach welchen der zukünftige Diener der Kirche die christliche Lehre und das kirchliche Handeln den Grundsätzen seiner Kirche entsprechend verstehen und anwenden lernt.« 20 Heinrici, Encyklopädie, theologische, 361, 56–59. 21 Vgl. Heinrici, Theologische Encyklopädie, 124: »Der Inhalt der Geschichte ist auch nicht gegeben durch das Willkürspiel sich kreuzender und bekämpfender Interessen; denn ihr Ziel ist die Formung des Sittlichen und Humanen, wie es in der Familie, der Gesellschaft, dem Staat, der Kunst, der Wissenschaft, der Religion sich Gemeinschaftsformen bildet, in denen der Mensch seine Herrschaft über die Natur anstrebt und bewährt.« 22 Vgl. ebd.: »Da die abschliessende Leistung der Kirchengeschichte eine Gesamtdarstellung des äusseren und inneren Werdens und Lebens der Kirche ist, welche die Quellen, aus denen sie gewonnen wird, voll und rein zur Geltung bringt, so sind in ihr zunächst diejenigen Stoffe zu bearbeiten, deren Verständniss eine Auffassung des Gesamtverlaufs ermöglicht; sie hat sodann die Gebiete, welche für das kirchliche Leben und seine Entwickelung durch innere Verwandtschaft oder durch irgend welche Einwirkungen wichtig werden, auf ihren Ertrag für die Erkenntniss desselben zu untersuchen. Darauf erbaut sich die Darstellung sowohl des Ganzen als auch der Teile, welche innerhalb des Gesamtgebietes als eine relativ selbständige Einheit bestehen.« Zur kirchlichen Historiographie als solcher vgl. ebd., 158: »Jede Darstellung erscheint als Kunstleistung; denn sie giebt auf Grund geistigen Durchdringens und Verarbeitens eine Wiederherstellung des originalen Sachverhalts, insoweit diese erreichbar ist. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Masse des Stoffs nach ihren inneren und äusseren Verhältnissen sich gliedert und die epochemachenden Ereignisse, sowie ihre geschichtlichen Bedingungen hervortreten.« 23 Ebd., 131. 24 Vgl. ebd., 134: »Die Litteratur ist der Inbegriff aller Erzeugnisse des geistigen Lebens innerhalb eines abgegrenzten Kreises, dessen gemeinsame Interessen bis zum schriftlichen Ausdruck sich 18

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er der Geschichte der Ausbreitung der Kirche,25 ihrer Verfassung,26 ihres Kultus,27 ihrer Sitte,28 ihrer Dogmen29 und ihrer Bekenntnisse30 zu. In Bezug auf die kirchenhistoriographische Methode in der Kirchengeschichtsschreibung formulierte der Leipziger Neutestamentler: Er [der Kirchenhistoriker, M. T.] muss bestrebt sein, die sozialen Zustände aus rein natürlichen Ursachen, die genialen und Richtung gebenden Männer aus den gegebenen Bedingungen ihres Wirkens, die Früchte ihrer Wirksamkeit aus dem Zusammentreffen objektiv erkennbarer Umstände abzuleiten. [...] Aber die selbständige Kraft der sittlich-religiös bestimmten Welt des inneren Lebens ist dieser Methode unzugänglich.31 gefördert haben. In ihr offenbart sich daher der Gemeingeist, der Nationalcharakter, die Überzeugung, der Geschmack, die Individualität. Da das Christentum eine religigiöse Weltanschauung ist, welche das ganze innere Leben beansprucht, so hat es von seinen Anfängen an bis auf die Gegenwart eine Litteratur hervorgebracht, in der sich die treibenden Kräfte und die Ergebnisse seines Werdens wiederspiegeln, und die in ihrer Mannigfaltigkeit die geistigen Bewegungen anregt, begleitet und trägt, in denen die christlichen Grundsätze ihre Fruchtbarkeit bethätigen.« 25 Vgl. ebd.: »Die Geschichte der Ausbreitung der Kirche [...] hat die Verhältnisse darzustellen, auf welche das Evangelium wirkt, die Mittel der Mission, die Träger derselben und die widerstehenden Mächte. Die Statistik und die Geographie, sowie die allgemeine Religionsgeschichte lehren die Bedingungen kennen, unter denen die Ausdehnungs- und Eroberungskraft des Christentums sich bethätigt.« 26 Vgl. ebd., 165: »Die Geschichte der Kirchenverfassung stellt die Entwickelung der Formen und Grundsätze dar, durch welche die kirchlichen Gemeinschaften ihren Bestand und ihre Lebensbethätigung gesichert haben. Das geschichtliche Verständniss der verschiedenen Grade der Geltung, welche die einzelnen Kirchenkörper der Verfassung beimessen, eröffnet den Einblick in die Triebkräfte ihres inneren Lebens.« 27 Vgl. ebd., 167: »Die Geschichte des Kultus behandelt die Formen und Arten der ›öffentlichen Mitteilungsweise der religiösen Lebensmomente‹ nach ihrer Entwicklung.« 28 Vgl. ebd., 170: »Die Geschichte der Sitte bearbeitet die Vorgänge und Entwickelungen, in welchem das milieu [Hervorhebung im Original], die ›öffentliche Meinung‹ der christlichen Gesellschaft sich bildet. Da es sich dabei um Darstellung von Regungen und Thatsachen handelt, welche durch freies Handeln, und zwar vielfach unter unkontrolirbarer Bedingtheit zu Stande kommen, so muss sich die Forschung auf eine Sammlung von subjektiven Äusserungen und charakterisirenden Erscheinungen richten, aus denen sie ein Gesamtbild herzustellen versucht.« Kirchenverfassung und kirchliche Sitte betrachtete G. Heinrici in ihrer Wechselbeziehung, vgl. ebd., 171: »Die wichtigste Aufgabe der Sittengeschichte ist die Bestimmung der kirchlichen und der christlichen Lebensideale, wie sie in den verschiedenen Perioden sich herausgebildet haben. Dieselben kommen zur Erscheinung in den wechselnden Bestimmungen des Verhältnisses von Kirche und Welt. Die konträren Pole hierbei sind die asketische Weltflucht, welche die sittlichen Organismen durch eigenwillige Absonderung zersetzt, und die thatkräftige Organisation des Weltlebens, die den irdischen Beruf durch den Glauben erobert und verklärt; [...].« 29 Vgl. ebd., 172: »Die Dogmengeschichte hat die Entwickelung des christlichen Gesamtbewusstseins, wie dasselbe in formulirten Lehrbestimmungen hervorgetreten und begründet ist, darzustellen. Sie untersucht die Antriebe zur Formulirung, die Einwirkungen und Gegensätze, unter denen sich der dogmenhistorische Prozess durchsetzte, die Beweismittel, welche bei der Formulirung benutzt wurden.« 30 Vgl. ebd., 177f: »Die Symbolik bearbeitet die christlichen Glaubenssätze, welche in einer kirchlichen Gemeinschaft auf eine legitime Weise Lehrnormen geworden sind. Als historische Wissenschaft hat sie die Ursachen und die Art der autoritativen Festsetzung, ihre Bedeutung für das kirchliche Gesamtleben und ihr Verhältniss zu den entsprechenden Lehrnormen anderer Konfessionen zu ermitteln.« 31 Ebd., 148.

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8.1.2 Albert Haucks Verständnis der Kirchengeschichte als theologischer Disziplin A. Hauck positionierte Begriff und Aufgabe der Kirchengeschichte innerhalb der theologischen Wissenschaft: Kirchengeschichte bzw. die kirchenhistorische Theologie verstand er als »Erforschung und Darstellung des Entwicklungsgangs der Gemeinde Jesu Christi auf Erden«.32 Wesen und Art der Entwicklung der Kirche – diese bezeichnete A. Hauck als Kirchengeschichte im objekten Sinn – bestimmte er, indem er nach deren Ursprung und Bedingungsmomenten fragte. Ursprünglich sei die Annahme des Heils durch den einzelnen Christen, der damit zum Glied der Kirche, des Leibes Christi werde. Deshalb sei die Kirche auch ihrem Wesen nach eine unsichtbare Gemeinschaft. Weil diese unsichtbare Gemeinschaft aber in der Welt lebe und sich in ihr betätige, werde die Kirche zur geschichtlich bedingten Erscheinung. Damit eigne der Kirche ein ununterbrochenes Werden, das wiederum nicht mit ihrem Wesen gleichgesetzt werden dürfe, da es nur ihre äußerliche Erscheinung beträfe. A. Hauck konstatierte: Die Gemeinschaft des Menschen mit Gott wird nicht erst im Verlaufe der kirchlichen Entwicklung hergestellt; sie ist nicht ihre Frucht, sondern dass sie vorhanden ist, bildet die Voraussetzung für die Existenz und deshalb für die Geschichte der Kirche. Nicht hergestellt, sondern dargestellt, nicht erworben, sondern der Menschheit angeeignet wird sie im Werden der Kirche.33

Das Wesen der Kirche in der unsichtbaren Kirche zu finden, hatte A. Hauck von A. Neander übernommen. Der Heilige Geist bestimme die Entwicklung der Kirche, indem er sowohl die Einzelnen zur Gemeinschaft zusammenschließe als auch die Betätigung der Gläubigen anrege.34 Daneben sei die Entwicklung der Kirche zweitens durch Menschen bedingt, deren Anlagen und Eigenarten sich der Heilige Geist bediene. Die Gestalt der kirchlichen Entwicklung sah A. Hauck durch die vom Heiligen Geist als Arbeiter gebrauchten Menschen und Völker charakterisiert. Er erkannte wie J.G. Droysen35 in menschlichen Willenskräften eine Ursache für die Entwicklung der Kirchengeschichte. Die menschliche Freiheit sei aber 32

A. Hauck, Kirchengeschichte, 732. Ebd. 34 Vgl. ebd.: »Nur weil derselbe Geist überall und zu allen Zeiten in der Kirche waltet, ist sie eine Einheit, ein Organismus, von dessen Werden und Wachsen man reden kann, nur deshalb gibt es Leben, Tätigkeit, Handeln der Kirche und nicht allein einzelner Gläubigen.« 35 Vgl. Droysen, Historik, 12: »Und der Wille ist gerichtet auf ein Etwas, das erst entstehen soll, auf eine Hervorbringung oder Veränderung, die zuerst nur ideell in uns existiert, d.h. noch nicht existiert, bis sie zur Tat geworden ist, also daß jeder solcher Willensakt gleichsam auf die Zukunft geht und das Gegenwärtige und Vergangene zu seiner Vorausetzung hat, darauf gerichtet, dem Gedanken ein Sein entsprechend zu machen, in welchem er seine Wirklichkeit und Wahrheit hat, das Sein diesem Gedanken gemäß umzuprägen und neu zu gestalten, so daß es in ihm wahr wird.« 33

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niemals eine absolute, »denn was der Mensch ist, das ist bedingt durch den Platz, an den er sich gestellt findet, und durch die Zeit, der er angehört«.36 A. Hauck übernahm hier die Anschauung J.G. Droysens, dass die Menschen das geschichtlich Gewordene nur formen, nicht aber neuschöpfen können.37 Da entgegengesetzte Strömungen um Einfluss auf die Entwicklung der Kirche ringen, verlaufe diese nicht geradlinig. Indem aber der Heilige Geist ihren inneren Fortgang leite, gewährleiste er, dass sich das Göttliche im Menschlichen ausdrücke, um schließlich göttliche Gedanken in der Geschichte zum Vollzug zu bringen. Kirchengeschichtliche Erkenntnis könne deshalb erst abschließend analysiert werden, wenn sie von der Wiederkunft Christi aus reflektiert werde: »Der Fortschritt der kirchengeschichtlichen Theologie besteht darin, dass sie die göttlichen Gedanken, die im Werden der Kirche liegen, immer klarer erfasst: denn dadurch vervollständigt und vertieft sich ihre Erkenntnis, sie strebt der Vollendung zu.«38 Da A. Hauck wie sein Erlanger Lehrer J.Ch.K. Hofmann das Christentum als die einzige Religion ansah, die die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch verwirklicht, wehrte er diejenigen Anschauungen ab, die die Kirchengeschichte als einen Teil der Religionsgeschichte oder die sie als Zweig oder gar als Zentrum einer Weltgeschichte interpretierten. Einerseits kämpft die Kirche seiner Meinung nach mit den Verhältnissen in der Welt und andererseits erschöpft sich ihr Wesen nicht in der Bildung und Sittlichkeit der Menschheit.39 A. Hauck stimmte F.D.E. Schleiermacher und R. Rothe darin zu, dass Kirchenleitungen Erkenntnisse der historischen Theologie in ihren Entscheidungen berücksichtigen sollten, um Zusammenhänge von Gegenwart und Geschichte zu verstehen. A. Hauck ergänzte diese Ansicht um die grundlegende Wesensbestimmung der Kirche, dass sie ein Gemeinwesen ist, die das Einzelne überdauert, weil sie sich auf die Vergangenheit und auf die Zukunft beruft, und demzufolge ein selbständiges Leben neben dem Leben des Einzelnen führt.40 36

A. Hauck, Kirchengeschichte, 733. Vgl. Droysen, Historik, 15. 38 A. Hauck, Kirchengeschichte, 735. 39 Vgl. ebd., 736: »Die Weltgeschichte zeigt die Entfaltung der natürlichen Kräfte des menschlichen Geschlechts auf allen Gebieten des Kulturlebens. Sie hat demnach eine in sich geschlossene, aber durchaus andersartige Aufgabe, als die Kirchengeschichte. Muss deshalb die Selbständigkeit von Weltund Kirchengeschichte anerkannt werden, so ist doch offenbar, dass sie sich überall berüren. Der Welthistoriker muss auf die Kirchengeschichte Rücksicht nehmen, wie umgekehrt der Kirchenhistoriker auf die Weltgeschichte. Aber für jenen kommt die Kirchengeschichte nur insoweit in Betracht, als die Kirche ein Kulturelement ist, als sie die Kulturentwicklung fördert oder hemmt; die selbständige Bewegung der Kirche gilt ihm dabei nichts. Und für diesen hat die Weltgeschichte nur Wert, weil er den jeweiligen Stand der Kultur kennen muss, um zu verstehen, inwiefern die Entwickelung der Kirche von ihm beeinflusst war, ob die Kirche durch ihn gereizt wurde, den Reichtum von Kräften, der in ihr liegt, zu entfalten, oder ob die Einwirkung der Welt sie ihren eigentlichen Aufgaben entfremdete.« 40 Vgl. ebd.: »Allein Recht und Notwendigkeit der Kirchengeschichte beruhen doch nicht nur auf dem Gewinn, der für die Kirchenleitung aus ihr erwächst. Sie entsteht aus dem Bedürfnis der jedesmaligen kirchlichen Gegenwart, sich des Zusammenhangs mit ihrer Vergangenheit bewusst zu sein. Die Gegenwart will ihre Dasein erweitern, indem sie die Vergangenheit erinnernd, die Zukunft hoffend und anend darin aufnimmt, sich so mit ihrer Vergangenheit und Zukunft zusammenschließt und 37

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A. Hauck übernahm von K.R. Hagenbach, der der Kirchengeschichte die Funktion eines Scharnieres zwischen Exegese und systematischer bzw. praktischer Theologie zugewiesen hatte,41 die Anschauung, dass das Objekt der Kirchengeschichte die sichtbare Kirche ist, die, weil sie sich in ihrer geschichtlichen Entwicklung gegen die ihr widerstreitenden Prinzipien durchzusetzen hat, dialektisch zu bestimmen ist. Wie K.R. Hagenbach sah auch A. Hauck die organische Ganzheit der Kirchengeschichte der sittlichen Freiheit eines Individuums entgegentreten. Erkannten beide, dass sich Kirchen- und Weltgeschichte berührten, so stimmte A. Hauck K.R. Hagenbach darin nicht zu, dass die Kirchengeschichte ein Teil der Weltgeschichte sei: Der Erlanger Kirchenhistoriker deutete den Staat und die Kirche als zwei miteinander konkurrierende geschichtliche Größen.42 Diese dialektische Geschichtsbetrachtung hatte A. Hauck bei J.Ch.K. Hofmann gelernt.43 Wie dieser interpretierte A. Hauck das Christentum auf der Grundlage der unwiderruflichen, außergeschichtlichen Wirklichkeit der GottMensch-Beziehung.44 Beide analysierten daher die Korrelation zwischen dem christlichen Individuum und der Kirche: Da die Soteriologie des Einzelnen erst Folge der Soteriologie der Kirche ist, ist für den Einzelnen das Christentum eine Gemeinschaft, zu der er sich äußerlich und innerlich45 verhalten muß. Somit rückte die Frömmigkeit des Einzelnen in ihrem Verhältnis zur Lehre der Kirche in den Fokus kirchenhistorischer Untersuchungen. J.Ch.K. Hofmann und L. Ranke folgend richtete A. Hauck sein Augenmerk auch deshalb auf die Geschichte der christlichen Sittlichkeit und deren religiöser Reflexion. sich der Einheit der Bewegung von der Vergangenheit durch die Gegenwart zur Zukunft bewusst wird.« 41 K.R. Hagenbach, Kirchengeschichte, 622–634. 42 Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 736. 43 Vgl. J.Ch.K. Hofmann, Encyclopädie. Nach J.Ch.K. Hofmann eignet dem Christentum ein weltlicher und ein überweltlicher Tatbestand: Innerweltlich ist es als geschichtliche, erfahrbare Wirklichkeit zu interpretieren (diesen Gegenstand untersucht die historische Theologie), überweltlich als ewige Stiftung Gottes (diesen Gegenstand analysiert die systematische Theologie). 44 Vgl. ebd., 7; A. Hauck, Kirchengeschichte, 732: »Die Gemeinschaft des Menschen mit Gott wird nicht erst im Verlaufe der kirchlichen Entwickelung hergestellt; sie ist nicht ihre Frucht, sondern dass sie vorhanden ist, bildet die Voraussetzung für die Existenz und deshalb auch für die Geschichte der Kirche.« 45 Vgl. J.Ch.K. Hofmann, Encyclopädie, 8: »Aber thatsächlich ist es vielmehr so, daß die Kirche als das Gemeinwesen eines gewissen Verhältnisses zu Gott, die Einzelnen in sich aufnimmt und an diesem Verhältniß zu Gott sie betheiligt.« Ebd., 9: »Demnach ist die Kirche nicht blos ein von Christo gestiftetes Gemeinwesen, welchem Christus schlechthin jenseitig wäre; sie ist auch nicht ein Gemeinwesen, in welchem Christus eingeschlossen, und auf welches er beschränkt wäre, sondern der Thatbestand des Christenthums muß der sein, daß das Verhältniß Gottes und der Menschheit, dessen Gemeinschaft die christliche Kirche ist, unabhängig von der in der Welt befindlichen sichtbaren Kirche in der Person des überweltlichen Christus verwirklicht ist und sich, indem er sich selbst bethätigt, innerweltlich mittelst des wirklichen Gemeinwesens an den ihm Angehörigen bezeugt und bethätigt. Da wird nun auch möglich sein, inne zu werden, wiefern und wieweit das jeweilige kirchliche Gemeinwesen in Wahrheit Kirche Christi ist. Es ist nemlich Kirche Christi nur immer in dem Maße, als es geeignet ist, Mittel der Selbstbethätigung des durch die kirchlichen Ordnungen wirksamen Christus zu sein.«

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Unter der Prämisse, dass die äußerliche, sichtbare Kirche eine geschichtliche Größe ist, konnte J.Ch.K. Hofmann die geschichtswissenschaftliche Methode anwenden.46 Dennoch interpretierte er die Kirche zudem als Gemeinwesen des Heils, dem ein unsichtbares Dasein und Wesen eignet, welches in seiner Geschichte publik wird.47 Stellte J.Ch.K. Hofmann die Einheit der Kirchengeschichte damit über die dogmatische Wesensbestimmung von Kirche und Christentum sicher, so sah A. Hauck in der geschichtsimmanenten Leitung des Heiligen Geistes die Einheitlichkeit der Kirchengeschichte als gegeben: Der Heilige Geist treibe das Werden der sichtbaren Kirche voran, um ihr unsichtbares Wesen schrittweise publik zu machen.48 A. Hauck konstatierte: »Deshalb geht das Dasein der Kirche nicht in ihrem geschichtlichen Werden auf; man kann die Epochen ihrer Geschichte nicht in dem Sinne ihre verschiedenen Lebensalter von der Kindheit bis zum endlichen Ermatten des Greisenalters nennen, dass sie aufhöre, wenn sie in ihnen ihr ganzes Wesens dargelegt hätte.«49 Im Irdischen kann daher nach Ansicht A. Haucks die sichtbare Kirche niemals vollkommen ihrem Wesen entsprechen, sondern sich diesem nur facettenreich annähern. So weit wie J.Ch.K. Hofmann, der das historische Individuum unter Leitung göttlicher Providenz in einen allgemeinen heilsgeschichtlichen Zusammenhang einordnete, dessen Telos ersichtlich ist, ging A. Hauck daher nicht: Er ließ das Wirken des Heiligen Geistes mit einer eingeschränkten, histo46 Vgl. ebd., 24: »Aber hier kommt es dann eben so in Betracht, wie alles andere Begebniß dieser sichtbaren Welt; es gehört damit zur Geschichte des natürlichen Menschen- und Völkerthums und wird lediglich von der Seite aufgefaßt, wo es diesem gleichartig ist; also nur von der allgemeinen religiösen und ethischen Seite kommt es in Betracht. Da wird es sich immerhin für den richtigen Blick des Geschichtsforschers eigenthümlich unterscheiden von dem sonst ihm gleichartigen menschlichen Wesen, aber es kommt nicht nach seiner wesentlichen Eigenthümlichkeit zur Aussage. Mit dem Wunder des Christenthums hat es der Theologe zu thun und er allein. Aber freilich muß dann auch seine geschichtliche Behandlung eine charakteristisch andere sein als die des sonstigen Historikers, d.h., nicht blos eine fromme, etwa gar pietistisch fromme, auch nicht blos eine von dem Glauben an den h[eiligen] Geist getragene, was für alle Geschichtsauffassung eines Christen gälte, sondern eine alles sonst nach seiner natürlichen menschlichen Seite Betrachtete unter den Gesichtspunct des Lebens der Wiedergeburt stellende. Es ist eine ganz andere Geschichte, mit der es der Theolog als mit der es der Historiker zu thun hat.« 47 Vgl. ebd., 256f: »Darnach ist also das Sichtbare zu würdigen als Versichtbarung des wesentlich Unsichtbaren. [...] Denn wie viel man auch davon redet, daß die Geschichte eine Lehrerin sei, so zeigt doch die Erfahrung, daß sie nur denjenigen belehrt, welcher die wesentliche Wahrheit schon mitbringt; sonst zeigt diese Fülle von Thatsachen Jedem ein anderes Gesicht. Aber die wesentliche Erkenntniß sei es von dem Wesen des Staates oder von dem Wesen der Kirche wird sich freilich in der Geschichte bewähren und legt sich über der Beschäftigung mit der Geschichte in die Mannigfaltigkeit und dem Reichthum ihres Inhaltes auseinander. Wenn die wesentliche Erkenntniß der Kirche, die wir mitzubringen glauben, nicht die wahre Erkenntniß ist, so werden wir davon überführt werden, indem sich uns nicht die ganze Fülle der Thatsachen der Kirchengeschichte in eine Einheit zusammenstellt.« 48 Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 732: »Nur weil derselbe Geist überall und zu allen Zeiten in der Kirche waltet, ist sie eine Einheit, ein Organismus, von dessen Werden und Wachsen man reden kann, nur deshalb gibt es Leben und Tätigkeit, Handeln der Kirche und nicht allein einzelner Gläubigen. One ihn würde das Werden, das sich nach der Menge der Orte und Zeiten in das Werden unzäliger Einzelheiten zerspaltet, wie in einzelne Splitter auseinanderfallen; [...].« 49 Ebd.

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risch und ethnologisch bedingten Entscheidungsfreiheit des Menschen korrelieren. J.Ch.K. Hofmann hatte demgegenüber die menschliche Freiheit allein in ihrer Möglichkeit der Entscheidung für eine individuell bejahte Gottesbeziehung gesehen. In Anlehnung an R. Rothe deutete A. Hauck die Kirche als eine exklusive, unmittelbar religiöse Gemeinschaft,50 die, weil sie eine geschichtliche Organisation wurde, von der Anschauung ihres geschichtlichen Werdens her begriffen werden muss: Um Christentum und Kirche der Gegenwart zu verstehen, bedarf es der Reflexion ihrer Vergangenheit.51 Bestimmte der Erlanger Kirchenhistoriker den Begriff der Kirche rein religiös, so definierte R. Rothe Kirche und Christentum unter ethischem Blickwinkel: Weil sich das Erlösungswerk Christi im irdischen Reiches Gottes verwirklicht, muss das Christentum die Menschheit mit seinem religiös-sittlichen Geist durchdringen, muss sich infolgedessen die Kirche im Staat auflösen und einen christlichen Staat gründen.52 Neben die historische Theologie trat damit die spekulative Theologie, die eine »durchgreifende Weltansicht« ermöglicht.53 Sah R. Rothe aber das Ziel der historischen Theologie in der erreichbaren, »vollständigen geschichtlichen Realisirung des Wesens der christlichen Kirche und letztlich des Christenthums« erschöpft,54 so positionierte A. Hauck demgegenüber das Ende der Kirchengeschichte außerhalb jeder geschichtlichen Entwicklung.55 Von R. Rothe übernahm A. Hauck die Erkenntnis quantitativer Vielfalt in einer historisch einheitlichen Entwicklung, die J.Ch.K. Hofmann aufgrund seines heilsgeschichtlichen Konzepts nicht verstehen konnte.56 So entdeckte 50 Rothe, Encyclopädie, 2: »Wenn es der Frömmigkeit, wie allem Moralischen überhaupt, wesentlich ist, Gemeinschaft zu stiften (und nur in ihr ihr Dasein zu finden, ihre Erhaltung sowohl als ihre Entwicklung), so konnte die christliche Frömmigkeit bei ihrem Eintritt in die Welt sich ihre Gemeinschaft nur als eine rein religiöse erbauen, also nur als Kirche. Dies war eine geschichtliche Nothwendigkeit, theils weil das neue christliche Leben, das unmittelbar als ein religiöses entsprang, von vornherein sich selbst nur als ein religiöses erkannte, theils weil ihm die äußere Möglichkeit, sich als ein zugleich sittliches zu erbauen, durch die geschichtliche Lage der Dinge entzogen war. (Nicht etwa, daß dieser Anfang schon das christlich Vollkommene gewesen wäre.)« 51 Vgl. ebd., 10. 52 Vgl. ebd., 84. 53 Vgl. ebd., 13: »Sonach macht den eigentlichen Hauptkörper des Systems der theologischen Wissenschaften die historische Theologie (im weiteren Sinne des Worts) aus. Durch die speculative Theologie hängt derselbe mit der allgemeinen Wissenschaft, d.h. der nicht kirchlichen, der weltlichen Wissenschaft, zusammen, durch die practische Theologie mit der klerikalischen Praxis und dem practischen Leben überhaupt.« 54 Ebd., 42. 55 Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 733: »Das Wunder des Anfangs, die Herstellung der Gottesgemeinschaft durch den Gottmenschen, liegt jenseits der Kirchengeschichte, das Wunder des Endes, die Widerkunft des Gottmenschen, bringt sie zum Abschluß: weder dieses noch jenes gehört ihr an; denn weder der Anstoß zur Bewegung, noch das Ende der Bewegung ist selbst Bewegung.« 56 Vgl. Rothe, Encyclopädie, 77: »Das Object dieser geschichtlichen Darstellung ist wesentlich in sich selbst eins, ein einheitliches Princip, eine einheitliche Kraft, die eigenthümliche Kraft des Christenthums und es ist eine besonders wichtige Aufgabe der kirchengeschichtlichen Theologie die

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auch der Erlanger Kirchenhistoriker Einschnitte und Veränderungen sowie Wendungen geschichtlicher Verläufe. R. Rothe bezeichnete diese Herangehensweise als »die Anschauung des eigenthümlichen Geistes des Ganzen in seiner Beweglichkeit und die Darstellung des Innern in dem Auseinandertreten der Thatsachen«.57 In Anlehnung an F. Räbiger, der in seiner theologischen Enzyklopädie die christliche Religionswissenschaft zum Gegenstand der Darstellung erhob,58 bestimmte A. Hauck die Beziehung zwischen dem Wesen und dem historischen Werden der Kirche. Das Christentum stellte sich nach Ansicht F. Räbigers empirisch als gemeinsamer Cultus des Göttlichen dar. [...] Sobald es in die Geschichte eintritt, begründet es eine Gemeinschaft aller derjenigen, die sich durch die in Christo geschehene Offenbarung mit Gott verbunden wissen. Diese Gemeinschaft ist die Kirche, und die Theologie, welche das Christentum zu ihrem Gegenstand hat, hat die Kirche zu ihrer Voraussetzung. Die Kirche ist das Organ, das sich das Christentum geschaffen hat, um sich geschichtlich zu bethätigen und die ganze Fülle der in ihm enthaltenen Lebenskeime zur Entwickelung zu bringen.59

A. Hauck eruierte wie F. Räbiger die historisch vermittelte Idee der göttlichen Offenbarung – die »göttlichen Gedanken« –, indem er der Idee der göttlichen Erlösung nachging. Die Theologie, so F. Räbiger, muss aus der Heiligen Schrift die Idee des Christentums entnehmen, die kirchliche Theologie die absolute Autorität dieser Wahrheit erweisen. Sprach sich A. Hauck zwar gegen F. Räbigers Definition des Christentums als Religionsgemeinschaft aus, so übernahm er dennoch dessen Anschauung, dass gerade das Christentum die wahre Idee der Religion verwirklicht, weil in ihm die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck kommt.60 F. Räbiger zeigte mit Hilfe der historischen Theologie die Einwirkung religiöser und ethischer Anschauungen des Christentums auf das historisch bedingte Kulturleben auf.61 In seiner Nachfolge sah auch der Erlanger Kirchenhistoriker in der Institution Kirche die Voraussetzung gegeben, der religiösen Idee des Christentums zum Durchbruch zu verhelfen.62

Einheitlichkeit und Idealität des Princips in der Manichfaltigkeit der ihr Object bildenden geschichtlichen Erscheinungen klar hervortreten zu lassen.« 57 Ebd., 80. 58 Räbiger, Theologik. 59 Ebd., 111. 60 Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 736: »Denn nicht eine Religion neben andern Religionen ist das Christentum: es ist die Religion. [...] Das Christentum dagegen ist eine göttliche Schöpfung, hervorgegangen aus der Befriedigung jenes Bedürfnisses durch göttliche Heilstaten.« 61 Vgl. Räbiger, Theologik, 197. 62 Vgl. ebd.: »Die Kirche, die sich zu Christo bekennt, und im Glauben an ihn die christliche Idee zu ihrer Lebensidee hat, ist das Organ, durch das sich das Christenthum sein geschichtliches Dasein giebt und unter den Bedingungen und Schranken geschichtlichen Werdens die ihm einwohnenden göttlichen Lebenskräfte entfaltet. Ziel und Vollendung der Entwickelung ist das Gottesreich als die gesammte von dem Gottesgeist durchdrungene Menschheit.«

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8.1.3 Albert Haucks kirchlich-historiographische Methode 8.1.3.1. Theorie der kirchlichen Entwicklung innerhalb der Geschichte Die quantitative Vielfalt des sichtbaren Wesens der Kirche innerhalb ihrer geschichtlichen Entwicklung stellte der Erlanger Kirchenhistoriker nach vier Seiten hin dar.63 Seiner Meinung nach verlaufen diese vier Ströme kirchlichen Werdens zwar nebeneinander her, bedingen aber einander. Die Möglichkeit ihrer differenzierten Betrachtung schloss A. Hauck nicht aus, aber er widersprach der Ansicht, dass diesen Strömungen eine autonome Entwicklung eigne. An erster Stelle erörterte A. Hauck die Ausbreitung der Kirche in der Welt: Einerseits gewinnt die Kirche ihre Existenz und ihr Existenzrecht erst, wenn sie Menschen zu einem persönlichen und individuellen Glaubenszeugnis anregt; andererseits berührt sie durch ihre äußerliche Ausbreitung zugleich staatliche Rechts- und Verfassungsverhältnisse. An zweiter Stelle untersuchte er den Einfluss der christlichen Sitte und Religiosität auf die geschichtlich bedingten Rechtsverhältnisse, da die Kirche um die »Christianisirung der Welt« ringt. Nach Ansicht A. Haucks hat die Kirche nicht ihr Existenzrecht neben anderen Gemeinschaften, sondern sie besitzt das alleinige Existenzrecht, nach dem sich die bestehenden Gemeinschaften wie Familie, Gesellschaft, Recht, Wissenschaft und Kunst ausrichten sollen.64 Diesen Gemeinschaften, die J.G. Droysen als »sittliche Mächte«, als »Ideen« bezeichnet hatte,65 fügte der Erlanger Kirchenhistoriker demnach mit dem Christentum keine weitere hinzu, sondern analysierte jene durch dieses unter dem Axiom der Umgestaltung. In den Augen A. Haucks wirkte das Christentum gerade in der Geschichte der Sitte und der Bildung revolutionär, obwohl beide nur sekundäre Folgen christlichen Glaubens seien. 63

Diese Differenzierung übernahm A. Hauck von K.R. Hagenbach und von F. Räbiger. Sie gliederten die Kirchengeschichte in eine Missionsgeschichte, eine Verfassungsgeschichte, eine Kultusgeschichte, eine Kultur-/Sittengeschichte und in eine Dogmengeschichte. Nach F. Räbiger muss eine kirchenhistorische Darstellung »die einzelnen Thatsachen in dem organischem Zusammenhange, in dem sie mit dem kirchlichen Gesammtleben seiner Zeit stehen, aufgefaßt und zu einem anschaulichen Bilde der kirchlichen Zeitgeschichte vereinigt werden«, Räbiger, Encyclopädie, 354. K.R. Hagenbach forderte, dass sich die Reihenfolge dieser differenzierten Erörterungen nach deren Präsenz und Bedeutung innerhalb einer Epoche richten soll. Um eine kunstvolle Geschichtsschreibung zu bewerkstelligen, plädierte er für den Primat der kirchenhistorischen Darstellung der christlichen Sitte. 64 Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 734: »Von dem christlichen Geiste durchdrungen, umgewandelt wird zunächst das Herz des Einzelnen. Allein davon kann die Kirchengeschichte nicht handeln; nicht die Gesinnung, sondern die Handlungen der Menschen kommen für sie in Betracht. Die Handlungen, unter dem Gesichtspunkt der Gleichartigkeit betrachtet, sind die Sitte. [...] Wie aber im ersten Teil nicht nur von dem Vordringen der Kirche in der Welt zu reden ist, sondern auch von dem Widerstand der Welt gegen die Kirche, nicht nur von der Aufnahme der Kirche in den Schutz des Stats, sondern auch von der Verfolgung der Kirche durch den Stat, so in dem zweiten Teile nicht nur von der Christianisirung der Sitte, sondern auch von der Verweltlichung der Kirche.« 65 Vgl. Droysen, Historik, 181: »Denn daß diese sittlichen Mächte da seien und wirksam seien, ist der menschlichen Natur wesentlich. Aber sie selbst wachsen und entfalten sich erst durch die Menschen, in der fortschreitenden Geschichte.«

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An dritter Stelle nannte A. Hauck die Entwicklung des Dogmas. Als Dogma definierte er diejenigen Lehrsätze, die die Kirche aus den Erkenntnissen der theologischen Wissenschaft gewann und anerkannte, um einen Glauben auszudrücken, der ihrem Wesen entsprach.66 An vierter Stelle richtete A. Hauck sein Interesse auf das kirchliche Handeln. Dieses differenzierte er in Kirchenverfassung, gottesdienstliches Handeln, kirchliche Gesetze und traditionelle Bräuche. A. Haucks ausdifferenzierte Kirchengeschichtsbetrachtung unterschied sich von derjenigen J.Ch.K. Hofmanns gerade darin, dass jener die geschichtliche Entwicklung der »sittlichen Mächte« und »Ideen« (vgl. J.G. Droysen) analysierte, dieser aber die Auswirkungen des schriftgemäßen, von der Kirche vermittelten Glaubens auf das christliche Individuum untersuchte.67 A. Hauck stand in der Nachfolge R. Rothes, wenn er davon ausgeht, dass sich der Auftrag des Christentums auf mehreren Feldern auswirkt, ohne seine Einheitlichkeit zu verlieren.68 Ebenso übernahm der Erlanger Kirchenhistoriker von R. Rothe, dass sich das Christentum auf die Gemeinschaften menschlichen Zusammenlebens auswirkt: auf das öffentliche Leben, die Wissenschaft, die Kunst, den Staat. R. Rothe fasste diese Auswirkungen unter dem Begriff der christlichen Kulturgeschichte zusammen, die A. Hauck so nicht verstanden wissen wollte: Das »Kulturleben« gehörte für A. Hauck in den Aufgabenbereich der Weltgeschichte. So widersprach er derjenigen »weltgeschichtlichen« Sichtweise, die die Kirche nur als ein Element der Kultur wahrnahm. Er selbst ging von einer autonomen Bewegung der Kirche aus, die aber dennoch vom jeweiligen »Stand der Kultur« bedingt wird. Die kontinuierliche Entwicklung der Geschichte bestimmte A. Hauck aus der Abfolge von Perioden, die die verschiedenen Gestaltungen der einen »christlichen Idee« aufzeigen. In den einzelnen Epochen der Kirchengeschichte erweist sich seines Erachtens die Kirche in aufsteigenden Stufen ihrem Wesen nach immer vollkommener, wobei sie auf die Wechselwirkungen der geschichtlichen

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Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 734. Vgl. J.Ch.K. Hofmann, Encyclopädie, 260: »Es handelt sich hier nicht um die Entwicklung eines Organismus, sondern um die Geschichte eines wahrhaft persönlichen Lebens. Nicht von einem nothwendigen Entwicklungspunct kann hier die Rede sein, denn die Kirche ist die Gemeinschaft eines persönlichen Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen. Wie nun der einzelne Mensch und Christ diesem seinen Verhältniß zu Gott bald fern kommt und entfremdet wird, bald in herzlicher Lust wieder in dasselbe zurückkehrt, so geschieht es auch in der Geschichte der Kirche; und wie die Buße des Einzelnen immer eine Rückkehr ist in den durch seine Taufe einmal für allemal hergestellten Lebensstand, so ist auch jeder Fortschritt, den die Kirche in ihrer Geschichte macht, eine Rückkehr zugleich in den Anfang.« 68 Vgl. Rothe, Encyclopädie, 77: »Keine von diesen besonderen Functionen aber ist in ihrer Entwickelung ohne ihre Beziehung auf die anderen vollkommen zu verstehen und jeder als ein relativ Ganzes auszusondernde Zeittheil wird nur durch die Gegenseitigkeit ihrer Einwirkungen auf einander, was er ist. Denn die lebendige Kraft des christlichen Princips ist in jedem Moment ganz gesetzt und kann daher nur in der gegenseitigen Bedingtheit aller verschiedenen Functionen ergriffen werden.« 67

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Bedingungen eingeht und »dabei ihren Beruf an der Welt vollzieht«.69 Er erkannte im ununterbrochenen Werden der Kirche Absätze, die als Epochen die Kirchengeschichte in Perioden gliedern. Diese Absätze waren für ihn logische Folgen verschieden ausgerichteter Bewegungsprozesse.70 Diesen Epochenbegriff entlehnte A. Hauck bei K.R. Hagenbach und R. Rothe, die eine geschichtliche Zäsur dort herausarbeiteten, wenn historische Momente zur Umkehrung der gegebenen Verhältnisse führten. Epochemachende Bewegungen erkannte der Erlanger Kirchenhistoriker wie R. Rothe vornehmlich im Wirken von historischen Aktanten, »an denen der Geist ihrer Geschichte seine Organe hat«.71 Ungeachtet dieser Richtungsdynamik diagnostizierte A. Hauck innerhalb der kirchengeschichtlichen Entwicklung einen Fortschritt, den er an einer wie auch immer gearteten Gefahrenüberwindung festmachte. Dieser Fortschritt bleibe aber relativ, da er seine Vollendung innerhalb der Geschichte nicht erreiche. A. Haucks Erwägung, dass von Periode zu Periode die Vielfalt christlicher Weltgestaltung zunimmt, gründete auf J.G. Droysens Kontinuitätsbegriff.72 Wie J.G. Droysen erkannte A. Hauck auch die Wellenförmigkeit historischen Werdens: Entdeckte er im Rückschritt die Möglichkeit, eine Fehlentwicklung zu überwinden oder eine um so heftigere Reaktion zu provozieren,73 so erblickte J.G. Droysen darin das Aufspannen einer Feder, um »mit doppelter Spannkraft« später voranzuschreiten.74 Letztlich versuchte A. Hauck, geschichtliche Entwicklungen aus zeitlichen Zusammenhängen heraus zu verstehen, indem er den Geist der Handelnden bzw. deren Intentionen analysierte. Die Kontinuität der Entwicklung postulierte er, um das Werden der Kirche auf ein bestimmtes Ziel hin zu sichern. Menschliches Handeln sah er bestimmt von freien Intentionen und deren zeitbedingtem Umfeld. Die Ideen-Interpretation entnahm der Erlanger Kirchenhistoriker dem 69

A. Hauck, Kirchengeschichte, 732. Vgl. ebd., 735: »Die Richtung aber wird bestimmt durch die beherrschenden Ideeen. Eine neue Periode der Kirchengeschichte beginnt demnach, wenn eine neue Idee die Herrschaft erringt. Die neuen Ideeen treten nicht sofort mit ihrem Hervorbrechen in die Herrschaft ein [...]. Sie sind vorhanden und wirksam, ehe sie herrschen: anfangs in der größten Unscheinbarkeit und Schwäche; aber sie erstarken, an den verschiedensten Orten, unter den verschiedensten Umständen gewinnen sie Macht; sie klären sich dabei ab, schließen das Widersprechende, das ihnen anfangs anzukleben pflegt, aus; endlich reißen sie alles mit sich hin, die vorher herrschenden Ideeen erliegen vor ihnen, sie geben dem Lauf der Geschichte eine neue Richtung: die Kirche tritt in eine neue Periode ihres irdischen Werdens.« 71 Rothe, Encyclopädie, 81. 72 Vgl. Droysen, Historik, 12: »Es ist eine Kontinuität, in der jedes Frühere sich erweitert und ergänzt durch das Spätere [...], eine Kontinuität, in der die ganze Reihe durchlebter Gestaltungen sich zu fortschreitenden Ergebnissen summiert und jede der durchlebten Gestaltungen als ein Moment der werdenden Summe erscheint. In diesem rastlosen Nacheinander, in dieser sich in sich steigernden Kontinuität gewinnt die allgemeine Anschauung Zeit ihren diskreten Inhalt, den einer unendlichen Folgenreihe fortschreitenden Werdens.« 73 Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 733. 74 Vgl. Droysen, Historik, 14. 70

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klassischen idealistischen Historismus: Er verstand die Geschichte als einen Prozess, in dem Strömungen und Tendenzen sich dialektisch um die Herrschaft über Personen und deren Handeln bemühen. Den geschichtlichen Verlauf interpretierte A. Hauck als Auswirkung von Ideen, die sich in Intentionen einzelner Aktanten niederschlagen und zugleich von gesellschaftlichen Tendenzen beeinflusst sind. A. Hauck erblickte hinter diesen Ideen eine Sinnhaftigkeit von Geschichte, die sich durch historische Phänomene infolge individuellen Handelns realisiert. 8.1.3.2 Methode der Historiographie A. Hauck deutete den »Entwickelungsgang der Gemeinde Jesu Christi auf Erden«,75 indem er historische Vorgänge in Anlehnung an J.G. Droysens Methode interpretierte. Wie dieser bemühte sich der Erlanger Kirchenhistoriker in seinen Forschungen um ein Verstehen von Geschichte.76 Er analysierte nicht Wirkungen und Folgen von historischen Ereignissen, sondern die hinterlassenen Quellen, die die Ursachen und den Werdegang der sich ereigneten Entwicklung wiedergeben.77 Zunächst erforschte er diese Quellen auf ihre Echtheit und Glaubwürdigkeit hin, dann deren Rezeptionsgeschichte und zuletzt deren tatsächlichen Aussagegehalt. Der Erlanger Kirchenhistoriker griff zudem auf W. Vischer zurück: Dieser hatte wie K.R. Hagenbach eine historische Quellenkritik im Sinne L. Rankes vertreten, die erst philologisch und dann psychologisch vorging und somit vornehmlich menschliche Verhaltensweisen unter anthropologischen und psychologischen Gesichtspunkten untersuchte.78 In Übereinstimmung mit G.G. Gervinus79 und J.G. Droysen wandte sich A. Hauck damit gegen die Verabsolutierung der Quellenkritik.80 Da für ihn jede historische Erkenntnis Folge einer Verknüpfung von Forschung und Interpretation war, wandte er mit Droysen die historische Methode als »forschendes Verstehen« an, die nicht die Tatsachen der Vergangenheit wiederherstellen, sondern die Motive der Handlungsträger analysieren wollte.81 75

A. Hauck, Kirchengeschichte, 732. Vgl. ebd., 735: »Das Werden der Kirche in seiner Selbständigkeit und Eigenartigkeit, nach seiner sachlichen und zeitlichen Gliederung zu erforschen, zu erkennen, darzustellen, daß ist die Aufgabe der kirchengeschichtlichen Theologie. Es ist die größte Aufgabe: nachzudenken das göttliche Epos der Kirchengeschichte und es denkend zu verstehen.« 77 Vgl. ebd., 737: »Denn keine Wirkung lässt die Ursache an sich erkennen; sie ermöglicht nur einen Schluss auf die Art und Stärke derselben; dagegen sind es die Zeugnisse von vergangenen Ereignissen, welche diese selbst vergegenwärtigen.« 78 Vischer, Grenzen, 65f. 79 Vgl. Gervinus, Grundzüge, 19. 80 Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 738: »Aber so notwendig die Kritik ist, so schädlich ist die Hyperkritik. Sie hindert das geschichtliche Erkennen in ganz demselben Maße wie der Mangel an Kritik. Denn wenn der letztere die Reihe des Geschehens zerreißt, indem er unwirkliche Glieder einfügt, so die erstere, indem sie wirkliche ausstößt.« 81 Vgl. Droysen, Historik, 26: »Aus den wie immer lückenhaften Materialien suchen wir sie, ihr Wollen und Tun, die Bedingungen ihres Wollens und die Wirkungen ihres Handelns zu erkennen; wir 76

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Unter Anwendung der kritischen Quellenforschung gewann der Erlanger Kirchenhistoriker den Stoff für seine Geschichtsschreibung. Um auf dieser Basis zu einer historischen Erkenntnis zu gelangen, stellte er wie J.G. Droysen »Hypothesen«82 auf, die Linien benannten, mit deren Hilfe das Einzelne in einen geschichtlichen Verlauf eingegliedert werden konnte.83 Wie W. Humboldt setzte A. Hauck hierin auf die produktive Phantasie des Historikers. Aus dieser Erkenntnis des ursächlichen Zusammenhanges gewann er die Erkenntnis des Zwecks historischer Begebenheiten. Diesen Zweck wiederum sah er in der Durchsetzung einer Idee, letztlich im Wirken des Heiligen Geistes, offenbar werden.84 Um aus der pragmatischen Interpretation von Geschichte die Zweckmäßigkeit von Geschichte zu erschließen, griff A. Hauck auf W. Humboldts historische Ideenlehre zurück. Bereits K.R. Hagenbach hatte als die würdigste Aufgabe der Kirchengeschichte die Herausarbeitung einer Idee angesehen, die den historischen Erscheinungen zugrunde liegt, um zu erkennen, ob diese Idee in der Geschichte verwirklicht oder ob sie gehemmt worden ist.85 A. Hauck erschloss diese geschichtsimmanente Idee aus seiner kritisch eruierten Tatsachenchronologie. Indem er die historischen Entitäten dieser Idee unterordnete, gelang ihm seines Erachtens deren realistische Bewertung: »[...] denn der Wert der Einzeltatsache bemisst sich nach ihrer Bedeutung für das Ganze; [...].«86 Diese enge Bezogenheit des Einzelnen auf das Allgemeine und des Allgemeinen auf das Einzelne hatte vor A. Hauck bereits K.R. Hagenbach, G.G. Gervinus und W. Humboldt konstatiert.87 G.G. Gervinus erkannte die Bedeutung von Aktanten als Träger von Ideen gerade darin, ob sie sich den Ideen, die eine suchen aus den einzelnen Äußerungen und Formgebungen, die wir noch fassen können, uns ihr Ich oder, wo sie mit anderen und vielen gemeinsam gehandelt und geformt haben, dies Gemeinsame, den Familiengeist, Volksgeist, Zeitgeist usw. dessen sie ein Teil und Ausdruck sind, zu rekonstruieren und aus der so gewonnenen Erkenntnis die zerbröckelte und verwischte Peripherie ihres Gesamt-Seins zu ergänzen und so weiterschreitend, soweit es möglich ist, ihre Stelle in der Gesamtbewegung der Vergangenheiten des Menschengeschlechts zu erkennen, [...].« 82 Vgl. ebd., 88. 83 Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 738: »Das Wissen um eine Summe von Ereignissen ist nicht ein Abbild des wirklichen Verlaufs; denn in Wirklichkeit ist nichts vereinzelt, [...].« 84 Vgl. ebd., 739: »Hieraus ergibt sich das Ungenügende der chronistischen wie der pragmatischen Geschichtsbehandlung. Die erstere reiht die durch die Quellen bezeugten Tatsachen gemäß ihrer zeitlichen Folge aneinander; sie gibt das Knochengerüste der Geschichte: allein die Tatsachen bleiben für sie stumm und tot; sie sind weder nach ihrer Ursache noch nach ihrem Zweck erkannt. Die letztere zeigt jedes Ereignis als verursacht; sie leitet das Spätere aus dem Früheren, das Allgemeine aus dem Einzelnen ab: allein indem sie dies tut, erklärt sie die Geschichte nur, sie erschließt ihr Verständnis nicht. Nur der lehrt die Kirchengeschichte verstehen, der die in ihr sich verwirklichende Idee und damit ihr Ziel zeigt.« 85 Vgl. Hagenbach, Kirchengeschichte, 626: »Dies heißt nicht die Geschichte idealisiren, sondern die volle Realität des Geschichtlichen kann nur auf diesem Wege zum Bewußtsein kommen.« 86 A. Hauck, Kirchengeschichte, 738. 87 Vgl. Humboldt, Aufgabe, 596: »Zu den wirkenden und schaffenden Kräften also hat sich der Geschichtsschreiber zu wenden.«

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Periode bewegten, anschlossen oder ob sie gegen diese opponierten. Obwohl er das Heranwachsen von Ideen, ihre Ausbreitung, ihre Herrschaft und ihr Vergehen aus den Quellen deutete, bezweifelte er, dass die Entstehung von Ideen historisch-kritisch eruiert werden kann. Wie W. Humboldt unterschied A. Hauck die zwei Funktionen einer Idee: zum einen die Funktion der Richtungsbestimmung, zum anderen die Funktion der »Krafterzeugung«.88 A. Hauck entdeckte die richtungsgebende Idee in den Strömungen und Tendenzen, die krafterzeugende Idee im Wirken des Heiligen Geistes innerhalb eines Aktanten. Um die geschichtliche Entwicklung den eruierten Tatsachen entsprechend würdigen zu können, verwarf A. Hauck wie J.Ch.K. Hofmann G.W.F. Hegels Axiom der eschatologischen Stellung des hermeneutischen Subjektes am absoluten Schlusspunkt. Ging J.Ch.K. Hofmann von einem Noch nicht christlicher Heilsoffenbarung aus, so vertrat A. Hauck die Ansicht, dass eine eschatologische Geschichtsspekulation die Vielfalt der geschichtlichen Entfaltung des kirchlichen Wesens nicht gebührend anerkennen kann. Indem A. Hauck aber die historischen Tatsachen, die seines Erachtens mithilfe der von Gott ausgehenden Ideen teleologisch ausgerichtet werden, als Voraussetzung des Tatbestandes der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen deutete, verknüpfte er wie J.Ch.K. Hofmann die apriorische mit der historischen Geschichtsbetrachtung. Im Gegensatz zu F.D.E. Schleiermacher leitete A. Hauck deshalb das Recht kirchenhistorischer Forschung nicht allein aus der Notwendigkeit zur Kirchenleitung, sondern aus der Pflicht der zeitgenössischen Kirche ab, »sich des Zusammenhangs mit ihrer Vergangenheit bewußt zu sein«.89 Sein Ausgangs- und Endpunkt kirchenhistorischer Interpretation ist demnach die Gestalt der Kirche als ein Gemeinwesen, das neben dem Individuum eine eigenständige Existenzberechtigung besitzt. Die Kirche als Schöpfung Gottes betrachtend konnte er G.W.F. Hegels dialektische Geschichtsauffassung gegenüber der rein kausalerklärenden Herangehensweise bevorzugen, um geschichtliche Zusammenhänge zu begreifen. Erst unter dieser Prämisse wandte sich A. Hauck dann dem Individuellen in der Geschichte zu, um es im Gesamtduktus der Entwicklung der Kirche zu reflektieren. Er erforschte also die Vergangenheit, um die Gegenwart erinnernd zu erweitern. Ziel dieses Ansatzes war es, »sich der Einheit der Bewegung von der Vergangenheit durch die Gegenwart zur Zukunft bewusst«90 zu werden. Mit G.W.F. Hegel und J.Ch.K. Hofmann definierte A. Hauck diese Erinnerung an die Vergangenheit nicht im Sinne einer Erinnerung an Fakten, sondern im Sinne von begriffener, mit Blick auf die Entwicklung der Kirche interpretierter Geschichte. Weil aber seines Erachtens diese Zukunft unberechenbar blieb, widersprach er G.W.F. Hegel und J.Ch.K. Hofmann, die 88 89 90

Vgl. ebd., 601. A. Hauck, Kirchengeschichte, 736. Ebd.

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von einer vollständigen Enträtselung der geschichtlichen Entwicklung ausgingen. Gegenüber beiden Genannten hielt er daran fest, dass die ecclesia invisibilis ihren geschichtlichen Gang aus der Vergangenheit über die Gegenwart hin zur Zukunft als einen bisher unvollendeten Fortschritt begreifen kann: »Der Fortschritt der kirchengeschichtlichen Theologie besteht darin, dass sie die göttlichen Gedanken, die im Werden der Kirche liegen, immer klarer erfasst: denn dadurch vervollständigt und vertieft sich ihre Erkenntnis, sie strebt der Vollendung zu.«91 A. Haucks Unterscheidung des Wesens und geschichtlich bedingten Werdens der Kirche, sein Postulat, dass die Gemeinschaft des Menschen mit Gott nicht Ziel, sondern Ausgangspunkt kirchlicher Entwicklung ist, seine Interpretation der Kirche als göttliche Schöpfung sowie sein Axiom, dass das Wesen der Kirche in ihrem geschichtlichen Werden seiner vollkommenen Offenbarung entgegenstrebt, es aber innerweltlich nicht erreichen wird, erlaubte ihm die theoretische Verknüpfung der Zielgerichtetheit von Geschichte mit der Fortschrittstheorie: Von letzterer übernahm er die Anschauung, dass die Geschichte auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist, das durch sukzessive Annäherung immer vollkommener wahrgenommen wird. Diesen Fortschritt sah A. Hauck für die Kirchengeschichte in der zunehmenden Missionierung und Christianisierung der vorfindlichen Institutionen. Indem der Erlanger Kirchenhistoriker die göttliche Verwandlung der Welt außerhalb ihrer Geschichtlichkeit positionierte, distanzierte er sich von einer Fortschrittstheorie, die ihr Telos in der Welt zu erreichen und durch sukzessive Annäherung zu realisieren gedachte. Er ließ die Vollständigkeit der Geschichte auf Additivität beruhen. Dieses Postulat wiederum erlaubte ihn, das außerhalb der Geschichte liegende Telos durch menschliches Wirken (Kultur) schöpferisch zu füllen: Offen blieb die geschichtliche Entwicklung nicht, die Kirche hatte ihr Wesen im geschichtlichen Werden mannigfaltig darzulegen. Eine Interpretation der offenen geschichtlichen Entwicklung gelang Hauck erst dadurch, dass er die Kirche als »Gemeinde des Heils«, als »Gemeinschaft mit Gott« bezeichnete: So konnte er jede Entwicklungsperiode unter dem Kriterium »göttlicher Gedanken«, also unter dem jeweiligen Verhältnis zwischen Menschheit und Gott, analysieren. Insoweit deutete A. Hauck die Geschichte als relativ offen, sie blieb für ihn aber vom Gesichtspunkt der Christianisierung der Welt aus bedingt. 8.1.3.3 Theorie der Historiographie Es gelang A. Hauck unter Anwendung seiner Methodik, im Verlauf der Geschichte relativ geschlossene Perioden zu erkennen, die er dann historiogra91 Ebd., 735. Vgl. Vischer, Grenzen, 69: »Sie [die historische Forschung, M. T.] soll vielmehr den Menschen zur Kenntniß seiner selbst führen, durch sie wird eine Selbstprüfung des Menschengeschlechts vollzogen, eine Selbstprüfung, deren dieses ebensowohl bedarf, als der einzelne Mensch, um sich über seine Bestimmung klar zu werden und über die Wege, die es einzuschlagen hat, wenn es derselben nach kommen soll.«

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phisch illustrierte. Die Verwirklichung von Ideen und deren modifizierte Ausprägungen machte er am Wirken historischer Aktanten fest. Seiner Meinung nach – die hier die Anschauung K.R. Hagenbachs aufgriff – sollte ein Historiograph das Wirken dieser Aktanten in Beziehung zu ihrer Umwelt und zu der allgemeinen Entwicklung stellen, also die Situation ihres Lebens und Wirkens nachzeichnen. Hatte J.G. Droysen diese Methode prägnant »Interpretation der Bedingungen« genannt, würdigte A. Hauck neben ihrem diesbezüglichen quelleninterpretatorischen Wert ihren ästhetisch-historiographischen Nutzen: Stets aber muss der Geschichtsschreiber den Gegenstand der Einzeldarstellung in Zusammenhang setzen mit der allgemeinen Entwickelung. Dies geschieht durch die Zeichnung der Situation; sie ist also nicht überflüssiger Zierrat, sondern sie ist notwendig, damit das Einzelne als Glied des Ganzen erscheine. Jedoch darf sie nichts anderes sein wollen, als Hintergrund; denn wenn sie sich vordrängt, so stört sie das Verständnis der Entwickelung des Einzelnen: die Darstellung ist in Gefar, ihre Einheit zu verlieren.92

In Anlehnung an K.R. Hagenbach forderte der Erlanger Kirchenhistoriker, dass die Geschichtsforschung in einer Geschichtsschreibung münden soll, die künstlerischen Ansprüchen genüge: Einsichten in historische Zusammenhänge vermittelt seiner Meinung nach nur ein historiographisches Kunstwerk, das mit Hilfe der reproduktiven Kraft der Phantasie eines Historikers geschaffen wird.93 Diese historiographische Kunstästhetik hatte bereits G.G. Gervinus eingefordert. Er maß den Wert eines Kunstwerkes darin, ob ihm ein geschlossenes Ganzes, ein einheitlicher Grundgedanke und die enge Verknüpfung der Teile zu einem Ganzen eignete.94 Den historischen Leitgedanken, den Faden des Geschichtswerkes, fand er im Werden und Wachsen von historischen Ideen. Wie G.G. Gervinus deutete A. Hauck die Geschichtsschreibung als ein Element der Kunst, weil sie mit Hilfe einer Idee die Einheit der Geschichte darzustellen vermag.95 Auch J.G. Droysen kannte eine »Interpretation der Ideen«, ohne diese aber als göttliche zu charakterisieren.96 Dessen Interpretationentheorie (pragmatische Interpretation, Interpretation der Bedingungen, psychologische Interpretation, Interpretation der Ideen bzw. nach sittlichen Mächten) übernahm A. Hauck von J.G. Droysen, ergänzte diese aber um die apriorische Interpretation, dass das 92

A. Hauck, Kirchengeschichte, 739. Vgl. Hagenbach, Kirchengeschichte, 627: »Aber die falsche Kunst, die bereits als überwunden zu betrachten ist, konnte nicht durch die Negation aller Kunst, sondern einzig durch ihr Gegentheil, durch die wahre historische Kunst überwunden werden, deren Geheimnis eben darin besteht, bei aller Selbstverleugnung, mit welcher der Historiker hinter den geschichtlichen Stoff zurücktritt, ihm dennoch ein wahrhaft lebendiges, die verblichenen Züge auffrischendes Gepräge aufzudrücken.« 94 Vgl. Gervinus, Grundzüge, 31. 95 Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 739: »Nur der lehrt die Kirchengeschichte verstehen, der die in ihr sich verwirklichende Idee und damit ihr Ziel zeigt.« 96 Vgl. Droysen, Historik, 155: »Über allen Interessen, Begabungen und persönlichen Ansichten der einzelnen steht ein Gemeinsames, das in jedem einzelnen mächtig und mächtiger als alles ist.« 93

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Werden der Kirche unter der Leitung des Heiligen Geistes geschieht. Die psychologische und die zeitgeschichtlichen Interpretation eines Aktanten erschienen ihm daher zweitrangig. Die göttlichen Ideen, in denen sich das Wesen der Kirche schrittweise offenbarte, charakterisierte er demgegenüber als richtungsgebend, nicht als wirkend: Die wirkenden Ideen sah der Erlanger Kirchenhistoriker sich in der Gemeinschaft von Gott und Mensch realisieren.97 In Bezug auf seine Geschichtsschreibung favorisierte A. Hauck die erzählende Darstellung,98 weil sie ihm als besonders geeignet erschien, die der Geschichte innewohnenden Idee als eine werdende zu illustrieren. 8.1.4 Albert Haucks Lexikonartikel als Beispiele dargestellter Geschichtsforschung 8.1.4.1 Lebensbeschreibungen A. Hauck erforschte die religiöse Erziehung und Bildung historischer Aktanten in ihrem Verhältnis zur Zeitgeschichte und zu anderen wirkungsmächtigen Aktanten, um ihre Identität und Charakterbildung beschreiben zu können.99 Unter Anwendung der Interpretation der Bedingungen und der Interpretation literarischer Hinterlassenschaften recherchierte er den persönlichen Glauben, die geschichtliche Bedeutung und das theologische Denken einer historischen Person. Fernerhin versuchte der Erlanger Kirchenhistoriker, eine wie auch immer geartete Entwicklung im theologischen Denken des Aktanten nachzuweisen. Nachdem A. Hauck die persönlichen Standpunkte der Person herausgefiltert hatte, bewertete er deren öffentliche Wirkung und Rezeption bzw. das öffentliche religiös-sittliche Auftreten der Person als Folge dieser Überzeugungen.100 Die Standpunkte verglich er schließlich mit den zeitgenössischen Geistesströmungen.101 97 Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte, 739: »Der Ungläubige ist unfähig, die Kirchengeschichte zu verstehen. Denn da er nicht an die Leitung des h[ei]l[igen] Geistes glaubt, so fehlt ihm die Möglichkeit, die Idee des kirchengeschichtlichen Verlaufs zu erfassen; er erblickt nur ein unaufhörliches Gegeneinanderwirken menschlicher Kräfte, eine Bewegung one Ziel, deshalb auch one Fortschritt. Kann man sich wundern, wenn er endlich zu dem Urteil kommt, die ganze Kirchengeschichte sei nichts anderes als Mischmasch von Torheit und Gewalt?« 98 Vgl. Droysen, Historik, 282–299, bes. 283. 99 Vgl. A. Hauck, Rabanus Maurus, 460: »Ratgar, ein rücksichtsloser, herrischer, hartnäckiger Charakter war erfüllt von der Leidenschaft zu bauen, alles andere musste ihr gegenüber zurückstehen. [...] Auch Raban hatte unter der Willkür Ratgars zu leiden, es wurden ihm seine Schriften weggenommen.« 100 Vgl. A. Hauck, Severinus, der Heilige, 170. 101 Vgl. A. Hauck/Landerer, Roscelin, 53: »Die Synode forderte von Roscelin den Widerruf seiner Lehre; nicht nur die Mitglieder derselben verwarfen sie einstimmig, sondern, wie es scheint, hatte man auch das Volk wider Roscelin erregt; aus Furcht leistete dieser den verlangten Widerruf [...].«; A. Hauck, Urban II, 217: »[...]: der Geist der Zeit war für ein solches Unternehmen bereit, es fehlte nur an dem Manne, der die vorhandenen Kräfte entfesseln, ihnen die Richtung zu geben vermochte.«;

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Um diesbezügliche Erkenntnisse zu gewinnen, untersuchte A. Hauck vornehmlich Briefe und persönliche Schriften sowie die literarische Hinterlassenschaft des jeweiligen Aktanten. Diese Quellengrundlage ergänzte er um Berichte zeitgenössischer und nachfolgender Autoren sowie um weitere Sekundärliteratur.102 Zunächst unterzog er seine Quellen der historisch-philologischen Kritik, um Vorlagen und Traditionsstränge herauszuschälen. Daraufhin ordnete er diese literarischen Hinterlassenschaften den Zeitumständen zu. Auffällig ist A. Haucks Beurteilung der Aktanten: Sie bezieht sich einerseits auf die Frömmigkeit bzw. auf den theologischen Standpunkt, andererseits auf das öffentliche Auftreten und Wirken. Ausgesprochen positiv urteilte der Erlanger Kirchenhistoriker über eine überzeugte Annahme des christlichen Glaubens und über eine religiöse Erziehung, die sich am christlichen und kirchlichen Leben in den Ausprägungen der jeweiligen Zeit – doch nur, falls ihr eine streng kirchliche Sitte eignete – orientierte.103 Als wirkungsmächtige Charaktere bezeichnete er diejenigen Aktanten, die ihr Umfeld religiös-sittlich prägten: Sein Urteil über J. Trithemius ergänzte A. Hauck deshalb um die Bemerkung, dass diesem humanistische Neigungen eigneten, die er aus den humanistischen Tendenzen seiner Zeit aufgenommen hatte und mit seiner strengen Religiosität verknüpfte, um die Klosterzucht durch Bildungsvermittlung zu heben.104 Dennoch sei J. Trithemius für die Leitung eines Klosters nicht geeignet gewesen, da er Personen und Zeitumstände nicht realistisch beurteilte.105 Wie der Erlanger Kirchenhistoriker Wolfgang von Regensburg, der »treulich und eifrig an der Förderung der Frömmigkeit unter dem Volke«106 gearbeitet hatte, ausgesprochen positiv beurteilte, so ebenfalls die asketische Frömmigkeit und das Wirken Willibrords107 sowie das kirchenpolitische Handeln Willigis’ von Mainz108. Ausdrücklich positiv würdigte A. Hauck die Unabhängigkeit eines theologischen Standpunktes, wenn dieser die Zeitumstände objektiv und frei von Parteimeinungen beschreibt, also gerecht urteilt.109 Diesbezüglich untersuchte der A. Hauck, Urban V, 221: »Aber er war kein bedeutender Mann, er vermochte wol nach Rom zurückzukehren, aber er vermochte nicht diesen Schritt zu einem epochemachenden Ereignis zu machen; [...].« 102 Vgl. A. Hauck, Severinus, der Heilige, 168: »Die Lebensbeschreibung des hl. Severin gehört zu den wichtigsten Denkmälern der kirchlichen wie der politischen Geschichte des ausgehenden 5. Jarhunderts, da sie Licht auf ein Gebiet fallen lässt, über welches sie die einzige Quelle ist.« 103 Vgl. A. Hauck, Hofmann, 221. 104 Vgl. A. Hauck/Klippel, Trithemius, 52: »Ihr [der Bibliothek, M. T.] liebenswürdiger, vielbelesener Gründer [J. Trithemius, M. T.] war eine angesehene Persönlichkeit im Kreise der Humanisten.« 105 Vgl. ebd., 54: »So bleibt ihm zwar das Verdienst in Deutschland den ersten Grund zur allgemeinen Gelehrten- und theologischen Literargeschichte gelegt zu haben, aber als Geschichtsquellen sind seine Schriften, so weit er nicht von seiner eigenen Zeit spricht, unbrauchbar.« 106 A. Hauck, Wolfgang, 288. 107 Vgl. A. Hauck, Willibrord, 175–179. 108 Vgl. A. Hauck, Willigis, 179–183. 109 Vgl. A. Hauck, Salvian, 319: »Aber diese negative Stellung zu dem Weltlichen befreite ihn [Salvian, M. T.] auch von vielen Vorurteilen seiner Zeit; er konnte gerecht sein gegen die Heiden, und

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Erlanger Kirchenhistoriker die Fähigkeit dieses Standpunktes zur Weiterentwicklung oder zum Beharren. Für diese Herangehensweise exemplarisch ist A. Haucks Würdigung J.Ch.K. Hofmanns angesichts dessen Interpretation der Geschichte als Heilsgeschichte.110 Ihm viel verdankend, charakterisierte er den Lebensweg seines ehemaligen Lehrers als einen von Gott gewiesenen Weg:111 J.Ch.K. Hofmann habe sein kirchenpolitisches bzw. politisches Handeln112 sowie seine theologische Erkenntnisgewinnung anhand des Schriftbeweises stets in den Dienst der Kirche gestellt.113 Über den Marburger Theologieprofessor W. Münscher urteilte A. Hauck letztlich günstig, da jener angesichts seines rationalistischen Standpunktes die Bearbeitung umfassender Quellenbelege vorangetrieben hatte. Dennoch bemängelte er, dass die daran anknüpfende Dogmengeschichtsschreibung keinen Fortschritt bezüglich der dogmengeschichtlichen Interpretation einbrachte. In der Betrachung A. Haucks war W. Münscher ein Kind seiner Zeit geblieben, das nicht über sich hinauswachsen konnte.114 Übermäßig kritisch beurteilte der Erlanger Kirchenhistoriker literarische Hinterlassenschaften historischer Personen, die allein ihrem eigenen Ansehen und nicht dem Fortschritt oder der Durchsetzung einer theologischen Richtung was vielleicht mehr gilt, gegen Häretiker [...]. Von der Verachtung der Barbaren und der Sklaven war er eben so frei wie unbefangen im Urteile über die Römer und die Reichen [...]; die Schäden der socialen wie der nationalökonomischen Verhältnisse erkannte er völlig klar [...]. Darauf beruht die große historische Bedeutung seiner Sittenschilderungen.« 110 Vgl. A. Hauck, Hofmann, 272. A. Hauck urteilte generös über J.Ch.K. Hofmanns heilsgeschichtliche Anschauungen: »Es liegt eine seltene Großartigkeit der Gedanken und Anschauungen in diesem Werke Hofmanns; in vielen einzelnen Punkten wird die fortschreitende Forschung, was er sagte, berichtigen können, wie er ja selbst manche seiner Behauptungen abgeändert, zurückgenommen hat; jedoch der bleibende Wert des Buches wird dadurch nicht berürt.« 111 Vgl. ebd., 229. 112 Vgl. ebd., 230: »Was ihn der Fortschrittspartei zufürte, war, dass er sah, dass diese Partei allein den Gedanken der Einigung Deutschlands als Ziel ins Auge fasste. [...] Wer wollte ihm aus einer solchen Gesinnung einen Vorwurf machen? Wenn er dabei von der Voraussetzung ausging, dass Kirchliches und Politisches geschiedene Gebiete seien, weshalb man auf dem einen mit Männern zusammenarbeiten könne, denen man auf dem andern entgegentreten muss, so fragt es sich sehr, ob Hofmann mit dieser Anschauung der Kirche und dem Glauben mehr geschadet hat als diejenigen, welche Kirchliches und Politisches überall vermengen.« 113 Vgl. ebd., 233: »Weder Beschreibung der christlich-religiösen Gemütszustände, noch Widergabe des Inhalts der Schrift- und Kirchenlehre, noch Herleitung der christlichen Erkenntnisse aus einem obersten Satze ist die systematische Tätigkeit, sondern Entfaltung des einfachen Tatbestandes, welcher den Christen zum Christen macht, zur Darlegung des mannigfachen Reichtums seines Inhalts. Der einfache Ausdruck jenes Tatbestandes ist: In Christo Jesu vermittelte persönliche Gemeinschaft Gottes und der Menschheit. Entfaltet der Theologe seinen Inhalt, so kommt es zu einem geschlossenen Ganzen, in dem alle einzelnen Sätze ihren notwendigen Ort haben, mit unverbrüchlicher Notwendigkeit aufeinander folgen. [...] In die durch Christus vermittelte Gemeinschaft mit Gott gelangt der einzelne durch den Dienst der Kirche; die Selbstbetätigung des Christen aber ist Betätigung seines Liebesgehorsams. Die Vollendung der Gottesgemeinschaft endlich fällt in die Zukunft.« 114 Vgl. A. Hauck, Münscher, 359. Zu W. Münscher vgl. Ch. Voigt, Dogmengeschichtsschreibung, 207–216.

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dienten.115 Demgegenüber würdigte er Personen wie Rabanus Maurus, die sich ununterbrochen um die literarische Unterweisung und Bildung des Volkes bemühten, auch wenn sie politisch nicht wirksam wurden.116 An R. Rothe schätzte A. Hauck dessen »geistige Selbständigkeit«.117 Dennoch kritisierte er, dass R. Rothe unfähig war, »die realen Kräfte zu erfassen«118 und sich von theologischen Strömungen angezogen fühlte, die nicht »seiner Natur entsprachen«.119 R. Rothes Engagement im Protestantenverein missbilligte der Erlanger Kirchenhistoriker ausdrücklich: Ich gehöre nicht zu den Gesinnungsgenossen Rothes. Aber ich habe mich stets an dieser klaren Individualität, diesem durchsichtigen Geiste und diesem lauteren Menschen gefreut. Gerade deshalb wünsche ich, dass er sich nicht in eine Lage versetzt hätte, die zu solchen Schwankungen in seinem Urteil führte.120

Als Kriterien einer Papstkritik führte A. Hauck die päpstliche Einflussnahme auf Politik, Kirche und Gesellschaft sowie auf kirchliche Traditionen an.121 Die Persönlichkeit und den Charakter eines Papstes interpretierte er psychologisch. 115

Vgl. A. Hauck, Prosper, 302: »[...] enstand in Südgallien ein litterarisches Geplänkel zwischen Prosper und seinen Gegnern one tiefere Bedeutung, aber auch one Erfolg für die Sache.« 116 Vgl. A. Hauck, Rabanus, 462f. 117 A. Hauck, Rothe, 654. 118 Ebd., 655. 119 Ebd., 656: »Zwar stand er [R. Rothe, M. T.] neben dem bedeutendsten theologischen Dilettanten unseres Jarhunderts; aber Bunsen mit seinem leichtbeweglichen Geiste und seinen nach allen Seiten sich zerstreuenden Interessen vermochte wol ihn anzuregen, nicht jedoch zu beherrschen; es konnte nicht anders sein, als dass er alsbald die ihm natürliche Richtung wieder fand; er streifte das Pietistische endgiltig ab: er wurde ein Christ und ein Theologe nach seinem eigenen Leisten. Er fülte sich wohl dabei; nach dem Schwanken der letzten Jare kam er innerlich wieder ins Gleichgewicht. Die Befreiung von fremden Einwirkungen zeigte sich darin, dass die wissenschaftlichen Neigungen Rothes wieder stärker hervortraten.« 120 Ebd., 661. 121 Vgl. A. Hauck, Silvester II, 239f: »Doch man darf Gerbert nicht nur als Mann der Wissenschaft beurteilen. Lange Jare war er politisch tätig, und wenn nicht seine Zeit, so hat um so mehr die Gegenwart den Politiker Gerbert gerühmt, hat man ihn doch einen Virtuosen in der realistischen Politik genannt. Aber sicher mit Unrecht. Denn Erfolg hatte Gerbert nur so lange, als er durch Adalbero von Rheims geleitet wurde; dann verfürte ihn seine Begeisterung für den Namen des Kaisertums, einem politischen Ziele nachzutrachten, das unerreichbar war. Das Ideal ›eines friedsam durch Kaisermacht und Papstgewalt regierten Erdenrundes‹ konnte nur ein Mann haben, der unfähig war, die Kräfte, die in der Welt wirkten, zu verstehen und zu beurteilen, und darum noch unfähiger, sie zu beherrschen. Man tut Gerbert kein Unrecht, wenn man ihn mehr für einen gewandten Publizisten als für einen großen Politiker erklärt. Und er war auch in der Politik nicht, was er überhaupt nicht war: ein fester und klarer Charakter; abgesehen von seiner Treue gegen das sächsische Haus – der einzige ganz reine Zug im Bilde Gerberts – und von seiner Begeisterung für das Kaisertum hatte er keinen politischen oder kirchlichen Standpunkt; er wurde ein anderer, wenn er an einen andern Platz gestellt wurde. Dieser Wandel wurde ihm möglich, weil sein Verhalten stets bedingt war durch egoistische Motive, durch persönlichen Ehrgeiz. Sein Ziel hat er erreicht; er, der sich selbst gelegentlich als einen armen und fremden, weder reichen noch vornehmen Mann bezeichnete [...], nahm schließlich den höchsten Platz ein, den ein Mensch des Mittelalters erreichen konnte. Aber für die Welt und Kirche hat er dort nichts geleistet. Der Pontifikat Silvesters II. ist in der Geschichte des Papsttums so inhaltslos wie der der unbedeutendsten Päpste.«

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Positiv bewertete A. Hauck die eigenständige päpstliche Diagnose kirchlicher und politischer Zeitströmungen sowie einen dezenten Einfluss der Päpste auf gesellschaftliche Verhältnisse. Negativ beurteilte er die freiwillig gesuchte Abhängigkeit der Päpste von Ratgebern.122 Seines Erachtens war es für eine geschichtliche Entwicklung von Belang, inwieweit ein Papst Zeitströmungen beeinflusste bzw. gegen sie opponierte. 8.1.4.2 Sachbeschreibungen A. Hauck analysierte hierbei die historischen Bedingungen (»Zwang der politischen Verhältnisse«), die handelnden Personen, den chronologischen Verlauf und die inhaltlichen Bestimmungen historischer Ereignisse. Diese durch Interpretation von Protokollen und subjektiven zeitgenössischen Berichten gewonnenen Erkenntnisse setzte er in Beziehung zu überlieferten Anschauungen, um hinsichlich des Ereignisses einen Fortschritt oder einen Rückschritt im kirchengeschichtlichen Prozess zu bestimmen. Zum einen wandte A. Hauck die begriffsgeschichtliche Methode an.123 Er ermittelte die Herkunft einer Institution zunächst angesichts ihrer Beziehung zu Kirche und Staat bzw. Politik,124 um dann ihre Entwicklung exemplarisch am Verhalten entsprechender Aktanten nachzuzeichnen, die sie beeinflussten. Zur Beweisführung dienten ihm Vergleiche, die die Veränderungen im Verlauf und die den Widerstreit von Machtverhältnissen offenbarten. Zum anderen interpretierte der Erlanger Kirchenhistoriker die Institutionen unter den Anforderungen einer Tendenz-125 bzw. Ideengeschichte126. Hierbei deutete er die Lehraussagen und deren praktische Verwirklichung z.B. in Liturgien. In seinen dogmengeschichtlichen Ausführungen analysierte er Aussagen der Bibel, Aussagen der Patristiker, römisch-katholische und altprotestantische Erörterungen.127 Als Kriterium seines Urteils über dogmatische Gegenstände galt ihm allein die Bibel.128 Da sich A. Hauck speziell für die Rezeptionsgeschichte und für die Folgen historischer Ereignisse bzw. Gegenstände auf christlich-individuelle Anschau122 Vgl. A. Hauck, Stephan III, 681: »Stephan erscheint in dem Tumult, der seine Erhebung begleitete, wie ein willenloses Werkzeug in der Hand der Partei, die ihn erhoben hatte. [...] Und auch später ist es ihm nicht gelungen, die Verhältnisse zu beherrschen, wenn er auch im einzelnen Fall konsequent sein konnte.« 123 Vgl. A. Hauck/Steitz, Schlüsselgewalt, 573: »Überblicken wir die Entwicklung des Begriffs.« 124 Vgl. A. Hauck, Sachsen, 196–199. 125 Vgl. A. Hauck, Priester, 209: »Wie es scheint in Afrika bildet sich die Gewonheit, Bischöfe und Presbyter als sacerdotes zu bezeichnen.«; A. Hauck/Steitz, Sakrament, 271: »Aber es beginnt doch bereits in dieser Zeit die Tendenz nach Erweiterung der Zal der Sakramente sich bemerkbar zu machen, [...].«; A. Hauck, Sergius II, 149: »An Durchfürung der ursprünglichen Tendenzen war demnach nicht zu denken.« 126 Vgl. A. Hauck, Priester, 210: »Jedoch änderte sich die Opferidee im dritten Jarhundert [...].«; A. Hauck, Urban II, 215: »[...] durchdrang er sich mit den Ideeen, [...].« 127 Vgl. A. Hauck/Steitz, Taufe, 218–251. 128 Vgl. A. Hauck/Steitz, Transsubstantiationslehre, 803–832.

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ungen interessierte – exemplarisch hierfür ist sein Artikel über die Orgelbaukunst129 –, spielte in seinem Urteil über zeitgenössische Tendenzen die Frage nach dem sittlich-religiösen Verhalten der Menschen eine herausragende Rolle.130 Um die Umstände eines historischen Ereignisses oder eines Aktanten zu erfassen, verfasste er Artikel über die neuesten kirchlichen Statistiken.131 Hinsichtlich des Leipziger Religionsgespräches von 1631 arbeitete A. Hauck unter Anwendung seiner Methode die Erkenntnis heraus, dass ungeachtet der gleichförmigen Berufung auf dieselbe Bekenntnisformel eine Lehrverschiedenheit offen zutage trat. Den bemerkenswerten Fortschritt dieses Gespräches erkannte er in diesbezüglichen sachdienlichen Diskussionen.132 Detailliert erörterte A. Hauck, inwieweit Aktanten zu der zeitgenössischen Rechtssprechung und Kirchen- bzw. Staatsverfassung standen.133 Setzten seiner Ansicht nach zunächst Aktanten eine Entwicklung in Kraft, so wohnte ihr im weiteren Verlauf der Geschichte ein von Aktanten unabhängiges, eigenständiges Fortschreiten inne.134 Um zu diesen Erkenntnissen zu gelangen, verglich der Erlanger Kirchenhistoriker die kirchliche mit der staatlichen Verfassungs- und Rechtsfindung. Hierbei setzte er voraus, dass die Kirche ein weltliches Institut sei. Nach der Maßgabe, wie sich die Aktanten zu den kirchlichen Rechtssätzen verhielten, beurteilte A. Hauck jene.135 Auffällig ist A. Haucks Polemik gegenüber Abspaltungen von der Kirche: Z.B. gegenüber den Plymouthbrüdern, die er an ihrer rigorosen Ablehnung jeder Kirchenordnung und ihrer Geringschätzung der Sakramente festmachte.136 Den Reliquienkult beäugte der Erlanger Kirchenhistoriker sehr kritisch. Er würdigte deshalb Athanasius als Verfasser der Vita des Antonius, um ihn als strengen Gegner dieses Kultes hochzuhalten, und resümierte: »Die abergläubische Steigerung der Pietät gegen die irdischen Überreste der Heiligen zur Reli129

A. Hauck/Grüneisen, Orgel, 87–89. Vgl. A. Hauck, Tänzer, 203f: »Zu den Erscheinungen des mittelalterlichen Volkslebens, bei denen Physisches, Religiöses und Moralisches in trüber Mischung zusammenlaufen, gehört die Tanzsucht [...].« 131 Vgl. A. Hauck, Mexico, 731f; A. Hauck, Paraguay, 217; A. Hauck, Peru, 495. 132 Vgl. A. Hauck/Klose, Leipziger Kolloquium, 547: »Die Bedeutung des Leipziger Kolloquiums liegt demnach nicht in dem, was durch dasselbe erreicht wurde, sie liegt darin, dass eine solche Konferenz überhaupt möglich war. Es dämmerte die Erkenntnis, dass man bei aller Treue gegen die eigene Lehre die Schwesterkirche nicht nur aus dem Gesichtspunkt der Polemik betrachten dürfe.« 133 Vgl. A. Hauck, Patriarchen, 290: »Meletius ignorirte nun konsequent die Rechte von Alexandrien. Bei seinem Verfaren gegen die Gefallenen nam er keine Rücksicht auf die von Petrus von Alexandria aufgestellten Grundsätze [...].« 134 Vgl. ebd.: »Dies, d.h. der Einfluss der Metropoliten hervorragender Städte auf die benachbarten Metropolitansprengel, ist der Anfang der Patriarchalverfassung. Es lag nun in der Natur der Sache, dass das Bestreben hervortreten musste, die begonnene Bildung größerer kirchlicher Verbände durchzufüren.« 135 Vgl. ebd., 291: »Man sieht, die Appellation an den zunächst berechtigten Patriarchen ist nicht aufgehoben, aber Konstantinopel konkurrirt mit ihm nach freier Wal des betreffenden Appellanten, ein rechtlich höchst unklares Verhältnis, das sich nur als Frucht eines Kompromisses begreift.« 136 Vgl. A. Hauck/Herzog, Plymouthbrüder, 76. 130

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quienverehrung fällt also in die konstantinische Zeit.«137 Infolgedessen missbilligte er auch die mittelalterlichen Auswüchse des Reliquienwesens, obwohl er anerkennen musste, dass dieser Brauch den Nerv des mittelalterlichen Volkes getroffen hatte. In seinem Artikel über die kirchliche Union überführte A. Hauck die Orthodoxie und den Pietismus des Irrtums und Widerspruchs zwischen Lehre und Frömmigkeit.138 Über den Zusammenbruch der Vorherrschaft der Orthodoxie freute er sich, weil damit die zunächst konfessionell verankerten Frömmigkeitsformen in das Blickfeld kirchlicher Übereinkünfte rücken konnten. A. Hauck kritisierte F.D.E. Schleiermacher, da dieser die christlichen Frömmigkeitsformen nicht beachtet hatte. In einem persönlichen Resüme positionierte sich A. Hauck zur Frage nach Recht oder Unrecht kirchlicher Unionen: Historisch angesehen, beantwortet sich diese Frage leicht. Die Männer, welche die Union einfürten, begingen kein Unrecht: sie handelten in der aufrichtigen Überzeugung, das Beste der Kirche zu fördern; die Gemeinden, welche zur Annahme der Union bestimmt wurden, erlitten kein Unrecht: denn sie waren ebenso wie die Fürer von dem Rechte der Union überzeugt. Das Unrecht begann erst, als denjenigen, welche anders dachten, verwehrt wurde, demgemäß zu handeln. Denn auf religiösem Gebiete gibt es nur ein doppeltes Unrecht: Verleugnung der eigenen und Zwang gegen fremde Überzeugung.139

Letztlich behauptete A. Hauck sogar, dass »niemand die Formulirung, welche das Dogma im 16. Jahrhundert fand, für schlechthin zutreffend hält; auch der überzeugteste Lutheraner gibt zu, dass die lutherischen Bekenntnisschriften seine Überzeugung nicht in demselben Sinne aussprechen, wie die Überzeugung ihrer Verfasser und deren Zeitgenossen«.140 8.1.4.3 Albert Haucks Überarbeitung einiger RE1-Artikel Bei der Durchsicht der Artikel prüfte der Erlanger Kirchenhistoriker den Wahrheitsgehalt der genannten Fakten und ergänzte Literaturverweise sowie Forschungsergebnisse. Die Intensität seiner Überarbeitung ist abhängig vom Autor. Geringfügig griff A. Hauck in einen Artikel des Professors für morgenländische Literatur in Halle/Saale, F.A. Arnold,141 sowie in einen biographisch ge137

A. Hauck, Reliquien, 690. Vgl. A. Hauck, Union, 180: »Für die Orthodoxie war die Reinheit derselben [der Frömmigkeit, M. T.] das Ausschlaggebende: sie schien gewart durch die widerspruchslose Herrschaft der ›reinen Lehre‹. Dem Pietismus entging die Täuschung nicht, die hier vorlag; er seinerseits legte deshalb allen Nachdruck auf die Intensität der Frömmigkeit und er meinte sie messen zu können an der Lebhaftigkeit der religiösen Empfindung und an der eigenartigen Weise des religiösen Gebarens. Auch er irrte, und auch sein Irrtum hatte üble Folgen; denn wenn die Orthodoxie eine tote Rechtgläubigkeit gefördert hatte, so förderte der Pietismus einen geistlosen Methodismus des religiösen Lebens und den Ersatz warer religiöser Empfindung durch gemachte Empfindungen.« 139 Ebd., 187. 140 Ebd., 188. 141 A. Hauck/Arnold, Konkordanz, 147–149. Zur Biographie von F.A. Arnold vgl. Wolff, Arnold, 586. In der RE3 übertrug A. Hauck die Bearbeitung dieses Lexikonartikels an den Leipziger Honorar138

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fassten Artikel – ergänzt um neuere Erkenntnisse zur literarischen Hinterlassenschaft – des Marburger Kirchengeschichtlers E. Henke ein.142 A. Hauck bemühte sich, jede konfessionelle Polemik und Beurteilung zu vermeiden. Auffällig dabei ist, dass er die streng konfessionell geprägten Äußerungen des Hamburger Bibliothekssekretärs K. Klose relativierte.143 Übernahm der Erlanger Kirchenhistoriker zwar von C. Grüneisen die konfessionellen Urteile über die Orgelmusik, so ergänzte er diese um den abwägenden Standpunkt des Luthertums infolge der Bedeutung J.S. Bachs für die Orgelmusik. Gegenüber rein katholischen Gegenständen differenzierte A. Hauck die konfessionellen Stellungnahmen ausdrücklich, indem er nicht die protestantische Sicht als Korrektiv einwebte, wie es zuvor A.F. Hauber getan hatte, sondern diese Gegenstände rein entwicklungsgeschichtlich analysierte.144 Er tilgte aus den Artikeln von G.E. Steitz und von J.P. Lange145 jede Kritik, die die Zeitumstände nicht eingehend berücksichtigte hatte, Urteile gegenüber der lutherische Reformation146 und persönliche Diskussionsstandpunkte. Vor allem aber verwarf A. Hauck G.E. Steitz’ reformiert-konfessionelle Definition von Kirche.147 Gleichwohl zitierte der Erlanger Kirchenhistoriker in seiner Neufassung des Artikels über die Transsubstantiationslehre G.E. Steitz’ abschließendes prägnantes Urteil.148 Manche Bewertungen historischer Personen verbesserte A. Hauck, legendarische Beschreibungen bereinigte er.149 Deshalb korrigierte er die Ausführungen des Kirchenhistorikers Th. Pressel über Linus,150 Marcellus II.,151 Perpetua,152 professor und deutsch-amerikanischen Neutestamentler C.R. Gregory, vgl. Gregory, Konkordanz, 695– 703. 142 A. Hauck/Henke, Paulinus, 349–356. Als Verfechter des Unionsgedankens agierte E. Henke gegen die Engherzigkeit einer konfessionell ausgerichteten Theologie und des Pietismus. 143 Vgl. A. Hauck/Klose, Leipziger Kolloquium. 144 Vgl. A. Hauck, Ordines, 88. 145 Vgl. A. Hauck/Lange, Terminismus, 329f. 146 Vgl. A. Hauck/Steitz, Sakrament. 147 Vgl. ebd., 272; A. Hauck/Steitz, Schlüsselgewalt; A. Hauck, Schottische Konfessionen, 678. 148 Vgl. Steitz, Transsubstantiationslehre, 350; A. Hauck/Steitz, Transsubstantiationslehre, 832: »Wir haben damit den letzten Punkt eines langen historischen Verlaufes erreicht. Wenn Radbert mit Recht als der Vorläufer der Scholastik betrachtet werden darf, so ist dieses Dogma lediglich auf dem Boden der Scholastik erwachsen; sie hat ihm alle Bestimmungen gegeben, die seinen Inhalt ausmachen, und sie kunstvoll zu einem dialektischen Ganzen verwoben; sie hat aber auch aus ihrem Schoße alle die Grundsätze herausgeboren, durch deren Anwendung es zersetzt wurde, und merkwürdigerweise barg sie in demselben Schoße, wie wir sehen werden, die Keime des Neuen, welches an die Stelle des Alten und Verlebten zu treten bestimmt war, wenn auch nur der Geist der Reformation in seiner kräftigen Ursprünglichkeit diese Keime zu befruchten, zu beseelen und zu beleben im Stande war. In diesem Bildungsgang spricht sich eine Logik der Tatsachen aus, deren unerbitliche Konsequenz zwar von der konfessionellen Einseitigkeit verkannt und verleugnet werden kann, in deren strenger Notwendigkeit aber schon eine einschneidende Kritik für jeden liegt, der den Gang der Ereignisse mit unbefangenem Blick zu verfolgen und zu würdigen versteht.« 149 Vgl. A. Hauck/Neudecker, Walpurgis, 639. Erstaunlich ist, dass A. Hauck im Artikel A. Hauck/Klippel, Willibald, 173–175, eine Legende zitierte. 150 Vgl. A. Hauck, Linus, 691.

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und Rupert von Salzburg,153 die über den Literaten J.F. Maternus aber übernahm er wörtlich.154 J. Neudeckers Einschätzung des Papstes Constantinus I. beschied A. Hauck gegenteilig,155 G.H. Klippels Urteil über J. Trithemius als Historiker relativierte er, Th. Pressels Artikel über den Systematiker W. Münscher erweiterte er um eine ausführliche Würdigung ebenso wie dessen Artikel »Patriarchen«. Die kirchen- und verfassungsrechtlichen Abhandlungen von H.F. Jacobsen übernahm der Erlanger Kirchenhistoriker fast unverändert: Er ergänzte vornehmlich die geschichtliche Expertise bis zur Gegenwart und beurteilte Traditionsstränge.156 Mittels historischer Vergleiche gelang es A. Hauck, geschichtsimmanente Ideen kenntlich zu machen, die H.F. Jacobsen nicht vordringlich gesucht hatte.157 Unter Anwendung der begriffsgeschichtlichen Methode erkannte er im Gegenüber zu H.F. Jacobsen andere historische Verlaufslinien.158 J.J. Herzogs Artikel bearbeitete A. Hauck in unterschiedlichem Maße. Geringfügig erweiterte er die einen um aktuelle Erkenntnisse,159 die zweiten um Inhaltsangaben genannter Quellen,160 die dritten um eigenständige Ergebnisse seiner Quellenkritik.161 Einmalig widersprach er J.J. Herzogs Urteil und fügte seine gegenteilige Meinung an.162 Einige wenige Artikel verfasste er neu.163

151

Vgl. A. Hauck, Marcellus II, 279. Vgl. A. Hauck, Perpetua, 493f. 153 Vgl. A. Hauck, Rupert, 109f. 154 A. Hauck, Maternus, 398: »In der Schrift des J.F. Maternus ist die Apologetik in die Polemik umgeschlagen, die Forderung der Freiheit für die eigene Überzeugung ist zur Forderung der Unterdrückung der gegenteiligen Überzeugung geworden.« 155 Vgl. A. Hauck, Konstantinus, 793: »Man darf ihn [Constantinus, M. T.] zu den Päpsten rechnen, die, one bestimmend in die Verhältnisse einzugreifen, doch deshalb nicht one Bedeutung sind, weil sie unverrückt an den Zielen der römischen Politik festhalten. Das tat Konstantin nicht minder in seinem Verhalten gegen die italienischen Bischöfe als gegen den Kaiser. [...] Der Papst konnte nicht umhin, dem Kaiser zu gehorchen; er war gewandt genug, sich in Konstantinopel keine Blöße zu geben und den Standpunkt des römischen Stules zu waren.« 156 Vgl. A. Hauck/Jacobsen, Peterspfennig, 507: »Nichts als den Namen hat mit dem Peterspfennig der nordischen Reiche der moderne Peterspfennig gemein. [...] Der Betrag, [...], ist so bedeutend, dass er Pius IX. wie seinem Nachfolger möglich machte, die ihm von Italien dargebotene Rente von järlich 3¼ Millionen Franks zurückzuweisen.« 157 Vgl. A. Hauck/Jacobsen, Primas, 229: »Diese dem päpstlichen Interesse entsprechende Auffassung eignete sich schon Nikolaus I. an [...].«; A. Hauck/Jacobsen, Professio, 239: »[...] der beherrschende Gesichtspunkt ist nicht mehr in erster Linie der Gegensatz gegen den Protestantismus, sondern die Verwirklichung der päpstlichen Monarchie.« 158 Vgl. A. Hauck/Jacobsen, Regalie, 589: »Man verstand unter regalia jetzt etwas anderes als vordem.« A. Hauck/Jacobsen, Zehnten, 419: »Doch kam es nicht sofort zu allgemeiner Anerkennung dieser Forderung. Wenn Zenten entrichtet wurden, so hatten sie den Charakter einer freiwilligen Leistung. Noch im sechsten Jarhundert war dies unvergessen [...].« 159 Vgl. A. Hauck, Plymouthbrüder. 160 Vgl. A. Hauck, Prosper. 161 Vgl. A. Hauck/Heller, Possidius, 143. 162 Vgl. A. Hauck/Herzog, Seekers, 24f. 163 Vgl. A. Hauck, Reliquien; A. Hauck, Prosper. 152

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8.2 Aufsätze 8.2.1 Vittoria Colonna (1882)164 A. Hauck deutete das Leben und den Glauben der bedeutenden italienischen Dichterin V. Colonna auf der Quellengrundlage ihrer Gedichte – hierbei griff er auf J.W. Goethes Einsicht zurück, dass ein Gedicht Ausdruck persönlicher Erfahrungen ist – und im Vergleich zu ihrer Zeitgeschichte.165 Die Ideale des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts reflektierte der Erlanger Kirchenhistoriker im Blick auf die Erziehung V. Colonnas.166 Geprägt durch den regelmäßigen geistigen Verkehr mit Dichterfürsten sah A. Hauck sie befähigt, den »Genuß der Renaissance« wahrzunehmen und mitzugestalten. Diesen Genuss, ihre Anschauungen und Empfindungen fand er in ihren Gedichten an ihren gefangen genommenen Ehemann wieder. So entdeckte er in V. Colonnas erstem Gedicht zart empfindsame Gedanken des »Zeitgeschmackes«, die Mythologie und Geschichte miteinander vermengten.167 Da die Politik ihr Eheleben beeinflusst hatte, analysierte A. Hauck die Zeitströmungen und geschichtlichen Tendenzen sowie die diesbezügliche Positionierung ihres Ehemannes.168 A. Haucks Meinung nach stützte V. Colonna die politischen Entscheidungen ihres Gatten und gab ihnen zudem eine ethische Grundlage. Möglicherweise habe sie deshalb nach dem Tod ihres Mannes eine fromme und religiöse Askese geübt. Der Erlanger Kirchenhistoriker fand es jedenfalls merkwürdig, dass sich V. Colonnas leidenschaftliches Einmischen in die Politik ihrer Zeit169 nicht inhaltlich in ihren Gedichten niedergeschlug.170 164

A. Hauck, Colonna. Vgl. ebd., 32: »Man möge sagen, in ihrem Leben spiegelt sich jene geniale, glänzende, an Glück und Unglück, an Vorzügen und Fehlern so reiche Zeit, die man mit dem Namen ›Zeit der Renaissance‹ vielleicht zu einseitig bezeichnet.« 166 Vgl. ebd., 33: »Die Ideale eines Jahrhunderts treten nirgends so deutlich an den Tag als in der Richtung der Erziehung. Denn was die ältere Generation erstrebt hat, was sie errungen zu haben meint, das soll die jüngere als Besitz überkommen, mit dem sie weiter arbeiten kann.« 167 Vgl. ebd., 38: »So liegt ein Schatten über ihrer Ehe: ihr Mann war ihr das Ideal eines Helden, und wurde es immer mehr; aber persönlich kam sie ihm dabei nicht näher; ihre Ehe ließ nicht alles, was in ihr war, sich entfalten.« 168 Vgl. ebd., 38f: »Wie großen Erfolg man von seinem Abfall erwartete, zeigt der große Preis, den man ihm bot: eine Königskrone, die Herrschaft über Neapel. Es war ein Plan, getragen von der modernen Idee der nationalen Selbstständigkeit und ins Werk gesetzt mit den Mitteln der modernen Politik; aber gerade deshalb mußte er mißlingen. Denn nicht immer ist die Gesinnung der Menschen, die in der gleichen Zeit leben, eine gleichartige; in Epochen, welche verschiedene Zeitalter scheiden, geschieht es wohl, daß die einen die Denkweise der Vergangenheit bewahren, während die anderen mit ihren Anschauungen schon in der neuen Zeit, die heraufzieht, stehen.« 169 Vgl. ebd., 41: »Man mag ja urtheilen Clemens VII habe das Geschick getroffen, das er durch seine verkehrte und treulose Politik verdiente, und schon die Zeitgenossen fanden, Schuld an dem Unglück Roms seien die Einwohner selbst, die alle Laster, Stolz, Geiz, Neid, Mord, Wollust, Heuchelei übten, nur keine Tugend; aber man muß die Verwüstung Roms beklagen; denn in ihr vornehmlich ist der goldene Schimmer von Geist und Schönheit erloschen, der auf dem Zeitalter Leos X ruht.« 165

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Angesichts dieser gewonnenen Erkenntnisse eruierte A. Hauck unter Verwendung der vorliegenden Quellen die religiösen Anschauungen und die Frömmigkeit V. Colonnas. Im Vergleich zu ihrem Interesse für Literatur, Kunst und Politik habe sie die Kirche gering geschätzt und keine eigenen religiösen Gedanken gehegt.171 A. Hauck urteilte, dass sie den Wert der reformatorischen Bewegung erst erkannt hatte, als die humanistische Bildung in Italien von der römisch-katholischen Kirche geschmäht wurde. Nun freundete sich V. Colonna mit dem Umfeld des J. Valdés an. Ihren geistigen Fortschritt erschloss A. Hauck aus ihren Gedichten.172 Er erkannte aber, dass ihr die Weite protestantischen Denkens noch fehlte, obwohl sie die protestantische Lehre von der Rechtfertigung bereits vertrat: »War sie nicht protestantisch, so war sie doch evangelisch gesinnt: beides war damals noch nicht wie jetzt identisch.«173 In seinem abschließenden Urteil bemängelte der Erlanger Kirchenhistoriker daher, dass sich V. Colonna nicht von ihrem geistigen Umfeld und von der mittelalterlichen Kirche lossagte sowie dass sie die protestantische Zentrallehre in ihren Grundzügen letztlich doch nicht verstand.174 Obwohl sie keinen Einfluss auf die Menschen und die Zeit ausübte, sondern allein den Tendenzen folgte, lobte A. Hauck an ihr das Beste, das ein Mensch besitzen kann: eine edle Gesinnung.175

170 Vgl. ebd., 44: »Italienisches Nationalgefühl hatte daneben so wenig Raum als bei ihrem Gemahle; wo sie es auszusprechen scheint, ist es doch nur der Stolz auf die italienische Bildung, von dem auch sie erfüllt ist, und nicht der Gedanke, daß das italienische Volk einen Anspruch auf selbstständige nationale Existenz habe.« 171 Vgl. ebd., 48: »Vittoria bewegt sich ganz im Kreise der herkömmlichen kirchlichen Gesinnungen.« 172 Vgl. ebd., 53: »Und in der That theilte sie die Gesinnung dieser Männer; ihre Seele erhielt dadurch neue Kraft und neuen Schwung; nun erst entstand die größere, werthvollere Hälfte ihrer Dichtungen, ihre geistlichen Sonette. Vergleicht man sie mit den Gedichten auf Pescara, so ist der Unterschied augenfällig: der Gedankenkreis der Dichterin ist erweitert, ihre Anschauung vertieft, die Sprache markiger; reicher, kräftiger fließt der Strom ihrer Verse. Nur darin ist kein Unterschied, daß jetzt wie früher das zum Ausdruck kommt, was das innere Leben Vittorias erfüllte.« 173 Ebd., 55. 174 Vgl. ebd., 61: »Aber die Zeiten waren andere; jene Unbefangenheit mit der man früher in der Rechtfertigungslehre den Mittelpunkt der heiligen Schrift gefunden hatte, war dahin. Dafür ist die Antwort charakteristisch, die Reginald Pole Vittoria gab, als sie sein Urtheil über die Rechtfertigungslehre hören wollte: man müsse glauben, als könne man durch den Glauben allein selig werden, und wirken, als ob das Heil auf den Werken allein beruhe.« 175 Vgl. ebd., 62: »Wer möchte nicht wünschen, daß sie anders gehandelt, daß sie dem Freunde [B. Ochino, M. T.], wie ihr Bruder Ascanio, ihr Neffe del Vasto thaten, Treue bewahrt hätte, auch als er sich von ihrer Kirche schied. Aber man wird gestehen müssen, daß sie sich in ihrem Verhalten treu blieb; sie konnte nicht anders handeln, nachdem ihr der Bruch mit der römischen Kirche als ein Verbrechen galt. Ochinos Schritt schien ihr nur betrübend; seine Gründe Entschuldigungen, die ihn doch nur anklagten; sein Verhalten eine Gefahr für andere: er meine sie aus dem Schiffbruch zu retten und bringe sie doch nur in Gefahr, da er sich selbst außerhalb der Arche befinde, die rettet und bewahrt.«

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8.2.2 Die Bischofswahlen unter den Merovingern (1883) A. Hauck wandte sich in seiner Erlanger Antrittsvorlesung der historischen Grenzziehung zwischen staatlichem und kirchlichem Recht zu und wies darauf hin, dass diese Grenzziehung für die Gegenwart von großem Interesse ist.176 Nach Ansicht des Erlanger Kirchenhistorikers hatte sich hinsichtlich der Bischofswahlen unter den Merowingern eine historische Idee verwirklicht – »die Idee der Vereinigung geistlicher und weltlicher Gewalt in der Hand des Königs«.177 Ihre historische Bedeutung erkannte er darin, dass ihre Ausbreitung die »schlimmste Form der Ergänzung des Episkopats«178 – die Wahl durch Komprovinzialbischöfe – daran gehindert hatte, selbst Herrschaft in der Geschichte zu erlangen und auf den Fortgang der Geschichte einzuwirken. A. Hauck wandte sich diesem Problemfeld der Bischofswahlen zu, weil er hier – im Konflikt zwischen kirchlichen und staatlichen Rechtssetzungen – eine »Zeit des Überganges« aufspürte. Diese Konflikte waren für ihn die anziehendsten Gegenstände historischer Forschung, weil sie die »Geheimnisse des Werdens, des Entstehens« veranschaulichen.179 Mittels ausführlicher Quellenkritik und unter Benutzung einschlägiger Sekundärliteratur analysierte er dieses Geschehen in Bezug auf das rechtlich fixierte und politisch gewollte Verhältnis von Kirche und Staat. Seine These lautete, dass die obligatorische königliche Bestätigung der Bischofsernennung erst im 6. Jahrhundert rechtlich fixiert worden ist, ihr aber eine stufenweise Entwicklung vorausging. Zunächst konstatierte A. Hauck den Mangel, dass das rechtliche Verhältnis zwischen Kirche und Staat noch nicht geregelt war, als Gallien vor der Eroberung durch die Franken stand.180 Sich auf die Zustandschilderungen Gregor von Tours verlassend, fand der Erlanger Kirchenhistoriker den Brauch des gemeindlichen Wahlrechtes bestätigt, obwohl die zweite Synode von Arles dieses Recht zurückzudrängen beabsichtigt hatte. Er urteilte, dass diese direkte Bischofswahl zwar nicht gegen Missbräuche gefeiht war, die Gemeinden aber das traditionel176

Vgl. A. Hauck, Bischofswahlen, Vorrede. Ebd., 52. 178 Ebd.: »Denn bei ihr wäre der Zusammenschluss der Bischöfe zu einem besondern, dem nationalen Leben sich entfremdenden Stande unvermeidlich, jede Betheiligung des Laienelements an der Ernennung der Bischöfe ausgeschlossen gewesen. Eine solche war, wie die Dinge lagen, nur zu erhalten, indem dem Könige eine regelmässige Mitwirkung bei der Besetzung der Bisthümer eingeräumt wurde. Dass jenes verhindert wurde und dass dies geschah, war die Frucht der kirchlichen Politik der Merovinger.« 179 Ebd., 1: »In ihnen beginnen die Elemente sich zu krystallisiren, welche in der folgenden Zeit wirksam sind; in ihnen bilden sich die Strömungen, welche die nächsten Jahrhunderte tragen.« 180 Vgl. ebd., 4: »Das Mangelhafte dieser Einrichtung ist klar; einerseits war dem Interesse, das der Staat an der Besetzung der Bisthümer hatte, keine rechtliche Folge gegeben: wurde es im einzelnen Fall gewahrt, so erschien das als Willkühr dem Rechte der Kirche gegenüber; andererseits konnte die Ausübung des kirchlichen Rechts in jedem Fall gehindert werden durch das Eingreifen des Kaisers: fehlte dem Rechte des Staats die regelmässige Vertretung, so fehlte dem Rechte der Kirche der Schutz.« 177

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le Recht nicht zu ändern bereit waren.181 A. Hauck fasste diesen Brauch der Bischofswahlen unter drei Punkten zusammen: 1. Es gab ein Selbstbewusstsein der Gemeinden, das Wahlrecht unbedingt auszuüben, 2. es wurde die Anwendung dieses Rechts nicht immer sittengemäß vollzogen, 3. einige Bischöfe beabsichtigen die Einschränkung des Gemeindewahlrechts. Nach Meinung A. Haucks beabsichtigte daraufhin Chlodwig, der die Wichtigkeit des Bischofsamtes bemerkt hatte, den bisherigen Rechtsbestand durch politische Einflussnahme, doch nicht durch Gesetze, zu seinem Gunsten zu verwandeln.182 Lehnten zwar weiterhin einige Bischöfe jeden weltlichen Einfluss auf ihre Wahl ab, so hatte Remigius von Reims bereits das kirchliche Recht politischen Erwägungen untergeordnet. Chlodwig brauchte deshalb nach Meinung A. Haucks das kirchliche Recht nicht zu ändern, weil er selbstbewusst das Königtum als Machtelement in Beziehung zur Herrschaft der Kirche setzte. Erst seine Nachfolger hätten dieses Verhältnis dann verrechtlichen müssen: Deren kirchliche Gesinnung habe sie nicht an der Beschneidung überlieferter kirchlicher Rechte gehindert. A. Hauck resümierte daher: Die Sachlage ist nach diesen Beispielen klar: einerseits handelte das Volk noch im Bewusstsein, dass den Bischof zu wählen sein Recht sei, und dass die bischöfliche Würde durch diese Wahl übertragen werde: überall geht die Initiative zur Wiederbesetzung vom Volk aus, das freilich weiss, dass seine Wahl ohne die Zustimmung des Königs nicht praktisch werden kann. Andererseits handelte der König im Bewusstsein, dass er das Bischofsamt zu übertragen die Macht habe: er nimmt deshalb keine Rücksicht auf das Wahlrecht der Gemeinde, sondern ernennt, bestätigt, lehnt ab, gestattet die Wahl und verhindert sie, wie es ihn gut dünkt. Die Entwickelung im Vergleich mit den Verhältnissen unter Chlodovech ist unverkennbar: während jener die kanonischen Vorschriften als giltig behandelte, erkannten nun die Könige für ihr Handeln diese Beschränkung nicht mehr an; eben deshalb ist gewiss, dass Chlodovech eine Rechtsnorm über die Mitwirkung des Königs nicht aufgestellt hat.183

Die Deutung A. Haucks belief sich daraufhin, dass erst Chlothachar II. diesbezügliche kirchliche Rechte politischen Gesichtspunkten untergeordnet hatte. Nachdem sich der Erlanger Kirchenhistoriker zunächst aus dem Blickwinkel der merowingischen Könige und des fränkischen Volkes diesem Problemfeld genähert hatte, wechselte er im zweiten Teil seines Aufsatzes die Perspektive 181 Vgl. ebd., 7: »Das ist begreiflich; denn es setzt kleine Gemeinden voraus, deren Glieder die Verhältnisse überblicken und die ein Urtheil über die in Frage kommenden Persönlichkeiten haben. In den urchristlichen Gemeinden war das der Fall; seitdem jedoch die kirchliche Gemeinde und die Gesammtbevölkerung der Civitas sich deckten, konnte es nicht mehr der Fall sein. Eine principielle Aenderung war unmöglich: es fehlte der Gedanke, dass die Gemeinde durch Vertreter handeln könnte. So sah man sich genöthigt, bald diesen, bald jenen Ausweg zu suchen, um den Schwierigkeiten zu entgehen, die unvermeidlich waren; jeder Ausweg aber führte zu einer Verletzung des bisherigen Rechtes der Gemeinden.« 182 Vgl. ebd., 11: »Und liegt nicht auch die Grösse Chlodovechs darin, dass er nicht neue Rechtssätze aufstellte, sondern neue Verhältnisse schuf, denen die Rechtsbildung dann nachfolgte?« 183 Ebd., 21.

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und wandte sich den kirchlichen Stellungnahmen zu. Er stellte fest, dass gegen das Eingreifen der Könige kein prinzipieller Widerspruch erhoben worden war: Diesem Wachsen königlicher Macht widerstand weder die Gesellschaft, noch die kirchliche Gemeinschaft. Zudem fand er heraus, dass die kirchlichen Würdenträger einem Fehlurteil erlagen, wenn sie die königlichen Machtbefugnisse als Zeichen königlicher Frömmigkeit deuteten. Verspätet hätten die Geistlichen gegen Missbräuche wie Simonie opponiert. Ihnen blieb nur die Möglichkeit, entgegen ihrer eigentlichen Absicht das Wahlrecht der Gemeinden zu stärken und die Bischofswahlen wieder traditionell als kanonische zu händeln.184 Ungeachtet dieser Regungen blieb der Episkopat nach Ansicht A. Haucks aber zu schwach, um sich gegen die königliche Macht behaupten zu können. Deshalb habe der Episkopat einen Kompromiss vorgeschlagen, der die gemeindliche Bischofswahl mit der Pflicht königlicher Bewilligung verknüpfte.185 Beschrieb der Erlanger Kirchenhistoriker das Ende dieser ersten Entwicklungsstufe angesichts der Tatsache, dass sich eine kirchliche Opposition gegen die königliche Macht gebildet hatte, so ließ er die zweite Stufe mit einem schwachen und unbedeutenden Mann auf dem merowingischen Thron beginnen, der der Kirche das Recht zur Bischofswahl erneut übertrug, sich aber ein Vetorecht vorbehielt. Die offene Machtfrage für das Königtum zu entscheiden, gedachten Brunichilde und Chilperich I., die sich älterer Traditionen erinnerten. Nach Deutung A. Haucks hatten die Bischöfe diesem Rückfall wenig entgegensetzen können. Er urteilte daher, dass die politische Willkür ihren Höhepunkt erreichte, während auch das kirchliche Bewusstsein der Bischöfe wuchs, hervorgerufen durch das Wirken Columbans von Luxeuil.186 Dessen religiösen Anschauungen, so betonte A. Hauck, beeinflussten auch das merowingische Herrscherhaus.187 Als die Revolution der Austrasier und Burgunder die kirchliche Absicht begünstigten, das gemeindliche Wahlrecht wieder einzusetzen, setzte Chlotachar II. kanonische Bestimmungen durch, die den Gemeinden das Wahlrecht zubilligte, den Bischöfen die Ordination zuschrieb und das Bestätigungsrecht des Königs, das »im Rechtsbewusstsein des Volkes längst anerkannt war«,188 rechtlich verbriefte.189 184

Vgl. ebd., 28. Vgl. ebd., 30: »Der Beschluss ist von Wichtigkeit, da die fränkische Kirche durch ihn zum ersten Male eine regelmässige Mitwirkung des Königs bei der Besetzung der bischöflichen Stühle als Recht anerkannte: was sich auf Grund der Verhältnisse gebildet hatte, wurde kirchlich autorisirt. Aber die Mitwirkung des Königs sollte das bisherige Recht nicht aufheben, sondern sich ihm eingliedern; denn an der Bedeutung der Wahl sollte nichts geändert werden.« 186 Vgl. ebd., 43: »Man wird urtheilen dürfen, dass die Gegensätze sich verschärften, dass aber das Gewicht der kirchlichen Ueberzeugung sich mehrte.« 187 Vgl. ebd., 44: »Man sieht, Chlothachar stand persönlich den Kreisen, die kirchliche Massregeln forderten, nicht ferne und Gründe politischer Dankbarkeit verpflichteten ihn entschieden kirchlich gesinnten Männern.« 188 Ebd., 46. 189 Vgl. ebd., 47: »In dieser Beziehung ist sie das Komplement zu dem Beschluss der fünften Synode von Orleans: wenn dort die fränkische Kirche das Recht des Königs auf Bestätigung der Bi185

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A. Hauck konnte sein Referat nicht beenden, ohne auf die Anwendung dieser gesetzlichen Bestimmung einzugehen. Er konstatierte, dass sie Ausgangspunkt für die Entwicklung der mittelalterliche Gesellschaft war. Das Edikt Chlothachars II. blieb auch in Gebrauch, als sich das merowingische Reich auflöste und die alten Missstände wieder an die Öffentlichkeit traten. Um diese Entwicklung beurteilen zu können, verglich A. Hauck Chlothachars Edikt mit dem Pariser Beschluss des sechsten Jahrhunderts. So würdigte er Chlothachar II., weil dieser das Volk und den König als eigenständige Aktanten betrachtete, die die Ernennung eines Bischofs gemeinsam erwirken. A. Hauck hob hervor, dass hierbei das entscheidende Gewicht auf die Stimme des Volkes fiel. Als aber der König auf seinem Recht insistierte, die Besetzung der Bischofsstühle vorzunehmen, schwand das Selbständigkeitsbewusstsein der Gemeinde gegenüber den Bischöfen: »Das geschah nicht erst jetzt: man kann nicht zweifeln, dass jene Epoche der Gesetzlosigkeit unter den Söhnen und Enkeln Chlodovechs ihm die tiefsten Wunden schlug; aber es war verderblich für die Absicht der Bischöfe; sie retteten die Form der Freiheit erst, als der Geist nicht mehr zu retten war.«190 A. Haucks schriftliche Fassung dieser akademischen Rede rezensierte A. Harnack in der Theologischen Literaturzeitung freundlich: Nicht nur weil die Bestimmung der Grenze zwischen dem staatlichen und kirchlichen Recht bei Ernennung der Bischöfe auch für die Gegenwart von Interesse ist, bedarf die Veröffentlichung dieser Studie keiner Entschuldigung, sondern vor allem auch deshalb nicht, weil sie in treffender und bündiger Ausführung auf Grund des vollständigen Materials über die Geschichte der Bischofswahlen im merovingischen Reiche berichtet.191

Er pflichtete A. Haucks Erkenntnis bei, dass Chlodwig geltendes Recht vertrat, wenn er die Besetzung bischöflicher Stühle im Auge behielt. Nach Ansicht A. Harnacks wies der Erlanger Kirchenhistoriker gegen E. Loening nach, dass weder Chlodwig noch seine Söhne einen Rechtssatz in Bezug auf die Bischofswahl formuliert, sondern die Bischöfe tendenziell den überlieferten kanonischen Wahlmodus eigenständig eingeschränkt und damit den Ansprüchen der weltlichen Macht zugearbeitet hatten. Letztlich stimmte A. Harnack den »umsichtigen« Erkenntnissen A. Haucks widerspruchslos zu. Zudem hob er A. Haucks Deutung hervor, dass elementare Verhältnisse und die Aspirationen des Episkopats das freie Wahlrecht der Gemeinden zunächst so stark zugrunde gerichtet hatten, dass sie es später nicht wieder aufrichten konnten. schofswahl zugestand, so hier der König das Recht des Volkes auf die Wahl des Bischofs. Damit sprach er aus, dass die königliche Macht in kirchlichen Dingen nicht unbeschränkt sei; die Wahl erschien nun als die nothwendige Bedingung für ordentliche Besetzung eines Bischofstuhles; auf die Ernennung ohne Wahl war verzichtet. Dadurch war nun – ein Jahrhundert nach Chlodovech – eine Form für die Bestellung der Bischöfe gefunden, die ebenso den Interessen des Staates, wie denen der Kirche genügte.« 190 Ebd., 53. 191 A. Harnack, Rez. Hauck, Bischofswahlen, 440.

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8.2.3 Zur Theophilusfrage (1884)192 A. Hauck wollte die Verfasserschaft des Evangeliumkommentars klären, der unter dem Namen eines Theophilus überliefert wurde. Er beabsichtigte, zwischen den Forschungsergebnissen Th. Zahns (seines Erachtens verfasste Theophilus von Antiochien den Kommentar) und A. Harnacks (er bezeichnete diesen Evangelienkommentar als ein Konglomerat aus Exzerpen des Cyprian, Hieronymus und anderer lateinischer Schriftsteller nach 500) zu vermitteln: A. Hauck negierte zwar eine Autorenschaft des Theophilus von Antiochien, arbeitete aber heraus, dass bereits Hieronymus diesen Kommentar zitierte. Zunächst ging A. Hauck quellenkritisch vor. Sein Augenmerk richtete er dabei auf die Schnittstelle zwischen Prolog und Kommentar. Als er die Ausführungen des Prologs mit der gallischen Literaturgeschichte verglich, bemerkte er, dass sein Verfasser eine Vorgehensweise übernahm, die iroschottische Mönche des fünften Jahrhunderts anwandten: Der Autor zitiert römische Dichter. Obwohl A. Hauck infolgedessen die Einheit des Kommentars quellenkritisch erwies, täuschte er sich nicht über dessen innere Diskontinuität und resümierte: »Unter Voraussetzung der Echtheit des Prologs haben wir demnach eine exegetische Schrift des siebenten Jahrhunderts vor uns, in welcher ein bedeutender Theil eines älteren Evangelienkommentars erhalten ist, nur mit wenigen Stücken aus anderen Quellen vermehrt.«193 Über die genaue Verfasserschaft äußerte sich A. Hauck vorsichtig, dass einzig der Name eines Theophilus genannte wurde und Hieronymus erst später Theophilus von Antiochien zum Urheber bestimmte. A. Haucks komplizierte These lautete deshalb, dass ein fremder Verfasser des Prologs den Namen Theophilus, der den Kommentar, den er benutzte, geschrieben hatte, fallen ließ, um dessen Bearbeitung als sein eigenes Werk zu kennzeichnen, später aber die Ähnlichkeit zum Theophiluskommentar so stark auffiel, dass wiederum der Verfasser des Prologs unter dem Namen des Theophilus subsumiert wurde. Nachdem er damit die Verfasserfrage geklärt hatte, wandte A. Hauck die traditionskritische Methode an. Indem er den Theophiluskommentar mit dem Kompendium allegorischer Grundbegriffe der Heiligen Schrift des Eucherius von Lyon verglich, entdeckte der Erlanger Kirchenhistoriker Übereinstimmungen im geistlichen Verständnis der Begriffe. Er schlussfolgerte, dass Eucherius von Lyon den Theophiluskommentar gekannt hatte. Mit Th. Zahn erkannte A. Hauck, dass sich die Gedankenführung des Kommentars eng an diejenige des Irenaeus von Lyon anlehnte. Nach einer eingehenden Analyse dieses Abhängigkeitsverhältnisses stellte er die Priorität des Irenaeus heraus: Damit negierte A. Hauck die Verfasserschaft des Theophilus von Antiochien und datierte den Kommentar nach 200. 192 193

A. Hauck, Theophilusfrage, 561–568. Ebd., 563.

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W. Bornemann widerlegte A. Haucks eruierte Abhängigkeiten des Theophiluskommentars von Irenaeus ebenso wie von Eucherius von Lyon.194 Letztlich verwarf er A. Haucks konstruierte Verhältnisbestimmung zwischen Prolog und Kommentar dank einer quellenkritischen Beweisführung und urteilte vernichtend: »Bei der Prüfung der einzelnen Argumente hat sich ergeben, dass ein derartiger Mittelweg zwischen der Zahn’schen und Harnack’schen Ansicht, wie ihn Hauck vorschlägt, schwerlich offen steht.«195 8.2.4 Ueber die s. g. Instructiones Columbani (1885)196 Als einer der Ersten unterzog A. Hauck die »Columbani instructiones« einer literaturgeschichtlichen Kritik.197 Er bestritt, dass Columban von Luxeuil deren Verfasser war mit den Argumenten, dass erst später seine Autorenschaft vermutet worden ist und dass Jonas von Bobbio diese Schrift nicht unter Columbans Namen aufgeführt hatte. A. Hauck fand heraus, dass Handschriften, die die Autorenschaft Columbans bezeugen, nur unsicher zu datieren sind. So schlussfolgerte er, dass die sogenannten »Instructiones Columbani« ursprünglich anonym verfasst worden sind. A. Hauck behauptete gar angesichts seines Urteils, dass das Poenitentiale Columbani ein »Flickwerk« unbekannter Herkunft ist, dass die Instructiones eine absichtliche Fälschung aus dem Kloster Bobbio waren.198 Nach diesen Ergebnissen einer äußerlichen Quellenkritik wandte sich A. Hauck inneren Kriterien zu. Er verglich den Inhalt und den Stil der 13 Instruktionen mit dem Inhalt und dem Stil der echten Schriften Columbans. Infolgedessen resümierte er, dass auch sie gegen eine columbanische Verfasserschaft sprechen. Dem Einwand, es könnten verschiedene Gattungen diese Unterschiede verursacht haben, entgegnete er mit einer Charakteristik Columbans: Wenn dagegen eine starke Individualität in dem geschriebenen Worte sich ausprägt, so trägt es die gleiche Farbe, mag auch der Anlaß zu schreiben ein sehr verschiedener sein. So war es bei Columba: er schrieb gleich, mochte er an seine treuen Mönche oder an den ihm abgeneigten fränkischen Klerus oder an Päpste, die er für sich zu gewinnen suchte, schreiben. Dann aber ist nicht anzunehmen, daß seine Reden so verschieden von seinen Briefen werden gewesen sein, wie das die ihm zugeschriebenen Reden sind.199

Unterschied sich seiner Meinung nach die Schreibweise stark, so fielen ihm auch die unterschiedlichen inhaltlichen Begriffsbestimmungen auf. 194 195 196 197 198 199

Vgl. Bornemann, Theophilusfrage, 169–252. Ebd., 244. A. Hauck, Instructiones Columbani, 357–364. Vgl. ebd., 357. Vgl. ebd., 358. Ebd., 359.

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In einem zweiten Schritt bemühte sich A. Hauck, den wirklichen Verfasser der sogenannten »Instructiones Columbani« zu bestimmen. Weil er den in der zweiten Rede erwähnten Lehrer Faustus mit Faustus von Reji identifizierte, verglich er daraufhin dessen Überlegungen, Stil und Sprache mit denen des Verfassers der Instructiones. Schließlich fasste A. Hauck zusammen: Bei der Charakteristik Columbas muß man fortan von diesen Reden absehen. Es mag scheinen, als verlören die in mancher Hinsicht ansprechenden Reden dadurch an Bedeutung: bisher nahm man an, sie seien von einem immerhin nahmhaften Manne gehalten; jetzt weiß man nur, daß ihr Verfasser ein namenloser gallischer Mönch war, der in Faustus von Reji seinen Lehrer verehrte. Doch scheint mir dieses Resultat nicht werthlos.200

O. Seebass bedauerte noch 1892, dass A. Haucks Argumentation keine Beachtung gefunden hatte, auch wenn seine Erkenntnisse nicht unkritisch übernommen werden konnten.201 O. Seebass widersprach A. Haucks Urteil über Columbans religiöse Gesinnung und Theologie, weil er dem Erlanger Kirchenhistoriker in Bezug auf Columbans Bußverständnis ein Verzeichnen der Frömmigkeit Columbans vorwarf.202 O. Seebass negierte des Weiteren A. Haucks Vorverständnis, dass alle im Kloster Bobbio gefundenen Handschriften mit der Verfasserangabe Columbans Fälschungen sind. Mittels neuerer Quellenbelege behauptete O. Seebass sogar, dass die Echtheit der »Instructiones Columbani« nach äußeren Kriterien unzweifelhaft ist. Nach inneren Kriterien stimmte er A. Haucks Urteil zu, weil die Erwähnung des Faustus vermutlich auf Faustus von Reji verweise. 8.2.5 Zur donatio Constantini (1888)203 Auch die Verfasserschaft der »Donatio Constantini« wollte A. Hauck unter Anwendung der philologischen Kritik klären. Um Papst Stephanus II. als Autor herausarbeiten zu können, interpretierte er die vorgeschaltete Silvesterlegende als eigenständiges Werk des Fälschers. Ein diesbezüglicher Vergleich mit Titulaturen in Konstantins Kaiserurkunden führte ihn zu der Erkenntnis, dass Stephanus II. eine für sein Denken typische Kaiseranrede in die Fälschung eingefügt hatte. Zudem entdeckte A. Hauck in der »Donatio Constantini« ein ähnliches Gedankengut, einen ähnlichen schriftstellerischen Stil, ähnliche Begriffsdefinitionen und Paraphrasen wie in den Briefen des Papstes. Die theologischen Unterschiede in den Quellenbelegen erklärte er anhand ihrer verschiedenartigen Gattungen. 200 201 202 203

Ebd., 364. Seebass, Instructiones Columbani, 513–534. Vgl. Ebd., 515. A. Hauck, Donatio Constantini, 201–207.

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Mit Hilfe der Traditionskritik ermittelte A. Hauck erstens, dass Stephanus II. die Vita Silvestri umgestaltet hatte, um seinen Anspruch als Weltenherrscher zu untermauern, der von der weltlichen Macht bezweifelt und daher nicht anerkannt worden war. Zweitens erkannte der Erlanger Kirchenhistoriker, dass Stephanus II. in seiner Fälschung die Verhältnisse beschrieb, die er in seiner Zeit vorfand, und auf Vorlagen zurückgriff, die erst ihm bekannt sein konnten. Drittens führte A. Hauck als Argument für eine Diktion Stephanus’ II. an, dass der Papst Begrifflichkeiten formulierte, die nicht in das Umfeld fränkischer Herrschaftssprache passten. Er datierte die »Donatio Constantini« in das Jahr 753. Daher lautete sein Resüme: Sieht man auf den Inhalt, so ist die Erdichtung dieser Schenkung bei keinem Menschen so begreiflich als bei demjenigen, der, soviel wir wissen, zuerst von dem Kirchenstaate, sanctae Dei ecclesiae respublica, gesprochen hat, der jeden der Kirche überlassenen Ort als ihr zurückgegeben betrachtete oder bezeichnete. Das war Stephan II.204

8.2.6 Zur Missionsgeschichte Ostfrankens (1888)205 Zu Beginn seines Aufsatzes verwies A. Hauck auf die ungünstige Quellenlage seiner Forschungen. Er verwarf die These, dass Bonifatius bzw. andere Mönche von Fulda aus Oberfranken missioniert hätten. Den Güterverzeichnissen des Klosters Fulda, die keine chronologischen Daten nannten und die er in das zwölfte Jahrhundert datierte, maß er keine quellenkritische Bedeutung bei. Die »Missionsgedanken Karls des Großen«206 ermittelte A. Hauck zum einen aus Urkunden Ludwigs I. und Ludwigs II. Zum anderen analysierte er die Entwicklung des Christentums bei den Slawen angesichts der Kirchenbautätigkeit Karls. Mittels einer Urkunde Arnulfs vom 1. Dezember 889 verortete er das Gebiet der Slawen, die Terra Slavorum, dort, wo diese gegenüber den Deutschen in zahlenmäßiger Überzahl wohnten. Als slawische Kirchengründungen bezeichnete er Pfarrkirchen unter bischöflichem Patronat, die in diesen Slawenorten standen. Dennoch: »Ein bestimmteres Resultat ist auf Grund des vorliegenden Materials unmöglich.«207

8.3 Zusammenfassung In seinem enzyklopädischen Konzept vertrat A. Hauck die Betrachtungsweise der Erlanger Theologen J.J. Herzog und G.L. Plitt, die sich auf F.D.E. Schlei204 205 206 207

Ebd., 206. A. Hauck, Missionsgeschichte, 113 u. 119. Ebd., 114. Ebd., 119.

Kirchengeschichtliche Forschungen von 1878 bis 1889

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ermachers Entwurf beriefen: Theologie interpretierten sie als eine positive Wissenschaft, weil diese sich auf die praktische Ausgestaltung des menschlichen Gottesbewusstseins bezog. A. Hauck übernahm F.D.E. Schleiermachers Interpretationsansatz, der die Strukturen menschlichen Zusammenlebens in den Vordergrund der Untersuchungen stellte. Infolgedessen verknüpfte A. Hauck in seinen historischen Deutungen die Frage nach der Religiosität mit der Frage nach der allgemeinen bzw. individuellen Sittlichkeit. Wie F.D.E. Schleiermacher beschrieb er diese in ihrer historischen Bedingtheit. Beide waren der Ansicht, dass Menschen in ihrem irdischen Dasein zu christlich-humaner Sittlichkeit fähig sind, geleitet darin vom Wirken des Heiligen Geistes. Da A. Hauck wie F.D.E. Schleiermacher die Kirche als eine sittliche Gemeinschaft, als eine ethisch-soziologische Institution definierte, reflektierte er sie in ihrem historischen Werden, das auf die Sittlichkeit der Menschheit durch ihre religiös-sittliche Vervollkommnung, die ihr quantitativ gelingt, Einfluss nimmt. Die Erkenntnis F.D.E. Schleiermachers, dass Christen Organe des Heiligen Geistes sind, um die Kirche zu beseelen, und dass folglich die Kirche handelt, wenn einzelne Christen handeln, wandte A. Hauck in seiner Kirchengeschichtsforschung und -schreibung konsequent an. Der Erlanger Kirchenhistoriker näherte sich seinen Untersuchungsgegenständen historisch-kritisch, seine Quellenkritik stützte sich vornehmlich auf die philologische Methode, besonders auf die Traditions- und die Kompositionskritik. So versuchte er, historischen Entwicklungen anhand von Einzigartigkeiten gerecht zu werden. Seine Erkenntnisse interpretierte er unter der heilsgeschichtlichen Perspektive, die von der Prämisse ausging, dass die Menschheit sich ihrer Sündhaftigkeit, ihrer Erlösung durch Jesus Christus und ihrer Versöhnung mit Gott im Verlauf ihrer Geschichte bewusst wird. A. Hauck erschloss sich diese individuelle Offenbarungserfahrung, indem er die zeitbedingten christlichen Lehraussagen, die er supranaturalistisch deutete, und das menschliche Verhalten, das er rationalistisch interpretierte, unter religiös-sittlicher Sichtweise eng miteinander verknüpfte; so gewann er Klarheit über die Glaubensgrundlagen der Aktanten. Letztlich erörterte A. Hauck die Geschichte unter doppelter Perspektive: einerseits im Sinne einer Entwicklungstheorie, andererseits im Sinne des (Erlanger) erfahrungstheologischen Ansatzes, der die persönlichen religiösen Erlebnisse in den Mittelpunkt historischer Untersuchungen stellte. In Bezug auf die Aktanten analysierte A. Hauck deren Identität, Charakterbildung und Frömmigkeit bzw. theologischen Standpunkt und er verglich sie in ihrem Werden und Wirken mit ihrem Umfeld. Ein wichtiger historischer Bewertungsmaßstab bestand darin, ob ein historischer Handlungsträger lediglich die Tendenzen seines Zeitalters reproduzierte oder ob er durch neue Ideen auf seine Zeit einwirkte. Unreflektierte Abhängigkeiten und unmotiviertes Wirken kritisierte A. Hauck scharf; ein eigenständiges Erkennen historischer Zusammenhänge würdigte er demgegenüber.

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Diesen Bewertungsmaßstab trug A. Hauck auch an historische Ereignisse und Institutionen heran: Positiv würdigte er Prozesse, die einen qualitativen oder quantitativen Fortgang ermöglichten, heftig kritisierte er Prozesse, die eine Tendenz hemmten oder ihr zuwiderliefen. Großes Interesse brachte er gegenüber der Entwicklung von Recht und Verfassung auf, die das Verhältnis von Staat und Kirche bestimmten. Zum Bezugspunkt historischer Entwicklung erhob er die Anschauungen und Tendenzen im Volk. In Anlehnung an G. Heinrici erklärte A. Hauck die sozialen Zustände pragmatisch, das Wirken der Aktanten pragmatisch-psychologisch sowie die Folgen ihres Handelns objektiv-empirisch. Mit dieser Methode versuchte er, göttliche Gedanken innerhalb der Geschichte zu ermitteln. Unterschied er zwar zwischen Welt- und Kirchengeschichte, so war ihm aber deren gegenseitige Bedingtheit bewusst. Bedingung blieb für ihn das Postulat menschlicher Handlungsfreiheit. A. Hauck erhob das Ringen der beiden Größen Staat und Kirche zum vornehmlichen Untersuchungsgegenstand seiner dialektischen Geschichtsbetrachtung, ohne andere historische Bedingungen und Entwicklungen außer Acht zu lassen. Ungeachtet der Dynamik zwischen dem Aufkommen und dem Untergang von Ideen identifizierte er einen Entwicklungsfortschritt innerhalb der Kirchengeschichte, indem er auf J.G. Droysens Kontinuitätsbegriff zurückgriff: Die historische Bedeutung von Ideen hing seines Erachtens vom Wirken der Aktanten ab. Im Gegensatz zu G.W.F. Hegel lehnte A. Hauck die endzeitliche Stellung des Subjekts ab und übernahm von J.Ch.K. Hofmann das Noch nicht christlicher Heilsoffenbarung. A. Hauck beschrieb in seiner kirchlichen Historiographie nicht die logischen Folgen innerhalb der Heilsgeschichte, sondern die quantitative Erweiterung der göttlichen Idee in ihrer Abhängigkeit von der Geschichte: Auch für ihn blieb die Zukunft unberechenbar. Um die geschichtlichen Zusammenhänge zu deuten, bevorzugte er G.W.F. Hegels dialektische Geschichtsbetrachtung gegenüber der rein kausal-erklärenden Methode. Er wertete die geschichtlichen Tatsachen als Tatbestand der Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen, die durch göttliche Ideen teleologisch ausgerichtet werden. Mit W. Humboldt und J.G. Droysen interpretierte A. Hauck das Allgemeine aus dem Individuellen. Wie K.R. Hagenbach analysierte er geschichtsimmanente Ideen, um die Sinnhaftigkeit geschichtlichen Werdens zu erklären. In der Nachfolge K.R. Hagenbachs und G.G. Gervinus’ veranschaulichte er seine Erkenntnisse in einer Historiographie, in der er die Einzelheiten geschichtlichen Werdens einem einheitlichen Grundgedanken, einer Idee, einem Ganzen, unterordnete. Deshalb verstand er seine Geschichtsschreibung als ein Kunstwerk, das die Geschlossenheit des Darzustellenden ausdrückt.

9. Der erste Band der »Kirchengeschichte Deutschlands« (1887) in Albert Haucks historiographischem Konzept

9.1 Perspektiven der Mittelalterforschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 9.1.1 Mittelalterbilder Die Romantik hatte das Erwachen eines Nationalgefühls befördert. J.G. Herder wies dem Mittelalter einen besonderen Platz innerhalb der Menschheitsgeschichte zu.1 F. Schlegel besann sich in seiner Mittelalterrezeption auf die nationale Selbständigkeit sowie auf die nationale Einheit. J.G. Fichte betrachtete die Kenntnis der mittelalterlichen deutschen Literatur als Bildungs- und Erziehungselement, als zeitgenössische Kulturpolitik.2 Hatten Denker des Humanismus den Begriff medium aevum geformt, »um den blöckischen Klotz, der die Kontinuität der antiken Bildungstradition störte, aus dem Weg zu schaffen«,3 so bewerteten Vertreter des Historismus das Mittelalter neu. B.G. Niebuhr überwand die Sicht der pragmatischen Zivilisationstheorie des 18. Jahrhunderts auf das Mittelalter, indem er der mediävistischen Forschung und Kritik zu einem neuen Stellenwert verhalf. Die Romantik hatte diese Sichtweise vorbereitet, indem sie den Kontrastreichtum des Mittelalters beachtete:4 Sie interpretierte das Mittelalter als ein Gegenüber zum Absolutismus, wohingegen die Restauration das Mittelalter als antirevolutionäres Reflexbild sah. Die Romantik hatte ins Bewusstsein der Historiker gerufen, dass die Geschichtsverläufe kulturhistorisch und kulturphilosophisch interpretiert werden können. 1 Vgl. Kozielek, Ideologische Aspekte, 119: »Gleichzeitig erhalten bei ihm [J.G. Herder, M. T.] die ehemals antiquarischen Bemühungen der Philologen und Juristen eine andere Dimension: Das überlieferte Kulturgut wird eben dieser Geschichte nutzbar gemacht. Sagen und Märchen, Lieder und Erzählungen sind für den Geschichtsschreiber Quellen, aus denen er Kenntnisse schöpft über den Charakter seines Volkes.« 2 Vgl. ebd., 128: »Die Wiedererweckung der altdeutschen Literatur zu Beginn des 19. Jahrhunderts – zunächst ein rein literarisches Phänomen – begann im Zuge der Zeit ideologischen Charakter anzunehmen. Volksepos, Volkslied und Volksbuch wurden zu den Grundlagen eines neuen Volksgeistes. In den Jahren der Napoleonischen Fremdherrschaft stärkte er das Gefühl der Einheit des gesamten deutschen Volkes, nivellierte die Kluft zwischen den einzelnen Klassen und förderte die nationale Erneuerung.« 3 Stadelmann, Grundformen, 45–88; vgl. Zimmermann, Problem; Neddermeyer, Mittalter. 4 Vgl. Stadelmann, Grundformen, 50.

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R. Stadelmann konstatierte drei Richtungen der ideengeschichtlichen Interpretation des Mittelalters: Eine erste erarbeitete »den organischen Charakter der gemeinschaftsgebundenen, harmonischen Daseinsstufe«,5 indem sie sich am religiösen Kulturverständnis des Rationalismus orientierte (Vertreter: J. Müller von Sylvelden, J.G. Herder, F.K. Savigny); eine zweite hob die partikularistische Mannigfaltigkeit des Mittelalters hervor (Vertreter: J. Möser, G.G. Gervinus); eine dritte betonte den Legitimismus des Mittelalters, der sich auf eine geschichtliche Kontinuität und Entwicklung bezog, um neuzeitlichrevolutionären Gedanken entgegenzutreten. Diese zuerst und zuletzt genannten Mittelalterinterpretationen arbeiteten innerhalb der Geschichte einen organizistischen Leitgedanken heraus, der antimechanisch und antiindividuell orientiert war; ihre Kirchengeschichtsschreibungen betonten infolgedessen die Organisationskraft der Institution Kirche. Novalis u.a. erkannten deshalb »in dem Corpus Christianum eine hohe verbindliche Lebens- und Gesellschaftsform«.6 Letztlich konnten gerade die Vertreter dieser Mittelalterinterpretation die mittelalterliche Bildung und Literatur als Weiterführung und Spezifizierung der antiken Bildung und Literatur betrachten. Die an zweiter Stelle genannte Mittelalterinterpretation unterschied sich von den anderen in dem Maße, dass sie das Mittelalter als eigenständige Kulturstufe schätzte. Als Idee der mittelalterlichen Staatsordnung wurde von J. Möser und B.G. Niebuhr gerade der Partikularismus – und damit der übernationale Universalstaat als Geschichtsfälschung – aufgefasst. Diese und die an dritter Stelle aufgeführte Art einer Mittelalterinterpretation erblickten in revolutionären Prozessen eine Gefahr für das Fortbestehen der abendländisch-christlichen Kultur und damit Brüche in der Entwicklungsgeschichte. Allen drei Mittelalterinterpretationen war gemeinsam, dass sie an die Stelle einer historischen Betrachtungsweise des Mittelalters ein geschichtsphilosophisches Prinzip setzten. Ferner basierten die Mittelalterbilder des 19. Jahrhunderts auf Kategorien der Aufklärung, exemplarisch bei G.W.F. Hegel (dialektische Deutung) und bei L. Ranke (universalhistorische Anschauung).7 Beide Anschauungen betrachteten das Mittelalter nicht mehr als eine Zeit des Verfalls, sondern sie interpretierten es angesichts einer »optimistischen Theodizee«. Daher wurde jede Entwicklung, auch ein Rückschritt, unter dem Gesichtspunkt des Fortschritts erklärt: Entweder eignete dem Mittelalter eine besondere, spezifische Stufe in der Explikation der Vernunft oder in der Bildungsgeschichte der Menschheit. Analysierte die dialektische Konstruktion konträre Tendenzen, so suchte der universalhistorische Ansatz insbesondere nach einer harmonischen Grundströ5

Ebd. Ebd., 62. 7 Vgl. ebd., 76: »In bezug auf die Rolle, die das Mittelalterbild in diesem Weltgeschichtsdenken spielt, sprechen wir von der dialektischen und der universalhistorischen Auffassung, die sich gerade in der Deutung dieser problematischen ›mittleren‹ Periode charakteristisch von der romantischen Antithetik unterscheiden.« 6

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mung.8 Basierte erstere auf einem germanischen Kulturhorizont, exemplarisch bei F. Schiller und G.W.F. Hegel, so interessierte sich letztere für einen europäischen Kulturhorizont, exemplarisch bei L. Ranke und J.G. Herder: Nach L. Ranke und J.G. Herder harmonisierte die Geschichte des Papsttums die Universalgeschichte. Letzterer konstatierte die Einheit des Mittelalter dreifach: »translatio der staatlichen Daseinsform, traditio der Bildung und conservatio der zur Humanität berufenen abendländischen Kulturmenschheit im Kampfe gegen die außereuropäische Barbarenwelt«.9 Staat, Bildung und Abendland deuteten L. Ranke und J.G. Herder als die leitenden Ideen des Mittelalters, denen eine nicht näher verifizierbare immanente Teleologie eignete, um das kontinuierliche Fortschreiten zu ermöglichen. L. Ranke bezeichnete das Mittelalter als »die große Vorschule des gebildeten Europas«,10 die sich am Verhältnis von Staat und Kirche, von Sitte und Bildung definiert.11 9.1.2 Von Albert Hauck rezipierte Mittelalterforschung A. Haucks mediävistische Forschungen und Geschichtsschreibung basierten auf nachfolgenden Monographien und insbesondere auf W. Wattenbachs Publikation der mittelalterlichen Geschichtsquellen mit Bezug auf Deutschland.12 9.1.2.1 Allgemeine Geschichte Im 19. Jahrhundert wandte sich die Geschichtsforschung signifikant dem Mittelalter zu. Ein gegenwartsbedingt gewachsenes Interesse an der Bedeutung des deutschen Kaisertums und die schnell voranschreitenden Quelleneditionen schufen die Grundlagen für wissenschaftliche Untersuchungen. Der Historiker und Philologe E. Bonnell, ein Schüler L. Rankes, hatte in den 1860er Jahren eine Geschichte der Karolinger vorgelegt. Seine Untersuchung gründete auf der Geschichte der Rechtsauffassung des karolingischen König8

Vgl. ebd., 82: »Dem universalhistorischen Dynamismus kommt es nicht auf das Eigenwesen des christlichen Jahrtausends an, sondern auf die doppelte Mission der Zwischen- oder ›Mittel‹epoche: einerseits die kulturelle Ordnung des Abendlandes herüberzuretten aus dem Altertum, andererseits die staatliche Ordnung der Neuzeit, das politische System des modernen Europa vorzuformen. Diese Zugwirkung nach rückwärts und nach vorwärts läßt ein eigentlich plastisches Bild einer besonderen Welt- und Wertstruktur des Mittelalters nicht aufkommen. Aller Nachdruck liegt auf den Mitteln und den Folgen seiner universalhistorischen Wirksamkeit. Aber als erhaltende und vorbereitende Übergangszeit großen Maßstabes wird es geradezu im wörtlichen Verstand zum Angelpunkt der Weltgeschichte. Beide Funktionen, das Retten und das Begründen, sind so eng verbunden, daß die Vermittlung als solche, das Mischen zweier Kulturenergien, des Alten und des Neuen, als Wesensmerkmal des Mittelalters betrachtet werden kann und ihm ein exceptionelles Interesse verleiht.« 9 Ebd., 83. 10 Ebd., 84. 11 Vgl. ebd., 86: »Ein unauffälliger Fortschritt zirkuliert in dieser providentiellen Entwicklungsgeschichte, an die Herder und Ranke geglaubt haben.« 12 Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen.

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tums. Mit der Geschichte des fränkischen Volkes und seiner Herrschaftsformen beschäftigte sich auch A. Dederich. G. Kaufmann legte eine zweibändige Geschichte bis zu Karl dem Großen vor. Der Historiker C.W. Nitzsch führte eine deutsche Geschichte bis 1555 aus.13 Fundamentale Einsichten vermittelte L. Rankes Weltgeschichte. Eine großangelegte Geschichte über das Römische Reich verfasste Th. Mommsen:14 Er analysierte vornehmlich die Entwicklung der Rechtsverhältnisse und der Literaturgeschichte. Über die Geschichte des weströmischen Reiches publizierte H. Richter eine umfassende Studie. Mit dem Thema der Völkerwanderung setzte sich E. Wietersheim auseinander.15 9.1.2.2 Rechtsgeschichte Der katholische Rechtshistoriker H. Brunner, Schüler von Th. Sickel und G. Waitz, untersuchte die Entwicklung des germanisch-deutschen Rechts nach der Methode der Wiener historischen Rechtsschule, wie sie F.K. Savigny gelehrt hatte.16 Sein Blickfeld öffnete sich zur verfassungsrechtlichen Seite hin. Indem H. Brunner das Rechtssystem eines modernen Staates auf die Rechtsform der germanischen Stämme übertrug, aber allgemein-historische Elemente weiterhin berücksichtigte, milderte er die positivistische Richtung der Rechtsgeschichte.17 Die historisch-positivistische Darstellung der Rechtsgeschichte verfolgte auch der evangelische Kirchenrechtler E. Friedberg, Berater O. Bismarcks im Kulturkampf. Er zeichnete das Verhältnis von Staat und Kirche in Gegenwart und Vergangenheit nach.18 Im Geist des zeitgenössischen Liberalismus betonte er die Hoheitsgewalt des Staates über die Kirche und nahm deshalb G.W.F. Hegels Staatsidee zur Grundlage seiner Überlegungen. Die mittelalterliche Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche betrachtete er von Definitionen und Diskussionen des 19. Jahrhunderts aus. Eine kirchenpolitische Stoßrichtung stellte er hinter seine positivistische Darstellung der Rechtsgeschichte zurück und vermied jeden theologischen Bezug. E. Loening äußerte sich zum Kirchenrecht von Konstantin dem Großen bis ins Reich der Merowinger. 13

Bonnell‚ Anfänge; Dederich‚ Frankenbund; G. Kaufmann‚ Deutsche Geschichte; C.W. Nitzsch, Geschichte. 14 Th. Mommsen‚ Römische Geschichte. 15 H. Richter‚ Reich; Wietersheim‚ Geschichte. 16 Brunner‚ Deutsche Rechtsgeschichte; Zu H. Brunner vgl. Bader, Brunner, 682: »Souveräne Stoffbeherrschung und juristische Systematik ließen B[runner] zum eigentlichen Begründer der historisch-germanischen Rechtswissenschaft werden. Die durch die romanistische Richtung der historischen Schule [...] ausgebildete juristische Präzision übertrug er auf die germanistische Schwesterwissenschaft.« 17 Vgl. Hruschka‚ Rechtspositivismus‚ 125: »Rechtspositivismus, rechtstheoretische Doktrin, derzufolge allein gesetztes und wirksames (›positives‹) Recht ›Recht im eigentlichen Sinne‹ genannt werden darf [...]. Dabei ist zw. einem soziologischen und einem normativen R[echtspositivismus] zu unterscheiden. Soziologischer R[echtspositivismus] untersucht die Seinstatsachen der wirklichen Ordnung einer Gesellschaft. Normativer R[echtspositivismus] betont demgegenüber den Sollensaspekt des positiven Rechts.« 18 Friedberg‚ Lehrbuch.

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Der evangelische Jurist P. Hinschius legte eine kritische Studie über die Geschichte des katholischen Kirchenrechts vor.19 Die Entwicklung des römischkatholischen Verfassungsrechtes eruierte er aus der Zusammenschau von allgemeiner Geschichte und geltendem Recht. Angesichts des Staatskirchenrechts plädierte er für die Kirchenhoheit des souveränen Staates. In seinem Urteil blieb er um Objektivität bemüht. Der Mediävist G. Waitz analysierte in seinem Werk »Deutsche Verfassungsgeschichte« die Rechtsentwicklung und die Herrschaftsordnung der germanischen Stämme in Bezug auf die Idee der Verknüpfung von Volksfreiheit und Königtum.20 Den Staat begriff er als einen »ethischen Organismus«. Sein historisches Denken stand unter dem Vorzeichen eines positivistischen Rechtsverständnisses. Er sah den Wert des Rechtes darin, Kulturbereiche durchdringen und bewerten zu können: Positives Recht, ein Recht in Gesetzen, ist für ihn ein primärer Ordnungsfaktor, der Ordnungen wie Moral, Sittenordnung und Politik in die zweite Reihe rückt. G.W.F. Hegel hielt demgegenüber am Gewohnheitsrecht fest, das aus dem Wesen des Menschen eignet, und behauptete damit eine Gegenposition zu F.K. Savigny, der das Recht auf zeitlich bedingte Sitten und den Volksglauben basieren ließ. Da aber jedes Gesetzesrecht und jedes Gewohnheitsrecht sowohl relative als auch absolute Postulate erhebt und das Gewohnheitsrecht ebenfalls der Evolution unterworfen ist, behauptete A. Baruzzi: »So gibt es letztlich auch einen Zusammenhang zwischen dem historischen Recht (Savigny) und dem Rechtsgesetz (Hegel).«21 Im 19. Jahrhundert hatte sich die kirchliche Rechtslehre gegen den Gesetzesformalismus I. Kants gewehrt. Als gegenläufige Konzeptionen hatten sich die von F.K. Savigny behauptete Historische Rechtsschule als »Geschichtlichkeit des positiven Rechts sowie seine Abhängigkeit von Volksgeist und Sitte«22 sowie die von G.W.F. Hegel in Anschlag gebrachte Zusammenführung des formellen Rechts mit der abstrakten Moralität im sittlichen Staat manifestiert. Zum Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich dann der Rechtspositivismus durch, der das Gesetz zeitlich bedingt und ohne Einflüsse von Theologie oder Philosophie verstanden wissen wollte. Dass jedes Recht entwicklungsgeschichtlich zu analysieren sei, hatte bereits F.D.E. Schleiermacher gefordert. Er schloss aber aus, das Recht mit christlichen Maximen zu begründen. Demgegenüber hatte sich R. Rothe auf G.W.F. Hegels Rechtsverständnis gestützt, das die Vorstellung eines Naturrechtes zwar ablöste, aber dessen Autorität auf das positive Recht übertrug: Auch deshalb definierte R. Rothe den sittlichen Staat als christlichen Kulturstaat. Beurteilte zwar auch das konfessionelle Luthertum das Recht in Bezug auf eine christliche 19 20 21 22

Hinschius‚ System. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte I. Baruzzi‚ Recht‚ 246. H.-R. Reuter‚ Recht‚ 233.

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Moral, so vermied es dennoch, die Kirche im Staat aufgehen zu lassen. Ch.E. Luthardt interpretierte das Recht unter Verweis auf die Anordnungen Gottes: Historische Rechtsverhältnisse waren seines Erachtens dann zu achten, wenn sie Menschenrechte schützten und Familien sowie die Kirche bewahren halfen. 9.1.2.3 Kirchengeschichte F.W. Rettberg hatte 1848/49 eine Kirchengeschichte Deutschlands vorgelegt, die zugunsten einer kritischen Geschichtsforschung auf eine künstlerische Darstellung des Erforschten verzichtete. Er untersuchte die Missionierung Deutschlands und die Institutionengeschichte der Kirche losgelöst von legendarischen Quellen, die er dennoch überlieferungskritisch interpretierte. Seine Kirchengeschichte zeichnete weniger geschichtliche Entwicklungen nach, sondern legte eher ein statistisches Wissen vor, das er aus den Quellen eruiert hatte. Beschrieb er den Charakter von Personen, gebrauchte er die narrative Form der Historiographie. In seinen Urteilen bemühte er sich, eine tendenzielle Interpretation zu vermeiden. F.W. Rettberg ließ sich in seiner Geschichtsdeutung von der Anschauung leiten, dass das deutsche Volk von christlichen Ideen durchdrungen wird und dass der christliche Glaube den Volksgeist der Germanen verwandelt. Das Rezensionsurteil F. Loofs’: »Man konnte Rettberg nicht fortsetzen, ohne die schon von ihm behandelte Periode neu zu bearbeiten.«,23 begründete K. Nowak: »Nach Rettbergs Auffassung bestand die Schwierigkeit darin, dass es keine wirkliche Einheit des Gegenstandes gab.«24 Nach K. Nowak hatte sich F.W. Rettberg um eine nationale Identitätsstiftung bemüht, weil dieser der vaterländischen Bewegung nahe stand.25 J. Friedrich, römisch-katholischer Kirchenhistoriker und theologischer Berater G. zu Hohenlohe-Schillingsfürst, wollte F.W. Rettbergs und einer seines Erachtens für die Kirchengeschichte Deutschlands teils überkritischen Geschichtsforschung eine konservative Deutung entgegenstellen. J. Friedrichs Ansatz fand sein einheitsstiftendes Band in der Betrachtung der Kirchenverfassung in ihrem Verhältnis zum Staat, wohl wissend um die Diskrepanz zwischen Nationalbewusstsein und römisch-katholischem Universalismus. Da er aber die Quellenkritik nicht akribisch genug anwandte und gegen F.W. Rettbergs Argumentation keine stichhaltigen Beweise vorbrachte, blieb dessen historiographisches Werk weiterhin führend. Der ultramontane Kirchenhistoriker A.J. Binterim veröffentlichte seit 1835 eine mehrbändige pragmatische Konziliengeschichte,26 in der er Wert auf die kontinuierliche Entwicklung des katholischen Kirchenrechts legte und aus 23

Loofs‚ Rez. Hauck‚ 171. Nowak‚ Albert Hauck: Historiker, 33. 25 Vgl. ebd.: »Wenn auch das einheitliche historische Band zwischen den deutschen Stämmen und Gauen fehlte, so wollte er [F.W. Rettberg, M. T.] durch extensive territoriale und lokale Präsentationen immerhin eine kirchenhistorische Phänomenologie Deutschlands wagen.« 26 Binterim‚ Pragmatische Geschichte. 24

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deren Interpretationen er einzelne Beschreibungen der kirchlich-sittlichen Zustände wagte. A.J. Binterim war antipreußisch eingestellt und ein Aufklärungsgegner, der die altkirchlichen Strukturen schätzte und deshalb für die römischkatholische Synodalbewegung im Jahr 1848 eintrat. Auch der Kirchenhistoriker und Bischof von Rottenburg C.J. Hefele hatte eine Konziliengeschichte bis zum Basler Konzil vorgelegt. Die traditionelle römisch-katholische Interpretation bestimmte seine historischen Ausführungen. C.J. Hefele interpretierte die Quellen angesichts ihrer Zeitgeschichte, um zu erschließen, welche Entwicklung die darin implizierte religiöse Idee genommen hat. Leitende Ideen, zusammenfassende Charakteristiken von Perioden, »einheitliche Auffassung der ganzen Geschichte der Kirche als der Abwickelung des großen Erziehungsplanes Gottes mit der Menschheit« und die Entwicklung der Lehre waren die methodischen Axiome seiner Geschichtsschreibung.27 Er verzichtete darauf, historisch Gewordenes einer Kritik zu unterziehen.28 Er untersuchte die Geschichte des Gottesdienstes, der kirchlichen Sitte, des Rechts, der Verfassung und des Dogmas. Auf der Quellenbasis von Konzilsakten ließ C.J. Hefele eine kirchliche Historiographie entstehen, die sich an traditionellen und rechtlich idealen Vorstellungen von Konzilien orientierte. Mangelhaft blieb, dass C.J. Hefele nicht zwischen einem früheren und einem späteren Papsttum-Staat-Verhältnis unterschied, weil er dem Ideal einer erfolgreichen, harmonischen Zusammenarbeit von Kirche und Staat anhing. Im Kulturkampf hatte er sich daher für befriedete Zustände zwischen Kirche und Staat eingesetzt. Als Schüler J.A. Möhlers definierte er die Kirche als eine organisch gegliederte Institution, die vom synodalen Leben ihrer Glieder geprägt wird. Einzelne Monographien beschäftigten sich mit dogmengeschichtlichen Entwicklungen und ihren Auswirkungen auf die Kirchen- und Kulturgeschichte.29 Namentlich die Biographie und die Beurteilung des Wirkens des Bonifatius wurde zum Streitfall unter den Kirchenhistorikern. Der ultramontane Rechtshistoriker F. Buß verteidigte die römisch-katholische Sichtweise auf den »Apostel der Deutschen«.30 Seine Argumentation bezog sich vornehmlich auf die christliche Durchdringung des staatlichen Rechts, die Bonifatius vorangetrieben hatte. Um sich gegen die Unterordnung der Kirche unter die staatlichen Rechtsverhältnisse aussprechen zu können, analysierte er das Zusammenwirken von Volk und Religion und postulierte infolgedessen eine »organische Volksordnung«. Die gegenteilige Auffassung, die im Blick auf den kirchlichen Kultus und die kirchliche Verfassung ein presbyteriales Kirchenverständnis vertrat, begründete der reformierte Theologe A. Ebrard. Er beschäftigte sich mit dem 27 28 29 30

Vgl. Hegler‚ Hefele, 526. Vgl. Reinhardt‚ Hefele, 526–529. Völter‚ Ursprung. Buß, Winfrid-Bonifacius.

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Wirken des Bonifatius im Rahmen der Geschichte der iroschottischen Missionskirche.31 Äußerte sich A. Werner polemisch in diesem Streitfall, so nahmen O. Fischer, H. Hahn und G. Pfahler eher vermittelnde Positionen ein, die sich vornehmlich auf Ergebnisse der Quellenkritik beschränkten.32 Einzelstudien zu kirchengeschichtlichen Ereignissen und Persönlichkeiten auf Grundlage der Quellenkritik legte der Lutheraner C. Caspari vor.33 Biographische Monographien waren in den 1870er Jahren beliebte Darstellungsformen der Kirchengeschichte: J.W. Loebell schrieb über Gregor von Tours, K. Obser über den Bischof Wilfrith von York, K. Zell über Lioba und W. Zschimmer über Salvian von Massilia.34 Chronologische Zusammenfassungen über die Entwicklung der römischen Kirche legte R.A. Lipsius vor.35 9.1.2.4 Territorialkirchengeschichte Die Territorial- oder Landeskirchengeschichte, die regionenspezifische Eigenarten benennt,36 erhielt ihre wissenschaftliche Spezialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihre Rezipienten waren Pfarrer und Laien, die sich angesichts vielgestaltiger Interessen mit der Geschichte kirchlicher Territorien beschäftigten: »Dazu kamen im 19. J[ahr]h[undert] die bes[onderen] Bedürfnisse der neuumschriebenen Diözesen und neugebildeten Landeskirchen. [...] Daneben gab es auch weiterhin ein starkes Eigenleben von Regionen (z.B. Franken).«37 Zeitschriften, die sich der Geschichtsforschung kirchlicher Regionen widmeten, sowie Kirchen- und Stadtarchivare befassten sich mit bisher unentdeckten regionalen Quellenbelegen und trieben eine wissenschaftliche Quellenanalyse. Daneben traten seit 1819 Geschichtsvereine mit regionalen Interessen. Die Territorialkirchengeschichte spezifizierte und korrigierte die allgemeine kirchengeschichtliche Entwicklung exemplarisch in Regionen.38 Eine Territorialgeschichte legte W. Junghans in Bezug auf die fränkische Königsgeschichte und H. Schubert in Bezug auf die Auseinandersetzungen

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Ebrard‚ Missionskirche; Ebrard, Bonifatius. Werner‚ Bonifacius; O. Fischer‚ Bonifatius; Hahn‚ Bonifaz; Pfahler‚ St. Bonifatius. 33 Caspari (Hg.), Kirchenhistorische Anecdota. 34 Loebell‚ Gregor von Tours; Obser‚ Wilfrid; Zell‚ Lioba.; Zschimmer‚ Salvianus. 35 Lipsius‚ Chronologie. 36 Vgl. Mehlhausen‚ Landeskirche‚ 427: »Kirchenrechtssystematisch verweist der Begriff Landeskirche also auf ein bestimmtes historisches Beziehungsgeflecht von Kirche und Staat. Aus ekklesiologischer Sicht gesehen, wollen die Landeskirchen in einer genau umschriebenen Region als Partikularkirchen die ecclesia universalis [Hervorhebung im Original] repräsentieren.« Vgl. Peters‚ Territorialkirchengeschichte‚ 166: »Die T[erritorialkirchengeschichte] erschließt der hist[orischen] Theol[ogie] ein breites Spektrum örtlicher Quellen und Zusammenhänge und weist diese so auf den Reichtum individueller Ausprägungen hin.« 37 Ebd., 167. 38 Vgl. Simon‚ Territorialkirchengeschichte‚ 693: »Die Grenzen der TKG [Territorialkirchengeschichte] sind sowohl nach oben (Haucks KG Deutschlands oder Loesches Geschichte des Protestantismus in Österreich) wie nach unten (Orts- und Personen-KG) fließend.« 32

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zwischen Alemannen und Franken39 vor. Der römisch-katholische Historiker F.L. Baumann beschrieb die Geschichte seiner Heimat, des schwäbischen Allgäus, nachdem er die kirchliche und staatliche Verfassungsgeschichte dieser Region analysiert hatte.40 Die Entwicklung reichs- und verfassungsrechtlicher Grundlinien untersuchte auch K. Binding.41 Eine Kirchengeschichte der Schweiz beschrieb E.F. Gelpke, in der er auch auf eine diesbezügliche Kulturgeschichte einging.42 Eine Kirchengeschichte Österreichs legte A. Huber vor: Er untersuchte die politische Entwicklung, ohne die Kultur- und Geistesgeschichte des Landes zu berücksichtigen.43 Eine regionale Stadt- und Kirchengeschichte verknüpften der römisch-katholische Literaturhistoriker P. Braun, der Kirchenhistoriker Ph. Diel, F. Janner, J.J. Merian, F.X. Remling, J. Sax und A. Steichele.44 Der römisch-katholische Kirchenhistoriker L. Ennen, der sich reformatorischen Bestrebungen zuwandte, beschrieb die Geschichte der Stadt Köln.45 Ein spezielles Gebiet erschloss der Philologe Th. Bergk: Er beschäftigte sich mit einer territorial begrenzten römischen Altertumsforschung, indem er die Literaturgeschichte zur Grundlage seiner Geschichtsschreibung erhob.46 Eine weitausholende Stadtgeschichte, die auch die Papst- und Kaisergeschichte einschloss, legte F. Gregorovius vor.47 Seine Kombination aus Ideenund Realgeschichte basierte auf einer akribischen Quellenkritik. Auf edierten Quellen und auf der Sekundärliteratur fußend und apologetische Absichten verfolgend, legte C.F. Hefele die Geschichte der Missionierung des südwestlichen Deutschlands vor. Mit der Geschichte Burgunds beschäftigte sich A. Jahn, mit der Ausbreitung des Christentums in Baden G. Körber, mit der Geschichte Baierns E. Quitzmann und S. Riezler, mit der Geschichte Württembergs Ch. Stälin und P. Stälin, mit der Geschichte Frankens F. Stein.48 9.1.2.5 Kulturgeschichte Das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gestiegene Interesse für »Erfahrungsbereiche des bürgerlichen Lebens«, das die »rechtlichen, ökonomischen und sittlichen Grundlagen des hist[orischen] Fortschritts und des menschlichen Zusammenlebens überhaupt« aufdecken wollte, wurde im Laufe des 19. Jahr39

W. Junghans‚ Geschichte; Schubert‚ Unterwerfung. Baumann‚ Geschichte. 41 Binding/Wackernagel‚ Königreich. 42 Gelpke‚ Kirchengeschichte. 43 A. Huber‚ Geschichte. 44 Braun‚ Geschichte; Diel‚ Maximinus; Hettner‚ Trier; Marx‚ Geschichte; Janner‚ Geschichte; Remling‚ Geschichte; Sax‚ Geschichte; Steichele‚ Bisthum Augsburg; Merian‚ Geschichte. 45 Ennen‚ Geschichte. 46 Bergk‚ Geschichte. 47 Gregorovius‚ Geschichte. 48 Hefele‚ Geschichte; Jahn‚ Geschichte; Körber‚ Ausbreitung; Quitzmann‚ Geschichte; Riezler‚ Geschichte; Ch.F. Stälin‚ Wirtembergische Geschichte; P.F. Stälin‚ Geschichte Württembergs; Stein‚ Geschichte. 40

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hunderts vom »nationalstaatlich und politikgesch[ichtlich] orientierten Historismus« in eine Nebenrolle zurückgedrängt.49 Kulturgeschichtliche Studien beschäftigten sich u.a. mit der Wechselbeziehung von mittelalterlicher Kultur und christlicher Frömmigkeit: So exemplarisch R. Cruel in seiner Geschichte der Predigt, auch in R. Rothes Geschichte der Predigt, in G. Dehios und G. Bezolds Geschichte der kirchlichen Baukunst, in A. Eberts Literaturgeschichte des Mittelalters, in W. Teuffels römischer Literaturgeschichte.50 Mit Roms Sozialgeschichte im weitesten Sinne beschäftigte sich der klassische Philologe L. Friedländer.51 Christliche Frömmigkeitsgeschichte angesichts der Geschichte des Bußwesens erörterten H. Schmitz, O. Seebass und H. Wasserschleben.52 Die Einflüsse des Mönchtums auf die christliche Frömmigkeit untersuchte O. Zöckler.53 Eine Geschichte der deutschen Mythologie legte J. Grimm vor.54 Dieser wandte sich der Interpretation volkstümlicher Quellen und der Sprachgeschichte zu, um seine religionswissenschaftlichen literarisch-volkskundlichen Untersuchungen zu untermauern. Darin setzte er die organische Einheit kulturgeschichtlicher Phänomene voraus. Mit der Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters beschäftigte sich K. Lamprecht.55 Der Althistoriker J. Marquardt veröffentlichte eine Geschichte der Verwaltung des Römischen Reiches, in der er das Privatleben der Römer sowie das Finanz-, Militär- und Sakralwesen im Römischen Reich untersuchte.56

9.2 Albert Haucks mediävistische Kirchengeschichtsschreibung 9.2.1 Ideentheorie und Periodeneinteilung A. Haucks Periodeneinteilung hing aufs Engste zusammen mit seiner Ideentheorie.57 Er trennte die Perioden durch Epochen, die den »Fluß des Werdens«, in dem die Kirche ihrem Ziel, der Sichtbarmachung ihres Wesens, stufenmäßig entgegenstrebt, unterbrechen. Die Anschauung einer Geradlinigkeit der Ge49

Große Kracht‚ Kulturgeschichte‚ 1838. Cruel‚ Geschichte; Rothe‚ Geschichte; Dehio/Bezold‚ Baukunst; Ebert‚ Geschichte; Teuffel‚ Geschichte. 51 Friedländer‚ Darstellungen. 52 Schmitz‚ Bussbücher; O. Seebass, Columba von Luxeuils; Wasserschleben (Hg.), Bussordnungen. 53 Zöckler‚ Kritische Geschichte. 54 Grimm‚ Deutsche Mythologie. 55 Lamprecht‚ Wirtschaftsleben. 56 Marquardt‚ Römische Staatsverwaltung. 57 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte, 735: »Das Werden der Kirche gliedert sich in Perioden. Diese Absätze ergeben sich, weil die Bewegung nicht immer in der gleichen Richtung erfolgt. Die Richtung aber wird bestimmt durch die beherrschenden Ideeen.« 50

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schichte hatte A. Hauck damit verworfen: Er hatte sie nicht akzeptieren können, weil er den Menschen die Entscheidungsfreiheit zubilligte, dass sie als Glieder der Kirche dem Wirken des Heiligen Geistes Raum geben oder sich ihm verschließen konnten. Eignete seiner Meinung nach den Folgen menschlicher Handlungen zwar ein Eigenleben, so sah er aber dennoch die Freiheit des Menschen von historischen Bedingungen her eingeschränkt und von herrschenden Ideen beeinflusst.58 Nach Interpretation A. Haucks entstehen diese Ideen zunächst im Verborgenen, überwinden dann die »Zeit ihrer Schwäche«, streifen ihre Widersprüchlichkeit ab und werden schließlich von wirkungsmächtigen Aktanten aufgenommen und fortgeführt. Indem neue Ideen alte ablösen, ermöglichen sie der Kirche, in eine neue Periode ihres Werdens einzutreten: Dieses Werden ist nach Ansicht der Erlanger Kirchenhistorikers gekennzeichnet durch die Überwindung einer geschichtsimmanenten »Gefar«; sie definierte er als Störungen des geschichtlichen Werdens der Kirche, weil »Unchristliches« Einfluss auf die Aktanten gewinnt.59 Scheint ein Gegensatz zunächst gelöst, wächst im Verborgenen bereits ein neuer heran.60 Gerade hierbei wird ersichtlich, dass A. Hauck das Denkschema von G.W.F. Hegels Dialektik – These, Antithese, Synthese – rezipierte, um Widersprüche und Gegensätze in der Geschichte aufzuspüren. Im Folgenden soll anhand der Kirchengeschichtsschreibung in der »Kirchengeschichte Deutschlands« aufgezeigt werden, welche Gefahren und Tendenzen A. Hauck in der Geschichte entdeckte. Das erste Buch »Das Christentum in den Rheinlanden während der Römerzeit« setzt mit der Schilderung der Bedingungen ein, die die Entstehung von christlichen Gemeinschaften im Rheinland gefördert haben. Obgleich A. Hauck die Kirchengeschichte Deutschlands mit der Taufe Chlodwigs beginnen lässt, betrachtet er die Organisation der deutschen Kirche als Erbe des sich auflösenden Römischen Reiches. Der germanische Stamm der Franken übernahm somit die kirchliche Lehre und Struktur, die das Römische Reich hinterlassen hatte. A. Hauck erkennt angesichts der innerlichen Dissonanz des fränkischen Christentums gewisse Hemmnisse für dessen einheitliche Ausbreitung und Formung:

58

Vgl. A. Hauck‚ Tertullian’s Leben, 198: »Das ist das Unglück der Menschen, dass sie im Augenblick der wichtigsten Entschlüsse nicht mehr frei sind. Denn was eigene Entscheidung zu sein scheint, ist das Resultat einer oft lange vorher eingeschlagenen Richtung. Sie meinen Herr über ihre Taten zu sein. In Wahrheit sind sie gewöhnlich beherrscht durch die Folgen früherer Handlungen.« 59 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte, 733: »[...] allein das geschieht nicht, one dass sich eine Reaktion dagegen erhebt, welche zum Abstoßen des Unchristlichen füren will.« 60 Vgl. A. Hauck‚ Tertullian’s Leben, 191: »Nichts ist so mächtig als die Tendenz, die stille, aber unaufhaltsame Strömung der Jahrhunderte. Aber nie wird eine neue herrschend ohne Kampf; denn sie entsteht nicht, ohne dass sich sofort eine Gegenströmung zeigt, welche das Alte nicht nur festhalten will, sondern bei diesem Streben dahin gelangt, es über das rechte Mass hinaus zu steigern und dadurch zu überwinden. Denn keine geschichtliche Erscheinung wird durch die entgegengesetzte bewältigt. Jede stirbt an ihrer eigenen Konsequenz.«

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Zweisprachigkeit, nationale Eigenheiten in der Religionsausübung,61 sittlicher Verfall, unzureichende kirchliche Organisation, asketisch gesinntes Mönchtum. Setzt A. Hauck mit den Umständen, die christliches Leben am Rande des Römischen Reiches ermöglichten, also der Christianisierung Galliens, ein, so schließt er folgerichtig diese Periode mit der Beschreibung von Umständen ab, die der Ausbreitung des Christentums in Gallien entgegenstanden. Seines Erachtens drohte die Entscheidung der Frage, ob sich das rheinische Christentum mit dem Kulturleben des römischen Volkes auseinandersetzen oder arrangieren sollte, die Einheit der fränkischen Christengemeinden zu sprengen. Zwei Tendenzen bzw. Strömungen standen sich demzufolge gegenüber: das asketische Mönchtum und der weltoffene Episkopat. Beide Überzeugungen bekämpften sich in dem Maße, dass die christliche Grundanschauung auf religiösem und sittlichem Gebiet gefährdet war. Hatte bis ins fünfte Jahrhundert die übernommene Kirchenstruktur beide Strömungen zusammengehalten, so schien nun die gallische Kirche auseinanderzufallen.62 Die Lösung dieser innerkirchlichen Auseinandersetzung lässt A. Hauck durch äußere Einflüsse motiviert sein: die monarchische Herrschaftsstruktur der Franken. Ihre Einflüsse auf die Kirche im Rheinland und in »Deutschland« schildert A. Hauck im zweiten Buch: »Die fränkische Landeskirche«. Ihr Werden charakterisiert er im Blick auf das Eindringen germanischer Stämme in das Römische Reich: Nach Interpretation A. Haucks führte diese Infiltrierung einerseits zur schleichenden Auflösung des Imperiums, andererseits aber zur Erhaltung der traditionellen Kirchenorganisation. Gerade weil das Imperium zerfiel, konnte die gallische Kirche ihre missionarische Kraft entfalten, ihre Einheit bewahren und ihre innerkirchlichen Streitigkeiten beilegen. Die Kultur vermittelte den Völkern Grundlage und Einheit, auf denen sich die Religion entwickeln konnte.63 Weil das Christentum als »Kulturmacht« im Römischen Reich Einfluss gewonnen hatte, konnte nun die christliche Kultur den eindringenden Heiden entgegentreten. Mit der Taufe Chlodwigs kam ein weiteres Element zum Tragen: das Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Das Wesen der Kirche hatte sich in dieser Periode auf dem Gebiet der Mission und damit verbunden auf kirchenpolitischem Gebiet erweitert: Von nun an berührte das Staat-Kirche-Verhältnis die Kirchengeschichte der germanischen Stämme. Rettete einst das Eindringen der Germanen die Kirche vor der Zerreißprobe zwischen Weltoffenheit und Weltabgeschiedenheit, so wuchs nun nach Meinung A. Haucks der Wunsch, dass in das zerrüttete Staat-Kirche-Verhältnis von 61 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 15: »Wer bemerkte nicht den engen Zusammenhang zwischen Sprache und Religion? Beide stützten sich gegenseitig.« 62 Vgl. ebd., 81: »In diesem Momente nun führte der Uebertritt der Franken zum Christenthum der Kirche ein völlig neues Element zu.« 63 Vgl. ebd., 103: »Man sieht, dass Franken und Romanen einem staatlichen Gemeinwesen angehörten, machte sich sofort bemerklich, sofort bewies sich auch die Ueberlegenheit der Kultur: sie kam der Religion des Kulturvolkes zu gute.«

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außen eingegriffen werden sollte. Da sich unter dem einer Lösung harrenden Staat-Kirche-Verhältnis der sittliche Zustand des Volkes und der Religion verschlechtert hatte, formuliert A. Hauck: »So nothwendig die Organisation der Kirche bei den Stämmen diesseits des Rheins war, so nothwendig war die Reform der Kirche im jenseitigen Frankenreich. Beide Aufgaben unternahm und löste Bonifatius in Gemeinschaft mit Rom.«64 Hatte sich bisher die fränkische Landeskirche national entwickelt, so ließ sich nach Meinung des Erlanger Kirchenhistorikers die Überwindung der genannten Spannungen nur international lösen, also in Gemeinschaft mit Rom, mit dem Papst. Die Frankenherrscher kamen mit der Idee einer Gemeinschaft mit Rom in Berührung, als sie durch Eroberungen im südöstlichen Gallien in die päpstliche Machtsphäre gerieten. Wurde die moralische Autorität des Papstes zwar schon von Anfang an in der fränkischen Landeskirche anerkannt, so konnte der Papst aber dennoch keinen politischen Einfluss auf die fränkische Kirchenherrschaft ausüben. Die Verwirklichung dieser Idee im Leben des Bonifatius reflektiert A. Hauck im dritten Buch: »Die Thätigkeit der angelsächsischen Missionare in Deutschland und das Verhältnis zu Rom«. Bonifatius habe den Gedanken verfolgt, dass die deutsche Kirche allein in der Gemeinschaft mit Rom zu ihrer Blüte gelangen könnte. Pragmatisch und teleologisch betrachtet hat sein Wirken damit »den Grund zu der Einheit der mittelalterlichen Kirche und zu der mittelalterlichen Papstmacht gelegt«.65 Diese kirchliche Einheit, ein Erfolg des angelsächsischen Missionars, begründet nach Meinung A. Haucks die Einheit der »abendländischen Kultur«. Hatte Bonifatius zwar die Einheit der Kirche erkämpft, so war er aber als päpstlicher Legat nicht wirkmächtiger Aktant der Geschichte, um diese Einheit bewahren zu können: Diese Gemeinschaft mit Rom, die die geistliche und die weltliche Herrschaft in kirchlichen und in weltlichen Entscheidungen voneinander abhängig gemacht hatte, war durch ihn rechtlich nicht verfasst worden.66 Im vierten Buch »Die fränkische Landeskirche als Reichskirche: 751-814« weist A. Hauck nach, dass Ideen nicht an einen einzigen Träger gebunden sind, sondern von Aktanten unterschiedlich interpretiert und verwirklicht werden können. Denn seines Erachtens änderte Pippin den Reformgedanken dahingehend, dass nicht mehr der Anspruch Roms, in moralischen, theologischen und kirchlichen Entscheidungen frei und autoritär entscheiden zu können, ihr Impulsgeber war, sondern dass die politische Herrschaft für die sie betreffende kirchliche Organisation eigenständig Sorge tragen musste. So sei aus der reli64

Ebd., 377. Ebd., 546. 66 Vgl. ebd., 524f: »Es bestand thatsächlich eine Gemeinschaft zwischen der fränkischen Kirche und Rom, von der man ein halbes Jahrhundert vorher nichts wusste. Rechtliche Formen hatte sie nicht angenommen: aber das Ansehen des Papstes hatte ein ganz anderes Gewicht als früher: das Bewusstsein, dass nur in der Gemeinschaft mit Rom, in der Unterordnung unter Rom die Kirche gedeihen könne, hatte unter dem fränkischen Episkopate kräftige Wurzeln geschlagen.« 65

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giös-sittlichen Reformidee die Idee der nationalen Strukturierung hervorgegangen. Karl der Große setzte diese ideelle Entwicklungslinie fort, indem er die religiösen, kirchlichen und politischen Zustände im Frankenreich vom Hofe aus förderte. Führte seine Stellung innerhalb der Kirche zwar zur vollständigen Abhängigkeit der Kirche von der politischen Herrschaft, so erinnerte sich aber die römische Kirche an ihre machtvolle Vergangenheit, in der der Kaiser die uneingeschränkte Herrschaft der Kirche und des Papstes über die Gemeinden und die kirchliche Struktur anerkannt hatte.67 Die Erbnachfolger Karls mussten also dessen errungene Macht gegenüber Kirche und Papst behaupten. Die Gefahr, die in einer neuen Periode zu überwinden war, zeigte sich bald: Hatte Karl noch zu Lebzeiten die widerstrebenden Willen eines politischen und eines kirchlichen Führungsanspruches vereinigen können, so traten nach seinem Tod diese Machtansprüche gegeneinander an. A. Hauck schildert diese Auseinandersetzung im fünften Buch: »Auflösung der Reichskirche«. Diese Auflösung macht er auch an den religiösen und sittlichen Zustände fest, weil diese mannigfaltige Auseinandersetzungen provozierten. Während der kirchliche Einfluss wuchs, schwand die königliche Gewalt. Deshalb beschreibt A. Hauck die Kirchenstrukturen, die pfarramtlichen Tätigkeiten, die Frömmigkeit (Religiösität, fromme Sitte, kirchlicher Brauch – wobei hier A. Hauck von »einem Fortschritt der sittlichen Kultur«68 spricht –, Glaube und Aberglaube), theologische Literatur und die Kirchenlehre. Obwohl es den volkstümlichen Dichtungen sehr an religiösen und sittlichen Motiven lag, eignete ihnen eine dogmatische Unschärfe.69 A. Hauck kritisierte, dass die kulturelle Entwicklung durch die sozialen Verhältnisse, die Stände, gebremst wurde, da die Recht- und Besitzlosen einer »Unkultur« verfallen waren. Infolgedessen habe sich das Volk nicht mehr eigenständig am Leben der Kirche beteiligen können.70 In das sechste Buch »Konsolidierung der deutschen Kirche« führt A. Hauck mit verfassungsrechtlichen Fragen ein. Einschneidend war, dass das deutsche Volk angesichts der Schwäche des zentralistischen fränkischen Königtums die Verfassungsform ihrer Stammesherzogtümer wiederentdeckte. Diese Bewegung reflektiert A. Hauck auf der Ebene der sittlichen und religiösen Zustände, im Besonderen im Mönchtum als Träger geistigen Lebens. Eine Verknüpfung von asketischer Weltabgewandtheit und weltlicher Kulturvermittlung ist in 67 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands II, 431: »Unmöglich konnten sie [die römischen Bischöfe, M. T.] dieselben [die Verluste an Macht, M. T.] verschmerzen; denn die römischen Ansprüche auf Herrschaft in der Kirche hingen zu enge mit der gesammten religiösen Weltanschauung zusammen, als deren vornehmste Träger sich die römischen Bischöfe fühlten. Der Widerspruch des Papstthums gegen des Kaiserthum Karls war notwendig.« 68 Ebd., 678. 69 Vgl. ebd., 706: »Tiefer greift, dass er [der Heliand, M. T.] sich das Leben nicht denken kann ohne die ethischen Mächte, auf denen die deutsche Volkssittlichkeit beruhte: der Einzelne hat seinen Halt an dem Zusammenhang des Geschlechts, an der Volkssitte und dem Recht des Volkes.« 70 Vgl. ebd., 718: »Bis sich in den aufblühenden Städten eine neues Volk bildete, ist nicht die Nation, sondern sind allein der Klerus und der Adel die Faktoren der kirchlichen Entwickelung.«

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seinen Augen unmöglich.71 Den Ertrag des Zeitalters von 911 bis 1002 sieht er im Heranwachsen von Tendenzen, die zukünftig gegeneinander antreten sollten: Wollten Kaisertum und Papsttum die Einheit der christlichen Welt unter ihrer jeweiligen Führung erringen, so standen ihnen europäische Nationen gegenüber. Auch der Episkopat hatte sich national organisiert, er festigte den Nationalstaat und beherrschte die Nationalkirche. Das Mönchtum als Träger der Kultur war ebenfalls in die nationalen Belange und in das nationale Bewusstsein eingebunden worden. Allein ihre asketische Weltanschauung stand diesem kulturellen und politischen Nationengedanken gleichgültig gegenüber und trat gegen die Vermischung von Kirche und Staat im nationalen Kontext an. War demnach bei den Ottonen der Konflikt zwischen dem Universalitätsanspruch des Kaisers bzw. des Papstes und dem Nationalbewusstsein noch nicht ausgebrochen, so wuchs er dennoch heran. Im siebten Buch »Das Übergewicht des Königtums in der Kirche und der Bruch desselben durch Rom« schildert A. Hauck den äußeren Ausbruch dieses innerlichen Widerspruchs. Heinrich II. unterstützte in der Tradition des fränkischen Königtums die Schwachen der Bevölkerung und diente damit der Gesamtheit seines Volkes. Indem er die kirchlichen Institutionen förderte, nahm sein Einfluss auf kirchliche Angelegenheiten zu. Dieser Gedanke und der Kampf zwischen den Universalansprüchen des Kaisers und des Papstes führten zur Bildung der bischöflichen Fürstenmacht. Letztlich gewannen nach Meinung A. Haucks die Fürsten und damit der Nationalgedanke. Wiesen dieser Gedanke und die Entwicklung des geistigen Lebens in die Zukunft, so blieb der Wormser Vertrag ein »Grenzstein der Epoche, während welcher die kirchlichen Verhältnisse Deutschlands vorwiegend durch die weltlichen Herrscher gelenkt und bestimmt wurden«.72 Kirchliches und Staatliches blieben untereinander vermischt. Hatte unter Karl dem Großen der staatliche Einfluss das kirchliche Leben und die theologische Bildung gefördert, erwies er sich später allein darin, dass er sich von der Kirche Unterstützung erhoffte. Doch hatte die Vernachlässigung der kirchlichen Aufgaben einen anderen ausschlaggebenden Grund: »Sie hängt damit zusammen, dass in demselben Masse, in dem die politischen Aufgaben der Krone durch den Kampf mit der fürstlichen Macht erschwert wurden, der Gedanke zurücktrat, dass das Königtum die Lösung der Kulturaufgaben des Volkes zu leiten habe.«73 Indem der König diese Aufgabe missachtete und sich politischen Aufgaben zuwandte, wuchs der Einfluss des Papstes auf die kirchlichen Angelegenheiten. Zukünftig musste sich zeigen, was dieser päpstliche Einfluss zu leisten im Stande war. Neben die Könige und Fürsten sowie die Päpste und Bischöfe trat im elften Jahrhundert das Mönchtum als 71 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands III, 342: »Je mehr die Klöster Pflegestätten der Kultur wurden, um so weniger waren die Mönche Vertreter der asketischen Weltanschauung.« 72 Ebd., 969. 73 Ebd., 970.

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Träger der kirchlichen Entwicklung auf. Ihre theologische Literatur gewann Einfluss auf das Denken des Volkes. A. Hauck entdeckt, dass unter Heinrich IV. das deutsche Volk wieder auf die Bühne der kirchlichen Entwicklung trat.74 In das achte Buch »Die päpstliche Herrschaft in der deutschen Kirche und ihre Kämpfe 1122–1250« tritt der Leser mit einer Beschreibung der kirchlichen Zustände im zwölften Jahrhundert ein. Das Rechtsgefühl des Volkes wurde gestärkt, auch das sittliche Ideal stand hoch.75 Beharrten äußerlich die politischen und kirchlichen Zustände, vollzog sich deren Wandel unbemerkt: Die Institutionen blieben äußerlich intakt, nur innerlich wandelten sie sich. Dies erkennend, schreibt A. Hauck vornehmlich eine Institutionengeschichte, exemplarisch die des Episkopats. Der Niedergang der kirchlichen Bedeutung des Episkopats ermöglichte seiner Meinung nach den Aufstieg des Pfarramts, wie es bereits Karl der Großen angedacht und gefördert hatte. Auf politischer Ebene waren die Folgen des Wormser Konkordats und der Tod der beiden Hauptakteure bestimmend. Weil der kirchliche Friede hergestellt, aber noch nicht gesichert war, konnte das Verhältnis zwischen Imperium und Sacerdotium neu bestimmt werden. Friedrich I. verhalf der Idee, die alten Rechte der Krone gegenüber der Kirche zu behaupten, zum Durchbruch. Doch während sein Vorgehen zum vollständigen Sieg über die Ansprüche des Papstes führte, erhoben sich im innerkirchlichen Leben universale Kräfte über die nationalen: Wie im Mönchtum so übernahm auch in der Theologie die römische Überzeugung die Meinungsführerschaft im deutschen Volk, um die kirchliche Einheit zu sichern. Die Stellung der Kirche in der Kulturwelt änderte sich, als die außerkirchlichen Wissenschaften auf die nationale Kultur Einfluss gewannen und das aufstrebende Bürgertum einen Umschwung der bisherigen Kulturverhältnisse bewirkte: Fortschritte waren nunmehr bedingt vom Hervortreten weltlicher Elemente. Obwohl die Idee der päpstlichen Weltherrschaft bereits unter Innozenz III. scheiterte, gelang es ihm noch, die religiöse und moralische Autorität des Papsttums in politischen Einfluss umzumünzen.76 Doch die errungene politische Herrschaft führte unter ihm und unter seinen Nachfolgern zu einem schleichenden Verlust moralischer Autorität. Nun bestimmten Gegensätze das religiöse und sittliche Empfinden der Zeitgenossen. Dieses Zeitalter bis zum Tod Friedrichs II. überließ der Zukunft eine Menge ungelöster Probleme. Diesbezügliche Lösungsentwürfe erörtert A. Hauck im neunten Buch: »Die Kirche Deutschlands während des beginnenden Sinkens der päpstlichen Macht«. Dass Gregor X. dem Papsttum die vorbehaltlose kirchliche und politi74 Vgl. ebd., 971: »Das elfte Jahrhundert schliesst die alte enge Zeit: neue Kräfte standen auf dem Plan: die ganze Bewegung erweitert, vertieft, kompliziert sich.« 75 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands IV, 107: »Man wird wohl sagen dürfen, dass hier Grundlinien gesunder Bauernmoral gezogen sind, die schier bis auf diesen Tag Geltung haben.« 76 Vgl. ebd., 744: »Aber um das unerreichbare Phantom der Weltherrschaft zu erfassen und festzuhalten, war er zu Handlungen genötigt, deren moralische Verwerflichkeit er selbst erkannte.«

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sche Obergewalt in »Deutschland« sicherte, bezeichnet der Erlanger Kirchenhistoriker als »romantische« Anachronie: »Die Ideen, denen er diente, gehörten einer Zeit an, die im Vergehen begriffen war: päpstliche Weltherrschaft war ein Gedanke, der Gehalt hatte für die Welt, die im Imperium geeinigt war. Aber die Zeit des Imperiums war vorbei, mächtig drängte die Entwickelung dem nationalen Staat entgegen.«77 Unter Ludwig IV. scheiterte dieser päpstliche Universalanspruch an den Rechtsverhältnissen des Reiches. Auch die geistige Entwicklung formte sich an den realistischen Machtverhältnissen: Frömmigkeit, Theologie und Amtsverständnis in »Deutschland« waren durch Anschauungen geprägt, die auf die Institution Kirche und die Machtverhältnisse des Papstes keine Rücksicht mehr nahmen. Als sich diese Niederlage des Papsttums abzeichnete, entspann sich sogleich ein Ringen um die Bestätigung der päpstlichen Ansprüche auf innerkirchliche Führung. Die Folgen dieses päpstlichen Ansinnens führt A. Hauck im zehnten Buch »Deutschland im Kampf des Papsttums um die Behauptung seiner kirchlichen Stellung« aus. Die ersten Auswirkungen lagen auf materialistischem Feld: Die finanzielle Situation erschütterte den Bestand des Papsttums. Die päpstliche Politik hatte nicht erkannt, dass das »deutsche« Volk nicht mehr der päpstlichen Herrschaft unterworfen sein wollte. Als Gefahren, die es in dieser Periode zu überwinden galt, nennt A. Hauck die Auflösung des Kirchenstaates, einhergehend mit dem Verlust weltlicher Besitztümer. Letztlich förderte das päpstliche Schisma die Gleichgültigkeit der Völker gegenüber der kirchlichen Zentralgewalt. Der Gedanke, dass das Papsttum eine für die Kirche belanglose Institution ist, machte sich im Bewusstsein der Kleriker breit; eine Auflösung der Kirche in einzelne Landeskirchen schien denkbar. Daneben zeigte sich eine zunehmende Gefahr für den Bestand des Papsttums: das Wiedererstarken des Episkopalismus und das Hervortreten des Konzilarismus. Die Neuordnung der kirchlichen Verfassung schien unausweichlich. Mit der Schilderung des beginnenden Basler Konzils von 1437 schließt A. Hauck sein Werk aus Altersgründen. Er starb bald darauf. In seiner Werkskizze hatte der Erlanger Kirchenhistoriker einst beabsichtigt, die Kirchengeschichte Deutschlands bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 zu beschreiben. Was hatte ihn dazu veranlasst, dort seinen Schnitt zu setzen? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, sollen seine diesbezüglichen Vorlesungsmanuskripte herangezogen werden. Im 10. Kapitel seiner Vorlesung »Kirchengeschichte seit Beginn der Reformation II« referiert er im dritten Paragraphen über den Religionsfrieden von 1555: Dessen Bedeutung sieht A. Hauck darin, dass hier »die reichsrechtliche Anerkennung des Prot[estantismus] in Deutschland ausgesprochen [wurde] u[nd] zwar für immer, nicht mehr bis zur Konzilsentscheid[un]g. [...] Damit war verhütet, daß die Frucht der Ref[ormation] den evangelisch[en] Ständen 77

A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands V, 63.

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verloren gieng.«78 Da im Nachgang Kaiser Karl V., der die Einheit der Kirche wiederherstellen wollte, aus eigenem Antrieb abdankte, hatte der Augsburger Religionsfrieden die Einheit der Kirche letztlich nachhaltig zerstört. A. Hauck resümiert: »Der Prot[estantismus] blieb eine unüberwindliche Macht in Deutschl[and] u[nd] in der Welt. Die Einheit der K[irche] im röm[ischen] Sinn ist zerstört für immer. Der Rel[igions-] Fr[iede] v[on] 1555 besiegelt den Untergang des M[ittel]A[lters].«79 9.2.2 Begrifflichkeit 9.2.2.1 Kultur A. Hauck verknüpft in seinem Kulturverständnis das Wirken natürlicher Kräfte des menschlichen Geschlechts mit einem, dem christlichen Glauben inneliegenden Gedanken, dass die Gott-Mensch-Beziehung die kulturelle Entwicklung der Menschheit in neue Bahnen lenkt. Die Entfaltung der Kirche steht seiner Meinung nach im Verhältnis zur vorfindlichen Kultur. A. Hauck sieht die Kultur als Voraussetzung für staatliches und kirchliches Leben. Deshalb kritisiert er ein asketisches Mönchtum, das die Kultur als christentumsfeindlich, als Opposition zum Christentum bezeichnet.80 In der Kulturfähigkeit der Völker erkennt A. Hauck die Möglichkeit, Inhalte des Christentums von einer Periode zur nächsten zu übertragen, wenn staatliche und kirchliche Institutionen diese Kontinuität nicht gewährleisten konnten.81 Er versteht das Christentum als eine »Kulturmacht«.82 Ihr eignet eine Entwicklung.83 Unter Kultur verhandelt er die Literatur- und Bildungsgeschichte. Seines Erachtens bewirkt erst eine einheitliche Kultur eine einheitliche Religion, Kirchenverfassung, Rechtsanschauung: Eine solche Einheit gelingt aber nur, wenn sich auch die Kirche als Einheit präsentiert; nationale Eigenarten verhindern demgegenüber die kulturelle Einheit. So sieht A. Hauck in der Kultur ein Kriterium, an dem sich Welt- und Kirchengeschichte sowie Staat und Kirche orientieren müssen. Im 19. Jahrhundert bezeichnete der Begriff Kultur ein »europäisches Selbstbewußtsein, das Bewußtsein, gemeinsam an der Spitze einer umfassenden weltgeschichtlichen Fortschrittsbewegung zu stehen«.84 Er bezog sich auf Lebensbereiche wie Staat und Gesellschaft, Wirtschaft und Technik, Wissenschaft und Kunst, Recht, Religion, Moral. Diese Bereiche wirkten sowohl auf das 78 79 80 81 82 83 84

HUBL‚ Ms 0941 II, »Kirchengeschichte: Reformation II«, Bl. 6f. Ebd., Bl. 7. Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 58 u. 60 u. 81. Vgl. ebd., 133 u. 414f. Ebd., 105. Vgl. ebd., 97 u. 103. Fisch‚ Zivilisation, 740.

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Individuum als auch auf die Gemeinschaft ein. Als gesellschaftlicher und individueller Wert relativierte sie das Verständnis der menschlichen Natur. Kultur wurde als eine geschichtliche, organische Größe verstanden, die mit dem Glauben an einen Fortschritt in der Geschichte korrespondierte.85 Unter Kultur verstand man im 19. Jahrhundert weniger eine nationale Identität, sondern eher ein einheitliches europäisches Selbstbewusstsein.86 Man beschrieb Kultur anhand von Bildungsinhalten und Idealen, später anhand von geschichtlichen Institutionen. Folge dessen war, dass die Kultur nur noch als ein spezieller Lebensbereich wahrgenommen wurde. Um 1900 kam es zu einer Nationalisierung des Kulturbegriffes, sein Plural fand nunmehr Verwendung. Kritik gegenüber dem kulturellen Fortschrittsglauben übten F. Nietzsche und J. Burckhardt, die eine einheitliche Kultur als Telos einer Entwicklung zugunsten der Beschreibung von verschiedenen Kulturen aufgaben. Seit der Spätaufklärung und dem Idealismus gewann der Begriff Kultur an Bedeutung, die Kirche verlor ihr kulturelles Deutungsmonopol: Wenn von Kultur gesprochen wurde, thematisierte man den »Gestaltungsraum menschlichen Handelns«,87 d.i. die Orientierung des Menschen an Zielen, Werten und Ideen. Durch eine kulturelle Entwicklung sollte der Mensch seine sittliche Vervollkommnung und die seiner Welt in Angriff nehmen: »Kultur wird Leitbegriff zur Erschließung all jener Gestaltungsräume, die sich gegenüber der Kirche verselbständigt haben. Die theologische Rezeption des Kulturbegriffs ist von dem Interesse bestimmt, noch einmal eine innere Einheit der sozialen Welt zu erschließen.«88 Bestimmten liberale Theologen das Verhältnis von Staat und Kirche darin, dass christlicher Glaube, indem er die gesellschaftlichen Institutionen durchdringt, zu einem »christlich fundierte[n] Kulturstaat« führt,89 setzten konservative Theologen auf die Institution Kirche mit ihrem Führungsanspruch in sittlichen und ethischen Bereichen der Gesellschaft. R. Rothe konstatierte, dass das Bildungsbürgertum, indem es sich von der Institution Kirche trennte, die wahre Intention des Christentums wahrnahm. Er forderte die Umformung des Staates zum Kulturstaat, das Reich Gottes sollte sich im Staat realisieren. Die Neulutheraner betonten demgegenüber die Bindung des Einzelnen an vorfindliche Institutionen und lehnten dessen Emanzipation von der Kirche ab, weil sie infolge dieser Emanzipation die Auflösung einer allgemeinen Sittlichkeit befürchteten. Ihre sozialethischen Einsichten richteten das Augenmerk auf die soziale Größe Volk als eine sittliche Gemeinschaft. Das neulutherische Kulturideal lag demnach nicht im Nationalstaat, sondern in den einzelnen Volksindividualitäten, die zueinander in Beziehung stehen und ihre Aufgabe 85 Vgl. Rodi‚ Kultur‚ 180, 9–11: »Kultur als Inbegriff einer alles durchdringenden Einheit und Totalität unterliegt dem Gesetz alles Lebendigen, zu wachsen und abzusterben.« 86 Vgl. Fisch‚ Zivilisation, 744. 87 F.W. Graf/Tanner‚ Kultur‚ 187, 30f. 88 Ebd., 188, 6–9. 89 Ebd., 188, 26.

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nicht im Staat, sondern in der Menschheit finden. Ch.E. Luthardt definierte diesen menschlichen Beruf als Kultur, die vom Christentum in die Welt gebracht worden ist.90 Deshalb betonten die Kulturlutheraner die Eigenständigkeit des Christentums gegenüber dem Staat und dessen Institutionen und sahen in der Kirche mit ihren moralischen Ansprüchen die Integrationskraft der Kultur verdeutlicht. J.Ch.K. Hofmann, Ch.E. Luthardt und H.L. Martensen setzten im Gegensatz zu F.J. Stahl auf eine Differenzierung von Staat, Kirche und Kultur: »Die Christlichkeit des Gemeinwesens soll nicht durch direkte Christianisierung der politischen Institutionen gewährleistet werden, sondern durch eine Kirche, die verwurzelt in allen Volksschichten die einzelnen Christen darin stärkt, auf allen Gebieten der Kultur ihren Beruf wahrzunehmen.«91 Ihnen gegenüber etablierte sich unter Führung A. Ritschls und seiner Schüler eine theologische Richtung, die den Protestantismus als personifizierten Kulturfortschritt betrachtete. Alle genannten konservativen Richtungen waren bemüht, die Kultur in ihren Religionsbegriff zu integrieren. A. Hauck betrachtete Kultur unter kulturlutherischen Gesichtspunkten: Die Kultur unterliege der kirchlichen Direktion und sei der Einheitskultur verpflichtet. Er beschreibt, wenn er von Kultur spricht, die sprachlichen, künstlerischen, literarischen, sittlichen und religiösen Zustände eines Volkes. Kultur ist für ihn ein »Fortschrittsideal«,92 das einen universalen Zustand von Individuen und Völkern beschreibt und Voraussetzung des staatlichen und sozialen Lebens ist. Das Christentum ist für ihn sowohl Religion als auch Kulturmacht. Den angelsächsischen Missionar Bonifatius konnte A. Hauck deshalb auch ausgesprochen positiv bewerten, weil dieser sich »alle Kulturelemente der antiken Welt«93 aneignete und deshalb nicht im Gegensatz zur zeitgenössischen Bildung stand. A. Haucks Kulturbegriff bezieht sich auf J.G. Herders geschichtsphilosophische Ansicht, dass die Ideale Bildung und Freiheit, die den normativen Anspruch des Kulturbegriffs bekräftigen, sich auf den Anspruch einer europäischen Humanität beziehen. Eine Sonderstellung der spezifisch deutschen Kultur, wie es der Deutsche Idealismus formulierte und postulierte, bekräftigt A. Hauck nicht. Kultur steht in dessen Geschichtsschreibung für das Resultat des sittlichen und religiösen Fortschritts der Menschheit. Im Gegensatz zu J. Burckhardt, der neben Staat und Religion die Kultur als historische Potenz stellte, die im Verhältnis eines wechselseitigen Bedingens stehen, wobei Staat und Religion universalistisch und stabil veranlagt sind, Kultur aber spontan ohne universale Geltung sich ereignet, nimmt A. Hauck die Universalität von Kultur in Anspruch, zu dem sich Kirche und Staat als einem organischen Werden und Verfallen unterworfene geschichtliche Größen in Beziehung setzen 90 91 92 93

Luthardt‚ Gesammelte Vorträge‚ 158. F.W. Graf/Tanner‚ Kultur, 194, 4–7. Rodi‚ Kultur, 179. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 415.

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müssen. Von F.D.E. Schleiermacher übernahm A. Hauck die Ansicht, dass die Vergeistigung des Natürlichen Grundlage kulturellen Fortschritts ist. A. Hauck vertritt wie die meisten Vertreter des Neuluthertums ein konservatives Kulturkonzept, in dem er zwischen bloßem Fortschritt und sittlichem Fortschritt qualitativ unterscheidet. Die Emanzipation der Kultur von der Kirche korreliert in seinen Augen mit der Auflösung substantieller Sittlichkeit. Demgegenüber betont er die Verbindlichkeit starker Institutionen. Indem er die Vorstellung einer individuellen Gesellschaft ablehnt, schätzt er das Volk als gewachsene sittliche Gemeinschaft ausgesprochen hoch ein. Damit bleibt sein Ideal einer Kulturnation am organischen Zusammenhang der Volksindividualitäten ausgerichtet. Mit Ch.E. Luthardt definiert er Kultur als den allgemein menschlichen Beruf, der über Familie, Volk und Staat hinausgeht. 9.2.2.2 Sittlichkeit und Religiosität Die Urbildlichkeit Christi ist von alleiniger Bedeutung für A. Haucks Sittlichkeits- und Religiositätsbegriff: Sie ist Grundlage dafür, inwieweit sich die Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen in der Geschichte niederschlägt. Religion und Sittlichkeit sind für ihn Elemente im Leben eines Volkes, die die soziale Ebene berühren. Sittlichkeit interpretiert er beispielsweise aus dem Umgang mit Eigentum, aus Selbstsucht, Gewalt, Gewissenhaftigkeit, aus dem Eheverständnis, aus der ökonomischen Lage, Bildung, dem Gerichtswesen, der Rechtsanschauung, aus dem Recht des Fremden, aus dem Verhalten der Kleriker. Religiosität erörtert er exemplarisch aus der Beziehung zum Evangelium, aus dem Verhalten gegenüber Häresie, aus christlichen Gewohnheiten wie Gottesdienstbesuch oder Gebeten, aus dem Bewusstsein von Sündhaftigkeit oder der Unsicherheit des Eigentums, aus dem Glauben an das Wirken Gottes in der Welt, aus dem Vertrauen auf die Verheißungen Christi, aus der Verehrung der Heiligen, aus der Predigt, dem Gesang, der Kirchenzucht. A. Hauck sieht die religiösen und sittlichen Zustände als Folgen menschlicher Handlungen und geschichtlicher Ereignisse: »Der Niederschlag der Thaten und Ereignisse sind die Zustände. Nach ihnen muss man deshalb forschen, wenn man die Ergebnisse der Arbeit einer geschichtlichen Epoche erkennen will.«94 Der Erlanger Kirchenhistoriker definiert die Sittlichkeit demnach als ein humanes Zusammenleben von individuellen historischen Subjekten in der sozialen Formation einer Volksgemeinschaft: Sie umfasst alle Interaktionen und versucht diese zu regeln. Die Interaktionsregeln lassen sich je nach Funktion, Ergebnis und Ortsgebundenheit unterscheiden. A. Hauck wertet die Sittlichkeit der Individuen nach einem als gut anerkannten Ziel: Sein Bewertungsmaßstab ist die »Durchschnittsittlichkeit« der analysierten Periode. Wenn A. Hauck formuliert: »Untrennbar verknüpft mit der Religiösität eines Volkes ist seine Sittlichkeit.«, dann unterscheidet er zwar zwischen dem mora94

A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands II, 649.

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lisch-sittlichen Verhalten von Individuen und dem Transzendenzbezug ihres Lebens und dessen inhaltlicher Bestimmtheit, lässt aber wiederum beide einander bedingen.95 Ein allgemeingültiges Sittengesetz kennt A. Hauck nicht. Religiosität und Sittlichkeit sind seiner Meinung nach geschichtlich bedingte Größen, die sich je nach ihren Umständen entwickeln.96 A. Hauck sieht die Aufgabe der Kirche und des Christentums in der Hebung der sittlichen und religiösen Zustände des Volkes. Neben der Religiosität erwirkt seiner Meinung nach die Kirche über die Bildung eine sittliche Erziehung eines Volkes. Damit sind Religion, Sittlichkeit und Bildung als Grundlagen eines Staates gedacht, der sich in seinem Verhältnis zur Kirche bestimmen muss. Anders gesagt, die Kirche beeinflusst über die Hebung der religiösen und sittlichen Zustände ein Volk und somit einen Staat. Sie strebt nach der Christianisierung der Welt, kann aber ihrer eigenen Säkularisierung nicht widerstehen. Die Kirche sorgt für eine Versittlichung im Sinne der christlichen Religion und verankert diese in Gesetzen, um das zur grundlegenden Freiheit bestimmte Volk in sittliche Schranken zu verweisen. Weil er zwischen Armut und Unsittlichkeit einen direkten Zusammenhang erkennt, fordert er von der Kirche, soziale und materielle Armut zu bekämpfen. A. Hauck sieht den Menschen Gott gegenüber in der Verantwortung. Die Frage nach dem Verhältnis von Sittlichkeit und Religiosität prägte den ethischen Diskurs in der Theologie: Eine theologische Theorie des moralisch-sittlichen Phänomens wird gegenüber den philosophischen, rechtssoziologischen und sozialgeschichtlichen Beiträgen den aus der Erkenntnis ihres Gegenstandes folgenden Sachverhalt kritisch zur Geltung zu bringen haben, daß der Transzendenzbezug des personalen Lebens und dessen inhaltliche Bestimmtheit für die theoretische Zuordnung von Sitte und Sittlichkeit und für die Beurteilung von Gestaltungsmöglichkeiten der Institutionen maßgeblich ist.97

M. Rade analysierte deshalb das Verhältnis zwischen historisch und lebensweltlich bedingter Gestalt von Moral und Sitte und dem universal gültigen Sittengesetz bzw. der Emanzipation überlieferter Bräuche und Gewohnheiten.98 In der Philosophie nach G.W.F. Hegel und J.G. Fichte konnte nicht mehr »zwischen universaler Sittlichkeit und sozio-kultureller oder geschichtlich bedingten Normensystemen unterschieden werden«.99 Damit war die Bahn gebrochen für einen ethischen Relativismus. Dennoch hielten Historiker und Ethiker an der Verbindlichkeit von Normen fest, die für gesellschaftliche und staatliche Institutionen grundlegend waren. Eine Auflösung der Normen wurde als gefährlich angesehen, weil der spürbare gesellschaftliche Wandel damit jede Führung 95

A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 160. Vgl. ebd., 15f: »Die Steigerung der Armuth [...] pflegt Hand in Hand zu gehen mit dem fortschreitendem Verfall der religiösen und sittlichen Grundlagen des Volkslebens.« 97 Stock‚ Sitte, 319, 8–14. 98 Rade‚ Sitte, 400–410. 99 Ilting‚ Sitte, 909. 96

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verlor. Sittlichkeit wurde zu einer Ideologie, deren normative Grundlagen keine Rolle mehr spielten: »Zu dieser Entwicklung trug Hegels Begriff ›Sittlichkeit‹ als der eine Gemeinschaft tragenden und in ihren Institutionen sich ausdrückenden Gesinnung wesentlich bei.«100 Sittlich wurde infolgedessen all das genannt, was das Leben eines Volkes förderte, unsittlich demgegenüber, was diese Gemeinschaft störte. Der historische Relativismus stufte den Begriff Sittlichkeit auf die einheitliche Zusammenfassung aller Lebensäußerungen eines Volkes herab. Damit konnte Sittlichkeit und Kultur synonym verwendet werden. J.G. Droysen hatte alle kulturellen Lebensbereiche und Tätigkeiten eines Volkes als sittlich bezeichnet, wenn sie als Ausdrucksformen einer Gemeinschaft verstanden werden konnten: Sie mussten seiner Meinung nach nicht von gesellschaftlichen Institutionen getragen werden. Damit unterwarf er G.W.F. Hegels Typisierung und Charakterisierung des absoluten Geistes den historischen Bedingungen. Sittlichkeit verstand er vor allem als gemeinschaftliches Handeln: »Die Gemeinsamkeiten, in denen ein einzelner zu dem wird, was er werden und sein soll, nennt Droysen die sittlichen Mächte [Hervorhebung im Original].«101 J.G. Droysen hatte erkannt, dass der Mensch allein im Zusammenleben und im gemeinsamen Wirken seine Fähigkeiten entfalten kann, weil er für die Ausübung seiner Naturanlagen einer einheitlichen Kommunikationssphäre bedarf, in der jeder einzelne Mensch durch Bildung und Erziehung hineinwächst: »Der idealistische Begriff eines gesellschaftlichen Fortschritts in Verbindung mit der Idee der Sittlichkeit [...] ist hier zum Begriff eines universalen kulturellen Fortschritts erweitert.«102 Diese absoluten Fortschritt-Maßstäbe wurden bald von J. Burckhardt bestritten: Als Kultur galt ihm alles, was spontan geschah und nicht universale Geltung zu erstreben beabsichtigte.103 Deshalb konnte für J. Burckhardt auch der Staat ohne sittliches Fundament existieren und auf reinen Rechtssatzungen basieren. Parallel dazu setzte F. Nietzsches radikale Kritik an der traditionellen Sittlichkeit ein. An I. Kant wurde bald kritisiert, dass er das Sittlich-Gute rein deontologisch bestimmt und einen göttlichen Transzendenzbezug damit ausgeschlossen hatte. Ihm wurde entgegnet, dass die geschichtlich tradierte Sitte und deren ethische Relevanz für die konkrete und substantielle Sittlichkeit innerhalb der Institutionen und für die von Erfahrungen abhängigen Individuen eine hohen Wert be100

Ebd. Ebd.‚ 915. 102 Ebd., 916. 103 Vgl. ebd., 917: »Burckhardts Wertschätzung der Kultur, die sich ja auch darin verrät, daß für ihn die eigentliche Geschichte eben Kulturgeschichte ist, stützt sich indes nicht mehr vornehmlich auf den (universalen) Geltungsanspruch des Geistigen (im Sinne von Hegels ›objektivem Geist‹) und Sittlichen. ›Moral‹ ist bei ihm zu einem rein deskriptiven Begriff für den in kulturgeschichtlicher Betrachtung immer schon relativierten Geltungsanspruch eines zeitbedingten Normensystems geworden.« 101

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sitzt. Diese Kritik übte auch F.D.E. Schleiermacher: Er bezeichnete das SittlichGute als das in der Geschichte sittlich Gewordene, beschrieb die Sittlichkeit als das vernunftmäßige Handeln auf die Natur hin und hob damit I. Kants Gegensatz von Naturgeschehen und Freiheitsgeschehen auf.104 R. Rothe, der die Ansätze F.D.E. Schleiermachers fortführte, stellte die Frage nach dem Anfang und dem Grund von Moral im Prozess der Wirklichkeit: Er sah die Selbstbestimmung einer handlungsfähigen Person als moralisches Gut an, weil erst diese personale Moralität das Sittliche im Verhältnis zur materiellen Natur und das Religiöse im Verhältnis zu Gott wahrnehmen kann. Das religiöse höchste Gut sah R. Rothe in der Realisierung des Reiches Gottes. Es gelang ihm, unter dem Begriff der Moralität, der Handlungsfähigkeit eines Subjekts, Religion und Sittlichkeit als Einheit aufzufassen.105 Für F.H.R. Frank lag die freie Selbstbestimmung des Menschen darin, dass der Mensch sich in seiner Glaubensgewissheit als von der Gemeinschaft mit Gott her als existent erkennt. A. Ritschl ergänzte F.D.E. Schleiermacher derart, dass er das Christentum als die vollendete sittliche Religion vorstellte, weil er Erlösung und Reich Gottes als Ziel und Zweck des Christentums erkannte: Religiöse Orientierung und Freiheitsgeschehen sind miteinander verschränkt, Sittlichkeit wird religiös begründet. Auch M. Kähler entwickelte die Komplexität des Sittlichkeitsbegriffs bei F.D.E. Schleiermacher, G.W.F. Hegel und R. Rothe weiter. Auf dem Hintergrund des lutherischen Rechtfertigungsglaubens entfaltete er den formalen Begriff des Sittlichen, den er zwischen den differenten Begriffen Sitte und Sittlichkeit positionierte. Damit unterschied er zwischen technischen, utilitaristischen und ethischen Regeln des menschlichen Zusammenlebens. Seine Individualethik, die sich auch in sozialen Institution ausdrückte, brachte das christliche Ethos der Urbildlichkeit Christi zur Geltung: Folglich war durch Christus die sittliche Weltordnung im Gewissen des Einzelnen erschlossen. 9.2.2.3 Christentum Wenn A. Hauck vom Christentum spricht, meint er die Gesamtheit derjenigen, die den christlichen Glauben öffentlich bekennen. Christentum definiert er als 104 Vgl. Stock‚ Sitte, 322, 12–17: »Die Idee der Sittlichkeit bezeichnet also den aus fundamentalanthropologischen bzw. sozialtheoretischen Grundannahmen entwickelten Begriff des ›Höchsten Gutes‹. Die fundamentalethische (spekulative) Reflexion zeigt auf, daß dessen – aus dem Begriff der christlichen Frömmigkeit gewonnene – inhaltliche Bestimmtheit für den Vollzug der einzelnen Handlung ebenso wie für die ethische Reflexion konstitutive Bedeutung hat.« 105 Vgl. ebd., 323, 15–23: »Schleiermacher, Hegel und Rothe hatten somit in der Auseinandersetzung mit Kants Moralitätskonzept unter differenten ontologischen Prämissen einen Begriff von Sittlichkeit entwickelt, der auf dem Boden eines Begriffs des Offenbar-Werdens des transzendenten Grundes oder des Absoluten den ethischen Prozeß als Realisierung der Freiheit in verschiedenen, keinesfalls ausschließlich politisch-rechtlichen Formen ihrer tatsächlichen Geregeltheit beschreibt. Am deutlichsten hob der theologische Ethiker Schleiermacher hervor, daß auch das Ensemble der sozialen Institutionen ein Gegenstand der sittlichen Gestaltungsaufgabe sei, die ihren Impuls in der regelmäßigen Vergewisserung des Glaubensgrundes erfährt [Hervorhebung im Original].«

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eine göttliche Schöpfung, die religiöse Bedürfnisse durch göttliche Heilstaten befriedigt.106 Ihr eigne die »Macht des christlichen Gedanken«:107 Exemplarisch nimmt ein Volk zunächst diesen »christlichen Gedanken« an und wächst dann in die geschichtlich bedingte Struktur der Institution Kirche hinein. A. Hauck hält fest, dass das Christentum weniger als verfasste Größe, mehr als eigenständige Bewegung die Institution Staat infiltriert. Der Erlanger Kirchenhistoriker entdeckt im Christentum eine kulturelle Macht,108 die sich auf die Sittlichkeit auswirkt, der ethische Werte und absolute Anschauungen im Gott-Mensch-Verhältnis eignen. Sie unterliegt seiner Interpretation nach geschichtlichen Bedingungen und ist eine historisch wandelbare Größe: Dennoch zeitigt ihr weder ein kontinuierlicher Verfall noch eine konstante Höherentwicklung. Mit F.D.E. Schleiermacher bestimmt A. Hauck das Christentum als eine Glaubensweise, die auf die Erlösung durch Jesus Christus baut. Dieses spezifisch Religiöse, das von A. Hauck als Gottesbewusstsein verstanden werden will, hat demnach seinen anthropologischen Ort im menschlichen Gefühl. Wie F.D.E. Schleiermacher nimmt er im Begriff des Religiösen Verstand und Willen einer Person auf: F.D.E. Schleiermacher hatte dabei vorausgesetzt, dass die zum christlichen Glauben Bekehrten in einem organisierten Aufeinander- und Miteinanderwirken zusammentreten müssen; Kirche findet er dort, wo die Gläubigen in ihrem Gottesbewusstsein, das durch das Gottesbewusstsein Christi hervorgerufen wurde, eine Gemeinschaft bilden. Wie I. Kant hatte F.D.E. Schleiermacher also Religion als etwas »Geselliges« verstanden, dieses jedoch im Unterschied zu I. Kant nicht moralisch-vorbildhaft, sondern wesenhaft-urbildlich gedeutet. Kirche und Christentum werden zu öffentlichen und damit den geschichtlichen Verhältnissen unterworfene Größen. A. Hauck eignet sich diesen Kirchenbegriff F.D.E. Schleiermachers an, der die äußere Kirche organisch dem Geistigen des Menschen zugeordnet hatte. Er stützt sich mit F.D.E. Schleiermacher auf den doppelten Kirchenbegriff, dass die äußere Gemeinschaft der Christen auf ihre innere wesentliche Gemeinschaft hingeordnet und dynamisch verbunden ist. Mit F.D.E. Schleiermacher billigte A. Hauck dem Christentum einen kulturellen Charakter zu, weil es in die Gesellschaft hineinwirkt: So wird die Kultur vom Geist Gottes und vom Geist Christi geprägt. Letztes Ziel der Kirche ist dann, alles »Kulturelle in seinen religiösen christlichen Grund heimzuführen«.109 Christlicher Glaube ist für A. Hauck eine religiöse Überzeugung unter vielen. Deshalb befragt er diese Überzeugungen insbesondere in Bezug auf ihre Stellung zur Person Christi. 106 107 108 109

Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte, 736. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 20. Vgl. ebd., 105. Kühn‚ Kirche‚ 269, 21.

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9.2.2.4 Kirche und Staat A. Hauck definiert Kirche als Institution, die sich als Gegenüber zum Staat – als ordnungspolitische Konkurrenz – konstituiert. Indem aber der Staat der Kirche einen rechtlich verfassten Lebensraum gewährt, ist sie abhängig von der staatlichen Verfassung: Dennoch kann sie als eigenständige historische Größe gesellschaftliche und staatliche Entwicklungen überdauern.110 Den geschichtlichen Fortschritt treiben Staat und Kirche, so A. Hauck, als die beiden ordnungsstiftenden Institutionen voran. Prinzipiell stehen sich beide nicht feindlich gesinnt gegenüber,111 auch wenn sich ihre Rechtsvorstellungen widersprechen sollten. Der direkten Verknüpfung von Staat und Kirche steht er ablehnend gegenüber.112 A. Hauck interpretiert Kirche als Organismus, der sich neben seiner Verfassung mittels des Wortes Gottes bzw. der kirchlichen Lehre konstituiert. Er organisiert die Gemeinschaft der Christen hierarchisch. Der Erlanger Kirchenhistoriker differenziert innerhalb der Kirche vielgestaltige Kirchentümer, die sich nach ihrer kirchlichen Verfassung, Struktur und Lehre sowie Kirchenzucht unterscheiden. Seiner Meinung nach vermitteln kirchliche Einrichtungen dem Volk vornehmlich Bildungsinhalte, mit deren Hilfe sie auf die Religiosität und Sittlichkeit der Gesellschaft einwirken. Der Institution Kirche können sich nach Ansicht A. Haucks Menschen anschließen, ohne den christlichen Glauben mit allen seinen Konsequenzen anzunehmen: Ausreichend sei das Bekenntnis zu Christus als dem Erlöser. Dieser persönliche Glaube beeinflusst wiederum die religiöse Überzeugung innerhalb der Kirche: Deshalb treten vielgestaltige Tendenzen im kirchlichen Glaubensleben auf, es kann innerkirchliche Oppositionsformen geben. Als Instanz, die den christlichen Glauben bewahrt und fördert, wird die Kirche zum Gewissen des Volkes. Sie versteht sich als Dienstleister eines Volkes, der zur »Kräftigung des religiösen Bewusstseins«113 beiträgt und seine Überzeugungen expansiv verkündigt. Auch den Staat definiert A. Hauck als Institution, die auf das Volk einwirkt und es mit seinen verfassungsrechtlichen Ordnungen schützt. In einem Staat wohnen Völker bzw. Nationen zusammen, sie bilden ein Staatsvolk. Der Staat muss sich mit dem Christentum bzw. mit der Kirche auseinandersetzen. Nach Ansicht A. Haucks entwickelt sich demnach ein Staat, wenn er an der Lösung seiner Aufgaben arbeitet.114 Unter die Voraussetzungen des staatlichen und 110 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 127: »[...] die Kirche war die einzige Institution, welche die grosse Umwandlung aller Zustände unverändert überdauert hatte [...].« 111 Vgl. ebd., 158: »Nicht die Worte Staat und Kirche, wol aber die Worte Kaiser und Papst bezeichnen einen unversöhnlichen Gegensatz.« 112 Vgl. ebd., 355: »Die Kirche aber ist nie übler berathen, als wenn ihre Leiter die Rolle von Fürsten spielen; so waren auch hier die Folgen die verderblichsten.« 113 Ebd., 295. 114 Vgl. ebd., 125.

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sozialen Zusammenlebens zählt der Erlanger Kirchenhistoriker die Kultur und die Gesetze: Seiner Meinung nach bedingen sich Staat und Christentum in ihren Rechtsanschauungen.115 Letztlich ist der Staat für A. Haucks Geschichtsschreibung deshalb so interessant, weil er der Träger politischer Gewalt ist, die allein Recht durchsetzen kann. Hierbei übernimmt A. Hauck die rechtstheoretische Anschauung des rechtlich verfassten Machtstaates, die den Zwangscharakter von Staat und Recht hervorhebt: Der Staat setzt soziale Regeln als Recht durch.116 Seine Betrachtung von Kirche und Staat und deren Verhältnis zueinander basiert damit vornehmlich auf modifizierten Ansichten F.J. Stahls, die von einer anstaltlichen Konstruktion der Kirche ausgehen und deren Eigenständigkeit gegenüber dem Staat betonen.117 F.J. Stahl verwarf wie F.D.E. Schleiermacher hinsichtlich der Begründung von Gemeinschaft alle naturrechtlich-rationalistischen Vertragskonstruktionen: »Die Kommensurabilität von Staat und sichtbarer Kirche ist ihm [F.J. Stahl, M. T.] vielmehr zutiefst in ihrer Seinsweise begründet.«118 Er sah Funktion und Wesen von Kirche und Staat auf das ethische Verhalten von Menschen bezogen, das sich schöpferisch bestimmt. A. Hauck übernimmt diese Vorstellung der Persönlichkeit als »charakteristischen Zentralbegriff des Stahlschen Gemeinschaftsdenkens«.119 F.J. Stahl unterschied zudem zwischen »sittlichem Reich« und Organismus: Der Organismus besteht aufgrund seiner Totalität, die sich auf die einzelnen Glieder auswirkt; das »sittliche Reich« ist demgegenüber eine Sammlung gleichartiger, selbständiger Existenzen.120 In dessen Folge deutet A. Hauck Staat und sichtbare Kirche als »sittliches Reich«, das Wesen der Kirche aber als abgeschlossenen Organismus. Seines Erachtens kann die Kirche daher die staatliche Hoheitsgewalt in ihren Dienst nehmen, um polizeiliche Sanktionen durchzusetzen.121 Hinsichtlich dieser Verknüpfung von Recht und Ethik stehen 115

Vgl. ebd., 105. Vgl. Heverkate‚ Staat‚ 88. 117 Zum Kirchenverständnis von F.J. Stahl vgl. Link, Grundlagen‚ 63–85. 118 Ebd., 64. 119 Ebd., 65. 120 Vgl. ebd., 68: »Daher findet der Staat seinen letzten Zweck nicht in sich selbst, sondern trägt das – wenn auch verwischte – Siegel göttlicher Herrschaft in sich. Er ist göttliche Institution. [...] Gott hat vielmehr seinen Ordnungswillen gnädig in einer Anstalt gleichsam objektiviert, aber doch so, daß diese sich in sündigen Menschen realisiert, in ihnen Gestalt und Autorität gewinnt. So ist Gottes unmittelbare Herrschaft durch eine mittelbare in seinen Institutionen ersetzt.« Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 111: »Konstantins Uebertritt bezeichnete des Ende des grossen Kampfs, den der römische Staat gegen das Christenthum führte, den Beginn der Zeit, in welcher die Entwickelung der Welt durch das Zusammenwirken des staatlichen und kirchlichen Elements bedingt war.« 121 Vgl. Link‚ Grundlagen, 73: »Von Stahls Verständnis des ius divinum führt eine gerade Linie zu seinem Kirchenbegriff, ja jenes gewinnt in diesem erst seine eigentliche zentrale Bedeutung. Ist die vornehmste Aufgabe des Staates die ›Vollendung des menschlichen Zustandes in ihm selbst‹, so steht der von der Religion umfaßte Raum zunächst unvermittelt daneben, denn in ihm geht es um ›die Einigung der Menschen mit Gott und ein jenseitiges Leben‹.« 116

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F.J. Stahl und A. Hauck in der Gefolgschaft der historischen Schule der Rechtswissenschaft.122 In den Deutungsversuchen F.J. Stahls und A. Haucks beziehen sich Staat und Kirche auf die Verwirklichung des Reiches Gottes in der Welt, wobei A. Hauck im Gegenüber zu F.J. Stahl dessen Vollendung außerhalb der Geschichte sieht. Beide interpretieren Kirche als Leib Christi, Christen als Gemeinde des Heils: Bleibt die Kirche als Leib Christi unsichtbar, so wird sie als Institution durch Bekenntnis und Verfassung sichtbar, »unabhängig von der wirklichen Gotterfülltheit ihrer Mitglieder«.123 Indem A. Hauck F.J. Stahls empirischen Kirchenbegriff124 übernimmt und in der Folge A. Harnacks den Staat als »Träger der aus der Schöpferliebe Gottes fließenden Ordnungsaufgabe«125 betrachtet, sieht er Kirche und Staat, die ihre Autonomie gegenseitig anerkennen, im Doppelverhältnis von Trennung und Zuordnung stehen. A. Hauck modifiziert F.J. Stahls Vorstellung vom christlichen Staat126 anhand der Äußerungen A. Scheurls, A. Harleß’ und Ch.E. Luthardts. Letztere lehnten die Gegenüberstellung des staatlichen und des kirchlichen Bereiches, wie sie J.Ch.K. Hofmann vornahm, ab und sprachen sich für eine Korrelation der Gebiete Schöpfung und Erlösung aus: sie hofften auf eine »›Durchdringung‹ der natürlichen Ordnungen durch das positive Christentum«.127 Ch.E. Luthardt konstatierte, dass die natürlichen Ordnungen ihr Wesen erst dann offenbaren, wenn sie von christlichen Prinzipien durchdrungen werden,128 und

122 Vgl. Jähnichen‚ Stahl, 108, 31–39: »Im Blick auf den Staat, den er als ›göttliche Institution‹ [...] verstand, betonte Stahl die Unablösbarkeit der öffentlichen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung von den Prinzipien christlicher Lebensführung, Erziehung und von dem Zeugnis der christlichen Religion selbst. Das von Stahl geprägte Leitbild des ›christlichen Staates‹ steht somit für den unverzichtbaren Beitrag des Christentums zur Versittlichung des öffentlichen Lebens.« 123 Link‚ Grundlagen, 74. 124 Vgl. ebd., 75: »Nur so wird es Stahl möglich, die Verfassung, d.h. das menschlichorganisatorische Kirchenrecht zu einem konstitutiven Faktor zu erheben. Dieses Verfahren erscheint vom Standpunkt Stahls aus nicht ungewöhnlich, partizipiert doch die Kirche trotzdem als personifiziertes sittliches Reich an der Persönlichkeit Gottes. [...] Sie ist damit – wie der Staat – zugleich Werkzeug der mittelbaren Herrschaft Gottes in seinen Einrichtungen über die gefallene Welt im Rahmen der heilsökonomischen Kompetenzverteilung.« 125 Ebd., 246. 126 Grundlegend für F.J. Stahls Vorstellung vom christlichen Staat war seine Differenzierung von Christentum und Kirche. Den Staat deutete er als zeitlich begrenzte Gesellschaftsform, die Kirche als »ewiges Reich«, vgl. Rieske-Braun, Zwei-Bereiche-Lehre‚ 62: »So ergänzen sich Staat und Kirche bei der Erhaltung einer christlichen Sittlichkeit im öffentlichen Leben. Es ist deutlich, daß der Skopus in dieser Stahl’schen Verhältnisbestimmung auf die umfassende Geltung des Christentums in den öffentlichen Verhältnissen abzielt. Zugleich begründet Stahl jedoch das Recht der evangelischen Kirche auf Selbständigkeit sowie ihren Anspruch auf Schutz und Förderung durch den Staat und zeigt damit ein Bewußtsein für die Notwendigkeit einer Unterscheidung der ›Sphären‹.« 127 Ebd., 132. 128 Vgl. ebd., 148: »Dieser als gute Schöpfungsordnung Gottes charakterisierten Welt trete die christliche Wirklichkeit nach Gottes Willen nicht spröde gegenüber, sondern versuche diese mit dem erneuernden Geist des Christentums zu durchdringen.«

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dass allein das Christentum den Zustand wahrer Sittlichkeit garantiert.129 Die Abweisung ethischer Indifferenz im Staatswesen gelang ihm, weil er die Christlichkeit eines Volkes zur Grundlage seines Staatsverständnisses machte. Indem er das Kulturleben positiv akzentuierte, erweiterte er die Anschauungen A. Harleß’. Hatte F.J. Stahl das Staat-Kirche-Verhältnis rechtsphilosophisch begründet, so versuchte A. Harleß eine ethische Standortbestimmung: »Das Christentum bestätigt und affirmiert die schöpfungsmäßigen Lebensordnungen, sofern es sie mit dem ›Geist des Christentums‹ nicht aufhebt oder nivelliert, sondern ihrer Pervertierung durch die Sünde wehrt, indem es sie ›durchdringt‹.«130 Ein Christ lebt nach Anschauung A. Harleß’ damit in zwei Reichen. Der Mangel, das Kulturleben nicht berücksichtigt zu haben, lag bei ihm darin begründet, dass er den christlichen Glauben vor allem als individuelle Wiedergeburtserfahrung beschrieb.131 Er interpretierte wie F.J. Stahl Staat und Kirche als Schöpfungsordnungen Gottes und erkannte, dass [...] eine selbständige Kirche, die ihre rechtliche und materielle Absicherung vom Staat empfange, [...] für den Bestand desselben unverzichtbar [sei], weil nur aus ihr dem Staate die lebensnotwendigen sittlichen Kräfte zuströmen, die aus der ›christlichen Gesinnung‹ erwachsen und die schädlichen revolutionären Geisteshaltungen abwehren können.132

Diese christliche Gesinnung verortete A. Scheurl im Volk, der Staat musste seines Erachtens auf die Gesinnung des Volkes Rücksicht nehmen. Er modifizierte das Stahlsche Konstrukt der unmittelbaren Verknüpfung von Religion und Staat mit der Anschauung, dass der Staat letztlich durch seine Bürger bzw. Individuen konstituiert wird, die sich zu sittlichen Gemeinschaften zusammenschließen.133 Seine doppelte Begriffsbestimmung von Kirche – zum einen die wahre, universale Kirche, zum anderen die rechtlich-institutionalisierte Kirche – ermöglichte es ihm, zwischen Bekenntnis- und Landeskirche zu unterscheiden. Auf dem Verständnis der Landeskirche baute er die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat auf. Hinzu nahm er F.K. Savignys rechtshistorisches Postulat, dass der Volksgeist, die gemeinsame Überzeugung der Volksangehörigen, Bedeutung für Rechtssetzungen hat. 129

Vgl. ebd., 159: »Die ›Durchdringung‹, die sich Luthardt vom Evangelium erhoffte, machte also vor staatlichen Gesetzen nicht Halt. Ebenso sollte dessen erneuernde Macht – und hier folgte Luthardt seinem Lehrer Hofmann – sich nicht nur auf die Schöpfungsordnungen Haus und Staat erstrecken, sondern auch auf den Bereich des gesamten Kultur- und Gesellschaftslebens.« 130 Ebd., 69. 131 Vgl. ebd., 79: »Während Stahl das Christentum als politische Basis für die Gestaltung der öffentlichen Verhältnisse verwenden wollte, entsprach es dem Ansatz der Harleß’schen Erfahrungstheologie, daß es für ihn keine christlichen Verhältnisse, sondern nur ›christliche Seelen‹ geben konnte.« 132 Ebd., 80. 133 Vgl. Stumpf‚ Kirchenrecht, 233: »In seiner Anbindung der Religiosität bzw. Christlichkeit eines Staates an das Volksbewußtsein erwies sich Scheurl als treuer Anhänger der geschichtlichen Rechtswissenschaft.«

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Da in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an die Stelle des sittlichen Staates die Realpolitik trat134 und das Wesen des Staates vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Machtausübung gesehen wurde, behauptete A. Scheurl gegen F.J. Stahl, dass dem Staat keine unmittelbare Beziehung zum Christentum eignen kann: »Aus diesem Grund wollte er [A. Scheurl, M. T.] der christlichen Bestimmung einen Einfluß auf das Staatswesen nur vermittelt über die christlichen Vorstellungen des Staatsvolkes zubilligen.«135 Da A. Hauck in seiner kirchlichen Historiographie die Kirche als verfasste Institution charakterisiert, muss er nicht zwischen dem kirchlichen Amt der Wort- und Sakramentsverwaltung und dem Amtstum, der Leitung einer konkret verfassten Kirche, differenzieren, um mit den Erlanger Theologen und ihrem Kirchenbegriff übereinzustimmen. Als neulutherisch kann seine Ansicht bezeichnet werden, dass die Kirche eine sichtbare Anstalt ist, in der Wort und Sakrament durch das Amt verwaltet werden. Indem er die verfassten Kirchen gegenüber der wahren Kirche aber als geschichtlich bedingte, sichtbare Größen interpretiert, wirken neuprotestantische Einflüsse auf diese neulutherische Kirchentheorie ein. A. Hauck verteidigt letztlich einen Kirchenbegriff, der die Kontinuität zwischen Christentum und Kultur bzw. Gesellschaft zulässt. Der Erlanger Kirchenhistoriker wendet sich, indem er R. Rothes Vorstellung einer im Staat »aufgehenden« Kirche und ein über die Kirche hinausgehendes Christentum verwirft, den Gedanken A. Ritschls, die F.D.E. Schleiermachers Kirchenidee kontinuierlich fortführen, zu. A. Ritschl interpretierte die Kirche als Organisationsform des Christentums dahingehend, dass in ihr rechtliche Verfasstheit und Ethik in direkter Beziehung zueinander stehen: Die staatliche Rechtsordnung müsse zwar ›an sich gleichgültig‹ gegenüber der religiössittlichen Praxis des Christentums bleiben, es sei aber von einer ›notwendigen Wechselbeziehung‹ auszugehen, da die christlich gebotene Förderung der staatlichen Rechtsgewalt und das staatliche Interesse an der ›Erziehung eines christlichen Volkes zur Humanität‹ konvergieren [...].136

A. Hauck ist demnach wie A. Ritschl an der Kirche in institutionentheoretischer Hinsicht interessiert.137 Hierbei unterschied A. Ritschl zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche, ließ beide aber einander bedingen. Seiner Meinung nach verwirklichte sich die sichtbare Kirche unter sozio-kulturellen Begebenheiten: Er verstand deshalb Kirche als »sittliche Lebensgemeinschaft«. Dieses christliche Gesamtleben betrachtete er nicht wie F.D.E. Schleiermacher geschichtsphilosphisch, sondern unter pädagogischen Gesichtspunkten: religiöse Bildung, sittliche Bildung, 134 Vgl. Honecker‚ Staat‚ 37, 7–9: »Der staatsrechtliche Positivismus verzichtete auf jede ethische Bewertung (und sittliche Legitimation) des Staates.« 135 Stumpf‚ Kirchenrecht, 203. 136 Baruzzi‚ Recht, 237, 23–27. 137 Vgl. Scheliha, Protestantismus, 78.

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Kirchenzucht.138 Kirche war demnach für ihn eine historische Größe mit dem Auftrag der religiös-ethischen Bildung des Volkes.139 Später hatte A. Ritschl die unsichtbaren Merkmale der Kirche sozialphilosophisch transzendiert, »um das [...] ethische Defizit des reformatorischen Heilsindividualismus auszugleichen«.140 Der Reich-Gottes-Begriff erhielt zwar von ihm eine normative Funktion, das Reich Gottes konnte aber seines Erachtens innerweltlich nicht verwirklicht werden: »Das Reich Gottes repräsentiert also diejenige Form von Vergemeinschaftung, in der im Rechtfertigungsgeschehen die von Gott geheiligten einzelnen in Liebe aufeinander bezogen sind.«141 Im Reich-Gottes-Begriff unterschied er den religiösen vom ethischen Gesichtspunkt, wie schon in seinem Kirchenbegriff. Mit den Begriffen Kirche und Reich Gottes benannte er zwei Aspekte christlicher Sozialphilosophie: Das Reich Gottes definierte er als metahistorische Größe auf der Grundlage religiös-sittlicher Bestimmung der Menschen mit normativem Anspruch, die Kirche als Institution menschlicher Religionsausübung mit ethisch-rechtlichem Anspruch.142 Deshalb leitete A. Ritschl die Entwicklung der Geschichte von der Entwicklung des Rechts ab und identifizierte das Reich Gottes mit dem Telos der sittlichen Bestimmung der Menschheit. 9.2.2.5 Volk, Nation, Deutschland Um 1800 wird im deutschen Sprachgebrauch der Begriff Volk politisch konnotiert: »Volk wird zum politischen Leitbegriff. Er beansprucht eine politischsoziale, geschichtliche und sittlich-religiöse Letztinstanz. Der Gegner der nationalen Identität eines Volkes ist der Internationalismus, die Offenheit für andere Völker, Nationen (und Rassen).«143 Ihm wohnen zwei Relationen inne: die Oben-Unten-Beziehung (hierarchische Ordnung) sowie die Innen-AußenBeziehung (Verhältnisbestimmung der Volkszugehörigkeiten untereinander). Als Gegenpart zu I. Kant, der jeden Nationalstolz verwarf, legte J.G. Fichte Wert auf die universale Orientierung nationalen Selbstbewusstseins. J.G. Fichte prononcierte die Idee, dass das deutsche Volk die Aufgabe hat, eine sittliche Weltordnung zu gewährleisten. Während der napoleonischen Befreiungskriege 138

Vgl. ebd., 86. Vgl. ebd., 90: »Der Begriff des Rechtes spezifiziert die ethische Deutung der Kirche. Das Recht ordnet die auf Dauer gestellten, auf einen bestimmten religiösen Zweck gerichteten Vollzüge sittlicher Selbsttätigkeit der Menschen.« 140 Ebd., 91. 141 Ebd. 142 Vgl. ebd., 93: »Einmal ist die ethisch-rechtliche Kultgemeinschaft (›Kirche‹) das kulturelle Introduktionsmedium für die Realisierung des Reiches Gottes. Dieses repräsentiert die ideale Zielbestimmtheit dieser Welt, die durch das religiöse Bewußtsein der Christen und ihr dadurch mögliches sittliches Wirken innerweltlich verwirklicht wird. [...] Umgekehrt dient der Gedanke des Reiches Gottes der Kirche dazu, ihre ethische Erscheinungsform dem religiösen Zweck zu unterstellen und daran auszurichten.« 143 Honecker‚ Volk‚ 194, 25–27. 139

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überhöhten F.D.E. Schleiermacher und E.M. Arndt diesen Selbstbehauptungswillen des deutschen Volkes religiös, nach den Kriegen intensivierte sich die Suche nationaler Identität. Ihre Kehrseite lag in der Ausgrenzung fremder Völker. J.G. Herder, der die Vielfalt der Völker mit ihren Eigenheiten heraushob, gebrauchte die Begriffe Volk und Nation parallel und verstand jedes Volk als eine organische Einheit, spezifiziert nach ihrem Wesen. Hierbei wandte er sein Interesse vornehmlich sprachgeschichtlichen Untersuchungen zu. Im Deutungsmuster A. Haucks konstituiert sich ein Volk bzw. eine Nation durch Sprache und Abstammung.144 Unter Volkstum versteht A. Hauck die rechtliche Organisation eines Volkes. Mit Volk bezeichnet er eine spezifische Gemeinschaft, von der sich ein Einzelner lossagen kann. Als Gegenüber zu den Machthabern eignet einem Volk Gewalt. Weil es »geistige Energie«145 besitzt, kann ein Volk zu einem Kulturvolk werden, das sich anhand von Literatur, Bildung, Rechtsbewusstein, Humanität u.a. auszeichnet. Die jeweilige Volksstruktur wirkt sich auf die Institution der Kirche aus. Die Kirche kann Träger von nationalen Gedanken werden.146 Kirchliches Handeln bezieht sich auf das Volk und versucht, dessen Sittlichkeit und Religiosität zu heben.147 In Bezug auf Sittlichkeit und Religiosität kann A. Haucks Interpretation nach ein Volk »wachsen« oder »verfallen«: Daher sind Religiosität und Sittlichkeit diejenigen Maßstäbe, die das Wachstum und den Verfall eines Volkes aufweisen können.148 A. Hauck kann sowohl ein Volk als auch eine Nation als deutsch näherbestimmen. Mittels der Begriffe Deutschland und deutsch charakterisiert er Sprache, Eigenart und geographisches Gebiet. Er gebraucht die Begriffe Volk und Nation synonym.149 Mit Volk bezeichnet er in Anlehnung an J.G. Herder nicht eine Gruppe oder Schicht einer Nation, sondern die Nation selbst. Für ihn sind beide Begriffe politisch-soziale Gruppenbezeichnungen. Er wendet den Begriff deutsches Volk ethnogenetisch auf die Sprach- und Stammeszugehörigkeit an. Seiner Ansicht nach spielt die Religion eine nicht unwesentliche Rolle in der Identitätsfindung eines Volkes. A. Hauck unterscheidet die Völker ihrem Wesen nach und skaliert sie nach ihrer Sittlichkeit. Er erweist sich dennoch als ein Vertreter des Internationalismus, da er fremde Völker und Nationen mit einer gewissen Offenheit be144 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 12: »Denn an nichts hält ein Volk so zähe fest als an seiner Sprache: es mag seine Religion ändern, seine Selbstständigkeit einbüssen, selbst sein Nationalgefühl verlieren und für ein fremdes Land patriotisch empfinden: die Sprache überdauert alle diese Verluste, erst als das Letzte wird auch sie verloren.« 145 Ebd., 16 u. 24. 146 Vgl. ebd., 13. 147 Vgl. ebd., 228 u. 240. 148 Vgl. ebd., 63 u. 74f. 149 Vgl. ebd., 354: »Das fränkische Reich war nicht ein nationaler Staat: zwei Völker, Deutsche und Romanen, waren in ihm vereinigt: [...].«

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schreibt: So wird die gemeinsame Kirchenzugehörigkeit zu einem verbindenden Element zweier Nationen. Letztlich charakterisiert A. Hauck das Volk als Gegenüber zu Kirche und Staat: Es ist der historische Gegenstand, auf den sich die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche auswirkt. Wie L. Ranke interpretiert er das Volk als Träger politischer und kirchlicher Entwicklung. Tritt zwar das Volk in seiner Beziehung zu Kirche und Staat stets als Bevölkerung in Erscheinung, so besitzt die Nation demgegenüber als kollektive Persönlichkeit die Qualität eines sozialen Gebildes.150 Einem konservativen Volks- und Nationenbegriff verpflichtet, betrachtet A. Hauck demzufolge das Volk als historisch gewachsenen und lebendigen sozialen Organismus. 9.2.2.6 Entwicklung und Fortschritt Mit dem Begriff Entwicklung beschreibt A. Hauck eine unumkehrbare Veränderung in der Geschichte,151 der eine Gesetzlichkeit eignet. Jeder Entwicklung liegt seines Erachtens der Geist Gottes zugrunde. Den Begriff Entwicklung gebraucht A. Hauck vornehmlich, um Einzelheiten in eine zusammenhängende Darstellung einzupassen, um eine Kontinuität in Prozessen herauszuarbeiten, um Auswirkungen zu vergleichen.152 Mit dem Anspruch, eine Entwicklung aufzuzeigen, schildert er Entstehung und Verfall von Sachen oder Ideen. In Anlehnung an Impulse der Romantik lehnt A. Hauck mit Hilfe des Entwicklungsgedankens Revolutionen als diskontinuierliche Elemente ab. Im Umkreis des Entwicklungsbegriffes positionierte er Hilfsbegriffe.153 F.K. Savigny hatte als Vertreter des Historismus die Geschichte als den Bereich eines überindividuellen Wachsens und Vergehens charakterisiert, dem kein spezielles Ziel eignet bzw. der einem universellen Plan folgt. Indem A. Hauck aber mit J.G. Herder prononciert, dass neben allgemeinen und speziellen Verhältnissen auch Personen zu Trägern von Entwicklungen werden können,154 150

Vgl. Schönemann‚ Volk, 343. Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 112: »Die geschichtliche Entwickelung der europäischen Welt wurde durch das Eintreten der Deutschen nicht abgebrochen, sondern diese erkannten den Ertrag derselben bereitwillig an; sie fühlten sich als neue Arbeiter an einem alten Werke.« 152 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands III, 320: »Die Folge war, dass, was früher Begeisterung erregt hatte, jetzt schaal und leer schien. Konnte dann aber die Institution, in der die erstorbenen Gedanken sich verkörpert hatten, unverändert ihr Leben bewahren? Es war unmöglich.« 153 Vgl. Wieland‚ Entwicklung, 225: »Sie haben ähnliche Funktionen wie der Entwicklungsbegriff und vermögen den mit ihm gemeinten Sachverhalt auf unterschiedliche Weise zu akzentuieren. So beruft man sich gerne auf objektiv gegebene ›Trends‹, ›Triebkräfte‹, ›Strömungen‹ oder ›Tendenzen‹, in denen man dann das Wesen der historischen, politischen und sozialen Wirklichkeit sieht und nach denen man sein Handeln ausrichtet. [...] Gleichwohl drückt sich in der Verwendung solcher Wörter regelmäßig ein Geschichtsverständnis aus, für das die grundsätzlich immer in Bewegung befindliche politisch-soziale Welt durch derartige überpersönliche Kräfte gelenkt wird.« 154 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 465: »Die allgemeinen Verhältnisse greifen hier in die Entwickelung der deutschen ein.«; vgl. ebd., 545: »Pippin leitete die Entwickelung, Bonifatius liess sich durch sie führen.« 151

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modifiziert er F.K. Savignys metaphysische Voraussetzung von Entwicklungen (Volksgeist, Tendenzen)155 anhand der Ansicht, dass Entwicklungen nicht nur quietistisch zu erdulden sind, sondern auch aktiv mitgestaltet werden können. Das Verständnis eines aktiven Mitgestaltens von Entwicklungen übernimmt A. Hauck aus der Gedankenwelt des Altliberalismus.156 Es zeigt sich, dass A. Hauck dem Entwicklungbegriff Funktionen eines Fortschrittbegriffes überträgt, wie es um die Mitte des 19. Jahrhunderts allgemein üblich war.157 Gerade der Konservatismus konnte mit dem Entwicklungsbegriff revolutionären Ideen entgegnen und diese entschärfen, indem zwar die Notwendigkeit von Wandel und Veränderung nicht bestritten, sondern sogar akzeptiert wurden, diesen aber erhaltende Funktionen zugeschrieben werden. In seiner Kirchengeschichtsschreibung interessiert sich A. Hauck für Fortschritte auf kirchlichem Gebiet.158 Er gebraucht den Fortschrittsbegriff als geschichtsphilosophischen Universalbegriff, um Geschichte zwar zeitimmanent und relativ zu verstehen, sie aber auch mit Erfahrungen der Gegenwart abgleichen zu können.159 Mit Fortschritt bezeichnet er fast ausschließlich die Bewegung zu einer als besser bewerteten historischen Begebenheit, kennt und gebraucht aber diesen Begriff ebenfalls, um einen Ablauf zum Schlechteren zu benennen: »Der Zerfall der gallischen Kirche machte, wie wir sehen, Fortschritte.«160 Mit der Vorstellung eines Voranschreitens verwirft er demnach zirkuläre Geschichtsmodelle, um unter Berücksichtigung von Diskontinuitäten eine geradlinige Richtung innerhalb der Geschichte auszumachen. Mit Hilfe des Fortschrittsbegriff gelingt es ihm zu verdeutlichen, dass neue Strömungen und Tendenzen alte ablösen und diese als erledigt angesehen werden müssen.

155 Vgl. ebd., 405: »[...], verdankte er mehr der geschickten Benützung der Umstände als der überlegenen Kraft seines Volks.« 156 Vgl. Wieland‚ Entwicklung, 222: »Er [der Altliberalismus, M. T.] wollte ein bewußt planendes Handeln des Menschen grundsätzlich nur für den privaten Bereich zulassen und mußte darauf hoffen, daß durch dieses individuelle Planen gleichsam automatisch eine allgemeine Entwicklung befördert wurde, die aber als solche kein möglicher Gegenstand menschlichen Planens, vor allem kein unmittelbares Objekt eines staatlich-politischen Wollens war.« 157 Vgl. ebd., 220f: »Charakteristisch für diesen praktikablen und nicht voll präzisierbaren Entwicklungsbegriff war, daß die jeweils behauptete Entwicklung als ein notwendiges und unausweichliches Geschehen hingestellt wurde, gegen das anzugehen zwecklos wäre.« 158 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 26‚ 68‚ 77‚ 218‚ 256‚ 279‚ 294 u.ö. 159 Vgl. Koselleck‚ Fortschritt‚ 351–353. 160 A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 77.

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9.3 Prägende Einflusskräfte auf die Geschichtsschreibung Albert Haucks 9.3.1 Anlehnung an den Organismusbegriff im Kirchenverständnis Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers Mit Hilfe des Organismusbegriffes, der auf dem Gemeinschaftsgedanken beruhte, erweiterte F.D.E. Schleiermacher den atomisch-individualistischen Ansatz der Aufklärung. Vom deutschen Idealismus die Vorstellung einer universalen Einheit des Seins übernehmend, interpretierte er Religion als Totalität des Gott-Mensch-Verhältnisses, die ausnahmslos von der Gemeinschaft getragen wurde. Mit G.W.F. Hegel definierte er diese Gemeinschaft als »vorausgegebene[s] Ganzes von unbedingter Verbindlichkeit, das als Verleiblichung der sittlichen Idee den Einzelnen trägt, als Gesamtheit aber neben der Summe der Individuen auch die Aufgaben und Funktionen umfaßt«.161 Der Organismusbegriff, der Christus als Mittelpunkt in die menschliche Gemeinschaft hineinstellt, ermöglichte es ihm demzufolge, den Entwicklungsgedanken theologisch zu interpretieren: Individuen, Institutionen u.a. werden zwar in ihrer Einzigartigkeit und Variabilität beachtet, aber in ein überindividuelles Ganzes hineingestellt. Kirche beschrieb er deshalb zum einen als historisch bedingte rechtliche Größe und zum anderen als spezifische Wesenstotalität. Der lutherische Konfessionalismus übernahm diesen Organismusgedanken und dessen Entelechie, um die Diastase zwischen historisch-sichtbarer und wahrer-unsichtbarer Kirche zusammenzuführen.162 Auf diesen Anschauungen gründend hatte auch F.D.E. Schleiermacher seine Forderung nach einem vom staatlichen Recht unabhängigen Kirchenrecht unterstrichen, das presbyteriale und synodale Elemente aufgreift: »Nicht Befehl und Gehorsam sind die Kategorien, mit denen sich das Wesen des Kirchenrechts erfassen läßt, sondern freiwilliges Einfügen des Einzelwillens in den Gemeingeist als Hingabe an die Idee des Ganzen.«163 F.D.E. Schleiermachers Kirchenverständnis griff L. Richter in seiner historischen Betrachtung des Kirchenrechts auf.164 Er ging von der Doppelfunktion der Kirche als Anstalt und als geistlicher Gemeinschaft aus und meinte, dass die rechtlich verfasste Anstaltskirche aus der geistlichen Kirche erwächst. Das ius divinum interpretierte er als Rechtsordnung, sodass das Erlösungswerk Christi einer Rechtsgestalt bedarf. Das weltliche Regiment definierte er als göttliche Ordnung, ließ aber geistliche und weltliche Gewalt unvermischt: »Dahinter 161

Link‚ Grundlagen, 47f. Vgl. ebd., 52: »Der von göttlichem Geist beseelte Organismus ist nicht mehr qualitativ verschieden von der wahren Kirche, sondern diese ist die ihm innewohnende Seele, der Leib ist ihre ausführende Funktion.« 163 Ebd., 57. 164 Vgl. ebd., 143–163. 162

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aber steht bei ihm [L. Richter, M. T.] die Vorstellung von einem einheitlichen corpus christianum, jene Kirche und weltliche Herrschaft organisch umgreifende Idee des christlichen Staates, in der sich die Gedanken Schleiermachers und Hegels verbanden.«165 Der Wert der Kirchengeschichtsschreibung F.D.E. Schleiermachers lag vornehmlich darin, nicht eine theoretische Geschichtskonstruktion zu verfolgen, sondern das berechtigte, plurale Nebeneinander geschichtlicher Erscheinungen wiederzugeben. Um historische Prozesse aus dieser organischen Totalität herauszuarbeiten, verknüpfte F.D.E. Schleiermacher die teleologische mit der individuellen Betrachtungsweise. Das gelang ihm, da er für die Kirchengeschichte eine Voraussetzung kannte: Jesus Christus.166 Seines Erachtens musste eine Geschichtsschreibung sowohl diese geschichtsimmanente Kraft als auch die einfache Tatsache berücksichtigen: Intention und Extension.167 Erst der Ausgleich beider Ausdrucksweisen ermöglichte nach F.D.E. Schleiermacher die Totalität der Geschichte. Für ihn war der von Christus ausgehende Geist Antriebskraft innerhalb der Kirchengeschichte, die sich spiralenförmig qualifiziert: Obwohl Fort- und Rückschritte aufgrund des Gegeneinanderwirkens der extensiven und der intensiven Richtung möglich sind, eignet dem geschichtlichen Prozess die Entwicklung zum Reich Gottes.168 Infolgedessen interpretierte er die Geschichte des christlichen Lebens als Kult- und Sittengeschichte. Auch A. Hauck definiert Kirche als einen Bereich kulturellen Schaffens, der durch die »Durchdringung einer Gegebenheit mit geistigen Kräften«169 charakterisiert wird.170

165 Ebd., 161; vgl. ebd., 146f: »Es kann für Richter keinem Zweifel unterliegen, daß dieses Recht dem staatlichen qualitativ gleichartig ist, wiewohl er der Kirche eine echte Autonomie zuschreibt. Denn Kirchenrecht im Sinne dieser funktionalen Bestimmung ist das äußere ebenso wie das innere und es ist in beiden Spielarten für die Kirchenglieder schlechthin öffentliches Recht.« 166 Vgl. Jursch‚ Schleiermacher‚ 58. 167 Vgl. ebd., 61. 168 Vgl. ebd., 64: »So sieht Schleiermacher die Kirchengeschichte als Durchdringung des Lebens und der Lehre mit dem Geist Christi, als Kampf und Ausgleich der im Geiste angelegten extensiven und intensiven Richtung, mit dem Ziel einer völligen Verchristlichung der Welt. Es ist ein gewaltiges Geschehen, was sich da abspielt, nicht nur ein Durchgeistigtwerden, sondern ein Durchchristlichtwerden der ganzen Menschheit.« 169 Ebd., 60. 170 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 191: »Was der letzten römischen Zeit vollständig mangelte, die Gleichheit der religiösen Anschauung, war wieder vorhanden. Es kam hierzu, indem das fränkische Volk die religiöse Unterweisung, welche ihm dargeboten wurde, lebhaft erfasste und dadurch unmittelbar auf die römischen Zeitgenossen zurückwirkte. Höchst unvollkommen waren die religiösen Anschauungen, die sich so bildeten, ohne Zweifel, das Christliche, was in ihnen vorhanden war, war getrübt und verkümmert; aber übersehen wir nicht, dass es für die religiöse Entwickelung eines Volkes nicht nur darauf ankommt, dass es die Religion in möglichst reiner Gestalt besitzt, sondern ebensosehr, wenn nicht noch mehr darauf, dass das Religiöse Allgemeinbesitz, dass es von unmittelbarer Kraft ist.«

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9.3.2 Anlehnung an Johann Gustav Droysens Ideen-Interpretation A. Hauck übernimmt J.G. Droysens Ansicht, dass »das Gebiet der historischen Methode der Kosmos der sittlichen Welt ist«.171 Deren Werden war J.G. Droysens Meinung nach abhängig vom menschlichen Willen, den wiederum sittliche Gemeinsamkeiten prägten: Indem ein Mensch, bestimmt von Gedanken und Intentionen, seine Natur und seine Umwelt formt, fördert er die Entwicklung der Kultur. Diese sittlichen Gemeinsamkeiten entpuppen sich als sittliche Mächte, die den Einzelnen in die Pflicht idealen Handelns nehmen. J.G. Droysen differenzierte diese sittlichen Mächte in natürliche, ideale und praktische Gemeinsamkeiten. Das Volk zählte er zu ersteren, weil es sich durch Sprache, Sitte, Religion und einem historisch bedingten Volksgeist in seinem natürlichen Wesen konstituiert. Unter Bezugnahme auf den Volksbegriff verknüpfte er das Wesen der Volksgenossen mit dem ihm innewohnenden Drang, in der Geschichte Bedeutung zu erlangen. Dieser »Drang«, diese Entwicklungsfähigkeit bzw. dieses Telos-Streben, basiert nach J.G. Droysen in einer »unendlichen Aktivität des Geistes«, einer Eigenschaft der idealen Gemeinsamkeiten. Zu ihnen rechnete er die Sprache,172 die Künste, die Wissenschaften sowie die Religion. In der letzteren erfüllt sich seines Erachtens die Summe der idealen Idee.173 Da nun Kirche und Staat mit ihren Anschauungen um die Vorherrschaft über die Welt bzw. über die Völker ringen, entwickle sich die Menschheit. Den »eigentliche[n] Tummelplatz des geschichtlichen Kampfes«174 nahm J.G. Droysen im Bereich der praktischen Gemeinsamkeiten wahr, weil sie sich am stärksten auf die individuelle Freiheit und auf die Entwicklung einer Persönlichkeit auswirken. Zu ihnen rechnete er die Gesellschaft, die Wirtschaft, das Recht,175 die Macht (bzw. den Machtstaat)176. J.G. Droysen stellte die Macht als Mittel eines Interessenausgleichs den natürlichen und idealen Gemeinschaften gegenüber. So prägten in J.G. Droysens Geschichtstheorie einerseits die sittlichen Mächte die historischen Aktanten, andererseits formten die Aktanten die sittlichen Mächten.177 Weil in seinen Augen die historische Entwicklung zur Vervoll171

Droysen‚ Historik, 189. Vgl. ebd., 222: »Die Gemeinsamkeit der Sprache ist die Gemeinsamkeit des Denkens, die Sprache ist der Volksgeist.« 173 Vgl. ebd., 238: »Das ganze sittliche Leben wurzelt in den Religionen [...].« 174 Ebd., 242. 175 Ebd., 256: »Man sieht, wie der Begriff der Freiheit, der Persönlichkeit und damit die Basis alles Rechts ein immer sich erhöhendes Ergebnis der Kultur, der Geschichte ist.« 176 Vgl. ebd., 259: »Aber sein [des Staates, M. T.] Fortschreiten ist, daß er das Wesen der Macht tiefer, wahrer, sittlicher zu fassen lernt, daß er endlich in dem freien Willen der Menschen, in ihrer Freiheit, Hingebung und Begeisterung, in der höchsten Entwicklung alles Guten, Edlen, Geistigen die wahre Macht erkennt und zu organisieren lernt.« 177 Vgl. ebd., 268: »Diese Bewegung vollzieht sich immer wieder in der gleichen Formel: daß aus den Zuständlichkeiten, wie sie geworden sind, sich mit der Empfindung ihrer Mängel und ihres Druckes die Vorstellung entwickelt, daß da vieles ist, was nicht so sein sollte, daß es anders, besser werden 172

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kommnung der sittlichen Welt führen musste, formulierte er vorsichtig, dass die Ethik das Gesetz der Geschichte ist.178 Auch A. Hauck kennt eine Bewegung und eine Entwicklung der sittlichen Welt, die aus dem Ringen geschichtlich bedingter Schöpfungsordnungen (Kirche und Staat) um universale Macht erwächst.179 Daneben weiß er um die Entwicklung des historisch bedingten Christentums, das sein Wesen schrittweise zu begreifen versucht. Seines Erachtens werden beide Entwicklungen von dem einzigen Ganzheitsfaktor geleitet: vom Wirken des Heiligen Geistes. Diese absolute Wirklichkeit setzt die Einheit der Kirche und damit eng verbunden die Einheit der Kultur voraus. Die Frage nach Zusammenhängen, Folgen und Wirkungen von Handlungen und Ereignissen in historischen Prozessen eruiert A. Hauck in Anlehnung an J.G. Droysen aus dem Handeln der Aktanten, die sich zu bestimmten Zwecken zusammenschließen und deren Leben durch Institutionen geprägt ist. Die erzählte Geschichte spielt daher auf zwei Ebenen: auf der Ebene der großen Begebenheiten der Institutionen Kirche und Staat sowie auf der Ebene der kleinen anschaulichen Begebenheiten bzw. Besonderheiten, die in Wechselwirkung zu den Ereignissen und Handlungen der ersten Ebene stehen. Exemplarisch betrachtet beeinflussen sich die Geschichte des Verfassungsrechts auf der ersten Ebene und die Geschichte der religiösen und sittlichen Zustände auf der zweiten Ebene wechselseitig. Die Ergebnisse eines diesbezüglichen Interessenausgleiches bleiben stets offen, jeweils abhängig sind sie von den Absichten der Aktanten bzw. Institutionen: Es setzt sich schließlich diejenige Absicht durch, die sich als kräftiger erweist. Da A. Hauck in seiner Erzählstrategie nach solchen Interessenausgleichen sucht, ordnet er ihr die Stoffauswahl und Stoffgliederung sowie die Abfolge und Verknüpfung der Erzählebenen unter und wechselt bewusst zwischen Fern- und Nahperspektive. 9.3.3 Anlehnung an Leopold Rankes Geschichtstheorie Wie in L. Rankes Geschichtsschreibung integrieren auch in A. Haucks Geschichtsbetrachtung Staat und Kirche die Gemeinschaft des Volkes und die einzelnen Menschen: In Rankes Augen sichern sie [die Staaten und die Kirchen, M. T.] die Ordnung, die zum Weltlauf gehört wie die Unordnung. Ordnung und Unordnung stehen sich dabei nicht muß, das ideale Gegenbild also, der Gedanke, der verwirklicht werden, nach dem das, was ist, reformiert, ein neues Besseres geschaffen werden muß. Und dies ersehnte Neue bewegt und treibt die Herzen, steigert die Ungeduld, es erreicht zu sehen, bis dann geniale tatkräftige Charaktere, von diesem Gedanken erfüllt, eintreten, ihn zu verwirklichen.« 178 Vgl. ebd., 270. 179 Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands I, 112: »Neben dem Staatlichen blieb das Kirchliche der bewegende Faktor.«

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einfach als Gegensätze gegenüber, denn Staaten und Kirchen sind so wie die agierenden Persönlichkeiten immer der Gefahr ausgesetzt, die Grenzen ihrer Autorität so weit hinauszuschieben, daß sie Widerstand und gegenläufige Tendenzen provozieren. Die Ordnungsträger Staat und Kirche bringen dann selbst die Turbulenzen hervor, in denen die immer labile Balance der Kräfte Gefahr läuft, zusammenzubrechen. Es sei denn, die Akteure besinnen sich auf die diesem Staat oder dieser Kirche inhärente eigentliche Idee oder ›Aufgabe‹ und finden damit zu jenem harmonischen inneren Gleichgewicht zurück, in dem sich für Ranke die Menschheitsaufgabe der Kulturentwicklung verwirklicht.«180

Gleiches gilt für A. Haucks Geschichtserzählung. Nach seiner Ansicht entwickelt sich eine persönliche Individualität anhand von Machtaneignung und Machtverteidigung, wobei die Kraft bzw. Energie eines Individuum bzw. eines Volkes eine übergeordnete Rolle spielt. Er würdigt eine Machtausübung, die das Beziehungsgefüge ihrer Autorität nicht überschreitet. Mit dieser Beurteilung von Macht lehnt er sich an L. Rankes Wertschätzung des Machtausgleiches zwischen Kirche und Staat bzw. zwischen deren Aktanten an, der zudem die Einheit der europäischen Kultur gewährleistet und damit die Gefahr des Verfalls von Staat und Kirche langfristig bannt. Beschreiben L. Ranke und A. Hauck die Wandlungen nationaler Machtverhältnisse auf dem Hintergrund der Außenpolitik, der Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte, so ergänzt letzterer diesen um eine Geistes- und Sozialgeschichte. Möglicherweise entscheidet sich A. Hauck daher im Gegensatz zu L. Ranke für den Primat der Kirche, wenn es um die Identität Europas geht: War L. Ranke auf die Vielheit der Völker und Nationen bedacht, um ein selbstreguliertes System kultureller Organisation zu bewerkstelligen, prononciert A. Hauck den mittelalterlichen Universalismus der Kirche und des Sacrum Imperium der Deutschen. Indem der Erlanger Kirchenhistoriker aber die allgemeine Kultur als europäische Kultur auf dem Hintergrund des staatlichen und kirchlichen Universalismus interpretiert,181 kann er dennoch L. Rankes Fortschrittsglauben, der auf der göttlichen Erziehung der Menschheit hin zur Brüderlichkeit beruht, und dessen resignative Haltung, die der Einheit des mittelalterlichen christlichen Europas ohne konfessionelle Spaltung nachtrauert, teilen. Wie L. Ranke deutet A. Hauck den geschichtlichen Fortschritt darin, dass sich neue Formen eines vorfindlichen Wesens verwirklichen und vollenden:182 Bei L. Ranke war es der menschliche Geist, bei A. Hauck die unsichtbare, wahre Kirche. L. Ranke widersprach einem der Geschichte innewohnenden 180

Demandt‚ Ranke, 36. Vgl. A. Hauck‚ Kirchengeschichte Deutschlands III4, 30: »Die Entwicklung des Nationalen hat nur dann ein Recht, wenn sie von der Basis des gemeinsamen Kulturbesitzes ausgeht und ihn mehrt. Denn nur dann dient sie der Menschheit.« 182 Vgl. Demandt‚ Ranke, 17: »Es ist eher ein quantitativer als ein qualitativer Fortschritt. So wie die Natur ist auch die Geschichte in jedem Augenblick komplett. [...] Ein Optimum ist auf jeder Stufe erreichbar. Das ist eine Denkfigur des deutschen Idealismus, der die historischen Phänomene als Erscheinungen individueller Ideen deutete.« 181

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Gesetz des Fortschritts, weil die Freiheit göttlichen und menschlichen Handelns ausgeschlossen werde. Da er und A. Hauck die menschliche Freiheit dennoch nicht als eine absolute interpretierten, weil sie an bestimmte Bedingungen gebunden sei, übernimmt A. Hauck von L. Ranke, dass »sich das Denken und Handeln der Menschen bestimmter Zeiten in bestimmter Weise auf bestimmte Ziele hin bündelt, so daß allgemeine Tendenzen entstehen, die der Geschichte Grundzüge verleihen«.183 Auch die Erkenntnis, dass in Krisenzeiten Tendenzen neu bzw. umgestaltet werden, übernimmt A. Hauck von ihm. Deshalb sehen beide die Bedeutung eines Aktanten darin, sich nicht von den Tendenzen der Zeit leiten zu lassen, sondern diese Tendenzen in Anspruch zu nehmen und für eigene Interessen umzuformten. So bestimmen individuelles Eingreifen sowie objektive Zustände und Bedingungen wechselseitig geschichtliche Prozesse.

9.4 Zusammenfassende Bemerkungen in Anlehnung an die literaturwissenschaftliche Analyse Hayden Whites A. Hauck versucht in seiner Kirchengeschichtsschreibung politisches, gesellschaftliches, religiöses und wirtschaftliches Leben in einer historischen Darstellung zu vereinigen. So gelingt es ihm, Individualität und Gemeinschaft im immanenten Gottesreich bzw. in einer christlich orientierten Menschheit zu beschreiben. Er teilt die Kirchengeschichte in Bereiche auf, die die Vielgestaltigkeit des christlichen Gemeinschaftslebens und die Sichtbarmachung des Wesens der Kirche quantitativ nachzuweisen hilft. In der Institution Kirche, die als historischer Gegenstand einem Wachstum und einem Verfall ausgesetzt ist, fasst A. Hauck diese Bereiche zusammen. Kirchlicher Universalismus und christliche Individualität bedingen sich gegenseitig: Die Gefahr einer Stagnation, die Folge einer Institutionalisierung sein kann, kann so durch den lebendigen Glauben einer Persönlichkeit relativiert werden; die Kirche wiederum kann aufgrund ihres politischen Bewusstseins nationale Religionen überwinden, das Christentum wird dann zu einer Kulturmacht, die Raum und Zeit bedingt. A. Hauck verifiziert in einer gesellschaftlichen Entwicklung die entstehenden und vergehenden Ideen, wenn sie soziologisch relevant sind. So ergänzt er diejenige Geschichtstheorie, die behauptet, dass sich Ideen bzw. Tendenzen in einer Periode durchsetzen, um die elementare Bedeutung epochemachender Aktanten, die durch ihr Wirken ihrer Zeit Richtung geben. Da der Erlanger Kirchenhistoriker wie F.D.E. Schleiermacher das Individuum für geschichtlich bedingt hält, zeigt er wie K.B. Hundeshagen besonderes Interesse an den Wechselbeziehungen zwischen kirchlichem und gesellschaftlichem Leben.184 183

Ebd., 19. Vgl. Wichelhaus‚ Kirchengeschichtsschreibung, 30f: »Unter den gesellschaftlichen Einflüssen verstand er [K.B. Hundeshagen, M. T.] die staatlichen und politischen Lebensbedingungen des Raumes, 184

Albert Haucks »Kirchengeschichte Deutschlands«

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H. Whites literaturwissenschaftliche Aufarbeitung von Geschichtsschreibungen im 19. Jahrhundert beschreibt dieses ökonomische Verhältnis von Integration und Desintegration, von Handlungsabsicht und -folge sowie von Kontinuität und Wandel, auf dem A. Haucks narrative Geschichtsschreibung aufbaut. Er untersucht unter literaturwissenschaftlicher Fragestellung die »Tiefenstruktur der historischen Einbildungskraft«:185 Wenn ein Historiker eine Erzählung schreibt, also narrativ Geschichte interpretiert, so bedient er sich anerkannter und vorfindlicher Rahmen. H. White erkennt hierin einen tiefenstrukturellen poetischen Gehalt, der von Historikern als vorkritisches Paradigma akzeptiert wird, das die Funktion eines metahistorischen Elements übernimmt. Dieser metahistorische Unterbau übereigne dem Erzähler die Möglichkeit, geschichtliche Prozesse durch eine narrative Struktierung von Geschichtsschreibung zu erklären. Um den Sinn von Handlungen zu erläutern, erschließt H. White erzählte Geschichte anhand von Kombinationsprinzipien. In Anlehnung an S.C. Pepper führt er vier diskursive Schlussfolgerungen historischen Erklärens ein: die formativistische, die organizistische, die mechanische und die kontextualistische. Die formativistische Form bestimmt die unverwechselbaren Merkmale der historischen Objekte und wirkt als detailreiche Darstellungsform eher »zerstreuend«. Demgegenüber integriert die organizistische Darstellungsform durch Vereinfachung des Geschehens und arbeitet ein Ziel innerhalb der Geschichte heraus. Ein Organizist entdeckt Ideen, die Entwicklungen prägen.186 Kontextualistische Sinngebung versucht, die Erklärbarkeit von Ereignissen aus dem Kontext ihres Erscheinens zu verstehen: Ursache und Wirkung beruhen demnach nicht auf teleologischen Prinzipien, sondern auf den tatsächlichen Verhältnissen. Will nach Ansicht H. Whites ein Kontextualist aber die Perioden unter einem Geschichtsprozess vereinigen, muss er den kontextualistischen Rahmen verlassen und mechanische Gesetze oder organizistische Prinzipien herausarbeiten. A. Hauck verknüpft die kontextualistische mit der organizistischen Interpretation. Wie L. Ranke differenziert er die Epochen nach ihren Krisenerfahrungen. Seines Erachtens führen diese Katastrophen aber nicht zur Auflösung, sondern zur Reform, zu einem Wandel: Die Möglichkeit eines Verfalls ist also in dem sich eine Kirche bildet. Der christliche Glaube besitzt zwar eine eigentümlich vergesellschaftende Potenz, aber deren Auffassung und Auswirkung wird durch den geschichtlichen Raum bestimmt. Jeweils verschieden nuancierte Kirchenbildungen wirken dann auf ihren geschichtlichen Raum, auf Staat und Kultur zurück.« 185 White‚ Metahistory, 9. 186 Vgl. ebd., 31: »Für den Organizisten indes sind solche Prinzipien und Ideen keine Einschränkung des menschlichen Vermögens, Ziele in der Geschichte zu verwirklichen [...], sondern Garanten einer grundlegenden menschlichen Freiheit. Deshalb zieht er, obschon er den Sinn der Entwicklungen entziffert, indem er die integrative Struktur des Geschichtsverlaufs in seiner Gesamtheit hervorhebt, daraus nicht jene pessimistischen Schlüsse, die der strenge Mechanist aufgrund seiner Überlegungen zur nomologischen Struktur von geschichtlicher Existenz und Geschichtlichkeit nahelegt.«

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nicht das Ende der Geschichte, sondern der Boden, auf dem Neues entstehen kann. A. Hauck interpretiert demnach einen Konflikt als eine Gefahr, die durch den Interessenausgleich auf der »Ebene der große Begebenheiten« überwunden werden muss. Da für ihn historisches Geschehen providenzgetragen ist, sucht er das Ziel einer Periode bzw. der Geschichte in der Einheit der Kirche und demnach in der Einheit der europäischen Kultur sowie in dem Interessenausgleich von kirchlichen und staatlichen Kraftelementen. Dieses Postulat ist A. Haucks organizistisches Interpretationsmuster. Kontextualistisch interpretiert A. Hauck das Wirken der Aktanten. Da Staat und Kirche seines Erachtens Schöpfungsordnungen sind, die feste Organisationsstrukturen aufweisen, sind sie fähig, das Individuelle zu tragen und zu integrieren sowie Tendenzen und Personen zu überdauern. Staat und Kirche prägen dem Volk dementsprechend ihre wesenseigene Legitimation auf. Da A. Hauck in seiner kirchlichen Historiographie den strukturellen Wandel bzw. die Krisen innerhalb einer universalistischen Geschichtsbetrachtung betont und damit einen diachronen Geschichtsprozess herausarbeitet, würde H. White A. Haucks Historiographie vermutlich wie diejenige L. Rankes dem Genre einer Komödie zuordnen: Prononciert die Komödie anhand des fortwährenden Auftrittes neuer Kräfte den Wandel, so geht die Tragödie demgegenüber von einer Wiederkehr des Gleichen aus. In der Theorie H. Whites basieren Tragödie und Komödie auf der Annahme, dass sich die Aktanten aus dem Zustand der Entfremdung befreien können. Führt bei einer Tragödie der bereits anfänglich aufgezeigte Zustand der Differenz zwischen Welt und Aktant doch schließlich zur Katastrophe, so erscheint in der Komödie »die Hoffnung als befristeter Triumph des Menschen über seine Welt durch die Aussicht auf gelegentliche Versöhnungen [Hervorhebung im Original] der in der Gesellschaft und Natur wirkenden Kräfte«.187 In Versöhnungen klingen dramatische Veränderungen aus: »Die Versöhnungen, die am Ende der Komödie stattfinden, sind Versöhnungen zwischen Menschen, der Menschen mit ihrer Welt und ihrer Gesellschaft; der Zustand der Gesellschaft erscheint nun reiner, vernünftiger und verbessert, als Ergebnis des Konflikts zwischen scheinbar unveränderlichen widerstreitenden Kräften, von denen sich jetzt herausstellt, daß sie auf lange Sicht miteinander vereinbar und mit sich selbst und untereinander eins sind. Die Versöhnungen am Schluß der Tragödie indes sind düsterer und bedeuten eher, daß sich die Menschen in die Bedingungen ihres mühseligen irdischen Daseins schicken müssen. Diese Bedingungen werden ebenfalls als unveränderlich und ewig bestätigt; sie bestimmen die Grenzen dessen, was der Einzelne im Streben nach Sicherheit und Vernunft legitimerweise erhoffen und behaupten kann.«188

187 188

Ebd., 23. Ebd.

10. Albert Haucks Berufung nach Leipzig 1889

10.1 Die Leipziger Theologische Fakultät in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Mit der Berufung A. Harleß’ nach Leipzig gewann um 1850 das konfessionelle Luthertum gegenüber der Vermittlungstheologie an Einfluss an der dortigen Theologischen Fakultät.1 Die staatliche Berufungspolitik förderte das Konfessionsluthertum: Sie berief die Dogmatiker K.F.A. Kahnis 1850 und Ch.E. Luthardt 1856 sowie den Exegeten und Alttestamentler F. Delitzsch 1867. Als Vermittlungstheologen traten G.A. Fricke (berufen 1867), V. Lechler (1858), G. Baur (1870) und W.G. Schmidt (1876) sowie Th. Brieger (1886) in Erscheinung.2 Schulunabhängig blieben die Exegeten Th. Liebner (1851), B.B. Brückner (1855), R. Anger (1856) und K. Tischendorf (1859). G.A. Fricke, der als Pendant zu F. Delitzsch berufen worden war,3 lehrte von 1867 bis 1904 mit Themenschwerpunkten in den exegetischen Disziplinen und in der Systematischen Theologie. Ihm eignete gegenüber den Vertretern des Neuluthertums ein theistisches, philosophisch-spekulatives Interesse – in Fortführung der Gedanken F.D.E. Schleiermachers. Erkenntnisse der RitschlSchule, die jede metaphysische Betrachtung des Christentums und der Kirchengeschichte verwarf, lehnte er ab.4 In seiner Ethik reflektierte er besonders das Zusammenwirken von Staat, Kirche und Gesellschaft, Christentum und Kirche setzte er gleich: »Fricke war ein sehr bewußter Protestant, an sich nicht polemisch gerichtet, denn er war überall geneigt, das Verbindende zu betonen.«5 Konnte 1870 aufgrund des Widerstandes der Fakultät G. Zezschwitz nicht als Nachfolger B.B. Brückners nach Leipzig berufen werden, so waren die Verhandlungen mit dem Hamburger Hauptpastor und dem ehemaligen Gießener Professor G. Baur erfolgreicher.6 Ihm zur Unterstützung wurde 1871 R. Hofmann berufen, der den Lehrauftrag für die Fächer Katechetik und Pädagogik übernahm. G. Baur war auch auf dem Gebiet der alttestamentlichen Schriftwissenschaft versiert, in der er die rationalistische, historisch-kritische

1 2 3 4 5 6

Vgl. H. Junghans, Berufung, 282–300. Vgl. Kirn, Leipziger Theologische Fakultät, 206. Vgl. Mathias, Alte Testament, 401. Vgl. Hartung, Fricke, 484–488. Ebd., 487, 24f. Vgl. Kirn, Leipziger Theologische Fakultät, 209.

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Methode anwandte. Als Anhänger F.D.E. Schleiermachers vertrat er eine Vermittlungstheologie, die deren theologisch-positive Richtung hervorhob. V. Lechler war 1858 als Professor und Leipziger Superintendent eingesetzt worden, beschränkte sich aber seit 1883 auf die Ausübung seiner Professur.7 Er lehnte die Herangehensweise der Tübinger Schule ab und sprach sich für eine konservative Forschung innerhalb der Bibelwissenschaft aus.8 Geprägt wurde er von einer schwäbischen Frömmigkeit, die am lutherischen Bekenntnis treu festhielt, aber dennoch den vielfältigen theologischen Strömungen offen gegenüberstand.9 W.G. Schmidt lehrte von 1876 bis 1888 in Leipzig und trug hier zum Aufschwung und zur Festigung der theologischen Disziplin »Neues Testament« bei.10 Sein Nachfolger im Ordinariat für neutestamentliche Exegese wurde Th. Zahn. Dieser richtete sein Augenmerk auf die Kanonsgeschichte:11 Häufige Kontroversen mit A. v. Harnack (u.a. im Apostolikumstreit) ließen ihn um die Wende zum 20. J[ahr]h[undert] zum führenden Theologen der konservativ-kirchl[ichen] Richtung in Deutschland werden. Die Grundüberzeugung der Erlanger Theol[ogie] des 19. J[ahr]h[underts], daß auch eine gesch[ichtlich] verstandene Bibel sich dem kirchl[ichen] Glauben als wahr erweist, suchte Z[ahn] im Zeitalter des Historismus durch hist[orische] Quellenforschung zu bekräftigen.12

In der patristischen Forschung verschrieb er sich der philologischen Auslegung und kam so fast ohne eine theologische Deutung aus.13 Die liberale Theologie lehnte er aufgrund ihrer kirchenkritischen Erkenntnisgewinnung aus wissenschaftlichen und theologisch-kirchlichen Beweggründen ab.14 1892 kehrte Th. Zahn nach Erlangen zurück. Im Fachbereich Altes Testament folgte auf F. Delitzsch 1890 F. Buhl.15 Auch 1867 gab es Schwierigkeiten, weil die Fakultät nach dem Tode des Exegeten Anger und dem Ausscheiden von Tuch sich zunächst nicht darüber klar war, ob man einen Altoder Neutestamentler berufen oder die gesamte Exegese in eine Hand legen sollte. Zudem scheute sich ein Teil der Fakultät, die mit Kahnis und Luthardt vorhandene Richtung des orthodoxen Neuluthertums durch ein weiteres Mitglied zu verstärken.16

7

Vgl. H. Junghans, Erfassung, 42. Vgl. Merk, Bibelwissenschaft, 385, 1–8. 9 Vgl. Hermelink, Lechler, 1518. Vgl. Ficker, Lechler, 366f. 10 Vgl. Wartenber, Leipzig, 727, 27f: »Der dringend gebotenen Differenzierung der einzelnen Lehrbereiche standen die Leipziger Theologen lange ablehnend gegenüber.« 11 Vgl. Kirn, Leipziger Theologische Fakultät, 210. 12 Swarat, Zahn, 1779. 13 Vgl. Merk, Zahn, 481, 1–4. 14 Vgl. ebd., 481, 14f: »Zahn war vorwiegend Historiker, an einem theologischen Durchbruch hinderten ihn seine methodischen Voraussetzungen [...].« 15 Vgl. Blanckmeister, Theologische Fakultät. 16 Vgl. Mathias, Alte Testament, 400. 8

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Unter F. Delitzsch war das Fach als theologische Disziplin mit eigenständigem Forschungsbereich etabliert worden. F. Delitzsch lehrte eine heilsgeschichtliche Theologie. 1886 gründete er in Leipzig das Institutum Judaicum. Neben ihm wirkte H.G. Hölemann, der eine Inspirationslehre vertrat und jede Bibelkritik verwarf.17 G.A. Fricke und G. Baur korrigierten in ihren Lehrveranstaltungen und literarischen Hinterlassenschaft diese konfessionell geprägte Exegese. Das Fach Praktische Theologie vertraten G. Baur, R. Hofmann und seit 1889 G. Rietschel. Letzterer, »ein typischer Vertreter des damaligen intellektuellen Protestantismus, der dazu neigte, die lutherische Frömmigkeit und Lebenshaltung zur einzig legitimen Leitkultur im neuen, als protestantisch empfundenen deutschen Kaiserreich zu erklären«, machte sich für die vermittlungstheologische Richtung stark.18 In Bezug auf die Lehrstuhlvertreter des Faches Kirchengeschichte konstatiert H. Junghans: »Die Leipziger Theologen haben in Streitigkeiten um Methoden der Kirchengeschichtsschreibung kein Aufsehen erregt.«19 Hatte Ch.W. Niedner mit seiner »philosophischen Kirchengeschichtsschreibung«20 auf I. Kant zurückgegriffen und demzufolge den sittlichen Geist, der als moralische Kraft wirkt, als die leitende Idee der Geschichte des Christentums postuliert, so lehnte der Systematiker und Kirchenhistoriker K.F.A. Kahnis21 die vom Rationalismus entdeckten Prinzipien in der Kirchengeschichte ab und analysierte in seiner Geschichtsforschung und -schreibung das historisch Wirkliche. Er ging dabei von dogmatischen Prämissen aus und verknüpfte die Dogmengeschichte eng mit der Kirchengeschichte. Er achtete darauf, jeder Epoche ihre Eigenheit zuzugestehen.22 Sein Beurteilungsmaßstab bezüglich einer Epoche war deren Evangeliumsverkündigung.23 Mit dem Erscheinen des ersten Bandes seiner Dogmatik 1861 verwarf er die Repristinationstheologie und verteidigt den Rationalismus und die Theologie des 19. Jahrhunderts, setzt das Wesen des Protestantismus in die Vereinigung von Beharren und Fortschritt, weist auf die Mängel der kirchlichen Lehrbildung im einzelnen hin und redet einer offeneren Anerkennung natürlichen Lebens und natürlicher Sittlichkeit das Wort.24

17

Vgl. ebd., 394. Vgl. Ratzmann, Georg Rietschel, 279f. 19 H. Junghans, Kirchengeschichtsschreibung, 9. 20 Ebd., 17. 21 K. Kahnis hatte den Ruf nach Leipzig erhalten, um als Nachfolger A. Harleß’ über Dogmatik und anstelle des in den Ruhestand getretenen Ch.W. Niedner über Kirchengeschichte zu lesen, vgl. Kunze, Kahnis, 695, 18f: »Sein [K. Kahnis’, M. T.] akademisches Wirken in dem von ihm schwärmerisch geliebten Leipzig war bald von Erfolg gekrönt, insbesondere zogen seine historischen Vorlesungen an.« 22 Vgl. H. Junghans, Kirchengeschichtsschreibung, 20. 23 Vgl. ebd., 21: »Seine [K. Kahnis’, M. T.] Gesamtschau von der ›werdenden‹ Wahrheit, die auf Befreiung des Evangeliums und Fortschritte achtet, ist wohl nicht ohne Aufnahme der Geschichtsphilosophie Georg Friedrich Wilhelm Hegels entstanden.« 24 Kunze, Kahnis, 696, 13–16. 18

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K. Kahnis fragte, ob im Konfessionalismus die Rückkehr zu den Bekenntnissen der Alten Kirche verbunden werden konnte mit dem Fortschreiten zu vollkommener Erkenntnis. Noch in den 1860er Jahren wandte er sich deshalb vor allem der Reformationsgeschichte zu.25 In seinem Forschungsansatz verknüpfte er Wissenschaftlichkeit, lutherisches Bekenntnis und persönliche Frömmigkeit.26 K. Kahnis’ Nachfolger Th. Brieger kam im Unterschied zu jenem ohne G.W.F. Hegels Geschichtsspekulation aus und trieb Geschichtsforschung anhand von streng historischer Forschung und Quellenkritik.27 Der RitschlSchüler Th. Brieger, ein Kollege A. Haucks, führte in seinem Forschungsansatz die Ansichten seiner Vorgänger fort: »Er übernahm den Fortschrittsgedanken, glaubte an einen Entwicklungsprozeß der Menschheit und entnahm der Offenbarung, daß die Menschheit zur Bildung des Reiches Gottes bestimmt sei.«28

10.2 Die Berufung Albert Haucks nach Leipzig Im März 1886 hatten sich Ch.E. Luthardt und F. Delitzsch vergeblich bemüht, durch den krankheitsbedingten Rückzug K. Kahnis’ aus der Lehrtätigkeit ihr dezimiertes »Leipziger lutherische Dreigestirn«29 durch eine Berufung A. Haucks zu ergänzen.30 A. Hauck wurde von beiden aufgrund seiner Redaktion der RE2 vorgeschlagen,31 in der F. Delitzsch über zwanzig Artikel veröffentlicht 25 Vgl. ebd., 697, 40–47: »Wie es bei aller Selbstständigkeit seiner Quellenstudien Kahnis’ Art nicht war, rein historisch-wissenschaftlichen Untersuchungen nachzugehen, so hat er das auch in seiner Reformationsgeschichte nicht gethan. Für ihn liegt die Hauptsache in der gemütvollen Versenkung in den Stoff, lichtvoller Zusammenfassung und Darstellung, insbesondere in der Charakteristik der Persönlichkeiten. In der Kunst, mit wenigen Strichen, mit einem packenden Schlagwort, einer zugespitzten Formel den Gehalt einer Periode, das Wesen einer Richtung, den Kern einer Persönlichkeit zu bezeichnen, war er Meister.« 26 Vgl. H. Junghans, Kirchengeschichtsschreibung, 20: »Kahnis hielt den spekulativen Rationalismus nicht mehr für zeitgemäß und zog es daher vor, nicht von Prinzipien auszugehen, sondern von historischen und dogmatischen Elementen und damit auch der ›Freude [...] am Realen und Geschichtlichen‹ Rechnung zu tragen.« 27 Vgl. ebd., 21: »Als nächste Aufgabe nannte er die Rekonstruktion der Tatsachen, die aus den Quellen zu belegen waren. Erst dann folgte die Deutung der Tatsachen, wofür er den ›Grundriß der Historik‹ von Johann Gustav Droysen heranzog.« 28 Ebd., 22. 29 Zur Bedeutung von K. Kahnis, Ch.E. Luthardt und F. Delitzsch in Leipzig vgl. Plümacher, Delitzsch, 432, 20–23: »Im Jahre 1867 folgte Delitzsch einem Ruf zurück nach Leipzig, wo er nun zusammen mit Chr.E. Luthardt und Kahnis lange Zeit das Gesicht der Fakultät prägte und diese zu einem akademischen Anziehungspunkt von überdurchschnittlicher Ausstrahlungskraft werden ließ. Sein Lehrerfolg war enorm und reichte weit über Deutschland hinaus.« 30 Vgl. SächsHStA, Bestand 11125, Nr. 10281/110, Personalakte Brieger, Gutachten vom 11. März 1886. 31 Vgl. ebd.: »Derselbe [A. Hauck, M. T.] ist als derzeitiger Redacteur der Theolog[ischen] RealEncyklopädie, 2. Auflage, allgemein bekannt, und ist ein gründlicher Gelehrter, von Besonnenheit und Mäßigung, wie wir hören, auch von seltener Arbeitskraft. Von seinen Erfolgen als Docent aber ist den Mitgliedern der Majorität weniger bekannt geworden, weshalb sie sich darauf beschränken zu sollen

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hatte. Ch.E. Luthardt, einer der »profiliertesten Vertreter des konfessionellen Luthertums«32, und F. Delitzsch wollten auf den Lehrstuhl K. Kahnis’ einen Hofmann-Schüler – beide waren Anhänger der Theologie J.Ch.K. Hofmanns – und einen Vertreter der Erlanger theologischen Richtung berufen. Doch misslang ihr Vorhaben, da sich die Mehrheit des Professoriums unter Leitung V. Lechlers für die Berufung Th. Briegers aussprach.33 Bereits im Februar 1886 hatte das Evangelisch-Lutherische Landeskonsistorium unter Leitung seines Präsidenten D. Berlepschs in einer Stellungnahme zur Leipziger Nachfolgediskussion hinsichtlich der Besetzung des Lehrstuhles K. Kahnis’, in der von einer Berufung A. Harnacks abzusehen gefordert wurde, Th. Brieger an erster Stelle genannt: Ihm folgten Th. Kolde und P. Tschackert.34 Th. Brieger trat am 1. Oktober 1886 seine Stelle an der Leipziger Theologischen Fakultät an.35 Der Reglaubten, nur Brieger allein in Vorschlag zu bringen.« Vgl. zu diesem Urteil ebd., Gutachten vom 20. März 1886: »Denn wenngleich auch letzterer [A. Hauck, M. T.] als ein verdienstvoller Gelehrter bekannt ist, so ist er doch seit Jahren durch die Herausgabe der 2. Auflage der Herzog’schen theologischen Realencyklopädie so sehr in Anspruch genommen, daß er kirchenhistorische Arbeiten – abgesehen von einer kleinen, nur 53 Seiten umfassenden Monographie: Die Bischofswahlen unter den Merovingern, Erlangen, Deichert – überhaupt noch nicht hat veröffentlichen können; und außerdem fehlt es dem Landesconsistorium an näherer Kenntniß von dem Umfange und der Bedeutung seiner akademischen Wirksamkeit.« 32 M. Laube, Luthardt, 557. 33 Vgl. UAL, Theol. Fak. 68, Ernennung, Stellungnahme vom 11. März 1886, Bl. 24f: »Es kamen hiebei nicht nur Brieger und Kolde, Tschackert und Hauck in Betracht, sondern auch Möller in Kiel, welchen OKRath D. Weiss in Berlin in einem Schreiben an Herrn Superintendenten Pank aufs äußerte empfohlen hatte. [...] Dagegen schien uns Theodor Brieger in Marburg (geb. 1842) als einer der hervorragendsten Kirchenhistoriker der Gegenwart.« Th. Brieger wurde es zugute gehalten, »dass die deutschen politischen Historiker aus Rankes Schule Brieger als einen ebenbürtigen Kirchenhistoriker anerkennen, was keineswegs allen Kirchenhistorikern der Gegenwart zu Theil wird«. 34 Ebd., Stellungnahme vom 16. Februar 1886, Bl. 10–21. Th. Kolde war seit 1881 o. Professor in Erlangen und lehrte dort Kirchengeschichte. Sein Arbeitsschwerpunkt war das Reformationszeitalter. A. Harnacks und A. Ritschls kirchenhistorische und dogmengeschichtliche Positionen lehnte er ab, vgl. Kupisch, Kolde, 1720: »Methodisch den von Ranke begründeten Forschungsprinzipien verpflichtet, vertrat er in seinen Auffassungen über K[irchen]G[eschichte], seinem Lehrer H. Reuter folgend, einen gewissen Positivismus [...].« Bei ihm trat der theologische Charakter der Kirchengeschichte so weit zurück, dass er ihre Verknüpfung mit der Profangeschichte herausarbeiten konnte. Th. Kolde war Initiator der bayerischen Territorialkirchengeschichtsforschung, vgl. G. Seebaß, Kolde, 457f. Der strenge Lutheraner und Polemiker P. Tschackert beschäftigte sich als Professor in Königsberg mit der Reformationsgeschichte Preußens, die er aus einem exakten Quellenstudium eruierte, vgl. Bonwetsch, Tschackert, 586, 56–587, 13. 35 Th. Brieger wechselte nach Leipzig, obwohl er die in Marburg vertretene theologische Richtung als seine geistige Heimat bezeichnete. F.Th. Althoff bezeichnete dessen Weggang als empfindlichen Verlust. Th. Brieger schlug folgende Berufungsliste für seine Nachfolge vor: 1. Th. Kolde, 2. A. Harnack, 3. K. Benrath, 4. K. Müller, vgl. GstA PK, I. HA Rep. 76 Va, Sekt. 12, Tit. IV, Nr. 5, Bd. 2, Ministerium, Schreiben des Theodor Brieger vom 13. April 1886, Bl. 167f: »Diese Verzögerung [meiner Antwort, M. T.] bedauere ich um so mehr, je wohltuender mich das Wohlwollen berührt hat, welches Sie mir bei Gelegenheit des an mich ergangenen Rufes nach Leipzig bedeihen. Noch weit lebhafter aber bedauere ich, Ihrer gütigen Aufforderung, Ihnen die etwaigigen Bedingungen mitzuteilen, unter denen ich den Ruf ablehnen würde, nicht nachkommen zu können, da ich bereits in Dresden im Allgemeinen mich bereit erklärt habe, dem Antrage zu entsprechen. Ich habe dabei an der Geneigtheit des Herrn Ministers, mich eventuell in Marburg zu halten, von vornherein nicht gezweifelt. Wenn

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formationshistoriker sah sich als Ranke-Schüler, der eine streng historistische Geschichtsauffassung unter dogmatischen Prämissen vertrat.36 Auf der Berufungsliste, die die Nachfolge V. Lechlers bestimmen sollte, stand A. Hauck erneut nicht an erster Stelle. Ihm wurde der dreizehn Jahre jüngere Harnack- und Ritschl-Schüler F. Loofs vorgezogen.37 In Leipzig hatte F. Loofs – er lehnte das »lutherische Dreigestirn« ab – Theologie studiert, wurde hier promoviert und habilitiert, von 1882 bis 1887 lehrte er als Privatdozent. 1888 wurde ihm das kirchengeschichtliche Ordinariat an der Universität in Halle/Saale übertragen: L[oofs] war, wenn auch der ›Grundfarbe‹ nach konservativ [...], ein liberaler Lutheraner, der in Fragen des kirchlichen Bekenntnisses auf einer dezidiert ›glaubensmäßige[n] Geltendmachung der alten Normen‹ [...] insistierte. Seine auffällig zahlreichen Predigtb[än]de sind als Versuch zu sehen, auf praktisch-erbaulichem Weg das ›Evangelium der Reformation‹ dem modernen Menschen zu vermitteln.38

Sein Spezialgebiet, die Dogmengeschichte, die er unter dem Gesichtspunkt der Dogmenkritik analysierte, betrachtete er »als eine Disziplin von eminenter kirchlicher Relevanz«.39 Er gehörte 1886 zu den Mitbegründern der Zeitschrift »Christliche Welt«. Zwischen theologischer Wissenschaft und christlicher Frömmigkeit versuchte er zu vermitteln. Für F. Loofs Rückkehr nach Leipzig setzte sich die Majorität des Professoriums ein, bestehend aus dem Dekan G. Baur, G.A. Fricke, dem erst kurz zuvor berufenen Th. Brieger und R. Hofmann. Diese Theologen hoben F. Loofs Eignung, dessen frühere Leipziger Lehrtätigkeit und wissenschaftliche Strebsamkeit hervor. Zudem schätzten Th. Brieger und G.A. Fricke die »Frische« der literarischen Arbeiten F. Loofs’, G.A. Fricke und G. Baur F. Loofs Predigttätigkeit und dessen ernste kirchliche Gesinnung. Erst an zweiter Stelle sprachen sie sich für A. Hauck aus. Dieser war wiederholt von Ch.E. Luthardt und F. Delitzsch vorgeschlagen worden, da »dessen durch seine 1887 im ersten Bande erschienene Kirchengeschichte Deutschlands in vorzüglichem Grade bewährte ich trotzdem mich für Leipzig entschied, so haben schließlich – nach achttägiger Überlegung – sachliche Gesichtspunkte allgemeiner Natur den Ausschlag gegeben, unter gänzlicher Zurückstellung der persönlichen Wünsche. Meine Neigung gieng und geht auf Marburg. Frei von dem Ehrgeiz, in einen größeren Wirkungskreis einzutreten, fühlte ich mich hier wohl in meinem Berufe, nicht minder in den angenehmen collegialen und geselligen Beziehungen.« 36 Vgl. H. Junghans, Theologie, 101–118, bes. 104: »Brieger teilte den Fortschrittsgedanken und übernahm die Vorstellung von einem ›Entwicklungsprozeß der Menschheit‹. Die theologische Interpretation sollte aber ihre Kriterien nicht dem Verlauf der Geschichte zu entnehmen versuchen, sondern sie vielmehr aus der Offenbarung gewinnen. Sie zeigte – nach seinem Verständnis –, daß ›die Menschheit bestimmt ist, das Reich Gottes zu bilden‹, was aber nur der Glaube wahrnehmen könne. Brieger hat damit verlangt, daß ein Kirchenhistoriker auch geschichtstheologische Urteile einbringt. Er selbst hat sich damit zurückgehalten.« 37 Vgl. Bitter, Loofs, 464–466; Steck, Loofs, 514f. 38 Ebd., 515. 39 Bitter, Loofs, 464, 26–32.

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wissenschaftliche Tüchtigkeit jüngst auch durch den Versuch der preußischen Regierung, ihn für die Universität Marburg zu gewinnen, anerkannt worden sei«.40 Der Neutestamentler, Patristiker und Hofmann-Nachfolger Th. Zahn, der erst im WH 1888/89 von Erlangen nach Leipzig gewechselt war, schloss sich diesem Urteil an. Er bezeugte als ehemaliger Kollege A. Haucks dessen Tüchtigkeit als Dozent in Erlangen. Th. Zahn, Ch.E. Luthardt und F. Delitzsch kritisierten F. Loofs theologische Haltung und seine Harnack-Schülerschaft. Dennoch äußerte sich F. Delitzsch wohlwollend über die Predigtweise F. Loofs, was letztlich den Ausschlag für dessen ersten Listenplatz gab.41 Auf den zweiten Listenplatz setzte entgegen den Vorschlägen der Fakultät und des Dresdner Landeskonsistoriums das sächsische Ministerium für Kultus A. Hauck und K. Müller gleichberechtigt nebeneinander.42 K. Müller, der nach Th. Briegers Urteil »zur Zeit nächst Reuter in Göttingen der ausgezeichnetste Arbeiter auf dem Gebiete der Kirchengeschichte des Mittelalters ist«,43 sah die Kirchengeschichte als einen Teil der allgemeinen Geschichte von Staat, Wirtschaft, Recht und Volk an. Wie H. Reuter, der postulierte, dass eine Kirchengeschichtsschreibung theologischen Prämissen folgen

40

SächsHStA, Bestand 11125, Nr. 10281/163, Personalakte Hauck, Bericht des Dekans vom 9. Januar 1889, Bl. 4. Über die dritte Position auf der Berufungsliste wurde ebenfalls gestritten. G.A. Fricke und Th. Brieger sprachen sich für K. Müller aus. Th. Zahn setzte an die erste Stelle A. Hauck, an die zweite N. Bonwetsch und an die dritte Th. Kolde. Gegen F. Loofs, N. Bonwetsch und Th. Kolde erhob Ch.E. Luthardt Einspruch. 41 Vgl. ebd., Schreiben des C. Gerber vom 23. Januar 1889. Die Reihenfolge auf der Berufungsliste war folgende: F. Loofs, A. Hauck, K. Müller, vgl. ebd., Gutachten vom 22. Januar 1889. Hierin wird dem Bedauern Ausdruck verliehen, dass die Theologische Fakultät Leipzig sich nicht einstimmig einigen konnte. Für F. Loofs spreche, dass sich in Halle/Saale die Studenten zu seinen Vorlesungen drängten und er sehr gut predige. Gegen ihn wurden keine kirchlichen Bedenken ausgesprochen, auch seine Nähe zu A. Harnack sei nur gering zu veranschlagen, da jener in der Theologie und Kirchengeschichtsforschung einen eigenen Weg beschreite. In Bezug auf die Nennung A. Haucks richtete sich das Landeskonsistorium nach Gerüchten, die meinten, »daß seine akademische Wirksamkeit nicht eine so eingreifende und erfolgreiche sein werde, wie man sich solche von D. Loofs [...] mit Zuversicht versprechen zu können glaubt«. A. Hauck habe sich durch die Publikation des ersten Bandes der »Kirchengeschichte Deutschlands« im Jahr 1887 als verdienstvoller Gelehrter erwiesen. Die obengenannten Gerüchte streuten erwiesenermaßen G.A. Fricke und G. Baur in persönlichen Schreiben an C. Gerber, vgl. ebd., Schreiben des G.A. Fricke vom 18. Januar 1889: »Eben sagt mir Herr Prof. Maurenbrecher, daß ihm Herr Prof. Strümpell in Erlangen und ein anderer prof. ordin. ebenda gesagt, Herr Prof. Hauck gelte in Erlangen für einen ›recht mäßigen Docenten‹. Seine Stimme fülle kaum einen großen Raum. Letzteres hatten wir schon sonst gehört, indeß milderte es Herr Prof. Zahn ab.« Vgl. ebd., Schreiben des Dekans vom 18. Januar 1889: »Darf ich aus meiner persönlichen Überzeugung Ausdruck geben, so geht sie dahin, daß unsere Facultät u[nd] Universität mit Loofs am besten gedient wäre. Er hat sich hier bereits in einer Weise bewährt, welche Ausgezeichnetstes [sic] von ihm erwarten läßt; er ist insbesondere als Docent auch Hauck entschieden überlegen; und wenn seine Theologie noch eine gewisse Jugendlichkeit anhaftete, so wird sich das im Kreise von älteren Collegen [...] am sichersten verlieren.« 42 Vgl. ebd., Schreiben der in Evangelicii beauftragten Königlich Sächsischen Staatsminister vom 24. Januar 1889. 43 Vgl. ebd., Bericht des Dekans vom 9. Januar 1889, Bl. 5.

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und theologische Begrifflichkeit reflektieren muss,44 vertrat er die historistische Methode der Quellenkritik. Gegenüber H. Reuter interpretierte K. Müller Kirchengeschichte ohne Rückgriff auf theologische Normbegriffe und beurteilte sie in ihrer Eigenart als Teil der Gesamtgeschichte.45 Der Schüler des Tübinger Vermittlungstheologen, Kirchenhistorikers und Neutestamentlers K. Weizsäcker und des Göttinger Historikers J. Weizsäcker war 1886 A. Harnack auf dessen Gießener Ordinariat nachgefolgt. Die Theologie A. Ritschls ermöglichte ihm eine reflektierte Verhältnisbestimmung von unkritischer, konfessioneller Theologie und religionsgeschichtlichen Liberalismus.46 Seine kirchenhistorischen Arbeiten zeichneten sich durch rechtsgeschichtliche Quellengrundlagen aus, mit deren Hilfe er kirchen- und staatspolitische Streitpunkte nachzeichnete.47 Er gebrauchte den Entwicklungsbegriff F.Ch. Baurs und G.W.F. Hegels, um eine sinngemäße Abfolge des vorliegenden Quellenmaterials herausarbeiten und um diese interpretieren zu können.48 F. Loofs lehnte am 28. Januar 1889 den Ruf nach Leipzig und eine Besoldung von 7500 Mark jährlich mit den Worten ab: Schon vor meiner Reise hierher [nach Berlin, M. T.] mußte ich infolge mündlicher Erkundigung in Leipzig zu diesem Entschluß gedrängt werden. Darf ich die Hallenser Fakultät, die mich einstimmig für meine jetzige Stellung vorgeschlagen hat, verlassen, um in einen Wirkungskreis einzutreten, in dem mich wesentlich andere Verhältnisse umgeben würden?49 44 Trotz der Trennung zwischen profaner Geschichte und Kirchengeschichte beachtete H. Reuter politische Einflüsse auf die Kirchengeschichte, vgl. F.W. Graf, Reuter, 472: »Tiefe Frömmigkeit, ungeheurer Fleiß, methodische Strenge und umfassende Bildung verschmolzen zu einem theol[ogischen] Historismus, der im vermeintlichen Chaos der Gesch[ichte] Spuren Gottes erkennen und durch memoria wesentlicher Tendenzen normatives Orientierungswissen für die schnell sich wandelnde ›moderne Zeit‹ gewinnen wollte.« 45 Vgl. Ohst, Müller, 1572: »Von A. Ritschl in freier Weise lernend, stand er kirchenpolit[isch] den Freunden der Christlichen Welt, persönlich Vertretern der Religionsgeschichtlichen Schule nahe.« 46 Vgl. Werbeck, Müller, 399–403. 47 Vgl. ebd., 402, 14–17: »So hat Müller wesentlich dazu beigetragen, in Auseinandersetzung mit der Schau R[udolf] Sohms das Wesen und die Wirkung der Kirche nicht nur nach der Seite von Geist und Glauben, sondern auch als Erscheinung des Rechts, der Institution und der Ordnung verstehen und achten zu lehren.« 48 Diese Herangehensweise lag seinem zweibändigen Erstlingswerk zugrunde, vgl. K. Müller, Kampf. Seit 1892 arbeitete er annähernd 50 Jahre an seiner Kirchengeschichtsschreibung, vgl. Werbeck, Müller, 401, 46–49: »Müllers Kirchengeschichte [Hervorhebung im Original] ist nicht allein auf die bloße Abfolge und Verknüpfung der Ereignisse fixiert, sondern sie bezieht die innere, theologische Entwicklung, das Anwachsen der Problemstellungen durch die Teilnahme von Kirche und Christentum an den geistigen, kulturellen, politischen und sozialen Gegebenheiten mit ein.« 49 SächsHStA, Bestand 11125, Nr. 10281/163, Personalakte Hauck, Schreiben des F. Loofs vom 28. Januar 1889. C. Gerber war über die Absage F. Loofs sichtlich erstaunt, sodass er den Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig G. Baur um Aufklärung bat, vgl. ebd., Schreiben des Dekans vom 3. Februar 1889: »Meines Wissens hat Loofs hier nichts erfahren, als auf die Frage, ob die Facultät ihn einstimmig vorgeschlagen habe, die Antwort, welche dem präsentigen tüchtigen Collegen nicht wohl vorenthalten werden konnte, daß er nur per majore vorgeschlagen sei. Er leitete allerdings daraus ein Bedenken gegen die Annahme einer Berufung nach Leipzig ab, [...].«

Berufung nach Leipzig 1889

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Was begründete seine Ablehnung? Der Dreißigjährige war vermutlich enttäuscht darüber, dass er vom Professorium der Theologischen Fakultät Leipzig nicht einstimmig für das kirchengeschichtliche Ordinariat vorgeschlagen worden war. Die Frage, ob daraufhin an A. Hauck oder an K. Müller der nächste Ruf ergehen sollte, zog wiederholt keine einstimmige Antwort nach sich. Obwohl G.A. Fricke und Th. Brieger sich für K. Müller aussprachen und ihnen der Dekan G. Baur beipflichtete, erging auf Betreiben des sächsischen Kultusministers C. Gerber am 4. Februar 1889 der Ruf an A. Hauck.50 A. Hauck sicherte am 5. Februar zu, bereits am 1. April, mit Beginn des SH 1889, in Leipzig über Kirchengeschichte zu lesen, wenn sein Gehalt von 7500 Mark jährlich aufgestockt werde und die mit dem Ordinariat verbundene Universitätspredigerstelle keinen großen Zeitaufwand bedeute.51 Vergeblich hoffte das Professorium der Theologischen Fakultät Erlangen, das sich der unzureichenden bibliothekarischen Möglichkeiten ihrer Universitätsbibliothek bewusst war, durch einen Antrag an den Senat der Universität Erlangen A. Haucks Jahresgehalt von 6000 auf 7000 Mark zu erhöhen.52 A. Hauck dankte seinen Kollegen und der Theologischen Fakultät später, dass ihm durch die Berufung nach Erlangen die Lehrtätigkeit eröffnet worden war.53 50 Vgl. ebd., Schreiben des Dekans vom 3. Februar 1889: »Bezüglich weiterer Schritte muß ich es in Beschluß an den Facultätsbericht für das Correkte halten, daß nun zunächst Hauck (geb. 1845) gefragt werde. Seine wissenschaftliche Tüchtigkeit hat er neuerdings durch seine Kirchengeschichte Deutschlands vollgiltig bezeugt u[nd] wenn seine Vorträge auch von seinen Freunden gerade glänzende Eigenschaften nicht nachgerühmt werden, so wird doch allgemein anerkannt, daß er durch die Klarheit, Gründlichkeit u[nd] Gediegenheit seiner Darstellung sehr ersprießlich ist.« 51 Vgl. ebd., Schreiben des A. Hauck vom 5. Februar 1889. 52 Vgl. AFTE, Dekanatsakten, Entwurf vom 5. Februar 1889: »Als im Herbst vorigen Jahres an unseren Collegen Professor D. Hauck ein ehrenvoller Ruf nach Marburg kam, ist es uns zu unserer Freude gelungen, den drohenden schweren Verlust abzuwenden, indem Professor Hauck sich bewegen ließ, seine ausgezeichnete Kraft auch weiterhin unserer Hochschule zu widmen. Aber schon wieder sieht die theologische Facultät sich vor der Gefahr, diesen geschätzten Collegen zu verlieren, [...]. Wir verhehlen uns nicht, daß angesichts der Bedeutung der Universität Leipzig und des dort für ihn zu erwartenden erheblich größeren Vortragskreises, und nicht im wenigsten in Rücksicht auf die in Leipzig um so vieles leichter zu befriedigenden bibliothekarischen Bedürfnisse, ein Umstand, der bei der Eigenart der litterarischen Arbeiten unseres Collegen Hauck gegenüber den bei uns obwaltenden Mängeln sehr ins Gewicht fallen dürfte, die Gefahr eine sehr viel größere ist, und wir nur wenig Hoffnung haben können, sie abzuwenden. Gleichwohl halten wir es für unsere Pflicht, alles zu thun, was dazu dienen könnte. Ueber die Bedeutung D. Haucks brauchen wir kein Wort mehr zu verlieren.« Vgl. UAE, A2/1 Nr. H 49, Acta, Schreiben des Dekans vom 5. Februar 1889. 53 Vgl. ATFE, Dekanatsakten, Schreiben des A. Hauck vom 8. Februar 1889: »Wenn ich trotz der Dankespflicht, die ich deshalb habe, und trotz der mancherlei anderen Umstände, welche geeignet sind, mich an Erlangen zu feßeln, mich nicht entschließen konnte, den Ruf nach Leipzig abzulehnen, so liegt der Grund darin, daß ich mich nicht berechtigt hielt, einem möglicher Weise größerem Wirkungskreise aus dem Wege zu gehen. Wenn ich nun auch demnächst aus Ihrem Kreise scheiden werde, so darf ich mich doch der Hoffnung hingeben, daß die Geistesgemeinschaft, welche sich hier in gemeinsamer Arbeit geknüpft hat, dauernd erhalten bleiben wird.« Vgl. ebd., Schreiben des A. Hauck vom 16. Dezember 1915: »Die Erinnerung an Erlangen hat für mich etwas von dem Schimmer, der auf der Jugendzeit liegt. Was man erstrebt und sucht, erscheint dem jüngeren Mann, der zuerst Hand ans Werk legt, vielleicht gerade deshalb der Arbeit und der Mühe wert, weil es noch nicht vollendet ist. Denn die

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Am 11. Februar 1889 berief König Albert von Sachsen A. Hauck, zwei Tage später folgte die Verordnung des Königlichen Ministeriums des Cultus und öffentlichen Unterrichts, die A. Hauck ein Gehalt von 8500 Mark jährlich zubilligte. Einen Monat später erhielt er von Luitpold von Bayern seine Entlassungsurkunde zum 1. April 1889 »unter wohlgefälliger Anerkennung seiner ausgezeichneten Leistungen auf dem Gebiete der Wissenschaft sowie als Lehrer«.54 Mit seiner Antrittsvorlesung am 4. Mai 1889 erfüllte A. Hauck die Zulassungsbedingungen zum kirchengeschichtlichen Ordinariat an der Leipziger Theologischen Fakultät.

Vollendung raubt dem Gedanken etwas von seiner Reinheit und Durchsichtigkeit. Das empfindet der Alte, der auf die Arbeit des Lebens zurückblickt. Für mich erscheint deshalb die Erlanger Zeit als die ideale Zeit meines Lebens.« 54 Vgl. UAE, A2/1 Nr. H 49, Acta, Entlassungsurkunde vom 5. März 1889.

11. Ertrag der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit versucht, der Bedeutung A. Haucks in der Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung gerecht zu werden. Methodisch basiert sie auf der Verknüpfung von A. Haucks Lebens- und Werkgeschichte mit den Entwicklungen der Kirchengeschichtsschreibung unter dem Einfluss des Historismus und der Geschichte des Historismus selbst. Inhaltlich greift sie drei Schwerpunkte heraus: die Bildungsjahre A. Haucks, die Gegenstände und deren Bearbeitung in der Kirchengeschichtsschreibung A. Haucks und die Einzeichnung der Kirchengeschichtsschreibung A. Haucks in den Historismusdiskurs der 1870er und 1880er Jahre. A. Hauck wuchs in Ansbach in einem von der Erweckungstheologie und dem lutherischen Konfessionalismus geprägten Umfeld auf. Beide Richtungen wirkten sich auf seine theologischen Anschauungen aus: Von der süddeutschen Erweckungstheologie übernahm er das Interesse an der Verhältnisbestimmung von Sünde und Gnade, der Rechtfertigung und Erlösung sowie den ethischen Anforderungen christlichen Glaubens; vom lutherischen Konfessionalismus Erlanger Prägung wurde er auf ekklesiologische und kirchenverfassungsrechtliche Fragestellungen aufmerksam gemacht. Die Pfarrer und Theologen in Ansbach verknüpften in ihrer Evangeliumsverkündung die Vermittlung traditionell christlicher Werte mit einem Festhalten an überlieferten gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen. Ziel dieses Ansatzes war, das Volk auf dem Hintergrund christlicher Traditionen kulturell zu prägen. In der Schule lernte A. Hauck die heilsgeschichtliche Auslegung der Weltgeschichte und die Erlösung des Menschen als Grundlage individuellen religiösen Lebens und der Sittlichkeit bzw. Moralität eines Volkes kennen. Während seines Studiums vertrat A. Hauck hinsichtlich des Staat-KircheVerhältnisses liberale Positionen, die auf eine Trennung von Staat und Kirche hinausliefen. Die zeitgeschichtlichen Umstände hatten ihn zu dieser Ansicht gedrängt. Er billigte der Kirche eine Erziehungsaufgabe zu, die christliche Traditionen vermitteln sollte. Nach Ansicht A. Haucks musste der Staat den Rahmen schaffen, in dem die Kirche ihrer Aufgabe nachkommen konnte. Hierin erhielt A. Hauck maßgebliche Impulse durch A. Scheurl, einem Vertreter der Erlanger theologischen Schule. Dieser vertrat eine Position, die die Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat herausstellte und zwischen Bekenntniskirche und rechtlich verfasster Landeskirche unterschied. Von ihm übernahm A. Hauck die Ansicht, dass ein Volk den Staat bzw. die Kirche konstituiert. Den Begriff des Volkes als Bindeglied von Individualismus und Kol-

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lektivismus lernte er auch bei L. Ranke kennen. A. Hauck interpretierte das Volk als Subjekt und Objekt sittlichen Handelns und deutete wie die Erlanger theologische Schule ein mehrheitlich christlich geprägtes und agierendes Volk als ein dem menschlichen Wesen entsprechendes Volk. Die Einflüsse der Erlanger theologischen Richtung auf A. Hauck waren vielfältig: Ausgehend von der Heilserfahrung des christlichen Subjekts stellten sie die theologische Beziehung von Sünde und Gnade im Leben eines Menschen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Mit einer heilsgeschichtlich-idealistischen Interpretation verstand A. Hauck in Anknüfung an J.Ch.K. Hofmann die Vergangenheit: Von ihm lernte er, christliche Glaubensinhalte auf dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen eines Individuums in der Geschichte zu interpretieren. A. Hauck erkannte, in der Geschichte als den göttlichen Werdeprozess staatliches und kirchliches Gebiet unterscheiden zu müssen. Die Dogmengeschichte untersuchte A. Hauck wie G. Thomasius als einen kirchlichen Erfahrungsprozess, der, von einem Gemeingeist organisiert, die schrittweise Aneignung der Heilsoffenbarung Gottes widerspiegelt. Hierbei spielte G.W.F. Hegels dialektische Geschichtsbetrachtung die bestimmende Rolle. Die ekklesiologischen Ansichten A. Haucks prägte A. Harnack, der Wesen und Erscheinung der Kirche begrifflich unterschied und das Wesen der Kirche wie später G. Zezschwitz vom Begriff des Reiches Gottes her erklärte. A. Hauck übernahm von G. Zezschwitz die volkskirchliche Betrachtungsweise und die Ansicht, dass die Kirche als Reich Gottes in der Welt Existenzrecht gewinnt und in dieser Welt zur Selbstverwirklichung ihres Wesen aufgefordert ist. Diese organischdialektische und ideengeschichtliche Geschichtsinterpretation hatte er bei J.Ch.K. Hofmann und bei I.A. Dorner kennen gelernt. Von diesem übernahm A. Hauck eine Vergangenheitsdeutung, die auf sittlich-religiöse Entwicklungslinien achtete: Voraussetzung dessen war, dass das Christentum als metahistorische Idee betrachtete wurde, die sich in der Geschichte verwirklicht. Demgegenüber vermittelte G.L. Plitt unter Anwendung einer sorgfältigen Quellenauswahl und Quellenkritik A. Hauck, dass sich jeder geschichtliche Fortschritt organisch an die Vergangenheit anschließt, die Vergangenheit aber nicht für die Gegenwart und Zukunft normativ sein kann. Nicht verzichtete G.L. Plitt auf Untersuchungen über die Frömmigkeit historischer Handlungsträger. Einfluss auf die Geschichtsforschung, -interpretation und -darstellung A. Haucks gewann vor allem L. Ranke, der ihn dazu befähigte, Individualität und Kollektivismus als Folge geschichtlicher Entwicklungen wahrzunehmen. Von L. Ranke übernahm er ein geschichtstheologisch abgesichertes Objektivitätsideal und einen Fortschrittsglauben, der sich nicht über die Qualität, sondern über die Quantität definierte. A. Hauck betrachtete demnach das Christentum als eine zeitbedingte Ausprägung der urprünglichen göttlichen Idee. Seine praktisch-theologische Ausbildung im Predigerseminar München und die pfarramtliche Tätigkeit in der Kirchengemeinde Frankenheim konfrontierten A. Hauck mit den kirchlichen Antwortversuchen auf die sozialen Frage. Er

Ertrag der Untersuchung

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postulierte die Notwendigkeit einer Durchdringung des Volkes mit christlichsittlichen Maßstäben. Dem Protestantismus billigte A. Hauck eine Erziehung der Menschen zu, weil er die kulturelle Prägung christlicher Maximen durch die Betonung der individuellen Erlösungsbedürftigkeit in den Mittelpunkt kirchlichen Handelns stellte. Die liberale Politik Preußens und Bayerns während des Kulturkampfes beförderte A. Haucks Eintreten für die christlichen Traditionen und für die kulturelle Integrität der protestantischen Konfession. Auf den Feldern der Inneren und der Äußeren Mission trat er säkularen Strömungen entgegen, die den Einfluss der Kirche auf die Sittlichkeit der Menschen und des Volkes vermindern wollten. Ihnen stellte A. Hauck seine Ansicht entgegen, dass allein die Kirche die Menschen zu einer christlich geprägten Humanität erziehen kann und die Kirche die wahre Bezugsgröße der Menschen und des Volkes ist: Die Annahme des christlichen Glaubens forderte er als Grundbedingung des Volkslebens. A. Hauck konstatierte keinen christlichen Staat, sondern ein christliches Volk. Seine Gegenwart interpretierte er unter der Prämisse, dass gegensätzliche Tendenzen im Volk um Vorherrschaft kämpften. A. Hauck entfaltete seine Ansichten auf dem Hintergrund einer realistischen Interpretation seiner Gegenwart und stützte diese auf die ethischen Überlegungen H.L. Martensens. Von ihm übernahm er die religiöse Begründung von Sittlichkeit, die nach hegelianischen Prämissen christlichen Glauben und Freiheit des Einzelnen in Übereinstimmung brachten. Kultur setzte A. Hauck hierbei mit der Ethisierung der Gesellschaft nach christlichen Vorstellungen gleich: H.L. Martensen hatte seine Ethik als Kulturtheorie entworfen, er hatte I. Kants Begriff menschlicher Autonomie kritisiert und unter Anwendung der Lehre G.W.F. Hegels spekulativ eine Theonomie des Menschen entwickelt. Hierbei wollte er individuelle Freiheit und christlichen Glauben miteinander versöhnen. Der Begriff Theonomie bezeichnete seit 1870 in der konfessionell-lutherischen Theologie den Entwurf einer kritischen theologischen Kulturtheorie (so F.W. Graf). Theonomie wurde für H.L. Martensen zum Postulat, um Kultur allein von theologisch zu begründenden Werten und Traditionen her zu interpretieren und zu bestimmen: Die Kirche ist aufgefordert, der Lex Dei Geltung zu verschaffen, indem sie alle Bereiche der Kultur mit christlichen Anschauungen durchdringt. Der Kirche eignete demnach der Herrschaftsanspruch über die Kultur. H.L. Martensen sah die Existenz der Kultur abhängig von einer theonomen Geschichtsoffenbarung Gottes. Eine religionslose Moral kritisierte er, eine Institutionenethik in Anknüpfung an F.D.E. Schleiermachers und G.W.F. Hegels Anschauungen favorisierte er. Die Autorität historisch bedingter Institutionen leitete er aus dem Handeln Gottes ab. Mit dem Organismusgedanken konstatierte H.L. Martensen eine organische Verbindung von Individuen in einer Gemeinschaft. Dem Staat hatte er dabei die Aufgabe übertragen, die Freiheit jedes Einzelnen zu sichern. Geschichte interpretierte er theologischeschatologisch vom Ziel der Erlösung der Menschheit her: Damit besaß Gott

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die Herrschaft über die Geschichte und über das Handeln der Geschichte. H.L. Martensen war an der Vermittlung von Religion und Kultur interessiert. Seines Erachtens musste die ideale Kultur theologisch fundiert sein, um dem Erziehungsplan Gottes in der Geschichte Raum zu gewähren. Die Kirche sollte dann ihre Aufgabe zur Transformation der Gesellschaft wahrnehmen und dazu die Individuen und Institutionen durchdringen. H.L. Martensen postulierte deshalb das ekklesiologische Modell der Volkskirche. In seiner Tertullian-Monographie analysierte A. Hauck die Sittlichkeit einer Epoche anhand der Person und den Werken des umstrittenen Kirchenvaters. Seine Quellenkritik beruhte auf der literaturwissenschaftlichen Methode und mutete modern an. Er betrachtete christliche Literaturgeschichte als Teil einer allgemeinen Kulturgeschichte, da er auch wie der liberale Protestantismus im Christentum ein Kulturphänomen erblickte. In der christlichen Literaturgeschichte erkannte er die Möglichkeit, die Anfänge der Kirche mit Hilfe der Charakteristik einer historischen Person temporär zu verdeutlichen, um diese Kenntnis für das Leben der Gegenwart fruchtbar zu machen. Unter Bezugnahme auf die historiographische Methode A. Neanders verknüpfte A. Hauck die psychologische mit der pragmatischen Geschichtsbetrachtung, um das göttliche Handeln in der Geschichte zu manifestieren. Er zeichnete eine Entwicklung im Leben des Kirchenvaters nach, indem er ihn in sein gesellschaftliches und politisches Umfeld einbaute, Frömmigkeit und literarische Äußerungen aufs Engste miteinander in Beziehung setzte. Letztlich analysierte A. Hauck an der Person des Kirchenvaters das Wechselverhältnis von Kirche, Kultur und Literatur. Seine Interpretation Tertullians stand unter der Prämisse, dass die Idee einer freien Sittlichkeit Grundlage eines christlich geprägten Staates sein müsse. Im Christentum sah A. Hauck eine Macht, die das soziale Leben beherrschen sollte, weil es von sittlich-religiöser Ernsthaftigkeit geprägt war, die sich im individuellen Leben auswirkte. Sittlichkeit begründete A. Hauck religiös. Institutionen betrachtete er als göttliche Schöpfungsordnungen. In seiner Erlanger Lehrtätigkeit von 1878 bis 1889 las A. Hauck über Kirchen- und Theologiegeschichte, über Dogmengeschichte, über Symbolik, über christliche Kunst, über altchristliche Literaturgeschichte und vereinzelt über Schriften des Neuen Testaments. Er sprach über Gegenstände, denen eine historische Entwicklung eignete, um darin Gottes Wirken in dessen Schöpfungsordnungen nachzugehen, in denen sich göttliche Ideen manifestieren. Unter Verwendung der historischen Ideenlehre begriff A. Hauck das einzelne Ereignis als Teil eines Ganzen, einer Entwicklung in der Geschichte. Indem er die Kirche als irdisch-menschliche Gemeinschaft in Anlehnung an J.G. Droysens Begriff der sittlichen Gemeinschaft konstatierte, konnte er die historisch-bedingte Entwicklung der menschlichen Sittlichkeit bzw. der Durchdringung der Kultur mit christlichen Traditionen, den historisch-bedingten Fortschritt im theologischen Denken und die historisch-bedingte Entfaltung der Kirche als Organisationsform religiösen Glaubens aufzeigen.

Ertrag der Untersuchung

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In Anlehnung an F.D.E. Schleiermacher unterschied A. Hauck in seinen kirchengeschichtlichen Forschungen zwischen einer supranaturalistischen Interpretation der christlichen Lehre und einer rationalistischen Interpretation menschlichen Wirkens in der Geschichte: Gottes Wirken erweise sich in der Entwicklung historisch-bedingter Schöpfungsordnungen, die A. Hauck neben dem Interpretament der Tendenzen als Ideen Gottes analysierte. Mit Hilfe der historischen Ideenlehre begriff er das einzelne historische Ereignis als Teil eines Ganzen und als Folge vorangegangener Entwicklungen. Dabei korrelierte seiner Ansicht nach das Wirken Gottes mit der Freiheit des Menschen. Infolgedessen erhob A. Hauck die religiösen und ethischen Auswirkungen des christlichen Glaubens zum Untersuchungsgegenstand historischer Forschungen. Er war bemüht, Staaten-, Kultur-, Persönlichkeiten- und Institutionengeschichte miteinander zu verknüpfen. Seine kirchenhistorische Interpretation ruhte auf einer entscheidenden Grundlage: Indem das Christentum Ethik und Religion als zwei untrennbare Elemente im Leben eines Menschen begreift, löst es die vornehmlichste Aufgabe der Menschheit und ist deshalb zur Weltreligion fähig. In seinen Ausführungen zur Dogmengeschichte und Symbolik kommt A. Haucks Betonung historischer Bedingtheiten deutlich zum Ausdruck. Dogmen und Bekenntnisse waren für ihn Aussagen einer speziellen Zeit, um das Christentum als Erlösungsreligion zu verstehen. In beiden sah er individuelle Frömmigkeits- und Glaubensvorstellungen verwirklicht, die den Tendenzen einer Zeitepoche entsprachen. In den Vorlesungen über die christliche Kunst stellte A. Hauck die kulturelle Entwicklungsfähigkeit und Assimilierungsfähigkeit des Christentums heraus. Diesen Ansatz verfolgte er auch in seinen Ausführungen über die Geschichte der altchristlichen Literatur. Den Glauben der Kirchenväter betrachtete er als historisch bedingt und relativierbar. Indem A. Hauck die Entwicklung der altchristlichen Literaturformen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen rückte und damit die kulturelle Prägekraft des Christentums prononcierte, konnte er die Quellen nur bedingt für eine Interpretation der Lehren und Institutionen der Alten Kirche nutzen. Eine organische Betrachtungsweise gelang ihm, indem er theologische Ideen mit den zeitgenössischen Umständen in Beziehung setzte und die Umsetzung dieser Ideen in der Literaturgeschichte formkritisch untersuchte. In seinem enzyklopädischen Konzept griff A. Hauck auf F.D.E. Schleiermacher zurück: Beide verknüpften Religion und Sittlichkeit eng miteinander. Wie F.D.E. Schleiermacher stellte A. Hauck die Sittlichkeit nicht normativ vor, sondern beschrieb sie in ihrer historischen Bedingtheit, und erhob zugleich das Wirken des Heiligen Geistes zum Postulat seiner theologischen Betrachtungsweise. Von F.D.E. Schleiermacher übernahm A. Hauck weiterhin die Ansicht von Kirche als ethisch-soziologischer Institution, ergänzte diese aber um den religiösen, erfahrungstheologischen Ansatz der Erlanger Schule. So konnte A. Hauck seine Erkenntnisse über die Vergangenheit auch einer heilsgeschicht-

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lichen Interpretation unterwerfen und eine Entwicklung nachzeichnen. Bedingung dessen war für ihn das Postulat der sittlichen Handlungsfreiheit der Menschen, die sich nach christlichen Grundsätzen zu richten hatte. Mit G. Heinrici erklärte A. Hauck in seiner Geschichtsschreibung die historischen Umstände pragmatisch, das Wirken historischer Handlungsträger pragmatisch sowie psychologisch und die Folgen ihres Handelns objektiv-empirisch. Mit Hilfe dieser Vorgehensweise spürte er den der Geschichte immanenten göttlichen Gedanken nach. Er bediente sich dabei einer dialektischen Geschichtsbetrachtung, die das Ringen der Ideen miteinander bzw. das Ringen der historischen Größen Staat und Kirche historiographisch darstellte. Er wertete die einzelnen geschichtlichen Tatsachen als historische Voraussetzung des Tatbestandes der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, die durch von Gott ausgehende Ideen teleologisch ausgerichtet werden. Die Zukunft blieb für A. Hauck unberechenbar. Zum Bezugspunkt einer historischen Entwicklung erhob er das Volk. Die historische Entwicklung der Kirche war in A. Haucks Geschichtsinterpretation abhängig vom Handeln einzelner Christen, die sich als Glieder der Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen zu dessen Erlösung verstehen. Die Entwicklung der Kirche ist demnach in seiner Betrachtung von anthropologischen Voraussetzungen abhängig. Hierbei griffen menschliche Freiheit und göttliches Wirken ineinander, wobei der Mensch zum Gestalten seiner Welt aufgefordert war (Kultur). A. Hauck verknüpfte die durch Ideen interpretierte Vergangenheit mit dem individuellen Leben der historischen Handlungsträger unter bestimmten Prämissen: Seiner Ansicht nach war Geschichte bedingt von verschiedenen Faktoren. Er interpretierte wie die historistische Geschichtsbetrachtung die Geschichte des menschlichen Lebens in seinen gesellschaftlichkulturellen Äußerungen, verstand also das menschliche Dasein als ein geschichtliches. Durch die Relativierung der Vergangenheit setzte A. Hauck wie vor ihm W. Dilthey auf die Gegenwart- und Zukunftsbewältigung seiner Zeit. Die individualisierte Betrachtung geschichtlichen Lebens überwand A. Hauck, indem er in Anlehnung an J.G. Droysen von den sittlichen Bedingungen, von den Institutionen menschlichen Handelns sprach. Hierin konnte A. Hauck die kulturschaffenden Auswirkungen individuellen Handelns in der Geschichte erkennen und Kultur als positive Folge gemeinschaftlichen Handelns interpretieren. Die Gefährdungen durch einen historischen Relativismus kannte A. Hauck nicht, er sah vielmehr in der mannigfaltigen Ausgestaltung göttlicher Ideen einen quantitativen Fortschritt der Menschheitsgeschichte. Eine konstruierte metaphysische Geschichtsbetrachtung lehnte er ab. Stattdessen suchte er nach geschichtsimmanenten Ideen, die er aus den Tendenzen bzw. Strömungen eines Volkes in einer bestimmten Epoche eruierte. Obwohl A. Hauck die bedingte Bewegung eines einzelnen geschichtlichen Individuums analysierte, interessierte er sich auch für die philosophische Geschichtssystematik, wenn er von Kollektivsingularen (Volk, Institutionen) sprach. Von G.W.F. Hegel hatte er neben

Ertrag der Untersuchung

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der dialektischen Geschichtsbetrachtung auch die Anschauung übernommen, dass die jeweilige Gegenwart nicht einem qualitativen Fortschritt unterliegt, um ein Ideal zu erreichen, sondern dass jede Epoche ihren historischen Wert hat. Bereits J.G. Herder hatte jede geschichtliche Epoche als vollkommen und in sich abgeschlossen betrachtet. Aber dennoch hatte J.G. Herder, wie auch A. Hauck, den sittlichen Fortschritt innerhalb der epochenübergreifenden Geschichte nicht ausgeschlossen, sondern mit dessen Hilfe das Individuelle mit dem Allgemeinen verknüpft. Unter dieser Prämisse gelang es A. Hauck, in Anlehnung an J.G. Herder eine Idee mit dem Individuellen zu verbinden. Hatte J.G. Herder die Humanität in den Mittelpunkt seiner geschichtlichen Betrachtungen gestellt, so verknüpfte G.W.F. Hegel das Individuelle und Ideen mittels des Interpretaments eines objektiven Geistes. Demzufolge betrachtete G.W.F. Hegel vor allem den Staat, J.G. Herder das Volk als geschichtlich bedingte Größen, auf die sich die Ideen beziehen. Den Ort der Begegnung von Gott und Mensch erblickte A. Hauck im einzelnen Individuum, nach historistischer Definition daher auch in Kollektivsingularen wie Volk oder Zeitgeist. Hierin bewies sich seiner Meinung nach die Offenbarung Gottes in der Geschichte. Gegenüber einzelnen Vertretern eines Historismus, der zur Relativierung des Geschichtlichen führte und Volk, Staat, Leben, Kultur als Offenbarungsinhalte Gottes betrachtete, stellte A. Hauck Jesus Christus als den einzigen Mittler der Offenbarung Gottes in den Mittelpunkt seiner Geschichtsinterpretation. So konnte er die christliche Offenbarung vor einem geschichtlichen Relativismus retten. Mit Hilfe des Organismusbegriffes F.D.E. Schleiermachers band A. Hauck die Freiheit und Spontaneität menschlicher Handlungen zurück an ihre historischen Bedingungen und an ihre Denkvoraussetzungen. A. Hauck gründete unter Bezugnahme auf H.L. Martensens Theonomie-Vorstellung wie auch der frühe Historismus die individuelle Freiheit auf ihre transzendenten göttlichen Ursprünge bzw. auf die erfahrungstheologisch interpretierte Gott-MenschBeziehung, die Erlösung durch Versöhnung erlangt. Glaubensüberzeugungen wurden nach Ansicht A. Haucks über individuelle Handlungsträger oder Kollektivsingulare an die historischen Begebenheiten vermittelt.1 Der Mensch wurde somit Träger der Kultur, der europäischen Kultur; er wertete und gestaltete seine Bedingungen eigenhändig mit. A. Hauck übernahm von J.G. Herder die kulturfreundliche Haltung des Historismus, band diese aber an religiöse, offenbarungstheologische Prämissen. Seines Erachtens musste der von seiner Erlösung durch Jesus Christus lebende Mensch sein Handeln auch nach sittlichreligiösen Ansätzen des traditionell-christlichen Glaubens (Buße, Umkehr und 1 Vgl. Fülling, Historismus, 287: »So erhalten plötzlich die Dinge, an denen Geist und Natur zugleich beteiligt sind, ein ungeheures Gewicht: Kultur und autonome Sittlichkeit leisten den entsprechenden Mitteldienst zwischen Gott und Mensch. Die sittliche Kultur ist nicht mehr nur Stätte und Folge der Offenbarung, sondern auch ihr Inhalt und die Norm.«

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Wiedergeburt) erfüllen. Indem A. Hauck somit auf das Postulat eines geschichtsimmanenten Zieles verzichtete, gewann er einen Blick für die Mannigfaltigkeit religiösen und kulturellen Lebens. Er verknüpfte demnach auf das Engste erfahrungstheologische Interpretationen individuellen Handelns mit dem Fortschritt der Sittlichkeit und der Kultur. »Kultur steht in einem notwendigen Zusammenhang mit menschlicher Freiheit. Mit ›Kultur‹ wird immer der Gestaltungsraum menschlicher Freiheit thematisiert.«, so F.W. Graf und K. Tanner in ihrem Aufsatz über »Das religiöse Fundament der Kultur«.2 Beide erkannten, dass der Mensch die vorfindliche Welt zu einer Welt der Ideen mit Hilfe von Traditionsaneignung, kritischer Reflexion und konstruktiver Neugestaltung transzendieren kann. Diese Transzendenz werde im Historismus mit religiöser Symbolik zur Darstellung gebracht: Kulturdeutung und Religiosität seien deshalb eng miteinander verknüpft. Die Möglichkeit zum Kulturschaffen müsse in einem institutionellen Rahmen geschehen, der Sicherheit zum eigenständigen und verantwortlichen Handeln verleihe. A. Hauck billigte der Kultur nicht die Möglichkeit zur sittlichen Selbstvervollkommnung des Menschen zu, sondern erwartete diese einzig von der Erfahrungstheologie, von der persönlichen Gott-Mensch-Beziehung her. Die Kirche betrachtete er als eine der Kultur sinnstiftende Institution, weil diese – religiös vermittelt – vom Erlösungsgeschehen her interpretiert werden kann. Kultur band A. Hauck demnach eng an das kirchliche Handeln zurück. Individuelle Freiheit, Kultur und Religion brachte er unter Bezugnahme auf H.L. Martensens Theonomie in einen systematischen Zusammenhang. Deshalb setzte er wie andere konservative Theologen in Abgrenzung zu liberalen Theologen auf die Institution Kirche, der er den Primat ethischen Führungsanspruches zubilligte. Voraussetzung dessen war die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat. J.G. Herder hatte die zielgerichtete Vervollkommnung der Kultur in einer geschichtlichen Entwicklung postuliert, um das Humanitätsideal innergeschichtlich zu erreichen. Postulat seines Gedankenganges war eine Soteriologie, die jedes menschliche Handeln in ihren Dienst nahm. Demgegenüber lehnte I. Kant eine geschichtsimmanente Vervollkommnung des Humanitätsideals ab, folglich auch das Erreichen einer nächsthöheren Kulturstufe. Das 19. Jahrhundert hatte den Kulturbegriff dahingehend verändert, dass die Selbstdisziplinierung und Bildung des historischen Subjekts hinter dessen überindividueller Dimension zurücktrat. Folge war einerseits die Politisierung des Kulturbegriffs und dessen Übertragung auf einen Kulturstaat und andererseits die ethisch-sozialtheoretische Deutung des Kulturbegriffes. Gegen J.G. Fichte lehnte A. Hauck den Staat als Realisierungsinstrument von Sittlichkeit ab, weil der Staat einzig den Rahmen für eine sittlich-religiöse Durchdringung der Kultur zur Verfügung stellen sollte. J.G. Fichtes Idee eines Kulturstaates mit religi2

F.W. Graf/Tanner, Fundament, 7.

Ertrag der Untersuchung

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öser Begründung konnte A. Hauck deshalb nichts abgewinnen. Er stellte sich in die Nachfolge F.D.E. Schleiermachers, der Ethik als Wissenschaft von der Kultur begriff und einen systematischen Zusammenhang von Religion und Kultur postuliert hatte. Wie dieser unterschied auch A. Hauck zwischen den einzelnen Kultursphären, wobei diese Unterscheidung zur Differenzierung von Kultur beitrug. Gerade die Gleichberechtigung dieser verschiedenen Kulturgebiete, die sich in ihrer Autonomie wechselseitig bedingten, war Merkmal der Schleiermacherschen und auch der Hauckschen Kulturinterpretation. Beide betrachteten das Christentum als Bewahrer der Humanität. Kultur interpretierte A. Hauck demnach immer unter der Fragestellung, ob sie legitime Folgegestalt christlicher Grundüberzeugungen sei. Von R. Rothe übernahm A. Hauck die Anschauung, dass der christlichen Durchdringung der Kultur innergeschichtlich nachgespürt werden müsste. R. Rothes Gleichsetzung von Kulturfortschritt und ansteigender Realisierung des Reiches Gottes lehnte A. Hauck aber ab, da er Religiosität nicht mit Kultur identifizierte. Gegen R. Rothe kannte A. Hauck in der Geschichte auch kulturellen Verfall. Indem A. Hauck die moderne Kultur seiner Zeit kritisierte und unter religiösen Prämissen interpretierte, erwies er sich als Kulturlutheraner.3 Gegen einen allein herrschenden Individualismus positionierten die Kulturlutheraner die Autorität starker Institutionen, die sie damit begründeten, dass eine sittliche Gemeinschaft für ein soziales und auch individuelles Leben unaufgebbar sei. Mit ihrer Ablehnung des säkularen Gesellschaftsbegriffes korrelierte die Hervorhebung des Volkes »als einer historisch gewachsenen sittlichen Gemeinschaft«.4 Einen Nationalismus als Integrationsmodell von kulturellen Handlungen wiesen die Kulturlutheraner ab. Wie sie betonte A. Hauck die kulturgestaltende Kraft des Christentums. Das Verhältnis von Staat, Kirche und Kultur bestimmte er dabei wie H.L. Martensen und Ch.E. Luthardt, die in Anknüpfung an reformatorische Überlegungen jeden Gewissenszwang im christlichen Glauben ablehnten und zwischen Staat, Kirche und Kultur streng differenzierten.5 A. Hauck benutzte in seiner Kirchengeschichtsschreibung einen kulturintegrativen Religionsbegriff. Er vertrat das mittelalterliche Ideal einer kirchlich geführten Kultur und einer religiös definierten und staatlich gewährleisteten 3

Vgl. ebd., 26: »Auf dem Fundament einer differenzierten theologischen Kritik der Idee vernünftiger Autonomie des Menschen entwickeln sie [die Kulturlutheraner, M. T.] ein gegenüber dem liberalen Fortschrittsglauben alternatives Kulturkonzept. Sehr viel schärfer als die protestantischen Liberalen unterschieden diese konservativen Kulturlutheraner zwischen bloßem Fortschreiten und sittlichem Fortschritt, zwischen Zivilisation und wahrer Kultur.« 4 Ebd., 26. 5 Vgl. ebd., 28: »Die Christlichkeit des Gemeinwesens soll nicht durch eine direkte Christianisierung der politischen Institutionen gewährleistet werden. Vielmehr setzen sie auf eine Kirche, die verwurzelt in allen Schichten des Volkes, die einzelnen Christen darin stärkt, auf allen Gebieten der Kultur ihren christlichen Beruf wahrzunehmen. Mit dieser Volkskirchenkonzeption verbindet sich der Anspruch, daß in der kulturellen Gegenwartskrise die Christen jene Wertelite sind, die weitere Entsittlichung verhindern können.«

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

kulturellen Einheit. Dennoch konnte er die Vielgestaltigkeit des Christentums in den einzelnen Konfessionen akzeptieren. Kultur verstand A. Hauck als Idealzustand des Individuums und der Kollektivsingulare. Die Hervorhebung der Bildung stützte seine Ansicht. Indem er J.G. Herders organologische Metapher des pflanzlichen Wachstums übernahm, zeigte A. Hauck die Grenzen des normativen Anspruches der Kultur auf.6 Von J.G. Herder hatte er auch das Postulat einer europäischen Humanität übernommen, die auf Bildung und Freiheit des Einzelnen beruhte. Es zeigte sich, dass er die organologische Kulturzyklentheorie vertrat. Dennoch ging er nicht soweit, den normativen Anspruch von Kultur, d.h. Kultur als Ziel des Fortschritts der Menschheit, aufzugeben zugunsten einer rein deskriptiven Beschreibung kultureller Vielfalt. Mit seiner theologischen Rezeption des Kulturbegriffes bemühte er sich, die innere Einheit der sozialen Welt zu erkennen.7 Religion war für A. Hauck wie für J.G. Herder der elementare Kulturfaktor. Auch die Schüler I. Kants hatten an J.G. Herders Verknüpfung von Kultur und moralisch interpretierter Religion festgehalten. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich diese Verknüpfung von Frömmigkeit und Bildung »zu einem zentralen Element eines spezifisch deutschen Kulturideals«.8 Kulturnationen beschrieb A. Hauck von ihrer Geschichte und ihrem Volksgeist her. Mit F.D.E. Schleiermacher stellte er keine Identität von Kulturprozess und Reich Gottes fest. Kritisch analysierte er, ob die Kultur seiner Gegenwart legitime Folgegestalt altchristlicher Grundüberzeugungen sei. Hier hatte sich A. Hauck gegen R. Rothes christlichen Kulturstaat gewandt. Wie die Kulturlutheraner betonte A. Hauck die Selbständigkeit des Christentums von der Kultur sowie vom Staat. Die Kultur bewertete er aufgrund seiner anthropologischen Anschauungen nicht soteriologisch: Der Mensch ist auch als Kulturwesen erlösungsbedürftig und muss deshalb am Aspekt der geschöpflichen Freiheit festhalten.9 Über den Kulturbegriff gelang A. Hauck eine Europäisierung der deutschen Geschichte. Kultur verstand er immer als ein Produkt der Religion, aber nicht als deren Ziel. A. Hauck musste, wollte er über die Kirche eine Geschichte schreiben, den Kirchenbegriff definieren. F.W. Graf stellte fest: »Jede Beschreibung der Aufgabe bzw. Funktion der Kirche steht in engstem Zusammenhang mit einer Deutung der Welt, in der die Kirche wirken soll. Insofern impliziert jede Kirchentheorie immer auch eine Kulturtheorie.«10 In der Ekklesiologie musste A. Hauck demnach Stellung beziehen, die die behauptete Kulturintegrationskraft 6 Vgl. Rodi, Kultur, 180, 9–11: »Kultur als Inbegriff einer alles durchdringenden Einheit und Totalität unterliegt dem Gesetz alles Lebendigen, zu wachsen und abzusterben.« 7 Vgl. F.W. Graf/Tanner, Kultur, 188, 9–11: »Systematisch wird diesem Interesse vor allem über die These Geltung verschafft, Religion sei das entscheidende Fundament menschlicher Freiheit und damit aller Kulturgestaltung.« 8 Ebd., 190, 3f. 9 Vgl. Haigis, Kultur, 1826. 10 F.W. Graf/Tanner, Fundament, 56.

Ertrag der Untersuchung

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des Christentums bestätigen konnte. Er konstatierte deshalb, dass sich die Kirche über die Offenbarung Gottes kulturell, in kulturellen Bezügen, verwirklicht. Sein Kirchenbegriff richtete sich zum einen nach der Definition F.D.E. Schleiermachers, der die Kirchenleitung in den Mittelpunkt stellte. Auf der anderen Seite erkannte A. Hauck aber gerade in der Kirche die Institution, die den traditionellen Glauben mit seinen zeitbedingten Lehren in eine einheitliche organische Entwicklung stellte: »Dieses Bedürfnis ist begründet im Wesen der Kirche, sie muss es haben, so gewiss sie ein Gemeinwesen ist, das den Einzelnen überdauert, und das ein selbständiges Leben hat neben dem Leben der Einzelnen, die ihm angehören.«11 Er unterwarf die Kirche als communio sanctorum einer historischen Entwicklung. Wie K. Hase hatte A. Hauck die Kirche in den Gegensatz zur Welt gestellt, um diese, die er auch als Schöpfung Gottes betrachtete, mit christlichen Grundsätzen zu durchdringen. Geschichte der Kirche war demnach aufs Engste verknüpft mit der Geschichte der Sittlichkeit, der Ausbreitung, der Rechtsgemeinschaft, des Kultus der Kirche. Er verstand demnach Kirchengeschichte als eine theologische Disziplin, in der sich die Kenntnis der Geschichte des Christentums auf die Lebensäußerungen der Kirche auswirkt. A. Hauck identifizierte die christlichen Grundüberzeugungen mit dem Inhalt des Evangeliums von Jesus Christus: Erlösung des Menschen und Versöhnung mit Gott. Wichtig war ihm in seinem Kirchenverständnis das Verhältnis von Kirche und Welt bzw. die Durchdringung der Welt durch das Christentum. Wesen und Aufgabe, sichtbare und unsichtbare Kirche verknüpfte er miteinander. Dennoch erkannte er, dass die äußere Gestalt der Kirche nicht ihrem innersten Wesen entspricht, sondern an die historischen Bedingungen geknüpft ist. Die Rechtfertigung des Menschen erhob er zum Leitbegriff einer protestantischen Kirchenbetrachtung. Mit F.D.E. Schleiermacher hatte er die Gemeinschaft der Heiligen als einen Organismus der Wiedergeborenen verstanden, der unter Mitwirkung des Heiligen Geistes gebildet und von diesem geleitet wird. Betrachtete A. Hauck zwar die Kirche in systematisch-theologischer Perspektive nicht als Anstalt im Sinne W. Löhes oder A. Vilmars, so ging er in seiner Kirchengeschichtsschreibung von einer institutionellen, rechtlich verfassten Kirche aus, wie A. Scheurl konstatierte und wie sie J.W.F. Höfling konsequent ablehnte. So unterschied A. Hauck in seiner konfessionskundlichen Vorlesung auch zwischen Partikularkirchen, die der einen Kirche angehörten. Dennoch konnte er auch den Organismusgedanken, der die Kirche als eine Gemeinschaft von Heiligen definierte, in Anwendung bringen, indem er kirchengeschichtliche Betrachtungen von erfahrungstheologischen Ansätzen aus interpretierte: Hier erbaute der Heilige Geist die Christen in ihrem Glauben. Letztlich stand A. Hauck damit in der Nachfolge von K.F.A. Kahnis, der die Kirche von zwei Perspektiven aus betrachtet hatte: zum einen ihrem Wesen nach als Gemeinschaft der Gläubigen und zum anderen ihrer äußeren Erscheinung nach als 11

A. Hauck, Kirchengeschichte, 736f.

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

Gemeinschaft der äußerlich Berufenen. A. Hauck sah wie K.F.A. Kahnis die Aufgabe der Kirche darin, die Christianisierung der Welt voranzutreiben und die Christen zu einen. Postulat dessen war, dass die Kirche rechtlich verfasste Organisation ist. Infolgedessen unterschied er zwischen der Kirche als göttlicher Schöpfungsordnung und der Kirche als menschlicher Organisation. Damit definierte er wie K.F.A. Kahnis die Kirche als eine organisierte Gemeinschaft der Berufenen durch den Heiligen Geist, die von Jesus Christus geleitet wird. Letztlich griff er mit dem Organismusgedanken auf einen romantisierten Kirchenbegriff zurück. Organismus und organische Entfaltung waren Prämissen seiner Kirchengeschichtsschreibung. Zudem bestimmte ein weiteres Element A. Haucks Kirchengeschichtsschreibung: sein Verständnis des Kirche-Staat-Verhältnisses. Als konservativer Lutheraner trennte er zwar die Aufgabenbereiche des Staates von den Aufgabenbereichen der Kirche, postulierte aber dennoch, dass der Staat auf einem christlich-sittlichen Fundament steht. Er verwarf R. Rothes Vorstellung einer im Staat aufgehenden Kirche und eines über die Kirche hinausgehenden Christentums und näherte sich A. Ritschls Gedanken an, die F.D.E. Schleiermachers Kirchenidee kontinuierlich fortgesetzt hatten. Wie A. Ritschl betonte er die rechtliche Verfassung der Kirche in institutionstheoretischer Hinsicht. Gemeinsam mit dem Ultramontanismus setzte er sich daher auch für die Durchdringung des Staates mit christlichen Überzeugungen ein. Somit wollte er einem seines Erachtens sittlich gefährdeten Volksleben entgegentreten. Letztlich ging es A. Hauck um den Ausgleich von staatlichen und kirchlichen Interessen in Bezug auf ein Volk. In dieser Weise hatte auch O. Bismarck den Kulturkampf in den 1880er Jahren befrieden wollen. A. Hauck analysierte in seiner Kirchengeschichtsschreibung vornehmlich die Auswirkungen individuellen christlichen Glaubenslebens und beschrieb diese. Dabei ging er von einer Gleichwertigkeit der Vielgestaltigkeit aus, wie es die historistische Geschichtsinterpretation gefordert hatte. Indem er den Menschen eine Entscheidungsfreiheit hinsichtlich ihres Handelns zubilligte, konnte er die Anschauung einer Geradlinigkeit der Geschichte – wie sie noch J.Ch.K. Hofmann vertreten hatte – nicht akzeptieren. Er übernahm das Denkschema von G.W.F. Hegels Dialektik, um Widersprüche und Gegensätze in der Geschichte aufzuspüren, um geschichtsimmanente Gefahren der Sichtbarmachung des Wesens der Kirche in ihrer Geschichte zu erkennen. In der Geschichte eruierte er in Anlehnung an die historische Ideenlehre Ideen, die miteinander um die Herrschaft über den Fortgang der Geschichte ringen. A. Haucks Ideentheorie hing aufs Engste zusammen mit seiner Periodeneinteilung. Mit Hilfe des Entwicklungsbegriffes verdeutlichte er innerhalb der mannigfachenVeränderungen eine Kontinuität geschichtlicher Ideen. In Anlehnung an die Romantik lehnte er unter Bezugnahme des Entwicklungsgedankens Revolutionen als diskontinuierliche Größen ab. Es zeigte sich, dass A. Hauck dem Entwicklungsbegriff Funktionen eines Fortschrittbegriffes über-

Ertrag der Untersuchung

367

trug. Unter Anwendung des Fortschrittsbegriffes verwarf er zirkuläre Geschichtsmodelle und erkannte auch in Diskontinuitäten eine kontinuierliche Richtung der Geschichte. Von F.D.E. Schleiermacher übernahm A. Hauck hierbei die Forderung, nicht eine Geschichtskonstruktion zu entwerfen, sondern das plurale Nebeneinander geschichtlicher Erscheinungen in ihrer jeweiligen Bedingtheit zu akzeptieren und zu beschreiben. Mit J.G. Droysen interpretierte A. Hauck die Bewegung der sittlichen Welt. Die Frage nach den Zusammenhängen, Folgen und Wirkungen von Handlungen und Ereignissen im Prozess der Geschichte analysierte er in Anlehnung an J.G. Droysen aus dem Handeln der einzelnen Individuen, die sich zu bestimmten Zwecken zusammenschließen und deren Leben durch Institutionen beeinflusst wird. Erzählte Geschichte spielte in A. Haucks kirchlicher Historiographie auf zwei Ebenen: auf der Ebene der großen Begebenheiten zwischen den Institutionen und auf der Ebene der einzelnen Besonderheiten; beide Ebenen standen in mannigfaltiger Wechselwirkung zueinander. Wie in L. Rankes Geschichtsschreibung integrierten in A. Haucks Geschichtsschreibung die Staaten und die Kirche das Volk und die einzelnen Menschen. Im Gegensatz zu L. Ranke, der auf die Vielheit von Völkern und Nationen aus war, um eine selbstreguliertes System kultureller Organisationen zu erreichen, beschrieb A. Hauck den mittelalterlichen Universalismus der Kirche und des Sacrum Imperium der Deutschen. Auf dem Hintergrund des staatlichen und kirchlichen Universalismus verstand er Kultur als europäische Kultur. Dabei war A. Hauck wie K.B. Hundeshagen an den Wechselbeziehungen von kirchlichem und gesellschaftlichem Leben interessiert. Indem er in seiner Kirchengeschichtsschreibung politisches, gesellschaftliches, religiöses und wirtschaftliches Leben beschrieb und miteinander in Beziehung setzte, gelang es ihm, Individualität und Gemeinschaft in einer christlich orientierten Menschheit zu interpretieren. Folglich schilderte er auf unterschiedlichen Feldern die Vielgestaltigkeit christlichen Gemeinschaftslebens. Letztlich verknüpfte er die kontextualistische mit der organizistischen Geschichtsinterpretation. A. Hauck interpretierte Geschichte unter der historistisch-wissenschaftlichen Prämisse, dass empirische Zeugnisse die geistige Intentionalität der Geschichte erschließen. Wie J.G. Droysen erhob er den Anspruch, historische Prozesse über die Kenntnisse des Quellenmaterials hinaus verstehen zu wollen. Um dies zu erreichen, brachte A. Hauck von W. Humboldts historische Ideenlehre in Anwendung. Das Postulat des Verstehens ermöglichte es ihm, den Wert jeder Periode aus dieser zu eruieren und die vielgestaltige historische Gemengelage würdigend zu beschreiben. Mit Hilfe der geschichtstheoretischen Fundamentalkategorie des Geistes verknüpfte er die einzelnen Geschichtsepochen untereinander und stellte diese in einen Entwicklungszusammenhang. Die Annahme einer kontinuierlichen Entwicklung ermöglichte ihm trotz aller Kausalität historischer Prozesse, Sinn, Werte und Ideen im Geschichtsverlauf zu erkennen. Wie das historistische Denken verstand A. Hauck das historische Individuum zum

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

einen als geschichtlich bedingt, zum anderen als Vorkämpfer einer allgemeinen Tendenz. Die Krise historistischen Denkens wirkte sich auf die Historiographie A. Haucks nicht aus. Er kannte wie G.W.F. Hegel eine Teleologie der Geschichte. Die moralische und autoritative Abwertung der Begriffe Kultur und Geist war ihm fremd. Auch die Gefahr eines historischen Relativismus war ihm nicht bewusst geworden, da er das Einzelne stets mit der historischen Ideenlehre interpretierte, nach der das Allgemeine im Einzelnen aufscheint. In seiner Historiographie gingen die Vorstellungen von Ideen auf die Ebene der Kollektivsingulare über. So behauptete er die Leitkategorie des Historismus, die Versittlichung der Gesellschaft als Triebkraft der menschlichen Freiheit und Grund geschichtlichen Fortschritts, weiterhin, obwohl sie in den 1880er Jahren und später von M. Weber bestritten wurde. Die einhergehende Infragestellung der Werte abendländischer, christlicher Bildung berührte seine Geschichtsinterpretation und -schreibung nicht. Indem A. Hauck die historistisch-historiographischen Kategorien Entwicklung und Fortschritt in seiner Historiographie vornehmlich verwandte, entgegnete er dem drohenden Verbindlichkeitsverlust von Geschichte in ihrer Relativität. Er schrieb Geschichte mit Hilfe der künstlerisch-narrativen Methode. Durch die Erzählung von Geschichte bildete er Identität neu. Für seine historiographische Komposition wurde die Erkenntnis von Ideen grundlegend. Unter Bezugnahme der Prämisse eines (deutschen) Volksgeistes gelang ihm die einheitliche Auffassung des Mittelalters trotz dessen kultureller Vielfalt. In seiner Kirchengeschichtsschreibung übernahm A. Hauck von M. Schneckenburger und K.B. Hundeshagen die Auffassung, dass die Kirche die Einheit von Religiosität und Sittlichkeit sichert und diese gegenüber Einflüssen des Staates selbständig vertritt. Mit K.R. Hagenbach erkannte er in der Kirchengeschichte die Vermischung von göttlichen und menschlichen Handlungen. In Anlehnung an A. Ritschl tendierte A. Hauck zu einer psychologisch-kausalen Geschichtsbetrachtung christlicher Gemeinschaftsformen. Wie dieser hob er das Kulturbewusstsein, die bürgerliche Frömmigkeit und die Kirche als reine Sachverwalterin der göttlichen Offenbarung als gewinnbringend für die menschliche Sittlichkeit hervor; dem Staat übertrugen beide die Aufgabe der Disziplinierung der Bevölkerung. In Anlehnung an die kirchliche Rechtsgeschichte betrachtete A. Hauck die Kirche als geschichtlich bedingte und rechtlich verfasste Institution. Hierbei nahm A. Hauck die Ansicht G. Uhlhorns auf, dass der Rechtsstaat zu einem Sozialstaat werden muss, der christlichen Maximen zum Durchbruch verhilft. Wichtig für A. Haucks kirchliche Historiographie war die Frage nach der Frömmigkeit eines Aktanten. Die Kirche stilisierte er zur überindividuellen Ursache und Trägerin persönlicher Glaubensüberzeugungen.

12. Abkürzungsverzeichnis

AAWLM.G ADB AHBGCA ATFE BayD BBKL BKV

BVSGW.PH CA CSEL DBA DBE EHAT EOK GCS

GGB

GStA PK HUBE HUBL KL

LAELKB LMA NDB OKM PAH PfA RE RE1

Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, Geistesund Sozialwissenschaftliche Klasse. Allgemeine deutsche Biographie, 56 Bd., Leipzig 1875–1912. Nachdruck 1968–1974. Archiv der Historischen Bibliothek des Gymnasiums Carolinum Ansbach. Archiv der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg. Bayerisches Dekanat. Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon/begr. und hg. v. Friedrich Wilhelm Bautz, fortgef. v. Traugott Bautz, Bd. 1ff, Herzberg 1976ff. Bibliothek der Kirchenväter: Auswahl der vorzüglichsten patristischen Werke in deutscher Übersetzung, hg. unter der Oberleitung Fr[anz] X[aver] Reithmayr, 53 Bd., Kempten 1869–1888 21911–1931. Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Philologisch-Historische Klasse. Confessio Augustana. Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum/ed. consilio et impensis Academiae Litterarum Caesareae Vindobonensis, Wien 1866ff. Deutsches Biographisches Archiv, München/London/New York/Paris (Mikrofiches). Walter Killy/Rudolf Vierhaus (Hg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, 13 Bd. in 15 Bd., München/New Providence/London/Paris 1995–2003. Estnisches Historisches Archiv, Tartu. Evangelischer Oberkirchenrat Berlin. Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte/hg. v. der Kommission für Spätantike Religionsgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 53 Bd., Berlin/Leipzig 1897–1969. Brunner, Otto/Conze, Werner/Kosselleck, Reinhart (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe: historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bd., Stuttgart 1972–1997. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin. Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Leipzig. Wetzer, Heinrich Joseph/Welte, Benedikt (Hg.), Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenchaften, 12 Bd. mit Register-Bd., Freiburg im Breisgau 1847–1860. Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg. Bautier, Robert Henri (Hg.), Lexikon des Mittelalters, 9 Bd. und Reg.-Bd., München 1980–1999. Neue deutsche Biographie. Bd. 1ff, Berlin 1953ff. Oberkonsistorium München. Privatarchiv Hauck, Münster. Pfarrarchiv. Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. 1.–3. Aufl. Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche/in Verb. mit vielen protestantischen Theologen und Gelehrten hg. v. Johann Jakob Herzog, Bd. 1. Ham-

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RE2

RE3

RGG RGG2 RGG3 RGG4

SächsHStA SH TFIfKGL TRE UA UAE UAL UB WH

Historismus und Kirchengeschichtsschreibung burg 1854, Bd. 2–9, Stuttgart 1854–58, Bd. 10–21, Gotha 1858–66, Generalreg.-Bd. Gotha 1868. Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche/unter Mitwirkung vieler protestantischer Theologen und Gelehrten hg. v. Johann Jakob Herzog/Gustav Leopold Plitt, [ab Bd. 8] mithg. v. Albert Hauck, [ab Bd. 11] allein fortgeführt von Albert Hauck, 2., durchgängig verb. und verm. Aufl., 18 Bd., Leipzig 1877–1888. Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche/begr. v. Johann Jakob Herzog, unter Mitwirkung vieler Theologen und Gelehrten hg. v. Albert Hauck, 3., verb. und verm. Aufl., 24 Bd., Leipzig 1896–1913. Die Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, hg. v. F. M. Schiele, 5 Bd., Tübingen 1909–1913. Die Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 2., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Hermann Gunkel, 5 Bd., Tübingen 1927–1931, Reg.-Bd. 1932. Die Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 3., völlig neu bearb. Aufl., hg. v. Kurt Galling, 6 Bd., Tübingen 1957–1962, Reg.-Bd. 1965. Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 4., völlig neu bearb. Aufl., hg. v. Hans-Dieter Betz, Bd. 1ff, Tübingen 1998ff. Sächsisches Hauptstaatsarchiv, Dresden. Sommerhalbjahr. Theologische Fakultät, Institut für Kirchengeschichte, Leipzig. Theologische Realenzyklopädie, hg. v. Gerhard Krause/Gerhard Müller, 36 Bd., Berlin/New York 1977–2004. Universitätsarchiv. Universitätsarchiv der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Universitätsarchiv Leipzig. Universitätsbibliothek. Winterhalbjahr.

Soweit im Literaturverzeichnis Abkürzungen für Zeitschriften, Serientitel, Sammelwerke und Lexika verwendet werden, richten sich diese nach Siegfried M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete: Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, Berlin/New York 21992.

13. Literatur

13.1 Quellen 13.1.1 Ungedruckte Quellen Ansbach, Archiv der Historischen Bibliothek des Gymnasiums Carolinum (AHBGCA) Schulakte Albert Hauck. Absolutorialarbeit aus der protestantischen Religionslehre. Absolutorialarbeit aus dem Fach Griechisch. Deutscher Aufsatz über das Thema »Gedanken über die Gefahren des Glücks«. Absolutorialarbeit aus dem Fach Mathematik und dem Fach Physik. Absolutorialarbeit aus dem Fach Allgemeine Geschichte.

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Marburg A. Harnack an den Geheimen Oberregierungsrat im Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und MedicinalAngelegenheiten F.Th. Althoff vom 2. Oktober 1888. Telegraphie vom Königlich Bayerischen Professor A. Hauck an den Geheimen Oberregierungsrat im Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten F.Th. Althoff vom 3. Oktober 1888. Schreiben des Königlich Bayerischen Professors A. Hauck an den Geheimen Oberregierungsrat im Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten F.Th. Althoff vom 3. Oktober 1888. Schreiben des Berliner Professors A. Harnack an den Geheimen Oberregierungsrat im Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten F.Th. Althoff vom 3. Oktober 1888. Bericht der Theologischen Fakultät der Universität Marburg betr. die Besetzung des durch die Versetzung des Professors A. Harnack erledigten Lehrstuhles der Kirchengeschichte an den Geheimen Oberregierungsrat im Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und MedicinalAngelegenheiten F.Th. Althoff vom 7. Oktober 1888. Bestallungs-Schreiben des Geheimen Oberregierungsrates im Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten F.Th. Althoff für den Privatdozenten A. Jülicher vom 13. Oktober 1888. Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Marburg W. Herrmann an den Geheimen Oberregierungsrat im Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten F.Th. Althoff vom 17. Oktober 1888. Gutachten der Theologischen Fakultät der Universität Marburg unter dem Dekan W. Herrmann zur Wiederbesetzung des kirchenhistorischen Ordinariats an den Königlichen Staatsminister und Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten G. Goßler vom 20. November 1888.

Nachlass »Harnack, Adolf von (1851–1930)«, Teilnachlass 1, Kasten 32. Schreiben des Königlich Bayerischen Professors A. Hauck an A. Harnack vom 14. Oktober 1888.

Dresden, Sächsisches Hauptstaatsarchiv (SächsHStA) Bestand 11125, Ministerium des Kultus und Öffentlichen Unterrichts/Ministerium für Volksbildung, Nr. 10281/110, Personalakte Professor Dr. theol. Th. Brieger in Leipzig. Gutachten der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig unter ihrem Dekan V. Lechler für das Königlich Sächsische Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 11. März 1886. Gutachten des Evangelisch-Lutherischen Landeskonsistoriums in Dresden für das Königlich Sächsische Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 20. März 1886.

Bestand 11125, Ministerium des Kultus und Öffentlichen Unterrichts/Ministerium für Volksbildung, Nr. 10281/163, Personalakte Professor Dr. theol. A. Hauck in Leipzig, 1888–1929. Bericht des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig G. Baur über die Sitzung des Professoriums der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig an das Königlich Sächsische Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 9. Januar 1889. Schreiben des Königlich Sächsischen Staatsministers des Cultus und öffentlichen Unterrichts C. Gerber an das Evangelisch-Lutherische Landeskonsistorium in Dresden vom 17. Januar 1889. Schreiben des Leipziger Professors G.A. Fricke an den Königlich Sächsischen Staatsminister des Cultus und öffentlichen Unterrichts C. Gerber vom 18. Januar 1889.

Quellen

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Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig G. Baur an den Königlich Sächsischen Staatsminister des Cultus und öffentlichen Unterrichts C. Gerber vom 18. Januar 1889. Gutachten des Evangelisch-Lutherischen Landeskonsistoriums in Dresden an das Königlich Sächsische Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 22. Januar 1889. Schreiben des Königlich Sächsischen Staatsministers des Cultus und öffentlichen Unterrichts C. Gerber an die in Evangelicii beauftragten Königlich Sächsischen Staatsminister vom 23. Januar 1889. Schreiben der in Evangelicii beauftragten Königlich Sächsischen Staatsminister an das Königlich Sächsische Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 24. Januar 1889. Schreiben des Hallenser Professors F. Loofs an den Königlich Sächsischen Staatsminister des Cultus und öffentlichen Unterrichts C. Gerber vom 28. Januar 1889. Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig G. Baur an den Königlich Sächsischen Staatsminister des Cultus und öffentlichen Unterrichts C. Gerber vom 3. Februar 1889. Schreiben des Königlich Sächsischen Staatsministers des Cultus und öffentlichen Unterrichts C. Gerber an den Erlanger Professor A. Hauck vom 4. Februar 1889. Schreiben des Königlich Bayerischen Professors A. Hauck an den Königlich Sächsischen Staatsminister des Cultus und öffentlichen Unterrichts C. Gerber vom 5. Februar 1889. Schreiben des Königlich Sächsischen Staatsministers des Cultus und öffentlichen Unterrichts C. Gerber an den Königlich Bayerischen Professor A. Hauck vom 7. Februar 1889. Königliches Decret, Allerhöchste Genehmigung (Berufungsurkunde) von König Albert von Sachsen betr. Berufung des Königlich Bayerischen Professors A. Hauck auf das durch Ausscheiden V. Lechlers erledigte Ordinariat für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig vom 11. Februar 1889. Verordnung des Königlich Sächsischen Ministeriums des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 13. Februar 1889. Zeitungsanzeige vom 9. Dezember 1915 in der Frankfurter Zeitung.

Erlangen, Archiv der Theologischen Fakultät der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg (ATFE) Dekanatsakten. Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen A. Köhler an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 8. April 1878. Schreiben des Prorektors der Universität Erlangen an den Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen A. Köhler vom 26. Juni 1878. Entwurf des Licentiaten-Diploms für den Königlich Bayerischen Professor A. Hauck vom 23. Oktober 1878. Schreiben des Königlich Bayerischen Professors A. Hauck an die Theologische Fakultät der Universität Erlangen vom 31. Oktober 1878. Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen A. Köhler an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 15. Mai 1882. Entwurf eines Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen Th. Kolde (unsigniert) an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 5. Februar 1889. Schreiben des Königlich Bayerischen Professors A. Hauck an die Theologische Fakultät der Universität Erlangen vom 8. Februar 1889. Schreiben des Königlich Sächsischen Professors A. Hauck an den Prorektor der Universität Erlangen vom 16. Dezember 1915.

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

Erlangen, Archiv der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (UAE) A2/1 Nr. H 49, Acta der Königlichen Universität Erlangen, Berufung eines a.o. Profeßors der Theologie an die hiesige Universität und die Ernennung des bisherigen Pfarrers zu Frankenheim Herrn A. Hauck als solchen, 1878–1918. Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen A. Köhler an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 8. April 1878. Schreiben des Königlich Akademischen Senats der Universität Erlangen an das Königlich Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 25. Mai 1878. Schreiben des Königlich Bayerischen Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 21. Juni 1878. Schreiben des Königlich Akademischen Senats der Universität Erlangen an den Königlichen Pfarrer A. Hauck vom 26. Juni 1878. Schreiben des Königlich Pfarrers A. Hauck an den Prorektor der Universität Erlangen vom 28. Juni 1878. Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen A. Köhler an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 4. Juli 1878. Schreiben des Königlich Akademischen Senats der Universität Erlangen an das Königlich Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 6. Juli 1878. Allerhöchste Entschließung (Ernennungsurkunde) von Ludwig II., von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben r. r., an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 19. Juli 1878. Schreiben des Königlich Bayerischen Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 19. Juli 1878. Schreiben des Königlichen Pfarrers A. Hauck an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 2. August 1878. Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen A. Köhler an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 15. Mai 1882. Schreiben des Königlich Akademischen Senats der Universität Erlangen an das Königlich Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 10. Juni 1882. Allerhöchste Entschließung von Ludwig II., von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben r. r., an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 15. Juli 1882. Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen Th. Zahn an den Prorektor der Universität Erlangen vom 18. November 1882. Schreiben des Geheimen Regierungsrates im Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten F.Th. Althoff an den Königlichen Professor A. Hauck vom 29. September 1888. Schreiben des Königlichen Professors A. Hauck an den Prorektor der Universität Erlangen vom 30. September 1888. Schreiben der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 1. Oktober 1888. Schreiben des Königlich Akademischen Senats der Universität Erlangen an das Königlich Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 4. Oktober 1888. Schreiben des Königlich Bayerischen Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 2. November 1888. Schreiben des Königlichen Professors A. Hauck an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 5. November 1888. Schreiben des Königlich Akademischen Senats der Universität Erlangen an das Königlich Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 10. November 1888.

Quellen

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Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät Th. Kolde an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 5. Februar 1889. Schreiben des Königlichen Professors A. Hauck an den Prorektor der Universität Erlangen vom 5. Februar 1889. Schreiben des Königlichen Professors A. Hauck an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 8. Februar 1889. Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen an den Königlich Akademischen Senat der Universität Erlangen vom 11. Februar 1889. Schreiben des Königlich Akademischen Senats an das Königlich Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 18. Februar 1889. Entlassungsurkunde A. Haucks im Namen Seiner Majestät des Königs Luitpold, von Gottes Gnaden Königlicher Prinzregent von Bayern, vom 5. März 1889. Schreiben des Königlich Akademischen Senats der Universität Erlangen an das Königlich Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 30. Mai 1889. Schreiben des Königlich Sächsischen Professors A. Hauck an den Prorektor der Universität Erlangen vom 16. Dezember 1915.

Erlangen, Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek ErlangenNürnberg (HUBE) Ms 2712 I/II, Vorlesung »Kirchengeschichte I« gehalten von Prof. A. Hauck, nachgeschrieben von W. Volkert.

Leipzig, Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek (HUBL) Nachlass des Geheimen Rats Professor Dr. A. Hauck. Ms 0934, Vorlesung »Neuere Theologie«. Ms 0935 I, Vorlesung »Dogmengeschichte: 1. Epoche; Grundlegung der altkatholischen Kirchenlehre. 2. Epoche; Bildung des altkirchlichen Dogmas«. Ms 0935 II, Vorlesung »Dogmengeschichte: Alte Kirche. Das Dogma von Christi Person. Das anthropologische Dogma«. Ms 0935 III, Vorlesung »Dogmengeschichte: Mittelalter; 1. Früheres Mittelalter. 2. Die scholastische Durchbildung des mittelalterlichen Dogmas«. Ms 0935 IV, Vorlesung »Dogmengeschichte: Der Protestantismus«. Ms 0936 I, Vorlesung »Symbolik: 1. Teil; Evangelisch-lutherische Kirche«. Ms 0936 II, Vorlesung »Symbolik: 2. Teil; Die reformierte Kirche. Die kleineren kirchlichen Gemeinschaften«. Ms 0936 III, Vorlesung »Symbolik: 3. Teil; Die römische Kirche. 4. Teil; Die orientalische Kirche«. Ms 0937, Vorlesung »Patristik/Geschichte der altchristlichen Literatur. Geschichte der christlichen Poesie«. Ms 0938, Vorlesung »Quellenkunde zur Kirchengeschichte des Mittelalters: Fränkische Zeit und Blütezeit des Mittelalters«. Ms 0939 I, Vorlesung »Apostolisches Zeitalter«. Ms 0939 II, Vorlesung »Alte Kirchengeschichte: 1. Teil«. Ms 0939 III, Vorlesung »Alte Kirchengeschichte: 2. Teil«. Ms 0940 I, Vorlesung »Mittelalterliche Kirchengeschichte: 1. Teil; Fränkische Zeit«. Ms 0940 II, Vorlesung »Mittelalterliche Kirchengeschichte: 2. Teil; Päpstliche Zeit«. Ms 0940 III, Vorlesung »Mittelalterliche Kirchengeschichte: 3. Teil; Auflösung der mittelalterlichen Kirche (1303–1517)«. Ms 0941 I, Vorlesung »Kirchengeschichte: Reformation; 1. Teil«. Ms 0941 II, Vorlesung »Kirchengeschichte: Reformation; 2. Teil«.

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

Ms 0941 III, Vorlesung »Kirchengeschichte: Zeitalter der Orthodoxie. Auflösung der Orthodoxie (vom Westfälischen Frieden bis zur Revolution)«. Ms 0941 IV, Vorlesung »Kirchengeschichte: 19. Jahrhundert«. Ms 0942, Vorlesung »Geschichte der kirchlichen Kunst«.

Leipzig, Universitätsarchiv (UAL) Theol. Fak. 68, Ernennung, Beurlaubung, Entlassung o. Professoren der Theologie 1885– 1886. Stellungnahme des Evangelisch-Lutherischen Landeskonsistoriums in Dresden gegenüber dem Königlich Sächsischen Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 16. Februar 1886. Stellungnahme der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig gegenüber dem Königlich Sächsischen Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 11. März 1886.

Leipzig, Theologische Fakultät, Institut für Kirchengeschichte (TFIfKGL) Briefe A. Haucks an seine Mutter Sophie Hauck geb. Greiner sowie an seine Geschwister Elise, Robert und Frida 1864–1889 (Teilnachlaß A. Hauck).

Münster, Privatarchiv Hauck (PAH) Friedrich Hauck, Ausführliche Familiengeschichte Hauck und Vorfahren, maschinenschriftlich, 1947, 115.

Nürnberg, Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (LAELKB) Nachlass Prof. D. A. Hauck. Ms 1806, Exzerpte aus Kirchenvätern von Prof. D. Hauck (11 Stücke). Ms 1816 I, Auszüge aus und zu Tertullian. Ms 1816 II, Auszüge aus und zu Clemens Alexandrinus. Ms 1816 III, Auszüge und Studien zur altkatholischen und mittelalterlichen Dogmengeschichte.

(Aus verschiedenen Nachlässen.) Ms 96, Vorlesung »Patristik« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von K. Düll. Ms 120, Vorlesung »Symbolik« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von K. Düll. Ms 121, Vorlesung »Geschichte der christlichen Kunst« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von K. Düll. Ms 405/1, Vorlesung »Geschichte der christlichen Poesie bis zur Reformation« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von K. Düll. Ms 542, Vorlesung »Briefe an die Epheser, Philipper und Colosser« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von E. Keller. Ms 856, Kirchengeschichte Deutschlands Abt. 1, Handschrift Steinlein. Ms 997, Vorlesung »Kirchengeschichte I. Hälfte« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von Th. Bauer. Ms 1155, Vorlesung »Kirchengeschichte I. Theil« gehalten von Pf. Hauck, nachgeschrieben von P. Griebel.

Quellen

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Ms 1156, Vorlesung »Kirchengeschichte II. Theil« gehalten von Pf. Hauck, nachgeschrieben von P. Griebel. Ms 1160/1, Vorlesung »Apokalypse« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von P. Griebel. Ms 1339, Vorlesung »Kirchengeschichte I« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von E. Kinast. Ms 1340, Vorlesung »Kirchengeschichte des Mittelalters« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von E. Kinast. Ms 1422, Vorlesung »Pastoralbriefe« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von F. Ringler. Ms 1967, Vorlesung »Symbolik« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von G. Brendel. Ms 2100, Vorlesung »Kirchengeschichte I. Hälfte« gehalten von Prof. Licent. Hauck, nachgeschrieben von F. Nonnenmacher. Ms 2101, Vorlesung »Kirchengeschichte II. Hälfte« gehalten von Prof. Licent. Hauck, nachgeschrieben von Fr. Nonnenmacher. Ms 2102, Vorlesung »Kirchengeschichte: Supplement zu den Vorlesungen über die Kirchengeschichte« gehalten von Prof. Licent. Hauck, nachgeschrieben von Fr. Nonnenmacher. Ms 2103, Vorlesung »Dogmen-Geschichte« gehalten von Prof. Dr. Hauck, nachgeschrieben von Fr. Nonnenmacher. Ms 2122, Vorlesung »Pastoralbriefe« gehalten von Prof. A. Hauck, nachgeschrieben von F. Nonnenmacher. Ms 2123, Vorlesung »Ausgewählte Kapitel aus der christlichen Kunstarchäologie« gehalten von Prof. Lic. Hauck, nachgeschrieben von F. Nonnenmacher. Ms 2153, Vorlesung »Christliche Kunstarchäologie« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von Fr. Baum. Ms 2154, Vorlesung »Symbolik« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von Fr. Baum. Ms 2191, Vorlesung »Kirchengeschichte I« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von A. Schwab. Ms 2193, Vorlesung »Einleitung in die theologische Enzyklopädie« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von A. Schwab. Ms 2195, Vorlesung »Kirchengeschichte der neueren Zeit (Reformation, Gegenreformation bis 1800)« gehalten von A. Hauck, nachgeschrieben von A. Schwab.

Prüfungen (P). P 0307, Theologische Aufnahmeprüfung der Pfarramtskandidaten zu Ansbach im Jahr 1868. P 0686, Theologische Anstellungsprüfung der Pfarramtskandidaten zu Ansbach im Jahr 1872.

Bayerisches Dekanat Insingen (BayD Insingen). BayD Insingen 73, Diöcesansynode Insingen 1875, Jahresbericht des Distrikmißionsvereins Insingen pro 1874/75 von A. Hauck vom 5. September 1875. BayD Insingen 73, Diöcesansynode Insingen 1875, Bericht des Dekans über die kirchlichen Zustände und Bedürfnisse der Diöcese Insingen im Rahmen der am 7. September 1875 abgehaltenen Diöcesansynode. BayD Insingen 73, Diöcesansynode Insingen 1875, Predigt A. Haucks am 7. September 1875. BayD Insingen 74, Diöcesansynode Insingen 1877, Bericht des Dekans über die kirchlichen Zustände und Bedürfnisse der Diöcese Insingen im Rahmen der am 17. Juli 1877 abgehaltenen Diöcesansynode. BayD Insingen 74, Diöcesansynode Insingen 1877, Bericht A. Haucks über das Vereinswesen im Dekanatsbezirk Insingen pro 1875–1877. BayD Insingen 75, Diöcesansynode Insingen 1878, Bericht des Dekans über die kirchlichen Zustände und Bedürfnisse der Diöcese Insingen im Rahmen der am 9. Juli 1875 abgehaltenen Diöcesansynode. BayD Insingen 75, Diöcesansynode Insingen 1878, Bericht A. Haucks über das Vereinswesen im Dekanatsbezirk Insingen pro 1877/1878. BayD Insingen 169, Synodal-Arbeiten des Dekanats Insingen, Synodalaufgabe 1877/1878, Schreiben des Konsistoriums Ansbach an A. Hauck vom 1. November 1877.

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

BayD Insingen 171, Predigtarbeiten, Urtheil des königlichen Consistoriums Ansbach über die Synodalpredigt des k. Pfarrers A. Hauck durch den Insinger Dekan J.F.F. Blank vom 18. Oktober 1875. BayD Insingen 171, Predigtarbeiten, Censuren des Dekanats zu den Predigerarbeiten der Geistlichen pro 1876 über A. Hauck vom 4. Mai 1876 durch Dekan J.F.F. Blank. BayD Insingen 215, Jahresberichte 1875–1878. BayD Insingen 256, Kirchenvisitations-Protocolle 1875, Protokoll über die am 4. Juli 1875 in Frankenheim abgehaltene Kirchenvisitation.

Bayerisches Dekanat München (BayD München). BayD München I 507, Stadtvikariat München I, 1861–1920. BayD München I 508, Stadtvikariat München II, 1865–1920. BayD München I 719, Pfarrei Feldkirchen, Erledigung und Wiederbesetzung Schulwesen. BayD München I 723, Kirchenvisitationen Feldkirchen 1874–1927.

General-Acten des Königlich protestantischen Oberconsistoriums München (OKM). OKM 166, Protestantischer Religionsunterricht am Taubstummenerziehungsinstitut in München, Taubstummenunterricht allgemein 1834–1897. OKM 1698, Evangelischer Handwerkerverein zu München. OKM 1701, Rettungshaus Feldkirchen. OKM 1703, Rettungshaus Puckenhof bei Erlangen. OKM 2375, Aufenthalt von Pfarramtskandidaten außerhalb Bayerns. OKM 2461, Aufnahmeprüfungen der Pfarramtskandidaten in Ansbach pro 1868. OKM 2569, Anstellungsprüfung der Pfarramtskandidaten zu Ansbach pro 1872. OKM 2976, Diözesansynoden im Konsistorialbezirk Ansbach pro 1862–1886. OKM 2977, Diözesansynoden im Konsistorialbezirk Ansbach pro 1887–1895. OKM 3002, Synodalarbeiten im Konsistorialbezirk Ansbach. OKM 3005, Anfertigung der Synodalaufgaben im Dekanatsbezirk München. OKM 3006, Predigerkonferenzen, Versammlungen von Geistlichen I. OKM 3007, Predigerkonferenzen, Versammlungen von Geistlichen II. OKM 3014, Predigerarbeiten im Decanats-Bezirke München pro 1857–1910. OKM 3337, Ephorat für Theologiestudenten in Erlangen, Erledigung, Verwesung und Wiederbesetzung der Repetentenstellen. OKM 3349, Predigerseminar in München, Einberufung der Kandidaten pro 1862–1875. OKM 3517, Konsistorialvisitationen der Dekanate im Konsistorialbezirk Ansbach [Korrespondenz mit dem Oberkonsistorium] pro 1832–1919. OKM 3523, Konsistorialvisitationen der Dekanate im Konsistorialbezirk Ansbach [Visitationsprotokolle und -berichte] pro 1867–1900. OKM 3526, Bescheide zu den Kirchenjahresberichten pro 1855–1882 und zu den Kirchenvisitationsprotokollen pro 1858–1883 im Konsistorialbezirk Ansbach. OKM 3544, Kirchenvisitationen und Kirchenjahresberichte des Dekanatsbezirks München pro 1862– 1919.

Spezial-Acten des Königlich protestantischen Oberconsistoriums München (OKM). OKM 4069, Vikariat zu Feldkirchen in Oberbayern, Landgericht München. OKM 4096, Die Pfarrei zu Frankenheim-Schillingsfürst.

Schillingsfürst, Pfarrarchiv der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde St. Kilian (PfA Schillingsfürst) II/33, Kirchenvisitationen 1819 bis 1911 (alte Sign. II/8).

Quellen

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Abschrift des Protokolls über die am 4. Juli 1875 zu Frankenheim abgehaltene Kirchenvisitation durch den Insinger Dekan J.F.F. Blank vom 4. Juli 1875. Abschrift des Schreibens des Präsidenten des Königlich protestantischen Oberkonsistoriums A. Harleß an das Königlich protestantische Konsistorium Ansbach betreffs der Kirchenjahrgangsberichte pro 1871/74 und der Kirchenvisitationen im Jahr 1875 vom 9. Februar 1876. Abschrift des Schreibens des Ansbacher Konsistorialrates J. Staedelen an das Dekanat Insingen über die Dekanatsvisitationen pro 1876 vom Juli 1876. Schreiben des Insinger Dekans J.F.F. Blank an das Königliche Pfarramt Frankenheim vom 14. August 1876. Abschrift des Schreibens des Präsidenten des Königlich protestantischen Oberkonsistoriums A. Harleß an das Königlich protestantische Konsistorium Ansbach betreffs der Kirchenvisitationsprotokolle des Jahres 1876 vom 12. Februar 1877. Abschrift des Schreibens des Präsidenten des Königlich protestantischen Oberkonsistoriums A. Harleß an das Königlich protestantische Konsistorium Ansbach betreffs der Kirchenvisitationsprotokolle des Jahres 1877 vom 9. Januar 1878.

II/38, Kirchenvorstandssitzungen. Protokolle vom 28. November 1875, aus dem Jahre 1876 [undatiert, vor dem 27. März 1876], vom 27. März 1876, vom 9. April 1876, vom 10. Juni 1876, vom 13. August 1876, vom 26. November 1876, vom 18. Januar 1877, vom 2. April 1877, vom 24. Juni 1877, vom 29. Juli 1877, vom 18. November 1877, vom 1. Januar 1878, vom 26. März 1878, vom 23. Juni 1878, vom 13. Oktober 1878.

III/97, Pfarrbeschreibungen betr., Anordnungen, Unterlagen, Ergänzungen 1826 bis 1920 (alte Sign. VIII/1). Protokoll über die Amtsübergabe der Pfarrei Frankenheim bei Schillingsfürst an A. Hauck vom 8. April 1875. Abschrift der Frankenheimer Abschiedspredigt A. Haucks über 1Petr 1,22–25 vom 26. September 1878. Maschinenschriftliche Abschrift von Auszügen der Pfarrbeschreibung des Frankenheimer Pfarrers [R.] Hagen aus dem Jahr 1835 durch Dr. Ammon aus Eyb vom 18. Juni 1968.

Tartu, Estnisches Historisches Archiv (EHAT) Bestand der Kaiserlichen Universität Tartu, Signatur 402, Verz. 8, Arch 739. Tischregister der Sitzungen der Theologischen Fakultät 1876–1889.

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

13.1.2 Gedruckte Quellen HAUCK, ALBERT, Tertullian’s Leben und Schriften, Erlangen 1877. –, Die Entstehung des Christustypus in der abendländischen Kunst, Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk 3/2, Heidelberg 1880 – nachgedruckt in: Hauck, Albert: Jesus, 155–179. –, Art. Hofmann, Johann Chr.K., RE 6, 21880, 221–235. –, Art. Kirchengeschichte, RE 7, 21880, 732–740. –/ARNOLD, [FRIEDRICH AUGUST], Art. Konkordanz, RE 8, 21881, 147–149. –, Art. Konstantinus, RE 8 21881, 793f. –/KLOSE, [KARL RUDOLF WILHELM], Art. Leipziger Kolloquium, RE 8, 21881, 546f. –, Art. Linus, RE 8, 21881, 691. –, Art. Marcellus II., RE 9, 21881, 279. –, Art. Maternus, Julius Firmicus, RE 9, 21881, 397f. –, Art. Mexico, kirchliche Statistik, RE 9, 21881, 731f. –, Art. Münscher, Wilhelm, RE 10, 21882, 358f. –, Vittoria Colonna, Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk 7/2, Heidelberg 1882. –, Die Bischofswahlen unter den Merovingern, Erlangen 1883. –, Art. Ordines, RE 11, 21883, 87–89. –/GRÜNEISEN, [CARL], Art. Orgel, RE 11, 21883, 90–92. –/NEUDECKER, [JOHANN CHRISTIAN GOTTHOLD], Art. Ostiarii, RE 11, 21883, 137. –, Art. Paraguay, RE 11, 21883, 217. –, Art. Patriarchen in der christlichen Kirche, RE 11 21883, 289–292. –/HENKE, [ERNST THEODOR], Art. Paulinus, Pontius Meropius Anicius, RE 11, 21883, 349–356. –, Art. Perpetua, RE 11, 21883, 493f. –, Art. Peru, RE 11, 21883, 495. –/JACOBSEN, H[EINRICH] F[RIEDRICH], Art. Peterspfennig, Petersgroschen, RE 11, 21883, 505–507. –/HERZOG, [JOHANN JAKOB], Art. Plymouthbrüder, RE 12, 21883, 72–77. –/HELLER, L[], Art. Possidius, RE 12, 21883, 143. –, Art. Potaminäa, RE 12, 21883, 143f. –, Art. Pothinus, RE 12, 21883, 144. –, Art. Priester, Priesterweihe, RE 12, 21883, 209–213. –/JACOBSEN, H[EINRICH] F[RIEDRICH], Art. Primas, RE 12, 21883, 228–230. –, Art. Professio fidei Tridentinae, RE 12, 21883, 238f. –, Art. Prosper, RE 12, 21883, 300–304. –/HERZOG, [JOHANN JAKOB], Art. Quadratus, RE 12, 21883, 425. –, Art. Rabanus Maurus, RE 12, 21883, 459–465. –/STEITZ, [GEORG EDUARD], Art. Radbertus, RE 12, 21883, 474–483. –, Art. Ratramnus, RE 12, 21883, 535–543. –/JACOBSEN, H[EINRICH] F[RIEDRICH], Art. Regalie, RE 12, 21883, 589–591. –, Art. Reliquien, RE 12, 21883, 689–692. –/LANDERER, Art. Roscelin, RE 13, 21884, 52–60. –, Art. Rupert, der Heilige, RE 13, 21884, 109f. –, Art. Sachsen, Bekehrung der, RE 13, 21884, 196–199. –/STEITZ, [GEORG EDUARD], Art. Sakrament, RE 13, 21884, 264–299. –, Art. Salböl, RE 13, 21884, 304f. –, Art. Salvian, RE 13, 21884, 317–319. –/STEITZ, [GEORG EDUARD], Art. Schlüsselgewalt, RE 13, 21884, 573–591. –, Art. Schottische Konfessionen, RE 13, 21884, 678. –/HERZOG, [JOHANN JAKOB], Art. Seekers, RE 14, 21884, 24f. –, Art. Sergius I., RE 14, 21884, 147f. –, Art. Sergius II., RE 14, 21884, 148f. –, Art. Sergius III., RE 14, 21884, 149f. –, Art. Sergius IV., RE 14, 21884, 150. –, Art. Severinus, der Heilige, RE 14, 21884, 168–170.

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14. Personenregister

Achelis, Ernst Christian (1838–1912) 214 Albert von Sachsen (1828–1902) 354 Althoff, Friedrich Theodor (1839–1908) 211f, 349 Ambrosius von Mailand (333/34–397) 252, 259 Anger, Rudolf (1806–1866) 345f Antonius (um 251–356) 287 Apelles (gest. nach 180) 179 Arius (um 280–336) 238 Arndt, Ernst Moritz (1769–1860) 334 Arnold, Friedrich August (1812–1869) 288 Arnold, Friedrich Christian (1786–1868) 75 Arnold, Gottfried (1666–1714) 218f Arnulf (um 850–899) 300 Athenagoras (2. Hälfte 2. Jh.) 178, 180 Augustin (354–430) 100f, 112, 153, 170, 239f, 259 Bach, Johann Sebastian (1685–1750) 289 Bäumler, Sigmund Wilhelm (1807–1893) 159 Baruzzi, Arno (*1935) 307 Bassus, Junius (gest, um 359) 118 Baudissin, Wolf Wilhelm Graf (1847–1926) 211, 214 Baumann, Franz Ludwig (1846–1915) 311 Baumgarten, Michael (1812–1889) 123 Baumgarten-Crusius, Ludwig Friedrich Otto (1788–1843) 243 Baur, Ferdinand Christian (1792–1860) 37–39, 55, 123, 172, 196, 219, 221, 243, 352 Baur, Gustav Adolf Ludwig (1816–1899) 345, 347, 350–353 Bayer, Albrecht (1751–1818) 67 Bayer, Franziska (1796–1847) 67 Beck, Hermann Georg Julius (1849–1919) 208, 234 Below, Georg (1858–1927) 31 Bergk, Theodor (1812–1881) 311 Berlepsch, Dietrich Otto (1823–1896) 349 Bernhard von Clairvaux (1090/91–1153) 101 Besnard, Franz Anton (1796–1854) 168f Beyschlag, Johann Willibald (1823–1900) 198 Beyschlag, Karlmann (*1923) 52, 56, 58 Bezold, Gustav (1848–1934) 312 Biarowsky, Wilhelm Immanuel (1814–1882) 208

Binding, Karl Ludwig Lorenz (1841–1920) 311 Binterim, Anton Joseph (1779–1855) 308f Bismarck, Otto (1815–1898) 89, 91, 98, 109–111, 126, 197f, 261, 306, 366 Blank, Jakob Friedrich Ferdinand (1827–1894) 62, 150, 153 Blanke, Horst Walter 19f, 33 Blessing, Werner K. (*1941) 109 Boehmer, Heinrich (1869–1927) 14, 42–45, 47 Böhringer, Georg Friedrich (1812–1879) 169, 195 Boissier, Gaston (1823–1908) 257 Bonifatius (eigentlich Wynfrith) (672/75–754) 224, 300, 309f, 315, 322, 335 Bonifatius VIII. (1294–1303) 225 Bonnell, Heinrich Eduard (1829–1870) 305 Bonwetsch, Gottlieb Nathanael (1848–1925) 40f, 57, 210, 351 Bornemann, Wilhelm (1858–1946) 213, 298 Bornkamm, Heinrich (1901–1977) 47 Braun, Placidus (1756–1829) 311 Brandt, Christian Philipp Heinrich (1790–1857) 69 Brieger, Theodor (1842–1915) 64, 200, 203, 345, 348–351, 353 Brückner, Benno Bruno (1824–1905) 345 Brunichilde (545/550–613) 295 Brunner, Heinrich (1840–1915) 306 Buchrucker, Karl Christoph Wilhelm (1827– 1899) 62, 131, 137, 141f, 146, 199 Büchsel, Karl Albert Ludwig (1803–1889) 112 Buhl, Frants Peder William (1850–1932) 346 Burckhardt, Jacob Christoph (1818–1897) 23, 28–30, 55, 203, 321f, 325 Burger, Karl Heinrich August (1805–1884) 16, 132, 139, 147 Buß, Franz Joseph (1803–1878) 309 Caesar, Gaius Julius (100–44 v. Chr.) 84 Calixtus I. (gest. 222) 170 Calvin, Johannes (1509–1564) 228, 241, 247 Caselmann, Hermann (1847–1922) 68, 82, 206 Caspari, Carl Paul (1814–1892) 310 Caspari, Walter August Anton Nathan (1847– 1923) 41f, 204

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

Chilperich I. (um 537–584) 295 Chlodwig (466–511) 223, 294, 296, 313f Chlotha(cha)r II. (584–629) 294–296 Cicero, Marcus Tullius (106–43 v. Chr.) 84, 134 Claß, Gustav (1836–1908) 207 Clemens VII. (1523–1534) 291 Clemens von Alexandrien (um 150–215) 178, 376 Cölln, Daniel Georg Konrad (1788–1833) 167 Colonna, Vittoria (1490–1547) 64, 291f Columban von Luxeuil (um 543–615/16) 295, 298f Constantinus I. (708–715) 290 Cremer, Hermann (1834–1903) 200 Croce, Benedetto (1866–1952) 18 Cruel, Rudolf (1820–1892) 312 Cyprian von Karthago (nach 200–258) 172, 297 Dahlmann, Friedrich Christoph (1785–1860) 146 Damasus I. (um 305–384) 252 Dante, Alighieri (1265–1321) 253 Dederich, Andreas (geb. 1804) 306 Dehio, Georg Gottfried Julius (1850–1932) 312 Delitzsch, Franz Julius (1813–1890) 64, 97–100, 119f, 126f, 204, 345–351 Delius, Walter (1899–1972) 46f, 58 Dillmann, Christian Heinrich (1829–1899) 95 Dilthey, Wilhelm Christian Ludwig (1833–1911) 19f, 29f, 33, 360 Dinkel, Pancratius (1811–1894) 134 Dittmar, Heinrich (1792–1866) 84 Dölger, Franz Joseph (1879–1940) 256 Dorner, Isaak August (1809–1884) 91, 95, 112, 114, 124, 127f, 356 Droysen, Johann Gustav Bernhard (1808–1884) 18, 22f, 25f, 28, 30–35, 49, 56, 175, 181, 195, 233, 262, 268f, 274–278, 281, 302, 325, 339f, 348, 358, 360, 367 Ebert, Georg Karl Wilhelm Adolf (1820–1890) 312 Ebrard, Johann Heinrich August (1818–1888) 309 Edelmann, Johann Christoph (1798–1874) 132 Elsperger, Christoph (1798–1873) 82, 84, 96 Engelhardt, Johann Georg Veit (1791–1855) 165, 172f, 219 Engelhardt, Gustav Moritz Konstantin (1828– 1881) 210 Ennen, Leonhard (1820–1880) 311 Esser, Gerhard (1860–1923) 165

Eucherius von Lyon (gest. um 450) 297f Euripides (480 od. 485/84–406 v. Chr.) 84 Eusebius von Caesarea (vor 265–339/40) 167, 259 Ewald, Georg Heinrich August (1803–1875) 144 Fabri, Friedrich Gotthardt Karl Ernst (1824– 1891) 91 Falk, Paul Ludwig Adalbert (1827–1900) 149 Faustus von Reji (um 405–um 490) 299 Fechtrup, Bernhard (1822–1898) 166 Fichte, Johann Gottlieb (1726–1814) 303, 324, 333, 362 Fischer, Otto (1839–1889) 310 Flad, Johann Martin (1831–1915) 158 Flasch, Kurt (*1930) 55, 59 Frank, Franz Hermann Reinhold (1827–1894) 72, 94–96, 98f, 101, 105, 119f, 122 Fricke, Gustav Adolf (1822–1908) 345, 347, 350f, 353 Friedberg, Emil Albert (1837–1910) 306 Friedländer, Ludwig Heinrich (1824–1909) 312 Friedrich, Johann (1836–1917) 308 Friedrich I. Barbarossa (1122–1190) 318 Friedrich II. (1194–1250) 318 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795–1861) 118 Füller, Johann Leonhardt (1828–1890) 149 Funk, Franz Xaver (1840–1907) 193 Gelpke, Ernst Friedrich (1807–1871) 311 Gerber, Carl Friedrich Wilhelm (1823–1891) 351–353 Gerlach, Karl Friedrich Otto (1801–1849) 83 Gersdorf, Ernst Gotthelf (1804–1874) 165 Gervinus, Georg Gottfried (1805–1871) 23, 277f, 281, 302, 304 Gibbon, Edward (1737–1794) 146 Gierke, Otto Friedrich (1841–1921) 56 Giesebrecht, Heinrich Ludwig Theodor (1792– 1873) 144 Gieseler, Johann Karl Ludwig (1792–1854) 36, 123, 144, 146, 171, 195, 217 Goethe, Johann Wolfgang (1749–1832) 18, 67, 291 Goßler, Gustav (1838–1902) 211 Graf, Friedrich Wilhelm (*1948) 20, 71, 357, 362, 364 Graf, Gerhard (*1942) 12, 52, 58 Graul, Karl Friedrich Leberecht (1814–1864) 174, 178 Green, John Richard (1837–1883) 45 Gregor I., der Große (590–604) 252

Personenregister Gregor X. (1271–1276) 318 Gregor von Tours (538/39–594) 293, 310 Gregorovius, Ferdinand Adolf (1821–1891) 311 Greiner, Karl Friedrich (1780–1857) 67 Gresser, Franz (1807–1880) 89, 126 Grimm, Jacob Ludwig Karl (1785–1863) 312 Grüneisen, Carl (1802–1878) 289 Gustav II. Adolf von Schweden (1594–1632) 228 Hackenschmidt, Karl (1839–1915) 159 Hagen, Karl Friedrich Rudolf (1839–1912) 62 Hagenbach, Karl Rudolf (1801–1874) 37, 164, 172, 263, 265, 270 Hahn, Heinrich (1800–1882) 310 Hamberger, Julius (1801–1885) 68, 133 Harleß, Gottlieb Christoph Adolf (1806–1879) 62, 70f, 73, 75–79, 86, 89f, 93f, 104, 120, 125–128, 132, 134f, 138, 144f, 150, 330f, 345, 347 Harnack, Karl Gustav Adolf (1851–1930) 13, 38, 46, 53, 56, 64, 165, 194, 203, 211–214, 221, 237, 243f, 256f, 262, 296, 298, 330, 346, 349–352, 356 Harnack, Theodosius Andreas (1817–1889) 71, 77f, 86, 94, 96, 100, 127 Hartmann, Karl Robert Eduard (1842–1906) 55, 146 Hase, Karl August (1800–1890) 37, 116, 171, 217, 219, 244, 365 Hauber, Albert Friedrich (1806–1883) 173, 289 Hauck, Charlotte (1782–1865) 67 Hauck, Elise (geb. 1851) 60f, 64, 67, 376 Hauck, Franziska (geb. 1848) 60, 67 Hauck, Frida (geb. 1844) 60f, 67, 140, 142 Hauck, Friedrich (1882–1954) 11, 41f, 60, 108, 367 Hauck, Johann Heinrich (1778–1862) 67 Hauck, Julius Albert (1810–1854) 67 Hauck, Karl (1916–2007) 60 Hauck, Robert (geb. 1847) 60f, 67, 376 Hauck, Sophie (1821–1896) 60, 67f Hauptmann, Peter (*1928) 210 Hauschild, Wolf–Dieter (*1941) 235 Hefele, Carl Joseph (1809–1893) 165, 167, 309, 311 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831) 18–20, 24, 26, 28, 31f, 55, 69, 95, 104, 106f, 115, 117, 123, 128, 142, 145, 201f, 233, 237, 243f, 263, 279, 302, 304–307, 313, 324–326, 337f, 347f, 352, 356f, 360f, 366, 368 Hegel, Karl (1813–1901) 214 Hegler, Alfred Wilhelm (1863–1902) 39

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Heimpel, Hermann (1901–1988) 14, 51, 59 Heinrich II. (973–1024) 317 Heinrich III. (1017–1056) 224 Heinrich IV. (1050–1106) 224, 318 Heinrici, Carl Friedrich Georg (1844–1915) 211, 214, 265–267, 302, 360 Helferich, Karl Christian (1816–1865) 68, 159 Hengstenberg, Ernst Wilhelm (1802–1869) 91, 95, 108, 111, 115f, 128, 231 Henke, Ernst Theodor Ludwig (1804–1872) 289 Herder, Johann Gottfried (1744–1803) 18–22, 35, 99, 303–305, 322, 334f, 361f, 364 Herrmann, Wilhelm (1826–1856) 212, 214 Hermogenes (um 150–um 210) 179, 188 Herodot (um 484–um 424 v. Chr.) 84 Herzog, Johann Jakob (1805–1882) 14, 207, 209, 263f, 290, 300, 349 Hesselberg, Karl (gest. 1848) 166, 169f, 183f, 186–190, 195 Heussi, Karl (1877–1961) 18 Heyder, Karl (1812–1886) 74, 98, 107, 119f, 207 Hieronymus (um 347–419/20) 167, 259, 297 Hilarius von Poitiers (um 315–367) 238, 259 Hilgenfeld, Adolph (1823–1907) 166, 221 Hinschius, Paul (1835–1898) 307 Hippolyt von Rom (um 170–235/6) 193 Höfling, Johann Wilhelm Friedrich (1802–1853) 71f, 77f, 136, 147, 365 Hölemann, Hermann Gustav (1809–1886) 347 Hoerschelmann, Ferdinand Ludwig (1773–1852) 210 Hoffmann, Carl Ludwig (1800–1872) 68, 82f, 96, 122 Hoffmann, Wilhelm (1806–1873) 91 Hofmann, Johann Christian Konrad (1810–1877) 13, 47, 51, 56, 59, 71, 73, 75f, 89, 92–94, 97–99, 101–106, 120, 123, 125–128, 135, 144, 148, 204, 210, 265, 269–272, 275, 279, 284, 302, 322, 330f, 349, 351, 356 Hofmann, Rudolf Hugo (1825–1917) 245, 345, 347 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig Fürst zu (1819–1901) 89, 149 Hohenlohe-Schillingsfürst, Gustav Adolf Prinz zu (1823–1896) 308 Holtzmann, Heinrich Julius (1832–1910) 255 Homer (8. Jh. v. Chr.) 84 Hommel, Friderich (1813–1892) 68, 74 Huber, Alfons (1834–1898) 311 Humboldt, Friedrich Wilhelm (1767–1835) 22f, 26, 28, 32, 58, 92, 278f, 302, 367 Hummel, Gert (*1933) 263

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Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

Hundeshagen, Karl Bernhard (1810–1872) 37, 72, 342, 367f Hus, Jan (um 1370–1415) 52, 54, 226 Iggers, Georg Gerson (*1926) 24, 31 Ihmels, Ludwig (1858–1933) 40f Innozenz III. (1198–1216) 318 Irenaeus von Lyon (um 135–um 200) 164, 178f, 238, 258, 297f Jacobsen, Heinrich Friedrich (1804–1868) 290 Jaeger, Friedrich (*1956) 24 Jahn, Albert (1811–1900) 311 Janner, Ferdinand (1836–1895) 311 Jesus Christus (um 4 v. Chr.–um 30 n. Chr.) 37, 49–51, 73, 83f, 90, 99f, 103f, 113, 119, 123, 135, 143, 155, 161, 173, 189, 199, 205, 215f, 220f, 233, 238, 241, 243, 246, 248, 255, 268–270, 272, 277, 284, 301, 323f, 327, 330, 337f, 361, 365f Johannes von Damaskus (um 650–vor 754) 238 Jonas von Bobbio (um 600–nach 659) 298 Jülicher, Adolf (1857–1938) 39, 211–214, 372 Junghans, Helmar (*1931) 347 Junghans, Karl August Wilhelm (1834–1865) 310 Justin (gest. 165) 178 Kähler, Martin (1835–1912) 31, 200, 265, 326 Kahl, Wilhelm (1849–1932) 206 Kahnis, Karl Friedrich August (1814–1888) 64, 115, 236, 345–349, 365f Kant, Immanuel (1724–1804) 20–22, 24f, 29, 31f, 49, 55, 113, 142, 146, 201, 307, 325–327, 333, 347, 357, 362, 364 Karl der Große (748–814) 144, 224, 252, 254, 300, 306, 316–318 Karl V. (1500–1558) 320 Karoline von Bayern (1776–1841) 141 Kattenbusch, Ferdinand (1851–1935) 203, 245, 250 Kaufmann, Georg (1842–1929) 306 Kaufmann, Thomas (*1962) 11f, 56, 59 Kaulbach, Wilhelm (1804–1874) 112 Kayser, Hans (1891–1964) 45 Keil, Karl Friedrich (1807–1888) 123 Kellner, Heinrich (1937–1915) 165f Ketteler, Wilhelm Emmanuel (1811–1877) 90 Kliefoth, Theodor Friedrich (1810–1895) 77, 100, 236, 244 Klippel, Georg Heinrich (geb. 1822/25) 290 Klose, Karl Rudolf Wilhelm (1804–1873) 289 Klussmann, Ernst (1820–1894) 165 Koch, Wilhelm (1800–1877) 139

Köberle, Justus (1871–1908) 210 Köhler, August (1835–1897) 159, 204 Köhler, Walter (1870–1946) 39 König, Johann Friedrich (1619–1664) 265 Körber, Gustav Wilhelm (1817–1885) 311 Kolde, Theodor (1850–1913) 38, 200, 204, 209, 211, 261, 349, 351 Konstantin der Große (um 280–337) 222f, 253, 290, 299, 306, 329 Krafft, Johann Christian (1784–1845) 69 Kranichfeld, Rudolph 112 Krech, Volkhard (*1962) 251 Kreßel, Hans (1898–1985) 51 Krüger, Gustav (1862–1940) 39, 212f Kuhn, Johannes Evangelist (1806–1887) 173 Kurtz, Johann Heinrich (1809–1890) 38, 82, 87, 172 Laible, Wilhelm (1856–1943) 40 Lamprecht, Karl (1856–1915) 19, 30, 55f, 312 Lange, Johann Peter (1802–1884) 289 Lasius, Friedrich (1806–1884) 112 Lassalle, Ferdinand (1825–1864) 110 Laufkötter, Ferdinand 170 Lechler, Gotthard Viktor (1811–1888) 64, 345f, 349f Lehmus, Adam Theodor (1777–1837) 69 Leimbach, Carl Ludwig (1844–1905) 172f, 175 Leo X. (1513–1521) 291 Leo XIII. (1810–1903) 197 Lessing, Eckhard (*1935) 56, 59, 117 Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) 98 Lichtenstein, Jakob Friedrich Wilhelm (1826– 1875) 123 Liebner, Theodor Albert (1806–1871) 345 Liesching, Samuel Gottlieb (1786–1864) 74 Linus (2. Hälfte des 1. Jh.) 298 Lioba (gest. 782) 310 Lipsius, Richard Adelbert (1830–1892) 166, 310 Loebell, Johann Wilhelm (1786–1863) 310 Löhe, Johann Konrad Wilhelm (1808–1872) 68, 70–72, 74–77, 86, 99, 133, 365 Loening, Edgar (1843–1919) 296, 306 Loock, Hans-Dietrich (1926–1996) 49–51, 58f Loofs, Friedrich (1858–1928) 243–245, 308, 350–352 Ludwig I. von Bayern (1786–1868) 76 Ludwig II. von Bayern (1845–1886) 81, 89, 149, 197f, 206 Ludwig I., der Fromme (778–840) 300 Ludwig II., der Deutsche (um 805–876) 300 Ludwig IV. (1281/82–1347) 319 Luitpold von Bayern (1821–1912) 197, 354

Personenregister Lukian von Samosata (120–180) 84 Luthardt, Christoph Ernst (1823–1902) 64, 143, 308, 322f, 330f, 345f, 348–351, 363 Luther, Martin (1483–1546) 83, 93f, 121, 142–144, 227, 232, 240–242, 246 Lutz, Johann (1826–1890) 197 Marcellus II. (1501–1555) 289 Markion (um 85–um 160) 179, 186, 189 Marheineke, Philipp Konrad (1780–1846) 36, 124, 244, 250 Maria von Bayern (1825–1889) 75, 142 Marquardsen, Heinrich (1826–1897) 92 Marquardt, Joachim (1812–1882) 312 Martensen, Hans Lassen (1808–1884) 142, 145, 147, 322, 357f, 361–363 Maternus, Julius Firmicus (4. Jh.) 290 Maximilian II. von Bayern (1811–1864) 75f, 78, 80 Meier, Friedrich Carl (1808–1841) 123 Meinecke, Friedrich (1862–1954) 17f Melanchthon, Philipp (1497–1560) 101, 160, 241, 246 Melito von Sardes (gest. 195) 178 Merian, Johann Jacob (1826–1892) 311 Merz, Georg (1892–1959) 42 Meyer, Heinrich August Wilhelm (1800–1873) 144 Meyer, Johann Matthias (1814–1882) 132, 140, 198 Migne, Jacques Paul (1800–1875) 165 Mirbt, Carl (1860–1929) 41f, 212, 214 Möhler, Johann Adam (1796–1838) 168, 195, 217, 244, 309 Möller, Ernst Wilhelm (1827–1902) 349 Möser, Justus (1720–1794) 18, 304 Mommsen, Theodor (1817–1903) 146, 306 Mosheim, Johann Lorenz (1693–1755) 218 Mühlau, Ferdinand (1839–1914) 210 Mühlenberg, Ekkehard (*1938) 11f, 260 Müller, Iwan (1830–1917) 96, 98, 100, 107 Müller von Sylvelden, Johannes (1752–1809) 304 Müller, Karl (1852–1940) 39, 56, 203, 212f, 245, 349, 351–353 Münscher, Wilhelm (1766–1814) 123, 243, 284 Muhlack, Ulrich (*1940) 22 Nägelsbach, Eduard Karl Wilhelm (1815–1880) 123 Napoleon III. (1808–1873) 42, 108, 111 Neander, August (1789–1850) 36f, 118, 123, 144, 146, 167f, 171, 175f, 184, 195, 219, 243, 268, 358

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Neudecker, Johann Christian (1807–1866) 290 Niebuhr, Barthold Georg (1776–1831) 303f Niedner, Christian Wilhelm (1797–1865) 347 Nietzsche, Friedrich (1844–1900) 29f, 163, 321, 325 Nigg, Walter (1903–1988) 39 Nikolaus I. (858–867) 290 Nitzsch, Karl Immanuel (1787–1868) 95 Nitzsch, Carl Wilhelm (1818–1890) 306 Nitzsch, Friedrich August Berthold (1832–1898) 164, 174, 195, 203, 236, 244, 256 Novalis (Friedrich von Hardenberg) (1772– 1801) 304 Novatian (gest. um 258) 258 Nowak, Kurt (1942–2001) 11, 53f, 58f, 308 Obser, Karl (1860–1944) 310 Ochino, Bernardino (1487–1564) 292 Oehler, Gustav Franz (1812–1872) 146, 165, 175 Oettingen, Alexander (1827–1905) 120, 144, 199, 210 Oexle, Otto Gerhard (*1939) 30 Optatus von Karthago (um 200) 186 Origenes (um 185/86–um 253/54) 169, 172, 258 Ortloph, Johannes August (1837–1912) 139 Overbeck, Franz Camille (1837–1905) 19, 38, 46, 165, 203, 256f Pank, Oskar (1838–1928) 349 Papellier, August (1834–1894) 92 Pepper, Stephen C. (1891–1972) 343 Perpetua (gest. 203) 289 Petrus von Alexandrien (gest. 311) 287 Pfaff, Immanuel Friedrich (1825–1886) 207 Pfahler, Georg (1817–1889) 310 Pfleiderer, Otto (1839–1908) 145, 201 Pfordten, Ludwig Karl von der (1811–1880) 75, 80 Philippi, Friedrich Adolph (1809–1882) 123 Philo von Alexandrien (15/10 v. Chr.–40 n. Chr.) 84 Piper, Ferdinand Karl (1811–1889) 51, 101, 118f Pippin der Jüngere (um 715–768) 315, 335 Pius IX. (1846–1878) 90, 232, 290 Planck, Gottlieb Jakob (1751–1833) 167, 171, 231, 237, 244 Plato (427–348 v. Chr.) 84, 98, 107, 115, 134, 258 Plitt, Gustav Leopold (1836–1880) 13, 97f, 101f, 127, 204, 206–209, 245, 264, 300, 356

424

Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

Plutarch (um 45–um 125) 84 Pöschel, Rudolf Christoph (1849–1911) 160 Pole, Reginald (1500–1550) 292 Praxeas (2./3. Jh.) 166, 171, 180, 189f Pressel, Theodor (1819–1877) 289f Prosper von Aquitanien (gest. 455) 285 Protagoras (490–411 v. Chr.) 84 Prudentius Clemens, Aurelius (348/49–nach 405) 252 Quintilianus, Marcus Fabius (35/49–um 95) 134 Quitzmann, Ernst Anton (1809–1879) 311 Rabus, Theodor Albin Friedrich (1811–1882) 81 Rabanus Maurus (um 780–856) 282, 285 Räbiger, Julius Ferdinand (1811–1891) 273f Rade, Martin (1857–1940) 324 Ranke, Ernst Constantin (1814–1888) 212 Ranke, Franz Leopold (1795–1886) 19, 22, 26–28, 31–34, 42–45, 47–49, 51, 55f, 59, 104, 108, 116–118, 124, 128f, 144, 146, 219, 270, 277, 304–306, 335, 340–344, 349f, 356, 367 Ranke, Friedrich (1842–1918) 140f Ranke, Heinrich Karl (1798–1876) 68, 76, 86, 132, 136, 140, 146, 159 Raphael, Lutz (*1955) 30 Ratgar (gest. 835) 282 Raumer, Karl (1783–1865) 69, 74, 98, 100f, 128 Reithmayr, Franz Xaver (1809–1872) 168 Remigius von Reims (um 440–533) 294 Remling, Franz Xaver (1803–1873) 311 Rettberg, Friedrich Wilhelm (1805–1849) 51, 54, 308 Reuter, Hermann (1817–1889) 349, 351f Richter, Aemilius Ludwig (1808–1864) 337f Richter, Heinrich (1841–1923) 306 Rickert, Heinrich (1863–1936) 19 Riemer, Martin (1872–1932) 40f Rietschel, Georg (1842–1914) 347 Riezler, Sigmund Otto (1843–1927) 311 Ritschl, Albrecht Benjamin (1822–1889) 38, 105, 198–204, 236, 246, 261, 322, 326, 332f, 345, 348–350, 352, 366, 368 Rodde, Wilhelm Nikolaus (1833–1905) 140 Rönsch, Hermann (1821–1888) 165 Roscelin von Coupiègua (um 1050–1120/25) 282 Rost, Hermann (1822–1896) 211 Roth, Karl Johann Friedrich (1780–1852) 93

Rothe, Richard (1799–1867) 37, 116, 125, 199, 202, 231, 251, 261, 269, 272f, 275f, 285, 307, 312, 321, 326, 332, 363f, 366 Rückert, Johann Friedrich (1788–1866) 67 Rüsen, Jörn (*1938) 21, 24, 33 Rupert von Salzburg (gest. nach 715) 290 Sallust (86–35/34 v. Chr.) 84 Salvian von Massilia (um 400–480) 283, 310 Savigny, Friedrich Karl (1779–1861) 304, 306f, 331, 335f Savonarola, Hieronymus (1452–1498) 226 Sax, Julius 311 Schäfer, Johann Dietrich (1845–1929) 28 Schaff, Philip (1829–1893) 170, 195 Schamberger, Otto (1825–1884) 142 Schelling, Friedrich Wilhelm (1775–1854) 69, 86, 101, 104, 107 Schenkel, Daniel (1813–1885) 78, 100 Scherr, Gregorius (1804–1877) 134 Scheurl, Christoph Adolf (1811–1893) 120f, 128f, 136, 147, 206, 330–332, 355, 365 Schiller, Friedrich (1759–1805) 84, 305 Schindler-Joppien, Ulrich 70 Schlawitz, Gustav 74, 108, 112 Schlegel, Friedrich (1772–1829) 303 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst (1768– 1834) 22, 36, 42, 55, 71, 83, 86, 93, 95, 103f, 113–116, 145f, 199, 201–203, 232, 243, 247, 262, 264f, 269, 279, 288, 301, 307, 323, 326f, 329, 332, 334, 337f, 342, 345f, 357, 359, 361, 363–367 Schmid, Heinrich Ferdinand (1811–1885) 64, 123, 204, 209, 211, 213, 234f, 237, 242f Schmidt, Ludwig Friedrich (1764–1857) 141 Schmidt, Woldemar Gottlob (1836–1888) 345f Schmitz, Hermann Joseph (1841–1899) 312 Schnädelbach, Herbert (*1936) 24 Schneckenburger, Matthias (1804–1848) 37, 250 Scholtz, Gunter (*1941) 29 Scholz, Brigitte 47–49, 58 Schorn-Schütte, Luise (*1949) 55, 59 Schubert, Gotthilf Heinrich (1780–1860) 68, 159 Schubert, Hans (1859–1931) 39, 310 Schürer, Emil (1844–1910) 212f Schultze, Victor (1851–1937) 251 Schwegler, Friedrich Albert (1819–1857) 174, 196 Seebass, Otto 299, 312 Seeberg, Reinhold (1859–1935) 39 Seeliger, Gerhard (1860–1921) 39–42 Seiler, Gustav Wilhelm (1824–1893) 134

Personenregister Sell, Karl Johannes (1845–1914) 39 Severin von Noricum (um 410–482) 283 Severus Alexander (208–235) 166 Sickel, Theodor (1826–1906) 306 Silvester I. (314–335) 299f Silvester II. (999–1003) 285 Slenczka, Notger (*1960) 70 Sohm, Rudolph (1841–1917) 38, 45, 352 Sokrates (469–399 v. Chr.) 115 Sophokles (496–406/5 v. Chr.) 84 Stadelmann, Rudolf (1902–1949) 304 Staedelen, Johann Georg (1821–1891) 62, 123, 149 Stählin, Adolf (1823–1897) 78, 122, 136, 139, 145, 198, 206, 210 Stählin, Leonhard (1835–1907) 133 Stälin, Christoph Friedrich (1805–1873) 311 Stälin, Paul Friedrich (1840–1909) 311 Stähelin, Rudolf (1841–1900) 212 Stahl, Friedrich Julius (1802–1861) 72f, 77f, 86, 115, 121, 322, 329–332 Steichele, Anton (1816–1889) 311 Stein, Friedrich (1859–1923) 311 Steinmeyer, Franz Ludwig (1811–1900) 115f Steitz, Georg Eduard (1810–1879) 289 Stephanus II. (752–757) 299f Stephanus III. (768–772) 286 Stock, Konrad (*1941) 265 Stoecker, Adolf (1835–1909) 199f, 206 Strauß, David Friedrich (1808–1874) 20, 73 Sudhoff, Karl Jakob (1820–1865) 83 Tacitus, Gaius Cornelius (um 55–nach 116) 84, 174 Tanner, Klaus (*1953) 362 Tatian (um 120–um 180) 178 Tertullian, Quintus Septimius Florens (um 160/70–nach 220) 13, 40f, 43, 47, 49, 64, 146, 159, 163–196, 258, 358, 376 Teuffel, Wilhelm Sigmund (1820–1878) 312 Theophilus von Antiochien (gest. vor 190/91) 178, 297 Therese von Bayern (1792–1854) 141 Thiel, Andreas (1826–1908) 173f, 196 Thiersch, Friedrich Wilhelm (1784–1860) 82 Thomasius, Gottfried (1802–1875) 13, 42f, 71–75, 82–84, 87, 99f, 106f, 120f, 123f, 127f, 137, 143, 204, 236, 244, 356 Tischendorf, Lobegott Konstantin (1815–1874) 345 Trendelenburg, Friedrich Adolf (1802–1872) 42, 108, 114 Treitschke, Heinrich Gotthard (1834–1896) 28 Trithemius, Johannes (1462–1516) 283, 290

425

Troeltsch, Ernst (1865–1923) 15, 18, 38f Tschackert, Paul (1848–1911) 200, 203, 212, 349 Tuch, Johann Friedrich (1806–1867) 346 Twesten, August Detlev Christian (1789–1876) 95, 114f Uhlhorn, Johann Gerhard Wilhelm (1826–1901) 38, 166, 187–190, 221, 368 Ulrici, Hermann (1806–1884) 250f Valdés, Juan de (1509–1541) 292 Vilmar, August Friedrich Christian (1800–1868) 72, 75, 365 Vischer, Peter d. Ä. (um 1460–1529) 14 Vischer, Wilhelm d. J. (1833–1886) 277 Volck, Adolf Wilhelm (1845–1926) 139f, 210 Volck, Johann Christoph Wilhelm (1835–1904) 210 Wackernagel, Philipp Karl Eduard (1800–1877) 84 Wagenmann, Julius August (1823–1890) 164, 173, 250 Wagner, Wilhelm Richard (1813–1883) 206 Waitz, Georg (1813–1886) 306f Wasserschleben, Friedrich Wilhelm Hermann (1812–1893) 312 Wattenbach, Wilhelm (1819–1897) 305 Weber, Max (1864–1920) 20, 28, 30, 368 Weingarten, Georg Wilhelm Hermann (1834– 1892) 116, 128 Weiß, Karl Philipp Bernhard (1827–1918) 212, 371 Weizsäcker, Julius Ludwig Friedrich (1828– 1889) 352 Weizsäcker, Karl Heinrich (1822–1899) 352 Werner, August 310 Wessel, Johann (1420–1489) 226 White, Hayden (*1928) 342–344 Wichern, Johann Hinrich (1808–1881) 79 Wietersheim, Eduard (1787–1865) 306 Wilfrith von York (um 634–709) 310 Wilhelm I. von Preußen (1797–1888) 109, 198 Wilhelm II. von Preußen (1859–1941) 198 Will, Johannes Friedrich (1815–1868) 99, 107 Willigis von Mainz (940–1011) 283 Windelband, Wilhelm (1848–1915) 19, 30 Winter, Friedrich Karl Sigmund (1834–1919) 206 Wolf, Joseph Heinrich (1803–1857) 143 Wuttke, Karl Friedrich Adolf (1819–1870) 125 Wyclif, John (1330–1384) 226

426

Historismus und Kirchengeschichtsschreibung

Xenophanes (um 570–um 470 v. Chr.) 84 Xenophon (um 426–nach 355 v. Chr.) 134

Zahn, Theodor (1838–1933) 204, 206, 297f, 346, 351, 374 Zell, Karl (1793–1873) 310

Zezschwitz, Karl Adolf Gerhard (1825–1886) 74, 119–122, 127, 137, 140, 143, 204f, 207, 345, 356 Zschimmer, Wilhelm (1845–1907) 310 Zöckler, Otto (1833–1906) 217, 312 Zwehl, Theodor (1800–1875) 81 Zwingli, Ulrich (1484–1531) 241, 247

Forschungen zur Kirchenund Dogmengeschichte Herausgegeben von Thomas Kaufmann und Volker Henning Drecoll.

Band 93: Hans-Jürgen Goertz

Band 88: Martin Streck

Radikalität der Reformation

Das schönste Gut

Aufsätze und Abhandlungen

Der menschliche Wille bei Nemesius von Emesa und Gregor von Nyssa

2008. 378 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55200-1

Band 92: Andreas J. Beck

Gisbertus Voetius (1589–1676) Sein Theologieverständnis und seine Gotteslehre 2007. 509 Seiten mit Frontispiz, gebunden ISBN 978-3-525-55100-4

Band 91: Ernst Feil

Religio Vierter Band: Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs im 18. und frühen 19. Jahrhundert 2008. 1.006 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55199-8

Band 90: Harm Cordes

Hilaria evangelica academica

2005. 220 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55196-7

Band 87: Thilo Krüger

Empfangene Allmacht Die Christologie Tilemann Heshusens (1527–1588) 2003. 387 Seiten mit 1 Abbildung, gebunden ISBN 978-3-525-55195-0

Band 86: Oliver Kösters

Die Trinitätslehre des Epiphanius von Salamis Ein Kommentar zum ‘Ancoratus’ 2003. 396 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55194-3

Band 85: Klaus Beckmann

Die fremde Wurzel

Das Reformationsjubiläum von 1717 an den deutschen lutherischen Universitäten

Altes Testament und Judentum in der Evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts

2006. 361 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55198-1

2002. 400 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55193-6

Band 89: Markus Vinzent

Band 84: Anselm Schubert

Der Ursprung des Apostolikums im Urteil der kritischen Forschung

Das Ende der Sünde

2005. 480 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55197-4

2002. 269 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55192-9

Anthropologie und Erbsünde zwischen Reformation und Aufklärung

Forschungen zur Kirchenund Dogmengeschichte Herausgegeben von Thomas Kaufmann und Volker Henning Drecoll.

Band 83: Sven Grosse

Band 78: Wiebke Bähnk

Gott und das Leid in den Liedern Paul Gerhardts

Von der Notwendigkeit des Leidens

2001. 365 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55191-2

Die Theologie des Martyriums bei Tertullian

Band 82: Michael Basse

2001. 355 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55186-8

Die dogmengeschichtlichen Konzeptionen Adolf von Harnacks und Reinhold Seebergs

Band 77: Barbara Müller

2001. 384 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55190-5

2000. 284 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55185-1

Band 81: Wolfgang Matz

Band 76: Leif Grane / Adolf Martin Ritter / Emidio Campi (Hg.)

Der befreite Mensch Die Willenslehre in der Theologie Philipp Melanchthons 2001. 279 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55189-9

Band 80: Jörg Haustein

Liberal-katholische Publizistik im späten Kaiserreich »Das Neue Jahrhundert« und die Krausgesellschaft 2001. 406 Seiten mit 12 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-55188-2

Band 79: Ernst Feil

Der Weg des Weinens Die Tradition des »Penthos« in den Apophthegmata Patrum

Oratio Das Gebet in patristischer und reformatorischer Sicht Festschrift zum 65. Geburtstag von Alfred Schindler 1999. 260 Seiten mit 6 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-55184-4

Band 75: Angelika Dörfler-Dierken

Luthertum und Demokratie Deutsche und amerikanischen Theologen des 19. Jahrhunderts zu Staat, Gesellschaft und Kirche 2001. 448 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55183-7

Religio

Band 74: Wolfgang Sommer

Dritter Band: Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs im 17. und frühen 18. Jahrhundert

Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit

2001. 542 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55187-5

317 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55182-0