Herz-Kreislauf 3662677172, 9783662677179

Der Blick aufs Ganze Es ist immer wieder dasselbe: Wenn im klinischen Abschnitt endlich die spannenden Krankheitsbilder

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German Pages 331 [321] Year 2024

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Table of contents :
Vorwort zur 3. Auflage
Inhaltsverzeichnis
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Über die Herausgeber
1: Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems
1.1 Anatomischer Aufbau des Herzens
1.2 Erregungsbildung und Erregungsleitung
1.3 Mechanik der Herzaktion und Hämodynamik
1.4 Blutversorgung des Herzmuskels
1.5 Periphere Zirkulation und Blutverteilung
2: Kardiologische Diagnostik
2.1 Anamnese, klinische Untersuchung
2.2 Elektrokardiogramm
2.2.1 Ruhe-EKG
2.2.2 Belastungs-EKG
2.3 Echokardiografie
2.3.1 Transthorakale Echokardiografie (TTE)
2.3.2 Transösophageale Echokardiografie (TEE)
2.3.3 Bildgebungsverfahren
2.4 Labor
2.5 Nichtinvasive bildgebende Verfahren
2.5.1 Konventionelle Radiologie
2.5.2 Computertomografie (CT)
2.5.3 Magnetresonanztomografie (MRT)
2.5.4 Nuklearmedizinische Verfahren
2.6 Koronarangiografie und Linksherzkatheterunter
2.7 Rechtsherzkatheteruntersu
3: Epidemiologie und Prävention
3.1 Inzidenz und Prävalenz nichtübertragbarer Krankheiten
3.1.1 Inzidenz
3.1.2 Prävalenz
3.1.3 Mortalität
3.2 Kardiovaskuläre Prävention
3.3 Kardiovaskuläre Risikofaktoren
3.3.1 Arterielle Hypertonie
3.3.2 Hypercholesterinämie
3.3.3 Übergewicht
3.3.4 Diabetes
3.3.5 Rauchen
3.4 Umweltfaktoren
3.4.1 Luftverschmutzung
3.4.2 Transportlärm
3.4.3 Das Exposom-Konzept
3.5 Bewegung und Sport
Literatur
4: Arterielle Hypertonie
4.1 Definition und Epidemiologie
4.2 Primäre Hypertonie
4.3 Sekundäre Hypertonie
4.4 Pathogenese
4.5 Diagnostik
4.6 Therapie
5: Pulmonale Hypertonie
5.1 Definition und Klassifikation
5.2 Epidemiologie und Pathogenese
5.3 Diagnostik
5.4 Therapie
6: Diabetes mellitus
6.1 Definition und Einteilung
6.2 Epidemiologie
6.3 Diabetische folgeerkrankungen
6.4 Behandlung des Typ-2-Diabetes
Weiterführende Literatur
7: Atherosklerose und Folgeerkrankungen
7.1 Pathogenese und Risikofaktoren
7.2 Koronare Herzkrankheit (KHK)
7.3 Chronisches Koronarsyndrom mit stabiler Angina pectoris
7.4 Vasospastische Angina pectoris (Prinzmetal-Angina)
7.5 Akutes Koronarsyndrom (ACS) und Myokardinfarkt
7.6 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK)
7.7 Zerebrovaskulärer Insult (CVI)
8: Herzmuskelerkrankungen
8.1 Kardiomyopathien
8.1.1 Einleitung und Systematik
8.1.2 Dilatative Kardiomyopathie (DCM)
8.1.3 Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM)
8.1.4 Restriktive Kardiomyopathie (RCM)
8.1.5 Kardiale Amyloidose
8.1.6 Arrhythmogene (rechtsventrikuläre) Kardiomyopathie (ARVC, ACM)
8.1.7 Linksventrikuläre Non-Compaction-Kardiomyopathie (LVNC)
8.2 Myokarditis
9: Herzklappenerkrankungen
9.1 Aortenklappenstenose
9.2 Aortenklappeninsuffizienz
9.3 Mitralklappenstenose
9.4 Mitralklappeninsuffizienz
9.5 Mitralklappenprolaps
9.6 Trikuspidalklappenin
10: Erkrankungen des Endokards
10.1 Infektiöse Endokarditis
10.2 Rheumatisches Fieber
10.3 Endokarditis Libman-Sacks
Literatur
11: Erkrankungen des Perikards
11.1 Perikarditis
11.2 Perikarderguss und Tamponade
12: Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen
12.1 Physiologie
12.2 EKG
12.2.1 Rhythmus
12.2.2 P-Welle und PQ-Dauer
12.2.3 QRS-Komplex
12.2.4 Repolarisation
12.2.5 Extrasystolen
12.2.6 Schenkelblöcke
12.3 Antiarrhythmika
12.4 Bradykarde Herzrhythmusstörungen
12.4.1 Sinuatrialer Block (SA-Block)
12.4.2 Atrioventrikulärer Block (AV-Block)
12.5 Tachykarde Herzrhythmusstörungen
12.5.1 Sinustachykardie
12.5.2 Vorhofflimmern
12.5.3 Vorhofflattern
12.5.4 Präexzitation und Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW)
12.5.5 AV-Knoten-Reentrytachykardien
12.5.6 Ventrikuläre Tachykardie
12.5.7 QT-Zeit-Verlängerung und Torsade-de-Pointes-Arrhythmie
12.5.8 Kammerflimmern
13: Herzinsuffizienz
13.1 Definition und Epidemiologie
13.2 Ätiologie und Pathophysiologie
13.3 Diagnostik
13.4 Therapie
14: Kongenitale Herzfehler
14.1 Einleitung
14.2 Kongenitale Vitien im Erwachsenenalter
14.2.1 Vorhofseptumdefekt
14.2.2 Ventrikelseptumdefekt
14.2.3 Persistierender Ductus arteriosus (PDA)
14.2.4 Angeborene Pulmonalstenose
14.2.5 Aortenisthmusstenose (Coarctatio aortae; CoA)
14.2.6 Fallot’sche Tetralogie
14.2.7 Transposition der großen Arterien (TGA)
15: Erkrankungen der Aorta
15.1 Aortenaneurysma
15.2 Aortendissektion
16: Tumoren des Herz-Kreislauf-Systems
16.1 Epidemiologie, Klinik, Diagnostik, Pathologie und Therapie
16.2 Charakteristik ausgewählter Tumoren
16.2.1 Benigne Tumoren
16.2.2 Maligne Tumoren
17: Erkrankungen des venösen Systems
17.1 Varikosis
17.2 Tiefe Venenthrombose
17.3 Lungenembolie
17.4 Lungenembolie-Nachsorge
Stichwortverzeichnis

Herz-Kreislauf
 3662677172, 9783662677179

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Module Innere Medizin Thomas F. Lüscher  Hrsg.

Thomas F. Lüscher Ulf Landmesser  Hrsg.

Herz-Kreislauf 3. Auflage

Springer-Lehrbuch Module Innere Medizin Reihe herausgegeben von Thomas F. Lüscher, Zürich, Schweiz

Lernen mit dem Blick aufs Ganze Es ist immer wieder dasselbe: Wenn im klinischen Abschnitt endlich die spannenden Krankheitsbilder kommen, sind Anatomie und Physiologie längst vergessen. Mühsam muss man alles wiederholen, um zu verstehen, worum es bei der Erkrankung geht. Lernen Sie ein Organsystem doch einfach „am Stück“: von der Anatomie über die Physiologie bis zur Diagnostik und Therapie von Erkrankungen. Die Reihe „Module Innere Medizin“ ist ideal für das Lernen im Modul, hier verstehen Sie das Organsystem im Zusammenhang. Die Organe und Krankheitsbilder werden systematisch abgehandelt, endlich genügt ein einziges, kleines Buch, um den ganzen Themenblock durchzuarbeiten. Wegen ihrer Praxisnähe sind die Bücher dieser Reihe nicht nur für Medizinstudenten, sondern auch für Ärzte in der Aus- und Weiterbildung bestens geeignet. Lernen im Modul – Rundum-­Sorglos durch die Organsysteme

Thomas F. Lüscher  •  Ulf Landmesser Hrsg.

Herz-Kreislauf 3. Auflage

Hrsg.

Thomas F. Lüscher Zentrum für Molekulare Kardiologie Universität Zürich Schlieren, Schweiz

Ulf Landmesser Med. Klinik für Kardiologie Charité – Universitätsmedizin Berlin Berlin, Deutschland

ISSN 0937-7433     ISSN 2512-5214 (electronic) Springer-Lehrbuch ISBN 978-3-662-67717-9    ISBN 978-3-662-67718-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.­dnb.­de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2011, 2014, 2024 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Katrin Lenhart Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Das Papier dieses Produkts ist recyclebar.

V

Vorwort zur 3. Auflage Herz- und Kreislauferkrankungen sind weiterhin, gerade in westlichen Ländern, die häufigste Ursache von Krankheit und vorzeitigem Tod. Entsprechend muss diese Krankheitsgruppe im Studium große Beachtung finden. Neben der Häufigkeit spielt diese Krankheitsgruppe auch aufgrund ihrer Vielzahl und Komplexität und ihres nicht selten tödlichen Ausgangs eine wichtige Rolle. Studierende und Assistenten in Weiterbildung müssen daher die Grundprinzipien ihrer Entstehung verstehen sowie die typischen Beschwerden und Grundsätze ihrer Behandlung kennen. Aufgrund ihrer Häufigkeit ist dieses Grundwissen für alle Ärzte und ihre Patienten unabhängig von ihrer späteren Spezialisierung bedeutsam. Das Modul Herz-Kreislauf aus der Reihe „Module Innere Medizin“ will dieses Grundwissen Studierende und Assistenten in Weiterbildung kurz und prägnant vermitteln und erfreute sich mit seinen ersten beiden Auflagen bei Studierenden und Assistenten großer Beliebtheit. Nun erscheint das Modul in einer überarbeiteten und durch neue Kapitel erweiterten 3. Auflage. Beibehalten wurde die strukturierte und reich bebilderte Darstellung der Krankheitsbilder mit Tabellen, Algorithmen und Merksätzen für das Wichtigste. Die 3. Auflage ist nötig geworden, da sich das Gebiet der Herz- und Kreislauferkrankungen in den letzten Jahren enorm entwickelt hat und neue diagnostische Möglichkeiten sowie innovative Behandlungsmethoden verfügbar wurden. Entsprechend wurden alle Kapitel des Moduls Herz-Kreislauf überarbeitet, teilweise neu gestaltet bzw. neue Kapitel wie über „Pulmonale Hypertonie“ hinzugefügt, und das Kapitel „Erkrankungen des venösen Systems“ wurde stark erweitert. Dazu haben wir eine Reihe von neuen Autoren und Experten für die entsprechenden Krankheitsbilder eingeladen, um die Kapitel entsprechend den neusten Erkenntnissen zu aktualisieren. Dabei haben wir die Kapitel auf das Wesentlichste ausgerichtet, um den Studierenden und Assistenten diejenigen Informationen zu vermitteln, die diese für ihre Prüfungen und später auch für ihre klinische Tätigkeit unbedingt benötigen. Einfache Algorithmen sollen dabei in der Praxis behilflich sein, die verschiedenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen einfach zu erkennen und die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Schritte zu memorisieren. Auch haben wir uns bemüht, Autoren aus dem gesamten deutschen Sprachraum, d.  h. aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, zu gewinnen, um dem Lehrbuch die nötige breite Ausrichtung zu verleihen. Wir hoffen sehr, dass wir mit der 3. Auflage des Moduls Herz-Kreislauf den Studierenden, Assistenten und Assistentinnen in Weiterbildung das Wissen mitgeben können, das sie für ihre berufliche Entwicklung benötigen. Thomas F. Lüscher Ulf Landmesser

Zürich und Berlin 30. Mai 2023

VII

Inhaltsverzeichnis 1

Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems...................................... 1 Thomas F. Lüscher und Ulf Landmesser

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 2

 Anatomischer Aufbau des Herzens................................................................................................ 3 Erregungsbildung und Erregungsleitung................................................................................... 4 Mechanik der Herzaktion und Hämodynamik........................................................................... 5 Blutversorgung des Herzmuskels................................................................................................... 8 Periphere Zirkulation und Blutverteilung................................................................................... 10

Kardiologische Diagnostik...................................................................................................... 11 Gerald Maurer und Christian Schmied

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 3

Anamnese, klinische Untersuchung.............................................................................................. 12 Elektrokardiogramm........................................................................................................................... 13 Echokardiografie.................................................................................................................................. 16 Labor......................................................................................................................................................... 22 Nichtinvasive bildgebende Verfahren.......................................................................................... 22 Koronarangiografie und Linksherzkatheterunter­suchung................................................... 28 Rechtsherzkatheteruntersu­chung und Herzminuten­volumenbestimmung.................. 31

Epidemiologie und Prävention............................................................................................. 33 Martin Halle und Thomas Münzel

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

 Inzidenz und Prävalenz nichtübertragbarer Krankheiten..................................................... 34 Kardiovaskuläre Prävention............................................................................................................. 37 Kardiovaskuläre Risikofaktoren...................................................................................................... 39 Umweltfaktoren.................................................................................................................................... 44 Bewegung und Sport.......................................................................................................................... 46 Literatur...........................................................................................................................................................48

4

Arterielle Hypertonie.................................................................................................................. 49 Felix Mahfoud, Roland Schmieder und Thomas F. Lüscher

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 5

Definition und Epidemiologie......................................................................................................... 50 Primäre Hypertonie............................................................................................................................. 50 Sekundäre Hypertonie....................................................................................................................... 51 Pathogenese.......................................................................................................................................... 53 Diagnostik............................................................................................................................................... 53 Therapie................................................................................................................................................... 55

Pulmonale Hypertonie............................................................................................................... 63 Irene M. Lang und Stephan Rosenkranz

5.1 5.2 5.3 5.4

Definition und Klassifikation............................................................................................................ 64 Epidemiologie und Pathogenese................................................................................................... 68 Diagnostik............................................................................................................................................... 69 Therapie................................................................................................................................................... 72

VIII

6

Inhaltsverzeichnis

Diabetes mellitus........................................................................................................................... 79 Roger Lehmann und Nikolaus Marx

6.1 6.2 6.3 6.4 7

Definition und Einteilung.................................................................................................................. 80 Epidemiologie....................................................................................................................................... 81 Diabetische folgeerkrankungen..................................................................................................... 81 Behandlung des Typ-2-Diabetes..................................................................................................... 83 Weiterführende Literatur...........................................................................................................................91

Atherosklerose und Folgeerkrankungen....................................................................... 93 Andreas Zirlik und Ronald K. Binder

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7

Pathogenese und Risikofaktoren................................................................................................... 94 Koronare Herzkrankheit (KHK)........................................................................................................ 97 Chronisches Koronarsyndrom mit stabiler Angina pectoris................................................. 97 Vasospastische Angina pectoris (Prinzmetal-Angina)............................................................. 104 Akutes Koronarsyndrom (ACS) und Myokardinfarkt............................................................... 105 Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK)....................................................................... 117 Zerebrovaskulärer Insult (CVI)......................................................................................................... 122

8

Herzmuskelerkrankungen....................................................................................................... 127 Benjamin Meder und Urs Eriksson

8.1 8.2 9

Kardiomyopathien............................................................................................................................... 128 Myokarditis............................................................................................................................................. 145

Herzklappenerkrankungen..................................................................................................... 153 Christian Hengstenberg, Thomas Pilgrim, Philipp Bartko, Fabien Praz, Georg Goliasch und Stephan Windecker

9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 10

Aortenklappenstenose....................................................................................................................... 154 Aortenklappeninsuffizienz............................................................................................................... 161 Mitralklappenstenose......................................................................................................................... 166 Mitralklappeninsuffizienz................................................................................................................. 169 Mitralklappenprolaps......................................................................................................................... 174 Trikuspidalklappenin­suffizienz....................................................................................................... 175

Erkrankungen des Endokards............................................................................................... 179 Alexander Lauten und Thomas F. Lüscher

10.1 10.2 10.3 11

Infektiöse Endokarditis...................................................................................................................... 180 Rheumatisches Fieber........................................................................................................................ 189 Endokarditis Libman-Sacks.............................................................................................................. 189 Literatur...........................................................................................................................................................190

Erkrankungen des Perikards.................................................................................................. 193 Thomas F. Lüscher, Matthias Greutmann und Jan Steffel

11.1 11.2

Perikarditis.............................................................................................................................................. 194 Perikarderguss und Tamponade..................................................................................................... 196

IX Inhaltsverzeichnis

12

Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen.......... 201 Jan Steffel und Thomas F. Lüscher

12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 13

Physiologie............................................................................................................................................. 203 EKG............................................................................................................................................................ 204 Antiarrhythmika................................................................................................................................... 211 Bradykarde Herzrhythmusstörungen........................................................................................... 212 Tachykarde Herzrhythmusstörungen........................................................................................... 217

Herzinsuffizienz.............................................................................................................................. 233 Bettina Heidecker und Otmar Pfister

13.1 13.2 13.3 13.4

Definition und Epidemiologie......................................................................................................... 234 Ätiologie und Pathophysiologie..................................................................................................... 235 Diagnostik............................................................................................................................................... 239 Therapie................................................................................................................................................... 242

14

Kongenitale Herzfehler.............................................................................................................. 251 Helmut Baumgartner und Gerhard-Paul Diller

14.1 14.2 15

Einleitung................................................................................................................................................ 252 Kongenitale Vitien im Erwachsenenalter..................................................................................... 253

Erkrankungen der Aorta........................................................................................................... 265 Martin Czerny und Christoph Nienaber

15.1 15.2 16

Aortenaneurysma................................................................................................................................ 266 Aortendissektion.................................................................................................................................. 271

Tumoren des Herz-Kreislauf-Systems.............................................................................. 277 Tatiana Manuylova und Karin Klingel

16.1 16.2 17

 Epidemiologie, Klinik, Diagnostik, Pathologie und Therapie............................................... 278 Charakteristik ausgewählter Tumoren.......................................................................................... 279

Erkrankungen des venösen Systems................................................................................ 287 Christine Espinola-Klein und Stavros Konstantinides

17.1 17.2 17.3 17.4

Varikosis.................................................................................................................................................. 288 Tiefe Venenthrombose....................................................................................................................... 290 Lungenembolie..................................................................................................................................... 295 Lungenembolie-Nachsorge.............................................................................................................. 304

Serviceteil Stichwortverzeichnis...................................................................................................................................309

XI

Herausgeber- und Autorenverzeichnis Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Philipp Bartko  Klinische Abteilung für Kardiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin II, Wien, Österreich Prof. Dr. med. Helmut  Baumgartner  Klinik für Kardiologie III: Angeborene Herzfehler (EMAH) und Klappenerkrankungen, Universitätsklinikum, Münster, Deutschland Primarius Priv.-Doz. Dr. Ronald  K.  Binder  Vorstand, Abteilung für Innere Medizin II, Kardiologie und Intensivmedizin, Klinikum Wels-Grieskirchen GmbH, Eine Einrichtung der Kreuzschwestern und Franziskanerinnen, Wels, Österreich Prof. Dr. Martin  Czerny  Universitäts-Herzzentrum Freiburg • Bad Krozingen, Klinik für Herz- und Gefäßchirugie, Medizinische Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg im Breisgau, Deutschland Prof. Dr. med. Gerhard-Paul  Diller  Klinik für Kardiologie III: Angeborene Herzfehler (EMAH) und Klappenerkrankungen, Universitätsklinikum, Münster, Deutschland Prof. Dr. med. Urs  Eriksson MD, MSc ETH, FESC, FHFA  Vorsteher Departement Medizin, Ärztlicher Direktor, GZO Spital Wetzikon AG, Wetzikon, Schweiz Univ.-Prof. Dr. Christine  Espinola-Klein  Kardiologie III-Angiologie, Zentrum für Kardiologie, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland Georg Goliasch  Klinische Abteilung für Kardiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin II, Wien, Österreich Prof. Dr. med. Matthias Greutmann  Klinik für Kardiologie und Herzzentrum, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz Univ.-Prof. Dr. med. Martin  Halle  Präventive Sportmedizin und Sportkardiologie, EAPC ­accredited Centre for Sports Cardiology, TUM School Medicine and Health, Universitätsklinikum rechts der Isar, Technische Universität München, München, Deutschland PD Dr. Bettina  Heidecker  Med. Klinik für Kardiologie, Deutsches Herzzentrum der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Prof. Dr. Christian  Hengstenberg  Klinische Abteilung für Kardiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin II, Wien, Österreich Prof. Dr. med. Karin Klingel  Leitung Kardiopathologie, Institut für Pathology und Neuropathology, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Deutschland

XII

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Univ.-Prof. Dr. Stavros Konstantinides  Professur Klinische Studien und Ärztlicher Direktor, Centrum für Thrombose und Hämostase, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland Prof. Dr. med. Ulf Landmesser  Med. Klinik für Kardiologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Prof. Dr. med. Irene M. Lang  Kardiologie, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich Prof. Dr. Alexander  Lauten  Klinik für Allgemeine und Interventionelle Kardiologie und Rhythmologie, Helios Klinikum, Erfurt, Deutschland Prof. Dr. Roger Lehmann  Stellvertretender Klinikdirektor, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung, UniversitätsSpital, Zürich, Deutschland Prof. Dr. med. Thomas F. Lüscher  Zentrum für Molekulare Kardiologie, Universität Zürich, Zürich, Schweiz Prof. Dr. med. Felix Mahfoud  Chefarzt Kardiologie, Universitäres Herzzentrum Basel, UniversitätsSpital Basel, Basel, Schweiz Dr. Tatiana  Manuylova  Kardiopathologie, Institut für Pathologie und Neuropathologie, Universitätsklinikum, Tübingen, Deutschland Univ.-Prof. Dr. med. Nikolaus  Marx  Direktor der Medizinischen Klinik I  – Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Aachen, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Prof. Dr. med. Gerald Maurer  Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich Prof. Dr. med. Benjamin Meder FESC, RSM  Stellv. Ärztlicher Direktor, Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie, Leiter Institut für Cardiomyopathien Heidelberg, Medizinische Universitätsklinik, Heidelberg, Deutschland Prof. Dr. Thomas  Münzel  Zentrum für Kardiologe, Kardiologie I, Universitätsmedizin Mainz, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz, Deutschland Prof. Dr. med. Christoph Nienaber  Heart Unit, Royal Brompton Hospital, London, Großbritannien Professor Otmar Pfister  Kardiologie, Universitäres Herzzentrum Basel, Universitäskliniken Basel, Basel, Schweiz Thomas  Pilgrim  Universitätsklinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Bern, Bern, Schweiz Fabien Praz  Universitätsklinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Bern, Bern, Schweiz Prof. Dr. med. Stephan  Rosenkranz  Klinic III Innere Medizin und Kardiologie, Herzzentrum, Universitätsklinikum Köln, Köln, Deutschland

XIII Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Prof. Dr. med. Christian Schmied  Leitender Arzt, Herzkreislaufzentrum, Kardiologie, UniversitätsSpital, Zürich, Schweiz Prof. Dr. med. Roland  Schmieder  Klinik für Nephrologie und Hypertonie, Friedrich-­ Alexander-­Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland Prof. Dr. med. Jan Steffel  Elektrophysiologie, Klinik Hirslanden / Klinik im Park, Zürich, Schweiz Prof. Dr. Stephan  Windecker  Universitätsklinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Bern, Bern, Schweiz Univ. Prof. Dr. Andreas Zirlik  Universitäres Herzzentrum Graz – Abteilung für Kardiologie, Medizinische Universität Graz, LKH-Universitätsklinikum Graz, Graz, Österreich

XIV

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Über die Herausgeber Prof. Dr. Thomas F. Lüscher MD, FRCP, FESC Thomas F. Lüscher studierte Medizin an der Universität Zürich und erhielt seine Weiterbildung zum Facharzt für Innere Medizin, klinische Pharmakologie und Kardiologie an der Universität Zürich, der Mayo Clinic in Rochester Minnesota in den USA und der Universität Basel. Er war von 1992 bis 1994 Professor für Pharmakotherapielogie an der Universität und den Universitätskliniken Basel, danach für 4 Jahre Professor und stellvertretender Klinikdirektor der Kardiologie am Inselspital und der Universität Bern und wurde 1996 zum Professor für Kardiologie und Direktor der Abteilung und später Klinik für Kardiologie des Universitätsspitals Zürich sowie Leiter der kardiovaskulären Forschung am Institut für Physiologie der Universität Zürich berufen. Professor Lüscher gründete und leitete des Universitäre Herzzentrum in Zürich bis 2017 und wechselte danach als Consultant und Director for Research, Education and Development an die Royal Brompton and Harefield Hospitals und an das Imperial College and King’s College in London im Vereinigten Königreich. Professor Lüscher ist als klinischer und interventioneller Kardiologe und als Forscher mit besonderem Interesse an Endothelfunktion, Lipiden, Hypertonie, Atherosklerose, akutem Koronarsyndrom und Herzinsuffizienz tätig. Er gehört zu den meistzitierten Wissenschaftlern weltweit und hat zahlreiche Forschungspreise erhalten. Von 2009 bis 2020 war er Editor-in-Chief des European Heart Journal und ist weiterhin Herausgeber des ESC Textbook of Cardiovascular Medicine. Zudem ist er President der European Society of Cardiology.

Univ.-Prof. Dr. med. Ulf Landmesser *24. November 1970 in Dresden Professor Ulf Landmesser ist seit 2014 Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin, Campus Benjamin Franklin des Deutschen Herzzentrums der Charité (bis 12/2022 Klinik für Kardiologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin) und seit Januar 2023 Bereichsvorstand des Deutschen Herzzentrums der Charité (DHZC). Nach seinem Medizinstudium an der Medizinischen Hochschule Hannover, der University of Connecticut in Farmington (USA) und dem National Heart & Lung Institute in London spezialisierte er sich auf Innere Medizin und Kardiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Im Jahr 2000/2001 war er als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung am Department of Cardiology der Emory University School of Medicine, Atlanta (USA) tätig und erhielt den Outstanding Fellows in Cardiology Special Recognition Award. Im Jahr 2007 wurde er als Oberarzt Kardiologe mit Schwerpunkt Akut- und Inter-

XV Herausgeber- und Autorenverzeichnis

ventionskardiologie und als Leiter der translationalen kardiovaskulären Forschung an die Klinik für Kardiologie des Universitätsspitals Zürich (Schweiz) berufen, wo er später als stellvertretender Direktor und Professor an der Klinik für Kardiologie tätig war. Er erhielt 2012 den Götz Award, den offiziellen Preis der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich im Bereich der kardiovaskulären Prävention. Von 209 - 2020 war Professor Landmesser Deputy Editor des European Heart Journal, der führenden kardiovaskulären Zeitschrift in Europa. Er hat ein besonderes Forschungsinteresse an der translationalen und klinischen Entwicklung neuer personalisierter Managementund Therapiestrategien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit einem Schwerpunkt im Bereich der koronaren Herzerkrankung. Weiterhin ist er ­ wissenschaftlicher Direktor des 2022 gegründeten Friede Springer-Cardiovascular Prevention Center @ Charité.

1

Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems Thomas F. Lüscher und Ulf Landmesser Inhaltsverzeichnis 1.1

Anatomischer Aufbau des Herzens – 3

1.2

Erregungsbildung und Erregungsleitung – 4

1.3

Mechanik der Herzaktion und Hämodynamik – 5

1.4

Blutversorgung des Herzmuskels – 8

1.5

Periphere Zirkulation und Blutverteilung – 10

Frühere Versionen wurden unter Mitarbeit von Jan Steffel und Christoph Wyss erstellt. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 T. F. Lüscher, U. Landmesser (Hrsg.), Herz-Kreislauf, Springer-Lehrbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6_1

1

2

1

T. F. Lüscher und U. Landmesser

Die Anatomie und Physiologie des Herz-­ Kreislauf-­Systems wird grundsätzlich in der Vorklinik behandelt und in diesem Lehrbuch lediglich im Rahmen eines kurzen Repetitoriums dargestellt. Für ein intensiveres Auffrischen sei auf die Lehrbücher der Anatomie und Physiologie verwiesen.

Der Mensch verfügt über einen zweigliedrigen Blutkreislauf mit einem Hochdrucksystem (d.  h. dem arteriellen Kreislauf) und einem Niederdrucksystem (d.  h. dem venösen Kreislauf) mit je einer gesonderten „Pumpe“ (. Abb.  1.1). Diese Pumpe beinhaltet auf der rechten (Niederdrucksystem mit vorwiegend tiefem Sauerstoffgehalt) und linken Seite (Hochdrucksystem mit hohem Sauerstoffgehalt) jeweils einen Vorhof und einen Ventrikel, die durch vier Herzklappen, die als Ventile funktionieren, getrennt sind. Die rechte Herzhälfte besteht aus rechtem Vorhof und rechtem Ventrikel, welcher Blut mit einem relativ geringen Druck (mittlerer Druck: ~ 15 mmHg) zum Gasaustausch  

über den kleinen oder pulmonalen Kreislauf durch die Lunge pumpt, von wo aus es zur linken Herzhälfte strömt. Die linke Herzhälfte (bestehend aus linkem Vorhof und linkem Ventrikel) pumpt das nun sauerstoffreiche Blut durch den großen oder systemischen Kreislauf, der die einzelnen Organe versorgt, wozu ein wesentlich höherer Druck notwendig ist (mittlerer arterieller Druck: ~ 85 mmHg). Beim Durchströmen der kleineren Arterien und Arteriolen fällt der Druck durch die zunehmende Entfernung vom Herzen sowie wegen der Zunahme des Gesamtdurchmessers, sodass in den Kapillaren der Organe nur noch ein Mitteldruck von ~ 20  mmHg herrscht, welcher in den Venolen und Venen nochmals bis auf etwa 5 mmHg abfällt (. Abb. 1.6). Das Hochdrucksystem umfasst ab dem linken Ventrikel das linke Herz, die Arterien und Arteriolen. Das Niederdrucksystem, in welchem das Blut zurück zum rechten Herzen fließt, besteht aus Kapillaren, Venolen, dem rechten Vorhof und Ventrikel, sowie dem kleinen Kreislauf und dem linken Vorhof.  

..      Abb. 1.1  Schema des großen und kleinen Blutkreislaufs. (Aus Zilles/Tillmann, Anatomie, Springer 2010)

3 Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems

>>Alle Blutgefäße, die vom Herz wegführen, werden als Arterien, alle Blutgefäße, die von den Organen zum Herz zurückführen, als Venen bezeichnet. Diese Nomenklatur ist unabhängig vom jeweiligen Sauerstoffgehalt des Blutes.

1.1 

 natomischer Aufbau des A Herzens

Das Herz ist ein Hohlmuskel (. Abb. 1.2), der aus verschiedenen Geweben besteht: Innen ist es mit Endothel ausgekleidet (dem sog. Endokard), zur Mitte schließt sich der eigentliche Herzmuskel (Myokard) an.  

1

Außen ist das Herz von versorgendem Bindegewebe mit Fettpolster und Gefäßen (Epikard) sowie einer Serosa (Perikard) umhüllt. Das gesamte Organ liegt in einem Beutel (Perikardbeutel), welcher innen serös und außen bindegewebig aufgebaut ist und normalerweise keine oder eine nur geringe Flüssigkeitsmenge beinhaltet. Jede Herzhälfte ist unterteilt in einen Vorhof (Atrium) und eine Kammer (Ventrikel): Das menschliche Herz ist somit ein 4-kammeriges Hohlorgan. Das Herz verfügt über 4 Herzklappen, die eine Ventilfunktion übernehmen und den Blutfluss nur in eine Richtung zulassen. Die Segelklappen liegen zwischen Atrium und

..      Abb. 1.2  Aufbau und Blutfluss des menschlichen Herzens und der großen Gefäße. (Aus Zilles/Tillmann, Anatomie, Springer 2010)

4

1

T. F. Lüscher und U. Landmesser

Ventrikel (Atrioventrikularklappen), die Taschenklappe (Semilunarklappen) zwischen Ventrikel und dem jeweiligen Kreislaufsystem. 55 Die Segelklappe des linken Herzens ist bikuspid und heißt Mitralklappe (benannt nach der Kopfbedeckung der Bischöfe, der „Mitra“; 7 Abschn.  9.3 und 9.4). 55 Die Segelklappe des rechten Herzens ist trikuspid und wird analog als Trikuspidalklappe bezeichnet (7 Abschn. 9.5). 55 Die Taschenklappen trennen die Ventrikel von den großen Gefäßen und heißen Aortenklappe (7 Abschn.  9.1 und  9.2) im linken Herzen und Pulmonalklappe im rechten, entsprechend dem Gefäß, in das sie münden.  





1.2 

Erregungsbildung und Erregungsleitung

Das Herz kontrahiert regelmäßig mit einer Grundfrequenz von 50–80  Schlägen/min. Unter physiologischen Bedingungen entsteht das Aktionspotenzial im Sinusknoten, der sich im rechten Vorhof befindet (. Abb. 1.3). Das Aktionspotenzial breitet sich von dort über den rechten und linken Vorhof aus und wird über den AV-Knoten und das His-Bündel in die Ventrikel geleitet, wo es über die Tawara-Schenkel und Purkinje-­ Fasern in das Arbeitsmyokard des rechten bzw. linken Ventrikels fortgeleitet wird. Die Repolarisierung des Myokards erfolgt von der Herzspitze nach basal sowie von epikardial nach endokardial (7 Abschn. 12.1).  



..      Abb. 1.3  Erregungsbildungs- und Reizleitungssystem des menschlichen Herzens. (Aus Zilles/Tillmann, Anatomie, Springer 2010)

5 Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems

1.3 

 echanik der Herzaktion M und Hämodynamik

Der Herzzyklus ist in mehrere Phasen unterteilt (. Abb. 1.4). Der Hauptteil der Füllung der Ventrikel aus den Vorhöfen wird durch den Ventilebenenmechanismus, also der  

1

hintereinander folgenden basalen und apikalen Verlagerung der Klappenebene und der hiermit verbundenen Sogwirkung, erreicht. Darüber hinaus kontrahieren gegen Ende der elektrischen Diastole die Vorhöfe (= atriale Systole und ventrikuläre Diastole) und tragen normalerweise zur Füllung der Vent-

..      Abb. 1.4  Zeitliche Beziehung von EKG, Klappenöffnung bzw. -schluss und Druck-Volumen-­Verhältnissen im rechten und im linken Herz

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1

T. F. Lüscher und U. Landmesser

rikel bei (ca.  25–30  % der Ventrikelfüllung) (für Veränderungen bei kardialen Erkrankungen siehe 7 Abschn. 12.6 und 13.3). Ist die Ventrikelfüllung beendet, beginnt die Ventrikelkontraktion und der Druck in der Kammer nimmt zu. Da dies zunächst gegen die geschlossene Taschenklappe geschieht, wird der erste Teil der Kontraktion auch als isovolumetrische Kontraktionsphase bezeichnet. Übersteigt der Druck im Ventrikel den des darauffolgenden großen Gefäßes, öffnen die Taschenklappen und die Austreibungsphase beginnt. Am Ende der Austreibungsphase nimmt die Anspannung des Ventrikelmyokards wieder ab und der Druck im Ventrikel sinkt. Fällt der Ventrikeldruck unter den Druck des ihm nachgeschalteten großen Gefäßes (Aorta bzw. Pulmonalarterie), kommt es zum Schluss  

der Taschenklappen. Es folgt die isovolumetrische Relaxationsphase, welche bis zu dem Zeitpunkt andauert, an dem der Ventrikeldruck unter den Druck des ihm vorgeschalteten Vorhofs fällt, worauf es zum Öffnen der Segelklappen und zur erneuten Ventrikelfüllung kommt. Die Druckwerte des linken Ventrikels sind um ein Mehrfaches höher als die des rechten Ventrikels, entsprechend dem höheren Widerstand des Systemkreislaufs. Die physiologischen hämodynamischen Normwerte sind in . Tab.  1.1 angegeben. Diese ändern sich stark bei kardiovaskulären Erkrankungen wie der arteriellen Hypertonie (siehe auch 7 Kap. 4 Arterielle ), der pulmonalen Hypertonie (7 Abschn. 5.1. und 5.2), Kardiomyopathien (7 Abschn. 8.1) und der Herzinsuffizienz (7 Abschn. 13.1).  









.       Tab. 1.1  Physiologische hämodynamische Werte Anatomischer Ort

Hämodynamischer Parameter

Mittelwert (mmHg)

Bereich (mmHg)

Rechter Vorhof

A-Welle

6

2–7

V-Welle

5

2–7

Mittelwert

3

1–5

Systolischer Druck

25

15–30

Enddiastolischer Druck

4

1–7

Systolischer Druck

25

15–30

Enddiastolischer Druck

9

4–12

Mitteldruck

15

9–19

Kapillardruck

Mittelwert

9

4–12

Linker Vorhof

A-Welle

10

4–16

V-Welle

12

6–21

Mittelwert

8

2–12

Systolischer Druck

130

90–140

Enddiastolischer Druck

8

5–12

Systolischer Druck

130

90–140

Enddiastolischer Druck

70

60–90

Mitteldruck

85

70–105

Rechter Ventrikel

Pulmonalarterie

Linker Ventrikel

Zentrale Aorta

7 Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems

1

Gruae Rinde (Cortex) Hypothalamus Hirnstamm Herzkreislaufzentrum

Rückenmark

Sympathische Ganglien

Arteriolen

Venen

Herz

Splanchische Gefässe

Niere

Hautgefässe Schweiss- Nebennieredrüsen nmedulla

..      Abb. 1.5  Das sympathische Nervensystem als Regulator des Kreislaufs und seiner Organe

Das Herzminutenvolumen (HMV) errechnet sich aus dem Produkt von Schlagvolumen (SV) und der Herzfrequenz und gibt die Menge Blut an, welche pro Minute durch den Blutkreislauf gepumpt wird (Norm: 4,5–5  L/min, reduziert bei Herzinsuffizienz (7 Abschn.  13.1) und erhöht bei Hyperthyreose). Der systemische Blutdruck berechnet sich aus HMV und peripherem Widerstand, der pulmonale Druck analog aus HMV und pulmonalem Widerstand. Bei erhöhten Druckwerten im pulmonalen Kreislauf spricht man von pulmonaler Drucksteigerung oder Hypertonie (7 Abschn. 5.1),  



bei erhöhten Druckwerten im systemischen Kreislauf von (systemischer) arterieller Hypertonie (7 Abschn. 4.1). Der periphere Widerstand wird durch die Aktivität des sympathischen Nervensystems (. Abb. 1.5), den Vagus sowie neurohumorale Regelmechanismen (z.B.  Noradrenalin, Renin-Angiotensin-Aldosteron-System [RAAS], Endothelin, Vasopressin, natriuretische Peptide) vorwiegend in kleinen Arteriolen reguliert (7 Abschn. 13.1). Das Schlagvolumen des Herzens wird durchvorwiegend durch inotrope Hormone wie Adrenalin reguliert (7 Abschn. 13.1).  







8

1

1.4 

T. F. Lüscher und U. Landmesser

Blutversorgung des Herzmuskels

Die Arterien, welche das Myokard versorgen, werden aufgrund ihres kranzförmigen Verlaufs über dem Herzen Herzkranzarterien (oder Koronararterien, von lat. Corona = Kranz, Krone) genannt. Die linke bzw. rechte Koronararterie entspringt aus dem linken bzw. rechten Bulbus aortae. 55 Die linke Koronararterie (Arteria coronaria sinistra; engl. left coronary artery, LCA) teilt sich nach einem kurzen Hauptstamm (engl. left main coronary artery, LM) in einen Ramus circumflexus (RCX; engl. left circumflex coronary artery, LCX) und einen Ramus interventricularis anterior (RIVA; engl. left anterior descending coronary artery, LAD) auf. Im Normalfall versorgt der RIVA den linken Ventrikel, die Vorderwand des rechten Ventrikels sowie den größten Teil des Septum interventriculare. 55 Die rechte Koronararterie (Arteria coronaria dextra, ACD oder engl. right coronary artery, RCA) teilt sich in einen Hauptast, den Ramus interventricularis posterior (RIVP), und (meistens) einen Posterolateralast (PLA) auf. Die RCA versorgt gewöhnlich den rechten Vorhof, die inferoposterioren Anteile des linken Ventrikels und des Septums sowie den rechten Ventrikel.

55 Ist die RCA dominant, spricht man von Rechtsversorgertyp, ist es die LCA, so spricht man von Linksversorgertyp (7 Abschn. 7.2).  

In der Koronarzirkulation, besonders in der linken Koronararterie, fließt das Blut – im Gegensatz zu anderen Gefäßgebieten – aufgrund der starken Kontraktion des linken Herzmuskels fast ausschließlich in der Diastole, da während der Systole der Druck im Myokard die Arteriolen und Kapillaren komprimiert (. Abb.  1.6). Der Blutfluss in das Koronarsystem wird daher durch den Perfusionsdruck, den peripheren Widerstand sowie die Herzfrequenz bestimmt, welche die Dauer der Diastole vorgibt. Da die elektrische Kammererregung immer eine gewisse minimale Zeit in Anspruch nimmt, ist die Dauer der Systole weitgehend unabhängig von der Herzfrequenz. Bei zunehmender Herzfrequenz nimmt folglich vor allem die Dauer der Diastole und damit die Perfusionszeit des Myokards ab. Umgekehrt ist der Muskel des rechten Ventrikels viel dünner und die Kontraktion schwächer, und die Druckverhältnisse sind viel tiefer als in der rechten Koronararterie, in welcher arterielle Druckwerte herrschen; entsprechend sinkt der Blutfluss während der Systole in den Ästen der RCA, die das rechte Herz versorgen, kaum ab.  

9 Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems

..      Abb. 1.6 Zeitliches Verhältnis der DruckVolumen-­ Verhältnisse im linken Ventrikel sowie in den Koronararterien. Speziell in der linken Koronar-

1

arterie erfolgt die Durchblutung in erster Linie während der Diastole. (Aus Schmidt/Lang/Heckmann, Physiologie, Springer 2010)

10

1

T. F. Lüscher und U. Landmesser

1.5 

Periphere Zirkulation und Blutverteilung

In der Peripherie verzweigen sich die Blutgefäße ausgehend von der Aorta bzw. der Arteria pulmonalis. Dabei nimmt der jeweilige Querschnitt der einzelnen Arterien vom Herzen bis zu den Organen zunehmend ab. Im Gegensatz dazu nimmt der Gesamtquerschnitt um das über 100-Fache zu. Damit verringert sich der Perfusionsdruck und in der Folge die Fließgeschwindigkeit des Blutes von Ruhewerten von 1 m/s auf wenige cm/s (. Abb. 1.7). Mengenmäßig verteilt sich der größte Teil des Blutvolumens auf das Niederdrucksystem (ca. zwei Drittel). Im arteriellen System befinden sich lediglich 15 % des Gesamtvolumens, der Rest verteilt sich auf das Herz sowie auf die durchströmten Organe (. Abb. 1.8). Die venösen Anteile des Kreislaufs, vor allem die großen Hohlvenen, haben somit eine wichtige Reservoirfunktion, welche bei körperlicher Anstrengung genutzt werden kann. Durch die langsame Strömung und den tiefen Perfusionsdruck kann der Rückfluss zum Herz

im Niederdrucksystem gegen die Schwerkraft nur unter Beteiligung der Venenklappen und der Muskelpumpe sowie durch Sogwirkung des Herzens, die sich durch die Verschiebung der Klappenebene in der Systole ergibt, sichergestellt werden.





..      Abb. 1.8  Verteilung des Blutvolumens im arteriellen und venösen System

..      Abb. 1.7  Druckverhältnisse und Blutvolumenverteilung im Herz und in den Gefäßen

11

Kardiologische Diagnostik Gerald Maurer und Christian Schmied Inhaltsverzeichnis 2.1

Anamnese, klinische Untersuchung – 12

2.2

Elektrokardiogramm – 13

2.2.1 2.2.2

 uhe-EKG – 13 R Belastungs-EKG – 15

2.3

Echokardiografie – 16

2.3.1 2.3.2 2.3.3

T ransthorakale Echokardiografie (TTE) – 16 Transösophageale Echokardiografie (TEE) – 18 Bildgebungsverfahren – 19

2.4

Labor – 22

2.5

Nichtinvasive bildgebende Verfahren – 22

2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4

 onventionelle Radiologie – 22 K Computertomografie (CT) – 24 Magnetresonanztomografie (MRT) – 25 Nuklearmedizinische Verfahren – 26

2.6

Koronarangiografie und Linksherzkatheterunter­suchung – 28

2.7

Rechtsherzkatheteruntersu­chung und Herzminuten­volumenbestimmung – 31

Frühere Versionen wurden unter Mitarbeit von C. Schmied, O. Gämperli, J. Steffel und T. F. Lüscher verfasst. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 T. F. Lüscher, U. Landmesser (Hrsg.), Herz-Kreislauf, Springer-Lehrbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6_2

2

12

2

G. Maurer und C. Schmied

Die kardiologische Beurteilung des Patienten beginnt, wie in jedem Bereich der Medizin, mit einer ausführlichen Anamnese und körperlichen Untersuchung. Je nach Fragestellung schließen sich apparative Untersuchungen an, inklusive EKG, Labor, Röntgen, Echokardiografie oder Herzkatheteruntersuchung. Bei speziellen Fragestellungen kommen darüber hinaus weitere bildgebende Verfahren wie die Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) und nuklearmedizinische Untersuchungen zum Einsatz.



55

55

2.1 

Anamnese, klinische Untersuchung

Eine sorgfältig durchgeführte Anamnese und eine gründliche körperliche Untersuchung stellen einen zentralen Bestandteil der kardiologischen Abklärung dar. Hierdurch können Fragestellungen für weitergehende Abklärungen konkret formuliert und nicht selten kann bereits eine Diagnose auch ohne aufwendige und teure Labordiagnostik und apparative Tests gestellt werden. Darüber hinaus ist eine Reihe apparativer Verfahren in der Kardiologie von großer Bedeutung und integraler Bestandteil der modernen Medizin. Die wichtigsten Bestandteile von Anamnese und klinischer Untersuchung werden hier nochmals kurz wiederholt, im Detail aber im Rahmen der spezifischen Erkrankungen besprochen (z.  B.  Myokardinfarkt, Klappenerkrankungen, Herzinsuffizienz etc.). Kardiologische Anamnese 55 Frage nach kardialen Symptomen wie verminderter Leistungsfähigkeit, Palpitationen, Dyspnoe, Orthopnoe (nach der NYHA-Klassifikation), Angina pectoris (nach der CCS-Klassifikation, 7 Abschn.  7.2), Ödemen/Nykturie,  

Claudicatio intermittens (nach Fontaine-Klassifikation, 7 Abschn. 7.4), Synkopen oder Präsynkopen, Schwindel, neurologischen Symptomen etc. Erfragen von kardiovaskulären Lifestyle- und Risikofaktoren (Körpergewicht/Body-Mass-Index, Gewichtsentwicklung, Ernährung, Rauchen, sportliche Betätigung, Blutdruckmessungen zu Hause, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen) Frage nach Vorerkrankungen und -operationen und Allergien Familienanamnese (Hypertonie, Diabetes, koronare Herzkrankheit >Das EKG misst lediglich die elektrische Aktivität des Reizleitungssystems des Herzens. Aussagen über Struktur und Funktion lassen sich nur indirekt treffen.

14

G. Maurer und C. Schmied

a

b

2

c

d

..      Abb. 2.1  a–d Platzierung der Extremitäten- und Brustwandelektroden und Projektion der entsprechenden Ableitungen

2

15 Kardiologische Diagnostik

Laufband, in Form eines Belastungs-EKGs bzw. einer Ergometrie. Bei der KHK können dabei u.  a. unter Belastung auftretende ST-­ Streckenveränderungen (. Abb.  2.4) und pektanginöse Beschwerden Ausdruck einer Myokardischämie sein. Darüber hinaus können Leistungsfähigkeit (nach Alter, Geschlecht etc.), Blutdruckverlauf (normaler Anstieg, Blutdruckabfall, fehlender Anstieg, Hypertonie), Herzfrequenzverlauf und allfällige Rhythmusstörungen beurteilt werden. Die Aussagekraft der Ergometrie hinsichtlich einer allfälligen myokardialen Ischämie ist allerdings v. a. bei einem negativen Testresultat eingeschränkt (Sensitivität nur 45–50  %). Bei Frauen ist die Aussagekraft der Ergometrie schlechter als bei Männern. Die folgende Übersicht zeigt klinische Szenarien, in denen die Aussagekraft der Ergometrie ebenfalls aufgrund falsch positiver Resultate hinsichtlich Ischämie eingeschränkt ist. Vorsicht ist geboten bei schwerer Aortenstenose, HOCM, schwerer Dreigefäß- oder Hauptstammerkrankung, florider Myokarditis oder unmittelbar nach Herzinfarkt. Durch den Einsatz zusätzlicher bildgebender Verfahren in Verbindung mit der Belastung (Echokardiografie, kardiale Magnetresonanz, Szintigrafie) können die Sensitivität und die Spezifität der Untersuchung deutlich verbessert werden.  

..      Abb. 2.2 Cabrera-Dreieck: Ableitungen nach Einthoven (schwarz) und Goldberger (rot)

..      Abb. 2.3  Ischämieverdächtige Repolarisierungsstörungen während einer Belastungsergometrie in V5 und V6

Zu typischen EKG-Veränderungen sowie zur Befundung des Ruhe EKGs siehe 7 Abschn. 7.2, 7 7.3 und 7 Kap. 12.  

2.2.2 





Belastungs-EKG

Insbesondere im Rahmen der Abklärung einer koronaren Herzkrankheit (KHK; 7 Abschn.  7.2) oder von belastungsinduzierten Symptomen kann darüber hinaus ein EKG unter körperlicher Belastung durchgeführt werden, meist auf einem Fahrrad oder  

Gehäuft falsch positive Testresultate bei Fahrradergometrie 55 LSB und andere intraventrikuläre Reizleitungsstörungen 55 Schrittmacher-Rhythmus (7 Abschn. 12.4) 55 Wolff-Parkinson-White (WPW)-Syndrom (7 Abschn. 12.5) 55 Vorbestehende ST-T-Veränderungen im Ruhe EKG 55 Elektrolytstörungen 55 Digoxin 55 Linksventrikuläre Hypertrophie (7 Abschn. 4.2 und 8.1)  





16

G. Maurer und C. Schmied

a

b

2

..      Abb. 2.4  Parasternale Längsachse a, parasternale Kurzachse b. (Ao: Aorta, LA: linkes Atrium, LV: linker Ventrikel, RV: rechter Ventrikel)

2.3 

Echokardiografie

Bei der Echokardiografie wird eine Ultraschalluntersuchung des Herzens in Echtzeit durchgeführt. >>Im Gegensatz zum EKG liefert die Echokardiografie direkte Informationen über die Anatomie und die Funktion des Herzens.

Ferner lassen sich mit der Dopplersonografie (Fluss-, Farb- und Gewebedoppler) die Strömungsverhältnisse im Herz bestimmen, was insbesondere für die Diagnostik von Klappenfehlern von Bedeutung ist. Die Echokardiografie ist in der technischen Handhabung anspruchsvoll und setzt einige Erfahrung voraus. Grundsätzlich kommen verschiedene Ultraschallverfahren zur Anwendung, deren Indikation sich aus der jeweiligen Fragestellung oder Verdachtsdiagnose ergibt. Der Schallkopf wird transthorakal oder transösophageal an das Herz herangeführt.

2.3.1 

Transthorakale Echokardiografie (TTE)

Bei der transthorakalen Echokardiografie (TTE) gibt es verschiedene Standardeinstellungen. z Parasternale Längsachse (. Abb. 2.4a)  

Der Schallkopf wird im 3.–5. ICR angesetzt, beinahe senkrecht, mit leichter Neigung zur linken Schulter. Der Schallkopf sollte in der vermuteten Längsachse des Herzens liegen und stellt anatomisch den linken Ventrikel mit Mitralklappe, den linken Vorhof, den linksventrikulären Ausflusstrakt (LVOT) mit der Aortenklappe und den proximalen Anteil der Aorta ascendens sowie den rechten Ventrikel dar. z Parasternale Kurzachse (. Abb. 2.4b):  

Diese wird durch Drehung des Schallkopfes aus der parasternalen Längsachse um 90° im Uhrzeigersinn eingestellt. Auf diese Weise können je nach Fragestellung beliebig viele

2

17 Kardiologische Diagnostik

a

b

..      Abb. 2.5  Apikaler 4-Kammerblick a, apikaler 2-Kammerblick b. (LV: linker Ventrikel; RV: rechter Ventrikel; LA: linkes Atrium; RA: rechtes Atrium)

Kurzachsenschnitte erzeugt und u.  a. der linke Ventrikel von apikal bis basal, die Klappenebenen sowie die rechtsseitigen Herzhöhlen und -klappen dargestellt werden. z Apikaler 4-Kammerblick (. Abb. 2.5a)  

Der Schallkopf wird im Bereich der Herzspitze im 5.–6. ICR angelegt, mit Zielrichtung rechte Schulter. Diese apikale Schnittebene ergibt einen Überblick über alle 4 Herzkammern. Durch Anpassung des Schallkopfwinkels können mit dem 5-­ Kammerblick zudem der linksventrikuläre Ausflusstrakt und die Aortenklappe dargestellt werden. z Apikaler 2-Kammerblick (. Abb. 2.5b)  

Rotation aus dem 4-Kammerblick um ca. 80° gegen den Uhrzeigersinn liefert den 2-Kammerblick, in dem sich das linke Herz mit Vorhof, Ventrikel und Mitralklappe darstellt. Zudem können meist auch das linke Vorhofsohr und der Sinus coronarius visualisiert werden.

z Subkostale Schnittebene (. Abb. 2.6b)  

Der Schallkopf wird subxiphoidal mit Angulation in Richtung linke Schulter aufgesetzt. Durch diese Technik lassen sich neben praktisch allen von transthorakal darstellbaren kardialen Strukturen auch die Vena cava inferior bzw. die Lebervenen und Anteile der Aorta descendens visualisieren, zudem detektiert die subkostale Untersuchung klassischerweise treffsicher einen Perikarderguss. Dieser Untersuchungsgang hat sich v. a. auch bei Patienten bewährt, welche von transthorakal nur erschwert „schallbar“ sind. z Suprasternales Schallfenster (. Abb. 2.7)  

In Rückenlage und bei etwas rekliniertem Kopf des Patienten kann auf diese Weise v.  a. der Aortenbogen mit seinen angrenzenden Strukturen dargestellt werden. Ein rechts-parasternales Fenster wird manchmal zur Evaluation einer Aortenklappenstenose genutzt. Bei speziellen Fragestellungen sowie bei erschwerten z Apikaler 3-Kammerblick (. Abb. 2.6a) Untersuchungsbedingungen von transWeitere Rotation im Gegenuhrzeigersinn thorakal (etwa bei sehr adipösen Patienten, aus dem 2-Kammerblick ergibt den aber auch bei Patienten mit anderen extra3-­ Kammerblick bzw. das sog. RAO-­ kardialen Limitationen wie Emphysem, Äquivalent. Die dargestellten Strukturen Brustdeformationen oder Status nach Thoentsprechen in etwa denen des parasternalen rakotomie) bedient man sich der transLängsachsenschnittes. ösophagealen Echokardiografie.  

18

G. Maurer und C. Schmied

a

b

2

..      Abb. 2.6  Apikaler 3-Kammerblick a, subkostale Schnittebene b. (Ao: Aorta, LA: linkes Atrium, LV: linker Ventrikel, RA: rechtes Atrium, RV: rechter Ventrikel)

..      Abb. 2.7  Suprasternales Schallfenster. (Aa: Aorta ascendens, Ad: Aorta descendens, Acc: A. carotis communis sinistra, Ass: A. subclavia sinistra)

2.3.2 

Transösophageale Echokardiografie (TEE)

Bei der TEE schluckt der Patient nach lokaler Rachenanästhesie einen Schallkopf, welcher auf einem modifizierten Gastroskop angebracht ist. Da dies unangenehm ist und in den meisten Fällen mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Würgereiz einhergeht, wird die TEE i. d. R. unter leichter Sedation oder Kurznarkose durchgeführt. Mittels Positionierung der Sonde im Ösophagus, Rotation der Ultraschallsonde (0°–180°),

Drehung der Sonde um die eigene Achse, sachter Angulation nach anterior und posterior sowie Kippung nach links oder rechts können praktisch alle Strukturen des Herzens angelotet werden. Aufgrund der engen anatomischen Nachbarschaft mit dem Ösophagus liefert die TEE speziell im Bereich der Vorhöfe qualitativ sehr gute Bilder. Die Risiken ernsthafter Komplikationen sind bei korrekter Durchführung der TEE minimal. Zahnverletzungen, Blutung, Aspiration sowie (im Extremfall) Ösophagusverletzungen bis zur Perforation sind jedoch beschrieben und müssen entsprechend im Aufklärungsgespräch diskutiert werden. Die TEE findet u. a. Anwendung zur Aussage über Herzklappenerkrankungen wie Endokarditis oder zum Ausschluss von intrakardialen Thromben (u. a. im linken Vorhof und Vorhofsohr, welcher wegen der direkt dem Ösophagus anliegenden Anatomie der TEE gut zugänglich ist, . Abb. 2.8). Außerdem kann die Aorta thoracalis im Hinblick auf Plaques oder eine Dissektion akkurat untersucht werden. Schließlich können Shuntvitien auf Vorhofebene mittels TEE sehr gut visualisiert werden (persistierendes Foramen ovale [PFO]; atrialer Septumdefekt [ASD], 7 Abschn. 14.2, 7 Abb. 14.2).  





2

19 Kardiologische Diagnostik

..      Abb. 2.8  Großer Thrombus im linken Vorhofsohr (LAA), visualisiert mittels transösophagealer Echokardiografie. (LA: linkes Atrium)

2.3.3 

..      Abb. 2.9  M-Mode durch den basalen Abschnitt des linken Ventrikels im parasternalen Längsschnitt. Zur Orientierung vgl. kleines Bild (oben) und . Abb. 2.4. (IVS: interventrikuläres Septum, HW: Hinterwand, LV: linker Ventrikel, RV: rechter Ventrikel)  

Bildgebungsverfahren

Grundsätzlich finden in der Echokardiografie verschiedene Bildgebungsverfahren Anwendung: z B-Mode-Verfahren

Beim B-Mode-Verfahren (engl. brightness mode) werden unterschiedliche Echoamplituden als Graustufen verschiedener Intensität dargestellt. Es ergibt sich ein 2D-Schnittbild, das die morphologische und funktionelle Beurteilung der Herzstrukturen erlaubt (. Abb. 2.4).  

z M-Mode-Verfahren

Das M-Mode-Verfahren (engl. motion mode, . Abb. 2.9) erlaubt die Darstellung von dynamischen Strukturen, es entsteht ein zeitlich integriertes Bild. Der M-Mode wird vor allem zur Quantifizierung von kardialen Dimensionen bzw. zur strukturellen Funktionsanalyse verwendet.  

z Fluss-Dopplersonografie

Die Fluss-Dopplersonografie evaluiert die kardiovaskulären Flussverhältnisse entweder entlang eines sog. Schallstrahls (continuous wave, cw, . Abb. 2.10) oder an einem bestimmten, räumlich zugeordneten Punkt (pulsed wave, pw).  

..      Abb. 2.10  Continuous-Wave-Doppler (cw-­ Doppler) durch die Mitralklappe im apikalen 4-Kammerblick. Zur Orientierung vgl. kleines Bild (oben) Aus der maximalen Geschwindigkeit des Flusssignals (gegen unten; hier ca. 5 m/s bei leichter Mitralinsuffizienz) kann die Druckdifferenz zwischen den beiden Herzhöhlen bestimmt werden

z Farbkodierte Dopplersonografie

Die farbkodierte Dopplersonografie ist eine Kombination aus B-Mode und der Dopplertechnik, womit sich ein Schnittbild mit Strömungsprofil ergibt. In der Dopplersonografie werden unterschiedliche Strömungsrichtungen und -geschwindigkeiten durch verschiedene Farben dargestellt (. Abb.  2.11). Physikalisch beruht sie, wie der Name impliziert, auf dem Doppler-­ Effekt, welcher die Veränderungen der Frequenz einer durch ein bewegtes Objekt re 

20

G. Maurer und C. Schmied

flektierten Ultraschallwelle, in diesem Fall Blut bzw. Blutzellen, beschreibt (siehe auch Lehrbücher der Physik).

2

z Tissue Doppler Imaging

Tissue Doppler Imaging (TDI, . Abb. 2.12), auch Gewebedoppler genannt, ist eine Sonografietechnik, bei der die Geschwindigkeit des Gewebes (und nicht des Blutes, wie in der farbkodierten Dopplersonografie), insbesondere des Myokards, gemessen und dargestellt wird. Sie erlaubt u.  a. die Beurteilung der Kontraktilität des Myokards und der Relaxation des Ventrikels (= diastolische Funktion) sowie der Synchronizität der Wandbewegungen (7 Abschn. 13.2).  



..      Abb. 2.11  Farbdoppler im apikalen 4-­Kammerblick. (Es zeigt sich eine leichte bis mittelschwere Mitralinsuffizienz (MI). LA: linkes Atrium, LV: linker Ventrikel, RA: rechtes Atrium, RV: rechter Ventrikel)

..      Abb. 2.12  Tissue-Doppler im basalen linken Ventrikel (Seitenwand). Zur Orientierung vgl. kleines Bild (oben). Aus der maximalen Geschwindigkeit des

z Strain Imaging (Global Longitudinal Strain/GLS)

Der GLS beschreibt die Verkürzung bzw. die Verdickung eines myokardialen Segmentes als dimensionsloser Deformationsparameter,

Dopplerprofils (hier ca.  18  cm/s) kann die Geschwindigkeit der links-ventrikulären Longitudinalbewegung bestimmt werden

21 Kardiologische Diagnostik

2

..      Abb. 2.13  Strain Imaging bei hypertropher Kardiomyopathie (Fenster rechts)

welcher in Prozent angegeben wird. Mit dieser Methode wird man den komplexen Kontraktions- und Relaxationsbewegungen des Myokards gerechter (. Abb. 2.13).  

z 3D-Echokardiografie

Die 3D-Echokardiografie (. Abb.  2.14) ist eine Methode der Echokardiografie, welche eine 3-dimensionale, räumliche Darstellung des Organs ermöglicht, jedoch wesentlich höhere technische Voraussetzungen erfordert.  

z Stressechokardiografie

Eine Spezialform der Echokardiografie ist die Stressechokardiografie, welche vor allem bei Verdacht auf KHK sowie gelegentlich zur Beurteilung einer Aortenstenose oder einer belastungsinduzierten pulmonalen Hypertonie eingesetzt wird. Die Stressechokardiografie ist technisch anspruchsvoll und macht nur bei Patienten Sinn, welche eine gute Schallqualität aufweisen, da die Aussagekraft ansonsten deutlich reduziert ist.

Bei der Stressechokardiografie führt der Patient eine Fahrrad- oder Laufbandergometrie durch oder es erfolgt eine medikamentöse Belastung (z. B. Dobutamin, Adenosin oder Dipyridamol), während derer Ultraschallaufnahmen in verschiedenen Standardprojektionen aufgezeichnet und mit den Aufnahmen in Ruhe verglichen werden. Die Stressechokardiografie erlaubt die Beurteilung der Ventrikelfunktion, regionaler Wandbewegungsstörungen sowie der Klappenfunktion unter Belastung. Bei einer im Schweregrad unterschätzten Aortenstenose (z. B. bei schwer eingeschränkter linksventrikulärer Funktion, sog. low flow  – low gradient Aortenstenose; 7 Abschn.  9.1) steigt der Gradient über der Klappe unter Belastung signifikant an. Bei einer belastungsinduzierten Myokardischämie treten unter Belastung systolische und diastolische Wandbewegungsstörungen auf, welche dargestellt werden können.  

22

G. Maurer und C. Schmied

a

b

2

..      Abb. 2.14  a, b 3D-Echokardiografie des linken Ventrikels. a Im apikalen 4-Kammerblick (. Abb. 2.6), b in der parasternalen Kurzachse (. Abb. 2.4)  



Labor

2.4 

2.5.1 

Die Laboruntersuchungen kommen in der Kardiologie v. a. zum Einsatz in der 55 Diagnostik des Myokardinfarktes (CK, Myoglobin, Troponin, 7 Abschn. 7.3), 55 Diagnostik der kardiovaskulären Risikofaktoren (Serumlipide, Glukose, HbA1c, hsCRP etc., 7 Abschn.  3.3, 7 Kap.  6, 7 Abschn. 7.1), 55 Verlaufsbeurteilung der Herzinsuffizienz (natriuretische Peptide; 7 Abschn. 13.2), 55 Beurteilung sekundär beteiligter Organe (Niere, Leber, etc.), 55 Beurteilung des Ausmaßes einer oralen Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten (INR-/Quick-Messung; z.  B. beim Vorhofflimmern 7 Abschn. 12.5).  











2.5 

Nichtinvasive bildgebende Verfahren

Zur radiologischen Untersuchung des Herzens kommen das konventionelle Röntgen, die Computertomografie (CT), die Magnetresonanztomografie (MRT) und nuklearmedizinische Verfahren zum Einsatz.

Konventionelle Radiologie

Trotz der weiten Verbreitung der Echokardiografie und zunehmender Verfügbarkeit von CT und MRT bleibt das konventionelle Röntgen ein diagnostisches Standardverfahren bei Verdacht auf Herzerkrankungen: Es ist preiswert, schnell verfügbar und gut reproduzierbar. Gleichwohl hat die konventionelle Thoraxaufnahme deutlich an Bedeutung verloren. Die stehende Aufnahme findet in 2 Standardstrahlengängen statt: Die Thoraxübersichtsaufnahme (. Abb.  2.15) im dorsoventralen (=  posteroanterioren, pa) Strahlengang, welche je nach Fragestellung durch eine Aufnahme im seitlichen Strahlengang ergänzt wird, gibt Auskunft über die Dimensionen des Herzens (Herz-­Lungen-­Quotient) und der angrenzenden Strukturen, wie etwa der großen Gefäße, der Lunge, des Zwerchfells und des Mediastinums. Funktionell steht aus kardiologischer Sicht häufig die Diagnose einer kardiopulmonalen Dekompensation im Vordergrund (sichtbar zumeist in Form der basoapikalen Umverteilung bei Linksherzdekompensation, ggf. mit Pleuraerguss, . Abb. 2.16).  



23 Kardiologische Diagnostik

2

a

b

..      Abb. 2.16  Konventionelles Röntgenbild (ap, liegende Aufnahme) mit typischen Zeichen der dekompensierten Herzinsuffizienz. Nebenbefundlich ist ein ICD linkspektoral implantiert mit regelrechter Lage der Elektrodenspitze am Boden des rechten Ventrikels

..      Abb. 2.15  a, b Konventionelle Röntgen-­ Thoraxaufnahme. a Im pa-, b im lateralen Strahlengang. Kompensierter Herz-Lungen-Befund

Zudem lassen sich aufgrund der kardialen und mediastinalen Konturen indirekte Aussagen hinsichtlich einer evtl. vorhandenen kardialen Problematik treffen.

Übersicht 55 Eine Kardiomegalie kann mit einem vermehrten Transversaldurchmesser erhoben werden. Dieser sollte bei stehenden Patienten in Inspiration im

pa-Strahlengang nicht mehr als die Hälfte des Thoraxdurchmessers ausmachen (Herz-Lungen-Quotient). 55 Eine Verlagerung der Herzspitze nach links kaudal im pa-Strahlengang bzw. eine Verlagerung der Herzkontur gegen die Wirbelsäule (> 2 cm über die V. cava inferior reichend) im seitlichen Strahlengang weist auf eine Vergrößerung des linken Ventrikels hin. 55 Eine Vergrößerung des linken Vorhofs kann beim Vorliegen eines sog. Kernschattens, der Spreizung der Carina bronchialis (Röntgen pa) oder bei dorsaler Ösophagusverlagerung (Röntgen seitlich) vorliegen. 55 Der rechte Ventrikel erscheint bei einer Herzvergrößerung nach links mit Anhebung der Herzspitze bzw. einer Vergrößerung der Herzsilhouette nach rechts (pa-­ Strahlengang) belastet. Unterstützt wird dieser Verdacht durch eine Verkleinerung des Retrosternalraums (Anliegen des Herzens über mehr als 1/3–1/2 der Sternumlänge) und eine Verdrängung des lin-

24

G. Maurer und C. Schmied

ken Ventrikels nach dorsal (Abstand zur V.  cava inferior erhalten) im seitlichen Röntgenbild. 55 Eine Dilatation des rechten Vorhofs ist bei einer Überragung der rechten Herzkontur um mehr als 1/3 des Hemithoraxdurchmessers (pa) bzw. durch eine Verkleinerung des Retrosternalraums, ähnlich wie beim rechten Ventrikel (seitlich), wahrscheinlich.

2

2.5.2 

Computertomografie (CT)

Die CT wird in der Kardiologie vor allem zur Abklärung von Aneurysmen/Dissektionen der Aorta oder der großen Arterien, von Herz- und Gefäßtumoren, Lungenembolien (. Abb.  2.17) sowie anderen strukturellen Veränderungen der Gefäße, des Myokards und der Herzklappen (TAVI CT; 7 Abschn. 8.1) eingesetzt. Neuere Geräte erlauben auch eine Darstellung der Herzkranzgefäße, die sog. CT-­Koronarangiografie. Durch intravenöse (i.v.) Verabreichung von röntgendichtem Kontrastmittel werden  



..      Abb. 2.18  CT-Koronarangiografie eines Patienten mit teilweise leicht ektatischen Koronargefäßen (v. a. RCX und RCA), aber ohne signifikante Stenosen

Weichteilstrukturen (meist Gefäße wie Pulmonalarterien, Aorta, große Arterien oder Koronararterien) besser von den umgebenden Geweben abgegrenzt. Vorteile der CT-Koronarangiografie (. Abb.  2.18) gegenüber anderen bildgebenden Verfahren sind die gute Verfügbarkeit, die einfache und rasche Durchführung und die (bei guter Bildqualität) hohe Aussagekraft. Voraussetzung für eine gute Bildqualität in der CT-­ Koronarangiografie ist eine tiefe und regelmäßige Herzfrequenz (>Die PET liefert absolute Werte der Myokarddurchblutung (während SPECT lediglich relative Werte misst), sodass auch bei einer balancierten, d.  h. alle 3 Koronargefäße gleichermaßen betreffenden koronaren Herzerkrankung Minderdurchblutungen diagnostiziert werden können.

Nachteile der PET sind hohe Anschaffungskosten, sowie hohe Untersuchungskosten. Zudem beinhalten die meisten Perfusionstracer (13NH3), Wasser (H215O) sehr kurzlebige Nuklide, sodass nur Zentren mit direktem Zugang zu einem Zyklotron diese Substanzen herstellen und verwenden können. z Hybridbildgebung

Bei intermediärem Stenosegrad mehrerer Koronarien oder bei komplexer Koronaranatomie, z.  B. nach Bypasschirurgie, kann gelegentlich die Kombination der Information von Anatomie und Funktion, also CT-­ Koronarangiografie und Perfusionsuntersuchung (SPECT, PET, oder MRT), weiterhelfen. Dies wird als Hybridbildgebung (. Abb. 2.22) bezeichnet. Damit kann noch besser zugeordnet werden, welche Läsion funktionell relevant ist, d.  h. eine Ischämie verursacht und revaskularisiert werden sollte.  

..      Abb. 2.22  a, b Moderne Herzbildgebung. a 3D-Rekonstruktion des linken Ventrikels, b Hybridbildgebung. Durch die Fusion von SPECT- und CT-­Daten können funktionelle und anatomische Verhältnisse übereinander projiziert werden. Violett: ischämisches Areal, minderversorgt aufgrund der hochgradigen Stenose im Diagonalast des RIVA. (Mit freundlicher Genehmigung von Phillip .A.  Kaufmann, Universitätsspital Zürich)

2.6 

Koronarangiografie und Linksherzkatheterunter­ suchung

Mit der Koronarangiografie (. Abb. 2.23) erfolgt eine direkte Darstellung der Herzkranzgefäße. Dabei wird in Lokalanästhesie ein Katheter meist radial (über die Arteria radialis) oder alternativ über die Arteria femoralis retrograd durch die Aorta vorgeschoben und  

29 Kardiologische Diagnostik

a

2

b

..      Abb. 2.23  a, b Koronarangiografie. a Linke und b rechte Koronararterie ohne signifikante Stenosen. (HS: Hauptstamm, M: Marginalast (bzw. Posterolateralast), RCA: rechte Koronararterie, PLA: posterola-

teraler Ast, RIVA: R. interventricularis anterior, RIVP: R. interventricularis posterior, RV: rechtsventrikulärer Ast, RCX:)

an das rechte und linke Koronarostium herangeführt. Nach selektiver Injektion von Kontrastmittel können die Koronararterien mittels Röntgendurchleuchtung in verschiedenen Ebenen dargestellt werden. Die Koronarangiografie kann mit einer vollständigen Linksherzkatheteruntersuchung kombiniert werden. Hierzu wird ein Katheter, meist ein sog. Pigtail-Katheter (der am Ende wie ein Schweineschwanz gerollt ist), retrograd durch die Aortenklappe im linken Ventrikel platziert. Mit einem speziell angeschlossenen Drucksensor kann so eine komplette invasive Hämodynamik durchgeführt werden (7 Kap. 1). Durch rasche Injektion von Kontrastmittel in den Ventrikel (Ventrikulografie) kann darüber hinaus eine Aussage über die Herzgröße sowie Klappen- und Ventrikelfunktion gemacht werden. In der Koronarangiografie können in erster Linie Gefäßstenosen und -plaques, Gefäßverschlüsse (chronisch oder akut, wie im akuten Myokardinfarkt, 7 Abschn. 7.3),

Koronardissektionen oder Gefäßspasmen dargestellt werden. Ebenso zeigen sich anatomische Varianten (z.  B. koronare Abgangsanomalien, Koronarfisteln und Myokardbrücken).





Versorgertypen 55 Entspringt ein kräftiger Posterolateralast der rechten Koronararterie mit Versorgung der diaphragmalen Abschnitte des linken Ventrikels, so spricht man vom Rechtsversorgertyp (70–75 %). 55 Entspringt er dem RCX, so liegt ein ausgeglichener Versorgungstyp vor (15 %). 55 Beim Linksversorgertyp (ca. 10 %) ist die RCA klein angelegt und versorgt lediglich den rechten Vorhof und Ventrikel, das Myokard des linken Ventrikels wird vollständig von RIVA und RCX versorgt.

30

G. Maurer und C. Schmied

z Ergänzende intravaskuläre Verfahren zur Koronarangiografie

2

Fractional Flow Reserve (FFR) Die FFR (fraktionelle Flussreserve) dient der Evaluation der hämodynamischen Relevanz einer Koronarstenose, d. h., ob sie unter Belastung zu einer Einschränkung der Durchblutung führt. Dazu wird ein Koronardraht, welcher an der Spitze mit einem miniaturisierten Drucksensor ausgestattet ist, distal einer Stenose platziert. Durch Vergleich der Druckwerte distal und proximal der Stenose lässt sich nach i.v.oder i. c.-Gabe von Adenosin ermitteln, ob eine Stenose zu einer relevanten Minderdurchblutung führt und entsprechend revaskularisiert werden sollte. Intravaskulärer Ultraschall (IVUS) IVUS ist ein hochauflösendes Ultraschallverfahren, welches eine Querschnittansicht einer Herzkranzarterie liefert. Die hohe Auflösung ermöglicht die Darstellung der unterschiedlichen Schichten der Arterien-

a

wand (Intima, Media, Adventitia) und ist hilfreich, falls die Koronarangiografie nicht ausreichende Informationen liefert (z. B. bei Plaquerupturen, Koronardissektionen, stark verkalkten Gefäßen, zur Kontrolle nach Stenting oder komplexen Interventionen). Der Virtual Histology IVUS ermöglicht eine Unterscheidung von lipidreichen, fibrotischen und verkalkten Anteilen einer Koronarplaque (. Abb. 2.24). Optical Coherence Tomography (OCT) Die OCT liefert ähnlich wie IVUS Querschnittsbilder einer Herzkranzarterie. Im Gegensatz zum IVUS bedient sich OCT elektromagnetischer Wellen im Infrarotbereich und erreicht damit eine höhere Auflösung als IVUS (ca.  10–20  μm). Für eine OCT muss allerdings das Blut durch ein optisch weniger dichtes Medium (i.  d.  R.  Kontrastmittel oder Kochsalzlösung) verdrängt werden. Die Anwendungsbereiche für OCT sind größtenteils ähnlich wie beim IVUS (. Abb. 2.25).  



b

..      Abb. 2.24  a, b Lange 50%-ige Hauptstammläsion. a Ostialer Anteil der RIVA mit stark kalzifizierter Plaque, b Diagnose der Plaqueanteile mittels Virtual Histology IVUS

31 Kardiologische Diagnostik

a

b

c

d

..      Abb. 2.25  a–d OCT: Roter Thrombus bei einem Patienten mit Non-STEMI (proximaler RCX). Rote Pfeile – Plaqueruptur; schwarze Pfeile – Schatten des

2.7 

Rechtsherzkatheteruntersu­ chung und Herzminuten­ volumenbestimmung

Mittels einer Rechtsherzkatheteruntersuchung können die Druckwerte in den verschiedenen Kompartimenten des rechten Herzens sowie des Lungenkreislaufs (7 Abb.  1.4 7 Kap.  1) ermittelt werden. Dazu wird ein Katheter über eine große Vene (V. brachialis, femoralis subclavia oder jugularis), danach über die V. cava in den rechten Vorhof und Ventrikel bis in die  



roten Thrombus; TB = Thrombus; Schatten durch den Führungsdraht

2

* = opti-scher

Pulmonalarterie vorgeschoben. Erleichtert wird dies durch einen aufblasbaren Ballon am Ende des Katheters, welcher das „Einschwemmen“ in die Pulmonalisstrombahn ermöglicht (. Abb.  2.26). Bleibt der Ballon in einem unteren Pulmonalarterienzweig eingeschwemmt liegen, kann der pulmonalkapillare Verschlussdruck (Wedge-Pressure) ermittelt werden, welcher annäherungsweise dem Druck im linken Vorhof entspricht. Das Herzminutenvolumen kann auf zwei verschiedene Arten ermittelt werden: Bei der  

32

G. Maurer und C. Schmied

2

..      Abb. 2.26  Rechtsherzkatheter in Wedge-Position mit aufgeblasenem Ballon. Der Rechtsherzkatheter wird über die V. cava inferior (VCI) durch das rechte Atrium (RA) und den rechten Ventrikel (RV) in die A. pulmonalis (AP) vorgeschoben. RPA: rechte Pulmonalarterie, LHK: Linksherzkatheter. (Pigtail, im linken Ventrikel zur gleichzeitigen linksventrikulären Druckmessung)

Thermodilutionsmethode wird über das proximale, im rechten Vorhof oder der V. cava liegende Lumen eines speziellen Rechtsherzkatheters (Swan-Ganz-Katheter) kalte Kochsalzlösung rasch injiziert. Über einen Thermosensor am distalen Ende des Katheters wird die Temperaturänderung als Funktion der Zeit registriert und so das Herzminutenvolumen extrapoliert. Obwohl je nach Situation mehr oder weniger fehleranfällig, hat sich diese Methode speziell im intensivmedizinischen Bereich zum hämodynamischen Monitoring bewährt. Im Herzkatheterlabor kann bei gleichzeitiger Pulsoxymetrie oder bei gleichzeitig liegendem zentralen arteriellen Katheter das Herzminutenvolumen mittels der Fick’schen Gleichung berechnet werden. Bei bekanntem Herzminutenvolumen können in Kenntnis des systemischen Blutdrucks, der pulmonal-arteriellen Druckwerte, des Wedge-Drucks und des zentralvenösen Drucks die systemischen und pulmonal-arteriellen Widerstände berechnet werden (siehe auch Lehrbücher der Physiologie).

33

Epidemiologie und Prävention Martin Halle und Thomas Münzel Inhaltsverzeichnis 3.1

I nzidenz und Prävalenz nichtübertragbarer Krankheiten – 34

3.1.1 3.1.2 3.1.3

I nzidenz – 35 Prävalenz – 35 Mortalität – 36

3.2

Kardiovaskuläre Prävention – 37

3.3

Kardiovaskuläre Risikofaktoren – 39

3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5

 rterielle Hypertonie – 40 A Hypercholesterinämie – 40 Übergewicht – 42 Diabetes – 43 Rauchen – 43

3.4

Umweltfaktoren – 44

3.4.1 3.4.2 3.4.3

L uftverschmutzung – 44 Transportlärm – 45 Das Exposom-Konzept – 46

3.5

Bewegung und Sport – 46 Literatur – 48

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 T. F. Lüscher, U. Landmesser (Hrsg.), Herz-Kreislauf, Springer-Lehrbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6_3

3

34

3

M. Halle und T. Münzel

Die Prävention ist von außerordentlicher Bedeutung, denn es gilt „Vorbeugen ist besser als Heilen“ – und dies gilt besonders für Herz-und Kreislauferkrankungen, die nicht nur häufig sind, sondern die sich auch durch entsprechende Maßnahmen weitgehend verhindern lassen.

schen 30 und 70 Jahren. Unter den NCD entfällt die überwiegende Mehrheit der Todesfälle auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Dieser Trend ist ansteigend. In der Datenerfassung  Global Burden of Disease (GBD) 2020 stieg die Zahl der kardiovaskulären Todesfälle stetig von 12,1 Mio. im Jahr 1990 auf 18,6 Mio. im Jahr 2019 (. Abb. 3.1).  

3.1 

Inzidenz und Prävalenz nichtübertragbarer Krankheiten

>>Herz-Kreislauf-Erkrankungen dominieren daher in den westlichen Ländern nach wie vor die Todesstatistiken.

Nichtübertragbare Krankheiten (Non-­In nur 3 Jahrzehnten globaler SterblichkeitsCommunicable Diseases, NCDs) ver- bilanzierung hat eine bedeutende Verursachen jedes Jahr mehr als 38 Mio. Todes- schiebung von übertragbaren Krankheiten fälle, was fast 70 % der Gesamtmortalität (z. B.  Infektionskrankheiten) zu NCD stattgefunden, bei denen kardiovaskuläre weltweit ausmacht. Unter den Todesfällen ­ sind über 14 Mio. Erwachsene, die nach den Erkrankungen, Diabetes (7 Kap. 6) und arWorten der Weltgesundheitsorganisation terielle Hypertonie (7 Kap. 4) vorherrschen (WHO) „zu jung sterben“, d. h. im Alter zwi- (. Abb. 3.1).  





..      Abb. 3.1  Globale Krankheitslast (GDB) und nichtübertragbare Krankheiten (non-communicable diseases; NCD). Die proportionale Verteilung weltweiter Todesfälle, die auf communicable diseases (CD) und NCD und injuries (Verletzungen) zurückzuführen sind, für die Jahre  1990, 2010 und projiziert für  das Jahr  2030 (linke Bildhälfte) Schätzung der häufigsten Todesursachen nach verschiedenen NCDs (WHO 2024). Die

Kategorie „Others“ umfasst neurologische und muskuloskelettale Erkrankungen, angeborene Anomalien, Verdauungsstörungen, endokrine/Blut-/Immunund Urogenitalerkrankungen und seltene Leiden. CVD: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, RD: (Respiratory Diseases) Atemwegserkrankungen. (Modifiziert nach Cardiovasc. Res. 2022)

3

35 Epidemiologie und Prävention

Zu beachten ist, dass die Prognose für 2030 die Auswirkungen der COVID-19-­ Pandemie nicht berücksichtigt. Trotz des ausgeprägten Bewusstseins für die wachsenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen von NCD wird der erhebliche Beitrag der Umwelt als Verursacher von NCD`s nicht ausreichend anerkannt. Dies ist insofern überraschend, da die Verschmutzung der Umgebungsluft durchweg unter den 5 häufigsten Ursachen für die weltweite Sterblichkeit rangiert (Global Burden of Disease Lancet 2017). 3.1.1 

Inzidenz

heitsfälle zu einem Zeitpunkt) für kardiovaskuläre Erkrankungen pro 100.000 Einwohner stabil. 2019 lebten mehr Frauen als Männer mit kardiovaskulären Erkrankungen in europäischen Ländern (60 vs. 53 Mio.). Die mittleren altersstandardisierten Prävalenzschätzungen pro 100.000 Personen waren allerdings niedriger für Frauen als für Männer. Die Häufigkeit kardiovaskulärer Erkrankungen ist in verschiedenen Ländern stark unterschiedlich, wahrscheinlich aufgrund eines unterschiedlichen Lebensstils, anderer Essensgewohnheiten, sportlicher Aktivitäten, Luft- und Lärmbelastung, genetischer Disposition u. a. m. (. Abb. 3.2). In den letzten 30 Jahren war der Rückgang der altersstandardisierten Inzidenz von kardiovaskulären Erkrankungen in  Ländern des europäischen Kontinents gering  und abhängig vom mittleren Einkommen der Länder. Die altersstandardisierten Inzidenzen für die Hauptkomponenten ischämische (oder koronare; KHK) Herzkrankheit und Schlaganfall ist in Ländern mit mittlerem Einkommen doppelt so hoch wie in Ländern mit hohem Einkommen.  So sind auch  beide Erkrankungen in den Ländern mit hohem Einkommen  sind in den letzten 30 Jahren um über 25 % zurückgegangen.  Nichtsdestotrotz bleiben  die anhaltenden Auswirkungen von KHK und Schlaganfall auf die Gesundheit der Bevölkerung sowohl für Frauen als auch für Männer dramatisch. In der Tat kosten diese Erkrankungen schätzungsweise 70 Mio. behinderungsbereinigte Lebensjahre (DALYs) (European Society of Cardiology: Cardiovascular Disease Statistics 2021).  

Die altersstandardisierte Inzidenz (d. h. die Anzahl neu aufgetretener Erkrankungen während eines bestimmten Zeitraums) von kardiovaskulären Erkrankungen pro 100.000 Einwohner in Europa zeigte einen leichten Rückgang von 898 (IQR 766–1033) im Jahr 1990 auf 748 (IQR 558–972) im Jahr 2019. Der Rückgang war im Allgemeinen gering, und in Ländern mit mittlerem Einkommen wurden geringfügige Anstiege verzeichnet. Im Jahr 2019 waren Frauen im Vergleich zu Männern in europäischen Ländern mehr betroffen (6,5 Mio. vs. 6,1 Mio.), hingegen waren die Werte nach Altersstandardisierung bei Frauen niedriger als bei Männern (European Society of Cardiology: Cardiovascular Disease Statistics 2021). 3.1.2 

Prävalenz

Zwischen 1990 und 2019 blieben die mittleren altersstandardisierten Prävalenzschätzungen (d. h. Gesamtzahl der Krank-

36

M. Halle und T. Münzel

3

..      Abb. 3.2  Risikoregionen, basierend auf Daten zur 10-Jahres-Morbidität und -Mortalität von Herz-­ Kreislauf-­Erkrankungen. (Aus Visseren et al. 2021)

3.1.3 

Mortalität

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in europäischen Ländern, wobei die koronare Herzkrankheit (KHK 7 Abschn. 7.2) 45 % dieser Todesfälle bei Frauen und 39 % bei Männern ausmacht. Die altersstandardisierten Sterberaten für kardiovaskuläre Erkrankungen sind für beide Geschlechter seit 1990 um 47  % bei den Männern und 42  % bei den Frauen zurückgegangen. Dies allerdings durchaus heterogen mit deutlich höherem Rückgang in Ländern mit hohem Ein 

kommen (50 % im Vergleich zu Ländern mit niedrigem Einkommen: 8,0 mmol/L) verbunden mit einem erheblich Risiko für  vorzeitigen Myokardinfarkt gelegentlich schon im jungen Erwachsenenalter. Die familiäre Hypercholesterinämie (FH) bleibt eine klinische Diagnose, kann aber durch Gentests bestätigt werden. Nach der Diagnose eines Indexfalls ist ein Kaskadenscreening (Lipide oder Gen-Analyse) aller Verwandten ersten Grades obligatorisch. Die Hypercholesterinämie ist ein Hauptziel von Präventionsprogrammen zur Risikominderung, da eine Statintherapie bei Personen ohne kardiovaskuläre Erkrankungen (Primärprävention) das Risiko eines vaskulären Todes um 15 % senken kann, wenn das LDL-C um 1 mmol/l gesenkt werden kann. z Cholesterinsenker und Zielwerte

Die Cholesterinspiegel, insbesondere LDL-C und nonHDL-C, lassen sich auf 3 Arten senken (. Tab. 3.1): 55 Hemmung der Cholesterinsynthese, 55 Erhöhung der LDL-Rezeptoren durch Hemmung von PCSK9 (Proprotein convertase subtilisin/kexin type 9) und 55 Hemmung der Cholesterinaufnahme im Darm.  

Die stärkste LDL-C-Senkung kann mit PCSK9-Antikörpern zusätzlich zu einem Statin und Ezetimibe erreicht werden, die Pa-

41

3

.       Tab. 3.1  Wichtigste cholesterinsenkende Medikamente Medikament

Stoffwechselweg

Mechanismus

Kommentar

Statine - Atorvastatin - Rosuvastatin - Simvastatin

Reduktion der Cholesterinsynthese

Hemmung HMG-Coenzym A Reduktase

LDL-C Senkung bis zu 50% Reduktion von Tod und Infarkt (+ + +)

Bempedoinsäure

Reduktion der Cholesterinsynthese

Hemmung ATP-Citrat Lyase

LDL-C Senkung um die 25% Reduktion von Tod und Infarkt (+)

PCSK9 Hemmer (Antikörper) - Alirocumab - Evolocumab

Erhöhung der LDL-­ Cholesterinaufnahme aus dem Blut

Antikörper gegen PCSK9 verhindert den Abbau von LDL-Rezeptoren und erhöht dadurch die Clearence von LDL-C

LDL-C Senkung um 60% zus. zu Statin Reduktion von Infarkt und z. T. Tod (+ +)

PCSK9 Hemmer (RNA-­ Interferenz) - Inclisiran

Erhöhung der LDL-­ Cholesterinaufnahme aus dem Blut

Direkte Hemmung der Proteinsynthese vom PCSK9 durch RNA-Interferenz im RISC, welches die Translation von mRNA für PCSK9 in ein Protein reduziert.

LDL-C Senkung um 50% zus. zu Statin Prognostische Wirkung wird untersucht

Ezetimibe

Hemmung Cholesterinaufnahme im Darm

Hemmung Niemann-PickC1-­Transporter (NPC1L1)

LDL-C Senkung 18% zus. zu Statin Prognose (+)

LDL-R = LDL-Rezeptor auf Hepatozyten; + − + + + = Ausmaß der Evidenz zur prognostischen Wirkung; 1 = eine randomisierte Studie; + + = 2 randomisierte Studien; + + + = multiple Studien

tienten mit FH und solchen mit sehr hohem Risiko routinemäßig verschrieben werden, wenn die Zielwerte mit einer Statintherapie und Ezetimibe nicht erreicht werden (. Abb. 3.1). Ein hohes HDL-C ist mit einem reduzierten kardiovaskulären Risiko verbunden, wirkt jedoch nicht kausal protektiv. Entsprechend haben Medikamente, die das HDL-­ Cholesterin erhöhen, keinen positiven Einfluss auf die Prognose. Die Prävalenz von erhöhtem Gesamtcholesterin übersteigt 50 % in Ländern mit hohem Einkommen. Obgleich sich das LDL-C wirksam medikamentös senken lässt, schlägt die Behandlung häufig fehl; so werden die empfohlenen LDL-C-Zielwerte (. Abb. 3.5) in mehr als der Hälfte der Personen mit Dyslipidämie verfehlt.  



Lipoprotein(a) (Lp(a)) ist ein Lipoprotein, das Ähnlichkeit mit der Konfiguration von Plasminogen hat  und so die Fibrinolyse blockiert. Ein erhöhter Lp(a)Spiegel ist stark genetisch bedingt und erhöht das Risiko einer koronaren Herzerkrankung, vor allem bei gleichzeitig erhöhtem LDL-C, wobei seine Rolle als Risikofaktor noch nicht endgültig geklärt ist, da zurzeit wirksame Medikamente zu seiner Senkung fehlen  bzw. noch zugelassen sind. Mendellian Randumization Studien legen aber eine Kausaliät nahe. Erhöhte Triglyzeride werden beim Diabetes mellitus und Adipositas gehäuft beobachtet, haben aber grundsätzlich eine geringere pathologische Rolle und werden dort abgehandelt (7 Kap. 6).  

42

M. Halle und T. Münzel

SCORE >1%

3,0 mmol/L (116 mg/dL)

3

SCORE >1% und 5% und 10/LDL-C >4,9mmol/l Familiäre Hypercholesterinämie BD > 180/110 mmHg Mäßige Niereninsuffizenz DM mit Endorganschädigung oder zusätzlichen Risikofaktoren

Moderat

1,8 mmol/L (70 mg/dL)

Hoch

1,4 mmol/L (55 mg/dL)

Sehr Hoch

Niedrig

Moderat

Hoch

SCORE > 10% Arteriosklerotische Gefäßerkrankung (Infarkt, Himschlag, PAVK) FH plus KVRF Schwere Niereninsuffizienz (eGFR 25– < 30 kg/m2 Adipositas > 30 kg/m2

Pharmakologische Behandlungsoptionen sind begrenzt, obwohl kürzlich gezeigt wurde, dass mit Glycogen-like Protein (GLP-1)-Rezeptoragonisten (z. B.  Liraglutid, Semaglutid) eine anhaltende Gewichtsreduktion erreicht werden kann. Deutlich wirksamer ist die bariatrische Chirurgie, die zu einem Rückgang des Diabetes und der Sterblichkeit führt. Allerdings sollte der Schwerpunkt der Bemühungen in Bevölkerungslösungen für die Adipositas-­ Epidemie auf Lebensstiländerungen und politischen Initiativen zur Förderung von

43 Epidemiologie und Prävention

Bewegung und gesundem Leben bereits im Kindesalter liegen. 3.3.4 

Diabetes

Adipositas ist ein unabhängiger Modifikator des kardiovaskulären Risikos, aber ihre Hauptauswirkung liegt in ihrem Beitrag zur Epidemie von Typ-2-Diabetes (7 Kap. 6), von der heute schätzungsweise 422 Mio. Menschen weltweit betroffen sind, von denen über 60 Mio. in den europäischen Ländern leben. Die Prävalenz des Diabetes nimmt auch in den europäischen Ländern in allen Altersgruppen zu, hauptsächlich aufgrund von kalorienreicher Ernährung und Bewegungsmangel und sukzessiver Zunahme von Übergewicht und Adipositas. Diabetes zu haben verdoppelt das Sterberisiko im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes. Mindestens die Hälfte dieser Todesfälle wird durch kardiovaskuläre Erkrankungen verursacht, in der Regel aufgrund eines Herzinfarktes oder Schlaganfalls. Aus diesem Grund bezeichnete der Generaldirektor der WHO Adipositas und Diabetes als zwei der größten globalen Gesundheitskrisen des 21. Jahrhunderts, aus Sicht der WHO die Folge einer Welt, in der Nahrung im Überfluss vorhanden und Bewegung optional ist. Diese Entwicklung ist nicht nur getrieben durch den Verzehr kalorienreicher Lebensmittel, sondern vielmehr ein Versagen der Regierungen, Lebensmittel zu regulieren und Freizeitbewegung und einen gesunden Lebensstil von Kindheit an zu fördern. Die Regulierung des Blutzuckerspiegels beim Diabetes ist eines der zentralen therapeutischen Ziele, allerdings führte  dies bisher  nur zu einer geringen Verringerung des kardiovaskulären Risikos. Die neuen  blutzuckersenkenden Medikamente wie GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2 (Sodium-Glukose-Transporter Typ 2)-Hemmer haben erstmals eine signifikante ­ Senkung der Sterblichkeit und des Auftretens von Herzinsuffizienz nachweisen können  

3

(7 Kap. 6). Auch die Adipositaschirurgie ist effektiv in der  Erzielung einer erheblichen Gewichtsreduktion und zur Kontrolle metabolischer Risikofaktoren. Trotzdem muss hinterfragt werden, ob diese neuartigen pharmakologischen und chirurgischen Eingriffe als Strategien zur Verringerung des kardiovaskulären Risikos auf Bevölkerungsebene dienen können. Viel entscheidender ist die Prävention auf Bevölkerungsebene durch  politische Initiativen, die ein Umfeld schaffen, in dem die Menschen befähigt werden, eine kardio-metabolisch  gesunde Lebensweise zu wählen, um sich vor Fettleibigkeit und ihren schädlichen Auswirkungen auf den Glukosestoffwechsel, Blutdruck und Blutfette zu schützen. Zu den politischen  Initiativen mit nachgewiesenem Nutzen in diese Richtung  gehören Zuckersteuern und die Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln und Getränken.  

3.3.5 

Rauchen

Wichtig ist festzuhalten: Es gibt kein Rauchen ohne erhöhtes kardiovaskuläre Risiko. Leichte Raucher, die nur eine Zigarette pro Tag konsumieren, haben im Vergleich zu starken Rauchern (20 Zigaretten/Tag) immer noch ein fast halb so hohes Risiko für die Entwicklung von kardiovaskulären Erkrankungen. Auch Passivraucher sind gefährdet, und wenn die passive Exposition erheblich ist, ist sie mit einem ähnlichen relativen Risiko für kardiovaskuläre Er­ krankungen verbunden wie eine leichte aktive Rauchexposition. Raucher, die das Rauchen aufgeben, können ihr Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen innerhalb von 5 Jahren um 39 % reduzieren, aber es dauert mindestens 15 Jahre, bis das kardiovaskuläre Risiko das Niveau einer Person erreicht, die nie im Leben geraucht hat. Die Raucherentwöhnung nach einem Myokardinfarkt (sekundäre Prävention) ist besonders wichtig, da dies die Mortalität nachfolgend halbieren kann. E-Zigaretten

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3

M. Halle und T. Münzel

wurden als sicherere Alternative oder als vorübergehende Maßnahme zur Raucherentwöhnung vorgeschlagen, aber die Datenlage ist hier  nicht eindeutig. Aufgrund des Mangels an robusten Längsschnittdaten wird die Evidenz von Leitliniengruppen als unzureichend angesehen, um die Verwendung von E-Zigaretten zur Reduzierung des Tabakkonsums zu empfehlen. Zudem ist die Verwendung von E-Zigaretten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einem erhöhten Risiko für späteres Zigarettenrauchen verbunden. Insgesamt zeigen die Erhebungsdaten, dass nach einem passageren Rückgang aktuell die Raucherzahlen wieder ansteigen. Diese in Kombination mit dem erhöhten Konsum von E-­ Zigaretten wird  in Zukunft das kardiovaskuläre Risiko erneut ansteigen lassen. >>Der Tabakkonsum wurde von der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission als „das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko in der EU“ beschrieben. Für den Nikotinstopp wurden neben verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, welche eine mäßige Erfolgsrate aufweisen, verschiedene Medikamente entwickelt. Beide Maßnahmen sollten kombiniert Anwendung finden.

Medikamente für den Nikotinstopp 55 Vareniclin (partieller NikotinRezeptoragonist) 55 Transdermale Nikotinpflaster

3.4 

Umweltfaktoren

Luftverschmutzung und Lärm sind für über 75 % der Krankheitslast verantworlich, die auf Umweltfaktoren zurückzuführen sind. Jedes Jahr treten in ganz Europa schätzungsweise 48.000 neue Fälle von KHK aufgrund von Umgebungslärmbelastung auf. Nach

Angaben der WHO werden etwa 58 % der luftverschmutzungsbedingten Sterblichkeit durch KHK und Hirnschlag verursacht. Migrantenstudien untermauern die Rolle der Umwelt als Risikofaktor weiter, indem sie zeigen, dass im Vereinigten Königreich lebende Südasiaten ein höheres kardiovaskuläres Risiko aufweisen als in Südasien Lebende. Weiter haben in Schweden lebende finnische Zwillinge niedrigere kardiovaskuläre Ereignisraten als ihre Partnerzwillinge, die in Finnland leben, was wiederum bestätigt, dass Umweltveränderungen das Risiko unabhängig von genetischen Faktoren beeinflusst. 3.4.1 

Luftverschmutzung

Die Verschmutzung durch Feinstaub und Gase hat verschiedene Ursachen, darunter private und gewerbliche Energienutzung, Landwirtschaft, Landverkehr und Stromerzeugung. Über 90 % der Schadstoffmasse im Luftgemisch städtischer Umgebungen stammen von Gasen oder Verbindungen in der Dampfphase und sekundären Schadstoffen, einschließlich Ozon (O3), Stickstoffdioxid (NO2), flüchtigen organischen Verbindungen (einschließlich Benzol), Kohlenmonoxid (CO2) und Schwefeldioxid (SO2). Verbrennungsrückstände, die Feinstpartikel oder PM 0,1 (PM = particulate matter < 0,1 μm im Durchmesser) enthalten, zeigen eine erhöhte kardiovaskuläre Toxizität aufgrund von Merkmalen wie hoher Partikelzahl, großem Verhältnis von Oberfläche zu Masse, oxidativem Stresspotenzial, hoher Löslichkeit und Ladung, was zu einer effektiven Penetration in den Atemwegen und wahrscheinlich zu einer systemischen Penetration führt. Luftverschmutzung bedeutet ein großes Gesundheitsrisiko, das für 7,6 % der weltweiten DALYs (Disability-adjusted life years) verantwortlich und mit ca. 6,5–8,8 Mio. vorzeitigen Todesfällen pro Jahr verbunden ist, was mit den Auswirkungen von Rauchen, Bluthochdruck und körperlicher Inaktivität auf die Gesundheit der Bevölkerung konkurriert.

45 Epidemiologie und Prävention

Vorzeitige Todesfälle im Zusammenhang mit der Exposition von Feinstaub (PM 2,5) werden kardiovaskulären Erkrankungen zugeschrieben. Entsprechend hat die Europäische Union einen Luftqualitätsstandard für PM 2,5 von < 25 μg/m3 festgelegt, während die WHO die neuen Richtlinien auf 5 μg/m3 oder weniger abgesenkt hat. Das bedeutet, dass weit mehr als 95 % der Weltbevölkerung über dem von der WHO festgelegten Limit lebt und die europäischen Richtlinien nicht weltweit akzeptiert werden. Die nachteiligen Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit der Bevölkerung sind unbestritten, wobei hier in erster Linie Herz-­Kreislauf-­Erkrankungen dominieren. Neueste Zahlen gehen von insgesamt 780.000 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr aufgrund von PM 2,5 aus, wobei 40 % davon auf die KHK, 8 % auf Hirnschläge und 32 % auf andere NCD inklusive Diabetes und arterielle Hypertonie entfallen. Es wird geschätzt, dass die Luftverschmutzung die mittlere Lebenserwartung in Europa um etwa 2,9 Jahre verringert, mit einer jährlichen zurechenbaren Pro-Kopf-­ Sterblichkeitsrate in Europa von 133/100.000 Menschen pro Jahr. Die 2016 entwickelten Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung beinhalten die Luftverschmutzung als ein dringendes Problem, und die WHO überwacht Verschmutzungsindikatoren, darunter die durch Luftverschmutzung bedingte Sterblichkeit, den Zugang zu sauberer Energie in Haushalten und die Luftqualität in Städten. Inzwischen gibt die europäische Umweltpolitik, die auf den Grundsätzen der Vorsorge, Vorbeugung und Beseitigung der Verschmutzung beruht, Anlass zu Optimismus, dass die durch die Verschmutzung verursachten Herausforderungen ganz oben auf der politischen Tagesordnung stehen. 3.4.2 

Transportlärm

Unter Transportlärm versteht man Lärm, der durch Autos, Flugzeuge und Schienen-

3

fahrzeuge erzeugt wird. Lärm kann das kardiovaskuläre Risiko erhöhen, insbesondere bei Personen, die in einer dicht besiedelten städtischen Umgebung in der Nähe von stark befahrenen Straßen oder Bahnhöfen leben. Schätzungen zufolge ist die Lärmbelästigung für 48.000 neue KHK-­ Fälle pro Jahr sowie für 12.000 vorzeitige Todesfälle in Europa verantwortlich. Alleine in Westeuropa gehen pro Jahr 1,6 Mio. gesunde Lebensjahre verloren, die meisten aufgrund von Schlafstörungen und Belästigungsreaktionen. Die EU hat zulässige Lärmpegel in Wohngebieten von 55 bzw. 50 dB tagsüber bzw. nachts festgelegt. Diese Grenzwerte werden oft überschritten, und Lärmbelastungen über 55 dB betreffen bis zu 40 % der Bevölkerung der EU.  Lärm verursacht Stress und stört den Schlaf, prädisponiert für eine KHK, wobei das Risiko für jeden Anstieg des Tag-Nacht-Lärms von 10 dB um 6 % steigt. Diese nachteiligen kardiovaskulären Folgen von Lärm werden durch geringe Erhöhungen des Blutdrucks, der Triglyceride und des glykolisierten Hämoglobins verursacht, die bei Expositionen > 65 dB auftreten. Schätzungen zufolge würde eine Verringerung des Umgebungslärms um 5 dB in den USA die Zahl der Fälle von Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-­Erkrankungen um 1,2 Mio. bzw. 279.000 Fälle pro Jahr verringern. Interessant sind neue Beobachtungen, wonach Transportlärm das limbische System, genauer die Amygdalakerne im Hirn, aktiviert. Die Aktivität der Amygdala, die mithilfe von 18Fluorodeoxyglucose im PET/CT bestimmt wurde, korrelierte innerhalb von 5 Jahren mit dem Ausmaß der Entzündung der Aorta und kardiovaskulären Komplikationen wie Tod durch Herzinfarkt, nichttödliche Herzinfarkte, koronare und periphere Revaskularisationen. Somit ist das „Sich-Ärgern“ über Lärm ein wichtiger Stressfaktor, der das Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen deutlich verstärkt. Umgekehrt wirkt sich eine ausgeprägte Resilienz positiv auf die Entwicklung von Herzkreislauferkrankungen aus.

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M. Halle und T. Münzel

3

..      Abb. 3.6  Das Exposom-Konzept. Die Exposition von umweltbedingten Risikofaktoren (= externes Exposom) führt zu Veränderungen zentraler biochemischer Stoffwechselwege mit gesundheitlichen Auswirkungen. Diese umfassen 1.  Veränderungen an Genen der zirkadianen Uhr, die zu einer Beeinträchtigung der Rhythmik und Phasenverschiebungen führen, 2.  die vermehrte Freisetung von  Stresshormonen (Cortisol und Katecholamine etc.), 3.  die vermehrte Bildung von  reaktiven Sauerstoffspezies durch Mitochondrien und NADPH-­Oxidase 4. sowie die Freisetzung  von aktivierten Immunzellen. Dies führt zu Entzündungen mit Gewebeinfiltration durch

3.4.3 

Das Exposom-Konzept

Bedauerlicherweise werden umweltbedingte Risikofaktoren und ihre Krankheitslast in der Bevölkerung im globalen Aktionsplan der WHO für NCS von 2013 nicht erwähnt. Dieser dramatischen Lücke wird jetzt mehr Aufmerksamkeit durch das aufstrebende Forschungsgebiet „Exposom“ gewidmet, das die lebenslangen integralen Auswirkungen aller Umweltbelastungen auf biochemische Stoffwechselwege und gesundheitliche Auswirkungen untersucht (. Abb. 3.6) wie sowie Kampagnen für „gesunde Städte“ initiiert.  

Zellen des Immunsystems und oxidative Schäden in verschiedenen Organen. Da klassische Gesundheitsrisikofaktoren ähnliche Mechanismen aktivieren, können Menschen mit Diabetes, Hyperlipidämie oder Bluthochdruck zusätzliche negative Auswirkungen auf die Gesundheit erleiden, wenn sie Umweltrisikofaktoren ausgesetzt sind. HPA: HypothalamusHypophysen-Nebennieren-­Achse, NOX-2: phagozytische NADPH-Oxidase (Isoform 2), ROS: reaktive Sauerstoffspezies, SNS: sympathisches Nervensystem. (Modifiziert nach  Münzel et  al. CVR 2022;  https:// doi.org/10.1093/cvr/cvab316) mit Genehmigung)

3.5 

Bewegung und Sport

Körperliche Inaktivität ist einer der wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren für die weltweite Sterblichkeit vor allem an kardiovaskulären Erkrankungen. Inaktive Menschen haben ein 20–30 % höheres Risiko frühzeitig zu versterben im Vergleich zu körperlich aktiven Menschen. Durch regelmäßige körperliche Aktivität kann die Inzidenz der KHK (7 Abschn. 7.2), der Herzinsuffizienz (7 Kap. 13) und des Vorhofflimmerns reduziert werden (7 Abschn. 12.5).  





3

47 Epidemiologie und Prävention

Regelmäßige Bewegungseinheiten führen zu einer Steigerung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit, einem zentralen Indikator für eine gute Prognose. Entsprechend werden dadurch zahlreiche positive Effekte des Herz-­Kreislauf-­Systems induziert wie z. B. eine Verbesserung der kardiovaskulären Risikofaktoren (7 Abschn. 3.3), erkennbar an einer Senkung des systolischen und diastolischen Blutdrucks, einer Optimierung des Glukose- und des Lipidstoffwechsels sowie einer Reduktion der chronischen Inflammation. Letzteres wird besonders durch eine zusätzliche Gewichtsabnahme bei adipösen Personen unterstützt. Ebenso induziert ein körperliches Training strukturelle Veränderungen des kardiovaskulären Systems mit Verbesserung der Endothelfunktion der Arterien sowie der diastolischen Funktion des Myokards. Dem Ausdauertraining kommt in der Prävention von Herz-Kreislauf-­ Erkrankungen die höchste Bedeutung zu, da dadurch zentrale Effekte auf den Stoffwechsel sowie die vaskuläre Funktion verbessert werden. Aktuelle Leitlinien der European Society of Cardiology empfehlen mindestens 150–300 min moderate oder 75–150 min intensive körperliche Ausdaueraktivität pro Woche bzw. eine gleichwertige Kombination dieser. Dies verdeutlicht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, dass also höhere Intensitäten und Umfänge größere Effekte haben. Hinsichtlich der Dauer einer Trainingseinheit zeigen sich bereits kurze Einheiten von 10–15 min kardioprotektiv. Diese sind besonders effektiv bei höherer Intensität, weil dadurch ein stärkerer kardiopulmonaler und peripher-muskulärer Reiz induziert wird. Selbst eine Reduktion von Zeiten täglichen Sitzens hat präventive Effekte. Dies impliziert auch die Bedeutung von alltagsbasierten Interventionen am oder zum Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Obwohl 10.000 Schritte pro Tag, also ca. 8  km Gehstrecke, als allgemeine Empfehlung ausgegeben werden, zeigen epidemio 

logische Daten maximale Effekte bereits bei 4500 Schritten pro Tag, also ca. 3 km, was wiederum 30 min Gehen am Tag entspricht. Umfänge von körperlicher Aktivität jenseits dieses haben nur unwesentlich höhere Effekte. Krafttraining hat vergleichbare Effekte wie ein Ausdauertraining, wenn es im Sinne eines Kraft-Ausdauer-Trainings durchgeführt wird, d. h. viele Wiederholungen mit geringen Gewichten. Allerdings ist die Effektstärke insgesamt geringer. Krafttraining wird  mindestens 2-mal pro Woche in Ergänzung zu einem Ausdauertraining empfohlen (Visseren et al. 2021) und ist v. a. auch bei älteren Patienten z. B. mit zusätzlichem Diabetes oder Herzinsuffizienz aufgrund der Aktivierung des Energiestoffwechsels und Zunahme der  Muskelmasse und -kraft zur Sturzprävention von zentraler Bedeutung. Trainingsreize zur Verbesserung des Glukosestoffwechsels werden optimalerweise möglichst alle 2–3 Tage gesetzt, weil dadurch einer der pathophysiologischen Mechanismen der Insulinresistenz, der eingeschränkte Transport von Glukose-4-­ Transportern aus dem endoplasmatischen Retikulum an die Muskelmembran, gesteigert wird und dieser Effekt ca. 2–3 Tage anhält. Vaskuläre Effekte, die sich auch positiv auf den Blutdruck auswirken, sind optimal dann zu beobachten, wenn der Trainingsreiz jeden oder jeden 2. Tag durchgeführt wird. Die Aktivierung der Skelettmuskulatur während körperlicher Belastung scheint eine Schlüsselfunktion einzunehmen. Sie fungiert wie ein „endokrines Organ“, von dem ausgehend  – insbesondere während der Muskelkontraktion – bioaktive Substanzen (die sog. Myokine) sezerniert werden, die für Stoffwechsel- und Funktionsanpassungen verantwortlich sind (siehe . Abb. 3.7). Entscheidend ist somit in der kardiovaskulären Prävention die regelmäßige Aktivierung dieses Systems durch ein kombiniertes Ausdauer- und Krafttraining.  

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M. Halle und T. Münzel

CHRONISCHE INFLAMMATION ↓

Adipositas Dyslipidämie Hypercholesterinämie

3

FETTGEWEBE Viszerales Fegewebe ↓ Weißes Fegewebe ↓ Braunes Fegewebe ↑ Energieverbrauch ↑ Thermogenese ↑

LEBER Insulinsensivität ↑ Glukoneogenese ↑ Glukoseaufnahme ↑ Feoxidaon ↑ Liponeogenese ↑

MITOCHONDRIEN Mitochondriendichte ↑ Oxidave Kapazität ↑

GEHIRN/NERVENSYSTEM Vagaler Tonus ↑ Sympathikotonus ↓ Mikrozirkulaon ↑

MYOKINE

HERZ Diastolische Funkon ↑ Blutdruck ↓ Herzfrequenz ↓

PANKREAS Βeta-Zellfunkon ↑

Diabetes Mellitus

Apoplex Herzinsuffizienz Vorhofflimmern Koronare Herzerkrankung

BLUTGEFÄSSE Mikrozirkulaon ↑ Endothelfunkon ↑ Kollateralisierung ↑ Vasodilataon ↑ Sauerstoransport ↑

SKELETTMUSKULATUR Muskelmasse ↑ Oxidave Kapazität ↑ Glukoseaufnahme ↑ Sarkopenie

..      Abb. 3.7  Effekte von körperlicher Aktivität auf das Herz-Kreislauf-System – zentrale Rolle der Myokine für Regulation und Anpassung von Stoffwechsel-, Gefäß- und Myokardfunktion

Aufgrund des Konzeptes der „vaskulären Last“ (Gefäßlast)  von Risikofaktoren, also der Höhe und der Interaktionszeitdauer zwischen Risikofaktoren und dem Gefäßsystem und Myokard, ist die frühzeitige Prävention bereits im Kindes- und Jungendalter von zentraler Bedeutung. Gerade adipöse und körperlich inaktive Kinder und Jugendliche zeigen bereits pathophysiologische Veränderungen des Gefäßsystems wie z. B. eine eingeschränkte Endothelfunktion, die allerdings durch  entsprechende Lebensstilintervention komplett reversibel sind (. Abb. 3.7).  

Literatur Global Burden of Disease (2020) Global burden of 369 diseases and injuries in 204 countries and territories, 1990-2019: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. Lancet 396(10258):1204– 1222. https://doi.org/10.1016/s0140-6736(20)30925-9 Mach F, Baigent C, Catapano AL, Koskinas KC, Casula M, Badimon L, Chapman MJ, De Backer

GG, Delgado V, Ference BA, Graham IM, Halliday A, Landmesser U, Mihaylova B, Pedersen TR, Riccardi G, Richter DJ, Sabatine MS, Taskinen M-R, Tokgozoglu L, Wiklund O (2020) 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J 41:11–188 Münzel T, Hahad O, Sørensen M, Lelieveld J, Duerr GD, Nieuwenhuijsen M, et al (2022) Environmental risk factors and cardiovascular diseases: a comprehensive expert review. Cardiovasc Res 118(14):2880– 2902. https://doi.org/10.1093/cvr/cvab316 Visseren FLJ, Mach F, Smulders YM, et al (2021) ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eur J Prev Cardiol. https://doi. org/10.1093/eurjpc/zwab154 Yusuf S, Hawken S, Oˆunpuu S, Dans T, Avezum A, Lanas F, McQueen M, Budaj A, Pais P, Varigos J, Lisheng L (2024) on behalf of the INTERHEART Study Investigators. Effect of potentially modifiable risk factors associated with myocardial infarction in 52 countries (the INTERHEART study): case-control study. Lancet. http://image. thelancet.com/extras/04art8001web.pdf World Health Organization (2024) Global Health Estimates: Life expectancy and leading causes of death and disability. https://www.who.int/data/ gho/data/themes/mortality-and-globalhealth-estimates

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Arterielle Hypertonie Felix Mahfoud, Roland Schmieder und Thomas F. Lüscher Inhaltsverzeichnis 4.1

Definition und Epidemiologie – 50

4.2

Primäre Hypertonie – 50

4.3

Sekundäre Hypertonie – 51

4.4

Pathogenese – 53

4.5

Diagnostik – 53

4.6

Therapie – 55

An früheren Versionen dieses Kapitels waren auch Isabella Sudano, Jan Steffel und Georg Noll beteiligt. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 T. F. Lüscher, U. Landmesser (Hrsg.), Herz-Kreislauf, Springer-Lehrbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6_4

4

50

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F. Mahfoud et al.

Die arterielle Hypertonie ist einer der häufigsten, beeinflussbaren kardiovaskulären Risikofaktoren. Bei der Erstdiagnose sollte vor allem bei jüngeren Patienten an eine sekundäre Ursache gedacht werden, bevor die Diagnose einer primären arteriellen Hypertonie gestellt wird. Zur Behandlung kommt neben Lebensstilmodifikation in den meisten Fällen eine Kombinationstherapie aus ACE-Hemmer bzw. Angiotensin-­Rezeptorblocker, Kalziumantagonisten oder Diuretika sowie ggf. Betablocker zum Einsatz.

4.1 

Definition und Epidemiologie

Epidemiologie  Die arterielle Hypertonie ist

der häufigste kardio- und zerebrovaskuläre Risikofaktor. Die durchschnittliche Prävalenz beim Erwachsenen beträgt in Europa ca. 25 %, im Alter über 50 Jahren bis 50 %, bei Adipositas bis 75  %. Etwa 1,3  Mrd. Menschen zwischen 30 und 79 Jahren weltweit haben eine Hypertonie und nur 1 von 5 erreicht die empfohlenen Zielwerte. Ätiologie  Man

unterteilt die arterielle Hypertonie nach der Ätiologie in 2 Gruppen: die primäre (früher: essentielle) und die sekundäre Hypertonie. Diese Unterteilung ist vor allem für die Abklärung und nachfolgende Therapie von entscheidender Bedeutung.

Definition  Unter arterieller Hypertonie ver-

steht man einen erhöhten Blutdruck im systemischen Kreislauf. Als Grenzwert gilt ein Blutdruck von 140/90 mmHg bei Messungen in der Klinik oder Praxis und 135/85 mmHg bei ambulanter Selbstmessung. Die Hypertonie wird je nach Ausmaß in verschiedene Grade eingeteilt (. Tab. 4.1).  

..      Tab. 4.1  Definitionen und Klassifikation der Blutdruckwerte (mmHg) Kategorie

Systolisch

Diastolisch

Ideal

Blutdruck  =  Herzzeitvolumen × peripherer Widerstand

Die Regulation des Blutdrucks ist ein komplexer Prozess, welcher in erster Linie durch das Zusammenspiel des autonomen Nervensystems, des Renin-Angiotensin-­AldosteronSystems sowie der Gefäßmuskulatur selbst bestimmt wird (. Abb. 4.1, 4.2). Zahlreiche Mediatoren sind für die Regulation des Gefäßwiderstandes verantwortlich. Eine Zunahme (und somit ein steigender Blutdruck) entsteht auf dem Boden einer Dysbalance zwischen vasokonstriktorischen (Angiotensin II, Endothelin, Thromboxan etc.) und vasodilatatorischen Substanzen (Stickstoffmonoxid, NO; Prostazyklin, natriuretische Peptide etc.).  

4

Klinik  In den meisten Fällen verursacht eine

arterielle Hypertonie keine klinischen Symptome. Dies ist sowohl im Rahmen der Diagnosestellung tückisch (oftmals langjähriges Verpassen der Diagnose) als auch im Hinblick auf eine Therapie, da bei fehlenden Symptomen der Leidensdruck fehlt und somit bei vielen Patienten auch die Medikamentenadhärenz problematisch ist. !!Etwa ein Viertel der Hypertoniker wissen nicht, dass sie einen erhöhten Blutdruck haben. Von den bekannten Hypertonikern wird ein Viertel gar nicht und ein weiteres Viertel unzureichend behandelt.

Typische Zeichen, welche gelegentlich auftreten können, sind Kopfschmerzen, Schwindel, Dyspnoe, Abnahme der Belastbarkeit, Ohrensausen, Nervosität, Schlafstörungen bei nächtlicher Hypertonie und Nasenbluten. Alle klinischen Manifestationen der Arteriosklerose treten beim Hypertoniker häufiger und früher auf als beim normotonen Patienten. Eine Zunahme des diastolischen Blutdrucks um 5 mmHg bewirkt eine Zunahme der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines zerebrovaskulären Insults (CVI) um ca.  33  % bzw. eines Myokardinfarkts um 20–25 %. Darüber hinaus ist das Risiko von Hirnblutungen deutlich erhöht (. Abb. 4.3). Obwohl die Hypertonie einen bedeutenden kardiovaskulären Risikofaktor darstellt (. Abb.  4.4) und eine antihypertensive Therapie das kardiovaskuläre Risiko erwiesenermaßen senkt, wird dieser Risikofaktor oft vernachlässigt: Die Hypertonie wird häufig nicht erkannt und wenn sie diagnostiziert wird, oft nicht adäquat behandelt.  



4.5 

Diagnostik

Ein wichtiges Ziel der Diagnostik ist es, potenziell behandelbare sekundäre Formen zu erkennen. Daher orientiert sich sowohl

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F. Mahfoud et al.

die klinische als auch die folgende apparative Diagnostik an den charakteristischerweise zu erwartenden Befunden der oben genannten sekundären Hypertonieformen. z Anamnese

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..      Abb. 4.3  MRT einer intrazerebralen Massenblutung mit Ventrikeleinbruch

Der 1. Schritt jeder Hypertoniediagnostik ist eine umfassende Anamnese. 55 Familienanamnese: –– Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Dyslipidämie, Apoplexie, Morbus Recklinghausen, multiple endokrine Adenomatose 55 Patientenanamnese: –– Bauchtraumata, Nierenerkrankungen, Ödeme, Flankenschmerzen → Verdacht auf renale Hypertonie

..      Abb. 4.4  Zunahme des Risikos für KHK, Schlaganfall, PAVK und Herzinsuffizienz bei Normotonikern (blau) und Hypertonikern (rot). (Mod. nach Daten von Kannel WB 1996)

55 Arterielle Hypertonie

–– Krisenhafte Blutdruckanstiege, anfallsartige Hautblässe, Schweißausbrüche, Tachykardien → Verdacht auf Phäochromozytom –– auffallende Schwäche in Extremitäten, Krämpfe, Polyurie → Verdacht auf Conn-Syndrom –– Gewichtsabnahme, Diarrhoe, Nervosität (Unruhe), Tremor und Tachykardien → Verdacht auf Hyperthyreose –– Medikamente: Ovulationshemmer, Steroide, Cyclosporin A, nichtsteroidale Antirheumatika, Erythropoietin etc. –– Nahrungsmittel: Lakritz, Alkohol, Salz –– andere kardiovaskuläre Risikofaktoren z Klinische Untersuchung

Es folgt eine ausführliche klinische Untersuchung: 55 Aspekt: Facies lunata, Striae und Büffelnacken bei Stammfettsucht → Verdacht auf Cushing-Syndrom, auch iatrogen (Steroide) 55 Gewicht, Größe, BMI (= Körpergewicht in kg/Körpergröße in m2) 55 Blutdruckmessung: 3-mal sitzend, 1-mal liegend, 1-mal stehend, rechts und links 55 Herz: Pulsdifferenzen obere/untere Extremitäten → V. a. Aortenisthmusstenose; Pulsrhythmus, Herzvergrößerung, Herzgeräusche 55 Lungen: Stauungsgeräusche, Bronchospasmus 55 Abdomen: abnormale aortale Pulsation, Auskultation (Strömungsgeräusche), Palpation 55 Extremitäten: periphere Pulse (ABI), Strömungsgeräusche, Ödeme, Temperatur, Hauttrophik 55 Schilddrüsen: Palpation (Vergrößerung, Knoten?) 55 Augenfundus: erst ab Stadium II 55 Kaliberschwankungen der Arterien

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55 Veränderungen der Retina und/oder Papille (Ödeme, Exsudate, Blutungen) → Notfall und Endorganschaden (fachärztliche ophthalmologische Beurteilung) z Laboruntersuchungen

Zu den Untersuchungen im Labor gehören: 55 Routinelabor: Plasmaglukose (vorzugsweise nüchtern), Total-Cholesterin, LDLund HDL-Cholesterin, Triglyzerid-­ Serum (nüchtern), Harnsäure, Kreatinin, Elektrolyte (speziell Natrium, Kalium, Kalzium), Hämoglobin und Hämatokrit 55 Harnuntersuchung: Urinstix (ergänzt mit Untersuchung des Harnsediments), Mikroalbuminurie (unbedingt notwendig bei Diabetikern), quantitative ­Proteinurie (falls Urinstix positiv) 55 Spezialuntersuchungen je nach klinischer Situation, u.  a. Aldosteron-Renin-Ratio (bei Verdacht auf Conn Syndrom; Cave: Beeinflussung durch antihypertensive Medikation), HbA1c, TSH, Messung der Plasmametanephrine (bei Verdacht auf Phäochromozytom). Weitere Bildgebung und Spezialdiagnostik folgen je nach klinischem Verdachtsmoment (z.  B.  Duplex der Nierenarterien bei Verdacht auf Nerenarterienstenose, CT oder MRT bei Verdacht auf Aortenisthmusstenose etc.).

4.6 

Therapie

Die Basistherapie jeder Hypertonie sind Maßnahmen zur Modifikation des Lebensstils. >>Eine konsequente Umsetzung der Lebensstiländerung kann zu einer Blutdrucksenkung führen und im Einzelfall eine medikamentöse Therapie bei milden Hypertonieformen überflüssig machen.

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F. Mahfoud et al.

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..      Abb. 4.5  Medikamentöse Basisstrategie bei unkomplizierter Hypertonie. (Pocketleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie)

z Basistherapie

Wichtigste Maßnahme ist die Normalisierung des Körpergewichtes, was bei adipösen Patienten im Mittel zu einer Blutdrucksenkung bis zu 15  mmHg systolisch und 10  mmHg diastolisch pro 10  kg Gewichtsverlust führen kann. Auch eine verminderte Zufuhr von Kochsalz (ACE-Hemmer senken das kardiovaskuläre Risiko und sind signifikant lebensverlängernd bei Hypertonikern (und Diabetikern).

Thiaziddiuretika sind die ältesten derzeit verwendeten Antihypertensiva (Hydrochlorothiazid). Sie stellen ein gutes Erstlinienmedikament und ein ideales



ARB (. Abb. 4.6) wirken ähnlich wie ACE-­ Hemmer und sind meist besser verträglich. Ihr Angriffspunkt, der Angiotensin-II-­ Rezeptor, wird kompetitiv blockiert. Im Gegensatz zu den ACE-Hemmern tritt bedingt durch den Wirkmechanismus (fehlende ACE-Hemmung) kein trockener Reizhusten als Nebenwirkung auf. Typische Vertreter sind Losartan (Cosaar®), Valsartan (Diovan®), Irbesartan (Aprovel®), Candesartan (Blopress®) oder Telmisartan (Kinzal®, Micardis®).  

>>ARB stellen ausgezeichnete Erstlinienmedikamente dar, die wegen der guten Verträglichkeit besonders die Therapietreue des Patienten positiv beeinflussen.

z Thiazide und thiazidähnliche Diuretika

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F. Mahfoud et al.

Kombinationstherapeutikum dar, dessen Nutzen v. a. in einer großen Langzeitstudie belegt ist. Typische Vertreter von thiazidähnlichen Diuretika sind das Chlortalidon (Hygroton®), Indapamide (Fludex SR und in fixen Kombinationspräparaten), Hydrochlorothiazid (Esidrex) und Xipamid (Aquaphor). Aufgrund der längeren Halbwertszeit und der nachgewiesenen Reduktion von hypertensiven Endorganschäden sollten thiazidähnlichen Diuretika bevorzugt eingesetzt werden. Der Wirkmechanismus der Diuretika ist nicht ganz geklärt: Es kommt unter der Einnahme zu einer Abnahme des peripheren Gefäßwiderstandes, welcher für die Blutdrucksenkung verantwortlich sein könnte. Eine vermehrte Ausscheidung von Natrium und Wasser mit Abnahme des zirkulierenden Blutvolumens erklärt die Blutdrucksenkung jedoch nicht vollständig. Bei deutlich eingeschränkter Nierenfunktion sollten Schleifendiuretika eingesetzt werden sollten (Torasemid, Torem®). kBetablocker

Betablocker werden von den aktuellen Europäischen Leitlinien nicht mehr zur initialen Primärtherapie der Hypertonie empfohlen. Es sind Antihypertensiva, die ihre Indikation vor allem bei koronarer Herzkrankheit, Vorhofflimmern und/oder Herzinsuffizienz haben. Der Wirkmechanismus beruht auf einer Hemmung der Sympathikuswirkung (direkt negativ inotroper Effekt und Hemmung der β-Rezeptor vermittelten Reninausschüttung in der Niere). Typische Vertreter sind Metoprolol (Beloc®), Bisoprolol (Concor®) oder Nebivolol (Nebilet®). kKalziumantagonisten

Die antihypertensive Wirksamkeit der Kalziumantagonisten ist ausgezeichnet und in zahlreichen Studien belegt. Nachteile sind die periphere Ödemneigung, die Verschlimmerung einer vorhandenen Herzinsuffizienz (vor allem mit negativ inotropem Diltiazem, Dilzem®, Verapamil, Isoptin®) sowie die reflektorische Sympathikus-

aktivierung mit Neigung zu reflektorischer Tachykardie, speziell bei kurzwirksamen Dihydropayridinen. Typische Vertreter der langwirksamen Dihydropyridine sind Amlodipin (Norvasc®) oder Lercanidipin (Carmen®). kAldosteronantagonisten

Haben ACE-Hemmer/ARB mit oder ohne Diuretikum und Kalziumkanalblocker nicht zu einer ausreichenden Blutdrucksenkung geführt, kommen bevorzugt Aldosteronantagonisten zum Einsatz. Die Nierenfunktion (eGFR ≥  45  ml/min) und die Serumelektrolyte (Kalium ≤ 4,5  mmol/l) müssen dabei berücksichtigt werden. Sie blockieren im Tubulus und im Sammelrohr die Bindung von Aldosteron an dessen zytoplasmatischen Rezeptor. Die Folge davon ist eine verringerte Natrium- und Wasserretention in der Niere. Typische Vertreter sind das Spironolacton (Aldactone®) und Eplerenone (Inspra®). !!Aldosteronantagonisten können zu einer Nierenfunktionsverschlechterung und Hyperkaliämie führen.

kVasodilatatoren

In diese Gruppe fallen unter anderem Nitrate, Dihydralazin und Minoxidil, deren Anwendung speziellen Indikationen und nach sorgfältiger Abwägung bei therapieresistenten Patienten vorbehalten bleibt. kZentrale Sympatholytika

Zentrale Sympatholytika sind Zweitlinienmedikamente, die nur in der Kombinationstherapie bei therapierefraktärer Hypertonie Verwendung finden. Einer zusätzlichen Blutdrucksenkung stehen allerdings häufig ausgeprägte zentrale Nebenwirkungen wie Müdigkeit oder Mundtrockenheit gegenüber. Typische Vertreter sind Clonidin (Catapresan®) und Monoxidin (Physiotens®). Alpha-Methyldopa ist das Erstlinienmedikament zur Therapie einer Hypertonie in der Schwangerschaft, nicht zuletzt, da mit

59 Arterielle Hypertonie

diesem Präparat eine lange Erfahrung bzgl. Effektivität und Sicherheit für Mutter und Kind besteht (Alternativen in dieser Situation sind Nifedipin und Betablocker). !!ACE-Hemmer und ARB hingegen sind in der Schwangerschaft kontraindiziert, am ehesten kommt Alpha-Methyldopa in Frage.

4

zum Maximum ausgereizt, sondern initial eine Kombination mit anfangs niedriger Dosierung verwendet werden. Häufige 2erund 3er-Kombinationstherapeutika sind ACE-Hemmer/ARB, Kalziumantagonisten und Thiaziddiuretika. !!Aufgrund der schlechten Einnahmetreue vieler Patienten mit arterieller Hypertonie soll das Therapieregime zugleich möglichst einfach und effektiv sein!

Konsequenzen für die praktische Anwendung

z Renale Denervation bei schwer Welches Antihypertensivum soll bei weleinstellbarer Hypertonie cher Komorbidität bevorzugt werden? 55 Hypertonie ohne Begleiterkrankung: Die Überaktivität des sympathischen ACE-Hemmer, Angiotensin-II-­Nervensystems trägt zur Entstehung und Rezeptorblocker, Diuretika oder Progression der arteriellen Hypertonie bei Kalziumantagonisten und ist mit einem erhöhten kardiovaskulären 55 Isolierte systolische Hypertonie: DiRisiko assoziiert. Bei schwer einstellbarer uretika, Kalziumantagonisten Hypertonie besteht die Möglichkeit, eine 55 Hypertonie und Angina pectoris: perkutane Nierennervenablation durchzuBetablocker, Kalziumantagonisten führen. Als schwer einstellbar wird dabei ein (Verapamil, Diltiazem) Blutdruck ≥ 140/90  mmHg trotz 3 Anti55 Hypertonie und Atherosklerose: hypertensiva in adäquater Dosierung inACE-Hemmer, ARB klusive eines Diuretikums klassifiziert. Der 55 Hypertonie und Nephropathie: ACE-­ Ausschluss einer sekundären Hypertonie Hemmer, ARB vor der Nierennervenablation ist ratsam. 55 Hypertonie und Herzinsuffizienz: DiBei der renalen Denervation wird ein uretika, ACE-Hemmer; Betablocker; spezieller Katheter (Radiofrequenz- oder Spironolacton/Eplerenone Ultraschallkatheter) via A. femoralis in die 55 Diabetiker: ACE-Hemmer, ARB, Nierenarterie platziert, mit welchem die afBetablocker ferenten und efferenten sympathischen Ner55 Sekundärprävention des zerebroven moduliert werden (. Abb.  4.7). Die vaskulären Infarktes (CVI): ARB, Blutdrucksenkung nach dem Eingriff hängt ACE-Hemmer, Diuretika, Kalziumvor allem von der Blutdruckhöhe zum antagonisten Untersuchungsbeginn ab und liegt im Mittel  

z Kombinationstherapie

Bei den meisten Patienten wird eine Kombinationstherapie benötigt, um die Zielwerte zu erreichen. Da sinnvolle Kombinationen nicht nur additiv, sondern teilweise potenzierend auf den Blutdruck wirken (z.  B.  ACE-Hemmer blockieren das durch Thiaziddiuretikum aktivierte RAAS), sollte die Monotherapie nicht bis

nach 6 Monaten bei etwa 10–15 mmHg systolisch und 8–10  mmHg diastolisch. Im Langzeitverlauf kann der blutdrucksenkende Effekt weiter zunehmen. Im Gegensatz zur Wirkung antihypertensiver Medikamente ist die Wirkung der renalen Denervation unabhängig von der Adhärenz, dem Einnahmezeitpunkt der Medikamente und der Pharmakokinetik. Die Komplikationsrate des Eingriffs, insbesondere Verletzungen der Nierengefäße,

60

F. Mahfoud et al.

a

b

4

..      Abb. 4.7  a,b Nach Anfertigung eines Angiogramms a wird (bei dem hier verwendeten System) ein spiezieller Ultraschallballon platziert und aufgedehnt b. Im An-

schluss erfolgt die Abgabe von Ultraschallenergie und somit eine Modulation der afferenten und efferenten sympathischen Nervenfasern

ist sehr niedrig. Geringe lokale Hämatombildung an der Punktionsstelle ist möglich. Eine renale Denervation sollte nur in erfahrenen Zentren durchgeführt werden.

140  mmHg angestrebt werden sollte. Der diastolische Blutdruck sollte bei allen Patienten, unabhängig von Alter und Komorbiditäten, auf  20 mmHg Linksherzinsuffizienz, Erkrankungen der Lunge oder Systemerkrankungen, die zu einer Überlasting des rechten Herzens mit in der Folge Atemnot, Trikuspidalinssuizienz, Aszites und peripheren Oedemen führt und unerkannt und unbehandelt oft mit eine schlechten Prognose verbunden ist

Fakten 55 Lungenhochdruck (pulmonale Hypertonie, PH) ist eine komplexe Erkrankung. PH ist definiert aus einer Erhöhung des Mitteldrucks im kleinen Kreislauf >  20  mmHg bei invasiver Messung. 55 Echokardiografisch bleibt der Grenzwert einer trikuspidalen Regurgitationsgeschwindigkeit von >  2,8  m/s für die Wahrscheinlichkeit von Lungenhochdruck unverändert. 55 Therapien der PH beruhen auf gefäßerweiternden Substanzen, die meistens kombiniert eingesetzt werden. 55 Risikoscores bestimmen die Wahl der Initialtherapie. CTEPH wird primär mit mechanischen Therapien (chirurgische Endarterektomie, PEA oder Ballonangioplastie BPA) behandelt und oftmals durch medikamentöse Therapien gestützt.

und  d, e) oder im Kontext verschiedener Herz- (. Abb. 5.1c), Lungen- (. Abb. 5.1d) oder Systemerkrankungen (. Abb. 5.1f). Hämodynamische Phänotypen von Lungenhochdruck und die typischen klinischen Diagnosegruppen sind in . Abb. 5.1a–f schematisch dargestellt. Die Sicherung der Diagnose PH erfolgt durch eine invasive hämodynamische Messung. Definiert ist PH durch einen mittleren pulmonal-arteriellen Druck (mPAP) > 20  mmHg in ruhiger Rückenlage. Diese neue Definition, bei der der Grenzwert von 25 mmHg auf 20 mmHg abgesenkt wurde, begründet sich auf der Beobachtung aus großen hämodynamischen Datenbanken, dass in einer unselektionierten Population ein mPAP ab einem Grenzwert von 20 mmHg sprunghaft mit einer schlechteren Überlebenszeit assoziiert war. Ein pulmonal-arterieller Verschlussdruck (PAWP) ≤ 15  mmHg und ein pulmonal-­ vaskulärer Widerstand (PVR) > 2 Wood-­Einheiten definieren eine präkapilläre PH, wie sie beispielsweise bei der pulmonal-­ arteriellen Hypertonie (PAH) vorliegt (. Abb.  5.1b). Demgegenüber ist die postkapilläre PH durch einen mPAP > 20  mmHg und einen PAWP > 15  mmHg definiert. In den 2022 ESC (European Society of Cardiology) Guidelines für die Diagnose und Therapie der PH wurde zudem Lungenhochdruck unter Belastung neu definiert durch einen Anstieg der mPAP/CO Kurve > 3 mmHg/L/min. Die klinische Klassifikation der PH ist in der folgenden Übersicht dargestellt: Gruppe 1 entspricht der pulmonal arteriellen Hypertonie (PAH, . Abb. 5.1b), Gruppe 2 der PH assoziiert mit Linksherzerkrankung (. Abb.  5.1c), Gruppe 3 der PH assoziiert mit Lungenerkrankungen mit/ohne Hypoxie (. Abb. 5.1d) und Gruppe 4 der chronisch thromboembolischen PH (CTEPH, . Abb.  5.1e). Gruppe 5 fasst andere ­Pathologien zusammen und ist oftmals eine Kombination von prä- und postkapillären Veränderungen (. Abb. 5.1f).  











5.1 

Definition und Klassifikation





Lungenhochdruck (pulmonale Hypertonie, PH) beschreibt einen Druck- und/oder Widerstandsanstieg im kleinen Kreislauf (. Abb. 5.1), der als primäre Lungengefäßerkrankung auftreten kann (. Abb. 5.1a, b  







65 Pulmonale Hypertonie

5

a

b

..      Abb. 5.1  a–f Klassifikation der pulmonalen Hypertonie (PH). Hämodynamische Phänotypen von Lungenhochdruck und die klinischen Diagnosegruppen. Die Farbschattierungen zeigen den Grad der Sauerstoffsättigung an. Die Kalkulation des Lungengefäßwiderstands eines jeweils repräsentativen Beispiels wird für jeden hämodynamischen PH-Typ angegeben. a Normaler Lungenkreislauf, b Lungenkreislauf bei pulmonal-arterieller Hypertonie (PAH), c Lungenkreislauf bei pulmonaler Hypertonie assoziiert mit linksventrikulärer Herzerkrankung, d Lungenkreislauf bei pulmonaler Hypertonie assoziiert mit Lungenerkrankungen mit/ ohne Hypoxämie, e Lungenkreislauf bei chronisch thromboembolischer pulmonaler Hypertonie, f Lungen-

kreislauf bei kombinierter post- und präkapillärer pulmonaler Hypertonie als Beispiel für die Diagnosegruppe 5. Pulmonale Hypertonie mit unklaren und/ oder multifaktoriellen Mechanismen, bei der unterschiedliche hämodynamische Phänotypen von Lungenhochdruck vorkommen können. SVC: obere Hohlvene, IVC: untere Hohlvene, RA: rechter Vorhof, RAP: rechter Vorhofdruck, RV: rechte Herzkammer, PA: Pulmonalarterie, mPAP: pulmonal-arterieller Mitteldruck, PAWP: pulmonal-arterieller Verschlussdruck, CO: Herzminutenvolumen, PVR: Lungengefässwiderstand, SAP: systemisch arterieller Blutdruck, LV: linke Herzkammer, LA: linker Vorhof, LAP: Druck im linken Vorhof, alle Druckwerte sind in mmHg angegeben

66

I. M. Lang und S. Rosenkranz

c

5

d

..      Abb. 5.1 (Fortsetzung)

67 Pulmonale Hypertonie

e

f

..      Abb. 5.1 (Fortsetzung)

5

68

I. M. Lang und S. Rosenkranz

Klinische Klassifikation der pulmonalen Hypertonie

5

1. Pulmonal-arterielle Hypertonie (PAH) 55 1.1. Idiopathische PAH (IPAH) ––  1.1.1. Non-Responder beim Vasoreaktivitätstest –– 1.1.2. Responder beim Vasoreaktivitätstest 55 1.2. Erbliche PAH 55 1.3. M e d i k a m e n t e n - / d rog e n induzierte PAH –– 1.3.1. BMPR2-Mutation –– 1.3.2. ALK-1, ENG, SMAD9, CAV1, KCNK3 –– 1.3.3. Andere Mutationen 55 1.4. PAH assoziiert mit –– 1.4.1. Kollagenosen –– 1.4.2. HIV-Infektion –– 1.4.3. portaler Hypertension –– 1.4.4. angeborenen Herzfehlern –– 1.4.5. Schistosomiasis 55  1.5. PAH mit Charakteristika einer pulmonalen venooklusiven Erkrankung (PVOD) und/oder pulmonal kapillärer Hämangiomatose (PCH) 55  1.6. Persistierende pulmonale Hypertension der Neugeborenen 2. Pulmonale Hypertonie assoziiert mit linksventrikulärer Herzerkrankung 55 2.1. Herzinsuffizienz –– 2.1.1 mit erhaltener Auswurffraktion ––  2.1.2. mit reduzierter oder leichtgradig reduzierter Auswurffraktion 55 2.3. Herzklappenerkrankung 55 2.4. Angeborene/erworbene Herzerkrankungen assoziiert mit postkapillärer pulmonaler Hypertonie 3. Pulmonale Hypertonie assoziiert mit Lungenerkrankungen mit/ohne Hypoxämie 55  3.1. Obstruktive Lungenerkran­ kungen oder Emphysem

55  3.2. Restriktive Lungenerkran­ kungen 55 3.3. Andere Lungenerkrankungen mit gemischten restriktiven und obstruktiven Mustern 55 3.4. Hypoventilationssyndrome 55  3.5. Hypoxie ohne Lungenerkrankung (z.  B. chronische Höhenexposition) 55  3.7. Entwicklungsbedingte Fehlbildungen 4. Pulmonale Hypertonie assoziiert mit pulmonaler Gefäßobstruktion 55 4.1 Chronisch thromboembolische pulmonale Hypertension (CTEPH) 55  4.2. Andere Obstruktionen der Pulmonalarterien 5. Pulmonale Hypertonie mit unklaren und/oder multifaktoriellen Mechanismen 55 5.1. Hämatologische Erkrankungen: chronisch-­hämolytische Anämie, myeloproliferative Störungen, Splenektomie 55 5.2. Systemerkrankungen: Sarkoidose, pulmonale Langerhans-Zell-­ Histiozytose, Lymphangioleiomyomatose, Neurofibromatose, Vasculitis 55 5.3. Metabolische Erkrankungen: Glykogenspeicherkrankheit, Gaucher, Schilddrüsenerkrankungen 55 5.4. Chronische Nierenerkrankung mit oder ohne Dialyse 55 5.5. Thrombotische Tumormikroangiopathie der Pulmonalgefäße 55 5.5. Fibrosierende Mediastinitis

5.2 

Epidemiologie und Pathogenese

Die Inzidenz der idiopathischen PAH (iPAH) wird in der Bevölkerung mit 1–2 Fällen pro Million geschätzt. Die höchste Prä-

69 Pulmonale Hypertonie

5

valenz liegt im Alter zwischen 20 und 40 kapillären PH (. Abb. 5.1c, f). CTEPH imJahren. Während im Kindesalter beide Ge- poniert meist als präkapilläre PH schlechter gleich betroffen sind, verschiebt (. Abb.  5.1e), kann aber kombiniert mit sich dieses Verhältnis im Erwachsenenalter postkapillärer PH auftreten. in Richtung des weiblichen Geschlechtes, mit doppelt so großer Wahrscheinlichkeit des Auftretens bei Frauen. Bei den assoziier- 5.3  Diagnostik ten Formen der PH beträgt die Prävalenz 10–20  % für Patienten mit systemischer Aufgrund der nur spärlichen klinischen Sklerose, 10–20 % für Patienten mit konge- Symptomatik in den frühen Stadien der nitaler Herzerkrankung, 2–4  % für Patien- Erkrankung wird PH auch heute noch meist ten mit Pfortaderhochdruck und 0,5  % für erst in einem fortgeschrittenen Stadium HIV-Patienten. erkannt. Die Anwendung von Screening-­ Die Folgen eines erhöhten pulmonal-­ Programmen zur Früherkennung einer PH arteriellen Drucks und PVR sind Rechts- (Screening von Sklerodermie-­Patienten oder herzhypertrophie und –dilatation aufgrund Familienangehörigen bzw. Genträgern einer Rechtsherzbelastung mit letztend- von Patienten mit hereditärer PAH, lichem Rechtsherzversagen. Lungenembolie-Screening, SplenektomieDie Pathogenese der PH ist komplex und Screening etc.) ist auf gezielte Patienten­ multifaktoriell. Bei 70  % der Patienten mit gruppen und auf spezialisierte PH-Zentren erblicher PAH und bei 11–40 % der Patienten beschränkt. Eine Überweisung an Exper­ mit idiopathischer PAH sind Genmutationen tenzentren ist wichtig und eine berechtigte des Bone-morpho-genic-protein-Rezeptor-2 Forderung internationaler Leitlinien. (BMPR2)-Gens aus der Transforming-Growth-Factorbeta (TGFb)-Familie z Klinisches Erscheinungsbild identifiziert worden. Außerdem gibt es „mo- Die klinische Symptomatik ist unspezifisch. difier genes“ (z.  B. den Serotonin-Trans- Das Frühstadium ist durch schwere Beine porter, den Endothelin-Rezeptor oder Ka- und Müdigkeit geprägt, während im fortveolin), und man vermutet auch exogene geschrittenen Stadium Schwindel, ThoraxKrankheitsauslöser wie z.  B.  Herpesviren, schmerz, Palpitationen, Hämoptysen oder Appetitzügler und Amphetamine oder zirku- Synkopen bei Belastung auftreten. Die Einlierende Autoantikörper. schränkung der Belastbarkeit wird nach den Das histopathologische Bild ist bei allen WHO/NYHA-funktionellen Stadien (I–IV) PH-Formen sehr ähnlich und besteht in klassifiziert. Beinödeme und Hämoptysen intimaler Hyperplasie, glatter Muskelzell- sind typisch für CTEPH, während Synkohypertrophie und Adventitiafibrose der prä- pen häufiger bei PAH auftreten. Die Schwere kapillären Lungengefäße (. Abb.  5.1b, d einer PAH bei stabilen Patienten sollte alle und 7 f). Das heutige Krankheitskonzept 3–6 Monate reevaluiert werden unter Zuist, dass neben einer Vasokonstriktion ein hilfenahme von klinischer Untersuchung, Remodeling der Lungengefäßwand statt- Belastungstest, Biomarkern, Echokardiofindet mit histologischen Veränderungen grafie (7 Abschn.  2.5) und hämoaller Gefäßwandschichten, In-­ situ-­ dynamischer Messung (7 Abschn. 2.7). Thrombosen, Bildung sog. plexiformer Läsionen als Kollateralen von Gefäßver- z Körperlicher Status schlüssen. Die klinisch-physikalischen Zeichen der ErDie hämodynamischen Veränderungen krankung sind erst im fortgeschrittenen Stader präkapillären PH (. Abb.  5.1b, d, f) dium erkennbar. Bei der Auskultation des sind grundsätzlich anders als die der post- Herzens kann man eine Tachykardie, einen  













70

5

I. M. Lang und S. Rosenkranz

lauten gespaltenen 2. Herzton und/oder ein systolisches Geräusch als Hinweis auf eine Trikuspidalinsuffizienz und gelegentlich ein Diastolikum als Ausdruck einer Pulmonalinsuffizienz feststellen. Weitere Befunde sind Lippenzyanose, gestaute Jugularvenen, Hepatomegalie, Aszites und periphere Ödeme.

nach links bewegt. Die TTE erlaubt auch die Detektion von Shunt-Vitien (7 Abschn.  14.2) oder den Ausschluss anderer Ursachen einer PH bzw. Rechtsherzvergrößerung wie z.  B.  Klappenvitien (7 Kap. 8), diastolische Ventrikelfunktionsstörung (7 Abschn.  13.3) und Linksherzhypertrophie (7 Kap. 4).

z Elektrokardiogramm (EKG)

z Rechtsherzkatheter

Bedingt durch eine Erhöhung des Druckes in den Pulmonalarterien und Vergrößerung des rechten Ventrikels können als EKG-­ Zeichen einer PH ein Rechtslagetyp, ein inkompletter oder kompletter Rechtsschenkelblock und T-Wellen-­Negativierungen in den Vorderwandableitungen V1–V4 („right ventricular strain pattern“) auftreten.

Zur Bestätigung der Diagnose PH ist der Rechtsherzkatheter notwendig (7 Abschn. 2.7). Die invasive hämodynamische Messung dient einerseits zur Messung des systolischen, diastolischen und mittleren pulmonal-arteriellen Drucks (mPAP). Andererseits unterscheidet man, ob die Drucksteigerung durch eine Erhöhung des Füllungsdrucks im linken Ventrikel (postkapilläre PH; . Abb.  5.1c) oder als Folge von pathologischen Gefäßveränderungen in der Lungenstrombahn (präkapilläre PH, PAH; . Abb. 5.1b) bedingt ist. Zur Unterscheidung wird der pulmonal-arterielle Verschlussdruck (PAWP) oder der linksventrikuläre enddiastolische Druck (LVEDP) gemessen. Bis zu einem PAWPWert von ≤ 15 mmHg spricht man von einer präkapillären PH (z. B. PAH; . Abb. 5.1b). Ein PAWP-Wert > 15  mmHg definiert demgegenüber eine postkapilläre PH (. Abb.  5.1c), in der Regel infolge einer Linksherzerkrankung. Die Differenz zwischen mPAP und PAWP wird als transpulmonaler Gradient (TPG) bezeichnet. Neben der Druckregistrierung wird regelhaft auch das Herzzeitvolumen (HZV, CO) bzw. der Herzindex (CI) gemessen. Aus dem TPG und dem Herzzeitvolumen errechnet sich der Lungengefäßwiderstand (PVR) (. Abb. 5.1). Ein PVR > 2 Wood-­Einheiten (WE) definiert eine präkapilläre PH bzw. präkapilläre Erkrankung bei postkapillärer PH (. Abb. 5.1f). Weitere Parameter wie Schlagvolumenindex (SVI) und rechtsatrialer Druck zeigen den Funktionszustand des rechten Ventrikels an. Schließlich dient die Messung der gemischt-­venösen O2-Sättigung einerseits der ­Ermittlung des Schweregrades













z Thoraxröntgen

Ein unauffälliges Thoraxröntgen schließt eine PH nicht aus. Auf einem Thoraxröntgen können dilatierte zentrale Pulmonalarterien („betontes pulmonales Segment“) mit Verlust der Blutgefäßzeichnung in der Lungenperipherie sowie eine Vergrößerung des rechten Vorhofs und Ventrikels zu sehen sein. z Transthorakale Echokardiografie (TTE)

Die transthorakale Echokardiografie (7 Abschn. 2.5) ist die am besten geeignete Methode zur nichtinvasiven Evaluation von Patienten mit Verdacht auf PH.  Die Parameter, die zur Erhärtung eines PH-­Verdachts dienen, sind der systolische pulmonal arterielle Druck (PASP), geschätzt aus der maximalen trikuspidalen Regurgitationsgeschwindigkeit (peak tricuspid regurgitant velocity; peakTRV) sowie dem rechtsatrialen Druck, die rechtsventrikuläre Größe und Funktion, die Bewegung der Trikuspidalklappenebene (tricuspid annular plane systolic excursion; TAPSE) als Parameter der Rechtsherzfunktion (RVEF) und die exzentrische Abflachung des interventrikulären Septums (sog. D-Sign), das sich „paradox“ in der Systole von rechts  











71 Pulmonale Hypertonie

einer PH, andererseits der Detektion bzw. dem Ausschluss eines Shunt-Vitiums (gegebenenfalls erfolgt eine Etagenoxymetrie, d. h. eine wiederholte Messung der O2-Sättigungen an definierten Stellen im kleinen Kreislauf, z.  B. in rechtem Vorhof, linkem Vorhof, oberer und unterer Hohlvene). z Vasoreagibilitätstestung

Bei Patienten mit vermuteter idiopathischer (iPAH), hereditärer (hPAH) oder medikamenteninduzierter PAH wird im Rahmen der diagnostischen Rechtsherzkatheteruntersuchung eine Akuttestung mit einem rasch wirksamen pulmonalen Vasodilatator empfohlen, z. B. inhalatives Stickoxid (NO) oder Iloprost. Alternativ kann auch intravenöses Epoprostenol angewendet werden (beides Prostaglandinanaloga). Die Testung wird als positiv beurteilt, wenn der mPAP – bei gleichbleibendem Herzzeitvolumen – um mindestens 10  mmHg und auf unter 40  mmHg abfällt. Solche Patienten nennt man Vasoresponder, sie werden mit hochdosierten Ca2+-Antagonisten behandelt mit einer unter dieser Therapie vorhersagbaren exzellenten Langzeitprognose. z Ventilations-/Perfusionsszintigrafie der Lunge

Diese Untersuchung dient der Unterscheidung zwischen den nichtthromboembolischen PH-Formen und CTEPH. Die Sensitivität dieser Untersuchung beträgt 96–97  %, die Spezifität 90–95  %. Sie sollte im Rahmen einer PH-Abklärung konsequent eingesetzt werden, auch um eine CTEPH sicher auszuschließen. z Computertomografie (CT)

Die CT ist hilfreich zur Beurteilung des Lungenparenchyms und benachbarter anatomischer Strukturen zur Detektion möglicher Ursachen für Lungenhochdruck. Obwohl moderne Dual-Source-Geräte eine Lungenembolie mit großer Sensitivität und Spezifität erkennen können, erlauben sie keinen sicheren Ausschluss einer

5

CTEPH.  Ein C-Arm-CT erlaubt eine detaillierte Auflösung von Strukturen in der Gefäßwand mit einer Auflösung von 2 mm und weniger. z Pulmonalisangiografie

Die Pulmonalisangiografie ist die Methode der Wahl für Therapieentscheidungen bei CTEPH im Sinne einer operativen (d. h. chirurgische pulmonale Endarterektomie) oder interventionellen Therapie (d.  h. Ballon-­ Angioplastie der Pulmonalarterien). Moderne Injektionsverfahren und digitale Subtraktion machen die Pulmonalisangiografie zu einer sicheren, kontrastmittelarmen Untersuchungsmethode auch bei sehr kranken Patienten. z Biomarker

Das Brain Natriuretic Peptide (BNP) und das N-terminale Pro-Brain Natriuretic Peptide (NT-proBNP) sind Laborparameter, die bei PH in der Routine eingesetzt werden, prognostische Bedeutung besitzen und Teil der Risikostratifikation bei PAH sind. Sie sind aber insofern unspezifisch, als sie auch bei Erkrankungen der Niere oder des linken Herzens erhöht sein können. Hyponatriämie, welche bereits als Marker für eine schlechte Prognose in der Linksherzinsuffizienz etabliert ist, ist auch bei PH mit Rechtsherzinsuffizienz und konsekutivem schlechtem Outcome vergesellschaftet. Ein vielversprechender Biomarker ist der endogene Stickoxid-Synthetase-Inhibitor ADMA (Asymmetrical Dimethylearginin), der bei Patienten mit idiopathischer PAH und CTEPH erhöht ist und einen Prognoseparameter darstellt. Die Anwendung der ADMA-Bestimmung in der klinischen Routine muss jedoch noch etabliert werden. Therapie der pulmonal-arteriellen Hypertonie 

Die Zulassungen aller derzeit bei PAH (. Abb. 5.1b) verwendeten Substanzen basieren auf randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studien, welche eine Verbesserung der Belastungstoleranz und/  

72

I. M. Lang und S. Rosenkranz

Determinanten der Prognose (geschätzte 1-Jahres-Mortalitat)

Niedriges Risiko (< 5 %)

Intermediäres Risiko (5-20 %)

Hohes Risiko (> 20 %)

Klinische Beobachtungen und modifizierbare Variable

5

Zeichen von Rechtsherzinsuffizenzf

Keine

Keine

Vorhanden

Progression der Symptome und klinischen Manifestationen

Nein

Langsam

Rasch

Synkope

Nein

Gelegentliche Synkope

Wiederholte Synkope

WHO-Funktionelle Klasse

I,II

III

IV

6-Minuten-Gehtest

> 440 m

165–440 m

< 165 m

CPET (cardiopulmonary exercise testing, kardiopulmonaler Belastungstest)

Peak VO2 >1 mL/min/kg (>65% pred.) VE/VCO2 Slope < 36

Peak VO2 11–15 mL/min/kg (35–65% pred.) VE/VCO2 Slope 36–44

Peak VO2 < 11 mL/min/kg ( 44

Biomarker: BNP oder NT-proBNP

BNP 1.100 ng/L

Echokardiografie

RA area 0.32 mm/mmHg Kein Perikarderguss

RA area 18-26 cm2 TAPSE/sPAP 0.19–0.32 mm/mmHg Minimaler Perikarderguss

RA area > 26 cm2 TAPSE/sPAP < 0.19 mm/mmHg Moderater oder großer Perikarderguss

RVEF > 54% SVI > 40 mL/m2 RVESVI < 42 mL/m2

RVEF 37–54% SVI 26–40 mL/m2 RVESVI 42–54 mL/m2

RVEF < 37% SVI < 26 mL/m2 RVESVI > 54 mL/m2

RAP < 8 mmHg CI 2.5 L/min/m2 SVI > 38 mL/m2 SvO2 > 65%

RAP 8–14 mmHg CI 2.0–2.4 L/min/m2 SVI 31–38 mL/m2 SvO2 60–65%

RAP > 14 mmHg CI < 2.0 L/min/m2 SVI < 31 mL/m2 SvO2 < 60%

kardiales MRI

Hämodynamik

..      Abb. 5.2  Risikostratifizierung der pulmonal-­arteriellen Hypertonie

oder eine Verminderung von Morbiditätsund Mortalitätsereignissen gezeigt haben. Die meisten Substanzen sind nur für die pulmonal arterielle Hypertonie (PAH; Gruppe 1 der Klassifikation in der Übersicht in 7 Abschn.  5.1) zugelassen. Allerdings kann keine der derzeit zur Verfügung stehenden medikamentösen Behandlungen die PAH heilen. Nichtsdestotrotz gibt es mehrere medikamentöse Optionen, von oraler bis i.v.-Therapie, welche folgende Punkte gemeinsam haben: eine Progression der Erkrankung zu stoppen, den Gesundheitszustand des Patienten zu stabilisieren und die Lebensqualität zu verbessern, wobei der Angriffspunkt die Senkung der Nachlast des rechten Ventrikels durch einfache Vasodilatation ist. Schwangerschaft mit PH führt zu einer Mutter/Kind-Mortalität von bis zu 50  % und muss vermieden werden. Risikostratifizierung (. Abb.  5.2) ist die Basis für die Verschreibung der zum Teil komplexen Behandlungen.  



5.4 

Therapie

z Konventionelle Therapie

Orale Antikoagulation Kleine thrombotische Läsionen in der Mikrozirkulation des Lungengefäßsystems werden bei Patienten mit PH häufig beobachtet und stellen das Rationale für eine orale Antikoagulation dar. Eine Evidenz für diese Therapie konnte jedoch nur in unkontrollierten Studien gewonnen werden, z. B. in einer großen deutschen Datenbank, in welcher Antikoagulation nur bei iPAH und hPAH, nicht aber bei SSC-PAH wirksam war. Jedoch ist die Datenlage diesbezüglich insgesamt kontrovers. Nach den 2022 ESC Guidelines wird eine generelle Antikoagulation bei PAH daher nicht mehr empfohlen. Diuretika Symptome wie periphere Ödeme und Aszites treten in fortgeschrittenen Krank-

73 Pulmonale Hypertonie

5

heitsstadien auf und sind Zeichen einer ner eine Therapieevaluierung nach 3–6 MoRechtsherzinsuffizienz. Der Einsatz kalium- naten unter Berücksichtigung eines 4-Strata-­ sparender Diuretika mit Aldosteron-­Risikoscores, der niedriges, intermediär-­ antagonisierender Wirkung (z.  B.  Spirono- niedriges, intermediär-hohes und hohes lacton oder Eplerenon) wird bevorzugt. Risiko unterscheidet. Bei unzureichendem Aufgrund fehlender wissenschaftlicher Ansprechen auf die initiale Therapie sollte Forschungsergebnisse, die den Einsatz di- eine Therapieeskalation erfolgen. uretischer Therapie untermauern, bleibt die Wahl der Substanzklasse, Dosierung und kKalziumantagonisten Behandlung der Erfahrung der be- Der hochdosierte Einsatz von Kalziumhandelnden Ärzte überlassen. antagonisten ist nur bei hämodynamischen Sauerstoff Respondern (siehe Definition oben im AbDerzeit gibt es keine Studiendaten über schnitt Vasoreagibilitätstestung) gerechtden Langzeiteffekt von Sauerstoff an Pa- fertigt, die nur in 1–2 % aller Patienten mit tienten mit PH.  Es gilt aber die allgemeine PAH vorkommen. Eine vorsichtige HochtiEmpfehlung, eine anhaltende Sauerstoff- trierung von Substanzen wie Nifedipin sättigung über 92  % anzustreben. Aus (120–240  mg/Tag) oder Diltiazem (240– symptomatischer Indikation wird Sauer- 720 mg/Tag) ist für den Therapieerfolg entstoff aber in fortgeschrittenen Stadien oft scheidend. Arterielle Hypotonie und periverwendet. phere Ödeme sind Nebenwirkungen, welche Positiv inotrope Substanzen die Therapie erschweren können. Im kliniPositiv inotrope Substanzen wie Digitalis schen Alltag werden auch Amlodipin (15– werden Patienten mit atrialen Arrhythmien 30 mg/Tag) oder Felodipin (15–30 mg/Tag) (7 Abschn. 12.5 und 12.6) gegeben. Dies ba- eingesetzt. Das Langzeitergebnis wird nach siert nicht auf wissenschaftlichen Erkennt- 3–6 Monaten invasiv evaluiert. Patienten im nissen, sondern auf klinischer Erfahrung. NYHA-Stadium I–II mit erhaltener hämoDie intravenöse Verabreichung von Do- dynamischer Verbesserung verbleiben auf butamin, Milrinone oder Levosimendan in einer Monotherapie. fortgeschrittenen Stadien dekompensierter Rechtsherzinsuffizienz wird in vielen kSynthetisches Prostazyklin und Prostazyklinanaloga Expertenzentren auf Intensivstationen unter voller hämodynamischer Über- Prostazyklin wird in den Endothelzellen wachung verwendet, allerdings aufgrund synthetisiert und ist ein potenter Vasowenig kontrollierter datenbasierter Evidenz. dilatator. Die verminderte Expression von Prostazyklin-­ Synthetase in Pulmonalz Gezielte Therapien arterien von Patienten mit PAH legt den kliPAH zeichnet sich unbehandelt durch einen nischen Einsatz von Prostazyklin-­Analoga progredienten Verlauf mit Rechtsherzver- nahe. Die Nebenwirkungen dieser Substanzsagen aus. Die Überlebenszeit beträgt me- klasse wie Blutdruckabfall, Kopfschmerzen, dian ohne Behandlung nur 2,8 Jahre. Die Flush, Diarrhoe, Kieferschmerzen, Gelenk2022 ESC/ERS-Guidelines sehen vor, dass schmerzen etc. sind gelegentlich therapieTherapieentscheidungen in Abhängigkeit limitierend. Ein erhöhter Dosisbedarf im eines individuellen Risikoprofils (niedriges, Lauf der Zeit gilt als Charakteristikum die­intermediäres oder hohes Risiko) getroffen ser Substanzklasse. werden (. Abb.  5.2). Für Patienten mit 55 Epoprostenol: Epoprostenol wird intraniedrigem oder intermediärem Risiko wird venös verabreicht. Seine kurze Halbwerteine primäre orale Kombinationstherapie zeit von 3–5 Min. macht eine kontinuiervorgeschlagen. Die Leitlinien empfehlen ferliche Applikation über Infusionspumpe  



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I. M. Lang und S. Rosenkranz

und permanenten zentral-­ venösen KaTherapien. Selexipag wirkt am besten in theter (Hickman) unumgänglich. Kombination und bei weniger schwer erPlacebokontrollierte Studien zeigten, krankten Patienten. dass Epoprostenol einen günstigen Ef- 55 Inhalatives Iloprost: Diese Therapieform fekt auf Leistungsfähigkeit, Hämohat sich in der Praxis als Monotherapie dynamik und Überleben hat. Mechaninicht durchgesetzt, wird aber gelegentsche Komplikationen an der Infusionslich in Kombinationstherapien verpumpe oder dem Schlauchsystem wendet. Der Nachteil dieser Therapie erkönnen lebensbedrohliche Auswirkungen gibt sich aus der sehr kurzen Wirkdauer haben, z.  B. akutes Rechtsherzversagen von nur ca.  45–60  min, was in 6- bis durch plötzlichen Therapieabbruch, 9-mal täglichen Inhalationen resultiert, durch Luftembolien und Einblutungen. bei einer Inhalationsdauer von jeweils Weitere gefürchtete Komplikationen 5–10 min. Als Monotherapie ist diese Besind Thrombosen und Kathetersepsis. handlung vor allem auf Intensivstationen 55 Treprostinil: Treprostinil ist ein trikurzfristig einsetzbar. zyklisches Benzidinanalogon von Epo- 55 Inhalatives Treprostinil: Die inhalative prostenol und kann sowohl subkutan, Therapieform von Treprostinil ist in inhalativ als auch intravenös verabreicht Kombination mit Endothelinrezeptorwerden. Auch diese Substanz führte in blockern oder Sildenafil in Anwendung. randomisierten klinischen Studien zu Die Verabreichung erfolgt 4-mal täglich einer verbesserten Leistungsfähigkeit in einem Abstand von 4 h. Die inhalative und Hämodynamik. Neben den oben er(und auch die orale) Darreichungsform wähnten klassentypischen Nebenvon Treprostinil sind derzeit nur in den wirkungen bestehen bei subkutaner ApUSA zugelassen, und befinden sich noch plikation Schmerzen an der Injektionsin klinischer Erprobung. stelle, welche eine Fortführung der Therapie in etwa 15 % der Patienten unkEndothelin-Rezeptorantagonisten möglich machen können. (ERAs) 55 Beraprost: Beraprost ist ein chemisch stabiles und oral aktives Prostazyklina- Die Wirkung von Endothelin-1 wird über nalogon. Aufgrund seiner fehlenden die ET-Rezeptoren ET-A und ET-B verWirkung auf die Leistungsfähigkeit über mittelt, die an Endothelzellen, glatten die ersten 3–6 Monate ist das Medika- Muskelzellen und auch Fibroblasten exment in den USA und Europa nicht zu- primiert werden. Die Bindung von ET-1 gelassen, jedoch in Japan und Südkorea. an ET-A-­ Rezeptoren vermittelt Vaso55 Selexipag: Der orale Prostazyklin-­konstriktion und Proliferation. Die AktivieRezeptoragonist Selexipag wurde im rung der ET-B-­Rezeptoren fördert zusätzlich GRIPHON-Trial, einer Phase-III-­die ET-­1-­Clearance und führt zu Freisetzung Studie, untersucht. Insgesamt konnten von vasodilatativen und antiproliferativen 1156 PAH-Patienten in dieser Studie Faktoren (z.  B.  NO, Prostazyklin). über eine Dauer von 4,3 Jahren unter- Endothelin-­Rezeptorantagonisten gehören sucht werden. Selexipag konnte das Ri- zu den etablierten PAH-Therapien. siko für Morbiditäts- und Mortalitäts- 55 Ambrisentan: Dies ist ein hochselektiver ereignisse gegenüber Placebo hochsigniETA-Rezeptorantagonist. Ambrisentan fikant um 39  % reduzieren, sowohl als ist zur Behandlung von Patienten mit Monotherapie als auch in Kombination PAH der WHO-Funktionsklasse II und mit anderen bestehenden PAH-­ III indiziert und soll deren Leistungs-

75 Pulmonale Hypertonie

fähigkeit verbessern. Ambrisentan weist ein niedriges hepatotoxisches Potenzial auf. Der Anstieg von Transaminasen wurde in 2,8 % der Fälle beobachtet. 55 Bosentan: Dies ist ein oral-aktiver dualer ET-A- und ET-B-Rezeptorantagonist. Er verbessert Leistungsfähigkeit und Hämodynamik. Wichtigste Nebenwirkung sind Transaminaseerhöhungen in 7–11 % der Fälle. 55 Macitentan: Dies ist ein oral-aktiver dualer ET-A- und ET-B-­Rezeptorantagonist. Die Lebertoxizität der ERAs fehlt bei Macitentan; zudem weist Macitentan ein niedriges Interaktionspotenzial mit anderen Substanzen auf. Unerwünschte Nebenwirkung ist eine Reduktion des Hämoglobinwertes. In einer großen 742 Patienten einschließenden Phase-III-Studie bei Patienten mit PAH (SERAPHIN Trial) konnte im Verlauf der Behandlungsdauer (85,3 Wochen) sowohl mit 3 mg als auch 10 mg das Risiko eines Morbiditäts- oder Mortalitätsereignisses gegenüber Placebo um 30  % bzw. 45  % gesenkt werden. kPhosphodiesterase-Inhibitoren (PDE)

55 Sildenafil: Dies wird oral verabreicht und inhibiert selektiv das zyklische Guanosinmonophosphat (cGMP) abbauende Enzym PDE-5, wodurch die intrazelluläre Konzentration von cGMP erhöht wird. Dies führt über intrazelluläres Kalzium zu einer Relaxation und antiproliferativen Wirkung in den glatten Muskelzellen. In klinischen Studien konnten eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Hämodynamik gezeigt werden. 55 Tadalafil: Dies wird oral und nur einmal am Tag verabreicht. Es handelt sich dabei um einen weiteren selektiven Inhibitor der PDE-5. In klinischen Studien mit Patienten der WHO-­Funktionsklasse II und III konnte eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit gezeigt werden.

5

kStimulatoren der löslichen Guanylatzyklase

55 Riociguat: Dies ist ein oraler Stimulator der löslichen Guanylatzyklase (soluble guanylyl cyclase; sGC). Wenn NO sich an die Häm-Domäne der sGC bindet oder auch in Abwesenheit von NO katalysiert das Enzym die Synthese des Signalmoleküls cyclic guanosinmonophosphate (cGMP). cGMP wiederum spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung des zellulären Ca2+-Stoffwechsels und in der Folge der Gefäßspannung, Zellproliferation, Fibrose und Entzündung. In zwei Phase-III-Studien bei Patienten mit PAH und bei Patienten mit nichtoperabler oder nach der Operation fortbestehender CTEPH konnte eine signifikante und nachhaltige Verbesserung sowohl im 6-Minuten-Gehtest (zusätzliche Gehstrecke: 39 m) als auch bei der funktionellen Klassifizierung nach WHO nachgewiesen werden. Riociguat zeigte auch in der Langzeitanwendung ein gutes Wirkungs- und Sicherheitsprofil. z Therapiestrategien und Kombinationstherapien

Die Anwendung der oben genannten Wirkstoffe und Therapiestrategien erfolgt unter Berücksichtigung der individuellen Risikostratifikation. Im AMBITION Trial konnte durch eine initiale (first-line) Kombinationsbehandlung der PAH mit Ambrisentan 10  mg/Tag und Tadalafil 40  mg/Tag eine signifikante 50%ige Risikoreduktion für klinisches Versagen verglichen mit der gepoolten Gruppe aus Ambrisentan- und Tadalafil-Monotherapie (Hazard Ratio  = 0,502) erreicht werden. Die initiale Kombination war ebenfalls signifikant für den primären Endpunkt im Vergleich zu den individuellen Monotherapiegruppen. Die Rate an schwerwiegenden Nebenwirkungen und Nebenwirkungen, welche zum Abbruch der Therapie führten, war in allen Behandlungsarmen nicht unterschiedlich. Eine deutliche hämodynamische Abnahme des PVR um

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5

I. M. Lang und S. Rosenkranz

rund 50 % und eine klinische Verbesserung ließen sich auch durch die initiale Kombination aus Macitentan und Tadalafil erzielen. Deshalb wird in den 2022 ESC/ERS-Guidelines die initiale Kombinationstherapie aus ERA und PDE5i bei Patienten mit niedrigem und intermediärem Risiko (geschätzte 1-Jahres-Mortalität 5–20  %) empfohlen. ­Patienten der Hochrisikogruppe (geschätzte Einjahressterblichkeit > 20  %) sollten einer Kombinationstherapie mit parenteralen Prostanoiden zugeführt werden. Im Anschluss an die initiale Therapieeinleitung müssen PAH-Patienten in 3- bis 6-monatigen Abständen reevaluiert und die medikamentöse Therapie angepasst werden. Liste der für PAH zugelassenen Substanzen in Deutschland, Östereich und der Schweiz (Wirkstoffe und Handelsnamen) 55 Epoprostenol (Flolan®) 55 Treprostinil sodium (Remodulin®,) Trisuva 55 Inhalatives Iloprost (Ventavis®) 55 parenterales Iloprost (Ilomedin) 55 Inhalatives Treprostinil Sodium (Tyvaso®) 55 Orales Treprostinil (Orenitram®) 55 Selexipag (Uptravi®) 55 Bosentan (Tracleer®) 55 Ambrisentan (Volibris®) 55 Macitentan (Opsumit®) 55 Sildenafil (Revatio®) 55 Tadalafil (Adcirca®) 55 Riociguat (Adempas®)

ziert, wenn medikamentöse Therapien ausgeschöpft sind. Die 5-Jahres-Überlebensrate nach Lungentransplantation bei PAH liegt bei 45–55 %. Pulmonale Denervation Die interventionelle Denervierung der Pulmonalarterien begründet sich auf der Beobachtung, dass bei Lungenhochdruck erhöhte Katecholaminspiegel in der Zirkulation gemessen werden. Erste Daten mit einem ultraschallbasierten Ablationskatheter (Sonivie®) zeigen einen Abfall des mPAP und PVR nach 4 Monaten, der aber nicht anhaltend war. Therapie der pulmonalen Hypertonie mit linksventrikulärer Herzerkrankung Linksherzer-

krankungen wie Herzinsuffizienz mit erhaltener oder reduzierter LVEF (7 Abschn.  13.2), Kardiomyopathien (7 Kap. 4) oder linksseitige Klappenvitien (7 Kap.  9) gehen häufig mit einer PH einher. De facto ist die Gruppe 2-PH die häufigste PH-Form. Pathophysiologisch kommt es primär zu einer Erhöhung der linksventrikulären Füllungsdrucke mit Rückstau zunächst in den linken Vorhof und schließlich in die Lungenstrombahn (postkapilläre PH; . Abb. 5.1c). Dies geht einher mit einer pulmonalen Vasokonstriktion, gestörter Gefäßpermeabilität und pulmonal-vaskulärem ­Remodeling. Je nach Ausprägung dieser Komponenten können unterschiedliche hämodynamische Charakteristika resultieren. Daher wird in Abhängigkeit des PVR zwischen isoliert postkapillärer PH (PVR ≤ 2 WE; . Abb. 5.1c) und kombiniert postund präkapillärer PH (PVR > 2 WE; . Abb. 5.1f) unterschieden. Dieses hämodynamische Profil hat Einfluss auf die Prognose. Eine schwere präkapilläre Komponente ist durch einen PVR > 5 WE definiert. Im Vordergrund der Therapie der PH steht eine optimierte Behandlung der Linksherzerkrankung. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz kann das Risiko für kardiale Dekompensationen und Hospitalisierungen durch eine PAP-gesteuerte Therapie der  











z Interventionelle und chirurgische Therapien

Atriale Septostomie Dies ist eine Maßnahme zur Herstellung eines Rechts-links-Shunts und wird von manchen PH-Zentren als palliative Überbrückung zur Transplantation eingesetzt. Lungentransplantation Die bilaterale Lungentransplantation oder Herz-Lungen-Transplantation ist indi-

77 Pulmonale Hypertonie

Herzinsuffizienz mittels implantierbarer Drucksensoren (z.  B.  CARDIOMEMS®) substanziell reduziert werden (7 Abschn.  13.2). PAH-Medikamente sind bei Gruppe 2-PH nicht generell indiziert. Bei Patienten mit einem PVR > 5 WE wird jedoch eine individualisierte Therapieentscheidung in Expertenzentren empfohlen.  

Therapie der pulmonalen Hypertonie mit Lungenerkrankungen mit/ohne Hypoxämie  Verschiedene interstitielle oder obst-

ruktive Lungenerkrankungen sind mit pulmonaler Hypertonie assoziiert (. Abb. 5.1d). Eine PH ist in diesem Kontext meist nur milde ausgeprägt; sie ist dennoch prognoserelevant. An der Ätiologie sind Veränderungen der Atemwege, des Lungenparenchyms und der pulmonalen Gefäße beteiligt. Eine schwere PH bei Lungenerkrankung ist durch einen PVR > 5 WE definiert und geht mit einer deutlich schlechteren Lebenserwartung einher. Solche Patienten sollten unter Berücksichtigung der Schwere der Lungenerkrankung und der PH in Expertenzentren individuell behandelt werden. Der INCREASE Trial hat bei Patienten mit PH und interstitieller Lungenerkrankung (ILD) eine Überlegenheit von inhalativem Treprostinil im Vergleich zu Placebo gezeigt. Darüber hinaus kann bei Patienten mit Lungenerkrankung und schwerer PH auch eine Therapie mit PDE5i erwogen werden. Der ERA Ambrisentan ist bei ILD und der sGC-­ Stimulator Riociguat bei idiopathischer interstitieller Pneumonie (IIP) ­kontraindiziert.  

Therapie der chronisch thromboembolischen pulmonalen Hypertonie (CTEPH)  Eine

CTEPH (. Abb. 5.1e) resultiert aus intraluminalen Obstruktionen der pulmonalen Gefäße, hervorgerufen durch chronisch rezidivierende Thromben und Embolien. Patienten mit CTEPH müssen lebenslang antikoaguliert werden. Die therapeutische Strategie der CTEPH umfasst einen multimodalen Ansatz  

5

mit medikamentöser Therapie sowie operativen (pulmonale Endarterektomie) und katheterinterventionellen Verfahren (Ballonangioplastie; siehe unten). Primäre Therapieoption ist dabei die Operation. z Medikamentöse Therapie

Rationale für die medikamentöse Therapie bei CTEPH sind vaskuläre Dysfunktion und Remodeling in den peripheren Gefäßabschnitten. Als zugelassene medikamentöse Therapieoptionen stehen der sGC-­ Stimulator Riociguat sowie subkutan oder intravenös verabreichtes Treprostinil zur Verfügung. z Operative und interventionelle Therapie

Pulmonale Endarterektomie (PEA) In der Behandlung der CTEPH gilt die chirurgische seitenselektive Endarterektomie in tiefer Hypothermie als Goldstandard der Therapie. Die pulmonale Endarterektomie kann eine CTEPH heilen, ist aber nur in der Hälfte aller CTEPH Fälle anwendbar. Pulmonale Ballonangioplastie (BPA) Diese interventionelle Methode dient der Behandlung der nichtoperablen CTEPH oder PH nach PEA durch eine auf die Lungengefäße gerichtete Ballonangioplastie mit der in den Koronararterien etablierten Interventionstechnik (7 Abschn. 7.2). Japanische Gruppen haben seit 2001 diese Methode in Japan neu etabliert und BPA ist nun auch in Europa in Expertenzentren verfügbar und hat den Behandlungsalgorithmus der CTEPH substanziell geändert. So kann auch als inoperabel eingestuften Patienten eine interventionelle Therapie mit meist signifikanter klinischer Verbesserung angeboten werden. In Kombination mit modernen PAH-Substanzen ist BPA in Expertenzentren eine sichere Methode für Patienten mit distal gelegenen und für eine Operation nicht zugänglichen Lungenarterienverschlüssen oder für Patienten, die eine operative Versorgung nicht wünschen bzw. ein inakzeptables Operationsrisiko tragen.  

79

Diabetes mellitus Roger Lehmann und Nikolaus Marx Inhaltsverzeichnis 6.1

Definition und Einteilung – 80

6.2

Epidemiologie – 81

6.3

Diabetische folgeerkrankungen – 81

6.4

Behandlung des Typ-2-Diabetes – 83 Weiterführende Literatur – 91

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 T. F. Lüscher, U. Landmesser (Hrsg.), Herz-Kreislauf, Springer-Lehrbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6_6

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R. Lehmann und N. Marx

Trailer

Die zahlreichen Endpunktstudien bei Diabetes mellitus haben zu einer Revolution der Therapieempfehlungen geführt. In diesem Kapitel wird dies einfach und Schritt für Schritt erläutert. 6.1 

Definition und Einteilung

Definition  Ein Diabetes mellitus liegt vor,

6

wenn der Nüchternblutzucker ≥ 7,0 mmol/l, der orale Glukosetoleranztest (OGTT) ≥ 11,1 mmol/l oder das glykolisierte Hämoglobin (HbA1c) ≥ 6,5 % oder ≥ 48 mmol/mol beträgt. Die Diagnose eines Diabetes mellitus kann außerdem bei einem Gelegenheitszucker ≥  11,1  mmol/l und gleichzeitigem Vorliegen von Symptomen (Gewichtsverlust, Diurese, Müdigkeit, exzessiver Hunger etc.) eines Diabetes mellitus gestellt werden. Einteilung  Zunächst werden 2 Typen von

Diabetes unterschieden: 55 Typ-1-Diabetes: Hier handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der die β-Zellen des Pankreas durch Antikörper zerstört werden. Dies betrifft ca.  5  % aller Diabetiker.

Lipide

55 Typ-2-Diabetes ist die häufigste Diabetesform (ca.  90–95  %) und hat eine komplexe, multifaktorielle Pathogenese. Heute werden insgesamt 5 Subtypen von Diabetes unterschieden: (1) Typ-1-Diabetes mit Antikörpern (Anti-GAD, Anti-IA2 oder Anti-ZnT8); (2) Insulinmangel in Abwesenheit typischer Typ-1-Diabetes Antikörper; (3) ausgeprägte Insulinresistenz und hohe Insulinspiegel, häufig assoziiert mit NAFLD/NASH (siehe unten) und renalen Komplikationen; (4) Adipositas-­assoziierter Diabetes sowie (5) Diabetes bei älteren Patienten. Beim Diabetes mit ausgeprägtem Insulinmangel kann auch ein monogener Diabetes, mitochondrialer Diabetes bzw. Diabetes bei chronischer Pankreatitis vorliegen. Der Anteil von Typ-1-Diabetes und der spezifischen Formen von Diabetes beträgt je 5 %. Der pathogenetische Mechanismus der meisten spezifischen Diabetesformen (außer beim seltenen MODY 2; maturity onset diabetes of the young, der durch Glukokinasemutationen bedingt ist) ist ein Insulinmangel, der in den meisten Fällen zuerst mit Insulin behandelt wird (außer MODY  1 und 3 mit Sulfonylharnstoffen)

Prävention oder Verzögerung der Progression von mikro- und makrovaskulären Komplikationen

Blutdruck

GLP-1 RA*

+ oder

SGLT-2i.

+ oder

Insulin (falls notwendig)

Metformin Kontrolle Glukose/Reduktion Insulinresistenz

Gesunde Ernährung

Rauchstopp

Vermeide sitzende Tätigkeit

Verhaltensänderung

..      Abb. 6.1  Maßnahmen zur Prävention des Typ-­2-­Diabetes

Gewichtsreduktion

Diabeteskenntnisse

81 Diabetes mellitus

und anschließend mit SGLT-2-Hemmern bzw. GLP-1-­ Rezeptoragonisten aufgrund ihrer protektiven kardiorenalen Effekte (. Abb. 6.1). Gemäß internationalen Richtlinien wurde aufgrund Alter, spezifischer Antikörper, Diabetes-Familienanamnese und C-Peptidspiegel ein Algorithmus zur Diagnose des Diabetestyps und des Insulinmangels entwickelt: Wenn das C-Peptid > 200 und >Darüber hinaus finden sich 80  % der Diabetes-Toten in Entwicklungsländern, womit der Diabetes mellitus inzwischen ebenso viele Opfer wie HIV und AIDS fordert. Alle 10  s stirbt ein Patient mit Diabetes an den Folgen seiner Erkrankung.

Folge-

kommt es beim Typ-­ 2-­ Diabetes durch die hohen Blutglukosewerte zu Veränderungen der Endothelfunktion mit einer vermehrten Produktion freier Sauerstoffradikale, Bildung toxischer Abbauprodukte sowie Glykosylierung verschiedener wichtiger Proteine in der Gefäßwand. Darüber hinaus ist die Permeabilität der Endothelzellen erhöht, womit es zu einem vermehrten Eindringen von LDL in die Gefäßwand und damit zur Progression der Atherosklerose und ihren Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, Stroke und frühzeitigem Tod kommt (7 Abschn.  7.2). Eine chronische Hyperglykämie schädigt das Gewebe durch verschiedene Pathomechanismen, von denen einige hier aufgeführt sind (. Abb. 6.1): 55 Nichtenzymatische Glykosylierung: Hierbei bindet Glukose nichtenzymatisch an Aminogruppen von Proteinen (z.  B. HbA1c). Nach Bildung von Zwischenprodukten entstehen AGE (advanced glycosylated end products). Durch die veränderten Proteine wird die Gewebefunktion beeinträchtigt bzw. verändert. 55 Störung des Polyolstoffwechsels: In den von Insulin unabhängigen Geweben (Nerven, Linse, Niere, Blutgefäße) führt die Hyperglykämie zu einer Zunahme der intrazellulären Glukosekonzentration. Die Aldosereduktase metabolisiert überschüssige Glukose zu Sorbitol (und Fruktose). Durch die  

6.2 

6

82

6

R. Lehmann und N. Marx

Akkumulation von Sorbitol steigt die Osmolarität der Zelle, was zu einem intrazellulären Ödem mit Zellschaden führt. Die intrazelluläre Myoinositolkonzentration nimmt, was den Phosphatidyl-Inositol-Stoffwechsels stört und zu einer Abnahme der Na+-/K+-ATPase-Aktivität führt. 55 Bildung von Hexosaminen: Bildung von Aminozuckern (Glukosamin etc.), welche v.  a. bei der Entwicklung der Insulinresistenz eine wichtige Rolle spielen. 55 Hochregulierung von Signaltransduktionsmolekülen, speziell der Proteinkinase-­C-Isoformen PKC β und δ, was zu einer Verstärkung des proinflammatorischen Zustands auf zellulärer Ebene führt. >>Die verschiedenen gefäßschädigenden Wirkungen des Diabetes mellitus fasst man unter dem Begriff der diabetischen Angiopathie zusammen.

Neben dem Herz-Kreislauf-System kommt es zu weiteren Folgeerkrankungen:

55 Retinopathie: In Europa sind ca.  30  % aller Erblindungen Folge von Diabetes. 55 Glomerulosklerose und diabetische Nephropathie: Davon ist etwa ein Drittel der Diabetiker betroffen. Ca. die Hälfte aller Dialysepatienten haben einen Diabetes. 55 Neuropathie: Nach 10  Jahren Diabetes kommt es bei der Hälfte der Diabetiker zu einer meist sensomotorischen ­Polyneuropathie. Kardiovaskuläre Folgen des Diabetes  Der

Diabetes mellitus ist die „Krebserkrankung“ der Gefäße. Die Auswirkung des Diabetes auf das kardiovaskuläre System entspricht einer Alterung um ca. 15 Jahre und im Alter von 50 Jahren einer Lebensverkürzung um 6 Jahre. !!Das Vorhandensein eines Diabetes mellitus verdoppelt das kardiovaskuläre Risiko bei Frauen und verdoppelt bis verdreifacht es bei Männern. 55 % der Diabetiker sterben an einem Herzinfarkt!

Bei koronarer Herzkrankheit und akutem Koronarsyndrom (. Abb.  6.2) ist die Mortalität sowohl kurz- als auch langfristig  

Motivation für Lebensstiländerung (mehr Aktivität und gesunde Ernährung) = sehr wichtig Multifaktorielle Therapie: Blutdruckkontrolle, Senkung Lipide und Rauchstopp Hauptindikationen

Hauptindikationen Metformin + SGLT-2-Hemmer

+ SGLT-2-Hemmer

+ GLP-1-RA DPP-4-Hemmer Unabhängig von HbA1c

Metformin (eGFR > 30) + GLP-1-RA

+ Basalinsulin oder ko-formuliertes Insulin (1- oder 2-mal täglich)

Unabhängig von HbA1c

Insulinmangel Herzinsuffizienz

Weiterfahren mit Metformin, SHLT-2-Hemmer, GLP-1-RA Stopp: Sulfonylharnstoff + DPP-4-Hemmer (falls GLP-1-RA)

Nierenschutz

..      Abb. 6.2  Differenzielle Behandlung des Diabetes

Kardiovaskulär Gewichtsreduktion

83 Diabetes mellitus

deutlich erhöht (7 Abschn.  7.2 und 7.3). Neben dem Myokardinfarkt haben Diabetiker auch ein stark erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK; 7 Abschn. 7.4) oder eines zerebrovaskulären Insults (CVI; 7 Abschn. 7.5).  





Prävention des Typ-2-Diabetes  Zur

Behandlung von (Prä-)Diabetes wird zunächst eine Veränderung der Lebensgewohnheiten in allen Altersgruppen empfohlen. Gesunde Ernährung, Gewichtskontrolle und körperliche Aktivität (7 Abschn.  3.5) spielen eine Schlüsselrolle und sollten idealerweise gleichzeitig umgesetzt werden (. Abb. 6.1): 55 Kontrolle von Blutzucker, Blutdruck und LDL-C 55 Erreichen und Halten des angestrebten Körpergewichts 55 Verzögerung bzw. Prävention von diabetischer Komplikationen (mikro- und makrovaskuläre Erkrankung)  



Mit einer Gewichtsreduktion von > 15  % kann eine Diabetes-Remissionsrate von 86  % erreicht werden. Der wichtigste Prädiktor für den Gewichtsverlust ist die Adhärenz an eine bestimmte Diät. Bei Personen mit Prädiabetes und Adipositas wurden GLP-1-Rezeptoragonisten und vor kurzem auch GLP-1/GIP (Glucose-­dependent insulinotropic Polypeptide)-Rezeptoragonisten entwickelt, die in Studien eine deutliche Gewichtsreduktion Normalisierung des Blutzuckers und eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (SELECT Trial) erreichen. Zudem kann bei Personen mit Prädiabetes mithilfe von SGLT-2 das Auftreten eines Typ-2-Diabetes stark vermindert werden. z Multifaktorielle Risikofaktorenbehand lung

Eine gleichzeitige Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren wie Hyperglykämie, Hypertonie, LDL-Cholesterin sowie

6

ein Rauchstopp ist beim Typ-2-Diabetes besonders wichtig. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Zustand und die Präferenzen der Patienten berücksichtigt werden und die Parameter Körpergewicht, Blutzuckerkontrolle und kardiorenaler Schutz aufgrund der individuellen Situation priorisiert werden. z Lipid- und Blutdruckmanagement

Um einen hohen LDL-C unter Kontrolle zu bringen, ist ein potentes Statin erste Wahl (7 Abschn. 3.2). Werden die Ziele nicht erreicht, wird Ezetimib hinzugefügt. Sind die Werte noch zu hoch, sollten PCSK-­ 9-­ Hemmer in Betracht gezogen werden. Der Zielblutdruck sollte bei jüngeren Patienten bei Die Behandlung des Typ-2-Diabetes zielt auf eine Senkung bzw. Normalisierung des Blutzuckerspeigels und eine Verhinderung der makro- und mikrovaskulären Komplikationen ab (. Abb. 6.2).  

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R. Lehmann und N. Marx

Nicht alle Antidiabetika senken den Blutzucker vergleichbar gut und nicht alle senken Herzinfarkt, Hirnschlag und Herztod (sog. Major Adverse Cardiovascular Events; MACE) und/oder die Gesamtmortalität. Ja, einige ältere Antidiabetika sind mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert. Daher geht es nicht nur um den Nachweis einer Blutzuckersenkung, sondern um die kardiovaskuläre Sicherheit und danach um eine Reduktion von MACE. So belegten Studien zu Dipeptidyl Peptidase-4 (DPP-­ 4)-Hemmern deren kardiovaskuläre Sicherheit, ein zusätzlicher Nutzen betreffend MACE konnte jedoch nicht belegt werden. Im Gegensatz dazu konnten mit Sodium-­Glukose-­TransportTyp-2 (SGLT-2)-Hemmern wie Empagliflozin, Dapagliflocin und Sotagliflocin erstmals MACE sowie Hospitalisierung aufgrund einer Herzinsuffizienz, renale Endpunkte und die Gesamtmortalität vermindert werden. Glukagon-like-Protein-­Typ-1 (GLP-1)-ReRisikoreduktion (95% Cl) SGLT-2-Hemmer

MACE

Kv Tod

zeptoragonisten wie Liraglutid zeigten in Bezug auf MACE sowie kombinierte renale Endpunkte und Gesamtmortalität eine vergleichbare Wirkung. Besonders bedeutsam ist ein markanter Rückgang der Hospitalisierungen aufgrund einer Herzinsuffizienz durch SGLT-2-­Hemmer, sowohl mit reduzierter als auch mit erhaltener Auswurfsfraktion (7 Abschn.  12.2 und 12.3). GLP-1-­ Rezeptorangonisten zeigten dagegen eine Reduktion von Schlaganfällen. Vor dem Hintergrund all dieser Studien sind neue Empfehlungen entstanden (siehe . Abb.  6.2). . Abb. 6.3 gibt einen Überblick über die Studien und ihre wichtigsten Ergebnisse. Neben dem kardiorenalen Schutz sowie die Prävention bzw. Behandlung von Herzinsuffizienz durch neue Medikamente bleiben die Gewichtsreduktion und die Senkung des Blutzuckerspiegels bedeutsam. Da gemäß Definition der European Society of Cardiology grundsätzlich alle Patienten mit  





Niere Komb. HerzMortalität insuffizienz Endpunkt

0,62 (0,49, 0,77) NNT 45

CANVAS/R Canagliflozin

0,86 (0,74, 0,99) NNT 63 0,86 (0,75, 0,97) NNT 94

DECLARE-TIMI Dapagliflozin

0,93 (0,84, 1,03)

0,98 (0,82 1,17)

0,65 (0,50, 0,85) NNT 71 0,67 (0,52 0,87) NNT 86 0,73 (0,61 0,88) NNT 125

0,92 (0,77, 1,11)

Dauer der Studie (Jahre)

0,68 (0,57, 0,82) NNT 38

3.1

0,87 (0,74, 1,01)

3.4

0,93 (0,82 1,04)

4.2

0,70 (0,54 0,90) NNT 91

0,54 (0,40, 0,75) NNT 71 0,60 (0,47, 0,77) NNT 83 0,53 (0,43, 0,66) NNT 40 0,81 (0,64, 1,03)

0,93 (0,80, 1,08)

3.5

Kv Tod

Apoplexie

Niere Komb. Endpunkt

Mortalität

Dauer der Studie (Jahre)

0,78 (0,66, 0,93) NNT 77

0,86 (0,71 1,06)

0,85 (0,74, 0,97) NNT 71

3.8

1,05 (0,74, 1,50)

2.1

REWIND Dulaglutid

0,87 (0,78, 0,99) NNT 53 0,74 (0,58, 0,95) NNT 30 0,88 (0,79, 0,99) NNT 71

0,90 (0,80 1,01)

5.4

PIONEER Oral Semaglutid

0,79 (0,57, 1,11)

0,49 (0,27, 0,92) NNT 100

0,51 (0,31, 0,84) NNT 71

1.3

EMPA-REG Empagliflozin

VERTIS CV Ertugliflozin

GLP-1-RA LEADER Liraglutid SUSTAIN Semaglutid

0,97 (0,85, 1,11)

MACE

0,87 (0,72 1,06)

0,98 (0,65 1,48) 0,91 (0,78 1,06)

0,61 (0,38 0,99) NNT 91 0,76 (0,62 0,94) NNT 111

0,54 (0,67, 0,82) NNT 67 0,64 (0,47, 0,77) NNT 43 0,85 (0,77, 0,93) NNT 40

0,74 (0,35 1,57)

nk

..      Abb. 6.3  Große randomisierte und kontrollierte Major Adverse Cardiovascular Events (Herzinfarkt, Studien mit SGLT-2-Hemmern und GLP-1-­Hirnschlag, Tod), Kv Tod: kardiovaskulärer Tod) Rezeptoragonisten und ihre Ergebnisse. (MACE:

85 Diabetes mellitus

6

Typ-2-Diabetes ein hohes oder sehr hohes der vorherrschende Faktor ist, muss die kardiovaskuläres Risiko aufweisen Reihenfolge der Medikationen umgekehrt (7 Kap. 3 und 7 4), gelten die Empfehlun- werden (. Abb. 6.2, blaue Pfeile), d. h. zugen zum kardiorenalen Schutz sowie zur erst Insulin, dann Medikamente zur kardioPrävention bzw. Behandlung von Herz- renalen Protektion (SGLT-2-Hemmer, insuffizienz für alle Typ-2-Diabetiker GLP-­1-­Rezeptoragonisten und Metformin). gleichermaßen (. Abb. 6.2). Die ersten Schritte in der Behandlung z Nierenfunktion und chronische Nierenerkrankung sind immer eine Verbesserung des Lebensstils (. Abb. 6.1) sowie eine multifaktorielle Bei Patienten mit chronischer NierenerkanBehandlung der arteriellen Hypertonie kung (Chronic Kidney Disease; CKD), d. h. (7 Kap.  4), die Reduktion des LDL-C bei einer verminderten glomeruläre (7 Abschn.  3.2) und der Rauchstopp. Die Filtrationsrate (estimated GFR, eGFR) pharmakologische Erstbehandlung sollte und/oder Albuminurie, sollte unabhängig immer aus einer Kombination von Metfor- von Blutzuckerwerten ein SGLT-2-Hemmer min und einem SGLT-2-Hemmer bzw. eingesetzt werden, da diese bei Typ-2-­ einem GLP-­1-­Rezeptoragonisten bestehen Diabetikern und selbst bei Personen ohne (. Abb.  6.2). Metformin wird als Erst- Diabetes eine kardiorenale Protektion belinientherapie beibehalten, weil alle kardio- wirken. SGLT-2-Hemmer reduzieren bei Pavaskulären Endpunktstudien auf dieser tienten mit CKD nicht nur die renalen und Grundlage durchgeführt wurden und weil kardiovaskulären Endpunkte, sondern auch kein anderes Antidiabetikum die hepatische die Gesamtmortalität. Obwohl bei deutlich Glukoseproduktion so gut senkt. Wenn bei verminderter eGFR die blutzuckersenkende Typ-­ 2-­ Diabetikern die initiale Zweifach- Wirkung von SGLT-2-­Hemmern nachlässt kombination nicht ausreicht, wird eine Drei- oder ganz fehlt, bleiben die nephrofachkombination mit einem SGLT-­ 2-­protektiven Effekte erhalten. Deshalb sollte Hemmer, GLP-­1-­Rezeptoragonisten und man mit SGLT-2-Hemmern auch dann fortMetformin empfohlen. Diese Dreifach- fahren, wenn die eGFR unter 30  ml/min kombination wurde zwar nicht direkt unter- fällt. Allerdings muss dann Metformin aufsucht, jedoch belegen immer mehr Er- grund des Risikos einer Laktatazidose abfahrungen aus der Praxis, dass sie im Ver- gesetzt werden. Bei einer eGFR von gleich zu anderen Kombinationen die beste 30–45 ml/min beträgt die tägliche MaximalOption darstellt, um MACE, Gesamt- dosis von Metformin 2  ×  500  mg oder mortalität und Herzinsuffizienz vorzu- 1000  mg in Retardform. GLP-1-­ beugen. Im Vergleich zur modernen Dreier- Rezeptoragonisten haben zwar ebenfalls kombination weist die in den letzten 60 Jah- nephroprotektive Effekte, jedoch nicht im ren eingesetzte Kombination aus Metformin selben Ausmaß wie SGLT-2-Hemmer. GLPund einem Sulfonylharnstoff (z. B. Gliben- 1-­Rezeptoragonisten können bei Patienten clamid, Tolbutamid, Glibornurid, Gliclazid, mit einem BMI > 28  kg/m2 ohne DosisGlimepirid) eine mehr als 10-mal höhere anpassung eingesetzt werden, selbst wenn Mortalität und ein 7-mal höheres MA- ihre eGFR stark vermindert ist oder sie sich CE-Risiko auf. einer Dialyse unterziehen müssen. DPP-4-­ Wenn die Dreifachkombination nicht Hemmer weisen zwar keine nephroausreicht, um das HbA1c auf den ge- protektiven Effekte auf, sind aber bei verwünschten Zielwert zu senken, ist Insulin er- minderter eGFR sicher und können nach forderlich, was bei einem Viertel aller Dosisanpassung (außer bei Linagliptin) als Typ-2-Diabetiker notwendig ist. Wenn zu Alternative zu GLP-1-Rezeptoragonisten Beginn eines Typ-2-Diabetes Insulinmangel zur Blutzuckersenkung gegeben werden  















86

6

R. Lehmann und N. Marx

(z. B. bei Patienten, die einen BMI Das Normalgewicht eines Menschen bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 18,5– 24,9. Ab 25,0 bis 29,9 spricht man von Übergewicht. Ab einem BMI-­Wert über 30 handelt es sich um Adipositas (Fettleibigkeit). Je höher der BMI, desto größer das Diabetesrisiko, während eine Gewichtsreduktion das Risiko senkt.

z Medikamentöse Gewichtsreduktion

6

aus. SGLT-2-Hemmer haben ebenfalls einen gewichtsreduzierenden Effekt, allerdings in deutlich geringerem Umfang. Entsprechend sollten GLP-1-Rezeptoragonisten gegenüber SGLT-2-Hemmern bevorzugt werden. kGewichtsreduzierende Chirurgie

Neben einer medikamentösen Therapie sollte bei massiver Adipositas eine bariatrische Operation in Erwägung gezogen werden (z.  B.  Roux-en-Y Bypass, Sleeve-­ Operation). Ein solcher Eingriff wird bei schwer zu kontrollierendem Typ-2-Diabetes mit HbA1c > 8 % und einem BMI > 30 kg/ m2 in Betracht gezogen. Allerdings wird der Unterschied zwischen einem bariatrischen Eingriff und hochdosiertem Semaglutid oder Tirzepatid in Bezug auf die Gewichtsabnahme immer kleiner.

Da eine diätetische Gewichsreduktion oft z Nichtalkoholische Fettleber und Steatohepatitis nicht erfolgreich ist, wurden Medikamente entwickelt. Die mit GLP-1- und GLP-1/GIP NAFLD (Non-Alcoholic Fatty Liver Di(Glucose-dependent insulinotropic Poly- sease) und insbesondere NASH (Non-­ peptide)-Rezeptoragonisten erzielbare Ge- Alcoholic Steatohepatitis) sind mit einem erwichtsreduktion ist zwischen einzelnen Mo- höhten Risiko einer Leberfunktionsstörung lekülen und Dosierungen unterschiedlich. und kardiovaskulären Komplikationen asDer GLP-1-Rezeptoragonist mit der aus- soziiert (. Abb.  6.4). Das Management geprägtesten Gewichtsreduktion ist Semaglu- von Typ-2-Diabetikern mit NAFLD oder tid in einer Dosierung von 2,4 mg s.c./Woche solche mit der weiter fortgeschrittenen sowie der neue GLP-1/GIP-Rezeptoragonis- NASH sollte eine sich einer deutlichen Geten Tirzepatid (15  mg s.c./Woche; bis 22  % wichtsreduktion unterziehen, was bei PaGewichsreduktion) erzielt. Da GLP-­ ­ 1-­tienten mit einem erhöhten Risiko einer LeRezeptoragonisten in geringerer Dosierung berfibrose insbesondere bedeutet, auch medie kardiovaskulären Endpunkte nachweis- dikamentöse und/oder chirurgische Ansätze lich reduzieren, werden diese derzeit bevor- in Erwägung zu ziehen. GLP-1-Rezeptorazugt. Die größte Einschränkung bei der Ver- gonisten scheinen hier besonders günstig. wendung von GLP-1-Rezeptoragonisten Für SGLT-2-Hemmer wurde gezeigt, dass sind Nebenwirkungen wie Übelkeit und Er- sie bei NAFLD-Patienten erhöhte Leberbrechen. Diese treten hauptsächlich in den enzymspiegel und den Leberfettgehalt reduersten Tagen bis Wochen auf und sind bei zieren, sie werden aber im Moment nicht langsam steigender Dosierung wenig aus- empfohlen. geprägt. Manchmal kann das Vermeiden großer Portionen die Übelkeitssymptome ver- z Differenzialtherapie verschiedener Diabetes-Subtypen und Insulinmangel mindern. Obwohl GLP-­1-­Rezeptoragonisten auch bei schwerer Niereninsuffizienz an- In bestimmten Situationen kann Insulin die gewendet werden können, wirkt sich eine ver- bevorzugte Substanz zur Blutzuckerstärkte Übelkeit manchmal einschränkend kontrolle sein, speziell bei schwerer Hyper 

88

R. Lehmann und N. Marx

6-8% der Bevölkerung haben Typ-2-Diabetes (T2D) 50-70% T2D mit NAFLD 30-40% T2D mit NASH

60-90% T2D mit Adipositas (11% Allgemeinbevölkerung)

25% T2D mit chron. Nierenerkrankung

15–50% T2D mit koronarer Herzerkrankung

6 25% T2D mit Herzinsuffizienz

25% T2D mit Insulinmangel

..      Abb. 6.4  Spektrum der Komorbiditäten bei Typ-­2-­Diabetes

glykämie (HbA1c > 10 %) und insbesondere, wenn diese bei normal- oder untergewichtigen Personen mit den typischen Anzeichen eines Insulinmangels wie Gewichtsverlust oder Ketonurie/Ketose oder mit akuter glykämischer Dysregulation assoziiert ist (z. B. während einer Hospitalisierung, eines chirurgischen Eingriffs oder einer akuten Erkrankung; . Abb.  6.4) oder wenn im Rahmen der Diagnose Diabetes Typ  1 vermutet wird. Nach Wiederherstellung der Euglykämie ist es meist möglich, die Insulinbehandlung wieder abzusetzen. Typ-2-Diabetes ist keine uniforme Erkrankung. Allgemein gilt, dass zwei pathogenetische Faktoren  – Insulinresistenz und relativer Insulinmangel  – im Vordergrund stehen. Jeder dieser beiden Faktoren kann dominant sein und je vor dem anderen auftreten. Insulinresistenz ist bei viszeraler Adipositas und körperlicher Inaktivität typisch. Bei ausgeprägter Insulinresistenz reicht das produzierte Insulin nicht mehr aus, um eine Glukosehomöostase sicherzustellen, selbst wenn sich die Insulin- und C-­Peptidwerte im Normalbereich befinden.  

z Zielspektrum für den Blutzucker, HbA1cZiel und Verringerung des Hypoglykämierisikos

Das wichtigste Ziel der Blutzuckerkontrolle besteht darin, den HbA1c-Wert so normal wie möglich zu halten und gleichzeitig Hypoglykämien zu vermeiden, die mit einem erhöhten Risiko eines Herztods assoziiert sind. Bei den meisten Patienten ist dies ein HbA1c-Wert von 7,0  %. Bei jüngeren Personen mit einer kurzen Vorgeschichte mit Diabetes bzw. bei Patienten mit mikrovaskulären Komplikationen sollte dies auf 6,5  % reduziert werden, wenn dies ohne wiederholte Hypoglykämie zu erreichen ist. In Bezug auf Hypoglykämie oder kardiovaskuläre Komplikationen ist ein HbA1c-­ Spiegel  8,0 % vermieden werden, weil die Komplikationen den möglichen Nutzen aufwiegen. Behandelnde Ärzte sollten mit den Patienten ein individuelles Hb1Ac-Ziel vereinbaren, das sich im Lauf der Zeit ändern kann. Um ein HbA1c-Ziel von 7,0  % zu erreichen, benötigen die meisten Patienten einen präprandialen Blutzucker  65 Jahre machen mehr als die Hälfte aller Diabetiker aus. Die Prävalenz in dieser Gruppe variiert in westlichen Ländern zwischen 16 und 30 %. Eine längere Lebenserwartung und die ­ lebenslange Exposition durch kardiometabolische Risikofaktoren sind die wichtigsten Gründe für den Anstieg der Diabetesprävalenz bei Älteren. Ältere Diabetiker haben ein höheres Risiko für bekannte geriatrische Syndrome wie Gebrechlichkeit, kognitive Beeinträchtigung und ­Demenz, Harninkontinenz, Stürze und traumatische Frakturen, Invalidität und Neben­ wirkungen der Polypharmazie. Alle diese Aspekte können gravierende Auswirkungen auf die Lebensqualität haben und eine antidiabetische Behandlung beeinträchtigen. Wenn ältere Menschen keinen Appetit haben, sind Medikamente mit minimalen Nebenwirkungen sowie maximalem Nutzen zu bevorzugen. SGLT-2-Hemmer sind dabei die beste Wahl, auch zur Prävention bzw. Behandlung der Herzinsuffizienz (7 Abschn.  12.2), die über ein Viertel der über 65-jährigen Diabetiker betrifft und die durch eine hohe Mortalität gekennzeichnet ist. Bei älteren Männern mit Prostatahypertrophie können SGLT-2-Hemmer eine Nykturie bewirken. Bei unterernährten Patienten sind GLP-1-Rezeptoragonisten zu vermeiden, da sie den Appetit reduzieren. Die Alternative wären DPP-4-Hemmer wie  

90

6

R. Lehmann und N. Marx

Linagliptin, weil sie den HbA1c-Wert in (z. B. 2 verschiedene SGLT-2-Hemmer oder 2 jedem Stadium einer CKD absenken nicht DPP-4 Hemmer) ist nicht sinnvoll. Die Koman die eGFR angepasst werden muss. bination eines GLP-1-Rezeptoragonisten mit Metformin sollte eingesetzt werden, so- einem DPP-4-Hemmer macht pharmakofern die eGFR > 30 ml/min ist. Bei Übelkeit logisch keinen Sinn. Aufgrund des erhöhten sollte die Dosis auf 1000 mg pro Tag redu- Hypoglykämierisikos sollten Insulin und ziert werden, selbst wenn die eGFR > 45 ml/ Sulfonylharnstoffe nie kombiniert werden. min beträgt. In diesem Fall kann eine MetIn Situationen, in denen es zu einer Deforminformulierung in Retardform (einmal hydration kommt (Diarrhoe, Fieber, Ertäglich) versucht werden. brechen), oder die Nahrungsaufnahme Vorsicht ist bei älteren Diabetikern mit nicht gewährleistet ist (Übelkeit, Ereingeschränkter eGFR beim Einsatz von In- brechen, perioperativ), müssen einige Antisulinsekretagoga aufgrund ihres hohen diabetika vorübergehend abgesetzt werden Hypoglykämierisikos geboten. Kurz wirk- (7 Abb.  11.4). Bei Metformin besteht das same Sulfonylharnstoffe wie Gliclazid oder Risiko einer Laktatazidose. Ein SGLT-­2-­ das Glinid Repaglinid sind vorzuziehen. Hemmer sollte aufgrund des Risikos einer Wird keine dieser Substanzen eingesetzt, Ketoazidose sistiert werden, wenn die Aufsollte der HbA1c-Wert bei 6,5–7,0 % liegen. nahme von Kohlenhydraten nicht möglich Bei >  80-Jährigen beträgt der HbA1c-­ ist (Erbrechen, längeres Fasten, periZielwert 7,5–8,0  %. Wenn dagegen Insulin operativ, vor einer Magen- oder Darmoder Sulfonylharnstoff verwendet wird, spiegelung). Insulin und Sulfonylharnstoffe sollte das HbA1c-Ziel immer >Als instabile Angina gilt: 55 jede Erstmanifestation einer AP, 55 die Zunahme der Intensität oder der Frequenz einer bekannten AP, 55 AP in Ruhe. Klinik  Das klinische Leitsymptom der AP

ist ein Enge- oder Druckgefühl im Thorax (. Abb.  7.3), welches bei stabiler AP belastungsabhängig auftritt. Weitere Trigger für AP sind schwere Mahlzeiten, kalte Umgebungstemperaturen oder psychischer Stress. Patienten beschreiben AP in der Regel als breitflächiges Drücken, Klemmen oder Brennen in der Brust. Zumeist dauern die Beschwerden wenige Minuten und bessern sich rasch beim Stehenbleiben oder Ausruhen oder nach Gabe von Nitroglyzerin.  

98

A. Zirlik und R. K. Binder

7

..      Abb. 7.3  Lokalisation und Ausstrahlung des kardialen Brustschmerzes

Einteilung  Der Schweregrad der AP wird

nach dem Canadian Cardiovascular Society Score (CCS-Score) eingeteilt. Canadian Cardiovascular Score (CCS-Score) der AP

Society

55 0: Keine AP 55 I: Angina bei schwerer Anstrengung 55 II: Angina bei mäßiger Belastung (geringe Beeinträchtigung) 55 III: Angina bei geringer Belastung (erhebliche Beeinträchtigung) 55 IV: Beschwerden bei geringster Belastung oder in Ruhe (CCS IV = instabile AP)

Differenzialdiagnose  Brustschmerzen kön-

nen verschiedenste Ursachen haben und durch sämtliche Organe des Thorax bedingt sein. Der vom Bewegungsapparat ausgehende muskuloskelettale Thoraxschmerz wird eher

als stechend oder schneidend beschrieben, ist weniger flächenförmig, wird oft punktgenau lokalisiert und ist meist belastungsunabhängig. Beim gastroösophagealen Reflux treten die oft als brennend beschriebenen Symptome eher im Liegen oder nachts auf und sind auch nicht belastungsabhängig. Ösophagus-­Spasmen können auf Nitrate ansprechen und dadurch mit AP verwechselt werden. Die Beschwerden bei Perikarditis oder Pleuritis sind oft lage- und/oder atmungsabhängig (Aggravation bei tiefer Inspiration). Folgende Erkrankungen mit Thoraxschmerzen sind unmittelbar lebensbedrohlich und sollten initial ausgeschlossen ­werden: 55 akutes Koronarsyndrom 55 Lungenembolie 55 Aortendissektion 55 Spannungspneumothorax 55 Perikardtamponade 55 Ösophagusruptur

99 Atherosklerose und Folgeerkrankungen

Organbezogene Differenzialdiagnosen bei Thoraxschmerzen 55 Erkrankungen des Herzens: ACS (7 Abschn.  7.3), Perikarditis, Perimyokarditis 55 Erkrankungen der Gefäße: Aortendissektion (7 Abschn. 15.2) 55 Erkrankungen der Lunge: Lungenembolie, Pleuritis, Pneumothorax, Begleitpleuritis bei Pneumonie, Empyem 55 Erkrankungen des Bewegungsapparates: Rippenfraktur/-kontusion, muskuloskelettale Beschwerden, Tietze-­Syndrom (Chondropathie der Rippenknorpel) 55 Erkrankungen des Magen-Darm-­ Traktes: gastroösophagealer Reflux, Ösophagitis, Ösophagusruptur, Gastritis, Pankreatitis 55 Erkrankungen von Nerven oder Haut: Herpes zoster (Schmerz kann vor Exanthem auftreten), Diskusprolaps mit Nervenkompression, psychosomatischer Brustschmerz 55 Sonstige: Gallenkolik, Milzruptur (Cave: zweizeitig)  



Diagnostik (7 Kap.  2) Das

Ruhe-EKG kann bei CCS mit stabiler AP völlig normal sein. Zur Provozierung einer Myokardischämie kann bei CCS ein Belastungstest durchgeführt werden. Da die Fahrrad- oder Laufband-Ergometrie vor allem bei Frauen eine eingeschränkte Sensitivität (ca. 50  %) und Spezifität (ca. 80  %) hat, sind die die Stressechokardiografie, Myokardperfusionsszintigrafie oder Stressmagnetresonanztomografie (MRT) je nach Verfügbarkeit vorzuziehen. Bei geringer Vortestwahrscheinlichkeit kann auch eine koronare Computertomografie bei Normalbefund eine KHK mit hoher Sensitivität ausschließen.  

7

> Wichtig Das Auftreten von ST-Senkungen in der Ergometrie (am häufigsten in V5) erlaubt keine Lokalisation von Koronarstenosen. Beim seltenen Auftreten von ST-­ Hebungen deuten entsprechende Ableitungen auf das anatomische Ischämiegebiet hin. Bei positivem Ischämienachweis sollte die Anatomie der Koronararterien mittels Koronar-CT oder Koronarangiografie dargestellt werden, um die Diagnose KHK zu sichern, eine Risikostratifizierung und ggf. eine Revaskularisation vorzunehmen.

Therapie  Die Therapie des chronischen

Koronarsyndroms zielt auf die Modifikation der Risikofaktoren für Atherosklerose, die Prävention der Progression der KHK, die Symptomlinderung sowie die Verbesserung der Koronarperfusion durch Revaskularisation. Grundpfeiler der Therapie 55 Nichtmedikamentöse Therapie: Ernährung, Bewegung, Stressreduktion 55 Medikamentöse Therapie: Antithrombotika, Lipidsenker, Antianginosa 55 Revaskularisation: perkutane koronare Intervention (PCI) oder aortokoronare Bypassoperation (ACBP)

z Konservative Therapie

Modifikation des Lebensstils: Gewichtsreduktion auf Normalgewicht, Nikotinstopp, mediterrane Ernährung, regelmäßige Ausdauerbewegung. Ziel ist eine optimale Modifikation aller beeinflussbaren Risikofaktoren der KHK (7 Abschn. 3.2).  

100

A. Zirlik und R. K. Binder

z Medikamentöse Therapie

55 Antithrombotika: Acetylsalicylsäure (100  mg/d) oder Clopidogrel (75  mg/d) sind die Plättchenhemmer der Wahl in der Sekundärprävention der KHK. 55 Lipidesenker: Statine sind bei KHK unabhängig vom LDL-C  – auch aufgrund der pleiotropen Effekte indiziert. Bei Nichterreichen der Lipid-Zielwerte stehen Ezetimibe, PCSK9-Hemmer oder Bempedoinsäure zur Verfügung (7 Abschn. 3.3). 55 Antianginosa: Beim AP-Anfall bringen kurzwirksame Nitrate (1–2 Hübe Nitroglycerin Spray oder 1 Kapsel sublingual) rasch Linderung. Betablocker sind als Antianginosa etabliert. Weiter werden Calcium-­Antagonisten (Diltiazem, Verapamil, langwirkende Dihydropyridine) zur symptomatischen Therapie der AP eingesetzt. In zweiter Linie kommen langwirksame Nitrate, Nicorandil, Trimetazidin oder Ranolazin zum Einsatz. 55 ACE-Hemmer: sind in der Sekundärprophylaxe der KHK bei eingeschränkter linksventrikulärer Funktion oder bei Hochrisikopatienten (z.  B.  Diabetiker, 7 Kap. 6; Hypertoniker; 7 Abschn. 4.6) indiziert. Bei Unverträglichkeit (Reizhusten, Angioödem) sollte auf einen Angiotensin-­II-Rezeptor Blocker (ARB) gewechselt werden. Nicht empfohlen ist allerdings die gleichzeitige Kombination von ACE-­Hemmer und ARB.  

7





lich kann entweder am wachen Patienten die Stenose der Koronararterien mittels Ballonangioplastie und Stentimplantation behoben werden, oder es kann im Rahmen einer Herzoperation unter Vollnarkose eine Umgehung (aortokoronare Bypassoperation ) auf das betroffene Gefäß distal der Stenose hergestellt werden. Die Wahl der Methode hängt von der Anzahl der betroffenen Gefäße (1-, 2oder 3-­ Gefäßerkrankung), dem Schweregrad der Atherosklerose, der Lokalisation der Verengungen, dem perioperativen Risiko sowie dem Patientenwunsch ab. So wird im Fall einer 3-­Gefäß-­KHK, einer komplexen Hauptstammstenose oder eines Hauptstammäquivalentes eher eine Bypassoperation erwogen. Bei 1-oder 2-Gefäß-KHK oder hohem Operationsrisiko wird eine perkutane Revaskularisation bevorzugt. Diabetiker mit 2- oder 3-Gefäß-KHK profitieren im Langzeitüberleben mehr von einer Operation. Indikation zur Revaskularisation 55 Symptomatisch: Linderung der AP-­ Beschwerden, wenn die ausgebaute antianginöse Therapie nicht zur Beschwerdefreiheit geführt hat 55 Verbesserung des Überlebens bei prognostisch relevanter Ischämie (z.  B. signifikante Hauptstammstenose, 3-Gefäß-KHK, 2-Gefäß-KHK mit proximalen Stenosen, proximale LAD-Stenose)

!!Vor Nitrogabe immer Blutdruck messen! Nitroglycerin ist kontraindiziert bei systolischem Blutdruck >Häufig findet man eine auslösende Einnahme von vasokonstriktorisch wirkenden Präparaten (z. B. Ergotaminen, Kokain), daher muss speziell bei jungen Patienten mit typischen AP-­ Beschwerden bzw. Myokardinfarkt an eine vasospastische Genese gedacht werden. Klinik  Die Anfälle können phasenweise ge-

häuft auftreten. Die Schmerzlokalisation ist wie bei der typischen Angina pectoris, die

Schmerzintensität ist oft stärker. Meist ereignen sich die Anfälle nachts. !!Im Extremfall können Koronarspasmen zum Herzinfarkt mit allen Folgen inkl. Kammertachykardie, Kammerflimmern und kardiogenem Schock führen.

Typisch ist ein promptes Ansprechen auf kurzwirkende Kalziumantagonisten (z.  B. Nifedipin) oder Nitroglycerin. Diagnostik  Im Ruhe-EKG finden sich nur

während des Anfalls transiente bzw. reversible ST-­Streckenhebungen wie bei einem akuten Infarkt. Das Belastungs-EKG ist in der Regel nicht sehr aussagekräftig. Manchmal können Spasmen mit entsprechenden EKG-­ Veränderungen durch Hyperventilation provoziert werden. Eine beweisende Diagnostik ist die Darstellung von Spasmen während der Koronarangiografie (nach intrakoronarem Acetylcholin oder Ergonovin provoziert), meist bleibt die vasospastische Angina aber eine Ausschlussdiagnose. Therapie  Die Therapie besteht in der Ver-

meidung von auslösenden Stimulantien und in der prophylaktischen Gabe von Vasodilatatoren (langwirksamen Kalziumantagonisten, z. B. Amlodipin, Isosorbidmononitrate). Betablocker sollten aufgrund ihrer prospastischen Wirkung vermieden werden. Eine perkutane Revaskularisation eines spastischen Gefäßabschnittes ist meist nicht indiziert. Prognose  Die Prognose ist im Wesentlichen

vom Ausmaß der Koronarsklerose bzw. von der Anwesenheit einer Systemerkrankung abhängig. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei 90–95 %.

7

105 Atherosklerose und Folgeerkrankungen

7.5 

Akutes Koronarsyndrom (ACS) und Myokardinfarkt

Definition  Das ACS (früher akuter Herz-

infarkt) kann sich klinisch unterschiedlich präsentieren. Ein ACS/akuter Myokardinfarkt ist definiert als myokardialer Zelltod aufgrund einer prolongierten myokardialen Ischämie. Diagnostisch erforderlich ist ein Anstieg kardialer Biomarker (vorzugsweise Troponin I oder T) über die 99. Perzentile mit mindestens einem der folgenden Faktoren: 55 Symptome einer akuten Ischämie (AP, Dyspnoe), 55 Erhöhung myokardialer Nekrosemarker (in erster Linie Troponin T/I), 55 neu aufgetretene ST-Strecken/T-Wellen Veränderungen oder neuer Linksschenkelblock, 55 Entwicklung pathologischer Q-Zacken im EKG, 55 Nachweis eines Verlustes von vitalen Myokardzellen oder neu aufgetretene Wandbewegungsstörungen in der kardialen Bildgebung (7 Abschn. 2.6), 55 Nachweis eines intrakoronaren Thrombus in der Angiografie oder Autopsie.  

Symptome und Zeichen der Ischämie sind für die ACS-Diagnose zwingend, da EKG-Veränderungen und Erhöhungen von myokardialen Nekrosemarkern im Blut auch bei anderen Erkrankungen wie akut dekompensierter Herzinsuffizienz (7 Kap. 12), Sepsis, Myokarditis (7 Abschn.  8.2) und Lungenembolie (7 Abschn.  17.3) vorkommen.  





Manifestationsformen  Entsprechend

der neuesten Definition werden verschiedene Typen des ACS/Myokardinfarktes unterschieden (. Tab. 7.1): 55 instabile Angina pectoris (Vorstufe einer voll ausgeprägten ACS), 55 NSTEMI (Non-ST-Elevation Myocardial Infarction, Nicht-ST-Hebungsinfarkt; auch NSTEMI-ACS), 55 STEMI (ST-Elevation Myocardial Infarction, ST-Hebungsinfarkt).  

z Instabile AP

55 Jede erstmalig auftretende AP wird als primär instabil bezeichnet. 55 Wenn AP-Anfälle in immer kürzeren Abständen auftreten und an Dauer und Schmerzintensität zunehmen, spricht

..      Tab. 7.1  Einteilung von ACS/Herzinfarkt entsprechend ihren Ursachen und klinischem Kontext nach ESC/ACC/AHA 20071 Typ 1

Spontanes ACS aufgrund einer Plaqueruptur oder -erosion

Typ 2

Sekundäres ACS (Spasmus, Anämie, Blutung, Hypertonie, tachykardes Vorhofflimmern etc.)

Typ 3

Plötzlicher Herztod

Typ 4a

Periprozedural nach PCI (> 3 × 99. Perzentile der Troponin- oder CK-Spiegel)

Typ 4b

Stentthrombose (> 3 × 99. Perzentile der Troponin- oder CK-Spiegel)

Typ 5

Periprozedural nach CABG1 (> 5 × 99. Perzentile der Troponin- oder CK-­Spiegel, neuer Linksschenkelblock, neue Q-Welle, Hinweise in der Bildgebung)

1

ESC = European Society of Cardiology, ACC = American College of Cardiology, AHA = American Heart Association, CABG = Coronary Artery Bypass Grafting

106

A. Zirlik und R. K. Binder

man von einer sekundär instabilen AP (Crescendo-Angina). 55 Treten pektanginöse Beschwerden in Ruhe auf, handelt es sich um eine Ruheangina.

7

Im Unterschied zum NSTEMI sind die Herzenzyme bei der instabilen AP nicht erhöht, das klinische Erscheinungsbild ist jedoch nicht zu unterscheiden. Strenggenommen erfüllt die instabile AP die Kriterien des akuten Myokardinfarktes damit nicht. Da sie jedoch als „Vorstufe“ hierzu angesehen wird, ist sie Teil des ACS.  Die Therapie der beiden ACS-Formen orientiert sich folglich auch an den gleichen Richtlinien wir für Non-STEMI. Mit der Verfügbarkeit hoch sensitiver Troponintest hat die Häufigkeit der instabilen Angina gegenüber NSTEMI stark abgenommen. z NSTEMI

Beim NSTEMI sind im Unterschied zur instabilen AP bei gleichem klinischem Erscheinungsbild (meist AP auch in Ruhe) die Herzenzyme (Troponin T/I, Myoglobin, ggf. CK und CK-MB) im Serum erhöht, das EKG weist jedoch keine ST-Hebungen auf. Es können ST-Senkungen, T-Negativierungen (. Abb. 7.6), aber auch ein völlig normales EKG vorliegen.  

z STEMI

Beim STEMI besteht klinisch typischerweise eine anhaltende schwere AP in Ruhe, die auch mit Nitroglycerin nicht zu beheben ist (ggf. auch Dyspnoe, Synkope und plötzlicher Tod). Im EKG finden sich persistierende ST-Hebungen (. Abb. 7.7). Da beim STEMI das Reizleitungssystem des Herzens gestört ist, drohen noch mehr als bei der instabilen AP oder dem Non-STEMI maligne Rhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern. Der STEMI hat von allen Formen des ACS die höchste akute Sterberate.

..      Abb. 7.6  Typische EKG-Veränderungen beim NSTEMI mit T-Wellen-Negativierung über der Vorderwand



!!Der STEMI ist ein absoluter Notfall und bedarf einer umgehenden Reperfusion durch möglichst umgehende PCI und Stenting (Wiederherstellung des Blutflusses im Infarktgefäß).

107 Atherosklerose und Folgeerkrankungen

7

..      Abb. 7.7  Typischer Vorderwand-STEMI. Es zeigen sich ausgeprägte ST-Hebungen über der gesamten Vorderwand mit reziproken Veränderungen inferior (II, III, aVF)

Epidemiologie  Es

gibt erhebliche geografische Schwankungen in der Prävalenz von Herzkreislauferkrankungen (7 Abschn. 3.1) und des ACS. So liegt die Inzidenz des Myokardinfarktes in Finnland oder Schottland bei  >  500/100.000 Einwohner/Jahr und in Japan bei >Fast die Hälfte aller Infarktpatienten hatte vor dem Infarkt nie eine AP-­ Episode.

Die Inzidenz von Infarkten unterliegt zirkadianen Schwankungen: 40  % aller Herzinfarkte ereignen sich am Vormittag zwischen 6–12 Uhr. Hinsichtlich der Lokalisation unterscheidet man: 55 Vorderwandinfarkte (meist Verschluss des RIVA), 55 laterale Myokardinfarkte (meist Verschluss des RCX), 55 Hinterwand- und posteriore Infarkte (meist Verschluss der RCA). >>Große Vorderwandinfarkte haben akut und im Langzeitverlauf die schlechteste Prognose, da sie mit ausgeprägtem Remodeling, Erweiterung des Ventrikels, Aneurysmabildung und/oder Entwicklung einer Herzinsuffizienz einhergehen.

108

A. Zirlik und R. K. Binder

7 ..      Abb. 7.8  Schematische Darstellung der Plaqueruptur

Klinik  Leitsymptom

ist der anhaltende retrosternale Brustschmerz, der bis in den linken Arm, den Hals und den Unterkiefer ausstrahlen kann (. Abb.  7.3). Häufig geht er einher mit einem Vernichtungsgefühl und Todesangst, was eine vegetative Begleitsymptomatik mit sich bringt (Angstschweiß, Zittern, Tachykardie, Übelkeit). Der Schmerz ist nicht atemabhängig und nicht durch Druck auf den Thorax auslösbar. Etwa 15–20  % der Herzinfarkte gehen ohne Schmerzen einher, sog. stumme Infarkte, insbesondere bei Patienten mit Diabetes mellitus (aufgrund der diabetischen Neuropathie) und bei älteren Patienten. Etwa die Hälfte der Patienten leidet unter leichter bis massiver Dyspnoe, was speziell bei Diabetikern auch das alleinige AP-Äquivalent darstellen kann.

sam, da ca. 50  % dieser Patienten in den folgenden 10 Jahren an einer symptomatischen Form der Erkrankung leiden.



>> Nichtklassiche Präsentationen sind möglich: AP kann bei Diabetikern oder älteren Patienten teilweise oder gänzlich fehlen (= „stummer“ Myokardinfarkt, s. unten) oder sich als Dyspnoe äußern. Die stumme Myokardischämie ist prognostisch bedeut-

Beim Hinterwandinfarkt klagen die Patienten nicht immer über das typische Schmerzmuster, sondern eher über Schmerzen im Bauch und im Rücken. Auch gastrointestinale Beschwerden wie Erbrechen, Meteorismus und Diarrhoe können auftreten und die Diagnose erschweren. !!Differenzialdiagnostisch muss in der Akutsituation an eine Aortendissektion (primär oder mit sekundärem, dissektionsbedingtem Myokardinfarkt) und an eine Lungenembolie gedacht werden.

Patienten zeigen nicht selten auch die typischen Zeichen einer akuten Linksherzinsuffizienz mit Hypotonie, Tachykardie, Lungenödem bis zum kardialen Schock oder auch Rechtsherzinsuffizienz (besonders bei RCA-Verschluss) mit positivem hepatojugulärem Reflux, Hals- und Lebervenenstauung.

109 Atherosklerose und Folgeerkrankungen

7

Die Komplikationen eines Myokardinfarktes kann man unterteilen in solche, die früh auftreten und solche, die sich erst im späteren Verlauf entwickeln. z Frühe Komplikationen

55 Rhythmusstörungen: –– ventrikulär → Extrasystolie, Kammertachykardie, Kammerflimmern –– atrial → Sinusbradykardie, Sinusarrest, Extrasystolie, Vorhofflimmern/-flattern –– Überleitungsstörungen → AV-­ Blockierung, Linksschenkelblock, Rechtsschenkelblock ..      Abb. 7.9  Ventrikulärer Septumdefekt (VSD) als 55 Akutes Linksherzversagen bei ischämi- Folge eines Myokardinfarktes. Subkostale Einstellung. schem Pumpversagen: Lungenödem, Blut- LA: linkes Atrium, LV: linker Ventrikel, RA: rechtes druckabfall bis zum kardiogenen Schock Atrium, RV: rechter Ventrikel. (Echokardiografie, (BD  100/min, subkostale Einstellung; vgl. 7 Abb. 2.8) Laktatanstieg, kalte Extremitäten) 55 Akutes Rechtsherzversagen bei rechtsventrikulärem Infarkt  

z Späte Komplikationen:

55 Ventrikelruptur: freie Perforation mit akuter Perikardtamponade, gedeckte Perforation (Ausbildung eines Pseudoaneurysma vor allem im Bereich der Hinter-wand) oder Perforation in den rechten Ventrikel (Ventrikelseptumdefekt, . Abb. 7.9, 7 Abb. 2.8) 55 Papillarmuskelabriss mit akuter schwerer Mitralinsuffizienz (7 Abschn. 9.4) 55 Perikarditis: früh (1–2 Tage) oder später (ab 2 Wochen, sog. Dressler-Syndrom) 55 Herzwandaneurysma 55 Kardiogene Embolie: Bei Thrombusbildung im linken Ventrikel (speziell im Rahmen eines apikalen Aneurysmas, . Abb. 7.10) kann es zu Hirnschlag und anderen thromboembolischen Komplikationen kommen. 55 Re-Infarkt  







..      Abb. 7.10  Apikaler linksventrikulärer (LV) Thrombus 3 Tage nach einem Myokardinfarkt. (Echokardiografie, vergrößerter Ausschnitt aus apikalem 3-Kammerblick; vgl. 7 Abb. 2.7)  

110

A. Zirlik und R. K. Binder

Diagnostik  Die Diagnostik beruht auf meh-

reren Säulen. z EKG

Das EKG gehört zu den Basisuntersuchungen bei jedem ACS.  Beim Vorliegen einer ST-Hebung handelt es sich um einen STEMI. Je nach Verteilungsmuster der ST-­ Hebungen können auch Rückschlüsse über die Lokalisation des Infarktareals gezogen werden.

7

>>Als ST-Hebung wird eine Elevation der ST-Strecke um > 1  mm in mindestens 2 zueinander gehörigen Extremitätenableitungen oder um  >  2  mm in den Brustwandableitungen bezeichnet, welche typischerweise mit ST-Senkung in den spiegelbildlichen Ableitungen einhergehen.

Beim ST-Hebungsinfarkt ist die Indikation für eine unmittelbare Reperfusionstherapie mittels PCI und Stenting des verschlossenen Koronarsegments gegeben.

Das Pardee-Q ist eine pathologische Q-Zacke, die entweder länger als 0,04 s oder mindestens ¼ der Amplitude der folgenden R-Zacke hoch ist. Bei entsprechender Klinik deutet es auf einen abgelaufenen Myokardinfarkt hin. z Labor

Spezifische Laborparameter sind in der Diagnostik eines ACS von großem Nutzen. Sie ermöglichen ferner eine ungefähre Abschätzung des Schweregrades eines Infarktes und des Komplikationsrisikos des Patienten. Von besonderer Bedeutung sind: 55 Troponin T oder I, 55 Myoglobin, 55 CK-MB, 55 Gesamt-Creatinkinase (CK), 55 Aspartat-Aminotransferase (AST) und 55 Laktatdehydrogenase (LDH), welche eine unterschiedliche Kinetik nach Infarkt zeigen (. Abb.  7.11). Infolge der andauernden Ischämie kommt es zur Nekrose der Myokardzellen, in deren Rahmen diese intrazellulären Enzyme ins Blut gelangen. Das Myoglobin ist einfach und schnell zu bestimmen. Es erreicht bereits nach 2 h eine sehr hohe Testsensitivität, nach 4  h ist es praktisch immer erhöht.  

>>Serummarker haben in der Akutdiagnostik des STEMI keine Bedeutung: zum einen, da sie aufgrund ihrer Kinetik bei früher Präsentation noch nicht erhöht sind, zum anderen, da die Diagnose aufgrund der typischen EKG-­ Veränderungen und der Klinik gestellt >>Das Myoglobin ist jedoch nicht herzwird, was das Warten auf Laborergebspezifisch (auch z.  B.  Skelettmuskelnisse nicht rechtfertigt. schäden führen zu einer Erhöhung im Serum), sodass es vor allem geeignet ist, Die Ausprägung von ST-Hebungen in den einen Herzinfarkt auszuschließen.

unterschiedlichen EKG-Ableitungen ermöglicht eine ungefähre Infarktlokalisation: 55 anteroseptal: V2, V3 55 anterior: V2–V4 55 lateral: aVL, I, (V5, V6) 55 inferior: II, III, aVF 55 posterior: reziprok (ST-Senkung) in V1, V2, evtl. Hebungen in V7–9 55 Rechtsherzinfarkt: evtl. Hebungen in den rechtsseitigen Ableitungen rV1–4

Die Bestimmung des Troponins T oder I mittels hochsensitiven Assays stellt heute den Goldstandard in der laborchemischen Diagnostik des Herzinfarktes dar. Troponine sind herzspezifisch und bereits nach 1 h im Serum nachweisbar, wo sie nach ca. 20  h ihr Maximum erreichen. Innerhalb etwa einer Woche normalisieren sich die Werte wieder. Mit dem 0/1 h-Algorithmus

111 Atherosklerose und Folgeerkrankungen

7

..      Abb. 7.11  Enzymverlauf nach Myokardinfarkt. Abkürzungen s. Text. (Modifiziert nach Braunwald’s Heart Disease, 8th edition)

kann ein Infarkt ausgeschlossen werden, falls der hoch sensitive Troponin-Assay sehr tiefe Werte und/oder keinen Anstieg des Nekrosemarkers innerhalb einer Stunde ergibt. >>Allerdings kann das hsTn auch bei anderen Erkrankungen, welche mit einer Belastung des Ventrikels einhergehen, erhöht sein (z.  B. bei hypertensiver Entgleisung, langandauernder Tachykardie oder Lungenembolie). Zur Diagnose des Myokardinfarktes sind die Klinik (s. oben) sowie der Enzymverlauf entscheidend.

Die Gesamt-CK, die Kreatinkinasekonzentration im Serum, ist ein Marker für Herz-und Skelettmuskelschädigungen. >>Der Serumspiegel der Gesamt-CK erlaubt auch eine ungefähre Abschätzung der Infarktgröße und hat somit einen prognostischen Wert.

Gesamt-CK.  Sensitiver als die CK-MB-­ Masse ist die CK-MB-Aktivität, welche mittels eines enzymatischen Assays bestimmt wird. Die Bedeutung der CK-MB hat seit der Verfügbarkeit des hsTn deutlich abgenommen und wird vielerorts nicht mehr bestimmt. LDH (Laktatdehydrogenase) ist ein zytoplasmatisches Enzym aller Gewebe. Es kann wichtig sein für die Spätdiagnose eines Infarktes (bei Patienten, die sich erst Tage nach dem Schmerzereignis präsentieren), da die Serumspiegel lange erhöht bleiben und sich erst nach 1–2 Wochen normalisieren. AST (Aspartat-Amino-Transferase) ist ein Enzym, welches im Herz, in der Leber und im Skelettmuskel vorhanden ist und somit ein relativ unspezifischer Marker. Sowohl AST als auch LDH waren vor der Einführung von CK (und später Troponin) integraler Bestandteil der Infarktdiagnostik, haben jedoch heutzutage keine Bedeutung mehr. Therapie  Jeder Patient mit einem ACS wird

Die CK-MB ist ein Isoenzym der Kreatinkinase, das überwiegend im Herzen vorkommt. Die CK-MB-Anteile liegen bei einem Infarktereignis zwischen 6–20  % der

zunächst nach einem Basisschema versorgt. Je nachdem, ob er primär durch den Rettungsdienst oder in der Klinik therapiert wird, wird unterschiedlich vorgegangen:

112

A. Zirlik und R. K. Binder

z Rettungsdienst

7

55 Falls nötig, Reanimation (plötzlicher Herztod in 20  % Erstmanifestation der KHK!) 55 EKG-Monitoring 55 2–6 l Sauerstoff/min (nur bei reduzierter Sauerstoffsättigung) 55 Initial 0,8  mg Nitroglycerin-Spray oder -Kapseln, sofern der sBD  >  100 mmHg und kein Rechtsherzinfarkt besteht (Kontraindikation für Nitroglycerin!). Cave auch: Einnahme von Phosphodiesterase-­Hemmern (Sildenafil etc.) in den letzten 24–48 h 55 Analgesie (Morphium 3–5 mg i.v.), evtl. parallel Antiemese, evtl. Sedierung (z. B. Diazepam 5 mg) 55 Unmittelbar 250–500 mg Aspirin i.v. 55 Unfraktioniertes Heparin: Bolus mit 60–70 IE/kg, anschließend Infusion von 12–15  IE/kg/h. Alternativ kann niedermolekulares Heparin gegeben werden. 55 Evtl. Betablocker i.v., vor allem bei hypertensiven Patienten (z. B. Metoprolol 5  mg i.v. fraktioniert), außer bei HF  90/min, Schock, Lungenödem, oder sBD Akronym für die wichtigsten Elemente der Basistherapie: MONAS BH (Morphium, Oxygen, Nitrat, Aspirin, Statin, Betablocker, Heparin)

Die Therapie der instabilen AP sowie des Non-STEMI richtet sich nach der spezifischen Risikostratifizierung (. Abb.  7.12). Bei hohem und mittlerem Risiko (nach GRACE Score) ist eine rasche Reperfusion mittels PCI und Stenting innerhalb von 24–48 h anzustreben.  

>>Beim STEMI ist eine frühestmögliche Reperfusion unter allen Umständen anzustreben.

z Akuttherapie bei STEMI

Es stehen zwei verschiedene Reperfusionsmethoden zur Verfügung: die Katheterintervention und die medikamentöse systemische Thrombolyse. kKatheterintervention

Wann immer möglich, wird unmittelbar eine Reperfusion mittels PCI (perkutane coro-

nare Intervention, . Abb.  7.13) mit Stentimplantation durchgeführt. Selten kann jedoch auch eine notfallmäßige Bypassoperation notwendig sein. Bei optimaler Therapie ist prinzipiell eine Krankenhaussterblichkeit von unter 10 % möglich.  

>>In der Akutsituation ist die PCI und Stentimplantation wann immer und so rasch als möglich die Therapie der Wahl.

Vorteile der Katheterintervention: 55 Keine absoluten Kontraindikationen gegen PCI/Stenting beim akuten Myokardinfarkt (im Gegensatz zur Thrombolyse). 55 Die vollständige Wiedereröffnung des stenosierten Gefäßes gelingt mit der PTCA in über 95 %, mit der Thrombolyse nur in 60–70 %. 55 Ein Risiko jeder Reperfusionstechnik ist die Entwicklung eines Schlaganfalles, welches im Rahmen der PCI jedoch nur halb so groß ist wie bei der Thrombolyse.

114

A. Zirlik und R. K. Binder

a

kMedikamentöse systemische Thrombolyse

Die Thrombolyse (auch: Fibrinolyse, . Abb.  7.14) wird heute im deutschsprachigen Raum nur selten zur Therapie des STEMI verwendet. Kann eine Katheterintervention nicht innerhalb von 2  h nach Symptombeginn durchgeführt werden, z. B. in ländlichen Regionen ohne rasch erreichbares PCI-Zentrum, kann eine systemische Thrombolyse zum Einsatz kommen, die aber innerhalb von 6  h nach Infarktbeginn erfolgen sollte: je früher, desto höher die Erfolgschancen und desto geringer die Morbidität/Mortalität. Es kommen drei verschiedene Fibrinolytika in Frage: 55 Streptokinase, 55 Urokinase, 55 rekombinanter Tissue-Plasminogen-Aktivator (bevorzugtes Fibrinolytikum).  

7

b

Absolute Kontraindikationen für eine Thrombolyse sind: 55 Schlaganfall innerhalb der vergangenen 6 Monate (aber nicht innerhalb der letzten 3 h, 7 Abschn. 7.5), 55 bekannte zentralnervöse Läsionen, z. B. Tumor etc., 55 Schädel-Hirn-Trauma oder neurochirurgische Operation in den letzten 6 Monaten, 55 gastrointestinale Blutung im vergangenen Monat, 55 Aortendissektion (7 Abschn. 15.2), 55 hämorrhagische Diathese.  

c



z Frühinvasives Vorgehen bei mittlerem Risiko

..      Abb. 7.13  a–c Akut-PCI a bei thrombosiertem RIVA-Verschluss, b nach Vorführen eines Führungsdrahtes, Ballondilatation und Stentimplantation, c RIVA mit wiederhergestellter Perfusion

Bei Patienten mit instabiler AP oder Non-­ STEMI und bestimmten Risikofaktoren ist ein frühinvasives Vorgehen indiziert. Hierbei sollte möglichst innerhalb von 24  h nach Schmerzbeginn eine Koronarangiografie (und ggf. PCI/Stenting) erfolgen. Als Begleittherapie wird entweder unfraktioniertes Heparin, niedermolekulares Heparin, z.  B.  Enoxaparin, Dalteparin oder Nadro-

115 Atherosklerose und Folgeerkrankungen

7

Plasminogen-AktivatorInhibitor (PAI) 1 und 2 Koagulationskaskade Tissue-PlasminogenAktivator (tPA) Fibrinogen

Urokinase

Streptokinase

Fibrin Plasmin

Fibrinspaltprodukte

Plasminogen

2-Antiplasmin 2-Makroglobulin

F Xla, Xlla Kallikrein

..      Abb. 7.14  Schematische Darstellung der Fibrinolyse

parin, bzw. Fondaparinux verabreicht. Die Es wird eine optimale Therapie der kardioBehandlung mit einem Gp-IIb/IIIa-­vaskulären Risikofaktoren nach sekundärAntagonisten ist selten indiziert. präventiven Zielen angestrebt: z Konservative Therapie/elektive Weiterabklärung bei niedrigem Risiko

Bei niedrigem Risiko muss nicht zwingend in der Akutsituation eine Koronarangiografie durchgeführt werden. Stattdessen erfolgt eine optimale medikamentöse Therapie, welche folgende Präparate beinhaltet: 55 Aspirin: 100 mg/Tag lebenslang, 55 Clopidogrel: für 12 Monate 75  mg/Tag oder Ticagrelor 90 mg/2 × tgl. für 12 Monate, 55 therapeutisch unfraktioniertes Heparin, niedermolekulares Heparin oder Fondaparinux bis Klinikaustritt, 55 Ausbau der antianginösen Therapie (Nitrat, Molsidomin, Nicorandil, Betablocker; evtl. Kalziumantagonist, speziell bei vermuteter vasospastische Genese). Möglichst umgehend sollte ein formaler Ischämienachweis mittels Belastungstest und/ oder Bildgebung erfolgen, je nach Befund gefolgt von einer (elektiven) Koronarangiografie. >>Unabhängig von der Akuttherapie ist bei jedem ACS im weiteren Verlauf eine optimale Sekundärprophylaxe ein Grundpfeiler der Therapie.

Sekundärpräventive Zielwerte der kardiovaskulären Risikofaktoren (7 Abschn. 3.3; 7 Abb. 3.5)  



55 LDL-­ Cholesterin bei KHK Grundsätzlich gilt: Je schneller der Therapiebeginn, desto besser die Langzeitprognose. „Time is brain!“

..      Abb. 7.21  MRT nach ischämischem Hirninfarkt bei Verschluss der rechten Arteria carotis interna (blauer Pfeil). (Mit freundlicher Genehmigung von René Müller-Wille, Klinikum Wels)

z Perakute Therapie

Innerhalb der ersten 4–5  h nach Auftreten der Symptome kann das ischämische Hirnareal mittels einer systemischen Thrombolyse wieder eröffnet werden, Mittel der Wahl ist rt-PA. !!Eine Lyse darf nur durchgeführt werden, wenn eine Hirnblutung mittels CT ausgeschlossen wurde.

Die Lyse kann entweder i.v. oder i.a. mittels Katheterangiografie durchgeführt werden. Über den intraarteriellen Zugang kann auch eine mechanische Thrombektomie erfolgen, Mittels dieser Verfahren kann das Zeitfenster auch erweitert werden. Die Thrombektomie wird in Schlaganfallzentren angeboten und sollte im Rahmen eines „Schlaganfall-Netzwerks“ mit Peripheriespitälern koordiniert werden.

7

125 Atherosklerose und Folgeerkrankungen

Wichtigste (zum Teil nur relative) Kontraindikationen für eine systemische Thrombolyse sind: 55 aktuelles Tumorleiden, zerebrale Metastasen, 55 intrakranielle Blutung (absolute Kontraindikation), 55 therapieresistente Hypertonie, 55 aktive Blutung (z. B. Magenulkus), 55 Status nach Gesichtsschädel- oder Kalottentrauma  1,7, 55 orale Antikoagulation mit einem NOAC (ggf. NOAC-Antidot vor Lyse verabreichen, z. B. Idarucizumab bei Dabigatran, Andexanet-a bei Abixaban und Rivaroxaban), 55 großer chirurgischer Eingriff Bei schwer eingeschränkter EF ( 35 % zu einem deutlich erhöhten Risiko für den plötzlichen Herztod führen kann. Entsprechende randomisierte Studien laufen derzeit.  

8

Epidemiologie  Die Prävalenz der HCM liegt

in der westlichen Welt bei etwa 0,2  %, d.  h. 200:100.000 Einwohner. Ätiologie  Die Erkrankung ist meist gene­

tisch bedingt mit autosomal-dominantem Erbgang. In ca. 50 % der Fälle kann eine Mu­ tation im Bereich der Sarkomerproteine nach­ gewiesen werden. Am häufigsten (> 70 %) fin­ den sich genetische Varianten im Bereich der schweren Ketten (MYH7) sowie der inter­ mediären Kette (MYBPC3). Danach folgen die Troponingene (. Tab.  8.1). Mittlerweile sind > 1000 Mutationen in > 10 Genloci be­ kannt; da aber in 50 % der Fälle keine Muta­ tion nachweisbar ist, muss davon aus­ gegangen werden, dass sowohl Umwelt­ faktoren als auch der genetische Hintergrund (polygenetic causes) eine wichtige Rolle ­spielen (. Abb. 8.2).  



Pathophysiologie  Am häufigsten involviert

der Hypertrophieprozess das inter­ ventrikuläre Septum. In ca.  10  % der Fälle liegt eine apikale hypertrophe Kardiomyo­ pathie vor, deren Prävalenz in Japan doppelt Prognose  Die Prognose der DCM ist sehr so hoch ist wie in Deutschland. Hierbei ist variabel und vor allem von der Ätiologie ab­ insbesondere der linksventrikuläre Apex hängig. Die 10-Jahres-Überlebensrate liegt hypertrophiert; elektrokardiografisch zeigen heute bei 50–80 %; fällt die Ejektionsfraktion sich typischerweise deutliche T-­ unter 30  %, liegt die 5-Jahres-­Negativierungen („giant T-wave negativi­ Überlebenswahrscheinlichkeit unter 50 %. ties“; . Abb. 8.3 rechts). Der rechte Ventri­ kel ist sehr selten mitbeteiligt. Von der ­hypertrophen Kardiomyopathie müssen an­  

8.1.3 

Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM)

Definition  Die HCM ist gekennzeichnet

durch eine Hypertrophie des linken Ventri­ kels, wenn diese mindestens ≥ 15 mm an der dicksten Stelle erreicht und nachdem andere Ursachen, welche ebenfalls zu einer Hyper­ trophie oder Wandverdickung führen kön­ nen, ausgeschlossen wurden. Typischerweise ist die Hypertrophie asymmetrisch und be­ tont im interventrikulären Septum lokalisiert. Es können jedoch auch der Apex und die late­ rale Wand betroffen sein.

..      Tab. 8.1  Krankheitsgene der isolierten DCM DCM-Krankheitsgene nach Clingen

Weitere Krankheitsgene der DCM

ACTC1, ACTN2, BAG3, DES, DSP, FLNC, JPH2, LMNA, MYH7, NEXN, RBM20, SCN5A, TNNC1, TNNI3, TNNT2, TPM1, TTN, VCL

PLN, ILK, MYBPC3, LDB3, mtDNA, ACTN1, CHD2

133 Herzmuskelerkrankungen

8

..      Abb. 8.2  Sarkomerische HCM mit nachweisbaren genetischen Varianten in den bekannten Krankheitsgenen (orange). Der Anteil ohne Nachweis von be­ kannten hoch penetranten Genvarianten ist am ehes­

ten durch Komorbiditäten (diastolische Hypertonie), Umweltfaktoren und den genetischen Hintergrund bestimmt. (Aus Hugh Watkins, Circulation 2021;143:2415–2417)

..      Abb. 8.3  Hypertrophische Kardiomyopathie im cMRT. Gezeigt ist der 4-Kammerblick mit einer massi­ ven Hypertrophie insbesondere der Lateralwand. Dieses atypische Hypertrophiemuster ist deutlich seltener als

die Septumhypertrophie. Rechts: Brustwandableitungen V1–V6 desselben Patienten mit inkomplettem Rechts­ schenkelblock, positivem Sokolow-Lion-Index und typi­ schen Endstreckenveränderungen

134

B. Meder und U. Eriksson

..      Tab. 8.2  Krankheitsgene bei Syndromen mit DCM-Manifestation Syndrom mit DCM-Phänotyp

Krankheitsgen

Barth-Syndrom

TAZ

Carvajal-­ Syndrom

DSP

Laminopathie, Emery-Dreifuss-­ Muskeldystrophie

LMNA

Muskeldystrophie Typ Duchenne

DMD

Myofibrilläre Myopathien

BAG3, DES, DMPK, FLNC, CRYAB, FHL1, MYPN, DNAJB6, LDB3

60 % in Ruhe oder unter Belastung. Bei dieser Form gibt es effektive Therapien (interventionell, chirurgisch, medika­ mentös, . Tab. 8.2).  

Differenzialdiagnosen bei Herzwandverdickung: 55 Hypertensive Herzkrankheit (7 Kap. 4), Sportlerherz (7 Abschn. 3.2) 55 Speicherkrankheiten –– Morbus Fabry (lysosomale Speicherkrankheit) –– Glykogenspeicherkrankheiten (z.  B.  Morbus Cori = Glykogen­ speicherkrankheit Typ III, Mor­ bus Danon, Glykogenspeicher­ krankheit Typ IIb) –– PRKAG2-Kardiomyopathie (as­ soziiert mit WPW-Syndrom, auf Myokard beschränkte Glykogen­ speicherkrankheit) –– Mukopolysaccharidosen –– Oxalose –– Adipositas –– Hypothyreose –– Mitochondriale Zytopathien 55 Infiltrative Erkrankungen –– Amyloidose –– Hämochromatose –– Sarkoidose 55 Neuromuskuläre Erkrankungen –– Friedreich-Ataxie 55 Syndromale Erkrankungen –– Noonan-Syndrom (Minder­ wuchs, Hypertelorismus, Ptery­ gium colli, Kryptorchismus, Pulmonalstenose, hypertrophe Kardiomyopathie) –– LEOPARD-Syndrom (Lentigi­ nose, EKG: Schenkelblock, Hy­ pertelorismus, ­Pulmonalstenose, hypertrophe Kardiomyopathie, Kryptorchismus, Skelett­ anomalien, Taubheit)  



8 dere Formen und Ursachen der links­ ventrikulären Hypertrophie abgegrenzt wer­ den (. Tab. 8.2 und auch 7 Kap. 4). Histologisch charakteristisch ist eine ge­ störte Ausrichtung der Kardiomyozyten (sog. Disarray), bei der deren normale par­ allele Anordnung aufgehoben ist und die Struktur chaotisch wirkt. Dieses Disarray zusammen mit einer interstitiellen Fibrose kann das morphologische Substrat für die Entstehung einer kreisenden elektrischen Erregung darstellen, welches in ventrikulä­ ren Rhythmusstörung (bis hin zum Kammer­ flimmern; 7 Abschn.  12.5) münden kann. Des Weiteren gibt es eine Mitbeteiligung der Arteriolen mit einer Hyperplasie der Intima und Media, was eine mikrovaskuläre Dys­ funktion zur Folge hat.  





>>Ist der Septumbereich involviert, kann der linksventrikuläre Ausflusstrakt ein­ geengt sein. Man spricht dann von der obstruktiven Form der HCM (hyper­ trophe obstruktive Kardiomyopathie, HOCM oder oHCM). Die obstruktive Form der HCM liegt bei ca. 30–50 % der Patienten in Ruhe vor und bei insgesamt

8

135 Herzmuskelerkrankungen

Klinik  Die

klinische Manifestation der HCM ist sehr variabel und reicht von gänz­ lich fehlenden oder sehr milden Symptomen bis zum plötzlichen Herztod. Typische Symp­ tome sind anstrengungsinduzierte Dyspnoe, pektanginöse Beschwerden, Palpitationen, Schwindel oder Synkopen. Bei den Synkopen ist es wichtig zu unterscheiden, ob es sich dabei um hämodynamisch bedingte Synko­ pen bei schwerer Obstruktion (ansteigender Druckgradient im linksventrikulären Aus­ flusstrakt unter Belastung) und vermindertem Schlagvolumen bei Anstrengung und konse­ kutiv verminderter zerebraler Perfusion han­ delt oder ob sie rhythmogen oder vasovagal bedingt sind. Hierbei ist vor allem eine detail­ lierte Anamnese wegweisend. Aufgrund der Umverteilung der Blut­ pools kommt es bei vielen Patienten post­ prandial zu erhöhten Obstruktionsgradienten und damit zu vermehrten Symptomen. Angina pectoris bei HCM ist meist multifaktoriell bedingt durch die mikro­ vaskuläre Dysfunktion, erhöhte Füllungs­ drücke und eine Dysbalance zwischen der reinen Anzahl an Kapillaren sowie der Muskelmasse. Die gefürchteten malignen ventrikulären Rhythmusstörungen treten in 50 % der Fälle während Sympathikusstimulation, z.  B. bei Belastung auf, die übrigen während Tätig­ keiten mit geringer Belastung oder während des Schlafs. >>Eine undiagnostizierte HCM ist eine der häufigsten Todesursachen bei jungen Sportlern. Leistungssportler sollten regelmäßig ein kardiologisches Scree­ ning erhalten.

achtet werden (Haut, Neurologie, Muskel­ kraft). Da bei weit über 90  % der HCM-­ Patienten ein pathologisches EKG mit Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie, T-Negativierungen und septalen Qs vorliegt, kommt der EKG-Diagnostik (7 Abschn. 2.2) eine Bedeutung beim Screening zu. Eine Schlüsselrolle spielt letztendlich die Bild­ gebung, wobei primär eine Doppler-­ Echokardiografie durchgeführt wird (7 Abschn.  2.5). Damit können die maxi­ male Wanddicke und das Vorhandsein einer linksventrikulären Ausflussbahnobstruktion untersucht werden. Die Obstruktion kann durch Provokationsmanöver wie das Valsal­ va-Manöver durch eine Reduktion des venö­ sen Rückfluss akzentuiert werden. Weitere Provokationsmanöver sollten eruiert werden, wenn der Patient insbesondere über Be­ lastungsbeschwerden klagt und kein Gradient mittels Valsalva provoziert werden konnte: Handgrip-Test, postprandiale Messung, Treppensteigen oder Stressechokardiografie. Heutzutage wird außerdem routine­ mäßig zur Bestimmung des Ausmaßes der Hypertrophie und zur Evaluation des Vor­ handenseins einer myokardialen Fibrose auch ein Kardio-MRT (. Abb. 8.3) mit De­ tektion von LGE (nach intravenöser Ver­ abreichung von Gadolinium als Kontrast­ mittel; 7 Abschn.  2.5) durchgeführt. Eine Myokardbiopsie sollte vor allem bei Speichererkrankung/Infiltration durch­ geführt werden und kann mit niedrigem Ri­ siko aus dem linken Ventrikel erfolgen. Da die Erkrankung überwiegend genetischer Natur ist, ist es eine Leitlinienempfehlung, HCM-Patienten nach entsprechender Be­ ratung genetisch zu untersuchen.

Diagnostik  Die Diagnose der HCM erfolgt

Therapie  Die Therapie der HCM ist in ers­

wie bei allen Kardiomyopathien immer unter Berücksichtigung verschiedener Modalitäten. Wichtig sind die Anamnese wie auch die Familienanamnese und die klinische Unter­ suchung (Systolikum bei Obstruktion, provozierbar durch Valsalva-Manöver). Hin­ weise für eine Systemerkrankung sollten be­

ter Linie symptomatisch. Die Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts wird primär mit Betablockern (negativ chronotrop und negativ inotrop), Disopyramid (KlasseIA-­ Antiarrhythmikum, negativ inotroper Natriumkanalblocker; in vielen Ländern nicht verfügbar) und zentrale, nicht vaso­









136

8

B. Meder und U. Eriksson

dilatierende Kalziumkanalblockern ver­ mindert. Die genannten Medikamente die­ nen in erster Linie der Reduktion der Kontraktilität und damit der Verminderung der Obstruktion im linksventrikulären Aus­ flusstrakt. Ein neuer Wirkstoff (Mavacam­ ten) ist ein potenter Hemmer des kontraktilen Myosinproteins, was zu einer deutlichen Ab­ senkung des Gradienten im linksventrikulären Ausflusstrakt führt und symptomatisch effek­ tiv ist. Das Medikament ist inzwischen in vie­ len Ländern verfügbar und in den europäi­ schen Leitlinien als therapeutische Option nach Gabe von Betablockern empfohlen. Sollten Medikamente nicht ausreichen, ste­ hen invasive Optionen wie die katheter­ basierte Alkoholablation des Septums und die chirurgische Myektomie zur Verfügung. >>Bei Hypertonie und Vorliegen einer HOCM sind nachlastsenkende Anti­ hypertensiva wie ACE-Hemmer, ATII-­ Blocker oder Nitrate kontraindiziert, da hierdurch der Gradient über der Aus­ flusstraktobstruktion weiter erhöht wer­ den kann. Eine suffiziente Therapie ist damit oftmals eine Herausforderung und kann mitunter nur nach Reduktion des Septums erreicht werden.

Patienten mit einer nichtobstruktiven Form, welche unter Dyspnoe und Angina pectoris leiden, reagieren am besten auf Kalzium­ kanalblocker vom Verapamil-Typ und in zweiter Linie auf Betablocker. Die Ursache von deren Beschwerden besteht meist in einer mikrovaskulären Dysfunktion. Bei überlebtem plötzlichem Herztod ist die Indikation zu einer sekundärpro­ phylaktischen Implantation eines Implantable-­Cardioverter-­Defibrillators (ICD, 7 Abschn.  12.5) gegeben. Darüber hinaus wird i.  d.  R. eine primärpro­ phylaktische ICD-Implantation empfohlen bei Patienten, welche ein erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Herztod haben. Zur Ein­ schätzung des Risikos für den plötzlichen Herztod werden Risikoscores herangezogen  

(ESC HCM Risk Score). Das statistische Risiko sollte dem Patienten erläutert und eine individuelle Abwägung zwischen Ri­ siko, Schutz und möglichen ICD-­ Komplikationen gefunden werden. Die Identifikation von HCM-­imitierenden Erkrankungen hat oftmals therapeutische Konsequenzen, weshalb auch das An­ sprechen auf eine Therapie bei vermeint­ licher HCM genau beobachtet werden sollte. Prognose  Prinzipiell ist die Prognose bei

HCM gut und die Patienten haben eine an­ nähernd normale Lebenserwartung. Die Normalbevölkerung hat eine Rate des plötz­ lichen Herztods von 0,4  % pro Jahr und HCM-Patienten im Schnitt von 1 % pro Jahr, wobei es hier Patienten mit deutlich höherem Risiko gibt. Ca.  10  % der Patienten ent­ wickeln eine relevante Herzinsuffizienz (7 Kap. 13) und ein Bruchteil dieser Patien­ ten wird letztendlich herztransplantiert.  

8.1.4 

Restriktive Kardiomyopathie (RCM)

Definition  Bei der RCM handelt es sich um

Herzmuskelerkrankungen mit (schwerer) diastolischer Dysfunktion bei erhaltener sys­ tolischer LVEF und normalen W ­ anddicken. Ätiologie  Die Hälfte der Fälle ist idio­

pathisch bedingt. Genetische Formen finden sich durch Varianten in den Genen ACTC1, MYH7, TNNI3, TNNT2, TTN, FLNC. Hier ist eine Überlappung mit anderen Kardio­ myopathieformen innerhalb derselben Fa­ milie häufig. Eine sekundäre Ursache ist die ­Endomyokardfibrose, bei welcher es zu einer eosinophilen Infiltration des Endokards und des Myokards kommt. Hierbei gibt es eine endemische und eine sporadische Form. Endemisch gehäuft kommt die Endomyokard­ fibrose im tropischen Gürtel vor. Es wird diskutiert, dass hierbei genetische Faktoren, die Ernährung (Maniok bei Ureinwohnern in Südamerika), parasitäre Infektionen und

137 Herzmuskelerkrankungen

Cerium eine Rolle spielen. In Mitteleuropa trifft man häufiger auf die sporadische Form, bei welcher das Hypereosinophilie-­Syndrom (früher Löffler-­Endokarditis genannt) von sekundären Eosinophilien unterschieden werden muss. Sekundäre Formen können sich im Rahmen von Infektionen, Medika­ mentennebenwirkungen oder Allergien, Malignomen, Amyloidose (7 Abschn. 8.1.5), Autoimmunerkrankungen (Churg-Strauss, Sklerodermie, Sarkoidose etc.) oder akuten Leukämien finden.  

Pathophysiologie  Pathognomonisch für die

RCM ist eine stark eingeschränkte diastoli­ sche bei weitgehend erhaltener systolischer Ventrikelfunktion. Grund ist eine Ver­ änderung der mechanischen Eigenschaften des Myokards. Die Folgen sind ähnlich wie bei der kardialen Amyloidose: Es kommt zum Rückstau des Blutes vor dem linken und/oder rechten Ventrikel mit ent­ sprechenden klinischen Folgeerscheinungen (Dyspnoe, Lungenödem bzw. Halsvenen­ stauung, periphere Ödeme, Pleuraergüsse, Aszites). Klinik  Die Patienten präsentieren sich mit

mehr oder weniger ausgeprägten Zeichen der

..      Abb. 8.4  Restriktive Kardiomyopathie. cMRT in der 4-Kammerdarstellung (links) mit normal dicken Herzwänden und normalen LV-Diametern. Vorhöfe und rechter Ventrikel sind deutlich (sekundär) dila­ tiert. Mitte: negatives Late-Gadolinium Enhance­

8

Herzinsuffizienz (7 Kap.  13). Darüber hin­ aus können weitere Zeichen einer ursäch­ lichen Grunderkrankung (s. oben) nachweis­ bar sein. Ödeme und Halsvenenstauung kön­ nen sehr ausgeprägt vorkommen und zu Hepatosplenomegalie bis zur Leberzirrhose (Cirrhose cardiaque) führen.  

Diagnostik  In

der Doppler-­ Echokardio­ grafie (7 Abschn.  2.5) zeigt bei der RCM typischerweise eine ausgeprägte diastolische Dysfunktion mit deutlicher Einschränkung der ventrikulären Füllung (restriktives Füllungsmuster). Die Vorhöfe sind oft sehr groß und können das Volumen der Ventrikel überschreiten. Das NT-proBNP ist meist stark erhöht. Eine weitergehende Diagnostik, insbesondere eine invasive hämodynamische Messung, CT, MRT (. Abb.  8.4) und ggf. eine Myokardbiopsie, kann je nach ver­ muteter Genese (s. oben) erforderlich sein. Insbesondere sollten eine Hypereosinophilie gesucht werden und konsekutiv Hinweise für Systemerkrankungen.  



Therapie  Die Therapie richtet sich zum

einen (symptomatisch) nach der Schwere der Herzinsuffizienz, zum anderen (kausal) nach einer zugrunde liegenden Systemerkrankung.

ment, eine Amyloidose kann ausgeschlossen werden. Rechts: Brustwandableitungen mit Zeichen der Rechtsherzbelastung, P-mitrale und P-dextroatriale, Endstreckenveränderungen

138

8

B. Meder und U. Eriksson

Diuretika sind oft das zentrale Therapeuti­ Immer häufiger wird dagegen die er­ kum. Die Wirksamkeit von SGLT-2-­worbene, altersbedingte Wildtyp-Trans­ Hemmern ist noch nicht systematisch unter­ thyretin-­ Amyloidose (ATTRwt) diagnosti­ sucht. Kann die Grunderkrankung nicht ziert. In bestimmten Kollektiven oder nur ungenügend therapiert werden, be­ (z. B. Aortenstenose, TAVI-Population) sind steht bei der ­ Endomyokardfibrose chirur­ bis zu 20  % der über 80-Jährigen betroffen gisch die Möglichkeit der Dekortikation (Männer > Frauen). (Ausschälung des fibrosierten Endokards), was sowohl die Symptome als auch das Über­ >>Die kardiale Amyloidose ist eine zu­ leben verbessern kann. In fortgeschrittenen nehmend häufiger diagnostizierte Stadien kann eine Herztransplantation als Krankheit des älteren Menschen. Ultima Ratio nötig sein. Pathogenese  Bei der Amyloidose erfahren körpereigene Eiweiße eine Konformations­ 8.1.5  Kardiale Amyloidose änderung, was zur Bildung unlöslicher Fibril­ len führt, die sich im Gewebe ablagern. Über Definition  Bei der kardialen Amyloidose 30 Proteine können Amyloidfibrillen bilden, wird das Myokard hauptsächlich im Inter­ allerdings zeigen nur 9 davon relevante Ab­ stitium mit Ablagerungen aus abnorm ver­ lagerungen im Herzen, am häufigsten ist AL änderten unlöslichen Eiweißablagerungen (= und TTR.  Kardiale Amyloidablagerungen Amyloidfibrillen) durchsetzt. Der Amyloid­ als Folge chronischer Entzündungen (so­ nachweis erfolgt histologisch im mit Kongo­ genannte AA-Amyloidosen) sind sehr selten. rot gefärbten Gewebe. Im polarisierten Licht Mehr als 98 % der diagnostizierten kar­ zeigt sich dabei eine charakteristische grüne dialen Amyloidosen lassen sich als AL-­ Doppelbrechung. Amyloidosen oder Transthyretin-­ Die Amyloidablagerungen beein­ Amyloidosen (ATTR) klassifizieren. trächtigen die mechanische Funktion des AL-Amyloidosen sind die Folge einer mono­ Herzens und können darüber hinaus zu klonalen Leichtketten-­ Ablagerung. Die schweren Reizleitungsverzögerungen und Leichtketten sind Folge einer Plasmazell­ Herzrhythmusstörungen führen. Klassi­ dyskrasie, meistens eine monoklonale Gam­ scherweise präsentieren sich die Patienten mopathie, oder eines asymptomatischen mit dem Bild wie bei einer restriktiven Kar­ Multiplen Myeloms, in 10  % der Fälle ein diopathie (RCM; 7 Abschn. 8.1.4), bei fort­ symptomatisches Myelom oder ein geschrittener Krankheit findet sich aber oft B-Zell-Lymphom. auch eine Einschränkung der systolischen Die hereditäre ATTRv-Amyloidose re­ Funktion. sultiert aus einer Transthyretin-Mutation, während die erworbene ATTRwt-­ Epidemiologie  Je nach Amyloidtyp be­ Amyloidose Folge eines noch nicht genau stehen verschiedene Formen der Krankheit. verstandenen Alterungsprozesses ist. Die Leichtketten-­Amyloidose (AL) ist eine Systemerkrankung, bei der in 70 % der Fälle Klinik  Die kardialen Symptome sind unspezi­ das Herz mitbefallen wird. Die Inzidenz be­ fisch, variabel und beinhalten Zeichen der trägt etwa 5–12 Patienten/1 Mio. Einwohner. Herzinsuffizienz (7 Kap. 13) sowie Synkopen Die vererbte, hereditäre ATTRv (auch und Schwindelbeschwerden als Ausdruck von ATTRmt)-Amyloidose ist sehr selten. Sie bradykarden Herzrhythmusstörungen betrifft weltweit nur wenige tausend (7 Abschn.  12.4), autonomer Dysfunktion ­Patienten. und Vorhofflimmern (7 Abschn. 12.5).  







139 Herzmuskelerkrankungen

8

Allerdings gibt es anamnestische Hin­ baren relevanten Herzwandverdickung kon­ weise, die die Vortestwahrscheinlichkeit für trastiert (. Abb. 8.5). das Vorliegen einer kardialen Amyloidose Echokardiografisch finden sich neben deutlich erhöhen. Das ist einerseits das Vor­ Wandverdickungen, Zeichen der fort­ liegen einer bekannten monoklonalen Gam­ geschrittenen diastolischen Dysfunktion, mopathie oder eines asymptomatischen pulmonale Drucksteigerungen und eine Myeloms. Andererseits findet man bei der typischerweise die Herzspitze aussparende ATTRwt-Amyloidose in der Vorgeschichte Einschränkung der longitudinalen De­ oft bilaterale Karpaltunnelsyndrome, formationsrate („Strain“; . Abb. 8.5). Spinalkanaleinengungen und Bizepssehnen­ Steht anamnestisch eine kardiale Amy­ rupturen. Zudem wird die ATTRwt-­ loidose im Raum, werden im Serum die Amyloidose gehäuft bei älteren Patienten freien Leichtketten sowie eine klonale Gam­ mit degenerativ bedingter Aortenstenose be­ mopathie mittels Immunfixation im Serum obachtet. und Urin gesucht. Zusätzlich wird meist 99mTc-DPD eine (Diphosphono-1,2-­ Diagnostik  Die Anamnese und Klinik einer propandi-­carbonsäure)-Skelettszintigrafie Herzinsuffizienz mit typischerweise er­ durchgeführt. Letztere zeigt nach Aus­ haltener LVEF bzw. erhaltener radialer systo­ schluss einer monoklonalen Gammopathie lischer Funktion, „unklares“ Rechtsherzver­ über eine Traceranreicherung in der Herz­ sagen, das Vorliegen unklarer Perikard­ wand eine fast 100  %ige Spezifität für das ergüsse sowie Bradyarrhythmien mit Vorliegen einer ATTR-Amyloidose. Je nach Blockbildern bei älteren Patienten geben Befund der Szintigrafie und je nachdem, ob einen Hinweis. eine monoklonale Gammopathie vorliegt, Im EKG zeigt sich, abgesehen von Bra­ kann die Diagnose durch eine kardiale dyarrhythmien und „Pseudo“-Q-Zacken, MRT-Untersuchung erhärtet oder ver­ typischerweise ein relatives „Low-­Voltage“-­ worfen werden. Im Zweifelsfall ist die Herz­ Bild, das mit einer echokardiografisch fass­ biopsie der diagnostische Goldstandard.  



..      Abb. 8.5  Echokardiografie und EKG als Basisdiagnostik bei TTR Amyloidose. Zu sehen ist ein 4-, 3und 2-Kammerblick bei massiver Verdickung der Herzwände (RV, LV, atriales Septum). In der Strain-­ Analyse sieht man eine erhaltene Deformation des

Apex bei reduziertem Strain in den basalen Anteilen. Rechts: Im EKG desselben Patienten relativ gesehen eine Hypovoltage, ST-Streckensenkungen in II, III, aVF mit terminaler T-Negativierung. (Mit freund­ licher Genehmigung von Dr. A. Amr)

140

B. Meder und U. Eriksson

>>Die 99mTc-DPD-Skelettszintigrafie spielt neben dem cMRT eine zentrale Rolle bei der Diagnose der kardialen ATTR-­ Amyloidose. Eine kardiale AL-­ Amyloidose kann über den Nachweis der klonalen Leichtkettenproduktion und einen suggestiven MRT-Befund ver­ mutet werden  – zur diagnostischen Si­ cherung muss aber AL-Amyloid immun­ histologisch nachgewiesen werden. Therapie  Neben

8

einer symptomatischen Therapie mit Diuretika müssen Rhythmus­ störungen behandelt und Patienten mit Vor­ hofflimmern konsequent und unabhängig von ihrem CHA2DS2-VASc-Score anti­ koaguliert werden. Eine ICD-Therapie (7 Abschn.  12.5) ist aufgrund fehlender Outcome-­ Verbesserung meistens nicht ­indiziert. Die spezifische Behandlung der AL-­ Amyloidose erfolgt individuell durch ein multidisziplinäres Team und umfasst zytos­ tatische Behandlungen sowie autologe Stammzelltransplantationen. Zur Behandlung von Patienten mit ATTRwt und ATTRv steht der Transthyretin-­ Stabilisator Tafamidis zur Verfügung, der das Fortschreiten der Krankheit verzögern kann. siRNA-Therapien sind für die ATTR-­ Polyneuropathie zugelassen, eine Gen­ therapie mittels CrisperCas9 ist in klinischer Prüfung.  

Prognose  Die Prognose variiert je nach

Amyloidtyp, Komorbidität und Be­ handlungsansatz. Es werden in den meisten Serien 5-Jahres-­Überlebensraten zwischen 50 und 70 % berichtet.

8.1.6 

 rrhythmogene A (rechtsventrikuläre) Kardiomyopathie (ARVC, ACM)

Definition  Bei der ARVC wird das Myokard

des rechten Ventrikels durch Fett- und Binde­ gewebe ersetzt, was zur Ausbildung von rechtsventrikulären Aneurysmata und konse­ kutiver Dilatation, Abnahme der rechts­ ventrikulären Pumpfunktion und zur Ent­ stehung von Arrhythmien führt. Eine links­ ventrikuläre Beteiligung ist nicht selten, weshalb heute auch der Begriff „Arrhythmo­ gene Kardiomyopathie (AC)“ verwendet wird. Epidemiologie  Die ARVC ist eine seltene

Erkrankung, die familiär gehäuft auftritt und in syndromaler Form vor allem in der Region Venetien in Italien und in Griechenland be­ schrieben wurde. Sie tritt meist bei jungen und sportlich aktiven Menschen auf, die Dia­ gnose erfolgt zumeist zwischen dem 10. und 40. Lebensjahr. Die Prävalenz wird zwischen 1:2000–1:5000 angegeben. Pathogenese  Die

ARVC wird zumeist autosomal-­ dominant vererbt. Mutationen werden meist in Genen gefunden, welche für Proteine der interkalierenden Scheibe und Desmosomen kodieren. Dies hat Konsequen­ zen für den Erregungsablauf, die zellulären Signalwege und Mechanik. Morphologisch kommt es zu einem Umbau des rechten Vent­ rikels: Muskelgewebe wird sukzessiv durch Fett- und Bindegewebe ersetzt. Durch die Umbauprozesse werden sowohl die Er­ regungsleitung als auch die Kontraktions­

8

141 Herzmuskelerkrankungen

fähigkeit des rechten Ventrikels stark beein­ trächtigt. Außerdem stellen die umgebauten Areale ein Substrat für ventrikuläre Tachy­ kardien bis hin zum Kammerflimmern dar. Die Beteiligung des linken Ventrikels kann über ähnliche Mechanismen erklärt werden, betrifft aber auch Gene und sekundäre Ursa­ chen der DCM/HCM (Laminin LMNA/C-Variante, Sarkoidose etc.). Klinik  Teilweise zeigt sich lange ein asympto­

matischer Verlauf, häufig treten jedoch Rhythmusstörungen sowie Zeichen der rechts- oder biventrikulären Herzinsuffizienz auf. Der plötzliche Herztod kann die Erst­ manifestation der ARVC sein, weshalb die Autopsie inkl. molekulargenetischer Analyse bei Menschen mit plötzlichem Herztod für die weitere Familienabklärung sinnvoll ist.

oben rechts, vgl. Normalbefund 7 Abb.  2.5) kann typische Zeichen zeigen, jedoch im Früh­ stadium auch unauffällig sein. Fettein­ lagerungen lassen sich im MRT (aktuell ge­ samt wohl beste Methode zur Diagnose­ stellung; 7 Abschn.  2.5) oder in der Endomyokardbiopsie nachweisen (jedoch potenziell hohe Rate falsch-negativer Ergeb­ nisse wegen Sampling Errors aufgrund der un­ gleichen Verteilung der Veränderungen). Ähn­ lich wie bei der HCM basiert die Diagnose­ stellung auf verschiedenen Faktoren, hier werden die sog. revidierten Task-Force-Krite­ rien angewandt (. Abb. 8.7).  





Therapie  Die Therapie besteht in der Be­

handlung einer evtl. vorliegenden Herz­ insuffizienz sowie von Arrhythmien (in erster Linie mittels Betablocker, ggf. Amiodaron). Bei überlebtem plötzlichem Herztod sowie bei Vorliegen von Risikofaktoren wie Zu­ >>Nicht selten sind Patienten, welche einen stand nach Synkope, Nachweis von Kammer­ plötzlichen Herztod im Rahmen einer tachykardien im 24-Stunden-EKG oder wäh­ ARVC erleiden, zuvor bereits synko­ rend einer elektrophysiologischen Unter­ piert. Eine Autopsie inkl. molekularge­ suchung ist eine ICD-Implantation indiziert netischer Analyse sollte durchgeführt (7 Abschn.  12.5). Hier kann auch ein sub­ werden, ist in vielen Ländern jedoch kutaner ICD ohne Schockelektrode im oft­ wenig etabliert. mals mechanisch empfindlichen rechten Ven­ Diagnostik  In der Anamnese werden häufig trikel sinnvoll sein. Herzinsuffizienztherapie Symptome der Rhythmusstörung genannt ist bei links- oder biventrikulärer AC an­ (Palpitationen, Synkopen). Die Familien­ gezeigt (7 Abschn.  13.3). Als Ultima Ratio anamnese enthält immer wieder Fälle von kann, speziell bei refraktärer Herzinsuffizienz, plötzlichem Herztod. Im EKG zeigen sich eine Herztransplantation nötig sein. Da vor allem kompetitiver Sport mit evtl. eine Epsilonwelle am Ende des einer verstärkten Ausprägung der ACM ver­ QRS-Komplexes (V1–V3), was einem Spät­ bunden ist, sollte von solchen Aktivitäten potenzial entspricht, sowie typische T-­ abgeraten werden. Eine leicht sportliche Be­ Negativierungen in V1–V3 (. Abb.  8.6 tätigung scheint dagegen unproblematisch. unten). Die Echokardiografie (. Abb.  8.6  







142

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8

..      Abb. 8.6  Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC) mit deutlich vergrößertem rechten Ventrikel (oben links: MRT; oben rechts: Echokardiografie) mit aneurysmatischen Aus­

sackungen. Dies führt zu entsprechenden Ver­ änderungen im oberflächen Ruhe-EKG (unten) mit rechtspräkordialen T-Negativierungen in V1–V3. ­Angedeutetes Epsilonpotenzial (V1, V3)

143 Herzmuskelerkrankungen

8

Total 407 patients / ARVC 66

Indication

Indication for evaluation Symptomatic or abnormal test Asymptomatic family screening 261 / 42

146 / 24

Screening phase

Family criteria • Confirm 1st degree relative • Test family mutation

Electrocardiogram criteria • Precordial T-wave inversions • Terminal activation duration ≥55ms

Sensitivity 100% Specificity 40%

Arrhythmis criteria • Holter > 500 PVCs / 24h • Ventricular tachycardia No 53 / 0

Yes 269 / 66

No 85 / 0

Diagnosing phase

CMR / echo criteria Pathogenic mutation Sensitivity 92%

Total TFC score ≥ 4 No 162 / 3 Not ARVC additional tests for alternative diagnosis

Yes 70 / 60

Specificity 95% No 37 / 3

ARVC exclude alternative diagnosis as per TFC

At risk relative serial screening at regular intervals

..      Abb. 8.7  Vereinfachter praktischer Ablauf zur Anwendung der Task-Force-Kriterien. (Aus Bosman et  al. EP Europace, Volume 22, Issue 5, May 2020, Pages 787–796)

8.1.7 

Linksventrikuläre Non-Compaction-­ Kardiomyopathie (LVNC)

Definition  Bei der LVNC ist das Myokard

aufgelockert und mit Trabekeln durchzogen. Die Erkrankung kann auch biventrikulär auftreten. Der Übergang zu den anderen be­ schriebenen Kardiomyopathie-Formen ist

fließend, und es wird diskutiert, ob es ich um eine eigenständige Kardiomyopathie handelt oder um eine spezielle Ausprägungsform einer DCM.  Die Erkrankung kann an­ geboren, genetisch oder erworben vor­ kommen. Die Abgrenzung von einem physio­ logisch und bei unterschiedlichen Ethnien häufiger vorkommenden benignen Phänotyp ohne Krankheitswert ist mitunter schwierig.

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B. Meder und U. Eriksson

Epidemiologie  Genaue Zahlen zur Prä­

valenz liegen nicht vor, jedoch werden in ca. 0,5–1 % der durchgeführten Echokardio­ grafien Kriterien einer LVNC gefunden. Ins­ gesamt ist sie nach der DCM und HCM die häufigste Kardiomyopathie. Pathogenese  Bei der angeborenen LVNC

8

kommt es in der Embryonalentwicklung durch Störung genetischer Mechanismen zu einem gestörten Prozess der Myokardkompaktierung. Diese verläuft normalerweise im Ventrikel von basal nach apikal, wodurch die größten Aus­ wirkungen apikal gelegen sind. Von Kardio­ myopathie sollte nur gesprochen werden, wenn der Phänotyp zu funktionellen oder klinischen Zeichen einer Herzmuskelerkrankung führt, z. B. Herzinsuffizienz, Arrhythmien, Embolien, erhöhten kardialen Biomarkern. Eine Über­ diagnostizierung muss vermieden werden. Bei der im späteren Leben auftretenden LVNC handelt es sich wahrscheinlich um eine adaptive Reaktion auf Stressoren, z.  B. auf Aorten­ insuffizienz, DCM, Schwangerschaft oder Sport. Auch hier müssen Zeichen einer Herz­ muskelerkrankung vorliegen, um ent­ sprechende Risikokollektive zu identifizieren.

..      Abb. 8.8  LVNC in der Echokardiografie und dem Kardio-MRT. Hier sind jeweils die Kriterien nach Jenni und Petersen positiv. Die LVEF ist bei diesem Patienten 45 %, das EKG im Wesentlichen unauffällig

Klinik  Oftmals handelt es sich um einen Zu­

Diagnostik  Die Familienanamnese ist hin­

fallsbefund beim asymptomatischen Men­ schen. Die Prävalenz für Schlaganfall und Thrombembolie ist erhöht, Zeichen der Herz­ insuffizienz treten nur bei begleitender systo­ lischer Herzinsuffizienz auf. In Registern konnte bei LVNC mit systolischer Dys­ funktion eine erhöhte Rate an Rhythmus­ störungen festgestellt werden. >>Viele Autoren sehen die Non-­ Compaction nicht als eigenständige Kardiomyopathie an. Um eine Über­ diagnostizierung zu vermeiden, müssen andere pathologische Zeichen einer Myokarderkrankung nachgewiesen wer­ den (EKG, Biomarker, LV-Funktions­ einschränkung, Arrhythmien, kardioem­ bolischer Schlaganfall).

weisgebend auf eine genetische LVNC.  In der Bildgebung existieren verschiedene Kri­ terien für die Echokardiografie (Jenni Crite­ ria; J Am Soc Echo  2005;18:865; . Abb.  8.8) und das Kardio-MRT (. Abb. 8.8.; Petersen Criteria; J Am Coll Cardiol 2005;46:101; . Abb.  8.9) Hierbei spielt das Verhältnis von kompaktiertem zu nichtkompaktiertem Myokard die ent­ scheidende Rolle. Erhöhtes Troponin oder natriuretischen Biomarker sind Zeichen einer pathologischen Non-­ Compaction. Das EKG ist oft mit Endstreckenver­ änderungen auffällig. Eine Myokardbiopsie ist selten indiziert, eine molekulargenetische Testung sollte bei familiären Fällen erfol­ gen. Die Krankheitsgene überlappen hier­ bei insbesondere mit der DCM.  





145 Herzmuskelerkrankungen

8

..      Abb. 8.9  cMRT-Befunde bei Non-Compaction-­ rechts). Zu sehen ist die schwammartige Struktur des Kardiomyopathie. Gezeigt sind ein verkürzter links- und partiell rechtsventrikulären Myokards 4-Kammerblick (links) sowie die kurze Achse (SAX;

Therapie  Bei

LVNC mit systolischer ­ erzinsuffizienz ist eine entsprechende Herz­ H insuffizienztherapie einzuleiten (7 Abschn. 13.2). Eine kausale Therapie ist nicht etab­ liert. Eine Antikoagulation ist bei aus­ geprägter Hypertrabekularisierung (ggf. mit nachweisbaren Thromben) eine Einzelfall­ entscheidung und sollte in Abhängigkeit von LVEF, Vorhofflimmern (7 Abschn.  12.5) und Blutungsrisiko erfolgen.  



8.2 

Myokarditis

Definition  Der Begriff „Myokarditis“ be­

zeichnet prinzipiell jede Entzündung des Herzmuskels und ist strenggenommen ein histologischer Begriff, der sowohl die kon­ ventionell-histologisch nachweisbare Präsenz von Entzündungszellen als auch den Nach­ weis apoptotischer oder nekrotischer Herz­ muskelzellen voraussetzt. In der Literatur haben sich zudem die Begriffe „inflammatory cardiomyopathy“ und „inflammatory dilated cardiomyopathy“ etabliert. Die letzteren Be­ griffe bezeichnen eine kardiale Dysfunktion („cardiomyopathy“), ein dilatiertes Herz („di-

lated“; 7 Abschn. 8.1.2) und eine immunhis­ tochemisch nachgewiesene Entzündung („inflammatory“). Immunhistochemische Krite­ rien für eine Herzentzündung sind der Nachweis von mehr als 14 Leukozyten, mehr als 7 CD3 exprimierender T-Zellen oder/und mehr als 4 CD14 exprimierender Monozyten pro Gesichtsfeld. Klinisch wird je nach Krankheitsverlauf und -schwere von fulminanter, akuter, chro­ nischer oder subklinischer Myokarditis ge­ sprochen. Diese Begriffe sind allerdings zeit­ lich nicht klar definiert. Die meisten Auto­ ren schreiben von einer akuten Myokarditis, wenn zwischen Symptombeginn und dem ersten Arztkontakt weniger als 4 Wochen vergangen sind. Eine fulminante Myo­ karditis liegt dann vor, wenn ein Patient mit akuter Myokarditis eine zusätzliche medika­ mentöse oder mechanische Kreislaufunter­ stützung (7 Abschn. 13.4) braucht.  



Epidemiologie  Die

Jahresprävalenz der Myokarditis wird in Europa mit 130 Fäl­ len/1 Mio. Einwohner angegeben. Allerdings dürfte die wahre Prävalenz deutlich höher lie­ gen, da viele Myokarditiden subklinisch ver­

146

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laufen. Wichtig ist, dass 40  % der idio­ pathischen dilatativen Kardiomyopathien Spätfolgen einer subklinisch abgelaufenen Myokarditis sind. Zudem ist die Myokarditis eine wichtige Ursache des plötzlichen Herz­ todes bei jungen Menschen. >>Aus symptomatischen und subklinischen Myokarditiden können sich entzünd­ liche dilatative Kardiomyopathien ent­ wickeln, wobei entzündliche Ver­ änderungen im Spätverlauf oft nicht mehr nachweisbar sind. >>Eine Myokarditis ein häufiger Grund für den plötzlichen Herztod bei jungen Pa­ tienten ( Die akute fulminante Myokarditis ist ein lebensbedrohlicher Zustand mit hoher Mortalität, welcher eine Therapie mit dem kompletten Spektrum der Herzinsuffizienzund Intensivmedizin erfordert.

Diagnostik  Die

ausführliche Anamnese (inkl. kürzlich durchgemachter Infekte und Erhebung des kardiovaskulären Risiko­ profils), klinische Untersuchung (Herz­ insuffizienzzeichen; 7 Abschn.  13.2), EKG, Echokardiografie und das kardiales MRT können die Diagnose einer Myokarditis nahe­ legen. Die im EKG und durch Echokardio­ grafie erhobenen Befunde sind jedoch weder myokarditisspezifisch noch sensitiv. Das MRT zeigt eine recht hohe Sensitivität, die Spezifität ist aber umstritten und wird gegen­ wärtig erforscht. Im EKG können sowohl ST-­ Streckenveränderungen als auch Reiz­ leitungsstörungen (AV-Block, Schenkelblock) und höhergradige Rhythmusstörungen (Kammertachykardie bis Kammerflimmern; 7 Kap.  12) beobachtet werden. Die Echo­ kardiografie kann in der akuten Phase Wand­ verdickungen, Wandbewegungsstörungen sowie eine eingeschränkte Pumpfunktion zei­ gen. In der subakuten bis chronischen Phase zeigen sich meist die Befunde der DCM (7 Abschn.  8.1.2 und . Abb.  8.1) mit ver­ größerten und schlecht kontrahierenden Herzkammern. Zur Diagnose der Myokarditis wurde klassischerweise der Nachweis entzünd­ licher Infiltrate mit Nekrose/Apoptose von Herzmuskelzellen gefordert (Dal­ las-Kriterien, 7 Abb.  7.8a,b). Neuer­ dings können infiltrierende T-Zellen und Monozyten mittels Immunhistochemie sensitiver nachgewiesen werden. Prinzi­ piell müsste zum endgültigen Beweis für das Vorliegen einer Myokarditis eine Herzbiopsie vorgenommen werden. In der klinischen Praxis wird aufgrund feh­ lender therapeutischer Konsequenzen und möglicher Komplikationen hierauf jedoch häufig verzichtet. Die Diagnose ergibt sich dann durch Ausschluss ande­ rer Differenzialdiagnosen sowie aus der Kombination von Klinik und neueren bildgebenden Verfahren (MRT; . Abb. 8.10).  









55 Chronische Myokarditis (Zeitspanne zwi­ schen Symptombeginn und Arztkontakt > 4 Wochen): Oft lässt sich der Beginn der Beschwerden nur schwer abschätzen oder der schleichende Symptombeginn liegt mehr als 4 Wochen zurück. In diesen Fällen stehen oft Herzinsuffizienz­ beschwerden (7 Abschn.  13.2) oder Rhythmusstörungen (7 Abschn.  12.5) im Vordergrund. Echokardiografisch zeigt sich häufig bereits eine Dilatation der Herzhöhlen. Die betroffenen Patien­ ten zeigen meist einen progressiven Ver­ lauf und entwickeln oft den Phänotyp der dilatativen Kardiomyopathie.  



8



150

B. Meder und U. Eriksson

..      Abb. 8.10  MRT bei akuter Myokarditis. Es zeigt sich einerseits das typische „Late Enhancement“ nach Gadolinium (rote Pfeile), apikale Lateralwand,

a

b

andererseits eine deutliche Ödembildung (grüner Pfeil) im T2-Mapping an ebendieser Stelle. (Prof. U. Eriksson)

c

8

..      Abb. 8.11  a–c Unterschiedliche Ausprägungen der Herzentzündung. a Lymphozytäre Myokarditis: entzündliches Infiltrat und apoptotische Kardiomyozy­ ten im Hämatoxylin-Eosin-Präparat, b minimale Ent­ zündung bei „inflammatory dilated cardiomyopathy“:

Hämatoxylin-Eosin-Präparat ohne relevante Ent­ zündungszellen, c nach Immunhistochemie auf CD3 lassen sich in der Probe desselben Patienten signifikant T-Zellen braun anfärben. (Prof. U. Eriksson)

Erst bei längerem Verlauf mit progressi­ ver Abnahme der LVEF sollte routinemäßig eine Biopsie vorgenommen werden, um die­ jenige Untergruppe von Patienten mit virus­ negativer Myokarditis zu erfassen, die auf Immunsuppression ansprechen könnte. Bei Patienten mit fulminanter Myokarditis muss das Interventionsrisiko gegen die potenziell therapeutisch verwertbare Information ab­ gewogen werden. Einige Experten verfolgen hier eine aggressivere diagnostische Strate­ gie, um eine der seltenen Riesenzellmyokar­ ditiden nicht zu ­verpassen, die auch in der hochakuten Phase auf Immunsuppression ansprechen würden (. Abb. 8.11).

Therapie  Im Vordergrund steht die Be­



handlung der Symptome, der Herzinsuffizienz und der Rhythmusstörungen. Bei der fulmi­ nanten Myokarditis kann hierbei das gesamte Repertoire der Intensivmedizin zum Einsatz kommen. Herzinsuffiziente Patienten werden mit ACE-Hemmern, AT-Blockern/Neprily­ sin-Inhibitoren, Betablockern, Diuretika und Aldosteronantagonisten behandelt. In aus­ gewählten Fällen hilft auch die kardiale Re­ synchronisationstherapie (7 Abschn.  13.3). Bei therapierefraktären Fällen können mithilfe der Herzmuskelbiopsie Patienten selektioniert werden, bei denen das infizierende Virus zum Preis einer herzspezifischen Autoimmun­  

151 Herzmuskelerkrankungen

antwort eliminiert wurde. Für solche Patienten gibt es an erfahrenen Zentren noch nicht aus­ reichend validierte immunmodulatorische und immunsuppressive Therapieoptionen. Ob eine antivirale Therapie mit Interferonen von Nut­ zen ist, wird zurzeit erforscht. Prognose  Die Prognose ist abhängig von der

genetischen Prädisposition: Diese bestimmt, ob die Krankheit überhaupt symptomatisch wird, ob eine Spontanheilung eintritt oder ob

8

die Krankheit chronifiziert. Darüber hinaus wird die Prognose von der klinischen Präsen­ tation (fulminant vs. nicht fulminant) be­ stimmt. Chronisch verlaufende Myokarditiden haben eine eher ungünstige Prognose. In prospektiven Studien sind die Progression zur Herzinsuffizienz sowie das Auftreten von Rhythmusstörungen verhältnismäßig häufig, die 10-Jahres-Überlebensrate liegt bei ca. 45 %.

153

Herzklappenerkrankungen Christian Hengstenberg, Thomas Pilgrim, Philipp Bartko, Fabien Praz, Georg Goliasch und Stephan Windecker Inhaltsverzeichnis 9.1

Aortenklappenstenose – 154

9.2

Aortenklappeninsuffizienz – 161

9.3

Mitralklappenstenose – 166

9.4

Mitralklappeninsuffizienz – 169

9.5

Mitralklappenprolaps – 174

9.6

Trikuspidalklappenin­suffizienz – 175

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 T. F. Lüscher, U. Landmesser (Hrsg.), Herz-Kreislauf, Springer-Lehrbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6_9

9

154

C. Hengstenberg et al.

Herzklappenerkrankungen können all vier Klappe, so die Aorte, Mitral, Tricuspidalund Pulmonalklappen betreffen. Herzklappen könne entweder verengen (Stenose) oder undicht werden (Insuffizienz). Am häufigsten sind die Aortenstenose, vor allem bei älteren Patienten, und die Mitralinssizienz. Sie verursachen typischerweise Atemnot und führen schliesslich zu einer Schädigung der Herzfunktion. Eine schwere Aortenstenose wird mit einem Aortenklappenersatz, entweder chrirugisch oder katheter-basiert behandelt. Diei Mitralinsuffiziemz wird je nach Schweregrad konservativ, chirurgisch oder mit einem Mitraclip behandlet.

9.1 

9

Aortenklappenstenose

Definition  Eine Aortenklappenstenose wird

durch eine Verengung der nativen Aortenklappe verursacht. Eine Reduktion der Aortenklappenöffnungsfläche hat eine Druckbelastung des linken Ventrikels zur Folge, welche über ein Spektrum von strukturellen Veränderungen (Remodeling) langfristig zu einer Herzinsuffizienz führt. Epidemiologie  Die Aortenklappenstenose

ist nach der Mitralklappeninsuffizienz die zweithäufigste degenerative Herzklappenerkrankung und die häufigste Herzklappenerkrankung, die zu einer Intervention führt. Sie ist für mehr als zwei Drittel aller Todesfälle infolge einer nicht-rheumatischen Herzklappenerkrankung verantwortlich. Die Prävalenz der Aortenklappenstenose nimmt mit fortschreitendem Alter (> 70 Jahre) exponentiell zu. Ätiologie  Die häufigsten Ursachen der

Aortenklappenstenose lassen sich wie folgt unterscheiden. 55 Degenerativ/kalzifizierend (. Abb. 9.1): Lipidablagerungen (vor allem erhöhte Lipoprotein(a)-Spiegel; 7 Abschn. 3.3), oxidativer Stress und Entzündungsprozesse spielen eine zentrale Rolle in der  



..      Abb. 9.1  Schwer verkalkte Aortenklappe. Aufsicht von aortal. (Mit freundlicher Genehmigung von Paul Vogt, Institut für Klinische Pathologie, Universitätsspital Zürich)

Pathogenese der degenerativen Aortenklappenstenose und führen zu einem zunehmenden Kalzifizierungsprozess und in der Folge einer Minderbeweglichkeit der Klappentaschen. Diese häufigste Form der Aortenklappenstenose manifestiert sich typischerweise bei Individuen > 70 Jahre. 55 Rheumatisch: Unbehandelte Streptokokkeninfekte im Kindesalter können über eine Autoimmunreaktion eine chronische Entzündungsreaktion unterhalten, welche zu einer fibrotischen Verschmelzung der Klappentaschen mit teilweise sekundärer Verkalkung führt. Die rheumatische Aortenklappenstenose liegt selten isoliert vor und ist häufig von einer Aortenklappeninsuffizienz oder charakteristischen Veränderungen der Mitralklappe begleitet. Rheumatische Herzklappenfehler manifestieren sich typischerweise im mittleren Lebensalter. Während die Prävalenz in hochentwickelten Ländern stark rückläufig ist, ist das rheumatische Fieber in sozial benachteiligten Regionen nach wie vor endemisch. 55 Kongenital: In 2 % der Normalbevölkerung ist die Aortenklappe nicht trikuspid, sondern unikuspid, bikuspid oder quadrikuspid angelegt. Die häu-

155 Herzklappenerkrankungen

figste kongenitale Fehlbildung ist die bikuspide Aortenklappe, welche gemäß der Anzahl und Lokalisation der Raphe (Verwachsung der Kommissuren der Klappentaschen) klassifiziert wird. Die bikuspide Aortenklappe ist in ungefähr der Hälfte der betroffenen Individuen mit einer Erweiterung der Aorta (mit oder ohne Beteiligung der Aortenwurzel) und gelegentlich mit einer Aortenisthmusstenose vergesellschaftet. Verstärkte Scherkräfte führen zu einer frühzeitigen Degeneration und machen einen Aortenklappenersatz in ungefähr einem Viertel der betroffenen Individuen (in der Mehrzahl im Alter < 70 Jahre) notwendig. Einteilung  Der Schweregrad der Aorten-

klappenstenose ist über die Klappenöffnungsfläche definiert (normal 4 cm2). Bei einer Aortenklappenöffnungsfläche von ≤ 1  cm2 liegt eine schwere Aortenklappen-

9

stenose vor. Die valvuläre  Aortenklappenstenose kann unter Berücksichtigung des transvalvulären Gradienten, der systolischen linksventrikulären Funktion und des Schlagvolumens in vier Gruppen eingeteilt werden (. Tab. 9.1) Neben der valvulären Aortenklappenstenose gibt es subvalvuläre und supravalvuläre Aortenstenosen; diese sind selten und am häufigsten in Kombination mit kongenitalen Fehlbildungen.  

Pathophysiologie  Eine

Verengung der Aortenklappe führt zu einem erhöhten transvalvulären Gradienten zwischen dem linken Ventrikel und der Aorta ascendens, welcher indirekt über die Flussbeschleunigung in der Doppler-­Echokardiografie dokumentiert wird. Die Steigerung der Nachlast hat einen Druckanstieg im linken Ventrikel zur Folge. Über die erhöhte Wandspannung kommt es entsprechend dem Laplace-Gesetz als Kompensationsmechanismus zu einer kon-

..      Tab. 9.1  Formen der Aortenstenose und ihre hämodynamischen Charakteristika Formen der Aortenklappenstenose

Mittlerer transvalvulärer Druckgradient

LVEF

Indexiertes Schlagvolumen

Bemerkungen

High-gradient Aortenklappenstenose

≥ 40 mmHg





Klassische Form der Aortenklappenstenose

Low-Flow/Low-­ Gradient-­ Aortenklappenstenose mit eingeschränkter LV-Funktion

< 40 mmHg

< 50 %

≤ 35 ml/m2

Niedrigdosierte Dobutamin-­ Stressechokardiografie empfohlen zum Ausschluss einer pseudoschweren Aortenklappenstenose und zum Nachweis einer kontraktilen Reserve

Low-Flow/Low-­ Gradient-­ Aortenklappenstenose mit erhaltener LV-­Funktion

< 40 mmHg

≥ 50 %

≤ 35 ml/m2

Diagnose wird bekräftigt durch Nachweis einer LV-Hypertrophie und fortgeschrittener Kalzifikation

Normal-Flow/LowGradient-­ Aortenklappenstenose

< 40 mmHg

≥ 50 %

> 35 ml/m2

In der Mehrzahl der Fälle liegt eine mittelschwere Aortenklappenstenose vor

156

9

C. Hengstenberg et al.

zentrischen Hypertrophie des linken Ventrikels. Eine Zunahme der Herzmuskelmasse führt einerseits zu einer verminderten Dehnbarkeit (Compliance) des linken Ventrikels und damit zu einer diastolischen Dysfunktion. Anderseits kommt es zu einem erhöhten Sauerstoffverbrauch und einer eingeschränkten Flussreserve. Kardiale Folgeschäden der chronischen Druckbelastung bleiben aber nicht auf den linken Ventrikel (Hypertrophie, diastolische Dysfunktion) beschränkt, sondern können als Ausdruck der Stauung längerfristig auch zu einer sekundären Mitralklappeninsuffizienz und Vergrößerung des linken Vorhofes führen und schließlich den Lungenkreislauf (pulmonale Hypertonie, Trikuspidalklappeninsuffizienz) und die rechtsventrikuläre Funktion beeinträchtigen. Kardiale Folgeschäden können zur Abgrenzung verschiedener Krankheitsstadien herangezogen werden und sind von prognostischer Bedeutung. Die degenerative Aortenklappenstenose kann aufgrund der anatomischen Proximität zum Reizleitungssystem zu atrioventrikulären Überleitungsstörungen führen. Klinik  Die Aortenklappenstenose verläuft

vielfach über lange Zeit asymptomatisch und manifestiert sich mit einem Herzgeräusch anlässlich einer Routineuntersuchung. Der langsame Krankheitsverlauf kann eine fortschreitende Leistungsintoleranz verschleiern und einen beschwerdefreien Alltag auf reduziertem Aktivitätsniveau erlauben. Spätestens bei Auftreten von klinischen Beschwerden ist Handlungsbedarf angezeigt. Eine frühzeitige Erkennung von klinischen Beschwerden ist aus diesem Grund entscheidend. Die Anstrengungsdyspnoe (NYHA I-IV; 7 Abschn. 13.2) ist das häufigste Symptom der Aortenklappenstenose und kann auf die erhöhten Füllungsdrücke und die diastolische Dysfunktion zurückgeführt werden. Die Kombination von erhöhtem myokardialem Sauerstoffverbrauch, erhöhtem linksventrikulärem Füllungsdruck und Verkürzung der diastolischen Füllungszeit kann darüber hinaus zu be-

lastungsabhängigen Brustschmerzen führen. Eine eingeschränkte Flussreserve trägt zudem dazu bei, dass eine begleitende koronare Herzkrankheit, welche in 20–50 % der Patienten mit Aortenklappenstenose vorliegt, frühzeitig symptomatisch wird. Synkopen und Schwindel unter körperlicher Anstrengung treten weniger häufig auf und sind Ausdruck von kardialen Arrhythmien oder von einem eingeschränkten linksventrikulären Auswurf. Prognose  Unbehandelt ist die Prognose der

Aortenklappenstenose infaust; obgleich eine lange asymptomatische Phase besteht (. Abb. 9.2), kommt es bereits dann zum Remodeling des linken Ventrikels (7 Abschn. 4.2 und 13.3) mit klinischen Komplikationen, wie Rhythmusstörungen und plötzlichem Herztod. Mit Auftreten von Symptomen sinkt die Lebenserwartung rapide (. Abb. 9.2).  





Diagnostik  Die

Auskultation steht im Vordergrund der körperlichen Untersuchung. Die Echokardiografie ist die Methode der Wahl zur Bestätigung der Diagnose und zur Gradierung des Schweregrades der Aortenklappenstenose. Eine Ergometrie kann bei asymptomatischen Patienten durchgeführt werden, um eine verdeckte Leistungsintoleranz zu demaskieren. Allerdings ist bei Patienten mit fortgeschrittener Aortenstenose Vorsicht geboten. Die Herzkatheteruntersuchung und die Computer-



..      Abb. 9.2  Natürlicher Verlauf einer unbehandelten Aortenklappenstenose mit einer langen asymptomatischen Latenzperiode und rascher Verschlechterung mit Auftreten der Symptome

9

157 Herzklappenerkrankungen

tomografie kommen primär in der präoperativen Diagnostik zum Einsatz.

a

z Körperliche Untersuchung

Die Auskultation ist hilfreich zur Diagnosestellung, eignet sich aber nicht zur Beurteilung des Schweregrades der Aortenklappenstenose. Als Korrelat zum turbulenten Fluss über der Aortenklappe lässt sich typischerweise ein spindelförmiges (cresdendo – descrescendo), raues, tieffrequentes Austreibungsgeräusch mit Punctum maximum im zweiten Interkostalraum rechts oder über dem Erb’schen Punkt dokumentieren. Gelegentlich besteht die maximale Intensität des Geräusches im Bereich des Apex. Eine Ausstrahlung in die Karotiden kann zur Differenzierung des Herzgeräusches von einer Mitralklappeninsuffizienz beitragen. Eine Verlagerung des Herzgeräusches in die späte Systole und eine Abschwächung des zweiten Herztones können auf einen fortgeschrittenen Stenosegrad hinweisen. Palpatorisch besteht ein schwacher Puls mit verzögertem Anstieg der Blutdruckamplitude („pulsus parvus et tardus“). Gleichzeitig kann es als Ausdruck der linksventrikulären Hypertrophie zu einer Verlagerung des Herzspitzenstosses nach lateral kommen. z Echokardiografie (. Abb. 9.3)  

Die transthorakale Echokardiografie erlaubt eine Differenzierung der Ätiologie, eine Quantifizierung des Schweregrades und eine Beurteilung hämodynamischer Folgeschäden der Aortenklappenstenose sowie der Dimensionen der Aorta ascendens. Eine abschließende morphologische Beurteilung der Aortenklappe ist oftmals nur in einer transösophagealen Echokardiografie möglich. Mittels Doppler-Echokardiografie kann die maximale transaortale Flussgeschwindigkeit gemessen und über die Bernoulli-­Gleichung der mittlere Gradient abgeleitet werden. Bei einer Flussgeschwindigkeit von > 4 m/s liegt ein mittlerer Gradient von ≥ 40 mmHg und damit eine schwere Aortenklappenstenose

b

..      Abb. 9.3  a, b Echokardiografischer Befund bei Aortenklappenstenose. Transösophageale Echokardiografie einer degenerativen trikuspiden Aortenklappenstenose in der Längsachse (a) und in der Kurzachse (b). Ao: Aorta; LA: linkes Atrium; LV: linker Ventrikel; RA: rechtes Atrium; RV: rechter Ventrikel

vor. Über die Kontinuitätsgleichung kann die Aortenklappenöffnungsfläche berechnet werden. Eine planimetrische Bestimmung der Aortenklappenöffnungsfläche ist oftmals nur in einer transösophagealen Echokardiografie zuverlässig möglich. Gleichzeitig können in der Echokardiografie die systolische LV-­ Funktion und das Schlagvolumen erfasst werden, was eine Klassifizierung der Aortenklappenstenose in einer der in . Tab. 9.1 aufgelisteten Formen ermöglicht.  

z Herzkatheteruntersuchung

In der Linksherzkatheteruntersuchung kann der transvalvuläre Gradient über der Aortenklappe invasiv bestimmt werden. Gleichzeitig werden die Koronararterien

158

C. Hengstenberg et al.

a

9

b

..      Abb. 9.4  a, b a Hämodynamische Verhältnisse in der Aorta, im linken Ventrikel und im linken Vorhof im zeitlichen Verhältnis zum EKG und Phonokardiogramm bei Aortenkardiostenose, b Druck-Volumen-­

Kurve im linken Ventrikel im Normalzustand (durchgezogene Linie) und bei Aortenstenose (gestrichelte Linie)

selektiv dargestellt, um eine allenfalls begleitende koronare Herzkrankheit nachzuweisen. Die Klappenöffnungsfläche wird mittels Gorlin-­Formel berechnet. Das für diese Formel erforderliche Herzminutenvolumen wird mittels Thermodilution bestimmt oder nach der Fick’schen Formel berechnet. In der Rechtsherzkatheteruntersuchung wird der für Letztere benötigte pulmonalarterielle Sauerstoffsättigungswert gemessen. Gleichzeitig können die pulmonalen, rechtsventrikulären und rechtsatrialen Druckwerte erfasst werden, welche eine prognostische Relevanz haben (. Abb. 9.4).

Computertomografie bei Patienten mit behandlungsbedürftiger Aortenklappenstenose entscheidend für die Planung einer Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI-CT). Therapie  Aktuell gibt es keine Medika-

mente, die die Progression der degenerativen Aortenklappenstenose nachweislich verzögern. Allerdings könnte sich bald bei Patienten mit erhöhten Lipopotein(a)-Spiegeln eine erste Möglichkeit eröffnen (PCSK9-Hemmer, RNA-Interferenz und Antisense-­Nulkleotide). Da bei Patienten mit Aortenklappenstenose aber oftmals kardiale Begleitz Computertomografie erkrankungen vorliegen, empfiehlt sich eine Die Computertomografie ist hilfreich für die kardiale Sekundärprävention. Die BeBestätigung einer Low-Flow/Low-­Gradient-­ handlung der schweren AortenklappenAortenstenose mit erhaltener LV-Funktion stenose besteht in einem Herzklappenersatz (. Tab. 9.1). Mittels Agatston-Score kann mittels mechanischer oder biologischer Herzder Verkalkungsgrad der Aortenklappe be- klappenprothese. Der optimale Zeitpunkt stimmt und damit die Wahrscheinlichkeit des Aortenklappenersatzes wird durch das einer schwergradigen Stenose abgeschätzt Auftreten von klinischen Beschwerden oder werden (. Abb. 9.5). Darüber hinaus ist die das Vorliegen interventionsbedürftiger Be 





159 Herzklappenerkrankungen

a

9

z Mechanischer Aortenklappenersatz

Der mechanische Aortenklappenersatz ist eine dauerhafte Lösung zur Behandlung der Aortenklappenstenose für Patienten < 50–60 Jahre. Ein mechanischer Aortenklappenersatz erfordert aber eine dauerhafte orale Antikoagulation mittels Vitamin-K-­Antagonisten zur Vermeidung einer Thrombenbildung im Bereich der Klappenflügel. z Autograft/Operation nach Ross

b

Eine Ross-Operation ist eine Alternative zum mechanischen Aortenklappenersatz bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (< 45 Jahre), die eine langzeitige orale Antikoagulation vermeiden möchten (z. B. junge Frauen mit Kinderwunsch). Dabei wird die Aortenklappe durch die Pulmonalklappe des Patienten/der Patientin ersetzt (Autograft). Die entnommene Pulmonalklappe wird mit einem Homograft oder einem Xenograft ersetzt. Die Operation wird aber nur in ausgewählten Zentren vorgenommen. z Biologischer Aortenklappenersatz

..      Abb. 9.5  a, b Computertomografisches Bild einer bikuspiden Aortenklappe in der Kurzachse. a Bikuspide Aortenklappe ohne Raphe; b bikuspide Aortenklappe mit Raphe (*) zwischen der rechtskoronaren und der linkskoronaren Tasche

gleiterkrankungen bestimmt und erfolgt idealerweise vor Auftreten von langfristigen Nebenwirkungen wie einer Abnahme der linksventrikulären Ejektionsfraktion, Nachweis einer pulmonalarteriellen Hypertonie oder Auftreten eines Vorhofflimmerns. Je nach Lebenserwartung, Begleiterkrankungen und Morphologie kommen unterschiedliche Aortenklappenersatzverfahren zum Einsatz.

Bioprothesen erfordern keine orale Antikoagulation, haben dafür aber eine eingeschränkte Haltbarkeit (mit zunehmendem Alter zunehmende Durabilität), was einen neuerlichen Aortenklappenersatz nach 10–20 Jahren erforderlich machen kann. Bioprothesen eignen sich aus diesem Grund für Patientinnen und Patienten, die keine orale Antikoagulation tolerieren oder wünschen, solche, in welchen die Lebenserwartung geringer ausfällt als die Haltbarkeit der Bioprothese, sowie für Individuen > 65 Jahre. Aortenklappenbioprothesen können konventionell chirurgisch über eine Sternotomie mit Kardioplegie und Herzlungenmaschine eingesetzt werden. z Transkatheter-­ Aortenklappenimplantation

Die Transkatheter-­Aortenklappenimplan­ tation (TAVI; . Abb. 9.6) stellt eine neuere Therapiealternative dar, welche inzwischen am häufigsten durchgeführt wird. Dabei  

160

C. Hengstenberg et al.

a

c

b

d

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..      Abb. 9.6  a–d Fluoroskopie einer Transkatheter-­ pandierbaren Bioprothese (c, d). Ao: Aorta, PG PigAortenklappenimplantation mit einer selbst- tail-Katheter, PM: temporärer Herzschrittmacher im expandierenden Bioprothese (a, b) und einer ballonex- rechten Ventrikel

wird eine gestentete Aortenklappenbioprothese in lokaler Anästhesie meist retrograd via Femoralarterie (> 95 %) am schlagenden Herzen implantiert. Die nativen Aortenklappentaschen werden im Gegensatz zum chirurgischen Verfahren nicht entfernt, sondern in permanenter Öffnungsstellung gegen die Aortenwand gedrückt. TAVI-Aortenklappenprothesen werden gemäß Freisetzungsmechanismus in ballonexpandierbare und selbstexpandierende Prothesen unterschieden. Letztere sind oftmals während des Eingriffs repositionierbar. Die TAVI verkürzt die Rekonvaleszenzzeit und Wiederherstellung der Lebensqualität

im Vergleich zum chirurgischen Aortenklappenersatz erheblich. Das TAVI-Verfahren ist die Methode der Wahl bei älteren Patienten (> 75 Jahre) und solchen mit erhöhtem perioperativem Risiko. Mit steigender Erfahrung und Verbesserung des Materials werden TAVI-Eingriffe auch bei Patienten < 75 Jahre und solchen mit niedrigem operativen Risiko erwogen. ► Praktisch

TAVI vs. chirurgischer Aortenklappenersatz Die beiden Behandlungsmodalitäten zur Behandlung der Aortenklappenstenose bei älteren Patienten zeigten in mehreren randomi-

9

161 Herzklappenerkrankungen

sierten Studien vergleichbare Ergebnisse in Bezug auf die Mortalität und das Auftreten eines Hirnschlages über einen Nachverfolgungszeitraum bis 5 Jahre. Bei der TAVI besteht im Vergleich zum chirurgischen Aortenklappenersatz ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer paravalvulären Aortenklappeninsuffizienz und einer atrioventrikulären Überleitungsstörung mit Schrittmacherbedürftigkeit. Demgegenüber treten bei Patienten mit chirurgischem Aortenklappen­ ersatz häufiger Blutungskomplikationen, Nie­ reninsuffizienzen und Vorhofflimmern auf. Die Wahl der geeigneten Behandlungsstrategie richtet sich im individuellen Fall nach dem Vorliegen von Begleiterkrankungen (koronare Herzkrankheit, kombinierte Klappenvitien), der Lebenserwartung und den anatomischen Verhältnissen im Bereich des Aortenklappenkomplexes (Kuspidie, Ausmaß und Verteilung der Kalzifikation) und der peripheren Zugangsgefäße (Durchmesser, Tortuosität, Verkalkungsgrad). Degenerierte Bioprothesen können mittels Transkatheter-­Aortenklappenimplantation (Valve-in-Valve) behandelt werden. Dies erleichtert die Therapieentscheidung für eine Bioprothese bei jüngeren Patienten und hat weitreichende Konsequenzen für die Planung einer Langzeitstrategie bei Patienten mit einer Aortenklappenstenose. ◄

9.2 

Aortenklappeninsuffizienz

Definition  Die

Aortenklappeninsuffizienz ist durch einen ungenügenden Schluss der Aortenklappe mit diastolischem Blutrückfluss in den linken Ventrikel charakterisiert. Das Pendelvolumen führt zu einer Volumenbelastung des linken Ventrikels. Epidemiologie  Die Aortenklappeninsuffizienz ist deutlich seltener als die Aortenklappenstenose und tritt isoliert oder in Kombination mit anderen Klappenvitien oder Erkrankungen der Aortenwurzel und Aorta ascendens auf. Die Aortenklappeninsuffizienz ist häufiger bei Männern und manifestiert sich in der Regel im Alter zwischen 50 und 70 Jahren. Ätiologie  Die

Ursachen der Aortenklappeninsuffizienz sind vielfältig (. Tab. 9.2) und werden ätiologisch in primäre Erkrankungen der Aortenklappentaschen und sekundäre Aortenklappeninsuffizienzen infolge von Erkrankungen der Aortenwurzel und der Aorta ascendens unterteilt. Zudem wird zwischen der akuten und chronischen Aortenklappeninsuffizienz differenziert. Die infektiöse Endokarditis ist die häufigste Ursache einer akuten primären Aorten 

..      Tab. 9.2  Ursachen der Aortenklappeninsuffizienz Anatomischer Befall

Akut

Chronisch

Aortenklappentaschen

Infektiöse Endokarditis TAVI

Rheumatische Herzkrankheit Degeneration der nativen Aortenklappe (aufgrund von Kalzifikation oder myxomatöser Veränderungen) Degeneration einer Aortenklappenbioprothese

Aortenwurzel/ Aorta ascendens

Aortendissektion

Aortenaneurysma als Folge einer langjährigen unkontrollierten Hypertonie oder eines Marfan-Syndroms, Ehlers-Danlos-Syndroms oder einer Osteogenensis imperfecta Aortitis (Takayasu-Arteriitis, Syphilis, Lupus erythematodes)

Kombinierte Vitien

Aortenstenose und -insuffizienz

Bikuspid angelegte Aortenklappe Ankylosierende Spondylitis

162

C. Hengstenberg et al.

klappeninsuffizienz, während die Degeneration einer bikuspid oder trikuspid angelegten Aortenklappe die häufigste Form der chronischen primären Aortenklappeninsuffizienz im deutschsprachigen Raum darstellt. Eine sekundäre Aortenklappeninsuffizienz infolge Erkrankung der Aortenwurzel oder Aorta ascendens ist mittlerweile die häufigste Ursache einer Aortenklappeninsuffizienz. Einteilung  Die

Einteilung der Aortenklappeninsuffizienz erfolgt nach Ätiologie und Art der klinischen Präsentation (akut vs. chronisch) (. Tab. 9.2). Der Schweregrad der Aortenklappeninsuffizienz wird primär mittels Echokardiografie bestimmt (. Tab. 9.3). Bei Vorliegen einer schwergradigen Aortenklappeninsuffizienz ist bei asymptomatischen Patienten auf frühzeitige Zeichen einer linksventrikulären Dilatation und Dysfunktion zu achten, um einer irreversiblen Myokardschädigung vorzubeugen.  



9

Pathophysiologie  Die primär durch eine

Pathologie der Aortenklappensegel verursachte Aortenklappeninsuffizienz beruht auf einer Minderbeweglichkeit und daher diastolischen Koaptationsstörung der de-

generativ kalzifizierten Klappensegel oder destruktiv veränderten Klappensegel (infektiöse Endokarditis). Die sekundäre Aortenklappeninsuffizienz infolge Erkrankungen der Aortenwurzel oder Aorta ascendens beruht auf einer Anulusdilatation, welche zu einer Koaptationsstörung bzw. einer geometrischen Distorsion der Anulusebene führt. Die Aortendissektion kann ebenfalls zu einer Anulusdilatation führen bzw. eine Aortenklappeninsuffizienz aufgrund Intima-Intussuszeption während der Diastole bewirken (. Abb. 9.7). Ein unzureichender Schluss der Aortenklappe führt unabhängig von der zugrunde liegenden Ätiologie zum diastolischen Rückstrom von Blut in den linken Ventrikel. Dadurch entstehen ein Pendelvolumen und eine Volumenbelastung des linken Ventrikels. Bei einer chronischen Aortenklappeninsuffizienz wird der Blutrückfluss über den Frank-Starling-Mechanismus mit einer Zunahme des Schlagvolumens kompensiert. Dadurch entsteht längerfristig eine exzentrische Hypertrophie mit Erweiterung des linken Ventrikels (im Extremfall Cor bovinum). Bei einer akuten Aortenklappeninsuffizienz kommt es nicht wie bei einer  

.       Tab. 9.3  Einteilung des Schweregrades der Aorteninsuffizienz Kriterium

Leicht

Mäßig

Schwer

Farb-Doppler Jet-Breite*

Zentral; Breite 25% des LVOT*

Doppler Vena contracta (=engster Durchmesser des Flussstroms in cm)

0,6

50

Klappenöffnungsfläche (cm2)

> 1,5

1,0–1,5

< 1,0

167 Herzklappenerkrankungen

Klinik  Die Symptome der Mitralklappen-

stenose entwickeln sich schleichend über Jahre hinweg und sind in erster Linie abhängig vom Schweregrad der Stenose. Leitsymptome sind Dyspnoe (bis hin zum Lungenödem) und Rhythmusstörungen (v. a. Vorhofflimmern, insbesondere bei starker Dilatation des linken Vorhofes). Vorhofflimmern führt zum Verlust der AV-Synchronizität sowie zu einer weiteren Abnahme des Herzminutenvolumens infolge des Verlusts der atrialen Kontraktilität. In schweren Fällen kann es zum klinischen Vollbild der schweren Herzinsuffizienz kommen. Die rheumatische Mitralklappenstenose manifestiert sich bei jungen Frauen häufig erstmals in der Schwangerschaft. Aufgrund eines Anstieges des Herzminutenvolumens und einer Reduktion des systemischen vaskulären Widerstandes kann es während der Schwangerschaft zu einer akuten Dekompensation kommen (. Abb. 9.10).  

a

9

>>Thrombenbildung im linken Vorhof bei Vorhofflimmern und konsekutive systemische Embolien (speziell ins Hirn) sind eine gefürchtete und nicht seltene Komplikation der Mitralstenose. Das Thromboembolierisiko bei Patienten mit rheumatisch bedingter Mitralstenose ist wesentlich höher als bei Patienten mit Vorhofflimmern anderer Ätiologie. Diagnostik  Patienten

mit ausgeprägter Mitralstenose weisen häufig das typische Erscheinungsbild der „facies mitralis“ auf  – bläulich-rote Wangen und bläuliche Lippen. In der Auskultation sind ein paukender 1. Herzton, der durch das abrupte Schließen der steifen Klappe zustande kommt, sowie ein Mitralklappenöffnungston (MÖT) hörbar, der durch die schnappende Öffnung der Klappe entsteht. Nach dem MÖT ist ein diastolisches Rollen zu hören, das durch den turbulenten diastolischen Blutfluss durch die Klappe zustande kommt.

b

..      Abb. 9.10  a, b a Hämodynamische Verhältnisse Kurve im linken Ventrikel im Normalzustand (durchder Aorta, des linken Ventrikels und des linken Vor- gezogene Linie) und bei der Mitralklappenstenose hofs im zeitlichen Verhältnis zum EKG und Phono- (gestrichelte Linie) kardiogramm bei Mitralstenose, b Druck-Volumen-­

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C. Hengstenberg et al.

a

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b

..      Abb. 9.11  a, b a Echokardiografischer Befund bei schwer verkalkter Mitralklappe im 4-Kammerblick. Der Continous-Wave-Doppler misst den mitralen Einfluss mit deutlich erhöhter Flussgeschwindigkeit in der frühen Diastole (E-Welle) und ausgeprägtem at-

rialem Kick (A-Welle). Es zeigt sich eine maximale Flussgeschwindigkeit durch die stenosierte Klappe von ca. 2,6 m/sec, der mittlere diastolische Gradient beträgt ca. 13 mmHg

Wie bei allen Klappenfehlern ist auch bei der Mitralklappenstenose die transthorakale Echokardiografie in der Diagnostik die Methode der Wahl. Hiermit werden neben der Beurteilung der Morphologie der Klappensegel (. Abb. 9.11a) die Klappenöffnungsfläche, der Gradient über der Klappe (. Abb. 9.11b) und weitere wichtige Parameter (wie z. B.  Insuffizienz, Vorhofgröße, Ejektionsfraktion) bestimmt. Die transösophageale Echokardiografie dient zur weiteren Präzisierung der Klappenmorphologie, der Planung einer perkutanen Mitralklappen-­Valvuloplastie und des Ausschlusses von Thromben im linken Vorhofsohr. In einer detaillierten invasiven Untersuchung können die Druckverhältnisse und Gradienten mittels kombinierter Links- und Rechtsherzkatheteruntersuchung direkt bestimmt werden.

klappenstenose weniger wirksam als Vitamin-K-­Antagonisten und werden daher nicht empfohlen. Zum Erhalt der atrioventrikulären Synchronizität kann eine Kardioversion nach entsprechendem Ausschluss von intrakardialen Thromben (TEE bzw. Herz-CT) durchgeführt werden. Rhythmus und Frequenzkontrolle optimieren die Füllungszeit, welche bei der Mitralstenose oftmals den limitierenden Faktor des Herzzeitvolumens darstellt. Therapie der Wahl der Klappeneinengung ist bei geeigneter Anatomie ist die perkutane Mitralklappen-Valvuloplastie (. Abb. 9.12). Bei anatomischen und klinischen Aspekten, die eine erfolgreiche Valvuloplastie unwahrscheinlich machen, ist ein chirurgischer Klappenersatz zu erwägen.





Therapie  Zur

Symptomlinderung oder Kontrolle kann eine Diuretikatherapie initiiert werden. Besteht parallel ein Vorhofflimmern oder ist es bereits zu einem zerebrovaskulären Insult gekommen, besteht zudem die Indikation zur oralen Antikoagulation mit Vitamin-K-­ Antagonisten und einer Ziel-INR von 2–3. NOAKs sind bei Mitral-



► Praktisch

Mitralklappen-Valvuloplastie Bei der perkutanen Mitralklappen-­ Valvuloplastie werden die kommissural fusionierten Mitralsegel der verengten Klappe mittels eines speziellen Ballons (Inoue-Ballon mit differenzieller Entfaltung der ventrikulären und atrialen Ballonhälften) (. Abb. 9.12) gespalten, was in der Regel in einer Verdopplung der Klappenöffnungsfläche resul 

169 Herzklappenerkrankungen

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c

b

..      Abb. 9.12  a–c a Transösophageales Bild einer schweren Mitralklappenstenose mit typischem Doming des anterioren Mitralklappensegels sowie rheumatischer Verdickung der Segelränder und Flussbeschleunigung im Farbdoppler zwischen linkem Vorhof und linkem Ventrikel (proximale Konvergenzzone

tiert. Für die Mitralklappen-­ Valvuloplastie wird nach transseptaler Punktion ein Ballon von der V. femoralis aus in den linken Vorhof und antegrad über die Mitralklappe vorgeschoben, wo er aufgedehnt wird. Nicht jede Mitralstenose eignet sich zur Valvuloplastie. Entscheidend für den Erfolg (welcher mithilfe von speziell hierfür entwickelten Scores abgeschätzt werden kann) sind v. a. der Grad der Verkalkung, die Mobilität der Segel und das gleichzeitige Vorhandensein einer Insuffizienz. Hauptrisiko der Mitralklappen-Valvuloplastie ist die Entstehung einer Mitralinsuffizienz als Folge der Klappensprengung. ◄

im LA). b Dreidimensionale Bildgebung der anatomischen Mitralklappen-Öffnungsfläche vor (links; 0,4 cm2) und nach Mitralklappen-­Ballonvalvuloplastie (rechts; 1,1  cm2). c Fluoroskopisches Bild bei einer Mitralklappenvalvuloplastie. Transseptalschleuse (#), Valvuloplastieballon (*)

9.4 

Mitralklappeninsuffizienz

Definition  Bei

der Mitralklappeninsuffizienz (kurz Mitralinsuffizienz,  MI) liegt ein ungenügender Klappenschluss der Mitralklappe vor. Als Folge des Pendelvolumens zwischen linkem Vorhof und linkem Ventrikel kommt es zur Volumenbelastung dieser beiden Herzhöhlen. Epidemiologie  Für die isolierte mittelschwere bis schwere MI ist von einer Prävalenz von 0,59 % bei Erwachsenen ohne wesentliche geschlechtsspezifische Unterschiede auszugehen.

170

C. Hengstenberg et al.

Ätiologie  Primäre

Mitralinsuffizienz (strukturelle Veränderung des Klappenapparates): –– Mitralklappenprolaps –– Sehnenfadenabriss, myxomatöse Degeneration, M. Barlow –– Rheumatisch –– Endokarditis (Perforation der Klappe, Sehnenfadenabriss; 7 Abschn. 10.1) –– Kongenital (Spalte, sog. Cleft, anterior/posterior) –– Papillarmuskelruptur (akute MI bei Infarkt) 55 Sekundär/funktionelle Mitralinsuffizienz (initial strukturell normaler Klappenapparat) mit Koaptationsstörung der Mitralsegel: –– Ischämisch: häufig Papillarmuskeldysfunktion/Tethering (Anspannen) der Sehnenfäden –– Atrial oder ventrikulär bedingte Anulusdilatation und Segelrestriktion (Tethering), z. B. bei dilatativer Kardiomyopathie (7 Abschn. 8.1) oder Vorhofpathologien, z. B. infolge Herzinsuffizienz (7 Kap. 13) oder Vorhofflimmern (7 Abschn. 12.6)  

9







Einteilung  Unterschieden wird abhängig

vom Zeitverlauf der Entstehung zwischen

einer akuten (v. a. bei Papillarmuskelabriss im Rahmen eines Myokardinfarktes (7 Abschn. 7.3) und der  – häufigeren  – chronischen ­ Mitralinsuffizienz. Zur weiteren Einteilung siehe . Tab. 9.5.  



Pathophysiologie  Die Mitralinsuffizienz re-

sultiert infolge eines oder mehrerer Mechanismen mit Dysfunktion des Anulus, der Segel, der Chordae, der Papillarmuskeln oder des linken Ventrikels und wird mittels der Carpentier-­Klassifikation eingeteilt. Bei der MI pumpt der linke Ventrikel aufgrund der undichten Mitralklappe und des geringen linksatrialen Widerstandes einen variablen Teil des Schlagvolumens in den Vorhof zurück. Das Ausmaß dieses Pendelvolumens hängt vom Grad der Insuffizienz, der Herzfrequenz, dem Druck im linken Vorhof und dem Druck im  linken Ventrikel ab. Aufgrund der zusätzlichen Füllung des linken Vorhofs wird in der Diastole auch der linke Ventrikel stärker gefüllt, welcher dadurch beständig ein größeres Schlagvolumen auswerfen muss (. Abb. 9.13). Dies führt längerfristig zur Dilatation und exzentrischen Hypertrophie des linken Ventrikels und zur Entwicklung einer Herzinsuffizienz. Darüber hinaus kommt es zur pulmonalen Drucksteigerung.

.       Tab. 9.5  Einteilung der Mitralinsuffizienz nach dem Schweregrad



9

171 Herzklappenerkrankungen

a

b

Volumen-­Kurve im linken Ventrikel im Normalzustand ..      Abb. 9.13  a, b a Hämodynamische Verhältnisse (durchgezogene Linie) und bei Mitralinsuffizienz (geder Aorta, des linken Ventrikels und des linken Vorstrichelte Linie) hofs im zeitlichen Verhältnis zum EKG und Phonokardiogramm bei Mitralinsuffizienz, b Druck-­

>>Häufig entsteht sekundär Vorhofflimmern, speziell bei starker Dilatation des linken Vorhofs mit Verlust der AV-­ Synchronizität und dem assoziierten thromboembolischen Risiko. Klinik  Die chronische MI ist bei leichter bis

mittelschwerer Ausprägung meist asymptomatisch. Auch die chronisch schwere MI bleibt häufig über lange Zeit (Jahre) oligooder asymptomatisch. Symptome weisen auf eine Beeinträchtigung der linksventrikulären Funktion hin und äußern sich klinisch mit Belastungsintoleranz und Dyspnoe und oftmals pulmonaler Stauung. Die akute MI kann je nach Ausprägung auch zum plötzlichen Auftreten eines Lungenödems (sog. flash pulmonary edema) bis hin zum kardiogenen Schock führen. Diagnostik  In der Auskultation ist bei MI

nach Ende des 1. Herztones ein hochfrequentes, bandförmiges, holosystolisches Geräusch zu hören, welches dem Rückfluss des Blutes in den linken Vorhof entspricht

und am besten in Linksseitenlage in der Axilla auskultiert werden kann. Bei schwerer MI kann die Lautstärke des Systolikums aufgrund des raschen Druckausgleiches und der weit geöffneten Mitralklappe (mit fehlenden, für das Geräusch ursächlichen Turbulenzen) deutlich geringer sein als bei einer leichten Insuffizienz (mit starker retrograder Flussbeschleunigung an der Klappe). >>Die Lautstärke des Systolikums lässt keinen Schluss auf die Schwere der Mitralinsuffizienz zu.

Neben der klinischen Untersuchung ist auch hier die transthorakale Echokardiografie die diagnostische Methode der Wahl (. Abb. 9.14). Hiermit können die Klappenmorphologie, der Mechanismus der Insuffizienz, die Graduierung der Mitralinsuffizienz (. Tab. 9.5) sowie weitere Strukturpathologien und die Ejektionsfraktion beurteilt werden. Die transösophageale Echokardiografie dient der detaillierten Erfassung der zugrunde lie 



172

C. Hengstenberg et al.

a

9

b

c

..      Abb. 9.14  a–c a Farb-Doppler einer leichten bis mittelschweren Mitralinsuffizienz mit breitem Signal (*) im linken Vorhof (LA), LV: linker Ventrikel). b In der transösophagealen Echokardiografie zeigt sich ein deutlicher Rückstrom in den linken Vorhof über die

Mitralklappe (Pfeile)… c Continous-Wave-Doppler Signal über der Mitralklappe mit Jet in den linken Vorhof TVI. Vmax: maximale Geschwindigkeit des Jets über der Mitralklappe

genden Pathologie und der ­minimalinvasiven oder chirurgischen Therapieplanung. Invasiv können in der Rechtsherzkatheteruntersuchung der linksatriale Druck in Wedge-Position gemessen und typische Hinweise auf eine schwere MI (hohe V-Welle) beobachtet werden.

sichtlich der perioperativen Morbidität und Mortalität sowie in Bezug auf die Langzeitergebnisse dem Mitralklappenersatz überlegen ist. Insbesondere bleibt durch den Erhalt der physiologischen Aufhängung der Mitralsegel die Ventrikelgeometrie erhalten, was sich günstig auf die Ventrikelmechanik und entsprechende Remodelingprozesse auswirkt. Wichtiger Vorteil der MKR ist zudem, dass keine lebenslange Antikoagulation notwendig ist (strenge Antikoagulation bei Z. n. mechanischem Mitralklappenersatz, höchste Thrombogenität). ◄

Therapie  Die Therapie der Mitralklappen-

insuffizienz ist im wesentlichen durch deren Genese und deren Schweregrad bestimmt. z Primäre Mitralklappeninsuffizienz

Nicht selten muss eine chirurgische Korrektur vorgenommen werden. Generell gilt, dass bei einer symptomatischen, schweren primären MI die Operationsindikation gegeben ist. Weitere OP-Indikationen bei primärer MI sind das Absinken der Ejektionsfraktion ≤ 60 %, das Auftreten von Vorhofflimmern, die ausgeprägte linksventrikuläre Dilatation ≥ 40 mm endsystolischem Durchmesser, pulmonale Hypertension > 50 mmHg und die ausgeprägte linksatriale Dilatation (bei einer mit hoher Wahrscheinlichkeit rekonstruierbaren Klappe). ► Praktisch

Die Mitralklappenrekonstruktion (MKR) stellt dabei die Behandlung der Wahl für die Korrektur der primären MI dar, da sie hin-

Eine chirurgische Rekonstruktion der Mitralklappe ist einem Klappenersatz vorzuziehen, da damit die Struktur des linken Ventrikels erhalten bleibt. Ob eine Mitralklappe rekonstruierbar ist, hängt sowohl von dem zugrunde liegenden Mechanismus der Mitralinsuffizienz als auch von der Klappenmorphologie ab. Die akute schwere MI (z. B. bei Segelabriss im Rahmen eines Myokardinfarktes) stellt in aller Regel eine Notfallindikation zur operativen Sanierung dar. Bei Patienten mit sehr hohem perioperativem Risiko, welche die anatomischen Voraussetzungen für eine Mitralklappen-­ Transkatheter-­E dge-to-Edge-Reparatur (M-TEER) erfüllen, sollte eine solche erwogen werden (s. unten).

9

173 Herzklappenerkrankungen

z Sekundäre Mitralklappeninsuffizienz

schwerer sekundärer Mitralinsuffizienz inDie Therapie der sekundären MI besteht folge linksventrikulärer Dysfunktion eine Rezunächst darin, die medikamentöse duktion der Mortalität und Hospitalisationen Herzinsuffizienztherapie mit Angiotensin-II-­ wegen Herzinsuffizienz. Rezeptorantagonisten und Neprilysin-­ ► Praktisch Inhibitoren, Betablocker, MineralkortikoidRezeptorantagonisten und SGLT-2-Hemmer Interventionelle Mitralklappen-Therapie zu optimieren (7 Abschn. 13.3). So wird die Bei Patienten mit einer  schweren MitralNachlast gesenkt und der Vorwärtsauswurf insuffizienz (. Abb. 9.15a) und niedrigem proerhöht, wodurch es zu einem reversen zeduralem Risiko stellt die kathetergestützte Remodeling des linken Ventrikels und Mitralklappenrekonstruktion (Mitralklappen-­ des Vorhofs kommen kann. Eine Edge-To-Edge-Reparatur; M-TEER) eine sehr kardiale Resynchronisationstherapie (CRT; gute Therapieoption dar. Unter den katheter7 Abschn. 13.3) kann ebenfalls den gestützten Therapieverfahren ist der M-TEER Schweregrad der MI reduzieren und sollte im das am besten validierte Verfahren (. Abb. Rahmen der Indikationen erfolgen. Auch 9.15b). Dabei wird über einen venösen Zugang eine Rhythmus- bzw. Frequenzkontrolle in der Leiste und nach transseptaler Punktion kann bei begleitendem oder ursächlichem (Punktion des interatrialen Septums) ein DeVorhofflimmern zu einer deutlichen vice ähnlich einer Klammer in der MitralReduktion der MI führen. klappe platziert, welches das anteriore und Die chirurgische Therapie umfasst die das posteriore Mitralsegel punktuell fusioniert Mitralklappenrekonstruktion bzw. den und damit die Mitralklappe abdichtet (. Abb. Mitralklappenersatz. Diese sind empfohlen, 9.15c) (Abbott Mitraclip® und Edwards Paswenn eine andere chirurgische Therapie cal™). Die perkutane Mitralklappeninsbesondere eine Bypass-Revaskularistaion ­ rekonstruktion ist v. a. für PatientInnen mit indiziert ist. Die Mitralklappen-­ Transkatheter-­ hohem Operationsrisiko geeignet, da sie ohne Edge-to-Edge Reparatur (M-TEER) bewirkt Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden bei sorgfältig ausgewählten Patienten mit kann. ◄  









a

b

..      Abb. 9.15  a–c a Transösophageale Echokardiografie mit schwerer exzentrischer Mitralinsuffizienz bei Prolaps des posterioren Mitralklappensegels, b fluoroskopische Aufnahme während der kathetergesteuerten Mitralklappenrekonstruktion mittels Edge-­to-­Edge-

c

Verfahren, c minimale residuale Mitralklappeninsuffizienz nach Absetzen des Devices im Rahmen der kathetergesteuerten Mitralklappenrekonstruktion

174

C. Hengstenberg et al.

9.5 

Mitralklappenprolaps

Definition  Der

Mitralklappenprolaps (MKP) beruht auf einer Pathologie des Mitralklappenapparates, der Chordae tendineae, der Papillarmuskel, des Mitralklappenanulus oder der Klappensegel selbst. Epidemiologie  Der MKP ist häufig (Prä-

valenz in der Bevölkerung je nach Definition bis 2,4 %) und tritt bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Ätiologie  Ursachen

9

des Mitralklappenprolaps: 55 familiär (am häufigsten) ..      Abb. 9.16  Echokardiografischer Befund bei 55 Bindegewebserkrankungen (Marfan-­ Mitralklappenprolaps. Es zeigt sich ein Prolaps beider Mitralsegel (rote Pfeile) in Richtung des linken AtSyndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom) 55 angeborene oder erworbene Herzer- riums über die Klappenebene hinaus, weiters eine anuloventrikuläre Dysjunktionszone (blauer Pfeil) krankungen (Ebstein-Anomalie, Vorhofseptumdefekt, hypertrophe Kardiomyospricht man von nicht-diagnostischen pathie) 55 andere nicht-kardiale Erkrankungen: Mitralklappenprolaps-­Formen, diese haben Hyperthyreose, Von-Willebrand-­Jürgens-­ insbesondere im Hinblick auf die Progression eine Bedeutung. Syndrom, Osteogenesis imperfecta Klinik  Die Symptome werden durch den

Schweregrad der Mitralinsuffizienz bestimmt (. Tab. 9.4). Der Großteil der Patienten mit minimaler Mitralklappeninsuffizienz ist asymptomatisch. Gelegentlich können Symptome auftreten, wie z. B.  Palpitationen, Synkopen oder Thoraxbeschwerden.  

Diagnostik  In der Auskultation können ein

charakteristischer systolischer Klick und ein mittel- bis spätsystolisches Geräusch auskultiert werden. Die Auskultation erfolgt, ähnlich wie bei der MI, am besten in Linksseitenlage mit der Membran des Stethoskops. Entsprechend kann der charakteristische Klick früher (d. h. rascher nach S1) auskultiert werden. Echokardiografisch ist der Nachweis des Prolapses eines oder beider Mitralsegel um 2  mm oberhalb des Mitralklappenanulus das Hauptkriterium (. Abb. 9.16). Bei einer systolischen Segeldislokation unter 2  mm  

Therapie  Bei jedem Patienten mit klini-

schen Hinweisen auf einen MKP sollte die Diagnose echokardiografisch bestätigt werden. Bei normaler Herzfunktion und in Abwesenheit von Risikofaktoren oder klinischen Zeichen einer Herzinsuffizienz kann der Patient sich normal belasten, sollte jedoch in 3-jährigen Abständen (bei Symptomen früher) echokardiografisch kontrolliert werden. Bei Vorliegen einer mittelschweren oder schweren MI sollten therapeutische Schritte eingeleitet werden (7 Abschn. 9.4).  

Prognose  Bei der großen Mehrheit der Pa-

tienten ist die Prognose des isolierten MKP sehr gut. Stark myxomatös veränderte Klappen haben ein erhöhtes Risiko für einen Sehnenfadenabriss und für die Entwicklung einer schweren Mitralklappeninsuffizienz. Zudem ist der MKP mit einem erhöhten Risiko für Arrhythmien und den plötzlichen Herzstillstand/Herztod in Verbindung ge-

9

175 Herzklappenerkrankungen

bracht worden. Insbesondere bei Angabe von Beschwerden ist daher ein Langzeit-EKG zur weiteren Diagnostik angezeigt. Als Risikofaktoren für den plötzlichen Herztod bei MKP gelten vermehrte ventrikuläre Extrasystolen, späte Gadolinium-Kontrastanreicherung im inferobasalen oder Papillarmuskelbereich im Herz-MRT, große anuloventrikuläre Dysjunktionszonen (. Abb. 9.16) und hohe Gewebedoppler-Geschwindigkeiten im Bereich des Mitralklappenanulus.

ffizienz (kurz Trikuspidalinsuffizienz,  TI) liegt ein abnormaler Klappenschluss der Trikuspidalklappe meistens im Zusammenhang mit einer Dilatation des rechten Ventrikels vor. Als Folge des Pendelvolumens zwischen rechtem Vorhof und rechtem Ventrikel kommt es zur Volumenbelastung dieser beiden Herzhöhlen sowie des venösen Kreislaufs.

bus Barlow), kongenitaler Ebstein-­ Anomalie und iatrogenem Klappenschaden (Herzbiopsien, besonders bei Herztransplantierten). 55 Sekundär: Die sekundäre TI ist die häufigste Ursache (90 %) und entsteht entweder aufgrund einer ventrikulären Dilatation oder Dysfunktion oder einer Vergrößerung des rechten Vorhofes infolge von chronischem Vorhofflimmern (atriale oder isolierte Trikuspidalinsuffizienz). Bei der Mehrheit der Patienten (ca. 60 %) liegt eine linksseitige Problematik mit sekundärer pulmonal-­ arterieller Hypertonie oder eine primäre oder gemischte pulmonal-arterielle Hypertonie (ca. 20 %) zugrunde. 55 Herzschrittmacher-induziert: Die herzschrittmacher-induzierte TI stellt eine separate Entität aufgrund ihres spezifischen Verlaufs und Managements dar. Ca. 20–30 % der Patienten, welche eine rechtsventrikuläre Herzschrittmacher-/ ICD-/CRT-Sonde erhalten, können im Verlauf eine relevante TI entwickeln, welche meistens auf eine Interaktion der Elektroden mit den Segeln zurückzuführen ist.

Epidemiologie  Eine leichte TI kann bei bis zu

Einteilung  Die Einteilung des Schweregrades

70 % der Gesamtbevölkerung als Normvariante echokardiografisch nachgewiesen werden. Die Häufigkeit des Vitiums nimmt im Alter exponentiell zu und ist in der Population der über 75-Jährigen bei mehr als 4 % mittelbis hochgradig. Die TI wurde in der Vergangenheit unterdiagnostiziert, obwohl sie mit einem deutlich erhöhten Risiko für Mortalität und Herzinsuffizienz vergesellschaftet ist.

der TI wird mittels transthorakaler Echokardiografie vorgenommen und folgt einem multiparametrischen Vorgehen (. Tab. 9.6).



9.6 

Trikuspidalklappenin­ suffizienz

Definition  Bei der Trikuspidalklappeninsu­

Ätiologie  Es wird zwischen den folgenden

Ursachen der TI unterschieden: 55 Primär: die primäre Form der TI ist die seltenste (ca. 5 %) und entsteht meistens in Zusammenhang mit Trauma, infektiöser Endokarditis (insbesondere intravenöser Drogenkonsum), rheumatischer Herzerkrankung, Karzinoid-Syndrom, myxomatöser Klappenerkrankung (Mor-



>> Besonders zu beachten ist die hohe Variabilität des Insuffizienzjets in Abhängigkeit von Atemzyklus, Volumenstatus und den intrakardialen Druckverhältnissen. Dies kann zu einer Unterschätzung des Insuffizienzschweregrades führen, insbesondere bei Patienten mit weiter Koaptationslücke und tiefer Jetgeschwindigkeit. Pathophysiologie  Am häufigsten sind rechts-

ventrikuläre (meistens ischämische) Schäden, die rechtsatriale Dilatation bei chronischem Vorhofflimmern oder eine Drucküberlastung des rechten Ventrikels bei primärer oder sekundärer pulmonal-arterieller Hypertonie

176

C. Hengstenberg et al.

..      Tab. 9.6  Echokardiografische Kriterien für die Diagnose einer schweren Trikuspidalinsuffizienz (Vena contracta, kleinster Durchmesser des Regurgitationsjets einer insuffizienten Mitralklappe (mit Farbdoppler gemessen). PISA, proximal isovelocity surface area. EROA, effective regurgitant orifice area)

9

ursächlich für die Entstehung der TI verantwortlich. Die daraus resultierende Volumenüberlastung führt zu einer fortschreitenden Dilatation der rechtsseitigen Herzhöhlen und des Klappenanulus, welche einen Zug auf die Segel ausübt (sog. Tethering) und unbehandelt zu einem Fortschreiten des Schweregrades der TI mit progredienter Koaptationslücke führt („triscupid regurgitation begets tricuspid regurgitation“). Liegt eine eingeschränkte rechtsventrikuläre Funktion vor, ist diese ein zusätzlicher Prädiktor für eine schlechtere klinische Prognose. Klinik  Als erste Manifestation führt die TI

zu einer Abnahme des Herzminutenvolumens mit Dyspnoe und Leistungsminderung. Im weiteren Verlauf entsteht schleichend eine ­ diffuse Symptomatik mit Müdigkeit, Appetitstörung, Völlegefühl, Aszites und Unterschenkelödeme. Im späten Stadium kann es zum klinischen Bild einer rechtsventrikulären Herzinsuffizienz mit diffuser Wasserretention (Anasarka) kommen. Laborchemisch sind das Brain Natriuretic Peptid (BNP), die Leberenzyme sowie die renalen Parameter im Sinne einer chronischen Niereninsuffizienz erhöht. Organdysfunktionen sind Spätfolgen der schweren TI und werden durch die

Organstauung aufgrund der erhöhten Druckverhältnisse im venösen Kreislauf erklärt. Ca. 70 % der Patienten mit einer relevanten TI weisen gleichzeitig ein chronisches Vorhofflimmern auf (7 Abschn. 12.6).  

Diagnostik  Klinisch sind bei Patienten mit

schwerer TI typischerweise Zeichen der Flüssigkeitsretention, insbesondere Unterschenkelödeme, Aszites und Pleuraergüsse erkennbar. Die Halsvenen sind gestaut und gelegentlich pulsatil (Lancisi-Zeichen). In der Auskultation kann ein leises Systolikum mit Maximum im Bereich des Sternums hörbar sein, welches mit Inspiration zunimmt. Der zweite Herzton kann im Fall einer pulmonalarteriellen Hypertonie gespalten sein. Jedoch fehlt ein Herzgeräusch häufig, insbesondere bei der fortgeschrittenen TI mit laminarem Rückfluss. Die transthorakale Echokardiografie ist die diagnostische Methode der Wahl  – nicht zuletzt, weil die TI und der rechte Ventrikel anterior im Thorax liegen und somit der Bildgebung gut zugänglich sind. Hiermit werden neben der Beurteilung der Morphologie der Klappensegel die Lokalisation des Jets (anteroseptal versus posterior), der Schweregrad der Insuffizienz, die Funktion des rechten

177 Herzklappenerkrankungen

9

Ventrikels sowie allfällige Interaktionen der Segel mit einer Herzschrittmacherelektrode beurteilt. Durch Messung des Druckunterschiedes zwischen dem rechten Ventrikel und dem rechten Vorhof (RV/RA-Gradient) kann der systolische pulmonal-­arterielle Druck geschätzt werden. Der Nachweis eines systolischen Rückflusses in die meist ausgeweiteten Lebervenen stellt ein weiteres diagnostisches Kriterium für die hochgradige TI dar. Die transösophageale Echokardiografie dient zur weiteren Präzisierung der Klappenmorphologie, welche in ca. 40 % der Fälle mehr als 3 Segel aufweist, sowie zur Planung von Transkatheter-Interventionen. Die Rechtsherzkatheteruntersuchung (7 Abschn. 2.7) nimmt einen besonderen Stellenwert in der Diagnostik der TI ein. Bei Patienten mit fortgeschrittener hochgradiger TI wird nicht selten eine Ventrikularisierung der rechtsatrialen Druckkurve beobachtet (. Abb. 9.17). Die detaillierte invasive Untersuchung der pulmonalen Druckverhältnisse mit Messung der pulmonalen Verschlussdruckwerte (Wedge-Druck) sowie des Herzminutenvolumens und der pulmonal- und systemvaskulären Widerstände gibt Hinweise über die Ursache einer allfälligen pulmonal-arteriellen Hypertonie (primär versus sekundär).

>>Da die pulmonal-arteriellen Druckwerte in der Anwesenheit einer hochgradigen Trikuspidalinsuffizienz generell unterschätzt werden, ist die Berechnung des pulmonalen vaskulären Widerstandes von entscheidender Bedeutung zur Diagnose einer maskierten primären pulmonal-­arteriellen Hypertonie.

..      Abb. 9.17  Hämodynamische Verhältnisse bei einer echokardiografisch schweren Trikuspidalinsuffizienz. Die Druckkurven zeigen einen Ausgleich des systolischen Drucks in beiden rechtsseitigen Herzkammern sowie in der Pulmonalarterie mit einer massiven Drucksteigerung im rechten Vorhof. Die rechtsatriale und rechtsventrikuläre Druckkurve unterscheiden

sich nur wenig voneinander aufgrund der nahezu fehlenden Klappenfunktion, was als „Ventrikularisierung“ der rechtsatrialen Druckkurve bezeichnet wird. Der rechtsventrikuläre enddiastolische Druck ist ebenfalls erhöht als Zeichen der rechtsventrikulären Dysfunktion. RA: rechtes Atrium; RV: rechter Ventrikel; PA: Pulmonalarterie





Therapie  Aufgrund der starken Abhängig-

keit des Schweregrades der TI von den rechtsventrikulären Dimensionen und Volumenstatus kann zur Symptomlinderung oder -kontrolle eine Therapie mit Diuretika initiiert werden. Bei assoziiertem Vorhofflimmern besteht zudem die Indikation zur oralen Antikoagulation. >>Interventionen zur Korrektur der Trikuspidalinsuffizienz werden selten und im Allgemeinen zu spät durchgeführt. Die frühzeitige Zuweisung von symptomatischen Patienten mit einer relevanten Trikuspidalinsuffizienz in ein Kompetenzzentrum ist von entscheidender Bedeutung. Ferner ist die Evaluation im Hinblick auf relevante linksseitige Herzvitien sowie eine linksventrikuläre Dysfunktion von Bedeutung.

178

C. Hengstenberg et al.

Obwohl die chirurgische Behandlung die Therapie der Wahl bei Patienten mit primärer TI mit akzeptablem operativem Risiko darstellt, ist ihr Nutzen bei der sekundären Trikuspidalinsuffizienz nicht durch solide Daten belegt. Die aktuellen europäischen Leitlinien unterstützen die gleichzeitige chirurgische Korrektur der schweren symptomatischen primären oder sekundären TI (Klasse I C) sowie bei Vorliegen einer Anulusdilatation (> 40 mm, 21 mm/m2; Klasse IIa C) bei Patienten, welche aufgrund einer linksseitigen Pathologie am Herzen operiert werden. Wenn technisch machbar, ist die Rekonstruktion mit Ringanulopastie dem Klappenersatz vorzuziehen. Obgleich die Erfahrung über die letzten zwei Jahrzehnte deutlich zu-

9

genommen hat, bleibt die postoperative Mortalität nach isolierter Trikuspidalklappenchirurgie relativ hoch (bei ca. 9 %), vorwiegend aufgrund der späten Zuweisung von Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung. Als Alternative können neue Transkatheter-­Interventionen zur Reparatur oder zum Ersatz der Trikuspidalklappe bei ausgewählten Patienten mit erhöhtem operativem Risiko angeboten werden (Klasse IIb C). Unter den kathetergestützten Therapieverfahren wird die Edge-to-Edge-Technik am häufigsten verwendet und führt durch Reduktion der Trikuspidalinsuffizienz zur Verbesserung von Symptomen und Lebensqualität sowie zu positivem Remodeling des rechten Ventrikels (. Abb. 9.18).  

a

b

c

d

e

f

..      Abb. 9.18  a–f Beispiel einer Transkatheter Edge-­ to-­ Edge-Rekonstruktion der Trikuspidalklappe. a, b Schwere sekundäre Trikuspidalinsuffizienz mit vorwiegend anteroseptaler Lokalisierung; c Prinzip der Transkatheter-Edge-to-Edge-Rekonstruktion: 2 Segel der Trikuspidalklappe werden simultan gegriffen und

zusammengelegt; d echokardiografisches Bild während der Intervention kurz vor dem Greifen des anterioren und septalen Segels; e, f finales Resultat mit Reduktion der Trikuspidalinsuffizienz auf leichtgradig nach Implantation von 2 TriClip (weiße Pfeile = Clip)

179

Erkrankungen des Endokards Alexander Lauten und Thomas F. Lüscher Inhaltsverzeichnis 10.1

Infektiöse Endokarditis – 180

10.2

Rheumatisches Fieber – 189

10.3

Endokarditis Libman-Sacks – 189 Literatur – 190

Frühere Versionen wurden auch unter Mitarbeit von David Hürlimann erstellt. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 T. F. Lüscher, U. Landmesser (Hrsg.), Herz-Kreislauf, Springer-Lehrbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6_10

10

180

A. Lauten und T. F. Lüscher

Eine Entzündung der Herzklappen wird als Endokarditis bezeichnet. Diese kann zahlreiche Ursachen haben, wobei die infektiöse Genese am häufigsten ist. Letztere erfordert eine antibiotische Therapie über mehrere Wochen, wird in etwa 50  % aller Fälle zusätzlich chirurgisch therapiert und verläuft auch heute noch bei einem von drei Patienten tödlich (Hill et al. 2007). Im Unterschied zur Endokarditis ist das rheumatische Fieber eine Systemerkrankung, bei der es nach einem Streptokokkeninfekt durch kreuzreagierende Antikörper zu einem Befall der Herzklappen kommen kann.

10

..      Abb. 10.1  Schwere Mitralklappenendokarditis mit Einblutungen und beginnender Abszedierung. (Mit freundlicher Genehmigung von Paul Vogt, Institut für Klinische Pathologie, Universitätsspital Zürich)

Unbehandelt beträgt die Mortalität der IE Differenziert werden 4 verschiedene Formen nahezu 100  %. Trotz Fortschritten in der von Endokarderkrankungen: antimikrobiellen und chirurgischen Therapie 55 Infektiöse Endokarditis (IE): Bakterielle ist die Mortalität auch unter optimaler BeInfektion oder Pilzinfektion handlung seit Jahrzehnten nahezu unver55 Libman-Sacks-Endokarditis und rheu- ändert. So beträgt die 30-Tages-­Mortalität matisches Fieber: Antigen-­ für Patienten mit einer NativklappenendoAntikörperreaktion und Immun- karditis, welche frühzeitig operiert oder bei komplexreaktion am Endokard fehlender Operationsindikation konservativ 55 Endomyokardfibrose (seltene, in den behandelt werden können, zwischen Tropen vorkommende Endokarditis mit 10–25  %. Sollte eine notwendige Operation Behinderung der Ventrikelfüllung) und aufgrund von Komorbiditäten nicht möglich Löffler-Endokarditis (7 Abschn.  8.1)  – sein, verstirbt etwa 1 von 3 Patienten innerwird nicht in jeder Klassifikation zu den halb von 30 Tagen. Obwohl die IE zu den selEndokarditiden gezählt teneren Herz-Kreislauf-­ Erkrankungen ge55 Mischformen hört, wird davon ausgegangen, dass sie für  

10.1 

Infektiöse Endokarditis

Definition  Die infektiöse Endokarditis (IE)

ist eine Erkrankung des Endokards, die meist durch Bakterien, nur im Ausnahmefall durch Pilze ausgelöst wird. Wichtigstes Kennzeichen sind dem Endokard aufgelagerte, meist in das Gewebe infiltrierende infizierte Vegetationen, bestehend aus Erregern, Fibrin, Thrombozyten und infiltrierenden Zellen des Immunsystems. Die IE betrifft eine oder mehrere Herzklappen, kann jedoch ausgehend von diesen auch auf andere Bereiche wie die Chordae tendinae oder das murale Endokard übergreifen (. Abb. 10.1).  

~100.000 Todesfälle jährlich weltweit verantwortlich ist (Lozano et al. 2012). Epidemiologie  Angaben zur Inzidenz der IE

zeigen eine breite Streuung. Ältere Daten berichten von einer Inzidenz von 3,6–7 Fällen/100.000 Lebensjahren. Diese Angaben sind jedoch aus verschiedenen Gründen wenig repräsentativ für die heutige Inzidenz. Aufgrund der demografischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte mit höherem Lebensalter, von Komorbiditäten wie Herzklappenerkrankungen, kardiovaskulären Implantaten wie mechanischen oder biologischen Herzklappen oder intravasalem Fremdmaterial wie Schrittmacherelektroden

181 Erkrankungen des Endokards

hat die Prävalenz bestimmter Risikofaktoren der Endokarditis zugenommen. Auch die Diagnosestellung der Erkrankung wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. So vereinfachen immer bessere diagnostische Möglichkeiten wie die hochauflösende Echokardiografie oder nuklearmedizinische Bildgebungsverfahren wie die 18Fluorodeoxyglucose-Positron­ene­ missionstomografie (18FDG-­PET) oder Leukozyten-SPECT die Diagnose der IE (. Abb. 10.2). Aktuelle Behandlungsdaten der Krankenhäuser in Deutschland lassen auf eine Inzidenz von 13–15 Fällen/100.000 Patientenjahren schließen. Diese Zahlen sind vergleichbar zur Inzidenz, die in anderen westlichen Industrienationen beobachtet wird.  

Rund 80  % aller infektiösen Endokarditiden werden durch grampositive Erreger, meist Staphylokokken oder Streptokokken, verursacht. Obwohl auch gramnegative Erreger häufig bei Bakteriämien vorkommen, führen diese nur selten zur Endokarditis (. Tab. 10.1)8.  

Pathomechanismen  Die

Pathophysiologie der IE ist bisher nur teilweise verstanden. Man geht davon aus, dass es an bereits vorhandenen Endothelläsionen an den Klappen zunächst zur Ablagerung von Fibrin und Thrombozyten kommt. Dabei entstehen zunächst nichtbakterielle thrombotische Vegetationen, welche sich im Rahmen einer Bakteriämie sekundär infizieren können. Voraussetzung hierfür ist das Eindringen bakterieller Erreger in die Blutbahn („Bakteriämie“).

a

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c

d

..      Abb. 10.2 (a-d) 63-jähriger Patient, der eine biologische Aortenklappe über einen minimal invasiven Weg erhalten hat und kürzlich Fieber von bis zu 42 °C hatte. Echokardiografisch wurde ein paravalvulärer Abszess vermutet. 18FDG-PET/CT zeigte bei der Maximum Intensity Projection (MIP) eine ausgeprägte fo-

10

kale Stoffwechselaktivität innerhalb der Aortenwurzel (a), wie in den fusionierten PET/CT-Bildern (b, c) gezeigt. Bei der Operation konnte ein großer posteriorer Abszess bestätigt werden (d). (Mit freundlicher Genehmigung von Ronny Büchel, Universitätsspital Zürich)

182

A. Lauten und T. F. Lüscher

..      Tab. 10.1  Erregerspektrum der bakteriellen Endokarditis

10

Erreger

% der Patienten

Staphylococcus aureus

28

Koagulase-negative Staphylokokken

13

Viridans-Streptokokken

16

Streptococcus gallolyticus

10

Andere Streptokokkenspezies

5

Enterococcus-Spezies

9

HACEK

2

Pilze

1

Polymikrobiell

1

Kulturnegativ

10

Andere

5

Bakterien der HACEK-Gruppe: Haemophilus, Aggregatibacter, Cardiobacterium, Eikenella, Kingella

Nach der initialen Adhäsion des Erregers am Endothel im Bereich nichtbakteriell-­thrombotischer Vegetationen kommt es durch die Aktivierung von Monozyten und Endothelzellen zur Gerinnungsaktivierung, verbunden mit der weiteren Anheftung von Fibrin und Thrombozyten. Zusätzlich sezernieren bakterielle Erreger u. a. Exopolysaccharide und bilden sogenannte ­Biofilme. Die Vegetation aus Fibrin, Thrombozyten und Polysacchariden stellt dabei einen Schutzmechanismus für die Bakterien dar, der als Diffusionshindernis für Antibiotika im Blutstrom sowie gegenüber dem Immunsystem des Wirts fungiert und in dem die Erreger geschützt weiter metabolisch aktiv sind.5, 6 Vorwiegend betroffen sind Hochdruckbereiche (Mitral- oder Aortenklappe) sowie die Lokalisation distal von Engstellen, bei denen das Blut mit hoher Geschwindigkeit von einem Hochdruck- in einen Niederdruckbereich gerät (z.  B.  Ventrikelseptumdefekt). Dabei gilt: Je höher der Druckgradient, desto hoher die Infektwahrscheinlichkeit. Bei der Mitralklappe werden entzündliche Veränderungen vorwiegend auf der Vorhofseite, bei der Aortenklappe vorwiegend auf der Ventrikelseite gefunden.

Grundsätzlich treten Bakteriämien alltäglich infolge kleinster Verletzungen von Haut oder Schleimhaut z.  B. beim Zähneputzen oder bei Zahnbehandlungen auf, verlaufen aber aufgrund der hohen Resistenz des Endothels gegenüber Infektionen und einer wirksamen Immunabwehr in der Regel folgenlos. In einer klinischen Untersuchung Klinik  Die klinischen Symptome einer inkonnte gezeigt werden, dass unmittelbar fektiösen Endokarditis sind vor allem bei nach dem Zähneputzen bei rund einem Vier- Erkrankungsbeginn sehr unspezifisch, enttel, im Zusammenhang mit einer Zahnex- sprechend einer Infektion bei unklarem traktion bei fast zwei Dritteln der Studien- Fokus. Fieber tritt nahezu immer auf, systeteilnehmer endokarditistypische Erreger im mische Embolien in bis zu 40 % aller Patienten. Eine Splenomegalie tritt häufiger bei Blut nachgewiesen werden konnten.3,4 Erreger der normalen Standortflora der subakuten Verläufen mit längerer Dauer Mund- (Streptokokken der Viridans-­auf (. Abb.  10.3). Herzgeräusche sind Gruppe) oder Darmmukosa (Streptococcus meist Zeichen einer zugrunde liegenden gallolyticus) gehören zu den häufigsten Aus- Klappenerkrankung als Risikofaktor der lösern der IE. Da sie in diesen Lokalisationen IE. Leitbefunde sind vor allem die Bakteriäin der Regel nicht pathogen wirken gehören mie und im Rahmen der Bildgebung nachsie zu den opportunistischen Krankheits- gewiesene Vegetationen des Endokards. Daerreger, die nur bei Zusammentreffen günsti- rüber hinaus ist eine Vielzahl anderer Sympger Voraus-setzungen pathogen w ­ irken. tome bei IE bekannt (. Tab. 10.2)  



10

183 Erkrankungen des Endokards

Der klinische Verlauf der IE ist variabel und wird wesentlich durch die Art des Erregers beeinflusst. Subakute, eher protrahierte Verläufe über Monate bis hin zu fulminanten

..      Abb. 10.3  Septische Embolien als Manifestation einer Mitralklappenendokarditis. (Mit freundlicher Genehmigung des Bildarchivs Klinik und Poliklinik für Innere Medizin, Universitätsspital Zürich)

Verlaufsformen mit schwerem septischem Krankheitsbild und letalem Verlauf innerhalb weniger Tage sind möglich. Eine akute IE ist mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine Infektion mit Staphylokokkus aureus (S. aureus) verursacht und durch einen raschen klinischen Progress innerhalb weniger Tage bis Wochen mit Klappendestruktion, systemischen Embolien und Absiedelungen bis hin zu fulminanten septischen Verlaufsformen gekennzeichnet. Die subakute IE („Endocarditis lenta“) zeigt dagegen klinische Verläufen über Wochen bis Monate und kann meist auf weniger virulente Erreger wie Viridans-­ Streptokokken, Enterokokken oder Koagulase-­ negative Staphylokokken (z.  B. S. epidermidis) zurückgeführt werden. Viridans-­Streptokokken sind die häufigsten

..      Tab. 10.2  Häufigkeit von Symptomen und Befunden der infektiösen Endokarditis. (Modifiziert nach7) Symptome

% der Patienten

Befunde

% der Patienten

Fieber

80–85

Fieber

80–96

Schüttelfrost

42–75

Herzgeräusch

80–85

Schwitzen

25

Verändertes oder neues Herzgeräusch

10–40

Kachexie

25–55

Neurologische Symptome

30–40

Gewichtsverlust

25–35

Embolien

20–40

Luftnot

20–40

Splenomegalie

15–50

Husten

25

Periphere Manifestationen

Kopfschmerzen

15–40

Osler Knötchen

7–10

Übelkeit oder Erbrechen

15–20

Splinter-Hämorrhagien

5–15

Myalgien oder Arthralgien

15–30

Janeway-Läsionen

6–10

Thoraxschmerzen

8–35

Retinaläsionen oder Roth-Flecken

4–10

Abdominelle Beschwerden

5–15

Rückenschmerzen

7–10

Verwirrtheit

10–20

184

A. Lauten und T. F. Lüscher

Verursacher subakuter und ambulant erworbener Endokarditiden. Weitere klinische Zeichen sind vaskuläre Befunde wie septische Embolien, konjunktivale Blutungen, Janeway-Läsionen (nicht schmerzhafte, wenige Millimeter große makulare oder nodulare Läsionen an den Handinnenflachen oder Fußsohlen; . Abb. 10.3), Petechien, Splinter-­ Hämorrhagien (splitterformige Einblutungen unter dem Nagel; . Abb.  10.3) sowie immunologische Phänomene wie Osler-­Knötchen und Roth-Flecken (ovale Netzhautblutungen; . Abb. 10.4, 10.5). Ambulante („community-acquired“) und nosokomiale („hospital-acquired“) Endokarditis unterscheiden sich im Hinblick auf Risikofakoren, Erregerspektrum und klinischen Verlauf.  





Diagnose  Neben den oben genannten klini-

10

..      Abb. 10.5  Rechtes Auge. Klassischer Roth-Fleck temporal der Makula sowie subhyaloidale Blutung im Bereich der Fovea. Der Sehnerv ist rechts im Bild angeschnitten. (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. R. Eberhard, Augenklinik des Universitätsspitals Zürich)

schen Zeichen einer Infektion liegen typischerweise erhöhte laborchemische Entzündungszeichen (CRP, Leukozytose mit Linksverschiebung) vor. Die sichere Diagnose der Endokarditis erfordert darüber hinaus neben dem Erregernachweis eine echokardiografische Dokumentation (. Abb. 10.6) einer typischen Vegetation oder alternativ die Sicherung am pathologischen Präparat nach chirurgischer Entfernung der Vegetation oder post m ­ ortem.  

..      Abb. 10.6  Mitralklappenendokarditis in der transösophagealen Echokardiografie. Es zeigt sich eine große Vegetation (*) am posterioren Mitralsegel

..      Abb. 10.4  Subunguale Splinter-Hämorrhagien. (Mit freundlicher Genehmigung des Bildarchivs Klinik und Poliklinik für Innere Medizin, Universitätsspital Zürich)

Initial bei klinischem Verdacht und wiederholt im weiteren Verlauf erlaubt die Anwendung der Duke-Kriterien (nach der Duke-Universität in North Carolina) die Diagnose einer IE mit hoher Sensitivität und Spezifität (. Tab. 10.3).  

185 Erkrankungen des Endokards

10

.       Tab. 10.3  Duke-Kriterien der infektiösen Endokarditis Definitive infektiöse Endokarditis

Pathologische Kriterien

Nachweis von Mikroorganismen mittels Kultur oder Histologie einer lokalen oder embolisierten Vegetation oder in einem intrakardialen Abszess oder pathologische Läsion: Vegetation oder intrakardialer Abszess mit histologisch bestätigter aktiver Endokarditis

Klinische Kriterien entsprechend der unten stehenden Klassifikation

2 Hauptkriterien oder 1 Hauptkriterium und 3 Nebenkriterien oder 5 Nebenkriterien

Mögliche infektiöse Endokarditis

1 Hauptkriterium plus 1 Nebenkriterium oder 3 Nebenkriterien

Diagnose verworfen, wenn

bestätigte alternative Diagnose bzw. Erklärung für die Manifestationen der vermuteten Endokarditis oder bleibende Auflösung der Manifestationen der vermuteten Endokarditis nach antibiotischer Therapie für weniger als 5 Tage oder fehlender pathologischer Nachweis einer Endokarditis im Rahmen einer Operation oder Autopsie nach antibiotischer Therapie für weniger als 5 Tage

Diagnosekriterien der infektiösen Endokarditis Hauptkriterien

Positive BK

Typische Mikroorganismen einer infektiösen Endokarditis in 2 separat abgenommenen BK

Streptococcus viridans, Streptococcus bovis, HACEK-Gruppe (s. Text) oder Staphylococcus aureus oder Community-acquired-­ Enterokokken in Abwesenheit eines Primärfokus

oder Persistierend positive BK (Mikroorganismen vereinbar mit infektiöser Endokarditis) in

≥ 2 BK, welche im Abstand von > 12 h abgenommen wurden oder 3/3 oder mehr als die Hälfte von 4 oder mehr separat abgenommene BK positiv (zeitlicher Abstand zwischen erster und letzter BK mindestens 1 h)

1 positive BK für Coxiella burnetii oder Anti-Phase1-IgG-­ Antikörpertiter > 1:800 (Fortsetzung)

186

A. Lauten und T. F. Lüscher

.       Tab. 10.3 (Fortsetzung) Hauptkriterien

Hinweise auf Endokardbeteiligung

Positive Echokardiografie (idealerweise TEE, speziell bei Klappenprothesen oder komplizierter infektiöser Endokarditis)

Oszillierende intrakardiale Raumforderung an den Klappen oder am Klappenapparat oder in einem Insuffizienzjet oder an implantiertem Material (bei fehlender alternativer anatomischer Erklärung) oder Abszess oder neue Dehiszenz einer Klappenprothese

Neue Klappeninsuffizienz (Zunahme oder Änderung eines vorbestehenden Herzgeräusches ist nicht ausreichend) Nebenkriterien

Prädisposition: prädisponierende Herzerkrankung oder intravenöser Drogenabusus Fieber ≥ 38,0 °C

10

Vaskuläre Phänomene: große septische Embolien, septische Pulmonalinfarkte, mykotische Aneurysmen, intrakranielle Blutungen, Janeway-Läsionen Immunologische Phänomene: Glomerulonephritis, Osler-Knötchen, Roth-Flecken, Rheumafaktor Mikrobiologischer Nachweis

Positive BK, welche jedoch nicht den Hauptkriterien entsprechend oder serologischer Nachweis einer aktiven Infektion vereinbar mit einer infektiösen Endokarditis

BK = Blutkultur, Blutkulturen; TEE = transösophageale Echokardiografie

>>Eine Endokarditis muss als mögliche Differenzialdiagnose immer bei persistierendem Fieber, Embolien oder Bakteriämien in Betracht gezogen werden. Besondere Risikogruppen  Da

bestimmte Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit einer IE erhöhen, sollten diese bei Patienten mit Fieber bei Vorliegen eines oder mehrerer der folgenden Befunde in Betracht gezogen und diagnostisch abgeklärt werden:

55 thrombembolische Ereignisse, 55 Bakteriämie, 55 prädisponierende Risikofaktoren wie kardiale Implantate, 55 Herzklappenerkrankungen. Bei Patienten mit prädisponierenden Faktoren können auch unspezifische Symptome wie ein Gewichtsverlust, Unwohlsein und anhaltender Kräfteverfall auch ohne das Auftreten von Fieber einzige Symptome

187 Erkrankungen des Endokards

einer IE sein. Aufgrund der ungünstigen Prognose der IE vor allem bei verzögertem Therapiebeginn sollte bei Risikopatienten mit unspezifischen Symptome eine niedrige Schwelle zur Durchführung einer Echokardiografie und bei Unklarheit auch weiterer diagnostischer Verfahren bestehen. Therapie  Das Therapieziel besteht in der

Beseitigung des Erregers innerhalb der infizierten Vegetation. Wird dieses Ziel nicht erreicht, ist mit einem erneuten Progress der Infektion spätestens nach Beendigung der antibiotischen Behandlung zu rechnen. Die antibiotische Therapie der IE soll gezielt, d.  h. erregerspezifisch und basierend auf einer Resistenzbestimmung, hochdosiert und unter Anwendung eines bakteriziden Antibiotikums erfolgen. Bis das Antibiogramm der Blutkulturen vorliegt, wird eine unspezifische empirische Antibiotikatherapie begonnen, welche sich an dem zu erwartenden Keimspektrum orientiert. >>Wichtig ist, dass Blutkulturen initial immer vor Beginn der empirischen Antibiotikatherapie abgenommen werden.

Hierbei wird die Abnahme von 3 Blutkulturpaaren im Abstand von 30  min empfohlen. Entgegen der früheren Lehrmeinung kann dies auch unabhängig vom Fieberanstieg erfolgen, um den Beginn der antibiotischen Therapie nicht zu verzögern. Sobald der verursachende Erreger isoliert ist, wird die antibiotische Therapie resistenzgerecht angepasst. In der Regel wird die Antibiotikatherapie bei einer Nativklappenendokarditis für 2–6 Wochen, bei einer Prothesenendokarditis mindestens 6 Wochen stationär durchgeführt, je nach Keim, klinischer Präsentation und Verlauf jedoch teilweise auch länger. Moderne Therapiekonzepte umfassen bei ausgewählten Patienten, bei nachweislich wirksamer Antibiose und kontrollierter Infektsituation auch die Möglichkeit einer

10

teilweise ambulante Therapie (OPAT = Outpatient Parenteral Antibiotic Therapy).

Antibiotikaregime zur Initialtherapie der infektiösen Endokarditis Empirische Therapie bei kulturnegativer Endokarditis 55 Bei Nativklappen oder Spät-­ Prothesenendokarditiden (≥ 12 Monate nach Implantation): –– Ampicillin 12  g/d i.v. in 4–6 Einzeldosen plus –– Flucloxacillin 12 g/d i.v. in Einzeldosen plus –– Gentamicin 3  mg/kg KG/d i.v. oder i. m. Einzelgabe 55 Bei Patienten mit Penicillinallergie: –– Vancomycin 30–60 mg/kg/d i.v. in 2–3 –– Gentamicin i.v.: 3  mg/kg/d i.v. oder i. m. als Einmalgabe 55 Bei kulturnegativer Früh-­ Prothese­ nendokarditis (d.  h. innerhalb von 12 Monaten nach Implantation): –– wie bei Patienten mit Penicillinallergie plus zusätzlich Rifampicin i.v., 900–1200  mg/d in 2–3 Einzeldosen für 4–6 Wochen Therapie bei Penicillin-sensitiven Streptokokken (minimale Hemmkonzentration MHK ≤ 0,125 mg/l)* 55 Penicillin G i.v.: 12–18  Mio. U/d, in 4–6 Dosen für 4 Wochen oder 55 Amoxicillin 3–4 × 2–4 g i.v. oder 55 Ceftriaxon 2–4 g/d i.v. in 1–2 Dosen * Für Erregerstämme mit relativer Penicillinresistenz (MHK 0,25–2 mg/l) gelten andere Dosierungen bzw. Kombinationsbehand­ lungen. Therapie der Staphylokokken-­ Endokarditis 55 Methicillinempfindlich:

188

A. Lauten und T. F. Lüscher

–– Oxacillin i.v.: 12 g, in 4–6 Einzeldosen über 4 Wochen 55 Methicillinresistent (MRSA): –– Vancomycin i.v.: 30–60  mg/kg/d, in 4–6 Einzelgaben für 6 Wochen 55 Alternativ: –– Daptomycin 10  mg/kg/d i.v. einmal täglich

10

Therapie der Prothesenendokarditis mit Staphylokokken 55 Methicillinempfindlich: –– Oxacillin i.v.: 12 g/d, in 4–6 Dosen für 6 Wochen plus –– Gentamicin i.v.: 3 mg/kg KG/d, in 1–2 Dosen für 2 Wochen plus –– Rifampicin i.v.: 900–1200  mg/d, in 2–3 Dosen für 6 Wochen 55 Methicillinresistent (MRSA): –– Vancomycin i.v.: 30–60  mg/kg KG/d, in 2–3 Dosen für 6 Wochen plus –– Gentamicin i.v.: 3 mg/kg KG/d, in 1–2 Dosen für 2 Wochen plus –– Rifampicin i.v.: 900–1200  mg/d, in 2–3 Dosen für 6 Wochen (mod. nach European Society of Cardiology Guidelines on Endocardtis)

Endokarditisprophylaxe  Nach

derzeitiger Empfehlung ist die Durchführung einer Endokarditisprophylaxe nur für Patienten mit höchstem Risiko erforderlich, sofern sich diese einem Hochrisikoeingriff unterziehen. Als Hochrisikopatienten gelten dabei die im Folgenden genannten.

Endokarditis-Hochrisikopatienten 55 Patienten mit Klappenprothesen inkl. Transkatheterklappen oder mit re-

konstruierten Klappen unter Verwendung prothetischen Materials 55 Patienten mit überstandener Endokarditis 55 Patienten mit angeborenen Vitien: –– jegliche zyanotische Vitien –– bis zu 6 Monate nach operativer oder interventioneller Vitien-­ Korrektur unter Verwendung von prothetischem Material oder lebenslang bei residuellem Shunt oder Klappeninsuffizienz

Bei anderen Klappenerkrankungen oder angeborenen Vitien wird eine Prophylaxe mit Antibiotika nicht empfohlen. Als Risikoeingriff gelten dabei aktuell zahnärztliche Eingriffe, bei denen es zu einer Manipulation der Gingiva oder der periapikalen Zahnregion oder zu einer Perforation der oralen Mukosa kommt. Bei diesen Eingriffen in o.g. Patientengruppe erfolgt als Endokarditisprophylaxe eine Einmaldosis, 60 min vor dem Eingriff (p.o.) oder 30–60 min vor dem Eingriff (i.v.) verabreicht. Darüber hinaus wird eine perioperative Prophylaxe im Rahmen der Implantation eines Herzschrittmachers, eines ICDs, einer Herzklappenprothese oder sonstigen kardialen Fremdmaterials empfohlen. Diese insgesamt restriktiven Empfehlungen beruhen auf der Erkenntnis, dass es bei täglichen Aktivitäten regelmäßig zu transienter Bakteriämie kommt. Eine punktuelle Endokarditisprophylaxe, z. B. bei Zahneingriffen, würde daher nur eine verschwindend kleine Zahl der Infektionen verhindern. Darüber hinaus wurde die Effektivität einer Endokarditisprophylaxe nur im Tierversuch gezeigt, prospektive randomisierte Studien beim Menschen liegen hingegen nicht vor.

10

189 Erkrankungen des Endokards

Rheumatisches Fieber

delt es sich um eine entzündliche Systemerkrankung, die nach einer Infektion mit hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A, meist Streptokokkenangina, auftritt.

Ein rheumatisches Fieber ist wahrscheinlich, wenn ein Streptokokkeninfekt vorausging (positiver Rachenabstrich, positiver Nachweis von Streptokokkenantigen oder steigender Streptokokken-Antikörpertiter) und 2 Hauptkriterien oder 1 Hauptkriterium und 2 Nebenkriterien vorliegen.

Epidemiologie  Das akute rheumatische Fie-

Therapie  Die Therapie erfolgt kausal mittels

10.2 

Definition  Beim rheumatischen Fieber han-

ber ist in der westlichen Welt selten geworden. Bei älteren Patienten sowie bei Einwanderern aus Mittelmeer- und Dritte-Welt-Ländern findet man jedoch immer noch vor allem Klappenvitien als Folgezustände. Ätiologie, Pathophysiologie  Das rheumati-

sche Fieber ist eine Immunantwort auf bakterielle Strukturen bzw. Oberflächenproteine (M-, T- und R-­Proteine), welche mit menschlichen Glykoproteinen aufgrund von Strukturhomologien kreuzreagieren, was zuletzt zu Autoimmunreaktionen führt (Antigen-­ Mimikry). Am Herz kommt es typischerweise zur Endokardbeteiligung wie verrukösen Vegetationen an den Klappen und/oder entzündlicher Infiltration des linksventrikulären Endokards sowie im Verlauf zur granulomatösen Infiltration des Myokards und Perikards (Aschoff-Körper). Klinik, Diagnostik  Die Diagnose des rheu-

matischen Fiebers richtet sich nach den Jones-Kriterien.

Jones-Kriterien 55 Hauptkriterien: Karditis, wandernde Polyarthritis, Chorea minor, subkutane Knötchen, Erythema marginatum 55 Nebenkriterien: Fieber, Arthralgie, Erhöhung des C-reaktiven Proteins (CRP) oder der Blutsenkungsgeschwindigkeit

Antibiotika zur Keimeradikation. >>Bei allen Streptokokkeninfektionen ist Penicillin das Mittel der Wahl, akut über 10 Tage und als Langzeitprophylaxe, je nach Situation, bis zu 10 Jahren oder lebens-lang.

Darüber hinaus wird je nach klinischem Szenario eine symptomatische Therapie der Arthritis (Aspirin) sowie der Chorea minor (Lärmabschottung, ggf. Carbamazepin oder Valproat) durchgeführt. Bei eingeschränkter linksventrikulärer Funktion wird eine medikamentöse Therapie der Herzinsuffizienz begonnen, ggf. ergänzt durch Kortikoide.

10.3 

Endokarditis Libman-Sacks

Bei der Libman-Sacks-Endokarditis handelt es sich um eine nichtinfektiöse Entzündung, die in erster Linie als Mitbeteiligung des Endokards im Rahmen von Systemerkrankungen wie dem systemischen Lupus erythematodes (SLE), dem Antiphospholipidsyndrom oder Tumorerkrankungen auftritt. Die Libman-Sacks-Endokarditis ist durch fibrinoidnekrotische warzige Endokardverdickungen, sog. Verrucae, gekennzeichnet, die vorzugsweise an der Unterseite der Segelklappen zu finden sind (. Abb. 10.7). Patienten mit einer Endokarditis Libman-­ Sacks sind oft asymptomatisch, die endokardiale Mitbeteiligung wird im Rahmen der Diagnostik eines systemischen Lupus erythematodes (SLE) mittels Echokardiografie  

190

A. Lauten und T. F. Lüscher

..      Abb. 10.7  Mitralklappenendokarditis vom Typ Libman-Sacks mit großer Auflagerung am posterioren Segel

10

entdeckt. Angaben zur Häufigkeit sind breit gestreut, bei 10–50 % aller SLE-Patienten finden sich Beteiligungen des Endokards bis hin zur Libman-Sacks-­Endokarditis. Die Vegetationen können Ursprung systemischer Embolien sein und in Einzelfällen über die Destruktion der Klappe auch zur akuten Herzinsuffizienz führen. Es gibt keine spezifische Therapie der Libman-Sacks-Endokarditis, außer der Behandlung der Grunderkrankung sowie der symptomatischen Therapie relevanter Klappenfehler. Die Prophylaxe einer bakteriellen Besiedelung der Verrucae im Sinne einer „infektiösen Endokarditisprophylaxe“ ist darüber hinaus ebenfalls sinnvoll.

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191 Erkrankungen des Endokards

Padilla RP, Perez-Ruiz F, Perico N, Phillips D, Pierce K, Pope CA, 3rd, Porrini E, Pourmalek F, Raju M, Ranganathan D, Rehm JT, Rein DB, Remuzzi G, Rivara FP, Roberts T, De Leon FR, Rosenfeld LC, Rushton L, Sacco RL, Salomon JA, Sampson U, Sanman E, Schwebel DC, Segui-Gomez M, Shepard DS, Singh D, Singleton J, Sliwa K, Smith E, Steer A, Taylor JA, Thomas B, Tleyjeh IM, Towbin JA, Truelsen T, Undurraga EA, Venketasubramanian N, Vijayakumar L, Vos T, Wagner GR, Wang M, Wang W, Watt K, Weinstock MA, Weintraub R, Wilkinson JD, Woolf AD, Wulf S, Yeh PH, Yip P, Zabetian A, Zheng ZJ, Lopez AD, Murray CJ, AlMazroa MA and Memish ZA. (2012) Global and regional mortality from 235 causes of death for 20 age groups in 1990 and 2010: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2010. Lancet. 2012;380:2095–128. Murdoch DR, Corey GR, Hoen B, Miro JM, Fowler VG, Jr., Bayer AS, Karchmer AW, Olaison L, Pappas PA, Moreillon P, Chambers ST, Chu VH,

10

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193

Erkrankungen des Perikards Thomas F. Lüscher, Matthias Greutmann und Jan Steffel Inhaltsverzeichnis 11.1

Perikarditis – 194

11.2

Perikarderguss und Tamponade – 196

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 T. F. Lüscher, U. Landmesser (Hrsg.), Herz-Kreislauf, Springer-Lehrbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6_11

11

194

T. F. Lüscher et al.

Die Perikarditis ist eine Entzündung des Herzbeutels (7 Kap. 1) aufgrund infektiöser oder nichtinfektiöser Ursachen. Die Ansammlung von Flüssigkeit im Perikardbeutel wird als Perikarderguss bezeichnet. Präsentation und Verlauf eines Perikardergusses sind variabel und reichen von einem harmlosen, asymptomatischen Zufallsbefund bis hin zur lebensbedrohlichen Perikardtamponade.  

11.1 

Perikarditis

Definition  Die Perikarditis ist eine Ent-

zündung des Herzbeutels aufgrund infektiöser oder nichtinfektiöser Ursachen. Wenn die Entzündung auf das Peri-kard übergreift spricht man von einer Perimyokarditis.





Formen lassen sich Klinik  In der Regel finden sich Allgemeinsymptome wie Fieber und Leistungsunterscheiden: 55 Idiopathisch (rund 50  % der Er- minderung sowie der pleuritische Schmerz, krankungen): Die Mehrzahl der sog. der im Liegen ausgeprägter ist, deshalb sitzen idiopathischen Perikarditiden wird Patienten mit Perikarditis gerne. Klinisch durch Viren oder Autoimmuner- unterscheidet man eine trockene und eine krankungen ausgelöst, welche sich einem feuchte Perikarditis. Nachweis entziehen. 55 Infektiös: Meistens verursacht durch Eine trockene (fibrinöse) Perikarditis trifft Viren (Coxsackievirus A und B, Adeno- man meistens im Initialstadium einer akuten viren, Echoviren, HIV). Seltener sind Perikarditis und häufig im Rahmen der PeriBakterien (Mycobacterium tuberculosis, karditis bei Herzinfarkt an. Klinisch zeigt Staphylococcus aureus, Streptokokken) sich ein stechender retrosternaler Schmerz, der im Liegen, bei tiefer Inspiration und involviert. 55 Covid-19: Adaptive Immunreaktionen beim Husten verstärkt wird. Deshalb sitzen mit Peri- und häufiger Perimyokarditis diese Patienten meistens im Notfall. traten im Rahmen der Covid-19-­ Pandemie auf und sehr selten nach Imp- !!Wichtigste Differenzialdiagnose der Perikarditis ist der Myokardinfarkt, bei fung (deutlich >Bei der konstriktiven Perikarditis kommt es aufgrund infektiöser oder entzündlicher Ursachen zu narbigen Verdickungen des Perikards mit Verkalkungen, es entsteht ein sog. Panzerherz. Als Folge wird die Füllung der Ventrikel zunehmend beeinträchtigt.

Trotz erhaltener systolischer Funktion entwickelt sich eine Herzinsuffizienz aufgrund der Behinderung der diastolischen Füllung (diastolische Dysfunktion, diastolische Herzinsuffizienz). Aufgrund der behinderten Ausdehnung des Ventrikels kommt es in der Diastole zu rasch und anhaltend hohen Füllungsdrücken (dip-and-plateau). Führend ist in der Regel (aufgrund der niedrigeren Füllungsdrücke) die Kompromittierung des rechten Herzens mit Entwicklung von peripheren Ödemen, Aszites bis zur Stauungszirrhose (7 Abschn. 12.2). In der klinischen Untersuchung ist ein Anstieg des Zentralvenendrucks in Inspiration mit Halsvenenstauung typisch (sog. Kussmaul-Zeichen). Bei rund einem Drittel der Patienten tritt ein Pulsus paradoxus auf (Blutdruckabfall in Inspiration), speziell bei zusätzlichem Perikarderguss. Goldstandard in der Diagnostik der Perikarditis constrictiva ist die Hämodynamik mit Nachweis der Konstriktion, entweder via invasiver Druckmessung oder echokardiografisch. Darüber hinaus lassen sich in CT oder MRI Perikardverdickungen am besten beurteilen (. Abb. 11.2). In der Röntgenübersichtsaufnahme des Thorax kann speziell bei Perikarditis constrictiva gelegentlich eine Kalkschwarte zu erkennen sein. Die einzige kausale Therapie der konstriktiven Perikarditis ist eine chirurgische Entfernung des Perikards (Perikardektomie). Dieser Eingriff ist jedoch nicht trivial, die perioperative Mortalität liegt bei 6–12 %. Gleichwohl kann bei 80 % der Patienten eine symptomatische Besserung er-

..      Abb. 11.2  Computertomografie bei chronisch verkalkter Perikarditis. Gut erkennbar sind die verkalkten Perikardanteile (Weisse Strukturen; Pfeile). (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. T. Frauenfelder, Institut für Radiologie, Universitätsspital Zürich)

zielt werden. Bei frühzeitiger Entfernung des Perikards ist darüber hinaus auch ein prognostischer Vorteil zu erwarten.



11



11.2 

Perikarderguss und Tamponade

Definition  Der Perikarderguss bezeichnet

eine Flüssigkeitsansammlung im serösen Spalt zwischen Perikard und Epikard. Behindert ein Perikarderguss signifikant die Füllung des Herzens, so spricht man von einer Perikardtamponade. Ätiologie  Eine der wichtigsten Komplika-

tionen der Perikarditis ist der Perikarderguss. Allerdings können auch andere Krankheitsbilder ursächlich sein, wie z. B. eine Tumorinfiltration, Vaskulitiden, traumatische Läsionen oder ein vorangegangener herzchirurgischer Eingriff. Pathophysiologie  Der Perikarderguss führt

ab einer gewissen Größe zu einer Beeinträchtigung der Herzfunktion, insbesondere der rechten Herzhöhlen wegen der hier niedrigeren Füllungsdrücke. Die hämo-

11

197 Erkrankungen des Perikards

dynamische Relevanz eines Perikardergusses stellt dabei ein Kontinuum zwischen einem hämodynamisch irrelevanten Erguss bis hin zur Tamponade dar. >> Ob und wann ein Perikarderguss hämodynamisch relevant wird und tamponiert, hängt in erster Linie nicht von der Menge des Ergusses, sondern vielmehr von der Geschwindigkeit seiner Entstehung ab.

So kann ein perakuter Erguss von 200  ml (z. B. im Rahmen einer iatrogenen Ventrikelperforation) innerhalb kürzester Zeit zum Vollbild der Tamponade führen. Im Gegensatz dazu kann ein über längere Zeit sich bildender Perikarderguss von bis zu 1000  ml oder mehr (z.  B. im Rahmen einer Tuberkulose) hämodynamisch toleriert werden. Klinik  Ein hämodynamisch nicht relevanter

Perikarderguss ist in aller Regel nicht symptomatisch. Gleichwohl können Zeichen einer eventuell verursachenden Grunderkrankung (Tuberkulose, Tumorleiden etc.) vorhanden sein. Kommt es zur Kompression der Herzhöhlen (Prätamponade und Tamponade), führt dies zu einem tiefen Blutdruck (Hypotonie), was kompensatorisch zu einer Steigerung der Herzfrequenz führt (Tachykardie). Durch den Rückstau des Blutes vor dem rechten Ventrikel kommt es zur Halsvenenstauung, bei Rückstau vor dem linken Ventrikel zu Dyspnoe und zum Lungenödem. Darüber hinaus wird häufig ein Abfall des systemischen Blutdrucks bei Inspiration um > 10 mmHg beobachtet (Pulsus paradoxus). Pathophysiologisch ist dies durch eine Zu-

nahme des venösen Rückstroms bei Inspiration in den rechten Ventrikel mit konsekutiver Verschiebung des Septums nach links bedingt, was bei der Tamponade im Rahmen des diastolischen Druckausgleich möglich ist (im Unterschied zur physiologischen Situation, in welcher der erhöhte linksventrikuläre Druck dies verhindert). Allerdings lässt sich ein solcher inspiratorischer Blutdruckabfall auch nach Nitratgabe sowie bei Hypovolämie beobachten. Der negativ prädiktive Wert des Pulsus paradoxus ist sehr hoch, d.  h., bei Abwesenheit ist eine Perikardtamponade sehr unwahrscheinlich (Ausnahme: lokalisierter Perikarderguss, wie z.  B. nach herzchirurgischen Eingriffen). >>Beck’s Trias der schweren Tamponade: abgeschwächte Herzgeräusche, Hypotonie, Halsvenenstauung Diagnostik  In der Auskultation werden die

Herzgeräusche durch den Erguss gedämpft und abgeschwächt. Im EKG imponiert eine Niedervoltage. Die diagnostische Methode der Wahl ist die Echokardiografie (. Abb.  11.3; 7 Abschn. 2.3). Schon ab einer Menge von 50 ml ist ein Erguss im Ultraschall gut sichtbar, im Röntgenbild hingegen erst ab etwa 400  ml (. Abb.  11.4). Darüber hinaus lassen sich echokardiografisch die Füllungsmuster des rechten und linken Ventrikels, eine Kompression des rechten Vorhofs und Ventrikels (. Abb.  11.5), die Atemvariabilität der Vena cava inferior sowie weitere strukturelle Herzerkrankungen beurteilen (z. B. direkter Nachweis einer Tumorinfiltration etc.).  







198

T. F. Lüscher et al.

a

b ..      Abb. 11.3  Echokardiografischer Befund bei großem Perikarderguss (*). Vgl. normale Anatomie in 7 Abb. 2.8 (7 Abschn. 2.3)  

11



>>Obwohl die Echokardiografie wertvolle Hinweise zur Diagnosestellung liefert, ist die Diagnose einer Perikardtamponade nur in Kombination mit dem klinischen Kontext zu stellen. Therapie  Beim hämodynamisch nicht rele-

vanten Perikarderguss richtet sich die Therapie nach der Grunderkrankung (Dialyse bei Urämie etc.). Ggf. kann eine Punktion aus diagnostischer Indikation erfolgen. >>Ein hämodynamisch relevanter Perikarderguss hingegen muss entlastet werden, im Rahmen einer Perikardtamponade ist dies ein Notfalleingriff.

..      Abb. 11.4 (a, b) Röntgen-Thorax. (a) Vor Perikardpunktion zeigt sich eine stark verbreiterte Herzsil-­ houette, welche (b) nach Punktion wieder normalisiert ist

199 Erkrankungen des Perikards

a

..      Abb. 11.5  Großer Perikarderguss (*) mit Tamponadezeichen im Echo. Deutlich zeigt sich in der Systole eine starke Kompression des rechten Vorhofs (links) sowie in der Diastole eine Kompression des

► Praktisch

Perikardpunktion Normalerweise kann eine Perikardpunktion von subxiphoidal durchgeführt werden, z.  B. unter echokardiografischer Kontrolle oder unter Durchleuchtung. Hierbei wird der Patient steril abgedeckt und unter sterilen Bedingungen von subxiphoidal echokardiografiert. An der idealen Stelle (lokal grosser Perikarderguss, kurze Strecke von der Haut bis zum Erguss, keine Leberanteile interponiert) wird nach Infiltration mit Lokalanästhesie die Haut mit einer langen Nadel punktiert und in Richtung der linken Schulter unter Aspiration vorgeführt. Ist der Erguss erfolgreich mit der Nadel punktiert, wird in Seldingertechnik ein Führungsdraht in den Perikardbeutel vorgeführt und darüber (nach Dilatation) die eigentlich Drainage eingelegt. Bei unsicherer Lage der Punktionsnadel kann noch vor (!) Dilatation

11

b

rechten Ventrikels (rechts). Darüber hinaus finden sich Fibrinbeläge auf der freien Wand des RV. RA: rechtes Atrium, RV: rechter Ventrikel, LA: linkes Atrium, LV: linker Ventrikel

und Drainageneinlage die korrekte Lage überprüft werden, z. B. durch Injektion von aufgeschäumtem NaCl (sog. bubbles) oder Kontrastmittel zur Kontrastierung der punktierten Höhle. Je nach Fragestellung und klinischer Indikation bleibt die Drainage für einige Stunden bis wenige Tage liegen, bevor sie wieder entfernt wird. Komplikationen wie Leberverletzung oder akzidentielle Punktion einer Herzhöhle sind bei korrekter Durchführung selten, besonders bei Vorliegen eines großen Perikardergusses. Bei länger bestehendem Perikarderguss kann es zu Septierungen und teilweise Organisation des Ergusses kommen, sodass eine perkutane Punktion nicht mehr möglich ist. In diesen Fällen kann ein operatives Verfahren erforderlich sein. Bei chronisch rezidivierenden Perikardergüssen kann eine sog. Perikardfensterung mit Ableitung in die Pleura oder zum Peritoneum notwendig sein. ◄

201

Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen Jan Steffel und Thomas F. Lüscher Inhaltsverzeichnis 12.1

Physiologie – 203

12.2

EKG – 204

12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.5 12.2.6

 hythmus – 204 R P-Welle und PQ-Dauer – 205 QRS-Komplex – 205 Repolarisation – 207 Extrasystolen – 207 Schenkelblöcke – 208

12.3

Antiarrhythmika – 211

12.4

Bradykarde Herzrhythmusstörungen – 212

12.4.1 12.4.2

S inuatrialer Block (SA-Block) – 213 Atrioventrikulärer Block (AV-Block) – 214

Frühere Versionen unter Mitarbeit von C. Brunckhorst © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 T. F. Lüscher, U. Landmesser (Hrsg.), Herz-Kreislauf, Springer-Lehrbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6_12

12

12.5

Tachykarde Herzrhythmusstörungen – 217

12.5.1 12.5.2 12.5.3 12.5.4

S inustachykardie – 217 Vorhofflimmern – 218 Vorhofflattern – 223 Präexzitation und Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW) – 224 AV-Knoten-Reentrytachykardien – 227 Ventrikuläre Tachykardie – 229 QT-Zeit-Verlängerung und Torsade-de-Pointes-Arrhythmie – 231 Kammerflimmern – 231

12.5.5 12.5.6 12.5.7 12.5.8

203 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

Herzrhythmusstörungen sind Veränderungen des Herzrhythmus in Frequenz, Regularität, Ursprung und/oder Erregungsfortleitung. Man unterscheidet bradykarde (z. B. Sick-Sinus-Syndrom, AV-Blöcke; in der Regel < 60/min) von tachykarden Rhythmusstörungen (z. B. Vorhofflimmern, Kammertachykardien; in der Regel > 100/min). Darüber hinaus werden Arrhythmien je nach Ursprung in supraventrikuläre und ventrikuläre Rhythmusstörungen unterteilt. Zur Behandlung von Rhythmusstörungen kommen u.a.  verschiedene Antiarrhythmika, die Katheterablation, Herzschrittmacher und intrakardiale Defibrillatoren (ICD) sowie ggf. eine Antikoagulation zur Vermeidung von Embolien zum Einsatz.

12.1 

12

Nach den Vorhöfen wird der AV-Knoten erregt, welcher dank seiner dekrementalen Leitungscharakteristik mit Blockierung der Überleitung ab einer bestimmten Herzfrequenz (sog. Wenckebach-Punkt) eine wichtige Filterfunktion bei hohen Vorhoffrequenzen übernimmt. Vom AV-Knoten wird die Erregung in das His-Bündel weitergeleitet, welches durch den Anulus fibrosus zieht und sich im weiteren Verlauf in den vorderen und hinteren linken sowie den rechten Tawara-Schenkel aufteilt und die Erregung schlussendlich via Purkinje-Fasern auf das Arbeitsmyokard überträgt (. Abb. 12.1).  

Physiologie

Der Sinusknoten ist der primäre Taktgeber des Herzens mit einer physiologischen Depolarisationsfrequenz von 60–100/min. Fällt er aus, tritt als Ersatz der AV-Knoten bzw. die AV Überganszone („AV Junction“) mit einer Eigenfrequenz von ca. 40–50/min als sekundärer Schrittmacher in Aktion. Versagt auch er, übernimmt das Ventrikelmyokard als tertiärer Schrittmacher mit einer Frequenz von ca. 20–40/min, was jedoch für ein angemessenes Herzminutenvolumen in den meisten Fällen nicht ausreicht. Der Sinusknoten besteht aus spezialisierten Zellen, die in der Crista terminalis des rechten Vorhofs liegen. Die spontane Depolarisation seiner P-Zellen (Pacemaker-­ Zellen, kalziumabhängig, IF-Kanäle, keine Natriumkanäle) führt über die T-Zellen (Transition) zu einem koordinierten elektri- ..      Abb. 12.1  Ablauf der Reizleitung im Herz und schen Impuls, der die Depolarisation und zeitliche Korrelation mit dem EKG. SN: Sinusknoten, AVN: AV-Knoten, HIS: His-Bündel damit die Kontraktion der Vorhöfe initiiert.

204

J. Steffel und T. F. Lüscher

12.2 

EKG

Systematische EKG-Basisbefundung

Zum Einstieg werden die Grundsätze der EKG-Befundung kurz wiederholt (7 Abschn. 2.2; . Tab. 12.1, und . Abb. 12.2); für tiefergehendes Studium verweisen wir auf die Lehrbücher der Physiologie.  





.       Tab. 12.1 EKG-Normwerte Parameter

Normwert

P-Welle

200 ms). 12.2.3 

QRS-Komplex

Der QRS-Komplex entspricht der Ventrikeldepolarisation; mehrere Aspekte des QRS-Komplexes müssen in der EKG-­ Befundung systematisch evaluiert werden. Der QRS-Komplex hat normalerweise eine Dauer von 60–120 ms. Dauert er 120 ms oder länger, spricht man von einem kompletten Schenkelblock. Darüber hinaus wird der Lagetyp des QRS-Komplexes bestimmt, welcher der elektrischen Herzachse entspricht. Der Lagetyp des QRS-Komplexes wird bestimmt durch die Projektion des QRS-Komplexes (bzw. dessen Hauptausschlags) auf die Extremitätenableitungen nach Einthoven und Goldberger (. Abb. 12.4a). Als Beispiel ist hier der Linkslagetyp und der überdrehte Linkslagetyp aufgeführt (. Abb. 12.4b). Ab –30°  



c

..      Abb. 12.3 (a-c) Veränderungen der P-Welle. (a) Normale Konfiguration, (b) P-dextroatriale und (c) P-sinistroatriale

206

J. Steffel und T. F. Lüscher

a

b

..      Abb. 12.5  Lagetypen und ihre „charakterisierenden“ Ableitungen. Siehe Text für Details. üLT: überdrehter Linkstyp, LT: Linkstyp, HT: Horizontaltyp, IT: Indifferenztyp, ST: Steiltyp, RT: Rechtstyp, NW: „Northwest“-Territorium (massiv überdrehter Links/ Rechtstyp). In der klinischen Praxis werden HT und LT häufig allgemein als „Linkstyp“ zusammengefasst

12

..      Abb. 12.4 (a, b) Cabrera-Dreieck (a) und Projektion bei Linkslage/überdrehter Linkslage (b). Siehe Text für Details. Schwarz: Einthoven Ableitung, rot: Goldberger Ableitungen, grün: Linkstyp, blau: überdrehter Linkstyp, violett: Gerade bei −30° (Umschlagpunkt LT/üLT), welche orthogonal auf II steht

QRS-Lage wird vom überdrehten Linkslagetyp gesprochen. Die Ableitung, welche orthogonal zur um –30° gedrehten Linie steht, ist Einthoven („römisch“) II. Der grüne Vektor entspricht einem Linkslagetyp; er projiziert sich in Ableitungsrichtung auf II, daher zeigt sich beim Linkslagetyp ein positiver Ausschlag in II. Beim überdrehten Linkslagetyp hingegen projiziert sich der QRS-Vektor in entgegengesetzte Richtung zur Ableitungsrichtung auf II; entsprechend zeigt sich beim überdrehten Linkstyp ein negativer Ausschlag in II. . Abb. 12.4 zeigt die verschiedenen Lagetypen mit den jeweils für sie definierenden Ableitungen, deren Polarität zum nächsten Lagetyp hin von positiv nach  

negativ dreht (oder umgekehrt). Als Beispiel wieder die Beschreibung anhand des Linkstyps: Beim Übergang zum überdrehten Linkstyp dreht II von positiv nach negativ (grün); beim Übergang vom Linkstyp zum Horizontaltyp dreht aVF von negativ nach positiv (blau). Anhand des Cabrera-­Dreiecks (. Abb. 12.4a) können jeder Lagetyp und die für ihn charakteristischen Ableitungen rekonstruiert werden, welche in . Abb. 12.5 zusammengefasst sind. Darüber hinaus wird der QRS-Komplex hinsichtlich pathologischer Q-Zacken analysiert. Die Definition pathologischer Q-­ Zacken ist nicht vollständig einheitlich, doch im Allgemeinen wird eine Q-Zacke von > 0,03 s Dauer und > 0,1 mV Ausschlag als pathologisch bezeichnet, wenn sie in 2 „benachbarten“ Ableitungen auftritt. „Benachbarte“ Ableitungen sind hierbei II–III– avF („inferiore Ableitungen“), V4–V6 („anterolaterale Ableitungen“) und I–avL– V6 („laterale Ableitungen“). Q-Zacken werden physiologischerweise beobachtet in avR und V1. Die Beschreibung von Q-Zacken  



207 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

kann hinweisgebend sein auf einen abgelaufenen Infarkt; dabei ist jedoch zu beachten, dass dieser Befund weder sehr sensitiv noch spezifisch ist: Infarkte können ohne Q-Zacken ablaufen; andererseits können Q-Zacken auch bei anderen Pathologien (z. B. Linksschenkelblock) auftreten. Schließlich wird der sog. R/S-Übergang beschrieben, also die Ableitung, an der die Amplitude der R-Zacke größer wird als die der S-Zacke. Normalerweise ist dies bei V3 oder V4 der Fall. Ein verzögerter R/S-­ Umschlag kann wiederum Zeichen eines abgelaufenen Infarktes sein (jedoch auch bei LSB, WPW und anderen auftreten); ein verfrühter R/S-Umschlag wird z. B. bei Rechtsschenkelblock und bei Rechtsherzbelastung beobachtet. 12.2.4 

Repolarisation

Die QT-Zeit entspricht der Zeit vom Beginn der Ventrikelerregung bis zum Ende der Repolarisation. Die physiologische QT-Dauer ist frequenzabhängig, weshalb als besseres Maß die frequenzkorrigierte QT-Zeit (QTc) verwendet wird. Zur Berechnung der QTc wird die QT-Zeit (in sec) durch die Wurzel des RR-Intervalls (in sec) geteilt. Bazett Formel : QTc  sec  

QT  sec 

12

für einen Infarkt, 7 Abschn. 7.3) oder aus dem aufsteigenden S (typisch für Perikarditis, 7 Kap. 11) nimmt. Eine ST-­ Senkung wird typischerweise bei der Myokardischämie beobachtet, kann jedoch auch eine Reihe weiterer (z. T. unspezifischer) Ursachen haben. Die T-Welle entspricht im Wesentlichen der Ventrikelrepolarisation. Verglichen mit der Depolarisation liegt der Repolarisation eine entgegengesetzten Polarität und Richtung des Erregungsablaufs zugrunde, weshalb der Vektor der T-Welle physiologischerweise konkordant zum Hauptvektor des QRS-Komplexes ausgerichtet ist. Zahlreiche Veränderungen, spezifisch und unspezifisch, können beobachtet werden. Eine hohe, spitze T-Welle kann beispielsweise bei einem akuten Myokardinfarkt oder bei einer Hyperkaliämie auftreten. Eine isolierte T-Welleninversion in benachbarten Ableitungen kann Hinweis auf einen abgelaufenen (nicht transmuralen) Infarkt sein. Eine U-Welle kann fakultativ nach der T-Welle auftreten und kann eine pathologische Bedeutung haben (insbesondere dann, wenn sie aus der T-Welle hervorgeht, da sie in diesem Fall zur T-Welle gerechnet wird und somit in die Bestimmung der QT-­ Zeit eingeht).  



RR  sec  12.2.5 

>>Eine Verlängerung der QTc erhöht das Risiko für eine Torsade-de-Pointes-­ Tachykardie, da die Wahrscheinlichkeit einer getriggerten Aktivität während der Repolarisation erhöht ist.

Während der ST-Strecke ist der Ventrikel depolarisiert. Eine signifikante Hebung oder Senkung der ST-Strecke über oder unter das Niveau der isoelektrischen Linie ist in den meisten Fällen pathologisch. Bei der STHebung wird unterschieden, ob diese ihren Ursprung aus dem absteigenden R (typisch

Extrasystolen

Extrasystolen sind Herzschläge außerhalb des physiologischen Grundrhythmus. Man unterteilt sie nach ihrem Entstehungsort in supraventrikuläre und ventrikuläre Extrasystolen. Bei den supraventrikulären Extrasystolen (. Abb. 12.6) liegt der Erregungsfokus im Vorhof. Die Ventrikelerregung erfolgt über den physiologischen Weg via AV-Knoten und His-Bündel und es resultiert ein schmaler QRS-Komplex (in Abwesenheit einer vorbestehenden ventrikulären Erregungs 

208

J. Steffel und T. F. Lüscher

..      Abb. 12.6  Supraventrikuläre Extrasystole (Pfeil)

leitungsverzögerung). Dabei kommt es vor, dass die nächste vom Sinusknoten ausgehende Erregung in die absolute Refraktärzeit der vorangegangenen Vorhoferregung fällt und damit eine kompensatorische Pause resultiert. Erst bei der übernächsten normalen Sinusaktion ist die P-Welle von einem regulären QRS-Komplex gefolgt.

12

>>Supraventrikuläre Extrasystolen sind häufig, in den allermeisten Fällen ungefährlich und bedürfen daher beim Herzgesunden keiner Therapie. Bei starker Symptomatik kommen Betablocker oder Verapamiltyp-­Calciumantagonisten sowie ggf. eine Ablationsbehandlung zum Einsatz.

Bei einer ventrikulären Extrasystole (VES; . Abb. 12.7) resultiert aufgrund der pathologischen Ventrikelerregung ein breiter QRS-Komplex. Eine VES aus dem linken Ventrikel hat meist die Morphologie eines Rechtsschenkelblocks, während eine VES aus dem rechten Ventrikel die Morphologie eines Linksschenkelblocks besitzt. Die Erregung kann sich darüber hinaus retrograd vom Ventrikel über den AV-Knoten auf den Vorhof ausbreiten, sodass im EKG eine negative P-Welle auftreten kann. Auch in diesem Fall kann somit nach einer Extrasystole eine kompensatorische Pause entstehen. Tritt nach jedem normalen Schlag eine VES auf,  

..      Abb. 12.7  Ventrikuläre Extrasystole

spricht man von Bigeminus. Bei einem Couplet treten 2, bei einem Triplet 3 Extrasystolen hintereinander auf. Abgesehen von gelegentlichen Palpitationen verursachen isolierte ventrikuläre Extrasystolen in der Regel per se keine Symptome. Bei frühzeitig einfallenden VES kann es aufgrund des noch nicht wieder mit Blut gefüllten Ventrikels zum peripheren Pulsdefizit und somit zu Symptomen einer relativen Bradykardie kommen. 12.2.6 

Schenkelblöcke

Definition  Unter

einem Schenkelblock versteht man eine Reizleitungsblockierung distal des His-Bündels. Je nach Lokalisation des Blockes unterscheidet man einen vollständigen bzw. kompletten Rechts- oder Linksschenkelblock sowie einen linksanterioren und einen linksposterioren Hemiblock. Ein kompletter Schenkelblock hat eine QRS-Dauer > 120 ms. Tritt ein Rechtsschenkelblockbild mit einer QRS-Dauer < 120 ms auf, spricht man von einem inkompletten Rechtsschenkelblock.

209 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

EKG-Veränderungen 55 Rechtsschenkelblock: Der QRS-­ Komplex ist in V1 und V2 M-förmig deformiert und hat ein plumpes S in I, aVL und V6 (. Abb. 12.8). 55 Kompletter Linksschenkelblock: Es findet sich eine breite und tiefe S-­Zacke in V1 und V2 sowie ein charakteristisches RsR’ in V5 und V6 (. Abb. 12.9). 55 Linksanteriorer Hemiblock: Die QRS-Dauer beträgt < 120 ms, es liegt ein überdrehter Linkstyp vor, qR in aVL (. Abb. 12.10). 55 Linksposteriorer Hemiblock (LPHB): Die QRS-Dauer beträgt < 110 ms; es liegt ein Rechtstyp oder überdrehter Rechtstyp vor mit rS-Muster in I und aVL sowie qR in II, III, avF.

12

>>Die Diagnose eines LPHB kann nur gestellt werden, wenn eine Rechtsherzbelastung, die mit ähnlichen EKG-­ Veränderungen einhergehen kann, ausgeschlossen ist.







..      Abb. 12.8  Kompletter Rechtsschenkelblock

Ätiologie  Typische Ursachen für einen

Schenkelblock sind: 55 Ischämie: KHK (7 Abschn. 7.2) und Herzinfarkt (7 Abschn. 7.3), insbesondere bei typischer Symptomatik und neu aufgetretenem LSB, 55 Hypertrophie des linken Ventrikels (7 Kap. 4 und 7 Abschn. 8.1), 55 Rechtsherzüberlastung: Lungenembolie (7 Abschn. 17.3), pulmonale Hypertonie (speziell beim RSB), 55 Myokarditis (7 Abschn. 8.2), 55 idiopathisch.  











210

J. Steffel und T. F. Lüscher

..      Abb. 12.9  Kompletter Linksschenkelblock

12

..      Abb. 12.10  Linksanteriorer Hemiblock

211 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

Klinik  In der Regel kommt es beim isolier-

ten Schenkelblock zu keiner rhythmologisch fassbaren Symptomatik.

ligen Krankheitsbilder besprochen. Traditionell werden Antiarrhythmika nach Vaughan/Williams in 4 Klassen unterteilt (. Tab. 12.2 und . Abb. 12.11).  

Therapie  Falls möglich, erfolgt die Thera-

pie des Grundleidens.

12.3 

Antiarrhythmika

Zahlreiche Pharmaka können zur Rhythmuskontrolle eingesetzt werden. Ihr spezielles Einsatzgebiet wird im Rahmen der jewei-



>>Alle Antiarrhythmika können neben der eigentlichen antiarrhythmischen Wirkung auch proarrhythmische Nebenwirkungen aufweisen.

Bezüglich der genauen, detaillierten Wirkmechanismen der Antiarrhythmika verweisen wir auf die Lehrbücher der Pharmakologie.

.       Tab. 12.2 Antiarrhythmika Klasse

Mechanismus

I

Natriumkanalblocker; Reduktion der Depolarisationsgeschwindigkeit

Beispiele

Ia

Verlangsamung der Depolarisationsgeschwindigkeit (Phase 0) durch Blockade der Natriumkanäle Verlängerung der Repolarisationsdauer durch Blockade von Kaliumkanälen

Chinidin, Procainamid

Ib

Verkürzung der Dauer des AP

Lidocain, Mexiletin

Ic

Ausgeprägte Verlangsamung der Depolarisationsgeschwindigkeit des AP

Flecainid, Propafenon

II

Betablocker

Metoprolol, Bisoprolol etc.

III

Kaliumkanalblocker, Verlängerung der Repolarisationsdauer

Amiodaron, Dronedaron, Sotalol, Ibutilid

IV

Kalziumkanalblocker (Verapamiltyp); hauptsächlich Wirkung auf Sinus- und AV-Knoten

Verapamil, Diltiazem

AP: Aktionspotenzial

12

212

12

J. Steffel und T. F. Lüscher

..      Abb. 12.11  Aktionspotenziale (durchgezogene Linie) und deren Veränderungen unter dem Einfluss verschiedener Antiarrhythmikaklassen (gestrichelte Li-

12.4 

Bradykarde Herzrhythmusstörungen

Definition  Als Bradykardie wird eine Re-

duktion der Herzfrequenz < 60 Schläge/min bezeichnet. Pathophysiologie, Ätiologie  Bei der Brady-

kardie kommt es zunächst kompensatorisch zur Erhöhung des Schlagvolumens, um das Herzminutenvolumen aufrechtzuerhalten. Bei stark verminderter Herzfrequenz (in der Regel < 40/min) tritt eine Reduktion des

nien). Ventrikuläre (Ia, Ib, Ic, III) und AV-­Knoten-­ Aktionspotenziale (IV) sind dargestellt

Herzminutenvolumens auf. Allerdings können, speziell bei trainierten Sportlern, auch Ruhefrequenzen < 30/min mit einem normalen Herzzeitvolumen einhergehen. Bradykardien treten am häufigsten im Rahmen einer Sinus- oder ­AV-Knoten-­Pathologie auf. Die Ursachen können vielfältig sein, treten jedoch nicht selten auch physiologisch auf (z. B. bei Sportlern oder bei hohem Vagotonus). In letzterem Fall ist nur dann Handlungsbedarf gegeben, wenn der Patient bradykardiebedingt symptomatisch wird.

213 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

Ursachen der Sinusbradykardie 55 Idiopathisch/degenerativ (mit zunehmendem Alter; häufigste Ursache) 55 Erhöhter Vagotonus: vasovagale Synkope, hypersensitiver Karotissinus 55 Körperliches Training (Sport) 55 Vererbbare Erkrankung 55 Ischämische Herzerkrankung (7 Abschn. 7.2 und 7.3) 55 Infiltrative Erkrankungen: Amyloidose, Sarkoidose, Hämochromatose u. a. (7 Abschn. 8.1) 55 R h e u m a t i s c h e r / a u t o i m m u n e r Formenkreis: rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes, Sklerodermie 55 Muskelerkrankungen, z. B. myotone Dystrophie 55 Trauma/Status nach chirurgischem Eingriff (7 Abschn. 9.1) 55 Infektiöse Ursachen: Borreliose, Diphtherie, Chagas, Endokarditis, Sepsis, Typhus 55 Elektrolytstörungen (Hypo-/Hyperkaliämie) 55 Metabolische Entgleisungen: Hypothyreose, Hypothermie, Anorexia nervosa 55 Medikamentös: negativ chronotrope und/oder bathmotrope Medikamente (Betablocker, Kalziumantagonisten, Digoxin etc.; 7 Abschn. 13.3) 55 Neurologische Erkrankungen: Hirndruckerhöhung, ZNS-Tumoren 55 Obstruktive Schlafapnoe  





12

implantation, evtl. ­überbrückt durch externes Pacing, Therapie der Wahl. Die Langzeittherapie richtet sich nach dem Vorhandensein oder Fehlen einer zugrunde liegenden Ursache der Bradykardie. Kann diese erfolgreich behandelt werden (z. B. durch Absetzen bradykardisierender Medikamente), so kann in der Regel auf eine Schrittmacherimplantation verzichtet werden. Kann sie nicht oder nur ungenügend behandelt werden oder kann auch nach extensiver Suche keine zugrunde liegende Ursache ausgemacht werden, ist eine definitive Schrittmacherimplantation Therapie der Wahl. 12.4.1 

 inuatrialer Block (SAS Block)

Definition  Störungen

der Erregungsbildung/-leitung im Sinusknoten.

Therapie  Die

werden 3 Schweregrade: 55 SA-Block 1. Grades: Überleitung der Erregung aus dem Sinusknoten auf die Vorhof-muskulatur verlangsamt, im normalen EKG nicht zu erkennen 55 SA-Block 2. Grades: intermittierende Ausfälle der Vorhoferregung. Man unterscheidet Typ I (Wenckebach) und Typ II (Mobitz). 55 SA-Block 3. Grades: Die Erregungsüberleitung vom Sinusknoten ist vollständig blockiert (wie Sinusstillstand). Es liegt entweder ein Ersatzrhythmus (AV-Knoten oder weiter distal) oder eine Asystolie vor.

In der Notfallsituation ist bei hämodynamischer Instabilität oder komplettem Sinusarrest die Gabe von Sympathomimetika sowie ggf. eine provisorische Schrittmacher-

Beim SA-Block 2. Grades Typ I (Wenckebach) nimmt die Leitungsverzögerung von Impuls zu Impuls zu, bis schließlich ein Impuls überhaupt nicht mehr übergeleitet wird. Da die Impulsgebung im Sinusknoten regelmäßig ist, der Verzögerungszuwachs



Therapie bradykarder Rhythmusstörungen ist von dem gesamten klinischen Bild abhängig.

Einteilung  Unterschieden

214

J. Steffel und T. F. Lüscher

..      Abb. 12.12  Intermittierender sinusatrialer Block Typ II (Mobitz). Bei ausgeprägter Sinusarrhythmie ist der PP-Abstand der Sinuspause etwas länger als die Summe der „normalen“ PP-Abstände

..      Abb. 12.13  AV-Block 1. Grades mit deutlich verlängerter PQ-Zeit (280 ms)

aber von Schlag zu Schlag weniger wird, ist im EKG eine Verkürzung des PP-Intervalls zu erkennen, der ein PP-Pausen-Intervall folgt, welches kürzer ist als die Summe der beiden vorausgehenden PP-Intervalle. Beim Typ II Mobitz finden sich intermittierende Ausfälle der P-Welle in einem konstanten Verhältnis (. Abb. 12.12).  

12

Ätiologie, Therapie  Zur Ätiologie und The-

rapie 7 Abschn. 12.3.  

12.4.2 

Definition  Beim AV-Block besteht eine

der

Reizüberleitung

Einteilung  Unterschieden

Beim AV-Block 1. Grades (. Abb. 12.13) ist die Überleitungszeit verlängert (> 200 ms), es werden jedoch alle Vorhoferregungen auf den Ventrikel übergeleitet. Im EKG folgt auf jede P-Welle ein QRS-Komplex. Der AV-Block 2. Grades ist durch das Auftreten einzelner Überleitungsblockierungen gekennzeichnet. 55 Beim Typ Wenckebach (. Abb. 12.14) nimmt typischerweise die Überleitungszeit sukzessive zu, bis schließlich eine Vorhoferregung nicht mehr übergeleitet wird, anschließend beginnt diese Periodik von vorne. Hierbei zeigt sich das Bild der charakteristischen „AV-­ Reziprozität“: Die PQ-Zeit vor dem geblockten P ist länger als die PQ Zeit nach dem geblockten P. 55 Beim (selteneren) Typ Mobitz (. Abb. 12.15) ist die atrioventrikuläre Überleitung ebenfalls in einem konstanten Verhältnis blockiert, z. B. im Verhältnis 3:1. Im EKG wird in diesem Fall jede 3. P-Welle nicht auf den Ventrikel über 



Atrioventrikulärer Block (AV-Block)

Verzögerung AV-Knoten.

55 AV-Block 3. Grades (vollständige Unterbrechung der AV-Leitung, AV-­ Dissoziation)

am

werden 3 Schweregrade: 55 AV-Block 1. Grades (PR-Intervall > 0,2 s) 55 AV-Block 2. Grades –– Typ I (Wenckebach, Mobitz I) –– Typ II (Mobitz oder Mobitz II)



12

215 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

..      Abb. 12.14  AV-Block 2. Grades Typ Wenckebach. Es kommt zu einer sukzessiven Verlängerung der AV-Überleitungszeit, jede 4. P-Welle wird nicht auf den Ventrikel übergeleitet

..      Abb. 12.15  Mobitz-Block. Im Unterschied zum Wenckebach-Block (. Abb. 12.14) findet keine PQ-Zeit-Verlängerung von Schlag zu Schlag statt. Auch zeigt sich keine AV-Reziprozität  

..      Abb. 12.16  AV-Bock 2. Grades mit 2:1-Überleitung

geleiteten. Die PQ-Zeit vor und nach der nicht übergeleitet wird. Im Unterschied zum blockierten Erregung hingegen ist die- AV-Block 3. Grades findet jedoch interselbe, es findet im Unterschied zum mittierend eine Überleitung statt. Dieser Wenckebach-­Block also keine Ver- Block wird häufig mit dem AV-Block II° längerung der PQ-Zeit statt (keine AV Mobitz Typ verwechselt, bei welchem ledigReziprozität). Der Mobitz-Typ-AV-­lich eine P-Wellen-Überleitung ausfällt, Block geht häufig mit einer strukturellen nicht aber zwei (oder mehrere) hinterErkrankung einher und das Risiko des einander. Klinisch hat der „High-­Degree“-­ Übergangs in einen totalen AV-Block ist AV-­Block praktisch immer dieselben Konsedeutlich erhöht. quenzen wie ein AV-Block III°. Beim AV-Block 3. Grades (. Abb. >>Bei einem 2:1-Block der AV-Überleitung 12.17) kommt es zu einer kompletten Unter(. Abb. 12.16), also der Überleitung nur brechung der Erregungsüberleitung vom jeder 2. P-Welle auf den Ventrikel, ist die Atrium auf den Ventrikel. Als Ersatz überUnterscheidung zwischen AV-Block II° nimmt ein weiter distal gelegener SchrittTyp Wenckebach und Typ Mobitz nicht macher die Erregungsbildungsfunktion mit ohne Weiteres zu treffen und benötigt i. einer Frequenz von 30–40/min (selten auch d. R. die Hinzunahme weiterer diagnosbis 60/min bei hohem hissären Ersatzrhythtischer Hilfsmittel (Karotissinusdruck, mus). Im EKG zeigen sich i. d. R. verAtropingabe, Belastung etc.). breiterte, jedoch regelmäßige QRS-­ Komplexe, welche völlig unabhängig von Ein sog. „High-Degree“-AV-Block liegt vor, den P-Wellen erscheinen (komplette AV-­ wenn mehr als eine P-Welle hintereinander Dissoziation).  



216

J. Steffel und T. F. Lüscher

..      Abb. 12.17  AV-Block 3. Grades. Komplette AV-­Dissoziation der Vorhoferregungen (schwarz markiert) und Ventrikelkomplexe

Ein vollständiger Block sowohl des linken als auch des rechten Tawara-Schenkels entspricht in seiner Manifestation und klinischen Konsequenz dem AV-Block 3. Grades und wird als trifaszikulärer Block bezeichnet. Gelegentlich wird die Bezeichnung „trifaszikulärer Block“ auch beim gleichzeitigen Vorliegen eines bifaszikulären Schenkelblocks und eines AV-Blocks 1. Grades verwendet, was jedoch besonders wegen der propädeutischen Ungenauigkeit zu Fehlinterpretationen verleitet und vermieden werden sollte.

55 Hypothyreose, 55 idiopathische Fibrose des Erregungsleitungssystems, 55 Sarkoidose, Sklerodermie, Amyloidose, Lupus erythematodes. Klinik  Der AV-Block 1. Grades ist meis-

tens asymptomatisch. Beim AV-Block 3. Grades sowie gelegentlich beim höhergradigen AV-­ Block 2. Grades und/oder ausgeprägter Bradykardie kann es zu Belastungsintoleranz, Schwindel und Synkopen kommen.

Ätiologie  Die Ursachen von AV-Leitungs-

störungen entsprechen in großen Teilen denen in der Übersicht (7 Abschn. 12.4) aufgeführten Ursachen der Bradykardie. Häufige Ursachen sind: 55 erhöhter Vagotonus (Valsalva-­Manöver, Karotisdruck) – insbesondere bei AVB I° und Wenckebach Block II°, deutlich weniger bei Mobitz Typ AVB II° und AVB III°, 55 Medikamente: Digitalis, Betablocker, Kalziumantagonisten vom Verapamil-­ Typ, 55 Elektrolytstörungen, speziell Hyperkaliämie, 55 Ischämie, akuter Myokardinfarkt, 55 Myokarditis, 55 Kardiomyopathien, 55 Z. n. herzchirurgischen Eingriffen, z. B. Aortenklappenersatz, 55 angeborene Herzfehler (Vorhofseptumdefekt, Morbus Ebstein),  

12

Therapie  Beim AV-Block muss, ähnlich

wie beim SA-­Block und bei bradykarden Rhythmusstörungen allgemein, eine therapierbare Ursache ausgeschlossen bzw. falls vorhanden behandelt werden. Bei AV-Block 1. Grades und AV-Block 2. Grades Typ Wenckebach wird die weiterführende Therapie von der Klinik des Patienten bestimmt. Liegen die Lebensqualität einschränkende Symptome vor, ist je nachdem die Indikation für eine Schrittmacherimplantation gegeben. Darüber hinaus ist Vorsicht geboten bei der Anwendung bradykardisierender Medikamente (Betablocker, Amiodaron etc.). Bei Patienten mit AV-Block 2. Grades Typ Mobitz, beim „High-Degree“-AV-­Block sowie beim (erworbenen) AV-Block 3. Grades besteht aus prognostischer Sicht die Indikation zur Herzschrittmacherimplantation.

217 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

.       Tab. 12.3 

Standardisierte Herzschrittmacher-­Codierung

1

2

3

4

Stimulation

Sensing

Betriebsart

Frequenzadaptation

0 (keiner)

0 (keiner)

0 (keiner)

0 (keiner)

A (Atrium)

A (Atrium)

T (getriggert)

R (adaptiv)

V (Ventrikel)

V (Ventrikel)

I (inhibiert)

D (Dual A + V)

D (Dual A + V)

D (Dual T + I)

► Praktisch

Basisprinzip der Herzschrittmachertherapie Ein moderner Herzschrittmacher erkennt eigene Aktionen des Herzens (Sensing) und gibt, falls innerhalb eines eingestellten Zeitintervalls keine Eigenaktionen erkennbar sind, Impulse ab (Pacing), worauf es zur Kontraktion von Atrium bzw. Ventrikel kommt (. Tab. 12.3). Primäres Ziel ist es zu verhindern, dass die Herzfrequenz unter die programmierte Grundfrequenz absinkt. Durch das parallele Sensing im Vorhof und Stimulation im Ventrikel wird bei totalem AV-Block die AV-Synchronizität gewahrt. Durch das Sensing im Ventrikel wird verhindert, dass im Falle einer Eigenaktion oder des Auftretens von ventrikulären Extrasystolen ein vom Schrittmacher abgegebener Impuls in die relative Refraktärphase des vorangehenden Schlages fällt und so eine ventrikuläre Rhythmusstörung auslöst. Moderne Schrittmacher besitzen darüber hinaus die Möglichkeit zur Erhöhung der stimulierten Herzfrequenz, z. B. wenn der Patient Sport treibt (Frequenzadaptation, rate adaptive pacing). Über spezielle Mechanismen wird meist das Atemminutenvolumen des Patienten und/oder die relative Beschleunigung des Schrittmacheraggregates gemessen (Akzelerometer) und hieraus das Aktivitätsniveau des Patienten extrapoliert, worauf als Folge die Schrittmacherfrequenz angepasst wird. ◄  

12

12.5 

Tachykarde Herzrhythmusstörungen

Definition  Als Tachykardie wird eine Er-

höhung der Herzfrequenz > 100 Schläge/ min bezeichnet. Einteilung  Je nach Ursprung ihrer Ent-

stehung werden supraventrikuläre und ventrikuläre Tachykardien differenziert. Bezüglich des Entstehungsmechanismus unterscheidet man grundsätzlich die Automatizität (abnormale Akzeleration der Phase-IVAktivität), Reentry (kreisende Erregung) und getriggerte Aktivität (Auslösung durch auf eine vorangegangene Aktion einfallende ­„Nachdepolarisation“).

12.5.1 

Sinustachykardie

Definition  Tachykardie

ausgehend vom Sinusknoten (oder sinusknotennahen Strukturen). Ätiologie  Eine

Sinustachykardie kann einerseits physiologisch bei körperlicher Anstrengung oder psychischer Belastung in Erscheinung treten. Andererseits kann sie auch als Folge einer systemischen Erkrankung (z. B. Hyperthyreose, Lungenembolie etc.) oder

218

J. Steffel und T. F. Lüscher

als Bedarfstachykardie (z. B. bei Hypovolämie, Anämie, Fieber, Schwangerschaft etc.) auftreten. Selten beruht eine Sinustachykardie auf einer Sinusknotendysfunktion, also einer Funktionsstörung des Sinusknoten selbst (sog. inadäquate Sinustachykardie). Bei diesem heterogenen und gesamthaft bislang unzureichend charakterisierten Krankheitsbild kommt es zu einer permanent erhöhten Herzfrequenz in Ruhe sowie zu einem überschießenden Anstieg unter Belastung. Therapie  Liegt der Sinustachykardie eine

pathologische Ursache zugrunde, muss in erster Linie diese behandelt und nicht primär die Sinustachykardie mittels bradykardisierender Medikamente (Betablocker etc.) verlangsamt werden.

12

>>Bradykardisierende Medikamente können sogar die Gesamtsituation verschlechtern, da die Tachykardie in diesen Situationen eine physiologische Reaktion des Organismus zur Aufrechterhaltung des Herzzeitvolumens bzw. des gesteigerten Grundumsatzes darstellt.

Bei der inadäquaten Sinustachykardie kann eine symptomatische Gabe von bradykardisierenden Präparaten (Betablocker, Verapamiltyp-Kalziumantagonist, If-­Kanal-­ Blocker) indiziert sein, was jedoch bei ausgeprägter intermittierender Bradykardie vorsichtig geschehen muss und gelegentlich eine gleichzeitige ­Schrittmacherimplantation zum Schutz vor einem Sinusarrest oder höhergradigem AV-Block erfordert. Selten kann zur Behandlung eine Katheterablation notwendig werden.

entrys, welche in den meisten Fällen ihren Ursprung in den Pulmonalvenen haben, zu extrem hohen Vorhoffrequenzen (> 350/min), was de facto einen Stillstand der Vorhofmuskulatur zur Folge hat. Da der AV-Knoten diese hohen Vorhoffrequenzen nur unregelmäßig auf den Ventrikel überleitet, entsteht eine absolute Arrhythmie des Herzschlags mit Kammerfrequenzen von meist um 70– 110/min, zuweilen jedoch deutlich mehr. >>Liegt gleichzeitig ein akzessorisches Leitungsbündel vor (➔ WPW), kann es im Extremfall auch zu sehr schneller Überleitung der Vorhofpotenziale auf den Ventrikel kommen, was zu einer Kammertachykardie mit Degeneration in ein Kammerflimmern führen kann (sog. „FBI-Tachykardie“: Fast – Broad – Irregular).

Epidemiologie  Das Vorhofflimmern ist die

weitaus häufigste tachykarde Rhythmusstörung. Die Prävalenz des Vorhofflimmerns steigt mit zunehmendem Alter: Bei Erwachsenen über 60 Jahren liegt sie im Schnitt bei ca. 0,5 %, im Alter über 75 Jahren steigt sie auf ca. 9 % an. Die Inzidenz nimmt mit dem Alter ebenfalls zu: Ein Viertel aller Erwachsenen über 40 Jahre wird im Leben mindestens einmal eine Episode mit Vorhofflimmern erleiden. Ätiologie  Das Vorhofflimmern kann bei

grundsätzlich relativ herzgesunden Patienten im Sinne einer degenerativen Erkrankung des Vorhofs bzw. der Pulmonalvenen  auftreten, häufig jedoch liegt begleitend eine Form einer strukturellen Herzkrankheit vor, z. B. bei arterieller Hypertonie (7 Kap. 4), KHK (7 Abschn. 7.2), Mitralvitien (7 Abschn. 9.4) oder Herzinsuffizienz (7 Abschn. 13.3). Darüber hinaus können exogene Ursachen wie systemische Erkrankungen (Hyperthyreose, Lungenembolie; 7 Abschn. 17.3, Status nach herzchirurgischem Eingriff) sowie  



12.5.2 

Vorhofflimmern

Definition  Beim Vorhofflimmern kommt es

durch eine fokale Aktivität und Mikro-Re-







12

219 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

..      Abb. 12.18  Relativer Beitrag von Trigger und Substrat in der Entstehung und Aufrechterhaltung des Vorhofflimmerns

bei prädisponierten Individuen Alkoholkonsum ein Vorhofflimmern auslösen (sog. Holiday Heart Syndrome). Hereditäre Ursachen wurden ebenfalls beschrieben, z. B. die 10q22-q24-Mutation auf Chromosom 10, die meist bereits im jüngeren Alter zu Vorhofflimmern führt und familiär gehäuft auftritt. Pathophysiologie  Die Entstehung und Auf-

rechterhaltung eines Vorhofflimmerns bedarf sowohl eines Triggers (also eines Auslösers) als auch eines Substrates zur Aufrechterhaltung (. Abb. 12.18). Automatisch entladende ektope Erregungsfoci in den Pulmonalvenen sind die häufigsten Trigger eines Vorhofflimmerns. Das Substrat zur Aufrechterhaltung des Vorhofflimmerns besteht zuweilen in strukturveränderten Vorhofarealen im Rahmen einer strukturellen Herzerkrankung, z. B. in Form von Narbengewebe bei lange bestehendem Hypertonus, kann jedoch insbesondere in frühen Formen des Vorhofflimmerns auch fehlen. Auf der anderen Seite führt das Vorhofflimmern selbst zu strukturellen Umbauprozessen der Vorhöfe mit Fibrosebildung (sog. Remodeling), sodass speziell bei lange bestehendem Vorhofflimmern genau diese Umbauvorgänge entscheidend zur Aufrechterhaltung des Vorhofflimmerns beitragen („Atrial fibrillation begets atrial fibrillation“, dt. „Vorhofflimmern begünstigt Vorhofflimmern“). Die Umbauvor 

gänge laufen dabei parallel und synergistisch in Form eines elektrischen, anatomischen und funktionellen Remodelings ab. Das Vorhofflimmern kann, vereinfacht ausgedrückt, 55 paroxysmal (anfallsweise), 55 persistierend (< 7 Tage) oder 55 permanent (keine Kardioversion möglich) auftreten. Mit zunehmender Dauer und Entwicklung vom paroxysmalen zum permanenten Flimmern nimmt dabei im Wechselspiel von Trigger und Substrat der Beitrag des Letzteren relativ gesehen kontinuierlich zu (. Abb. 12.18).  

Klinik  Gelegentlich sind Patienten bei guter

Herzfrequenzkontrolle nur wenig symptomatisch. Subjektiv werden Symptome vor allem bei schnellen Frequenzen festgestellt. Der Patient spürt Palpitationen, gelegentlich bis in den Hals ausstrahlend, bei höheren Frequenzen evtl. Brustschmerzen, Dyspnoe oder Schwindel; im Extremfall kann es zu Synkopen kommen. Aufgrund des sinkenden Herzminutenvolumens sowie der Rückstauung zeigt sich häufig eine Leistungsintoleranz. Durch die Vorhofüberlastung kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung von atrialem natriuretischem Peptid (ANP), was zu einer Polyurie führen kann.

220

J. Steffel und T. F. Lüscher

>>Grundsätzlich wird bei jeder Erhöhung der Herzfrequenz die Zeit zur Myokarddurchblutung verkürzt, da diese nur in der Diastole stattfinden kann. So kann es bei ausgeprägten oder länger andauernden Tachykardien aufgrund der hieraus resultierenden Ischämie zu Angina-pectoris-Anfällen kommen, speziell auf dem Boden einer vorbestehenden koronaren Herzkrankheit. Diagnostik  In

der klinischen Untersuchung imponiert ein Pulsdefizit, d. h., es findet sich eine Differenz zwischen der auskultatorischen Herzfrequenz und dem Radialispuls. Im EKG zeigt sich eine absolute Arrhythmie mit Flimmerwellen und fehlenden P-Wellen (häufig am deutlichsten zu erkennen in II und V1; . Abb. 12.19).  

Therapie  Wenn möglich, ist eine zugrunde

liegende systemische (z. B. Hyperthyreose, Lungenembolie; 7 Abschn. 17.3) oder kardiale Erkrankung (7 Abschn. 13.3) zu therapieren. Ansonsten besteht die Therapie des Vorhofflimmerns aus 3 Komponenten: 55 Antikoagulation, 55 Kontrolle der Symptome (Frequenzkontrolle bzw. Rhythmuskontrolle) 55 Behandlung der Risikofaktoren und Komorbiditäten.  



12

Die genaue Pathophysiologie des erhöhten Schlaganfallsrisikos beim Vorhofflimmern ist nicht in jedem Fall geklärt. Neben den veränderten Fließeigenschaften des Blutes beim Stillstand der Vorhöfe im Rahmen des Vorhofflimmerns scheinen auch systemische Faktoren eine entscheidende Rolle zu spielen. >>Ein entscheidender Anteil der Mortalität und insbesondere der Morbidität beim Vorhofflimmern geht auf thromboembolische Ereignisse zurück, vor allem auf den Schlaganfall.

Daher besteht beim Vorhofflimmern die Indikation für eine Blutverdünnung mittels oraler Antikoagulation  – abhängig vom Risikoprofil des Patienten, welches mit dem sog. CHA2DS2-VASc-Score ermittelt wird: 55 Chronic Heart Failure (Herzinsuffizienz; 7 Abschn. 13.3) 55 Hypertonus (7 Kap. 4) 55 Alter ≥ 75 Jahre (2 Punkte), Alter ≥ 65 Jahre (1 Punkt) 55 Diabetes, 55 Status nach Stroke (CVI/TIA; 7 Abschn. 7.5) (2 Punkte) 55 Vaskuläre Erkrankung (7 Abschn. 7.4), 55 weibliches Geschlecht  







Je nach Punktzahl richtet sich die empfohlene Behandlung zur Blutverdünnung: Bei 0

..      Abb. 12.19  EKG bei Vorhofflimmern. Es zeigt sich eine absolute Arrhythmie, eine reguläre P-Welle ist nicht nachweisbar, jedoch grobschlägige Flimmerwellen in V1

221 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

12

Punkten wird keine orale Antikoagulation hofflimmern) mittels eines speziellen Schirms (OAK) empfohlen; bei 1 Punkt sollte diese verschlossen (. Abb. 12.20). Alternativ kann erwogen werden (Risiko-­Benefit-­Abwägung; das Vorhofohr während eine Herzoperation Blutung vs. Embolie); und ab 2 Punkten wird a sie klar empfohlen. Einen Sonderfall nimmt der Faktor „weibliches Geschlecht“ ein: Dieser stellt nur in Kombination mit mindestens einem weiteren Risikofaktor eine Indikation zur OAK dar; entsprechend CHA2DS2-VASc wird bei Frauen mit keinen weiteren Risikofaktoren keine OAK empfohlen. Die orale Antikoagulation erfolgt heute in erster Linie mit einem der Neuen Oralen AntiCoagulantien (NOACs; Apixaban – Eliquis®, Dabigatran  – Pradaxa®, Edoxban  – Lixiana® oder Rivaroxaban  – Xarelto®). Große Studien haben gezeigt, dass NOACs, b welche selektiv Faktor Xa (Apixaban, Rivaroxaban, Edoxaban) oder Thrombin (Dabigatran) hemmen, im Vergleich zu Vitamin-­ K-­ Antagonisten ein besseres Nutzen-­ Risiko-­Profil aufweisen und darüber hinaus eine patientenfreundlichere Handhabung gewährleisten (keine INR-Kontrollen wie bei den in der Vergangenheit häufig eingesetzten Vitamin-K-Antagonisten). Daher werden sie in den 2020 ESC Guidelines als bevorzugte Therapie zur Antikoagulation bei Vorhofflimmern empfohlen. Gewisse Einschränkungen und Caveats bec stehen jedoch, insbesondere bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz sowie bei Patienten mit mechanischen Herzklappen und Mitralstenose (hier kontraindiziert!; 7 Kap. 8) und anderen. Im Unterschied dazu wird Aspirin aufgrund seiner geringen Wirksamkeit bei praktisch keinem Patienten mehr zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern empfohlen. Bei Patienten mit grundsätzlicher Indikation zur Antikoagulation, jedoch gleichzeitig bestehender Kontraindikation (insbesondere nach stattgehabter schwerer Blutung)stehtdemperkutanenVorhofohrverschluss eine neue Methode zur Schlaganfallsprä- ..      Abb. 12.20 (a–c) LAA-Verschluss. (a) Angiovention zur Verfügung. Hierbei wird mit grafische Darstellung des LAA (a = Vorhofohr, b = Vorhofohrhals; c = Schleuse; d = LA); (b) Imeinem über die Femoralvene transseptal ein- plantation des Occluders (a), b = LA. (c) LAA Occlugeführtem Katheter das linke Vorhofohr (die der in situ (a = Disc, b = Lobe). (Mit freundlicher GeHauptquelle der Thromboembolie bei Vor- nehmigung von PD Dr. med. Fabian Nietlispach)  



222

12

J. Steffel und T. F. Lüscher

chirurgisch verschlossen werden. Diese Therapie kommt gegenwärtig vor allem bei Patienten mit absoluten Kontraindikationen für eine Antikoagulation (hohes Blutungsrisiko, Status nach Hirn- oder Subduralblutung u. a. m.) zum Einsatz. Zur Frequenzkontrolle können Betablocker, Kalziumantagonisten vom Verapamil-­ Typ oder Digitalis (bei Herzinsuffizienz) verwendet werden. Dieses Therapiekonzept kommt heute praktisch nur bei Patienten zum Einsatz, welche auch nach einer Elektrokonversion nachweislich „asymptomatisch“ hinsichtlich ihres Vorhofflimmerns sind, und bei denen auch bei einer (zu erwartenden) Progredienz der Erkrankung in späteren Jahren keine Konsequenzen erwartet werden.  Bei der Rhythmuskontrolle unterscheidet man das akute und chronische Management: 55 Liegt in der Akutphase eine hämodynamische Instabilität vor, so besteht die Indikation zur unmittelbaren Kardioversion in den Sinusrhythmus mittels elektrischer Energie und/oder i.v. -Antiarrhythmika. 55 Die chronische Rhythmuskontrolle kann medikamentös via Einsatz von Antiarrhythmika angegangen werden. Hierbei kommen v. a. Klasse-Ic-­Antiarrhythmika (7 Abschn. 12.3, bei fehlender struktureller Herzerkrankung) sowie Klasse-III-­ Antiarrhythmika zum Einsatz. 55 Alternativ besteht, heutzutage und an größeren Zentren in der Regel bevorzugt, bei symptomatischem Vorhofflimmern die Möglichkeit einer katheterbasierten Ablation mittels Radiofrequenzenergie, Kälte oder Elektroporation (7 Abschn. 12.5.5). Dieser Eingriff kommt aufgrund von zahlreichen Verbesserungen in den letzten Jahren heutzutage zunehmend häufiger zur Anwendung und kann entsprechend den 2020 ESC Guidelines auch als Erstlinientherapie bei geeigneten  



Patienten erwogen werden. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz (HFrEF) kann die Ablation neben ihrem ausgeprägten symptomatischen Effekt auch prognostisch günstig sein. Wichtig ist, dass der Eingriff in jedem Fall durch erfahrene Operateure und an hierfür speziell ausgerichteten Zentren durchgeführt wird. Vor einer Konversion, egal ob medikamentös oder elektrisch, muss außer in einer Notfallsituation (s. oben) mindestens für 3 Wochen eine Antikoagulation im therapeutischen Bereich durchgeführt oder ein Vorhofthrombus mittels transösophagealer Echokardiografie (7 Abschn. 2.5) ausgeschlossen werden. Ebenfalls muss im Anschluss an eine erfolgreiche Kardioversion die Antikoagulation zwingend für weitere 4 Wochen fortgeführt werden, u. a. da der Stillstand der Vorhofwände (atrial Stunning) trotz wiederhergestelltem Sinusrhythmus noch einige Zeit persistieren kann und somit das Risiko für eine Thromboembolie weiterbesteht. Bei vorhandenem Risiko (entsprechend CHA2DS2-VASc-Score) muss eine Antikoagulation auch bei Patienten mit Rhythmuskontrolle fortgeführt werden, u. a. da auch in diesen Situationen bei zahlreichen Patienten zeitweise z. T. asymptomatisches Vorhofflimmern mit entsprechendem Risiko für Thrombenbildung besteht.  

Prognose  Die

Prognose des Vorhofflimmerns ist in erster Linie abhängig vom Vorhandensein oder Fehlen struktureller Herzerkrankungen. Die Prognose des „idiopathischen“ Vorhofflimmerns wurde lange Zeit als prinzipiell gut eingeschätzt, doch liegen inzwischen Daten vor, nach denen auch das Vorhofflimmern per se mit einer schlechteren Prognose einhergeht, weshalb es nicht als „harmlos“ abgetan werden kann, sondern entsprechend behandelt werden sollte.

223 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

12.5.3 

Vorhofflattern

Definition  Das

Vorhofflattern hat eine Vorhoffrequenz von 240–350/min, im EKG liegt keine isoelektrische Linie zwischen den einzelnen P-Wellen vor. Pathophysiologie  Pathophysiologisch liegt

dem typischen Vorhofflattern ein Makro-Reentry im rechten Vorhof zugrunde, welcher den Isthmus zwischen Einmündung der Vena cava inferior und der Trikuspidalklappe mit einschließt (sog. cavo-trikuspidaler Isthmus). Bei atypischem Vorhofflattern kann dieser Makro-­Reentry-­Kreis praktisch überall im rechten oder linken Vorhof liegen. Klinik  Patienten mit Vorhofflattern sind

meist stärker symptomatisch als solche mit Vorhofflimmern; ansonsten ist die Klinik ähnlich.

12

Diagnostik  Das EKG des typischen coun-

ter-clockwise isthmusabhängigen Vorhofflatterns zeigt ein Sägezahnmuster zwischen normal geformten QRS-Komplexen in Abbildung II, III, aVF (. Abb. 12.21).  

Therapie  Das Therapieprinzip des Vorhof-

flatterns ist hinsichtlich der Schlaganfallsprävention ähnlich dem des Flimmerns. In der Akutsituation ist bei hämodynamischer Instabilität eine notfallmäßige Kardioversion indiziert. Auch ansonsten gelten hinsichtlich Kardioversion und Antikoagulation dieselben Richtlinien wie beim Vorhofflimmern. In der Langzeittherapie hat die Katheterablation des zugrunde liegenden Reentry-­ Kreises am cavo-trikuspidalen Isthmus eine hohe Erfolgsrate und ist Therapie der 1. Wahl beim typischen Vorhofflattern. Hier-

..      Abb. 12.21  EKG bei typischem Vorhofflattern. Die Flatterwellen sind in II, III (rote Pfeile) und aVF am besten zu erkennen

224

J. Steffel und T. F. Lüscher

bei wird mit einem Radiofrequenzkatheter (7 Abschn. 12.5.5) gezielt Gewebe erhitzt und durch Narbengewebe ersetzt, wodurch der dem Flattern zugrunde liegende elektrische Kreis unterbrochen wird.  Eine Frequenzkontrolle ist beim Vorhofflattern in aller Regel nicht erfolgversprechend, ebenso wie eine medikamentöse Rhythmustherapie.  

12.5.4 

Präexzitation und WolffParkinson-White-Syndrom (WPW)

Definition  Eine Präexzitation liegt vor,

wenn eine akzessorische Reizleitungsbahn als elektrischer „Bypass“ des AV-Knotens besteht, über die ein atriales Aktionspotenzial ohne Verzögerung durch den AV-Knoten vom Vorhof in die Ventrikel geleitet wird. Kommt es bei Vorhandensein einer akzessorischen Leitungsbahn zu symptomatischen Tachykardien mit Beteiligung dieser Bahn, so spricht man von einem Wolff-­Parkinson-­White-Syndrom (WPW).

12

..      Abb. 12.22  Mechanismus der orthodromen AVRT

Klinik  Klinisch verläuft die reine PräPathophysiologie  Pathophysiologisch kann

beim WPW eine AV-Reentry-Tachykardie (AVRT) auftreten. Je nach Mechanismus und Erregungsabfolge wird sie als 55 orthodrom (Erregung des Ventrikels via AV Knoten, retrograde Vorhoferregung via akzessorischem Bündel, . Abb. 12.22 und 12.23) oder 55 antidrom (Erregung des Ventrikels via akzessorischer Bahn, retrograde Vorhoferregung via AV-Knoten, . Abb. 12.24 und 12.25) bezeichnet.  



Lässt eine akzessorische Bahn ausschließlich eine retrograde Leitung (also von der Kammer in den Vorhof) zu, so spricht man von einem verborgenen (concealed) WPW, da im Ruhe-EKG keine Hinweise auf die akzessorische Bahn vorhanden sind.

exzitation asymptomatisch; jedoch kommt es nicht selten zu paroxysmalen supraventrikulären Tachykardien. >>Liegt gleichzeitig ein Vorhofflimmern vor, kann im Extremfall über das akzessorische Bündel ein Kammerflimmern ausgelöst werden, da die physiologische Verzögerung im AV-Knoten umgangen wird und es zu einer sehr schnellen Überleitung auf die Kammer kommt („FBI-Tachykardie“). Diagnostik  Bei der Präexzitation imponiert

im EKG eine Verkürzung der PQ-Zeit unter 120 ms sowie eine Deltawelle (Verbreiterung des QRS-Komplexes „nach vorne“ als Ausdruck der verfrühten ventrikulären Erregung durch die akzessorische Bahn,

225 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

12

..      Abb. 12.23  Orthodrome AV-Reentrytachykardie (AVRT). Die Pfeile markieren die retrograde Vorhoferregung im Anschluss an den QRS-Komplex

. Abb. 12.26). Die Morphologie des QRS-Komplexes kann bereits im Ruhe-­ EKG Rückschlüsse auf die Lokalisation der akzessorischen Bahn geben.  

Bei der orthodromen AVRT des WPW kann eine der Kammererregung folgende retrograde Vorhoferregung im EKG nachweisbar sein (. Abb. 12.23), welcher ein gewisser Abstand zum QRS-Komplex folgt („lange-R-P“ Tachykardie). Bei der antidromen AVRT ist die ventrikuläre Erregung maximal präexzitiert und es resultiert das Bild einer Breitkomplextachykardie (. Abb. 12.25), deren QRS-Vektor dem der Deltawelle entspricht. P-Wellen sind entweder nicht sichtbar oder können im QRS-­ Komplex identifiziert werden.  



Therapie  In der Akutphase wird sowohl bei

..      Abb. 12.24  Mechanismus der antidromen AVRT

der orthodromen als auch bei der antidromen AVRT die Gabe von Adenosin (6 mg, 12 mg bis 18 mg als schneller Bolus) als Ersttherapie empfohlen. Die Diagnose einer antidromen AVRT kann, da es sich hierbei

226

J. Steffel und T. F. Lüscher

..      Abb. 12.25  Antidrome AV-Reentrytachykardie (AVRT) bei WPW-Syndrom

12

..      Abb. 12.26  Ventrikuläre Präexzitation bei Vorliegen einer akzessorischen Leitungsbahn, welche im Ruhe-EKG als Deltawelle sichtbar wird

227 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

um eine Breitkomplextachykardie handelt, schwierig sein. Alternativ haben sich ­Klasse-Ic-­Antiarrhythmika bewährt (außer bei parallel bestehender struktureller Herzerkrankung wie z. B.  KHK). Bei gleichzeitigem Vorhofflimmern und rascher Überleitung (wo die Adenosingabe wirkungslos ist und kontraproduktiv wirken kann) sowie bei hämodynamischer Instabilität ist die Kardioversion Therapie der 1. Wahl. !!Digitalis und Verapamil sind beim WPW relativ kontraindiziert, da sie den AV-Knoten blockieren und somit die schnelle Leitung über die akzessorische Bahn begünstigen können.

Grundsätzlich ist bei Vorliegen einer akzessorischen Bahn eine Katheterablation indiziert, da es aufgrund der Möglichkeit einer schnellen ventrikulären Überleitung potenziell zu lebensgefährlichen Rhythmusstörungen kommen kann. Die Katheterablation kann heutzutage mit hoher Erfolgs- und niedriger Komplikationsrate durchgeführt werden. 12.5.5 

12

einer kreisenden Erregung im AV-­Knoten führen und eine AVNRT auslösen. In 90 % der Fälle leitet dabei die langsame Bahn antegrad und die schnelle retrograd (sog. Slow-fast-Typ, . Abb. 12.27). In ca. 10 % der Fälle ist es umgekehrt (Fast-slow-Typ) oder es liegen zwei langsam leitende Bahnen vor (Slow-slow-Typ).  

Klinik  Patienten mit AVNRT klagen über

Palpitationen als Korrelat der intermittierend auftretenden supraventrikuläre Tachykardien. Durch die gleichzeitige Erregung von Kammer und Vorhof kann es zur atrialen Kontraktion gegen die geschlossene AV-Klappe kommen, was ein Pulsieren in den Hals zur Folge haben kann. Diagnostik  Die

typische Frequenz der AVNRT liegt zwischen 140–220/min. Im EKG imponieren schmale QRS-Komplexe, die P-Wellen können im QRS-Komplex ver-

AV-KnotenReentrytachykardien

Definition  Die AV-Knoten-Reentrytachy-

kardie (AVNRT) ist eine supraventrikuläre Rhythmusstörung, bei der es zu einer kreisenden Erregung im AV-Knoten kommt. Epidemiologie  Frauen sind mit 70 % der

Fälle häufiger betroffen als Männer und haben AVNRTs in jüngerem Lebensalter. Pathophysiologie  Bei 20 % aller Individuen

in der Bevölkerung liegt im AV-Knoten eine duale Leitungsphysiologie mit verschieden schnell leitenden Bahnen vor. Zumeist finden sich sowohl eine langsam leitende Bahn mit kurzer Refraktärzeit als auch eine schnell leitende Bahn mit längerer Refraktärzeit. Eine ungünstig einfallende Vorhofextrasystole kann so zu

..      Abb. 12.27  Mechanismus der AVNRT mit typischem Slow-fast-Muster

228

J. Steffel und T. F. Lüscher

..      Abb. 12.28  AV-Knoten-Reentrytachykardie (AVNRT). Eindeutig zeigt sich die retrograde Vorhoferregung im Anschluss an den ORS-komplex

(schwarze Pfeile). Im Anschluss an den letzten Komplex kommt es zu keiner retrograden Vorhoferregung (roter Pfeil), die Tachykardie terminiert

borgen oder kurz im Anschluss an den QRS-Komplex nachweisbar sein (. Abb. 12.28; „kurze R-P“ Tachykardie). Aufgrund der Tachykardie mit verstärkter Vorhofkontraktion kommt es zu einer vermehrten Sekretion des atrialen natriuretischen Peptids (ANP), was zu einer Polyurie führen kann.

Stimulationsprotokolle die Rhythmusstörung charakterisiert wird. Bei der Ablation wird mit einem speziellen Katheter gezielt Gewebe erhitzt (Radiofrequenzablation), gekühlt (z. B. Vereisungs-Ballonkatheter) oder die Zellmembran zerstört (Elektroporation), wodurch es zur Narbenbildung kommt. Bei der Behandlung spezifischer Rhythmusstörungen kommen hierbei verschiedene Therapiestrategien zum Einsatz: Beim Vorhofflimmern werden primär die Pulmonalvenen, welche wie erwähnt in den allermeisten Fällen den Fokus des Flimmerns darstellen, elektrisch isoliert. Hierzu werden mittels Radiofrequenzenergie, Cryoenergie oder Elektorporation kreisförmige Narben um die Mündung der Pulmonalvenen gezogen und somit die Venen elektrisch vom Vorhof isoliert. Die Rhythmusstörung wird also nicht in ihrem Ursprung behoben, es wird jedoch die Ausbreitung auf die Vorhöfe verhindert. Beim Vorhofflattern besteht als Substrat ein Makroentry-Kreis, welcher (beim typischen Vorhofflattern) den Isthmus zwischen Trikuspidalklappenring und der Vena cava inferior beinhaltet. Durch Ziehen einer Verödungslinie (i. d. R. mittels Radiofrequenzenergieabgabe) über diesen Isthmus kann der Reentry-Kreis unterbrochen und das Vorhofflattern behoben werden. Bei Vorliegen einer akzessorischen Leitungsbahn wird diese zunächst sorgfältig mittels elektrophysiologischer Untersuchung lokalisiert. Durch gezielte Radiofrequenzenergieabgabe (selten fokale Cryoenergie)



Therapie  Die akute AVNRT kann zu-

12

weilen durch ein vagales Manöver (z. B. Valsalva, Karotissinusmassage, kaltes Wasser trinken etc.) beendet werden. Medikamentös kann mit Adenosin eine kurzfristige  komplette AV-Knoten-Blockade erzielt und die Tachykardie somit unterbrochen werden. Die Katheterablation der langsamen Bahn („slow pathway“ Ablation) ist Therapieoption der Wahl, welche mit hoher Erfolgs- und niedriger Komplikationsrate durchgeführt werden kann. ► Praktisch

Elektrophysiologische Untersuchung (EPS) und Radiofrequenzablation (RFA) Während früher die medikamentöse Therapie die praktisch einzige Behandlungsmöglichkeit bei den meisten Arrhythmien darstellte, können heutzutage viele Rhythmusstörungen mittels invasiver Kathetertechnik effektiv und sicher therapiert und damit in vielen Fällen definitiv geheilt werden. Dazu werden zunächst mehrere Elektrophysiologiekatheter über die Vena femoralis im rechten Vorhof, im rechten Ventrikel, am His-Bündel und ggf. im Koronarsinus platziert, mithilfe derer mittels spezieller

12

229 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

kann die Bahn hiernach verödet und die Rhythmusstörung somit behoben werden. Bei der AVNRT wird eine Ablation der langsamen Leitungsbahn des AV-Knotens durchgeführt. Dies eliminiert eine für die Aufrechterhaltung der Tachykardie ­entscheidende Komponente des Reentry-Kreises, womit die Tachykardie in der Regel geheilt ist. ◄

12.5.6 

Ventrikuläre Tachykardie

Definition  Das Auftreten von 4 oder mehr

ventrikulären Extrasystolen (VES) hintereinander wird formal als ventrikuläre Tachykardie (VT) oder Kammertachykardie (KT; . Abb. 12.29) bezeichnet. Bei höheren Frequenzen einer Kammertachykardie spricht man von Kammerflattern (250–350/min) bzw. -flimmern (> 350/min; . Abb. 12.31). Der Übergang vom Kammerflattern zum Kammerflimmern ist fließend. Der Begriff Kammerflattern ist in der ICD-Ära größtenteils durch den Begriff der „schnellen VT“ (fast VT) abgelöst worden.  



..      Abb. 12.29  Ventrikuläre Tachykardie

Differenzialdiagnose Die anhaltende Kammertachykardie dauert länger als 30 s, eine nicht anhaltende VT < 30 s. Bei der monomorphen VT ist jeder QRS-Komplex identisch konfiguriert, bei der polymorphen VT nicht. Gelegentlich kann es schwierig sein, eine ventrikuläre von einer mit Schenkelblockbild übergeleiteten supraventrikulären Tachykardie zu unterscheiden, da beide sich als Breitkomplextachykardie präsentieren. Es gibt jedoch einige Hinweise, welche die eine oder andere Genese nahelegen (. Tab. 12.4). Einteilung,



und Pathophysiologie Während ventrikuläre Extrasystolen auch bei gesunden Menschen häufig vorkommen können, sind VTs häufig Ausdruck einer strukturellen Herzerkrankung. Als häufigster elektrophysiologischer Mechanismus bestehen bei monomorphen VTs ein Reentry-­ Mechanismen, welche um ein ventrikuläres Substrat kreisen und die Tachykardie aufrechterhalten. Häufigste Ursache ist der abgelaufene Myokardinfarkt, wobei es in der Ätiologie

230

J. Steffel und T. F. Lüscher

..      Tab. 12.4  Differenzialdiagnose der Breitkomplextachykardie. (Supraventrikulär mit Schenkelblock vs. ventrikuläre Tachykardie) Eher supraventrikuläre Tachykardie mit Schenkelblock

Eher ventrikuläre Tachykardie

Beginn mit vorzeitiger Vorhoferregung (P-Welle)

Beginn mit vorzeitigem QRS-Komplex

QRS-Komplexe ähnlich wie im Sinusrhythmus (Achse, Morphologie)

QRS-Komplexe ähnlich den ventrikulären Extrasystolen während des Sinusrhythmus (Achse, Morphologie)

QRS-Morphologie vereinbar mit aberranter Leitung (V1, V6)

QRS-Morphologie eher nicht vereinbar mit aberranter Leitung (V1, V6)

Gradueller Beginn bzw. graduelle Verlangsamung

AV-Dissoziation

Verlangsamung/Terminierung mit vagalen Manövern

Fusionsschläge (intrinsische ventrikuläre Erregung via AV Knoten fällt zusammen mit VT-Komplex) Vorhoferregung trifft intermittierend zufällig auf erregbares Ventrikelmyokard und wird normal geleitet (Capture Beats) Atypischer Linkstyp (besonders Lage zwischen −90 und 180°) Konkordantes R-Zacken-Muster in den präkordialen Ableitungen (insbesondere negative Konkordanz) Kein RS-Komplex in den präkordialen Ableitungen QRS-Dauer > 140 ms

12

Fett – beweisend für VT (AV-Dissoziation, Fusionsschläge, Capture Beats)

(Rand-)Zone des Infarktes zu einer regional abnormen Reizausbreitung und Erregbarkeit der Myozyten kommt. Weitere Substrate für die Entstehung (und Aufrechterhaltung) einer VT können andere lokale Narben, Ventrikeldilatation bei der Herzinsuffizienz, Fibrose, Entzündungen und strukturelle Veränderungen im Rahmen von Kardiomyopathien (7 Abschn. 8.1) sowie kardiale Manifestationen bei Sarkoidose, Amyloidose, Chagas, Morbus Fabry etc. sein. Daneben existieren die relativ benignen idiopathischen ventrikulären Tachykardien (häufig aus dem Bereich des rechts- oder linksventrikulären Ausflusstrakts) mit fokaler Automatizität als Mechanismus, welche auch beim Herzgesunden auftreten und im Allgemeinen eine gute Prognose haben.  

Ursachen polymorpher VTs sind der akute Myokardinfarkt (7 Abschn. 7.3), Ischämien (7 Abschn. 7.2), Elektrolytentgleisungen, Azidose, Hypoxie etc.  



!!Bei Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie (HCM) besteht eine erhöhte Gefahr des plötzlichen Herztodes durch Kammerflimmern, insbesondere bei körperlicher Belastung (HCM = häufigste Todesursache bei jungen Sportlern). Therapie  Bei hämodynamischer Instabili-

tät besteht die Indikation zur elektrischen Kardioversion (s. unten). Darüber hinaus muss eine auslösende Ursache, insbesondere eine Ischämie oder eine anderweitige struk-

231 Erkrankungen des Reizleitungssystems – Herzrhythmusstörungen

turelle Herzerkrankung, gesucht bzw. ausgeschlossen und  – falls vorhanden  – entsprechend behandelt werden. Zur medikamentösen Therapie der strukturellen VTs kommen in aller Regel Amiodaron oder Klasse-Ib-Antiarrhythmika zum Einsatz, welche einerseits zwar relativ effektiv, andererseits jedoch mit zahlreichen Nebenwirkungen behaftet sind. Alternativ wird auch bei Kammertachykardien zunehmend häufig eine Ablationsbehandlung durchgeführt, was jedoch im Allgemeinen mit einem etwas höheren Risiko und geringeren Erfolgschancen einhergeht als die Ablation supraventrikulärer Rhythmusstörungen. 12.5.7 

QT-Zeit-Verlängerung und Torsade-de-PointesArrhythmie

Definition  Die

Torsade-de-Pointes-Arrhythmie ist eine Sonderform der ventrikulären Tachykardie, ausgelöst durch eine verlängerte Repolarisationszeit der Ventrikel (verlängertes QT-Intervall), die eine getriggerte Aktivität in Phase III des Aktionspotenzials zur Folge hat (. Abb. 12.30).  

Ätiologie  Eine QT-Zeit-Verlängerung kann

angeboren (Long-QT-Syndrom) oder erworben sein. Typische Ursachen für Letzteres sind Elektrolytstörungen (z. B. Hypokaliämie) sowie diverse Medikamente (z. B. Chinidin, Antihistaminika, Antibiotika, viele Psychopharmaka) sowie bestimmte Antiarrhythmika (7 http://www.­qtdrugs.­org).  

..      Abb. 12.30  Torsade de Pointes

12

Diagnostik  Im

EKG zeigt sich eine schnelle VT mit fortwährender Drehung der elektrischen Herzachse in der Tachykardie, was die typische spindelförmige EKG-Kurve ergibt (torsade de pointes = Spitzenumkehr).

12.5.8 

Kammerflimmern

Ätiologie und Pathogenese  Dem Kammer-

flimmern liegt, wie auch der polymorphen VT, in den meisten Fällen eine Ischämie zugrunde, sei es aufgrund einer KHK bzw. eines Herzinfarkts (häufigste Ursache!) oder einer anderweitigen Makro- oder Mikrozirkulationsstörung. Da keine wirksame Füllung und Entleerung der Ventrikel mehr zustande kommt, entspricht das Kammerflimmern einem (hyperdynamen) Herzstillstand. !!Ohne umgehende Reanimationsmaßnahmen (Herzdruckmassage und Defibrillation) führt das Kammerflimmern zum Tod. Diagnostik  Im

EKG manifestiert sich Kammerflimmern als irreguläre Erregungsbildung und -rückbildung ohne erkennbares EKG-­typisches Muster (. Abb. 12.31).  

Therapie  In der Akutsituation hat bei

schnellen ventrikulären Tachykardien, Kammerflattern oder Kammerflimmern die Wiederherstellung eines Sinusrhythmus mittels Kardioversion bzw. Defibrillation oberste Priorität.

232

J. Steffel und T. F. Lüscher

..      Abb. 12.31 Kammerflimmern

► Praktisch

12

Kardioversion, Defibrillation Bei der Kardioversion (bei ventrikulärer Tachykardie) bzw. Defibrillation (bei Kammerflimmern) wird normalerweise von extern ein elektrischer Schock auf den Thorax gegeben. Der Unterschied zwischen den beiden Methoden besteht darin, dass bei der Kardioversion dieser Schock auf die R-Zacke im gleichzeitig abgeleiteten EKG getriggert wird (synchronisiert). Hierdurch wird das Risiko einer Schockabgabe in die vulnerable Phase der Ventrikelrepolarisation (und damit das Auslösen eines Kammerflimmerns) verhindert. Beim Kammerflimmern findet keine geordnete De- und Repolarisation mehr statt, sodass hier der Schock unsynchronisiert abgegeben werden muss. Sowohl Kardioversion als auch Defibrillation bewirken eine instantane Depolarisation aller Muskelzellen, wel-

che sich nicht gerade in der absoluten Refraktärzeit befinden. Hierdurch wird die Arrhythmie unterbrochen und dem normalen Reizleitungssystem die Möglichkeit gegeben, die geordnete Ventrikeldepolarisation wieder zu übernehmen. ◄ Prävention  Bei

überlebtem plötzlichen Herztod (in Abwesenheit eines auslösenden sekundären Ereignisses wie z. B.  Myokardinfarkt; 7 Abschn. 7.3) ist die Implantation eines Kardioverter-­Defibrillators (Implantable Cardioverter-Defibrillator, ICD) zur Sekundärprophylaxe indiziert, um beim erneuten Auftreten einer ventrikulären Arrhythmie unmittelbar eine interne Defibrillation auszulösen (7 Abschn. 13.3). Außerdem wird häufig eine begleitende medikamentöse Therapie (z. B. mit Amiodaron und/oder Betablocker) begonnen.  



233

Herzinsuffizienz Bettina Heidecker und Otmar Pfister Inhaltsverzeichnis 13.1

Definition und Epidemiologie – 234

13.2

Ätiologie und Pathophysiologie – 235

13.3

Diagnostik – 239

13.4

Therapie – 242

Frühere Versionen wurden unter Mitarbeit von G. Noll, A. Flammer, J. Steffel, T.F Lüscher erstellt. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 T. F. Lüscher, U. Landmesser (Hrsg.), Herz-Kreislauf, Springer-Lehrbuch, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67718-6_13

13

234

B. Heidecker und O. Pfister

Eine Herzinsuffizienz liegt vor, wenn das Herz nicht mehr in der Lage ist, seine Auswurfsleistung den Anforderungen des Organismus anzupassen. Einer Herzinsuffizienz kann eine verminderte Kontraktilität mit ungenügender Auswurffraktion zugrunde liegen, sog. Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (Heart Failure with reduced Ejection Fraction; HFrEF). Andererseits kann die Füllung des Herzens durch eine Compliance-Störung des Ventrikels erschwert sein (diastolische Dysfunktion), sog. Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (Heart Failure with preserved Ejection Fraction; HFpEF). Die Erhöhung der kardialen Füllungsdrücke gilt als hämodynamisches Kardinalzeichen für eine Herzinsuffizienz. Die Behandlung erfolgt primär mittels Medikamenten (Diuretika, ACE-­Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren [ARNI], Sartane, Betablocker, Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten [MRA], SGLT-2-Inhibitoren u. a.) sowie im fortgeschrittenen Stadium mittels spezialisierter „Devices“ (CRT/ ICD). Als Ultima Ratio besteht die Möglichkeit zur Implantation eines ventrikulären Assist-Systems (Assist Device, „Kunstherz“) bzw. zur Herztransplantation (HTX).

13

13.1 

Definition und Epidemiologie

Definition  Eine Herzinsuffizienz liegt vor,

wenn das Herz nicht mehr in der Lage ist, seine Leistung den Anforderungen des Organismus anzupassen, ohne die kardialen Füllungsdrücke zu erhöhen. Man unterscheidet generell basierend auf der linksventrikulären Auswurffraktion oder Ejection Fraction (LVEF) zwischen einer Herzinsuffizienz mit einer reduzierten Auswurffraktion (LVEF ≤ 40 %; Heart Failure with reduced Ejection Fraction; HFrEF), einer Herzinsuffizienz mit leicht eingeschränkter

linksventrikulärer Auswurffraktion (LVEF 41–49  %; Heart Failure with mildly reduced Ejection Fraction; HFmrEF) und einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (LVEF ≥ 50  %; Heart Failure with preserved Ejection Fraction;. HFpEF). Erforderlich ist zur Diagnose einer Herzinsuffizienz entsprechend der Definition der European Society of Cardiology von 2021 für alle Subgruppen das Vorliegen von: 55 typischen Symptomen (z.  B.  Dyspnoe, Orthopnoe, Nykturie) UND 55 typischen Untersuchungsmerkmalen (z.  B. gestaute Halsvenen, periphere Ödeme, Tachypnoe, pulmonale Rasselgeräusche). Für HFrEF und HFmrEF ist zusätzlich der objektive Nachweis einer eingeschränkten Auswurffraktion (z. B. mittels Echokardiografie) notwendig. Für die HFpEF ist zusätzlich erforderlich: 55 der Nachweis einer LVEF ≥ 50  % mit normal großen, d.  h. nicht dilatierten Ventrikeln UND 55 eine strukturelle Abnormalität (Hypertrophie und/oder Vergrößerung des linken Vorhofs und/oder eine diastolische Dysfunktion) UND 55 eine moderate Erhöhung der natriuretischen Peptide. Epidemiologie  Die Prävalenz der Herz-

insuffizienz ist altersabhängig, in der westlichen Welt sind im Durchschnitt 2  % der Erwachsenen betroffen. Bei über 65-Jährigen leiden bereits 6–10  % an einer Herzinsuffizienz. In Europa und Nordamerika wird 1 von 5 Erwachsenen im Verlauf seines Lebens eine Herzinsuffizienz entwickeln. Männer sind häufiger betroffen als gleichaltrige Frauen (Verhältnis ca. 1,5:1).

13

235 Herzinsuffizienz

13.2 

Ätiologie und Pathophysiologie

Ätiologie  Als

Ursache einer Herzinsuffizienz kommt prinzipiell jede strukturelle Herzkrankheit in Frage. In der Tat ist – genau genommen – die Herzinsuffizienz per se keine Erkrankung, sondern lediglich die Folge einer zugrunde liegenden Herzerkrankung. >>Die häufigste Ursache mit etwa 60 % der Fälle ist der Herzinfarkt (bzw. mehrere Infarkte) als Folge einer KHK.

Nicht selten liegt hierbei die Ereigniskette Hypertonie → koronare Herzkrankheit → Herzinfarkt → Herzinsuffizienz zugrunde (. Abb. 13.1).  

Häufige Ursachen einer Herzinsuffizienz 55 Koronare Herzkrankheit (CCS oder ACS); (7 Kap. 7) 55 Hypertensive Herzkrankheit (7 Kap. 4) 55 Dilatative Kardiomyopathie (meist aufgrund genetischer Ursachen) (7 Abschn. 8.1) 55 Hypertrophe Kardiomyopathie (genetisch bedingt) 55 Restriktive Kardiomyopathie 55 Valvuläre Kardiopathien (7 Kap. 9) 55 Konstriktive Perikarditis (7 Kap. 11) 55 Myokarditis (7 Abschn. 8.2) 55 Speicherkrankheiten, z. B. Amyloidose, Hämochromatose, Morbus Fabry 55 Stressinduziertes Takotsubo-Syndrom (Broken Heart Syndrom) 55 Kongenitale Anomalien (7 Kap. 13)  













..      Abb. 13.1  Herzinsuffizienz als Endstadium der KHK. KHK: Koronare Herzkrankheit, PAVK: Periphere arterielle Verschlusskrankheit

236

B. Heidecker und O. Pfister

Pathophysiologie  Die pathophysiologische

Entwicklung der Herzinsuffizienz wird primär durch die zugrunde liegende Herzerkrankung und die Reaktionen des Körpers auf die reduzierte Herzleistung bestimmt. >>Im Sinne einer gemeinsamen Endstrecke kommt es im Verlauf der Entwicklung einer Herzinsuffizienz sukzessive zu einem Umbau der Herzkammern mit Hypertrophie der Myofibrillen, speziell des linken Ventrikels, welcher als Remodeling bezeichnet wird.

13

Dieser Remodeling-Prozess ist meist progredient und führt je nach prädominanter physikalischer Belastung (Druck- versus Volumenbelastung) zu einer Myokardhypertrophie und/oder einer zunehmenden Dilatation der linken Herzkammer. Gemäß dem Laplace’schen Gesetz geht eine Zunahme der Ventrikeldilatation mit einer Erhöhung der Wandspannung einher. Dies führt zu einem erhöhten myokardialen Sauerstoffbedarf. Ein zunehmendes enddiastolisches linksventrikuläres Volumen führt nach dem Frank-Starling-Mechanismus bis zu einem gewissen Grad zu einer Steigerung der myokardialen Kontraktilität. Bei weiter steigender Dilatation nimmt jedoch die Auswurffraktion (Norm ≥ 55 %) sukzessive ab. Mit zunehmender Schwere der Erkrankung folgt nach initial kompensiertem Stadium eine Abnahme des Herzminutenvolumens mit entsprechenden klinischen Folgen. Topografisch lassen sich die Linksherzund Rechtsherzinsuffizienz unterscheiden. Die isolierte Linksherzinsuffizienz tritt weitaus häufiger auf als eine isolierte Rechtsherzinsuffizienz. Bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz findet sich klinisch jedoch meistens eine Kombination, da durch den chronischen Rückstau bei Linksherzinsuffizienz auch die rechte Herzkammer überlastet wird – die häufigste Ursache der Rechtsherzinsuffizienz ist die Linksherzinsuffiizenz.

Wenn der Herzinsuffizienz eine verminderte Kontraktilität mit ungenügender Pumpleistung zugrunde liegt, besteht eine HFrEF oder HFmrEF, früher auch als systolische Herzinsuffizienz bezeichnet. Alternativ kann die Füllung des Herzens erschwert sein, z.  B. bei linksventrikulärer Hypertrophie, restriktiver Kardiomyopathie oder konstriktiver Perikarditis, was zu einer diastolischen Herzinsuffizienz bzw. einer HFpEF führt. Als Folge kann es in beiden Fällen einerseits zu Minderperfusion der Organe kommen (Vorwärtsversagen, Forward Failure), andererseits zum Rückstau des Blutes in die Lunge (Rückwärtsversagen, Backward Failure): 55 Aufgrund des Vorwärtsversagens kommt es zur Minderperfusion der Organe und entsprechenden Folgeerscheinungen und Symptomen, z.  B.  Niereninsuffizienz oder -versagen und/oder verminderte zerebrale Perfusion. Dies führt zu allgemeiner Müdigkeit, Leistungsschwäche sowie Schwindel. 55 Das Rückwärtsversagen hingegen induziert im Fall des linken Ventrikels eine pulmonal-venöse Kongestion mit Lungenstauung bis zum Lungenödem, welche mit der Zeit sekundär zur Rechtsherzbelastung und im Extremfall zum Cor pulmonale mit Rechtsherzversagen führt (. Abb. 13.2). 55 Rechtsventrikuläres Rückwärtsversagen führt zu einem venösen Rückstau des Blutes in den venös-systemischen Kreislauf (obere und untere Hohlvene) und damit zur Stauung der Halsvenen sowie zu einer Leberstauung (im Extremfall zur portalen Hypertonie mit all ihren Folgen wie z.  B.  Aszites, Stauungsleber etc.), peripherer Ödembildung und Bildung von Pleuraergüssen.  

Obschon als Ursache der Herzinsuffizienz primär die Funktionsstörung des Herzens an sich im Vordergrund steht, sind im Ver-

13

237 Herzinsuffizienz

Lungenalveolen

O2

O2

Lungenödem

O2

Lungenkapillaren

Pulmonalvene P = 8mmHg HMV = 6L/min

Pulmonalarterie

P = 18mmHg

P = 35

P = 20

P = 18

P=8 HMV = 4L/min

HMV = 4L/min

LA RA RV

LV

LV

Vena cava Aorta P = 5mmHG P = 85mmHG Periphere Gewebe

P = 85

P=5

RV P = 15

P = 85 Ödem

Kapillaren Linksherzinsuffizienz

Normal

Rechtsherz insuffizienz

..      Abb. 13.2  Hämodynamik bei der Herzinsuffizienz. LA: linker Vorhof, RA: rechter Vorhof, LV: linker Ventrikel, RV: rechter Ventrikel, HMV: Herzminutenvolumen, P: Druck

lauf der Erkrankung die Adaptationen des peripheren Kreislaufes sowie der neurohumoralen Systeme von besonderer Wichtigkeit (sog. neurohumorale Aktivierung, . Abb.  13.3, 13.4). So kommt es bei der Herzinsuffizienz über die Aktivierung von Barorezeptoren zu einer Stimulation des Sympathikus und erhöhten Plasmakatecholaminspiegeln. Dies ist primär als kompensatorische Maßnahme zu verstehen, wobei häufig eine überschießende Aktivierung zu finden ist, welche sich prognostisch ungünstig auswirkt. Gleichzeitig kommt es über β-Rezeptorenaktivierung in den juxtaglomerulären Zellen zu einem Anstieg der Plasma-Reninaktivitität im Blut sowie in der Folge der Angiotensin-I-, Angiotensin-IIund Aldosteronspiegel (. Abb.  13.3). Dies führt zu einer weiteren Vasokonstriktion, zentraler Stimulation des Sympathikus (über Angiotensin II und Aktivierung von Angiotensin-I-Rezeptoren im Hypothala 



mus) sowie zu Natrium und Wasserretention mit Ödembildung in der Lunge und in der Peripherie. Diese Wirkungen werden durch Aldosteron weiter verstärkt, was unter anderem eine Hypokaliämie zur Folge hat. Zudem kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung von Vasopressin, was die Wasserretention in den Sammelröhren der Nieren wie auch die Vasokonstriktion weiter steigert. Als Folge resultiert im Endstadium der Herzinsuffizienz eine Hyponatriämie, welche prognostisch äußerst ungünstig ist. Im Unterschied zur Herzinsuffizienz mit vermindertem Herzzeitvolumen (Regelfall, sog. Low-Output-Failure) können die Zeichen und Symptome der Herzinsuffizienz auch bei mangelhafter O2-Versorgung des Gewebes bei pathologisch gesteigertem O2-Bedarf und normalem oder sogar erhöhtem Herzzeitvolumen auftreten (High-­ Output-­Failure). Letzteres tritt z. B. bei Anämien oder schwerer Hyperthyreose auf.

238

B. Heidecker und O. Pfister

..      Abb. 13.3  Angriffspunkte der kausal wirksamen Medikamente in der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz. ACE: Angiotensin-converting-Enzym, ACEI: Angiotensin-converting-Enzym Inhibitor, ANP: Atriales natriuretisches Peptid, AT I: Angiotensin I, AT II: Angiotensin II, ARB: Angiotensin Re-

zeptor Blocker, ARNI: Angiotensin Rezeptor Neprilysin Inhibitor, = Betablocker, BNP: Brain Natriuretic Peptide, MRA: Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonist, NE: Norepinephrin, SGLT2I: Sodium Glukose Co-Transporter 2 Inhibitor, SNS: Sympathisches Nervensystem

..      Abb. 13.4  Angriffspunkte der kausal wirksamen Medikamente in der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz. ACE = Angiotensin-converting-Enzym,

ACEI = Angiotensin-converting-Enzym Inhibitor, ANP = Atriales natriuretisches Peptid, AT I = Angiotensin I, AT II = Angiotensin II, ARB = Angiotensin

13

239 Herzinsuffizienz

Klinik  Typische klinische Symptome der

Herzinsuffizienz sind: 55 Anstrengungsintoleranz, 55 Anstrengungsdyspnoe (NYHA I–IV), 55 paroxysmale nächtliche Dyspnoeattacken, 55 Nykturie (nächtliches Wasserlassen), 55 periphere Ödeme (Extremfall: Anasarka), 55 Orthopnoe (Dyspnoe im Liegen, welche beim Aufrichten des Oberkörpers verschwindet oder sich deutlich bessert), 55 Bendopnoe (Dyspnoe beim Vonrüberbeugen, „Schuhbinden“), 55 Müdigkeit. Um den Schweregrad einer Herzinsuffizienz zu beschreiben, hat sich das 4-stufige Schema der New  York Heart Association (NYHA) durchgesetzt. Die Einteilung beruht hauptsächlich auf dem Ausmaß der subjektiv empfundenen Dyspnoe.

13.3 

13

Diagnostik

Bei der klinischen Untersuchung finden sich im Rahmen einer dekompensierten Herzinsuffizienz typischerweise folgende Befunde: 55 3. (oder 4.) Herzton, 55 ggf. verbreiterter Herzspitzenstoß, 55 Lungenstauung mit grobblasigen Rasselgeräuschen, 55 Halsvenenstauung (. Abb.  13.5) oder positiver hepatojugulärer Reflux, 55 vergrößerte, druckdolente Leber (Stauungsleber), 55 periphere Ödeme (. Abb. 13.6).  



>>Die individuellen Unterschiede in der Präsentation sind erheblich, sodass je nach Pathogenese oder Schweregrad einzelne Symptome stärker ausgeprägt sind, während andere gänzlich fehlen.

Im Thoraxröntgen (. Abb.  13.7) kann bei der HFrEF eine signifikante Herzvergrößerung imponieren (Herz-LungenDurchmesser > 0,5). Eine normale Herzgröße hingegen schließt eine Insuffizienz nicht aus, insbesondere nicht eine HFpEF.  

NYHA-Klassifikation insuffizienz

der

Herz-

55 NYHA I: keine körperliche Limitation durch die Erkrankung. Auch unter Anstrengung kein Auftreten von Dyspnoe, inadäquater Erschöpfung, Rhythmusstörungen oder Angina pectoris 55 NYHA II: leichte Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch die Erkrankung. Alltägliche, mittelschwere körperliche Belastungen wie langes Wandern, längeres Bergaufgehen, oder forciertes Treppensteigen verursachen Symptome, speziell Dyspnoe. 55 NYHA III: erhebliche Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Symptome bei Tätigkeiten mit niedrigem Aktivitätsniveau (Zähneputzen, Ankleiden, Gehen in der Ebene etc.), jedoch keine Beschwerden in Ruhe 55 NYHA IV: Beschwerden in Ruhe, Bettlägerigkeit

!!Eine Kardiomegalie im Röntgen bedarf immer einer weiteren Abklärung.

Im Labor kommt es bei der Herzinsuffizienz zu einer Erhöhung des Brain Natriuretic Peptide (BNP). Hierbei handelt es sich um ein kardiales Hormon, welches als Folge steigender Ventrikeldehnung sezerniert wird. Aufgrund seiner hohen Sensitivität und Spezifität hat sich BNP in der Herzinsuffizienzdiagnostik etabliert; so ist bei einem normalen BNP eine Herzinsuffizienz sehr unwahrscheinlich. Allerdings ist bekannt, dass bei bestimmten Patientengruppen, insbesondere Patienten mit Adipositas, BNP Werte oft niedriger liegen und dadurch normwertig erscheinen trotz Vorliegen von Herzinsuffizienz. Die klinische Untersuchung steht im Vordergrund. Weiter

240

B. Heidecker und O. Pfister

..      Abb. 13.5 Halsvenenstauung

a

b

13

..      Abb. 13.6 (a, b) Periphere Ödeme. (a) Vor und (b) nach diuretischer Therapie bei rechtsbetonter Dekompensation. (Mit freundlicher Genehmigung des

Bildarchivs Klinik und Poliklinik für Innere Medizin, Universitätsspital Zürich)

241 Herzinsuffizienz

eignet es sich zur Verlaufskontrolle und Abschätzung der Prognose, da es (bei normaler Nierenfunktion) gut mit dem Schweregrad der Insuffizienz korreliert. Neu wird anstelle des BNP vermehrt das NT-proBNP (N-ter-

..      Abb. 13.7  Röntgen-Thorax bei dekompensierter Herzinsuffizienz mit Herzvergrößerung, basoapikaler Umverteilung und Pleuraerguss rechts. Nebenbefundlich Z. n. ICD-Implantation links pektoral mit regelrechter Lage der Elektrodenspitze am Boden des rechten Ventrikels

13

minales proBNP) bestimmt, welches eine konstantere Serumkonzentration aufweist und dessen Serumspiegel nicht durch Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI) beeinflusst wird, während BNP unter dieser Therapie falsch hoch sein kann. Die bildgebende Methode der Wahl bei Verdacht auf Herzinsuffizienz sowie zur Verlaufsbeurteilung einer bestehenden Herzinsuffizienz ist die Echokardiografie. Sie erlaubt sowohl die genaue Quantifizierung der linksventrikulären Volumina und der Auswurffraktion als auch die Diagnose weiterer, evtl. sogar kausaler struktureller Herzerkrankungen (Klappenerkrankungen linksventrikuläre Hypertrophie, Amyloidose etc.). Darüber hinaus kann die diastolische Funktion mittels verschiedener Parameter erfasst und bei Vorliegen von typischen Symptomen und Zeichen der Herzinsuffizienz sowie normaler Auswurffraktion die Diagnose einer HFpEF gestellt werden. . Abb.  13.8 fasst einen Diagnosealgorithmus bei Verdacht auf Herzinsuffizienz zusammen.  

..      Abb. 13.8  Diagnosealgorithmus bei V.  a. Herzinsuffizienz. (Quelle: Pocketcard, Schweizerische Arbeitsgruppe für Herzinsuffizienz 2022)

242

B. Heidecker und O. Pfister

13.4 

Therapie

Jede symptomatische Herzinsuffizienz, aber auch jede kardiale Pumpfunktionsstörung mit einer Auswurffraktion Obwohl gemeinhin bei Herzinsuffizienz eine Alkoholkarenz verordnet wird (da Alkohol eine alkoholinduzierten Kardiomyopathie verursachen kann), konnte bis dato keine negative Auswirkung von geringem Alkoholkonsum (1–2 Gläser/Tag) auf den Verlauf festgestellt werden.

z Akuttherapie !!Die akut dekompensierte Herzinsuffizienz ist ein kardiologischer Notfall.

Bei der akut dekompensierten Herzinsuffizienz und insbesondere beim kardiogenen Schock gilt es, therapierbare Ursachen (z.  B. akutes Koronarsyndrom, Arrhythmien, Klappenvitien) schnellstmöglich zu identifizieren und zu behandeln. Auch ist eine rasche Evaluation der klinischen Präsentation hinsichtlich Volämie- und Perfusionsstatus für die weitere Therapie wegweisend. In den meisten Fällen steht die Volumenüberlastung (Kongestion) im Vordergrund, welche mittels Diuretikagabe behandelt wird. Speziell bei ausgeprägter Rechtsherzinsuffizienz

243 Herzinsuffizienz

kann es durch den venösen Rückstau in die Leber und in den Darm zu einer deutlich eingeschränkten Resorptionsfähigkeit von peroral gegebenen Medikamenten kommen (Diuretikaresistenz), sodass in der akuten Dekompensation einer intravenösen Therapie mit Schleifendiuretika (Furosemid) der Vorzug gegeben wird. Furosemid kann als repetitive Einzelgabe, 2–3 mal täglich, oder kontinuierlich als Dauerinfusion mittels Perfusor appliziert werden. Eine optimale diuretische Antwort beträgt 100–150 ml Urin/h innerhalb der ersten 6 h. Bei stabilen systolischen Blutdruckwerten > 110 mmHg können zusätzlich intravenöse Vasodilatatoren, z.  B.  Nitrate oder Nitroprussid, eingesetzt werden. Nitrate senken die Vorlast über eine Zunahme des venösen Poolings. Das Prinzip des venösen Poolings beruht auf der Erweiterung der venösen Kapazitätsgefäße und der kleinen Venolen, wodurch vermehrt Wasser in den Beinen eingelagert, jedoch aus dem Kreislauf und idealerweise aus der Lunge abgezogen wird. Nitroprussid wirkt vorwiegend auf das venöse, aber auch auf das arterielle Gefäßsystem vasodilatierend. Eine effiziente Senkung der Vor- und Nachlast steigert das Herzschlagvolumen und reduziert die Kongestion, was zur Verbesserung der Endorganperfusion beiträgt. !!Vasodilatatoren sollten vorsichtig und mit adäquatem Monitoring eingesetzt werden, da speziell bei der akut dekompensierten Herzinsuffizienz ansonsten ein mitunter bedrohlicher Blutdruckabfall resultieren kann.

Steht in erster Linie eine Hypotonie (sBD  3 Tage, große OP 3 cm

1

Dellendes Ödem

1

Dilatierte oberflächliche Venen

1

Frühere dokumentierte TVT

1

Alternative Diagnose mind. gleich wahrscheinlich

−2



Klinischer Verdacht auf eine Thrombose

nicht hoch

Klinische Wahrscheinlichkeit

hoch positiv

D-Dimer

negativ

nicht behandeln

positiv negativ

Kompressionssonografie nicht eindeutig

positiv

17

Kompressionssonografie Kontrolle nach 4– 7 Tagen

behandeln

..      Abb. 17.3  Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf tiefe Venenthrombose

negativ

293 Erkrankungen des venösen Systems

Ohne Kompression

Kompression bei offener Vene

17

Kompression bei Thrombose

..      Abb. 17.4  Prinzip der Kompressionssonografie mit Ultraschall-Beispielen. (Schema modifiziert nach Neuerburg-Heusler D. und Hennerici M., Gefäßdiagnostik mit Ultraschall, Thieme Verlag)

Die Ausdehnung der VTE wird anhand der Etagenlokalisation beschrieben. Es werden insgesamt 4 Etagen (Becken, Oberschenkel, Knieregion und Unterschenkel) definiert. Mittels Kompressionsultraschall können die Vena femoralis und poplitea meist gut beurteilt werden und in der M ­ ehrzahl der Fälle gelingt auch die Beurteilung der Unterschenkelvenen. Die Vena cava inferior und Beckenvenen können nur unter Hinzunahme der Farb- und Flussinformation mit der Duplexsonografie untersucht werden, die auch die Beurteilung postthrombotischer Veränderungen (Restthrombus, Reflux) erlaubt und sich gut zur Verlaufsbeurteilung eignet. Therapie  Bei einer gesicherten tiefen Venen-

thrombose ist eine sofortige und wirksame Antikoagulation erforderlich. Therapieziele sind die Vermeidung des Thrombuswachstums und die Unterstützung des Körpers beim Abbau der Thromben. Die Details zur initialen Antikoagulation sind in 7 Abschn. 17.3 dargestellt. Des Weiteren ist eine Kompression des Beines indiziert. Nach Diagnose der tiefen VTE ist mit Kompression eine Mobilisa 

tion meist sofort möglich. Bei frischer Thrombose mit starker Umfangdifferenz sollte man das Bein mit Kurzzugbinden wickeln oder auf Akutversorgungsstrümpfe zurückgreifen. Ist das Bein abgeschwollen ist die Anpassung eines Kompressions-­ strumpfes nach Maß (Kompressionsklasse II) sinnvoll. Bei ausgedehnter Mehretagen-­ thrombose sollte man initial das ganze Bein zu komprimieren. Im Verlauf reicht meist eine Versorgung mit einem Kniestrumpf. Die Dauer einer Kompression richtet sich nach dem Restbefund (Restthromben), einer residualen Klappeninsuffizienz und der Symptomatik. Meist kommt es nach Antikoagulation zum Abschwellen der Extremität. Besteht eine starke initiale Schwellung, kann im Einzelfall eine interventionelle Behandlung mit Katheter mit lokaler Fibrinolyse und/ oder Stenting überlegt werden. Sehr selten kommt es zu einer massiven Schwellung bis zur Kompression der arteriellen Perfusion. Bei diesem Bild einer Phlegmasia coerula dolens ist eine operative Beseitigung des Thrombus notwendig, da eine akute Gefahr für die Extremität besteht.

294

C. Espinola-Klein und S. Konstantinides

Umfelddiagnostik und verlängerte Sekundärprävention  Die Ursache der Thrombose hat

Einfluss auf die Rezidivwahrscheinlichkeit und beeinflusst daher die spätere Therapiedauer. Bei einer Venenthrombose ohne bekannten Auslöser besteht innerhalb des folgenden Jahres ein erhöhtes Risiko für die Manifestation einer malignen Erkrankung. Daher sollte bei Auftreten einer VTE ein altersadaptiertes Tumorscreening durchgeführt werden. Ein altersadaptiertes Thrombophiliescreening sollte nur in besonderen Fällen erfolgen, wenn z. B. bei jungen Patienten mit familiärer Häufung eine VTE auftritt. Bei arteriellen und venösen Thrombosen oder Frauen mit Abortneigung sollte man an ein seltenes Antiphospholipidsyndrom denken.

Nach Beendigung der Initialphase der Antikoagulation von 3–6 Monaten stellt sich die Frage, ob die Therapie verlängert oder beendet werden soll. In einigen Fällen ist die Entscheidung klar. Eine Unterschenkelvenenthrombose ist mit einem relativ niedrigen Rezidivrisiko assoziiert und sollte daher nur 3 Monate antikoaguliert werden. Patienten mit einem persistierenden Risikofaktor (schwere Thrombophilie, aktive Tumorerkrankung) haben hingegen ein sehr hohes Rezidivrisiko und die Behandlung sollte daher fortgeführt werden. In den meisten Fällen ist die Entscheidung aber individuell zu treffen unter Beihilfe verschiedener Faktoren (. Tab.  17.3). Ist ein Risikofaktor fortbestehend, die Genese unklar oder es  

..      Tab. 17.3  Kriterien, die für eine ­Verlängerung oder Beendigung der Therapie nach Abschluss der initialen Antikoagulation sprechen (modifiziert nach AWMF Leitlinie)

17

Kriterium

Therapie fortsetzen

Therapie beenden

Risikofaktor

fortbestehend

passager

Genese

unklar

getriggert

Rezidiv

Ja

Nein

Blutungsrisiko

gering

hoch

Bisherige Antikoagulationsqualität

gut

schlecht

D-Dimere (nach Therapieende)

erhöht

normal

Residualthrombus

vorhanden

fehlend

Geschlecht

Mann

Frau

Thrombus-Ausdehnung

langstreckig

kurzstreckig

Thrombus-Lokalisation

proximal

distal

Schwere Thrombophilie

Ja

Nein

Patientenpräferenz

dafür

dagegen

295 Erkrankungen des venösen Systems

handelt sich bereits um ein Rezidiv, spricht dies für eine Verlängerung der Therapie. Auch Faktoren wie die bisherige Qualität der Antikoagulation, das Blutungsrisiko oder die Präferenz des Patienten spielen eine Rolle bei der Entscheidung. Entscheidet man sich für die Verlängerung der Antikoagulation, hat man außerdem die Möglichkeit, mit einer reduzierten Dosis weiter zu behandeln. 17.3 

Lungenembolie

Epidemiologie  Die

akute LE ist die schwerste klinische Manifestation der VTE und die dritthäufigste kardiovaskuläre Todesursache (7 Abschn.  17.2). Die Sterblichkeit in der Akutphase während der Hospitalisation beträgt im Durchschnitt 14  %, variiert aber je nach Schweregrad der LE und Vorliegen von Komorbiditäten. Insbesondere bei älteren Menschen besteht ein hohes Risiko sowohl für das Auftreten einer LE als auch für frühen Tod oder schwerwiegende Komplikationen in der Akutphase.  

Pathophysiologie und klinisches Erscheinungsbild  Die partielle oder vollständige Ver-

legung einer oder mehrerer Lungenarterien und ihrer Äste durch eingeschwemmte Thromben führt zu einem abrupten Anstieg des pulmonal arteriellen Druckes und der rechtsventrikulären (RV) Nachlast. Die „Abwärtsspirale“ aus erhöhtem myokardialem Sauerstoffbedarf, Myokardischämie und Reduktion der Füllung des linken Ventrikels LV Vorlast bedingt einen Abfall eine Reduktion des Herzzeitvolumens und schließlich einen systemischen Blutdruckabfall und kardiogenen Schock infolge des RV-Versagens (. Abb. 17.5). Der klinische Schweregrad der akuten LE umfasst ein sehr breites klinisches Spektrum, vom asymptomatischen Verlauf bis zum kardiogenen Schock und Kreislaufkollaps mit Reanimationspflichtigkeit (. Tab. 17.4).  



17

Die klinischen Symptome sind unspezifisch. Sie können durch eine akute RV-­ Insuffizienz, durch die Gasaustauschstörung in der Lunge oder durch Komplikationen der LE wie eine Infarktpneumonie oder Pleuritis entstehen. Dyspnoe ist das häufigste Symptom einer LE. Klinische Symptome einer LE 55 Orthopnoe, Tachypnoe (> 20 Atemzüge pro Minute) 55 Verminderte arterielle Sauerstoffsättigung (Hypoxämie) 55 Pectanginöser oder pleuritischer thorakaler Schmerz 55 Hämoptysen 55 Klinische Zeichen einer tiefen Venenthrombose (7 Abschn. 17.2) 55 Tachykardie (prognostisch relevantes klinisches Zeichen) 55 Synkope (ebenfalls prognostisch relevant, da der kurzzeitige Bewusstseinsverlust auf einen passageren Abfall des Herzzeitvolumens hindeutet)  

Da kein klinisches Symptom oder Zeichen als typisch für eine LE gilt, wird eine Abschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit durch die Anwendung des revidierten „Genfer Score“ (. Tab.  17.5) empfohlen. Diese klinischen Entscheidungsregeln umfassen Symptome und klinische Zeichen einer LE, aber auch Krankheiten und Situationen, die als Risikofaktoren für VTE und LE gelten.  

Diagnostik  Bei hämodynamisch instabilen

Patienten (. Tab.  17.4) mit Verdacht auf „Hochrisiko“-LE hat angesichts der vitalen Gefährdung die lebensrettende Therapie absolute Priorität. In dieser Notfallsituation bleibt keine Zeit für eine spezifische bildgebende Diagnostik mit Darstellung pulmonaler Thromben. Daher kann es ausreichend sein, eine akute Druckbelastung und RV-­ Versagen ohne alternative Erklärung echo 

296

C. Espinola-Klein und S. Konstantinides

..      Abb. 17.5  Abwärtsspirale der hämodynamischen Dekompensation bei akuter Lungenembolie. (HZV: Herzzeitvolumen, IVS: interventrikuläres Septum

(Ventrikelseptum), LV: linker Ventrikel, RV: rechter Ventrikel/rechtsventrikulär, TK: Trikuspidalklappe)

kardiografisch nachzuweisen (. Abb. 17.6), um eine multidisziplinäre Beratung für die geeignete medikamentöse, kathetergesteuerte oder operative Therapie zu veranlassen (s. unten). Bei den initial normotensiven, „stabil“ erscheinenden Patienten ist Ziel der Diagnostik, eine Bestätigung bzw. einen sicheren Ausschluss der LE durch radiologische oder nuklearmedizinische Verfahren zu gewährleisten. Die Indikation zur bildgebenden Diagnostik ergibt sich aus der Kombination

der klinischen Wahrscheinlichkeit und der D-Dimer-Werte, um einen Missbrauch dieser Verfahren zu vermeiden (. Abb. 17.7). Die computertomografische Pulmonalisangiografie (CTPA) (. Abb. 17.8) ist aktuell das mit Abstand am häufigsten eingesetzte bildgebende Verfahren in der Lungenemboliediagnostik. In . Tab.  17.6 werden die Stärken und Schwächen bzw. Gefahren der CTPA in Gegenüberstellung zur Ventilations-Perfusionsszintigrafie und invasiven



17







297 Erkrankungen des venösen Systems

17

.       Tab. 17.4  Klinische und hämodynamische Instabilität bei akuter Lungenembolie 1 Herzstillstand

2 Obstruktiver Schock

3 Anhaltende Hypotonie

Notwendigkeit einer kardiopulmonalen Reanimation

RRsys  80 Jahre

1

Krebserkrankung

1

0 Punkte: niedriges Risiko ≥ 1 Punkt(e): erhöhtes Risiko

Chronische Herz- oder Lungenerkrankung

1

Herzfrequenz ≥ 100/min

1

Systolischer Blutdruck