203 10 5MB
German Pages 85 [88] Year 1846
Herr Professor Hengssenberg und
die Erklärung vom 15. August 1845,
G Schweitzer, Prediger und Rektor zu Fehrbelliu.
Berlin, Druck und Verlag von G. Reimer.
1 8 46.
Vorwort.
Ich übergebe hiermit den geehrten Lesern eine theolo gische Streitschrift, die aber nicht aus Liebe zum Streit ent standen ist, sondern aus Liebe zum Frieden; doch nicht aus der Liebe zum faulen Frieden, die alles gehen läßt, wie es geht, sondern aus der Liebe zum Frieden in der Wahrheit, die uns das Schwert in die Hand giebt, zu kämpfen gegen Unwahrheit und Unrecht. Ich bitte die geehrten Leser um Nachsicht, was den Stil betrifft. Denn im doppelten Drange arbeitreicher Amtsthätigkeit und der eilenden Zeit, die eine solche Schrift rasch erscheinen heißt, habe ich sie in der Muße b.et Tag- und Nachtstunden innerhalb weniger Wochen niedergeschrieben. Auch Ungenauigkeiten in Nebendingen mö gen gerügt, aber auch damit entschuldigt werden, daß mir
4 an meinem Wohnort gelehrte Hülfsmittel zum Nachschlagen fehlen.
Für die Hauptpunkte, für die Art meines Kämpfen-,
bitte ich nicht um Schonung.
Denn hierin darf nicht ge
schont werden, weil sonst die Wahrheit unterliegt. Dm 19 teil November 1845. Der Verfasser.
^uch der^ Herr Professor Hengstenberg hat nun gegen die Erklä rung vom 15. August sein Wort gesprochen.
Er nennt mich einen
ihrer lautesten Herolde und Adhärenten, führt mehrere Stellen aus einem Buche an, das von mir 1842 gegen das Leben Jesu von David Strauß*) erschien, um daran zu zeigen, weß Geistes Kin der die Schüler Schleiermachers sind.
Da ich so die unverdiente
Ehre genieße, ich weiß nicht, zum Typus oder Sündenbock der Schleiermacherschen Schüler gemacht zu sein, so habe ich wohl Ver anlassung genug, dem Herrn Professor zu antworten.
Er erzählt,
Freunde hätten ihm den Rath ertheilt, die Erklärung unter mehr beruhigten Verhältnissen, etwa im Vorwort zum nächsten Jahrgang, vorzunehmen, so weit ihr nicht schon durch mehrere treffliche Schrif ten (nicht auch durch noch trefflichere Predigten?) ihr Recht gethan. Ich muß gestehen, ich hatte Ähnliches erwartet, und mich schon auf ein fulminantes Vorwort gefreut. christliches Gemüth.
Aber nein!
der Mann hat ein
Wir haben Schläge gekriegt, meint er, wegen
unserer unartigen Erklärung.
Unser Rücken ist noch wund, wir
haben im Kampfe noch nicht Zeit gehabt, lindemden Balsam auf zulegen und die Wunden zu verbinden.
Wäre dieses erst geschehen,
dann „würde es roh und unverantwortlich sein, den Verband der Wunde wieder schonungslos aufzureißen", darum ist es seine Pflicht, meint der Herr Professor, aufs Neue den wunden Rücken, und zwar „die empfindlichsten Stellen der Gegner" zu geißeln.
Denn
„die Beleidiger müssen die Frucht ihres Thuns genießen, um die Beschaffenheit desselben gründlich kennen zu lernen".
*) Der Christen Glaube an Jesum von Nazareth, den Gottmenschen und sein GotteSreich, auch für Laien von G. Schweitzer. Berlin 1842, bei F. Dummler.
6
Wir danken dem Herrn Professor für sein Wohlwollen, kön nen aber leider keinen Gebrauch davon machen. Professor Stahl's und RegierungS-Raths Schede's „treffliche" Schriften haben uns nicht getroffen, und also auch nicht verwundet, und auch Hengstenberg's Hiebe treffen nicht, oder thun nicht weh. Stahl sieht die Unterzeichner, wie sie nicht sind, (ich weiß nicht, ob sie ihm falsch dargestellt sind, oder ob er sie sich nur falsch gedacht hat) und sicht gegen Schatten. Er aber sowohl als Schede, Juristen, beurtheilen die kirchlichen Dinge vom rechtlichen Standpunkte, und das ist ihr Fehler. Beide, offen und ehrlich, sprechen Überzeugungen aus, durch die sie, wenn sie alle Folgerungm richtig zögen und daS offenbar Unhaltbare fallen ließen, zu uns herübertreten und an unserer Seite kämpfen müßten. Das ist dem Herrn Prof. Stahl schon von den Herren Predigern Schweder und Thomas gründlich nachgewiesen, andere Nachweisungen werden noch folgen. Zunächst wollen wir nun das Konterfei, welches der Herr Pro fessor von den Unterzeichnern entwirft, uns zu Gemüthe führen. „Wir haben ein Unreckt gegen die nicht geringe Anzahl von Gliedern der Kirche begangen, deren Urtheil wir mißleitet" (S. 3. 4); wir sind „halbe, vermittelnde, treulose" (S. 9); „die Erklä rung bekennt sich in einer dürren, zweideutigen Formel zu Christo" (S. 7); „sie ist durchgefallen", „roh" (S. 9); „sie hat weder Wahrheit noch Freimüthigkeit, weder Liebe noch Klugheit"; selbst wo sie „auf dankenswerthe Weise" zwischen irriger Lehre und Le ben der Bekämpften unterscheidet, „vermißt Herr Hengstenberg die redliche Offenheit"; „der Verdacht liegt nahe, daß man einem Publikum, welches großentheils das Fehlende nicht zu ergänzen ver mochte, hat Sand in die Augen streuen wollen" (S. 10); „die Unterzeichner berücken einfache Leute" (©.22); „wir reden anders auf der Kanzel und unter der Kanzel" (©.29); „wir haben eine heitere Lebensansicht, und machen die Natur fromm durch natür liche Kräfte" (S. 31); „wir beschuldigen wider besseres Wissen und Gewissen" (S. 52) und „unser Eifer ist ganz ohne Weis heit" (S. 36); „wir wollen eigentlich nur die verlorene Herrschaft wieder gewinnen" (S. 38), sind „Schlauköpfe, wie Erasmus" (S. 40); „erschrecken aus Kurzsichtigkeit" (S. 45); „wir verleum den " (S. 47); „die Erklärung war auf den Beitritt der Licht-
7 freunde aus Sachsen berechnet" (S. 48); „die Formel sollte auch so verstanden werden können, daß auch Männer, wie die Naumburger Lichtsreunde sie sich aneignen können" (S.53); „wir wollen eine Kirchenverfassung, um zu herrschen" (S. 56). So sind wir. Diese Schelte geht zumeist auf alle Unterzeichner, aber „der Kern des Kometen, die Schüler Schleiermachers" erhalten noch ihr besonder Theil. Davon später. Wie sind nun die von der Erklärung bekämpften Gegner? Sie sind ein für alle Mal „die kirchlich Gesinnten" (S. 6), „die Re präsentanten unseres eigenen Gewissens, das sei die Hauptursache der steigenden Aufregung" (S. 6). Wie? Herr Prof. Hengstenberg, Prediger Kuntze und Souchon und die Andern sind Reprä sentanten unseres eigenen Gewissens?? Ich will von mir schwei gen, als einem der Geringsten, aber aufgeregt bin ich auch; ich will von Eltester, Jonas, Sydow und Anderen schweigen, denn das sind auch Schüler Schleiermachers; aber auch Lisko, dem keiner die Gläubigkeit abspricht, die würdigen Bischöfe sind aufgeregt, weil sie in Hengstenberg, Kuntze, Souchon u. s. w. ihr warnendes Gewissen sehen, dem sie Schweigen gebieten möchten, — doch wohl, um fortsündigen zu können!! Herr Professor, das verstehe ich nicht. Aber weiter. Unsere Gegner sind „in Lieb und Treue erwachte, recht fromme Jüden, wie Nikodemus und Joseph" (S. 7), denn unsere Gegner haben ja gethan, was Hengstenberg bei uns vermißt. „Unsere Gegner sehen die Sünde sehr ernst an; der Kampf gegen sie erscheint ihnen als die höchste und als eine sehr schwere Auf gabe des Lebens" (S. 31). „ Sie reden, durch innere Nothwen digkeit getrieben; darum finden ihre Prediger vielen Eingang, denn sie stnd warm und eindringlich, und reden aus dem Herzen zum Herzen" (S. 34). Das ist das Lob unserer Gegner. Es ist möglich, daß ich Einzelnes übersehen habe. Wir wollen nun den Herrn Professor nicht anklagen, daß sein Tadel reichlicher fließt, als sein Lob. Hat er doch sich und die ©einigen gelobt, und die Lobesworte sind im mer sehr gewichtig. Nun zum Zweck unserer Erklärung. Herr Stahl und Andere sagen: wir griffen nicht die evangelische Kirchenzeitung an, sondern die Augsburgische Confession. Nein, sagt Herr Hengstenberg, es geht gegen die Substanz der Thatsachen der heiligen Geschichte und
8 der Glaubenswahrheiten (S. 10); es geht gegen die heiligt Schrift, gegen die wir eine schlecht wählerische und wühlerische Stellung haben (S. 14); es geht gegen die Symbole der alten Kirche, die gemeinsame Grundlage aller christlichen Kirchen (S. 22); der Zweck ist, die verlorene Herrschaft wieder zu gewinnen (S. 38); und deß halb ist sie recht eigentlich eine Demonstration gegen die kirchliche Behörde. Nichts von dem Allen, meine Herren.
Wir wollen die Be
kenntnisse der evangelischen Kirche gegen Mißbrauch schützen, damit sie wahrhaft Bekenntniß bleiben.
Die Substanz der That
sachen der heiligen Geschichten und der Glaubenswahrheiten steht fest eingeschrieben in unseren Herzen mit Gottes Finger und besie delt durch Gottes Geist.
Die heilige Schrift ist uns Norm und
Quelle des Glaubens und der Lehre, denn sie enthält Gottes Wort, das den Geist Gottes in uns wirkt.
Den Symbolen der alten
Kirche geben wir die Ehren, die ihnen zukommen.
Herrschaft in
der Kirche kümmert uns so wenig als fette Pfründen.
Das sind
Dinge unwerth unseres Trachtens; wir gebrauchen sie, wenn sie Ans von selber zufallen, fürs Reich Gottes.
Wir wollen allerdings
.eitie Verfassung der Kirche, in welcher so wenig der Pöbel als das jedesmalige Kirchenregiment nach ihrem Geist und Gutdünken die kirchlichen Einrichtungen treffen dürfen; wir wollen eine Verfassung, damit alle kirchlichen Einrichtungen getroffen werden können durch die gegliederte Gesammtheit der Kirche nach dem Geiste und Worte unseres einigen Königes Jesus Christus.
Mehrere von uns haben
auch wohl die kirchliche Behörde aufmerksam machen wollen auf die Gefahr, welche der Kircht durch die Parteiungen droht; aber ist das, wo es freimüthig und bescheiden geschieht, Sünde? oder darf etwa nur die Evangelische Kirchenzeitung sich dergleichen erlauben? Doch das sind alles Nebensachen, das ist nicht das Ziel un seres Kampfes, das ist nicht das, was wir eigentlich wollen. Und welchen Kampf kämpfen wir? Was ist unser Ziel? Es ist der Kampf des Evangeliums gegen 'das Gesetz.
Wir
wollen bestehen in der Freiheit, mit der uns Christus befreit hat, und uns nicht wieder in das knechtische Joch fangen lassen (Gal. 5,1).
Und das Ziel unseres Kampfes ist die herrliche Freiheit der
Kinder Gottes