Herrschaftswissen. Imperiale Begegnungen in der deutschen kolonialen Schule. 1885–1929 [1. ed.] 9783848787807, 9783748933472


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German Pages 646 Year 2023

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Table of contents :
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1. Einleitung
1.1 Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen
1.2 Methodische Herangehensweise und Begriffe
Koloniale Schule und Sprachpolitik
1.3 Forschungstendenzen und Literaturgrundlage
1.4 Quellengrundlage
1.5 Aufbau und Struktur der Arbeit
2. Konzeption und Ressourcen
2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun
2.1.1 Die Entscheidung für eine koloniale Schule
2.1.2 Annäherungen an ein Anforderungsprofil und erste Bewerber
2.1.3 Zwischen Opportunismus und Kolonialenthusiasmus: Die Anstellung Theodor Christallers
2.1.4 Christallers Ideenwelt
2.1.5 Der Ort, die Sprache, das Schulhaus: Die herrschaftspolitische Positionierung der Schule
Zwischenfazit
2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika
2.2.1 Frühe Schulpläne und die Anstellung von Christian G. Barth
2.2.2 Die Institutionalisierung der Sprachpolitik
Der Fluss sprachlichen Wissens
2.2.3 Die Einbindung des Unterrichts in die koloniale Wissensproduktion
2.2.4 Der Nutzen, die Disziplin, das Entgegenkommen: Islamischer Religionsunterricht in Deutsch-Ostafrika
Barth vs. St. Paul-Illaire – Zwang oder Entgegenkommen
Lokalverwaltung vs. Bevölkerung – Zeitliche Disziplinierung
Kolonialabteilung vs. Missionsgesellschaften – Freunde und Feinde
Kolonialabteilung vs. Gouvernement – Unter dem Druck der Missionen
2.2.5 Was darf es kosten? Enttäuschte Erwartungen und finanzielle Engpässe
Zwischenfazit
2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft
2.3.1 Die Etablierung der Schule in der kolonialen Debatte
2.3.2 Pfarrer oder Volksschullehrer?
2.3.3 Schule und Unterricht auf Samoa: Reformpädagogik, Frauenbewegung und Kaisergeburtstage
2.3.4 Interimperiale Konkurrenz und alltägliche Koexistenz: Katholische und protestantische Missionsschulen
2.3.5 Was ist kolonial an der Deutschen Schule Apia?
Zwischenfazit
3. Reorganisation und Vernetzung
3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo
3.1.1 Organisatorische Verstetigung
3.1.2 Konrad Eleme und Senga Kuo
3.1.3 Die Schulgründung in Togo
3.1.4 „Eine Lehrer-Konferenz in Afrika“
Effektivität und zeitliche Effizienz
Fachlich vernetzte, aber organisatorisch selbstständige Einheiten
Im Kreise der Familie
Zwischenfazit
3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika
3.2.1 Die Reorganisation und die Verstetigung der Lehrerausbildung am Seminar für Orientalische Sprachen
3.2.2 Schulische Expansion: Küste und Inland
3.2.3 Das Narrativ der impliziten Christianisierung
3.2.4 Emanzipation und Expansion
3.2.5 Tanga: Sprachpolitisches Schulzentrum und Ausbildungsunternehmen
Zwischenfazit
3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa
3.3.1 Schul- und Sprachpolitik in Deutsch-Neuguinea
Die Schule in Garapan (Saipan)
3.3.2 Die zweifache Regierungsschule in Namanula
Unterricht für Indigene in Namanula: Sprachpolitik und Handwerkerausbildung
Unterricht für Nicht-Indigene in Namanula: Vereine und Verbände
3.3.3 Das Verhältnis zur Mission – Kooperation und Konflikt
Zwischenfazit
3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika
3.4.1 Erste Schulgründungen und der Umgang mit Heterogenität im Schulalltag
3.4.2 Ein Schulsystem im Aufbau
3.4.3 Die statistische Auswertung der Personalakten und die Lehrkräfterekrutierung
3.4.4 Anforderungen und Gehalt
Zwischenfazit
4. Kontinuität und Mobilität
4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika
4.1.1 Das Streben nach Kontinuität
Der Blick zurück: Schule und Krieg
Der Blick nach vorn: Anspruch und Wirklichkeit
4.1.2 Reorganisation und Reformen
Zukunftserwartung
Abrechnung und Rechtfertigung
Vereinheitlichung
Paradigmenwechsel
4.1.3 Alte Strukturen, neue Krisen und die Heimreise
Zwischenfazit
4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis: Die Rückkehr von Dora Künzel nach Tanganyika
4.2.1 Der Blick in die Vergangenheit
4.2.2 Britische Schulpolitik und ein kolonialrevisionistisches Kontaktnetz
Ein veränderter politischer Rahmen
Die Entstehung eines kolonialrevisionistischen Kontaktnetzes
4.2.3 Die Schule in Lupembe
Zwischenfazit
4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst
4.3.1 Die Rückreise und Wege aus dem Kolonialdienst
4.3.2 Schreiben über die Kolonien
5. Schluss
Ein berufsbiographisches Portrait
Die Generierung, Verbreitung und Nutzung kolonialen Herrschaftswissens
Schule und Lehrkräfte in den Prozessen der Aushandlung kolonialer Herrschaft
Ausblick
6. Anhang
Vorbemerkungen
Zu Kapitel 2.1
a) Tabellarische Übersicht
b) Statistische Auswertung
Zu Kapitel 2.2
a) Anschaffungen durch die Deutsche Kolonialgesellschaft
b) Privat angeschaffte Ausrüstung
a) Kostengruppen
b) Gesamtübersicht
Zu Kapitel 2.3
Zu Kapitel 3.2
a) Für die kolonialen Schulen in Deutsch-Ostafrika
b) Für die kolonialen Schulen in Kamerun
c) Für die kolonialen Schulen in Togo
a) Bagamoyo (1901)
b) Bagamoyo (1902/1903)
c) Pangani (1904/1905)
d) Daressalam (1907/1908)
Zu Kapitel 3.3
Zu Kapitel 3.4
1. Klasse (Ältere)
2. Klasse (Jüngere)
1. Klasse
2. Klasse
3. Klasse
4. Klasse
a) Lehrer
b) Lehrerinnen
c) Gesamt
Zu Kapitel 4.1
a) Lehrer
b) Lehrerinnen
c) Graphische Übersicht
Zu Kapitel 4.2
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
I. Archivquellen
Archives New Zealand Te Rua Mahara o te Kāwanatanga Wellington (ANZ)
Bundesarchiv (BArch)
R 151-F Kaiserliches Gouvernement in Deutsch-Südwestafrika
R 155-F Kaiserliches Gouvernement in Deutsch-Ostafrika
R 174-F Behörden des Schutzgebietes Deutsch-Neuguinea
R 175-IV Verwaltungsdienststellen und sonstige Einrichtung mit regionaler und lokaler Zuständigkeit
R 1001 Reichskolonialamt
R 1002 Behörden des Schutzgebietes Deutsch-Südwestafrika
R 1004-F Behörden des Schutzgebietes Samoa
R 8023 Deutsche Kolonialgesellschaft
Deutsches Historisches Museum (DHM)
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK)
Landesarchiv Baden-Württemberg
II. Amtsblätter
III.a Amtliche Jahresberichte
Herausgeber: Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes/Reichskolonialamt
III.b Anlagen zu den amtlichen Jahresberichten
IV. Zeitgenössische Zeitschriften
V. Zeitgenössische Literatur
VI. Wissenschaftliche Literatur
VII. Onlinedatenbanken
VIII. Bildquellen
Basel Mission Archives (BMA)
Dank
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Herrschaftswissen. Imperiale Begegnungen in der deutschen kolonialen Schule. 1885–1929 [1. ed.]
 9783848787807, 9783748933472

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Historische Grundlagen der Moderne

l 24

Marco Michael Rösner

Herrschaftswissen

Geschichte International

Imperiale Begegnungen in der deutschen kolonialen Schule 1885–1929

Historische Grundlagen der Moderne Geschichte International Herausgegeben von Eckart Conze Philipp Gassert Peter Steinbach Sybille Steinbacher Benedikt Stuchtey Andreas Wirsching

Marco Michael Rösner

Herrschaftswissen Imperiale Begegnungen in der deutschen kolonialen Schule 1885–1929

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. © Titelbild: BMA QE-30.004.0009 „Deutsche Reichsschule in Kamerun mit Lehrer Christaller. Oct. 1887. Gesetzl. geschützt.“ (Fotograf unbekannt, Oktober 1887).

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 2021 ISBN 978-3-8487-8780-7 (Print) ISBN 978-3-7489-3347-2 (ePDF)

Onlineversion Nomos eLibrary

1. Auflage 2023 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2023. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Meiner Familie

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

11

Biographisches Verzeichnis

13

1. Einleitung

17

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

19 21 31 38 41

Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen Methodische Herangehensweise und Begriffe Forschungstendenzen und Literaturgrundlage Quellengrundlage Aufbau und Struktur der Arbeit

2. Konzeption und Ressourcen

45

2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun 2.1.1 Die Entscheidung für eine koloniale Schule 2.1.2 Annäherungen an ein Anforderungsprofil und erste Bewerber 2.1.3 Zwischen Opportunismus und Kolonialenthusiasmus: Die Anstellung Theodor Christallers 2.1.4 Christallers Ideenwelt 2.1.5 Der Ort, die Sprache, das Schulhaus: Die herrschaftspolitische Positionierung der Schule Zwischenfazit 2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika 2.2.1 Frühe Schulpläne und die Anstellung von Christian G. Barth 2.2.2 Die Institutionalisierung der Sprachpolitik 2.2.3 Die Einbindung des Unterrichts in die koloniale Wissensproduktion 2.2.4 Der Nutzen, die Disziplin, das Entgegenkommen: Islamischer Religionsunterricht in Deutsch-Ostafrika 2.2.5 Was darf es kosten? Enttäuschte Erwartungen und finanzielle Engpässe Zwischenfazit

49 49 62 72 86 95 111 112 112 125 141 153 171 179

7

Inhaltsverzeichnis

2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft 2.3.1 Die Etablierung der Schule in der kolonialen Debatte 2.3.2 Pfarrer oder Volksschullehrer? 2.3.3 Schule und Unterricht auf Samoa: Reformpädagogik, Frauenbewegung und Kaisergeburtstage 2.3.4 Interimperiale Konkurrenz und alltägliche Koexistenz: Katholische und protestantische Missionsschulen 2.3.5 Was ist kolonial an der Deutschen Schule Apia? Zwischenfazit

181 181 191

3. Reorganisation und Vernetzung

252

3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo 3.1.1 Organisatorische Verstetigung 3.1.2 Konrad Eleme und Senga Kuo 3.1.3 Die Schulgründung in Togo 3.1.4 „Eine Lehrer-Konferenz in Afrika“ Zwischenfazit 3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika 3.2.1 Die Reorganisation und die Verstetigung der Lehrerausbildung am Seminar für Orientalische Sprachen 3.2.2 Schulische Expansion: Küste und Inland 3.2.3 Das Narrativ der impliziten Christianisierung 3.2.4 Emanzipation und Expansion 3.2.5 Tanga: Sprachpolitisches Schulzentrum und Ausbildungsunternehmen Zwischenfazit 3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa 3.3.1 Schul- und Sprachpolitik in Deutsch-Neuguinea 3.3.2 Die zweifache Regierungsschule in Namanula 3.3.3 Das Verhältnis zur Mission – Kooperation und Konflikt Zwischenfazit

255 255 268 276 281 295

8

207 220 238 249

296 296 307 317 328 337 348 350 350 363 379 390

Inhaltsverzeichnis

3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika 3.4.1 Erste Schulgründungen und der Umgang mit Heterogenität im Schulalltag 3.4.2 Ein Schulsystem im Aufbau 3.4.3 Die statistische Auswertung der Personalakten und die Lehrkräfterekrutierung 3.4.4 Anforderungen und Gehalt Zwischenfazit

391

4. Kontinuität und Mobilität

437

4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika 4.1.1 Das Streben nach Kontinuität 4.1.2 Reorganisation und Reformen 4.1.3 Alte Strukturen, neue Krisen und die Heimreise Zwischenfazit 4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis: Die Rückkehr von Dora Künzel nach Tanganyika 4.2.1 Der Blick in die Vergangenheit 4.2.2 Britische Schulpolitik und ein kolonialrevisionistisches Kontaktnetz 4.2.3 Die Schule in Lupembe Zwischenfazit 4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst 4.3.1 Die Rückreise und Wege aus dem Kolonialdienst 4.3.2 Schreiben über die Kolonien

440 440 451 463 475

5. Schluss

529

6. Anhang

539

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

607

Dank

645

391 404 414 424 434

477 477 484 495 507 508 508 520

9

Abkürzungsverzeichnis

AADOA AAKA ADNG ADSWA AK ANZ AT BArch BzkA BzkAM BzkH DHM DHPG DKB DKG DOA DOAG DOAZ DVP EMDOA EOK FDKG GStA PK IKV k. A. Kgl. KORAG LMS n. b. NIH PSK RKA RMW SfOS SGB S.M. SZ

Amtlicher Anzeiger für Deutsch-Ostafrika Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes Amtsblatt für das Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea Amtsblatt für das Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika Amtsblatt für das Schutzgebiet Kamerun Archives New Zealand Te Rua Mahara o te Kāwanatanga Wellington Amtsblatt für das Schutzgebiet Togo Bundesarchiv Bezirksamt Bezirksamtmann Bezirkshauptmann Deutsches Historisches Museum Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft Deutsches Kolonialblatt Deutsche Kolonialgesellschaft Deutsch-Ostafrika Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft Deutsch Ostafrikanische-Zeitung Deutsche Volkspartei Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika Evangelischer Oberkirchenrat Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Interfraktionelle Koloniale Vereinigung keine Angabe Königlich Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft London Missionary Society (Londoner Missionsgesellschaft) nicht bekannt New Imperial History Provinzial-Schulkollegium Reichskolonialamt Reichsministerium für Wiederaufbau Seminar für Orientalische Sprachen Samoanisches Gouvernements-Blatt Societas Mariae (Maristenmission) Samoanische Zeitung

11

Biographisches Verzeichnis

Name

Kapitel

Andres, Hermann

3.2.5

Anhuth, Käthe

3.4.3

Arenberg, Franz von

2.3.4

Arning, Wilhelm

4.2.2

Au, Georg von der

3.4.1

Auracher, Bernhard

4.3.2

Bam, Johannes

3.4.2

Barschdorff, Paul

1, 3.3.2

Barth, Christian G.

2.2.1

Baumann, Oskar

2.2.4

Bell, Johannes

4.2.2

Bennigsen, Rudolf von

3.3.1

Bensch, Alfred

3.4.2

Betz, Rudolf

3.1.2

Blank, Paul

3.2.1

Botha, Louis

4.1.1

Brandt, Friedrich Wilhelm

3.2.5

Bredow, Hedwig von

4.2.1

Broyer, S.M., Pierre Jean

2.3.4

Brückner, Edmund

4.2.2

Buchka, Gerhard von

3.2.3

Bütow, Gustava

3.4.3

Büttner, Carl Gotthilf

2.2.2

Byatt, Horace Archer

4.2.2

Cameron, Donald Charles

4.2.2

Christaller, Johann Gottlieb

2.1.3

Christaller, Theodor

2.1.3, 2.1.4

Chüden, Gertrud

4.1.3

Damm, Otto

2.3.2

Dernburg, Bernhard

4.2.1

Dittrich, Martha

3.4.3, 3.4.4

Domet, Suleiman

3.2.2

Dudzus, Fritz

4.2.1

Dwucet, Franz

3.3.1

13

Biographisches Verzeichnis Eleme Konrad

3.1.2

Folau, Selesa

2.3.2

Franke, Victor

4.1.1

Fritz, Georg

3.3.1

Geldern, Heinrich von

4.3.2

Göing, August

3.4.2

Götzen, Gustav Adolf von

3.2.4

Gries, August

4.1.1

Gunzert, Theodor

4.2.2

Guse, Käthe

3.4.3

Haber, Eduard

4.3.1

Hadji, Sewa

2.2.1

Hahl, Albert

3.3.1

Harff, Eva Auguste

3.4.2

Heider, Friedrich Wilhelm Ernst Karl

2.3.4

Herlyn, Antonius

3.4.1

Hermkes, Adolf

3.4.4

Hespers, Franz Karl

2.2.4

Heuer, Marie

4.1.1

Höfer, Hermann

3.3.1, 4.3.1

Hoffmann, Agnes

3.4.4

Hohenlohe-Langenburg, Ernst von

3.2.3

Horn, Hermine

3.4.3

Imhoff, Frida

2.3.3

Jacobi, Karl Rudolf von

2.2.4

Jesper, Herr

3.3.2

Josepho

2.3.4

Jünemann, Aloys

3.2.5

Karlowa, Rudolf

4.2.2

Kastl, Ludwig

4.1.1

Kayser, Paul

2.2.4

Kelch, Marie

3.4.3

Keller, Rudolf

4.1.1

Kirchberg, Richard

2.1.2

Klein, Fritz

3.4.2

Köbele, Hanna

3.1.4

Köbele, Karl

3.1.3

Krause, Rudolf

3.4.1

Krause, Wilhelm

3.4.1

Kuhn, Eduard

3.2.2

14

Biographisches Verzeichnis Künzel, Dora

4.2.1

Kuo, Senga

3.1.2

Le Tanneux de St. Paul-Illaire, Walter

2.2.2

Lederbogen, Wilhelm

4.3.2

Leue, August

2.2.1

Leutwein, Theodor

3.4.3

Liebert, Eduard von

3.2.1

Lindequist, Friedrich von

3.4.1

Lucius, Robert

3.4.4

Mäcke, Richard Alfred

3.3.3

Medenwaldt, Frau

3.3.2

Neuhaus, Gustav

2.2.3

Newell, James Edward

2.3.4

Nitze, Helene

3.4.1

Osbahr, Heinrich Friedrich Wilhelm Christian

2.3.3

Pfeng/Pfengg, Johannes

4.3.2

Pfister, Angela

3.3.3

Puttkamer, Jesko von

3.1.4

Ramlow, Hermann

3.2.5

Rave, Wilhelm

3.4.1

Rechenberg, Albrecht von

3.2.4, 4.2.1

Richter, Heinrich

3.2.2

Richthofen, Herbert von

4.3.2

Richthofen, Oswald von

2.3.4

Rodenberg, Harry

4.1.1

Röhl/Roehl, Karl Otto

4.2.2

Rose, Fritz

2.3.1

Rutz, Oswald

3.2.1

Salge, Emil

2.1.2

Scheibner, Anna

3.4.3

Schele, Friedrich Rabod Freiherr von

2.2.4

Schlusche, Margarethe

3.4.3

Schnee, Albert Hermann Heinrich

2.3.2

Schönwaldt, Paul

2.1.2

Schröder, Heinrich

3.2.2

Schultz-Ewerth, Erich Bernhard Theodor

2.3.3

Schultze, Valesca

2.3.4

Seidel, August

2.2.2

Seidel, Heinrich

2.1.2

Seitz, Theodor

4.1.1

15

Biographisches Verzeichnis Sembritzki, Emil

4.3.2

Sendke, Rudolf

4.2.1

Sierich, Dr. Friedrich Otto

2.3.1

Soden, Julius Freiherr von

2

Solf, Wilhelm Heinrich

2.3.2

Speiser, Hermann

4.2.2

Steere, Edward

2.2.2

Stobbe, Anna

3.4.3

Tandler, A. F.

2.3.1

Thormann, Johannes

3.4.2, 4.1.1

Ullmann, Kurt

4.1.3

Urban, Hermann

3.2.4

Voigt-Brüning, Maria

3.4.3

Voigt, Bernhard

3.4.2, 4.1

Voigt, Heinrich

3.4.3

Walter, Samuel

3.1.4

Weidemann, Arthur

4.1.1

Willich, Franziska

3.4.3

Wilson, Edmund

3.1.4

Wissmann, Hermann von

2.2.4

Zache, Hans Richard

2.2.2

Zedlitz, Alfred

3.4.2

Zimmerer, Eugen

3.1.1

Zöller, Hugo

2.1.1

16

1. Einleitung

Am 11. November 1948 wandte sich die Sozialversicherungskasse Teltow an Paul Barschdorff, wohnhaft im Machnower Busch 18 in Kleinmach­ now.1 Der 73-jährige ehemalige Lehrer erhielt ein Schreiben, wie es in ähnlicher Form zahllose Deutsche im Jahr 1948 erreichte, im Jahr­ zehnt zuvor erreicht hatte und im Jahrzehnt darauf erreichen sollte. In dem Schreiben teilte die Sozialversicherungskasse Barschdorff in feinstem Amtsdeutsch mit, dass sein Rentenantrag nun zur Festsetzung des Auszah­ lungsbetrages an die Sozialversicherungsanstalt des Landes Brandenburg weitergeleitet worden sei. Barschdorff bemühte sich also offenbar einige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges um eine staatliche Rente. Für die damalige Sozialverwaltung war dies an sich wohl kein ungewöhn­ licher Vorgang. Für den historisch interessierten Leser und den kolonial­ historischen Forscher entpuppt sich dieser Vorgang bei genauerem Hinse­ hen allerdings als Zugangspunkt zu einem reichen Schatz an empirischem Material, das beredt Auskunft gibt über die Zeit der deutschen Kolonial­ herrschaft in Afrika und im Pazifik, über den Zusammenbruch des deut­ schen Kolonialreiches und den kolonialen Revanchismus in der Weimarer Republik, denn der Anspruch beruht auf einer außergewöhnlichen, durch den deutschen Kolonialismus tief geprägten Biographie. Barschdorffs Ren­ tenanspruch gründete insbesondere auf seiner Kolonialdienstzeit, die er über 34 Jahre zuvor von 1907 bis 1914 im circa 13.500 km entfernten Rabaul (heutiges Kokopo, Papua-Neuguinea) verbracht hatte.2 Dies lässt sein Lebenslauf zunächst nicht vermuten. Barschdorff hatte sich in seinem Rentenantrag, den er schon 1946 gestellt hatte, auch nicht als Kolonialbe­ amten bezeichnet, sondern angegeben, „von Beruf Volksschullehrer“ zu sein.3 Bereits kurz nach seinem abschließenden Examen hatte er 1899

1 DHM DO 77/373.17. Die brandenburgische Gemeinde Kleinmachnow liegt im Südosten Berlins und grenzt im Norden und Osten an den Berliner Bezirk SteglitzZehlendorf. In dieser Arbeit wird das generische Maskulinum verwendet. Das Geschlecht von Personen wird gesondert genannt, sofern dies analytischen Mehrwert generiert. Eine Ausnahme bildet die Verwendung der Begriffe Lehrer (Sg./Pl.) für männliche Lehrkräfte und Lehrerin/Lehrerinnen für weibliche Lehrkräfte. 2 DHM DO 77/373.13. 3 DHM DO 77/373.14 (auch für das Zitat).

17

1. Einleitung

allerdings seine schlesische Heimat in Richtung Südamerika verlassen, um in einer deutschen Schule in Valdivia, Chile, zu arbeiten. Nach fünf Jahren war er in seine Heimat und den dortigen Volksschuldienst zurückgekehrt, um nach weiteren zwei Jahren erneut auszureisen, nun mit dem Ziel Deutsch-Neuguinea.4 Seine dortige Dienstzeit beschrieb Barschdorff in sei­ nem Rentenantrag kurz und knapp wie folgt: „Ich richtete eine Elementarschule für Europäerkinder und eine solche für Eingeborenenknaben ein. Diese letztere baute ich weiter aus zu einer Handwerkerschule für junge Eingeborene, die den Elementar­ kursus durchlaufen hatten.“5 Während dieser Zeit erkrankte er mehrfach an tropischen Fieberkrank­ heiten, sodass er 1924, nachdem er im Ersten Weltkrieg als Soldat ge­ kämpft, zeitweise wieder als Volksschullehrer unterrichtet und schließlich als Reichsbeamter gearbeitet hatte, aufgrund von „Malariarückfälle[n]“ in den Ruhestand eintrat.6 Doch auch danach war Barschdorffs Leben vom Kolonialismus geprägt. Er arbeitete noch einige Jahre als Hauptbuchhalter der Neuguinea-Kompagnie und hielt zudem Vorträge über die ehemaligen Kolonien und deren Wiedererlangung.7 1948 blickte Barschdorff damit auf ein Leben zurück, das ihn drei Kontinente hatte kennenlernen und zwei Weltkriege hatte überleben lassen und welches in seiner Spätphase aber dennoch wesentlich auf seiner achtjährigen Dienstzeit in Deutsch-Neugui­ nea beruhte. Aus ihr erwuchsen seine materiellen Versorgungsansprüche, und die Erfahrungen seiner Dienstzeit, beachtet man etwa seine Vortrags­ tätigkeit noch in den 1930er-Jahren, prägten seine geistige Haltung.8 Barschdorffs Berufsbiographie wirft zahlreiche Fragen auf, etwa ganz grundsätzlich, wie die deutsche Volksschule und der Kolonialdienst in Verbindung traten. Mit welchem Ziel wurden deutsche Lehrkräfte in den Kolonien angestellt und über welche Befugnisse und über welche Hand­ lungsmacht verfügten sie? Auffälligerweise bezeichnete sich Barschdorff selbst als zweifachen Schulgründer in der Kolonie und nicht etwa als ange­ stellter Lehrer an einer dortigen Schule, was eine durchaus hervorgehobe­ ne Rolle annehmen lässt. Inwiefern war dies durch Barschdorffs Auslands­ schulerfahrung bedingt? Außerdem wirft das Zitat weitere Fragen auf:

4 5 6 7 8

18

DHM DO 77/373.13–14. DHM DO 77/373.14 (auch für das Zitat). DHM DO 77/373.13–14, 20, 22–23 (für das Zitat: 14). DHM DO 77/373.11, 13. DHM DO 77/373.11, 13.

1.1 Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen

Welche Bedeutung hatte Barschdorffs Unterscheidung zwischen Schulen für ‚Europäerkinder‘ und solche für ‚Eingeborenenknaben‘? Wie lief über­ haupt der Unterricht ab in Weltgegenden, deren Kultur und Sprache sich erheblich von der eines deutschen Volksschullehrers unterschieden? Wie begegneten sich Lehrer und Schüler in den Kolonien und welche herr­ schaftspolitischen Dimensionen hatte eine Schulgründung? Letztlich zeigt Barschdorffs Biographie auch, dass selbst nach der eigentlichen Dienstzeit und auch nach dem vermeintlichen Ende des deutschen Kolonialismus im Ersten Weltkrieg koloniale Erlebnisse und Erfahrungen Wirkung auf das Leben eines ehemaligen kolonialen Lehrers entfalteten. Wie starr war diese Grenze also in Wirklichkeit? Welche Formen von Kontinuität gab es? Mo­ tiviert nicht Barschdorffs Biographie zu einer gemeinsamen Analyse der kaiserlichen und der Weimarer Jahre? Paul Barschdorff war nicht der einzige deutsche Lehrer, der in den deutschen Kolonien unterrichtete. Diese Arbeit widmet sich der Tätigkeit vieler weiterer Lehrerinnen und Lehrer, die ab 1886 in den deutschen Kolonien in Afrika und im Pazifik beschäftigt waren. Die Lehrkräfte, ihre Schülerinnen und Schüler, der Schulalltag und die Schuladministration charakterisieren das, was in dieser Arbeit als koloniale Schule verstanden wird. Hierbei handelt es sich um einen Erfahrungsraum, der mal konzep­ tionelle Institution und mal Ort kolonialer Praxis ist und in dem kolo­ nialherrschaftliche Aushandlungsprozesse stattfanden.9 Die Lehrerinnen und Lehrer dieser kolonialen Schule stehen mit ihren Erlebnissen und Karrieren im Zentrum dieser Arbeit. Sie sind dabei Studienobjekt und Wegweiser zugleich, wenn es darum geht, dieses bislang nur unzureichend erforschte Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte zu ergründen. Die hierbei leitenden Forschungsfragen und das Erkenntnisinteresse dieser Ar­ beit werden im Folgenden benannt, bevor anschließend die methodische Herangehensweise und zentrale Begriffsverständnisse erläutert werden.

1.1 Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen Das grundlegende Erkenntnisinteresse dieser Arbeit umfasst erstens die berufsbiographische Erfassung der Lehrerinnen und Lehrer, die an staatli­ chen Schulen in den deutschen Kolonien arbeiteten. Zweitens fragt sie

9 Zur Abgrenzung des Begriffes koloniale Schule zu den Begriffen Kolonialschule und Missionsschule sowie zur methodischen Begründung der Annahme beachte Kapitel 1.2.

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1. Einleitung

nach den Beiträgen dieser Lehrkräfte zur Generierung, Verbreitung und Nutzung kolonialen Herrschaftswissens. Und drittens sucht diese Arbeit, die Rolle und die Funktion der kolonialen Schule sowie der Lehrerschaft in den Prozessen der Aushandlung kolonialer Herrschaft zu bestimmen. Dieses grundlegende Erkenntnisinteresse soll nunmehr anhand der diese Arbeit gliedernden Aspektpaare Konzeption und Ressourcen (Kapitel 2), Re­ organisation und Vernetzung (Kapitel 3) sowie Kontinuität und Mobilität (Kapitel 4) konkretisiert werden.10 Mit Blick auf die Konzeption und die Ressourcen der kolonialen Schule fragt die Arbeit im Speziellen zunächst nach Ideen-, Erfahrungs- und Wis­ sensbereichen, die im Zuge der ersten Schulgründungen in den 1880erund 1890er-Jahren von deren Initiatoren adressiert wurden. Welche ideel­ len und welche materiellen Ressourcen des Missionswesens, privater Kolo­ nialgesellschaften und der deutschen Auslandsgemeinden machten sich die kolonialen Verwaltungen zu Nutze? Welche Elemente des Schulwesens im Deutschen Reich transportierten die ersten Lehrer in die Kolonien? Inwiefern wurden die Erfahrungen der ersten Schulgründungen zu para­ digmatischen Bestandteilen schulisch-kolonialen Herrschaftswissens? Zu diesen Fragen treten solche nach der Anbindung der kolonialen Schule an die Prozesse der kolonialen Wissensgenerierung. Auf welche Weise gelang diese Anbindung? Welche Rolle spielten in diesem Prozess die Lehrkräfte, deren schulischer Alltag und deren Vernetzung mit der deutschen Koloni­ allinguistik, die sich noch als besonders relevant herausstellen wird? Und in welchem Verhältnis stand die Ausbildung der Lehrkräfte zu den Anfor­ derungen der kolonialen Praxis? Die Aspekte Reorganisation und Vernetzung umfassen anschließend das Erkenntnisinteresse an konzeptionellen Umbruchphasen und der mit diesen verbundenen Ausweitung einzelner Schulen zu kleinen Schulsyste­ men. Welchem Wandel unterlagen die Schulkonzepte in den deutschen Kolonien, die ihren jeweils eigenen Schwerpunkt hatten? Welche Rolle spielten institutionelle, familiäre und intraimperiale Vernetzungen im Be­ reich der Schulen für die Ausübung kolonialer Herrschaft? Inwiefern ist die Betätigung der kolonialen Lehrer im Feld der Sprachpolitik als Aus­ übung epistemischer Gewalt zu charakterisieren? Von Interesse sind des Weiteren zeitgenössische Debatten über den Sinn und Nutzen staatlicher Schulen für den Erhalt kolonialer Herrschaft, wobei es zu klären gilt, ob die Schulen überhaupt einen signifikanten Beitrag zur herrschaftlichen Durchdringung der Kolonien lieferten oder deren rudimentären Charak­ 10 Zur Begründung dieser gliedernden Aspektpaare beachte Kapitel 1.5.

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1.2 Methodische Herangehensweise und Begriffe

ter letztlich bloß widerspiegelten. Hinzu treten Fragen nach der in der kolonialen Schule verhandelten Dichotomie von Indigen und Nicht-Indi­ gen, nach den Formen der Auseinandersetzung mit Missionsschulen und den verwaltungsinternen Machtkämpfen um Einfluss in den Schulen. Im Zusammenhang der Betrachtung von Kontinuität und Mobilität stellt die Darstellung schließlich die weithin vertretene These des Zä­ surcharakters des Ersten Weltkrieges als historiographische Grenze des deutschen Kolonialismus in Frage. Das Erkenntnisinteresse umfasst hier insbesondere die Formen kolonialpraktischer Kontinuitäten in einer Zeit der Diskontinuität formaler Kolonialherrschaft des Deutschen Reiches. Welche Versuche zur Fortführung der kolonialen Schule trotz der militäri­ schen Besetzung der Kolonien gab es? Welche Anpassungsanforderungen stellten die neuen Rahmenbedingungen an die kolonialen Lehrkräfte und wie gingen dieselben mit ihnen um? Wie gestaltete sich die meist erzwun­ gene Ausreise aus den Kolonien? Des Weiteren stellen sich Fragen nach dem Verhältnis kolonialer Lehrkräfte zu kolonialrevisionistischen Forde­ rungen. Auf welche Weise beteiligten sich diese am kolonialen Revanchis­ mus in der Zeit der Weimarer Republik? Unter welchen politischen Rah­ menbedingungen gelangte eine ehemalige Lehrerin Deutsch-Ostafrikas zurück in ihr ehemaliges Tätigkeitsgebiet? Welche publizistischen Beiträ­ ge lieferten ehemalige koloniale Lehrer in der Zeit des Kolonialrevisionis­ mus? Begleitet werden diese Fragen von einem steten Erkenntnisinteresse an den Berufsbiographien der kolonialen Lehrkräfte, welches zu stillen sich der alleinigen Verortung in einem der drei Fragenkomplexe entzieht. Fragen nach den Motivationen von Lehrkräften, in den Kolonialdienst einzutreten, den materiellen Vor- und Nachteilen dieser beruflichen Ent­ scheidung sowie nach der Rolle der einzelnen Lehrkräfte im Prozess der Etablierung und des Erhalts kolonialer Herrschaft durchziehen diese Ar­ beit wie ein roter Faden. Zudem gilt dem Alltag der Lehrkräfte als Raum kolonialer Praxis, in dem die konkreten Aushandlungsprozesse kolonialer Herrschaft zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen stattfanden, ein be­ sonderes Erkenntnisinteresse.

1.2 Methodische Herangehensweise und Begriffe Zur Beantwortung der Forschungsfragen beschäftigt sich diese Arbeit mit imperialen Begegnungen und versteht darunter das Zusammentreffen von Akteuren im imperialen Herrschaftsrahmen. Imperialismus wird dabei

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1. Einleitung

nicht nur als vielschichtige politische, wirtschaftliche und kulturelle Aus­ dehnung eines Staates verstanden, sondern Dirk van Laak folgend außer­ dem „als ein wechselseitiger Prozess der Begegnung und Beeinflussung zwi­ schen Zentrum und Peripherie, zwischen Eigenem und Fremdem.“11 Der Raum, in dem sich die Akteure dieser Arbeit begegnen, umfasst die deutschen Kolonien in Afrika und im Pazifik. Die Beschreibung imperia­ ler Begegnungen greift auf die Berufsbiographien derjenigen zurück, die sich in diesem Raum bewegten, gemäß der Überzeugung, dass es sich bei diesen Biographien um Kristallisationspunkte imperialer Lebenswirk­ lichkeit handelt.12 Diese Arbeit befasst sich also mit Personen, die vor Ort und tagtäglich Akteure kolonialer Herrschaft waren, indem sie als „Übersetzer“, als „Repräsentanten“, als „Verbinder“ und als „Vermittler“ auftraten.13 Solche Personen waren geradezu gezwungen, konstruktive Kompromisse einzugehen, da sich vielerorts koloniale Herrschaft als rudi­ mentär und keineswegs als flächendeckend und umfassend darstellte.14 Diese Arbeit ist getragen von der Überzeugung, dass koloniale Herrschaft aushandlungsbedürftig war und dass diese Aushandlung insbesondere im Alltag der Akteure stattfand.15 Die Lehrerinnen und Lehrer der deutschen kolonialen Schule sind als solche Akteure geradezu prädestiniert, um als Untersuchungsobjekte zu dienen, da mit ihrer Stellung ein enger Kontakt sowohl mit der indigenen

11 Vgl. Laak, Dirk van: Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005, S. 12 (für das Zitat). Die Begriffe ‚Periphe­ rie‘ und ‚Zentrum‘ sind im Folgenden zu problematisieren, siehe unten. 12 Vgl. Rolf, Malte: Einführung: Imperiale Biographien. Lebenswege imperialer Akteure in Groß- und Kolonialreichen (1850–1918), in: Geschichte und Gesell­ schaft, Jg. 40 (2014), S. 5–21, hier: S. 9–10. Stuchtey, Benedikt: Der Charakter, die Herrschaft, das Wissen. Begegnungen im Zeitalter der Imperien, Berlin 2016, S. 25–27. 13 Vgl. Hirschhausen, Ulrike von: A New Imperial History? Programm, Potential, Perspektiven, in: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 41 (2015), S. 718–757, hier: 734–737 (für die zitierten Begriffe). 14 Michael Pesek äußert sich hierzu wie folgt: „Mancherorts war die Etablierung ko­ lonialer Herrschaft daher eher ein retardierender Prozess, musste die Herrschaft der Deutschen wieder und wieder etabliert werden.“, vgl. Pesek, Michael: Kolo­ niale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expedition, Militär und Verwaltung seit 1880, Frankfurt am Main 2005, S. 256 (für das Zitat). 15 Vgl. Habermas, Rebekka: Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialherr­ schaft, Frankfurt am Main 2016, S. 22–27. Hirschhausen, A New Imperial Histo­ ry?, S. 730.

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1.2 Methodische Herangehensweise und Begriffe

Bevölkerung als auch mit den Spitzen der deutschen Kolonialverwaltung einherging. Die Lehrkräfte waren mit Wünschen, Forderungen und Ideen beider Gruppen konfrontiert, die zudem in sich keineswegs homogen waren. Es wird angenommen, dass sie darum in einem doppelten Span­ nungsfeld von persönlicher Empathie und herrschaftlicher Distanz sowie von konstruktiven Kompromissen und ideologischen Prämissen agierten. Als Anspruchssteller auf Einfluss auf die Schulen und vermittels dieser auf die größeren kolonialen Herrschaftszusammenhänge traten des Weiteren indigene und deutsche Eltern, Führer von Wirtschaftsunternehmen und Vertreter der christlichen Konfessionen hinzu. Die Stellung der Lehrkräf­ te ist allerdings nicht nur aufgrund dieser Vielzahl an Kontakten als an einer Schnittstelle des kolonialen Herrschaftsprozesses liegend zu verorten, sondern auch aufgrund ihrer eigentlichen Tätigkeit, denn die Lehrerinnen und Lehrer der deutschen kolonialen Schule agierten im Feld des Wissens. Dies mag zunächst nicht als besondere überraschende Feststellung der Tätigkeit eines Berufsstandes erscheinen, dessen ureigene Aufgabe es ist, nachfolgende Generationen zu unterrichten, also Wissen zu vermitteln. In den Kolonien handelte es sich bei den Schülerinnen und Schülern allerdings meist um diejenigen der als fremd, als anders und als ‚unterent­ wickelt‘ wahrgenommenen indigenen Bevölkerung. Ihnen begegneten die Lehrerinnen und Lehrer einerseits als Vertreter der Kolonialmacht und an­ dererseits als wissbegierige Sammler von Informationen. Diese Begegnun­ gen hatten herrschaftspolitische Bedeutung, da die Kenntnis über Land und Leute im Kolonialgebiet es den Kolonialisten ermöglichte, herrschaft­ lichen Zugriff zu etablieren und zu verstärken. Die gesammelten Infor­ mationen formten Herrschaftswissen, das Kolonialverwaltungen, Missionen und Militärs dazu nutzten, um die indigene Bevölkerung zu kontrollieren, den eigenen Herrschaftsapparat effektiver zu gestalten und letztlich den kolonialen Herrschaftsraum zu dominieren.16

16 Vgl. Hirschhausen, A New Imperial History?, S. 731–732. Koponen, Juhani: Knowledge, Power and History: German Colonial Studies in Tanzania, in: Heyden, Ulrich van der (Hg.): Tanzania. Koloniale Vergangenheit und neuer Aufbruch, Münster 1996, S. 118–139, hier: S. 118–119. Trotha, Trutz von: Kolo­ niale Herrschaft. Zur soziologischen Theorie der Staatsentstehung am Beispiel des „Schutzgebietes Togo“, Tübingen 1994, S. 373–378. Wichtige Grundlagen zur Anwendung des Wissensbegriffs in der führenden anglo-amerikanischen Kolonial- und Imperialforschung (hier zum Studienobjekt des (vor-)kolonialen Indiens) legten Tony Ballantyne, Christopher Allan Bayly, Bernhard S. Cohn und Nicholas Dirks, vgl. Ballantyne, Tony: Orientalism and Race. Aryanism in the British Empire, Houndmills 2002. Bayly, Christopher Allan: Empire and

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1. Einleitung

Trutz von Trotha kennzeichnet dieses Herrschaftswissen in seiner Herr­ schaftssoziologie der deutschen Kolonie Togo als bürokratisch und unter­ scheidet „ ‚Kontrollwissen‘ und ‚Rekrutierungswissen‘“.17 Ersteres umfasse demnach dasjenige abstrakte Wissen, das die bürokratischen Kolonialver­ waltungen zur Erledigung ihrer Aufgaben nutzten, also in „Verwaltungs­ akten und Verwaltungslisten“ auftrete.18 Letzteres sei als Sonderform des Kontrollwissens dasjenige Wissen, das „es ihr (der Kolonialverwaltung, Anm. d. Verf.) ermöglicht, den direkten Zugriff auf die Beherrschten mas­ senhaft zu bewerkstelligen“, und das sich insbesondere „in Volkszählungs­ listen, Steuer- und Musterungslisten oder Melderegistern“ finde.19 Dieses Verständnis von insbesondere schriftlich fixiertem Wissen erfährt in dieser Arbeit eine Erweiterung, indem angenommen wird, dass auch entwickelte Strategien und eingeübte Handlungsweisen zum Herrschaftswissen gehö­ ren. Angewandt auf den Kontext Schule meint Herrschaftswissen in dieser Arbeit erstens Strategien und Handlungsweisen in der organisatorischen Steuerung eines Schulprojektes, etwa zur Beschaffung von finanziellen Mitteln oder Modi der Lehrerauswahl, zweitens Herrschaftstechniken für den Einsatz der Schule als politisches Mittel vor Ort und drittens Erfahrun­ gen aus der Praxis für die Organisation des schulischen Alltags. Entschei­ dende Beachtung erhalten in der Analyse der Prozesse der Generierung von Herrschaftswissen in diesem Zusammenhang auch dessen Transfers, sei es durch Akteure oder durch schriftliche Medien, wobei koloniale Lehrerinnen und Lehrer in einschlägigen Veröffentlichungen bislang noch nicht als Akteure dieser Transfers identifiziert worden sind.20

17 18 19 20

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Information. Intelligence Gathering and Social Communication in India, Cam­ bridge 1996. Cohn, Bernhard S.: Colonialism and its Forms of Knowledge. The British in India, Princeton 1996. Zu einem diesbezüglichen Forschungsüberblick beachte Ballantyne, Tony: Colonial Knowledge, in: Stockwell, Sarah (Hg.): The British Empire. Themes and Perspectives, Malden 2008, S. 177–197. Vgl. Trotha, Koloniale Herrschaft, S. 376–377 (für das Zitat: S. 376). Vgl. ebd., S. 376 (auch für das Zitat). Vgl. ebd., S. 376–377 (für die Zitate: S. 377). Vgl. Habermas, Rebekka: Intermediaries, Kaufleute, Missionare, Forscher und Diakonissen. Akteure und Akteurinnen im Wissenstransfer. Einführung, in: Habermas, Rebekka; Przyrembel, Alexandra (Hg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne, Göttingen, 2013, S. 27– 48, hier: S. 27–29, 44–48. Habermas, Rebekka: Wissenstransfer und Mission. Skla­ venhändler, Missionare und Religionswissenschaftler, in: Geschichte und Gesell­ schaft, Jg. 36 (2010), S. 257–284. Lindner, Ulrike: New Forms of Knowledge Exchange Between Imperial Powers. The Development of the Institut Colonial International (ICI) Since the End of the Nineteenth Century, in: Barth, Volk­ er; Cvetkovski, Roland (Hg.): Imperial Co-Operation and Transfer, 1870–1930.

1.2 Methodische Herangehensweise und Begriffe

Die skizzierte Methodik schließt insbesondere an die Arbeiten der New Imperial History (NIH) an, deren Wurzeln in den 1990er-Jahren liegen und die durch Catherine Hall, Ann Laura Stoler und Frederick Cooper in besonderem Maße geprägt wurde.21 Ihr besonderes Anliegen ist das Auf­ brechen der Dichotomie von imperialem ‚Zentrum‘ (meist kurz gefasst als eine der europäischen Hauptstädte) und imperialer ‚Peripherie‘ (den Kolo­ nien in der weiten Ferne oder ländliche gegenüber städtischen Regionen) sowie die Überführung „beide[r] in das gleiche analytische Untersuchungs­ feld“.22 Die Machtstrukturen und Herrschaftsbeziehungen innerhalb von Imperien werden dabei als dynamisch und wechselseitig verstanden.23 Ent­ sprechend ist es insbesondere ein Anliegen dieser Arbeit, die Lehrerinnen und Lehrer in den Kolonien nicht bloß als passive Weisungsempfänger zu verstehen, sondern deren Handlungsmacht sowie die der sie umgebenden Akteure in der Gestaltung der kolonialen Schule zu analysieren. Außer­ dem liegt ein besonderes Augenmerk auf der Untersuchung der Vernet­ zungen zwischen den Kolonien und dem Deutschen Reich und den hier­ aus erwachsenden herrschaftspolitischen Implikationen. Dabei wird dem Forschungsfeld der Koloniallinguistik besondere Aufmerksamkeit zuteil, da sich ein Teil der kolonialen Lehrer – hier handelt es sich ausschließlich um Männer – im Zuge ihrer Unterrichtstätigkeit intensiv mit afrikani­ schen und pazifischen Sprachen auseinandersetzte und die Feldforschung

Empires and Encounters, London 2015, S. 57–78. Rolf, Einführung: Imperiale Biographien, S. 12–13 (FN 11). 21 Vgl. Hall, Catherine: Civilising Subjects. Metropole and Colony in the English Imagination, 1830–1867, Chicago 2002. Ebd. (Hg.): At Home with the Empire. Metropolitan Culture and the Imperial World, New York u. a. 2009. Stoler, Ann Laura; Cooper, Frederick: Between Metropole and Colony: Rethinking a Research Agenda, in: Ebd. (Hg.): Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World, Berkeley 1997, S. 1–56. Beachte zudem: Wilson, Kathleen: Introduction: Histories, Empires Modernities, in: Ebd. (Hg.): A New Imperial History. Culture, Identity, and Modernity in Britain and the Empire, 1660–1840, Cambridge 2004, S. 1–26. Zu einigen Schwächen des Ansatzes beachte Osterham­ mel, Jürgen: Rezension von: Kathleen Wilson (Hg.): A New Imperial History. Culture, Identity and Modernity in Britain and the Empire 1660–1840, Cam­ bridge 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4, http://www.sehepunkte.de/2005/04/6 602.html (Abruf am 5.3.2021). 22 Vgl. Hirschhausen, A New Imperial History?, S. 719–720. Stuchtey, Benedikt: Zeitgeschichte und vergleichende Imperiengeschichte. Voraussetzungen und Wendepunkte in ihrer Beziehung, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 65 (2017), Heft 3, S. 301–337, hier: S. 304–305 (für das Zitat: S. 305). 23 Vgl. ebd.

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1. Einleitung

in den Kolonien mit der theoretischen Wissenschaft im Deutschen Reich direkt verband. Bisher wurde bereits deutlich, dass ein wichtiger Schwerpunkt dieser Ar­ beit auf Berufsbiographien liegt. Dies gründet nicht nur auf den Implika­ tionen der NIH, biographische Forschung zu betreiben.24 Mit der Bezeich­ nung der Imperialen Biographien hat sich in der Geschichtswissenschaft anschließend an die NIH ein zunehmend eigenständiges Forschungsfeld entwickelt, das die Wechselwirkungen von individueller Biographie und imperialer Wirklichkeit in den Blick nimmt.25 Malte Rolf und Tim Bu­ chen schlagen vor, hierzu insbesondere auf mobile imperiale Eliten zu blicken, die während ihrer Karrieren Stellen in vielen verschiedenen Ko­ lonien innerhalb eines Imperialreiches bekleideten und so Wissen und Erfahrungen transportierten.26 Nun sind die Lehrerinnen und Lehrer der deutschen kolonialen Schule nicht, wie etwa Gouverneure oder hohe Militärs, aufgrund fehlender Mobilität zwischen den einzelnen Kolonien zur mobilen imperialen Elite zu zählen. Die Stärken des imperialbiogra­ phischen Forschungsansatzes können dennoch für diese Arbeit fruchtbar gemacht werden, da anzunehmen ist, dass Mobilität keine notwendige Bedingung dafür ist, was diese Forschung zu erreichen versucht, nämlich durch die Analyse imperialer Biographien einen multiperspektivischen Blick auf kolonialimperiale Strukturen, auf Handlungsmacht und Herr­ schaftsverhältnisse zu werfen.27 Ja gerade der Blick auf Personen des kolo­ nialen Alltags verspricht profunde Erkenntnisse insbesondere für die kon­ kreten Mechanismen der Anbindung der kolonialen Praxis an den Prozess

24 Vgl. Hirschhausen, A New Imperial History?, S. 720. Lambert, David; Lester, Alan: Introduction: Imperial Spaces, Imperial Subjects, in: Lambert, David; Lester, Alan (Hg.): Colonial Lives Across the British Empire. Imperial Careering in the Long Nineteenth Century, Cambridge 2006, S. 1–31, hier: S. 16–24. 25 Vgl. Lambert, David: Reflections on the Concept of Imperial Biographies. The British Case, in: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 40 (2014), S. 22–41, hier: S. 26– 30. Rolf, Einführung: Imperiale Biographien, S. 7–10. Stuchtey, Der Charakter, die Herrschaft, das Wissen, S. 25–27. 26 Vgl. Buchen, Tim; Rolf, Malte: Eliten und ihre imperialen Biographien. Zur Ein­ führung, in: Buchen, Tim; Rolf, Malte (Hg.): Eliten im Vielvölkerreich. Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (1850–1918), Berlin 2015, S. 3– 31. Rolf, Einführung: Imperiale Biographien, S. 11–18. Beachte für eine Umset­ zung dieses Forschungsansatzes im Kontext des deutschen Imperialismus insbe­ sondere Kamissek, Christoph: „Ich kenne genug Stämme in Afrika“. Lothar von Trotha – eine imperiale Biographie im Offizierskorps des deutschen Kaiserreichs, in: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 40 (2014), S. 67–93. 27 Vgl. Lambert, Reflections on the Concept of Imperial Biographies, S. 30–33.

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1.2 Methodische Herangehensweise und Begriffe

der kolonialen Wissensgenerierung und will damit Herrschaftsverhältnisse und Machtstrukturen aufdecken. Dabei analysiert diese Arbeit die Biogra­ phien kolonialer Lehrer nicht nur in der Tiefe des Einzelfalles, sondern auch vergleichend und bisweilen statistisch auswertend, ohne sich aller­ dings den methodischen Zwängen eines kollektivbiographischen Ansatzes unterzuordnen.28 Das reiche empirische Material, welches in Kapitel 1.4 genauer erläutert wird, bietet die Möglichkeit, einerseits Motivationen und handlungsleitende Ideen Einzelner zu identifizieren und andererseits diese Erkenntnisse im Sinne des imperialbiographischen Forschungsansatzes zu kontextualisieren.29

Koloniale Schule und Sprachpolitik In dieser Arbeit wird ein in der Forschung noch nicht genutzter Begriff für denjenigen Erfahrungsraum verwendet, der durch die Lehrerinnen und Lehrer, ihre Schülerinnen und Schüler, den Schulalltag und die Schulad­ ministration charakterisiert wird: Die koloniale Schule. Der Begriff ist mit einer gewissen Offenheit hinsichtlich einer Bedeutung als Institution oder als Ort kolonialer Praxis zu verstehen. Er bezieht sich allerdings immer auf das kolonialstaatlich organisierte Schulwesen in den deutschen Kolo­ nien. Meist ist der Begriff mit dem Zusatz deutsch versehen, um an den nationalschulischen Kontext zu erinnern, der diesem Schulwesen anhafte­ te. Die Lehrerinnen und Lehrer der kolonialen Schule sind darum Koloni­ albeamte oder Angestellte einer kolonialen Verwaltungsdienststelle. Eine Ausnahme stellt lediglich Christian G. Barth dar, der von 1891 bis 1894 formal als Angestellter der Deutschen Kolonialgesellschaft in der kolonia­ len Schule in Tanga (Deutsch-Ostafrika) arbeitete.30 Als Institution ist die koloniale Schule Bestandteil des Verwaltungsapparates einer Kolonie und in der Regel in der direkten Verfügungsgewalt des Gouverneurs, des Verwaltungsleiters einer Kolonie, angesiedelt. Insofern blickt diese Arbeit insbesondere auch auf die politische Verwendung der Schulen im Zusam­ menhang mit den Herrschaftsstrategien der jeweiligen Gouverneure. Als Ort kolonialer Praxis ist die koloniale Schule dann genau der Raum, in

28 Zum Forschungsansatz der Kollektivbiographien siehe Schröder, Wilhelm Heinz: Kollektivbiographie. Spurensuche, Gegenstand, Forschungsstrategie, in: Historical Social Research, Jg. 23 (2011), S. 74–152. 29 Vgl. Rolf, Einführung: Imperiale Biographien, S. 7–8. 30 Beachte Kapitel 2.2.

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1. Einleitung

welchem Lehrerinnen und Lehrer ideologische Prämissen gegen konstruk­ tive Kompromisse sowie empathische Nähe gegen ideologische Distanz zur meist indigenen Schülerschaft abwägen, in welchem sie den Prozess der Wissensgenerierung vorantreiben und in welchem sie eigene Karriere­ ziele zu realisieren versuchen. Der Begriff koloniale Schule unterscheidet hinsichtlich der Schülerschaft insbesondere nicht zwischen Schulen für Indigene oder für Nicht-Indigene oder, wie Paul Barschdorff es ausdrückte, „[S]chule[n] für Europäerkinder und […] solche[n] für Eingeborenenknaben“.31 Dies liegt zunächst an der äußerst diffusen Begriffswahl der Kolonialisten, wenn es um ethnische, nationale oder willkürliche Gruppenzuschreibungen ging, denen in dieser Arbeit immer dort analytisch begegnet werden soll, wo die Grenzziehung zwischen Indigen und Nicht-Indigen besonders relevant ist.32 In der Arbeit selbst wird der Begriff indigen grundsätzlich anstelle von Begriffen wie einheimisch oder eingeboren genutzt, um die in den Kolonien ansässige Bevölkerung, die das Ziel kolonialer Beherrschung war, zu beschreiben. Die Bezeichnung indigener Eliten richtet sich dabei in der Regel nach den in der einschlägigen Forschungsliteratur gebrauchten Begriffen. So wird Dumbe Lobe Bell etwa als Chief der Duala bezeichnet.33 Zudem ist es das Ziel, spezifische Gruppen möglichst genau zu beschreiben, wobei insbesondere den Bezeichnungen in den Quellen mit kritischer Distanz begegnet wird. Die Entscheidung, im Begriffsverständnis der kolonialen Schule nicht zwischen Schulen für Indigene und Nicht-Indigene zu unter­ scheiden, gründet des Weiteren darauf, dass sich Vertragsverhältnisse, die die Lehrerinnen und Lehrer beim Zugang zum Kolonialdienst eingingen, auch nicht entsprechend unterschieden. Zwar organisierte die staatliche Kolonialverwaltung nicht in allen deutschen Kolonien Schulunterricht sowohl für Indigene als auch für Nicht-Indigene. Wo dies, wie etwa in Deutsch-Neuguinea oder Deutsch-Ostafrika, aber der Fall war, waren die Amtspflichten und vertraglichen Rechte der Lehrkräfte nicht von der Gruppenzugehörigkeit der Schülerschaft abhängig. Der Begriff koloniale Schule wurde letztlich auch deshalb gewählt, um ihn klar von den Begriffen Kolonialschule und Missionsschule abzugrenzen. Ersterer ist eindeutig von Ausbildungseinrichtungen für zukünftige Kolo­ nisten im Deutschen Reich besetzt. Die Deutsche Kolonialschule oder die

31 DHM DO 77/373.14 (für das Zitat). 32 Beachte hierzu insbesondere Kapitel 3.3. 33 Beachte etwa die Kapitel 2.1.

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1.2 Methodische Herangehensweise und Begriffe

Deutsche Frauenkolonialschule tragen den Begriff im Namen.34 Dessen Verwendung auch für die kolonialstaatlichen Schulwesen wird also abge­ lehnt, um präjudizierende Verwechslungen zu vermeiden und begriffliche Klarheit zu schaffen.35 Eine ebenso konsequente Abgrenzung erfährt der Begriff koloniale Schule auch zum Begriff Missionsschule, nun nicht, weil Verwechslungsgefahr drohte, sondern wegen substantieller konzeptionel­ ler Unterschiede in der Ausgestaltung der Curricula, der Auswahl der Lehrkräfte und der Festlegung der Schulziele. Auch bestanden zwischen den staatlichen Kolonialverwaltungen und den Missionen je nach Kolonie oder Region spezifische Verhältnisse, die zwischen Kooperation und Kon­ flikt oszillierten und sich auch durch die beiden organisierten Schulwesen ausdrückten. Entsprechend ist auch das Verhältnis zwischen Verwaltung und Mission Bestandteil der Analyse dieser Arbeit, der an dieser Stelle nicht vorgegriffen werden soll. Da sich für die Tätigkeit der Lehrkräfte insbesondere die Erstellung von Lehrwerken zu afrikanischen und pazifischen Sprachen als wesentlich erweisen wird, wird im Folgenden der Begriff der Sprachpolitik zur Ent­ lastung der Darstellung in den nachfolgenden Kapiteln erläutert. Dieser umfasst, Marten folgend, „alle Aktivitäten […], die sich mit der (im wei­ testen Sinne) politischen Beschäftigung mit Sprache und Sprachen ausein­ andersetzen“, und berücksichtigt, die begriffsgeschichtliche Entwicklung respektierend, Elemente normativer Planung (Sprachplanung, language

34 Vgl. Böhlke, Jens: Zur Geschichte der Deutschen Kolonialschule in Witzenhau­ sen. Aspekte ihres Entstehens und Wirkens, Witzenhausen 1995. Lerp, Dörte: Zwischen Bevölkerungspolitik und Frauenbildung. Die Kolonialfrauenschulen in Witzenhausen und Bad Weilbach, in: Bechhaus-Gerst, Marianne; Leutner, Mechthild (Hg.): Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009, S. 32–39. Linne, Karsten: Von Witzenhausen in die Welt. Ausbildung und Arbeit von Tropenlandwirten 1898 bis 1971, Göttingen 2017. 35 In der Forschungsliteratur zum staatlichen Schulwesen in den deutschen Kolo­ nien findet der Begriff Kolonialschule dennoch als Bezeichnung Verwendung, vgl. etwa Kim, Chun-Shik, Deutscher Kulturimperialismus in China. Deutsches Kolonialschulwesen in Kiautschou (China) 1898–1914, Stuttgart 2004. Krause, Ingo Till: „Koloniale Schuldlüge?“ Die Schulpolitik in den afrikanischen Koloni­ en Deutschlands und Britanniens im Vergleich, Hamburg 2007. Genutzt wird weiterhin der Quellenbegriff der ‚Regierungsschule‘, vgl. exemplarisch Adick, Christel: Kolonialpädagogik, in: Hierdeis, Helmwart; Hug, Theo (Hg.): Taschen­ buch der Pädagogik, Bd. 3 (Gerontagogik – Organisation), Hohengehren 1996, S. 952–963. Ansprenger, Franz: Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika, in: Heine, Pe­ ter; Heyden, Ulrich van der (Hg.): Studien zur Geschichte des deutschen Kolonia­ lismus in Afrika. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Sebald, Pfaffenweiler 1995, S. 59–93.

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1. Einleitung

planning) wie auch prozesshafter Steuerung (Sprachmanagement, language management) von Sprache.36 Hinzu treten die ebenfalls Sprachpolitik prä­ genden Elemente der Sprachpraxis und der Werthaftigkeit von Sprache.37 Sprachpolitische Maßnahmen lassen sich grundsätzlich in fünf Bereiche unterteilen und als status-, korpus-, prestige-, sprachgebrauchs- oder dis­ kursbezogen charakterisieren. Für die weitere Darstellung sind insbesonde­ re die beiden erstgenannten Bereiche relevant.38 Statusbezogene Sprachpo­ litik (Statusplanung, status planning) meint den „Auswahlprozess, welche sprachlichen Varietäten welche Funktionen in der Gesellschaft und im Sprachgebrauch der Bevölkerung einnehmen sollen“, also etwa die Aus­ wahl einer National- oder die einer Schulsprache. In ihrer Umsetzung hat sie insbesondere den Charakter der spracherwerbsbezogenen Sprachpolitik (Spracherwerbsplanung, acquisition planning), welche Maßnahmen der Er­ möglichung des Lernens einer Sprache durch Ausbildungseinrichtungen oder die Bevorzugung von Sprechern dieser Sprache für bestimmte Posi­ tionen innerhalb der Gesellschaft umfasst.39 Korpusbezogene Sprachpoli­ tik (Korpusplanung, corpus planning) beinhaltet hingegen die definitori­ sche Kodifizierung von Sprache, deren erster Schritt die Verschriftlichung mündlichen Sprachguts ist. Sie umfasst zudem die Festlegung sprachlicher Normen durch die Erstellung von Grammatiken, Wörterbüchern und Le­ xika sowie die Weiterentwicklung dieser Normen (Elaborierung).40

36 Vgl. Marten, Heiko F.: Sprach(en)politik. Eine Einführung, Tübingen 2016, S. 15–21 (für das Zitat: S. 17). Spolsky, Bernard: What is Language Policy?, in: Ebd. (Hg.): The Cambridge Handbook of Language Policy, Cambridge 2012, S. 3–15, hier: S. 5. 37 Ebd. 38 Für die weiteren Bereiche beachte Marten, Sprach(en)politik, S. 25–28. 39 Vgl. Marten: Sprach(en)politik, S. 24–27 (für das Zitat: S. 24). Wright, Sue: Lan­ guage Policy, the Nation and Nationalism, in: Spolsky, Bernard (Hg.): The Cam­ bridge Handbook of Language Policy, Cambridge 2012, S. 59–78, hier: S. 65–67, 70–72. Stolberg, Doris: German in the Pacific: Language Policy and Language Planning. Governmental and Mission Activities in the German-Colonial Era (1884–1914), in: Schmidt-Brücken, Daniel; Schuster, Susanne; Stolz, Thomas; Warnke, Ingo H.; Wienberg, Marina (Hg.): Koloniallinguistik. Sprache in kolo­ nialen Kontexten, Berlin 2015, S. 317–362, hier: S. 319. Marten führt die spracher­ werbsbezogene Sprachpolitik als eigenen Bereich auf. 40 Vgl. Marten: Sprach(en)politik, S. 25. Stolberg: German in the Pacific, S. 319. Wright, Language Policy, S. 67–70.

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1.3 Forschungstendenzen und Literaturgrundlage

1.3 Forschungstendenzen und Literaturgrundlage Die bisherige wissenschaftliche Befassung mit den Schulen in den deut­ schen Kolonien lässt sich im Wesentlichen in einen erziehungswissen­ schaftlichen und einen kolonialhistorischen Bereich unterteilen. Aus er­ ziehungswissenschaftlicher Perspektive hat insbesondere Christel Adick zahlreiche Arbeiten zu diesem Thema veröffentlicht. Ihr geographischer Schwerpunkt lag dabei zunächst auf Westafrika und hier vor allem auf der Kolonie Togo.41 Bemerkenswert sind zudem ihre Arbeiten zum Begriff der Kolonialpädagogik42, zur Einordnung kolonialer Schulen im Prozess der „Universalisierung der modernen Schule“ und der Frage, inwieweit die koloniale Schule die Bildungssysteme der nachkolonialen Staaten prägte.43

41 Vgl. Adick, Christel: Bildung und Kolonialismus in Togo. Eine Studie zu den Entstehungszusammenhängen eines europäisch geprägten Bildungswesens in Afrika am Beispiel Togos (1850–1914), Weinheim 1981. Adick, Christel: Bil­ dung und Ökonomie im kolonialen Kontext. Eine empirisch-historische Analy­ se Deutsch-Togos, in: Bruchhaus, Eva-Maria; Harding, Leonard (Hg.): Hundert Jahre Einmischung in Afrika, 1884–1984. Jahrestagung der Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland, Hamburg 1986, S. 257–268. Adick, Christel: Gha­ na. Historische Entwicklung des europäisch geprägten Bildungswesens und der Aufstieg einer nationalen Bildungselite, in: Adick, Christel; Große-Oertinghaus, Hans-Martin; Nestvogel, Renate (Hg.): Bildungsprobleme Afrikas zwischen Kolo­ nialismus und Emanzipation, Hamburg 1982, S. 43–61. Adick, Christel: Theorie und Analyse kolonialer Lehrpläne (an Beispielen aus Deutsch-Togo), in: Bildung und Erziehung, Jg. 38 (1985), S. 513–329. Adick, Christel: Togo. Kolonialschul­ wesen und Probleme nachkolonialer Reformbestrebungen im Bildungswesen, in: Adick, Christel; Große-Oertinghaus, Hans-Martin; Nestvogel, Renate (Hg.): Bildungsprobleme Afrikas zwischen Kolonialismus und Emanzipation, Hamburg 1982, S. 61–79. Adick, Christel: Verschulung in Togo. Zur Geschichte des togoi­ schen Bildungswesens, in: Entwicklungspolitische Korrespondenz, Jg. 15 (1984), S. 12–22. 42 Adick, Kolonialpädagogik (1996). Adick, Christel: Kolonialpädagogik, in: Horn, Klaus-Peter; Kemnitz, Heidemarie; Marotzki, Winfried; Sandfuchs, Uwe (Hg.): Klinkhardt Lexikon der Erziehungswissenschaft, Bad Heilbrunn 2012, S. 225– 226. Adick, Christel: Praxis und Effekte der Kolonialpädagogik. Zum Begriff „Ko­ lonialpädagogik“, in: Müller, Klaus E.; Treml, Alfred K. (Hg.): Ethnopädagogik – Sozialisation und Erziehung in traditionellen Gesellschaften, Berlin 1996, S. 149– 178. 43 Vgl. Adick, Christel: Die schulische Expansion Europas im Kolonialismus. Oktroi oder Adaption weltweiter Schulentwicklung?, in: Liedtke, Max (Hg.): Hausauf­ gabe Europa. Schule zwischen Regionalismus und Internationalismus, Bad Heil­ brunn 1993, S. 178–192. Adick, Christel: Die Universalisierung der modernen Schule. Eine theoretische Problemskizze zur Erklärung der weltweiten Verbrei­ tung der modernen Schulen in den letzten 200 Jahren mit Fallstudien aus West­

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1. Einleitung

Zu letzterem Gesichtspunkt liegen außerdem Arbeiten von Renate Nest­ vogel vor, deren geographischer Schwerpunkt auf der Kolonie Kamerun liegt und die die deutsche Kolonialzeit gemeinsam mit den folgenden britischen und französischen Kolonialzeiten Kameruns betrachtet. Nestvo­ gel erweitert die erziehungswissenschaftliche Betrachtung der Schulen in den deutschen Kolonien mit Fragestellungen dependenztheoretischen Zu­ schnittes.44 Die These, dass koloniale Schulwesen zu dauernder herrschafts­ politischer Unterlegenheit afrikanischer Staaten beigetragen hätten, wird dabei insbesondere von Anton Markmiller vertreten.45 Die historische Forschung zu den Schulen in den deutschen Kolonien kann, zurückhaltend formuliert, als rudimentär beschrieben werden. Zu­ erst und lange Zeit exklusiv befasste sich der marxistische Geschichtswis­

afrika, Paderborn 1992 (auch für das Zitat). Adick, Christel: Erziehung in Afrika zwischen Tradition, Kolonialismus und Moderne, in: Entwicklungspolitische Korrespondenz, Jg. 23 (1992), S. 16–18. Adick, Christel: Expansion, Rezession und Krisen des nachkolonialen Bildungswesens in Afrika. Eine kritische Reka­ pitulation des Erklärungskonzepts: ‚Bildung als Entwicklungshindernis‘, in: Peri­ pherie. Zeitschrift für Politik und Ökonomie in der Dritten Welt, Jg. 45 (1992), S. 77–98. Adick, Christel: Koloniale Bildungspolitik. Die Universalisierung der modernen Schule oder ethnisch-nationale Diskriminierung?, in: Wagner, Wil­ fried (Hg.): Rassendiskriminierung, Kolonialpolitik und ethnisch-nationale Iden­ tität. Referate des 2. Internationalen Kolonialgeschichtlichen Symposiums 1991 in Berlin, Münster 1992, S. 457–468. Adick, Christel: Grundstruktur und Organi­ sation von Missionsschulen in den Etappen der Expansion des modernen Welt­ systems, in: Bogner, Artur (Hg.): Weltmission und religiöse Organisation. Protes­ tantische Missionsgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Würzburg 2004, S. 459–482. Adick, Christel: Schule im modernen Weltsystem. Ein Versuch zur Entmythologisierung der Vorstellung von Schule als Kolonialerbe, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, Jg. 38 (1988), S. 343–355. 44 Vgl. Nestvogel, Renate: Die Erziehung des […] zum deutschen Untertan, in: Bruchhaus, Eva-Maria; Harding, Leonard (Hg.): Hundert Jahre Einmischung in Afrika, 1884–1984. Jahrestagung der Vereinigung von Afrikanisten in Deutsch­ land, Hamburg 1986, S. 215–255. Nestvogel, Renate: Mission und Kolonialherr­ schaft in Kamerun, in: Bade, Klaus J. (Hg.): Imperialismus und Kolonialmission. Kaiserliches Deutschland und koloniales Imperium, Wiesbaden 1982, S. 205–255. Nestvogel, Renate: Verstärkung von Unterentwicklung durch Bildung? Schuli­ sche und außerschulische Bildung im Kontext gesamtgesellschaftlicher Entwick­ lung in Kamerun, Bonn 1987. Beachte auch: Kolodzig, Gudrun: Das Erziehungs­ wesen in Tanzania. Historische Entwicklung und Emanzipation von der kolonia­ len Vergangenheit, Saarbrücken 1978. 45 Vgl. Markmiller, Anton: „Die Erziehung des […] zur Arbeit“. Wie die koloniale Pädagogik afrikanische Gesellschaften in die Abhängigkeit führte, Berlin 1995. Beachte auch Norris, Edward Graham: Die Umerziehung des Afrikaners, Togo 1895–1938, München 1993.

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1.3 Forschungstendenzen und Literaturgrundlage

senschaftler Wolfgang Mehnert mit dem Thema. Seiner 1965 vorgelegten Habilitationsschrift mit dem Titel Schulpolitik im Dienste der Kolonialherr­ schaft des deutschen Imperialismus in Afrika (1884–1914) folgten zwei Aufsät­ ze zu den staatlichen Schulen und der Sprachpolitik.46 Auftrieb erhielt das Forschungsfeld erst Anfang der 1990er-Jahre durch die Verbindung von erziehungswissenschaftlichem und historischem Erkenntnisinteresse. 1993 erschien eine Ausgabe der Zeitschrift Bildung und Erziehung, die sich ausschließlich der „Missions- und Kolonialpädagogik“ widmete.47 Die Herausgeberin der Ausgabe, Christel Adick, hatte dabei insbesondere die „deutsch(e) pädagogisch(e) Diskussion“ im Sinn und skizzierte in ihrer Einführung einige Forschungsansätze für ihre Fachdisziplin, etwa die globale Konkurrenz von Schulsystemen, die Bildungsbiographien afrikani­ scher Länder, die Lehrkräfteausbildung und die Auswirkungen kolonialer Ideologie auf Bildungskonzepte der deutschen Gegenwart.48 Ihr Appell an „die pädagogische Forschung“, Archivquellen aufzutun und zu nutzen, kann allerdings als allgemeiner Aufruf auch an Historiker interpretiert werden, in dieser Weise tätig zu werden.49 Sie verweist zu Recht darauf, dass erst durch die deutsche Wiedervereinigung auch westdeutsche Histo­ rikerinnen und Historiker Zugang zu etwa den Dokumenten des Reichs­ kolonialamtes erhielten, was erklärt, warum vor 1990 keine archivquellen­ gestützte Arbeit zur kolonialen Schule in der Bundesrepublik erschien.50 Im Folgenden wird ersichtlich werden, dass dieser Appell nur bedingt Widerhall fand. Für die Forschung zur kolonialen Schule war die Zeit­ schriftenveröffentlichung allerdings insofern von Bedeutung, als dass in der Gesamtschau der enthaltenen Fachartikel dreierlei deutlich wird: Ers­ tens erscheint eine Trennung von missionarischer und staatlicher Schultä­ tigkeit analytisch geboten, zweitens sollte Akteuren (hier sind es Missio­ narinnen) ein besonderer Stellenwert zuteil werden und drittens erweist 46 Vgl. Mehnert, Wolfgang: Schulpolitik im Dienste der Kolonialherrschaft des deutschen Imperialismus in Afrika (1884–1914), Leipzig 1965. Mehnert, Wolf­ gang: Zur Genesis und Funktion der „Regierungsschulen“ in den Afrika-Koloni­ en des deutschen Imperialismus (1884–1914), in: Markov, Walter (Hg.): Études africaines, African-Studies, Afrika-Studien, Leipzig 1967, S. 143–155. Mehnert, Wolfgang: Zur „Sprachenfrage“ in der Kolonialpolitik des deutschen Imperialis­ mus in Afrika, in: Vergleichende Pädagogik, Jg. 10 (1974), S. 52–60. 47 Bildung und Erziehung, Jg. 46 (1993), Heft 3. 48 Vgl. Adick, Christel: Missions- und Kolonialpädagogik, Zu diesem Heft, in: Bil­ dung und Erziehung, Jg. 46 (1993), Heft 3, S. 243–250 (für das Zitat: S. 243). 49 Vgl. ebd., S. 246–247 (für das Zitat: S. 247). 50 Vgl. ebd., S. 247. Beachte hierzu auch den nachfolgenden Abschnitt zur Quellen­ auswahl.

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1. Einleitung

sich der Sprachunterricht als hervorgehobenes Teilforschungsgebiet von Relevanz.51 Wichtige Grundlagenarbeit leistete daraufhin Christel Adick selbst, indem sie gemeinsam mit Wolfgang Mehnert 2001 eine Zusam­ menstellung exemplarischer staatlicher und missionarischer Archivquellen veröffentlichte.52 In ihren einleitenden Bemerkungen mussten die beiden Autoren allerdings die schon acht Jahre zuvor von Adick getroffene Fest­ stellung fortschreiben, dass sich die Forschung insgesamt bislang wenig mit dem Thema befasst habe und weiterhin ein erheblicher Forschungsbe­ darf bestehe.53 Die seither erschienenen Publikationen zur kolonialen Schule vermö­ gen insbesondere für geschichtswissenschaftliche Fragestellungen keinen gegenteiligen Eindruck zu vermitteln. So erschienen Studien mit eher abseitigen Fragestellungen, wie die Arbeit von Ingo Till Krause, der in seiner Dissertation mit Hilfe eines deutsch-britischen Schulvergleiches die ‚koloniale Schuldlüge‘ zu entkräften versucht54, und Studien, welche die Schulen im Rahmen von Kulturkontaktforschung betrachteten.55 Eine durchaus inspirierende Arbeit ist Franz Ansprengers Aufsatz, der auf em­ pirischer Forschung in Tansania fußt, allerdings keinen Bezug auf die in Deutschland verfügbaren Archivquellen nimmt.56 Die wohl detaillierteste Darstellung liegt von Hermann Hiery zu den Schulen in den deutschen

51 Vgl. Adick, Christel: Muttersprachliche und fremdsprachliche Bildung im Missi­ ons- und Kolonialschulwesen, in: Bildung und Erziehung, Jg. 46 (1993), Heft 3, S. 283–298. Krause, Jürgen: Missionarische Schulpädagogik an Beispielen der Berliner Mission, in: Bildung und Erziehung, Jg. 46 (1993), Heft 3, S. 267–282. Mehnert, Wolfgang: Regierungs- und Missionsschulen in der deutschen Koloni­ alpolitik (1885–1914), in: Bildung und Erziehung, Jg. 46 (1993), Heft 3, S. 251– 266. Mergner, Gottfried: Missionsarchive und „säkulare“ Forschung am Beispiel der Erziehungswissenschaften, in: Bildung und Erziehung, Jg. 46 (1993), Heft 3, S. 315–328. Prodolliet, Simone: Missionarinnen, Missionierte und das europäi­ sche Frauenideal, in: Bildung und Erziehung, Jg. 46 (1993), Heft 3, S. 299–314. 52 Vgl. Adick, Christel; Mehnert, Wolfgang: Deutsche Missions- und Kolonialpäd­ agogik in Dokumenten. Eine kommentierte Quellensammlung aus den Afrikabe­ ständen deutschsprachiger Archive 1884–1914, Frankfurt am Main 2001. 53 Vgl. Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik in Dokumen­ ten, S. 7–10. Krause, Jürgen: Kulturkontakte anno dazumal. Deutsche Kolonial­ schulen in Afrika und Asien, Hamburg 1999. 54 Vgl. Krause, „Koloniale Schuldlüge?“. 55 Vgl. Kim, Deutscher Kulturimperialismus in China. 56 Vgl. Ansprenger, Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika.

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1.3 Forschungstendenzen und Literaturgrundlage

Pazifikkolonien vor.57 Auch Udo Kaulich widmet in seiner Geschichte der Kolonie Deutsch-Südwestafrika der kolonialen Schule ein Kapitel.58 Von einer umfassenden Sichtung des Archivmaterials und seiner Zuführung zu einer Analyse kann allerdings nur bedingt gesprochen werden. Zusammenfassend lassen sich folgende Eindrücke festhalten: Alle Wer­ ke befassen sich mit nur einer Kolonie oder Region, wobei Darstellungen zu afrikanischen Kolonien solche zu pazifischen Kolonien an Zahl deut­ lich übersteigen. Darstellungen, die bestimmte Personen der kolonialen Schulpraxis thematisieren, finden sich nicht. Insbesondere die Lehrerin­ nen und Lehrer werden, sofern sie überhaupt namentlich Erwähnung finden, in den bisherigen Veröffentlichungen als Personen der Kolonial­ verwaltung ohne eigene Agenda dargestellt. Zudem hat eine überblicken­ de Sichtung und Analyse der in Deutschland verfügbaren Archivquellen bislang noch nicht stattgefunden. Viele der genannten Darstellungen ar­ beiten nur in sehr geringem Umfang mit dem umfangreichen Archivmate­ rial, das zur kolonialen Schule vorliegt. Stattdessen beziehen sich Autoren gern auf Buch- oder Zeitschriftenpublikationen, die bis 1918 erschienen.59 Diese Arbeiten transportieren aber häufig einen ideologisch verstellten Blick auf die Schulen in den Kolonien oder sind nur zeitlich eng gefasste Momentaufnahmen, wie etwa die in der Regel als Zahlenillustration zitier­ te statistische Studie von Schlunk.60 Die bereits vorgestellten Ziele und

57 Vgl. Hiery, Hermann Joseph: Schule und Ausbildung in der deutschen Südsee, in: Hiery, Hermann Joseph (Hg.): Die deutsche Südsee 1884–1914. Ein Hand­ buch, Darmstadt 2001, S. 198–238. 58 Vgl. Kaulich, Udo: Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafri­ ka (1884–1914). Eine Gesamtdarstellung, Frankfurt am Main 2003, S. 501–516. 59 Die folgenden Arbeiten bilden beinahe einen Kanon, der auch in Arbeiten, die die koloniale Schule nur tangieren, gern als Datenfundgrube genutzt wird: Kö­ nig, Bernhard v.: Die Eingeborenenschulen in den deutschen Kolonien Afrikas und der Südsee, in: Koloniale Rundschau, Jg. 4 (1912), S. 257–268, 405–417, 529– 543, 616–625, 721–732, Jg. 5 (1913), S. 5–27. Lattmann, Wilhelm: Die Schulen in unseren Kolonien, Berlin 1907. Lenz, Gustav: Die Regierungsschule in den deut­ schen Schutzgebieten, Darmstadt 1900. Mirbt, Carl: Mission und Kolonialpolitik in den deutschen Schutzgebieten, Tübingen 1910. Moritz, Eduard: Das Schulwe­ sen in Deutsch-Südwestafrika, Berlin 1914. Schlunk, Martin: Das Schulwesen in den deutschen Schutzgebieten, Hamburg 1914. 60 Schlunk, Martin: Die Schulen für Eingeborene in den deutschen Schutzgebie­ ten am 1. Juni 1911. Aufgrund einer statistischen Erhebung der Zentralstelle des Hamburgerischen Kolonialinstituts, Hamburg 1914. Vgl. Adick, Christel: Bil­ dungsstatistiken zum deutschen kolonialen Schulwesen und ihre Interpretation, in: Heine, Peter; van der Heyden, Ulrich (Hg.): Studien zur Geschichte des deut­ schen Kolonialismus in Afrika. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Sebald,

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1. Einleitung

die Methodik dieser Arbeit verstehen sich darum auch als Konsequenz aus diesen Eindrücken der bisherigen Forschungsliteratur. Vor der Erläuterung, wie sich diese Eindrücke in der Quellenauswahl niederschlagen, sind nun diejenigen Bereiche der Forschungsliteratur zu benennen, die in dieser Arbeit herangezogen werden. Zunächst nutzt die­ se Arbeit das breite Kompendium der allgemeinen Forschungsliteratur zur deutschen Imperial- und Kolonialgeschichte, um die Geschichte der kolonialen Schule bestmöglich zu kontextualisieren. Die weitere Literatur richtet sich nach den Zielen und Schwerpunkten dieser Arbeit. So wer­ den Darstellungen zur kolonialen Herrschaft61, zur Missionsgeschichte62, zur deutschen Schulgeschichte63, zur Stellung der deutschen Kolonialbe­

Pfaffenweiler 1995, S. 21–42, hier: S. 21–22. Beachte auch die Vorbemerkungen zum Anhang. 61 Beachte etwa Eckert, Andreas: Grundbesitz, Landkonflikte und kolonialer Wan­ del. Douala 1880 bis 1960, Stuttgart 1999. Eckert, Andreas: Herrschen und Ver­ walten. Afrikanische Bürokraten, staatliche Ordnung und Politik in Tanzania, 1920–1970. Eckert, Andreas; Pesek, Michael: Bürokratische Ordnung und kolo­ niale Praxis. Herrschaft und Verwaltung in Preußen und Afrika, in: Conrad, Se­ bastian; Osterhammel, Jürgen (Hg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004, S. 87–106. Pesek, Michael: Die Grenzen des kolonialen Staates in Deutsch-Ostafrika, 1890–1914, in: Chatroit, Alain; Gose­ winkel, Dieter (Hg.): Figurationen des Staates in Deutschland und Frankreich 1870–1945, Warschau/Berlin 2006, S. 117–140. Pesek, Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Schaper, Ulrike: Chieftaincy as a Political Resource in the German Colony of Cameroon, 1884–1916, in: Bührer, Tanja; Eichmann, Flavio; Förster, Stig; Stuchtey, Benedikt (Hg.): Cooperation and Empire. Local Realities of Global Processes, New York 2017, S. 194–222. Trotha, Koloniale Herrschaft. 62 Wichtige Grundlagen sind etwa Bade, Klaus J. (Hg.): Imperialismus und Ko­ lonialmission. Kaiserliches Deutschland und koloniales Imperium, Wiesbaden 1982. Gründer, Horst: Christliche Mission und deutscher Imperialismus. Eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit (1884–1914) unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas, Paderborn 1982. Beachte außerdem: Altena, Thorsten: „Ein Häuflein Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils“. Zum Selbst- und Fremdverständnis protes­ tantischer Missionare im kolonialen Afrika 1884–1918, Münster 2003. Eggert, Jo­ hanna: Missionsschulen und sozialer Wandel in Ostafrika. Der Beitrag der deut­ schen evangelischen Missionsgesellschaften zur Entwicklung des Schulwesens in Tanganyika, 1891–1939, Bielefeld 1970. Habermas, Rebekka: Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte, Frankfurt am Main 2016. Tiletschke, Frigga: „Afrika müssen wir auch haben!“ Die Bethel-Mission in Ostafrika, 1885– 1970, Diss. phil. Universität Bielefeld, Bielefeld 2017. 63 Hier liegt der Schwerpunkt insbesondere auf Darstellungen zur Lehrerbildung. Beachte etwa Dartenne, Corinna Maria: Die Seminare als Zwischenglied des Schulsystems. Von der Lehrerlehre zum Universitätsstudium – zur Annäherung

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1.3 Forschungstendenzen und Literaturgrundlage

amten64, zu Institutionen der Wissensgenerierung im Deutschen Reich65, zur Geschichte der Frauen in den deutschen Kolonien66 sowie biographi­ sche Nachschlagewerke und Datenbanken67 herangezogen. Einen besonde­ ren Stellenwert haben zudem Darstellungen zur Koloniallinguistik und zur Sprachpolitik. Hier sind zuvorderst die in der Reihe Koloniale und Postkoloniale Linguistik erschienenen Darstellungen zu kolonialen Spra­ chen68, Heiko Martens Einführung in das linguistische Forschungsfeld der Sprach(en)politik69 sowie das von Bernhard Spolsky herausgegeben Cam­ bridge Handbook of Language Policy zu nennen.70 Wesentlichen Einfluss auf die historische Diskussion hatte außerdem Almut Steinbachs Darstellung zur Sprachpolitik im Britischen Empire.71

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niederer und höherer Bildungskarrieren, in: Nath, Axel; Titze, Hartmut (Hg.): Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III, Differenzierung und Integration der niederen Schulen in Deutschland 1800–1945, Göttingen 2016, S. 146–164. Beachte etwa Zurstrassen, Bettina: „Ein Stück deutscher Erde schaffen“. Kolo­ niale Beamte in Togo 1884–1914, Frankfurt am Main 2008. Vgl. Pugach, Sara: Africa in Translation. A History of Colonial Linguistics in Germany and Beyond, 1814–1945, Ann Arbor 2012. Ruppenthal, Jens: Kolonia­ lismus als „Wissenschaft und Technik”. Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919, Stuttgart 2007. Beachte etwa Loosen, Livia: Deutsche Frauen in den Südsee-Kolonien des Kaiser­ reichs. Alltag und Beziehungen zur indigenen Bevölkerung, 1884–1919, Bielefeld 2014. Walgenbach, Katharina: „Die weiße Frau als Trägerin deutscher Kultur“. Koloniale Diskurse über Geschlecht, „Rasse“ und Klasse im Kaiserreich, Frank­ furt am Main 2005. Wildenthal, Lora: German Women for Empire, 1884–1945, Durham/London 2001. Beachte insbesondere Baumann, Karl; Klein, Dieter; Apitzsch, Wolfgang: Biogra­ phisches Handbuch Deutsch-Neuguinea 1882–1922. Kurzlebensläufe ehemaliger Kolonisten, Forscher, Missionare und Reisender, Berlin 2002. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Paderborn 2000– 2014. Soll, Hans-Joachim: Personen in Deutsch-Ostafrika, https://doa-pdb.olive r-gronau.de/index.php/Hauptseite (Abruf am 9.3.2021). Vgl. Engelberg, Stefan; Mühlhäusler, Peter; Stolberg, Doris; Stolz, Thomas; Warnke, Ingo H. (Hg.): Koloniale und Postkoloniale Linguistik/Colonial and Postcolonial Linguistics (KPL/CPL), 2011–2021. Vgl. Marten, Sprach(en)politik. Vgl. Spolsky, Bernhard (Hg): The Handbook of Language Policy, Cambridge 2012. Vgl. Steinbach, Almut: Sprachpolitik im Britischen Empire. Herrschaftssprache und Integration in Ceylon und den Föderierten Malaiischen Staaten, München 2009.

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1. Einleitung

1.4 Quellengrundlage Die gesteckten Ziele dieser Arbeit, ihre methodische Herangehensweise und die Eindrücke der bisherigen Forschungsliteratur machen es erforder­ lich, ihr ein umfangreiches Quellenstudium zugrunde zu legen. Dessen Fundament bilden die im Bundesarchiv Berlin lagernden Akten des Be­ standes R 1001 (Reichskolonialamt, RKA) zu den staatlichen Schulen in den deutschen Kolonien. Diese geben umfassende Einblicke in den Auf­ bau und die Verwaltung der kolonialen Schulen in den deutschen Koloni­ en in Afrika (Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Togo) und im Pazifik (Deutsch-Neuguinea, Samoa). Die deutsche Kolonie Kiaut­ schou wird durch dieses Korpus nicht erfasst. Die entsprechenden Akten des dortigen Gouvernements, das mithin dienstlich dem Reichsmarineamt zugeordnet war, sind nicht überliefert, sodass Kiautschou nur in den weni­ gen Momenten Teil dieser Arbeit wird, in denen historische Bezugnahmen darauf stattfanden.72 Neben den allgemeinen Schulakten des Bestandes R 1001 wurden des Weiteren die im Bundesarchiv Berlin zugänglichen Akten der Gouvernements- und Bezirksverwaltungen gesichtet und zu einem großen Teil in die Analyse mit einbezogen. Dies umfasst einerseits mikroverfilmte Aktenbestände der Kolonien Togo (R 150-F), Deutsch-Süd­ westafrika (R 151-F), Deutsch-Ostafrika (R 155-F), Deutsch-Neuguinea (R 174-F), Kamerun (R 175) und Samoa (R 1004-F) und andererseits die im Original vorliegenden Akten des Bestandes R 1002. Letzterer ist ein Analyseschwerpunkt, da er insbesondere die Personalakten der deutschen Lehrerinnen und Lehrer Deutsch-Südwestafrikas enthält. Diese Quellen­ art ermöglicht sowohl detaillierte biographische Einzelstudien als auch statistische Auswertungen zu den biographischen Hintergründen dieser größten Lehrerschaft in den deutschen Kolonien. Zudem ist es möglich, Einblicke in den Alltag der Lehrkräfte, ihre Karriereambitionen und Kon­ flikte innerhalb der Lehrerschaft zu erhalten. Dieser Personalaktenbestand ist außerdem insofern sehr wertvoll, als dass gerade die Personalakten im RKA bis auf einige wenige kriegsbedingt nicht mehr vorliegen. Zu den wenigen, noch heute erhaltenen Personalakten des RKA gehört allerdings die Personalakte des Lehrers Hermann Höfer (R 1001/9790), die darum auch Teil der Analyse sein wird. Ergänzt wird diese Splitterüberlieferung

72 Für eine unter anderem auf ersatzweise eingesehene generelle Akten des Reichs­ marineamtes und der Deutschen Botschaft in Peking basierende erste empirische Erschließung des Forschungsgegenstandes beachte Kim, Deutscher Kulturimpe­ rialismus in China.

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1.4 Quellengrundlage

um mikroverfilmte Akten des Gouvernements Samoa (R 1004-F), worin sich ebenfalls einige Personalakten kolonialer Lehrkräfte finden, sowie um digital verfügbare Personalakten des neuseeländischen Nationalarchives, wodurch auch für die Kolonie Samoa die Personalakten aller Lehrkräfte vorliegen. Zwar ist der Verlust der weiteren Personalakten schmerzlich. Doch auch die allgemeinen Schulakten enthalten zahlreiche biographische und personenbezogene Informationen. Besonders detailliert und erkennt­ nisreich sind diese Informationen etwa für die Gründung der ersten Schule in Bonamandone (Kamerun), zum Lehrerpersonalmanagement in Deutsch-Ostafrika und zur Tätigkeit des Schulinspektors Voigt in Südwest­ afrika in den Jahren 1915 bis 1921. Weitere Archivbestände zur kolonialen Schule finden sich in den über­ lieferten Akten der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG), welche in vie­ len Kolonien erheblichen Einfluss auf die staatlichen Schulen ausübte. Die entsprechenden Akten des DKG-Bestandes im Bundesarchiv (R 8023) gehören darum auch zur Quellengrundlage dieser Arbeit. Hinzu kommen Akten des preußischen Kultusministeriums und der preußischen Gesandt­ schaft in Hamburg, die nicht nur Ausbildungswege kolonialer Lehrer nachvollziehen lassen, sondern vor allem über die Bewerberschaft für die erste koloniale Lehrerstelle Auskunft geben und es unter anderem ermöglichen, deren Bewerbungsmotive zu erfassen. Eingesehen wurden diese Archivbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK). Ein kleiner, aber durchaus wichtiger Bestand des Quellenkor­ pus dieser Arbeit ist schließlich die Überlieferung zu Paul Barschdorff, die im Archiv des Deutschen Historischen Museums (DHM) liegt und – wie einführend in dieser Einleitung gezeigt – einen Blick vom Ende des Lebens eines kolonialen Lehrers auf die Kolonialzeit ermöglicht. Unter den veröffentlichten zeitgenössischen Quellen kommt den Amts­ blättern der Kolonialverwaltungen große Bedeutung zu.73 Durch die in

73 Hierbei handelt es sich um das Deutsche Kolonialblatt (DKB, 1890–1918), das Samoanische Gouvernements-Blatt (SGB, 1900–1914), den Amtlichen Anzeiger für Deutsch-Ostafrika (AADOA, 1900–1914), das Amtsblatt für das Schutzgebiet DeutschNeuguinea (ADNG, 1909–1914) und das Amtsblatt für das Schutzgebiet DeutschSüdwestafrika (ADSWA, 1910–1914). Das Amtsblatt für das Schutzgebiet Togo (AT, 1906–1914) und das Amtsblatt für das Schutzgebiet Kamerun (AK, 1908–1914) wur­ den ebenfalls gesichtet, fanden aufgrund der Schwerpunktsetzung der Darstel­ lung aber keinen Eingang in diese. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass zunächst das DKB die Funktion eines allgemeinen Amtsblattes für alle Kolonien erfüllte und erst mit dem Erscheinen der einzelnen Amtsblätter Personalbewegungen, Verordnungen und Berichte dezentral veröffentlicht wurden.

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1. Einleitung

den Amtsblättern genau notierten Personalbewegungen ist es möglich, die Dienstzeiten und -orte der Lehrkräfte genau zu bestimmen. Diese Daten ergänzen nicht nur die Aktenüberlieferungen aus den Archivbeständen, sondern dienen insbesondere auch als Verifizierung von Stelleninhabern, deren Personalakten nicht vorliegen. Außerdem enthalten die Amtsblätter neben allen einschlägigen Verordnungen meist detailliertere Schulberichte als die Amtlichen Jahresberichte der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes (bis 1907) und des Reichskolonialamtes (ab 1908). Gleichwohl wur­ den letztere auch in die Analyse mit einbezogen. Allerdings schwankt der Informationsgehalt der Jahresberichte durchaus, was nicht zuletzt an den Veränderungen der Berichtsstruktur liegt, die diese Jahresberichte mehrfach erfahren hatten. Neben Artikeln deutscher überregionaler Tages­ zeitungen flossen weiterhin Artikel zur kolonialen Schule aus genuin kolo­ nialen Zeitschriften in das Quellenkorpus mit ein (vor allem solche, die in der Deutschen Kolonialzeitung erschienen). Diese spielen für die Analyse der kolonialen Praxis zunächst eine untergeordnete Rolle, da die redaktionelle Bearbeitung der Artikel in der Regel nur ein ideologisch gefärbtes Abbild der kolonialen Praxis bietet. Als Quelle für einen Abgleich zwischen dem sich in den Archivquellen darstellenden Bild und seinem in den Zeitschrif­ ten dargestellten Abbild fanden diese Artikel allerdings punktuell Eingang in die Darstellung. Wichtigen Stellenwert für die Analyse der Wissensgenerierung haben insbesondere die Schulbücher und Sprachlehrwerke der Lehrkräfte, die in vielen Fällen durch die Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, die die Bibliotheksbestände der Deutschen Kolonialgesellschaft besitzt, zugänglich sind. Gemeinsam mit den schulischen Archivakten, die die Entstehungsgeschichte vieler dieser Bücher, deren Einsatz im Unterricht, deren Funktion und deren konzeptionellen Kontext dokumentieren, ist es möglich, die Anbindung der kolonialen Schule an die Prozesse der kolonialen Wissensgenerierung detailliert nachzuzeichnen. Die im vorhe­ rigen Kapitel benannte Forschungsliteratur zur Koloniallinguistik kann schließlich helfen, die Bedeutung der in den Schulbüchern stattfindenden sprachpolitischen Maßnahmen zu ergründen. Die Quellengrundlage kann zusammenfassend als umfangreich und um­ fassend beschrieben werden. Durch die zahlreichen mikroverfilmten oder digitalisierten Bestände der Gouvernementsverwaltungen, deren Originale in den Nationalarchiven der Nationalstaaten, die den Kolonien gefolgt sind, lagern, standen nicht nur die originär im Deutschen Reich entstande­ nen Quellen des Reichskolonialamt zur Verfügung. So können insbeson­ dere verwaltungsinterne Konflikte um Schulkonzepte, Einzelentscheidun­

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1.5 Aufbau und Struktur der Arbeit

gen und Personen aus der Perspektive verschiedener Verwaltungsebenen betrachtet werden. Was dabei häufig zu kurz kommt, ist die Perspektive der indigenen Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und lokaler Eliten. Zwar ermöglichen es die Quellen, bisweilen auch indigene Lehrkräfte der kolonialen Schule zu porträtieren. Deren Eigensicht findet sich in den genutzten Quellen aber nicht. Entsprechend ist es auch nicht möglich, diese Eigensicht konzeptionell für die Darstellung fruchtbar zu machen. Es ist allerdings auch fraglich, ob entsprechendes Quellenmaterial aufgrund der großen zeitlichen Entfernung und der meist nicht-schriftlichen Über­ lieferungstradition vieler lokaler Bevölkerungen der Kolonien überhaupt in größerer Zahl (noch) existiert. Angesichts der Fülle an empirischem Material ist es allerdings auch ohne entsprechende Quellen zur Eigensicht der indigenen Bevölkerung notwendig, hinsichtlich der Struktur der Ar­ beit Schwerpunkte zu setzen, deren Auswahl im nachfolgenden Kapitel erläutert wird.

1.5 Aufbau und Struktur der Arbeit Diese Arbeit gliedert sich zur Beantwortung der Forschungsfragen in drei große Kapitel, die jeweils eigene Analyseschwerpunkte haben. Kapi­ tel 2 fokussiert die Konzeption und die Ressourcen der ersten Schulgründun­ gen anhand der Beispiele der Gründungen in den Kolonien Kamerun, Deutsch-Ostafrika und Samoa. Für die Beantwortung von Fragen zum Aufbau schulischen Herrschaftswissens sind die Gründungsprozesse in diesen Kolonien besonders aussagekräftig, da sie es ermöglichen, die Be­ dingtheit dieser Prozesse von Auseinandersetzungen mit verschiedenen Ideen-, Erfahrungs- und Wissensbereichen zu analysieren. Diese umfassen insbesondere das deutsche Volksschulwesen, das Missionswesens, das Aus­ landsdeutschtum und die kolonialschulischen Erfahrungen der anderen deutschen Kolonien. Kapitel 2 blickt dabei sowohl auf die Prozesse der Wissensgenerierung als auch auf Wissenstransfers. Außerdem stehen in den ersten beiden Teilkapiteln mit Theodor Christaller und Christian G. Barth zwei Lehrkräfte im Zentrum der Darstellung, die das Bild kolonia­ ler Lehrkräfte nachhaltig prägten und wesentlichen Einfluss auf Stellenzu­ schnitte und Anforderungsprofile hatten. Das dritte Teilkapitel stellt dann sogleich diese Bilder anhand eines Gründungsprozesses, der den Charak­ ter einer kolonialstaatlichen Übernahme einer deutschen Auslandsschule hatte, in Frage und diskutiert unter anderem reformpädagogische und kirchliche Einflüsse auf die koloniale Schule. Die Biographien des Pfarrers

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1. Einleitung

und Lehrers Fritz Holzhausen und der Lehrerin Ludovica Schultze bilden die Kontrapunkte zu den Biographien Christallers und Barths. Der Schwerpunkt von Kapitel 3 liegt anschließend auf den Aspekten Reorganisation und Vernetzung. Momente deren Auftretens sind als grund­ sätzliche Gemeinsamkeit der durchaus verschiedenen Schulen in den deut­ schen Kolonien nach den Gründungsphasen zu bemerken. Reorganisation meint dabei die Umgestaltung des Schulkonzeptes in einer spezifischen Kolonie. Sie ging grundsätzlich von einer Krise wie Misserfolgen in der Verfolgung der Schulziele, dem plötzlichen Tod oder der unvermittelten Abreise einer Lehrkraft aus und hatte wesentliche Veränderungen in der herrschaftspolitischen Stellung der Schule und ihrem Unterrichtsalltag zur Folge. Vernetzung meint hingegen die Zusammenführung von Schulkon­ zepten und den Austausch unter den Lehrkräften. Sie entsprang dem praxisorientierten Bestreben nach Systematisierung sowohl der Lehrgän­ ge als auch der personalen Beziehungen der Lehrkräfte und mündete in sehr verschiedene Formen der Zusammenkunft und der Zusammenarbeit. Sowohl Reorganisation als auch Vernetzung sind regelmäßig auftretende Phänomene in der deutschen kolonialen Schule und von dem gemeinsa­ men Ziel getragen, die Schulen im Hinblick auf koloniale Herrschaft effektiver zu gestalten. Allerdings ist nach den Vorstellungen von Effek­ tivität der einzelnen Beteiligten zu fragen und zu berücksichtigen, dass bisweilen eine Schule bereits dann als effektiv angesehen wurde, wenn die Lehrerposition durchgängig besetzt war und die Schüler regelmäßig zum Unterricht erschienen. Das Kapitel umfasst vier äußerst sprechende Beispiele für beide Untersuchungsaspekte und fokussiert hinsichtlich der Lehrkräfte insbesondere deren Interaktionen. Gleichzeitig sind aber auch der Abbruch von Beziehungen, die Nicht-Begegnungen und eigenständi­ gen Entwicklungen in den Kolonien Gegenstand der Betrachtung. Wäh­ rend in Kamerun und Togo in den Jahren 1888 bis 1896 insbesondere Momente der Verstetigung der kolonialen Schule und interimperiale Ver­ netzung zu bemerken sind (Kapitel 3.1), trifft auf die kolonialen Schulen in den beiden deutschen Pazifikkolonien Deutsch-Neuguinea und Samoa eher das Gegenteil zu (Kapitel 3.3). In Deutsch-Ostafrika sind wiederum besonders starke und von den Lehrkräften intensiv betriebene interne Vernetzungsbemühungen zu bemerken, während sich gerade die Schulen dort nicht unerheblichem Rechtfertigungsdruck seitens des Reichstages ausgesetzt sahen (Kapitel 3.2). Der Versuch der Reorganisation eines deut­ schen Volksschulwesens im kolonialen Rahmen nach anfänglichen Grün­ dungshemmnissen ist schließlich in Deutsch-Südwestafrika zu beobachten,

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1.5 Aufbau und Struktur der Arbeit

dessen Lehrerschaft sich durch die gute Quellenlage als besonderes grup­ penbiographisches Analyseobjekt eignet (Kapitel 3.4). Das vierte Kapitel spannt anhand der Aspekte Kontinuität und Mobilität schließlich einen weiten Bogen vom Jahr 1914 bis in die 1920er-Jahre. Es durchbricht bewusst die historiographischen Grenzlinien des Beginns und des Endes des Ersten Weltkrieges, weil beide Ereignisse weder die Grenzen der Berufsbiographien der kolonialen Lehrkräfte, noch die der wissensbasierten Auseinandersetzung mit der deutschen kolonialen Schule widerspiegeln. Für die Lehrkräfte endete der Erste Weltkrieg zu sehr un­ terschiedlichen Zeitpunkten und die Notwendigkeit, sich mit den neuen Machthabern auseinanderzusetzen, begann früher oder später. Während die Kolonien Deutsch-Neuguinea und Samoa etwa bereits Ende August 1914 besetzt waren, erfolgte die Eroberung von Deutsch-Südwestafrika in der ersten Jahreshälfte 1915, sodass bis weit in diese Zeit hinein sowohl die deutsche koloniale Schule als auch die Verwaltung weiter bestanden. Und auch nach dem Abschluss des Versailler Vertrages, der die deutschen Kolonien zu Mandatsgebieten werden ließ, endete die Befassung mit der deutschen kolonialen Schule nicht. Ein Teil der Lehrerinnen und Lehrer verblieb in den Kolonialgebieten und arbeitete dort weiter. Ein anderer Teil kehrte zurück ins Deutsche Reich und brachte Erlebnisse und Erfah­ rungen mit. Während sich manche vom Kolonialen abwandten, suchten andere neue Formen der Beschäftigung innerhalb des weiterhin bestehen­ den Netzwerkes kolonialer Akteure im Deutschen Reich. Dann hielten sie Vorträge über die ‚gute alte Zeit‘, schrieben Propagandabücher oder kehrten sogar in ihre ehemaligen kolonialen Einsatzorte zurück. Der As­ pekt der Mobilität nimmt dabei sowohl im physischen als auch mentalen Verständnis des Begriffs eine wichtige Stellung ein. Dabei war der Grad an freier Verfügbarkeit von physischer Mobilität für die Lehrkräfte biswei­ len stark eingeschränkt. Gefragt wird zum einen nach den erzwungenen und freiwilligen Reisebewegungen der Lehrkräfte und zum anderen aber auch nach der Bereitschaft zu berufsbiographischer Mobilität und deren Verhältnis zur Flexibilität, die gemeinhin von Kolonialbeamten gefordert wurde. Die Erzählweise in den einzelnen Kapiteln ist in der Regel chronolo­ gisch, wie diese Arbeit auch insgesamt chronologisch aufgebaut ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass konzeptionelle Entscheidungen dies nicht durchbrechen können. Die Geschichte der deutschen kolonialen Schule wird in dieser Arbeit erst in der Zusammenschau der sich zeitlich überlap­ penden Abschnitte deutlich. Querverweise dienen dazu, analoge Fälle zu verbinden und ähnliche Themen zu verknüpfen. Die Zwischenfazits, die

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1. Einleitung

regelmäßig zwischen zwei Teilkapiteln eingefügt sind, dienen der Engfüh­ rung auf das Wesentliche und der Weiterentwicklung der Darstellung zu den nächsten Gesichtspunkten der Analyse. Kurzbiographien in den Fuß­ noten sollen dabei stets konkretisieren, wie Personen biographisch einzu­ ordnen sind. Abschließend führt ein Resümee die wichtigsten Antworten auf die Forschungsfragen zusammen und entwickelt daraus einen Ausblick auf mögliche Anknüpfungspunkte an diese Arbeit.

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2. Konzeption und Ressourcen

Der Aufbau deutscher kolonialer Schulen bedingte von Beginn an eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Ideen-, Erfahrungs- und Wissensbe­ reichen. Darunter waren insbesondere das Missionswesen, das Auslands­ deutschtum und die kolonialschulischen Erfahrungen der anderen deut­ schen Kolonien. Dabei bestimmten die Gegebenheiten vor Ort, aber – das wird dieses Kapitel auch zeigen – bisweilen ebenso „zufällige Gelegenhei­ ten“1, finanzielle Mittel oder persönliche Präferenz, welcher Bereich maß­ geblicher gedanklicher Anknüpfungspunkt sowie materieller Ressourcen­ lieferant für die Schulen dieser oder jener deutschen Kolonie wurde. Grundsätzlich gilt für die regierungseigenen Schulen aller deutschen Kolonien, dass diese die Schule im Reich, hier insbesondere das Volksschul­ wesen, ventilierten. Dies erschien zweckmäßig, da man über die indigenen Ausbildungseinrichtungen, wie auch über die kolonisierten und zu koloni­ sierenden Landstriche wenig bis nichts wusste. Das traf insbesondere für die deutsche koloniale Schule in Kamerun zu, die seinerzeit aufgrund ihrer Eigenschaft als erste Schule ihrer Art, aber auch für die jetzige Analyse eine besondere Stellung einnimmt. Im Zuge ihrer Errichtung in den Jahren 1885 bis 1888 wurden wichtige Richtungsentscheidungen hinsichtlich der inne­ ren inhaltlichen und organisatorischen Struktur kolonialer Schulen an sich getroffen, Kriterien für das Anstellungsprofil der Lehrkräfte entwickelt und die Schule als Institution im fluiden Überschneidungsbereich von Indigenen und Nicht-Indigenen installiert. Der Prozess des Abwägens und Auswählens schulischer Elemente war für diese erste Schule besonders intensiv und er war paradigmatisch für die weiteren deutschen Schulgründungen. Im Rahmen der Gründung der Schule in Kamerun war außerdem das Missionsschulwesen eine maßgebliche Quelle einschlägigen strategischen, aber auch handlungspraktischen Wissens. Sie stellte zudem wichtige materi­ elle Ressourcen zur Verfügung und war regelmäßig Reibungs- und Abset­ zungspunkt der ersten kolonialen Schule. Im Falle der ersten Schulgründung in Deutsch-Ostafrika waren es insbesondere die Auseinandersetzung mit den kolonialschulischen Erfahrungen in Kamerun und die Gelegenheit zur Kooperation mit der Deutschen Kolonialgesellschaft, die den Gründungs­

1 Vgl. Eckert/Pesek, Bürokratische Ordnung und koloniale Praxis, S. 92 (für das Zi­ tat).

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2. Konzeption und Ressourcen

prozess prägten. Zudem entstand mit dem Seminar für Orientalische Spra­ chen (SfoS) in Berlin eine Einrichtung, die das schulische Wirken in den Kolonien, welches insbesondere ein sprachpolitisches Wirken war, institu­ tionell im Prozess der kolonialen Wissensproduktion verankerte. In Samoa bedingte den Gründungsprozess dagegen vor allem die Auseinandersetzung mit dem Bereich des Auslandsschulwesens, da die dortige Schule mit der Inbesitznahme Samoas durch das Deutsche Reich 1903 von einer auslands­ deutschen zu einer kolonialen Einrichtung wurde, die aber maßgebliche Charakteristika ihrer Gründungszeit fortführte. Neben Gouverneur Julius Freiherr von Soden,2 einem der Initiatoren der ersten kolonialen Schulen in Kamerun und Deutsch-Ostafrika, waren es insbesondere die vor Ort tätigen Lehrkräfte, die mit den ganz spezifischen Bedingtheiten, Gelegenheiten und Restriktionen umzugehen hatten, die sich auf die schulische Praxis und den kolonialen Alltag entfalteten. Die Ausgestaltung der jeweiligen Schulen war gerade in ihren Gründungsphasen nachdrücklich mit den persönlichen Wissens- und Erfahrungshorizonten der Lehrkräfte verbunden. Ihre Fachlichkeit, Einstellungen, Vorlieben und Karriereambitionen bedingten die Entwicklung schulischen Herrschaftswis­ sens in den Kolonien und wirkten sich so auf das Erreichen oder NichtErreichen der Ziele aus, die politisch, wirtschaftlich und ideologisch an die Schule gerichtet wurden. Damit beeinflussten die Lehrkräfte maßgeblich, wie sich die jeweilige koloniale Schule entwickelte. Dabei wird sich auch zeigen, dass die Lehrerinnen und Lehrer eine wichtige (parteiische) Vermitt­ lerfunktion zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen innehatten, schon allein, weil sie in der Regel die lokale Sprache beherrschten und sich im Feld der kolonialen Sprachpolitik bewegten. Die drei folgenden Teilkapitel befassen sich darum anhand der Lehrerbio­ graphien jeweils schwerpunktmäßig mit einem kolonialen Schauplatz. In 2 Julius Freiherr von Soden (5.2.1846–2.2.1921) war nach juristischer Ausbildung und diplomatischer Karriere mit Stationen in Bukarest, Algier, Kanton, Havanna, Lima und Sankt Petersburg der erste Gouverneur der Kolonie Kamerun (1885– 1891), bevor er selbige Funktion auch in Deutsch-Ostafrika ausübte (1891–1893). Im Anschluss an diese Tätigkeiten kehrte er nach Deutschland zurück und amtier­ te unter anderem als Kabinettschef im Dienste des Königs von Württemberg (1899–1900, 1906–1916) sowie als Württembergischer Außenminister (1900–1906), vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 4 S, Paderborn 2012, S. 281–282. Gründer, Horst: Geschichte der deutschen Kolonien, Paderborn 2018, S. 291. Reuß, J.: Freiherr v. Soden, Julius: in: Weller, Karl; Ernst, Viktor; Leuze, Otto (Hg.): Württembergischer Nekrolog für die Jahre 1920 und 1921, Stuttgart 1928, S. 165–172. Soden: in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 369.

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2. Konzeption und Ressourcen

Kamerun ist dies die Schule in Bonamandone, einem Dorf an der Mündung des Flusses Wouri (seinerzeit Kamerunfluss) in unmittelbarer Nähe zum deutschen Gouvernement. In Deutsch-Ostafrika ist die Küstenstadt Tanga im Norden des heutigen Tansania Ort der ersten kolonialen Schule. In Samoa steht die Deutsche Schule in Apia im Zentrum der Darstellung. Die Teilka­ pitel fragen dabei insbesondere nach den zentralen Wissenselementen in­ nerhalb der Gründungsprozesse der jeweiligen kolonialen Schule sowie den herrschaftspolitischen Implikationen der Verwendung dieses Wissens. Die Berufsbiographien der Lehrer Theodor Christaller (Kapitel 2.1) und Christi­ an G. Barth (Kapitel 2.2), des Pfarrers Fritz Holzhausen und der Lehrerin Ludovica Schultze (Kapitel 2.3) ermöglichen zudem Einsicht in die konzep­ tionelle Entwicklung der von ihnen in der Praxis verantworteten schulischen Einrichtungen und ihrer Einflussnahme auf die diesbezüglichen Aushand­ lungsprozesse in den Gründungsphasen der kolonialen Schule und der Kolonie selbst. Kapitel 2.1 fokussiert in einem ersten Abschnitt zunächst die grundsätzli­ che Debatte zwischen dem Auswärtigen Amt und dem deutschen Gouver­ nement in Kamerun um das Ob und Wie des Schulunterrichts in Kamerun und identifiziert die Argumente für die Errichtung einer eigenen Schule als basale, Handlung begründende Wissenselemente. Anschließend rücken im nächsten Abschnitt die Verformung dieser basalen Wissenselemente zu einem Anstellungsprofil für die Lehrerstelle in Kamerun, die Implikationen der Volkschullehrerausbildung der 1880er-Jahre für diesen Verformungs­ prozess sowie vier erste Bewerber für die Lehrerstelle in Kamerun ins Zentrum der Betrachtung. Der dritte Abschnitt befasst sich dann mit dem Gros der Bewerberschaft und fragt insbesondere nach deren Bewerbungs­ motiven als Formen der Rezeption der regierungsamtlichen Schulgrün­ dungsbestrebungen. Zudem beinhaltet dieser Abschnitt die Entscheidung für Theodor Christaller, der damit zur physischen Verkörperung der Anstel­ lungsbedingungen wird. Im vierten Abschnitt wendet sich die Darstellung der Ideenwelt Christallers zu und identifiziert dessen berufsbiographisch geprägten Auffassungen der Ziele und Formen von Schulunterricht sowie dessen Vorstellungen kolonialer Sozialhierarchie. Der Abschnitt markiert zudem den Übergang zu einer zunehmend von Christaller bestimmten Wissensgenerierung. Der fünfte und letzte Abschnitt behandelt schließlich die herrschaftspolitische Positionierung der Schule, die maßgeblich durch den Standort der Schule, Christallers Handlungen auf dem Feld der kolo­ nialen Sprachpolitik und der Errichtung eines neuen Schulhauses getragen wird und im Sommer 1888 mit dem Eintreffen von Christallers Lesefibel,

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2. Konzeption und Ressourcen

dem zentralen Produkt seiner frühen Wissensgenerierung, ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Mit Kapitel 2.2 wendet sich die Darstellung der Kolonie Deutsch-Ostafrika zu und kontrastiert den dortigen Gründungsprozess sowie die ersten beiden Jahre des Bestehens der Schule mit Blick auf die Schule in Bonamandone. Verbindendes Element beider Schulorte ist Julius Freiherr von Soden, der als erster Gouverneur Deutsch-Ostafrikas auch hier die Schulgründung voran­ trieb. Der erste Abschnitt betrachtet darum den Wissenstransfer aus dem Kameruner in den Deutsch-Ostafrikanischen Schulgründungsprozess sowie den Einbezug der Deutschen Kolonialgesellschaf (DKG). Der zweite Ab­ schnitt thematisiert anschließend mit der sprachlichen Ausbildung Lehrer Barths am Seminar für Orientalische Sprachen das zentrale Element der Anpassung des bestehenden strategischen Herrschaftswissens an die neuen Gegebenheiten vor Ort. Der Abschnitt zeigt damit auch die Institutionalisie­ rung der Sprachpolitik durch die Kolonialverwaltung und den Beginn des normierenden Wissenstransfers in Form von Lehrplänen und Schulbüchern. Anhand der Unterrichtstätigkeit Barths vor Ort befasst sich der dritte Ab­ schnitt schließlich mit der konkreten Anbindung des Unterrichts an diese Transferprozesse, kennzeichnet die koloniale Schule aber nicht nur als Zielpunkt normierenden, vornehmlich sprachlichen und kulturellen Wis­ sens, sondern auch als Ort der Gewinnung von neuem Wissen. Anschließend folgt der vierte Abschnitt der Debatte um die Anstellung islamischer Religi­ onslehrer an der Schule in Tanga und identifiziert vier grundlegende Kon­ fliktlinien in dieser sich zur Krise entwickelnden Debatte. Abschließend nimmt der fünfte Abschnitt Lehrer Barths massive Beschwerden über die Finanzausstattung der kolonialen Schule zum Anlass, danach zu fragen, was die koloniale Schule in Tanga eigentlich kosten durfte. Nach den beiden afrikanischen Schauplätzen Kamerun und DeutschOstafrika tritt in Kapitel 2.3 mit der deutschen Schule in Samoa ein pazifi­ scher Schauplatz ins Zentrum der Darstellung. Das Kapitel erstreckt sich über die besonders forschungsperspektivisch reiche Zeit der Umbrüche im deutschen Schulwesen Samoas und fokussiert darum schwerpunktmäßig die Jahre 1894 bis 1906. Die Darstellung befasst sich im ersten Abschnitt mit der Etablierung der Schule, die ihrem Gründungskontext nach eine deutsche Auslandsschule war, in der kolonialen Debatte und der ideellen und finan­ ziellen Kooperation der Schule mit der Deutschen Kolonialgesellschaft. Der zweite Abschnitt thematisiert die Auseinandersetzungen zwischen dem Schulverein in Apia, der die Trägerschaft der Schule innehatte, dem Auswär­ tigen Amt und dem Preußischen Oberkirchenrat um die Besetzung der Schulleiterstelle. Zwischen 1896 und 1903 stellte sich aufgrund zahlreiche

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

Alltagskonflikte zwischen der Siedlerschaft, den Pfarrern Otto Margraf und Fritz Holzhausen und dem Lehrer Otto Damm die Frage, ob ein ausgebilde­ ter Elementarlehrer oder ein evangelischer Pfarrer die Stelle ausüben sollte, was dazu führte, dass die Beteiligten hierbei nicht nur über das Verhältnis von Staat und Kirche diskutierten, sondern auch das von lokaler und metropolitaner Verwaltungsinstanz. Der dritte Abschnitt identifiziert die Deutsche Schule in Apia sodann als internationale und reformpädagogisch geprägte Einrichtung und skizziert anhand der Berufsbiographie der Lehre­ rin Ludovica Schultze die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen an dieser Schule. Beachtung finden aber auch die ideellen nationalen Binde­ kräfte, denen die Schule anlässlich zahlreicher Termine im Schulkalender unterlag und unter denen der Geburtstag des deutschen Kaisers sowie die Schulprüfungen eine besondere Stellung einnahmen. Im vierten Abschnitt wendet sich die Darstellung dann den Versuchen des Auswärtigen Amtes und der lokalen deutschen Verwaltungen zu, ab 1896 die Schulen der vor Ort vertretenen, allesamt nicht-deutschen Missionen zum Unterricht in deut­ scher Sprache zu bewegen. Im Fokus stehen zunächst die geheimen Ver­ handlungen mit der französischen, katholischen Maristenmission vor 1900 und anschließend die gegenseitigen Begegnungen von Siedlerschaft, Mission und Verwaltung im kolonialen Schulalltag. Der fünfte Abschnitt fragt schließlich nach den kolonialen Elementen der Deutschen Schule in Apia und lotet das Verhältnis von kolonialer Bürokratie und auslandsschulischer Schultradition aus.

2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun 2.1.1 Die Entscheidung für eine koloniale Schule „Bereits in mehrfachen Berichten habe ich erwähnt, wie allgemein der Wunsch der hiesigen Eingeborenen nach Schulen ist; alle wollen Le­ sen, Schreiben, Rechnen und Singen lernen oder es doch ihre Kinder lernen lassen[.]“3 Mit diesen Worten begann der Kaiserliche Gouverneur von Kamerun, Julius Freiherr von Soden, seinen mit dem 29. Dezember 18854 datierten Brief an 3 BArch, R 1001/4070, Bl. 2–4 (für das Zitat: Bl. 2). 4 Der Brief ist mit Eingangsnotiz vom 10. Februar 1886 versehen, was der Wegstre­ cke zwischen Kamerun und Deutschland geschuldet ist. Für das Folgende kann als Übersendungszeit brieflicher Nachrichten zwischen diesen beiden Destinationen

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2. Konzeption und Ressourcen

Reichskanzler Bismarck und gab damit den Startschuss für die Errichtung deutscher Regierungsschulen in den noch jungen Kolonien. Nicht etwa politische, wirtschaftliche, religiöse oder moralische Argumente deutscher Kolonialbestrebungen führte von Soden ins Feld. Es sei vielmehr das Ver­ langen der indigenen Bevölkerung nach Schulbildung, das ihn veranlasse, die Errichtung einer Schule zu fordern. Sogar zur Entrichtung von Schulgeld seien die Indigenen bereit. Seiner Rechnung nach könne man bei angenom­ menen 50 Schulkindern und zehn Monaten Unterrichtszeit den Betrag von 10 Mark (M) pro Monat erwarten, sodass von Soden jährliche Einnahmen von 5.000 M in Aussicht stellte. Damit wäre das Gehalt des Lehrers bestreit­ bar, welches durch die Erhöhung der Schülerzahl sogar noch steigerungsfä­ hig sei. Derlei nicht genug seien die Indigenen überdies finanziell auch in der Lage, ein Schulgebäude zu errichten. Lediglich die Schuleinrichtung müsse von Regierungsseite gestellt und ein Wohnhaus für den Lehrer gebaut werden. Wohingegen von Soden davon ausging, dass man die Kosten für ersteres von den ansässigen Indigenen zurückfordern könne, veranschlagte er für letzteres Kosten in Höhe von 5.000 M. Bei Einstellung eines zweiten Lehrers könne man zudem die Einnahmen durch das Schulgeld verdoppeln, während die Kosten für die Unterbringung der Lehrer seiner Vermutung nach nicht proportional zunähmen. Gleichzeitig wäre damit für den Vertre­ tungsfall vorgesorgt.5 Schon mit seinem Bericht vom 3. Juni 1886 musste von Soden zurückru­ dern und das zu erwartende Schulgeld bei gleicher Schülerzahl auf jährlich 2.000 M beziffern. Gleichzeitig führte er nun einmalige Kosten in Höhe von 6.000 M und laufende Kosten in Höhe von 5.200 M pro Jahr an. Auch von dem großen Drängen der indigenen Bevölkerung ist nun keine Rede mehr, vielmehr benennt von Soden die Gelegenheit, Indigene zu Landwirten, Handwerkern und im Gartenbau auszubilden, mithin „zur Arbeit […] heranzuziehen“, als Ziele des Schulunterrichts und damit Motivation der Schulgründung.6 Für „die Strebsamsten und Begabtesten“ könne man zu­ dem eine Deutschklasse einrichten und die wiederum Besten darin dann einer Dolmetscherausbildung, die teilweise in Deutschland stattfinden wür­ de, zuführen.7 Früh in der Geschichte der deutschen kolonialen Schule finden sich damit Belege für die Annahme, dass mit der Gründung kolonia­

von einer Dauer von vier bis acht Wochen ausgegangen werden, vgl. Eckert/Pesek, Bürokratische Ordnung, S. 95. 5 BArch, R 1001/4070, Bl. 2–4. 6 BArch, R 1001/4070, Bl. 35–40 (für das Zitat: Bl. 37). 7 BArch, R 1001/4070, Bl. 35–40 (für das Zitat: Bl. 36).

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

ler Schulen ganz handfeste Ziele verbunden waren, bei deren Adressierung die Wünsche Indigener, anders als es etwa vander Ploeg konstatiert, eine untergeordnete, meist keine Rolle spielten.8 Gleichwohl wurde dieses vor­ gebrachte Gründungsmotiv weiter kolportiert und findet sich etwa gleich zu Anfang eines Artikelentwurfs von Sodens für den Schwäbischen Merkur im Februar 1887, in dem er ein Ausbleiben der Beachtung der Wünsche der Indigenen als „Unterlassenssünde“ bezeichnet.9 Hier vermischt sich dieses Motiv zudem mit Misstrauen gegenüber der indigenen Bevölkerung, diese habe kein redliches Interesse an Bildung, sondern – wie es bei von Soden hier knapp heißt – „[wenn überhaupt deren] Honoratioren […] materielle und praktische“ Gründe, den Bau einer Schule zu fordern.10 In der Tat scheinen die an der Mündung des Kamerunflusses ansässigen indigenen Herrscher ein Interesse daran gehabt zu haben, dass die deutschen Kolonisten eine Schule errichten. Dies belegen insbesondere die Schilderun­ gen der Auswahl des Schulstandortes, die letztlich deshalb auf das zum Einflussgebiet des Chiefs Dumbe Lobe Bell (King Bell) zählende Dorf Bonamandone fiel, weil dieser sich in Verhandlungen mit anderen indige­ nen Anführern gegen diese durchsetzte und dem Gouvernement zudem ein indigenes Langhaus für die Einrichtung einer vorläufigen Schule sowie ein Grundstück für den Bau eines Schulhauses zur Verfügung stellen konnte.11 Auch darf wohl nicht daran gezweifelt werden, dass mit dem Schicken von

8 Vgl. Ploeg, Arie J. vander: Education in German Colonial Africa, in: Comparative Education Review 21 (1977), S. 91–109, hier: S. 95. Ploegs Aufsatz basiert maß­ geblich auf Berichten des Deutschen Kolonialblatts und der politischen Disserta­ tion Mehnerts (Mehnert, Schulpolitik). 9 BArch, R 1001/4070, Bl. 81–84 (für das Zitat: Bl. 81). Der Artikel, der das Ziel hatte, Geld für die Schulerrichtung zu sammeln, wurde jedoch auf Anweisung der Kolonialabteilung aus unbekannten Gründen nicht veröffentlicht, BArch, R 1001/4070, Bl. 105–106. 10 BArch, R 1001/4070, Bl. 81–84 (für das Zitat: Bl. 81). 11 BArch, R 1001/4070, Bl. 76–79. Schran, F. A.: Die Bauthätigkeit in Kamerun, in: DKB, Jg. 1 (1890), S. 229–233, hier: S. 230. Beachte zur Bedeutung dieser innera­ frikanischen Verhandlungen: Speitkamp Winfried: Deutsche Kolonialgeschichte, Stuttgart 2014, S. 29. Adick und Mehnert ziehen zum Beleg solchen Interesses einzig eine Passage des Berichts von Gustav Nachtigal an Reichskanzler Bismarck vom 16. August 1884 heran. Darin begründet Nachtigal das vermeintliche Vo­ tum indigener Führer gegen die Errichtung eines deutschen Protektorats und für eine Annexion mit dem Interesse dieser Führer an „einer civilisierten Verwaltung [und der] Errichtung von Schulen, die ihnen besonders am Herzen liegt“, vgl. BArch, R 1001/4202, Bl. 201–238, hier: Bl. 205. Insbesondere irritiert die daraus von Adick und Mehnert gefolgerte „Hoffnung [der indigenen Führer], dadurch einen qualifizierten Bildungsabschluss und die deutsche Reichsangehörigkeit er­

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2. Konzeption und Ressourcen

Schülern zur Schule Hoffnungen auf materielle Vorteile verbunden waren. So beklagte Lehrer Christaller in seinem ersten Schulbericht, dass manche Väter ihre Kinder bereits nach wenigen Wochen mit der Begründung, diese hätten nun genug gelernt, von der Schule nahmen und der Besuch der Schule unter Entrichtung von Schulgeld mehrheitlich als finanzielle Last ohne umgehenden Ertrag verstanden werde.12 Wie sich im oben genannten Bericht von Sodens vom 3. Juni 1886 aber schon zeigt, bestanden auch auf deutscher Seite „materielle und praktische“ Interessen, mit denen die Ambi­ valenz einhergeht, einerseits die Bereitschaft der örtlichen indigenen Herr­ scher, den Schulbau zu unterstützen, bereitwillig anzunehmen, diese Bereit­ schaft andererseits aber unter dem Verdacht der egoistischen Bereicherung seitens ebendieser Herrscher zu stellen und so von der eigenen schwachen und auf Kooperationen angewiesenen Machtposition abzulenken.13 Prominente Unterstützung erhielt von Soden durch ein Gutachten des Hamburger Kaufmanns und Reeders Adolph Woermann vom 3. März 1886.14 Dieser fertigte in Kenntnis des Briefes von Sodens vom 29. Dezember 1885 und auf Bitten des späteren kurzzeitigen Leiters des kolonialpolitischen Referats im Auswärtigen Amt, dem Geheimen Legationsrat Friedrich Ri­ chard Krauel, als Vertreter der deutschen (Kolonial-)Wirtschaft eine umfas­ sende Einschätzung zu Notwendigkeit, Ausgestaltung und Finanzierung

langen zu können, sowie die Illusion von der Möglichkeit einer Art ‚juniorpart­ nerschaftlichen‘ [Anm. d. Verf.: Auch im Original in Anführungszeichen gesetzt] Verhältnisses zur Kolonialmacht“, vgl. Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik in Dokumenten, S. 426. In seiner 1965 vorgelegten Dissertati­ on hatte Mehnert, Nachtigals Schreiben anführend, noch auf das Interesse indi­ gener Anführer an den wirtschaftlichen „Annehmlichkeiten kapitalistischer Zivi­ lisation und Technik“ geschlossen und in seine vom marxistischen Geschichts­ bild geprägte wirtschaftszentrierte Darstellung eingewoben, vgl. Mehnert, Schul­ politik, S. 94–95. Zur präkolonialen Gesellschaft der Kameruner Küste und der krisenhaft bedingten Auseinandersetzung mit den europäischen Kolonisatoren beachte Eckert, Andreas: Die Duala und die Kolonialmächte. Eine Untersuchung zu Widerstand, Protest und Protonationalismus in Kamerun vor dem Zweiten Weltkrieg, Münster 1991, S. 47–91. 12 BArch, R 1001/4070, Bl. 130–133. 13 Beachte zuvorderst Eckert, Grundbesitz, S. 47. Schaper, Chieftaincy, S. 196–200, 205–208. Zur Positionierung der Schule im Feld der lokalen Machstrukturen siehe weiterhin Kapitel 2.1.5. Beachte zur nicht minder unabhängigeren Position des Gouvernements in Deutsch-Ostafrika auch Kapitel 2.2.1 und Kapitel 2.2.3. 14 BArch, R 1001/4070, Bl. 9–16. Beachte die transkribierte Version in: Adick/ Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 4, S. 65–70. Zur Rol­ le von Kaufleuten im Prozess der kolonialen Expansion beachte Habermas, Inter­ mediaries, S. 32–36.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

einer deutschen Regierungsschule in Kamerun an. Auch hier finden sich Anzeichen der Verschränkung von Gelegenheit und Misstrauen, wenn Woermann etwa das auch von ihm konstatierte Verlangen ansässiger Indi­ gener, Lesen und Schreiben zu lernen, darauf zurückführt, dass diese darin den Grund für die „Überlegenheit der Europäer“ sähen, er dann aber im Weiteren betont, dass jene zunächst überhaupt erst einmal zur Verrichtung „positiv[er] Tätigkeit“ befähigt werden müssten. Letzteres liege im unbe­ dingten Interesse der Kolonie, um durch „geistig[e] und körperlich[e] [Schulung des] Charakter[s] der Bevölkerung […,] Freude am Arbeiten“ zu erzeugen. Letztlich hält Woermann den jungen Bevölkerungsteil der Küs­ tenbewohner selbst für dieses Unterfangen für „bereits so verdorben“ und schlägt vor, die Schülerschaft im Landesinnern zu rekrutieren.15 In der Ausgestaltung der Schule explizierte Woermann den Vorschlag von Sodens und empfahl neben der Errichtung einer Elementarschule für Sprach-, Mathematik- und etwaig Religionsunterricht auch die Errichtung einer Handwerkerschule sowie einer Ackerbau- und Gärtnerschule. In der Beschreibung ihrer Vorteile für die deutsche Kolonie ging Woermann ebenso deutlich weiter. Neben den oben beschrieben zivilisationsmissiona­ rischen Gesichtspunkten begründete er die Notwendigkeit einer staatlichen Schule mit dezidiert wirtschaftlichen Argumenten. So könne man durch die Ausbildung einheimischer Handwerker Lohn- und Anwerbungskosten für fremde Arbeiter aus anderen Kolonien verringern, jene möglicherweise sogar der „Vermiethung […] in benachbarte andere Kolonien“ zuführen.16 Des Weiteren versprach er sich von der Vermittlung der deutschen Sprache die Möglichkeit, direkten Handel mit Indigenen führen zu können17, ohne auf Dolmetscher angewiesen zu sein, und appellierte diesbezüglich an das Nationalgefühl der Entscheider im Auswärtigen Amt.18

15 Für die Zitate siehe BArch, R 1001/4070, Bl. 10, 11, 13, 15. 16 BArch, R 1001/4070, Bl. 9–16 (für das Zitat: Bl. 14). 17 Beachte in analytischer Verengung diesen Aspekt als alleiniges Motiv für die Schulgründung in Kamerun bezeichnend Haschemi Yekani, Minu: Koloniale Ar­ beit. Rassismus, Migration und Herrschaft in Tansania (1885–1914), Frankfurt 2019, S. 115–116. 18 BArch, R 1001/4070, Bl. 9–16 (für das Zitat: Bl. 14). Die Abhängigkeit von Dol­ metschern unterstützte ein latentes Gefühl der Unsicherheit bei Forschungsrei­ senden, Kolonialbeamten, Händlern und Militärs, vgl. Fabian, Johannes: Im Tro­ penfieber. Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas, München 2001, S. 178. Habermas, Intermediaries, S. 39–42. Pesek, Koloniale Herrschaft, S. 219–227, 300. Schaper, Chieftaincy, S. 206. Trotha, Koloniale Herrschaft, S. 186–189.

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2. Konzeption und Ressourcen

Im Auswärtigen Amt stieß von Sodens Vorhaben – forciert durch die positive Begutachtung Woermanns, der zudem schon im Februar 1886 in einer Besprechung mitgeteilt hatte, das Vorhaben von Sodens zu unterstüt­ zen – auf prinzipielle Zustimmung.19 Zur Finanzierung der Schulgründung trat man schließlich nach Erhalt des Gutachtens an den preußischen Kultus­ minister Gustav von Goßler (1838–1902) heran und bat diesen im März 1886 um Bekanntmachung der Pläne in interessierten Kreisen, da im Etat des Auswärtigen Amtes aktuell über keine entsprechenden Mittel zu verfügen sei.20 Im Kultusministerium wiederum hielt man eine regierungsseitige Schulgründung aufgrund „der Unsicherheit der in Betracht kommenden Verhältnisse“ für schwierig umsetzbar und empfahl dem Auswärtigen Amt vielmehr die Aussendung einer deutschen evangelischen Mission und den Anschluss einer Schule an eine Missionsstation.21 Zur Erreichung dieser Verbindung sei man dazu bereit, den Kontakt zu einzelnen Missionen herzustellen und auch eine geringe finanzielle Unterstützung zu leisten.22 Um dieser Einschätzung Nachdruck zu verleihen, sendete man an das Auswärtige Amt gleich auch einen Spendenaufruf der Sächsischen Provinzi­ al-Missionskonferenz aus Halle aus der Feder ihres Vorsitzenden Gustav Warneck, in welchem dieser die Möglichkeit der baldigen Aussendung von Mitgliedern der Basler Mission nach Kamerun thematisierte. Außerdem warb Warneck, der auch erster Herausgeber der Allgemeinen Missionszeit­ schrift und ab 1896 Honorarprofessor für Missionswissenschaften in Halle war23, für eine grundsätzlich unabhängige und starke Stellung deutscher Missionen in den deutschen Kolonien.24 Gegen von Goßlers Empfehlung standen starke grundsätzliche Vorbehalte von Sodens, welchen dieser schon in seinem ersten Schreiben vom 29. Dezember 1885 mit drastischen Worten Ausdruck verliehen hatte. Dort hatte er betont, dass es in Kamerun schon genügend „gewöhnliche Missions-

19 BArch, R 1001/4070, Bl. 17–18. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 18–19. BArch, R 1001/4070, Bl. 2–4, hier: Bl. 2 (Ver­ merk vom 24.2.). 20 BArch, R 1001/4070, Bl. 17–18. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 18–19. 21 BArch, R 1001/4070, Bl. 19–20 (für das Zitat: Bl. 19). 22 BArch, R 1001/4070, Bl. 19–20. 23 Warneck, Gustav, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Leip­ zig 1920, S. 677. 24 BArch, R 1001/4070, Bl. 21. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 23.

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Christen-Karikatur[en]“ gebe,25 und damit eine etwa prominent von Hugo Zöller gepflegte Polemik gegen die baptistische Missionstätigkeit an der Mündung des Kamerunflusses aufgegriffen. Zöller hatte in seinem 1885 veröffentlichten Reisebericht über die westafrikanischen Küstengebiete re­ sümiert: „Die Erfolge [der baptistischen Kamerun-Mission] sind gleich Null und die nach Hause gesandten Berichte […] ein großartiger Betrug.“ Insbe­ sondere hätten die baptistischen Missionare in der Evangelisierung, der Erziehung und der Befähigung ihrer Zöglinge zur praktischen Tätigkeit versagt.26 Das Wirken der deutschsprachigen Basler Mission an der ‚Gold­ küste‘ hingegen beschrieb Zöller als positives Gegenstück zur Tätigkeit der Baptisten. Den Baslern sei es gelungen, die Indigenen nicht nur „zu den äußeren Formen der Religion, sondern auch zur Demut und vor allem zur Arbeit [zu erziehen]“.27 Von Soden dagegen unterschied in diesem Punkt nicht und zeigte sich insbesondere von den Ergebnissen der allgemeinen

25 BArch, R 1001/4070, Bl. 2–4 (für das Zitat: Bl. 2). 26 Vgl. Zöller, Hugo: Die deutschen Besitzungen an der westafricanischen Küste. II. Die deutsche Colonie Kamerun. Erster Teil. Das Kamerun-Gebirge nebst der Nachbar-Länder Dahome, englische Goldküsten-Kolonie, Niger-Mündungen, Fernando Po u. s. w., Berlin und Stuttgart 1885, S. 110–112 (für das Zitat: S. 111). Hugo Zöller (12.1.1852–9.1.1933) bereiste 1884 im Auftrag der Kölnischen Zei­ tung Gebiete an der westafrikanischen Küste bis in den Kongo und veröffentlich­ te sein auf dieser Reise erlangtes ethnographisches und geographisches Wissen in zahlreichen Zeitungsartikeln sowie im Jahr darauf in vier Bänden. Neben dem genannten Werk erschienen: Zöller, Hugo: Die Deutschen Besitzungen an der westafrikanischen Küste. I. Das Togoland und die Sklavenküste, Berlin und Stutt­ gart 1885. Zöller, Hugo: Die deutschen Besitzungen an der westafricanischen Küste. III. Forschungsreisen in der deutschen Colonie Kamerun Zweiter Teil. Das Flußgebiet von Kamerun. Seine Bewohner und seine Hinterländer, Berlin und Stuttgart 1885. Zöller, Hugo: Die deutschen Besitzungen an der westafricani­ schen Küste. IV. Forschungsreisen in der deutschen Colonie Kamerun. Dritter Teil. Das südliche Kamerun-Gebiet, die spanischen Besitzungen, das französische Colonialreich und der Congo, Berlin und Stuttgart 1885. Zöllner war aber nicht nur am Prozess der Wissensgenerierung beteiligt, sondern schloss im Auftrag Gustav Nachtigals während dieser Reise zudem diverse ‚Schutzverträge‘ mit indigenen Anführern ab und beteiligte sich so auch an der territorialpolitischen Expansion, wie er auch sonst einer der schärfsten Verfechter der Kolonisationsidee war, vgl. Zöller, Die deutschen Besitzungen II, S. XII-XIII. Krieger, Ursula: Hugo Zöller. Ein deutscher Journalist als Kolonialpionier, Würz­ burg 1940, S. 1–24, 100–120. Wiese, Britta: Hugo Zöller, die Kölnische Zeitung und das koloniale Projekt, in: Bechhaus-Gerst, Mariane; Horstmann, AnneKathrin (Hg.): Köln und der Kolonialismus. Eine Spurensuche, Köln 2013, S. 31– 36, hier: S. 33–36. 27 Zöller, Die deutschen Besitzungen II, S. 9–10, 112 (für das Zitat: S. 9).

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deutschen Missionskonferenz, die vom 27. bis 29. Oktober 1885 in Bremen stattgefunden hatte, enttäuscht.28 Bei dieser hatten die anwesenden Missi­ onsvertreter in ihren „,aus der Erfahrung der Missionsarbeit geschöpften Wünsche[n] und Ratschläge[n], wie die deutschen Kolonialverwaltungen die Eingeborenen zu behandeln haben‘“, zwar im Entwurf auch die Errich­ tung von Schulen empfohlen, dies nach „allseitig[em]“ Widerspruch in der Aussprache allerdings wieder zurückgenommen.29 Empfohlen wurde dage­ gen die vollkommene Zurückhaltung der Regierung in Sachen Schulgrün­ dung bei gleichzeitiger Unterstützung von Missions- und Privatschulen nach englischem Vorbild.30 Dass es in der nächsten Zeit zur Aussendung einer deutschen Mission nach Kamerun und der Übernahme fremdländischer Missionsstationen durch diese kommen würde, bezweifelte nicht nur von Soden, der sei­ nen Vorbehalten in Kenntnis der Empfehlung von Goßlers Nachdruck verlieh, indem er den deutschen Missionen eine „einseitig pietistischen Richtung […] und [einen] ausgesprochen dogmatisch-doktrinären Stand­ punkt“ attestierte.31 Auch im Auswärtigen Amt war man der zu diesem Zeitpunkt korrekten Auffassung, dass die Aussendung deutscher Missio­ nare, insbesondere der hierfür angedachten Basler Missionare, nicht zu erwarten sei,32 und betonte gegenüber dem preußischen Kultusministeri­ um, dass die Schulgründung möglichst bald erfolgen solle und er eine Sammlung von Geldern über den Aufruf Warnecks als zu langwierig

28 BArch, R 1001/4070, Bl. 2–4. Zu den Ergebnissen der Konferenz siehe: Die allge­ meine deutsche Missionskonferenz in Bremen, in: Evangelisches Missions-Maga­ zin, Neue Folge 29 (1885), S. 481–495. Vertreten waren bei dieser ersten rein deutschen Missionskonferenz, die angesichts der deutschen Kolonialerwerbun­ gen einberufen wurde, Vertreter der Francke’schen Stiftungen, der Herrnhuter Brüdergemeinde, der Basler, der Rheinischen, der Berliner, der Leipziger, der Goßnerschen, der Norddeutschen, der Hermannsburger, der Schleswig-Holstei­ nischen und der Königsberger Mission, Vertreter der Missionswissenschaften so­ wie ein Vertreter des Auswärtigen Amtes, siehe ebd., S. 482–483. 29 Ebd., S. 492–494 (für die Zitat: S. 492, 493). 30 Ebd., S. 492–494. 31 BArch, R 1001/4070, Bl. 35–40 (für das Zitat: Bl. 35). 32 Zum Entscheidungsumschwung der Basler Missionsleitung im Zeitraum März bis Juni 1886, die Kamerunmission doch anzutreten, beachte Oehler, Theodor: Zur Vorgeschichte der Basler Mission im Kamerungebiet und in Viktoria, in: Evangelisches Missions-Magazin, Neue Folge 31 (1887), S. 11–25. Altena, Häuf­ lein, S. 29–31. Gründer, Christliche Mission, S. 30–32. Nestvogel, Mission und Kolonialherrschaft in Kamerun, S. 206.

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einschätze.33 Diese Einschätzung verwundert zunächst, da im Unterstüt­ zungsgesuch an das Kultusministerium gerade von einer Sammlung in interessierten Kreisen die Rede gewesen war.34 Diesem Weg zu folgen hätte allerdings nicht zuletzt bedeutet, diejenigen Vertreter der Missionen zu stärken, die auf der Bremer Missionskonferenz dezidiert gegen eine stär­ kere Dienstbarmachung der Mission für die kolonialen Bestrebungen und für maßgebliche Selbstständigkeit der Missionen eingetreten waren, und gleichzeitig den prokolonialen Flügel um Friedrich Fabri, der kolonialen Fragen innerhalb der Missionsarbeit starke Bedeutung zumaß und sich seit der Konferenz deutlich im Aufschwung befand, implizit zu schwächen.35 Für den vermeintlichen Meinungsumschwung mag zudem entscheidend gewesen sein, dass das Auswärtige Amt mittlerweile doch Etatmittel hatte erhalten können und nicht ausschließlich auf das Kultusministerium, wel­ ches durch die gezeigte Nähe zum Lager Warnecks in gewisse politische Konkurrenz zum Auswärtigen Amt trat, angewiesen war. Per Allerhöchs­ ter Ordre vom 31. März 1886 wurden dem Auswärtigen Amt aus dem Etat 1885/86 unter der Position „Zur Unterstützung deutscher Schulen im Auslande“ zunächst 2.500 M zugewiesen.36 Zudem stellte Reichskanzler Bismarck Gouverneur von Soden nach der Erzielung von Fortschritten im Aufbau der Schule weitere 2.500 M in Aussicht.37 Die Zusage dieser Mittel teilte man dem Kultusministerium mit, nannte allerdings deren Höhe nicht. Diese war im ursprünglichen Konzept des Schreibens an das Kultus­ ministerium mit 5.000 M beziffert, wurde für die offizielle Version aber

33 BArch, R 1001/4070, Bl. 22–23. GstA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 72–73. 34 Siehe oben, sowie BArch, R 1001/4070, Bl. 17–18. GstA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 18–19. 35 Vgl. Altena, Häuflein, S. 26–32. Pugach, Africa in Translation, S. 50–51. 36 BArch, R 1001/4070, Bl. 26. Mehnert schildert die Abfolge in umgekehrter Rei­ henfolge und lässt so den Eindruck entstehen, im Auswärtigen Amt stünde man vorbehaltlos hinter den kolonialen schulischen Plänen, dränge also darum zur Eile und erhalte danach die Etatbewilligung, vgl. Mehnert, Regierungs- und Missionsschulen, S. 253. Über den „Fonds zur Unterstützung deutscher Schulen im Auslande“ ließ das Auswärtige Amt deutschen Schulgemeinden außerhalb Deutschlands finanzielle Mittel zukommen. Beachte beispielhaft die Abschrift der Mittelzuteilung für das Etat-Jahr 1889/1890 unter BArch, R 1001/4072, Blatt 58–59. Die regionalen Schwerpunkte lagen neben Kamerun (als einzige Kolonie in dieser Liste) in Europa, Nordafrika und der Levante. 37 BArch, R 1001/4070, Bl. 34. Die Bewilligung erfolgte schließlich aus dem Etat 1886/87, siehe BArch, R 1001/4070, Bl. 71.

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2. Konzeption und Ressourcen

gestrichen.38 Wohl hoffte man im Auswärtigen Amt auf eine größtmögli­ che finanzielle Unterstützung von Seiten der Kultusbehörde. Es ist davon auszugehen, dass aus diesem Grunde auch von Goßlers Empfehlung, die Missionen maßgeblich einzubeziehen, eingehend gewürdigt wurde und man insbesondere eine spätere Übergabe der Schule an eine Mission nicht ausschloss. In der Gründungsphase der kolonialen Schule spielte die Über­ gabe einer Schule an die Missionen allerdings zunächst keine Rolle.39 Neben die vermeintliche Erfüllung indigener Wünsche nach Schulbil­ dung, die Aussicht auf die Ausbildung Indigener für landwirtschaftliche oder handwerkliche Berufe, die durch Adolph Woermann explizit geäu­ ßerten wirtschaftlichen Interessen und die Vorbehalte gegenüber den deut­ schen Missionen40 tritt in der Gründungsphase der deutschen Regierungs­ schule in Kamerun die zeitweilige Ablehnung der Praxis der Erziehung und Unterrichtung indigener junger Menschen in Deutschland durch Gouverneur von Soden. Dieser berichtete hierzu erstmalig am 8. August 1885 an das Auswärtige Amt und unterstützte die Anträge zweier Indige­ ner, des Chiefs Dumbe Lobe Bell und des Dolmetschers David Mitom, auf Unterrichtung ihrer Söhne in Deutschland.41 In einem weiteren Bericht vom 21. Dezember 1885, der zeitgleich mit dem eingangs herangezogenen Bericht vom 29. Dezember 1885 am 10. Februar 1886 in Berlin eintraf, revidierte von Soden seine Auffassung allerdings wieder. Er habe mit in

38 BArch, R 1001/4070, Bl. 22–23. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 72–73. 39 BArch, R 1001/4070, Bl. 22–23. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 72–73. BArch, R 1001/4070, Bl. 23–24. Die Option, eine Regierungsschule zu späterer Zeit an eine Mission zu übergeben, vollzog man zwölf Jahre später tatsächlich per Vertrag zwischen dem Kameruner Gouver­ nement und der Basler Mission für die zwischenzeitlich zusätzlich gegründete Regierungsschule in Bonebela, BArch, R 1001/4073, Bl. 158. 40 Den Aspekt der Vorbehalte gegen die Missionen stellen Adick und Mehnert besonders heraus, vgl. Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädago­ gik, S. 33. Beachte passagenweise wortgleich schon Mehnerts 1993 veröffentlich­ ten Artikel, vgl. Mehnert, Regierungs- und Missionsschulen, S. 252–253. Meh­ nerts marxistisches Geschichtsverständnis scheint 1993 noch durch, während die Sprachwahl in der Quellensammlung dies nicht sichtbar macht. Geprägt durch dieses Geschichtsverständnis hatte er 1967 in einem auf seiner Dissertation (Meh­ nert, Schulpolitik) basierenden Aufsatz noch die wirtschaftlichen Interessen als Hauptmotiv benannt, vgl. Mehnert, Zur Genesis, S. 143–146. 41 BArch, R 1001/4297, Bl. 3–5. Zu David Mitom/Meetom siehe auch Aitken, Robbie; Rosenhaft, Eve: Black Germany: The Making and Unmaking of a Dias­ pora Community, 1884–1960, Cambridge 2013, S. 23–24. Schaper, Chieftaincy, S. 204–206.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

England ausgebildeten Indigenen gesprochen und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass deren „Wissen und Christentum ein viel zu oberflächli­ ches“ sei und diese nach ihrer Rückkehr nicht im Stande seien, ihrer Ausbildungsdoktrin treu zu bleiben und im Sinne ihrer Ausbildung auf die heimische Bevölkerung einzuwirken.42 Letztlich blieben, so von So­ den weiter, als feststellbare Lernerfolge die Fähigkeiten zu lesen und zu schreiben übrig, was sowohl für die deutsche Regierung als auch die indi­ genen Führer im Rahmen einer sich in Kamerun befindenden staatlichen Schule kostengünstiger zu erreichen sei. Für das Gouvernement ergebe sich zudem der Vorteil, dass die Zahl der beschulbaren Personen mit einer Schule vor Ort deutlich höher sei.43 Nachdem von Soden schon die Unterstützung von Missionen als Alternative zur eigenen Schulgründung abgelehnt hatte, nahm er hiermit auch die zweite Alternative, die den Beteiligten seinerzeit möglich erschien, vom Tisch. Aus dem Bisherigen ist insgesamt ersichtlich, dass durchaus unterschied­ liche Auffassungen darüber bestanden, ob und auf welche Art und Weise

42 BArch, R 1001/4070, Bl. 6–7 (für das Zitat: Bl. 6). Bereits ein Jahr zuvor hatte der Basler Missionar und Afrikaforscher Paul Steiner in der Deutschen Kolonial­ zeitung mit ähnlicher Argumentation und mit Verweis auf die seiner Meinung nach verfehlte Anglisierungspolitik der britischen Kolonialverwaltung in Sierra Leone gegen die Sendung Indigener nach Deutschland und für die Errichtung einer staatlichen Schule plädiert, Steiner, Paul: Von der Goldküste, in: DKZ, Jg. 2 (1885), Heft 21, S. 690–692, hier: S. 691–692. 43 BArch, R 1001/4070, Bl. 6–7. Zur erneuten Hinwendung zur Beschulung In­ digener in Deutschland kam es spätestens binnen Jahresfrist, als von Soden an der Ausfertigung eines Ausbildungsvertrages für den Neffen Chief Bells, Alfred Bell, mit dem Altonaer Bauunternehmen Franz Schmidt mitwirkte, BArch, R 1001/4297, Bl. 72 (Transkription, allerdings mit fehlerhaftem Ak­ tennachweis, bei Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 131, S. 429). Beachte auch Kameruner in Deutschland, in: DKZ, Jg. 4 (1887), Heft 18, S. 565. Die Ausbildung Indigener in Deutschland erfährt in dieser Arbeit, wie auch das Missionsschulwesen, nur dann Beachtung, wenn sie das staatliche Schulwesen – wie hier etwa als Alternative – berührt. Beachte ins­ besondere Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, S. 423– 428. Aitken/Rosenhaft, Black Germany, S. 22–66. Aitken, Robbie; Bowersox, Jeff: Alfred Bell and Etuman come to Germany (1891), https://blackcentraleurope.co m/sources/1850-1914/alfred-bell-and-etuman-come-to-germany-1891/ (Abruf: 11.5.2020). Ebenfalls einschlägig, aber leider ohne quellenkritische Distanz, phasenweise Böckhelers 1897 über Theodor Christaller erschienene Biographie direkt übernehmend, ist Brommarius‘ Arbeit über Rudolf Bells Aufenthalt in Deutschland, siehe Brommarius, Christian: Der gute Deutsche. Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914, Berlin 2015. Beachte weiterhin Eckert, Duala, S. 163–192.

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2. Konzeption und Ressourcen

die Gründung einer Regierungsschule vollzogen werden sollte. Zudem wird deutlich, dass anwendbares Herrschaftswissen in Form von Strategien und Handlungsweisen zur organisatorischen Steuerung des Prozesses der Gründung einer kolonialen Schule auf der Ebene des Auswärtigen Amtes und auch der Ebene der deutschen Verwaltung in Kamerun nur rudimen­ tär existierte. Der Weg hin zur Entscheidung für die Einrichtung einer regierungseigenen Schule vor Ort in der Kolonie markiert darum den Beginn der Generierung von Wissensbeständen im Kontext des deutschen Kolonialismus, die dazu geeignet waren, einen solchen Prozess produktiv zu steuern. Die frühen Elemente dieser Wissensbestände treten hier als Argumente auf und sind durch eine Verbindung von gutachterlicher Ex­ pertise und Erfahrung von vor Ort charakterisiert. Letztere hatte dabei das Übergewicht und verschaffte Gouverneur von Soden, der im Gegensatz zu den Beteiligten im Auswärtigen Amt, Woermann oder von Goßler als ein­ ziger mit tatsächlicher Lebenserfahrung aus Kamerun aufwarten konnte, maßgebliche Deutungshoheit.44 Strukturierende Wirkung auf die Hierar­ chie der Argumente und damit konstitutiv für eine Ordnung innerhalb der Wissensbestände wirkte neben der Erfahrung das Ziel eines möglichst geringen Finanzaufwands. Dies dokumentiert sowohl die Antwort des Auswärtigen Amtes an Kultusminister von Goßler als auch diejenige an Adolph Woermann, dessen umfangreichen Plan man mit wenigen Worten und der Begründung, es seien keine entsprechenden Mittel verfügbar, ab­ lehnte und gleichzeitig um kostenfreie Überfahrt des noch einzustellenden Lehrers mit einem Schiff der Woermann-Linie nach Kamerun bat.45 Auch 44 Auch im Bereich der wissenschaftlichen Forschung verlieh die Begründung von Argumenten und Ergebnissen mit eigener Erfahrung von vor Ort selbst unprofes­ sionellen Praktikern besondere Akzeptanz und Maßgeblichkeit, vgl. Habermas, Intermediaries, S. 43–44. 45 BArch, R 1001/4070, Bl. 24–25. GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft Hamburg nach 1807, Nr. 956 (Kgl. M. d. A. A. an Preuß. Ges. Hamburg am 24.4.1886; Preuß. Ges. Hamburg an Woermann am 27.4.1886). Die umfassende Ablehnung des Woer­ mann’schen Planes lässt auch Zweifel an der von vander Ploeg suggerierten These aufkommen, dass es ursprünglich Woermann war, der die Kameruner Schule konzeptionell in die Taufe gehoben habe, vgl. Ploeg, Education, S. 95 mit Verweis auf Rudin, Harry Rudolph: Germans in the Cameroons 1884–1914. A Case Study in Modern Imperialism, London 1938. Beachte bei letzterem S. 122, 353–361. Allein grundsätzliche Forderungen nach einer Schule, die Woermann in der Tat schon 1884 geäußert hatte, und einige Übereinstimmungen des späteren Kameruner Schulwe­ sens mit dem von ihm gutachterlich konzeptionierten Schulwesen genügen nicht als Beleg, da dabei der Prozess von Konzept zu Entstehung der Schule und hierbei insbesondere die genannte Ablehnung durch das Auswärtige Amt vollkommen außer Acht gelassen wird.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

von Sodens beständiges Vorbringen eines möglichen finanziellen Beitrags von Seiten der Indigenen bestätigt die (zumindest anfängliche) Bedeutung dieses Ziels.46 Ein deutlich homogeneres Bild der Entscheidungsfindung in dieser Frühphase zeichnen die wenigen zeitgenössischen Darstellungen zu den kolonialen Schulen und verdecken damit die seinerzeitige Notwendigkeit der Generierung strategischen Herrschaftswissens. Auch Hinweise auf eine Begrenztheit der finanziellen Mittel oder eine mögliche Alternative zur eigenen Schulgründung sucht man vergebens. Vielmehr erscheint in die­ sen Darstellungen die Schulgründung entgegen den obigen Ausführungen und auch entgegen der amtlichen Denkschrift der Jahre 1885/86 rückbli­ ckend als logische und direkt folgende Konsequenz der kolonialen Erobe­ rung.47 Zu deren Hauptzweck gehöre es, die indigene Bevölkerung mittels weltlicher Schulbildung zur ‚Menschwerdung‘ zu befähigen. Als gleicher­ maßen natürliche, zu keiner Zeit anders diskutierte Entwicklung beschrie­ ben die Autoren außerdem positive wirtschaftspolitische Implikationen einer Beschulung Indigener in staatlichen Schulen für deutsche Unterneh­ men wie auch die Einsicht, dass, aufbauend auf missionarischer Tätigkeit in den jeweiligen Gebieten, staatliche Schulen nun die für die elementare und praktische Ausbildung geeignetsten Einrichtungen seien. Auch die durch von Soden aufgebrachten Wünsche oder Forderungen Indigener spielten in den rückblickenden zeitgenössischen Darstellungen kaum eine Rolle, sei es als scheinbares Argument oder als Bezugspunkt ängstlichen Misstrauens. Der indigenen Bevölkerung wurde als Gesamtheit vielmehr die Rolle rezeptiver Objekte zugeschrieben, deren Formung nicht nur im nationalen Interesse liege, sondern vielmehr die Erfüllung weltpolitischer Verpflichtung bedeute.48 Seine Verkörperung erfahre diese Verpflichtung

46 Zur finanziellen Dimension der ersten kolonialen Schule beachte insbesondere Kapitel 2.1.2 sowie Kapitel 2.1.5. Ganz besonders maßgeblich ist die Frage der Finanzierung für die Gründung der ersten Schule in Deutsch-Ostafrika, ist sie doch mit ursächlich für das Suchen nach Kooperationspartnern in Deutschland und in der Kolonie, siehe Kapitel 2.2.1. 47 Denkschrift über die deutschen Schutzgebiete, in: Verhandlungen des Reichsta­ ges, Bd. 89 (1885/86), Berlin 1886, S. 133–138. Die erste längere Darstellung der kolonialen Schule außerhalb der amtlichen Überlieferung erschien im Jahr 1900 aus der Feder von Gustav Lenz, siehe Lenz, Regierungsschule. 48 Lenz, Regierungsschule, S. 2. Mirbt, Mission und Kolonialpolitik, S. 147. Barth, Christian G.: Ueber das Schulwesen unserer Schutzgebiete, in: DKZ, Nr. 28 (1911), S. 17–18, 25–26, 41–42, 59–61, 85–88, hier: S. 17. König, Eingeborenen­ schulen, S. 5–7. Schlunk, Schulwesen, S. 14. König, Bernhard v.: Schulen, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. III, Leipzig 1920,

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2. Konzeption und Ressourcen

jeweils in der Person des vor Ort tätigen Lehrers, insbesondere in der das Bild eines solchen Lehrers prägenden Gestalt des ersten Kameruner Leh­ rers,49 für dessen Anforderungsprofil es – die allgemeine Kenntnissituation widerspiegelnd – tatsächlich aber keine greifbare Vorlage gab.

2.1.2 Annäherungen an ein Anforderungsprofil und erste Bewerber Das Anforderungsprofil des Lehrers lässt sich neben den Argumenten zur Entscheidung für eine koloniale Schule vor Ort als weiteres frühes Element strategischen Herrschaftswissens im Schulgründungsprozess iden­ tifizieren. Dessen Wichtigkeit bemisst sich darin, dass seine Ausgestaltung entscheidend dafür war, nach welchen Kriterien mögliche Bewerber auf die Kameruner Lehrerstelle beurteilt wurden. Es gibt zudem weitere Aus­ kunft über die Art der geplanten Schule und Hinweise auf die dem Lehrer angedachte Funktion innerhalb dieser Einrichtung. Erste Bestandteile des Anforderungsprofils entwickelten sich aus den ausgetauschten Schreiben der frühen Gründungsphase: Gouverneur von Soden forderte in seinem ersten Bericht vom 29. Dezember 1885 vage die „Entsendung […] gebildeter, sich für die Sache interessierender Lehrer“, die Grundkenntnisse der Duala-Sprache haben sollten. Weitere Kenntnisse könnten sich diese vor Ort aneignen.50 Zudem, so von Soden in seinem Bericht vom 3. Juni 1886, müsse der Lehrer jung und bei guter Gesundheit sein, um die als sehr anstrengend aufgefassten klimatischen Verhältnisse in Kamerun auszuhalten.51 Adolph Woermann forderte, dass der Lehrer „nicht nur aus Europamüdigkeit, sondern aus innerer Lust und Liebe zur Sache ans Werk gehe“, und kritisierte damit eher die bisherige, in Teilen der romantischen Verklärung ferner Länder anhängenden deutsche Aus­ wandererschaft, als zur Profilschärfung beizutragen.52 Mit dem Begriff der „Europamüdigkeit“ sprach Woermann implizit die im 18. und 19. Jahr­ hundert weit verbreiteten idealisierten Vorstellungen Nordafrikas, Indiens und der Levante an. Diese Vorstellungen standen, subsumiert unter dem

49 50 51 52

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S. 308ff., hier: S. 308. Moritz, Eduard: Das Schulwesen in den deutschen Koloni­ en, in: Deutschland in den Kolonien. Ein Buch deutscher Tat und deutschen Rechts, Berlin (ohne Jahr), S. 139–140, hier: S. 139. Beachte insb. König, Eingeborenenschulen, S. 258. Schlunk, Schulwesen, S. 15– 17. BArch, R 1001/4070, Bl. 2–4 (für das Zitat: Bl. 3). BArch, R 1001/4070, Bl. 35–40. BArch, R 1001/4070, Bl. 9–16 (für das Zitat: Bl. 11).

2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

Begriff des ‚Orients‘, der als Trist und beengt aufgefassten Lebensweise im sich industrialisierenden Europa gegenüber und bewirkten eine breite Beschäftigung etwa mit als ‚orientalisch‘ verstandenen Sprachen, wie dem Sanskrit, mit Kunst und Architektur. So diente der ‚Orient‘, der allein schon durch die Prägekraft romantischer Vorstellungen von Indien stets auch untrennbar mit dem Kolonialen verknüpft war, als geistiger Flucht­ punkt, dessen zwangsläufige Kehrseite die Diffamierung der eigenen Um­ gebung und eine dementsprechende Motivation, Europa zu verlassen, war.53 Woermann, der eine rationale und eine wirtschaftliche Betätigung unterstützende Ausrichtung der Schule im Blick hatte, wollte mit seiner Einlassung wohl seiner Auffassung nach ungünstige Motivationen des Leh­ rers auf diese Weise möglichst ausschließen. Kultusminister von Goßler schließlich blieb bei seiner bisherigen Grundüberzeugung und insistierte, künftige Lehrer – seinem Votum für enge Kooperation mit den Missionen entsprechend – sollten einschlägige Erfahrungen in der Missionstätigkeit haben, also insbesondere über eine abgeschlossene Missionarsausbildung verfügen.54 So unklar und wenig spezifisch sich diese Anforderungen darstellten, so gering war auch der Erfolg der preußischen Kultusbehörde, anhand dieser Kriterien dem Auswärtigen Amt einen geeigneten Kandidaten zu empfehlen. Nachdem Staatssekretär Herbert von Bismarck Kultusminister von Goßler am 24. April 1886 offiziell mit der Kandidatensuche beauftragt hatte55, dauerte es etwa einen Monat, bis erste Bewerber zwischen den bei­ den Behörden diskutiert wurden. Bezeichnenderweise hatten sowohl die 53 BArch, R 1001/4070, Bl. 9–16. Vgl. Ballantyne, Tony: Indien und die Globalisie­ rung kolonialen Wissens, in: Habermas, Rebekka; Przyrembel, Alexandra (Hg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moder­ ne, Göttingen 2013, S. 115–125, hier insb.: S. 115–117. Marchand, Suzanne L.: German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race, and Scholarship, Cambridge 2009, S. 333–339. Ruhe, Ernstpeter: Orientträume und Europamüdig­ keit. Deutsche Algerienreisende im 19. Jahrhundert, in: ebd. (Hg.): Europas isla­ mische Nachbarn, Würzburg 1993, S. 281–313. Said, Edward W.: Orientalismus, Frankfurt am Main 2014, S. 43–64. Stein, Gerd (Hg.): Europamüdigkeit und Ver­ wilderungswünsche. Der Reiz, in amerikanischen Urwäldern, auf Südseeinseln oder im Orient ein zivilisationsfernes Leben zu führen. Vom 18. bis zum 20. Jahr­ hundert, Frankfurt am Main 1984, S. 249–267. Zu dem jugendlich, stürmerisch-drängenden Motiv der Bewerbung für die Stelle als kolonialer Lehrer, das seit jeher mit dem romantischen Motiv in Verbindung stand, beachte Kapitel 2.1.2 und Kapitel 2.1.3. 54 BArch, R 1001/4070, Bl. 17–18. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 18–19. 55 BArch, R 1001/4070, Bl. 22–23.

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2. Konzeption und Ressourcen

Bewerbung von Paul Schönwaldt, Lehrer an der ‚Idiotenanstalt‘ Hephata in Mönchengladbach, als auch die des Privatlehrers Richard Kirchberg aus Wulkow, einem heutigen Ortsteil von Neuruppin, das Auswärtige Amt erreicht und wurden von diesem zur Einholung weiterer Informationen an das Kultusministerium weitergeleitet.56 Aufgrund fehlender Hinweise in den Akten kann nicht nachvollzogen werden, wie das Kultusministeri­ um den Suchauftrag des Auswärtigen Amtes anfänglich umsetzte. Einen singulären Hinweis auf den Informationsfluss gibt lediglich Schönwalds Anstellungsgesuch, in welchem dieser einen gewissen Pfarrer Dr. Bernhard als denjenigen benennt, der ihn über die Stelle in Kenntnis gesetzt habe.57 Man kann vermuten, dass es sich hierbei um keinen offiziellen Informati­ onsweg handelte. Kirchbergs Anstellungsgesuch hingegen fehlt und damit auch ein entsprechender Hinweis, wie er von der Stelle erfahren hatte. Die beiden Bewerbungen trafen zu einem Zeitpunkt im Kultusministe­ rium ein, zu welchem schon der Entwurf eines Schreibens an Reichskanz­ ler von Bismarck erstellt worden war, das von einer bisher erfolglosen Suche berichten sollte. Zudem erkundigte sich Kultusminister von Goßler in diesem auf den 29. Mai 1886 datierten Schreiben, „was [man seitens des Auswärtigen Amtes] dem betreffenden Lehrer sicher zusagen könne“ und dokumentierte damit – unbenommen der Tatsache, dass dieses Schreiben nicht abgesendet wurde – einen Monat nach dem Beginn der Suche, dass neben den fachlichen und persönlichen Anforderungen auch über die vertraglichen Gesichtspunkte bis dato keine Verständigung erfolgt war.58 Die Erkundigungsschreiben zu den Bewerbern Schönwaldt und Kirch­ berg, die von Goßler daraufhin an die Königlichen Regierungen zu Düssel­ dorf und Potsdam richtete, enthielten entsprechend allgemeine Formulie­ rungen. In beiden Schreiben bat von Goßler bezüglich des jeweiligen Kan­ didaten gleichlautend um Auskunft „über das Maß seiner Bildung, sein Lehrgeschick und den Besitz von Organisationstalent“ sowie über den Um­ fang der Kenntnisse in der englischen Sprache.59 Wäre in beiden Schreiben nicht zudem Kamerun als Zielort genannt, anhand der Anforderungen hätte man keinen kolonialen Bezug ableiten können.60 Es verwundert

56 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 77–78, 80. 57 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 78. 58 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 75–76 (für das Zitat: Bl. 76). 59 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 79, 81 (auch für die Zitate). 60 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 79, 81.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

darum auch nicht, dass die beiden Gutachten, die schließlich gegen Ende Juni 1886 im Kultusministerium eintrafen, einen solchen Bezug im Hin­ blick auf die Anforderungen nicht herstellten, sondern ausbildungsbiogra­ phische Informationen und Persönlichkeitseinschätzungen enthielten.61 Zu den beiden Bewerbern Paul Schönwaldt und Richard Kirchberg traten Mitte Juni zwei weitere Bewerber, der Berliner Volksschullehrer Heinrich Seidel62 und der wissenschaftliche Hilfslehrer Emil Salge aus Nienburg.63 Beide Bewerbungen resultierten aus einer Aufforderung von

61 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 97–99, 113–114. Gemäß dem Schreiben der Kgl. Regierung in Düsseldorf (Bl. 97–99) hatte der am 20. Mai 1861 in Preußisch Stargard (heute Starogard Gdański, Polen) in West­ preußen geborene Paul Schönwaldt von 1876 bis 1878 die sich der Volksschule anschließende Königliche Präparandenanstalt in Preußisch Stargard besucht und anschließend an zwei evangelischen Elementarschulen sowie in zwei deutschen Haushalten als angestellter Lehrer gearbeitet. Nach einer wegen „Mittellosigkeit“ (Bl. 97) nicht angetretenen Ausbildung an einem Lehrerseminar im Jahr 1880, legte Schönwaldt im Januar 1885 die erste Lehrprüfung am Kgl. Schullehrer-Se­ minar zu Löbau ab, bevor er zum 1. April 1885 die Stelle an der ‚Idiotenanstalt‘ Hephata annahm. Über Richard Kirchberg ist basierend auf dem Schreiben der Kgl. Regierung in Potsdam (Bl. 113–114) bekannt, dass dieser zwar über kein absolvierte Lehramts­ prüfung, so doch aber seit 1882 über eine amtliche Erlaubnis zur Tätigkeit als Privatlehrer verfügte. In dieser Funktion arbeitete er zum Zeitpunkt der Bewer­ bung seit Kurzem im Haushalt des Wulkower Pfarrers Schulze. 62 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 95–96. Heinrich Seidel, so berichtete das Kgl. PSK Berlin, war 30 Jahre alt, verheiratet und seit etwa sechs Monaten Vater. Nach dem Besuch einer Realschule bis zur vorletzten Klasse (Obersekunda) hatte er das Lehrerseminar in Hannover absolviert und die Mittelschullehrerprüfung in den Fächern Latein, Englisch, Geschichte und Geographie abgelegt. Anschließend erfolgte der Wechsel nach Berlin, wo er seit 1883 am Friedrichs-Real-Gymnasium als Volksschullehrer ar­ beitete und 1885 die Rektoratsprüfung in den Fächern Latein, Englisch und Französisch bestanden hatte. 63 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 100–104. Auch der vierte Bewerber, Emil Salge, befand sich nach Auskunft des Kgl. PSK Hannover (Bl. 100–101) sowie basierend auf einem eingereichten Lebenslauf (Bl. 102–104) in Anstellung an einem Realgymnasium, hatte aber einen anderen Ausbildungsweg zurückgelegt: Salge, geboren am 23. November 1858, hatte er­ folgreich eine Bürgerschule in Hannover besucht und daraufhin in Göttingen ein Chemiestudium begonnen. Dieses brach er allerdings ab, besuchte für andert­ halb Jahre ein Realgymnasium, um 1878 das Abitur zu erlangen und schloss schließlich 1881 in Göttingen ein Lehramtsstudium mit dem Ersten Staatsexa­ men in den Fächern Naturwissenschaften und Mathematik ab. Nach Erledigung des Militärdienstes erfolgte im Schuljahr 1882/83 die einjährige Probephase an

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2. Konzeption und Ressourcen

Goßlers vom 29. Mai 1886 an die beiden Kgl. Provincial-Schulkollegien in Berlin und in Hannover, ihrerseits je einen möglichst geeigneten Lehrer für die Kameruner Schule vorzuschlagen. Hinsichtlich der Anforderungen an den Lehrer bezeichnete von Goßler darin die Kenntnis der englischen Sprache als notwendiges Kriterium.64 Eine solche Kenntnis war angesichts der bis zum Jahr 1886 englisch geprägten Kolonisations- und Missionsge­ schichte der Region um die Mündung des Kamerunflusses, wo die deut­ sche Kolonie Kamerun ihren Ursprung nahm, in der Tat von großem praktischem Nutzen für die Kommunikation mit Indigenen vor Ort. Ge­ prägt durch den Einfluss englischer Missionare waren insbesondere die indigenen Anführer sowie Teile der jungen Bevölkerung des Englischen mächtig.65 Als zweite und schon letzte Anforderung benannte von Goßler eine „seminaristisch[e]“ Lehrerausbildung, allerdings ohne diese als zwin­ gend notwendig zu bezeichnen.66 Dennoch wurden damit die bisher im Rahmen der Lehrersuche zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Kul­ tusministerium kursierenden unscharfen Stellenanforderungen erstmalig explizit in eine bestimmte Ausbildungstradition für Lehrerinnen und Leh­ rer übersetzt und mögliche Bestände von Wissen und Handlungsweisen für die organisatorische und inhaltliche Gestaltung der Schule in Kamerun adressiert. Dass man diese Bestände grundsätzlich im Deutschen Reich ver­ mutete und nicht in Kamerun, indigene Erziehungs- und Schultradition für die Frage der Eignung des Lehrers damit disqualifizierte, mag wenig verwundern und war letztlich durch die Beauftragung von Goßlers durch das Auswärtige Amt auch bereits präjudiziert. Von Goßler nahm mit diesem Transfer die Ausbildung von Volksschul­ lehrern in den Blick, welche in den 1880er-Jahren in ganz Preußen mit großer Mehrheit in Lehrerseminaren auf ihre spätere Tätigkeit vorbereitet

einem Hannoveraner Realgymnasium, bevor Salge als Privatlehrer englischer und US-amerikanischer Reisender arbeitete. Nach zweiter Prüfung durch die Kgl. Wissenschaftliche Prüfungs-Kommission in Göttingen erfolgte schließlich die Anstellung am Realgymnasium in Nienburg für den Unterricht in den Natur­ wissenschaften und im Englischen. 64 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 75. 65 Vgl. Altena, Häuflein, S. 40. Dekar, Paul R.: Alfred Saker and the Baptists in Cameroon, in: Foundations 14 (1971), Nr. 4, S. 325–343, hier: S. 333. Gründer, Christliche Mission, S. 135–136. Kühnle, Karl: Die Arbeitsstätten der Basler Mis­ sion in Indien, China, Goldküste und Kamerun, Basel 1895, S. 62. Nestvogel, Mission und Kolonialherrschaft in Kamerun, S. 206. Oehler, Zur Vorgeschichte der Basler, S. 13. 66 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 75. Im Dokument heißt es, ein Bewerber „kann seminaristisch gebildet sein“.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

wurden.67 Die Ausbildung von Elementarlehrern in diesen Einrichtungen löste im Verlauf des 19. Jahrhunderts in allen deutschen Ländern die nach dem Prinzip der ‚Meisterlehre‘ vollzogene Schulmeisterausbildung ab. Wurden Elementarlehrerstellen Anfang des 19. Jahrhunderts noch mit Lehrersöhnen, Theologen oder älteren Handwerkern besetzt, verfüg­ ten die niederen Schulwesen der deutschen Staaten des Kaiserreichs ein Jahrhundert später über Absolventen einer meist sechsjährigen Seminar­ ausbildung, die ein breites Spektrum fachlicher Kenntnisse sowie praktisch angeleitete Unterrichtserfahrung vermittelte. Neben dem Universitätsleh­ rer und dem Lehrer an höheren Schulen entwickelte sich in dieser Zeit der Volksschullehrer als eigene berufsständische (Semi-)Profession.68 In Preußen hatte sich – konjunkturellen Schwankungen unterliegend – die Zahl an Lehrerseminaren von 13 im Jahr 1806 auf knapp über 100 An­ fang der 1880er-Jahre erhöht.69 Gleichzeitig erfolgten in diesem Zeitraum mehrfach grundlegende Reformen der Ausbildungsstruktur, die aufgrund zusätzlicher erheblicher Finanzinvestitionen insbesondere in den 1880erJahren ihre Wirkung entfalteten.70 Volksschullehrer hatten in dieser Zeit vom sechsten bis zum vierzehnten Lebensjahr in der Regel selbst eine Volksschule und anschließend eine private oder öffentliche dreijährige Präparandenanstalt besucht. Eine entsprechende Präparierung angehender Volksschullehrer war in Preußen ab 1872 per Gesetz vorgeschrieben und sollte diesen einen stringenten Ausbildungsweg ermöglichen. Während der Anteil von Absolventen dieser Anstalten an den Teilnehmern der Lehrerseminare 1875 noch bei etwa 39 Prozent gelegen hatte, ging 1883 67 Vgl. Dartenne, Seminare, S. 154. Sandfuchs, Uwe: Geschichte der Lehrerbildung in Deutschland, in: Blömeke, Sigrid; Reinhold, Peter; Tulodziecki, Gerhard; Wildt, Johannes (Hg.): Handbuch Lehrerbildung, Bad Heilbrunn 2004, S. 14– 37, hier: S. 22. Zwar gab es vereinzelt auch Seminare für Lehrer an höheren Schulen, allerdings wurden diese wenigen Einrichtungen auch nur von einer Minderheit der angehenden Lehrer dieser Schulart besucht, vgl. Titze, Hartmut: Lehrerbildung und Professionalisierung, in: Berg, Christa (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ers­ ten Weltkriegs, Bd. IV (1870–1918), München 1991, S. 345–370, hier: S. 348. Eine Bezugnahme auf die seminaristische Ausbildung von Lehrern höherer Schulen ist zudem abwegig, da dem zukünftigen Kameruner Lehrer die von allen Beteilig­ ten unisono formulierte Aufgabe zukam, Elementarunterricht zu erteilen, und diese zur betreffenden Zeit im Deutschen Reich eindeutig den Volksschullehrern zukam. 68 Vgl. Dartenne, Seminare, S. 147–148. Sandfuchs, Geschichte der Lehrerbildung, S. 21. 69 Vgl. Dartenne, Seminare, S. 150, 156. 70 Vgl. Sandfuchs, Geschichte der Lehrerbildung, S. 21–22.

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2. Konzeption und Ressourcen

mit etwa 79 Prozent die große Mehrheit der angehenden Volksschullehrer diesen Ausbildungsweg. Nur ein geringer Teil, etwa 7 Prozent, hatte – wie der oben erwähnte Bewerber Heinrich Seidel – zuvor eine Mitteloder eine höhere Schule besucht und war nach deren Abschluss ohne Besuch einer Präparandenanstalt von einem Lehrerseminar aufgenommen worden. Die restlichen 14 Prozent der Seminaristen hatte 1883 zwischen dem grundständigen Schulbesuch bis zur Aufnahme in ein Lehrersemi­ nar private Vorbereitungswege eingeschlagen.71 Die Zusammenführung von Präparandenanstalt und Lehrerseminar zu einer gemeinsamen, eine sechsjährige Ausbildung ermöglichenden Einrichtung erfolgte in Preußen schließlich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts und war mit einer nochmaligen Erhöhung ihrer Anzahl verbunden.72 Im Zentrum der Ausbildung in den Lehrerseminaren – und damit von von Goßler als bedeutsame Handlungsfolie für den zukünftigen Lehrer in Kamerun identifiziert – stand zunächst die Fachlichkeit. Ihre Steigerung war eines der zentralen Motive aller Reformen aller deutschen Staaten im Laufe des 19. Jahrhunderts gewesen und beinhaltete insbesondere eine Stärkung der allgemeinen und fachlichen Bildung durch Anhebung des Unterrichtsniveaus und der Prüfungsanforderungen, die Einführung von Unterricht in den Realien sowie in einer zunächst fakultativen, dann ab 1901 (in Preußen) verpflichtenden Fremdsprache. Auf dem Weg zur Professionalisierung des Volksschullehrerberufs erteilten Lehrerseminare des Weiteren Unterricht in Pädagogik und Psychologie anstelle von Schul­ kunde und stärkten damit die methodisch-didaktischen Fertigkeiten der angehenden Volksschullehrer.73 Dies bedeutete aber weder die Weiterga­ be eines umfassenden Unterrichtsrepertoires, noch die Freigabe seiner Nutzung in der späteren Tätigkeit, denn neben der Fachlichkeit war als zweites Reformmotiv und -ziel stets die Erreichung und die Erhaltung der Schulzucht ausgegeben. Mittels Schulzucht sollten die Volksschullehrer ihre Schüler zu dienstbaren Untertanen ihrer Landesherren und ihres Kai­ sers erziehen und damit neben der Aufgabe der Elementarbildung, auf deren Stärkung die Verbesserung der Fachlichkeit zielte, auch die Aufgabe der herrschaftsorientierten Sozialdisziplinierung erfüllen. Die Schulzucht prägte überdies auch den Unterricht am Seminar selbst, da nach den amt­ lichen Vorgaben die Unterrichtspraxis im Seminar der Unterrichtspraxis

71 Vgl. Dartenne, Seminare, S. 154–155. 72 Vgl. Titze, Lehrerbildung, S. 358–359. 73 Vgl. Sandfuchs, Geschichte der Lehrerbildung, S. 21–22. Titze, Lehrerbildung, S. 359.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

in einer Volksschule möglichst genau entsprechen sollte.74 Dies trug nicht zuletzt der Absicht Rechnung, die Trennung von niederem und höherem Schulwesen beizubehalten und sowohl die Volksschullehrer als auch ihre Schülerschaft, welche die große Mehrheit der Bevölkerung darstellte, nur dosiert an allgemeiner Bildung teilhaben zu lassen. Im Hintergrund stand dabei die Furcht der Kultusadministration vor einer zu sehr gebildeten breiten Masse und daraus resultierender Emanzipationsbestrebungen.75 Letztlich standen Fachlichkeit und Schulzucht damit in einem inneren Konflikt zueinander: Während erstere die Volksschullehrer des ausgehen­ den 19. Jahrhunderts befähigte, ihre Schülerschaft anhand sachlicher Krite­ rien besser zu unterrichten, sie also zu mehr zu befähigen als bisher, sollte durch letztere der Status quo bewahrt werden, sie also in ihrer jetzigen Position verharren.76 Für das Anforderungsprofil des künftigen Lehrers in Kamerun bedeute­ te die Übersetzung von Goßlers damit neben einer gewissen Klarheit auch die Übertragung dieser dem Beruf des Volksschullehrers immanenten in­ neren Spannung. Diese wurde zudem dadurch verstärkt, dass der gesuchte Lehrer, der Aussage von Goßlers zufolge, über „Organisationstalent“77 ver­ fügen, also in gewissen Maßen selbstständig denken und handeln können sollte, was wiederum nicht dem Bild eines durch Schulzucht geprägten fleißigen, aber standesbeständigen Volksschullehrers entsprach, sondern vielmehr dem eines selbstbewussten Aufsteigers, der das koloniale Umfeld als Gelegenheit begriff, der inneren Spannung seines Berufsbildes zu ent­ kommen. Indizien einer solchen Motivlage mögen Abenteuerlust und das Interesse am Fremden und Anderen sein, aber auch Karriereambitionen und das Bedürfnis, sich an etwas Neuem und vermeintlich Bedeutsamen zu beteiligen. Der weitere Stellenbesetzungsprozess wird zeigen, dass die zuletzt genannten Indizien auch losgelöst von der inneren Spannung des Volksschullehrerberufs als Motive auftreten konnten, was nicht ver­ wundern darf, da von Goßler eine seminaristische Ausbildung möglicher Kandidaten zwar prominent als eine von zwei konkreten Anforderungen genannt, diese aber nicht als zwingend notwendig bezeichnet hatte und

74 Vgl. Dartenne, Seminare, S. 155–156. 75 Titze, Lehrerbildung, S. 357. Sandfuchs, Geschichte der Lehrerbildung, S. 20. 76 Tenorth ordnet den doppelten Impetus der Bildungsreformen darum als „Teil der ambivalenten Dynamik der Modernisierung“ ein, vgl. Tenorth, Heinz-Elmar: Schule im Kaiserreich, in: Reinhard, Dithmar; Schultz, Hans-Dietrich (Hg.): Schule und Unterricht im Kaiserreich, Ludwigsfelde 2006, S. 11–31, hier: S. 13. 77 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 79 sowie ebd., Bl. 81.

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2. Konzeption und Ressourcen

sich diesem folgend auch Lehrer anderer Bildungsgänge bewarben oder von regionalen Stellen vorgeschlagen wurden. Diese Vielfalt dokumentieren nicht nur die Lebensläufe der vier ersten Bewerber, sondern auch die von ihnen oder ihren Gutachtern geäußerten Bewerbungsmotive78: Paul Schönwaldt bewarb sich, weil er die Anstel­ lung in der Kameruner Schule als Alternative zu einer Anstellung im Missionsdienst betrachtete, was durchaus interessante Fragen hinsichtlich der von ihm angenommenen Verbindung beider Bereiche aufwirft, die aber nicht beantwortet werden können, da sein Schreiben keine weiteren Erläuterungen in diesem Punkt enthält. Berücksichtigt man Schönwaldts Lebenslauf, weist die Nennung dieses Motivs allerdings auf ein gewisses christliches Sendungsbewusstsein.79 Heinrich Seidel andererseits habe, so das Gutachten des Kgl. PSK Berlin, eine „Vorliebe“ für Geographie und interessiere sich dafür, „Forschungsreisen in noch wenig bekannte Landes­ gebiete zu unternehmen“.80 Ihm kann also – in ganz allgemeiner Weise – Abenteuerlust und Interesse am Fremden und Anderen unterstellt werden. Die eindrücklichste Auskunft über seine Motive gab Emil Salge: Er sei aufgrund seiner im Ausland gemachten Erfahrungen zu der Überzeugung gekommen, dass der englischen Präsenz in der Welt etwas entgegengesetzt werden müsse. Zudem verstehe er es „als eine der größten Lebensaufga­ ben[,] […] Sinn und Wissen [des deutschen Volkes] in fernen Ländern pflanzen und pflegen zu dürfen“81 und offenbarte damit ein starkes natio­ nales Sendungsbewusstsein als treibende Kraft seiner Bewerbung, was da­ mit – ungeachtet der Möglichkeit, dass dies auch ein bewusst vorgebrach­ tes Motiv sein könnte – als bisher noch nicht genanntes, weiteres Motiv festzuhalten ist. Grundsätzlich würde man an dieser Stelle wohl annehmen, dass beson­ ders Emil Salges Motiv zu einer besonders positiven Beurteilung seiner

78 Da von Emil Kirchberg kein Bewerbungsschreiben vorliegt, kann über diesen hier keine Aussage getroffen werden. 79 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 78. Zur missionarischen Begründung christlichen Sendungsbewusstseins in Zusam­ menhang mit biblischem Missionsbefehl, ikonographischer und symbolischer Vergegenwärtigung und materiellem Sendungsauftrag beachte Altena, Häuflein, S. 75–97. 80 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 95–96 (für die Zitate: Bl. 95). Zur Begründung der Bewerbung mit der Gelegenheit zu wissenschaftlicher Betätigung beachte Kapitel 2.1.3. 81 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 102–104 (für das Zitat: Bl. 103).

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

Bewerbung geführt haben dürfte. Er war Mitte Juli 1886 auch in der Tat der gemeinsame Favorit von Kultusministerium und Auswärtigem Amt, aber nicht explizit wegen seiner ideologischen Nähe zu Kolonialis­ mus und Expansionismus, sondern insbesondere deshalb, weil er für das Auswärtige Amt das geringste finanzielle Risiko darstellte. Während Paul Schönwaldt vom Kultusministerium „nach dem Stande seiner Kenntnis­ se und Fähigkeiten“82 als ungeeignet eingeschätzt wurde und man sich im Auswärtigen Amt dieser Einschätzung anschloss, lehnte man dort gegen die Empfehlung des Kultusministeriums sowohl Heinrich Seidel als auch Richard Kirchberg ausdrücklich deshalb ab, weil beide verhei­ ratet waren und Kinder hatten. Die Familien waren in den Augen des Auswärtigen Amtes potentielle Fürsorgeempfänger und damit war eine Anstellung eines dieser beiden Kandidaten ausgeschlossen, dabei hätte man sich im Fall Richard Kirchbergs alternativ sogar auf dessen nicht vorhandenen Englischkenntnisse beziehen und ein fachliches Kriterium anführen können.83 Letztlich blieb nach Ausschlussverfahren damit der Gymnasiallehrer Emil Salge übrig, gegen den nach fachlichen Kriterien eigentlich die fehlende Ausbildung im Elementarbereich hätte sprechen müssen.84 Doch ein solcher Widerspruch blieb aus, und es zeigt sich damit die große Bedeutung des Kriteriums eines möglichst geringen finanziellen Aufwandes und dessen Dominanz über fachliche Kriterien. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass das finanzielle Kriterium und die von von Soden geforderte „Jugend“85 im Sinne eines noch unverheirateten jungen Mannes86 durchaus zusammenzuführen waren. Zur Anstellung des nach dieser Verbindung und Schwerpunktsetzung favorisierten Emil Salge kam es allerdings dennoch nicht, da dieser seine Bewerbung am 31. Juli 1886 ohne Angabe von Gründen zurückzog und die Suche nach einem Kandi­ daten damit vorerst gescheitert war.87

82 Für das Zitat: GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 88. Gemäß dem Gutachten der Kgl. Reg. Düsseldorf verfügte Schön­ wald über nur rudimentäre Englischkenntnisse und hatte die zweite Lehrerprü­ fung noch nicht absolviert, siehe ebd., Bl. 97–99. 83 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 87–88, 91, 93–94, 106, 112. 84 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 100–101. 85 BArch, R 1001/4070, Bl. 37. 86 Das Geschlecht wurde zu keiner Zeit in Frage gestellt. 87 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 108.

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2. Konzeption und Ressourcen

2.1.3 Zwischen Opportunismus und Kolonialenthusiasmus: Die Anstellung Theodor Christallers Im Auswärtigen Amt entschied man als Konsequenz aus der ersten erfolg­ losen Bewerberrunde, die bewies, dass man noch kein auf die vermeintli­ chen lokalen Gegebenheiten angepasstes Anstellungsprofil entwickelt hat­ te, die Lehrersuche auf das gesamte Reichsgebiet auszudehnen. Zunächst bat man das preußische Kultusministerium am 8. August 1886 um die Fortsetzung der dortigen Bemühungen, einen geeigneten Lehrer zu fin­ den88, woraufhin dieses weitere Provinzial-Schulkollegien sowie die Kgl. Bezirksschulinspektoren dazu aufforderte, ihrerseits geeignete Kandidaten zu nennen.89 Anders als beim ersten Aufruf trafen nun zahlreiche Bewer­ bungen im Kultusministerium ein. Binnen eines Monats erreichten das Ministerium 44 Bewerbungen, im darauffolgenden Monatszeitraum 37 und schließlich von Mitte Oktober bis zum Jahresende noch einmal 19.90 Diese damit zusammengenommen 100 Bewerbungen sind allerdings auch auf die Ende August einsetzende Presseberichterstattung zurückzuführen, wie zahlreiche Bewerber dokumentierten.91 Sie sind zudem allesamt er­ folglos, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Aufforderungen des Kultusministeriums an die Kgl. PSK zur Kandidatennennung keine aktualisierten Anforderungsbestimmungen enthielten92 und sich in der Folge nur zu einem Bruchteil tatsächliche Elementarlehrer bewarben. So glaubte etwa der Bewerber F. A. Nikolai, Schuldirektor in Zeulenroda im Vogtland, bei seiner Bewerbung zum 12. August 1886, in Kamerun

88 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 112. 89 Siehe die Schreiben an die Kgl. PSK Stettin, Magdeburg und Breslau vom 19. August 1886, GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 116, sowie der Hinweis in der Bewerbung von Bürgerschullehrer Ernst Magnus Lorenz, GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 132. 90 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 118–368. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. II, Bl. 1–11. Beachte die Liste der Bewerber des Zeitraums Mai bis Dezember 1886 in Anhang Nr. 1 a). 91 Siehe die Bezugnahmen einzelner Bewerber auf Zeitungsberichte (bei konkreter Nennung eines Zeitungsnamens dieser in Klammern), GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 132 („Provinzialblatt“), 137, 138– 140, 153, 154, 157–158 (Schlesische Zeitung), 159, 161–162, 164, 165–166, 190, 197–199, 205–209 (Pillkaller Zeitung), 218, 250, 255–256, 266, 273–274, 287–288 (Preußische Lehrerzeitung), 311–312, 314, 327, 328, 331, 346, 356–357. 92 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 116.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

werde eine höhere Schule gegründet. Ein anderer, der höhere Privatlehrer Dr. Gustav Kribel aus Reinerz, berichtet einen Monat später in seiner Be­ werbung von einem Artikel in der Schlesischen Zeitung, in welchem zur Bewerbung von Gymnasial- und Elementarlehrern gleichermaßen aufgeru­ fen werde. Zuvor, am 27. August 1886, hatte sich der Schulamts-Kandidat für das gymnasiale Lehramt, Herrmann Wieghardt, explizit auf eine Stelle als Mathematiklehrer in der höheren Schule in Kamerun beworben und nur nebenbei erwähnt, notfalls auch für eine Elementarlehrerstelle zur Verfügung zu stehen.93 Insgesamt stammten von den 100 Bewerbungen nur 33 von ausgebildeten Volksschullehrern, 28 von Lehrern für höhere Schulen, wobei sechs Bewerber diverse Ausbildungshintergründe hatten und sich diese für 33 weitere Bewerber mangels Informationen in den Bewerbungsunterlagen nicht feststellen lassen. Schließt man die momenta­ nen Anstellungsverhältnisse mit in die Rechnung ein, erhöht sich die Zahl der Volksschullehrer auf 36. Die Quote derer, die aufgrund ihrer Ausbil­ dung oder ihrer Berufspraxis überhaupt für die Stelle in Frage kamen, lag damit bei nicht einmal 40 Prozent.94 Betrachtet man die von den Bewerbern geäußerten Anstellungsmotive, so lässt sich zunächst feststellen, dass eine Mehrheit der Bewerber nicht explizit kolonial- oder missionspolitische Motive nannte. Von den 44 Bewerbern, die ihre Motive ausdrücklich zu erkennen gaben, bekunde­ ten neun Bewerber ihr, wie es der Bewerber Hugo Kabath aus Breslau formulierte, „Interesse für die deutschen Kolonialbestrebungen“.95 Dabei blieb die Sprache durchweg gemäßigt. Zudem beschränkten sich die Ein­ lassungen meist auf wenige Sätze. Otto Hach, Volksschullehrer aus Berlin, trieb nach eigener Aussage „das Streben[,] deutsche Ehre, Kunst und Wis­ senschaft in jenen Ländern verbreiten zu helfen“, an, Johann Heinrich Drees, Volksschullehrer aus Hüllstede, die Chance, „mitzuwirken an der Verbreitung christlicher Religion und deutscher Cultur“, und Albert Hen­ sel, Volksschullehrer aus Dittmannsdorf, „nicht der Abenteuergeist in die Ferne […], sondern der Drang, unter fremden Völkern zu wirken, meinen

93 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 118–119, 157, 261–262. 94 Beachte für hier und das Folgende die statistische Auswertung der Bewerbungs­ unterlagen hinsichtlich der Ausbildung der Bewerber, ihrer schulischen Betäti­ gungsfelder zum Zeitpunkt der Bewerbung, ihrer Bewerbungsmotive sowie ihrer geographischen Herkunft in Anhang Nr. 1 b). Die dortige Auswertung schließt die ersten vier Bewerber mit ein, was das sich ergebende Bild aber nicht entschei­ dend verändert. 95 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 270.

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2. Konzeption und Ressourcen

schwarzen Brüdern zu helfen“.96 Weitere acht Bewerber gaben an, sich aus patriotischer Gesinnung für die Kameruner Lehrerstelle beworben zu haben, darunter die drei Seminarabsolventen Albert Harrer, Adolf Jung und Karl Haller aus Zuffenhausen, die sich gemeinsam in einem Schrei­ ben bewarben und den Ton patriotischer Kolonialbegeisterung wohl am ehesten trafen, indem sie formulierten: „Beseelt von patriotischem Gefühl für die deutschen Kolonien Afrikas möchten wir, soweit es in unseren Kräften steht, zur Hebung der Kultur in jenen Ländern beitragen.“97 Berücksichtigt man nun außerdem die drei Bewerber, die ihre Bewerbung um die Lehrerstelle in Kamerun explizit mit christlich-missionarischer Rhetorik versahen, nannten damit insgesamt 20 Bewerber Anstellungsmo­ tive, die dem kolonial- und missionspolitischen Spektrum zuzuordnen sind. Dagegen nannten 3198 Bewerber explizit Anstellungsmotive, die per­ sönlicher Natur waren. Hierunter dominierte ein Motivkomplex, der die berufliche Verbesserung fokussiert und die Aussicht auf vermeintlich bes­ sere Karrierechancen in den deutschen Kolonien (acht Bewerber), finan­ zielle Besserstellung (sieben) und die Überwindung von Arbeitslosigkeit (vier) umfasst. Die Vertreter der ersten Gruppe suchten in der Regel eine neue berufliche Herausforderung oder hatten sich, wie der Leiter einer privaten Mädchenschule, der Gymnasiallehrer Reinecke aus Meißendorf bei Celle, bereits mehrfach „erfolglos um eine Lehrerstelle an einer staatli­ chen Schule [beworben]“.99 Auch Anerkennungsprobleme mit Zeugnissen oder gar das Fehlen ebensolcher führten Bewerber dieser Gruppe als An­ stellungsmotiv an.100 Der von Prestigegründen getragene Wunsch nach

96 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 308, 357, 304 (die Reihenfolge der Blattnummern entspricht derjenigen der Zitate im Text). 97 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 311. 98 Die Summe von 51 Motivnennungen bei 44 Bewerbern resultiert daraus, dass drei Bewerber jeweils zwei und ein Bewerber drei Motive nannten. 99 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 359. Beachte auch die Bewerbung von Dr. R. Krembs aus Rheinberg, GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 172. 100 Vgl. die Bewerbungen des Schulleiters einer Privatschule in Broacker, Christian Joessen, und diejenige des Soldaten Peter Schmidt aus Oberdreis, GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 353–4; GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. II, Bl. 7. Beachte zum Anstellungsmotiv Karriere insbesondere auch Kapitel 2.2.5.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

einer höheren Stelle war zudem natürlicherweise mit der Erzielung eines potentiell höheren Einkommens verbunden. Das Motiv der finanziellen Besserstellung ist dennoch auch separat als Charakteristikum einer zweiten Gruppe zu identifizieren, die diejenigen Bewerber umfasst, die ihre Bewerbung mit finanzieller Not begründeten. Deren Bewerbungen lesen sich phasenweise eher als Bitt- denn als Anstel­ lungsgesuche. So schilderte etwa der als Hauslehrer angestellte Gymnasial­ lehrer Dr. Carl Winderlich aus Dammitsch bei Steinau in langen Passagen, dass seine jetzige Stelle es ihm nicht ermögliche, seine Mutter und die Geschwister nach dem Tod seines Vaters versorgen zu können.101 Der Volksschullehrer Johann v. Poleski aus Prussy bei Jarotschin verband die Darstellung seiner miserablen finanziellen Situation – er sei „von [s]einem Schwiegervater [um die Mitgift seiner Ehefrau] betrogen“ worden und habe nun schon 200 M Schulden angehäuft – schließlich mit deutlicher negativer Kritik an der Höhe der Besoldung von Volksschullehrern auf dem Lande und den im Vergleich zu den städtischen Volksschullehrern seiner Auffassung nach zu geringen etwaigen Zuverdienstmöglichkeiten, etwa in kirchlichen Hilfsämtern.102 Diese Kritik identifizierte mit der Be­ soldung eine der Hauptursachen des im 19. Jahrhundert stets bestehenden Lehrermangels.103 Zwar hatten die Reformen der Lehrerausbildung die Qualifikation insbesondere der ländlichen Volksschullehrer bis zum Ende des Jahrhunderts deutlich verbessert, ihr Gehalt blieb aber in der Regel hinter denen eines städtischen Volksschullehrers. Grundsätzlich boten au­ ßerdem Stellen in der verarbeitenden Industrie oder dem Militär meist bessere Verdienstaussichten als die Anstellung in einer Volksschule.104 In Preußen beispielsweise sollten Volksschullehrer erst 1897 überhaupt auf einen garantierten jährlichen Verdienst von 900 M kommen.105 Die An­ stellung in Kamerun dagegen war mit 5.000 M Jahresverdienst dotiert und damit überaus attraktiv. Die dritte Gruppe dieses beruflichen Motivkomplexes umfasst vier Be­ werber, die sich um die Lehrerstelle in Kamerun bewarben, weil sie

101 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 138– 140. 102 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 325. 103 Vgl. Dartenne, Seminare, S. 152–153. 104 Vgl. Titze, Lehrerbildung, S. 361–362. 105 Vgl. Titze, Lehrerbildung, S. 363. „Gesetz, betreffend das Diensteinkommen der Lehrer und Lehrerinnen an den öffentlichen Volksschulen. Vom 3. März 1897.“, in: Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen 39 (1897), Heft 4, S. 313–328.

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2. Konzeption und Ressourcen

sich auch in finanziellen Schwierigkeiten befanden, die insbesondere aber aufgrund sittlicher, dienstlicher oder sonstiger Vergehen aus ihren bishe­ rigen Stellungen entlassen worden waren und keine Aussicht auf eine Wiederanstellung im staatlichen deutschen Schuldienst sahen. Ihre Bewer­ bungen deuten darauf hin, dass die Kameruner Lehrerstelle durchaus als Fluchtpunkt identifiziert wurde, der einen Neuanfang unter Zurück­ lassen bisheriger persönlicher Fehler und daraus resultierenden sozialen wie rechtlichen Beschränkungen auszuloten schien. Bewerbern, wie dem höheren Schulamts-Kandidaten Christlieb Tiede aus Meseritz, der „wegen neuerdings bekundetem unangemessenen Verhaltens außerhalb des Am­ tes“ zum Zeitpunkt der Bewerbung schon zehn Monate ohne Anstellung war, bereitete die Kolonie die – allerdings dann enttäuschte – Hoffnung eines vermeintlichen gesellschaftlichen Neuanfangs und einer Verdienst­ möglichkeit im angestammten Beruf trotz eigener Verfehlungen.106 Neben diesem aus Karriere, finanzieller Besserstellung und Arbeitslosig­ keit bestehenden Motivkomplex treten zwei weitere Begründungszusam­ menhänge von insgesamt zwölf Bewerbern, die ihre Motive klar in Zu­ sammenhang mit dem eigenen privaten und beruflichen Vorankommen setzen und darum ebenfalls in das Spektrum der persönlichen Motive einzuordnen sind, gleichwohl deren Referenzobjekte den Grenzbereich beider Spektren markieren und den bisweilen fließenden Übergang von persönlichen zu kolonial- und missionspolitischen Motiven veranschauli­ chen lassen. Der erste diesbezügliche Begründungszusammenhang umfasst drei Bewerber, die eine Anstellung im Kolonialdienst mit wissenschaftli­ chen Ambitionen begründen. So meinte etwa der angehende Gymnasial­ lehrer Johannes Schaffetter aus Hohenstein, der in Königsberg Mathema­ tik, Physik und Biologie („Zoologie“) studiert hatte, in Kamerun habe er die Gelegenheit zur „Erweiterung [s]eines Horizontes für die Vollendung [s]einer naturwissenschaftlichen Studien“.107 Für ihn bot die Stelle an der kolonialen Schule also die Option, seine akademischen Interessen,

106 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 144– 145 (für das Zitat: Bl. 144). Beachte auch die Bewerbungen von Josef Grandel, Virgil Joseph Müller und des Bewerbern Gaide, GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultus­ ministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 323–4, 330, 361–362. 107 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 190. Schaffetter ist einer derjenigen Bewerber, bei denen aus seiner Bewerbung zwei gleichrangige Bewerbungsmotive hervorgehen, weshalb diese sowohl in der dem kolonial- und missionspolitischen Spektrum zugeordneten Kategorie Pa­ triotismus als auch in der dem persönlichen Spektrum zugeordneten Kategorie Wissenschaftliches Interesse aufgenommen wurde, siehe Anhang Nr. 1 b).

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

darunter wohl am ehesten die Biologie, weiterzuverfolgen. Diese war ne­ ben der Medizin, der Geographie, der Geologie, der Meteorologie und den Agrarwissenschaften eines der naturwissenschaftlichen akademischen Fächer, die im Laufe des 19. Jahrhunderts in Deutschland stark von kolo­ nialen Expansionsbestrebungen geprägt wurden und die durch den Modus der Forschungsreise, der die Zeit vor und nach den offiziellen Kolonial­ annexionen des Deutschen Reiches verbindet, entscheidend am Aufbau von Prozessen kolonialer Wissensproduktion beteiligt waren. Insofern be­ deutete eine wissenschaftliche Betätigung in einer deutschen Kolonie, so privat und rein akademisch das Forschungsinteresse des Einzelnen auch gewesen sein mochte, gleichwohl immer auch eine Betätigung in Ausein­ andersetzung mit kolonialer Herrschaft und deren mindestens mittelbaren Unterstützung, da vor Ort gewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse in der Regel herrschaftspolitisch nutzbar gemacht wurden. Zu Letzterem trugen die Reisenden durch Vortragstätigkeiten und die Publikation ihrer Forschungsergebnisse in Form von Büchern oder Zeitungsartikeln auch selbst maßgeblich bei, verbreiteten diese und machten sie so nutzbar.108 Der zweite noch hinzukommende Begründungszusammenhang umfasst neun Bewerber, die angaben, sich aus Interesse an einer Tätigkeit im Ausland zu bewerben. Sie bekräftigten ihre Bewerbung zumeist mit aus­ landsschulischer Erfahrung. So hatte etwa der Bewerber Alex. Drath aus Rothenburg in der Oberlausitz einige Zeit in der deutschen Schule im brasilianischen Blumenau109 und der Volksschullehrer Andreas Bär aus

108 Vgl. Essner, Cornelia: Deutsche Afrikareisende im neunzehnten Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte des Reisens, Stuttgart 1985, S. 93–100, 116–117. Fiedler, Matthias: Zwischen Abenteuer, Wissenschaft und Kolonialismus. Der deutsche Afrikadiskurs im 18. und 19. Jahrhundert, Köln 2005, S. 151–174. Ruppen­ thal, Kolonialismus als „Wissenschaft und Technik“, S. 9–10, 26–27. Stuchtey, Benedikt: Introduction: Towards a Comparative History of Science and Tropical Medicine in Imperial Cultures since 1800, in: Stuchtey, Benedikt (Hg.): Science across the European Empires, 1800–1950, Oxford 2005, S. 1–45, hier: S. 1–12. 109 Die 1850 von deutschen Auswanderern um Hermann Blumenau gegründete und nach diesem benannte Stadt im Süden Brasiliens war eines der Zentren deutscher Auswanderung nach Südamerika und beheimatet auch heute noch eine deutsche Minderheit, vgl. Brunn, Gerhard: Deutschland und Brasilien (1889–1914), Wien 1971, S. 1–10, 116–127. Eppelmann, Michael: Deutsche und Deutschbrasilianer: Authentizitätsdiskurse in Blumenau, Masterarbeit Univer­ sität Waterloo/Universität Mannheim, Waterloo und Mannheim 2018. Rosen­ berg, Peter: Lateinamerika, in: Plewnia, Albrecht; Riehl, Claudia Maria (Hg.): Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Übersee, Tübingen 2018, S. 193–264, hier: S. 217–224. Schramm, Percey Ernst: Hermann Blumenau, der Gründer der Siedlungskolonie Blumenau. Seine Anfänge in Brasilien nach

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2. Konzeption und Ressourcen

Rawitsch an der deutschen Gemeindeschule in Neapel gearbeitet.110 Auch die schlichte Feststellung, „[d]as Streben eines jeden Jünglings [gehe] wohl hinaus in die Welt“, diente einem der neun Bewerber dieser Gruppe als Beleg seines Interesses an einer auswärtigen Beschäftigung.111 Während diese Motivnennungen durch die Annahme vermeintlicher Gesetzmäßig­ keiten des Heranwachsens oder ihre berufliche Dimension also zuvorderst persönlicher Natur sind, lässt sich bei einem der neun hier zugeordneten Bewerber allerdings erneut ein Referenzobjekt des oben skizzierten Grenz­ bereichs identifizieren. So gab der Bewerber G. Schmeerbauch aus Worbis in Thüringen an, aus „Sehnsucht nach fernen, fremden Ländern“ gern im Ausland tätig werden zu wollen und begründete dies wiederum mit der Lektüre von Reiseberichten. Er habe die Berichte von Theodor von Heug­ lin, David Livingstone und anderen gelesen und sich vor eineinhalb Jahren auch schon einmal, allerdings erfolglos, für eine Betätigung in Ostafrika beworben. Angesichts dessen, dass viele dieser Berichte gemeinsam mit den ab den 1880er-Jahren in Deutschland aufkommenden und sehr popu­ lären Kolonialromanen einen wesentlichen Bestandteil kolonialer Propa­ ganda darstellten und auch die Forschungsreisen der von Schmeerbauch genannten Personen in der Mitte des 19. Jahrhunderts einer klar kolonialund missionspolitischen Agenda unterworfen waren, läge es nun nahe, die Kategorisierung Schmeerbauchs als persönlich motivierter Bewerber zu revidieren. Dieser bezeichnete allerdings insbesondere die Faszination des Fremden an sich, welche die von ihm rezipierten Reiseberichte trans­ portierten, und die mit dem Reisen einhergehenden wissenschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten als seine hauptsächlichen Beweggründe, die da­ mit zuvorderst persönlich und erst in zweiter Linie kolonial- und missions­ politisch sind, wenngleich beide Spektren hier besonders nah beieinander liegen, was nicht zuletzt auch die Ambivalenz der literarischen Gattung Reisebericht wie auch der Reisenden selbst widerspiegelt.112

Briefen an seine Familie (1846–50), in: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirt­ schaft und Gesellschaft Lateinamerikas, Jg. 4 (1967), S. 629–656. Zinkhahn Roh­ bodes, Dagna: Sprachwechsel bei Sprachminderheiten. Eine soziolinguistische Studie zur deutschen Sprachinselminderheit in Blumenau, Brasilien, Stuttgart 2012, S. 103–116. 110 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. II, Bl. 4–5. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 346. 111 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 205. 112 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 298 (auch für das Zitat). Vgl. insbesondere Bechhaus-Gerst, Marianne: Frieda von Bülow, in: Zimmerer, Jürgen (Hg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

Zusammengenommen liegen gemäß dieser Einteilung etwa 60 Prozent persönliche und etwa 40 Prozent kolonial- und missionspolitische Motiv­ nennungen vor.113 Dies belegt, wenngleich alle Bewerber mit der Abgabe ihrer Bewerbung natürlich implizit bekennen, die koloniale Expansion zumindest nicht abzulehnen, und wenngleich sich aufgrund der unter­ schiedlichen Umfänge der Bewerbungen auch nur für einen Teil der Be­ werber Motive erfassen lassen, dass die Bewerber die Errichtung der ersten deutschen Schule in Kamerun nicht ausschließlich aus prokolonialer Hal­ tung begrüßten, sondern mehrheitlich als Gelegenheit ansahen, persönli­ che Ziele besser erreichen zu können. Mithin zeigt die Auswertung, dass die zukünftige deutsche Schule in Kamerun als lukrative Anstellungsmög­ lichkeit und als interessante Erweiterung des auswärtigen Stellenangebots verstanden wurde. Letzteres umfasste neben dem von einigen Bewerbern erwähnten Missionsdienst bis dato die Anstellung an einer Schule, die von einer deutschen Siedlergemeinschaft im Ausland betrieben wurde, die Anstellung in einem auswärtigen Privathaushalt oder die Tätigkeit an einer der offiziellen deutschen Auslandsschulen.114 Die zunächst dilatorische und dann die das bisherige Kenntnisniveau schlicht fortschreibende Behandlung des Suchauftrages durch das Preußi­ sche Kultusministerium lassen Zweifel daran aufkommen, dass man im dortigen Ministerium die Entscheidung für die Errichtung einer eigenen Schule ohne weitere Vorbehalte akzeptieren konnte. Kultusminister von Goßler hatte mit seinem Plädoyer für die Unterstützung deutscher Missio­ nen zwar inhaltlich argumentiert, dürfte die sich abzeichnende schulpo­ litische Agenda des Auswärtigen Amtes in den Kolonien aber auch als

der deutschen Kolonialgeschichte, Bonn 2013, S. 365–372. Essner, Deutsche Afrikareisende, S. 9–10, 108–119. Fiedler, Abenteuer, S. 105–107, 206–214. Przy­ rembel, Alexandra: Empire, Medien und die Globalisierung von Wissen im 19. Jahrhundert, in: Habermas, Rebekka; Przyrembel, Alexandra (Hg.): Von Kä­ fern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne, Göt­ tingen 2013, S. 197–220, hier: S. 206–215. Struck, Wolfgang: Die Eroberung der Phantasie. Kolonialismus, Literatur und Film zwischen deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik, Göttingen 2010, S. 86–102. Zu Theodor Christallers eigenem Reisebericht beachte Kapitel 2.1.4. 113 Diejenigen Bewerber, die sich zweifach äußern, nennen jeweils ein Motiv der unterschiedlichen Kategorien. Der Bewerber, der sich dreifach äußert, nennt zwei persönliche und ein politisches Motiv. Das aus den Nennungen errechnete Verhältnis lässt sich damit in etwa auch auf die Bewerberzahl übertragen. 114 Beachte überblickshaft zum deutschen Auslandsschulwesen Werner, Harry: Deutsche Schulen im Ausland. Band I. Werdegang und Gegenwart, Berlin/ Bonn 1988, S. 32–38. Siehe hierzu auch Kapitel 2.3 dieser Arbeit.

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2. Konzeption und Ressourcen

konkurrierende Betätigung aufgefasst haben, die unter anderem die gegen Ende des 19. Jahrhunderts ohnehin schon sehr angespannten Lage bei der Besetzung von Lehrerstellen im Reich potentiell weiter belasten konnte.115 Diese Lesart unterstützt, dass es trotz Anfrage durch das Auswärtige Amt zu keiner finanziellen Unterstützung der Kameruner Schule durch das Preußische Kultusministerium kam. Eine entsprechende Zusage aus dem April 1886 zog Kultusminister von Goßler im Juli 1886 wieder zurück und stellte alternativ die finanzielle Unterstützung der Lehrmittelbeschaffung in Aussicht.116 Allerdings finden sich für einen diesbezüglichen Mittelfluss keine Belege. Die erste Ausstattung Theodor Christallers sowie die dann erstellten Lehrmittel sind nachweislich aus den Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert worden.117 Insofern kann es auch als indirektes Misstrauensvotum verstanden wer­ den, dass das Auswärtige Amt ebenfalls am 8. August 1886, also zeitgleich mit der Bitte an das Preußische Kultusministerium, weiter nach einem Lehrer zu suchen, auch die Preußischen Gesandtschaften bei den Regie­ rungen der anderen deutschen Länder beauftragte, bei diesen um Kandi­ datenvorschläge zu bitten.118 Im Kontrast zur Kandidatensuche über das Kultusministerium enthielt dieser Suchauftrag sowohl eine Zusammen­ fassung des sich zu diesem Zeitpunkt herauskristallisierten Anforderungs­ profils als auch die Vertragsbedingungen des Lehrers und transportierte damit das bisher zusammengetragene Wissen in Form eines weitaus kon­ kreteren Anstellungsprofils. Der Kandidat sollte demnach den Wünschen von Sodens entsprechen, also insbesondere die Sprache der Duala beherr­ schen. Zudem stellte das Auswärtige Amt explizit fest, dass dieser bei guter körperlicher Konstitution, jung und unverheiratet sein sollte. Für

115 Vgl. Dartenne, Seminare, S. 152–153. Titze, Lehrerbildung, S. 357. Die Kultus­ ministerien reagieren hierauf um die Jahrhundertwende durch eine abermalige Erhöhung der Seminarplätze und die verstärkte Einstellung von Lehrerinnen in den deutschen Volksschulen, vgl. Sandfuchs, Geschichte der Lehrerbildung, S. 22. 116 BArch, R 1001/4070, Bl. 17–20. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 18–19, 25–36, 87–88. 117 BArch, R 1001/4070, Bl. 97–98. BArch, R 1001/4071, Bl. 68–69. 118 Beachte für hier und das Folgende das Schreiben des Auswärtigen Amtes an Preuß. Ges. Hamburg vom 8. Aug. 1886 mit Verweis auf die Versendung glei­ cher Schreiben an alle deutschen Regierungen, vgl. GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft Hamburg nach 1807, Nr. 956, sowie die diesbezügliche Benach­ richtigung an das Preußische Kultusministerium, dass nun nicht mehr nur über dieses ein Lehrer gesucht werde, GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 112.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

eine zweijährige Dienstzeit sollte der Bewerber ein jährliches Gehalt von 5.000 M erhalten, was ihn – um diese Summe einzuordnen – im Jahr 1886 nur um 100 M schlechter stellen würde als einen Direktor eines städtischen preußischen Gymnasiums in den ersten fünf Jahren seiner Dienstzeit.119 Neben diesem vergleichsweise sehr guten Gehalt sollte der Bewerber zudem freie Wohnung und Überfahrt, wie auch die Aussicht auf Wiederanstellung nach der Rückkehr nach Deutschland erhalten.120 Die Stellenausschreibung war damit zu diesem Zeitpunkt zugeschnitten auf einen jungen Absolventen eines Lehrerseminars, den die lukrativen, die Verdienstmöglichkeiten an einer deutschen Volksschule übersteigenden Vertragsbedingungen überzeugten, den öffentlich diskutierten gesundheit­ lichen Bedenken gegenüber einer Anstellung in Kamerun zu trotzen.121 So warnte beispielsweise gerade Adolph Woermann in der Kölnischen Zeitung vom 22. September 1886 in einem Artikel über die Lehrersuche für die Kameruner Stelle vor einem dortigen Leben in „der größten Fieber­ gefahr“.122 Neben dieser Diskussionslage, die im Bereich der kolonialen Schule trotz einiger Todesfälle gerade im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens ab­ ebbte, hatte das Auswärtige Amt die Problematik der Wiederanstellung im heimischen Dienst zu steuern. Durch eine Anstellung im kolonialen Schuldienst sollten dem Bewerber nach seiner Rückkehr ins Deutsche Reich keine dienstlichen Leerzeiten entstehen. Aufgrund der Zuordnung der Schulen zu den Kultusministerien der Länder war man dabei auf die Vermittlung und Hilfe der Landesbehörden angewiesen und im Beneh­ men mit dem Preußischen Kultusministerium auch schon einmal mit der Absicht, eine solche Garantie zu erhalten, gescheitert.123 Im Grundsatz be­

119 Vgl. Titze, Lehrerbildung, S. 351. Übersicht über die Einkommens- und Schul­ gelds-Verhältnisse an den höheren Lehranstalten der einzelnen deutschen Staa­ ten, in: Korrespondenz-Blatt für die Gelehrten- und Realschulen Württembergs, Jg. 35 (1888), Nr. 9–10, S. 424–429, hier: S. 424. 120 Die Anstellungsbedingungen hatte man dem preußischen Kultusministerium schon einen Monat zuvor mitgeteilt, ohne dass dieses damit die Suche aber präzisiert hatte, GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 93–94. 121 Siehe etwa Buchner, Max: Ueber das Klima von Kamerun, in: Gartenlaube (1886), Heft 6, S. 108–110. Mähly, Ernst: Gesundheitszustand bezw. Sterblich­ keit auf der Goldküste und in Westafrika überhaupt, in: DKZ, Jg. 3 (1886), Heft 19, S. 555–559. 122 GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft Hamburg nach 1807, Nr. 956 (Zeitungs­ artikel, Kölnische Zeitung, Nr. 263 vom 22.9.1886). 123 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 93–94.

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2. Konzeption und Ressourcen

deuteten die Bemühungen um eine Rückkehrgarantie neben einer Attrak­ tivitätssteigerung der Stelle auch, dass man im Auswärtigen Amt mit dem Kameruner Lehrer zunächst nur für zwei Jahre im Voraus planen wollte und man eine Rückkehr des Lehrers nach seiner Dienstzeit durchaus als möglich erachtete. Dies war angesichts der nur außerplanmäßig genehmig­ ten Mittel haushalterisch sicher geboten, dokumentiert gleichzeitig aber auch eine gewisse politische Zurückhaltung und die Option, die Kameru­ ner Schule im Falle ausbleibenden Erfolgs nach diesen zwei Jahren wieder zu schließen. Entsprechend blieb außerdem die sich aus der Rückkehrga­ rantie eigentlich ergebende Frage der Anrechnung der auswärtigen Dienst­ jahre auf die heimische Pensionsbezüge zu diesem Zeitpunkt unberührt, wobei allerdings auch zu bemerken ist, dass Mitte des Jahres 1886 der Einbezug der Kolonialgebiete durch legislative Bestimmungen mit dem „Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete“, vom 17. April 1886 gerade erst begonnen hatte.124 Eine erste Regelung der Pensionsansprüche für Beamte in der Kolonie Kamerun (und der Ko­ lonie Togo) erfolgte dann zwei Jahre später per kaiserlicher Verordnung vom 3. August 1888, durch welche die Bestimmungen des „Gesetz[es], betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten“, vom 31. März 1873 auf Beamte in diesen beiden Kolonien übertragen wurden. Maßgebliche Bedingung der Übertragung der aus diesem Gesetz abzuleitenden Ansprü­ che war allerdings, dass die in den Kolonien tätigen Beamten ihr Gehalt aus dem regulären Etat der Kolonie beziehen. Für den außerplanmäßig angestellten Lehrer hätte diese Regelung also keine Relevanz gehabt, selbst wenn sie schon zwei Jahre zuvor bestanden hätte.125 Trotz dieser die Suche einschränkenden und ungeklärten Fragen konnte das Auswärtige Amt schon einen Monat nach Erteilung der Suchaufträge an die Gesandtschaften und Regierungen dem preußischen Kultusminister von Goßler mitteilen, dass man mit Theodor Christaller einen geeigneten Kandidaten gefunden habe und man auf Seiten der preußischen Kultusbe­

124 Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete. Vom 17. April 1886. (RGBl. S. 75–76). Straehler: Schutzgebietsgesetz, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 317ff. 125 Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse der Landesbeamten in den Schutzgebieten von Kamerun und Togo. Vom 3. August 1888. (Central-Blatt für das Deutsche Reich, S. 753). Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten. Vom 31. März 1873. (RGBl., S. 61–90). Beachte weiterführend Kapitel 3.4.4 und Kapitel 4.3.1.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

hörde nun die Suche vorläufig einstellen könne.126 Unter Vermittlung der Preußischen Gesandtschaft in Stuttgart war Christaller von der württem­ bergischen Staatsregierung vorgeschlagen worden127 und hatte das Interes­ se des Auswärtigen Amtes geweckt. Sowohl Christallers Ausbildungsgang als auch seine persönlichen und privaten Umstände passten grundsätzlich in das Suchprofil: Er war zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alt und nicht ver­ heiratet, hatte 1881 erfolgreich das Künzelsauer Lehrerseminar absolviert und im dortigen Seminar eine kurze Zeit gelehrt, bevor er im Januar 1882 begonnen hatte, als stets weiterhin im württembergischen Staatsdienst stehender Lehrer im Missionshaus der Basler Mission zu arbeiten.128 Be­ sonders durch letztere Verbindung war er für das Auswärtige Amt interes­ sant, welches nämlich im Schreiben an Kultusminister Goßler nicht die fachlichen Eigenschaften Christallers hervorhob, sondern explizit darauf verwies, dass dieser eine Empfehlung der Basler Mission habe und diese Mission auch bald in Kamerun tätig werden würde.129 Offenkundig sah man im Auswärtigen Amt darin einen großen Vorteil, bedeutete es doch die Chance auf gegenseitige Unterstützung und Teilung von Ressourcen. Die Notwendigkeit hierzu sollte schon kurz nach der Ankunft Christallers in Kamerun bestehen. Für Christaller sprach außerdem, dass er der einzige Bewerber war, der zumindest eine gewisse Nähe zur Sprache der Duala hatte, da sein Vater,

126 BArch, R 1001/4070, Bl. 42–43. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 173. Blickt man von dieser Stelle auf die oben genannten Bewerberzahlen im preußischen Kultusministerium, bemerkt man, dass diese Mitteilung zu keinem signifikanten Rückgang führte. Erst einen weiteren Monat später, also ab Mitte Oktober 1886, ist dieser zu verzeichnen. 127 BArch, R 1001/4070, Bl. 42. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsar­ chiv Stuttgart E 40 / 17 Bü 6, Nr. 1. 128 BArch, R 1001/4070, Bl. 49–50, 56. Lenz, Regierungsschulen, S. 23. Böckheler, N.: Theodor Christaller. Der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun. Ein Lebensbild, Schwäbisch-Hall 1897, S. 7. Das Künzelsauer Seminar war als evangelische Einrichtung 1873 gegründet worden und arbeitete mit einem drei­ jährigen Lehrplan, für den eine zweijährige Vorbereitungszeit verpflichtend war, vgl. Dartenne, Corinna Maria: Zur Entwicklung des Schulwesens in Württemberg, in: Nath, Axel; Titze, Hartmut (Hg.): Datenhandbuch zur deut­ schen Bildungsgeschichte, Bd. III, Differenzierung und Integration der niederen Schulen in Deutschland 1800–1945, Göttingen 2016, S. 446–451, hier: S. 447. Vander Ploeg behauptet fälschlicherweise, Christaller sei am Missionshaus in Basel ausgebildet worden, vgl. Ploeg, Education, S. 104. Nestvogel bezeichnet Christaller gar als „ehemalig[en] Missionar“, vgl. Nestvogel, Verstärkung von Unterentwicklung durch Bildung?, S. 83. 129 BArch, R 1001/4070, Bl. 42–43.

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2. Konzeption und Ressourcen

der Basler Missionar und Sprachforscher Johann Gottlieb Christaller130, diese beherrschte. Bei ihm konnte Theodor Christaller während eines Ab­ schiedsaufenthalts bei seinem Vater in Schorndorf ab dem 22. Oktober 1886 dann auch mit dem Studium des Duala beginnen und damit einer vermeintlich wichtigen, von Gouverneur von Soden seinerzeit vorgebrach­ ten Anforderung entgegenkommen.131 Zuvor hatte Christaller mittels At­ test seine körperliche Leistungsfähigkeit belegt und nach einiger Bedenk­ zeit schließlich am 13. Oktober 1886 das Stellenangebot, das ihm fünf Tage zuvor von Reichskanzler Otto von Bismarck gemacht worden war, angenommen. Dieses enthielt die oben genannten Bedingungen, sprich eine Anstellung für zwei Jahre bei einem Gehalt von 5.000 M, welches mo­ natlich im Voraus ausgezahlt werden sollte. Darüber hinaus wurden Chris­ taller eine freie Wohnung sowie die Erstattung der Kosten für die Hinund die Rückreise per Woermann’schem Dampfer gewährt.132 Zudem erreichte die Preußische Gesandtschaft in Stuttgart beim Evangelischen Konsistorium die Freistellung Christallers für die zweijährige Dienstzeit in Kamerun und damit implizit auch die gewünschte Rückkehroption.133

130 Johann Gottlieb Christaller (19.11.1827–16.12.1895) trat 1848 in die Basler Mission ein und arbeitete von 1852 bis 1858 und von 1862 bis 1868 als Missio­ nar und Sprachforscher (Twi-Sprache) an der Goldküste. In dieser Zeit besuchte er auch die Mündung des Kamerunflusses und trat dort mit dem Missionspio­ nier Alfred Saker in Kontakt. J. G. Christaller übersetzte nach seiner Rückkehr nach Deutschland die Bibel in die Twi-Sprache, die 1871 erschien, und veröf­ fentlichte unter anderem 1881 eine Grammatik dieser Sprache. Beachte einen dezidiert positiven Zeitungsartikel zum 150. Geburtstag Christallers: Landesar­ chiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart J 191 Christaller, Johann Gottlieb (Berron, Gottfried: Ein Freund Afrikas. Zum 150. Geburtstag J. G Christallers). Beachte auch: Aus dem Bereiche der Missionen und der Antiskla­ verei-Bewegung, in: DKB, Jg. 7 (1896), S. 14. Bautz, Friedrich Wilhelm: Christal­ ler, Johann Gottlieb, in: ebd. (Hg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexi­ kon, Hamm 1975, Sp. 1001–1002. Westermann, Dietrich: Christaller, Johann Gottlieb, in: Stolberg-Wernigerode, Otto zu (Hg.): Neue deutsche Biographie, Bd. 3, Berlin 1957, S. 219. Westermann nennt anders als Bautz und Berron den 10.12.1895 als Todesdatum. Die Tätigkeit des Vaters in Afrika bedeutete für Theodor Christaller, dass dieser seine ersten sechs Lebensjahre bei einem Bruder des Vaters und im Basler Missionshaus verbracht hatte, Böckheler, Theodor Christaller, S. 5–6. 131 BArch, R 1001/4070, Bl. 55. 132 BArch, R 1001/4070, Bl. 44, 45–47 (Transkription des Stellenangebots bei Adick/ Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 110, S. 379), 52–53. Die Kosten für die Überfahrt betrugen 300 M, BArch, R 1001/4070, Bl. 66–70. 133 BArch, R 1001/4070, Bl. 45, 56.

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Die Abreise nach Kamerun sollte nach den Plänen des Auswärtigen Am­ tes ursprünglich am 31. Oktober 1886 ab Hamburg erfolgen. Christaller jedoch sah sich für seine zukünftige Tätigkeit ungenügend vorbereitet und bat darum, erst zum darauffolgenden Abfahrtstermin, dem 15. November 1886, abreisen zu dürfen, um bis dahin Erfahrungsberichte anderer Afrika­ fahrer in Deutschland einholen zu können. Außerdem ersuchte Christaller das Auswärtige Amt um die Erlaubnis, seine Reise an der Goldküste für das Intervall eines Dampfers unterbrechen zu dürfen, um dort an Schulen der Basler Mission zu hospitieren.134 Als Ziele gab er die Knabenschule und die Mittelschule in Christiansborg bei Accra sowie in Akropong die Knabenschule, die Mädchenschule, die Mittelschule und das dortige Leh­ rerseminar (Priesterseminar) an.135 Beides wurde Christaller gewährt und so profitierte das Auswärtige Amt schon zu diesem frühen Zeitpunkt von Christallers Verbindung zur Basler Mission.136 Dieser schien bereits vor seiner Abreise zu erahnen, dass eine simple Versetzung einer deutschen Volksschule nach Afrika und eine Reduzierung des Lehrplans auf kleinstes Niveau nicht den erwünschten Schulerfolg bringen würde, eine Einsicht, die im Kreise der mit der Lehrersuche befassten Stellen, außer Christaller einzig Gouverneur von Soden mit seinem Verweis auf die Nützlichkeit von Kenntnissen im Duala bisher geäußert hatte. Während von Soden damit die kommunikative Ebene adressiert hatte, machte Christaller mit seiner Anfrage das Auswärtigen Amt darauf aufmerksam, dass eine vor Ort tätige Lehrkraft auch über Kenntnisse der, wie Christaller es ausdrückte, „afrikanische[n] Schulverhältnisse“137 verfügen musste, also darüber, wie 134 BArch, R 1001/4070, Bl. 52–53. 135 BArch, R 1001/4070, Bl. 55. Nachdem die Basler Mission 1846 in Christiansborg und 1847 in Akropong erste Taufen durchgeführt hatte, errichtete sie 1851 ein Priesterseminar in Akropong. Diesem untergeordnet waren drei Mittelschulen, darunter die beiden, die Christaller zu besuchen beabsichtigte. Neben diesen Schulen bestanden separate Schulen für männliche und weibliche Afrikaner. Diesen Schulen waren wiederum Dorfschulen untergeordnet. Stand 1895 be­ suchten die Mittelschule in Christiansborg 60 Schüler, die Knabenschule 175. Im gleichen Jahr besuchten in Akropong 16 Mädchen die eigens für sie einge­ richtete Schule, 364 männliche Schüler verteilten sich auf die anderen drei Schulen, vgl. Kühnle, Die Arbeitsstätten der Basler Mission, S. 46–48, 54. Stei­ ner, Paul: Hundert Jahre Missionsarbeit. Zur Erinnerung an das hundertjährige Bestehen der Basler Mission 1815–1915, Basel 1915, S. 29–31. An einer der Schu­ len in Akropong hatte bereits Christallers Vater gewirkt, Landesarchiv BadenWürttemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart J 191 Christaller, Johann Gottlieb (Berron, Gottfried: Ein Freund Afrikas. Zum 150. Geburtstag J. G. Christallers). 136 BArch, R 1001/4070, Bl. 54. 137 BArch, R 1001/4070, Bl. 52–53 (für das Zitat: Bl. 52).

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2. Konzeption und Ressourcen

unter den vor Ort gegebenen fremden Bedingungen zu unterrichten sei. Christaller verallgemeinerte dabei geographisch natürlich unzulässig, wies ferner allerdings darauf hin, dass es für die Gestaltung des Unterrichts auf Regierungsseite keine produktiven Wissensbestände gab. Wie sollte die Lehrkraft mit ihren Schülern umgehen? Wie sollten die Schule, wie der Klassenraum gestaltet sein? Welcher Unterrichtsmaterialien und Anschau­ ungsobjekte bedurfte es, ganz grundsätzlich: Welcher Pädagogik? Diese Fragen waren in den preußischen Ministerien bisher nicht diskutiert wor­ den, stellten sich für Christaller, der nach den Wünschen des Auswärtigen Amtes baldmöglichst ausreisen sollte, aber in drängender Weise.

2.1.4 Christallers Ideenwelt Das Problem, die zukünftige Schulpraxis vor Ort bestreiten zu können, war verantwortlich für die sich nun entfaltende nächste Phase der Wis­ sensgenerierung, die insbesondere Herrschaftswissen in Gestalt politisch nutzbarer Herrschaftstechniken und praxisrelevanter Erfahrungen fokus­ sierte. Christallers Vorhaben, die Schulen der Basler Mission an der ‚Gold­ küste‘ zu besuchen, ist angesichts der zeitlichen Bedrängnis ein durch­ aus nachvollziehbarer Schritt der Informationsbeschaffung, bot er doch die Gelegenheit einer kurzfristig zu organisierenden Anknüpfung an das ihm beruflich und familienhistorisch gut bekannte Umfeld der Mission und Zugang zu einem wegen ähnlicher praktischer Problemstellung ver­ meintlich nützlichen Reservoir an Handlungsoptionen. Der Schritt weist gleichzeitig auf die Absicht hin, missionsschulische Erfahrung für koloni­ alschulisches Wissen zu verwerten, und markiert den Übergang zu einer Wissensgenerierung, deren Tempo, ideelle Ausrichtung und materiellen Ergebnisse in den folgenden Jahren maßgeblich durch Christaller, also den kolonialen Lehrer, bestimmt werden sollte. Innerhalb dieses Prozesses der Wissensproduktion entwickelte er selbst praktikable Unterrichtsweisen und Methoden, verfasste eigens Schulbücher und Grammatiken und lern­ te indigene Hilfslehrer und deutsche Kollegen an. Christallers Handlun­ gen, die sich als paradigmatisch erweisen werden, entfalteten sich dabei entlang seiner berufsbiographisch geprägten Auffassungen der Ziele von Schule und Unterricht sowie spezifischer Vorstellungen von der Position afrikanischer Bevölkerung innerhalb der kolonialen Sozialhierarchie. Die­ se Auffassungen und Vorstellungen traten im Prozess der persönlichen Er­ schließung Kameruns durch Christaller in besonderem Maße zu Tage und

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bedeuteten darüber hinaus die Einwebung des Kolonialen in Christallers Berufsbiographie. Diese Einwebung begann schon mit Christallers Abschied aus Basel, den N. Böckheler, Christallers Schwager und Biograph, als eilig und geschäftig beschreibt138 und zu dessen Anlass Christaller in einem von seinen Schü­ lern erstellten Rundbuch schrieb: „[I]ch gehe so ganz allein, viele werden denken dem Mammon zu­ lieb, um die jährlichen 5000 Mark zu verdienen. Die sind mir das Geringste; ich würde keinen Finger darum regen, denn über Nacht kann Gott meine Seele von mir fordern. Aber es ist im Interesse der Mission, wenn ich geh. Der Religionsunterricht ist freigegeben. Käme ein Gegner der Mission hin, er könnte ihr unendliche Schwierigkeiten bereiten, wo sie ohnedies einen harten Stand haben wird.“139 Christaller dokumentierte mit dieser Einlassung seine missionspolitische Motivation und hielt es offenbar für wichtig zu bestreiten, dass – anders als bei der Mehrheit der Bewerber beim Preußischen Kultusministerium, die sich zu ihren Motiven geäußert hatten – eine persönliche, hier finanzielle, Komponente eine Rolle in der Entscheidungsfindung gespielt habe. Ihm war offenbar bewusst, dass die Kameruner Lehrerstelle überaus gut dotiert war und man ihn möglicherweise des Verkaufs seiner Ideen bezichtigen könnte. Also unterstrich Christaller, dass er nicht beabsichtigte, mit dem Eintritt in den Regierungsdienst seine Verbindung mit der Basler Mission zu lösen, und bezog mit dieser Einlassung des Weiteren Stellung zu einer der Grundsatzfragen der kolonialen Schule, nämlich in welcher Hand der Religionsunterricht in den Kolonien liegen solle, wobei eine Beschäfti­ gung der Kameruner Schule auf dem Feld der religiösen Unterweisung doch zunächst nur optional vorgesehen war.140 Zudem wird deutlich, dass er der Schule allgemein, aber auch der Position des Lehrers einen

138 Böckheler, Theodor Christaller, S. 9. 139 Ebd., S. 11. 140 BArch, R 1001/4070, Bl. 2–4. Die Frage des Religionsunterrichts an Regierungs­ schulen löste 1894, als in den Kreisen der protestantischen und der katholischen Missionen bekannt wurde, dass in der Schule in Tanga, Deutsch-Ostafrika, ein islamischer Religionslehrer eingestellt worden war, die erste Krise der kolonialen Schule aus. Die evangelischen und die katholischen Missionen in Deutschland kündigten hierauf den Burgfrieden auf, den sie in Form der Tole­ rierung der Konzeption der ‚Regierungsschulen‘ als Schulen ohne christlichen Religionsunterricht eingegangen waren, und liefen gegen diese Entscheidung (letztlich erfolgreich) Sturm. Beachte Kapitel 2.2.4.

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2. Konzeption und Ressourcen

sehr großen Einfluss auf den Fortgang christlicher Sendungsbemühungen zuschrieb. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass Christaller seine Motivbeschreibung an ein junges Missionspublikum richtete, das kurz zuvor seine Schülerschaft gewesen war. Es liegt daher nahe anzunehmen, dass der romantisierende Ton seiner Einlassung insbesondere auf erzieheri­ schem Impetus beruht. Nach der Abreise aus Basel führte Christallers Weg zunächst für zwei Wochen in die schwäbische Provinz nach Schorndorf, wo ihn sein Vater, wie oben bereits erwähnt, mit den Grundzügen des Duala vertraut mach­ te. Damit nahm also auch der wichtige sprachliche Erschließungsprozess seinen Anfang141, noch bevor er am Abend des 6. November 1886 in Stutt­ gart einen Nachtzug in Richtung Norden bestieg und auch Christallers physische Annäherung an Kamerun begann. Diese beiden wichtigen Be­ standteile der Einwebung des Kolonialen in Christallers Berufsbiographie beschreibt nicht nur Christallers Biograph Böckheler142, sondern wurde auch von Christaller selbst in Form eines Reise- und Erlebnisberichtes festgehalten. Dieser gelangte im Januar 1888 im ‚Unterhaltungs-Blatt zur Eßlinger Zeitung‘ zur Veröffentlichung143 und war, wie es für diese Zei­ tungsbeilagen typisch war, weitgehend anekdotisch gehalten. So beschrieb Christaller für jede Etappe seiner Reise eingehend seine Mitreisenden, seine eigenen Aktivitäten und die Sehenswürdigkeiten der Orte, in denen er sich befand. Der Bericht gibt damit nicht nur Einblicke in die Chro­ nologie der Geschehnisse, sondern weist auch auf Christallers naturwissen­ schaftliche (insbesondere botanische) und von der Faszination des exotisch Fremden geprägte Anstellungsmotivation, welche die zuvor genannte mis­ sionspolitische Motivlage erweitert.144 Der Bericht ermöglicht es des Wei­ teren, Christallers Gedanken und Einstellungen zum Beobachteten und Erlebten zu erfassen und damit wesentliche Elemente seiner Auffassungen und Vorstellungen während der ja zunächst mal nur physischen Annähe­ rung an das koloniale Fremde zu identifizieren. Auf dem langen Weg nach Kamerun hatte sich Christaller zunächst in Berlin zu melden. Dort traf er am Abend des 8. November 1886 ein und verbrachte drei Tage in verschiedenen, vorbereitenden Besprechungen 141 BArch, R 1001/4070, Bl. 55. 142 Böckheler, Theodor Christaller, S. 13–28. 143 Christaller, Theodor: Eine Reise nach Kamerun, in: Unterhaltungs-Blatt zur Eßlinger Zeitung (1888), Nr. 1–2, 4–9, S. 1–4, 13–15, 21–24, 29–32, 37–40, 45– 48, 53–56, 61–65. Zur großen Popularität von Reiseberichten Ende des 19. Jahrhunderts siehe Fiedler, Abenteuer, S. 121–126. 144 Beachte insbesondere Christaller, Eine Reise, S. 29, 39, 53–54

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im Auswärtigen Amt.145 Daneben nutzte er die Zeit für die Besichtigung von Sehenswürdigkeiten und ließ dabei auch nicht das Kolonialpanorama in der Berliner Friedrichsstraße aus. Diese Zusammenstellung von monu­ mentalen Gemälden über und Objekten aus der Region der Kamerunmün­ dung war im Dezember 1885 eröffnet worden. Ihr zentrales Element war eine Darstellung der militärischen Unterwerfung indigener Krieger durch deutsche Truppen im Dezember 1884, wodurch die beabsichtigte Domi­ nanz und die Überlegenheit der Deutschen in Kamerun der deutschen Bevölkerung vor Augen geführt werden sollten. Christaller zeigte sich allerdings wenig beeindruckt. „[D]ie Gegend soll der Wirklichkeit genau entsprechen, wovon ich mich übrigens an Ort und Stelle überzeugen will“, lautete sein lapidarer Kommentar, um sich anschließend wesentlich ausführlicher der Beschreibung eines Besuchs im Berliner Aquarium zuzu­ wenden.146 Derart amtlich und inhaltlich präpariert, reiste Christaller am 12. No­ vember 1886 nach Hamburg. Dort traf er zur Besprechung der Ausreise­ modalitäten zunächst Adolph Woermann und bekam von diesem mit einem Tropenhelm eines der kolonialen Symbole schlechthin geschenkt. Nach dieser an einen Initiationsritus erinnernden Begebenheit wandte er sich an den Basler Missionsagenten R. Müller, der Christaller sprich­ wörtlich an die Hand nahm und ihn mit diversen persönlichen und schu­ lischen Ausstattungsgegenständen „nach dem Muster der ledigen Basler Missionare von der Missionsverwaltung zu deren Selbstkostenpreis bezo­ gen“147, wie es in der späteren Quittung vielsagend heißt, ausstattete.148 Auch in Hamburg erwies sich also die Auswahl Christallers durch die

145 BArch, R 1001/4070, Bl. 62. Christaller, Eine Reise, S. 2. Über den Inhalt die­ ser Besprechungen verraten die amtlichen Quellen nichts. Auch Christallers allgemeine und knappe Äußerung im Reisebericht beschränken sich auf bisher bekannte Informationen. 146 Christaller, Eine Reise, S. 3–4 (für das Zitat: S. 3). Zur Stellung des von Carl Planer, Louis Braun und Hans Petersen errichteten Kolonialpanorama im Rah­ men der Wissensproduktion über Kamerun beachte Short, John Phillip: Magic Lantern Empire. Colonialism and Society in Germany, Ithaca 2012, S. 1–9. Be­ achte zudem Weidauer, Astrid: Berliner Panoramen der Kaiserzeit, Berlin 1996, S. 26–27 sowie mit wortgleich übernommenen Passagen Zeller, Joachim: Das Berliner Kolonialpanorama, in: van der Heyden, Ulrich; Zeller, Joachim (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 154–157. 147 BArch, R 1001/4070, Bl. 94. Der Preis dieser Ausrüstungsgegenstände betrug 486,52 M. Hinzu kamen in Hamburg weitere Ausgaben in Höhe von 152,65 M für erste Einrichtungsgegenstände. 148 Christaller, Eine Reise, S. 4, 13. Böckheler, Theodor Christaller, S. 14.

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2. Konzeption und Ressourcen

damit einhergehende Möglichkeit, die Infrastruktur und das Wissen der Basler Mission nutzen zu können, als sehr vorteilhaft für die kolonialschu­ lischen Pläne des Auswärtigen Amtes. Es stand damit fest, dass die Chris­ taller‘sche Schule von der Ausstattung her kaum von einer gewöhnlichen Missionsschule zu unterscheiden sein würde und man sich in der Preußi­ schen Gesandtschaft in Hamburg, die eigentlich an der Stelle Müllers für Christaller zuständig gewesen wäre, um derlei nicht kümmern musste. Auffällig ist, dass die Quellen hierzu von keinerlei Dissonanz berichten, al­ so ein gewisses Einvernehmen bei den beteiligten Stellen für das beschrie­ bene Vorgehen angenommen werden kann. Des Weiteren sind von dem eigentlich der missionarischen Schultätigkeit skeptisch gegenüberstehen­ den Gouverneur von Soden keine Einwände gegen die Anstellung Chris­ tallers verzeichnet, hätte man doch annehmen können, dass dieser, wenn er schon der Form nach als Missionar ausreiste, auch wie ein Missionar unterrichten würde. Diese Art des Unterrichtens, welche die elementare Bildung der Evangelisierung weit unterordnete und zentral mit der Bibel in indigener Sprache operierte149, hätte von Sodens inhaltliche Pläne ad absurdum geführt. Dass dies nicht geschehen würde, konnte von Soden im Oktober 1886, als er von der Auswahl und Verpflichtung Christallers erfuhr150, schließlich nicht wissen. Dennoch ist eine Nachfrage seinerseits nicht überliefert. Mit einem Tag Verzögerung, am Abend des 16. November 1886, bestieg Christaller in Hamburg dann den Dampfer Adolf Woermann und begann damit die längste Etappe seiner Reise nach Kamerun.151 Ausgenommen einem Halt im französischen Cherbourg und ihrer Unterbrechung an der Goldküste verlief diese an sich durchaus gewöhnlich und folgte der allge­ meinen Dampferroute.152 Für Christaller aber bedeutete sie die erste Kon­ frontation seiner Vorstellungen mit der westafrikanischen Realität und

149 Vgl. Dah, Jonas N.: Missionary Motivations and Methods. A Critical Examina­ tion of the Basel Mission in Cameroon 1886–1914, Basel 1983, S. 97–98. 150 BArch, R 1001/4070, Bl. 49–50. 151 Christaller, Eine Reise, S. 14–15. 152 Von Hamburg aus fuhr der „‚Adolf‘“ über Dover (18.11.), Cherbourg (19.11.) und Cap Finisterre (22.11.) nach Madeira (25.11.). Anschließend erreichte man über die Stationen Gran Canaria (27.11.) und Teneriffa (28.11.) mit der Dakar vorgelagerten Insel Gorée (3.12.) die westafrikanische Küste. Dieser folgend er­ reichte Christaller am 22.12. Accra und nach der Wiederaufnahme der Reise am 3.1.1887 sieben Tage später die Mündung des Kamerunflusses, Christaller, Eine Reise, S. 21–24, 29–32, 37–40, 45–48, 53–54 (für das Zitat: S. 21). Böckheler, Theodor Christaller, S. 13–28.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

war damit alles andere als gewöhnlich. Aufschlussreich für Christallers Einstellungen gegenüber afrikanischen Bevölkerungsgruppen, seine Vorur­ teile und auch bereits Grundzüge seines pädagogischen Ansatzes ist in die­ sem Zusammenhang schon Christallers erste Begegnung mit einem jun­ gen Zentralafrikaner, der in Begleitung französischer Expeditionsteilneh­ mer in Cherbourg zustieg. Zwar spreche dieser „ordentlich Französisch“, so Christaller, er werde von seinen Begleitern aber „sehr verhätschelt […], weshalb er sich vor Hochmut gar nicht zu fassen weiß.“153 Christaller zeig­ te sich also zunächst erfreut über die europäischen Sprachkenntnisse des jungen Afrikaners, sprach ihm aber die Fähigkeit ab, mit dem Gelernten selbstständig umzugehen. Er ließ außerdem durchscheinen, dass dies sei­ ner Meinung nach auch nicht Sinn und Zweck der erlernten Fähigkeiten sei. Gleichzeitig nahm er die Begleiter des Jungen in die Pflicht, diesen zu überwachen. Durch deren von Christaller attestiertes Scheitern in der strengen Handhabe des Untergebenen sehe sich jener provoziert, seinen scheinbar definierten Platz in der Hierarchie zu verlassen. Der beschriebene Gedankengang verortet sich nun nicht nur in der oben skizzierten, vom Spannungsverhältnis von Fachlichkeit und Schul­ zucht bestimmten und Christaller qua Ausbildung prägenden Volksschul­ pädagogik, sondern weist auch signifikante Bezüge zu missionarischen Vorstellungen vom Umgang mit afrikanischer Bevölkerung auf. Chris­ taller prägten dabei offenkundig insbesondere paternalistische Vorstell­ ungen verbunden mit einem „negativ-intentionale[n] Afrikabil[d]“.154 Die­ se brachte Christaller noch deutlicher als in der obigen Schilderung in der Beschreibung eines Ladungsaufenthalts in Bissao zum Ausdruck, als er in der Beobachtung eines afrikanischen Zollaufsehers notierte: „Es [gibt] kaum etwas Widerlicheres, als so einen […], der sich für ge­ bildet hält und in seinem Dünkel weit auf die Weißen heruntersieht, besonders wenn er gar ein Amt hat.“155 Bildung auf afrikanischem Boden durfte also nach Christallers Ansicht und in Übereinstimmung mit missionarisch-paternalistischen Vorstell­ ungen156 unter keinen Umständen dazu führen, dass die bestehende Hie­ rarchie zwischen weißen Herren und schwarzen Untergebenen von die­

153 Christaller, Eine Reise, S. 22. 154 Vgl. zu den beiden Aspekten insbesondere Altena, Häuflein, S. 111–120, 144– 190 (für das Zitat: S. 111). 155 Christaller, Eine Reise, S. 32. Böckheler, Theodor Christaller, S. 21. 156 Vgl. Altena, Häuflein, S. 153–154.

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2. Konzeption und Ressourcen

sen untergraben werden konnte. Beide Begebenheiten machen außerdem deutlich, dass er – und in seinen Schlussfolgerungen folgte Christaller da­ mit ebenfalls der missionarisch-paternalistischen Denkweise157 – die Ver­ antwortung hierfür den Europäern zuschrieb, also auch ihm selbst. Den Europäern obliege es auch, überhaupt erst einmal für eine entsprechende Arbeitsmoral unter den Indigenen zu sorgen. Neben Langsamkeit und Faulheit zeichne Indigene Zaghaftigkeit, eine grenzenlose Naivität und Disziplinlosigkeit aus, worin Christallers weitere geistige Beheimatung im „negativ-intentionale[n] Afrikabild“ deutscher Missionspropagandisten deutlich wird.158 Die Disziplinlosigkeit, so meinte Christaller zu beobach­ ten, übertrage sich im Militärischen bisweilen sogar auf die stationierten weißen Soldaten, was nicht zuletzt zeigt, dass auch die diffusen Ängste vor zu großer Annäherung von Europäern und Indigenen, die insbesondere Bestandteil des kolonialen Diskurses um die ‚richtige Eingeborenenpolitik‘ waren, zu Christallers Vorstellungswelt gehörten.159 Weitere Beobachtungen während seines Aufenthalts an der Goldküste, wo er vom 22. Dezember 1886 bis zum 3. Januar 1887 seine Reise wie vorgesehen unterbrach, stimmten Christaller zunächst wenig optimistisch, dass er die Ziele der Hierarchiewahrung und der Disziplinierung erreichen würde. Zwar war es ihm nicht möglich, in der Zeit seines Aufenthalts wegen der Weihnachtsferien den dortigen Schulunterricht zu besuchen, was nicht seiner Planung, sondern der Verspätung des Dampfers zuzu­ schreiben war. Er konnte aber dennoch viel Zeit mit der Anschauung seiner zukünftigen Klientel verbringen. In seinem Bericht spart er hierzu nicht mit Beschwerden über den vermeintlichen Müßiggang („von selbst thun sie nichts“), die Behäbigkeit („Laufen sieht man einen [Afrikaner] nur, wenn er davonspringt, sonst geht es immer langsam voran.“) und ein von Ungeduld und Neid geprägtes Verhalten der Kinder und Jugendli­ chen, die sich in der Obhut der Basler Missionare in Accra befanden und deren Verhalten Christaller dort beobachten konnte. Allerdings kommt er trotz dieser negativen Schilderung abschließend zu dem allem vorherigen zunächst widersprechenden, auch nicht weiter ausgeführten Resümee, dass ihm „die Mehrzahl der Schüler gefallen“ habe.160 Zieht man nun aber 157 Vgl. ebd., S. 155, 159–160. 158 Christaller, Eine Reise, S. 30. Vgl. Altena, Häuflein, S. 111 (für das Zitat). 159 Christaller, Eine Reise, S. 31–32, 45. Siehe etwa Dove: Verkafferung, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 606. Vgl. Kundrus, Birthe: Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich im Spiegel seiner Ko­ lonien, Köln 2003, S. 80–81. 160 Christaller, Eine Reise, S. 39, 45 (für die Zitate: S. 45).

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hinzu, dass Christaller gleichzeitig davon überzeugt war, dass man Afrika­ nern den von ihm beobachteten Müßiggang nicht vorsätzlich vorwerfen könne, sondern vielmehr mangelndes Konkurrenzbewusstsein und eine grundsätzliche Bedürfnisarmut als tieferliegende Ursache zu bestimmen seien, löst sich dieser vermeintliche argumentative Widerspruch auf und auch Christallers optimistische Schlussfolgerung fügt sich in sein zuvor beschriebenes, maßgeblich von missionarischen Vorstellungen geprägtes Afrikabild. Mangelndes Konkurrenzbewusstsein und Bedürfnisarmut führ­ ten laut Christaller dazu, dass sich ein Indigener nie wirklich anstrengen müsse. Antrieb erfolge nur von außen, lautete darum Christallers allgemei­ ne Schlussfolgerung, die mit der von ihm vertretenen Verantwortung der Europäer für das Verhalten indigener Untergebener korrespondiert und für den unterrichtlichen Zusammenhang die vollkommene Fokussierung auf die extrinsische Motivation der Schülerschaft bedeutete.161 Neben dieser auf eine rigide und strenge Unterrichtsführung zielenden Haltung, deren spätere Praxis Christaller im Frühjahr 1889 ob erhebli­ cher Reibungsverluste und hoher Schulabbrecherquoten negative Kritik vonseiten des Gouverneurs von Soden einbringen sollte,162 klingt in den Beschreibungen Christallers schließlich auch eine paternalistische Zuge­ wandtheit zu indigener Eigenart mit, die ebenfalls unter Missionaren weit verbreitet war.163 Diejenigen, die sich landestypisch kleideten, in den Au­ gen Christallers damit „in ihrem ganzen Wesen und Gesichtsausdruck einen recht günstigen Eindruck“ machten, seien denjenigen vielfach vor­ zuziehen, die europäische Kleidung trugen und dadurch vorgaben, mehr

161 Christaller, Eine Reise, S. 46 (auch für das Zitat). Zur sehr ähnlichen Feststel­ lung kam seinerzeit auch Alexander Merensky in seinem 1886 von der Deut­ schen-Ostafrikanischen Gesellschaft prämierten Aufsatz zur Frage ‚Wie erzieht man am besten den […] zur Plantagen-Arbeit?‘. Darin bescheinigte er gewissen „höher veranlagten schwarzen Stämmen Afrikas“, nicht aus gänzlicher Abwe­ senheit von Bedürfnissen oder Faulheit die Arbeit für Europäer zu verweigern, sondern behauptete, dass vielmehr die geringe Bevölkerungsdichte Afrikas Ur­ sache mangelnder Konkurrenz sei. „[D]eshalb brauchen die Bewohner dieses Erdtheils weder unter einander noch bei den Weißen zu dienen, sie finden ihren Unterhalt auf leichtere Weise“, Merensky, Alexander: Wie erzieht man am besten den […] zur Plantagen-Arbeit?, Berlin 1886, S. 6–8 (für die Zitate: S. 6, 8). Zur weiteren Einordnung beachte Sippel, Harald: „Wie erzieht man am besten den […] zur Plantagen-Arbeit?“, in: van der Heyden, Ulrich; Zeller, Joachim (Hg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Stuttgart 2007, S. 391–394. 162 BArch, R 1001/4072, Bl. 54, 130–133. 163 Vgl. Altena, Häuflein, S. 177–179.

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zu sein, als sie der Auffassung Christallers nach tatsächlich waren.164 Die logische Schlussfolgerung dieser Auffassung und gleichzeitig auch Essenz der Vorstellungswelt Christallers lautete damit: Selbst wenn Indigene also durch den Schulunterricht zu mehr befähigt wären als zuvor, sollten sie sowohl ihrer inneren Haltung als auch ihrer äußeren Erscheinung nach in ihrer bewährten, althergebrachten Verfassung bleiben. Die Parallelen zwischen diesem und dem schulpolitischen Reformparadoxon von Fach­ lichkeit und Schulzucht im Reich liegen dabei auf der Hand und zeigen nicht zuletzt die Anschlussfähigkeit von Volksschulpädagogik und missio­ narischem Afrikabild. Während seiner Reise lernte Christaller zudem weiter Duala und erhielt auf dem Weg von Accra zur Kamerunmündung dabei die Hilfe eines jungen Duala namens Teke. Dieser habe, so Christaller, Jesko v. Puttkamer nach Deutschland begleitet und spreche nun gut Deutsch. Auch konnte sich Christaller nicht des Kommentars enthalten, Teke sei „viel besser erzo­ gen, als der junge [Afrikaner] vom Kongo, den die Franzosen […] bei sich gehabt hatten“165, und bewies damit die Nähe zur Vorstellung, dass die Art des Umgangs mit der indigenen Bevölkerung direkt mit der Nationalität der Kolonisatoren zusammenhing.166 Vom gleichen Nationalstolz erfüllt, beschrieb Christaller dann auch seine Ankunft an der Küste Kameruns, insbesondere das Erblicken des Kamerunberges: „Mit Wohlgefallen betrachtete ich die schönen Bergformen, nachdem ich lange nur flache Ufer gesehen hatte, und es war mir ein ganz angenehmes Gefühl, zu wissen, da[ss] dieser Berg zu Deutschland ge­ hört.“167 Gleichzeitig verschwieg Christaller seinem deutschen Lesepublikum aber auch nicht, dass sich die Kolonie als solche bei seiner Ankunft am 10. Ja­ nuar 1887 als kaum mehr als ein Provisorium beschreiben lassen konnte. Insbesondere war es aufgrund vieler Verzögerungen und Probleme bei der Errichtung von Häusern nicht möglich, für Christaller eine Wohnung

164 Christaller, Eine Reise, S. 45–46 (für das Zitat: S. 46). Christaller versieht die Darstellung Indigener in europäischer Kleidung mit scharfer Polemik, nennt Indigene in weißen Anzügen gar „ekelhaft“. 165 Christaller, Eine Reise, S. 47. Böckheler, Theodor Christaller, S. 24–25. 166 Siehe zu diesem Motiv des kolonialen Nationalismus die zwar erst etwa 20 Jahre später erschienene, aber dieses Motiv dennoch bestens illustrierende Karrikatur „Kolonialmächte“ von Thomas Theodor Heine, siehe Heine, Thomas Theodor: Kolonialmächte, in: Simplizissimus, Jg. 9 (1904), Heft 6, S. 55. 167 Christaller, Eine Reise, S. 54. Böckheler, Theodor Christaller, S. 27.

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oder auch nur ein Zimmer in einem der schon bestehenden Regierungsge­ bäude freizumachen. Die provisorische Gestalt der Kameruner Kolonie mag durch die Tatsache unterstrichen werden, dass beispielsweise erst Mit­ te des Jahrs 1887 das Haupthaus des Gouvernements nach einigen Verzö­ gerungen im Bauprozess fertiggestellt wurde und auch ab dann der Gou­ verneur erst über eine Wohnung und einen ständigen Dienstsitz verfügte. Für Christaller aber zahlte sich erneut seine gute Verbindung zur Basler Mission aus. Diese bot ihm für die ersten Tage seines Aufenthalts in Kame­ run ein Zimmer in der Missionsstation an, bevor er wenig später in der Faktorei von Jantzen und Thormälen, dem neben Woermann vor Ort am stärksten vertretenen deutschen Unternehmen, zur Miete unterkam.168 Angesichts dieser Umstände verwundert es auch nicht, dass sowohl der Ort als auch das Gebäude für die Schule bisher nicht existierte. Diese für einen raschen Schulbeginn hinderliche und damit für die Pläne des Auswärtigen Amtes negative Situation bedeutete für Christaller allerdings die Gelegenheit, aktiv auf die Art der Implementierung der Schule einzu­ wirken, und bedingte seine Rolle als zunehmend bestimmende Person in der Generierung schulischen Herrschaftswissens. Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Ideenwelt Christallers widmet sich der nachfolgende Abschnitt darum diesem Implementierungsprozess in seiner herrschaftspo­ litischen Dimension.

2.1.5 Der Ort, die Sprache, das Schulhaus: Die herrschaftspolitische Positionierung der Schule Die Auswahl des Schulstandortes bot Christaller kurz nach seiner Ankunft einen ersten Zugang zu den Funktionsweisen des Aushandlungsprozesses in der jungen Kolonie. In dieser war die Regierung nicht nur auf die Unterstützung der Mission und der ansässigen Unternehmen angewiesen, sondern auch auf die wechselseitige Zusammenarbeit mit den indigenen Anführern. Letzteres traf umso mehr für den schulischen Bereich zu, wollte Gouverneur von Soden sein eingangs geschildertes Vorhaben einer substanziellen Kofinanzierung der Schule durch die indigenen Anführer tatsächlich umsetzen. Von Seiten des Reichsetats standen dem Kameruner Schulfonds im Januar 1887 nach wie vor nur 5.000 M zur Verfügung, wo­

168 BArch, R 1001/4070, Bl. 72. Christaller, Eine Reise, S. 55. Böckheler, Theodor Christaller, S. 30. Schran, Bauthätigkeit, S. 229–230. Vgl. auch Altena, Häuflein, S. 40.

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bei sich schon allein die Kosten für Christallers Ausrüstung und Anreise auf rund 1.200 M beliefen.169 Dies bedeutete, dass das Gouvernement ohne zusätzliche Mittel nicht einmal Christallers Gehalt im ersten Jahr würde zahlen können. Klar war schon jetzt, dass die Mittel aus dem Schulfonds, die für die laufenden Kosten bestimmt waren, keinesfalls auch für den Schulbau zur Verfügung stehen würden. Insofern hatte von Soden bei sei­ ner Etat-Anmeldung für das Rechnungsjahr 1887/88 hierfür schon weitere 8.000 M beantragt, musste aber bereits im Februar 1887 konstatieren, dass diese Mittel selbst bei einem nun prognostizierten maximalen Kostenbei­ trag von 4.000 M durch die indigene Bevölkerung wohl nicht ausreichen würden.170 Diese akute finanzielle Lage bestimmte schließlich neben der lokalen Herrschaftsarchitektur die Auswahl des Schulstandortes am Rande von Bonamandone, also im Einflussbereich von Chief Bell,171 und veranlasste Christaller in einem am 20. April 1887 im Berliner Volksblatt veröffent­ lichten Brief an einen „Seminarfreund in Deutschland“ dazu, festzuhalten, man habe ihn „[g]leich nach [s]einer Ankunft […] sa[m]t dem Schulhaus an den Mei[s]tbietenden versteigert.“172 Wie sehr das koloniale Schulpro­ jekt in dieser Phase von der Mitwirkung der indigenen Anführer abhing, zeigt auch, dass in den Verhandlungen um den Schulstandort die Zahl der Schulplätze, die den umliegenden indigenen Anführern zustehen sollten, ausgehandelt wurden. Von den 32 Schülern, mit denen Christaller am 24. Februar 1887 die Schule eröffnen sollte, stammten zehn aus Bonaman­ done, acht aus Bonaduma und je sieben aus Bonapriso und aus Bojongo.173 Um Konkurrenzen zu vermeiden, wurde das ebenfalls benachbarte Bona­ ku ausgelassen, wo die Missionsschule der Basler Mission ihren Sitz hatte und das zum Einflussbereich des Chiefs Dika Mpondo Akwa zählte. Er hatte neben Bell seinerzeit die ersten ‚Schutzverträge‘ unterzeichnet und

169 BArch, R 1001/4070, Bl. 71, 94. 170 BArch, R 1001/4070, Bl. 63–65, 76–79. 171 BArch, R 1001/4070, Bl. 76–79. Ploeg, Education, S. 104–105. Zu Dumbe Lobe Bell beachte auch Kapitel 2.1.1. 172 BArch, R 1001/4070, Bl. 92. Siehe auch Böckheler, Theodor Christaller, S. 31– 32. 173 BArch, R 1001/4070, Bl. 76–79, 130–133. Vgl. Eckert, Duala, S. 118–119. Die genannten Dörfer befanden sich der näheren Umgebung Bonamandones und wurden im Verlaufe der deutschen Kolonialherrschaft in die entstehende Kolo­ nialmetropole Duala eingefasst, vgl. ebd., S. 99–103. Heute sind die Orte Stadt­ teile der Hauptstadt Kameruns, Douala.

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behauptete sich seitdem als einer der lokalen Orientierungspunkte für die Deutschen.174 Die Positionierung der Schule in dem von gegenseitiger Abhängigkeit geprägten Machtgefüge von Regierung, Mission und indigenen Anführern wurde außerdem von ihrer geographischen Lage unterstützt. Am Rand des Dorfes Bonamandone liegend, umgeben von lokalen Wohnhäusern und durch eine nur über eine Brücke zu überwindende natürliche Senke getrennt von der Bebauung des Gouvernements, fügte sie sich symbolisch in die politische Landschaft der Kameruner Küste ein.175 Da Christaller in Ermangelung eines Neubaus im ersten Jahr des Bestehens der Schule zudem in einem Langhaus176, welches sich an der Stelle befand, wo später die eigentliche Schule stehen würde, unterrichtete, fiel die Schule zunächst auch optisch allenfalls durch die Präsenz ihres europäisch gekleideten Leh­ rers und die vor der Schule angebrachte deutsche Schulglocke auf.177 Die Schule hatte so in ihrer Anfangszeit den Charakter eines unauffälli­ gen Brückenkopfes, durch den sich die Beziehungen zwischen dem Gou­ vernement und den indigenen Anführern, darunter insbesondere Chief Dumbe Lobe Bell, beeinflussen ließen. Christaller fiel dabei die Funktion eines Verbindungsmannes zu und wurde durch seine Sprachkenntnisse sowie seinen Einfluss auf die Schüler, die sich in großer Zahl aus Söhnen

174 Christaller, Eine Reise, S. 56, 61–63. Vgl. Altena, Häuflein, S. 40. Austen, Ralph A.; Derrick, Jonathan: Middlemen of the Cameroons Rivers. The Duala and their Hinterland, c.1600–c.1960, Cambridge 1999, 103–108. Gründer, Ge­ schichte der deutschen Kolonien, S. 91. Schaper, Chieftaincy, S. 196–197. 175 Schran, Bauthätigkeit, S. 230. Zur Perspektive der Missionen auf dieses Abhän­ gigkeitsverhältnis beachte Wendt, Helge: Die missionarische Gesellschaft. Mi­ krostrukturen einer kolonialen Globalisierung, Stuttgart 2011, S. 230–231. 176 Das Haus befand sich im Besitz der Missionsgemeinde von Bonaku und wurde unter Billigung Bells für den geringen Betrag von monatlich 3 M vorüberge­ hend angemietet. Nach Fertigstellung des neuen Schulhauses sollte das Lang­ haus für einen Entschädigungsbetrag von 30 M ab- und an einem neuen Ort wieder aufgebaut werden, BArch, R 1001/4070, Bl. 76–79. Christaller, Eine Reise, S. 56. 177 Die Schulglocke, die Christaller aufgrund einer privaten Sammlung aus der württembergischen Heimat erhielt, trug die Aufschrift: „Beim Glockenschall – Kommet All! / Lernt mit Fleiß –: Zu Gottes Preis / Und Deutschlands Ruhm, in Kamerun. / Eßlingen, im September 1887.“, BArch, R 1001/4071, Bl. 5. Böckhe­ ler, Theodor Christaller, S. 33. Zum Aspekt der zeitlichen Disziplinierung, die auch durch diese Glocke offenkundig beabsichtigt wurde, beachte Kapitel 2.2.4. Beachte auch eine – allerdings leider undatierte – Fotografie der Umgebung des Schulhauses, die Böckheler in seiner Biographie verwendet, Böckheler, Theodor Christaller, S. 45.

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von Chiefs zusammensetzten, zu einem wichtigen politischen Akteur im Prozess des Aushandelns von Herrschaft vor Ort, zu dem insbesondere in der Zeit des Aufbaus kolonialadministrativer Strukturen starke Bestre­ bungen zur hierarchischen Einhegung und Instrumentalisierung lokaler Herrscher gehörten.178 Nicht nur waren sieben der zehn Bonamandoner Schüler Bells Söhne, mit Christallers Assistent Josef Bebe Bell, der für einen monatlichen Lohn von 40 M als Hilfslehrer angestellt wurde, war auch ein Neffe Bells am Schulunterricht beteiligt. Josef Bebe Bell sprach Englisch und konnte Christaller damit als Dolmetscher, Unterrichtsgehil­ fe und Sprachlehrer unterstützen. Mithin bildete er, da er zwar formal untergeordnet, aber dennoch gemeinsam mit Christaller unterrichtete, ein weiteres Vehikel der Vermittlung zwischen Gouvernement und indigener Bevölkerung.179 Schließlich war Josef Bell zu Beginn des Schuljahres im Unterricht stets als Dolmetscher an der Seite Christallers, der noch zu we­ nig Duala sprach, um selbst direkt Arbeitsanweisungen geben zu können. Zudem übersetzte er deutsche Lieder ins Duala und unterstützte Christal­ ler so bei dessen nachmittäglichen Bestrebungen, eine erste Lesefibel für den Unterrichtsgebrauch zu erstellen.180

178 Vgl. Austen/Derrick, Middlemen, S. 95–97. Schaper, Chieftaincy, S. 197. 179 BArch, R 1001/4070, Bl. 76–79, 130–133. Christaller, Eine Reise, S. 63. 180 BArch, R 1001/4070, Bl. 130–133. Auch Njo Dibone, ein Neffe Diko Mpondo Akwas, des zweiten neben Dumbe Lobe Bell von den deutschen Kolonialisten als Orientierungspunkt im lokalen Herrschaftsgeflecht identifizierten Chiefs, war maßgeblich an der sprachpolitischen Erschließung des Duala durch die Deutschen beteiligt. Njo Dibone reiste 1885 nach Deutschland, um von Carl Meinhof Deutsch zu lernen und gleichzeitig diesem Duala beizubringen. Mein­ hof nutzte dann dieses Wissen als Ausgangspunkt seiner Befassungen mit dem Duala, Meinhof, Carl: Die Sprache der Duala in Kamerun, Berlin 1912, S. IV. Vgl. Pugach, Africa, S. 141–142. Siehe auch: Pugach, Sara: Of Conjunctions, Comportment, and Clothing: The Place of African Teaching Assistants in Berlin and Hamburg, 1889–1919, in: Tilley, Helen; Gordon, Robert J. (Hg.): Ordering Africa. Anthropology, European Imperialism, and the Politics of Knowledge, Manchester 2007, S. 119–144.

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Christaller und seine Schüler vor dem ersten Schulgebäude (1887) Mit der Erstellung einer Lesefibel begab sich Christaller gleich zu Beginn seiner Tätigkeit in Kamerun auf das Feld der Sprachpolitik und damit in einen Kernbereich der kolonialen und missionarischen Wissensgenerie­ rung.181 Die Erstellung einer Lesefibel erachtete Christaller insbesondere aus drei Gründen für notwendig. Zunächst konstatierte er, dass die weni­ gen verfügbaren dualasprachigen Lehrbücher „sehr fehlerhaft“ seien und ihm außer deutschen Büchern und der Bibelübersetzung Alfred Sakers182, die in den Missionsschulen verwendet wurde, weder Schulbücher noch sonstige Arbeitsmaterialien für den Unterricht im Duala zur Verfügung stünden.183 Diese Diagnose kann nicht verwundern, hatte sich die Missio­ narslinguistik seit ihrer Entstehung im Zuge des Beginns der europäischen Expansion Ende des 15. Jahrhunderts doch insbesondere selbstreferentiell mit indigenen Sprachen befasst, das gewonnene Wissen also vor allem

181 Vgl. Zimmermann, Missionarslinguistik in kolonialen Kontexten, S. 186, 189– 190. 182 Saker, Alfred: Kalati ya loba, `mbun a penya ya sango moongiseri asu Jezu Krais, 2. Aufl., ohne Ort 1882. Kühnle, Die Arbeitsstätten der Basler Mission, S. 62. 183 Christaller, Theodor: Fibel für die Volksschule in Kamerun 1, Duala, Berlin 1888, S. 3. Christaller, Eine Reise, S. 63 (auch für das Zitat).

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dazu genutzt, Lehrwerke für eigene, neu im Missionsgebiet eingetroffene Missionare zu schaffen. Indigene kamen dann meist nur mit den Bibel­ übersetzungen und Katechismen in Kontakt. Diese waren zwar bisweilen zweisprachig abgefasst, sollten damit aber lediglich denjenigen Missiona­ ren Orientierung geben, die sich noch im Prozess des Spracherwerbs be­ fanden.184 Der Nutzen solcher Werke für den von Christaller beabsichtig­ ten Zweck des Elementarunterrichts für eine indigene Schülerschaft darf also in der Tat stark bezweifelt werden. Christallers zweite Begründung betraf die Aussprache des Duala, die ihm völlig willkürlich und ohne Regeln zu sein schien. Zu einer der ersten sprachpolitischen Maßnahmen, die dem Erstellungsprozess der Fi­ bel entsprangen, gehörte darum die vorläufige Fixierung der Aussprache auf diejenige, die im Umkreis von Chief Bell genutzt wurde. Dies war für die alltägliche Unterrichtspraxis eine, wenn auch künstliche, so doch erhebliche Vereinfachung hinsichtlich der Unterscheidung von ‚richtiger‘ und ‚falscher‘ Aussprache und hatte darüber hinaus den für das deutsche Gouvernement vorteilhaften Effekt, den nützlichen Verbündeten Bell zu stützen und weiter an sich zu binden.185 Dass Letzteres eintrat, war insbe­ sondere durch die Unterstützungshandlung selbst, die Bell einen kommu­ nikativen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffte, sehr wahr­ scheinlich, da für Chiefs die Zusammenarbeit mit der Kolonialverwaltung sowohl Vor- aber auch Nachteile hinsichtlich der eigenen Machtstellung gegenüber lokalen Konkurrenten, letztlich aber auch im Verhältnis zu ihren Befehlsempfängern hatte. Im Ergebnis entstand dann in der Regel ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis, in welchem die Handlungen der Kolonialverwaltung und der Chiefs zwischen Freundschaft und Feind­ schaft oszillierten und welches im Falle des hier zum Gegenstand stehen­ den Verhältnisses zwischen dem Kameruner Gouvernement und Chief Bell zumindest bis zur Verlagerung des Sitzes des Gouvernements von der Mündung des Kamerunflusses nach Buea Bindung ausdrückt und wichtige Stütze der dortigen kolonialen Herrschaft war.186 Die Festlegung der Aussprache bedeutete unter linguistischen Gesichts­ punkten zudem die Ermöglichung einer normativen Verschriftlichung des 184 Vgl. Zimmermann, Missionarslinguistik in kolonialen Kontexten, S. 169–170, 181. 185 BArch, R 1001/4071, Bl. 56, 66. Christaller, Fibel, Duala, S. 3. 186 Vgl. Austen/Derrick, Middlemen, S. 97–98. Schaper, Chieftaincy, S. 197, 209– 211. Siehe Verlegung des Sitzes der Centralverwaltung, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 358. In Dualla, wie der Ort mittlerweile genannt wurde, verblieb allerdings ein Bezirksamt, siehe ebd.

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Duala und damit die Schaffung einer Basis für die lexikographische und die grammatikalische Erschließung der Sprache. Sie ist sprachwissenschaft­ lich als erster Schritt der Kodifizierung innerhalb der Korpusbildung zu identifizieren, wich allerdings von ihren missionarslinguistischen Vorbil­ dern hinsichtlich der Zielgruppe der Maßnahme ab.187 Christaller adres­ sierte schließlich in erster Linie nicht das europäische Publikum oder ihm nachfolgende Lehrerinnen und Lehrer, sondern die eigentlichen Mutter­ sprachler, die ihm im Unterricht gegenübersaßen, und versuchte, deren Sprachgebrauch direkt zu normieren. Christallers dritte Begründung der Notwendigkeit der Fibelerstellung erwuchs aus dem Umstand, dass sein Gehilfe Josef Bell für Christallers Geschmack bisweilen zu wörtlich übersetzte und Christaller der Auffas­ sung war, dass „einer Sprache [damit] immer etwas Gewalt ange[t]an“ werde.188 Dies kann jedoch höchstens als eine vordergründige Rechtfer­ tigung von Eingriffen in die Sprache der Duala gewertet werden und nicht darüber hinwegtäuschen, dass die tatsächlichen Ziele der Fibelerstel­ lung in einer von außen kommenden Ordnung und Systematisierung des Duala lagen. Das klassisch kulturimperialistische und Christallers Verdre­ hung des Ausgangspunktes potentieller epistemischer Gewalt offenlegen­ de Begründungsmotiv dieses Vorgehens lieferte dieser in seinem ersten Schulbericht aus dem September 1887, in welchem er befand, dass das Duala unter „Wortarmut“ leide und damit die Vermittlung abstrakter Begriffe erschwert bis verhindert werde.189 Diesem von ihm festgestellten Wortschatzproblem des Duala begegnete Christaller mit der Einführung lateinischer und deutscher Begriffe ins Duala. Er folgte damit der etablier­ ten Strategie kolonial- und missionarslinguistischer Sprachpolitik, deren Vorbild stets die lateinische Grammatik war, und öffnete die Sprache für europäische Ideen und Vorstellungen.190 Bei diesem massiven Eingriff in 187 Vgl. Marten, Sprach(en)politik, S. 25. Stolberg, German in the Pacific, S. 319, 323. Zimmermann, Missionarslinguistik in kolonialen Kontexten, S. 181–182. 188 BArch, R 1001/4071, Bl. 56. Vgl. Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolo­ nialpädagogik, Dok. 66, S. 246. 189 BArch, R 1001/4070, Bl. 130–133 (für das Zitat: S. 133). Siehe auch Böckheler, Theodor Christaller, S. 53–55. Vgl. Phillipson, Robert: Imperialism and Colo­ nialism, in: Spolsky, Bernard (Hg.): The Cambridge Handbook of Language Policy, Cambridge 2012, S. 203–225, hier: S. 206. Beachte zur großen Bedeutung dieses Motivs im Bereich der Missionarslinguistik Zimmermann, Missionarslin­ guistik in kolonialen Kontexten, S. 182. 190 BArch, R 1001/4071, Bl. 56, 66. Vgl. Zimmermann, Missionarslinguistik in kolonialen Kontexten, S. 182. Cyffer, Norbert: Koloniale Sprachpolitik. Der Beitrag der deutschen Afrika-Linguistik, in: Bruchhaus, Eva-Maria; Harding,

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die kulturelle Souveränität der Duala hatte Christaller die volle Unterstüt­ zung Gouverneur von Sodens, der meinte, im Duala die „reichste“ Sprache Kameruns zu erblicken, und deshalb beabsichtigte, diese ohne Beachtung der sprachlichen Diversität des Landes zur allgemeinen „Verkehrs- und Schriftsprache“ in der gesamten Kolonie zu erheben.191 Christallers Unterrichtspraxis unterstrich diesen auf kulturelle Domi­ nanz zielenden Ansatz sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der metho­ dischen Ebene. Der Lehrplan war durchweg europäisch und beinhaltete verteilt auf 20 Wochenstunden Lesen und Schreiben, Rechnen, Singen sowie Unterricht im Deutschen in einer für Kamerun angepassten Form deutschen Volksschulunterrichts: Im Lese- und Schreibunterricht lehrte Christaller unter Zuhilfenahme von aus Deutschland mitgebrachten Buch­ staben aus Pappe zunächst „das kleine und große lateinische Al[ph]abet“ und ließ seine Schüler dann die gelernten Buchstaben auf ebenfalls mit­ gebrachten Schiefertafeln schreiben.192 Das hiermit verbundene Ziel war das Lesen von in Duala geschriebenen Texten. Anschließend wendete er sich dem kleinen deutschen Alphabet zu und befähigte seine Schüler zum Lesen in einer mitgebrachten württembergischen Fibel, bevor er Anfang September 1887 mit dem Schreibunterricht mit Tinte und Feder begann. Mit Schulbeginn hatte Christaller zudem mit dem Deutschunterricht be­ gonnen, war zum Berichtszeitpunkt im September 1887 aber noch nicht über die „Einübung einzelner Wörter und Sätze“ hinausgekommen.193 Im Rechenunterricht lehrte Christaller Addition und Subtraktion, was ihm dadurch erleichtert wurde, dass den Duala die arabischen Zahlen be­ kannt waren. Problematisch gestaltete sich die Verwendung von Fachaus­ drücken, die in der lokalen Sprache bis dato nicht existierten. Im Singen konnte Christaller nach einigen Schulwochen auf die Übersetzungsarbei­ ten Josef Bells zurückgreifen und mit Liedern wie „,Heil unserm König‘“

Leonard (Hg.): Hundert Jahre Einmischung in Afrika. 1884–1984. Jahrestag der Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland, Hamburg 1986, S. 165–187, hier: S. 165–166. 191 BArch, R 1001/4071, Bl. 38–40 (für die Zitate: S. 38). Siehe das Dokument in gekürzter Form, leider ohne die hier wichtige Passage, bei Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 111, S. 378–379. Siehe auch: Makoni, Sinfree; Makoni, Busi; Abdelhay, Ashraf; Mashiri, Pedzisai: Colonial and Post-Colonial Languages Policies in Africa: Historical and Emerging Land­ scapes, in: Spolsky, Bernard (Hg.): The Cambridge Handbook of Language Policy, Cambridge 2012, S. 523–543, hier: S. 530–532. 192 BArch, R 1001/4070, Bl. 130–133 (für das Zitat: B. 132). 193 BArch, R 1001/4070, Bl. 130–133 (für das Zitat: S. 133).

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und „,Ich hatt‘ einen Kameraden‘“ keinen Zweifel darüber bestehen las­ sen, dass es sich um eine deutsche Schule handele, die er leitete.194 Das einzige indigene Element der Schule war ihre Schülerschaft, die Christaller dadurch disziplinierte, dass er ihnen mit der Aberkennung guter Noten drohte, was betroffene Schüler wiederum in einer klasseninternen Ranglis­ te absteigen ließe.195 Christallers Vorgehen im Unterricht war damit nicht besonders innova­ tiv. Es entsprach seiner aus Europa mitgebrachte Auffassung einer sozial­ disziplinierenden, aber fachlich im Grundsatz modernen Schule und dem Geist der europäischen Überlegenheit, welcher auch seine weiter oben skizzierten Einstellungen und Vorurteilen gegenüber Afrikanern prägte. Ihre Bedeutung erlangte Christallers Unterrichtspraxis aber auch nicht ob ihrer Originalität, sondern vielmehr durch den in der Fibelerstellung ange­ legten Prozess der Paradigmatisierung dieser Praxis, die er in den Folgejah­ ren beständig vorantrieb und die Christaller schon im November 1887 die Anerkennung in höchsten Regierungskreisen und den förmlichen Dank des Reichskanzlers einbrachte.196 Dieser Würdigung folgte Mitte 1889, als sich Christaller auf Heimaturlaub in Deutschland befand, ein Frühstück mit dem Reichskanzler in Friedrichsruh, bei dem Christaller nach Aus­ kunft seines Biographen „mit anerkennenden Worten erfreut wurde“.197 Christallers Fibel bestand im Ganzen aus drei Teilen: Teil I bildete die eigentliche Duala-Fibel, Teil II war eine für den dortigen Unterricht an­ gepasste deutsche Lesefibel und Teil III beinhaltete eine deutsche Sprach­ lehre für den Unterricht von Duala-Schülern.198 Unter maßgeblicher Ko­ ordinierungshilfe seines Vaters und nach einer durch Gouverneur von Soden angeregten Revision durch den Missionar und Sprachforscher Carl Gotthilf Büttner ging sie im Frühjahr 1888 bei Carl Heymanns Verlag in den Druck und erreichte Kamerun schließlich im Juni des gleichen Jahres.199 Dort wurde Christallers Fibel umgehend zum Standardwerk in

194 195 196 197 198

BArch, R 1001/4070, Bl. 130–133 (für die Zitate: S. 132). BArch, R 1001/4070, Bl. 130–133. BArch, R 1001/4070, Bl. 135. Böckheler, Theodor Christaller, S. 69. Anfänglich erschien die Fibel in zwei Bänden: Christaller: Fibel, Duala, Berlin 1888. Christaller, Theodor: Fibel für die Volksschule in Kamerun 2/3, Deutsch, Berlin 1888. Beachte auch Christallers Manuskripte, BArch, R 1001/4071, Bl. 59–60. 199 BArch, R 1001/4070, Bl. 117–118, 153–154. BArch, R 1001/4071, Bl. 50, 68–69, 94–96. Das Interesse von Carl Heymanns Verlag war derart groß, dass dieser Druck und Verlag auf eigenes Risiko übernahm, BArch, R 1001/4070, Bl. 122,

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2. Konzeption und Ressourcen

der Vermittlung des Duala sowie des Deutschen an Duala-Schüler und zum allgemeinen unterrichtlichen Leitfaden. Gleichzeitig wurde insbeson­ dere der erste Teil der Fibel, welcher sich mit dem Duala beschäftigte, auch von der zeitgenössischen deutschen Koloniallinguistik anerkennend rezipiert und war damit eines der wichtigsten Grundlagenwerke sprach­ wissenschaftlicher Befassung mit dem Duala.200 Der von ihm zusammengetragene Grundbestand an Informationen über das Duala wurde von Christaller in den folgenden Jahren beständig aus­ gebaut. Weil er seine eigenen Sprachkenntnisse noch als zu gering ein­ schätzte und auch die Wirksamkeit seiner Maßnahmen überprüfen wollte, kündigte Christaller in einer Erläuterung zur Entstehung der ersten Fibel schon eine zweite Auflage an. Überarbeitete und konzeptionell ausgereifte­ re Neuauflagen und Nachdrucke erfolgten schließlich in den Jahren 1892 und 1895 sowie posthum 1899 und 1902.201 An der Fibel orientierten sich nicht nur Christallers Kollegen, die in den späteren Jahren mit und nach

150, 152. Beachte zur Revision Büttners: BArch, R 1001/4070, Bl. 119–120, 153–154, 159–160. BArch, R 1001/4070, Bl. 51. Zu Büttners Mitwirken an der Etablierung der institutionellen kolonialen Sprachforschung am Seminar für orientalische Sprachen in Berlin als erste Leitdisziplin deutscher Afrikanistik beachte Burchardt, Lothar: The School of Oriental Languages at the University of Berlin – Forging the Cadres of German Imperialism?, in: Stuchtey, Benedikt (Hg.): Science across the European Empires, 1800–1950, Oxford 2005, S. 63– 105. Stoecker, Holger: Afrikanistik in Deutschland, in: Habermas, Rebekka; Przyrembel, Alexandra (Hg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialis­ mus und Wissen in der Moderne, Göttingen 2013, S. 175–185. Siehe insbeson­ dere auch Kapitel 2.2.2. 200 Meinhof, Carl: Das Zeitwort in der Duallasprache. Nach schriftlichen und mündlichen Mitteilungen grammatisch dargestellt, in: Zeitschrift für afrikani­ sche Sprachen, Jg. 2 (1888/1889), S. 1–34, hier: S. 2. Meinhof, Carl: Die Sprach­ verhältnisse in Kamerun. Versuch einer übersichtlichen Darstellung unter Be­ nutzung der im Auftrage des auswärtigen Amts gemachten Aufzeichnungen, in: Zeitschrift für afrikanische und oceanische Sprachen. Mit besonderer Be­ rücksichtigung der Kolonien, Jg. 1 (1895), S. 138–163, hier: S. 144. Meinhof, Sprache, S. III-IV. Seidel, August: Leitfaden zur Erlernung der Dualla-Sprache in Kamerun, mit Lesestücken, einem Dualla-Deutschen und einem Deutsch-Dual­ la Wörterbuch, Berlin 1892, S. III. 201 BArch, R 1001/4071, Bl. 56. Beachte auch Christallers Memorandum zur Schul­ bucherstellung im Februar 1893, BArch, R 1001/4073, Bl. 63–64. Christaller, Theodor: Fibel für die Volksschule in Kamerun, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1892. Christaller, Theodor: Fibel für die Volksschule in Kamerun, Frankfurt am Main 1895. Christaller, Theodor: Fibel für die Volksschulen in Kamerun, ohne Ort 1899. Christaller, Theodor: Fibel für die Volksschulen in Kamerun, ohne Ort 1902.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

ihm in Kamerun unterrichteten, sondern auch die Lehrer an den Basler Missionsschulen, wo die Fibel ab dem Zeitpunkt ihres Erscheinens zur Schulausstattung gehörte.202 Mehr noch: Nachdem sich die Missionare der Basler Mission vor Ort schon Mitte des Jahres 1888 vorab dazu verpflichtet hatten, die von Christaller zu dieser Zeit erstellten grammatikalischen Regeln seines dann 1892 erscheinenden Handbuchs der Duala-Sprache ein­ zuhalten, sicherte im Oktober des gleichen Jahres die Basler Missionslei­ tung sogar zu, auch der durch von Soden angestrebten Vereinheitlichung der indigenen Sprachen in Kamerun zu folgen.203 Angesichts der später entbrennenden Debatten um die Sprachenpolitik verwundert diese Ein­ mütigkeit, die allerdings ein ums andere Mal die enge Kooperation und den intensiven Austausch zwischen Regierung und Mission im Prozess der Errichtung der ersten kolonialen Schule in Kamerun belegt. Der Vorgang der Verbreitung zeigt zudem die erste nach außen gerich­ tete Weitergabe von erlangten Wissensbeständen, die zwar auf den ersten Blick nicht direkt herrschaftsetablierende und -sichernde Funktion hatten, mittelbar aber genau für diese Ziele nutzbar gemacht wurden, denn die Erstellung der Fibel bedeutete die Herstellung einer Grundlage für die weiterführende Durchdringung des Duala in Form einer Grammatik. Letz­ tere hat Cohn im Allgemeinen als Bestandteile kulturimperialistischen Re­ pertoires und Akte epistemischer Gewaltausübung identifiziert, die darauf ausgelegt waren, in das Denken und die Kommunikation der Indigenen einzudringen und dieses zu dominieren.204 Doch die oben beschriebenen Maßnahmen Christallers lassen es wohl zu, schon die Fibel selbst, auch wenn sie streng genommen keine Grammatik darstellt, in diese Katego­ rie der Gewaltakte einzuordnen, zumal Christaller parallel zur Veröffent­ lichung der Fibel und der Ausarbeitung der zweiten Auflage schon an seiner Duala-Grammatik arbeitete und letztere beiden Werke 1892 dann

202 BArch, R 1001/4070, Bl. 121. BArch, R 1001/4071, Bl. 94–96. 203 BArch, R 1001/4071, Bl. 94–98, 115–116. Christaller, Theodor: Handbuch der Duala-Sprache, Basel 1892. 1896 fügte er analog eine deutsche Grammatik mit dem Titel Handbuch der Deutschen Sprache hinzu, BArch, R 1001/4073, Bl. 63– 64. Christaller, Theodor: Handbuch der Deutschen Sprache, ohne Ort 1896. Ein Nachdruck ist hier für das Jahr 1903 verzeichnet: Christaller, Theodor: Hand­ buch der deutschen Sprache für die deutschen Schulen in Kamerun, Frankfurt am Main 1903. 204 Vgl. Cohn, Colonialism and its Forms of Knowledge, S. 20–22. Siehe Cohn fol­ gend: Makoni, Colonial and Post-Colonial Languages Policies in Africa, S. 530.

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2. Konzeption und Ressourcen

auch zeitgleich herausbrachte.205 Christaller demonstrierte auch, dass sich die koloniale Schule für die Etablierung herrschaftlicher Dominanz durch sprachliche Durchdringung in besonderem Maße eignete, indem er seine Schulbücher neben seinen nachmittäglichen Arbeitszeiten mit Josef Bebe Bell auch direkt im Unterricht erarbeitete und damit regelmäßig seine theoretischen Fortschritte in der Praxis überprüfen konnte. Gleichzeitig hatte er so die Möglichkeit, die von ihm entworfenen Regeln im Unter­ richt unmittelbar in den Spracherwerb der Schüler einfließen zu lassen und erreichte diese damit zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt.206 Neben der voranschreitenden Durchdringung der Duala-Sprache brach­ te das Gouvernement auch den Bau eines neuen Schulgebäudes voran, mit welchem die Schule nun auch rein äußerlich als Brückenkopf des Gouvernements am Dorfrand Bonamandones erkennbar wurde. Das neue zweistöckige Schulhaus überragte nicht nur alle umliegenden Gebäude, sondern bezeugte auch durch seine Architektur, die sich als Anpassung europäischer Bauvorstellungen an die lokalen Gegebenheiten charakteri­ sieren lässt, die Bestrebungen der europäischen Dominanz dieses fluiden Herrschaftsbereichs. Das Gebäude besaß als zentralen Ort im Erdgeschoss einen 91 m2 großen Schulraum und im Obergeschoss, welches durch eine an der hinteren Längsseite des Gebäudes angebrachte Treppe zu erreichen war, die Lehrerwohnung, die „je ein Wohn-, Speise- und Schlafzimmer sowie Speisekammer, Bad und Kloset“ umfasste.207 Zudem verlief um das Obergeschoss herum eine breite überdachte Veranda, die als Aufenthalts­ ort konzipiert war und dem Lehrer beste Über-, wenn nicht gar Aufsicht 205 Zu Christallers Handbuch der Duala-Sprache beachte Kapitel 3.1.4. Insbesonde­ re dieses Werk Christallers bedarf dringend eingehender Auseinandersetzung innerhalb der koloniallinguistischen Forschung, da es anders als die bisher stichprobenartig von Hennig analysierten Grammatiken afrikanischer Sprachen durch deutsche Autoren nicht ein europäisches Publikum zum Ziel hatte, son­ dern direkt für den Unterricht afrikanischer Schüler konzipiert wurde und somit für die Bewertung etwaig verwendeter grammatikalischer Kategorien aus dem Deutschen und Lateinischen besonderen Erkenntniswert verspricht, den die von Hennig untersuchten Grammatiken nicht zu leisten vermögen, vgl. Hennig, Mathilde: Zum deutschen Blick auf grammatische Eigenschaften von Kolonialsprachen, in: Warnke, Ingo H. (Hg.): Deutsche Sprache und Kolonialis­ mus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884–1919, Berlin 2009, S. 119– 142. 206 Wie vieles anderes übernahm insbesondere auch Christian G. Barth, der Lehrer der ersten kolonialen Schule in Tanga, Deutsch-Ostafrika, diese Arbeitsweise, beachte Kapitel 2.2.3. 207 BArch, R 1001/4070, Bl. 166–171 (für das Zitat: Bl. 169). BArch, R 175-IV/582, Bl. 23–24. Böckheler, Theodor Christaller, S. 60.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

über die umliegende Siedlung gab. Das Gebäude wurde regionaltypisch aus Holz und mit länglichem Grundriss errichtet, fußte allerdings nach deutscher Bauart auf einem Holz-Sandbeton-Fundament, besaß ein mit Lochsteinen ausgemauertes Fachwerk und ein isoliertes Dach samt Regen­ wasserauffanganlage.208 Der erste Entwurf des Gebäudes, der unter der Federführung von Sodens Anfang 1887 in Kamerun erstellt worden war, hatte darüber hinaus noch eine um einen Meter breitere Grundfläche und im Untergeschoss zudem einen Wohnraum für den indigenen Lehr­ gehilfen sowie ein Materialzimmer vorgesehen, hätte nach Einschätzung im Auswärtigen Amt allerdings auch die Kosten für das Gebäude von 8.000 M auf 14.500 M erhöht und wurde in Berlin darum auf den oben beschriebenen Umfang reduziert.209

Das neue Schulhaus in Bonamandone (ca. 1895–1902) Das Ziel einer möglichst kostengünstigen Errichtung der Schule, dem man sich seit Beginn der kolonialschulischen Bemühungen verschrieben hatte, wurde durch diese Reduzierung nicht erreicht. Hierzu trug insbe­ sondere die seinerzeit übliche Praxis der Errichtung von Gebäuden bei, die 208 BArch, R 1001/4070, Bl. 166–171. BArch, R 175-IV/582, Bl. 23–24. Böckheler, Theodor Christaller, S. 60. 209 BArch, R 1001/4070, Bl. 80, 85–86, 107–111.

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2. Konzeption und Ressourcen

bedeutete, dass diese nach Fertigbauweise zunächst in Deutschland herge­ stellt, dann nach Kamerun verschifft und schließlich vor Ort aufgebaut wurden. Für die Errichtung der Schule griff das Auswärtige Amt auf die Hamburger Baufirma F. H. Schmidt zurück, die schon die ersten Gouver­ nementsgebäude in Kamerun auf diese Weise gebaut hatte, akzeptierte deren Kostenvoranschlag, der eine Bausumme von 10.800 M enthielt, und fixierte damit die erneute Erhöhung der Baukosten.210 Die Verschiffungs­ praxis bedeutete außerdem die Entstehung von Transportkosten, sodass auch die Woermann’sche Spedition gut am Schulbau verdienen sollte. Die Frachtrechnung, die aufgrund eines Rechenfehlers auf Seiten der Behör­ den ebenfalls die Anfangsannahmen überstieg, belief sich auf 5.052 M.211 Von Sodens anfängliches In-Aussicht-Stellen einer kostenneutralen Errich­ tung des Schulgebäudes erscheint im Lichte dieser Zahlen nunmehr als entweder besonders naiv oder bewusste Täuschung seiner Berliner Vorge­ setzten. Auf jeden Fall dokumentieren die fortwährenden Entscheidungen im Auswärtigen Amt, die Schulerrichtung trotz Kostensteigerungen und Zweifeln an der Fähigkeit der Schule, sich im Fortgang selbst zu finanzie­ ren, weiterzuführen, dass sich ab Mitte 1887 die Zurückhaltung, die sich noch ein Jahr zuvor in den vorsichtigen Finanzierungszusagen der Schule ausgedrückt hatte, in eine stärkere Zustimmung zur kolonialen Schule gewendet hatte. Nachdem man im Auswärtigen Amt im April und im Juli 1887 8.000 M als Grundetat für den Schulbau genehmigt hatte, dürfte insbesondere Christallers positiver erster Schulbericht, der das Auswärtige Amt dann im November 1887 erreichte, die Annahme des um 2.800 M erhöhten Kostenvoranschlags Ende Dezember 1887 befördert haben.212 Inklusive der Frachtrechnung beliefen sich die Kosten für den Schulbau somit auf rund 16.000 M und hatten sich damit gegenüber dem Grundetat verdoppelt.

210 Schran, Bauthätigkeit, S. 228. BArch, R 1001/4070, Bl. 144–149. Die zusätzli­ chen Mittel von 2.800 M wollte man aus einem allgemeinen Bau-Etat für die Kameruner Kolonie entnehmen, ebd. Schon für den Bau der Festungsanlagen in der preußischen Kolonie Großfriedrichsburg wurde das gesamte Baumaterial von Deutschland an die westafrikanische Küste gebracht, vgl. Stamm, Malte: Das Koloniale Experiment. Der Sklavenhandel Brandenburg-Preußens im trans­ atlantischen Raum 1680–1718, Diss. Düsseldorf 2011, S. 182. 211 BArch, R 1001/4071, Bl. 35–36. GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft Ham­ burg nach 1807, Nr. 956 (C. Woermann an Preuß. Ges. Hamburg am 17.1.1888; Preuß. Ges. Hamburg an Reichskanzler v. Bismarck am 24.2.1888). 212 BArch, R 1001/4070, Bl. 87–89, 130–133, 144–149.

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2.1 Die erste deutsche koloniale Schule in Kamerun

Der Logik der Errichtungspraxis entsprach es auch, die Gebäude ab Fertigstellung gegen Feuergefahr zu versichern. Die Vorlage lieferte hier die bauausführende Firma F. H. Schmidt, die von Mai 1886 bis Dezem­ ber 1887 die durch sie zuvor errichteten Gebäude im Kameruner Gouver­ nement für den Wert von 103.910 M bei der Hanseatischen Feuer-Versi­ cherungsgesellschaft gegen Feuer versichert hatte.213 Diese Versicherung übernahm das Auswärtige Amt zum Jahreswechsel 1887/1888 schließlich und schloss ab April 1888 auch eine analoge Versicherung für das Inven­ tar des Gouvernements ab.214 Im Mai 1888 folgte dann bei der gleichen Versicherung gegen eine Prämie von jährlich 67,70 M die Versicherung des Schulgebäudes215, welche bis mindestens April 1891 aufrechterhalten wurde.216 Dieser sehr technische Umstand zeigt aufschlussreich, dass das Schulgebäude trotz seiner exponierten und scheinbare Vermittlung ermög­ lichenden Lage217 auf dem Papier, insbesondere auf Berliner und Hambur­ ger Papier, ein Regierungsgebäude wie jedes andere war und die Errich­ tung als finanzielle Investition betrachtet wurde, die ersatzlos zu verlieren man im Auswärtigen Amt nicht riskieren wollte.218 Mit dem Ergebnis des Schulbaus, der nach Ankunft der Bauteile An­ fang März 1888 binnen zweier Monate durch den örtlichen Regierungs­ 213 GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft Hamburg nach 1807, Nr. 951, Bl. 1. Für die von der gleichen Firma in Togo errichteten Gebäude, die ebenfalls versichert waren, belief sich der Versicherungswert für den Zeitraum Mai bis November 1886 auf 55.000 M, ebd. 214 GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft Hamburg nach 1807, Nr. 951, Bl. 6–7. 25. Auch für das Inventar der Regierungsgebäude in Togo schloss man eine solche Versicherung ab, siehe ebd. 215 BArch, R 1001/4071, Bl. 9, 90–93. GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft Ham­ burg nach 1807, Nr. 951, Bl. 59–65. Anhand der Versicherungswerte lassen sich unter der Annahme, dass diese sich stets aus den Bau- und den Frachtkosten zu­ sammensetzten, die Kosten der Errichtung des Schulgebäudes in ein Verhältnis zu anderen Errichtungskosten setzen. So beabsichtigte das Auswärtige Amt im Februar 1890 etwa das „Wohnhau[s] für den Regierungsarzt“ und das „Beam­ tenwohnhaus“ für jeweils 12.000 M und das „Dienstgebäud[e] in Victoria“ für 17.000 M bei der Hansa zu versichern, GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft Hamburg nach 1807, Nr. 951, Bl. 96. 216 BArch, R 1001/ 4072, Bl. 27, 34–37, 101, 103–104; GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft Hamburg nach 1807, Nr. 951, Bl. 78–84, 90–94. 217 Die Lage erinnert nicht zuletzt an die von Pesek als Inseln der Herrschaft beschriebenen Stationen, die letztlich häufig auf erhöhten Landmarken errich­ tet wurden, um ihren Herrschaftsanspruch weithin kund zu tun, vgl. Pesek, Koloniale Herrschaft, S. 254. 218 Beachte kontrastierend die Errichtung der zweiten Regierungsschule in Kame­ run, die die Abkehr von dieser Praxis markiert, siehe Kapitel 3.1.1.

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2. Konzeption und Ressourcen

baumeister mit der Unterstützung durch indigene Handlanger bewältigt worden war219, zeigten sich sowohl von Soden als auch Christaller grund­ sätzlich zufrieden.220 Christallers Biograph Böckheler zitiert in diesem Zusammenhang einen Brief Christallers, in welchem sich dieser zwar sehr über die Errichtung des Gebäudes freut, gleichzeitig aber über enor­ me Schwierigkeiten mit der Passung des gelieferten Materials sowie mit der Arbeitseinstellung der indigenen Helfer klagt.221 Die Errichtung des neuen Schulgebäudes hatte für Christaller aber nicht zuletzt erhebliche praktische Vorzüge. So hatte er nun keinen langen Weg von seiner Unter­ kunft zur Schule zu bewältigen und konnte seinen Schulunterricht frei von Beeinträchtigungen durch klimatische oder natürliche Begebenheiten durchführen.222 Zudem war mit den Gebäudebestandteilen auch das Ma­ terial für die Einrichtung des Schulraumes geliefert worden, die er zwar selbst herstellen, den Schulraum aber damit auch nach den eigenen Vor­ stellungen selbst organisieren konnte.223 Damit genoss er eine Gestaltungs­ freiheit wie nur wenige Volksschullehrer seiner Zeit. Zur Jahresmitte 1888 kann mit dem Umzug der Schule in das neue Gebäude und mit dem Eintreffen der gedruckten Fibel Christallers der Prozess der Einrichtung der kolonialen Schule als abgeschlossen betrach­ tet werden. Äußeres und Inneres dieser Schule, verkörpert durch einen selbstbewussten Lehrer, waren von da an auf ein fortdauerndes Bestehen hin ausgerichtet. Sowohl inhaltlich als auch physisch war Christaller ab

219 BArch, R 1001/4071, Bl. 63. In seinem Bericht über die Bautätigkeit im Kame­ runer Gouvernement gibt Schran den März 1888 als Monat der Fertigstellung des Gebäudes an, Schran, Bauthätigkeit, S. 230. Von Soden spricht in seinem Bericht nach Berlin lediglich von der Fertigstellung der tragenden Konstruktion zu diesem Zeitpunkt und prognostiziert das Bauende in 3–4 Wochen, BArch, R 1001/4071, Bl. 74. Der Beginn der Versicherung des Gebäudes (1. Mai) unter­ stützt von Sodens Bericht, BArch, R 1001/4071, Bl. 90–91. Beachte den Bauver­ trag samt Anlagen, BArch, R 1001/4070, Bl. 178–191. Beachte eine undatierte Aufnahme Christallers mit einigen Schülern vor dem Eingang des Schulhauses, eine undatierte Aufnahme einer Schülergruppe vor der Hinterseite des Gebäu­ des, die den Treppenaufgang zur Lehrerwohnung und den rückseitigen Zugang für den Lehrer zum Schulraum zeigt, Böckheler, Theodor Christaller, S. 63 (Fotograf unbekannt). BMA QE-30.009.0001 (Fotograf unbekannt). 220 BArch, R 1001/ 4071, Bl. 105–106, 110–111, 144–149. 221 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, S. 59–60. 222 Zur heroisierenden Beschreibung des Schulwegs per Kanu und zu Fuß beachte Böckheler, Theodor Christaller, S. 34–37. Christaller, Eine Reise, S. 63–64. Am alten Schulstandort hatte etwa die Regenzeit die Änderung der Schulzeiten ab Juni bewirkt, BArch, R 1001/4070, Bl. 130–133. 223 BArch, R 1001/4070, Bl. 187.

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Zwischenfazit

dieser Zeit in Bonamandone ständig präsent und den Angaben Böckhelers nach durchaus auch eine Attraktion für die dortige Bevölkerung, die ihn nunmehr auch in ihrem und seinem Alltag wahrnehmen konnte.224 Des Weiteren hatte sich auf dem Feld der Schule das Verhältnis von Mission und Regierung an der Küste Kameruns gewandelt. Nach erheblichem Unterstützungsbedarf durch die Mission hatte sich die Regierungsschule von der Basler Mission emanzipiert und auf dem Feld der Sprachenpolitik unter Nutzung des von Christaller gewonnenen Wissens ihren Führungs­ anspruch vorläufig durchgesetzt.

Zwischenfazit Die Gründung der ersten deutschen kolonialen Schule in Bonamandone und die Tätigkeit Theodor Christallers ermöglichen Einblicke in zwei wesentliche Prozesse der kolonialen Wissensgenerierung. Zum einen ent­ wickelte sich im Zuge der Gründung ein Anstellungsprofil für koloniale Lehrkräfte, das paradigmatisch für alle weiteren Stellen dieser Art werden sollte, und zum anderen erfolgte durch die Schulbucharbeit Christallers der Zugriff auf den sprachlichen und kulturellen Wissensraum der Dua­ la. Das Anstellungsprofil verband die deutsche Volksschultradition mit Bedürfnissen der kolonialen Praxis und ist wie die konkrete Ausgestaltung des Schulgründungsprozesses als Element strategischen Herrschaftswissens zu bezeichnen. Als solches wurde es transferier- und wiederholbar, wie bereits im nachfolgenden Kapitel, das sich mit der ersten Schulgründung in Deutsch-Ostafrika beschäftigt, ersichtlich sein wird. Besonderes Augen­ merk ist dann auf etwaige Veränderungen und Weiterentwicklungen der Schulgründungsstrategie und des Anstellungsprofils zu legen, zumal mit Julius von Soden die gleiche Person wie in Kamerun die Schulgründung als Gouverneur verantwortete, Neuerungen also wohl im Angesicht der kolonialen Praxis getroffen wurden. Bereits der Gründungsprozess in Ka­ merun hat gezeigt, dass die koloniale Schule nicht nur Hilfskräfte ausbil­ den wollte, sondern auch als politisches Mittel zur Herrschaftsetablierung und -sicherung eingesetzt wurde. Sie war damit Teil der Aushandlungspro­ zesse kolonialer Herrschaft und hatte vordergründig vermittelnde Funkti­ on gegenüber der indigenen Bevölkerung. Im Zentrum der Aushandlungsprozesse stand Theodor Christaller, der seine guten Kontakte zur Basler Mission nicht nur dazu nutzte, materielle 224 Böckheler, Theodor Christaller, S. 62.

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2. Konzeption und Ressourcen

Ressourcen für die Koloniegründung zu gewinnen, sondern auch, um praktische Erfahrungswerte zu sammeln. Durch seine Schulbucharbeit be­ trieb Christaller ferner die Anbindung der kolonialen Schule an die Pro­ zesse der kolonialen Wissensgenerierung und legte die paradigmatische Grundlage für die ihm in Kamerun oder in anderen Kolonien nachfolgen­ den Lehrkräfte. Als Lehrer hatte Christaller direkten täglichen Kontakt mit Personen der Duala-Bevölkerung Bonamandones und konnte so rasch ei­ nerseits auf kulturelles und sprachliches Wissen zugreifen und andererseits die durch ihn nach lateinischen Grammatikregeln verformten Sprachele­ mente verbreiten. Der Ort dieses wechselseitigen Prozesses war der Schul­ unterricht, der in seiner Grundkonzeption auf die Wissensgenerierung ausgerichtet war und darum besondere analytische Aufmerksamkeit ver­ dient. Das nachfolgende Kapitel blickt deshalb insbesondere auf die An­ bindung des Unterrichts an die koloniale Wissensgenerierung. Das reiche Material zur kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika ermöglicht es zudem, auch die Anbindung der Schule an die koloniallinguistische Forschung im Deutschen Reich zu verfolgen, als deren Sendbote der eingesetzte Lehrer Christian G. Barth fungierte. Insofern thematisiert Kapitel 2.2 nicht bloß eine weitere Schulgründung, sondern ist insbesondere als vertiefende Be­ trachtung zu verstehen, die auch die wissensbasierten Wechselbeziehun­ gen zwischen den Kolonien und dem Deutschen Reich noch stärker in den Vordergrund rückt. Zudem wendet sich die Darstellung auch denjenigen Forschungsfragen zu, die darauf zielen, den Einfluss der Deutschen Kolo­ nialgesellschaft als Ressourcengeberin zu bemessen.

2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika 2.2.1 Frühe Schulpläne und die Anstellung von Christian G. Barth Im Auswärtigen Amt nahmen die Überlegungen zur Errichtung einer deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika (DOA) bereits Anfang Juni 1890 erste, ephemere Gestalt an. In einem internen Positionspapier zu einer zuvor eingegangenen Eingabe der Evangelischen Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika (EMDOA), in der diese finanzielle Unterstützung für die Gründung einer Missionsschule erbat, empfahl der Mitarbeiter des Reichskanzleramtes Humbert die Gründung „staatlicher Schulen, wie

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

eine solche in Kamerun bereits besteht“.225 Er verband dies mit erhebli­ chen Zweifeln an der finanziellen Leistungsfähigkeit der EMDOA sowie der Befürchtung von Widerstand von Seiten der katholischen Mission gegen eine etwaige Förderung, ohne aber seine eigentliche Empfehlung weiter zu erläutern.226 So muss unklar bleiben, wie genau er sich die Übertragung des bisher elaborierten Modells einer kolonialen Schule an die ostafrikanische Küste vorstellte, wo Schwierigkeiten hinsichtlich der Finanzierung, der dienstlichen Aufsicht und praktischen Organisation der Schulerrichtung wohl allein schon aus dem Umstand erwachsen wären, dass die dortige Verwaltung zu diesem Zeitpunkt noch in den Händen der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG) lag und kein Gouver­ nement als lokale Koordinationsinstanz bestand, wie es sie in Kamerun zu diesem Zeitpunkt bereits gab. Will man vor diesem Hintergrund in Hum­ berts Empfehlung nun nicht einen impliziten Beitrag zur Debatte um die etwaige Übernahme der deutschostafrikanischen Kolonie durch das Reich sehen, so weist sie aber doch auf das Bestehen staatlicher Verwaltung als Voraussetzung für die Gründung kolonialer Schulen hin. Letzteres findet insbesondere darin seine Bestätigung, dass sich der anschließend entwickelnde Austausch interner Positionspapiere im Auswärtigen Amt gerade nicht um die weitere Gestaltung der Empfehlung Humberts drehte, sondern um grundsätzliche, finanzrechtliche Fragen, und dass schließlich das Gesuch der EMDOA abgelehnt wurde, ohne dass dadurch weitere po­ litische Entscheidungen hinsichtlich einer regierungseigenen Schule ausge­ löst wurden.227 Konkrete Maßnahmen wurden erst nach der Übernahme der Verwaltung durch die deutsche Regierung und der Einsetzung des ohnehin kolonialschulfreundlichen, ehemaligen Kameruner Gouverneurs Julius Freiherr von Soden als Gouverneur von Deutsch-Ostafrika im Früh­ jahr 1891 ergriffen.228

225 BArch, R 1001/996, Bl. 15–18 (für das Zitat: Bl. 18). Zu Gründung und Tä­ tigkeit der EMDOA beachte Altena, Häuflein, S. 52–71. Menzel, Gustav: Die Bethel-Mission. Aus 100 Jahren Missionsgeschichte, Neukirchen-Vluyn 1986, S. 14–22. Gründer, Christliche Mission, S. 36–38, 40, 215–216. Tiletschke, Afri­ ka, S. 105–224. Zu zwei die koloniale Schule berührende Schulgründungen der Mission siehe Kapitel 2.2.1 und Kapitel 2.2.3. 226 BArch, R 1001/996, Bl. 15–18. 227 BArch, R 1001/996, Bl. 19–27. 228 Zum „Scheitern der DOAG“ und der Übernahme der Verwaltung durch die deutsche Regierung siehe etwa Pesek, Koloniale Herrschaft, S. 179–189 (für das Zitat: S. 179). Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 30–35.

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2. Konzeption und Ressourcen

Die treibende Kraft der frühen Gründungsbestrebungen war, wie im Gründungsprozess der ersten deutschen kolonialen Schule in Kamerun, Gouverneur von Soden, der dem Auswärtigen Amt im Juli 1891 eine erste Zusammenstellung seiner Schulpläne vorlegte.229 Darin verband von Soden bestehendes schulisches Herrschaftswissen und Erfahrungen aus Ka­ merun mit neuen Vorschlägen, die das Auswärtige Amt im Frühjahr 1891 erreicht hatten, und war merklich bestrebt, jene an die lokalen Bedingt­ heiten Deutsch-Ostafrikas anzupassen. Damit verformte er insbesondere das in Kamerun gewonnene strategische Herrschaftswissen und versuchte es für seine jetzige Station herrschaftspolitisch nutzbar zu machen. Als „Hauptschwierigkeit“ für die Umsetzung seiner Pläne bezeichnete von Soden das Stemmen der Finanzierung. Sowohl für die einmaligen Kosten für den „Bau einer Schule mit Wohnraum für 2 Lehrer und 25 Schüler“ samt Schuleinrichtung als auch für die laufenden Kosten bestehend aus dem Gehalt der beiden Lehrer (einer sollte 7.000 M, der andere 6.000 M erhalten), dem Unterhalt der Schule sowie der Verpflegung und der Ausstattung der Schüler veranschlagte er jeweils 30.000 M und übertraf damit seine Kostenansätze für die Kameruner Schule um ein Vielfaches. Angesichts der tatsächlichen Kosten der dortigen Schule erscheinen insbe­ sondere die Ansätze der einmaligen Kosten als durchaus realistisch, wobei jedoch für die Verpflegungskosten der Schüler, die mit jährlich 15.000 M beziffert wurden und damit einen erheblichen Teil der laufenden Kosten ausmachen würden, kein Vergleichswert existiert.230 Die Konzeption einer Schule, die gleichzeitig Wohnraum für die Schü­ ler bereitstellte, trug dabei offensichtlich der in Kamerun gemachten Erfahrung des sehr volatilen Schulbesuchs durch Schüler, die weiterhin bei ihren Familien wohnten, Rechnung. Gleichzeitig war sie darauf ausge­ legt, die Schüler nicht nur vor Ort zu halten, sondern sie auch in den institutionellen Rahmen der bislang nur in Ansätzen existierenden deut­ schen Verwaltung einzubinden. Dort sollten die Schüler nach Abschluss ihrer Schulausbildung schließlich auch als „Schreiber für die einzelnen Verwaltungszweige, Unterpolizei, Zoll- und Postbeamte, Lehrer und der­ gleichen“ tätig werden.231 Mit dieser Zweckbestimmung befand sich von

229 Für hier und das Folgende beachte BArch, R 1001/989, Bl. 13–14 (für die Zitate: Bl. 13). 230 Die Kosten für die Errichtung des Schulgebäudes in Bonamandone, welches einen Schulraum und eine Wohnung für einen Lehrer enthielt, beliefen sich letztlich schon auf etwa 16.000 M, siehe Kapitel 2.1.5. 231 BArch, R 1001/989, Bl. 13–14 (für das Zitat: Bl. 13).

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

Soden insbesondere in Übereinstimmung mit den Vorstellungen, die im Auswärtigen Amt vorherrschten. Hinsichtlich der Schülerschaft vertrat der Gouverneur indes die Meinung, dass die Schule prinzipiell allen Indigenen offenstehen sollte, und wandte sich damit explizit gegen das Auswärtige Amt, welches von Soden zuvor vorgeschlagen hatte, erwachsene ‚arabi­ sche‘232 Bewohner Deutsch-Ostafrikas zu Subalternbeamten ausbilden zu lassen, um diese Bevölkerungsgruppe zunächst an der Küste und dann im Landesinnern in den rudimentären kolonialen Herrschaftsrahmen zu integrieren. Ein solches Vorgehen setze nach der im Auswärtigen Amt vertretenen Ansicht einen säkularen Unterricht voraus und werde in engli­ schen Kolonien schon erfolgreich eingesetzt.233 Dieser behördliche Vorschlag basierte indes nicht auf einer behörden­ internen Diskussion, sondern einer externen Initiative des Forschungsrei­ senden Leo Hirsch, der in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt einen islamischen Rechtstext vom Arabischen ins Deutsche übersetzt234 und daraufhin neben der Erstellung eines islamischen Rechtskompendi­ ums für Verwaltungsangestellte in Deutsch-Ostafrika im Frühjahr 1891 auch die Errichtung einer Schule für die ‚arabische‘ Küstenbevölkerung angeregt hatte. In den ‚Arabern‘ sah Hirsch die „geistig höchststehende“ Bevölkerungsgruppe der Region, die es gelte, „durch zunehmende Einwir­ kung unserer Bildungsmittel […] auf ein höheres moralisches Niveau [zu heben]“.235 Als Vorbild nannte er staatliche Schulen in der englischen Kolonie Aden, welche er 1892–1893 besucht hatte, und prognostizierte, dass man, sofern man auch die nötigen arabischsprachigen Lehrbücher für das Erlernen des Deutschen anfertige, binnen zweier Jahre eine „genügen­ de Anzahl eingeborener Lehrer des Deutschen […], großtheils zugleich

232 Die Identifikation bestimmter Bevölkerungsgruppen Deutsch-Ostafrikas als ‚Araber‘ oder ‚arabisch‘ unterlag insbesondere diskursiven Maßgaben, diente nicht zuletzt der fiktiven Ordnung des Kolonialen und führte unter anderem auch dazu, die politischen und gewaltsamen Widerstände gegen die Herrschaft der Deutschen zwischen 1888 und 1890 als ‚Araberaufstand‘ zu bezeichnen, vgl. Krobb, Florian: „wir haben mit ihnen als einem vorhandenem Element zu rechnen“ ‚Araber‘ im deutschen Ostafrika-Diskurs: Konkurrenz, Komplizen­ schaft, Verschattung, in: Noack, Stefan; de Gemeaux, Christine; Puschner, Uwe (Hg.): Deutsch-Ostafrika. Dynamiken europäischer Kulturkontakte und Erfah­ rungshorizonte im kolonialen Raum, Berlin 2019, S. 203–226. 233 BArch, R 1001/989, Bl. 5–8. 234 Hirsch, Leo: Der überfließende Strom in der Wissenschaft des Erbrechts der Ha­ nefiten und Schafeiten, Arabischer Text von Schēch Abd ul Kadir Muhammed, Leipzig 1891. 235 BArch, R 1001/999, Bl. 6–9 (für das Zitat: Bl. 7).

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als brauchbare und billige Dolmetscher für die Stämme des Innern“ aus­ gebildet haben werde.236 Der Vorschlag reflektiert dabei die verbreitete Einschätzung, dass die ‚arabisch‘ geprägte afrikanische Bevölkerung insbe­ sondere der schwarzafrikanischen Bevölkerung kulturell überlegen sei.237 Zuletzt bewarb sich Hirsch auch gleich selbst für die Lehrerstelle, für die er sich insbesondere aus wissenschaftlichen Motiven interessierte.238 Die Bewerbung wurde im Auswärtigen Amt zunächst uneingeschränkt positiv aufgenommen, fand aber ihr jähes Ende, als dort bekannt wurde, dass Hirsch unter anderem wegen Unterschlagung bereits vorbestraft war. Die Weitergabe der Ideen Hirschs an von Soden, ohne dass dieser allerdings über den Urheber der Ideen informiert wurde, behinderte diese Entwick­ lung aber nicht.239 Von Soden orientierte sich in der Frage der Schülerschaft allerdings viel­ mehr an den praktischen Gegebenheiten vor Ort und verknüpfte seinen Standpunkt, die Schule nicht nur einem spezifischen Bevölkerungsteil zu öffnen, mit den Fragen des Schulortes und der Finanzierung des Baus eines Schulgebäudes. In Bezug auf letzteres suchte er etwa die Zusammen­ arbeit mit dem einflussreichen indischen Kaufmann Sewa Hadji.240 Nach­

236 BArch, R 1001/999, Bl. 6–9 (für das Zitat: Bl. 8). Hirsch, Leo: Reisen in Süd-Ara­ bien, Mahra-Land und Hadramut, Leiden 1897. 237 Vgl. Gottschalk, Sebastian: Kolonialismus und Islam. Deutsche und britische Herrschaft in Westafrika (1900–1914), Frankfurt am Main 2017, S. 68–69. Habermas, Rebekka: Debates on Islam in Imperial Germany, in: Motadel, David (Hg.): Islam and the European Empires, Oxford 2014, S. 231–253, hier: S. 237– 238. 238 BArch, R 1001/999, Bl. 6–9. 239 BArch, R 1001/999, Bl. 10–14. BArch, R 1001/989, Bl. 5. Haschemi Yekani er­ weckt unzulässigerweise den Eindruck, bei den hier weitergegebenen Vorschlä­ gen Hirschs handele es sich um die grundsätzliche Position der „Kolonialregie­ rung“, vgl. Haschemi Yekani, Koloniale Arbeit, S. 155 (auch für das Zitat). Sie folgt damit einer schon von Mehnert vertretenen Auffassung, vgl. Mehnert, Zur Genesis, S. 148–149. 240 Sewa Hadji (1851–1897) war ein aus Indien stammender Händler, der haupt­ sächlich als Ausstatter von deutschen, britischen, französischen und belgischen Expeditionen mit Trägern ein finanzielles Vermögen erlangte. Hadji trieb un­ ter anderem maßgeblich die Errichtung eines Hospitals in Daressalam voran, welches 1893 eröffnet, von der lokalen Bevölkerung aber zunächst nicht ange­ nommen wurde. Dies führte zur vorrübergehenden Nutzung des Gebäudes als Schule und der dortigen Eröffnung der kolonialen Schule in Daressalam am 1.4.1895, BArch, R 1001/989, Bl. 27–28, 103. BArch, R 1001/990, Bl. 77. BArch, R 1001/991, Bl 98. BArch, R 1001/996, Bl. 29–31. Schule in Dar-es-Salâm, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 244. Sewa Hadji, in: DKB, Jg. 8 (1897), S. 206–207. Vgl. Becher, Das es Salaam, S. 43. Pesek, Koloniale Herrschaft, S. 110.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

richten über eine Kooperation mit indischen Händlern hatten im Mai 1891 sogar schon die deutschen Zeitungen erreicht und das Auswärtige Amt fälschlicherweise annehmen lassen, von Soden plane eine eigene Schule für die indische Bevölkerung.241 Dass durch eine solche Zusam­ menarbeit eine Schulgründung in Daressalam – von Soden favorisierte dagegen in seinem Juli-Schreiben zunächst den Sitz des Gouvernements Bagamoyo als Schulstandort – gelingen könnte, bekräftigte dessen Rat­ geber, der Bezirkshauptmann (BzkH) von Lindi, Kilwa und Bagamoyo, August Leue.242 Dieser warnte zwar vor Schwierigkeiten mit der ansässi­ gen Bevölkerung Daressalams, an deren Widerstand schon einmal eine europäische Schule gescheitert sei243, meinte aber, man habe insbesondere

241 BArch, R 1001/989, Bl. 4–8. 242 August Leue (geb. am 1.10.1854) war Generalsekretär der DOAG, bevor er zwi­ schen 1887 und 1899 verschiedene zentrale Positionen in der deutschen Verwal­ tung Ostafrikas, in der Wissmann-Truppe sowie der Schutztruppe Deutsch-Ost­ afrikas bekleidete. Als verantwortlicher Gründer der DOAG-Station in Daressal­ am (1887) sowie deren erster Leiter erwarb er sich früh den Status des Experten. Er gehörte zudem der Führungsriege der ersten Gouvernementsverwaltung an und amtierte von 1891 bis 1894 als BzkH von Lindi, Kilwa und Bagamoyo sowie von 1896 bis 1899 als Bezirksamtmann von Bagamoyo. Damit bildete er eine der Brücken zwischen der alten und der neuen deutschen Verwaltung und trug dazu bei, gesammeltes Herrschaftswissen zu erhalten. Dieses floss nach dem Ende seiner aktiven Tätigkeit schließlich in zwei Veröffentlichungen: Leue, August: Dar-es-Salaam. Bilder aus dem Kolonialleben, Berlin 1903. Ebd.: Die Besiedlungsfähigkeit Deutsch-Ostafrikas. Ein Beitrag zur Auswanderungsfrage, Leipzig 1904. Hauptmann a. D. A. Leue, in: DKZ, Jg. 18, Nr. 22 (1901), S. 217– 218. Leue, August, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. II, Leipzig 1920, S. 452. 243 Leue verweist in seinem Schreiben auf die Gründung einer Missionsschule durch den Missionar der EMDOA Greiner im Jahr 1888. Dieser war im An­ schluss an eine Tätigkeit am Syrischen Waisenhaus in Jerusalem nach Daressa­ lam gewechselt und hatte dort eine Schule für die Kinder befreiter Sklaven eröffnet. Laut Berichten des deutschen Konsuls von Sansibar Gustav Micha­ helles und der EMDOA zerstörten allerdings am 10. Januar 1889 ‚arabische Sklavenhändler‘ die Missionsstation und entführten eine große Mehrheit der Schüler, sodass von vormals 80–90 Schülern lediglich zwölf in der Obhut Grei­ ners und dessen Frau verblieben. Ein im Dezember des Jahres 1888 gestellter Antrag der EMDOA auf finanzielle Unterstützung der Greiner-Schule wurde daraufhin durch das Auswärtige Amt abgelehnt, BArch, R 1001/989, Bl. 16. BArch, R 1001/996, Bl. 3–16. Evangelische Mission in Ost-Afrika, in: DKB, Jg. 1 (1890), S. 40. Vgl. Tiletschke, „Afrika müssen wir auch haben!“, S. 78–80. Zur ambivalenten deutschen Position zur Sklaverei in Deutsch-Ostafrika beachte Deutsch, Jan-Georg: Emancipation without Abolition in German East Africa c. 1884–1914, Oxford 2006.

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bei den „vom Gouvernement abhängigen Arabern und Indern“ Chancen auf Unterstützung in der Hinsicht, dass diese Bevölkerungsgruppen Teile der Schülerschaft stellen könnten.244 Darauf war von Soden nicht zuletzt angewiesen, da es im Gegensatz zur Schulgründung im kamerunischen Bonamandone keine den Schulplänen wohlgesinnte Person eines Chief Dumbe Lobe Bell gab, um die Schulbänke mit eigenen Nachkommen und Verwandten zu füllen. Die Suche nach lokalen Kooperationspartnern re­ flektiert außerdem die Abhängigkeiten, denen auch zivile wie militärische Expeditionen regelmäßig ausgesetzt waren. Diese waren für Verpflegung, Lastenträger und Diener schließlich auch auf die Unterstützung und auf die Kollaboration wohlhabender Einheimischer angewiesen und hätten ohne diese vielfach nicht durchgeführt werden können.245 Dass Gouverneur von Soden von einem zukünftigen Lehrer nun insbe­ sondere forderte, vermittelnd auf die lokale Bevölkerung einwirken zu können, überrascht angesichts dieser Einschätzungen nicht, es zeigt aber auch deutlich den zweiten mit der Ausbildung von Subalternbeamten ver­ bundenen Zweck der Schule, nämlich die Beeinflussung der Bevölkerung im Sinne des Gouvernements.246 Die Schulpolitik von Sodens ist damit kurz nach der Übernahme der Kolonie von der DOAG auch als Bestandteil

244 BArch, R 1001/989, Bl. 16 (auch für die Zitate). Haschemi Yekani liest in Leu­ es Bericht unverständlicherweise die Forderung Indigener nach einem Entgelt für den Schulbesuch und nutzt den Bericht als zentrale Belegstelle für ihre These, Indigene Schüler hätten „die Schule als Arbeitsstätten [empfunden]“, vgl. Haschemi Yekani, Koloniale Arbeit, S. 144–145 (für das Zitat: S. 144). Weder lässt allerdings Leues Bericht einen solchen Schluss zu, noch steht die Analyse im Einklang mit der zuvor von der Autorin gemachten Feststellung, es sei „schwer nachzuvollziehen, ob und inwiefern die Schulen von der Bevölkerung angenommen wurden“, vgl. ebd., S. 138 (für das Zitat). 245 Vgl. Fabian, Tropenfieber, S. 49–58, 178. Gräbel, Carsten: Die Erforschung der Kolonien. Expeditionen und koloniale Wissenskultur deutscher Geographen, 1884–1919, Bielefeld 2015, S. 138–145. Pesek, Grenzen, S. 128. Siehe auch Ka­ pitel 2.2.3. Zum Begriff der Kollaboration beachte grundlegend: Lawrance, Benjamin Nicholas: Introduction. African Intermediaries and the „Bargain“ of Collaboration, in: Lawrance, Benjamin Nicholas: Intermediaries, Interpreters, and Clerks. African Employees in the Making of Colonial Africa, Madison 2006, S. 3–36, hier: S. 3–7. Robinson, Ronald: Non-European Foundations of European Imperialism. Sketch for a Theory of Collaboration, in: Owen, Roger; Sutcliff, Robert B. (Hg.): Studies in the Theory of Imperialism, London 1972, S. 117–142, hier insbesondere: S. 132–137. Zur Abhängigkeit der Missionen von Verwaltung und lokalen Eliten beachte Wendt, Die missionarische Gesellschaft, S. 230–231. 246 BArch, R 1001/989, Bl. 13–14.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

seiner zivilen Befriedungspolitik einzuordnen und war dazu konzipiert, zu einer längerfristigen Überwindung der vehementen Widerstände gegen die Durchsetzung der vormals von der DOAG vertretenen deutschen Herr­ schaftsinteressen beizutragen. Diese Art der kolonialen Politik richtete sich außerdem gegen die Führungsriege der aus der ehemaligen sogenannten Wissmann-Truppe entstandenen deutsch-ostafrikanischen Schutztruppe, welche forderte, durch Ausweitung der Expeditionen militärischen Druck gegenüber der indigenen Bevölkerung auszuüben und diese durch die Errichtung neuer Stationen im Landesinnern zu kontrollieren.247 Angesichts strenger Etatbeschränkungen suchte von Soden die Umset­ zung seiner Politik auch für die neben dem Schulbau benötigten finanziel­ len Mittel durch das Eingehen von Kooperationen zu erreichen. Er hatte darum im März 1891, während er sich noch auf der Schiffspassage nach Deutsch-Ostafrika befand, den Vorsitzenden der Deutschen Kolonialgesell­ schaft (DKG)248, Fürst Herrmann von Hohenlohe-Langenburg, brieflich

247 Vgl. Bührer, Tanja: Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Kolo­ niale Sicherheitspolitik und transkulturelle Kriegsführung 1885 bis 1918, Mün­ chen 2011, S. 161–171. Zur militärischen Niederschlagung der Widerstände durch die Truppen Hermann Wissmanns und die deutsche Marine beachte ebd., S. 48–86. Baer, Martin; Schröter, Olaf: Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafri­ ka. Spuren kolonialer Herrschaft, Berlin 2001, S. 37–45. Herold, Heiko: Reichs­ gewalt bedeutet Seegewalt. Die Kreuzgeschwader der Kaiserlichen Marine als Instrumente der deutschen Kolonial- und Weltpolitik 1885 bis 1901, München 2013, S. 128–184. Zu den Fiktionen der Herrschaft durch Stationen, deren Ver­ waltungs-, Militärzentrum die sogenannte boma war, beachte Pesek, Koloniale Herrschaft, S. 244–265. Siehe auch Trotha, Koloniale Herrschaft, S. 58–79. Zu den Versuchen der körperlichen, zeitlichen und moralischen Disziplinierung durch Stationsordnungen in missionarischen Stationen siehe Becher, Mission, S. 160–164. Zum Versuch der Schulgründung in der boma von Tanga beachte Kapitel 2.2.3. 248 Die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) wurde am 19.12.1887 im Zuge des Zusammenschlusses des Deutschen Kolonialvereins und der Gesellschaft für deutsche Kolonisation gegründet. Sie war eine der zentralen Organisationen zur Verbreitung kolonialer Propaganda und betätigte sich in der Regel an der Seite, aber bisweilen auch in Opposition zu Regierungsstellen und Missionen in fast allen kolonialpolitischen Bereichen. Ihr zentrales Organ war die Deutsche Kolonialzeitung (DKZ). Obgleich die DKG in nahezu jeder Publikation zur deutschen Imperial- und Kolonialgeschichte Erwähnung findet, steht eine um­ fassende Monographie dieser Organisation noch aus. Siehe darum vorerst Dem­ hardt, Imre Josef: Deutsche Kolonialgesellschaft 1888–1918. Ein Beitrag zur Organisationsgeschichte der deutschen Kolonialbewegung, Wiesbaden 2002. Göttlicher, Franz: Koloniale Gesellschaften und Verbände. Bestände. Deutsche Kolonialgesellschaft R 8023, Kolonialwirtschaftliches Komitee R 8024, Deutsch-

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2. Konzeption und Ressourcen

um die Unterstützung der Gründung einer Schule in Daressalam gebeten. Während der Gouverneur in diesem Schreiben hinsichtlich des Gebäudes darauf verwies, dass die Mittel für dessen Bau durch die „reicheren In­ de[r] oder eben überhaupt von den Einheimischen aufgebracht werden könnten“, bat er die DKG um die Suche nach einem Lehrer und die Finanzierung der Schiffspassage sowie des Gehalts, welches „von 4.500 M beginnend mit jährlichen Zulagen von 500 M etwa auf 6.000 M als Höchstbetrag zu steigen hätte.“249 Innerhalb der DKG fand von Sodens Unterstützungsgesuch breite Zustimmung. Nachdem in der Sitzung des Ausschusses der DKG am 28. April 1891 bereits wohlwollende Stimmen zu vernehmen waren, zu­ nächst aber eine Kommission den Antrag genauer prüfen sollte, bewil­ ligte der Ausschuss in seiner darauffolgenden Sitzung am 12. Mai 1891 schließlich 4.500 M als Sofortunterstützung. Gleichzeitig empfahl man dem Gesellschaftsvorstand, dem eigentlichen Entscheidungsgremium der DKG für Budgetfragen, die Förderung auf ganze drei Jahre auszudehnen, was in dessen Sitzung am 29. Juni 1891 schließlich auch erfolgte.250 Das Ansinnen der Schulförderung stieß in diesem Zeitraum, anders als noch ein Jahr zuvor, innerhalb der DKG auf keinen nennenswerten Widerstand. Im Januar 1890 hatte der Ausschuss einen Antrag der Abteilung Berlin, die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes zur Gründung einer Schule für „aufgefundene Kinder [und] befreite Sklaven“ in Deutsch-Ostafrika aufzufordern, noch mit dem Argument abgelehnt, dass dort zunächst eine „Pazifizierung“ stattfinden müsse.251 Dieses Stadium sah man nach der militärischen Niederschlagung der Widerstände und der Übernahme der Verwaltung der Kolonie durch die deutsche Regierung nun im Frühsom­ mer 1891 offenbar als erreicht an und es ist davon auszugehen, dass insbe­

Ostafrikanische Gesellschaft R 8124, Neu-Guinea Compagnie, Berlin R 8133 (Reihe: Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs), Koblenz 2003, S. 9–19. Hartwig, Edgar: Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) 1887–1936, in: Fricke, Dieter; Fritsch, Werner; Gottwald, Herbert; Schmidt, Siegfried; Weißbecker, Manfred (Hg.): Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und klein­ bürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789–1945), Köln 1983, S. 724–748. 249 BArch, R 1001/999, Bl. 34–36 (für die Zitate: Bl. 35, 34). BArch, R 8023/968, Bl. 6–7. Beachte eine transkribierte Version in Adick/Mehnert, Deutsche Missi­ ons- und Kolonialpädagogik, Dok. 112, S. 379–381. 250 BArch, R 8023/968, Bl. 8–12, 14–18. Dies widerspricht Haschemi Yekanis unbe­ legter Nennung eines Unterstützungsbeitrags in Höhe von „bis zu 6.000 Mark jährlich“, vgl. Haschemi Yekani, Koloniale Arbeit, S. 116 (auch für das Zitat). 251 BArch, R 8023/968, Bl. 5 (auch für die Zitate).

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

sondere von Sodens auf die Befriedung der Beziehungen zwischen den Deutschen und den Einheimischen zielender Ansatz der Schulpolitik die Zustimmungsbereitschaft in der DKG in seinem Sinne unterstützte. Ge­ genüber dem Auswärtigen Amt bekundete Fürst Hohenlohe-Langenburg zudem, dass sich die DKG von der Schule „einen wesentlichen praktischen Nutzen“ verspreche.252 Anders als im Gründungsprozess der Schule in Kamerun entwickelte sich im Sommer 1891 nun keine langwierige Lehrersuche. Allerdings musste von Soden auch bei dieser Schulgründung von seinen ambitionier­ ten ursprünglichen Plänen ein Stück weit abrücken. So enthielt sein Schul­ entwurf gegenüber dem Auswärtigen Amt aus dem Juli 1891 schon den Vorschlag, dass der auszusendende Lehrer sich vor Ort mit der Schulgrün­ dung befassen solle, was dem Eingeständnis gleichkam, dass eine Schul­ eröffnung doch nicht so reibungslos und schnell würde erfolgen können, wie von Soden dies im März 1891 gegenüber der DKG hatte erscheinen lassen.253 So war der Ort, in dem die Schule eröffnet werden sollte, trotz des bekräftigenden Schreibens Leues für Daressalam zu Beginn der Lehrer­ suche noch nicht festgelegt, da insbesondere von Sodens Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit dem indischen Händler Sewa Hadji für diese erste koloniale Schule noch zu keinem Ergebnis geführt hatten.254 Dass es einer solchen Kooperation dringend bedurfte, zeigt erneut die politisch schwache Position, in der sich von Sodens Gouvernementsverwaltung sei­ nerzeit befand.255 In der DKG nahm man diese Planänderung wie auch einen zusätzli­ chen, mit Wohnungsknappheit begründeten Zeitaufschub allerdings kri­

252 BArch, R 1001/989, Bl. 10 (auch für das Zitat). Zu den hohen Erwartungen, die man seinerzeit an die Kolonie Deutsch-Ostafrika richtete, beachte etwa Dilthey, Richard: Der wirthschaftliche Werth von Deutsch-Ostafrika, Düsseldorf 1889. Fabri, Friedrich: Deutsch-Ostafrica: Eine colonialpolitische Skizze, Köln 1886. Vohsen, Ernst: Ein Kolonial-Programm für Ostafrika, Berlin 1891. 253 BArch, R 1001/989, Bl. 13–14. 254 An dieser Stelle sei betont, dass, anders als etwa Krause dies ohne Beleg be­ hauptet, die im Oktober 1892 erfolgende Festlegung des Schulortes auf die Hafenstadt Tanga nicht der Zusammenarbeit von Sodens mit Sewa Hadji ent­ springen sollte, BArch, R1001/989, Bl. 26, 39–44. Krause, Ingo Till: „Koloniale Schuldlüge”? Die Schulpolitik in den afrikanischen Kolonien Deutschlands und Britanniens im Vergleich, Hamburg 2007, S. 75. Beachte zur Auswahl des Schul­ standortes außerdem Kapitel 2.2.3. 255 Zur doppelten Abhängigkeit Gouverneur von Sodens von einheimischen Ko­ operationspartnern und der Expertise seiner Bezirksamtsmänner beachte Kapi­ tel 2.2.3.

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2. Konzeption und Ressourcen

tiklos hin und begann Ende September nach einem Anforderungsprofil von Sodens mit der Suche nach einem Lehrer.256 Die einzelnen Elemente dieses Profils begründete von Soden in seinem Schreiben an die DKG ex­ plizit mit „in Kamerun gemachten Erfahrungen“ und dokumentiert damit die gezielte Anwendung und Anpassung bisher erlangten Wissens für den neuen Schulgründungsprozess. Der Gouverneur hatte außerdem offenbar insbesondere die Person Theodor Christallers vor Augen, als er forderte, der Lehrer solle aus Württemberg stammen und „nicht den Studierkreisen angehören“, also seminaristisch ausgebildet, sprich ein deutscher Volks­ schullehrer sein.257 Hinsichtlich seiner Einstellungen solle der Lehrer „ein frisch, frei, fröhlicher Junge sein und die Frömmigkeit käme jedenfalls erst in vierter Linie in Betracht.“258 Damit und durch seine Forderung, die Schule müsse wie die Kameruner Schule eine säkulare sein, „indem es den Missionen überlassen bleiben sollte, ihre Opfer unter den Schülern zu wählen, falls die Eltern damit einverstanden sind“, ließ von Soden auch hier seine skeptische bis feindliche Haltung gegenüber Religiosität und dem Wirken der Missionen offen zu Tage treten. Einer hypothetischen Parteinahme der DKG für die Missionen und einer etwaigen Entscheidung gegen die Unterstützung staatlicher Schulen und für die Unterstützung des Missionsschulwesens versuchte von Soden zudem von vornherein da­ durch entgegenzutreten, indem er betonte, die Missionen bildeten Schüler allein zu ihren eigenen Zwecken aus, wodurch diese der kolonialen Ver­ waltung in Deutsch-Ostafrika damit „noch auf Jahrzehnte“ entgingen.259 Zuletzt benannte von Soden noch einschlägige Sprachkenntnisse im Swahili260 als wichtige Anforderung eines geeigneten Bewerbers und äu­

256 BArch, R 1001/989, Bl. 17–18. BArch, R 1001/999, Bl. 15–19. BArch, R 8023/968, Bl. 20–23. 257 BArch, R 1001/999, Bl. 34–36 (für die Zitate: Bl. 35). BArch, R 8023/968, Bl. 6– 7. Vgl. Hornsby, George: German Educational Achievement in East Africa, in: Tanganyika Notes and Records, Nr. 62 (1964), S. 83–90, hier: S. 84–85. Zum Ausbildungsweg deutscher Volksschullehrer in den 1880er- und 1890er-Jahren siehe Kapitel 2.1.2. 258 BArch, R 1001/999, Bl. 34–36 (für das Zitat: Bl. 35). BArch, R 8023/968, Bl. 6–7. 259 BArch, R 1001/999, Bl. 34–36 (für die Zitate: Bl. 34, 36). BArch, R 8023/968, Bl. 6–7. 260 Der Begriff Swahili umfasst grundsätzlich ein breites Spektrum kultureller und sprachlicher Identifikationen in der Region des östlichen Afrikas, die maß­ geblich auf jahrhundertelanger Migration zwischen der ostafrikanischen Küste (von Somalia bis in den Süden Tansanias) und den arabischen Regionen am Indischen Ozean beruht. Hinzu kommen Kontakte zum indischen Subkonti­ nent und zu den europäischen Seefahrern und Kolonisatoren. Dabei variiert die

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

ßerte sich auch konkret dazu, wie diese Kenntnisse zu erlangen seien. Der Bewerber sollte demnach für ein Semester das Seminar für Orientalische Sprachen (SfOS) in Berlin besuchen, „damit er bei seiner Ankunft wenig­ stens mit der Grammatik der Suaheli-Sprache schon hinreichend vertraut ist.“261 Offenbar hatte von Soden auch in diesem Punkt Konsequenzen aus den gemachten Erfahrungen gezogen, denn bei der Anstellung des Lehrers für die Schule in Bonamandone waren die durch von Soden seinerzeit früh geforderten Sprachkenntnisse (des Duala) erst spät in das Anstellungsprofil eingeflossen. Außerdem war es schließlich zufällige Fügung gewesen, dass Theodor Christaller mit deren Aneignung schon vor seiner Abreise nach Kamerun auf privatem Wege hatte beginnen können.262 Von Soden berei­ tete mit dieser Anforderung des Weiteren der Betätigung des Lehrers auf dem Feld der Sprachpolitik den Weg, welche sich schon in der Kameruner Kolonie als nützliches Mittel der als Vermittlung kaschierten, aber letztlich der Beförderung kultureller Dominanz dienenden Tätigkeit des Lehrers erwiesen hatte.263 In Übereinstimmung mit den Anforderungen von Sodens wandte sich die DKG schließlich an das Württembergische Kultusministerium und bat dort um entsprechende Vorschläge, welche die Kultusbehörde im Septem­ ber 1891 bereits vorlegen konnte.264 Nur einen Monat später war der Such­ prozess dann so weit fortgeschritten, dass Fürst Hohenlohe-Langenburg dem aussichtsreichsten Kandidaten, dem Volks- und Mittelschullehrer Christian G. Barth aus Zell bei Esslingen, im Namen der DKG ein Stellen­ angebot machen konnte. Dieses beinhaltete eine jährliche Vergütung von

261 262 263 264

Schreibweise des Begriffs bisweilen sehr. Die deutschen Quellen sprechen in der Regel von Suaheli, ein auch heute noch gebräuchlicher Begriff. In dieser Arbeit wird jedoch der allgemeinere Forschungsbegriff Swahili verwendet und, sofern nicht explizit kenntlich gemacht, die sprachliche Identifikation des Begriffes adressiert. Beachte insbesondere Middleton, John: The World of the Swahili. An African Mercantile Civilization, New Haven 1992, S. 1–53. Miehe, Gudrun: For­ schungsgeschichtliche Einleitung, in: Miehe, Gudrun; Möhling, Wilhelm J. G.: Swahili-Handbuch, Köln 1995, S. 9–23. Spear, Thomas: Early Swahili History Reconsidered, in: The International Journal of African Historical Studies, Jg. 33, Nr. 2 (2000), S. 257–290. Zur Vereinnahmung des Swahili durch die Missionarsund Koloniallinguistik und die Rolle der kolonialen Schule in der Vertiefung sprachpolitischer Eingriffe siehe Kapitel 2.2.2. BArch, R 1001/999, Bl. 34–36 (für das Zitat: Bl. 36). BArch, R 8023/968, Bl. 6–7. Zur langsamen Entwicklung des Anstellungsprofils für den Lehrer der Schule in Bonamandone siehe Kapitel 2.1.2 und Kapitel 2.1.3. Zur Sprachpolitik in der Kolonie Kamerun siehe Kapitel 2.1.5 sowie Kapi­ tel 3.1.4. BArch, R 1001/999, Bl. 17–18, 20. BArch, R 8023/968, Bl. 20–23.

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2. Konzeption und Ressourcen

4.500 M sowie die Zusicherung der kostenfreien Hin- und Rückreise auf Kosten des Auswärtigen Amtes. Außerdem versprach man Barth nach der Rückkehr die Wiederanstellung im staatlichen Schuldienst oder notwendi­ genfalls Entschädigungen aus Reichsmitteln für den „Fall der Erkrankung und dadurch eintretenden Dienstunfähigkeit“. Im Gegenzug forderte man ein Gesundheitszeugnis zum Nachweis der Tropendienstfähigkeit. Zur Vorbereitung auf den Stellenantritt bot man Barth Ausrüstungsgelder von insgesamt 1.500 M sowie nach Abschluss der auf drei Jahre festgesetzten Dienstzeit eine Sonderzahlung von 450 M. Auf die Dienstzeit sollte ins­ besondere die halbjährige Ausbildungszeit im SfOS angerechnet werden, welche die Teilnahme an Swahili- und Arabisch-Kursen beinhalten wür­ de.265 Die Annahme des Angebots durch Barth war schließlich nur mehr Formsache und erfolgte am 24. November 1891.266 Damit war der Leh­ rer zumindest dem Papier nach Angestellter der DKG, wenngleich sich im Verlauf der Tätigkeit Barths in einigen Momenten zeigen sollte, dass sowohl das Auswärtige Amt als auch die DKG ihre jeweils eigene Inter­ pretation dieses Gesichtspunktes hatten.267 Für Gouverneur von Soden bedeutete die Verpflichtung eines Lehrers durch die DKG nun zunächst einmal aber den Gewinn einer Partnerin, die ihm nicht nur benötigte ma­ terielle Ressourcen lieferte, sondern durch die ideelle Unterstützung des Schulprojekts auch Rückendeckung für seinen angestrebten zivil orientier­ ten Reformkurs in der Verwaltung Deutsch-Ostafrikas gab. Dass die einen solchen Kurs unterstützende Schulgründung auch in anderen Kreisen der deutschen Öffentlichkeit positive Resonanz hervorrief, hatte dabei noch vor der Lehrersuche im Juni 1891 bereits eine Berichterstattung in der Köl­ nischen Zeitung gezeigt, in welcher der Autor insbesondere auf die „un­ gleich höher[e] politisch[e] und wirtschaftlich[e] Bedeutung“ Deutsch-Ost­ afrikas gegenüber Kamerun hingewiesen und die Pläne des Gouverneurs inklusive der Zusammenarbeit mit der DKG uneingeschränkt positiv be­

265 BArch, R 1001/999, Bl. 32–33 (für das Zitat: Bl. 32), 69–70. BArch, R 8023/968, Bl. 2–3, 158–159, 288–290. Beachte auch eine transkribierte Version in Adick/ Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 113, S. 382–383. 266 BArch, R 1001/999, Bl. 68. BArch, R 8023/968, Bl. 212–212. DKG-Präsident Ho­ henlohe-Langenburg vermeldete schließlich per Telegramm vom 28. November 1891 die Zustimmung Barths, BArch, R 8023/968, Bl. 29. Die formale Unter­ zeichnung des Vertrags erfolgte erst nachträglich, weshalb die Unterschrift Barths auf den 12. August 1892 datiert, BArch, R 1001/999, Bl. 32–33, 69–70. BArch, R 8023/968, Bl. 2–3, 158–159, 288–290. 267 Beachte hierzu den fünften Abschnitt dieses Kapitels.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

wertet hatte.268 Die Verpflichtung des Lehrers bedeutete des Weiteren, dass es Gouverneur von Soden gelungen war, das aus Erfahrung in Kamerun gewonnene strategische Herrschaftswissen produktiv für seine neue Tätig­ keit zu nutzen. Der Vertragsinhalt ähnelte strukturell denjenigen Modali­ täten, die schon Theodor Christallers Vereinbarung mit dem Auswärtigen Amt enthalten hatte269, und dokumentiert dabei einerseits den Transfer prozessstrategischen Wissens, andererseits aber durch die Hinzunahme neuer Elemente auch dessen Anpassung. Letzteres war insbesondere des­ halb möglich, da die Meinung Gouverneur von Sodens sowie die Erfah­ rung von vor Ort – in diesem Fall insbesondere der unterstützende Bericht Leues im Juli 1891 – weiterhin die beiden bestechenden Argumente in der Debatte waren und sich bislang kein standardisiertes Verfahren herausge­ bildet hatte.

2.2.2 Die Institutionalisierung der Sprachpolitik Das zentrale Objekt der Anpassung der bisherigen Schulgründungsstrate­ gie als Kern des prozessstrategischen Herrschaftswissens war die sprachli­ che Vorbildung des zukünftigen Lehrers. Anders als bei der Anstellung Theodor Christallers fünf Jahre zuvor bestand 1891 für ein solches Vorha­ ben mit dem Seminar für Orientalische Sprachen (SfOS) in Berlin, wo der zukünftige Lehrer nach den Wünschen von Sodens Swahili und Arabisch studieren sollte, mittlerweile eine entsprechende Einrichtung.270 Das Seminar für Orientalische Sprachen war im Oktober 1887 an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität gegründet worden und sollte gemäß seiner Gründungsbestimmungen insbesondere zukünftige konsula­ rische und diplomatische Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes in Asien und Afrika durch die Vermittlung von Landessprache und Landeskunde auf ihren Dienst vorbereiten. Dies entsprach den allgemeinen, akademi­ schen und gesellschaftlichen Trends zur stärkeren Befassung mit neuen Fremdsprachen und der Aufwertung praxisnaher Bildung und so war das SfOS auch nur dem Namen nach ein Seminar der Universität. Als formal selbstständige, vom Deutschen Reich kofinanzierte Einrichtung des Landes Preußen, die als Zugangskriterium lediglich „de[n] Nachweis bürgerlicher Unbescholtenheit“ verlangte, hatte das Seminar vielmehr den

268 BArch, 1001/989, Bl. 11 (auch für das Zitat). 269 Zu den Vertragsbedingungen Christallers siehe Kapitel 2.1.3. 270 BArch, R 1001/999, Bl. 34–36. BArch, R 8023/968, Bl. 6–7.

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2. Konzeption und Ressourcen

Charakter einer allgemeinen Hochschule, die deutsche Staatsbürger auf berufliche oder private Tätigkeiten in Asien oder Afrika vorbereiten sollte. Das Lehrangebot der Gründungszeit war darum nicht zuletzt auch auf die deutschen Kolonialgebiete ausgerichtet und umfasste neben „,Türkisch, Arabisch, Persisch, Japanisch, Chinesisch und indische[n] Idiome[n]‘“ ab dem ersten Semester als erste und bis 1897 einzige in den deutschen Kolo­ nien gesprochenen Sprachen auch Swahili.271 Dabei wurde der Unterricht in einem der Fächer in der Regel durch zwei Personen erteilt, einem deutschen Dozenten, der die Leitung des Unterrichts inne hatte, und einem muttersprachlichen Lektor, dem die Assistenzposition zugewiesen war. Diese Lektoren nahmen entgegen dieser Hierarchisierung innerhalb der kolonialen Wissensproduktion allerdings eine zentrale Rolle ein, da sie neben Missionaren die einzigen Übermittler ethnographischen, linguis­ tischen und phonetischen Wissens waren, welches die Dozenten wiederum zu Lehr- und Forschungszwecken benutzten.272 Durch diese zweifache Lehrbesetzung in den Fächern sollte die auf Sprachpraxis und Landeskun­ de ausgelegte Unterrichtsphilosophie des SfOS verwirklicht werden, beides Schwerpunkte, die die Einrichtung für Gouverneur von Sodens Schulplä­ ne für Deutsch-Ostafrika besonders interessant machten. Entsprechend den Wünschen des Gouverneurs trat der Präsident der DKG, Fürst Hohen­ lohe-Langenburg, darum im Zuge der Bemühungen um die Anstellung Barths mit der Leitung des SfOS in Berlin in Kontakt und erreichte zeit­ gleich mit dessen Anstellung auch die außerordentliche – Ende November waren die Einschreibefristen für das Wintersemester 1891/92 eigentlich

271 Sachau, Eduard: Denkschrift über das Seminar für Orientalische Sprachen an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin von 1887 bis 1912, Berlin 1912, S. 12–17 (für die Zitate: S. 14, 15). Beneke, Max: Die Ausbildung der Kolonialbeamten. Im Auftrage der deutschen Kolonialgesellschaft unter Benutzung amtlicher Quellen, Berlin 1894, S. 70–71, 79. Vgl. Koponen, Juhani: Knowledge, Power and History: German Colonial Studies in Tanzania, in: Heyden, Ulrich van der: Tanzania. Koloniale Vergangenheit und neuer Auf­ bruch, Münster 1996, S. 118–139, hier: S. 130–131. Pugach, Africa, S. 60–65, 218 (FN 73). Stoecker, Afrikanistik. Stoecker, Holger: Das Seminar für orientalische Sprachen, in: Heyden, Ulrich van der; Zeller, Joachim (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 115–122, hier: S. 115–117. 272 Sachau, Denkschrift, S. 15. Vgl. Koponen, Knowledge, S. 131. Pugach, Africa, S. 67, 141–142, 147, 153. Pugach, Sara: Of Conjunctions, Comportment, and Clothing: The Place of African Teaching Assistants in Berlin and Hamburg, 1889–1919, in: Tilley, Helen; Gordon, Robert J. (Hg.): Ordering Africa. An­ thropology, European Imperialism, and the Politics of Knowledge, Manchester 2007, S. 119–144. Stoecker, Seminar, S. 118.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

schon verstrichen – Zulassung Barths zur Ausbildung.273 Dieser stellte sich als dann auf Geheiß der DKG am 10. Dezember 1891 beim Leiter des SfOS, Professor Eduard Sachau, vor und trug sich am gleichen Tag in das Immatrikulationsverzeichnis ein.274 Für das Erlernen des Swahili brachte Barth keinerlei einschlägige Vor­ kenntnisse mit. Nach dem Besuch des Esslinger Volksschullehrerseminars in den Jahren 1882 bis 1887 hatte der am 11. April 1868 in Zell bei Esslin­ gen geborene Barth in Stuttgart, Creglingen, Ulm und Friedrichshafen am Bodensee als Lehrer gearbeitet und neben der Prüfung zum Volksschulleh­ rer auch die zum Mittelschullehrer bestanden.275 Ausgenommen die letzte Qualifikation handelte es sich bei Barths bisherigem Lebenslauf damit um die Berufslaufbahn eines klassischen jungen Volksschullehrers, ganz wie von Soden es gefordert hatte. Belegt durch sein Zeugnis widmete sich Barth nichtsdestotrotz „sehr fleißig [und] mit großem Interesse“ dem Stu­ dium des Swahili, welches neben der Sprachpraxis und der Landeskunde insbesondere auch das Erlernen der arabischen Schrift beinhaltete.276 Unterrichtet wurde Barth während seines im Frühjahr 1891 auf Bitten von Sodens auf zwei Semester277 verlängerten Aufenthalts am SfOS vom Missionar und Koloniallinguisten Carl Gotthilf Büttner, der seit der Semi­ nargründung die Dozentenstelle für Swahili innehatte.278 Büttner war bei

273 BArch, R 8023/968, Bl. 27. 274 BArch, R 8023/968, Bl. 33–37. GstA PK, SfOS, 316, Bl. 103. Die Tatsache, dass sich Barth zwei Monate nach Semesterbeginn unter der laufenden Nummer 86 in das Immatrikulationsverzeichnis eintrug, mag die durchaus geringe Anzahl der Studierenden verdeutlichen. 275 Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart E 40 / 17 Bü 6, Bl. 10 (Abschrift von K. Evangelischer Oberschulrat an K. Ministerium des Kirchen- und Schulwesens am 5.1.1912), Lenz, Gustav: Die Regierungsschule in den deutschen Schutzgebieten, Darmstadt 1900, S. 24. 276 BArch, R 1001/999, Bl. 29 (auch für das Zitat). BArch, R 8023/968, Bl. 77. 277 Barth gehörte damit derjenigen Gruppe von Studierenden des SfOS an, die dieses zur rein praktischen Vorbereitung für zwei Semester besuchten. Die Stu­ dienzeit, die zum Ablegen einer Diplomprüfung berechtigte, betrug hingegen vier Semester, Beneke, Ausbildung, S. 74–80. Sachau, Denkschrift, 21–22. Vgl. Stoecker, Seminar, S. 117. 278 BArch, R 8023/968, Bl. 51–52. BArch, R 1001/989, Bl. 25. GstA PK, SfOS, 316, Bl. 111, 115–116, 119. Sachau, Denkschrift, S. 31. Carl Gotthilf Büttner (24.12.1848–14.12.1893) trat nach dem Theologiestudi­ um in den Dienst der Rheinischen Missionsgesellschaft und verbrachte die Jahre 1872 bis 1880 im späteren Deutsch-Südwestafrika. In dieser Zeit erforschte er die Sprachen der Herero und der Nama und veröffentlichte unter anderem eine Herero-Grammatik und ein Wörterbuch der Nama-Sprache. Von 1880

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seinem Stellenantritt im Oktober 1887 hinsichtlich des Swahili selbst noch Sprachanfänger. Er verdankte die Berufung an das SfOS hauptsächlich seiner Nähe zu Friedrich Fabri und Carl Peters, die für eine enge Bin­ dung von Kolonialisten und Missionaren standen, sowie seiner damaligen Vorreiterrolle innerhalb der missionarisch geprägten Koloniallinguistik.279 Die erste Buchveröffentlichung Büttners beinhaltete darum zunächst auch weitgehend die Übersetzung des englischen Standardwerkes für den Zu­ gang zum Swahili, den Swahili Exercises von Edward Steere.280 Auch wenn Büttners eigene linguistischen Beiträge zunächst also noch begrenzt waren, bis 1885 hatte Büttner eine Pfarrstelle in Wormditt (heute Ormeta, Polen) inne, bevor er von der Reichsregierung mit dem Abschluss von ‚Schutzverträ­ gen‘ in seiner alten Wirkungsstätte an der Seite Heinrich Görings beauftragt wurde. Von 1886 bis 1889 war er schließlich Missionsinspektor der DeutschOstafrikanischen Missionsgesellschaft und widmete sich im Zuge dieser und der Tätigkeit als Dozent für Swahili am Berliner Seminar für Orientalische Sprachen, welche er von Oktober 1887 bis zu seinem Tod 1893 ausübte, der koloniallinguistischen Erforschung des Swahili. Büttner war insbesondere auch Herausgeber der von 1887 bis 1890 erscheinenden Zeitschrift für afrikanischen Sprachen, vgl. Pugach, Africa, S. 52–59, 65–66. Trüper, Ursula: Carl Gotthilf Büttner – Missionar, Kolonialpolitiker und Sprachforscher, in: Heyden, Ulrich van der; Zeller, Joachim (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 122–125. Beachte auch teilweise unkritisch aber faktenreich Menzel, Gustav: C.G. Büttner, Missionar, Sprachforscher und Politiker in der deutschen Kolonialbewegung, Wuppertal 1992. 279 Beneke, Ausbildung, S. 71. Sachau, Denkschrift, S. 31. Vgl. Pugach, Africa, S. 52, 60–61, 65. Zu Carl Peters Einfluss auf die Hinzunahme des Swahili in das Lehrangebot des SfoS beachte insbesondere Burchardt, The School, S. 68–69. 280 Büttner, Carl Gotthilf: Hülfsbüchlein für den ersten Unterricht in der SuahiliSprache. Buch für den Selbstunterricht, Leipzig 1887, S. III-IV. Steere, Edward: Swahili Exercices, London 1882. Edward Steere (4.5.1828–27./28.8.1882) war studierter Jurist und ging 1864 an der Seite von Bischof William Tozer, dem Bischof von Nyasaland und Leiter der anglikanischen Universitätenmission, nach Sansibar. Dort wirkte Steere am Auf­ bau des Missionsgebietes mit, welches auch das ostafrikanische Festland umfass­ te. Am 4.8.1874 erhielt er seine Bischofsweihe und wurde Tozers Nachfolger. Während seiner Zeit in Afrika betrieb Steere koloniallinguistische Forschungen und veröffentlichte insbesondere frühe Werke zum Swahili, die mehrfach wie­ deraufgelegt und rezipiert wurden, Heanley, Robert Marshall: A Memoir of Edward Steere, D.D., LL.D., Third Missionary Bishop in Central Africa, London 1889, S. 1, 77–87, 128, 359. Orbituary, in: The Times, Nr. 30598 (29.8.1882), S. 6, Sp. D. Bishop Steere And His Work, in: The Times, Nr. 30616 (19.9.1882), S. 4, Sp. F. Von Steere erschienen neben seinen „Exercices“ insbesondere eine Grammatik („Handbook“) sowie eine Sammlung von Geschichten, Steere, Ed­ ward: A Handbook of the Swahili Language, as Spoken at Zanzibar, London 1870. Steere, Edward; Madan, Arthur Cornwallis: A Handbook of the Swahili

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

nahm mit dessen als Hülfsbüchlein bezeichnetem Buch im Frühjahr 1887 dennoch die institutionell gestützte Erschließung des Swahili im deutsch­ sprachigen Raum seinen Anfang und ließ Barth im Dezember 1891, nach­ dem 1890 außerdem ein Wörterbuch des Swahili von Büttner sowie im Sommer 1891 die zweite Auflage des Hülfsbüchleins erschienen waren und Büttner weitere Veröffentlichungen vorbereitete, seine sprachliche Ausbil­ dung am Ort intensiver linguistischer Forschung absolvieren.281 Diese For­ schung hatte den expliziten Zweck, die koloniale Eroberung in DeutschOstafrika zu unterstützen, indem sie anstrebte, den dort tätigen deutschen Politikern, Militärs, Kaufleuten und Missionaren die sprachlichen Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele an die Hand zu geben. Werke wie Büttners Hülfsbüchlein oder dessen Suaheli-Schriftstücke waren dabei einerseits als Selbstlernbücher mit weiterführenden Literaturhinweisen konzipiert, an­ dererseits aber auch als Lehrmittel für die Benutzung in den Sprachklassen am SfOS. Sie suchten so auf zwei Wegen das aus Deutsch-Ostafrika meist ethnographisch gewonnene und in einem zweiten Schritt durch die Au­ toren und Dozenten funktional destillierte Wissen zu verbreiten.282 Wie Warnke und Schmidt-Brücken in einer Untersuchung von deutschsprachi­ gen Beispielsätzen aus einem Untersuchungskorpus von 14 Kolonialgram­ matiken zeigen, transportierten die Autoren solcher Lehrwerke damit ins­ besondere die vermeintlich natürliche asymmetrische koloniale Machtund Sozialhierarchie von Indigenen und Nicht-Indigenen mittels „Repro­

Language, as Spoken at Zanzibar, London 1884. Steere, Edward: Swahili Tales, as Told by Natives of Zanzibar, London 1870. 281 Vgl. Bromber, Katrin: German Colonial Administrators, Swahili Lecturers and the Promotion of Swahili at the Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin, in: Sudanic Africa 15 (2004), S. 39–54, hier: S. 41–42. Koponen, Knowledge, S. 129. Pugach, Africa, S. 59–62. Büttner, Carl Gotthilf: Wörterbuch der Sua­ heli-Sprache. Suaheli-Deutsch und Deutsch-Suaheli, Stuttgart 1890. Büttner, Carl Gotthilf: Hülfsbüchlein für den ersten Unterricht in der Suaheli-Sprache. Buch für den Selbstunterricht, Leipzig 1891. Wörterbuch der Suaheli-Sprache, in: DKB, Jg. 2 (1891), S. 45. Weiterhin erschienen von Büttner: Büttner, Carl Gotthilf: Suaheli-Schriftstücke in arabischer Schrift, mit lateinischer Schrift um­ schrieben, Stuttgart 1892. Büttner, Carl Gotthilf: Lieder und Geschichten der Suaheli, Berlin 1894. Letzteres Werk erschien mit identischem Inhalt ebenfalls als Büttner, Carl Gotthilf: Anthologie aus der Suaheli-Litteratur, (Gedichte und Geschichten der Suaheli), Zweiter Theil, Uebersetzung, Berlin 1894. Der erste Teil der „Anthologie“ umfasst die Suaheli-Texte, vgl. Büttner, Carl Gotthilf: Anthologie aus der Suaheli-Litteratur (Gedichte und Geschichten der Suaheli), Erster Theil, Texte, Berlin 1894. 282 Büttner, Hülfsbüchlein (1887), S. III-IV. Büttner, Hülfsbüchlein (1891), S. III-V. Büttner, Suaheli-Schriftstücke, S. V-VII.

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duktion einer ethnographischen Gewissheit“ und „[dem] permanente[n] implizite[n] Vergleich mit vertrauten Verhältnisse[n]“.283 Durch seine Ausbildung am SfOS, das unter anderem zur Tätigkeit an genau dieser ‚verwertenden‘ Schnittstelle der kolonialen Wissensproduktion gegründet wurde, erhielt Barth schnellstmöglichen Zugang zu diesem Wissen und konnte dieses durch seine auf zwei Semester angelegte Ausbildungszeit zudem auch potentiell rasch zur praktischen Anwendung bringen. Aus ko­ lonialer Perspektive würden die Bemühungen schließlich erst in der durch den Wissensrückfluss veränderten Politik vor Ort ihren ‚Ertrag‘ zeigen, im Falle Barths eben in einer zwischen Bevölkerung und Kolonisatoren vordergründig vermittelnden und damit zivil herrschaftsstabilisierenden Schultätigkeit.284 Als Grundlage für ein solches Wirken verfügte Barth zum Ende seiner Ausbildung laut seines Zeugnisses über „hinreichende Kenntnis der Gram­ matik und des Wortschatzes […], um über einfache Gegenstände ein Ge­ spräch mit einem Suaheli führen zu können.“285 Zu diesem formelhaft und schlicht umschriebenen Kenntnisstand hatten allerdings nicht nur die Unterrichtseinheiten Büttners und dessen Lektors, Amir Bin Nasir Lomeri, der Büttner seit dem Wintersemester 1891/92 assistierte286, beigetragen, 283 Vgl. Warnke, Ingo H.; Schmidt-Brücken, Daniel: Koloniale Grammatiken und ihre Beispiele – Linguistischer Sprachgebrauch als Ausdruck von Gewissheiten, in: Stolz, Thomas; Vossmann, Christina; Dewein, Barbara (Hg.): Kolonialzeit­ liche Sprachforschung. Die Beschreibung afrikanischer und ozeanischer Spra­ chen zur Zeit der deutschen Kolonialherrschaft, Berlin 2011, S. 31–53, hier: S. 43–50 (für die Zitate: S. 45, 47). 284 Sachau, Denkschrift, S. 20–21. Zum schwierigen Verhältnis des SfOS und des wesentlich später an gleicher Stelle der kolonialen Wissensproduktion gegrün­ deten Hamburger Kolonialinstituts beachte Burchardt, The School, S. 85–89. Koponen, Knowledge, S. 130–134. Ruppenthal, Kolonialismus als „Wissenschaft und Technik“, S. 173–181. 285 BArch, R 1001/999, Bl. 29. BArch, R 8023/968, Bl. 77. 286 GstA PK, SfOS, 316, Bl. 115–116. Beneke, Ausbildung, S. 71. Zur Tätigkeit Amir Bin Nasir Lomeris beachte Bromber, Katrin: Disziplinierung – eine europäische Erfindung? Das islamische Bildungswesen an der ostafrikanischen Küste des spä­ ten 19. Jahrhunderts, in: Wirz, Albert; Eckert, Andreas; Bromber, Katrin (Hg.): Alles unter Kontrolle. Disziplinierungsprozesse im kolonialen Tansania (1850– 1960), Köln 2003, S. 37–53, hier: S. 40–41, 43–47. Bromber, German, S. 43–45. Pugach, Africa, S. 154–156. Trüper, Ursula: Amur bin Nasur ilOmeiri – Lektor der Suahelisprache am Seminar für Orientalische Sprachen, in: Heyden, Ulrich van der; Zeller, Joachim (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 201–206. Siehe zur engen Verzahnung des Unterrichts Büttners und Lomeris exemplarisch die Stundenverteilung der Swahili-Dozentur im Sommersemester 1893, vgl. Dem kürzlich erschienen Bericht über die bisherige

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

sondern insbesondere auch die Arbeiten zweier weiterer deutschsprachiger Koloniallinguisten, die sich in der Gründungszeit dieser Disziplin mit dem Swahili befassten. Zum einen lag Barth das 1890 erschienene und wie die Arbeiten Büttners ebenfalls frühe, disziplinetablierende Studienbuch August Seidels vor, welches wie Büttners Hilfsbüchlein an Steeres frühe Arbeiten anknüpfte.287 Zum anderen ist davon auszugehen, dass Barth schon im Unterricht am SfOS durch Büttner auf das Suaheli-Handbuch von Walter Le Tanneux de St. Paul-Illaire hingewiesen wurde.288 Dessen auf französischen und englischen Arbeiten basierende Grammatik hatte dem SfOS ab Frühjahr 1888 vorgelegen und war 1890 nach der Lektorie­ rung durch Büttner prominent als zweiter Band in der Lehrbuchreihe des Seminars erschienen. In seinen „Suaheli-Schriftstücken“ verwies Büttner empfehlend auf das Werk St. Paul-Illaires,289 der in seinem Vorwort den Zweck seiner Bemühungen klar benannte: Wirksamkeit des Seminars für Orientalische Sprachen, in: DKB, Jg. 4 (1893), S. 138–143, hier: S. 143. 287 BArch, R 8023/968, Bl. 38. Seidel, August: Praktische Grammatik der SuahiliSprache auch für den Selbstunterricht. Mit Übungsstücken und einem DeutschKisuaheli Wörterbuche, Wien 1890, S. 11. August Seidel (1863–1916) war einer der umtriebigsten seinerzeitigen Autoren von Sprachlehrwerken verschiedener außereuropäischer Sprachen, Mitarbeiter der DKG und des Berliner Vereins der Bücherfreunde sowie von 1895 bis 1900 Herausgeber der Zeitschrift für afrikanische und ozeanische Sprachen, von 1902 bis 1903 Herausgeber der Zeitschrift für afrikanische, ozeanische und ostasiatische Sprachen und von 1899 bis 1903 Schriftleiter der Deutschen Kolonialzeitung. Insbesondere Seidels erste Veröffentlichung zum Swahili war von Rassismus und kulturellem Überlegenheitsdenken geprägt, Seidel, Praktische Grammatik (1890), S. 1–4. Seidel sah außerdem seine Werke regelmäßig als die führenden Arbeiten der Disziplin an und diskreditierte die Publikationen anderer Autoren, Seidel, Praktische Grammatik (1890), S. V. Seidel, August: Suahili Konversati­ ons-Grammatik nebst einer Einführung in die Schrift und den Briefstil der Sua­ heli, Heidelberg 1900, S. VIII-IX. Seidel, August: Geschichten und Lieder der Afrikaner, Berlin 1896, S. 10. Seidel, August: Suaheli Konversations-Grammatik nebst einer Einführung in die Schrift und den Briefstil der Suaheli, 2. Aufl., Heidelberg 1941, S. VII-IX. 288 St. Paul-Illaire, Walter Le Tanneux de: Suaheli-Handbuch, Stuttgart 1890. 289 St. Paul-Illaire, Suaheli-Handbuch, S. VII. Büttner, Suaheli-Schriftstücke, S. VII. Im Frühjahr 1893 erhielt Barth St. Paul-Illaires Handbuch außerdem in gleich dreifacher Ausfertigung per Postsendung, BArch, R 1001/1000, Bl. 2. Walter Le Tanneux de St. Paul-Illaire (geb. am 12.1.1860) trat nach seinem Militärdienst 1885 der DOAG bei und wurde 1889 Generalvertreter der Ge­ sellschaft in Ostafrika. Mit Übernahme der Verwaltung durch die deutsche Regierung im Frühjahr 1891 wurde St. Paul-Illaire Bezirksamtmann von Tanga. Daneben betätigte er sich auf dem Feld der Koloniallinguistik und verfasst mit

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2. Konzeption und Ressourcen

„Je schneller man mit den Leuten in ihrer Sprache c o r r e c t [Anm. d. Verf.: Sperrung im Original] sprechen lernt, um so schneller wird man Einfluss auf sie gewinnen.“290 St. Paul-Illaires Betonung auf das Wort „correct“ war dabei insbesondere auf die von ihm missbilligend festgestellte nachlässige Sprachpraxis indi­ scher Händler bezogen, von denen man sich absetzen müsse. Zudem könne man sich durch eigene gute Sprachkenntnisse der Notwendigkeit englisch- oder französischsprachiger und in seinen Augen potentiell un­ zuverlässiger Dolmetscher entledigen und auch der von den Swahili-spre­ chenden Indigenen praktizierten Gewohnheit, ihre eigene Sprache zum Zwecke der schnellen Verständigung mit Europäern zu vereinfachen, ent­ gegenwirken.291 Zwar verband St. Paul-Illaire diese Zweckbestimmung (noch) nicht mit der Forderung nach der Gründung einer Schule für Indigene durch einen des Swahili kundigen Lehrer292, diese ließe sich argumentativ jedoch mühelos anschließen. Insbesondere Barths sprachli­ che Ausbildung war ganz im Sinne St. Paul-Illaires, sodass es aus dem Blickwinkel der sprachpolitischen Einstellung fast natürlich erscheint, dass beide im Dezember 1892 schließlich gemeinsam in Tanga, wo St. Paul-Il­ laire von 1891 bis 1900 die Bezirksamtmannschaft inne hatte, die Schule gründeten.293

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oben genanntem Handbuch eine der ersten deutschsprachigen Grammatiken des Swahili. 1896 erschien außerdem ein praktischer Sprachführer, der allen Deutschen vor Ort bei der Ausübung ihrer Berufstätigkeit durch die kursorische Zusammenstellung spezifischen Vokabulars helfen sollte, St. Paul-Illaire, Walter Le Tanneux de: Suaheli-Sprachführer, Dar-es-Salaam 1896. St. Paul-Illaire gilt zudem als europäischer Entdecker des sogenannten Usambara-Veilchens, vgl. Heyden, Ulrich van der: Koloniales Gedenken im Blumentopf?: Das UsambaraVeilchen und sein „Entdecker“ aus Berlin, in: Heyden, Ulrich van der; Zeller, Joachim (Hg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Stuttgart 2007, S. 220–222. Vgl. St. Paul-Illaire, Suaheli-Handbuch, S. XII. Vgl. St. Paul-Illaire, Suaheli-Handbuch, S. XI-XII. Beachte schon Steeres Beob­ achtung, dass sowohl indische als auch europäische Fremde meist nur in ihrem beruflichen Kontext und dann auch nur unzureichend Swahili sprachen, Steere, Handbook (1870), S. 3. Eine solche Forderung wäre angesichts des Zeitpunkts der Fertigstellung des Vorworts im Mai 1887 auch allzu visionär gewesen, St. Paul-Illaire, SuaheliHandbuch, S. XIII. BArch, R 1001/999, Bl. 41. BArch, R 1001/989, Bl. 19–20. Tanga war der nördlichste Küstenplatz der Kolonie Deutsch-Ostafrika und wurde von den Deutschen ab 1888 nach und nach zur reißbrettartigen Koloni­ alstadt verändert. Anknüpfend an die traditionelle Ausrichtung der Stadt war

2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

Bevor sich die Darstellung nun der Auswahl des Schulortes und damit dem maßgeblich auch durch andere Bedingtheiten beeinflussten Schul­ gründungsprozess zuwendet, soll jene zunächst dem Fluss des sprachli­ chen Wissens folgen, um zu verdeutlichen, wie genau das zunächst ethno­ graphisch gewonnene, dann am SfOS ‚verwertete‘ und gelehrte Wissen in der kolonialen Schule herrschaftspolitisch nutzbar gemacht wurde.

Der Fluss sprachlichen Wissens Barth verlor ganz im Sinne von Sodens keine Zeit, seine neu erlernten Fähigkeiten für die Etablierung kolonialer Herrschaft nutzbar zu machen. Dies bezeugt in Ansätzen schon eine Liste, die Barth kurz vor Ende sei­ ner Ausbildung im Juli 1892 anfertigte. Darin benannte er 14 Bücher, die später den Grundstock seiner Handbibliothek vor Ort bildeten und nicht nur potentiell Material für seine Unterrichtstätigkeit liefern konnten, wie etwa eine Swahili-Übersetzung des Johannesevangeliums oder eine Sammlung von Swahili-Sprichwörtern, sondern insbesondere auch seinem eigenen vertieften sprachlichen Zugriff auf sein Tätigkeitsgebiet dienten. So umfasst die Liste etwa auch einen arabischen Sprachführer sowie drei Werke zum Gujarati, einer aus westindischen Regionen stammenden Spra­ che, welche in den Kreisen der indischen Händler weit verbreitet war.294 Barth folgte damit der von St. Paul-Illaire vertretenen Auffassung, wonach die Europäer zur Durchsetzung ihrer Herrschaftsansprüche zunächst die vor Ort gesprochenen Sprachen lernen und benutzen sollten, bevor sie

Tanga eines der Handelszentren der Kolonie. Sie besaß einen durch eine Bucht geschützten Hafen mit Anbindung an die Deutsch-Ostafrika-Linie und war ab 1894 in das Landesinnere über die Usambara-Bahn angebunden. Letztere teilte die Stadt insbesondere bis 1911 auch nach ethnischen Kategorien. Während innerhalb der Bahnschleife mehrheitlich Europäer wohnten, war der äußere Bereich der arabisch, indisch und afrikanisch geprägten Bevölkerung zugedacht. Ab 1911 entstand entlang der östlichen Küste ein weiterer Wohnbereich für Eu­ ropäer, vgl. Becher, Jürgen: Dar es Salaam, Tanga und Tabora. Stadtentwicklung in Tansania unter deutscher Kolonialherrschaft (1885–1914), Stuttgart 1997, S. 59–84. Uhlig: Tanga, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 454f. Finde eine Karte bei Meinecke, Gustav: Tanga, in: DKZ, Jg. 11 (N. F. 7, 1894), S. 140–141, hier: S. 141. Zur Auswahl Tangas als Schulstandortes beachte Kapitel 2.2.3. 294 BArch, R 8023/968, Bl. 54. Vgl. St. Paul-Illaire, Suaheli-Handbuch, S. XII. Die Liste wurde später um noch ein weiteres Werk zur arabischen Sprache erweitert, BArch, R 8023/968, Bl. 99. Vgl. Becher, Dar es Salaam, S. 132.

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2. Konzeption und Ressourcen

ihre eigene Sprache verbreiten konnten. Angesichts der in der Debatte zwischen dem Auswärtigen Amt und Gouverneur von Soden bereits in Aussicht genommenen Beschulung indischer Kinder und der im Sommer 1892 immer noch als möglich erscheinenden Kooperation mit dem indi­ schen Händler Sewa Hadji passte sich Barth hiermit nicht zuletzt auch den aktuellen politischen Gegebenheiten an.295 Er nahm außerdem schon früh eine Expertenstellung für die Sprachen Deutsch-Ostafrikas ein, da nicht etwa Barths Lehrer Büttner oder andere Dozenten des SfOS die Titel be­ nannten. Diese frühe Übernahme der Verantwortung für konkrete Fragen der praktischen Unterrichtstätigkeit durch den sich noch in Deutschland befindenden Lehrer hatte sich auch im Falle Christallers gezeigt.296 Weit mehr noch als für die Ausarbeitung dieser Liste war Barths sprachliche und landeskundliche Ausbildung für die Erstellung des ersten Lehrplans dienlich. Dieser datiert auf den 25. Oktober 1892 und damit nur sechs Tage nach der Ankunft Barths in Tanga.297 Es ist also davon auszugehen, dass wesentliche Inhalte des Lehrplans auf Barths mitgebrach­ tem Wissen und den am SfOS vermittelten Kenntnissen von Land und Leuten basierten. Barth bestimmte darin, dass mit dem Schreiben, dem Lesen, dem Rechnen und dem Singen die Mehrheit der Fächer auf Swa­ hili gelehrt werden sollte, während er für den Turn- und den Deutschun­ terricht das Deutsche als Unterrichtssprache vorsah. Der Schwerpunkte im Schreibunterricht, den Barth in Schönschreiben, Rechtschreiben und Aufsatz unterteilte und für den er insgesamt sechs Wochenstunden veran­ schlagte, lag dabei auf der Vermittlung der Orthographie des lateinischen

295 Am SfOS wurde darum schon zum Wintersemester 1893/94 eine entsprechende Sprachklasse eingerichtet, Beneke, Ausbildung, S. 80. Sachau, Denkschrift S. 15. 296 Siehe Kapitel 2.1.3. 297 Für hier und das Folgende: BArch, R 1001/989, Bl. 24–26. BArch, R 1001/999, Bl. 42. Beachte auch den von Barth entworfenen Stundenplan in Anhang Nr. 2. Dieser widerlegt die Behauptung Bechers, die Schule habe erst ab 1898 einen Stundenplan mit Unterrichtszeiten am Vor- und am Nachmittag gehabt, vgl. Becher, Jürgen: Die deutsche evangelische Mission. Eine Erziehungs- und Dis­ ziplinierungsinstanz in Deutsch-Ostafrika, in: Wirz, Albert; Eckert, Andreas; Bromber, Katrin (Hg.): Alles unter Kontrolle. Disziplinierungsprozesse im ko­ lonialen Tansania (1850–1960), Köln 2003, S. 141–169, hier: S. 159. Der Stun­ denplan erfuhr im Sommer 1894 im Zuge der Debatte um die Anstellung islamischer Religionslehrer eine Aktualisierung und umfasste dann kurzzeitig auch Stunden zum „Übungen im Lesen und Schreiben der arab[ischen] Schrift­ zeichen“ und zum „Lesen und Auswendiglernen der Koransprüche“, BArch, R 1001/989, Bl. 45–46 (für die Zitate: Bl. 46), siehe Anhang Nr. 3. Beachte zudem Kapitel 2.2.4.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

Alphabets, welches bereits von den frühen missionarischen Koloniallingu­ isten anstelle des arabischen Alphabets bevorzugt worden war. Barth selbst hatte am SfOS zwar auch die arabische Schrift gelernt, folgte in seinem Lehrplan aber der dominierenden Forschungsauffassung, die insbesondere Steere und ihm folgend dann auch Büttner vertreten hatten.298 Demnach eignete sich das lateinische Alphabet besser, um das gesprochene Swahili schriftlich auszudrücken. Gleichzeitig erleichtere ein vertrautes Schriftbild dem europäischen Sprachneuling das Lernen des Swahili. Zwar trat insbe­ sondere Büttner dennoch auch für das Erlernen der arabischen Schrift ein und machte seine Bewunderung für die in arabischen Buchstaben ge­ setzte Swahili-Dichtkunst deutlich. Festzuhalten bleibt dennoch, dass auch er und durch ihn auch Barth den europäischen Zugriff auf das Swahili letztlich weiter vorantrieben. Aus der Perspektive des Unterrichts hatte die Benutzung des lateinischen Alphabets zudem den ‚Vorteil‘, dass dadurch auch die Vermittlung des Deutschen implizit vorbereitet wurde. Der Deutschunterricht (sechs Wochenstunden) selbst sollte gemäß Lehr­ plan jedoch nur als Sprechunterricht abgehalten werden „wie das Kind seine Muttersprache lernt, anzuschließen von dem en­ gen Rahmen der nächsten Umgebung ausgehend, fortlaufend bis zu dem weiteren Kreise, in dem sich das tägliche Leben bewegt“.299 Die systematische Vermittlung deutscher Grammatik für alle Schüler der Schule war demnach zunächst nicht vorgesehen und sollte zukünftig – wenn überhaupt – den besten Schülern vorbehalten bleiben. Der anfängli­ che Wortschatz sollte sich dementsprechend auf die Dinge des täglichen (Schul-)Lebens beschränken, wurde allerdings insbesondere im Turnunter­ richt (zwei Wochenstunden) erweitert. Hier sollten in einer dem Militär ähnelnden disziplinarischen Atmosphäre die Anweisungen und Komman­ dos in deutscher Sprache erteilt werden, da Barth den Turnunterricht als „wichtiges Mittel zur Gewöhnung an pünktliches, rasches Gehorsam“ verstand. Gleichzeitig sollten „Turnspiele […] zu regem, freudigem u[nd] zahlreichem Schulbesuch beitragen“. Zuletzt hatte auch im eigentlich auf Swahili abzuhaltenden Singunterricht (zwei Wochenstunden) das Deut­

298 Büttner, Suaheli-Schriftstücke, S. 151–155. Steere, Handbook (1870), S. 5–7. Büttner argumentierte insbesondere auch für das Erlernen der arabischen Schrift, damit europäische Kolonialisten die in arabischer Schrift geschriebene Kommunikation vor Ort lesen und kontrollieren konnten, Büttner, Lieder und Geschichten, S. VII-VIII; ebd., Anthologie, Erster Theil, S. VII-VIII. 299 BArch, R 1001/989, Bl. 24–26 (für das Zitat: Bl. 26).

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sche einen Anteil, da Lieder in beiden Sprachen, allerdings deutsche Originale und ins Swahili übersetzte deutsche Lieder, gesungen werden sollten.300 Der Rechenunterricht schließlich (sechs Wochenstunden), für den Barth das Swahili vorgesehen hatte, sollte ausgehend vom Zahlenraum 1–10, dann 1–100, die Grundrechenarten behandeln, anschließend den Zahlen­ raum weiter vergrößern sowie „Bruchrechnen, Tauschrechnen, Gewinnund Verlustrechnen“ thematisieren. Was hier zunächst als durchaus ma­ thematisch-allgemeinbildendes Curriculum daherkommt, stand für Barth allerdings klar unter der Prämisse der zweckgebundenen Ausbildung, denn „in allen Fällen dürfte jedoch über die Anforderungen, die das praktische Leben stellt, nicht hinausgegangen werden“, so dieser als Ein­ schränkung.301 Für die Schüler sollte diese Praxis in der Tätigkeit als Sub­ alternbeamte liegen, weshalb im Schreibunterricht neben „Abhandlungen [und] Erzählungen [auch] Briefe, Rechnungen [und] Quittungen“ auf dem Lehrplan standen.302 Die hierdurch entstehende inhaltliche Verknüpfung beider Fächer spiegelt sich nicht zuletzt auch in der implizit disziplinie­ renden Vermittlungsabsicht wider, der beide Fächer folgten, indem sie, wie Jürgen Becher dies für den Rechen- und den Schreibunterricht an Missionsschulen feststellte, gleichermaßen „angeblich typische europäische Charakterzüge wie Rationalität und Berechenbarkeit“ auf den Stunden­ plan setzten.303 Für den mit dem Schreibunterricht verbundene Leseunterricht (vier Wochenstunden) konstatierte Barth wiederum ein weitreichendes, von Christaller bekanntes Problem: „Die vorhandenen Schulbücher – sämtlich von Missionen herausgege­ ben – sind entweder methodisch sehr unvollkommen ausgearbeitet oder derart für Missionszwecke zugespitzt, dass sie in unserer nach anderen Grundsätzen arbeitenden Schule nicht eingeführt werden können.“304 Zunächst sollten darum die von den Schülern selbst geschriebenen Tex­ te wiederholt gelesen werden, was angesichts des handschriftlichen amtli­

300 BArch, R 1001/989, Bl. 24–26 (für die Zitate: Bl. 25). Zur Umsetzung des Turnunterrichts beachte Kapitel 2.2.3. 301 BArch, R 1001/989, Bl. 24–26 (für die Zitate: Bl. 25). 302 BArch, R 1001/989, Bl. 24–26 (für das Zitat: Bl. 24). 303 Vgl. Becher, Mission, S. 153–154 (für das Zitat: S. 153). 304 BArch, R 1001/989, Bl. 24–26 (für das Zitat: Bl. 24).

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

chen Schriftverkehrs nicht zuletzt auch die spätere Tätigkeit vorbereiten und darum der Schultätigkeit vorerst nicht abträglich sein würde.305 Dabei wollte es Barth allerdings nicht belassen und so bildete dessen negative Kritik an den bestehenden missionarischen Schulbüchern wie schon im Falle Christallers den Ausgangspunkt eigener Arbeiten an einem Schul­ buch306, mit welchen er ebenfalls sehr schnell nach Abschluss seiner Ausbildung begann. Schon in seinem ersten Schulbericht vom 7. Januar 1893, also etwa einen Monat nach Eröffnung der Schule, berichtete Barth, dass die Fibel „der Hauptsache nach ausgearbeitet“ sei und er schon erste Vorabexemplare für den aktuellen Unterrichtsgebrauch mit einem Kopier­ gerät hergestellt habe.307 Mit dieser direkten Implementierung der Inhalte seiner Fibel schloss Barth den kolonialen Kreislauf des sprachlichen Wis­ sens ohne große Verzögerung und betrieb damit wie schon Christaller in Bonamandone Sprachpolitik in Form von Korpusplanung. Da es für das Swahili anders als für das Duala zum Zeitpunkt der jeweiligen Schulgrün­ dung bereits mehrere Wörterbücher und Grammatiken gab, setzte Barths Arbeit im Vergleich zur Duala-Fibel Christallers linguistisch allerdings an anderer, hinsichtlich der Durchdringung und Systematisierung späterer Stelle an. Während Christallers Schulbuch durch die Festlegung der Aus­ sprache des Duala und die damit vorangetriebene normative Verschriftli­ chung als Beitrag zur Kodifizierung anzusehen ist, trug Barths Fibel durch die Benutzung des lateinischen Alphabets und den Transport der gramma­ tikalischen Konzepte seiner Lehrer zur „Entwicklung von Standards in Grammatik, Orthographie und Lexikon“ bei, die in der Abfolge gramma­ tikalischer Erschließungsprozesse der Kodifizierung zeitlich nachgelagert verstanden wird.308 Des Weiteren ist die Festlegung der Schulsprache auf

305 BArch, R 1001/989, Bl. 24–26. Die zitierte Stelle des Lehrplans wurde durch einen Bearbeiter in der Kolonialabteilung verändert und die negative Kritik Barths so abgeschwächt. In veränderter Form lautete sie: „Die vorhandenen Schulbücher – sämtlich von Missionen herausgegeben – sind entweder metho­ disch sehr unvollkommen ausgearbeitet oder ihrem Inhalt nach nicht geeignet, in unserer Schule eingeführt zu werden.“, ebd. (für das Zitat: Bl. 24). 306 Zur Kritik Christallers siehe Kapitel 2.1.5. 307 BArch, R 1001/989, Bl. 21–23 (für das Zitat: Bl. 22). Beachte auch: Bericht des Lehrers Barth über die deutsche Schule in Tanga, in: DKB, Jg. 4 (1893), S. 83– 85. 308 Vgl. Marten, Sprach(en)politik, S. 25 (auch für das Zitat). Siehe zudem Kapi­ tel 2.1.5. Zu Büttners Bestrebungen zur Normierung der Orthographie siehe Büttner, Wörterbuch, S. VII. Büttner und auch Seidel gingen in ihren Arbeiten, wie viele andere ihrer Kollegen, nach dem üblichen Modus der Missionarslin­ guistik vor, die die lateinisch/deutsche Grammatik als maßgeblichen Orientie­

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2. Konzeption und Ressourcen

Swahili (und Deutsch), wie das Schulprojekt als Ganzes, als statusplaneri­ sche Spracherwerbsplanung zu identifizieren, da durch dieses die Sprecher dieser Sprachen für Stellen in der Verwaltung bevorzugt wurden.309 Die mit der Fibel vorangetriebene Sprachpolitik insgesamt sollte dem überge­ ordneten Ziel dienen, das Swahili als lingua franca Ostafrikas gegenüber anderen nicht-europäischen Sprachen zu stärken, und band den Klassen­ raum in Tanga damit unmittelbar an den kolonialen Wissenskreislauf an.310 Hieran hinderte Barth auch nicht, dass seine Fibel in gedruckter Verlags­ form erst zwei Jahre später erschien.311 Im Unterricht benutzte er einfach die selbst hergestellten Kopien seiner Arbeit.312 Die Nutzung der Vorab­ drucke zeigt nicht nur Barths Impetus, rasch und möglichst direkt auf seine Schüler einzuwirken und sie zum erwünschten Lernerfolg zu brin­ gen. Es war schlicht und einfach auch notwendig, da sich der Ausschuss

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rungspunkt aufgefasst hatte. Sie versuchten so nicht nur, das Swahili der latei­ nischen Kasus-Numerus-Genus Struktur zu unterwerfen, obwohl „das Swahili […] keine Kasusdistinktionen aufweist“, sie verwenden zudem etwa ausschließ­ lich die Getrenntschreibung von Swahili-Verben und deren Präfixen (Subjekt­ präfixen). Damit übertrugen sie allerdings, ohne dass dies geboten wäre, die aus Verbalsuffix und Personalpronomen bestehende Verbrealisation im Deutschen auf das Swahili, dachten dieses damit nicht in eigenen Kategorien, sondern griffen aus dem Blickwinkel der deutschen Sprache direkt in Grammatik und Orthographie des Swahili ein, vgl. Hackmack, Susanne: Die Subjektpräfixe des Swahili in kolonialzeitlichen Sprachbeschreibungen, in: Engelberg, Stefan (Hg.): Sprachwissenschaft und kolonialzeitlicher Sprachkontakt. Sprachliche Begegnungen und Auseinandersetzungen, Berlin 2012, S. 49–67, hier: S. 50–52, 57–58 (für das Zitat: S. 58). Hennig, Zum deutschen Blick, S. 122–123, 125–131. Vgl. Marten, Sprach(en)politik, S. 24–25, 26–27. Siehe die zeitgenössischen Bekenntnisse zu diesem Ziel etwa bei St. Paul-Illaire, Suaheli-Handbuch, S. IX. St. Paul-Illaire, Walter Le Tanneux de: Suaheli-Sprach­ führer, Dar-es-Salaam 1896, S. VI. Steere, Handbook (1870), S. iii-iv. Beachte auch Bromber, German, S. 39–40. Middleton, The World of the Swahili, S. 50– 51. Pesek, Koloniale Herrschaft, S. 65–66. Angesichts der dargestellten umfassenden linguistischen Erfassungsbestrebun­ gen und der Veröffentlichungen von Grammatiken, Hand- und Wörterbüchern irritiert Haschemi Yekanis Aussage, deren Nicht-Existenz sei eines der „Proble­ me“ der deutsch-ostafrikanischen Kolonialpolitik gewesen, vgl. Haschemi-Yeka­ ni, Koloniale Arbeit, S. 167 (auch für das Zitat). Barth, Christian G.: Chuo cha kwanza. Fibel für die deutschen Schulen in Ost-Afrika, Berlin 1893. Der Aufbau der Fibel folgte dem erstellten Lehrplan. Nach der Einführung des kleinen und großen Alphabets, die mit vielen kleinen Übungstexten versehen waren, stellte die Fibel 79 Lesestücke bereit, abgeschlos­ sen durch den Text des Kaiserliedes in deutscher Sprache. BArch, R 1001/989, Bl. 31–34.

2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

der DKG, obgleich die Druckfassung der Fibel das Erscheinungsjahr 1893 trägt und ihr Manuskript im September 1893 in der Berliner Geschäfts­ stelle der DKG vorlag, im gleichen Monat nicht zur Übernahme der Druckkosten entschließen konnte. Dort hatte man befunden, dass „vor der Beschlussfassung noch weitere Erhebungen über den Nutzen des Buches angestellt werden“ sollten, und Barth fürs erste vertröstet.313 Ein Jahr spä­ ter berichtete das Generalsekretariat der DKG in Berlin Barth auf dessen Nachfrage, wo denn die gedruckte Fibel bleibe, dass die DKG vor weite­ ren finanziellen Investitionen in das Schulprojekt zunächst absehen wolle und die von der Gesellschaft angestoßene Überprüfung des Manuskriptes im SfOS noch immer andauere. Dort kritisiere man insbesondere, dass Barth in der Konzeption der Fibel „die […] maßgeblichen pädagogischen Gesichtspunkte“ nicht beachtet habe.314 Daraufhin wandte sich BzkAM St. Paul-Illaire an das Auswärtige Amt und forderte dieses auf, die Fibel oh­ ne die Korrekturen Büttners und Hans Zaches315, deren Berücksichtigung das Auswärtige Amt gegenüber der DKG zuvor als Bedingung genannt hatte, drucken zu lassen. Zu Hans Zache bemerkte St. Paul-Illaire, „der Standpunkt, von dem [dieser] kritisiert, scheint mir aber ein ungerechtfer­ tigt hoher“. Zaches Anmerkungen seien vielmehr für ein „Lehrbuch für 313 BArch, R 8023/968, Bl. 182–184, 187–188 (für das Zitat: Bl. 184). 314 BArch, R 8023/968, Bl. 216–217, 226 (für das Zitat: Bl. 217). 315 Hans Richard Zache (27.3.1869–18.9.1930) war während der ersten beiden Jahre seines Studiums der Rechts- und Staatswissenschaften auch Student am SfOS und legte dort im Herbst 1891 als einer von zwei Prüflingen des Jahrgangs und insgesamt erst der fünfte bzw. sechste Student des SfOS die Diplomprüfung im Swahili ab. Nach dem Tode Büttners im Dezember 1893 war Zache interi­ mistisch für dessen Unterricht zuständig. Nach dem Abschluss seines Studiums wurde Zache Referent im Auswärtigen Amt und im November 1895 Mitarbei­ ter im Gouvernement von Deutsch-Ostafrika. Er war zwischen 1898 und 1909 nacheinander Bezirksamtmann in vier Verwaltungsbezirken der Kolonie (Lin­ di, Langenburg, Tanga, Moschi) sowie zwischenzeitlich politischer Referent des Gouverneurs. Aus gesundheitlichen Gründen kehrte er Ende 1910 nach Deutschland zurück und wurde ab Frühjahr 1911 Mitarbeiter in der Zentralstel­ le des Hamburger Kolonialinstituts sowie Dozent am dortigen Institut. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte Zache seine Tätigkeit an der Nachfolgeeinrichtung der Zentralstelle, dem Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv, heute Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften, fort, veröffentlichte zahlreiche Zeitungsartikel und Monographien und wurde einer der lautesten Propagandis­ ten für die Rückerlangung der ehemaligen deutschen Kolonien. Benecke, Aus­ bildung, S. 71–72, 75. Regierungsrat Hans Richard Zache, in: Neue Hamburger Zeitung, Nr. 143 (25.3.1911). Regierungsrat Zache, in: Deutsch-Ostafrikanische Rundschau, Nr. 56 (16.7.1910). Regierungsrat Zache, in: Hamburger Nachrich­ ten, Nr. 438 (19.9.1930). Hans Zache, in: Wirtschaftsdienst, Nr. 39 (26.9.1930).

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2. Konzeption und Ressourcen

Fortgeschrittene“ geeignet. Dieser habe nicht im Blick, dass es sich bei der Fibel um ein Schulbuch für Anfänger handeln solle.316 Grundsätzlich ging es bei diesem Streit damit um die Zielgruppe der Fibel. Während die Korrektoren im SfOS diese für die Ausbildung ihrer Seminaristen nutzbar machen und damit die Gründungsbestimmung des SfOS als Wissensmultiplikator stärken wollten, ging es Barth und St. PaulIllaire um die Erstellung eines Hilfsmittels für den Unterricht von Indige­ nen.317 Der Unterschied beider Positionen liegt somit insbesondere im anvisierten Rückflusspunkt des zum Schulbuch verarbeiteten sprachlichen Wissens. Barth und St. Paul-Illaire wollten mit Barths Fibel, wie schon Christaller, von der langen Tradition missionarischer Koloniallinguisten abweichen, Sprachlehrwerke zuvorderst nur für die Ausbildung ihrer eige­ nen weißen Mitstreiter zu verfassen, und sahen den ‚Nutzen‘ der Fibel für den Schulunterricht durch die Korrekturvorschläge bedroht.318 Anhand der Quellenlage lässt sich nun nicht zweifelsfrei bestimmen, inwiefern die schließlich zur Jahreswende 1894/95 in den Druck gehende Fibel tat­ sächlich noch Korrekturen erfuhr.319 Dafür, dass diese die Fibel letztlich nicht maßgeblich veränderten, spricht allerdings, dass Barth weiterhin als alleiniger Autor genannt und das Werk auch insbesondere nicht in die Lehrbuchreihe des SfOS aufgenommen wurde. Auch zeigten sich weder St. Paul-Illaire noch Barth inhaltlich mit dem Druckergebnis un­ zufrieden320, und auch die Vorbemerkungen der weiteren Auflagen der Fibel, die nach Bearbeitung von Barths Nachfolger Paul Blank 1898, 1901 und 1904 erschienen, geben keinen Anlass, von einer substanziellen Verän­ derung hin zu einem für den Unterricht am SfOS geeigneten Lehrbuch auszugehen, in dessen Lehrbuchreihe die späteren Auflagen ebenfalls nicht einflossen.321

316 BArch, R 1001/999, Bl. 106–109 (für die Zitate: Bl. 106–107). BArch R 1001/1001, Bl. 3. 317 Sachau, Denkschrift, S. 20–21. 318 Vgl. Hennig, Zum deutschen Blick, S. 120–121. Pugach, Africa, S. 21–48. Zim­ mermann, Missionarslinguistik in kolonialen Kontexten, S. 169–170, 181. 319 BArch, R 8023/968, Bl. 237–238, 242. 320 BArch, R 1001/999, Bl. 99. Bei der dritten Auflage, die von Barths Nachfolger Paul Blank bearbeitet wurde, bemerkte Barth lediglich, dass er mit dem Titel­ bild der ersten Auflage unzufrieden gewesen sei, BArch, R 1001/1001, Bl. 39. 321 Barth, Christian G.; Blank, Paul: Chuo cha kwanza. Fibel für die deutschen Schulen in Ost-Afrika. Nach Grundsätzen der Normalwörter-Methode, Berlin 1898, S. V-VII. Barth, Christian G.; Blank, Paul: Chuo cha kwanza. Fibel für die deutschen Schulen in Ost-Afrika. Nach Grundsätzen der Normalwörter-Metho­ de, Berlin 1901, S. V-VII. Barth, Christian G.; Blank, Paul: Chuo cha kwanza.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

Neben seiner Schultätigkeit betätigte sich Barth während seiner Dienst­ zeit in Deutsch-Ostafrika außerdem in einem weiteren sprachpolitischen Buchprojekt, dem Suaheli-Sprachführer von BzkAM St. Paul-Illaire.322 Die­ ser hatte schon im Vorwort seines Suaheli-Handbuchs angekündigt, seinem „theoretischen [Handbuch] einen […] lediglich praktischen Theil anzufü­ gen“, und stellte daraufhin bis September 1894 ein nach Berufszweigen ge­ gliedertes Konversations- und Formulierungskompendium zusammen.323 Barth kam im Rahmen dieses Projektes die Aufgabe zu, das Kapitel „Schu­ le und Erziehung“ anzufertigen, welches der generellen Unterteilung der Kapitel folgend zunächst ein Deutsch-Swahili-Wörterbuch und daran an­ schließend eine Liste deutscher Sätze mit der entsprechenden Übersetzung auf Swahili umfasste.324 Die Beteiligung Barths zeigt zum einen die enge Zusammenarbeit zwischen ihm und St. Paul-Illaire und zum anderen, dass Barth nicht nur durch seine Fibel in das Sprachgefüge der Küste DeutschOstafrikas eingriff und eine Grundlage schuf für die weitere schulische Be­ handlung des Swahili durch seine Nachfolger, sondern durch die Mitar­ beit an St. Paul-Illaires Sprachführer auch darüber hinaus den sprachlichen Zugriff der deutschen Kolonialisten auf die Region unterstützte.

2.2.3 Die Einbindung des Unterrichts in die koloniale Wissensproduktion Nach dem Ende seiner sprachlichen und landeskundlichen Ausbildung am Seminar für Orientalische Sprachen verbrachte Christian G. Barth ab dem 16. August 1892, womit die Darstellung nun also den zuvor fallengelassenen chronologischen Faden wieder aufnimmt, auf Ansinnen der Deutschen Kolonialgesellschaft einen Monat in Hamburg, um an der dortigen Deutschen Seewarte einen Kurs zur Betreuung einer meteorolo­ gischen Station zu besuchen.325 Anschließend fand er sich Anfang Sep­

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Fibel für die deutschen Schulen in Ost-Afrika. Nach Grundsätzen der Normal­ wörter-Methode, Berlin 1904. St. Paul-Illaire, Suaheli-Sprachführer. Im Deutschen Reich erschien das Buch dann 1896. St. Paul-Illaire, Suaheli-Handbuch, S. X (auch für das Zitat). St. Paul-Illaire, Suaheli-Sprachführer, S. IX, 464–492. BArch, R 8023/968, Bl. 47–49, 68, 75–76. Die Direktion der Seewarte zeigte sich auf die Anfrage des Generalsekretärs der DKG, der als Begründung an­ gab, Barth könne dann nebenbei die meteorologische Station in Daressalam betreuen, durchaus überrascht und klärte diesen darüber auf, dass bereits ein Regierungsmitarbeiter die dortige Station betreue. Man sei aber gerne bereit,

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2. Konzeption und Ressourcen

tember zur Vorbereitung seiner Ausreise erneut für kurze Zeit in Berlin ein.326 Dort hatte die DKG und damit wie schon im Falle Christallers nicht das Auswärtige Amt oder eine ihr zugeordnete Behörde bereits zahl­ reiche persönliche Ausrüstungsgegenstände für Barth zusammengetragen. Die DKG bezog alle Artikel vom Feldbett über baumwollene Unterhosen und den typischen Tropenhelm bis hin zu einem Revolver mit 200 Schuss Munition vom Warenhaus für Armee und Marine, welches in Berlin vom Deutschen Offizierverein betrieben wurde, und übernahm gemäß der Ver­ einbarungen mit dem Auswärtigen Amt auch die Anschaffungskosten in Höhe von rund 620 Mark.327 Nach der Überprüfung der gelieferten Waren sollte Barth dann eigentlich wieder nach Hamburg zurückkehren, um sich dort auf dem am 14. September 1892 auslaufenden Dampfer Reichstag der Deutsch-Ost-Afrika-Linie einzuschiffen.328 Meldungen über CholeraGefahr in Hamburg veranlassten die DKG allerdings, Barth mitsamt seiner Fracht nach Neapel zu schicken. An diesem späteren Halt des Dampfers bestieg er schließlich am 28. September 1892 den Reichstag, allerdings erst nach einigen hektischen Telegrammwechseln zwischen Neapel und Berlin wegen dort befürchteter Cholera-Fälle auf dem Dampfer selbst, die sich vor Ort allerdings als Falschmeldungen herausstellten.329 Ähnlich kurzfristig fiel in Deutsch-Ostafrika die Entscheidung für den Schulstandort. In dieser Sache hatte Gouverneur von Soden bis zur Abreise Barths keine Festlegung getroffen. Grundsätzlich kamen nach Stand der seinerzeitigen Diskussion das durch Bezirkshauptmann Leue vorgeschlage­

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Barth auszubilden und ihn vor Ort als Vertreter vorzumerken. Dieser dem Auswärtigen Amt erst im Nachhinein mitgeteilte Schritt diente vermutlich dazu, Barths Wert gegenüber der Gouvernementsverwaltung zu steigern, rief von Seiten der Behörden allerdings keine belegbare Reaktion hervor, ebd. sowie BArch, R 100/999, Bl. 25–27. BArch, R 8023/968, Bl. 88. BArch, R 8023/968, Bl. 57, 62–67, 70, 72–74, 81–82, 84–85, 96–98, 127, 151, 157, 232–234. BArch, R 1001/999, Bl. 24. Beachte die Liste der von Barth vor Abreise in Empfang genommenen Gegenstände in Anhang Nr. 4 a) sowie eine Liste der zusätzlich privat von Barth bezahlten Gegenstände in Anhang Nr. 4 b). Zu den Frachtangelegenheiten beachte BArch, R 8023/968, Bl. 101–108, 114–125, 160–162, 231. BArch, R 1001/999, Bl. 25–28. BArch, R 8023/968, Bl. 155–156. BArch, R 8023/968, Bl. 90–93, 128–150, 152. Für den Zeitraum der Reise hatte die DKG außerdem auch eine Unfallversicherung für Barth bei der Alli­ anz Versicherungs-Aktien-Gesellschaft Berlin abgeschlossen, BArch, R 8023/968, Bl. 4, 86–87, 151. Zur Cholera-Epidemie in Hamburg im Spätjahr 1892 beachte Evans, Richard J.: Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830–1910, Reinbek bei Hamburg 1996.

2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

ne Daressalam oder aber das von von Soden bevorzugte Bagamoyo in Frage, wo die DOAG ihre Hauptniederlassung errichtet hatte und von welchem auch von Soden zunächst die Verwaltungsgeschäfte ausübte. Das Auswärtige Amt empfahl Ende August 1892 ebenfalls, Bagamoyo als Schulstandort auszuwählen und mit der ansässigen ‚indischen‘ sowie ‚arabischen‘ Bevölkerung zu kooperieren.330 Gegen eine dortige Gründung sprach sich allerdings der Bezirksamtmann Bagamoyos, Victor Eschke, aus. Er berichtete von Soden über eine vor Kurzem stattgefundene Gründung einer katholischen Missionsschule, welche Räume des indischen Händlers Sewa Hadji, den Bezirkshauptmann Leue bekanntlich als Ansprechpartner für eine Schulgründung in Daressalam vorgeschlagen hatte, bezogen habe, was nun eine eigene Schulgründung ausschließe.331 Gegenüber dem Aus­ wärtigen Amt berichtete von Soden noch, dass Eschke versuche, mit der Leitung der katholischen Mission bezüglich einer Übernahme des Elemen­ tarunterrichts an der Missionsschule durch Barth zu verhandeln, berichtete allerdings gleichfalls, dass er sich für eine bisher noch nicht vorgebrachte Alternative entschieden habe. Dieser Alternative zufolge sollte Barth vorerst in der Küstenstadt Tan­ ga eine zwei Jahre zuvor vom evangelischen Missionar August Krämer gegründete Schule übernehmen.332 Neben dieser Möglichkeit, an bereits

330 BArch, R 1001/999, Bl. 26. Zur diversen Zusammensetzung der von den Deut­ schen als ‚indisch‘ bezeichneten Bevölkerungsgruppe beachte Becher, Dar es Salaam, S. 131–133. 331 BArch, R 1001/999, Bl. 39–40. BArch, R 8023/968, Bl. 166–167. Beachte den Kooperationsvertrag, BArch, R 1001/996, Bl. 29–31. Denkschrift betreffend Deutsch-Ostafrika, in: DKB, Jg. 4 (1893), Beilage zu Nr. 23, S. 3–16, hier: S. 10. Vgl. Ploeg, Education, S. 100. Betrieben wurde die Schule von den Missionaires d’Afrique d’Alger, für die ein deutscher Missionar namens Oswald den Unter­ richt durchführte, vgl. ebd. Auch in Kamerun hatte man bei der Auswahl der Schüler für die Schule in Bonamandone den Ort der benachbarten Missions­ schule ausgelassen, um offenbar zunächst direkter Konkurrenz aus dem Weg zu gehen, siehe Kapitel 2.1.5. 332 Die Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika hatte neben der schon erwähnten Schulgründung des Missionars Greiner in Daressalam im August 1890 (siehe Kapitel 2.2.1) auch in Tanga eine Schule gegründet, die von Greiners ehemaligem Assistenten August Krämer und dessen Frau geleitet wurde. Einem Artikel der Neuen Preußischen Zeitung zufolge unterrichtete Krä­ mer dort zu Beginn „zum großen Theil Sudanesen-Kinder“, was wie auch ein expliziter Dank Krämers an die Vermittlung des dortigen Stationschefs Krenzler annehmen lässt, dass es sich bei den Kindern um Söhne und Töchter von in Wissmanns Diensten stehenden Soldaten handelte. Krämer verwendete mit dem Arabischen, welches er aber noch lernte, dem Swahili und auch dem

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2. Konzeption und Ressourcen

geleistete schulische Arbeit anzuknüpfen, spreche außerdem für Tanga, dass eine dortige Tätigkeit eine gute Vorbereitung auf die „unruhigen Verhältnisse Bagamoyo[s]“ sei. Zudem habe sich Barth bereits auf seiner Reise mit einigen europäischen Bewohnern Tangas bekannt gemacht und „ein nicht unbedeutendes Maß von Selbstbewusstsein und eingebildeter Kenntnis der hiesigen Dinge“ entwickelt. Der Bezirksamtmann von Tanga, Walter Le Tanneux de St. Paul-Illaire, sei insbesondere dazu in der Lage, Barth mit „der milden Hand“ zu führen und damit für eine gelingende Schulgründung zu sorgen.333 Gegenüber St. Paul-Illaire erklärte von Soden schließlich, dass man „an irgend einem der Küstenplätze eine Deutsche Schule [zu] gründen“ beabsichtige und der BzkAM gemeinsam mit Barth die „geplante Schule [nun in Tanga] ins Werk setzen“ solle. Insbesondere übertrug er St. Paul-Illaire die Aufgabe, einen entsprechenden Schulraum und eine Wohnung für Barth zu organisieren. Von Soden selbst war dies in den vergangenen Monaten schließlich nicht gelungen und er entledigte sich dieses Problems nun vorläufig durch Delegation der Aufgabe an einen seiner Bezirksleiter.334 Hinsichtlich der Strukturen von Herrschaft und Wissen zeigt die so ent­ schiedene Auswahl des Schulstandortes zunächst einmal, dass es von So­ den nicht gelang, die in Kamerun entwickelte Form der Zusammenarbeit mit einer ansässigen Führungspersönlichkeit auf die Schulgründung in Deutsch-Ostafrika zu übertragen. Für die von ihm angestrebte zivile Ver­ mittlungspolitik durch die Schule bedeutete dieser misslungene Transfer von Herrschaftswissen trotz aller bis dato erfahrenen Unterstützung durch die heimische DKG vorerst einen Misserfolg, welcher die Limitierungen der politischen Durchsetzungsmöglichkeiten von Sodens widerspiegelt. Diese bestätigt sich hier erneut, obgleich von Soden als Gouverneur im Entscheidungsprozess, wie schon im Falle der Kameruner Schulgründung,

Deutschen gleich drei Sprachen im Unterricht, den sowohl Jungen als auch Mädchen besuchten. Letztere erhielten außerdem von Krämers Frau Handar­ beitsunterricht, BArch, R 1001/996, Bl. 15–16, 28 (für das Zitat: Bl. 28). Nach­ richten aus der evangelischen Mission, in: DKB, Jg. 1 (1890), S. 278. Siehe auch die Nachrufe auf den am 29.1.1896 in Ägypten verstorbenen Missionar Krämer, Aus dem Bereiche der Mission und der Antisklaverei-Bewegung, in: DKB, Jg. 7 (1896), S. 105–106. Kleine Mitteilungen, in: Zeitschrift für afrikanische und oceanische Sprachen, Jg. 2 (1896), S. 288–289, hier: S. 288. 333 BArch, R 1001/999, Bl. 39–40, 42 (für die Zitate: Bl. 40). BArch, R 8023/968, Bl. 166–167. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 605. 334 BArch, R 1001/999, Bl. 41 (auch für das Zitat).

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

die Debatte klar bestimmte335 und etwa den Schulort ohne vorherige Konsultation des Auswärtigen Amtes selbstständig festlegen konnte. Zum tatsächlichen Vollzug dieser Entscheidung bedurfte es aber zum einen offenkundig eines lokalen Partners, für dessen Rolle von Soden nach dem Ausfall Sewa Hadjis nun alternativ eine evangelische Mission ins Auge gefasst hatte.336 Zum anderen entschied von Soden gemäß der durch seine Bezirkschefs übermittelten politischen und militärischen Lage und war darum auch von deren allgemeiner Tätigkeit abhängig und je nach Projekt auf deren Mitwirkung angewiesen.337 All diese Maßnahmen, die dazu dienen sollten, politischen Zugang zur lokalen Bevölkerung zu erlangen, lieferten jedoch nicht den gewünschten Schulraum mitsamt zahlreichen Schülern. So scheiterte zunächst der Plan, die Schule in den Räumlichkeiten des Verwaltungs- und Militärzentrums, der sogenannten boma, einzurichten, an der Weigerung der ansässigen Bevölkerung, ihre Kinder dorthin zu schicken, was St. Paul-Illaire mit Be­ fürchtungen „vor Beeinflussung der religiösen Überzeugung“ zu begrün­ den versuchte. Barth hingegen meinte etwa, die Furcht der Indigenen „vor den Gewehren, Kanonen und Soldaten des Forts“ als Grund der Ableh­ nung ausmachen zu können.338 Während Letzteres sicherlich als verkindli­ chende Diffamierung anzusehen ist, weist Ersteres abermals auf den Faktor der Religion und das für die Versuche herrschaftlicher Durchdringung maßgeblich zu berücksichtigende Aufeinandertreffen christlicher Koloni­ satoren und muslimisch geprägter lokaler Bevölkerungen in Ostafrika.339 Für den Schulort bedeutete diese Bedingung die Notwendigkeit einer Al­ 335 Beachte Kapitel 2.1.1. 336 Die nachfolgenden Ereignisse sprechen dabei insbesondere dafür, dass von So­ dens Vorschlag, die Schule Krämers in Tanga weiterzuführen, allerdings nicht als tatsächliche Übernahme der Räumlichkeiten, sondern vielmehr als Fortset­ zung der deutschen Schultätigkeit verstanden werden muss. 337 Zu dieser doppelten Abhängigkeit des Gouverneurs beachte Pesek, Grenzen, S. 128, 137–138. Siehe auch Conrad, Sebastian: Deutsche Kolonialgeschichte, München 2012, S. 44–47. 338 BArch, R 8023/968, Bl. 169–172. BArch, R 1001/989, Bl. 20–23 (für die Zitate: Bl. 20, 21). Zur Funktion der Boma als Zentrum einer Station beachte Kapi­ tel 2.2.1. 339 Zum Verhältnis von Islam und Imperialismus sowie der ambivalenten Wahr­ nehmung des Islam durch die europäischen Kolonisatoren beachte Becker, Fe­ licitas: Islam and Imperialism in East Africa, in: Motadel, David (Hg.): Islam and the European Empires, Oxford 2014, S. 112–128. Gottschalk, Kolonialismus und Islam, S. 41–71. Pouwels, Randall L.: Horn and Crescent. Cultural Change and Traditional Islam on the East African Coast, 800–1900, Cambridge 1987, S. 186–190. Zur Forderung nach der intensiveren Beachtung der Religion als

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2. Konzeption und Ressourcen

ternative, die St. Paul-Illaire und Barth in der Anmietung eines Raumes der Handelsfirma K. Perrot & Co in der Innenstadt von Tanga fanden.340 Doch auch dieses Hinausgehen aus der gesicherten Umgebung der boma verschaffte der Schule zunächst keine freiwilligen Schüler. Dass Barth die Schule am 10. Dezember 1892 dennoch eröffnen konnte, war lediglich da­ durch möglich, dass St. Paul-Illaire acht indigene Mitarbeiter der örtlichen Verwaltung anwies, die Schule zu besuchen. Diese „boys von der boma“, denen sich nach offizieller Schilderung St. Paul-Illaires „nach und nach Freunde und Bekannte anschlossen“, sollten den Unterricht, der anfangs an jedem Nachmittag von 15 bis 17 Uhr stattfand, nach oder neben ihrer eigentlichen Anstellungstätigkeit besuchen, was aber erwartungsgemäß schon bald dazu führte, dass viele Schüler nur sehr unregelmäßig zum Unterricht erschienen.341 Anders als bei dieser bis Anfang Januar 1893 auf 33 Köpfe angewach­ senen älteren, teilweise erwachsenen Schülergruppe berichtete Barth bei einer kleinen Gruppe von sieben jüngeren Schülern, die er ab dem 27. De­ zember 1892 täglich von 8 bis 10.30 Uhr vormittags unterrichtete, dass diese regelmäßig am Unterricht teilnähmen. Insbesondere bei dieser ei­ gentlichen Zielgruppe der Schule sehe man sich allerdings „feindliche[r] Umtriebe […] der einheimischen Lehrer“ ausgesetzt, was die Steigerung der Zahl dieser Schülergruppe erschwere.342 Barth verwies damit impli­

Analysegegenstand der Imperialismusforschung beachte Stuchtey, Zeitgeschich­ te, S. 336. 340 BArch, R 8023/968, Bl. 169–172. Beachte die Karte Tangas bei Meinecke, Tanga, S. 141. Barth nennt in seinem Schulbericht die Deutsch-Ostafrikanische Seenge­ sellschaft als Vermieterin und beziffert die Miete auf monatlich 15 Rupien, was bei einem Kurs von 1 R = 1,28 M im Dezember 1892 Mietkosten in Höhe von 19,20 M bedeutete, BArch, R 1001/989, Bl. 21–23. Zoll- und sonstige Einnah­ men in Deutsch-Ostafrika, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 471–472, hier: S. 471. 341 BArch, R 1001/989, Bl. 20–23 (für das erste Zitat: Bl. 21). BArch, R 8023/968, Bl. 169–172 (für das zweite Zitat: Bl. 169). Barth, Christian G.: Die ersten Le­ bensjahre unserer deutschen Schule in Tanga, Ostafrika, in: DKZ, Jg. 12 (NF. 8), Nr. 12 (23.3.1895), S. 90–93, hier: S. 91–92. In seinem an das Auswärtige Amt gerichteten Schulbericht äußerte Barth Verständnis für die häufigen Fehlzeiten seiner Schüler. Gerade diese Passage wurde für in der dann im Deutschen Kolo­ nialblatt veröffentlichten Fassung des Berichts allerdings wohl aus politischen Gründen gestrichen, Ueber die Entwicklung der deutschen Schule in Tanga während des Jahres 1893, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 209–210, hier: S. 209. Verlei­ tet von Barths erstem Bericht aus dem Januar 1893 datiert Haschemi Yekani die Eröffnung der Schule irrtümlicherweise auf diesen Zeitpunkt, vgl. Haschemi Yekani, Koloniale Arbeit, S. 157. 342 BArch, R 1001/989, Bl. 20–23 (für die Zitate: Bl. 21).

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

zit auf die vor Ort existierenden Koranschulen, mit denen die deutsche Regierungsschule nun in Konkurrenz trat und denen gegenüber er zum Schulstart kein attraktives Unterrichtsangebot machen konnte.343 Insofern mag die von St. Paul-Illaire gemachte Bemerkung, dass die ansässige Be­ völkerung „vorläufig den Nutzen der Schule noch nicht einsieht“, wohl durchaus den Kern der Sache treffen, wenngleich sie natürlich von der Prämisse ausgeht, dass der Schulzweck, der allein die Interessen des Gou­ verneurs im Blick hatte, prinzipiell ein guter sei und der Schulbesuch auch einen tatsächlichen Nutzen für die Schüler darstelle.344 Die Konkurrenzsi­ tuation erschwerte außerdem, dass auch die englische Universitätenmissi­ on Schulen im Raum Tanga unterhielt, durch welche sein Bezirk gemäß einer Beschwerde St. Paul-Illaires aus dem Jahr 1895 drohe, „langsam aber systematisch englisiert“ zu werden.345 Vor diesem Hintergrund begann Barth nun also am 10. Dezember 1892 mit dem Unterricht. Sein Schulraum war ausgestattet mit einem Pult so­ wie Schulbänken, welche er, wie schon Christaller, selbst, allerdings „mit der Hilfe dreier einheimischer Meister“, hergestellte hatte und die etwa 30 Schülern Platz boten.346 Der Raum verfügte außerdem über zwei Wand­ tafeln, die ebenso wie eine Rechenmaschine, Schreib- und Rechenhefte, Schiefertafeln, diverse Schreibutensilien, verschiedene Tierbilder sowie mehrere Landkarten Ostafrikas von der DKG in Deutschland angeschafft und nach Tanga verbracht worden waren.347 Damit hatte er zumindest alle materiellen Voraussetzungen, seinen Unterricht gemäß dem erstellten

343 BArch, R 1001/989, Bl. 20–23. Barth, Die ersten Lebensjahre, S. 90. Auch Lenz führt die Schwierigkeiten, Schüler anzulocken, auf Manipulationen ansässiger islamischer Lehrer zurück, Lenz, Regierungsschule, S. 18. Lehrinhalte einer Koranschule in Ostafrika Ende des 19. Jahrhunderts waren zum einen die In­ halte des Koran, Geschichten über den Propheten Mohammed und die Praxis religiöser Rituale, zum anderen aber auch Mathematik sowie das Lesen und Schreiben des Arabischen, Letzteres allerdings in unterschiedlicher Ausprägung, vgl. Bromber, Disziplinierung, S. 42–43, 47–48. Bromber ist der Auffassung, die staatliche Schule habe sich nicht in Konkurrenz mit den örtlichen islamischen Schulen befunden, da die Strategien der Disziplinierung beider Schulformen ähnlich seien, vgl. ebd., S. 51–52. Zum Versuch der Gouvernementsverwaltung, Schüler und Eltern durch die Einstellung eines islamischen Religionslehrers wohlgesonnen zu stimmen, beachte insbesondere Kapitel 2.2.4. 344 BArch, R 8023/968, Bl. 169–172 (für das Zitat: Bl. 170). 345 BArch, R 1001/996, Bl. 33–35 (für das Zitat: Bl. 33). Amtlicher Jahresbericht (1895/1896), S. 93–95. Vgl. Hornsby, German Educational Achievement in East Africa, S. 83. 346 BArch, R 1001/989, Bl. 21–23 (für das Zitat: Bl. 21). 347 BArch, R 1001/989, Bl. 21–23. BArch, R 8023/968, Bl. 55, 89, 100.

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2. Konzeption und Ressourcen

Lehrplan durchzuführen, und er berichtete, trotz der oben erwähnten Fehlzeiten vieler Schüler, im Januar 1893 positiv von ersten ‚Erfolgen‘ der Schultätigkeit. Demnach habe er während eines Monats im Rechenunter­ richt erste Ziffern und im Schreibunterricht erste kleine Buchstaben des lateinischen Alphabets gelehrt. Wie im Lehrplan vorgesehen, ließ er seine Schüler aus den gelernten Buchstaben kurze Wörter schreiben und nutzte diese ebenso wie Teile seiner eigenen Fibel im Leseunterricht als Lektüre­ grundlage. Im Deutschunterricht behandelte er Gegenstandsbeschreibun­ gen und die Formulierung von Ja-Nein-Fragen.348 Es kann also konstatiert werden, dass Barth seinen langen Weg von der Ausbildung am SfOS bis zur Unterrichtstätigkeit in Tanga nun vollzogen hatte und insbesondere das angestrebte Andocken des Unterrichts an den Prozess der kolonialen Wissensproduktion erfolgt war. Auch wenn Barths eigener Bericht kein direktes retrospektives Urteil über den tatsächlichen ‚Lehr- bzw. Lernerfolg‘ ermöglicht, was Aussagen über die Qualität dieses Andockens durchaus akzentuieren könnte, spricht doch einiges dafür, dass Barths Schüler, sofern sie denn am Unterricht teilnahmen, seine Lektionen gemäß seinen Vorstellungen umsetzten, damit der Rückfluss von in Euro­ pa gewendetem sprachlichen und kulturellem Wissen begonnen hatte und in Form der Schüler gleichzeitig eine neue Wissensquelle angezapft war. Für diese Schlussfolgerungen spricht insbesondere, dass keiner von Barths Berichten gegenüber der DKG oder dem Auswärtigen Amt begründete Zweifel aufkommen lässt, dass dieser Missstände nicht offen ansprach oder grundsätzlich mit seiner eigenen Meinung hinter dem Berg hielt. Letzteres bezeugt beispielhaft ein Urteil St. Paul-Illaires über Barth. Jener schrieb in seinem Begleitschreiben zum ersten Schulbericht: „Seine schulmeisterliche Besserwisserei sowie der Mangel an Um­ gangsformen kommen von Zeit zu Zeit störend zu Tage, doch genügt dann eine deutliche Lektion, um ihn bis zum nächsten Male beschei­ den zu machen.“349 Es ist davon auszugehen, dass Barth, so wie er später auch herbe Kri­ tik an der mangelhaften finanziellen Ausstattung der Schule übte, sich auch über unzureichende sprachliche und landeskundliche Vorbereitung, darauf basierenden misslungenen Unterricht oder andere Störungen be­ schwert hätte, und damit einschränkende Aussagen über die Einbindung des Unterrichts in die koloniale Wissensproduktion angezeigt gewesen wä­

348 BArch, R 1001/989, Bl. 21–26. 349 BArch, R 1001/989, Bl. 20.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

ren.350 Vielmehr lassen auch die Schilderungen in Barths zweitem Bericht aus dem Januar 1894, also nach etwa einjähriger Schultätigkeit, davon ausgehen, dass im Unterricht insbesondere die sprachpolitischen Eingriffe, dessen Kernelement die Verwendung des lateinischen Alphabets für das Schreiben des Swahili darstellt, gelangen und damit der Wissensrückfluss seine beabsichtigte normierende Wirkung entfaltete. So berichtete Barth, dass „die Meißten ziemlich fehlerfrei leichtere Suahelistücke in lateinischer Schrift [schreiben]“ und er im Laufe des Jahres dazu übergegangen sei, mit der Klasse fortgeschrittener Schüler Diktate basierend auf den Texten sei­ ner Fibel sowie weiterer Swahili-Bücher schreiben zu lassen.351 Während Barth mit einer Gruppe neu gewonnener Schüler, die die Schule mehrheit­ lich seit April 1893 besuchten, zum Berichtszeitpunkt daran war, nach Ab­ schluss des kleinen Alphabets nun die großen lateinischen Buchstaben zu vermitteln, hatte er mit der fortgeschrittenen Gruppe außerdem den Un­ terricht im Schönschreiben begonnen und die sprachpolitischen Eingriffe damit gemäß Lehrplan vertieft.352 Mit beiden Gruppen hatte er zudem den Deutschunterricht, den die Einführung der lateinischen Buchstaben, wie bereits erwähnt, vorbereiten sollte, ausgeweitet und ließ „die Schüler unter einander in rein deutschen Gesprächen das Gelernte anzuwenden verstehen“. Er hatte darüber hinaus mit grammatikalischen Lektionen be­ gonnen und war, ohne dies zu begründen, grundsätzlich vom Lehrplan, in welchem er noch vorgesehen hatte, diesen Unterricht als Sprechunterricht ohne Grammatikanteil durchzuführen, abgewichen.353 Eine besondere Stellung im Unterricht nahmen außerdem die beiden Fächer Singen und Turnen ein. Dem Singen, welches Barth ab Mitte Juli 1893 unterrichtete, kamen dabei zwei Funktionen zu. Zum einen war es Anwendungsfach des Swahili- und des Deutschunterrichts, indem dort deutsche Lieder mit originalem („Heil Dir im Siegerkranz“) oder mit ins Swahili übersetztem Text („Ich hatt‘ einen Kameraden“ = „Nalikuwa na mwenzangu“) gesungen wurden, und zum anderen war es durch den In­ halt der Lieder dazu konzipiert, kulturelle Ehrfurcht vor den Deutschen zu vermitteln.354 Im Lehrplan hatte Barth, seine landeskundlichen ‚Erkennt­ nisse‘ andeutend, hierzu bereits vermerkt: 350 BArch, R 1001/999, Bl. 78. Zu weiteren Urteilen über Barth und dessen negati­ ver Kritik an der Schulpolitik des Gouvernements beachte Kapitel 2.2.5. 351 BArch, R 1001/989, Bl. 29, 31–34 (für das Zitat: Bl. 29). 352 BArch, R 1001/989, Bl. 31–34. 353 BArch, R 1001/989, Bl. 24–26, 31–34 (für das Zitat: Bl. 34). 354 BArch, R 1001/989, Bl. 31–34 (für die deutschen Zitate: Bl. 33). Ueber die Entwicklung, S. 209–210, hier: S. 210 (auch für das Swahili-Zitat).

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2. Konzeption und Ressourcen

„Bei dem bekannten, sangeslustigen Charakter der Suaheli – auch der Abwechslung im Unterricht wegen – kann auf das Singen nicht verzichtet werden.“355 Im Turnunterricht wiederum, den Barth ab Anfang Februar 1893 erteil­ te, lagen die Schwerpunkte einerseits auf den im Lehrplan vorgesehenen Turnspielen und -übungen und andererseits auf einer Art militärischer Haltungs- und Marschübungen. Letzteres bezeichnete Barth als „de[n] ei­ gentliche[n] Turnunterricht“ und legte damit vielsagend Zeugnis darüber ab, dass dieser Unterricht der körperlichen und geistigen Disziplinierung dienen sollte.356 Damit wirkten der Turn- wie der Singunterricht potenti­ ell unterstützend für die sonstigen sprachpolitischen Schwerpunkte von Barths Unterricht, den also nicht nur die direkte Sprachpolitik, sondern auch das Zusammenwirken der einzelnen Fächer zum Ort des Wissens­ rückflusses innerhalb der kolonialen Wissensproduktion werden ließen. Dies stand insbesondere nicht der gleichzeitigen Nutzung des Unterrichts als Quelle potentiell neuen noch zu ‚verwertenden‘ Wissens im Wege, was Barth nicht nur mit der steten Weiterentwicklung seiner eigenen Fibel, sondern, wie bereits erwähnt, auch im Zuge seiner Mitarbeit an St. PaulIllaires „Suaheli-Sprachführer“ betrieb.357 Beide Prozesse, der normieren­ de Wissensrückfluss wie auch die Sammlung neuen Wissens, fanden im Unterricht parallel statt und fügten sich in die weiteren Abläufe kolonial­ linguistischer Wissensproduktion der 1890er-Jahre, die auf die eine oder andere Weise bisweilen sogar mit Lehrer Barth in Verbindung standen. So war etwa der Missionar August Krämer – gewissermaßen der Vorgänger Barths in Tanga – nicht nur in Diensten der EMDOA, sondern von 1894 bis zu seinem Tod Ende Januar 1896 auch Mitarbeiter der von August Seidel herausgegebenen Zeitschrift für afrikanische und oceanische Sprachen

355 BArch, R 1001/989, Bl. 24–26 (für das Zitat: Bl. 25). 356 BArch, R 1001/989, Bl. 31–34 (für das Zitat: Bl. 33). Den prämilitärischen Charakter betont auch ein Fachartikel zum Schulturnen aus Barths Heimatland Württemberg: „Dass aber richtige Turnerziehung […] den Mann zur Erfüllung der schönsten aller Pflichten ganz besonders befähige, zum hilfreichen Bei­ sprung in allerlei Not und Gefahr und namentlich zum ernsten Kampfe auch für’s Vaterland, ist zu einleuchtend, um weitere Ausführungen zu erfordern.“, Kessler: Einiges über Schulturnziele und Schulturnbetrieb, in: KorrespondenzBlatt für die Gelehrten- und Realschulen Württembergs, Jg. 37 (1890), S. 17–49 (für das Zitat: S. 21). 357 Siehe Kapitel 2.2.2.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

und lieferte diesem Material für seine diversen Veröffentlichungen.358 Ein anderer, nämlich Gustav Neuhaus, ehemaliger Mitschüler Barths am SfOS und einer von zwei Swahili-Diplomabsolventen des Jahres 1892, sammelte während seiner Dienstzeit in Deutsch-Ostafrika von 1893 bis 1894 zahlrei­ che Manuskripte des Swahili, um sie dann 1896, während seiner Tätigkeit als Dozent für Swahili am SfOS, herauszugeben.359 Wie schon Büttner verschwieg Neuhaus dabei meist die eigentlichen Urheber seiner gesam­ melten Texte, was diesen den Charakter der intransparenten Wissensaneig­ nung und -nutzung verleiht.360 Daneben hatte auch der Hauptmodus der präkolonialen Wissensgenerierung, die Expedition, weiter Bestand. Diese wurde eben nicht nur zur Sichtbarmachung von Herrschaft eingesetzt, sondern lieferte auch ethnographisches, landeskundliches und geographi­ sches Wissen, welches dann im SfOS zu Lehrzwecken verwendet wurde und in die koloniallinguistischen Veröffentlichungen einfließen konnte.361 Innerhalb dieses aus vielen Bestandteilen sich formierenden Prozesses der kolonialen Wissensproduktion trug der Unterricht Barths in Tanga wie schon die Einstellung afrikanischer Lektoren am SfOS insgesamt zur weiteren Institutionalisierung der Vorgänge bei. Vor allem wurde das ge­ sammelte Wissen durch die nun regelmäßige Aufnahme in Lehrbücher 358 Aus dem Bereiche der Mission und der Antisklaverei-Bewegung, in: DKB, Jg. 7 (1986), S. 105–106, hier: S. 106. Zeitschrift für afrikanische und oceanische Spra­ chen. Mit besonderer Berücksichtigung der Deutschen Kolonien, Jg. 1 (1895), S. 1–3. Zeitschrift für afrikanische und oceanische Sprachen. Mit besonderer Berücksichtigung der Deutschen Kolonien, Jg. 2 (1896), S. 1. Krämer arbeitete darüber hinaus auch in juristischen Belangen mit der örtlichen Kolonialverwal­ tung zusammen, für die er in den Jahren 1894 und 1895 als Beisitzer des Kaiserlichen Gerichts für Deutsch-Ostafrika tätig war, siehe Ernennung von Bei­ sitzern der Kaiserlichen Gerichte für Deutsch-Ostafrika, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 103–104, hier: S. 103. Ernennung von Beisitzern der Kaiserlichen Gerichte für Deutsch-Ostafrika, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 129–139, hier: S. 129. 359 Beneke, Ausbildung, S. 75. Neuhaus, Gustav: Suaheli-Manuskripte in photo-lito­ graphirten Originalen, Berlin 1896. Vgl. Bromber, German, S. 46–49. Pugach, Africa, S. 66. Gustav Neuhaus (11.10.1866–28.2.1942) hatte die ordentliche Nachfolge Bütt­ ners nach der interimsweisen Versehung des Postens durch Hans Zache 1895 angetreten und dort für zwei Jahre als alleiniger Swahili-Dozent und von 1897 bis 1899 neben Carl Velten als einer von zwei Dozenten gearbeitet, vgl. ebd. 1932 erschien von ihm ein Reisebericht über Deutsch-Ostafrika, Neuhaus, Gus­ tav: Suaheliland, wie ich es wiederfand. Eine Landreise von Kairo nach der Zanzibar-Küste. Sieben Briefe, Stuttgart 1932. 360 Vgl. Bromber, German, S. 48–49, 52. Habermas, Intermediaries, S. 31–32, 42. 361 Vgl. Fabian, Tropenfieber, S. 243–279. Gräbel, Erforschung, S. 217–221. Pesek, Grenzen, S. 123–129.

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2. Konzeption und Ressourcen

reproduzierbar, was man auf Seiten der kolonialen Regierungsinstanzen nur begrüßen konnte, da diese Entwicklung dazu führte, die Abhängig­ keit von afrikanischen und auch missionarischen Helfern zu verringern, indem sie in die Strukturen des Prozesses eingebunden wurden.362 Fand dies vor Ort im Unterricht durch den lehrenden und parallel Lehrbuch verfassenden Lehrer statt, lief dieser Prozess sehr schnell und mit vielen Möglichkeiten zur Korrektur und des Eingriffes ab. Insofern erscheint es auch aus der Perspektive der Effizienz der kolonialen Wissensproduktion folgerichtig, dass in Tanga schon bald nach Barths Abschied durch dessen Nachfolger eine Schuldruckerei gegründet wurde, die vor allem die vor Ort durch die Regierungs-, aber auch die Missionsschulen gefragten Schul­ bücher druckte. 363 Barth verfügte in den Jahren 1893 bis 1894 gewiss noch nicht über diese Möglichkeit, erzielte aber dennoch seine ‚Erfolge‘ in der Einbindung des Unterrichts in den Prozess der kolonialen Wissensproduk­ tion, und dies nicht zuletzt auch zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten. Der Bezirksamtmann St. Paul-Illaire jedenfalls berichtete nach einer am 9. Dezember 1893 abgehaltenen öffentlichen Schulprüfung: „Man kann im Allgemeinen wohl mit dem Erreichten zufrieden sein.“364 Einzig gegen eine Forderung Barths, einen „Schulzwang in beschränkter, in milder Weise“ einzuführen, erhob St. Paul-Illaire Einwände.365 Diese Schulpflicht sollte zum einen die Festsetzung einer Mindestschulzeit in Jahren umfassen und zum anderen die Verpflichtung „der einigermaßen wohlhabenden Schwarzen, [ihre Kinder], die […] zum Nahrungserwerb in der Regel nicht verwendet werden und die daher am meisten dem Nichtst­ hun verfallen“, in seinen Unterricht zu schicken.366 Barth sah sich, nachdem er in seinem ersten Bericht noch Verständnis für Fehlzeiten seiner Schüler geäußert hatte, zu dieser Forderung gezwungen, da sich nach seinen Anga­ ben dieses Problem verschärft hatte. Es gebe zu viele Schulabbrecher, die „nach kurzer Zeit des Lernens selbstzufrieden der Schule den Rücken kehren.“367 Doch auch den in Tanga und Umgebung ansässigen Europäern gab Barth eine wesentliche Mitschuld und monierte, dass „eine noch größere Anzahl [Schüler] von den Europäern in den Dienst genommen wird, noch

362 Vgl. Pugach, Africa, S. 60, 141–142. 363 Beachte hierzu Kapitel 3.2.5. 364 BArch, R 1001/989, Bl. 35 (auch für das Zitat). Mit einer Kurzfassung des Schul­ berichts hatte sich St. Paul-Illaire sogar „vollkommen einverstanden“ erklärt, BArch, R 1001/989, Bl. 29–30 (für das Zitat: Bl. 30). 365 BArch, R 1001/989, Bl. 31–35 (für die Zitate: Bl. 32). 366 BArch, R 1001/989, Bl. 31–34 (für das Zitat: Bl. 32). 367 BArch, R 1001/989, Bl. 31–34 (für das Zitat: Bl. 32).

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

ehe die allerersten Stufen des Könnens erklommen sind.“368 Gegen die so begründete Forderung nach einer Schulpflicht widersprach St. Paul-Illaire mit der Bemerkung, dass vielmehr das „Misstrauen der Leute“ die Hauptur­ sache des volatilen Schulbesuchs sei. Hiergegen helfe keine Schulpflicht, mit deren Einführung man zu Schulbeginn ohnehin schon einmal gescheitert sei, sondern eine Verbesserung des Rufs der Schule.369 Die lokale indigene Bevölkerung setzte nämlich die Regierungsschule mit den Koranschulen gleich. Dies führe dazu, dass sie jene „als Religionsanstalt“ wahrnähmen, in der ihnen christliche Bekehrung drohe.370 Diese Interpretation der Ursachen fügte sich insbesondere in das Narrativ der bisherigen Korrespondenz zwi­ schen Gouvernements-, Bezirks- und Auswärtigem Amt ein. Mit ihr stand St. Paul-Illaire zudem nicht allein, da sie im Zuge der Publikation des Schulberichts nicht zuletzt auch von der Redaktion des DKB aufgegriffen und nahezu wortgleich und damit bestätigend abgedruckt wurde.371 In Tanga entschied man sich Ende August 1894 schließlich dazu, von der Prämisse der ‚religionslosen‘ Schule abzurücken und einen islamischen Religionslehrer einzustellen, was das eigentliche Problem zwar kurzfristig löste und die Schülerzahl binnen zweier Monate um knapp 30 Prozent auf 62 erhöhte, die koloniale Schule letztlich aber auch in ihre erste, insbesondere auch in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommene Krise führte.372

2.2.4 Der Nutzen, die Disziplin, das Entgegenkommen: Islamischer Religionsunterricht in Deutsch-Ostafrika Der Ausgangspunkt der Krise, die nicht nur die Missionen zum ersten Mal erfolgreich gegen die koloniale Schule agieren lassen sollte, sondern insbe­ sondere auch Sinnbild der kolonialen Versuche ist, lokale Bevölkerungen zeitlich zu disziplinieren, war ein Artikel des österreichischen Forschungs­ reisenden Oskar Baumann, der am 31. März 1894 in der Deutschen Kolonial­

368 369 370 371

BArch, R 1001/989, Bl. 31–34 (für das Zitat: Bl. 32). BArch, R 1001/989, Bl. 35 (auch für das Zitat). BArch, R 1001/989, Bl. 35 (auch für das Zitat). Ueber die Entwicklung, S. 209–210, hier: S. 210. Auch bei Lenz findet sich diese Beschreibung der Ursachen, Lenz, Regierungsschule, S. 18. 372 BArch, R 1001/989, Bl. 47. BArch, 1001/999, Bl. 87, 96, 121. Beachte die Statistik der Schülerzahlen des Zeitraums Dez. 1892 bis März 1895 in Anhang Nr. 14.

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2. Konzeption und Ressourcen

zeitung erschien.373 Darin kennzeichnete Baumann zunächst den aktuellen Stand der Schule in Tanga mit Blick auf die anderen beiden kolonialen Schulen in Kamerun und Togo374 als rückständig. Da insbesondere „die Dualla an Intelligenz und materieller Kultur den ostafrikanischen Swahili nicht annähernd zu vergleichen“ seien und die lokale Bevölkerung aufgrund der „enge[n] Berührung mit Arabern und Indern“ jenen überlegen sei, die „Swahili“ also „den hohen Wert, den die deutsche Schulbildung unter gegenwärtigen Umständen für sie und ihre Kinder haben kann“, eigentlich erblicken müssten, komme als Grund für die dennoch ausbleibende Begeis­ terung für die neue Schule nur die Furcht vor christlicher Bekehrung in Frage.375 Die logische Verbindung dieser Schlussfolgerung in Baumanns Argumentation bildete dabei die aus Barths zweitem Schulbericht bekannte und schließlich durch St. Paul-Illaire aufgegriffene Klage, dass die Lehrer der örtlichen Koranschulen („Mwalims“) der kolonialen Schule durch das Ver­ breiten von Gerüchten schaden wollten. Diese Lehrer redeten der lokalen

373 BArch, R 1001/989, Bl. 41–42. BArch, R 8023/968, Bl. 196. Baumann, Oskar: Ostafrikanische Schulen, in: DKZ, Jg. 11 (= N.F. 7), Nr. 4 (31. März 1894), S. 56–57. Oskar Baumann (25.6.1864–12.10.1899) hatte in Wien studiert und im An­ schluss an einen ersten Afrikaaufenthalt im Wintersemester 1887/88 mit einer Arbeit über die Bevölkerung der Insel Fernando Pòo (heute Bioko, Äquatorial­ guinea) bei Friedrich Ratzel in Leipzig promoviert. 1888 scheiterte er zusam­ men mit Hans Meyer an der europäischen Erstbesteigung des Kilimandscharo, bevor er 1889 im Auftrag der DOAG an der geographischen Erschließung des Usambara-Gebiets, der Region um Tanga, teilnahm, eine Expedition, die das Ziel hatte, eine günstige Schienenführung für die geplante Bahnlinie zu erkun­ den. Eine dritte große Expedition führte Baumann dann in den Jahren 1892 und 1893 in das heutige Dreiländereck von Tansania, Burundi und Ruanda. Von 1896 bis zu seinem Tod war Baumann schließlich österreichisch-ungari­ scher Honorarkonsul am Sultanshof in Sansibar, BArch, R 1001/7307, Bl. 149 (Kleine Nachrichten, in: Kreuz und Schwert im Kampf gegen Sklaverei und Heidentum, Jg. 8, Nr. 3 (1899–1900), S. 78–82, hier: S. 81.). Haberland, M.: Dr. Oskar Baumann. Ein Nachruf, in: Abhandlungen der K. K. Geographischen Ge­ sellschaft in Wien, Bd. 2 (1900), S. 1–20. Vgl. Brandt, Alexander; Kainbacher, Paul: Österreichische Forscher und Reisende in Afrika vor 1945. Eine Biogra­ phie und Bibliographie von A–Z, Baden 2010, S. 21–25. Gräbel, Erforschung, S. 63. Koponen, Knowledge, S. 120–121. Pesek, Grenzen, S. 133–134. Die Argu­ mentation Baumanns soll im Folgenden zunächst im Zusammenhang vorge­ stellt werden, da viele der weiteren Debattenbeiträge auf dessen Argumentation zurückgreifen und jene nur vor deren Hintergrund zu verstehen sind. 374 Zur Schulgründung in Togo beachte Kapitel 3.1.3. 375 Baumann, Ostafrikanische Schulen, S. 56. (auch für die Zitate).

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

Bevölkerung ein, man wolle sie in der Regierungsschule bekehren.376 Zu­ dem seien „die Mwalims […] oft zugleich Priester“ und würden so durch ihre eigene soziale Rolle das Bild des deutschen Lehrers fälschlicherweise mit dem des Missionars verbinden.377 In dieser Situation könne, so Baumanns weitere Argumentation, die Einführung einer Schulpflicht, wie sie Barth vorschlug378, nichts ausrichten. Vielmehr forderte er: „Man nehme die Mwalims unter behördliche Kontrolle und stelle sie als besoldete mohammedanische Religionslehrer bei der deutschen Schule an.“379 Auf diese Weise würden die Koranlehrer wieder ihrer ursprünglichen, unter der Herrschaft des Sultans von Sansibar ebenfalls stattgefundenen und damit gewohnten Kontrolle durch eine Verwaltung zugeführt. Bau­ mann prognostizierte: „Der Mwalim wäre zufrieden, weil er Gehalt bekä­ me und würde sich bemühen, den Koran in deutschfreundlichem Sinne auszulegen“.380 Als optimistisches Beispiel, dem man folgen solle, benann­ te Baumann muslimische Geistliche der österreichisch-ungarischen Armee in Bosnien und forderte weiterhin, dass „der Staat […] als Schirmherr der mohammedanischen Landesreligion auftreten“ müsse.381 Dass sich im Verlauf der Debatte insbesondere gegen diese Forderung Baumanns, die noch weit über die Forderung, Koranlehrer einzustellen, hinauswies und deren Befolgung eine grundsätzliche Wende im offiziellen Umgang mit dem Islam bedeutet hätte, schien dieser geahnt zu haben. Er betonte im gleichen Zusammenhang mehrfach, dass die Bevölkerung der ostafrikani­ schen Küste wegen der Stärke des Islam für christliche Missionen ohnehin nicht mehr in Frage komme. Durch die Verlagerung der Missionen in die inneren Landesteile hätten diese die beschriebene Entwicklung zudem anerkannt. Nach Baumanns Ansicht war nun die koloniale Verwaltung für den Küstenbereich zuständig. Ihr falle nunmehr die Aufgabe zu, durch die Schule „den Islam soviel als möglich für die deutsche Sache zu gewinnen“, denn dieser sei „ein hochwichtiger politischer Faktor, der den Keim der Unruhe stets in sich trägt.“382 Auch für Baumann sollte, wie es schon von Sodens Absicht gewesen war, die Schule, der er nicht zuletzt schon 376 377 378 379 380 381 382

Ebd., S. 56 (auch für das Zitat). Siehe Kapitel 2.2.3. Ebd., S. 56–57 (für das Zitat: S. 57). Siehe Kapitel 2.2.3. Baumann, Ostafrikanische Schulen, S. 57. Ebd. (auch für das Zitat). Ebd. Ebd., S. 57 (auch für das Zitat).

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2. Konzeption und Ressourcen

prinzipiell herrschaftssichernde Wirkung beimaß, damit in den Prozess der zivilen Pazifizierung eingebunden werden.383 Im Auswärtigen Amt veranlasste Baumanns Artikel den Leiter der Kolonialabteilung Paul Kayser384 zunächst zum Verfassen eines Briefes an das deutsch-ostafrikanische Gouvernement mit der Anfrage, ob von dessen Seite eine Gegendarstellung gewünscht werde.385 Dort hielt man Baumanns Vorschlag also für zumindest einmal kontrovers genug, um ihm möglicherweise widersprechen zu müssen. Friedrich von Schele386, der am 15. September 1893 zum Nachfolger Julius von Sodens im Amt des Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika ernannt worden war und diesen seit dessen Abreise im Frühjahr 1893 bereits vertreten hatte, bekräftigte allerdings entgegen der Skepsis Kaysers die Vorschläge Baumanns. Man stehe schon mit dem Bezirksamt Tanga ob der kurzfristigen Anstellung eines Koranlehrers auf Kosten des Lokaletats im Benehmen und hoffe au­ 383 Baumann, Ostafrikanische Schulen, S. 56. 384 Paul Kayser (9.8.1845–13.2.1898) war promovierter Jurist und machte zunächst als Richter und ab 1879 als Verwaltungsbeamter Karriere. 1885 erreichte er das Auswärtige Amt und folgte am 1.7.1890 Friedrich Richard Krauel, der diese Position lediglich drei Monate innegehabt hatte, als Dirigent der Koloni­ alabteilung im Auswärtigen Amt. Im Zuge der Aufwertung der Kolonialabtei­ lung wurde Kayser im Frühjahr 1894 deren Direktor und hatte diese Position bis zum 14.10.1896 inne. Im Anschluss war Kayser bis zu seinem Tod Senats­ präsident beim Reichsgericht, Kayser, Paul, in: Schnee, Heinrich: Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. II, Leipzig 1920, S. 257. Vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 2 G-K, Paderborn 2005, S. 491–492. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 291. Sippel, Ha­ rald: Die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes und das Reichskolonialamt, in: Heyden, Ulrich van der; Zeller, Joachim (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, 29–32. Pogge von Strandmann, Imperialismus, S. 514. 385 BArch, R 1001/999, Bl. 59. BArch, R 1001/989, Bl. 36. 386 Friedrich Rabod Freiherr von Schele (15.9.1847–20.7.1904) war Offizier und wurde als solcher im Oktober 1892 zum Stellvertreter von Sodens im Gouverne­ ment von Deutsch-Ostafrika ernannt. Elf Monate später folgte er diesem nach und übernahm zudem die Führung der Schutztruppe. Aus dieser Doppelfunkti­ on heraus befahl er zahlreiche militärische Expeditionen und führte diese insbe­ sondere im Krieg gegen die Wahehe auch selbst an. Im Februar 1895 reichte Schele sein Rücktrittsgesuch ein und kehrte ins Deutsche Reich zurück, wo er im Militär reüssierte und 1904 als Gouverneur des Invalidenkrankenhauses im Range eines Generalleutnants verstarb, Freiherr von Schele, in: DKZ, Jg. 21, Nr. 30 (28. Juli 1904), S. 297–298. Schele, Freiherr von, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 262. Vgl. Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe, S. 170–176, 252–254. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 291.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

ßerdem auf die Genehmigung von insgesamt drei Koranlehrerstellen mit dem Etat 1895/96.387 Von Schele, der mit Übernahme der Verwaltungs­ geschäfte im Februar 1893 im Allgemeinen von Sodens zivil orientierte Pazifizierungspolitik beendet hatte und seitdem dem Modus der militä­ rischen Expansion wieder klare Priorität beimaß, beabsichtigte also, in der Schulpolitik von Sodens Ansatz fortzusetzen.388 Dass sich durch die Einstellung eines Koranlehrers ein positiver Effekt auf die Schülerzahlen der Schule in Tanga einstellen würde, erachtete von Schele als „unzwei­ felhaft“.389 Dabei stand auch die sich aus der Idee der Anstellung eines ‚Mwalim‘ entwickelnde Baumann’sche Absicht, den Islam an der Küste Deutsch-Ostafrikas durch die Schaffung staatlich besoldeter Koranlehrer zu kontrollieren, in gewisser konzeptioneller Übereinstimmung mit dem von Gouverneur von Schele vertretenen Ansatz der „Disziplinierung von oben“, den dieser gegen die Eigenmächtigkeitsbestrebungen innerhalb der von Wissmann geprägten Schutztruppe vertrat.390 Insofern fügt sich die Unterstützung der Anstellungsidee in die kolonial- und militärpolitische Grundhaltung von Scheles, der damit nicht zuletzt auch für die Absiche­ rung des Anschlusses der Schule an die koloniale Wissensproduktion ein­ trat. Für diese war schließlich der Zugang zur lokalen Bevölkerung die Grundvoraussetzung, ohne die weder neue Wissensbestände erschlossen, noch instrumentalisierend verformtes Wissen an einen größeren Personen­ kreis zurückfließen konnte. Eine Entscheidung für oder gegen die Anstel­ lung islamischer Lehrer bedeutete damit zugleich eine Weichenstellung hinsichtlich der Reichweite der Schule, wenn nicht gar hinsichtlich ihres Fortbestands.391 Besonders letzteres war schließlich an die Anwesenheit von Schülern im Unterricht geknüpft. Gouvernements- und Bezirksverwal­

387 BArch, R 1001/999, Bl. 65. BArch, R 1001/989, Bl. 44. Die Zahl drei resultiert aus der geplanten Eröffnung zweier weiterer Schulen, einer in Daressalam (Er­ öffnung am 1. April 1895) und einer in Bagamoyo (Eröffnung am 22. Oktober 1895), BArch, R 1001/989, Bl. 103, 122–123, 126–129. Beide Schulen sind Be­ standteil der Ausweitung der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika, beachte hierzu Kapitel 3.2.2. 388 Vgl. Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe, S. 171–173. 389 BArch, R 1001/999, Bl. 65 (auch für das Zitat). BArch, R 1001/989, Bl. 44. 390 Vgl. Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe, S. 172 (auch für das Zitat). 391 Der Fortbestand der Schule war andererseits natürlich auch an die Anwesenheit eines Lehrers geknüpft, welche im Spätjahr 1894 ebenfalls nicht gesichert war, da Barth im August des Jahres gegenüber dem Präsidenten der DKG, Hohen­ lohe-Langenburg, klarstellte, dass er nach Beendigung seiner dreijährigen Ver­ pflichtung nach Deutschland zurückzukehren beabsichtige, BArch, R 1001/999, Bl. 78. Siehe hierzu insbesondere Kapitel 2.2.5.

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tung zögerten darum auch nicht und stellten ohne weitere Konsultation der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt zum 26. August 1894 Mschi­ razi bin Dimani, einen „in Tanga bereits seit längerer Zeit ansässige[n] Mwalim“, für ein Gehalt von 40 Rupien pro Monat als islamischen Religi­ onslehrer ein.392 Von Schele und St. Paul-Illaire schufen also im Sinne der Aufrechterhaltung der kolonialen Wissensproduktion Tatsachen, während sich in Deutschland bereits breiter Widerstand gegen diese Maßnahme und die Hinzunahme dreier Mwalim-Stellen in den kommenden Etat for­ mierte. Hieraus entspann sich eine Debatte, die sich bis in das Spätjahr 1895 erstreckte und in mindestens vierfacher Hinsicht Aufschluss über die seinerzeit bestehenden grundsätzlichen Konfliktlinien innerhalb der kolonialen Schule gab.

Barth vs. St. Paul-Illaire – Zwang oder Entgegenkommen Die erste Konfliktlinie hatte sich schon mit der Kommentierung des Schul­ berichts von Barth durch St. Paul-Illaire angedeutet und trennte Barth, der die lokale Bevölkerung mittels Zwangs zum Schulbesuch bewegen wollte, von denjenigen, die durch eine Veränderung des Angebots der Schule die Anreize zum Besuch der Schule verstärken wollten. Beide Positionen waren insbesondere von unterschiedlichen Zuschreibungen hinsichtlich der lokalen Bevölkerung geprägt. Barth gründete seine Forderung neben den schon genannten äußeren Umständen dabei auf die Überzeugung, „der dem Schwarzen angeborene und wohl auch im Klima liegende Hang zur Trägheit“ sei für die häufigen Fehlzeiten verantwortlich.393 Nachträg­ liche Unterstützung fand diese Überzeugung einige Jahre später dann bei Oskar Lenz, der in seiner zeitgenössisch grundlegenden Schrift zur deutschen kolonialen Schule im Jahr 1900 dem von Barth in der Debatte vertretenen Standpunkt breiten Raum gab und eine schließlich zum 1. Au­ gust 1899 eingeführte, begrenzte Schulpflicht begrüßte.394 Lenz betonte rückblickend allerdings auch, dass seiner Auffassung nach erst ein allmäh­ licher Abbau der inneren Widerstände der lokalen Bevölkerung gegen die 392 BArch, R 1001/999, Bl. 87 (auch für das Zitat). BArch, R 1001/989, Bl. 47. BArch, R 1001/991, Bl. 91–93. Bei einem Kurs von 1 R = 1,0975 M im August 1894 bedeutete dies ein monatliches Gehalt in Höhe von 43,90 M, Nachweisun­ gen der Brutto-Einnahmen bei der Zollverwaltung für Deutsch-Ostafrika im Monat August 1894, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 567. 393 Barth, Die ersten Lebensjahre, S. 92 (auch für das Zitat). 394 Lenz, Regierungsschule, S. 20.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

koloniale Schule den Weg für die Einführung einer Schulpflicht geebnet habe.395 Die Überwindung dieser Widerstände wollte die Gegenseite Barths, die durch den raschen Widerstand seitens St. Paul-Illaires das weitere Verfol­ gen des Schulpflichtvorschlages verhindert hatte, 1894 bereits kurzfristig durch die Einstellung eines islamischen Religionslehrers bewirken. Sie begründete die Überzeugung, dass derart die Steigerung der Schülerzah­ len und die Verstetigung des Schulbesuchs erreicht werden könne, im Hinblick auf die lokale Bevölkerung insbesondere mit der im Bereich der kolonialen Schule in Teilen vertretenen Auffassung, dass jene sich noch in einem Entwicklungsstadium befinde, in welchem sie den „Nutzen der Schule“396 noch nicht im vollen Umfang begreife und den Schulunterricht darum anderen Belangen unterordne. Vertreter dieser Auffassung suchten im Allgemeinen, ihr Ziel durch die Inferiorisierung des konkurrierenden Aspekts in einem Akt des vorrübergehenden und wohlmeinenden Ent­ gegenkommens zu erreichen. So hatte etwa schon Theodor Christaller in seinem ersten Schulbericht (September 1887) zur Herbeiführung re­ gelmäßigen Schulbesuchs in der Schule in Bonamandone die Senkung des Schulgeldes für einen Teil seiner Schüler gefordert und zuvor die zu hohen Beiträge und damit den finanziellen Status als den mit der Schulbildung konkurrierenden Aspekt identifiziert. Dies bezeichnete er dezidiert als vorübergehende Maßnahme, „bis der Nutzen einer Schule den Vätern klar geworden wäre.“397 Im Falle der Schule in Tanga hatte nun St. Paul-Illaire den Aspekt der Religion als das die Einsicht behindern­ de Konkurrenzobjekt, das bewirke, dass die lokale Bevölkerung „vorläufig den Nutzen der Schule noch nicht einsieht“, erblickt und forderte darum, der lokalen Bevölkerung auf diesem Gebiet entgegenzukommen. 398 Dahin­ ter stand insbesondere die wichtige Grundüberzeugung, dass die lokale Bevölkerung fähig sei, Bildung nach deutschen Maßstäben aufzunehmen. Diese Annahme machte Baumann dann explizit zum Ausgang seiner Ar­ gumentation, um schließlich die Einstellung islamischer Religionslehrer

395 Lenz, Die Regierungsschule, S. 18. Die Schulpflicht galt für Personen im Alter von sechs bis 15 Jahren und verpflichtete diese zum Schulbesuch für mindestens zwei Stunden täglich, siehe ebd., S. 4. 396 BArch, R 1001/968, Bl. 169–172 (für das Zitat: Bl. 170). Siehe auch Kapitel 2.2.3. 397 BArch, R 1001/4070, Bl. 130–133 (für das Zitat: Bl. 131). Siehe auch Kapi­ tel 2.1.1. 398 BArch, R 1001/989, Bl. 35. BArch, R 8023/968, Bl. 169–172 (für das Zitat: Bl. 170). Siehe auch Kapitel 2.2.3.

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zu fordern.399 Gleichwohl Baumann angesichts seiner weiteren Forderung nach einer zu vollziehenden grundsätzlichen Akzeptanz des Islam den zeit­ lichen Rahmen der Einstellung wohl weiter fasste als St. Paul-Illaire und er letztlich eine allgemeine Beeinflussung des vor Ort vertretenen Islam im Sinne der deutschen Kolonisation im Sinn hatte, zeigt sich doch auch hier die Vorstellung, dass man der lokalen Bevölkerung zunächst die ‚Chance‘ gewähren müsse, die ‚Vorzüge‘ der Schulbildung zu erfahren, bevor man sie durch Zwang zu etwas verpflichten könne. Dies entsprach letztlich auch der auf Vermittlung setzenden, zivil orientierten Befriedungspolitik von Sodens, die den Zugang zur Bevölkerung durch vermeintliches Entge­ genkommen erreichen wollte. Und dies entsprach im Falle der kolonialen Schule auch der Überzeugung Gouverneur von Scheles.

Lokalverwaltung vs. Bevölkerung – Zeitliche Disziplinierung Während die erste Konfliktlinie damit insbesondere die beteiligten Euro­ päer trennte, verlief die zweite Konfliktlinie zwischen denjenigen, die die Schule errichtet hatten, und denjenigen, die sie besuchen sollten. Dabei liegt nun der Fokus nicht auf der konkreten Anstellung eines islamischen Religionslehrers, sondern vielmehr auf der durch sie ausgedrückten, der Schule immanenten Bestrebung zur Disziplinierung des Tagesablaufs der lokalen Bevölkerung. Denn letztlich bedeutete ein – ob nun freiwilliger oder erzwungener – Schulbesuch die Reservierung bestimmter Zeiträume nach den Maßgaben kolonialer Herrschaft. Die Vorstellung einer fixen zeitlichen Ordnung drückte sich dabei in den Lehrplänen aus, die wie Barths erster Lehrplan, ohne dass dies gegenüber dem deutschen Lesepu­ blikum erklärungsbedürftig war, Stundenpläne mit festgelegten Uhrzei­ ten enthielten.400 Sie war zudem ein wichtiger Bestandteil der erstellten Sprachlehrwerke, deren Aufgaben und Beispielsätze signifikant häufig ent­ sprechende Vorstellungen transportierten.401 Blieb die lokale Bevölkerung nun der Schule fern, drückte sie, Jürgen Becher zufolge, damit ihre Ableh­

399 Baumann, Ostafrikanische Schulen, S. 56. 400 BArch, R 1001/989, Bl. 24–26. Beachte den von Barth im Oktober 1892 ent­ worfenen Stundenplan in Anhang Nr. 2 sowie dessen Aktualisierung aus dem September 1894 in Anhang Nr. 3. 401 Vgl. Warnke, Ingo H.; Schmidt-Brücken, Daniel: Was zählt im Kolonialdiskurs? Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken, in: Engelberg, Stefan (Hg.): Sprachwissenschaft und kolonialzeitlicher Sprachkontakt. Sprachliche Begegnungen und Auseinandersetzungen, Berlin 2012, S. 191–214, hier: S. 209.

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nung gegen die zeitlichen Disziplinierungsbestrebungen der kolonialen Schule aus und zeigte „,Eigen-Sinn‘“, rebellierte also nicht offen, sondern versuchte, sich durch Verweigerung gewisse Eigenbestimmtheit zu bewah­ ren.402 Inwiefern dies nun für die konkrete Situation der Schule in Tanga zutraf, ob also bewusste Verweigerungshandlungen stattfanden oder etwa die zeitgenössische Interpretation des religiös verorteten „Mißtrauen[s] der Leute“403 die volatilen Schulbesuchszahlen erklärt, entzieht sich mangels Quellenaussagen nun einstweilen der Analyse. Dies ist aber zumindest in­ sofern nicht ausschlaggebend, als dass dennoch festgehalten werden kann, dass die lokale Bevölkerung durch den ausbleibenden Schulbesuch in der Zeit der Schulgründung bewirkte, dass die Schule zunächst nicht zum Ort der „koloniale[n] Subjektbildung“ wurde, für deren Ausformung nach Pesek ein „kolonial[er] Alltag“ mit festen zeitlichen Strukturen, an die sich alle Beteiligten halten, konstitutive Bedingung ist.404 Nun gelangten diese von den Deutschen als Störung empfundenen Um­ stände durch die Veröffentlichung der Schulberichte auch an die deutsche Öffentlichkeit.405 Um einen möglichst günstigen Eindruck zu erwecken, versuchte man aber gleichzeitig durch das Hinzufügen von Bildern mögli­ chen Vorstellungen entgegen zu wirken, in den frühen kolonialen Schulen herrsche keine Disziplin in zeitlicher, aber auch räumlicher Hinsicht. Die auf Fotos und Zeichnungen vermittelte Bild- und Objektsprache war da­ rauf ausgelegt, mal mehr, mal weniger subtil, Hierarchien und Ordnungen innerhalb der kolonialen Schule zu transportieren.406 So zeigt etwa das erste Bild einer deutschen kolonialen Schule Theodor Christaller inmitten seiner Schüler, und dem Betrachter fällt unmittelbar der Unterschied in der Bekleidung der abgebildeten Schüler und des Lehrers auf.407 Darüber hinaus erfasst das Bild unter Inkaufnahme einer kleinen Lücke am linken Rand die vor der Schule positionierte Schulglocke, die Christaller aus seiner Württemberger Heimat geschenkt bekommen hatte und in ihrer Funktion als Zeichengeberin für den Beginn und das Ende der Schule als inbegriffenes Symbol zeitlicher Disziplinierungsbestrebungen identifiziert

402 Vgl. Becher, Mission, S. 158–160, 164–168 (für den Kern des Arguments Bechers und das Zitat siehe S. 166). 403 BArch, R 1001/989, Bl. 35 (für das Zitat). 404 Vgl. Pesek, Grenzen, S. 127–128 (für die Zitate: S. 127). 405 Bericht des Lehrers Barth, S. 83–85. Ueber die Entwicklung, S. 209–210. 406 Zur selbigen Funktion von Fotographien und Zeichnungen in Reiseberichten beachte Fabian, Tropenfieber, S. 343–358. 407 Auf dieses Element, welches dem Christaller’schen Verständnis von Schule ent­ sprach, wurde bereits hingewiesen, siehe Kapitel 2.1.5.

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werden kann. „Beim Glockenschall – Kommet All“ lautete entsprechend die erste Zeile der Glockengravur.408 Auch die beiden Zeichnungen, die Barths in der Deutschen Kolonialzeitung veröffentlichtem Bericht über die Schule in Tanga beifügt sind, sprechen die Sprache von Ordnung und Disziplin.409 Thront auf der einen Zeichnung das Bildnis des deutschen Kaisers hoch über den Köpfen der in Reihe sitzenden Schüler, wobei der Lehrer an der Seite, eines der Beine lässig auf eine der Sitzbänke abgestellt, an der mit Tierbildern und einer Landkarte behangenen Wand lehnt410, so zeigt die andere Zeichnung die Schülerschaft in Aufstellung vor einer deutschen Flagge und dem Uniform tragenden Lehrer. Betrachtet man nur diese Bilder, so ist, anders als es der Realität entsprach, nichts von geringen Schülerzahlen oder unregelmäßigem Schulbesuch wahrzunehmen und die zweite Konfliktlinie zwischen dem kolonialen Zugriffsapparat und der lokalen Bevölkerung so weit als möglich kaschiert.

Kolonialabteilung vs. Missionsgesellschaften – Freunde und Feinde Konnte nun also die zweite Konfliktlinie nur bedingt Niederschlag in der öffentlichen Wahrnehmung finden, so war es gerade ein Teil des öf­ fentlichen Echoraumes der Kolonialpolitik, der die dritte Konfliktlinie be­ stimmte. Diese verlief zwischen den geeint agierenden deutschsprachigen evangelischen und katholischen Missionen auf der einen und der Kolonial­ abteilung des Auswärtigen Amtes als Vertreterin der Kolonialverwaltung auf der anderen Seite. Sie zeigte sich kurz nach Bekanntwerden der Anstel­ lung bin Dimanis in den Kreisen der deutschsprachigen Missionen in den Beratungen des Kolonialrats am 20. Oktober 1894 in Berlin. Der Kolonial­ rat war 1890 im Geiste metropolitaner Steuerung der Kolonialpolitik als die Kolonialabteilung fachlich beratendes Gremium gegründet und im Ju­ ni 1891 zum ersten Mal einberufen worden.411 Er bestand aus Mitgliedern

408 BArch, R 1001/4071, Bl. 5. Böckheler, Theodor Christaller, S. 33. 1892 erhielt auch die Schule in Togo eine Schulglocke geschenkt, Geschenk für die deutsche Schule in Togo, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 23. 409 Barth, Lebensjahre, S. 91. 410 Damit bildet die Zeichnung ziemlich genau die Gegenstände ab, die Barth mit nach Deutsch-Ostafrika nahm, siehe Kapitel 2.2.3. 411 König, Bernhard v.: Kolonialrat, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Koloni­ al-Lexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 338. Pogge von Strandmann, Hartmut: Der Kolonialrat, in: Heyden, Ulrich van der; Zeller, Joachim (Hg.): Kolonialmetro­ pole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 32–34, hier: S. 32–33. Pogge von

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

der Politik, der Wirtschaft, der Missionen und der expeditionstreibenden Wissenschaft, die unter der Leitung des jeweiligen Direktors der Koloni­ alabteilung bis 1907 in der Regel vier bis fünf Mal im Jahr zusammenka­ men.412 Zu den wichtigsten Beratungsgegenständen des Rates gehörten die jährlichen Etatvorlagen der Kolonialabteilung, weshalb in den Beratungen der zweiten Hälfte des Jahres 1894 auch die Vorlage für den Haushalt 1895/96 zum Gegenstand der Besprechungen wurde und somit auch der darin enthaltene Antrag des deutsch-ostafrikanischen Gouvernements auf Genehmigung dreier islamischer Religionslehrer zur Diskussion stand.413 In der Beratung dieses Antrags in der Sitzung des Rates am 20. Okto­ ber 1894 erhob sich insbesondere von Seiten der Missionen, die durch den Kölner Domherren Franz Karl Hespers414 für die katholischen und durch den ehemaligen Staatssekretär im Reichsschatzamt, Karl Rudolf von Jacobi415, für die evangelischen Missionen im Rat vertreten waren, erheb­

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Strandmann, Hartmut: Imperialismus vom Grünen Tisch. Deutsche Kolonial­ politik zwischen wirtschaftlicher Ausbeutung und „zivilisatorischen“ Bemühun­ gen, Berlin 2009, S. 84–94. Vgl. Pogge von Strandmann, Der Kolonialrat, S. 33–34. Pogge von Strandmann, Imperialismus, S. 105–111. BArch, R 1001/999, Bl. 65. BArch, R 1001/989, Bl. 44. Pogge von Strandmann erwähnt die Debatte kurz, vgl. Pogge von Strandmann, Imperialismus, S. 241. Franz Karl Hespers (12.10.1846–12.12.1915) war ab 1896 Domherr der Me­ tropolitankirche zu Köln, im Jahre 1888 Gründungsmitglied der Abteilung Köln der DKG sowie Gründungsmitglied und bis zu seinem Tod Vorsitzender des Afrika-Vereins deutscher Katholiken. Ab 1890 war er der Vertreter der deutschen katholischen Missionen gegenüber der deutschen Regierung und gehörte dem Kolonialrat von 1891 bis 1907 an, Hespers, Franz Karl, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. II, Leipzig 1920, S. 65. Vgl. Gründer, Christliche Mission, S. 88–90. Horstmann, Anne-Kathrin: Franz Karl Hespers. Domkapitular und Kolonialaktivist, in: Bechhaus-Gerst, Marianne; Horstmann, Anne-Kathrin (Hg.): Köln und der deutsche Kolonialismus. Eine Spurensuche, Köln 2013, S. 115–119. Pogge von Strandmann, Imperialismus, S. 502. Karl Rudolf von Jacobi (8.9.1828–24.7.1903) war nach juristischem Examen Ministerialbeamter in preußischen und Reichsdiensten und in seiner Laufbahn unter anderem von 1877 bis 1881 Präsident des Reichspatentamtes, von 1881 bis 1886 Präsident der Preußischen Zentralbodenkreditgesellschaft und schließ­ lich von 1886 bis 1888 Staatsekretär des Reichsschatzamts. Analog zur Berufung Hespers wurde von Jacobi 1890 zum Vertreter der evangelischen Missionen gegenüber der deutschen Regierung und Mitglied im Kolonialrat, vgl. Altena, Häuflein, Anhang, S. 35. Gründer, Christliche Mission, S. 87–88, 90. Hansen, Eckhard; Tennstedt, Florian: Biographisches Lexikon zur Geschichte der Deut­ schen Sozialpolitik 1871 bis 1945, Bd. 1, Sozialpolitiker im Deutschen Kaiser­

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2. Konzeption und Ressourcen

licher Widerspruch.416 Dabei warf Hespers als Wortführer des Protests der Kolonialabteilung die „unbillige Bevorzugung des Mohamedanismus vor den christlichen Missionen“ vor und beklagte, dass diese nicht eben­ falls finanziell unterstützt würden. Der Islam sei mithin der „anerkannter­ maßen ärgst[e] Feind des Christenthums“ und dürfe darum eigentlich überhaupt keine Gelder erhalten.417 Gegen diesen massiven Gegenwind erwiderte der Direktor der Kolonialabteilung Kayser, dass die Missionen allerdings finanzielle Hilfen in Form von ermäßigten Zolltarifen erhielten, und rekapitulierte dann die aus den Mitteilungen St. Paul-Illaires und von Scheles bekannten Argumente für die Einstellung eines islamischen Religionslehrers. Kayser verwies zudem auf den Artikel Baumanns und die Zustimmung von Scheles zu dessen Ausführungen, konnte sich letztlich aber nicht durchsetzen und sah sich gezwungen – obgleich der Kolonialrat nicht die Befugnis hatte, einen solchen Schritt per Abstimmung festzule­ gen – die Position für die drei Lehrerstellen aus dem Etatentwurf zu strei­ chen. Außerdem wurde vereinbart, dass Gouverneur von Schele erneut zu dieser Sache Stellung nehmen solle.418 Die beiden Missionsvertreter hatten damit, nachdem die bisherige Zu­ sammenarbeit von kolonialer Verwaltung und Missionsgesellschaften im Zusammenhang mit den Schulen in Bonamandone und Tanga von großer Kooperation unter der Maxime der Koexistenz geprägt gewesen war und die Regierung in beiden Fällen auf existierende oder sich in Gründung be­ findende Missionsschulen beider Konfessionen Rücksicht genommen hat­ te419, zum ersten Mal erfolgreich gegen die koloniale Schulpolitik agiert. Die Krise der kolonialen Schule fand dabei insbesondere nun auch auf der Bühne der Berliner Kolonialpolitik statt, die durch die Hoheit über die Etats die Rahmenbedingungen kolonialer Praxis setzen und Handlungs­ spielräume der vor Ort Tätigen wahlweise begrenzen oder erweitern konn­

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reich 1871–1918, Kassel 2010, S. 80–81. Pogge von Strandmann, Imperialismus, S. 504. BArch, R 1001/999, Bl. 81–86, hier: Bl. 83–84. Beachte zu den Teilnehmern der Sitzung BArch, R 1001/999, Bl. 81. Siehe auch BArch, R 1001/989, Bl. 104–109. BArch, R 1001/999, Bl. 81–86 (für die Zitate: Bl. 83). BArch, R 1001/989, Bl. 104–109. BArch, R 1001/999, Bl. 81–86, hier: Bl. 83–84. BArch, R 1001/989, Bl. 104– 109. Leider gibt das Sitzungsprotokoll über den Verlauf der Debatte nach der Einlassung Kaysers keine detaillierten Informationen über Wortmeldungen der anderen Beteiligten. Angesichts des Ergebnisses sind die Tendenzen der Äuße­ rungen allerdings wohl klar gegen die Beibehaltung der Etatposition zu deuten, siehe BArch, R 1001/999, Bl. 84. Beachte hierzu Kapitel 2.1.5 und Kapitel 2.2.3.

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te. Dabei zeigt sich im weiteren Verlauf der trotz Absetzung der Etatpositi­ on noch lange nicht beendeten Debatte, dass die Argumente, die auf dieser Bühne von Seiten der Missionen ins Feld geführt wurden, zunächst insbe­ sondere prinzipieller Natur waren, während die Kolonialabteilung gegen­ über den Missionen, aber auch gegenüber der Gouvernementsverwaltung in Daressalam versuchte, das Argument der Erfahrung von vor Ort, mit welchem in den frühen Jahren der kolonialen Schule Julius von Soden die Debatten gegenüber dem Auswärtigen Amt bestimmt hatte420, für sich einzusetzen. Um offenbar der eigenen Position Nachdruck zu verleihen, richtete im Dezember 1894, also zwei Monate nach der Sitzung des Kolonialrats, der Ausschuss der evangelischen Missionen421 eine Eingabe an die Kolonialab­ teilung des Auswärtigen Amtes.422 Darin forderten die unterzeichnenden Missionsinspektoren der Basler, der Rheinischen, der Leipziger und der Herrnhuter Mission gemeinsam mit Gustav Warneck und vermittels ihres Kontaktmannes von Jacobi die Kolonialverwaltung in drastischen Worten erneut dazu auf, von der Einstellung islamischer Religionslehrer abzuse­ hen, da diese sonst „die Freundschaft der christlichen Kreise auf’s Spiel“ setze.423 Erneut bezeichnete man von Seiten der Missionen den Islam als „gefährlichste[n] Feind“, hob nun aber nicht, wie dies Hespers in der Sitzung des Kolonialrats vorgetragen hatte, prioritär auf den religiösen Aspekt ab, sondern evozierte vielmehr das Bild eines politischen Islam. Dieser sei nämlich der „gefährlichste Feind der Kolonialherrschaft“ und befinde sich in „politische(r) Gegnerschaft gegen jede nicht islamistische Regierung.“424 Das Gouvernement füge sich nicht nur einen „Schaden der eigenen Machtstellung“ zu, wenn es „sich einen Feind erzieht, der ihr, weil er gebildet ist, nur um so gefährlicher wird“, sondern schade zudem auch

420 Beachte Kapitel 2.1.1. 421 Der Ausschuss der evangelischen Missionen hatte sich acht Jahre zuvor auf der Bremer Missionskonferenz gegründet, vgl. Altena, Häuflein, S. 29–30. Beachte auch Kapitel 2.1.1. 422 BArch, R 1001/999, Bl. 120–121. BArch, R 1001/989, Bl. 50–54, 111–112. 423 BArch, R 1001/999, Bl. 120–121 (für das Zitat: Bl. 120). BArch, R 1001/989, Bl. 50–54, 111–112. 424 BArch, R 1001/999, Bl. 120–121. (für die Zitate: Bl. 120). BArch, R 1001/989, Bl. 50–54, 111–112. Die Gleichsetzung religiöser und politischer Charakterisie­ rung des Islam entspricht breiterer zeitgenössischer Wahrnehmung, vgl. Gott­ schalk, Kolonialismus und Islam, S. 54. Habermas, Debates on Islam in Imperial Germany, S. 236–237.

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dem Ziel der „Civilisierung Afrikas“ als Ganzes.425 Zuletzt empfahlen die Autoren der Kolonialverwaltung, sich in Sachen Schule die Missionsschu­ len zum Vorbild zu nehmen. Diese hätten insbesondere bewiesen, dass es selbst ohne die Einführung einer Schulpflicht möglich sei, genügend Schüler in den eigenen Räumen zu versammeln.426 War die Kolonialabteilung durch diese mit Vehemenz vorgebrachte Stel­ lungnahme nun nicht schon genug unter Druck, so erreichte sie Anfang des Jahres 1895 außerdem die Nachricht aus Daressalam, dass man dort die Streichung der Lehrerstellen sehr bedauere. Lothar von Trotha, der Stellvertreter Gouverneur von Scheles, wandte sich in seinem Schreiben gegen die Einwände Hespers – die Eingabe des evangelischen Missionsaus­ schusses lag ihm noch nicht vor – und konnte sogar von der Steigerung der Schülerzahl seit Einstellung bin Dimanis berichten. Er wies darauf hin, dass letztlich auch die Vermittlung der deutschen Sprache von der Er­ teilung islamischen Religionsunterrichts abhänge, „denn ohne diesen wür­ den wir die Eingeborenen nicht als Schüler gewinnen.“427 Im Auswärtigen Amt hatte man kurz nach dem Erhalt der Eingabe der Missionen und vor dem Eintreffen des Berichts von Trothas allerdings schon Maßnahmen in eigener Sache unternommen und versuchte mit dem Ziel, ein Überein­ kommen sowohl mit den Missionen als auch der deutschen Verwaltung vor Ort zu finden, die Debatte durch eigene Nachforschungen voranzutrei­ ben. Der Blick der Kolonialabteilung wandte sich dazu erstmals umfassend auf die kolonialen Schulen der anderen europäischen Nationen428, was als Versuch gewertet werden kann, der Mission, aber auch der Gouverne­ mentsverwaltung durch das Heranziehen von Erfahrungsberichten unter Betretung eigener Wege der Wissensgenerierung auf dem Feld der Koloni­ alpraxis auf Augenhöhe zu begegnen.

Kolonialabteilung vs. Gouvernement – Unter dem Druck der Missionen Dabei zeichnete sich in diesem Stadium der Debatte zunehmend eine vier­ te Konfliktlinie ab, die zwischen der Kolonialabteilung des Auswärtigen 425 BArch, R 1001/999, Bl. 120–121. (für die Zitate: Bl. 121, 120). BArch, R 1001/989, Bl. 50–54, 111–112. Vgl. Eggert, Missionsschule, S. 69–70. 426 BArch, R 1001/999, Bl. 120–121, hier: Bl. 121. BArch, R 1001/989, Bl. 50–54, 111–112. 427 BArch, R 1001/999, Bl. 96, 121 (für das Zitat: Bl. 96). Beachte auch Kapitel 2.2.3 sowie Anhang Nr. 5. 428 BArch, R 1001/999, Bl. 95. BArch, R 1001/989, Bl. 55–56.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

Amtes auf der einen und der Gouvernementsverwaltung auf der anderen Seite verlief. Letztere hatte durch erstere in der Sitzung des Kolonialrats im Oktober 1894 zwar argumentative, aber letztlich nicht effektive Unterstüt­ zung in der Anstellungsfrage erhalten, sollte sich insbesondere nicht bereit zeigen, die Idee islamischen Religionsunterrichts fallen zu lassen, und beantragte die entsprechenden Lehrerstellen schlicht umgehend erneut.429 Zwischen dem Direktor der Kolonialabteilung Kayser und dem Gouver­ neur in Daressalam von Schele hatte sich um die Jahreswende 1894/1895 außerdem ein Konflikt um die Frage der Rangordnung zwischen Koloni­ aldirektion und Gouverneursamt derart zugespitzt, dass von Schele im Februar 1895 seinen Rücktritt einreichte und bis zur Übernahme des im April 1895 offiziell zum Gouverneur ernannten Herrmann von Wissmann in der Jahresmitte zunächst von Scheles Vertreter von Trotha die Gouver­ neursgeschäfte führte.430 Hinzu kam, dass die Schule in Tanga, um die es in der Debatte um die islamischen Religionslehrer eigentlich ging, zur Jahreswende ebenfalls interimistisch geleitet wurde, nachdem Barth im August 1894 erklärt hatte, seinen Vertrag nicht verlängern zu wollen und im November 1894 die Heimreise angetreten hatte.431

429 BArch, R 1001/999, Bl. 119. BArch, R 1001/989, Bl. 110. 430 Vgl. Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe, S. 173–176. Pogge von Strandmann, Imperialismus, S. 146–147. Hermann von Wissmann (4.9.1853–15.6.1905) erlangte im Rahmen seiner mi­ litärischen Laufbahn 1874 den Rang eines Leutnants und nahm ab Anfang der 1880er-Jahre an Expeditionen in das Innere Afrikas teil. Im Februar 1889 wurde er sowohl zum Hauptmann als auch zum Reichskommissar für Deutsch-Ostafri­ ka ernannt sowie dazu beauftragt, den sogenannten ‚Araberaufstand‘ niederzu­ schlagen. Wissmann verlor seinen Posten als Reichskommissar im Februar 1891 kurz nach der Ernennung Julius von Sodens zum Gouverneur von Deutsch-Ost­ afrika, verblieb allerdings im Dienst der dortigen Gouvernements. Im April 1895 wurde er schließlich selbst Gouverneur, konnte sich aber nur für kurze Zeit im Amt halten und wurde im Dezember 1896 durch Eduard von Liebert ersetzt, Wissmann, Hermann v., in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Koloni­ al-Lexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 721. Vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 5 T-Z, Nachträge, Paderborn 2014, S. 307. Bührer, Tanja: Ein Forschungsreisender als Notbehelf: Hermann von Wissmann und der erste Überseeeinsatz des Deutschen Reiches (1889– 1891), in: Comparativ – Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung, Jg. 23, Heft 2 (2013), S. 45–59. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 291. Zur Biographie Eduard von Lieberts beachte Kapitel 3.2.1. 431 BArch, R 1001/999, Bl. 78, 89, 91–92. Beachte hierzu insbesondere Kapitel 2.2.5.

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2. Konzeption und Ressourcen

Das Auswärtige Amt hatte vor diesem Hintergrund nun also schon Ende Januar 1895 zur Gewinnung von Argumentationsgrundlagen in der Debat­ te sowohl mit den Missionen als auch mit den Behörden in Deutsch-Ost­ afrika die deutschen Botschafter in Großbritannien, Frankreich, Russland, Österreich-Ungarn und den Niederlanden dazu befragt, ob in den Kolo­ nien ihrer jeweiligen Gastländer „mohamedanischer Religionsunterricht erteilt wird“ und wie die dortigen Regierungen die Lehrer gegebenenfalls besoldeten.432 Diese Umfrage ergab entsprechend der Botschaftsberichte, die in den Monaten Februar und März in Berlin eintrafen, dass in den Kolonien fast aller befragen Nationen, mit Ausnahme der Niederlande, islamischer Religionsunterricht auf die eine oder andere Weise erteilt und in unterschiedlicher Form auch durch die Kolonialverwaltungen finanziell unterstützt wurde.433 Der Kaiserliche Botschafter in London, Hatzfeld, berichtete etwa, dass laut Colonial Office und India Office islamische Schulen im Empire zwar keine direkte Unterstützung für die Durchfüh­ rung des Religionsunterrichts erhielten, ihr Bestehen aber, sofern sie Ele­ mentarunterricht erteilten, auch von der Kolonialverwaltung durch Geld­ zahlungen gesichert werde. In Britisch-Indien sei es zudem den örtlichen Schulverwaltungen offen gestellt, die staatlichen Gelder zur Unterstützung des lokalen Schulwesens („grant-in-aid“) auch an islamische Schulleiter zu vergeben oder diese als Assistenzinspektoren zu verwenden.434 Der Kaiser­ liche Botschafter in St. Petersburg berichtete sogar von einem staatlichen Ausbildungsinstitut für islamische Religionslehrer in Kasan. Private Lehrer oder Schulen in privater Trägerschaft würden dagegen keine Unterstüt­ zung erhalten.435 Während der Kaiserliche Botschafter in Paris von einer ambivalenten Debatte des Themas in der französischen Kolonialpolitik

432 BArch, R 1001/999, Bl. 95 (auch für das Zitat). BArch, R 1001/989, Bl. 55–56. 433 BArch, R 1001/989, Bl. 57–60 (Österreich-Ungarn), Bl. 61–63, 66–68, 78–81 (Großbritannien), Bl. 64–65 (Niederlande), Bl. 69, 100–102 (Russland), Bl. 70– 77, 82–96 (Frankreich). Beachte auch die durch die Kolonialabteilung erstellte Zusammenfassung der Berichte aus Österreich-Ungarn, Großbritannien, Russ­ land und Frankreich, BArch, R 1001/999, Bl. 122–123. BArch, R 1001/989, Bl. 113–114. 434 BArch, R 1001/989, Bl. 61–63, 66–68, 78–81 (für das Zitat: Bl. 122). Das Pro­ gramm grant-in-aid zielte insbesondere auf die missionarisch geführten Schulen in der Fläche, vgl. Allender, Tim: Learning Abroad. The Colonial Education­ al Experiment in India, 1813–1919, in: Paedagogica Historica, Jg. 45, Heft 6 (2009), S. 727–741, hier: S. 735. Whitehead, Clive: The Concept of British Edu­ cation Policy in the Colonies 1850–1960, in: Journal of Educational Administra­ tion and History, Jg. 39, Heft 2 (2007), S. 161–173, hier: S. 163–164. 435 BArch, R 1001/989, Bl. 69, 100–102.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

berichte436, erreichte das Auswärtige Amt aus Wien schließlich die Bestä­ tigung dessen, was schon Oskar Baumann in seinem Artikel angedeutet hatte, nämlich die Existenz eines staatlich betriebenen islamischen Schul­ wesens in Bosnien und Herzegowina.437 Die Ergebnisse dieser Umfrage, die nicht zuletzt die Vorlage waren für eine noch viel umfangreichere Datenerhebung der Kolonialabteilung bei den Regierungen der genannten Nationen438, legte Kolonialdirektor Kayser dann in einer weiteren Sitzung des Kolonialrates am 10. Juni 1895, die er insbesondere zur Klärung der Islamlehrerfrage einberufen hatte und die schließlich den Höhepunkt der Debatte um den islamischen Reli­ gionsunterricht in Deutsch-Ostafrika bildete, vor.439 In dieser Sitzung kam es zur erneuten Konfrontation zwischen Kayser und den Vertretern der Missionen, für die von Jacobi erklärte, dass man sich durch die Ergebnisse der Regierungsumfrage in der eigenen Haltung bestätigt sehe.440 Kurz vor der Sitzung hatte Hespers im Namen der katholischen Missionen zudem noch einmal in einer Stellungnahme die Einigkeit beider Konfessionen in der Islamlehrerfrage betont und sich insbesondere selbst auf das Gewicht der Erfahrungen von vor Ort berufen. Katholische Missionare berichteten regelmäßig von der Gefährlichkeit des Islam und von Arbeitserschwernis­ sen durch die von der Kolonialverwaltung verpflichteten islamischen Sol­ daten der Schutztruppe. Die Erfahrungsberichte aus den Kolonien anderer Nationen bezeichnete Hespers dagegen pauschal als nicht relevant, da sie „andere Verhältnisse“ abbildeten.441 Zwar erhielt Kayser in der Debatte auch Unterstützung durch den Präsidenten der DKG, Johann Albrecht zu Mecklenburg-Schwerin, und dem Forschungsreisenden Georg Schweinwurth, die sich in unterschiedli­ cher Ausprägung die Anstellung islamischer Lehrer vorstellen konnten. Deren Hinweise auf die Wichtigkeit des Sprachunterrichts und das Haupt­

436 BArch, R 1001/989, Bl. 70–77, 82–96. 437 BArch, R 1001/989, Bl. 57–60. BArch, R 1001/999, Bl. 122–123. 438 BArch, R 1001/7306 Bl. 4–5. Zu den eintreffenden Antworten aus Großbritan­ nien, Frankreich, den Niederlanden und Belgien beachte ebd., Bl. 6–55 (Frank­ reich), Bl. 56–60 (Großbritannien), Bl. 61–66 (Belgien), Bl. 67–109, 115 (Nieder­ lande). Siehe auch ebd. Bl. 116–130, 132–134. 439 BArch, R 1001/999, Bl. 119, 122–123. BArch, R 1001/989, Bl. 110, 113–114. Zu den Teilnehmern der Sitzung beachte BArch, R 1001/999, Bl. 124. BArch, R 1001/989, Bl. 115. Siehe auch den Sitzungsbericht im Deutschen Kolonial­ blatt, Sitzung des Kolonialraths, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 294–296. 440 BArch, R 1001/999, Bl. 127–128. BArch, R 1001/989, Bl. 118–119. 441 BArch, R 1001/999, Bl. 129 (auch für das Zitat). BArch, R 1001/989, Bl. 120.

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2. Konzeption und Ressourcen

element der Sprachpolitik, die Einführung der lateinischen Schrift für das Swahili, wodurch die Schule in Tanga nach den Vorstellungen ihrer Betreiber zu einem der Hauptakteure kolonialer Sprachpolitik vor Ort werden sollte, verhallten allerdings ohne Wirkung.442 Als sich schließlich auch noch weitere Mitglieder des Kolonialrates gegen die Etatposition für die islamischen Religionslehrer aussprachen und insbesondere auch der zu diesem Zeitpunkt schon ernannte, sich aber noch in Deutschland aufhaltende neue Gouverneur von Wissmann seine Zweifel am Grundar­ gument St. Paul-Illaires und Barths, nämlich die Existenz religiöser Beden­ ken gegen die Schule, vortrug, blieb Kayser nichts anderes übrig, als den Widerspruch des Kolonialrats gegen die Etatposition festzustellen.443 Damit war die Kolonialabteilung erneut in einer Debatte unterlegen und hatte der Interimsführung des Gouvernements in Deutsch-Ostafrika keine Unterstützung gewähren können. Dabei scheiterte nicht zuletzt auch der Versuch Kaysers, ebenfalls das Argument der Erfahrung von vor Ort für sich einzusetzen. Die Vertreter der Missionen hatten die Ergeb­ nisse der Umfrage schlicht in ihrem Sinne rezipiert und deren Relevanz negiert. Außerdem verfing die Maximaldrohung, im Falle einer Unterstüt­ zung des Etatantrages durch den Kolonialrat die Zusammenarbeit mit der Kolonialverwaltung aufzukündigen444, was zusammengenommen offenbar schon genügte, um die Kolonialabteilung zum Einlenken zu bewegen. Die Entscheidung der Frage hatte nun allerdings nicht die Beruhigung im Verhältnis der Kolonialverwaltung gegenüber den Missionen zur Folge. So nutzte etwa Gustav Warneck, der die Eingabe des Ausschusses der evan­ gelischen Missionsgesellschaften als Schriftführer dieses Gremiums mit unterzeichnet hatte, kurz darauf einen Zeitungsartikel in der Allgemeinen Missions-Zeitschrift, um der Kolonialabteilung nachträglich vorzuwerfen, sich nicht direkt mit einer Antwort an den Ausschuss gewendet zu haben, sondern die Sache nur im Kolonialrat beraten zu haben.445 Bezeichnend für die offenbar schwache Stellung der Kolonialabteilung reagierte Koloni­ aldirektor Kayser anschließend erneut defensiv und rechtfertigend.446 Gleichwohl sah man in Deutsch-Ostafrika angesichts der unbestrittenen Hoheit der Berliner Verwaltung über den Etat, der nur durch Billigung

442 BArch, R 1001/999, Bl. 127. BArch, R 1001/989, Bl. 118. 443 BArch, R 1001/999, Bl. 128. BArch, R 1001/989, Bl. 119. Vgl. auch Pogge von Strandmann, Imperialismus, S. 241. 444 BArch, R 1001/999, Bl. 128. BArch, R 1001/989, Bl. 119. 445 BArch, R 1001/7306, Bl. 110–111. 446 BArch, R 1001/7306, Bl. 113–114.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

durch die Kolonialabteilung vor den Reichstag kommen konnte, fortan allerdings davon ab, islamische Lehrer, und sei es durch die Erhebung lokaler Mittel, zu beschäftigen.447 Die Bedeutung der Maßnahme hatte in dem Zeitraum, in der man in der deutschen Hauptstadt über das Für und Wider des Vorhabens diskutierte, vor Ort in Deutsch-Ostafrika letztlich aber auch an Bedeutung verloren, da nicht nur zwei weitere Schulen eröff­ net werden konnten, sondern insbesondere auch die Kooperation mit Se­ wa Hadji, die auch der neue Gouverneur Wissmann tatkräftig unterstützte, vorangetrieben wurde.448 Die durch die Anstellung islamischer Lehrer ei­ gentlich beabsichtigte Ausbreitung der deutschen kolonialen Schule hatte sich also auf anderem Wege einleiten lassen, was nicht zuletzt daran lag, dass im Zuge der Neubesetzung der Lehrerstelle in Tanga nach dem Aus­ scheiden Barths Ende 1894 die Schulpolitik vor Ort ihre Bestrebungen nach Zugang zur lokalen Bevölkerung massiv verstärkt und so die kolonia­ le Praxis letztlich die Berliner Debatte überholt hatte. Folglich wendet sich der abschließende Abschnitt dieses Kapitels, während anhand der De­ batte um die Anstellung islamischer Religionslehrer nun also vier grund­ sätzliche Konfliktlinien der kolonialen Schule skizziert werden konnten, diesem Umbruch zu. Der Abschnitt vermag es dabei insbesondere, die finanzielle Dimension einer Lehreranstellung zu verdeutlichen.

2.2.5 Was darf es kosten? Enttäuschte Erwartungen und finanzielle Engpässe Die Bereitstellung der finanziellen Mittel war bereits bei der Gründung der ersten kolonialen Schule in Bonamandone eines der dominierenden Themen gewesen. Gerade die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt hat­ te sich dabei sehr bemüht gezeigt, die finanziellen Verpflichtungen des Deutschen Reiches so gering wie möglich zu halten, hatte aber, wie das Beispiel des dortigen Schulbaues verdeutlichte, auch Kostensteigerungen durchaus in Kauf genommen.449 Unter Gültigkeit der Prämisse möglichst kostenarmer Kolonialaktivitäten hatte sich für die Schule in Deutsch-Ost­ afrika die Deutsche Kolonialgesellschaft zunächst als willkommene Partne­ rin erwiesen, doch auch dort war man, wie im Weiteren noch zu sehen ist, darum bemüht, die Kosten des Schulprojektes klein zu halten. Dabei

447 BArch, R 1001/999, Bl. 134–136. 448 BArch, R 1001/999, Bl. 131. BArch, R 1001/989, Bl. 103, 122–123, 126–129. 449 Beachte insbesondere Kapitel 2.1.1 und Kapitel 2.1.5.

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2. Konzeption und Ressourcen

war es in den ersten Schuljahren insbesondere nicht denkbar, dass die Schule selbst nennenswerte Einnahmen erzielte, wie auch die Gouverne­ mentsverwaltung in finanziellen Gesichtspunkten fast gänzlich von den Zuteilungen des Reichsetats abhing. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was durfte die koloniale Schule überhaupt kosten? Der Lehrer der Schule in Tanga, Christian G. Barth, fand im August 1894 auf diese Frage eine eindeutige Antwort und begründete mit ihr seinen Entschluss, Deutsch-Ostafrika zu verlassen. Barth stellte in einem Brief an den Präsidenten der DKG Hohenlohe-Langenburg fest: „[So] werden Euer Durchlaucht begreiflich finden, wenn man sich un­ ter den geschilderten Umständen schließlich aus solchen Verhältnissen wegsehnt, besonders wenn man sieht wie für andre Zwecke Hundert­ tausende zur Verfügung stehen, während bei solchen Angelegenhei­ ten, wie es die Schule ist, am Allernothwendigsten gespart wird.“450 Barths subjektive Wahrnehmung der finanziellen Ausstattung der Schule trifft durchaus die reale Situation, wenngleich auch der Etat des Gouverne­ ments insgesamt kaum zum Aufbau von Verwaltungsstrukturen genügte und damit auch für die von Barth diffus herangezogenen anderen Bereiche kein Finanzüberfluss festzustellen ist.451 Sieht man von den kaum zu be­ ziffernden, der Schule zuzurechnenden Kosten der Berliner und Daressala­ mer Verwaltung einmal ab, war es dem Auswärtigen Amt sogar gelungen, die Schule an sich bis zur Jahreswende 1894/95 fast ohne Finanzaufwen­ dungen durch das Deutsche Reich zu betreiben. Die DKG war schließlich für sämtliche Kosten während der Ausbildung Barths in Berlin und Ham­ burg sowie für die Kosten der Ausrüstung aufgekommen und hatte auch die Rechnungen für die Hinreise und den Frachttransport beglichen. Zu den so angefallenen Kosten in Höhe von etwa 4.600 M kam noch das Gehalt Barths für die Jahre 1893 und 1894 in Höhe von jeweils 4.500 M, welches ebenfalls die DKG getragen hatte.452 Von Seiten des Auswärtigen Amtes war zudem für die Errichtung eines Schulgebäudes kein Geld auf­ gewendet und die geringen Mietkosten für den ersten Schulraum durch

450 BArch, R 1001/999, Bl. 78. Siehe auch Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 114, S. 385–386. 451 Vgl. Pesek, Grenzen, S. 122–123. 452 BArch, R 8023/968, Bl. 230. Für eine Übersicht der Kosten beachte Anhang Nr. 6. Siehe auch Kapitel 2.2.3. Zu den Gehaltszahlungen beachte BArch, R 1001/999, Bl. 46–51, 55–58, 60–64, 66–67, 102–104. BArch, R 8023/968, Bl. 173, 175, 177–179, 189–194, 198–211, 222–225, 252–258.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

vermutlich seitens des Bezirksamtes Tanga lokal beschaffte Mittel gezahlt worden. Während die Rechnung auf Berliner Papier damit besser nicht hätte sein können, zeigt Barths Schreiben jedoch eine gerade nicht optimale schuli­ sche Realität dieser Finanzkonstruktion. Er klagte dabei nicht nur über die aus seiner Sicht falschen Schwerpunkte des finanziellen Mitteleinsatzes, sondern auch über mangelnde Unterstützung durch die Kolonialverwal­ tung beim Schulbuchdruck und den Wünschen nach der Errichtung eines neuen Schulhauses.453 Argumentative Rückendeckung erhielt er in seinen Vorwürfen insbesondere durch den Bezirksamtmann von Tanga, St. PaulIllaire, der seinerzeit ebenfalls für einen Schulneubau eingetreten war.454 Auch DKG-Präsident Hohenlohe-Langenburg zeigte sich enttäuscht von der grundsätzlichen finanzpolitischen Haltung des Auswärtigen Amtes und kommentierte Barths Brief, den er der Kolonialabteilung weiterleitete, mit bitteren Worten.455 Allerdings war aber auch die DKG nicht bereit gewesen, mehr als die schon bewilligten finanziellen Mittel zu investieren, und hatte, wie bereits geschildert, die Finanzierung des Fibeldrucks abgelehnt.456 Sie war außer­ dem bemüht, die zugesicherte Kostenbeteiligung in Höhe von 13.500 M nicht zu überschreiten und drang gegenüber der Kolonialabteilung darauf, von dieser die Reisekosten Barths erstattet zu bekommen. Ein erster dies­ bezüglicher Antrag war im Januar 1893 noch im Sande verlaufen, da man im Auswärtigen Amt von einer solchen Vereinbarung nichts wusste und auch den von der DKG vorgebrachten Beleg einer Bewilligung durch Gouverneur von Soden nicht verifizieren konnte.457 Im November 1894 hatte die DKG allerdings Erfolg und erhielt die nachträgliche Bewilligung der Erstattung der Hinreisekosten und gleiches auch für die Rückreisekos­ ten.458 Dabei verlief die Kommunikation zwischen der Kolonialabteilung und der DKG äußerst diffus und es entsteht der Eindruck, dass die Kolo­ nialabteilung letztlich aus Mangel an eigenen Informationen und dem Bemühen um gute Beziehungen dem beharrlichen Drängen der DKG nachgab.

453 454 455 456 457 458

BArch, R 1001/999, Bl. 78. BArch, R 1001/999, Bl. 106–109. BArch, R 8023, 968, Bl. 168–172. BArch, R 1001/999, Bl. 78. Siehe Kapitel 2.2.2. BArch, R 1001/999, Bl. 30, 37–38, 43–45, 71. BArch, R 8023/968, Bl. 165, 173. BArch, R 1001/999, Bl. 73–74.

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2. Konzeption und Ressourcen

Weitaus gravierender als die Reisekostenübernahme, die sich auf insge­ samt circa 1.850 M belief459 und nicht zuletzt auch ein kommunikatives Missverständnis beider Parteien war, war ein zweites solches Missverständ­ nis. Die Kolonialabteilung war nämlich davon ausgegangen, dass Barth auch noch im Jahr 1895 vertragsmäßig in Tanga bleiben würde, und hatte sich im September 1894 einigermaßen überrascht gezeigt, dass der Vertrag nach Auffassung Barths und der DKG bereits Mitte Dezember 1894 enden sollte und Barth seine Rückreise für Mitte November 1894 plante.460 Und tatsächlich hatte die DKG in zwei Schreiben des Jahres 1892 bekundet, Barths Gehalt für die Jahre 1893 bis 1895 zu übernehmen.461 Da Barths dreijährige Vertragslaufzeit aber gemäß der Vereinbarung Nr. 5 des Vertrages insbesondere die Ausbildungszeit, die im Dezember 1891 begonnen hatte, einschloss, war vertragsrechtlich der Verbleib Barths in Tanga ab Dezember 1894 an dessen freiwillige Bereitschaft geknüpft, wei­ terhin dort zu unterrichten und gegebenenfalls einen Anschlussvertrag zu unterzeichnen.462 Dies hatte er angesichts der schulpolitischen Man­ gelwirtschaft aber schon im August 1894 abgelehnt und so musste die Kolonialabteilung gegenüber der DKG eingestehen, das Ende der Vertrags­ laufzeit falsch interpretiert zu haben.463 Zeitgleich zur Berliner Diskussion um den islamischen Religionsunterricht war die Kolonialabteilung damit zum Jahreswechsel 1894/95 auch in Sachen Lehrerstellenbesetzung in arge Bedrängnis geraten und der Fortbestand der Schule in Tanga nicht nur auf Seiten der Schülerschaft, sondern auch auf Seiten der Lehrerschaft fraglich. Die allgemeinen Zeichen der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika standen Ende 1894 dabei allerdings keineswegs auf Rückzug, sondern viel­ mehr auf Expansion, denn Gouvernement und Kolonialabteilung planten die Eröffnung zweier weiterer Schulen, einer in Daressalam und einer in Bagamoyo für das Jahr 1895. Zu diesem Zweck befand sich ab dem Sommersemester 1894 mit dem Lehrer Paul Blank aus Rixdorf (heute Ber­ lin-Neukölln) ein weiterer Lehrer am Seminar für Orientalische Sprachen, wo dieser die Swahilikurse von Hans Zache und Amur Bin Nasir Lome­

459 BArch, R 1001/999, Bl. 71, 98–101. BArch, R 8023/968, Bl. 235, 245–247, 248– 251. Die DKG brachte letztlich etwa 14.500 M für die Schule in Tanga auf. Beachte hierzu die Kostenübersicht in Anhang Nr. 6. 460 BArch, R 1001/999, Bl. 68. BArch, R 8023/968, Bl. 212–213. 461 BArch, R 1001/999, Bl. 24, 27–28. BArch, R 8023/968, Bl. 57, 66–67, 155–156. 462 BArch, R 1001/999, Bl. 32–33, 69–70. BArch, R 8023/968, Bl. 2–3, 158–159, 288– 290. Siehe auch Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 113, S. 382–383. 463 BArch, R 1001/999, Bl. 68, 73–74. BArch, R 8023/968, Bl. 212–213.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

ri besuchte.464 Ab dem Wintersemester 1894/95 nahm neben Blank mit Oswald Rutz aus dem pommerschen Graudenz (heute Grudziądz, Polen) dann ein zweiter Lehrer am dortigen Unterricht teil.465 Beide sollten, so die Planungen der Kolonialverwaltung, nach jeweils zweisemestrigem Stu­ dium die Ausreise nach Deutsch-Ostafrika antreten, um dort im Laufe des Jahres 1895 dann die beiden neuen Schulen zu eröffnen.466 Man setzte im Auswärtigen Amt damit auf genau den Ausbildungsweg, den man für Barth erstmals eingerichtet hatte, und zielte so auf die Reproduktion einer strategischen Herangehensweise, die sich aus der Perspektive der Anbindung der Schule an die Prozesse des Wissenstransfers durchaus als ‚erfolgreich‘ erwiesen hatte. Dies blieb auch dem Kolonialrat nicht verbor­ gen, der im Zuge der Mitte der 1890er-Jahre aufkommenden Debatte um die etwaige Einrichtung einer speziellen Ausbildung für Kolonialbeamte in seiner Herbstsitzung 1894 insbesondere die Ausbildung der Lehrer am SfOS als vorbildhaften Präzedenzfall diskutierte.467 Zuvor hatte auch die Redaktion des Deutschen Kolonialblatts in einer Rezension von Max Benekes Schrift Die Ausbildung der Kolonialbeamten darauf verwiesen, dass die Ausbildung von Lehrern am SfOS Ausgangspunkt der Bemühungen um die Ausbildung von Kolonialbeamten sein könne.468 Beneke selbst hatte dafür plädiert, die Verknüpfung von Universität und SfOS weiter zu stärken und insbesondere rechtswissenschaftliche Studierende in den ersten Semestern zu Kultur- und Sprachstudien an das SfOS zu senden und im juristischen Referendariat schließlich auch eine koloniale Station absolvieren zu lassen.469 Im November 1894, in welchem sich Blank in seinem zweiten Semester befand und Rutz gerade erst einmal begonnen hatte, Swahili zu erlernen, verschaffte die von der Kolonialabteilung betriebene Verfestigung strategi­

464 465 466 467

GstA PK, SfOS, 316, Bl. 176, 185. GstA PK, SfOS, 317, Bl. 2, 5. Lenz, Regierungsschulen, S. 25. BArch, R 1001/999, Bl. 91–92. BArch, R 1001/999, Bl. 81–86, hier: Bl. 81–83, 86. Zur Institutionalisierung dieses Ausbildungsweges für Lehrer an kolonialen Schulen in Deutsch-Ostafri­ ka beachte Kapitel 3.2.1. Die Ausbildung von Lehrern am Seminar für Ori­ entalische Sprachen begann damit insbesondere auch rund 20 Jahre vor der dortigen Ausbildung deutscher Auslandslehrer, für die es erst die Einrichtung eines Schulreferats im Auswärtigen Amt bedurfte, vgl. Müller, Bernd: Von den Auswandererschulen zum Auslandsschulwesen. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Nationalismus vor dem Ersten Weltkrieg, Diss. Phil., Universität Würzburg 1995, S. 223–224. 468 Litterarische Besprechungen, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 355–356, hier: S. 356. 469 Beneke, Ausbildung, S. 82–85.

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2. Konzeption und Ressourcen

schen Herrschaftswissens dem bevorstehenden akuten Lehrermangel in Tanga allerdings keine kurzfristige Abhilfe. Gleichwohl bat von Trotha in seiner Funktion als stellvertretender Gouverneur die Kolonialabteilung, Blank „sofort heraussenden zu wollen“, da man vor Ort keinen Ersatz für Barth gefunden habe und die Schule nun vorrübergehend von einem indigenen Lehrer geleitet werde.470 Wenngleich die Übergabe der Schullei­ tung zu diesem frühen Zeitpunkt der kolonialen Schule durchaus bemer­ kenswert ist, war sie doch nicht von langer Dauer, da der Lehrer, der vermutlich einer der älteren und fortgeschrittenen Schüler war, schon Anfang Dezember 1894 die Schulleitung wieder abgeben musste und mit Julius Gilcher ein eigentlich als Vermessungsgehilfe angestellter Deutscher den Unterricht übernahm. 471 Gilcher hatte zwar sowohl eine Präparanden­ anstalt als auch ein Lehrerseminar besucht, war jedoch nicht examiniert und auch seine Anstellung, wie Gouverneur von Schele im Dezember 1894 nach Berlin meldete, von vornherein nicht mehr als ein Behelf.472 Vor diesem Hintergrund und angesichts der immer noch fehlenden dritten Lehrkraft verwundert es nicht, dass man seitens der Kolonialabtei­ lung im Frühjahr eine Forderung St. Paul-Illaires nach Rückholung von Christian G. Barth nach Tanga aufgriff und sich erneut an die Deutsche Kolonialgesellschaft wandte.473 Diese wiederum kontaktierte Barth, der sich nach seiner Rückkehr nach Deutschland in seinen Heimatort Zell bei Esslingen begeben hatte.474 Barth antwortete umgehend und stellte eine Reihe von Bedingungen für seine Rückkehr nach Tanga, die sich aus ana­ lytischer Perspektive zum einen als weitere, eindrückliche wie umfassende Stellungnahme zur Frage ‚Was darf es kosten?‘ lesen lässt, und zum ande­ ren auch verdeutlicht, dass Barth mit seiner Tätigkeit in der kolonialen Schule klare persönliche Karriereambitionen verband.475

470 BArch, R 1001/999, Bl. 89 (auch für das Zitat). 471 BArch, R 1001/999, Bl. 91–92. Die deutsche Schule in Tanga in der Zeit vom 1. Juni 1894 bis zum 1. Juni 1895, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 381. Lenz, Regie­ rungsschulen, S. 24. 472 Lenz, Regierungsschulen, S. 24. 473 BArch, R 1001/999, Bl. 106–111. BArch, R 8023/968, Bl. 268. 474 BArch, R 8023/968, Bl. 265. Zur Rückreise Barths beachte BArch R 8023/968, Bl. 212–213, 215–220, 226–227, 237. BArch, R 1001/999, Bl. 68, 73–74. Zu Barths Lebensweg nach dem kolonialen Schuldienst beachte Kapitel 4.3.2. 475 BArch, R 8023/968, Bl. 266–267. Siehe auch Adick/Mehnert, Deutsche Missionsund Kolonialpädagogik, Dok. 115, S. 386–387. Beachte auch BArch, R 8023/968, Bl. 269–270. BArch, R 1001/999, Bl. 114.

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2.2 Sprachpolitik und Schulkonflikte in Deutsch-Ostafrika

Den zuerst genannten Aspekt betreffend forderte Barth zunächst die sofortige Bereitstellung von 12.000 Rupien für den „Bau eines Schulhauses mit Lehrerwohnung und Zubehör“ und wiederholte die in seinem Schrei­ ben vom vergangenen August bereits vorgebrachten Beschwerden über die Baufälligkeit des aktuellen Schulgebäudes und seine inadäquate Unter­ bringung.476 Außerdem verlangte er ein jährliches Budget in Höhe von 600 M für die Anschaffung von „Schulbücher[n] und Lehrmittel[n]“.477 In selbstüberzeugter Manier bezeichnete er hierbei die von ihm erstellte Swahilifibel als einzig brauchbares der vorhandenen Schulbücher und mahnte zudem die Anfertigung eines Deutsch- sowie eines Rechenbuches an.478 Barth ging es damit in erster Linie um die Schaffung guter Arbeits­ bedingungen, die bislang der Prämisse des möglichst geringen finanziellen Mitteleinsatzes unterlegen gewesen waren. Und diese sollte auch weiterhin Bestand haben, denn die Kolonialabteilung bot im Gegenzug (lediglich) die formelhafte Zusicherung, „auf eine stetige Besserung der Wohnungs­ verhältnisse auch des Lehrers hinzuwirken“ sowie regelmäßig Schulbücher und Lehrmittel anzuschaffen, machte aber keine konkreten finanziellen Zusagen, die ein weiteres Bekenntnis zur Schule in Deutsch-Ostafrika be­ deutet hätten.479 Entsprechend enttäuscht reagierte Barth, der gegenüber der DKG, die in diesem Schriftwechsel als Mittlerin fungierte, angab, dass er den Zusagen des Auswärtigen Amtes nicht traue und diese auch für zu allgemein gehalten ansehe.480 Bezüglich des Aspekts der Karriereambitionen forderte Barth schließlich in seinem ersten Schreiben insbesondere das Erstzugriffsrecht auf eine zu­ künftig etwaig zu schaffende „Aufsichts- oder Schulverwaltungsstelle“.481 Er wisse, dass er damit viel fordere, sei sich aber sicher, dass er selbst durch seine Erfahrung von vor Ort besser geeignet sei, als jedweder neu ausge­

476 BArch, R 8023/968, Bl. 266–267 (für die Zitate: Bl. 266). Bei einem Kurs von 1 R = 1,11 M im April 1895 bedeutete dies finanzielle Mittel in Höhe von 13.320 M, Nachweisung der Brutto-Einnahmen bei der Zollverwaltung für Deutsch-Ost­ afrika im Monat April 1895, in: DKB Jg. 6 (1895), S. 346. In dem in der DKZ nach seiner Rückkehr nach Deutschland veröffentlichten Artikel beschwerte sich Barth öffentlich zudem noch darüber, von der Kolonialabteilung über das „Interesse“ der ansässigen Bevölkerung falsch informiert worden zu sein, Barth, Die ersten Lebensjahre, S. 91 (auch für das Zitat). 477 BArch, R 8023/968, Bl. 266–267 (für das Zitat: Bl. 266). 478 BArch, R 8023/968, Bl. 266–267. 479 BArch, R 1001/999, Bl. 115–116 (für das Zitat: Bl. 115). BArch, R 8023/968, Bl. 271. Beachte auch BArch, R 8023/968, Bl. 273–274. 480 BArch, R 8023/968, Bl. 275–276. 481 BArch, R 8023/968, Bl. 266–267 (für das Zitat: Bl. 266).

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2. Konzeption und Ressourcen

sandte Lehrer. Um seine Forderungen weiter zu unterstreichen, schloss er seinen Forderungskatalog schließlich mit folgender Klarstellung: „Werden diese Bedingungen erfüllt, so bin ich gerne bereit, wieder hinauszugehen. Werden sie nicht gewährt, so hoffe ich in Deutschland unter angenehmeren Verhältnissen weiter zu kommen.“482 Dabei weist auch der letzte Satzteil der hier zitierten Stelle auf Barths Wil­ len, beruflich zu reüssieren, und gibt nachträglich weitere Auskunft über dessen Motivation zum Antritt der Stelle drei Jahre zuvor. In der Kolonial­ abteilung rief die Stellenforderung, gleichwohl man sie auch als Ausdruck des Willens zur Mitarbeit am kolonialen Schulprojekt hätte lesen können, erheblichen Widerspruch hervor und auch auf Seiten der DKG sorgte Barth für Irritationen.483 Barth jedoch ließ von seiner Forderung nicht ab und weissagte gegenüber der DKG polemisch, dass „auch auf dem Schulgebiet (sobald etwas geleistet worden ist) ein in seinem Glauben Schiffbruch erlittener Theologe oder ein unmöglich gewordener Philologe an höherer [Stelle] auftauchen wird.“484 Zwar leitete die DKG Barths Polemik nicht direkt an die Kolonialabtei­ lung weiter, dessen Weigerung, auch nur von einer seiner Forderungen zurückzutreten, genügte dennoch, um ihm die Rückkehr nach Tanga nun final zu versagen.485 Trotz gemeinsamer Ziele und auch vorzuweisender ‚Erfolge‘ war angesichts dieser unterschiedlichen Auffassungen über die fi­ nanzielle Ausstattung der Schule eine Wiederanstellung Barths unmöglich. Dies zeigt, dass zum gemeinsamen ‚Nutzen‘ also auch eine gemeinsame Ansicht über die ‚Kosten‘ vorherrschen musste, zumal bei einem regel­ mäßig selbstbewusst auftretenden und von seinen Vorgesetzten als zwar kompetent, allerdings bisweilen auch als überheblich wahrgenommenen Lehrer.486 482 483 484 485 486

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BArch, R 8023/968, Bl. 266–267 (für das Zitat: Bl. 267). BArch, R 1001/999, Bl. 115–116. BArch, R 8023/968, Bl. 271. BArch, R 8023/968, Bl. 275–276 (für das Zitat: Bl. 276). BArch, R 8023/968, Bl. 277. Es finden sich einige Belege dafür, dass Barth in sozialen Situationen bisweilen aneckte. Von Soden bezeichnete Barth etwa als überheblich und eingebildet und begründete unter anderem damit die Schulortwahl Tanga, wo er meinte, mit St. Paul-Illaire einen zur Einhegung dieser Charakterzüge fähigen Bezirks­ amtsmann zu haben, siehe Kapitel 2.2.3. St. Paul-Illaire fügte schließlich noch hinzu, dass Barth zur „schulmeisterliche(n) Besserwisserei“ neige und bisweilen einen „Mangel an Umgangsformen“ zeige, BArch, R 1001/989, Bl. 20 (auch für das Zitat), Siehe Kapitel 2.2.3. Letzteres bekräftigte noch 19 Jahre später eine

Zwischenfazit

So war die frühe koloniale Schule nicht nur im Falle Christallers, son­ dern auch im Falle Barths ein Ort, an dem persönliche Vorstellungen und berufliche Auffassungen eines Einzelnen große Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Institution Schule vor Ort, ihr Bestehen und ihre Praxis haben konnten. Dies gilt für ihre ‚Erfolge‘, wie die Anbindung des Unterrichts an die Prozesse des kolonialen Wissenstransfers und die Eb­ nung des Ausbildungsweges deutsch-ostafrikanischer Lehrer, woran Barth maßgeblich beteiligt war, wie auch für ihre ‚Misserfolge‘, wie die zeitweise Nicht-Besetzung der Lehrerstelle, die finanziellen Einschränkungen und die massiven Probleme bei der Erlangung von Schülern. Bemerkenswer­ terweise waren es letztlich enttäuschte Erwartungen hinsichtlich seiner Landsleute, nicht etwa hinsichtlich seiner Schülerschaft, die Barth zur Rückkehr nach und zum Verbleib in Deutschland bewogen. Die koloniale Schule in Deutsch-Ostafrika stand damit zur Jahreswende 1894/95 vor einem Umbruch, den die in diesem Kapitel thematisierten handlungslei­ tenden Prämissen sowie die grundsätzlichen Konflikte und die doppelte Krise um Schüler- und Lehrerschaft evoziert hatten. Der Umbruch führte in den folgenden Jahren zum einen zur weiteren Institutionalisierung der Lehrerausbildung und damit zur Verfestigung des im Falle Barths erprobten strategischen Herrschaftswissens. Zum anderen führte er, wie Kapitel 3.2 zu zeigen versucht, mit der Gründung zahlreicher Inlandsschu­ len zur Ausdehnung der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika und der sie begleitenden Prozesse der Generierung des Transfers kolonialen Herr­ schaftswissens.

Zwischenfazit Für die Gründung der kolonialen Schule in Tanga war die Schule in Bonamandone sowohl Vorlage für die Übernahme als auch Referenzpunkt für die Veränderung der Schulgründungsstrategie. Dabei zeigte sich aller­ dings, dass für die Schulgründung zuvorderst eine staatlich verantwortete Verwaltung, wie sie in Deutsch-Ostafrika ab dem Frühjahr 1891 existier­ te, benötigt wurde. Diese diente als Koordinierungsinstanz und Ansprech­ partnerin für verschiedene Kooperationspartner, derer die mit begrenz­

knappe Beschreibung Barths durch die für ihn zuständige Evangelische Ober­ schulbehörde in Stuttgart, Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart E 40 / 17 Bü 6, Bl. 10 (Abschrift von K. Evangelischer Oberschulrat an K. Ministerium des Kirchen- und Schulwesens am 5.1.1912).

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2. Konzeption und Ressourcen

ten Haushaltsmitteln ausgestattete Gouvernementsverwaltung durchaus bedurfte. Im Falle der Schulgründung in Deutsch-Ostafrika wurde die Deutsche Kolonialgesellschaft Partnerin der Kolonialverwaltung. Dagegen scheiterten die Bemühungen um eine lokale Partnerschaft, für die das Gouvernement den einflussreichen indischen Händler Sewa Hadji in Be­ tracht genommen hatte. Maßgeblicher Organisator des Transfers strategi­ schen Herrschaftswissens war Julius von Soden, der auch in seinem neuen Gouverneursamt in Deutsch-Ostafrika die koloniale Schule als politisches Mittel einer zivil orientierten Pazifizierungspolitik nutzte. Die Schule soll­ te zudem dem Zweck dienen, untere indigene Verwaltungsbeamte auszu­ bilden. Von Soden übertrug nun idealtypisch die berufsfachlichen Eigen­ schaften Theodor Christallers auf die Ausschreibung der neuen Lehrerstel­ le und nutzte die Gründung des Seminars für Orientalische Sprachen in Berlin für die Institutionalisierung der kolonialschulischen Sprachpolitik. Die Anstellung eines Lehrers war somit nicht nur durch die Wissenstrans­ fers beschleunigt, sondern beinhaltete nun auch eine institutionelle, fach­ liche Spezialausbildung. Der binnen weniger Monate angestellte Lehrer Christian G. Barth reiste so mit den stark eurozentrisch geprägten Vorstell­ ungen der Koloniallinguistik im geistigen Gepäck nach Deutsch-Ostafrika und war entsprechend eingestellt auf eine sprachpolitische Betätigung. Den Unterricht in der Schule in Tanga integrierten Barth und von Soden dabei in zweifacher Weise in die koloniale Wissensproduktion. Einerseits war der Unterricht der Ort des Rückflusses von meist im SfOS normativ verformtem sprachlichen und landeskundlichen Wissen und andererseits auch Ort neuer Informationssammlung. Beide Prozesse liefen parallel ab und waren durch den gleichzeitig lehrenden wie Lehrbuch schreibenden Lehrer eng miteinander verzahnt. Das Fehlen eines lokalen Kooperationspartners brachte es mit sich, dass zunächst keine Schüler die eröffnete Schule freiwillig besuchen wollten und darum vom Bezirksamt zwangsweise abgeordnete Hilfsarbeiter die erste Schülerschaft stellten. Zwar gelang es der Schule schließlich doch, auch weitere Schüler zu gewinnen. Deren Hingabe für den gebotenen Unterricht und deren häufiges Fehlen im Unterricht sorgten allerdings insbesondere bei Barth für große Enttäuschung, sodass sich dieser bemü­ ßigt fühlte, die Einführung einer Schulpflicht zu fordern. Barths Vorge­ setzter, der Bezirksamtmann Walter Le Tanneux de St. Paul-Illaire, der gemeinsam mit Barth die auf die Etablierung des Swahili als lingua fran­ ca zielende Sprachpolitik der deutschen kolonialen Schule vorantrieb, wi­ dersprach allerdings dieser Forderung. Er führte die Zurückhaltung der Bevölkerung darauf zurück, dass diese die Schule für eine religiöse Bekeh­

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

rungsanstalt hielt, und wollte dem mit der Anstellung eines islamischen Religionslehrers begegnen. Die maßgeblich durch einen Artikel des For­ schungsreisenden Oskar Baumann dann ab 1894 angeheizte Debatte um diesen Vorschlag führte die koloniale Schule schließlich in ihre erste Krise. Während die Debatte in den Jahren 1894 und 1895 in Berlin langsam vor­ anging, stellte außerdem die Rückkehr Lehrer Barths nach Deutschland im Dezember 1894 die Kolonialverwaltung vor die Herausforderung, einen neuen Lehrer zu finden. Entsprechend begann die Berliner Kolonialver­ waltung, die Ausbildung von Lehrkräften für die koloniale Schule in Deutsch-Ostafrika institutionell weiter an das SfOS zu binden und diese zu verstetigen.487 Das vorangegangene Kapitel adressierte damit insbesondere die For­ schungsfragen zum Aufbau und ersten Verbreiten strategischen Herr­ schaftswissens und vertiefte die Befassung mit der Anbindung der kolonia­ len Schule an die Prozesse der Generierung kulturellen und sprachlichen Wissens der Kolonialgebiete. Das nachfolgende Kapitel richtet mit der deutschen Auslandsschultradition nun den Blick auf den dritten wichti­ gen Referenzpunkt der kolonialen Schulgründungen und stellt die For­ schungsfragen nach den Einflüssen deutscher Schulgemeinden und den biographischen Prägungen deutscher Auslandsschullehrer ins Zentrum der Darstellung. Besonderes Augenmerk erhalten durch die Berufsbiogra­ phien des Pfarrers Fritz Holzhausen und der Lehrerin Ludovica Schultze Fragen nach dem Verhältnis von Staat und Kirche in Kolonialgebieten, nach den Berufsperspektiven von Frauen und nach reformpädagogischen Schulformen.

2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft 2.3.1 Die Etablierung der Schule in der kolonialen Debatte Am 31. Januar 1896 informierte der Präsident der Deutschen Kolonialge­ sellschaft (DKG), Johann Albrecht Herzog von Mecklenburg-Schwerin, den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Adolf Marschall von Bieberstein, über einen Beschluss des Vorstandes der DKG. Demgemäß wurde der Deutschen Schule in Apia eine finanzielle Zuwendung in Höhe von 2.000 M gewährt, denn

487 Zu diesem Aspekt beachte weiterführend Kapitel 3.2.

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2. Konzeption und Ressourcen

„im Hinblick auf die anarchistischen Zustände auf Samoa [ist es un­ sere] nationale Pflicht […], das Deutschtum daselbst mit allen zu Ge­ bote stehenden Mitteln zu schützen und die deutschen Interessen zu fördern. Als besonders wirksam für die Befestigung und Ausbreitung deutschen Einflusses auf Samoa stellt sich nach Ansicht der Deutschen Kolonialgesellschaft die Unterstützung der in Apia befindlichen eine segensreiche Tätigkeit entfaltenden deutschen Schule dar.“488 Dem Beschluss war ein bemerkenswerter erster Schritt in einem Rich­ tungswechsel innerhalb der in der DKG virulenten Debatte um die auf Samoa gerichtete deutsche Expansionspolitik im Pazifik vorausgegangen. Knapp zwei Jahre zuvor, am 17. März 1894, hatte die DKG in ihrer Haupt­ versammlung, dem obersten Beschlussgremium der Gesellschaft, noch die „unverzüglich[e] Revision der Samoaakte“ gefordert.489 Die gesellschaftsei­ gene Deutsche Kolonialzeitung (DKZ) agitierte daraufhin in einer Reihe von Artikeln zu den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhält­ nissen auf Samoa für die Annexion der Inselgruppe durch das Deutsche Reich.490 Dabei veröffentlichte die Redaktion der DKZ insbesondere auch einen Brief deutscher Siedler an die DKG, den unter anderem auch der seinerzeitige Lehrer der Deutschen Schule in Apia, A. F. Tandler491, unter­ zeichnet hatte und in dem die DKG um politischen Rückhalt für die dor­ tigen Deutschen gebeten wurde.492 Dies sollte die Unterstützung der örtli­ chen deutschen Bevölkerung für eine etwaige Annexion dokumentieren und gleichzeitig die durch mögliche militärische und handelspolitische Konflikte zu befürchtenden Einbußen für die vor Ort tätige Deutsche Han­

488 BArch, R 8023/974, Bl. 3. 489 Die Vorstandssitzung und Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesell­ schaft, in: DKZ, Jg. 11 (N. F. 7), Nr. 4 (31.3.1894), S. 47–50, hier: S. 50 (auch für das Zitat). 490 Samoa, in: DKZ, Jg. 11 (N. F. 7), Nr. 6 (26.5.1894), S. 75–76. Die Samoa-Denk­ schrift, in: DKZ, Jg. 11 (N. F. 7), Nr. 7 (23.6.1894), S. 91–93. Die deutschen Interessen auf Samoa, in: DKZ, Jg. 11 (N. F. 7), Nr. 7 (23.6.1894), S. 100–101. Die Deutschen auf Samoa, in: DKZ, Jg. 11 (N. F. 7), Nr. 9 (18.8.1894), S. 116– 117. Samoa und die öffentliche Meinung, in: DKZ, Jg. 11 (N. F. 7), Nr. 10 (15.9.1894), S. 127–128. 491 A. F. Tandler war der zweite Schulleiter der Deutschen Schule in Apia und hatte spätestens ab dem Schuljahr 1893/94 die Schulleitung übernommen. Im Frühjahr 1896 erhielt er aufgrund unzufriedener Beurteilung durch die Elternschaft keine Vertragsverlängerung, BArch, R 8023/974, Bl. 22–26. Jahres­ bericht der deutschen Schule in Apia 1893/94, in: DKZ, Jg. 12 (N. F. 8), Nr. 13 (30.3.1895), S. 100. 492 Die Deutschen auf Samoa, S. 117.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

dels- und Plantagengesellschaft (DHPG) als hinnehmbar deklarieren.493 Bekräftigt wurde diese Positionierung schließlich durch einen Beschluss des Vorstandes der DKG im Januar 1895, in welchem dieser forderte, „das bisherige Kondominium zu beseitigen und […] die Verwaltung und das Protektorat auf Deutschland allein [zu] übertragen.“494 Die zwischen Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Deutschen Reich 1889 vereinbarte gemeinsame Herrschaft über die samoanischen Inseln hatte eigentlich das Ziel gehabt, sowohl innersamoa­ nische als auch internationale Konflikte beizulegen sowie den Handelsge­ sellschaften der drei Nationen die wirtschaftliche Ausbeutung der Inseln zu ermöglichen. Dazu implementierten die Vertragsparteien der Samoaak­ te einen formal unabhängigen samoanischen König, eine die Plantagen­ wirtschaft stützende internationale Munizipalpräsidentur in Apia und das Amt eines Oberrichters, der in herrschaftspolitischen Konflikten vermit­ teln sollte. Die Folge dieses widersprüchlichen Konstruktes waren aller­ dings zahlreiche weitere, teils gewaltsame Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in der Inselgruppe, die die Vertreter der DKG insbesondere dazu nutzten, regelmäßig die Bedrohung durch britische und US-amerika­ nische Einflüsse mit letztendlich politischer, wirtschaftlicher und kulturel­ ler angloamerikanischer Dominanz zu skizzieren.495 Neben der befürchteten baldigen machtpolitischen Unterlegenheit ar­ tikulierte die Kolonialgesellschaft ihr Interesse an der Pazifizierung der

493 BArch, R 8023/974, Bl. 63–66. Die Deutschen auf Samoa, S. 117. Die Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft (DHPG) war im März 1878 aus der Pazifikabteilung der Hamburger Handelsfirma Joh. Ces. Godeffroy & Sohn entstanden und unterstützt durch die Reichspolitik zur größten nicht­ samoanischen Landbesitzerin vor Ort geworden. Die DHPG versammelte die deutschen Wirtschaftsinteressen und betrieb unter Ausbeutung melanesischer und chinesischer Arbeiter auf Samoa und weiteren Pazifikinseln Kokosnussund Kakaoplantagen, Krauß: Deutsche Handels- und Plantagen-Gesellschaft, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Koloniallexikon, Bd. I, Leipzig 1920, S. 300f. Deutsche Handels- und Plantagen-Gesellschaft der Südsee-Inseln, Hamburg, in: Historisch-biographische Blätter (1905). Vgl. Gründer, Geschichte der deut­ schen Kolonien, S. 99–100. 494 BArch, R 8023/974, Bl. 63–66. Die Vorstandssitzung der Deutschen Kolonialge­ sellschaft am 15. Januar zu Dresden, in: DKZ, Jg. 12 (N. F. 8), Nr. 4 (26.1.1895), S. 25–27. 495 Vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 103–104. Kennedy, Paul M.: The Samoan Tangle. A Study in Anglo-German-American Relations 1878– 1900, Dublin 1974, S. 87–122. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 38. Beachte auch die genannten Artikel in der DKZ.

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2. Konzeption und Ressourcen

einheimischen Bevölkerung. Diese Forderung, die angesichts der innersa­ moanischen Gewaltausbrüche in den Jahren 1893 und 1894 auch im Aus­ wärtigen Amt vertreten wurde496, verband die DKG mit dem eingangs angedeuteten ersten Schritt zu einem Richtungswechsel in der internen Samoa-Debatte. So rückte der Vorstand in seiner Sitzung am 30. Novem­ ber 1895 von der Forderung der schnellstmöglichen Abschaffung des Kondominiums ab und verlangte dagegen die Aufnahme diplomatischer Verhandlungen mit den Vertretern Großbritanniens und der USA zur „Entwaffnung“ der Samoaner. Gleichzeitig beschloss man, deutsche Missi­ onsgesellschaften zur Aussendung von Missionaren nach Samoa aufzufor­ dern sowie die Deutsche Schule in Apia durch die Aufbringung eigener Finanzmittel direkt zu unterstützen.497 An die Stelle aggressiver Annexi­ onsrhetorik trat damit die Forderung nach stärkerer kultureller Ausbrei­ tung, in deren Zentrum sich dann angesichts der bereits erfolgten Christia­ nisierung Samoas und demzufolge vorhersehbaren Ablehnung deutscher Missionen, Samoa zum Betätigungsfeld zu erklären498, zum Jahreswechsel 1895/1896 einzig die Deutsche Schule befand. Die Deutsche Schule in Apia bestand zu diesem Zeitpunkt schon bereits seit sieben Jahren, war bisher allerdings kaum in das Blickfeld der Koloni­ algesellschaft getreten. Sie war im August 1888 gegründet worden und be­ fand sich seitdem in der Trägerschaft eines Schulvereins der örtlichen Sied­ ler. Am zunächst englischsprachigen Unterricht der koedukativen Schule nahmen anfangs 19 Kinder „meist deutscher Abkunft“499 und im Alter von 6 bis 16 Jahren teil. Sie wurden von zwei Lehrkräften unterrichtet,

496 Vgl. Kennedy, The Samoan Tangle, S. 102–103. 497 Die Vorstandssitzung in Düsseldorf, in: DKZ, Jg. 12 (N. F. 8), Nr. 49 (7.12.1895), S. 385–386, hier: S. 385 (auch für das Zitat). 498 BArch, R 8023/974, Bl. 63–66. Die christliche Missionierung der Samoainseln trieben ab 1830 insbesondere Missionare der protestantischen London Missionary Society (LMS) voran. Sie erhielten 1859 innerkonfessionelle Konkurrenz durch die Australian Wesleyan Methodist Missionary Society, die damit eine 1830 zwi­ schen der LMS und der Londoner Wesleyanermission vereinbarte Gebietsauftei­ lung schlicht nicht beachteten. 1845 hatten zudem katholische Missionare der französischen Maristenmission ihre Tätigkeit im Inselgebiet aufgenommen, vgl. Gründer, Horst: Die Etablierung des Christentums auf Samoa: Konfessionelle Rivalität und politische Implikation, in: Hiery, Hermann Joseph (Hg.): Die deutsche Südsee 1884–1914. Ein Handbuch, Darmstadt 2001, S. 636–648, hier: S. 636–640. Mückler, Hermann: Mission in Ozeanien, Wien 2010, S. 63, 66. 499 BArch, R 1001/2758, B. 3–4 (für das Zitat: Bl. 3).

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

dem deutschen Juristen Dr. Friedrich Otto Sierich500 und der Schwedin Frau Netzler501, die beide ein jährliches Gehalt in Höhe von 600 USD (ca. 2.500 M) erhielten.502 Die Finanzierung der Schule, die sich im Hafenbe­ reich Apias in Savalalo befand, wurde einerseits durch Beiträge der Schul­ vereinsmitglieder sowie der Eltern und andererseits durch einen Zuschuss in Höhe von 1.000 M aus dem Schulfonds des Auswärtigen Amtes bestrit­ ten.503 Ihrem Gründungskontext nach war die Schule damit insbesondere keine koloniale, sondern eine deutsche Auslandsschule. Als solche trug sie dem grundsätzlich in allen deutschen Auswanderergebieten vorhandenen Interessen der deutschen Siedler Rechnung, ihre Kinder in eine Schule eigener nationaler Prägung unterrichtet sehen zu lassen. Insofern wurden diese Schulen finanziell typischerweise dann auch von der lokalen Siedler­ gemeinschaft durch freiwillige oder Pflichtbeiträge getragen, was nicht zuletzt den Zusammenhalt der Gemeinschaft durch die Bewältigung einer 500 Dr. Friedrich Otto Sierich (geb. am 12.3.1854) war nach juristischer Ausbil­ dung und Tätigkeit als Rechtsanwalt in Hamburg, Lübeck und Jena im Som­ mer 1888 nach Samoa ausgewandert. In Folge seiner Anstellung an der Deut­ schen Schule war er unter anderem für eine kurze Zeit (Nov. 1894–Juli 1895) als Hilfsbeamter am deutschen Konsulat in Apia tätig. Nach Errichtung der Ko­ lonie erhielt Sierich im Oktober 1900 seine zuvor aufgrund der Auswanderung entzogene Zulassung als Rechtsanwalt zurück, nun für das Kaiserliche Gericht in Apia. Von 1900 bis 1901 war er daneben richterlicher Erfüllungsbeamten auf der Insel Savaii. 1902 wurde er außerdem zum Kaiserlichen Notar ernannt und übte diese sowie die Tätigkeit als Rechtsanwalt bis zum Oktober 1907 aus. Beachte ANZ AGCA 6051 W5788 IA 16 1, Bl. 1–2, 10–13 sowie drei nichtpaginierte Schreiben: Kaiserlicher Gouverneur zu Apia an Otto Sierich am 17.12.1901; AAKA an Otto Sierich am 5.7.1902; Kaiserlicher Gouverneur zu Apia an Otto Sierich am 28.1.1908. Siehe auch Bekanntmachung, in: SGB, Bd. III, Nr. 5 (16.11.1900), S. 20 sowie etwaig Sierichs kurze Personalakte in den Akten des Auswärtigen Amts, BArch, R 1001/5413. 501 Über die Biographie und die schulische Tätigkeit von Frau Netzler ist kaum et­ was bekannt. Möglicherweise war sie eine ältere Schülerin, die als Hilfslehrerin angestellt wurde, Aus Anlass…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 18 (5.5.1906), S. 1–2, hier: S. 1. Wäre dies der Fall, wäre die Gleichstellung beider Lehrkräfte im Gehalt durch­ aus bemerkenswert. Außerdem ist eine Verwandtschaft mit den beiden für das Schuljahr 1895/96 verzeichneten Schülerinnen Hertha und Sophie Netzler (11 und 8 Jahre alt) möglich, BArch, R 8023/974, Bl. 27–28. 502 BArch, R 1001/2758, B. 3–4. Ruf aus Samoa, in: DKZ, Jg. 11 (N. F. 7), Nr. 5 (28.4.1894), S. 74. Vgl. Hiery, Hermann Joseph: Schule und Ausbildung in der deutschen Südsee, in: Hiery, Hermann Joseph (Hg.): Die deutsche Südsee 1884–1914. Ein Handbuch, Darmstadt 2001, S. 198–238, hier: S. 231, 233. Hiery allerdings setzt Sierich mit dessen Nachfolger Tandler gleich. Beachte zu diesem oben, S. 1–2. 503 BArch, R 1001/2758, B. 5–6. Vgl. Hiery, Schule und Ausbildung, S. 232.

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2. Konzeption und Ressourcen

gemeinsamen Aufgabe förderte und noch weit über die Gründungszeit hi­ naus in Reden Erwähnung fand.504 Gelegentlich wurden die Schulen auch vom Auswärtigen Amt durch finanzielle Mittel unterstützt. Neben der Deutschen Schule in Apia erhielten 1888 30 weitere Schulen eine solche Zuwendung, womit insgesamt etwa 15 Prozent der Ende der 1880er-Jahre bestehenden deutschen Auslandsschulen von offizieller Seite unterstützt wurden.505 Mit dem sich vollziehenden Richtungswechsel in der DKG-internen Samoa-Debatte und der finanziellen Unterstützungszusage der DKG im November 1895 wurde die Deutsche Schule in Apia in den komplexen De­ battenzusammenhang der kolonialen deutschen Schule gezogen, in dem ob der geringen Zahl an Kolonisten bislang Schulen für deutsche Kinder noch keine große Rolle gespielt hatten. Der Kern des Schulkonzeptes in Apia, „deutsche Sprache und deutsche Sitte bis in die fernsten Länder unserer Erde zu tragen“, wie es der Schulvorstand in einem 1893 an die Kolonialgesellschaft gerichteten Unterstützungsgesuch plakativ zusam­ menfasste, war aber eindeutig anschlussfähig an die koloniale Debatte, zumal es sich bei Samoa um ein potentiell noch zu errichtendes formales Kolonialgebiet handelte.506 Ebenso anschlussfähig war die Deutsche Schu­ le in Apia durch ihre beginnende kolonialpolitische Instrumentalisierung als zivile, kulturelle Vermittlungsinstitution. Auf die gleiche Weise war auch etwa die Schule im deutsch-ostafrikanischen Tanga vom dortigen Gouverneur von Soden und auch der DKG verstanden und eingesetzt worden.507 Schließlich reichte der kulturelle Sendungsauftrag der Schule in Apia auch über die Kinder europäischer Siedler hinaus, da einerseits die Schule an sich öffentliche Aufmerksamkeit schuf und andererseits ihre Schülerschaft auch aus Kindern samoanischer Herkunft bestand. So weisen die Schulberichte der 1890er-Jahre regelmäßig auch „samoanische Kinder“ aus, während man zudem davon ausgehen muss, dass in den Schulstatistiken in der Regel die Nationalität des Vaters auf die Kinder

504 Für die Schule in Apia beachte Aus Anlass…, S. 1. 505 Vgl. Düwell, Kurt: Deutschlands auswärtige Kulturpolitik 1918–1932, Grund­ linien und Dokumente, Wien 1976, S. 58–60. Müller, Auswandererschulen, S. 136–144. Der Etat des Schulfonds, aus dem 1886 auch die koloniale Schule in Bonamandone (Kamerun) unterstützt worden war, belief sich im Jahr 1888 auf 60.000 M, siehe Geheime Denkschrift des Auswärtigen Amtes über das deutsche Auslandsschulwesen, April 1914, abgedruckt in Müller, Auswandererschulen, S. 268–315, hier: S. 308. Siehe Kapitel 2.1.1. 506 Ruf aus Samoa, S. 74 (für das Zitat). 507 Beachte Kapitel 2.2.1.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

übertragen wurde und sich so auch Kinder samoanischer Mütter unter der weiteren Schülerschaft befanden.508 Die Anschlussfähigkeit der Deutschen Schule in Apia an die koloni­ alschulische Debatte wurde des Weiteren durch Kontaktaufnahmen des Schulvereins in Apia mit der Kolonialgesellschaft komplementiert. So er­ schien neben dem genannten Spendenaufruf vom November 1893, den die DKZ im April 1894 veröffentlichte, im März 1895 auch der Schulbe­ richt für das Schuljahr 1893/1894 in der DKZ.509 Diesem folgte im Februar 1896 ein sehr ausführlicher Bericht des Schuljahrs 1894/95, dem insbeson­ dere ein Kassenbericht und eine Vorauskalkulation für das nächste Schul­ jahr beigefügt waren.510 Letztere wies ein voraussichtliches Defizit in Höhe von 1.040,10 USD aus, woraufhin in der Sitzung des DKG-Vorstandes im März 1896 sogleich eine Beratung über zusätzliche finanzielle Unterstüt­ zung einsetzte. Noch sah man angesichts der erst kurz zuvor bewilligten Finanzmittel zu diesem Zeitpunkt von einer erneuten Zuwendung ab.511 Drei Monate später erfolgte allerdings schon der Beschluss des Ausschusses der DKG, weitere 2.000 M für das kommende Jahr, also 1897, bereitzustel­ len, was der Vorstand der DKG im Dezember 1896 schließlich bestätigen sollte.512 Dabei hatten die Deutschen auf Samoa die Zeit zwischen den beiden Vorstandssitzungen für Werbung in eigener Sache genutzt. Zunächst hat­ ten die DKG im Juni 1896 die Einschätzungen des deutschen Konsuls in Apia, Fritz Rose513, erreicht. Dieser berichtete nicht nur von einem gelun­ genen Einsatz der bisherigen Mittel, sondern drängte mit Verweis auf die

508 BArch, R 8023/974, Bl. 5 (für das Zitat). Beachte hierzu die Schülerstatistik für die Jahre 1888 bis 1902 in Anhang Nr. 7. 509 Ruf aus Samoa, S. 74. Jahresbericht der deutschen Schule in Apia 1893/94, S. 100. 510 BArch, R 8023/974, Bl. 5. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, in: DKZ, Jg. 13 (N. F. 9), Nr. 8 (22.2.1896), S. 59. 511 BArch, R 8023/974, Bl. 11–13. 512 BArch, R 8023/974, Bl. 16–20, 31. 513 Fritz Rose (2.2.1855–16.5.1922) war Jurist und von 1899 bis 1892 zunächst stellvertretender und dann leitender Kaiserlicher Kommissar von Neuguinea. Anschließend kehrte er zurück nach Deutschland und arbeitete ab 1892 bis Anfang 1896 in der in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. Ab März 1896 und bis Juni 1899 war er dann als Deutscher Konsul in Apia tätig, be­ vor er bis zu seiner Pensionierung 1907 erneut in der AAKA arbeitete, Rose, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Koloniallexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 182. Vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 3 L-R, Paderborn 2008, S. 719–720.

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2. Konzeption und Ressourcen

defizitäre Finanzkalkulation auch auf weitere Unterstützung. Die Ziele der Schule seien die Flankierung der wirtschaftlichen Betätigung der DHPG und die Ausbreitung deutscher Kultur. Die Deutsche Schule müsse insbe­ sondere als bessere Alternative zur Schule der London Missionary Society (LMS) erscheinen514 und, wie Rose bereits im April 1896 der DKG geschil­ dert hatte, „der Einwirkung englischer Einflüsse einen kräftigen Damm entgegensetzen.“515 Der dann im November 1896 bei der DKG eintreffen­ de Bericht des Schuljahres 1895/96 verstärkte diese Argumentation. Darin berichtete der Schulvorstand, dem Roses Stellvertreter Geissler vorsaß, dass die Schule im Jahresverlauf einige Schüler an die Schule der LMS verloren habe. Die Ursache seien die schlechten Leistungen der Schüler im Deut­ schen, die das Bild der Schule insgesamt negativ beeinflussten. Hierfür habe der Schulvorstand Lehrer Tandler, der Anfang der 1890er-Jahre als zweiter Schulleiter die Nachfolge Otto Sierichs angetreten hatte, zur Ver­ antwortung gezogen und entlassen, doch benötige man nun zusätzliches Geld für die Anreise und die Unterbringung des schon gefundenen neuen Lehrers.516 Die so zusammengestellte Argumentation akzeptierte der Vorstand der DKG schließlich in seiner Sitzung am 5. Dezember 1896 im vollen Um­ fang. Vorstandsmitglied Franz von Arenberg konstatierte die scheinbare Alternativlosigkeit des Beschlusses: „Es kommt uns vor allen Dingen darauf an, dass wir mehr und mehr festen Fuß in Samoa fassen und dazu ist keine Einrichtung geeigneter als eine deutsche Schule.“517 Die vom Konsulat in Apia moderierte, enger werdende Bindung von Schulvorstand und DKG-Führung festigte im Februar 1897 schließlich ein zweiter öffentlicher Spendenaufruf des Schulvorstandes, den die Kolonial­

514 BArch, R 8023/974, Bl. 14–15. Zur Schule der Londoner Missionsgesellschaft und den interimperialen Dimensionen der Schule in Samoa beachte insbeson­ dere Kapitel 2.3.4. 515 BArch, R 8023/974, Bl. 8–9 (für das Zitat: Bl. 8). 516 BArch, R 8023/974, Bl. 22–26. Der Schulbericht wurde im Januar 1897 im Ham­ burgischen Correspondenten abgedruckt, BArch, R 1001/2758, Bl. 9. Von der deut­ schen Schule in Apia, in: Hamburgischer Correspondent, Nr. 49 (30.1.1897). Für den für das Verhältnis von Schulvorstand, Auswärtigem Amt und Preußi­ schem Evangelischem Ober-Kirchenrat aufschlussreichen Lehrerwechsel beach­ te Kapitel 2.3.2. 517 BArch, R 8023/974, Bl. 31 (auch für das Zitat).

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gesellschaft in der DKZ veröffentlichte.518 Dieser sorgte für die weitere Bekanntmachung der Schule in kolonialen Kreisen und trug zu ihrer wei­ teren Etablierung in der kolonialen Debatte bei. Zwar kam durch den Aufruf lediglich die überschaubare Summe von 1.887 M zusammen. Doch konnte sich der Schulvorstand eines prominenten Unterstützers rühmen, denn der Essener Industrielle Friedrich Krupp trug mit einer Spende in Höhe von 1.000 M maßgeblich dazu bei, dass die Spendensumme über­ haupt eine gewisse Größenordnung erreichte.519 Die so geknüpften Bande zwischen Samoa und dem Deutschen Reich suchte schließlich auch die DHPG für sich zu nutzen und warb bei der DKG dafür, aggressive herrschaftspolitische Auseinandersetzung mit Groß­ britannien und den USA möglichst nicht zu propagieren. Insbesondere die in der DKG mittlerweile beliebte Deutsche Schule nähme ansonsten Schaden.520 Die Hamburger Abteilung der DKG richtete daraufhin einen Antrag an den Ausschuss der Gesellschaft, dessen Annahme den zweiten Schritt des Richtungswechsels der internen DKG-Debatte markieren sollte. Darin konstatierte die Hamburger Abteilung: „Einzig und allein im Wege der friedlichen Verständigung mit den beiden anderen Vertragsmächten kann für die Wohlfahrt der deut­ schen Interessen auf Samoa an eine Änderung der jetzigen Verhält­ nisse daselbst gedacht werden und besonders die Alleinherrschaft Deutschlands Aussicht auf Verwirklichung haben.“521 Der Antrag zielte schließlich konkret darauf ab, angesichts der beschwore­ nen Gefahren für DHPG und Schule, die für die nächste Sitzung des Vor­ standes der DKG geplante Debatte zur Samoa-Frage ganz von der Tages­

518 BArch, R 8023/974, Bl. 36–37, 41. Aus Apia, in: DKZ, Jg. 14 (N. F. 10), Nr. 6 (6.2.1897), S. 53. 519 BArch, R 8023/974, Bl. 39–46, 50–52. Beachte auch die Berichte über eintref­ fende Spenden in der DKZ: Kleine Mitteilungen, in: DKZ, Jg. 14 (N. F. 10), Nr. 8 (20.2.1897), S. 75. Kleine Mitteilungen, in: DKZ, Jg. 14 (N. F. 10), Nr. 10 (6.3.1897), S. 94. Kleine Mitteilungen, in: DKZ, Jg. 14 (N. F. 10), Nr. 12 (20.3.1897), S. 115. Kleine Mitteilungen, in: DKZ, Jg. 14 (N. F. 10), Nr. 8 (27.3.1897), S. 125. Zu einem möglichen reformpädagogischen Begründungs­ kontext der Spende beachte Kapitel 2.3.3. 520 BArch, R 8023/974, Bl. 63–66. 521 BArch, R 8023/974, Bl. 63–66 (für das Zitat: Bl. 64). Die Hamburger Abteilung der DKG war 1897 eine der größten Untergliederungen der Gesellschaft und hatte durch ihre Verbindungen zu Kolonialwirtschaft maßgeblichen Einfluss innerhalb der DKG, Die Abteilungen der Deutschen Kolonialgesellschaft, in: DKZ, Jg. 14 (N. F. 10), Nr. 41 (9.10.1897), S. 413–415.

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ordnung zu nehmen. Der Generalsekretär der DKG, von Bornhaupt, der den Hamburger Antrag vortrug, berichtete zudem von einem Vorschlag der DHPG, dass der Vorstand stattdessen eine etwaige weitere finanzielle Unterstützung der Deutschen Schule in Apia thematisieren könne. Diesem Vorschlag folgte der Ausschuss schließlich einstimmig und in zwei Schrit­ ten. Er beschloss zunächst, „die Samoafrage zwar auf der Tagesordnung der Vorstandssitzung zu belassen, dieselbe indessen derart zu behandeln, dass […] zur Zeit der Weg privater praktischer Maßnahmen zum Zwecke der Stärkung der deutschen Interessen auf Samoa beschritten werde.“ Anschließend erfolgte die Konkretisierung dieses Vorgehens, indem der Vorstand im zweiten Teil des Beschlusses dazu aufgefordert wurde, eine erneute Zuwendung in Höhe von 2.000 M für die Deutsche Schule in Apia zu genehmigen.522 Zwar hatte der Direktor der DHPG, Meyer-Delius, der auch Mitglied im Vorstand der DKG war, in der darauffolgenden Vorstandssitzung im Dezember 1897 einige Mühen, den Konnex von wirtschaftlicher und kulturpolitischer Betätigung zu begründen, letztlich vollzog sich die Debatte aber entlang der vom Ausschuss vorgegebenen Leitlinien.523 Dies zeigt, dass sich binnen zweier Jahre die Samoa-Debatte innerhalb der DKG vollständig von der Forderung nach Annexion der samoanischen Inseln hin zur zwar nicht minder herrschaftspolitisch ge­ dachten, aber doch maßgeblich im kulturpolitischen Raum angesiedelten Schuldebatte wandelte. Die sich so Ende des Jahres 1897 schlussendlich vollziehende Einbindung der Deutschen Schule in Apia in die Debatte um die deutsche koloniale Schule erweitert damit die Analyse der deutschen kolonialen Schule insgesamt um eine siedlungskoloniale und auslands­ deutsche Perspektive, gleichwohl Samoa erst 1900 zu einer offiziellen deut­ schen Kolonie werden und die Schule selbst noch einmal drei Jahre später erst in die Verwaltungshoheit des Gouvernements treten sollte. Anders als die Schule in Tanga erwuchs die Schule in Apia nicht dem Transfer und der Anpassung von Herrschaftswissen einer vorangegangenen kolonialen Schulgründung, sondern trat aus auslandsschulischem Bereich in die kolo­ niale Debatte ein. Vor dem Hintergrund der skizzierten Anschlussfähigkeit der Schule und der gegenseitigen Zielkonvergenz von Schulvorstand und DKG fragen die nachfolgenden Abschnitte darum insbesondere nach den neuen und kontrastierenden Elementen kolonialschulischen Herrschafts­

522 BArch, R 8023/974, Bl. 63–66 (für das Zitat: Bl. 66). 523 BArch, R 8023/974, Bl. 82.

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wissens. Dieses Vorgehen motivieren nicht zuletzt die von interimperialer Konkurrenz geprägte Situation in Samoa, die starke Stellung des die Schu­ le tragenden Schulvereins und der ebenfalls in Samoa schon früh sehr rele­ vante religions- und missionspolitische Wettbewerb innerhalb der christli­ chen Konfessionen und im Verhältnis von Kirche und Staat.

2.3.2 Pfarrer oder Volksschullehrer? Eines der zentralen Steuerungsmittel des Schulvereins in Apia war die Ernennung oder Abberufung von Lehrern für die Deutsche Schule. Neben der Festlegung des Lehrplans war die Personalfrage die Gelegenheit der Kolonisten, indirekt Einfluss auf den Unterricht zu nehmen, auf seine Inhalte, aber auch auf seine Methodik. Das Absehen von der Vertragsver­ längerung des zweiten Schulleiters Tandler zum 31. März 1896, also wäh­ rend eines laufenden Schuljahres, stellt einen solchen Steuerungsversuch dar. Der Schulvorstand begründete seine Entscheidung explizit mit der als zu schlecht erachteten Leistung der Schülerinnen und Schüler und darauffolgender Schülerabmeldungen. Für einen vollständigen Wechsel des Lehrers, also auch die Einstellung eines neuen, war der Schulverein al­ lerdings auf die Hilfe Dritter angewiesen, denn unter den deutschen Kolo­ nisten befand sich kein alternativer Kandidat. Nach den Vorstellungen des Schulvorstands sollte dieser ein „theoretisch und praktisch vorgebildeter[,] gut empfohlener [und verheirateter] Lehrer“ sein. Diesen würde man bei einer Anstellungsdauer von fünf Jahren mit 4.000 M im ersten, 5.000 M im zweiten und jeweils 6.000 M im dritten bis fünften Jahr entlohnen sowie die kostenfreie Hin- und Rückreise garantieren.524 Der erste, gewissermaßen natürliche Ansprechpartner des Schulvor­ stands war das Auswärtige Amt, welches daraufhin mit Otto Margraf aus Stolberg im Harz einen evangelischen Pfarrer zur Anstellung vorschlug. Mangels eindeutiger Aktenhinweise ist nicht nachzuvollziehen, wie ge­ nau man im Auswärtigen Amt zur Überzeugung gelangte, einen Pfarrer, der zudem „akademisch gebildete[r] Lehrer“, also sehr wahrscheinlich kein Elementarlehrer war, zu präsentieren.525 Grundsätzlicher Leitgedanke

524 BArch, R 8023/974, Bl. 22–26 (für das Zitat: Bl. 22). Die Lehrerstelle war im Vergleich zu einer Stelle als Volksschullehrer in Deutschland, wo der jährliche Durchschnittsverdienst bei unter 1.000 M lag, sehr gut dotiert, vgl. Titze, Leh­ rerbildung, S. 361. 525 BArch, R 8023/974, Bl. 22–26 (für das Zitat: Bl. 23).

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war aber wohl, mit nur einer Stellenvermittlung auch die evangelische Gemeinde mit einem deutschen Pfarrer auszustatten. Nachfolgend wird allerdings deutlich werden, dass mit dieser dann vom Schulvorstand ange­ nommenen Stellenbesetzung ein erhebliches Konfliktpotential verbunden war, das in ein mehrere Jahre andauerndes Kräftemessen zwischen dem örtlichen Schulverein, der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts und der Evangelischen Kirche in Preußen um das Recht der Lehrerauswahl für die Deutsche Schule in Apia mündete. Dies bietet einen intimen Einblick in Funktionsmechanismen und Formen der Aushandlungspraxis der Siedlergemeinschaft in Samoa. Zudem verhandelten die Konfliktpar­ teien nicht nur die konkrete Sachfrage, sondern auch die grundsätzlichen Verhältnisse von Staat und Kirche sowie von lokaler und metropolitaner Entscheidungsmacht. Die Anstellung Otto Margrafs bildete den harmonischen Ursprung des Kräftemessens. Dieser traf im Oktober 1896 gemeinsam mit seiner Frau in Apia ein und übernahm als nun dritter Schulleiter die Leitung der Schule.526 Insbesondere die Deutsche Kolonialgesellschaft begrüßte die Anstellung Margrafs, der mit der Schulleitung auch die Leitung der evan­ gelischen Kirchengemeinde in Apia übernahm.527 Auch der Schulvorstand lobte Margraf ein Jahr später im Schulbericht des Schuljahres 1896/97 ausdrücklich. Die Schülerinnen und Schüler hätten in den Schulprüfun­ gen „gute Leistungen“ gezeigt und im „Gebrauch der deutschen Sprache wesentliche Fortschritte gemacht“.528 Diesem Lob schloss sich ein weiteres Jahr darauf, im November 1898, auch die Kolonialabteilung im Auswärti­ gen Amt an, womit diese nicht nur die Erhöhung der staatlichen Zuwen­ dungen von 2.000 M auf 3.500 M begründete, sondern gleichzeitig auch die Kolonialgesellschaft zu weiterem finanziellem Engagement bewegen wollte. Dies sei auch insbesondere deshalb wichtig, weil Margraf ernstlich erkrankt sei und der Schulvorstand vor der Anstellung eines zweiten Leh­ rers stehe.529 Margrafs gesundheitliche Probleme allerdings, die den in Samoa ansäs­ sigen deutschen Arzt Dr. Schwesinger im Mai 1899 dazu bewegten, in einem Attest Margrafs schnellstmögliche Heimreise anzuraten, bildeten

526 BArch, R 8023/974, Bl. 22–26. 527 BArch, R 8023/974, Bl. 82. 528 BArch, R 8023/974, Bl. 90. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, in: DKZ, Jg. 15 (N. F. 11), Nr. 12 (24.3.1898, Illustrierte Beilage), S. 112–114 (für die Zitate: S. 113). 529 BArch, R 8023/974, Bl. 91–92.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

den Auslöser der nachfolgenden Konflikte, denn sie stellten den Fortbe­ stand des mit Margrafs Stellenantritt institutionalisierten Schulkonzepts in Frage.530 In diesem spielte insbesondere Frau Margraf, stellvertretend für eine weibliche Lehrkraft, eine wichtige Rolle, denn durch sie konnte die Schule ein Pensionat für Schülerinnen und Schüler, die nicht in Apia wohnten, betreiben und gleichzeitig dem zeitgenössischen Gesellschafts­ bild entsprechen, wonach es einem alleinstehenden Mann nicht zustand, fremde Kinder bei sich in Obhut zu nehmen.531 Dies betonte der Schul­ vorstand gegenüber der Deutschen Kolonialgesellschaft im Herbst 1899 und bat explizit um Unterstützung für die Anstellung eines verheirateten Lehrers.532 Vor Ort stand als Alternative für den Schulleiterposten ab März 1899 mit Otto Damm zwar ein gut ausgebildeter Volksschullehrer mit Aus­ landsschulerfahrung bereit. Damm allerdings war nicht verheiratet und darum zum Jahreswechsel 1898/1899 zunächst als dem Schulleiter nachge­ ordneter zweiter Lehrer angestellt worden.533 Im August 1899 übernahm er dennoch vertretungsweise die Schulleitung, da sich das Ehepaar Mar­

530 BArch, R 1001/2758, Bl. 27–29; BArch, R 8023/974, Bl. 112–114. Den Ausfüh­ rungen Dr. Schwesingers zufolge war Margrafs Gesundheit umfassend durch das tropische Klima angegriffen. Neben starken Herz-/Kreislaufproblemen dia­ gnostizierte er Magen- und Darmschwierigkeiten, Nervenleiden und psycholo­ gische Beeinträchtigungen, ebd. 531 Die Relevanz weiblicher Präsenz und weiblichen Einflusses auf Pensionskinder kultivierte insbesondere die Mädchenliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts, vgl. Wilkending, Gisela: Die Pensionsgeschichte als Paradigma der traditionel­ len Mädchenliteratur, in: Gnüg, Hiltrud; Möhrmann, Renate: Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1999, S. 104–116, hier insb. S. 104–106, 112. 532 BArch, R 8023/974, Bl. 101–102. Das Pensionat umfasste zwei Schlafsäle für insgesamt 20 Schülerinnen und Schüler und wurde durch Zeichnungen fünf­ jähriger Anleihen durch die örtlichen Siedler finanziert, BArch, R 8023/974, Bl. 22–26. 533 ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Personal-Nachweisung; Anstellungsvertrag vom 24.12.1898). Otto Damm (5.7.1873–2.12.1911) entstammte einer Lehrerfamilie, was es ihm ermöglichte, 1890 ohne den Besuch einer Präparandenanstalt einen Platz im Kgl. Schullehrer-Seminar im rheinischen Mettmann zu erhalten. Nach Absol­ vierung beider obligatorischer Lehrerprüfungen 1893 und 1895 arbeitete er zu­ nächst als Volksschullehrer im Regierungsbezirk Düsseldorf. Von 1897 bis 1898 war er dann Lehrer an der Deutschen Schule im rumänischen Turn-Severin (heute Drobeta Turnu-Severin) und verfügte somit über Auslandsschulerfah­ rung, ebd., BArch, R 1001/326, Bl. 15–16. 54, 66. Zum typischen Ablauf einer Volksschullehrerausbildung beachte Kapitel 2.1.2.

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2. Konzeption und Ressourcen

graf den ärztlichen Rat befolgend am 11. August auf die Rückreise nach Deutschland begeben hatte. Die alleinige Fortführung des Unterrichts war aber nicht nur angesichts der oben skizzierten gesellschaftlichen Kon­ ventionen, sondern auch angesichts der mittlerweile auf durchschnittlich 65 Kinder angestiegenen Schülerzahl nach Ansicht aller Beteiligten keine dauerhafte Lösung.534 Insbesondere sah man in der seit 1896 als Schulassis­ tentin und Kindergärtnerin beschäftigten Samoanerin Selesa Folau keine vollwertige Ergänzung des Lehrerkollegiums.535 Die beiden Optionen, an denen sich die erste Zuspitzung des Kräftemessens um das Recht der Leh­ rerstellenbesetzung ab dem Sommer 1899 nun entwickeln sollte, lauteten damit: Entweder beförderte man Otto Damm zum Schulleiter und sorgte für Anstellung einer weiteren weiblichen Lehrkraft oder es fand sich rasch ein neuer verheirateter Lehrer (und Pfarrer), was bedeutete, dass Damm weiterhin zweiter Lehrer bliebe. Die Auffassung, erneut einen verheirateten Lehrer und Pfarrer auszu­ senden, vertrat insbesondere Margrafs Dienstherr, der Preußische Evange­ lische Oberkirchenrat (EOK). Dieser war 1850 vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. per Erlass als unmittelbar nur ihm untergeordnete Institution zum Vollzug der in der preußischen Verfassung festgeschriebe­ nen Trennung von Staat und (preußisch-evangelischer) Kirche eingerichtet

534 Beachte die Statistik der Schülerzahlen in Anhang Nr. 17. 535 Selesa Folau arbeitete ab dem Schuljahr 1896/97 als Kindergärtnerin an der Deutschen Schule in Apia. Sie war zuvor Schülerin der Schule gewesen. Im Schulbericht des Schuljahres 1899/1900 bezeichnet Lehrer Damm ihren Umgang mit den Kindergartenkindern als „sehr gut“ und „liebevoll“, bemän­ gelt aber gleichzeitig den Umfang ihrer Deutschkenntnisse. In der Betreuung und vorschulischen Unterrichtung der Kinder im Lesen und Schreiben be­ diente sie sich insbesondere des Samoanischen, was ihr 1902 das öffentlich bekundete Missfallen des Schulvorstandes einbrachte. Dennoch verblieb sie bis März 1904 in ihrem Amt. Gemeinsam mit dem ab 1903 in Samoa beschäf­ tigten Lehrer Wilhelm Osbahr hatte Folau ein (uneheliches) Kind, BArch, R 1001/2758, Bl. 119 (auch für die Zitate). BArch, R 1001/2579, Bl. 30–31. BArch, R 8023/974, Bl. 90. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 113. General-Versammlung des Deutschen Schulver­ eins, in: SZ, Jg. 1, Nr. 26 (15.3.1902), S. 1. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 376. Facebook-Kommentar vom 11.12.2019 von Anthony Brunt (Fotoarchivar, Fale Mata’aga, the Museum of Samoa, https://tl-ph.facebook.com /photo.php?fbid=1197603923962444&set=a.285693465153499&type=3&theater &ifg=1 (Abruf am 17.3.2020)).

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

worden.536 Trotz vieler innenpolitischer Konflikte des EOK mit der preußi­ schen Regierung etablierte sich dieser in den 1850er- und 1860er-Jahren insbesondere als Unterstützer und Financier von Pfarr- und Lehrerstellen in deutschen Auslandsgemeinden.537 Ende der 1870er-Jahre büßte der EOK nach vielen internen Auseinandersetzungen und der Involvierung in den Kulturkampf Bismarcks seine hervorgehobene Stellung im Bereich der kulturellen Außenpolitik allerdings ein. 1878 beschloss der Reichstag die Einrichtung eines Schulfonds im Etatbereich des Auswärtigen Amts, wodurch nun auch im Hinblick auf die deutschen Siedlerschaften im Ausland eine formale Trennung von Staat und Kirche vollzogen wurde.538 Der EOK behielt durch seine Kapazitäten in der Vermittlung von Lehrern allerdings eine indirekte Zugriffsmöglichkeit auf die Auslandsschulen und rief 1879 insbesondere die Verknüpfung von Pfarr- und Lehrerstellen als Ziel der eigenen zukünftigen Tätigkeit aus. Das Auswärtige Amt hinge­ gen behandelte die Auslandsschulpolitik bis nach der Jahrhundertwende durchaus stiefmütterlich. So wurde der anfängliche Etat von 75.000 M 1880 zunächst sogar auf 60.000 M gesenkt, bevor er erst ab 1893 wieder langsam anstieg.539 Institutionell wurde gar erst 1906 mit Franz Schmidt, der zuvor Direktor der Deutschen Schule Bukarest gewesen war, ein erster Sachbearbeiter für Schulfragen im Auswärtigen Amt eingestellt und ein eigenes Schulreferat errichtet. Dieses kopierte dann bemerkenswerterweise etwa in der Spezialausbildung potentieller Lehrer die im Bereich der kolo­ nialen Schule längst für Lehrer in Deutsch-Ostafrika etablierte sprachliche Ausbildung am Seminar für Orientalische Sprachen.540 Durch eigenes Be­

536 Vgl. Manz, Stefan: Constructing a German Diaspora. The “Greater German Empire”. 1871–1914, London 2017, S. 235. Müller, Auswandererschulen, S. 78– 79. 537 Vgl. Müller, Auswandererschulen, S. 82–83, 134. 538 Vgl. Düwell, Deutschlands auswärtige Kulturpolitik, S. 59. Manz, Constructing a German Diaspora, S. 235–236. Müller, Auswandererschulen, S. 140–144, 148. 539 Vgl. Manz, Constructing a German Diaspora, S. 237. Müller, Auswandererschu­ len, S. 149–154. Der Schulfonds belief sich in den Jahren 1878 und 1879 auf 75.000 M und verharrte von 1880 bis 1892 bei 60.000 M sowie von 1893 bis 1896 bei 100.000 M. Anschließend erfuhr der Etat regelmäßige Erhöhun­ gen: 1897 auf 110.000 M, 1898 auf 150.000 M, 1899 auf 300.000 M, 1903 auf 400.000 M, 1904 auf 500.000 M, 1906 auf 650.000 M, 1908 auf 850.000 M, 1910 auf 900.000 M, 1912 auf 1.000.000 M. 1913 erreichte er schließlich 1.100.000 M, Geheime Denkschrift, S. 308. 540 Vgl. Manz, Constructing a German Diaspora, S. 237–238. Müller, Auswanderer­ schulen, S. 223–224. Zur originären Etablierung dieses Ausbildungsweges im Bereich der kolonialen Schule beachte Kapitel 2.2.2 sowie Kapitel 3.2.1.

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treiben und die Zurückhaltung des Auswärtigen Amtes behielt der EOK so auch nach seiner offiziellen Beschränkung auf auslandskirchliche Belange Zugriffsmöglichkeiten auf die deutschen Auslandsschulen. In der Debatte um die Besetzung der Lehrerstelle in Apia beharrte der EOK 1899 auf der Verbindung von Pfarr- und Lehrerstelle und forderte das Auswärtige Amt mehrfach auf, einen entsprechenden Nachfolger für Otto Margraf zu benennen.541 Doch auch Margraf selbst versuchte, Druck auf das Auswärtige Amt auszuüben, und bewarb sich kurz nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Dezember 1899 selbst für seine eigene Nachfolge. In zwei Schreiben an das Auswärtige Amt verband er dabei Elemente eines Hilfegesuchs und Elemente einer Überzeugungsschrift. Zunächst berichtete er, dass der EOK seine auswärtige Dienstzeit als zu kurz ansehe, um ihm eine inländische Weiterverpflichtung zu garantieren. Allein eine Weiterbeschäftigung in Samoa böte ihm einen beruflichen Ausweg, der für die Schule aber auch sinnvoll sei, da sie durch ihn einen erfahrenen Lehrer erhielte. Das Auswärtige Amt habe nun die Ge­ legenheit, seine bisherige Tätigkeit als Schulleiter zu honorieren. Zudem spräche Otto Damm – hier zeigt sich, dass sich Margraf seiner Konkurrenz durchaus bewusst war – kein Englisch, was diesen angesichts zu erwarten­ der Zunahme englischsprachiger Schüler für den Schulleiterposten disqua­ lifiziere. Außerdem seien sowohl seine Frau als auch er selbst mittlerweile genesen, was Margraf durch Beigabe zweier Atteste formal belegen konn­ te.542 Unterstützung erhielt Margraf daraufhin von der Deutschen Kolo­ nialgesellschaft, deren Ausschuss sich gegenüber dem Auswärtigen Amt dafür aussprach, einen verheirateten Lehrer und „wenn möglich diesen bewährten Lehrer wiederum nach Samoa zu senden.“543 In Samoa allerdings erhob sich Widerspruch. Margraf hatte sich mit seinem Gesuch um Wiederanstellung auch direkt an die Vertreter des Schulvorstandes gewendet, woraufhin diese zur Klärung der Frage eine außerordentliche Generalversammlung des Schulvereins einberufen hat­ ten. Das Deutsche Konsulat in Apia berichtete daraufhin, dass sich die

541 BArch, R 1001/2758, Bl. 16. 542 BArch, R 1001/2758, Bl. 14–15, 18–21. Die Atteste bescheinigten Herrn und Frau Margraf im Dezember 1899 die Genesung und Dienstfähigkeit, was ange­ sichts der durch Dr. Schwesinger im Mai 1899 attestierten schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme Margrafs überrascht, BArch, R 1001/2758, Bl. 22– 23. Damm lernte Englisch in der Tat erst vor Ort in Samoa, ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Otto Damm an RKA am 7.8.1907). 543 BArch, R 8023/974, Bl. 104–107 (für das Zitat: Bl. 107). BArch, R 1001/2758, Bl. 17.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

Versammlung mehrheitlich gegen die Wiederanstellung Margrafs ausge­ sprochen habe, da sie diesen nicht nur für gesundheitlich beeinträchtigt, sondern auch für theologisch unfähig hielt. Zudem habe es eine „gering[e] Majorität“ für einen Antrag gegeben, Lehrer Damm zum Schulleiter zu ernennen und die Aussendung eines des Englischen mächtigen zweiten Volksschullehrers zu fordern.544 Das Konsulat selbst war allerdings erkenn­ bar unzufrieden mit dieser Beschlusslage und wies gegenüber dem Aus­ wärtigen Amt darauf hin, dass die Anstellung eines zweiten Lehrers nur möglich sei, wenn man die Finanzierung des Schülerpensionats einstel­ le. Zudem verdächtigte man einen Teil der Schulvereinsmitglieder eines Komplotts zugunsten Lehrer Damms. Wegen schlechten Wetters sei die Versammlung nur gering besucht gewesen. Außerdem hätten die Befür­ worter Otto Damms jüngere Vereinsmitglieder und Vertreter der DHPG dazu gedrängt, für Damm zu stimmen.545 Das Auswärtige Amt saß damit wie in der Debatte um die Anstellung islamischer Religionslehrer in Deutsch-Ostafrika zwischen den Stühlen.546 Erneut erwies sich das Verhältnis von Kirche und Staat als problematisch und die 1896 getroffene Verbindung von Pfarr- und Lehrerstelle rückbli­ ckend als Konfliktursache. Anders als in der Islamlehrerkrise griff das Auswärtige Amt, das im Hinblick auf die eigene Positionierung erneut zwischen kirchlichen und lokalen Interessen abzuwägen hatte, nun aller­ dings nicht darauf zurück, der lokalen Ebene durch Informationssamm­ lung auf dem Feld des Herrschaftswissens oder etwa durch dienstliche Anweisungen zu begegnen. Letzteres wäre angesichts des privaten Charak­ ters der Schule ohnehin nur indirekt über die Regulierung der Finanzun­ terstützungen möglich gewesen. Stattessen entschied man sich, politischen Druck auf die DHPG auszuüben und deren Hamburger Direktor MeyerDelius aufzufordern, die Mitarbeiter der Gesellschaft in Apia dazu zu be­ wegen, bei der nächsten Sitzung des Schulvereins für die Anstellung Otto Margrafs zu stimmen.547 Und in der Tat hatte dieser Weg der verdeckten metropolitanen Einflussnahme auf die lokale Ebene über den Umweg der Hamburger Dependence der DHPG Erfolg. Im Juni 1900 lag die Zustimmung des Schulvereins zur erneuten Anstellung eines Pfarrers als Schulleiter vor.548 Margraf jedoch hatte angesichts der ursprünglichen Be­

544 545 546 547 548

BArch, R 1001/2758, Bl. 24–26 (für das Zitat: Bl. 24). BArch, R 1001/2758, Bl. 24–26. Beachte Kapitel 2.2.4. BArch, R 1001/2758, Bl. 32–33. BArch, R 1001/2758, Bl. 34–35, 50–51, 64–65.

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schlusslage im Schulverein zu diesem Zeitpunkt bereits seine Bewerbung zurückgezogen.549 Da nun zwar die fachliche Besetzung der Lehrerstelle geklärt war, der eigentliche Kandidat aber nicht mehr zur Verfügung stand, lag es für das Auswärtige Amt umso näher, erneut den EOK um einen Vorschlag zu bitten.550 Problematisch erwiesen sich nun aber die verschiedenen Gehaltsvorstellungen. Während das Auswärtige Amt ein stufenweise von 4.500 M auf 6.000 M ansteigendes Jahresgehalt präferierte, verlangte der EOK einen Gehaltseinstieg bei 5.500 M und war zur Zuzahlung von 500 M aus dem eigenen Etat, was ein Gesamtgehalt von 6.000 M bedeutete, be­ reit.551 Im Auswärtigen Amt lag für ein Gehalt in dieser Höhe allerdings keine Zustimmung des Schulvereins vor. Zudem bezweifelte man, dass sich die Siedlergemeinschaft eine solche Summe würde leisten können. Um einem möglichen weiteren Konflikt mit der lokalen Ebene aus dem Weg zu gehen und gleichzeitig die Verhandlungen mit dem EOK nicht zu gefährden, entschloss sich das Auswärtige Amt nun, den fehlenden Differenzbetrag selbst zu tragen. Gleichwohl bekannte man gegenüber dem gerade erst entstandenen deutschen Gouvernement in Samoa, dass die Finanzierung für die weiteren Jahre noch unsicher war.552 Der nun zwischen dem vom EOK vorgeschlagenen Pastor Fritz Holz­ hausen aus Theissen (preußische Provinz Sachsen, heute ein Ortsteil der sachsen-anhaltinischen Stadt Zeitz) und dem Schulverein geschlossene Vertrag trug den Vereinbarungen Rechnung. Nicht nur enthielt dieser das zwischen dem Auswärtigen Amt und der EOK vereinbarte Einstiegsgehalt, mit welchem Holzhausen zum Spitzenverdiener unter den deutschen Ko­ lonial- und Auslandslehrern werden sollte. Das Gehalt sollte im vierten der fünf Vertragsjahre sogar noch auf 6.000 M steigen. Das Auswärtige Amt trat dabei nun auch selbst als Vertragspartner auf und garantierte damit implizit die üppigen Gehaltszahlungen, zu denen noch ein Zuschuss in Höhe von 500 M durch den EOK für die Betreuung der evangelischen Gemeinde hinzukam.553 Obwohl es sich bei der Schule in Apia immer

549 BArch, R 1001/2758, Bl. 39–40. 550 BArch, R 1001/2758, Bl. 50–51. 551 BArch, R 1001/2758, Bl. 52–53. Otto Margraf hatte in seinem Wiederanstel­ lungsgesuch im Dezember 1899 sogar ein Jahresgehalt von 7.500 M gefordert, BArch, R 1001/2758, Bl. 18–21. 552 BArch, R 1001/2758, Bl. 62–63. 553 BArch, R 1001/2758, Bl. 66–70, 77–78. BArch, R 1001/2601, Bl. 19, 24–25, 92– 93. Der seit März in der Schule angestellte Lehrer Otto Damm bezog zu diesem Zeitpunkt ein vertragsgemäßes Grundgehalt in Höhe von jährlich 3.600 M,

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

noch um eine private Auslandsschule handelte, begann hier der langsame Übergang der Schule in die koloniale Verwaltung. Dies bezeugen auch die sonstigen Vertragsbedingungen und Ausreisemodalitäten, auf deren Basis Pfarrer Holzhausen gemeinsam mit seiner Frau unter Genuss der gleichen Rechte und Vorzüge wie Lehrer an Schulen in anderen deutschen Koloni­ en nach Samoa reiste und im Januar 1901 schließlich in Apia eintraf.554 Bereits mit der Ankunft Pfarrer Holzhausens in Apia deuteten sich aller­ dings erneut Schwierigkeiten im Verhältnis des nun vierten Schulleiters der Apia-Schule und der Schulgemeinde an. So berichtete Gouverneur Wilhelm Solf555 im Zuge der Ankunftsmeldung an das Auswärtige Amt: „Der Pfarrer erscheint manchem der Schulinteressenten zu orthodox.“556 Ob damit in der Schule vertretene theologische oder praktizierte pädago­ gische Standpunkte gemeint waren, führt Solf nicht weiter aus. Klar ist aber, dass Teile der Schulgemeinde Pfarrer Holzhausen mit Misstrauen

eine monatliche Zulage in Höhe von 100 M sowie eine monatliche Mietent­ schädigung in Höhe von 20 M, ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Anstellungs­ vertrag vom 24.12.1898, Kaiserlichen Gouverneur zu Apia an Otto Damm am 18.7.1901). 554 BArch, R 1001/2758, Bl. 69–70, 77–78, 96–101, 114, 118. Zu diesen Vorzügen gehörten kostenlose Beförderung, Tage- und Ausrüstungsgelder, siehe ebd. Be­ achte etwa auch Kapitel 2.1.3 und Kapitel 2.2.1. 555 Wilhelm Heinrich Solf (5.10.1862–6.2.1936) trat nach der Promotion in Indo­ logie und Publikation einer Grammatik des Sanskrit in den diplomatischen Dienst des Auswärtigen Amtes ein und arbeitete von 1889 bis 1890 im deut­ schen Generalkonsulat in Kalkutta. Nach anschließendem Jura-Studium wech­ selte Solf 1896 in die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. 1898 wurde er Bezirksrichter in Deutsch-Ostafrika, 1899 Präsident der Munizipalität in Apia und schließlich im Frühjahr 1900 erster Gouverneur der Kolonie Samoa. In diesem Amt verblieb er bis zum Ende des Jahres 1911, in welchem er zum Staatsekretär im Reichskolonialamt ernannt wurde. Seine letzte berufliche Stati­ on führte Solf 1920 nach Japan, wo er bis 1928 deutscher Botschafter war. In dieser Zeit vertrat er weiterhin seine prokoloniale Haltung, lehnte die Mandats­ herrschaft in den ehemaligen deutschen Kolonien ab und rief 1924 etwa dazu auf, „den kolonialen Gedanken im Volke wachzuhalten“. Vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 4 S, Paderborn 2012, S. 284–286. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 291, 293. Kielhorn, Franz: Grammatik der Sanskrit-Sprache. Aus dem Englischen Über­ setzt von W. Solf, Berlin 1888. Solf, Wilhelm, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deut­ sches Koloniallexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 370. Solf, Wilhelm Heinrich: Der deutsche koloniale Gedanke. Vortrag des deutschen Botschafters Herrn Dr. Solf gehalten am 27. April 1924 in der Deutschen Kolonialgesellschaft, Abt. Hamburg, Hamburg 1924 (für das Zitat: S. 15). 556 BArch, R 1001/2758, Bl. 118 (auch für das Zitat).

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und Ablehnung begegneten. Zudem zeigen die Abstimmungsergebnisse innerhalb des Schulvereins vor der Ankunft Holzhausens, dass dagegen der zweite Lehrer der Schule, Otto Damm, eindeutig eine Lobby innerhalb des Schulvereins hatte. Die darin angelegte Polarisierung nahm im Ver­ lauf der nächsten anderthalb Jahre weiter zu. So erfuhr Pfarrer Holzhau­ sen anlässlich der jährlichen öffentlichen Schulprüfungen557, die am 25. und 26. September 1901 stattfanden, in einem Bericht der Samoanischen Zeitung (SZ)558 zwar auch Lob für die gezeigten Prüfungsergebnisse. Der Artikel berichtet aber auch von zuvor kursierenden Gerüchten über einen etwaigen Leistungsverlust der Schule und darauffolgende Schülerabmel­ dungen. Außerdem berichtete der Autor des Artikels von negativer Kritik über Holzhausens Prüfungsmethode. Dieser habe nicht wie üblich per Ab- und Ausfragen geprüft, sondern seine Schüler in freier Rede erzählen lassen und die Prüfungen so unnötig in die Länge gezogen.559 Dass es sich angesichts der früheren Orthodoxie-Urteile bei dieser Kritik um einen be­ merkenswerten Gradmesser pädagogischer Liberalität und Moderne han­ delte, musste der Autor des Artikels bemerkt haben, kommentierte er diese

557 Jährliche öffentliche Schulprüfungen gehörten fest zum Schulkalender aller deutscher kolonialer Schulen und dienten der Leistungsfeststellung nach innen und der Leistungsdokumentation nach außen. In der Regel markierten sie das Ende eines Schuljahres und umfassten neben öffentlichen mündlichen und schriftlichen Prüfungen in allen Fächern gelegentlich auch Ausstellungen von Arbeitsergebnissen der Schülerinnen und Schüler. Gezeigt wurden je nach Ausdifferenzierung der einzelnen Schule etwa in Schönschrift geschriebene Texte, Handarbeits- und Handwerkserzeugnisse. Beachte hierzu insbesondere Kapitel 2.3.3. 558 Die Samoanische Zeitung erschien von 1901 bis 1914 unter der Herausgeber­ schaft Emil Lübkes, der 1890 nach Australien ausgewandert und 1901 nach Samoa gezogen war, als einzige mehrheitlich deutschsprachige Zeitung Samoas. Sie erschien ab der zweiten Jahreshälfte 1901 wöchentlich am Samstag und war insbesondere für die deutschen Siedler neben dem unregelmäßig erschei­ nenden Amtsblatt des Gouvernements die zentrale deutschsprachige Informati­ onsquelle für lokale wie heimatliche Nachrichten. In der SZ nahmen Texte ansässiger Siedler sowie Leserbriefe einen großen Raum ein, was die Zeitung zu einem wichtigen Medium der öffentlichen Kommunikation innerhalb der Siedlerschaft machte, vgl. Riese, Julius: The Samoanische Zeitung (1901–1914): Images of the Samoan People and Culture in a German Colonial Newspaper, in: Engelberg, Stefan (Hg.): Sprachwissenschaft und kolonialzeitlicher Sprach­ kontakt. Sprachliche Begegnungen und Auseinandersetzungen, Berlin 2012, S. 165–189, hier: S. 165–171. Spennemann, Dirk H. R.: ‚Gedruckt in Samoa‘. A Bibliographic Analysis of Commercial Printing in German Samoa (1901–1914), Albury 2007, S. 27–52. 559 Am 25. und 26. September…, in: SZ, Jg. 1, Nr. 15 (12.10.1901), S. 2.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

doch mit den auf den Frühhumanisten Sebastian Brant zurückgehenden Worten: „Die Welt will betrogen sein, also werde sie es.“560 Otto Damm dagegen hatte seine Unterstützung durch die Schulgemein­ de keinesfalls eingebüßt. Er hatte insbesondere das Argument der Erfah­ rung auf seiner Seite und zeigte außerdem ein gewisses Talent zur posi­ tiven Selbstvermarktung. Nach der Abreise Pfarrer Margrafs im August 1899 hatte Damm das gesamte Schuljahr 1899/1900 als Schulleiter bestrit­ ten und dabei die Kindergärtnerin Selesa Folau sowie ältere Schüler als Hilfslehrer angeleitet. Ein gegen Ende des Schuljahres aufgenommenes Bild zeigt ihn schließlich inmitten der Schülerschaft sitzend, einem Arti­ kel der Illustrirten Zeitung nach, welche das Bild abdruckte, mit einem „Fliegenwede[l], der vor Zeiten als Abzeichen samoanischer Häuptlinge galt.“561 Dies ist sicher zunächst als ein in die deutsche Öffentlichkeit zielender herrschaftspolitischer Gestus einzuordnen, korrespondiert aller­ dings auch mit Damms durchaus selbstbewusster Eigendarstellung. So be­ zeichnete er das Schuljahr 1899/1900 in seinem im Frühjahr 1901 in Berlin eintreffenden Schulbericht als „in erfreulichem Gegensatze zu den beiden vorhergegangenen [Jahren] ein solches steten und ungestörten Arbeitens“ und dokumentierte außergewöhnlich umfassend die Tätigkeiten und Ver­ anstaltungen in und außerhalb der Schule.562 Mehrheitlich schien diese Mischung aus Selbstdarstellung und Erfahrungsschatz in der deutschen Siedlerschaft Samoas auf Wohlwollen zu stoßen, zumal sich Damm offen­ kundig auch im gesellschaftlichen Leben Apias einen guten Leumund verschaffte. So berichtete etwa die SZ über einen Bierabend des in Apia wichtigen Siedlervereins Concordia im Frühjahr 1902, zu welchem Damm nicht nur Liederbücher beisteuerte, sondern auch „unermüdlich für die Unterhaltung der Teilnehmer tätig [war]“.563 Dieser und auch weitere Berichte legen nahe, dass Damm eine durchaus gesellige, musikalische und leutselige Person war, was seine berufliche Situation, die maßgeblich

560 Am 25. und 26. September, S. 2 (für das Zitat). Brant, Sebastian: Das Narren­ schiff, Basel 1494. Zu Vita und Werk Brants vgl. Rohloff, Hans-Gert (Hg.): Sebastian Brant (1457–1521), Berlin 2008. 561 Aus unseren Colonien. Die deutsche Schule in Apia (Deutsch-Samoa), in: Illus­ trirte Zeitung, Bd. 115, Nr. 2989 (11.10.1900), S. 544–545 (für das Zitat: S. 545). Siehe auch: Brunt, Tony: „To Walk Under Palm Trees”. The Germans in Samoa: Snapshots from Albums – Part One, Auckland 2016, S. 153. 562 BArch, R 1001/2758, Bl. 118 (auch für das Zitat). 563 BArch, R 1001/2759, Bl. 22–25. Am Sonnabend…, in: SZ, Jg. 1, Nr. 27 (29.3.1902), S. 1 (auch für das Zitat). Zur Rolle des Vereins Concordia beachte insbesondere Kapitel 2.3.5.

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2. Konzeption und Ressourcen

von der Zustimmung der im Schulverein vertretenen Siedlerschaft abhing, positiv beeinflusste.564 Die Situation Pfarrer Holzhausens hatte sich im gleichen Zeitraum wei­ ter verschlechtert. Im Frühjahr 1902 hatte er sich nicht nur Gerüchten zu erwehren, er setze im Unterricht physische Züchtigungsmittel zu stark ein, und musste sich deshalb vor dem Schulvorstand verantworten. Holz­ hausen sah sich auch gezwungen, seine Gottesdiensttätigkeit einzustellen, da keiner der Siedler mehr zum Gottesdienst erschien.565 Letzteres hing insbesondere damit zusammen, dass Holzhausen wegen seiner Rede als Festredner anlässlich der Feierlichkeiten zum Geburtstag des Kaisers am 27. Januar 1902 in den Räumen der Deutschen Schule öffentlich in der Kritik stand. Die Samoanische Zeitung unterließ es angesichts zahlreicher negativer Reaktionen auf die Rede, diese im Auszug abzudrucken und ihrem Bericht von den Feierlichkeiten hinzuzufügen.566 Sie veröffentlichte allerdings einen Leserbrief, in dem ein unbekannter Autor Holzhausen umfassend zu desavouieren versuchte. Die Rede habe gezeigt, „wie wenig Sinn für kindliches Begriffsvermögen und wie wenig deutsch-nationales Ehrgefühl der erste Leiter der deutschen Schule besitzt. [Die Rede ist ein] versalzenes Fricassee theologischer Kraftaus­ drücke [,] eine Philippica oder vielmehr eine fromme christliche Ver­ fluchung […] der Art und Weise, wie solche Feste gefeiert werden.“567 Damit griff der Autor Holzhausen nicht nur hinsichtlich seiner pädago­ gischen und theologischen Fähigkeiten an, sondern stellte gleichzeitig auch dessen Grundhaltung zur eigenen Nation in Frage. Auch der Vor­ wurf, gegen die Gewohnheiten der Feierlichkeiten zum Kaisergeburtstag verstoßen zu haben, wog schwer, zeigt sich doch aus den Berichten dieser Feierlichkeiten, dass der 27. Januar fester Bestandteil des kolonialimperia­ len Kalenders in Samoa und die Schule regelmäßig an der Ausrichtung der Feste beteiligt war. Erwartet wurden die Huldigung gegenüber dem Kaiser

564 Damm wurde im Sommer 1902 insbesondere auch Vorsitzender des Concor­ dia-Vereins, Bierabend der Concordia, in: SZ, Jg. 2, Nr. 23 (17.1.1903), S. 1–2. Fitzner, Rudolf: Deutsches Kolonial-Handbuch, Ergänzungsband 1903, Berlin 1903, S. 186. Zur Veränderung dieser Maßgeblichkeit nach der Übernahme der Schule durch das Gouvernement beachte Kapitel 2.3.5. 565 BArch, R 1001/2759, Bl. 22–25. In letzte Nummer…, in: SZ, Jg. 1, Nr. 25 (1.3.1902), S. 2. 566 Die Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Deutschen Kaisers, in: SZ, Jg. 1, Nr. 23 (1.2.1902), S. 1–2. 567 Herr Redakteur, in: SZ, Jg. 1, Nr. 23 (1.2.1902), S. 4.

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und die Herausstellung der deutschen Nation als vorbildhafte politische, militärische und kulturelle Führungsmacht der Welt.568 Holzhausens Rede habe darin geendet, festzustellen, es sei „die Nervosität des Kaisers, die ihn unfähig mache, die Regierungsgeschäfte mit energischer Hand zu lei­ ten.“569 Holzhausen selbst widersprach dieser Darstellung zwar ebenfalls öffentlich in der Samoanischen Zeitung und bezichtigte den Autor des Le­ serbriefs der „gröblichen Entstellung und Verdrehung der Tatsachen“.570 Zum Erscheinungszeitpunkt des Widerspruchs, dem 21. Juni 1902, war Holzhausens Rückkehr nach Deutschland aber schon längst beschlossene Sache. Am 18. Februar 1902 hatte Holzhausen den Schulvorstand um seine Entlassung zum 1. August 1902 gebeten und ein ärztliches Attest einge­ reicht, das ihm bescheinigte, unter der Konfliktsituation derart psychisch und in der Folge auch körperlich zu leiden, dass eine Weiterbeschäftigung ausgeschlossen sei.571 Die Generalversammlung des Schulvereins beschloss daraufhin am 8. März 1902, Holzhausens Entlassungsantrag anzunehmen, und billigte auch dessen Attest, wodurch er das Recht auf kostenfreie Rückreise behielt.572 Außerdem fasste die Versammlung erneut den Be­ schluss, nun Otto Damm interimsweise die Schulleitung zu übertragen, und votierte des Weiteren für Anstellung eines zweiten männlichen Volks­ schullehrers und einer deutschen Kindergärtnerin.573 Letztlich hatte sich die Position des Schulvereins damit kaum verändert, was das Auswärtige Amt spätestens ab April 1902 erneut unter Druck setzte, da auch der Evan­ gelische Oberkirchenrat bei seinem ursprünglichen Standpunkt verblieb

568 Beachte exemplarisch: Kaiser’s Geburtstag, in: SZ, Jg. 2, Nr. 25 (31.1.1903), S. 1– 2. Kaiser’s Geburtstag, in: SZ, Jg. 3, Nr. 42 (23.1.1904), S. 1. Die Feier des Aller­ hoechsten Geburtstages…, in: SZ, Jg. 5, Nr. 4 (28.1.1905), S. 1. Zur Einordnung beachte Kapitel 2.3.3. 569 Herr Redakteur, S. 4 (auch für das Zitat). 570 Zu dem „Eingesandt“…, in: SZ, Jg. 2, Nr. 6 (21.6.1902), S. 1 (auch für das Zitat). 571 BArch, R 1001/2759, Bl. 26–29. 572 BArch, R 1001/2759, Bl. 30–31. Siehe § 4 seines Anstellungsvertrages, BArch, R 1001/2758, Bl. 69–70, 77–78. General-Versammlung des Deutschen Schulver­ eins, S. 1. Das Ehepaar Holzhausen trat die Rückreise nach Deutschland Ende Juni 1902 an. Im September des gleichen Jahres übernahm Pfarrer Holzhausen dann wieder seine alte Pfarrstelle in Theissen, BArch, R 1001/2759, Bl. 50. Die „Taegliche Rundschau“…, in: SZ, Jg. 2, Nr. 16 (16.10.1902), S. 1. 573 BArch, R 1001/2759, Bl. 30–31. General-Versammlung des Deutschen Schulver­ eins, S. 1.

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2. Konzeption und Ressourcen

und die erneute Aussendung eines Pfarrers für die Schulleiterstelle in Apia forderte.574 Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Staat auf der einen und zwischen lokaler und metropolitaner Instanz auf der anderen Seite entfal­ teten sich darum erneut. Zu den bisherigen Konfliktparteien, dem Schul­ verein, dem Auswärtigen Amt und dem Evangelischen Oberkirchenrat, trat nun allerdings als Scharnierstelle von lokaler und metropolitaner Instanz das Gouvernement in Apia hinzu. Gouverneur Solf befasste sich höchstselbst mit der Frage der Besetzung der Schulleiterstelle, wodurch die Konfliktlage eine kolonialinnenpolitische Dimension in Apia erhielt. Solf vertrat die grundsätzliche Überzeugung, dass mit Hilfe der Schule eine friedliche und „allmählich[e]“ Verbreitung „des Deutschthums“ am ehes­ ten erreicht werden könne.575 In Deutschland, aber auch auf Samoa rief diese Position insbesondere Widerspruch von Vertretern des Alldeutschen Verbandes hervor, die direktere Zugriffsmaßnahmen, etwa die Verstaatli­ chung aller privater Schulen und die Einführung einer allgemeinen Schul­ pflicht forderten.576 Konflikte mit ansässigen Siedlern waren die Folge, was Solf dazu bewegte, einen Schulbericht im Mai 1903 mit den Worten zu schließen: „Mir geht es im Allgemeinen gut, nur häuft der Ärger sich mit jedem Weißen, der hierher kommt.“577 In der Frage der Stellenbesetzung positionierte sich Gouverneur Solf zunächst indifferent. Zwar warnte er das Auswärtige Amt vor einer Wie­ derholung der unruhigen Zeit, während der Pfarrer Holzhausen die Schul­ leiterposition inne hatte, kündigte aber gleichzeitig an, Einfluss auf die Samoanische Zeitung nehmen zu wollen, um „für die Entsendung eines Pfarrers […] Stimmung zu machen.“578 Zudem unterstützte er, während er sich im Frühjahr 1902 auf Heimaturlaub in Deutschland befand, die Bemühungen des Auswärtigen Amtes, die Empörung des EOK über die negative Presse gegenüber Pfarrer Holzhausen zu mindern. Der EOK hatte eine öffentliche Klärung der Vorwürfe gegen Pfarrer Holzhausen, die in der Samoanischen Zeitung erhoben worden waren und über die Schlesische Zeitung und die Deutsche Zeitung auch im Deutschen Reich bekannt wur­

574 BArch, R 1001/2759, Bl. 35–56. 575 BArch, R 1001/2759, Bl. 5–10 (für die Zitate: Bl. 8). 576 BArch, R 1001/2759, Bl. 83. Bülow, Werner von: Die Schulzustände in DeutschSamoa, in: Alldeutsche Blätter (14.3.1903). 577 BArch, R 1001/2759, Bl. 93–95 (für das Zitat: Bl. 95). 578 BArch, R 1001/2759, Bl. 35–36.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

den, gefordert.579 Letztlich erschöpften sich die Handlungsmöglichkeiten des EOK aber in Eingaben an das Auswärtige Amt, das die Angelegenheit im weiteren Jahresverlauf gegenüber der Kirchenbehörde zunehmend dila­ torisch behandelte.580 Die Einflussmöglichkeiten der Schulvereinsmitglieder waren dagegen erheblich größer und wirksamer. Im Oktober 1902 erhöhten sie den Druck auf das Auswärtige Amt und drohten gegenüber Solfs Stellvertreter Hein­ rich Schnee581, der auch stellvertretender Vorsitzender des Schulvereins war, ihre Kinder von der Schule abzumelden. Dies verfing und Schnee meldete nach Berlin, dass man die erneute Anstellung eines Pfarrers besser unterlassen solle.582 Dieser Hinweis aus Samoa hinderte das Auswärtige Amt allerdings nicht, im November 1902 gegenüber dem EOK doch die Anstellung eines Pfarrers als Schulleiter in Aussicht zu stellen, obgleich im selben Monat mit Ludovica Schultze eine deutsche Lehrerin für die Schu­ le in Apia ihre Stellenzusage erhielt.583 Selbst der Einstieg in das Bewer­ bungsverfahren mit einem vom EOK vorgeschlagenen Kandidaten wurde

579 BArch, R 1001/2759, Bl. 42–46. Klagen über den deutschen Pastor in Samoa, in: Deutsche Zeitung (14.3.1902). In der Schlesischen Zeitung erschien dann auch noch ein Bericht, der die Vorwürfe gegenüber Holzhausen relativierte, BArch, R 1001/2759, Bl. 47. Samoa, in: Schlesische Zeitung, Nr. 304 (2.5.1902). 580 BArch, R 1001/2759, Bl. 54–56. 581 Albert Hermann Heinrich Schnee (4.2.1871–23.6.1949) war promovierter Ju­ rist. Er hatte am Seminar für Orientalische Sprachen Swahili erlernt, bevor er 1897 in die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes eintrat. Er war sowohl in Deutsch-Neuguinea (1898–1900) als auch in Samoa (1900–1903) als Richter und stellvertretender Gouverneur tätig, bevor er ab Mai 1903 in aufsteigenden Posi­ tionen erneut in der Berliner Kolonialabteilung arbeitete. 1912 wurde er Gou­ verneur der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Schnee war nach dem Ersten Weltkrieg einer der zentralen Akteure des deutschen Kolonialrevisionismus und vertrat diesen publizistisch und parlamentarisch. Von 1930 bis 1936 war er Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft und führte in den 1920er- bis 1940er-Jahren verschiedene auslandsdeutsche und außenwirtschaftliche Verbände. Außerdem war er ab 1924 Mitglied im Reichstag, zunächst für die DVP, ab 1933 für die NSDAP. Vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 4 S, Paderborn 2012, S. 133–134. Erbar, Ralph: Schnee, Albert Hermann Heinrich, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23, Berlin 2007, S. 280– 281. 582 BArch, R 1001/2759, Bl. 57–60. Hauptversammlung des Schulvereins, in: SZ, Jg. 2, Nr. 15 (11.10.1902), S. 1. 583 BArch, R 1001/2759, Bl. 61–62, 64–65. Zur Biographie der Kindergärtnerin und Lehrerin Ludovica Schultze beachte Kapitel 2.3.3. Ihr Vertrag datiert schließlich auf den 15. Mai 1903, BArch, R 1004-F/75417 (Schultze), Bl. 6–17.

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2. Konzeption und Ressourcen

im Dezember 1902 noch vollzogen,584 doch hatten die Mitglieder des Schulvereins ihre Position weiterhin nicht verlassen. Ende März 1903 er­ neuerten sie ihre Forderungen anlässlich einer weiteren Generalversamm­ lung, die eigentlich wegen der sich vollziehenden Übergabe der Schule an das Gouvernement einberufen worden war, letztlich aber von der Debatte um die Schulleiterstelle bestimmt wurde.585 Im Mai 1903 richteten dann 43 Ansiedler eine Petition an Gouverneur Solf und forderten nicht nur die Besetzung der Schulleiterstelle mit einem Elementar- oder Realschullehrer, sondern warben auch für die Übergabe der Pfarrstelle an einen Pfarrer der Wesleyanischen Mission, der kurz zuvor in Apia eingetroffen war.586 Damit setzten sie das Auswärtige Amt weiter unter Druck und erweiterten die Debatte um die beachtliche Frage, ob es statthaft war, einen deutschen Missionar in Diensten einer ausländischen Mission zum Pfarrer einer deutschen Gemeinde zuzulassen. Dies rief zwar erneuten, aber letztlich erfolglosen Widerstand des EOK hervor.587 Am 4. April 1903 hatte die Samoanische Zeitung schon die Übernahme des evangelischen Pfarramtes durch den Wesleyanischen Missionar Beutenmüller vermeldet.588 Im Juli 1903 erklärte das Auswärtige Amt, diese Regelung ohne eigene Finanzbe­ teiligung zu dulden, und im August 1903 schließlich erhielt Otto Damm die Mitteilung, dass er zum kommissarischen Hauptlehrer, was der Posi­ tion des Schulleiters entsprach, ernannt werde.589 Der beharrliche Widerstand der Schulvereinsmitglieder sorgte so nicht nur für die anhand der Schulleiterstelle entschiedene Trennung von Staat und Kirche im kolonialen Samoa, sondern ermöglichte en passant auch eine bislang unerprobte und neue Besetzung der evangelischen Pfarrei Apias. In beiden Fällen setzte sich die positive Meinung der Siedler über die beiden betreffenden Personen, Lehrer Damm und Missionar Beuten­ müller, gegen prinzipielle Vorbehalte kirchlicher Institutionen und dem

584 BArch, R 1001/2759, Bl. 67–74. 585 BArch, R 1001/2759, Bl. 91–92. Ueber die am vorigen Sonnabend…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 1 (4.4.1903), S. 1. Zur Übergabe der Schule vom Schulverein an das deutsche Gouvernement beachte Kapitel 2.3.5. 586 BArch, R 1001/2759, Bl. 98–99. In der letzten Nummer…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 9 (30.5.1903), S. 2. 587 BArch, R 1001/2759, Bl. 102–108, 115. 588 Da die deutsche Gemeinde…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 1 (4.4.1903), S. 2. Für biogra­ phische Informationen zu Pfarrer Beutenmüller beachte insbesondere BArch, R 1001/2759, Bl. 100–101. 589 BArch, R 1001/2759, Bl. 102–103. ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Kaiserlicher Gouverneur zu Apia an Otto Damm am 15.3.1903).

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

Misstrauen gegenüber Vertretern fremdländischer Missionen durch. Ohne je direkt diesen Bezug hergestellt zu haben, verfügten die Siedler mit ihrer Drohung, ihre Kinder von der Schule abzumelden, über dasjenige Argu­ ment, das auch etwa in der Debatte um die Schule in Tanga das Gouverne­ ment dazu bewegt hatte, Logiken der kolonialen Praxis Vorzug gegenüber Logiken der kolonialen Theorie zu geben.590 Dem EOK, der daran interes­ siert war, wieder Einfluss auf die auslandsdeutsche, später koloniale Schul­ politik zu nehmen, war es nicht gelungen, den Mangel an prozessstrategi­ schem Herrschaftswissen, der im Auswärtigen Amt hinsichtlich der Leh­ rerstellenbesetzung an einer Schule für nicht-indigene Kinder geherrscht hatte, langfristig auszunutzen. Die Trennung von Kirche und Staat funk­ tionierte dabei für die Schule in Apia fortan nach den gleichen Regeln, wie sie für die Regierungsschulen für Indigene in anderen deutschen Kolonien galten: Der Lehrplan enthielt keinen Religionsunterricht. Die Schule galt, auch im Hinblick auf die katholischen Schüler, offiziell als konfessions­ los.591 Bemerkenswert ist, dass es zur Herbeiführung dieses Status des Auf­ brechens alter Konflikte zwischen Kirche und Staat bedurft hatte und gera­ de nicht das aus den Erfahrungen in den anderen Kolonien gewonnene Herrschaftswissen genutzt wurde. Dies rechtfertigt nicht zuletzt die Auf­ nahme des Bereichs der Auslandsschulen als wichtige Wurzel der deut­ schen kolonialen Schule und motiviert für den folgenden Abschnitt einen detaillierten Blick auf die Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Unter­ richtspraxis vor den Hintergründen der regelmäßigen Schulleiterwechsel und der Integration Samoas in den deutschen Kolonialbesitz.

2.3.3 Schule und Unterricht auf Samoa: Reformpädagogik, Frauenbewegung und Kaisergeburtstage Die Eröffnung der Deutschen Schule Apia im August 1888 war unter an sich klaren Zielvorgaben erfolgt: Sie sollte eine Schule von Deutschen für Deutsche sowie für das Deutsche sein.592 Und obgleich dies in der Öffentlichkeit auch in den Folgejahren derart kolportiert wurde593, zeigt

590 Zur Islamlehrerdebatte beachte Kapitel 2.2.4. 591 Schulordnung fuer die Kaiserliche Regierungsschule in Apia, in: SGB, Bd. III, Nr. 35 (27.2.1904), S. 109–111, hier: S. 111. 592 Aus Anlass…, S. 1. Ruf aus Samoa, S. 74. 593 Dies war insbesondere die argumentative Grundlage der Unterstützung der Schule durch die DKG. Beachte etwa das archetypische Zitat zu Beginn von

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2. Konzeption und Ressourcen

ein Blick auf die Konstellation der Gründungsphase, dass dies mehr Wunsch denn Wirklichkeit war. So unterrichteten der als erster Schullei­ ter angestellte Jurist Otto Sierich und seine schwedische Gehilfin Frau Netzler vom ersten Tag an nicht nur deutsche Kinder. Sie unterrichteten zudem „vorläufig“ auf Englisch und bekamen ihr Gehalt in US-Dollar aus­ gezahlt.594 Die Stundentafel des Schuljahres 1893/94 beschreibt schließlich eine internationale und mehrsprachige Schule. Deutsch wurde acht Stun­ den in der Woche unterrichtet, Englisch fünf. Der Rechenunterricht (vier Wochenstunden) wurde in beiden Sprachen erteilt. Die übrigen Fächer, Geographie und Geschichte, deutsche Naturlehre, Zeichnen und Schrei­ ben sowie Gesang und Turnen, nahmen je zwei Wochenstunden ein.595 Und an dieser grundsätzlichen Stundenverteilung änderte sich auch in den Folgejahren nichts Prinzipielles. Der Deutschunterricht erhielt mal ein paar Wochenstunden mehr, mal ein paar weniger. Englisch wurde etwa im Schuljahr 1899/1900 nur mit zwei bis drei Wochenstunden je nach Klassenstufe unterrichtet.596 Dennoch blieben beide Sprachen im Lehrplan enthalten, was angesichts des signifikanten Anteils von 30–50 % nichtdeutscher Schülerinnen und Schüler im Zeitraum von 1893–1900 auch der Verteilung der Schülerschaft nach Nationalität durchaus entsprach.597 Auch der Übergang der Schule in die Verwaltungshoheit des kolonialen Gouvernements änderte an der grundlegenden Stundenverteilung nichts. Insbesondere der Englischunterricht erfuhr wieder eine Aufwertung in den höheren Klassen.598 Die zum 1. April 1904 in Kraft tretende Schul­ ordnung erlaubte sogar explizit die Aufnahme junger Schülerinnen und Schüler ohne Kenntnisse des Deutschen. Lediglich der Zugang zu den oberen Klassen wurde in dieser Hinsicht limitiert.599 Der Fächerkanon der Deutschen Schule in Apia unterschied sich mit diesen Lehrplänen, abgesehen vom Englischunterricht und dem Fehlen

594 595 596 597 598 599

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Kapitel 2.3.1. Siehe auch Aussichten für Ansiedler, in: DKB, Jg. 11 (1900), S. 289–292, hier: S. 291. BArch, R 1001/2758, Bl. 3–4 (für das Zitat: Bl. 4). Zu biographischen Informa­ tionen zu beiden Lehrkräften beachte Kapitel 2.3.1. Jahresbericht der deutschen Schule in Apia 1893/94, S. 100. BArch, R 1001/2758, Bl. 119. Die deutsche Schule in Apia, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 190. Beachte insbesondere eine Übersicht der Stundentafeln für den Zeitraum 1893–1900 in Anhang Nr. 8. Beachte die Statistik der Schülerzahlen mit Angaben zu den Nationalitäten, siehe Anhang Nr. 7. Beachte die Übersicht der Stundentafeln für den Zeitraum 1903–1905, siehe Anhang Nr. 9. Schulordnung, S. 109.

2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

des Religionsunterrichts, nicht von demjenigen einer Volksschule im Kai­ serreich.600 Auch der Übergang der Schule in die Verwaltung des Gou­ vernements änderte nichts am hierdurch ausgedrückten grundsätzlichen Anspruch, der Form einer Volksschule in Deutschland möglichst zu ent­ sprechen. Die Einteilung der Schülerinnen und Schüler in die einzelnen Klassenstufen erfolgte allerdings nicht wie in einer deutschen Volksschule nach Alter, sondern nach Kenntnisstand. Aufgrund großer Mobilität von Auswandererfamilien, deren Kinder häufig unterbrochene Schullaufbah­ nen hatten, führte dieses ab dem Schuljahr 1896/97 eingeführte Prinzip zu hinsichtlich des Alters sehr heterogenen Zusammensetzungen der Klas­ senstufen. Im Schuljahr 1899/1900 etwa lag die Spannweite des Alters in der obersten Klassenstufe I dementsprechend bei elf bis 17 Jahren, in Stufe II bei neun bis 15 Jahren, in Stufe III bei neun bis 14 Jahren und in Stufe IV bei sieben bis 15 Jahren. Auch in der ab dem Schuljahr 1894/95 zunächst als Kindergarten, später als unterste Klassenstufe der Schule be­ zeichneten Schülergruppe war die Altersheterogenität groß (1899/1900: sechs bis zwölf Jahre).601 Mit der Gründung des Kindergartens verfolgte der Schulverein das Ziel, neue Schülerinnen und Schüler allmählich an den Unterricht und die deutsche Sprache heranzuführen. Neben Lesen (drei Wochenstunden) und Schreiben (zwei Wochenstunden) gehörten insbesondere „Anschau­ ung, Sprechübung und Memorieren“ (zehn Wochenstunden) sowie „Frö­ bel’sche Beschäftigung, Spiele und Gesang“ (acht Wochenstunden) zum Lehrplan der Einrichtung, die sich damit an den Bildungs- und Erzie­ hungsideen Friedrich Fröbels (1782–1852) orientierte.602 Zu diesen Ideen gehört die grundlegende Überzeugung, dass Kinder bestmöglich durch entdeckendes Tun und Handeln lernen. Fröbel betonte das Recht von Kindern auf Bildung, den Stellenwert des Spielens (insbesondere mit geo­ metrischen Formen) und die Bedeutung der Arbeit (kindgerechte Mithilfe in Haus und Garten). Zur wichtigen Bezugsperson erklärte Fröbel die Erzieherin, die im Kindergarten die Rolle der Mutter einnehmen und da­

600 Vgl. Geißler, Gert: Schulgeschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis in die Gegenwart, Frankfurt am Main 2011, S. 227–234. 601 BArch, R 1001/2758, Bl. 119. Die deutsche Schule in Apia, S. 190. 602 BArch, R 8023/974, Bl. 5. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, S. 59 (auch für die Zitate). Zur Biographie Fröbels beachte Hebenstreit, Sigurt: Friedrich Fröbel – Menschenbild, Kindergartenpädagogik, Spielförderung, Jena 2003, S. 1–62. Heiland, Helmut (Hg.): Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782–1852), Hohengehren 2002, S. 3–16.

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2. Konzeption und Ressourcen

mit dem Kind ein quasifamiliäres Umfeld bieten sollte.603 Dies befolgend stellte der Schulverein zu Beginn des Schuljahres 1894/1895 mit Ludovica Schultze aus Jüterbog (Brandenburg) eine weibliche Lehrkraft ein, die un­ ter der Leitung des seinerzeitigen Schulleiters Tandler die Verantwortung für die Kindergartengruppe übernahm.604 Schultzes berufliche und private Biographie unterstreicht den bisher skizzierten internationalen und mehr­ sprachigen Charakter der Schule in besonderer Weise, sprach sie doch neben Deutsch und Englisch auch Französisch und arbeitete später als Sprachlehrerin in Großbritannien und Frankreich.605 Zudem war sie die Schwester von Valesca Schultze, der Leiterin der ab 1892 von der London Missionary Society betriebenen Papauta-Mädchenschule, und hatte somit auch familiäre Bezüge zur internationalen Gesellschaft auf Samoa.606 Die Gründung des Kindergartens und die Anstellung Ludovica Schult­ zes öffnen des Weiteren den Blick auf die Verbindungen der Schule in Apia zu reformpädagogischen Ideen und dem bürgerlich-nationalen Spek­ trum der zeitgenössischen Frauenbewegung. So hatte Schultze nach dem Besuch einer Bürgerschule ein Jahr am Erzieherinnenseminar in Berlin, dem Pestalozzi-Fröbel-Haus, verbracht.607 Dieses noch heute in Form ei­ nes auf Stiftungsrecht basierenden Trägers sozialpädagogischer Bildungsund Betreuungseinrichtungen existierende Haus war 1873 von Henriet­

603 Vgl. Heiland, Fröbel, S. 54–67. Konrad, Franz-Michael: Vorschulerziehung, in: Keim, Wolfgang; Schwerdt, Ulrich (Hg.): Handbuch der Reformpädagogik in Deutschland (1890–1933). Teil 2: Praxisfelder und pädagogische Handlungssi­ tuationen, Wiesbaden 2013, S. 629–655, hier: S. 635, 639–640. Krone, Detlef: Biografische Studie zur Person und zum Werk Friedrich Fröbels, Frankfurt am Main 2016, S. 169. Matthes, Eva; Schütze, Sylvia: Reformpädagogik vor der Reformpädagogik, in: Barz, Heiner (Hg.): Handbuch Bildungsreform und Reformpädagogik, Wiesbaden 2018, S. 31–41, hier: S. 38. 604 BArch, R 8023/974, Bl. 5. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, S. 59. Jahresbericht der deutschen Schule in Apia 1893/94, S. 100. Finde eine Fotographie der Kindergartengruppe mit Ludovica Schult­ ze und den Mitgliedern des Schulvorstands in Brunt, „To Walk Under Palm Trees”, S. 152. 605 BArch, R 1004-F/75417 (Schultze), Bl. 1–3. 606 Zum Verhältnis der Deutschen Schule zu den internationalen Missionsschulen, darunter insbesondere die Papauta-Mädchenschule, beachte Kapitel 2.3.4. Loo­ sen erwähnt mit Thusnelda Schultze eine weitere Verwandte, die kurzzeitig auf Samoa tätig war, vgl. Loosen, Livia: Deutsche Frauen in den Südsee-Kolonien des Kaiserreichs. Alltag und Beziehungen zur indigenen Bevölkerung, 1884– 1919, Bielefeld 2014, S. 136, 266–267. 607 BArch, R 1004-F/75417 (Schultze), Bl. 1–3. Jahresbericht der deutschen Schule in Apia 1893/94, S. 100.

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te Schrader-Breymann, einer Großnichte Friedrich Fröbels, und der Frau­ enrechtlerin Lina Morgenstern gegründet worden und hatte sich rasch zur international führenden Einrichtung der Erzieherinnenausbildung entwickelt.608 Im Zentrum der dortigen Ausbildung stand das an Frö­ bel anschließende „Konzept ‚geistiger Mütterlichkeit‘“. Diese, so SchraderBreymann, unterscheide sich von der körperlichen Mutterschaft und gebe Frauen die Möglichkeit, nach entsprechender Ausbildung zum Wohle von Nation und Gesellschaft sowie gegen die negativen Auswirkungen der Industrialisierung auf Mensch und Familie wirken und sich unter Einhal­ tung gesellschaftlicher Geschlechterstereotype beruflich entfalten zu kön­ nen.609 Zwar verließ Ludovica Schultze das Pestalozzi-Fröbel-Haus nach einem Jahr, ohne eine Prüfung abgelegt zu haben, die Grundsätze ihrer Ausbildung vertrat sie allerdings dennoch auch in Samoa und resümierte nach einjähriger Tätigkeit: „[Die] geistige Entwicklung [der Kinder] unter der unschätzbaren, intelligenten Fröbelschen Erziehungsmethode erfüllt mich mit Freude und Dank.“610 Anders als in weiten Teilen des Kaiserreichs, wo Fröbel-Kindergärten, ob­ schon Fröbels Pädagogik ab der Jahrhundertwende und bis zum Eintreten der Montessori-Rezeption Mitte der 1910er-Jahre die führende Lehrmei­ nung der frühkindlichen Erziehungswissenschaft war, nur gut ein Viertel der ohnehin nur etwa 13 Prozent der Bevölkerung erreichenden deutschen Kindergärten ausmachten, hatte sich der Schulverein in Apia für Fröbels Konzept entschieden.611 Bis zum und auch nach dem Übergang der Schule in die Verwaltung des Gouvernements blieb es bei dieser Ausrichtung612,

608 Vgl. Kersting, Christa: Frauenbewegung, in: Keim, Wolfgang; Schwerdt, Ulrich (Hg.): Handbuch der Reformpädagogik in Deutschland (1890–1933). Teil 1: Ge­ sellschaftliche Kontexte, Leitideen und Diskurse, Wiesbaden 2013, S. 169–214, hier: S. 187. Konrad, Vorschulerziehung, S. 635, 639–640. https://www.pfh-berli n.de/de/ueber-uns (Abruf am 23.3.2020). 609 Vgl. Kersting, Frauenbewegung, S. 181–182 (für das Zitat: S. 181). Konrad, Vor­ schulerziehung, S. 639–640. Hebenstreit, Fröbel, S. 449–454. 610 BArch, R 8023/974, Bl. 5. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, S. 59. 611 Vgl. Geißler, Schulgeschichte in Deutschland, S. 211. Konrad, Vorschulerzie­ hung, S. 640–648. 612 Schulordnung, S. 111. Beachte eine chronologische Übersicht der Stundentafeln des Kindergartens in Anhang Nr. 10 sowie die Stundentafeln der staatlichen Schule, die den Kindergarten als unterste Klasse V inkorporierte, in Anhang Nr. 9.

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2. Konzeption und Ressourcen

die Frauen im Allgemeinen eine qualifizierte berufliche Tätigkeit und unter den besonderen Bedingungen der zwischen kirchlichen, kolonialen, administrativen und auslandsdeutschen Interessengruppen verhandelten Schule sogar die Chance auf beruflichen Aufstieg ermöglichte. So erwei­ terte die Kindergärtnerinnenstelle zunächst das Gehilfinnen-Konzept der Schule in Apia, welches zur Schulgründung durch Lehrer Otto Sierich und Frau Netzler seine personale Entsprechung gefunden hatte.613 Im Schuljahr 1894 bestand die Lehrerschaft dann aus Lehrer Tandler, Lehre­ rin Schultze sowie der „Hospitantin und Assistentin“ Marie Schmidt.614 Auch die Tätigkeiten Ludovica Schultzes beschränkten sich nicht auf die Leitung der Kindergartengruppe. Als weibliche Lehrkraft oblag ihr zudem der Handarbeitsunterricht sowie der Turnunterricht für Mädchen. Daneben erteilte sie als Ergänzung zu Lehrer Tandler auch Deutschunter­ richt.615 Im April 1896 übernahm sie schließlich für ein halbes Jahr gar die Leitung der Schule, nachdem der Schulverein Lehrer Tandlers Vertrag nicht verlängert hatte und die Anreise Pastor Margrafs erst für Oktober des gleichen Jahres terminiert war.616 Die Kindergartenleitung hatte Frau Schultze im November 1895 zwar an Frau Clara Zimmermann abgegeben, doch offenbar keineswegs aufgrund etwaigen Missfallens des Schulvorstan­ des gegenüber Schultzes Tätigkeit oder pädagogischer Überzeugungen. Im Schulbericht des betreffenden Schuljahres 1895/96 bescheinigte der Schul­ vorstand Schultze und Zimmermann zufriedenstellende Leistungen und entbot ihnen „den warmen Dank der Anstalt und der Eltern der ihnen anvertrauten Kinder“.617 Die Unterstützung des Schulvorstandes für seine weibliche Lehrkraft drückte sich im darauffolgenden Schuljahr 1896/1897 dann darin aus, dass Ludovica Schultze in der nun in zwei Klassenstufen unterteilten Schule die Leitung der unteren Klasse II übertragen wurde. Der Schulvorstand beförderte sie also faktisch zur Lehrerin. Auch die Leitung des Kindergartens hatte Schultze nun wieder übernommen und

613 Siehe Kapitel 2.3.1. 614 BArch, R 8023/974, Bl. 5. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, S. 59 (auch für das Zitat). Loosen ordnet Marie Schmidt fälschlicherweise ein patriotisch-nationalistisch aufgeladenes Zitat zu, welches allerdings einem Berichtsabschnitt Ludovica Schultzes im Schuljahr 1894–1895 (siehe ebd.) entstammt, vgl. Loosen, Deutsche Frauen, S. 267. Weiteres über Marie Schmidt ist nicht bekannt. 615 BArch, R 8023/974, Bl. 5. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, S. 59 (auch für das Zitat). 616 BArch, R 8023/974, Bl. 22–26. Zum Schulleiterwechsel beachte Kapitel 2.3.2. 617 BArch, R 8023/974, Bl. 22–26 (für das Zitat: Bl. 23).

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führte die Aufsicht über die als Kindergärtnerin angestellte ehemalige Schülerin der Schule Selesa Folau.618 Des Weiteren unterrichtete die „als Lehrerin geprüft[e]“ Ehefrau des Schulleiters Margraf hilfsweise in der zweiten Klasse.619 Ihr kam aber insbesondere die Aufgabe zu, das neu gegründete Pensionat für Schülerinnen und Schüler, deren Eltern nicht in unmittelbarer Nähe zur Schule im Zentrum Apias lebten, zu leiten. Auch diese im vorangegangenen Abschnitt bereits hinsichtlich der Anfor­ derung an etwaige Schulleiter, verheiratet zu sein, diskutierte Neuerung trug damit dazu bei, dass die (qualifizierte) Beschäftigung von Frauen fes­ ter Bestandteil der Schule in Apia wurde.620 Nach den Personalkonzepten ‚Schulleiter und Gehilfin‘ sowie ‚Schulleiter, Kindergärtnerin und Gehil­ fin‘ war damit mit Beginn des Schuljahres 1896/97 das Konzept ‚Schullei­ ter, Lehrerin, Leiterin des Pensionats und Gehilfin‘ Ausgangspunkt der weiteren Entwicklungen.621 Der Schulvorstand warb dabei zum einen nach außen mit seinem re­ formpädagogischen Konzept für Schulanfänger. So verwundert es nicht, dass sich anlässlich des Spendenaufrufs des Schulvorstandes im Schuljahr 1896/97 die Berliner Frauengruppe des Gemeinen Deutschen Schulvereins als Geberin des zweithöchsten Geldbetrages (500 M) in die Spendenliste eintrug.622 Möglich erscheint zudem, dass ein ähnlicher Kontext auch zur bereits erwähnten Spende Friedrich Krupps (1.000 M) führte, dessen Frau Margarethe entgegen traditioneller Konventionen ein Lehrerinnenseminar besucht und als Erzieherin gearbeitet hatte.623 Zum anderen forderte der Schulvorstand aber auch in den Debatten um die Schulleiterstellenbeset­

618 BArch, R 8023/974, Bl. 90. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 112–114. Zur Person Selesa Folaus beachte Kapitel 2.3.2. 619 BArch, R 8023/974, Bl. 90. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 112–114 (für das Zitat: Bl. 113). Mit Frau Margraf unterrichtete damit neben Frida Imhoff (geb. von Woedtke) eine weitere Frau an der Schule in Apia, obwohl eine solche Betätigung gewöhnlich verboten war, vgl. Loosen, Deutsche Frauen, S. 267. 620 Siehe Kapitel 2.3.2. 621 Zu den Widerständen, denen Lehrerinnen in der beruflichen Emanzipierung im Kaiserreich um 1900 ausgesetzt waren, beachte Planert, Ute: Antifeminismus im Kaiserreich. Diskurse, soziale Formationen und politische Mentalität, Göt­ tingen 1998, S. 53–59. 622 BArch, R 8023/974, Bl. 37–38, 40–41, 50–52. 623 Siehe Kapitel 2.3.1 und https://www.thyssenkrupp.com/de/unternehmen/hist orie/die-gruenderfamilien/friedrich-alfred-krupp-und-margarethe-krupp.html (Abruf am 25.3.2020).

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zung stets die erneute Anstellung verheirateter Lehrer oder die Anstellung von Lehrkräften beider Geschlechter, um den Kindergarten und das Pen­ sionat weiterbetreiben zu können. Die Umsetzung dieser Forderungen wurde allerdings insbesondere dadurch erschwert, dass nicht nur das Ehe­ paar Margraf, sondern spätestens zum Ende des Schuljahres 1898/1899 auch Ludovica Schultze nach Deutschland zurückkehrte.624 Im Schuljahr 1899/1900 unterrichteten dann der seinerzeitige Interimsschulleiter Otto Damm und Selesa Folau nach dem alten Personalkonzept der Gründungs­ zeit, bis mit Eintreffen des Ehepaars Holzhausen zumindest wieder eine Pensionatsleiterin gefunden worden war. Da, wie im vorangegangenen Abschnitt geschildert, doch auch diese Stellenbesetzung nur von kurzer Dauer war, behielten die Forderungen des Schulvorstandes auch in den Jahren 1901 und 1902 ihre Gültigkeit und wurden beständig vorgetra­ gen.625 Im Mai 1903 schließlich hatte der Schulvorstand Erfolg. Im Zuge der Übertragung der Schulleitung an den unverheirateten Otto Damm erhielt auch Ludovica Schultze, die sich schon im August 1900 um eine Wiederverwendung in Samoa beworben und seitdem als Privatlehrerin in Deutschland, Frankreich und Großbritannien gearbeitet hatte, eine erneu­ te Anstellung an der Schule in Apia.626 Ab September 1903 bestand das kleine Kollegium der sich seit April 1903 in der Verwaltung des Gouver­ nements befindenden Deutschen Schule in Apia unter Berücksichtigung

624 Über die Rückkehr von Frau Schultze schweigen die Quellen. Am 24.8.1900 stellte sie dann ein Gesuch um Wiederanstellung, BArch, R 1001/2758, Bl. 74. 625 Siehe Kapitel 2.3.2. BArch, R 1001/2759, Bl. 30–31, 52–53, 57–58. General-Ver­ sammlung des Deutschen Schulvereins, S. 1. 626 BArch, 1001/2758, Bl. 74, 79–80, 113, 117, 120. BArch, R 1001/2759, Bl. 16– 17, 32–33, 49, 52–53, 64–65, 75–76, 78–80, 87–89. BArch, R 1004-F/75417 (Schultze), Bl. 1–16. ANZ AGCA 6051 W5788 I 1 1 (Angestelltenverzeichnis vom 1.10.1903). Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 14 (1903), S. 296, 610. Wir freuen uns…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 16 (18.7.1903), S. 2.

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des ebenfalls neu angestellten Lehrers Wilhelm Osbahr627 damit aus zwei Lehrern, einer Lehrerin und einer Kindergärtnerin.628 Das durch die skizzierte Entwicklung in das koloniale Samoa hineinge­ tragene Verständnis der Rolle von Frauen in den Kolonien bot diesen da­ mit gewisse berufliche Entfaltungsmöglichkeiten, die aber nicht verdecken dürfen, dass dennoch die Leitungsposition in der darauffolgenden Zeit ausschließlich von Männern ausgeübt wurde.629 Auch sonst bot die kolo­ niale Schule in Samoa, wie schon Loosen anhand der Tätigkeit der verhei­ rateten und damit eigentlich unter Verlust der Pensionsberechtigung zu entlassenden Lehrerin Frida Imhoff, geb. von Woedtke, gezeigt hat, zwar die Chance, praktische Notwendigkeiten und liberal gelebte Gesellschafts­ konventionen in Samoa für sich zu nutzen. Die Mehrheit der Frauen in Samoa kam aber nicht in den Genuss dieser Möglichkeiten.630 Die Rolle der ‚Deutschen Kolonialfrau‘, deren Propagandisten insbesondere auch das 627 Heinrich Friedrich Wilhelm Christian Osbahr (geb. 15.10.1878) hatte eine Mittelschule besucht und anschließend in Lübeck mit Präparandum und Volks­ schullehrerseminar den klassischen Ausbildungsweg eines deutschen Elemen­ tarlehrers genommen. Von April 1900 bis zu seiner Ausreise nach Samoa im August 1903 arbeitete er als Volksschullehrer in Hamburg, BArch, R 1004-F/ 75417 (Osbahr), Bl. 1–3. ANZ AGCA 6051 W5788 I 1 1 (Angestelltenverzeich­ nis vom 1.10.1903). Zur weiteren Tätigkeit Osbahrs in Samoa beachte Kapi­ tel 2.3.5 und Kapitel 3.3.3. 628 BArch, R 1001/2759, Bl. 92. Ueber die am vorigen Sonnabend…, S. 1. PersonalNachrichten, in: DKB, Jg. 14 (1903), S. 610. ANZ AGCA 6051 W5788 I 1 1 (Angestelltenverzeichnis vom 1.10.1903). 629 Bis zu seiner Ausreise aus Samoa im März 1908 hatte Otto Damm die Schulleit­ erschaft inne, ab August 1909 dann Rektor Alfred Maecke. Die Leiter der im Mai 1909 gegründeten Schule für Indigene in Apia waren Wilhelm Osbahr und ab Frühjahr 1914 Franz Pfeil, ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Gouverneur Solf an RKA am 7.8.1908). ANZ AGCA 6051 W5788 IA 81 1 (RKA an Gouverneur Solf am 17.5.1909; Gouverneur Solf an Rektor Mäcke am 30.7.1909). BArch, R 1004-F/75417 (Osbahr), Bl. 90. BArch, R 1004-F/75419 (Pfeil), Bl. 20. BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1909/10), Bl. 182–183. BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1913/14), Bl. 47. 630 Vgl. Loosen, Deutsche Frauen, S. 267. Frida Imhoff, geb. von Woedkte (geb. 1.8.1880) hatte eine private höhere Töchterschule sowie ein Volksschullehrerinnenseminar in Kolberg (heutiges Kołobrzeg in Polen) und eine „Koch- und Haushaltungsschule“ in Stendal be­ sucht. Anschließend arbeitete sie von Oktober 1905 bis April 1906 in Steglitz (heute Berlin), bevor sie vom 1.8.1906 bis zum 31.8.1909 als Lehrerin an der Schule für Nicht-Indigene in Apia angestellt war. Anfang des Jahres 1907 heira­ tete sie den Kaiserlichen Bezirksrichter Dr. Imhoff und verblieb dennoch in ihrer Anstellung als Lehrerin, ANZ AGCA 6051 W5788 IA 62 1 (Abschrift der Personal-Nachweisung ohne Datum; Aktennotiz des Stellvertretenden Gouver­

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2. Konzeption und Ressourcen

Konzept der ‚geistigen Mütterlichkeit‘ rezipierten und diese als sittliche, kulturbringende und tatkräftige Herrin des kolonialen Haushaltes entwar­ fen, prägte dabei nicht nur das koloniale Samoa, sondern lässt sich insbe­ sondere im schulischen Bereich auch für die Zeit vor 1900 konstatieren. Hierauf verweist etwa die Überzeugung, ein Schulpensionat könne nur unter maßgeblicher Mitwirkung einer Frau geführt und aufrecht erhalten werden.631 Letztlich zielte der überwiegende Teil der bürgerlichen Frauen­ bewegung um 1900 auch nicht auf die Überwindung der traditionellen Geschlechterordnung, sondern wollte Frauen vielmehr über die Ermögli­ chung von Bildungs- und Berufstätigkeit eigenständigere Lebensgrundla­ gen innerhalb der traditionellen Geschlechterordnung verschaffen.632 In der Schule in Apia wirkte diese damit ebenso, wie aber gleichzeitig auch die skizzierten Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen und die Veränderungen im Personalkonzept der Schule hin zu qualifizierter Mitarbeit von Frauen ein gewisses Potential für gesellschaftliche Veränderung nicht verkennen lässt. Die reformpädagogischen Elemente der Schule hatten also konkrete Implikationen hinsichtlich der Rolle von Frauen im Unterricht und damit auch in deren Alltag. Während nun der Alltag in der Schule, also der Unterricht, außerdem aufgrund der internationalen Gesellschaft in Samoa von den Lehrkräften, aber auch den Schülerinnen und Schülern, den Eltern und Schulvorstän­ den das Zulassen von Pluralität abverlangte, gewährte der Verlauf eines Schuljahres aber doch stets auch Momente von nationaler und imperialer Selbstverortung und Selbstvergewisserung. Zunächst bot natürlich die Or­ ganisation einer Schule in Trägerschaft eines Vereins der ansässigen Siedler die Grundlage für die Bildung einer Schulgemeinde als sozialem Verbund bestehend aus den Lehrkräften, dem Schulvorstand, den Schülern, den Eltern. Feste Termine im Jahreskalender der Schule, die insbesondere in der Öffentlichkeit vor Ort stattfanden, verzahnten dann allerdings auch über die eigentliche Schulgemeinde hinaus Schule und Gesellschaft in Sa­

neurs Dr. Schultz am 31.7.1906; Abschrift von AAKA an Frida v. Woedtke am 17.6.1906; RKA an Gouverneur Solf am 8.9.1909). 631 Vgl. Dietrich, Anette: Weiße Weiblichkeit. Konstruktion von „Rasse“ und Ge­ schlecht im deutschen Kolonialismus, Bielefeld 2007, S. 245–250, 311–312. Loo­ sen, Deutsche Frauen, S. 175–181. Walgenbach, Die weiße Frau, S. 138–140. Siehe auch Kapitel 2.3.2. 632 Vgl. Loosen, Deutsche Frauen, S. 90–96. Kersting, Frauenbewegung, S. 169–172. Zur radikalen bürgerlichen Frauenbewegung im deutschen Kolonialismus be­ achte insbesondere Dietrich, Weiße Weiblichkeit, S. 276–280. Zur Frage des Geschlechts im kolonialen Lehrerberuf beachte außerdem Kapitel 3.4.3.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

moa. Die Lehrerinnen und Lehrer in Apia standen, das wird das Folgende zeigen, dabei als Organisatoren, als Redner oder als Ehrengäste häufig im Zentrum der Veranstaltungen. Als wichtiger Zielpunkt innerhalb eines Schuljahres fungierten die öf­ fentlichen Schulprüfungen. Diese sollten zunächst den Leistungsstand der Schülerschaft feststellen und damit die Frage nach der Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe beantworten. So erreichten zum Ende des Schuljahres 1895/96 beispielsweise fünf von zwölf Kindergartenkindern die Versetzung in die Schule633, was statistisch aber nicht verallgemeinert werden darf, da ansonsten keine weiteren Daten zur Versetzungsquote vorliegen. Die grundsätzlich lobenden Äußerungen in den Schulberichten von Seiten der Lehrer sprechen eher dafür, dass Schüler insbesondere in den Schulstufen oberhalb des Kindergartens grundsätzlich versetzt wur­ den. Eine Bemerkung Otto Damms im Bericht des Schuljahres 1899/1900 zu einem der Schüler legt nahe, dass allerdings unentschuldigtes Fernblei­ ben vom Unterricht oder den Prüfungen zu negativen Konsequenzen hinsichtlich der Versetzung führen konnte.634 Die zum 1. April 1904 in Kraft tretende Schulordnung enthielt schließlich aber keinen entsprechen­ den generellen Passus und verknüpfte lediglich den Erhalt eines Abschluss­ zeugnisses mit der Bedingung, die oberste Klasse der Schule für ein halbes Jahr besucht zu haben.635 Letztlich war die Leistungsfeststellung aber auch nicht der einzige Zweck der Schulprüfungen. Diese sollte des Weiteren der breiten Öffent­ lichkeit die Möglichkeit bieten, sich in Ausstellungen von Unterrichtser­ gebnissen und während Prüfungen selbst über die Entwicklung der Schule zu informieren, was zunächst bedeutete, dass den Prüfungen insbesondere auch der Charakter einer Leistungsschau innewohnte. Die bereits erwähn­ te Kritik an der hinsichtlich der Fragestellungen offenen Prüfungspraxis Pfarrer Holzhausens anlässlich der Schulprüfungen im September 1901 lässt darauf schließen, dass die Prüfungen in der Regel durch das Abfragen der Schülerinnen und Schüler und darauffolgende Nennung vorbereiteter Antworten erfolgten.636 Die zwangsläufige Folge waren regelmäßige „gute Leistungen“, die es dem Schulvorstand ermöglichten, etwa gegenüber der Deutschen Kolonialgesellschaft und dem Auswärtigen Amt, aber vor allem

633 BArch, R 8023/974, Bl. 5. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, S. 59. 634 BArch, R 1001/2758, Bl. 119. 635 Schulordnung, S. 111. 636 Beachte Kapitel 2.3.2. Vgl. Geißler, Schulgeschichte in Deutschland, S. 222.

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auch medial für die Schule zu werben.637 Gegenstand des öffentlichen Lobes waren in den Berichten regelmäßig die Leistungen der Schüler im Erlernen des Deutschen, wodurch versucht wurde, das Bild der Schule als „weit vorgeschobene Schutzwehr deutscher Sprache und Sitte“ für das Pu­ blikum in Deutschland aufrechtzuerhalten und nationale Bindungen der Siedler an ihre deutsche Heimat zu stärken.638 Die Schulprüfungen waren – und dies gilt für alle deutschen Kolonien639 – des Weiteren ein jährlicher Termin von hoher offizieller Relevanz, denn in der Regel nahmen die führenden politischen und, sofern ein Schiff der Kaiserlichen Marine im Hafen von Apia lag, auch militärischen Vertreter an der Veranstaltung teil. Während dies in Samoa vor 1900 den jeweiligen deutschen Konsul, dessen Stellvertreter sowie den Präsidenten der Munizipalität Apias umfasste – im Schuljahr 1896/97 auch den seinerzeitigen US-amerikanischen Oberrichter Chambers –, waren nach 1900 Gouverneur Solf sowie seine Stellvertreter Schnee und Schultz-Ewerth640 regelmäßig Gäste der Prüfungen.641 Die Schulprüfungen verbanden so die konsularische und die gouvernementale Zeit ohne merklichen Umbruch. Sie schufen den politischen Vertretern zudem eine Bühne für öffentliche Auftritte, die diese insbesondere nach 1900 etwa bei der Verleihung von Preisen für die Schuljahresbesten oder 637 BArch, R 8023/974, Bl. 36–37, 41, 90. Aus Apia, S. 53. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 113 (für das Zitat). Die deutsche Schule in Apia, S. 190. 638 Ebd. sowie für das Zitat: Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 114. 639 Für die Kolonien Kamerun und Deutsch-Ostafrika beachte exemplarisch BArch, R 1001/4072, Bl. 118–119. Christaller, Theodor: Die deutsche Schule in Bona­ mandone, in: DKB, Jg. 1, Nr. 5 (1.6.1890), S. 73–74. BArch, R 1001/989, Bl. 132. Siehe auch Lenz, Regierungsschule, S. 16. 640 Erich Bernhard Theodor Schultz-Ewerth (8.3.1870–25.6.1935) war Jurist und ab 1898 im Kolonialdienst tätig. Nach einer kurzzeitigen Beschäftigung als Kai­ serlicher Bezirksrichter in Deutsch-Ostafrika sowie krankheitsbedingter Rück­ kehr nach Deutschland im Frühjahr 1899 wurde er 1901 Kaiserlicher Bezirks­ richter in Samoa. 1904 wurde er zum Referenten im Gouvernement sowie zum Kaiserlicher Oberrichter ernannt und fungierte während der Abwesenheiten Gouverneur Solfs als dessen Stellvertreter, insbesondere in schulischen Belan­ gen. 1910 wurde Schultz zum Ersten Referenten ernannt und folgte Solf im Juni 1912 im Amt des Gouverneurs nach. Schultz, Erich, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Koloniallexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 310. 641 BArch, R 8023/974, Bl. 5, 22–26, 90. BArch, R 1001/2758, Bl. 119. Jahresbericht der deutschen Schule in Apia 1893/94, S. 100. Jahresbericht der deutschen Schu­ le zu Apia für das Jahr 1894–1895, S. 59. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 112–114. Am 25. und 26. Septem­ ber…, S. 2.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

durch Einladung zu einem die Schulprüfungen abschließenden Fest nutz­ ten.642 Feste und Feierlichkeiten waren aber auch jenseits der jährlichen Schul­ prüfungen Bestandteile des schulischen Jahreskalenders und insbesondere für die Bewohner Apias gesellschaftliche Ereignisse. Hierzu zählen Weih­ nachtsfeiern im Schulgebäude oder im örtlichen Central-Hotel, Konzerte mit Aufführungen von Schülern, verschiedenen Einzelpersonen oder Mili­ tärkapellen, Kinderfeste und Ausflüge, die Natursehenswürdigkeiten und Plantagen örtlicher Siedler zum Ziel hatten.643 Von herausgehobener Be­ deutung waren außerdem die jährlichen Feierlichkeiten zum Geburtstag des Deutschen Kaisers, in denen die Schule ab 1900 häufig Ort des zen­ tralen Festaktes war.644 Die Bedeutung dieses Tages für die symbolische Verbindung Deutschlands mit seinen Auslandsgemeinden und seinen Ko­ lonien beschrieb Lehrer Damm anlässlich der Feierlichkeiten am 27. Janu­ ar 1903: „Mit uns feiert heute nicht nur die ganze Stadt, heute feiert das gan­ ze Deutschland mit allen seinen Bürgern und Soldaten in all den

642 BArch, R 1001/2758, Bl. 119. Am 25. und 26. September…, S. 2. 643 Beachte für den Zeitraum 1899 bis 1906: BArch, R 1001/2758, Bl. 119. Weih­ nachts-Feier in der Deutschen Schule, in: SZ, Jg. 2, Nr. 21 (3.1.1903), S. 1. Wieder trugen die Raeume…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 39 (30.12.1903), S. 2–3. Die Schueler…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 50 (19.3.1904), S. 3. Vor Beginn der Weihnachtsfei­ ern…, in: SZ, Jg. 4, Nr. 39 (17.12.1904), S. 1. Am Mittwoch…, in: SZ, Jg. 5, Nr. 41 (14.10.1905), S. 1–2. Der Deutsche Verein „Concordia“…, in: SZ, Jg. 5, Nr. 46 (18.11.1905), S. 2. Wie im vorhergehenden Jahre…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 1 (6.1.1906), S. 2. Zu dem von Herrn Hauptlehrer Damm…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 48 (1.12.1906), S. 1. 644 Beachte für den Zeitraum 1900 bis 1906: BArch, R 1001/2758, Bl. 119. BArch, R 1001/2601, Bl. 29. Samoa, in: Schlesische Zeitung (13.3.1901). Die Feier des Geburtstages, S. 1–2. Die Festlichkeiten…, in: SZ, Jg. 2, Nr. 24 (24.1.1903), S. 1. Kaiser’s Geburtstag, in: SZ, Jg. 2, Nr. 25 (31.1.1903), S. 1–2. Kaiser’s Geburtstag, in: SZ, Jg. 3, Nr. 42 (23.1.1904), S. 1. Kaiser’s Geburtstag, in: SZ, Jg. 5, Nr. 3 (21.1.1905), S. 1. Die Feier des Allerhoechsten Geburtstages…, S. 1. Programm zur Geburtstagsfeier Sr. Majestaet des Kaisers, in: SZ, Jg. 6, Nr. 3 (20.1.1906), S. 1. Programm zur Geburtstagsfeier Sr. Majestaet des Kaisers, in: SZ, Jg. 6, Nr. 4 (27.1.1906), S. 1. Wie alljaehrlich…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 5 (3.2.1906), S. 1–2. Beachte auch das Programm der Feierlichkeiten zum Kaisergeburtstag am 26. und 27. Januar 1906 in Anhang Nr. 24. Mit analogen Beispielen aus der deut­ schen Kolonie Kiautschu und der deutschen Auslandsgemeinde in Paraguay vgl. Manz, Constructing a German Diaspora, S. 249–250.

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2. Konzeption und Ressourcen

schönen Städten und Dörfern von Fuße der Alpen, bis hinunter zum Meeresstrande.“645 Und an die Schulkinder gerichtet forderte er nach der Beschreibung mili­ tärischer Paraden pathetisch: „[J]eden Augenblick bereit […] für Kaiser und Vaterland in Schlacht und Tod zu gehen[,] das ist die Treue bis zum Tode, die Treue für Kaiser und Reich, der auch ihr nacheifern sollt, indem ihr deutsch sprecht, deutsch denkt und groß werdet in deutscher Tugend und deutscher Treue.“ Bei aller Internationalität und reformerischer Offenheit des schulischen Alltags in Apia sollten damit die regelmäßigen Ereignisse im Schuljahres­ kalender für nationale und imperiale Selbstvergewisserung sorgen. Vor allem die Feiern zum Kaisergeburtstag dienten diesem Zweck und be­ deuteten eine Abgrenzung von der interimperialen Konkurrenz.646 Diese Ereignisse waren Bestandteil indirekter Strategien herrschaftspolitischer Behauptung und komplementierten direkte Strategien. Als solche nutzten das Auswärtige Amt sowie das deutsche Konsulat vor und das deutsche Gouvernement nach April 1900 darüber hinaus Verhandlungen, die Ein­ beziehung durch Verordnungen und politische Gesten. Diese Aspekte ste­ hen im folgenden Abschnitt im Zentrum der Darstellung.

2.3.4 Interimperiale Konkurrenz und alltägliche Koexistenz: Katholische und protestantische Missionsschulen Die von den Deutschen auf Samoa als Bedrohung wahrgenommene Prä­ gung der Inseln durch die englische Sprache trug maßgeblich dazu bei, die Deutsche Schule in Apia nach außen hin als Ort der Deutschtums­ arbeit und „kräftigen Damm [gegen] englisch[e] Einflüsse“ darzustellen 645 Für dieses und das folgende Zitat: Kaiser’s Geburtstag, in: SZ, Jg. 2, Nr. 25 (31.1.1903), S. 1. Siehe auch Lenz, Regierungsschule, S. 16. 646 Vgl. Bösch, Frank: Das Zeremoniell der Kaisergeburtstage, in: Biefang, Andre­ as; Epkenhans, Michael; Tenfelde, Klaus (Hg.): Das politische Zeremoniell im Deutschen Kaiserreich 1871–1918, Berlin 2008, S. 53–76, insb. S. 53–54. Manz, Constructing a German Diaspora, S. 149–150, 198–200, 249. Schellack, Fritz: Se­ dan- und Kaisergeburtstagsfeste, in: Düding, Dieter; Friedemann, Peter; Münch, Paul (Hg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, S. 278–297, hier: S. 288–292. Zurstrassen, „Ein Stück deutscher Erde schaffen“, S. 61–62.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

und dafür insbesondere von der Deutschen Kolonialgesellschaft mit sub­ stantiellen Geldbeträgen gefördert zu werden.647 Als Agitatoren solcher Art Einflüsse bezeichnete der Schulvorstand in seinem Spendenaufruf im Schuljahr 1896/97 insbesondere englische und französische Missionen, die in ihren Schulen in englischer Sprache unterrichteten.648 Doch wie der vorangegangene Abschnitt zu zeigen vermochte, kam selbst die Deutsche Schule in Apia nicht umhin, das Englische in den Schulalltag einzubezie­ hen. Das Deutsche und das Englische führten also im Unterricht trotz imperialer Konkurrenz im politischen Streit um Samoa, welches schließ­ lich erst 1900 deutsche Kolonie wurde, eine alltägliche Koexistenz, die den Bedürfnissen nach Kommunikation Rechnung trug. Dennoch sind die Bemühungen von Schulvorstand, deutschem Konsu­ lat, Auswärtigem Amt und Deutscher Kolonialgesellschaft, dem Deutschen durch die Schule zu größerer Geltung zu verhelfen, unverkennbar, und diese wurden ab 1895 dadurch verstärkt, dass das Auswärtige Amt im Geheimen versuchte, die als Konkurrenz dargestellten Missionsschulen in den Dienst der deutschen Sprache zu stellen. Hierzu bediente sich das Aus­ wärtige Amt zunächst eines Mittelsmannes, des Vertreters der deutschen katholischen Missionen und Kölner Domherren Franz Karl Hespers.649 Dieser berichtete dem Auswärtigen Amt im November 1895 über eine erste erfolgreiche Kontaktaufnahme zu einem deutschen Vertreter der So­ ciété de St. Marie650 und der Bereitschaft selbiger zur Aussendung zweier deutscher Missionare nach Samoa.651 Motor dieser Kontaktaufnahme war das Deutsche Konsulat in Apia in Person seines Leiters Fritz Rose652,

647 Beachte unter anderem Kapitel 2.3.1 und Kapitel 2.3.3. Bericht des Vorstan­ des der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 114. BArch, R 8023/974, Bl. 8–9 (für das Zitat: Bl. 8). Vgl. auch Stolberg, German in the Pacific, hier: S. 318. 648 BArch, R 8023/974, Bl. 36–37. Beachte Kapitel 2.3.1. 649 Zur Person Hespers beachte Kapitel 2.2.4. 650 Die Société de St. Marie (Societas Mariae (S.M.), Maristenmission) gründete sich 1816 in Lyon und erhielt 1836 ihre Bestätigung durch Papst Gregor XVI. Sie errichtete daraufhin Missionsstationen in Südostasien und Ozeanien, darun­ ter 1845 eine Missionsstation in Apia. Ein Jahr zuvor war Samoa in das von den Maristen geführte Vikariat für den Zentralpazifik (heute Bistum Tonga) eingegliedert worden. 1850 erhielt es jedoch seine Eigenständigkeit unter dem Namen Apostolisches Vikariat Archipel der Navigatoren (heute Erzbistum SamoaApia), BArch, R 1001/2602a, Bl. 49–50. Vgl. Mückler, Mission in Ozeanien, S. 69–70. 651 BArch, R 1001/2602a, Bl. 45–46. 652 Zur Person Roses beachte Kapitel 2.3.1.

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2. Konzeption und Ressourcen

der sich außerdem Anfang des Jahres 1896 mit dem örtlichen Vertreter der Maristen, Pierre Jean Broyer, S.M.653, austauschte.654 Rose meldete daraufhin an Reichskanzler Hohenlohe-Schillingsfürst, dass Broyer eine deutsche Besitzergreifung Samoas einer englischen vorziehe und damit auch im Interesse seiner Mission handele. Eine entsprechende Kooperati­ on, so Rose weiter über Broyers Einlassungen, müsse aber geheim blei­ ben, um bei einer etwaigen zukünftigen Zuordnung Samoas die Stellung der katholischen Mission nicht zu schwächen. Rose selbst bekräftigt in seinem Schreiben die Notwendigkeit der Geheimhaltung und riet über­ dies, die Maristenmission mit finanziellen Anreizen zur Kooperation zu bewegen. Zudem solle man die Ausbildung deutscher Missionare in den europäischen Ausbildungszentren der Maristen fördern. Rose bemerkte weiterhin, dass man auch über eine Rückkehr Mata’afa Josephos655 nach Samoa beraten müsse, den Broyer im Gespräch sehr oft positiv erwähnt habe. Da eine Rückkehr, so die Annahme Roses, ohnehin im Interesse des Deutschen Reichs sei, könnte eine Hinwendung der Maristenmission zu den Deutschen nach außen dann als Dankesgeste für die Rückkehr ihres Schützlings Mata’afa Josepho dargestellt und eine etwaige Kooperati­ on so verschleiert werden.656 Rose war sich offenbar bewusst, dass eine Zusammenarbeit zwischen evangelisch-preußischer Administration und katholischer Mission ungewöhnlich erscheinen und auf Ablehnung stoßen würde, zumal gerade im Schuljahr 1895/96 die Knabenschule der Maris­ ten für Kinder europäischer Eltern in Mulivai durch den Schulvorstand

653 Pierre Jean Broyer, S.M. (30.1.1846–29.10.1918) wurde 1874 zum Priester ordi­ niert und erhielt 1896 seine Bischofsweihe in Lyon. Er war Titularbischof des Bistums Polemonium und führte bis zu seinem Tod 1918 das Apostolisches Vikari­ at Archipel der Navigatoren (heute Erzbistum Samoa-Apia), BArch, R 1001/2602a, Bl. 63. BArch, R 1001/2602b, Bl. 31–32. http://www.catholic-hierarchy.org/bisho p/bbroy.html (Abruf am 2.4.2020). 654 BArch, R 1001/2602a, Bl. 51–57. 655 Mata’afa Josepho war als lokaler Chief ab 1888 in die militärischen und politi­ schen Auseinandersetzungen zwischen Samoanern, Deutschen, Briten und USAmerikanern involviert und als militärischer Anführer an zahlreichen Kämpfen gegen die deutsche Seite beteiligt. Nach der Errichtung des Kondominiums wandte er sich gegen die internationale Verwaltung Samoas sowie den interna­ tional inthronisierten König (Malietoa) Laupepa und wurde von seinen Anhän­ gern 1892 zum (Gegen-)König erhoben. 1893 unterlag er jedoch militärisch sowie politisch und wurde von Deutschen und Briten zum Gang ins Exil in der deutschen Kolonie der Marschallinseln gezwungen, vgl. Kennedy, The Samoan Tangle, S. 75–78, 98–102. 656 BArch, R 1001/2602a, Bl. 51–57.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

als Konkurrenzinstitut für die Deutsche Schule gesehen wurde.657 Auch im Vorstand der Deutschen Kolonialgesellschaft diskutierte man die Ma­ ristenmission kritisch, hier aufgrund ihrer Nationalität.658 Dabei gilt es zu beachten, dass im Deutschen Reich Mitte der 1890er-Jahre zwar der Höhepunkt des Kulturkampfes überschritten war. Die ab 1885 einsetzende allmähliche Entspannung im Verhältnis der deutschen Regierung zu ka­ tholischen Missionsgemeinschaften vollzog sich allerdings allmählich und in kleinen Schritten.659 Ist so schon der überkonfessionelle und transnatio­ nale Ansatz dieses Verhandlungsauftaktes allein mit Blick auf die lokale Ebene in Samoa und die Verhandlungen in deutschen Kolonialkreisen bemerkenswert, so trifft dies wohl insbesondere auch auf seine imperiale Dimension zu, sprachen doch Rose und Broyer vermittels der Sprachenund Schulfrage über die Mitte der 1890er-Jahre interimperial allenfalls kompromisshaft gelöste Besitzzuschreibung Samoas zu den europäischen und US-amerikanischen Kolonialreichen.660 Das beide Seiten verbindende Element war das Streben nach größerem Einfluss in einem englisch geprägten politischen und kulturellen Raum661, wobei gerade die Mission der Maristen auch weitere gewichtige Forderun­ gen stellte, die nur mittelbar mit Samoa zusammenhingen. So forderte Bischof Broyer bei weiteren Verhandlungen im Frühjahr 1897 neben einer geheimen finanziellen Unterstützung und der Rückkehr Mata’afa Josephos auch die Zulassung für die Missionstätigkeit im deutschen Kolonialgebiet der Salomon-Inseln und die Erlaubnis zur Errichtung eines Missionshau­ ses in Deutschland.662 Diese umfangreichen Expansionsbestrebungen kor­ respondierten mit den Plänen der Maristen für die Schultätigkeit auf Samoa. Dort sollten gleich vier Schulen das Zentrum der Bildungs- und

657 BArch, R 8023/974, Bl. 22–26. 658 BArch, R 8023/974, Bl. 31. 659 Vgl. Gründer, Horst: Deutsche Missionsgesellschaften auf dem Wege zur Ko­ lonialmission, in: Bade, Klaus J. (Hg.): Imperialismus und Kolonialmission. Kaiserliches Deutschland und koloniales Imperium, Wiesbaden 1982, S. 68–102, S. 79–97. 660 Zum interimperialen Kompromiss der Samoaakte von 1889 beachte Kapi­ tel 2.3.1. 661 Vgl. Gründer, Horst: Kulturkampf in Übersee. Katholische Mission und deut­ scher Kolonialstaat in Togo und Samoa, in: Horstmann, Johannes (Hg.): Die Verschränkung von Innen-, Konfessions- und Kolonialpolitik im Deutschen Reich vor 1914, Schwerte 1987, S. 111–131, hier: S. 120–121. Laracy, Hugh: Church and State in German Samoa: The Solf-Broyer Dispute, in: The New Zealand Journal of History, Jg. 12 (1978), S. 158–167, hier: S. 159. 662 BArch, R 1001/2602a, Bl. 60, 80–83.

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2. Konzeption und Ressourcen

Erziehungstätigkeiten werden, je eine Schule für Mädchen und Jungen deutscher Herkunft und je eine Schule für Mädchen und Jungen samoa­ nischer Herkunft. In jeder dieser Schulen sollte dann an drei Tagen in der Woche Deutschunterricht stattfinden.663 Dies jedoch stieß im Deut­ schen Konsulat in Apia auf Widerspruch, da man befürchtete, dass mit den erstgenannten beiden Schulen weitere Konkurrenz für die Deutsche Schule geschaffen würde.664 Im Auswärtigen Amt wiederum wollte man nicht auf die Forderung zur Rückkehr Mata’afa Josephos eingehen und wies das Konsulat an, hier keinerlei Zusagen zu machen.665 Gegen die Gründung eines Missionshauses hingegen erhob man keine Bedenken und es ist davon auszugehen, dass die Niederlassung der Maristen in Meppen 1899 durch die hier betrachteten Verhandlungen und das Knüpfen eines Kommunikationsnetzwerkes, das insbesondere Franz Karl Hespers, aber auch den katholischen Reichstagsabgeordneten Franz von Arenberg666 ein­ bezog, vorbereitet wurde.667

663 BArch, R 1001/2602a, Bl. 61–62. 664 BArch, R 1001/2602a, Bl. 75–78. 665 BArch, R 1001/2602a, Bl. 67–69. Vgl. Gründer, Die Etablierung des Christen­ tums auf Samoa, S. 641–642. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 121–122. 666 Franz von Arenberg (29.9.1849–25.3.1907) war Jurist und von 1874 bis 1882 im diplomatischen Dienst des Auswärtigen Amtes beschäftigt. Ab 1882 war der katholische Zentrumspolitiker Mitglied im Preußischen Abgeordnetenhaus, ab 1890 außerdem Mitglied des Reichstages. Er gehörte zudem dem Vorstand der Deutschen Kolonialgesellschaft an und fungierte dort neben Franz Karl Hespers als Vertreter der deutschen Katholiken, vgl. Arenberg, Franz von Assisi Ludwig Maria Prinz von, in: Mann, Bernhard: Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1867–1918, Düsseldorf 1988, S. 24. 667 BArch, R 1001/2602a, Bl. 73–74, 80–83, 111, 115–116. Beachte des Weiteren http://www.maristenpatres.de/meppen.html (Abruf am 3.4.2020). Vgl. Gründer, Die Etablierung des Christentums auf Samoa, S. 641. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 122. Licher, S.M., Franz-Josef: Der Neubeginn auf dem Galgenhü­ gel, http://www.maristenpatres.de/pdf/Textarchiv_NeubeginnImDtReich.pdf (Abruf am 3.4.2020). 1892 hatte als erste katholische Gemeinschaft bereits der Pallottinerorden die Erlaubnis zur Gründung einer deutschen Niederlassung er­ halten, nachdem dieser zwei Jahre zuvor die Missionstätigkeit in der deutschen Kolonie Kamerun begonnen hatte. Eine gleiche Erlaubnis erhielten im selben Jahr die Steyler Missionare. Weitere folgten, vgl. Aitken, Robbie: Selling the Mission: The German Catholic Elite and the Educational Migration of African Youngsters to Europe, in: German History, Jg. 33, Nr. 1 (2015), S. 30–51, hier insb. S. 33–35. Gründer, Deutsche Missionsgesellschaften, S. 87–97. Hoffman, Robert: Die katholische Missionsbewegung in Deutschland vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der deutschen Kolonialgeschichte, in: Bade, Klaus J. (Hg.): Imperialismus und Kolonialmission. Kaiserliches Deutschland

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

Vor dem Hintergrund dieser durchaus konträren Positionierungen er­ reichten Konsul Rose und Bischof Broyer Ende 1897 eine erste Überein­ kunft, die den schulischen Kern der Verhandlungen wieder stärker fokus­ sierte, deren intraimperialen Deutungszusammenhänge allerdings nicht verließ. Die Übereinkunft sah zunächst vor, dass die Maristen ‚lediglich‘ eine Schule für einheimische Schüler gründeten. Im Gegenzug erklärte Rose die Bereitschaft des Auswärtigen Amts, diese Schule dann finanziell zu unterstützen. Broyer beantragte hierzu einen einmaligen Betrag in Höhe von 29.000 M zur Erstattung von Bau- und Anreisekosten sowie jährliche Zahlungen in Höhe von 6.000 M in den nächsten 10 Jahren für die Versorgung von drei Ordensbrüdern sowie der Schüler. Die so finanzierte Schule sollte dann ein Kollegium bestehend aus einem franzö­ sischen Schulleiter und zwei deutschen Missionaren umfassen und die Be­ schulung von 50 Schülern, nämlich „Söhne[n] angesehener samoanischer Häuptlinge“, ermöglichen. Als Lehrplaninhalte wurden „Lesen, Schreiben und Rechnen und in beschränktem Umfang Geographie und Geschichte“, das Samoanische und das Deutsche (drei Mal wöchentlich) benannt.668 Einen Schwerpunkt sollte die Schule zudem im landwirtschaftlichen und im handwerklichen Unterricht haben, um die Schüler nach fünfjähriger Ausbildungszeit diese Fähigkeiten wieder in ihre Heimatorte tragen zu lassen.669 Das Unterrichtskonzept entsprach damit dem gängigen Modell einer kolonialen Schule, welche die lokale Führungselite von Morgen an begrenzter Bildung teilhaben ließ und sie darüber hinaus versuchte, mit wirtschaftlich produktivierungsfähigen praktischen Fähigkeiten auszustat­ ten.670 Bemerkenswert ist zudem, dass der Einfluss auf die zukünftige einheimische Elite gemäß dieser Übereinkunft einer Mission, ja sogar einer katholischen und fremdländischen Mission überlassen werden sollte.671

668 669 670

671

und koloniales Imperium, Wiesbaden 1982, S. 29–50, hier: 40. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 160. BArch, R 1001/2602a, Bl. 75–78 (für die Zitate: Bl. 75). Von der Maristenmissi­ on…, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 829. BArch, R 1001/2602a, Bl. 75–78. Von der Maristenmission…, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 829. Die landwirtschaftliche und handwerkliche Betätigung von Missionaren, Leh­ rern und Schülern im Umfeld von Missionsstationen und Schulen hatten ne­ ben konzeptionell-erzieherischen allerdings auch praktische Beweggründe, da so Kosten für Lebensmittel und handwerkliche Fremdleistungen eingespart werden konnten. Hierzu sowie zum weiteren Verlauf der Verhandlungen und nach der Umset­ zung der Pläne finden sich in den Akten keine Hinweise auf Proteste der evangelischen Mission oder des EOK.

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2. Konzeption und Ressourcen

Und nicht nur diese Beobachtung lässt annehmen, dass das Konsulat of­ fenbar unter nicht geringem Handlungsdruck stand. Auch das Tableau an eindeutig für die Mission vorteilhaften Bestandteilen der Übereinkunft stützt diese Annahme. Als weitere Indizien können gelten, dass der ka­ tholischen Mission zur Errichtung der Schule und dem Betreiben von Landwirtschaft außerdem etwa 12.000 m2 Land in Moamoa (heute ein Stadtteil Apias) zwischen der Küste Apias und dem Apia-Berg vermittelt wurde und Konsul Rose – abgesehen von einer kleinen Korrektur hin­ sichtlich der Beteiligung an den Grundstückskosten – die Umsetzung der Übereinkunft gegenüber dem Auswärtigen Amt ausdrücklich empfahl sowie auch konkrete Vorschläge zur Finanzierung unterbreitete.672 Rose wies des Weiteren darauf hin, dass das Schulkonzept schon von Bischof Broyer und Franz von Arenberg besprochen worden sei, und signalisierte damit, dass zumindest von den deutschen katholischen Missionen keine Beanstandung zu erwarten sei. Mit Blick auf sein lokales Umfeld betonte er allerdings erneut die Wichtigkeit der Geheimhaltung, da er „mit den Mitgliedern der Londoner Mission in äußerlich freundlichem Verhältnis stehe“.673 Im Auswärtigen Amt stießen die weitreichenden Zubilligungen an die Maristenmission auf Widerstand. Der scheidende Leiter der Kolonialab­ teilung, Oswald von Richthofen674, warb in einem Übergabebericht an seinen Nachfolger im März 1898 zwar sehr für eine geheime Zusammenar­ beit mit der Maristenmission, riet aber gleichzeitig zu einer Limitierung des amtlichen Finanzbeitrags. So sollte zunächst die von Bischof Broyer geforderte jährlich zu zahlende Summe einmalig in doppelter Höhe, also 12.000 M, ausgezahlt werden und anschließend für weitere drei Jahre ein

672 BArch, R 1001/2602a, Bl. 75–78. Vgl. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 159. 673 BArch, R 1001/2602a, Bl. 75–78 (für das Zitat: Bl. 78). 674 Oswald von Richthofen (13.10.1847–17.1.1906) war Jurist und ab 1876 in auf­ steigenden Positionen im Auswärtigen Amt beschäftigt. Nachdem er kurzzeitig (1885–1886) für die internationale Schuldenverwaltung für Ägypten gearbeitet hatte, wurde von Richthofen im Oktober 1886 zum Leiter der Kolonialabtei­ lung bestimmt. Im Dezember 1897 ernannte man ihn zum Unterstaatssekretär. Ende März 1898 übergab er die Leitung der Kolonialabteilung an Gerhard von Buchka, bevor er im Oktober 1900 zum Staatssekretär des Äußeren er­ nannt wurde. Dieses Amt versah er bis zu seinem Tod, Richthofen, Oswald, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Koloniallexikon, Bd. III, Leipzig 1920, S. 171. Vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 3 L-R, Paderborn 2008, S. 656–658. Gründer, Geschichte der Deutschen Kolonien, S. 291.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

Betrag in Höhe von 5.000 M. Außerdem knüpfte von Richthofen die Zahlungen an die Bedingungen, dass ein deutscher Missionar die Schullei­ tung übernehme und man festhalte, als Unterrichtssprache lediglich das Samoanische und das Deutsche zu verwenden.675 Der weitere Verlauf zeigt allerdings, dass man im Auswärtigen Amt, gleichwohl von Richthofens Empfehlungen dem Grundsatz nach umgesetzt wurden, nicht gewillt war, diese Bedingungen unter Inkaufnahme eines Scheiterns der Übereinkunft durchzusetzen.676 Zwar teilte man dem katholischen Verbindungsmann Hespers und auch Konsul Rose die Bedingungen mit, brachte in den gleichen Schreiben aber auch schon die Geldzahlungen auf den Weg, ohne auf eine Verknüpfung beider Sachverhalte zu dringen.677 So erhielt die Maristenmission im Juli 1898 zunächst 15.000 Franken, deren Übermitt­ lung an die Missionszentrale in Lyon durch Franz Hespers erfolgte.678 Im Dezember 1899 folgte dann eine weitere Zahlung in Höhe von 6.250 Fran­ ken.679 Im gleichen Zeitraum übernahm aber weder ein deutscher Missio­ nar formal die Schulleitung, noch fand bis weit in das Jahr 1899 überhaupt Unterricht auf dem betreffenden Gelände statt, da die Artillerieangriffe auf die Stadt Apia, die britische und US-amerikanische Kriegsschiffe im März 1899 unternahmen, insbesondere das Grundstück der katholischen Mission in Moamoa trafen.680 Erst im Herbst 1899 nahm die Mission den Unterricht auf und die mittlerweile eingetroffenen beiden deutschen Missionare begannen im Geheimen, so berichtete Roses Nachfolger Gru­ now an Reichskanzler Hohenlohe-Schillingsfürst, auch auf Deutsch zu unterrichten. Die Schülerschaft bestand dabei ausschließlich „aus Söhnen von Mata’afa-Häuptlingen“.681 Trotz langer Verhandlungszeit und Rückschlägen durch die Kriegsge­ schehen auf Samoa hatte die Maristenmission bis zur Jahrhundertwende

675 BArch, R 1001/2602a, Bl. 80–83. Vgl. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 159. 676 BArch, R 1001/2602a, Bl. 80–83. 677 BArch, R 1001/2602a, Bl. 86–87, 91, 94. 678 BArch, R 1001/2602a, Bl. 94, 96–97, 102. Die Entscheidung anstelle von 12.000 M 15.000 Franken zu überweisen, ging auf einen amtsinternen Vor­ schlag zurück und sollte wohl weiterer Verschleierung dienen, ebd. Gründer berichtet über die Auszahlung von 12.000 M, vgl. Gründer, Deutsche Missions­ gesellschaften, S. 94. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 122. 679 BArch, R 1001/2602a, Bl. 102–103, 109–110. Diese Zahlung entsprach dem vorgesehen jährlichen Unterstützungsbeitrag in Höhe von 5.000 M. 680 BArch, R 1001/2602a, Bl. 100, 102, 104. Vgl. Kennedy, The Samoan Tangle, S. 152–155. 681 BArch, R 1001/2602a, Bl. 108 (auch für das Zitat).

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2. Konzeption und Ressourcen

damit in Samoa eine beachtliche Erweiterung ihrer Stellung erreicht. Dies wurde neben der Erlaubnis durch die deutschen Behörden zur Errichtung eines Mutterhauses in Meppen insbesondere durch die Ausweitung des Missionsgebietes auf die zur Kolonie Deutsch-Neuguinea gehörenden In­ seln Buka und Bougainville ergänzt.682 Der Nutzen für das Deutsche Kon­ sulat in Apia lag dabei in der Gewinnung eines Kooperationspartners, der im Geheimen als Gegengewicht zur London Missionary Society aufge­ baut werden sollte. Dass die durch die Unterstützung der Schulgründung in Moamoa ausgedrückte Bevorzugung der Maristen gegenüber den Lon­ donern durch die deutschen Verwaltungen in Apia und Berlin, wie Mo­ ses bemerkt, aber auch bedeutete, dass die vorwiegend protestantischen deutschen Siedler die katholische, französische Mission „als pro-deutsches Element betrachtet[en]“, mag als Schlussfolgerung zu weit gehen und übersieht insbesondere die Wahrnehmung der schon bestehenden Schule für Weiße der Maristen in Mulivai als Konkurrenz für die eigene Deut­ sche Schule.683 Zwar wurde auch die Schultätigkeit der LMS durch den Schulvorstand als Konkurrenz betrachtet und fortwährend die Bedrohung der Deutschen durch die englische Sprache und Kultur betont684, auf der Ebene der Lehrerschaft bestand allerdings schon ab dem Eintreffen von Ludovica Schultze 1894 in Samoa eine direkte Verbindung zwischen Siedlerschaft und Londoner Mission. Schließlich war Ludovica Schultze die Schwester der Leiterin der Papauta-Mädchenschule der LMS, Valesca Schultze.685 Auch der internationale Charakter der Deutschen Schule, den diese insbesondere durch die große Zahl englischsprachiger Schülerinnen und Schüler gewann686, legt nahe, vielmehr davon auszugehen, dass im Alltag der Siedler plakative Unterscheidungen von befreundeter französi­ scher und feindlicher englischer Mission keinen Platz hatten, zumal sich

682 Aus der Südsee-Mission der Maristen (Meppen)…, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 324. Vgl. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 122. Laracy, Church and Sta­ te in German Samoa, S. 160. Die Etablierung der Maristenmission in DeutschNeuguinea war auch im Interesse der dortigen Kolonialverwaltung, die zur bisher dominierenden katholischen Herz-Jesu-Mission in schlechtem Verhältnis stand, vgl. ebd. 683 Vgl. Moses, John A.: Zwischen Puritanismus und Ultramontanismus: die ‚Poli­ tik der Diagonalen‘ auf Deutsch-Samoa 1900–1914, in: Bade, Klaus J. (Hg.): Imperialismus und Kolonialmission. Kaiserliches Deutschland und koloniales Imperium, Wiesbaden 1982, S. 243–256, hier: S. 244 (auch für das Zitat). Siehe oben. 684 BArch, R 8023/974, Bl. 36–37. 685 Vgl. Loosen, Deutsche Frauen, S. 266–267. 686 Beachte hierzu Kapitel 2.3.3.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

die Annäherung zwischen Maristen und deutscher Verwaltung im Gehei­ men vollzog, also insbesondere ohne die Einbeziehung der Siedler. Dies lässt annehmen, dass das Verhältnis der Siedlerschaft zur katholischen Mission tendenziell zurückhaltender war als das der Konsulatsverwaltung. Für die Bemühungen zur Verbreitung der deutschen Sprache auf Sa­ moa, die die Ausgangsmotivation für das Zugehen auf die Maristenmissi­ on waren, bedeuteten die geschilderten zeitintensiven Vorgänge, dass trotz aller Annäherungen bis zur Eröffnung der Maristenschule in Moamoa im Spätjahr 1899 einzig in der Deutschen Schule in Apia Deutsch unterrich­ tet wurde. Insofern verwundert es nicht, dass auch nach der kolonialen Inbesitznahme Samoas durch das Deutsche Reich im Frühjahr 1900 die Sprachen- und, damit auf das Engste verbunden, auch die Schulfrage in lokaler, nationaler wie intraimperialer Dimension auf der Tagesordnung standen. Der Ablauf der Feierlichkeiten zur Hissung der deutschen Flagge am 1. März 1900 machte dabei zunächst die bisher geheim gehaltene An­ näherung von katholischer Mission und deutscher Verwaltung auch für Außenstehende sichtbar, denn hier übernahm Bischof Broyer, nicht der Leiter der LMS, Reverend James Edward Newell687, die Weihe der Flagge sowie das Gebet und hielt zudem eine kurze Ansprache.688 Paradigmatisch die komplexe Beziehungssituation der folgenden Jahre abbildend hegte Solf in einem internen Schreiben an den mittlerweile in der Kolonialabtei­ lung beschäftigten Fritz Rose gleichzeitig aber auch Misstrauen gegenüber Broyers Loyalität. Da er nicht sagen könne, ob diese deutschfreundlich oder englandfeindlich motiviert sei, nahm sich Solf vor, „Freund und Feind gegenüber beobachtend und abwartend sich zu verhalten.“689 Dies mag als erstes Indiz für die schließlich 1901 erfolgende Einstellung der Zahlungen an die Maristenmission für deren Schultätigkeit gelten690, weist

687 James Edward Newell (22.1.1852–12.10.1910) ging nach seiner missionari­ schen Ausbildung 1880 nach Samoa und arbeitete ab 1887 an der Missionsschu­ le der LMS in Malua (etwa 20 km nordwestlich von Apia). Ab 1900 war er zudem offizieller Vertreter der LMS gegenüber dem deutschen Gouvernement, vgl. Mückler, Mission in Ozeanien, S. 220. 688 Vgl. Gründer, Die Etablierung des Christentums auf Samoa, 642. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 122. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 161. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramontanismus, S. 245. 689 BArch, R 1001/2602a, Bl. 113–114 (für das Zitat: Bl. 114). 690 Vgl. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 161. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramontanismus, S. 250. Dies bedeutete allerdings nicht, dass der Maristenmission langfristig mit Samoa zusammenhängende Finanzmit­ telquellen verwehrt waren. Bereits Ende 1901 begannen das Gouvernement und die Mission Beratungen über die Rechtsform der wirtschaftlichen Betätigung

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2. Konzeption und Ressourcen

insbesondere aber auch auf die grundsätzlichen Veränderungen in der Schulpolitik hin, welche ebenfalls ab 1901 einsetzten. Deren Grundlage war die Feststellung des Scheiterns der bisherigen Bemühungen, die deut­ sche Sprache in Samoa zu verbreiten. So konstatiert Gouverneur Solf im Juni 1901 gegenüber der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, man habe entgegen der „deutschen Tagespresse“ eine „englisch zurechtgestutzte Kolonie erworben“, in der die „Lebensgewohnheiten der Fremden (ein­ schließlich der Deutschen) […] englisch und ‚colonial‘“ seien.691 Vom Ansatz, die Schule als Mittel der Verbreitung des Deutschen einzu­ setzen, rückte Solf aber insbesondere nicht ab, obwohl ja gerade die Schule im vorausgegangenen Jahrzehnt ebenfalls das Mittel der Wahl gewesen war. Die Schulen in Samoa sollten künftig allerdings unter verstärkter Kontrolle seitens der Verwaltung stehen.692 Entsprechend sandte Solf am 15. Mai 1901 ein „Rundschreiben an die Missionen des Schutzgebietes“, in welchem er seine Entscheidung mitteilte, „dass vom 1. Juli dieses Jahres ab die Unterrichtssprache in den Schu­ len fuer die Eingeborenen die Samoanische ist und dass im Uebrigen ausser der Deutschen eine andere europäische Sprache in den Lehr­ plan dieser Schulen nicht aufgenommen werden darf.“693

der Maristen in Samoa, woraufhin am 26. Mai 1904 die Landwirtschaftliche Ge­ sellschaft der Maristenpriester in Samoa mit beschränkter Haftung gegründet wurde. Das Stammkapital der GmbH betrug 20.000 M, alleiniger Gesellschafter war Bischof Broyer, BArch, R 2602a, Bl. 119–136, 138–141, 145–149. 691 BArch, R 1001/2759, Bl. 5–10 (für die Zitate: Bl. 7–8). Vgl. Mühlhäusler, Pe­ ter: Die deutsche Sprache im Pazifik, in: Hiery, Hermann Joseph (Hg.): Die deutsche Südsee 1884–1914. Ein Handbuch, Darmstadt 2001, S. 239–262, hier: S. 250. 692 BArch, R 1001/2759, Bl. 5–10. Für die diesbezüglichen Bemühungen des Gou­ vernements hinsichtlich der Deutschen Schule in Apia beachte das nachfolgen­ de Kapitel 2.3.5. 693 Rundschreiben an die Missionen des Schutzgebiets, in: SGB, Bd. III, Nr. 9 (15.6.1901), S. 29. Der Herr Gouverneur hat…, in: SZ, Jg. 1, Nr. 5 (25.5.1901), S. 1. Rundschreiben an die Missionen des Schutzgebietes, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 599. Solf definierte in diesem Rundschreiben außerdem, was man sei­ tens des Gouvernements unter „Schulen für die Eingeborenen“ verstand. Hierzu bot er allerdings keine auf Eigenschaften dieser Schulen bezogenen Kriterien, sondern nannte vier Schulen, die keine Schulen für Indigene seien. Hierzu zählten die Deutsche Schule in Apia, die katholischen Schulen der Maristen in Mulivai (für Jungen, beachte Kapitel 2.3.5) und in Savalalo (für Mädchen, beachte In der Maedchen-Schule…, in: SZ, Jg. 2, Nr. 8 (19.7.1902), S. 2. Am Montag…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 22 (18.8.1906), S. 2) sowie die Schule der LMS in

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

Inhaltlich vollzog Solf damit in Samoa im Prinzip eine Empfehlung, die der Berliner Kolonialrat bereits 1896 der Kolonialverwaltung ausgespro­ chen und welche die Kolonialabteilung 1897 an die Gouverneure aller seinerzeitigen deutschen Kolonien weitergegeben hatte.694 Das Solf‘sche Rundschreiben hatte damit seinen Ursprung in einer Debatte, die 1896 maßgeblich von der Deutschen Kolonialgesellschaft mit dem Ziel vorange­ trieben worden war, die Kolonialverwaltung dazu zu bewegen, Missions­ schulen in den Dienst einer Sprachpolitik zu stellen, die das Deutsche in allen Kolonien verbreitete.695 Im Kolonialrat hatte sich schließlich ins­ besondere der Vertreter der katholischen Missionen, Franz Karl Hespers, im Gegensatz zum Vertreter der evangelischen Missionen, Karl Rudolf von Jacobi, für einen durch die koloniale Verwaltung subventionierten Deutschunterricht ausgesprochen.696 Schon 1897 hatte die Kolonialverwal­ tung im Hinblick auf die Missionen aber Regelungen des Schutzgebiets­ gesetzes zu beachten, die sich nun auch in Samoa auswirkten und auf die Gouverneur Solf durch das Auswärtige Amt im August 1901 explizit hingewiesen wurde: Zwar hatte ein Gouverneur in einer deutschen Ko­ lonie die Verwaltungshoheit und durfte demnach entlang bestehender Gesetze im Namen des Kaisers Verordnungen erlassen. Hinsichtlich der Missionen schrieb das Schutzgebietsgesetz in seinem Paragraphen 14 aber eine international schon in der General-Akte der Berliner Konferenz von 1885 festgeschrieben Regelung fort, wonach Missionen in Kolonialgebie­ ten volle Handlungsfreiheit zu gewähren war.697 Zwar betonte Solf in seinem Rundschreiben gönnerhaft, dass er von einer Verordnung und ent­

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Malifa (beachte BArch, R 1001/2759, Bl. 113–114, 119–123), Rundschreiben an die Missionen des Schutzgebiets, S. 29 (auch für das Zitat). BArch, R 1001/7306, Bl. 165–166. BArch, R 1001/7307, Bl. 87. Die Debatte um die finanzielle Unterstützung von Missionen ist insbesondere mit der Debatte um die Anstellung islamischer Religionslehrer in Deutsch-Ost­ afrika verbunden, in der die evangelischen und die katholischen Missionsvertre­ ter eine finanzielle Benachteiligung christlicher Glaubensgemeinschaften gegen­ über dem Islam beklagt hatten. Zur Islamlehrerdebatte beachte Kapitel 2.2.4. Zur Subventionsdebatte der späten 1890er-Jahre beachte weiterführend insbe­ sondere BArch, R 1001/7307, Bl. 86–108. Vgl. auch Pogge von Strandmann, Imperialismus, S. 241–243. Vgl. Pogge von Strandmann, Imperialismus, S. 243. BArch, R 1001/2759, Bl. 11–12. Schutzgebietsgesetz, in: RGBl., Nr. 40 (1900), S. 813–817, hier: S. 816. General-Akte der Berliner Konferenz. Vom 26. Januar 1885, in: RGBl., Nr. 23 (1885), S. 215–249, hier: S. 225–226. Beachte insbeson­ dere die Denkschrift des Ausschusses der deutschen evangelischen Missionen vom 11. November 1897, in der die evangelischen Missionen vehement auf ihre rechtlich garantierte Unabhängigkeit pochen, BArch, R 1001/7307, Bl. 104–105.

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2. Konzeption und Ressourcen

sprechenden Strafregelungen bei Missachtung absehe, da er „Vertrauen“ in die Kooperation der Missionen habe, tatsächlich hätte er eine solche Verordnung aber schlicht nicht erlassen dürfen.698 Die Kolonialverwaltung war damit – wie es sich in anderen Zusammenhängen im Falle der kolo­ nialen Schule bereits analog gezeigt hat – auf die freiwillige Kooperation lokaler Akteure angewiesen, wollte sie die Aufnahme des Deutschen in die Lehrpläne der Missionsschulen erreichen.699 Gleichwohl Solfs Rundschreiben keinen rechtlichen Zwang auszuüben vermochte, kam dadurch dennoch die grundsätzliche Erwartungshaltung einer Kolonialnation nach Treue und Loyalität seitens der im jeweiligen Gebiet vertretenen Missionen zum Ausdruck, zu der sich diese ungeach­ tet ihrer rechtlich festgeschriebenen Freiheiten in der Praxis zu verhal­ ten hatten. Die Missionen standen dabei stets im Spannungsfeld natio­ naler Verpflichtungen und religiöser Motivationen, dessen Kräfte im Fal­ le unterschiedlicher nationaler Herkunft von Verwaltung und Mission von besonderer Intensität waren und zu krisenhaften Konflikten führen konnten.700 In Samoa allerdings zeigten die vor Ort vertretenen Missio­ nen nach Erhalt des Rundschreibens zunächst kein Interesse an Ausein­ andersetzungen mit der Verwaltung, zumal sie in ihrem Alltag mit der internationalen Gesellschaft in Samoa verwoben waren und sich durch die Beilegung der interimperialen Fehden um Samoa nun ein potentiell befriedetes Betätigungsfeld bot. Während Broyer das Rundschreiben in­

698 Rundschreiben an die Missionen des Schutzgebiets, S. 29 (auch für das Zitat). 699 Insofern ist es falsch, wenn Moses, Hiery und Gründer das Rundschreiben wahl­ weise als Anordnung, „ultimative Anweisung“ oder „Gesetz“ bezeichnen, vgl. Gründer, Die Etablierung des Christentums auf Samoa, S. 642. Gründer, Kultur­ kampf in Übersee, S. 122–123 (für das zweite Zitat: S. 122). Hiery, Schule und Ausbildung, S. 208 (auch für das erste Zitat). Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramontanismus, S. 245. Mit ähnlich folgenschweren Missverständnis für die Argumentation vgl. Stolberg, German in the Pacific, S. 324–235. Stolberg, Doris: Sprachkontakt in der Schule: Deutschunterricht in Mikronesien (1884– 1914), in: Engelberg, Stefan (Hg.): Sprachwissenschaft und kolonialzeitlicher Sprachkontakt. Sprachliche Begegnungen und Auseinandersetzungen, Berlin 2012, S. 139–162, hier: S. 145–146, 150. 700 Vgl. Bade, Klaus, J.: Einführung. Imperialismus und Kolonialmission: das kai­ serliche Deutschland und sein koloniales Imperium, in: Bade, Klaus J. (Hg.): Imperialismus und Kolonialmission. Kaiserliches Deutschland und koloniales Imperium, Wiesbaden 1982, S. 1–28, hier: S. 21. Habermas, Skandal in Togo, S. 182–185. Mückler, Mission in Ozeanien, S. 22. Wendt, Die missionarische Gesellschaft, S. 228–231. Zu den sich bis nach Deutschland auswirkenden Kon­ flikten zwischen dem Gouvernement in Samoa und der französischen Maristen­ mission beachte Kapitel 3.3.3.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

tern insbesondere auch deshalb guthieß, weil es seiner Auffassung nach bedeutete, dass die Londoner Missionsgesellschaft dadurch in existenzbe­ drohende Schwierigkeiten geraten würde, begründeten die Vertreter letz­ terer ihre Zusage, Deutschunterricht einzuführen, insbesondere mit mis­ sionarischem Pflichtempfinden, welches eine Opposition aus nationaler Motivation ausschließe.701 Da auch die beiden anderen mit Schulen auf Samoa vertretenen Missionsgruppen, die australischen Wesleyaner und die US-amerikanischen Mormonen, dem Rundschreiben nicht widersprachen, konnte Gouverneur Solf im Juli an die Kolonialabteilung melden, dass der Vollzug der seinerzeitigen Empfehlung des Kolonialrats bevorstehe und er nun beginnen werde, deren Schulen „gelegentliche[n] Inspectionen“ zu unterziehen.702 In der Praxis entfaltete sich auf Basis der gegenseitigen Kooperations­ bekundungen in den folgenden Jahren allerdings kein strenges Schulre­ gime des Gouvernements, sondern vielmehr ein Prozess der gesellschaftli­ chen Integration von Verwaltung, Missionen und (inter-)nationaler Sied­ lerschaft. Als zentrale Orte der Begegnung fungierten dabei insbesondere die Schulen der Missionen, wo regelmäßig anlässlich der jährlichen öf­ fentlichen Schulprüfungen Beamte, Siedler, Missionare, Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler zusammenkamen. Analog zu den bereits beschriebenen Schulprüfungen an der Deutschen Schule in Apia703 wohnte diesen Veranstaltungen sowohl der Charakter der Leistungsdoku­ mentation als auch der Leistungsschau inne. So wurden die Gäste der Veranstaltungen in der Regel in einem mit deutschen Flaggen und wei­ teren nationalen Symbolen dekorierten Schulhaus empfangen und mit Gesangs- und Gedichtvorträgen in deutscher Sprache unterhalten. Turn­ vorführungen und die Übergabe von Preisen für besondere Leistungen im Deutschen durch Gouverneur Solf, dessen Gattin oder die stellvertre­ tenden Gouverneure Schultz-Ewerth und Schnee verbunden mit lobenden Worten für die Leistungen der jeweiligen Schule gehörten weiterhin zum typischen Ablauf solcher Veranstaltungen, zu denen regelmäßig in äußerst wohlwollendem Ton formulierte Berichte in der Samoanischen Zeitung erschienen. Die SZ berichtete zwischen 1901 und 1906 zweimal über dem­

701 BArch, R 1001/2601, Bl. 76–77. Vgl. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 122– 123. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 159. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramontanismus, S. 245. 702 BArch, R 1001/2601, Bl. 54 (auch für das Zitat). 703 Beachte Kapitel 2.3.3.

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2. Konzeption und Ressourcen

entsprechende Veranstaltungen an Schulen der Mormonen-Mission704, viermal an selbigen der katholischen Mission705 und einmal über die jährliche Schulprüfung an einer Schule der Londoner Mission.706 Einzig über die Prüfungen an den Schulen der Wesleyanischen Mission finden sich für den gewählten Zeitraum keine entsprechenden Berichte, was an­ gesichts der Akzeptanz des wesleyanischen Missionars Beutenmüller als evangelischen Pfarrer durch Gouvernement und Siedlerschaft im Frühjahr 1903707 sowie auch der Tatsache, dass die lokale Presse auch nicht über jede Schulprüfung der anderen Missionen berichtete, nicht für ein schlech­ tes Verhältnis spricht. Allerdings galt die Hauptaufmerksamkeit des Gouvernements weder den Wesleyanern, noch den Mormonen, sondern auch nach 1900 vielmehr weiterhin den Maristen sowie der Londoner Mission, die beide auch das zahlenmäßig größte Netz an Missionsstandorten und Mitgliedern hat­ ten708. Gerade der Besuch Gouverneur Solfs in der Schule der Maristen in Moamoa am 12. Dezember 1901 hatte wohl besondere symbolische Bedeu­ tung, da zu dieser Veranstaltung auch Mata’afa Josepho, den Solf zum Oberhaupt der samoanischen Selbstverwaltung ernannt hatte, erschien und beide von Bischof Broyer durch die Schule geführt wurden.709 Die katholische Mission hatte außerdem auch anlässlich der Feierlichkeiten zu den Kaisergeburtstagen eine besondere Rolle inne, da der offizielle Festakt der samoanischen Selbstverwaltung in Mulinu’u in der Regel unter starker

704 Die Mission der Mormonen-Gemeinde…, in: SZ, Jg. 1, Nr. 7 (22.6.1901), S. 2. Sonnabend…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 29 (17.10.1903), S. 3. 705 Gouverneur Dr. Solf…, in: SZ, Jg. 1, Nr. 20 (21.12.1901), S. 2. In der MaedchenSchule…, in: SZ, Jg. 2, Nr. 8 (19.7.1902), S. 2. Am Mittwoch…, in: SZ, Jg. 2, Nr. 9 (2.8.1902), S. 1–2. Am Montag…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 22 (18.8.1906), S. 2. Für weitere Berichte über Schulprüfungen beachte: Ueber die Maristen-Schulbrü­ der…, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 324. Flaus, Karl M.: Die katholischen Schulen in Deutsch-Samoa, in: DKZ, Jg. 21, Nr. 2 (14.1.1904), S. 15–16, hier: S. 16. 706 Das jaehrliche Examen…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 20 (19.5.1906), S. 3. Für weitere Berichte über Schulprüfungen beachte: Die Londoner Mission und die deutsche Schule, in: DKZ, Jg. 20, Nr. 41 (8.10.1903), S. 417. 707 Beachte Kapitel 2.3.2. 708 BArch, R 1001/2600, Bl. 4–5. Die Missionstätigkeit in den deutschen Schutzge­ bieten in Afrika und der Südsee, in: DKB, Jg. 16 (1905), Beilage zu Nr. 2, S. 10, 15. Amtlicher Jahresbericht (1900/1901), S. 106–107. Die US-amerikanischen Seventh Day Adventists erhielten im Zusammenhang mit der Schule ebenfalls keine Beachtung durch das Gouvernement. Deren Tätigkeit konzentrierte sich allerdings auch auf das Betreiben eines Krankenhauses in Apia, vgl. Gründer, Die Etablierung des Christentums auf Samoa, S. 643. 709 Gouverneur Dr. Solf…, S. 2.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

Beteiligung katholischer Missionsschüler zelebriert wurde.710 Die Apia For­ eign Church der Londoner Mission war dagegen regelmäßig der Ort des Festgottesdienstes für Nicht-Samoaner, was bedeutete, dass deren Pfarrer auch die prestigeträchtige Festpredigt hielten.711 Die Kirche war zudem ab März 1904 der offizielle Ort der evangelischen Gottesdienste und löste damit das Gebäude der Deutschen Schule ab.712 Zwar fand, da der wesleya­ nische Missionar Beutenmüller ab Mitte 1904 keine Gottesdienste mehr hielt, für etwa ein Jahr kein deutscher Gottesdienst statt. Mit der Ankunft des deutschen LMS-Missionars Ernst Heider713 in Apia änderte sich dies allerdings, wodurch die deutsche Siedlerschaft auch auf diese Weise mit der Londoner Mission im Austausch stand.714 Besondere Aufmerksamkeit richteten die Deutschen in Samoa neben den Schulen der Maristen in Moamoa und Mulivai715 insbesondere auf die Schule der Londoner Mission für samoanische Mädchen in Papauta 710 Fest in Mulinuu, in: SZ, Jg. 2, Nr. 25 (31.1.1903), S. 2. Guinsbach, P. A.: Die katholische Mission…, in: SZ, Jg. 2, Nr. 25 (31.1.1903), S. 2. Zur Feier…, in: SZ, Jg. 4, Nr. 31 (29.10.1904), S. 1–2. Wie alljaehrlich…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 5 (3.2.1906), S. 1–2. Von der Maristenmission…, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 829. 711 Die Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Deutschen Kaisers, in: SZ, Jg. 1, Nr. 23 (1.2.1902), S. 1–2, hier: S. 1. Kaiser’s Geburtstag, in: SZ, Jg. 2, Nr. 25 (31.1.1903), S. 1–2, hier: S. 1. Kaiser’s Geburtstag, in: SZ, Jg. 3, Nr. 42 (23.1.1904), S. 1. Die Feier des Allerhoechsten Geburtstages…, in: SZ, Jg. 5, Nr. 4 (28.1.1905), S. 1. Kaiser’s Geburtstag, in: SZ, Jg. 5, Nr. 3 (21.1.1905), S. 1. Wie alljaehrlich…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 5 (3.2.1906), S. 1–2, hier: S. 2. Beachte auch Anhang Nr. 24. 712 Einer Einladung…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 42 (23.1.1904), S. 1. Nach dem Gottes­ dienst…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 47 (27.2.1904), S. 2. 713 Friedrich Wilhelm Ernst Karl Heider (2./3.12.1876–3.1.1945) gehörte der Evan­ gelischen Kirche in Preußen an und ging 1905 im Auftrag der LMS nach Samoa. Dort arbeitete er bis 1914 an der Missionsschule in Malua, betätigte sich als Autor von Lehrwerken und war Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Apia. Heider stand in engem Austausch mit James Newell und bil­ dete mit ihm die Brücke zwischen LMS und Gouvernement sowie zwischen der LMS und den deutschen evangelischen Missionen. Während des Ersten Welt­ krieges arbeitete er in Neuseeland und kehrte anschließend nach Deutschland zurück, um von 1919 bis 1942 das Pfarramt in Dorlar auszuüben, vgl. Brüx, Richard: Heider, Ernst, in: Hagestedt, Lutz (Hg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Das 20. Jahrhundert. Biographisch-Bibliographisches Handbuch, Berlin 2010, Sp. 458–459. Mückler, Mission in Ozeanien, S. 183. 714 Nachdem die der evangelischen Kirche…, in: SZ, Jg. 5, Nr. 33 (19.8.1905), S. 1– 2. Vgl. Gründer, Die Etablierung des Christentums auf Samoa, S. 642. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramontanismus, S. 247–248. 715 Zum Unterricht an beiden Schulen beachte Von der Maristenmission…, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 829. Dieselbe Zeitschrift entnimmt…, in: DKB, Jg. 13

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2. Konzeption und Ressourcen

(heute ein Vorort im Süden Apias und Standort des Papauta Girls’ College der Congregational Christian Church of Samoa716), da die Schule von der Deutschen Valesca Schultze717 geleitet wurde. Diese war die Schwester der Kindergärtnerin und Lehrerin der Deutschen Schule in Apia, Ludovica Schultze, wodurch insbesondere enge private Verbindungen zwischen bei­ den Schulen bestanden. Anfang 1902 veröffentlichte Valesca Schultze eine Grammatik des Deutschen für den Elementarunterricht718, die nicht nur in der Öffentlichkeit Apias freudig aufgenommen wurde719, sondern auch in einer der zahlreichen Debatten der frühen 1900er-Jahre, in denen der Londoner Mission in deutschen Zeitungen regelmäßig antideutsche Gesin­ nung vorgeworfen wurde, als Beleg für die deutschfreundliche Haltung der LMS diente.720 Doch auch schon vor dem Erscheinen der Grammatik galt die Papauta-Schule mit ihrer deutschen Leiterin als vorbildhaft. Als etwa im Frühjahr 1901 in der Schlesischen Zeitung in einem Brief zweier Siedler aus Apia schwere Vorwürfe der Agitation von Teilen der Londoner

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(1902), S. 99. Über die Entwicklungen der katholischen Mission in Samoa…, in: DKB, Jg. 14 (1903), S. 368–369, hier: S. 369. http://www.cccs.org.ws/index.php/component/content/article?id=113:komiti-faa misionare (Abruf am 17.4.2020). Valesca Schultze hatte vor ihrem Eintritt in die Londoner Missionsgesellschaft in England gearbeitet und nannte das Interesse an fremden Ländern als Motiv, Deutschland zu verlassen. In Samoa arbeitete sie ebenfalls als Hebamme und Krankenschwester sowie aufgrund ihrer Sprachkenntnisse unter anderem auch als Dolmetscherin und Samoanischlehrerin für Deutsche, vgl. Loosen, Deutsche Frauen, S. 230, 186–187, 304, 344–345. Schultze, Valesca: Die Elemente der deutschen Grammatik zum ersten deut­ schen Unterricht für die Samoaner (= O le faamatalaga o le gagana siamani e a‘ oa‘ o ai t tagata Samoa), Malua 1901. BArch, R 1001/2759, Bl. 51. Vor einigen Wochen…, in: SZ, Jg. 2, Nr. 5 (7.6.1902), S. 2. BArch, R 1001/2601, Bl. 94. BArch, R 1001/2602c, Bl. 8. Englische und Mor­ monenmission auf Samoa, in: Koloniale Zeitschrift, Jg. 3, Nr. 23 (13.11.1902), S. 435. Englischer und amerikanischer Missionsunfug auf Samoa, in: Leipzi­ ger Neueste Nachrichten (16.11.1902). Noch einmal „Das Deutschthum auf Samoa“, in: Die Post (30.11.1902). Beachte in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzungen um Richard Deekens Buch „Manuia Samoa!“ sowie die von Werner von Bülow angestoßene kontroverse Debatte um die „Bildungsfä­ higkeit der Samoaner“, BArch, R 1001/2601, Bl. 87, 89. Samoa, in: Kölnische Zeitung (1.4.1902). Samoa, in: Berliner Neueste Nachrichten (29.3.1902). Dee­ ken, Richard: Manuia Samoa! Samoanische Reiseskizzen und Beobachtungen, Oldenburg 1901. Bülow, Werner von: Sind die Samoaner bildungsfähig?, in: DKZ, Jg. 16 (N. F. 12), Nr. 7 (16.2.1899), S. 57–58. Grundemann, R.: Die Bil­ dung der Samoaner, in: DKZ, Jg. 16 (N. F. 12), Nr. 13 (30.3.1899), S. 108–109.

2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

Mission in Apia gegen die Teilnahme protestantischer Samoaner an den Feierlichkeiten zum Kaisergeburtstag erhoben worden waren, präsentier­ ten diese insbesondere die Schule in Papauta als Ort, an welchem „in ganz vorzüglicher Weise […] das Deutschlernen [voran]schreitet“.721 Auch anlässlich des Festes zum zehnjährigen Bestehen der Schule am 4. Okto­ ber 1902, dem die Samoanische Zeitung sowohl einen ausführlichen Vorals auch einen Nachbericht widmete, sammelte die Schule, deren Arbeit explizit mit Valesca Schultze personifiziert wurde, viel Lob von Seiten des Gouvernements.722 Über den Alltag hinaus öffentlich präsent waren die Schülerinnen der Papauta-Schule schließlich etwa anlässlich der Feier­ lichkeiten zum Geburtstag der Deutschen Kaiserin 1904 und denen zur Silberhochzeit des Kaiserpaares im März 1906, an denen die Schülerinnen mit Tanz- und Gesangsvorträgen beteiligt waren.723 In der Herrschaftspraxis des Gouvernements wie auch im gesellschaftli­ chen Leben Samoas spielte damit nicht nur die Deutsche Schule eine we­ sentliche Rolle. Die Bemühungen des Gouvernements zur Verbreitung des Deutschen hingen insbesondere auch von der Tätigkeit der vor Ort vertre­ tenen Missionen ab, die ihrerseits ein Interesse an möglichst unbeschränk­ ter eigener Betätigung hatten und ihre rechtlich garantierten Freiheiten auch nach der Übernahme der Verwaltung durch das Gouvernement wahren konnten. In den innerhalb der jeweiligen missionsinternen Schul­ netzen herausgehobenen Schulen der katholischen Mission in Moamoa und Mulivai sowie derjenigen der protestantischen Mission in Papauta begegneten sich Mission, Gouvernement und Siedlerschaft. Dass der herr­ schaftspolitische Konsens insbesondere fragil war, zeigen die krisenhaften Konflikte, die sich schließlich ab 1906 zwischen dem Gouvernement und zuvorderst der katholischen Mission entfalteten. Deren Ursache war die Bekanntgabe Solfs von Plänen zur Gründung einer regierungseigenen Schule für Samoaner, die trotz heftigen Widerstands seitens der Mission schließlich 1909 eröffnet werden sollte.724 Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Deutsche Schule in Apia bereits seit sechs Jahren unter der Verwaltungshoheit des Gouvernements, da sich

721 BArch, R 1001/2601, Bl. 29–31 (für das Zitat: Bl. 30). Samoa, in: Schlesische Zei­ tung (13.3.1901). Aus Samoa, in: Tägliche Rundschau (14.3.1901). Vgl. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramontanismus, S. 245–246. 722 Zur Feier…, in: SZ, Jg. 2, Nr. 12 (13.9.1902), S. 2. Das zehnjaehrige Bestehen…, in: SZ, Jg. 2, Nr. 15 (11.10.1902), S. 2. 723 Zur Feier…, in: SZ, Jg. 4, Nr. 31 (29.10.1904), S. 1–2. Die Festlichkeiten…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 9 (3.3.1906), S. 2. 724 Beachte hierzu Kapitel 3.3.3.

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2. Konzeption und Ressourcen

die Bestrebungen Gouverneur Solfs, auf dem Feld der Schule direkten Ein­ fluss zu erlangen, nach den klaren rechtlichen Hinweisen zur Betätigungs­ freiheit der Missionen im August 1901 durch das Auswärtige Amt, insbe­ sondere auf die Deutsche Schule konzentriert hatten. Diese befand sich trotz des Übergangs Samoas in den deutschen Kolonialbesitz und trotz mittlerweile erheblicher Finanzbeiträge durch das Auswärtige Amt 1901725 nach wie vor in der Trägerschaft des Schulvereins und unter der Leitung dessen Vorstandes. Der sich dann in den Jahren 1901 bis 1903 vollziehen­ de, im deutschen Kolonialismus einzigartige Prozess der Umwandlung einer Auslandsschule in eine koloniale Schule soll im nun folgenden letz­ ten Abschnitt dieses Kapitel im Zentrum der Darstellung stehen und ins­ besondere nach den Zeichen der Etablierung kolonialer Strukturen im Schulkonzept und im Unterricht der Schule fragen.

2.3.5 Was ist kolonial an der Deutschen Schule Apia? Ohne Zweifel war die Deutsche Schule in Apia schon vor der kolonialen Inbesitznahme Samoas durch deutsche Kolonialaktivitäten geprägt. Die fi­ nanzielle Förderung durch die Deutsche Kolonialgesellschaft, die Relevanz Samoas in den deutschen Kolonial- und Missionsdebatten der 1890er-Jahre und der zunehmende Einfluss des Auswärtigen Amtes und seiner Koloni­ alabteilung sind hierfür eindeutige Belege. Gleichzeitig bewahrte sich die Schule insbesondere trotz ihrer finanziellen Abhängigkeit von Zuschüssen auch im Jahr 1900 ihre formale Eigenständigkeit, sodass Lehrer Damm in seinem Bericht über das Schuljahr 1899/1900 konstatieren konnte: „Hat auch die Einführung der deutschen Verwaltung auf Samoa inner­ halb des Berichtsjahres noch keinerlei Veränderungen für die Schule mit sich gebracht, so kann doch von dem verflossenen Schuljahr mit Befriedigung festgestellt werden, dass es im erfreulichen Gegensatze zu den beiden vorhergegangenen ein solches steten Arbeiten[s] gewesen ist.“726 Insbesondere den Unterrichtsalltag berührten die politischen Veränderun­ gen also zunächst nicht unmittelbar. Damm sah, das zeigen seine weiteren

725 Beachte insbesondere die Erhöhung der Finanzzusagen des Auswärtigen Amtes im Zuge der Anstellung Pfarrer Holzhausens, siehe Kapitel 2.3.2. Siehe auch BArch, R 1001/2758, Bl. 90, 115. 726 BArch, R 1001/2758, Bl. 119.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

Ausführungen, auch vielmehr einen erneuten Wechsel der Lehrkraft als potentiell unruhestiftend an, was sich angesichts der Komplikationen und Reibungen im Zusammenhang mit der Anstellung Pfarrer Holzhausens727 in den beiden darauffolgenden Schuljahren schließlich auch bestätigen sollte. Die Veränderungen, die die Etablierung der Kolonialverwaltung auf Samoa für die Deutsche Schule mit sich brachten und im Sommer 1903 in den Übergang der Schule in die Verwaltungshoheit des Gouver­ nements mündeten, vollzogen sich dagegen vergleichsweise geräuschlos, da sich sowohl die Mitglieder des Schulvereins als auch die Vertreter des Gouvernements darin einig waren, dass letzteres zukünftig maßgebliche Verantwortung für die Schule tragen sollte. So berichtete der stellvertre­ tende Gouverneur Schnee im Februar 1902 nach Berlin, dass der Vorstand des Schulvereins etwa die Auffassung vertrete, dass das Deutsche Reich nun für die Finanzierung der Schule zuständig sei.728 Faktisch hatte das Auswärtige Amt zuletzt ohnehin schon den Großteil der Finanzmittel aufgebracht. Im Schulhaushalt befanden sich im Frühjahr 1902 je 5.000 M aus den amtlichen Etats der Jahre 1901 und 1902, ein geringer Bestand an Barmitteln sowie die (nicht bezifferten) Einkünfte aus dem Einzug des Schulgeldes. Schnee prognostizierte, dass die Schule damit im Laufe des Jahres in Zahlungsschwierigkeiten geraten werde, und berichtete, dass er darum schon neue Etatmittel beantragt habe.729 Hatte die Schule in ihren Anfangsjahren noch große Geldbeträge seitens der Siedlerschaft und Anleihengeber erhalten und damit neben dem laufenden Betrieb etwa den Kindergarten sowie eine neue Lehrerwohnung finanziert und errichtet, be­ lasteten nun insbesondere die Lehrerwechsel sowie der Anstieg der Gehäl­ ter das ohnehin zum Defizitären neigende Schulbudget.730 Entsprechend unterstützte die Mitgliederversammlung des Schulvereins in ihrer Sitzung im März 1902 die „vom Kaiserlichen Gouvernement beabsichtigt[e] Über­ nahme der Schule auf die Regierung“ ab dem 1. April 1903.731

727 728 729 730

Beachte Kapitel 2.3.2. BArch, R 1001/2759, Bl. 22–25. BArch, R 1001/2759, Bl. 22–25. BArch, R 8023/974, Bl. 5, 22–26, 90. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, in: DKZ, Jg. 13 (N. F. 9), Nr. 8 (22.2.1896), S. 59. Be­ richt des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, in: DKZ, Jg. 15 (N. F. 11), Nr. 12 (24.3.1898, Illustrierte Beilage), S. 112–114. Beachte auch Kapitel 2.3.2. 731 General-Versammlung des Deutschen Schulvereins, in: SZ, Jg. 1, Nr. 26 (15.3.1902), S. 1. (auch für das Zitat).

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2. Konzeption und Ressourcen

Das hier gewählte Datum mag angesichts des regelmäßig im Herbst stattfindenden Schuljahreswechsel zunächst überraschen. Im April begann im Deutschen Kaiserreich und in seinen Kolonien allerdings das jeweils neue Haushaltsjahr, was kurz nach der Verwaltungsübernahme durch das Gouvernement bereits Auswirkungen auf das Berichtswesen der Schule hatte. Dieses richtete sich nämlich schon ab 1900 nach dem kolonialstaat­ lichen Kalender, während der Schuljahreswechsel insbesondere in das Schuljahr 1900/1901 noch im Spätsommer 1900 stattfand.732 Die Schulbe­ richte erschienen fortan im jeweiligen amtlichen Jahresbericht über die Ent­ wicklung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee. Die Berichte waren allerdings nicht nur in ihrem Erscheinungsdatum dem amtlichen Rhythmus angepasst, auch in Inhalt und Aufbau der Berichte sind koloni­ alstaatliche Einflüsse klar erkennbar. Erstens sank der Umfang der Berich­ te. Während Otto Damms Bericht über das Schuljahr 1899/1900 noch dreizehn handgeschriebene Seiten umfasst und dessen gekürzter Abdruck im Deutschen Kolonialblatt noch immerhin etwa eine halbe Seite gefüllt hatte, schrumpften die Bemerkungen zur Schule in Apia im amtlichen Jahresbericht für das Haushaltsjahr 1900/1901 auf einen Satz zusammen. 733 Erst im Jahresbericht 1902/1903 veröffentlichte man wieder etwas ausführ­ lichere Informationen, insbesondere zur geplanten Übernahme der Schule durch das Gouvernement, und fügte den bis 1905/1906 erschienenen An­ lagen zum Jahresbericht einen „Schulbericht“ hinzu.734 Dieser verriet aller­ dings nichts über den Unterrichtsalltag. Stattdessen enthielten er und die anderen veröffentlichten Berichte vor allem statistische Angaben, die wohl auch zuvor fester Bestandteil der Berichte des Schulvorstandes gewesen waren, nun aber den Kern der jeweiligen Darstellungen einnahmen.735 Die durch das Auswärtige Amt ausgewählten Passagen des Manuskriptes von Schulleiter Otto Damm für die dann veröffentlichte Fassung des Berichts im Haushaltsjahr 1905/1906 zeigen pars pro toto das zentrale Interesse eines Kolonialstaates an bürokratischer Kategorisierung und Systematisierung

732 BArch, R 1001/2758, Bl. 119. 733 BArch, R 1001/2758, Bl. 119. Die deutsche Schule in Apia, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 190. Amtlicher Jahresbericht (1900/1901), S. 97. 734 Amtlicher Jahresbericht (1902/1903), S. 119–120. Anlagen zum amtlichen Jah­ resbericht (1902/1903), S. 354 (auch für das Zitat). BArch, R 1004-F/75454 (Jah­ resbericht 1902/03), Bl. 18. 735 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 354. Anlagen zum amtli­ chen Jahresbericht (1903/1904), S. 376. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1904/1905), S. 308. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1905/1906), S. 376.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

von Wissen.736 Aus dem Manuskript gestrichen wurden insbesondere er­ läuternde und kritische Abschnitte, die Beschreibungen von Ereignissen während des Schuljahres und eine Liste der genutzten Lehrwerke. Einzig die Beschreibung des im Mai 1906 eröffneten neuen Schulhauses verblieb im Text, beinhaltete allerdings auch zentimetergenau die Länge der Veran­ da des Gebäudes.737 Übrig blieben ansonsten statistische Informationen zur Schülerschaft.738 Diese statistischen Informationen boten die Berichte schließlich in ver­ arbeiteter Form als – wie von Trotha es bezeichnet – „Kontrollwissen“ dar, das die Schülerschaft nach Geschlecht, Nationalität, ‚Rasse‘ und Kon­ fession kategorisierte.739 Die Etikettierung der Schülerschaft mit den Merk­ malen Geschlecht und Nationalität war dabei auch schon Bestandteil des Berichtswesens der 1890er-Jahre gewesen.740 Neu hinzu kam ab 1900 die Kategorie ‚Rasse‘, wonach die Schülerinnen und Schüler in der Regel in ‚Weiße‘ ‚Mischlinge‘ und ‚Eingeborene‘ unterteilt wurden. Der Schulbe­ richt für das Haushaltsjahr 1903/1904 differenzierte darüber hinausgehend „Rein Weiße“, „¾ Weiße“, „Halbweiße“ und „Samoaner“.741 Auch war es neben dem Geschlecht der Kinder die neue Kategorie ‚Rasse‘, die gelegent­ lich von den in den Anlagen der Jahresberichte abgedruckten Schulberich­ ten in die Haupttexte der amtlichen Jahresberichte übernommen wurde, was deren Wichtigkeit in den Augen der Redakteure in der Kolonialabtei­ lung unterstreicht.742 Im Unterrichtsalltag schlug sich die Priorisierung des Kriteriums ‚Rasse‘ mittelbar und mit zeitlicher Verzögerung nieder. In seinem Bericht über das Schuljahr 1904/1905 berichtete Schulleiter

736 Vgl. Stuchtey, Benedikt: Kolonialismus, in: Oberreuter, Heinrich (Hg.): Staats­ lexikon, Bd. 3, Freiburg 2019, S. 917–923, hier: S. 921. Trotha, Koloniale Herr­ schaft, S. 383–387. 737 Amtlicher Jahresbericht (1905/1906), S. 136. Anlagen zum amtlichen Jahres­ bericht (1905/1906), S. 376. BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1905/06), Bl. 140–144. 738 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1905/1906), S. 376. 739 Vgl. Trotha, Koloniale Herrschaft, S. 376–377 (für das Zitat: S. 376). Vgl. grund­ legend Schneider, Michael C.: Wissensproduktion im Staat. Das königlich preu­ ßische statistische Bureau 1860–1914, Frankfurt am Main 2013. 740 Beachte hierzu die Statistik der Schülerzahlen der Deutschen Schule in Apia (1888–1902) in Anhang Nr. 7. 741 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 376. Zum Begriff ‚Rasse‘ beachte Walkenhorst, Peter: Nation – Volk – Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890–1914, Göttingen 2007, S. 102–104. 742 Beachte etwa Amtlicher Jahresbericht (1900/1901), S. 107. Amtlicher Jahresbe­ richt (1901/1902), S. 117. Amtlicher Jahresbericht (1902/1903), S. 119–120.

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2. Konzeption und Ressourcen

Otto Damm über einen Aufnahmestopp für Kinder, deren Eltern beide samoanischer Herkunft waren, „da sich unter den deutschen Eltern eine starke Strömung gegen den gemeinsamen Unterricht ihrer Kinder mit Samoanern geltend machte“.743 Die Zahl samoanischer Kinder war zu diesem Zeitpunkt bereits auf zwei gesunken, und in den darauffolgenden Jahren besuchte schließlich noch ein samoanisches Kind den Unterricht.744 Gleichwohl sich insbesondere Lehrer Damm rassistischer Diffamierungen der samoanischen Bevölkerung enthielt, markiert die samoanische Her­ kunft beider Eltern so auch in der Deutschen Schule in Apia eine soziale, rassistische Barriere, die ab 1909 mit der Eröffnung der kolonialen Schule für Samoaner auch institutionell verankert wurde.745 Bemerkenswert ist dabei außerdem, dass die Schülerschaft auch die star­ ke soziale Durchmischung der einheimischen und der zugezogenen Bevöl­ kerung in Samoa abbildete. Der Schulbericht 1905/1906 listet so neben dem einen samoanischen Kind etwa 57 deutsche, vierzehn englische, sechs skandinavische, zwei schweizerische Kinder auf und gleichzeitig nur acht „rein Weiße“, einen „Polynesier“ und 71 „Mischlinge“.746 Lehrer Damm, der Autor des Berichts, sah sich hierauf genötigt zu erläutern, „dass als Mischlinge auch solche Kinder gezählt werden, deren Vä­ ter bereits seit 2–3 Generationen Weiße sind, also Kinder, die sich äußerlich von rein weißer Rasse kaum noch unterscheiden und die gesetzlich und bezüglich ihrer Nationalität völlige Gleichberechtigung genießen.“747 Die so offenbar werdende Durchlässigkeit der sozialen Barriere ‚Rasse‘ hinsichtlich nationaler Zugehörigkeit, die letztlich im Schutzgebietsgesetz ihre rechtliche Grundlage hatte748, galt allerdings nur in geringem Um­

743 BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1904/05), Bl. 73–74 (für das Zitat: Bl. 74). Die am 1. April 1904 in Kraft tretende Schulordnung bestimmte, dass als ‚Ein­ geborene‘ geltende Kinder nur durch eine Ausnahmegenehmigung des Gouver­ neurs in die Schule aufgenommen werden dürfen, Schulordnung, S. 109. 744 Beachte die Statistik der Schülerschaft für die Haushaltsjahre 1900/1901 bis 1913/1914 in Anhang Nr. 11. 745 Beachte hierzu Kapitel 3.3.3. 746 BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1905/06), Bl. 140–144 (für die Zitate: Bl. 140). 747 Ebd. (für das Zitat: Bl. 140). 748 Vgl. Gosewinkel, Dieter: Rückwirkungen des kolonialen Rasserechts? Deutsche Staatsangehörigkeit zwischen Rassestaat und Rechtsstaat, in: Conrad, Sebastian; Osterhammel, Jürgen (Hg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004, S. 236–256, hier: S. 243–244.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

fang für ein weiteres Kriterium, welches ebenfalls die kolonialstaatlich publizierten Schulberichte prägte, nämlich das der Konfession. Diese ab 1903/1904 in die Berichte aufgenommene Kategorie zeigt in allen Fällen einen deutlichen Überhang an evangelischen Schülerinnen und Schülern, wobei die Schule gemäß ihrer Schulordnung ab dem 1. April 1904 offiziell als konfessionslos galt und kein Religionsunterricht angeboten wurde.749 Faktisch war die Schule aber eine evangelische, da nicht zuletzt auch die Lehrkräfte, die nach der Rückkehr Pfarrer Holzhausens nach Deutschland ab 1902 in der Schule unterrichteten, evangelischer Konfession waren.750 Der institutionelle Übergang der Schule in die Verwaltung vollzog sich schließlich 1903. Nachdem der Schulverein im Herbst 1902 noch einmal das Schulbudget durch Sonderbeiträge aufgebessert hatte, beschlossen des­ sen Mitglieder anlässlich der Generalversammlung am 28. März 1903 die Übertragung des Schulgebäudes samt seinem Inventar sowie eines auf etwa 1.200 M belaufenden Defizits im Schulbudget an das Gouvernement.751 Zwar fehlte zum Zeitpunkt der Versammlung noch die Bestätigung aus Berlin, dass die Schule in den Etat 1903/1904 aufgenommen werden wür­ de. Dies war letztlich aber nur eine Formalie, sodass die Schule ab dem 1. April 1903 offiziell durch das Deutsche Reich getragen wurde.752 Dies hatte weitere Auswirkungen auf den Charakterwechsel der Schule von einer Auslands- hin zu einer kolonialen Schule, wobei im Folgenden insbe­ sondere ersichtlich werden wird, dass die Schule ihre auslandsdeutschen Wurzeln weiter behalten sollte. Zunächst richtete sich an der Schule ab 1904 auch der Schuljahresver­ lauf nach dem kolonialstaatlichen Rhythmus. Die zum 1. April 1904 in Kraft tretende Schulordnung schrieb selbigen Monat als jeweiligen Schul­ jahresbeginn fest. Auch die Aufnahme neuer Schülerinnen und Schüler erfolgte grundsätzlich zu diesem Termin. Allerdings waren auch Aufnah­ men zum 1. Juli möglich, was potentiellen Wechselkandidaten von missio­

749 Beachte die Statistik der Schülerschaft der Deutschen Schule in Apia (1900– 1914) in Anhang Nr. 25. Beachte auch Kapitel 2.3.3. 750 Beachte für die in den Jahren 1903 bis 1905 angestellten Lehrkräfte Damm, Osbahr und Schultze, ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Personal-Nachweisung). BArch, R 1004-F/75417 (Osbahr), Bl. 1–3. BArch, R 1004-F/75417 (Schultze), Bl. 1–3. 751 Hauptversammlung des Schulvereins, in: SZ, Jg. 2, Nr. 15 (11.10.1902), S. 1. Ue­ ber die am vorigen Sonnabend…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 1 (4.4.1903), S. 1. Gegen die Übernahme der Schulden hatte sich die Kolonialabteilung zunächst gesträubt, letztlich aber doch zugestimmt, BArch, R 1001/2759, Bl. 96–97, 102–103. 752 BArch, R 1001/2759, Bl. 116.

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2. Konzeption und Ressourcen

narischen Schulen, die weiterhin im Spätsommerrhythmus unterrichteten, den Vorteil geringer Schulzeitverluste bot.753 Hinsichtlich der organisatori­ schen Struktur wurde des Weiteren im Laufe des Jahres 1903 der Schulver­ ein aufgelöst und ein Schulbeirat bestehend aus dem Gouverneur, der den Vorsitz inne hatte, dem Hauptlehrer, dem Leiter der Gouvernementskasse sowie zwei Vertretern der Siedlerschaft gegründet.754 Letztere behielten also einen gewissen Einfluss auf die Schule, wenngleich sich der Wille der Siedlerschaft nun nicht mehr über die Organisationsform eines Schulver­ eins kanalisieren ließ. Die Lücke, die der Schulverein außerdem in seiner integrativen Funktion für die Siedlerschaft hinterließ, füllte allerdings ein anderer Verein. Der Deutsche Verein Concordia, der, wie die Samoanische Zeitung anlässlich des 10-jährigen Vereinsjubiläums im Juli 1903 berichte­ te, „neben dem Verein Deutsche Schule […] so recht die Verkörperung des Deutschtums auf Samoa darstellt“ und zu dessen satzungsgemäßem Auftrag neben der Übernahme der Schulgebühren für Waisenkinder et­ wa die Verbreitung von „Gemütlichkeit“ und „Geselligkeit“ gehörte, wid­ mete sich ab 1904 mehr als noch zuvor auch der Deutschen Schule in Apia.755 So richtete der Verein, dessen Mitglieder „fast ausnahmslos“ ihre Kinder auf die Deutschen Schule schickten, im Dezember 1904 etwa eine Weihnachtsfeier aus, zu der alle Schülerinnen und Schüler der Schule ein­ geladen waren.756 Die Veranstaltung war zudem mit der offiziellen Weih­ nachtspreisvergabe seitens des Gouvernements verbunden757 und wurde auch im darauffolgenden Jahr wiederholt.758

753 Schulordnung, S. 109. Die katholische Schule in Mulivai kündigte ihren Schul­ jahresbeginn 1905 beispielsweise für den 4. September 1905 an, Anzeige, in: SZ, Jg. 5, Nr. 35 (2.9.1905), S. 1. Der Übergang zum neuen Rhythmus wurde derart organisiert, dass das Schuljahr 1903/1904 am 10. August 1903 begann und vorzeitig am 31. März 1904 endete, ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Otto Damm an Gouverneur Solf am 13.7.1903). 754 Ueber die am vorigen Sonnabend…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 1 (4.4.1903), S. 1. Die Regierungsschule in Apia, in: SZ, Jg. 3, Nr. 39 (30.12.1903), S. 2. 755 D. V. Concordia, in: SZ, Jg. 3, Nr. 14 (4.7.1903), S. 1 (auch für die Zitate). Als weitere Vereinszwecke nennt der Bericht das „Führen einer Kranken-, Darle­ hens- und Unterstützungskasse“. Auch übernahm der Verein die Begräbniskos­ ten seiner Mitglieder, ebd. Zur guten Stellung Otto Damms im Verein beachte Kapitel 2.3.2. 756 Der Deutsche Verein Concordia…, in: SZ, Jg. 4, Nr. 38 (17.12.1904), S. 1 (auch für das Zitat). 757 Vor Beginn der Weihnachtsferien…, in: SZ, Jg. 4, Nr. 39 (24.12.1904), S. 1–2. 758 Der Deutsche Verein „Concordia“…, in: SZ, Jg. 5, Nr. 46 (18.11.1905), S. 2. Wie im vorhergehenden Jahre…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 1 (6.1.1906), S. 2.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

Setzten sich so also vor allem die auslandsdeutschen Vereinstraditionen der Schule in gewisser Weise fort, bedeutete der Übergang der Schule in die Verwaltung des Gouvernements gleichzeitig aber auch den Verlust der Dienstaufsicht über die Lehrerschaft. In deren Zusammensetzung, die im Laufe des Jahres 1903 erfolgte, bildeten sich aber dennoch klar die Präfe­ renzen der Siedlerschaft ab. Dies betraf insbesondere Otto Damm, der in Apia gut vernetzt war und die Wünsche der Siedlerschaft nach einem Leh­ rer anstelle eines Pfarrers als Schulleiter personifizierte.759 Damm wurde im August 1903 die Hauptlehrerstelle übertragen, und man vereinbarte zunächst, den im Dezember 1898 zwischen Damm und dem Vorstand des Schulvereins geschlossenen Anstellungsvertrag bis zu dessen Laufzeit­ ende im Frühjahr 1904 fortzuführen.760 Die Kolonialabteilung gewährte Damm außerdem die Anwendung der für koloniale Beamte gültigen Ur­ laubsregelung, wonach es jedem Beamten gestattet war, nach Ablauf seiner Dienstperiode kostenfrei Heimaturlaub in Deutschland zu machen.761 Das Vertragsverhältnis Damms drückt damit im Speziellen die Übergangssitua­ tion aus, in der sich die Schule im Sommer 1903 im Allgemeinen befand. Für Gouverneur Solf hatte die Regelung zudem mehrere Vorteile. Zum einen entsprach sie den Wünschen Otto Damms und einer Mehrheit in der Siedlerschaft zur Fortsetzung der bisherigen Schultätigkeit und schuf so keinerlei Konflikte, derer Solf überdrüssig war.762 Zum anderen war Damms Anstellung so auf ein knappes Jahr begrenzt, was Solf deshalb begrüßte, weil er ihn aufgrund seiner Erfahrung zwar als fähig ansah, die Übergangszeit zu organisieren, Damm aber insbesondere für überheblich und arrogant hielt und ihn eigentlich hatte entlassen wollen.763 Letzteres gelang Solf, der Damm im Juli 1901 schon einmal der Verletzung seiner „vertragsmäßig“ vereinbarten treuen Dienstausübung „in selbstgefälliger

759 Beachte Kapitel 2.3.2. 760 ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Gouverneur Solf an Otto Damm am 15.8.1903, Anstellungsvertrag vom 24.12.1898). ANZ AGCA 6051 W5788 I 1 1 (Angestelltenverzeichnis vom 1.10.1903). 761 ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Otto Damm an Gouverneur Solf am 31.8.1903, AAKA an Gouverneur Solf am 2.12.1903, Gouverneur Solf an Otto Damm am 23.1.1904). Die Kolonialabteilung hatte an der Urlaubsregelung ein grundsätzliches Eigeninteresse, da es die Bindung der Beamten an die kaiserli­ che Gesellschaft verstärken sollte, vgl. Zurstrassen, „Ein Stück deutscher Erde schaffen“, S. 253. 762 Beachte Kapitel 2.3.2. 763 BArch, R 1001/2759, Bl. 93–95.

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2. Konzeption und Ressourcen

Weise“ bezichtigt hatte764, aber auch ein Jahr später nicht. Obwohl Damm sich erst während seines Heimaturlaubs, indes in der Samoanischen Zeitung öffentlich für seine Rückkehr nach Apia geworben wurde, für eine weitere Dienstperiode entschied, kehrte er im September 1904 wieder nach Apia zurück.765 Erst zum Ablauf dieser nun nach amtlichem Muster auf drei Jahre fixierten Dienstperiode gelang Solfs ursprüngliche Absicht, worauf­ hin Damm im März 1908 nach Deutschland reiste und ein Jahr darauf in den Schuldienst nach Deutsch-Südwestafrika versetzt wurde.766 Bis zum Frühjahr 1908 bekleidete damit der schon zu Auslandsschulzei­ ten erstmalig angestellte Otto Damm die Hauptlehrerstelle in Apia und verband damit beide Abschnitte der Schule. Gleiches gilt für die im Mai 1903 angestellte und drei Monate später in Apia eintreffende Ludovica Schultze.767 Sie stand aufgrund ihrer Tätigkeit als Kindergärtnerin und Lehrerin Ende der 1890er-Jahre in der Schule ebenso wie Damm in der Gunst der Siedlerschaft und wurde nach ihrer Ankunft mit einem klei­ nen Festakt in der Schule empfangen.768 Die Weiter- bzw. Wiederbeschäf­ tigung von Damm und Schultze garantierte außerdem den Fortbestand des zu modernen und reformpädagogischen Ideen neigenden Erziehungs­ konzepts769, zu denen sich Damm in seiner Festrede zur Einweihung des neuen Schulgebäudes am 1. Mai 1906 bekannte. Nicht „Zucht und Lehre“ oder das Motiv der „meisten Leute[,] ihre Kinder nur deshalb zur Schule [zu] schicken, damit diese ihnen Brot verschaffe und Butter darauf“ sollten seinen Ausführungen zufolge maßgebliche Leitprinzipien von Schule und Unterricht sein, denn

764 ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Gouverneur Solf an Otto Damm am 18.7.1901 (auch für die Zitate)). 765 ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Der Hauptlehrer…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 50 (19.3.1904), S. 2.; AAKA an Gouverneur Solf am 10.6.1904 und am 24.8.1904; Gouverneur Solf an AAKA am 26.9.1904). Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 15 (1904), S. 564. 766 ANZ AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Gouverneur Solf an Otto Damm am 31.3.1908, RKA an Gouverneur Solf am 20.2.1909 und am 15.7.1909). In Deutsch-Südwestafrika arbeitete Damm ab April 1909 an der Schule in Kari­ bib. Er verstarb kurz vor dem Ende seiner ersten dortigen Dienstperiode am 2.12.1911 an „Unterleibstyphus“, BArch, R 1001/326, Bl. 5, 20, 54, 66 (für das Zitat: Bl. 54). 767 BArch, R 1004-F/75417 (Schultze), Bl. 6–15, 19. ANZ AGCA 6051 W5788 I 1 1 (Angestelltenverzeichnis vom 1.10.1903). Zur Biographie Schultzes bis zu ihrer Anstellung beachte Kapitel 2.3.3. 768 Dass die „Deutsche Schule“…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 20 (15.8.1903), S. 1. 769 Beachte Kapitel 2.3.3.

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2.3 Die Deutsche Schule in Apia: Kirche, Staat und Siedlerschaft

„[…] heute steht die Moderne vor uns, die predigt das Evangelium von der Anerkennung der Rechte der Jugend: Raum für Initiative und individuelle Entwicklung.“770 Dies sei die Basis dafür, dass „Samoa ein glückliches und ein freies Land ist.“771 Die Aufgabe der Lehrerschaft sei es darum, „ein unendliches Quan­ tum von Geduld“ aufzubringen und die der Eltern, „ihre Kinder zur Schu­ le zu schicken […] in einem freien Lande, wo so etwas wie Schulpflicht und Schulzwang unbekannte Begriffe sind.“772 Die Ausstattung der Schü­ lerinnen und Schüler mit grundsätzlichen Lebensfähigkeiten sei darum das Ziel der Schule, zu denen er insbesondere auch die Vermittlung der englischen Sprache zum Zwecke der alltäglichen Kommunikation zähl­ te.773 Dies korrespondiert mit der Fortsetzung der Lehrplankonzeption der 1890er-Jahre, welche die Fröbel’sche Erziehung in den untersten Klassen, den hohen Stellenwert des Englischen und nicht zuletzt auch die Koedu­ kation umfasste.774 Insofern war die Deutsche Schule in Apia sowohl vor als auch nach der kolonialen Okkupation durchaus ein Laboratorium mo­ derner Erziehungskonzepte775, deren Wechselwirkung mit dem Deutschen Reich insbesondere durch den dritten 1903 angestellten Lehrer, Wilhelm Osbahr, personifiziert wurde. Osbahr traf einen Monat nach Ludovica Schultze, im September 1903, in Apia ein und trat im selben Monat seinen Dienst als dem Hauptlehrer untergeordneter „2. Lehrer“ an der Schule an.776 Seine Ausbildung zum Volksschullehrer hatte Osbahr in Lübeck begonnen und war 1900 aber in das stark reformpädagogisch geprägte Hamburger Schulwesen gewechselt.777 Gebhard weist darauf hin, dass Os­

770 771 772 773 774

Aus Anlass…, in: SZ, Jg. 6, Nr. 18 (5.5.1906), S. 2 (auch für die Zitate). Ebd. (auch für das Zitat). Ebd. (auch für die Zitate). Ebd. BArch, R 1001/2758, Bl. 119. BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1905/06). Schulordnung, S. 111. Beachte auch die Übersichten der Stundentafeln in den Anhängen Nr. 8 und 9. 775 Zum Konzept der Kolonien als „Laboratorien der Moderne“ beachte Conrad, Sebastian: Deutsche Kolonialgeschichte, München 2012, S. 90–93. Laak, Dirk van: Kolonien als ‚Laboratorien der Moderne‘? In: Conrad, Sebastian; Oster­ hammel, Jürgen (Hg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004, S. 257–279. 776 BArch, R 1004-F/75417 (Osbahr), Bl. 5–10, 13 (für das Zitat: Bl. 5). ANZ AG­ CA 6051 W5788 I 1 1 (Angestelltenverzeichnis vom 1.10.1903). 777 BArch, R 1004-F/75417 (Osbahr), Bl. 1–3. Nachdem die „Deutsche Schule“…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 24 (12.9.1903), S. 1. Vgl. Gebhard, Julius: Das Landerziehungs­ heim Schloss Heiligenstedten, Hamburg 1948, S. 21–22. Keim, Wolfgang: Poli­

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2. Konzeption und Ressourcen

bahr selbst seine Hamburger Erfahrungen in den Kreisen von Kunsterzie­ hern und der Jugendbuchbewegung Heinrich Wolgasts (1860–1920) als Phase der „entscheidenden pädagogischen Anregungen“ bezeichnet habe, deren übergeordnete Idee einer Schule als „ästhetisch anregender Ort“ etwa in die Architektur des neuen Schulgebäudes, zu deren Eröffnung Otto Damm die zuvor in Teilen zitierte Festrede hielt, geflossen sei.778 Das Gebäude war, angelehnt an die Ideen des Hamburger Architekten Matthias Meyer, in Form zweier Pavillons, in deren Mitte sich eine Freiflä­ che befand, aufgebaut und unterschied sich in der Tat maßgeblich etwa von dem üblichen Typus eines kolonialen Schulhauses.779 Auch die Aus­ richtung von Kunstausstellungen, die etwa Ende Dezember 1903 mit Bil­ dern des „Maler Hauck“ im – noch alten – Schulgebäude oder anlässlich der Einweihung des neuen Schulgebäudes im Mai 1906 zusammen mit der Präsentation zahlreicher Schülerarbeiten ausgerichtet wurden, mögen als Indizien solcher Einflüsse gelten.780 Die Ausstellung von Schülerarbei­ ten verband zudem erneut den auslandsdeutschen mit dem kolonialen Zeitraum, waren diese doch schon in den 1890er-Jahren Bestandteil der Schulprüfungen gewesen.781 Als Leiter der reformpädagogischen Schule Schloss Heiligenstedten in der Nähe von Itzehoe ab 1921 wiederum ver­ band Osbahr auch die koloniale Zeit in Samoa mit den Weimarer Jahren des Deutschen Reiches.782 Die Deutsche Schule in Apia wurde zusammenfassend zu einer Schule, die sich nach und nach den bürokratischen und finanziellen Bedingungen des Kolonialstaates unterwerfen musste und darum als koloniale Schule

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tische Parteien, in: Keim, Wolfgang; Schwerdt, Ulrich (Hg.): Handbuch der Reformpädagogik in Deutschland (1890–1933). Teil 1: Gesellschaftliche Kontex­ te, Leitideen und Diskurse, Wiesbaden 2013, S. 39–83, hier: S. 49. Vgl. Gebhard, Heiligenstedten, S. 22 (auch für die Zitate). Uhlig, Christa: Pädagogische Berufsverbände, in: Keim, Wolfgang; Schwerdt, Ulrich (Hg.): Handbuch der Reformpädagogik in Deutschland (1890–1933). Teil 1: Gesell­ schaftliche Kontexte, Leitideen und Diskurse, Wiesbaden 2013, S. 257–291, hier: S. 263–264 (für das Zitat: S. 264). BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1904/05), Bl. 144. Vgl. Gebhard, Heili­ genstedten, S. 24. Meyer, H. Th. Matthias: Die Schulstätten der Zukunft, Ham­ burg 1903. Zum Schulhaus in Bonamandone beachte Kapitel 2.1.5. Eine Front­ skizze der Schule in Apia ist abgebildet bei Hiery, Schule und Ausbildung, S. 231. BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1904/05), Bl. 146–148. Wieder trugen die Raume…, in: SZ, Jg. 3, Nr. 39 (30.12.1903), S. 2–3 (für das Zitat: S. 2). Beachte Kapitel 2.3.3. Vgl. Gebhard, Heiligenstedten.

Zwischenfazit

zu bezeichnen ist. Ihre konzeptionelle Ausgestaltung setzte aber maßgeb­ lich die Traditionen der auslandsschulischen Zeit fort, weshalb sie eine Sonderstellung innerhalb der deutschen kolonialen Schule einnahm. Die Verbindung beider Zeiten verkörperten dabei insbesondere die Lehrkräfte, die ab 1903 kaiserliche Beamte waren und so zu Dienern und Vertretern des Kolonialstaates wurden, die qua Diensteid schworen, „dem Deutschen Kaiser treu und gehorsam [zu] sein“.783 Als solche führten sie allerdings die in den 1890er-Jahren etablierten Erziehungskonzepte fort, die sich – wie etwa im Falle der Koedukation – im Deutschen Reich erst nach dem Ersten Weltkrieg durchsetzen sollten.

Zwischenfazit Die Deutsche Schule in Apia wurde durch einen langen Integrationspro­ zess zu einer kolonialen Schule, wodurch sie sich als Analyseobjekt wesent­ lich von den beiden bisher betrachteten Schulen in Bonamandone und Tanga unterscheidet. Obgleich sie, wie die beiden anderen Schulen auch, als pazifistisches politisches Mittel des Kulturimperialismus verstanden wurde, war sie doch als Schule für die Kinder der deutschen Auslands­ siedler gegründet worden. Auch betrieben die unterrichtenden Lehrkräfte keine Sprachpolitik in der Weise, dass sie wie Theodor Christaller oder Christian G. Barth Lehrbücher und Grammatiken erstellten. Das Auswärti­ ge Amt und die lokalen Verwaltungsträger versuchten vielmehr, die vor Ort vertretenen Missionen zum Unterricht in der deutschen Sprache zu bewegen. Auch nach der kolonialen Inbesitznahme Samoas 1900 waren die Missionsschulen das Ziel sprachpolitischer Integrationsbemühungen, was hinsichtlich der Forschungsfragen nach den Modi der schulpolitischen Kolonialbestrebungen die Alternative zu staatlichen Schulgründungen auf­ zeigt.784 Anders als in Bonamandone und Tanga wurde die Deutsche Schu­ le in Apia durch die ansässigen Siedler und die deutsche Verwaltung als Schule in interimperialer Konkurrenz wahrgenommen. Insofern stellten das Konsulat, der Schulverein und das Gouvernement die Schule nach Außen stets als ‚Hort des Deutschtums‘ dar, behielten mit Blick auf die anglisierte Lebenswelt vor Ort aber auch den Englischunterricht über alle Umbrüche hinweg im Lehrplan. Baute auch die Schule in Apia, wie die

783 Siehe exemplarisch den Diensteid Ludovica Schultzes, BArch, R 1004-F/75417 (Schultze), Bl. 20–21 (auch für das Zitat). 784 Beachte die Vertiefung dieses Aspektes in Kapitel 3.3.3.

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2. Konzeption und Ressourcen

Schulen in Bonamandone und Tanga, im Grunde auf der Idee einer deut­ schen Volksschule auf, lagen doch auch hier große Unterschiede vor. Die Errichtung eines Kindergartens auf der Basis der Reformpädagogik Fried­ rich Fröbels und die Verbindungen zur bürgerlichen Frauenbewegung um 1900 prägten Lehrplan und Unterricht der Schule, was sich insbesondere in der Berufsbiographie der Lehrerin Ludovica Schultze widerspiegelt. Gewinnt die Schule so den Charakter eines Laboratoriums moderner Er­ ziehungskonzepte, band die Kolonialbürokratie die Schule im Verlaufe der Jahre 1900 bis 1903 aber doch auch stark an den gewünschten nationalen Konsens. Jährliche Schulprüfungen und die Feste zum Geburtstag des Kaisers bildeten über die kolonialbürokratische Durchdringung der Schule hinaus Impulse gesellschaftlicher und nationaler Kohäsion. Die Schule in Apia war schließlich auch Austragungsort von Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Staat sowie zwischen lokalen und metropolitanen Instanzen. An deren vorläufigem Schlusspunkt 1903 wurden nicht nur die Schulleiterstelle und die evangelische Pfarrei institutionell getrennt, nachdem man sie 1896 aus Personalmangel verknüpft hatte. Die Siedler­ schaft, die für diese Trennung eingetreten war, setzte sich auch in der Wahl des Schulleiters durch und ist als einflussreiche Beteiligte an den Aushandlungsprozessen kolonialer Praxis zu bezeichnen. Die Lehrerschaft wiederum genoss wesentliche Freiheiten in den pädagogischen Entschei­ dungen und behielt auch nach der kolonialbürokratischen Integration der Schule viele Elemente der auslandsschulischen Zeit bei. Die Darstellung zur Schule in Apia schließt das erste Kapitel dieser Arbeit ab, welches zu drei verschiedenen Zeitpunkten an drei verschiede­ nen kolonialen Schauplätzen drei verschiedene koloniale Schulgründun­ gen untersucht hat. Dabei wurde vielfach die wesentliche Bedeutung der Lehrerinnen und Lehrer für die Ausgestaltung der Gründungsphasen so­ wie der diesbezüglichen Aushandlungsprozesse deutlich. Die Lehrkräfte entstammten dem deutschen Volksschulwesen, dessen gesellschaftspoliti­ sche Implikationen in den Kolonien ihre Wirkung entfalteten. Wurden die Schulen in den beiden untersuchten afrikanischen Kolonien zur Herr­ schaftsetablierung gegenüber der indigenen Bevölkerung und der Bindung örtlicher Eliten an die Gouvernements genutzt, sollten in Apia insbesonde­ re die Siedlerschaft integriert und das ‚Deutschtum‘ verbreitet werden. Die koloniale Schule erweist sich hierbei in erster Linie als politisches Mittel und war gleichzeitig aber auch Ort der Ausbildung indigener Verwaltungs­ mitarbeiter. Festzuhalten ist zudem eine grundsätzliche Abhängigkeit der Gouvernements von Partnern in der Kolonie und im Deutschen Reich. Die betrachteten kolonialen Schulen entsprangen insbesondere nicht ein­

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Zwischenfazit

heitlicher zentraler Berliner Planung, befanden sich aber gleichzeitig in der Abhängigkeit finanzieller Mittelzusagen. Das folgende dritte Kapitel dieser Arbeit weitet nun den Fokus und nimmt auch die bisher noch nicht betrachteten kolonialen Schulen in Togo, Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Neuguinea mit in den Blick. Gegenstand der Betrachtung sind wesentliche Momente von Reorganisati­ on und Vernetzung.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Die Schulen in den deutschen Kolonien bildeten zu keinem Zeitpunkt ein für alle Kolonien einheitliches System. Die deutsche koloniale Schu­ le umfasst begrifflich vielmehr mehrere dezentrale und regional spezifi­ sche Gruppierungen von Schulen. Diese hatten insbesondere verschiedene Gründungskontexte, wie das vorangegangene Kapitel anhand der Schul­ gründungen in Bonamandone (Kamerun), Tanga (Deutsch-Ostafrika) und Apia (Samoa) deutlich gemacht hat. Ersichtlich wurde aber auch, dass abgesehen von den spezifischen Gründungskontexten wesentliche Elemen­ te, wie etwa die Anknüpfung an die deutsche Volksschule, die Kriterien zur Lehrerauswahl oder die herrschaftspolitische Instrumentalisierung der Schule, unter direkter Bezugnahme aufeinander oder in ähnlicher Wei­ se implementiert wurden. Diesen auffallenden beziehungsweise anzuneh­ menden Austausch strategischen Herrschaftswissens ergänzen die Prozesse der schulischen Wissensgenerierung und des Rückflusses von insbesondere sprachlichem Wissen. Jeder dieser drei Prozesse trat bereits bei der Schul­ gründung auf und ist damit konstitutiv für die deutsche koloniale Schule, ohne sie aber zu einem einheitlichen System werden zu lassen. Blickt man auf die Gemeinsamkeiten der Schulgruppierungen, sind dagegen in den Jahren nach den jeweiligen Schulgründungen vielmehr Momente von Reorganisation und Vernetzung zu bemerken. In Kapitel 3.1 wird der Blick zunächst auf die Kolonien Kamerun und Togo sowie die Impulse einer direkten Vernetzung der Schulen zweier deutscher Kolonien über einen gemeinsamen Lehrplan zu richten sein. Dabei ist gleichzeitig die durch die prekäre Gesundheitsversorgung und hohe Erkrankungsgefahr bedingte Fragilität kolonialer Herrschaft zu be­ achten, da sie den Bestrebungen der Vernetzung entgegenwirkte. Der erste Abschnitt des Kapitels betrachtet zunächst die organisatorische Versteti­ gung der kolonialen Schule in Kamerun, die im Januar 1890 in die Eröff­ nung einer zweiten Schule mündete. Im zweiten Abschnitt stehen dann die Beeinträchtigungen durch Krankheit und Tod sowie die wachsende Bedeutung indigener Lehrer für die Aufrechterhaltung des Schulbetriebes im Fokus. Der dritte Abschnitt erweitert den Blick auf die koloniale Schule in Togo und befasst sich mit der dortigen Schulgründung, die in engem Kontakt mit den beiden Schulen in Kamerun erfolgte. Der vierte Abschnitt spannt schließlich den Bogen von den Bemühungen der

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3. Reorganisation und Vernetzung

Lehrer um die Vernetzung der Schulen beider Kolonien durch einen ge­ meinsamen Lehrplan über die Konzeption eigenständiger Schulen und die fachlichen und familiären Verbindungen bis zum durch zahlreiche Krankheits- und Todesfälle bedingten vorläufigen Ende der bisherigen Art der auf Herrschaftsvermittlung zielenden Schultätigkeit. Anschließend rückt erneut Deutsch-Ostafrika in den Fokus, wo der Ber­ liner Lehrer Paul Blank nach der Abreise Christian G. Barths die dortige koloniale Schule reorganisierte. Die Darstellung hat ihren Schwerpunkt in den Jahren 1895 bis 1905, in denen die wesentlichen Schritte der Reorga­ nisation und der Vernetzung erfolgten, und nimmt in strenger Verfolgung der Forschungsfragen anschließend die späteren Jahre subsummierend in den Blick. Der erste Abschnitt handelt von der Konzentration der kolonia­ len Schultätigkeit auf die Etablierung eines latinisierten Swahili und be­ trachtet darum die methodische Neuausrichtung der Schulbucherstellung durch Blank und dessen Kollegen Oswald Rutz sowie die nahezu exklusive Ausbildung von Volksschullehrern für die koloniale Schule in DeutschOstafrika am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin. Der darauffol­ gende Abschnitt thematisiert die kolonialschulische Expansion der Jahre 1895 bis 1900 entlang der Küste des Indischen Ozeans sowie insbesondere hinein in das Inland des Bezirks Tanga und blickt damit einerseits auf die Kooperation der Kolonialverwaltung mit der indischen Bevölkerung der Küstenregion sowie andererseits auf den Aufbau eines zyklischen Systems kolonialer Wissensproduktion. Anschließend zeigt der dritte Abschnitt, dass die Expansion der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika nicht ohne Widerstände verlief, und folgt darum, ausgehend von der Etatdebatte des Reichstages im Frühjahr 1900, der Entwicklung des Narrativs impliziter christlicher Bekehrung durch staatliche koloniale Schulen als argumenta­ tive Begründung des kolonialschulpolitischen Vorgehens. Der zeitgleich ausgetragene Konflikt innerhalb der Kolonialverwaltungsinstanzen um die Zuordnung der Schule und das Dienstverhältnis der Lehrer, der zeigt, dass schulische Expansion auch mit Versuchen der Emanzipation der lo­ kalen Verwaltungseinheiten verbunden war, ist schließlich Gegenstand des vierten Abschnittes. Der fünfte und letzte Abschnitt dieses Kapitels rückt schließlich die Rolle der Schule in Tanga als sprachpolitisches Schul­ zentrum und Ausbildungsunternehmen in den Fokus der Betrachtung und blickt auf das vorläufige Ende der kolonialschulischen Betätigung deutscher Lehrer in der ostafrikanischen Kolonie. Das dritte Kapitel widmet sich daraufhin den deutschen kolonialen Schulen in den beiden Pazifikkolonien Deutsch-Neuguinea und Samoa. Der erste Abschnitt blickt am Beispiel der Schule in Garapan (Saipan)

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3. Reorganisation und Vernetzung

auf die sprachpolitischen Ambitionen des Bezirksamtmannes Georg Fritz und die Vernetzung der Schule mit dem Seminar für Orientalische Spra­ chen in Berlin. Der zweite Abschnitt thematisiert die zweite koloniale Schule Deutsch-Neuguineas in Namanula und betrachtet das Changieren der Kolonialverwaltung zwischen Unterricht für Indigene und Unterricht für Nicht-Indigene. Neben der Rolle des Lehrers Paul Barschdorff in der Reorganisation der Sprachpolitik steht in diesem Abschnitt die Auseinan­ dersetzung mit der kolonialen Dichotomie von Indigen und Nicht-Indigen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der dritte Abschnitt widmet sich dann dem Verhältnis der Kolonialverwaltungen beider Kolonien zu den Missio­ nen und rückt insbesondere den Konflikt zwischen der katholischen Ma­ ristenmission und der Gouvernementsverwaltung in Samoa in den Vorder­ grund. Zuletzt wendet sich die Darstellung in Kapitel 3.4 der bisher noch nicht betrachteten deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika zu und blickt zum einen auf den Alltag der dort beschäftigten Lehrerinnen und Lehrer und zum anderen auf deren institutionell bedingte Vernet­ zung. Im ersten Abschnitt fokussiert die Darstellung den Zeitraum von der ersten Schulgründung im September 1894 durch die Lehrerin Helene Nitze bis zur vorübergehenden Schließung dieser und aller anderer Schu­ len aufgrund des Herero-Nama-Krieges und thematisiert den alltäglichen Umgang mit Heterogenität im Schulunterricht. Im darauffolgenden Ab­ schnitt geht es schließlich um die Vernetzung einzelner Schulen zu einem Schulsystem und mit der Kodifizierung der Erfahrung von Lehrkräften um einen Prozess der Generierung schulischen Herrschaftswissens. Der dritte Abschnitt präsentiert dann die Auswertungen der Personalakten mit besonderen Schwerpunkten auf den Gemeinsamkeiten und den Un­ terschieden der Berufsbiographien kolonialer Lehrerinnen und Lehrer. Im letzten und vierten Abschnitt blickt die Darstellung schließlich verglei­ chend auf die fachlichen wie persönlichen Anforderungen an Lehrkräfte in deutschen kolonialen Schulen für indigene Bevölkerungsgruppen und solchen für Kinder deutscher Kolonisten und untersucht das Verhältnis der Anforderungen mit deren Kontrolle und deren Entlohnung.

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo 3.1.1 Organisatorische Verstetigung Die erste deutsche koloniale Schule in Bonamandone (Kamerun) hatte in ihren ersten beiden Jahren den Charakter eines Projektes, das im Falle eines Fehlschlages rasch beendet werden konnte.1 Das erste Schulhaus war angemietet und die Einrichtung selbst hergestellt worden. Das Gehalt des Lehrers Theodor Christaller bestritt das Auswärtige Amt nicht über den Kolonial-, sondern über seinen Auslandsschuletat und war allenfalls für dessen Vertragslaufzeit zu zahlen. Die Schulgründung ein Provisorium, welches erst nach und nach verstetigt wurde. Die Errichtung des Schulhau­ ses und die Fertigstellung von Christallers Fibel sind zur Jahresmitte 1888 wichtige Zeichen dieses Wandels und eines Prozesses organisatorischer Verstetigung. Die sich im Frühjahr 1888 zwischen Gouverneur von Soden und dem Auswärtigen Amt entfaltende Debatte um die Weiterführung der Schule hatte dabei Theodor Christaller angestoßen. Im Februar 1888 erinnerte er das Gouvernement an den bevorstehenden Ablauf seines Vertrages und erkundigte sich, ob man ihm eine dauerhafte Anstellung inklusive etwai­ ger Pensionsansprüche zusagen könne.2 Gouverneur von Soden reichte Christallers Anfrage nach Berlin weiter und schloss der Befürwortung von Christallers „endgültige[r] Anstellung“ ein umfangreiches Expansionspro­ gramm für die Schule an. Darin sollte Christaller die Rolle eines Oberleh­ rers ausüben und die Aufsicht über weitere „2 oder 3“ Schulen und Lehrer erhalten.3 Außerdem sollte das Duala gemeinsam mit den Missionen wei­ terverbreitet und darüber hinaus das Deutsche stärker in den Unterricht einfließen. Von Soden bedachte Christaller mit einer Schlüsselrolle und forderte dessen feste Anstellung insbesondere auch, um die Erstellung wei­ terer Lehrbücher zu sichern.4 Im Auswärtigen Amt war man zurückhalten­ der. Christaller solle weiter unterrichten, sein Gehalt aber wie gehabt aus dem Auslandsschuletat beziehen. Für das Etatjahr 1889/1900 könne man die Gehaltsposition aber in den Kolonialetat übertragen, wodurch er dann sogenannter ‚etatmäßiger‘ Beamter werde und automatisch auch Pensions­

1 2 3 4

Beachte Kapitel 2.1.3. BArch, R 1001/4071, Bl. 41. BArch, R 1001/4071, Bl. 38–40 (für die Zitate: Bl. 38, 39). BArch, R 1001/4071, Bl. 38–40. Beachte die transkribierte Version in Adick/Meh­ nert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 111, S. 378–379.

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3. Reorganisation und Vernetzung

ansprüche erhalte. Ein weiterer Lehrer könne, wenn überhaupt, erst ab diesem Zeitpunkt angestellt werden.5 Dieser war allerdings notwendig, sollte die Schule auch während Christallers Abwesenheit, welche die in der Vertragsverlängerung implizit enthaltene mehrmonatige Urlaubszeit in Deutschland bedingte, von einer deutschen Lehrkraft geleitet werden. Diesem Umstand und der Antwort des Auswärtigen Amtes entsprechend revidierte von Soden seine Expansionspläne im Sommer 1888. Der zuge­ sagte zweite Lehrer sollte Christaller zunächst vertreten, nach dessen Rück­ kehr nach Kamerun dann eine zweite Schule eröffnen und Christaller dienstlich untergeordnet sein.6 Hatte sich Gouverneur von Soden so zwar den amtlichen Finanzbeschränkungen zu beugen, konnte die von ihm beabsichtigte schulische Expansion dennoch vorangetrieben werden. In sprachpolitischer Hinsicht war diese durch die Zusage der Basler Mission, Christallers Fibel im Unterricht zu nutzen und sich auch den zukünftig von Christaller erarbeiteten sprachlichen Regeln zu unterwerfen, vor Ort ohnehin schon eingeleitet worden.7 Die organisatorische Verstetigung in Form der Weiterbeschäftigung Christallers und der anvisierten Anstellung eines weiteren Lehrers korre­ spondiert mit einer zunehmend stärker werdenden Bindung Christallers an seine Aufgabe. Schon in seinem Gesuch um Weiterbeschäftigung im Frühjahr 1888 bekundete er die Bereitschaft, „[s]eine Kräfte ausschließ­ lich Kamerun zu widmen und hier [s]einen dauernden Lebensberuf zu finden.“8 Und auch für die Fähigkeiten und Fertigkeiten seines Stellvertre­ ters und zukünftigen Kollegen hatte Christaller ganz spezifische Vorstell­ ungen, die zeigen, dass er sich mit seiner Stelle als kolonialer Lehrer identifizierte. Jener solle wie er selbst auch Volksschullehrer sein, dazu sprachbegabt und insbesondere Latein beherrschen, um das Duala daraus weiter mit Wörtern zu ergänzen. Er schlug sogar explizit einen ihm be­ kannten Lehrer aus Niederstetten im Nordosten Württembergs vor und fügte an, dass er sich eine Zusammenarbeit mit diesem gut vorstellen kön­ ne.9 Zudem erklärte Christaller seine Bereitschaft, seinen Urlaubsantritt um ein Jahr auf den Beginn des Jahres 1890 zu verschieben, und stellte

5 BArch, R 1001/4071, Bl. 42–44, 106–107. Zur Regelung der Pensionsansprüche beachte Kapitel 2.1.3. 6 BArch, R 1001/4071, Bl. 99–102. 7 Beachte Kapitel 2.1.5. 8 BArch, R 1001/4071, Bl. 41 (auch für das Zitat). 9 BArch, R 1001/4071, Bl. 103–105. Latein diente als grammatikalischer Horizont, vor welchem indigene Sprachen seinerzeit untersucht wurden, vgl. Zimmermann, Missionarslinguistik in kolonialen Kontexten, S. 182.

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

die Kontinuität des Unterrichts und seinen eigenen Spracherwerb damit insbesondere über seine Gesundheit, deren Fortbestand er als unsicher bezeichnete.10 Und in der Tat sah sich Christaller im Dezember 1888 aufgrund eines „Halsleidens“ und „nach Anraten des Regierungsarztes“ gezwungen, einen Urlaubsantritt bereits für April 1889 zu beantragen.11 Christaller wollte seinen Urlaub nicht nur nutzen, um sich in medizini­ sche Behandlung zu begeben, sondern insbesondere auch, um gemeinsam mit einem seiner Schüler, Konrad Eleme, an weiteren Lehrbuchveröffent­ lichungen zu arbeiten. Gegenüber Gouverneur von Soden bezeichnete Christaller jenen als einen seiner besten Schüler. Konrad Eleme habe ihn schon bisher bei der Lehrbucherstellung unterstützt und solle während der Reise außerdem Erfahrungen sammeln, die einer späteren Verwendung als Hilfs- und Vertretungslehrer zuträglich sein könnten.12 Dass Christaller so­ gar dazu bereit war, die Reise- und Unterbringungskosten seines Schülers in Höhe von 800 bis 1.000 M selbst zu tragen, als zum Zeitpunkt seiner Abreise im Mai 1889 weder durch das Gouvernement noch durch das Aus­ wärtige Amt eine Zusage zur Kostenübernahme vorlag, zeigt erneut Chris­ tallers persönliche Involvierung in das koloniale Schulprojekt. Immerhin entsprach der genannte Betrag etwa einem Fünftel seines Jahresgehalts.13 Dabei waren Christallers ursprüngliche Pläne sogar noch umfangreicher gewesen. Im Juni 1888 hatte er schon einen Antrag an Gouverneur von Soden gerichtet und darin einen einjährigen Deutschlandaufenthalt als notwendige Bedingung der „Beiziehung von Eingeborenen zum Schulund Gouvernementsdienste“ erklärt.14 Christaller beantragte, einige seiner besten Schüler zum Erlernen des Deutschen nach Deutschland schicken zu dürfen, da er in der Kolonie selbst nicht über die notwenige deutsche Literaturausstattung verfüge. Er selbst hatte außerdem insbesondere Inter­ esse an einem Ersatz für seinen bisherigen Lehrgehilfen Josef Bebe Bell, der als Dolmetscher lediglich ins Englische übersetzen könne.15 Doch im Auswärtigen Amt warnte man vor einer solchen Ausweitung der ko­

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BArch, R 1001/4071, Bl. 103–105. BArch, R 1001/4072, Bl. 25–26 (für die Zitate: Bl. 25). BArch, R 1001/4072, Bl. 25–26. BArch, R 1001/4072, Bl. 62–63. Böckheler, Theodor Christaller, S. 69. Zu Konrad Eleme, den die deutschen Archivakten bisweilen auch als Konrad Deibold füh­ ren, beachte weiterführend Kapitel 3.1.2. Siehe eine Fotographie in Böckheler, Theodor Christaller, S. 67. 14 BArch, R 1001/4071, Bl. 103–105 (für das Zitat: Bl. 103). 15 Ebd. Zu Josef Bebe Bell beachte auch Kapitel 2.1.5. Im September 1888 wurde Bell schließlich wegen „Unbrauchbarkeit“ entlassen, BArch, R 1001/4071, Bl. 117

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3. Reorganisation und Vernetzung

lonialen Schule und verwies einerseits auf den für die amtlichen Stellen unbefriedigenden Aufenthalt Alfred Bells in Deutschland und delegierte andererseits die Entscheidung über die weitere Aussendung indigener Ju­ gendlicher nach Deutschland an das Kameruner Gouvernement.16 Weite­ ren Verhandlungen kam Christaller dann durch seine selbst finanzierte Mitnahme Konrad Elemes zuvor, deren Kosten durch das Auswärtige Amt schließlich nachträglich erstattet wurden. Allerdings zeigte sich hier erneut die Skepsis Gouverneur von Sodens an der Ausbildung indigener junger Menschen in Deutschland, nachdem diese bereits eines der Argumente für die Gründung kolonialer Schulen vor Ort in der Kolonie gewesen war. So knüpfte von Soden seine Billigung der Kostenübernahme nicht nur an eine Versicherung Christallers, dass sich Konrad Eleme gut verhal­ ten habe, sondern auch an dessen zeitgebundene Dienstverpflichtung.17 Die Kolonialverwaltung verhinderte so insbesondere eine systematische Vernetzung im Sinne eines Ausbildungsweges für Indigene, der Stationen in der Kolonie und in Deutschland gleichermaßen einschloss. Dennoch gelang es Christaller trotz der Vorbehalte von Sodens hinsichtlich des dringend notwendigen Hilfspersonals die feste Etablierung seiner Schule in der Kolonie voranzubringen. Die Aufnahme von Christallers Gehalt in den regulären Etat bedeutete schließlich einen weiteren Schritt der Verstetigung. Dieser erfolgte zum Beginn des Etatjahrs 1889/1890 im April 1889.18 Die amtliche Bestallungs­ urkunde erhielt er nach seiner Rückkehr aus dem Heimaturlaub im Herbst 1889, wodurch er fortan den Status eines Landesbeamten der Kolonie Kamerun innehatte.19 Als solcher standen ihm neben dem Recht auf Hei­ maturlaub oder kostenfreie Rückreise nach Ablauf der aktuellen Dienstpe­ riode insbesondere Pensionsansprüche zu. Hier profitierte Christaller von einer im August 1888 per kaiserlicher Verordnung in Kraft getretenen Änderung der Rechtslage, die lokal etatisierte Beamte der deutschen Kolo­ nien Kamerun und Togo in die Regelungen des Reichsbeamtengesetzes einbezog und ihnen unter anderem Pensionsansprüche gewährte.20 Das pensionsfähige Gehalt belief sich nach Mitteilung des Reichskanzleramts

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(auch für das Zitat). Beachte auch die transkribierte Version in Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 120, S. 399–400. BArch, R 1001/4072, Bl. 12–16. Beachte Kapitel 2.1.2. Vgl. Aitken/Rosenhaft, Black Germany, S. 24–30. Aitken/Bowersox, Alfred Bell and Etuman. BArch, R 1001/6165, Bl. 27–28. Vgl. Aitken/Rosenhaft, Black Germany, S. 24. BArch, R 1001/4072, Bl. 12–16, 32. BArch, R 1001/4072, Bl. 91–92. Beachte Kapitel 2.1.3.

3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

an Christaller für diese Beamte abhängig von „der Anciennität [auf] 2.100 bis 4.200 M“.21 In der Summe änderte sich Christallers Gehalt zunächst nicht. Erst ab 1891 sollte es nach Übereinkunft der Gouvernements- und der Berliner Kolonialverwaltung von 5.000 M in jährlichen Schritten von 500 M auf 7.500 M steigen.22 Die zweite zentrale Auswirkung der Etatisierung von Christallers Gehalt zum April 1889 war die Ermöglichung der Anstellung eines weiteren Leh­ rers auf der bisher durch den Auslandsschulfonds finanzierten Lehrerstel­ le.23 Die Suche nach einem zweiten Lehrer hatte dabei schon im Sommer 1888 begonnen und sich an den von Christaller formulierten Kriterien orientiert.24 Dies bedeutete, dass das Auswärtige Amt im Auftrag des Gou­ vernements in Kamerun, wie schon anlässlich der Anstellung Christallers, Kontakt zu den württembergischen Behörden aufnahm, um die Verpflich­ tung des von Christaller vorgeschlagenen Lehrers Leonard Bauer aus Nie­ derstetten zu eruieren.25 Anders als im Falle der Anstellung Christallers kontaktierte das Auswärtige Amt nicht die preußische Kultusbehörde und griff insbesondere auch nicht auf die zahlreichen Bewerbungen aus dem Jahr 1886 zurück, sondern wählte in diesem Fall direkt den zuletzt erfolg­ reichen und raschen Verfahrensweg. Auch als Alternative zog man im Auswärtigen Amt nicht das Preußische Kultusministerium heran, sondern wandte sich hierzu an die Basler Mission. Und auch nachdem beide Vari­ anten, einen zweiten Lehrer zu gewinnen, zum Jahresende 1888 zunächst scheiterten, da zum einen Lehrer Bauer nicht tropentauglich war und zum anderen die Leitung der Basler Mission die Überlassung eines Missionars als Lehrer mit der bezeichnenden Begründung ablehnte, dass ihre Missio­ nare über keine ausreichenden Kenntnisse im Duala verfügten, erfolgte keine Anfrage beim Preußischen Kultusministerium.26 Die Preußische Gesandtschaft in Württemberg erhielt vielmehr den Auftrag, die dortige Suche fortzusetzen, was einerseits möglicherweise auf die 1886 zunächst durchaus zurückhaltende Mitwirkung der preußischen Kultusbehörde im Prozess der Stellensuche zurückzuführen ist, andererseits insbesondere Gouverneur von Sodens Wunsch entsprach, erneut einen in Württemberg, bestenfalls sogar im gleichen Volksschullehrerseminar wie Christaller aus­ 21 BArch, R 1001/4072, Bl. 66–69. Zur Differenzierung zwischen pensionsfähigem und pensionsberechtigendem Gehalt beachte Kapitel 3.4.4. 22 BArch, R 1001/4071, Bl. 42–44. BArch, R 1001/4072, Bl. 66–69, 91–93. 23 BArch, R 1001/4072, Bl. 4–4a, 12–16, 32. 24 BArch, R 1001/4071, Bl. 103–105. 25 BArch, R 1001/4071, Bl. 106–107. 26 BArch, R 1001/4071, Bl. 108, 128.

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3. Reorganisation und Vernetzung

gebildeten Lehrer anzustellen. Entsprechend formulierte das Auswärtige Amt auch keinen neuen Anforderungskatalog, sondern schrieb – abgese­ hen vom Gehalt, das nun 4.000 M betragen sollte – jenen 1886 geäußerten fort.27 Bezüglich der anderen Vertragsbedingungen und der Anforderun­ gen an die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Lehrers galt damit Christaller als Modell und repräsentierte das zum strategischen Herrschaftswissen ge­ hörende Stellenprofil. Die Absicht, erneut einen württembergischen Leh­ rer anzustellen, begründet Christallers Biograph Böckheler mit dem „In­ teresse eines einheitlichen Lehrgangs“, was angesichts der Beschaffenheit der Bildungslandschaft der 1880er-Jahre durchaus als plausibel anzusehen ist.28 Diese war aufgrund ihrer föderalen Grundstruktur, obgleich etwa Entwicklungen der Systembildung, der Berufsprofessionalisierung und der Etablierung reformpädagogischer Elemente in allen Staaten ähnlich verlie­ fen, hinsichtlich ihres Stadiums in den einzelnen deutschen Ländern und nicht zuletzt auch zwischen Stadt- und Landschulen durchaus divers.29 Insbesondere die Reformen der Lehrerbildung vollzogen sich zwar in ähnlichen Schritten, aber in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, sodass es durchaus sinnvoll war, zu versuchen, einen gefundenen Standard zu reproduzieren.30 Hinzu tritt, dass die deutschen Staaten über jeweils ver­ schieden festgelegte amtliche Schriftnormen verfügten.31 Eine schon in der Lehrerauswahl bedachte Vermeidung der Anwendung unterschiedlicher Systeme erscheint darum nachvollziehbar. Sie korrespondiert im Übrigen mit der von Christaller berichteten Benutzung eines „Württembergischen Lesebuchs für die Mittelstufe“ im Deutschunterricht ab Jahresbeginn 1890 und diente auch als explizite Begründung bei späteren Stellenbesetzungen und Lehrmittelbeschaffungen in Kamerun.32

27 BArch, R 1001/4071, Bl. 38–40, 123–124. Beachte Kapitel 2.1.3. 28 Böckheler, Theodor Christaller, S. 70 (für das Zitat). 29 Vgl. Geißler, Schulgeschichte in Deutschland, S. 178. Nath, Axel: Die Schulen in den Bildungssystemen der deutschen Länder. Die „Langen Wellen des Bildungs­ wachstums“ und die Annäherung der sozialen Pole des Bildungssystems – Diffe­ renzierung und Integration, Individualisierung und Universalisierung, in: Nath, Axel; Titze, Hartmut (Hg.): Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III, Differenzierung und Integration der niederen Schulen in Deutschland 1800–1945, Göttingen 2016, S. 81–136, hier: S. 105. 30 Vgl. Dartenne, Seminare, S. 154–158. 31 Vgl. Geißler, Schulgeschichte in Deutschland, S. 180–181. 32 BArch, R 1001/4072, Bl. 118–119. BArch, R 1001/4073, Bl. 5–7, 117, 179–181. Ueber die deutschen Schulen im Kamerun-Gebiet…, in: DKB, Jg. 1 (1890), S. 73– 75, hier: S. 73–74.

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

Obwohl die Fokussierung auf einen württembergischen Lehrer eine Ein­ schränkung des potentiellen Bewerberkreises bedeutete, gelang es erneut sehr schnell, auf diesem Weg einen Lehrer zu finden. Diese Einschrän­ kung ist mit Blick auf die weiteren Anstellungen der Württemberger Karl Köbele und Christian G. Barth für die erste deutsche koloniale Schule in Togo bzw. Deutsch-Ostafrika als weitere wegweisende Festigung ver­ fahrensstrategischen Herrschaftswissens und dessen Weiterverbreitung zu konstatieren.33 Friedrich Flad, der im Januar 1889 innerhalb von nur drei Wochen kontaktiert, beauftragt und für den 31. Januar 1889 zur Ausreise aufgefordert wurde, entsprach dem gewünschten Stellenprofil durchaus.34 Er war mit 22 Jahren zum Zeitpunkt seiner Ausreise nur ein Jahr jün­ ger als Christaller seinerzeit, stammte ebenfalls aus Württemberg – aus Holzelfingen, heute ein Ortsteil Lichtensteins bei Reutlingen – und war ausgebildeter Volksschullehrer.35 Wie Christaller hatte auch Flad nach seiner Ausbildung etwas Berufserfahrung gesammelt. Er hatte keinen mis­ sionsschulischen Hintergrund, sondern vor seiner Verpflichtung für die deutsche koloniale Schule an der 1886 gegründeten und noch heute exis­ tierenden Jakobschule in Stuttgart gearbeitet.36 Gouvernementsberichte aus dem Juni und Juli 1889 beschreiben Flad als auffassungsschnell und lernbereit. Zunächst habe er überfordert gewirkt, sich aber etwa durch das Aufdecken eines offenbar irreführend übersetzenden Dolmetschers als wie gewünscht sprachbegabt erwiesen. Zudem sei auch sein Unterricht nicht nur von den deutschen Beobachtern, sondern auch von Chief Dumbe Lobe Bell positiv bewertet worden.37 Da 1889 noch keine institutionelle Ausbildung kolonialer Lehrer etabliert war – diese sollte erst 1891 und auch nur für diejenigen Lehrer, die in die Kolonie Deutsch-Ostafrika entsandt wurden, eingerichtet werden38 –, oblag die Einarbeitung Flads Theodor Christaller. Ab der Ankunft des zweiten Lehrers in Kamerun am 2. März 1889 und bis zur Ausreise Christallers Anfang Mai 1889 unter­

33 Zur Anstellung Köbeles beachte Kapitel 3.1.3, zur Anstellung Barths beachte Kapitel 2.2.1. 34 BArch, R 1001/4072, Bl. 2, 5–7, 18. 35 Lenz, Regierungsschule, S. 23. 36 BArch, R 1001/4072, Bl. 17. Zur Jakobschule beachte https://stuttgart.im-bild .org/fotos/bildungseinrichtungen/jakobschule (Abruf am 12.5.2020). Seine Ausbildungszeit verbrachte Flad an der Stöckachschule in Stuttgart, Einer tele­ graphischen Meldung…, in: DKB, Jg. 2 (1891), S. 83. 37 BArch, R 1001/4071, Bl. 62–63, 71–73. 38 Beachte Kapitel 2.2.2.

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3. Reorganisation und Vernetzung

richteten beide darum gemeinsam in Bonamandone.39 Der so vollzogene direkte Wissenstransfer von Lehrstelleninhaber zu Vertreter bzw. später auch von Vorgängern zu Nachfolgern stellt den prototypischen Idealfall dar, den die Gouvernementsverwaltungen bei Lehrerwechseln grundsätz­ lich anstrebten. Das Eintreten dieses Idealfalls wurde aber häufig durch gesundheitliche Beeinträchtigungen der Lehrkräfte erschwert, die diese zu einer raschen Ausreise zwangen. Auch langsame oder bisweilen sehr aufwändige Kommunikationen zwischen den amtlichen Stellen unterein­ ander oder mit den Lehrkräften verhinderten bisweilen eine Übergabe von Lehrkraft zu Lehrkraft. Hinzu kamen Verzögerungen bei der Ausbildung oder Anreise der neuen Lehrkräfte.40 Dass bei diesem ersten Lehrerwechsel in einer deutschen kolonialen Schule der Übergang in der gewünschten Form verlief, lag mithin nur daran, dass Flad kaum anderthalb Monate nach seiner Verpflichtung bereits in Kamerun war und den Unterricht schrittweise übernehmen konnte. Durch die Anstellung Flads entstand nun eine erste formale Diensthier­ archie in der deutschen kolonialen Schule. Schon das Schreiben, mit wel­ chem das Reichskanzleramt Flad die Übertragung der Lehrerstelle bekannt gab, stellte fest, dass dieser Christaller unterstellt war. Dies spiegelte sich auch in Flads Gehalt wider, welches mit 4.000 M verglichen mit dem Gehalt deutscher Volksschullehrer der 1880er-Jahren immer noch sehr gut, aber um 1.000 M niedriger war als das Gehalt Christallers. Zudem hatte Flad vor der Ausreise auch ein um 200 M geringeres Ausrüstungsgeld als Christaller seinerzeit erhalten.41 Für den schulischen Alltag spielte die Diensthierarchie insbesondere für die Zeit von Christallers Abwesenheit, aber auch danach, allerdings keine große Rolle. Flad übernahm Christal­ lers Unterricht in Bonamandone und füllte zur Zufriedenheit des Gouver­ nements dessen herrschaftspolitische Vermittlerposition zwischen Gouver­ 39 BArch, R 1001/4072, Bl. 48. Böckheler, Theodor Christaller, S. 69. Lenz, Regie­ rungsschule, S. 23. Zum erheblichen Wissensvorsprung der sich schon vor Ort Befindenden hin­ sichtlich lokaler Handlungsmöglichkeiten und dem daraus entstehenden Span­ nungsverhältnis dieser und neu hinzukommender Beamten beachte Eckert/Pe­ sek, Bürokratische Ordnung, S. 101–104. 40 Beachte etwa den Übergang von Lehrer Christian G. Barth zu Lehrer Paul Blank in Deutsch-Ostafrika, Kapitel 2.1.5. Zum erheblichen Aufwand der Urlaubspla­ nung beachte die Kommunikation zwischen dem Gouverneur von Samoa, Solf, und den Lehrkräften Damm, Osbahr und Schultze, BArch, R 1004-F/75417 (Schultze), Bl. 24–29. 41 BArch, R 1001/4072, Bl. 5–7. Christaller war diesem Erlass gemäß lediglich Gou­ verneur von Soden untergeordnet, ebd.

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

nement und Chief Dumbe Lobe Bell aus.42 Er erweiterte außerdem – ohne dass es Hinweise auf die Notwendigkeit einer vorherigen Absprache mit Christaller oder Gouverneur von Soden gibt – das Fach Deutsch um das Schreiben von Aufsätzen sowie Konversationsstunden.43 Flad verfügte also gegenüber seinen Schülern über die gleichen Kompetenzen wie Christaller und konnte die Unterrichtsinhalte nach seinen Maßstäben verändern. Nach der Rückkehr Christallers nach Kamerun im Herbst 1889 erfolgte im Rahmen der organisatorischen Verstetigung der kolonialen Schule der nächste wichtige Schritt. Wie ein Jahr zuvor zwischen Gouverneur von Soden und dem Auswärtigen Amt vereinbart, begannen nun die Bemü­ hungen um die Etablierung einer weiteren Schule, in der Flad unterrich­ ten sollte.44 Hierzu schloss das Gouvernement am 29. September 1889 „mit dem Häuptling Jim Ekkwalla von Bonebela (Deido-Dorf) ein Abkom­ men“, durch welches ab dem 1. November 1889 ein etwa 2.500 m2 großes Grundstück in Bonebela mitsamt allen dort stehenden Häusern, deren Bewohner zu Lasten des Chiefs umgesiedelt werden sollten, in den Besitz des Gouvernements überging. Dieses verpflichtete sich im Gegenzug zur Errichtung eines Schulgebäudes, der Stellung eines Lehrers und der Garan­ tie, für fünf Jahre kein Schulgeld einzufordern.45 Bei der Verhandlung die­ ses Vertrages, in dem insbesondere keine Geldzahlung vereinbart wurde, spielte Lehrer Flad eine wichtige Rolle. Er gehörte nicht nur zu den Unter­ zeichnern, sondern fertigte auch die Übersetzung des Vertrages ins Duala an.46 Entsprechend ist anzunehmen, dass er auch als Verhandelnder, zu­ mindest als Dolmetscher in den Verhandlungen fungierte und so bereits in dieser Phase der Schulgründung gegenüber den Duala als ‚Repräsentant‘ des Gouvernements und ‚Vermittler‘ zwischen beiden Parteien eingeführt wurde.47 Der Vertrag ermöglichte es dem Gouvernement nun, mit einem weite­ ren der führenden Duala-Chiefs über eine Schule in Beziehung zu treten. Die Duala-Chiefs von Bonebela, welches wie Bonamandone am Kamerun­ fluss (Wuri River) gelegen war, sind dabei im Herrschaftsgefüge der Duala als eigenständige, an Prestige und Einfluss den Chiefs von Bonanjo (Bell)

42 43 44 45

BArch, R 1001/4072, Bl. 62–63, 74–82. BArch, R 1001/4072, Bl. 71–81. BArch, R 1001/4071, Bl. 99–102. BArch, R 1001/4072, Bl. 94–95 (für das Zitat: Bl. 94). Beachte die transkribierte Version des Vertrages in Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpäd­ agogik, Dok. 5, S. 70–72. 46 BArch, R 1001/4072, Bl. 95–96. 47 Vgl. Hirschhausen, A New Imperial History?, S. 735–737.

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3. Reorganisation und Vernetzung

und Bonaku (Akwa) tendenziell nachrangig anzusehen. Dabei besteht ins­ besondere eine genealogische Verbindung zu den Chiefs von Bonaku, die bei der ersten Schulgründung in Bonamandone nicht berücksichtigt worden waren, da dort die Basler Mission ihre Schultätigkeit aufgenom­ men hatte.48 Mit der Auswahl Bonebelas als zweiten regierungsseitigen Schulort gelang es dem Gouvernement also, unter Beibehaltung des schon bei der ersten Gründung beachteten Kriteriums, nicht in direkte Konkur­ renz zur grundsätzlich kooperationswilligen Basler Missionen zu treten, auch den zweiten großen Teil der Duala schulisch zu adressieren. Entspre­ chend erweist sich die Beachtung des lokalen Herrschaftsgefüges erneut als maßgeblich für politische Entscheidungen des Gouvernements.49 Insofern kann die Schulgründung weder als Beleg für die von Austen und Derrick bemerkte tendenzielle Hinwendung Gouverneur von Sodens zu den Dua­ la-Chiefs um Dika Mpondo Akwa, noch als Gegenbeleg für die von Eckert konstatierte dauernde Bevorzugung Chief Bells und seiner Unterstützer dienen.50 Sie nimmt vielmehr die Gestalt einer Ausgleichsmaßnahme an, welche die herrschaftspolitischen Möglichkeiten des Gouvernements um direkte Schulkontakte mit den Chiefs von Bonebela erweiterte.51 Die diesbezüglichen Entwicklungen glichen denen der Eröffnung der ersten Schule in Bonamandone. Auch in Bonebela bestand die Schüler­ schaft zum überwiegenden Teil aus „der Nachkommenschaft“ des Chiefs, der Flad zufolge explizit um die Errichtung einer Schule gebeten hatte.52 Der Schulunterricht begann ebenfalls rasch nach der Übereinkunft zu­ nächst in einem der schon bestehenden Häuser, und, wie Christaller sei­

48 Vgl. Ardener, Edwin: Coastal Bantu of the Cameroons, in: Forde, Daryll (Hg.): Ethnographic Survey of Africa, Western Africa, Part XI, London 1956, S. 18–20. Eckert, Duala, S. 50–55. Beachte Kapitel 2.1.5. 49 Vgl. Schaper, Chieftaincy, S. 197. 50 Vgl. Austen/Derrick, Middlemen, S. 103–104. Eckert, Duala, S. 116. 51 Erste schulische Kontakte zwischen den Deutschen und den Bonebela-Duala hatten bis dahin durch die Aufenthalte Ebobse Dide 1885 in Hamburg sowie durch Etame Mungu, Etuman, Ekwalla und Ekwa Money, die 1887 Alfred Bell nach Altona begleiteten, bestanden, vgl. Aitken/Rosenhaft, Black Germany, S. 1, 23. 52 BArch, R 1001/4072, Bl. 120–123 (für das Zitat: Bl. 121). Ueber die deutschen Schulen im Kamerun-Gebiet…, in: DKB, Jg. 1 (1890), S. 73–75, hier: S. 74–75. Vgl. Aitken/Rosenhaft, Black Germany, S. 23. Christallers Biograph Böckheler bezeichnet hingegen allein einen Antrag Christallers als Auslöser der Schulgrün­ dung in Bonebela, Böckheler, Theodor Christaller, S. 70.

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nerzeit, wohnte Flad zunächst bei den Basler Missionaren.53 Der Verzicht auf die Erhebung von Schulgeld, ein Abweichen vom bisherigen Modus, wog dabei nicht schwer, da schon in Bonamandone die Zahlungen sehr schleppend eingingen und Flad während seiner dortigen Vertretungszeit bereits die Abschaffung dieser Gebühren gefordert hatte.54 Wie in Bona­ mandone strebte das Gouvernement auch in Bonebela den Bau eines neu­ en Schulgebäudes an. Hierzu erwarb das Gouvernement im Januar 1890 eine weitere, an das bisherige Grundstück angrenzende Fläche von etwa 1.200 m2, welche das Gebiet insgesamt arrondierte und es nicht notwendig machte, bestehende Gebäude für das Schulhaus abzureißen.55 Der für die­ sen ‚Kauf‘ an den Grundstücksbesitzer Senda Muanza entrichtete ‚Preis‘ belief sich auf „6 Kru an Gütern und einen Demijohn Rum […], also im Ganzen etwa 90 M“.56 Lehrer Flad war auch an der Aushandlung dieses Vertrages beteiligt, der ihn als Protokollführer ausgibt.57 Nachdem nun schon die Lehrerauswahl und auch die Schulgründung in Bonebela gezeigt haben, dass sich die im Zuge der Errichtung der Schule in Bonamandone etablierten Herrschaftsprozesse gefestigt und be­ schleunigt hatten, lässt sich dies, und hier insbesondere letzteres, auch für den Bau des Schulgebäudes festhalten. Anders als in Bonamandone errichtete man das Schulgebäude nun nicht als Fachwerkhaus und ließ es aufwendig aus Deutschland liefern.58 Vielmehr bestanden sowohl die Unterkonstruktion als auch die Wände des Gebäudes aus Backsteinen, die in der gouvernementseigenen Ziegelei hergestellt worden waren. Als sollte auch die Höhe des Gebäudes die neue Diensthierarchie widerspiegeln, 53 BArch, R 1001/4072, Bl. 120–123 (für das Zitat: Bl. 121). Ueber die deutschen Schulen im Kamerun-Gebiet…, in: DKB, Jg. 1 (1890), S. 73–75, hier: S. 74–75. 54 BArch, R 1001/4072, Bl. 74–81. Dass man diese Position im Auswärtigen Amt nicht für veröffentlichungswürdig erachtete, belegt die Auslassung dieser Forde­ rung in dem ansonsten fast ungekürzt in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung abgedruckten Schulbericht, BArch, R 1001/4072, Bl. 83. Bericht über den Unter­ richt an der deutschen Schule in Kamerun für die Zeit vom März bis Juli 1889, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung (September 1889). Im Herbst 1890 sah das Gouvernement schließlich auch in Bonamandone davon ab, Schulgeld zu erheben, nachdem einige Schüler auf die kostenfreien Schulen in Bonebela bzw. der Basler Mission gewechselt waren, BArch, R 1001/4072, Bl. 146. 55 Beachte den Grundriss des Grundstückes in BArch, R 1001/4072, Bl. 112. 56 BArch, R 1001/4072, Bl. 106–111 (für das Zitat: Bl. 106). Zu den unterschiedli­ chen Konzepten der Rechte an Land und Boden beachte Eckert, Andreas: Grund­ besitz, Landkonflikte und kolonialer Wandel. Douala 1880 bis 1960, Stuttgart 1999, S. 20–21. 57 BArch, R 1001/4072, Bl. 110–111. 58 Beachte Kapitel 2.1.5.

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3. Reorganisation und Vernetzung

verfügte das Gebäude nicht wie das in Bonamandone über ein erstes Stock­ werk. Die dort in diesem untergebrachte Lehrerwohnung befand sich in Bonebela in dem zuvor als Übergangsschulgebäude genutzten Haus. In Bonebela sollte das Gelände auch über einen Garten für die Anleitung zur Gartenarbeit verfügen. Das Schulgebäude selbst war im Innern schließ­ lich in „drei gleich große“ Räume unterteilt, was damit entweder die Unterteilung der sich auf 25 Schüler belaufenden Schülergruppe oder die zukünftige Aufnahme weiterer Gruppen ermöglichte.59

Das Schulgebäude in Bonebela (1889–1902)

59 BArch, R 1001/4072, Bl. 106–109 (für das Zitat: Bl. 108). Schran, Bauthätigkeit, S. 232. Beachte eine weitere Fotographie des Gebäudes in BArch, R 1001/4072, Bl. 130 (Fotograph unbekannt, 6.4.1890).

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

Eine Schülergruppe vor dem Schulgebäude in Bonebela (1889–1902) Die neue Schule war damit trotz Diensthierarchie als zweite, weitestge­ hend selbstständige Einheit konzipiert und entsprechend richtete sich Flads Unterricht nach Christallers Lehrplan und Lehrbüchern. Flad setzte im Umgang mit der Schülerschaft allerdings auch eigene Schwerpunkte. So handhabte er insbesondere die Reglementierung derjenigen Schüler, die unregelmäßig oder unpünktlich zum Unterricht erschienen, laxer als Christaller. Flad unterrichte „so viele Schüler als möglich“, während Chris­ taller, der für seine paternalistische Strenge bekannt war, nur „tätige[n] und regelmäßig die Schule besuchende[n] Schüler[n]“ dauerhaften Zu­ gang zu Schule gewährte.60 Aus der Perspektive des Gouvernements, das beide Schulen im Frühjahr 1890 kontrollierte, unterrichteten beide Lehrer trotz dieser Unterschiede aber erfolgreich. Im April 1890 berichtete von Sodens Stellvertreter Eugen Zimmerer61 an Reichskanzler Bismarck, dass

60 BArch, R 1001/4072, Bl. 115–117 (für die Zitate: Bl. 115). 61 Eugen Zimmerer (24.11.1843–11.3.1918) war Jurist und von Juli 1887 bis Okto­ ber 1888 Kanzler sowie stellvertretender Gouverneur in Kamerun. Anschließend war er für etwa ein Jahr Kommissar der Kolonie Togo, bevor er ab Oktober 1889 zunächst vertretungsweise, ab April 1891 dann hauptamtlich als Gouverneur in Kamerun tätig war. In diesem Amt verblieb er bis zu seiner Versetzung in den

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3. Reorganisation und Vernetzung

er beide Schulen sogar prestigeträchtig dem Kapitän eines im Hafen vor Anker liegenden spanischen Kreuzers hatte vorführen können und dieser die Überlegenheit der deutschen Schulen gegenüber den Missionsschulen auf der sich in spanischem Kolonialbesitz befindenden Insel Fernando Po (heutiges Bioko, Äquatorial-Guinea) zugegeben habe.62 Die im Rahmen der organisatorischen Verstetigung vollzogene Expansi­ on der deutschen kolonialen Schule erfuhr kaum ein Jahr später durch den plötzlichen Tod von Lehrer Flad Ende Januar 1891 schon wieder einen Rückschlag.63 Das folgende Kapitel befasst sich damit zunächst mit der dadurch exemplarisch greifbaren Fragilität des Kolonialen, die im Falle der kolonialen Schule durch die große Abhängigkeit des Fortbestehens einer Schule von der Anwesenheit einzelner weniger Personen bedingt wurde, und skizziert insbesondere die Bedeutung zweier indigener Lehrer, die frü­ her, als von der Gouvernementsverwaltung beabsichtigt, eine wesentliche Rolle in den Schulen in Bonamandone und Bonebela spielten.

3.1.2 Konrad Eleme und Senga Kuo Friedrich Flad verstarb am 28. Januar 1891 in der Folge einer Erkrankung an Schwarzwasserfieber.64 Sein Tod kam sowohl für die Gouvernements­ verwaltung in Kamerun als auch die Kolonialverwaltung im Auswärtigen Amt unerwartet, da man Flad eigentlich auf dem Weg der Besserung

einstweiligen Ruhestand im Juli 1895. Von 1898 bis 1910 versah er mehrere konsularische Ämter, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 5 T-Z, Nachträge, Paderborn 2014, S. 375–376. 62 BArch, R 1001/4072, Bl. 115–117. 63 BArch, R 1001/4073, Bl. 5. Lenz, Regierungsschule, S. 23. Beachte die von Christaller angefertigte Fotographie des Grabsteins von Friedrich Flad in BMA E-30.06.037 (Fotograph: Theodor Christaller, 1.1.1895–31.12.1902) 64 Böckheler, Theodor, Christaller, S. 71. Lenz, Regierungsschule, S. 23. Als Ursache einer Erkrankung an Schwarzwasserfieber gilt eine Überempfindlichkeitsreakti­ on auf Chinin, welches seinerzeit sowohl prophylaktisch als auch therapeutisch gegen tropische Malaria eingesetzt wurde, vgl. Bauche, Manuela: Medizin und Herrschaft. Malariabekämpfung in Kamerun, Ostafrika und Ostfriesland (1890– 1919), Frankfurt am Main 2017, S. 85–87. Eckart, Wolfgang U.: Medizin und Ko­ lonialimperialismus. Deutschland 1884–1945, Paderborn 1997, S. 123–124, 302– 303. Schwarzwasserfieber, in: Sauermost Rolf, Freudig, Doris (Hg.): Lexikon der Biologie, Heidelberg 1999, https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/schwarzwa sserfieber/60171 (Abruf am 22.5.2020).

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

wähnte.65 Damit hatte sich unleugbar bestätigt, was bei der Gründung der ersten kolonialen Schule in Bonamandone bereits öffentlich disku­ tiert worden war, nämlich die Gesundheitsgefahr einer Tätigkeit in den afrikanischen Kolonien. Diese bestand aus einer Mischung aus erhöhter Erkrankungswahrscheinlichkeit und mangelhafter medizinischer Versor­ gung, was dazu führte, dass Krankheit und Tod zu den kolonialen All­ tagserfahrungen gehörten.66 Auch Theodor Christaller hatte bereits „am Fieber krank gelegen“ und schließlich auch seinen Heimaturlaub 1889 aus gesundheitlichen Gründen vorziehen müssen.67 Aus den Schulberich­ ten erfuhr die deutsche Öffentlichkeit hierüber nichts. Dass Christaller im Sommer 1891 alsdann erneut aus gesundheitlichen Gründen in den Heimaturlaub ging, strich die Kolonialverwaltung gar aus dessen Berichts­ manuskript, welches ansonsten fast im originalen Wortlaut zur Veröffent­ lichung im Deutschen Kolonialblatt genutzt wurde.68 Besser in das offenbar beabsichtigte Bild passte wohl ein Artikel, der im Januar 1892 in der Frankfurter Zeitung anlässlich eines Vortrages von Christaller vor der allge­ meinen Lehrer-Versammlung erschien. Darin fanden Christallers Gesund­ heitsprobleme keine Erwähnung. Vielmehr beschied der Artikel diesem irrigerweise „ein[e] unerschüttert[e] Gesundheit“.69 Ein Jahr zuvor hatten sich Krankheit und Tod als durchaus problema­ tisch für das Konzept der Schulen als weitestgehend selbstständige Einhei­

65 Lenz, Regierungsschule, S. 23. 66 Vgl. Bauche, Medizin und Herrschaft, S. 43–44, 77. Eckart, Medizin und Kolo­ nialimperialismus, S. 187. Fabian, Tropenfieber, S. 109–111. Zurstrassen, „Ein Stück deutscher Erde schaffen“, S. 73–77. Beachte Kapitel 2.1.3. Die oben be­ schriebene Art der Erkrankung am Schwarzwasserfieber zeigt diese Mischung exemplarisch. 67 Böckheler, Theodor Christaller, S. 43, 60 (für das Zitat: S. 43). Vgl. Eckart, Medi­ zin und Kolonialimperialismus, S. 243. Beachte Kapitel 3.1.1. 68 BArch, R 1001/4073, Bl. 16–19. Bericht des Lehrers Th. Christaller über den Stand der Regierungsschulen in Kamerun, in: DKB, Jg. 2 (1891), S. 315–316. Für die gleiche Diskrepanz zwischen Manuskript und veröffentlichtem Bericht beach­ te BArch, R 1001/4073, Bl. 25–31. Bericht des Lehrers Betz über den Stand der Regierungsschulen in Kamerun vom Anfang August bis Ende November 1891, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 76–78. Zur Berichtssuggestion beachte auch Eckert/Pe­ sek, Bürokratische Ordnung, S. 90. 69 BArch, R 1001/4074, Bl. 33. Ein Gast aus weiter Ferne…, in: Frankfurter Zei­ tung, Nr. 31 (31.1.1892). Der Artikel ist ebenfalls eine der seltenen Quellen, die Vortragstätigkeiten der sich auf Heimaturlaub befindenden Lehrer erwähnt. Er konstatiert allerdings, dass „das Auswärtige Amt nicht wünscht, dass die Christal­ ler’schen Schilderungen durch die Tagesblätter gehen und somit auch in anderen als Lehrerkreisen Verbreitung finden“, ebd.

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3. Reorganisation und Vernetzung

ten erwiesen und die Fragilität des Konstruktes offengelegt. Nach Flads Tod hatte Christaller den Unterricht für die Klasse der Fortgeschrittenen aus Bonebela zunächst in seiner Schule in Bonamandone erteilt und war nicht mehr als zwei Mal wöchentlich nach Bonebela gereist, um die verbliebene Schülerschaft zu unterrichten. Ansonsten leitete Christallers Lehrgehilfe Konrad Eleme den dortigen Unterricht.70 Dessen kolonialer Lebensweg mag als prototypisch für die an die Schule unter anderem gerichteten Erwartungen gelten, indigene Hilfsarbeiter hervorzubringen, zeigt aber auch die Mischung aus Misstrauen und Angewiesenheit, die das Verhältnis der kolonialen Behörden zu dieser Personengruppe kenn­ zeichnete.71 Konrad Eleme gehörte zu denjenigen Schülern, die Christaller schon in seinem alten Schulhaus unterrichtet hatte. Auf dem ersten, 1887 angefertigten Bild einer deutschen kolonialen Schule ist er neben Christal­ ler, der den Arm auf die Schultern seines als „Leibburschen“ bezeichneten Schülers legt, zu sehen.72 Dabei kann die Geste durchaus als Vorzeichen der ambivalenten Beziehung Christallers zu seinem Gehilfen gedeutet wer­ den. Sieht man in ihr ein Aufstützen, steht sie für die Angewiesenheit Christallers auf Hilfe bei der Lehrbucherstellung, im Unterricht und auch im eigenen Haushalt.73 Versteht man sie hingegen als Schutzgeste, drückt sie Christallers väterliche Zugewandtheit zu seinem Schüler aus, von der Christallers Biograph Böckheler eingehend berichtet. Dessen Schilderun­ gen lassen annehmen, dass Christaller für Konrad Eleme seinen strengen Führungsstil lockerte und etwa davon absah, diesen auf Grund von Ver­ fehlungen vom Schulunterricht auszuschließen.74 Eine solche Maßnahme hätte allerdings auch für das Gouvernement zu Problemen geführt, denn Konrad Eleme war einer derjenigen Duala, die relativ früh im Prozess des Aufbaus der örtlichen deutschen Verwaltung so gut Deutsch sprachen, um in der mit wenig deutschem Personal ausgestatteten Gouvernementskanz­ lei zu arbeiten.75 Elemes Bedeutung stieg noch einmal, als Christaller im Juli 1891 schließlich erneut aus Gesundheitsgründen nach Deutschland abreisen musste und Flads designierter Nachfolger noch nicht vor Ort war. Da dieser erst im August des gleichen Jahres in Kamerun eintraf, leitete damit 70 71 72 73

BArch, R 1001/4073, Bl. 5. Beachte Kapitel 2.1.1. BArch, R 1001/4071, Bl. 6–7 (für das Zitat: Bl. 7). Für das Bild siehe Kapitel 2.1.5. Konrad Eleme war beispielsweise auch Christallers Krankenpfleger, Böckheler, Theodor Christaller, S. 53, 60–61. Beachte Kapitel 3.1.1. 74 Böckheler, Theodor Christaller, S. 65–68. 75 BArch, R 1001/4073, Bl. 14.

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

Konrad Eleme für einen Monat allein die Schule, was ihn für diese Zeit zum einzigen sich vor Ort befindenden Lehrer innerhalb der deutschen kolonialen Schule machte.76 Zwar büßte Eleme diese Einzigartigkeit mit der Ankunft von Rudolf Betz aus Esslingen77, der als Nachfolger Flads verpflichtet worden war, wieder ein. Da sich Christaller in Deutschland aufhielt und die Gouvernementsleitung entschied, keinen weiteren Lehrer kurzerhand anzustellen, blieb er aber dennoch für den gesamten Rest des Jahres Lehrer, wenn auch nun in Bonebela, während Betz den Unter­ richt in Bonamandone erteilte.78 Und obgleich Lehrer Betz im Schulbe­ richt vom Dezember 1891 betonte, dass er Eleme wöchentlich auf seine Tätigkeit vorbereitet habe, und das den Bericht übermittelnde Schreiben des Gouvernements hervorhob, dass „Conrad […] nicht so begabt [ist], um eine größere Anzahl von Schülern längere Zeit hindurch vorwärts zu bringen“, hatte Eleme doch einen entscheidenden Vorteil gegenüber Betz, nämlich seine Sprachkenntnisse.79 Letzterer musste mangels Dolmet­ schers und „wegen Unkenntnis der Sprache“ Teile des Unterrichts, für die er Duala können musste, aussetzen, während Eleme den Unterricht in Bonebela im bisherigen Umfang, also insbesondere unter Einschluss des Deutschunterrichts, fortsetzte.80 Konrad Eleme war damit mehr als ein „Provisorium“, als welches ihn Gouverneur Zimmerer im Februar 1891 bezeichnet hatte.81 Seine Sprach­ kenntnisse bildeten die Wissensbrücke, welche die ausgebliebene Überga­ be der Amtsgeschäfte zwischen Christaller und Betz nicht hatte errichten

76 BArch, R 1001/4073, Bl. 11. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 2 (1891), S. 288. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 4 (1893), S. 470. Böckheler, Theodor Christal­ ler, S. 86. 77 Rudolf Betz (26.7.1867 – 12.7.1898) stammte – natürlich – auch aus Württem­ berg und hatte 1887 seine Volksschullehrerausbildung abgeschlossen. Daraufhin arbeitete er als Volksschullehrer und verpflichtete sich am 13.6.1891 zum kolo­ nialen Schuldienst. Am 5.7.1891 reiste er von Hamburg aus nach Kamerun, wo er am 8.8.1891 eintraf, BArch, R 1001/4073, B. 6–7. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 2 (1891), S. 273. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 9 (1898), S. 453. Lenz, Regierungsschule, S. 23. Beachte insbesondere auch Kapitel 3.1.4. 78 BArch, R 1001/4073, Bl. 23–31. Aitken und Rosenhaft interpretieren Konrad Elemes Versetzung nach Bonebela eigenwillig und ohne Quellengrundlage als „Flucht vom kontrollierenden Einfluss des Missionars Theodor Christaller“, der weder Missionar, noch zum Zeitpunkt der Versetzung in Kamerun war, vgl. Ait­ ken/Rosenhaft, Black Germany, S. 53, FN 122 (eigene Übersetzung der zitierten Textstelle). 79 BArch, R 1001/4073, Bl. 23–31 (für das Zitat: Bl. 23). 80 BArch, R 1001/4073, Bl. 27–31 (für das Zitat: Bl. 30). 81 BArch, R 1001/4073, Bl. 5 (auch für das Zitat).

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3. Reorganisation und Vernetzung

können. Trotz der mittlerweile erfolgten organisatorischen Verstetigung, die sich auch in der an sich raschen Gewinnung von Lehrer Betz über den erprobten Kommunikationskanal zwischen dem Auswärtigen Amt und dem württembergischen Kultusministerium gezeigt hatte, erwies sich das aufgebaute kleine Schulwesen als fragil. Die wesentlichen Bedingungen der Fragilität waren die dünne Personaldecke und die Abhängigkeit der Schule von einer sich möglichst überschneidenden Präsenz der Lehrkräfte. Dies änderte sich auch in den Folgejahren nicht, in denen es regelmäßig geschah, dass nur ein oder gar kein deutscher Lehrer vor Ort war, wobei auch hier die häufigen Krankheitszeiten und die Todesfälle innerhalb der Lehrerschaft die zentrale Ursache waren.82 Gezwungenermaßen verstetigte sich so auch der Einsatz indigener Lehrer in der kolonialen Schule in Ka­ merun, obwohl die deutschen Lehrer und die Leitung des Gouvernements regelmäßig ihr prinzipielles Misstrauen diesen gegenüber kund taten und an den Überzeugungen festhielten, diese seien zu einer eigenständigen Unterrichtsführung nicht fähig und würden auch nicht das gleiche Maß an Respekt hervorrufen wie ein deutscher Lehrer.83 Der Einsatz indigener Lehrer wurde in Kamerun allerdings nicht derart ausgeweitet, als dass man von einem vernetzten Schulsystem sprechen kann, wie es sich Mitte der 1890er-Jahre beginnend in der Kolonie Deutsch-Ostafrika entwickelte.84 Indigene Lehrer und Lehrgehilfen bildeten ein gewisses Sicherungsnetz des fragilen Schulkonstrukts, und es waren Einzelne, die darüber hinaus in den Vordergrund traten. Ein weiterer dieser im kolonialschulischen Duktus als „Unterlehrer“ oder „Lehrgehilfe“ bezeichneten Kameruner war Senga Kuo, der wie Konrad Eleme zu den ersten Schülern Christallers gehörte und ebenfalls vergleichsweise schnell Deutsch lernte.85 Böckheler beschrieb ihn, 1887 zehnjährig im Schulunterricht sitzend, als „ein kleines Männlein mit sanf­ tem Gesicht und aufgeweckten Augen“, während Gouverneur von Soden ihn in einem Bericht an Reichskanzler Bismarck im Juni 1889 als „Schlau­ berger“ bezeichnete.86 Er galt also als begabt, was das Gouvernement im

82 83 84 85

Beachte insbesondere Kapitel 3.1.4. BArch, R 1001/4073, Bl. 16–19, 23–31, 96–102, 130, 141–142. Lenz, Regierungsschule, S. 26. Beachte hierzu insbesondere Kapitel 3.2.2. BArch, R 1001/4072, Bl. 71–73. BArch, R 1001/4073, Bl. 96–102 (für die Zita­ te: Bl. 98). Böckheler, Theodor Christaller, S. 47. Beachte eine Fotographie der Schüler Christallers beim Turnunterricht, welches als einzige Person Senga Kuo identifiziert, siehe Anhang Nr. 33. 86 BArch, R 1001/4072, Bl. 62–63 (für das zweite Zitat: Bl. 63). Böckheler, Theodor Christaller, S. 47 (auch für das erste Zitat).

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

selben Monat dazu veranlasste, Senga Kuo als zukünftigen Kanzlisten vorzumerken. Gleichfalls drückt insbesondere die letztgenannte Bezeich­ nung doch auch aus, dass von Soden Senga Kuos Begabung als atypisch, möglicherweise für das Gouvernement schädlich ansah. Entsprechend ver­ sicherte von Soden, diesem in der Kanzlei nur unverfängliche Dokumente vorzulegen.87 Seinen dortigen Dienst begann Senga Kuo schließlich zwei Jahre darauf mutmaßlich im Alter von 14 Jahren gemeinsam mit Konrad Eleme.88 Anders als dieser verblieb Senga Kuo während des durch Lehrer­ knappheit geprägten Jahres 1891 in der Kanzlei und wurde im November 1891 für drei Monate in die deutsche Kolonie Togo geschickt, um die dortige Schulgründung zu unterstützen.89 1892, als sich durch die Ankunft von Rudolf Betz und die Rückkehr von Theodor Christaller die Personal­ situation wieder verbessert hatte und Konrad Eleme bei Christaller in Ungnade gefallen war, erhielt Senga Kuo schließlich eine Anstellung als Lehrer.90 Als solcher arbeitete er in Bonamandone zum einen als Assistent Christallers und zum anderen als Leiter einer sogenannten „Filialschule“.91 Diese wird in den Quellen nicht näher beschrieben. Aber es ist anzuneh­ men, dass es sich hierbei um eine untergeordnete Schule für Schulanfän­ ger handelte und dort eine erste Literarisierung betrieben wurde.

87 BArch, R 1001/4072, Bl. 62–63. Von Soden bezog sich hierbei auf Briefe von Alfred Bell aus Deutschland an seine Familie in Kamerun. Darin, so Aitken und Rosenhaft, berichtete Alfred Bell von kritischen Äußerungen Christallers über Chief Bell in der deutschen Presse, was zu einer Krise in der Beziehung zwischen Gouvernement, Lehrer Christaller und Chief Dumbe Lobe Bell geführt habe. Auch Christallers Biograph Böckheler berichtet von dieser Krise, die insbesonde­ re zu einem kurzzeitigen Rückgang der Schülerzahlen geführt haben soll, nennt allerdings zudem Missverständnisse in Christallers Rolle als Gerichtsdolmetscher als Ursache. Das Verlesen einer Anklage gegen Chief Bell durch Christaller habe die örtliche Bevölkerung als persönliche Anklage des Lehrers, nicht als reine Übersetzungstätigkeit verstanden, Böckheler, Theodor Christaller, S. 64–65. Vgl. Aitken/Rosenhaft, Black Germany, S. 26–27. 88 BArch, R 1001/4073, Bl. 14. 89 BArch, R 1001/4077, Bl. 80. Zur Schulgründung in Togo beachte Kapitel 3.1.3. 90 Böckheler, Theodor Christaller, S. 71–72. Böckhelers Darstellung lässt vermuten, dass es sich bei Elemes Vergehen um Diebstahl handelte. Das Gouvernement beschäftigte ihn dennoch weiter als Dolmetscher und Kanzlisten. Beachte ebd., S. 65–68 sowie BArch, R 1001/4073, Bl. 40–41, 109. 91 BArch, R 1001/4073, Bl. 40–41 (für das Zitat: Bl. 41). Böckheler, Theodor Chris­ taller, S. 71–72.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Christallers Schüler beim Turnen In den folgenden Jahren war Senga Kuo schließlich fortwährend Bestand­ teil der kolonialen Lehrerschaft in Kamerun und als Lehrkraft, die nicht alle zwei bis drei Jahre für bis zu sechs Monate in den Heimaturlaub ging, insbesondere ganzjährig verfügbar. 1895 bezog er ein Gehalt von monatlich 55 M. Dieses war verglichen mit der Bezahlung der deutschen Lehrer, die etwa das Sechsfache erhielten, äußerst gering und drückt trotz der Wichtigkeit, die Senga Kuo für die Überbrückung vieler Fehlzeiten der deutschen Lehrer hatte, dessen grundsätzlich inferioren Rang innerhalb der Lehrerschaft aus. Gleiches vermittelt auch eine Fotographie, welche die 1895 in Kamerun angestellten Lehrer am Kaffeetisch sitzend und Senga Kuo dahinterstehend zeigt.

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

Die Lehrer in Kamerun (v.l.n.r.: Samuel Walter, Senga Kuo, Rudolf Betz, Theo­ dor Christaller, Christallers Sohn Otto Rudolf Ndumbe, Christallers Ehefrau Sofie; März/April 1895) Unter den im gleichen Jahr beim Kameruner Gouvernement angestell­ ten acht indigenen Hilfsarbeitern belegte Senga Kuo mit seinem Gehalt schließlich ebenfalls nur eine mittlere Position. Christaller, der Senga Kuo als seinen Schützling betrachtete, forderte Ende 1895 allerdings eine An­ gleichung von dessen Gehalt an die der beiden Spitzenverdiener unter den indigenen Hilfsarbeitern, den Kanzlisten Akolatse und Dibone, die beide 100 M im Monat verdienten. Zudem wollte Christaller jenem auch deutlich mehr Freiheit in der Lehrtätigkeit zubilligen. Eine Reise nach Deutschland, die Kuo bei Christaller erbeten hatte, wollte er ihm aber nicht gewähren, da Christaller immer noch auf den Standpunkt verharrte, die in Deutschland gewonnenen Eindrücke würden Senga Kuo negativ beeinflussen.92 Letztlich zeigt sich also auch hier die bereits bemerkte Ambivalenz im Umgang mit indigenen Angestellten. Insbesondere Christaller schwankte regelmäßig zwischen Misstrauen und väterlicher Zugewandtheit. Gleich­ zeitig ist zu konstatieren, dass die koloniale Schule insbesondere in Ka­

92 BArch, R 1001/4073, Bl. 96–102, 109.

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3. Reorganisation und Vernetzung

merun auf Lehrunterstützung seitens der Einheimischen angewiesen war und das Gouvernement bei den späteren Schulgründungen in der Kolonie auf diese nicht verzichten konnte.93 Die stärkere Einbeziehung indigener Lehrer war allerdings nicht das einzige Mittel, mit dem Gouvernement und Lehrerschaft ab 1891 versuchten, die Schule in ihrem Sinne zu stabili­ sieren. Hierzu sind auch die Bestrebungen zur Systematisierung und Ver­ netzung des Unterrichts in den beiden Schulen in Kamerun und der 1891 neu gegründeten Schule in Togo zu zählen. Dies steht im Zentrum des fol­ genden Abschnittes.

3.1.3 Die Schulgründung in Togo Die Eröffnung der ersten deutschen kolonialen Schule in Togo erfolgte am 9. November 1891 in Klein-Popo (heutiges Aného).94 Vorausgegangen war ihr eine intensive Auseinandersetzung der Kolonialbehörden mit den Vertretern der Norddeutschen Mission. Deren Weigerung, das Tätigkeits­ gebiet an die Küste der Kolonie auszudehnen und dort auch den Schulun­ terricht aufzunehmen, war letztlich ausschlaggebend für die prinzipielle Finanzzusage des Auswärtigen Amtes an das Kaiserliche Kommissariat für eine regierungseigene Schulgründung.95 Dabei war man in Berlin lange Zeit sehr bemüht, durch Vermittlung der preußischen Kultusbehörde und des evangelischen Missionsrepräsentanten von Jacobi eine entsprechende 93 BArch, R 1001/4073, Bl. 53–61. BArch, R 1001/4074, Bl. 40–43, 68–71, 106. 94 BArch, R 1001/4077, Bl. 64–72. Bericht des Lehrers Koebele über den Stand der deutschen Schule in Togo, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 109–111. 95 BArch, R 1001/4076, Bl. 90–91. Vgl. überblickshaft Mehnert, Regierungs- und Missionsschulen, S. 253–255. Die oberste Verwaltungseinheit in Togo firmier­ te von 1884 bis 1893 als Kaiserliches Kommissariat, welches bis 1891 formal dem Kameruner Gouvernement berichtspflichtig untergeordnet war. Von 1893 bis 1898 führte der erste kaiserliche Beamte dann den Titel eines Landeshaupt­ mannes, bevor sich dieser ab 1898 ebenfalls Gouverneur nennen durfte, vgl. Erbar, Ralph: Ein „Platz an der Sonne“? Die Verwaltungs- und Wirtschaftsge­ schichte der deutschen Kolonie Togo 1884–1914, Stuttgart 1991, S. 13–16. Zur Missionstätigkeit der Norddeutschen Mission sowie den aufgebauten Verbindun­ gen zwischen Westafrika und Deutschland beachte Altena, Häuflein, S. 45–51. Knoll, Arthur J.: Die Norddeutsche Missionsgesellschaft in Togo 1890–1914, in: Bade, Klaus (Hg.): Imperialismus und Kolonialmission. Kaiserliches Deutschland und koloniales Imperium, Wiesbaden 1982, S. 165–188. Meyer, Birgit: Christian­ ity and the Ewe Nation: German Pietist Missionaries, Ewe Converts and the Politics of Culture, in: Journal of Religion in Africa, Jg. 32, Nr. 2 (2002), S. 167– 199.

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

Kooperation auf die Beine zu stellen.96 Ihr Zweck hätte es sein sollen, die in der Kolonie durchaus verbreitete englische Sprache durch die Erteilung von Deutschunterricht in Schulen der Norddeutschen Mission zurückzu­ drängen. Dabei nahm das Kommissariat ab 1887 zum einen die britischen Schulen in der Goldküstenkolonie als Konkurrenz wahr und beäugte zum anderen die Verbindungen der Norddeutschen Mission mit der örtlichen britischen Verwaltung argwöhnisch. Zuvorderst betrachtete man die Wes­ leyanische Mission, die die einzige Schule in Klein-Popo betrieb und auf Englisch unterrichtete, als Gefahr für die Etablierung der eigenen kolonia­ len Herrschaft, die, so die grundsätzliche Annahme, nur Unterricht in der deutschen, nicht aber einen in der englischen Sprache fördern könne.97 Entsprechend beinhalteten die Bemühungen zur Schulgründung ab 1888 auch regelmäßige Vorstöße, den Unterricht an der Schule der Wesleyaner dahingehend zu beeinflussen, Deutsch in den Lehrplan aufzunehmen.98 Ein wichtiger Bezugspunkt in den Debatten der Jahre 1888 bis 1891 war die bereits in der Kolonie Kamerun gegründete Schule in Bonamandone. Verweise auf Theodor Christallers Unterricht und die Lehrbucherstellung dienten zum einen als Argumente gegen Einwände der Norddeutschen Mission gegen das koloniale Schulprojekt und zum anderen als Vorbild für das Konzept einer regierungseigenen Schulgründung.99 Kommissar Zimmerer, der vehement gegen eine Kooperation mit der Norddeutschen Mission eintrat, bezeichnete eine eigene Schulgründung und anschließen­ den Erfolg in der Vermittlung des Deutschen gar als Signum kolonialer Expansionsfähigkeit, welche zu zeigen in Togo ebenso möglich sei wie in Kamerun.100 Obgleich sich durch die Involvierung einer ausländischen Mission die Konstellation der Beteiligten im Vergleich zur Schulgründung in Kamerun, wo die deutschsprachige Basler Mission als Kooperationspart­ nerin diente, eine andere war, glich der eigentliche Zweck der Schulgrün­ dung doch dem der vorangegangenen. In Togo ging es nämlich, wie schon in Kamerun, neben der Elementarausbildung indigener Schüler zur späte­ ren Verwendung als Hilfsarbeiter nicht zuletzt um die Beeinflussung der lokalen Bevölkerungseliten. Während die regierungseigene Schule die ein­ flussreiche Händlerfamilie der d’Almeida adressierte, war im Kommissari­

96 BArch, R 1001/4076, Bl. 8–12, 82, 85–86. 97 BArch, R 1001/4076, Bl. 5–7, 12. Für eine ähnliche Motivlage in der deutschen Kolonie Samoa beachte Kapitel 2.3.3. 98 BArch, R 1001/4076, Bl. 22–23, 35–37. 99 BArch, R 1001/4076, Bl. 12, 55–63. 100 BArch, R 1001/4076, Bl. 55–63.

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3. Reorganisation und Vernetzung

at offenkundig, dass „die Schule der Wesleyanischen Mission […] haupt­ sächlich von Kindern der englisch gestimmten Lawson-Familie und deren Anhängern besucht wird.“101 Deren Kinder seien ohnehin nicht zum Be­ such der staatlichen Schule zu bewegen, könnten aber durch Deutsch-Un­ terricht an der Wesleyanischen Missionsschule indirekt deutschfreundlich beeinflusst werden.102 Diese doppelte Vorgehensintention prägte die amtlichen Schulplanun­ gen seit 1888, als deren Produkt die regierungseigene Schulgründung im Jahr 1891 sowie die Einführung von Deutschunterricht an der Schule der Wesleyaner durch einen deutschen Missionar im Jahr 1892 anzuse­ hen sind.103 Die von Sebald behauptete „Initiative führender Chiefs von Klein Popo“ ist dagegen abwegig und außerdem nicht, wie Sebald argu­ mentiert, mit einer 1889 erfolgten Grundstücksschenkung durch Chief G. A. Lawson an das Kommissariat und einer 1891 eingegangenen Spende des Händlers d’Almeida in Höhe von 1.000 M begründbar.104 Die Grund­ stücksschenkung, auf die sich Sebald bezieht, erfolgte im Oktober 1889 zwar mit der Absicht, dort die Schule zu gründen.105 Im August 1890 mie­ tete das Kommissariat aber für den stolzen Preis von 2.000 M jährlich ein ehemaliges Faktoreigebäude auf einem anderen Grundstück, welches dem Händler d’Almeida gehörte, und eröffnete ein Jahr darauf schließlich dort die Schule.106 Die Geldspende d’Almeidas wiederum war erstens in der

101 102 103 104

BArch, R 1001/4078, Bl. 27–28 (für das Zitat: Bl. 27). BArch, R 1001/4078, Bl. 57–58. BArch, R 1001/4076, Bl. 35–41. BArch, R 1001/4077, Bl. 104–106. Vgl. Sebald, Peter: Die deutsche Kolonie Togo 1884–1914. Auswirkungen einer Fremdherrschaft, Berlin 2013, S. 152–153 (für das Zitat: S. 152). Siehe mit der gleichen fehlgehenden Argumentation: Sebald, Peter: Europäisch-Globales Wissen, Missionswissen und kolonialadministratives Wissen. Das Beispiel der deutschen Kolonie Togo 1884–1914, in: Heyden, Ulrich van der; Feldtkeller, Andreas (Hg.): Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wis­ sen. Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Mis­ sionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 2012, S. 369–379, hier: S. 374. Die Familie d’Almeida gehörte zu der schätzungsweise 3.000 bis 8.000 Personen großen Gruppe der Afrobrasilianer, die zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert von Brasilien in die Küstengebiete Westafrikas migrier­ ten, vgl. Amos, Alcione M.: Afro-Brazilians in Togo. The Case of the Olympio Family, 1882–1945, in: Cahiers d’Études africaines, Nr. 162 (2001), S. 293–314. 105 BArch, R 1001/4076, Bl. 55–68. 106 BArch, R 1001/4076, Bl. 116–118. Beachte die Rechtfertigung des teuren Miet­ preises im Bericht des Kommissariats vom 13.11.1891, BArch, R 1001/4077, Bl. 57. Die etwaig in Betracht kommende und im Deutschen Kolonialblatt ver­ meldete Grundstücksschenkung der Familie d’Almeida am 16.2.1892 geschah

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

Höhe zu gering, als dass sie einen signifikanten Impuls zur Schulgründung hätte leisten können, da zu diesem Zeitpunkt bereits ein Etat von 9.085 M zur Verfügung stand.107 Zweitens nahm der Händler durch die Miete in Höhe von 2.000 M jährlich das Doppelte des Spendenbetrags ein. Und drittens erhielt d’Almeida als Gegenleistung für seine Spende eine kostbare Uhr, die ursprünglich einmal als „Geschenk für den König von Dahome“ nach Togo verbracht worden war.108 Glichen nun diese ersten Schritte im Schulgründungsprozesse denjeni­ gen der Schulgründung in der Kolonie Kamerun, so ist dies, abgesehen von einem misslungenen Versuch, Kornelius Rudolf Vietor, den Sohn des gleichnamigen führenden Missionars der Norddeutschen Mission, für die Lehrerstelle in Togo zu verpflichten, auch für die Suche nach einem Lehrer für die Schule in Klein-Popo zu konstatieren.109 Zunächst scheiter­ te die Lehrersuche durch das Preußische Kultusministerium, da dieses lediglich fachlich ungeeignete und tropendienstuntaugliche Kandidaten vorschlagen konnte, woraufhin unter Vermittlung der Württembergischen Außen- und Kultusbehörden im Juli 1891 schließlich der Volksschullehrer

ohne erkennbaren Bezug zur Schulgründung, Geschenk der Familie d’Almeida in Togo, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 239. Beachte ein Bild des Gebäudes in BArch, R 1001/4076, Bl. 118. Siehe für eine Fotographie bzw. Zeichnung der ersten Schulklasse mit dem ersten Lehrer BArch, R 1001/4077, Bl. 135. Die deutsche Schule im Togo-Schutzgebiet, in: Berliner Illustrierte Zeitung, Jg. 11 (4.6.1893), S. 3, 6. Zur Lage der Schule beachte die Karte in Zur Karte von Klein-Popo, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 111. 107 BArch, R 1001/4077, Bl. 21–22. Deutsche Schule in Togo, in: DKB, Jg. 2 (1891), S. 373. Dies widerlegt auch Christel Adicks Behauptung, bei der Spende handele es sich um eine „immerhin sehr bedeutende Geldspende“, mit der die Familie d’Almeida versucht habe, Zugang zur europäischen Bildung zu erlangen, da sich außer der Wesleyanischen Mission noch keine andere Mission in Klein-Po­ po niedergelassen hatte, vgl. Adick, Bildung und Kolonialismus in Togo, S. 184– 185 (für das Zitat: S. 185). 108 BArch, R 1001/4077, Bl. 82–83 (für das Zitat: Bl. 82). 109 Der Vorschlag, K. R. Vietor junior zu kontaktieren, stammte Ende 1889 von Kommissar Zimmerer, der eine Empfehlung von Vietors Bruder, der in der Handelsniederlassung der Familie vor Ort arbeitete, erhalten hatte. Zur Anstel­ lung kam es schließlich nicht, weil das Kommissariat unter Respektierung der Trennung von Staat und Kirche keine missionarische Nebentätigkeit Vietors erlauben wollte, BArch, R 1001/4076, Bl. 73–75, 77–81, 83–84, 87–90, 92–93, 105–107, 111–114, 125. GStA PK, I. HA Rep. 81 Generalkonsulat Bremen I b 2a, Bd. 11, Bl. 143–144, 147. GStA PK, I HA Rep. 81 Gesandtschaft Hamburg nach 1807, Nr. 982 (Schriftwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt, des Reichskanz­ leramtes und der Preußischen Gesandtschaft in Hamburg (Januar-September 1890)).

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3. Reorganisation und Vernetzung

Karl Köbele aus Nagold angestellt wurde.110 Köbele war 23 Jahre alt, in Balingen geboren und hatte 1887 seine Ausbildung am Volksschullehrer­ seminar in Nagold abgeschlossen. Nachdem er kurzzeitig am Nagolder Seminar gearbeitet hatte, war er bis 1890 privater Hauslehrer im mexika­ nischen Puebla (Heroica Puebla de Zaragoza) gewesen. Im Januar 1891 war er schließlich nach Deutschland zurückgekehrt und hatte bis zu seiner Anstellung im Kolonialdienst als Volksschullehrer in Nagold gearbeitet.111 In Klein-Popo unterrichtete Köbele im ersten Schuljahr, welches am 9.11.1891 begann und am 16.9.1892 endete, zunächst 80, zum Schuljah­ resende 45 Schülerinnen und Schüler, wobei die Zahl der die Schule besuchenden Mädchen von anfangs sieben rasch auf zwei fiel und Köbele hierzu bemerkte, dass „die Mädchen hinsichtlich der Begabung hinter den Knaben zurück[stehen]“.112 Köbele unterteilte die Schülerschaft nach anfänglicher Sichtung abhängig von der von ihm festgestellten Begabung in zwei Gruppen, eine fünfzehnköpfige Klasse der Älteren und Begabteren sowie eine dreißigköpfige Klasse, „die zum größten Teil aus ganz jungen Schülern besteht.“113 Deren Unterricht übernahm in den ersten drei Mo­ naten des Bestehens der Schule Senga Kuo, den das Kameruner Gouver­ nement zur Unterstützung Köbeles nach Klein-Popo geschickt hatte.114 Nicht nur durch ihn fand schon früh eine Verknüpfung des Unterrichts in beiden Kolonien statt. Auch der Lehrplan, nach dem Köbele in Klein-Popo unterrichtete, ähnelte sehr demjenigen, nach dem Christaller und Betz in Bonamandone und Bonebela lehrten. Anstelle des Duala verwendete Köbele freilich das Ewe der lokalen indigenen Bevölkerung, das er sich im Laufe des Schuljahres aber erst aneignete, sodass der Unterricht in einer Mischung aus Deutsch, Ewe und Englisch erfolgte.115 Letzteres war nicht

110 BArch, R 1001/4077, Bl. 9, 12, 15–20. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 2 (1891), S. 407, 507. 111 BArch, R 1001/4077, Bl. 16–17. Lenz, Regierungsschule, S. 24. 112 BArch, R 1001/4077, Bl. 64–72, 118–124. Bericht des Lehrers Koebele über den Stand der deutschen Schule in Togo, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 109–111, hier: S. 110 (auch für das Zitat). Bericht des Lehrers Koebele über die Regierungs­ schule in Togo, in: DKB, Jg. 4 (1893), S. 39–41, hier: S. 39. 113 BArch, R 1001/4077, Bl. 118–124. Bericht des Lehrers Koebele über die Regie­ rungsschule in Togo, in: DKB, Jg. 4 (1893), S. 39–41, hier: S. 40 (auch für das Zitat). 114 BArch, R 1001/4077, Bl. 80. 115 BArch, R 1001/4077, Bl. 64–72, 118–124. Bericht des Lehrers Koebele über den Stand der deutschen Schule in Togo, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 109–111. Bericht des Lehrers Koebele über den Stand der deutschen Schule in Togo, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 432–433. Bericht des Lehrers Koebele über die Regierungsschule

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

als Fach im Lehrplan vertreten. Köbele hatte in seinem ersten Schulbericht nach zweimonatiger Tätigkeit auf die Notwendigkeit solchen Unterrichts zur Erhöhung der Anstellungschancen etwaiger Schulabgänger hingewie­ sen, konnte dessen Einführung aber nicht durchsetzen.116 Das Auswärti­ gen Amt insistierte mit Hinweisen auf den Schulunterricht in Kamerun vielmehr auf die Einführung des Faches „Biblisch[e] Geschichten des Alten und Neuen Testaments“, auf dessen Erteilung Köbele verzichtet hatte, weil er diesen für zu zeitaufwändig hielt.117 Dies ist insofern bemerkenswert, als dass der Religionsunterricht in Württemberger Volksschulen seinerzeit et­ wa ein Drittel der für den Unterricht verwendeten Schulzeit umfasste.118 Köbele hatte sich von dieser in seiner Ausbildung vermittelten Einteilung offenbar rasch gelöst und den aus seiner Sicht dringenderen Erfordernis­ sen der kolonialen Praxis den Vorzug gegeben. 3.1.4 „Eine Lehrer-Konferenz in Afrika“119 Die ersten Verbindungen der Schulen in Kamerun und Togo waren letztlich aber nur Präliminarien der sich schließlich ab September 1892 vollziehenden Bemühungen um Vernetzung. Deren Ausgangspunkt war die „Lehrer-Konferenz in Afrika“, für die Lehrer Köbele nach Schuljahres­ ende nach Kamerun reiste.120 Jesko von Puttkamer, nach der Berufung Zimmerers zum Gouverneur in Kamerun dessen Nachfolger im Amt des Kaiserlichen Kommissars in Togo, nannte Köbeles Reise lapidar einen „Ausflug nach Kamerun“, dabei war ihr Zweck vielmehr die Erarbeitung eines für beide Kolonien einheitlichen Lehrplans sowie weiterer Standards für die Praxis in der deutschen kolonialen Schule.121 Nach dem Ende

116 117 118 119 120 121

in Togo, in: DKB, Jg. 4 (1893), S. 39–41. Eigentlicher Ewe-Unterricht begann erst im dritten Schuljahr, BArch, R 1001/4078, Bl. 42. Schulnachrichten aus Togo, in: DKB, 4 (1893), S. 472. BArch, R 1001/4077, Bl. 64–72. Bericht des Lehrers Koebele über den Stand der deutschen Schule in Togo, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 109–111. BArch, R 1001/4077, Bl. 64–72, 91 (auch für das Zitat). Vgl. Geißler, Schulgeschichte in Deutschland, S. 230. Böckheler, Theodor Christaller, S. 103 (für das Zitat). Böckheler, Theodor Christaller, S. 103 (für das Zitat). BArch, R 1001/4077, Bl. 107 (auch für das Zitat). BArch, R 1001/4073, Bl. 42. Jesko von Puttkamer (2.7.1855–23.1.1917) war Jurist und nach Begleitung erster konsularischer Ämter von April 1885 bis Juli 1887 Kanzler sowie stell­ vertretender Gouverneur in Kamerun. Anschließend war er für etwa ein Jahr Kaiserlicher Kommissar in Togo. Im Oktober 1888 wurde er durch Eugen von

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3. Reorganisation und Vernetzung

ihrer etwa einmonatigen Beratungen, über deren Verlauf abgesehen von einer Fotographie nichts bekannt ist, legten Theodor Christaller, Rudolf Betz und Karl Köbele schließlich unter dem Titel ‚Lehrplan für die Regie­ rungsschulen in Kamerun & Togo‘ ihre Ergebnisse vor.122 Diese sind nicht nur als Zeugnis intraimperialer Vernetzung relevant, sondern auch, da, Christel Adick folgend, anhand „kolonialer Lehrpläne […] zentrale Struk­ turmomente kolonialer Bildungssysteme“ aufgezeigt werden können.123 Diese Annahme motiviert darüber hinaus, dass die Bemerkungen der Lehrer über die eigentliche Stoffverteilung hinausgehen und etwa auch die zeitliche Schuljahresplanung, die Schulbucherstellung und die Hilfs­ lehrerausbildung betreffen. Und nicht zuletzt ist der Lehrplan auch als Dokument der Ansichten der drei an der Ausarbeitung beteiligten Lehrer relevant, da dieser zunächst einmal eine Vorlage der Lehrer darstellte, die diese den lokalen Verwaltungsbehörden zur Genehmigung unterbreiteten. Deren Inhalte geben also den Stand der von den drei Lehrern gemeinsam getragenen Überzeugungen wieder, wie die koloniale Schule zukünftig ge­ staltet werden sollte. Und zuletzt machen die fast ausnahmslose Annahme des Lehrplans und die Umsetzung fast aller Forderungen, die die Lehrer stellten, den Lehrplan und damit die Ansichten der Lehrer zum Ausgangs­ punkt der weiteren Entwicklungen der deutschen kolonialen Schule in Kamerun und Togo.

Effektivität und zeitliche Effizienz Im Lehrplan124 entwarfen die Lehrer einen Lehrgang, der auf fünf Jahre angelegt war und jeweils im April eines Jahres beginnen sollte. Schulprü­

Zimmerer ersetzt und verbrachte zwei Jahre als Wahlkonsul in Lagos (Nige­ ria), bevor er als Nachfolger Zimmerers im Frühjahr 1890 wieder nach Togo zurückkehrte. Ab 1893 trug er im Zuge der Aufwertung der obersten deutschen Verwaltungsbehörde in der Kolonie den Titel eines Landeshauptmannes. 1895 schließlich folgte er erneut Zimmerer nach und wurde Gouverneur der Kolonie Kamerun. 1906 erfolgte seine disziplinarisch begründete Abberufung von die­ sem Amt, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 5 T-Z, Nachträge, Paderborn 2014, S. 534–535. 122 BArch, R 1001/4077, Bl. 108–113. BArch, R 1001/4073, Bl. 43–48. Beachte die Fotographie in Böckheler, Theodor Christaller, S. 103. 123 Vgl. Adick, Theorie und Analyse kolonialer Lehrpläne, S. 513 (auch für das Zitat). 124 Beachte im Folgenden zu den geschilderten Inhalten des Lehrplans BArch, R 1001/4077, Bl. 108–113. BArch, R 1001/4073, Bl. 43–48.

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

fungen sollten jeweils im September stattfinden, was keinen schulischen Bedingungen folgte, sondern mit Blick auf die regelmäßig im Herbst eines Jahres stattfindenden Arbeiten zur Erstellung des amtlichen Jahresberichts für praktisch erachtet wurde. Für Schulabgänger bedeutete dies, dass diese noch ein halbes Jahr nach Beendigung ihres eigentlich letzten Schuljahres in der Schule verbleiben mussten, mithin auch während der Schulzeit das Abgehen von der Schule nicht gestattet war. Diese sekundäre Schulpflicht sollte die schon von Christaller beklagten häufigen Fehlzeiten der Schüler reduzieren und mit Hilfe der Chiefs kontrolliert werden, die, wie die Kolonialverwaltung zugeben musste, dieser heteronom zugeschriebenen Aufgabe in den Folgejahren allerdings unterschiedliche Aufmerksamkeit widmeten.125 Beginn und Ende eines Schuljahres orientierten sich also am kolonialstaatlichen Rhythmus und die Schülerinnen und Schüler – die Unterrichtung von Mädchen wurde nicht explizit ausgeschlossen und hatte in beiden Kolonien in Form koedukativen Unterrichts mit einem geringen Anteil an Schülerinnen auch bereits begonnen126 – sollten durch diesen zeitlich diszipliniert werden. Der Lehrplan berücksichtigte aber auch gewisse lokale Traditionen. So sollten sich die Schulferien an „de[n] örtlichen Verhältnisse[n]“ orientieren und etwa saisonalen „Fischfang“ und „Handel“ ermöglichen.127 Das Eingehen auf die Lebensgewohnheiten der lokalen Bevölkerung zeigt, dass Christaller, Betz und Köbele zumindest in Ansätzen ein ge­ meinsames Bewusstsein für die Grenzen des zeitlichen Disziplinierungsbe­ strebens der deutschen kolonialen Schule entwickelt hatten. Dabei hatte Christaller in seinen ersten Schuljahren noch äußerst strikt auf die Einhal­ tung aller zeitlichen Regeln gepocht und zahlreiche Schüler wegen ent­ sprechender Versäumnisse vom Schulunterricht ausgeschlossen. Einen ers­ ten Wandel hatte Friedrich Flad evoziert, der aus eigener Überzeugung das Christaller’sche Vorgehen nicht übernahm und etwa auch unregelmäßige Schulbesucher behielt.128 Dass Christaller für seine strenge Auslegung der

125 Bericht über den Zustand und die Entwicklung des Schutzgebietes von Kame­ run während des Zeitraums vom 1. August 1892 bis 31. Juli 1893, Beilage in: DKB, Jg. 4 (1893), S. 16. 126 BArch, R 1001/4072, Bl. 115–117. BArch, R 1001/4073, Bl. 27–31. BArch, R 1001/4077, Bl. 64–72. Bericht des Lehrers Betz über den Stand der Regie­ rungsschulen in Kamerun vom Anfang August bis Ende November 1891, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 76–78. Bericht des Lehrers Koebele über den Stand der deutschen Schule in Togo, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 109–111. 127 BArch, R 1001/4077, Bl. 108–113 (für die Zitate: Bl. 113). 128 Beachte Kapitel 3.1.1.

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Regeln auch schon einmal von Gouverneur von Soden gerügt worden war, zeigt einen exemplarischen Standpunkt der Verwaltung.129 Karl Köbele wiederum beharrte zwar auch auf regelmäßigem und pünktlichem Schul­ besuch, wovon etwa seine erste Bestellung von Ausrüstungsgegenständen für die Schule zeugt, an deren erster Position eine Schulglocke stand.130 Er berücksichtigte aber auch als erster Lehrer lokale Feiertage, etwa das sogenannte „,Black Christmas‘“ Ende September, bei der Festlegung der Ferienzeiten.131 Zieht man nun noch hinzu, dass die Ferienzeiten der Schülerschaft gleichzeitig als Zeit für das Sprachenstudium und die Lehr­ bucherstellung für die Lehrer gedacht waren, so entsteht insgesamt der Eindruck, dass die Lehrplanerstellung vom Interesse geleitet war, die zur Verfügung stehende Zeit möglichst effektiv zu nutzen. Dass die Lehrer Effektivität grundsätzlich als zeitliche Effizienz verstan­ den, wird des Weiteren dadurch bekräftigt, dass Christaller, Betz und Köbele dazu rieten, eine Lehrkraft möglichst lange an einem Ort zu be­ lassen, damit die schulische Arbeit kontinuierlich erfolgen könne. Dies war eigentlich gegen die amtliche Personalstrategie, die auf der Überzeu­ gung beruhte, dass Kolonialbedienstete durch das zu lange Bekleiden ein und derselben Amts- oder Dienststelle lokale, als schädlich erachtete Le­ bensgewohnheiten annähmen beziehungsweise aufgrund der lückenhaften und langwierigen Kontrollmöglichkeiten zu viel Macht auf sich vereinten. Darum und insbesondere auch wegen der Gesundheitsgefahren, die nach Meinung vieler Zeitgenossen Aufenthalte im tropischen Klima langfristig hätten, war der Kolonialdienst zwei- bzw. dreijährig gestaffelt worden, wobei nach jeder Dienstperiode ein vier- bis sechsmonatiger Heimaturlaub samt erneuter tropendienstlicher Untersuchung und dienstlicher Beurtei­ lung vorgesehen war.132 Die Lehrer ergänzten ihr Votum für Kontinuität schließlich mit der Bitte, künftig insbesondere verheiratete Lehrer anzu­ stellen und deren Ehefrauen auch beamtenrechtliche Vergünstigungen zu gewähren. Argument dieser Forderung war dabei nicht der bisweilen vorgebrachte scheinbar kulturbringende Einfluss einer deutschen Frau in einer Kolonie, sondern eine „den Eingeborenen gegenüber […] ganz an­

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BArch, R 1001/4072, Bl. 54. BArch, R 1001/4077, Bl. 40. BArch, R 1001/4076, Bl. 116–117 (für das Zitat: Bl. 116). Dove Verkafferung, S. 606. Vgl. Zurstrassen, „Ein Stück deutscher Erde schaf­ fen“, S. 115. Zur Nutzung dieses Verfahrens zum Loswerden unliebsamer Be­ diensteter beachte auch Kapitel 4.3.3.

3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

dere Stellung“, die ein verheirateter Lehrer einnehmen könne.133 Dieser sollte nach der Überzeugung der drei Lehrer also nicht nur fachliches und moralisches, sondern als Haus- und Familienvater auch soziales Vor­ bild seiner Schüler sein. In Verbindung mit den Bestrebungen zur zeitli­ chen Disziplinierung, die die Lehrer verschiedentlich betrieben, entwarfen Christaller, Betz und Köbele damit eine Schule, die als umfassender Takt­ geber das Leben der Schülerschaft strukturiert. Innerhalb der schulischen Sozialstruktur sollten des Weiteren die indi­ genen „Unterlehrer“, ungeachtet dieser hierarchisierenden Bezeichnung, in ihrer „Stellung“ aufgewertet werden.134 Da für diese Aufgabe ältere Schüler vorgesehen waren, die zeitweilig ihre jüngeren, aber dennoch eben Mitschüler unterrichteten, traten Christaller, Betz und Köbele dafür ein, diesen ein eigenes Zimmer im Schulgebäude zu gewähren.135 Dahin­ ter stand implizit die oben schon diskutierte Überzeugung, dass indigene Hilfslehrer der steten Überwachung durch den Lehrer bedurften. Letztlich ging es den drei Lehrern aber auch um die alleinige Verfügungsgewalt über ihr Unterstützungspersonal, denn sie forderten zudem, dass diese nicht mehr gleichzeitig im Kanzleiwesen der Verwaltung beschäftigt wer­ den sollten. Da ein Jahr zuvor, als Friedrich Flad verstarb und Christaller krankheitsbedingt nach Deutschland reisen musste, offensichtlich gewor­ den war, dass diesen Lehrkräften faktisch aber eine sehr große Bedeutung zukam, gründet die Forderung sicher auch auf dieser Erfahrung und nicht nur, wie die Lehrer betonten, auf einer etwaig schädlichen Doppelbelas­ tung der Gehilfen.

Fachlich vernetzte, aber organisatorisch selbstständige Einheiten Was nun die Lehr- und Lerninhalte sowie die Beziehungen der Schulen untereinander anbelangt, so entwarfen Christaller, Betz und Köbele das Modell einer Schule, die fachlich vernetzt und gleichzeitig organisatorisch selbstständig war. Diesbezügliche Überlegungen hatte es bereits im De­ zember 1891 gegeben, als angesichts der bevorstehenden Rückkehr Chris­

133 BArch, R 1001/4077, Bl. 108–113 (für das Zitat: Bl. 113). Vgl. Loosen, Deutsche Frauen, S. 175–181. Walgenbach, Die weiße Frau, S. 119–130. 134 BArch, R 1001/4077, Bl. 108–113 (für die Zitate: Bl. 111). 135 Der Entwurf von Christallers Schulhaus in Bonamandone hatte schon ein sol­ ches Zimmer, das aber aus Kostengründen gestrichen wurde, beinhaltet, beach­ te Kapitel 2.1.5.

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3. Reorganisation und Vernetzung

tallers nach Kamerun die Frage aufkam, wie Betz und Christaller zukünf­ tig dienstlich zueinander stehen sollten. Das Kameruner Gouvernement hatte seinerzeit bei Reichskanzler Caprivi beantragt, die 1889 zwischen Christaller und Friedrich Flad eingeführte Diensthierarchie wieder abzu­ schaffen, da man Betz für dessen alleinige Leitung beider Schulen beloh­ nen wollte und meinte, dass er „durch die selbstständige Leitung einer Schule mehr angespornt wird, als er voraussichtlich von der Oberaufsicht des Christaller Nutzen ziehen würde.“136 Ohnehin lägen die beiden Schu­ len zu weit auseinander, als dass eine Kontrolle durch Christaller ohne Inkaufnahme eines Schulausfalls in Bonamandone möglich wäre.137 Die Kolonialabteilung hatte die Aufhebung der Diensthierarchie im Januar 1892 schließlich bestätigt, was nicht zuletzt bedeutete, dass Christaller, Köbele und Betz in den Konferenzberatungen als dienstlich gleichrangig anzusehen sind.138 Insbesondere fachlich hatte aber Christaller die Führungsrolle inne. Der ausgearbeitete Lehrplan basierte maßgeblich auf seinen Unterrichtser­ fahrungen und der von ihm begonnenen Schulbucharbeit.139 Christallers Erstlingswerk, seine deutsch- und dualasprachige Fibel, die 1892 ihre zwei­ te Auflage erhielt140, sollte den Ausgangspunkt für die Erstellung weiterer Lehrbücher und damit für die Weiterverbreitung des von Christaller erar­ beiteten schulischen Herrschaftswissens bilden. Zum einen beabsichtigte man, auf die Schülerschaften der einzelnen Schulen zugeschnittene Spezi­ alausgaben der Fibel herzustellen. Zum anderen planten Christaller, Köbe­ le und Betz die gemeinsame Herausgabe eines Lesebuchs, „welches den hiesigen Verhältnissen angepasst ist“, sowie eines Rechenbuches, von dem es sowohl eine Ewe/Deutsch- als auch eine Duala/Deutsch-Version geben sollte. Die Vernetzung der Schulen im Bereich der Schulbücher nahm damit die Gestalt der Ausweitung und Spezialisierung des von Christaller erworbenen Herrschaftswissens an und zielte letztlich außerdem auf die gleichwertige Ausstattung jeder einzelnen Schule. Selbiges gilt für den Be­ reich der Lehrmittel. Schulwandkarten und Lesetafeln, Anschauungsbilder und Tinte sollten in jeder der Schulen gleichermaßen vorhanden sein. Ebenso sollte jede Schule über „eine Anzahl der notwendigen Bücher für die Hand des Lehrers“ verfügen, der dortige Lehrer also selbstständig

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BArch, R 1001/4073, Bl. 23–24 (für das Zitat: Bl. 24). BArch, R 1001/4073, Bl. 23–24. BArch, R 1001/4073, Bl. 32. Beachte Kapitel 2.1.5. Christaller, Fibel für die Volksschule in Kamerun (1892).

3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

arbeiten können.141 Christaller, Köbele und Betz betonten also einerseits die fachliche Vernetzung ihrer Schulen und andererseits deren organisato­ rische Eigenständigkeit. Der eigentliche Lehrplan war schließlich entsprechend der Schuljahres­ anzahl in fünf Abschnitte unterteilt und benannte für jedes der Schuljah­ re und für jedes Fach sehr genau die zu unterrichtenden Lerninhalte. Dabei lag der Schwerpunkt unter Fortschreibung des Christaller’schen Unterrichts klar auf dem Lese- und Schreibunterricht, der im ersten Schul­ jahr in der jeweiligen Landessprache und ab dem zweiten Schuljahr in der Landessprache sowie in Deutsch erteilt werden sollte. Hinzu kam der als „Sprachlehre“ bezeichnete Grammatikunterricht in beiden Sprachen.142 Die Beobachtung einer „zentrale[n] Stellung [des] Deutschunterricht[s]“, die Christel Adick in ihrer Analyse kolonialer und missionarischer Lehr­ pläne der Jahre 1881 bis 1911/12 macht, bedarf hiernach einer Akzen­ tuierung.143 Zumindest für diesen, die nachfolgenden Jahre prägenden, allerdings nicht in Adicks Analyse eingeflossenen Lehrplan gilt: Nicht der Deutschunterricht allein hatte diese Stellung inne, sondern, abstrakter formuliert, der Unterricht, der eine basale Literarität zum Ziel hatte, und dieser sollte sowohl in der Landessprache als auch im Deutschen erteilt werden. Gerade die Domestizierung der lokalen Sprache durch europäi­ sche Grammatikvorstellungen war ja Zielpunkt der bisherigen sprachpoli­ tischen Arbeit Christallers gewesen, sodass nicht verwundert, dass entspre­ chender landessprachlicher Unterricht weiterhin wichtiger Bestandteil des Curriculums sein sollte. Dieser Befund ist insofern generalisierbar, als dass auch der von Christian G. Barth ebenfalls 1892 entworfene und umgesetz­ te Lehrplan für die erste koloniale Schule in Tanga (Deutsch-Ostafrika) diese doppelte Ausrichtung enthielt, ja dem Swahili als ausgewählter Lo­ kalsprache zunächst sogar weit mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem Deutschen.144 Betrachtet man nun die Abfolge der Lerninhalte nicht nur im Sprachen­ unterricht, sondern auch in den Fächern Rechnen, Realien, Singen und Turnen, so fallen insbesondere die großen Ähnlichkeiten dieses Lehrplans mit dem Lehrplan auf, den Christaller, Köbele und Betz während ihrer

141 BArch, R 1001/4077, Bl. 108–113 (für die Zitate: Bl. 112). 142 BArch, R 1001/4077, Bl. 108–113 (für das Zitat: Bl. 109). 143 Vgl. Adick, Theorie und Analyse kolonialer Lehrpläne, S. 518 (auch für das Zitat). Der Aufsatz führt die Lehrplananalyse aus der Dissertation der Autorin fort, vgl. Adick, Bildung und Kolonialismus in Togo, S. 196–232. 144 Beachte Kapitel 2.2.2 sowie Kapitel 2.2.3.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Ausbildung verinnerlicht hatten, dem 1870 in Kraft getretenen Württem­ bergischen Normallehrplan. Insbesondere die Abfolge im Rechenunter­ richt, von der Entwicklung der Grundrechenarten im Zahlenraum von 1 bis 10, über das Vermitteln von Kopf- und schriftlichem Rechnen, das Behandeln einfacher Bruchrechen- und Dreisatzaufgaben, bis hin zur Thematisierung einfacher Geometrie in der Abschlussklasse, zeigt diese Verbindung der kolonialen und der deutschen Elementarschultätigkeit.145 Ebenso ist der begrenzte Unterricht in den Realien (Geographie, Geschich­ te und Naturkunde) sowie dessen Zweckorientierung auf den Sprachun­ terricht nicht kolonialen Ursprungs, sondern ebenfalls eine Adaption des württembergischen Elementarlehrplanes für die koloniale Situation.146 Verschieden ist allerdings der Begründungszusammenhang. Ging es im Volksschullehrplan insbesondere darum, dem Religionsunterricht mög­ lichst große Deutungshoheit zu belassen, legte der kolonialschulische Lehrplan Wert auf die Vermittlung von Affirmation gegenüber der deut­ schen Kolonialherrschaft. Religionsunterricht, in den württembergischen, mithin auch den preußischen Volksschulen neben dem Deutschunterricht führendes Lehrfach, sah der koloniale Lehrplan hingegen nicht vor, son­ dern lediglich in den Schuljahren drei bis fünf je eine Wochenstunde, in der biblische Geschichten gelesen werden sollten.147 Der von Christaller, Köbele und Betz erstellte Lehrplan war also durch eine Verbindung deut­ scher Elementarlehrplantraditionen, der Christaller’schen Lehrerfahrung und sprachpolitischer Ambitionen geprägt. Er zeichnete mithin das Bild inhaltlich vernetzter, aber organisatorisch eigenständiger Schuleinheiten, das in den darauffolgenden Jahren die schulischen Entwicklungen prägen sollte. Sowohl Kommissar Puttkamer als auch Gouverneur Zimmerer billig­ ten den von Christaller, Köbele und Betz aufgestellten Lehrplan, dessen

145 Vgl. Friedrich, Gerd: Die Volksschule in Württemberg im 19. Jahrhundert, Weinheim und Basel 1978, S. 136. 146 Vgl. Friedrich, Die Volksschule in Württemberg im 19. Jahrhundert, S. 139– 140. Die genannten Strukturmerkmale des württembergischen Lehrplans lassen sich auch auf den preußischen Lehrplan für einklassige Volksschulen übertra­ gen, vgl. Geißler, Schulgeschichte in Deutschland, S. 228. 147 BArch, R 1001/4077, Bl. 108–113. Vgl. Friedrich, Die Volksschule in Württem­ berg im 19. Jahrhundert, S. 132–133. Geißler, Schulgeschichte in Deutschland, S. 229–230.

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

Umsetzung in mehrfacher Arbeitsteilung erfolgte.148 Während die oberen Verwaltungseinheiten über die Kolonialabteilung die von den Lehrern geforderte Mindestausstattung an Lehrmitteln beschafften, war es an den Lehrern, den Lehrplan fachlich umzusetzen, was neben dem eigentlichen Hauptgeschäft des Unterrichtens einerseits die Schulbucherstellung und andererseits die Beschaffung von jeweiligem Spezialinventar betraf.149

Im Kreise der Familie Der in der fachlichen Umsetzung des Lehrplans zu Tage tretende Arbeits­ modus wurde insbesondere durch verwandtschaftliche Beziehungen ge­ prägt. Sowohl Theodor Christaller als auch Karl Köbele standen in regem Austausch mit ausgewählten Verwandten, die auf deutscher Seite die schu­ lischen und verlegerischen Fachkompetenzen ersetzten, die in der Koloni­ alabteilung des Auswärtigen Amtes nicht vorhanden waren. Christallers Vater, der Basler Missionar Johann Gottlieb Christaller, hatte seinen Sohn bereits beim Erlernen des Duala und bei der Erstellung der ersten Ausgabe der Duala-Fibel sowie bei Christallers Duala-Grammatik als Korrektor so­ wie Beauftragter für die Verlegung des Manuskriptes unterstützt. Er kann außerdem als biographisches Vorbild Theodor Christallers aufgefasst wer­ den. Schließlich war er gemeinsam mit seiner Frau selbst an der afrikani­ schen Westküste als Missionar tätig gewesen und als missionstheologischer und sprachpolitischer Autor in Erscheinung getreten.150 Im nun durch den Lehrplan beschlossenen weiteren Prozess der Lehrbucherstellung war Johann Gottlieb Christaller erneut einbezogen. Im Frühjahr 1893 meldete Theodor Christaller an den Kameruner Gouverneur Zimmerer, dass sein Vater gerade mit einer Frankfurter Druckerei in Verbindung stehe, um den Druck der zweiten Auflage der Fibel zu finalisieren.151 Weitere Koope­

148 Puttkamer legte den Lehrplan stellvertretend ohne Einwände in Berlin vor, wo dieser ebenfalls bestätigt wurde, BArch, R 1001/4077, Bl. 114–115. BArch, R 1001/4073, Bl. 49–50. 149 BArch, R 1001/4073, Bl. 51–52. BArch, R 1001/4077, Bl. 115, 125, 128–133, 142. BArch, R 1001/4078, Bl. 17–20. 150 BArch, R 1001/4071, Bl. 94–96. Böckheler, Theodor Christaller, S. 89–90. Chris­ taller, Handbuch der Duala-Sprache. Litterarische Besprechungen, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 403. Zur frühen Zusammenarbeit Theodor und Johann Gottlieb Christallers sowie zu einer Kurzbiographie des letzteren beachte insbesondere auch Kapitel 2.1.3 sowie Kapitel 2.1.5. 151 BArch, R 1001/4073, Bl. 63–64.

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rationen folgten, bei denen Christallers Vater über seine Korrekturarbeiten an den Manuskripten auch stets inhaltlichen Einfluss auf die Lehrbücher seines Sohnes und dessen Kollegen nehmen konnte.152 Er steuerte etwa auch zu der von Karl Köbele erstellten Ewe-Fibel das Vorwort bei.153 Die Fibel war das im Lehrplan vereinbarte Pendant von Theodor Christallers Duala-Fibel und zur Jahresmitte 1893 von Köbele fertiggestellt worden.154 Während dieser ab diesem Zeitpunkt schon mit ihr arbeitete, erfolgte in Deutschland durch Johann Gottlieb Christaller die Redaktion des Manu­ skripts, das 1895 schließlich in der gleichen Frankfurter Druckerei wie Christallers deutsche Grammatik zum Druck gebracht wurde. Damit war Christallers Alterswohnsitz Schorndorf, etwa 30 Kilometer östlich von Stuttgart gelegen, auf deutscher Seite eines der redaktionellen Zentren der kolonialen Schulbucherstellung und diesbezüglich ebenso ein Ort deut­ scher kolonialer Geschichte wie Berlin, wo seinerzeit die von Christian G. Barth für die Schule in Tanga (Deutsch-Ostafrika) erstellte Schulfibel durch Carl Gotthilf Büttner redaktionell bearbeitet wurde.155 Doch nicht nur in Schorndorf spielte sich koloniale Geschichte ab. Im ebenfalls württembergischen Nagold, der Heimat Karl Köbeles, übte dessen Onkel Theodor Köbele fachlichen Einfluss auf die Tätigkeit seines Neffen aus. Als Leiter des örtlichen Volksschullehrerseminars hatte jener schon die Ausbildung seines Neffen maßgeblich geprägt. Ab Dezember 1891 fungierte er schließlich als Fachexperte für schulische Lehrmittel der gerade erst eröffneten Schule in Klein-Popo. Als solcher beschaffte er den von seinem Neffen über den Dienstweg gemeldeten Lehrmittelbedarf bei lokalen Buchhändlern und Werkstätten und sandte ihn in die Kolonie.156 Darüber hinaus arbeitete er aber auch konzeptionell an der Ausstattung der kolonialen Schule mit und legte der Kolonialabteilung etwa auf Ge­ heiß seines Neffen im April 1893 eine detaillierte Liste notwendiger Lehr­ mittel vor.157 Deren Beschaffung scheiterte zwar, da die Kolonialabteilung diese nicht finanzieren wollte. Dies hinderte Theodor Köbele allerdings

152 BArch, R 1001/4073, Bl. 63–64, 96–102. Christaller, Handbuch der Deutschen Sprache (1896). Litterarische Besprechungen, in: DKB, Jg. 7 (1896), S. 138. 153 Köbele, Karl: Fibel für die Schule in Klein-Popo, Togo, Westafrika, in der Anecho-Mundart, Frankfurt 1895. Litterarische Besprechungen, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 414. 154 BArch, R 1001/4078, Bl. 42. 155 Beachte Kapitel 2.2.2. 156 BArch, R 1001/4077, Bl. 39–41, 85–90, 97–99, 143–145. 157 BArch, R 1001/4077, Bl. 138–141.

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3.1 Das gemeinsame Schulprojekt in Kamerun und Togo

nicht, Lehrmittel aus seinem eigenen Bestand zusammenzustellen und deren Versendung nach Togo bei der Kolonialabteilung zu beantragen.158 Diese verwandtschaftlichen Beziehungen ermöglichen es nun, die Ge­ schichte der deutschen kolonialen Schule auch als Familiengeschichte zu begreifen. Diese bildete insbesondere durch den Austausch herrschaftlich relevanten sprachpolitischen Wissens eine Brücke kolonialer Ideen und Vorstellungen und verband das Deutsche Reich mit den Kolonien Togo und Kamerun. Eine familiäre Lesart der kolonialen Schulgeschichte der 1890er-Jahre motivieren mithin zwei Hochzeiten. Zunächst heiratete im Frühjahr 1892 Theodor Christaller, während er sich in seinem zweiten Heimaturlaub befand, die Tochter eines Künzelsauer Pfarrers namens Sofie.159 Beide kehrten im März 1892 gemeinsam nach Bonamandone zu­ rück, wo Sofie Christaller – mutmaßlich eine der ersten nichtmissionarisch tätigen deutschen Frauen in der Kolonie – fortan als Hausfrau und Hand­ arbeitslehrerin tätig war.160 Zur Jahresmitte 1893 bekamen beide einen Sohn, dessen Name, Otto Rudolf Ndumbe, die kolonialen Verbindungen seiner Eltern widerspiegelt.161 Für Theodor Christallers Biograph Böckhe­ ler erlangte die Familie Christaller spätestens mit der Geburt des Kindes den Status einer Vorbildfamilie, um deren Haushalt herum sich das ge­ sellschaftliche Leben der Kolonie abspiele.162 Durch Heirat und Geburt des Kindes hatte Theodor Christaller die von den Lehrern der Lehrerkon­ ferenz geforderte Beschäftigung verheirateter Lehrer selbst vollzogen und die hierdurch angestrebte Kontinuität im Lehreramt zumindest potentiell gestärkt. Gleiches erfolgte im Frühjahr 1895 durch die Hochzeit Karl Kö­ beles mit Christallers Schwester Hanna. Die Hochzeit fand ebenfalls wäh­ rend eines Heimaturlaubes statt und ihr folgte ebenfalls kurz darauf die gemeinsame Ausreise des Ehepaares in die Kolonie.163 Damit bestanden neben den fachlichen nun auch familiäre Bande zwischen beiden kolonia­ len Schulen in Bonamandone und Klein-Popo. Das familiär-fachliche Be­ ziehungsgeflecht der deutschen kolonialen Schule in Westafrika umfasste

158 BArch, R 1001/4077, Bl. 151. BArch, R 1001/4078, Bl. 16, 27–31. 159 Böckheler, Theodor Christaller, S. 88–91. 160 Ebd., S. 91–92, 93–96, 101–102. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 281. 161 Böckheler, Theodor Christaller, S. 106–110, 121, 127. 162 Ebd., S. 107–126. Beachte die Fotographien in Kapitel 3.1.2. Siehe auch für eine weitere Fotographie der Familie Christaller BMA E-30.06.038. 163 Ebd., S. 146–147. Vgl. Christaller, Hanna, in: Berger, Bruno; Rupp, Heinz (Hg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-Bibliographisches Handbuch, Bern 1968, Sp. 605. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 270.

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im Sommer 1895 damit Theodor und Sofie Christaller in Bonamandone, Johann Gottlieb Christaller in Schorndorf, Karl und Hanna Köbele in Klein-Popo sowie Theodor Köbele in Nagold. Hinzu kamen auf vornehm­ lich fachlicher Ebene Rudolf Betz in Bonebela, der zur Vertretung ange­ stellte Lehrer Samuel Walter164, Senga Kuo in Bonamandone und der zur Unterstützung Köbeles in Klein-Popo angestellte indigene Lehrer Edmund Wilson.165 Wie fragil die koloniale Schule trotz der immensen privaten und fachli­ chen Vernetzung angesichts von Krankheit und Tod dennoch war, erwies sich bereits binnen eines Jahres. Im Dezember 1895 verstarb zunächst Johann Gottlieb Christaller, was der kolonialen Schule ihr Redaktions­ zentrum für Schulbücher nahm.166 Im gleichen Monat reiste Theodor Christaller allein vom familiären Heimaturlaub zurück nach Kamerun, da Sofie Christaller noch an den Nachwirkungen einer Fiebererkrankung litt.167 Der selbe Dampfer, der Christaller im Januar 1896 nach Kamerun brachte, nahm auf seiner Rückfahrt nach Deutschland dann Hanna Köbele auf, die ebenfalls schwer erkrankt war.168 So scheiterte in kurzer Folge

164 Samuel Walter (geb. 1870) stammte aus Wilhelmsdorf in Württemberg und hatte nach dem Besuch der Präparandenanstalt Esslingen das Volksschullehrer­ seminar in Nürtingen absolviert. Vor seiner Anwerbung für den kolonialen Schuldienst war er Sprachlehrer in seiner Heimatstadt. Im Juli 1894 wurde er zur Vertretung Karl Köbeles, der zum Heimaturlaub berechtigt war, angestellt. Ab März 1895 vertrat er in Bonamandone (Kamerun) dann Theodor Christaller während dessen Heimaturlaubs. Nach dem Tod Köbeles versetzte man Walter wieder nach Klein-Popo, BArch, R 1001/4073, Bl. 108. BArch, R 1001/4078, Bl. 81–82. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 304, 447. PersonalNachrichten, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 225. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 7 (1896), S. 609. Lenz, Regierungsschule, S. 24. Beachte die Fotographie in Kapitel 3.1.2. 165 Edmund Wilson (geb. ca. 1878) war wie Konrad Eleme und Senga Kuo in Kamerun bei seiner Anstellung als Hilfslehrer im Juni 1894 selbst noch Schüler. Er unterrichtete insbesondere eine neu eingerichtete unterste Klasse, BArch, R 1001/4078, Bl. 187–190. Amtlicher Jahresbericht (1894/1895), S. 12. Regie­ rungsschule, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 454. Ueber den Stand der Regierungsschu­ le in Klein-Popo vom 1. April 1894 bis 1. April 1895, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 248–249. Lenz, Regierungsschule, S. 26. 166 Böckheler, Theodor Christaller, S. 147–148. Im Alter von 68 Jahren…, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 14. 167 Böckheler, Theodor Christaller, S. 139–141, 143–144. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 242. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 7 (1896), S. 153. 168 Böckheler, Theodor Christaller, S. 146–148. Hanna Köbele (4.7.1872-Dezember 1955) veröffentlichte in Folge ihres Aufent­ halts in Togo zwei Kolonialromane (Alfreds Frauen (1904); Leibeigen (1908)),

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sowohl in Bonamandone als auch in Klein-Popo das Konzept eines verhei­ rateten, gesellschaftlich gesetzten Lehrers. Doch damit nicht genug. Auch die beiden Lehrer, Theodor Christaller und Karl Köbele, verstarben kurz darauf. Während letzterer an Gelbfieber erkrankte und am 11. Mai 1896 verstarb169, erlitt Christaller das gleiche Schicksal wie sein Kollege Flad. Am 13. August 1896 verstarb er in Folge einer Malariaerkrankung am Schwarzwasserfieber.170 Die Kolonialverwaltungen in Togo und Kamerun waren im Sommer 1896, da sich zudem Rudolf Betz im Heimaturlaub befand, erneut in der Situation, die Leitung der Schulen in die Hände indigener Lehrer zu ge­ ben.171 Insbesondere in Kamerun geriet daraufhin das Konzept der Schule, durch diese herrschaftsstabilisierende Kontakte zu den lokalen Chiefs zu pflegen, ins Wanken.172 Nicht zuletzt machte sich bemerkbar, dass mit Theodor Christaller der eigentliche Wortführer dieser Ausrichtung, deren Mittel zuvorderst die Sprachpolitik war, verstorben war.173 Seine Rolle, blickt man auf die deutsche koloniale Schule insgesamt, nahm ab 1896 der Nachfolger Christian G. Barths in Deutsch-Ostafrika, Paul Blank, ein. Während dieser dort die Schule in Tanga zum Ausgangspunkt zahlreicher

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in denen sie im Gegensatz zu den meisten Werken der Gattung sexuelle Bezie­ hungen europäischer Männer mit afrikanischen Frauen thematisierte. Gemein­ sam mit Karl Köbele hatte sie eine Tochter, Thusnelde (1896–1967), die nach ihrer Rückkehr nach Deutschland geboren wurde, Böckheler, Theodor Christal­ ler, S. 149–150. Vgl. Kolonialwitwe und Schriftstellerin, in: Rems-Murr-Rund­ schau (14.09.2011), https://www.zvw.de/inhalt.rems-murr-rundschau-kolonialwi twe-und-schriftstellerin.d4e464b6-b54e-4022-b7c9-aba725fc0173.html (Abruf am 23.5.2018). Wildenthal, German Women for Empire, S. 77, FN 104. BArch, R 1001/4073, Bl. 126–127. Böckheler, Theodor Christaller, S. 148. Perso­ nal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 8 (1897), S. 314. Lenz, Regierungsschule, S. 24. Die Datierung richtet sich nach den Angaben auf Köbeles Grabstein, siehe Basa­ ran, Aylin; Eberl, Hans-Georg: Im Land der Abgeschobenen. Soziale Realitäten und Selbstorganisierung von unten in Togo, in: Hinterland, Nr. 10 (2009), S. 5– 15. Lenz nennt hingegen den 13.5.1896. Der amtliche Jahresbericht nennt als Todesursache „Malaria-Fieber“, Amtlicher Jahresbericht (1895/1896), S. 8. Tod Christaller … BArch, R 1001/4073, Bl. 130. Böckheler, Theodor Christaller, S. 149–156. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 8 (1897), S. 554. Lenz, Regie­ rungsschule, S. 23. Beachte die Fotographien von Christallers Grab in Bundes­ archiv, Bild-137–022350, Bundesarchiv, Bild 146–1982–172–21, Bundesarchiv, Bild 163–036. BArch, R 1001/4073, Bl. 130. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 7 (1896), S. 609. Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 176. BArch, R 1001/4073, Bl. 131–134. Zu Christallers Führungsanspruch in der Umsetzung der Konferenzbeschlüsse beachte BArch, R 1001/4073, Bl. 63–64, 96–102.

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3. Reorganisation und Vernetzung

weiterer Schulgründungen sowie zum Zentrum kolonialer Schulbuchar­ beit machte, wurde die Expansion der kolonialen Schule in Kamerun und Togo vorerst gestoppt und ihr Fokus noch deutlicher als zuvor auf die Ausbildung von Hilfsarbeitern gelegt.174 In Kamerun spielt dabei auch die allmähliche Abwendung des Gouvernements von den Duala eine wichtige Rolle, die insbesondere die Nicht-Besetzung von Christallers Stelle sowie im Dezember 1898 den Verkauf der Schule in Bonebela an die Basler Mission zur Folge hatte. Beide Entscheidungen können damit wohl als frühe Vorboten der 1901 erfolgten Verlegung des Gouvernementssitzes nach Buea, das nicht im Gebiet der Duala lag, verstanden werden.175 In Togo hingegen strebte der zum Nachfolger Karl Köbeles ernannte Samuel Walter zunächst die Fortsetzung der bisherigen Sprachpolitik an, die die Erstellung von Schulbüchern und einen auf diesen basierenden Unterricht umfasst hatte, und erarbeitete im Geiste der Beschlüsse der „Lehrer-Konfe­ renz“ sowohl eine deutsche Grammatik als auch ein Rechenbuch in der in Klein-Popo verbreiteten Form der Ewe-Sprache.176 Er genoss aber merk­ lich weniger Vertrauen der lokalen Verwaltung als Karl Köbele oder gar Theodor Christaller, hatte keine familiäre Unterstützung wie seine beiden Vorgänger und musste im Sommer 1900, tropendienstuntauglich erklärt, aus dem kolonialen Schuldienst ausscheiden. Dies alles hatte zur Folge, dass er seine Lehrbücher auf eigene Kosten drucken ließ, nur mühsam einen amtlichen Druckkostenzuschuss erwirken konnte und die Verbrei­ tung der Bücher enorm erschwert war.177 Damit wurde gerade die der ko­ lonialschulischen Sprachpolitik immanente Anbindung von Wissenspro­ duktion an den Unterricht unterbrochen.178 Allerdings war zu diesem Zeitpunkt längst Tanga in Deutsch-Ostafrika zum Zentrum der kolonialen

174 BArch, R 1001/4073, Bl. 141–142. BArch, R 1001/4079, Bl. 16–18. Beachte Kapi­ tel 3.2. 175 BArch, R 1001/4073, Bl. 137–138, 157–163, 172–173. Verlegung des Sitzes der Centralverwaltung, S. 358. 176 BArch, R 1001/4079, Bl. 25, 70–73. Böckheler, Theodor Christaller, S. 103 (für das Zitat). 177 BArch, R 1001/4079, Bl. 28–29, 55–56, 74–81, 83–96, 101, 105. Walter, Samuel: Lehrbuch der deutschen Sprache nebst Wörterbuch für die Schulen in Togo, Stuttgart 1900. Das Rechenbuch war 1897 entstanden. Die Akten geben leider weder über den Titel, noch über den Druckort Auskunft. Ihm sollte ursprüng­ lich ein zweiter Band in Deutsch folgen, welchen Walter mit Rudolf Betz erar­ beiten wollte, ebd. Betz‘ Freitod am 12.7.1898 während seines Heimaturlaubs entzog dem Vorhaben jegliche Grundlage, Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 9 (1898), S. 167, 265, 453. Lenz, Regierungsschule, S. 23. 178 Beachte hierzu Kapitel 2.1.5 sowie Kapitel 2.2.3.

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Zwischenfazit

Schulbucharbeit geworden, während in Kamerun und Togo die in der Forschung unter dem Stichwort des ‚Kulturkampfes‘ vielfach untersuchten zunehmenden Auseinandersetzungen von Verwaltung und Missionen um den Stellenwert des Deutschen als Verkehrssprache an Bedeutung gewan­ nen und die auf Herrschaftsvermittlung zielende Schulkonzeption an sol­ cher verlor.179 Für dieses Konzept hatten sich im Sommer 1896 letztlich die Fliehkräfte der Fragilität als stärker erwiesen als die Bindekräfte der Vernetzung.

Zwischenfazit Die Geschichte der deutschen kolonialen Schule ist keine Geschichte des friedvollen Kulturaustausches. Dagegen sprechen nicht zuletzt die mittel­ bar herrschaftsetablierende Funktion der Schule und die sprachpolitischen Eingriffe der Lehrer, die sich in Kamerun ab 1888 intensivierten und 1891 auch in Togo begannen. Sie war, und das zeigt dieses Kapitel insbesondere, aber auch keine Geschichte kontinuierlicher und zwanghafter Kontrolle, sondern vielmehr eine zur Vernetzung neigende, aber höchst fragile ko­ loniale Herrschaftsambition. Indigene Lehrer und missionarische sowie lokale Kooperationspartner waren stets wichtige Stützen der kolonialen Schulen. Obwohl sich die Anwerbung von Lehrern im Deutschen Reich, oder besser gesagt im Königreich Württemberg, in den Jahren bis 1895 grundsätzlich beschleunigt, strategisches Herrschaftswissen also gefestigt hatte, genügte die Personalausstattung regelmäßig nicht. Dabei war die Zahl der Schulen in Kamerun und Togo 1890 zunächst auf lediglich zwei und ab 1891 auf drei gewachsen, was auf die Abhängigkeit der Schule

179 Beachte etwa Dorvlo, Kofi: The Contributions of German Missionary Evange­ lism and Education in German Togoland, in: Apoh, Wazi; Lundt, Bea (Hg.): Germany and Its West African Colonies, Berlin 2013, S. 119–134. Erbar, „Ein Platz an der Sonne?“, S. 235–302. Gründer, Christliche Mission, S. 173–179. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 111–120. Habermas, Skandal in Togo, S. 159–162. Knoll, Die Norddeutsche Missionsgesellschaft in Togo 1890–1914, S. 180–182. Lawrance, Benjamin Nicholas: Most Obedient Servants. The Politics of Language in German Colonial Togo, in: Cahiere d’Études africaines, Bd. 159 (2000), S. 489–524. Orosz, Kenneth J.: An African Kulturkampf: Religious Con­ flict and Language Policy in German Cameroon, 1885–1914, in Sociolinguisti­ ca, Bd. 25, Heft 1 (2011), S. 81–93, hier insb.: S. 87–91. Papst, Martin: Mission und Kolonialpolitik. Die Norddeutsche Missions-Gesellschaft an der Goldküste und in Togo bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, München 1988, S. 296– 395. Sebald, Die deutsche Kolonie Togo 1884–1914, S. 154–160.

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von der Tätigkeit Einzelner deutet. In den beiden deutschen Kolonien Ka­ merun und Togo beendeten Krankheit und Tod nicht nur die kolonialen Karrieren und die Leben von Lehrern, sondern sorgten im Jahr 1896 auch für einen Umschwung in der Schulkonzeption. Die Schulbucharbeit und die direkte Implementierung der angeeigneten Wissensbestände verloren an Bedeutung. Hingegen standen die nachfolgenden Jahre im Zeichen der Hilfskräfteausbildung, die bereits zuvor Bestandteil des Schulkonzeptes ge­ wesen war, jedoch nun die auf herrschaftliche Vermittlung zu indigenen Chiefs setzende Funktion der Schule fast gänzlich verdrängte. Auch nah­ men die Auseinandersetzungen zwischen Mission und Verwaltung um den Stellenwert des Deutschen in den Kolonien zu, auf welche die kolo­ nialen Lehrer kaum noch Einfluss nehmen konnten. Zum Zentrum der schulischen Wissensgenerierung wurde unter maß­ geblicher Mitwirkung der kolonialen Lehrer ab Mitte der 1890er-Jahre schließlich die koloniale Schule in Deutsch-Ostafrika. Die Darstellung wendet sich im nachfolgenden Kapitel darum erneut diesem kolonialen Schauplatz zu und verfolgt insbesondere die Berufsbiographie von Paul Blank, dem Nachfolger von Christian G. Barth in Tanga. Sie analysiert das reiche empirische Material dabei unter anderem zur Beantwortung von Forschungsfragen nach der Verstetigung der institutionellen Anbindung der kolonialen Schule an das Seminar für Orientalische Sprachen in der Lehrerausbildung und Blanks Bemühungen um Vernetzung innerhalb der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Es stehen aber auch solche Fragen im Fokus der Darstellung, die den Stand der kolonialen Schule in den Debatten des Reichstages und das verwaltungsinterne Ringen um Einfluss auf die koloniale Schulpolitik betreffen.

3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika 3.2.1 Die Reorganisation und die Verstetigung der Lehrerausbildung am Seminar für Orientalische Sprachen Die Rückkehr Christian G. Barths nach Deutschland hatte 1894 die deut­ sche koloniale Schule in Tanga in eine Zeit des Umbruchs geführt. Diese kennzeichnete vor Ort zunächst die Übernahme der Lehrerstelle durch einen der älteren Schüler im November 1894 und kurz darauf einen eigentlich als Vermessungsgehilfen angestellten ehemaligen Volksschul­

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

lehramtsseminaristen, also zwei nur bedingt qualifizierte Kräfte.180 Ein weiteres Kennzeichen des Umbruchs war im Mai 1895 schließlich die An­ stellung des Berliner Volksschullehrers Paul Blank, dem ersten nicht aus Württemberg stammenden Lehrer der deutschen kolonialen Schule. Blank war 1871 in Berlin geboren worden und hatte nach dem Abschluss einer Oberrealschule von 1889 bis 1892 das Berliner Volksschullehrerseminar besucht. Anschließend hatte Blank etwa zwei Jahre an einer Volksschule in Rixdorf (heute Berlin-Neukölln) gearbeitet, bevor er im Sommersemes­ ter 1894 und im Wintersemester 1894/95 am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin auf seine Tätigkeit in Deutsch-Ostafrika vorbereitet worden war.181 Die räumliche Nähe zum SfOS mag das Abweichen von der bisherigen Einstellungspraxis, die auf einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und den Württembergischen Behörden gefußt hatte, begründen. Sie folgte überdies dem im Zuge der Anstellung Christian G. Barths beschrittenen Weg der Verbindung der deutschen ko­ lonialen Schule in Deutsch-Ostafrika mit der seit 1887 bestehenden wissen­ schaftlichen Einrichtung. Das wichtigste Produkt dieser Verbindung war die Anbindung des Unterrichts in Tanga an die koloniale, sprachpoliti­ sche Wissensproduktion gewesen.182 Die Anstellung eines erneut am SfOS ausgebildeten Lehrers konnte diese Verbindung potentiell nur stärken, was die Kolonialabteilung zudem motivierte, Blank für das weitere Sprach­ studium vor Ort mit einer umfangreichen Handbibliothek auszustatten. Diese umfasste nicht nur die seinerzeitigen deutschen Standardwerke zum Swahili von Carl Gotthilf Büttner und Walter Le Tanneux de St. Paul-Il­ laire sowie das englisch-swahili-sprachige Lesebuch von Eduard Steere, sondern auch drei Lehrwerke für das Gujarati, das von einem großen Teil der an der ostafrikanischen Küste vertretenen, ursprünglich vom indischen Subkontinent migrierten Kontraktarbeiter gesprochen wurde.183 Die Aus­ bildung Blanks hatte beide Sprachen beinhaltet, da er ursprünglich für die Gründung einer weiteren Schule in Daressalam oder Bagamoyo, wo der Anteil indischer Bevölkerung signifikant hoch war und das Gouvernement die dortigen Schulgründungen in Kooperation mit dem indischen Händ­

180 Beachte Kapitel 2.2.5. 181 Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 269, 381. Lenz, Regierungsschu­ le, S. 24. Beachte auch Kapitel 2.2.5. 182 Beachte insbesondere Kapitel 2.2.2 und 2.2.3. 183 BArch, R 1001/999, Bl. 112–113. BArch, R 1001/1000, Bl. 9. Die größten in Deutsch-Ostafrika lebenden indischen Gruppen stammten aus Gujarat sowie den Regionen um Surat und Mumbai, vgl. Becher, Dar es Salaam, S. 130–133.

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3. Reorganisation und Vernetzung

ler Sewa Hadji vorangetrieben hatte, vorgesehen war.184 Doch auch die Schülerschaft in Tanga bestand im Schuljahr 1894/95 zu etwa einem Drit­ tel aus Indern, wodurch Kenntnisse im Gujarati durchaus von praktischer Relevanz waren.185 Weitaus größere Beachtung schenkte die Kolonialverwaltung aber dem zur lingua franca auserkorenen Swahili, dessen Verbreitung auch der neue Lehrer mit Nachdruck vorantrieb. Wichtigstes strukturelles Merkmal des durch die koloniale Schule betriebenen Verbreitungsprozesses war dabei die sich in der Mitte der 1890er-Jahre vollziehende Durchsetzung der wissenschaftlich begleiteten Herstellung von Sprachlehrbüchern für den kolonialen Schulunterricht. Während etwa zur gleichen Zeit das familiärmissionarische Netzwerk schulisch-sprachpolitischer Wissensproduktion bestehend aus den kolonialen Schulen in Kamerun und Togo sowie den württembergischen Orten Nagold und Schorndorf aufgrund zahlreicher Krankheits- und Todesfälle zerbrach und die Schulbucherstellung merk­ lich zurückging, erfuhr die Verbindung der kolonialen Schule in DeutschOstafrika mit dem Seminar für Orientalische Sprachen weitere Stärkung und entwickelte sich zum neuen Schwerpunkt der diesbezüglichen Wis­ sensproduktion.186 Im Zeitraum von 1895 bis 1898 erarbeiteten Paul Blank und der eben­ falls neu angestellte Volksschullehrer Oswald Rutz, der am 22. Oktober 1895 in Bagamoyo eine weitere koloniale Schule eröffnete, die beiden

184 Lenz, Regierungsschule, S. 24. Vgl. Becher, Dar es Salaam, S. 130. Für die Schul­ gründungen in Daressalam und Bagamoyo und die Bedeutung der indischen Bevölkerung Deutsch-Ostafrikas für die deutsche koloniale Schule siehe Kapi­ tel 3.2.2. 185 BArch, R 1001/989, Bl. 125. 186 Beachte Kapitel 3.1.4. Auch die Durchdringung des Duala, die eine Zeit lang der deutsche koloniale Lehrer in Bonamandone, Theodor Christaller, maßgeb­ lich bestimmt hatte, wurde zunehmend von wissenschaftlich orientierten Ver­ tretern, hierunter insbesondere August Seidel und Carl Meinhof, vorangetrie­ ben, Meinhof, Carl: Die Sprache der Duala in Kamerun, Berlin 1912. Seidel, August: Die Duala-Sprache in Kamerun. Systematisches Wörterverzeichnis und Einführung in die Grammatik, Heidelberg 1904. Vgl. Pugach, Africa, S. 71–140. Die Erstellung von Sprachlehrwerken für den kolonialen Schulgebrauch in Kamerun wurde dagegen insbesondere von Basler Missionaren, etwa Ernst Din­ kelacker, betrieben, die allerdings auch im Austausch mit wissenschaftlichen Einrichtungen standen, Dinkelacker, Ernst: Handbuch der deutschen Sprache für deutsche Schulen in Kamerun, Basel 1907. Dinkelacker, Ernst: Wörter­ buch der Duala-Sprache (=Abhandlungen des Hamburgischen Kolonialinstituts, Bd. XVI), Hamburg 1914. Vgl. Altena, Häuflein, Anhang, S. 84.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

Grundlagenwerke für die weitere sprachpolitische Schultätigkeit.187 Dabei folgte die Bucherstellung der von Barth und Büttner erprobten Aufgaben­ teilung: Zunächst erarbeiteten die Lehrer vor Ort parallel zum Unterricht ein Manuskript, anschließend erfolgten die Organisation der Korrektur und der Drucklegung bei einer deutschen Druckerei durch die Kolonialab­ teilung des Auswärtigen Amtes, die in der Regel Vertreter des SfOS zur fachlichen Begutachtung einbezog.188 Beim ersten der beiden Grundlagenwerke handelte es sich um eine Überarbeitung der Swahili-Fibel von Barth, die Paul Blank ausführte.189 Die schließlich 1898 erschienene Fibel für die deutschen Schulen in Ost-Afri­ ka benannte zwar immer noch sowohl Barth als auch Blank als beteiligte Autoren, gründete allerdings auf einer methodischen Neuausrichtung des kolonialen Sprachunterrichts durch Blank, welche die Gestalt der Fibel grundlegend veränderte. Blank orientierte sich nicht an der Leseschreib­ methode, die Barth verwendet hatte. Diese hatte vorgesehen, zunächst alle „einzelnen Buchstaben in Schreibschrift“ einzuüben und die Buchsta­ ben anschließend zu Wörtern mit ansteigender Silbenzahl zu verbinden. Außerdem hatten der Lese- und der Schreibunterricht gleichzeitig begon­ nen, was seinen Ausdruck darin fand, dass Barths Fibel zugleich Lesebuch war.190 Blank hingegen folgte der Normalwörtermethode, bei der im Unter­ richt von der Grundform (Normalform) eines Wortes ausgegangen wur­ de. Die Vermittlung begann dabei mit der Anschauung eines passenden Bildes im Anschauungsunterricht, worauf die lebensweltliche Kontextua­ lisierung des Wortes durch „eine Erzählung, ein Rätsel oder ein Gedicht­ chen, welche auf den Gegenstand Bezug haben“, folgte.191 Anschließend sollte das Wort vom Lehrer an der Tafel vor- und von den Schülern auf eine kleine Schiefertafel abgeschrieben werden, bevor durch dessen Zerle­

187 BArch, R 1001/989, Bl. 129. Zur Schuleröffnung in Bagamoyo beachte Kapi­ tel 3.2.2. Oswald Rutz (6.6.1868–5.1.1910) stammte aus Graudenz (Pommern, heute Grudziądz, Polen) und arbeitete ab Oktober 1889 unter anderem in seiner Heimatstadt als Volksschullehrer. In den Semestern 1894/95 und 1895 studierte er am Seminar für Orientalische Sprachen und eröffnete am 22.10.1895 die koloniale Schule in Bagamoyo. Bis zu seinem Tod im Januar 1910 war er im kolonialen Schuldienst in Deutsch-Ostafrika beschäftigt, Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 3, 618. Lenz, Regierungsschule, S. 25. 188 BArch, R 1001/1001, Bl. 4. 189 Barth, Chuo cha kwanza (1893). Barth/Blank, Chuo cha kwanza (1898). SuaheliFibel und -Lesebuch, in: DKB, Jg. 9 (1898), S. 296. 190 Barth, Chuo cha kwanza, S. III-IV (für das Zitat: S. III). 191 Barth/Blank, Chuo cha kwanza (1898), S. VI-VII (für das Zitat: S. VI).

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3. Reorganisation und Vernetzung

gung Sprachlaut- und Schriftzeichenkenntnisse vermittelt wurden. In der abschließenden Übungsphase sollten die durch Zerlegung gelernten Buch­ staben zu neuen Wörtern verbunden werden, die wiederum die Grundlage für den Lese-Schreib-Unterricht und das Diktatschreiben sein konnten.192 Dementsprechend ähnelten sich die beiden ersten Auflagen der Fibeln von Barth und Blank in ihrem Erscheinungsbild kaum, während die zweite Auflage aber insbesondere etwa den Arbeiten des Volksschulpädagogen Heinrich Fechners sehr nahe kommt.193 Fechner war nicht nur von 1889 bis 1902 einer der Lehrer der Söhne Kaiser Wilhelms II., sondern von 1876 bis 1909 auch Leiter des Berliner Volksschullehrerseminars gewesen, also desjenigen Seminars, welches Blank besucht hatte.194 Dieser benannte in seinem Vorwort zudem explizit Fechner als methodischen Paten seiner Ausarbeitung, dem er auch in der prinzipiellen Trennung von Fibel und Lesebuch folgte, sodass sich der Umfang der Swahili-Fibel von der ersten zur zweiten Auflage um etwa 30 Seiten verminderte und diese im Aufbau noch stärker einer Fibel für Volksschulen in Deutschland ähnelte.195 Hinsichtlich der Schrift hielt Blank an den schon von Barth gewählten lateinischen Buchstaben fest. Der Rezensent von Barths Fibel im Deutschen Kolonialblatt hatte 1895 den Hintergrund dieser Festlegung bereits umris­ sen: „Die Zeit der arabischen Buchstaben dürfte nunmehr in Deutsch-Ost­ afrika bald vorbei sein. Es ist kein Zweifel, dass die deutschen Schulen binnen weniger Jahren den Gebrauch der lateinischen Schriftzeichen für das Suaheli allgemein verbreiten werden.“196 Es ging also um die Fortsetzung der schon missionarisch begonnenen Lati­ nisierung des Swahili.197 Diese sollte zum einen das Arabische, die Sprache des Koran, verdrängen und zum anderen die Schüler für einen späteren Unterricht im Deutschen vorbereiten. Im Rahmen der methodischen Neu­

192 Barth/Blank, Chuo cha kwanza (1898), S. VI-VII. 193 Für einen exemplarischen Vergleich Barth, Chuo cha kwanza. Barth/Blank, Chuo cha kwanza. (1898). Fechner, Heinrich: Fibel nach der analytisch-syntheti­ schen Lesemethode. Ausgabe C. Erster Theil, Berlin 1879. Porger, Gustav (Hg.); Fechner, Heinrich: Deutsche Fibel nach der analytisch-synthetischen Leseme­ thode. Ausgabe A, Berlin ca. 1906. 194 Herrmann, Max: Heinrich Fechner, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Deut­ sche Erziehungs- und Schulgeschichte, Jg. 19 (1909), S. 337–342, hier: S. 339. 195 Barth/Blank, Chuo cha kwanza (1898), S. VI. 196 Litterarische Besprechungen, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 229. 197 Beachte auch Kapitel 2.2.2.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

ausrichtung des Lese- und Schreibunterrichts bekannte sich dann auch die Kolonialverwaltung explizit zu diesem sprachpolitischen Etappenziel, das damit wesentlicher Bestandteil der Reorganisation des kolonialen Schul­ wesens nach der Phase des Umbruchs war.198 Zur methodischen Neuausrichtung gehörte als zweites Grundlagenwerk schließlich ein gemeinsam von Blank und Rutz erstelltes Lesebuch für die Schulen in Deutsch-Ostafrika.199 Das Lesebuch bestand aus zwei Teilen, die mit ansteigendem Anforderungsniveau auf dem Unterricht mit der Fibel aufbauten. Neben Lesestücken, die im ersten Teil jeweils kaum den Umfang einer halben Seite überstiegen und thematisch unter anderem das Schulleben, erwünschtes Sozialverhalten sowie Flora und Fauna Ost­ afrikas behandeln, finden sich im zweiten Teil des Lesebuchs längere Le­ sestücke und insbesondere auch Bilder der kaiserlichen Familie und ein Bild Bismarcks. Hinzu kommen vier Bilder, von denen eines das Berliner Stadtschloss, eines das seinerzeit vor diesem gelegene Nationaldenkmal, eines das Reichstagsgebäude und eines das Niederwalddenkmal zeigt, so­ wie fünf Karten (Welt, Deutsch-Ostafrika, Afrika-Europa, Deutsches Reich, Europa).200 Die Schüler sollten also nicht nur im Lesen trainiert, sondern gleichzeitig auch mit dem nötigen Vorwissen ausgestatten werden, um als treue und loyale Untertanen in die kolonialherrschaftliche Beziehungs­ hierarchie einzutreten. Den Abschluss des Lesebuches bilden schließlich ein Überblick über geläufige Wechselkurse und Maßeinheiten sowie exem­ plarische Abdrucke von Post- und Zollformularen, was auf die Absicht späterer Anstellung von Schulabsolventen insbesondere in diesen beiden Bereichen hinweist.201 Diese sollte Ende der 1890er-Jahre aber nicht direkt erfolgen. Im Juni 1898 benannte Gouverneur Eduard von Liebert202 einen

198 BArch, R 1001/989, Bl. 136–138. Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 110. 199 Rutz, Oswald; Blank, Paul: Chuo cha masomo. Lesebuch für die Schulen in Deutsch-Ostafrika, Berlin 1898. 200 Rutz/Blank, Chuo cha masomo (1898), S. II, 76–77, 97–99, 101, 103, 105, 107– 109, 124–125, 127–129, 131, 135, 139. Die sicher aufschlussreichen inhaltlichen Feinheiten der Lesestücke müssen vorerst einer swahilikundigen Analyse vorbe­ halten bleiben. 201 Rutz/Blank, Chuo cha masomo (1898), S. 145–156. 202 Eduard von Liebert (16.4.1850–14.11.1934) verfolgte eine militärische Karriere und war nach der Beteiligung am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 zum Offizier befördert worden. Nach Absolvierung der entsprechenden Ausbildung diente er ab 1881 im Großen Generalstab. 1890 war er kurzzeitig als Bericht­ erstatter des Reichskanzlers über die Expedition Hermann von Wissmanns in Deutsch-Ostafrika tätig, bevor er weitere Beförderungen und Kommandos in Deutschland erhielt. Im Dezember 1896 wurde er schließlich zum Gouverneur

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3. Reorganisation und Vernetzung

auf der latinisierten Swahili-Vermittlung aufbauenden Deutsch-Unterricht als weiteren Ausbildungsschritt vor einer entsprechenden Verwendung im Kolonialdienst.203 Gleichwohl zeigen die beiden Lehrbücher die grund­ sätzlichen Zweckbestimmungen des seinerzeitigen Unterrichts, nämlich die Verbreitung eines latinisierten Swahili sowie eine berufsvorbereitende Ausbildung von Hilfsbediensteten. Sie bilden außerdem den prinzipiellen Gang des Unterrichts ab, der auch in den Folgejahren, in denen sowohl die Fibel (1901, 1904) als auch das Lesebuch (1901, 1908) zwei weitere Auflagen erhielten, für die Anfangsschulstufen grundlegend war.204 Die beiden Lehrbücher dienten insbesondere als Abgrenzung der ersten drei Klassenstufen, und deren Inhalte waren Gegenstand der Prüfungen im Schreiben und Lesen für eine Versetzung von einer der Inlandsschulen in eine der Küstenschulen.205 Den beiden Lehrbüchern kam noch eine weitere Funktion zu, welche die Wissensvermittlung innerhalb der kolonialen Lehrerschaft betraf. Die Lehrbücher bildeten nämlich auch die Fortsetzung der sprachlichen und landeskundlichen Ausbildung angehender kolonialer Lehrer am Seminar für Orientalische Sprache. Die unterrichtsmethodischen Anweisungen in den Vorworten der Lehrbücher, vor allem der Fibel, dienten neuen Leh­ von Deutsch-Ostafrika ernannt und übte diese Funktion bis September 1900 aus. Anschließend war er insbesondere von 1907 bis 1914 als Vertreter der Reichs- und Freikonservativen Partei Mitglied im Reichstag und gehörte der ko­ lonialpolitischen Opposition an, die sich gegen die Politik Bernhard Dernburgs wandte. Liebert war insbesondere nationalistisch und militaristisch eingestellt, Mitbegründer und lange Zeit Vorsitzender des Reichsverbandes gegen die Sozi­ aldemokratie, Präsidiumsmitglied und zeitweilig kolonialpolitischer Sprecher im Alldeutschen Verband, Mitglied im Deutschen Flottenverband, der Deut­ schen Kolonialgesellschaft und dem Wehrverein. Ab 1929 gehörte er auch der NSDAP an. Liebert, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. II, Leipzig 1920, S. 454. Vgl. Gründer, Horst: Liebert, Eduard von, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 487f. Liebert, Eduard Wilhelm Hans von, in: Mann, Bernhard: Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordneten­ haus 1867–1918, Düsseldorf 1988, S. 1358. 203 BArch, R 1001/989, Bl. 136–138. 204 Barth/Blank, Chuo cha kwanza (1901). Barth/Blank, Chuo cha kwanza (1904). Rutz, Oswald; Blank, Paul: Chuo cha masomo. Lesebuch für die Schulen in Deutsch-Ostafrika, 2. Auflage, Berlin 1901. Rutz, Oswald; Blank, Paul: Chuo cha masomo. Lesebuch für die Schulen in Deutsch-Ostafrika, 3. Auflage, Tanga 1908. 205 BArch, R 1001/989, Bl. 140–144. BArch, R 1001/990, Bl. 35–38, 135–138. BArch, 1001/991, Bl. 241–243. Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 120. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 17. Zum 1898 eingeführten System der Inlandsschulen beachte Kapitel 3.2.2.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

rern als praktische Handlungsanleitung für den Unterricht. Dass eine ge­ wisse Heranführung und Eingewöhnung trotz der Ausbildung im Seminar für Orientalische Sprachen notwendig waren, bekräftigte Paul Blank in einem Bericht vom April 1904, in dem er rückblickend auf seine Erfahrun­ gen ab 1895 insbesondere die Strenge der Volksschullehrerbildung kriti­ sierte. Aufgrund dieser seien die jungen Lehrer auf die „peinlich[e] Befol­ gung scharf gezogener Richtlinien“ getrimmt.206 In der Lehrerbildung sei „Initiative kaum gepflegt und gewünscht“, weshalb die neuen Lehrer un­ sachgemäße Methoden nutzten und Ausbildungsschwerpunkte legten.207 Der Beruf des kolonialen Lehrers erfordere aber vielmehr Flexibilität und Eigeninitiative, letztlich aber auch die Unterstützung durch Lehrer, die bereits vor Ort Erfahrung gesammelt hatten.208 Zur Wirkung letzterer formulierte Blank selbstsicher: „Ich habe durchweg beobachtet, wie gerne und freudig Winke und Belehrungen, die wir älteren Lehrer aus der Erfahrung heraus gewon­ nen haben und die uns längst in Fleisch und Blut übergegangen sind, aufgenommen werden, und Unsicherheiten und Unklarheiten beho­ ben.“209 Dies zeigt exemplarisch, dass auch innerhalb der Lehrerschaft die „alten Hasen“ die Führung beanspruchten und die kollegiale Wissensordnung zu dominieren suchten.210 Im Allgemeinen führte dieser Anspruch, welcher der Überzeugung entstammte, die praktische Erfahrung sei der theoreti­ schen Vorbildung überlegen, zur Ansicht, jeder neue Kolonialbedienste­ te habe sich vor Ort zunächst in der Praxis zu bewähren, bevor man ihn akzeptierte. Die damit verbundenen Tugenden und Fähigkeiten sub­ sumierten unter den Begriffen Charakter und Gentlemen und kreisten um Eigenschaften wie „Vorsicht und Klugheit“, „eine gewisse Unabhän­ gigkeit gegenüber gesellschaftlichen Konventionen“, „Energie und Tat­ kraft“, „Ausdauer, Selbstdisziplin, Unerschrockenheit, Kaltblütigkeit und die selbstbewusste Rücksichtnahme auf die Anliegen der unterworfenen

206 BArch, R 1001/990, Bl. 130–132 (für das Zitat: Bl. 130). 207 BArch, R 1001/990, Bl. 130–132 (für das Zitat: Bl. 130). 208 BArch, R 1001/990, Bl. 130–132. Zu den Prinzipien der Volksschullehrerbil­ dung beachte Kapitel 2.1.2. Für die 1904 ebenfalls von Blank geforderten Vereinheitlichungsmaßnahmen, die unter anderem in einen weiteren Schulsys­ temausbau und einen erneuten Schub für die Lehrbucherstellung mündeten, beachte Kapitel 3.2.4. 209 BArch, R 1001/990, Bl. 130–132 (für das Zitat: Bl. 131). 210 Vgl. Eckert/Pesek, Bürokratische Ordnung, S. 101–104 (für das Zitat: S. 102).

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Bevölkerungsgruppen“.211 Bedingt und begünstigt wurde diese Entwick­ lung durch einen Mangel an Ausbildungswegen für Kolonialbedienstete, der das Reichskolonialamt erst 1908 mit der Etablierung eines entspre­ chenden formalen Bildungsweges am neu gegründeten Kolonialinstitut in Hamburg begegnete.212 Das Monitum einer bis dato fehlenden Ausbildung für Kolonialbediens­ tete im Allgemeinen und der Verfügbarkeit einer lediglich sprachlichen Ausbildung am SfOS bedarf aber für den speziellen Fall der kolonialen Lehrer einer Akzentuierung. Für die Lehrer war die sprachliche Ausbil­ dung im Swahili sowie anfangs auch im Gujarati schließlich von erheblich größerer berufspraktischer Relevanz als für andere Kolonialbedienstete, da eine Lehrtätigkeit gewöhnlich höhere Anforderungen stellt als Berufs­ situationen, in denen nur eine gelegentliche Sprechfertigkeit vonnöten ist. Hinzu treten die im Zuge der Anstellungen von Theodor Christal­ ler entwickelten konkreten Anstellungskriterien für koloniale Lehrer213 sowie die in den Lehrbüchern enthaltenen methodischen Handlungsanlei­ tungen, die gemeinsam mit der sprachlichen Ausbildung am SfOS einen gewissen zielgerichteten Ausbildungsweg bilden. Der auszugsweise zitierte Bericht von Blank mag zeigen, dass dennoch die Notwendigkeit direkten zwischenmenschlichen Wissensaustausches bestand beziehungsweise von den älteren Lehrern als Anspruch formuliert wurde. Gänzlich ohne ent­ sprechende spezielle Vorbildung erreichten neue Lehrer aber insbesondere in Deutsch-Ostafrika nicht ihren kolonialen Einsatzort, und es bestand außerdem eine im Vergleich zu den kolonialen Schulen in Kamerun und Togo geringere Abhängigkeit von der direkten Übergabe der Schulleitun­ gen von Vorgänger zu Nachfolger beziehungsweise Stelleninhaber zu Ver­ treter.214 Für den grundständigen Nachwuchs an Lehrern für die koloniale Schu­ le in Deutsch-Ostafrika sorgte die Kolonialabteilung des Auswärtigen Am­ tes, indem sie regelmäßig Absolventen von Volksschullehrerseminaren zur sprachlichen und landeskundlichen Ausbildung an das SfOS sandte. Nach­ dem Christian G. Barth seine Ausbildung in den Semestern 1891/1892 und 1892 absolviert hatte, befand sich ab dem Sommersemester 1894 bis 211 Vgl. Habermas, Skandal in Togo, S. 169. Trotha, Koloniale Herrschaft, S. 92–93 (für die Zitate: S. 93). Stuchtey, Der Charakter, die Herrschaft, das Wissen, S. 7– 24. 212 Vgl. Ruppenthal, Kolonialismus als „Wissenschaft und Technik“, S. 92. Zur­ strassen, „Ein Stück deutscher Erde schaffen“, S. 117–119. 213 Beachte Kapitel 2.1.2 und 2.1.3. 214 Beachte Kapitel 3.1.1.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

auf wenige Ausnahmen regelmäßig mindestens ein Lehrer unter den Stu­ dierenden des SfOS. Insgesamt besuchten im Zeitraum von 1891 bis 1915 37 angehende koloniale Lehrer das Seminar. Von diesen besuchten 33 die Swahili-Sprachkurse, drei Lehrer bereiteten ihre Tätigkeit in Togo durch das Erlernen von Ewe, einer seine Tätigkeit in Kamerun durch das Erlernen von Duala vor.215 Die angehenden kolonialen Lehrer für Deutsch-Ostafrika bildeten also mit Abstand die größte Gruppe innerhalb ihrer Berufssparte.216 Von den 33 Swahili-studierenden Lehrern wiederum fanden anschließend 29 im kolonialen Lehrerdienst Verwendung. Es kam demnach selten vor, dass ein Lehrer nach oder während der Ausbildung wieder ausschied. Von den vier Lehrern, bei denen dies der Fall war, verhinderte bei zweien der Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine Ausreise nach Deutsch-Ostafrika. Ein Lehrer beendete aus unbekannten Gründen seine Ausbildung nach der Hälfte der Studienzeit und ein weiterer hatte als Alternativkandidat gegenüber einem seiner Mitstudierenden das Nach­ sehen.217 Die sprach- und landeskundliche Ausbildung der Lehrer für die kolonia­ len Schulen in Deutsch-Ostafrika am Seminar für Orientalische Sprachen nahm also eine zentrale Stellung im Rekrutierungsprozess ein. Dies bestä­ tigt des Weiteren, dass lediglich sieben weitere Lehrer218, die kein Studium am SfOS absolviert hatten, vor Ort Verwendung fanden, während die vier für die Tätigkeit in Kamerun und Togo am SfOS ausgebildeten Lehrer für die dortigen Lehrerschaften jeweils Ausnahmen darstellten.219 Dabei war

215 GStA PK, SfOS, 316–352. Beachte Anhang Nr. 12 a)-c). Duala und Ewe wurden 1899 in das Lehrprogramm des Seminars für Orientalische Sprachen aufgenom­ men, vgl. Pugach, Africa, S. 63, FN 73. 216 Innerhalb des kolonialsprachlichen Zweiges, der seinerseits im Verhältnis zum europäisch-asiatisch-sprachlichen Zweig des SfOS der kleinere war, befanden sich die Lehrer in der klaren Minderheit gegenüber etwa Juristen, Naturwis­ senschaftlern und Offizieren. Siehe Frequenz des Seminars für orientalische Sprachen zu Berlin, in: DKB, Jg. 9 (1898), S. 64. Vgl. Burchardt, The School, S. 72–76. 217 BArch, R 1001/999, Bl. 141. Beachte Anhang Nr. 12 a), Spalte ‚Ausreise nach DOA‘. 218 Ausgenommen sind hier die vier in Deutsch-Ostafrika beschäftigten Lehrerin­ nen, die prinzipiell nicht zum Studium am SfOS zugelassen waren und auch hauptsächlich in Schulen für nicht-indigene Kinder arbeiteten, sowie der syri­ sche Lehrer Suleiman Domet. Beachte hierzu die Tabelle in Anhang Nr. 12 a). 219 BArch, R 1001/999, Bl. 139–140, 145. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 11, Nr. 17 (1910), S. 1. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 12, Nr. 19 (1911), S. 4. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 12, Nr. 22 (1911), S. 1. Personalnachrich­ ten, in: AADOA, Jg. 12, Nr. 27 (1911), S. 3. Lenz, Regierungsschule, S. 25.

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3. Reorganisation und Vernetzung

der stete Fluss an weiteren Lehrern durchaus im Sinne der schulischen Expansion. Allerdings machten auch die im Vergleich zur Situation Mitte der 1890er-Jahre in Kamerun seltenen, doch auch in Deutsch-Ostafrika re­ gelmäßig auftretenden Rückreisen von Lehrern aufgrund von gesundheit­ lichen Beschwerden, die halbjährigen Urlaubsreisen zwischen den Dienst­ zeiten und in zwei Fällen auch der Ersatz im Dienst verstorbener Lehrer prinzipiell eine Beschäftigungsquote von mehr als 100 Prozent der Stellen nötig.220 Dies gilt es auch angesichts der stets einstelligen Zahl an kolonia­ len Schulen, die in Deutsch-Ostafrika von diesen Lehrern geleitet wurden, zu berücksichtigen. Die Aussendung neuer Lehrer ist insbesondere nicht mit der Gründung neuer Schulen gleichzusetzen. Neben den Swahili-Sprachkursen, die prinzipiell nach dem gleichen Muster abliefen wie schon zur Studienzeit Christian G. Barths221, beinhal­ tete das in der Regel zweisemestrige Studium am SfOS auch Themen, die allgemein den ‚Realien‘ zugeordnet waren. Dies umfasste nicht nur landeskundliche Vorlesungen, sondern spätestens ab dem Wintersemes­ ter 1905/06 auch Unterrichtseinheiten in Tropenhygiene und tropischer Landwirtschaft. Ab dem Wintersemester 1911/12 besuchten die angehen­ den kolonialen Lehrer außerdem meist noch medizinpraktische Kurse so­ wie wirtschaftstheoretische und rechtswissenschaftliche Überblicksveran­ staltungen. Des Weiteren gehörte Englisch zum Curriculum einiger weni­ ger Lehrer.222 Auch die Ausbildung der angehenden Lehrer, die in den 1890er-Jahren ob der besonderen berufspraktischen Relevanz der sprachli­ chen Ausbildung am SfOS eine Vorreiterrolle innegehabt hatte, folgte also dem allgemeinen Trend nach umfassender Vorbereitung auf die koloniale Dienstzeit. Sehr rasch kein Lerninhalt mehr für die Lehrer war das Gujara­ ti, das außer Paul Blank einzig der vom Wintersemester 1894/95 bis zum Sommersemester 1895 am SfOS studierende und bereits erwähnte Oswald Rutz erlernte. Neben seiner Mitarbeit an der Erstellung des zum Grundla­ genwerk avancierenden Swahili-Lesebuchs war Rutz maßgeblich an der sich ab 1895 neben der Reorganisation vollziehenden schulischen Expan­ sion beteiligt. Diese ist Gegenstand des nachfolgenden Abschnittes, der insbesondere nach den Wechselwirkungen beider Prozesse fragt und die Entstehung differenzierter und hierarchisierter Schulstrukturen an Küste und Inland Deutsch-Ostafrikas thematisiert.

220 BArch, R 1001/999, Bl. 130, 139–140. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 11, Nr. 14 (1910), S. 2. 221 Beachte Kapitel 2.2.2. 222 GStA PK, SfOS, 332–352.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

3.2.2 Schulische Expansion: Küste und Inland223 Die erste Phase der Expansion der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika im Jahr 1895 beruhte wie die Schulgründung in Tanga auf einer von der Kolonialverwaltung eingegangenen Kooperation. Deren Grundlage waren zwei Verträge, die das Gouvernement 1892 und 1894 mit dem indischen Händler Sewa Hadji geschlossen hatte.224 Im ersten Vertrag, datiert auf den 15. April 1892, verpflichtete sich das Gouvernement gegen eine Zah­ lung in Höhe von 12.400 Rp. (ca. 15.500 M) von Seiten Sewa Hadjis zur Errichtung eines Krankenhauses und einer Schule in Daressalam. Beide Einrichtungen sollten allen Einheimischen unbenommen ihrer Herkunft oder Abstammung offenstehen, und insbesondere sollte die Schule keine Schulgelder erheben dürfen. Als Unterrichtssprache vereinbarte man das Swahili. Auch im Gujarati sollte Unterricht erteilt werden.225 Ein zweiter Vertrag vom 28. Dezember 1894 regelte die Übergabe des „alte[n] Fort[s] in Bagamoyo“ an das Gouvernement „gegen die Verpflichtung[, bis zum 1. April 1896] in Bagamoyo eine Schule nach dem Muster der in Tanga befindlichen einzurichten.“226 Auch in dieser Schule sollte kein Schulgeld erhoben und keine Zugangsbeschränkung auf Basis von Herkunft oder Abstammung der Schüler erlassen werden dürfen. Außerdem verpflichte­ te sich das Gouvernement zur Entsendung eines deutschen sowie zur Anstellung eines indischen Lehrers. Ersterer sollte die Schule leiten und

223 In dieser Arbeit findet der analytisch neutrale Begriff Inland anstelle des zeitge­ nössisch benutzten Begriffs ‚Hinterland‘ Verwendung, dessen impliziter Rekurs auf wirtschaftliche oder kulturelle Rückständigkeit für die Darstellung in dieser Arbeit keine Bedeutung haben soll. Entscheidend ist vielmehr die Abgrenzung des Inlands von der von Seeseite kolonisatorisch zuerst zugänglichen Küstenre­ gionen um die Hafenstädte Tanga, Bagamoyo, Daressalam, Pangani, Kilwa und Lindi. Dieser Gesichtspunkt überwiegt auch den Umstand, dass die auf dem Begriff Inland beruhende Bezeichnung der von ehemaligen Schülern geleiteten und den Küstenschulen vorgeschalteten Schulen als Inlandsschulen, die im Fol­ genden verwendet wird, nur für etwa zehn Jahre konsistent ist und mit der Besetzung von Schulen etwa in Tabora 1910 mit deutschen Lehrern an Schärfe verliert, da sich Tabora auch in eben jenem Inland befindet. 224 Zur Person Sewa Hadjis beachte Kapitel 2.2.1. 225 BArch, R 1001/990, Bl. 77. BArch, R 1001/991, Bl. 98. In Daressalam befand sich ab 1891 der Hauptsitz der deutschen kolonialen Ver­ waltung. Wie Tanga (beachte Kapitel 2.2.2) war es als Küstenstadt Umschlag­ platz für Waren und Ankerplatz für Passagierdampfer, beachte ausführlich Becher, Dar es Salaam, S. 27–58. Finde eine Karte für das Jahr 1891 in Plan von Dar-Es-Salaam, in: DKB, Jg. 2 (1891), S. 336. 226 BArch, R 1001/990, Bl. 75–76 (für die Zitate: Bl. 75).

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3. Reorganisation und Vernetzung

letzterer den Unterricht im Gujarati erteilen.227 Zu betonen ist, dass beide Verträge nicht durch Übervorteilungen geprägt waren, welche etwa die Schutzverträge kennzeichneten.228 Es handelte sich außerdem um auch aus Sicht des Gouvernements bindende Vereinbarungen. Dies zeigen etwa die intensiven und ernsthaften Auseinandersetzungen, die 1907, zehn Jahre nach dem Tod Sewa Hadjis, innerhalb der Kolonialverwaltungsinstanzen um die rechtlich korrekte Auslegung der Verträge geführt wurden und in deren Rahmen die Leitung der Gouvernementsverwaltung die im Auswär­ tigen Amt kritisch betrachtete Erfüllung der Unterrichtsermöglichungen verteidigte.229 Zur Erfüllung der schulischen Komponenten der Verträge wurden, gleichwohl für Bagamoyo auch ein indischer Lehrer vorgesehen war, Paul Blank und Oswald Rutz am Seminar für Orientalische Sprachen nicht nur im Swahili, sondern auch im Gujarati ausgebildet und sollten im Laufe des Jahres 1895 die beiden Schulen eröffnen. Die für die Kolonialverwaltung unerwartete Abreise Christian G. Barths und die dadurch notwendige Neubesetzung der Lehrerstelle in Tanga durchkreuzten nun die Expansi­ onspläne. Sie machten diese aber nicht gänzlich undurchführbar, da im Februar 1895 ohne Zutun der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes der Volksschullehrer Heinrich Richter in Daressalam eingetroffen und kurzerhand vom Gouvernement mit der Eröffnung der Schule beauftragt worden war.230 Allein der Zufall ermöglichte also die dortige Schuleröff­ nung am 1. April 1895.231 In Bagamoyo wiederum eröffnete der auch für diesen Ort vorgesehene Oswald Rutz symbolträchtig am Geburtstag 227 BArch, R 1001/990, Bl. 75–76. BArch, R 1001/991, Bl. 99–100. Beachte Adick/ Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 9, S. 76–77. Mit Bagamoyo erhielt auch der dritte in Deutsch-Ostafrika für Handel und Verkehr wichtige Ort an der Küste des indischen Ozeans eine koloniale Schu­ le. Bagamoyo hatte sowohl zum im Inland gelegenen Tabora als auch nach Sansibar sowie zu den Anrainerregionen des Indischen Ozeans Handelsverbin­ dungen. 1888 hatte die Deutsch-Ostafrikanische Handelsgesellschaft hier ihre Hauptniederlassung errichtet, beachte Kapitel 2.2.3. Vgl. Becher, Dar es Salaam, S. 34. 228 Vgl. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 26–30. 229 BArch, R 1001/991, Bl. 95–96, 102–103, 119–120. 230 BArch, R 1001/999, Bl. 112–113. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 225, 425. Lenz, Regierungsschule, S. 25. Heinrich Richter (20.11.1852–23.12.1895) stammte aus Guben in Brandenburg und hatte vor seiner Ausreise nach Deutsch-Ostafrika in Vetschau (1872–1880) und Cottbus (1880–1895) als Volksschullehrer gearbeitet, ebd. 231 BArch, R 1001/989, Bl. 103. Amtlicher Jahresbericht (1895/96), S. 103. Schule in Dar-es-Salâm, S. 244. Lenz, Regierungsschule, S. 5.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

der deutschen Kaiserin Auguste Viktoria, am 22. Oktober 1895, die damit dritte koloniale Schule in Deutsch-Ostafrika.232 Die beiden neuen Schulen waren zweigeteilt und glichen sich im prin­ zipiellen Aufbau. Der erste und größere Teil der Schulen folgte einer wiederum dreigliedrigen Systematik. Nachdem morgens Kinder den Un­ terricht besuchten, folgte am Nachmittag der Unterricht für indigenes Dienstpersonal. Abends wiederum besuchten als Zoll- und Postarbeiter angestellte „Goanesen, Parsen u.s.w.“ den Unterricht. Diese Aufteilung der Schülerschaft hatte sich im Schuljahr 1895/96 auch in Tanga etabliert und spiegelte nicht nur deren Entstehung, sondern auch zwei der Zweck­ bestimmungen der Schule wider.233 Einerseits ging es darum, die junge Bevölkerung auf mittelfristiger Perspektive mit einem latinisierten Swahi­ li proeuropäisch und antiislamisch zu prägen, weshalb in der Schule in Tanga etwa explizit auch an muslimischen Feiertagen Unterricht stattfand, und andererseits sollte kurzfristig die Kommunikation mit der bestehen­ den Mitarbeiterschaft in einer von der Kolonialverwaltung bevorzugten Sprache verbessert werden. Im Unterricht drückte sich dies durch die Unterrichtssprache Swahili, die Nutzung der Fibel (1895/96 noch jene von Barth) und die Beschränkung des Deutsch-Unterrichts auf „Redewendun­ gen des täglichen Verkehrs“ aus.234 Der zweite und kleinere Teil der Schulen in Bagamoyo und Daressalam umfasste den Unterricht von Indern. Dieser begann in beiden Schulen nicht sofort. In Daressalam übte Sewa Hadji Druck auf das Gouvernement aus, die Vertragsverpflichtungen zu erfüllen, und hatte im Frühjahr 1896 Erfolg. Das Gouvernement engagierte für einen Lohn von monatlich 60 Rp. (ca. 75 M) einen indischen Lehrer und mietete ein Klassenzimmer (mtl. 15 Rp. = ca. 20 M) an. Im Mai 1896 besuchten nach Bericht des Gouvernements 40 indische Kinder die Schule, wo sie im Gujarati, aber

232 Amtlicher Jahresbericht (1895/96), S. 104. Personal-Nachrichten, in: Jg. 6 (1895), S. 618. Lenz, Regierungsschule, S. 5. 233 Amtlicher Jahresbericht (1895/96), S. 103–104 (für das Zitat: S. 103). Zur Schü­ lerschaft bei der Schulgründung in Tanga beachte Kapitel 2.2.3. Die in den amtlichen Quellen als ‚Goanesen‘ bezeichnete kleine Bevölkerungsgruppe war ursprünglich in der portugiesischen Kolonie Goa in Westindien beheimatet und stand über Handel und Handwerk im engen Austausch mit den deutschen Kolonialisten. Ihr mehrheitlich katholischer Glaube unterschied jene von ande­ ren indischen Bevölkerungsgruppen. Zudem erhielten sie, wie auch die Parsen (persische Zoroastrier), 1904 die rechtliche Gleichstellung mit Europäern als Nicht-Indigene, vgl. Becher, Dar es Saalam, S. 132, 141–142. 234 Amtlicher Jahresbericht (1895/96), S. 103–104 (für das Zitat: S. 103).

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auch im latinisierten Swahili unterrichtet wurden.235 Entsprach dieser Teil der Schule nicht zuletzt aufgrund seiner auf Kooperation beruhenden Ermöglichung im Schulzweck der Schule in Bonamandone, wo – allge­ mein gesprochen – einflussreiche Lokale durch die Schule in einen für die Kolonisatoren positiven Kontakt mit diesen treten sollten, übertrug man auf den indischen Teil der Schule doch auch den Schulzweck der sprachpolitischen und kulturellen Beeinflussung. Dies bekräftigt auch die an den indischen Lehrer erfolgte Anweisung, sich etwaigen islamischen Religionsunterrichts zu enthalten.236 In Bagamoyo erfolgte die Anstellung eines indischen Lehrers schließlich zum Jahreswechsel 1896/1897. Dieser sprach allerdings kein Swahili, sodass ein entsprechender Unterricht in dieser Sprache sehr wahrscheinlich weiterhin durch den deutschen Lehrer, Oswald Rutz, erfolgte. Ab August 1899 arbeitete dann ein Swahili-kundi­ ger indischer Lehrer an der Schule. Unterrichtssprache war aber auch dann das Gujarati, was den Schwerpunkt des Unterrichts verdeutlicht. Dieser bewirkte insbesondere eine Trennung der indischen vom Rest der Schü­ lerschaft, was architektonisch bereits 1897 durch die Unterrichtung der beiden Teile der Schülerschaft in zwei getrennten Stockwerken etabliert worden war.237 Entgegen ihrer Ähnlichkeit im Aufbau unterschieden sich die Schulen in Bagamoyo und Daressalam im Grad der Vernetzung mit der bestehen­ den Schule in Tanga. Entscheidenden Einfluss hierauf hatte die Verweil­ dauer der Lehrer im Amt, die wiederum maßgeblich durch die Gesundheit der Lehrer bedingt wurde. In Daressalam verstarb Heinrich Richter am 23. Dezember 1895, woraufhin die Schule acht Monate nach ihrer Eröff­ nung wieder geschlossen und im Verlauf des Jahres hauptsächlich nur durch den indischen Lehrer im entsprechenden Teil der Schule Unterricht erteilt wurde.238 Das Auswärtige Amt rekrutierte daraufhin einen weiteren Volksschullehrer, den Württemberger Eduard Kuhn. Dieser verbrachte aufgrund der akuten Personalnot als einer der wenigen angehenden kolo­ nialen Lehrer nur ein Semester am Seminar für Orientalische Sprachen (Sommersemester 1896) und eröffnete den Swahili-Teil der Schule im

235 BArch, R 1001/999, Bl. 134–136. 236 BArch, R 1001/999, Bl. 134–136. 237 BArch, R 1001/989, Bl. 132. BArch, R 1001/991, Bl. 102–103. GStA PK, I. HA Rep. 208 A, Seminar für Orientalische Sprachen, Nr. 429, Bl. 52–65. 238 BArch, R 1001/989, Bl. 130–131. BArch, R 1001/999, Bl. 134–136. PersonalNachrichten, in: DKB, Jg. 7 (1896), S. 6, 68. Lenz, Regierungsschule, S. 25.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

Oktober 1896 ein zweites Mal.239 Doch auch Kuhn verbrachte nur etwa ein Jahr in Daressalam und reiste im November 1897 gesundheitsbedingt zurück nach Deutschland.240 Das gleiche Schicksal ereilte ein Dreiviertel­ jahr darauf den für die Urlaubsvertretung Paul Blanks in Tanga nach Deutsch-Ostafrika gereisten Volksschullehrer Heinrich Schröder aus Luka in Ostpreußen (heute Łuka, Polen). Schröder hatte die Schule nach der abermaligen Schließung aufgrund der Abreise Kuhns zum Jahreswechsel 1897/98 wiedereröffnet und musste allerdings im Juli 1898 ebenfalls auf­ grund einer Erkrankung wieder nach Deutschland abreisen.241 Daraufhin übernahm der syrische Dolmetscher Suleiman Domet die Schulleitung, wodurch eine erneute Schulschließung vermieden wurde.242 Als veröffent­ lichungswürdig erachtete die Kolonialverwaltung dessen bis Juni/Juli 1900 währende Tätigkeit offenbar nicht, denn über die von Domet bestrittenen Schuljahre 1898/99 und 1899/1900 findet sich in den amtlichen Jahresbe­

239 GStS, SfOS, 320, Bl. 4. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 7 (1896), S. 609, 765. Lenz, Regierungsschule, S. 25. Eduard Kuhn (geb. am 12.12.1871 in Schönau im Wiesental, heute Schönau im Schwarzwald) hatte von Oktober 1890 bis April 1892 als Unterlehrer in St. Leon gearbeitet und war anschließend bis April 1895 Schüler an der Baugewer­ beschule in Karlsruhe gewesen, ebd. 240 Lenz, Regierungsschule, S. 25. 241 BArch, R 1001/999, Bl. 139–140. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 8 (1897), S. 539, 692. Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 111. Lenz, Regierungsschu­ le, S. 25. Heinrich Schröder (geb. am 13.3.1870) hatte ab 1890 im Regierungsbezirk Königsberg als Volksschullehrer gearbeitet und in den Semestern 1896/97 und 1897 das Seminar für Orientalische Sprachen besucht, ebd. GStA PK, SfOS, 321, Bl. 4. GStA PK, SfOS, 322, Bl. 2. 242 BArch, R 1001/999, Bl. 139–140. Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 112. Lenz, Regierungsschule, S. 25. Suleiman Domet (geb. am 28.8.1866 in Safita, Syrien) besuchte als Kind eine US-amerikanische Missionsschule in seiner Heimatstadt und eine englische Schule in Beirut. Ab 1874 lebte er im von deutschen Missionaren geleiteten Syrischen Waisenhaus in Jerusalem und absolvierte die Ausbildung zum Lehrer und Missionar. Über Stationen in Bethlehem und Kairo kam er im April 1893 nach Deutsch-Ostafrika, wo er in Daressalam und in Kilwa als Dolmetscher und Swahililehrer für Angehörige der Schutztruppe arbeitete, ebd. Aus dieser Funktion heraus publizierte er 1898 eine Grammatik des Swahili, die allerdings vermutlich aufgrund ihrer Anteile in arabischer Schrift keine Verwendung im kolonialen Schulunterricht fand. Nach seiner Tätigkeit in Daressalam wurde Domet wieder nach Kilwa versetzt, um von 1900 bis 1903 die dortige Schule zu leiten, Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/04), S. 32. Domet, Suleiman: Die Suahelisprache, Jerusalem 1898.

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richten der betreffenden Jahre, die ansonsten ausführlich aus den Schul­ berichten aus Tanga und Bagamoyo berichten, nichts außer beredtem Schweigen.243 Anders verhielt es sich in Bagamoyo, wo Oswald Rutz ab 1895 durchge­ hend die Schulleitung innehatte und gemeinsam mit Paul Blank über die Lehrbucherstellung an der Expansion der Schule im Bereich der Wissens­ produktion arbeitete. Auch die Funktion der Schule als Instrument herr­ schaftlicher Vermittlung zelebrierte man in Bagamoyo, nicht in Daressal­ am. Zur öffentlichen Schulprüfung zu Jahresbeginn 1897 etwa erschien so­ wohl Gouverneur von Liebert als auch Sewa Hadji, der zudem eine Preis­ verleihung für gute Schülerleistungen arrangiert hatte.244 Es mag ein Indiz der Dezentralität kolonialer Herrschaft sein, dass Ende der 1890er-Jahre gerade der Schule am Sitz des Gouvernements in Daressalam schulisch die geringste Bedeutung zukam. Entsprechend vollzog sich der nächste Schritt der Expansion der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika auch von Tanga aus, erreichte danach Bagamoyo und anschließend Daressalam. Ausgangspunkt der weiteren schulischen Expansion war die nach wie vor aktuelle Frage der Schülergewinnung, auf die Paul Blank in den Jah­ ren 1897 und 1898 eine dezidiert andere Antwort entwickelte als sein Vorgänger Christian G. Barth. Blank distanzierte sich von dessen seinerzei­ tigen „Versuchen, die, mit seltenen Ausnahmen muhamedanischen, Schü­ ler durch liebevolle und subtile Behandlung zu halten und zu fesseln“ und bezeichnete diese als „erfolglo[s]“.245 Zielgruppe der Schule sollte vielmehr die junge Bevölkerung im Landesinnern sein, die weniger „von Vorurteilen gegen die Schule erfüll[t]“ sei.246 Die hierauf aufbauenden Maßnahmen waren sowohl Bestandteil der Reorganisation als auch der Ex­ pansion, da sie Bisheriges konzeptionell veränderten und gleichzeitig den kolonialschulischen Zugriff erweiterten, wodurch die Schule eine weitere Zweckbestimmung erhielt. Blanks Gedanken folgend wurden im Frühjahr 1897 zunächst 66 neue Schüler im Landesinnern gewonnen und in einem an die Schule angeschlossenen Pensionat untergebracht. Die Schüler soll­ ten nach ihrer Elementarausbildung im Lesen, Schreiben und Rechnen wieder in ihre Heimatorte zurückkehren, um den dortigen, von der Kolo­ 243 BArch, R 1001/999, Bl. 145. Amtlicher Jahresbericht (1898/1899), S. 308–311. Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 118–121. Lenz, Regierungsschule, S. 25. 244 BArch, R 1001/989, Bl. 132. Bericht über die Inspektionsreise des Kaiserlichen Gouverneurs, in: DKB, Jg. 8 (1897), S. 313–319, hier: S. 314. 245 BArch, R 8023/969, Bl. 3–13, 15–17 (für die Zitate: Bl. 15). Beachte Adick/Meh­ nert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 50, S. 196–200. 246 BArch, R 8023/969, Bl. 3–13, 15–17 (für das Zitat: Bl. 16).

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

nialverwaltung eingesetzten Ortsvorstehern (Liwalis, Akiden) als Schreib­ kräfte zu assistieren.247 Neben der Besetzung der Schulbänke in Tanga hatte diese Maßnahme insbesondere sprachpolitische Implikationen, da durch sie das latinisierte Swahili verbreitet und die Kommunikation mit lokalen Administrationsebenen vorbereitet wurde. Hierzu gründete das Bezirksamt Tanga 1897 als zweite Maßnahme eine Schule in „Sega im Bonde-Land“, in der ein ehemaliger Missionsschüler zukünftigen Helfern lokaler Anführer Lesen und Schreiben beibringen sollte.248 Nach Ablauf des Schuljahres 1897/1898 führte man beides zusammen und gründete im April und Mai 1898 nicht zuletzt aufgrund der „sehr gute[n] Erfahrungen in Sega“ neun weitere Schulen im Bezirk Tanga sowie dem östlichen Teil des Nachbarbezirks Usambara.249 Den dortigen Unter­ richt erteilten fortgeschrittene Schüler der Tanga-Schule, die gleichzeitig den lokalen Ortsvorstehern als Schreib- und Lesekräfte beigestellt wurden. Die Ausgesandten waren einerseits der lokalen Administration, die Unter­ kunft und Verpflegung stellen musste, verpflichtet und andererseits auch der kolonialen Bezirksverwaltung, von der sie einen monatlichen Lohn in Höhe von 5 Rp. (ca. 7 M) erhielten, und hatten eine Mittlerposition inne.250 Fachlich standen die lokalen Lehrkräfte unter der Aufsicht von Lehrer Blank, der hierzu im August 1898 eine erste „Revision der Schulen in dem Bezirk Tanga“ unternahm.251 Diese aufgrund der sich teilweise 30 bis 70 km von Tanga entfernt befindenden Schulorte mehrtätige Reise nahm eine sowohl für die Sprachpolitik als auch für die Wissensprodukti­ on wichtige Funktionen ein. Zunächst diente sie der fachlichen Kontrolle

247 Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 110. Zum Aufbau einer lokalen Zwi­ schenschicht in den Ämtern des Liwalis und des Akiden vgl. Eckert/Pesek, Bürokratische Ordnung, S. 97–98. 248 BArch, R 1001/989, Bl. 133 (auch für das Zitat). BArch, R 1001/996, Bl. 36. Vgl. Ploeg, Education, S. 102. Der exakte Schulort ist nicht zu rekonstruieren, lässt sich aber auf die Region zwischen Tanga und dem östlichen Usambarage­ birge eingrenzen. König nennt zur Verortung das etwa 50 km westlich von Tanga gelegene Muheza, König, Eingeborenenschulen, S. 530. Zur wesentlich missionarisch beeinflussten Ausprägung des Bonde-Begriffes mit Merkmalen von Identität und Ethnizität beachte Büttner, Manuela: Die Wahrnehmung und Herausbildung von Ethnizität in Deutsch-Ostafrika, Leipzig 2005, S. 71–74. 249 BArch, R 1001/989, Bl. 140–144. Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 110– 111 (auch für das Zitat). Schule in Sega, in: DKB, Jg. 8 (1897), S. 265. 250 Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 111. 251 Beachte für hier und das Folgende: BArch, R 1001/989, Bl. 140–144 (für das Zitat: Bl. 140). Bericht über die Revision der Schulen in dem Bezirk Tanga, in: DKB, Jg. 8 (1898), S. 691–692.

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3. Reorganisation und Vernetzung

der Lehrer und damit auch der Kontrolle der von diesen weiterzugeben­ den Wissensbestände. Hierzu hatten die Lehrer bei ihrer Abreise aus Tanga entsprechende Lehrmaterialien wie die Fibel erhalten, deren Einsatz Blank nun überprüfte. Im Rahmen der Überprüfung sammelte Blank zudem selbst wiederum neue Informationen über die lokalen Bevölkerungen und die Schulstandorte, die anschließend in die herrschaftliche Wissensproduk­ tion einflossen. Auf Basis der gesammelten Informationen tauschte Blank etwa noch vor Ort Lehrer aus und erteilte Anweisungen für den Unter­ richt sowie für die bauliche Unterhaltung der Schulgebäude. Gleichzeitig unterwarf er die Lehrer einer monatlichen Berichtspflicht, um einerseits eine regelmäßige Leistungskontrolle zu etablieren und andererseits die seiner Ansicht nach zu häufigen Materialanforderungen und Bittbriefe der Lehrer zu disziplinieren. Die Ortsvorsteher wies er wiederum an, den regelmäßigen Schulbesuch zu überwachen und die im latinisierten Swahili kundigen Lehrer den „arabischen Sekretären“252 vorzuziehen. Sprachpoli­ tisch flankierend erließ das Bezirksamt Tanga ein Jahr darauf schließlich eine entsprechende Anordnung, die das Verwenden lateinischer Schriftzei­ chen als verpflichtend für Schreiben an die Kolonialverwaltung erklärte.253 Im Januar 1900 folgte schließlich auch ein Runderlass des Gouvernements, der alle zivilen und militärischen Angestellten in der Kolonie zur lateini­ schen Schreibweise des Swahili verpflichtete.254 Die für die Frage der Vernetzung wesentlichste Maßnahme, die infolge der ersten Revision der Inlandsschulen getroffen wurde, war schließlich die Etablierung eines zyklischen Systems, das die Inlandsschulen dauer­ haft mit der Schule in Tanga verband und den Wissensaustausch normier­ te. Am Beginn eines solchen Zyklus stand die Elementarbildung neuer Schüler in einer der Inlandsschulen. Diejenigen, die zum Zeitpunkt der anlässlich einer Revision durch einen deutschen Lehrer durchgeführten Schulprüfung Lesen und Schreiben sowie basales Rechnen in den Grund­ rechenarten beherrschten, wurden anschließend in die ihr übergeordnete Küstenschule, anfangs ausschließlich Tanga, überführt. So wählte Lehrer Blank während der ersten Revision im August 1898 vierzehn der etwa 150 Schüler aus, die in den Inlandsschulen bis dahin unterrichtet worden wa­ ren. In Tanga sollten diese dann weiterführenden Elementarunterricht er­ halten und durch speziellen Fachunterricht in praktischer Pädagogik und Verwaltungspraxis zu neuen Inlandslehrern und „Gemeindesekretären“

252 BArch, R 1001/989, Bl. 140–144 (für das Zitat: Bl. 143). 253 BArch, R 8023/969, Bl. 3–13, 15–17. 254 Runderlass (I 3364), in: AADOA, Jg. 3 (1902), Nr. 29, S. 1.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

ausgebildet werden, um in diesen Funktionen wiederum die Ausbildung neuer Schüler und die weitere Verbreitung des latinisierten Swahili zu betreiben.255 Paul Blank genoss in der Umsetzung dieses Systems die Unterstützung Gouverneur von Lieberts.256 Dies erhält mit Blick auf die koloniale Schule in Kamerun entscheidende Bedeutung, da die dortige, von Lehrer Theodor Christaller propagierte Schulexpansion 1895 insbesondere auf Betreiben Gouverneur von Puttkamers gestoppt worden war.257 In Deutsch-Ostafrika wurde das System der Inlandsschulen hingegen nach einjährigem Beste­ hen 1899 noch einmal erweitert, sodass im August 1899 22 solcher Einrich­ tungen existierten, die nach amtlichen Angaben von etwa 450 Schülern besucht wurden und für deren Ausstattung Blank ein Budget in Höhe von 1.000 M erhalten hatte. Parallel zur wachsenden Zahl an Subschulen wuchs auch die Schule in Tanga, deren Pensionat zum gleichen Zeitpunkt bereits etwa 100 Schüler besuchten. Zudem sandten vermehrt andere Verwaltungsstellen der Kolonie junge einheimische Bedienstete nach Tan­ ga, um diese dort für verschiedene Verwaltungsaufgaben auszubilden zu lassen, beziehungsweise forderten in Tanga ausgebildete Lehrer für die Unterrichtung der lokalen Bediensteten an.258 Für die tägliche Arbeit eines kolonialen Lehrers in Deutsch-Ostafrika be­ deuteten Reorganisation und Expansion damit insbesondere die Erweite­ rung des Aufgabenbereiches um die Aspekte Schulinspektion und Lehrer­ ausbildung. Mehr noch als zuvor wurden die Lehrer damit zu kolonialen Wissensmanagern, die einerseits durch die Verbindungen ihrer Schulen in das Inland Informationen über dieses sammelten und andererseits durch Elementar- und Fachausbildung insbesondere Aufstiegsmöglichkeiten in­ nerhalb der kolonialen Sozialhierarchie vergaben. Letzteres wirkte sich sowohl positiv als auch negativ auf die Schülerzahlen aus. So erreichten Lehrer Blank und das Bezirksamt Tanga in Verhandlungen mit führenden Indigenen etwa bereits 1899 eine auf die Stadt Tanga beschränkte Schul­ pflicht für alle sechs- bis fünfzehnjährigen Kinder für zwei Stunden am

255 BArch, R 8023/969, Bl. 3–13, 15–17. BArch, R 1001/989, Bl. 140–144 (für das Zitat: Bl. 144). Vgl. Ploeg, Education, S. 102–103. Beachte insbesondere auch die Schülerstatistik für Schulen mit deutschen Lehrern in Anhang Nr. 46 sowie eine Liste der Inlandsschulen der Schule Tanga in Anhang Nr. 47. 256 BArch, R 8023/969, Bl. 14, 17. 257 BArch, R 1001/4073, Bl. 131–134. 258 BArch, R 8023/969, Bl. 3–13, 15–17. Amtlicher Jahresbericht (1898/1899), S. 309.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Tag, was rasch zu knapp 190 lokalen Anmeldungen führte.259 Allerdings klagten die Lehrer auch gelegentlich darüber, dass Schüler kaum nach Absolvieren der ersten Schuljahre von Europäern für ein kleines Gehalt angeworben und damit dem zyklischen Schulsystem entzogen wurden.260 Nichtsdestotrotz verfügten insbesondere die Lehrer in Tanga ab 1898 durch ihre Verfügungsgewalt über die Entscheidung, ob ein Schüler von einer Inlands- in eine Küstenschule versetzt wurde, über wesentlichen Ein­ fluss darauf, wer von ihren Schülern Aussicht auf eine spätere Anstellung in europäisch dominierten Verwaltungs- und Wirtschaftszweigen erhielt und wer nicht. Zum Jahreswechsel 1899/1900 wurde das System der Inlandsschulen dann von Tanga auf die Schule in Bagamoyo übertragen und die Grün­ dung zweier solcher Schulen im dortigen Verwaltungsbezirk vorgenom­ men. Außerdem unterstellte man eine weitere 1898 für den Unterricht von Swahili privat gegründete Schule in Saadani, das 60 km nördlich von Bagamoyo lag, der Aufsicht von Lehrer Oswald Rutz, der weiterhin die Schule in Bagamoyo leitete.261 Analoge Übertragungen erfolgten bis April 1900 auf die Schule in Daressalam sowie die neu gegründete Küstenschule in Kilwa, wo jeweils ehemalige Schüler aus Tanga in den Inlandsschulen zum Einsatz kamen. Drei Tanga-Absolventen unterrichteten zudem in einer in Lindi unter der Aufsicht des dortigen Bezirksamtes gegründeten Küstenschule.262 Insbesondere für die Schule in Tanga, die wesentliche Strahlkraft auf die weiteren kolonialen Stützpunkte der Deutschen an der Küste Deutsch-Ostafrikas hatte, gilt es damit, die von Andreas Eckert 259 BArch, R 8023/969, Bl. 3–13, 15–17. König, Eingeborenenschulen, S. 621. Vgl. Ansprenger, Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika, S. 81. 260 Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 120. Vgl. Ansprenger, Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika, S. 79. 261 Amtlicher Jahresbericht (1898/1899), S. 310. Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 120–121. Zur Gründung der Schule in Saadani beachte Amtli­ cher Jahresbericht (1897/1898), S. 111. 262 BArch, R 1001/989, Bl. 174–203, hier: S. 178–181. BArch, R 1001/999, Bl. 142, 144. Siehe Anhang Nr. 15. Kilwa, ugs. kurz für zeitgenössisch Kilwa-Kiwindsche, war Sitz der Bezirksver­ waltung des Bezirks Kilwa und lag wie die bisherigen Schulorte auch an der Küste zum Indischen Ozean. Im südlichen Nachbarbezirk lag die sich ebenfalls an der Küste befindende Bezirksstadt Lindi. Beide Orte fungierten als Um­ schlagplätze für Waren, deren Umfänge allerdings geringer waren als etwa in Bagamoyo oder Daressalam, siehe Schmidlin: Lindi, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. II, Leipzig 1920, S. 457. Uhlig: Kilwa-Kiwind­ sche, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. II, Leipzig 1920, S. 300.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

und Michael Pesek auf die Zeit nach dem Maji-Maji-Krieg datierte „Verste­ tigung der Produktion von Herrschaftswissen“ zu akzentuieren. Motor ei­ nes solchen Prozesses, den die Autoren an „der verstärkten Einführung von Bildungseinrichtungen, Schriftlichkeit und Statistik“ festmachen, war schon vor den Kriegsjahren insbesondere die von Lehrer Blank vorange­ triebene Schulexpansion, deren wesentlicher Kern die Vernetzung der Küs­ tenschulen mit ihren Inlandsschulen war.263 Hinzu tritt die gemeinsame Schulbucharbeit der Lehrer in Tanga und Bagamoyo sowie die Anbindung des kolonialen Unterrichts in Deutsch-Ostafrika an das Seminar für Orien­ talische Sprachen in Berlin, sodass ein solcher Verstetigungsprozess bereits auf die späten 1890er-Jahre zu datieren ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich die Rekrutierungsstrukturen für Lehrer für die koloniale Schule in Deutsch-Ostafrika bereits gefestigt hatten und trotz krankheits- und to­ desfallbedingten Ausfällen Stellen regelmäßig neu besetzt werden konn­ ten. Die insbesondere von Blank eingeleiteten Maßnahmen der Reorganisa­ tion und Expansion trafen allerdings nicht bei allen Teilnehmern der kolonialen Debatte auf Zustimmung und führten im Frühjahr 1900 zum Ausbruch des nur scheinbar beigelegten Konfliktes um die Stellung der Religion in der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika, der zwischen Vertretern des Reichstages und der Missionen auf der einen und den ge­ schlossen agierenden Kolonialverwaltungsinstanzen auf der anderen Seite ausgetragen wurde.264 Im Rahmen dieses Konfliktes entwickelte letztere ein Begründungsnarrativ für die koloniale Schule, das die weitere schuli­ sche Expansion argumentativ absicherte und dessen Entstehung darum im Zentrum des nachfolgenden Abschnittes steht.

3.2.3 Das Narrativ der impliziten Christianisierung Während der Reichstagsberatungen im Februar 1900 über den Kolonial­ etat für das Rechnungsjahr 1900/01 kam es zur öffentlichen Wiederauf­ nahme der Debatte um das Verhältnis der deutschen kolonialen Schule zum Islam. Ihr Ausgangspunkt war ein Antrag in der Budget-Kommission des Reichstages, in welchem gefordert wurde, die von der Kolonialabtei­ lung im Auswärtigen Amt im Entwurf platzierte Erhöhung der Anzahl

263 Vgl. Eckert/Pesek, Bürokratische Ordnung, S. 100–101 (für die Zitate: S. 100). 264 Für die in den Jahren 1894 und 1895 geführte Debatte um den islamischen Religionsunterricht beachte Kapitel 2.2.4.

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3. Reorganisation und Vernetzung

an Lehrerstellen von drei auf fünf wieder zu streichen. Außerdem wurde gefordert, die Schulen ausschließlich „arabischen Element[en] zugänglich zu machen“ und fortan anstelle der Absolventen der Regierungsschulen Absolventen der Missionsschulen als Subalternbeamte zu beschäftigen.265 Während der erste Teil der Forderung, die darauf zielte, erstmalig in der Geschichte der deutschen kolonialen Schule einen Expansionsschritt durch eine Parlamentsinitiative rückgängig zu machen, in der Kommissi­ on abgelehnt wurde und damit die Stellenerhöhung die erste parlamen­ tarische Hürde genommen hatte, erhielt der zweite Teil mehrheitlich Zu­ stimmung und erreichte als noch einmal differenziertere Resolution am 13. Februar 1900 das Reichstagsplenum. Die Resolution war zweigeteilt und enthielt zum einen die Forderung, zuvorderst schwarzafrikanische Christen in den Regierungsdienst aufzunehmen. Zum anderen umfass­ te sie drei Aspekte, die bei der Ausbildung dieses Personals Beachtung finden sollten. Erstens sollten die bisherigen regierungseigenen Schulen ausschließlich Muslimen offenstehen. Zweitens sollte die Kolonialverwal­ tung neue Schulen gründen, in denen Missionare unterrichteten, wobei Muslimen die Teilnahme an christlichem Religionsunterricht freigestellt wäre. Drittens sollte in allen Schulen die „Landessprache“ und daneben als weitere Sprache ausschließlich das Deutsche unterrichtet werden.266 Die Wortführer der Resolution, die sich klar erkennbar gegen die bishe­ rige Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika richtete, waren die konservativen und christlichen Kräfte im Reichstag. Hierzu zählte Franz von Arenberg, der neben Karl Hespers insbesondere die Anliegen der katholischen Mis­ sion in der Kolonialpolitik vertrat267 und in der Debatte als Berichter­ statter der Budget-Kommission die Resolution vorstellte. Sein Hauptargu­ ment bezog sich direkt auf die von Paul Blank etablierte Ausbildung einheimischer Lehrer für die Inlandsschulen. Einzelne Schulen für die islamische Bevölkerung könnten toleriert werden, „Schullehrerseminare“, wie die Schule in Tanga, widersprächen aber dem „in [den] Kolonien

265 BArch, R 1001/989, Bl. 149–152. Stenographische Berichte über die Verhand­ lungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: S. 4080B-C (für das Zitat: S. 4080B). 266 BArch, R 1001/989, Bl. 149–150. BArch, R 1001/991, Bl. 152. Stenographi­ sche Berichte über die Verhandlungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: 4080D-4081A (für das Zitat: S. 4081A). Für den Wortlaut der Resolution beachte Anhang Nr. 16. Zur prinzipiell zwischen der staatlichen Verwaltung und den Missionen verschiedenen Interpretationen des Begriffes ‚Landessprache‘ beachte Eggert, Missionsschule, S. 72–76. 267 Beachte Kapitel 2.3.4.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

herrsche[nden] […] Prinzip der freien Schule“ und machten diesen, also den Missionsschulen, regelwidrige „Konkurrenz“.268 Anschließend sprach an der prominenten ersten Rednerstelle der deutschkonservative Abgeord­ nete und spätere Reichstagspräsident Udo zu Stolberg-Wernigerode und bezeichnete die Ausbildung der mehrheitlich muslimischen Küstenbevöl­ kerung als zwar „an sich ganz zweckmäßig“, da er diese als der einhei­ mischen schwarzafrikanischen Bevölkerung kognitiv überlegen ansah.269 Er erhob anschließend allerdings mehrere Vorwürfe gegen die koloniale Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika. So behauptete er, durch die Etablierung einer mittleren, nicht-christlichen Lehrer- und Verwaltungsschicht, werde das koloniale Sozialgefüge geschädigt und die „Ausrottung der Sklaverei“, die er als wesensimmanenten Teil des Islam charakterisierte, „entschieden erschwert“.270 Außerdem sprach er sich explizit gegen eine über die nun beantragte Anzahl von fünf Lehrern hinausgehende Schulexpansion aus und warf der kolonialen Verwaltung in Deutsch-Ostafrika vor, eine Lehrtä­ tigkeit von Missionaren in den Regierungsschulen noch gar nicht erprobt zu haben.271 Dieser Haltung schloss sich als Redner für das Zentrum der katholische Priester Georg Friedrich Dasbach an, bevor August Bebel für die Sozialdemokraten in Gegenrede insbesondere der Verbindung von Islam und Sklaverei widersprach. Er empfahl zudem, man solle sich viel­ mehr an der Kolonialpolitik Russlands orientieren und die Resolution ablehnen.272 Bezug auf die konkrete Situation in Deutsch-Ostafrika nah­ men beide jedoch ebenso wenig, wie der daraufhin für die Annahme der Resolution argumentierende Hermann August Wilhelm Stockmann, Ab­

268 BArch, R 1001/989, Bl. 149–152. Stenographische Berichte über die Verhand­ lungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: S. 4080C-D (für die Zitate: S. 4080D). Vgl. Eggert, Missionsschule, S. 71–72. 269 BArch, R 1001/989, Bl. 149–152. Stenographische Berichte über die Verhand­ lungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: S. 4081A-D (für das Zitat: S. 4081B). 270 Ebd. 271 BArch, R 1001/989, Bl. 149–152. Stenographische Berichte über die Verhand­ lungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: S. 4081A-D (für die Zitate: S. 4081B). Vgl. Gründer, Christliche Mission, S. 358. Die antiis­ lamische und teilweise rassistische Grundstimmung der Debattenbeiträge im Reichstag greift Haschemi Yekani auf, vgl. Haschemi Yekani, Koloniale Arbeit, S. 173–175. 272 BArch, R 1001/989, Bl. 149–152. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: S. 4081D-4082C.

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3. Reorganisation und Vernetzung

geordneter der Reichspartei, der dem Islam eine prinzipielle Feindschaft zum Christentum attestierte.273 Die Verteidigungsrede, die daraufhin der Direktor der Kolonialabtei­ lung im Auswärtigen Amt, Gerhard von Buchka274, im Plenum des Reichs­ tages für das Weiterbestehen der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika in ihrer bisherigen Form hielt, bewegte sich dementsprechend zunächst ebenfalls auf der Ebene der prinzipiellen Argumente. Er bekannte sich zum kolonialen Ziel der Christianisierung und versicherte, „dass die kon­ fessionslosen Schulen, welche in Ostafrika bestehen, nur ein Notbehelf“ seien.275 Außerdem erinnerte er die Abgeordneten an das gemeinsame Ziel, zum Zweck der Kostenreduzierung möglichst wenige deutsche, da­ für aber mehr indigene Personen in den Verwaltungen der Kolonien zu beschäftigen. Das entscheidende Argument, das von Buchka für die Beibehaltung des bisherigen Schulsystems heranzog, entstammte dann der Ebene der Kolonialpraxis und beinhaltete im Kern die Überzeugung der fachlich-elementarpädagogischen Überlegenheit der Regierungs- über die Missionsschulen, die im weiteren Verlauf der Debatte und auch in den Momenten ihrer Wiederkehr in späteren Jahren in unterschiedlicher Va­ riation von Vertretern der Kolonialverwaltung vorgebracht wurde. Die inhaltliche Grundlage dieser Äußerungen bildete ein interner Re­ ferentenbericht des Auswärtigen Amtes, der auf Basis der Berichte aus Deutsch-Ostafrika erstellt worden war und der von Buchka in die Lage ver­ setzte, im Weiteren detailliert zu den praktischen Konsequenzen der ein­ zelnen Bestandteile der Resolution Stellung zu nehmen.276 Der zunächst

273 BArch, R 1001/989, Bl. 149–152. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: S. 4082C-4083A. Vgl. Eggert, Missionsschule, S. 70–71. 274 Gerhard von Buchka (22.12.1851–12.11.1935) war Jurist und trat nach dem Studium in den juristischen Verwaltungsdienst des Großherzogtums Mecklen­ burg-Schwerin ein. Von 1893 bis 1898 war er Mitglied des Reichstages und gehörte der konservativen Fraktion an. Von April 1898 bis März 1900 war er dann Direktor der Kolonialabteilung und ab 1902 Mitglied im Konsistorium des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 1 A-F, Paderborn 2000, S. 314–315. 275 Für hier und das Folgende beachte BArch, R 1001/989, Bl. 149–152. Stenogra­ phische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: S. 4083A-4084A (für das Zitat: S. 4083B). Zur weiteren Nutzung des Arguments beachte BArch, R 1001/989, Bl. 196–201, BArch, R 1001/990, Bl. 10–11, 50. BArch, R 1001/991, Bl. 75. 276 BArch, R 1001/989, Bl. 164–171.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

scheinbar gewöhnliche Umstand guter Informiertheit der Berliner Koloni­ alverwaltung über die koloniale Schulpraxis ist insofern bemerkenswert, als diese keinesfalls immer gegeben war. So hatte das Auswärtige Amt in der Debatte um islamischen Religionsunterricht 1895 gegenüber den Missionsvertretern insbesondere darum den Kürzeren gezogen, weil man nicht über das Argument der Erfahrung von vor Ort verfügte.277 Elf Jahre darauf musste man sogar erhebliche Mühen unternehmen, um auf Anfra­ gen zu jener Debatte überhaupt auskunftsfähig zu sein, da offenkundig sämtliche Unterlagen über die Erteilung islamischen Religionsunterrichts verschwunden waren, sodass dessen Existenz erst durch ein Schreiben an den ehemaligen Lehrer Christian G. Barth aufgeklärt werden konnte.278 In dieser Debatte nun war das Gegenteil der Fall und so konnte von Buchka die abgestimmte Argumentationslinie der Kolonialverwaltungsinstanzen vortragen.279 Diese richtete sich insbesondere gegen den Aspekt der Reso­ lution, der die Übertragung der Unterrichtserteilung an Missionare und damit – in den Worten von Buchkas – „etwas Unmögliches“ forderte. Zur Erwiderung verband er das oben ausgeführte Überlegenheitsargument mit der seit der Schulgründung etwa von Lehrer Barth vertretenen These, dass eine etwaige offensichtliche Einführung christlicher Elemente in den Schulunterricht die einheimische Bevölkerung vom Schulbesuch abhalten würde.280 Außerdem spezifiziere die Resolution nicht, wie die durchaus rivalisierend agierenden Konfessionen gleichberechtigt in einem solchen Unterricht berücksichtigt werden sollten. Doch von Buchka entgegnete den Abgeordneten nicht nur, dass ihre Forderungen praktisch nicht um­ setzbar seien. Er bezeichnete auch die Ansicht als falsch, eine konfessions­ lose Schule habe keinen Einfluss auf die Überzeugungen ihrer Schüler­ schaft und müsse darum die christliche Bekehrung als explizites Schulziel aufnehmen. In den kolonialen Schulen, so von Buchka, beeinflusse man die Schülerschaft vielmehr implizit. Durch sie kämen Muslime „in ein Milieu, das sie dem Christentum näher bringt“. Dort lernten sie aber „vor

277 Beachte Kapitel 2.2.4. 278 BArch, R 1001/991, Bl. 61–63, 79–80, 82–83, 91–94. Ansprenger bescheinigt den islamischen Religionslehrern darum „ein Geisterdasein […] in den Akten der Berliner Behörden“, vgl. Ansprenger, Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika, S. 69– 70 (für das Zitat: S. 69). 279 Für hier und das Folgende: BArch, R 1001/989, Bl. 149–152, 213–214. Stenogra­ phische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: S. 4083C-4084A. Der Argumentation von Buchkas fol­ gend: Eggert, Missionsschule, S. 72–73. 280 Beachte Kapitel 2.2.3.

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allem die Ehrenhaftigkeit [und] die Unbestechlichkeit der deutschen Be­ amtenschaft“, was für die aktuellen Aufgaben der kolonialen Verwaltung Vorrang habe.281 Hinter dieser Argumentation stand das Ziel der Gouver­ nementsverwaltungen, Teile der Lokalbevölkerungen durch die kolonia­ len Schulen deutsch-freundlich beziehungsweise kooperativ zu stimmen, gekleidet in Worte, die insbesondere die konservativen und christlichen Kritiker der kolonialen Schulpolitik besänftigen sollten. Letztlich hatte von Buchka aber keinen unmittelbaren Erfolg. Zwar wurde die schon in der Budget-Kommission akzeptierte Stellenerhöhung nicht erneut beanstandet, die Resolution aber wurde beschlossen.282 Lang­ fristig jedoch gelang es den Kolonialverwaltungsinstanzen, aus dem Kern der Argumentation von Buchkas, nämlich einer implizit christlichen Ein­ wirkung der staatlichen Schulen, ein Narrativ zu entwickeln, das die weitere Schulexpansion in Deutsch-Ostafrika rhetorisch und argumentativ absicherte. Den Auftakt hierzu machte Gouverneur von Liebert, der nach Beschluss der Resolution im Reichstag von der Kolonialabteilung im Aus­ wärtigen Amt zu einer Stellungnahme aufgefordert worden war und im April 1900 einen 30 Seiten starken Bericht vorlegte, der sich im ersten Drittel mit der aktuellen Schulsituation in der Kolonie befasste und auf den restlichen 20 Seiten den im Reichstag getätigten Forderungen und Thesen umfassend entgegentrat.283 Von Liebert negierte zunächst eine di­ rekte Konkurrenz zwischen den Staats- und den Missionsschulen, da sie verschiedenen Zwecken dienten, hier der Ausbildung einer künftigen indi­ genen Verwaltungsspitze und dort der Christianisierung, wodurch die Ele­ mentarfächer lediglich „nebenbei“ unterrichtet würden.284 Entsprechend seien die Absolventen der Missionsschulen, die ohnehin mehrheitlich zur Weiterentwicklung des jeweiligen Missionsgebietes genutzt würden, kaum fähig, Lehr- oder Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Mithin gerieten sie in Loyalitätskonflikte zwischen ihrer staatlichen Beschäftigung und ihrer religiösen Bindung an die Mission. Außerdem würden christliche

281 BArch, R 1001/989, Bl. 149–152, 213–214. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: S. 4083D-4084A (auch für die Zitate). 282 BArch, R 1001/989, Bl. 149–152, 213–214. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: S. 4085B-C. 283 BArch, R 1001/989, Bl. 162, 173–203. 284 BArch, R 1001/989, Bl. 174–203 (für das Zitat: Bl. 184). Zu dieser aufgemachten Dichotomie beachte auch Ansprenger, Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika, S. 73– 74.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

Missionsschüler nicht strukturell vom Besuch einer staatlichen Schule ab­ gehalten, da dort allein der „Nachweis ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten“ und nicht die Religionszugehörigkeit als Kriterium der Aufnahme gelte.285 Des Weiteren attestierte von Liebert, wie schon von Buchka, den christli­ chen Missionaren einen elementar-pädagogischen Ausbildungsrückstand und unterstützte gegen die Mitglieder des Reichstages, die die Einführung von christlichem Religionsunterricht gefordert hatten, polemisierend die vor Ort tätigen Lehrer. Von Liebert konstatierte, dass sich die Frage der Opportunität christlichen Religionsunterrichts „seitens der hiesigen Lehrer wohl besser beurteilen lasse als seitens ein­ zelner Mitglieder des Reichstages, welche die hiesigen Verhältnisse auf Grund konfessionell gefärbter Berichte ihrer Missionsgesellschaften beurteilen.“286 Während von Liebert damit den Vorwürfen und Forderungen gegen die koloniale Schule mit kolonialpraktischen Argumenten den Boden zu ent­ ziehen versuchte, nutzte er gleichzeitig von Buchkas Vorlage zum Aufbau des Narrativs impliziter Christianisierung durch die staatlichen Schulen. Kern des Narrativs war die Überzeugung, durch die Schulen werde die indigene Bevölkerung „dem Einfluss des Arabertums entzogen“, mittelfris­ tig an die deutsche Herrschaft herangeführt und so langfristig die „Einfüh­ rung christlicher Schulen“ ermöglicht. Das Vorgehen habe „sich als richtig und praktisch erwiesen“ und sei „zwar langsam, dafür aber sicher, gründli­ cher und ungefährlicher“.287 Von Liebert folgte damit insbesondere dem Ansatz seiner Vorgänger, darunter vor allem von Soden, der bereits bei der Gründung der ersten Schule in Tanga die koloniale Schule als Instrument der zivilen Herrschaftsetablierung und -sicherung verstanden hatte und der versuchte hatte, der Forcierung von Konflikten zwischen Kolonisato­ ren und Kolonisierten konzeptionell etwas entgegenzusetzen.288 Wenig spricht indes dafür, Haschemi Yekani folgend im Debattengegensatz das Wirken von „zwei verschiedene[n] Konzepte[n] von Zivilisation“ zu sehen, auch nicht „vereinfacht gesprochen“, denn letztlich präferierten auch von Buchka und von Liebert christliche Schulen in Deutsch-Ostafrika, einzig

285 286 287 288

BArch, R 1001/989, Bl. 174–203 (für das Zitat: Bl. 193). BArch, R 1001/989, Bl. 174–203 (für das Zitat: Bl. 195). BArch, R 1001/989, Bl. 174–203 (für die Zitate: Bl. 188, 202). Beachte Kapitel 2.2.1.

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3. Reorganisation und Vernetzung

den Zeitpunkt für deren Einführung hielten sie aus Praxisgründen für noch nicht gegeben.289 Das weiterentwickelte Narrativ diente fortan als Grundlage der argu­ mentativen Absicherung der kolonialen Schulexpansion in Deutsch-Ost­ afrika und erlangte sein finales Stadium in einer Ausarbeitung, die Paul Blank im Januar 1904 mit dem Titel Die religionslose Regierungsschule in Deutsch-Ostafrika als Vorarbeiterin der Missionsbestrebungen vorlegte. Die im Titel geäußerte Kernthese des Narrativs begründete er mit der Formulie­ rung eines impliziten Ziels jeden Fachunterrichts in den staatlichen Schu­ len, nämlich „das moralische Niveau zu heben und christliche Lebensprin­ zipien dem Verständnis der Schüler nahe zu bringen.“ Dies geschehe auf dem Wege eines „unmerklichen Einfluss[es] der […] prinzipiell christli­ chen Schulerziehung und -unterweisung.“290 Dass eine solche Wirkung tat­ sächlich bestand, ist angesichts des europäisch-christlichen Hintergrunds der Lehrer und der der deutschen Volksschule nachempfundenen Schul­ konzeption durchaus denkbar, mithin empirisch aber kaum nachzuwei­ sen. Insbesondere der einzige von Blank genannte sichtbare Beleg für diese Wirkung der kolonialen Schule, nämlich der Rückgang der Koranschulen in den Schulorten, muss aufgrund nicht nachzuweisender Korrelationen bezweifelt werden.291 Als Begründungskonstrukt jedenfalls hatte das Nar­ rativ aber Bestand, zumal für Debatten im fernen Deutschen Reich, für die das Auswärtige Amt als praktische Konsequenz der Resolution ab 1900 regelmäßig im Frühjahr Ausarbeitungen mit aktuellen Informationen und Begründungen durch das Gouvernement in Deutsch-Ostafrika aus der Fe­ der der dortigen Lehrer erhielt. Diese dienten explizit dazu, „etwaigen Interpellationen im Reichstag“ argumentativ zu begegnen, was zeigt, dass koloniale Aushandlungsprozesse auch zwischen Vertretern der Kolonisato­ ren mit den Mitteln der Wissensproduktion bestritten wurden.292 Tatsächlich notwendig wurde diese Vorbereitung im März 1906, als die Inlandsschulen in Deutsch-Ostafrika unter anderem durch Matthias Erzberger, Abgeordneter für das Zentrum, als Orte der Islampropaganda bezeichnet wurden und erneut deren Ersatz durch Missionsschulen gefor­ dert wurde. In diesem Fall konnte sich die Kolonialverwaltung in der De­

289 290 291 292

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Vgl. Haschemi Yekani, Koloniale Arbeit, S. 175 (auch für die Zitate). BArch, R 1001/990, Bl. 123–124 (für die Zitate: Bl. 123). Vgl. Ansprenger, Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika, S. 72. BArch, R 1001/990, Bl. 113, 122 (für das Zitat: Bl. 113). BArch, R 1001/991, Bl. 73–78, 130–147. Beachte Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonial­ pädagogik, Dok. 13, S. 89–96.

3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

batte behaupten, in welcher der seinerzeit amtierende Direktor der Kolo­ nialabteilung im Auswärtigen Amt, Ernst von Hohenlohe-Langenburg293, insbesondere auf das entwickelte Narrativ der impliziten christlichen Be­ kehrung zurückgriff.294 Die Debatte umfasste auch die Situation der nichteuropäischen Kinder in Deutsch-Ostafrika, für die nur sporadisch staatli­ cher Schulunterricht organisiert wurde und für die der Reichstag im April 1906 die Organisationsform einer Simultanschule, also einer Schule mit gemeinsamem Unterricht für Kinder beider christlicher Konfessionen, be­ schloss.295 Insofern geriet der eigentlich viel größere Zweig der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika, in dem Teile der einheimischen Bevölkerung unterrichtet wurden, auch zunehmend aus dem Fokus der Reichstagsöf­ fentlichkeit. Neben den skizzierten Auswirkungen der Resolution für die Entwick­ lung eines Begründungsnarrativs und dem ständigen Fluss neuer Informa­ tionen über die schulische Kolonialpraxis von Deutsch-Ostafrika in die Kolonialabteilung hatte die Resolution aber auch praktische Konsequen­ zen für die Schularbeit, wenngleich durch sie weder die Unterrichtung der bisherigen Schülerschaft signifikant eingeschränkt, noch das Tempo der Expansion wesentlich gebremst wurde. Gravierender waren etwa die Einschränkungen aufgrund der kolonialverwaltungsinternen Debatte um eine etwaige Kommunalisierung der Schulen, die im November 1900 da­ zu führte, dass das Gouvernement eine zunächst beabsichtigte erneute Erhöhung der Lehrerstellen von fünf auf sieben wieder zurücknahm.296 In Verbindung mit der Resolution stand eine von der Kolonialabteilung gestoppte Forderung des Gouvernements nach zusätzlichen Etatmitteln für die Schulausstattung. Eine Bewilligung solcher Mittel benötigte nach

293 Ernst von Hohenlohe-Langenburg (13.9.1863–11.12.1950) war Jurist und be­ kleidete verschiedene diplomatische und Verwaltungspositionen, bevor er von 1900 bis 1905 Regent des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha war. Von November 1905 bis September 1906 war er dann kommissarischer Direktor der Kolonialabteilung und von 1907 bis 1912 Mitglied der konservativen Fraktion im Reichstag, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Diens­ tes 1871–1945, Bd. 2 G-K, Paderborn 2005, S. 344–345. 294 BArch, R 1001/991, Bl. 10–56. Stenographische Berichte über die Verhandlun­ gen des Reichstags (1905/1906), Bd. 3, S. 1965–1992, hier insb. S. 1991C–1992C. Ebd., S. 2019–2083. 295 BArch, R 1001/991, Bl. 65–66. Stenographische Berichte über die Verhandlun­ gen des Reichstags (1905/1906), Bd. 3, S. 2600–2606. Für die Errichtung von Schulen für nicht-indigene Kinder in Deutsch-Ostafrika beachte Kapitel 4.2.1. 296 BArch, R 1001/990, Bl. 25–26. Zur Kommunalisierungsdebatte beachte Kapi­ tel 3.2.4.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Ansicht des Auswärtigen Amtes eine parlamentarische Beratung, die man aber aus Furcht vor weiteren Eingriffen durch die Parlamentarier nicht anstreben wollte.297 Die Resolution löste des Weiteren insbesondere Beratungen mit lokalen Missionsvertretern aus, die im November 1900 zu einer Vereinbarung zwischen dem Gouvernement und führenden Vertretern der katholischen Kirche in der Kolonie, vertreten durch die Benediktinermission, führte. Darin nahmen beide Parteien zu den einzelnen Aspekten der Resolution Stellung und vereinbarten ein Kooperationsarrangement, das im Wesent­ lichen die Expansion der kolonialen Schule begünstigte, aber auch die Missionare an der Schultätigkeit beteiligte. Ansprenger bezeichnet dieses Abkommen als „Sieg der Mission“, übersieht dabei allerdings die klaren Vorteile für die Kolonialverwaltung sowie deren Wirkung auf die zukünf­ tige Schulexpansion.298 So akzeptierten die lokalen Missionsvertreter die Ausbildungsziele und -methoden der staatlichen Schulen und kündigten an, die eigenen Lehrpläne anzupassen, sodass vermehrt Absolventen von Missionsschulen nach Tanga wechseln könnten. Auch dem Begründungs­ narrativ der impliziten Christianisierung stimmten die lokalen Missions­ vertreter zu und erklärten bezüglich des zwischen Reichstagsmehrheit und Kolonialverwaltung umstrittensten Aspekts der Resolution, dass sie kein Interesse daran hätten, Missionare als Lehrkräfte an die staatlichen Küstenschulen zu entsenden. In den Inlands- und von den Bezirksämtern gegründeten Lokalschulen sollten zudem allenfalls pädagogisch ausgebil­ dete Missionare etwaig tätig werden können. Im Gegenzug sicherte das Gouvernement zu, in Orten, wo die Missionen Stationen und eine Schule betrieben, künftig keine Inlandsschule mehr zu gründen, und garantierte jeder Missionsschule, die nach den Lehrplänen der staatlichen Schulen unterrichtete, finanzielle Unterstützung. Ebenfalls sollten die Missionen für jeden elementar ausgebildeten Schüler einen Geldbetrag erhalten. Des Weiteren erhielt die Mission kostenfreien Zugang zu den an den Regie­ rungsschulen verwendeten Lehrbüchern, wodurch aber insbesondere die Verbreitung des latinisierten Swahili begünstigt wurde, was beide Parteien

297 BArch, R 1001/990, Bl. 25–28. 298 Für hier und das Folgende: BArch, R 1001/990, Bl. 6–17. R 1001/991, Bl. 154– 162. König, Eingeborenenschulen, S. 619–620. Vgl. Ansprenger, Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika, S. 74–75 (für das Zitat: S. 74). Tetzlaff, Rainer: Die Mission im Spannungsfeld zwischen kolonialer Herrschaftssicherung und Zivilisierungs­ anspruch in Deutsch-Ostafrika, in: Bade, Klaus J. (Hg.): Imperialismus und Ko­ lonialmission. Kaiserliches Deutschland und koloniales Imperium, Wiesbaden 1982, S. 189–204, hier: S. 196–199.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

neben der Verbreitung der deutschen Sprache als „wichtigen Kulturfaktor“ und „nationale Pflicht“ bezeichneten.299 Gleichwohl die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen nicht sofort, sondern nach und nach erfolgte300 und es auch unter den katholischen Missionsvertretern Kritiker der kolonialen Schule gab301, gelang es dem Gouvernement mit dieser Vereinbarung im Gegensatz zur seinerzeitigen Debatte um den islamischen Religionsunterricht, das Lager der Missionen vor Ort zu spalten und zu starke Eingriffe in die eigene Schulpolitik abzuwenden. Die Trennung im Missionslager verlief aber insbesondere nicht nur entlang der christlichen Konfessionen, wobei dies tendenziell schon zu konstatieren ist. Es befanden sich auch evangelische Missionare wie etwa einige evangelische Pastoren in Tanga unter den Unterstützern eines kooperativen Schulansatzes.302 Auch der Ausschuss der evangelischen Missionen in Deutschland reagierte verhalten positiv303, während aber die örtlichen Vertreter der Berliner Mission und die deutschen Leitungen der Berliner und der Herrnhuter Mission insbesondere die Anwendung des Lehrplans der staatlichen Schulen und die Bevorzugung des Swahili vor regionalen Sprachen nicht unterstützen wollten.304 Dies gab Vertretern der Kolonialverwaltung die Chance, argumentativ die Uneinigkeit der Missionen zu betonen und darauf zu verweisen, dass unter diesen auch Unterstützer der eigenen Schulpolitik existierten. Vor Ort gab es außer­ dem weitere Annäherungen, die vor allem in Tanga eine Kooperation von evangelischer Mission und Regierungsschule etablierten. Diese erlaubte es Schülern der Mission spätestens ab 1904, den Elementarunterricht an

299 BArch, R 1001/990, Bl. 6–17 (für die Zitate: S. 16). 300 Zur finanziellen Unterstützung beachte BArch, R 1001/990, Bl. 25–26, 45–47, 82–83. Bekanntmachung (IX 3743), in: AADOA, Jg. 3, Nr. 30 (1902), S. 1–2. Bekanntmachung (IX 358), in: AADOA, Jg. 5, Nr. 3 (1904), S. 6. Bekanntma­ chung (IX 4284), in: AADOA, Jg. 5, Nr. 27 (1904), S. 2. Bekanntmachung (IX 3431), in: AADOA, Jg. 6, Nr. 17 (1905), S. 2–3. Bekanntmachung (9639), in: AADOA, Jg. 7, Nr. 23 (1906), S. 1. Bekanntmachung (10976), in: AADOA, Jg. 8, Nr. 14 (1907), S. 2. Bekanntmachung (11761), in: AADOA, Jg. 8, Nr. 14 (1908), S. 1. Zur Lehrmittelweitergabe beachte BArch, R 1001/990, Bl. 25–26. BArch, R 1001/1001, Bl. 28, 83, 93, 103. Zur Anweisung, Konkurrenzgründungen zu unterlassen, beachte BArch, R 1001/990, Bl. 73. 301 BArch, R 1001/990, Bl. 100–105. 302 BArch, R 1001/990, Bl. 5, 50–51, 53, 125. Liebau: Ein Ausflug nach Gomelo im Digolande, in: Nachrichten aus der ostafrikanischen Mission, Jg. 17, Nr. 12 (Dez. 1903), S. 179–183. 303 BArch, R 1001/990, Bl. 41–42. 304 BArch, R 1001/990, Bl. 52, 62–63.

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3. Reorganisation und Vernetzung

der Regierungsschule zu besuchen. 305 Im Nachgang der Reichstagsresoluti­ on wurden also schrittweise Teile der Mission in die koloniale Schultätig­ keit einbezogen, wenngleich aber zu keiner Zeit etwa ein Missionar in einer der kolonialen Schulen unterrichtete. Und auch die Ausgestaltung des Unterrichts und die Schulorganisation wurden kaum beeinflusst. Ab 1900 nahmen hierauf eher kolonialverwaltungsinterne Debatten und loka­ le Konferenzbeschlüsse Einfluss, die parallel zur argumentativen Absiche­ rung der schulischen Expansion oder zur Annäherung von Teilen der Mis­ sion an die Regierungsschule verliefen beziehungsweise getroffen wurden.

3.2.4 Emanzipation und Expansion Gouverneur von Lieberts Bericht zur Reichstagsresolution bezüglich des Verhältnisses von kolonialer Schule und Islam im April 1900 diente nicht nur der Weiterentwicklung des Begründungsnarrativs, sondern war auch der Ausgangspunkt einer der zentralen kolonialverwaltungsinternen De­ batten um die Themen der Schulträgerschaft, der Schulfinanzierung und der Schulaufsicht, in denen die Anstellungsverhältnisse der kolonialen Lehrer eine Schlüsselrolle spielten.306 Konkret ging es um die Frage der ‚Kommunalisierung‘, also einer etwaigen Zuordnung der örtlichen Schu­ len zu den Kommunalverbänden. Diese waren zwischen 1898 und 1901 zunächst in neun, mehrheitlich an der Küste gelegenen Bezirken durch das Gouvernement gegründet worden und umfassten jeweils den schon bisher existierenden Bezirksamtmann als regionalen Verwaltungsleiter sowie Vor­ sitzenden im neu etablierten Bezirksrat, der die Bevölkerung im Bezirk repräsentieren und die Verwaltung beraten sollte.307 Die Kommunalver­

305 Den „Nachrichten aus der ostafrikanischen Mission“ entnehmen wir…, in: DKB, Jg. 15 (1904), S. 446. Beachte auch BArch, R 1001/991, Bl. 73–78 sowie Becher, Mission, S. 153–155. 306 BArch, R 1001/989, Bl. 174–203. 307 Vgl. Bald, Detlef: Deutsch-Ostafrika 1900–1914, Eine Studie über Verwaltung, Interessengruppen und wirtschaftliche Erschließung, München 1970, S. 40–42. Verordnung, betreffend die Vereinigung von Wohnplätzen in den Schutzgebie­ ten zu kommunalen Verbänden vom 3.7.1899, in: DKB, Jg. 10 (1899), S. 506. Waren in den Gründungsjahren, forciert durch Gouverneur von Liebert, auch Indigene in den Räten vertreten, änderte sich dies insbesondere während der Amtszeit Gustav Adolf von Götzens als Gouverneur (1901–1906). Dieser sorgte für den Ausschluss afrikanischer und indischer Mitglieder, deren Anteil Ende 1901 noch bei 20–50 Prozent gelegen hatte, vgl. Bald, Deutsch-Ostafrika, S. 44– 47.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

bände verfügten über ein Budget, über deren Verwendung aber nicht die Räte, sondern letztlich die Bezirksamtsmänner und der Gouverneur entschieden. Dieses Budget setzte sich aus Mitteln des Reichsetats, die durch das Gouvernement auf die Bezirke verteilt wurden, und aus loka­ len Steuern zusammen und unterlagen der ausschließlichen Kontrolle des Gouverneurs. Sowohl Gouverneur von Liebert als auch dessen Nachfolger Gustav Adolf von Götzen (1901–1906)308 befanden sich ob dieser selbst­ kreierten, exklusiven Budgetrechte regelmäßig mit der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt im Konflikt, konnten diese aber behaupten. Erst von Götzens Nachfolger Albrecht von Rechenberg (1906–1912)309 ging 1909 dieser Rechte auf Druck aus dem Reichskolonialamt verlustig. Bis dahin war die Verwaltungspraxis in den Kommunalverbänden Ausdruck des Emanzipationsstrebens des Gouvernements gegenüber der Berliner Kolonialverwaltung und bildete einen Bereich, auf den diese nicht direkt zugreifen konnte.310

308 Gustav Adolf von Götzen (12.5.1866–1.12.1910) begann zunächst ein juristi­ sches Studium, wandte sich dann aber einer militärischen Laufbahn zu. Die entsprechende Ausbildung unterbrach er 1892 und 1893 zu Forschungsreisen in Asien und Ostafrika. Ab April 1899 diente er im Großen Generalstab und war unter anderem Berichterstatter für den US-amerikanisch-spanischen Krieg. Sei­ ne Ernennung zum Gouverneur von Deutsch-Ostafrika erfolgte am 12.3.1901. Zu Beginn des Maji-Maji-Krieges im August 1905 befand sich von Götzen ge­ sundheitsbedingt in Deutschland und schied dort ein Dreivierteljahr später aus dem Amt. Bis zu seinem Tod versah er daraufhin das Amt des Preußischen Gesandten in Hamburg, vgl. Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe, S. 179–182. 309 Albrecht von Rechenberg (15.9.1861–26.2.1935) war Jurist und begann nach anfänglicher Tätigkeit im preußischen Justizwesen 1889 eine konsularische Laufbahn im Auswärtigen Amt. Zwischenzeitlich war er von Juli 1893 bis Februar 1896 Bezirksrichter in Deutsch-Ostafrika. Vom Amt des Generalkon­ suls in Warschau wechselte er im Frühjahr 1906 in das Amt des Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika, das er bis Mai 1912 versah. Mit Beginn seines einstwei­ ligen Ruhestandes wurde er Mitglied im Reichstag und der Zentrumsfraktion (1914–1918), vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Diens­ tes 1871–1945, Bd. 2 L-R, Paderborn 2008, S. 582–583. 310 Vgl. Bald, Deutsch-Ostafrika, S. 43. Verordnung des Reichskanzlers, betr. die Aufhebung kommunaler Verbände in Deutsch-Ostafrika vom 31.3.1909, in: DKB, Jg. 20 (1909), S. 425–426. Ein Jahr darauf gründete das Gouvernement in Tanga und Daressalam, wo die Kommunalverbände nicht abgeschafft, sondern auf die jeweiligen Stadtgrenzen beschränkt worden waren, als Nachfolgeorgani­ sationen zwei Stadtgemeinden, Verordnung des Reichskanzlers betr. die Stadt­ gemeinden in Deutsch-Ostafrika. (Deutsch-Ostafrikanische Stadtordnung) vom 18.7.1910, in: AADOA, Jg. 11, Nr. 30.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Dass die Ermangelung eines Zugriffs auf eine Sache aber auch bedeutet, für diese keine finanzielle oder rechtliche Verantwortung übernehmen zu müssen, und dass dieses doppelseitige Bewusstsein sowohl im Verhält­ nis der Kolonialabteilung zum Gouvernement als auch im Verhältnis des Gouvernements zu den Bezirksverwaltungen existierte, wird insbesondere mit Blick auf die Debatte um die Kommunalisierung der kolonialen Schu­ len deutlich. So war es die Kolonialabteilung, die dem Gouvernement als Antwort auf von Lieberts oben genannten Bericht vom April 1900, in dem er unter anderem die beiden neuen Schulen in Kilwa und Lindi, die sich in kommunaler Trägerschaft befanden, als „erstaunlich“ effiziente Einrich­ tungen beschrieben hatte, zwei Monate darauf vorschlug, die Kommunali­ sierung der Schulen in Tanga, Bagamoyo und Daressalam zu prüfen.311 Offenbar sah man hier die Gelegenheit, insbesondere die Verantwortung für die Kostendeckung auf die Verwaltungsinstanzen in der Kolonie zu übertragen. Das Gouvernement zeigte sich grundsätzlich erfreut über die­ sen Vorschlag, wollte aber nur die Schulen in Bagamoyo und Daressalam kommunalisieren und die Schule in Tanga, da sie „für die ganze Kolonie von größter Bedeutung“ sei, davon ausnehmen.312 Die Einschränkung des Gouvernements motivierte wohl das Ansinnen, den Bezirksämtern keine allzu große Verfügungsgewalt über die Lehrer zu gewähren, denn letztlich bedeutete Kommunalisierung für das Gouver­ nement die Übertragung der Lehrergehälter auf die Kommunaletats. Dies wäre ein Vorgang von immenser Tragweite, da mit ihm implizit auch alle dienstrechtlichen Belange auf die Kommunalverbände übertragen und letztlich die Dienstaufsicht durch die Kolonialabteilung beschnitten würde. Dort war man sich dieses Umstandes offenkundig nicht bewusst, obwohl bereits 1898 im amtlichen Deutschen Kolonialblatt ein Runderlass des Gouvernements abgedruckt worden war, durch welchen alle Schulen in der Kolonie den Bezirksämtern bei direkter Weisungsbefugnis durch den Gouverneur unterstellt worden waren und diese fortan die Kosten für wesentliche Bereiche der Unterhaltung der Schulen zu tragen hatten.313 Auch der explizite Hinweis auf eine zukünftige Zuständigkeit der Kom­ munalverbände für die Rekrutierung von Lehrern, den das Gouvernement im Zuge der bereits erwähnten Rücknahme der ursprünglich für den Etat

311 BArch, R 1001/989, Bl. 173–205 (für das Zitat: Bl. 181). Beachte zu den Neu­ gründungen ebenfalls Kapitel 3.2.2. 312 BArch, R 1001/989, Bl. 234. 313 BArch, R 1001/213, Bl. 77–78. BArch, R 1001/215, Bl. 14–15. BArch, R 1001/216, Bl. 11–12. Runderlass, in: DKB, Jg. 9 (1898), S. 319.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

1901/02 avisierte Stellenerhöhung von fünf auf sieben Lehrer im Novem­ ber 1900 nach Berlin sandte, wurde dort nicht verstanden.314 Erst als im Juni 1902, nachdem man im Auswärtigen Amt 1901 die Verwaltungspraxis der Kommunalverbände als Produkt der Kompetenzan­ maßung erkannt hatte, das Gouvernement zu nachträglichen Strukturie­ rungen veranlasst worden war und die konkreten Planungen zur Umset­ zung der Kommunalisierung, die im Februar 1902 eine Schulkonferenz in Daressalam erarbeitet hatte, in Berlin bekannt wurden, erfolgte seitens der Kolonialabteilung vehementer Widerspruch.315 Der Konferenzbeschluss, getragen unter anderem vom führenden Lehrer Paul Blank, sah vor, „das gesamte Schulwesen […] als Aufgabe der Kommunalverbände“ zu definie­ ren, einschließlich der Lehrerbesoldung. Das Gouvernement verstand sich dabei als finanzielle und fachliche sowie von der Kolonialabteilung unab­ hängige Aufsichtsbehörde. Nur formal sollten die Lehrer wie bisher An­ gestellte des Gouvernements bleiben.316 Doch das Auswärtige Amt wider­ sprach nun sowohl den intransparenten Finanzbeziehungen zwischen dem Gouvernement und den Kommunalverbänden als auch explizit der fakti­ schen dienstlichen Übernahme der Lehrer durch das Gouvernement.317 Gouverneur von Götzen gab das Vorhaben jedoch noch nicht auf und bezeichnete dieses in seiner Antwort auf den Widerspruch als notwendig für die Schulexpansion und als „Verbesserung“.318 Als hätte seine Behörde diesen Umstand seit 1898 nicht bewusst herbeigeführt, merkte er an, dass die Kommunalverbände ohnehin bereits die meisten Kosten der Schulen trügen und man so nur konsequent handele. Mithin sei eine dezentrale Mittelverwaltung über die Etats der Kommunalverbände der Praxis viel näher als eine zentrale Mittelverwaltung durch das Gouvernement; dabei muss diese Unterscheidung als bloße Augenwischerei gekennzeichnet wer­ den, da letztlich auch nach einer etwaigen Kommunalisierung der Gouver­ neur die Mittel verteilte und über ihre Verwendung beschlösse, mithin aber keiner Kontrolle seitens des Auswärtigen Amtes unterläge. Auch einer Haushaltsaufstellung wollte sich von Götzen nicht unterwerfen, sondern schlug die Aufstellung von „einfachen[,] etwas Spielraum gestattenden Wirtschaftsplänen“ vor.319 Erneut scheiterte von Götzen aber am Wider­

314 315 316 317 318 319

BArch, R 1001/990, Bl. 25–26. BArch, R 1001/990, Bl. 65–71, 80–81. Vgl. Bald, Deutsch-Ostafrika, S. 43. BArch, R 1001/990, Bl. 65–71 (für das Zitat: Bl. 65). BArch, R 1001/990, Bl. 80–81. BArch, R 1001/990, Bl. 88–89 (für das Zitat: Bl. 88). BArch, R 1001/990, Bl. 88–89 (für das Zitat: Bl. 89).

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3. Reorganisation und Vernetzung

spruch aus der Kolonialabteilung, die sich allerdings eine Hintertür of­ fenhielt und mögliche Reformen der Regelungen für das Haushaltsjahr 1904/05 in Aussicht stellte.320 Letztlich erfolgten diese trotz eines aberma­ ligen Versuches von Götzens im Dezember 1903, wenigstens für die Schu­ len in Kilwa, Lindi und die mittlerweile ebenfalls in Pangani gegründete Schule eine dezentrale Mittelverwaltung zu etablieren, aber nicht. Die Ko­ lonialabteilung verwies im Februar 1904 auf ihre bisherigen Ablehnungen und definierte kurzerhand alle kolonialen Schulen, in denen ein deutscher Lehrer unterrichtete, als ‚Regierungsschulen‘, sprich als Schulen in Träger­ schaft des Gouvernements, und alle anderen als Kommunalschulen.321 Der Debattenverlauf zeigt insbesondere, dass die koloniale Schule in Deutsch-Ostafrika Objekt der Emanzipationspolitik der Gouverneure von Liebert und von Götzen gegenüber der Kolonialabteilung war. Das Be­ streben, eigene Kontroll- und Zugriffsrechte zu schaffen, war also Teil der schulischen Expansion, die durch die Reorganisationsmaßnahmen der Nachfolger Christian G. Barths ermöglicht worden waren. Die Debatte zeigt außerdem erneut, dass die Verfügbarkeit von Wissen von vor Ort die Debattenverläufe wesentlich beeinflussen konnte, was nicht zuletzt durch einen Vergleich mit dem Verlauf der Debatte um die Reichstagsresolution sichtbar wird. Letztlich war es im Interesse der Lehrer und des Gouverne­ ments, die Kolonialabteilung bestmöglich zu informieren, damit diese in den Reichstagsdebatten effektiv für die koloniale Schule Partei ergreifen konnte, weshalb das Gouvernement auf regelmäßige Berichte Wert legte. In der Kommunalisierungsdebatte nutzte von Götzen dann aber gleichzei­ tig die Unwissenheit über die Bedeutung einer Kommunalisierung der Schulen, die in der Kolonialabteilung zunächst vorherrschte, aus und ver­ suchte seinem Vorhaben eine gewisse Alternativlosigkeit zu bescheinigen. Die Steuerungsmacht des Gouvernements in der Wissensbeziehung zur Kolonialabteilung, die es ermöglicht hatte, die rechtlichen Rahmen – denn letztlich konnte sich das Gouvernement bezüglich der Kommunalverbän­ de auf eine allgemeine kaiserliche Verordnung berufen322 – der kolonialen Praxis auszudehnen, hatte, wie die Kommunalisierungsdebatte auch zeigt, aber ebenfalls ihre Grenzen. Diese waren offenkundig durch die von der Schulkonferenz geplanten Eingriffe in das Dienstverhältnisse der Lehrer erreicht, die eine Übertretung des rechtlichen Rahmens bedeutet hätten.

320 BArch, R 1001/990, Bl. 107. 321 BArch, R 1001/990, Bl. 115–121. Zur Schulgründung in Pangani beachte unten. 322 Verordnung, betreffend die Vereinigung von Wohnplätzen in den Schutzgebie­ ten zu kommunalen Verbänden vom 3.7.1899, in: DKB, Jg. 10 (1899), S. 506.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

Für die finanzielle und rechtliche Situation der Lehrer hatte das Er­ gebnis der Kommunalisierungsdebatte vereinheitlichende Auswirkungen, denn die weiteren Anstellungen ab 1900 hatten diese in Regierungs- und Kommunallehrer unterteilt, wobei erstere aufgrund ihrer Tätigkeit an be­ deutenderen Schulen und auch aufgrund besserer Gehaltsbezüge hierar­ chisch über letzteren standen. Die ersten Stellenerhöhungen erfolgten im Zeitraum zwischen 1900 und 1902 von drei auf fünf deutsche Elementar­ lehrer, wobei außerdem ein Handwerkerlehrer in Daressalam angestellt wurde und der syrische Lehrer Suleiman Domet in der 1900 in Kilwa gegründeten Schule unterrichtete.323 Von den deutschen Elementarlehrern waren 1902 in der Regel zwei in Tanga und je einer in Bagamoyo und Daressalam eingesetzt, während einer der Lehrer im Heimaturlaub war.324 Hinzu kamen die beiden indischen Lehrer in Daressalam und Bagamoyo sowie zahlreiche indigene Lehrer, die meist die unteren Klassenstufen unterrichteten. So waren im Schuljahr 1901/1902 in Tanga beispielsweise acht, in Bagamoyo sechs und in Daressalam drei indigene Lehrer beschäf­ tigt.325 Im September 1903 trafen schließlich drei weitere deutsche Lehrer in der Kolonie ein und besetzten die Lehrerstellen in Kilwa, Lindi und Pangani, deren Bezirksämter die Schulen als Kommunalschulen errichtet hatten.326 Folglich wurden diese Lehrer durch das Gouvernement auch als

323 BArch, R 1001/999, Bl. 145. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 32. Zur Einrichtung von Handwerkerschulen beachte Kapitel 3.2.5. 324 BArch, R 1001/990, Bl. 67–71. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 12–13. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 15. 325 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/02), S. 19. Beachte auch die Zu­ sammenfassung der amtlichen Statistik zu den Lehrerzahlen (1901–1908) in Anhang Nr. 17. 326 BArch, R 1001/999, Bl. 154. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 14 (1903), S. 456–457. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 4, Nr. 21 (1903), S. 3. Pangani war der Sitz der deutschen Verwaltung für den gleichnamigen Bezirk in südlicher Nachbarschaft Tangas. Erste Pläne für die Eröffnung einer Schule in Pangani äußerte Gouverneur von Schele bereits 1894. Diese Pläne scheiterten aber an Mittelknappheit im Zuge des Wechsels der Schulleitung in Tanga von Barth zu Blank. Dass in Pangani wesentlich später als in Tanga eine Schule ge­ gründet wurde, spiegelt nicht zuletzt den Unterschied in der seewirtschaftlichen Bedeutung beider Städte wider, BArch, R 1001/999, Bl. 91–92. Vgl. Pieroth, Cornelia: Pangani zur deutschen Kolonialzeit, Frankfurt am Main 2014, S. 10, 14. Pieroth, Cornelia: Pangani. Auf den Spuren einer deutschen Kolonialstadt, in: Noack, Stefan, Gemeaux, Christine de, Puschner, Uwe (Hg.): Deutsch-Ost­ afrika. Dynamiken europäischer Kulturkontakte und Erfahrungshorizonte im kolonialen Raum, Berlin 2019, S. 39–58. Zu den ersten deutschen Lehrern der drei neuen Schulen beachte Kapitel 3.2.5.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Kommunallehrer angesehen, und sie erhielten ihre Gehälter in den Jahren 1903 und 1904 über die Wirtschaftspläne der Kommunalverbände. Die Ansätze und damit wohl auch die Gehälter selbst schwankten erheblich, in Pangani etwa waren 1903 5.000 M und 1904 3.300 M veranschlagt.327 1905 fielen dann zwei Prozesse zusammen. Zum einen griff die die Kom­ munalisierungsdebatte abschließende Definition der Kolonialabteilung, Schulen mit deutschen Lehrern als ‚Regierungsschulen‘ anzusehen. Zum anderen erfolgte zum Beginn des Haushaltsjahres 1905/06 die Einordnung aller Kolonialbediensteten in eine Gehaltsklassifikation. Dementsprechend ergab sich ab April 1905 folgende Gehaltshierarchie: Die dienstältesten Lehrer Blank und Rutz erhielten ein jährliches Gehalt in Höhe von jeweils 6.600 M, gefolgt vom im April 1900 in der Kolonie eingetroffenen Lehrer Hermann Urban328, der 6.000 M jährlich erhielt. Die anderen fünf Lehrer erhielten jeweils 4.800 M, was insbesondere für die ehemaligen Kommu­ nallehrer meist eine Verbesserung der Bezüge und nicht zuletzt auch die Fixierung derselben bedeutete.329 Die Gehaltshierarchie bildete allerdings nicht nur die Dienstalter der Lehrer ab, sondern auch deren Rangfolge in­ nerhalb der Lehrerschaft. An deren Spitze stand nach wie vor Paul Blank, der im Herbst 1903 für die Zeit seines Dienstes in den Kolonien als erster kolonialer Lehrer zum Rektor befördert worden war.330 Diese Funktion übte er im Speziellen für die Schule in Tanga aus, war aber darüber hinaus auch für die Steuerung der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika insgesamt zuständig. Entsprechend beauftragte Gouverneur von Götzen Blank zum Jahreswechsel 1903/1904 mit der Durchführung „einer gründli­

327 Wirtschaftspläne für die Kommunalverbände in Deutsch-Ostafrika für das Rech­ nungsjahr 1903, in: AADOA, Jg. 4, Nr. 12 (1903). Wirtschaftspläne für die Kom­ munalverbände in Deutsch-Ostafrika für das Rechnungsjahr 1904, in: AADOA, Jg. 5, Nr. 7 (1904). 328 Hermann Urban (geb. am 22.3.1870) hatte von April bis Juli 1900 zunächst als Urlaubsvertreter für Oswald Rutz in Bagamoyo fungiert und nach dem Wechsel Suleiman Domets nach Kilwa die Schulleitung in Daressalam übernommen. Mit vierzehn Dienstjahren im kolonialen Lehrerdienst in Deutsch-Ostafrika gehörte er nach Paul Blank und Oswald Rutz zu den sich am längsten vor Ort befindenden Lehrern, BArch, R 155-F/81416, G 1/19 I F 10 (Eintrag Nr. 29). Per­ sonal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 11 (1900), S. 241, 493. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 1, Nr. 6 (1900), S. 11. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 1, Nr. 7 (1900), S. 12. Beachte auch die Übersicht der Lehrerdienstzeiten in Anhang Nr. 18. 329 BArch, R 1001/999, Bl. 158–159. 330 BArch, R 1001/990, Bl. 111–112. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 14 (1903), S. 456. Praktische […]erziehung, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1086 (19.11.1903).

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

chen Revision [der Küstenschulen], um […] ein einheitlicheres durch die langjährigen Erfahrungen der älteren Lehrer erprobtes Vorgehen anzubah­ nen“.331 Die Ergebnisse dieser Revision bildeten die Weichenstellung für weitere Schritte der Expansion, der Vernetzung innerhalb der Lehrerschaft und insbesondere der Intensivierung der schulischen Sprachpolitik. Blanks Bericht mit dem Titel Grundzüge für die Errichtung und Leitung der Schulen in Deutsch-Ostafrika; aufgestellt nach den bisherigen Erfahrungen, den er auf Basis seiner Revision formulierte, beinhaltete sowohl Maßgaben zur Schulorganisation als auch einen Rahmenlehrplan, an dem sich alle Schulen orientieren sollten.332 Demnach sollten die Klassenstufen einer Schule nach Schulhalbjahren gegliedert und eine Schüleraufnahme jeder­ zeit möglich sein, wodurch Blank erneut die Frage der Schülergewinnung adressierte und die Hürden für deren Aufnahme senkte. Die Lehrer sollten allerdings auch fachlich zu schlechte Schüler der Schule verweisen. Fehl­ zeiten benannte Blank – anders etwa als es Theodor Christallers Praxis in Kamerun gewesen war – nicht explizit als Ausschlussgrund. Er setzte den erzieherischen Fokus vielmehr auf Pünktlichkeit und die Einhaltung von An- und Abwesenheitsregelungen.333 Die zeitliche Organisation des Unterrichts strukturierte Blank nach dem von deutschen kolonialen Schu­ len mittlerweile prinzipiell befolgten Ablauf: Fachunterricht wurde vor­ mittags, in den höheren Klassenstufen auch nachmittags erteilt. Ansons­ ten waren die Nachmittage für landwirtschaftliche und handwerkliche Tätigkeiten reserviert. Schrieb Blank damit nicht zuletzt die bisherige Schulpraxis fort, deuteten seine weiteren Ausführungen doch vielmehr auf eine stärkere Reglementierung sowohl der Schüler- als auch der Leh­ rerschaft. Die Lehrer sollten fortan umfassend Daten über ihre Schüler sammeln sowie den Unterricht und das Schulleben durch das Anlegen von Listen und Aufstellen von Berichten dokumentieren, wodurch auch ihr Handeln überprüfbarer wurde. Nicht zufällig formulierte Blank in einem die Grundzüge begleitenden Schreiben den oben bereits thematisier­ ten Führungsanspruch der „älteren Lehrer“, blieb in den Lehrplanausfüh­ rungen aber doch einigermaßen unbestimmt und konzentrierte sich auf methodische Hinweise sowie Zielformulierungen.334 Solange die Lehrer 331 BArch, R 1001/990, Bl. 129 (auch für das Zitat). 332 Für hier und das Folgende beachte BArch, R 1001/990, Bl. 135–138. BArch, R 1001/991, Bl. 241–243. König, Eingeborenenschulen, S. 535–537. Beachte Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 9, S. 80–84. Das Dokument wird im Folgenden kurz Grundzüge genannt. 333 Beachte Kapitel 3.1.1. 334 BArch, R 1001/990, Bl. 130–132 (für das Zitat: Bl. 131). Beachte Kapitel 3.2.1.

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3. Reorganisation und Vernetzung

„gute[s] Durchschnittsmaterial [an Schülern] in lückenlosem Fortschritt“ ausbildeten, könne man den Lehrplan den Bedürfnissen und örtlichen Gegebenheiten anpassen.335 Blank nutzte die Revision aber nicht nur zur Formulierung der ers­ ten allgemeinen Schulrichtlinien in der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika, sondern präsentierte Gouverneur von Götzen auch Vor­ schläge zur weiteren Schulexpansion. Blank wollte insbesondere die Aus­ bildung einheimischer Lehrer in Tanga zentralisieren, unter anderem, da die anderen Lehrer über Überforderung geklagt hatten, und wollte eine als „Selekta“ bezeichnete Ausbildungsklasse für indigene Lehrer als oberste Stufe der dortigen Schule etablieren. Hierzu sollten alle Schulen mindes­ tens drei ihrer leistungsbesten Schüler nach Tanga schicken.336 Außerdem beantragte Blank beim Gouverneur insbesondere die Festsetzung einer Lehrerkonferenz im August 1904 zur Intensivierung der kolonialschuli­ schen Sprachpolitik, zu der von Götzen, der Blank wesentlich unterstützte und auch nahezu alle anderen Vorschläge Blanks bewilligte, umgehend einlud.337 Die Beschlüsse der Konferenz bestätigten die Einrichtung der Selekta. Die Ausbildung indigener Lehrer war bisher zwar bereits maßgeblich in Tanga durchgeführt worden, wurde nun aber systematisch dort eta­ bliert.338 Inhaltlich setzte dieser zunächst halb-, später ganzjährige Ausbil­ dungskurs den Elementarunterricht fort, legte den Schwerpunkt aber auf theoretische Pädagogik, Unterrichtsmethodik sowie Hospitationen und Lehrproben.339 Schulsystematisch schlossen die Kurse an die Absolvierung des Bildungsganges einer der Küstenschulen an und bildeten damit eine dritte Ausbildungsstufe, die zudem durch den Beschluss zur Einrichtung einer Oberschule in Tanga realisiert wurde. Damit war auch die sonstige berufsfachliche Ausbildung, deren Zweck die Oberschule diente, ab 1904 in Tanga zentral angesiedelt.340 Ergänzt wurden diese schulorganisatori­

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BArch, R 1001/990, Bl. 135–138 (für das Zitat: Bl. 136). BArch, R 1001/990, Bl. 130–132 (für das Zitat: Bl. 131). BArch, R 1001/990, Bl. 133–134. BArch, R 1001/990, Bl. 147–149. BArch, R 1001/990, Bl. 150. Anlagen zum Amtlichen Jahresbericht (1904/1905), S. 26. Rutz, Oswald: Die Selekta in Tanga, in: Schulfragen. Blätter zur Förde­ rung des deutschostafrikanischen Schulwesens, Jg. 1, Nr. 1 (Jan. 1905), S. 2. Beachte Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 123, S. 402–403. 340 BArch, R 1001/990, Bl. 147–149. Anlagen zum Amtlichen Jahresbericht (1905/1906), S. 21.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

schen Beschlüsse durch Vereinbarungen zur weiteren Lehrbucherstellung sowie zur Herausgabe einer eigenen Fachzeitschrift, den Schulfragen.341 Ins­ gesamt fixierten die Beschlüsse die Stellung Tangas als Unterrichts- und als sprachpolitisches Zentrum der Kolonie. Sie sorgten zudem für eine Eman­ zipation insbesondere vom Seminar für Orientalische Sprachen, da deren Umsetzung nun maßgeblich auf schuleigene Ressourcen zurückgreifen konnte. Deren Aufbau, der nicht zuletzt auch eine Loslösung von der ko­ operationsbedürftigen, weil ressourcenarmen Situation der Schulgrün­ dungsjahre darstellt, ist ebenso wie die genannten sprachpolitischen Maß­ nahmen Thema des letzten Abschnittes dieses Kapitels.

3.2.5 Tanga: Sprachpolitisches Schulzentrum und Ausbildungsunternehmen Das Tätigkeitsfeld der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika umfasste nicht nur den Elementarunterricht und die mal beiläufige, mal anschlie­ ßende Ausbildung von Lehrkräften und Verwaltungsangestellten, sondern ab dem Ende der 1890er-Jahre auch die Ausbildung von Handwerkern, woraus sich bis 1905 ein bedeutender und für die selbstständige Inten­ sivierung der Sprachpolitik grundlegender Schulzweig entwickelte. Aus­ gangspunkt war ein bereits im Februar 1897 durch das Gouvernement an die Kolonialabteilung gerichteter Antrag, finanzielle Mittel für den Bau (120.000 M) und die Unterhaltung einer Schule (jährlich 70.000 M) für cir­ ca 100 Schüler in Daressalam zu erhalten. Vorbild des Gouvernements war eine Handwerkerschule in der südlichen portugiesischen Nachbarkolonie Mosambik, die nicht näher benannt wurde, bei der es sich aber sehr wahr­ scheinlich um die 1879 gegründete Escola de Artes e Oficios de Moçambique handelte.342 Vertreter der Missionen im Kolonialrat, der sich mit der Ange­ legenheit befasste, verhinderten aber die Bereitstellung der Mittel und ver­ anlassten eine Resolution des Kolonialrates, in der die Anbindung staatli­

341 BArch, R 1001/990, Bl. 147–149. 342 Die Ausbildung von Handwerkern für die Kolonien, in: DKB, Jg. 10 (1899), S. 207–209, hier: S. 208–209. Vgl. Madeira, Ana Isabel: Portuguese, French and British Discourses on Colonial Education: Church-State Relations, School Ex­ pansion and Missionary Competition in Africa, 1890–1930, in: Paedagogica His­ torica, Jg. 41, Nr. 1–2 (2005), S. 31–60, hier: S. 49, FN 59. Erste Äußerungen der Idee, die portugiesischen Handwerkerschulen zu kopieren, finden sich bereits im amtlichen Jahresbericht 1894/1895, Amtlicher Jahresbericht (1894/1895), S. 76.

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3. Reorganisation und Vernetzung

cher Handwerkerschulen an die Missionsstationen empfohlen wurde. Dies war insbesondere durch Erfahrungsberichte aus der britischen Kapkolonie und aus Natal motiviert, wo die christlichen Missionen in von den Ko­ lonialverwaltungen subventionierten Schulen Handwerker ausbildeten.343 In Deutsch-Ostafrika kam die Resolution jedoch nicht zur Umsetzung, gleichwohl die mit ihr einhergehende geringfügigere Mittelbereitstellung den Aufbau einer entsprechenden Schule verzögerte. So beschränkte sich die örtliche Verwaltung zunächst darauf, in den Hauptorten an der Küs­ te (Daressalam, Tanga, Bagamoyo, Kilwa und Lindi) Tischlerwerkstätten einzurichten, und begann mit wesentlich geringeren Etatmitteln mit dem Bau eines Schulgebäudes in Daressalam.344 Zur Gründung einer ersten Handwerkerschule kam es dann indes nicht in Daressalam, sondern in Tanga, wo am 1.4.1900 eine entsprechende Einrichtung als neuer Zweig der bestehenden Schule eröffnet wurde.345 Erst ein Jahr darauf, im Mai 1901, folgte die Eröffnung einer Handwer­ kerschule in Daressalam.346 Beide Schulen wurden offiziell von den jewei­ ligen Regierungslehrern geleitet. Den praktischen Handwerksunterricht, zunächst meist Tischler- und Zimmereiarbeiten, erteilten in beiden Schu­ len indische Handwerker.347 Deren Anstellung sah das Gouvernement als Zwischenlösung an, um den Bedarf an Handwerkern zu decken und bereits in den Gründungsjahren die wesentlich höheren Gehälter europäi­ scher Handwerker, die etwa das Dreifache ihrer indischen Kollegen ver­ dienten, einzusparen. Zudem meinte man, ein durch das tropische Klima verursachtes Nachlassen „an Arbeitsfähigkeit, Ausdauer und Zähigkeit“ weißer Handwerker sowie deren Unwillen, in Arbeitskolonnen an der Seite indischer oder afrikanischer Handwerker zu arbeiten, befürchten zu müssen.348 Bereits im Laufe des Jahres 1901 engagierte das Gouvernement aber dann doch drei europäische Handwerker und übergab ihnen die Lei­

343 Die Ausbildung von Handwerkern für die Kolonien, S. 208–209. 344 Handwerkerschule, in: DKB, Jg. 10 (1899), S. 731. Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 114. 345 Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 119. 346 Heranbildung farbiger Handwerker, in: DKB, Jg. 15 (1904), S. 408–409, hier: S. 408. Amtlicher Jahresbericht (1900/1901), S. 16. Bei der in diesem Bericht vorgenommenen Datierung der Gründung der Handwerkerschule in Tanga auf den 1.4.1901 handelt es sich offenbar um einen Fehler. 347 Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 119. Amtlicher Jahresbericht (1900/1901), S. 16. 348 Farbige Handwerker in den Kolonien, insbesondere in Deutsch-Ostafrika, in: DKB, Jg. 14 (1903), S. 637–639 (für das Zitat: S. 637).

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

tung der Handwerkerausbildung nicht nur in Daressalam, sondern auch in Kilwa und Lindi, wo die eingerichteten Werkstätten damit auch offiziell schulischen Charakter erhielten. Allein in Tanga verblieb es bei der ur­ sprünglichen Leitung der Handwerkerschule durch den Elementarlehrer, was insbesondere mit der Überzeugung des dortigen Schulleiters Paul Blank zusammenhing, den handwerklichen Schulzweig sprachpolitisch nutzbar zu machen.349 Blank hatte bereits 1899 die Deutsche Kolonialgesellschaft kontaktiert und von dieser „Mittel zur Beschaffung einer Druckerei-Anlage“ erbeten. Er wollte das Ausbildungsspektrum der Schule erweitern und Drucker und Setzer ausbilden. Diese sollten dann vor allem Schulbücher vor Ort drucken und damit den Prozess der Schulbucherstellung schneller und günstiger machen.350 Durch ein Einschreiten des Gouvernements, das viel­ mehr Geld für den Ausbau der Regierungsschule von der DKG haben wollte und Blank dazu bewegte, seinen Antrag umzuformulieren, kam es jedoch zu keiner erneuten Kooperation.351 Letztlich verzögerte dies aber lediglich die Einrichtung einer Druckerei, die schließlich zwei Jahre darauf in Betrieb genommen wurde. Zum ersten Ausbildungsjahrgang gehörten fünfzehn Setzer, zwei Drucker sowie vier Buchbinder, die in einer angeschlossenen Buchbinderei tätig waren.352 Bereits im ersten Jahr war die Schule so in der Lage, eine wöchentlich erscheinende Zeitschrift, die Anzeigen für Tanga, die überwiegend amtliche, verkehrs- und wetterbe­ zogene Lokalnachrichten beinhaltete, herauszugeben. Außerdem druckte man zahlreiche Formulare und Listen für die Verwaltungsinstanzen, wo­ durch die Druckerei die Ausübung kolonialer bürokratischer Herrschaft unterstützte. Für die schulische Sprachpolitik wesentlich war schließlich das dritte Tätigkeitsfeld der neuen Schuleinrichtungen, nämlich die Her­ stellung von Lehrbüchern.353 Die Einrichtung der Druckerei und der Buchbinderei bedeutete für die Beziehung der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika zur Kolonialabtei­ lung im Auswärtigen Amt und zum Seminar für Orientalische Sprachen

349 Amtlicher Jahresbericht (1901/1902), S. 20. 350 BArch, R 8023/969, Bl. 8–13 (für das Zitat: Bl. 11). 351 BArch, R 8023/969, Bl. 26–33. Auch der Antrag zur Bauförderung wurde von der DKG abgelehnt. 352 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 13. Beachte für je ein Bild der Druckerei und der Buchbinderei Bundesarchiv, Bild 105-DOA3191 bzw. Blank, Ein Tag in der Schule Tanga, S. 381. Zur Entwicklung der Ausbildungs­ zahlen im Zeitraum 1901–1908 beachte die Statistik in Anhang Nr. 19. 353 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 13.

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3. Reorganisation und Vernetzung

den Beginn einer allmählichen Emanzipation. Die Lehrer waren nun nicht mehr darauf angewiesen, dass – vermittelt durch das Gouvernement – die Kolonialabteilung Etatmittel für den Druck bewilligte und in Verbindung mit dem SfOS den Druck des Buches besorgte, was Paul Blank in einer 1925 erschienenen Retrospektive auf seine Tätigkeit in Tanga als eine der Hauptmotivationen für die Einrichtung der Druckerei bezeichnete.354 Gegenüber der DKG hatte Blank 1899 zudem das abschnittsweise Drucken der Lehrbücher und die damit einhergehende schnellere Einführung der Werke in den Unterricht als Vorteil benannt.355 Dem hohen Zeitverzug zwischen Fertigstellung des Manuskriptes und dem Erhalt des gedruckten Buches war bereits Blanks Vorgänger Barth durch das manuelle Vervielfäl­ tigen begegnet.356 Dieser Arbeitsweise waren die neuen Möglichkeiten ab 1901 nun weit überlegen. Die ab 1901 in Tanga gedruckten Lehrbücher waren rascher verfügbar und gelangten auch schneller an die anderen Schulen in den Kolonien.357 Das erste in Tanga abschnittsweise gedruckte Lehrbuch war das von Oswald Rutz erarbeitete Hilfsbuch der deutschen Sprache für die Schulen in Deutsch-Ostafrika, das schließlich 1904 fertiggestellt war.358 Es markiert die ersten Versuche, die Vermittlung des Deutschen in den Schulen zu intensivieren, und wurde dementsprechend vornehmlich in den oberen, selten auch in den mittleren Klassen der Küstenschulen, der Oberschule in Tanga und dem dortigen Lehrerseminar (Selekta) eingesetzt, da in diesen Schulstufen Deutsch im Lehrplan enthalten war.359 Der Deutsch­

354 Blank, Paul: Ein Tag in der Schule Tanga, in: Zache, Hans (Hg.): Das deutsche Kolonialbuch, Berlin 1925, S. 377–384, hier: S. 384. 355 BArch, R 8023/969, Bl. 8–13. 356 Beachte Kapitel 2.2.2. 357 Christian G. Barths Fibel benötigte etwa zwei Jahre, um in Deutsch-Ostafrika in verteilfähiger Druckfassung vorzuliegen. Bis dahin musste Barth mit manuell vervielfältigten Kopien arbeiten, beachte Kapitel 2.2.2. Das im Folgenden be­ schriebene Deutsch-Lehrbuch von Rutz etwa wurde zeitnah nach Fertigstellung seiner Teilmanuskripte gedruckt, beachte auch die nachfolgende FN. 358 BArch, R 1001/1001, Bl. 57. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 13. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 15. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 29. Rutz, Oswald: Chuo cha kidachi. Hilfsbuch der deutschen Sprache für die Schulen in Deutsch-Ostafrika, 2. Aufl., Tanga 1904. 359 BArch, R 1001/990, Bl. 174–203, hier: Bl. 176. Anlagen zum amtlichen Jahresbe­ richt (1902/1903), S. 13. Beachte exemplarisch zur späteren Verwendung des Bu­ ches in der Schule in Kilwa: Amtlicher Jahresbericht, DOA (1907/1908), S. 94. Beachte auch die Zusammenstellung der Stundentafeln wesentlicher Lehrpläne in Anhang Nr. 21 sowie die Unterrichtsziele der Oberschule in Anhang Nr. 21.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

unterricht konzentrierte sich dabei aber auch (lediglich) „auf den prakti­ schen Gebrauch“ und verzichtete auf detaillierte grammatikalische Erläute­ rungen. Die Schüler sollten „Deutsch in einfacher Form verstehen und sprechen […] können“, weshalb die Lehrer etwa nach der sogenannten Berlitz-Methode unterrichteten, die das konsequente Sprechen in der Un­ terrichtssprache während des gesamten Sprachunterrichts vorsah.360 An dieser auf einfache Sprechfähigkeit konzentrierten Vermittlung, die dem Swahili den klaren Vorrang als Umgangssprache gewährte, änderte auch die von Lehrer Friedrich Wilhelm Brandt erstellte und 1909 in Tanga gedruckte Deutsche Sprachlehre für ‚Eingeborene‘ von Ostafrika nichts, die eher Lesebuch denn Grammatik war.361 Im Zentrum der Sprachpolitik der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafri­ ka stand vielmehr auch weiterhin das Swahili, das nach den Vorstellungen der Lehrer weiteren Eingriffen unterzogen werden sollte. Mittel der Ver­ netzung der Lehrerschaft, die als Bedingung weiterer Sprachpolitik begrif­ fen wurde, waren zum einen Lehrerkonferenzen und zum anderen die auf der Konferenz des Jahres 1904 ins Leben gerufene Zeitschrift Schulfragen, deren Herausgabe ohne die Existenz der Schuldruckerei kaum möglich gewesen wäre.362 Die Redaktion der Zeitschrift bestand zu Beginn aus Oswald Rutz, der im Laufe des Schuljahres 1905/06 nach Tanga versetzt wurde, Rektor Paul Blank und Hermann Ramlow, der in den kommen­ den Jahren zunehmend Leitungsfunktionen in der kolonialen Schule in

360 BArch, R 1001/990, Bl. 35–38 (für das zweite Zitat: Bl. 36). Anlagen zum amt­ lichen Jahresbericht (1902/1903), S. 13. Anlagen zum Amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 33 (auch für das erste Zitat). Rutz, Chuo cha kidachi, S. III. Die Berlitz-Methode ist heute noch Kernbestandteil der Berlitz-Sprachschulen, https://www.berlitz.com/de-ch/ueber-uns/berlitz-methode (Abruf am 18.8.2020). 361 BArch, R 1001/991, Bl. 73–78. Brandt, Friedrich Wilhelm: Deutsche Sprachleh­ re für Eingeborene in Ostafrika, Tanga 1909. Bekanntmachung (I 15104), in: AADOA, Jg. 10, Nr. 37 (1910), S. 1. Friedrich Wilhelm Brandt (geb. am 31.8.1878) trat seine erste Dienststelle in Deutsch-Ostafrika im Zuge der sich 1903 vollziehenden Besetzung der Leh­ rerstellen in Kilwa, Lindi und Pangani mit deutschen Lehrern an. Während Brandt die Schulleitung in Kilwa von Suleiman Domet übernahm, trat der gemeinsam mit Brandt angereiste Lehrer Aloys Jünemann seinen Dienst in der Schule in Pangani an. Der dritte mitangereiste Lehrer Hermann Andres übernahm die Schule in Lindi. BArch, R 155-F/81416, G 1/19 I F 10 (Eintrag Nr. 77). Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 4, Nr. 21 (1903), S. 3. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 29–33. Zu den Schulgründungen beachte Kapitel 4.2.4. 362 BArch, R 1001/990, Bl. 147–149.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Deutsch-Ostafrika übernehmen sollte.363 Rutz skizzierte als Redaktionslei­ ter in der ersten Ausgabe der Schulfragen, die im Januar 1905 erschien, die Leitlinien der Zeitschrift. Er bezeichnete diese als „Gelegenheit zur gegenseitigen Aussprache über […] pädagogische, methodische und psy­ chologische Fragen“, als Ort sprachpolitischer Diskussionen und Organ schulischer Kurznachrichten.364 Paul Blank sekundierte, dass durch die Schulfragen ein peer review-Verfahren ermöglicht werde, wodurch aktuel­ le Manuskripte geprüft und bereits erschienene Schulbücher ‚verbessert‘ werden könnten. Insbesondere sei es dann möglich, bei Textaufgaben im Swahili lokale Besonderheiten aller Schulorte zu berücksichtigen, wo­ durch Schulbücher nicht mehr nur auf der Lehrerfahrung eines Lehrers an einem der Schulorte basierten.365 Die andere Seite der gleichen Münze dieser Öffnung der Schulbücher für lokale Besonderheiten war die Anpassung des Swahili auf standardisier­ te Formen, und auch diese wurde von den Lehrern gleich in der ersten Ausgabe der Schulfragen adressiert. So präsentierte Blank in einem der Arti­ kel eine Liste „aus dem Arabischen stammende[r] Wörter“ des Swahili, die er einer „vereinfachten Schreibweise“ unterzogen hatte.366 Seine Kollegen forderte Blank zur Prüfung der Änderungsvorschläge auf, die explizit die

363 Ebd. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 6, Nr. 17 (1905), S. 3. Personalnach­ richten, in: AADOA, Jg. 7, Nr. 1 (1906), S. 2. Hermann Ramlow (geb. am 2.11.1874) traf im Mai 1902 in Deutsch-Ostafrika ein und unterrichtete zunächst wechselnd in Tanga und Bagamoyo, bevor er im Mai 1910 nach Tabora versetzt wurde. Zum 1.1.1911 beförderte man ihn zum Rektor. Neben Paul Blank ist Ramlow der einzige Lehrer in Deutsch-Ostafrika, der daraufhin auch zum Schulinspektor befördert wurde (1.4.1913), BArch, R 155-F/81416, G 1/19 I F 10 (Eintrag Nr. 56). Personalnachrichten, in: AA­ DOA, Jg. 3, Nr. 17 (1902), S. 2. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 5, Nr. 27 (1904), S. 2. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 11, Nr. 19 (1910), S. 2. Perso­ nalnachrichten, in: AADOA, Jg. 12, Nr. 27 (1911), S. 3–4. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 14 (1913), S. 125–126. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 15. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 28. 364 Rutz, Oswald: Zum Geleite!, in: Schulfragen. Blätter zur Förderung des deutschostafrikanischen Schulwesens, Jg. 1, Nr. 1 (Jan. 1905), S. 1 (auch für das Zitat). Beachte Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik, Dok. 116, S. 388. 365 Blank, Paul: Die „Schulfragen“ und die Schulbücher, in: Schulfragen. Blätter zur Förderung des deutschostafrikanischen Schulwesens, Jg. 1, Nr. 1 (Jan. 1905), S. 6–8. 366 Blank, Paul: Zur Vereinfachung der Kiswahili-Orthographie, in: Schulfragen. Blätter zur Förderung des deutschostafrikanischen Schulwesens, Jg. 1, Nr. 1 (Jan. 1905), S. 4–5 (für die Zitate: S. 4, 5).

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

verbliebenen arabischen Einflüsse aus dem latinisierten Swahili zu entfer­ nen suchten und als weiterer, fortgeschrittener Aspekt sprachpolitischer Korpusplanung zu identifizieren sind.367 Außerdem distanzierte sich Blank von der grammatikalischen Behandlung des Swahili im Seminar für Ori­ entalische Sprachen. Er griff in seinem Artikel Carl Velten an, der 1896 Dozent am SfOS geworden war und 1904 eine Swahili-Grammatik vorge­ legt hatte, und warf diesem insbesondere eine praxisferne Orthographie vor.368 Dabei berief sich Blank in beiden Gesichtspunkten auf einen ur­ sprünglich in der Usambara-Post erschienen Aufsatz von Eberhard, der von der Schuldruckerei nachgedruckt und der ersten Ausgabe der Schulfragen beigelegt worden war.369 Eberhard hatte darin vor allem eine einheitliche, d. h. verdeutschte, Orthographie für das Swahili, das Einfügen deutscher Begriffe für im Swahili nicht vorhandene Bedeutungen, die Abkehr von der Nutzung von Lautzeichen, die es im Deutschen nicht gebe (bspw. aus Mpŭápŭa für Neffe würde Mpwapwa), die Entfernung arabischer Schreib­ weisen (bspw. aus ghali für teuer würde gali) und die Abschaffung der von Velten genutzten Konsonantenverdopplung (bspw. aus bassi für dann würde basi) gefordert.370 Die Redaktion der Schulfragen nutzte deren erste Ausgabe aber nicht nur für die Lancierung weiterer sprachpolitischer Maßnahmen. Außer Eberhards Aufsatz lagen auch die ersten Versionen von drei neuen Schul­ büchern bei, die damit den Auftakt des von Blank geforderten peer re­ view-Verfahrens bildeten und deren Erstellung Bestandteil der Beschlüsse der im August 1904 abgehaltenen Lehrerkonferenz war.371 Hierzu zähl­ ten erstens die Turn-Kommandos, eine Sammlung deutscher Marsch- und Ordnungsbefehle, Geräteübungsansagen, Bewegungsspiele und „,Turner-

367 Blank, Zur Vereinfachung der Kiswahili-Orthographie, S. 4–5. Vgl. Marten, Sprach(en)politik, S. 25. 368 BArch, R 1001/1001, Bl. 58–61. Blank, Zur Vereinfachung, S. 4. Velten, Carl: Praktische Suaheli-Grammatik. Nebst einem deutsch-suaheli-Wörterverzeichnis, Berlin 1904. 369 Blank, Zur Vereinfachung, S. 4–5. BArch, R 1001/990, Bl. 154. Eberhard: Die deutsch-sprachlichen Bestrebungen in unserem Schutzgebiet. Nebst Beiträgen zur Orthographie des Kiswahili (Beilage zu Schulfragen. Beiträge zur Förderung des deutschostafrikanischen Schulwesens, Jg. 1, Nr. 1 (Jan. 1905)). Die Usambara-Post war eine privat gegründete Zeitung in deutscher Sprache und erschien ab 1901 in den nordöstlichen Bezirken Deutsch-Ostafrikas. 370 Eberhard, Die deutsch-sprachlichen Bestrebungen, S. 5–8. 371 BArch, R 1001/990, Bl. 130–133, 147–149.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Marschlieder‘“.372 Zweitens lag ein von Oswald Rutz erstelltes Lehrbuch für den Schönschreibunterricht bei, das Übungen sowohl für das Swahi­ li als auch für das Deutsche enthielt und damit potentiell ein breites Einsatzfeld hatte. Das Lehrbuch beinhaltete außerdem eine didaktisch-me­ thodische Einführung auf Swahili, wodurch es insbesondere den Charak­ ter eines Handbuches für einheimische Lehrer gewann.373 Die gleiche, doppelte Funktion hatte der drittens beiliegende erste Teil von Hermann Ramlows Rechenbuch für die Schulen in Deutsch-Ostafrika. Dieses Werk er­ schien im Laufe des Jahres 1905 in drei Teilen und bildete den im Rechen­ unterricht für relevant erachteten Stoff vollumfänglich ab.374 Buchsprache war hier, wie auch in der 1910 erschienen zweiten Auflage des Rechen­ buchs, das Swahili, was dessen zentrale Stellung als Unterrichtssprache unterstreicht.375 Mit den Schulfragen verfügten die Lehrer der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika damit über ein Mittel, das eine sprachpolitische Vernet­ zung über die weiten Distanzen zwischen den Schulen ermöglichte. Die Zeitschrift und die Lehrbücher waren aber bei Weitem nicht die einzigen Erzeugnisse der Druckerei. Auch die Usambara-Post (ab 1903/1904), die für die einheimische swahilikundige Bevölkerung veröffentlichte Zeitung Kiongozi (ab 1905/1906) und fortlaufend die Formularvordrucke der Ver­ waltung sowie deren Amtsblatt wurden in Tanga gedruckt.376 Darüber

372 BArch, R 1001/990, Bl. 156. Turn-Kommandos. Zusammengestellt nach „Neuer Leitfaden für den Turn-Unterricht“, Tanga 1904 (für das Zitat: S. 10). Zur prin­ zipiellen Funktion des Turnunterrichts beachte Kapitel 2.2.2. 373 BArch, R 1001/990, Bl. 155. Rutz, Oswald: Njia ifikayo kwa kuandika vizuri. Methodische Anweisung und Lehrgang des Unterrichts im Schönschreiben für die Schulen in Deutsch-Ostafrika, Tanga 1904. Beachte auch die entsprechende Einordnung in der Lehrbuchübersicht im Jahresbericht 1905/1906, Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1905/1906), S. 22. 374 Ramlow, Hermann: Chuo cha kuhesabu. Rechenbuch für die Schulen in Deutsch-Ostafrika, Heft I, Tanga 1905. Ramlow, Hermann: Chuo cha kuhesa­ bu. Rechenbuch für die Schulen in Deutsch-Ostafrika, Heft II, Tanga 1905. Ramlow, Hermann: Chuo cha kuhesabu. Rechenbuch für die Schulen in Deutsch-Ostafrika, Heft III, Tanga 1905. Zum Lehrumfang und der Unterrichts­ reihenfolge des Rechenunterrichts, der auch Ramlows Lehrbuch folgte, beachte Kapitel 2.2.2. 375 Beachte exemplarisch Ramlow, Hermann: Chuo cha kuhesabu. Rechenbuch für die Schulen in Deutsch-Ostafrika, Heft I, 2. Auflage, Tanga 1910. 376 Amtlicher Jahresbericht (1903/1904), S. 20. Anlagen zum amtlichen Jahresbe­ richt (1904/1905), S. 27. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1905/1906), S. 21. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1906/1907), S. 79–80. Amtlicher Jahresbe­ richt, DOA (1907/1908), S. 90.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

hinaus erledigte die Druckerei Aufträge von Missionen, etwa für Lieder­ bücher oder lokale Missionsblätter.377 Bemerkenswerterweise konnte die­ ser Teilbereich der Schule bereits im Schuljahr 1902/1903 seine Kosten durch selbst erwirtschaftete Einnahmen decken.378 Doch auch die ande­ ren Gewerke der Handwerkerschule entwickelten sich zu wirtschaftlich bedeutenden Einheiten, sodass sich die Kolonialverwaltung im Jahresbe­ richt 1906/1907, der ein Bilanzvermögen der Handwerkerschule von et­ wa 32.000 Rp. (ca. 40.000 M) auswies, bemüßigt sah, zu betonen, dass die Handwerkerschule „keine Erwerbsanstalt, sondern eine Lehranstalt“ sei.379 Tatsächlich war sie bereits Jahre zuvor beides zugleich, wobei einer­ seits ausgebildete Absolventen gefragt waren und andererseits die Schule als Konkurrenz für private europäische Gewerbetreibende angesehen wur­ de.380 Dabei war letztere Ansicht durchaus nicht grundlos, denn neben Druckerei, Setzerei und Buchbinderei, Tischlerei und Zimmerei, Schlos­ serei und Schmiede befand sich ab dem Schuljahr 1904/1905 auch eine als „Schulbureau“ bezeichnete Verwaltungseinheit auf dem Schulgelände, die die Handwerks- und Druckaufträge abwickelte, eine für die Schüler eingerichtete „Sparkasse“, in der die geringen Löhne für die Tätigkeit der Schüler einbehalten wurden, verwaltete, eine Bibliothek betreute und das Magazin führte. Der unter anderem durch Tischlereiaufträge für den Bau der Usambara-Bahn erwirtschaftete Umsatz betrug dabei allein im Berichtsjahr 1904/1905 etwa 52.000 Rp. (ca. 65.000 M). Außerdem verfüg­ te die Schule über eine für den Eigenbedarf produzierende Schneiderei, eine Wetterstation sowie eine Musikkapelle.381 Insofern kann die Hand­ werkerschule wohl durchaus treffend als Ausbildungsunternehmen cha­

377 378 379 380 381

Die Zeitung Kiongozi erschien ausschließlich auf Swahili, was sie einer detail­ lierten inhaltlichen Erschließung an dieser Stelle entzieht. Bereits augenschein­ lich sichtbar sind jedoch die Schwerpunkte auf Übersetzungen amtlicher Ver­ ordnungen sowie Artikel über den lokalen Erscheinungsraum, die deutschen Kolonien und das Deutsche Reich. Die genannten Autorennamen lassen vermu­ ten, dass ehemalige Schüler und einheimische Verwaltungsmitarbeiter maßgeb­ lich an der Erstellung der Artikel beteiligt waren. Das Erscheinen der Zeitung kann bis 1913 nachverfolgt werden. Einige Ausgaben sind zum Beispiel in der Frankfurter Kolonialbibliothek digital abrufbar, vgl. http://sammlungen.ub.u ni-frankfurt.de/kolonialbibliothek/periodical/titleinfo/7589677 (Abruf am 24.8.2020). Amtlicher Jahresbericht, DOA (1907/1908), S. 90. Anhang zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 15. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1906/1907), S. 79 (auch für das Zitat). Amtlicher Jahresbericht (1907(1908), S. 91. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1904/1905), S. 27 (auch für die Zitate).

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3. Reorganisation und Vernetzung

rakterisiert werden, in dem die Ausbildung und die Erwirtschaftung von Erträgen gleichermaßen erfolgten. Die skizzierten Entwicklungen hatten nicht nur in Tanga zur Folge, dass die Zahl an beschäftigten deutschen Lehrern bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges weiter anstieg. So wuchs das 1904/1905 siebenköpfige Kolle­ gium, an dessen Spitze sich Paul Blank befunden hatte, im Verlauf weite­ rer zwei Jahre auf zehn Personen. Zu berücksichtigen sind zur gleichen Zeit vier Handwerkerlehrer und insgesamt 60 indigene (Hilfs-)Lehrer, von welchen 49 in Inlandsschulen und 11 in Küstenschulen arbeiteten.382 Der letzte amtliche Jahresbericht vor Kriegsbeginn weist für das Etatjahr 1912/1913 schließlich dreizehn Elementarlehrer, drei Handwerkerlehrer und 159 indigene (Hilfs-)Lehrer aus.383 Doch trugen hierzu nicht nur die Erweiterungen der bestehenden Schulstandorte und die abermalige Intensivierung der Sprachpolitik bei, sondern auch die weitere Gründung von Schulen im Inland (etwa 1910 in Tabora, 1911 in Bukoba und 1912 in Ujiji und Mwanza) und die Gründung einer Schule für nicht-indigene Kinder in Daressalam (1905/1906), die von ansässigen Siedlern vehement gefordert worden war.384 Kurzzeitig gegen den Wachstumstrend wirkten etwa die vorübergehende Schließung der Küstenschule in Lindi während des Maji-Maji-Krieges (Wiedereröffnung am 6.4.1906) und die Privatisie­ rung der Handwerkerschule in Tanga im Schuljahr 1912/1913, die den dortigen Unterrichtsfokus wieder stärker auf die Elementar- und Verwal­ tungsausbildung lenkte.385 Prinzipiell kann für diese Zeit aber kein sub­ stantieller Wandel in Konzeption und Ausrichtung der Schulen festgestellt werden. Die vorgestellten Mechanismen der Wissensproduktion und die Anbindung der Schule an das Seminar für Orientalische Sprachen über die Ausbildung der Lehrer blieben bestehen. In Vorbereitung befanden sich kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges zwar weitere Schritte zur 382 Amtlicher Jahresbericht, DOA (1906/1907), S. 85. Beachte Kapitel 3.2.4 sowie die Statistik der Lehreranzahl in Anhang Nr. 15. 383 Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 17. 384 BArch, R 1001/992, Bl. 31–32. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 10. Amt­ licher Jahresbericht (1911/1912), S. 10. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 13 (1912), S. 16, 212–213. Zur Schule für Nicht-Indigene in Daressalam beachte Kapitel 4.2.1. 385 Amtlicher Jahresbericht (1905/1906), S. 19. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1906/1907), S. 83. Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 17–18. Zur Stadtent­ wicklung Taboras beachte Becher, Dar es Salaam, S. 85–106. Zum Maji-Ma­ ji-Krieg beachte Becker, Felicitas; Beet, Jigal (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905–1907, Berlin 2005. Bührer, Die Kaiserliche Schutztrup­ pe, S. 225–235.

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3.2 Der Aufbau eines Schulsystems für Indigene in Deutsch-Ostafrika

Differenzierung des bis dahin dreistufigen Schulsystems, bestehend aus den von ehemaligen Schülern geleiteten Inlandsschulen (Stufe 1), den Schulen mit europäischen Lehrern (Stufe 2) und der Oberschule sowie dem Lehrerkurs in Tanga (Stufe 3). Die maßgeblich durch Lehrer Brandt projektierte Gründung einer sogenannten „Fortbildungsschule“, für die er sich auf Anweisung des Gouvernements 1912 mit einem der in Kamerun eingesetzten deutschen Lehrer traf, hätte wohl zu einer Verbreiterung der dritten Ausbildungsstufe auch auf die inländischen Schulen, die über deut­ sche Lehrer verfügten, und eine stärkere Fokussierung auf das Deutsche führen können.386 Letztlich kamen diese Pläne aber ebenso nicht zur Um­ setzung wie eine Reform des Rotationsprinzips, das dafür verantwortlich war, dass Lehrer sich bei Urlaubszeiten in der Regel gegenseitig vertraten, wodurch häufige, von den Lehrern beklagte Wechsel der Dienstorte verur­ sacht wurden.387 Und auch die 1899 von Paul Blank in seinem Förderantrag für die Einrichtung der Druckerei gegenüber dem Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft geäußerte Aussicht, wonach „die Erreichung des Ide­ als einer ‚schwarzen deutschen Volksschule‘ mit trefflich vorgebildeten einheimischen Lehrern in nicht mehr zu großer Ferne“ sei, war auch in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg noch nicht realistisch.388 Dafür hatte auch die im innerdeutschen Vergleich größte deutsche koloniale Schule in Deutsch-Ostafrika, wo trotz beständiger Ausbildung deutscher Lehrer am Seminar für Orientalische Sprachen, die entsprechende einheimische Lehrer hätten ausbilden können, selbst 1913 noch zu große Personalpro­ bleme und blieben Lehrerstellen unbesetzt.389 Dass die koloniale Schule als Projektionsfläche für berufliche Wünsche dennoch auch nach dem Ers­ ten Weltkrieg Bestand hatte, zeigen Bestrebungen Mitte der 1920er-Jahre, die das Ziel hatten, eine der Schulen für Nicht-Indigene, von denen in diesem Kapiteln noch nicht detailliert die Rede war, unter Zuhilfenahme des in den 1910er-Jahren vor Ort erworbenen Wissens wiederzueröffnen. Bedeutete der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der Zusammenbruch der kolonialen Verwaltung 1914 zunächst die Schließung aller Schulen und die Beendigung der beruflichen Tätigkeit deutscher Lehrer, in min­ destens drei Fällen gar den Tod während militärischer Kämpfe zwischen

386 387 388 389

BArch, R 1001/992, Bl. 28–29 (für das Zitat: Bl. 28). BArch, R 1001/992, Bl. 57–59. BArch, R 8023/969, Bl. 3–13, 15–17 (für das Zitat: Bl. 17). BArch, R 1001/992, Bl. 57–59.

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3. Reorganisation und Vernetzung

deutschen und britischen Kolonialtruppen390, bestanden also dennoch Kontinuitäten der Erfahrung, welche insbesondere Gegenstand von Kapi­ tel 4.2 dieser Arbeit sind.

Zwischenfazit Mit der Übernahme der Schulleitung in Tanga durch den Berliner Volks­ schullehrer Paul Blank im Frühjahr 1895 begann in der kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika eine Phase der Reorganisation. Diese spiegelte sich in der Abkehr von bisherigen Handlungsmustern wider, die das Ziel hatten, das Swahili weiter zu verbreiten und es in den Dienst der Kolonialinteres­ sen zu stellen. Hierzu wurde insbesondere der Prozess der Latinisierung des Swahili intensiviert. Das Swahili spielte nicht nur in der Lehrbucher­ stellung eine wichtige Rolle, sondern es stand auch im Zentrum der Ausbildung von Lehrern für den kolonialen Schuldienst in Deutsch-Ost­ afrika. Das Seminar für Orientalische Sprachen bildete von 1895 bis 1914 nahezu alle in der Kolonie verwendeten Lehrer vorab in der Sprache aus, was aufgrund der besonderen berufspraktischen Relevanz entsprechender Kenntnisse für den späteren Lehrauftrag als sich der allgemeinen Kolonial­ beamtenausbildung zeitlich weit im Voraus befindend und bespielgebend einzuordnen ist. Für die Akzeptanz unter den Kollegen vor Ort genügte eine entsprechende Ausbildung indes noch nicht. Vielmehr wurde auch im deutsch-ostafrikanischen Lehrerkollegium die Ansicht vertreten, dass sich neue Lehrer zunächst in der Praxis zu bewähren hätten. Der selbstbe­ wusste koloniale character, mal zupackend, mal zurückhaltend, stets aber flexibel, körperlich stark und den Tugenden eines gentleman folgend, präg­ te auch die Vorstellungen eines ‚erfolgreichen‘ deutschen Lehrers. Die erste Expansion der kolonialen Schule entlang der Küste DeutschOstafrikas veranschaulicht die Transferprozesse bezüglich der Schulgrün­ dungsstrategien und zeigt zudem, dass von der Schule in Tanga weiterhin sämtliche Expansionsimpulse ausgingen. Den zweiten Schritt der Expansi­ on bildeten die von Paul Blank mit Hilfe der Bezirksverwaltung etablier­ ten Inlandsschulen, in denen ehemalige Schüler als Elementarlehrer arbei­ teten, um wiederum neue Schüler für die Schule in Tanga vorzubilden. Dieser zyklische Prozess wurde von Blank über Berichte und Revisionen vor Ort überwacht, die nicht zuletzt das Ziel der Wissensproduktion ver­

390 Personalien, in: DKB, Jg. 26 (1915), S. 2, 314. Personalien, in: DKB, Jg. 29 (1918), S. 122.

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Zwischenfazit

folgten und es Blank ermöglichten, auf die jeweiligen Schulverhältnisse direkt steuernd Einfluss zu nehmen. Blank und seine Kollegen wurden so insbesondere zu Wissensmanagern, da sie als Schulaufseher und Lehrer­ ausbilder Schülern den Wechsel von einer Inlandsschule (Schulstufe 1) zu einer Küstenschule (Schulstufe 2) ermöglichen oder versagen konnten und so den Zugang zu Wissen und Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb der kolonialen Institutionen, die mit Vorzug Absolventen der kolonialen Schulen einstellten, reglementierten. Die Gründung von Inlandsschulen war eine dezidiert andere Antwort auf das Problem der Schülergewinnung als diejenige, die Blanks Vorgän­ ger Barth seinerzeit gefunden hatte. Sie rief aber ebenso wie die von Barth vertretene Anstellung islamischer Religionslehrer erheblichen Widerstand in den christlichen und konservativen kolonialen Kreisen im Deutschen Reich hervor. Die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt, das Gouverne­ ment und die Lehrerschaft reagierten darauf mit der Entwicklung eines Narrativs der impliziten Christianisierung durch koloniale Schulen, das die weitere Expansion argumentativ absicherte. Entscheidend für den Er­ folg der Maßnahmen war dabei der ungehinderte Informationsfluss von den Schulen in Deutsch-Ostafrika zur Kolonialverwaltung im Auswärtigen Amt, wodurch ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen ermöglicht wurde. Insbesondere der Vergleich mit der ebenfalls in den Jahren 1900 bis 1904 innerhalb der Kolonialverwaltungsinstanzen geführten Debatte um den Kontrollzugriff auf die Schulen und ihre Lehrer, in der das Gou­ vernement Kompetenzaneignungen lange Zeit nur durch bruchstückhaf­ te Informationsweitergabe verschleiern konnte, zeigt, dass koloniale Aus­ handlungsprozesse auch zwischen Vertretern der Kolonisatoren mit den Mitteln der Wissensproduktion bestritten wurden und ihr Verlauf und Ausgang vom Grad an Informiertheit über die koloniale Praxis abhingen. Für das nachfolgende Kapitel haben nun sowohl die intensive Sprach­ politik als auch der Ausbau der Schule in Tanga zum sprachpolitischen Schulzentrum und zum Ausbildungsunternehmen als Vergleichsfolie gro­ ße Relevanz für die dort betrachteten Schulen in der Kolonie DeutschNeuguinea. Entsprechende Entwicklungen sind auch dort zu beobachten und bilden darum wichtige Analyseschwerpunkte. Das Kapitel fragt au­ ßerdem nach der intraimperialen Vernetzung Deutsch-Neuguineas und Samoas und knüpft mit der Betrachtung des Verhältnisses von Kolonial­ verwaltung und Missionen an Kapitel 2.3 dieser Arbeit an.

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3. Reorganisation und Vernetzung

3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa 3.3.1 Schul- und Sprachpolitik in Deutsch-Neuguinea Die Gründung der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Neuguinea fand sowohl am 1. April 1900 als auch am 16. September 1907 statt. 391 Die Erklärung dieser zweifachen Datierung findet sich vor dem Hintergrund der territorialen Zusammensetzung und der Verwaltungspraxis der Kolo­ nie. Diese umfasste ab 1885 zunächst den nordöstlichen Teil der Insel Neu­ guinea (Kaiser-Wilhelms-Land), den vorgelagerten sogenannten BismarckArchipel sowie die westlichen Salomon-Inseln. Die Verwaltungshoheit lag bei der Neuguinea-Kompagnie und fiel von 1889 bis 1899 schrittweise an das Deutsche Reich.392 1899 erwarb das Deutsche Reich dann von Spanien, das unter den Folgen des 1898 gegen die Vereinigten Staaten von Amerika verlorenen Krieges litt, die Karolinen-, Marianen- und die Palau-Inseln, während die geographisch zu den Marianen gehörende In­ sel Guam in US-amerikanischem Kolonialbesitz verblieb.393 1906 erfolgte schließlich die Eingliederung der bis dato selbstständigen und von der Ja­ luit-Gesellschaft in Verbindung mit einem kaiserlichen Landeshauptmann

391 BArch, R 1001/2757, Bl. 5. Amtlicher Jahresbericht (1900/1901), S. 92–93. Amt­ licher Jahresbericht DNG BA/SI/KW (1907/1908), S. 10. 392 Vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 101–102. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 31. Die Neuguinea-Kompagnie ging auf das 1882 von Industriellen, Bankiers und Handelsinteressierten um Alfred von Han­ semann und Gerson von Bleichröder gegründete Neuguinea-Konsortium zu­ rück. In dessen Namen hatte der Kolonialkaufmann und -forscher Otto Finsch 1884 erste umfassende Gebietsankäufe getätigt, die 1885 in die Verfügungsge­ walt der Kompagnie einflossen. Diese diente ab 1885, ausgestattet mit kaiserli­ chem ‚Schutzbrief‘, als Kontrollinstrument deutscher Wirtschaftstätigkeit (insb. Plantagen- und Handelsbetrieb) in der Region, das seine Umsätze maßgeblich durch die Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen (insbesondere Kopra) erwirtschaftete, vgl. Firth, Stewart: New Guinea under the Germans, Melbourne 1983, S. 21–65. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 100–102, 201– 204. Schinzinger, Francesca: Die Kolonien und das Deutsche Reich. Die wirt­ schaftliche Bedeutung der deutschen Besitzungen in Übersee, Stuttgart 1984, S. 59–61. 393 Vgl. Christmann, Helmut; Hempenstall, Peter; Ballendorf, Dirk Anthony: Die Karolinen-Inseln in deutscher Zeit. Eine kolonialgeschichtliche Fallstudie, Münster 1991, S. 9–15. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 102– 103. Hardach, Gerd: König Kopra. Die Marianen unter deutscher Herrschaft 1899–1914, Stuttgart 1990, S. 13–15. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 38.

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3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

verwalteten Kolonie der Marshall-Inseln.394 Eine tatsächliche gemeinsame Verwaltung dieser letzten territorialen Gebietszuwächse mit dem bisheri­ gen Gebiet Deutsch-Neuguineas erfolgte allerdings erst ab dem Jahr 1910, in welchem die Verwaltung erstmalig auf der Basis eines gemeinsamen Etats arbeitete.395 Doch auch in dem als „Altes Schutzgebiet“ bezeichneten Teil Neuguineas (dem ehemaligen Kompagnie-Gebiet) und den aus der spanischen Erwerbung stammenden weiteren Inseln waren in den Jahren vor 1910 trotz eines gemeinsamen Etats die lokalen Verwaltungspraxen durchaus different.396 Dies lag vor allem an der prinzipiellen Freiheit der Bezirksamtmänner in der Leitung ihrer Bezirke, die ihnen etwa durch eine Reichstagsdenkschrift im Jahr 1898 zugesichert wurde und von der diese trotz gleichzeitig ausgesprochener Mäßigungsgebote zur Nutzung ihrer Freiheit schon allein aufgrund der großen geographischen und über See führenden Distanzen in der Kolonie regen Gebrauch machen konnten.397 Ob es zur Gründung einer regierungseigenen Schule mit deutscher Lehrkraft oder anderen Formen schulischer Initiativen kam, hing also ins­ besondere von den Schwerpunkten ab, die der jeweilige Bezirksamtmann in der Verwaltungsausführung setzte. Besonderes Interesse an direkter kolonialer Schulpolitik zeigte der Bezirksamtmann der Marianen, Georg Fritz398, der seinen Sitz in Garapan auf der Insel Saipan hatte und als

394 Vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 101, 193. Die 1887 in Hamburg gegründete Jaluit-Gesellschaft agierte beinahe konkur­ renzlos und unter dem Schutz des Deutschen Reiches im Kopraanbau und Phosphatabbau auf den Marshall-Inseln und auf Nauru, vgl. Gründer, Geschich­ te der deutschen Kolonien, S. 204–205. Treue, Wolfgang: Die Jaluit-Gesellschaft, in: Tradition. Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie, Jg. 7, Heft 2/3 (1962), S. 108–123. 395 Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 146. Zur Verwaltungsgliederung der Kolonie beachte Hubatsch, Walther (Hg.): Die Schutzgebiete des Deutschen Reiches 1884–1920, Marburg (Lahn) 1984, S. 490–542. 396 Amtlicher Jahresbericht, DNG BA/KW (1906/1907), S. 1 (für das Zitat). 397 Vgl. Christmann et al., Die Karolinen-Inseln in deutscher Zeit, S. 13, 17, 27. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 192–193. 398 Georg Fritz (24.11.1865–18.11.1944) stammte aus Alzey und wanderte nach einem Forstwissenschaftlichen Studium in Gießen nach Brasilien (Rio de Janei­ ro) aus. 1897 reiste er zurück nach Deutschland und studierte Finanzwissen­ schaften. Nach einer kurzen Betätigungszeit als Steuerassessor in Mainz bewarb er sich für den Kolonialdienst und wurde 1899 Chef des Bezirksamtes auf Saipan (Marianen). Ab 1906 hatte er wechselnde Positionen in der Region inne und war zuletzt Chef des nun auch die Marianen umfassenden Bezirksam­ tes der Westkarolinen. 1910 beantragte er seine Pensionierung und verkehrte in Deutschland daraufhin insbesondere in antisemitischen Kreisen. Er wurde

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3. Reorganisation und Vernetzung

einziger Leiter eines der Bezirke schon im April 1900 – womit die eingangs genannte erste Datierung zu identifizieren ist – eine regierungseigene Schule eröffnete.399 Albert Hahl400 zum Beispiel, der von 1899 bis 1901 als Bezirksamtmann der östlichen Karolinen auf Ponape (Pohnpei) sowie als regionaler Vizegouverneur amtierte, versuchte hingegen, die einheimi­ schen Anführer zu Schulgründungen zu bewegen, gleichwohl Gouverneur Rudolf von Bennigsen401 die Errichtung je einer staatlichen Schule auf den Inseln Saipan, Ponape, Yap (Sitz des Bezirksamts für die westlichen Karolinen) und dem Gouvernementssitz Herbertshöhe (heute Kokopo, Papua-Neuguinea) forderte.402 Als Gouverneur plante Hahl schließlich erst ab 1904 die Gründung einer regierungseigenen Schule, woraufhin 1905

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ein enger Vertrauter des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes Heinrich Claß und publizierte zahlreiche antijüdische Schriften sowie in den 1920erund 1930er-Jahren auch kolonialromantische Arbeiten, vgl. Bergmann, Werner: Fritz, Georg, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Juden­ feindschaft in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2/1, Personen A-K, Berlin 2009, S. 262–264. Christmann et al., Die Karolinen-Inseln in deutscher Zeit, S. 29– 31, 34. Hardach, König Kopra, S. 77–82. Spennemann, Dirk HR: Combining Curiosity with Political Skill. The Antiquarian Interests and Cultural Politics of Georg Fritz, in: Micronesian Journal of the Humanities and Social Science, Jg. 5, Nr. 1/2 (2006), S. 495–504, hier: S. 495–496. BArch, R 1001/2757, Bl. 5. Amtlicher Jahresbericht (1900/1901), S. 92–93. Albert Hahl (10.9.1868–25.12.1945) war Jurist und bekleidete von 1896 bis 1898 einen Richterposten im Bismarck-Archipel. Ab 1899 war er Bezirksamt­ mann der Ostkarolinen und gleichzeitig regionaler Vizegouverneur mit Sitz auf Ponape (Pohnpei). 1902 erfolgte seine Ernennung zum Gouverneur von Deutsch-Neuguinea, ein Amt, welches er bis zum Ersten Weltkrieg innehatte. Nach dem Krieg wurde Hahl einer der Direktoren der Neuguinea-Kompagnie und agitierte umfassend für die Wiedererlangung der deutschen Kolonien, vgl. Baumann et. al., Biographisches Handbuch Deutsch-Neuguinea, S. 126–128. Christmann et al., Die Karolinen-Inseln in deutscher Zeit, S. 14. Gründer, Ge­ schichte der deutschen Kolonien, S. 193. Hahl, Albert: Gouverneursjahre in Neuguinea, Berlin 1937. Hahl, Albert: Deutsch-Neuguinea, Berlin 1942. Rudolf von Bennigsen (12.5.1859–3.5.1912) war Jurist und arbeitete als Regie­ rungsassessor in Elsass-Lothringen sowie als Landrat des Kreises Peine (Preu­ ßen), bevor er ab 1893 in der Finanzabteilung des Gouvernements Deutsch-Ost­ afrika arbeitete. 1899 wurde er Gouverneur von Deutsch-Neuguinea und trat 1902 aus gesundheitlichen Gründen von diesem Amt zurück. Anschließend ar­ beitete er für die Kölnische Zeitung und war zeitweise Leiter der Deutschen Kolo­ nialgesellschaft für Südwestafrika, Bennigsen, Rudolf von, in: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Koloniallexikon, Bd. I, Leipzig 1920, S. 163f. Vgl. Baumann et al., Biographisches Handbuch Deutsch-Neuguinea, S. 26. BArch, R 1001/2756, Bl. 3–5. Vgl. Christmann et al., Die Karolinen-Inseln in deutscher Zeit, S. 17, 25. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 193.

3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

auch die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) eine Gründung vorschlug. Dies mündete dann im September 1907 in die Eröffnung einer deutschen kolonialen Schule für Indigene in Namanula (im Nordosten der Insel Neubritannien (Neu-Pommern), nahe dem ab 1909 den Gouverneurssitz beheimatenden Rabaul, auch Simpsonhafen genannt).403 Die Gründung der Schule in Namanula identifiziert das eingangs genannte zweite Gründungsdatum der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Neuguinea. Die Plausibilität der zweifachen Datierung ergibt sich nicht nur aus der großen geographischen Distanz der beiden Schulorte von etwa 2.200 km. Beide Schulen, welche die einzigen regierungseigenen Schulen in Deutsch-Neuguinea waren, erhielten ihre finanziellen Mittel lange Zeit aus verschiedenen Etatpositionen, konnten sich auf verschiede­ ne lokale Schultraditionen beziehen und verfolgten teilweise unterschiedli­ che Ziele. Des Weiteren gab es keine gegenseitige Vertretung der Lehrkräf­ te, wie es etwa in den regierungseigenen Schulen in den afrikanischen Kolonien, wo sich die Schulen allerdings auch in größerer geographischer Nähe zueinander befanden, gang und gäbe war.404 Somit war auch der ge­ genseitige Wissensaustausch der Lehrkräfte beider Schulstandorte gering. Eine Gemeinsamkeit beider Schulen war allerdings die zentrale Bedeutung der sprachpolitischen Agenda, die beide Schulen verfolgten. Diese soll im Folgenden am Beispiel der Schule in Garapan (Saipan) erläutert werden.405

Die Schule in Garapan (Saipan) Der Ausgangspunkt der deutschen kolonialen Schule im Verwaltungsbe­ zirk Saipan war die „Bekanntmachung betreffend die Schulen von Gara­ pan, Tanapag und Rota“, die Bezirksamtmann Fritz im Frühjahr 1900 veröffentlichte.406 Fritz erklärte darin den 1. April 1900 zum Beginn des nächsten Schuljahres und führte eine allgemeine Schulpflicht ein. Diese sollte für alle Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren gelten sowie für alle bis zu 15-Jährigen, deren Lese- und Rechenfähigkeiten unzureichend

403 BArch, R 1001/2756, Bl. 18–20. 404 Zur Vertretungspraxis beachte etwa Kapitel 3.1.1 und Kapitel 3.2.1. 405 Die Schule in Namanula ist im nächsten Abschnitt unter dem Aspekt der Vernetzung Gegenstand exemplarischer Vertiefung. 406 BArch, R 1001/2757, Bl. 6. BArch, R 1001/2966, Bl. 7 (auch für das Zitat). Garapan und Tanapag sind Orte auf Saipan. Die Insel Rota liegt etwa 125 km südlich von Saipan. Das Zentrum der Schultätigkeit war Garapan, das auch den Sitz des Bezirksamtes beheimatete.

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ausgebildet waren. Den Eltern der Kinder oblag gegen Androhung einer Geldstrafe (10 Pf. je unentschuldigtem Fehltag) die Aufgabe, für die Ein­ haltung der Schulpflicht zu sorgen. Als Unterrichtssprache legte Fritz das auf Saipan heimische Chamorro fest, in welchem täglich von sieben bis zehn Uhr vormittags Elementarunterricht (Lesen, Schreiben, Rechnen) erteilt werden sollte. Den Religionsunterricht erwähnte er auch, verwies hier aber auf eine zukünftige „Vereinbarung mit der Geistlichkeit“.407 Anders als bei den Schulgründungen für die einheimische Bevölkerung etwa in Kamerun oder in Deutsch-Ostafrika konnte Fritz mit seiner Be­ kanntmachung auf Saipan an eine lokale spanisch-koloniale Schultradition anknüpfen. Die Schulen waren etwa zum Zeitpunkt seines Eintreffens im Sommer 1899 als Folge der US-amerikanischen Eroberung Guams im Krieg von 1898 allerdings in Finanzprobleme geraten. Da das ursprüng­ lich von der spanischen Zentralverwaltung in Guam gezahlte Gehalt der indigenen Lehrkräfte in Garapan, Tanapag und auf der Insel Rota nach der US-amerikanischen Annexion Guams ausgeblieben war und Mitte des Jahres 1899 auch nicht mehr aus lokalen Mitteln bestritten werden konnte, hatten die Schule schließen müssen.408 Fritz maß der Anknüpfung an die spanische Kolonialzeit insofern Be­ deutung zu, als er durch die rasche Wiedereröffnung erreichen wollte, dass die Schülerschaft an sich und insbesondere die Gewöhnung an die Einhal­ tung der Schulpflicht erhalten blieb. Hierzu besoldete er für zusammen 576 M jährlich insgesamt fünf indigene Lehrkräfte für die drei Schulen und bat bei seinen vorgesetzten Behörden gleichzeitig um die Aussendung von zwei deutschen Lehrern.409 Da im Auswärtigen Amt trotz der Befür­ wortung durch Gouverneur von Bennigsen aufgrund angenommener Mi­ norität des Zweckes die Bereitschaft zur Besoldung deutscher Lehrer, von welchen einer im Vergleich zu einem einheimischen Lehrer etwa 400fach teurer war, „nahezu verschwindend“ gering war, gab Fritz dann ab 1902 auch selbst Unterricht an der Schule in Garapan.410 Das Ziel, zu dem sich Fritz bereits im März 1900 bekannt und mit welchem er auch seinen Antrag zur Aussendung der deutschen Lehrer begründet hatte, war die

407 BArch, R 1001/2757, Bl. 6. BArch, R 1001/2966, Bl. 7 (auch für das Zitat). Vgl. Hardach, König Kopra, S. 173. 408 BArch, R 1001/2757, Bl. 5. Vgl. Hardach, König Kopra, S. 13. Hiery, Schule und Ausbildung, S. 216–217. 409 BArch, R 1001/2757, Bl. 5. Amtlicher Jahresbericht (1900/1901), S. 92–93. 410 BArch, R 174-F/80018, 126b, Bl. 27. BArch, R 1001/2757, Bl. 7 (auch für das Zitat). Vgl. Hardach, König Kopra, S. 173–174.

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3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

Vermittlung der deutschen Sprache.411 Fritz befand sich hierbei nicht bloß in einfacher Übereinstimmung mit den Mitgliedern des Kolonialrates, die in einem Beschluss des Jahres 1896 der Kolonialverwaltung empfohlen hatten, „darauf hinzuwirken, dass, wenn in den Schulen (d. h. innerhalb der deutschen Schutzgebiete) neben der Sprache der Eingeborenen noch eine andere gelehrt wird, die deutsche in den Lehrplan aufgenommen werde.“412 Fritz verfolgte innerhalb seines Bezirks vielmehr eine sprachpolitische Agenda, die sowohl das Deutsche als auch das von der Mehrheit der In­ digenen gesprochene Chamorro umfasste. Letzteres war aufgrund der Not­ wendigkeit einer praktikablen Mittelsprache für Fritz der Ausgangspunkt seiner Bemühungen, die deutsche Sprache als Verkehrssprache zu etablie­ ren, weshalb er etwa in seiner Anforderung deutschen Lehrpersonals die Kenntnis des Chamorro als Voraussetzung bezeichnet hatte.413 Zwar war diese Forderung im Auswärtigen Amt aufgrund finanzieller Gründe ab­ gelehnt worden. Sie hätte ebenso gut abgelehnt werden können, da es 1899 allenfalls rudimentäre, spanischsprachige Grammatiken und Wörter­ bücher des Chamorro gegeben hatte und insbesondere in Deutschland keine verwertbaren Expertisen vorlagen.414 Auch Fritz selbst sprach bei sei­ ner Ankunft auf Saipan kein Chamorro und begann erst vor Ort mit dem Erlernen der Sprache. Sein Interesse an der Sprache begründete erstens die praktische Notwendigkeit eines Kommunikationsweges mit der lokalen Bevölkerung. Fritz sprach zwar aufgrund seiner beruflichen Aufenthalte in Südamerika fließend Spanisch.415 Dieses war nach seiner Einschätzung allerdings kaum verbreitet und schied ohnehin aus nationalkolonialer Per­ spektive als allgemeines Verständigungsmittel aus.416 Aus dem gleichen Grund schied auch das teilweise verbreitete Pidgin-Englisch aus, dessen

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BArch, R 1001/2757, Bl. 5. BArch, R 1001/7307, Bl. 86. Beachte hierzu auch Kapitel 2.3.4. BArch, R 1001/2757, Bl. 5. Vgl. Stolz, Thomas: Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Maria­ nen: über Grammatik und Wörterbücher der Chamorrosprache im frühen 20. Jahrhundert, in: Stolz, Thomas; Vossmann, Christina; Dewein, Barbara (Hg.): Kolonialzeitliche Sprachforschung. Die Beschreibung afrikanischer und ozeanischer Sprachen zur Zeit der deutschen Kolonialherrschaft, Berlin 2011, S. 203–230, hier: S. 206. 415 Vgl. Spennemann, Combining Curiosity with Political Skill, S. 496. 416 BArch, R 1001/2757, Bl. 5.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Gebrauch nicht nur in Deutsch-Neuguinea von den Kolonialbehörden bekämpft wurde.417 Fritz’ Interesse am Chamorro ist zweitens Bestandteil von dessen umfassender Forschungsbegeisterung für die Kulturen der indi­ genen Bevölkerung, die er während seiner gesamten Dienstzeit neben der Linguistik in diversen Disziplinen, etwa der Ethnologie, der Geschichts­ wissenschaft, der Archäologie oder der Botanik, erforschte.418 Dabei war er abgesehen von der Botanik, die noch eine gewisse Nähe zu seinem forst­ wissenschaftlichen Hintergrund hatte, in den anderen Gebieten Laie, was sich nicht zuletzt in seinen linguistischen Arbeiten zum Chamorro zeigte, seine Motivation und seine Schaffenskraft indes nicht einschränkte.419 Die sprachpolitischen Eingriffe, die Fritz am Chamorro vornahm, um­ fassten sowohl korpus- als auch statusplanerische Maßnahmen. Die Maß­ nahmen der Korpusplanung bildeten sich zunächst in einer Grammatik des Chamorro ab, welche 1903 in den Mitteilungen des Seminars für Ori­ entalische Sprachen erschien.420 Darin arrangierte Fritz sein gesammeltes grammatikalisches Wissen über das Chamorro nach dem Vorbild der latei­ nischen Grammatik.421 Damit entsprach er der gängigen Praxis der Kolo­ niallinguistik, diese Strukturen exogrammatikalisierend auf indigene Spra­ chen zu übertragen, und befand sich überdies im methodischen Einklang mit kolonialen Lehrern wie Theodor Christaller in Bonamandone (Kame­ run) oder Christian Barth in Tanga (Deutsch-Ostafrika).422 Stolz bewegte dieses Vorgehen dazu, Fritz „eine gewisse analytische Hilflosigkeit gegen­

417 Vgl. Spennemann, Combining Curiosity with Political Skill, S. 500. Huber, Magnus; Velupillai, Viveka: Sprachkontakte in kolonialen Kontexten II. Das Pidgin-Englische in den ehemaligen deutschen Kolonien, in: Stolz, Thomas; Warnke, Ingo H.; Schmidt-Brücken, Daniel (Hg.): Sprache und Kolonialismus. Eine interdisziplinäre Einführung zu Sprache und Kommunikation in kolonia­ len Kontexten, Berlin/Boston 2016, S. 121–144. Stolz, Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Marianen, S. 204–205. 418 Vgl. Spennemann, Combining Curiosity with Political Skill, passim. 419 Vgl. Stolz, Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Marianen, S. 212– 213, 220, 225. 420 Fritz, Georg: Chamorro Grammatik, in: Mittheilungen des Seminars für Orien­ talische Sprachen, Jg. 6 (1903), Abt. 1 (Ostasiatische Studien), S. 1–27. Vgl. Marten, Sprach(en)politik, S. 25. 421 Vgl. Stolz, Thomas: German and Dutch Contributions to Chamorro Studies (1800–1920), in: Reid, Lawrence A.; Ridruejo, Emilio; Stolz, Thomas (Hg.): Philippine and Chamorro Linguistics Before the Advent of Structuralism, Berlin 2011, S. 201–225, hier: S. 206–207, 210. Stolz, Koloniallinguistischer Kon­ kurrenzkampf auf den Marianen, S. 213. 422 Vgl. Zimmermann, Missionarslinguistik in kolonialen Kontexten, S. 181–182. Beachte insbesondere die Kapitel 2.1.5, 2.2.2 und 2.2.3.

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über der fremden Sprachstruktur [zu] attestieren.“423 Dessen korpuspla­ nerische Normierungen umfassten nun neben der Grammatikalisierung nach lateinischen Strukturen neue Regeln zur Orthographie des Chamor­ ro, die bewusst bisherige spanische Einflüsse (etwa der eine Tilde tragende Buchstabe n: ñ) beiseiteschoben und stattdessen an die Orthographie des Deutschen angepasst waren.424 1904 veröffentlichte Fritz dann ein entspre­ chendes Wörterbuch425 und verband weiterhin seine sprachlichen Studien mit seinen geschichtlichen und ethnologischen Ausarbeitungen.426 Wie etwa Christian Barth in Tanga verfügte Fritz bei seiner linguistischen Tä­ tigkeit über die Anbindung an das Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin (SfOS), in dessen ab 1902 als Reihe veröffentlichten Archiv für das Studium deutscher Kolonialsprachen sein Wörterbuch 1904 an prominenter Stelle als zweiter Band erschien.427 Der Prozess kolonialer Wissensgenerie­ rung unter Einbeziehung sowohl deutscher Forschungseinrichtungen als

423 Vgl. Stolz, Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Marianen, S. 213 (für das Zitat). 424 Vgl. Stolz, German and Dutch Contributions to Chamorro Studies (1800– 1920), S. 206–213. Stolz, Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Ma­ rianen, S. 213–214. 425 Fritz, Georg: Chamorro-Wörterbuch. In zwei Teilen: Deutsch-Chamorro und Chamorro-Deutsch. Auf der Insel Saipan, Marianen, gesammelt, Berlin 1904. Vgl. Stolz, German and Dutch Contributions to Chamorro Studies (1800– 1920), S. 205–206. Stolz, Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Ma­ rianen, S. 211. Eine zweite Auflage des Wörterbuchs erschien vier Jahre später: Fritz, Georg: Chamorro-Wörterbuch. In zwei Teilen: Deutsch-Chamorro und Chamorro-Deutsch. Auf der Insel Saipan, Marianen, gesammelt, Berlin 1908. Zum Vergleich beider Ausgaben beachte Schuster, Susanne: The ChamorroWörterbuch by Georg Fritz – A Contrastive Description of the Editions 1904 and 1908, in: Fischer, Steven Roger (Hg.): Oceanic Voices – European Quills. The Early Documents on and in Chamorro and Rapanui, Berlin 2013, S. 83– 102. 426 Fritz, Georg: Die Chamorro. Eine Geschichte und Ethnographie der Marianen, in: Ethnographisches Notizblatt, Bd. 3, Heft 3 (1904), S. 25–100, zur Sprache: S. 96–100. Stolz datiert diesen Aufsatz von Fritz irrtümlich auf das Jahr 1901 und erklärt ihn zum Ausgangspunkt von dessen Arbeiten, vgl. Stolz, Kolonial­ linguistischer Konkurrenzkampf auf den Marianen, S. 211. Ende der 1980er-Jah­ re erschien Fritz’ Aufsatz in zwei Auflagen und in englischer Übersetzung, vgl. Fritz, Georg: The Chamorro. A History and Ethnography of the Marians, Saipan 1986. Fritz, Georg: The Chamorro. A History and Ethnography of the Marians, 2. Aufl., Saipan 1989. 427 Das Seminar für orientalische Sprachen beginnt…, in: DKB, Jg. 13 (1902), S. 618. Das Seminar für orientalische Sprachen in Berlin…, in: DKB, Jg. 15 (1904), S. 596. Beachte insbesondere Kapitel 2.2.2 und 2.2.3.

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auch lokaler Praxisfelder, nämlich der Schule in Garapan, war also auch in Deutsch-Neuguinea früh durch Schulunterricht und Sprachpolitik eta­ bliert. Insofern ist der Feststellung Hierys zu widersprechen, dass es in der Kolonie Deutsch-Neuguinea „bis kurz vor Ausbruch des Krieges […] überhaupt keine Sprachpolitik“ gegeben habe und „gegenteilige Behaup­ tungen“ aufzustellen bedeute, der „Weltkriegspropaganda der Australier und Neuseeländer“ aufzusitzen, die eine „verzerrt[e] Sichtweise deutscher kolonialer Südseepolitik vor 1914“ evozierte und „zum Teil noch bis heute auch von Wissenschaftlern ungeprüft übernommen und stereotyp wieder­ holt“ werde.428 Dabei erfolgte die sprachpolitische Betätigung von Fritz auch nicht nur in Verbindung mit dem SfOS und beschränkt auf seine Schultätigkeit. Fritz gilt in der aktuellen Literatur als zwar laien- und da­ durch fehlerhafter Chamorro-Linguist, aber dennoch als wichtiger Autor der frühen Beschreibung dieser Sprache429, und er agierte insbesondere so­ wohl in einer interimperialen als auch einer konfessionellen Konkurrenz­ situation. So publizierte er etwa seine Grammatik parallel mit dem von 1899 bis 1900 auf Guam stationierten US-amerikanischen Marineoffizier William Edwin Safford (1859–1926). Mutmaßlich nutzten beide ähnliche spanischsprachige Quellen, brachten letztlich aber ihre eigenen national­ kolonialen Grammatiken heraus.430 Ein anderer, Callistus Lopinot (1876– 1966), der von 1907 bis 1909 als Missionar des Kapuzinerordens auf Saipan anwesend war, grenzte sich bei seinen linguistischen Veröffentlichungen insbesondere von denjenigen von Fritz ab und schuf eine konkurrierende Orthographie.431 In der Sprachpolitik auf Saipan finden sich also auch die stets mit dem Kolonialismus verbundenen interimperialen und konfessio­ nellen Konflikte, was die Bedeutung der sprachpolitischen Aktivität für die Bemühungen um Herrschaftssicherung noch einmal erhöht. 428 Vgl. Hiery, Schule und Ausbildung, S. 206 (für die Zitate). 429 Vgl. Klein, Thomas B.: Chamorro Morphophonology in the Grammar and Dictionary by Georg Fritz, in: Fischer, Steven Roger (Hg.): Oceanic Voices – European Quills. The Early Documents on and in Chamorro and Rapanui, Berlin 2013, S. 103–122. Schuster, The Chamorro-Wörterbuch by Georg Fritz, S. 83–102. Stolz, Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Marianen, S. 211. 430 Vgl. Stolz, Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Marianen, S. 206– 210, 214–215. 431 Vgl. Stolz, German and Dutch Contributions to Chamorro Studies (1800– 1920), S. 214–218. Stolz, Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Ma­ rianen, S. 216–218. Zum in diesem Abschnitt ausgesparten Verhältnis zur Missi­ on beachte den nachfolgenden Abschnitt.

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Neben den korpusplanerischen Eingriffen leitete Fritz des Weiteren statusplanerische Maßnahmen ein, die sowohl das Chamorro als auch das Deutsche betrafen. Die statusplanerische Entscheidung, das Chamorro als Schulsprache festzulegen, war ob der mehrheitlich chamorrosprachi­ gen Schülerinnen und Schüler zwar plausibel. Da sich in Garapan aber auch karolinischsprachige Kinder in der Schule befanden, bedeutete die Entscheidung für diesen Teil der Schülerschaft einen klaren sprachpoliti­ schen Eingriff zu deren Lasten. Aufgrund unzureichender Datenlage muss unklar bleiben, wie viele der im ersten Schuljahr in eine Unter- und eine Oberklasse aufgeteilten Schülerinnen und Schüler (insgesamt 190 Personen) dies betraf.432 Ab März 1902 trat dann auch Deutsch als zweite Schulsprache hinzu, was für die Karoliner zur zweiten und für die Cha­ morro zur ersten Fremdsprache wurde. Jedoch unterrichtete Fritz lediglich 25 ausgewählte Schüler in zusätzlichen Unterrichtsstunden (1,5 Stunden täglich) im Deutschen, wobei auch die angestellten indigenen Lehrer in seinem Unterricht hospitierten, wodurch Fritz früh auch eine rudimentäre Lehrerausbildung begann.433 Zum Schuljahreswechsel 1905 (März/April) traf mit Franz Dwucet schließlich doch ein ausgebildeter Lehrer auf Sai­ pan ein.434 Dieser übernahm den Unterricht der oberen Klasse (30 Kinder) sowie den Unterricht in der für den Verwaltungshilfsdienst und einheimi­ schen Lehrerdienst eingerichteten „Präparandenklasse“ (20 Kinder). Zum Lehrerkollegium gehörten im Schuljahr 1905/1906 außerdem ein indige­ ner Lehrer, der die untere Klasse (141 Kinder) unterrichtete, und die Ehe­ frau des Lehrers, die den Schülerinnen Handarbeitsunterricht erteilte.435 Diese Lehrkräftekonstellation wurde auch im Schuljahr 1906/1907 auf­ rechterhalten, in welchem insgesamt 254 Schülerinnen und Schüler die Schule besuchten. Von diesen waren 74 Kinder, also circa 29 Prozent,

432 Vgl. Hardach, König Kopra, S. 174. Beachte auch die Statistik in Anhang Nr. 22. 433 Amtlicher Jahresbericht (1901/1902), S. 110. Amtlicher Jahresbericht (1902/1903), S. 114. 434 Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 16 (1905), S. 11, 435. Vgl. Hardach, König Kopra, S. 174. Über den promovierten Franz Dwucet liegen kaum Informationen vor. Hiery gibt an, dass Dwucet vor seiner Anstellung im kolonialen Lehrerdienst in der Deutschen Schule in Havanna (Kuba) gearbeitet habe und „protestantischer Konvertit“ gewesen sei, was aufgrund konfessioneller Gegensätze zu der über­ wiegend katholischen Schülerschaft und der Dominanz der katholischen Missi­ on auf Saipan zu seiner Ablösung nach nur einer Dienstperiode geführt habe, vgl. Hiery, Schule und Ausbildung, S. 218 (auch für das Zitat). 435 BArch, R 174-F/80018, 126b, Bl. 51. Amtlicher Jahresbericht (1904/1905), S. 83. Amtlicher Jahresbericht (1905/1906), S. 127–128 (für das Zitat: S. 127).

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karolinischer Abstammung. Der sprachpolitisch bedingte Nachteil, den dieser Teil der Schülerschaft hatte, zeigt sich darin, dass dieser im Unter­ richt der obersten, nun „Fortbildungsklasse“ genannten Klasse mit nur einem von neun Schülern (11 Prozent) deutlich unterrepräsentiert war.436 Die Schulleitung, die nach seinem Eintreffen im Mai 1908 der Volksschul­ lehrer Hermann Höfer als Nachfolger Dwucets übernommen hatte437, nahm die Sprachschwierigkeiten der karolinischen Kinder wahr und re­ agierte ab dem Jahr 1909 mit der Teilung der unteren Klassen in einen Chamorro- und einen Karolinerzweig.438 Hardach folgend ist dennoch festzuhalten, dass die Schule neben der Vermittlung von Elementarkennt­ nissen sowie bürokratisch nutzbar zu machenden Spezialfähigkeiten (z.B. Maschinenschreiben, Formularbearbeitung) auf eine doppelte koloniale Kulturintegration zielte. Diese beinhaltete sowohl eine Chamorrokultur, die durch Mechanismen der kolonialen Wissensproduktion – Produkte dieser Mechanismen stellen etwa Fritz’ Sprachlehrwerke und seine weite­ ren Publikationen zum Chamorro dar439 – angepasst wurde, als auch eine

436 Amtlicher Jahresbericht, DNG IG (1906/1907), S. 36 (auch für das Zitat). 437 BArch, R 1001/9790, Bl. 15–16, 21. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 19 (1908), S. 671. Hermann Höfer (geb. am 10.3.1883) stammte aus Igelshieb im Herzogtum Sachsen-Meiningen und hatte nach dem Besuch der Volksschule (1889–1897) von 1899 bis 1903 das Volksschullehrerseminar in Hiltburghausen absolviert. Ab 1904 arbeitete er bis zu seiner Anstellung im Kolonialdienst im Frühjahr 1908 als Volksschullehrer in Sonneberg. Im Reichskolonialamt hatte man sei­ ne Initiativbewerbung im Sommer 1907 zunächst zurückgestellt und ihm im Dezember 1907 schließlich die Lehrerstelle in Saipan angeboten. Georg Fritz, der zum Jahreswechsel in Berlin war, sprach eigens mit Höfer und war maßgeb­ lich daran beteiligt, diesen als Nachfolger Franz Dwucets auszuwählen, BArch, R 1001/9790, Bl. 1–2, 3, 5–7, 10, 12–13b, 15–16. 438 Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 174. 439 Neben den bisher genannten beachte Fritz, Georg: Der Chaifi. Ein Märchen von den Marianen, in: Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen, Jg. 9 (1906), Abt. 1 (Ostasiatische Studien), S. 178–180. Fritz, Georg: Kurze Geschichte der Marianen, in: Mitteilungen des Seminars für Orientalische Spra­ chen, Jg. 10 (1907), Abt. 1 (Ostasiatische Studien), S. 218–228. Vgl. Pagel, Steve: The Chaifi. A Fairy Tale From the Marianas, narrated by Georg Fritz. A commented re-edition. Part 1: Background, Intercultural and Intertextual Aspects, in: Fischer, Steven Roger (Hg.): Oceanic Voices – European Quills. The Early Documents on and in Chamorro and Rapanui, Berlin 2013, S. 123– 151. Pagel, Steve: The Chaifi. A Fairy Tale from the Marianas, narrated by Georg Fritz. A commented re-edition. Part 2: Linguistic Aspects, in: Fischer, Steven Roger (Hg.): Oceanic Voices – European Quills. The Early Documents on and in Chamorro and Rapanui, Berlin 2013, S. 153–176. Stolz, Thomas: The

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deutsche Kultur, die sich insbesondere in der Sprache und der Wahrneh­ mung von Sekundärtugenden (etwa Ordnung, Disziplin, Pünktlichkeit) repräsentierte.440 Gleichwohl im Schuljahr 1911/1912 neben Hermann Hö­ fer und zwei chamorrostämmigen Lehrern (Gregor und Joseph Sablan) auch zwei Karoliner (Rapeito und Romuluor) dem Kollegium angehörten, fand in dieser Schulkonzeption und außerhalb der ersten drei Jahrgänge das Karolinische keinen Platz.441 Die Einführung des Deutschen als amtliche Sprache gegenüber der einheimischen Bevölkerung im Juli 1906 zeigt nun das langfristige Ziel, das mittels der Schule verfolgt wurde, nämlich die Etablierung der deut­ schen Sprache als zukünftige Verkehrs- und Amtssprache auf den Inseln der nördlichen Marianen.442 Dass es sich bei dieser Festlegung nicht um ein Signum gewisser Sprachverbreitung – so interpretiert Hiery diese Verordnung –, sondern tatsächlich zunächst erst einmal um eine Zielfor­ mulierung handelte, zeigt die Einführung von Sonntagsunterricht (offizi­ ell „Fortbildungsschule“) ab dem Schuljahr 1910/1911.443 Dieser wurde explizit damit begründet, dass sich den Schulabsolventen „sehr wenig Gelegenheit bietet, ihr Deutsch anzuwenden“, sodass davon auszugehen ist, dass Deutsch keineswegs die verbreitete Alltagssprache war.444 Die Teil­ nehmerstatistik des Sonntagsunterrichts im Schuljahr 1910/1911 zeigt, da sie implizit die Schulabgänger, die diesen Unterricht besuchen mussten, quantifiziert, dass auch hier die Karoliner unterrepräsentiert waren. Von 32 Schülern waren 5 Karoliner (16 Prozent), wobei 34 Prozent aller Schü­ ler karolinischer Abstammung waren.445 Um das Deutsche über den regulären Schulunterricht hinaus für die Verwaltung nutzbar zu machen, wurde 1912 schließlich auch eine soge­ nannte „Dolmetscherschule“ eingerichtet, in der neben Schülern aus Sai­

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Kurze Geschichte der Marianen by Georg Fritz, a Commented Re-Edition, in: Schrader-Kniffki, Martina; Morgenthaler García, Laura (Hg.): La Romania en interacción. Entre historia, contacto y política. Ensayos en homenaje a Klaus Zimmermann, Madrid/Frankfurt am Main 2007, S. 307–349. Vgl. Hardach, König Kopra, S. 175. Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 156–157. Vgl. Hardach, König Kopra, S. 175. Beachte auch Fritz, Georg: Die Zentralkarolinische Sprache. Grammatik, Übungen u. Wörterbuch der Mundart der westlich von Truk liegenden Atolle, insbesondere der Saipan-Karoliner, Berlin 1911. Vgl. Hiery, Schule und Ausbildung, S. 218. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 174 (auch für das Zitat). Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 174 (auch für das Zitat). Amtlicher Jah­ resbericht (1912/1913), S. 181. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 174.

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pan auch potentielle Hilfskräfte anderer Inseln zu sprachlichen Mittels­ personen ausgebildet wurden.446 Im Schuljahr 1912/1913 stammten von 24 Schülern zum Beispiel zehn von der westkarolinischen Insel Yap, wo es keine regierungseigene Schule für diesen Zweck gegeben hatte.447 Die Einführung des Dolmetscherunterrichts und auch der Beginn von Deutschunterricht für einheimische Polizeisoldaten (ebenfalls im Schul­ jahr 1912/1913) durch Höfer sind nun als Zeichen zu werten, die sprach­ politischen Anstrengungen trotz geringen Verbreitungserfolges nicht auf­ zugeben.448 Im letzten von den Berichten erfassten Schuljahr vor dem Aus­ bruch des Ersten Weltkrieges 1913/1914 leitete schließlich Höfer die Schu­ le und unterrichtete in der Dolmetscherklasse, während der im Februar 1913 auf Saipan eingetroffene Lehrer Vogt die oberste Schulklasse unter­ richtete.449 Auch personell wurden die Bemühungen zur Verbreitung des Deutschen also ausgebaut, wobei Vogt natürlich auch deswegen angestellt worden war, um dem einzigen deutschen Lehrer Höfer die Möglichkeit zu geben, von April bis November 1913 in den Heimaturlaub zu gehen.450 Die Anstellung eines weiteren Lehrers war außerdem eine Reaktion auf die weiterhin steigende Schülerzahl, die im Schuljahr 1912/1913 385 Schüle­ rinnen und Schüler erreicht hatte.451 Im März 1914 besuchten schließlich insgesamt 517 Schülerinnen und Schüler die Schulen in Saipan, hiervon 39 die Schule in Tanapag und 478 diejenige in Garapan.452 Es ist davon auszugehen, dass neben der beständigen Werbung für den Schulbesuch

446 Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 181 (auch für das Zitat). 447 Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 181. Die Regierungsschule in Saipan. Aus dem Schulbericht über das Schuljahr 1913/14, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 11 (1914), S. 199–201, hier: S. 200. 448 Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 181. 449 BArch, R 174-F/80028, S. 26, Bd. 1, Bl. 3. Personalien, in: DKB, Jg. 23 (1912), S. 1186. Personalien, in: DKB, Jg. 24 (1913), S. 580. Nachweisung über den Per­ sonenverkehr, in ADNG, Jg. 5, Nr. 3 (1913), S. 19–20, hier: S. 20. Nachweisung über den Personenverkehr, in ADNG, Jg. 5, Nr. 4 (1913), S. 23. Die Regierungs­ schule Saipan, S. 200. Vgl. Hardach, König Kopra, S. 176. Über Herrn Vogt geben die Quellen ebenso wie über Franz Dwucet kaum eine Auskunft. 450 BArch, R 1001/9790, Bl. 31 sowie Gouvernement Deutsch-Neuguinea an RKA am 29.12.1912, Station Saipan an RKA am 12.4.1913, Höfer an RKA am 19.5.1913 und am 2.10.1913, RKA an Höfer am 5.6.1913. Personalien, in: DKB, Jg. 24 (1913), S. 473, 1028. 451 Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 181. 452 Die Regierungsschule Saipan, S. 200.

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3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

auch die Sprachfestlegungen eine gewisse Sogwirkung, wie sie statusplane­ rische Maßnahmen im Allgemeinen zu entfalten suchen, auslöste.453 Zusammenfassend ist also festzustellen, dass die sprachpolitischen Am­ bitionen wesentlich mit der Schultätigkeit verknüpft waren und den Un­ terricht an der Schule in Garapan beeinflussten. Doch nicht nur in dieser Schule, sondern auch in der regierungseigenen Schule in Namanula und in den weit verstreuten Missionsschulen verband die koloniale Verwaltung den Unterricht mit sprachpolitischen Zielen. Von diesen beiden Bereichen steht im folgenden Abschnitt zunächst die Schule in Namanula im Fokus der Darstellung, deren Charakter neben der Erfüllung sprachpolitischer Zielvorgaben auch das Ergebnis der Vernetzung innerhalb der deutschen Siedlerschaft im „Alte[n] Schutzgebiet“ war.454

3.3.2 Die zweifache Regierungsschule in Namanula Der Zweck der kolonialen Schule in Namanula war von Beginn an ein doppelter. Sowohl das Schulkonzept von Albert Hahl, das dieser im Okto­ ber 1904 im den Gouverneur beratenden Gouvernementsrat vorstellte, als auch das im Frühjahr 1905 von der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) vorgetragene Schulkonzept beinhalteten die Forderung nach einer Schule für Indigene und einer Schule für Nicht-Indigene.455 Mit beiden Schular­ ten gingen jeweils eigene Zweckbestimmungen einher. In der Schule für Nicht-Indigene sollte nach den Vorstellungen Hahls vor allem denjenigen Kolonisten ein nationales Schulangebot gemacht werden, die ihre Kinder in Ermangelung lokaler Möglichkeiten bislang nach Australien schickten und so in Kauf nähmen, dass diese „als vollendete Australier [wiederkeh­ ren]“.456 Die Schule für Indigene sollte hingegen sowohl sprachpolitischen Zielen dienen als auch Hilfskräfte für die Verwaltung, kleine Unterneh­

453 Vgl. Marten, Sprach(en)politik, S. 24–27. 454 Amtlicher Jahresbericht, DNG BA/KW (1906/1907), S. 1 (für das Zitat). 455 BArch, R 1001/2756, Bl. 11–15. BArch, R 1001/3103, Bl. 69–70. Vgl. Hiery, Schule und Ausbildung, S. 223. In den Quellen und unter anderem auch bei Hiery wird für die Schule für Nicht-Indigene der Begriff „Europäerschule“ verwendet. Dieser ist analytisch allerdings nicht haltbar, da in den Ideen zu dieser Schule insbesondere die Abgrenzung vom Schulunterricht für Indigene im Zentrum stand und letztlich etwa auch Nicht-Europäer die Schule besuch­ ten. Verwendet wird hier darum der Begriff der Nicht-Indigenenschule, ebd. Beachte hierzu auch Kapitel 4.2.1. 456 BArch, R 1001/2756, Bl. 19–20 (für das Zitat: Bl. 19).

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mer und Handwerker ausbilden.457 Dabei war insbesondere die sogenann­ te ‚Sprachenfrage‘ höchst umstritten. Einige deutsche Kolonisten forderten 1903 vehement die Verbreitung der deutschen Sprache und eine entspre­ chende Ausrichtung der Schule für Indigene.458 Hahl erachtete jedoch einerseits die lokale Bevölkerung für nicht fähig, umfassend Deutsch zu lernen, und verfolgte andererseits den paternalistischen Ansatz, dass die Kolonisten nur durch das Lernen indigener Sprachen Einblicke in die Kultur der Kolonisierten erhielten.459 Trotz einer hitzigen Debatte, die in den Jahren 1903 und 1904 in Briefen und in deutschen sowie australischen Tageszeitungen ausgefochten wurde, blieb Hahl in der Abwägung der Schulkonzepte im Juni 1905 bei seiner Auffassung, dass eine Schule für Indigene nicht dem Zweck der Verbreitung der deutschen Sprache zu die­ nen habe.460 Die Unterrichts- und später auch Verkehrssprache sollte nach seinen Vorstellungen vielmehr eine lokale Sprache, das Kuanua, zeitgenös­ sisch „Sprache der Blanchebucht“ genannt, sein.461 Dabei verwies Hahl insbesondere auf die Bereitschaft der Kolonisten in Niederländisch-Indien, Malaysisch zu lernen, an denen man sich ein Vorbild nehmen solle.462

457 458 459 460

BArch, R 1001/2756, Bl. 19–20. BArch, R 1001/2946, Bl. 5–45. BArch, R 1001/2756, Bl. 19–20. BArch, R 1001/2946, Bl. 5–45. BArch, R 1001/2756, Bl. 19–20. Zur Debatte, in der auch der Gegensatz der deutschen und der englischen Sprache im Alltag eine gewichtige Rolle spielte, beachte BArch, R 1001/3133, passim. 461 BArch, R 1001/2946, Bl. 5–45 (für das Zitat: Bl. 6). Als Blanchebucht bezeichne­ te man die nordöstliche Halbinsel (Gazelle-Halbinsel) der Insel Neu-Pommern (Neu-Britannien). 462 BArch, R 1001/2946, Bl. 5–45. Die Kolonialpolitik in Niederländisch-Indien lag unter besonderer Beobachtung der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes und später auch des Reichskolonialamtes. Im amtlichen Deutschen Kolonialblatt erschienen auch einige Artikel zum dortigen Schulwesen. Aller­ dings fanden entsprechende Informationen über die Nachbarkolonie keine Erwähnung in Debatten über schulpolitische Entscheidungen in Deutsch-Neu­ guinea, BArch, R 1001/7314, Bl. 4–5, 10, 29–32, 37, 64, 67–68, 72, 166. BArch, R 1001/7315, Bl. 37–40. Etat von Niederländisch-Indien für das Jahr 1901, in: DKB, Jg. 11 (1900), S. 836. Ueber die Eingeborenen-Schulen in NiederländischIndien, in: DKB, Jg. 13 (1902), S. 267–268. Unterrichtswesen in NiederländischIndien, in: DKB, Jg. 17 (1906), S. 82–83.

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3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

Unterricht für Indigene in Namanula: Sprachpolitik und Handwerkerausbildung Zur zweiten Gründung gelangte die koloniale Schule in Deutsch-Neugui­ nea im September 1907 zunächst als Schule für Indigene. Sie bezog einen 1906 begonnenen Neubau oberhalb des Ortes Rabaul, wo ab 1909 die Gouvernementsverwaltung ansässig war.463 Das Gebäude enthielt im Un­ tergeschoss einen großen Unterrichtsraum und im Obergeschoss einen Schlafsaal für die ausschließlich männlichen Schüler.464 Anders als etwa in Bonamandone (Kamerun), wo der Lehrer Theodor Christaller im Oberge­ schoss des Schulhauses gewohnt hatte, war in diesem Fall für den Lehrer eine separates Gebäude errichtet worden, das an den Schulgarten angrenz­ te. Als Schulleiter hatte die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt im Frühjahr 1907 mit Paul Barschdorff einen auslandsschulerfahrenen Volks­ schullehrer verpflichtet, der im April 1907 in Namanula eintraf.465 Gemäß seines Annahmeerlasses sollte Barschdorff, dem die Kolonialabteilung das seinerzeit übliche Gehalt eines kolonialen Lehrers in Höhe von 4.800 M zusagte, im ersten halben Jahr vor Ort zum einen zunächst Kuanua lernen und einheimische Hilfslehrer anwerben und zum anderen als fachkundige Person die Einrichtung der Schule organisieren.466 Ferner sollte er einen

463 Amtlicher Jahresbericht, DNG BA/KW (1906/1907), S. 8. Beachte eine Fotogra­ phie des Schulgebäudes in Buschmann, Rainer F.: Paul Barschdorff in German New Guinea, https://www.oceanicart.com/PROVENANCE/Paul-Barschdorff/1 (Abruf am 19.1.2021). 464 Amtlicher Jahresbericht, DNG BA/SI/KW (1907/1908), S. 38. Beachte Kapi­ tel 2.1.5. 465 DHM DO 77/373.7. DHM DO 90/1016 (AAKA an Barschdorff am 2.2.1907). Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 18 (1907), S. 658. Paul Barschdorff (geb. am 25.12.1875) stammte aus dem schlesischen Langen­ bielau (heute Bielawa, Polen) und war Sohn eines Webermeisters. Er besuchte das Lehrerseminar in Münsterberg (Schlesien, heute Ziębice, Polen) sowie in Ütersen (preuß. Provinz Schleswig-Holstein) und legte seine letzte Prüfung im Februar 1899 ab. Anschließend arbeitete er für fünf Jahre an der Deutschen Mit­ telschule in Valdivia, Chile, und an einem dortigen Lehrerseminar. 1905 kehrte er zurück in seine schlesische Heimat und war bis Februar 1907 Schulleiter einer evangelischen Volksschule in Langenbielau, DHM DO 77/373.3, 8–10, 13, 21. Vgl. Baumann et al., Biographisches Handbuch Deutsch-Neuguinea, S. 18. Buschmann, Paul Barschdorff in German New Guinea. Siehe für Fotographien letzteres sowie Hiery, Hermann Joseph: Die deutschen Kolonien in der Südsee, in: Gründer, Horst; Hiery, Hermann Joseph (Hg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick, Berlin 2017, S. 89–122, hier: S. 107. 466 DHM DO 90/1016 (AAKA an Barschdorff am 2.2.1907).

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Lehrplan aufstellen, der dann die im Volksschulunterricht üblichen Fä­ cher (Lesen, Schreiben, Rechnen, Anschauungsunterricht, Heimatkunde, Singen und Turnen) enthielt.467 Im ersten Schuljahr (16.7.1907–6.8.1908) besuchten zunächst 27 Schüler Barschdorffs Unterricht, der am Vormittag im Schulhaus und am Nach­ mittag im Schulgarten oder auf den Freiflächen (Turnen) stattfand.468 Das Einzugsgebiet der Schule umfasste bei Schulbeginn die „Dörfe[r] der näheren Umgebung“.469 Ab Oktober 1907 besuchten zudem Schüler aus Bougainville die Schule, sodass die Schülerzahl zum Schuljahresende auf 40 gestiegen war.470 Mit der Aufnahme der auswärtigen Schüler zeigten sich indes auch in Namanula die Konsequenzen der statusplanerischen Entscheidung, eine bestimmte Lokalsprache als verbindliche Schulsprache auch für Nicht-Muttersprachler festzulegen. Denn wie die karolinischen Schüler auf Saipan nicht Chamorro sprachen, sprachen die von den Salo­ mon-Inseln stammenden Schüler nicht Kuanua. Zu Beginn des zweiten Schuljahres, welches mit 60 Schülern, von denen (nur) die Hälfte der Schüler Kuanua als Muttersprache verwandte, begann, führte Barschdorff darum zusätzliche Sprachstunden für die andere Hälfte der Schülerschaft ein.471 Diese Maßnahme brachte in den nächsten Jahren jedoch keinen Erfolg, woraufhin sich Schulleiter Barschdorff und Gouverneur Hahl zu einem bemerkenswerten sprachpolitischen Paradigmenwechsel entschie­ den.472 Sie reduzierten ab dem Schuljahr 1911/1912 die Unterrichtszeit für das Kuanua drastisch auf nur noch zwei Wochenstunden und erklärten das Deutsche, dessen Unterrichtszeiten ausgeweitet wurden, zur neuen Unter­

467 DHM DO 90/1016 (AAKA an Barschdorff am 2.2.1907). Amtlicher Jahresbe­ richt, DNG BA/SI/KW (1907/1908), S. 38. Für die in den einzelnen Fächern behandelten Themen beachte ebd. sowie BArch, R 1001/2756, Bl. 41–42. Die Regierungsschule in Simpsonhafen, in: DKB, Jg. 20 (1909), S. 404–405. 468 Barschdorff, Paul: Jahresbericht der Regierungsschule in Simpsonhafen, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 10 (1909), S. 78–79, hier: S. 78. Amtlicher Jahresbericht, DNG BA/SI/KW (1907/1908), S. 38. 469 Amtlicher Jahresbericht, DNG BA/SI/KW (1907/1908), S. 10 (auch für das Zi­ tat). 470 Barschdorff, Jahresbericht der Regierungsschule in Simpsonhafen, S. 78. Amtli­ cher Jahresbericht, DNG BA/SI/KW (1907/1908), S. 38. 471 Barschdorff, Jahresbericht der Regierungsschule in Simpsonhafen, S. 78. Beach­ te auch den vorherigen Abschnitt sowie die Statistik der Schülerschaft in An­ hang Nr. 23. 472 Schulverein. Am 25. März fand…, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 7 (1911), S. 62–63, hier: S. 63.

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richtssprache.473 Hahl begründete diese Entscheidung in einer Sitzung des Gouvernementsrates im August 1911 das Scheitern kaschierend mit einer Effizienzsteigerung. Durch den sofortigen Beginn des Deutschunterrichts nach Eintritt eines Schülers in die Schule könne man rasch erkennen, ob sich dieser in der Sprache der Kolonisatoren bewähre. Bislang habe die Schulleitung zu viele Schüler, die gut Kuanua gelernt, dann aber im Deutschunterricht versagt hätten, zu Beginn des vierten Schuljahres, in dem bislang der Deutsch-Unterricht einsetzte, entlassen müssen.474 Letzt­ lich ging es Hahl aber wohl insbesondere darum, weitere Maßnahmen gegen das Pidgin-Englisch zu ergreifen, das anstelle des Kuanua vor al­ lem zwischen Kolonisten und Indigenen Anwendung fand. Barschdorff wiederum nannte in seinem Schulbericht vom 25. September 1912 als Beweggrund des Wechsels schlicht die Misserfolge im Sprachunterricht, enthielt sich aber auch nicht eines Ergehens in rassistischen Überlegungen, inwiefern die verschiedenen Sprachgruppen über unterschiedliche natürli­ che Begabungen verfügten. Insbesondere die Kuanua-Muttersprachler hielt er nicht ob der offensichtlichen Sprachübereinstimmung, sondern „einer Jahrzehnte langen Berührung mit dem Weißen“ für besonders befähigt, die sprachpolitisch gesetzten Schulziele zu erreichen.475 Paul Barschdorff hatte während beider Phasen der Sprachpolitik nicht nur Anteil an deren praktischer Umsetzung im Unterricht, sondern auch an der politischen Entscheidungsfindung und der theoretischen Vorberei­ tung der Sprachpolitik. So war er eines von drei Mitgliedern der Kommissi­ on für Rechtschreibung der Eingeborenensprache, deren Arbeitsergebnisse im Januar 1910 in eine amtliche Rechtschreibanweisung für das Kuanua mün­ deten. Diese enthielt sowohl eine orthographische Normierung des bei Gericht, im Schulunterricht und im Schriftverkehr zu verwendenden Al­ phabets als auch eine Regelung zur Zusammen- und Getrenntschreibung von Worten.476 Zwar veröffentlichte Barschdorff keine eigene Grammatik oder ein Wörterbuch, doch auch er produzierte wie andere koloniale Leh­ rer aus dem gewonnenen Wissen über die auserwählte Sprache Lehrmittel

473 Barschdorff, Paul: Von der Regierungsschule in Namanula, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 18 (1911), S. 203. Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 156. 474 Bericht zur 8. Gouvernementsratssitzung der IV. Sitzungsperiode am 22. und 24. August 1911 im Gouvernementsgebäude. (Schluss), in: ADNG, Jg. 3, Nr. 19 (1911), S. 206–209, hier: S. 207. 475 Barschdorff, Paul: Von der Regierungsschule, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 20 (1912), S. 213–215, hier: S. 213–214 (für das Zitat: S. 214). 476 Anweisung betreffend die Rechtschreibung der Eingeborenen Sprache, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 3 (1910), S. 23–24.

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in dieser Sprache und transportierte damit die kolonialen exogrammatika­ lischen Festlegungen in den Schulalltag der Schüler. Konkret fertigte er in lokaler Auflage Lesebücher an, die Übersetzungen deutscher Texte ins Kuanua enthielten.477 Schließlich war Barschdorff nach der Umstellung der Schulsprache auf das Deutsche auch Mitglied einer Kommission des Gouvernementsrates, die weitere Maßnahmen zur Verbreitung des Deut­ schen insbesondere gegen das Pidgin-Englisch erarbeiten sollte.478 Diese Kommission zur Förderung der deutschen Sprache empfahl einen öffentlichen Appell an die Kolonisten, sich der deutschen Sprache zu bedienen, bekräf­ tigte die Festlegung des Deutschen als Unterrichtssprache und forderte eine erhebliche Steigerung der Etatmittel zur Unterstützung privater und missionarischer Maßnahmen, die dazu geeignet waren, das Deutsche zu verbreiten. Gouverneur Hahl hatte 1913 zudem auf Basis des Berichtes durch Barschdorff das Curriculum und die Schulordnung überarbeiten lassen.479 Dieser flankierte im Januar 1914 die Bemühungen des Gouverne­ ments durch einen Aufsatz im lokalen Amtsblatt, in dem er insbesondere die Unzulänglichkeiten des Pidgin-Englisch zur Konversation herausstellte und die deutsche Sprache als Kulturgeschenk an die indigene Bevölkerung beschrieb.480 Überdies bot er einen deutschen Grundwortschatz an, der Indigenen zuerst und bevorzugt beizubringen sei.481 All diese Maßnahmen zeigen nicht nur die wesentliche Involvierung des Lehrers der kolonialen Schule in Namanula in die koloniale Sprachpolitik. Sie zeigen auch, dass bei den Kolonisten, wenn etwa eine Kommission schon öffentliche Auf­ rufe empfehlen musste, noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten war, um auch diese vom Gebrauch des vereinfachten Englisch in der All­ tagskommunikation abzubringen. Auch nähren die Maßnahmen Zweifel

477 Schulverein. Am 25. März fand…, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 7 (1911), S. 62–63, hier: S. 63. Vgl. Zimmermann, Missionarslinguistik in kolonialen Kontexten, S. 181– 182. Beachte insbesondere Kapitel 2.1.5, 2.2.2 und 2.2.3. 478 Bericht über die 5. Gouvernementsratssitzung der V. Sitzungsperiode am 26. Februar 1913 im Gouvernementsgebäude zu Rabaul, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 6 (1913), S. 39–49, hier: S. 48–49. 479 BArch, R 1001/2756, Bl. 154. Bericht über die 7. Gouvernementsratssitzung der V. Sitzungsperiode am 13. November 1913 im Gouvernementsgebäude zu Rabaul, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 23 (1913), S. 251–266, hier: S. 255 (auch für das Zitat). 480 Barschdorff, Paul: Deutsche Sprache im deutschen Lande, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 2 (1914), S. 24–27, hier: S. 24–25. 481 Barschdorff, Deutsche Sprache im deutschen Lande, S. 25–27.

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am raschen Unterrichtserfolg im Sprachunterricht, wie ihn etwa Hiery konstatiert.482 Neben den sprachpolitischen Bemühungen standen in Namanula mehr als in Garapan praktische Unterrichtsaspekte im Zentrum der Schultätig­ keit. In der Anfangszeit der Schule umfasste der praktische Unterricht die Arbeit im Schulgarten, was der eigenen Versorgung mit Lebensmitteln diente, landwirtschaftliche und gartenbauliche Fähigkeiten vermitteln und zudem erzieherische Zwecke erfüllen sollte. Denn durch die nachmittäg­ liche Beschäftigung der Schüler im Garten kehrten diese nicht in ihr ur­ sprüngliches soziales Umfeld zurück, sondern standen den gesamten Tag unter der Aufsicht des Lehrers.483 Mit Beginn des zweiten Schuljahres be­ gann Barschdorff dann in gewisser Ähnlichkeit zur Tätigkeit Paul Blanks in Tanga (Deutsch-Ostafrika) mit dem Aufbau einer Setzerei und einer Druckerei als fester Bestandteil der Schule.484 Zwölf Schüler bildeten die erste Belegschaft, und ab dem 15.1.1909 setzten und druckten diese das neu etablierte lokale Amtsblatt.485 Außerdem erledigten die Setzerei und die Druckerei die Herstellung der von Barschdorff konzipierten Lesebü­ cher, produzierten die in der Verwaltung genutzten Formulare sowie wei­ tere amtliche Publikationen. Zudem nahmen sie auch private Druckaufträ­ ge an.486 Gewöhnlich wurden Schüler, die ihre Ausbildungszeit in den beiden Gewerken absolviert hatten, anschließend in einem Lohnverhältnis weiterbeschäftigt.487 Zum Schuljahr 1911/1912 eröffnete Barschdorff dann mit einer Buchbinderei einen weiteren schulischen Handwerksbetrieb, in dem Schüler allerdings nicht nur aus den Druckerzeugnissen Bücher 482 Vgl. Hiery, Schule und Ausbildung, S. 224–225. 483 Barschdorff, Jahresbericht der Regierungsschule in Simpsonhafen, S. 79. Amtli­ cher Jahresbericht, DNG BA/SI/KW (1907/1908), S. 38. 484 Barschdorff, Jahresbericht der Regierungsschule in Simpsonhafen, S. 79. Beach­ te Kapitel 3.2.5. 485 Barschdorff, Jahresbericht der Regierungsschule in Simpsonhafen, S. 79. Amtli­ cher Jahresbericht (1909/1910), S. 170. 486 Barschdorff, Paul: Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschulen in Namanula. (1. April 1912–31. März 1913), in: ADNG, Jg. 5, Nr. 8 (1913), S. 69– 73, hier: S. 72. Barschdorff, Paul: Überblick über das Fortbildungswesen im Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 7 (1914), S. 110–112, hier: S. 112. Schulverein. Am 25. März fand…, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 7 (1911), S. 62–63, hier: S. 63. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 159. Amtlicher Jah­ resbericht (1911/1912), S. 156. Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 181. 487 Barschdorff, Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschulen in Nama­ nula. (1. April 1912–31. März 1913), S. 72. Barschdorff, Überblick über das Fort­ bildungswesen im Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea, S. 112. Schulverein. Am 12. April 1912 fand…, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 8 (1912), S. 101.

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3. Reorganisation und Vernetzung

herstellten, sondern gleichzeitig auch Schreibmaschinenunterricht erhiel­ ten.488 Dieser Zweig des praktischen Unterrichtsbetriebes war demnach klar auf eine spätere Hilfstätigkeit in der Verwaltung ausgerichtet.489 Bar­ schdorff nahm dabei in Kauf, dass bei diesen Tätigkeiten die Fähigkeiten in der Buchbinderei an sich keine praktische Relevanz mehr hatten, sah in ihr aber eine Tätigkeit, die wie „wohl kaum eine andere Arbeit“ exaktes Ar­ beiten trainiere.490 Auch die Buchbinderei war also nicht nur Ausbildungsund Handwerksbetrieb, der wie die Druckerei zudem private Aufträge ausführte491, sondern auch Bestandteil des Erziehungskonzeptes. Für die ebenfalls der Schule zugeordnete allgemeine Handwerkeraus­ bildung (insbesondere in den Gewerken der Tischlerei und der Schlosse­ rei) verzichtete Gouverneur Hahl auf die Anstellung eines Handwerkerleh­ rers, wie es etwa in Deutsch-Ostafrika gehandhabt wurde.492 Stattdessen sollte Paul Barschdorff während seines ersten Heimaturlaubs, den dieser am 9. Mai 1910 antrat, an einer handwerklichen Weiterbildung teilneh­ men.493 Sein Ziel war das Leipziger Lehrerseminar für Knabenhandarbeit, wo er am 26. August 1910 einen Kurs bestehend aus Inhalten zur Tischle­ rei, zur Schlosserei und zur Buchbinderei abschloss.494 Anschließend und noch während seines Heimaturlaubes wandte sich Barschdorff an Albert Hahl und legte diesem ein Konzept für den zukünftigen Handwerkerun­ terricht an der Schule in Namanula vor. Neben der Druckerei sollte eine Tischlerei und eine Schlosserei für jeweils 12 Schüler eingerichtet werden. Zudem wollte Barschdorff noch vor seiner Wiederausreise in die Kolonie die entsprechenden Einrichtungsgegenstände beschaffen sowie den Trans­ port organisieren.495 Seitens des Reichskolonialministeriums trug man zwar Bedenken bezüglich der finanziellen Spielräume im laufenden Etat vor, gab aber letztlich unter expliziter Zuschreibung der Verantwortung

488 Barschdorff, Von der Regierungsschule in Namanula, S. 203. Barschdorff, Paul: Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschule in Namanula. (1. April 1913–31. März 1914), in: ADNG, Jg. 6, Nr. 8 (1914), S. 134–137, hier: S. 137. 489 Barschdorff, Überblick über das Fortbildungswesen im Schutzgebiet DeutschNeuguinea, S. 112. 490 Barschdorff, Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschulen in Nama­ nula. (1. April 1912–31. März 1913), S. 72 (auch für das Zitat). 491 Die Buchbinderabteilung…, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 23 (1911), S. 250. 492 Beachte Kapitel 2.1.5. 493 Personalnachweisung, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 10 (1910), S. 80. Sitzungsbericht über die 5. Gouvernementsratssitzung der IV. Sitzungsperiode, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 9, (1910), S. 66–68, hier: S. 68. 494 BArch, R 1001/2756, Bl. 65–68. 495 BArch, R 1001/2756, Bl. 65–68.

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3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

für etwaige Postenüberschreitungen an die Gouvernementsverwaltung die Zustimmung zur Verwendung der Mittel.496 Die Initiativen zur Umset­ zung der Pläne kamen also insbesondere von Hahl, der politische Verant­ wortung für etwaige Etatüberschreitungen zu übernehmen bereit war, und von Barschdorff, der diese dienstlichen Angelegenheiten während seines Urlaubs regelte. Barschdorff reiste zudem in Begleitung eines indigenen Lehrers namens Mono, wodurch der Urlaub hinsichtlich des Dienstaspek­ tes der Lehrerausbildung ebenfalls nicht als solcher bezeichnet werden kann. Mono nahm ebenfalls am Handwerkerkurs teil und gehört damit zu einem der seltenen Fälle, in denen ein indigener Lehrer im Zusam­ menhang mit seiner Lehrtätigkeit in einer deutschen kolonialen Schule einen Teil seiner Ausbildung in Deutschland verbrachte.497 Mit insgesamt 30 Schülern der obersten Klasse nahm Barschdorff ab dem Schuljahr 1911/1912 dann den Handwerkerunterricht auf.498 Nachdem er – wohl gemeinsam mit seinem Kollegen Mono, obgleich dieser in den Berichten kein einziges Mal erwähnt wird – in der Anfangszeit zunächst Werkzeug­ kunde unterrichtete, entwickelte sich insbesondere die Tischlerei zu einer weiteren Betriebsstätte, in der Leistungen für die Einrichtungen des Gou­ vernements erbracht wurden. So fertigten die Schüler Schulbänke sowie Regale und reparierten Einrichtungsgegenstände.499 Außerdem errichteten sie im Schuljahr 1913/1914 auf dem Schulgelände neun Wohngebäude für Schüler und angestellte Handwerker.500 Diese Entwicklung steht insbesondere im Kontrast zu derjenigen in Garapan. Dort bildete die örtliche Verwaltung Handwerker nicht direkt aus, sondern sandte sie nach Tsingtau (Qingdao) in Kiautschou, der deut­ schen Kolonie an der ostchinesischen Pazifikküste. In den dortigen deut­ schen Werftbetrieben wurden, nachdem die Kolonialabteilung 1905 einen entsprechenden Antrag des Bezirksamtes Saipan abgelehnt hatte, ab 1907 regelmäßig etwa drei Schüler der Schule in Garapan ausgebildet, um an­ schließend für die örtliche Verwaltung zu arbeiten.501 Die Verwaltung Sai­

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BArch, R 1001/2756, Bl. 69–73. BArch, R 1001/2756, Bl. 74–75. Barschdorff, Von der Regierungsschule in Namanula, S. 203. Barschdorff, Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschulen in Nama­ nula. (1. April 1912–31. März 1913), S. 72–73. Schulverein. Am 12. April 1912 fand…, S. 101. 500 Barschdorff, Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschule in Namanu­ la. (1. April 1913–31. März 1914), S. 137. 501 BArch, R 1001/2757, Bl. 25. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 186. Amtli­ cher Jahresbericht (1910/1911), S. 174. Vgl. Hardach, König Kopra, S. 176.

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pans orientierte sich also eher in den Nordpazifik als zur Gouvernements­ zentrale im südlichen Rabaul und schuf eine entsprechende Vernetzung. Der Schulleiter von Garapan, Hermann Höfer, wollte allerdings auch selbst Handwerker ausbilden und beantragte darum im Zuge der Vorbe­ reitungen seines Heimaturlaubes Mitte des Jahres 1913 die Zustimmung der Behörden zu einer entsprechenden Weiterbildung in Leipzig.502 Belege für einen Kontakt zu Paul Barschdorff, der an gleicher Stelle seine Weiter­ bildung absolviert hatte, finden sich in den vorliegenden Akten nicht. Sicheren Einfluss auf seine Motivation zur Fortbildung hatten aber wohl die Eindrücke einer zweiwöchigen Reise in die US-amerikanische Nach­ barkolonie Guam, die Höfer im Dezember 1912 unternommen hatte.503 In seinem Bericht über die Reise, die explizit als interimperialer Wissens­ austausch angelegt war, äußerte er sich ausführlich zur Handwerkerausbil­ dung und übte negative Kritik an deren institutioneller Entkoppelung von der Elementarbildung in Guam.504 In gewisser Weise offenbarte sich Höfer damit als früher Vertreter eines – anachronistisch ausgedrückt – dualen Ausbildungssystems, wie es die Handwerkerschulen in den deutschen Ko­ lonien zumindest in der Verfolgung des Grundsatzes der Verbindung von Theorie und Praxis waren.505 Letztlich verhinderte wohl der Ausbruch des Ersten Weltkrieges den Ausbau der Schule in Garapan um eine Handwer­ kerabteilung, denn in den vorbereiteten Beratungen im Gouvernementsrat für den Etat 1915 wurde eine entsprechende Erweiterung des „Fortbil­ dungsschulwesens“ auf Saipan, wie die berufsorientierte Schulausbildung allgemein bezeichnet wurde, einvernehmlich beschlossen.506

502 BArch, R 1001/9790 (Station Saipan an RKA am 12.4.1913, Höfer an RKA am 5.6.1913 und am 2.10.1913). Höfer brach im Oktober 1913 in Genua zur Rückkehr nach Saipan auf, BArch, R 1001/9790 (RKA an Höfer am 5.6.1913, Höfer an RKA am 2.10.1913). Personalien, in: DKB, Jg. 24 (1913), S. 1028. 503 Höfer, Hermann: Bericht über Guam, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 14 (1913), S. 176– 178. Höfer, Hermann: Bericht über Guam. (Fortsetzung), in: ADNG, Jg. 5, Nr. 15 (1913), S. 188–190. 504 Höfer, Bericht über Guam, S. 176. Höfer, Bericht über Guam. (Fortsetzung), S. 190. 505 Zur Handwerkerausbildung in Deutsch-Ostafrika beachte etwa Kapitel 3.2.5. 506 Bericht über die 1. Gouvernementsratssitzung der VI. Sitzungsperiode am 6. Fe­ bruar 1914 im Gouvernementsgebäude zu Rabaul, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 6 (1914), S. 76–90, hier: S. 78–80 (für das Zitat: S. 80).

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Unterricht für Nicht-Indigene in Namanula: Vereine und Verbände In den Quellen zur kolonialen Schule in Namanula ist stets von zwei Schu­ len die Rede, von der „Eingeborenenschule“ und der „Europäerschule“.507 In dieser suggerierten institutionellen Trennung drückt sich der koloniale Gegensatz von Indigenen und Nicht-Indigenen, von Fremdem und Eige­ nem aus. Sie war schon Bestandteil der ersten Schulkonzepte von Gouver­ neur Hahl und der Deutschen Kolonialgesellschaft und reflektiert in den verschiedenen Zweckzuschreibungen die beabsichtigten gesellschaftlichen Statusunterschiede von Kolonisten und Indigenen.508 Es spricht allerdings einiges dafür, die Schule in Namanula vielmehr als eine Schule mit zwei Unterrichtsbereichen zu charakterisieren, die gewisse Eigenständigkeit be­ saßen, institutionell aber eng verflochten waren und bei denen die Grenze zwischen der indigenen und der nicht-indigenen Bevölkerung durchlässig war. Dies bedeutet nicht, dass sich in der Einschätzung der Zeitgenossen hinsichtlich der Inferiorität, die sie der indigenen Bevölkerung zuschrie­ ben, etwas änderte. Im Folgenden wird ersichtlich werden, dass es trotz der ideologischen Grenze institutionell sowie in der Schulpraxis zahlreiche Überschneidungen und Vermischungen beider Bereiche gab und man des­ halb den Unterricht und nicht die Schule trennen sollte. Der erste Unterricht für Nicht-Indigene in der regierungseigenen Schu­ le von Namanula begann am 19. April 1909 und wurde von dem Ende 1908 angestellten Lehrer Jesper geleitet.509 Beide Lehrer unterrichteten zunächst für ein Jahr separat in den beiden Abteilungen der Schule, bis Barschdorff im Mai 1910 seinen Heimat- und Fortbildungsurlaub an­ trat.510 Einen Monat zuvor war mit der Lehrerin E. Medenwaldt bereits Barschdorffs Vertretung eingetroffen.511 Frau Medenwaldt übernahm aller­

507 Beachte etwa Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 159 (für die Zitate). 508 BArch, R 1001/2756, Bl. 11–15, 19–20. 509 Am 14. Februar traf…, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 4 (1909), S. 23. Die Schule für Europäer…, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 4 (1909), S. 21. Personalien, in: DKB, Jg. 20 (1909), S. 22. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 170. Zu Herrn Jesper ist leider wenig bekannt. Er verbrachte zunächst eine volle Dienstperiode in Deutsch-Neuguinea (Februar 1909–Februar 1911) und trat während seiner zweiten (ab Juni 1911) Dienstperiode im April 1912 die Heim­ reise nach Deutschland an. Personalnachweisung, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 5 (1911), S. 28. Personalnachweisung, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 12 (1911), S. 136. Nachrichten über den Personenverkehr, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 8 (1912), S. 103. Beachte eine Fotographie in Buschmann, Paul Barschdorff in German New Guinea. 510 Personalnachweisung, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 10 (1910), S. 80. 511 Personalnachweisung, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 8 (1910), S. 64.

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dings nicht dessen Unterricht im Bereich der Indigenen, sondern Jespers Unterricht für Nicht-Indigene. Da die Nicht-Indigenenklasse anders als die Indigenenklasse auch von Mädchen besucht wurde, war ab April 1909 Sel­ ma Backhaus, eine deutsche Kolonistin, als Pensionatsleiterin eingestellt worden.512 Deren Aufgabe übernahm Frau Medenwaldt neben ihrer Lehr­ tätigkeit gemäß der gesellschaftlichen Konvention, dass nur eine Frau ein Pensionat, in dem auch Mädchen wohnten, betreuen dürfe.513 Diese Konvention wirkte also stärker als die Trennung der den beiden Klassen zugeordneten Lehrer. Dass sich die Unterscheidung beider Klassen in sepa­ rate Schulen nicht durch eine strikte Trennung der Lehrkräftezuteilung ausdrückte, zeigt weiterhin, dass sowohl Jesper als auch Barschdorff neben Medenwaldt auch in der Nicht-Indigenenklasse unterrichteten, deren All­ tag also die Verschränkung beider Bereiche ausmachte.514 Blickt man auf die Aufgabenverteilung und die Hierarchie innerhalb des Kollegiums, ist zudem auffällig, dass nach Außen stets Barschdorff als Schulleiter beider Bereiche auftrat. So war er Mitglied der verschiedenen Kommissionen des Gouvernementsrates und beriet damit Gouverneur Hahl in Schulfragen.515 Außerdem lautet der Autorenname in Berichten zur Schulsituation beider Bereiche im lokalen Amtsblatt oder im Deutschen Kolonialblatt, sofern diese einen Autorennamen nannten, stets Barschdorff.516 Faktisch war er also der Leiter einer Schule mit zwei Bereichen.

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Auch über Frau Medenwaldt liegen keine gesonderten biographischen Daten vor. Sie verbrachte gemäß der Personalbewegungsdaten zwei Dienstperioden in Deutsch-Neuguinea und kehrte Mitte des Jahres 1913 nach Deutschland zurück, Nachweisung über den Personenverkehr, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 14 (1912), S. 172. Nachweisung über den Personenverkehr, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 18 (1912), S. 192. Nachweisung über den Personenverkehr, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 10 (1913), S. 107. Personalien, in: DKB, Jg. 24 (1913), S. 580, 745. Beachte allerdings eine Fotogra­ phie bei Buschmann, Paul Barschdorff in German New Guinea. Am 23. März fand…, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 8 (1910), S. 64. Den Mitgliedern des Frauenbundes…, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 8 (1909), S. 67. Schulverein. Am 25. März fand…, S. 62. Siehe auch Die Europäerschule…, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 5 (1912), S. 64. Vorschriften betreffend das Internat der Euro­ päerschule, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 7 (1912), S. 85. Vorschriften betr. das Internat der Europäerschule, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 22 (1913), S. 241. Zur Frage des Geschlechts von Pensionatsbewohnern und -leitern beachte unter anderem Kapitel 2.3.2. Schulverein. Am 25. März fand…, S. 62. Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 156. Siehe oben. Barschdorff, Jahresbericht der Regierungsschule in Simpsonhafen, S. 78–79. Barschdorff, Von der Regierungsschule in Namanula, S. 203. Barschdorff, Von

3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

Des Weiteren war Barschdorff derjenige schulische Vertreter, der dau­ erhaft in den lokalen Vereinsgremien mitarbeitete. Diese waren für die Errichtung und den Betrieb beider Schulbereiche von großer Bedeutung und Ausdruck der Vernetzung amtlicher und gesellschaftlicher Schulinter­ essen. Bereits zur Vorbereitung der Namanulaschule und mit dem Zweck der finanziellen Unterstützung des Indigenenunterrichts hatte sich 1906 ein Schulverein gegründet.517 Diese Zweckbestimmung ist insofern auffäl­ lig, als innerhalb des deutschen Kolonialismus Schulvereine gewöhnlich die Gründung von Schulen für Nicht-Indigene förderten.518 In DeutschNeuguinea trugen die Mitglieder mit dem beträchtlichen Betrag von 8.000 M zum Bau des ersten Schulgebäudes bei und unterstützten ansonsten den laufenden Betrieb beider Schulbereiche.519 Barschdorff war als Schul­ leiter nicht nur steter Berichterstatter auf den Hauptversammlungen des Vereins, sondern ab 1911 auch als Kassierer in wichtiger Funktion Mit­ glied des Vereinsvorstands.520 In enger Kooperation mit dem Schulverein agierte ab März 1909 schließlich eine lokale Abteilung des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft.521 Luise Hahl, die Ehefrau des Gou­ verneurs, hatte im September 1908 einen Aufruf zur Gründung einer solchen Abteilung veröffentlicht und im Vorfeld der Gründung bereits die Unterstützung der Schule als „zur Zeit am dringendsten“ zu verfolgendes Satzungsziel benannt.522 In einer gemeinsamen Sitzung mit dem Schulver­ ein im Anschluss an dessen jährliche Generalversammlung am 21. März 1909 beschlossen die Mitglieder des Frauenbundes dann auf Vorschlag von Luise Hahl zum einen die Übernahme der Besoldung der Internatsleiterin

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der Regierungsschule, S. 213–215. Barschdorff, Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschulen in Namanula. (1. April 1912–31. März 1913), S. 69–73. Barschdorff, Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschule in Namanu­ la. (1. April 1913–31. März 1914), S. 134–137. Schulverein. Bericht über die Hauptversammlung am 17. März 1914, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 7 (1914), S. 110. Beachte Kapitel 2.4, passim, Kapitel 4.1.3 und 4.2.3. Schulverein. Bericht über die Hauptversammlung am 17. März 1914, S. 110. Am 23. März fand…, S. 64. Die satzungsmäßige Generalversammlung des Schulvereins…, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 5 (1909), S. 29. Schulverein. Am 12. April 1912 fand, S. 101. Schulverein. Am 17. April 1913 fand…, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 9 (1913), S. 81–82, hier: S. 82. Schulverein. Am 25. März fand…, S. 63. Schulverein. Bericht über die Hauptversammlung am 17. März 1914, S. 110. Vgl. Walgenbach, Die weiße Frau, S. 89. Zur Tätigkeit des deutschen Hauptver­ eins des Frauenbundes beachte die Kapitel 3.4.3 und 4.2, passim. Der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft in Deutsch-Neuguinea, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 5 (1909), S. 29–31 (für das Zitat: S. 30). Vgl. Loosen, Deutsche Frauen, S. 103–104.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Selma Backhaus. Zum anderen bat Gouverneur Hahl, der ebenfalls an der Sitzung teilnahm, um private Spenden zur Kofinanzierung eines zu­ künftigen Lehrerinnengehalts, woraufhin man noch in der Versammlung entsprechende Zusagen der Mitglieder einholte.523 Eines der Mitglieder war, da der DKG-Frauenbund keineswegs nur Frauen aufnahm, mit der Mitgliedsnummer 30 Paul Barschdorff.524 Vorstandspositionen übernahm er zwar nicht. Sein Kollege Jesper fungierte ab April 1910 jedoch für ein Jahr als Schriftführer im Vorstand.525 Der Schulverein und die Frauenbundabteilung bildeten beinahe eine Einheit. So fanden die Hauptversammlungen beider Vereine ab 1910 stets am gleichen Tag und nur kurze Zeit hintereinander statt.526 Dies

523 Im Anschluss an die…, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 5 (1909), S. 29. Den Mitgliedern des Frauenbundes…, S. 67. Der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft in Deutsch-Neuguinea, S. 31. 524 Am 7. September 1908 erging…, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 20 (1909), Beilage, S. 1–4, hier: S. 3. Tatsächlich war (mit Stand vom 1.10.1909) sogar die große Mehrheit der Mitglieder der DKG-Frauenbundabteilung in Deutsch-Neuguinea männlich: Von 121 Mitgliedern waren 87 Männer und 34 Frauen, ebd., S. 1, 3–4. 525 Am 23. März fand…, S. 64. 526 Am 23. März fand…, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 8 (1910), S. 64. Die satzungsmäßi­ ge Generalversammlung des Schulvereins…, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 4 (1910), S. 36. Die satzungsmäßige Generalversammlung des Schulvereins…, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 6 (1910), S. 52. Die satzungsmäßige Generalversammlung des Schul­ vereins…, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 6 (1911), S. 43. Die satzungsmäßige General­ versammlung des Schulvereins…, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 7 (1912), S. 92. Die sat­ zungsmäßige Generalversammlung des Schulvereins…, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 6 (1913), S. 52. Die satzungsmäßige Generalversammlung des Schulvereins…, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 7 (1913), S. 59. Einladung zur Hauptversammlung…, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 4 (1910), S. 36. Einladung zur Hauptversammlung…, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 6 (1910), S. 52. Einladung zur Hauptversammlung…, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 6 (1911), S. 43. Einladung zur Hauptversammlung…, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 7 (1912), S. 92. Einladung zur Hauptversammlung…, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 6 (1913), S. 52. Einladung zur Hauptversammlung…, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 7 (1913), S. 59. Frauenbund. Am 25. März fand…, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 7 (1911), S. 62. Frauenbund. Am 12. April 1912 fand…, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 8 (1912), S. 100–101. Frauenbund. Am 17. April 1913 fand…, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 9 (1913), S. 82–84. Frauenbund. Einladung zur Hauptver­ sammlung…, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 5 (1914), S. 71. Frauenbund. Einladung zur Hauptversammlung…, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 6 (1914), S. 91. Frauenbund. Bericht über die Hauptversammlung am 17. März 1914, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 7 (1914), S. 109. Schulverein. Am 25. März fand…, S. 62–63. Schulverein. Am 12. April 1912 fand…, S. 101. Schulverein. Am 17. April 1913 fand…, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 9 (1913), S. 81–82. Schulverein. Einladung zur Hauptver­

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3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

spiegelt die gemeinsame Befassung mit dem Thema Schule wider, war aber auch praktisch sinnvoll, da die Führungspersonen beider Vereine untereinander und mit der Gouvernementsleitung eng verflochten waren. Der Vorsitzende des Schulvereins war lange Zeit der Bezirksamtmann von Rabaul, Josef Klug. Sein Nachfolger war ab 1913 sein zeitweiliger Stellvertreter und Regierungsarzt Willy Wick, dessen Ehefrau im Jahr 1911 Luise Hahl, die Ehefrau des Gouverneurs und langjährige Leiterin der Frauenbundabteilung, während ihres Heimaturlaubes als Vorsitzende vertreten hatte. 527 Gouverneur Hahl nahm ebenfalls an den Sitzungen teil, und das, was die Sitzungsberichte und seine Kommunikation mit dem Reichskolonialministerium zur Funktion beider Vereine aussagen, erweckt durchaus den Anschein, als sehe er diese als amtliche Erfüllungsgehilfen in der Schulfinanzierung.528 Treffpunkt der Gouvernementselite war des Weiteren der Rabaul-Klub, dessen Präsident Regierungsarzt Dr. Wick war und dessen „Ziele […] [die] Pflege der Kameradschaftlichkeit, […] des Sports, […] von Kunst und Wissenschaft und vor allem die Förderung des nationalen Gedankens“ umfassten.529 Der Klub setzte sich damit ähnliche Ziele wie der Verein Concordia in Apia (Samoa).530 An den Veranstaltun­ gen des Klubs, die jährlich ein Konzert, Sportveranstaltungen und Spen­ densammlungen umfassten, nahmen auch Paul Barschdorff – meist als Musikgruppenleiter von Männerchören – und sein Kollege Jesper teil.531 Zur Eröffnung seines neuen Klubhauses im März 1910 veranstaltete der Rabaul-Klub zudem ein Konzert, dessen Einnahmen jeweils zur Hälfte der Frauenbundabteilung und dem Schulverein als Spende zukamen.532 Hinter der Schule als Ganzes stand damit eine Gruppe aus Führungsper­ sonen des Gouvernements, welche die verschiedenen amtlichen und ge­ sellschaftlichen Möglichkeiten nutzten, um Menschen und Finanzen zu mobilisieren. Diese Gruppe war es, die vielmehr das vor allem finanziell zurückhaltende Reichskolonialamt zu einem Ausbau der Schule in Nama­

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sammlung…, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 6 (1914), S. 91. Schulverein. Bericht über die Hauptversammlung am 17. März 1914, S. 110. Ebd. BArch, R 1001/2756, Bl. 63–64. Am 23. März fand…, S. 64. Den Mitgliedern des Frauenbundes…, S. 67. 1. Stiftungsfest des Rabaul-Klubs, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 23 (1909), S. 187–188 (für das Zitat: S. 187). Beachte Kapitel 2.3.5. 1. Stiftungsfest des Rabaul-Klubs, S. 188. Stiftungsfest des Rabaul-Klubs, S. 140. Einladung zum Eröffnungskonzert, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 6 (1910), S. 51. OsterKonzert im Rabaul-Klub, in: ADNG, Jg. 2, Nr. 8 (1910), S. 63.

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nula drängte und – wie gesehen – auch dazu bereit war, unabhängig, ob für den Unterricht von Indigenen oder den von Nicht-Indigenen, eigene finanzielle Mittel in Form von Spenden beizutragen. Dafür, dass beide Schulbereiche durchaus nicht strikt getrennt waren, spricht nun letztlich auch die schon 1911 diskutierte Aufweichung der amtlichen Definition, wer die „Europäerschule“ besuchen durfte. Erlaubt wurde der Besuch des Unterrichts für Nicht-Indigene sprachgebräuchlich und im Einzelfall auch für „Kinder von Nichteuropäern in gehobener Lebensstellung“.533 Dass es sich aber dennoch nicht nur um Einzelfälle handelte, lassen zum einen die Fotographien der Schülerschaft534 anneh­ men und zeigt zum anderen die Schülerstatistik etwa für April 1912, die „8 weisse Kinder, 3 Malaien, 2 Malay-Chinesen und 1 Chinese[n]“ auswies.535 Insbesondere die unter der Kategorie „Malay-Chinesen“ geführten Kinder tauchen aber auch in der Schülerstatistik für den Unterricht von Indige­ nen für die Schuljahre 1908/1909 und 1912/1913 auf.536 Schulpraktisch bedeutete dies, dass ab 1912 auch im Unterricht für Nicht-Indigene, wie schon als Reaktion auf die Misserfolge in der Vermittlung des Kuanua an Nicht-Muttersprachler im Indigenenunterricht, zusätzliche Sprachstun­ den für beinahe die Hälfte der Schülerschaft eingeführt wurden.537 Das schulpolitische Nachsteuern karikierte so die vermeintlich harte Grenze von Indigenen und Nicht-Indigenen, und schon in der schulischen Praxis zeigte sich die Realitätsferne dieser kolonialen Dichotomie. Im nächsten Abschnitt liegt der Fokus nun auf dem Verhältnis der beiden kolonialen Schulen in Garapan und in Namanula zu den Schulen der durchaus zahlreichen Missionen in Deutsch-Neuguinea. Außerdem bezieht die Darstellung die im Mai 1909 gegründete Schule für Indigene in Apia (Samoa) mit ein, die insbesondere im Spannungsfeld zwischen kolonialer Verwaltung und der christlichen Mission im Pazifik stand.

533 Bericht zur 8. Gouvernementsratssitzung der IV. Sitzungsperiode am 22. und 24. August 1911 im Gouvernementsgebäude. (Schluss), in: ADNG, Jg. 3, Nr. 19 (1911), S. 206–209, hier: S. 207 (auch für die Zitate). 534 Beachte die Fotographien in Buschmann, Paul Barschdorff in German New Guinea sowie Hiery, Die deutschen Kolonien in der Südsee, S. 107. 535 Schulverein. Am 12. April 1912 fand…, S. 101 (auch für das Zitat). Zur Schüler­ statistik der Nicht-Indigenenklasse beachte Anhang Nr. 24. 536 Schulverein. Am 12. April 1912 fand…, S. 101 (auch für das Zitat). Beachte die Statistik in Anhang Nr. 23. 537 Schulverein. Am 12. April 1912 fand…, S. 101.

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3.3.3 Das Verhältnis zur Mission – Kooperation und Konflikt Etwa zwei Jahre nach der Schulgründung in Namanula erfolgte auch in der pazifischen deutschen Nachbarkolonie Deutsch-Neuguineas in Samoa die Gründung einer Schule für Indigene.538 Dort hatte das ab 1900 exis­ tierende Gouvernement unter der Leitung von Wilhelm Solf zunächst for­ mal die deutsche Auslandsschule in Apia in den kolonialen Verwaltungs­ rahmen integriert.539 Die Trennung zwischen der einheimischen samoani­ schen Bevölkerung und den internationalen Kolonisten war hinsichtlich der Aufnahme in die Schule vor der Errichtung der kolonialen Gouverne­ mentsverwaltung nicht besonders streng gewesen.540 Danach nahm die teils rassistische, teils paternalistische Differenzierung zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen in der Schule zu, was etwa der Aufnahmestopp für samoanische Kinder, der ab dem Schuljahr 1904/1905 galt, zeigt.541 Regierungseigenen Schulunterricht für Samoaner organisierte das Gouver­ nement in dieser Zeit jedoch noch nicht, sondern suchte vielmehr die Ko­ operation mit den ansässigen christlichen Missionen, darunter besonders mit der London Missionary Society und der französischen Maristenmission. Erstere legte den Schwerpunkt auf den Unterricht samoanischer Mädchen, während letztere vor allem durch den Unterricht für den Nachwuchs samoanischer Eliten wichtiger Gesprächspartner für das Gouvernement war.542 Dass das Gouvernement am 1. Mai 1909 dennoch eine eigene Schule für samoanische Kinder eröffnete, führte schließlich insbesondere zu einem Zerwürfnis zwischen Gouverneur Solf und dem Leiter der Ma­ ristenmission, Bischoff Pierre Jean Broyer, sowie zu einem umgreifenden politisch-konfessionellen Konflikt.543 Die konzeptionelle Grundlage der Schuleröffnung war das Verwaltungs­ programm, welches Gouverneur Solf zum Ende des Jahres 1907 dem Reichskolonialamt (RKA) vorlegte und in welchem er sich detailliert mit allen kolonialpolitischen Aspekten vor Ort befasste.544 Der kolonialen

538 BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1909/10), Bl. 182–183, 302. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 195. 539 Zur Deutschen Schule in Apia beachte Kapitel 2.3, passim, insbesondere zum Integrationsprozess beachte Kapitel 2.3.5. 540 Beachte Anhang Nr. 7 541 Beachte Kapitel 2.3.5. 542 Beachte Kapitel 2.3.4. 543 BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1909/10), Bl. 182–183, 302. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 195. 544 BArch, R 1001/2759, Bl. 164. BArch, R 1001/2953, Bl. 133.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Schule schrieb Solf in seinem Kapitel zum „Schulwesen“ zunächst die Funktion zu, in der „englisch zurechtgestutzte[n] Kolonie“ Samoa, die deutsche Sprache zu verbreiten, und charakterisierte die Deutsche Schule in Apia als besonders wirksame Einrichtung.545 Zum anderen konstatierte er, die koloniale Verwaltung sei aus Billigkeitsgründungen gegenüber an­ deren, rechtlich mit den Deutschen gleichgestellten Europäern und um den Missionen nicht gänzlich das Feld der Beschulung der Samoaner zu überlassen, dazu aufgerufen, allen Einwohnern der Kolonie ein Schulange­ bot zu machen.546 Die zukünftige Schulpolitik skizzierte Solf dann sowohl auf der Basis dieser Grundsätze als auch auf der Basis einer umfassenden Datenerhebung zu allen Schulen auf Samoa.547 Bezüglich des sprachpo­ litischen Ziels, Deutsch als Verkehrssprache einzuführen, beabsichtigte Solf zunächst, durch die Anstellung einer englischen Lehrkraft an der Deutschen Schule, die ohnehin schon einen internationalen Charakter hatte548, englischsprachige Schüler anzulocken. Solf ging davon aus, dass sich dann nach der Einführung einer allgemeinen Schulpflicht sowie der Abschaffung des Schulgeldes an der Deutschen Schule die Missionsschulen für Nicht-Indigene schließlich auflösten.549 Beim Betrieb der Schulen für Indigene räumte Solf den Missionen dagegen viel stärkere Mitwirkung ein, unterschied aber nach Konfession. Während er insbesondere die Schulen der Londoner Mission lobte, kritisierte er sowohl Katholiken als auch Wesleyaner und mahnte zu stärkerer „Aufmunterung und […] Kontrol­ le“.550 Solf ging es grundsätzlich um die Anpassung der Missionen an die Regeln und Ziele der Kolonialverwaltung. Jene sollten für die Elementar­ bildung zuständig sein und ihre „besten Schüler“ einer noch zu gründen­ den staatlichen Schule zuführen. Aus dieser Schule, die schulsystematisch der Sekundarstufe zuzuordnen ist, sollten dann Aspiranten für die Indige­

545 BArch, R 1001/2953, Bl. 37–43 (für die Zitate: Bl. 37, 39). 546 BArch, R 1001/2953, Bl. 44–45. 547 BArch, R 1001/2953, Bl. 46–53. Eines der Produkte dieser Wissensgenerierung war ein mit statistischen Angaben zu Lehrer- und Schülerschaft gespicktes „Ver­ zeichnis“ aller Schulen, BArch, R 1001/2953, Bl. 57–68 (für das Zitat: Bl. 57). 548 Beachte Kapitel 2.3.1. 549 BArch, R 1001/2953, Bl. 56. Das Schulgeld wurde schließlich zum 1.4.1909 abgeschafft, BArch, R 1001/2760, Bl. 21, 30–31. Abaenderung der Schulord­ nung fuer die Kaiserliche Regierungsschule in Apia, in: SGB, Bd. III, Nr. 78, (20.3.1909), S. 244. 550 BArch, R 1001/2953, Bl. 45–46, 54–55 (für das Zitat: Bl. 54).

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3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

nenverwaltung, Dolmetscher und Hilfskräfte für die kolonialen Behörden hervorgehen.551 Solfs Schulkonzept war hinsichtlich der staatlichen Indigenenschule also insbesondere vom Bedarf der Verwaltung nach Arbeitskräften her gedacht und erfuhr als solches auch die Billigung des Staatssekretärs im RKA, Bernhard Dernburg.552 Auch führende samoanische Vertreter hatten 1906 dem Projekt grundsätzlich zugestimmt.553 Dieses war in der Kolonie aber dennoch nicht unumstritten, da Solf die Schule als konfessionslos konzipiert hatte und der Leiter der katholischen Maristenmission Broyer darin den Versuch sah, eine insgeheim protestantische Konkurrenz zur Maristenschule für samoanische Eliten in Moamoa aufzubauen.554 Die Hintergrundfolie, vor der sich ab 1908 der Konflikt zwischen der Gouver­ nementsverwaltung und der katholischen Mission entspannte, boten dabei die konträren Vorstellungen beider Parteien, welchen Stellenwert samoa­ nische Kulturelemente grundsätzlich haben sollten. Solfs Paternalismus und die Vorstellung, dass man die samoanische Kultur durch europäische Elemente schonend ‚modernisieren‘ müsse beziehungsweise könne, stand der christliche Kulturchauvinismus der Missionare gegenüber, der sich in der Feststellung der katholischen Vertreter auf Samoa manifestierte, die Samoaner seien „noch nicht reif“ für eine konfessionslose Schule.555 Bisch­ off Broyer verbot darum im April 1908 allen katholischen Samoanern, die zukünftige staatliche Schule zu besuchen, und drohte bei etwaiger Zuwiderhandlung mit der Exkommunikation. Zudem untersagte er die Betätigung katholischer Priester als Religionslehrer an der Schule.556 Nachdem eine erste Vermittlung durch Solfs Stellvertreter SchultzEwerth noch im April 1908 gescheitert war, appellierte der Gouverneur im Dezember 1908 an Broyer, seinen Widerstand aufzugeben, und bot ihm an, dass neben dem deutschen Schulleiter sowohl ein protestantischer als auch ein katholischer samoanischer Schulvorsteher etabliert werden

551 BArch, R 1001/2953, Bl. 55 (auch für das Zitat). 552 BArch, R 1001/2760, Bl. 4. 553 Vgl. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 111–131, hier: S. 124. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 162. 554 BArch, R 1001/2760, Bl. 15–20. Zur Schule in Moamoa beachte Kapitel 2.3.4. 555 BArch, R 1001/2760, Bl. 15–16 (für das Zitat: Bl. 15). Vgl. Gründer, Kultur­ kampf in Übersee, S. 124–127. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramonta­ nismus, S. 250. 556 BArch, R 1001/2760, Bl. 7, 15–16. Vgl. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 125. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramontanismus, S. 250–251.

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3. Reorganisation und Vernetzung

könnte.557 Broyer lehnte auch dies ab und bekräftigte in einem Gespräch mit Solf im Februar 1909 seine Entscheidung, katholischen Schülern den Schulbesuch zu verbieten. Er gab an, lediglich seine bischöfliche Pflicht getan zu haben, und wollte eher zurücktreten als seine Entscheidung re­ vidieren. Solf seinerseits wollte auch nicht nachgeben und erklärte, dass die Schule zehn ihrer 40 Plätze für Katholiken freihalten werde.558 Offen­ kundig sollte dies gegenüber dem Bischof als großzügig erscheinen, denn Solfs Datenerhebung vor der Erstellung des Verwaltungsprogrammes hatte hinsichtlich der Konfession einen deutlichen Überhang von 88 % an pro­ testantischen Schülerinnen und Schülern ergeben.559 Dies mag Solf auch dazu bewogen haben, Broyers implizite Drohung zu ignorieren, notfalls über die Zentrumspartei im Deutschen Reichstag Druck auszuüben.560 Möglicherweise erschien ihm dies aber auch als übertriebene und unwahr­ scheinliche Eskalation des Konflikts. Letztlich sollte sich Broyers Drohung aber nur als Präludium der späteren Konfliktphase darstellen. Die Schuleröffnung erfolgte trotz des katholischen Widerstandes dann am 1. Mai 1909 auf einem Gelände in Malifa am südlichen Stadtrand Apias.561 Dort waren neben dem Schulgebäude auch drei Wohnhäuser für die zukünftigen Schüler errichtet worden.562 Die erste Schülerschaft bestand aus 30 Samoanern, die per Einschulungsprüfung ausgewählt wor­ den waren. Im August 1909 nahm die Schule weitere zehn, im Okto­ ber 1909 noch einmal 20 Schüler auf.563 Der Unterricht der Elementar­ fächer (14 Wochenstunden) fand gänzlich auf Samoanisch statt. Hinzu trat der Deutsch-Unterricht mit neun Wochenstunden sowie ab August 1909 Handwerksunterricht mit zwei Wochenstunden. Auf den Unterricht am Vormittag folgten an drei Nachmittagen landwirtschaftliche und gar­ tenbauliche Arbeiten auf dem Schulgelände, wodurch, wie in Namanula (Deutsch-Neuguinea), auch in Malifa die Selbstversorgung mit Lebensmit­ 557 BArch, R 1001/2760, Bl. 16–17. Vgl. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultra­ montanismus, S. 251. 558 BArch, R 1001/2760, Bl. 17–19. Vgl. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 126. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 163–164. 559 BArch, R 1001/2953, Bl. 51. 560 BArch, R 1001/2760, Bl. 17–19. 561 BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1909/10), Bl. 182–183, 302. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 195. 562 BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1907/08), Bl. 160. Amtlicher Jahresbe­ richt, Samoa (1907/1908), S. 6, 41. 563 BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1907/08), Bl. 160. BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1909/10), Bl. 182–183, 302. Beachte auch die Schülerstatistik in Anhang Nr. 25.

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3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

teln und eine gewisse prinzipielle Abschottung von der Umwelt erreicht werden sollte.564 Als Schulleiter bestimmte das Gouvernement Wilhelm Osbahr, der gemeinsam mit zwei samoanischen Lehrern das Kollegium der Schule bildete und für den die Stelle gewissermaßen ein Trostpflaster war.565 Osbahr hatte eigentlich Nachfolger des scheidenden Leiters der Deutschen Schule, Otto Damm, werden wollen, woraufhin ihm das Gouvernement unter Verweis darauf, dass er nicht über ein Rektorenexamen verfüge, die Schulleiterstelle der Indigenenschule angeboten hatte.566 Osbahr nahm dennoch an, ließ aber seine Forderung nach der Beförderung zum Rektor, die ihn eine Gehaltsklasse würde aufsteigen lassen, keineswegs fallen, son­ dern ergänzte sie noch um Anträge nach zusätzlichen Gehaltszahlungen für Vertretungsstunden an der Deutschen Schule.567 Zwar erhielt Osbahr die gewünschte Zusatzzahlung in Höhe von etwa einem Monatsgehalt. Das RKA, das die Hoheit über Entscheidungen zu Beförderungen besaß, lehnte eine solche allerdings ab.568 Osbahr arbeitete daraufhin weiter als Leiter der Schule in Malifa und schied schließlich im Mai 1914 aus dem Lehrerdienst aus, nicht aber ohne es bis dahin noch weitere zwei Mal versucht zu haben, den an seiner statt als Schulleiter der Deutschen Schule angestellten Alfred Mäcke abzulösen.569

564 BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1909/10), Bl. 182–183, 302. Für die Schul­ jahre 1912/1913 und 1913/1914 liegen detaillierte Stundentafeln vor. Beachte hierzu Anhang Nr. 26. 565 BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1909/10), Bl. 182–183, 302. Zu Osbahr beachte auch Kapitel 2.3.3. 566 BArch, R 1004-F/75417 (Osbahr), Bl. 86–90. 567 BArch, R 1004-F/75417 (Osbahr), Bl. 91, 97–98. 568 BArch, R 1004-F/75417 (Osbahr), Bl.101–103. 569 ANZ AGCA 6051 W5788 IA 81 1 (RKA an Mäcke am 27.3.1909). BArch, R 1004-F/75417 (Osbahr), Bl. 137, 150, 172. Richard Alfred Mäcke (geb. am 31.7.1875) hatte nach Abschluss der Mittel­ schule in Forst (Lausitz) und des Präparandums in Dessau von 1890 bis 1895 das Lehrerseminar in Neuzelle besucht. Anschließend arbeitete er an Volksschulen in Dobrilugk (Lausitz) und Cottbus, bevor er von 1900 bis 1909 als Volksschul­ lehrer in Berlin angestellt war. Mäcke unterrichtete außerdem an einer kauf­ männischen Schule in Berlin und war als Dozent für Englisch und Französisch für den Berliner Lehrerverein tätig. In dieser Zeit verbrachte er ein Universitäts­ semester in Paris (1904) und eines an der Berliner Universität (1906), ANZ AGCA 6051 W5788 IA 81 1 (Personal-Nachweisung vom 31.3.1909). Mäcke schied 1912 voller Bitterkeit aufgrund erheblicher Dienstprobleme mit seinen Kollegen und mit der Gouvernementsleitung aus dem Dienst aus, ANZ AGCA 6051 W5788 IA 81 1 (passim, beachte insb. Mäcke an Gouvernement Samoa

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3. Reorganisation und Vernetzung

Kurz nach Schulbeginn eskalierte dann der Konflikt zwischen dem Gouvernement und der katholischen Mission. Dadurch, dass Broyer En­ de April 1909 seine Drohung wahrgemacht hatte, das politische katholi­ sche Lager im Deutschen Reich zu kontaktieren, wurden weitere Akteure in den Konflikt involviert.570 So schaltete sich ab der Jahresmitte 1909 auf Anfrage des RKA der katholische koloniale Verbindungsmann Franz Karl Hespers ein und begann, zwischen beiden Parteien zu vermitteln.571 Derweil hatte sich die Lage in Samoa durch einen Bericht verschärft, den Wilhelm Osbahr nach einer Schulinspektion der Maristenschule in Mulivai angefertigt hatte.572 Diese galt offiziell als eine von vier Schulen für Nicht-Indigene573, sei aber, so Osbahr, mehrheitlich von Samoanern besucht. Nicht nur sei die Schule außerdem schlecht ausgestattet, auch die Missionslehrer verfügten über zu schlechte Ausbildung, sodass sich die Schule auf dem Niveau einer „samoanische[n] Dorfschule“ bewege.574 Gouverneur Solf berichtete dem RKA daraufhin, dass er eine weitere Schulinspektion durch Rektor Mäcke plane und sich darauf vorbereite, bei erneut schlechtem Urteil direkt in den Schulbetrieb einzugreifen.575 Solf sah sich allerdings nicht in der Rolle des Aggressors, sondern als kräftemäßig Benachteiligter in einem „Kulturkampf auf Samoa“.576 Im Oktober 1909 telegraphierte er nach Berlin: „Hätte ich den Kampf hier im Schutzgebiet und allein mit der Mission auszufechten, so dürfte das Gouvernement des Sieges sich ziemlich sicher schätzen. Der Bischof hat aber Bundesgenossen in der Heimat, deren erfolgreiche Bekämpfung ich mächtigeren Feldherren überlas­ sen muss.“577

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am 20.4.1910, am 21.3.1911 und am 26.1.1912, Mäcke an RKA am 5.5.1911). Personalien, in: DKB, Jg. 20 (1909), S. 687. BArch, R 1001/2760, Bl. 19–20. BArch, R 1001/2760, Bl. 13–14, 28. Vgl. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramontanismus, S. 251. Zu Hespers beachte Kapitel 2.2.4. BArch, R 1001/2760, Bl. 34–42. Rundschreiben an die Missionen des Schutzgebiets, in: SGB, Bd. III, Nr. 9 (15.6.1901), S. 29. Der Herr Gouverneur hat…, in: SZ, Jg. 1, Nr. 5 (25.5.1901), S. 1. Rundschreiben an die Missionen des Schutzgebietes, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 599. BArch, R 1001/2760, Bl. 34–42 (für das Zitat: Bl. 41). BArch, R 1001/2760, Bl. 33. BArch, R 1001/2760, Bl. 46 (für das Zitat). BArch, R 1001/2760, Bl. 46 (für das Zitat).

3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

Was Solf in diese martialischen Worte kleidete, bezog sich insbesondere darauf, dass sich Bischof Broyer wenige Tage vor Solfs Telegramm auf den Weg nach Europa gemacht hatte, um persönlich im Vatikan zur samoa­ nischen Schulfrage vorzutragen.578 Dies alarmierte auch die Leitung des RKA, woraufhin sowohl das Auswärtige Amt als auch die deutsche Vertre­ tung am Heiligen Stuhl über etwaige bevorstehende Dispute vorgewarnt wurden.579 Letztere sollte das Thema nicht proaktiv diskutieren. Noch setzte das RKA auf eine Lösung ‚hinter den Kulissen‘ durch die Vermitt­ lungstätigkeit von Franz Karl Hespers, den das RKA ständig auf dem Lau­ fenden hielt.580 Das RKA griff dabei allerdings auch redaktionell ein und strich so unter anderem Passagen aus einem durchaus gegenüber Broyer polemisch gehaltenen Bericht Solfs, in dem dieser jenem unterstellte, er habe seine oppositionelle Haltung gegen die staatliche Indigenenschule bloß als Akt der Revanche für beendete Unterstützungszahlungen für die Maristenschulen eingenommen. Ferner strich das RKA, das klar dees­ kalierend wirken wollte, Solfs Bemerkung, er stehe als staatlicher Verwal­ tungschef in Samoa hierarchisch über dem Kirchenmann Broyer.581 Dieser sprach nun nicht nur im Vatikan vor, sondern wandte sich auch mit Matthias Erzberger an einen der seinerzeit prominentesten katholischen Kolonialpolitiker im Deutschen Reichstag. Erzberger trug daraufhin am 31. Januar 1910 einen Brief Broyers auszugsweise im Reichstagsplenum vor und warf den Regierungsvertretern unter anderem Verstöße gegen die kirchliche Schulfreiheit vor.582 Das RKA versuchte auch hier alles, um die Vorwürfe zu entkräften, die außerdem die Art der Schulinspektionen durch Osbahr und Mäcke und auch das sittliche Verhalten der Lehrkräfte umfassten.583 Der Konflikt um die vermeintlich kleine koloniale Schule in Malifa hatte im Frühjahr 1910 damit eine beträchtliche Dimension angenommen. Nicht nur die Kurie in Rom, wo Broyer Unterstützung erlangen konn­

578 579 580 581

BArch, R 1001/2760, Bl. 43, 44, 47. BArch, R 1001/2760, Bl. 44, 48–49. BArch, R 1001/2760, Bl. 48–49, 61–64. BArch, R 1001/2760, Bl. 51–57, 61–64. Vgl. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramontanismus, S. 250. 582 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags (1909/1910), Bd. 259, S. 931B-932C. Vgl. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 128. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 165–166. Moses, Zwischen Puritanis­ mus und Ultramontanismus, S. 252. 583 BArch, R 1001/2760, Bl. 67–70.

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3. Reorganisation und Vernetzung

te584, und damit zusammenhängend das Auswärtige Amt, sondern auch der Reichstag hatte sich mit der Schulsituation auf Samoa befasst. Dabei trugen all diese Befassungen keineswegs zur Lösung des Konfliktes bei, sondern waren vielmehr Ausdruck effektvoller Eskalation. Einen Kompro­ miss, der zumindest das Potential hatte, einen gesichtswahrenden Ausweg aus dem Konflikt für beide Parteien zu ermöglichen, erreichte der vom RKA genau zu diesem Zweck instruierte Kölner Domherr Hesper. Dieser traf sich im April 1910 mit Broyer585, woraufhin sich der Bischof unter Bedingungen bereit erklärte, seinen Widerstand gegen die staatliche Indi­ genenschule aufzugeben. Broyer wollte, dass die Schule zukünftig auch katholische Lehrer anstellte und ausschließlich säkulare Lehrbücher ver­ wandte. Zudem sollten die Schüler konfessionell getrennt voneinander untergebracht und betreut werden. Des Weiteren forderte er die Erlaubnis, dass auch seine Mission Schulen der Sekundarstufe eröffnen dürfe und dass diese der staatlichen Indigenenschule gleichgestellt werde.586 Letztlich kamen diese durchaus als Maximalforderung anzusehenden Bedingungen aber nur teilweise zur Umsetzung. Zwar berichtet Laracy, dass Hesper Broyer überredete, zugunsten der schwächeren Forderung, dass katholi­ sche Geistliche für den Religionsunterricht Zugang zur Schule erhielten, von seinen Bedingungen Abstand zu nehmen.587 Doch selbst 1914 war dies noch nicht erfolgt.588 Auch zur Erfüllung der Hauptforderung Broy­ ers, der Einstellung eines katholischen Lehrers, ist es bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht gekommen. Die einzige katholische Lehrkraft der deutschen kolonialen Schule in Samoa war Angela Pfister, die an der Deutschen Schule und nicht an der Indigenenschule arbeitete, lange vor der Einigung im April 1909 eingestellt worden war und bereits andert­ halb Jahre darauf krankheitsbedingt wieder heimreiste.589 Vielmehr gab

584 BArch, R 1001/2760, Bl. 75. Vgl. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 166. Dies widerspricht Gründers (nicht direkt belegter) Feststellung, Broyer hätte in Rom keine Unterstützung erfahren, vgl. Gründer, Kulturkampf in Übersee, S. 128–129. 585 BArch, R 1001/2760, Bl. 73. 586 BArch, R 1001/2760, Bl. 82–85. 587 Vgl. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 166–167. 588 BArch, R 1001/2602, Bl. 72. Vgl. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultramon­ tanismus, S. 253. 589 ANZ AGCA 6051 W5788 IA 70 1 (RKA an Pfister am 12.4.1919, Gouvernement Samoa an Pfister am 25.9.1910). Vgl. Loosen, Deutsche Frauen, S. 266, 270. Angela Pfister (geb. am 22.2.1885) stammte aus Aletshausen in Bayern und hatte das Lehrerinnenseminar in Wettenhausen, allerdings ohne das Examen zu machen, besucht. Sie war von 1899 bis 1902 Erzieherin an einer Domini­

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3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

der Wechsel an der Spitze des RKA von Dernburg zu Friedrich von Lin­ dequist, so zumindest die Begründung Broyers, diesem die Möglichkeit, von der Kolonialverwaltung die Anerkennung der Schule der Maristen für Samoaner in Moamoa als quasi-staatliche katholische Schule sowie die Erlaubnis zur Gründung weiterer Sekundarschulen zu erreichen.590 Im Gegenzug machten Broyers Vertreter in Samoa lediglich gewisse rhetori­ sche Zugeständnisse bezüglich der im Reichstag vorgetragenen Vorwürfe Erzbergers.591 Die katholische Mission entschied den Konflikt damit klar für sich. Blickt man nun rein auf die Entwicklung der Schule in Malifa bis zum Kriegsausbruch, lässt sich abseits einer öffentlich sichtbaren Bekun­ dung des Einlenkens des Gouverneurs im September 1910 anlässlich des jährlichen katholischen Missionsfestes in Moamoa nur schwerlich eine Beeinträchtigung durch den Konflikt feststellen.592 Augenscheinlich war die koloniale Praxis ein gutes Stück weit entfernt von dem auf Papier ge­ bannten Konflikt, was in ähnlicher Form auch bei der 1894 und 1895 viel diskutierten Frage der islamischen Religionslehrer in Deutsch-Ostafrika zu beobachten ist.593 Die Schule in Malifa konnte ihre Schülerzahl bei etwa 60 halten und verabschiedete 1914 ihre ersten Absolventen, „die teilweise in den Dienst der Regierung als Hilfsschreiber, Polizisten, Heilgehilfen, Postgehilfen [und] Handwerker […] übernommen“ wurden.594 Daraufhin erfolgte die Aufnahme von erneut etwa 60 Schülern im Alter von 14 bis 16 Jahren und gleichzeitig die Erweiterung der Schule um eine Ele­ mentarklasse für den Altersbereich sechs bis 14 Jahre.595 Der Handwerks­

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kanerschule in Wettenhausen und arbeitete ab November 1905 für ein Jahr als Lehrerin an einer Schule im französischen St. Etienne. Ende des Jahres 1907 ging sie nach Neuseeland und arbeitete am Ladys College in Auckland als Sprachlehrerin (Deutsch, Französisch). Aus dieser Position heraus bewarb sie sich im Mai 1908 auf eine Lehrerinnenstelle in Samoa, die sie ein Jahr später erhielt, ANZ AGCA 6051 W5788 IA 70 1 (Personal-Nachweisung vom 19.4.1909, Pfister an Gouvernement Samoa am 19.5.1908 (Eingang), 22.6.1908 und 19.4.1909, RKA an Pfister am 12.4.1909). Vgl. Laracy, Church and State in German Samoa, S. 166–167. Zu Lindequist beachte Kapitel 3.4.1. BArch, R 1001/2760, Bl. 90–95. BArch, R 1001/2760, Bl. 110. Vgl. Moses, Zwischen Puritanismus und Ultra­ montanismus, S. 253. Beachte Kapitel 2.3.4. BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1913/14), Bl. 153 (auch für das Zitat). Beachte die Statistik der Schülerzahl in Anhang Nr. 25. BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1913/14), Bl. 153.

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3. Reorganisation und Vernetzung

bereich der Schule erzielte im Berichtsjahr 1912/1913 einen Jahresumsatz in Höhe von 5.300 M, was zwar deutlich geringer war als vergleichbare Kennzahlen der Schule in Tanga (Deutsch-Ostafrika)596, angesichts der kurzen Bestehensdauer der Schule aber von Schulleiter Osbahr stolz vor­ getragen wurde.597 Wie in Namanula (Deutsch-Neuguinea) fertigte die Handwerkerabteilung insbesondere Möbel für den Verwaltungs- und den Schulbereich, sandte aber auch angehende Handwerker zu den deutschen Werften in Tsingtau.598 Den Transport der Schüler übernahm dabei die Kaiserliche Marine, deren Schiffe regelmäßig die Häfen der deutschen Kolonien anfuhren.599 Die gemeinsame Ausbildung indigener Handwerker aus Deutsch-Neu­ guinea und Samoa ist eines der wenigen Zeichen intraimperialer Koopera­ tion der deutschen Pazifikkolonien im schulischen Bereich. Von Seiten der Lehrkräfte ist lediglich eine Initiative Osbahrs bekannt, seine Kollegen in Namanula einmal persönlich kennenzulernen.600 In Verbindung mit seinem Heimaturlaub 1911 besuchte er sowohl Deutsch-Neuguinea als auch die Werften in Tsingtau und verfolgte dabei das Ziel des gegensei­ tigen Wissensaustausches.601 Darüber hinaus agierten die beiden Gouver­ nements insbesondere bezüglich der Unterstützung der Missionsschulen unterschiedlich, was nicht auf Absprache und Wissensaustausch schließen lässt. In Samoa waren die im „Fonds ‚zur Verbreitung der Deutschen Sprache‘“ verfügbaren Mittel zwischen 1902 bis 1908 durchschnittlich nur zu 21% ausgeschöpft worden, sodass im RKA 1910 sogar die Sorge entstand, dieser Mittel bei zukünftigen Etatdebatten des Reichstages ver­ lustig zu gehen.602 In Deutsch-Neuguinea wurden diese Mittel dagegen intensiv genutzt, um die Schultätigkeit der Missionen zu unterstützen. Vor allem die Bezirksämter der Insel Ponape und Yap verwendeten die Mittel, um das Fehlen einer eigenen Schule zu kompensieren, wovon etwa die Kapuzinermission, die Liebenzeller Mission und die Herz-Jesu-Mission durch den Erhalt jährlicher Zahlungen in Höhe von 2.000 bis 4.500 M

596 Beachte Kapitel 3.2.5. 597 BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1912/13), Bl. 65. 598 BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1912/13), Bl. 65. BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1913/14), Bl. 153. Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 175. Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 198. 599 BArch, R 1001/2760, Bl. 105–109. 600 BArch, R 1004-F/75417 (Osbahr), Bl. 107. 601 BArch, R 1004-F/75417 (Osbahr), Bl. 107, 112–115. Personalien, in: DKB, Jg. 22 (1911), S. 837. Personalien, in: DKB, Jg. 23 (1912), S. 44. 602 BArch, R 1001/2760, Bl. 25–26 (für das Zitat: Bl. 25).

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3.3 Sprache, Mission und Vernetzung in Deutsch-Neuguinea und Samoa

profitierten.603 Des Weiteren überließ die Verwaltung in Saipan 1910 der Kapuzinermission bereitwillig die ehemals staatlichen Schuleinrichtungen auf der südlich von Saipan gelegenen Insel Rota zur Gründung einer Missionsschule, während gleichzeitig das Verhältnis des Gouvernements Samoa zur katholischen Mission auf einem Tiefpunkt angelangt war.604 Ob nun Konflikt oder Kooperation vorherrschten, lag also offensichtlich an den lokalen Gegebenheiten und den jeweiligen Gesprächspartnern be­ ziehungsweise Konfliktparteien. Eine gewisse Annäherung beider Gouvernements hinsichtlich der Zie­ le und der Verfahrensweisen ihrer zukünftigen Schulpolitik ergab sich schließlich ab 1913 mit der Aufstellung eines 10-Jahres-Plans in DeutschNeuguinea. Dieser sah ein prinzipiell mit Samoa übereinstimmendes Sys­ tem aus missionarischen Elementarschulen und einigen regionalen staatli­ chen Sekundarschulen („Fortbildungsschulen“) vor. Außerdem schrieb er den sprachpolitischen Kurswechsel vom Kuanua hin zum Deutschen als amtliche Verkehrssprache fest.605 Hierzu ließ Gouverneur Hahl einen Rah­ menlehrplan und eine Schulordnung erstellen und versandte beides zum Jahreswechsel 1913/1914 an die Missionen in der Kolonie.606 Außerdem veranschlagte er für den Etat 1914/1915 Mittel in Höhe von 250.000 M für neue Schulgebäude und Werkstätten in allen Regionen der Kolonie.607 Letztlich beendete der Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in welchem die pazifischen Kolonien diejenigen Kolonien waren, die am frühestens besetzt wurden, diese Pläne.608 Die enorme Höhe des von Hahl beabsich­

603 BArch, R 1001/2757, Bl. 11–12, 14–17, 25, 40, 64. 604 BArch, R 1001/2757, Bl. 85. Vgl. Hardach, König Kopra, S. 177–178. 605 BArch, R 1001/2756, Bl. 151–153. Bericht über die 5. Gouvernementsratssitzung der V. Sitzungsperiode am 26. Februar 1913 im Gouvernementsgebäude zu Rabaul, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 6 (1913), S. 39–49, hier: S. 47–49 (für das Zitat: S. 48). Vgl. Hardach, König Kopra, S. 177. 606 BArch, R 1001/2756, Bl. 151–154. Bericht über die 7. Gouvernementsratssitzung der V. Sitzungsperiode am 13. November 1913 im Gouvernementsgebäude zu Rabaul, in: ADNG, Jg. 5, Nr. 23 (1913), S. 251–266, hier: S. 255–256. Rund­ schreiben an die Missionen des Schutzgebiets, in: SGB, Bd. V, Nr. 5 (14.2.1914), S. 47–48. 607 Bericht über die 1. Gouvernementsratssitzung der VI. Sitzungsperiode am 6. Fe­ bruar 1914 im Gouvernementsgebäude zu Rabaul, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 6 (1914), S. 76–90, hier: S. 79. 608 Australische und neuseeländische Truppen besetzten bis Januar 1915 alle deut­ schen pazifischen Kolonialgebiete, wobei die Verwaltungsspitzen bereits im Au­ gust (Samoa) und September (Deutsch-Neuguinea) 1914 kapituliert hatten, Der Krieg in den deutschen Schutzgebieten. Die Ereignisse der ersten drei Monate, in: DKB, Jg. 25 (1914), S. 848–865, hier: S. 862–865. Vgl. Wendt, Reinhard:

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3. Reorganisation und Vernetzung

tigten Investitionsbetrages lässt indes festhalten, dass die Schul- und die Sprachpolitik eine noch größere Rolle in der Kolonialpolitik vor Ort ein­ nehmen sollten als bisher. Dass erst mit dem Etatjahr 1914/1915, über ein Jahrzehnt nach der Gründung der ersten kolonialen Schule in der Kolonie, ein einheitliches Schulkonzept für die gesamte Kolonie etabliert werden sollte, zeigt wiederum, dass schulisch gesehen wohl gerade erst die Gründungsphase der Kolonie abgeschlossen war. Dies lässt nur erahnen, wie umfassend die weiteren Eingriffe der deutschen Kolonisten in die Bildungsbiographien der Indigenen und deren Sprachen noch ausgefallen wären.

Zwischenfazit Die Betrachtung der deutschen kolonialen Schulen in Deutsch-Neuguinea und Samoa hat gezeigt, dass sich beide Kolonien insbesondere schulisch bis 1914 keineswegs weit von der volatilen Gründungsphase entfernt hat­ ten. Umfassende Programme, die Ziel und Zweck der Schulen festschrie­ ben, stellten die Gouverneure Solf und Hahl erst 1907 und 1913 auf. Und gleichwohl hatten sich beispielsweise hinsichtlich der Schulsprache in Namanula bereits Phasen der Reorganisation ereignet, die insbesondere durch anfängliche Misserfolge begründet waren. Die Sprachpolitik war es auch, die vor allem mit den beiden staatlichen Schulen in Deutsch-Neu­ guinea verknüpft war. Sowohl Georg Fritz in Garapan (Saipan) als auch Paul Barschdorff in Namanula (Neu-Pommern) griffen korpus- und status­ planerisch in das Chamorro und das Kuanua ein und nutzten die kolonia­ le Linguistik, wie etwa Theodor Christaller in Bonamandone (Kamerun) oder Paul Blank in Tanga (Deutsch-Ostafrika), als eines der wichtigsten Herrschaftsmittel der deutschen kolonialen Schule. Bei der Verbreitung der deutschen Sprache waren die Verwaltungen in beiden hier betrach­ teten Pazifikkolonien insbesondere auf die Mitwirkung der Missionen angewiesen, was in Deutsch-Neuguinea geräuschloser funktionierte als in Samoa. Dort geriet die Gouvernementsverwaltung mit den Missionaren der Maristenmission ab 1908 zwar über den Status der projektierten staat­ lichen Indigenenschule als konfessionslose Schule in Konflikt. Letztlich ging es aber insbesondere um den schulischen Zugriff auf die einheimi­

Das Ende der deutschen Südsee, in: Bechhaus-Gerst, Marianne; Zeller, Joachim (Hg.): Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, Berlin 2018, S. 80–97, hier: S. 84–85.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

sche Bevölkerung. Wer diese unterrichtete, so die beiderseitig implizit ge­ teilte Auffassung, also den Deutsch-Unterricht erteilte, evozierte Bindun­ gen und erlangte Einfluss. Das Beispiel der Missionsunterstützungen für Schulzwecke hat gezeigt, wie verschieden die Handhabung eines der wichtigsten Mittel zur externen Schultätigkeit der Kolonialverwaltung in den beiden Kolonien war. Eine intensive Vernetzung fand so gut wie gar nicht statt und begrenzte sich auf das gemeinsame Senden einzelner Schüler in die Werften von Tsing­ tau (Qingdao) in Kiautschou. Vernetzung und Wissensaustausch waren zudem zwischen den beiden Schulen Deutsch-Neuguineas nicht etabliert. Insofern blickt dieses Kapitel im Grunde auf drei eigenständige Schulen in zwei Kolonien. Im gesellschaftlichen Leben des Verwaltungszentrums von Deutsch-Neuguinea hingegen ist hinsichtlich der Schule die größte Form der Vernetzung zu beobachten, deren Ergebnis das zielgerichtete und durchaus beitragsbereite Betreiben des Schulausbaus in Namanula war. Kooperationen beider Kolonien in Sachen Schule wären nach der Fixierung der Schulpläne in Deutsch-Neuguinea auf die Trennung in Elementarschulen, für welche die Missionen zuständig sein sollten, und Sekundarschulen, die in staatlicher Hand liegen sollten, und der Formulie­ rung eines ausgedehnten Schulbauprogramms ab 1915 durchaus denkbar gewesen. Letztlich fanden sie durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht statt. Der nachfolgende Abschnitt befasst sich mit der kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika, die allein für die Kinder der Kolonisten konzipiert war und wo die im Vorherigen betrachtete Unterscheidung zwischen Indi­ gen und Nicht-Indigen in den staatlichen Schulen keine Rolle spielte. Der Fokus der Darstellung liegt insbesondere auf exemplarischen Berufsbiogra­ phien, den Ansätzen der Vernetzung innerhalb der Lehrerschaft und dem durchaus konfliktbehafteten Schulalltag, in welchen unter anderem die Personalakten der Lehrkräfte umfassende Einblicke gewähren.

3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika 3.4.1 Erste Schulgründungen und der Umgang mit Heterogenität im Schulalltag Die deutsche koloniale Schule in Deutsch-Südwestafrika unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den bisher betrachteten in den anderen afrikani­ schen und pazifischen Kolonien des Deutschen Reichs. Am augenfälligsten

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3. Reorganisation und Vernetzung

ist dieser Unterschied in der Schülerschaft, die sich im staatlich organi­ sierten Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika bis auf wenige Ausnahmen aus Nicht-Indigenen zusammensetzte, während die Beschulung der indige­ nen Bevölkerung den Missionen überlassen war.609 Dieser Umstand war grundlegend für die Etablierung der kolonialen Schule in Deutsch-Süd­ westafrika und bedingte, dass insbesondere das im Gründungsprozess der ersten kolonialen Schule in Bonamandone (Kamerun) gewonnene schuli­ sche Herrschaftswissen kaum übertragbar war. Die Gründung der ersten Schule in Deutsch-Südwestafrika war allerdings auch nicht Ausdruck zivi­ ler Befriedungspolitik oder adressierte eine politisch bedeutsame lokale Be­ völkerungsgruppe, die die deutschen Kolonisatoren durch die Schulgrün­ dung herrschaftlich einzubeziehen und deutschfreundlich zu beeinflussen suchte, sodass ein Wissenstransfer etwa aus Kamerun oder Togo nützlich gewesen wäre.610 Sie war vielmehr eine Folge der verstärkten Ansiedlung deutscher Kolonisten in den frühen 1890er-Jahren, die mitsamt ihren Fa­ milien nach Deutsch-Südwestafrika kamen und prinzipiellen Bedarf an Unterrichtsmöglichkeiten für ihre Kinder erzeugten. Im Dezember 1893 wies die amtliche Statistik in den beiden Siedlungszentren Groß-Windhuk und Klein-Windhuk insgesamt 412 deutsche Ansiedler aus, unter denen sich dreizehn Kinder befanden.611 Die zunächst gängige Form des Unterrichtens war ein durch Eltern oder andere Haushaltsangehörige geleiteter Privatunterricht, für dessen Ablösung ab dem 3. September 1894 eine erste zentrale Einrichtung in Groß-Windhuk bestand. An diesem Tag eröffnete die Lehrerin Helene Nit­ ze in einem Raum der deutschen Landeshauptmannschaft eine „Schule für weiße Kinder“, die zu Beginn von elf deutschen Kindern, neun Mädchen und zwei Jungen, besucht wurde.612 Mit Blick auf die Bevölkerungszahl

609 Barth, Ueber das Schulwesen unserer Schutzgebiete, S. 59–61. König, Eingebo­ renenschulen, S. 621–625. Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 501–503. 610 Beachte zu diesen und weiteren Gründungsmotivationen der Schulen für Indi­ gene insbesondere Kapitel 2.1.5 und 3.1.3. 611 Die Bevölkerung von Groß- und Klein-Windhoek, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 114. Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 321–322, 509. 612 Falkenhausen, Helene von: Ansiedlerschicksale. 11 Jahre in Deutsch-Ostafrika 1893–1904, Berlin 1905, S. 34–35. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwest­ afrika, S. 3 (auch für das Zitat). Deutsche Schule, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 586. Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 509. Bisweilen existierten auch von Missionaren geleitete Unterrichtsgrup­ pen, die allerdings keinen dauerhaften Bestand hatten, ebd.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

zum Ende des Jahres 1893 kann also davon ausgegangen werden, dass damit ein Großteil der amtlich gemeldeten deutschen Kinder der Region Windhuk den Unterricht besuchten. Relativierend sei bemerkt, dass es sich dabei um die Kinder von (nur) fünf deutschen Familien handelte, wovon eine die Familie der Lehrerin war, die neben den Kindern der ande­ ren Kolonisten auch eine jüngere Schwester unterrichtete.613 Dies deutet auf die auch allgemein festzustellende Charakteristik dieser ersten kolonia­ len Schule in Deutsch-Südwestafrika, einen Zusammenschluss amtlicher und privater Schulinteressen darzustellen. Die wesentliche Gründungsin­ itiative sei dabei, so Helene Nitze in ihrer 1905 veröffentlichten Autobio­ graphie, vom Bezirkschef der Landeshauptmannschaft für Windhuk, dem späteren Gouverneur Deutsch-Südwestafrikas, Friedrich von Lindequist614, ausgegangen. Dieser habe sie „aufgefordert, die Schule in Windhoek zu übernehmen“ und „mit den Eltern darüber verhandelt“, welche Unter­ richtsfächer gelehrt werden sollten.615 Das Ergebnis dieser im August 1894 stattgefundenen Besprechung war ein Lehrplan, der die gängigen Fächer einer deutschen Volksschule abbildete. Dieser enthielt die Fächer Lesen, Schreiben, Rechnen, Religionsunterricht sowie in begrenztem Umfang Realien bei täglich drei Unterrichtsstunden von Montag bis Samstag. Der Lehrplan umfasste allerdings auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern außerdem Englisch- und Französischunterricht.616 Berücksichtigt wurden

613 Deutsche Schule, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 586. Falkenhausen, Ansiedlerschicksa­ le, S. 1. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 151. 614 Friedrich von Lindequist (15.9.1862–15.6.1945) arbeitete nach seinem juristi­ schen Examen ab 1892 in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts. 1894 wurde er zur Landeshauptmannschaft von Deutsch-Südwestafrika versetzt und von 1895 bis 1898 im Bezirk Windhuk eingesetzt. Von 1896 bis 1898 hatte er insbesondere das Amt des dortigen Bezirksamtmannes inne und war gleich­ zeitig Stellvertreter des Landeshauptmannes. Nach anschließender zweijähriger Dienstzeit in der Berliner Kolonialabteilung war von Lindequist von 1900 bis 1904/1905 zunächst kommissarischer, schließlich ordentlicher Generalkon­ sul in Kapstadt, bevor er von 1905 bis 1907 als Gouverneur Deutsch-Südwest­ afrikas amtierte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland stieg von Lindequist bis zum Amt des Staatsekretärs auf. Nach dem Ersten Weltkrieg war er unter anderem von 1920 bis 1934 Präsident des Deutschen Seevereins und ab 1936 Mitglied im Kolonialrat des vom NS-Regime kontrollierten Reichskolonialbun­ des, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871– 1945, Bd. 3 L-R, Paderborn 2008, S. 95–96. 615 Falkenhausen, Ansiedlerschicksale, S. 35–36 (für die Zitate: S. 35). Literatur, in: DKB, Jg. 16 (1905), S. 266. 616 Falkenhausen, Ansiedlerschicksale, S. 35–36. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 150–152.

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3. Reorganisation und Vernetzung

die Interessen der Eltern auch in der Organisation der Schulverwaltung, zu deren Zweck ein zweiköpfiger Schulvorstand gebildet wurde, der zu Beginn aus den Kolonisten und Vätern Heyn und Höpfner bestand und unter der Aufsicht der Landeshauptmannschaft insbesondere für die Ab­ wicklung der Schulgeldzahlungen (12 M für das erste, 9 M für das zweite, 7 M für das dritte sowie kostenfreier Schulbesuch für jedes weitere Kind) und die Entlohnung der Lehrerin (1.000 M–1.200 M jährlich) zuständig war.617 Die Strukturen und Bedingungen der Schule in Windhuk ähnelten damit eher der sich Mitte der 1890er-Jahre ebenfalls im amtlich-privaten Zwischenraum befindenden Deutschen Schule in Apia als den rein von den kolonialen Verwaltungen administrierten Schulen dieser Zeit in Bo­ namandone (Kamerun), Klein Popo (Togo) und Tanga (Deutsch-Ostafri­ ka).618 Ein weiteres besonderes Unterscheidungsmerkmal war die unterrichten­ de Lehrkraft, die nicht, wie etwa Theodor Christaller in Bonamandone oder Christian G. Barth in Tanga, dem Typus des männlichen Kolonial­ pioniers entsprach und als Mittler zwischen der Kolonialverwaltung und der indigenen Bevölkerung eingesetzt wurde. Die Lehrerin in Windhuk, Helene Nitze, stieß auch nicht qua beruflichen Engagements von außen zum deutschen Personenkreis in der Kolonie, sondern war vielmehr Teil einer Gruppe deutscher Kolonisten, die Anfang der 1890er-Jahre nach Deutsch-Südwestafrika übersiedelte. Mitte des Jahres 1893 war sie im Alter von 20 Jahren mit ihren Eltern und zwei Schwestern in der Kolonie ein­ getroffen, und am 16. Oktober 1893 hatte die Familie ein verlassenes ehe­ maliges Missionsgebäude in Klein-Windhuk bezogen.619 Das Grundstück hatte Helene Nitzes Vater, Albert Nitze, während eines Aufenthalts im Jahr zuvor erstanden und war daraufhin wieder nach Deutschland gereist, um die Übersiedlung seiner Familie in die Kolonie zu organisieren.620 Die treibende Kraft der Auswanderung war somit nicht die Lehrerin selbst,

617 Deutsche Schule, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 586. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südafrika, S. 150. 618 Zur Deutschen Schule in Apia beachte insbesondere Kapitel 2.3.1. 619 Falkenhausen, Ansiedlerschicksale, S. 1, 6–8, 16–18. Vgl. https://www.namibian a.de/namibia-information/who-is-who/autoren/infos-zur-person/helene-von-falk enhausen.html (Abruf am 28.9.2020). 620 Falkenhausen, Ansiedlerschicksale, S. 18–20. Tod des Oberamtmanns Nitze in Windhoek, in: DKB, Jg. 10 (1899), S. 64. Helene Nitze selbst spricht davon, dass ihr Vater das Grundstück käuflich erworben hatte. Die amtliche Mitteilung bezeichnet den Erwerbskontext als ‚Überweisung‘ und suggeriert damit eine Übertragung durch Verwaltungshandeln, ebd.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

sondern ihr Vater. Die Familie bewirtschaftete das Grundstück, zu dem auch ein Garten gehörte, dann durch den Anbau von Obst und Gemüse, das sie anschließend verkaufte.621 Aus diesem Familienbetrieb zog sich Helene Nitze allerdings rasch zurück und trat kaum ein Jahr später die Lehrerinnenstelle an. Angesichts der von ihr beschriebenen Widrigkeiten des landwirtschaftlichen Unterfangens, bedingt etwa durch Heuschrecken­ schwärme, und den daraus resultierenden Unsicherheiten, auf diese Art und Weise den Lebensunterhalt zu bestreiten, liegt es nahe, dass sie in der Aussicht auf Anstellung als Lehrerin die Chance sah, zur eigenen und der familiären Versorgung gesondert beizutragen.622 Die Anstellung bot aber auch die wohl prinzipiell nicht zu unterschätzende Gelegenheit, im eige­ nen Beruf zu arbeiten, denn Helene Nitze hatte ein Lehrerinnenseminar besucht und vor der Auswanderung ihr Examen bestanden.623 Das Schulleben und Unterrichten der ersten weiblichen Lehrkraft in der deutschen kolonialen Schule war in den darauffolgenden Jahren allerdings von nicht weniger Schwierigkeiten geprägt als der landwirtschaftliche All­ tag ihrer Familie. So hatte Nitze mit äußerst diversen Ansprüchen der Eltern bezüglich der inhaltlichen Tiefe des Unterrichts umzugehen. Auch wurde der Schulort mehrfach verlegt, weil Gebäude und Räume anderwei­ tig genutzt werden sollten oder andernorts die Ausstattung des Klassenrau­ mes besser war. Zudem waren bisweilen Schulwege von bis zu einer Stun­ de zurückzulegen, was insbesondere dazu beitrug, dass die Besuchszahlen der Schule, für die keine Schulpflicht galt, beständig zurückgingen.624 Das Grundproblem im Unterricht war schließlich die Heterogenität der Schülerschaft. So besuchten die Schule zu anfangs Kinder im Alter von fünf bis dreizehn Jahren, wobei davon auszugehen ist, dass die älteren Schülerinnen und Schüler aufgrund der Auswanderung zudem in der Regel unterbrochene Schullaufbahnen aufwiesen und damit gleichaltrige Schülerinnen und Schüler keinen annähernd gleichen Lernstand besaßen.

621 Tod des Oberamtmanns Nitze in Windhoek, in: DKB, Jg. 10 (1899), S. 64. 622 Falkenhausen, Ansiedlerschicksale, S. 37–41. 623 Falkenhausen, Ansiedlerschicksale, S. 35. Moritz, Das Schulwesen in DeutschSüdwestafrika, S. 150. 624 Falkenhausen, Ansiedlerschicksale, S. 35–37. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 3. Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 142. Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 509–510. Das gleiche Schicksal ereilte eine von einem Missionar der rheini­ schen Mission geleiteten Schule in Otjimbingwe, dem früheren Missions- und Kolonialverwaltungszentrum, das ab 1891 zugunsten Windhuks von Europäern verlassen wurde, ebd.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Die daraufhin erfolgte Einteilung der Schülerschaft in drei Altersgruppen kann darum nur als bedingt ideale und an den praktischen Zwängen, nur eine Lehrkraft zur Verfügung zu haben, orientierte Entscheidung beurteilt werden.625 Auch Veränderungen im Schulkonzept im zweiten Schuljahr, in dem eine zweistufige Klasseneinteilung vorgenommen und der Lehrplan ange­ passt wurde, führten zu keiner signifikanten Besserung im Schulalltag, da gleichzeitig Konflikte zwischen der Lehrerin und den Eltern, die teilweise ihre älteren Kinder von der Schule nahmen, wuchsen, sodass Helene Nitze bereits im Juli 1896 ihre Stelle wieder aufgeben wollte. Auf amtliches Ersu­ chen und unter Aufbesserung ihres Gehalts, welches ab 1897 weniger stark von den Einnahmen des Schulgeldes abhing und ihr ein Mindestgehalt in Höhe von 800 M garantierte, blieb sie weiterhin im Amt.626 Nachdem im Dezember 1898 aber auch die letzten drei verbliebenen Schüler die Schule verlassen hatten, wurde diese Ende Dezember 1898 bereits wieder geschlossen.627 Angesichts der Heirat Helene Nitzes mit dem in Wind­ huk tätigen Kaufmann Alexander von Falkenhausen am 24. Januar 1899 wäre eine Fortführung des Unterrichts im selben Jahr aufgrund des im Deutschen Reich praktizierten Lehrerinnenzölibats, also dem Ausscheiden einer Lehrerin aus dem Dienst nach ihrer Vermählung, schlechterdings auch kaum möglich gewesen.628 Bemerkenswert ist hierbei allerdings, dass in der amtlichen Berichterstattung vom Scheitern der Schule keine Rede war und die Hochzeit als alleiniger Grund der Schulschließung angeführt wurde.629 Die amtliche Überlieferung suggeriert des Weiteren eine ununterbro­ chene Kontinuität von der Schultätigkeit Helene Nitzes zu ihrem Nachfol­ ger, dem Volksschullehrer Karl Otto.630 Tatsächlich war die Schule aber

625 Falkenhausen, Ansiedlerschicksale, S. 35–36. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 152–153. 626 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 152–154. Beachte den Stundenplan in Anhang Nr. 28. 627 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 3. Vgl. Kaulich, Die Ge­ schichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 509–510. 628 Falkenhausen, Ansiedlerschicksale, S. 69–71. Vgl. https://www.namibiana.de/na mibia-information/who-is-who/autoren/infos-zur-person/helene-von-falkenhau sen.html (Abruf am 28.9.2020). Huerkamp, Claudia: Die Lehrerin, in: Frevert, Ute; Haupt, Heinz-Gerhard (Hg.): Der Mensch des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1999, S. 176–200, hier: S. 196. Loosen, Deutsche Frauen, S. 267. 629 Amtlicher Jahresbericht (1898/1899), S. 138. 630 Amtlicher Jahresbericht (1898/1899), S. 138. Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 166. Leider fehlt in der ansonsten sehr guten Überlieferung

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

im gesamten Jahr 1899 geschlossen und wurde erst, nachdem Otto im November 1899 in der Kolonie eingetroffen war, im Januar 1900 neu eröffnet.631 Ihm boten sich grundsätzlich bessere berufliche Rahmenbedin­ gungen als seiner Vorgängerin, da sich der Verwaltungsapparat der Kolo­ nie nach der Etablierung eines Gouvernements anstelle einer Landeshaupt­ mannschaft im April 1898 im Vergleich zum Beginn der Tätigkeit von He­ lene Nitze signifikant vergrößert hatte.632 Außerdem standen nun größere Mittel aus dem Kolonialetat zur Verfügung, die einerseits zur Besoldung des Lehrers und andererseits zum Bau eines Schulgebäudes (10.000 M) eingesetzt wurden.633 Allerdings war auch Otto im besonderen Maße vom Wohlwollen der Kolonisten abhängig, die sich beharrlich weigerten, lange Schulwege für ihre Kinder zu akzeptieren. Darum pendelte der Lehrer ab Januar 1900 täglich zwischen Groß- und Klein-Windhuk, die einen halb- bis dreiviertelstündigen Fußweg weit entfernt voneinander lagen, und unterrichtete abwechselnd in beiden Orten. Ab April 1900 wurde der Unterricht in Klein-Windhuk dann wieder eingestellt und erst nach der Fertigstellung des Schulgebäudes im Mai 1901, das von beiden Orten gut zu erreichen war, wurden die beiden Schulteile wieder vollends zusam­ mengeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Lehrer aber bereits mit den Eltern in Konflikt geraten und wurde im Juni 1901 zur Entspannung der Verhältnisse in den Süden der Kolonie versetzt, um die Gründung einer weiteren Schule vorzubereiten.634 Ein erster Lehrerwechsel (von Nitze zu Otto), zusätzliche Finanzmit­ tel und der Bau eines Schulgebäudes hatten also nicht ausgereicht, um die Situation hinlänglich zu befrieden. Die geschilderte erste Phase der kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika zeigt, dass koloniale Praxis nicht nur zwischen indigener und nicht-indigener Bevölkerung, sondern auch innerhalb der sich etablierenden Gemeinschaft der Kolonisten ausge­

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die Personalakte Karl Ottos, sodass dessen Ausbildungsbiographie und sozialer Hintergrund unbekannt bleiben müssen. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 10 (1899), S. 657, 701. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 11 (1900), S. 99. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 3. Seine Majestät der Kaiser…, in: DKB, Jg. 9 (1898), S. 231. Verzeichnis der Beam­ ten in den Schutzgebieten, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 268–269. Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 89–90. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 155–156. Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 106. Amtlicher Jahresbericht (1900/1901), S. 65. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 3, 155– 156. Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafri­ ka, S. 508.

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3. Reorganisation und Vernetzung

handelt werden musste. Im ersten Fall stand der kolonialen Verwaltung letztlich nahezu immer die Möglichkeit des Ausschlusses jeglicher ziviler Handlungen und die Androhung oder Anwendung physischer Gewalt zur Verfügung. Im Umgang mit der eigenen Bevölkerung bestand diese Möglichkeit nicht. Vielmehr galt es, die Interessen der Kolonisten als Eltern auch tatsächlich zu berücksichtigen, da diese im Zweifel ihre Kin­ der nicht zur Schule schickten. Zu entsprechenden Zugeständnissen der Verwaltung, wie etwa der Zustimmung zum doppelten Schulort in den ersten Monaten nach der Wiedereröffnung der Schule durch Karl Otto, traten schließlich Maßnahmen, die Zwang und Erleichterung vereinten. So wurde ab Januar 1900 eine erste und nur für Windhuk und dessen Umgebung gültige Schulpflicht eingeführt. Gleichzeitig wurden aber auch angesichts der allgemein teuren Lebenshaltungskosten in der Kolonie die vorherigen Schulgebühren abgeschafft.635 Die beschriebenen Maßnahmen sind dabei insbesondere als Beginn einer im Jahr 1900 einsetzenden Phase der Reorganisation einzuordnen, die mit einer ersten Phase der Expansion der kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika zusammentraf. In deren Verlauf kam es von 1900 bis 1902 zu weiteren Schulgründungen in Gibeon, Swakopmund, Groot­ fontein und Keetmanshoop und insbesondere zur Anstellung weiterer Lehrer.636 Diese artikulierten, wie im Folgenden sichtbar werden wird, ebenfalls ihre fachlichen, beruflichen und persönlichen Interessen, be­ nannten Probleme sowohl prinzipieller Natur als auch aus der alltägli­ chen Praxis und machten Vorschläge zu deren Behebung. Dabei gilt es zu beachten, dass es für die Errichtung der Schulen und den Unterricht keine allgemeinen Regelungen gab, sodass jede Gründung stark durch lo­ kale Gegebenheiten und die jeweiligen persönlichen Erfahrungshorizonte der Lehrer, der Verwaltungsbeamten und der sehr diversen Elternschaft geprägt war. Dementsprechend war der eigentlichen Schulgründung wie schon in Windhuk zunächst immer ein Zeitraum der Orientierung und Verhandlung vorgeschaltet. Dies traf insbesondere auf diejenigen Orte zu, in denen die Schulen nicht nur die allgemeine nationale Elementarausbil­ dung und -erziehung besorgen sollten, sondern auch mit dem Ziel verbun­ den wurden, die burische Bevölkerung kulturell zu beeinflussen und „dem

635 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 3, 155–156, 233. 636 Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 166. Amtlicher Jahresbericht (1901/1902), S. 66. Anlagen zum Amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 208– 212. Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafri­ ka, S. 510.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

Deutschthum zu gewinnen“.637 In Gibeon etwa hatte die lokale Verwal­ tung einige Mühe, die burischen Siedler dazu zu bewegen, ihre Kinder zum Schulbesuch anzumelden638, bevor der Volksschullehrer Antonius Herlyn am 15. Februar 1900 die dortige Schule eröffnen konnte.639 Um den Schulbesuch der auswärtigen Farmkinder zu gewährleisten, nahmen er und seine Frau anfangs selbst Kinder in ihrem Haushalt auf, für die der Schulweg unzumutbar weit gewesen wäre.640 Den umgekehrten Weg wählte man in Grootfontein, wo nach Eintreffen des Lehrers Georg von der Au zum Jahreswechsel 1901/1902 noch kein Schulraum zur Verfügung stand. Von der Au bereiste deshalb zunächst den Bezirk und war bis zur Erlangung eines Schulraumes von Mitte Januar bis Anfang April 1902 auf der Farm eines burischen Ansiedlers als Lehrer tätig.641 In beiden Schulen stellten die burischen Kinder sodann die Mehrheit innerhalb der Schüler­

637 Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 142 (für das Zitat). Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 514. Kundrus, Moderne Imperialisten, S. 98–102, 203–210. Walther, Daniel Joseph: Creating Germans Abroad. Cultural Policies and National Identity in Namibia, Athens 2002, S. 66–67. Die britischen Siedler, die in Deutsch-Südwestafrika lebten, wurden in diese Kampagne nicht einbezogen. 638 Die amtlichen Bestrebungen sind Bestandteil der von 1900 bis 1903 geführten Verhandlungen kolonialer Verwaltungsinstanzen mit Vertretern der burischen Bevölkerung und den (ehemaligen) Regierungen der Burenrepubliken im südli­ chen Afrika um den Rechtsstatus der Buren. So war zeitweise und lokal etwa der Kauf von Land an die Zusage des Schulbesuchs geknüpft. Eine allgemei­ ne Regelung zur Schulpflicht burischer Kinder erfolgte aufgrund beständigen Widerstandes der Berliner Kolonialverwaltung gegenüber zu großen Zugeständ­ nissen bezüglich eines eigenen burischen Schulwesens in dieser Zeit allerdings nicht. Beachte Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 81–83 so­ wie insbesondere Raithel, Hellmuth H. W. P.: Der „Schulstreit“ in Südwest 1919–1921. Ein Beitrag zur Geschichte von Südwestafrika nach dem Ende der deutschen Schutzherrschaft, München 1977, S. 62–76. 639 Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 166. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 91–92. Antonius Herlyn (geb. am 17.3.1875) stammte aus Rietberg und hatte seine Ausbildung (Präparandum und Lehrerseminar) in Aurich (Ostfriesland) absol­ viert. Im Oktober 1899, nur fünf Monate nach seinem Examen, war er für eine Stelle als Lehrer im Kolonialdienst angenommen worden und erreichte Anfang Januar 1900 gemeinsam mit seiner Frau seinen Bestimmungsort, BArch, R 1001/736, Bl. 5–7, 9–11, 33. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 10 (1899), S. 731, 760. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 11 (1900), S. 207. 640 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 91–92. 641 Amtlicher Jahresbericht (1901/1902), S. 66. Anlagen zum Amtlichen Jahresbe­ richt (1901/1902), S. 210. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 13 (1902), S. 41. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 97–98.

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3. Reorganisation und Vernetzung

schaft. Im April 1902 besuchten die Schule in Gibeon 23 Kinder, von denen 20 aus burischem und drei aus deutschem Elternhaus stammten. In Grootfontein waren von dreizehn Schülern zu Schulbeginn im Mai 1902 elf Buren und zwei Deutsche.642 Für den Unterrichtsalltag bedeutete diese Zusammensetzung der Klassen erhebliche Sprachprobleme. In Grootfont­ ein etwa unterrichtete Georg von der Au zu Beginn ausschließlich die Elementarfächer (Lesen, Schreiben, Rechnen) und beschrieb selbst nach einjähriger Tätigkeit den Unterrichtserfolg als sehr gering und nicht zufrie­ denstellend.643 In Keetmanshoop, wo der aus Windhuk versetzte Karl Otto nach etwa eineinhalbjähriger Vorbereitungszeit am 20. November 1902 den Unterricht aufnahm, wurde anfangs sogar gänzlich auf klassenweisen Unterricht verzichtet, da keines der anfänglich zehn Schulkinder Deutsch sprach und die Altersspanne von sechs bis siebzehn Jahren reichte.644 Ein­ zelunterricht erteilte zeitweilig auch der seit 1900 in Gibeon arbeitende Antonius Herlyn, indem er etwa eine fortgeschrittene Schülerin separat unterrichtete.645 In Verbindung mit den Sprachproblemen erforderten auch die weiter­ hin häufig großen Altersunterschiede der Schülerschaften und die ver­ schieden verlaufenen, teilweise bruchstückhaften Schulbesuchsbiographi­ en ein erhebliches Maß an Differenzierung. In Windhuk, wo etwa ein Drittel der Schulkinder nicht aus deutschsprachigen Elternhäusern stamm­ ten, gab der Volksschullehrer Wilhelm Rave, der im Juli 1901 die Nachfol­ ge Karl Ottos angetreten hatte, darum die von Helene Nitze praktizierte Klasseneinteilung nach Alter auf. Rave teilte die Schülerinnen und Schüler vielmehr „nach ihren Kenntnissen“ in eine Oberstufe, eine Mittelstufe und

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Vor seiner Anstellung war der ursprünglich als Gymnasiallehrer ausgebildete und promovierte Georg von der Au (geb. am 4.3.1853) bereits im südlichen Afrika als Lehrer tätig gewesen und hatte in der britischen Kapkolonie gearbei­ tet. Die Stelle als Lehrer in Deutsch-Südwestafrika erhielt er insbesondere durch ein Empfehlungsschreiben Friedrich von Lindequists, der nach seiner Tätigkeit in Windhuk im Kaiserlichen Generalkonsulat zu Kapstadt Verwendung gefun­ den hatte, BArch, R 1001/108, Bl. 24–26, 99. Au, Georg von der: Zur Kritik Königshofens, Diss. phil. Universität Tübingen, Essen 1880. Anlagen zum Amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 211. Anlagen zum Amtli­ chen Jahresbericht (1902/1903), S. 243. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Süd­ westafrika, S. 92. Beachte die Statistik der Schülerzahlen (1901–1903) in Anhang Nr. 29. Anlagen zum Amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 244. Anlagen zum Amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 245. Moritz, Das Schul­ wesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 105–107. Anlagen zum Amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 211.

3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

eine Unterstufe ein, sodass diese nun aus gemischtaltrigen Lerngruppen bestanden.646 Deren Zusammensetzung variierte dann sogar noch einmal für jedes der unterrichteten Fächer und ergab im März 1903 beispielswei­ se eine Altersspanne in der Unterstufe von sechs bis zwölf Jahren, in der Mittelstufe von acht bis vierzehn Jahren und in der Oberstufe von zwölf bis fünfzehn Jahren.647 Weniger große Altersunterschiede wiesen die Lerngruppen in Swakopmund auf. Dort hatte die Kolonialverwaltung im Frühjahr 1902 den aus Bromberg (heute Bydgoszcz, Polen) stammenden Privatlehrer Rudolf Krause mit der Übernahme einer zuvor provisorisch von einer Lehrerin geleiteten Privatschule betraut.648 Die elf zur Schul­ eröffnung anwesenden Schülerinnen und Schüler gruppierte Krause in eine Oberstufe mit Kindern im Alter von elf bis dreizehn Jahren und eine Unterstufe mit Kindern im Alter von sechs bis sieben Jahren, wobei letztere allerdings noch einmal in drei Untergruppen untergliedert wurde. Des Weiteren reduzierte Krause mit Verweis auf große Lernrückstände in den Elementarfächern das Curriculum der Oberstufe.649 Neben den Sprachproblemen, die der Windhuker Lehrer Rave etwa auch durch alltägliche Kommunikation der Schülerinnen und Schüler mit Indigenen in lokalen Sprachen zu erklären versuchte650, und den großen Altersunterschieden innerhalb der Lerngruppen artikulierten die

646 Anlagen zum Amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 208–209 (für das Zitat: Bl. 208). Wilhelm Rave (geb. am 8.11.1872) arbeitete vor seiner Ausreise nach DeutschSüdwestafrika als Volksschullehrer im preußischen Regierungsbezirk Stade, vermutlich in seinem Wohnort Finna (heute Ortsteil von Bramstedt), BArch, R 1002/1349, Bl. 8–10. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 387, 740. 647 Anlagen zum Amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 209. Anlagen zum Amtli­ chen Jahresbericht (1902/1903), S. 242. 648 BArch, R 1002/1032, Bl. 5–7, 8–10. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 14 (1903), S. 317. Lattmann, Die Schulen in unseren Kolonien, S. 17–18. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 130–132. Rudolf Krause (geb. am 3.11.1878) besuchte von 1896 bis 1899 das Lehrerse­ minar in Bromberg (heute Bydgoszcz, Polen), bestand allerdings das Examen nicht. Von 1899 bis 1901 arbeitete er darum als Privatlehrer und wurde bei sei­ ner Anstellung im kolonialen Schuldienst im Frühjahr 1902 nur als Übergangs­ lösung angesehen. Bereits im September 1903 veranlasste darum das Gouverne­ ment Krauses Entlassung, da ein examinierter Nachfolger im Frühjahr 1904 eintreffen sollte. Krause schied zum 27.4.1904 aus dem schulischen Dienst aus, BArch, R 1002/1032, Bl. 8–10, 14–15, 25, 27, 34, 36–38. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 15 (1904), S. 476. 649 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 209–210. 650 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 208.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Lehrer in den ersten Jahren der kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafri­ ka schließlich das große Aufkommen von Fehlzeiten als dritte zentrale Alltagserschwernis im Unterricht. Anders als bei den anderen beiden Problemfeldern konnten die Lehrer hierbei nun nicht durch Flexibilität und Differenzierung reagieren. Sie forderten vielmehr regelmäßig die Ein­ führung einer Schulpflicht und benannten ansonsten stereotypisierend zu­ meist die burischen Familien als diejenigen, die ihre Kinder am wenigsten zu regelmäßigem Schulbesuch anhielten.651 In Grootfontein, so berichte­ te etwa Georg von der Au über das Schuljahr 1902/1903, hätten einige Kinder bis zu einem Drittel des Schulunterrichts versäumt.652 In Swakop­ mund führten viele Fehlzeiten und eine rasch abnehmende Schülerzahl im Jahr 1904 sogar dazu, dass die Schule Ende April wieder geschlossen wurde und der Lehrer Rudolf Krause die Heimreise antrat. Hier hatte sich das Gouvernement aus Furcht vor Widerspruch aus der Elternschaft geweigert, eine Schulpflicht einzuführen.653 Dass die Gültigkeit einer sol­ chen nicht bedeutete, dass automatisch die Schulbesuchsquote stieg, zeigte sich aber in Windhuk, wo trotz der seit Januar 1900 geltenden Regelung für die Umgebung des Ortes noch im September 1902 durchschnittlich etwa 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler dem Unterricht fern blie­ ben.654 Dass sich die Fehlquote schließlich in der darauffolgenden Zeit auf etwa 10 Prozent reduzierte, führte Schulleiter Wilhelm Rave auf eine verbesserte Kommunikation mit den Eltern zurück, die ab September 1903 jeden Monat eine Rückmeldung erhielten. Auch wurden (erst jetzt) nach jedem Halbjahr Zeugnisse ausgestellt.655 Beide Windhuker Maßnahmen sind durchaus als weiterer Aushandlungsvorgang zu identifizieren und illustrieren außerdem die noch sehr rudimentären seinerzeitigen Verwal­ tungsstrukturen in der Kolonie, in denen die Lehrer kaum vernetzt waren. Auch bestand innerhalb der Lehrerschaft keine Diensthierarchie, die einen formalen Austausch erzwungen hätte, über welchen Lösungsstrategien und Handlungswissen hätte vermittelt werden können. Die erste Lehrer­ schaft der kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika war vielmehr eine Gruppe von Einzelakteuren, sodass Kaulichs Annahme, bereits in dieser

651 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 208, 212. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 243–245. Vgl. Kundrus, Moderne Impe­ rialisten, S. 98–99. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 237. 652 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 244. 653 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 132. 654 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 243. 655 Ebd.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

Zeit seien aufgrund der weiteren Schulgründungen „Anstrengungen zur Etablierung eines landesweiten staatlichen Schulsystems“ zu beobachten, relativiert werden muss.656 Im Jahr 1904 führte dann der Ausbruch des Herero-Nama-Krieges zur Einstellung des Unterrichts in fast allen Schulorten.657 Sowohl Wilhelm Rave als auch der als Nachfolger Karl Ottos seit Juli 1903 in Keetmans­ hoop unterrichtende Wilhelm Krause wurden zum Militärdienst in der Schutztruppe eingezogen. In beiden Orten fand darum einige Monate lang kein Unterricht statt.658 Auch in Deutsch-Südwestafrika galt, dass bei Ausfall eines Lehrers kurzfristig kein Ersatz verfügbar war und der Unterricht eingestellt werden musste. Während nun in Keetmanshoop nach der Rückkehr Wilhelm Krauses vom Militärdienst schon im Oktober 1904 der Unterricht fortgesetzt werden konnte und auch in Windhuk keine lange Unterbrechung zu verzeichnen war, öffneten die Schulen in Gibeon, Grootfontein und Swakopmund insbesondere aufgrund der Beschlagnahmung der Gebäude durch das Militär erst wieder im Oktober 1905 (Swakopmund) beziehungsweise im April (Gibeon) und im August 1906 (Grootfontein).659 Da außerdem einige der Lehrer aufgrund verschie­ dener Entwicklungen ihrer Stelle verlustig gingen und neue Lehrer sowie nun auch wieder Lehrerinnen in den Schuldienst der Kolonie aufgenom­ men wurden, markiert der Krieg nicht nur einen allgemeinen, sondern auch eine personellen Umbruch. Die aus diesem folgenden Versuche der erneuten Reorganisation und erstmaligen Vernetzung der Lehrerschaft sind Gegenstand des nachfolgenden Kapitels. 656 Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 510–511 (für das Zitat: S. 511) 657 Zum Herero-Nama-Krieg beachte etwa Bley, Helmut: Kolonialherrschaft und Sozialstruktur in Deutsch-Südwestafrika. 1894–1914, Hamburg 1968, S. 189– 208. Häussler, Matthias: Der Genozid an den Herero. Krieg, Emotion und extreme Gewalt in Deutsch-Südwestafrika, Weilerswist 2018. 658 BArch, R 1002/1033, Bl. 1, 27. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 14 (1903), S. 636. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 107, 159. Wilhelm Krause (geb. am 1.10.1876) stammte aus Jastrow (heute Jastrowie, Polen) und absolvierte dort auch seine Volksschullehrerausbildung. Vor seiner Ausreise im Sommer 1903 arbeitete er im Volksschuldienst der Stadt Tilsit (heute Sowetsk, Russland). Seine Dienstzeit endete 1906, da einerseits seine Ehefrau erkrankt war und andererseits die Elternschaft in Keetmanshoop durch Beschwerden erzwang, dass das Gouvernement – unter dem Vorwand der Tro­ pendienstuntauglichkeit – Krause kündigte, BArch, R 1002/1033, Bl. 10–11, 30, 32, 35, 41. 659 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 93–94, 99–100, 108, 132– 133, 159.

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3. Reorganisation und Vernetzung

3.4.2 Ein Schulsystem im Aufbau Die Wiedereröffnung der aufgrund des Krieges geschlossenen Schulen wurde begleitet von grundsätzlichen organisatorischen Veränderungen, die zum einen die von den Lehrkräften adressierten Probleme im schuli­ schen Alltag beheben sollten und zum anderen darauf abzielten, Schule und Unterricht in Deutsch-Südwestafrika zu systematisieren. Die Verände­ rungen geschahen unter wesentlicher Mitwirkung der Lehrkräfte, die das Voranschreiten durch fortdauernde Problembeschreibungen motivierten, fachliche Ausarbeitungen beisteuerten und die einzelnen Maßnahmen der Prüfung der kolonialen Praxis unterzogen. So trugen sie dazu bei, schuli­ sches Herrschaftswissen zu generieren und zu aktualisieren. Das zentrale Element, mit dem das Gouvernement die Steigerung der Schülerzahlen und der Schulbesuchsquote erreichen wollte, war die Ein­ führung einer Schulpflicht. Eine solche trat zum 1. Dezember 1906 in Kraft. Sie baute auf der ersten Windhuker Schulpflicht auf und verpflichte­ te alle Kinder im Alter von sechs bis vierzehn Jahren, die im Umkreis von vier Kilometern eines Ortes, in dem eine Schule bestand, wohnten, zum Schulbesuch. Bei schuldhafter Nicht-Befolgung drohte den Erziehungsbe­ rechtigten eine Geldbuße in Höhe von bis zu 150 M oder eine Haftstrafe von bis zu sechs Wochen. Gleichzeitig schränkte das Gouvernement den Privatschulsektor ein und machte den Betrieb einer Privatschule, deren „Benutzung […] von dem Besuch der Regierungsschulen befreien soll“, ge­ nehmigungspflichtig.660 Die Schulpflicht war in ihrem Umfang einzigartig innerhalb der deutschen kolonialen Schule. Anders als noch in der ersten Expansionsphase der deutschen kolonialen Schulen in Deutsch-Südwest­ afrika vor dem Herero-Nama-Krieg war die Gouvernementsverwaltung nun also bereit, gewissen Druck auf die Kolonisten auszuüben. Die Be­ schränkung des Geltungsradius auf das nähere Umfeld einer Schule weist allerdings auch darauf hin, dass dieser Druck nur ein äußerst moderater sein sollte, und ist weiterhin ein Beleg, in welch geringem Umfang das

660 Verordnung des Gouverneurs von Deutsch-Südwestafrika, betreffend die Ein­ führung der Schulpflicht, in: DKB, Jg. 17 (1906), S. 797 (auch für das Zitat). Ausführungsbestimmungen zur südwestafrikanischen Schulpflichtverordnung vom 20. Oktober 1906, in: DKB, Jg. 17 (1906), S. 798. Amtlicher Jahresbericht, DSWA (1906/1907), S. 7. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 221–223. Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 237–238.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

Gouvernement die Durchsetzung einer Schulpflicht gegenüber der Siedler­ schaft für realistisch hielt.661 Der zentrale Gegenstand der Debatte war nach wie vor die teils sehr große Distanz zwischen den Wohn- und den Schulorten. Vor allem für Farmkinder aus dem Umland der Ansiedlungszentren hatte man zwar schon 1902 mit der Einrichtung von Pensionaten begonnen, in denen die Schulkinder während der Schulwoche übernachten konnten und versorgt wurden.662 Deren Betrieb bereitete aber vor allem vor der kriegsbedingten Schließung der Schulen enorme Probleme, da bei allgemeiner Personal­ knappheit, angesichts zeitgenössischer Rollenverständnisse und als Folge des ausnahmslos koedukativen Unterrichtens in Deutsch-Südwestafrika in diesen Einrichtungen sowohl Jungen als auch Mädchen beherbergt wur­ den und letztere unbedingt von einer Frau zu betreuen waren.663 Entspre­ chend verschieden und improvisiert wirkend waren die sich ergebenden Personenkonstellationen. In Grootfontein leitete zum Schulstart im Mai 1902 etwa eine „Burenwitwe“ das Pensionat.664 In Windhuk bewegte der dortige Lehrer Wilhelm Rave auf Bitten der Kolonialabteilung im Aus­ wärtigen Amt beispielsweise seine Schwester zur Ausreise nach DeutschSüdwestafrika, wo sie ab 1902 – zunächst sogar ohne eine finanzielle Entlohnung zu erhalten – das Pensionat leitete.665 Weder vor, noch nach der Einführung der Schulpflicht war ein regelmäßiger Besuch der Schule durch Farmkinder allerdings garantiert, da diese einerseits nicht in den Geltungsbereich der Schulpflicht fielen und andererseits im Falle, dass ein Schulbesuch seitens der Eltern erwünscht war, dieser sowie das Leben im Pensionat nur durch finanzielle Unterstützung der Verwaltung möglich war. Bereits 1902 wies der Etat darum einen mit 15.000 M dotierten Posten auf, dessen Mittel als Beihilfe für den Pensionatsbesuch gezahlt wurden.666

661 Zum „Antagonismus von Siedlern und Kolonisierten“ beachte die prägnante Darstellung bei Häussler, Der Genozid an den Herero, S. 42–45 (für das Zitat: S. 42). Vgl. auch Bley, Kolonialherrschaft und Sozialstruktur in Deutsch-Süd­ westafrika, S. 108–109. 662 Amtlicher Jahresbericht (1901/1902), S. 66. Moritz, Das Schulwesen in DeutschSüdwestafrika, S. 106, 157. 663 Zu analogen Bedingungen in Samoa beachte Kapitel 2.3.2. Siehe auch R 1002/886, Bl. 31. 664 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 210 (auch für das Zitat). 665 BArch, R 1002/1349, Bl. 16–19. Im Juni 1905 stimmte die Kolonialabteilung schließlich einer Entlohnung der Pensionatsleiterin in Höhe von 1.000 M jähr­ lich zu, ebd., Bl. 42–43. 666 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 53. Vgl. Walther, Creating Germans Abroad, S. 71.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Hinzu kam, dass auch nicht an allen Schulorten Pensionate bestanden. Im Frühjahr 1908 verfügten lediglich vier der nach der Gründung von Schu­ len in Karibib (April 1907) und Lüderitzbucht (April 1908) mittlerweile sieben staatlichen Schulen über entsprechende Einrichtungen.667 Eine für die Nutzung schulischen Herrschaftswissens vorauszusetzende Bündelung der Erfahrungen der Lehrerkräfte vor Ort erfolgte mit der Wiedereröffnung der Schulen und der Einführung der Schulpflicht nicht. Entsprechend umfangreich fielen die Forderungen aus, die im Jahr 1908 durch zwei der Lehrkräfte an das Gouvernement gerichtet wurden. Al­ fred Zedlitz, der im Februar 1908 in Deutsch-Südwestafrika eintraf und bereits in Deutschland den Dienstrang eines Oberlehrers inne hatte, war unter anderem explizit als fachlicher Schulreferent in Windhuk eingestellt worden.668 Aus dieser Funktion heraus besuchte er ab September 1908 die staatlichen Schulen in der Kolonie und legte anschließend eine Denk­ schrift vor, die als Ausgangspunkt des allmählichen Aufbaus eines Schul­ systems diente.669 Zedlitz forderte darin den Ausbau des Pensionatswesens und weitere Schulgründungen, die in jedem Falle auch Pensionate betrei­ ben sollten. Um deren Betrieb zu gewährleisten, sollten insbesondere ver­ heiratete Lehrkräfte eingestellt werden, möglichst sogar Lehrerstellen dop­ pelt besetzt werden, um Vertretungen zu garantieren. Zedlitz beschrieb den Alltag eines Lehrers als enorm zeitaufwändig, da dieser nicht auf die Lehrtätigkeit beschränkt war, sondern zudem die Pensionatsverwaltung zu erledigen habe, und wollte durch eine Doppelbesetzung belastungsbe­ dingte Ausfälle kompensieren.670 Unterstützt wurde Zedlitz durch seinen im Januar 1906 in der Kolonie eingetroffenen Kollegen Johannes Bam, der die Forderungen von Zedlitz bezüglich der Pensionate im Detail aus­ arbeitete und neben schriftlichen Ausführungen sogar Grundrissskizzen,

667 Amtlicher Jahresbericht, DSWA (1907/1908), S. 9–10. Vgl. Kaulich, Die Ge­ schichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 511. 668 BArch, R 1002/2004, Bl. 2–3, 6–7, 11. Alfred Zedlitz (geb. am 23.2.1874) stammte aus dem niederschlesischen Polk­ witz (heute Polkowice, Polen), hatte nach dem Besuch des Gymnasiums in Bres­ lau (heute Wrocław, Polen) Englisch, Französisch und Deutsch für das höhere Lehramt studiert und von 1905 bis 1907 als Oberlehrer in Krotoschin (heute Krotoszyn, Polen) gearbeitet, BArch, R 1002/2004, Bl. 6–7. Personal-Nachrich­ ten, in: DKB, Jg. 19 (1908), S. 110. Zedlitz, Alfred: Erster Jahresbericht der Kaiserlichen Realschule zu Windhuk (Deutsch-Südwestafrika), Windhuk 1914 (enthalten in: BArch, R 1002/2132, Bl. 1–13), S. 14. 669 BArch, R 1002/2004, Bl. 12. 670 BArch, R 151-F/I.VI.a.1, Bd. 1, Bl. 9–13.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

Anschaffungslisten und Kostenkalkulationen vorlegte.671 Sowohl Bam als auch Zedlitz forderten außerdem die Ausdehnung der Schulpflicht. Letzte­ rer bezeichnete die bestehende Schulpflicht zwar als „de[n] eigentliche[n] Geburtstag“ des örtlichen Schulwesens, kritisierte diese allerdings als zu begrenzt, um den deutschnationalen Bildungs- und Erziehungsauftrag erfüllen zu können. Insbesondere die burische Landbevölkerung sollte nach der Vorstellung Zedlitz‘ von einer räumlich erweiterten, allerdings hinsichtlich der Dauer auf vier Jahre begrenzten Schulpflicht erfasst und allmählich assimiliert werden.672 Nahezu alle Forderungen der beiden Lehrer kamen in den darauffolgen­ den Jahren zur Umsetzung, für die insbesondere Zedlitz als fachlicher Schulreferent verantwortlich zeichnete. Zwischen 1908 und 1912 erfolg­ ten zehn weitere Schulgründungen in Warmbad, Okahandja, Omaruru, Maltahöhe, Klein-Windhuk, Kub Klipdam, Gobabis, Aus und Usakos.673 Unter der Leitung von Zedlitz entstand in Windhuk ab 1909 außerdem die Kaiserliche Realschule, dessen Aufbau neben der Funktion als fachli­ cher Schulreferent expliziter Anstellungsgrund des Oberlehrers gewesen war, der ab 1909 für die beiden (Groß-)Windhuker Schulen als Rektor fun­ gierte.674 Die Schule wuchs von Jahr zu Jahr um einen weiteren Jahrgang, indem stets eine neue Sexta eingeschult wurde und die bestehenden Klas­ sen aufstiegen. 1914 bot die Kaiserliche Realschule damit einen sich bis zur Untersekunda erstreckenden, koedukativen (!) Lehrgang an.675 Diese Entwicklung war keinesfalls üblich, was ein Blick auf die Siedlungszentren Swakopmund und Lüderitzbucht, wo ebenfalls Schulen der Sekundarstu­ fe gegründet worden waren, deutlich macht. So führte 1912 ein rascher

671 BArch, R 151-F/I.VI.a.1, Bd. 1, Bl. 14–33. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 17 (1906), S. 35. Johannes Bam (geb. am 13.5.1878) war Sohn eines deutschen Missionars, der in der Kapkolonie und in Bethanien tätig gewesen war. Bam verbrachte seine Schulzeit in Gütersloh und absolvierte seine Ausbildung zum Volksschullehrer im Bezirk Münster, wo er vor seiner Anstellung im Kolonialdienst als Volks­ schullehrer gearbeitet hatte, BArch, R 1002/126, Bl. 5–6. 672 BArch, R 151-F/I.VI.a.1, Bd. 1, Bl. 9–13, 14–33 (für das Zitat: Bl. 10). 673 Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 511. 674 BArch, R 1002/2004, Bl. 11, 35, 50. 675 BArch, R 1002/2132, Bl. 1–13. Zedlitz, Erster Jahresbericht der Kaiserlichen Realschule zu Windhuk, S. 7–9, 12–14. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 133. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 115. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 114. Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 515.

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3. Reorganisation und Vernetzung

Rückgang der Schülerzahlen in Lüderitzbucht zur Schließung der dorti­ gen Realschule nach nur etwa einem halben Jahr. Die Schule in Swakop­ mund war aus Gründen der Kostenersparnis ohnehin nicht als vollwertige Realschule konzipiert worden und verfügte 1914 über einen Lehrgang von der Sexta bis Untertertia, den die örtliche Bevölkerung allerdings gern bis zur Untersekunda erweitert hätte.676 Neben der wachsenden Zahl an Schulen wuchs des Weiteren auch die Zahl der Pensionate. So wies der letzte amtliche Jahresbericht im Frühjahr 1913 dreizehn Einrichtungen dieser Art auf, die zusammengenommen 99 Kinder beherbergten.677 Allerdings ist die Schulexpansion keineswegs als lineare Entwicklung anzusehen. Der Abbruch des Ausbaus der Sekundar­ schulen in Swakopmund und Lüderitzbucht zeigt dies. Es kam aber auch immer wieder zu Unterbrechungen des Unterrichts an anderen Schulen, da entweder Schülerzahlen zu stark schwankten oder Lehrkräfte ausfielen. In Gibeon etwa war die Schule von Mai 1909 bis Oktober 1909 beinahe ein halbes Jahr geschlossen, da der seit 1906 dort unterrichtende Lehrer Fritz Klein seine Anstellung aufgrund einer bereits Ende 1908 erlittenen Erkrankung seiner Ehefrau nach einer Dienstperiode nicht mehr verlän­ gern wollte.678 Da Frau Klein dem von Zedlitz und Bam geforderten klassischen Muster entsprechend außerdem das Pensionat geleitet hatte, war schon mit ihrer Erkrankung diese Position vakant gewesen, was ein ums andere Mal die Abhängigkeit kolonialer Schulen von Einzelpersonen zeigt.679 Zum Beginn des Jahres 1912 erließ das Gouvernement schließlich eine räumliche Erweiterung der Schulpflicht im Sinne des Vorschlags von Alfred Zedlitz. Diese sah nun vor, dass in den meisten Bezirken und Di­ strikten auch außerhalb des Radius von vier Kilometern um einen Schul­ ort herum Kinder schulpflichtig waren. Allerdings galt diese Schulpflicht

676 Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 114. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 120–121, 140–143. Vgl. Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, S. 515–516. 677 Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 70 (Statistischer Teil). 678 BArch, R 1002/949, Bl. 32–33, 37. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwest­ afrika, S. 95. Fritz Klein (geb. am 21.4.1877) stammte aus dem niederschlesischen Wohlau (heute Wołów, Polen) und war ausgebildeter Volksschullehrer, BArch, R 1002/949, Bl. 16–17. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 17 (1906), S. 159. 679 BArch, R 1002/949, Bl. 33.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

nicht für acht, sondern für vier Jahre (achtes bis zwölftes Lebensjahr).680 Der zeitgenössische Beobachter Eduard Moritz wies darauf hin, dass diese Umsetzung der Forderung von Zedlitz „eine Verschiedenheit der Unter­ richtsziele und des Betriebs bedingt[e]“. Die Erhöhung der Schülerzahlen von insgesamt 548 im Jahr 1911 auf 671 im darauffolgenden Jahr ging also durch eine Erhöhung der Komplexität des Lehrauftrages einher.681 Diese gesteigerte Komplexität wiederum sollte durch eine formale Regelung zur Organisation des Schulalltags und zum inhaltlichen Aufbau des Unter­ richts aufgefangen werden. Zu diesem Zweck erließ das Gouvernement im November 1911 erstmalig Allgemeine Bestimmungen über das Volksschulwe­ sen in Deutsch-Südwestafrika, die neben den Denkschriften von Alfred Zed­ litz und Johannes Bam die dritte zentrale Kodifizierung bisher gemachter Erfahrungen zu schulischem Herrschaftswissen darstellen und insbesonde­ re die Stundenpläne für jede erdenkliche Konstellation von Lehrerzahl und Schülerzahl festlegten.682 Außerdem enthielt das neue Dokument für jedes der unterrichteten Fächer ein Basiscurriculum, auf dessen Grundlage lokal Lehrpläne aufgestellt werden sollten.683 Autor der Bestimmungen war Bernhard Voigt, der seit 1908 in der Kolonie als Lehrer tätig und im Frühjahr 1911 zum kommissarischen Schulinspektor mit Dienstsitz in Windhuk befördert worden war.684 Als solcher war er Schulreferent

680 Verordnung des Kaiserlichen Gouverneurs von Deutsch-Südwestafrika zur Er­ gänzung der Verordnung von 20. Oktober 1906, betreffend die Einführung der Schulpflicht, in: ADSWA, Jg. 2 (1911), S. 210. Die Schulpflicht galt nicht in den Gebieten Grootfontein, Gobabis, Outjo, Rehoboth und Bethanien, wo entweder die Schülerzahlen zu gering waren oder keine Pensionate existierten, ebd. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 9. In Grootfontein wurde sie im April 1912 nachträglich eingeführt, Bekanntmachung (Nr. 2022), in: ADSWA, Jg. 3 (1912), S. 67. 681 Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 55 (Statistischer Teil). Amtlicher Jah­ resbericht (1911/1912), S. 59 (Statistischer Teil). Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 9 (auch für das Zitat). 682 Allgemeine Bestimmungen über das Volksschulwesen in Deutsch-Südwestafri­ ka, abgedruckt in: Moritz, Eduard: Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, Berlin 1914, S. 15–28. Beachte exemplarisch die auf diesen Bestimmungen beru­ henden Lehrpläne für die Schule in Swakopmund (1913) in Anhang Nr. 30. 683 Ebd., S. 21–29. 684 BArch, R 1002/1830, Bl. 1, 16–17, 51. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Süd­ westafrika, S. 14. Bernhard Voigt (geb. am 13.12.1878) wurde im niederschlesischen Brieg (heu­ te Brzeg, Polen) geboren und besuchte eine Realschule in Breslau (heute Wrocław, Polen). Nach seiner Ausbildung zum Mittelschullehrer bestand er 1904 das Rektorenexamen. Ab 1901 arbeitete er zunächst als Lehrer an einem

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Zedlitz zunächst dienstlich untergeordnet und übernahm von diesem die Aufgabe der regelmäßigen Revisionen der Schulen. Ab 1913 war er explizit nur dem Gouverneur untergeordnet.685 Die jeweiligen Schulleiter (Haupt­ lehrer) wiederum waren Voigt gegenüber berichtspflichtig und hatten die Anweisungen, die einer Revision entsprangen, umzusetzen.686 Im Zuge der Reorganisation der kolonialen Schule in Deutsch-Südwest­ afrika nach dem Ende des Herero-Nama-Krieges entstand damit eine Diensthierarchie, welche die Verbreitung von organisatorischen und in­ haltlichen Standards in der Art und Weise des Unterrichts beschleunigen und kontrollieren sollte. Anders als etwa in Deutsch-Ostafrika, wo die Erstellung von Lehrbüchern schon in der frühen Phase der kolonialen deutschen Schulgeschichte zum Wissensaustausch der Lehrerschaft geführt hatte, bedurfte es in Deutsch-Südwestafrika des Aufbaus dienstlicher Bezie­ hungen. Die Stelle des Schulinspektors fungierte dabei als Knotenpunkt des Austausches und gleichzeitig aufgrund der Weisungsbefugnis Voigts gegenüber den Lehrkräften „nach dem Vorbild der heimischen Kreisschul­ inspektionen“ als Normierungsinstanz.687 Voigt nutzte die Normierungs­ funktion sowohl mit Blick auf die fachlichen Leistungen der Lehrkräf­ te als auch auf deren sonstiges dienstliches Verhalten und erwirkte in letzter Konsequenz die Entlassung einer Lehrkraft. So verwehrte das Gou­ vernement beispielsweise der Lehrerin Eva Auguste Harff im Juni 1914 auf Grundlage schlechter Revisionsberichte durch Voigt und Klagen der Schulleiter in Lüderitzbucht und Aus über regelmäßige Unpünktlichkeit die Verlängerung ihres Vertrages.688 Grundsätzlich und selbst im Falle

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Präparandum in Bunzlau (heute Bolesławiec, Polen) und schließlich ab Septem­ ber 1905 als Volksschullehrerausbilder im dortigen Seminar. In Deutsch-Süd­ westafrika arbeitete er ab August 1908 in der Schule in Karibib und wurde zum April 1909 nach Windhuk versetzt, BArch, R 1002/1830, Bl. 8–9, 16, 23. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 19 (1908), S. 718, 1091. BArch, R 1002/1830, Bl. 51. BArch, R 1002/2132, Bl. 11. Dienstvorschrift für den Schulinspektor (31. Juli 1913), abgedruckt in Zedlitz, Erster Jahresbericht der Kaiserlichen Realschule zu Windhuk, S. 21. Ebd. sowie Dienstanweisung für Hauptlehrer und Rektoren der Regierungs­ schulen im deutschsüdwestafrikanischen Schutzgebiet, in: ADSWA, Jg. 3 (1912), S. 476–477, hier: S. 477. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart E 40 / 17 Bü 6, Bl. 10 (auch für das Zitat). BArch, R 1002/670, Bl. 17, 23, 34–35, 38, 40. Eva Auguste Harff (geb. am 17.7.1880) stammte aus Wolmar (heute Valmiera, Lettland) und absolvierte ihre Ausbildung zur Volksschullehrerin am Seminar in Braunschweig. Vor ihrer Anstellung in Aus (Bzk. Lüderitzbucht) im August

3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

der Lehrerin Harff ist allerdings zu erkennen, dass Voigt zunächst auf Kor­ rekturhinweise setzte und ein einmalig schlechter Revisionsbericht nicht zur sofortigen Entlassung führte, gelegentlich aber die Versetzung einer Lehrkraft zur Folge haben konnte.689 Den inhaltlichen Austausch wiederum wollte Voigt durch das Abhalten einer Lehrerkonferenz erwirken. Ein solches Treffen aller Lehrkräfte der Kolonie hatte es bemerkenswerterweise bisher nicht gegeben. Im Oktober 1913 forderte Voigt, im Jahr 1914 eine Konferenz abhalten zu lassen, die der „gegenseitigen Aussprache“ dienen sollte.690 Innerhalb der Lehrer­ schaft stieß er dabei auf große Zustimmung. Die ansonsten unauffällige In­ teressensvertretung der Lehrerschaft, der Verein deutscher Lehrer in DeutschSüdwestafrika, begrüßte die Forderung und warb erfolgreich dafür, den Termin der Konferenz in einen Zeitraum zu legen, zu welchem möglichst viele Lehrkräfte in der Kolonie und nicht auf Heimaturlaub waren.691 Die Konferenz wurde schließlich für die Sommerferien im Dezember 1914 terminiert.692 Dass es sich dabei um einen aus der Sicht der Lehrkräfte wichtigen Termin handelte, bekräftigte der seit 1910 in Klipdam arbeiten­ de Lehrer August Göing, der die Planung seiner Dienstzeitunterbrechung explizit am Konferenztermin ausrichtete.693 Neben allgemeinem Austausch wollte Voigt erreichen, dass die Lehr­ kräfte über inhaltliche und organisatorische Neuerungen sprechen, die er mit zwei anderen Lehrern vorbereitet hatte. Diese sollten ihre Experti­ sen vortragen und damit ihr Wissen verbreiten. Alfred Bensch etwa, der im Frühjahr 1913 zur Leitung der Schule in Gobabis angestellt worden war, sollte die Aufgabe zukommen, über eine Fortbildung im modernen Handarbeitsunterricht zu berichten, die dieser vor seiner Anstellung absol­

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1911 hatte sie sich bereits in der Kolonie befunden und als Privatlehrerin auf einer Ansiedlerfarm gearbeitet, BArch, R 1002/670, Bl. 2, 4–5, 7–8. BArch, R 1002/670, Bl. 35. BArch, R 1002/831. BArch, R 1002/1507, Bl. 53. BArch, R 151-F/I.VI.ak.1, Bl. 1–2 (für das Zitat: Bl. 1). BArch, R 151-F/I.VI.ak.2, Bl. 1. BArch, R 151-F/I.VI.ak.1, Bl. 4. BArch, R 1002/570, Bl. 74. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 113. August Göing (geb. am 26.1.1883) hatte nach dem Besuch des Präparandums in Celle und des Volksschullehrerseminars in Osnabrück ab 1900 im dortigen Schuldienst gearbeitet, bevor er im Frühjahr 1910 im Kolonialdienst angestellt wurde. Bis April 1914 leitete er die Schule in Klipdam, BArch, R 1002/570, Bl. 5–6, 35–36, 83–84. Personalien, in: DKB, Jg. 21 (1910), S. 454.

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viert hatte.694 Johannes Thormann wiederum, seit September 1909 Lehrer in Keetmannshoop, hatte von Voigt den Auftrag erhalten, während des Heimaturlaubs im Sommer 1913 in Deutschland Landerziehungsheime zu besuchen. Voigt versprach sich hiervon und von eigenen Recherchen Impulse für den Betrieb der Pensionate, für die es bis auf eine allgemeine Organisationsverordnung aus dem Jahr 1912 keine inhaltlichen Leitlinien gab.695 Obwohl die Konferenz letztlich aufgrund des Kriegsausbruches abgesagt wurde, also die konkrete Ausgestaltung der Forderungen unbe­ kannt ist696, kann angesichts der beständigen Monita der Lehrkräfte davon ausgegangen werden, dass Voigt insbesondere beabsichtigte, das Pensio­ natsleben und den Schulunterricht stärker zu verknüpfen und etwaige Einflüsse der Elternhäuser auf die Kinder zu minimieren. Dass Voigt hierzu die Landerziehungsheime in den Blick nahm, lag nicht fern. Die Einrichtung der Pensionate hatte sich an der praktischen Notwendigkeit einer Unterbringung der Schülerinnen und Schüler orientiert, und es finden sich keinerlei Hinweise, dass sich Lehrkräfte oder Verwaltungsbe­ amte Landerziehungsheime zum Vorbild genommen hatten. Die in den kolonialen Schulen in Deutsch-Südwestafrika entstandene Zusammenwir­ kung von Schule und Pensionat sowie die pädagogischen Grundmuster lieferten allerdings mindestens drei Anknüpfungspunkte mit den von Hermann Lietz (1868–1919) und anderen entwickelten Schwerpunkten der deutschen Landerziehungsheime. Erstens hatte insbesondere die Ver­

694 BArch, R 151-F/I.VI.ak.1, Bl. 1–2. BArch, R 1002/176, Bl. 11–12, 25. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 97. Alfred Bensch (geb. am 5.4.1886) wurde in Luga (heute Ortsteil von Neschwitz bei Bautzen) geboren und besuchte von 1900 bis 1906 in Pirna das Volksschul­ lehrerseminar. Vor seiner Anstellung im Kolonialdienst im Frühjahr 1913 arbei­ tete er in Pirna und Leipzig als Volksschullehrer, BArch, R 1002/176, Bl. 10–15, 25. Personalien, in: DKB, Jg. 24 (1913), S. 357. Personalien, in: ADSWA, Jg. 4 (1913), S. 149. 695 BArch, R 151-F/I.VI.ak.1, Bl. 1–2. BArch, R 1002/1763, Bl. 3, 6, 52, 55, 67. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 109–110. Verordnung des Gouverneurs von Deutsch-Südwestafrika über die Schulpensionate, in: DKB, Jg. 23 (1912), S. 709. Johannes Thormann (12.9.1879), geboren in Stargrad (heute gleichnamig, Polen), besuchte eine Mittelschule in Stettin und arbeitete nach seiner Volks­ schullehrerausbildung als Volksschullehrer in Torgelow (1900–1909). Neben seiner Tätigkeit als Schulleiter in Keetmanshoop (ab September 1909) erteilte Thormann auch Kapitulantenunterricht an Soldaten der örtlichen ‚Schutztrup­ pe‘, BArch, R 1002/1763, Bl. 3, 6, 14–15, 39–40. Personalien, in: DKB, Jg. 20 (1909), S. 778. 696 BArch, R 151-F/I.VI.ak.1, Bl. 4. BArch, R 151-F/I.VI.ak.2, Bl. 5.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

bindung von Fachunterricht mit Handarbeitsunterricht für Mädchen und Jungen, mit handwerklichen Tätigkeiten sowie mit der Gartenarbeit in beiden Bereichen große Bedeutung.697 In der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika erhielten Lehrerinnen und Lehrer darum auch regelmäßig Urlaubsverlängerungen, um sich in diesen Bereichen weiterzu­ bilden.698 Außerdem waren entsprechende Kenntnisse, zuvorderst im mo­ dernen Handarbeitsunterricht und auch im Zeichenunterricht, seit 1908 bevorzugte Einstellungsmerkmale.699 Zweitens herrschte sowohl bei den Lehrkräften der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika als auch bei den Vertretern der Landerziehungsheime ein gewisses päd­ agogisches Misstrauen gegenüber den Einflüssen des Elternhauses auf die Schulkinder.700 Und drittens war die Bevorzugung verheirateter Lehrkräfte durch die koloniale Verwaltung mit der Motivation, dadurch Schulamt und Pensionatsleitung an ein Paar zu vergeben, durchaus auch möglicher Anknüpfungspunkt für den auf den Familienbegriff setzenden Ansatz der Landschulheimpädagogik von Lietz.701 Gleichwohl finden sich aber zu keiner Zeit auch nur annähernd ausgearbeitete pädagogische Konzepte, sodass der Kriegsausbruch im Sommer 1914, der im Laufe der zweiten Jahreshälfte auch Deutsch-Südwestafrika erreichte, eine etwaige Adaption wohl in einem sehr frühen Stadium verhinderte. Der Erste Weltkrieg bedeutete indes keineswegs die Beendigung der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika. Der zuletzt im Fokus der Darstellung stehende Schulinspektor Bernhard Voigt machte es sich insbesondere zur Aufgabe, die Schultätigkeit fortzuführen, und trans­ portierte Wissen und Erfahrung in die Kriegs- und Nachkriegszeit. Wäh­ rend dies unter dem Untersuchungsaspekt der Kontinuität Gegenstand von Kapitel 4.1 ist, blickt der nachfolgende Abschnitt noch einmal genau­ er auf die Lehrerinnen und Lehrer. Er fragt nach deren Herkunft und

697 Allgemeine Bestimmungen, S. 27–28. Vgl. Lischewski, Andreas; Fengler, Janne: New Schools – Écoles Nouvelles – Landerziehungsheime. Zum historischen Auftakt reformpädagogisch motivierter Schulversuche, in: Barz, Heiner (Hg.): Handbuch Bildungsreform und Reformpädagogik, Wiesbaden 2018, S. 229– 241, hier: S. 231. 698 BArch, R 1002/633, Bl. 39. BArch, R 1002/737, Bl. 6. BArch, R 1002/1349, Bl. 37, 40. 699 BArch, R 1002/180, Bl. 45, 55. BArch, R 1002/326, Bl. 5. Moritz, Das Schulwe­ sen in Deutsch-Südwestafrika, S. 33–34. 700 Vgl. Keim, Schule, S. 677–678. 701 Vgl. Lischewski/Fengler, New Schools – Écoles Nouvelles – Landerziehungshei­ me, S. 231.

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3. Reorganisation und Vernetzung

sozialen wie fachlichen Hintergründen und blickt insbesondere auf die verschiedenen Berufsbiographien weiblicher und männlicher Lehrkräfte.

3.4.3 Die statistische Auswertung der Personalakten und die Lehrkräfterekrutierung Die Lehrerschaft der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafri­ ka umfasste im Betrachtungszeitraum von September 1894 bis einschließ­ lich Juni 1915 75 Lehrkräfte, die an insgesamt 17 Volks- und drei Se­ kundarschulen arbeiteten.702 Sie lässt sich nach Geschlecht in 44 Lehrer und 31 Lehrerinnen unterteilen, was einen Anteil von 59 Prozent männli­ cher und einen Anteil von 41 Prozent weiblicher Lehrkräfte ergibt. Dies spricht zunächst für eine sehr hohe Frauenquote innerhalb der Lehrer­ schaft, und ist allein die Anwesenheit einer Lehrkraft das Kriterium der Analyse, ist diese Aussage uneingeschränkt zutreffend. Nimmt man jedoch die im kolonialen Schuldienst verbrachten Dienstzeiten703 in den Blick, bedarf die Aussage gewisser Akzentuierungen. So verbrachten die Lehr­ kräfte im gesamten Betrachtungszeitraum 3.000 Monate im Dienst. Davon entfielen 1.995 Monate auf die Lehrer und 1.005 Monate auf die Lehre­ rinnen, sodass gemäß dem Kriterium der Dienstzeit nicht 59, sondern 66,5 Prozent der Lehrkräfte männlich und 33,5 Prozent weiblich waren.704 Die im Vergleich zum Verhältnis auf Basis der Personenzahlen signifikante

702 Der Betrachtungszeitraum wird begrenzt von der ersten Schuleröffnung durch Frau Nitze und dem Zeitpunkt der Kapitulation, zu welchem die Überlieferung in den Personalakten in der Regel abbricht. Beachte hier und im Weiteren insbesondere die Liste der Lehrkräfte in Anhang Nr. 27. 703 Die Erfassung der Personenanzahl auf Basis der Dienstzeit (nach Monaten) ermöglicht eine detailliertere statistische Auswertung als die in der sonstigen Sekundärliteratur (vgl. exemplarisch Kundrus, Moderne Imperialisten, S. 208. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 232) übliche Übernahme von Kennzahlen aus den amtlichen Jahresberichten oder sich auf diese beziehende Publikationen. Die dortigen Zahlen sind lediglich starre Mo­ mentaufnahmen, welche die lokalen Berichterstatter zum Zeitpunkt ihrer Be­ richtsmeldung (meist März eines Jahres) notierten. Angesichts festzustellender Diskrepanzen zwischen den auf Basis der Personalakten ermittelten Lehrkräf­ teanzahl und den Jahresberichtsangaben ist insbesondere auch unklar, ob es sich bei den Zahlen um die Anzahl der eingestellten oder die der anwesenden Lehrkräfte oder etwa um die theoretische Stellenzahl handelte. 704 Beachte die Statistik in Anhang Nr. 32.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

Differenz von siebeneinhalb Prozentpunkten wird insbesondere durch die Betrachtung der chronologischen Entwicklung der Lehrerzahlen erklärt.705 Nachdem mit Helene Nitze von September 1894 bis Dezember 1898 die einzige Lehrkraft eine Frau gewesen war, arbeiteten von Januar 1900 bis einschließlich Oktober 1907 ausschließlich männliche Lehrkräfte in der deutschen kolonialen Schule Deutsch-Südwestafrikas. Insbesondere der von 1895 bis 1905 amtierende Gouverneur Theodor Leutwein verwehrte sich Initiativen, die Ausreise lediger Frauen zu fördern.706 Erst im Novem­ ber 1907 trat mit der aus dem Raum Stettin stammenden Lehrerin Käthe Guse wieder eine weibliche Lehrkraft in den kolonialen Schuldienst ein.707 Im Verlauf des Jahres 1908 folgten vier weitere Anstellungen weiblicher Lehrkräfte, sodass im Mittel dieses Jahres etwa 28 Prozent der Lehrkräf­ te weiblich waren. 1909 erreichte deren Anteil gar 43 Prozent, bevor er sich im Zeitraum von 1910 bis 1914 zwischen 36 und 40 Prozent beweg­ te. Dies vermochte den Überhang männlicher Lehrkräfte zwischen 1900 und 1907 statistisch ebenso wenig auszugleichen wie der zum Ende des Betrachtungszeitraumes im ersten Halbjahr 1915 zu beobachtende sprung­

705 Beachte hierzu die graphische Darstellung der Lehrkräfteanzahl nach Monaten in Anhang Nr. 31. 706 Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 227. Walgen­ bach, Die weiße Frau, S. 84. Theodor Leutwein (9.5.1849–13.4.1921) verfolgte nach unvollendetem Jurastu­ dium eine militärische Karriere. Ab Dezember 1893 führte er die deutschen Militäroperationen in Deutsch-Südwestafrika an. Er wurde im Juni 1895 zum Landeshauptmann, im November 1897 zum Kommandeur der Schutztruppe Deutsch-Südwestafrikas und im April 1898 zum Gouverneur der Kolonie er­ nannt. In den Jahren 1904 und 1905 ging er dieser Ämter im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Herero-Nama-Krieges sowie aufgrund genereller politi­ scher und militärischer Unstimmigkeiten im Verhältnis zur Berliner Kolonial­ verwaltung verlustig und wurde in den Ruhestand versetzt, vgl. Gründer, Horst: Leutwein, Theodor, in: Stolberg-Wernigerode, Otto zu (Hg.): Neue deutsche Biographie, Bd. 14, Berlin 1985, S. 387–388. 707 BArch, R 1002/633, Bl. 13–14. Käthe Guse (geb. am 12.2.1877) besuchte in ihrer Kindheit sechs verschiedene Schulen für Höhere Töchter, da ihr Vater als Offizier häufig versetzt wurde. Nach ihrem Lehrerinnenexamen verbrachte sie einige Zeit in privater Anstel­ lung in Großbritannien und arbeitete anschließend als Lehrerin an einer Pri­ vatschule für Höhere Töchter und zuletzt als Volksschullehrerin in Berlin-Köpe­ nick, BArch, R 1002/663, Bl. 13–14, 20. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 18 (1907), S. 1039. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 19 (1908), S. 14. Käthe Guse ist mit 92 Dienstmonaten (7,7 Jahre) im Zeitraum von 1894 bis Juni 1905 von allen Lehrerinnen die am längsten in der kolonialen Schule von Deutsch-Süd­ westafrika beschäftigte Lehrerin, siehe Anhang Nr. 34 b).

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hafte Anstieg des Lehrerinnenanteils von 38 auf 55 Prozent.708 Während dies nicht zuletzt kriegsbedingte Ursachen hatte, da zahlreiche männliche Lehrkräfte Kriegsdienst leisteten und ersatzweise Ende 1914 und Anfang 1915 vor allem Lehrerinnen eingestellt wurden709, ist die Anstellung von Lehrerinnen an sich sowohl mit schulpraktischen als auch mit koloniali­ deologischen Gesichtspunkten in Verbindung zu bringen. Aus der Perspektive der Schulfinanzierung war es insbesondere günsti­ ger, Lehrerinnen anstelle von Lehrern anzustellen, da das Einstiegsgehalt jener mit 4.100 M um 1.000 M geringer war als das der Lehrer.710 Hinzu kam, dass Lehrerinnen bisweilen die Leitung sowohl einer Schule als auch des dazugehörigen Pensionats übertragen wurde und so Personal und Kos­ ten eingespart wurden.711 Die Anstellung von Frauen in der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika begann des Weiteren in einer Zeit, in der die koloniale Propaganda im Deutschen Reich verstärkt auf die Übersiedlung von Frauen in genau diese Kolonie drängte. Getragen von der Überzeugung einer kulturbringenden Wirkung von Frauen für das koloniale Leben verfolgte insbesondere der 1907 gegründete Frauen­ bund der Deutschen Kolonialgesellschaft dieses Ziel.712 Hierzu bewarb und organisierte der Frauenbund die Ausreise, vermittelte Anstellungen und sorgte auch vor Ort für Betreuung und für die soziale wie ideolo­ gische Anbindung an die deutsche Siedlergemeinschaft. Zwischen 1907 und 1914 erreichten auf diesem Weg etwa 571 junge Frauen im Alter von 20 bis 35 Jahren Deutsch-Südwestafrika.713 Im Fokus der Vermittlungstä­

708 Beachte hierzu die Statistik in Anhang Nr. 32. 709 Zu dieser Strategie der Kontinuität beachte insbesondere und ausführlicher Kapitel 4.1.1 710 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 64–65. Beachte hierzu auch insbesondere den nachfolgenden Abschnitt. 711 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Fall der Lehrerin Her­ mine Horn, die ab Juli 1909 in der Schule in Warmbad arbeitete und sich zunächst gegen die von ihr als Zusatzarbeit empfundene Pensionsleitung wehr­ te, diese aber dann dennoch ausübte, BArch, R 1002/831, Bl. 31–32, 80. 712 Vgl. Dietrich, Anette: Rassenkonstruktion im deutschen Kolonialismus. „Weiße Weiblichkeiten“ in der kolonialen Rassenpolitik, in: Bechhaus-Gerst, Marianne; Leutner, Mechthild (Hg.): Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009, S. 176–187, hier: S. 184–187. Kundrus, Birthe: Weiblicher Kulturimperialismus. Die imperialistischen Frauenverbände des Kaiserreichs, in: Conrad, Sebastian; Osterhammel, Jürgen (Hg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004, S. 213–235, hier: S. 219. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 55–74. Walgenbach, Die weiße Frau, S. 83–86. Wildenthal, German Women for Empire, S. 131–171. 713 Vgl. Walgenbach, Die weiße Frau, S. 90–96.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

tigkeiten standen neben sich im Deutschen Reich befindende Verlobte und Ehefrauen bereits ausgereister Kolonisten vor allem ledige Frauen, die eine Anstellung als Hauswirtschafterin oder Dienstmädchen suchten. Aber auch Lehrerinnen und Erzieherinnen gehörten zu den Vermittelten. Sie waren als Vertreterinnen der ‚gebildeten Frauen‘ ideologisch eigent­ lich bevorzugt, befanden sich allerdings in der Minderheit. Außerdem pro­ gnostizierte man ihnen seitens des Frauenbundes aufgrund eines geringen Stellenangebotes Schwierigkeiten in der Erlangung einer Stelle in ihrem eigentlichen Berufsfeld.714 Die Berufsbiographien von nicht wenigen ab 1907 angestellten Lehre­ rinnen spiegeln diese Schwierigkeiten wider. Sie zeigen, dass trotz prinzi­ pieller Öffnung des Lehrerstellenmarktes für Frauen die Zahl der Bewer­ berinnen die Zahl der offenen Stellen überstieg. Frauen mussten hartnä­ ckig und geduldig bleiben, wenn sie eine Anstellung erlangen wollten, und wandten Ausweichstrategien an, die sich in den Berufsbiographien der männlichen Lehrkräfte so nicht finden. Die aus dem ostpreußischen Grauschienen (heute Gruszyny, Polen) stammende Käthe Anhuth etwa reiste trotz einer abgelehnten Bewerbung um eine Lehrerinnenstelle nach Deutsch-Südwestafrika, da sie die Chancen auf eine erfolgreiche Bewer­ bung von vor Ort als besser einschätzte. In der Kolonie arbeitete sie aus­ weichend zunächst in einer Privatanstellung und bewarb sich aus dieser heraus erneut, woraufhin sie im Januar 1909 eingestellt wurde.715 Als weitere Motivation einer Anstellung im staatlichen Schuldienst benannte Käthe Anhuth die Verbesserung ihres Gehalts, das mit monatlich 350 M weit über dem vergleichsweise heranziehbaren, vom Frauenbund als Maß­ stab genommenen Mindestgehalt von Hauswirtschafterinnen in Höhe von 50 M lag.716 Eine entsprechende Anstellung war also auch aus finanzieller Perspektive ein Ausweichen auf eine schlechtere Alternative. Einen noch längeren Bewerbungsweg als Käthe Anhuth nahm Gustava Bütow, die erst

714 Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 65–66, 229, 232. Walgenbach, Die weiße Frau, S. 91–92. 715 BArch, R 1002/100, Bl. 2–4, 11. Käthe Anhuth (geb. am 28.2.1883) legte nach dem Besuch einer Höheren Töchterschule in Tilsit (heute Sowetsk, Russland) 1903 das Lehrerinnenexamen für Volksschule, mittlere und höhere Töchterschule in Königsberg (heute Kali­ ningrad, Russland) ab. Dort besuchte sie auch für ein Semester die Universität, bevor sie als Privatlehrerin arbeitete, BArch, R 1002/100, Bl. 21–24. 716 BArch, R 1002/100, Bl. 10–16. Vgl. Walgenbach, Die weiße Frau, S. 93. Zur Gehaltsstruktur der Lehrerschaft in Deutsch-Südwestafrika im Allgemeinen be­ achte den nachfolgenden Abschnitt.

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3. Reorganisation und Vernetzung

im März 1914, etwa dreidreiviertel Jahre nach ihrer ersten Bewerbung, eine Stellenzusage für die Schule in Swakopmund bekam.717 Und Bütow befand sich zum Zeitpunkt des Stellenantritts bereits seit drei Jahren in der Kolonie. Sie hatte nach ihrer Ankunft im Frühjahr 1911 zunächst in der Gastwirtschaft ihres Bruders in Swakopmund gearbeitet und nach zwei weiteren ergebnislosen Erneuerungen ihrer Bewerbung im März 1912 schließlich eine Anstellung als Privatlehrerin auf der Farm eines deutschen Kolonisten angenommen, die sie erst Ende 1913 aufgrund sich dann bes­ sernder Aussicht auf Anstellung im Regierungsdienst aufgab.718 Solch lan­ ge Wartezeit wohl antizipierend oder die Warnungen des Frauenbundes ernst nehmend richteten zwei andere Lehrerinnen ihre Bewerbung bereits weit im Voraus an die Kolonialverwaltung. Anna Stobbe etwa bewarb sich im Januar 1913 kaum nach Eintreffen in der Kolonie, obwohl sie über eine ausbildungsnahe Anstellung als Privaterzieherin verfügte und zu deren Ausübung verpflichtet war. Auch sie erneuerte ihre Bewerbung regelmäßig und erhielt schließlich im März 1914 eine Anstellung.719 Obwohl also die Vermittlung von Lehrerinnen hinter der Vermittlung von Hauswirtschafterinnen anstand und erhebliche Schwierigkeiten in der Stellenerlangung zu erwarten waren, gehörten indes sowohl eine ehema­ lige als auch eine zukünftige Lehrerin der kolonialen Schule in DeutschSüdwestafrika zu den prominenten Vertreterinnen des Frauenbundes, die unter anderem durch Vortragstätigkeit Werbung für die Ausreise betrie­ ben. Letztere war Margarethe von Eckenbrecher, die ab September 1914

717 BArch, R 1002/289, Bl. 2–3, 5, 32. Gustava Bütow (geb. am 3.1.1889) hatte nach Besuch Höherer Töchterschulen in Güstrow und Schleswig das Lehrerinnenseminar in Augustenburg (heute Au­ gustenborg, Dänemark) absolviert. Vor ihrer Ausreise nach Deutsch-Südwest­ afrika war sie an verschiedenen Orten als Volksschullehrerin tätig gewesen, BArch, R 1002/289, Bl. 2–3, 8–9. 718 BArch, R 1002/289, Bl. 13, 18, 21–29. Auch die Lehrerinnen Martha Dittrich und Marie Kelch arbeiteten als Privat­ lehrerinnen auf Farmen und bewarben sich aus dieser Stellung heraus erfolg­ reich um eine Lehrerinnenstelle, BArch, R 1002/352, Bl. 3–5, 9–10. BArch, R 1002/916, Bl. 1–2, 9–10, 15–16. 719 BArch, R 1002/1676, Bl. 1, 3, 5, 8, 17, 21–23. Zur ähnlichen Situation der Lehrerin Franziska Willich beachte BArch, R 1002/1950, Bl. 1, 6–7, 15. Anna Stobbe (geb. am 6.11.1884) besuchte eine Höhere Töchterschule in Kö­ nigsberg (heute Kaliningrad, Russland) und legte im dortigen Lehrerinnense­ minar 1905 ihr Examen ab. Anschließend arbeitete sie von 1907 bis 1912 als Lehrerin an einer Höheren Töchterschule in Pillau (heute Baltijsk, Russland), bevor sie nach Deutsch-Südwestafrika ausreiste, BArch, R 1002/1676, Bl. 2, 22– 23.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

als Lehrerin in Windhuk arbeitete.720 Erstere war Helene von Falkenhau­ sen, die unter ihrem Mädchennamen Nitze die erste koloniale Schule in Deutsch-Südwestafrika gegründet hatte.721 Sie war zudem von Mai 1908 bis April 1909 Leiterin der neugegründeten Frauenkolonialschule im nordhessischen Witzenhausen, wo junge Frauen auf die Tätigkeit im ko­ lonialen Farmhaushalt vorbereitet werden sollten.722 Ab September 1910 leitete Frau von Falkenhausen dann die Farm Brakwater nahe Windhuk, die mit dem Ziel gegründet wurde, jungen Frauen vor Ort vertiefte Fähig­ keiten in der Haushaltsführung und der Landwirtschaft zu vermitteln.723 Überraschenderweise führten diese engen Verbindungen zwischen Schule und Auswanderungsorganisationen nicht zur Etablierung einer einfache­ ren Möglichkeit für Frauen, Lehrerinnenstellen in der Kolonie zu erlan­ gen. Dies schaffte derart einzig die aus Kolmar (heute Chodzież, Polen) stammenden Anna Scheibner, die nach ihrem Lehrerinnenexamen nach Deutsch-Südwestafrika reiste, dann in Brakwater ausgebildet wurde und im September 1911 eine Anstellung als Vertretungslehrerin in Swakop­ mund erhielt.724 Dagegen gelangten häufiger, nämlich in drei Fällen, Frau­ en aus vorherigen Anstellungen in Schulen in der benachbarten britischen Kapkolonie zu einer Anstellung im kolonialen Schuldienst Deutsch-Süd­

720 BArch, R 1002/387, Bl. 7–8. Eckenbrecher, Margarethe von: Was Afrika mir gab und nahm. Erlebnisse einer deutschen Frau in Südwestafrika 1902–1936, Berlin 1940, S. 172–173. Frau von Eckenbrecher ist eine derjenigen Lehrerinnen, die 1914 und 1915 ihre männlichen und kriegsdienstleistenden Kollegen ersetzte. Beachte hierzu weiterführend Kapitel 4.1.1. 721 Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 225. Walgen­ bach, Die weiße Frau, S. 99. 722 Barth, Ueber das Schulwesen unserer Schutzgebiete, S. 85. Vgl. Böhlke, Zur Geschichte der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen, S. 61. Lerp, Dörte: Zwischen Bevölkerungspolitik und Frauenbildung. Die Kolonialfrauenschulen in Witzenhausen und Bad Weilbach, in: Bechhaus-Gerst, Marianne; Leutner, Mechthild (Hg.): Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009, S. 32–39, hier: S. 34–35. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 74–82 (insb. 76–77). Walgenbach, Die weiße Frau, S. 96–97. Zur Deutschen Kolonial­ schule beachte Linne, Von Witzenhausen in die Welt. 723 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 177–178. Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 82–90. 724 BArch, R 1002/1567, Bl. 5–6, 19–20. Anna Scheibner (geb. am 24.9.1879) besuchte die Höhere Töchterschule in ihrer Heimatstadt Kolmar (heute Chodzież, Polen) und schloss 1904 ihre Ausbildung zur Volksschullehrerin in Stettin ab. 1907 erwarb sie außer­ dem die Lehrbefähigung an mittleren und höheren Töchterschulen, BArch, R 1002/1567, Bl. 5–6.

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3. Reorganisation und Vernetzung

westafrikas. Sowohl Hermine Horn, die im Juli 1909 in Lüderitzbucht angestellt wurde, als auch Margarete Schlusche, die ab Januar 1910 am gleichen Ort arbeitete, hatten in Schulen der Rheinischen Missionsgesell­ schaft gearbeitet.725 Letztere war außerdem Leiterin einer englischen höhe­ ren Töchterschule, der Milburn House School, in Claremont (Kapstadt) gewesen.726 Maria Voigt-Brüning schließlich hatte in einer deutschen Aus­ landsschule, der St. Martini Schule in Kapstadt, unterrichtet, bevor sie im Jahr 1909 in Windhuk arbeitete.727 Ihre Anstellung ist auch deshalb besonders, weil sie die einzige verheiratete Frau war, die trotz Lehrerin­ nenzölibats vor 1914 angestellt wurde. Ebenso bemerkenswert war, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Musiklehrer Heinrich Voigt, angestellt wurde. Einzig eine eigene Personalakte wurde ihr nicht gewährt.728

725 BArch, R 1002/831, Bl. 2–3. BArch, R 1002/1507, Bl. 2–3, 18–19, 41, 46–47. Zur Tätigkeit von Frauen in der Rheinischen Mission beachte Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 28–33. Hermine Horn (geb. am 24.6.1870) hatte eine Volksschule in Altena (Westfa­ len) besucht und zudem Privatunterricht (Englisch, Französisch und Musik) erhalten. Nach dem Besuch eines Lehrerinnenseminars in Hagen (Westfalen), gefolgt von einer fünfjährigen Tätigkeit als Volksschullehrerin (1899–1904), absolvierte sie eine Ausbildung zur Missionarin in England und den Niederlan­ den (London Missionary Society), die in eine Anstellung als Missionslehrerin in Steinkopf (Kapkolonie; heute Ortsteil von Namakwa, Südafrika) mündete, BArch, R 1002/831, Bl. 2–3. 35–36. Margarethe Schlusche (geb. am 2.3.1880) hatte nach dem Besuch einer Volks­ schule zunächst eine Ausbildung als Krankenpflegerin (1898–1899) absolviert, bevor sie von 1899 bis 1902 ein Lehrerinnenseminar besuchte. Anschließend war sie zunächst als Lehrerin in Berlin und in Barmen tätig und reiste anschlie­ ßend nach Südafrika. Dort unterrichtete sie an Missionsschulen in Steelenbosch und in Claremont, BArch, R 1002/1507, Bl. 10, 19–20, 41, 46–47. 726 BArch, R 1002/1507, Bl. 1, 10. 727 BArch, R 1002/1832, Bl. 13, 30–31, 75. Maria Voigt-Brüning (geb. am 16.3.1876) hatte nach ihrem Lehrerinnenex­ amen in Breslau, (heute Wrocław, Polen) für dreieinhalb Jahre an Mädchen­ schulen in Deutschland gearbeitet, bevor sie Mitte 1907 ihre Anstellung an der St. Martini-Schule in Kapstadt angetreten hatte, BArch, R 1002/1832, Bl. 13, 26–27. 728 BArch, R 1002/1832, Bl. 13, 24–25, 84. Beide Personalien wurden in einer Akte (BArch, R 1002/1832) geführt. Zum Ausscheiden des Ehepaars Voigt nach einem Jahr kam es aufgrund eines Konfliktes mit der Gouvernementsverwal­ tung um die Berechtigung von Frauen, Mietzuschüsse zu erhalten, vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 235–236. Heinrich Voigt (geb. am 15.1.1863) verließ ein Gymnasium in Potsdam nach der Obertertia (9. Klasse) und besuchte daraufhin das Kgl. Conservatorium der

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

Im Gegensatz zu den Lehrerinnen waren deren männliche Kollegen in der Regel nicht gezwungen, die Ausweichstrategie einer Privatanstellung auf einer Farm zu nutzen. Darin ist sicherlich einer der Gründe zu sehen, weshalb Lehrer mit einem durchschnittlichen Alter von 28,5 Jahren zum Zeitpunkt ihrer Dienstanstellung etwa eineinhalb Jahre jünger waren als ihre Kolleginnen. 729 Hierzu trugen aber wohl auch die sich unterscheiden­ den Bildungs- und Ausbildungsverläufe von Lehrerinnen und Lehrern bei, denn jene verfügten über eine tendenziell umfassendere Berufsausbil­ dung, die entsprechend mehr Zeit in Anspruch nahm. So konnten 13 von 28 Lehrerinnen (46,4 Prozent) außer der Absolvierung eines Lehre­ rinnenseminars eine Zusatzausbildung, ein Studium oder beides vorwei­ sen.730 Letzteres traf auf zwei Lehrerinnen zu.731 Eine Lehrerin gab an, privat fremdsprachlichen Unterricht genossen zu haben.732 Fünf Lehrerin­ nen hatten zusätzliche Examina als Kindergärtnerin, Zeichenlehrerin oder Handarbeitslehrerin abgelegt733 und ebenso viele ein fremdsprachliches Studium, in der Regel in Frankreich, absolviert.734 Im Vergleich dazu besaßen – abgesehen von sieben Lehrern, die für die Lehrbefähigung an höheren Schulen ein Studium abgeschlossen hatten – lediglich fünf der 28 Lehrer, die über einen Lehrerseminarabschluss verfügten, entsprechende Zusatzqualifikationen, was einem signifikant geringeren Anteil von etwa 18 Prozent entspricht.735 Die festgestellte Diskrepanz in den Bildungsverläufen spiegelt sich in den Daten wider, die zu den Berufen der Väter der Lehrkräfte vorliegen, was außerdem eine gewisse soziale Verortung ermöglicht. Unter den Vä­ tern der Lehrerinnen, die im Übrigen beinahe alle nicht nur die Lehrbe­

729 730 731 732 733 734 735

Musik in Leipzig. Er besaß kein Lehramtsexamen, unterrichtete aber immer wieder auch als Musiklehrer an Schulen, BArch, R 1002/1832, Bl. 13, 32–33. Beachte hierzu die tabellarische Übersicht der Dienstzeiten in Anhang Nr. 34. Zur Altersverteilung siehe Kapitel 4.1.2. Für drei der 31 Lehrerinnen fehlt eine solche Angabe. BArch, R 1002/828, Bl. 2, 9–10. BArch, R 1002/832 Bl. 2–3, 55–56. BArch, R 1002/314, Bl. 2–5, 28–29. BArch, R 1002/99, Bl. 4–6, 10–11. BArch, R 1002/130, Bl. 6–7. BArch, R 1002/664, Bl. 1, 9, 29, 37–38. BArch, R 1002/796, Bl. 6–7. BArch, R 1002/1507, Bl. 46–47. BArch, R 1002/331, Bl. 1. BArch, R 1002/553, Bl. 27–28. BArch, R 1002/727, Bl. 5. BArch, R 1002/916, Bl. 1–2, 6, 22–23. BArch R 1002/145, Bl. 7–8. BArch, R 1002/180, Bl. 12–13. BArch, R 1002/698, Bl. 8–9, BArch, R 1002/1412, Bl. 8–9. BArch, R 1002/1830, Bl. 8–9. Einer der Lehrer hatte zwar ein Lehrerseminar besucht, den Abschluss aber nicht bestan­ den, BArch, R 1002/1032, Bl. 25.

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3. Reorganisation und Vernetzung

fähigung für die Volksschule, sondern auch für die mittlere und höhere Mädchenschule erworben hatten, befanden sich sieben teils höhere Beam­ te, sechs Gutsbesitzer oder Kaufleute, drei Pfarrer oder Missionare, drei Offiziere, drei Fabrikbesitzer oder leitende Angestellte sowie ein Professor und ein Privatier, also Väter von „Bürgertöchter[n]“.736 Bei den Lehrern der kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika setzte sich dagegen zum einen die im Lehrerberuf eine lange Zeit übliche Übernahme des väterli­ chen Berufes fort. Die Väter von acht Lehrern übten selbst einen Lehrer­ beruf aus.737 Zum anderen befanden sich unter den Vätern der Lehrer eher Vertreter der Angestellten- und Arbeiterschaft oder des niederen bis mittleren Bürgertums, nämlich vier Landwirte, ebenso viele Angestellte im Eisenbahnwesen, drei Handwerkermeister, ein Gastwirt und ein Zollange­ stellter.738 Hinzu kommen zwei kirchlich Beschäftigte, ein Armeemusiker und vier Privatiers oder Rentner, deren vorherige Berufe nicht bekannt sind.739 Trotz dieser Unterschiede lassen sich aber auch wichtige Gemeinsamkei­ ten der Lehrkräfte beider Geschlechter feststellen. So waren alle 56 Lehr­

736 BArch, R 1002/99, Bl. 10–11. BArch, R 1002/100, Bl. 21–22. BArch, R 1002/130, Bl. 6–7. BArch, R 1002/289, Bl. 8–9. BArch, R 1002/314, Bl. 2–3, 28–29. BArch, R 1002/13–14. BArch, R 1002/321, Bl. 1. BArch, R 1002/352, Bl. 12a-13. BArch, R 1002/387, Bl. 7–8. BArch, R 1002/505, Bl. 20–21. BArch, R 1002/633, Bl. 13– 14. BArch, R 1002/664, Bl. 9, 37–38. BArch, R 1002/670, Bl. 7–8. BArch, R 1002/756, Bl. 9–10. BArch, R 1002/760, Bl. 22–23. BArch, R 1002/831, Bl. 35–36. BArch, R 1002/916, Bl. 22–23. BArch, R 1002/1016, Bl. 4. BArch, R 1002/1507, Bl. 19–20. BArch, R 1002/1567, Bl. 5–6. BArch, R 1002/1676, Bl. 2, 22–23. BArch, R 1002/1832, Bl. 13, 26–27. BArch, R 1002/1950, Bl. 2–3. Vgl. Huerkamp, Die Lehrerin, S. 176–179 (für das Zitat: S. 176). Für sieben der 31 Lehrerinnen fehlen entsprechende Angaben. 737 BArch, R 1002/108, Bl. 24–26. BArch, R 1002/145, Bl. 7–8. BArch, R 1002/176, Bl. 14–15. BArch, R 1002/326, Bl. 43–44. BArch, R 1002/499, Bl. 24–25. BArch, R 1002/738, Bl. 17–18. BArch, R 1002/747, Bl. 20–21. BArch, R 1002/949, Bl. 16–17. Vgl. Dartenne, Seminare, S. 147–148. Sandfuchs, Geschichte der Leh­ rerbildung, S. 21. 738 BArch, R 1002/179, Bl. 25–26. BArch, R 1002/570, Bl. 5–6. BArch, R 1002/591, Bl. 6–7. BArch, R 1002/875, Bl. 13–14. BArch, R 1002/886, Bl. 5–6. BArch, R 1002/1033, Bl. 10–11. BArch, R 1002/1041, Bl. 18–19. BArch, R 1002/1401, Bl. 12–13. BArch, R 1002/1412, Bl. 8–9. BArch, R 1002/1763, Bl. 14–15. BArch, R 1002/1785, Bl. 19–20. BArch, R 1002/1800, Bl. 10–11. BArch, R 1002/1830, Bl. 8–9. 739 BArch, R 1002/126, Bl. 5–6. BArch, R 1002/180, Bl. 12–13. BArch, R 1002/698, Bl. 8–9. BArch, R 1002/921, Bl. 22–23. BArch, R 1002/1410, Bl. 16–17. BArch, R 1002/1599, Bl. 13–14. BArch, R 1002/1832, Bl. 13, 32–33. Für sechzehn der 41 Lehrer fehlen entsprechende Angaben.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

kräfte, für die die religiöse Zugehörigkeit feststellbar ist, protestantischer Konfession.740 Obwohl die Schulen prinzipiell sowohl protestantischen als auch katholischen Kindern offenstanden und zudem burische Protestan­ ten sowie Kinder jüdischen Glaubens nicht ausgeschlossen wurden, zeig­ te sich der deutsche Kolonialismus durch seine Lehrerschaft als deutschprotestantischer Entwurf.741 Betrachtet man die geographische Herkunft der Lehrer, ist zudem eine stark preußische Prägung festzustellen.742 So stammten 43 von 63 Lehrkräften, für die die bundesstaatliche Zugehö­ rigkeit zweifelsfrei zu identifizieren ist, aus Preußen, gefolgt von sechs Lehrkräften aus dem Königreich Sachsen. Aus Württemberg etwa, das in den ersten acht Jahren der deutschen kolonialen Schule alle Lehrkräfte ge­ stellt hatte, stammte innerhalb der Lehrerschaft der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika nur noch ein Lehrer.743 Das preußische Kultusministerium, welche die Anstellung von Württembergern anfangs indirekt gefördert hatte, hatte seine Zurückhaltung in der Vermittlung von Lehrkräften an koloniale Schulen mittlerweile aufgegeben und ab 1905 durch eine Anweisung an die regionalen Schulbehörden die Attrakti­ vität eines Wechsels für preußische Lehrkräfte in ein koloniales Schulamt gesteigert. In einem Schreiben an die Preußischen Provincial-Schulkollegi­ en stellte die Kultusbehörde am 27. März 1905 die kolonialen Schulen (Regierungsschulen) den deutschen Auslandsschulen insofern gleich, als dass einer seminaristisch gebildeten kolonialen Lehrkraft nun abgesehen von Ausnahmefällen „die von ihm [oder ihr] bekleidete oder eine gleich­ wertige Stelle in dem selben Schulverband […] offen zu halten“ war.744 Außerdem sollte die koloniale Dienstzeit aus heimischer Perspektive als bezahlte Urlaubszeit angesehen und bei der Gehalteinstufung zum Zeit­ punkt der Rückkehr berücksichtigt werden.745 „Akademisch gebildet[e] Lehrer“ erhielten in einem zeitgleichen separaten Schreiben analoge Zu­

740 Beachte hierzu die Selbstauskünfte der Lehrkräfte in den Personalakten. 741 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 209. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 242. Amtlicher Jahresbericht, DSWA (1906/1907), S. 46. Amtlicher Jahresbericht, DSWA (1907/1908), S. 9. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 133. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 55 (Statistischer Teil). Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 59 (Statistischer Teil). Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 70 (Statistischer Teil). 742 Beachte die Tabelle zur geographischen Herkunft in Anhang Nr. 35. 743 Zur Fokussierung auf württembergische Lehrkräfte in Kamerun, Togo und Deutsch-Ostafrika beachte Kapitel 3.1.1 und Kapitel 3.2.1. 744 BArch, R 1001/7311, Bl. 4–5 (für das Zitat: Bl. 4). 745 BArch, R 1001/7311, Bl. 4–5.

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3. Reorganisation und Vernetzung

sicherungen, unabhängig ob diese an staatlichen oder privaten Schulen ar­ beiteten.746 Lehrerinnen und Lehrer erlangten so wichtige Sicherheiten für die Zeit nach einer kolonialen Dienstzeit, die für viele auch durchaus früh wieder endete. So lag die durchschnittliche Dienstzeit bei 3,3 Jahren, wo­ bei Lehrer im Mittel längere (3,8 Jahre) und Lehrerinnen kürzere Zeit (2,7 Jahre) in der deutschen kolonialen Schule arbeiteten.747 Die Frage nach dem persönlichen Auskommen nach der kolonialen Dienstzeit stellte sich also bei vielen Lehrkräften und hatte in Preußen ab 1905 eine Ant­ wort erhalten. Gehaltsangelegenheiten waren aber nicht nur hinsichtlich des Dienstzei­ tendes relevanter Gegenstand von Debatten und Regelungen. Im Fokus stand regelmäßig auch das Gehalt während der kolonialen Dienstzeit, und nicht selten waren Uneinigkeiten über Gehaltsfragen Ursache von Konflik­ ten zwischen Lehrkräften und der kolonialen Verwaltung. Häufig beding­ ten teils diffuse Anforderungen an koloniale Lehrkräfte die strittigen The­ men und den Verlauf von Konflikten. Darum nimmt der nachfolgende Abschnitt diese Anforderungen zunächst aus vergleichender Perspektive in den Blick, bevor zum Abschluss dieses Kapitels Konflikte um Gehaltsfra­ gen betrachtet werden.

3.4.4 Anforderungen und Gehalt Die deutsche koloniale Schule lässt sich cum grano salis in zwei Bereiche unterteilen. Zum einen umfasste sie Schulen für indigene Bevölkerungs­ gruppen, zum anderen Schulen für die Kinder deutscher, europäischer und nordamerikanischer Kolonisten. Den hiermit verbundenen sehr of­ fensichtlichen Unterschieden in den Schul- und Unterrichtszielen steht hinsichtlich der Anforderungen an die Lehrkräfte zunächst eine grund­ sätzliche Gemeinsamkeit gegenüber: Fachlicher Ausgangspunkt der deut­ schen kolonialen Schule und der Lehrkräfterekrutierung war die deutsche Volksschule. Ein erster Unterschied beider Bereiche zeigt sich allerdings bereits im Prozess der Identifikation dieser Basis. Während im Bereich der Schulen für Indigene die Festlegung auf Lehrkräfte der Volksschulen erst nach einem langen Prozess der Wissenstransformation erfolgte748, war

746 BArch, R 1001/7311, Bl. 6–7 (für das Zitat: Bl. 6). 747 Beachte hierzu die tabellarische Übersicht der Alter bei Diensteintritt in An­ hang Nr. 34. 748 Beachte Kapitel 2.1.2.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

diese für die koloniale Schule in Deutsch-Südwestafrika zwangsläufig, da der Unterricht als Ersatz für die heimische Beschulung fungieren sollte.749 Ein Blick auf die Ausbildungshintergründe der ersten Lehrer in DeutschSüdwestafrika zeigt, dass die Festlegung in den Anfangsjahren, anders als etwa in Kamerun, Togo oder Deutsch-Ostafrika, indes mit gewisser Offenheit gehandhabt wurde. In jener Gruppe befand sich schließlich mit Rudolf Krause, der im Frühjahr 1902 die Lehrerstelle in Swakopmund übernommen hatte, ein nicht-examinierter Volksschullehrer.750 Und auch Georg von der Au, der 1901 die Schule in Grootfontein eröffnet hatte, verfügte über keine Volksschullehrerausbildung, sondern war im höheren Lehramt ausgebildet.751 Nun wurde Krause aufgrund von Zeitdruck und mangels Alternativen eingestellt und hatte zumindest ein Lehrerseminar besucht.752 Bei Georg von der Au war dies nicht der Fall. Er hatte aller­ dings Erfahrungen in deutschen Auslandsschulen, darunter insbesondere in Kapstadt, vorzuweisen und verfügte über ein Empfehlungsschreiben des dortigen Generalkonsuls.753 Einerseits konnten in Deutsch-Südwestafrika also akute Problemlagen und andererseits einschlägige praktische Erfah­ rungen und amtliche Unterstützung die grundsätzlichen Anforderungen aufweichen, während dies etwa für die kolonialen Schule in Kamerun oder Deutsch-Ostafrika nicht zu beobachten ist. Dort stützten in akuten Problemlagen vielmehr indigene Lehrkräfte das Schulwesen, bis eine neue deutsche Lehrkraft eingetroffen war.754 Eine prozessuale Gemeinsamkeit beider Bereiche der deutschen kolonia­ len Schule ist die Weiterentwicklung der Anforderungen um zusätzliche fachliche Komponenten. Im Bereich der kolonialen Schulen für Indigene umfasst dies insbesondere die sprachlichen Fähigkeiten der Lehrkräfte, die deren Aufnahme in den Anforderungskatalog durch ihre eigene Tätigkeit auf dem Feld der Sprachpolitik substantiell begründeten. So wurden mit der Etablierung der entsprechenden Sprachen am Seminar für Orientali­ sche Sprachen in Berlin Lehrkräfte dort sprachlich und landeskundlich vorbereitet, wobei die große Mehrheit derart ausgebildeter Lehrer für den Schuldienst in Deutsch-Ostafrika bestimmt war und man insbesondere für diese Kolonie davon sprechen kann, dass die entsprechende Zusatzausbil­

749 750 751 752 753 754

Beachte Kapitel 3.3.1. BArch, R 1002/1032, Bl. 14–15, 25. BArch, R 1002/108, Bl. 3–9, 24–26. BArch, R 1002/1032, Bl. 14–15. BArch, R 1002/108, Bl. 24–26, 98. Beachte insbesondere Kapitel 3.1.2.

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3. Reorganisation und Vernetzung

dung die grundständige Ausbildung erweiterte.755 In Deutsch-Südwestafri­ ka wiederum hatten abseits von der grundständigen Lehramtsausbildung vor allem zwei Fähigkeitskomplexe besondere Relevanz. Zum einen er­ höhten Kenntnisse in vor allem der niederländischen und der englischen Sprache die Anstellungschancen oder war ihr Fehlen ein Hindernis.756 Zum anderen wirkten sich Kenntnisse im modernen Zeichenunterricht sowie im Handarbeitsunterricht für Jungen positiv auf die Anstellung aus und waren ab 1908 bevorzugte Einstellungskriterien.757 Insbesondere der zuletzt genannte Fähigkeitskomplex war allerdings auch Gegenstand von Fortbildungen, die Lehrkräfte während ihres Heimaturlaubes absol­ vierten.758 Hierfür und auch für heimatliche Fortbildungen im Turn- oder im Naturkundeunterricht erhielten Lehrkräfte in der Regel zusätzlichen Urlaub, was nicht zuletzt zeigt, dass eine entsprechende Anpassung an die erweiterten Forderungen nicht als Selbstverständlichkeit erachtet wurde, dennoch aber gern gesehen war.759 Speziell in Deutsch-Ostafrika ist des Weiteren die Ausformung lokaler Anforderungen zu benennen, die ältere Lehrer an neue Kollegen richteten und die die Begriffe Character und Gentlemen adressierten.760 Entsprechen­ de Entwicklungen lassen sich für die Lehrerschaft Deutsch-Südwestafrikas nicht feststellen. Die Gründe dieser unterschiedlichen Entwicklungen mö­ gen zunächst in der Verschiedenheit der Vernetzungsgrade und deren Entstehung zu finden sein. Während etwa in Deutsch-Ostafrika vor allem durch die sprachpolitischen Eingriffe in das Swahili ein gemeinsames Vorgehen geboten war, sich dementsprechend früh ein Wissensaustausch 755 Beachte Kapitel 3.2.1. 756 BArch, R 1001/2760, Bl. 143–144. BArch, R 1002/326, Bl. 5. BArch, R 1002/570, Bl. 8. BArch, R 1002/1507, Bl. 1, 46–47. BArch, R 1002/1824, Bl. 1–4. BArch, R 1002/1832, Bl. 7. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 33–34. Beachte auch den Fall von Karl Schulz, der nicht Bestandteil der Auswertung ist, da er letzt­ lich trotz besonderer Kenntnisse im Niederländischen und im Englischen keine Anstellung erhielt. Schulz wurde zum Verhängnis, dass er betrunken und völlig mittellos zum Dienstantritt erschien und darum umgehend als „absolut unge­ eignet“ eingestuft wurde, BArch, R 1002/1590, Bl. 2–3, 14–15 (für das Zitat: Bl. 14). 757 BArch, R 1002/180, Bl. 45–46, 48–49. BArch, R 1002/326, Bl. 5. BArch, R 1002/570, Bl. 8. 758 BArch, R 1002/126, Bl. 35–36, 46–47. BArch, R 1002/737, Bl. 6. BArch, R 1002/1249, Bl. 37, 40. BArch, R 1002/2004, Bl. 42–44. 759 BArch, R 1002/698, Bl. 29–31. BArch, R 1002/796, Bl. 38, 52, 56. Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 233. 760 Beachte Kapitel 3.2.1.

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3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

innerhalb der Lehrerschaften etablierte, die Erfahrung von vor Ort große Wichtigkeit in Debatten gewann und teils fachliche, teils unfachliche Hier­ archiekriterien entstanden, blieben die kolonialen Lehrer in Deutsch-Süd­ westafrika lange Zeit Einzelakteure. Erst die Einführung einer Diensthier­ archie im Zuge der Schaffung der Schulaufsichtsstellen, die ab 1908 Alfred Zedlitz und Bernhard Voigt bekleideten, und die daraufhin einsetzenden Reorganisationsbemühungen verbanden die einzelnen Lehrkräfte.761 Illus­ trieren mag dies, dass in Kamerun bereits 1892, also vier Jahre nach der Gründung der zweiten Schule in Kamerun und ein Jahr nach Gründung der ersten Schule in Togo, eine Lehrerkonferenz mit Lehrern beider Kolo­ nien stattfand, während ein solches Treffen in Deutsch-Südwestafrika erst 1913, also neunzehn Jahre nach der Gründung der ersten Schule, angesto­ ßen wurde.762 Die Einführung der Schulaufsicht führte in Deutsch-Südwestafrika nicht nur zu fachlicher Vernetzung, sondern sorgte in ihrer ureigenen Funktion auch dafür, dass die fachlichen Anforderungen überprüft und Lehrkräfte korrigiert sowie bisweilen sogar entlassen wurden. In Deutsch-Ostafrika, wo der führende Lehrer Paul Blank ab 1904 seine Kollegen revisionierte, ist insbesondere Letzteres nicht festzustellen.763 In Deutsch-Südwestafrika entließ man nach 1908 vier Lehrkräfte auf Basis schlechter Revisionsbe­ richte.764 Konkret bedeutete dies, dass die entsprechenden Lehrkräfte nach Ablauf einer jeweils auf drei Jahre befristeten Dienstzeit nicht erneut an­ gestellt wurden. Im Falle des von Seiten der Gouvernementsverwaltung er­ wünschten Ausscheidens des Lehrers Georg von der Au nutzte diese indes das durchaus beugbare Kriterium der Tropendienstfähigkeit, das seitens der Kolonialverwaltung bisweilen genutzt wurde, um unliebsame Koloni­ albeamte zurück in die Heimat schicken zu können.765 Von der Au hatte im Oktober 1911, wohlgemerkt im elften Jahr seiner Beschäftigung, durch Schulreferent Zedlitz eine geradezu vernichtende Beurteilung erhalten. Je­

761 762 763 764

Beachte die Kapitel 3.2.1 und 3.4.1. Beachte die Kapitel 3.1.3, 3.1.4 und 3.4.2. Beachte Kapitel 3.2.3. BArch, R 1002/108, Bl. 93. BArch, R 1002/670, Bl. 35, 40. BArch, R 1002/738, Bl. 22–23, 34. BArch, R 1002/1863, Bl. 51. 765 BArch, R 1002/108, Bl. 93. Bisweilen kam dem Gouvernement das Ausscheiden eines Lehrers aufgrund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen merklich ge­ legen. So kommentierte man dort das Ausscheiden Waldemar Baumgarts im April 1912 wie folgt: „Wir würden aller Voraussicht nach an ihm nur einen dauernd unzufriedenen Beamten haben.“ BArch, R 1002/145, Bl. 87 (auch für das Zitat).

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3. Reorganisation und Vernetzung

ner sei aufgrund seiner Gymnasiallehrerausbildung „zum Volksschullehrer wenig geeignet“. Außerdem urteilte Zedlitz über von der Au: „Was er sich im Laufe der Zeit mühsam an praktischer Unterrichtsmethode angeeignet hat, ist kümmerlich genug.“766 Von der Au mache zudem „den Eindruck eines zermürbten Menschen“ und sei „zu einem weltfremden Sonderling geworden.“767 Der daraufhin durch die Gouvernementsverwaltung gegen­ über dem Reichskolonialamt ausgesprochene Wunsch, von der Au nach Ende der nächsten Dienstperiode nicht weiter zu beschäftigen, hielt der rechtlichen Prüfung im Reichskolonialamt allerdings nicht stand.768 Das Hindernis einer Pensionierung, die man für von der Au, der 58 Jahre alt war, als den persönlich günstigsten Weg aus dem Dienst erachtete, stellte letztlich ein positives Gesundheitsattest dar, das von der Au vor seiner Ausreise erhalten hatte.769 Der Lehrer kehrte daraufhin im April 1912 nach Deutsch-Südwestafrika zurück, erhielt aber schon nach der Hälfte der neuen Dienstzeit im Dezember 1913 ein nun derart negatives ärztliches Attest, dass von der Aus Rücksendung nach Deutschland als unausweich­ lich eingestuft werden konnte.770 Blickt man auf den Befund („hochgra­ dig[e] Schwerhörigkeit, Altersaugenschwäche, Arterienverkalkung, hoch­ gradig[e] Nervenschwäche und allgemein[e] Altersschwäche“) ist durchaus zu bezweifeln, dass die entsprechenden Leiden akut auftraten und dass sie nicht dazu genutzt wurden, von der Au auf dem vom Reichskolonialamt vorgezeichneten Weg der Pensionierung aus dem Dienst zu entfernen.771 Eine weitere Besonderheit im Umgang mit den Anforderungen an die Lehrkräfte stellte schließlich der Umgang mit Elternbeschwerden dar. Während etwa die Lehrer in Kamerun und Deutsch-Ostafrika in ihrem bezüglich etwaiger Elternkontakte präferierten Vorgehen in der Regel durch die Kolonialverwaltung unterstützt wurden, solidarisierte sich die Kolonialverwaltung in Deutsch-Südwestafrika mal mit den Eltern und mal mit den Lehrkräften. So führten etwa Beschwerden von Eltern über Adolf Hermkes, der im August 1914 in Omaruru angestellt worden war und im Unterricht „die Minderwertigkeit des Weibes“ betont sowie schlecht unter­ richtet haben soll, zu dessen Kündigung im März 1915.772 Insbesondere Elternbeschwerden wegen angeblich zu starker körperlicher Züchtigung 766 767 768 769 770 771 772

428

BArch, R 1002/108, Bl. 93 (auch für die Zitate). BArch, R 1002/108, Bl. 93 (auch für die Zitate). BArch, R 1002/108, Bl. 93, 98. BArch, R 1002/108, Bl. 92, 98. BArch, R 1002/108, Bl. 101. BArch, R 1002/108, Bl. Bl. 105–106 (für das Zitat: Bl. 105). BArch, R 1002/738, Bl. 22–23, 34.

3.4 Koloniale Schule für Nicht-Indigene in Deutsch-Südwestafrika

waren dagegen meist Anlass, die entsprechende Lehrkraft lediglich zu verwarnen.773 Selbst im Fall der Lehrerin Hermine Horn, die zur Regle­ mentierung ihrer Schülerinnen und Schüler einen „doppelt gedrehte[n] Ochsenriemen, […] Pfefferschnupfen [oder das] Legen eines Hosenträgers um den Hals“ anwandte, erfolgte letztlich (nur) eine Versetzung.774 Sel­ biges geschah nach ähnlichen Beschwerden über die in Swakopmund tätige Lehrerin Martha Dittrich. Jedoch verfügte das Gouvernement im September 1912 gegenüber allen Lehrkräften außerdem die Mäßigung in der körperlichen Züchtigung und verbot einzelne Praktiken, wie etwa das Schlagen von Mädchen auf das Gesäß.775 Die geschilderten Vorfälle sind schließlich aber nur ein Teil des Um­ ganges mit den in Deutsch-Südwestafrika überwiegend fachlichen Anfor­ derungen an die kolonialen Lehrkräfte. Schon vor der Einführung der Diensthierarchie war auch das sich durch die etwaige Erfüllung der Anfor­ derungen konstituierende Gehalt regelmäßig Gegenstand von Debatten und Konflikten. Dabei stritten die Lehrkräfte in der Regel für die Erhö­ hung ihres eigenen Gehaltes. Eine der wenigen Ausnahmen stellte der ab 1901 in Windhuk arbeitende Wilhelm Rave dar. Rave wandte sich im Frühjahr 1907 zweimal in umfangreichen Schreiben an das Gouvernement und forderte eine Neueingruppierung aller kolonialen Lehrkräfte DeutschSüdwestafrikas in der nach Klassen aufgebauten Gehaltshierarchie des Kolonialdienstes.776 In der zu diesem Zeitpunkt gültigen Klassifizierung fanden sich koloniale Lehrer in der Klasse IX wieder, die ein Einstiegsge­ halt in Höhe von 4.800 M jährlich vorsah. Das Gehalt war wiederum aufgeteilt in das Auslandsgehalt in Höhe von 1.500 M und eine Kolonial­

773 774 775

776

Adolf Hermkes (geb. am 11.1.1886) besaß keine Lehramtsausbildung. Er war Kaufmann und Journalist und besaß Berufserfahrung in Belgien und den Nie­ derlanden. Von Mitte 1913 bis Februar 1914 war er Schriftleiter des in Wind­ huk verlegten Südwestboten, BArch, R 1002/738, Bl. 17–18. BArch, R 1002/99, Bl. 68–71. BArch, R 1002/110, Bl. 1–3. BArch, R 1002/352, Bl. 38–41, 46. BArch, R 1002/831, Bl. 147–148. BArch, R 1002/831, Bl. 147–149, 151 (für das Zitat: Bl. 147). BArch, R 1002/352, Bl. 38–41, 43. Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 237. Zu weiteren Kündigungsgründen von Frauen be­ achte ebd., S. 235–237. Martha Dittrich (geb. am 26.5.1880) absolvierte ihre Lehrerinnenausbildung in Berlin (1899–1902) und arbeite anschließend von 1902 bis 1909 in verschie­ denen dortigen Schulen, bevor sie nach Deutsch-Südwestafrika ausreiste, BArch, R 1002/352, Bl. 4–5, 12a-13. BArch, R 1002/1349, Bl. 57–64.

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3. Reorganisation und Vernetzung

zulage in Höhe von 3.300 M.777 Rave indes forderte die Gleichstellung mit Gouvernementssekretären, die in Klasse VIII bereits ein Einstiegsgehalt in Höhe von 5.400 M erhielten.778 Trotz ausführlicher Argumentation zur Äquivalenz gymnasialer Ausbildung der Sekretäre und der Ausbildung an einem Lehramtsseminar sowie der Schilderung von Berufserschwernissen der Lehrkräfte lehnte letztlich die Berliner Kolonialabteilung Raves Antrag ab.779 Der Grund der Ablehnung wurde seitens der Kolonialabteilung zwar nicht genannt. Sehr wahrscheinlich wollte man dort aber nicht vor­ eilig Tatsachen schaffen, da in der Berliner Kolonialzentrale zur gleichen Zeit bereits an einer Neuregelung der Klassifizierung gearbeitet wurde.780 Grundsätzlich galt indes auch, dass Kolonialbeamte jährlich innerhalb ihrer Gehaltsklasse um eine Stufe aufstiegen. Georg von der Au etwa, der 1901 vor Einführung einer Gehaltsklassifikation für das für koloniale Lehrer übliche Gehalt in Höhe von 4.000 M angestellt worden war, bezog ab Oktober 1903 das Einstiegsgehalt der Klasse IX (4.800 M). Jährlich zum Oktober erhöhte sich das Auslandsgehalt dann um 400 M, sodass er ab Juni 1906 beispielsweise ein Gehalt in Höhe von 6.000 M bezog (2.700 M Auslandsgehalt, 3.300 M Kolonialzulage). Ab Oktober 1907 stieg das Aus­ landsgehalt schließlich noch einmal um 300 M.781 Eine gewisse Progressi­ on – maximal bis zu einem Gesamtgehalt in Höhe von 6.600 M – enthielt also auch die bestehende Einordnung in die Klassifikation.782 Dennoch beklagten neben Lehrer Rave auch andere Lehrkräfte in ihren Gesuchen um Gehaltsaufbesserung die hohen Lebenshaltungskosten in der Kolonie, die insbesondere diejenigen Lehrkräfte, die auch ein Pensionat zu führen 777 ANZ AGCA 6051 W5788 I 1 2 (Klassifizierung der nicht etatmäßigen Beam­ ten in den Schutzgebieten, S. 5). Die Beschreibung der Klasse IX nennt die Berufsgruppe der Lehrer nicht explizit. Allerdings findet sich die entsprechende Einordnung – analog zu den in der Kolonie Samoa getroffenen Einordnungen, ebd. – in den Gehaltsnachweisen der zu diesem Zeitpunkt angestellten Lehrer, siehe beispielsweise BArch, R 1002/107, Bl. 21 sowie BArch, R 1002/127, Bl. 7– 8. 778 ANZ AGCA 6051 W5788 I 1 2 (Klassifizierung der nicht etatmäßigen Beamten in den Schutzgebieten, S. 5). BArch, R 1002/1349, Bl. 57–64. 779 BArch, R 1002/1349, Bl. 57–65. Für einen von Karen Smidt behaupteten au­ tomatischen Aufstieg in eine höhere Klasse fehlen hingegen die Belege, vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 236. 780 ANZ AGCA 6051 W5788 I 1 2 (Schreiben der Kolonialabteilung im Auswärti­ gen Amt an das Gouvernement in Apia, 4. Febr. 1907). BArch, R 1002/1349, Bl. 55. 781 BArch, R 1002/107, Bl. 21. 782 ANZ AGCA 6051 W5788 I 1 2 (Klassifizierung der nicht etatmäßigen Beamten in den Schutzgebieten, S. 5).

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hatten, besonders hart trafen, da Preissteigerungen von Lebensmitteln in der Regel zunächst das Diensteinkommen der Lehrkräfte belasteten.783 Auch war trotz der ab 1905 insbesondere für preußische Lehrkräfte gelten­ den günstigen Dienstzeitregelungen im heimischen Dienst eine drohende Gehaltsverschlechterung nach der Rückkehr dorthin Bestandteil der Be­ gründungen der Gesuche.784 Beide Monita wurden durch die schließlich ab 1911 vollzogene Reform der Gehaltsstruktur, die Bestandteil der mit der Gründung des Reichsko­ lonialamtes in 1907 begonnenen grundsätzlichen politischen und rechtli­ chen Neustrukturierung der Kolonialverwaltung war, indes nicht beseitigt. Gleichwohl erfolgte eine grundsätzliche Gehaltserhöhung. So befanden sich Volksschullehrer ab 1911 in der neuen Klasse 7c und bezogen ein Einstiegsgehalt in Höhe von 5.100 M (Auslandsgehalt: 1.800 M, Kolonial­ zulage: 3.300 M). Volksschullehrerinnen waren in der darunterliegenden Klasse 8c eingruppiert worden und erhielten ein um 1.000 M geringeres Einstiegsgehalt (Auslandsgehalt: 1.400 M, Kolonialzulage: 2.700 M). Ge­ trennt davon betrachtete man die in den Kolonien tätigen Realschul- und Gymnasiallehrer, deren Bezüge in Klasse 4b bei einem Betrag in Höhe von 7.700 M lagen (Auslandsgehalt: 3.400 M, Kolonialzulage: 3.300 M).785 Vor allem die Volksschullehrer waren allerdings mit ihrer Klassifizierung un­ zufrieden. Im Mai 1911 versuchten darum drei Lehrer, der in Windhuk ar­ beitende Wilhelm Rave, der in Klipdam arbeitende August Göing und der in Keetmanshoop arbeitende Johannes Thormann, gemeinsam eine Besser­ stellung zu erreichen. Sie reichten zeitgleich ein abgestimmtes Gesuch an die Kolonialverwaltung ein.786 Darin begründeten sie ihre Forderung nach Eingruppierung in die nächsthöhere Gehaltsklasse 7b einerseits mit den zahlreichen – in den vorherigen Abschnitten bereits thematisierten – He­ rausforderungen der Heterogenität der Schülerschaft und andererseits mit den Reformen in der Volksschullehrerbildung. Sie verwiesen auf die Ver­ schmelzung von Präparandums- und Lehrerseminarskursen zu einer sechs­ jährigen Ausbildung, die Verbreitung des zweiten Examens nach einigen

783 BArch, R 1002/145, Bl. 15–16. BArch, R 1002/886, Bl. 24–26. BArch, R 1002/949, Bl. 24–25. BArch, R 1002/1033, Bl. 23. Beachte Kapitel 3.3.3. 784 BArch, R 1002/145, Bl. 15–16. BArch, R 1002/949, Bl. 24–25. 785 BArch, R 151-F/B.I.b.14, Bl. 12–16, 29–30. BArch, R 1001/7311, Bl. 77. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 64–65. Beachte auch exemplarisch die Gehaltsmitteilungen des Lehrers Harry Rodenberg (BArch, R 1002/1402, Bl. 6), der Lehrerin Elisabeth Ohlmann (BArch, R 1002/1270 Bl. 1–2) und des Oberlehrers Robert Lucius (BArch, R 1002/1138, Bl. 1–2). 786 BArch, R 151-F/B.I.b.10, Bl. 4–6.

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praktischen Jahren und den Trend zur Akademisierung des Volksschulleh­ rerberufes.787 Erfolg hatten sie jedoch nicht, da das Reichskolonialamt die gerade erfolgte allgemeine Regelung nicht sofort erneut ändern wollte.788 Einen bisher ungenannten Vorteil hatte die neue Besoldungsordnung allerdings. Es war den kolonialen Lehrkräften nun zumindest möglich, ihr heimisches Dienstalter im Kolonialdienst anrechnen zu lassen. Für den ab 1911 an der Kaiserlichen Realschule in Windhuk beschäftigten Oberlehrer Robert Lucius bedeutete dies etwa, dass sein Anfangsgehalt (7.700 M), das Lucius ab Januar 1911 bezog, nicht erst ein Jahr darauf im Januar 1912 auf die nächste vorgesehene zweite Stufe (8.400 M) stieg, sondern bereits im Juli 1911 auf die vierte Stufe (9.800 M) aufrückte.789 Die Anrechnung der heimischen Dienstjahre konnte sich also durchaus lohnen und war begehrt. Um die in der Kolonie geleistete Dienstzeit und das entsprechende Gehalt dann schließlich auch für die spätere Pen­ sionierung verwenden zu können, bedurfte es jedoch sowohl vor als auch nach der Reform der Gehaltsregeln grundsätzlich noch eines weiteren Schrittes, der sogenannten Etatisierung. Obwohl im heutigen wie auch im seinerzeitigen allgemeinen Sprachgebrauch in der Regel von Koloni­ albeamten die Rede ist, ist hierbei insbesondere zwischen nicht-etatmäßi­ gen und etatmäßigen Kolonialbeamten zu unterscheiden. Erstere waren „zur kommissarischen und widerruflichen Verwendung“ für eine Dienst­ zeit (in Deutsch-Südwestafrika drei Jahre) angestellt und erhielten per Gehaltsbescheinigung lediglich eine Mitteilung über ihr „pensionsfähiges Gehalt“.790 Die Erlangung einer Pension war für diese Gruppe unbeein­ flusst von der Gesetzeslage an zahlreiche Bedingungen geknüpft, etwa die Verfügbarkeit von Mitteln, das Erleiden der Erwerbsunfähigkeit im Dienst oder eine besonders lange Dienstzeit.791 Dies änderte sich nach der

787 BArch, R 151-F/B.I.b.10, Bl. 7–8. Zur Volksschullehrerausbildung beachte Kapi­ tel 2.1.2 und insbesondere Dartenne, Seminare, passim. 788 BArch, R 151-F/B.I.b.10, Bl. 10. 789 BArch, R 1002/1138, Bl. 10. Robert Lucius (geb. am 24.12.1874) hatte in Breslau (heute Wrocław, Polen) Englisch, Französisch, Deutsch und Geschichte für das höhere Lehramt studiert und vor seiner Ausreise an einem Berliner Realgymnasium gearbeitet, BArch, R 1002/2132, Bl. 7. 790 Beachte exemplarisch den Anstellungsvertrag (BArch, R 1002/126, Bl. 9–11 (für das erste Zitat: Bl. 9)) und eine Gehaltsmitteilung (BArch, R 1002/127, Bl. 18–19 (für das zweite Zitat: Bl. 18)) des Lehrers Johannes Bam. 791 ANZ AGCA 6051 W5788 I 1 2 (Klassifizierung der nicht etatmäßigen Beam­ ten in den Schutzgebieten, Vorbemerkungen). Kolonialbeamtengesetz (8. Juni 1910), in: Reichs-Gesetzblatt, Jg. 37 (1910), S. 881–896, hier: S. 886 (§ 21).

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Etatisierung, durch welche ein Teil des Auslandsgehalts zum „pensionsbe­ rechtigende[n] Gehalt“ wurde.792 Der ab 1901 in Windhuk angestellte Lehrer Wilhelm Rave erhielt beispielsweise nach elf Dienstjahren seine etatmäßige Anstellung, bezog weiterhin sein aktuelles Gehalt in Höhe von 6.600 M (je 3.300 Auslandsgehalt und Kolonialzulage), von welchem aber ab Februar 1912 2.550 M als Pensionsansprüche deklariert waren. Hinzu kam der „durchschnittliche Wohnungsgeldzuschuss der Reichsbeamten in gleichartigen Dienststellungen“ (546 M), sodass Rave jährlich Pensionsan­ sprüche in Höhe von 3.096 M erwarb.793 Diese Form der langfristigen Bindung von Lehrkräften und gleichzeitig auch der Fixierung von Kosten für die regelmäßig knappen Etats geschah allerdings äußerst selten. Nur bei acht weiteren Lehrkräften der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika wurde die Etatisierung über­ haupt in Betracht gezogen. Die entsprechende Genehmigung seitens der Berliner Kolonialverwaltung, die wiederum eine entsprechende Zusage im Rahmen der Etatberatungen erwirken musste, erhielten außer Wilhelm Rave nur vier weitere Lehrkräfte.794 Nicht nur die Exklusivität dieser Grup­ pe ist bemerkenswert. Unter den insgesamt fünf etatmäßigen Lehrkräften befand sich ab Juli 1914 mit der seit 1909 in Windhuk beschäftigten Agnes Hoffmann auch eine Lehrerin.795 Ihre Berufsbiographie unterschied sich damit von allen anderen 20 Lehrerinnen, die von 1896 bis Juli 1915 in der kolonialen Schule Deutsch-Südwestafrikas angestellt waren und signi­ fikant häufiger als ihre männlichen Kollegen zunächst nur monatsweise engagiert und wenn überhaupt erst nach einigen Jahren in den Status der nicht etatmäßigen Beamten befördert wurden.796

792 BArch, R 1002/1349, Bl. 117 (auch für das Zitat). 793 BArch, R 1002/1349, Bl. 117 (auch für die Zitate). 794 BArch, R 1002/126, Bl. 9–11, 78. BArch, R 1002/736, Bl. 118. BArch, R 1002/737, Bl. 112. BArch, R 1002/796, Bl. 2–3, 68–69. BArch, R 1002/831, Bl. 19, 80. BArch, R 1002/1412, Bl. 73, 80–81. BArch, R 1002/1763, Bl. 10–11, 63, 67. BArch, R 1002/1830, Bl. 4–5, 81, 85. BArch, R 1002/2004, Bl. 2–3, 62–63. 795 BArch, R 1002/796, Bl. 17, 68–69. Agnes Hoffmann (geb. am 8.9.1875) ging in Frankfurt (Oder) zur Schule und absolvierte dort auch ihr Examen als Volksschullehrerin und Lehrerin für mitt­ lere und höhere Mädchenschulen. Ab 1901 arbeitete sie an Schulen in Berlin und besuchte während dieser Zeit Fortbildungen zur Turnlehrerin und zur Zeichenlehrerin, BArch, R 1002/796, Bl. 6–7 796 BArch, R 1002/314, Bl. 33. BArch, R 1002/664, Bl. 30. BArch, R 1002/760, Bl. 10, 12, 19. BArch, R 1002/1567, Bl. 19–20, 43–44. BArch, R 1002/1786, Bl. 21. Insofern ist Karen Smidts generelle Aussage, Lehrerinnen seien ab „1909/10 mit einem pensionsberechtigten Gehalt von etwa 4.000 bis 4.200 Mark

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3. Reorganisation und Vernetzung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Anstellung im kolonia­ len Schuldienst zwar finanziell zunächst attraktiv, die langfristige Siche­ rung des eigenen Auskommens im Sinne einer Pension jedoch durchaus unsicher war. Hierzu trug auch bei, dass die neben der Etatisierung zwei­ te Möglichkeit der beruflichen Besserstellung, die Beförderung auf eine Funktions- oder Leitungsstelle, kaum gegeben war. Eine solche Gelegen­ heit stellte lediglich die Ausschreibung der Schulinspektorenstelle dar, die das Gouvernement 1911 Bernhard Voigt übertragen hatte.797 1914 wiesen Vertreter des Vereins deutscher Lehrer in Deutsch-Südwestafrika außer­ dem darauf hin, dass insbesondere die Endstufen ihrer Gehaltsklasse 7c für Volksschullehrer vergleichbaren Höchstsätzen im ehemaligen heimischen Dienst unterlegen waren, selbst also das durch die Kolonialzulage anfangs attraktive Gehalt nach einigen Jahren seinen Reiz verlöre.798 Das Dreiecks­ verhältnis von Anforderungen, deren Kontrolle und deren Entlohnung stand also auch 1914 noch unter großer Spannung. Mit dem kurz nach der Eingabe der Lehrkräfte ausbrechenden Ersten Weltkrieg wurden die Maßnahmen zur Ausbalancierung dieses Verhältnis­ ses schließlich wie alle Handlungsmuster und herrschaftlichen Strategien erneut in Frage gestellt und bedingten die Bemühungen um Kontinuität und Fortbestehen der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwest­ afrika. Darum stehen insbesondere die Versuche des Transfers schulischen Herrschaftswissens in die Kriegs- und die Nachkriegszeit, die Schulinspek­ tor Voigt ab Sommer 1914 unternahm, im Fokus des Kapitels 4.1.

Zwischenfazit Die Gründung der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika konnte nur bedingt auf den Erfahrungen und Wissensbeständen der bis dahin gegründeten Schulstandorte in den anderen deutschen Kolonien aufbauen, da sie sich nicht an indigene Bevölkerungsgruppen wandte, son­ dern zur Beschulung der Kinder der vornehmlich deutschen Kolonisten errichtet wurde. Auch entsprach die erste Lehrerin Helene Nitze nicht dem Typus des männlichen Kolonialpioniers, sondern war Teil der deut­ schen Siedlerschaft, die von Anfang an wesentliches Mitspracherecht in

jährlich“ eingestellt worden, nicht zutreffend, vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 233 (auch für das Zitat). 797 BArch, R 1002/1830, Bl. 38. 798 BArch, R 151-F/B.I.b.10, Bl. 11–14.

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Zwischenfazit

der Organisation von Schule und Unterricht beanspruchte und durchsetz­ te. Den Alltag sowohl der ersten Lehrerin wie auch ihrer Nachfolger bestimmten insbesondere die Heterogenität der Schülerschaft, die sich in Alter, Fähigkeiten und Sprachkenntnissen stark unterschied. Außerdem nahmen die Eltern immer wieder Einfluss auf den Unterricht und führten Konflikte mit den Lehrkräften. Analytisch nimmt die koloniale Schule in Deutsch-Südwestafrika auch insbesondere darum eine besondere Stellung ein, denn die Vernetzung der Lehrerschaft war lange Zeit institutionell nicht geregelt. Erst die Anstellungen eines fachlichen Schulreferenten 1908 und eines Schulinspektors 1911 schufen entsprechende Impulse, wobei auch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges einzelnen Lehrkräften vor Ort große Bedeutung zukam. Insbesondere für die weitere Untersuchung der Kriegs- und Nachkriegszeit in Kapitel 4.1 verspricht dies aufgrund des biographischen Zuganges dieser Arbeit und der Verfügung über die entsprechenden personalen Quellen erkenntnisreiche Analysen. Besonderen Erkenntniswert erwiesen diese Quellen, und hier vor allem die Personalakten, hinsichtlich der persönlichen und beruflichen Hinter­ gründe der Lehrerinnen und Lehrer, die zwischen 1894 und Juni 1915 in Deutsch-Südwestafrika arbeiteten. Die Lehrerschaft bestand zu etwa zwei Dritteln aus männlichen und zu etwa einem Drittel aus weiblichen Lehrkräften. Letztere entstammten nicht nur höheren gesellschaftlichen Schichten als ihre männlichen Kollegen, sondern konnten auch signifikant häufiger umfangreichere Ausbildungswege vorweisen. Dennoch war nicht nur ihr Verdienst in der Regel um 1.000 M geringer, auch die Erlangung einer Anstellung im kolonialen Schuldienst war für Lehrerinnen mit we­ sentlich längeren Wartezeiten und Mühen verbunden, obwohl die kolo­ niale Propaganda des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft ab 1907 die Ausreise von Frauen nach Deutsch-Südwestafrika bewarb und organisierte. Lehrerinnen waren außerdem häufiger mit monatlich kündbaren Privatverträgen angestellt als Lehrer und hatten zum Ende des Betrachtungszeitraumes in nur einem Fall eine der begehrten etatmä­ ßigen Anstellungen im Kolonialdienst erhalten. Die strukturell schlechtere Stellung der Lehrerinnen steht insbesondere im Kontrast zu der großen Bedeutung dieser Teilgruppe der Lehrerschaft in der Kriegszeit.799 Doch auch für männliche Lehrkräfte bot der koloniale Lehrerdienst erst nach einigen Jahren Karriereoptionen und langfristige Versorgungssicherheit. Insbesondere die Erlangung einer etatmäßigen Stelle, durch die Pensions­

799 Beachte hierzu insbesondere Kapitel 4.1.1.

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3. Reorganisation und Vernetzung

ansprüche erworben werden konnten, gelang nur vier Lehrern und einer Lehrerin. Dieses Kapitel endet schließlich mit dem Eindruck des Unfertigen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die militärische Verwendung zahlreicher Lehrer und Schulen verhinderte nicht nur die erste für Dezem­ ber 1914 angesetzte Lehrerkonferenz der Kolonie, sondern griff auch in zahlreiche Berufsbiographien ein, verursachte Unsicherheiten und stellte etablierte Handlungsmuster in Frage. Das Schulsystem für die Kinder der weißen Kolonisten war erst im Aufbau begriffen. Die Vernetzung der Lehrerschaft war zwar institutionell initiiert, der Austausch untereinander aber kaum etabliert. Tatsächlich fand aber in den Kriegsjahren Unterricht in den Schulen statt, und auch nach dem Krieg bestanden deutsche Schu­ len. Dies evoziert die Frage nach der Kontinuität von Wissensbeständen, Organisationsformen und Handlungsmustern, die den zentralen Analyse­ schwerpunkt in Kapitel 4.1 bildet.

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4. Kontinuität und Mobilität

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges bedeutete auch für die Menschen in den deutschen Kolonien in vielerlei Hinsicht eine Zäsur. Die von einem Teil der deutschen Militärstrategen und der kolonialen Spitzenbeamten gehegte Hoffnung auf eine koloniale Neutralität, die nicht zuletzt das von vornherein klare Eingeständnis militärischer Unterlegenheit ausdrückte, erwies sich binnen kurzer Zeit als Irrglaube.1 Unter den Kriegshandlungen zwischen deutschen Kolonialtruppen und den militärischen Aufgeboten britischer, südafrikanischer, französischer, belgischer und portugiesischer Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent litten insbesondere die einhei­ mischen Bevölkerungsgruppen. Sie fanden als Kombattanten den Tod im Gefecht oder sich als zwangsrekrutierte Träger in den Hilfskolonnen der kämpfenden Einheiten wieder. Weit mehr noch starben in Folge von enthemmten Plünderungen zur Herstellung von Versorgung, Hungersnö­ ten durch zerstörte Lebensgrundlagen oder der kriegsbedingten Verbrei­ tung von Krankheiten.2 Wenn im Weiteren die Situation der kolonialen Lehrerinnen und Lehrer als Teilgruppe der deutschen Kolonisten und Siedler betrachtet wird, deren persönliche Schwierigkeiten beleuchtet und meist nicht-fatalen Schicksale geschildert werden, geschieht dies stets im Bewusstsein, dass diese nicht unter der systemischen und strukturellen Gewalt zu leiden hatten, die dem Kolonialismus immanent ist und die während des Ersten Weltkrieges noch einmal zunahm. Denn auch in diesem Krieg spielte das Wohl der lokalen Bevölkerung im Ringen um Bodenschätze, um die Sicherung von maritimen Einflusszonen und um

1 Vgl. Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe, S. 401–402. Pesek, Michael: Das Ende eines Kolonialreiches. Ostafrika im Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main 2010, S. 42–44. Schulte-Varendorff, Uwe: Der Erste Weltkrieg und die deutschen Koloni­ en in Afrika. Der Anfang vom Ende eines Kolonialtraums, in: Bechhaus-Gerst, Marianne; Zeller, Joachim (Hg.): Deutschland Postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, Berlin 2018, S. 25–41, hier: S. 25–26. 2 Vgl. Braukämper, Ulrich: Afrika 1914–1918, Antikolonialer Widerstand jenseits der Weltkriegsfronten, Berlin 2015, S. 74–80. Bührer, Die Kaiserliche Schutztrup­ pe, S. 444–452. Pesek, Das Ende eines Kolonialreiches, S. 127–203. Schulte-Varen­ dorff, Der Erste Weltkrieg und die deutschen Kolonien in Afrika, S. 27, 32–34, 37–39. Strachan, Hew: The First World War in Africa, Oxford 2004, S. 3–9.

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4. Kontinuität und Mobilität

den Zugriff auf Arbeitskräfte kaum eine Rolle.3 Nicht wenige Stimmen waren zudem zu hören, die den Krieg auf afrikanischem Boden als ‚Krieg unter Weißen‘ deklarieren wollten, in dem es undenkbar sei, dass ein afri­ kanischer Soldat einen europäischen Soldaten besiege. Insofern sollte auch während des Krieges die koloniale Herrschaftshierarchie aufrecht erhalten werden, ja insbesondere während des Krieges, da viele Kolonisten befürch­ teten, dass afrikanische Bevölkerungsgruppen diesen als Gelegenheit zur Revolte nutzen könnten.4 Nichtsdestoweniger wurde der Krieg vielerorts zum „Testfall für die koloniale Ordnung“, entspannten sich antikolonialer Widerstand und Emanzipationsbestrebungen, die wiederum Vergeltungs­ aktionen seitens der Kolonialherren zur Folge hatten.5 Die Lehrkräfte der deutschen kolonialen Schule erlebten den Krieg in der großen Mehrheit als Zivilisten, die sich je nach Kolonie unterschied­ lich früh Besatzungsverwaltungen anderer Kolonialmächte gegenübersa­ hen. Für sie war der Krieg insbesondere eine einschneidende biographi­ sche Zäsur, der Gewohntes und bisher Gültiges in Frage stellte. Bezogen auf die Bevölkerungsgruppe der deutschen Zivilisten versteht dieses vierte Kapitel den Ersten Weltkrieg darum in zweifacher Hinsicht als externen Schock. Dieser traf sowohl auf die Berufsbiographien der Lehrkräfte als auch auf das generierte schulische Herrschaftswissen, die beide im kolonia­ len Herrschaftsraum – so fragil er im Einzelnen auch gewesen sein mag – verankert waren. Und stand letzterer in seiner bisherigen Form in Frage, so auch Wissen und Biographie der Lehrkräfte. Ausgehend von der Annah­ me derart bedingter grundsätzlicher Notwendigkeit von Transformation und Anpassung an die neuen äußeren Umstände erhalten in den folgen­ den drei Teilkapiteln die Aspekte Kontinuität und Mobilität besondere Aufmerksamkeit. Welche Formen von Kontinuität gab es, obwohl Trans­ formation und Anpassung zunächst einmal Elemente von Diskontinuität vermuten lassen? Verblieben die kolonialen Lehrkräfte in ihren Anstellun­

3 Vgl. Digre, Brian: Colonial Warfare and Occupation (Africa), in: Daniel, Ute; Gatrell, Peter; Janz, Oliver; Jones, Heather; Keene, Jennifer; Kramer, Alan; Nasson, Bill (Hg.): 1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War (FU Berlin, Version 2.0 vom 7.7.2017, https://encyclopedia.1914-1918-online.net/ article/colonial_warfare_and_occupation_africa (Abruf am 5.11.2020)). Schulte-Va­ rendorff, Der Erste Weltkrieg und die deutschen Kolonien in Afrika, S. 25–26. 4 Vgl. Pesek, Das Ende eines Kolonialreiches, S. 207–212. Strachan, The First World War in Africa, S. 2–3. 5 Vgl. Braukämper, Afrika 1914–1918, S. 101–163. Pesek, Das Ende eines Kolonial­ reiches, S. 212–230 (für das Zitat: S. 212). Schulte-Varendorff, Uwe: Krieg in Kame­ run. Die deutsche Kolonie im Ersten Weltkrieg, Berlin 2011, S. 90–92.

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4. Kontinuität und Mobilität

gen oder verließen sie diese? Welche Zwänge übten die neuen äußeren Umstände auf die Lehrkräfte aus und wie reagierten diese auf Eingriffe der neuen Besatzer in die Berufsausübung? In Kapitel 4.1 liegt der Fokus der Darstellung auf der deutschen kolo­ nialen Schule in Deutsch-Südwestafrika und den Bemühungen des Schul­ inspektors Bernhard Voigt um das Fortbestehen der dortigen deutschen Schulen. Der erste Abschnitt thematisiert die Strategien, die Voigt an­ wandte, um die Schulen während des Krieges so lange wie möglich of­ fen zu halten, sowie Voigts Versuche, in faktischer Weiterführung seines Schulinspektoramtes die Schulen nach der Unterzeichnung des Waffen­ stillstandes wiederzueröffnen. Im zweiten Abschnitt blickt die Darstellung auf die Wiederherstellung administrativer und personeller Kontaktstruk­ turen und die Denkschrift, die Voigt im September 1917 vorlegte und in der er seine Vorstellungen einer Reform des deutschen Schulwesens in Südwestafrika präsentierte. Der dritte Abschnitt schaut auf die Bemü­ hungen zur Herstellung alter Strukturen der Vorkriegszeit in den Jahren 1918 und 1919 und die innere Verfassung der deutschen Schulgemeinden während der durch das Ende des Ersten Weltkrieges in Europa ausgelös­ ten Umbrüche. Es endet schließlich mit der Heimreise Bernhard Voigts und der Verstaatlichung der meisten der ehemaligen deutschen kolonialen Schulen am Ende des Jahres 1921. Das darauffolgende Kapitel 4.2 wendet den Blick auf die Bemühungen einer ehemaligen deutschen Lehrerin Deutsch-Ostafrikas, Dora Künzel, um die Rückkehr in ihr vormaliges Tätigkeitsgebiet. Der erste Abschnitt thematisiert die Erfahrungen Künzels als Lehrerin an Schulen für NichtIndigene während der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft, die den kolonialrevisionistischen Ehrgeiz begründen, mit der sie in den 1920erJahren ihre Rückkehr vorantrieb. Der zweite Abschnitt skizziert zunächst die politischen Rahmenbedingungen der Rückkehr und befasst sich also mit der britischen Schulpolitik im Mandatsgebiet Tanganyika und den Grundzügen des Kolonialrevisionismus. Der Schwerpunkt des Abschnittes liegt auf der Entstehung eines kolonialrevisionistischen Kontaktnetzes, das die Rückkehr unterstützte. Der dritte Abschnitt widmet sich vor dem Hintergrund der ambivalenten amtlichen Kolonialpolitik der 1920er-Jahre schließlich der Schulgründung in Lupembe im Frühjahr 1929 als Fall kolonialrevisionistischer Praxis, der die Art und Weise der Umsetzung der Schulgründungsforderungen, die Kommunikation und die Anknüpfung sowie Anpassung kolonialer Ideen zeigt. Kapitel 4.3 befasst sich sodann in zwei Schwerpunkten mit den Biogra­ phien von Lehrerinnen und Lehrern zum Ende ihrer kolonialen Dienst­

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4. Kontinuität und Mobilität

zeit. Der erste Abschnitt thematisiert die Rückreise der Lehrkräfte sowie deren Ausscheiden aus dem Kolonialdienst und fokussiert damit eine wichtige Scharnierstelle in deren Berufsbiographien. Dabei fragt die Dar­ stellung unter anderem nach Rückreisegründen und den Modalitäten der eigentlichen Reise. Zudem betrachtet sie exemplarisch die Schwierigkeiten der beruflichen Fortsetzungen in der alten Heimat. Im zweiten Abschnitt fällt der Blick dann insbesondere auf diejenigen Lehrer, die sich auch nach ihrer kolonialen Dienstzeit in Wort und Schrift mit kolonialen Fragen auseinandersetzten und damit aktiv an der kolonialen Debatte teilnahmen. Die Beiträge reichten von Kommentaren zur aktuellen Kolonialpolitik vor dem Verlust der Kolonien über verklärende, historische oder ökonomische Darstellungen der Kolonialzeit bis hin zu Propagandaschriften zur Rück­ gewinnung der Kolonien in der Zeit der Weimarer Republik.

4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika 4.1.1 Das Streben nach Kontinuität Am 28. Juli 1915 richtete Bernhard Voigt per Brief eindringliche Worte an seine Kolleginnen und Kollegen: „Ich bitte ergebenst, sobald wie möglich mit de[m] Unterrich[t] zu be­ ginnen, oder, falls dies nicht möglich ist, seinen Anfang dadurch vor­ zubereiten, dass die Schulräume wieder in Stand gesetzt werden, Bän­ ke usw. zunächst geliehen und dann neu beschafft werden. Falls die nötigen Geräte nicht mehr vorhanden sind, soll trotzdem nach Mög­ lichkeit der Unterricht aufgenommen werden; einige Tische, hochge­ legte Bretter oder Ähnliches müssen die Bänke ersetzen. Schulbücher und Hefte können in Windhuk bei Kuhnert und in der Buchhandlung gekauft werden. Ich bitte, mir sofort zu berichten: 1. Wann der Unterricht begonnen hat. 2. Wie der Zustand der Räume, der Geräte und der Lehrmittel ist. 3. Wieviel Schüler den Unterricht besuchen. Es muss versucht werden, den für dieses Jahr vorgeschriebenen Lehr­ stoff annähernd zu bewältigen; die Ferien fallen bis auf weiteres weg.“6

6 BArch, R 1002/2125, Bl. 120 (für das Zitat).

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

Voigts Nachricht beinhaltet vieles zugleich. Zunächst ist sie ein Signal des Aufbruchs. Sie drückt den Tatendrang und das starke Bestreben des Schul­ inspektors aus, die Unterrichtstätigkeit in Deutsch-Südwestafrika wieder beginnen zu lassen. Die Nachricht enthält außerdem einen gewissen Füh­ rungsanspruch, mindestens jedoch Voigts Selbstverständnis als Hinweisge­ ber und Anleiter. Sie beinhaltet des Weiteren eine Situationsbeschreibung und lässt annehmen, dass die Schulen im Juli 1915 geschlossen waren und sich die Gebäude und ihre Einrichtung in keinem guten Zustand be­ fanden, wenn selbst einfache Einrichtungsgegenstände behelfsmäßig her­ gestellt werden mussten. Sie ist insofern auch eine Aufforderung zu men­ taler Mobilität, zu geistiger Beweglichkeit und Anpassungsbereitschaft an die nicht optimalen Rahmenbedingungen von Unterricht. Und letztlich beinhaltet Voigts Nachricht auch den Hinweis, dass der Erste Weltkrieg in Deutsch-Südwestafrika zu seinem vorläufigen Ende gekommen war. Die vielschichtige Nachricht des Schulinspektors motiviert zu einem Blick zurück und einem Blick nach vorn.

Der Blick zurück: Schule und Krieg Während in Europa der Erste Weltkrieg in aller Härte fortschritt, der völkerrechtswidrige Einsatz von Giftgas in der Zweiten Flandernschacht bereits erfolgt war und das deutsche und das österreichisch-ungarische Mi­ litär gegen das Zarenreich große Geländegewinne im Baltikum, in Polen und in Galizien erreichten, befand sich Deutsch-Südwestafrika zum Zeit­ punkt des Voigt’schen Schreibens bereits seit 19 Tagen im Zustand der Besatzung.7 Im September 1914 hatte die ‚Schutztruppe‘ die an Zahl und Ausrüstung überlegenen militärischen Einheiten der Südafrikanischen Union noch überwiegend zurückschlagen können.8 Im darauffolgenden Monat revoltierten dann Teile der burischen Bevölkerung und Teile des

7 Vgl. Braukämper, Afrika 1914–1918, S. 51. Zur Kriegschronologie beachte Epken­ hans, Michael: Der Erste Weltkrieg, Paderborn 2015. Strachan, Hew: Der Erste Weltkrieg. Eine neue illustrierte Geschichte, München 2006. 8 Für hier und die folgenden Schilderungen des Kriegsverlaufes in Deutsch-Südwest­ afrika beachte Braukämper, Afrika 1914–1918, S. 48–52. Kleynhans, South African Invasion of German South West Africa (Union of South Africa). Schulte-Varen­ dorff, Der Erste Weltkrieg und die deutschen Kolonien in Afrika, S. 29–30. Stra­ chan, The First World War in Africa, S. 69–92.

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4. Kontinuität und Mobilität

Militärs der Union gegen die von Louis Botha9 geführte südafrikanische Regierung10, sodass der Vormarsch auf das Gebiet der deutschen Kolonie von Oktober 1914 bis zur Niederschlagung des Aufstandes im Dezember 1914 zunächst zum Stillstand kam. Zum Jahreswechsel 1914/1915 begann schließlich der zweite südafrikanische Angriff, in dessen Verlauf die deut­ schen Verteidiger sowohl von der südlichen und der östlichen Landgrenze als auch von der westlichen Küstenlinie aus schrittweise zurückgedrängt und zur Räumung von Orten – darunter am 13. Mai 1915 Windhuk – gezwungen wurden. Daraufhin kapitulierten Gouverneur Theodor Seitz11

9 Louis Botha (27.9.1862–27.8.1919) stieg im Zweiten Burenkrieg (Second Anglo Boer War) zu einem der wichtigsten Befehlshaber der burischen Truppen auf und war dann maßgeblich an den Friedensverhandlungen beteiligt. 1907 wurde er Premierminister Transvaals und nach der Vereinigung der britischen Kolo­ nien Südafrikas zur Südafrikanischen Union 1910 deren Premierminister. Die Erlangung Deutsch-Südwestafrikas gehörte zum expliziten Kriegsziel Bothas und dessen engen Vertrauten Jan Smuts, vgl. Samson, Anne: Botha, Louis, in: Daniel, Ute; Gatrell, Peter; Janz, Oliver; Jones, Heather; Keene, Jennifer; Kramer, Alan; Nasson, Bill (Hg.): 1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War (FU Berlin, Version 1.0 vom 23.4.2015, https://encyclopedia.1914 -1918-online.net/article/botha_louis#GND_118513958 (Abruf am 5.11.2020)). Saunders, Christopher: Botha, Louis, in: Oxford Dictionary of National Biogra­ phy, Version 3 vom 6.1.2011, https://doi.org/10.1093/ref:odnb/31979 (Abruf am 16.11.2020). 10 Vgl. weiterführend Wessels, André: Afrikaner (Boer) Rebellion (Union of South Africa), in: Daniel, Ute; Gatrell, Peter; Janz, Oliver; Jones, Heather; Keene, Jen­ nifer; Kramer, Alan; Nasson, Bill (Hg.): 1914–1918-online. International Encyclo­ pedia of the First World War (FU Berlin, Version 1.0 vom 5.8.2015, https://encycl opedia.1914-1918-online.net/pdf/1914-1918-Online-afrikaner_boer_rebellion_uni on_of_south_africa-2015-08-05.pdf (Abruf am 16.11.2020)). 11 Theodor Seitz (12.9.1963–23.3.1949) war Jurist und begann seine Beamtenlauf­ bahn 1894 in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. Von April 1895 bis Juni 1899 war er Mitglied der Verwaltungsspitze der Kolonie Kamerun und unter anderem Bezirksamtmann von Duala, bevor er ab Juli 1899 für weitere acht Jahre in aufsteigenden Positionen in der Kolonialabteilung in Berlin arbeitete. Ab Ende Juli 1907 war er Gouverneur der Kolonie Kamerun und ab August 1910 schließlich Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika. Nach der Unterzeichnung der Kapitulationsvereinbarung ging er in südafrikanische Kriegsgefangenschaft, kehrte nach dem Krieg zurück ins Deutsche Reich und wurde, sich dienstlich nun im Ruhestand befindend, Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft. In dieser Funktion war er in den 1920er-Jahren einer der führenden Kolonialrevisio­ nisten, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871– 1945, Bd. 4 S, Paderborn 2012, S. 249–250.

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

und der Kommandeur der ‚Schutztruppen’, Victor Franke12, am 9. Juli 1915. Die Lehrkräfte der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafri­ ka waren in unterschiedlicher Form von diesem Krieg betroffen. Die Reak­ tionen auf den Kriegsbeginn und dessen Verlauf waren dabei insbesondere von dem Ziel geprägt, Kontinuität in der Schultätigkeit zu bewahren, die Schulen also so lange wie möglich offen zu halten. Dies zeigen die zur Jah­ resmitte 1914 zahlreich von den Verwaltungsstellen der Kolonie für Lehrer erwirkten Befreiungen vom Militärdienst. Als Begründung dafür, dass ein Lehrer von seiner vorgesetzten Dienstbehörde „für unabkömmlich erklärt“ wurde, diente häufig die angespannte Personalsituation in den Schulen.13 Dieser versuchten die Verwaltungsstellen außerdem dadurch Abhilfe zu verschaffen, dass Lehrer, wenn sie ihren Militärdienst auf einem Dienst­ posten in räumlicher Nähe zu ihrer Schule leisteten, angewiesen waren, halbtags oder zeitweise dort zu unterrichten.14 Die Öffnung der Schulen sollte des Weiteren durch die vermehrte Anstellung von Lehrerinnen ge­ währleistet werden. Hierbei griff man nicht nur auf Frauen zurück, die sich in einer Privatanstellung befanden, sondern auch auf ehemalige und verheiratete Lehrerinnen. Die Eingestellten ersetzten dann in der Regel die männlichen Kollegen, die sich im Militärdienst bei der ‚Schutztruppe‘ befanden.15 Die umfangreichen, dem Ziel der Kontinuität im Schulwesen dienenden Personalveränderungen sorgten dafür, dass sich das Geschlech­ terverhältnis der für den Schuldienst verfügbaren Lehrkräfte ab Kriegsbe­ ginn rasch zugunsten der Frauen veränderte und deren Anzahl im Septem­

12 Victor Franke (21.7.1866–7.9.1936) befand sich seit 1896 im Militärdienst der Kolonie und hatte nach dem Tod Joachim von Heydebecks im November 1914 die Führung der ‚Schutztruppe‘ übernommen. Er verantwortete insbesondere die zu hohen zivilen Kriegsopfern führende „Taktik der ‚verbrannten Erde‘“, die das deutsche Militär beim Rückzug im Verlaufe des Jahres 1915 anwandte, vgl. Schulte-Varendorff, Der Erste Weltkrieg und die deutschen Kolonien in Afrika, S. 29–30 (für das Zitat: S. 30). 13 BArch, R 1002/591, Bl. 46. BArch, R 1002/737, Bl. 23. BArch, R 1002/738, Bl. 12– 13. BArch, R 1002/875, Bl. 24. BArch, R 1002/1401, Bl. 22. BArch, R 1002/1410, Bl. 25. BArch, R 1002/1599, Bl. 18–19. BArch, R 1002/2004, Bl. 67 (auch für das Zitat). 14 BArch, R 1002/591, Bl. 46. BArch, R 1002/2125, Bl. 116–117. 15 BArch, R 1002/387, Bl. 3. BArch, R 1002/727, Bl. 1–3. BArch, R 1002/736, Bl. 172. BArch, R 1002/828, Bl. 59. BArch, R 1002/1016, Bl. 1–3. BArch, R 1002/1098, Bl. 1.

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4. Kontinuität und Mobilität

ber 1914 erstmals und ab Januar 1915 bis zum Kriegsende dauerhaft die ihrer männlichen Kollegen übertraf.16 Bemerkenswert ist außerdem, dass im Betrachtungszeitraum von Juni 1914 bis Juni 1915 aufgrund der zahlreichen Unabkömmlichkeitserklärun­ gen die Anzahl der verfügbaren Lehrer, wenn auch insbesondere in der intensiven Kriegsphase im Frühjahr 1915 nur knapp, stets die Anzahl der Lehrer im Militärdienst übertraf. Dies mag als Maß für den Stellenwert der Schule und des Zieles einer möglichst durchgehenden Beschulung der Kinder und Jugendlichen dienen. Spätestens mit der drohenden militä­ rischen Besetzung von Ortschaften stand den lokalen Verwaltungsstellen aber häufig keine andere Möglichkeit zur Verfügung, als auch die örtliche Schule zu schließen. So wurden angesichts der ersten Angriffe der süd­ afrikanischen Truppen im September 1914 vornehmlich Schulen an der westlichen Küstenlinie (Lüderitzbucht, Swakopmund und Aus) und im Süden (Klipdam und Warmbad) der Kolonie geschlossen.17 Die dortigen Schülerinnen und Schüler wurden daraufhin auf andere Schulen verteilt, wo sie in den Pensionaten unterkamen. Dieses Verfahren sorgte an den übrigen Schulorten allerdings für Belastungen. In Keetmanshoop etwa stieg die Anzahl an Schülerinnen und Schülern, die unter anderem aus der Schule in Aus kamen, derart an, dass die Versorgung der Kinder mit Nah­ rungsmitteln gefährdet war. Eine Teilschließung der Schule und die aber­ malige Versetzung von Schülerinnen und Schülern unter anderem nach Okahandja waren die Folge.18 Für die unterrichtenden Lehrkräfte bedeute­ te dies zwangsläufig einen abermaligen Anstieg an Heterogenität und for­ derte alltägliche Flexibilität. Blickt man ausschließlich auf die berufsfach­ lichen Auswirkungen des Krieges auf die Lehrkräfte, ist zu konstatieren, dass dieser insbesondere abermals steigende Anforderungen bewirkte.19 Die Einschränkung der Reisemöglichkeiten bedeutete also ein steigendes Erfordernis mentaler Mobilität, und schwankende Schülerzahlen bedeute­ ten, dass behelfsmäßig eingestellte Lehrkräfte rasch auch wieder entlassen werden konnten. Zu allgemein steigenden Lebensrisiken kamen also auch berufliche Risiken. Als während des zweiten und letztlich erfolgreichen Angriffs des südafrikanischen Militärs im Frühjahr 1915 etwa auch in Karibib die Schülerzahlen sanken, da Eltern mitsamt ihren Kindern vor

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Beachte Anhang Nr. 36. BArch, R 1002/2125, Bl. 84–87, 92–94, 133, 137–139. BArch, R 1002/2125, Bl. 92–94, 103–104, 279–283. Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 274.

4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

dem Krieg flohen, wurde die im Januar 1915 eingestellte Marie Heuer zum April 1915 wieder entlassen.20 Während dieses zweiten Angriffes schlossen schließlich auch Schulen im Inland, oder sie schränkten ihren Betrieb aufgrund von Personal- und Ver­ sorgungsmangel auf wenige Klassen und Schülerinnen und Schüler ein.21 In Grootfontein schloss etwa im April 1915 das Pensionat, und in Tsumeb, wo man im April 1915 tatsächlich noch eine neue Schule eröffnet hatte, wurde der Betrieb im Mai sogleich wieder eingestellt.22 Doch schlossen auch in diesem Zeitraum längst nicht alle der zu Kriegsbeginn existieren­ den 18 staatlichen Schulen. In Windhuk, Klein Windhuk, Gibeon, Goba­ bis und Karibib etwa wurde, wenngleich meist mit geringerer Personalan­ zahl, weiter unterrichtet und das Ziel des kontinuierlichen Unterrichtens verfolgt.23 Unverkennbar und angesichts der mehrheitlich geschlossenen Schulen, zu denen etwa noch krankheitsbedingte Schließungen wie die in Windhuk aufgrund einer „Scharlach- und Diphterieepidemie“ im Mai 1915 hinzukamen, wurde dieses Ziel aber eher zum Ideal denn zum rea­ listisch Erreichbaren.24 Auch hatte Schulinspektor Voigt, der maßgeblich die immer wieder neue Verteilung von Lehrkräften während des Krieges vollzogen hatte, durch den Zusammenbruch des Telegraphen- und Post­ wesens nach und nach den Kontakt zu den einzelnen Schulorten verloren. Dass er seinen an die Lehrkräfte gerichteten Brief am 28. Juli 1915 versen­

20 BArch, R 1002/756, Bl. 12. Marie Heuer (geb. am 6.10.1887) war in Mainz geboren worden, hatte in Herne eine höhere Mädchenschule besucht und von 1903 bis 1906 das Lehrerinnense­ minar in Danzig absolviert. Von 1906 bis 1911 arbeitete sie als Privatlehrerin, bevor sie 1911 mit Hilfe des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft nach Deutsch-Südwestafrika auswanderte und dort ebenfalls als Privatlehrerin arbeitete. Im Juli 1912 heiratete sie den deutschen Polizeiwachtmeister Friedrich Heuer und gab ihren Beruf gemäß den Regeln des Lehrerinnenzölibats auf. Bereits im August 1914 meldete sie sich dann freiwillig zur Übernahme einer der kriegsbedingt freiwerdenden Stellen und wurde letztlich im Januar 1915 in Karibib angestellt, BArch, R 1002/756, Bl. 1–2, 7, 9–10, 12–13. 21 BArch, R 1002/2125, Bl. 108–109, 112, 135–136. BArch, R 1002/2135, Bl. 4–6. 22 BArch, R 1002/2125, Bl. 126–127, 141–142. 23 BArch, R 1002/2125, Bl. 95–98, 101–102, 114–117. Auch die Realschule in Windhuk hatte, anders als dies eine amtliche Bekanntmachung im August 1914 verkündete, ihren Betrieb nicht eingestellt und hielt unter anderem vom 29.9. bis 3.10.1918 ihre ersten Abschlussprüfungen ab, Bekanntmachung (Nr. 2829), in: ADSWA, Jg. 5 (1914), S. 336. Eckenbrecher, Was Afrika mir gab und nahm, S. 265. Zedlitz, Erster Jahresbericht der Kaiserlichen Realschule zu Windhuk, S. 16. 24 BArch, R 1002/2125, Bl. 84–87 (für das Zitat: Bl. 84).

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4. Kontinuität und Mobilität

den konnte, bedingte insbesondere die Wiederherstellung des Postwesens durch die Besatzungsverwaltung.25

Der Blick nach vorn: Anspruch und Wirklichkeit Mit der Unterzeichnung der Kapitulation und dem Gang von Gouverneur Seitz in südafrikanische Kriegsgefangenschaft am 9. Juli 1915 endete fak­ tisch die Existenz des Gouvernements für Deutsch-Südwestafrika.26 Die oberste Gewalt in der Kolonie war daraufhin zunächst ein südafrikani­ sches Militärgouvernement, bevor ab Ende Oktober 1915 mit Sir Edmond Howard Lacam Gorges ein ziviler Administrator das Protectorate of South West Africa leitete.27 Bestandteil der Protektoratsverwaltung war unter an­ derem der für das Schulwesen zuständige Direktor J. R. Lewis.28 Als Ver­ treter der deutschen Bevölkerung sowie aus der Perspektive der deutschen Lokal- und Regionalverwaltungsstellen als Vorgesetzter fungierte der ehe­ malige Leiter des Finanzwesens des Gouvernements Ludwig Kastl, der als Kommissar des früheren Deutschen Gouvernements bezeichnet wurde.29 Die

25 BArch, R 1002/2125, Bl. 84–87. 26 Vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 4 S, Paderborn 2012, S. 249–250. 27 Vgl. Bertelsmann, Werner: Die deutsche Sprachgruppe Südwestafrikas in Politik und Recht seit 1915, Windhoek 1979, S. 9–10. 28 Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 17. 29 Vgl. Kössler, Reinhart: Historischer Wendepunkt, strukturelle Kontinuität. Der Erste Weltkrieg im Süden Afrikas und die Folgen für Namibia, in: BechhausGerst, Marianne; Zeller, Joachim (Hg.): Deutschland Postkolonial? Die Gegen­ wart der imperialen Vergangenheit, Berlin 2018, S. 42–56, hier: S. 46. Ludwig Kastl (17.9.1878–19.5.1969) war Jurist und nach einer Anstellung im bayerischen Staatsdienst ab 1906 im Kolonialdienst in Deutsch-Südwestafrika tätig. Von 1912 bis 1915 war er Leiter des Finanzwesens des Gouvernements und anschließend bis 1921 Kommissar des früheren deutschen Gouvernements. Ab 1921 war Kastl in verschiedenen amtlichen und nicht-amtlichen Funktio­ nen schließlich maßgeblich an den internationalen Verhandlungen zu den Re­ parationszahlungen des Deutschen Reiches beteiligt und vertrat unter anderem auch das Deutsche Reich von 1929 bis 1932 in der Mandatskommission des Völkerbundes. Von 1933 bis 1945 war er als Anwalt tätig, nachdem er von den Nationalsozialisten aus seinem Posten als Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie gedrängt worden war. Ab 1946 bekleidete er wieder wirt­ schaftspolitische Ämter und hatte führende Positionen in Wirtschaftsforschungs­ instituten inne, vgl. Jaeger, Hans: Kastl, Ludwig, in: Stolberg-Wernigerode, Otto zu (Hg.): Neue deutsche Biographie, Bd. 11, Berlin 1977, S. 323. Knoche, Mein­

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

fachliche Leitung des Schulwesens übernahm der ehemalige Schulinspek­ tor Bernhard Voigt. Der Leiter der Kaiserlichen Realschule in Windhuk sowie vormalige Schulreferent beim Gouvernement, Alfred Zedlitz, der grundsätzlich auch für diese Aufgabe in Frage gekommen wäre, war nach der Besetzung Windhuks durch das Militär der Südafrikanischen Union interniert worden und stand damit nicht zur Verfügung.30 Bernhard Voigt, der sich im Mai 1915 ebenfalls in Windhuk befand, aber trotz freiwilliger Meldung aufgrund gesundheitlicher Ausschlussgrün­ de nicht zum Kriegsdienst zugelassen worden war und damit wie alle anderen Regierungsbeamten hinsichtlich seiner Freiheit zu physischer Mo­ bilität (nur) auf seinen Wohnort beschränkt war, ergriff nun eigenmächtig die Initiative zur Fortsetzung der Unterrichtstätigkeit.31 Zunächst wurde er mehrfach gemeinsam mit anderen, sich vor Ort befindenden Lehrkräften bei der lokalen Besatzungsverwaltung in Windhuk vorstellig und erwirkte schließlich am 3. Juli 1915 eine offizielle Genehmigung zur Wiedereröff­ nung der örtlichen Schulen.32 Zunächst leitete Voigt in Personalunion sowohl die Windhuker Volks- als auch die Realschule, zog sich von der Leitung letzterer aber, „als die meisten Lehrkräfte der Realschule Ende Juli“ wieder nach Windhuk zurückkehrten, zugunsten des Oberlehrers August Gries zurück.33 Diese Trennung war für das Selbstverständnis der Beamten nicht unwichtig und insbesondere im Sinne der Realschulleh­ rer, denn diese waren als studierte Oberlehrer höhere Beamte, während

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hard: Ludwig Erhard, Adolf Weber und die schwierige Geburt des ifo Instituts, in: ifo Schnelldienst, Jg. 71, Nr. 13 (2018), S. 14–60, hier: S. 31–32. BArch, R 1002/2133, Bl. 185–187. BArch, R 1002/1830, Bl. 91. Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 9. Bertelsmann gibt an, dass es Regierungsbeamten durch die Kapitulationsverein­ barung nicht gestattet war, „ihre früheren amtlichen Funktionen auszuüben“, ebd. (auch für das Zitat). Die nachfolgend geschilderten Bemühungen Voigts um Anknüpfung an die bisherige Schultätigkeit lassen annehmen, dass dies ent­ weder nicht geahndet wurde oder eine solche Regelung nicht oder nur teilweise Bestand hatte. BArch, R 1002/2133, Bl. 185–187. Beachte, dass die Schulen schon vor der Be­ setzung Windhuks aus epidemiologischen Gründen geschlossen worden waren, siehe oben. BArch, R 1002/2133, Bl. 185–187 (für das Zitat: Bl. 185). August Gries (geb. am 18.4.1879) stammte aus Uelzen und hatte an den Univer­ sitäten in Göttingen und in Erlangen die Lehrbefähigung an Höheren Schulen für Naturwissenschaften und Mathematik erworben. Gries war anschließend an einem Gymnasium in Leer (1903–1905) und einer Realschule in Otterndorf (1905–1911) tätig, bevor er ab April 1911 an der Kaiserlichen Realschule in Windhuk arbeitete, BArch, R 1002/591, Bl. 2–3, 6–7.

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4. Kontinuität und Mobilität

Voigt als im Seminar ausgebildeter Mittelschullehrer und Volksschulleh­ rerausbilder mittlerer Beamter war. Aus der Perspektive der Oberlehrer war Voigt damit ein ihnen untergeordneter Beamter und vor allem nicht dazu befugt, den Realschulunterricht zu revisionieren. Dies hatte vor und während des Krieges zu erheblichen Konflikten geführt, und Voigt war in Windhuk alltäglichen Schikanen und Behinderungen ausgesetzt gewe­ sen.34 Eine frühestmögliche Trennung beider Windhuker Schulbereiche hatte für den zunächst aus eigenem Antrieb und ohne Anweisung einer vorgesetzten Stelle handelnden Voigt also nicht nur Arbeitsumfang redu­ zierende, sondern auch präventiv deeskalierende Funktion. Mithin ist sie ein Indiz dafür, dass Voigt weiterhin in der offenkundig Konfliktpotenzial enthaltenden Diensthierarchie der Gouvernementszeit dachte. Dass dies auch für die Beschäftigten der Realschule galt und trotz einer umfassenden Revisionsanordnung, mit der Kommissar Ludwig Kastl Voigt im Novem­ ber 1915 den Rücken stärkte, zeigt des Weiteren, dass auch in den darauf­ folgenden Jahren entsprechende Konflikte und Kompetenzstreitereien im Verhältnis Voigts zu den Lehrkräften der Realschule entflammten. Krieg und Besatzung sorgten also keineswegs für Dis-, sondern für Kontinuität in der dienstlichen Mentalität.35 Voigts eingangs zitierter Brief war schließlich Bestandteil des Versuchs, die Schultätigkeit auch in den anderen Schulorten anzustoßen. Doch hier ergaben sich zahlreiche Schwierigkeiten, an die Vorkriegszeit anzuknüp­ fen. Diese betrafen zum einen das Verhältnis der Lehrkräfte untereinan­ der und zum anderen den Umgang der Protektoratsregierung mit den deutschen Schulen. Deren Gebäude waren in nicht wenigen Fällen be­ schlagnahmt worden, sodass die örtlichen Lehrkräfte entweder die erneute Nutzungserlaubnis für das Gebäude erlangen oder andere Räumlichkeiten finden mussten. Dabei konnten sich die Lehrkräfte prinzipiell auf eine von Administrator Gorges an Voigt gerichtete Zusage berufen, dass die Lokalstellen der Protektoratsverwaltung zur Übergabe der Gebäude an die deutsche Bevölkerungsgruppe angehalten waren.36 Dies unterblieb al­ lerdings bisweilen oder verzögerte sich. In Aus und Gibeon etwa wurden die Gebäude nicht übergeben, in letzterem Ort gar das gesamte Inven­ tar zerstört.37 In Aus wiederum war durch das südafrikanische Militär im Schulgebäude ein Lazarett eingerichtet worden, dessen Betrieb nicht,

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BArch, R 1002/2125, Bl. 29–31, 33–34. BArch, R 1002/2125, Bl. 34, 88–89. BArch, R 1002/2133, Bl. 185–187. BArch, R 1002/2125, Bl. 152–153. BArch, R 1002/2133, Bl. 185–187.

4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

wie etwa in Swakopmund oder Grootfontein, wo die Schulgebäude wäh­ rend des Krieges ebenfalls zu medizinischen Einrichtungen umgewidmet worden waren, in der zweiten Hälfte des Jahres 1915 wieder eingestellt wurde.38 Wie rasch eine Schule nach der Besetzung der Ortschaften und einer Beschlagnahmung des Gebäudes wieder eröffnen konnte, war nicht zuletzt davon abhängig, in welchem Umfang die örtliche Lehrkraft menta­ le Mobilität bewies und wie schnell sie einen neuen Schulort fand. Durch­ aus ungewöhnlich war sicher das Unterrichten vom eigenen Lazarettbett, das Johannes Thormann in Keetmanshoop zum dortigen Schulbeginn im Oktober 1915 praktizierte.39 Eher die Regel war hingegen die Wiederer­ öffnung der Schule in ehemaligen deutschen Verwaltungsgebäuden, Mis­ sionshäusern oder Privatwohnungen, letzteres etwa in Aus.40 Einzig in Maltahöhe, Klipdam, Warmbad und Kub blieben die Schulen aufgrund von Lehrkräfte- und Schülermangel dauerhaft geschlossen.41 Während es also in der Regel gelang, die Schulen wieder zu öffnen, und auch die Protektoratsregierung bis 1918 auf wesentliche einschränkende Reglementierungen verzichtete, bereitete insbesondere aus der Perspektive Bernhard Voigts die Verteilung der Lehrkräfte auf die Schulen das viel größere Problem, da der Krieg offenbar mehr als nur die technischen Kommunikationskanäle Voigts zu den Lehrkräften zeitweise unterbrochen hatte. Diese genügten häufig Voigts hohen Ansprüchen, die dieser an die Dienstausübung knüpfte, nicht. Schon während des Krieges rügte er etwa den Lehrer Arthur Weidemann, weil dieser im Zuge seiner Reisevorberei­ tungen aufgrund einer Versetzung von Windhuk nach Omaruru im Febru­ ar 1915 den Unterricht für einige Tage verkürzt beziehungsweise ausfallen lassen hatte, um zu packen und aus seiner Sicht dringende Erledigungen zu tätigen. Auch stritten sich Voigt und Weidemann über vermeintliche Kleinigkeiten wie die Frage, wer von beiden dazu verpflichtet war, den Stundenplan der Windhuker Schule abzuschreiben und öffentlich auszu­ hängen. Letztlich griff in diesem Fall die an sich klare Diensthierarchie

38 BArch, R 1002/2125, Bl. 121–123, 137–139. BArch, R 1002/2133, Bl. 6. 39 BArch, R 1002/2133, Bl. 130–131. Johannes Thormann (geb. am 12.9.1879) hatte nach seiner Volksschullehreraus­ bildung von 1900 bis 1909 in einer Schule in Torgelow gearbeitet, bevor er im September 1909 seinen Dienst in Keetmanshoop antrat. Dort unterrichtete er wöchentlich für zwei Stunden im Nebenamt auch die Soldaten der örtlichen ‚Schutztruppe‘, BArch, R 1002/1763, Bl. 3, 6, 14–15, 33, 39. 40 BArch, R 1002/2125, Bl. 135–136, 143–144, 150–153. BArch, R 1002/2133, Bl. 185–187. 41 BArch, R 1002/2125, Bl. 15, 84–87.

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4. Kontinuität und Mobilität

und Weidemann wurde mit einer Disziplinarstrafe in Höhe von 30 M belegt.42 Über eine der Dienstordnung entspringende Autorität verfügte Voigt ab Juli 1915 offiziell aber nicht mehr, was eine Minderheit der Lehrkräfte dazu veranlasste, gegen dessen Anordnungen zu opponieren. Diese wollten insbesondere die nach dem Kriegsende wiedergewonnenen Mobilitätschancen nach eigenen Vorstellungen nutzen. So weigerten sich die beiden Lehrer Harry Rodenberg und Rudolf Keller zunächst, ihren Dienst wieder anzutreten, da sie, in den Worten Voigts, beabsichtigten, „nach dem Kriegszug erst einmal ordentlich Ferien zu machen“.43 Keller wollte während dieser Zeit außerdem die ebenfalls als Lehrerin arbeitende Margarethe Schlusche, mit der er verlobt war, besuchen und ließ sich auch nicht durch Voigts Drohung, „dass nach dem Kriege wohl danach gefragt werden würde, wer seine Pflichten erfüllt habe und dass es für ihn (Keller, Anm. des Verfassers) unliebsame Folgen haben könnte“, wenn er sich verweigere, sich zu bindenden Zugeständnissen bewegen zu lassen. Ab Au­ gust 1915 waren sowohl Keller als auch Schlusche schließlich unbekannt verzogen.44 Voigts Wahrnehmung der Situation im Jahr 1915 wurde von derarti­ gen Vorfällen stark geprägt, obwohl die Mehrheit der Lehrkräfte dessen Anordnungen folgte. Gegenüber der Protektoratsregierung, die ihn im Februar 1919 dazu aufforderte, die jüngere Geschichte des Schulwesens zu­ sammenzufassen, äußerte er sich neutral.45 In Berichten an den deutschen Kommissar Kastl sparte er jedoch nicht mit negativer Kritik am Verhalten der Lehrkräfte, von denen er offenkundig erwartete, dass diese, wie er

42 BArch, R 1002/1894, Bl. 19–24, 26–29, 30–31. Arthur Weidemann (geb. am 29.11.1888) hatte von 1903 bis 1909 das Volks­ schullehrerseminar in Altenburg besucht und von 1910 bis Januar 1914 an einer Bürgerschule in Kahla gearbeitet. Im Februar 1911 trat er seine Stelle als kolonia­ ler Lehrer in Windhuk an, BArch, R 1002/1894, Bl. 2, 13–14. 43 BArch, R 1002/2133, Bl. 185–187 (für das Zitat: Bl. 187). Harry Rodenberg (geb. am 31.10.1889) absolvierte seine Ausbildung zum Volks­ schullehrer im Lehrerseminar in Hannover und arbeitete anschließend von 1910 bis 1914 in einer Volksschule in Rathosen (heute Stadtteil von Sulingen). Ab März 1914 unterrichtete in der Schule in Aus (Bzk. Lüderitzbucht), BArch, R 1002/1401, Bl. 2, 12–13. BArch, R 1002/1402, Bl. 3, 6. Rudolf Keller (geb. am 13.12.1887) stammte aus Wetzlar und verfügte nach seiner Volksschullehrerausbildung über eine Anstellung in Koblenz. Im Februar 1912 trat er schließlich seinen Dienst in Lüderitzbucht an, BArch, R 1002/921, Bl. 22–23, 35. BArch, R 1002/922, Bl. 6. 44 BArch, R 1002/2133, Bl. 185–187 (für das Zitat: Bl. 187). 45 BArch, R 1002/2125, Bl. 83–87.

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

selbst, die gedachte Kontinuität des Gouvernement Deutsch-Südwestafrika zur unbedingten Richtschnur ihres eigenen Handelns machten.46 Dabei zeugt die Tatsache, dass etwa im März 1916 außer in vier Orten (Maltahö­ he, Klipdam, Warmbad und Kub) alle Schulen inklusive der Katholischen Höheren Töchterschule in Windhuk wieder geöffnet hatten und mit je einer Schule in Tsumeb und in Kolmanskuppe sogar zwei weitere Schulen hinzugekommen waren, von einem Schulwesen, das durchaus an die Vor­ kriegszeit anknüpfte.47 Nicht zuletzt hatte die im März 1916 ausgewiesene Schülerzahl mit 776 Kindern bereits wieder das Niveau von März 1913 (775 Kinder) erreicht.48 Außerdem berichteten die Lehrerinnen und Leh­ rer mehrheitlich über die Rückkehr zur vor dem Krieg üblichen Unter­ richtstätigkeit.49 Dauerhaft tragfähige administrative Strukturen hatten sich bis dahin allerdings noch nicht entwickelt. Des Weiteren sah insbe­ sondere Bernhard Voigt erheblichen Reformbedarf in der fachlichen und personellen Steuerung des Schulwesens. Die entsprechenden Initiativen und Maßnahmen, die Voigt für nötig erachtete, sind Gegenstand des nächsten Kapitels.

4.1.2 Reorganisation und Reformen Die Voraussetzung von Kontinuität, mentaler Mobilität und Veränderun­ gen im Schulwesen war die Etablierung sowohl administrativer als auch personeller Kontaktstrukturen. Erstens fungierten ehemalige höhere Be­ amte des Gouvernements als lokale Ansprechpartner. In Lüderitzbucht übernahm beispielsweise der ehemalige Bezirksamtmann Rudolf Böhmer in faktischer Weiterführung seines kolonialen Amtes die Lehrkräftever­ teilung und -aufsicht.50 In Grootfontein übertrug die Protektoratsverwal­ tung das Schulgebäude an den ehemaligen Bezirksamtmann Berengar von Zastrow persönlich.51 Hinzu traten zweitens kommunale Verwaltungsin­

46 BArch, R 1002/2133, Bl. 1–34, 185–187. 47 BArch, R 1002/2125, Bl. 79. Die Eröffnung der Schule in Kolmanskuppe nahe Lüderitzbucht im November 1915 war insbesondere durch die Tätigkeit der dort im Diamantabbau involvierten Bergbaugesellschaften motiviert, BArch, R 1002/2125, Bl. 132. 48 BArch, R 1002/2125, Bl. 79. Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 70 (Statisti­ scher Teil). 49 BArch, R 1002/2125, Bl. 121–148. 50 BArch, R 1002/2133, Bl. 185–187. 51 BArch, R 1002/2133, Bl. 14.

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4. Kontinuität und Mobilität

stanzen des ehemaligen Gouvernements, also Stadtverwaltungen, Gemein­ deräte und Bürgermeister. Über diese Kontaktstrukturen kommunizierten die Schulen Kommissar Kastl ihren Bedarf an Lehrmitteln und Einrich­ tungsgegenstände, erstatteten Berichte und forderten neue Lehrkräfte an.52 Drittens dienten sogenannte Zahlstellen, die lokal von deutschen Beamten geführt wurden und nicht nur für die Abwicklung des Geldflusses zustän­ dig waren, unter anderem auch als Adressaten für schulische Belange fach­ licher Art.53 Und viertens nahm Bernhard Voigt zum Ende des Jahres 1916 wieder seine Inspektionstätigkeit auf. Er besuchte in zahlreichen mehrwö­ chigen Reisen die einzelnen Schulstandorte und knüpfte so persönliche Kontakte, machte sich mit den Gegebenheiten vertraut und gab meist schon an Ort und Stelle neue Instruktionen.54 Die vor allem während der Inspektionsreisen aufgenommenen Informa­ tionen bildeten schließlich einen Teil der Grundlage für eine Denkschrift, die Voigt im September 1917 unter dem Titel Grundlagen und Weiterent­ wicklung des Volksschulwesens im Schutzgebiete Deutsch-Südwest-Afrika vorleg­ te.55 Schon die Bezeichnung des angedachten Geltungsraumes im Titel zeigt, dass Voigts Gedankengerüst nach wie vor das ehemalige Gouverne­ ment war. Da die Denkschrift außerdem maßgeblich an die Denkschrift von Alfred Zedlitz und an Voigts eigene Vorlagen der Jahre 1911 bis 1914 anknüpfte, ist dies auch für den Inhalt zu konstatieren.56 Mit der Denk­ schrift formulierte der faktisch leitende deutsche Schulbeamte Voigt ein Programm, das einerseits viele Handlungsmuster der Vorkriegszeit aufgriff und andererseits Reformen an wesentlichen Stellen des deutschen Schul­ wesens forderte. Voigt entwarf damit das Szenario für eine zukünftige deutsche koloniale Schule unter den neuen Bedingungen und schuf einen

52 Beachte etwa BArch, R 1002/2133, Bl. 29–49. 53 Beachte etwa BArch, R 1002/2125, Bl. 35, 42, 44, 62. Die Zahlstellen erhielten ihre finanziellen Mittel aus dem Deutschen Reich bis März 1920 unter anderem durch die Vermittlung des für die Region zuständigen US-amerikanischen Kon­ sulats, BArch, R 1002/2125, Bl. 264. Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgrup­ pe, S. 17. 54 BArch, R 1002/2127, Bl. 4–5, 8–15a, 16–17, 19–25. 55 BArch, R 1002/2125, Bl. 1–34. BArch, R 1002/2127, Bl. 26. Die Besatzungsverwal­ tung hatte 1915 begonnen eigene Schulen zu gründen. 1919 bestanden 23 Schu­ len, die von etwa 770 Kindern besucht wurden, vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 17. Leusner, Hermann: Die Entwicklung des Schulwesens in den deutschen afrikanischen Kolonien, jetzigen Mandatsgebieten, vom Ende des Weltkrieges bis zur Gegenwart, Köln 1938, S. 45. 56 Beachte hierzu Kapitel 3.4.2.

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

der zentralen Referenzpunkte der weiteren schulpolitischen Entscheidun­ gen.

Zukunftserwartung Zunächst ist Voigts Denkschrift von einer sehr positiven Zukunftserwar­ tung geprägt. Ausgehend von den Steigerungsraten der Schülerzahlen von 1912 bis 1914 und einem Reservoir an geschätzt 1.500 nicht beschul­ ten oder englischsprachige Schulen besuchenden Kindern im Protektorat prognostizierte er für die bestehenden Schulen einen Anstieg der Schüler­ zahl pro Jahr um 200 bis 300 Schülerinnen und Schüler.57 Voigt warb außerdem für die Wiederaufnahme alter Pläne, neue Schulen in Outjo, Bethanien und Rehoboth zu eröffnen, von denen ein Teil schließlich auch umgesetzt wurde. Am 1. Februar 1918 eröffnete ein deutscher Missionar in Outjo eine Schule unter der Schulaufsicht Voigts.58 Dieser benannte zudem zahlreiche weitere neue Schulorte, die dazu beitragen sollten, dass die Schülerzahl „1918, spätestens 1919 […] 1.800 übersteigen“ werde.59 Diese Gründungen fanden allerdings nicht statt, und tatsächlich wies die Personenstatistik zum 31. März 1918 1.098 Schülerinnen und Schüler in den Volksschulen und 138 in der Realschule in Windhuk aus.60 Im Febru­ ar 1920 besuchten schließlich nach Voigts Angaben insgesamt 1062 Kinder die deutschen Schulen.61 Entsprechend übertrieben war auch Voigts Pro­ gnose der Lehrkräftezahl, die im September 1917 einen akuten Bedarf an 34 neuen Lehrerinnen und Lehrern und eine Gesamtzahl von 60 Lehrkräf­ ten umfasste.62

Abrechnung und Rechtfertigung Voigt begründete seine positive Zukunftserwartung insbesondere mit dem aus seiner Sicht großen Leistungsvermögen, welches die deutschen Volksschulen trotz schwieriger Bedingungen gezeigt hätten. Schließlich

57 58 59 60 61 62

BArch, R 1002/2125, Bl. 5. BArch, R 1002/2125, Bl. 15, 209. BArch, R 1002/2125, Bl. 15–16 (für das Zitat: Bl. 15). BArch, R 1002/2125, Bl. 81, 84–87. BArch, R 1002/2162, Bl. 64–66. BArch, R 1002/2125, Bl. 16.

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4. Kontinuität und Mobilität

„entstamm[t]en [die Schülerinnen und Schüler zwar] fast nie so kümmer­ lichen Verhältnissen wie in deutschen Fabrikgegenden“, ihr kolonialer Alltag biete ihnen aber letztlich nur eine „eintönig[e] Umgebung“, die sie „arm an Eindrücken“ mache. Und dennoch habe die koloniale Schule durch kleine Klassengrößen, „zum Teil sehr tüchtig[e]“ Lehrkräfte und gute Schulausstattung Unterricht geboten, der „mindestens so gut wie zu Hause ist.“63 Damit wandte sich Voigt explizit gegen negative Kritik, die er etwa von Seiten Eduard Moritz‘ vernommen hatte, dessen beschreibende und wertende Auseinandersetzung mit der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Südwestafrika 1914 erschienen war.64 Voigt kontrastierte zudem den ‚Erfolg‘ in den kolonialen Volkschulen mit der aus seiner Sicht als ‚Misserfolg‘ zu bezeichnenden Arbeit in den Realschulen. Diese litten un­ ter chronischem Schülermangel und ihr Betrieb sei zu kostenintensiv. Er verwies dabei auf die seinerzeitige Schließung der Realschule in Lüderitz­ bucht nach nur einem halben Jahr und die Schließung der Realschule in Swakopmund aufgrund kriegsbedingter Geldnot.65 In Windhuk wiederum habe man auf geringe Schülerzahlen in den oberen Klassen mit der Ab­ senkung des Anforderungsniveaus reagiert. Voigts Wortwahl in den dies­ bezüglichen Passagen der Denkschrift lassen annehmen, dass nicht zuletzt die Konflikte mit den Lehrern der Realschule in sein Urteil einflossen, konstatierte er doch polemisch: „Alle Schüler der Windhuker Oberklasse würden in einer deutschen Großstadt einer Hilfsklasse für geistig zurückgeblieben[e] Kinder zuge­ wiesen werden.“66

Vereinheitlichung Rückblickend übte Voigt allerdings nicht nur negative Kritik an den Realschullehrern, sondern auch an den Lehrkräften der kolonialen Volks­ schulen. Diese hätten sich häufig nicht Willens gezeigt, ihre in der Semi­ narausbildung eingeübten Gewohnheiten zugunsten einer einheitlichen Unterrichtsweise aufzugeben. Insbesondere das Festhalten an aus dieser

63 BArch, R 1002/2125, Bl. 5–6 (auch für die Zitate). 64 BArch, R 1002/2125, Bl. 3, 5. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 30–36. 65 BArch, R 1002/2125, Bl. 5–6, 16. Beachte auch Kapitel 3.4.2. 66 BArch, R 1002/2125, Bl. 5–6, 16 (für das Zitat: Bl. 6). Zu den Konflikten Voigts mit den Lehrkräften der Realschule Windhuk beachte Kapitel 4.1.1.

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

Ausbildungszeit bekannten Lehrbüchern und der im jeweiligen Bundes­ staat üblichen Schriftnorm hätten einerseits Unterrichtsverbesserungen und andererseits Ortswechsel der Schülerinnen und Schüler erschwert.67 Voigt beschrieb damit also einen Mangel an mentaler Mobilität, hier ver­ standen als Bereitschaft, geistige Vorprägungen zu überwinden, als beson­ dere Erschwernis. Er forderte darum Vereinheitlichungsmaßnahmen und versandte im Februar 1918 eine überarbeitete Fassung seines 1911 ausgear­ beiteten Rahmenlehrplans und ein normiertes Alphabet verbunden mit der Aufforderung an die Lehrkräfte, ihr Curriculum und ihren Unterricht entsprechend anzupassen.68 In der Denkschrift kündigte Voigt außerdem eine Zusammenstellung aller die Lehrkräfte und den Schulbetrieb betref­ fenden rechtlichen Regelungen an, die er schließlich im Oktober 1918 komplettiert hatte.69 Unter dem Eindruck der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde deren Versendung immer wieder verschoben und im Juli 1919 schließlich aufgegeben.70 Festzustellen ist nichtsdestotrotz, dass Voigt von einer kontinuierlichen Rechtsgültigkeit der Regelungen ausging und überdies auch die durch Kommissar Kastl hinzugefügten Anordnungen mit früheren Gouvernementserlassen gleichsetzte.71 Der Uneinheitlichkeit bei den Lehrbüchern wollte Voigt wiederum durch eigene Schulbucharbeit begegnen.72 Dieser Aspekt der kolonialen Schule war in Deutsch-Südwestafrika im Vergleich zu den umfangreichen Schulbucherstellungen in Kamerun, Togo und Deutsch-Ostafrika deutlich unterrepräsentiert.73 1901 hatte der zweite koloniale Lehrer in DeutschSüdwestafrika und Nachfolger Helene Nitzes Karl Otto eine deutsche Fibel mit Lesebuchanteil herausgegeben, die zwar in einer beachtlichen Auflage von 23.000 Exemplaren gedruckt und auch im Unterricht als eines von vielen deutschen Lehrbüchern eingesetzt worden war, nun aber von Voigt verworfen wurde. Sie sei „eine flüchtige und unpraktische Zusammen­

67 BArch, R 1002/2125, Bl. 10. Die Kenntnis ein und derselben Schriftnorm war in den Anfangsjahren der deutschen kolonialen Schule ein wichtiges Argument für die ausschließliche Anstellung von Württembergern, beachte Kapitel 3.1.1. 68 BArch, R 1002/2125, Bl. 10, 62–74. Beachte den Lehrplan, BArch, R 1002/2125, Bl. 46–61. 69 BArch, R 1002/2125, Bl. 14–15, 229–308. 70 BArch, R 1002/2125, Bl. 227–228. 71 BArch, R 1002/2125, Bl. 229–308. 72 BArch, R 1002/2125, Bl. 10. 73 Beachte zur Schulbucherstellung insbesondere die Kapitel 2.1.5, 2.2.2, 2.2.3, 3.1.4 und 3.2.5.

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4. Kontinuität und Mobilität

stellung in geschmackloser Ausstattung“, urteilte er schonungslos.74 Von Voigt selbst lag ab 1913 ein eigenes Lesebuch vor, an dessen Entstehung seinerzeit auch Voigts Kollegen durch Einsendung von Texten beteiligt gewesen waren.75 In der Denkschrift kündigte er nun ein weiteres Werk an, das die Fächer Geschichte, Erdkunde und Naturkunde behandeln und seinen Schwerpunkt auf dem kolonialen Raum Deutsch-Südwestafri­ kas haben sollte. Gleichwohl er vermeldete, bereits wesentliche Kapitel geschrieben zu haben, erschien dieses Lehrbuch in den folgenden Jahren allerdings nicht.76

Paradigmenwechsel Bernhard Voigt nutzte die Denkschrift letztlich vor allem, um in fünf Bereichen (Schulpflicht, Schulsystem, Lehrkräfterekrutierung, Schul- und Unter­ richtsziele und Lehrerkonferenzen) Veränderungen vorzuschlagen, die dazu angelegt waren, Handlungsmuster der Vorkriegszeit wesentlich neu zu bestimmen. Allesamt waren sie Aufforderungen zu mentaler Mobilität und zu Paradigmenwechseln. Ausgangspunkt seiner ersten Forderung war die 1911 ergangene Verordnung, die für Kinder, die außerhalb eines 4 km-Radius um einen Schulort lebten, eine vierjährige Schulpflicht einge­ führt hatte.77 Voigt nahm nun Stellung zu Moritz‘ negativer Kritik an dem Umstand, dass dies den für die Lehrkräfte komplizierten Umstand schuf, dass in ein und derselben Klasse Schülerinnen und Schüler saßen, von denen die einen einer vierjährigen Schulpflicht Genüge tun mussten und die anderen – Kinder, die innerhalb eines 4 km-Radius um einen Schulort

74 BArch, R 1002/2125, Bl. 10–11 (für das Zitat: Bl. 11). Anlagen zum amtli­ chen Jahresbericht (1901/1902), S. 208. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1905/1906), S. 264. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 37. Otto, Karl: Fibel und erstes Lesebuch für die Schulen in Deutsch-Südwestafrika, Berlin 1901. Beachte auch Kapitel 3.4.1. 75 BArch, R 1002/1830, Bl. 79. BArch, R 1002/2125, Bl. 10. Runderlass an die Bezirks- und Distriktämter vom 27.10.1911, in: ADSWA, Jg. 2 (1911), S. 221. Mo­ ritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 37. Voigt, Bernhard: DeutschSüdwestafrika. Land und Leute. Eine Heimatkunde für Deutschlands Jugend und Volk, Stuttgart 1913. 76 BArch, R 1002/2125, Bl. 10. 77 Verordnung des Kaiserlichen Gouverneurs von Deutsch-Südwestafrika zur Ergän­ zung der Verordnung von 20. Oktober 1906, betreffend die Einführung der Schulpflicht, in: ADSWA, Jg. 2 (1911), S. 210.

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wohnten – eine achtjährige Schulpflicht zu erfüllen hatten.78 Voigt sah in der von Moritz bemängelten Altersdurchmischung der Klassen und einem dadurch kompromittierten Erreichen der Lernziele kein Problem. Er revi­ dierte jedoch die Auffassung, die er in seiner Denkschrift von 1911 vertre­ ten hatte, dass auch die vierjährig Schulpflichtigen nach ihrer Schulzeit als zu den achtjährig Schulpflichtigen äquivalent ausgebildet anzusehen wa­ ren, und forderte die Einführung einer sechsjährigen Schulpflicht anstelle der vierjährigen.79 Die Forderung mag zunächst sehr technisch erscheinen, und ihr folgte auch keine umsetzende Anordnung durch Kommissar Kastl. Sie erlangt ihre Bedeutung aber dadurch, dass Voigt implizit eine Verord­ nung, die Gouverneur Seitz im März 1915 erlassen hatte und welche die 1911 ausgeweitete Schulpflicht wieder auf einen 4 km-Radius um die je­ weiligen Schulorte begrenzte, schlicht ignorierte, als hätte es sie gar nicht gegeben.80 Da Voigt ansonsten immer sehr gut informiert war, verwun­ dert dies sehr, zumal auch seine Zusammenstellung der schulrelevanten Verordnungen gerade jene aus dem März 1915 nicht enthielt, dafür aber jede andere der Anordnungen.81 Möglicherweise wollte Voigt so eine ihm unliebsame Regelung beiseitelassen, weil sie letztlich auch eine Reduktion seines Einflussbereiches bedeutet hätte. Die polemischen Passagen gegen die Realschullehrer und die mit Verve vorgetragenen Rechtfertigungen des eigenen Tuns als Schulinspektor deuten zumindest darauf hin, dass er sich beim Verfassen der Denkschrift auch von seinen Emotionen und nicht zuletzt auch seinen Ambitionen leiten ließ. Der von Voigt nun zweitens geforderte Ausbau der kolonialen Volks­ schulen zu Mittelschulen unterstützt die These, dass Voigt einerseits eige­ ne Belange involvierte und andererseits tatsächliche fachliche Missstände überwinden wollte. Als Prinzip gab er aus, dass es für Schülerinnen und Schüler „vorteilhafter ist, eine gute abgeschlossene Volksschulbildung, als eine unvollendete Realschulbildung zu erlangen.“82 Konkret forderte Voigt, in Swakopmund, wo die Realschule aufgrund kriegsbedingter fi­ nanzieller Engpässe geschlossen worden war, keine neue Schule dieser Art zu eröffnen, sondern vielmehr die bestehende und zahlreich besuchte Volksschule zu erweitern. Nach dem sechsjährigen Volksschullehrgang 78 BArch, R 1002/2125, Bl. 7–8. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 9. Beachte auch Kapitel 3.4.2. 79 BArch, R 1002/2125, Bl. 7–8. 80 Verordnung des Kaiserlichen Gouvernements von Deutsch-Südwestafrika betr. Aenderung der Schulpflicht, vom 29. März 1915, in: ADSWA, Jg. 6 (1915), S. 38. 81 BArch, R 1002/2125, Bl. 229–308. 82 BArch, R 1002/2125, Bl. 16–18 (für das Zitat: Bl. 17).

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sollte die Möglichkeit angeboten werden, eine Mittelschule, die die Jahr­ gänge der Sexta bis zur Quarta einer Realschule umfasste, zu besuchen.83 Die erste Fremdsprache sollte dort Französisch sein, um einen möglichst guten etwaigen Übergang zu Realschulen im Deutschen Reich oder der­ jenigen in Windhuk zu gewährleisten. Hinzu kamen in allen drei Jahr­ gängen die Fächer Deutsch und Mathematik sowie in der Quarta noch Englisch und Geschichte.84 In anderen Orten sollte ein weiterer Schulsys­ temausbau zunächst nicht erfolgen, bei Erreichen einer gewissen, nicht bezifferten Anzahl an Schülerinnen und Schülern aber auf jeden Fall auch in Form einer Mittelschule.85 Die Forderung belegt nun nicht nur Voigts Streben nach einem schulsystematischen Paradigmenwechsel, son­ dern lässt sich auch als Versuch deuten, mehr Einfluss zu erlangen. Als Leiter der Volks- und Mittelschule sollte nämlich kein höherer Lehrer – ein solcher hatte die zuvor in Swakopmund bestehende Realschule ge­ leitet – fungieren, sondern einer, der wie Voigt selbst über ein Examen als Mittelschullehrer und als Rektor verfügte. Voigt argumentierte dabei sehr geschickt, indem er die vorgeschlagene Form der Stellenbesetzung als Aufwertung zur bisherigen Form der Besetzung von Schulleiterstellen mit ‚einfachen‘ Volksschullehrern darstellte. Er ließ unausgesprochen, dass der neue Mittelschulrektor in Voigts eigenen Aufsichtsbereich eintreten würde, in dem sich der vormalige Rektor der Swakopmunder Realschule nicht befunden hatte.86 Der Vorschlag wurde in den darauffolgenden Jahren nicht umgesetzt, was nicht verwundert, da entsprechende Anstellungen von Lehrkräften Strukturen voraussetzten, die nur bei einer Belassung der Kolonien in deutscher Hand wieder hätten etabliert werden können. Eine Umsetzung scheiterte in Swakopmund allerdings auch insbesondere an dem Wider­ stand der lokalen deutschen Bevölkerung, deren schulinteressierte Vertre­ ter für die Errichtung einer vollwertigen, sechsklassigen Realschule wie in Windhuk stritten.87 Mithin ist angesichts des ohnehin konfliktträchtigen Verhältnisses von Voigt zu den Oberlehrern wohl anzunehmen, das sicher innerhalb der Lehrerschaft kontroverse Debatten um den weiteren Schul­ systemausbau entstanden wären, die wiederum beide Intentionen von Voigts Forderung, die Ambitionen und die fachliche Weiterentwicklung,

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BArch, R 1002/2125, Bl. 16–18. BArch, R 1002/2125, Bl. 17. BArch, R 1002/2125, Bl. 18. BArch, R 1002/2125, Bl. 17. BArch, R 1002/2162, Bl. 59–63, 182–187, 191–192.

4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

reflektiert hätten. Die Forderung nach einem Paradigmenwechsel ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt Bestandteil der Professionalisierung des Volksschullehrerberufes, da sie auch als Ausdruck eines nach eigen­ ständiger Geltung strebenden Berufsstandes gelesen werden kann.88 Eine solche Einordnung von Voigts Forderung unterstützen dessen Beschwer­ den über die Ungleichbezahlung von Oberlehrern und ihm selbst als Mit­ telschullehrer, Rektor und Schulinspektor.89 Insofern ist die Denkschrift also nicht nur ein fachlicher Konzeptentwurf, sondern wohl auch Zeugnis berufsständischer Ambitionen. Dass Voigt beim Verfassen der Denkschrift auch seinen eigenen Berufs­ stand stets mitdachte, zeigen des Weiteren seine Bemerkungen zur zukünf­ tigen Auswahl der Lehrkräfte. Auch in diesem Feld forderte er einen Pa­ radigmenwechsel insbesondere im Verhältnis zur Lehrkräfterekrutierung der Kriegs- und bisherigen Nachkriegszeit, doch auch bezüglich der zuvor angewandten Strategien. Zunächst verlangte er eine Reduktion der Anstel­ lung von Lehrerinnen. Diese hätten sich schon vor Kriegsbeginn mehrheit­ lich sowohl körperlich als auch fachlich als zu schwach erwiesen, um in der Kolonie zu unterrichten. Vor allem die Leitung von einklassigen Schu­ len, also solchen, in denen Schülerinnen und Schüler aller Klassenstufen in ein und demselben Raum unterrichtet wurden, solle besser durch Leh­ rer erfolgen. Lehrerinnen könnten, wenn überhaupt, an Schulen mit meh­ reren Klassen angestellt werden.90 Unter den an anderer Stelle von Voigt geforderten 34 neuen Lehrkräften sollten sich dementsprechend 28 Lehrer und sechs Lehrerinnen befinden, was einem Frauenanteil von etwa 18 Pro­ zent entspräche.91 Im Vergleich dazu waren während des Krieges dreizehn Lehrerinnen (ca. 68 Prozent) und sechs Lehrer (ca. 32 Prozent) eingestellt worden.92 Doch Voigt wollte nicht nur das Geschlechterverhältnis wieder stärker zugunsten der männlichen Lehrkräfte verändern, sondern auch deren Herkunft regulieren sowie deren Einstellungsalter erhöhen. Neue Lehrkräfte sollten nicht mehr in Teilen auch aus der sich schon vor Ort befindenden Bevölkerung oder aus Südafrika rekrutiert werden, da sich die derart rekrutierten Lehrkräfte mehrheitlich als fachlich und sozial un­ geeignet erwiesen hätten. Der ideale Lehrer werde, so Voigts Forderung, vielmehr im Deutschen Reich angeworben, besitze Berufserfahrung und

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Vgl. Dartenne, Seminare, S. 146–147. BArch, R 1002/2125, Bl. 27–31. BArch, R 1002/2125, Bl. 25–27. BArch, R 1002/2125, Bl. 15–16. BArch, R 1002/2125, Bl. 84–87.

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sei verheiratet (wegen der Pensionsleitung gemeinsam mit der Ehefrau). Der idealtypisch denkende Voigt schlussfolgerte, dass eine Lehrkraft zum Zeitpunkt der Anstellung bestmöglich zwischen 28 und 30 Jahren alt sei, also älter als die meisten eingestellten Lehrkräfte.93 Voigts Analyse von der „zu großen Jugendlichkeit“ der Lehrkräfte und das geforderte Alter irritieren zunächst, da das durchschnittliche Alter der von 1894 bis Juni 1915 beschäftigten Lehrkräfte bei Diensteintritt mit 29,1 Jahren (Lehrer: 28,5 Jahre; Lehrerinnen: 29,9 Jahre) genau im gefor­ derten Altersbereich gelegen hatte.94 Bei Betrachtung der Altersverteilung ergeben sich zwei bemerkenswerte Ergebnisse. Zum einen ist zu erkennen, dass Voigts Analyse bezüglich der männlichen Lehrkräfte durchaus kor­ rekt war. Nur gut ein Viertel der Lehrer befand sich in der von ihm als ideal identifizierten Altersgruppe. Etwa 45 Prozent waren jünger, ungefähr 20 Prozent älter. Dass sich dennoch ein Mittelwert von 28,5 Jahren ergibt, liegt einerseits an der überschaubaren Größe des Datensatzes und anderer­ seits am sehr hohen Diensteintrittsalter der Lehrer in der Gruppe der über Sechsunddreißigjährigen (Otto Damm: 41 Jahre, Heinrich Voigt: 45 Jahre, Georg von der Au: 48 Jahre).95 Schließlich ist zum anderen ersichtlich, dass gerade die weiblichen Lehrkräfte, deren Anteil Voigt drastisch reduzieren wollte, zu gut 45 Prozent und damit deutlich häufiger zur vermeintlich idealen Altersgruppe gehörten als ihre männlichen Kollegen. Letztlich forderte Voigt für die Lehrer also genau das Eintrittsalter, das für die Lehrerinnen bereits mit großem Anteil gegolten hatte. Voigts Kritik an den bisher rekrutierten Lehrkräften kulminierte schließlich in der Feststellung, dass „das hiesige Geschlecht Erzieher braucht, geschlossene Persönlichkeiten.“96 Damit verknüpfte er auch seine Forderungen bezüglich der Lehrkräfte mit demjenigen Thema, das die Denkschrift wie ein roter Faden durchzieht, nämlich das der Erziehung. Den Schülerinnen und Schülern ermangele es nicht an Leistungsvermö­ gen, so Voigt. Ihr alltäglicher Umgang in einer Gesellschaft, in der Europä­ er und Indigene zusammenleben, beeinträchtige vielmehr die „seelischen Eigenschaften“ der Kinder.97 Er schlussfolgerte: „Deshalb muss man im­ mer wieder die Wichtigkeit der Erziehung in der Schule betonen, damit 93 BArch, R 1002/2125, Bl. 25–27. 94 BArch, R 1002/2125, Bl. 25 (für das Zitat). Beachte Kapitel 3.4.3 und Anhang Nr. 34 und Nr. 37. 95 BArch, R 1002/326, Bl. 15–16. BArch, R 1002/1832, Bl. 32–33. BArch, R 1002/108, Bl. 24–26. 96 BArch, R 1002/2125, Bl. 27 (für das Zitat). 97 BArch, R 1002/2125, Bl. 5–6 (für das Zitat: Bl. 6).

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

diese Unarten bekämpft werden.“98 Unterrichtsziele seien also insbesonde­ re Erziehungsziele. Ordnung, Pünktlichkeit und Gehorsam, „Keuschheit, Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe“, das Fernhalten von Indigenen und deren Sprache, „Höflichkeit, Bescheidenheit, Frömmigkeit, Pflichttreue und Va­ terlandsliebe“ seien von den Lehrkräften zu vermitteln.99 Im Curriculum verortete Voigt diese mehrheitlich sekundärtugendlichen Ziele vor allem in den Fächern Geschichte und Religion.100 Zu ersterem formulierte er im Geiste der ‚vaterländischen Erziehung‘: „Die Geschichte soll willenskräftige Menschen, Heldentum und See­ lengröße zeigen, die zur Nacheiferung anreizen. Sie lehrt die Gegen­ wart durch die Vergangenheit verstehen, nährt die Vaterlandsliebe und zeigt, dass, weil man die Segnungen einer sittlichen Gemeinschaft genießt, auch für das Gemeinwohl mit empfindlichen Opfern, ja mit dem Leben einstehen muss.“101 Zu letzterem führte er insbesondere das Problem aus, dass kriegsbedingt wenige Missionare an vielen Schulorten gleichzeitig unterrichteten, da der konfessionell getrennte Religionsunterricht nicht von den Lehrkräften erteilt wurde.102 Voigts praktische Eingriffsmöglichkeiten waren insbeson­ dere in diesem Fach aufgrund der auch in den Kolonien prinzipiell prak­ tizierten Trennung von Kirche und Staat durchaus begrenzt. Dennoch versendete er im Februar 1918 an alle Schulen mit seinem Rahmencurricu­ lum auch einen separaten Religionslehrplan für beide Konfessionen und insistierte, diesen den jeweiligen Missionaren und Kirchengemeinden zur Anwendung zu empfehlen.103 Moral und Person sollten schließlich in der Person des Klassenlehrers zusammenfließen, der anders als in den Jahren vor dem Krieg nicht nach jedem Jahrgang wechselte, sondern ein und die­ selbe Klasse während ihrer gesamten Schullaufbahn begleitete. Für Voigt hatten die Lehrkräfte und unter diesen insbesondere die Lehrer also eine essentielle Vorbildfunktion für die Schülerinnen und Schüler.104 Doch nicht nur die Ziele und Aufgaben des Unterrichts und der Lehr­ kräfte sollten sich gemäß Voigt auf die Erziehung konzentrieren. Auch das Pensionatsleben sollte sich noch stärker auf diesen Schwerpunkt fo­ 98 99 100 101 102 103 104

BArch, R 1002/2125, Bl. 6 (für das Zitat). BArch, R 1002/2125, Bl. 7 (für die Zitate). BArch, R 1002/2125, Bl. 11–14. BArch, R 1002/2125, Bl. 14 (für das Zitat). BArch, R 1002/2125, Bl. 12–13. BArch, R 1002/2125, Bl. 62, 65–74. BArch, R 1002/2125, Bl. 12.

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4. Kontinuität und Mobilität

kussieren. Voigt schloss hierbei an die Intentionen und Maßnahmen an, die er auf der für Dezember 1914 angesetzten, allerdings kriegsbedingt nicht stattgefundenen Lehrerkonferenz zur Diskussion stellen wollte.105 Ihm ging es erneut um eine der Erziehung dienliche Verknüpfung von Unterricht und Freizeit in den Pensionaten, in denen der Lehrer, dessen Ehefrau und maximal 25 Schülerinnen und Schüler zu einer Gemeinschaft werden sollten. Außerdem forderte er die stärkere Einbeziehung des Turn­ unterrichts, der Gartenarbeit sowie des Handwerks- und des Landwirt­ schaftsunterrichts in den Schulalltag.106 Voigts Grundlage waren auch hier die Grundsätze der Landerziehungsheimpädagogik von Hermann Lietz. Deren Verbreitung setzte er sich zum Ziel und kündigte darum auch an, entsprechende Publikationen an die Pensionatsleitungen versenden zu wollen.107 Nicht zuletzt sollten auch die Eltern stärker an die Schule ge­ bunden und bei Elternabenden, die Voigt anlässlich der regelmäßig statt­ findenden Farmerversammlungen abhalten wollte, über Verhalten und Leistung ihres Kindes informiert werden. Voigt versprach sich hiervon die Reduzierung von Konflikten zwischen Eltern und Lehrkräften und eine stärkere Zustimmung der Eltern zu den Erziehungszielen der Schule.108 Die in diesem Zusammenhang abschließend zu nennende Forderung Voigts nach einem Paradigmenwechsel betraf schließlich das Abhalten von Konferenzen. Zwar hatte bislang noch keine zentrale Lehrkräftekonferenz stattgefunden. 1914 war es aber insbesondere Voigt gewesen, der seine Vorgesetzten von den Vorteilen einer solchen, aufgrund der Reise- und Unterbringungskosten finanziell durchaus kostspieligen zentralen Veran­ staltung hatte überzeugen wollen.109 Nun allerdings vertrat er bezüglich etwaiger Kosten den gegenteiligen Standpunkt und schlug ein dezentra­ les Verfahren vor. Demnach sollten an allen Schulorten regelmäßig und zeitgleich Kollegiumskonferenzen stattfinden, an denen zuvor angefertigte Konzeptpapiere besprochen werden sollten.110 Voigt zielte allerdings nicht so sehr auf die Einsparung von Kosten, deren Bestreiten ohne Gouverne­ mentsinstanz in der Tat fraglich war, sondern auf die Partizipation der Lehrkräfte. Nach der pädagogischen Annahme einer höheren Beteiligung

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Beachte Kapitel 3.4.2. BArch, R 1002/2125, Bl. 8–9, 22–23. BArch, R 1002/2125, Bl. 23. Zu Lietz beachte Kapitel 3.4.2. BArch, R 1002/2125, Bl. 4. Beachte Kapitel 3.4.2. Die Kosten für eine fünftätige Konferenz aller Lehrkräfte in Windhuk schätzte die Gouvernementsverwaltung seinerzeit auf ca. 4.700 M, BArch, R 151-F/I.VI.ak.1, Bl. 7. 110 BArch, R 1002/2125, Bl. 23–24.

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

des Einzelnen bei kleinerer Gruppengröße versprach er sich von diesem dezentralen Verfahren, dass „viel mehr Lehrer zur Mitarbeit und zur Ver­ tiefung in ein Thema gezwungen“ wären.111 Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass Voigt die Denk­ schrift nicht nur zum Zwecke des Anknüpfens an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg nutzte, sondern gleichzeitig auch die koloniale Schule weiterdenken wollte. Schon während der Besatzungszeit entstand durch Voigt der Entwurf einer neuen deutschen kolonialen Schule, an die Voigt den Anspruch stellte, aus den ‚Fehlern‘ der Vorkriegszeit zu lernen. Die Denkschrift ist darüber hinaus ein aufschlussreiches Ego-Dokument, das Einblick in die Ambitionen und Einstellungen ihres Autors gibt. Klar wur­ de, dass insbesondere die Vorstellung von der Kontinuität deutscher kolo­ nialer Herrschaft Voigt leitete und dass dieser im Rahmen einer solchen Herrschaft zu tiefgreifenden Veränderungen bereit war. Der ehemalige Schulinspektor ging wie viele seiner deutschen Zeitgenossen in Europa da­ von aus, dass die Zeit der Besatzung eine vorübergehende Einschränkung der deutschen Kolonialherrschaft sein würde, und stieß im Anschluss an die Einreichung der Denkschrift bei Kommissar Kastl eine Reihe von kon­ kreten Maßnahmen an.112 Diese sowie die für die Kolonisten elementare Krise der Kriegsniederlage sind Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts.

4.1.3 Alte Strukturen, neue Krisen und die Heimreise Bernhard Voigt und Kommissar Ludwig Kastl setzten im Nachgang der Denkschrift weiterhin auf Kontinuität im Sinne einer Rückkehr zu übli­ chen Routinen und zu Handlungsmustern der Vorkriegszeit. Anders als am Ende des Jahres 1915 und im Jahr 1916 schien im schulischen Bereich nun allerdings tendenziell das Agieren das Reagieren abzulösen. Die Pla­ nung zur Lehrkräfteverteilung, die Voigt im November 1917 vornahm, war keine Reaktion auf akute Personalengpässe an diesem oder jenem Ort, sondern richtete sich auf den Beginn des Schuljahres 1918.113 Sie stand konzeptionell auch auf sichereren Beinen als die Maßnahmen, die Voigt während oder kurz nach dem Krieg bezüglich der Stellenbesetzungen er­ griffen hatte, da er die lokalen Bedingungen durch die wieder aufgenom­

111 BArch, R 1002/2125, Bl. 23 (für das Zitat). 112 Vgl. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 156. 113 BArch, R 1002/2126, Bl. 52.

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4. Kontinuität und Mobilität

menen Revisionen nun viel besser kannte.114 Die Revisionen trugen nicht nur dazu bei, Kontakte und Wissen wiederherzustellen, sondern dienten auch der Kontrolle angewiesener Maßnahmen. In Usakos etwa hatte Voigt im Juli 1917 erhebliche ‚Mängel‘ festgestellt. Zwar seien die fachlichen Leistungen der Kinder nicht zu beanstanden, doch ansonsten zeigte sich Voigt entrüstet: „Es fehlt […] gänzlich die Erziehung und die Aufsicht über […] die Kinder von Seiten der Eltern. Die Folgen sind traurig: Fast alle Knaben und Mädchen haben sich sittliche Verfehlungen zu Schulden kommen lassen […].115 Voigt ordnete hierauf eine umfassende Restrukturierung des schulischen Tagesablaufes an. Die Unterrichtszeiten beschränkte er, nachdem der vor Ort tätige Lehrer Kurt Ullmann116 vor allem durch Erhöhung der Pen­ sa und der körperlichen Bestrafungen versucht hatte, das Verhalten der Kinder zu beeinflussen. Voigt setzte auf eine geplante Beschäftigung der Kinder von morgens bis abends. Hierzu gehörten sowohl Zeiten national­ patriotischer Gesänge, die mit Marschübungen im Turnunterricht verbun­ den werden sollten, als auch Hand- und Gartenarbeit.117 Die Maßnahmen, die zum Teil sicher auf Voigts Interesse an der Landerziehungsheimpäd­ agogik von Hermann Lietz beruhten und die er auch in allgemeiner Form in seiner Denkschrift propagiert hatte, schienen Erfolg gehabt zu haben. Im Januar 1918 meldete Ullmann, dass sich diese „bewährt“ hätten.118 Voigts Kontrolle dieser Angaben drei Monate später ergab allerdings ein erheblich schlechteres als das von Ullmann gezeichnete Bild, sodass Voigt seine Ermahnungen und Weisungen erneuerte und sogar Ullmanns Abbe­ rufung empfahl.119 Eine weitere Revision durch lokale Verwaltungsbeamte im September 1918 gab Voigt schließlich Recht. Darin hieß es, dass insbe­ sondere Voigts Anweisungen „hinsichtlich der Beschäftigung der Kinder 114 BArch, R 1002/2127, passim. 115 BArch, R 1002/2127, Bl. 27–28 (für das Zitat: Bl. 27). 116 Kurt Ullmann (geb. am 1.11.1887) hatte das Lehrerseminar in Schneeberg absolviert und von Ostern 1909 bis Januar 1912 als Volksschullehrer gearbeitet. Im Februar 1912 trat er seinen Dienst in Usakos an, wo er die dortige koloniale Schule eröffnete. Ab August 1914 diente Ullmann in der ‚Schutztruppe‘ und wurde zunächst von seiner Frau, die ebenfalls ein Lehrexamen besaß, und anschließend von Margarete Schlusche vertreten, BArch, R 1002/1800, Bl. 1, 10–11, 22, 27–28, 30, 32. 117 BArch, R 1002/2127, Bl. 27–28. 118 BArch, R 1002/2127, Bl. 39 (auch für das Zitat). 119 BArch, R 1002/2127, Bl. 57.

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außerhalb der eigentlichen Schulstunden“ zu „eine[r] merkliche[n] Besse­ rung“ geführt haben.120 Neben den Revisionen zielten auch weitere Maßnahmen Ende 1917 und 1918 auf die Herstellung bekannter Strukturen. Erwähnt wurde im vorangegangenen Abschnitt bereits die Versendung des neuen Rahmen­ lehrplans. Im Dezember 1917 befragten Kastl und Voigt die Beamten der lokalen Zahlstellen außerdem über die ihnen bekannten Kinder, die privat oder nicht unterrichtet wurden, um Schulkapazitäten abzuschätzen.121 Au­ ßerdem ermittelten sie den Bedarf an Schulbüchern und forderten die Schulen dazu auf, wieder Inventarlisten anzulegen.122 Ganz besonders kommt das Bestreben um Kontinuität und Wiederherstellung üblicher Handlungsmuster allerdings in der Erstellung der Jahresberichte für die Jahre 1915 bis 1918 zum Ausdruck. Diese wurden rückwirkend und teil­ weise auch stellvertretend von anderen Lehrkräften für alle Kriegs- und Besatzungsjahre und alle Schulen erstellt und lagen im Juli 1918 vor.123 Sie bedienten sich eines neuen standardisierten Tabellenformats und richteten sich aber nach dem in der deutschen Verwaltung üblichen Etat-Jahres­ rhythmus (April–März).124 Aus den dortigen Informationen zur Personal­ statistik erstellte Voigt wiederum eine Gesamtstatistik für jedes der Etatjah­ re, deren Aufbau ebenfalls demjenigen der amtlichen Jahresberichte der Vorkriegszeit glich.125 Voigt und Kastl gingen also von der Fortsetzung der deutschen Kolonialherrschaft aus und organisierten den schulischen Bereich dementsprechend. Zur erwünschten Geisteshaltung gegenüber der indigenen Bevölkerung sekundierte der ehemalige Gouverneur Seitz im Juni 1918 per Brief an alle Schulen: „Den Kindern soll dabei durchaus nicht das Bewusstsein genommen werden, dass sie der übergeordneten Rasse angehören; doch sollen sie erfahren, dass die Zugehörigkeit zu einer bevorzugten Klasse auch Pflichten in sich schließt.“126

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BArch, R 1002/2127, Bl. 58a (auch für die Zitate). BArch, R 1002/2125, Bl. 39–41. BArch, R 1002/2125, Bl. 42–43. BArch, R 1002/2125, Bl. 77, 91–118 (1915), 119, 121–148 (1916), 149–191 (1917), 192–226 (1918). 124 Ebd., passim. 125 BArch, R 1002/2124, Bl. 78–81. Beachte etwa Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 70 (Statistischer Teil). 126 BArch, R 1002/2125, Bl. 307 (für das Zitat).

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4. Kontinuität und Mobilität

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Leitung der Protektoratsverwaltung aller­ dings schon begonnen, sich näher mit den Strukturen des deutschen Schulwesens zu befassen. Im Mai 1918 forderte Administrator Gorges Ein­ sicht in den von Voigt neu erstellten Rahmenlehrplan.127 Kastl antwortete, dass Voigt diesen bereits dem für das Schulwesen zuständigen Direktor Lewis „persönlich überreicht“ habe, dieser der Protektoratsverwaltung al­ so schon vorliege.128 Offenbar war er nicht weitergegeben worden. Ob dies aus Desinteresse oder aus anderen Gründen geschah, ist letztlich nicht entscheidend. Die Tatsache, dass sich Gorges ab Mai 1918 mit dem Lehrplan befasste, ist rückblickend ein Indiz dafür, dass die politische Auseinandersetzung über die Zukunft des deutschen Schulwesens, das bis dahin ohne allzu große Einflussnahme seitens der Protektoratsverwaltung in die Gestalt der Lehrpläne und die konkreten Unterrichtsinhalte hatte arbeiten können, begonnen hatte. Kastl und Voigt waren sich spätestens im Oktober 1918 gewisser Schwierigkeiten bewusst. Kastl untersagte etwa deutschen Kolonisten in Otjiwarongo die Gründung einer neuen Schule „bis zur Klärung der Lage“.129 Und Voigt begründete das Verschieben des Drucks der von ihm erstellten Zusammenfassung aller rechtlichen Bestim­ mungen für Lehrkräfte explizit mit „de[n] zur Zeit recht unklaren politi­ schen Verhältnisse[n]“.130 Gemeint war in beiden Fällen sicherlich die sich abzeichnenden großen politischen Umbrüche, die eine Kriegsniederlage des Deutschen Kaiserreichs auszulösen vermochte und letztlich auch für die Kontinuität des deutschen Schulwesens im Protektorat Südwestafrika existentielle Fragen stellen konnte. Die sich ab dem Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstandes von Compiègne, dem 11. November 1918, grundsätzlich stellende Frage war die des Verbleibes der deutschen Bevölkerung in der ehemaligen Kolo­ nie. Nach der Auffassung der Protektoratsverwaltung hob der Vertrag von Compiègne den im Juli 1915 geschlossenen lokalen Kapitulationsver­ trag von Khorab auf, sodass auch das darin enthaltene Bleiberecht der deutschen Kolonisten erlosch.131 Die Windhuker Lehrerin Margarete von Eckenbrecher schildert in ihrer Autobiographie, dass sie sich Rat suchend an Kommissar Kastl wandte und der ihr empfahl, ihren Besitz zu verkau­

127 BArch, R 1002/2126, Bl. 114. 128 BArch, R 1002/2126, Bl. 115 (auch für das Zitat). 129 BArch, R 1002/2134, Bl. 69–72, 106 (für das Zitat: Bl. 72). Auch in Bethanien sah er von einer Neugründung ab, ebd., Bl. 73. 130 BArch, R 1002/227–228 (für das Zitat: Bl. 227). 131 Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 15.

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

fen und sich auf eine etwaige Ausweisung vorzubereiten.132 Unklar war nicht nur das Ob einer Ausreise, sondern auch das Wohin. Insbesonde­ re die Furcht vor Deportationen in Gefangenenlager, wie sie nach der Besetzung von Lüderitzbucht im September 1914 erfolgt waren, bewegte die Menschen.133 Von Eckenbrecher berichtet aus dieser Zeit auch von wachsenden Antipathien gegenüber der südafrikanischen Protektoratsver­ waltung, von Misstrauen unter den Deutschen und von der Angst, wegen Verfehlungen denunziert und darum ausgewiesen zu werden.134 Für das deutsche Schulwesen hätte eine Ausweisung der Lehrkräfte wohl letztlich dessen Ende bedeutet. Doch insbesondere für diese Berufs­ gruppe erreichten Kommissar Kastl und der ebenfalls in die im März und April 1919 stattfindenden Repatriierungsverhandlungen involvierte ehemalige Gouverneur Seitz eine Ausnahmegenehmigung.135 Die Lehr­ kräfte mussten nicht, wie die meisten Kolonialbeamten, Soldaten und Polizisten, insgesamt 4.941 Personen, im April 1919 das Protektorat ver­ lassen, sondern durften dort bleiben und auch weiterhin ihr Lehramt ausüben.136 Der Ausnahmegenehmigung war ein umfassender Bericht vorangegangen, den Bernhard Voigt im Februar 1919 nach vorheriger Aufforderung für die Protektoratsverwaltung erstellt hatte.137 Der Bericht beinhaltete insbesondere Informationen zu angestellten Lehrkräften und deren Vertragsverhältnissen, zu den einzelnen Schulorten und weiteren Expansionsplänen.138 Administrator Gorges und Schuldirektor Lewis wa­ ren also umfassend informiert. Sie griffen in dieser Phase allerdings noch nicht in den Betrieb der Schulen ein, der aber auch durch den Verbleib der Lehrkräfte keineswegs gesichert war, da ab Februar 1919 die ohnehin instabile Finanzierung der Gehälter und der Schulausstattung durch die

132 133 134 135 136

Eckenbrecher, Was Afrika mir gab und nahm, S. 218. Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 273–274. Eckenbrecher, Was Afrika mir gab und nahm, S. 223–225. Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 279. Hinzu kamen 1.223 „undesirables“, also der Protektoratsverwaltung unabhän­ gig ihrer beruflichen Stellung unerwünschte deutsche Kolonisten, und 1.433 freiwillig Ausreisende, sodass etwa die Hälfte der Deutschen im Frühjahr 1919 Südwestafrika verließ. Die Reise verlief dann in der Regel per Schiff bis nach Rotterdam und von dort nach Wesel am Rhein, vgl. Bertelsmann, Die deut­ sche Sprachgruppe, S. 15. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 45. Schmidt-Lauber, Brigitta: Die abhängigen Herren: Deutsche Identität in Nami­ bia, Münster 1993, S. 69. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Süd­ west“, S. 279. Walther, Creating Germans Abroad, S. 113 (auch für das Zitat). 137 BArch, R 1002/2125, Bl. 83–87. 138 BArch, R 1002/2125, Bl. 84–87.

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4. Kontinuität und Mobilität

zunehmende Inflation deutscher Zahlungsmittel weiter ins Wanken ge­ riet.139 An den einzelnen Schulorten reagierten die Schulgemeinden auf diese Unsicherheiten mit der Gründung von Schulvereinen, welche die Trägerschaft der Schulen und damit vor allem die Akquise von Finanzmit­ teln aus den Reihen ihrer Mitglieder übernahmen.140 Relevant blieben in dieser Zeit und den weiteren Jahren allerdings auch immer noch Zuwei­ sungen aus dem deutschen Reichsetat, die über ausländische Konsulate und die in Windhuk ansässige Deutsche Afrika Bank an die Schulvereine gelangten.141 Gewisse Planungssicherheit erhielten diese im Oktober 1919. Administrator Gorges und Schuldirektor Lewis hatten Voigt, der auch während des Jahres 1919 weiterhin informell die Funktion eines deutschen Schulinspektors ausübte, vorgeladen und informierten ihn über den Be­ schluss der Verwaltung, dass die deutschen Schulen weitere fünf Jahre „unbehelligt bestehen“ bleiben dürften.142 Voigt bemerkte in seinem dies­ bezüglichen Bericht an Kastl außerdem, dass er davon ausgehe, auch selbst in seiner bisherigen Funktion als Schulinspektor bleiben zu dürfen.143 Die Zusicherungen von Gorges und Lewis waren schließlich die Vor­ aussetzung dafür, dass Kastl und Voigt mit gewisser Sicherheit davon ausgehen konnten, dass der zeitgleich von ihnen betriebene Übertritt der Lehrkräfte in den Dienst der Schulvereine die Chance hatte, vorerst als zukünftiges Arrangement bestehen zu können.144 Dabei vertraten Kastl und Voigt gegenüber den Schulvereinen die sehr beachtenswerte Rechts­ auffassung, dass diese bezüglich der Dienstverhältnisse zu den Lehrkräften die direkten Rechtsnachfolger des Gouvernements seien. Die Schulvereine sollten insbesondere nicht berechtigt sein, verbeamteten Lehrkräften zu kündigen.145 Und auch die Vertragsverhältnisse, die Kastl den Lehrkräften am 23. Oktober 1919 mitteilte, entsprachen prinzipiell denjenigen der Kolonialbeamten. Sie beinhalteten ebenso eine dreijährige Laufzeit, zusätz­ liche Leistungen zur Bestreitung der Wohnungskosten, „freie ärztliche Behandlung“ und eine Regelung zu kostenfreier Heimreise nach einer

139 Vgl. Smidt, „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“, S. 276–277. 140 Vgl. Hoeflich, K. F.: Das deutsche Sprach- und Schulproblem in S.W.A., in: Drascher, Wahrhold; Rust, Hans-Joachim (Hg.): Festschrift Dr. h.c. Heinrich Vedder. Ein Leben für Südwestafrika, Windhoek 1961, S. 111–136, hier: S. 124. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 45. 141 BArch, R 1002/2162, Bl. 3. Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 17. 142 BArch, R 1002/2126, Bl. 185 (auch für das Zitat). 143 BArch, R 1002/2126, Bl. 185. 144 BArch, R 1002/2126, Bl. 189–208. 145 BArch, R 1002/2162, Bl. 6–7.

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

gewissen Dienstzeit.146 Das Gehalt der Lehrkräfte wurde zwar nun in bri­ tischen Shilling angegeben, entsprach in Ziffern allerdings exakt dem vor­ herigen Gehalt in Mark und skalierte zudem nach den zur Vorkriegszeit gebrauchten Kriterien des Geschlechts und des Dienstalters und in den Stufen der bisherigen Gehaltsklassen.147 Bei den Aufrückfristen wurden insbesondere die Kriegs- und Besatzungsjahre mitgezählt, was dazu führte, dass einige der dienstälteren Lehrkräfte bereits die Höchststufe ihrer Ge­ haltsklasse erreicht hatten oder kurz davor standen, diese zu erreichen. Ih­ nen stellten die neuen Verträge eine Alterszulage von 300 bis 500 Mark für jede weitere Dienstzeit von drei Jahren in Aussicht und versicherten: „Die aus Ihrem früheren Vertragsverhältnis zustehenden Ansprüche bleiben Ih­ nen gewährt.“148 Die Schulvereine sollten also nicht nur für die Gehälter der Lehrkräfte zuständig sein, sondern auch für etwaige Pensionsberechti­ gungen, was den Vereinen faktisch staatliche Funktionen zuschrieb und institutionelle Kontinuität abbildete. Im Sinne dieser Rechtsauffassung verortete Kastl auch die Schulinspektion. Für die Volksschulen sollte diese Bernhard Voigt ausüben, der zwar in Windhuk und damit im prinzipiel­ len Zuständigkeitsbereich des Windhuker Schulvereines tätig war, aber nicht in dessen Dienst und damit Besoldungsverantwortung stehen sollte. Seine Funktion sei vielmehr die eines „schultechnische[n] Beirat[s]“ und er habe alle schulischen Vorgänge zu überprüfen, die Schulen zu revisionie­ ren und allenfalls als Vertretung in Krankheitsfällen Unterricht zu erteilen. Besoldet werde er aus gesonderten, „zu diesem Zwecke zurückgelassenen Mitteln des Kommissariats.“149 Analoge Regelungen sollten für den Be­ reich der Windhuker Realschule und dessen zeitweiligen Leiter August Gries gelten.150 Beachtenswert ist allerdings nicht nur der in diesen Regelungen ausge­ drückte Wille nach Kontinuität, sondern auch der Grad personeller Kon­ tinuität bei den Lehrkräften. Von den 33 Lehrkräften, für die Kastl den Übertritt in den Dienst der Schulvereine vorbereitete, hatten siebzehn (ca. 52 Prozent) bereits im Juni 1914 in der deutschen kolonialen Schule gear­ beitet.151 Bei den Lehrerinnen kam es zu sehr großem Wechsel, was nicht verwundert, da diese den Schuldienst häufig nach etwaiger Heirat verlie­ 146 147 148 149 150 151

BArch, R 1002/2162, Bl. 189–208 (für das Zitat: Bl. 190). BArch, R 1002/2126, Bl. 189–208. BArch, R 1002/2126, Bl. 199 (für das Zitat). BArch, R 1002/2162, Bl. 6–7 (für das Zitat: Bl. 6). BArch, R 1002/2162, Bl. 6–7. Zur Datengrundlage hier und im Folgenden beachte die Anmerkungen in der FN zu Anhang Nr. 27 sowie BArch, R 1002/2126, Bl. 189–196, 199.

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4. Kontinuität und Mobilität

ßen und Kastls Ratgeber Voigt ohnehin den Anteil von Frauen im Schul­ dienst begrenzen wollte. Vor Kriegsbeginn war einzig Gertrud Chüden be­ reits angestellt gewesen.152 Hinzu kommt Margarethe von Eckenbrecher, die im Oktober 1919 ebenfalls noch beschäftigt, allerdings erst im Septem­ ber 1914 angestellt worden war, und damit statistisch einen Sonderfall dar­ stellt. Sehr große Kontinuität gab es hingegen bei der Gruppe der Lehrer. Sechzehn von 21 männlichen Lehrkräften (76 Prozent) hatten bereits im Juni 1914 unterrichtet und zu diesem Zeitpunkt im Durchschnitt bereits etwa zwei Jahre koloniale Berufserfahrung gesammelt. Bernhard Voigt etwa verbrachte 1919 sein elftes Jahr im Schuldienst in Südwestafrika, Heinrich Pleister, der 1912 in den städtischen Volksschuldienst in Swakop­ mund eingetreten war, sein siebtes.153 Insofern dienten die finanziellen Zusagen in den Verträgen betreffend der Gehaltsausstiege wohl auch dem Erhalt von Wissen und Erfahrung aus der Vorkriegszeit. Die Planungssicherheit durch die befristete Bestandsgarantie und die Organisation des Vertragsübertrittes währte allerdings nicht lange. Am 27. November 1919 eröffnete Schuldirektor Lewis seinem deutschen An­ sprechpartner Bernhard Voigt, dass Administrator Gorges bei einer un­ längst in Pretoria stattgefundenen Besprechung mit dem südafrikanischen Premierminister Smuts den Auftrag erhalten habe, die deutschen Schulen in das anglo-burische Schulwesen des Protektorats einzugliedern.154 Voigt vermutete gegenüber Kastl, dass Gorges vielmehr um die entsprechende Erlaubnis zur Eingliederung gebeten habe, verweigerte sich allerdings nicht der von Lewis erbetenen Hilfe in der Auswahl etwaiger Lehrkräf­ te, der gemeinsamen Revision aller Schulen und der Begutachtung von Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien.155 Voigt, der, wie bereits deutlich wurde, stets hohe Ansprüche an die Dienstausübung stellte, zeigte sich kei­ neswegs erfreut über die Pläne des Administrators, die insbesondere eine allmähliche Reduktion des Deutschen als Unterrichtssprache vorsahen, agierte allerdings in der Manier eines pflichtbewussten Beamten.156 Im

152 Gertrud Chüden (geb. am 30.10.1882) absolvierte ihre Ausbildung zur Lehre­ rin im Seminar in Bremen (1901–1904) und arbeitete nach einem Aufenthalt in Frankreich (1905) in Bremen als Erzieherin und Lehrerin. Im Januar 1913 wurde sie als zweite Lehrkraft für die Schule in Omaruru angestellt, BArch, R 1002/314, Bl. 2–3, 9–10, 28–29. 153 BArch, R 1002/1830, Bl. 1. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 78. 154 BArch, R 1002/2162, Bl. 18–19. 155 BArch, R 1002/2162, Bl. 18–21. 156 BArch, R 1002/2162, Bl. 18–19.

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

Dezember 1919 traf er sich mehrfach mit Lewis, um zahlreiche Details in Lehrplänen und Lehrbüchern zu besprechen, und berichtete später auch rückblickend, dass er mit diesem ein professionelles und gutes Verhältnis gepflegt habe.157 Möglicherweise motivierte Voigt neben seinem enormen Streben nach Pflichterfüllung auch die Einsicht, dass Lewis durchaus auch auf ihn und seine Expertise angewiesen war, um Einblicke in das deut­ sche Schulwesen zu erhalten. Offener Widerstand gegen die Pläne des Administrators war jedenfalls von Voigt nicht zu erwarten. Dieser organi­ sierte sich allerdings in den Reihen der Schulvereine, die als Reaktion auf die Übernahmebestrebungen am 14. Januar 1920 einen Landesverband gründeten.158 Gemeinsam forderten sie, dass, anders als von Gorges vor­ gesehen, Deutsch in allen Klassenstufen als Unterrichtssprache festgelegt werde und auch die Einführung des Englischen und Afrikaans als Fremd­ sprache erst in den höheren Klassenstufen erfolge. Außerdem verlangten die Schulvereinsvertreter, dass die deutschen Lehrkräfte, die allmählich durch Lehrkräfte aus Südafrika ersetzt werden sollten, in Südwestafrika bleiben dürfen.159 Die hinter diesen Forderungen stehenden Ziele waren die nach sprachkultureller Abgrenzung zu den englischen, den burischen und den indigenen Bevölkerungsgruppen, nach der Anbindung an das Deutsche Reich und dem Erhalt derjenigen unscharfen Eigenschaften und Zuschreibungen, die als ‚Deutschthum‘ beschrieben wurden.160 Die innere Verfassung der in den Schulvereinen organisierten deutschen Gemeinschaft war aber wesentlich widersprüchlicher und uneiniger als selbst moderne Darstellungen dies suggerieren.161 Die Deutschen können nicht uneingeschränkt als sich gegenseitig unterstützende „Solidar- und Er­ fahrungsgemeinschaft“ charakterisiert werden, da sie sich insbesondere in

157 BArch, R 1002/2162, Bl. 20–21, 142–143. 158 Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 18. Hoeflich, Das deutsche Sprach- und Schulproblem in S.W.A., S. 124. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 46. Walther, Creating Germans Abroad, S. 131–132. Margarete von Eckenbrecher stilisierte dies in ihrer Autobiographie zum heldenhaften Kampf: „Diesem Bestreben der Ausrottung unserer Schulen setzten sich die Deutschen mit eisernem Willen entgegen.“, Eckenbrecher, Was Afrika mir gab und nahm, S. 266 (für das Zitat). 159 Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 18. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 45–46. 160 Vgl. Heyn, Susanne: Kolonial bewegte Jugend. Beziehungsgeschichten zwischen Deutschland und Südwestafrika zur Zeit der Weimarer Republik, Bielefeld 2018, S. 181. 161 Vgl. etwa Heyn, Kolonial bewegte Jugend, S. 182. Schmidt-Lauber, Die abhängi­ gen Herren, S. 73. Walther, Creating Germans Abroad, S. 131–135.

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4. Kontinuität und Mobilität

der Schuldebatte als Vertreter partikularer Interessen zeigten, die sich Neid und Missgunst entgegenbrachten.162 Die Schulvereine in Windhuk und in Swakopmund etwa konkurrierten um die Ansiedlung einer sechsklassigen und damit vollwertigen Realschule, die von den deutschen Kolonisten als führende schulische Institution begriffen wurde und damit besonders prestigeträchtig war.163 Dies bedingt wiederum, dass Bernhard Voigt nicht nur bei den Realschullehrern, sondern auch bei Teilen der Schulvereins­ vertreter einen schweren Stand hatte, da er in seiner Denkschrift vehement gegen die Eröffnung weiterer Realschulen und für den Ausbau der Volkszu Mittelschulen geworben hatte und dies auch in der Schuldebatte wei­ ter propagierte.164 Voigt warf den Schulvereinsvertretern im Allgemeinen auch vor, allzu großzügig gegenüber den Lehrkräften zu agieren, indem Stundendeputate reduziert und Gehälter aber auf der bisherigen Höhe geblieben seien. Da jeder Schulverein hierbei nach eigenem Ermessen handele, steige, so Voigt, hierdurch auch die Diversität der Schulorte.165 Er identifizierte schließlich die Schwäche des Landesverbandes der Schul­ vereine als weitere Ursache der Zerstrittenheit. Dieser habe vor allem in den ersten Monaten seines Bestehens (im Frühjahr 1920) schwache Vorsitzende gehabt, die sich gegen die lokalen Schulvereinsvertreter nicht hätten durchsetzen können.166 Problematisch war zudem, dass der Lan­ desverband erst im Mai 1920 eigene Finanzmittel erhielt, als durch die Vereinsvertreter beschlossen wurde, dass jeder Schulverein fünf Prozent seiner Einnahmen abzugeben habe.167 Trotz dieser zahlreichen internen Konfliktlinien erreichten die Schulver­ einsvertreter im März 1920 durch ihren Protest, dass die Übernahmepläne, die ab April 1920 umgesetzt werden sollten, zunächst weitestgehend nicht umgesetzt wurden.168 Willkommene Unterstützung hatten sie durch buri­ sche Zeitungen und Parlamentsabgeordnete der Südafrikanischen Union

162 Vgl. Schmidt-Lauber, Die abhängigen Herren, S. 69–70 (für das Zitat: S. 70). 163 BArch, R 1002/2162, Bl. 59–63, 182–187. Auch Walther weist auf den Streit zwi­ schen dem Windhuker und dem Swakopmunder Schulverein hin, vgl. Walther, Creating Germans Abroad, S. 132. In Swakopmund bestanden bis dahin (nur) die drei untersten Klassenstufen einer Realschule (Sexta bis Quarta), BArch, R 1002/2132, Bl. 49–56, 59–64, 71–75, 77–77d. 164 BArch, R 1002/2162, Bl. 59–63, 182–187, 191–192. 165 BArch, R 1002/2162, Bl. 149–152, 182–187. 166 BArch, R 1002/2162, Bl. 182–187. 167 BArch, R 1002/2162, Bl. 149–152, 182–187. 168 Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 19. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 46.

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4.1 Schulinspektor Bernhard Voigt in (Deutsch-)Südwestafrika

erhalten, welche die Lage der Deutschen mit der Lage der burischen Bevölkerung nach dem Ende des Zweiten Burenkrieges (Second Anglo Boer War) gleichsetzten.169 Entsprechend erneuerten die Schulvereinsver­ treter im Mai 1920 anlässlich einer gemeinsamen Tagung in Omaruru ihre Forderungen. Das dortige Treffen hatte auch über die Schulfrage hinaus eine gewisse Bedeutung für die Vernetzung der deutschen Bevölkerung, da anlässlich einer landwirtschaftlichen Ausstellung zahlreiche deutsche Vereine größere Versammlungen in Omaruru abhielten. Insbesondere die Tagung der Schulvereine war von den bereits beschriebenen Konflikten geprägt.170 Im September 1920 konfrontierten deutsche Vertreter schließ­ lich den südafrikanischen Premierminister Smuts, der sich zu einem Be­ such ins Protektorat begeben hatte, mit ihren Forderungen und erreich­ ten dessen Zusicherung, dass die deutsche Sprache im Allgemeinen und auch in der Schule Schutz genießen solle.171 Dies bekräftigte der sich ab Oktober als Nachfolger Gorges‘ im Amt des Administrators befindende Gysbert Reitz Hofmeyr.172 Dieser verhandelte mit Vertretern der Schul­ vereine über die zukünftige Ausgestaltung des deutschen Schulwesens und legte einen „Zehn Punkt[e]“-Plan vor, der weitreichende Zugeständ­ nisse beinhaltete.173 Deutsch sollte demnach die Unterrichtssprache bis einschließlich des achten Schuljahres sein und erst danach durch Englisch oder Afrikaans, je nach Wunsch der Elternschaft der jeweiligen Schule, ersetzt werden. Letztere beiden Sprachen sollten ab dem dritten Schuljahr zunächst als Fremdsprache unterrichtet werden. Die deutschen Lehrkräfte durften bleiben und sollten bei Wahrung ihres Dienstalters in den Dienst der süd(west)afrikanischen Verwaltung übergehen. Außerdem war für sie die rechtliche Gleichstellung „in Bezug auf Urlaub, Pension, und sonstige Vorteile“ mit den Lehrkräften der südafrikanischen Union vorgesehen.174

169 Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 18–19. Walther, Creating Ger­ mans Abroad, S. 132–133. 170 BArch, R 1002/2162, Bl. 59–62. Vgl. Leusner, Die Entwicklung des Schulwe­ sens, S. 46. 171 Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 11, 19. 172 Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 10, 15. Leusner, Die Entwick­ lung des Schulwesens, S. 46. Walther, Creating Germans Abroad, S. 133. 173 BArch, R 1002/2162, ohne Nr. (Abschrift von Protectorate of South West Africa an Landesverband der Deutschen Schulvereine am 9.9.1920). Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 19 (für das Zitat). 174 BArch, R 1002/2162, ohne Nr. (Abschrift von Protectorate of South West Afri­ ca an Landesverband der Deutschen Schulvereine am 9.9.1920; für das Zitat: Nr. (7)). Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 19. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 46–47. Walther, Creating Germans Abroad,

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4. Kontinuität und Mobilität

Bernhard Voigt war an diesen Verhandlungen zwischen den Schulverei­ nen und Administrator Hofmeyr bereits nicht mehr beteiligt gewesen. Im April 1920 hatte er begonnen, als Angestellter des Protektorats Schuldirek­ tor Lewis zuzuarbeiten, und täglich im Anschluss an seine hauptamtliche Dienstzeit noch Verwaltungsarbeit für den Landesverband der Schulverei­ ne erledigt.175 Bereits ab dem darauffolgenden Monat beschäftigte er sich aber auch schon mit seiner Rückreise nach Deutschland, da er annahm, dass in einem privaten deutschen Schulwesen für ihn nicht genug Arbeit anfalle.176 Noch vor der Vereinbarung zwischen den Schulvereinen und dem Administrator betrachtete er seine eigentliche Aufgabe allerdings als erfüllt. Er konstatierte Anfang August 1920: „Das Hauptziel wurde erreicht: alle Schulen bestehen noch“.177 Die Wiederkehr gesundheitlicher Probleme am Herzen, Schwierigkeiten im Finden einer bezahlbaren Woh­ nung und Voigts Resignation ob des Scheiterns einer Anstellung bei einem der Schulvereine führten schließlich dazu, dass er Ende September 1920 gegenüber dem Landesverband der Schulvereine erklärte, die Heim­ reise antreten zu wollen.178 Voigts Rückreise nach Deutschland markiert das Ende einer langen personellen Kontinuitätslinie in einer der Führungs­ positionen der deutschen kolonialen Schule in (Deutsch-)Südwestafrika. Von der Vorkriegs- bis in die Nachkriegszeit prägte Voigt die schulpoli­ tischen Debatten und war wesentlich an der Ausgestaltung von Schule und Unterricht in der Kolonie und dem Protektorat beteiligt. Doch die Wandlung seiner Rolle vom zentralen Antreiber des Anknüpfens an frühe­ re Schultätigkeit zum Vermittler zwischen Schuldirektor Lewis und den Schulvereinen sowie das zunehmend selbstbewusstere Handeln letzterer hatten Voigts Einfluss reduziert. Dabei hätte er im Dienst der Protektorats­ verwaltung bleiben können. Ein ihm angetragenes Angebot, als Verwal­ tungsbeamter für englischen Schulpensionate zu arbeiten, lehnte er aber ab, da er es für eine Degradierung und Missachtung seiner Fähigkeiten hielt.179

175 176 177 178 179

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S. 133. Letzterer verwendet bei der Zählung der Schuljahre die in Südafrika seinerzeit üblichen Bezifferungen, wonach die ersten beiden Schuljahre als ‚Substandards‘ gezählt wurden und das dritte Schuljahr deutscher Schulen ‚Standard I‘ entsprach, siehe die Gegenüberstellung bei Leusner, Die Entwick­ lung des Schulwesens, S. 47, FN. 8. BArch, R 1002/2162, Bl. 182–187. BArch, R 1002/2162, Bl. 116–117. BArch, R 1002/2162, Bl. 182–187 (für das Zitat: Bl. 182). BArch, R 1002/2162, Bl. 191–192. BArch, R 1002/2162, Bl. 142–143.

Zwischenfazit

Die deutschen Schulen in Südwestafrika hatten sich 1920 trotz inter­ ner Konflikte und Konkurrenzen eine gewisse Unabhängigkeit erhalten. Auch der Abschluss des Mandatsvertrages zwischen der Südafrikanischen Union und dem Völkerbund im Dezember 1920 änderte zunächst nichts am Status des deutschen Schulwesens.180 Der Beschluss der Hofmeyr-Ad­ ministration, ab September 1921 Miete für die sich seit April 1920 in Regierungsbesitz befindenden Schulgebäude – dies war einer der weni­ gen Gegenstände der Gorges-Pläne, der umgesetzt worden war – zu er­ heben, führte schließlich dazu, dass sich der Großteil der Schulvereine doch zur Selbstauflösung und Übergabe der Schulträgerschaft an die Ver­ waltung entschloss. Dies betraf die Volksschulen in Aus, Keetmanshoop, Klein-Windhuk, Gibeon, Gobabis, Grootfontein, Okahandja, Omaruru, Otjiwarongo, Outjo, Usakos und Windhuk. Die beiden Realschulen in Swakopmund und Windhuk sowie die Volksschulen in Lüderitzbucht, Ka­ ribib und Tsumeb blieben in privater Trägerschaft deutscher Vereine. Die­ se Schulen erhielten somit allerdings auch keine finanzielle Unterstützung, welche die anderen dreizehn Volksschulen, die fortan in das südwestafrika­ nische Schulsystem eingegliedert wurden, bezogen.181

Zwischenfazit Die Geschichte der deutschen kolonialen Schule ist komplex, da sie sich einerseits in sehr verschiedenen kolonialen Situationen ereignete und sich andererseits über zeitliche Fixpunkte der Geschichtsschreibung hinaus er­ streckt. Für die kolonialen Schulen in Deutsch-Südwestafrika war der Erste Weltkrieg eine unbestritten wichtige Zäsur. Er bedeutete aber nicht das Ende ihrer Existenz. Während des Krieges, der in Deutsch-Südwestafrika von September 1914 bis Juli 1915 mit Waffen ausgefochten wurde, war die deutsche Verwaltung bestrebt, möglichst lange schulische ‚Normalität‘ aufrecht zu erhalten. Nach der Kapitulation waren die Kontinuität in der Schultätigkeit und das Anknüpfen an Handlungsstrukturen der Vorkriegs­ zeit schließlich die obersten Ziele, wenngleich Schulinspektor Bernhard Voigt und Kommissar Ludwig Kastl sowohl mit den Lehrkräften als auch den Eltern und Siedlern diverse Konflikte auszutragen hatten. Das Verhält­

180 Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 10. 181 Vgl. Bertelsmann, Die deutsche Sprachgruppe, S. 19–20. Hoeflich, Das deutsche Sprach- und Schulproblem in S.W.A., S. 124. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 48. Walther, Creating Germans Abroad, S. 134–135.

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4. Kontinuität und Mobilität

nis von Kontinuität und geistiger Mobilität war dabei ein ambivalentes. Einerseits forderte Voigt von den Lehrkräften enorme Flexibilität und Anpassungsbereitschaft an die neuen Regeln der Protektoratsverwaltung und wollte so Kontinuität erreichen. Andererseits dachte gerade Voigt ins­ besondere in den Handlungsmodi der Vorkriegszeit und sah in seiner und der Tätigkeit Kastls eine Fortsetzung des Handelns des Gouvernements. Auch zeigen sich seine beruflichen Ambitionen und das Bestreben, die neue politische Situation dahingehend zu nutzen, in seinem Sinne Verän­ derungen des Schulwesens anzustoßen. Seine Initiativen drückten zudem einen Führungsanspruch aus, der auf der Überzeugung beruhte, die eige­ nen Ansichten allein dienten dem ‚Wohl‘ des deutschen Schulwesens. Tatsächlich ist wohl auch nicht zu bestreiten, dass Voigts innerer An­ trieb maßgeblich dafür sorgte, dass zahlreiche Schulen weiterbestanden und in das rudimentäre Kontaktnetz der geduldeten deutschen Subverwal­ tung im Protektorat eingebunden waren. In diesem Kontaktnetz wurden rechtliche Bestimmungen als kontinuierlich bestehend angesehen und fortgeschrieben, die Jahresberichte der Kriegs- und Besatzungsjahre nach altem Muster nachgeholt, Distributionsketten für Lehrmittel und Schulbü­ cher wieder aufgebaut und die lokalen Schulverwaltungen organisiert. Vie­ le der Pläne und Veränderungsvorschläge von Voigt scheiterten letztlich daran, dass die südafrikanische Protektoratsverwaltung nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zunehmend versuchte, Einfluss auf die deutschen Schu­ len zu nehmen, und letztlich die mangelhafte Finanzierung der Schulen viele Schulvereine dazu veranlasste, die Eingliederung in das südwestafri­ kanische Schulwesen zu akzeptieren. Voigt selbst erachtete dies nicht als Verlust, sondern betrachtete es als Erfolg, dass eine große Zahl der ehema­ ligen kolonialen Schulen 1920/1921 überhaupt noch existierte. Nicht nur dieses Urteil, sondern auch die analytischen in diesem Kapitel herausgear­ beiteten strukturellen und personellen Kontinuitäten lassen darum feststel­ len, dass zumindest für die koloniale Schule in Deutsch-Südwestafrika die deutsche Kolonialzeit weder 1914 noch 1918 endete. Sie mündete nach einer letzten Phase der privaten Trägerschaft der Schulen 1921 vielmehr im verwaltungstechnischen Übergang in die Mandatsherrschaft. Dies steht im klaren Kontrast zu den Entwicklungen in den anderen deutschen Ko­ lonien, wo koloniale Kontinuität für die Deutschen durch strikte Auswei­ sungen seitens der neuen Verwaltungen unterbunden wurde. Mit der kolo­ nialen Schule in Deutsch-Ostafrika blickt das nachfolgende Kapitel darum kontrastierend auf einen solchen Fall. Das Kapitel analysiert darüber hi­ naus mit der Wiedereröffnung einer Schule in Tanganyika ein äußerst sel­ ten zu beobachtendes Beispiel einer Überführung kolonialrevisionistischer

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

Forderungen in die Praxis. Es fragt auch hier nach den Anforderungen der veränderten Situationen hinsichtlich der Anpassungsbereitschaft (geistige Mobilität) der deutschen Kolonisten und inwiefern der Kolonialrevisionis­ mus als mögliche Bücke kolonialer Kontinuität für die Schultätigkeit fun­ gierte.

4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis: Die Rückkehr von Dora Künzel nach Tanganyika 4.2.1 Der Blick in die Vergangenheit Dora Künzel erreichte am 10. November 1928 den Hafen von Daressalam im britischen Mandatsgebiet Tanganyika und beschrieb diesen Moment eine Woche später in einem Brief an die Vorsitzende des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft (FDKG), Hedwig von Bredow182, wie folgt: „Tief erschüttert war ich[. U]nsere alte Flagge grüßt nicht mehr. Jedoch lange Zeit wurde mir nicht gelassen, Erinnerungen nachzu­ hängen[. D]er Einwanderungskommissar erschien, die Pässe wurden abverlangt, kleine Nachfragen gestellt und uns dann bedeutet, [um 10] Uhr […] im Büro der Emigration uns einzufinden.“183 Zunächst einmal ist die emotionale Beschreibung des Moments der An­ kunft sicherlich als kolonialideologisch aufgeladen zu kennzeichnen und soll wohl den Ton eines Briefes an die Vorsitzende des größten für Frauen bestimmten Kolonialvereins treffen. Künzels emotionale Beschreibung ist

182 Zur Betätigung des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft im Be­ reich der Auswanderungshilfe in der Vorkriegszeit beachte Kapitel 3.4.3. In der Nachkriegszeit blieb der Frauenbund neben dem Frauenverein vom Roten Kreuz für Deutsche über See Sammlungsbecken kolonialaffiner Frauen. Unter der Lei­ tung von Hedwig von Bredow (19.12.1853–29.8.1932), die von 1920 bis 1932 den Vorsitz innehatte, betrieb der Frauenbund umfangreich Propaganda für die Wiedererlangung der ehemaligen Kolonien, sammelte Spenden für Projekte deutscher Siedler, die nicht repatriiert worden waren oder nun neu ausreisten, und gewährte bald auch wieder selbst Auswanderungshilfe, vgl. Schilling, Brit­ ta: „Deutsche Frauen! Euch und Eure Kinder geht es an!“ Deutsche Frauen als Aktivistinnen für die koloniale Idee, in: Bechhaus-Gerst, Marianne; Leutner, Mechthild (Hg.): Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009, S. 70–78. Wildenthal, German Women for Empire, S. 189–193. 183 BArch, R 1001/995, Bl. 96–98 (für das Zitat: Bl. 96).

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4. Kontinuität und Mobilität

allerdings insofern auch glaubhaft, als dass im November 1928 drei Jahre intensiven Werbens ihrerseits um eine Rückkehr in den Osten Afrikas hinter ihr lagen, seit sie zum ersten Mal anregte, im ehemaligen deutschen Kolonialgebiet wieder eine Schule für deutsche Kinder zu eröffnen.184 Bewusst setzte sie im Text wohl den Kontrast zur aktuellen politischen Si­ tuation. Implizit wird klar, dass der Einwanderungsbeamte stellvertretend für die britische Mandatsverwaltung Tanganyikas der deutschen Lehrerin die Realität vor Augen führte und dass sich Dora Künzel gestört fühlte. Dabei war ihr die politische Lage nicht unbekannt, sodass keinesfalls die Überraschung ob des Fehlens einer deutschen Flagge oder des Auftretens eines britischen Zollbeamten ihre Reaktion begründete. Bei Dora Künzel, geboren am 28.6.1875 im holsteinischen Wesselburen, handelte es sich um eine ehemalige Lehrerin an Schulen für nicht-indigene Kinder in Deutsch-Ostafrika, um eine überzeugte Anhängerin der Idee kolonialen Siedlertums und um eine umtriebige Kolonialrevisionistin, die Ende der 1920er-Jahre die Gelegenheit zur Rückkehr erhielt.185 Dora Künzels praktische Kolonialerfahrungen reichten zwanzig Jahre zurück und damit auch ihre „Erinnerungen“, die, wie vielfach sichtbar werden wird, die Hintergrundfolie ihres Denkens bildeten.186 Zum Jahres­ wechsel 1907/1908 war sie in Deutsch-Ostafrika eingetroffen und hatte eine Stelle an der 1908 gegründeten Schule für nicht-indigene Kinder der Bethel-Mission (Bielefelder Mission) in Hohenfriedeberg (heute Mlalo, Tansania) angetreten.187 Dort unterrichtete sie für drei Jahre, bevor sie im August 1911 als zweite Lehrkraft an der durch das Gouvernement von Deutsch-Ostafrika in Daressalam betriebenen Schule für Nicht-Indigene angestellt wurde.188 Diese wurde wie auch andere Schulen für Nicht-Indi­

184 185 186 187

BArch, R 1002/995, Bl. 4–7. BArch, R 155-F/81416, G 1/19 I F 10 (Personalverzeichnis, 1913–1916). BArch, R 1001/995, Bl. 96–98 (für das Zitat: Bl. 96). BArch, R 1001/991, Bl. 116. BArch, R 1001/995, Bl. 4–7. Eine Europäer-Kin­ der-Schule in West-Usambara, in: DOAZ, Jg. 9, Nr. 4 (26.1.1907), S. 2. Perso­ nal-Nachrichten, in: Deutsch-Ostafrikanische Zeitung, Jg. 10, Nr. 1 (4.1.1908), S. 8. Vgl. Dora Künzel, in: Soll, Hans-Joachim: Personen in Deutsch-Ostafri­ ka, https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Dora_Künzel (Abruf am 17.12.2020). Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 62. Tiletschke, Afri­ ka, S. 181. 188 BArch, R 1001/991, Bl. 238–239. BArch, R 1001/995, Bl. 4–7. Vgl. Dora Künzel, in: Soll, Hans-Joachim: Personen in Deutsch-Ostafrika, https://doa-pdb.oliver-gr onau.de/index.php/Dora_Künzel (Abruf am 17.12.2020).

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

gene zeitgenössisch meist als „Europäerschule“189 oder als „Schule für Eu­ ropäerkinder“190 bezeichnet, obgleich etwa zum Einstellungszeitpunkt von Dora Künzel neben neun deutschen und zwei griechischen Kindern auch sieben syrische Kinder die Schule besuchten.191 ‚Europäisch‘ bedeutete in diesem Zusammenhang insbesondere ‚nicht-indigen‘ und der Gebrauch jenes Adjektivs drückt sowohl die Abgrenzung zur indigenen Bevölkerung als auch eine gewisse Öffnung des deutschnationalen Kontextes der Kolo­ nialideologie aus. Beides zeigt schon die Gründungsinitiative der Schule, die im September 1904 von ansässigen Kolonisten vorgetragen worden war. Darin forderte eine Gruppe von deutschen, britischen und portugiesi­ schen Kolonisten die „Errichtung einer Schule für europäische Kinder in Daressalam“. Die Schule sollte in allen Belangen von den Schulen für Indi­ gene separiert sein und insbesondere einen eigenen Lehrer beschäftigen.192 Die Forderung nach Abgrenzung hatte zudem größeren Stellenwert als eine altershomogene Unterrichtung, denn eine solche war aufgrund der geringen Zahl an Kindern im schulfähigen Alter in Daressalam nicht mög­ lich. Gemäß einer Erhebung des Gouvernements befanden sich im März 1905 lediglich elf Jungen und Mädchen mit großer Altersdisparität von sechs bis dreizehn Jahren vor Ort.193 Die Gouvernementsverwaltung unterstützte die Forderungen der Kolo­ nisten und bat gegenüber der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt um Aussendung eines Lehrers, der explizit für die nicht-indigenen Schülerin­ nen und Schüler zuständig sein sollte. Für die zu gründende Schule sah das Gouvernement außerdem die räumliche Trennung von der örtlichen

189 BArch, R 1001/991, Bl. 107–108, 200, 236. Ein bedauerlicher Rückschritt, in: DOAZ, Jg. 8, Nr. 52 (29.12.1906), S. 1. Die Europäerschule in Daressalam, in: Berliner Neueste Nachrichten, Nr. 199 (18.4.1908). Die Europäerschule in Dar­ essalam, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 235 (25.8.1911). 190 BArch, R 1001/991, Bl. 115, 186–187. Das Schicksal der Schule für Europäerkin­ der!, in: DOAZ, Jg. 9, Nr. 40 (10.8.1907), S. 1. Kleine Mitteilungen, in: Schulfra­ gen. Blätter zur Förderung des deutschostafrikanischen Schulwesens, Jg. 2, Nr. 5 (Okt. 1906), S. 48. 191 BArch, R 1001/991, Bl. 238–239. Über die genaue Herkunft der syrischen Schülerinnen und Schüler geben die Quellen keine Auskunft. Möglicherwei­ se stammten sie aus dem von deutschen Missionaren betriebenen Syrischen Waisenhaus in Jerusalem, zu welchem über verschiedene Missionare und den Lehrer Suleiman Domet durchaus Kontakte bestanden, beachte Kapitel 2.2.1 und 3.2.2. 192 BArch, R 1001/999, Bl. 155–156 (für das Zitat: Bl. 155). 193 BArch, R 1001/999, Bl. 164–165. Beachte auch die Schülerstatistik in Anhang Nr. 38.

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4. Kontinuität und Mobilität

Indigenenschule vor.194 In Person des Volksschullehrers Fritz Dudzus traf der geforderte Lehrer allerdings erst im Juni 1906 in Daressalam ein.195 Bis dahin hatte vorläufig der protestantische Pastor Kriebel in Zusammen­ arbeit mit einer katholischen Ordensschwester den gemeinsamen Unter­ richt von evangelischen und katholischen Jungen und Mädchen geleitet.196 Kirchliche Vertreter blieben auch nach dem Eintreffen Dudzus für den Religionsunterricht zuständig, während dieser die im September 1906 neun Schülerinnen und Schüler umfassende Gruppe in allen anderen Fächern unterrichtete.197 Bereits im Oktober 1906 äußerte der neu ins Amt gekommene Gouverneur Albrecht von Rechenberg198 indes Zweifel am jüngsten Schulprojekt.199 Rechenberg war ein geistiger Verwandter des sich ebenfalls neu im Amt befindenden Leiters der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt Bernhard Dernburg200 und vertrat unter anderem

194 BArch, R 1001/990, Bl. 160. BArch, R 1001/999, Bl. 160. 195 BArch, R 1001/991, Bl. 115. Kleine Mitteilungen, S. 48. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 17 (1906), S. 311, 600. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 7, Nr. 18 (1906), S. 4. Fritz Dudzus (geb. am 22.6.1877) stammte aus Berlin und hatte das Lehrerse­ minar in Prenzlau absolviert. Anschließend arbeitete er zunächst für ein Jahr als Hilfslehrer in Spandau, bevor er bis Oktober 1905 an verschiedenen Berliner Schulen als Volksschullehrer sowie von 1903 bis 1905 auch als Handelsschulleh­ rer angestellt war. Er besuchte im Wintersemester 1905/06 und im Sommerse­ mester 1906 das Seminar für Orientalische Sprachen und reiste anschließend nach Deutsch-Ostafrika, ebd. Beachte auch Anhang Nr. 12 a). 196 BArch, R 1001/999, Bl. 164. 197 BArch, R 1001/991, Bl. 73–78. 198 Albrecht von Rechenberg (15.9.1861–26.2.1935) war Jurist und arbeitete ab Oktober 1889 im Auswärtigen Amt. Von Mai 1893 bis Februar 1896 war er Bezirksrichter in Daressalam und bekleidete anschließend konsularische Ämter in Sansibar, Moskau und Warschau, bevor er im April 1906 zum Gouverneur von Deutsch-Ostafrika berufen wurde. Er übte das Amt bis 1911 aus und wur­ de im Mai 1912 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. In den Jahren des Ersten Weltkrieges war von Rechenberg Mitglied des Reichstages (Zentrum), vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 3 L-R, Paderborn 2008, S. 582–583. Rechenberg, Albrecht, in: BIORAB Kai­ serreich – Online (GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften), Startseite: http://zhsf.gesis.org/biorabkr_db/biorabkr_db.php (Abruf am 4.1.2021). 199 BArch, R 1001/991, Bl. 87–88. 200 Bernhard Dernburg (17.7.1865–14.10.1937) absolvierte eine Kaufmannsausbil­ dung in Berlin und New York und leitete von 1889 bis zum Frühjahr 1901 als Direktor die zur Deutschen Bank gehörende Deutsche Treuhandgesellschaft. Anschließend wurde er Direktor der Bank für Handel und Industrie (Darmstäd­ ter Bank), bevor er 1906 zunächst Bevollmächtigter Preußens im Bundesrat und kurz darauf außerdem mit dem Auftrag der grundlegenden Reform des

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

die Überzeugungen, dass die Kolonien im Allgemeinen zugunsten besse­ rer Wirtschaftlichkeit reformiert werden müssten und Deutsch-Ostafrika im Speziellen keine bevorzugte Siedlungskolonie sei.201 Dementsprechend rechnete er vor, dass bei einer im Oktober 1906 aktuellen Zahl von sieben Schülerinnen und Schülern Kosten in Höhe von 870 M je Kind entstün­ den. Diese Kosten seien insbesondere im Reichstag, dessen Mitglieder die Kolonialverwaltung ja bereits fortwährend für die Indigenenschulen mit dem Narrativ der impliziten Christianisierung dieser Schulen zugunsten höherer Investitionen zu beeinflussen suchte, nicht zu rechtfertigen, so Rechenbergs Befürchtung.202 Er bat Dernburg deshalb um die Erlaubnis, die Schule wieder schließen zu dürfen, was dieser im November 1906 genehmigte.203 Schon die Bekanntmachung der dann für Ende März 1907 terminier­ ten Schulschließung204 löste in der deutschnational und protestantisch orientierten Presse in Deutsch-Ostafrika allerdings einen Aufschrei aus. Dabei reichten die Artikel, die in der Deutsch-Ostafrikanischen Zeitung zur Schulfrage erschienen, von sachlichen Auseinandersetzungen mit den Problemen der Schülerzahlschwankungen, der Altersdisparitäten und der

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deutschen Kolonialwesens zum Leiter der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt berufen wurde. 1907 entstand aus letzterer das eigenständigere Reichskolo­ nialamt, als dessen Leiter Dernburg im Amt eines Staatssekretärs bis Mai 1910 fungierte. Von 1913 bis 1918 war er schließlich Mitglied des Preußischen Her­ renhauses. Nach dem Krieg war Dernburg Finanzminister im nur drei Monate bestehenden Kabinett Scheidemann (13.2.–20.6.1919). Er war Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und von 1919 bis 1930 Mitglied im Reichstag, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 1 A-F, Paderborn 2000, S. 414–415. Dernburg, Bernhard, in: BIORAB Weimar – Online (GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften), Startseite: http://zhsf.gesis.org/biorabwr_db/biorabwr_db.php (Abruf am 30.12.2020). Utermark, Sören: „Schwarzer Untertan versus schwarzer Bruder“. Bernhard Dernburgs Reformen in den Kolonien Deutsch-Ostafrika, DeutschSüdwestafrika, Togo und Kamerun, Diss. phil. Universität Kassel, Kassel 2012, S. 116–123, 328. Vgl. Becher, Dar es Salaam, S. 46–51. Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 36–37. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 186–189. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 137. Zu Rechenbergs Einfluss auf Dernburgs Reformkonzept beachte Pogge von Strandmann, Imperialismus, S. 146–148. BArch, R 1001/991, Bl. 87–88. Zum Narrativ der impliziten Christianisierung beachte Kapitel 3.2.3. BArch, R 1001/991, Bl. 87–89. BArch, R 1001/991, Bl. 105–106. BArch, R 1001/999, Bl. 167. Amtlicher Jah­ resbericht, DOA (1906/1907), S. 11. Aus der heutigen Bezirksratssitzung, in: DOAZ, Jg. 8, Nr. 51 (22.12.1906), S. 3.

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4. Kontinuität und Mobilität

klimatischen Belastungen der Schülerschaft bis hin zu polemischen An­ griffen auf die Person des katholischen Gouverneurs, dem konfessionelle Parteilichkeit vorgeworfen wurde.205 Letzteres monierte im Juli 1907 in Berlin auch der Preußische Evangelische Ober-Kirchenrat gegenüber dem Reichskolonialamt, und in der Kolonie wandte sich etwa zeitgleich auch der evangelische Pfarrer Kriebel, der erneut ersatzweise Schulunterricht übernommen hatte, mit der Bitte um Wiedereröffnung der Schule an das Gouvernement.206 Diesem Druck, der auch von evangelischen Kreisen des Reichstages verstärkt wurde, beugten sich die Kolonialverwaltungen in Berlin und Daressalam schließlich.207 Im März 1908 telegrafierte Dernburg nach Daressalam: „Regierungsschule Europäerkinder Daressalam sofort wieder eröffnen“.208 Das Gouvernement vollzog diese Anweisung zum Schuljahresbeginn am 1. April 1908 und versetzte den Volksschullehrer Rudolf Sendke von Tanga nach Daressalam, um den Unterricht für zunächst zwei, ab Mitte des Monats vier angemeldete Kinder zu beginnen.209 Doch nicht nur die im Vergleich zum Schließungszeitpunkt noch einmal geringere Schüler­ zahl war nun kein Hinderungsgrund zur Aufnahme der Schultätigkeit. Der auf die Kolonialverwaltung ausgeübte Druck war derart groß, dass die Schülerinnen und Schüler von April bis Mai zunächst in einem leerste­ henden Getreidespeicher unterrichtet wurden, bevor die Schule ab Juni in zwei angemietete Räume eines Wohnhauses umzog.210 Im Mai 1909 zog die Schule nach Beschwerden seitens einiger Reichstagsabgeordneter, der

205 BArch, R 1001/991, Bl. 107–108, 116, 118, 182–184, 186–189. Das Schicksal der Schule für Europäerkinder!, S. 1. Das Schulgespenst, in: DOAZ, Jg. 9, Nr. 42 (17.8.1907), S. 1–2. Eine Europäer-Kinder-Schule in West-Usambara, S. 2. Ein bedauerlicher Rückschritt, S. 1. Schule für Europäerkinder, in: DOAZ, Jg. 9, Nr. 38 (3.8.1907), S. 1–2. Wir möchten Exzellenz Dernburg für die Schul-Erzie­ hung der europäischen Kinder in der Kolonie interessieren, in: DOAZ, Jg. 9, Nr. 22 (1.6.1907), S. 1. Zur Schließung unserer Europäer-Schule, in: DOAZ, Jg. 9, Nr. 10 (9.3.1907), S. 3. 206 BArch, R 1001/991, Bl. 176–177, 190–195. 207 BArch, R 1001/991, Bl. 179–180. 208 BArch, R 1001/991, Bl. 199–200 (für das Zitat: Bl. 199). 209 BArch, R 1001/991, Bl. 201. Die Europäerschule in Daressalam, in: Berli­ ner Neueste Nachrichten, Nr. 199 (18.4.1908). Amtlicher Jahresbericht, DOA (1907/1908), S. 10. Rudolf Sendke stammte aus Fulda, studierte im Sommersemester 1904 am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin und arbeitete ab Juni 1905 in der Indigenenschule in Tanga, beachte Anhang Nr. 12 a) und 18. 210 BArch, R 1001/991, Bl. 217–218. Regierungsschule in Daressalam, in: DKB, Jg. 19 (1908), S. 901.

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

Eltern und des evangelischen Pfarrers über zu beschwerliche Schulwege und die Unzulänglichkeit der Schulräume dann ein weiteres Mal um und befand sich fortan im Stadtzentrum Daressalams.211 Die Schülerzahl der Schule für Nicht-Indigene stieg in der Folgezeit, sodass das Gouvernement gegenüber dem Reichskolonialamt im August 1911 beim Stand von 18 Schülerinnen und Schüler die Notwendigkeit einer zweiten Lehrkraft als dringlich beschrieb. Hinzu kam, dass die Hälfte der 18 Kinder keine deutschen Wurzeln besaß (zwei Griechen, sieben Syrer) und neben der Altersheterogenität nun auch noch Heterogenität in den Kenntnissen der deutschen Sprache festzustellen war. Mit der Anstellung von Dora Künzel als zweiten Lehrerin neben Rudolf Sendke ging darum die Aufteilung der Schülerschaft nach Sprachniveaus in zwei Gruppen einher.212 Das Ziel der Anstellung war also ein besser an den Fähigkeiten der Schülerschaft orientierter Unterricht. Dass es sich bei Dora Künzel um eine Frau handelte, die in der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika, die bis dato eine rein männliche Lehrerschaft besaß, angestellt wurde, spielte im Entscheidungsprozess keine große Rolle. Die Schule in Daressalam verfügte anders als die vergleichbaren Schulen in Deutsch-Südwestafrika über kein Pensionat, sodass ohne weiteres auch zwei männliche Lehrkräfte den Unterricht hätten bestreiten können.213 Und auch die sich nun eröffnende Möglichkeit, Handarbeitsunterricht für Mädchen durch eine Frau unterrichten zu lassen, mag als Hauptargument für die Anstellung Dora Künzels nicht genügen. Die Anstellung wurde wohl vielmehr dadurch begünstigt, dass die Lehrerin bereits vor Ort war und über Unterrichtserfahrung in Deutsch-Ostafrika verfügte, also den fachlichen Personalbedarf rasch deckte.214 Dass es sich bei Dora Künzel um eine weibliche Lehrkraft handelte, gewann allerdings mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges an Bedeutung.215 Sie wurde als Vertreterin ihrer männlichen Kollegen, die zum Kriegsdienst eingezogen worden waren, zunächst Leiterin der Indigenenschule in Dar­

211 BArch, R 1001/991, Bl. 210–211, 213–214. 212 BArch, R 1001/991, Bl. 236, 238–239. Die Europäerschule in Daressalam, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 235 (25.8.1911). Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 17. Beachte die Schülerstatistik in Anhang Nr. 38. 213 Beachte Kapitel 3.4.2. 214 BArch, R 1001/991, Bl. 238–239. Zur Wirkmächtigkeit des Arguments der Er­ fahrung von vor Ort beachte etwa Kapitel 2.1.5 und 3.2.3. 215 Zum Kriegsverlauf in Ostafrika beachte Braukämper, Afrika 1914–1918, S. 53– 65. Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe, S. 401–473. Pesek, Das Ende eines Kolonialreiches, S. 93–184.

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4. Kontinuität und Mobilität

essalam.216 Wie in Deutsch-Südwestafrika wandte das Gouvernement – wenn auch in wesentlich geringerem Umfang – in der ersten Kriegszeit die Kontinuitätsstrategie des ersatzweisen Engagements ansässiger Lehrerin­ nen an.217 Neben Dora Künzel arbeiteten etwa Frieda Zickelbein 1915 in Dodoma und Hertha Bucerius, die zuvor im Dienst der Berliner Mission gestanden hatte, in den Jahren 1915 und 1916 in Tabora.218 Mit der weitge­ henden militärischen Niederlage der Deutschen, der sich allein die Solda­ ten um Paul von Lettow-Vorbeck zu entziehen versuchten, endeten schließlich auch diese letzten Versuche, das Schulwesen für Indigene auf­ rechtzuerhalten.219 Nach der Eroberung Daressalams durch britische Trup­ pen Anfang September 1916 übernahm Dora Künzel darum erneut den Unterricht an der Schule für Nicht-Indigene in Daressalam, die weiterbe­ stehen durfte.220 Nachdem Mitte 1918 schließlich Kinder aus den südli­ chen Bezirken mit ihren Eltern von der britischen Militärverwaltung nach Tanga verbracht worden waren, unterrichtete Dora Künzel ab Juli 1918 bis März 1919, dem Zeitpunkt der Ausweisung der deutschen Bevölkerung, viele dieser Kinder in Tanga.221 Dann allerdings endete bis auf weiteres auch die Existenz dieses Bereichs der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika.

4.2.2 Britische Schulpolitik und ein kolonialrevisionistisches Kontaktnetz Dass bis zur Rückkehr Dora Künzels neun Jahre vergingen, lag nun zu­ nächst daran, dass es Deutschen bis Anfang Juni 1925 verboten war, in das Tanganyika Territory, dem größten und gemäß Mandatsvereinbarun­ gen nach dem Ersten Weltkrieg britisch verwalteten Teil des ehemaligen

216 BArch, R 1001/995, Bl. 4–7. Vgl. Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika, S. 416–419. Ab September 1913 arbeitete mit Else Viereck eine weitere Frau an der Schule für Nicht-Indigene in Daressalam. Ihr Verbleib über 1914 hinaus ist unklar, vgl. Viereck, Else, in: Soll, Hans-Joachim: Personen in Deutsch-Ostafrika, https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Else_Viereck (Abruf am 4.1.2021). Beachte auch Anhang Nr. 18. 217 Beachte Kapitel 4.1.1. 218 Vgl. Bucerius, Hertha, in: Soll, Hans-Joachim: Personen in Deutsch-Ostafrika, https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Bucerius (Abruf am 4.1.2021). Beachte auch Anhang Nr. 18. 219 Vgl. Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika, S. 453–477. 220 BArch, R 1001/995, Bl. 4–7. Vgl. Braukämper, Afrika 1914–1918, S. 56. 221 BArch, R 1001/995, Bl. 4–7. Vgl. Schulte-Varendorff, Der Erste Weltkrieg und die deutschen Kolonien in Afrika, S. 39.

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

Deutsch-Ostafrika, einzureisen.222 Anders als im südafrikanisch verwalte­ ten Protektorat Südwestafrika ist in Tanganyika keine praktische Kontinui­ tät schulischen Herrschaftswissens seitens einer deutschen (Sub-)Verwal­ tung oder der Lehrerschaft über die Kriegszeit hinaus zu verzeichnen. Die neue britische Kolonialverwaltung unter dem Gouverneur Horace Byatt223 veränderte allerdings zunächst wenig an der Struktur des bisherigen Schul­ wesens, wie sie auch im Allgemeinen viele der von den Deutschen eta­ blierten Verwaltungsformen übernahm.224 Die Indigenenschulen blieben prinzipiell zweistufig, zielten neben einem basalen Elementarunterricht auf handwerkliche sowie landwirtschaftliche Fähigkeiten und forcierten weiterhin die Verbreitung des Swahili. Deutsch wurde natürlich nicht mehr unterrichtet, sondern durch Englisch ersetzt.225 Auch die burische Bevölkerung, die in den Regionen um den Kilimandscharo siedelte und vor dem Krieg schon durch die deutsche Kolonialverwaltung im Aufbau eigener Schulen und teilweise auch durch die Entsendung deutscher Leh­ rer an burische Schulen unterstützt worden war, konnte ihre Schultätig­ keit fortsetzen.226 Der sonstige Bereich der Nicht-Indigenenschulen blieb

222 Vgl. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 60–61. Zum britisch-belgi­ schen Gegensatz in der Eroberung des deutschen Kolonialgebiets beachte Pesek, Das Ende eines Kolonialreiches, S. 320–332. 223 Horace Archer Byatt (22.3.1875–8.4.1933) hatte in Oxford, Lincoln College, studiert und ab 1898 seine Karriere als Kolonialbeamter in Nyasaland (heutiges Malawi) begonnen. Nach Stationen in Somaliland (heutiger Nordteil Somali­ as), Gibraltar und Malta wurde er 1916 Administrator des britisch besetzten Teils der ehemaligen deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Auch nach dem Abschluss der Mandatsverträge blieb Byatt der Leiter der dortigen britischen Kolonialverwaltung und amtierte von 1920 bis 1924 als Gouverneur und Ober­ befehlshaber des Tanganyika Territory (heute Tansania). Seine letzte Karrieresta­ tion war schließlich von 1924 bis 1929 der Gouverneursposten in der britischen Karibikkolonie Trinidad and Tobago, vgl. Furley, Oliver: Byatt, Sir Arthur Ar­ cher, in: Oxford Dictionary of National Biography, Version vom 23.9.2004, https://doi.org/10.1093/ref:odnb/38477 (Abruf am 06.1.2021). 224 Vgl. Eckert, Herrschen und Verwalten, S. 40–41. Eggert, Missionsschule, S. 197– 199. 225 Vgl. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 131–134. 226 BArch, R 1001/991, Bl. 73–78, 204–208. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1906/1907), S. 84. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1907/1908), S. 10. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 10. Burenkommandant Moll über Burenansiedlun­ gen in Deutsch-Ostafrika, in: DKB, Jg. 15 (1904), S. 52–53. Zur Burenansiedlung in Deutsch-Ostafrika, in: DKB, Jg. 15 (1904), S. 759. Vgl. Hornsby, German Educational Achievement in East Africa, S. 86. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 67–68.

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4. Kontinuität und Mobilität

wie in der Vorkriegszeit zunächst äußerst rudimentär und erfuhr kaum kolonialstaatliche Unterstützung.227

Ein veränderter politischer Rahmen Ab dem Jahr 1925 ereigneten sich schließlich Veränderungen sowohl in der britischen Schulpolitik in Tanganyika als auch der deutschen Befas­ sung mit den ehemaligen Kolonien. Diese Veränderungen setzten den politischen Rahmen, in welchem die Rückkehr Dora Künzels nach Tanga­ nyika und die Wiederaufnahme der deutschen Schultätigkeit ihren Platz finden. Die Veränderungen in der britischen Schulpolitik in Tanganyika folgten einer generellen Reform der britischen Kolonialherrschaft im Man­ datsgebiet. Der Nachfolger Byatts im Amt des Gouverneurs, Donald Came­ ron228, war im Vergleich zu seinem Vorgänger ein stärkerer Verfechter indirekter Herrschaft, was bedeutete, dass Cameron den Aufbau einer um­ fassenden lokalen Indigenenverwaltung forcierte, welche allerdings von britischen Distrikt-, Provinz- und Zentralverwaltungsstellen kontrolliert wurden.229 Das Konzept der von Cameron vertretenen indirect rule fußte auf der Vorstellung einer hierarchischen Gesellschaft, in welcher die indi­ gene Bevölkerung ihren natürlichen Platz unterhalb der Kolonisatoren akzeptierte, sowie auf paternalistischem Bewahrungsglauben. Politische Emanzipation der Einheimischen und auch eine mehr als symbolische Par­

227 Vgl. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 67–68. 228 Donald Charles Cameron (3.6.1872–8.1.1948) gehörte zu den höheren Koloni­ albeamten des British Empire, die über keinen Universitätsabschluss verfügten, und galt als Autodidakt. Camerons Kolonialkarriere begann 1890 in BritischGuyana (heute Guyana) und führte ihn über Mauritius nach Süd-Nigeria (heute Südteil Nigerias). Seine Vorstellungen einer indirekten Herrschaft entwickelten sich in Auseinandersetzung mit dem dortigen Gouverneur Frederick Lugard. Von 1925 bis 1932 war Cameron schließlich Gouverneur des Tanganyika Ter­ ritory, bevor er als letzte Station von 1932 bis 1935 als Gouverneur der Kolonie Nigeria amtierte, vgl. Furley, Oliver: Cameron, Sir Donald Charles, in: Oxford Dictionary of National Biography, Version vom 23.9.2004, https://doi.org/10.10 93/ref:odnb/32257 (Abruf am 6.1.2021). 229 Vgl. Eckert, Andreas: „Disziplin und Tränen“. Erziehung, Verwaltung und koloniale Ordnung in British-Tanganyika, in: Wirz, Albert; Eckert, Andreas; Bromber, Katrin (Hg.): Alles unter Kontrolle. Disziplinierungsprozesse im kolo­ nialen Tansania (1850–1960), Köln 2003, S. 184–202, hier: S. 187–188. Eckert, Herrschen und Verwalten, S. 41, 44.

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

tizipation der weißen Siedlerbevölkerung waren nicht vorgesehen.230 Für die Schulpolitik, die in Tanganyika als eines der wichtigsten Politikfelder zur Umsetzung dieses Herrschaftskonzepts angesehen wurde, bedeutete diese grundsätzliche Ausrichtung zweierlei: Erstens sollten vornehmlich lokale Verwaltungseliten ausgebildet werden, die sogenannten „Häupt­ lingssöhne“, die als Nachfolger ihrer als unterste Verwaltungsbeamte be­ schäftigten Väter, der Chiefs, designiert waren.231 Und zweitens imple­ mentierte die britische Verwaltung für die Unterstützung nichtstaatlicher Schulen, etwa Missionsschulen für Indigene, aber auch private Schulen für Nicht-Indigene, ein indirektes Modell (grant-in-aid), das den Erhalt von finanziellen Unterstützungen an die Erfüllung gewisser Kriterien band. Schulen, die diese Kriterien nicht erfüllten, wurden nicht geschlossen, sondern erhielten lediglich kein Geld.232 Für den politischen Rahmen der Rückkehr Dora Künzels hieß dies, dass der Fokus der britischen Schulpolitik in Tanganyika auf dem Indigenenschulwesen lag und priva­ ten Initiativen, als welche sich gerade die deutsche Schulgründung nach

230 Vgl. Eckert, Herrschen und Verwalten, S. 42–43. 231 Vgl. Eckert, „Disziplin und Tränen“, S. 188–189. Eckert, Herrschen und Verwal­ ten, S. 44–46, 63, 68. Der Unterricht orientierte sich am Konzept der education for adaption. Seine Inhalte sollten also an die lokale Bevölkerung angepasst sein, gleichwohl aber insbesondere elementare Bildung (Schreiben, Lesen, Rechnen), handwerkliche und landwirtschaftliche Fähigkeiten, Hygiene und christliche Glaubensinhalte umfassen. Das für diese Ausrichtung einschlägige Memoran­ dum, welches der Colonial Office Advisory Council 1925 veröffentlicht hatte, basierte insbesondere auf dem ein Jahr zuvor publizierten Bericht der US-ameri­ kanischen Phelps-Stokes-Kommission, die von Januar bis Juni 1924 vor allem britische Kolonien in Afrika bereist hatte, um anschließend Vorschläge zur Re­ form des Indigenenschulwesen zu machen, vgl. Berman, Edward H.: American Influence on African Education: The Role of the Phelps-Stokes Fund’s Educa­ tion Commissions, in: Comparative Educational Review, Jg. 15, Nr. 2 (1971), S. 132–145, hier insb. S. 140–142. Bude, Udo: The Adaption Concept in British Colonial Education, in: Comparative Education, Jg. 9, Nr. 3 (1983), S. 341–355. Eckert, Herrschen und Verwalten, S. 63–70. Kolodzig, Das Erziehungswesen in Tanzania, S. 53–56. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 135–139. Ssekamwa, J. C.; Lugumba, S. M. E.: A History of Education in East Afrika Kampala 2001, S. 86–87. Whitehead, Clive: The Medium of Instruction in British Colonial Education: A Case of Cultural Imperialism or Enlightened Paternalism?, in: History of Education, Jg. 24, Nr. 1 (1995), S. 1–15, hier: S. 7–8. 232 Vgl. Eckert, Herrschen und Verwalten, S. 64–65. Eggert, Missionsschule, S. 199– 205. Gifford, Prosser; Weiskel, Timothy C.: African Education in a Colonial Context: French and British Styles, in: Gifford, Prosser; Louis, William Roger (Hg.): France and Britain in Africa. Imperial Rivalry and Colonial Rule, New Haven/London 1971, S. 663–711, hier: S. 701–702.

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4. Kontinuität und Mobilität

außen zunächst geben sollte, für Nicht-Indigene kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Hinderliche Konkurrenz und Kontrolle waren demnach kaum zu erwarten. Gleichzeitig bot das grant-in-aid-Modell eine potentielle Quelle finanzieller Unterstützung, sodass Perspektiven für ein langfristiges Bestehen existierten. Diese in der Ausrichtung der britischen Schulpolitik in Tanganyika be­ gründeten begünstigenden Faktoren hätten ohne die Wiedererlaubnis der Einreise deutscher Siedler im Juni 1925 natürlich keine Wirkung entfal­ ten können. Diese Grundbedingung traf auf eine verstärkte Kolonialpropa­ ganda im Deutschen Reich, die zwar in den 1920er-Jahren keineswegs eine Massenbewegung war, dafür aber umso geräuschvoller auftrat.233 Die zentralen Themen der Kolonialbewegung in der Zeit zwischen den Weltkriegen waren die Widerlegung der ‚Kolonialschuldlüge‘, als welche die Aberkennung der Kolonisierungsfähigkeiten der Deutschen durch die Sieger des Ersten Weltkrieges bezeichnet wurde, die Forderung nach der Rückgabe der ehemaligen Kolonien, die Pflege der Erinnerungen an die – wie man meinte – ‚gute alte Kolonialzeit‘ und die materielle Versorgung ehemaliger, zurückgekehrter Kolonialsiedler und -soldaten. Die alten, wei­ ter bestehenden und die neu gegründeten Vereine, die diese Ziele verfolg­ ten, organisierten sich 1922 in der Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft (KORAG) und fügten der ohnehin insbesondere in den höheren Ämtern privat vernetzten Kolonialbewegung eine weitere Ebene der Vernetzung hinzu. Angeführt wurde die Bewegung von ehemaligen Kolonialbeamten aus den Kolonien und den kaiserlichen Ministerien, von wirtschaftlichen Profiteuren der Kolonialzeit, von Missionaren und Militärs. Aber auch im Reichstag sammelten sich 1925 Kolonialbefürworter und bildeten unter der Leitung des nun für die Deutsche Volkspartei (DVP) im Reichstag sitzenden Heinrich Schnee die Interfraktionelle Koloniale Vereinigung (IKV).234

233 Für hier und die folgenden Ausführungen zum Kolonialrevisionismus vgl. Bechhaus-Gerst, Marianne: „Nie liebte eine Mutter ihr Kind mehr, als wenn es krank ist“. Der Kolonialrevisionismus (1919–1943), in: Bechhaus-Gerst, Ma­ rianne; Zeller, Joachim (Hg.): Deutschland Postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, Berlin 2018, S. 101–122, hier: S. 101–107. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 260–264. Laak, Dirk van: Imperiale In­ frastruktur. Deutsche Planungen für die Erschließung Afrikas 1880 bis 1960, Paderborn 2004, S. 202–207. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 160– 165. 234 Zur Kurzbiographie von Heinrich Schnee beachte Kapitel 2.3.2.

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

Mitglied dieser Parlamentariergruppe war unter anderem der ehemalige Kolonialminister Johannes Bell.235 An ihn richtete Dora Künzel im Juni 1925, also genau zum Zeitpunkt, zu welchem die britische Kolonialver­ waltung die Einreise von Deutschen nach Tanganyika wieder erlaubte, einen Brief mit einer Anfrage zur Wiedererrichtung einer deutschen Schu­ le.236 Künzel berichtete darin, dass sie von „verschiedenen ostafrikanischen Pflanzern“ gefragt worden sei, ob sie dazu bereit sei, wieder eine Lehrerin­ nenstelle in Tanganyika zu übernehmen. Diese seien zu arm, um ihren Kindern einen Schulbesuch im Deutschen Reich zu finanzieren, während sie selbst in Afrika lebten, und bevorzugten es überdies eigentlich, ihre Kinder in die Kolonie mitzunehmen.237 Künzel wurde sogleich konkret. Sie schlug Bell „den Ankauf einer Farm in Usambara“, der Bergregion nordwestlich der Hafenstadt Tanga, vor und benannte zwei Farmen na­ mentlich. Diese lägen in als klimatisch günstig angesehenen Höhen und in der Nähe sowohl evangelischer als auch katholischer Missionsstationen.238 Die Schulleitung wolle sie selbst übernehmen, so Künzel weiter, da sie über die ihrer Ansicht nach notwendige Erfahrung als koloniale Lehrerin, über Orts- und über Personenkenntnis verfüge. Die Schuleröffnung skiz­ zierte sie zum einen als nationale Pflicht, da ohne Schule zu befürchten sei, dass die Auswandererkinder ansonsten „im Busch verkommen […] und […] der Heimat verloren“ gingen, und zum anderen als moralische Pflicht des deutschen Staates gegenüber denjenigen, die als ehemalige deutsche Siedler „Opfer […] gebracht [und] Heim und Brot verloren“ hätten.239 Hieraus leitete Künzel ihre Forderung ab, dass die Schule durch

235 Johannes Bell (23.9.1868–21.10.1949) war Jurist, von 1908 bis 1921 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses und von 1912 bis 1933 Mitglied des Reichstages bzw. der Verfassungsgebenden Nationalversammlung. In dieser Zeit war der Zentrumspolitiker unter anderem von Februar 1919 bis Mai 1920 Reichskolonialminister, vgl. ausführlich Bell, Johannes, in: BIORAB Kaiserreich – Online (GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften), Startseite: http:// zhsf.gesis.org/biorabwr_db/biorabwr_db.php (Abruf am 6.1.2021). Bell, Johan­ nes, in: BIORAB Weimar – Online (GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissen­ schaften), Startseite: http://zhsf.gesis.org/biorabwr_db/biorabwr_db.php (Abruf am 6.1.2021). 236 BArch, R 1001/995, Bl. 4–7. 237 BArch, R 1001/995, Bl. 4–7 (für das Zitat: Bl. 4). Es ist unklar, ob es sich bei den anfragenden „Pflanzern“ um die wenigen in Tanganyika verbliebenen Deutschen oder um Deutsche, die vormals in Deutsch-Ostafrika Landwirtschaft betrieben hatten, handelte. 238 BArch, R 1001/995, Bl. 4–7 (für das Zitat: Bl. 5). 239 BArch, R 1001/995, Bl. 4–7 (für die Zitate: Bl. 7, 6).

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4. Kontinuität und Mobilität

staatliche Mittel finanziert werden müsse, und äußerte sich zur Träger­ schaft der Schule in besonderer Weise: „Es findet sich sicher ein Weg, eine derselben (Missionsstation, Anm. des Verf.) zu erwerben unter irgend einer Flagge, ebenso die Einrich­ tung eines Erziehungsheimes, falls nicht als Reichsinstitut gewünscht, gut, dann gilt es als Privat-Anstalt, die Hauptsache ist, dass diese An­ stalt vom Reich finanziert wird.“240 In ihren Worten wird einerseits die Dringlichkeit, die sie der Sache bei­ maß, deutlich und andererseits ihr Wissen um die politische Brisanz ei­ nes direkten staatlichen Agierens in der ehemaligen Kolonie. Aus diesem Grund schrieb sie wohl an einen Vertreter der prokolonialen Reichstagsab­ geordneten und nicht direkt an das Auswärtige Amt, das seit dem 1. April 1924 wieder über eine Kolonialabteilung verfügte. Als deren Leiter war Edmund Brückner241 berufen worden, der in seinen im November 1924 vorgelegten „Richtlinien unserer Kolonialpolitik“ zwar die deutsche For­ derung nach einer Beteiligung am Mandatssystem bekräftigt, gleichzeitig aber zu zurückhaltender Vorsicht gemahnt hatte.242 Ihm und Außenminis­ ter Gustav Stresemann (1878–1929) war insbesondere daran gelegen, die Verhandlungen um die Reparationszahlungen, die das Deutsche Reich an die Siegermächte des Ersten Weltkrieges zu entrichten hatte, und die Kreditverhandlungen nicht durch zu starke Kolonialforderungen zu belas­ ten.243 Die Kolonialabteilung antwortete Dora Künzel, nachdem seitens der IKV Künzels Anfrage an das Ministerium weitergeleitet worden war,

240 BArch, R 1001/995, Bl. 4–7 (für das Zitat: Bl. 5–6). 241 Edmund Brückner (1.1.1871–31.12.1935) war Jurist und arbeitete nach dem Studium zunächst im preußischen Justizwesen. Von 1902 bis 1910 arbeitete er in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes beziehungsweise im Reichsko­ lonialamt, unterbrochen von einer Beschäftigung in Bezirksämtern in Kamerun (1903–1905). 1910 wurde Brückner stellvertretender Gouverneur Deutsch-Süd­ westafrikas und 1911 Gouverneur Togos. Nach dem Krieg war Brückner in der Kolonial- und der Finanzverwaltung beschäftigt, bevor er 1924 zum Leiter der neuen Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt ernannt wurde, vgl. Biogra­ phisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 1 A-F, Paderborn 2000, S. 301–302. 242 Vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 265. Gründer, Horst: “… da und dort ein junges Deutschland gründen”. Rassismus, Kolonien und kolo­ nialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1999, S. 319–322 (für das Zitat: S. 319). Laak, Imperiale Infrastruktur, S. 204–205. 243 Vgl. Büttner, Ursula: Weimar. Die überforderte Republik 1918–1933, Bonn 2010, S. 350–355. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 265–267.

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

entsprechend wohlwollend in der prinzipiellen, aber gleichzeitig auch ab­ 243 244 Kolonialforderungen zu belasten. Die Kolonialabteilung antwortete Dora Künzel, nachdem  lehnend in der konkreten Sache.

seitens der IKV Künzels Anfrage an das Ministerium weitergeleitet worden war, entsprechend  244 wohlwollend in der prinzipiellen, aber gleichzeitig auch ablehnend in der konkreten Sache. Die Entstehung eines kolonialrevisionistischen Kontaktnetzes

Die Entstehung eines kolonialrevisionistischen Kontaktnetzes 

Dass die Schulgründungsbemühungen dennoch vorangingen, lag insbe­

Dass die Schulgründungsbemühungen dennoch vorangingen, lag insbesondere an einem die  sondere an einem die Gründungsidee unterstützenden kolonialrevisionisti­

schen Kontaktnetz (Diagramm 1), dessen Entstehung im Folgenden erläu­ Gründungsidee unterstützenden kolonialrevisionistischen Kontaktnetz (Diagramm 1), dessen  tert wird.

Entstehung im Folgenden erläutert wird.  Hedwig v. Bredow  (DKG‐Frauenbund) 

Theodor Gunzert  (Kolonialabteilung) 

Dora Künzel 

ehemalige  DOA‐Siedler 

Diagramm 1245

DKG 

Wilhelm Arning 

Bethel‐ Mission 

Dt. Konsulat  Mombasa 

Schulverein  Daressalam  Diagramm 1245

Die  Kolonialabteilung  berief  sich  in  ihrem  ablehnenden  Schreiben  an  Dora  Künzel  nicht 

Die Kolonialabteilung berief sich in ihrem ablehnenden Schreiben an Do­ zuletzt darauf, dass nach eigener Auffassung aktuell keine Notwendigkeit bestehe, da schlicht  ra Künzel nicht zuletzt darauf, dass nach eigener Auffassung aktuell keine zu Notwendigkeit wenig  Siedler bestehe, bisher  Interesse  an zueiner  Ausreise hätten.246 da schlicht wenig Siedler bekundet  bisher Interesse an Dieses  246 einer Ausreise bekundet hätten. Dieses Bedarfsargument griff im April Bedarfsargument griff im April 1926 der ehemalige Reichstagsabgeordnete Wilhelm Arning247 auf,  der  ebenfalls  ein  Befürworter  einer  Schulgründung  in  Tanganyika  und  ideeller  243 Vgl.  Büttner, Ursula:  Weimar.  Die  überforderte Republik  1918‐1933,  Bonn 2010,  S.  350‐355.  Gründer,  Geschichte der deutschen Kolonien, S. 265‐267.   244 R 1001/995, Bl. 3. 244 BArch,BArch, R 1001/995, Bl. 3.  245 245 Die Verbindungslinien zur Bethel-Mission sind aufgrund der die verschiedenen Die Verbindungslinien zur Bethel‐Mission sind aufgrund der die verschiedenen Schulgründungsbemühungen  Schulgründungsbemühungen nicht unterstützenden Haltung differenziert dar­ nicht unterstützenden Haltung differenziert dargestellt. Die Mission wurde 1929 allerdings zum Partner der dann gestellt. Die Mission Beachte hierzu den nachfolgenden wurde 1929 allerdings zum Partner der dann gegründeten gegründeten Schule in Lupembe. Abschnitt. Im Text noch unerwähnt bleiben  in Lupembe. Beachte hierzudurch deneigene  nachfolgenden Abschnitt. ImBetätigung Text Wilhelm  Schule Arnings  Kontakte zum  DKG‐Frauenbund Vortragstätigkeit  sowie  die  von  im Frauenbund.  Arnings Frau noch unerwähnt bleiben Wilhelm Arnings Kontakte zum DKG-Frauenbund 246 BArch,durch R 1001/995, Bl. 3.  eigene Vortragstätigkeit sowie die Betätigung von Arnings Frau im Frau­ 247 Wilhelm Arning enbund. (20.12.1865‐11.11.1943) war Augen‐ und Militärarzt und hatte von 1893 bis 1896 sowie von  1914 bis 1917 in der ‚Schutztruppe‘ in Deutsch‐Ostafrika gedient. Er war Mitglied des Reichstages (1907‐1911) 246 BArch, R 1001/995, Bl. 3. sowie des Preußischen Abgeordnetenhauses (1908‐1918). Ab 1927 war Arning Nachfolger von Ernst Fabarius als  Direktor  der  Deutschen Kolonialschule  in  Witzenhausen  und verblieb  bis  1933  in  diesem  Amt,  vgl.  Arning,  Wilhelm,  in:  BIORAB  Kaiserreich  –  Online  (GESIS –  Leibniz‐Institut für  Sozialwissenschaften), Startseite:  491 http://zhsf.gesis.org/biorabkr_db/biorabkr_db.php (Abruf am 10.12.2020). Arning, Heinrich, Friedrich Wilhelm,  in:  Mann,  Bernhard:  Biographisches  Handbuch  für  das  Preußische  Abgeordnetenhaus  1867‐1918, Düsseldorf  1988,  S. 49. Stolowsky, Alfred: Arning, Wilhelm, in: Stolberg‐Wernigerode, Otto zu (Hg.): Neue deutsche Biographie, Bd. 1, Berlin 1953, S. 375.

4. Kontinuität und Mobilität

1926 der ehemalige Reichstagsabgeordnete Wilhelm Arning247 auf, der ebenfalls ein Befürworter einer Schulgründung in Tanganyika und ideeller Verbündeter Dora Künzels war. Arning, ein Protestant, hatte Kenntnis von der Wiederansiedlung des katholischen deutschen Pflanzers Bruno Kindler in der Nähe von Wilhelmsthal (heute Lushoto, Tansania) und von dessen Plänen zur Eröffnung einer Farmschule erlangt, und befürchte­ te, dass „unsere Kinder da draussen in einer streng-katholisch geleiteten Unterrichtserteilung uns entfremdet werden.“248 Arning wandte sich nun nicht an die Kolonialabteilung, sondern versuchte über Kontakte zu Mi­ nisterialbeamten im Außen-, im Innen- und im Finanzministerium, die unterhalb der Leitungsebene angesiedelt waren, eine evangelische Schul­ gründung zu initiieren.249 Mit einem seiner Gesprächspartner diskutierte er gar, die Kolonialabteilung ob ihrer Zurückhaltungsdirektive zu überge­ hen und vielmehr über die Kulturabteilung, die die Auslandsschulen be­ treute, zu entsprechenden Genehmigungen zu kommen.250 Der Versuch, die Kolonialabteilung „nur sehr an der Peripherie dieser Angelegenheit [zu] beteiligen“, scheiterte jedoch bereits daran, dass schon im Mai 1926 die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) die Kolonialabteilung über die Schulgründungsabsichten Kindlers informierte und ihrerseits ebenfalls für ein finanzielles Engagement des deutschen Staates für die Wiedererrich­ tung von Schulen in Tanganyika eintrat.251 Letztlich war diese Art der Ge­ heimhaltung aber auch gar nicht nötig, da auch in der Kolonialabteilung Unterstützer einer Schulfinanzierung tätig waren. Insbesondere Theodor Gunzert252 gehörte zu dieser Gruppe. Er wurde zu einem wichtigen Kom­ 247 Wilhelm Arning (20.12.1865–11.11.1943) war Augen- und Militärarzt und hat­ te von 1893 bis 1896 sowie von 1914 bis 1917 in der ‚Schutztruppe‘ in DeutschOstafrika gedient. Er war Mitglied des Reichstages (1907–1911) sowie des Preu­ ßischen Abgeordnetenhauses (1908–1918). Ab 1927 war Arning Nachfolger von Ernst Fabarius als Direktor der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen und verblieb bis 1933 in diesem Amt, vgl. Arning, Wilhelm, in: BIORAB Kaiserreich – Online (GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften), Startseite: http:// zhsf.gesis.org/biorabkr_db/biorabkr_db.php (Abruf am 10.12.2020). Arning, Heinrich, Friedrich Wilhelm, in: Mann, Bernhard: Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1867–1918, Düsseldorf 1988, S. 49. Sto­ lowsky, Alfred: Arning, Wilhelm, in: Stolberg-Wernigerode, Otto zu (Hg.): Neue deutsche Biographie, Bd. 1, Berlin 1953, S. 375. 248 BArch, R 1001/995, Bl. 9–10 (für das Zitat: Bl. 9). 249 BArch, R 1001/995, Bl. 8–10. 250 BArch, R 1001/995, Bl. 9–10. 251 BArch, R 1001/995, Bl. 9–12 (für das Zitat: Bl. 10). 252 Theodor Gunzert (19.7.1874–26.7.1964) war Jurist und arbeitete ab 1901 in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. Ab 1902 war er zunächst für

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

munikationsknoten im Kontaktnetz und stieß in Reaktion auf die Anfrage der DKG zweierlei an. Zum einen bat er die Ostafrikanische Bergbauge­ sellschaft um lokale Informationen.253 Zum anderen kontaktierte er die Leitung der Bethel-Mission, da der dieser angehörende Pastor Karl Röhl254 nach Tanganyika gereist und unter anderem von Wilhelm Arning als mög­ licher Partner für eine evangelische Schulgründung bezeichnet worden war.255 Da die Leitung der Bethel-Mission eine Beteiligung Röhls an einer Schulgründung aber ausschloss und in der Kolonialabteilung befunden wurde, dass die Schule Bruno Kindlers noch keine genügend große Schü­ lerzahl erreiche, setzte sich im Auswärtigen Amt im August 1926 zunächst die Ansicht durch, den Bedarf einer eigenen Beteiligung abermals zu ver­ neinen.256 Der zu diesem Zeitpunkt bereits große Akteurskreis erweiterte sich im November 1926 noch einmal. Vom finalen Schulort Lupembe, im Süden Tansanias und etwa 70 km nordwestlich des Malawisees gelegen, war allerdings in den durchaus verschlungenen Kommunikationskanälen noch keine Rede. Zunächst beriet Theodor Gunzert mit der Vorsitzenden des Frauenbundes der DKG, Hedwig von Bredow, über eine mögliche Zusammenarbeit von Dora Künzel und Bruno Kindler. Gunzert befürch­

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zwei Jahre als Bezirksrichter in Daressalam tätig, bevor er ab 1904 die Leitung verschiedener Bezirksämter innehatte. Von 1914 bis 1916 diente er in der ‚Schutztruppe‘ für Deutsch-Ostafrika und befand sich von November 1916 an für drei Jahre in britischer Kriegsgefangenschaft. Von 1920 bis 1923 arbeitete er in der Rücklieferungskommission des Reichsministeriums für Wiederaufbau und von 1924 bis 1937 sowie erneut von 1939 bis 1945 in der neu gegründeten Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes bzw. deren Nachfolgeabteilungen, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 2 G-K, Paderborn 2005, S. 137–139. BArch, R 1001/995, Bl. 13. Karl Otto Röhl/Roehl (1870–1951) stammte aus Neidenburg (heute Nidzica, Polen) und legte seine beiden theologischen Examina in Berlin ab. Dort stu­ dierte er außerdem am Seminar für Orientalische Sprachen und gelangte als Missionar der Bethel-Mission im Februar 1896 nach Deutsch-Ostafrika. Röhl war Missionar und zugleich Linguist und arbeitete als solcher wie die Lehrer der deutschen kolonialen Schule in Deutsch-Ostafrika mit an einer Grammatik des Swahili, das keinerlei Einflüsse des Arabischen hatte. 1916 wurde er durch belgische Kolonialbehörden ausgewiesen. 1926 kehrte er mit dem Auftrag, eine Deutsch-Swahili-Bibelübersetzung zu vervollständigen, nach Tanganyika zurück und blieb bis 1928, BArch, R 1001/995, Bl. 15. Vgl. Altena, Häuflein, Anhang, S. 232–233. BArch, R 1001/995, Bl. 9–10, 13–14. BArch, R 1001/995, Bl. 15, 17. Ein ebenfalls ablehnender Bescheid erging an die DKG, BArch, R 1001/995, Bl. 18.

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4. Kontinuität und Mobilität

tete allerdings „konfessionelle Schwierigkeiten“, was zeigt, wie relevant die konfessionelle Ausrichtung einzelner Personen für die Zeitgenossen war.257 Neben dem Frauenbund schaltete sich nun auch das Deutsche Konsulat in Mombasa (Kenia) ein und berichtete dem Auswärtigen Amt über die Gründung eines deutschen Schulvereins in Daressalam.258 Dem Schulverein gehörte überraschenderweise als Vorsitzender des Vorstandes Pastor Röhl an, der sich offenbar der Entscheidung der Betheler Missions­ leitung widersetzte.259 Diese wiederum versuchte, die Bemühungen ihres Mitglieds dadurch zu behindern, dass sie ihre Zustimmung zum Verkauf einer ins Auge gefassten Missionsstation verweigerte.260 Doch auch das Reichsfinanzministerium in Berlin lehnte im Oktober 1927 einen entspre­ chenden Förderantrag des Schulvereins, der mittels der Kolonialabteilung eingereicht worden war, ab.261 Theodor Gunzert konzentrierte sich darauffolgend wieder auf die Be­ mühungen des DKG-Frauenbundes und Dora Künzels, die aufgrund pri­ vater Kontakte Künzels den Ankauf einer Farm namens ‚Philippshof‘ in Aussicht hatten.262 Vor allem Dora Künzel warb im Oktober und November 1927 intensiv für diesen Ankauf und reagierte zunehmend

257 BArch, R 1001/995, Bl. 19–20 (für das Zitat: Bl. 20). 258 BArch, R 1001/995, Bl. 21. Das Deutsche Konsulat in Mombasa (Kenia) wurde am 4.5.1925 wiedereinge­ richtet und war unter anderem auch für die Deutschen in Tanganyika zustän­ dig. Es wurde zunächst von Hermann Speiser (28.1.1889–18.5.1961) geführt, einem Juristen, der 1908 in den konsularischen Dienst des Auswärtigen Amtes eingetreten war. Ab Februar 1929 übt Speiser seine konsularische Tätigkeit von Nairobi aus. Bereits im Mai 1928 wurde er in Mombasa allerdings durch Rudolf Karlowa (5.11.1876–19.10.1945) vertreten. Karlowa war ebenfalls Jurist und hatte von 1905 bis 1914 im Kolonialdienst (Deutsch-Neuguinea, DeutschSüdwestafrika, Reichskolonialamt) gestanden. Nachdem er im Juli 1919 aus britischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, hatte er zunächst in der Kolonial-Zentralverwaltung des Reichministeriums für Wiederaufbau und ab 1922 im Reichsfinanzministerium gearbeitet. Sowohl Speiser als auch Karlowa befürworteten eine deutsche Schulgründung. Sie fungierten als wichtige Mitt­ ler zwischen dem Auswärtigen Amt und den deutschen Schulinteressenten in Tanganyika und gaben auch selbst Stellungnahmen zu Umsetzungsfragen ab, vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871– 1945, Bd. 2 G-K, Paderborn 2005, S. 476–478. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 4 S, Paderborn 2012, S. 305– 306. 259 BArch, R 1001/995, Bl. 23–24. 260 BArch, R 1001/995, Bl. 28. 261 BArch, R 1001/995, Bl. 32, 43. 262 BArch, R 1001/995, Bl. 35–39.

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

emotional und erbost über die regelmäßigen Absagen einer finanziellen Förderung.263 In einem der Briefe äußerte sie gar die Vermutung einer Ver­ schwörung von Vertretern des „Internationalismus“ im Auswärtigen Amt und dem Reichsfinanzministerium mit katholischen Unterstützern Bruno Kindlers.264 Künzel zeigte sich weiterhin als begeisterte Anhängerin der kolonialen Schulidee und hatte insbesondere in den Vertreterinnen des DKG-Frauenbundes enge Verbündete gefunden, die Zugang zur Kolonial­ abteilung hatten und Künzels Nachrichten stets dorthin weiterleiteten.265 Letztlich gelang der Kauf der Farm ‚Philippshof‘ nicht, da Gunzert auch in diesem Fall keine Mittel beim Reichsfinanzministerium erwirken konn­ te.266 Bis zum Ende des Jahres 1927 hatten sich im Kontaktnetz aber grundlegende Informationen verbreitet. Es war getragen vom gemeinsa­ men Interesse an einer Schulgründung, wenngleich die Vorstellungen von der Art der Umsetzung durchaus divergierten.

4.2.3 Die Schule in Lupembe Eine der entscheidenden Voraussetzungen für das Gelingen einer deut­ schen Schulgründung in Tanganyika zum Jahreswechsel 1928/1929 war eine veränderte Kenntnislage der Finanzmittelsituation im Auswärtigen Amt. Nachdem die Kulturabteilung im Dezember 1927 erneut beim Reichsfinanzministerium für eine Mittelzusage geworben hatte, erhielt man im Januar 1928 von dort zwar eine erneute Absage bezüglich einer Einzelbewilligung, gleichzeitig aber auch die Belehrung darüber, dass das Außenministerium bereits auf Mittel aus dem 1926 verabschiedeten „or­ dentlichen Haushalt für die Kriegslasten […] für unerlässliche koloniale Maßnahmen“ in Höhe von 3 Mrd. RM oder Mittel aus dem im Januar 1927 geschaffenen Sonderetat in Höhe von 500.000 RM für Baumaßnah­ men in deutschen Auslandsschulen hätte zugreifen können.267 Es kann nur spekuliert werden, warum dies im Auswärtigen Amt bzw. in den entsprechenden Abteilungen nicht bekannt oder ein Einsatz dieser Mittel möglicherweise nicht gewollt war. Die Verfügbarkeit von Mitteln ging letztlich mit dem Entwurf eines ersten politischen Konzepts für eine

263 264 265 266 267

BArch, R 1001/995, Bl. 33–34, 37–41, 45. BArch, R 1001/995, Bl. 33–34 (für das Zitat: Bl. 33). BArch, R 1001/995, Bl. 35, 44. BArch, R 1001/995, Bl. 48, 51, 54–55. BArch, R 1001/995, Bl. 62–66 (für das Zitat: Bl. 66).

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4. Kontinuität und Mobilität

zukünftige deutsche Schultätigkeit in Tanganyika zur Jahresmitte 1928 einher.268 Dieses Konzept beinhaltete drei Schulbezirke. Der Nordbezirk sollte die Region zwischen Tanga und dem Kilimandscharo umfassen und sah als potentiellen Schulort die Farm Bruno Kindlers in Wilhelmsthal (heute Lushoto, Tansania) vor. Ein weiterer Bezirk umfasste die Region um die Orte Daressalam und Morogoro im Osten des Landes. Hier erwog man, die ehemalige Station der Berliner Mission namens ‚Schlesien‘ als Schulort zu nutzen. Der dritte Bezirk sollte schließlich im Südwesten Tanganyikas liegen und sich von Iringa bis zum Malawisee erstrecken. Als möglicher Schulort galt hier der Ort Lupembe, wo die Berliner Mission 1899 eine Missionsstation errichtet und von 1906 bis 1912 eine Schule für Indigene betrieben hatte.269 Den Vorschlag für diesen Ort hatte der ehemalige Gouvernementsbeamte Bernhard Auracher geliefert, der nach Tanganyika zurückgekehrt war und in Lupembe eine Farm betrieb.270 Den Ausschlag zur Priorisierung des südwestlichen Bezirkes gaben schließlich zum einen die größeren Unsicherheiten einer Schulgründungen in den anderen beiden Bezirken. Kindlers Leumund war schlecht sowie eine lang­ fristige Schulunterhaltung ungewiss, und bezüglich des östlichen Bezirks hatten noch nicht einmal Gespräche begonnen. 271 Zum anderen favorisier­ te auch der DKG-Frauenbund, der im Auswärtigen Amt als wichtiger Partner begriffen wurde, den Schulort Lupembe.272 Die Art und Weise, wie der Prozess der Schulgründung in den darauffol­ genden Monaten durch die Vertreter des Auswärtigen Amtes behandelt wurde, zeigt nun insbesondere die kolonialpolitische Ambivalenz der Brückner’schen „Richtlinien“.273 Die Verbindung von Zustimmung und Zurückhaltung bei konkreten Schritten der kolonialen Revision drück­ te sich etwa in der Form der Schulträgerschaft aus. Die Gründung, so Herbert von Richthofen in einem Schreiben an das Konsulat Mombasa,

268 BArch, R 1001/995, Bl. 74–77. 269 BArch, R 1001/995, Bl. 74–77. Vgl. Eggert, Missionsschule, S. 117–121, 126. 270 BArch, R 1001/995, Bl. 74–77. Bernhard Auracher (26.7.1879–24.1.1930) war 1911 in Deutsch-Ostafrika ein­ getroffen und hatte unter anderem die Bezirksämter in Lindi, Kilwa und Dar­ essalam geleitet, vgl. Auracher, Bernhard, in: Soll, Hans-Joachim: Personen in Deutsch-Ostafrika, https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Dr._Auracher (Abruf am 10.1.2021). 271 BArch, R 1001/995, Bl. 54–55. 272 BArch, R 1001/995, Bl. 74–77. 273 Vgl. Gründer, “… da und dort ein junges Deutschland gründen”, S. 319–322 (für das Zitat: S. 319).

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

müsse „selbstverständlich in der Form einer deutschen Privatschule“ erfol­ gen.274 Als Vorbild könnten die Schulen in Südwestafrika dienen, die, sofern sie nicht in das staatliche Schulsystem integriert worden waren, von Schulvereinen geführt wurden. Im Südwesten Tanganyikas sollte ein solcher Zusammenschluss der Schulinteressenten allerdings ein möglichst großes Einzugsgebiet haben, weshalb von Richthofen keine lokal veranker­ te Vereinsstruktur, sondern eine regional vernetzte Verbandsstruktur be­ vorzugte.275 Ein entsprechender Schulverband sollte die Schulverwaltung übernehmen und nur inoffiziell durch Etat-Mittel unterstützt werden. Gegenüber Heinrich von Geldern, dem neben Auracher zweiten lokalen Kontaktpartner des Auswärtigen Amtes in Lupembe, betonte man, dass die amtliche Unterstützung, die sich auf zunächst einmalige 6.500 M be­ laufen sollte, „selbstverständlich diskret zu behandeln ist“.276 Die Vertrags­ modalitäten der Lehrkraft ähnelten allerdings den amtlichen kolonialen Lehrerverträgen, indem sie eine dreijährige Laufzeit vorsahen sowie eine freie Wohnung. Der Vertrag sollte, gleichwohl amtlich vorgegeben, aber ein Privatvertrag zwischen der Lehrkraft und dem Schulträger sein.277 Än­ derungen zu den kolonialen Lehrerverträgen wurden beim Gehalt und bei der Gesundheitsversorgung vorgenommen. Das Gehalt orientierte sich am „derzeitigen Heimatgehalt“ Dora Künzels, die als Lehrerin bestimmt war und monatlich 385 RM (Jahreslohn: 4.620 RM) beziehen sollte.278 Es war damit – zumindest numerisch – etwas höher als das Gehalt der kolonialen Lehrerinnen in der Vorkriegszeit (4.100 M) und orientierte sich an einer individuellen Bezugsgröße, nicht mehr an einem standardisierten

274 BArch, R 1001/995, Bl. 82–84 (für das Zitat: Bl. 82). Herbert von Richthofen (7.6.1879–1952) arbeitete seit 1904 im Auswärtigen Amt (diplomatische Laufbahn) und war von Februar 1928 bis März 1930 Diri­ gent der Abteilung III, zu der auch die Kolonialabteilung gehörte, vgl. Biogra­ phisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 3 L-R, Paderborn 2008, S. 654–656. 275 BArch, R 1001/995, Bl. 69–77, 82–84. 276 BArch, R 1001/995, Bl. 69–74, 82–84 (für das Zitat: Bl. 69). Heinrich von Geldern (verst. am 12.3.1941) war ab 1909 als Pflanzer in Deutsch-Ostafrika tätig. Er geriet schon 1914 in Kriegsgefangenschaft und ar­ beitete nach seiner Rückkehr nach Deutschland als Bergbauingenieur. Wie Auracher kehrte auch er nach Tanganyika zurück und betätigte sich erneut als Pflanzer, vgl. Geldern, Heinrich von, in: Soll, Hans-Joachim: Personen in Deutsch-Ostafrika, https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Von_Geldern (Abruf am 10.1.2021). 277 BArch, R 1001/995, Bl. 82–84. 278 BArch, R 1001/995, Bl. 82–84 (für das Zitat: Bl. 82).

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4. Kontinuität und Mobilität

Gehaltskatalog.279 Das Gehalt der Lehrerin war, wie die Schule an sich, vom Auswärtigen Amt, das die Vorgaben machte, als Singularität geplant. Und entsprechend konnte das Auswärtige Amt der Lehrkraft auch kei­ ne Gesundheitsversorgung, wie in den kolonialen Lehrerverträgen sonst üblich, garantieren, gleichwohl im Entscheidungsprozess die Ansiedlung eines Missionsarztes in Lupembe durch das Auswärtige Amt positiv zur Kenntnis genommen worden war.280 Die von der Leitungsebene des Auswärtigen Amtes ausgerufene koloni­ alpolitische Ambivalenz drückt sich des Weiteren in der Kommunikation des Ministeriums aus. Neben dem offiziellen staatlichen Kontakt, dem Konsulat in Mombasa (später auch Nairobi), kommunizierte das Auswärti­ ge Amt seine Interessen insbesondere an Bernhard Auracher. In der Dikti­ on des Auswärtigen Amtes war der ehemalige Bezirksamtmann Auracher „unse[r] Vertrauensmann in Lupembe“ und wurde durch Theodor Gun­ zert in Briefen, die bewusst auf amtliche Kennzeichnungen verzichteten, mit Informationen und Anweisungen versorgt.281 Das Ziel dieser verdeck­ ten Kommunikation war es, die britische Mandatsregierung möglichst lange im Unklaren zu lassen. Erst mit der bevorstehenden Ankunft Dora Künzels in Tanganyika sollte die dortige Verwaltung überhaupt über die Pläne zur Gründung einer Schule informiert werden, da das Auswärtige Amt ansonsten mit unangenehmen Nachfragen zu den von Dora Künzel mitgeführten Schulmaterialien bei der Verzollung rechnete.282 Für den Zollprozess vor Ort hatte das Auswärtige Amt allerdings auch inoffiziell vorgesorgt und den Kolonialkaufmann Johannes Pfeng, der für die Usaga­ ra Co. Ltd. in Daressalam, die dem Außenministerium unter anderem als Adressatin für Geldzahlungen nach Tanganyika diente, arbeitete und Dora Künzel als Reisebegleiter zugeordnet wurde.283 Die Ausreise Dora Künzels am 6. Oktober 1928 ab Hamburg war schließlich auch nicht durch das

279 280 281 282 283

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Beachte Kapitel 3.3.4. BArch, R 1001/995, Bl. 69–73. BArch, R 1001/995, Bl. 86, 110–113, 116, 130–132 (für das Zitat: Bl. 111). BArch, R 1001/995, Bl. 85–86. BArch, R 1001/995, Bl. 86–88, 91–94. Die Usagara Co. Ltd. führte zu diesem Zweck ein Konto für die Deutsche Tanganyikagesellschaft Handelsgesellschaft m.b.H., beachte ebd. sowie BArch, R 1001/995, Bl. 117, 120. Johannes Pfeng/Pfengg (geb. 1875) arbeitete zunächst in der Niederlassung der deutschen Handelsgesellschaft Hansing & Co. in Kilwa und ab 1905 bei der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG), vgl. Pfeng (Pfengg), Johannes, in: Soll, Hans-Joachim: Personen in Deutsch-Ostafrika, https://doa-pdb.oliver-gr onau.de/index.php/Johannes_Pfeng (Abruf am 11.1.2021).

4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

Auswärtige Amt selbst, sondern durch den DKG-Frauenbund organisiert worden. Künzel stand bezüglich der Vorbereitungen in regem Austausch mit Hedwig von Bredow, die wiederum das Außenministerium auf dem Laufenden hielt.284 Der einzige direkte Kontakt Künzels mit Vertretern des Ministeriums hatte am 25. und 26. August 1928 stattgefunden, als sie sich anlässlich einer Besprechung von Bredows mit Mitarbeitern der Kolonialabteilung und der Auslandsschulabteilung vorstellte.285 Der Frau­ enbund hatte neben der Ausreiseorganisation außerdem die Lehrmittel finanziert, einzig die Kosten für die Reise an sich und die persönlichen Ausrüstungsgegenstände Dora Künzels hatte das Amt übernommen.286 Die Überführung der „Richtlinien“ Brückners in die kolonialrevisionis­ tische Praxis bedeutete also eine Ausweitung der Kommunikation auf nicht-staatliche Akteure.287 Diese wiederum ging mit einer Reihe von Un­ klarheiten einher, was insbesondere die Verfügbarkeit, die Verwendung und die Zahlweise von Geldmitteln betraf und bei denen sich das Auswär­ tige Amt mehr und mehr in einer reaktiven Rolle vorfand. Dora Künzel etwa hatte schon bei ihrer Ankunft in Daressalam im November 1928 keinerlei Barmittel mehr, um die Weiterreise zu bestreiten, weshalb sie sich an ihren Reisebegleiter Johannes Pfeng und die Usagara Co. Ltd. wandte und von dort 300 Shilling (= 309,28 RM) erhielt.288 Dem Konsulat in Mombasa, dem verlängerten offiziellen Arm des Außenministeriums, blieb nichts anderes übrig, als diesen Betrag letztlich mit Etatmitteln aus­ zugleichen.289 Die Usagara Co. Ltd., die annahm, dass weitere Vorauszah­ lungen lediglich durch die Schulinteressierten in Lupembe angewiesen werden müssten, erhielt im Januar 1929 allerdings eine direkte Anweisung durch das Auswärtige Amt, fortan keine unautorisierten Zahlungen für die Schule mehr auszuführen.290 Zu diesem Zeitpunkt war durch eine weitere geldmittelbezogene Un­ klarheit bereits der nächste Konflikt entstanden. Dora Künzel hatte wäh­ rend ihres Aufenthalts in Daressalam Mobiliar für die Schule und ihre Wohnung gekauft, woraufhin der deutsche Konsul in Mombasa, Rudolf

284 285 286 287

BArch, R 1001/995, Bl. 78–81. BArch, R 1001/995, Bl. 74–77, 81. BArch, R 1001/995, Bl. 85–86. Vgl. Gründer, “… da und dort ein junges Deutschland gründen”, S. 319–322 (für das Zitat: S. 319). 288 BArch, R 1001/995, Bl. 87, 91–92. 289 BArch, R 1001/995, Bl. 88, 91–93. 290 BArch, R 1001/995, Bl. 117.

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4. Kontinuität und Mobilität

Karlowa, dem Auswärtigen Amt umfangreiche Vorwürfe machte.291 Die Ausreise Künzels sei seitens des Ministeriums zu stark forciert und die Absprachen mit den örtlichen Schulinteressenten und dem Frauenbund zu ungenau getroffen worden. Außerdem monierte Karlowa das Fehlen umfassender Kostenübernahmezusagen für die Schule sowie weitere Unsi­ cherheiten bezüglich der Unterbringung der Schule und der Lehrerinnen­ wohnung.292 Das Auswärtige Amt reagierte auf diese Vorwürfe gemäß der doppelten Kommunikationsstrategie mit zwei Schreiben und konnte in der Sache selbst doch wenig erwirken. In einer offiziellen Antwort an Kar­ lowa verteidigte von Richthofen den Schulort Lupembe und bemerkte un­ ter anderem, dass es eigentlich vorgesehen war, das Mobiliar durch einen örtlichen Schreiner zu günstigeren Konditionen anfertigen zu lassen.293 In einem zeitgleichen, weiteren Schreiben von Gunzert an Auracher wies jener diesen auf dem inoffiziellen Kommunikationsweg schließlich an, be­ züglich zukünftiger Kosten mäßigenden Einfluss auf die Schulinteressier­ ten zu nehmen.294 Diese waren, wie Dora Künzel im Zeitraum von Januar bis März 1929 in zunehmend in forderndem Ton verfassten Schreiben an den Frauenbund berichtete, in einer finanziell schwierigen Lage und bedurften der externen Unterstützung für einen etwaigen Schulneubau oder den Bau eines Pensionats.295 Der Schulbetrieb selbst hatte im Januar 1929 begonnen, nachdem Re­ paraturarbeiten am ehemaligen Indigenenschulgebäude der Berliner Missi­ on in Lupembe ausgeführt worden waren.296 Dora Künzel beschrieb den Fortschritt im Unterricht, der die Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch, Anschauungsunterricht, Religion und Turnen umfasste, zunächst als lang­ sam vorangehend und begründete dies mit der Altersheterogenität und Disziplinproblemen, die entstünden, da viele der Kinder nicht an regel­ mäßigen Schulbesuch gewöhnt seien.297 Der Schulalltag an sich wurde,

291 BArch, R 1001/995, Bl. 99–103. Konsul Speiser, der mittlerweile in Nairobi saß, sah sich durch Karlowas Bericht im März 1929 dazu bemüßigt, dessen scharfer Kritik zu widersprechen und sie als „persönliche Meinungsäußerung meines Herrn Vertreters“ zu kennzeichnen, BArch, R 1001/995, Bl. 136–127 (für das Zitat: Bl. 136). 292 BArch, R 1001/995, Bl. 104–106. 293 BArch, R 1001/995, Bl. 113–114. 294 BArch, R 1001/995, Bl. 112–113. 295 BArch, R 1001/995, Bl. 99–103, 121, 125–127, 138–143, 147–149. 296 BArch, R 1001/995, Bl. 99–103, 126–127. Vgl. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 61. 297 BArch, R 1001/995, Bl. 126–127, 139–143.

500

4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

ohne dass dies zuvor beabsichtigt worden war, rasch zur ganzheitlichen Betreuungsaufgabe der Lehrerin298, da einsetzender dauerhafter Regen den fünf Mädchen und drei Jungen (Stand: 24.2.1929) das Bestreiten des Schulwegs derart erschwerte, dass diese in zwei provisorisch eingerichte­ ten Schlafsälen im Schulgebäude untergebracht wurden.299 Dies bedeutete nicht zuletzt, dass Dora Künzel auch für die Verpflegung der Schülerschaft verantwortlich war. Hierbei griff sie auf eigene Vorräte zurück, die sie aus Deutschland mitgebracht hatte. Sie erhielt aber auch Nahrungslieferung von einigen der Eltern und auch von umliegend lebenden Indigenen.300 Trotz dieser prekären und durch viel praktische Improvisation bestrittenen Anfangszeit der Schule zog Dora Künzel zu Ferienbeginn Ende März 1929 ein positives Resümee: „Ich muss sagen, es war ein fröhliches Arbeiten und es sind auch gute Erfolge erzielt.“301 Im Konsulat Mombasa, im Auswärtigen Amt und auch beim DKG-Frau­ enbund war man zumindest bezüglich des Verhaltens der Lehrerin biswei­ len anderer Meinung. Das Auftreten Dora Künzels polarisierte nach ihrer Ankunft in Daressalam zusehends. Der tendenziell antikatholische, natio­ nalistische und kolonialrevisionistische Ehrgeiz, mit dem sie drei Jahre lang für eine Schulgründung geworben hatte, hatte ihr beim DKG-Frau­ enbund Anerkennung und Unterstützung eingebracht. Auch im Auswärti­ gen Amt hatte sie durch ihr eigenes energisches Werben, ihre Vernetzung zu ehemaligen und wieder ausgereisten deutschen Siedlern und die Un­ terstützung des Frauenbundes früh als diejenige gegolten, mit der eine etwaige neue Lehrerstelle besetzt werden könne. Erste Zweifel an dieser Festlegung äußerte Konsul Karlowa Ende Dezember 1928, also etwa zwei Monate nach Dora Künzels Eintreffen in Daressalam.302 Er befürchtete, dass Künzel „mit politisch unvorsichtigen Reden“ die vom Auswärtigen Amt ausgegebene kolonialpolitische Zurückhaltung gefährden könnte, und begründete dies einerseits mit den Berichten, die er von Künzels An­ trittsbesuch im Konsulat am 7.11.1928 erhalten hatte – er selbst war nicht anwesend –, und andererseits mit der geradezu klassischen Denkfigur der Notwendigkeit einer praktischen Bewährung.303 „Die völlig veränderten Verhältnisse im Mandatsgebiet“ galten Karlowa als neue koloniale Reali­ 298 Zum Tagesablauf beachte die Tabelle in Anhang Nr. 39. 299 BArch, R 1001/995, Bl. 139–143. Sogar einer der Väter wohnte in dieser Zeit mit in der Schule. 300 BArch, R 1001/995, Bl. 139–143. 301 BArch, R 1001/995, Bl. 147–148 (für das Zitat: Bl. 147). 302 BArch, R 1001/995, Bl. 104–106. 303 Ebd. (für das Zitat: Bl. 105). Beachte Kapitel 3.2.1.

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4. Kontinuität und Mobilität

tät, die jeden Neuankömmling unabhängig seiner Vorkenntnisse prüfe und auf die es sich „neu einzustellen“ gelte.304 Insbesondere Dora Kün­ zels Alter nahm Karlowa als Indiz, dass ihr dies möglicherweise schwer falle, da sie mit 53 Jahren durchaus weit über dem etwa in Deutsch-Süd­ afrika, wo Karlowa unter anderem im Kolonialdienst gestanden hatte, durchschnittlichen Eintrittsalter für Lehrerinnen von 29,1 Jahren lag.305 Von Richthofen bezog sich in seiner Reaktion auf Karlowas Zweifel auf die gleiche Denkfigur, bestritt aber implizit, dass sich an den praktischen Anforderungen in Tanganyika im Vergleich zu denen in Deutsch-Ostafrika etwas geändert habe. Dora Künzel sei eine „erfahren[e] Ostafrikanerin“, von der „erwartet werden [könne], dass sie die Anfangsschwierigkeiten in Lupembe überwindet“. Außerdem gehe man, so von Richthofen weiter, davon aus, „dass sie (Dora Künzel, Anm. des Verfassers) nicht durch anti­ britische Propaganda der Schule Schwierigkeiten macht[.] [D]afür wird, wie hier angenommen wird, der Lupembe-Schulverband von sich aus sor­ gen.“306 Dabei setzte von Richthofen indes auf keinen selbstregulativen Automatismus vor Ort. Vielmehr instruierte Gunzert Auracher auf dem inoffiziellen Kommunikationskanal mit der entsprechenden Erwartungs­ haltung des Auswärtigen Amtes.307 Eine interne „Aufzeichnung“, die im Januar 1929 zur Vorbereitung der Reaktionen von Richthofens und Gun­ zerts auf Karlowas Schreiben erstellt worden war, zeigt, dass auch im Auswärtigen Amt immense Vorbehalte, die zudem mit frauenfeindlichen Klischees verbunden wurden, gegen Dora Künzel vorherrschten: „Dass Frau Künzel ihrer Aufgabe ein möglichstes Relief zu geben bestrebt und von der bei Frauen üblichen Prachtliebe beherrscht und dass sie manchmal politisch unvorsichtig ist, scheint leider richtig zu sein. Immerhin ist sie eine erfahrene Pädagogin und wir hatten keine andere, [eine] solche Sache einzurichten. Wenn sie das getan hat, könnte sie wohl durch eine jüngere und anpassungsfähigere Lehrerin ersetzt werden.“308 Die anhaltenden finanziellen Probleme der jungen Schule und wortreiche Beschwerden Künzels über den beschwerlichen und mühevollen Schul­

304 BArch, R 1001/995, Bl. 104–106 (für das Zitat: Bl. 105). 305 BArch, R 155-F/81416, G 1/19 I F 10 (Personalverzeichnis, 1913–1916). Beachte auch Anhang Nr. 34 b). 306 BArch, R 1001/995, Bl. 113–114 (für die Zitate: Bl. 113). 307 BArch, R 1001/995, Bl. 112–113. 308 BArch, R 1001/995, Bl. 110–111 (für das Zitat: Bl. 110).

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4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

alltag in Lupembe ließen letztlich auch beim DKG-Frauenbund Zweifel daran aufkommen, ob Dora Künzel den Anforderungen der Schulleitung gewachsen war. Von Bredow äußerte Anfang März 1929 gegenüber Gun­ zert „das Gefühl, dass ein klarer leitender Kopf dort fehlt“, tat aber gleich­ zeitig auch ihre Hoffnung kund, dass sich ihr Einfluss auf Dora Künzel positiv auf deren Verhalten auswirke. Von Bredow sprach zudem die beiden eigentlichen Probleme der jungen Schule an, nämlich die Unterfi­ nanzierung und das Fehlen eines eigenen Schulgebäudes.309 Die Dynamik der sich bereits im Gange befindenden Debatte um die Unterbringung der Schule zeigt dabei die gesamte Komplexität kolonialrevisionistischer Praxis vor Ort. Diese steht im Folgenden im Zentrum der Betrachtung. Sie erwuchs insbesondere aus einer neuen Konkurrenz um Wiedergewin­ nung verloren gegangenen Einflussgebietes zwischen missionarischen und staatlich-unterstützten deutschen Akteuren nach der Wiedererlaubnis der Einreise nach Tanganyika. Nachdem der Kauf einer Farm 1927 gescheitert war, hatte zunächst der DKG-Frauenbund Verhandlungen mit der Berliner Mission wegen der Überlassung einer der ehemaligen Missionsstationen geführt.310 Das Angebot, die Missionsstation in Tandala, etwa 150 km nördlich der heuti­ gen Hauptstadt Tansanias Dodoma gelegen, zu nutzen, schlugen das Aus­ wärtige Amt und der Frauenbund aber aufgrund der Befürchtung hohen Investitionsbedarfs aus.311 Stattdessen fiel die Wahl auf die Gebäude der Berliner Mission in Lupembe, wo die Mission allerdings auch eigene Pläne verfolgte. Zunächst bezog ein Missionsarzt die Räume, die das Auswärtige Amt für die Lehrerinnenwohnung vorgesehen hatte. Dann drohte die Mis­ sion, eine eigene Schule für Nicht-Indigene zu eröffnen, was die örtlichen Schulvertreter aber ablehnten, da sie der Mission „nicht abzuleugnender Unduldsamkeit und Herrschsucht“ bezichtigten.312 Der schließlich gefun­ dene Kompromiss sah dann vor, dass die Schule in den Räumen der

309 BArch, R 1001/995, Bl. 125–127 (für das Zitat: Bl. 125). 310 BArch, R 1001/995, Bl. 74–77. Im Dokument bleibt die Form der Überlassung (wörtlich „zur Verfügung stelle[n]“) unklar, ebd. Bl. 74. 311 BArch, R 1001/995, Bl. 74–77. In Tandala hatte von 1905 bis 1914 bereits eine Schule für Nicht-Indigene bestanden. Die Berliner Mission hatte diese Schule zum Zweck der Unterrichtung der Missionarskinder gegründet. Der Leiter der Schule war der aus Gardelegen stammende Missionar Edmund Diedrich (1877– 1937) gewesen, BArch, R 1001/996, Bl. 167–169. Vgl. Altena, Häuflein, Anhang, S. 141. 312 BArch, R 1001/995, Bl. 74–77, 89–90 (für das Zitat: Bl. 90).

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4. Kontinuität und Mobilität

Mission befristet bis zum August 1929 zur Miete einzog.313 Was zunächst als Entscheidung zugunsten der staatlichen Akteure erscheint, bedeutete bei genauerem Hinsehen eine Konstellation, bei der die Mission über das Mietverhältnis das Fortbestehen der staatlich/privaten Schule bestimmen konnte. Konsul Karlowa warnte das Auswärtige Amt insbesondere vor der zeitlichen Befristung angesichts weiterer Pläne der Berliner Mission, ab September 1929 ein Krankenhaus für Indigene in den Schulräumen einzu­ richten.314 Dies und der Wunsch nach einer Überwindung des Provisori­ ums hatten Dora Künzel bereits kurz nach ihrer Ankunft motiviert, den Bau eines eigenen Schulgebäudes, der entweder auf dem Missionsgelände oder einem benachbarten Grundstück stattfinden sollte, zu fordern.315 Kar­ lowa wiederum war gegen einen Neubau, weil er ihn für zu teuer erachte­ te, und präferierte einen Umzug der Schule nach Tandala, was aufgrund der großen Distanz zwischen Tandala und Lupembe (ca. 600 km) aller­ dings mehr einer Schließung und darauffolgenden Neueröffnung gleich­ gekommen wäre.316 Im Auswärtigen Amt hingegen blickte man stärker auf das Konkurrenzverhältnis zur Mission und vermutete, „die Mission möchte uns mit allen Mitteln nach Tandala drängen.“317 Da abzüglich der Reise- und Ausrüstungskosten (zusammen 2.000 RM) die amtlich bewillig­ ten 6.500 RM aber gerade noch für das Gehalt Dora Künzels für ein Jahr reichten und zunächst keine Bereitschaft bestand, weitere Etatmittel zu requirieren, votierte von Richthofen weiterhin für Lupembe und schlug vor, ab September 1929 die Schule „auf eine[r] benachbarte[n] deutsche[n] Farm“ weiterzuführen und provisorische Gebäude zu errichten. Auf das ebenfalls notwendige Pensionat solle man hingegen vorerst verzichten.318 Von einem umfänglichen Bekenntnis zum kolonialrevisionistischen Schul­ projekt in Lupembe war dieser Vorschlag weit entfernt. Vor allem der DKG-Frauenbund trat allerdings für ein Fortbestehen der Schule ein und sandte im März 1929 eine erste Zahlung von 1.000 M zur Sicherung des laufenden Betriebes nach Tanganyika.319 Gleichzeitig si­ gnalisierte Hedwig von Bredow, dass der Frauenbund sehr wahrscheinlich den Bau eines Pensionats finanzieren werde.320 Im Mai hatte dann auch

313 314 315 316 317 318 319 320

504

BArch, R 1001/995, Bl. 89–90, 116. BArch, R 1001/995, Bl. 104–106. BArch, R 1001/995, Bl. 99–103. BArch, R 1001/995, Bl. 104–106. BArch, R 1001/995, Bl. 110–111 (für das Zitat: Bl. 110). BArch, R 1001/995, Bl. 82–84, 86, 110–111, 113–114 (für das Zitat: Bl. 110). BArch, R 1001/995, Bl. 133–135, 178. BArch, R 1001/995, Bl. 125.

4.2 Kolonialrevisionismus in der Praxis

das Werben um weitere amtliche Unterstützung Erfolg. Das Auswärtige Amt stellte 4.600 RM für das Gehalt Dora Künzels, 2.400 RM als Zuschuss für den Bau einer Schule und 3.000 RM als Beihilfe zur Unterstützung „minderbemittelter Schüler“ zur Verfügung, nicht aber ohne zu betonen, dass die beiden letzten Posten keine Chance auf Wiederholung hätten.321 Da während einer Vorstandssitzung des Frauenbundes Ende Mai 1929 in Hannover außerdem weitere knapp 22.000 RM privater Spenden durch die anwesenden Mitglieder gezeichnet wurden, stand einem Schulbau von finanzieller Seite nichts mehr entgegen.322 Aus Lupembe berichtete Dora Künzel schließlich im Juni 1929, dass der zwei Monate zuvor gegründe­ te Schulverein mit der Berliner Mission eine Einigung über den Kauf eines Grundstückes erzielt hatte.323 Die lokale Schulorganisation hatte maßgeblich Bernhard Auracher vorangetrieben, der schon die zunächst vorläufig den Schulbetrieb verwaltende Schulkommission des Pflanzerver­ bandes Lupembe mitangeführt hatte und im April 1929 zum Vorsitzender des Schulvereins gewählt worden war.324 Es ist anzunehmen, dass sich Auracher dadurch von seiner Rolle als inoffiziellem Beamten des Auswärti­ gen Amtes löste, da im August 1929 erste Beschwerden über Aurachers nachlassende Kommunikationsbereitschaft laut wurden.325 Gleichzeitig stärkten die enorme finanzielle Zahlungsbereitschaft des Frauenbundes und die Gründung einer eigenen Abteilung des Bundes in Lupembe die Verbindung des Schulvereins und der Frauenorganisation.326 Das Verhältnis der Schule zur Mandatsregierung war schließlich ein durchaus loses. Im März 1929 hatte diese zunächst ein Gesuch Konsul Speisers um Beteiligung an der grand-in-aid-Förderung abgelehnt, da die Unterstützung einer deutschen Schule nicht der Regierungspolitik entspre­ che. Sie hatte den Betrieb allerdings auch nicht untersagt. Speiser bezeich­ nete die Ablehnung einer Förderung daraufhin als Verstoß „im Geist und Sinn gegen die Mandats-Gedanken“ und warf der Mandatsregierung vor, den Unterricht europäischer Kinder zu behindern.327 In der Nutzung der Mandatsregeln zeigte sich eine gewisse Akzeptanz der neuen kolonialen Herrschaftsverhältnisse durch Speiser. Dieser befand sich damit durchaus auf amtlicher Linie, denn bereits seit September 1927 stellte auch das 321 322 323 324 325 326 327

BArch, R 1001/995, Bl. 173. BArch, R 1001/995, Bl. 209–220. BArch, R 1001/995, Bl. 254. BArch, R 1001/995, Bl. 150, 155, 157–159, 180–183. BArch, R 1001/995, Bl. 263–264. BArch, R 1001/995, Bl. 246–251. BArch, R 1001/995, Bl. 144, 146, 162 (für das Zitat: Bl. 144).

505

4. Kontinuität und Mobilität

Deutsche Reich einen Vertreter in der Ständigen Mandatskommission des Völkerbundes, der über die Einhaltung der Mandatsregelungen wachte.328 Es ist ferner anzunehmen, dass auch die deutschen Siedler in Lupembe die neuen Herrschaftsverhältnisse zumindest äußerlich akzeptierten und ihnen ein gesicherter Schulablauf wichtiger war als kolonialrevisionistisch motivierte Opposition, die sie durch die prinzipielle Ablehnung der Mög­ lichkeit einer grand-in-aid-Förderung hätten zeigen können. Vielmehr han­ delten sie mit dem für das Schulwesen zuständigen britischen Beamten der Mandatsregierung eine Vereinbarung aus, die den Unterricht im Engli­ schen als Fach und in einigen Oberstufenfächern (eine Oberstufe gab es bislang allerdings nicht) durch eine englische Lehrkraft sowie die Öffnung der Schule für nicht-indigene nicht-deutsche Schülerinnen und Schüler festschrieb, das Curriculum und die Organisation der Schule aber ansons­ ten nicht einschränkte.329 Im Gegenzug erhielt der Schulverein jährlich bis zu 10.000 Shilling an finanzieller Unterstützung.330 Als nationales und kolonialrevisionistisches Projekt gestartet und durch ein kolonialrevisionistisches Kommunikationsnetz vermittelt, war die Schule in Lupembe damit ihrem Entstehungskontext entwachsen und hat­ te sich an die neuen kolonialen Herrschaftsverhältnisse im Osten Afrikas angepasst. Den Deutschen vor Ort ging es durch die Schulgründung natür­ lich um nationale Schulbildung, die Pflege ihrer Muttersprache und den Erhalt eigener Traditionen. Diese wurden von den praktischen Gegeben­ heiten bedingt und eingerahmt. Das Wachstum der Schule stützte letztlich ihre Orientierung an den politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten. Der Bezug des neuen Schulgebäudes, das für 32 Schülerinnen und Schüler ausgelegt war, im Januar 1931 war Anlass zur Einstellung einer zweiten Lehrerin.331 Im Oktober 1934 hatte die Schule schließlich acht Klassen (40 Schülerinnen und Schüler) und beschäftigte sieben Lehrkräfte.332 1937, so berichtet Leusner, erfolgte schließlich der Umzug vieler Siedler in landwirtschaftlich vielversprechendere Landesteile und in diesem Zuge auch die Schließung der Schule in Lupembe.

328 329 330 331

Vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 267. BArch, R 1001/995, Bl. 261–262. Vgl. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 61–62. BArch, R 1001/995, Bl. 151. Vgl. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 61. 332 Vgl. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens, S. 62.

506

Zwischenfazit

Zwischenfazit Der Gründungsprozess der Schule in Lupembe im britischen Mandatsge­ biet Tanganyika durch eine ehemalige Lehrerin der Kolonie Deutsch-Ost­ afrika vermag ein Bild kolonialrevisionistischer Praxis zu zeichnen, in dem deutlich wird, dass diese allen Beteiligten große Anpassungsbereit­ schaft, also geistige Mobilität, abverlangte. Vor Ort ging es nicht um die Forderungen nach kolonialer Restitution, sondern um Vorsicht und Zu­ rückhaltung sowie zunächst um die Sicherung der Existenzgrundlage. Die energische und überzeugte Kolonialrevisionistin Dora Künzel erhielt dem­ entsprechend Warnungen, „antibritische Propaganda“333 zu unterlassen. Viel zu fragil waren die meist inoffiziellen Kommunikationskanäle zu den Siedlern vor Ort, als dass sie diplomatische Störungen hätten aushalten können. Als viel zu bedeutend wurden die Verhandlungen um Reparatio­ nen und ausländische Kredite im Auswärtigen Amt angesehen, als dass man dort bereit war, für kolonialpolitische Ziele Risiken einzugehen. Kon­ kret äußerte sich die kolonialpolitische Ambivalenz von Zurückhaltung und prinzipieller Zustimmung dann in einem langwierigen Prozess der Finanzmittelbeschaffung für die Schulgründung. In der Ungeduld Dora Künzels ist dabei ihr kolonialrevisionistischer Eifer zu greifen und in ihren beständigen Beschwerden über die prekäre Lage der Schule, welche die prekäre Lage der Siedler widerspiegelte, wird ihr Wille deutlich, das kolo­ niale Schulprojekt umzusetzen. Für Dora Künzel bedeutete die Schule die Fortsetzung des deutschen Kolonialismus nach langen Jahren des Wartens und des Forderns. Die Partnerinnen, die den größten politischen und finanziellen Einsatz zu bringen bereit waren, fand Dora Künzel in den Mitgliedern des Frau­ enbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft. Deren Vernetzung in die kolonialen Kreise im Deutschen Reich verband sich mit Dora Künzels eigenen Kontakten zu ehemaligen Siedlern und Beamten. Im sich für die Schulgründung verstärkt zu interessierenden Kontaktnetz findet sich jene deutsche koloniale Kontinuität, die auf ostafrikanischem Boden 1919 auf­ gehört hatte zu existieren. Dieser politische Idealismus verhalf der Schule aber letztlich nicht zur Gründung, zu der es nie gekommen wäre, ohne dass die britische Kolonialverwaltung die Wiedereinreise Deutscher nach Tanganyika erlaubt hätte. Die Gründung konnte letztlich nur durch diese Erlaubnis und die schließlich eintreffende amtliche Finanzmittelzusage erfolgen, die zumindest ein Grundmaß an politischer Unterstützung durch 333 BArch, R 1001/995, Bl. 113–114 (für das Zitat: Bl. 113).

507

4. Kontinuität und Mobilität

die Behörden auch in Taten sichtbar werden ließ. Denn letztlich mangelte es auch im Auswärtigen Amt der 1920er-Jahre nicht an prokolonialen Un­ terstützern. Deren Einfluss auf die Umsetzung der politischen Leitlinien im Sinne neuer kolonialer Projekte, so erscheint es in der Betrachtung der Schulgründung, war aber zu gering, um dauerhafte Finanzierungen auf die Beine zu stellen. Dementsprechend wandten sich die deutschen Siedler an die britische Mandatsverwaltung und baten um Unterstützung nach dem grand-in-aid-Modell. Die Vereinbarungen zwangen die Siedler zwar zur Öffnung ihrer Schule und ihres Curriculums für das Englische, ver­ sprachen allerdings kontinuierliche Finanzierung. Gleichzeitig wurde mit dem DKG-Frauenbund eine nicht-staatliche deutsche Organisation zur stärksten Verbindung in die deutsche Heimat der Siedler und zur Mittelge­ berin für den Schulbau. Damit ähneln sich letztlich die beiden untersuch­ ten Fälle in Tanganyika und in Südwestafrika durchaus in ihrer Entwick­ lung. Der Anpassungsdruck, der insbesondere durch die wenigen finan­ ziellen Möglichkeiten der Siedler bestand, war zu groß, um die koloniale Revision auch vor Ort betreiben zu können. Deren weites Feld war die po­ litische Debatte im Deutschen Reich, aber nicht die koloniale Praxis. Das nachfolgende Kapitel wendet sich nun zum Abschluss dieser Arbeit dem Ausscheiden von Lehrkräften aus dem kolonialen Schuldienst und insbesondere der darauffolgenden publizistischen Betätigung eines Teils der Lehrkräfte zu. Dabei verbindet das Kapitel, wie auch das voranstehen­ de, in der Analyse die Vor- und die Nachkriegszeit und fragt etwa nach den Umbrüchen in der Publikationstätigkeit der Lehrkräfte. Hinsichtlich des Aspektes der Mobilität rückt zuvor das physische Verständnis des Be­ griffes in den Vordergrund, wodurch der Schwerpunkt der Darstellung auf der Verbindung der Kolonien und des Deutschen Reiches durch das Reisen der Lehrkräfte liegt. In gewisser Weise schließt sich damit der Kreis, der mit der Thematisierung der Ausreise von Theodor Christaller334 begonnen wurde.

4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst 4.3.1 Die Rückreise und Wege aus dem Kolonialdienst Die Lehrerinnen und Lehrer der deutschen kolonialen Schule versahen ihren Kolonialdienst in großer geographischer Entfernung von ihrer Hei­ 334 Beachte Kapitel 2.1.4.

508

4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst

mat. Das bedeutete, dass sowohl der Beginn als auch das Ende dieses Dienstes in der Regel mit einer langen Reise verbunden war.335 So ver­ brachten die deutschen Kolonialbeamten Deutsch-Neuguineas, die einen der weitesten Dienstwege hatten, gemäß einer 1912 angestellten Kalkulati­ on je nach Wahl der Route zwischen 42 und 49 Tage auf See, um vom italienischen Genua nach Rabaul oder zurück zu gelangen.336 Die Seewege zu den Einsatzorten in den deutschen Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent waren mit zwei bis vier Wochen kürzer337, deckten allerdings dennoch einen signifikanten Zeitraum ab. Hinzu kamen in jedem Fall die Transfers per Bahn zwischen Berlin, dem Heimatort und dem designierten europäischen Hafen, bei dem es sich neben dem Hafen Genua insbesonde­ re um den Hafen Hamburg handelte. Dabei war die Überwindung der geographischen Distanz nur ein Aspekt der Reise. In der Betrachtung des Beispiels von Theodor Christaller wurde bereits deutlich, dass etwa die Hinreise auch der mentalen Annäherung an das neue Berufsumfeld dien­ te.338 Da auf der Reise äußere Eindrücke mit präformierten Vorstellungen vom kolonialen Raum zusammentrafen, muss unter besonderer Berück­ sichtigung letzterer der Beginn dieser kognitiven und emotionalen Reise wohl bereits schon auf den Zeitpunkt der Entschließung des Einzelnen für eine koloniale Lehrerstelle datiert werden. Für die Betrachtung der Rück­ reise bedeutet dies, dass die Rückreise für die einzelne Lehrkraft bereits mit deren Vorbereitung begann und deswegen im Folgenden zunächst ein besonderes Augenmerk auf die Begründung der Rückreise zu legen ist. Grundsätzlich bedurfte die Rückreise im rechtlichen Sinn keiner beson­ deren Begründung, denn sie war, wie die Hinreise, bereits Bestandteil eines jeden Anstellungsvertrages der beamteten und im Deutschen Reich rekrutierten kolonialen Lehrkräfte und damit vorgesehen.339 Erfüllten die­

335 Eine Ausnahme bildeten etwa die in Deutsch-Südwestafrika angestellten Lehr­ kräfte, die sich bereits im Süden Afrikas (Deutsch-Südwestafrika oder Südafrika) befanden, beachte Kapitel 4.1.1. 336 Berechnung der Schiffskartenpreise und der durchschnittlichen Seereisezeiten, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 2 (1912), S. 25–26. 337 Beachte exemplarisch Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 7, Nr. 18 (1906), S. 4. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 5 (1894), S. 143, 276. Personal-Nach­ richten, in: DKB, Jg. 16 (1905), S. 524, 703. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 17 (1906), S. 311. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 18 (1907), S. 884, 1087. 338 Beachte Kapitel 2.1.4. 339 Die folgenden Aussagen beruhen auf der Auswertung der überlieferten Perso­ nalakten der in Deutsch-Südwestafrika, Samoa und Deutsch-Neuguinea (nur Barschdorff und Höfer) angestellten Lehrkräfte sowie den Korrespondenzen zu Anstellungsformalia in den Schulakten der einzelnen Kolonien. Aufgrund der

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4. Kontinuität und Mobilität

se ihre meist dreijährige Dienstzeit, waren sie zur kostenfreien Rückreise in ihre Heimat berechtigt. Gleiches galt für den Fall, dass eine Lehrkraft während ihres Aufenthalts in der Kolonie eine Erkrankung erlitt, die eine Heimreise erzwang und nicht schon zum Zeitpunkt der Anstellung bestanden hatte. In der Praxis wurde aber keineswegs bei der Ankunft au­ tomatisch schon ein Rückreiseticket gebucht. Vielmehr oblag es den Lehr­ kräften, sich rechtzeitig vor Ablauf ihrer Dienstzeit bei ihrer vorgesetzten Behörde (Bezirksamt oder Gouvernement) zu melden und Auskunft über ihre etwaige Bereitschaft zur Weiterverpflichtung für eine erneute Dienst­ zeit zu geben. Dann stand den Lehrkräften entweder ein etwa viermonati­ ger Heimaturlaub in Deutschland mit anschließender Rückkehr in die Ko­ lonie oder tatsächlich das Ende ihrer Dienstzeit bevor. Die Entscheidung gegen eine Weiterverpflichtung und damit für eine definitive Rückreise begründete in ihrem ersten auftretenden Fall die Unzufriedenheit des Lehrers mit seinen vorgesetzten Behörden. Christian C. Barth war 1894 enttäuscht von der finanziellen Ausstattung seiner Schule in Tanga, sodass er Deutsch-Ostafrika nach nur einer Dienstperiode wieder verließ.340 Dies blieb allerdings eine Ausnahme. Lediglich ein weiterer Fall eines derarti­ gen Konfliktes ist bekannt. So bat der in Samoa 1909 als Schulleiter der Deutschen Schule angestellte August Mäcke bereits nach einem Jahr um die Auflösung seines Vertrages.341 Mäcke begründete dies mit erheblichen dienstlichen Problemen mit den anderen Lehrkräften, die ihn seiner Schil­ derung nach nicht als Vorgesetzten akzeptierten.342 Zudem hatte das Gou­ vernement, nachdem sich Mäcke im Mai 1911 wider den Dienstweg direkt beim Reichskolonialamt (RKA) darüber beschwert hatte, dass die Gouver­ nementsverwaltung sein Rückkehranliegen und seine Beschwerden über die anderen Lehrkräfte verschleppe, ein Disziplinarverfahren gegen ihn er­ öffnet.343 Entsprechend endete auch Mäckes koloniale Lehrtätigkeit Mitte

340 341 342 343

510

Fülle an Einzelbelegen wird an dieser Stelle auf diese verzichtet. Zu Teilaspek­ ten mit Direktbelegen beachte insbesondere die Kapitel 2.1.3, 2.2.1, 3.1.1, 3.4.3. Zur Gruppe der Lehrerinnen und Lehrer ohne Beamteneigenschaft gehörten die insbesondere in Deutsch-Südwestafrika angestellten Vertretungslehrkräfte, beachte Kapitel 4.1.1. Beachte Kapitel 2.2.5. ANZ AGCA 6051 W5788 IA 81 1 (Mäcke an Gouvernement Samoa am 19.12.1910; Gouvernement Samoa an Mäcke am 2.5.1911). Zu Mäcke beachte Kapitel 3.3.3. ANZ AGCA 6051 W5788 IA 81 1 (Mäcke an RKA am 5.5.1911). ANZ AGCA 6051 W5788 IA 81 1 (Mäcke an RKA am 5.5.1911; Disziplinarakte, Bl. 1–19).

4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst

des Jahres 1912 nach nur einer Dienstperiode.344 In beiden Fällen kann die abschließende Rückreise in der Wahrnehmung der beiden Lehrkräfte wohl als Ausweg aus einem unangenehmen Berufsumfeld charakterisiert werden. Den zur vorherig skizzierten Konstellation komplementären Fall stellt die endgültige Rückreise aufgrund der Unzufriedenheit einer Gouverne­ mentsverwaltung mit der Dienstführung einer Lehrkraft dar.345 Jene hatte eine etwaige Weiterverpflichtungserklärung entweder mit einer Befürwor­ tung oder einer Ablehnung zu versehen, die dann in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes (AAKA) beziehungsweise im RKA in der Regel ausschlaggebend für die weitere Personalentscheidung war. Hinzu kam ein Attest zur Tropendiensttauglichkeit. Beide Vorgänge waren in der Regel Formalien, die, sofern sich die Lehrkraft und die entsprechende Gouvernementsverwaltung einig waren, unkompliziert zur Weiterbeschäf­ tigung oder zur einvernehmlichen Dienstauflösung führten. Insbesondere die ärztliche Untersuchung stellte sich allerdings als Gelegenheit für die Gouvernementsverwaltungen dar, unliebsame Lehrkräfte loszuwerden, ob­ gleich deren Beamtenverhältnis diese eigentlich schützen sollte. Im Rah­ men des bevorstehenden Dienstperiodenendes von Otto Damm im Früh­ jahr 1908 wies mit dem RKA sogar eine oberste Reichsbehörde explizit auf diese Möglichkeit hin.346 Pikanterweise sollte durch dieses durchaus fragliche Vorgehen ein Rechtsbruch von Gouverneur Solf geheilt werden, der unklare Aussagen Damms zu seiner Zukunft genutzt hatte, um diesem faktisch den Anstellungsvertrag mit Beamtenstatus aufzukündigen.347 Zur Nutzung des Hinweises des RKA auf die Möglichkeit, Damm durch ein negatives Tropendienstzeugnis loswerden zu können, kam es allerdings nicht, da Damm einlenkte und sich letztlich nach Deutsch-Südwestafrika versetzen ließ.348 Der dortigen Gouvernementsverwaltung war das Verfah­ ren, in Ungnade gefallene Lehrkräfte auf dem Weg einer Tropendienst­ untauglichkeitsbescheinigung heimzusenden, allerdings ebenfalls nicht

344 ANZ AGCA 6051 W5788 IA 81 1 (Mäcke an Gouvernement Samoa am 14.5.1912; Gouvernement Samoa an Mäcke am 18.5.1912). 345 Auch hier gilt das in Fußnote 5 gesagte. 346 AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (RKA an Gouvernement Samoa am 28.10.1907). 347 AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Damm an Gouvernement Samoa am 30.7.1907; Gouvernement Samoa an Damm am 5.8.1907; Damm an RKA am 7.8.1907; Gouvernement Samoa an RKA am 20.8.1907; RKA an Gouvernement Samoa am 28.8.1907 und 9.3.1908; Solf an RKA am 2.1.1908). 348 AGCA 6051 W5788 IA 2 1 (Damm an RKA am 7.8.1907; RKA an Gouverne­ ment Samoa am 20.2.1909). BArch, R 1002/326, Bl. 5.

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4. Kontinuität und Mobilität

unbekannt. Besonders offensichtlich war der bewusste Gebrauch dieser Möglichkeit beim Ausscheiden Georg von der Aus aus dem kolonialen Lehrerdienst.349 Über den Verlauf der eigentlichen Reisen ist abseits der Meldungen über den Personenverkehr in den kolonialen Amtsblättern in der Regel so gut wie nichts bekannt. Es gibt allerdings keinen Grund, lehrerspezifi­ sche Reiseerlebnisse anzunehmen. Auch unterschieden sich Urlaubs- und definitive Rückreise wohl nicht. Dies änderte sich allerdings 1914, da die Reiseverbindungen in die Kolonien mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterbrochen wurden. Eigentlich zum Zweck des Heimaturlaubs angetre­ tene Rückreisen wandelten ihre Gestalt so in definitive Rückreisen. Dies schuf unerwartete Personalprobleme. In Deutsch-Südwestafrika fehlten zu Kriegsbeginn beispielsweise fünf Lehrer und zwei Lehrerinnen, die ab 1913 zu Urlaubszwecken in die deutsche Heimat gereist waren.350 Da­ durch war fast jede zweite Schule von Personalmangel betroffen, noch bevor sich die Einberufung der männlichen Lehrkräfte auszuwirken be­ gann.351 Einer der Lehrer war Wilhelm Rave, der bereits seit 1901 in der Kolonie unterrichtete und seit 1913 Rektor der großen Windhuker Volks­ schule war, deren Leitungsposten damit dauerhaft vertreten werden muss­ te.352 Die erzwungene definitive Rückreise hatte zudem Auswirkungen auf das Kriegserleben der Lehrkräfte. Die in den Kolonien verbliebenen Lehre­ rinnen und Lehrer wurden im Krieg nach einer kurzen Phase des Weiter­ unterrichtens oder des Kriegsdienstes in den Landesverteidigungseinheiten in der Regel festgesetzt oder interniert und schließlich bis zum Frühjahr 1919 – die Lehrkräfte Deutsch-Südwestafrikas ausgenommen353 – wie die restliche deutsche Bevölkerung repatriiert.354 Denjenigen, die aufgrund des Krieges nicht wieder in die Kolonien reisen konnten, blieb dies erspart. Doch standen ihnen 1914 die zehrenden Kriegsjahre in Europa bevor. Die männlichen Lehrkräfte erwartete wohl in der Regel ein längerer Kriegsein­

349 Zur Schilderung des Vorgehens beachte Kapitel 3.4.4. 350 BArch, R 1002/126, Bl. 89, 103–104. BArch, R 1002/352, Bl. 59–60, 70, 72, 76. BArch, R 1002/570, Bl. 83–84. BArch, R 1002/1041, Bl. 46. BArch, R 1002/1138, Bl. 12. BArch, R 1002/1349, Bl. 141. BArch, R 1002/1567, Bl. 70–71. 351 Beachte Kapitel 4.1.1. 352 BArch, R 1002/1349, Bl. 8–10, 126–127, 130–132, 141. 353 Beachte Kapitel 4.1. 354 Der Krieg in den deutschen Schutzgebieten. Die Ereignisse der ersten drei Monate, in: DKB, Jg. 25 (1914), S. 848–865. Vgl. Schulte-Varendorff, Der Erste Weltkrieg und die deutschen Kolonien in Afrika, S. 28, 30, 32, 34, 39. Ebd., Krieg in Kamerun, S. 30–39. Wendt, Das Ende, S. 91–94.

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4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst

satz, als sie ihn in den Kolonien hätten leisten müssen. Dies galt etwa für den Schulleiter in Namanula (Deutsch-Neuguinea), Paul Barschdorff, der Mitte April 1914 zu seiner Heimreise aufgebrochen war und dann von 1914 bis 1916 an der deutschen Ostfront am Krieg teilnahm.355 Die einzige gut dokumentierte Rückreise ist diejenige von Hermann Höfer, der ab 1908 die Nicht-Indigenenschule in Garapan (Saipan) geleitet hatte.356 Die Art seiner Rückreise bildet auf gewisse Weise das Bindeglied der beiden zuvor genannten Lebenswege kolonialer Lehrkräfte während des Ersten Weltkrieges, denn obwohl Höfer aufgrund seiner Eigenschaft als Kolonialbeamter sowohl in japanische als auch in britische Kriegsgefan­ genschaft geriet, nahm er von Dezember 1916 bis November 1917 auch am Ersten Weltkrieg teil.357 Sein Weg war teils abenteuerlich und führte ihn im Dezember 1914 nach der Besetzung Saipans durch japanische Trup­ pen zunächst in ein Internierungslager für Deutsche nach Yokohama.358 Der dortigen Gefangenschaft entkam er rasch. Nachdem er einen Schwur leistete, „nicht gegen Japan zu kämpfen“, wurde ihm von den japanischen Behörden die Ausreise per Schiff ins US-amerikanische San Francisco ge­ stattet.359 Dorthin war auch der (ehemalige) stellvertretende Gouverneur Deutsch-Neuguineas, Eduard Haber360, gelangt, der vom Eintreffen Höfers 355 DHM DO 77/373.13. Personalien, in: DKB, Jg. 25 (1914), S. 491. 356 Grundlage ist die Personalakte Höfers (BArch, R 1001/9790), die zu einer der wenigen Personalakten aus dem Bestand des RKA (BArch, R 1001) gehört, die den Zweiten Weltkrieg überdauert haben. 357 BArch, R 1001/9790 (Höfer an RKA am 1.1.1917; Höfer an Reichskommando Meiningen am 18.9.1919). 358 BArch, R 1001/9790 (Höfer an RKA am 24.10.1916; Höfer an Reichskommando Meiningen am 18.9.1919). 359 Ebd. (auch für das Zitat). 360 Eduard Haber (1.10.1866–14.1.1947) war Bergbauwissenschaftler und von 1893 bis 1896 Dozent an der Bergakademie Berlin. Zwischen 1896 und 1900 war er Angestellter der Deutschen Bank in Australien, Neuseeland, den USA und Kanada, bevor er 1901 in den Kolonialdienst eintrat. Von 1903 bis 1906 war er Erster Referent beim Gouvernement Deutsch-Neuguinea, von 1905 bis 1906 auch stellvertretender Gouverneur und anschließend bis 1914 in der Kolonial­ abteilung des Auswärtigen Amtes und im Reichskolonialamt beschäftigt. Ab März 1914 vertrat er den erkrankten Gouverneur Albert Hahl in Deutsch-Neu­ guinea, weshalb er und nicht Hahl während der kurzen Kriegszeit das dortige Gouvernement leitete. Auf sein Ehrenwort wurde Haber nach kurzzeitiger Verbringung nach Sydney gestattet, im Januar 1915 über die USA zurück ins Deutsche Reich zu reisen, wo er im April 1915 eintraf. Er führte die Gouver­ neursgeschäfte bis 1920 aus Deutschland fort, ab 1917 als Gouverneur, und wurde 1920 zum Präsidenten des Reichsausgleichsamtes ernannt. Ab 1924 kehr­ te er wieder in die Wissenschaft zurück und war Dozent an der Bergakademie

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4. Kontinuität und Mobilität

erfuhr und diesen als zur Verfügung stehenden Verwaltungsmitarbeiter der Deutschen Botschaft in Washington meldete.361 Die Grundlage dieser Maßnahme war eine Ermächtigung des Reichskanzlers an den deutschen Botschaftsdienst in den USA, auf der Durchreise befindliche deutsche Ko­ lonialbeamte Deutsch-Neuguineas, denen die Kriegsgegner (noch) kein freies Geleit in die Heimat gewährten, in Dienst zu nehmen.362 Haber agierte dabei durchaus differenziert und versuchte etwa, für Höfers ehe­ maligen Kollegen in Garapan Vogt, der gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Kind ebenfalls nach San Francisco gereist war, eine Rückrei­ seerlaubnis bei der britischen Botschaft in Washington zu erreichen.363 Höfer allerdings begann seinen neuen Dienst dann am 23. Februar 1915 im Kanzleiwesen des Deutschen Konsulats in Chicago, das der Botschaft in Washington untergeordnet war.364 Die nächste Etappe seiner Rückreise ins Deutsche Reich trat Höfer zum Ende des Jahres 1915 an. Am 2. Oktober 1915 schied er aus dem konsulari­ schen Dienst in Chicago aus und reiste, während die deutschen Behörden bei der US-amerikanischen Regierung die Zusicherung freien Geleits für ihn zu erreichen versuchten, nach New York.365 Diese Zusicherung traf Anfang Dezember im Auswärtigen Amt ein. Zuvor hatte Höfer aber be­ reits die Geduld verloren und sich, ausgestattet mit einer niederländischen Tarnidentität, als Heizer auf ein schwedisches Frachtschiff mit Zielhafen Göteborg begeben.366 Dorthin gelangte Höfer jedoch nicht. Am 16. Januar 1915 nahmen ihn britische Beamte bei einem Zwischenaufenthalt des Schiffs im schottischen Kirkwall (Orkney Islands) fest und überführten ihn als Zivilgefangenen kolonialen Hintergrunds ins Internierungslager Stobs bei Hawick (Südschottland).367 Dort gereichte ihm die Reise mit einer

361 362 363 364 365 366 367

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Clausthal (1924–1927) sowie an der Universität Tübingen (1928–1945). An letz­ terer dozierte er über internationale Kolonial- und Rohstoffwissenschaften, vgl. Baumann et al., Biographisches Handbuch Deutsch-Neuguinea, S. 123–124. BArch, R 1001/9790 (RKA an Auswärtiges Amt am 27.3.1915). BArch, R 1001/9790 (Deutsche Botschaft Washington an Reichskanzleramt am 1.3.1915). BArch, R 1001/9790 (RKA an Auswärtiges Amt am 27.3.1915). BArch, R 1001/9790 (Deutsche Botschaft Washington an Reichskanzleramt am 1.3.1915; Haber an Höfer am 16.2.1915). BArch, R 1001/9790 (Auswärtiges Amt an RKA am 23.12.1915; Auswärtiges Amt an US-Amerikanische Botschaft am 15.2.1916). BArch, R 1001/9790 (Höfer an RKA am 21.12.1915 und 24.10.1916; Auswärtiges Amt an US-Amerikanische Botschaft am 15.2.1916). BArch, R 1001/9790 (Höfer an RKA am 21.12.1915; Armin Höfer an RKA am 30.1.1916; Höfer an Reichskommando Meiningen am 18.9.1919).

4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst

Scheinidentität zum Nachteil, denn zunächst verweigerten die britischen Behörden aufgrund von Zweifeln an Höfers Identität dessen Freilassung. Erst als diese Zweifel nach zehn Monaten ausgeräumt waren, konnte er unter Hinweis auf die in der vom stellvertretenden Gouverneur DeutschNeuguineas Haber seinerzeit mit britischen Militärs verhandelten Kapitu­ lationsvereinbarung enthaltenen generellen Rückreiseerlaubnis von Beam­ ten dieser Kolonie ins Deutsche Reich zurückkehren.368 Mitte Oktober 1916 wurde er freigelassen, reiste in die Niederlande und von dort nach Vachdorf, dem Wohnort seiner Eltern.369 Dort angekommen, ließ Höfer keine Zeit verstreichen und meldete sich freiwillig zum Kriegseinsatz, wor­ aufhin er im Dezember 1916, stationiert in Hildburghausen, einberufen wurde.370 Trotz der vielen Orts- und Tätigkeitswechsel betrachtete sich Höfer auch zu diesem Zeitpunkt weiterhin als Kolonialbeamter, was etwa sein Gesuch um Erlaubnis zur Eheschließung beim RKA, welches Höfer im Januar 1917 einreichte, zeigt.371 Auch für seinen Wechsel in eine Lehrerstelle in seinem Geburtsort Igelshieb (heute ein Stadtteil von Neuhaus am Renn­ weg) im Zuge seines Ausscheidens aus dem Militärdienst im Oktober 1917 bat er im RKA um Erlaubnis.372 Zudem versicherte er sich im Januar 1918 beim RKA, dass er rechtlich weiterhin Kolonialbeamter sei und es sich bei seinem Schuldienst lediglich um einen „zeitweiligen Übertritt“ handele.373 Dies zeigt zum einen Höfers Verbundenheit mit dem Koloni­ aldienst und war zum anderen insbesondere von finanzieller Bedeutung. Als Lehrer in Igelshieb erhielt er von der sachsen-meiningischen Schulbe­ hörde ein Gehalt in Höhe von insgesamt 2.444 M jährlich, während sein letztes, im Kolonialdienst bezogenes Gehalt 6.700 M betragen hatte.374 Da Höfer außerdem zum 1. April 1913 zum etatmäßigen Kolonialbeamten ernannt worden war, berechtigte ihn dieses Gehalt seinerzeit bereits zu 368 BArch, R 1001/9790 (Höfer an RKA am 21.12.1915; RKA an Armin Höfer am 3.2.1916 und 12.4.1916; Auswärtiges Amt an US-Amerikanische Botschaft am 15.2.1916; Britisches Außenministerium an W. H. Page am 20.3.1916). 369 BArch, R 1001/9790 (Höfer an RKA am 21.12.1915, 18.10.1916 und 24.10.1916; Deutsches Konsulat Vlissingen an RKA am 18.10.1916). 370 BArch, R 1001/9790 (Höfer an RKA am 21.12.1915; Höfer an Reichskommando Meiningen am 18.9.1919) 371 BArch, R 1001/9790 (Höfer an RKA am 28.1.1917). 372 BArch, R 1001/9790 (Höfer an RKA am 20.10.1917). 373 BArch, R 1001/9790 (Höfer an RKA am 14.1.1918 (auch für das Zitat); RKA an Höfer am 24.1.1918). 374 BArch, R 1001/9790 (Gouvernement Deutsch-Neuguinea an Höfer am 9.12.1913; Höfer an RKA am 14.1.1918 und 31.1.1918).

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4. Kontinuität und Mobilität

einer Pension in Höhe von 2.050 M.375 Eine dann im Dezember 1920 durch die Kolonialzentralverwaltung im Reichsministerium für Wieder­ aufbau (RMW), wo die Kolonialpolitik ab 1920 zunächst angesiedelt wor­ den war, an Höfer gesandte Gehaltsmitteilung wies schließlich ab April 1921 sogar ein Grundgehalt in Höhe von 8.500 M, eine Ortszulage in Höhe von 1.800 M und einen Inflationsausgleich in Höhe von 5.150 M (50-prozentiger Zuschlag) aus. Dieses Gehalt sollte im November 1921 sogar noch einmal steigen und schließlich ab November 1921 insgesamt 16.050 M betragen.376 Die Differenzen der Beträge waren also selbst ohne Berücksichtigung des Inflationszuschlags erheblich. Die Gehaltsmitteilung des RMW knüpfte an Höfers koloniale Gehalts­ bezüge an und bildete die fiktive Fortschreibung seines Kolonialdienstes ab. Sie diente letztlich aber nicht zur Zahlung von Gehalt für einen Dienst, der ohne deutschen Kolonialbesitz nicht zu leisten war. Auf Grundlage dieser Fortschreibung berechnete das RMW vielmehr als Teil des Abwicklungsprozesses der Kolonien die Pensionsbezüge der etatmä­ ßigen Kolonialbeamten.377 Höfer erhielt darum zwei Tage nach seinem Gehaltsbescheid die Mitteilung über seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand.378 Diese wies nicht nur eine Pensionsberechtigung in Höhe von 8.715 M, die er aufgrund seiner fortdauernden beruflichen Betätigung als Lehrer natürlich noch nicht beanspruchen konnte, sondern aufgrund neuer gesetzlicher Grundlagen auch ein „Wartegeld“ in Höhe von 8.745 M aus. Dessen Bezug sollte enden, sobald Höfer wieder eine etatmäßige Stelle in einer deutschen Behörde antrat.379 Das Wartegeld spiegelte also die Er­ füllung der Fürsorgepflicht des Staates für seine (ehemaligen Kolonial-)Be­ amten in etatmäßiger Anstellung wider. Ein besonderes Bekenntnis zu dieser Fürsorgepflicht lässt sich zumindest im Fall Höfers allerdings nicht

375 BArch, R 1001/9790 (Bestallungsurkunde vom 9.12.1913; Gouvernement Deutsch-Neuguinea an Höfer am 9.12.1913). Zur Differenzierung zwischen pensionsfähigem und pensionsberechtigendem Gehalt am Beispiel der Lehrer­ schaft Deutsch-Südwestafrikas beachte Kapitel 3.4.4. 376 BArch, R 1001/9790 (Reichsministerium für Wiederaufbau (RMW) an Höfer am 22.12.1920). 377 Zur Verwaltungsgeschichte des RMW beachte Hainbuch, Dirk: Das Reichmi­ nisterium für Wiederaufbau 1919–1924. Die Abwicklung des Ersten Weltkrie­ ges: Reparationen, Kriegsschäden-Beseitigung, Opferentschädigung und der Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte, Frankfurt am Main 2016. Zur Inte­ gration des Reichskolonialministeriums als Kolonialzentralabteilung im RMW beachte ebd, S. 308–309. 378 BArch, R 1001/9790 (RMW an Höfer am 24.12.1920). 379 BArch, R 1001/9790 (RMW an Höfer am 24.12.1920, auch für das Zitat).

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4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst

erkennen. Im RMW war den Verantwortlichen offenkundig sehr daran gelegen, diese Überbrückungsbezüge nicht oder zumindest nicht allzu lange auszuzahlen, denn sie erkundigten sich bereits im Januar 1921, ob Höfer sagen könne, ob er schon bald eine etatmäßige Lehrerstelle erhalte. Falls er keine rasche Aussicht auf eine solche Stelle habe, so wurde Höfer außerdem nahegelegt, solle er möglichst bald freiwillig aus dem Kolonial­ dienst ausscheiden.380 Höfer ließ sich allerdings nicht unter Druck setzen, sondern forderte zunächst weitere Informationen über die rechtlichen und finanziellen Konsequenzen eines Ausscheidens aus dem Kolonialdienst.381 Daraufhin verstärkte das RMW seine Bemühungen, die Zuständigkeit für Höfers Wartegeld abzugeben, durch das Aufstellen der Behauptung, dass Höfer schon längst eine etatmäßige Lehrerstelle besitze, und stellte dar-um die Zahlung des Wartegeldes ein.382 Und obwohl sich Höfer auf die sei­ nerzeitige Klärung exakt dieser Frage in Korrespondenz mit dem 1918 noch existierenden RKA berief, gelang es ihm letztlich nicht, sich hier erfolgreich zur Wehr zu setzen.383 Zunächst besiegelte das RMW durch die Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit im Juli 1921 Höfers Kolonialdienstende.384 Ein Jahr darauf forderte das RMW dann noch zu viel gezahlte Bezüge zurück, die sich aus der Rückdatierung von Höfers Ausscheiden aus dem Kolonialdienst auf Dezember 1917 (Wechsel in den Lehrerdienst ab 1.1.1918) ergaben. Diese betrugen mit circa 13.000 M etwa eineinhalb Mal so viel wie die auf 8.091 M festgelegte jährliche Pension, auf die Höfer ab 1. Februar 1922 Anspruch hatte, und war damit für diesen – er konnte schließlich die Inflationsentwicklung des darauffolgen­ den Jahres nicht erahnen – letztlich ein enormer Schuldenbetrag zum Abschluss seines Kolonialdienstes. Während Höfers Ausscheiden aus dem Kolonialdienst also aus finanziel­ ler Perspektive einen bitteren Beigeschmack hatte, stellte sich selbiger Pro­ zess für dessen Kollegen Barschdorff, den ehemaligen Schulleiter in Nama­ nula (Bismarck-Archipel), ganz anders dar. Barschdorff hatte nach seiner Kriegsteilnahme in den Jahren 1914 bis 1916 wie Höfer anschließend eine Weile erneut in seiner Heimat (Schlesien) als Volksschullehrer gearbeitet und war 1919 dann zum Leiter des Kassenwesens beim Reichskommis­

380 381 382 383 384

BArch, R 1001/9790 (RMW an Höfer am 4.1.1921). BArch, R 1001/9790 (Höfer an RMW am 10.1.1921). BArch, R 1001/9790 (RMW an Höfer am 1.4.1921). BArch, R 1001/9790 (Höfer an RMW am 7.4.1921). Siehe oben. BArch, R 1001/9790 (RMW an Höfer am 25.7.1921).

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4. Kontinuität und Mobilität

sar für Ein- und Ausfuhr in Berlin ernannt worden.385 Diese gehobene behördliche Stellung versah er fünf Jahre, bis er im April 1924 aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen (Malariarückfälle) in den Ruhestand ging.386 Bei der Berechnung von Barschdorffs Pension berücksichtigten die Behörden, hier das Auswärtige Amt und das Reichswirtschaftsministe­ rium, eine Kolonialdienstzeit bis März 1921.387 Trotz Anstellung als Lehrer ab 1917 und Beschäftigung in einer Reichsbehörde ab 1919 kam es hier also nicht zu einer Beeinträchtigung des ehemaligen Kolonialbeamten, so wie sie Höfer erfuhr. Schon die beiden Beispiele Höfer und Barschdorff zeigen also eine ge­ wisse Bandbreite im behördlichen Umgang mit zurückgereisten Kolonial­ beamten, die sich keineswegs sicher sein konnten, problemlos ihre berufli­ che Laufbahn fortzusetzen. Dabei ist bemerkenswert, dass, wie im Falle Höfers gesehen, gerade die Etablierung eines gesicherten Kolonialbeam­ tenstandes, die Ausdruck des Glaubens an dauerhafte Kolonialherrschaft war, nach dem Verlust der Kolonien dafür sorgte, dass diese Beamten in finanzielle Unsicherheiten gerieten, wenn Absprachen nicht exakt getrof­ fen oder Behördenaussagen revidiert wurden. Die ursprüngliche Praxis, koloniale Lehrer zunächst für ihre Dienstperiode im heimischen Schul­ dienst zu beurlauben, hatte vor solchen Auswirkungen schützen sollen. Sie galten damit lediglich als abgeordnet und konnten nach der Rückkehr in die Heimat in ihrem dortigen Dienstverhältnis weiterarbeiten. Erst mit der Etatisierung ihrer Stelle sollten die Lehrkräfte unbefristet in den Ko­ lonialdienst übertreten und ihren heimischen Dienst verlassen.388 Doch auch dieses Verfahren hatte zumindest für die heimatlichen Schulträger Nachteile, denn diese mussten die entsprechenden Stellen freihalten und konnten gegebenenfalls Nachfolger nicht langfristig binden oder beliebig neue Stellen schaffen. Entsprechend kam es auch vor, dass koloniale Leh­ rer während ihrer Dienstzeit aus ihrem heimischen Dienst entlassen wur­

385 DHM DO 77/373.13. 386 DHM DO 77/373.20, 23. Barschdorff studierte anschließend Volkswirtschafts­ lehre, Spanisch und Englisch für vier Semester in Berlin, woraufhin er von 1926–1928 Hauptbuchhalter der Neuguinea Compagnie war, DHM DO 77/373.13. Vgl. Baumann et al., Biographisches Handbuch Deutsch-Neugui­ nea, S. 19. Beachte auch die einführenden Bemerkungen der Einleitung dieser Arbeit. 387 DHM DO 77/373.21, 23. 388 Beachte als idealtypisches Beispiel den entsprechenden Vorgang im Fall Her­ mann Höfers, BArch, R 1001/9790 (Staatsministerium des Herzogtums SachsenMeiningen an RK am 31.8.1914).

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4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst

den. Dies widerfuhr beispielsweise den beiden 1903 für den kolonialen Lehrerdienst in Deutsch-Südwestafrika angestellten Wilhelm Krause und Otto Rohmann, die beide im Oktober 1904 von der preußischen Regional­ regierung in Gumbinnen (heute Gussew, Russland) aus dem Schuldienst der Stadt Tilsit (heute Sowetsk, Russland) entlassen wurden, „weil durch eine noch längere Beurlaubung die Interessen der Stadt Tilsit zu sehr geschädigt werden würden“.389 Zur Entlassung eines Lehrers aus dem hei­ mischen Dienst konnte es des Weiteren kommen, wenn sich Schulträger und die dem Lehrer vorgesetzte Schulbehörde in der Heimat uneins waren über die Fortsetzung einer Beurlaubung.390 Letztlich war damit vor und auch nach dem Ersten Weltkrieg die Entscheidung für eine koloniale Lehr­ tätigkeit ein gewisses Wagnis für die berufliche Laufbahn, deren Fortent­ wicklung – das zeigen alle Personal- und Schulakten – im Motivationsge­ rüst einer Lehrkraft durchaus verschiedene Gewichtung erhielt, allerdings nie belanglos war und eine Rolle für eigene Entscheidungen spielte. Es ist insbesondere nicht davon auszugehen, dass Lehrkräfte nach ihrer Rückkehr ins Deutsche Reich in den Kolonialdienst anderer Nationen wechselten. Die Kriegsgegnerschaft und der allgemeine Revanchismus sprechen dagegen. Auch die umfassende nationale Konnotation des Leh­ rerberufs und der Schule lassen einen an solchen Übertritten, für die es bislang keinerlei Belege gibt, zweifeln. Und letztlich ist auch angesichts der Umbrüche im Berufsumfeld der Lehrkräfte nach dem Ersten Welt­ krieg wie dem Aufstieg von Lehrern in die Schulämter und Ministerien sowie der Notwendigkeit zur Wiederbesetzung zahlreicher kriegsbedingt verwaister Stellen davon auszugehen, dass die kolonialen Lehrkräfte in den deutschen Schuldienst zurückkehrten.391 Dora Künzel etwa arbeitete etwa nach ihrer Heimkehr im Volksschuldienst der Stadt Hameln.392 Ihre na­ tionalkoloniale Gesinnung hätten ihr den Wechsel in den Kolonialdienst einer anderen Nation nicht ermöglicht. Vielmehr war es ihr großes Be­ streben, in die ehemalige Kolonie zurückzukehren.393 Während sie dieses Vorhaben ab der Mitte der 1920er-Jahre vorantrieb, setzten sich andere koloniale Lehrer in Wort und Schrift für die koloniale Revanche ein. Mit diesen sowie denjenigen Lehrkräften, die schon vor dem Ersten Weltkrieg

389 BArch, R 1002/1033, Bl. 20 (auch für das Zitat). BArch, R 1002/1412, Bl. 17. 390 Beachte hierzu den Fall des Lehrers Antonius Herlyn (DSWA), BArch, R 1002/736, Bl. 137. 391 Vgl. Geißler, Schulgeschichte in Deutschland, S. 337–339, 351–352. 392 BArch, R 1001/995, Bl. 3. 393 Beachte Kapitel 4.2.

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4. Kontinuität und Mobilität

aus dem Dienst ausgeschieden und anschließend von Mitgestaltern kolo­ nialer Praxis zu deren Beobachtern und Kommentatoren geworden waren, befasst sich abschließend der nachfolgende Abschnitt.

4.3.2 Schreiben über die Kolonien „Der letzte Abschiedsgruß aus schwäbischem Munde war verhallt und fort gings aus dem Bahnhof von Stuttgart dem Norden zu […].“394 Der wohl erste Artikel eines kolonialen Lehrers, der in einer deutschen Zeitung veröffentlicht wurde, war der Reisebericht Theodor Christallers, der 1888 in acht Abschnitten im Unterhaltungs-Blatt zur Eßlinger Zeitung erschien und der mit den zunächst wenig auf die Kolonien verweisenden voranste­ henden Worten begann. Der Text ist anekdotisch gehalten und beinhaltet gleichzeitig viele Hinweise auf Christallers Bild afrikanischer Menschen und dessen Wahrnehmung der Reise nach Kamerun.395 Er hat mithin ein gewis­ ses Alleinstellungsmerkmal, da von anderen Lehrkräften keine detaillierten und veröffentlichten Reiseberichte bekannt sind. Auch von Christaller sind, abgesehen von den Briefen an seine Familie, die sein Schwager Böckheler auszugsweise in seine Biographie Christallers einfließen ließ, und dessen Schulbüchern, keine weiteren Arbeiten publiziert worden.396 Wenn Lehrer – es handelte sich ausschließlich um männliche Lehrkräfte – Arbeiten veröf­ fentlichten, waren diese nicht im Stil eines Reiseberichtes geschrieben, sondern vielmehr beschreibender, analytischer und erläuternder sowie bis­ weilen auch propagandistischer Natur. Sie alle eint, dass sie die Kolonien und insbesondere die koloniale Schule erlebt hatten, was ihren Worten das im Kolonialismus so schwere Gewicht der Erfahrung von vor Ort verlieh. Es verwundert also nicht, dass die Deutsche Kolonialgesellschaft Christian G. Barth, dem ersten Leiter der Schule in Tanga (Deutsch-Ostafrika), durchaus fordernd gegenübertrat, um von diesem einen veröffentlichungsfähigen Bericht zu erhalten. Sowohl im November 1893 als auch im September 1894 verwies die Kolonialgesellschaft darauf, dass deren Mitglieder viel Geld aufgebracht hätten, um Barths Tätigkeit in Tanga zu ermöglichen, und dass Barth durch einen Bericht in Gegenleistung zu treten habe.397 Barth zog sich zunächst auf den Standpunkt zurück, aufgrund eines amtlichen „Schreib­ 394 395 396 397

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Christaller, Eine Reise, S. 1. Beachte Kapitel 2.1.4. Böckheler, Theodor Christaller. Beachte Kapitel 2.1.5. BArch, R 8023/968, Bl. 187–188, 216–217.

4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst

verbot[s]“ – von einem solchen ist anderweitig nichts bekannt – von der Verfassung eines Berichts Abstand genommen zu haben.398 Nach seiner Rückkehr ins Deutsche Reich begann er dennoch mit der Abfassung des Berichts, der schließlich im März 1985 in der Deutschen Kolonialzeitung erschien.399 Darin verband Barth eine Darstellung der bislang kurzen Ge­ schichte der Schule in Tanga mit einer positiven Beschreibung seiner Tätig­ keit sowie Argumenten für seine Ansichten, wie eine solche koloniale Schule zu betreiben sei. Barth hatte offenbar erkannt, dass er die Gelegenheit bekommen hatte, seine Ansichten zur Schultätigkeit in den Kolonien zu äußern. Dies bekräftigt auch sein selbstbewusstes Angebot „zum Halten von Vorträgen in den Zweigvereinen“ der DKG, welches Barth im Zuge der Einreichung des Artikels der Gesellschaft machte.400 Über eine tatsächliche Vortragstätigkeit Barths ist jedoch nichts bekannt. Insbesondere 1895, dem Jahr nach Barths Heimkehr, ist angesichts des ausgefochtenen Streits um seine etwaige Rückkehr nach Deutsch-Ostafrika401 nicht von einer derartigen Zusammenarbeit auszugehen. Er selbst drängte allerdings auch nicht auf eine Karriere als Vortragsredner, sondern priorisierte klar den Beginn eines bevorstehenden Studiums.402 Barth verfolgte die Geschehnisse in der kolonialen Schule zunächst gewis­ sermaßen von der Seitenlinie und meldete sich gelegentlich zu Wort. Zum Sommersemester 1895 immatrikulierte er sich an der Universität Jena und wechselte nach zwei Semestern an die Universität Leipzig, wo er bei Fried­ rich Ratzel (1844–1904) und Karl Bücher (1847–1930) studierte und 1898 mit einer geschichtsgeographischen Arbeit promoviert wurde.403 Die Kolonial­ abteilung des Auswärtigen Amtes hielt Barth, der dann als Mittelschullehrer in Stuttgart arbeitete, bezüglich des Prozesses der Schulbucherstellung in den darauffolgenden Jahren bis zur Umstellung des Schulbuchdrucks auf die Druckerei in Tanga auf dem Laufenden und sandte ihm regelmäßig ein Exemplar des gerade neuesten Werkes.404 Einen eigenen Beitrag lieferte Barth schließlich 1906 zur Debatte um die Konfessionalität oder Nicht-

398 399 400 401 402 403

BArch, R 8023/968, Bl. 226 (auch für das Zitat). BArch, R 8023/968, Bl. 237, 242. Barth, Die ersten Lebensjahre. BArch, R 8023/968, Bl. 242 (auch für das Zitat). Beachte Kapitel 2.2.5. BArch, R 8023/968, Bl. 242. BArch, R 8023/968, Bl. 286. Lenz, Regierungsschule, S. 24. Barth, Christian G.: Die von 1865–1895 erzielten Fortschritte der Kenntnis fremder Erdteile in ihren Entwicklungen auf das staatliche und wirtschaftliche Leben des Deutschen Rei­ ches, 2 Bde., Phil. Diss. Leipzig, 25. März 1898, hier: Bd. II, S. III-IV. 404 BArch, R 1001/1001, Bl. 11–12, 38, 49, 55, 74, 79. Beachte Kapitel 3.2.5.

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4. Kontinuität und Mobilität

Konfessionalität der Indigenenschulen in Deutsch-Ostafrika mit einem Artikel in der DKZ.405 Von gewisser Bedeutung für die frühe Geschichts­ schreibung über die deutsche koloniale Schule ist zudem Barths 1911 in der gleichen Zeitung erschienener Artikel.406 Der Beitrag befasst sich abschnitts­ weise mit den Schulen in allen deutschen Kolonien und zählte bereits seinerzeit zu den Arbeiten, die das Reichskolonialamt bei Anfragen zu Informationen zur Schule etwa für wissenschaftliche Befassungen nannte.407 Auch die frühen, meist nicht oder nur wenig auf Archivmaterial zugreifen­ den Arbeiten von beispielsweise Leusner und Becker, auf welche sich dann wieder Autoren wie etwa Christel Adick bezogen, führen Barths Artikel neben denen zum Primärliteraturkanon gehörenden Arbeiten von v. König, Lenz, Lattmann, Mirbt, Moritz und Schlunk im Literaturverzeichnis und in den Fußnoten.408 Hinzu kommen noch zwei wissenschaftliche Arbeiten von Barth, die wohl als Verbindung seiner Interessen an Ökonomie, Geographie und Meteorologie409 mit seiner durch den Kolonialaufenthalt geprägten Biographie einzuordnen sind.410 Spätestens 1911 kann er also nicht nur als gelegentlicher Kommentator der kolonialen Schule, sondern auch als aktiver Teilnehmer an kolonialwissenschaftlichen Forschungsdebatten bezeichnet werden. Im Allgemeinen ist ein vermehrtes Auftreten von Publikationen kolonia­ ler Lehrer vor dem Ersten Weltkrieg allerdings nicht festzustellen. Neben Christian G. Barth publizierten (nur) noch zwei weitere koloniale Lehrer eigene Arbeiten in dieser Zeit. So liegen etwa von Wilhelm Lederbogen, der

405 BArch, R 1001/991, Bl. 69. Barth, Christian G.: Die Regierungsschulen in Ost­ afrika, in: DKZ, Jg. 23 (1906), S. 164–165. 406 Barth, Ueber das Schulwesen unserer Schutzgebiete. 407 BArch, R 1001/7311, Bl. 100–103. 408 Becker, Herbert Theodor: Die Kolonialpädagogik der großen Mächte. Ein Kapi­ tel der vergleichenden Erziehungswissenschaften der Gegenwart, Hamburg 1939. König, Eingeborenenschulen. Lattmann, Die Schulen in unseren Koloni­ en. Lenz, Regierungsschule. Mirbt, Mission und Kolonialpolitik. Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika. Schlunk, Das Schulwesen in den deut­ schen Schutzgebieten. Vgl. Adick, Praxis und Effekte der Kolonialpädagogik, S. 176–177. Leusner, Die Entwicklung des Schulwesens. 409 Barth besuchte in Vorbereitung auf seine Ausreise unter anderem einen meteo­ rologischen Kurs bei der Deutschen Seewarte in Hamburg, beachte Kapi­ tel 2.2.2. 410 Barth, Christian G.: Über den Aufbau und die Niederschläge in unseren afrika­ nischen Schutzgebieten, in: Zeitschrift für die gesamte Wasserwirtschaft 6 (1911), S. 193–197, 233–239. Barth, Christian G.: Unsere Schutzgebiete nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen, im Lichte der Erdkunde dargestellt, Leip­ zig 1910.

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4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst

sowohl in Togo als auch in Kamerun tätig gewesen war411, zwei Werke vor. Schon 1901 veröffentlichte er eine Sammlung Kameruner Märchen, die er während seiner Dienstzeit gesammelt und anschließend übersetzt hatte.412 Lederbogen kam es nach eigener Aussage darauf an, einerseits die von ihm gesammelten Geschichten deutschen Jugendlichen zugänglich zu machen und andererseits seinen eigenen Beobachtungen entsprechende Eigenschaf­ ten „unsere[r] schwarzen Landsleut[e]“ zu vermitteln.413 Als solche meinte er unter anderem „Klugheit und Schlauheit“ und einen bisweilen getrübten „Gerechtigkeitssinn“ zu erkennen.414 Dabei ging Lederbogen bei der Über­ setzung ähnlich vor wie seine Kollegen bei der Schulbucherstellung und transponierte die gesammelten Geschichten in deutsche Märchenkategori­ en. Beispielsweise parallelisierte er die in den Geschichten vorkommende Schildkröte mit dem Fuchs in deutschen Märchen.415 Die Arbeit oszillierte damit wie die grammatischen Schulbücher insbesondere zwischen den Feldern von Koloniallinguistik und Ethnographie. Sie zielte zudem auf das junge deutsche Publikum und hatte damit auch kolonialerzieherische Funk­ tion. Hieran knüpfte Lederbogen schließlich 1912 mit der Veröffentlichung eines Buches mit dem Titel Unsere Kolonien an, das er explizit für finanziell „minderbemittelte Kreise“ günstig hatte herstellen lassen.416 Als quasi ver­ tiefendes Werk über die Kolonie Kamerun stand zu diesem Zeitpunkt bereits eine Veröffentlichung von Lederbogens Kollege Emil Sembritzki zur Verfü­

411 Wilhelm Lederbogen (geb. am 1.10.1870) aus Hohendodeleben (heute Stadt­ teil von Wanzleben-Börde) bekleidete ab Oktober 1891 eine Volksschullehrer­ stelle in Magdeburg, erreichte Klein-Popo (Aného) in der Kolonie Togo Anfang April 1987 und übernahm dort die Vertretung seines Kollegen Samuel Walter (Nachfolger des Schulgründers Karl Köbele, beachte Kapitel 3.1.3, 3.1.4). Nach dessen Rückkehr aus dem Heimaturlaub reiste Lederbogen im Februar 1898 nach Kamerun, um dort dann wiederum Rudolf Betz (Nachfolger von Friedrich Flad, beachte Kapitel 3.1.1) während dessen Heimaturlaub zu vertreten. Nach dem Tod von Betz im Juli 1898 blieb Lederbogen weiter im Lehrerdienst in Ka­ merun und schied schließlich im Juli 1899 krankheitsbedingt aus dem Kolonial­ dienst aus, BArch, R 1001/4073, Bl. 182, 193, 217. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 8 (1897), S. 129, 409. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 9 (1898), S. 136, 167, 453. Lenz, Regierungsschule, S. 23. 412 Lederbogen, Wilhelm: Kameruner Märchen, Berlin 1901, Vorwort. 413 Lederbogen, Kameruner Märchen, Vorwort (auch für das Zitat). 414 Ebd., Vorwort (auch für die Zitate). 415 Ebd., Vorwort. 416 Lederbogen, Wilhelm: Unsere Kolonien, Wanzleben 1912, S. 3 (für das Zitat).

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4. Kontinuität und Mobilität

gung, der sich in ähnlichen Themengebieten wie Lederbogen bewegte.417 1909 erschien von Sembritzki als Band 16 von Süsserotts Kolonialbibliothek eine Überblicksdarstellung zur Kolonie mit dem Titel Kamerun, das der Autor insbesondere auch „der reiferen Jugend“ als Lektüre empfahl.418 Zwei Jahre darauf fungierte Sembritzki dann als Herausgeber eines Kolonial-Ge­ dicht- und Liederbuches, das eine ganze Reihe übersetzter Texte aus den Kolonien sowie deutsche Kolonialdichtungen von verschiedenen Autoren enthielt.419 Sembritzki hielt es in seinem Vorwort für besonders bemerkens­ wert, dass „viele der Stücke nach bekannten Melodien singbar sind“.420 Auch hier ging es also um die Vermittlung von in deutsche Vorstellungswelten transponierten und verformten Kulturelementen aus den Kolonien. Schließ­ lich erschien 1912 auch ein Literaturratgeber von Sembritzki, der den Fokus dann von der Dichtung löste und ein Kritischer Führer durch die volkstümliche deutsche Kolonial-Literatur sein wollte.421 In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bildeten letztlich trotz dieses Schwerpunktes auf teils wissenschaftlichen, teils kolonialerzieherischen Arbeiten die Schulbücher, die Grammatiken und weitere sprachpolitische Werke in den Kolonien die große Mehrheit der Veröffentlichungen.422 Dies änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg. In der Zeit der Weimarer Republik erschienen keine linguistischen Werke aus den Federn der Lehrer mehr, sondern insbesondere romanhafte, reminiszierende und kolonialpropagan­ distische Arbeiten. Dabei ist für die Zeit bis 1925 lediglich die Publikation eines Werkes festzustellen. Hierbei handelt es sich erneut um eine Arbeit von Emil Sembritzki zur ehemaligen Kolonie Kamerun, die 1919 erschien.423 Als 417 Emil Sembritzki (geb. am 5.9.1869) stammte aus dem ostpreußischen Jorko­ wen (heute Jurkowo, Polen) und absolvierte das Volksschullehrerseminar in Angerburg (heute Węgorzewo, Polen). Nach verschiedenen Lehrerstellen war er 1897 Lehrer in Lipinsken (heute Lipińskie, Polen) und wechselte von dort im Juli 1897 in den Kolonialdienst. Er übernahm im Oktober des gleichen Jahres in Victoria (Kamerun) die Leitung einer zuvor von der örtlichen Baptistengemein­ de geführten Elementarschule für Indigene, BArch, R 1001/4073, Bl. 141–142, 151–152, 179. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 8 (1897), S. 486, 652. PersonalNachrichten, in: DKB, Jg. 9 (1898), S. 296. Lenz, Regierungsschule, S. 22–23. 418 Sembritzki, Emil: Kamerun, Berlin 1909, Vorwort (für das Zitat). 419 Sembritzki, Emil (Hg.): Kolonial-Gedicht- und Liederbuch, Berlin 1911. 420 Sembritzki, Kolonial-Gedicht- und Liederbuch, Vorwort (für das Zitat). 421 Sembritzki, Emil: Der Kolonialfreund. Kritischer Führer durch die volkstümli­ che deutsche Kolonial-Literatur, Berlin 1912. 422 Beachte hierzu insbesondere die Kapitel 2.1.5, 2.2.2, 2.2.3, 3.1.1, 3.1.4, 3.2.5, 3.3.1. 423 Sembritzki, Emil: Durch Urwald und Grasland in Kamerun. Kameruner Ge­ schichten und Bilder für jung und alt, Berlin 1919.

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4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst

eigentlichen Startpunkt einer Publikationswelle in der Zwischenkriegszeit ist das Jahr 1925 auszumachen, was letztlich kein Zufall ist, da sich in dieser Zeit die propagandistischen Agitationen für einen Rückgewinn der deut­ schen Kolonien signifikant verstärkten.424 Die Forderungen nach kolonialer Rückerstattung fanden auch bei kolonialen Lehrern Zustimmung. So ent­ hält Das deutsche Kolonialbuch, in welchem dessen Herausgeber Hans Zache 1925 eine ganze Reihe ehemaliger führender Kolonialbeamter, -militärs, -politiker und -wissenschaftler versammelte, um „den Kolonialwillen hin­ über zu retten auf unsere Jugend“425, unter anderem einen Artikel des ehemaligen Leiters der Indigenenschule in Tanga (Deutsch-Ostafrika), Paul Blank, über dessen alte Wirkungsstätte und ein Gedicht von Emil Sembritzki über Mein Kamerun.426 Letzterer trat 1925 auch selbst als Herausgeber auf und veröffentlichte erneut ein Liederbuch, das bemerkenswerterweise neben seinem Hauptteil über die Kolonien einen zweiten Teil über die ehemaligen deutschen Ostgebiete, das Rhein-/Ruhrgebiet, das Elsass und Schleswig enthielt.427 Ein Jahr darauf ließ Sembritzki dann eine weitere, nun eher erzählerische Arbeit zur Kolonie Kamerun folgen.428 Zuvor erschien 1925 aus der Feder des ehemaligen Lehrers in Daressalam (Deutsch-Ostafrika), Rudolf Sendke, des Weiteren ein Buch, welches die Pflanzen- und Tierwelt Ostafrikas verklärte, ausgestattet war mit einem Vorwort von Heinrich Schnee und mit folgenden Zeilen eines Gedichtes schloss: „Da lasse der Himmel den frevelnden Wahn mit rächendem Maße dich messen! Und was der Feind uns angetan, das sei ihm nicht vergessen.429

424 Vgl. Speitkamt, Winfried: Deutsche Kolonialgeschichte, Stuttgart 2014, S. 160– 166. Beachte auch die Ausführungen zum Kolonialrevisionismus in Kapi­ tel 4.2.2. 425 Zache, Hans (Hg.): Das deutsche Kolonialbuch, Berlin 1925, Vorwort (für das Zitat). 426 Blank, Ein Tag in der Schule Tanga. Sembritzki, Emil: Mein Kamerun, in: Za­ che, Hans (Hg.): Das deutsche Kolonialbuch, Berlin 1925, S. 264. Beachte eine frühe Einordnung des Textes von Blank bei Bode, Matthias: Das Schulsystem in den deutschen Kolonien 1885–1915 am Beispiel von Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika, Päd. Hausarbeit, Marburg 1996, S. 18–20. 427 Sembritzki, Emil (Hg.): Deutsche Kolonialklänge und Grenzmarkengesänge, Berlin 1925. 428 Sembritzki, Emil: Sturm- und Irrfahrten in Kamerun, Reutlingen 1926. 429 Sendke, Rudolf: Aus verlorenem Sonnenland. Charakter-, Tier- und Jagdbilder aus Deutsch-Ostafrika, Fulda 1925, S. V, 236 (für das Zitat: S. 236).

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4. Kontinuität und Mobilität

Die weitaus meisten Arbeiten eines kolonialen Lehrers veröffentlichte schließlich Bernhard Voigt, dessen Publikationsliste für den Zeitraum von 1925 bis 1943 allein 20 eigene Veröffentlichungen zu kolonialen Themen aufweist.430 Hinzu kommen eine Bearbeitung einer Kolonialpublikation431 sowie eine Mitarbeit.432 So gut wie alle Arbeiten Voigts befassen sich mit dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika und sind Romane oder Jugendbü­ cher. Vor allem sein 1925 erschienenes Buch mit dem Titel Du meine Heimat Deutschsüdwestafrika erhielt im Zuge der verstärkten Kolonialpro­ paganda besondere Beachtung. Die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt erreichten im September und Oktober gleich zwei Empfehlungen für dieses Buch von prominenter Stelle. Sowohl Theodor Seitz, Vorsitzender der Deutschen-Kolonialgesellschaft, als auch der ehemalige, kurzzeitige Kolonialminister Johannes Bell lobten Voigts Buch.433 Seitz etwa meinte, es sei

430 Voigt, Bernhard: Auf dorniger Pad. Aus Deutsch-Südwestafrikas alten Tagen, Berlin 1926. Voigt, Bernhard: Bahnbrecher der Wildnis. Afrikanische Erzäh­ lung; nach Louis Trigardts Tagebüchern, Reutlingen 1929. Voigt, Bernhard: Cecil Rhodes. Der Lebenstraum eines Briten, Potsdam 1939. Voigt, Bernhard: Der lange Tom. Südafrikanische Erzählung, Reutlingen 1930. Voigt, Bernhard: Der südafrikanische Lederstrumpf, 3 Bände (Die Grenzläufer, Der Vortrecker, König Digaan), Potsdam 1934. Voigt, Bernhard: Der südafrikanische Leder­ strumpf, 3 Bände Der Vortrecker, Die deutsche Landnahme, Die Farmer von Seeis-Rivier, Potsdam 1934–1937. Voigt, Bernhard: Die Buren. Südafrikanisches Grenzerbuch, Berlin 1930. Voigt, Bernhard: Die Vortrecker. Erzählung, Pots­ dam 1943. Voigt, Bernhard: Diri. Ein Buschmannsleben, Potsdam 1940. Voigt, Bernhard: Du meine Heimat Deutschsüdwest! Ein afrikanisches Farmerleben, Berlin 1925. Voigt, Bernhard: Fürs größere Vaterland. Der Lebenstraum des Cecil Rhodes, Hamburg 1933. Voigt, Bernhard: Großvatermärchen. Neu er­ zählt, Potsdam 1941. Voigt, Bernhard: Im Schülerheim zu Windhuk. Deutsche Jungen in Steppe und Busch, Berlin 1941. Voigt, Bernhard: Im unentdeckten Südwestafrika. Nach des schwedischen Naturforschers Karl Johann Andersson Berichten, Berlin 1927. Voigt, Bernhard: Schutztruppler in Südwestafrika, Pots­ dam 1939. Voigt, Bernhard: Südwestafrika, Berlin 1926. Voigt, Bernhard: Süd­ westafrika einst und jetzt, Bochum 1939. 431 Woerishoeffer, Sophie; Voigt, Bernhard: Kreuz und quer durch Indien, Berlin 1927. 432 Ritter, Paul (Hg.): Afrika spricht zu dir. Selbsterlebnisse deutscher Kolonialpio­ niere, Mühlhausen/Th. 1938. 433 BArch, R 1001/4593, Bl. 3, 7.

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4.3 Nach dem kolonialen Lehrerdienst

„von allen in der letzten Zeit erschienenen Büchern in Südwest-Afrika dasjenige […], das […] gerade solchen, die nach Südwest-Afrika aus­ wandern wollen, zur Lektüre dringend empfohlen werden kann“.434 Entsprechend unterstützte Seitz die Bemühungen des Safari-Verlags435, der das Buch herausgab, um dessen Verwendung als amtliches Kolonialwerbeund Kolonialbildungsmittel.436 In der Kolonialabteilung fand das Buch dann tatsächlich äußerst positive Aufnahme, woraufhin es sowohl dem Preußischen Kultusministerium als auch dem Innenministerium (hier für die Verwendung in der Polizeiausbildung) empfohlen wurde.437 Zudem erhielt die Koloniale Reichsarbeitsgemeinschaft, die Dachorganisation der Kolonialverbände, in diesem Zusammenhang einen Zuschuss in Höhe von 1.500 M zur Anschaffung von unter anderem Voigts Buch zur Weitergabe an Schulbüchereien „zu Prämien an kolonialinteressierte Schüler“.438 Wer das Buch in den Händen hielt, las dann eine Erzählung, die auf Voigts eigenen Erlebnissen basierte und deren Verfassung als Buch Voigt wie folgt pathetisch einleitete: „Die Sehnsucht nach dem Sonnenlande, nach der afrikanischen Hei­ mat wurde übermächtig; ich musste sie mir vom Herzen schreiben. / Alle Begebenheiten, die ich erzähle, sind im einzelnen wahr; nur die Orte, Zeiten und Personen habe ich verändert. Wer drüben war, wird sie trotzdem erkennen, und wer sich selber in dem Buche wiederfin­ det, dem gilt mein / treuer deutscher Gruß!“439 Voigts verlegerische Partner bei der Verbreitung derartiger Koloniallitera­ tur waren neben dem Safari-Verlag, in welchem Voigts Bücher bis 1927 ausschließlich erschienen, der Verlag Enßlin & Laiblin, dessen Fokus ab 1924 auf der Verlegung von Jugendbüchern lag440, der Verlag Parey441

434 BArch, R 1001/4593, Bl. 3 (für das Zitat). 435 Vgl. Gutzmer, Karl: Safari-Verlag, in: Lexikon des gesamten Buchwesens On­ line, http://dx.doi.org/10.1163/9789004337862__COM_190056 (Abruf am 5.11.2020). 436 BArch, R 1001/4593, Bl. 3–6. 437 Barch, R 1001/4593, Bl. 8–9. 438 Barch, R 1001/4593, Bl. 10 (auch für das Zitat). 439 Voigt, Du meine Heimat Deutschsüdwest!, S. 5 (für das Zitat). 440 Vgl. Henze, Eberhard: Ensslin & Laiblin, in: Lexikon des gesamten Buchwesens Online, http://dx.doi.org/10.1163/9789004337862__COM_190574 (Abruf am 5.11.2020). 441 Vgl. Gutzmer, Karl: Parey, Paul, in: Lexikon des gesamten Buchwesens Online, http://dx.doi.org/10.1163/9789004337862__COM_160212 (Abruf am 5.11.2020).

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4. Kontinuität und Mobilität

sowie insbesondere ab 1939 der aus der Pfadfinderbewegung stammende Ludwig-Voggenreiter Verlag. Das Ziel dieser Verlage und von Voigt, so ist abschließend festzustellen, war dabei insbesondere die nationale und koloniale Beeinflussung der nachwachsenden Generation, die über keine eigenen Kolonialerfahrungen verfügten. Bücher wie seine noch bis in die 1940er-Jahre wiederaufgelegte Erzählung Im Schülerheim zu Windhuk beschrieben das Leben in der Kolonie als aufregend und idyllisch und versuchten, dieses in Form einer Geschichte nahbar und zugänglich zu machen.442 Voigt war dabei, das zeigt etwa die Unterstützung seines ehe­ maligen vorgesetzten Gouverneur Theodor Seitz im Zuge der Verbreitung seines Werks Du meine Heimat Deutschsüdwestafrika, Teil der kolonialre­ visionistischen Strukturen in der Weimarer Republik und lieferte mit anderen die Erzählungen von der ‚guten alten Zeit‘. Leid kam in diesen Geschichten allenfalls als Vorstufe tapferer Bewährung der Kolonisten vor. Die, welche Leid an der indigenen Bevölkerung oder gar die zahlreichen kolonialen Verbrechen verübten, waren, wenn überhaupt, Vertreter aus­ ländischer Kolonialmächte.443 Das verklärte Bild der Kolonien war das Ziel dieser Arbeiten, die damit ihren Teil dazu beitrugen, Revanchismus und Chauvinismus in der Weimarer Republik zu schüren.

442 Voigt, Im Schülerheim zu Windhuk. 443 Beachte etwa Voigt, Die Buren, S. 102.

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5. Schluss

Die Analyse der Berufsbiographien der Lehrerinnen und Lehrer der deut­ schen kolonialen Schule liefert aussagekräftige Erkenntnisse zur Schule, zum Unterricht und zu den Lebensläufen der Lehrkräfte und ermöglicht es nun, die grundlegenden Forschungsfragen dieser Arbeit zu beantwor­ ten. Als Institution und als kolonialer Erfahrungsraum wurde die kolonia­ le Schule durch ihre Lehrkräfte in besonderem Maße geprägt. Die zahlrei­ chen biographischen Beispiele zeigen Handlungs- und Tätigkeitsformen, durch welche die Lehrkräfte vielschichtig und maßgeblich in kolonialen Herrschaftsprozessen agierten. Dabei stützen sich die Forschungsergebnis­ se dieser Arbeit auf einer breiten Quellenbasis bestehend aus den Personal­ akten der Lehrkräfte, den Schulakten der Kolonialverwaltung und zahlrei­ chen eigenen Veröffentlichungen der Lehrkräfte.

Ein berufsbiographisches Portrait Die typische Berufsbiographie einer kolonialen Lehrkraft begann mit einer erfolgreichen Bewerbung auf eine der Stellen in den Kolonien. Ihr folgte ein Schreiben der Berliner Kolonialverwaltung, in dem die Lehrkraft über ihr Gehalt, die Formalitäten der Reise und ihre Rechte und Pflichten informiert wurde. In der Regel wurden die kolonialen Lehrkräfte zunächst für drei Jahre (in Kamerun und Togo zwei Jahre) in den Kolonialdienst übernommen und für diesen Zweck von ihrem heimischen Dienstverhält­ nis beurlaubt, denn bei den Angeworbenen handelte es sich zumeist um deutsche Volksschullehrerinnen und -lehrer. Einzig in Deutsch-Südwest­ afrika waren auch akademisch gebildete Lehrkräfte tätig, da dort neben Elementarschulen auch weiterführende Schulen existierten. Den Lehrkräf­ ten stand nach der Unterzeichnung ihres Anstellungsvertrages sowohl Wohnungsunterstützung als auch kostenfreie medizinische Versorgung zu, wobei letztere insbesondere in den Anfangsjahren der kolonialen Schu­ le das Risiko, im Dienst etwa an Malaria oder Schwarzwasserfieber zu versterben, nicht wesentlich minderte. Bedingt wurde eine Anstellung vor allem durch die körperliche Konstitution der Lehrkräfte, weshalb eine Un­ tersuchung zur Feststellung der Tropendienstfähigkeit zur Pflicht gehörte und, basierend auf der Annahme größerer gesundheitlicher Widerstandsfä­

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5. Schluss

higkeit von Männern diese in der großen Mehrheit anstelle von Frauen angestellt wurden. Besonders attraktiv machte die koloniale Anstellung zunächst das mit ihr verbundene Gehalt, das etwa das Fünffache eines Volksschullehrer­ gehalts Ende der 1880er-Jahre ausmachte. Das Einstiegsgehalt einer ko­ lonialen Lehrkraft belief sich zwischen 1886 und 1914 etwa auf 4.000 bis 5.000 M pro Jahr, wobei keineswegs alle Lehrkräfte gleich viel ver­ dienten. Der Verdienst war abhängig vom kolonialen Einsatzort, dem Anstellungszeitpunkt und dem Geschlecht der Lehrkraft. Zu denjenigen, die am besten verdienten, gehörten insbesondere männliche Lehrkräfte, die nach der Umstrukturierung der Kolonialbeamtenbesoldung ab 1908 angestellt wurden, während Frauen grundsätzlich etwa 1.000 M weniger verdienten als ihre männlichen Kollegen. Gleichwohl vor allem in Samoa und in Deutsch-Südwestafrika die Anstellung von Lehrerinnen nicht sel­ ten war und diese als Schul- und Pensionatsleiterinnen auch Führungsauf­ gaben übernahmen, waren die besser dotierten Leitungsposten stets von Lehrern besetzt. Entsprechende Beförderungen, etwa zum Rektor, zum Schulreferenten der Gouvernementsverwaltung oder zum Schulinspektor, konnten das Gehalt der Lehrer dann noch einmal bis auf 11.000 M pro Jahr ansteigen lassen. Doch nicht nur der Verdienst bewegte Lehrkräfte zu einer Bewerbung um eine Stelle im Kolonialdienst. In der Gruppe der Bewerber für die erste koloniale Lehrerstelle in Bonamandone (Kamerun) befanden sich etwa auch viele, die grundsätzlich an Tätigkeiten außerhalb des Deutschen Reiches oder wissenschaftlich an den tropischen Kolonial­ gebieten interessiert waren. Bemerkenswerterweise begründeten nur etwa 40 Prozent der seinerzeitigen Bewerber ihre Bewerbung mit explizit kolo­ nial- oder missionsbezogenen Aussagen, wobei natürlich jede Bewerbung um eine Stelle im Kolonialdienst ein zumindest implizites Bekenntnis zur kolonialen Expansion darstellen kann. Nach dem formalen Akt der Anstellung reisten die Lehrkräfte per Pas­ sagierdampfer in Richtung ihrer kolonialen Einsatzorte. Die Reise war dabei nicht nur eine geographische, sondern auch eine mentale Annähe­ rung an das Tätigkeitsgebiet. An Theodor Christallers Reisebericht konnte beispielsweise veranschaulicht werden, wie sich während dieser Reise zeit­ genössische Stereotype und rassisch konnotierte Einstellungen gegenüber afrikanischer Bevölkerung mit paternalistischem Bewahrungsdenken und christlicher Bekehrungsrhetorik verbanden. Die Ankunft in der Kolonie war dann insbesondere für die ersten Lehrkräfte, ob nun für Theodor Christaller 1886 in Bonamandone (Kamerun) oder für Paul Barschdorff 1907 in Rabaul (Neuguinea), geprägt von rudimentären Verwaltungsstruk­

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5. Schluss

turen und enormen Anforderungen an die eigene Initiative. Bestand schon eine koloniale Schule, hingen die ersten Erfahrungen einer Lehrkraft da­ von ab, ob entsprechende Einarbeitungsphasen möglich waren. Gerade in Kamerun kam in Übergangsphasen in der Lehrerstellenbesetzung indige­ nen Lehrkräften eine besondere Bedeutung zu, was dort allerdings nicht dazu führte, dass diese als vollwertige Kollegen angesehen wurden. Die Bestrebungen der Gouvernementsverwaltungen lagen vielmehr darin, die staatlichen Schulen kontinuierlich mit deutschen Lehrkräften zu besetzen, wobei allerdings nicht nur die fachliche Qualifizierung entscheidend dafür war, ob die ‚Neuen‘ von den sich schon vor Ort befindlichen Lehrkräften akzeptiert wurden. Erst die Prüfung der kolonialen Praxis, so insbesonde­ re die Auffassung von Paul Blank, der in Deutsch-Ostafrika von 1895 bis 1911 die führende Lehrerpersönlichkeit war, zeige, ob der Einzelne cha­ racter besitze, also den Tugenden eines Kolonialbeamten entspräche. Zwar konnten sich Kollegen nicht gegenseitig entlassen, wohl hingen allerdings die zwischenmenschlichen Beziehungen von dieser Art der Prüfung ab und standen auch einige der beobachteten Konflikte innerhalb der Lehrer­ schaft mit ihr in Zusammenhang. Wie lange die Dienstzeit einer kolonialen Lehrkraft dauerte, wurde von persönlichen und von äußeren Einflüssen bedingt. Die wichtigsten Kriterien waren die persönliche Bereitschaft der Lehrkraft für eine weitere Dienstperiode, deren Gesundheit und die fachliche Qualifikation, wobei für letztere entsprechende Schulinspektorenstellen lediglich in DeutschOstafrika und in Deutsch-Südwestafrika bestanden. Auch der Grad des Zuspruchs der je nach Kolonie indigenen oder der nicht-indigenen Be­ völkerung hatte Auswirkungen auf die Eigenmotivation und darauf, wie das Handeln einer Lehrkraft beurteilt wurde. Für die Entscheidungen der Lehrkräfte über einen Verbleib im Kolonialdienst spielte dabei die Frage der Pensionsberechtigung eine wichtige Rolle. Anhand der Lehrerschaft Deutsch-Südwestafrikas und der Rückkehrerbiographien von Hermann Höfer und Paul Barschdorff (beide Deutsch-Neuguinea) wurde ersichtlich, dass die Beurlaubungspraxis die Anerkennung der kolonialen Dienstjahre erschwerte und Stellen mit pensionsberechtigendem gegenüber (nur) pen­ sionsfähigem Gehalt rar waren. Auch die Rückkehr in den heimischen Dienst war nicht komplikationslos möglich, sodass eine Beschäftigung in der kolonialen Schule, vom Standpunkt der Karriere aus betrachtet, trotz des teilweise höheren Gehalts nicht immer langfristige Vorteile für die Lehrkräfte hatte. Neben allen anderen dramatischen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs verstärkte dieser schließlich die ohnehin bestehenden berufsbiographi­

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5. Schluss

schen Unsicherheiten, da 1914 keineswegs von einem rechtlich ausgeform­ ten Kolonialbeamtenstand gesprochen werden konnte. Die feindlichen Besetzungen der Kolonialgebiete hatten in fast allen Kolonien die Auferle­ gung von Berufsverboten, Internierungen und letztlich die erzwungene Rückreise ins Deutsche Reich zur Folge. Einzig in Deutsch-Südwestafrika knüpften die Lehrkräfte unter der Leitung von Bernhard Voigt ab Mitte 1915 an ihre Tätigkeit der Vorkriegszeit an. Sie hielten durch die Wieder­ eröffnung der Schulen und das Weiterführen von Verwaltungsstrukturen bis zum Kriegsende den Glauben an eine mögliche Fortsetzung deutscher Kolonialherrschaft aufrecht. In den Schulen unterrichteten auch nach dem Krieg vielfach die gleichen Lehrkräfte wie zuvor, und es waren diese kolo­ nialen Lehrkräfte, die auch nach dem Transfer vieler Schulen in die süd­ westafrikanische Protektoratsverwaltung dort arbeiteten. Von einer gewis­ sen unmittelbaren kolonialen Kontinuität kann man im Hinblick auf die Berufsbiographien also insbesondere in Südwestafrika sprechen, während die Wiedereröffnung einer Schule im ostafrikanischen Lupembe zunächst des Aufbaus eines kolonialrevisionistischen Kontaktnetzes bedurfte. Darin hatten der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft und wieder in das ehemalige Kolonialgebiet ausgereiste Deutsche wichtige Positionen inne. Erst deren Zusammenarbeit mit der Lehrerin Dora Künzel und das beständige Drängen auf eine Schulgründung verschafften der Koloni­ alabteilung im Auswärtigen Amt die benötigten Kooperationspartner zur Umsetzung des Projektes. Kolonialrevisionismus in der Praxis, das zeigt der Schulgründungsprozess, bedingte nach amtlicher Überzeugung ein ge­ genüber den fremdländischen Mandatsverwaltungen diskretes Vorgehen, was im starken Kontrast zu den vehement vorgetragenen Forderungen der Kolonialrevisionisten stand.

Die Generierung, Verbreitung und Nutzung kolonialen Herrschaftswissens Die Gründungen der kolonialen Schule vollzogen sich insbesondere in Auseinandersetzung mit drei Ideen-, Erfahrungs- und Wissensbereichen, nämlich der deutschen Volksschule, dem Missionsschulwesen und dem Auslandsdeutschtum. Dabei bedurfte es eines intensiven Austauschprozes­ ses zwischen der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt, dem Preußi­ schen Kultusministerium, den Kultusministerien der anderen deutschen Bundesstaaten, Vertretern der Wirtschaft und der Missionen sowie dem ersten Gouverneur Kameruns, Julius von Soden, um ein Anstellungspro­

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5. Schluss

fil eines kolonialen Lehrers zu entwickeln, das junge, männliche Volks­ schullehrer fokussierte. Dieses Anstellungsprofil, das auch die Kenntnis lokaler Sprachen beinhaltete, gehörte neben den Erfahrungen der ersten beiden Schulgründungen in Bonamandone (Kamerun, 1887) und Tanga (Deutsch-Ostafrika, 1892) zum Kernbestand strategischen Herrschaftswis­ sens, ließ sich anpassen und auf weitere Schulgründungen in anderen Ko­ lonien übertragen. Besondere Berücksichtigung fanden dabei die lokalen Strukturen, die im Falle der kolonialen Schulen für Indigene grundsätz­ lich die Notwendigkeit eines Kooperationspartners mit sich brachten. In besonderem Maße ist dies für die kolonialen Schulen in Kamerun, Togo und Deutsch-Ostafrika festzustellen, wo die Kooperation mit indigenen Eliten die Voraussetzung für volle Klassenzimmer war. Kooperationen mit Missionsgesellschaften (in Kamerun) und mit der Deutschen Kolonial­ gesellschaft (Deutsch-Ostafrika und Samoa) dienten schließlich einerseits zur Informationsgewinnung und andererseits dazu, materielle Ressourcen zur Schulfinanzierung zu erlangen. In Kolonien, in denen Schulen für Nicht-Indigene – zumeist Deutsche – eröffnet wurden, also in DeutschSüdwestafrika, in Deutsch-Neuguinea, in Samoa und in Deutsch-Ostafrika, interagierten die Gouvernementsverwaltungen zudem mit den lokalen nicht-indigenen Siedlerschaften. Diese hatten als Schulvereinsträger, als Eltern oder als Mitglieder in den Gouvernementsräten Einflussmöglich­ keiten auf die kolonialen Schulen und waren bei der Anwendung von Gründungsstrategien zu berücksichtigen, wollten die Gouvernementsver­ waltungen Konflikte vermeiden. Wesentliche Beiträge zur Generierung kolonialen Herrschaftswissens weit über Schulgründungsstrategien hinaus lieferten die kolonialen Lehr­ kräfte selbst, indem sie ihren Unterricht an die Prozesse der Wissens­ generierung anschlossen. Dies geschah vor allem über die Herstellung von Schulbüchern, mit denen die Lehrkräfte erhebliche Eingriffe in die Grammatikstruktur lokaler Sprachen vornahmen. Mit Grammatiken und Wörterbüchern betrieben sie Sprachpolitik sowohl in korpus- als auch in statusplanerischer Hinsicht. Indem sie etwa das Duala (Kamerun), das Swahili (Deutsch-Ostafrika), das Chamorro (Saipan, Deutsch-Neuguinea) oder das Kuanua (Blanchebucht, Deutsch-Neuguinea) lateinischen Gram­ matikvorstellungen unterwarfen und ‚fremd‘ wirkende Sprachelemente, wie etwa die arabischen Schriftzeichen des Swahili oder Einflüsse des Spanischen auf das Chamorro, eliminierten, stellten sie ihre Tätigkeit in den Dienst der kolonialen Eroberung und der Herrschaftsdurchdringung. Diese Durchdringung bedingte Kommunikationsgrundlagen, welche die Gouvernementsverwaltungen insbesondere in der Verbreitung einer ausge­

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5. Schluss

wählten indigenen Sprache erblickten. In der Verfolgung einer national­ kolonialen Agenda sollte so das vielerorts verbreitete Pidgin-Englisch ver­ drängt und die Verbreitung des Deutschen vorbereitet werden. Letzteres spielte im Unterricht eine untergeordnete Rolle und wurde meist nur mit dem Ziel, funktionale und praxisorientierte Sprachkenntnisse herzustel­ len, vermittelt. Zunächst wichtiger war den Verwaltungen und den Lehr­ kräften die kulturelle Beeinflussung über die Lokalsprachen. Diese stand im Zentrum der Sprachpolitik, bei deren Umsetzung die Lehrkräfte starke Verbindungen in ihr Heimatland hatten. Die Sprachpolitik in Kamerun und Togo in den Jahren 1886 bis 1896 wurde insbesondere durch ein familiäres Netzwerk in Württemberg – in Schorndorf und in Nagold – ge­ tragen. Die Sprachpolitik in Deutsch-Neuguinea und in Deutsch-Ostafrika unterstützte vor allem das Seminar für Orientalische Sprachen (SfOS) in Berlin durch wissenschaftliche Begutachtung der Manuskripte und durch die Aufnahme von ausgewählten Werken in dessen Schriftenreihen. Am SfOS wurden zudem beinahe alle in Deutsch-Ostafrika eingesetzten Lehr­ kräfte vorab in einem zweisemestrigen Lehrgang im Swahili ausgebildet, was mit Blick auf eine angestrebte allgemeine Ausbildung von Kolonialbe­ amten im Deutschen Reich als beispielgebend und früh einzuordnen ist. Vor allem die Sprachpolitik in Deutsch-Ostafrika kann so als beständiger Transferprozess zwischen der Kolonie und dem Deutschen Reich charakte­ risiert werden, in welchem im Unterricht neues kulturelles Wissen gesam­ melt und durch die Lehrkräfte gleichzeitig verformtes und koloniallingu­ istisch angepasstes Wissen vermittelt wurde. Im Unterricht dienten nicht nur die sprachlichen Lektionen den sprachpolitischen Zielen. Auch Fächer wie Singen oder Turnen wurden dazu genutzt, indigene Kulturelemente kolonialstaatlich zu verformen und über Sprachtransfers Herrschaftshier­ archien aufzubauen. Dass indigene Sprachen in dieser Weise verwendet wurden, stand insbesondere im Einklang mit koloniallinguistischen For­ schungstraditionen, wenngleich die Lehrkräfte durch die Adressierung ihrer Werke an die indigene Bevölkerung von den Ausrichtungen der insbesondere selbstreferentiell arbeitenden Missionarslinguistik abwichen. Eine gewisse Neigung zu Publikationstätigkeit lässt sich schließlich auch für aus dem Dienst ausgeschiedene koloniale Lehrkräfte konstatieren. Standen vor dem Ersten Weltkrieg kolonialwissenschaftliche und schulbe­ zogene Themen im Vordergrund dieser Publikationen, veränderte sich der Schwerpunkt nach dem Krieg hin zu kolonialrevisionistischen und -erzieherischen Arbeiten. Vor allem Bernhard Voigt, der als Schulinspektor maßgeblich für die Kontinuität der kolonialen Schule in Deutsch-Südwest­ afrika bis zum Anfang der 1920er-Jahre verantwortlich war, veröffentlichte

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entsprechende Werke, die dazu dienten, junge Menschen für die Koloni­ en zu begeistern. Auch in Vorträgen und kurzen Buchbeiträgen warben koloniale Lehrkräfte in den 1920er-Jahren für die koloniale Revanche und trugen so dazu bei, chauvinistische Einstellungen zu stärken.

Schule und Lehrkräfte in den Prozessen der Aushandlung kolonialer Herrschaft Die koloniale Schule diente dem Kolonialstaat vor allem für zwei Zwecke. Erstens sollten Subalternbeamte, Hilfslehrer und Dolmetscher in den Ele­ mentarfächern (Lesen, Schreiben und Rechnen) ausgebildet werden, um lokale Selbstverwaltungen zu organisieren und den kostenintensiven Ein­ satz deutschen Personals in den Bezirks- und Gouvernementsverwaltungen zu begrenzen. Hinzu kommen handwerkliche und landwirtschaftliche Ausbildungszweige der kolonialen Schulen, die zu erzieherischen Zwe­ cken, zur Umsetzung von Infrastrukturpolitik und zur Rationalisierung der Landwirtschaft eingeführt wurden. Die Verbreitung handwerklicher Fähigkeiten verminderte zudem einerseits die Abhängigkeit der Gouverne­ ments von Materiallieferungen und Personaltransfers aus dem Deutschen Reich und reduzierte andererseits den Zeitaufwand für kommunikative Abstimmungen mit der Berliner Kolonialverwaltung. Schulbücher und Lehrmittel wurden so etwa nach der Etablierung einer Schuldruckerei in Tanga (Deutsch-Ostafrika) und in Rabaul (Deutsch-Neuguinea) durch die dortigen Gouvernements selbst hergestellt. Die koloniale Schule war aber nicht nur Ausbildungseinrichtung, sie war zweitens insbesondere auch po­ litisches Mittel der zivilen Pazifizierung in den Phasen der Herrschaftseta­ blierung. Ob nun die Gruppe der Duala um ihren Chief Dumbe Lobe Bell (King Bell) in Bonamandone (Kamerun), Chief G. A. Lawson in KleinPopo (Anécho, Togo) oder indische Bevölkerungsgruppen in Deutsch-Ost­ afrika, sie alle wollten die frühen Gouvernementsverwaltungen durch die Einrichtung von Schulunterricht für sich gewinnen. Dabei befriedigten sie einerseits Wünsche der indigenen Eliten nach solchen Gründungen, mit denen diese unter anderem ihre eigene Machtstellung gegenüber an­ deren lokalen Eliten auszubauen versuchten, und etablierten andererseits Loyalitäten, die dann herrschaftlich instrumentalisiert und sprachpolitisch ausgenutzt wurden. Mit der Errichtung von Schulen stand den Kolonialverwaltungen eine zivile Alternative zum militärischen Vorgehen in der Herrschaftsetablie­ rung zur Verfügung. Als epistemische Gewalt verstanden, waren die zur

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5. Schluss

vermeintlichen Vermittlung errichteten Schulen und die in ihnen letzt­ lich stattfindende Sprachpolitik allerdings ebenso keineswegs gewaltfrei, wie auch der Kolonialimperialismus an sich strukturell von Gewaltanwen­ dungen geprägt ist. Zudem war der Einsatz der Schule als politisches Mittel keineswegs unumstritten. In der Führungsriege des Gouvernements in Deutsch-Ostafrika führte dies beispielsweise zu internen Konflikten zwischen Gouverneur von Soden und Hermann von Wissmann, der zu denjenigen zählte, die für verstärktes militärisches Vorgehen plädierten. Auch die Einführung islamischen Religionsunterrichts, der in der dortigen Schule in Tanga ab 1894 für Zutrauen der muslimischen Bevölkerung zur Schule sorgen sollte, führte zu vehementer negativer Kritik von Seiten der christlichen Missionen. Dies zeigt, dass die Gouvernements im Aufbau kolonialer Schulen nicht nur die lokale Herrschaftsarchitektur zu beachten hatten, sondern auch die Teilnehmer an der allgemeinen kolonialen De­ batte. Besonders intensiv wurde eine mögliche Behinderung der christli­ chen Bekehrungsziele der Missionen durch die grundsätzlich konfessions­ losen kolonialen Schulen ebenfalls anhand der Schulen in Deutsch-Ostafri­ ka diskutiert. Christlich-konservative Kreise im Reichstag und Missionsver­ treter bezichtigten die Lehrkräfte, durch Ausweitung der Schule auf das Inland der Kolonie und der damit einhergehenden Versetzung muslimi­ scher Hilfslehrer in vermeintliche Missionsgebiete der Verbreitung des Is­ lams Vorschub zu leisten, und forderten die vordringliche Errichtung von Missionsschulen. Die so in die Defensive gedrängten Lehrkräfte, die Gou­ vernementsverwaltung und die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt entwickelten daraufhin gemeinsam das Narrativ der impliziten Christianisie­ rung durch koloniale Schulen. Dieses besagte, dass die Schulen durch impli­ zite christliche Kultureinflüsse seitens der deutschen Lehrkräfte gar keine andere Wirkung auf die Schülerschaft entfalten könnten, als eine mittel­ bare Affinität zur christlich geprägten deutschen Herrschaft zu erzeugen. Mittelbar fördere dies den Aufbau eines christlichen Schulwesens, auf des­ sen Errichtung die Kolonialpraktiker ebenfalls, allerdings in weitaus lang­ fristigeren Planungen als die Debattenteilnehmer im Deutschen Reich, zielten. Zu beobachten ist nicht nur hier, sondern auch grundsätzlich, dass sowohl zwischen der indigenen Bevölkerung und der lokalen Verwaltung als auch zwischen dieser und der Berliner Kolonialverwaltung koloniale Aushandlungsprozesse durch gezielte Wissensweitergabe beziehungsweise die Verschleierung von Zusammenhängen funktionierten. Den Lehrkräften kommt in den kolonialen Aushandlungsprozessen eine bedeutende Rolle zu, da ihre Tätigkeit an einer Schaltstelle der ko­ lonialen Wissensproduktion angesiedelt war. Gegenüber der indigenen

536

5. Schluss

Bevölkerung waren sie sowohl Vermittler in beiderlei Richtungen und andererseits Vertreter des kolonialen Staates. Kulturelle Distanz und all­ tägliche Nähe erzeugten, das ist etwa bei Theodor Christaller zu beobach­ ten, scheinbar widersprüchliches Verhalten. So war er einerseits besonders streng in der Auslegung disziplinarischer Regeln und doch im Falle seines Lieblingsschülers Konrad Eleme bei dessen Verfehlungen in väterlicher Weise nachsichtig. Auch die Benennung seines Sohnes mit einem Namen des Duala-Chiefs zeugt von einem Verhältnis zwischen Lehrer und indi­ genem Ansprechpartner, das über eine reine Herrschaftsbeziehung hinaus­ ging. Theodor Christaller, aber auch etwa die deutschen Lehrer auf Saipan (Deutsch-Neuguinea), waren Teil des Sozialgefüges in der Kolonie und häufig allein im Kontakt mit der indigenen Bevölkerung. Dadurch wur­ den sie Bezugspersonen, die ihre Erfahrungen auch biographisch mit der indigenen Bevölkerung teilten. Vielen Schulberichten, in die Lehrkräfte auch ihre persönlichen Einstellungen und ihre Erfahrungen einfließen lie­ ßen, ist anzumerken, dass die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schüler nicht nur fachlich und sozialhierarchisch geprägt war, sondern auch eine Beziehung des gemeinsamen Lernens. Dies soll die kulturellen sprachpoli­ tischen Eingriffe der Lehrkräfte oder die letztliche Dominanz der Koloni­ alherren in der Schule keineswegs relativieren, zeigt allerdings, dass der koloniale Alltag der Lehrkräfte wesentlich komplexer strukturiert war, als es aus der Perspektive der Herrschaftsbeziehungen scheint.

Ausblick Die Ergebnisse dieser Arbeit motivieren in vielschichtiger Weise zur wei­ teren Befassung mit der kolonialen Schule, die pars pro toto Wesenszüge des deutschen Kolonialismus hat sichtbar werden lassen. Als Projektion in die Zukunft haftet der Schule an sich bereits Konzeptionelles und Grundsätzliches an. Ihr Aufgreifen als Thema der Kolonialforschung er­ möglicht Einblicke in die Funktionslogik der kolonialen Expansion abseits öffentlicher Debatten, in denen Inhalt und Außenwirkung kalkulierend in Verbindung gebracht wurden. Die Dimensionen der kulturellen Kolo­ nialambitionen werden ebenso deutlich wie deren enge Verbindung mit politischen und wirtschaftlichen Zielen. Die koloniale Schule ist nur auf den ersten Blick ein Forschungsfeld, das ausschließlich kulturelle Imperialund Kolonialbestrebungen fokussiert. Bemerkt man etwa die unternehme­ rischen Ziele der Schule in Tanga oder die Funktionalisierung der kolonia­ len Schule an sich als politisches Mittel der zivilen Pazifizierung, so wird

537

5. Schluss

deutlich, dass dieses Forschungsfeld umfassenden Zugang zur Untersu­ chung kolonialer Expansionsprozesse bietet. Aus forschungsmethodischer Perspektive hat sich dabei die Schwerpunktsetzung auf die Bereiche Bio­ graphie und Wissen als sehr fruchtbar erwiesen, da durch sie die Aushand­ lung kolonialer Herrschaft in der Praxis im Zentrum der Analyse steht. Gleichzeitig ist so die Betrachtung von Vernetzungen und von Kontinuitä­ ten über historische Umbrüche hinweg möglich. Entsprechende multiper­ spektivische, biographische Ansätze, die Personen in den Blick nehmen, die nicht zur unmittelbaren Führungsschicht der Gouvernementsverwal­ tungen gehören, können dann dazu führen, Kolonialgeschichte nicht nur von oben anhand der Gouverneurszeiten oder schematisch in Phasen der Eroberung, der Krisen und der Konsolidierung zu strukturieren, sondern anhand der praktischen Umsetzung kolonialpolitischer Ziele. Solche An­ sätze, die nahe an der kolonialen Praxis angesiedelt sind, haben zudem die Chance, gleichwohl Quellenzugänge schwierig sind, auch Perspektiven der indigenen Bevölkerungen, wie es in dieser Arbeit etwa anhand er indigenen Lehrkräfte in Kamerun geschehen ist, mit in die Analyse einzu­ beziehen. Ausgehend von den Ergebnissen dieser Arbeit zur Sprachpolitik in den Schulen liegt es nahe, nun interdisziplinäre Fragestellungen in den Blick zu nehmen. Die von den Lehrkräften erstellten Schulbücher bedür­ fen eingehender Analyse durch sprachkundige Linguisten. Verbunden mit einer pädagogisch-historischen Schulbuchanalyse könnten die exogramma­ tikalischen Einflüsse der Sprachpolitik nicht nur anhand der angewandten grammatikalischen Grundprinzipien und der Struktur der Bücher, wie es in dieser Arbeit erfolgte, sondern auch anhand der konkreten Schulbuch­ inhalte nachvollzogen und ihre Einbettung im Unterricht verortet werden. Weitere Fragen hinsichtlich der interimperialen Beziehungen schließen sich an, wobei die Ergebnisse dieser Arbeit nahelegen, die koloniale Schule insbesondere als nationalkoloniales Projekt zu begreifen und dementspre­ chend nicht nach inter-imperialen Kooperationen, sondern nach struktu­ rellen Gemeinsamkeiten zu fragen.

538

6. Anhang

Vorbemerkungen Die Funktion dieses Anhanges liegt in der Darreichung der Datenanalysen als Tabellen und Graphiken. Die Ergebnisse dieser Analysen finden sich, angereichert mit entsprechenden Kennzahlen, in verbalisierter Form im Text. Die den Analysen zugrundeliegenden Daten sind äußerst vielfältig und jeweils in den Fußnoten benannt. Bei der Auswahl der Daten lag ein besonderes Augenmerk auf ihrer Verlässlichkeit, da Daten zum kolonialen Bildungswesen häufig unreflektiert und lediglich illustrierend Eingang in Publikationen zur deutschen Kolonialgeschichte finden.1 Dementspre­ chend wurden in den Analysen vorwiegend Rohdaten verwendet, also Per­ sonalakten, Originalberichte oder etwa Schriftverkehr. Publizierte Daten der amtlichen Jahresberichte, der Amtsblätter, von zeitgenössischen Auto­ ren oder der Forschungsliteratur finden ebenfalls Verwendung, wobei die­ se bei widersprüchlicher Datenlage allerdings nachrangig Eingang in die Analysen fanden. Bemerkungen zu den einzelnen Tabellen und Grafiken weisen im Folgenden auf Besonderheiten hin, die zum Verständnis der Auswertungen wichtig sind. Datenkonflikte wurden in jedem Fall kennt­ lich gemacht und problematisiert. Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass insbesondere die uneinheitliche Terminierung der Schuljahre, die bisweilen unterschiedlichen Zählmodi von Personen und uneinheitliche Benennungen Vergleiche erschweren. Hierzu finden sich entsprechende Anmerkungen in den Fußnoten. Zur Steigerung des Aussagewertes der statistischen Auswertung der Personalakten der Lehrkräfte in Deutsch-Süd­ westafrika basiert diese auf einer monatsgenauen Erfassung der Dienstzei­ ten.2

1 Vgl. Adick, Bildungsstatistiken, S. 21–22. Beachte auch Kapitel 1.3. 2 Beachte hierzu Kapitel 3.4.3.

539

6. Anhang

Zu Kapitel 2.1 Nr. 1 Die Bewerber beim Preußischen Kultusministerium für die Stelle als Lehrer in Kamerun (Mai–Dezember 1886)3 a) Tabellarische Übersicht Name

Ort

Datum der Bewerbung

Erlernter Beruf

Aktuelle Beschäftigung/ Schulform

1.

Heinrich Seidel

Berlin

07.06.1886

Volksschul­ lehrer

Volksschullehrer

2.

Paul Schönwaldt

Mönchenglad­ bach

22.05.1886

Volksschul­ lehrer

Lehrer an der ‚IdiotenAnstalt‘ Hephata

3.

Emil Salge

Nienburg (Weser)

18.06.1886

GymnasialHilfslehrer

Wissenschaftlicher Hilfs­ lehrer

4.

Richard Kirchberg

Wulkow bei Alt-Ruppin

24.05.1886

n. b.

Privatlehrer

5.

F. A. Nikolai

Zeulenroda im Vogtland

12.08.1886

Theologie­ studium

Schuldirektor

6.

Christlieb Tiede

Meseritz (Międzyrzecz, Polen)

23.08.1886

SchulamtsKandidat (Gymnasi­ um)

Gymnasial-Hilfslehrer

7.

Heinrich Meyer

Werther (Westfalen)

23.08.1886

Volksschul­ lehrer

Ev. Volksschule

8.

Hr. Dubois

Berlin

24.08.1886

Volksschul­ lehrer

Lehrer und Erzieher an einem frz. Hospice

9.

Paul Born

Hameln

24.08.1886

n. b.

Höhere Mädchenschule Hameln

10.

Paul Malin

Schönwalde

23.08.1886

Volksschul­ lehrer

Volksschule

11.

Ernst Magnus Lorenz

Plauen

02.09.1886

n. b.

Bürgerschullehrer

12.

Rudolf Jost

Wollstein (Wolsztyn, Polen)

26.08.1886

n. b.

Lehrer an einer ev. Schule

13.

Gustav Tenius

Marburg

07.09.1886

Student (Mathema­ tik, Natur­ wissen­ schaften)

Student

Nr.

540

6. Anhang 14.

Dr. Carl Winderlich

Dammitsch bei 06.09.1886 Steinau an der Oder (Ścinawa, Polen)

Gymnasial­ lehrer

Hauslehrer

15.

C. Engels

Aachen

24.08.1886

Gymnasial­ lehrer

Realgymnasiallehrer

16.

Andreas Bär

Rawitsch (Ra­ wicz, Polen)

25.08.1886

Volksschul­ lehrer

Seminar-Hilfslehrer, ehemals Lehrer an der dt. Gemeindeschule in Neapel

17.

Sofie Beyersdorff4

St. Louis (Missouri, USA)

23.08.1886

Lehrerin

n. b.

18.

Dr. Honitsch

Altenburg

07.09.1886

Lehramts­ bewerber

n. b.

19.

Hr. Leipolz

Napiroda (nahe Poznan, Polen)

09.09.1886

n. b.

II. Lehrer

20.

Martin Rohlfs

Grüppenbüh­ ren (Oldenburg)

10.09.1886

Volksschul­ lehrer

Volksschule

21.

Hr. Molski

Rozdrazewo (Rozdrażew, Polen)

10.09.1886

Volksschul­ lehrer

Volksschule

22.

Dr. Gustav Kribel

Reinerz (DusznikiZdrój, Polen)

11.09.1886

Gymnasial­ lehrer

Privatlehrer

23.

Teodor Feierabend

Malschöwen (Małszewko, Polen)

31.08.1886

Lehr­ amtskandi­ dat

Privatlehrer

24.

Dr. Hortschans5

Halle (Saale)

04.09.1886

Gymnasial­ lehrer

Höhere Schule

25.

Johannes Petersen

Humptrup 12.09.1886 (Humtrup, Dä­ nemark)

n. b.

n. b.

3 Für die Bewerber Nr. 1–102 beachte GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. I, Bl. 72–368. Für die Bewerber Nr. 50, 65, 103–104 beachte GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium I, Sekt. 1, Nr. 106, Bd. II, Bl. 1–11. So­ weit ermittelbar, wurden die Vornamen der Bewerber mit aufgeführt. Abgekürzte Vornamen wurden übernommen, ansonsten wurde den Bewerbern Herr („Hr.“) vorangestellt. Die Ortsnamen basieren auf den Angaben der Bewerber und wurden bei Mehrdeutigkeiten mit Zusätzen versehen. Beachte auch die Karte unter b). 4 Sofie Beyersdorff war die einzige Frau in der Bewerberschaft. 5 Schreibweise unklar.

541

6. Anhang 26.

Carl Theodor Jensen

Humptrup 12.09.1886 (Humtrup, Dä­ nemark)

Autodidak­ tischer Leh­ rer

Lehrer an Schule seines Vaters

27.

Otto Zander

Teibern (Kaliningrad, Russland)

12.09.1886

Volksschul­ lehrer

Hauptlehrer an ev. Volksschule

28.

Rudolf Esser

Cüstrin (Ko­ strzyn nad Odrą, Polen)

09.09.1886

Musikleh­ rer

Leiter einer privaten Musikschule

29.

Dr. B. Krembs

Rheinberg

14.09.1886

unklar

n. b.

30.

Franz Behrends

Silbitz

15.09.1886

n. b.

Hilfslehrer

31.

Hr. Sonntag

Dudinghausen (Hohen Sprenz)

04.09.1886

Volksschul­ lehrer

Hauslehrer

32.

R. Herold

München

03.09.1886

Gymnasial­ lehrer

Philologe

33.

Martin Maack

Lübeck

09.09.1886

n. b.

n. b.

34.

Dr. Richard Hennig

Leipzig

09.09.1886

Gymnasial­ lehrer

Assistent an der Univer­ sität Göttingen

35.

Ferdinand Köcher

Stadtlengsfeld (Thüringen)

09.09.1886

Volksschul­ lehrer

Bürgerschullehrer

36.

Herrmann Wieghardt

Kempen 27.08.1886 (Kępno, Polen)

SchulamtsKandidat (Gymnasi­ um)

Schulamts-Kandidat (Gymnasium)

37.

J. Buchmann

Paderborn

10.09.1886

n. b.

Lehrer und Organist

38.

Hugo Kabath

Breslau

07.09.1886

Lehr­ amtskandi­ dat für hö­ heres Lehr­ amt

Lehramtskandidat für höheres Lehramt

39.

Paul Jörss

Stralsund

09.09.1886

SchulamtsKandidat (Realgym­ nasium)

Absolvent des Probe­ jahrs am Realgymnasi­ um

40.

Waldemar Gabler

Sommeritz (Schmölln)

14.09.1886

Volksschul­ lehrer

Volksschule

41.

Otto Haberstroh

Berlin

16.09.1886

SchulamtsKandidat (Gymnasi­ um)

Schulamts-Kandidat (Gymnasium)

42.

Hr. Rutzen

Berlin

18.09.1886

n. b.

Lehrer an 29. Gemeinde­ schule in Berlin

43.

Hr. Gillhoff

Spornitz

20.09.1886

Volksschul­ lehrer

n. b.

44.

Alexander Sieretzki

Posen

18.09.1886

n. b.

Privater Musiklehrer

542

6. Anhang 45.

F. A. Säger

Bernhöwe (Oranienburg)

19.09.1886

n. b.

n. b.

46.

Johannes Schaffetter

Hohenstein (Olsztynek, Polen)

19.09.1886

Gymnasial­ lehrer

Probekandidat (Gymnasium)

47.

Joseph Modest

Fulda

21.09.1886

Volksschul­ lehrer

Lehrer an einer Mäd­ chenschule

48.

Hr. Böhmer

Uhyst (Boxberg, Oberlausitz)

20.09.1886

Absolvent eines Gy­ mansiums

Volksschullehrer

49.

Franz Ferdinand Lock

Essleben (Bütt­ städt, Thürin­ gen)

11.09.1886

Volksschul­ lehrer

Volksschule

50.

Albert Hensel

Dittmannsdorf (Dziećmoro­ wice)

30.08.1886

Volksschul­ lehrer

Volksschullehrer

51.

Paul Dirbach

Breslau

25.08.1886

Elementar­ lehrer

Privatlehrer (Englisch, Französisch) an einer kaufmännischen Schule

52.

Paul Hoeven

Posen

05.09.1886

Volksschul­ lehrer

Städtischer Lehrer

53.

Otto Kutzner

Fraustadt (Wschowa, Polen)

08.09.1886

GymnasialHilfslehrer

Hilfslehrer an einem Realgymnasium

54.

Otto Friedrich

n. b.

08.09.1886

n. b.

Lehrer

55.

Emil Appel

Tempelhof (Berlin)

09.09.1886

Volksschul­ lehrer

Volksschule

56.

Otto Ylack

Berlin

10.09.1886

n. b.

Gemeindeschule

57.

Rich. Schmidt

Treuenbrietzen 14.09.1886 (Brandenburg)

n. b.

Mittelschule

58.

Gustav Lucht

Rumian (Ryb­ no, Powiat Działdowski, Polen)

22.09.1886

Volksschul­ lehrer

Evangelischer Wanderlehrer

59.

J. Boecken

Düren

24.09.1886

Sprachen­ studium in Irland

Höhere Bürgerschule

60.

Louis Frank

Berlin

26.09.1886

Angelernter n. b. Lehrer (in Texas, USA)

61.

Karl Arenhold

Groß-Auheim (Hanau)

24.09.1886

Kandidat des höhe­ ren Lehr­ amts

arbeitssuchend

62.

Dr. Franz Mauß

Erbach (Eltville)

24.09.1886

Gymnasial­ lehrer

Realschule

63.

Name nicht er­ mittelbar

Chicago (Illinois, USA)

15.09.1886

Volksschul­ lehrer

Lehrer in Chicago

543

6. Anhang 64.

Gustav Sadowski

Kummetschen bei Schirwindt (Kutusowo, Russland)

29.09.1886

Volksschul­ lehrer

Seminarabsolvent

65.

Hr. Graßan

Vettin (Groß Pankow (Prignitz))

04.10.1886

n. b.

ehemaliger Lehrer

66.

Johannes Bluhm

Alexandrowo (Aleksandrów Kujawski, Polen)

25.10.1886

n. b.

n. b.

67.

Julius Körnig

Leslau (Wlo­ clawek, Polen)

05.10.1886

n. b.

n. b. (ehemals Soldat)

68.

Ch. Lepenies

Liepgarten (Vorpom­ mern)

06.10.1886

Gymnasiast

Gymnasiast

69.

Friedrich Oerleke

Saargemündt (Sarreguemi­ nes, Frank­ reich)

05.10.1886

Volksschul­ lehrer

n. b.

70.

Otto Breßin

Tilsit (Sowetsk, 05.10.1886 Russland)

Volksschul­ lehrer

Praxisjahr

71.

Dir. Prof. Franz Müller

Porto (Portugal)

05.10.1886

Höhere Schule

n. b.

72.

Hr. Weßolly

Nicola (Mi­ kołów, Polen)

21.10.1886

n. b.

n. b. (ehemaliger Lehrer)

73.

Hr. Heyn

Wollin (Wo­ lin, Polen)

24.09.1886

Volksschul­ lehrer

Stadtschule

74.

Arthur Trettin

Lauenburg (Lębork, Polen)

25.09.1886

SchulamtsKandidat

n. b.

75.

Eugen Büge

Dessau

26.09.1886

Gymnasial­ lehrer

Höhere Schule

76.

G. Schmeerbauch

Worbis (LeinefeldeWorbis, Thüringen)

27.09.1886

Volksschul­ lehrer

n. b.

77.

E. Wabnitz

Tirschtiegel (Trzciel, Polen)

29.09.1886

n. b.

n. b.

78.

Joh. Gruschka

Groß-Strelitz (Strzelce Opolskie, Polen)

29.09.1886

Höherer LehramtsKandidat

Gymnasium

79.

Otto Hach

Berlin

10.09.1886

Volksschul­ lehrer

Gemeindeschullehrer

80.

Albert Harrer

Zuffenhausen (Stuttgart)

04.10.1886

Volksschul­ lehrer

Seminarabgänger

544

6. Anhang 81.

Adolf Jung

Zuffenhausen (Stuttgart)

04.10.1886

Volksschul­ lehrer

Seminarabgänger

82.

Karl Haller

Zuffenhausen (Stuttgart)

04.10.1886

Volksschul­ lehrer

Seminarabgänger

83.

Hr. Szyszka

Potulitz (Po­ tulice (Nakło nad Notecią, Polen)

05.10.1886

n. b.

n. b.

84.

J. Wagner

Zinhain (Bad Marienberg, Westerwald)

26.09.1886

n. b.

Lehrvikar

85.

Dr. R. Steffen

Vohwinkel (Wuppertal)

12.10.1886

Gymnasial­ lehrer

arbeitssuchend (vormals Leiter einer hö­ heren Privatschule)

86.

Hr. Hahn

n. b.

Ende Sept / Anf. Okt. 1886

n. b.

zweiter Lehrer

87.

Josef Grandel

Steinau an der Straße

15.10.1886

n. b.

arbeitssuchend

88.

Johann v. Poleski

Jarotschin (Ja­ rocin, Polen)

16.10.1886

Volksschul­ lehrer

Dorfschule

89.

Wilhelm Backes

Walbeck (Geldern)

19.10.1886

n. b.

n. b.

90.

Robert Herfurth

Mittelwalde (Międzylesie, Polen)

20.10.1886

n. b.

n. b.

91.

Johannes Gurn

Danzig (Gdańsk, Polen)

24.10.1886

Volksschul­ lehrer

Wanderlehrer

92.

Virgil Joseph Müller

Bell (Mendig)

26.10.1886

n. b.

arbeitssuchend

93.

Emil Hampel

Adlig Ruda (Lausitz)

20.11.1886

Volksschul­ lehrer

Hauslehrer bei einem Rittergutsbesitzer

94.

Christian Joessen

Broacker (Broager, Dänemark)

04.12.1886

Theologie­ studium

Leiter einer deutschen Privatschule

95.

Johann Heinrich Drees

Westerstede

21.11.1886

Volksschul­ lehrer

Hauptlehrer

96.

Hr. Reinecke

Celle

22.11.1886

Gymnasial­ lehrer

Lehrer an einer privaten höheren Mädchenschule

97.

Hr. Gaide

Kranowitz (Krzanowice, Polen)

27.11.1886

n. b.

arbeitssuchend

98.

Wilhelm Würz

Willingen

20.11.1886

n. b.

Lehrvikar

99.

Jacob Wintermeyer

Löhnfeld (Liebenscheid)

20.11.1886

n. b.

Lehrvikar

545

6. Anhang 100. Theodor Krukow

Allenburg (Druschba, Russland)

20.11.1886

Volksschul­ lehrer

n. b.

101. A. Fux

Altthann (Vieux-Thann, Frankreich)

07.12.1886

n. b.

n. b.

102. Oßwald Weßollig

Groß Peterwitz 21.10.1886 (Pietrowice Wielkie, Polen)

n. b.

n. b. (ehemaliger Lehrer)

103. Alex. Drath

Rothenburg (Oberlausitz)

29.12.1886

n. b.

n. b. (vormals Lehrer an der dt. Schule in Blu­ menau, Brasilien)

104. Peter Schmidt

Oberdreis

26.12.1886

Angelernter Soldat (vormals Hilfsleh­ Lehrer rer)

b) Statistische Auswertung Die Ausbildungshintergründe Ausbildungsweg

Anzahl

Anteil

Volksschullehrer

35

33,7 %

Gymnasiallehrer

29

27,9 %

Sonstiges

6

5,8 %

Unklar/n. b.

34

32,7 %

Gesamt

104

Das schulische Betätigungsfeld zum Zeitpunkt der Bewerbung6 Anzahl

Anteil

Niedere Schule

Schulart

26

25,0 %

Höhere Schule

19

18,3 %

Lehrerbildung

1

1,0 %

Privatlehrer

8

7,8 %

Arbeitssuchend

6

5,8 %

Sonstiges

21

20,2 %

n. b.

23

22,1 %

Gesamt

104

6 Absolventen, wie etwa die Bewerber Nr. 39 oder 80–82, wurden dem jeweiligen Schulbereich zugeordnet, in dem sie ihren Abschluss erlangten. Die Kategorie

546

6. Anhang

Die Anstellungsmotive7 Motivspektrum

Anzahl

Anteil

Koloniale Expansion

10

18,5 %

Patriotismus

8

14,8 %

Nähe zur christlichen Mission

5

9,3 %

Kolonial- und missionspolitische Motive

23

42,6 %

Auslandserfahrung

9

16,7 %

Karrierechancen

8

14,8 %

Finanzielle Besserstellung

7

13,0 %

wg. Vergehen arbeitslos

4

7,4 %

Wissenschaftliches Interesse

3

5,6 %

Persönliche Motive

31

57,4 %

Gesamt

54

Die geographische Herkunft Regionen

Anzahl

Anteil

Preußen

81

77,9 %

Andere deutsche Bundesstaaten

18

17,3 %

Ausland

3

2,9 %

Unbekannt

2

2,0 %

Gesamt

104

Sonstiges umfasst unter anderem nicht genau zuzuordnende Stellen- und Schulbe­ zeichnungen, außerschulische und universitäre Beschäftigungen. 7 Von den 44 Bewerbern, die ihre Motive explizit äußern, nennen drei Bewerber jeweils zwei Anstellungsmotive, ein Bewerber nennt drei Motive. Hinzu kommen in dieser Tabelle drei der vier ersten Bewerber, nämlich diejenigen, die ihre Motive ebenfalls explizit nennen (Seidel, Schönwaldt und Salge; Nr. 1–3 der obigen Liste), sodass die Gesamtzahl hier auf 54 steigt.

547

6. Anhang

Zu Kapitel 2.2 Nr. 2 Stundenplan der Schule in Tanga, erstellt von Lehrer Barth mit dem ersten Lehrplan im Oktober 18928 Uhrzeit

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

7–8

Aufsatz

Rechnen

Deutsch

Aufsatz

Rechnen

Deutsch

8–9

Rechnen

Deutsch

Rechnen

Rechnen

Deutsch

Rechnen

9 – 10

Deutsch

Rechtsch./ Lesen

Deutsch

Deutsch

Rechtsch./ Lesen

Rechtsch./ Lesen

3–4

Lesen

Schönschr.

Lesen

Schönschr.

4 – 4½

Singen

Singen

Singen

Singen

4½ – 5

Turnen

Turnen

Turnen

Turnen

Samstag

Nr. 3 Stundenplan der Schule in Tanga, dem Auswärtigen Amt übersendet am 25. September 1894 vom stellv. Gouverneur Lothar von Trotha9 Uhrzeit

Montag

7–8

8 – 8½

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Übungen im Lesen und Schreiben der arab. Schriftzeichen

Lesen Schönschreiben

Lesen

Lesen

Schönschreiben

Auswendiglernen Auswen­ der Ko­ ransprü­ diglernen der Ko­ che ransprü­ Lesen che

9 – 10

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

10¼ – 11

Rechnen

Singen

Turnen

Rechnen

Singen

Turnen

3–4

Lesen

Rechnen

Rechtschreiben

Lesen

Rechnen

Rechtschreiben

4–5

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

8 BArch, R 1001/989, Bl. 24–26. 9 BArch, R 1001/989, Bl. 45–46.

548

Sonntag

Schreiben u. Lesen arab. Schriftz.

Lesen und Auswendiglernen der Koransprüche

8½ – 9

Samstag

6. Anhang

Nr. 4 „Ausrüstung für den Lehrer Barth vom Offizierverein“10 a) Anschaffungen durch die Deutsche Kolonialgesellschaft11 Gegenstände

Preis in M

„2 weiße b‘ wollene Anzüge

30,-

4 (unleserlich) (Anzüge)

72,-

2 Garn. Perlmutt. Knöpfe

6,-

1 P. Lederschnürstiefel

19,50

1 (P.) Ledergamaschen

14,-

3 (P.) Segeltuchschnürschuhe

24,-

1 (P.) Lederschnürschuhe

12,-

1 Feldbett

62,-

2 Kamelhaardecken

30,-

2 Korkmatratzen

36,-

1 Tropenhelm

11,-

2 (unleserlich)

2,-

1 wasserd. Ueberwurf

6,50

1 Revolver (unleserlich)

25,-

200 Patronen

12,-

1 Buschmesser

7,50

1 Leibriemen mit Patronen- und Revolvertasche 1 (unleserlich)

9,7,50

1 Filzhut

3,50

1 Mosquitonetz

10,50

1 Regenschirm

5,50

1 Gummibadewanne

18,-

1 Dtz. Handtücher

9,50

1 Laterne

4,75

4 Dtz. Lichte

1,80

2 woll. Leibriemen

7,-

1 Dtz. Strümpfe

18,-

1 (Dtz.) Ko..starkhemden 1/2 (Dtz.) baumwollene Unterhosen Größe 4

21,19,50

1 Gummiluftkissen

6,-

2 Blechkoffer

60,-

4 Messingschlösser

5,20

10 BArch, R 8023/968, Bl. 98 (für das Zitat).

549

6. Anhang (unleserlich) d. Koffer

0,60

2 Schlafanzüge

40,-

1 Kaffeemaschine

1,60 Summe

618,4512

b) Privat angeschaffte Ausrüstung13 Gegenstände

Preis in M

„10 (Pfd.) W. Seife

5,-

2 Dtz. w. Familienseife

3,-

1 Dtz. Glyzerin

1,75

2 (Pfd.) Vaselin

2,-

4 (Pfd.) (unleserlich)

0,20

„6 weiß eml. Teller flach tief je 3

4,20

3 (weiß eml.) Tassen

2,25

3 (weiß eml.) Töpfe 1/75 1/.. 1/60

3,35

1 (weiß eml.) Handleuchter

1,25

1 Lichtmanschette

0,50

3 (unleserlich) Eßlöffel

1,80

3 (unleserlich) Theelöffel

0,90

2 (unleserlich) Tischgabeln

2,-

2 Tischmesser

1,20

1 Beißzange

0,50

1 Hammer

0,75

1 Schraubenzieher

0,50

1 Nagelbohrer

0,15

1 Baumsäge

0,75

1 Austragbürste

0,10

Diverse (unleserlich)

0,50

1 D. (unleserlich)

0,80

2 Petroleumkannen 1/- 3/-

4,00 Summe

37,45

11 BArch, R 8023/968, Bl. 98. 12 Die Summe der einzelnen Preise wird im Dokument mit 620,90 M angegeben, BArch, R 8023/968, Bl. 98. 13 BArch, R 8023/968, Bl. 96–97.

550

6. Anhang

Nr. 5 Statistik der Schülerzahlen der Schule in Tanga (Dez. 1892–März 1895) 10.12.189214

7.1.189315

7.1.189416

12.9.189417

6.11.189418

13.3.189519

8 „ältere Schü­ ler“

33 „ältere Schüler“

25 „ältere […] Schüler“

-

-

-

-

7 „jüngere Schüler“

33 „jüngere Schüler“

-

-

„48 Schüle[r] […] unter 14 Jahren“

8

40

58

48

62

48

Bemerkung: Die Zahlen basieren auf den beiden Schulberichten Christian G. Barths und auf zwei Berichten der Gouvernementsverwaltung.

14 BArch, R 1001/989, Bl. 21–23 (für das Zitat: Bl. 21). 15 BArch, R 1001/989, Bl. 21–23 (für die Zitate: Bl. 21). 16 BArch, R 1001/989, Bl. 31–34 (für die Zitate: Bl. 31). Die Akten enthalten eben­ falls eine Kurzabschrift des Berichts, datiert auf den 22.1.1894, in dem von „9 Erwachsenen“ und „41 Knaben“ die Rede ist. Der hier deutlich höhere Anteil von Schulkindern gegenüber erwachsenen Schülern und auch die sonstige Auf­ machung der Abschrift lassen annehmen, dass dies eine zur Veröffentlichung gedachte und geschönte Kurzversion des Berichts darstellt, BArch, R 1001/989, Bl. 29. 17 BArch, R 1001/999, Bl. 96, 121. 18 BArch, R 1001/999, Bl. 96, 121. 19 BArch, R 1001/989, Bl. 98–99 (für das Zitat: Bl. 98). Die Schülerschaft setzte sich gemäß dieses Berichtes aus „7 Zöglinge[n] der evangelischen Mission, 32 ande­ re[n] Wasuaheli und Halbaraber[n und] 9 Inder[n] und Sudanesen“ zusammen, ebd., Bl. 98.

551

6. Anhang

Nr. 6 Finanzielle Kosten der Anstellung Christian G. Barths an der Schule in Tanga20 a) Kostengruppen Gehalt

Monatlich 21

Ausbildungszeit in Berlin (15.12.1891 – 15.8.1892)

Gesamt

140 M

1.120,- M

308,80 M

308,80,- M

Reise und Dienstzeit (15.10.-31.12.92)

375 M

937,50 M

Dienstzeit 1893

375 M

4500,- M

Dienstzeit 1894

375 M

Ausbildungszeit in Hamburg (15.8.1892 – 15.9.1892)22

Summe: Ausbildungskosten23

4500,- M 13.366,30 M Gesamt

Reise und Hotelkosten Friedrichshafen-Berlin (22.12.91)

96,- M

Universitäts- und Bibliotheksgebühren (SfoS)

45,- M

Lehrbuchkosten (Grammatik und Wörterbuch des Arabischen)

15,40 M Summe:

Persönliche Ausstattung und Lehrmittel

156,40 M Gesamt

24

Ausrüstungskosten (Warenhaus für Armee und Marine)

625,70 M

Lehrmittel und Schulgegenstände (Agentur R. Müller, Hamburg)25

257,62 M

Weitere Lehrmittel26

31,50 M

Lehrbücher (Heymanns Verlag)

6,60 M Summe:

921,42 M

20 Außer der Rückreisekosten stammen alle Beträge grundsätzlich aus einer von der DKG erstellten Gesamtkostenübersicht, BArch, R 8023/968, Bl. 230. Da einzelne Beträge gerundet wurden, weicht die Darstellung hier in einzelnen Positionen von diesem Dokument ab. Die einzelnen Kostenpositionen wurden zur über­ sichtlicheren Lesbarkeit zudem sachlich gegliedert. 21 Beachte außerdem BArch, R 8023/968, Bl. 39, 71. 22 Betrag angepasst gemäß BArch, R 8023/968, Bl. 95. Die dortige Summe ist um 0,50 M zu niedrig notiert. 23 Beachte außerdem BArch, R 8023/968, Bl. 39, 71. 24 Der Betrag dieser Position in der Gesamtkostenübersicht der DKG entspricht demjenigen, den auch die von Barth unterzeichnete Empfangsbestätigung der Waren, die Grundlage für Anhang 4 b) ist, enthält, sofern man die Verpackungs­ kosten (4,80 M) hinzuzieht und den Skontobetrag (12,40 M) abzieht. Siehe BArch, R 8023/968, Bl. 98. 25 BArch, R 8023/968, Bl. 111, 119. 26 BArch, R 8023/968, Bl. 111.

552

6. Anhang Hinreise

Gesamt

Verpflegungsgeld (Reise Berlin-Stuttgart, Wartezeit auf Ausreise) Reiseunfallversicherung

30,- M

27

77,- M

Frachtkosten (Hamburg-Berlin, 13.9.1892)

13,85 M

Eisenbahnticket (Berlin-Neapel, II. Klasse)28

157,80 M

Dampferticket (Neapel-Tanga, I. Klasse)

560,- M

Verpflegungsgeld (Bahnreise 30 M, Dampferreise 100 M)

130,- M

Transport- und Versicherungskosten der Fracht29

250,30 M Zwischensumme:

1.218,95 M

Davon vom Auswärtigen Amt erstattet:

1.098,10 M

Summe:

120,85 M

Rückreise30 (gesamt vom Auswärtigen Amt erstattet)

Gesamt

Dampferticket (Tanga-Neapel)

560,- M

Eisenbahnticket (Neapel-München-Stockingen-Zell)

107,65 M

Verpflegungsgeld

63,- M

Transport- und Versicherungskosten der Fracht (Hamburg-Zell)

20,42 M Summe:

751,07 M

b) Gesamtübersicht Kostengruppe

DKG

Auswärtiges Amt

Gesamt

13.366,30 M

-

13.366,30M

Ausbildungskosten

156,40 M

-

156,40 M

Persönliche Ausstattung und Lehrmittel

921,42 M

-

921,42 M

Hinreise

120,85 M

1.098,10 M

1.218,95 M

-

751,07 M

751,07 M

14.564,97 M

1.849,17 M

16.414,14 M

Gehalt

Rückreise Summe:

27 28 29 30

BArch, R 8023/968, Bl. 4, 86–87, 151. Betrag angepasst gemäß BArch, R 8023/968, Bl. 235. Betrag angepasst gemäß BArch, R 8023/968, Bl. 235. BArch, R 8023/968, Bl. 251, 259–262.

553

6. Anhang

Zu Kapitel 2.3 Nr. 7 Statistik der Schülerzahlen der Deutschen Schule in Apia (1888–1902)31 Schuljahr Gesamt

1888

1891

1893/ 94

1894/ 95

1895/ 96

1896/ 97

1899/ 1900

1900/ 01

1901/ 02

19

47

54

65

59

80

72

-

-

Schuljahres­ beginn

-

-

-

-

40

44

62

-

60

Schuljahres­ ende

-

-

-

65

-

60

69

-

47

Jungen

-

-

-

-

-

27

37

31–32

-

Mädchen

-

-

-

-

-

32

35

27

-

33

43

28

-

51

-

-

2

-

2

-

-

Deutsch

-

-

Dänisch

-

-

Schwedisch

-

-

Englisch

-

-

US-amerika­ nisch

-

-

Samoanisch (mind. ein Elternteil)

-

Diverse

-

7

6

3

-

4

-

-

10

-

5

-

-

2

-

6

-

-

8

13

-

4

3

14

-

2

-

-

-

2

-

-

-

232

-

-

Bemerkungen: Der Wechsel der Schuljahre erfolgte im Zeitraum 1888–1902 regel­ mäßig im Spätsommer eines Jahres. Die Kategorisierung der Schülerschaft erfolgt in den Quellen grundsätzlich nach der Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler, die aus der Zahl der zu Schuljahresbeginn angemeldeten Schülerinnen und Schü­ lern sowie aller Neuanmeldungen während des Schuljahres besteht.

31 Für 1888: BArch, 1001/2758, Bl. 5–6. Ruf aus Samoa, in: DKZ, Jg. 11 (N. F. 7), Nr. 5 (28.4.1894), S. 74. Für 1891: Ruf aus Samoa, in: DKZ, Jg. 11 (N. F. 7), Nr. 5 (28.4.1894), S. 74. Für 1893/94: Jahresbericht der deutschen Schule in Apia 1893/94, in: DKZ, Jg. 12 (N. F. 8), Nr. 13 (30.3.1895), S. 100. Für 1894/95: BArch, R 8023/974, Bl. 5. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, in: DKZ, Jg. 13 (N. F. 9), Nr. 8 (22.2.1896), S. 59. Für 1895/96: BArch, R 8023/974, Bl. 22–28. Für 1896/97: BArch, R 8023/974, Bl. 90. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, in: DKZ, Jg. 15 (N. F. 11), Nr. 12 (24.3.1898, Illustrierte Beilage), S. 112–114. Für 1899/1900: BArch, R 1001/2758, Bl. 119. Die deutsche Schule in Apia, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 190. Für 1900/01: BArch, R 1004F/75454 (Jahresbericht 1900/01), Bl. 97–98. Der Bericht weist darüber hinaus sieben „Weiße“ und 51 „Halbweiße“ aus, ebd. Bl. 97. Beachte Kapitel 2.3.5 sowie Anhang 11. Für 1901/02: BArch, R 1001/2759, Bl. 59–60. Hauptversammlung des Schulvereins, in: SZ, Jg. 2, Nr. 15 (11.10.1902), S. 1. 32 Nationalitäten: 1x französisch, 1x portugiesisch, siehe Die deutsche Schule in Apia, S. 190.

554

6. Anhang

Nr. 8 Stundentafeln der Deutschen Schule Apia (1893–1900)33 Schuljahr

1893/ 1894

1894/ 1895

1895/ 1896

1896/ 1897

1899/ 1900

Klassenstufe34

-

-

-

I

II

III

IV

Deutsch

8

9

8

10

5

5

8

8

Englisch

5

4

5

5

3

3

2

2

Rechnen

4

4

5

5

4

4

4

3

1

1

-

-

-

1

1

-

-

Geographie

I

II

2

-

2

2

4

Naturlehre

2

1

-

-

1

1

-

Geometrie

-

-

-

-

1

1

-

-

1

1

1

1

1

1

1

1

2

3

Geschichte

Zeichnen Schreiben Gesang Turnen Turn- bzw. Bewegungsspiele Handarbeitsunterricht für Mädchen Anschauungsunterricht Wochenstunden

2

2

2

3

-

2

235

236

2 -

1

1 -37

2

-

-

-

25

25–27

25

2 38

-

2

-

1

1 39

2 -

24

2

25

2

2

3

3

25

25

25

25

33 Für 1893/94: Jahresbericht der deutschen Schule in Apia 1893/94, S. 100. Für 1894/95: BArch, R 8023/974, Bl. 5. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, S. 59. Für 1895/96: BArch, R 8023/974, Bl. 22–28 (auch für die Einzelhinweise zu den Spalteneinträgen). Für 1896/97: BArch, R 8023/974, Bl. 90. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 112–114 (auch für die Einzelhinweise zu den Spalteneinträ­ gen). Für 1899/1900: BArch, R 1001/2758, Bl. 119 (auch für die Einzelhinweise zu den Spalteneinträgen). Die deutsche Schule in Apia, S. 190. 34 Die I. Klasse meint stets die höchste Klassenstufe. 35 Der Unterricht im Zeichnen wurde komplementär zum Handarbeitsunterricht nur den männlichen Schülern erteilt. 36 Der Unterricht im Zeichnen wurde für die Mädchen in der ersten Klasse um Handarbeitsunterricht ergänzt. 37 Der Turnunterricht fand „außerhalb der eigentlichen Unterrichtsstunden“ statt, BArch, R 8023/974, Bl. 90. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 112–114 (für das Zitat: Bl. 113). 38 Der „Turnspiele“-Unterricht wurde in der zweiten Klasse komplementär zum Handarbeitsunterricht nur den männlichen Schülern erteilt, BArch, R 8023/974, Bl. 90. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 112–114 (für das Zitat: S. 113). 39 Der entsprechende Unterricht fand außerhalb der eigentlichen Schulzeit statt.

555

6. Anhang

Nr. 9 Stundentafeln der Regierungsschule Apia (1903–1905)40 Schuljahr41

1903/1904

1904/1905

Klassenstufe42

I

II

III

IV

V

I

II

III

IV

V

Deutsch

5

5

7

7

8

6

6

8

8

8

-

-

4

4

5

Anschauungsunterricht Heimatkunde

-

-

3

4

5

-

-

1

1

1

Englisch

5

5

4

3

-

5

5

5

3

1

Rechnen

4

4

4

4



4

4

4

4



Geometrie (für Jungen)

-

-

-

-

-

1

1

-

-

-

Geschichte

2

2

-

-

-

2

2

-

-

-

Geographie

2

2

-

-

-

2

2

-

-

-

Naturkunde und Physik

2

2

-

-

-

2

2

-

-

2

Gesang

1

1

2

2

2

1

1

2

2

Schönschreiben

1

1

1

1

-

1

1

1

1

-

Zeichnen

1

1

1

1

½

1

1

1

1

½

Turnen (für Jungen)

2

2

2

2

2

1

1

1

1

-

Handarbeit (für Mädchen)

2

2

2

2

2

2

2

2

2

1

Bewegungsspiele

-

-

-

1

2

-

-

-

1

2

Fröbelbeschäftigung

-

-

-

-

1

-

-

-

-

1

25

26– 27

26– 27

25– 26

Wochenstunden

25

25

25

25

25

25

40 Für 1903/04: BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1903/04), Bl. 139. Anlagen zum Jahresbericht über die Entwicklungen der deutschen Schutzgebiete in Afri­ ka und der Südsee im Jahre 1903/1904, Berlin 1905, S. 376. Für 1904/05: Schul­ ordnung fuer die Kaiserliche Regierungsschule in Apia, in: SGB, Bd. III, Nr. 35 (27.2.1904), S. 109–111 (auch für die Einzelhinweise zu den Spalteneinträgen). 41 Der Schuljahresbeginn war nun gemäß dem deutschen Etat-Rhythmus der April eines jeden Jahres. 42 Die Einteilung in Klassenstufen folgt dem Prinzip, dass die I. Klasse stets die höchste Klassenstufe meint. Die V. Klasse entspricht dem früheren Kindergarten. Die Daten zu Letzterem finden sich auch in Anhang Nr. 21, Spalte 1903/04 und 1904/1905.

556

6. Anhang

Nr. 10 Stundentafeln des Kindergartens der Deutschen Schule in Apia (1894–1905)43 Schuljahr AnschauungsUnterricht Sprechübung und Me­ morieren Fröbel’sche Beschäftigung Singen

1894/ 95

1895/ 96

10

10

8

8

(Bewegungs-)Spiele sic44

Turnen

1896/ 97

1899/ 1900

1903/ 04

1904/ 05

-

3

5

5

-

-

-

-

sic

2

1

1

-

2

2

2

-

3

2

2

-

2

245

-

Lesen

3

3

-

-

-

Schreiben

2

2

-

-

-

Zeichnen

-

-

-

1

½

½

10

8

8

sic47

Deutsch Englisch

-

-

Rechnen

-

-

sic

sic

23

Handarbeitsunterricht für Mädchen Heimatkunde Wochenstunden

sic

sic46

-

-

1

2





sic

sic

2

1

-

-

-

sic48

1

23

-

25

25

26–27

43 Für 1894/95: BArch, R 8023/974, Bl. 5. Jahresbericht der deutschen Schule zu Apia für das Jahr 1894–1895, S. 59 (auch für die Einzelhinweise zu den Spalteneinträgen). Für 1895/96: BArch, R 8023/974, Bl. 22–28 (auch für die Einzelhinweise zu den Spalteneinträgen). Für 1896/97: BArch, R 8023/974, Bl. 90. Bericht des Vorstandes der deutschen Schule in Apia über das Schuljahr 1896/97, S. 112–114. Der Schulbericht gibt keine Wochenstundenzahlen an. Für 1899/1900: BArch, R 1001/2758, Bl. 119 (auch für die Einzelhinweise zu den Spalteneinträgen). Die deutsche Schule in Apia, S. 190. Für 1903/04: BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1903/04), Bl. 139. S. Anhang Nr. 9, Spalte 1903/04, V. Für 1904/05: Schulordnung fuer die Kaiserliche Regierungsschule in Apia, S. 109–111 (auch für die Einzelhinweise zu den Spalteneinträgen). S. Anhang Nr. 9, Spalte 1904/05, V. 44 Für Mädchen am Freitagnachmittag nach dem Unterricht. 45 Nur für Jungen erteilt. 46 Im Deutschunterricht neben Grammatik, Orthographie und Aufsatz enthalten. 47 Im Rahmen des anderen Unterrichts erteilt. 48 Im Anschauungsunterricht enthalten.

557

6. Anhang

Nr. 11 Statistik der Schülerzahlen der Deutschen Schule in Apia (1900–1914)49 Haushalts- / Schuljahr

1900/ 01

1901/ 02

1902/ 03

1903/ 04

1904/ 05

1905/ 06

1906/ 07

Gesamt

58–59

-

62

65

76

80

110

Beginn

-

74

48

50

-

68

73

Ende

-

55

45

49

-

78

93

31–32

32

30

33

-

43

64

27

27

32

32

-

37

46

-

-

-

58

69

69

95

Jungen Mädchen Evangelisch Katholisch

-

-

-

7

7

8

15

Unbekannt

-

-

-

-

-

3

-

‚Weiße‘

7

-

7

10

-

8

8

‚Mischlinge‘

-

-

49

-

-

71

101

‚¾ Weiße‘ ‚Halbweiße‘

-

-

-

3

-

-

-

51–52

-

-

46

-

-

-

‚Eingeborene‘

-

-

6

6

-

1

1

Deutsch

-

-

36

43

55

57

63

Dänisch

-

-

5

5

3

3

2

Schwedisch

-

-

-

2

2

3

8 26

Englisch

-

-

6

7

10

14

US-amerikanisch

-

-

4

-

1

-

3

Schweizerisch

-

-

2

2

2

2

3

Samoanisch

-

-

6

6

2

1

1

Portugiesisch

-

-

-

-

-

-

2

Unbekannt

-

-

3

-

1

-

2

49 Für 1900/01: BArch, R 1004-F/75454 (Jahresbericht 1900/01), Bl. 97–98. Für 1901/02: Amtlicher Jahresbericht (1901/1902), S. 117. BArch, R 1004-F/75454 (Jahresbericht 1901/02), Bl. 144. Für 1902/03: Anlagen zum amtlichen Jahresbe­ richt (1902/1903), S. 354. BArch, R 1004-F/75454 (Jahresbericht 1902/03), Bl. 18. Für 1903/04: Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 376. BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1903/04), Bl. 138–139. Als durchschnitt­ liche Schülerzahl nennt der Bericht 50 Kinder. Für 1904/05: Amtlicher Jahres­ bericht (1904/1905), S. 88. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1904/1905), S. 308. BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1904/05), Bl. 73. Für 1905/06: Amt­ licher Jahresbericht (1905/1906), S. 136. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1905/1906), S. 376. BArch, R 1004-F/75455 (Jahresbericht 1905/06), Bl. 140. Für 1906/07: Amtlicher Jahresbericht, Samoa (1906/1907), S. 6, 21. BArch, R 1004-F/ 75455 (Jahresbericht 1906/07), Bl. 67, 69.

558

6. Anhang

Fortsetzung (Nr. 11)50 Haushalts- /Schul­ jahr

1907/ 08

1908/ 09

1909/ 10

1910/ 11

1911/ 12

1912/ 13

1913/ 14

Gesamt

126

113

136

141

124

102

97

Beginn

99

97

66

-

-

89

97

Ende

91

82

112

103

111

80

90

Jungen

74

66

64–65

62

53

31

41

Mädchen

52

47

71–72

79

71

49

49

Evangelisch

100

87

105

115

106

67

71

Katholisch

15

26

26

31

26

18

11

Mormonisch

-

-

-

-

-

2

2

Adventistisch

-

-

-

-

-

-

2

‚Weiße‘ ‚Mischlinge‘

4

3

16

14

7

-

-

121

110

120

127

117

-

-

‚Eingeborene‘

1

-

-

-

-

-

-

Deutsch

58

52

65

57

55

45

49 1

Dänisch

5

2

2

-

-

1

Schwedisch

10

9

13

11

14

6

8

Englisch

47

39

38

64

38

20

21 8

US-amerikanisch

2

8

13

6

15

6

Schweizerisch

3

3

3

3

2

-

-

Samoanisch

1

-

-

-

-

-

-

Portugiesisch

-

-

2

-

-

-

-

Dt.-Amerikanisch

-

-

-

-

-

2

3

Bemerkungen: Die Kategorisierung der Schülerschaft erfolgt in den Quellen grundsätzlich nach der Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler, die aus der Zahl der zu Schuljahresbeginn angemeldeten Schülerinnen und Schülern sowie aller Neuanmeldungen während des Schuljahres besteht.

50 Für 1907/08: Amtlicher Jahresbericht, Samoa (1907/1908), S. 6, 23. BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1907/08), Bl. 134, 194–195. Für 1908/09: BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1908/09), Bl. 158–159. Für 1909/10: Amtlicher Jah­ resbericht (1909/1910), S. 195. BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1909/10), Bl. 175. Für 1910/11: Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 181. BArch, R 1004F/75457 (Jahresbericht 1910/11), Bl. 102. Für 1911/12: Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 174. BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1911/12), Bl. 55. Für 1912/13: Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 198. BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1912/13), Bl. 46. Die Kategorisierung der Schülerschaft wird ebd. anhand der Schülerzahl zu Schuljahresende (80 Kinder) vorgenommen. Für 1913/14: BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1913/14), Bl. 46, 94. Die Kategori­ sierung der Schülerschaft wird ebd. anhand der Schülerzahl zu Schuljahresende (90 Kinder) vorgenommen.

559

6. Anhang

Zu Kapitel 3.2 Nr. 12 Koloniale Lehrer am Seminar für Orientalische Sprachen51 a) Für die kolonialen Schulen in Deutsch-Ostafrika Ausreise nach DOA53

Nr.

Name

Herkunft52

Studienzeit

Studienfächer

1

Christian G. Barth

Zell bei Esslingen (Kgr. Württem­ berg)

WiSe 1891/92SoSe 1892

Swahili, Ara­ bisch

September 1892

2

Paul Blank

Rixdorf (Berlin)

SoSe 1894WiSe 1894/95

Swahili, Realien, Gujarati

Februar 1895

3

Oswald Rutz

Graudenz (Pommern, heute Grudziądz, Polen)

WiSe 1894/95SoSe 1895

Swahili, Realien, Gujarati

August 1895

4

Eduard Kuhn

Schönau i. W. (Kgr. Württem­ berg)

SoSe 1896

Swahili

Herbst 1896

51 GStA, SfOS, 316–352. Lenz, Regierungsschule, S. 24–25. Entgegen der laufenden Aktennummerierung der hier als Datengrundlage genutzten Einschreibebücher des Seminars für Orientalische Sprachen liegen solche für die Semester 1902, 1902/03, 1904/05, 1909 und 1910/11 nicht vor. Ein Abgleich der Daten mit den Personalnachrichten im Deutschen Kolonialblatt und dem Amtlichen Anzeiger für Deutsch-Ostafrika ergab allerdings keine aus jenen Lücken resultierenden Daten­ verluste. Die Statistik kann also als vollumfassend angesehen werden. Einzelne, sich aus der Ausbildungssystematik und den Personalnachrichten der Amtsblät­ ter ergebende Ergänzungen, wurden kursiv kenntlich gemacht. 52 Grundlage sind die Herkunftsangaben der SfOS-Einschreibebücher. Sofern im Personalverzeichnis (1913–1916) ein abweichender Geburtsort verzeichnet ist, wurde dieser ergänzt, beachte BArch, R 155-F/81416, G 1/19 I F 10. 53 Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 3 (1892), S. 605. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 6 (1895), S. 69, 425. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 7 (1896), S. 403, 609. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 8 (1897), S. 539. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 10 (1899), S. 625. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 11 (1900), S. 241. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 12 (1901), S. 231. Personal-Nachrich­ ten, in: DKB, Jg. 13 (1902), S. 175. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 14 (1903), S. 456–457. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 15 (1904), S. 636. Personal-Nach­ richten, in: DKB, Jg. 16 (1905), S. 345. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 17 (1906), S. 311, 456. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 18 (1907), S. 861. Persona­ lien, in: DKB, Jg. 20 (1909), S. 525. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 11, Nr. 40 (1910), S. 2. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 12, Nr. 44 (1911), S. 2. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 13 (1912), S. 160, 212–213. Personalien, in: DKB, Jg. 23 (1912), S. 1040. Personalien, in: DKB, Jg. 24 (1913), S. 5, 357. Personalien, in: DKB, Jg. 24 (1913), S. 579. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 15 (1914), S. 118–120, 135–136.

560

6. Anhang 5

Heinrich Schröder

Luka (Ostpreußen, heute Łuka, Polen)

WiSe 1896/97SoSe 1897

Swahili, Realien

September 1897

6

Florian Rzesnitzek

Breslau (Schlesien, heute Wrocław, Polen)

SoSe 1897WiSe 1897/98

Swahili, Realien

Keine Ausreise, da Alternativ­ kandidat

7

Philipp Schmitt

Kolmar (Elsass, heute Col­ mar, Frankreich)

WiSe 1898/99SoSe 1899

Swahili

Herbst 1899

8

Hermann Urban

Langensalza (Preußisch-Sachsen) Geboren in Nieder-Beuna bei Merseburg

WiSe 1899/99

Swahili

April 1900

9

Paul Müller

Preußisch-Sachsen

SoSe 1900WiSe 1900/01

Swahili, Realien

April 1901

10

Hermann Ramlow

Köslin (Pommern, heute Koszalin, Polen)

SoSe 1901WiSe 1901/02

Swahili

April 1902

11

Hermann Andres

Waltersdorf (Brandenburg)

WiSe 1902/03SoSe 1903

Swahili, Realien, Englisch

September 1903

12

Friedrich Wilhelm Brandt

Cottbus (Lausitz)

WiSe 1902/03SoSe 1903

Swahili, Realien

September 1903

13

Joh. Wilh. Aloys Jünemann

Preußisch-Sachsen Geboren in Erfurt

WiSe 1902/03SoSe 1903

Swahili

September 1903

14

Franz Alfred Lorenz

Pirna (Kgr. Sachsen)

SoSe 1903WiSe 1903/04

Swahili, Realien, Englisch

Oktober 1904

15

Rudolf Sendke

Fulda (Hessen)

SoSe 1904

Swahili, Realien

Mai 1904

16

Friedrich Dudzus

Berlin

WiSe 1905/06SoSe 1906

Swahili, Realien

Mai 1906

17

Johannes Wilske

Großefehn (Ostfriesland)

WiSe 1905/06SoSe 1906

Swahili, Realien

Mai 1906

18

Arno Staub

Ebersbach (Kgr. Sachsen) Geboren in Crö­ bern

WiSe 1905/06SoSe 1906

Swahili, Realien

Juli 1906

19

Ewald Präger

Crailsheim (Kgr. Württem­ berg)

WiSe 1906/07

Swahili

Keine Ausreise (Grund unbe­ kannt)

20

Bernhard Krumm

Kalk (Rheinland, heute Stadtteil von Köln)

WiSe 1906/07SoSe 1907

Swahili, Realien

September 1907

21

Robert Ernst Max Henkel

Brandenburg Geboren in Jeserig, Kreis Zauch-Belzig

SoSe 1908WiSe 1908/09

Swahili, Realien, Englisch

Mai 1909

561

6. Anhang 22

Gottfried Paul Jentzsch

Preußisch-Sachsen Geboren in Mühlberg (Elbe)

SoSe 1910

Swahili, Realien

Winter 1910

23

Friedrich Karl Hermann Braune

Preußisch-Sachsen Geboren in Angern

WiSe 1910/11SoSe 1911

Swahili, Realien

September 1911

24

Alexander Ferdinand Louis Schrage

Kgr. Württemberg

WiSe 1911/12SoSe 1912

Swahili, Realien, Englisch

August 1912

25

Karl Wilhelm Möbius

Werden (heute Stadtteil von Essen)

WiSe 1911/12SoSe 1912

Swahili, Realien

August 1912

26

Julius Hermann Breitkreuz

Posen (heute Poz­ nań, Polen) Geboren in Talsee bei Berlin

SoSe 1912

Swahili, Realien

Oktober 1912

27

Georg Richard Schönwäl­ der

Posen (heute Poznań, Polen) Geboren in Wei­ denvorwerk, Kreis Mersewitz

SoSe 1912WiSe 1912/13

Swahili, Realien

März 1913

28

Karl Johann Heinrich Herrfurth

Rheinland Geboren in Mönchengladbach

WiSe 1912/13SoSe 1913

Swahili, Realien

Juni 1913

29

Peter Schaffrath

Rheinland

WiSe 1912/13SoSe 1913

Swahili, Realien

April 1914

30

Hermann Rottenkol­ ber

Sonthofen (Kgr. Bayern)

SoSe 1913WiSe 1913/14

Swahili, Realien

April 1914

31

Erich Paul Richard Wittig

Braunschweig (Hzm. Braun­ schweig)

SoSe 1913SoSe 1914

Swahili, Realien

Mai 1914

32

Willy Rex

Güstrow (Hzm. Mecklen­ burg-Schwerin)

SoSe 1914WiSe 1914/15

Swahili, Realien

33

Bernhard Neubert

Reichenbach (Kgr. Sachsen)

SoSe 1914WiSe 1914/15

Swahili, Realien

Keine Ausreise wegen des Be­ ginns des Ersten Weltkrieges

Bemerkung: Außerdem arbeiteten verschiedene Handwerker- bzw. Landwirt­ schaftslehrer in den entsprechenden Schulbereichen. Diese besuchten ebenso wie die nicht zum Studium zugelassenen Lehrerinnen vor ihrer Ausreise allerdings keine Kurse des SfOS. Ebenfalls kein SfOS-Studium absolvierten die Lehrer Gil­ cher, Richter, Schmidt, Henneke, Ilskensmeier, Kaufmann und Augustiny. Von

562

6. Anhang Juli 1898 bis Oktober 1903 war außerdem der Syrer Suleiman Domet als den Deut­ schen gleichgestellter Lehrer in Daressalam und Kilwa angestellt.54

b) Für die kolonialen Schulen in Kamerun Nr.

Name

Herkunft

Studienzeit

Studienfächer

Ausreise nach Kamerun55

1

Paul Steffen

Pommern

SoSe 1904

Duala

September 1904

Ausreise nach Togo56

c) Für die kolonialen Schulen in Togo Nr.

Name

Herkunft

Studienzeit

Studienfächer

1

Josef Kottmann

Groß-Eislingen (Kgr. Württem­ berg)

WiSe 1903/04SoSe 1904

Ewe, Realien, Englisch

Dezember 1904

2

Wilhelm Pfennig­ werth

Kgr. Sachsen

WiSe 1911/12

Ewe, Realien

November 1911

3

Fritz Nötzel

Preußisch-Sachsen

WiSe 1911/12

Ewe, Realien

März 1912

d) Private Sprachstudien ehemaliger kolonialer Lehrer Nr.

Name

Herkunft

Studienzeit

Studienfächer

1

Emil Sembritzki57

Jorkowen (Ostpreußen, heute Jurkowo, Polen)

WiSe 1911/12

Swahili (Abendkurs)

Vorheriger Dienst Okt. 1897 – April 1898 in Viktoria (Kamerun)

54 BArch, R 1001/999, Bl. 139–140, 145. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 11, Nr. 17 (1910), S. 1. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 12, Nr. 19 (1911), S. 4. Personalnachrichten, in: AADOA, Jg. 12, Nr. 22 (1911), S. 1. Personalnachrich­ ten, in: AADOA, Jg. 12, Nr. 27 (1911), S. 3. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/04), S. 32. Lenz, Regierungsschule, S. 25. Beachte die Tabelle in Anhang Nr. 51. 55 Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 15 (1904), S. 585. 56 Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 15 (1904), S. 757. Personalien, in: DKB, Jg. 22 (1911), S. 966. Personalien, in: DKB, Jg. 23 (1912), S. 339. 57 Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 8 (1897), S. 486, 652. Personal-Nachrichten, in: DKB, Jg. 9 (1898), S. 296. Lenz, Regierungsschule, S. 23–24.

563

6. Anhang

Nr. 13 Schülerstatistik für Indigenenschulen mit deutschen Lehrern in DOA58 Dez. 1892

Jan. 1893

Dez. 1893

Dez. 1894

1894/ 1895

1895/ 1896

1896/ 1897

Tanga

8

33

38

48

Bagamoyo

-

-

-

-

50

97

-

66

-

163

-

ø 47

Daressalam

-

-

-

Kilwa

-

-

-

-

42

87

-

-

-

-

-

-

Lindi

-

-

-

-

-

-

-

-

Pangani

-

-

-

-

-

-

-

-

Tabora

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Bukoba

-

-

-

-

-

-

-

-

Ujiji

-

-

-

-

-

-

-

-

Mwanza

-

-

-

-

-

-

-

-

1898/ 1899

1899/ 1900

1900/ 1901

1901/ 1902

1902/ 1903

1903/ 1904

1904/ 1905

1905/ 1906

Tanga

97

411

350 -400

350

350

365

408

380

Bagamoyo

51

79

431

375

402

295

260

25059

Daressalam

-

80

-

125

266

254

254

143

Kilwa

-

(45)

-

53

48

150

140

14614

Lindi

-

(60)

-

(150)

(89)

115

132

-60

Pangani

-

-

-

-

(37)

86

227

206

Tabora

-

-

-

-

-

-

-

-

Bukoba

-

-

-

-

(31)

(29)

(30)

(30)

Ujiji

-

-

-

-

-

-

-

-

Mwanza

-

-

-

-

-

-

-

-

Schuljahr

Schuljahr

1897/ 1898

58 BArch, R 1001/989, Bl. 20–23, 164–171, 174–203. Amtlicher Jahresbericht (1895/1896), S. 103–104. Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 110, 112. Amtli­ cher Jahresbericht (1898/1899), S. 308, 310. Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 118–119. Amtlicher Jahresbericht (1900/1901), S. 16. Anlagen zum amtli­ chen Jahresbericht (1901/1902), S. 19. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 16. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 34. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1904/1905), S. 33. Anlagen zum amtli­ chen Jahresbericht (1905/1906), S. 27. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1906/1907), S. 85. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1907/1908), S. 99. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 11. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 10–11. Amtlicher Jah­ resbericht (1911/1912), S. 10. Ebd., Statistischer Teil, S. 55. Amtlicher Jahresbe­ richt (1912/1913), S. 17. Ebd., Statistischer Teil, S. 63. 59 Inklusive der Besucher der örtlichen Handwerkerschule. 60 Geschlossen während des Maji-Maji-Krieges.

564

6. Anhang 1906/ 1907

1907/ 1908

1910/ 1911

1911/ 1912

1912/ 1913

Tanga

474

330

-

Bagamoyo

234

324

324

-

-

556

554

213

157

179

Daressalam

140

192

173

200

273

-

328

Kilwa

42

98

345

-

-

-

90

(115)

Lindi

30

Pangani

200

125

-

65

160

162

202

200

-

-

-

142

Tabora

220

(60)

(90)

-

32

64

60

309

Bukoba

-

-

-

-

-

200

180

Ujiji

-

-

-

-

-

-

95

Mwanza

-

-

-

-

-

-

194

Schuljahr

1908/ 1909

1909/ 1910

Bemerkungen: Die Eintragungen beziffern in der Regel die Schülerzahl am Ende eines Schuljahres, die gemäß der seinerzeit üblichen Zählung die Summe der Schülerzahlen zu Schuljahresbeginn und der Anzahl an Zugängen während des Schuljahres war. Die Eintragungen in Klammern beziffern die Schülerzahlen eines Berichtsjahres, in dem (noch) kein deutscher Lehrer vor Ort unterrichtete. Ab dem Berichtsjahr 1908/1909 veröffentlichte das Reichskolonialamt wesentlich kürzere und oberflächlichere Jahresberichte. Insbesondere die von 1901/1902 bis 1907/1908 mitveröffentlichten Anlagen entfielen. Da die ab 1909/1910 einge­ führten statistischen Berichte erst allmählich Schulstatistiken aufnahmen, entste­ hen von 1908/1909 bis 1910/1911 gewisse Datenlücken. ø = durchschnittlich

565

6. Anhang

Nr. 14 Schülerzahlen der Inlandsschulen der Schule Tanga (1898–1908)61 Revisionsbericht April/Mai 1898

Revisionsbericht Herbst 1903

Schulbericht (1907/1908)

Tongoni

9

42

58

M(w)arongo

12

32

29

Pande

7

109

32

Gombero

21

-

62

Bwiti

9

40

24

Myanyani

8

34

41

Sega

18

-

-

Mwoa

>20

80

52

M(w)anza

>20

-

48

Monga

8

-

-

Kwa Muhanya

-

50

-

Potwe

-

34

-

Kitivo

-

13

-

Paragwe

-

-

-

Kwale

-

-

56

Kivavu

-

28

25

Mwambani

-

41

27

Pongwe

-

59

23

Chongoleani

-

-

13

Mabatani

-

-

25

Magobi

-

-

51

Magogo

-

-

50

Kilole

-

-

36

Mwa-Msara

-

-

30

Bamba

-

-

50

Dima

-

-

27

Muheza

-

-

31

Bemerkung: Die Schreibweise der Orte richtet sich nach derjenigen in den amtli­ chen Jahresberichten.

61 BArch, R 1001/989, Bl. 140–144. BArch, R 1001/990, Bl. 114. Amtlicher Jahresbe­ richt (1897/1898), S. 111. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1907/1908), S. 89–90.

566

6. Anhang

Nr. 15 Einheimische Lehrer der Inlandsschulen in DOA (1897–1913)62 1897

April/ Mai 1898

1898/ 1899

1899/ 1900

1900/ 1901

1901/ 1902

1902/ 1903

1903/ 1904

Tanga

1

10

22

Bagamoyo

-

-

-

22

21

k. A.

k. A.

17

3

k. A.

3

3

Daressalam

-

-

3

-

-

k. A.

k. A.

k. A.

Kilwa

-

2

-

-

-

2

2

k. A.

2

Lindi Pangani

-

-

-

-

-

-

-

k. A.

-

-

-

-

-

(8)

-

15

Tabora

-

-

-

-

-

-

-

-

Bukoba

-

-

-

-

-

-

-

-

Bemerkung: Die Eintragungen in Klammern zeigen an, dass im entsprechenden Berichtsjahr (noch) kein deutscher Lehrer an der zugeordneten Küstenschule bzw. Hauptschule arbeitete. k. A. = keine Angaben

Nr. 16 Resolutionsentwurf zur Reichstagsdebatte am 13.2.190063 „Der Reichstag wolle beschließen: 1. den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, dass die unteren Beamten der Kolonialverwaltung aus der eingeborenen christlichen Bevölkerung entnommen werden können; 2. den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, derselbe wolle auf die Vor­ bildung des einheimischen Elementes zur niederen Beamtenlauf­ bahn in Ostafrika nach folgenden Grundsätzen Bedacht nehmen:

62 BArch, R 1001/989, Bl. 133, 140–144, 174–203. BArch, R 1001/990, Bl. 114. Amtlicher Jahresbericht (1897/1898), S. 111. Amtlicher Jahresbericht (1898/1899), S. 309. Amtlicher Jahresbericht (1899/1900), S. 119–121. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 15, 19. Anlagen zum amtlichen Jah­ resbericht (1902/1903), S. 14. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 30–31, 34. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1904/1905), S. 27, 30–31, 33. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1905/1906), S. 25–27. Amtlicher Jahresbe­ richt, DOA (1906/1907), S. 78, 81–83. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1907/1908), S. 87, 89, 93, 95–96. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 11. Zum Begriff Inlandsschulen siehe Kapitel 3.2.2. 63 BArch, R 1001/989, Bl. 149–150. BArch, R 1001/991, Bl. 152. Stenographi­ sche Berichte über die Verhandlungen des Reichstags (1898/1900), Bd. 5, S. 4080A-4085C, hier: 4080D-4081A.

567

6. Anhang

3. In die zur Zeit bestehenden religionslosen Schulen werden wo­ möglich nur Mohammedaner aufgenommen. 4. Es werden Vereinbarungen mit den Missionsanstalten getroffen, wonach in den neu zu gründenden staatlich subventionierten Schulen der Unterricht von Mitgliedern der Missionsgesellschaft erteilt wird. Mohammedaner, welche diese Schulen besuchen, kön­ nen von dem Religionsunterricht dispensiert werden. 5. In diesen Schulen darf außer der Landessprache nur die deutsche Sprache gelehrt werden.“ Nr. 17 Lehrerstatistik für Schulen mit deutschen Elementarlehrern, DOA (1901–1913)64 1901/1902 D

I

1902/1903

HW

D

I

1903/1904

HW

k. A. k. A.

1904/1905

D

I

HW

D

I

HW 1

Tanga

2

8

-

2

2

12

1

3

11

Bagamoyo

1

6

-

1

7

-

1

7

-

1

7

-

Daressalam

2

3

1

2

4

1

1

4

1

1

5

1

Kilwa65

1

2

1

1

2

1

3

1

1

2

1 1

k. A.

Lindi

-

(4)

1

-

(4)

1

4

1

1

-

Pangani

-

(2)

-

-

(2)

-

1

2

-

1

4

-

Tabora

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Bukoba

-

(1)

-

-

(1)

-

-

(1)

-

-

(1)

-

64 Die detaillierte statistische Auflistung der Lehrer in Deutsch-Ostafrika begann erst mit dem Berichtsjahr 1901/1902 und endete mit der Umstellung der Jahres­ berichte 1908/1909. Beachte für die Entwicklung der Lehrerzahlen zuvor und danach Kapitel 3.2.4. Amtlicher Jahresbericht (1901/1902), S. 20. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 19. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 13, 16. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 34. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1904/1905), S. 33. Anlagen zum amtli­ chen Jahresbericht (1905/1906), S. 27. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1906/1907), S. 85. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1907/1908), S. 99. Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 55. Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 63. 65 Schulleitung in den Jahren 1901/1902 und 1902/1903 durch den Syrer Suleiman Domet.

568

6. Anhang 1905/1906

1906/1907

1907/1908

1911/1912

D

I

D

D

I

H W

I

I

H W

D

3

7

3

3

k. A.

1

k. A.

1

1

Bagamoyo

1

5

1

1

5

-

5

-

Daressal­ am

1

5

1

1

1

Tanga

1 k. A.

H W

D

4

2

4

2

-

1

-

1

-

1

1

1

2

1

1

-

1

1

-

-

-

1

H W

1

2

1

1

166

-

1

1

Pangani

1

4

1

1

-

-

1

-

1

Tabora

-

-

-

-

(2)

-

(2)

-

-

1

-

1

-

-

(1)

-

-

k. A.

-

k. A.

-

-

1

-

1

-

Ujiji

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

1

-

Mwanza

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

1

-

-

1

k. A.

I

Lindi

1

1

I

Kilwa

Bukoba

1

k. A.

1912/1913

k. A.

-

Bemerkung: Zu beachten ist, dass sich in der Regel mindestens einer der Lehrer im halbjährlichen Heimaturlaub befand und so Stellen zeitweise unbesetzt blieben. Die Eintragungen in Klammern zeigen an, dass im entsprechenden Berichtsjahr (noch) kein deutscher Elementarlehrer an der zugeordneten Küstenschule bzw. Hauptschule arbeitete, eine dortige Schule aber bereits eröffnet war. D = Deutsche Lehrer, I = Indigene Lehrer, HW = Deutsche Handwerkerlehrer, k. A. = keine Angabe

66 Geschlossen während des Maji-Maji-Krieges.

569

6. Anhang

Nr. 18 Dienstzeiten und -orte der deutschen Elementarlehrer/innen (Indigenenschulen und Europäerschulen) in DOA67 Nr.

Name

Dienstzeit

Dienstorte68

1

Christian G. Barth

1892–1894

Tanga

2

Julius Gilcher

1894–1895

Tanga

Eigentlich als Vermessungsgehilfe angestellt und im Dezember 1894 kurzfristig Interimslehrer nach der Abreise Barths

3

Paul Blank

1895–1911

Tanga

Ab 1903: Rektor Ab 1910: Schulinspektor

4

Oswald Rutz

1895–1910

Bagamoyo, Tanga

Ab 1909: Rektor Verstorben am 5.1.1910

5

Heinrich Richter

1895

Daressalam

Keine Ausbildung am SfOS Verstorben am 23.12.1895

6

Eduard Kuhn

1896–1897

Daressalam

Rückreise wg. Krankheit im Sept. 1897

7

Heinrich Schröder

1897–1898

Tanga, Daressalam

Rückreise wg. Krankheit im Juli 1898

8

Philipp Schmitt

1899–1902

Daressalam, Tanga

9

Hermann Urban

1900–1914

Daressalam, Bagamoyo, Kilwa, Panga­ ni, Tanga

10

Paul Müller

1901–1904

Tanga, Daressalam

11

Hermann Ramlow

1902–1914

Tanga, Baga­ moyo, Tabora

12

Hermann Andres

1903–1913

Lindi, Pangani

Bemerkungen

Ab 1.4.1913: Rektor

Rückreise wg. Krankheit im Okt. 1904 Ab 1.1.1911: Rektor Ab 1.4.1913: Schulinspektor

67 Als Datengrundlage dienten die Personalmitteilungen im Deutschen Kolonialblatt und im Amtlichen Anzeiger für Deutsch-Ostafrika, das letzte Personalverzeichnis der Verwaltung vor Kriegsausbruch (BArch, R 155-F/81416, G 1/19 I F 10) sowie das von Rudolf Fitzner herausgegebene Deutsche Kolonial-Handbuch. Aufgrund der Vielzahl an Einzelbelegen wurde an dieser Stelle auf deren Nennung verzich­ tet. Es erfolgte zudem ein Abgleich aller Namen mit der von Hans-Joachim Soll erstellten Datenbank „Personen in Deutsch-Ostafrika“, https://doa-pdb.oliver-gro nau.de/index.php/Hauptseite (Abruf am 27.8.2020). Zusätzlich genutzte Quellen für Einzelbelege und Zitate wurden gesondert kenntlich gemacht. 68 Erwähnung finden die Haupteinsatzorte der Lehrer. Die häufig stattfindenden gegenseitigen Vertretungen sind nicht nachzuvollziehen.

570

6. Anhang 13

Friedrich Wil­ helm Brandt

1903–1914

Kilwa, Daressalam, Tanga, Tabora

14

Joh. Wilh. Aloys Jünemann

1903–1914

Pangani, Daressalam, evtl. auch Tanga

15

Franz Alfred Lorenz

1904–1914

Bagamoyo, Tanga, Lindi

16

Rudolf Sendke

1905–1914

Tanga, Daress­ alam, Tabora, Bukoba

17

Friedrich Dudzus

1906–1914

Daressalam, Bagamoyo, Arusha, Tanga

18

Johannes Wilske

1906–1909

Arusha71

19

Arno Staub

1906–1914

Lindi, Tabora, Ujiji

20

Bernhard Krumm

1907–1912

Kilwa, Daress­ alam, Bagamo­ yo, Bukoba

21

Robert Ernst Max Henkel

1909–1914

Kilwa, Tanga, Daressalam, Pangani,

22

Amandus Schmidt

1910–1911

Tanga

Kriegsteilnehmer „als Oblt. d. R. im Infantrie Reg. 52 […], 1916 Haupt­ mann in der Etappe Tabora, gerät bei der Verteidigung von Tabora am 5.10.16 in belgische Kriegsgefangen­ schaft“.69

Kriegsteilnehmer als „Gefreiter des Landsturms, ab 17.11.16 im Lager Ahmednaggar interniert“.70

Kriegsteilnehmer als „Vizefeldwe­ bel [des Landsturms], gefallen am 13.05.1916 bei Kondoa Irangi“.72

Befand sich bereits vor Ort und wur­ de nach der Probezeit wieder entlas­ sen. Kriegsteilnehmer als „Gefreiter, 1917 im Lager [Daressalam]“.73

69 https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Friedrich_Wilhelm_Brandt_mit_Fra u_und_Kindern (Abruf am 27.8.2020, für das Zitat) 70 https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Dudzus (Abruf am 27.8.2020, für das Zitat). 71 BArch, R 1001/991, Bl. 115. Kleine Mitteilungen, in: Schulfragen. Blätter zur Förderung des deutschostafrikanischen Schulwesens, Jg. 2, Nr. 5 (Okt. 1906), S. 48. 72 https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Staub (Abruf am 27.8.2020, für das Zitat). 73 https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Amandus_Schmidt (Abruf am 27.8.2020, für das Zitat).

571

6. Anhang 23

Gottfried Paul Jentzsch

1910–1914

Tanga, Bagamoyo, Lindi, Bukoba

24

August Otto Alfred Henneke

1911–1914

Arusha

25

Hermann Ilskensmeier

1911–1914

Daressalam, Bagamoyo, Ujiji

Kein Studium am SfOS.

26

Gustav Adolf Kaufmann

1911–1913

Arusha, Tanga

Kein Studium am SfOS.

27

Dora Emilie Künzel (geb. Brinkmann)

1911–1919

Daressalam, Tanga

Kein Studium am SfOS.

28

Friedrich Karl Hermann Braune

1911–1914

Tanga, Panga­ ni

29

Alexander Ferdinand Louis Schrage

1912–1914

Daressalam, Lindi

30

Karl Wilhelm Möbius

1912–1914

Daressalam

31

Julius Hermann Breitkreuz

1912–1914

Tanga, Arusha (Ol Donyo Sambu)

32

Julius Augustiny

1912–1914

Mwanza

Befand sich bereits seit 1906 in Deutsch-Ostafrika und war als Kanzleigehilfe beschäftigt.

33

Georg Richard Schönwälder

1913–1914

Daressalam

Kriegsteilnehmer als „Unteroffi­ zier [der Reserve], gefallen am 14.07.1917 bei Mitandawala“.77

34

Karl Johann Hein­ rich Herrfurth

1913–1914

Tanga, Arusha (Engare Ol­ muionye)

35

Else Florentine Franziska Viereck

1913–1914

Daressalam

36

Peter Schaffrath

1914

Tanga

Kriegsteilnehmer 1918: Verleihung des Eisernen Kreu­ zes Befand sich bereits seit 1909 in Deutsch-Ostafrika.

Kriegsteilnehmer als „Unteroffizier, 1917 im Lager [Daressalam]“74

„Am 18./19.1.1915 im Gefecht bei Jassini als Unteroffizier der Reserve“ verstorben“.75 Als „Unteroffizier der Reserve […] im Gefecht am Longido am 25. [9.1914]“ verstorben.76

Kriegsteilnehmer „1917 im Lager Maadi[,] Ägypten“78 Kein Studium am SfOS.

74 https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Braune (Abruf am 27.8.2020, für das Zitat). 75 Nachrufe, in: DKB, Jg. 26 (1915), S. 314 (für das Zitat). 76 Personalien, in: DKB, Jg. 26 (1915), S. 2 (für das Zitat). 77 https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Schoenw%C3%A4lder (Abruf am 27.8.2020, für das Zitat). Personalien, in: DKB, Jg. 29 (1918), S. 122. 78 https://doa-pdb.oliver-gronau.de/index.php/Herrfurth (Abruf am 27.8.2020, für das Zitat).

572

6. Anhang 37

Hermann Rottenkolber

1914

Tanga

38

Erich Paul Richard Wittig

1914

Arusha (Le­ ganga)

39

Hertha Bucerius

1915–1916

Tabora

40

Frieda Zickelbein

1915

Dodoma

Befand sich bereits seit 1913 in Deutsch-Ostafrika. Kein Studium am SfOS.

Bemerkung: Von Juli 1898 bis Oktober 1903 war außerdem der Syrer Suleiman Domet als den Deutschen gleichgestellter Lehrer in Daressalam und Kilwa ange­ stellt.79

79 BArch, R 1001/999, Bl. 139–140, 145. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/04), S. 32. Lenz, Regierungsschule, S. 25.

573

6. Anhang

Nr. 19 Indigene Auszubildende an den Handwerkerschulen in DOA (1901–1908)80

Tanga

1901/ 1902

1902/ 1903

1903/ 1904

1904/ 1905

1905/ 1906

1906/ 1907

1907/ 1908

41

41

>54

68–70

>60

>87

>102 40

Tischlerei

17

Druckerei

2

14

Setzerei

15

Buchbinderei

4

Schneiderei

3

3

4

4

Wetterstation

-

6

k. A.

k. A.

18

22

21

24

34

5

4

4

6

17

21

18

30

6

8

7

10

k. A.

k. A.

1

2

Schulbureau

6–8

Schlosserei

k. A.

4

Schmiede Daressalam

k. A.

ø 24

18

Tischlerei k. A.

Zimmerei -

-

Schmiede

-

-

Kilwa

k. A. k. A.

k. A. -

-

12

k. A.

5

5 18–20

17–18

18

k. A.

k. A.

k. A.

Lindi Bagamoyo

k. A.

50

18–20

ø 24

Schlosserei

81

20 -

82

-

42

40

20

2483

k. A.

Bemerkung: k. A. = keine Angaben, ø = durchschnittlich

80 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 13. Anlagen zum amtli­ chen Jahresbericht (1902/1903), S. 15. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1903/1904), S. 29, 32–34. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1904/1905), S. 27, 30, 33. Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1905/1906), S. 22, 26–27. Amtlicher Jahresbericht, DOA (1906/1907), S. 79, 82, 85. Amtlicher Jahresbe­ richt, DOA (1907/1908), S. 90–91, 96, 81 Ab 1905/1906 umfasste die Tischlerei auch eine Drechslerei. 82 Während des Maji-Maji-Krieges geschlossen. 83 Davon 2 Schmiede, 1 Schlosser, 1 Klempner, 1 Buchbinder, 1 Glaser, 2 Maler und 16 Zimmerer und Tischler.

574

6. Anhang

Nr. 20 Stundentafeln ausgewählter Lehrpläne (DOA) a) Bagamoyo (1901)84 Oberstufe I

Mittelstufe II

Unterstufe III

Inderklasse

Swahili (Grammatik)

4

-

-

4

Schönschreiben

4

4

-

-

Abschreiben

-

6

-

-

Schreiblesen

-

-

16

-

Lesen

-

8

-

-

Deutsch

4

-

-

-

Rechnen

6

6

4

4

Geographie

2

-

-

2

Geschichte

-

-

-

2

Naturkunde

2

-

-

-

Anschauungsunterricht

-

-

4

-

Zeichnen

2

-

-

Gesang

2

2

2

-

Gesang, indisch

-

-

-

2

Musik

4

4

4

4

Turnen

1½ – 2½

1½ – 2½

1½ – 2½

1½ – 2½

-

-

-

12

Gujarati (inkl. Gram­ matik)

84 BArch, R 1001/990, Bl. 35–38, hier: 35.

575

6. Anhang

b) Bagamoyo (1902/1903)85 Oberstufe I

Mittelstufe II

Unterstufe III

IV2

IV1

Inderklasse

Swahili

-

-

-

-

-

-

Schönschreiben

-

4

-

-

-

-

Abschreiben

-

6

-

-

-

-

Schreiblesen

3

-

14

10

5

5

Lesen

-

7

-

-

-

-

Deutsch

-

-

-

-

-

-

Sprachlehre

8

-

-

-

-

-

Schönschreiben

3

-

-

-

-

-

Rechnen

4

9

6

4

2

4

Geographie

2

-

-

-

-

2

Geschichte

-

-

-

-

-

2

Naturkunde

1

-

-

-

-

-

Anschauungsunter­ richt

-

-

4

2

2

-

Zeichnen

1

-

-

-

-

Gesang

2

2

2

2

1

-

Gujarati

-

-

-

-

-

10

Bemerkung: Turnunterricht fand außerhalb des Stundenplans an den Nachmitta­ gen statt.

c) Pangani (1904/1905)86 Unterstufe

Oberstufe IV

Mittelstufe III

II

Ib

Ia

Deutsch

6

-

-

-

-

Anschauung und Le­ sen

4

4

4

4

4

Fließendes Lesen

4

4

2

2

-

Schreiben (Schönschreiben)

4

4

4

4

4

Aufsatz (Abschrift) und Diktat

2

2

-

-

-

Rechnen

6

6

4

4

4

Geographie

2

2

-

-

-

85 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1902/1903), S. 13–14.

576

6. Anhang Singen

2

2

2

2

2

Turnen

2

2

2

2

-

d) Daressalam (1907/1908)87 Oberstufe III

Mittelstufe II

Unterstufe I

Deutsch

9

6

-

Swahili

3

4

6

Diktat

1

2

2

Aufsatz

1

-

-

Anschauung

-

2

4

Rechnen

6

6

6

Raumlehre

1

-

-

Zeichnen

1

1

-

Geographie

2

2

-

Naturkunde

1

-

-

Schreiben

4

4

2

Singen

1

1

2

Turnen

2

2

2

Nr. 21 Unterrichtsziele der Oberschule Tanga (1906/1907)88 Deutsch

„Vervollkommnung in der deutschen Umgangssprache, schöne geläufige Hand­ schrift zum Anfertigen von Reinschriften“

Rechnen

„Erhöhung der Rechenfertigkeit, insbesondere schnelles Auffassen und exakte Übungen in den täglich vorkommenden Rechenaufgaben und -operationen“

Verwaltung

„Gewandtheit in der Aufstellung und Anfertigung von Berichten, Abrechnun­ gen und Übersichten“

Landwirtschaft

„Kenntnis der wichtigsten Kulturpflanzen (Anbau, Verarbeitung, Verwen­ dung)“

Meteorologie

„zum Zweck der meteorologischen Registrierungen Kenntnis der einfachsten physischen Vorgänge und Apparate“

Zeichnen

„vermehrte Fertigkeit im Zeichnen (richtiges Auffassen der Formen, einfache Strichskizzen und Risse)“

Buchführung

„Kenntnis der einfachen Buchführung“

86 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1904/1905), S. 28. 87 Amtlicher Jahresbericht, DOA (1907/1908), S. 86. 88 Amtlicher Jahresbericht, DOA (1906/1907), S. 77–78 (für die Zitate).

577

6. Anhang

Zu Kapitel 3.3 Nr. 22 Schülerzahlen der Schule in Garapan (1900–1914)89 1900/ 1901 Klasse

I

II

Mädchen

16

62

Jungen

33

79

-

-

Chamor­ ro

1905/1906

1906/1907

P

I

II

P

20

30

141

9

-

-

-

8

Ia

Ib 76

-

-

IIa

IIb

67

111

-

-

179

1907/ 1908

1909/ 1910







S

211

324

346

32

-

-

224

27

∑ 113 141

1910/ 191190

Karoliner

-

-

-

-

-

1

-

-

-

-

74

-

-

119

5

Spanier

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

1

-

-

0

0

1911/ 1912 Klasse Mädchen Jungen

1912/1913

1913/1914





S

D



I

II

IIIc

IIIk

390

385

23

30

458

78

55

55

34

IVc91 38 40

IVk

Vc

Vk

D

35

58

29

24

Chamorro

-

260

-

-

310

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Karoliner

-

121

-

-

180

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Spanier

-

4

-

-

1

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Samoaner

-

3

-

-

2

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Bemerkung: Die Klassenstufen sind von hoch (links) nach tief (rechts) angeordnet. P = Präparandenklasse; ∑ = Summe; S = Sonntagsschule, Dolmetscherschule, c = Chamorroklasse; k = Karolinerklasse

89 Amtlicher Jahresbericht (1905/1906), S. 127–128. Amtlicher Jahresbericht, DNG IG (1906/1907), S. 36. Amtlicher Jahresbericht, DNG IG (1907/1908), S. 10. Amt­ licher Jahresbericht (1909/1910), S. 186. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 174. Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 157. Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 181. Die Regierungsschule in Saipan. Aus dem Schulbericht über das Schuljahr 1913/14, in: ADNG, Jg. 6, Nr. 11 (1914), S. 199–201, hier: S. 200. König, v.: Die Eingeborenenschulen in den deutschen Kolonien Afrikas und der Südsee, in: Koloniale Rundschau, Jg. 4 (1912), S. 257–268, 405–417, 529–543, 616–625, 721–732, Jg. 5 (1913), S. 5–27, hier: S. 722–723. Vgl. Hardach, König Kopra, S. 174. 90 Die Daten beziehen sich auf den Beginn des Schuljahres im April 1910. Zum Schuljahresende betrug die Gesamtschülerzahl 336, Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 174. 91 Die Gruppe wurde nach Geschlecht getrennt unterrichtet.

578

6. Anhang

Nr. 23 Schülerzahlen der Schule in Namanula, Indigenenklassen (1907–1914)92 1907/ 1908

1908/ 1909

1909/ 1910

1910/ 1911

1911/ 1912

1912/ 1913

1913/ 1914

Gesamt

40

60

60

60

71

92

120

Neu-Pommern (Blanchebucht)

27

30

-

-

-

38

8

Neu-Pommern (Nordküste)

-

-

-

-

-

3

2

Neu-Hannover (Lavongai)

-

5

-

-

-

3

1

Neu-Mecklenburg (Neuirland)

-

1

-

-

-

8

26

Neu-Lauenburg (Duke-of-York-Inseln)

-

-

-

-

-

-

2

Kaiser-Wilhelms-Land

-

-

-

-

-

23

59

13

22

-

-

-

10

6

Admiralitätsinseln

Salomonen

-

-

-

-

-

5

15

„Malay-Chinesen“93

-

2

-

-

-

2

-

NiederländischIndien

-

-

-

-

-

-

1

92 BArch, R 1001/2756, Bl. 51–52. Jahresbericht der Regierungsschule in Simpson­ hafen, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 10 (1909), S. 78–79, hier: S. 78. Barschdorff, Paul: Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschulen in Namanula. (1. April 1912 – 31. März 1913), in: ADNG, Jg. 5, Nr. 8 (1913), S. 69–73, hier: S. 71. Barschdorff, Paul: Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschule in Namanula. (1. April 1913 – 31. März 1914), in: ADNG, Jg. 6, Nr. 8 (1914), S. 134–137, hier: S. 136. Amtlicher Jahresbericht, DNG BA/SI/KW (1907/1908), S. 10, 38. Amtlicher Jahresbericht (1909/1910), S. 185. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 159. Amtlicher Jahresbericht (1911/1912), S. 156. Amtlicher Jah­ resbericht (1912/1913), S. 180. 93 Jahresbericht der Regierungsschule in Simpsonhafen, in: ADNG, Jg. 1, Nr. 10 (1909), S. 78–79, hier: S. 78 (für das Zitat).

579

6. Anhang

Nr. 24 Schülerzahlen der Schule in Namanula, Nicht-Indigenenklasse (1909–1914)94

Gesamt

1909/ 1910

1910/ 1911

1911/ 1912

April 1912

1912/ 1913

1913/ 1914

n. b.

10

15

14

15

13

Mädchen

-

3

-

-

-

2

Jungen

-

7

-

-

-

11

„Weisse“

-

-

-

8

-

-

„Malaien“

-

-

-

3

-

3

„Malai-Chinesen“

-

-

-

2

-

-

„Chinesen“

-

-

-

1

-

3

„Deutsche“

-

-

-

-

-

7

Bemerkung: n. b.: nicht bekannt

Nr. 25 Schülerzahl der Schule für Indigene in Malifa, Apia (Samoa, 1909–1014)95

Gesamt

1909/ 1910

1910/ 1911

1911/ 1912

1912/ 1913

1913/ 1914

60

60

n. b.

54

60

Bemerkung: n. b. = nicht bekannt

94 Barschdorff, Paul: Jahresbericht über die Tätigkeit der Regierungsschulen in Namanula. (1. April 1912 – 31. März 1913), in: ADNG, Jg. 5, Nr. 8 (1913), S. 69–73, hier: S. 70. Barschdorff, Paul: Jahresbericht über die Tätigkeit der Re­ gierungsschule in Namanula. (1. April 1913 – 31. März 1914), in: ADNG, Jg. 6, Nr. 8 (1914), S. 134–137, hier: S. 134–135 (für das zweite, vierte und fünfte Zitat: S. 135). Die Europäerschule…, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 5 (1912), S. 64. Schulverein. Am 12. April 1912 fand…, in: ADNG, Jg. 4, Nr. 8 (1912), S. 101 (auch für die ers­ ten vier Zitate). Schulverein. Am 25. März fand…, in: ADNG, Jg. 3, Nr. 7 (1911), S. 62–63, hier: S. 63. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 159. Amtlicher Jah­ resbericht (1911/1912), S. 156. Amtlicher Jahresbericht (1912/1913), S. 180. 95 BArch, R 1004-F/75456 (Jahresbericht 1909/10), Bl. 182–183, 302. BArch, R 1004F/75457 (Jahresbericht 1910/11), 72–74. BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1912/13), Bl. 65. BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1913/14), Bl. 153. Amt­ licher Jahresbericht (1909/1910), S. 195. Amtlicher Jahresbericht (1910/1911), S. 181.

580

6. Anhang

Nr. 26 Stundentafeln der Schule für Indigene, Apia (1912–1914)96 Schuljahr

1912/1913

1913/1914

Klassenstufe

I

II

III

IV

I

II

III

IV

Deutsch

6

10

14

16

10

12

15

16

Rechnen

4

4

4

4

4

4

4

4

Geschichte

2

-

-

-

1

-

-

-

Erdkunde

2

2

-

-

2

2

-

-

Englisch

4

3

-

-

3

3

-

-

Raumlehre (für Jungen)

2

2

-

-

2

2

2

-

Naturkunde

2

-

-

-

1

-

-

-

Gesang

2

2

2

1

2

2

2

-

Schönschreiben Zeichnen

1

2

2

Bestandteil des Deutschunterrichts

-

1

1

2

-

1

1

1

-

Turnen (Jungen/Mädchen)

2/2

2/2

2/2

1/1

2/1

2/1

2/1

2/1

Handarbeit (für Mädchen)

2

2

-

2

2

2

-

-

2

2

2

-

22

32/ 29

32/ 29

30/ 27

22/ 21

Holz- und Papparbeit (für Jungen) Wochenstunden (Jungen/Mädchen)

2

2

30/ 28

30/ 28

2

28

Bemerkung: Die Klassenstufen sind von hoch (links) nach tief (rechts) angeordnet.

96 BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1912/13), Bl. 43. BArch, R 1004-F/75457 (Jahresbericht 1913/14), Bl. 45–46.

581

582

Name

Gertrud Anhuth

Käthe Anhuth

Dr. Georg von der Au

Johannes Bam

Nr.

1

2

3

4

13.5.1878

4.3.1853

28.2.1883

14.1.1875

Geburtstag

Steinkopf (Kap­ kolonie)

Bosenheim (heute Stadtteil von Bad Kreuznach)

Grauschienen (heute Gruszyny, Polen)

Grauschienen (heute Gruszyny, Polen)

Geburtsort

Regierungsbezirk Münster

Kapkolonie

Königsberg (heute Kaliningrad, Russland)

Altenburg (verm. heutiges Vecpils, Lett­ land)

Letzter Wohnort

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Studium der Philolo­ gie und Theologie Promotion

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:





Kindergarten­ vorsteherin

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Volksschullehrer

Gymnasiallehrer Lehrer an deutschen Auslandsschulen (Japan, Brasilien, Kapko­ lonie)

Privatlehrerin

Privatlehrerin Leiterin einer Familien­ schule Angestellte Lehrerin an höherer Mädchenschule

Beruflicher Werdegang

1905 – März 1914

Okt. 1901 – Jan. 1914

Jan. – Juli 1911

Jan. 1911 – Juni 1913

Dienstzeit

Nr. 27 Lehrkräfte der deutschen kolonialen Schulen in Deutsch-Südwestafrika (Sept. 1894–Juni 1915)97

Zu Kapitel 3.4

Windhuk Gibeon (ab Okt. 1910)

Windhuk Swakop­ mund (ab 1908)

Omaruru

Gobabis Windhuk (Ju­ ni 1913, nur 3 Tage)

Dienstorte

6. Anhang

Name

Helene Barth

Waldemar Baumgart

Alfred Bensch

Gustav Berger

Rudolf Berger

Gustava Bü­ tow

Nr.

5

6

7

8

9

10

3.1.1889

30.8.1885

5.3.1883

5.4.1886

27.11.1878

27.8.1882

Geburtstag

Bendsburg

Dresden

Palmbach (heute Stadtteil von Karlsruhe)

Luga (heute Ortsteil von Neuschwitz bei Bautzen)

Fürstenwalde (Spree)

Bad Dürkheim

Geburtsort

Swakopmund

Lengenfeld (Sachsen)

Walldorf

Leipzig

Kremmen

Ludwigshafen am Rhein

Letzter Wohnort

Handarbeitsleh­ rerin

Volksschulleh­ rer

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer Privatstudium (Fran­ zösisch)

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:





Rektor

Mittelschulleh­ rer

Seminarexamen:





Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:





Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Volksschullehrerin Hauswirtschafterin (Haushalt des Bruders in Swakopmund) Privatlehrerin (DeutschSüdwestafrika)

Volksschullehrer Lehrer an einer gewerblicher Fortbil­ dungsschule

Volksschullehrer Militärdienst in der Schutztruppe von Deutsch-Südwestafrika

Volksschullehrer

Volksschullehrer Mittelschullehrer Rektor

Volksschullehrerin

Beruflicher Werdegang

März 1914 – Juni 1915

Dez. 1910 – Aug. 1914

Febr. 1907 – Okt. 1908

April 1913 – Juli 1914

März 1908 – April 1912

Mai 1908 – Sept. 1910

Dienstzeit

Swakop­ mund Okahandja

Windhuk

Karibib

Gobabis

Lüderitz­ bucht

Swakop­ mund Lüderitz­ bucht (ab April 1910)

Dienstorte

6. Anhang

583

Name

Gertrud Chüden

Otto Damm

Hedwig Dannert

Hertha Dannert

Nr.

11

584

12

13

14

22.6.1877

11.4.1884

5.7.1873

30.10.1882

Geburtstag

Blankenese (heute Stadtteil von Hamburg)

Omburo (Namibia)

Monheim am Rhein

Wilhelmshaven

Geburtsort

Johannesburg (Kapkolonie, heute Südafrika)

Herne

Apia (Samoa)

Bremen

Letzter Wohnort

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen Studium in Paris (Sorbonne, Franzö­ sisch) Privatstudium (Englisch)

Seminarexamen:



Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen Privatstudium (Französisch)

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Volksschullehrerin Lehrerin an deutscher Auslandsschule (Johan­ nesburg, Kapkolonie)

Volksschullehrerin Privatlehrerin

Juli – Okt. 1913

Aug. 1909 – Juni 1915

April 1909 – Dez. 1911

Jan. 1913 – Juni 1915

Privatlehrerin und -er­ zieherin

Volksschullehrer Lehrer an deutschen Auslandsschulen (Tur­ nu-Severin, Rumänien, Apia) Lehrer im Kolonial­ dienst (Apia)

Dienstzeit

Beruflicher Werdegang

Lüderitz­ bucht

Omaruru

Karibib

Omaruru

Dienstorte

6. Anhang

Name

Martha Dittrich

Margarethe von Eckenbre­ cher

Dr. Karl Frey

Margarethe Friedrich

Emmi von Gfug

Nr.

15

16

17

18

19

22.10.1875

24.11.1880

3.9.1886

30.9.1875

26.5.1880

Geburtstag

Großwangern (Schlesien, heuti­ ger Name unklar)

Wartenburg (heute Barczewo, Polen)

Mengen (heute Ortsteil von Schallstadt)

Bernburg (Saale)

Lengerich

Geburtsort

Bremerhaven

Schöneberg (heute Stadtteil von Berlin)

Karlsruhe

Braunschweig

Oberschönewei­ de (heute Stadtteil von Berlin)

Letzter Wohnort

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen Studium (Breslau, Examen als Oberleh­ rerin)

Seminarexamen:



Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Studium (Englisch, Französisch, Deutsch, Erdkunde) Promotion

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Oberlehrerin

Privatlehrerin Volksschullehrerin

Lehrer an Gymnasien und an einer Oberreal­ schule

Mai 1908 – Mai 1910

Apr. 1911 – Juni 1915

Juni 1912 – Dez. 1914

Sept. 1914 – Juni 1915

Mai 1910 – Juli 1913

Volksschullehrerin Privaterzieherin

Volksschullehrerin Privatlehrerin (England) Lehrerin an Handelsschule

Dienstzeit

Beruflicher Werdegang

Grootfontein Okahandja (Jan. – Febr. 1909) Swakop­ mund (März – Mai 1909) Lüderitz­ bucht (Juni 1909 – Mai 1910)

Warmbad Swakop­ mund (ab Dez. 1913)

Windhuk

Windhuk

Windhuk Swakop­ mund (ab Okt. 1911) Windhuk (ab Nov. 1912)

Dienstorte

6. Anhang

585

Name

August Göing

August Gries

Käthe Guse

Margarethe Hahn

Eva Auguste Harff

Fritz Heinzig

Nr.

20

586

21

22

23

24

25

15.1.1883

17.7.1880

29.5.1884

12.2.1877

18.4.1879

26.1.1883

Geburtstag

Limbach (heute LimbachOberfrohna)

Wolmar (heute Valmiera, Lettland)

Obergruna (heute Ortsteil von Groß­ schirma)

Gartz (Oder)

Uelzen

Sachsenhagen

Geburtsort

Mügeln

Braunschweig

Dresden

Berlin

Otterndorf

Renslage

Letzter Wohnort

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen



Turnlehrer

Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:





Absolventin einer Handarbeits- und Kaufmannsschule Seminarexamen:

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Studium (Mathe­ matik, Naturwissen­ schaften)

Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Aug. 1911 – Sept. 1914

Nov. 1909 – Febr. 1914

Volksschullehrer

Jan. 1913 – Juni 1915

Privaterzieherin Lehrerin an einer Offi­ zierschule Privatlehrerin (DeutschSüdwestafrika)

Privatlehrerin (DeutschSüdwestafrika)

Nov. 1907 – Juni 1915

April 1911 – Juni 1915

Juli 1910 – Apr. 1914

Dienstzeit

Privatlehrerin (England) Lehrerin an Volks-, Mit­ tel- und höheren Schu­ len

Gymnasiallehrer Realschullehrer

Volksschullehrer

Beruflicher Werdegang

Maltahöhe

Aus Lüderitz­ bucht (ab Jan. 1912)

Grootfontein

Windhuk

Windhuk

Klipdam

Dienstorte

6. Anhang

Name

Elisabeth Henze

Antonius Herlyn

Adolf Hermkes

Paul Herrmann

Marie Heuer

Asta von Heyden

Nr.

26

27

28

29

30

31

29.3.1881

6.10.1887

28.8.1877

11.1.1886

17.3.1875

13.3.1884

Geburtstag

Danzig (heute Gdansk, Polen)

Mainz

Kolleschnicken (heute Koleśniki, Polen)

Alstaden (heute Stadtteil von Oberhausen)

Rietberg

Köln

Geburtsort

Elberfeld (heute Stadtteil von Wuppertal)

Deutsch-Süd­ westafrika

Rixdorf (heute Ortsteil von Berlin)

Deutsch-Süd­ westafrika (heute Namibia)

Pilsum (heute Teil der Gemeinde von Krummhörn)

Okahandja (Deutsch-Süd­ westafrika, heute Namibia)

Letzter Wohnort

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Kaufmännisches Volontariat

Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen Studium (Nancy, Französisch)

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Volksschullehrerin

Privaterzieherin (in Deutschland und in Deutsch-Südwestafrika)

Volksschullehrer

Kaufmann (Belgien, Niederlande) Schriftleiter (Südwestbote) Freier Journalist

Volksschullehrer

Volksschullehrerin

Beruflicher Werdegang

Mai 1908 – Jan. 1909

Jan. – Apr. 1915

Jan. 1912

Sept. 1914 – März 1915

Jan. 1900 – Dez. 1902 Sept. 1905 – Juni 1915

Aug. – Okt. 1914

Dienstzeit

Windhuk Okahandja (Okt. 1908 – Jan. 1909)

Karibib

Kub

Omaruru

Gibeon Swakop­ mund (ab Sept. 1905)

Okahandja

Dienstorte

6. Anhang

587

Name

Agnes Hoffmann

Lotte Hoppe

Hermine Horn

Gustav Jung

Nr.

32

588

33

34

35

15.11.1882

24.6.1870

13.2.1879

8.9.1875

Geburtstag

Merlau (heute Ortsteil von Mücke)

Alena (Westfalen)

Halle (Saale)

Cottbus

Geburtsort

Maulbach (heute Ortsteil von Homberg (Ohm)

Holzwickede

Dortmund

Berlin

Letzter Wohnort

Turnlehrerin Zeichenlehrerin

Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen Missionarinnenaus­ bildung Sprachstudium (Englisch, Nieder­ ländisch)

Seminarexamen:



– Turnlehrerin Studium (Hospitan­ tin)

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



– –

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Volksschullehrer

Volksschullehrerin Missionarin (Steinkopf, Kapkolonie)

Lehrerin an Mädchen­ mittelschule Privatlehrerin

Volksschullehrerin

Beruflicher Werdegang

Nov. 1912 – Juni 1914

Juli 1908 – Jan. 1915

Jan. – Apr. 1908 Jan. 1909 – März 1912 Jan. – Juni 1915

Okt. 1911 – Juni 1915

Dienstzeit

Okahandja

Warmbad Keetmansho­ op (Dez. 1914 – Jan. 1915)

Windhuk

Windhuk

Dienstorte

6. Anhang

Name

Emil Just

Karl Kasch

Marie Kelch

Rudolf Keller

Fritz Klein

Dorothea Krämer

Rudolf Krause

Nr.

36

37

38

39

40

41

42

3.11.1878

8.8.1879

21.4.1877

13.12.1887

2.10.1881

6.1.1885

29.6.1872

Geburtstag

Schilberg (heute Ostrzeszów, Polen)

Neu-Ruppin

Wohlau (heute Wołów, Polen)

Wetzlar

Bremen

Zahna heute Ortsteil von ZahnaElster)

Neu-Ruppin

Geburtsort

Bromberg (heute Bydgoszcz, Polen)

Farm Heilbronn (Deutsch-Süd­ westafrika)

Schwarzwald (heute Czarnylas, Polen)

Biersdorf am See

Charlottenburg

Eschwege

Bälow bei Wis­ nack

Letzter Wohnort

Seminarbesuch (1. Staatsprüfung nicht bestanden)

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen Studium (Franzö­ sisch, Grenoble, Frankreich)

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen Studium (Philologie, Berlin)

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Privatlehrer

Privatlehrerin Volksschullehrerin Mittelschullehrerin

Volksschullehrer

Febr. 1902 – Apr. 1904

März – Juni 1915

Apr. 1906 – Mai 1909

Febr. 1912 – Juni 1915

Febr. 1912 – Sept. 1913

Volksschullehrerin Erzieherin

Volksschullehrer

Mai 1912 – Juni 1915

Jan. 1903 – Mai 1906

Dienstzeit

Volksschullehrer Lehrer an einem Präparandum

Volksschullehrer

Beruflicher Werdegang

Swakop­ mund

Grootfontein

Gibeon

Lüderitz­ bucht

Omaruru

Windhuk

Gibeon

Dienstorte

6. Anhang

589

Name

Wilhelm Krause

Heinrich Kronsbein

Marta Leistikow

Robert Lucius

Georg Meiß

Ludwig Müller

Dr. Horst Nierth

Helene Nitze

Nr.

43

590

44

45

46

47

48

49

50

17.6.1873

20.5.1884

1.12.1887

14.1.1883

24.12.1874

14.9.1885

1.10.1876

Geburtstag

Weißenburg bei Gnesen (heute Gniezno, Polen)

Dresden

Herbolzheim

Reinschdorf (heute Reńska Wieś, Polen)

Breslau

Melle

Jastrow (heute Jastrowie, Polen)

Geburtsort

Oberglogau (heute Głogówek, Polen)

Berlin

Hilter

Tilsit (heute Sowetsk, Russland)

Letzter Wohnort

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Studium (Deutsch, Französisch, Englisch, Philoso­ phie) Promotion

Studium (Geschichte, Natur­ wissenschaften) Examen als Mittel­ schullehrer (Mathematik, Phy­ sik, Chemie)

Studium (Englisch, Französisch, Deutsch) Ausbildung als Turn­ lehrer

Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Helferin im Haushalt ihres Vaters (DeutschSüdwestafrika, heute Namibia)

Lehrer am Gymnasium und an (Ober-)Realschulen

Lehrer am Volksschul­ lehrerseminar Mittelschullehrer

Realschullehrer Lehrer an Landwirt­ schaftsschule Realschullehrer

Sept. 1910 – Apr. 1914

Volksschullehrer

Sept. 1894 – Dez. 1898

Febr. 1914 – Juni 1915

Febr. 1912 – Juni 1914

Mai 1914 – Juni 1915

Jan. 1911 – Juni 1914

Juli 1914 – Juni 1915

Juli 1904 – Sept. 1906

Dienstzeit

Volksschullehrer

Beruflicher Werdegang

Windhuk

Windhuk

Karibib

Windhuk

Windhuk

Windhuk

Lüderitz­ bucht Aus (ab 1912)

Keetmansho­ op

Dienstorte

6. Anhang

Name

Elisabeth Nöldechen

Elisabeth Ohlmann

Karl Otto

Heinrich Pleister

Wilhelm Rave

Harry Rodenberg

Wilhelm Röttger

Nr.

51

52

53

54

55

56

57

21.2.1886

31.10.1889

8.11.1872

Geburtstag

Alfeld (Leine)

Holtensen (heute Ortsteil der Gemeinde Wennigsen)

Nienburg (Weser)

Geburtsort

Sprottau (heute Szprota­ wa, Polen)

Rathlosen (heute Ortsteil von Sulingen)

Finna (heute Ortsteil von Bramstedt)

Letzter Wohnort

Mittelschulleh­ rer

Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:





Seminarexamen:

Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Volksschullehrer

Volksschullehrer

Volksschullehrer

Beruflicher Werdegang

Sept. 1913 – Juni 1914, Okt. – Nov. 1914

Febr. 1914 – Juni 1915 (Aug. 1914: Militärdienst)

Juli 1901 – Apr. 1914

Jan. 1912 – Juni 1915

Jan. 1900 – Juni 1903

Apr. 1910 – Juni 1915

vor Apr. 1913 – Juni 1915

Dienstzeit

Lüderitz­ bucht

Aus

Windhuk Klein-Wind­ huk (1910–1913) Windhuk

Swakop­ mund (Städti­ sche Realschule)

Windhuk Keetmansho­ op (ab Juni 1901)

Okahandja Keetmansho­ op Gobabis

Warmbad Maltahöhe (ab Apr. 1914) Kub (1915)

Dienstorte

6. Anhang

591

Name

Otto Roh­ mann

Anna Scheibner

Margarethe Schlusche

Otto Schuster

Nr.

58

592

59

60

61

19.7.1889

2.3.1880

24.9.1879

3.11.1874

Geburtstag

Ilmenau

Dresden

Kolmar (heute Chodzież, Polen)

Maschnen bei Angerburg (heu­ te Węgorzewo, Polen))

Geburtsort

Ilmenau

Kapkolonie (heu­ te Südafrika)

Posen (heute Poznan, Polen)

Tilsit (heute Sowetsk, Russland)

Letzter Wohnort

Turn-, Fecht-, Schwimmlehrer

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:





Ausbildung zur Krankenpflegerin Seminarexamen:

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Mittelschulleh­ rer Studium (1 Semes­ ter)





Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Volksschullehrer

Volksschullehrerin Lehrerin an deutschen Missionsschulen (Kapkolonie)

Volksschullehrerin

Volksschullehrer

Beruflicher Werdegang

Febr. – Aug. 1914

Jan. 1910 – Juni 1915

Juni 1909 – März 1914

Okt. 1903 – Sept. 1914

Dienstzeit

Swakop­ mund

Lüderitz­ bucht Klipdam (ab Febr. 1914) Keetmansho­ op (1914) Kub (1914) Windhuk (ab Sept. 1914) Maltahöhe (1915)

Swakop­ mund

Windhuk Grootfontein (ab Febr. 1906) Klein-Wind­ huk (ab Aug. 1913)

Dienstorte

6. Anhang

Name

Anna Stobbe

Johannes Thormann

Eugen Tworeck

Kurt Ullmann

Georg Ulrich

Wilhelm Vogelbruck

Bernhard Voigt

Nr.

62

63

64

65

66

67

68

13.12.1878

2.2.1883

1.11.1887

4.6.1888

12.9.1879

6.11.1884

Geburtstag

Brieg (heute Brzeg, Polen)

Essen

Lichtentanne

Marktbergel

Stargrad (heute gleichna­ mig, Polen)

Gut Salpia (Ost­ preußen, heutiger Ort unklar)

Geburtsort

Bunzlau (heute Bolesławiec, Polen)

Langenberg

HohensteinArnsthal

Nürnberg

Torgelow

Königsberg (heute Kalinin­ grad, Russland)

Letzter Wohnort





Rektor

Mittelschulleh­ rer

Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Studium (Niederlän­ disch, Germanistik)

Mittelschulleh­ rer

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Ausbildung / Studium

Febr. 1912 – Juni 1914

Volksschullehrer

Juli 1909 – Jan. 1912

Aug. 1908 – Juni 1915

Lehrer an Gymnasien (Leiden, Niederlande) Lehrer an Farmschule (Deutsch-Südwestafrika) Volksschullehrer Lehrer an einem Präpa­ randum Lehrer an einem Volks­ schullehrerseminar

Okt. 1912 – Juni 1915

Aug. 1913 – Juni 1914

Sept. 1909 – Juni 1914

Volksschullehrer

Volksschullehrer

März 1914 – Juni 1915

Dienstzeit

Lehrerin an höherer Töchterschule Erzieherin (Farm, Deutsch-Südwestafrika)

Beruflicher Werdegang

Karibib Windhuk (ab April 1909)

Kub

Swakop­ mund (Städti­ sche Realschule)

Usakos

Swakop­ mund Omaruru (ab Nov. 1913)

Keetmansho­ op

Gibeon

Dienstorte

6. Anhang

593

Name

Heinrich Voigt

Maria Voigt-Brüning

Dr. Edgar Wallberg

Wilhelm Wanner

Arthur Weidemann

Franziska Willich

Alfred Zedlitz

Nr.

69

594

70

71

72

73

74

75

23.2.1874

27.11.1888

29.11.1888

12.1.1876

16.3.1876

15.1.1863

Geburtstag

Polkwitz (heute Polkowice, Polen)

Oldenburg

Uhlstädt (heute Ortsteil von UhlstädtKirchhäsel)

Stuttgart

Baumgarten (War­ now)

Potsdam

Geburtsort

Krotoschin (heu­ te Krotoszyn, Polen)

Birkenfeld (Na­ he)

Kahla

Mühlheim (Ruhr)

Hamburg

Bottrop

Leipzig

Letzter Wohnort

Studium (Englisch, Französisch, Deutsch, Geschich­ te)

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Volksschulleh­ rer

Seminarexamen:



Studium (Deutsch, Englisch, Erdkunde, Turnen)

Lehrerin für Volksschulen, mittlere und höhere Mäd­ chenschulen

Seminarexamen:



Ausbildung am Kgl. Conservatorium für Musik zu Leipzig

Ausbildung / Studium

Jan. 1909 – Dez. 1909

Volksschullehrerin Lehrerin an Missionsschule (Kap­ stadt, Kapkolonie)

Realschullehrer Gymnasiallehrer

Volksschullehrerin Privatlehrerin (Farm, Deutsch-Südwestafrika)

Volksschullehrer

Volksschullehrer

Febr. 1908 – Juni 1915

Mai 1914 – Juni 1915

Febr. 1914 – Juni 1915

Sept. 1906 – Aug. 1909

Lehrer an höheren Schu­ Jan. 1912 – len Juni 1915

Jan. 1909 – Apr. 1910

Dienstzeit

Musikdirektor Komponist Pianist Musiklehrer

Beruflicher Werdegang

Windhuk

Swakop­ mund Klein-Wind­ huk (1914) Omaruru (1914)

Windhuk Omaruru (ab Febr. 1915)

Keetmansho­ op

Swakop­ mund (Städtische Realschule)

Windhuk

Windhuk

Dienstorte

6. Anhang

6. Anhang

Nr. 28 Stundenplan der Deutschen Schule in Windhuk (Oktober 1895)98 1. Klasse (Ältere) Mo.

Di.

Mi.

Do.

Fr.

Sa.

Religion

Rechnen (mündlich)

Englisch (Konversati­ on)

Geographie

Rechnen

Englisch

Diktat

Geschichte

Aufsatz/ Gedicht

Diktat

Religion

Geographie

Englisch

Lesen (Klassiker)

Rechnen (schriftlich)

Geschichte

Schönschrei­ ben

Geschichte

2. Klasse (Jüngere) Mo.

Di.

Mi.

Do.

Fr.

Sa.

Lesen

Rechnen (mündlich)

Rechnen

Schönschrei­ ben

Englisch

Diktat

Religion

Schönschrei­ ben

Diktat

Geographie

Lesen

Rechnen

Diktat

Lesen

Aufsatz/ Gedicht

Zeichnen

Religion

Schönschrei­ ben

Bemerkungen: Die Unterrichtszeit betrug täglich drei Stunden und begann im Sommer um 7 Uhr und im Winter um 7.30 Uhr.

97 Als Datengrundlage dienten die Personalmitteilungen im Deutschen Kolonialblatt und dem Amtsblatt für das Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika, die sich in den Per­ sonalakten befindenden Personal- und Dienstzeit-Nachweisungen der Lehrerin­ nen und Lehrer sowie BArch, R 1001/9569 (Liste der im Schutzgebiet DeutschSüdwestafrika gefallenen bzw. an den Folgen des Krieges gestorbenen Schutz­ truppenangehörigen), BArch, R 1002/2083, Bl. 2, BArch, R 1002/2125, Bl. 85, 93, 97–98, 103–104, 108–109, 116–117, BArch, R 1002/2132, Bl. 1–13 (Zedlitz, Erster Jahresbericht der Kaiserlichen Realschule zu Windhuk, S. 14–15) und Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 76–79. Zu Helene Nitze (Nr. 50) und Karl Otto (Nr. 53) beachte zudem Kapitel 3.3.1. 98 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 153.

595

6. Anhang

Nr. 29 Schülerzahlen (DSWA, 1901–1903)99 April 1901

September 1901

April/Mai 1902

April 1903

Gibeon

12

13

k. A.

k. A.

Grootfontein

-

-

13

10

Keetmanshoop

-

-

-

20

Swakopmund

-

-

11

13

Windhuk

15

k. A.

25

36

Nr. 30 Stundenplan der Schule in Swakopmund (1913)100 1. Klasse Std.

Mo.

8–9

Deutsch

9–10

Di.

Mi.

Religion

Deutsch

Rechnen

Raumlehre

Do. Deutsch

Fr.

Sa.

Religion

Deutsch

Rechnen

Naturlehre

10–11

Rechnen

Erdkunde

Gesang

Rechnen

Erdkunde

Rechnen

11–12

Zeichnen

Schönschrift

Naturlehre

Zeichnen

Diktat

Naturkunde

15–16

Rechnen (¾ Std.)

Geschichte

-

Rechnen (¾ Std.)

Geschichte

-

16–17

Handarbeit

Turnen

-

Handarbeit

Turnen

-

2. Klasse Std.

Mo.

Di.

Mi.

Do.

Fr.

Sa.

8–9

Rechnen

Religion

Rechnen

Rechnen

Religion

Schreiben Deutsch

9–10

Deutsch

Rechnen

Deutsch

Deutsch

Rechnen

10–11

Erdkunde

Zeichnen

Gesang

Erdkunde

Zeichnen

Gesang

11–12

-

Deutsch

Geschichte

Schreiben

Deutsch

Geschichte

15–16

Naturbe­ schreibung

-

-

Naturbe­ schreibung

-

-

16–17

Handarbeit (16–17.30 Uhr)

Turnen

-

-

Turnen

-

99 Anlagen zum amtlichen Jahresbericht (1901/1902), S. 208–211. Amtlicher Jah­ resbericht (1902/1903), S. 79. 100 Moritz, Das Schulwesen in Deutsch-Südwestafrika, S. 216.

596

6. Anhang

3. Klasse Std.

Mo.

Di.

Mi.

Do.

Fr.

Sa.

8–9

Deutsch

Religion

Deutsch

Deutsch

Religion

Deutsch

9–10

Rechnen

Deutsch

Rechnen

Rechnen

Deutsch

Rechnen

10–11

Gesang

Diktat

Schreiben

Gesang

Diktat

Schreiben

11–12

-

Zeichnen

Naturge­ schichte

-

Zeichnen

Heimatkun­ de

15–16

-

Turnen (Mädchen)

-

-

Turnen (Mädchen)

-

16–17

-

Turnen (Jungen)

-

-

Turnen (Jungen)

-

4. Klasse Std.

Mo.

Di.

Mi.

Do.

Fr.

Sa.

8–9

Deutsch

Religion

Deutsch

Rechnen

Religion

Deutsch

9–10

Rechnen

Rechnen

Deutsch

10–11

Gesang

Deutsch

Gesang

Deutsch

Deutsch

Rechnen Deutsch

Nr. 31 Lehrkräfte in Deutsch-Südwestafrika (1894–Juni 1915)101

101 Zur Datengrundlage beachte die Anmerkungen in der FN zu Anhang Nr. 27.

597

6. Anhang

Nr. 32 Geschlechterquote der Lehrkräfte in Deutsch-Südwestafrika (1894–Juni 1915)102

102 Zur Datengrundlage beachte die Anmerkungen in der FN zu Anhang Nr. 27.

598

6. Anhang

Nr. 33 Geschlechterquote der Lehrkräfte in Deutsch-Südwestafrika (1908–Juni 1915)103

Nr. 34 Dienstzeiten und Alter bei Dienstantritt (DSWA, 1894–Juni 1915)104 a) Lehrer Name

Vorname

Alter bei Dienst­ antritt

Dienstzeit in Monaten

Dienstzeit in Jahren

Rave

Wilhelm

28

154

12,8

Herlyn

Antonius

24

154

12,8

Au

Georg von der

48

148

12,3

Rohmann

Otto

26

132

11,0

Bam

Johannes

26

111

9,3

Zedlitz

Alfred

32

89

7,4

Voigt

Bernhard

29

83

6,9

Heinzig

Fritz

26

64

5,3

Gries

August

32

51

4,3

Baumgart

Waldemar

29

50

4,2

Göing

August

27

46

3,8

103 Zur Datengrundlage beachte die Anmerkungen in der FN zu Anhang Nr. 27.

599

6. Anhang Thormann

Johannes

29

46

3,8

Berger

Rudolf

25

45

3,8

Kronsbein

Heinrich

25

44

3,7

Lucius

Robert

36

42

3,5

Otto

Karl

n. b.

42

3,5

Pleister

Heinrich

n. b.

42

3,5

Wallberg

Dr. Edgar

n. b.

42

3,5

Just

Emil

30

41

3,4

Keller

Rudolf

24

41

3,4

Klein

Fritz

29

38

3,2

Kasch

Karl

28

38

3,2

Wanner

Wilhelm

30

36

3,0

41

33

2,8

n. b.

33

2,8

Damm

Otto

Ulrich

Georg

Vogelbruck

Wilhelm

26

31

2,6

Frey

Dr. Karl

25

31

2,6

Ullmann

Kurt

24

29

2,4

Müller

Ludwig

24

29

2,4

Krause

Wilhelm

27

27

2,3

Krause

Rudolf

23

27

2,3

Berger

Gustav

23

21

1,8

Jung

Gustav

29

20

1,7

Weidemann

Arthur

25

17

1,4

Nierth

Dr. Horst

29

17

1,4

Bensch

Alfred

27

16

1,3

Rodenberg

Harry

24

16

1,3

Voigt

Heinrich

1,3

Meiß

Georg

Röttger Tworeck

45

16

n. b.

14

1,2

Wilhelm

27

13

1,1

Eugen

25

11

0,9

Hermkes

Adolf

28

7

0,6

Schuster

Otto

24

7

0,6

34

1

0,1

28,5

45

3,8

Herrmann

Paul Durchschnitt

104 Zur Datengrundlage beachte die Anmerkungen in der FN zu Anhang Nr. 27.

600

6. Anhang

b) Lehrerinnen Name

Vorname

Guse

Käthe

Alter bei Dienst­ antritt

Dienstzeit in Monaten

Dienstzeit in Jahren

30

92

7,7

Dannert

Hedwig

25

71

5,9

Horn

Hermine

38

67

5,6

Schlusche

Margarethe

29

66

5,5

Dittrich

Martha

29

63

5,3

Nitze

Helene

21

52

4,3

Friedrich

Margarethe

30

51

4,3

Ohlmann

Elisabeth

Hoppe

Lotte

n. b.

51

4,3

28

49

4,1

Hoffmann

Agnes

35

45

3,8

Harff

Eva Auguste

31

38

3,2

Scheibner

Anna

29

34

2,8

Anhuth

Käthe

25

31

2,6

Anhuth

Gertrud

35

30

2,5

Hahn

Margarethe

28

30

2,5

Chüden

Gertrud

30

30

2,5

Barth

Helene

25

29

2,4

Nöldechen

Elisabeth

n. b.

27

2,3

Gfug

Emmi von

32

25

2,1

Kelch

Marie

30

20

1,7

Bütow

Gustava

25

16

1,3

Stobbe

Anna

29

16

1,3

Willich

Franziska

25

14

1,2

Leistikow

Marta

n. b.

12

1,0

Voigt-Brüning

Maria

32

12

1,0

Eckenbrecher

Margarethe von

38

10

0,8

Heyden

Asta von

27

9

0,8

Dannert

Hertha

39

4

0,3

Heuer

Marie

27

4

0,3

Krämer

Dorothea

35

4

0,3

Henze

Elisabeth

30

3

0,3

29,9

32

2,7

Durchschnitt

601

6. Anhang

c) Gesamt

Durchschnitt

Alter bei Dienst­ antritt

Dienstzeit in Monaten

Dienstzeit in Jahren

29,1

41

3,4

Bemerkung: n. b. = nicht bekannt

Nr. 35 Geographische Herkunft der Lehrkräfte in DSWA nach Bundesstaaten105 Bundesstaat

Lehreranzahl

Anteil (63)

Anteil (75)

Kgr. Preußen

43

68,3 %

57,3 %

Kgr. Sachsen

6

9,5 %

8,0 %

Ghzgt. Hessen

3

4,8 %

4,0 %

Ghzgt. Baden

3

4,8 %

4,0 %

Kgr. Bayern

3

4,8 %

4,0 %

Kgr. Württemberg

1

1,6 %

1,3 %

Ghzgt. Sachsen

1

1,6 %

1,3 %

Ghzgt. Oldenburg

1

1,6 %

1,3 %

Hzgt. Sachsen-Altenburg

1

1,6 %

1,3 %

„Reichsdeutsch“106

1

1,6 %

1,3 %

Zwischensumme

63

100 %

84,0 %

Unbekannt o. unklar

12

-

16,0 %

Insgesamt

75

-

100 %

105 Zur Datengrundlage beachte die Anmerkungen in der FN zu Anhang Nr. 27. 106 BArch, R 1002/670, Bl. 7–8 (für das Zitat: Bl. 7). Der Geburtsort der hier bezeichneten Lehrerin Eva Auguste Harff ist Valmiera (heute Lettland, deutsche Bezeichnung: Wolmar).

602

6. Anhang

Zu Kapitel 4.1 Nr. 36 Die Lehrkräfteanzahl (DSWA, Juni 1914–Juni 1915)107

Nr. 37 Altersverteilung der Lehrkräfte (DSWA, 1894–Juni 1915)108 a) Lehrer Altersgruppe (Jahre)

Personen Anzahl

Dienstmonate Anteil

Anzahl

Anteil

36

3

6,8%

197

9,9%

n. b.

4

9,1%

159

8,0%

Summe

44

100,0%

1995

100,0%

107 Zur Datengrundlage beachte die Anmerkungen in der FN zu Anhang Nr. 27. 108 Zur Datengrundlage beachte die Anmerkungen in der FN zu Anhang Nr. 27.

603

6. Anhang

b) Lehrerinnen Altersgruppe (Jahre) 36

3

9,7%

81

8,1%

n. b.

3

9,7%

90

9,0%

Summe

31

100,0%

1005

100,0%

Bemerkungen: n. b. = nicht bekannt

c) Graphische Übersicht

604

Dienstmonate

Anzahl

6. Anhang

Zu Kapitel 4.2 Nr. 38 Schülerstatistik der Schule für Nicht-Indigene, Daressalam (1906–1913)109 Sept. 1906

Okt. ’06 – März ’07

April 1908

Juni ’08 – Ju­ ni ’09

April ’09 – März ’10

März 1911

Gesamt

9

2–7

2–4

Evangelisch

5

-

-

Katholisch

4

-

Deutsche

-

Griechen

-

Syrer Andere Na­ tionaltitäten

Apr. ’11 Apr. ’12 – – März ’12 März ’13

10–14

18

17

32

43

-

15

-

-

-

-

-

3

-

-

-