Helden, ihre Frauen und Troja: 36 kleine Portraits 3805345216, 9783805345217

Von A wie Achilles bis P wie Priamos: Helden sind auch nur Männer. Beinamen wie 'der Jammervolle' und 'de

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German Pages 208 [174] Year 2012

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Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Dieses Thema verlangt eine lange Einführung
Troia fasziniert noch immer
Helden gibt es allzeit und weltweit
Helden zum Schmunzeln und zum Nachdenken
Helden in aktueller Erklärung
Helden von A bis P und ihre göttlichen Begleitungen
Helden rund um Troia sind schwierig zu fassen
Troianische Helden im Konzentrat
Also: Schlag nach bei Homer!
Schriftliche Quellen, lesefreundlich aufgearbeitet
Die Kyprien
Die Ilias
Die Aithiopis
Die Kleine Ilias
Die Ilioupersis
Die Nostoi
Die Odyssee
Ohne Gottheit geht gar nichts
Fünfzehn Helden stellen sich vor
Achilleus – König von Phthia –Starker Held mit schwacher Ferse und in göttlicher Rüstung
Agamemnon – König von Mykene – Stolzer Oberbefehlshaber voll Egoismus
Aineias/Aeneas – Beliebt bei den Göttern und behende bei den Troianern
Diomedes – Zuweilen recht unsympathisch
Großer Aias – Einsatzbereit bis zum Wahnsinn
Hektor – Man leidet mit dem besten Kämpfer der Troianer
Menelaos – König von Sparta – Ein rundum betrogener Held
Neoptolemos/Pyrrhos – König von Phthia – Ein Sohn, der zu seinem Vater passt
Nestor – König von Pylos – Ein alter Mann mit guten Ratschlägen
Odysseus – König auf einer kleinen Insel – Der Listige und das Pferd
Paris – Schützling der Aphrodite
Patroklos – Er kämpft in der Rüstung des Freundes
Philoktetes – Ein Held, der übel riecht
Priamos – König von Troia – Ein königlicher Greis stirbt jammervoll
Protesilaos/Iolaos – Freiwillig und mutig springt er in den Tod
Frauen für die Helden
Gattinnen, Geliebte, Geraubte
Deidameia
Briseis, Diomede
Hermione, Andromache
Laodameia, Tekmessa
Anaxibia, Arisbe, Hekabe
Chryseis
Klytaimnestra
Kassandra
Aigialeia, Euippe
Kreousa/Creusa, Lavinia, Dido
Kirke, Kalypso
Also: Sie alle brachten griechischen und troianischen Helden Glück und Unglück
Das Musterbeispiel Penelope
Der Sonderfall Helena
Schlussbetrachtungen
Ein ,aufregender' Skelettfund
Zwei , bitterböse' Karikaturen
Zitate und Bildnachweis
Informationen Zum Buch
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Helden, ihre Frauen und Troja: 36 kleine Portraits
 3805345216, 9783805345217

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Angelika Dierichs

Die Helden, ihre Frauen und Troia 36 kleine Portraits

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2012 Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz ISBN: 978-3-8053-4521-7 Lektorat: Dana Machwitz Gestaltung: Janß GmbH, Pfungstadt Umschlaggestaltung: Katja Holst, Frankfurt am Main Umschlagmotiv: Szene auf einer antiken griechischen Vase, die Flucht von Aeneas aus Troja mit seinen Söhnen und seinen Vater Anchises auf dem Rücken tragend, darstellend (Farblithographie), French School (19. Jhd.) / Bibliotheque des Arts Decoratifs, Paris, France / Archives Charmet / The Bridgeman Art Library Druck: CPI books GmbH, Ulm Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten. Printed on fade resistant and archival quality paper (PH 7 neutral) · tcf Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie unter: www.zabern.de Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8053-4567-5 eBook (epub): 978-3-8053-4568-2

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

= = = = = Dieses Thema verlangt eine lange Einführung = = = = = Troia fasziniert noch immer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Helden gibt es allzeit und weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

Helden zum Schmunzeln und zum Nachdenken – Helden in aktueller Erklärung – Helden von A bis P und ihre göttlichen Begleitungen – Helden rund um Troia sind schwierig zu fassen – Troianische Helden im Konzentrat – Also: Schlag nach bei Homer!

Schriftliche Quellen, lesefreundlich aufgearbeitet . . . . . . . . . . . .

17

Die Kyprien – Die Ilias – Die Aithiopis – Die Kleine Ilias – Die Ilioupersis – Die Nostoi – Die Odyssee

Ohne Gottheit geht gar nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

= = = = = Fünfzehn Helden stellen sich vor = = = = = Achilleus – König von Phthia – Starker Held mit schwacher Ferse und in göttlicher Rüstung . . . . . .

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Agamemnon – König von Mykene – Stolzer Oberbefehlshaber voll Egoismus . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

Aineias / Aeneas – Beliebt bei den Göttern und behende bei den Troianern . . . . . . . . .

53

Diomedes – Zuweilen recht unsympathisch . . . . . . . . . . . . . . .

64

Großer Aias – Einsatzbereit bis zum Wahnsinn . . . . . . . . . . . . .

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Hektor – Man leidet mit dem besten Kämpfer der Troianer . . . . . . .

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Menelaos – König von Sparta – Ein rundum betrogener Held . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis | 5

Neoptolemos / Pyrrhos – König von Phthia – Ein Sohn, der zu seinem Vater passt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Nestor – König von Pylos – Ein alter Mann mit guten Ratschlägen . . .

96

Odysseus – König auf einer kleinen Insel – Der Listige und das Pferd . . 101 Paris – Schützling der Aphrodite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Patroklos – Er kämpft in der Rüstung des Freundes . . . . . . . . . . . 131 Philoktetes – Ein Held, der übel riecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Priamos – König von Troia – Ein königlicher Greis stirbt jammervoll . . 144 Protesilaos / Iolaos – Freiwillig und mutig springt er in den Tod . . . . . 150

= = = = = Frauen für die Helden = = = = = Gattinnen, Geliebte, Geraubte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Deidameia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Briseis, Diomede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Hermione, Andromache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Laodameia, Tekmessa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Anaxibia, Arisbe, Hekabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Chryseis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Klytaimnestra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Kassandra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Aigialeia, Euippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Kreousa / Creusa, Lavinia, Dido . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 6 | Inhaltsverzeichnis

Kirke, Kalypso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Also: Sie alle brachten griechischen und troianischen Helden Glück und Unglück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Das Musterbeispiel Penelope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Der Sonderfall Helena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

= = = = = Schlussbetrachtungen = = = = = Ein ,aufregender‘ Skelettfund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Zwei ,bitterböse‘ Karikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

= = = = = Zitate und Bildnachweis = = = = =

Inhaltsverzeichnis | 7

Dieses Thema verlangt eine lange Einführung Dieses Thema verlangt langenoch Einführung Troia eine fasziniert immer

= = = = = Troia fasziniert noch immer = = = = = Das bedeutende Mythenzentrum Troia-Ilion-Pergamos in der nordöstlichen Agäis, unmittelbar an den Dardanellen, am Hellespont, gilt als die Heimat des Ganymed (Mundschenk des Zeus), des Tithonos (Gatte der Göttin Eos) und des dort herrschenden Königs Laomedon, dessen Wortbruch gegenüber Gottheiten zum „ersten“ Troianischen Krieg führt. Vor allem aber heißt es, Troia sei der „Schauplatz“ des „zweiten“ Troianischen Krieges. Diese These ist so verbreitet, dass man sie kaum hinterfragt. Seit Generationen hält sich die archäologische Forschungsmeinung, jene berühmten Figuren vom Tempel der Athena Aphaia auf der Insel Aegina – ausgestellt in der Münchner Glyptothek – seien im Ostgiebel (490 / 480 v. Chr.) als Krieger des ersten Troianischen Kampfgeschehens und im Westgiebel (500 / 490 v. Chr.) als Krieger des zweiten Troianischen Kampfgeschehens zu deuten. Raimund Wünsche korrigiert diese Interpretation überzeugend. Er hält die „Aegineten“ für Verkörperungen der mythischen Ahnen Aeginas, deren Nachfahren dazu beitragen, dass die Griechen im Kampf um Troia siegen. Wer sich dem „Thema Troia“ erstmalig nähert, kann an der unüberschaubaren Materialfülle verzweifeln. Wissenschaftliche Beiträge erlauben das Fazit: Die Griechen in früher Zeit glauben fest an ihre Mythen und werten diese anteilig als wirklich fassbare Ereignisse. Sogar der griechische Historiker Thukydides (ca. 455– 400 v. Chr.) hält einige Mythen für wahr. „Griechischer Mythos“ meint, so Udo Reinhardts Definition, alle Mythen, die im altgriechischen Kulturraum vom 9. bis zum 6. Jh. v. Chr. entstanden sind und sich in den folgenden Jahrhunderten bis in die Spätantike aus den Primärbildungen weiterentwickelt haben. Aufgrund aktueller Forschungsergebnisse ist der Troianische Krieg eine Fiktion, weil es nichts gibt, was ihn real beweist. Trotzdem erreichen die von Homer in der Ilias erstmalig schriftlich fi xierten Kämpfe um Troia – bestritten durch die von Gottheiten abhängenden Protagonisten – eine so große Wirkung, dass sie ihre historisch erscheiTroia fasziniert noch immer | 9

nende Welt bis in nachantike Epochen weitertragen. Man möchte nicht wissen, wie oft der Schiffskatalog im 2. Buch der Ilias pfleglich gesichtet worden ist, denn mit seinen mehr als 30 Fürsten und fast 1200 Schiffen, lassen sich doch ,eigentlich recht interessante Fakten’ sammeln! Im 18. Jahrhundert beginnt die topographische Suche nach jenem antiken Ort mit den Namen Troia, Ilios, Ilion und Ilium. Er liegt bei dem, heute noch ca. 40 m hohen, Hügel Hissarlik. Dort grub Heinrich Schliemann (1822–1890) nun keineswegs jene Stadt aus, in der man sich so gern den troianischen König Priamos im Kreise seiner großen Familie vorstellt. Möglicherweise handelt es sich um ein Gebiet, das erst seit dem 8. Jh. v. Chr. als Schauplatz des berühmten mythischen Geschehens galt. Die dort erforschten spärlichen Reste weisen auf eine vom 4. vorchristlichen Jahrtausend bis in die Spätantike bewohnte Siedlung. Nur eine gute Führung macht die Ruinen verständlich. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts entdeckt man 9 Hauptschichten. Jede dieser Siedlungsphasen weist unterschiedliche Bauphasen auf. Insgesamt sondert man 47 Bauphasen. Zerstörungen durch Erdbeben, Brände und Kriege sind zu erschließen. In der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends hat der Ort eine überregionale Bedeutung. Sein Name ist im hethitischen Nachbarreich bekannt. Dass die ausgegrabenen Spuren denn wirklich zur Stadt Troia (Ilios, Ilion, Ilium) führen, bleibt bis heute unbewiesen. Aber sollte der Troianische Krieg via Homer denn doch irgendwie historisch zu fassen sein, dann könnten sich Griechen und Troianer irgendwo und irgendwann in den Schichten Troia VI / VII erschlagen haben, d. h. unverzeihlich grob gerastert, in der 2. Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrtausends. Helden gibt es allzeit und weltweit

= = = = = Helden gibt es allzeit und weltweit = = = = = Helden zum Schmunzeln und zum Nachdenken

„Wir sind Helden“ ist der Name einer Rockband. „Du bist vielleicht ein Held“, hört man des Öfteren aus weiblichem Mund, wenn der Partner etwas Wichtiges vergessen hat. „Heute ist ein Wetter zum Helden zeugen“ spricht so mancher in die Jahre gekommene Herr. „Müssen denn Männer immer Helden sein“ beginnt ein Schlagertext. „Die Helden sind müde“ ist der Titel eines Films (1955), in dem sich ehemalige Kriegsfeinde arrangieren. Eine in Deutschland agierende „Pflegehelden GmbH“ organisiert die Betreuung von Hilfsbedürftigen in ihrem ver10 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

trauten sozialen Umfeld. Solche Aussprüche und Benennungen lassen sich beliebig vermehren. Sachlich-ernsthaft oder ironisch-humorvoll geht man um mit der Bezeichnung „Held“, die sich vom griechischen Wort „Heros“ herleitet. Das weibliche Pendant ist die „Heldin“, griechisch „Herois“ (s. u. Frauen für die Helden). Helden in aktueller Erklärung

Üblicherweise handelt es sich bei Helden bzw. Heroen um erwachsene männliche Wesen. Einerseits sind sie fassbar durch historisch auswertbare Quellen. Andererseits existieren sie fiktiv in Mythen, Sagen, Legenden oder in – wie auch immer erhaltenen – Erzählungen aus Vergangenheit und Gegenwart. Für zukünftige Zeiten werden sie erdacht. Helden wagen oder vollbringen Außergewöhnliches, weil sie sich für Ereignisse, Forschungen und Ideen einsetzen, die ihnen wertvoll erscheinen. Und diese ihre Heldentaten – sogar unter Lebensgefahr begangen oder mit Tod bezahlt – machen sie berühmt und setzen sie durch ihre besonderen körperlichen und geistigen Qualitäten deutlich von ihren Zeitgenossen ab. Ist ein Held nicht nur körperlich stark, mutig und ausdauernd, sondern darüber hinaus intelligent, erfindungsreich, selbstlos, einfühlsam und zudem, gemäß dem jeweiligen Zeitgeschmack attraktiv und gut aussehend, dann wird er zu einem noch sympathischeren Helden! Welche Herausforderungen erfüllt werden müssen, um ein Held zu sein, hängt von historischen, soziologischen, religiösen und geographischen Umfeldern ab, denn unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche Wertvorstellungen. Was in einer Kultur zum Helden macht, kann in einer anderen als wenig heldenhaft eingeschätzt werden. Allgemeinhin und entschieden spricht man Schurken, Feiglingen, Mördern und Aufschneidern das Heldentum ab. Unübersehbar ist die Literatur zu antiken und neuzeitlichen Heldenwelten, deren Gestalten in wissenschaftlichen Untersuchungen, spannender Belletristik, emotionalen Dichtungen und sichtbaren Zeugnissen aus der Bildkunst behandelt werden. Helden von A bis P und ihre göttlichen Begleitungen

Alle Kämpfer, denen Troia Glück und Unglück bringt, haben ihre Sozialisierung in einer aristokratisch und patriarchalisch geprägten Welt erfahren, welche die Heldenhaftigkeit – erreicht durch Leistung und durch Würdigung dieser Leistung – zu ihrer höchsten Tugend rechnet. Nach bestimmten MusHelden gibt es allzeit und weltweit | 11

tern werden die Helden vorgeführt: Sie rüsten sich, ziehen in den Kampf, treffen auf einen Gegner, stellen sich danach dem nächsten Kontrahenten, siegen, werden verwundet, kehren sicher in ihr Lager zurück oder sterben. Kämpfe um den Leichnam oder die herrenlos gewordenen Waffen und Leichenspiele können anstehen. Die Helden der Griechen rund um Troia, alphabetisch aufgezählt, heißen: Achilleus*, Agamemnon*, Diomedes*, Großer Aias*, Idomeneus, Kleiner Aias, Menelaos*, Nestor*, Neoptolemos / Pyrrhos*. Odysseus*, Palamedes, Patroklos*, Philoktetes*, Protesilaos*. Hauptheld der Griechen ist Achilleus. Die Helden der Troianer rund um Troia, alphabetisch gereiht, sind: Aineias*, Antenor, Hektor*, Paris*, Priamos*. Hauptheld der Troianer ist Hektor. Parteiisch agieren die Gottheiten Griechenlands. Auf troianischer Seite stehen: Aphrodite, Apollon, Ares, Artemis und der Flußgott Skamandros. Mit der griechischen Seite sympathisieren Athene, Hera, Poseidon (s. u. Ohne Gottheit geht gar nichts). Zeus, oberster der Olympischen Götter, verhält sich sowohl pro-griechisch als auch pro-troianisch, aber schlussendlich lässt er die Troianer unterliegen und die Griechen siegen. Den zuvor mit einem Sternchen gekennzeichneten Helden gehört jeweils ein eigenes Kapitel, d. h. nur 15 Helden wählte ich aus, die mitwirken im troianischen Gesamtgeschehen, das zwei Handlungsebenen besetzt. Die Gottheiten agieren im Olymp, die Menschen in Troia. Helden rund um Troia sind schwierig zu fassen

Die Heterogenität thematisch, zeitlich und quellenbedingter Mythosversionen musste ich tolerieren. Uneinheitlichkeiten waren in ein Gefüge zu pressen, um eine ,spannende Heldenshow‘ anzubieten, die nicht detailverliebt ausufern durfte, obgleich die Recherchen zum Thema beachtliche Abweichungen und nuancenreiche Unterschiede ergaben, was fünf Statements zeigen. Erstens: Ältere Quellen berichteten noch nicht, was jüngere Quellen wussten, weil Mythen verändert wurden. Geht man chronologisch vor, dann lassen sich die Epen, besonders Ilias und Odyssee, auswerten. Nur spärlich erhaltene Lyrik ist heranzuziehen. Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides bieten Material. In Texten aus römischer Zeit wird man fündig. Sogar mittelalterliche Troiaromane könnte man ausschöpfen. Zweitens: Motivstränge intensivieren sich in verschiedenen Jahrhunderten oder Jahrzehnten. Nicht nur die Ereignisse der Ilias und ihres Haupthelden 12 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

Achilleus wirkten weiter in schriftlichen Zeugnissen und bildender Kunst, sondern auch seine vor und nach der Ilias positionierten Liebesgeschichten. Drittens: Darstellungsbestandteile variierten in den Kulturräumen, welche bildende Kunst hervorbrachten. So kommt der Apfel – Auszeichnung für die schönste der Göttinnen im Parisurteil – im Griechischen selten oder gar nicht vor. Im Etruskischen und im Römischen sieht man ihn öfter. Viertens: Bildfindungen mussten keinen bestimmten Moment aus einem schriftlichen Zeugnis wiedergeben und konnten eine ausgewählte Episode individuell gestalten, grob vereinfachen oder phantasievoll ausschmücken. Fünftens: Bildliche Wiedergabe vermochte, ungleichzeitige Geschehnisse in einer Szenerie zu vereinen. Trotz derartiger Vielschichtigkeit stelle ich jeden Helden kurz mit ,persönlichen Daten‘ vor. Es ist gewissermaßen sein ,Steckbrief‘. Diesem folgen unterschiedlich lange Ausführungen unter den Teilüberschriften: Kindheit und Jugend, Wesenszüge und Erscheinungsbild, Das machte ihn berühmt, Heimkehr aus Troia, Tod, Vorprogrammiertes Heldenschicksal, Nachantike Seitenblicke, Museumswelten – Standorte; mit Leseproben und Textfelder. Inhaltliche Überschneidungen respektive Wiederholungen waren zuweilen unerlässlich, um die Leserschaft sicher durch den Informationsreichtum zu führen. Sieht man davon ab, dass sich alle Troianischen Helden uniform mit Helm, Panzer, Schild und Schwert rüsten, und dass da viel männliche Schönheit zu preisen ist, dann ziehen doch recht unterschiedliche Männer in den Krieg. Aufgrund von Vorabgeschehnissen sind sie Freunde, Rivalen oder Einzelkämpfer, deren Handlungen zwischen Schuld und Sühne weitgehend von Gottheiten manipuliert werden. Neben ,Hauptakteuren‘ gibt es ,Nebenakteure‘. Junge Kämpfer dominieren, aber auch Senioren treten auf, die wichtige Ratschläge bereithalten. Halb göttlicher oder rein menschlicher Abstammung sind die Helden. Nach Körpergröße und Körperkraft lassen sie sich sondern, gegensätzliche Wesenszüge charakterisieren sie, familiären Geflechten können sie sich nicht entziehen, nach ,uralten‘ oder ,modernen‘ Verhaltensmustern agieren sie, vom Willen der ihnen wohl oder übel gesonnenen Gottheiten hängen sie vollends ab (s. u. Ohne Gottheit geht gar nichts). Aus Götterberatungen entsteht ein übergeordneter Schicksalsplan, dem sich die Helden unterwerfen müssen. Einige überleben den Troianischen Krieg und gründen Städte im fernen Westgriechenland, also werden mit Siedlungen in Unteritalien verknüpft. Troianische Helden sind winzige Steine in einem riesiHelden gibt es allzeit und weltweit | 13

gen Mosaik des mythologischen Heldentums der griechischen Antike, welches man aktuell nur schwer ,heldenhaft‘ nennen mag, denn häufig vergesellschaften sich jene ,gelebten oder gestorbenen bewundernswerten‘ Heldentaten mit hinterhältigen, grausamen, rachsüchtigen, eifersüchtigen Aktionen. Das heißt: Troianische Helden folgen keineswegs der zuvor versuchten Charakterisierung (s. o. Helden in aktueller Erklärung). Sie weichen in ihrem Handeln also oft ab von dem, was in die gängige, moderne Helden-Definition passt. Dass ihre Heldentaten – Schleifen der Leiche eines Gefallenen, Hinschlachten von Gefangenen, Morden aus Vergeltung – eher ekelhafte und unsittliche Schandtaten sind, in denen sich die Sinnlosigkeit des Kriegs manifestiert, belegt nicht nur die hier vorgestellte begrenzte Auswahl. Sehr akribisch kommt ihren ,guten und schlechten‘ Taten Udo Reinhardt auf die Spur in seiner 2011 erschienenen Publikation „Der antike Mythos. Ein systematisches Handbuch“. Dieses Werk half mir, meine Studien zu ,meinen Helden rund um Troia‘ zu vertiefen und meine bereits erstellte Textfassung kritisch zu überprüfen, bestätigt zu finden oder zu ergänzen. Ohne Udo Reinhardts neue fächerübergreifenden Forschungen hinzuzuziehen, bleibt jede Behandlung mythologischer Sujets unzureichend bearbeitet. Zuweilen übernahm ich sorgsam zusammengestellte Epitheta zu den Troianischen Helden, die der kompetente ,Kommissar des Mythos‘ hervorhob. Solche epischen Beiwörter verraten etwas über Aussehen und Persönlichkeit des Helden oder sind rein ausschmückend gebraucht. Udo Reinhardts Angaben in 528 Textseiten, 1593 Anmerkungen, Literaturverzeichnis, Indices, Tabellen und Kartenübersichten sind so minutiös, dass sie auch höchst detailfi xierte Fragen bedienen. Deshalb darf ich für ,mein bescheidenes Lesebuch‘, das nur eine kleine Annäherung an ein großes Thema ist und nur einige Helden des letzten mythenchronologischen Hauptereignisses herausgreift, bewusst auf Fußnoten und Hinweise zum Weiterlesen verzichten. Troianische Helden im Konzentrat

Auf die Frage: „Was wissen Sie von den Troianischen Helden?“ bekommt man in weiten Teilen Europas üblicherweise drei Antworten. 1. „Die haben etwas mit den Trojanern im Computer zu tun.“ 2. „Die streiten sich um die Schöne Helena.“ 3. „Die kämpfen in der Ilias.“ – Das scheint zu stimmen. Zu 1. Wo immer man nachforscht, heißt es: Trojaner – auch Troianisches Pferd – nennt man Computerprogramme, die der Benutzer zwar als nützlich einstuft, bis er 14 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

bemerkt, wie sie ohne seine Zustimmung Schaden anrichten. Das raffinierte Verfahren namens Trojaner ermöglicht, in einen fremden PC einzudringen. Was als Bestandteil zunächst unverdächtiger Daten auf die Festplatte gerät, zerstört Gespeichertes oder gibt, unbemerkt vom Nutzer, Dokumente und Passwörter weiter. Eine Nachricht vom Februar 2012 warnte vor „Trojanern“ in den Steuerbescheiden deutscher Finanzämter! Zu 2. Fast jeder weiß: Schuld am Ausbruch des Troianischen Krieges ist die Schöne Helena. Mancher kennt die Basis-Story: Helena, die Tochter des spartanischen Königs Tyndareos, gilt alternativ auch als Nachwuchs von Zeus und Leda. Einige Freier begehren Helena so sehr, dass sie sich selbst mit dem Tod bedrohen, um Rivalen auszuschalten. Menelaos bekommt die Ersehnte und Tyndareos verpflichtet die Ausgeschiedenen durch folgenden heiligen Eid: Wird Helena dem Menelaos geraubt, sind alle ehemaligen Freier verpflichtet, Menelaos mit Waffengewalt zu unterstützen. Als der troianische Prinz Paris, durch den Einfluss der Liebesgöttin Aphrodite gesteuert, in Liebe zu Helena entbrennt und er sie in seine Heimat mitnimmt, müssen die per Schwur festgelegten Bedingungen erfüllt werden. Zu 3. Zur Allgemeinbildung gehört: Den Troianischen Krieg entscheiden jene Kämpfer, von denen Homer in der Ilias berichtet. Also: Schlag nach bei Homer!

Der berühmte Dichter Homer / Hómeros des 8 / 7. Jhs. v. Chr., wenn er denn überhaupt als Einzelpersönlichkeit zu fassen ist, stammte vielleicht aus Smyrna (Izmir) oder aus einer anderen ionischen Siedlung nahe der kleinasiatischen Westküste. Um die zwanzig Gemeinwesen geben an, Vaterstadt oder Heimatort Homers zu sein. Die Meinung antiker Schriftsteller, Homer sei blind gewesen, ist wohl nicht wirklich biographisch zu werten, sondern soll darauf hinweisen, dass verlorenes Augenlicht Dichter oder Sänger befähigt, sich besonders gut zu erinnern. Jahrhunderte nach Homers Tod erfanden griechische Künstler sein Porträt. Hingewiesen sei auf das hagere Bildnis eines Greises mit faltiger Stirn und starken Schrägfurchen auf den Wangen. Es handelt sich um eine sehr bekannte römische Kopie nach einem um 460 v. Chr. entstandenen griechischen Original (München, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, Inv. GL 273). Tief eingesenkt in ihren Höhlen liegen die Augen des alten Mannes und schwer lasten die oberen Lider auf den unteren. Das muss der blinde Homer sein! Jener Homer, der Helden gibt es allzeit und weltweit | 15

selbst zum Helden wurde, indem man sein Porträt erdachte, ihn auf Münzen verewigte, ihm Weihreliefs errichtete und ihn vor allem als Begründer der Dichtkunst ehrte. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen fokussieren homerische Dichtung als Keimzelle für spätere literarische Werke bei Griechen und Römern, finden Homer wieder in philosophischen Texten und entdecken ihn in mittelalterlichen Schrifttum zum byzantinischen Osten oder zum lateinischen Westen. Fachgelehrte haben auch die kaum noch übersehbare literarische Homer-Rezeption in der Neuzeit und sogar Verfilmungen homerischer Themen erörtert. Da es keine Manuskripte aus der Zeit Homers gibt, beschäftigen sich Graecisten mit dem überhaupt Auswertbaren. Man untersucht die ältesten aus dem 10. Jahrhundert stammenden Handschriften zu homerischer Dichtung, sondert Überlieferungsstufen, analysiert den Dialekt, bezieht antike Textvarianten und antike Homer-Papyri ein. Nach diesen unerlässlichen allgemeinen Hinweisen zu Homer nun ,ein bisschen Konkreteres zum Übervater aller Dichter‘. Von Homer selbst – oder unter seinem Namen überliefert – sind jene in der Ilias aufgeschriebenen Kämpfe, die in der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends, vielleicht im 13. Jh. v. Chr. zwischen Griechen und Troianern optional angenommen werden könnten. Es geht nicht um den gesamten zehnjährigen Troianischen Krieg, sondern nur um dessen Endphase. Diese epische Gesamthandlung umfasst nach Udo Reinhardts exakter Berechnung gut sieben Wochen. Ein Epos ist eine erzählende Dichtung in Versen. Man spricht auch vom Heldengedicht, das eine Mischung aus Mythos und sehr bedingt fassbarer Historie behandelt. Aber wer liest heutzutage noch die homerische Ilias, Vers für Vers, in renommierten Übertragungen (Hans Rupé, 1. Auflage 1961; Wolfgang Schadewaldt, 1975)? Besteht überhaupt noch ein breites Interesse am verkleinerten Nachdruck (1978) der prächtig illustrierten Ilias-Originalausgabe der Vossischen Übersetzung (1882)? Johann Heinrich Voß (1751–1826) beendete sie 1793 und genoss den Ruhm, Versmaß und Gehalt des griechischen Originals weitgehend bewahrt zu haben. So schuf er eine Art heiliges Buch für Bildungsbürger. Zwölf Kohlezeichnungen von Friedrich Preller d. J. (1838– 1901) und Kopfleisten nach John Flaxman (1755–1826) bereichern das Werk. Flaxmanns Illustrationen zu den homerische Dichtungen erschienen 1793 erstmalig in Rom und machten die Troianischen Themen später durch die druckgraphischen Vervielfältigungen europaweit bekannt. Was tut der mo16 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

derne ,Ilias-Konsument‘? Rasch blättert er sich durch zu jenen ,prickelnden‘ Passagen, wo der beleidigte Achilleus schmollt, Hera ihren Göttergatten Zeus überlistet oder Aphrodite Paris vom Schlachtfeld ins Schlafgemach zu Helena entrückt. Wer die Darstellung von Grausamkeiten mag, erfreut sich an detailund wortreichen Beschreibungen von tödlicher Verwundung oder makabrer Leichenschändung. Es verwundert kaum, dass eine intensive Gesamtlektüre der Ilias selten bleibt.

Schriftliche Qellen, lesefreundlich aufgearbeitet

= = = = = Schriftliche Quellen, lesefreundlich aufgearbeitet = = = = = Populärwissenschaftliche Behandlungen des griechischen Mythos sind durchaus legitim, aber sie erfordern Grundinformationen, die ich gekürzt nach Udo Reinhardt wiedergebe: Im 8. Jh. v. Chr. entstand neben der weiterwirkenden Sängertradition – also den mündlichen Vorträgen mythischen Geschehens – die Möglichkeit, durch das übernommene phoinikische Konsonantenalphabet, einzelne Mythen aufzuschreiben und zu fi xieren. Dadurch ergab sich ein Grundsystem des Mythos. Dieses galt im gesamten griechischsprachigen Kulturraum vom kleinasiatischen Ionien bis nach Westgriechenland (Unteritalien und Sizilien). Somit entwickelte sich aus der anfangs improvisierenden Gestaltung von Dichtung eine reproduzierende bzw. reproduzierbare Tradition. Zwei vollständig erhaltene Großepen, die „Ilias“ und die „Odyssee“, gehen auf Homer zurück oder sind unter Homers Namen tradiert. Sie berichten vom Geschehen rund um Troia, das außerdem in fünf kürzeren frühgriechische Epen thematisiert wird, die zwischen 700 und 650 v. Chr. im Rahmen des so genannten „Epischen Kyklos“ entstehen, aber in späteren Zeiten verloren gehen. In Ihren Grundzügen lassen sie sich rekonstruieren durch eine spätantike Inhaltsangabe (s. die „Chrestomathie“ des Proklos, 3. / 4. Jh. n. Chr.?) und durch Texte der Mythographen Apollodor und Hygin (1. / 2. Jh. n. Chr.). Mythographen sichten Schriftzeugnisse, filtern Bestandteile älterer Mythen heraus, ordnen und deuten sie. Obgleich die fünf partiell erschließbaren Epen (Kyprien, Aithipois, Ilioupersis, Kleine Ilias, Nostoi) nur durch Experten – nach nicht hoch genug einzuschätzenden Studien – auswertbar sind, müssen sie hier einbezogen werden, weil mehrere recht bekannte Episoden, die mit den Troianischen Helden zu tun Schriftliche Qellen, lesefreundlich aufgearbeitet | 17

haben, aus eben diesen verlorenen Epen stammen. Zwingend für das Verständnis all der griechisch-troianischen bzw. troianisch-griechischen Geschichten sind m. E. somit Informationen und Überblicke zu allen oben erwähnten Schriftquellen. Durch die zunächst kurzen Erwähnungen von Ereignissen in den hier folgenden Zusammenfassungen und durch die daraufhin längeren Erzählungen in den Kapiteln zu den einzelnen Helden entstehen zwar Wiederholungen, aber sie sind intendiert, weil dem Gros der Leserschaft eine den Einzelpassagen vorangehende systematische Aufbereitung der unterschiedlichen Quellentexte hilfreich ist, um sich im Heldenwald zurechtzufinden, dessen Protagonisten diffizil untereinander vernetzt sind über familiäre Herkunft, persönliches Interesse und göttliche Manipulation, d. h. nur bedingt geradlinig nachvollziehbare Lebensläufe und zudem unterschiedlich überlieferte Lebensläufe aufweisen. Die Kyprien

Elf Bücher der Kyprien, die Stasinos zugeschrieben werden, verraten, was den Troianischen Krieg auslöst und was in den ersten neun Jahren des Konflikts geschieht. Es geht also um die Handlungen vor der Ilias: Aus der Verbindung von Peleus und Thetis stammt Achilleus. Dem Streit zwischen Hera, Athene, Aphrodite folgt das Urteil des Paris. Paris entführt Helena. Die Griechen sammeln sich gegen die Troianer bei Aulis. Iphigenies Opferung wird entschieden. Anfangskämpfe vor Troia finden statt. Diese Episoden sind im vorliegenden Band den Kapiteln zu den einzelnen Helden einbezogen. Die Ilias

Das ,wohl‘ älteste erhaltene abendländische Literaturwerk ist die homerische Ilias, die Dichtung von der Stadt Ilias. Obgleich von herausragender Bedeutung, liest sich ebendiese Ilias im Vermaß epischer Dichtung recht mühsam, denn 1600 Hexameterverse sind selten willkommen im 21. Jahrhundert, zumal ihre Sprache langatmig, ihre Namensfülle mit Stammbäumen verwirrend und ihre inhaltlichen Verknüpfungen schwer verständlich empfunden werden. Nicht jeder goutiert die ,epische Breite‘, in der sich die Helden unterhalten. Ihre gesprochenen Worte, so hat man errechnet, machen ca. 45 Prozent des Iliastextes aus. Nur wer die Lektüre in Muße vornehmen kann, sich wiederholt dem Epos widmet, es vielleicht sogar als Hörbuch auf sich wirken lässt, vermag 18 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

die Einmaligkeit dieser Dichtung mit ihrem reichen Geschehen im Spannungsfeld von Menschenschicksal und Götterwille (s. u. Ohne Gottheiten geht gar nichts) zu erkennen. Im Folgenden fasse ich die Bücher 1 bis 24 der Ilias, die nur von den letzten 51 Tagen der insgesamt zehnjährigen Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Troianern berichten, kontinuierlich zusammen. Um meinen hier folgenden Text nicht übermäßig zu längen, führe ich einige Akteure zwar namentlich aber kommentarlos an. Ich versehe jedes Buch mit einer ,modern‘ formulierten Überschrift. Für dieses Konzentrat sollte man sich Zeit nehmen, um ,gut gerüstet und informiert gegen die Troianischen Helden zu ziehen‘, die sich in ihren Einzelkapiteln präsentieren (s. u. Fünfzehn Helden stellen sich vor). 1. Buch: Frauenraub, Pestepidemie, Zorn

Agamemnon, Oberbefehlshaber der Griechen, raubt Chryseis, die Tochter des Apollonpriesters Chryses. Dieser bringt Geschenke, um Chryseis auszulösen. Agamemnon verjagt ihn. Da Agamemnon Chryseis vorerst nicht zurückgeben will, schickt Apollon die Pest ins Lager der Griechen. Die göttliche Strafe lässt sich abwenden, weiß der Seher Kalchas, wenn Chryseis zu ihrem Vater heimkehrt. Das geschieht nach Verhandlungen. Als Ersatz für Chryseis verlangt Agamemnon Briseis, die Geliebte des Achilleus. Agamemnon und Achilleus streiten. Athene schlichtet. Achilleus zieht sich grollend zu seinen Schiffen zurück und schwört, fortan nicht mehr mitzukämpfen. Nach Briseis‘ Wegführung bittet Achilleus seine Mutter Thetis, Zeus zu bewegen, gegen die Griechen zu handeln, bis sie das Unrecht an Achilleus eingestehen. Zeus kommt der Bitte zunächst nach. 2. Buch: Unentschlossenheit und Bürokratie

Agamemnon ist für den Rückzug. Odysseus, von Athene und Hera manipuliert, tendiert zum Kampf. Letztendlich ziehen die Heere aus. Ein Schiff skatalog zählt die Kontingente beider Parteien auf. 3. Buch: Menschliche Zweikämpfe contra göttliche List

Die Griechen greifen an. Am Morgen triff t Menelaos auf Paris, der zurückweicht und deswegen von seinem Bruder Hektor getadelt wird. Dann kommt es doch zum Zweikampf, nachdem Priamos einen Nichtangriffspakt der Heere Schriftliche Qellen, lesefreundlich aufgearbeitet | 19

vereidigt hat und beschlossen worden ist: Helena mit allen Schätzen gehört dem Sieger und der Tod des Besiegten beendet den Streit. Ordner im Zweikampf sind Odysseus auf Seiten der Griechen, Hektor auf Seiten der Troianer. Zwei Lose werden in einen Helm geworfen, um den Kampfbeginn zu bestimmen. Paris gehört der erste Speerwurf. Menelaos kämpft besser als Paris. Aphrodite greift ein. Sie entrückt Paris nach Ilion, schleust Helena listenreich zu ihm ins Schlafgemach, macht ihn pflichtvergessen. Da man Paris auf dem Schlachtfeld vermisst, wird Menelaos von seinem Bruder Agamemnon zum Sieger über Paris erklärt. Aineias und Diomedes bekämpfen sich mittags, der Große Aias und Hektor abends. 4. Buch: Unberechenbare und hinterhältige Gottheiten

Auf dem Olymp beschließen die Götter, den Waffenstillstand zu brechen und Ilion zu zerstören. Zeus schickt Athene, in Gestalt des Laodokos, zu dem auf Troias Seite kämpfenden Pandaros (König von Lykien). Letzterer soll die Waffenruhe stören und Menelaos durch einen Pfeilschuss treffen. Athene leitet das Geschoss um. Der erste Kampf zwischen beiden Heeren findet statt. Die Griechen gewinnen, obgleich Achilleus und seine Mitstreiter der Schlacht fernbleiben. Menelaos wird verletzt. Söhne des Heilgottes Asklepios behandeln ihn erfolgreich. 5. Buch: Göttliche Parteinahmen

Athene stärkt Diomedes. Er tötet mehrere Troianer und ihren Verbündeten Pandaros, verletzt Aineias schwer, verwundet Aphrodite an der Hand. Diomedes kann die Mutter des Aineias durch Athenes Manipulation erkennen. Die angeschlagenen Aphrodite flüchtet mit Ares’ Gespann in den Olymp. Dione, ihre Mutter, umsorgt sie. Aineias wird von Apollon nach Pergamon entrückt, geheilt, später auf das Schlachtfeld zurückgebracht. Ares steht auf Seiten der Troianer. Hera und Athene helfen den Griechen. 6. Buch: Bedrohtes Familienglück

Als die Griechen im Vorteil sind, flüchten die Troianer in ihre Stadt. Athene, die Stadtgöttin Troias, soll um Hilfe gebeten werden, damit Diomedes der Stadt fern bleibt. Hektor begegnet Gattin Andromache mit beider Sohn Astyanax. Er triff t auch Mutter Hekabe und Bruder Paris mit Helena. 20 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

7. Buch: Geschenketausch, Gefallenenbestattung, Lagersicherung

Hektor und Paris kehren auf das Schlachtfeld zurück. Athene und Apollon beschließen einen neuen Zweikampf. Aus neun Kampfbereiten wird der Große Aias ausgelost. Er wirft Hektor zu Boden. Apollon hilft Hektor. Die Kontrahenten Großer Aias und Hektor brechen den Zweikampf ab und beschenken einander. Antenor empfiehlt, Helena samt Raubgut auszuliefern. Paris will Helena behalten und die materielle Beute zurückgeben. Die Griechen lehnen ab. Des Priamos Bitte um Waffenruhe, zur Bestattung der Gefallenen, wird erfüllt und der Rat Nestors, eine Mauer mit Graben um die griechischen Schiffe zu bauen, wird realisiert. 8. Buch: Griechen in Not und Gottheiten in Zugzwang

Es gibt eine Götterversammlung. Zeus verlangt, dass nur er in die Schlacht eingreifen darf. Als Griechen und Troianer gleichstark gekämpft haben, benutzt Zeus die Schicksalswaage. Sie agiert zugunsten der Troianer, denen Zeus daraufhin hilft. Als Diomedes den Wagenlenker Hektors tötet, setzt er die Troianer vorübergehend außer Gefecht. Anschließend richtet Zeus seine Blitze auf Diomedes. Dadurch können die Troianer die Hindernisse überqueren. Aber Diomedes drängt sie wieder zurück. Zeus stärkt abermals die Troianer und hindert Hera und Athene daran, den Griechen zu helfen. Hektor schlägt den Rückzug in die Stadt vor und plant, die gegnerischen Schiffe am nächsten Morgen anzugreifen. 9. Buch: Versöhnungsresistenter Achilleus

Die Griechen berufen eine Heeresversammlung ein, in der Agamemnon zur Flucht rät. Dafür tadeln ihn Diomedes und Nestor. Auf Nestors Intitiative wird ein Ältestenrat gebildet. Dieser wünscht eine Gesandtschaft an Achilleus. Sie soll Achilleus Geschenke anbieten. Eine von Nestor empfohlene verbale Entschuldigung unterbleibt. Odysseus, der Große Aias und Phoinix überbringen die Gaben. Odysseus schildert die verzweifelte Lage des Heeres. Achilleus verweigert die Geschenke und unterstreicht seinen Zorn auf Agamemnon, in dessen Besitz sich noch immer des Achilleus’ geliebte Sklavin Briseis befindet. Auch Phoinix und Großer Aias können Achilleus nicht umstimmen, der erklärt, er werde erst dann wieder in den Kampf auf Seiten der Griechen eingreifen, wenn sein eigenes Schiff durch Hektor gefährdet sei. Achilleus und seine Gefährten ziehen sich zur Schriftliche Qellen, lesefreundlich aufgearbeitet | 21

Nachtruhe zurück. Die Gesandten melden das Verhandlungsergebnis dem Ältestenrat, der die Entscheidung des Achilleus annimmt. 10. Buch: Spionageaufträge und Verrat

Agamemnon bleibt schlaflos, prüft die Wachen und beschließt zusammen mit Menelaos und Nestor, einen Spähtrupp ins troianische Lager zu senden. Diomedes wird dafür ausersehen. Er wählt sich Odysseus als Begleiter. Zur gleichen Zeit sucht Hektor einen Freiwilligen, der die Bewachung des griechischen Lagers ausspionieren kann. Als Belohnung stellt Hektor die Pferde des Achilleus in Aussicht. Dolon übernimmt die Aufgabe. Als Diomedes und Odysseus ihm zufällig im Wald begegnen, geloben sie, ihn – gegen Informationen – zu schonen. Dolon redet von kürzlich ins troianische Lager gebrachten thrakischen Pferden. Entgegen ihres Versprechens ermorden Diomedes und Odysseus den Späher Dolon, überfallen das troianische Lager, töten zwölf Thraker und den thrakischen König Rhesos. Auf zwei gestohlenen Pferden reiten sie zurück ins griechische Lager. 11. Buch: Keine Entscheidung

Am nächsten Morgen rüstet sich Agamemnon. Zeus entsendet negative Vorzeichen. Der Kampf bleibt ausgeglichen. Agamemnon tötet mehrere Troianer. Zeus schickt Iris zu Hektor mit der Botschaft, er solle die Griechen erst dann wieder angreifen, wenn sich Agamemnon verwundet aus der Schlacht zurückziehen müsse. Nach Agamemnons Armverletzung ist Hektor zwar erfolgreich im Kampf, wird dann jedoch durch Diomedes und Odysseus gefechtsunfähig gemacht. Unter den verletzten Anführern der Griechen sind die von Paris Verwundeten, Diomedes und Machaon. Man bringt sie zurück ins griechische Lager. Mit Blessuren treffen dort auch Odysseus und der Große Aias ein. Zu dieser Zeit entsendet Achilleus seinen Freund Patroklos, der das Befinden der Kämpfer einschätzen soll. Nestor und Eurypolos berichten Achilleus von der schwierigen Situation der Griechen. 12. Buch: Zwischenbilanz

Nach diversen fehlgeschlagenen Versuchen gelangt Hektor ins Schiffslager der Griechen. Durch einen mächtigen Steinwurf sprengt er das Lagertor. Die Griechen flüchten. 22 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

13. Buch: Fortsetzung des Gemetzels

Zeus entzieht sich vorübergehend der Schlacht. Das nutzt Poseidon, um die Griechen zu unterstützen. Idomeneus, der kretische König, tötet mehrere Troianer, darunter Othryoneus, den Bräutigam Kassandras. Sie ist eine Tochter des Priamos. Ein Zweikampf zwischen Aineias und Idomeneus endet unentschieden. Vorstöße auf beiden Seiten bleiben erfolglos. 14. Buch: Liebesverkehr und Schlafmittel göttlicher Art

Diomedes, Odysseus und Agamemnon sind verwundet. Letzterer rät abermals abzusegeln. Odysseus will das nicht und möchte die Gefährten in weiteren Auseinandersetzungen sehen. Hera, Poseidon unterstützend, lenkt Zeus ab. Das gelingt ihr auf dem Berg Ida durch den erotisierenden Gürtel der Aphrodite und den hilfreichen Hypnos. Der Gott des Schlafes senkt Zeus nämlich nach dem Liebesakt mit Hera in tiefen Schlummer. Also kann Poseidon ungestört auf dem Schlachtfeld eingreifen. Poseidon und Hektor ordnen die Heere. Der Große Aias setzt Hektor durch einen Steinwurf außer Gefecht. Die Griechen können daraufhin die Troianer Richtung Stadt zurückdrängen. Apollon interveniert. Die Troianer dringen wieder ins griechische Lager vor. Es beginnt der entscheidende Kampf um die Schiffe. Das ist die kritische Wende in der Ilias. 15. Buch: Begehrte Schiffe

Zeus wacht auf, sieht den geschwächten Hektor, ist wütend auf Hera, die Poseidon beschuldigt. Auf Wunsch des Zeus schickt Hera ihrem auf den Olymp zurückgekehrten Gemahl die göttlichen Mitstreiter Iris und Apollon. Iris muss Poseidon den Befehl überbringen, dem Kampf fernzubleiben. Ärgerlich tut er das. Apollon unterstützt Hektor. Der Graben kann beseitigt werden, so dass die Troianer bis an die Schiffe der Griechen gelangen. Dieses Geschehen motiviert Patroklos, mit Achilleus auszuhandeln, dass er demnächst in Achilleus’ Rüstung kämpft. Zeus will ein griechisches Schiff brennen sehen. Danach möchte er die Schlacht wieder zugunsten der Griechen wenden. 16. Buch: Tod des Patroklos

Patroklos kommt zu Achilleus mit der Bitte, helfen zu dürfen. Achilleus erlaubt es ihm unter bestimmten Bedingungen und überlässt ihm seine Gefolgsleute. Schriftliche Qellen, lesefreundlich aufgearbeitet | 23

Der in Troia gefallene lykische König Sarpedon wird von Hypnos und Thanatos, den göttlichen Personifikationen des Schlafes und des Todes, in seine Heimat entrückt.

Als Patroklos in der Rüstung seines Freundes ins Kampfgeschehen eingreift, flüchten die Troianer von den griechischen Schiffen. Patroklos eilt ihnen nach und tötet den Lykierkönig Sarpedon, einen Sohn des Zeus. Daraufhin erhält Patroklos die Rüstung des Sarpedon, den die Götter Schlaf und Tod in seine lykische Heimat entrücken, um ihn dort rühmlich zu bestatten. Patroklos – gegen den Willen des Achilleus – greift Troia an, aber wird von Apollon zurückgehalten. Der Gott unterstützt Hektor so aktiv, dass er seinen Gegner Patroklos töten kann. Sterbend sagt Patroklos den baldigen Tod Hektors voraus. 17. Buch: Toter Held ohne Rüstung

Gekämpft wird um Rüstung, Leichnam und Gespann des Patroklos. Dabei tötet Menelaos Euphorbos. Hektor erbeutet Patroklos’ Rüstung, also die des Achilleus, denn Achilleus überließ sie ja seinem Freund. Zeus favorisiert den Zwischensieg der Troianer. Schlussendlich tragen Menelaos und Meriones den getöteten Patroklos aus der Schlacht, unterstützt von Großem und Kleinem 24 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

Aias. Menelaos sendet Nestors Sohn Antilochos mit der Botschaft vom Tod des Patroklos zu Achilleus. 18. Buch: Klagender Sohn, tröstende Mutter, kunstvolle Waffen

Als Achilleus vom Tod des Freundes Patroklos und dem Verbleib der Rüstung bei Hektor erfährt, trauert er laut. In den Tiefen des Meeres vernimmt Achilleus’ Mutter Thetis die Klagen. Sie kommt zu ihm, tröstet ihn, hört des Sohnes Selbstvorwürfe wegen seiner Kampfverweigerung. Achilleus kündigt Hektors Tod an. Blutige Rache an Hektor zu üben, ist ihm wichtig, denn durch Hektor hat er den Freund und Waffenbruder Patroklos verloren. Achilleus wünscht sich neue Waffen. Thetis beauftragt den Schmiedegott Hephaistos, sie herzustellen. Bis die Rüstung fertig ist, bittet Thetis ihren Sohn, Kämpfen fern zu bleiben. Antilochos, der Achilleus die Botschaft vom Tode des Patroklos überbracht hat, begleitet den Trauernden fortan. Achilleus begibt sich zu Patroklos’ Leiche und schreit so laut, dass er die Troianer vertreibt. Polydamas rät zum Rückzug. Hektor will weiterkämpfen. Seine Mannen folgen ihm. Patroklos’ Leiche wird gereinigt und gesalbt. Seinem Andenken opfert man zwölf Troianer. 19. Buch: Versöhnt und prächtig gerüstet

Thetis übergibt ihrem Sohn die neue Rüstung und Achilleus freut sich über die herrlichsten Waffen, die je ein Held getragen hat. Auf dem neuen Schild des Achilleus sind Kosmos und Stadt in Frieden und Krieg dargestellt. Thetis konserviert Patroklos’ Leichnam. Odysseus vermittelt zwischen Achilleus und Agamemnon. Achilleus beendet seinen Zorn. Agamemnon erkennt seine falsche Handlung. Sofort möchte Achilleus kämpfen. Aber die Auseinandersetzung der Griechen mit den Troianern wird noch hinausgezögert. Ein gemeinsames Frühstück folgt, dem Achilleus fernbleibt. Alle – einst von Agamemnon angebotenen und von Achilleus zurückgewiesenen – Geschenke werden nun auf Achilleus’ Schiff transportiert. Briseis – die Auslöserin des Streites zwischen Achilleus und Agamemnon, der zum Rückzug des Achilleus geführt hat – darf zu ihrem ,rechtmäßigen‘ Herrn zurück. Achilleus beklagt den Tod des Patroklos, dessen Leichnam Athene mit Nektar und Ambrosia stärkt. Dann rüstet sich Achilleus. Eins seiner Pferde prophezeit ihm den Tod. Achilleus greift die Troianer an. Schriftliche Qellen, lesefreundlich aufgearbeitet | 25

20. Buch: Parteiische Götter, wie üblich

Zeus fordert die Götter auf, in die Schlacht einzugreifen. Hera, Athene, Poseidon, Hermes und Hephaistos tun es auf Seiten der Griechen. Ares, Aphrodite, Artemis, Apollon und der Flußgott Skamandros tun es auf Seiten der Troianer. Apollon motiviert Aineias zum Kampf. Dann ziehen sich die Gottheiten zunächst zurück. Aineias greift Achilleus mit Worten und Taten an. Aus der folgenden Auseinandersetzung wird Aineias von Poseidon gerettet, weil der Meeresgott, trotz seiner progriechischen Haltung, das Geschlecht des Aineias bewahren möchte. Achilleus tötet mehrere Troianer. Apollon warnt Hektor, sich Achilleus entgegenzustellen. Hektor tut es trotzdem. Apollon rettet ihn. 21. Buch: Tobender Fluss und agierende Gottheiten

Achilleus jagt die Feinde über den Skamandros und tötet zahlreiche Troianer im Flussbett, darunter auch den vormals geschonten Lykaon. Dessen Leiche wirft er in den Skamandros, beleidigt so den Flussgott Skamandros und tötet sogar dessen Sohn. Inmitten des Gemetzels ergreift Achilleus zwölf Troianer für Patroklos’ Feuerbestattung. Skamandros bittet Achilleus vergeblich, das Töten zu beenden. Dann greift er ihn an. Poseidon und Athene helfen Achilleus. Skamandros wird unterstützt von seinem Nebenfluss Simoeis. Erst der von Hera herbeigeholte Hephaistos bändigt den Skamandros. Nun kämpfen die Gottheiten untereinander, was Zeus erfreut. Athene besiegt Ares und Aphrodite. Hera besiegt Artemis. Apollon möchte nicht gegen Poseidon kämpfen. Hermes will gar nicht am Kampf teilnehmen. Man kehrt zurück auf den Olymp. Allein zurück bleibt Apollon, zum Schutz von Troia. In Gestalt des Agenor lockt er Achilleus von Troia weg, so dass Priamos die Tore für den Rückzug der Troianer öffnen kann. 22. Buch: Tod und Schändung Hektors

Apollon gibt sich Achilleus zu erkennen. Daraufhin wendet sich Achilleus sofort gegen Troia. Hektor erwartet Achilleus mutig vor den Toren, flieht jedoch, als der Gegner heranstürmt. Achilleus folgt Hektor dreimal um die Stadt. Dann versammeln sich die Götter und beraten über den weiteren Ablauf des Kampfes. Zeus setzt wieder die Schicksalswaage ein. Dadurch wird Hektors Tod bestimmt. Nun verlässt Apollon seinen bisherigen Schützling Hektor. Mit Hilfe Athenes vermag Achilleus seinen Gegner Hektor zu töten. Im Sterben 26 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

Achilleus steht in Kampaltung über einem gefallenen Troianer, nachdem er mehrere Feinde im Skamandros getötet hat. Der Flußgott bittet Achilleus vergeblich, das Gemetzel zu vermeiden. Er benötigt die Hilfe seines Nebenflusses Simoeis.

kündigt Hektor Achilleus’ baldigen Tod an und bittet Achilleus, seine Leiche, dem Vater Priamos zurückzugeben. Erbarmungslos bleibt Achilleus, weil er in unermesslichem Rachedurst den Tod seines Freundes Patroklos sühnen will. Das soll durch die Misshandlung von Hektors toten Körper geschehen. Achilleus nimmt Hektors Rüstung, überlässt Hektors Leichnam nicht den Troianern, schleift ihn wiederholt vor den Augen seiner Angehörigen durch den Staub Troias. Die Eltern, Priamos und Hekabe, klagen. Hektors Gemahlin wird ohnmächtig. 23. Buch: Patroklos Bestattung

Als Hektors Leiche noch offen im Lager der Griechen liegt, soll Patroklos bestattet werden. Nächtens besucht die Psyche des Patroklos den Achilleus, weissagt ihm sein unmittelbar bevorstehendes Ableben, bittet um ein gemeinsames Grab und eine baldige Versorgung seines Leichnams. Achilleus verspricht Patroklos, die Leiche Hektors den Hunden zum Fraß hinzuwerfen. Am Morgen wird Patroklos’ Scheiterhaufen hergerichtet. Anlässlich der VerSchriftliche Qellen, lesefreundlich aufgearbeitet | 27

brennung des Freundes opfert Achilleus nicht nur Tiere, wie es üblich ist, sondern auch troianische Gefangene. Die Winde Boreas und Zephyros helfen die Scheite anzuzünden. Des Patroklos’ verbrannte Gebeine werden als Asche in einer Urne in einem Grabhügel bestattet. Um den Toten zu ehren, finden Leichenspiele statt: Wagenrennen, Boxen, Ringen, Laufen, Bogenschießen, Werfen und Stechen mit dem Speer. Welcher Kämpfer in welcher Disziplin gesiegt hat, wird angegeben. 24. Buch: Hektors würdige Bestattung

Die Götter beratschlagen, ob sie Hektors Leichnam entwenden und den Troianern ausliefern sollen, aber dann entscheidet Zeus: Achilleus selbst muss den Toten zurückgeben. Iris verkündet Priamos das Urteil des Zeus. Achilleus akzeptiert es bedingungslos. Überraschend begibt sich Priamos in das Zelt des Achilleus und erfleht die geschundene Leiche Hektors, um seinem Sohn vor Troia die Totenehren zu erweisen. Während eines gemeinsamen Abendessens lernen sich Priamos und Achilleus kennen. Bewegt vom Verhalten des Greises, gibt Achilleus den gewaschenen und gesalbten Körper des ehemaligen Gegners für die Bestattung heraus und gewehrt eine elftägige Waffenruhe. Unter dem Schutz des Hermes verlässt Priamos mit dem toten Hektor das Lager der Griechen. Als die Troianer Hektors Leichnam auf Priamos’ Wagen sehen, trauern sie. Ein Totenmahl beschließt das große Epos der Ilias. Mit Buch 24 der Ilias ist der Troianische Krieg nicht vorbei. In manchen antiken Ausgaben endet die Ilias „Es kam die Amazone, Ares’ Tochter, des hochgesinnten Männerbezwingers.“ Unmittelbar auf die Ilias folgt also die Aithiopis. Ohne Penthesilea und Memnon, die neu agierenden Verbündeten der Troianer, wäre der Krieg nach dem Tod des Trojaners Hektor (Ilias, 24. Buch) für die Griechen entschieden gewesen. Aber offensichtlich bedurfte es einer Fortsetzung der schauerlich schrecklichen Gemetzel. Die Aithiopis

In den fünf Büchern der „Aithiopis“, die wohl Arktinos von Milet verdankt werden, ist zu erfahren von Achilleus’ Siegen über die Amazonenkönigin Penthesilea und den Aithioperkönig Memnon, ferner von Achilleus’ Tod und von Achilleus’ Waffen, um die der Große Aias und Odysseus streiten. Es handelt sich also um 28 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

Ereignisse, die nach dem Iliasgeschehen passieren. Genaueres findet sich in den Kapiteln zu Achilleus und Odysseus. Von der der troianischen Kriegsbühne sind die bekannten Persönlichkeiten – Achilleus, Großer Aias, Hektor, Memnon, Patroklos, Penthesileia – mittlerweile abgetreten und müssen nun durch Nachfolger aus „Der Kleinen Ilias“ und „Der Ilioupersis“ ersetzt werden. Die Kleine Ilias

Vier Bücher der „Kleinen Ilias“, Lesches soll sie verfasst haben, künden vom dramatischen Geschehen nach Achilleus‘ Tod. Man bezeichnet sie auch nach dem Achilleus-Sohn als „Epos von Neoptolemos“. Es geht wiederum um Handlungen nach der Ilias. Die berühmteste Episode dieses Textes ist das Procedere mit dem Troianischen Pferd, hier nachzulesen im Kapitel zu Odysseus. Die Ilioupersis

Aus den zwei Büchern der „Ilioupersis“ (Fall Troias), Arktinos von Milet zuerkannt (wie die Aithiopis, s. o.), ist herauszufiltern, dass die Griechen den Sieg über Troia nun definitiv erringen. Abermals sind auf die Ilias folgende Handlungen erzählt. Bei den Griechen übernimmt Neoptolemos die Rolle seines gefallenen Vaters Achilleus. Bei den Troianern stirbt Paris durch einen Giftpfeil des Philoktetes und sein Bruder Aineias ersetzt den tödlich getroffenen Paris. Zu dieser endgültigen Niederlage Troias findet sich Detailliertes in den Kapiteln zu Neoptolemos, Paris, Philoktetes und Aineias. Die Nostoi

Fünf Bücher der „Nostoi“ (die Heimkehrer), die Hagias geschrieben haben könnte, thematisieren die Heimkehr der Griechen. Es geht auch hier um Ereignisse nach dem Iliasgeschehen. Die Nostoi beginnen wohl mit dem Streit der Brüder Agamemnon und Menelaos. Sie sind sich uneins, ob sie nach dem errungenen Sieg über Troia unverzüglich auf ihren Schiffen heimsegeln sollen oder ob sie erst auf die Versöhnung Athenes hoffen sollen, die wegen des Frevels eines griechischen Helden zürnt. Letztendlich stechen sie in See. Bekannte Episoden der „Nostoi“ (Ermordung Agamemnos durch seine untreue Ehefrau und Rückführung Helenas durch ihren einst von ihr betrogenen Ehemann) sind im Agamemnon- und Menelaos-Kapitel erzählt. Auch von den Heimkehrerschicksalen Schriftliche Qellen, lesefreundlich aufgearbeitet | 29

des Diomedes, Neoptolemos und Nestor ist in den „Nostoi“ zu erfahren. Man liest davon in den Einzelkapiteln zu diesen Helden. Die Odyssee

In 24 Büchern berichtet Homer von den Irrfahrten des Odysseus, die dieser nach dem Fall Troias durchsteht. Unermessliche Qualen erträgt er – zunächst mit Gefährten, dann allein – bis er in der Heimat seine Gattin Penelope wiedersieht. Es geht also in der Odyssee ,ein letztes Mal um viel Schreckliches‘, das man sich nach den Iliaskämpfen vorstellen muss. Im Kapitel zu Odysseus paraphrasiere ich die Geschehnisse der Odyssee. Mit den zuvor gegebenen Informationen über die schriftlichen Quellen zum Troianischen Krieg (Kypria, Ilias, Aithiopis, Kleine Ilias, Ilioupersis, Nostoi, Odyssee) dürfte man den Troianischen Helden ,näher gekommen‘ sein als durch die nostalgisch verehrten „Sagen des klassischen Altertums“ eines Gustav Schwab (1792–1850), die zuweilen noch den Ehrenplatz haben in der Hausbibliothek einer an Jahren reifen Leserschaft, denn schließlich kennt man ,seinen Schwab‘ seit Kindertagen. Ohne Gottheit geht gar nichts

= = = = = Ohne Gottheit geht gar nichts = = = = = Im Mythos kann die unzureichende Beachtung einer Gottheit seitens eines Heros oder einer Heroine als schweres Vergehen geahndet werden, das schicksalhafte Bestrafung erfordert. Hier vorangehende einleitende Informationen und unten folgende Passagen in den Kapiteln zu den einzelnen Helden – unter der Zwischenüberschrift „Vorprogrammiertes Heldenschicksal“ mit spektakulären Highlights gottgewollter Manipulation – heben besonders hervor, dass die mächtigen Gottheiten nachhaltig ihren Willen durchsetzen. Das folgende Fazit bezüglich all dieser göttlichen Einmischungen sei zusätzlich angeboten. Unter der Ägide des ,Olympischen Diktators‘ Zeus werden die Helden wie Marionetten bewegt im troianischen Gesamtgeschehen. Höchst eindrucksvoll ist die sogenannte Seelenwägung (Ilias 22, 209–213): „Richtete Vater Zeus die goldenen Schalen der Waage,  / Warf zwei Lose hinein des trauerbringenden Todes,  / Das des Achilleus und das des Rossebändigers Hektor,  / Faßte die Mitte und wog. Da sank des Hektor Verhängnis,  / Lastend zum Hades herab, 30 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

Über dem Genius des Olymp, mittig im Vordergrund, thront Zeus. Beidseitig seines göttlichen Strahlenkranzes schweben weibliche Wesen. Dominierend im Vordergrund sind wiedergegeben: links Juno, Poseidon, Athena und rechts Hebe, Ares, Hermes, Aphrodite.

es verließ ihn Phoibos Apollon.“ Sogar die Praxis des Entrückens – eine Gestalt wird problemlos, lebendig oder tot, von einem Ort zu einem anderen bewegt – beherrschen die Gottheiten perfekt. Die göttlichen Damen und Herren versammeln sich, sind unterschiedlicher Meinungen, kämpfen sogar untereinander, weil ihr egoistisches Interesse am Ausgang der Streitigkeiten beachtlich ist. Als Schutzgottheiten treten sie wiederholt in Aktion. Athene unterstützt die Griechen Achilleus, Agamemnon, Diomedes, Neoptolemos und Odysseus. Apollon, der unversöhnliche Gegner des griechischen Haupthelden Achilleus, schützt den troianischen Haupthelden Hektor solange, bis sich die Schicksalswaage des Zeus zu Hektors Ungunsten neigt, wie das einbezogene Zitat (s. o.) veranschaulicht. Dass es zu einem derartig parteiischen Verhalten der Gottheiten kommt, liegt an bestimmten Voraussetzungen. Einst plant Zeus selbst den Untergang bestimmter Heroengeschlechter und initiiert deshalb den Troianischen Krieg auf höchst raffinierte Art. Er zeugt die Schöne Helena (s. u. Frauen für die Helden – Der Sonderfall Helena). Mit ihr schaff t er die Kampfvoraussetzung. Da Aphrodite dem Troianischen Prinzen Paris die Schöne Helena verspricht, wenn er Aphrodite zur Schönsten erklärt, sind ihre Rivalinnen Athene und Hera fortan auf Seiten der Griechen, ist Aphrodite fortan auf Seiten der Ohne Gottheit geht gar nichts | 31

Apollon schwebt über dem toten Hektor und schützt ihn vor Abschürfungen des Körpers, die Achilleus ihm zufügt, als er Hektor – mit den Beinen am Wagen festgebunden – über den Erdboden schleift.

Troianer. Da Aphrodites Liebhaber Ares ebenfalls für die Troianer agiert, unterstützt ihr betrogener Ehemann Hephaistos selbstverständlich die Griechen. Da der griechische Hauptheld Achilleus einen Sohn des Priamos, Troilos, im Heiligtum des Apollon tötet, setzt sich der dadurch beleidigte Apollon – so lange Zeus nicht widerspricht – für den troianischen Haupthelden Hektor ein und arrangiert durch einen umgelenkten Pfeil den Tod des Achilleus. Da Artemis die Schwester des Apollon ist, schützt sie Troia im Gleichklang mit ihrem Bruder. Da Laomedon – der Vater des troianischen Königs Priamos – im Ersten Troianischen Krieg dem Poseidon nicht zahlt, was ihm zusteht, handelt Poseidon, abgesehen von einer Ausnahme, eindeutig für die Griechen. Derartige, exemplarisch herausgegriffene, vielfältige Vernetzungen machen klar, dass Udo Reinhardt in seinem systematischen Handbuch über den antiken Mythos bezüglich des Troianischen Sagenkreises zu dem überzeugenden, hier im Folgenden zusammengefassten Ergebnis kommt: Der Verlauf des Troianischen Krieges hängt ab vom bereits fertig gefügten Olympischen Pantheon, jener nach Funktionen und Zuständigkeiten von Göttern und Göttinnen geordneten Gesamtheit. Und dieses verbindliche Olympische Pantheon wird mittels frühgriechischer Epen (s. o. Schriftliche Quellen, lesefreundlich aufgearbeitet) bekannt im Kulturraum von den ionischen Küstengebieten Kleinasiens im 32 | Dieses Thema verlangt eine lange Einführung

Osten bis nach Großgriechenland im Westen. Als man in Athen um 520 v. Chr. einen Altar für die zwölf Olympischen Gottheiten einrichtet, besitzen sie längst ihre panhellenische Präsenz. Von den frühgriechischen Gesellschaften werden die im Olympischen Pantheon personal exakt bestimmten göttlichen Wesen voll akzeptiert. Und eben diesen Gottheiten haben sich auch die Helden des Troianischen Mythenkreises zu unterwerfen. Sie müssen dem Schicksalsplan folgen, den Zeus und zwei den Olympischen Gottheiten übergeordnete göttliche Instanzen, Themis und Nemesis, verantworten. Themis lässt sich als Personifikation der Gerechtigkeit erklären. Nemesis steht für die göttliche Macht, ist zuständig für gerechte und rachevolle Vergeltung, bestraft allerdings keine kleinen Missetaten, sondern die Hybris, jenen Übermut der Menschen, durch den sie sowohl göttliche als auch menschliche Sittengesetze missachten. Man kann verallgemeinern, dass Nemesis die ins Wanken geratene Weltordnung wiederherstellt. Und jener von Nemesis, Themis und Zeus konzipierte Schicksalsplan beinhaltet, dass Griechen gegen Troianer bzw. Troianer gegen Griechen kämpfen, damit sie einander hinschlachten, weil die Gottheiten meinen, dieses oder jenes Heldengeschlecht könne zu mächtig werden. Und damit die Helden motiviert aufeinander losgehen, hat die Schöne Helena (s. u. Frauen für die Helden – Der Sonderfall Helena) also die Bühne betreten müssen. Einer Leserschaft, die zuvor Ausgeführtes durch eine anders differenzierende Sichtweise ergänzen möchte, sei der Beitrag „Gott und Mensch bei Homer“ von Abrogast Schmitt empfohlen (Ausstellungskatalog, Homer, Der Mythos von Troia, Gesamtredaktion Joachim Latacz 2008, 164–170).

Ohne Gottheit geht gar nichts | 33

Fünfzehn Helden stellen sich vor u

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Starker Held mit schwacher Ferse und in göttlicher Rüstung = Achilleus – König von Phthia

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Geburtsort: Phthia Vater: Peleus Mutter: Thetis Ehefrau: Deidameia Geliebte: Briseis, Diomede Kinder: Neoptolemos

Fünfzehn Helden stellen vor Achilleus – König vonsich Phthia

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Ein besonderes Baby ist Achilleus, stammt es doch ab von einer unsterblichen Göttin und einem sterblichen Mann. Nur eine Stelle am Körper des Achilleus ist verletzbar. Das erklärt sich folgendermaßen. Mutter Thetis, gemäß unterschiedlicher Mythosversionen, taucht nach Achilleus’ Geburt zurück ins Meer oder pflegt und versorgt ihn selbst. Um dem Nachwuchs ihre Unsterblichkeit zu schenken, hält sie ihn nachts über ein Feuer, salbt ihn mit der Speise der Götter namens Ambrosia oder badet ihn im Unterweltfluss Styx. All das macht seinen Körper unverwundbar. Dort, wo Thetis das Kind festhält, nämlich an einer Ferse, greift die Imprägnierung nicht. Üblicherweise bringt die Berührung mit dem Styxwasser den Tod, aber dem halbgöttlichen Kind schenkt es Schutz. Als Vater Peleus die Maßnahme seiner Frau entdeckt, entreißt er ihr den kleinen Achilleus und bringt ihn zum Kentauren Cheiron, einem Wesen mit dem Oberkörper eines Mannes und dem Unterkörper eines Pferdes. Von seinen Artgenossen hebt er sich ab durch besondere Kenntnisse. Deshalb darf er Achilleus erziehen. Außerdem hat der Knabe den würdigen alten Phoinix Achilleus – König von Phthia | 35

Achilleus hat seine Rüstung abgelegt. Er verweigert sich dem Kampf, verharrt auf seinem Sitz, nimmt betroffen wahr, wie der neben ihm schreitende Freund Patroklos die Geliebte des Achilleus – Briseis – den beiden Herolden übergeben muss, die sie zu Agamemnon führen.

zum Lehrer, der selbstverschuldet ohne Nachkommen leben muss. Einst schlief er mit der geliebten Nebenfrau seines Vaters, der seinen Sohn deswegen mit dem Fluch der Kinderlosigkeit strafte. Somit hegt Phoinix eine innige Zuneigung zu Achilleus und steht ihm als väterlicher Freund zur Seite. Der griechische Seher Kalchas weissagt, Achilleus werde im Alter von neun Jahren sterben. Thetis sieht in der Tiefe des Meeres den Tod ihres Sohnes im Kampf um Troia voraus. Um dieses Unglück zu verhindern, entsteigt sie den Wogen, schleicht sich in den Palast ihres Gatten Peleus, kleidet Achilleus wie ein Mädchen und bringt ihn an den Hof des Königs Lykomedes auf der Insel Skyros, wo er unter dessen Töchtern heranwächst und zum Jüngling geworden, die Liebe der Prinzessin Deidameia gewinnt. Beider Verbindung wird legitimiert. Achilleus heiratet Deidameia, die ihm den Sohn Neoptolemos schenkt. Familienglück gibt es jedoch nicht, da der junge Vater anderweitig gebraucht wird. Die Griechen wissen wiederum durch einen Orakelspruch des Sehers Kalchas: Ohne Achilleus kann es keinen Sieg über Troia geben. Odysseus und seinen Begleitern gelingt es, Achilleus aufzuspüren und als Mann zu entlarven, indem sie den weiblichen Wesen, inmitten derer er versteckt ist, Waffen und Schmuck zeigen. 36 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Achilleus interessiert sich, geschlechtsspezifisch bedingt, nur für die Waffen. Als Odysseus dem Trompeter befiehlt, das Kriegssignal ertönen zu lassen, kann sich Achilleus nicht mehr zurückhalten und begleitet seinen Freund Patroklos, seinen Lehrer Phoinix und sein Gefolge, die Myrmidonen (s. u. Kämpfer in Schwarz), nach Troia. Er ist wie alle troianischen Kämpfer gerüstet mit Helm, Panzer, Schild und Schwert. Außerdem trägt er die große, schwere Lanze seines Vaters Peleus. Fünfzig Schiffe geleitet er nach Troia. Gemäß einer älteren, weniger spannenden, Sagenversion eilt Achilleus nicht von Skyros aus zu den Waffen, sondern bricht mit Odysseus und Nestor von Phthia auf.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Achilleus ist einerseits weich und sentimental, andererseits mutig, stolz und willensstark. Solche Charaktereigenschaften verursachen seine ungestümen Handlungen und seine unbedachten Äußerungen. Es mangelt ihm an Einsicht. Emotionen – Groll, Hass, Trauer, Liebe – steuern ihn und lassen ihn maßlos handeln. Seine Ichbezogenheit macht ihn zuweilen verantwortungslos gegenüber Kampfgenossen, weil er sich in seiner Heldenehre bestätigt fühlen muss. Durch männlich starke Statur, auffällige Übergröße, harmonisch ausgebildete Physiognomie und beachtliche Schnelligkeit seiner Aktionen erinnert er an die Vollkommenheit eines jugendlichen Gottes. Es verwundert kaum, dass er einem strauchelnden Gegner zuruft: „Siehst du nicht mich selbst, wie schön ich bin und wie gewaltig, / Sohn des edelsten Vaters, mich hat eine Göttin geboren.“ (Ilias 21, 108–109)

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Verlust einer Geliebten

Achilleus muss seine geliebte Beutefrau Briseis abtreten an Agamemnon, den obersten Heerführer der Griechen. Diese Notwendigkeit resultiert aus dem Verhalten des Agamemnon, der seine ebenfalls geliebte Beutefrau Chryseis erst nach großem Widerstand an ihren Vater, den Apollonpriester, zurückgibt und Briseis als Ersatz fordert. Die Rivalen im ,Fall Briseis‘ werden zwar durch Achilleus – König von Phthia | 37

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v = Achilleus weint um Patroklos = „Dreimal schrie vom Graben gewaltig der hehre Achilleus, / Dreimal wurden verwirrt die Troer und Bundesgenossen. / Dort nun fanden den Tod bei den eigenen Wagen und Lanzen / Zwölf der tapfersten Helden, in dessen die Krieger Achaias / Freudig den Patroklos rissen hinweg aus der Bahn der Geschosse / Und auf ein Lager ihn legten; / da standen im Kreise die Freunde / Klagend, und mit ihnen folgte zugleich der schnelle Achilleus, / Heiße Tränen vergießend, denn dort, auf die Bahre gebettet / Sah er den treuesten Freund, zerfleischt von der Schärfe des Erzes.“ (Ilias 18, 228–236)

= Des Achilleus̕ neue Rüstung = „Aber sobald er [der Schmiedegott Hephaistos] den Schild nun vollendet, den großen und starken, / Schmiedete gleich er den Panzer, der heller noch strahlte als Feuer, / Schmiedete auch einen wuchtigen Helm, der die Schläfen ihm deckte, / Kunstvoll und schön, und setzte darauf einen goldenen Haarbusch, / Goß ihm endlich die Schienen dazu aus geschmeidigem Zinne. / Als er nun alle die Waffen gefertigt, der rühmliche Künstler, / Nimmt er sie auf und legt sie der Mutter Achillens zu Füßen. / Sie aber stieß wie ein Falke vom schneebedeckten Olympos / Nieder, die schimmernden Waffen des Gottes Hephaistos im Arme.“ (Ilias 18, 609–617)

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Athene besänftigt, aber Achilleus’ Reaktionen nach der Wegführung seiner Geliebten sind folgenschwer, obgleich er sich von Diomede, einer Nachfolgerin der Briseis, trösten lässt. Beleidigtsein

Achilleus ist überaus zornig und fühlt sich gedemütigt, weil er die Wegführung der Briseis nicht nur als Störung seines Liebeslebens, sondern auch als Missachtung seiner heldischen Leistung wertet. Beleidigt zieht er sich zurück zu seinen Schiffen. Voll Wut gelobt er, sich vom Kampf fernzuhalten. Er bleibt nachtragend. Eine Bittgesandtschaft – bestehend aus Odysseus, Großem Aias und Phoinix – erreicht nichts. Immer intensiver empfindet Achilleus die psychische 38 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Verletzung, die er durch den Verzicht auf Briseis erlitten hat. Es stimmt ihn auch nicht um, als Odysseus ihm die verzweifelte Lage des Heeres schildert und aufzeigt, dass die Griechen, ohne Achilleus in ihren Reihen, den Troianern unterliegen müssen. Achilleus steigert seinen Groll und bleibt weiterhin dem Kriegsgeschehen fern. Erst als die Troianer die Schiffe der Griechen in Brand stecken, realisiert man einen auf Nestor zurückgehenden Vorschlag. Es erfolgt jener schicksalsschwere Rüstungstausch, bei dem Achilleus seine eigenen Waffen dem Freund Patroklos überlässt, damit so eine Wendung der Schlacht erreicht werde. Erst nach dem Tod des Patroklos – er fällt ja durch Hektor und durch die Hilfe des Apollon – entscheidet sich Achilleus, wieder am Kampf teilzunehmen, um den Freund zu rächen, dessen Tod ihm Antilochos, der Sohn Nestors, mitteilt. Antilochos wird nun Achilleus’ treuester Begleiter. Nach einer Überlieferung des Mythos hat Nestor seinem halbwüchsigen Sohn einst nicht erlaubt, mit in den Troianischen Krieg zu ziehen. Aber Antilochos stößt ohne Wissen seines Vaters im fünften Jahr der Auseinandersetzungen dennoch zu den Griechen. Als neuer Gefährte des Achilleus wird er so bedeutend wie der verblichene Patroklos, an dessen Leichenspielen Antilochos teilnimmt. Später, nach Achilleus’ Tod, stirbt Antilochos durch den König Memnon aus Äthiopien, der den Troianern zu Hilfe kommt. Grausamkeit

Nachdem sich Achilleus entschlossen hat, wieder am Kampf teilzunehmen und seine neue – von Mutter Thetis bei Schmiedegott Hephaistos in Auftrag gegebene – Rüstung bewundert, möchte er unverzüglich in den Waffen agieren. Ungeduldig ist Achilleus, seinem gefallenen Freund Patroklos endlich Rache zu zollen. Aber die Entscheidungen zwischen Griechen und Troianern verzögern sich noch. Achilleus tötet zahlreiche Troianer auf dem Schlachtfeld und im Skamandros, in dessen Flussbett er gnadenlos die Leiche des Priamossohnes Lykaon wirft. Auch den Sohn des Skamandros tötet Achilleus. Außer sich vor Qual tobt der Fluss und bittet Achilleus vergeblich, das Abschlachten der Troianer zu beenden. Inmitten des Gemetzels bringt Achilleus zwölf Troianer in seine Gewalt, um sie bei Patroklos’ Feuerbestattung zu opfern. Unerträglich grausam ist das Aufeinandertreffen von Achilleus und Hektor, das von göttlicher Seite begleitet wird. Zeus plädiert für Hektors Tod. Somit schützt Apollon Hektor nicht mehr. Athene mischt sich ein, indem sie in Gestalt von Hektors Achilleus – König von Phthia | 39

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v = Epische Beiwörter nach Udo Reinhardt = Achilleus … der göttliche, gottähnliche, zeusgeliebte, hochgemute, löwenmutige, speerberühmte, Männerreihen durchbrechende, fußschnelle bzw. fußausdauernde, der bei weitem stärkste.

= Kämpfer in Schwarz = Sehr oft liest man von Achilleus und seinen Myrmidonen. Keine Zauberwaffen sind es, sondern Kämpfer mit dunklen Rüstungen und schwarzen Schilden. Bei den tapferen Gefolgsleute handelt es sich gewissermaßen um eine Elitetruppe, die Achilleus zum Sieg verhilft. Die Myrmidonen gehören zu einem südthessalischen Stamm. Den Namen haben sie nach ihrem Urkönig Myrmidon.

= Das Grab des Achilleus = Plutarch (ca. 50–120 n. Chr.) schildert (Große Griechen und Römer V, 15), wie Alexander der Große (365–323 v. Chr.), der sich mit Achilleus identifiziert, zu Beginn seines Zuges gegen die Perser jenen Ort bei Troia aufsucht, an dem man Achilleus Bestattung annimmt. Gemäß den antiken Sitten, rennt Alexander nackt die Anhöhe zum Grabmal hinauf, salbt es mit Öl und bekränzt es.

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Bruder Deiphobos ermutigend auf Hektor wirkt, damit er sich dem Kampf stellt. Verwirrend ist das Geschehen. Achilleus schleudert eine Lanze, die Hektor verfehlt. Daraufhin gibt Athena die Lanze an Achilleus zurück. Hektors Lanze prallt von Achilleus’ Schild ab. Als er von seinem Bruder Deiphobos, dessen Gestalt ja Athene angenommen hat, eine Ersatzlanze fordert, ist Deiphobos-Athene plötzlich verschwunden. Hektor stürmt nun Achilleus entgegen und wird von dessen Lanze am Hals durchbohrt. Im Sterben kündigt Hektor den baldigen Tod des Achilleus an und bittet darum, Achilleus möge seine Leiche dem Vater Priamos zurückgeben. Weiterhin erbarmungslos zeigt sich Achilleus. In unermesslichem Rachedurst will er durch die Misshandlung von Hektors Leichnam den Tod seines durch Hektor gefallenen Freundes Patroklos sühnen. Achilleus reißt Hektors Rüstung an sich, gibt den Toten nicht an die 40 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Troianer zurück, durchbohrt dessen Füße, zieht ein Seil durch die Löcher, bindet ihn so an den Wagen und schleift ihn vor den Augen seiner auf den Mauern stehenden Angehörigen durch den Staub ins griechische Lager, schleift ihn später noch mal, sowohl um den aufgebahrten Patroklos als auch um dessen Grabmal. Hektors Eltern klagen. Hektors Gemahlin wird ohnmächtig. Tod der Amazone

Nachdem der Aithiopierkönig Memnon und die Amazonenkönigin Penthesileia den Troianern zu Hilfe geeilt sind, fällt Memnon im Zweikampf gegen Achilleus. Das gleiche Schicksal widerfährt Penthesileia. Als sich Penthesileia und Achilleus gegenüberstehen, gibt es eine kurz aufkeimende Liebe zwischen beiden. Die Amazone flieht und fleht um Gnade. Achilleus sticht sie trotzdem mit dem Schwert nieder. Dass sich Achilleus verliebt in Penthesileia, just im Augenblick, wo er sie tötet, ist anzunehmen, denn er trägt die Amazonenkönigin vom Schlachtfeld und bringt Thersites um, der ihre Leiche geschändet hat. Achilleus wünscht, Penthesileia zu bestatten, während Diomedes sie in den Skamandros wirft. Als Konsequenz des Mordes, den Achilleus an Thersites begeht, entsühnt Odysseus Achilleus – unter Opfern an die Gottheiten Apollon, Leto und Artemis – auf der Insel Lesbos.

= = = = = Tod = = = = = So wollen es die Götter: Nachdem Hektor gefallen ist, soll auch Achilleus sterben. Letzterem gelingt es zwar noch, die Troianer zu den Stadttoren zurückzutreiben und die Torflügel aus den Angeln zu heben. Das vermag er mit seinen übermenschlichen Kräften. Als Apollon dieses Geschehen stoppen will, lenkt Achilleus seinen Pfeil auf den Gott. Apollon nutzt nun sein Wissen von der verletzbaren Ferse des Achilleus, hüllt sich in Wolken, schießt, triff t die ungeschützte Stelle am Fuß des Achilleus. Verletzt kämpft Achilleus weiter, aber Paris versetzt ihm den Todesstoß. Achilleus’ Verwundbarkeit an der Ferse geht zwar auf eine römische Mythosversion zurück, aber sie muss dennoch von einer älteren, wohl nachhomerischen, Erzählung abhängen, weil ein mittlerweile verschollenes Gefäß aus der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. eine Malerei zeigte, die des Achilleus’ Fußverletzung wiedergab. Eine Umzeichnung der Szene ist vorhanAchilleus – König von Phthia | 41

den. Zurück zu Achilleus Tod: Waffenfreunde des Achilleus, der Große Aias und Odysseus, bergen den Toten und bringen ihn vom Schlachtfeld zu den Schiffen. Seine Aufbahrung besorgt Achilleus‘ Mutter Thetis. Der Scheiterhaufen ist größer als alle vor ihm errichteten. Thetis rettet den unsterblichen Teil ihres Sohnes vom angehäuften Holz und entrückt ihn auf die Insel Leuke im schwarzen Meer, die man sich als die Insel der Seligen denkt. Mit den Rüstungen der Erschlagenen wird Achilleus geschmückt. Als letzte Gabe schenkt ihm Briseis eine Locke ihres Haares. Die Verbrennung des Achilleus auf dem Scheiterhaufen erfolgt. Dann wird Achilleus mit Totenklagen und Leichenspielen geehrt. Nachdem Achilleus’ Leib zum Opfer der Flammen geworden ist, legt man seine Asche in ein Grab zu Seiten des Patroklos. Neoptolemos, Achilleus’ Sohn, ersetzt seinen Vater. Die ihn überlebenden Geliebten Briseis und Diomede gehören fortan Neoptolemos. Der unsterbliche Part des Achilleus weilt, s. o., auf der Insel der Seligen, im Elysion / Elysium, der sterbliche Part gelangt in die Unterwelt, den Hades.

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Zeus entscheidet, dass die Griechen nur mit Achilleus über die Troianer siegen können. Zu Beginn der Troianischen Kämpfe mordet Achilleus im Heiligtum des Apollon. Troilos, den jüngsten Sohn des troianischen Königs Priamos, bringt er um. Der dadurch beleidigte Gott Apollon lenkt später den Pfeil des Paris auf die verletzbare Ferse des Achilleus und bestraft so den Frevel des Helden. Zeus entscheidet Hektors Tod, was Apollon zwingt, seinen Schützling Hektor aufzugeben.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Kein Rosenfest für Achilles

Heinrich von Kleist (1777–1811) thematisiert in seiner Tragödie „Penthesilea“ (1809, Urauff ührung 1876), nach freier Umgestaltung antiker literarischer Quellen, wie die Amazonenkönigin auf troianischer Seite in den Krieg um Troia eingreift und Achilles im Zweikampf gegenübersteht. Kleist hat beider 42 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Von der Achillessehne zur Achillesferse = Im Jahr 1693 führt der niederländische Anatom Philipp Verheugen die „Achillessehne“ in den medizinischen Wortschatz ein. Sehnen verbinden bekanntlich das Ende eines Muskels mit dem dazu gehörenden Knochen. Die Achillessehne ist die am Tuber calcanei (Fersenbeinhöcker) ansetzende Endsehne des Musculus triceps surae (Dreiköpfiger Wadenmuskel). Man braucht sie für alle Lauf- und Sprungbewegungen. Einerseits hält sie große Belastungen aus, genau wie der Held Achilleus. Andererseits wird sie bei übermäßiger Belastung funktionsunfähig, ,ganz wie der ganze‘ Held Achilleus. Die Achilleussehne, die kräftig und schwach sein kann, heißt also zu recht nach Achilleus, dessen ihm angeborene Stärke und dessen ihm durch Götterwillen auferlegte Endlichkeit dicht beieinander liegen. Seit dem 18. Jh. wird jene Zone bzw. Problemzone am Fuß, in der sich die Achillessehne befindet, als „Achillesferse“ sprichwörtlich.

= Reflexzonen am Fuß = Fulgentius, ein christlicher Autor (467 / 468 n. Chr.–533 n. Chr.) benutzt in seiner antike Mythen aufnehmenden Schrift den troianischen Haupthelden der Griechen als Sinnbild für die Gefahren der Libido. Warum? Der gläubige Fulgentius weiß: Da die Ferse des Achilleus nicht abgehärtet bzw. nicht unverwundbar ist, und die Venen der Ferse mit den Organen der Leidenschaft und der Lust verbunden sind, muss Achilleus zum Opfer seiner sexuellen Begierde werden und letztlich sterben. ,Sehr weit gegriffen und ein wenig spottend könnte man also Achilleus und Fulgentius als Wegbereiter der Reflexzonentherapie am Fuß auffassen.‘ Bei dieser Behandlungsmethode werden drucksensible Zonen an den Fußsohlen stimuliert, die das ihnen zugeordnete Organ oder System des Körpers als behandlungsbedürftig erkennen lassen.

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Namen eingedeutscht (Penthesilea statt Penthesileia, Achilles statt Achilleus). Voneinander fasziniert sind die Kontrahenten Penthesilea und Achilles. Trotzdem kämpfen sie. Als das Rosenfest stattfinden soll, für das genügend Männer gefangen genommen sind, um den Fortbestand des Amazonenstammes zu garantieren, versucht Penthesilea, Achilles zu bekommen, obgleich es nicht Achilleus – König von Phthia | 43

erlaubt ist, einen bestimmten Mann für die Paarung auszusuchen. Achilles besiegt Penthesilea. Prothoe, die Vertraute der Amazonenkönigin, überredet Achilles, die ohnmächtig gewordene Penthesilea glauben zu lassen, nicht er habe sie, sondern sie habe ihn besiegt. Eine Liebesszene zwischen beiden wird durch das Vordringen des Amazonenvolkes gestört. Die Amazonen entdecken die Täuschung. Kampfgetümmel folgt. Achilles tritt zum Schein gegen Penthesilea an. Diese überreagiert, zerfleischt den Mann ihrer Begierde. Die Hundemeute hilft dabei. Sterbend ruft Achilles: „Meine Braut! Was tust du? Ist dies das Rosenfest, das du versprachst?“ Achilleus auf Korfu

Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837–1898), sehr berühmt als Sissi, weniger beachtet als Kennerin des Neugriechischen – nach einem ca. dreijährigen intensiven Studium übersetzte sie Werke Shakespeares aus dem Englischen ins Neugriechische – hatte eine ganz besondere Beziehung zu Achilleus, so dass sie ihr Schloss – sie ließ es 1889–1891 im Dörfchen Gastouri, ca. 15 km südlich von Korfu / Kerkyra-Stadt errichten – nach dem Helden benannte. Elisabeth erklärte: „Es ist Achilleus, dem ich meinen Palast geweiht habe, weil er für mich die griechische Seele personifiziert und die Schönheit der Landschaft und der Menschen.“ Die Traumimmobilie hoch über der Bucht von Benitses, ein Bauwerk des Historismus, ist sehenswert und verdient nur bedingt die arrogante Gesamteinschätzung ,kitschig kaiserliche Sommerresidenz‘.

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Blicketausch zwischen Leben und Tod

Achilleus gibt der ihn flehentlich anblickenden Penthesileia den tödlichen Stoß. Dieses Geschehen stellt der Töpfer und Vasenmaler Exekias eindrucksvoll dar an einer um 550 / 540 v. Chr. entstandenen Halsamphora (London, Britisches Museum B 210). Mit der Rechten senkt Achilleus den Speer in den Oberkörper Penthesileias, die vor ihrem Angreifer in die Knie gesunken ist. Dass sich Achilleus verliebt in Penthesileia, just dann, wenn er sie niedersticht, mag man glauben. Der Eindruck setzt sich ebenfalls frei im Innenbild einer um 470 / 460 v. Chr. zu datierenden Trinkschale (München, Antikensammlun44 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

gen 2688 / J 370). Es zeigt: Achilleus hat das Schwert in Penthesileias Brust gestoßen. Noch ist die Amazonenkönigin kräftig genug, ihn intensiv anzuschauen. Spezialforschungen zur Bildkunst

Achilleus Zorn und seine Auswirkungen auf die Kämpfe um Troia sind ein wichtiges Thema für die Kunstepoche der Klassik im 5. und 4. vorchristlichen Jahrhundert. In der sich anschließenden Kunstepoche des Hellenismus (3.–1. Jh. v. Chr.) existierten „Bilderbücher“, die Achilleus fatalen Part im Troianischen Krieg aufzeichneten. Und ebendiese hellenistischen „Bilderbücher“ wurden in der auf die Hellenistische Kunstepoche folgenden Römischen Kunstepoche zu Textillustrationen und Gemäldezyklen verwendet.

Achilleus – König von Phthia | 45

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Stolzer Oberbefehlshaber voll Egoismus = Agamemnon – König von Mykene

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Geburtsort: Mykene Vater: Atreus Mutter: Aerope Ehefrau: Klytaimnestra Geliebte: Chryseis, Kassandra Kinder: Iphigenie, Elektra, Orestes

Agamemnon – König von Mykene

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Agamemnon entstammt durch seinen Vater Atreus dem Geschlecht des Tantalos, auf dem ein Fluch liegt. Mit seinem Bruder Menelaos – Gemahl Helenas, deren Raub den Troianischen Krieg auslöst – dürfte er wohlbehütet bei Spiel und Waffenübungen im väterlichen Palast aufgewachsen sein.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Selbstgefällig handelt Agamemnon, denn willkürlich gibt er egoistischen Befindlichkeiten und gemeinen Machtinstinkten nach. Stets fordert er die beste Beutefrau. Stark ausgeprägt ist das Bedürfnis, seinen Rang als König für eigene Vorteile zu nutzen und seinen Status deutlich sichtbar zu unterstreichen durch ein ganz besonderes Szepter aus Elfenbein. Der Schmiedegott Hephaistos hat es einst für Zeus gefertigt. Schon Agamemnons Vorfahren führen es als Zeichen der Legitimation durch den obersten der olympischen Götter. Das außergewöhnlich prächtige Herrschaftssymbol mag Agamemnons äußere Erscheinung unterstrichen und von seinem untersetzten Körperbau abgelenkt haben. 46 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Er will seine Tochter opfern

Agamemnon, oberster Heerführer der Griechen, kommandiert die meisten Schiffe der Flotte, die einsatzbereit im Hafen von Aulis (Mittelgriechenland, ca. 20 km östlich vom heutigen Theben) liegt. Nach Troia will man segeln, aber eine Windstille lähmt. Der Seher Kalchas weiß, warum nicht die geringste Brise aufkommt. Schuld daran ist Agamemnon. Gerühmt hat er sich nämlich, das Waidwerk besser zu beherrschen als die Jagdgöttin Artemis. Durch sein Geschoss ist außerdem eins ihrer heiligen Tiere gestorben. Zur Strafe sendet Artemis Wetterverhältnisse, die das Starten der Schiffe vereiteln. Grausames verlangt die Göttin: Agamemnon soll seine Tochter Iphigenie am Altar der Artemis opfern, um als Gegenleistung günstigen Fahrtwind zu erhalten. Trotz der Einwände seiner Frau Klytaimnestra, stimmt Agamemnon – von seinem Bruder Menelaos unter Druck gesetzt – schließlich der Opferung zu. Unter dem Vorwand, Iphigenie solle dem Achilleus vermählt werden, kommen Gattin und Tochter aus Mykene. Klytaimnestra ist entsetzt, denn sie versteht die Vorbereitung im Heiligen Hain der Artemis und ahnt, was wirklich bevorsteht. Als Kalchas das Opfermesser in seiner Hand hält, fühlt sich Artemis versöhnt und erlöst Iphigenie. An die Stelle des Mädchens legt sie eine Hirschkuh auf den Altar und entrückt Iphigenie ins ferne Taurien (Krimhalbinsel), wo sie der Göttin als Priesterin dient. Agamemnon kann die wunderbare Rettung der Tochter seiner Gattin nicht mehr mitteilen. Diese hasst ihn fortan, weil er die Opferung des Mädchens befürwortet hat. Er verlangt die attraktive Sklavin

Agamemnon nennt eine begehrte Beutefrau sein eigen, liebt diese Chryseis mehr als seine Gattin, möchte sie an sich binden, obgleich es religiöse Pflichten verbieten, denn sie ist die Tochter des Chryses, eines Apollonpriesters, der Agamemnon vergeblich um die Rückführung seiner Tochter bittet. Sogar üppige Geschenke bringt Chryses – von seinem Wohnort Chryse an der Südküste der Troas – ins griechische Lager, aber sie bewegen Agamemnon nicht zur Herausgabe seiner Sklavin, obgleich Chryseis, selbst eine Apollonpriesterin, unter dem Schutz des Gottes steht. Der verzweifelte Vater wendet sich an Apollon, seinen ,obersten Dienstherren‘. Der Gott hilft und schickt die Pest ins griechische Agamemnon – König von Mykene | 47

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v = Priamos schwärmt von Agamemnon = „Doch so schön ist keiner mir je vor den Augen erschienen, / Noch so edler Gestalt; denn königlich scheint er von Ansehn!“ (Ilias 3, 169–170)

= Eine solche Rüstung hat nicht jeder = „Atreus’ Sohn gebot […] / Schnell sich zu gürten, und hüllte sich selbst in die funkelnde Rüstung. / Eilend legt’ er zuerst um die Beine sich bergende, blanke / Schienen, zusammengefügt mit Knöchelspangen von Silber; / Zweitens dann bedeckt’ er die Brust mit dem ehernen Harnisch. / […] / Diesen schmückten fürwahr zehn Streifen aus bläulichem Smalte [Glasschmelz, Email] / Zwölf aus lauterem Gold und zwanzig von glänzendem Zinne; / Bläulicher Drachen drei erhoben sich gegen den Hals zu / Beiderseits, wie Regenbogen, die Zeus in den Wolken / Hoch errichtet, dem sterblichen Menschengeschlechte zum Zeichen. / Über die Schultern warf er das Schwert, an welchem die Nägel / Golden erglänzten; in silberner Scheide steckte die Klinge, / Festgehalten am Wehrgehenk von goldenen Bändern. / Darauf ergriff er den mannenbedeckenden, herrlich gezierten, / Wuchtigen Schild, um welchen herum zehn eherne Reifen / Liefen; und ferner bedeckten ihn zwanzig zinnerne, helle / Buckel, der mittelste war aus dunkelglänzendem Smalte. / Auch die Schreckengestalt der Gorgo blickte vom Schilde / Drohend herab, umringt von Dämonen der Furcht und des Grauens. / Silbern war des Schildes Gehenk, darauf sich ein Drache / Wand aus bläulichem Schmelz: drei Häupter entwuchsen dem einen / Halse des Wurms und reckten sich ringelnd aus nach den Seiten. Darauf bedeckt er das Haupt mit des Helmes vierknaufiger Kuppel, / Roßhaarumwallt, und fürchterlich winkte hernieder der Helmbusch. / Endlich faßte der Held zwei erzbeschlagene, spitze / Mächtige Lanzen, von denen das Erz bis ferne zum Himmel / Glänzte; dazu noch donnerten dumpf Athene und Here, / Ruhm zu spenden dem Herrscher der golderfüllten Mykene.“ (Ilias 11, 15–46)

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Lager. Seher Kalchas weiß, dass die göttliche Strafe nur abgewendet werden kann, wenn Chryseis zu ihrem Vater zurückkehrt. Durch die verheerende Krankheit existentiell bedroht, zwingen die Griechen ihren Oberbefehlshaber, auf die Frau zu verzichten. Der gekränkte Agamemnon fordert nun als Gegen48 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

leistung Briseis, die von Achilleus geliebte Sklavin. Streitend reagieren die Gegenspieler Agamemnon und Achilleus, aber Athene greift schlichtend ein. Herolde – Talthybios und Eurybates – führen Briseis zu Agamemnon. Unermesslich ist Achilleus‘ Zorn über den Verlust der Briseis. Er begibt sich zu seinen Schiffen und bleibt dem Kampf fern. Somit hat Agamemnon durch seinen Egoismus die Aktionen der Waffengefährten zunächst in eine Richtung geleitet, denn ihm ist ja bekannt: Kämpfen die Griechen ohne Achilleus gegen die Troianer, müssen sie sieglos bleiben. Verständlich also, dass Agamemnon zunächst zum Rückzug rät. Erst beeinflusst durch Odysseus, den Athene und Hera manipulieren, tendiert Agamemnon wieder zur kriegerischen Auseinandersetzung. Er verantwortet wichtige Initiativen

Im Laufe des Kampfgeschehens um Troia greift Agamemnon mehrfach entscheidend ein. Er erklärt seinen Bruder Menelaos zum Sieger über Paris, der durch göttliche Einmischung vom Schlachtfeld verschwunden ist. Er initiiert einen Spähtrupp ins troianische Lager. Er rät zweimal zum Rückzug der Griechen. Er gibt schlussendlich, nach langwierigem Zögern, Briseis an Achilleus zurück.

= = = = = Heimkehr aus Troia = = = = = Als der Kampf um Troia zugunsten der Griechen beendet ist und die Kriegsbeute verteilt wird, erhält Agamemnon die begehrenswerte und rätselhafte Seherin Kassandra, die Tochter des troianischen Königs Priamos. Er nimmt sie mit nach Mykene. Seine Heimkehr in Begleitung der schönen bedeutenden Sklavin und Geliebten bringt ihm Unglück.

= = = = = Tod = = = = = Agamemnon kehrt zwar relativ problemlos nach Mykene zurück, aber als er sich wieder in seinem Palast befindet, tötet ihn seine Frau, weil sie ihm noch immer nicht verzeiht, dass er einst der Opferung der gemeinsamen Tochter Agamemnon – König von Mykene | 49

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v = Platzhirsch gegen Platzhirsch = „Auch dein Grollen veracht̕ ich; vielmehr noch droh ich dir also: / Weil mir Chryses’ Tochter von Phoibos Apollon geraubt wird, / Werde ich diese mit meinem Schiff und meinen Genossen / Senden; doch hole ich dann die rosige Tochter des Briseus / Selbst mir aus deinem Zelte, dein Ehrengeschenk: daß du lernest, / Wie viel höher ich sei als du, und ein anderer zage, / Gleich sich mir zu dünken und offen zu trotzen ins Antlitz!“ (Ilias 1, 182–187)

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Iphigenie zugestimmt hat. Mittlerweile regiert Königin Klytaimnestra Agamemnons Reich. Aighistos, ihr Vetter und Geliebter, unterstützt sie dabei. Den zurückgekehrten Gatten erfolgreich täuschend, heuchelt sie Wohlwollen. Als er dann ohne Waffen und Kleidung im Bad verweilt, stürmen Klytaimnestra und Aighistos aus ihrem Versteck. Sie werfen Netz oder Tuch über Agamemnon. Klytaimnestra tötet den Wehrlosen. Das verräterische Paar bahrt den Leichnam des ermordeten Königs auf, stellt ihn zur Schau, bezichtigt ihn des Tochtermordes und des Ehebruchs mit Kassandra. Aighistos und Klytaimnestra können ihre Herrschaft festigen. Orestes, der Sohn des Agamemnon und der Klytaimnestra, rächt den Mord an seinem Vater später. Herangewachsen bringt er seine Mutter um.

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Artemis straft Agamemnon, weil er sie beleidigt hat. Sie verlangt von Agamemnon seine Tochter als Opfer. Ist es vollzogen, soll die verursachte Windstille aufgehoben werden, damit die griechische Flotte gen Troia absegeln kann. Apollon sendet die Pest ins Lager der Griechen, weil ihr Oberbefehlshaber Agamemnon den Apollonpriester Chryses missachtet. Athena mischt sich schlichtend in die Auseinadersetzung zwischen Agamemnon und Achilleus ein. 50 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Epische Beiwörter nach Udo Reinhardt = Agamemnon … der verständige, der weit herrschende Herr der Männer.

= Menschenopfer = Obgleich die Göttin Artemis von Agamemnon die Opferung seiner Tochter Iphigenie verlangt (s. o. Das machte ihn berühmt – Er will seine Tochter opfern) wird die schreckliche Tat nicht vollzogen, sondern die Göttin entrückt das Mädchen nach Taurien. Diese Wendung im Mythos könnte sich daraus ergeben haben, dass die Griechen derartige Menschenopfer als altertümlich-fremdartig auffassten, sie aus ihrer vertrauten Welt entfernten, um das Grausame in einem unbekannten Land stattfinden zu lassen. Dort bei den Barbaren in Taurien muss Iphigenie, die auf wunderbare Weise ihrer eigenen Opferung entging, dann selbst – als Priesterin der Artemis – Menschen am Altar der Göttin töten. Ein solches Los triff t an den Ufern Tauriens gescheiterte Fremde. Sowohl die Tragödie des Euripides (ca. 412–408 v. Chr.) „Iphigenie bei den Taurern“ als auch das Schauspiel des Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) „Iphigenie auf Tauris“ thematisieren Iphigenies Schicksal. Zumindest in der Welt der ,Bildungsbürger’ ist ,Goethes Iphigenie‘ noch präsent, wenn sie sich an ihren Deutschunterricht erinnern, als so manche gelungene oder misslungene Klassenarbeit um Iphigenies Schicksal kreiste.

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x = = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = =

Ein Historiengemälde vom Feinsten

Die Académie Royale de peinture et de sculpture (Königliche Akademie für Malerei und Skulptur) schrieb seit dem 17. Jahrhundert den Prix de Rome (Rompreis) aus. Nach der Französischen Revolution (1789) wurde sie 1793 zwar geschlossen, aber die 1803 neu gegründete Académie des Beaux-Arts übernahm die Organisation dieser begehrten Förderung für Künstler. Wer den Wettbewerb gewann, erhielt ein Rom-Stipendium. Dieses erreichte Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780 –1867) mit seinem Historiengemälde „Achill empfängt die Bittgesandtschaft des Agamemnon“ als Preisträger des Jahres 1801. Agamemnon – König von Mykene | 51

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Auf der Suche nach Agamemnons Gesichtszügen

Im Erdgeschoss des Archäologischen Nationalmuseums zu Athen gibt es jenen großen rechteckigen Saal mit Zeugnissen der mykenischen Zivilisation. In Mykene – dem mächtigsten Ort dieser Kultur – und in anderen mykenischen Zentren – wie Argos, Pylos, Tiryns – fand man die ausgestellten Stücke. Fast alle stammen aus Gräbern. Besondere Anziehungskraft haben spektakuläre Masken aus getriebenem Goldblech, welche im 16. Jh. v. Chr. das Gesicht toter mykenischer Herrscher bedeckten. Sogar ,Pauschaltouristen‘, die kaum an der Antike interessiert sind, stehen fasziniert vor der Gesichtsmaske mit der runden Kinnpartie (Nr. 623), die wie ,ein Mond‘ aus ihrer Vitrine leuchtet, oder bestaunen die Gesichtsmaske mit dem spitzen Kinn (Nr. 624), die noch immer als ,Konterfei des Agamemnon‘ vermarktet wird, obgleich Agamemnon, wenn man ihn und den troianischen Krieg denn überhaupt ,glaubhaft sicher datieren könnte‘, erst ca. 300 Jahre nach Entstehung der goldschimmernden Gesichtsmasken lebte.

52 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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Beliebt bei den Göttern und behende bei den Troianern = Aineias / Aeneas

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Geburtsort: Troia Vater: Anchises Mutter: Aphrodite Ehefrau: Kreousa  / Creusa, Lavinia Kinder: Askanios  / Ascanius  / Iulus

Aineias / Aeneas

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Aineias, Urenkel des Laomedon, Enkel des Priamos, Sohn der Liebesgöttin Aphrodite und des Troianers Anchises, ist halbgöttlicher Herkunft. In seinem Namen spiegelt sich „Ainos“ / Leid. Das erklärt sich so: Aphrodite leidet, dass sie, die hehre Göttin, aus Lust auf Liebesverkehr mit einem ,menschlichen Mann‘, sich diesem für wenige Augenblicke des Glücks unterworfen hat. Folgendermaßen kommt es zu diesem Procedere und zu der Zeugung des Aineias. Zeus ärgert sich über Aphrodite, die Gottheiten verhöhnt, welche sich in sterbliche Frauen oder sterbliche Männer verlieben. Er ist besonders aufgebracht, weil er ja selbst zu den von solchen amourösen Abenteuern reichlich Betroffenen zählt. Also rächt sich der oberste der olympischen Götter. Er senkt Aphrodite die Sehnsucht zu Anchises, einem Mann der alltäglichen Welt, ins Herz. Machtlos gegen ihr Verlangen, naht sie sich so eines Tages Anchises, als dieser seinen Viehbesitz auf dem Berg Ida bei Troia hütet. Diese Arbeit ist nicht unwürdig für einen königlichen Spross in den alten Zeiten des Mythos. Aphrodite gibt sich als Tochter des phrygischen Königs Otreus aus. Rasch erfüllt sich ihr Wunsch und Anchises verbindet sich voller Liebe mit Aphrodite. Er ahnt nicht, dass er ein Kind gezeugt hat, weiß auch nicht, dass er mit keiner geringeren als der Liebesgöttin geschlafen hat, wähnt sich glücklich, für kurze Zeit nur. Als er erfährt, Aphrodite ist bei ihm gewesen, fürchtet er, eine solche LiaiAineias / Aeneas | 53

son könne ihm schaden. Diesbezüglich teilt er sich der Liebesgöttin mit, die seine Bedenken zerstreut und erklärt, sie werde beider Sohn im Idagebirge gebären, das Baby namens Aineias den Nymphen zur Pflege übergeben und im Kleinkindalter von fünf Lebensjahren seinem Vater zuführen. Mehr noch schmälert Aphrodite des Anchises Besorgnis, weil sie beteuert, er müsse keine Unannehmlichkeiten erleiden, wenn er niemandem verrate, wer die Mutter des Knaben sei und behaupte, eine Nymphe habe ihn geboren. Anchises akzeptiert die Bedingungen der Liebesgöttin, bis ihm irgendwann die Wirkungen des Weines schaden. Berauscht verrät er seine Verbindung mit Aphrodite. Daraufhin schleudert Zeus einen Blitz nach ihm, der ihn lähmt und erblinden lässt.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Pflichtbewußt, gehorsam, familientreu, so mag man das Wesen des Aeneias  / Aeneas benennen, denn er ist mutig im Kampf, erfüllt göttliches Gebot, rettet seinen Vater aus dem brennenden Troia. Sehr gut mag er ausgesehen haben bezüglich Physiognomie und Korpus, denn als Nachwuchs der Aphrodite und des Anchises – des einst von der Liebesgöttin erkorenen faszinierenden Jünglings – garantieren ihm seine Erbanlagen ein makelloses Erscheinungsbild.

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Mehrere göttliche Hilfeleistungen

Im Zweikampf mit Diomedes wird Aineias schwer verletzt. Als seine Mutter Aphrodite ihm helfen will, verwundet Diomedes die Liebesgöttin an der Hand. Sie flüchtet mit dem Gespann des Kriegsgottes Ares in den Olymp. Apollon wendet das probate göttliche Mittel der Entrückung an, befördert Aineias nach Pergamon, heilt ihn und bringt ihn anschließend auf das Schlachtfeld zurück. Viel später, als Zeus die Götter animiert, in die Kämpfe zwischen Griechen und Troianern einzugreifen, beleidigt Aineas seinen Gegner Achilleus mit Worten und zählt seinen Stammbaum auf. Dann kommt es zum Kampf zwischen den Kontrahenten. Aineias ist mutig, weil ihn Apollon ermuntert. Dennoch benötigt er göttliche Hilfe, um nicht zu unterliegen. Poseidon entrückt Aineias aus der 54 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Gezeugt auf dem Ida = „Und die Dardaner führte der wackere Streiter Aineias, / Den Aphrodite, die Herrin, empfing vom Helden Anchises, / Als im Idagebirge die Göttin dem Menschen sich paarte … „(Ilias 2, 819–820)

= Muttergefühl = „Dort nun wär’er gestorben, der Männergebieter Aineias, / Hätte nicht jäh es bemerkt die Tochter des Zeus, Aphrodite, / Seine Mutter, die einst ihm dem Hirten Anchises geboren. / Diese umschlang den geliebten Sohn mit den glänzenden Armen, / Breitete über ihn dann die Falten des Strahlengewandes / Gegen den Wurf, daß keiner der rossetummelnden Feinde / Jetzt in die Brust ihm bohrte das Erz und das Leben entrisse. / Heimlich entführte sie nun den geliebten Sohn dem Gefechte.“ (Ilias 5, 311–318)

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Schlacht, was verwundert, da der Meeresgott griechenfreundlich und troianerfeindlich ist. Diese Einstellung gegen die Troianer resultiert aus der Unaufrichtigkeit von Aineias‘ Urgroßvater Laomedon, der Poseidon den einst versprochenen Lohn für die Hilfe bei der Errichtung der Stadtmauern vorenthalten hat. Eine lange Reise nach Westen

Aeneias rettet sich zusammen mit Vater, Sohn und anderen Troianern aus der zerstörten Stadt, um eine neue Heimat weit im Westen zu suchen. Manche ,Reisestationen‘ zeigen Parallelen zu den gefährlichen Abenteuern des Odysseus (s. u. Odysseus – König auf einer kleinen Insel – Der Listige und das Pferd). Der Bericht von Aeneias’ Irrfahrten spielt Jahrhunderte später, im Mythos von der Herausbildung Roms, eine wichtige Rolle und wird deshalb hier folgend nach der „Aeneis“ des Publius Vergilius Maro (70 v. Chr.–19 n. Chr.) zusammengefasst in der Reihenfolge der zwölf Bücher des, üblicherweise Vergil genannten, in Latein schreibenden Autors. Bei der Inhaltsangabe der „Aeneis“, s. u., sind hinter den lateinischen Götternamen die griechischen Götternamen in Klammern angegeben. Aineias / Aeneas | 55

1. Buch

Juno (Hera) sendet einen Sturm über das Meer. Aeneas’ Schiffe stranden an der nordafrikanischen Küste, wo ihn die verwitwete Königin Dido in Karthago (Tunis), der von ihr selbst gegründeten phönizischen Siedlung, gastlich aufnimmt. Bald organisiert Venus (Aphrodite), dass sich der Sohn des Aeneas, Ascanius, in Gestalt des kleinen Liebesgottes Amor (Eros) beim Gastmahl auf Didos Schoß setzt und der Königin Liebe zu Aeneas ins Herz senkt. Damit der wirkliche Ascanius nicht stört, entrückt ihn Venus an ihre Kultstätte. 2. Buch

Aeneas erzählt Dido vom Sieg der Griechen über seine Stadt, von der ihm seitens Jupiter (Zeus) angeratenen Flucht aus Troia und vom Auftrag des Gottes, eine neue Stadt zu gründen. Die Königin erfährt ferner: Es ist ihm gelungen, nicht nur mit Sohn Ascanius, sondern auch mit Vater Anchises und den Penaten – so heißen die Staatsgötter – zu entkommen. 3. Buch

Von den Irrfahrten ihres Gastes hört Dido nun. Thrakien, die Inseln Delos, Kreta, dann die Inselgruppe der Strophaden im Ionischen Meer sind als neue Siedlungsgebiete ausgeschieden. An Ithaka segelt man vorbei, verweilt in Actium am Golf von Ambracia, kommt nach Buthrotum in Epirus, wo Helenos, ein anderer Sohn des Priamos, über ein schon neu errichtetes Troia herrscht. Da es in der Umgebung jedoch feindliche Griechen gibt, setzen Aeneas und seine Begleitung die Fahrt fort. Sie starten vom Strand am Fuße des Kerauniagebirges im heutigen Südalbien und erreichen die Ostküste Italiens, dann Sizilien, geraten in der Strasse von Messina in Seenot (Skylla und Charybdis) und werden an das Gestade der Kyklopen gespült. Dort nehmen sie Achaemenides mit, der einst zum Gefolge des Odysseus gehörte und in der Kyklopenhöhle zurückblieb. Sie entkommen dem einäugigen Anführer der Kyklopen, Polyphem, und seinen Gefährten. An die Westküste Siziliens, nach Drepanum, gelangen sie. Dort stirbt Anchises. Nach der Bestattung seines Vaters kann sich Aeneas samt des ihm verbliebenen troianischen Gefolges durch göttliche Hilfe nach Karthago retten, wo Königin Dido also vernimmt, was Aeneas bis zu seiner Ankunft bei ihr widerfahren ist.

56 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Die Aeneis zu kennen, schadet nicht = Hätten sich Aphrodite und Anchises auf dem Berg Ida in der troianischen Landschaft nicht geliebt, wäre Aineias / Aeneas nicht auf die Welt gekommen und wäre das „Nationalepos der Römer“ vielleicht ganz anders ausgefallen. Die „Aeneis“, (Publius Vergilius Maro, 70–19 v. Chr., mit heutigem Namen Vergil), von den Irrfahrten des Aeneas bis zu dessen Ankunft in Latium handelnd, ist ein Versepos in zwölf Büchern (s. o. Das machte ihn berühmt – Eine lange Reise nach Westen). Nach Vergils Tod haben zwei Nachlassverwalter das Werk herausgegeben. Es gehört zu den berühmtesten und bedeutendsten Werken der lateinischen Dichtkunst und behält seinen Nimbus bis in die Neuzeit. So gibt es kaum einen kulturgeschichtlichen Überblick zu Europas ,Sternstunden‘, der die Flucht des Aineias / Aeneas aus Troia und seine Landung an Italiens Gestaden unterschlägt, wo ihm König Latinus die Hand seiner Tochter Lavinia und den Siedlungsplatz für Lavinium schenkt.

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4. Buch

Juno (Hera) und Venus (Aphrodite) favorisieren Didos Vereinigung mit Aeneas. Während eines Unwetters, das bei einer Jagd losbricht, begeben sich Dido und Aeneas in eine Höhle. Sie lieben einander. Als Jupiter (Zeus) davon erfährt, befürchtet er, Aeneas könne die ihm befohlene Aufgabe, die Stadt Rom zu gründen, durch die Neigung zu Dido vernachlässigen. Sofort schickt er Mercurius (Merkur), der Aeneas an seine Schicksalsverpflichtung erinnert. Heimlich verlässt Aeneas die Königin. Sie fühlt sich zutiefst verraten. Aus enttäuschter Liebe besteigt sie einen Scheiterhaufen, wird verbrennen, tötet sich zuvor mit einem Schwert, das ihr Aeneas geschenkt hat. Juno (Hera) verkürzt Didos Todeskampf. Sie entsendet Iris, die in der Römischen Götterwelt keinen lateinischen Namen hat. In einem Regenbogen naht die Götterbotin Iris. Sie schneidet eine Locke aus Didos Haupthaar, die sie sodann als Gabe in die Unterwelt weiht. 5. Buch

Auf der Reise von Karthago nach Italien sieht Aeneas von fern den brennenden Scheiterhaufen Didos. Später kommt er, gezwungen durch stürmische Aineias / Aeneas | 57

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v = Begehrte Familienbande = Aineias / Aeneas gelingt es, Troianer und einheimische Bevölkerungsgruppen nach anfänglichen Kämpfen zum Volk der Latiner zu vereinen. Er gründet Lavinium, wo er als Pater (Vater) verehrt wird. Nach dem Tod des Aeneas herrscht seine Gemahlin Lavinia über die Stadt. Als Ascanius / Iulus, der troianische Sohn der Kreusa / Creusa und des Aineias / Aeneas, herangewachsen ist, gründet er das latinische Alba Longa, dessen Tochterstadt Rom sein wird. Dass auch Romulus als Gründer der Stadt Rom punktet, darf nicht irritieren, denn troianischer und römischer Gründungsmythos Roms machten sich keine Konkurrenz, sondern geschickte literarische und politische Kunst verknüpften sie. Noch Gaius Iulius Caesar (100–44 v. Chr.) und der von Caesar adoptierte Octavianus, der spätere Kaiser Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.), werden nicht müde, Ascanius / Iulus als ihren „Urahnen“ zu ehren. Auf letzteren führen sie ihre Familie der Iulier zurück. Also leuchtet ein, dass Caesar Münzen prägen lässt, die auf der Vorderseite den Kopf der Aphrodite / Venus – sie ist ja die Großmutter des Ascanius / Iulus – abbilden, und die auf der Rückseite Aineias / Aeneas mit seinem Vater Anchises – dem einstigen Geliebten der Aphrodite / Venus – und das Palladion, jenes heilige Athenebild Troias, zeigen. Da Octavianus Augustus bereitwillig die Abstammung seines Adoptivvaters übernimmt, muss er auch daran glauben, dass Roms Geschichte mit der Flucht des Aineias / Aeneas aus Troia beginnt und er, Octavianus / Augustus, ein neues segensreiches Zeitalter einleitet nach den schrecklichen Jahren der Bürgerkriegswirren. Also beginnt die Geschichte der Römer mit dem Untergang Troias, vernetzt sich über Aineias / Aeneas und dessen Sohn Ascanius / Iulus mit Romulus, dem Abkömmling des Kriegsgottes Mars und der Priesterin Rhea Silvia / Ilia. Somit ist ein griffiger ,römischer National- bzw. Staatsmythos‘ festgedacht und festgeschrieben, welcher spätrepublikanischen und kaiserzeitlichen Biographien nutzt. In der Neuzeit haben Dichter, Literaten und Zeugnisse der Bildenden Kunst – man beachte auch die Blätter der Druckgraphik – den spannenden Mythos von Troia bis Rom durch die Jahrhunderte hindurch variationsreich aufgearbeitet.

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58 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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See, abermals nach Sizilien, wird dort von König Alcestes freundschaftlich aufgenommen, opfert am Todestag seines Vaters – Anchises ist ja dort auf Sizilien bestattet – an dessen Grab und veranstaltet Leichenspiele, in deren Verlauf die troianischen Mütter um Anchises trauern und durch Täuschungen seitens Juno (Hera) und Iris die Flotte anzünden, weil sie ansässig werden möchten. Vier Schiffe verbrennen. Die restlichen rettet Jupiter (Zeus) durch Regen. Aeneas folgt seinem Ratgeber Nautes, Frauen und Greise auf Sizilien zurückzulassen und dort eine Stadt für sie einzurichten. Er tut es bereitwillig, weil auch der ,Geist‘ seines Vaters in den Elysischen Gefilden – das sind die Inseln der Seligen – gleichermaßen rät und ihm weissagt, dass seine Nachfahren Roms Existenz verantworten werden. Vom zuvor gegründeten Segesta reist Aeneas dann mit einer begrenzten Zahl troianischer Männer ab. Reichlich fließen die Tränen bei den Zurückbleibenden. Aeneas neue Fahrt gelingt, weil Venus (Aphrodite) den Meeresgott Neptun (Poseidon) beeinflusst, sich mit dem stets achtsamen Steuermann Palinurus als Opfer zufrieden zu geben. Als Aeneas bemerkt, dass Somnus, eine göttliche Personifikation des Schlafs, den Palinurus samt seines Steuers hat über Bord gehen lassen, übernimmt Aeneas die Lenkung des Schiffes und geleitet es sicher an den Inseln der gefährlichen Sirenen vorbei. 6. Buch

An Italiens Westküste triff t Aeneas die Sibylle von Cumae, betritt mit ihr die Welten der Schatten. Dort begegnet er seinem Vater Anchises, der ihn auf Roms große Zukunft hinweist. Auch die durch Selbsttötung gezeichnete Dido sieht er. Keine Beachtung schenkt sie ihm. 7. Buch

Aeneas bittet den in Latium regierenden König Latinus um ein Siedlungsgebiet. Dieser heißt ihn willkommen, denn ein Orakel hat ihm Aeneas als Gatten für seine Tochter Lavinia angekündigt. Also möchte er sie Aeneas gern zur Frau geben. Juno (Hera) ist dagegen und schickt eine für Krieg und Zwietracht zuständige Furie namens Allecto, die nun, nicht nur Amata, Gattin des Latinus, sondern auch Turnus, den um Lavinia werbenden Fürsten der Rutuler, gegen Aeneas aufhetzen soll. Der Plan gelingt. Verbündete kommen Turnus zu Hilfe. Aineias / Aeneas | 59

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v = Zwei historische Anspielungen = Die erste: Einst verlässt Aeneas die karthagische Königin Dido. Bevor sie sich aus Gram darüber tötet, spricht sie den Fluch aus: Niemals bestehe ein Einvernehmen zwischen ihrem phönizischen Volk und dem römischen Volk des Aeneas. Aus solch hasserfülltem Wunsch lässt sich eine Ankündigung der Punischen Kriege – die Römer bezeichnen die Phönizier Nordafrikas als Punier – zwischen Rom und Karthago interpretieren. Im dritten Punischen Krieg (149–146 v. Chr.) wird Karthago im nördlichen Afrika von den Römern zerstört. Die zweite: Einst streift Aeneas jenes Actium auf seiner Reise nach Westen, bei dem Octavian, der spätere Kaiser Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.) am 2. September 31 v. Chr. über seine Gegenspieler Marcus Antonius (86 / 83–30 v. Chr.) und Ägyptens Königin Kleopatra VII. (69–30 v. Chr.) siegen wird.

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8. Buch

Auf Anraten des Flussgottes Tiberinus sucht sich nun Aeneas seinerseits Waffenhilfe, findet sie u. a. bei den Etruskern. Von Vulcanus (Hephaistos) erhält Aeneas einen Schild, auf dem zukünftige historische Geschehnisse im römischen Reich dargestellt sind. 9. Buch

Die Troianer um Aeneas und die Anhänger des Turnus bieten sich heftige Auseinandersetzungen. Nur durch göttliche Hilfe seitens der Großen Göttermutter Cybele (Kybele) vom Berg Ida bei Troia wird die Flotte des Aeneas gerettet. Nisos und Euryalus, durch Freundschaft verbundene Troianer, metzeln zahlreiche Anhänger des Turnus nieder. Beide finden dann selbst den Tod und ihre abgeschlagenen Köpfe werden den Troianern auf Lanzenspitzen präsentiert. Turnus erreicht im folgenden Kampfgeschehen das troianische Lager, bleibt sieglos, rettet sich springend in den Tiber. 10. Buch

Eine Götterversammlung, in deren Verlauf sich Juno (Hera) und Venus (Aphrodite) streiten, beendet Jupiter (Zeus) durch seine Entscheidung, die 60 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Troianer und die Rutuler aus eigener Kraft gegeneinander kämpfen zu lassen. Die Troianer sind überlegen. 11. Buch

Beide Parteien bestatten ihre Gefallenen während eines Waffenstillstands. Die Herrscher Latinus und Turnus verhandeln zwar, aber es gibt einen neuen Kampf um die Stadt Laurentum. Die italische Amazone Camilla hilft dem Gefolge des Turnus. Erst nach ihrem Tod dringt er aus dem Hinterhalt zu seinen Kriegern. 12. Buch

Turnus verlangt, allein mit Aeneas zu kämpfen. Durch Junos (Heras) Einmischung wird die Beschränkung auf den Zweikampf nicht eingehalten. Als mehrere Krieger hinzukommen und Aeneas sie auseinandertreiben will, verwundet ihn ein Pfeilschuß. Venus (Aphrodite) heilt ihren Sohn. Turnus flieht mithilfe seiner Schwester Juturnia. Aeneas zündet die Stadt an. Königin Amata, die Gattin des Latinus, bringt sich um. Turnus kämpft nun doch gegen Aeneas. Letzterer siegt.

= = = = = Tod = = = = = Buch 12 der Aeneis endet zwar mit dem Sieg des Aeneas, aber es gibt auch eine Mythosversion, dass die irdische Existenz des Aeneas mit dem Sieg über Turnus endet und das Grab des Aeneas am Ufer des Flusses Numicius liegt, denn Venus (Aphrodite) gebietet dem Flussgott Numicius, alles Vergängliche von des Aeneas Leib abzuwaschen. Göttliche Bestandteile bleiben übrig, göttliches Parfum wird auf seinen Leib gegeben, göttliche Speise als Ambrosia-NektarMischung berührt seinen Mund. Es folgt die Apotheose, die Vergöttlichung zu einem Jupiter (Zeus) Indigenes. Dieser Beiname benennt ihn als obersten der Götter in italischen Gefilden.

Aineias / Aeneas | 61

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Aineias / Aeneas, nach Hektor zweitbester Kämpfer der Troianer, ist der einzige troianische Held, dem Gottheiten wiederholt helfen. Aphrodite und Apollon unterstützen ihn gegen Diomedes. Poseidon hilft ihm gegen Achilleus. Dass Aphrodite so handelt, ist klar, denn sie agiert für ihre Sohn Aineias, den sie von Anchises empfangen hat; dass Apollon so handelt, ist auch klar, denn die Griechen missachten ihn zuweilen; dass Poseidon so handelt, verwundert, denn der Meeresgott ist auf Seiten der Griechen und gegen die Troianer, weil Laomedon, des Aineias Urgroßvater, nach dem Bau der Mauern Poseidon die Bezahlung schuldig geblieben ist. (s. o. Das machte ihn berühmt – Mehrere göttliche Hilfeleistungen).

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Endlich sprach Aeneas deutsch

Als Allround-Talent darf man den aus Oberehnheim / Obernei (Elsass) stammenden Thomas Murner (1475–1537) bezeichnen. Der Theologe und Humanist genoss Unterweisung im Franziskanerorden zu Strassburg, wo er neunzehnjährig die Priesterweihe erhielt. ,Gesponsert‘ von seinem Orden studierte er erfolgreich an mehreren Universitäten. Er engagierte sich politisch und klerikal, liebte geistliche und akademische Konfrontationen, wurde von Kaiser Maximilian I. (1459–1519) gar zum Poeta laureatus (1505) gekrönt. Ein solcher, mit dem Lorbeerkranz ausgezeichneter Dichter war berechtigt, an den Universitäten des Reiches Vorlesungen über Poetik und Rhetorik anzubieten. Was nun hat Thomas Murner mit Aeneas zu tun? Zu seinen schriftstellerischen Meisterleistungen gehört die deutsche Übersetzung der lateinisch geschriebenen Aeneis (s. o. Die Aeneis zu kennen, schadet nicht). Des Lesens Kundige, so sie denn Zugang in die Bücherwelt der Gebildeten hatten, konnten seit 1515 in Thomas Murners „Vergilii Maronis dreyzehen Bücher von dem tewren Helden Enea“ in ihrer Sprache erfahren, was Aeneas von Troia bis Italien geschehen war.

62 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Wie sich die Handlungen gleichen = Oft ist in der Forschung, zuletzt wieder von Udo Reinhardt, herausgearbeitet worden, dass sich zwischen der Haupthandlung der Aeneis des Vergil und dem troianischen Mythenkreis deutliche Parallelen bezüglich der Heldenerlebnisse und bezüglich des Götterverhaltens aufzeigen lassen. Man denke z. B. an die Initiative der Aphrodite (Venus) und der Thetis, um ihren Söhnen neue Waffen zu verschaffen. Venus ordert die Rüstung für Aeneas bei Vulcanus und Thetis bestellt die Rüstung für Achilleus bei Hephaistos. ,Kein Zufall also‘, wenn Aeneas gegen die Amazone Camilla und Achilleus gegen die Amazone Penthesileia kämpft. Allgemein, ein Fazit Erika Simons aufnehmend, sei hinzugefügt: Römisch Literarisches rezipiert Homerisches facettenreich in Erzähltechnik, Themen, Gestalten, Motiven und verwendet es sogar verherrlichend oder verurteilend im Rahmen der Herrschaftspropaganda.

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x = = = = = Museumswelten – Standorte = = = = =

Vasenbilder, schrecklich und schön

Besucher des Neapler Nationalmuseums haben Glück, wenn die Sammlung mit den bemalten Vasen griechischer Provenienz geöffnet ist und sie jenes Wassergefäß aus der Zeit um 480 v. Chr. (Nr. 2422) aufspüren können, an dem Szenen aus Troias Ende dargestellt sind. Ein Ausschnitt zeigt, wie Aeneas seinen Vater Anchises im Arm trägt, während des Aineias Sohn Askanios vorauseilt und angstvoll zurückblickt auf seine Angehörigen, neben denen der Kleine Aias die troianische Seherin vom schützenden Götterbild der Athene wegreißt. Die edlen Profile der behelmten Griechenköpfe, das friedlich anmutige Antlitz Athenes, der makellose nackte Körper Kassandras, ihr rassig schönes Gesicht und ihr üppig frisiertes Haar wollen so gar nicht passen zum schrecklichen Geschehen aus den letzten Stunden Troias. Aber vertraut mit griechischen Vasenmalereien, weiß man, dass sie abstoßend Schreckliches in ästhetischer Vollendung darbieten können.

Aineias / Aeneas | 63

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Zuweilen recht unsympathisch =

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Diomedes

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Geburtsort: Argos Vater: Tydeus Mutter: Deiphyle Ehefrau: Aigialeia, Euippe Kinder: Diomedes

Diomedes

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Diomedes, der Spross aus gutem Haus, wächst vermutlich unbekümmert auf, gedeiht prächtig, wird bestens versorgt von Amme, Kinderfrau und Mutter. Als Knabe dann dürften ihn ältere waffenkundige Männer auf den Krieg vorbereitet haben.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Entschlossen und bedenkenlos verfolgt Diomedes sein Ziel. Um es zu erreichen, kann er sein Gewissen ausblenden. Beachtliche Intelligenz hilft dem strahlend jungen Mann, seine Planungen rücksichtslos auszuführen. Gern werden seine Aktionsweisen mit denen des etwas älteren Odysseus (s. u. Odysseus – König auf einer kleinen Insel – Der Listige und das Pferd) verglichen.

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Mord und Skrupellosigkeit

Diomedes gehört in die Schar der Werber um Helena, ist also verpflichtet, gemäß dem Eid gegen Troia zu ziehen, als die schöne Spartanerin ihren Gatten 64 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Diomedes und Odysseus bringen Pferde, die sie dem thrakischen König Rhesos raubten, ins griechische Lager. Drei Heerführer empfangen die Kampfgenossen mit ihrer Beute.

Menelaos verlässt und Paris folgt. Achtzig Schiffe aus unterschiedlichen Heimathäfen befehligt Diomedes. Seine Mitkommandanten sind Sthenelos und Euryalos. Anfang des Krieges begeht Diomedes, zusammen mit Odysseus, den brutalen Mord an Palamedes. Die Tat ist eine Idee des Odysseus, der Palmedes hasst. Man verbirgt Gold im Zelt des Palamedes und fälscht einen Brief des troianischen Königs Priamos an Palamedes, spielt die Nachricht einem troianischen Gefangenen in die Hand, nimmt sie ihm gleich daraufhin ab, tötet ihn sodann. Die Griechen gehen der Sache nach und finden selbstverständlich das versteckte Gold. Umgehend wird Palamedes zum Tode verurteilt durch Steinigung. Odysseus‘ Steinwurf triff t ihn tödlich an der Schläfe. Mord im Team leisten Diomedes und Odysseus auch später wieder, als sich beide auf Kundschaft ins troianische Lager begeben und dort Dolon fangen, den Hektor als Späher ins griechische Lager ausgesandt hat. Sie zwingen Dolon, etwas über die Aufstellung der Troianer zu verraten und die Ankunft des verbündeten thrakischen Königs Rhesos preiszugeben. Anschließend metzeln sie Dolon, Rhesos und zwölf Th raker nieder. Die Pferde des Rhesos entführen sie. Zusammen mit Oysseus erweist sich Diomedes also als kaltblütiger, massakerfreudiger Spion. Des Diomedes RückDiomedes | 65

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v = Diomedes verletzt Aphrodite und Ares = „[Diomedes] [t]raf im Nachsprung dann mit der Schärfe des Speeres die zarte / Hand an der Spitze; sogleich in die Haut fuhr schneidend die Lanze / Durch die ambrosische Hülle, gewebt von den Chariten selber, / Nah’ am Gelenk in der Fläche; da rann des unsterblichen Blutes / Saft, wie er lauter fließt in den Adern der seligen Götter; / Denn sie essen kein Brot, noch trinken sie funkelnden Weines; / Blutlos sind sie daher und heißen unsterbliche Götter.“ (Ilias 5, 335–341) „Mächtig erhob seine Stimme der Rufer im Streit Diomedes: / Weiche, Tochter des Zeus, aus Kampf und feindlichen Toben! / Nicht genug, dass du Weiber von schwachem Sinne verleitest?“ (Ilias 5, 347–349) „Mit der Lanze von Erz, und es drängte sie Pallas Athene / Gegen die Weiche des Bauchs, wo die eherne Binde sich anschloß: / Dorthin traf er den Gott und zerfleischte die blühende Haut ihm, / Zog dann die Lanze zurück. / Da brüllte der eherne Ares / Laut, als schrieen zugleich neuntausend oder zehntausend / Männer im Kriege, sobald sie das Toben des Ares erregten.“ (Ilias 5, 856–861)

= Diomedes beschimpft die Liebesgöttin = „Weiche Tochter des Zeus, aus Kampf und feindlichem Toben! / Nicht genug, daß du Weiber von schwachem Sinne verleitest?“ (Ilias 5, 349–350)

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sichtslosigkeit und Missachtung gegenüber anderen zeigt sich besonders im Umgang mit Dolon und Penthesileia. Obgleich Dolon um Gnade fleht, durchtrennt Diomedes ihm mit wuchtigem Schwertschlag die Sehnen des Nackens, so dass der noch rufende Kopf auf den staubigen Boden rollt. Penthesileias Leiche stößt Diomedes verächtlich mit seinem Fuß in den Fluss Skamandros, weil er sie für unwürdig hält, ehrenvoll begraben zu werden. Angriffe auf Gottheiten

Als Diomedes erkennt, wie schwach Aphrodite ist, verletzt er ihre Hand und schreit die Liebesgöttin sogar an. Auch dem Kriegsgott Ares spielt er übel mit. Ihm fügt er eine Bauchverletzung zu. Beide Taten gelingen durch Athenes Assistenz. 66 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Raub des Allerheiligsten

Heimlich schleicht sich Diomedes zusammen mit Odysseus ins Stadtinnere von Troia, um das für die Siedlung so wichtige Palladion zu stehlen (s. u. Ein ganz besonderes Bild). Diomedes trägt es als kostbare Beute davon. Auf dem Rückzug tötet Odysseus troianische Wachen. Beim Palladionraub befindet sich Diomedes mehr in der Rolle des Täters, Odysseus mehr in der Rolle des Helfers.

= = = = = Heimkehr aus Troia = = = = = Aus dem zerstörten Troia kommt Diomedes, gemäß homerischer Quelle, sicher nach Argos zurück, aber späteres Schiftzeugnis weiß von erheblichen Schwierigkeiten. Diomedes erleidet Schiff bruch an der lykischen Küste. Daraufhin will ihn Lykiens Beherrscher, König Lykos, als Menschenopfer dem Kriegsgott Ares darbringen. Aber Kallirhoe, des Lykos Tochter, verhilft Diomedes zur Flucht. Mit seinem Gefolge landet er nächtens an der Küste bei Phaleron und wird vom dortigen attischen König Demophon angegriffen, weil er ihn und seine Männer für Piraten hält. Endlich daheim in Argos, muss Diomedes entdecken, dass seine Frau Aigialeia einen Liebhaber hat. Man trachtet Diomedes mit Gift nach dem Leben. Er kann sich retten und entscheidet, nach Korinth zu segeln. Auch Argos Amphilochikon in Akarnanien erreicht er. Das ist die Heimat seines Vaters. Sie liegt in der westgriechischen Bergregion zwischen dem Golf von Ambrakia und dem Fluss Acheloos. Durch einen Seesturm gelangt Diomedes nach Apulien in Unteritalien. Dort unterstützt er König Daunus im Kampf gegen Feinde, die im südlichen Teil des heutigen Apuliens leben. Zur Belohnung erhält er die Königstochter Euippe zur Frau, die ihm einen Sohn gebiert, der den Namen seines Vaters trägt.

= = = = = Tod = = = = = ,Irgendwo‘ auf den Diomedischen Inseln – einer Eilandgruppe in der Adria nördlich der Garganohalbinsel, also in der aktuellen Region Apulien – oder ,etwas genauer‘, auf der Insel San Nicola, soll das Grab des Diomedes liegen. Diomedes | 67

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v = Epische Beiwörter nach Udo Reinhardt = Diomedes … der starke, gute, hochgemute, verständige, speerberühmte, lautrufende, pferdebändigende, im Kampf standhaltende.

= Ein ganz besonderes Bild = Ursprünglich ist das Palladion ein Kultbild der Pallas Athene. Es folgt einem altertümlichen Typus, d. h. die Göttin wird stehend dargestellt mit Schild und Lanze, wie eine Kriegerin. Wie kommt es zu dem Doppelnamen Pallas Athene? Pallas, eine Gefährtin Athenes, starb, als beide gegeneinander kämpften und Pallas einen Schwerthieb Athenes nicht abwehren konnte, weil Athenes Vater Zeus sich einmischte. Athene nannte sich nun Pallas Athene, setzte den Namen der Getöteten also vor ihren eigenen. Außerdem schuf sie eine Bildsäule, das Palladion. Es wird von Zeus selbst oder von Dardanos aus Samothrake – dieser Sohn des Zeus gilt als Stammvater der kleinasiatischen Dardaner bzw. der troianischen Königsgeschlechter – in den Athenatempel zu Troia gebracht. Der Besitz des Palladions garantiert die Sicherheit der Stadt. Also muss es damals geraubt werden (s. o. Das machte ihn berühmt – Raub des Allerheiligsten), damit die Griechen Troia besiegen können. Es gibt auch die Mythosversion: Aeneas rettet das ehrwürdige Bild aus Troia und bringt es nach Lavinium. Seit dem 3. Jh. v. Chr. beansprucht Rom, das Palladion zu besitzen und legitimiert sich so als wahre Nachfolge der homerischen Welt. In der bildenden Kunst manifestiert sich das folgendermaßen: Seit der römischen Kaiserzeit wird diversen Bildnisstatuen berühmter männlicher Persönlichkeiten ein Palladion hinzugefügt. Man identifiziert das Palladion auch mit den Penaten, jenen Schutzgottheiten des römischen Hauses und des römischen Staates. Ein Palladion ist für den Vestatempel in Lavinium und eins für den Vestatempel in Rom überliefert. Sein Platz im Tempel der Vesta hat damit zu tun, dass es ursprünglich am Herd des Hauses verehrt wird, über den die Göttin Vesta wacht.

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Dorthin verschwindet er dank Aphrodite (Venus). Seine Gefährten verwandeln sich in Vögel, so wird es erzählt. Auch von der Ermordung des Diomedes durch König Daunus oder durch dessen Sohn Turnus ist die Rede. 68 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Athene steht eindeutig auf Seiten des Diomedes, so dass sie als seine persönliche Schutzgöttin bezeichnet werden kann.

= = = = = Nachantike Seitenblicke= = = = = Die Vögel des Diomedes

Jene Vögel, in die des Diomedes’ Gefährten durch göttliche Einmischung verwandelt werden, fliegen noch immer! Es sind die Gelbschnabel-Sturmtaucher mit dem wissenschaftlichen Namen „Calonectris diomedia“. Die prächtigen Zugvögel mit durchdringend krächzenden Stimmen nisten im Frühling in mittelmeerischen und nordatlantischen Klippen. Sie haben nur ein Junges, das im Frühherbst flügge wird. Ab Oktober begeben sich die Gelbschnabel-Sturmtaucher an die wärmeren Küsten Nordafrikas, um dort zu überwintern.

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Das verkaufte sich gut

Den ,Vorspann‘ zur beschriebenen Mordtat (s. o. Das machte ihn berühmt – Mord und Skrupellosigkeit) am troianischen Späher Dolon – Diomedes begeht sie zusammen mit Odysseus – gestaltete ein Vasenmaler eindrucksvoll an einem um 400 v. Chr. zu datierenden Kelchkrater, den das Britische Museum (F157) in London besitzt. Das Michgefäß für Wein und Wasser ist ein Starstück unter den ca. 1500 Vasen, welche die Forschung einer lukanischen Manufaktur zuordnete. Wer sich nicht nur erfreut an der burlesken Szene – sie spielt in einem Wald und fängt die bedenkenlose Skrupellosigkeit der Angreifenden und die panische Angst des Angegriffenen ein – mag durch ein solches Bild angeregt werden, sich auf Spurensuche nach „Unteritalischen Vasen“ zu begeben. Zu Tausenden entstanden derartige, rotfigurig bemalte Gefäße in den Werkstätten jener Griechen, welche nach Unteritalien und Sizilien auswanderten, wo sie Ateliers betrieben, die zwischen 440 v. Chr. und 300 v. Chr. florierten in mehreren Regionen (Lukanien, Apulien, Paestum, Campanium, Sizilien). Viele dieser „Unteritalischen VaDiomedes | 69

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v = Neue Heiligtümer, neue Städte = Aus diversen Überlieferungen lässt sich erschließen, dass man Diomedes mit der Gründung von Tempeln und Siedlungen in Zusammenhang bringt. So wird hingewiesen auf drei Tempel – zwei für Athena, einer für Apollon – in Griechenland. Weit im Westen dann, nachdem Diomedes bei König Daunus in Unteritalien willkommen geheißen worden ist (s. o. Heimkehr aus Troia), soll er dort mehrere Orte gegründet haben.

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sen“ wurden den Toten als Beigaben ins Grab gelegt und kamen erst im 19. Jahrhundert wieder ans Tageslicht. Unübersehbar in Neapels Musentempel

Da steht er im Archäologischen Nationalmuseum zu Neapel und will Beachtung, der Diomedes in Marmor (144978). Unterhalb der Akropolis von Cumae, in einem Verbindungsgang, der sogenannten „Crypta Romana“, hat man ihn gefunden. Eine Inschrift an der Basis des Bildwerks könnte den Mann benennen, der die Statue weihte. Beim Neapler Diomedes handelt sich um eine römische Kopie, die auf ein griechisches Bronzeoriginal aus der Zeit um 430 v. Chr. zurückgeht, das Experten als Werk des Kresilas aus Kydonia auf Kreta diskutierten. Der rechte Arm des Diomedes ist abgebrochen. Auch der linke Unterarm fehlt, gegen den sich das Palladion lehnte (s. u. Ein ganz besonderes Bild). Kopfgestaltung und Körperhaltung folgen der bildhauerischen klassischen Formensprache, die nichts vom zuvor beschriebenen skrupellosen Diomedes einbindet.

70 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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Einsatzbereit bis zum Wahnsinn =

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Großer Aias

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Geburtsort: Insel Salamis Vater: Telamon Mutter: Periboia Geliebte: Tekmessa Kinder: Eurysakes

Großer Aias

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Wahrscheinlich sorglos sind die Jahre des Großen Aias als Knabe und Jüngling, denn er wächst auf im Palast seines Vaters, des Königs von Salamis. Sportliches Training muss seine physischen Kräfte gestärkt haben. Nur eine Stelle seines Körpers – in der Achselhöhle – ist verwundbar. Man denkt an ein ähnliches Phänomen – die verletzbare Ferse – bei Achilleus.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Entschlossen und entschieden handelt der Große Aias, ist von durchschnittlicher Intelligenz, schlichtem Wesen, spricht zögerlich, schweigt gern, reagiert spontan irrational, folgt seinen Emotionen. Bemerkenswertes Durchhaltevermögen und ungeheure Kraft, die ihn nachhaltig handeln lassen, zeichnen den Großen Aias aus. Stets setzt er sich für bedrohte Kampfgenossen ein. Wie sein Namenszusatz verrät, überragt er die anderen Krieger um eine Kopfhöhe, ist also von auffallend großer Gestalt. Auch von seinen breiten Schultern wird berichtet.

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Der Große Aias und Hektor befinden sich im Zweikampf zwischen zwei Schiedsrichtern.

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Der Wille zur Aussöhnung

Als Griechen und Troianer noch hoffen, die Entscheidung nicht durch das Aufeinandertreffen der Heere, sondern durch den Zweikampf entscheiden zu können, bieten sich neun Männer an. Zu diesen Freiwilligen gehört der Große Aias. Ihn triff t das Los. Sein Gegner wird Hektor sein. Es gelingt dem Großen Aias, Hektor zu Boden zu werfen. Apollon hilft Hektor. Dadurch brechen die Kontrahenten ihre Auseinandersetzung ab und beschenken einander. Ein Vermittlungsversuch ohne Erfolg

Um Achilleus in den Kampf zurückzuholen, begeben sich Gesandte – der Große Aias, Phoinix und Odysseus – zum verärgerten Achilleus und schildern ihm die schwierige Lage der Griechen. Sie stimmen Achilleus nicht um. Und angebotene Geschenke Agamemnos, mit denen letzterer Achilleus’ Verlust der Briseis wieder gut machen möchte, nimmt der Beleidigte nicht an. Der Große 72 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Friedliche Feinde = „ […] entgegnete wieder der helmumflatterte Hektor: / Ajas, weil dir ein Gott die Kraft und Größe verliehen, / Auch den Verstand und die Macht des Speers vor allen Achaiern, / Laß uns ausruhen jetzt vom feindlichen Kampf und der Zwietracht, / Heute; doch später dann kämpfen wir weiter, bis daß uns ein Dämon / Trennen mag, um einem der Völker den Sieg zu gewähren. / […] Laßt uns aber einander mit herrlichen Gaben beschenken, / […] Also sprach er und gab ihm das silberbeschlagene Schlachtschwert / Samt der Scheide sowie dem schön geschnittenen Riemen.“ (Ilias 7, 287–304)

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Aias kehrt also mit seinen Gefährten unverrichteter Dinge zurück. Die Mission ist vollends missglückt. Unversöhnlich bleibt Achilleus, ohne dessen Kampfeinsatz die Griechen laut Orakel nicht siegen können. Hilfen für Kampfgefährten

Als einige der wichtigsten griechischen Krieger verletzt werden, triff t es auch Odysseus, der vom Großen Aias, unterstützt von Menelaos, ins griechische Lager gebracht wird. Nach den Verwundungen des Agamemnon und des Diomedes hält der Große Aias tapfer der troianischen Übermacht stand. Und er kämpft erfolgreich gegen Hektor und seine Troianer, als sie die griechischen Schiffe angreifen. Auch im Streit um die Waffen des gefallenen Patroklos – letzterer kämpfte ja in der Rüstung seines Freundes Achilleus – bewährt sich der Große Aias. An sich reißen kann er die begehrten Waffen nicht, aber er birgt, zusammen mit Menelaos, die Leiche des Patroklos. Ähnliches tut er später, wenn er die umkämpfte Leiche des Achilleus davonträgt. Es gelingt ihm, die Rückendeckung des Odysseus nutzend, den Kampf um Achilleus’ Leichnam für sich zu entscheiden. Mit seiner außergewöhnlichen Kraft schleppt er den übermenschlich großen Körper des Achilleus aus der Schlacht.

Großer Aias | 73

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v = Epische Beiwörter nach Udo Reinhardt = Der Große Aias … der schnelle, der ungeheure, der weitaus Erste.

= Wahnsinn und Kultur = Wer Zeit für intensives Lesen und mühsames Nachdenken hat, widme sich der Tragödie des Sophokles (497 / 496–406 / 405 v. Chr.) „Aias“ und dem Buch von Peter K. Schneider, Wahnsinn und Kultur oder „Die heilige Krankheit“ mit dem Untertitel „Die Entdeckung eines menschlichen Talents“ (2001).

= Freiwilliges Sterben = Hannibal (247–183 v. Chr.) tötete sich 183 v. Chr. in Prusa / Bursa, weil er Feindschaft und Mordabsicht des T. Quinctius Flaminius ahnte. War Aias’ Selbstmord das mythische Vorbild für den großen Karthager?

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Das Wüten eines Wahnsinnigen

Als man um die Waffen, also um die neue zweite kostbare Rüstung des Achilleus kämpft, hoff t der Große Aias, diese zu erhalten und durch ihren Besitz eine unermessliche Ehre zu genießen, die den mutigsten Helden unter den noch lebenden griechischen Kämpfern hervorhebt. Aber man spricht die begehrten Waffen Odysseus zu. Dessen eigene Beredsamkeit bei der Totenfeier für den Gefallenen und die ihn unterstützende Athene führen zu einer solchen Entscheidung. Die Enttäuschung des Großen Aias übersteigt seine psychische Belastbarkeit. Er ist seelisch gebrochen. Athene lässt ihn wahnsinnig werden. In seiner geistigen Verwirrung richtet er ein Blutbad an inmitten einer Herde, deren Schafe er für Griechen hält.

= = = = = Tod = = = = = Am Morgen, der auf das Wüten im Wahnsinn bei den Tieren folgt, gewinnt der Große Aias sein Bewusstsein zurück, nimmt Abschied von seiner gattinnengleich geschätzten Geliebten Tekmessa und beider kleinem Sohn Eurysa74 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

kes. Danach stürzt er sich, getrieben von Scham und Verzweiflung bezüglich seiner Aktionen, in jenes Schwert, das ihm Hektor nach friedlichem Ende des Zweikampfs als Geschenk überlassen hat. Nur ein troianischer Held begeht Selbstmord: der Große Aias.

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Der Sieg über Hektor bleibt dem Großen Aias verwehrt, weil sich Apollon für Hektor verwendet. Diese Einmischung des Gottes führt dazu, dass die Kontrahenten den Zweikampf abbrechen und einander beschenken. Mit Wahnsinn schlägt Athene den Großen Aias. Als letzterer erkennt, was er in seiner Verwirrung angerichtet hat, bringt er sich um. Also eine Göttin verantwortet seinen mutig grausamen Freitod.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = „Ajax Amsterdam“

Die Gründungsväter eines berühmten Fußballvereins ,genossen‘ oder ,erlitten‘ wahrscheinlich eine humanistische Schulbildung. Also könnten sie sich an den Großen Aias erinnert haben, als sie am 18. März 1900 „Ajax Amsterdam“ aus der Taufe hoben.

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Der Palast des Großen Aias?

Der Grabungsleiter Jannos Lolos entdeckte auf der Insel Salamis Gebäudereste aus der Wende vom 13. zum 12. vorchristlichen Jahrhundert. Es handelt sich um Spuren von zwei Gebäuden mit insgesamt 33 Zimmern, die sich über ein Areal von ca. 750 Quadratmetern oberhalb der Küste erstrecken. Da einige antike Schriftzeugnisse eine „Zitadelle des Aias“ erwähnen, könnten die architektonischen Reste zu einem Palast aus mykenischer Zeit gehören (27. 03. 2006 Spiegel ONLINE). Vielleicht blickte der ,historisch-mythologische’ Große Großer Aias | 75

Aias hier wirklich auf den Strand, lange bevor das griechisch-troianische Desaster begann. Das Abbild des Großen Aias?

In Rom (Vatikanische Museen, Inv.1192), genauer im Vatikanischen Palast in einem achteckigen Hof mit schöner Aussicht ( bel vedere), den die Päpste einst zur Entspannung aufsuchten, sitzt er, der „Torso von Belvedere“. Bei der gewaltigen männlichen Gestalt, von der nur Rumpf, beide Oberschenkel, die Ansätze von Kopf und Armen erhalten sind, handelt es sich um eine römische Kopie nach einem hellenistischen Original. Wer ist dargestellt? Unter diversen Deutungen schien lange Zeit Arvid Andréns Benennung des „Torso von Belvedere“ als Philoktetes plausibel, aber mehr spricht für Raimund Wünsches aktuelle Ansicht, das Bildwerk meine den Großen Aias. Die neuen Rekonstruktionsvorschläge sind wesentlich überzeugender, als die länger zurückliegenden aus dem Jahr 1952.

76 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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Man leidet mit dem besten Kämpfer der Troianer =

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Hektor

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Geburtsort: Troia Vater: Priamos Mutter: Hekabe Ehefrau: Andromache Kinder: Astyanax

Hektor

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Als erster Sohn des troianischen Königspaares wächst Hektor behütet auf im Kreise zahlreicher Geschwister. So stellt man es sich gern vor.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Hektor ist ausgeglichen und handelt bedacht. Er kann seine eigenen Interessen zugunsten anderer zurücknehmen. Überaus verantwortungsvoll verhält er sich gegenüber Familie und Gemeinschaft. Liebevoll wird er geschildert im Umgang mit seinem Sohn Astyanax. Trotz seiner Jugendlichkeit ist Hektor männlich reif, oft bärtig, dargestellt. Wie die anderen troianischen Helden trägt er Panzer, Lanze, Schwert, Schild und einen Helm mit prächtigem Busch, aber ein Purpurgürtel zeichnet ihn persönlich aus. Es ist jene Ehrengabe, die ihm der Große Aias nach der friedlichen Beendigung eines Zweikampfes geschenkt hat.

Hektor | 77

Zwei Troianer legen den in ein Tuch gehüllten Hektor auf dem Scheiterhaufen nieder, vor dem eine Rüstung zwischen zwei Helmen positioniert ist. Ein klagender Troianer erklimmt den Scheiterhaufen und vier Trauernde sind am Scheiterhaufen niedergesunken.

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Diplomatisches Geschick

Hektor gilt als der fähigste Kämpfer auf troianischer Seite. Betrachtet man ihn mit Blicken des 21. Jahrhunderts, dann verdient er das Prädikat ,sympathischster troianischer Held‘. Er möchte kein Gemetzel und fordert die Frauen auf, vor allem seine Mutter, ein spektakuläres Opfer für Troias Stadtgöttin Athene zu zelebrieren und sie um Schlichtung anzuflehen. Hektor will einen ausgedehnten Krieg verhindern. Deshalb favorisiert er einen Nichtangriffspakt der Heere und einen Zweikampf zwischen Menelaos, der Helena verloren hat, und Paris, dem Helena aktuell gehört. Mit dem Tod des Besiegten soll der Streit beendet sein und Helena samt allen Schätzen dem Sieger übergeben werden. Schiedsrichter im Zweikampf ist Odysseus auf Seiten der Griechen, Hektor auf Seiten der Troianer. Paris wirft den ersten Speer. Menelaos kämpft besser als Paris, aber Aphrodite greift ein. Sie entrückt den von ihr favorisierten Paris nach Troia und schleust Helena listenreich zu ihm ins Schlafgemach. Da man ihn auf dem Schlachtfeld vermisst, wird Menelaos von seinem Bruder Agamemnon zum Sieger erklärt. Hektor ist enttäuscht, dass sein Bruder Paris den 78 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Andromaches Ahnung = „Unglücksel’ger, dich tötet dein Mut noch, und du erbarmst dich / Nicht des stammelnden Kindes noch meiner, des elenden Weibes, Bald nun Witwe von dir, denn dich morden gar bald die Achaier […].“ (Ilias 6, 407– 409)

= Hektors Umsicht = „Also sprach der glänzende Held und griff nach dem Kinde; / Aber zurück an den Busen der schöngegürteten Amme / Schmiegte sich schreiend das Kind, erschreckt vom Anblick des Vaters, / Scheu vor des Erzes Glanz und der flatternden Mähne des Busches, / Welchen es furchtbar winken sah von der Spitze des Helmes. / Herzlich lachte der Vater darob und die zärtliche Mutter. / Eilend nahm vom Haupte den Helm der strahlende Hektor, / Setze den schimmernden hin auf den Boden sogleich, und er selber / Küßte sein liebes Kind und wiegte es sanft in den Armen.“ (Ilias 6, 466–474)

= Ein Geschenk des Gegners = „Ajas schenkt‘ ihm dagegen den Leibgurt, schimmernd von Purpur. / Also schieden sie: dieser zurück zum Volk der Achaier, / Jener ging ins Gewühl der Troer / welche sich freuten, / Als sie sahn, daß er lebend mit heilen Gliedern sich nahte.“ (Ilias 7, 305–308)

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Krieg vergisst, weil er das Verweilen mit Liebesvereinung bei Helena der Aktion auf dem Schlachtfeld vorzieht. Abschied von Gattin und Sohn

In die Stadt begibt sich Hektor, um Paris aus Helenas Armen ins Kampfgeschehen zurückzuholen. Hektor weiß ja nicht, dass es Aphrodite gewesen ist, die Paris unerkannt zu Helena geleitet hat. Also hält er seinen Bruder für unehrenhaft und feige. Er kann ihn jedoch einsichtig stimmen. Paris möchte wieder mitkämpfen. Nach geglückter Mission nimmt Hektor Abschied von Frau und Kind. Diesbezügliche Beschreibungen zeigen ihn als Ehemann, der die verHektor | 79

zweifelte Andromache tröstet, und als Vater, der den kleinen Sohn Astyanax liebt (s. o. Hektors Umsicht). Geschenketausch nach Schlagabtausch

Als Hektor seinen Bruder Paris auf das Schlachtfeld zurückgebracht hat, wird ein neuer Zweikampf arrangiert. Der Große Aias setzt Hektor zwar durch einen Steinwurf außer Gefecht, aber Apollon hilft Hektor. Die Kontrahenten brechen den Kampf ab und beschenken einander friedlich mit Schwert und Gürtel (s. o. Ein Geschenk des Gegners). Rüstungsproblem

Als es den Troianern gelungen ist, die griechischen Schiffe zu erstürmen, eilt Patroklos zu Achilleus und erreicht, dass er in dessen Rüstung kämpfen darf, allerdings unter bestimmten Bedingungen. Diese hält er aber nicht ein und bringt sich dadurch in Gefahr. Auf den troianischen Mauern tötet Hektor, wiederum mit Apollons Hilfe, Patroklos, der in der Rüstung des Achilleus steckt. Apollon verletzt Patroklos mit einem mächtigen Hieb auf Rücken und Schulter, so dass Hektor den Geschwächten leicht mit dem Speer durchbohren kann. Hektor hält ihn ja für den bislang vom Krieg ferngebliebenen Achilleus und erbeutet umgehend die Rüstung des Achilleus, die noch dessen Freund, den toten Patroklos, umhüllt. Später, als Achilleus dann tatsächlich mit der zweiten kostbaren, vom Schmiedegott Hephaistos gefertigten, Rüstung wieder auf griechischer Seite agiert, ermutigt Athene durch einen Verwandlungstrick – sie nimmt die Gestalt des Hektor-Bruders Deiphobos an – den kampfgewillten Hektor, mit Achilleus die entscheidende Auseinandersetzung zu wagen, welche Hektor dann den Tod bringt.

= = = = = Tod = = = = = Auch sein Tod, im Folgenden extra erzählt, machte Hektor berühmt, so dass sein Ende auch im zuvor positionierten Passus hätte angeführt sein können. Wie oben schon angedeutet, stirbt Hektor durch Achilleus, als letzterer nach dem Ableben seines Freundes Patroklos die Kampfverweigerung aufgibt. In höchst grausamer und erniedrigender Weise, ganz gegen die einem Helden 80 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Schicksalswaage = „Richtete Vater Zeus die goldenen Schalen der Waage, / Warf zwei Lose hinein, des trauerbringenden Todes, / Das des Achilleus und das des Rossebändigers Hektor, / Faßte die Mitte und wog. Da sank des Hektors Verhängnis / Lastend zum Hades hinab, es verließ ihn Phoibos Apollon.“ (Ilias 22, 209–213)

= Helena beweint Hektor = „Endlich erhob vor dem Volk auch Helena klagend die Stimme: / Hektor, du warst mir im Herzen der liebste von all meinen Schwägern. / Wohl ist jetzt mein Gemahl der göttliche Herr Alexandros [Paris], / Der mich nach Troia gebracht – o, wär’ ich zuvor doch gestorben! – / Schon das zwanzigste Jahr ist jetzt heran mir gekommen, Seit ich von dort mich entfernte, das Land meiner Väter verlassend; / Nie aber hört ich von dir ein böses Wort noch ein schnödes, […].“ (Ilias 24,761–767)

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zustehenden Ehren, wird Hektor durch Achilleus geschändet. Zuerst durchbohrt der Sieger die Füße des Besiegten, bindet auf diese Weise den toten Hektor an den Wagen und schleift ihn vor den Augen seiner Angehörigen, die auf den Stadtmauern stehen, durch den Staub ins griechische Lager (s. u. Nachantike Seitenblicke – Nur wenigen gefällt es). Außerdem schleift Achilleus die Leiche Hektors mehrmals um das Grab des Patroklos. Das grausige Geschehen wiederholt sich an mehreren Tagen. Man erinnere sich des Purpurgürtels, den der Große Aias nach dem abgebrochenen Zweikampf an Hektor verschenkt; mit eben dieser edlen Binde zerrt und schleift Achilleus den Körper Hektors. Später bringt der greise König Priamos Geschenke zu Achilleus und erbittet demütig die Leiche seines Sohnes von Achilleus, um Hektor die gebührenden Totenehren erweisen zu können. Apollon hat den einst schönen Leib Hektors vor den entstellenden Schleifspuren geschützt. Priamos transportiert den toten Sohn aus dem griechischen Lager nach Troia. Unter Tränen sehen es Hektors Frau Andromache, seine Schwägerin Helena und andere Verwandte. Laut klagt das troianische Volk. Hektor | 81

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Mehrfach erfährt Hektor Hilfe seitens Apollon. Durch den Gott übersteht er den Zweikampf mit dem Großen Aias, erreicht er mit seinen Mannen die griechischen Schiffe, vermag er Patroklos zu töten. Aber als sich die Götter in einer entscheidenden Versammlung endgültig von Troia abwenden und den Tod Hektors bestimmen, handelt Apollon nicht mehr zugunsten Hektors. Athene ist die direkte Feindin Hektors. Sie manipuliert, dass Achilleus mit seiner Lanze Hektor in den Tod stößt.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Nur wenigen gefällt es

In einem Monumentalgemälde von acht Meter Länge und vier Meter Breite ist die Schleifung Hektors dargestellt. Ein österreichischer Maler, Franz Matsch (1861–1942), der 1912 den erblichen Adelstitel erhielt, schuf es für eine Wand des Treppenaufgangs im Achilleion auf Korfu. Die Auftraggeberin, Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837–1898), bestellte das Werk für ihr 1889–1891 entstandenes Schloss, das in Gastouri, ca. 15 Kilometer südlich von Kerkyra / Korfu-Stadt liegt. Folgendes wünschte Ihre Majestät auf die Leinwand gebracht: Achilleus, in Siegerpose auf einem von Pferden gezogenen Wagen stehend, vor den troianischen Mauern die Leiche Hektors hinter sich schleifend. Der Künstler gehorchte, griff zu kräftigen Farbkontrasten aus glänzendem Schwarz für die Streitwagenpferde, intensivem Rot und Gold für den Helden, warmem Ocker für Hektors Leichnam und die Stadt im Hintergrund. Eine Staubwolke wird unter Hektors Leiche sichtbar.

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Die Leiche unter dem Speisetisch

Da liegt Hektors Leiche direkt unter dem üppig mit Fleisch und Brot bestückten Speisetisch des Achilleus. Den Schmausenden scheint es nicht zu stören, seinen getöteten und geschändeten Gegner in unmittelbarer Nähe zu sehen. 82 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Epische Beiwörter nach Udo Reinhardt = Hektor … der große, strahlende, schreckliche, männermordende, lautschreiende, rossebändigende, helmschüttelnde.

= Ehrungen für den Toten = Hektors Leiche wird von Achilleus um das Grab seines durch Hektor gefallenen Freundes Patroklos geschleift und der alte König Priamos tut alles ihm Mögliche, um die Leiche seines Sohnes Hektor, den Achilleus niedergestreckt hat, für eine würdige Bestattung nach Troia zurückzuholen. Nicht nur bei Hektor spielen Totenehrungen eine besondere Rolle. Man beachte auch die bei Achilleus. Um diese Maßnahmen zu verstehen, ist zu erklären: Nach uralter Vorstellung lebte der Tote im oder am Grab. In bestimmten Gegenden wurden Mörder dreimal um das Grab des Ermordeten geschleift. Nach ,jüngerer‘ homerischer Vorstellung weilen die Seelen üblicherweise im Hades und die Körper gehen zugrunde.

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Die Darstellung befindet sich im Innenbild einer Trinkschale aus der Zeit um 490 / 480 v. Chr. (Paris, Musée du Louvre; Abteilung: Griechische, Etruskische und Römische Antiken, Raum 39; Vitrine 6, Inv. Nr. G 153). Das Gefäß hat eine Signatur des Töpfers Hieron und des Malers Makron. Durch eine solche Kennung ist es, abgesehen von seiner bildlichen Darstellung, besonders interessant für die archäologische Forschung auf dem Gebiet der griechischen Vasenmalerei.

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Ein rundum betrogener Held = Menelaos – König von Sparta

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Geburtsort: Sparta Vater: Atreus Mutter: Aerope Ehefrau: Helena Kinder: Hermione

Menelaos – König von Sparta

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Menelaos dürfte unkompliziert aufgewachsen sein im spartanischen Königspalast seines Vaters, bis er als Jüngling zu jenen gehört, die um Helena werben.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Verlässlich einerseits, bequem und emotional andererseits, so könnte man Menelaos beschreiben. Er tut seine Pflicht in den Reihen der Troianischen Krieger. Er akzeptiert gern die für ihn einfache Lösung, wenn er sich zum Sieger über Paris erklären lässt, weil letzterer durch Aphrodite vom Schlachtfeld zu Helena entrückt worden ist. Er handelt wenig konsequent, wenn er Helenas neuen Mann – Deiphobos, den Bruder des Paris – tötet und gleich darauf Helena schont, obgleich er es sich ganz anders vorgenommen hat. Blond – wie Odysseus – soll Menelaos gewesen sein.

84 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Helena betrügt ihn

Viele Männer möchten die charmante, verführerische, erotisch beunruhigende Helena. Quälendes Liebesverlangen weckt sie. Auf des klugen Odysseus Rat, der einst selbst um die Begehrte geworben hat, bestimmt Helenas Stiefvater, der spartanische König Tyndareos, wer Helena zur Frau erhalte, müsse schwören, sich zukünftig in jeden Kampf um ihren Besitz einzubringen. Das kann Menelaos leisten. Er bekommt die schönste Frau in jenen alten Zeiten. Dieses Glück triff t ihn aufgrund familiärer Beziehungen, weil sein älterer Bruder Agamemnon mit Helenas älterer Halbschwester Klytaimnestra verheiratet ist. Wie kommt es, dass Menelaos seine ,Traumfrau‘ allein mit Paris im Palast zurücklässt? Ein Trauerfall in der Familie ist schuld. Ohne Argwohn begibt sich Menelaos zum Begräbnis des Großvaters Katreus nach Kreta. Seine Abwesenheit begünstigt die folgenschwere Entführung. Ungestört kann Paris die Schöne Helena mitnehmen. Aphrodite raubt ihm den Sieg

Die Griechen halten das Gelübde der einstigen Werber um Helena ein und beginnen den Troianischen Krieg, um Helena für Menelaos zurückzuholen. Letzterer steht seinem Nebenbuhler Paris im Zweikampf gegenüber. Menelaos hat alle Chancen, Paris zu töten. Aber Aphrodite mischt sich ein, entrückt Paris vom Schlachtfeld in ein angenehmeres Ambiente, auf das Lager zu Helena, wo sich das Paar glücklich der Liebe hingibt, obgleich Helena die Kampfschwäche des Paris erkannt hat. (s. u. Der eine siegt im Kampf, der andere über Helena). Sehr ungünstig-ungerecht also ist jene Zweikampf-Episode für Menelaos verlaufen. Helena bezwingt ihn

Später, nach dem Tod des Paris, wird Helena die Gemahlin seines Bruders Deiphobos. Die Griechen nehmen zahlreiche Troianerinnen gefangen. Menelaos will die untreue Helena bestrafen. Er packt sein Schwert, massakriert und tötet Deiphobos mit eben dieser Waffe und richtet sie dann gegen Helena, die den Angriff überlebt, weil sich Aphrodite einmischt und Helena agieren lässt. Sie entblößt sich und zwingt Menelaos’ Blick auf ihren Busen. Diese emoMenelaos – König von Sparta | 85

tional weibliche Handlung bewirkt, dass Menelaos sein Schwert senkt. Er kann Helenas Schönheit nicht widerstehen. Als die aufsteigenden Flammensäulen den Untergang des prächtigen Troia anzeigen, weiß Menelaos: Helenas Raub ist gerächt. Am Ziel seiner Wünsche sieht er sich. Noch größer wird sein Glück, denn strahlend schön steht Helena vor ihm. Menelaos entbrennt in neuer Liebe zu ihr und ersehnt sie wieder als Ehegattin bei sich.

= = = = = Heimkehr aus Troia = = = = = Als sei denn nichts geschehen, führt Menelaos seine Helena, als ,alte und neue‘ Gemahlin zurück nach Sparta (s. u. Frauen für die Helden – Der Sonderfall Helena), obgleich es einige Jahre bis zum Happyend dauert, denn Menelaos verliert durch die Einmischung Apollons einen Steuermann, büßt in einem von Zeus initiierten Sturm zahlreiche Schiffe ein, macht erhebliche Umwege u. a. über Zypern, Phönizien, Lybien, Ägypten, bis er endlich wieder in Sparta eintriff t.

= = = = = Tod = = = = = Sorglos ist Menelaos nach seinem Tod. Zusammen mit Helena wird er in die elysischen Gefilde entrückt (s. u. Am Ende der Welt). Es heißt, seinen Leichnam habe man im Menelaion (s. u. Spärliche Steinspuren plus spektakuläre Aussicht) bestattet.

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Göttliche Streitigkeiten verantworten Menelaos’ Geschick, das sich mit Helena an seiner Seite zunächst so gut anfühlte. Wäre da nicht jener verhängnisvolle Apfel als Wurfgeschoß verwendet worden, zu dem die folgende Geschichte gehört. Anlässlich der Hochzeitsfeier der Meeresgöttin Thetis und des thessa lischen Helden Peleus hat Zeus alle Gottheiten eingeladen, außer Eris, weil er die Göttin der Zwietracht vom Fest fernhalten möchte. Sie 86 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Der eine siegt im Kampf, der andere über Helena = „Ihr [Helena] erwiderte Paris darauf und redete also: / Weib, laß ab, mir das Herz mit schmähenden Worten zu kränken. / Wohl hat jetzt Menelaos gesiegt, mit Athena verbündet, / Aber ein andermal ich; auch uns beschirmen die Götter. / Komm, wir wollen uns wieder versöhnen, in Liebe gelagert. / Denn noch nie hat also die Lust mir die Sinne verdunkelt, / Auch nicht damals , als ich dich fand und heimlich entführte, / Fort aus der lieblichen Flur Lakedaimon im segelnden Schiffe, / Und auf der Kranae-Insel mich dir in Liebe gesellte, / Wie ich jetzt dich begehre, von süßem Verlangen getrieben. / Sprach’s und nahte dem Lager zuerst; ihm folgte die Gattin. / Beide ruheten dann im feindurchbrochenen Bette.“ (Ilias 3, 437– 448)

= Am Ende der Welt = „Dir aber, Götterkind Menelaos, beschieden die Götter, / Nicht in Argos, wo Rosse gedeihen, zu streben, dein Schicksal / Dort zu erfüllen. / Es schicken dich einst die unsterblichen Götter / Weit, bis ans Ende der Welt, in Elysions ebne Gefilde. / Dort ist der Blonde daheim, Rhadamanthys; dort wandeln die Menschen / Leicht durch das Leben. Nicht Regen, nicht Schnee, nicht Winter von Dauer / Zephyros läßt allzeit seine hellen Winde dort wehen, / Die ihm Okeanos schickt zur Erfrischung der Menschen. […].“ (Odysee 4, 561–568)

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kommt trotzdem. Aus Wut, nicht eingelassen zu sein, schleudert sie vom Tor aus einen Apfel und fordert, die Schönste solle ihn aufheben. Sofort entsteht Streit zwischen den Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite, denn eine jede meint, die Auszeichnung zu verdienen. Zeus erkennt, dass er eingreifen muss und trägt dem göttlichen Boten Hermes auf, die drei Göttinnen zum troianischen Prinzen Paris Alexandros zu bringen, damit er den Schönheitswettbewerb fair entscheide. Es kommt zum berühmten Parisurteil, von dem hier im Kapitel zu Paris berichtet wird. Ebendieser bestätigt Aphrodite den ersten Preis, weil er ihr denn wohl auch wirklich gebührt und weil sie ihm zudem Helena, die Schönste aller sterblichen Frauen verspricht. ,Selbstverständlich‘ Menelaos – König von Sparta | 87

kann Paris daraufhin nicht mehr sachlich bleiben, spricht Aphrodite die begehrte Einschätzung zu, bekommt Helena dafür und ist im Troianischen Krieg der Liebling Aphrodites, den die Göttin schützt. Aphrodite vereitelt dem erfolgreicher kämpfenden Menelaos ja den Sieg über seinen deutlich schwächer kämpfenden Rivalen Paris.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Kaum ein Baby heißt heute Menelaos

Werdende Eltern, die einen Sohn erwarten und rechtzeitig nach einem Vornamen für ihn suchen, erfahren über das Internet, dass „Menelaos“ keineswegs zu den heutigen Vornamenfavoriten gehört, dass ,Menelaos‘ ca. zwanzig mal in Deutschland vorkommt, dass ,Menelaos‘ keinen Prominenten auszeichnet. Letzteres ist zu relativieren, denn Menelaos Stefanides (1923 –2007) verantwortete die mehrbändige Ausgabe „Griechische Mythologie“ und publizierte „Griechische Volksmärchen I, II“. Sein Buch „Die Argonauten“ wurde 1989 zweifach mit dem Pier-Paolo-Vergerio-Preis der Universität Padua in Italien ausgezeichnet. Mit seinem die Antike beschwörenden Vornamen befand sich Herr Stefanides in renommierter Gesellschaft, denn Heinrich Schliemann (1822–1890), der auf ewig mit der Wiederentdeckung Troias verbunden ist, nannte seine Tochter Andromache (1871–1962) und seinen Sohn Agamemnon (1878–1954). Man blättere in den Kapiteln zu Agamemnon und Hektor!

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Sehnsucht siegt

Mehrere griechische Vasenmalereien stellen eine Frau dar, die von einem Mann mit gezogenem Schwert bedroht wird. Die Szenen meinen den Augenblick, in dem Menelaos die Bestrafung seiner treulosen Frau vornehmen will, aber plötzlich einhält, weil Aphrodite hilft und Menelaos wie einst von Helenas Schönheit geblendet sein lässt. Eine sehr eindrucksvolle Darstellung zeigt das Innenbild einer fragmentierten Trinkschale (Boston, Museum of Fine Arts, 13 190), die zu Beginn des 5. Jhs. v. Chr. entstand. Der Blick des Menelaos ver88 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Epische Beiwörter nach Udo Reinhardt = Menelaos … der blonde, laut rufende.

= Spärliche Steinspuren plus spektakuläre Aussicht = Nur wenige Touristen besuchen das Menelaion mit seinen Ruinen. Einige Kilometer südöstlich von Sparta (Sparti) verlässt man die Hauptroute, findet ,hoffentlich‘ das Hinweisschild zum Menelaion, nimmt eine Seitenstrasse, wandert über einen Weg, kommt zu einem Plateau, auf dem links die Spuren einer Siedlung namens Therapne aus mykenischer Zeit zu entdecken sind und rechts die Reste des Menelaions, einer Gedächtnisstätte für Menelaos und Helena, auftauchen. Im aktuellen Ausgrabungszustand besteht das Menelaion – während des 5. Jhs. v. Chr. um einen kleinen älteren Tempelschrein errichtet – aus einem rechteckigen Podium (16,60 × 23,80 m). Das ursprüngliche Menelaion ist wahrscheinlich viel früher, um 700 v. Chr., entstanden. Man weiß das so genau, weil kleine bronzene Weihegaben aus dem 7. Jh. v. Chr. erhalten sind mit den Inschriften: „Euthykrates stiftete sie dem Menelaos“ und „Deinis weihte dies (der Helena, der Frau des) Menelaos“. Vor Ort erinnert nichts mehr an das königliche Paar, und so sind die Besucher zurecht enttäuscht nach mühsamer Wanderung; aber die unvergessliche Aussicht hinüber auf das Taygetos-Gebirge hat sich denn doch gelohnt.

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rät keine Rachegelüste mehr, sondern nur noch Begierde nach Helena, deren Gesichtsausdruck und Körperhaltung signalisieren, dass sie sich plötzlich sicher fühlt. Man muss den Mythos kennen, um die Szene so zu deuten. In einigen Vasenbildern erscheint Helena voll erotischer Ausstrahlung mit nackter Brust. Der zur Rache entschlossene Menelaos wird sediert durch Liebreiz, Schönheit und Verführungskunst Helenas. Eine allgemeine Auswertung der Vasenmalereien – Helena gegenüber Menelaos bzw. Menelaos gegenüber Helena – ergibt drei Hauptversionen: 1. Helena ist die ruhig stehende Frau, die passiv bleibt vor dem aktiv drohenden Menelaos. 2. Helena entschleiert sich; dieser Gestus bedeutet, dass sie sich ähnlich einer Jungfrau erstmalig dem zukünftigen Ehemann präsentiert; im gegebenen Zusammenhang scheint sie sich noch einmal, Menelaos – König von Sparta | 89

nach vielen Jahren der Trennung, unschuldig wie eine Braut, vor dem sie betrachtenden Menelaos zu präsentieren. 3. Helena lässt sich von Menelaos wegführen, der sie fest am Handgelenk packt; ein solcher Griff meint die Inbesitznahme einer Frau, sei es, dass ein Ehemann eine Gattin in sein Heim führt oder sei es, dass ein Krieger eine Beutefrau zu sich nimmt; im vorliegenden Kontext sichert sich Menelaos mit dem Ergreifen von Helenas Hand neuerlich das, was ihm einst gehörte. Ein von diesen drei Darstellungstypen abweichendes, faszinierend geistreiches Vasenbild aus der Zeit um 430 v. Chr. befindet sich an einer Amphora (Antikensammlung Basel und Museum Ludwig, Inv. Lu 57): Menelaos, gewappnet mit Panzer, Helm und Schild, verfolgt Helena. Er stürmt voran mit weitem Schritt. Recht nahe schon ist er der Fliehenden. Sie hat sich umgedreht, erhebt ihren rechten Arm flehend zu Menelaos. Das wirkt! Der beeindruckte und überraschte Menelaos kann sein Schwert nicht mehr festhalten. Es entgleitet ihm gerade oder ist just auf den Boden gefallen.

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Ein Sohn, der zu seinem Vater passt = Neoptolemos / Pyrrhos – König von Phthia

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Geburtsort: Skyros Vater: Achilleus Mutter: Deidameia Ehefrau: Hermione Beutefrau: Andromache (Hektors Gemahlin) Kinder: Molossos (von Andromache)

Neoptolemos / Pyrrhos – König von Phthia

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Im Kapitel zu Achilleus wird erzählt, dass ihn seine göttliche Mutter Thetis auf die Insel Skyros zu König Lykomedes bringt, damit er dort unerkannt zusammen mit den Königstöchtern lebt und nicht nach Troia in den Krieg ziehen muss, denn ein Seherspruch weissagt, dass Troia nur gewonnen werden kann, wenn Achilleus in den Reihen der Griechen kämpft. Als Achilleus heranwächst, liebt er Deidameia, eine Tochter des Lykomedes. Sie wird seine Gemahlin und gebiert ihm Pyrrhos. Sein Name bedeutet ,Der Rothaarige‘. Erst später heißt er Neoptolemos (s. u.). Pyrrhos ist noch klein, als sich sein Vater Achilleus, entdeckt durch eine List des Odysseus, spontan entschließt, am troianischen Krieg teilzunehmen. Pyrrhos bleibt bei seiner Mutter Deidameia. Den Vater kennt er nicht. Als Achilleus im zehnten Kriegsjahr gefallen ist, kommt Odysseus, oder, gemäß einer anderen Überlieferung, kommen Odysseus und Phoinix nach Skyros, um Pyrrhos abzuholen, der die Nachfolge des Achilleus antreten soll als Neoptolemos: ,Der neue Krieger‘. Dass Neoptolemos ,eigentlich noch viel zu jung ist‘, um die Rolle seines Vaters zu übernehmen, scheint nicht zu stören in der Welt der Mythenbildung. Neoptolemos soll halt Neoptolemos / Pyrrhos – König von Phthia | 91

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v = Odysseus lobt Neoptolemos = „Wir Achaier kämpften oft im Gefilde von Troia: / Nie aber blieb er [Neoptolemos] dann dort, wo die Menge der Männer sich staute; / Weit vor den anderen lief er, an Mut wollte keinem er nachstehen: / Viele Männer erschlug er dabei in schrecklichem Morden. / Aber ich kann nicht alles berichten, die Namen nicht nennen, / Wieviel Volk er erschlug und kämpfend half den Argeiern. / Beispiel sei dir; dem Helden Eurýpylos nahm er die Rüstung, / Telephos’ Sohn, neben dem seine Freunde, die Kreter, in Menge / Fielen als Opfer; es waren Geschenke an Weiber im Spiele. / Keinen schöneren hab ich je gesehen, nur den göttlichen Memnon.“ (Odyssee 11, 512–522)

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vollenden, was sein Vater Achilleus begann: Die Ausrottung des Troianischen Herrschergeschlechts.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Zielstrebig, entschlossen und mutig gibt sich Neoptolemos. Moralische Bedenken kennt er nicht. Als tätig starker Mann verhält er sich äußerst brutal. Sensibilität fehlt ihm gänzlich. Unverkennbar ist: Er handelt ähnlich wie sein Vater Achilleus. Auch ein ,strahlend kriegerisches Aussehen‘ wird man, analog dem Vaterbild, für Neoptolemos annehmen dürfen.

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Morde

Neoptolemos schlachtet den greisen troianischen König Priamos ab. Skrupellos tut er es auf dem Altar des Zeus Herkeios, dem heiligen Ort im Innenhof des Palastes bzw. Hauses. Ein solcher Altar heißt nach der Bezeichnung „Herkeios“ für eine schützende Umhegung. Und da des Priamos schöne Tochter Polyxene, die dem toten Achilleus als Beute zugeteilt worden ist, dem Verblichenen nicht 92 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

mehr gehören und dienen kann, opfert Neoptolemos die Frau am Grab seines Vaters. Parallelhandlungen

Einst besiegt Neoptolemos‘ Vater Achilleus den Aithiopierkönig Memnon, den neuen Verbündeten der Troianer. Später siegt Neoptolemos über Eurypylos, den letzten Bundesgenossen der Troianer, der ein Sohn des Telephos aus Pergamon ist. Und die Feindschaft zwischen Achilleus und Agamemnon – entstanden, weil Agamemnon die Lieblingssklavin des Achilleus, Briseis, für sich gefordert hat – spiegelt sich wider in der Feindschaft zwischen Achilleus-Sohn Neoptolemos und Agamemnon-Sohn Orestes, als es um Hermione geht. Sie ist Orestes versprochen gewesen, aber Neoptolemos erhält sie zur Gattin.

= = = = = Heimkehr aus Troia = = = = = Mit Andromache, der Witwe Hektors, begibt sich Neoptolemos nach Phthia in Thessalien und übernimmt dort die Herrschaft seines gefallenen Vaters. Andromache, des Neoptolemos’ Beutefrau, gebiert ihm Molossos, den späteren Stammvater des Volkes der Molosser, das Westgriechenland (Epeirus) bewohnt. Problemlos hätte Neoptolomos leben können, wäre er nicht der Schwiegersohn des Menelaos und der Helena geworden. Beider Tochter Hermione, als rechtmäßige Gattin an seiner Seite, bleibt kinderlos. Zusammen mit ihrem Vater Menelaos, versucht sie, die gehasste fruchtbare Rivalin Andromache umzubringen. Es kommt noch schlimmer. Hermione, einst dem Agamemnon-Sohn Orestes versprochen, muss erleben, dass ihre Vermählung mit Neoptolemos, den darob beleidigten Orestes nicht zur Ruhe kommen lässt (s. u. Tod).

= = = = = Tod = = = = = Neoptolemos wird von Orestes im delphischen Apollontempel ermordet. Die Tat geschieht, als Neoptolemos in Delphi weilt und nach Sühne sucht für seinen Mord an Priamos. Diese Tat wird im Priamos-Kapitel ausführlicher erwähnt. Neoptolemos / Pyrrhos – König von Phthia | 93

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v = Ehrung für Neoptolemos = In Delphi ehrte man Neoptolemos, der die Kämpfe um Troia siegreich für die Griechen zu Ende brachte, indem man ihm Grab und Heroon (Kultstätte für einen Helden oder Halbgott) errichtete. Der Bezirk liegt im Apollonheiligtum nordöstlich vom Tempel des Gottes. Des Neoptolemos’ Landsleute, die Thessalier, feierten ihn jährlich mit einem dreifachen Ritt um sein Grab.

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Orestes sieht sich gezwungen, Neoptolemos zu töten, weil er die tief empfundene Kränkung durch den Verlust Hermiones rächen will.

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Neoptolemos ist dazu bestimmt, die Nachfolge seines Vaters Achilleus anzunehmen und der neue Vorkämpfer im griechischen Lager zu sein.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Empfehlung für den Urlaub

Auf Skyros in der Ägäis kam Neoptolemos zur Welt. Diese Insel der Nördlichen Sporaden ist bis heute recht schwierig zu erreichen. ,Vielleicht wusste das schon Thetis, als sie ihren Sohn Achilleus dort in Sicherheit wähnte.‘ Da Skyros noch keinen Massentourismus kennt, garantiert es einen wunderschönen Urlaub, zumal mit Kindern, die jene anpassungsfähigen, genügsamen, einst halbwild im Gebirge lebenden Skyrosponys als Reitpferde im bunten Freizeitangebot schätzen. Leider gibt es nur noch wenige – zwischen 100 und 200 – dieser Skyrosponys. Um die Rasse bezüglich Erbgut und Inzucht zu erforschen, halten Wissenschaftler an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki ca. 40 Tiere. 94 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Ein Bild, das Unbehagen hervorruft

In Paris, Musée du Louvre, sollte man sich in die Griechischen, Etruskischen und Römischen Sammlungen begeben, um in Raum 39, Vitrine  6, eine Amphora (F 222) aus der Zeit um 520 / 510 v. Chr. aufzuspüren, an der folgende eindrucksvolle Szene dargestellt ist: Der gerüstete Neoptolemos stürmt auf einen Altar zu, über dem der von ihm erschlagene Priamos liegt. Gepackt hat Neoptolemos mit seiner erhobenen Rechten ein Bein des kleinen Astyanax. So deutet der Vasenmaler an, dass Neoptolemos den Enkel des troianischen Königs von der Stadtmauer herabschleudert und sein zerfetzter Körper auf dem Boden liegen bleiben wird.

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Ein alter Mann mit guten Ratschlägen = Nestor – König von Pylos

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Geburtsort: Pylos Vater: Neleus Mutter: Chloris Ehefrau: Anaxibia Kinder: Antilochos

Nestor – König von Pylos

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Unbekümmert dürfte Nestor seine Kindheit verbracht haben, zusammen mit elf Brüdern, bis er als jüngster Sohn des Neleus, noch in jugendlichem Alter, die Nachfolge seines Vaters antritt, weil er gerade nicht in Pylos, sondern im benachbarten Gerenia / Gerenos weilt, als ein Anschlag des Herakles die gesamte Familie Nestors umbringt. Warum tut Herakles das? Einst, in einem Anfall von Wahnsinn, tötet Herakles Iphitos, einen Sohn des Königs Eurytos, der auf der Insel Euboia herrscht. Er bittet Neleus, sich von dieser Tat entsühnen zu lassen, aber Neleus verweigert sich. Empört darüber tötet Herakles nun Neleus und alle Verwandten.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Seine Besonnenheit zeichnet Nestor als reifen Mann von gutem Charakter aus, und sein Äußeres kann, gemäß den Regeln der Adelsgesellschaft, gepflegt gewesen sein.

96 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Der Alte von Pylos = „[…] doch eilend erhob sich / Nestor, hold im Gespräch, der tönende Redner von Pylos; / Süßer als Honig floß ihm das klingende Wort von der Zunge. / Dieser hatte schon zwei Geschlechter von sterblichen Menschen / Schwinden sehen, die einstens mit ihm erwuchsen und lebten, / Fern in der heiligen Pylos, und jetzt beherrscht er das dritte.“ (Ilias 1, 247–252)

= Der Becher des Nestor = „Auch den stattlichen Kelch, den der Alte gebracht aus der Heimat / Reich mit goldenen Buckeln geschmückt; es waren der Henkel / Vier am Becher, ein Paar von goldenen pickenden Tauben / Rings um jeden und zwei der tragenden Stützen darunter. / Mühsam hob ein andrer den schweren Kelch von der Tafel, / War er gefüllt, doch Nestor, der Greis, erhob ihn im Spiele.“ (Ilias 11, 632–337)

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= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Sein Becher

Aus Gold getrieben und wunderbar gearbeitet ist Nestors Becher. Er hat ihn aus Pylos mitgenommen. Nach Kampfhandlungen in Troia pflegt er daraus zu trinken (s. u. Museumswelten – Standorte – Begehrte Becher). Seine Ratschläge

Gut kann Nestor in schwierigen Situationen raten, denn aufgrund seines Alters ist er erfahren und durch seine Ausgeglichenheit eignet er sich als Vermittler. So interveniert er erfolgreich bei Meinungsverschiedenheiten. Und der Rat, Patroklos solle sich in der Rüstung des Achilleus anstelle des sich noch immer verweigernden kriegsunwilligen Achilleus in den Kampf begeben, stammt von Nestor. Zehn Jahre nach dem Fall Troias empfängt Nestor den Sohn des Odysseus. Telemachos sucht nach seinem Vater. Ausgewogene Gespräche gibt es zwischen Jüngling und Greis. Nestor – König von Pylos | 97

= = = = = Heimkehr aus Troia = = = = = Nach dem Untergang Troias opfert Nestor zusammen mit Agamemnon der Athene und segelt seiner heimwärts. Seinen Lieblingssohn Antilochos muss er beweinen, der ihn zwar vor den Schwertschlägen des Memnon gerettet hat, dann aber selbst vom Aithiopierkönig getötet wird. Nestor ist es vegönnt, sicher nach Pylos zurückzukehren. Dort empfängt er zehn Jahre später Telemachos (s. o. Das machte ihn berühmt – Seine Ratschläge).

= = = = = Tod = = = = = Ein friedliches Ende für Nestor darf man annehmen.

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Nestor wird insgesamt eingebunden in jenes weitmaschige Netz der Auseinandersetzungen um Troia, das aus dem egoistischen Willen von Gottheiten gewirkt ist.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Ein Senior von Format

Weise, ehrlich, ausgeglichen, gelassen, beredt, heiter und einem guten Tropfen zugeneigt, so stellt man sich einen alten Herrn von Format vor, vielleicht auch den greisen Nestor. Die von Udo Reinhardt formulierte Einschätzung Nestors sei hier übernommen: „In Homers ,Iias‘ tritt er [Nestor] als angesehener, verdienter Staatsmann auf, den übrigen Führern an Jahren weit überlegen: geduldig hört man ihn an, obwohl er gern sehr langsam und ausführlich über die alten Zeiten berichtet und Ratschläge erteilt, die meist überflüssig oder nutzlos sind.“ Diese treffende Beurteilung mag zuweilen auch gelten, wenn da der Älteste einer wissenschaftlichen, politischen oder privaten Versammlung als ,Nestor‘ bezeichnet wird. Übrigens ist auch immer häufiger zu lesen oder zu hören von einer ,Nesto98 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Epische Beiwörter nach Udo Reinhardt = Nestor … der Rosselenkende, großgemute Mann.

= Die Residenz eines Königs = 1939 entdeckte ein amerikanisches Archäologenteam der Universität Cincinnati unter der Leitung von C. W. Blegen auf einem Hügel bei Epáno Englianó, ca. drei Kilometer südwestlich von Chora (Messenien, Westpeloponnes) und ca. sechs Kilometer nordwestlich von Koryfásio eine mykenische Palastanlage ohne Befestigungsmauern. Funde – Ausstattungsstücke und Schriftzeugnisse – bestätigen die Bedeutung des einstigen Herrschersitzes aus drei Trakten. Zugeschnittene Steinquader oder einfache Feldsteine, aus denen die Grundmauern bestehen, sind freigelegt und sichtbar. Hinzudenken muss man sich Wände aus luftgetrockneten Lehmziegeln, Vorhallen auf Holzsäulen, Innenwände mit Freskomalereien, Treppen ins Obergeschoß. Nur das mittlere Palastareal ist heute zu besichtigen unter einem Schutzdach. Um die Anlage zu verstehen, sind Grundrissplan plus Rekonstruktionszeichnung unerlässlich. Und mit den nötigen Informationen glaubt man sehr wohl, dass Nestor hier mit Familie und Dienerschaft lebte und dass es außerhalb des Palastes die Grabanlage des sehr alt gewordenen Königs von Pylos gab. Aber Fakt ist: Der Bau entstand im 13. Jh. v. Chr. und fiel um 1200 v. Chr. einer Katastrophe zum Opfer. Fachgelehrte meinen, das literarisch-topographische Angaben den Palast des Nestors weiter nördlich in der Peloponnes annehmen lassen könnten.

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rin‘, einer in die Jahre gekommenen Dame, die da, in welcher Disziplin auch immer, richtungweisend agiert hat.

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Begehrte Becher

Im Athener Nationalmuseum gehört der Saal 4 (Erdgeschoss) den Hinterlassenschaften der Mykenischen Zivilisation (16. bis ins 11. Jh. v. Chr.). In einer Nestor – König von Pylos | 99

zentralen Vitrine steht ein feiner goldener Becher aus Mykene (Gräberrund A Grab IV, 16. Jh. v. Chr., Inv. 412) mit zwei vollplastischen Tauben auf den beiden Henkelaufsätzen. Dass man das kostbare Stück gern als den Becher des Nestor vermarktet, versteht sich von selbst. Weniger spektakulär ist ein auf Ischia gefundenes Gefäß aus Ton, das im Museo Archeològico di Pithecusae (Villa Arbusto di Lacco Ameno, Saal 2, Vitrine 20) ausgestellt ist. Um 730 / 720 v. Chr. entstand dieser aus Rhodos importierte, in geometrischem Muster bemalte zweihenklige Becher (Inv.166788) mit einer Inschrift, die Fachgelehrte unterschiedlich übersetzten bzw. ergänzten. Zum einen: „Nestors Becher bin ich, zum Trinken schön.  / Sei es! Doch wer aus diesem Napfe hier trinkt, den ergreifet  / gleich die Sehnsucht nach Aphrodite, der herrlich bekränzten.“ Zum anderen: „Der Nestor hatte mal ’nen Krug zu gutem Trunk.  / Doch wer aus diesem Kruge hier trinket, den wird auf der Stelle  / Lust überkommen nach ihr: Aphrodite mit herrlichem Kranze.“ Der Bezug „Nestors Becher“ könnte verraten: Als der Dreizeiler in das bescheidene Tongefäß geritzt wird, dürfte die Ilias im Westen bekannt gewesen sein.

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Der Listige und das Pferd = Odysseus – König auf einer kleinen Insel

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Geburtsort: Ithaka Vater: Laertes Mutter: Antikleia Ehefrau: Penelope Kinder: Telemachos

Odysseus – König auf einer kleinen Insel

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Im Palast seines Vaters auf der idyllischen Insel Ithaka – so noch die am weitesten verbreitete Verortung seines Hauptwohnsitzes – wächst Odysseus sorglos auf. Klein ist das Reich des jungen Königs, der kaum eine Chance hat, bei der Werbung um Helena zu gewinnen. Ihm kommt die Idee, den Eid der Helenafreier zu initiieren, d. h. alle Bewerber müssen dem Glücklichen, der die Schöne erhält, helfen, sobald jemand anderes Anspruch auf sie erhebt. Das ist ganz im Sinne von Helenas Vater Tyndareos. Dieser vermittelt Odysseus dann, als Dank für den erfolgten Bündnisschwur, die Gattin Penelope, Tochter des Tyndareos-Bruders, namens Ikarios.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Zum einen gibt es den ,coolen‘ Odysseus: Ihn zeichnet eine außergewöhnliche rednerische Qualität aus, die ihn besonders von Menelaos und dem Großen Aias unterscheidet. Schillernde Eloquenz paart er mit gewaltiger Stimme. Beides prägt sein Wesen, genau wie hochgradige Intelligenz, beachtliche Geistesgegenwart, beängstigende Rachsucht, ausgeprägter Egoismus Odysseus – König auf einer kleinen Insel | 101

und verblüffender Pragmatismus. So steht er entschlossen zu seinen Aktionen, und ohne Erbarmen gegen Schwache tötet er hinterhältig. Zum anderen gibt es den ,sensiblen‘ Odysseus: Er leidet unter der Isolation während seiner Irrfahrten auf dem Rückweg zu seiner Heimatinsel. Melancholische Stimmungen, vielleicht sogar Depressionen, quälen ihn. Perspektivlos fühlt er sich dem Schicksal ausgeliefert. Sehnsüchte nach seiner Frau verzehren ihn. Existentielle Gefährdung wird ihm bewusst, wenn er in Bettlergestalt endlich in seinen heimatlichen Palast zurückkehrt. Wie sieht er aus, der viel gerühmte Held? Blondes Haar hat er. Odysseus wird körperlich kleiner als Agamemnon und Menelaos beschrieben. Der Schulter- und Brustbereich ist hingegen breiter als ebendiese Zone bei Agamemnon. Odysseus’ stämmiger Oberkörper ruht auf kurzen Beinen. Insgesamt fällt der kräftige Wuchs des Helden auf. All das lässt auf eine untersetzte, nur mittelgroße Figur schließen. In Darstellungen der Bildenden Kunst ist Odysseus barhäuptig, auch mit einem Helm des Kriegers oder mit dem Hut der Reiter, Handwerker und Reisenden (flacher Petasos aus Filz oder Stroh bzw. spitzer Pilos aus Filz) zu sehen. Die Diskrepanz zwischen der Redegewandtheit des Odysseus und seiner Statur bündelt Udo Reinhardt geistreich: „Seine rhetorisch-intellektuellen Qualitäten ließen jedes Auditorium binnen kurzem seine äußere Erscheinung fast völlig vergessen“.

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Er heuchelt Wahnsinn

Odysseus, einst selbst an der Werbung um Helena beteiligt, muss konsequenterweise mit in den Krieg gegen Troia ziehen, als Paris Helena geraubt hat und der Freiereid gegenüber ihrem rechtmäßigen Gatten eingelöst werden soll. Obgleich Odysseus klar erkennt, dass der Bündnisfall zwingend eingetreten ist, möchte er trotzdem lieber bei seiner schönen Frau Penelope und beider kleinem Sohn Telemachos bleiben. Also versucht er, sich dem Troianischen Krieg zu entziehen, indem er Wahnsinn heuchelt. Um seine Verwirrtheit eindeutig zu präsentieren, spannt Odysseus einen Ochsen und ein Pferd beim Pflügen zusammen. Außerdem streut er, statt des Samens, Salz in die Furche. Es gelingt Palamedes – dem Vertrauten des um Helena beraubten Menelaos – Odysseus 102 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Der Meeresgott Poseidon sitzt in seinem Wagen und lässt sich von einer Pferdequadriga durch die Fluten ziehen. Sein Zorn verantwortet, dass Odysseus auf seiner Heimfahrt von Troia wiederholt Schiruch erleidet.

zu entlarven. Er reißt den kleinen Telemachos von Penelopes Brust und legt das Kind in die Furche. Daraufhin kommt Odysseus mit gezücktem Schwert dem Sohn zu Hilfe, damit dieser nicht vom Flug überfahren wird. Demzufolge kann Odysseus die Teilnahme am Zug gegen Troia nicht mehr verhindern. Sein Hass auf Palamedes, der Odysseus klug der Lüge überführt hat, wächst unermesslich. Udo Reinhardt lobt den hohen Intelligenzquotienten des Palamedes und spricht ihm einen IQ Wert von mindestensn 220 zu. Er handelt einsatzbereit und skrupellos

Wiederholt ist Odysseus in Geschehnisse involviert, die seinen Gefährten auf dem langen Weg zum Sieg über die Troianer verhelfen. Als die ehemaligen Freier der Helena auf ihren Schiffen gen Troia segeln, begibt sich Odysseus nach Skyros. Was hier folgend berichtet wird, ist auch schon im Kapitel zu Achilleus zu erfahren. Durch eine List gelingt es Odysseus, Achilleus von der Insel wegzulocken, auf der ihn seine Mutter Thetis im Kreise der Töchter des Königs Lykomedes versteckt hat, denn sie will Achilleus vor Kriegsgefahren schützen. Aufgrund eines Orakelspruches weiß sie ja, dass Achilleus unter den griechischen Kämpfern sein muss, um Troia zu besiegen. Odysseus durchOdysseus – König auf einer kleinen Insel | 103

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v = Odysseus aus der Sicht des Priamos = „Aber er selber schreitet wie ein Widder die Scharen der Männer; / Denn wahrhaftig, er gleicht einem Bocke mit wallendem Vließe / Welcher das Herdengewühl der schimmernden Schafe durchwandelt.“ (Ilias 3, 196–198)

= Sirenengesänge = „Treibe dein Schiff ans Land, denn du musst unsre Stimmen erst hören. / Keiner noch fuhr hier vorbei auf dunklen Schiffen, bevor er / Stimmen aus unserem Munde vernommen, die süß sind wie Honig. / So einer kehrt dann mit tieferem Wissen beglückt in die Heimat. / Alles wissen wir dir […] / Herrlich ließen im Sang diese Worte sie hören. Zu lauschen / Drängte das Herz und ich gab den Gefährten befehlende Winke / Mich zu befrein – doch sie legten sich vor und ruderten weiter. / Ja, Perimedes erhob sich sofort und Eurylochos mit ihm, / Beide vermehrten die Stricke und banden und zwängten nur stärker. / Endlich waren wir außer Bereich; wir hörten sie nicht mehr; Stimmen und Sang der Sirenen verklangen. Die trauten Gefährten / Nahmen sofort dann das Wachs aus den Ohren, womit ich sie ihnen / Vorher völlig verstopfte, und lösten auch mich aus den Banden“ (Odyssee 12, 185–200)

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kreuzt Thetis’ Vorsichtsmaßnahmen. Er spürt Achilleus auf und entdeckt ihn als Mann inmitten der weiblichen Wesen. Brillant ist sein Einfall, der Gruppe sowohl Waffen als auch Schmuck zu zeigen. Nur ,ein Mädchen‘, unter dessen Gewändern sich Achilleus verbirgt, interessiert sich für die Kriegsgeräte. Odysseus‘ Plan geht auf. Mit 50 Schiffen segelt der augenblicklich kampfbegeisterte Achilleus nach Troia und sichert so die von Odysseus gewünschte Festigung des Griechenheeres. Das tut wohl auch eine andere Aktion des Helden. Er meint nämlich, die Kampfmoral der Griechen dürfe nicht beeinträchtigt werden durch eine stinkende Wunde des Mitstreiters Philoktetes, der an den Folgen eines Schlangenbisses leidet, den er sich auf der Insel Chryse beim Opfer zugezogen hat. Vom erbarmungslosen Odysseus wird er schwerkrank und tot geweiht auf der nahe gelegenen Insel Lemnos zurückgelassen. 104 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Er begeht Morde

Odysseus ermordet – unterstützt von Diomedes – den ihm verhassten Palamedes. Der Mord an Palamedes ist im Kapitel zu Diomedes ausführlich beschrieben. Ebenfalls als Team bestehen Odysseus und Diomedes ein nächtliches Mordunternehmen. Sie spionieren auf troianischer Seite und bringen dabei den troianischen Späher Dolon um. Dieses Ereignis ist im Kapitel zu Diomedes detailreich erzählt. Er vermittelt in delikaten Fällen

Odysseus gehört, zusammen mit dem Großen Aias und mit Phoinix, dem Erzieher des Achilleus, zu jener Bittgesandtschaft, die zwischen Agamemnon und Achilleus – wegen Überlassung der Achilleusgeliebten Briseis an Agamemnon – vermitteln möchte. Man macht sich auf den Weg, nachdem eine Verwundung des Odysseus überstanden ist. Letzterer versucht vergeblich, durch Schilderung der schwierigen Situation der Griechen und durch angebotene Wiedergutmachungsgeschenke des Agamemnon, den noch immer schmollenden Achilleus wieder in den Kampf zu holen. Später, als Patroklos gefallen ist – er hat ja in der Rüstung seines Freundes Achilleus gekämpft – führt Odysseus dann Briseis aus dem Lager des Agamemnon zurück zu Achilleus, welcher nun endlich durch die Rückgabe der Frau bereit ist, neu in den Kampf einzutreten. Er will die begehrte Auszeichnung

Nach Achilleus’ Tod wird um den Besitz seiner neuen zweiten Rüstung gestritten. Odysseus bekommt sie mit Hilfe Athenes und auf Grund seiner eigenen Beredsamkeit. Die Waffen des Achilleus zu erhalten, das bedeutet eine einmalige Ehre, nämlich die ,Krönung‘ zum größten noch lebenden griechischen Helden. Diese Würdigung hat sich allerdings der Große Aias erhoff t, denn er ist es gewesen, der den Kampf um Achilleus’ Leiche entschieden hat und sie dann allein – nur mit Rückendeckung des Odysseus – vom Schlachtfeld geschleppt hat. Das Schicksal des Großen Aias, Achilleus’ Rüstung seinem Kampfgefährten Odysseus überlassen zu müssen, bewirkt Schreckliches. Nicht abfinden kann sich der Große Aias mit dem neuen Besitzer der Achilleus-Rüstung, fühlt sich tief verletzt und beleidigt, wird wahnsinnig. Letztlich aber ist Athene schuld daran, dass er nicht mehr weiß, was er tut, als er nachts Schafe niedermetzelt, in der Odysseus – König auf einer kleinen Insel | 105

Meinung, er töte Griechen. Längst tot ist der Große Aias, als Odysseus die Rüstung des Achilleus an dessen Sohn Neoptolemos weitergibt. Er stellt die Weichen für den Sieg

Odysseus – mit dem Tod des Achilleus, dann mit Wahnsinn und Selbstmord des Großen Aias konfrontiert – erkennt klar, dass es schwer sein wird, ohne die beiden kampffähigsten Helden der Griechen einen Sieg über Troia zu erreichen. Er denkt nach, ersinnt einen Ausweg, plant, handelt. Zunächst bringt Odysseus den troianischen Seher Helenos in seine Gewalt. Er ist der Zwillingsbruder der gleichermaßen über weissagende Fähigkeiten verfügenden Kassandra, und stammt somit, wie diese, vom troianischen König Priamos ab. Odysseus zwingt Helenos preiszugeben, was passieren muss, damit seine Stadt fällt. Er verrät die Bedingungen für Troias Untergang: Erstens: Der Sohn des Achilleus, Neoptolemos / Pyrrhos, muss auf griechischer Seite mitkämpfen (Neoptolemos / Pyrrhos, geboren von Achilleus’ Frau Deidameia, lebt ja noch auf Skyros; von dort holen ihn Odysseus und Phoinix ab!) Zweitens: Der Bogen des Herakles muss eingesetzt werden. (Eben dieser Bogen befindet sich bei Philoktetes auf Lemnos; der auf der Insel krank Zurückgelasssene muss folglich von Lemnos ins Lager der Griechen gebracht werden!). Drittens: Das Götterbild, das Palladion, muss geraubt werden aus Athenes Tempel in Troia. (Da die Troianer Athene als ihre Stadtgöttin verehren und sehr auf das heilige Abbild der Göttin achten, ist es schwierig zu erbeuten. Es soll trotzdem gelingen. Odysseus macht sich als Bettler auf den Weg, um zu erkunden, wie der Diebstahl des Palladions möglich ist und entwendet es dann erfolgreich zusammen mit Diomedes. Als Diomedes das Palladion fortschleppt, tötet Odysseus beim Rückzug troianische Wachen. Diese Begebenheit ist auch im Kapitel zu Diomedes erzählt.) Er lässt das Troianische Pferd bauen

Kalchas, der griechische Seher, empfiehlt, eine List zu ersinnen. Sie möge die Troianer endlich besiegen. Durch Athenes Eingebung hat Odysseus die ,in allen Zeiten bestaunte‘ Idee: Konstruktion und Verwendung des Troianischen Pferdes. Wie könnte man sich das Wunderwerk vorstellen? Der Holzkern ist mit Platten aus Metall überzogen. Diese Technik der Sphyrelata – so heißen mit Bronze-, Silber- oder Goldblech bedeckte Holzbilder – kennt man realiter, 106 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

z. B. durch ein um 590 / 580 v. Chr. zu datierendes, in Olympia gefundenes Bronzeblech, das den Oberkörper einer geflügelten Frauengestalt wiedergibt. Als eigentlicher ,Baumeister‘ des ,wesentlich früher‘ entstandenen Troianischen Pferdes gilt ein gewisser Epeios. Dass seine Werkstatt unentdeckt blieb in troianischen Gestaden, passt zu den Ungereimtheiten des Mythos! Zeus favorisiert das Pferd aus Holz und Metall. Sein Einverständnis zum Einsatz bekundet er durch einen Donnerschlag. Im hohlen Bauch des Pferdes sitzen die besten Krieger der Griechen. Welche und wie viele es sind, wird höchst unterschiedlich überliefert. 5, 14, 23, 30, sogar 50, 100 oder 3000 sollen den ,heldischen Inhalt‘ des Pferdes ausgemacht haben, gemäß einer Information aus dem Katalog zur 2006 in München gezeigten Ausstellung „Mythos Troja“. Solche widersprüchlichen Angaben zur Heldenzahl im Pferdebauch bestätigen die Eigendynamik der mythischen Überlieferung. Also: Unerkannt ob der perfekten Tarnung gelangen ausgewählte griechische Kämpfer in die Stadt, während das Heer der Griechen demonstrativ abzieht, damit sich die Troianer in Sicherheit wiegen. Überaus spannend liest es sich, wie der geniale Plan, den ,hölzernen Vierbeiner mit schlagkräftigem Innenleben‘ nach Troia hineinzuziehen, in letzter Minute fast vereitelt wird. Helena kommt nämlich zum Pferd und ahmt die Stimmen der Ehefrauen jener im Pferde-Corpus sitzenden Männer nach, die spontan herauswollen, aber Odysseus kann sie zurückhalten. Da steht es nun, das riesige Pferd aus Holz mit seinen Metallbeschlägen, auf dem Platz des griechischen Lagers. Als die Troianer ihre Feinde auf dem Rückzug sehen, stürmen sie aus der Stadt, erblicken ratlos das merkwürdige Abschiedsgeschenk, vor dem Laokoon, der Apollonpriester, inständig warnt. Er schleudert sogar einen Speer gegen das Pferd. Aber in ihrem Erstaunen überhören die Troianer das Waffengeklirr im Innern des Ungetüms. Zeitnah schleppen Hirten einen Griechen namens Sinon zu König Priamos. Um Gnade flehend, lügt Sinon perfekt. Seine Landsleute, so erzählt er, haben ihn den Göttern opfern wollen, um eine glückliche Heimkehr zu erreichen, aber ihm sei die Flucht gelungen. Priamos gewährt Sinon Asyl, glaubt dessen Beteuerung, das Pferd sei ein Weihgeschenk für Athene und müsse unversehrt in die Stadt geholt werden, um die Rache der Göttin zu vermeiden. Athene greift ein zum Schaden der Troianer. Sie lässt zwei riesige Schlangen von der Insel Tenedos herbeieilen und auf den Altar des Poseidon am Meeresufer zukriechen. Dort bereitet gerade Laokoon, zusammen mit seinen beiden Söhnen, ein Opfer für den Meeresgott vor. Die Schlangen Odysseus – König auf einer kleinen Insel | 107

töten die Knaben und den Priester. Als Athene die Reptilien sogar entschwinden lässt in ihren eigenen Tempel, den ihr die Troianer erbaut haben, werden letztere noch sorgloser. Sie reißen die Mauer nieder, ziehen das auf Rollen konstruierte Pferd durch eines der Stadttore, feiern ein nächtliches Freudenfest, überhören die Warnungen ihrer Seherin Kassandra. Als alle Troianer ermattet eingeschlafen sind von Wein und Fest, signalisiert der durchtriebene Sinon mit einer Fackel, dass die Griechen zurückkommen können. Dann gibt er Odysseus das vereinbarte Klopfzeichen. Lautlos klettern die Griechen aus dem Pferd und begeben sich in die Stadt, öffnen andere Tore für die wieder heranstürmenden Griechen. Sie schonen niemand. Neoptolemos / Pyrrhos tötet Priamos. Man reißt Hektors Sohn Astyanax aus den Armen seiner Mutter Andromache und schleudert ihn von den Zinnen des Turmes. Odysseus hat darauf bestanden, dass Astyanax stirbt. Und nachdem das Procedere mit dem Troianischen Pferd geglückt ist, fordert Odysseus konsequent die Bestrafung von Kassandras Vergewaltiger Aias, dem Lokrer (s. u. Bitte nicht verwechseln). Dem Gemetzel entrinnen Aineias mit Sohn Askanius und Vater Anchises. Selbstverständlich müssen sich auch noch zahlreiche andere Troianer in Sicherheit gebracht haben, sonst könnten sie ja nicht zusammen mit Aineias nach Westen gelangt sein.

= = = = = Heimkehr aus Troia = = = = = Nach der griechischen Eroberung Troias plant Odysseus, das ihm gebliebene Gefolge auf seinen zwölf Schiffen zur Heimatinsel zurückzuführen. Er ist ca. zehn Jahre unterwegs, verliert alles, Gefährten und Schiffe. Der gesamte Krieg dauert nicht länger als die ,Odyssee‘ des Helden, die als Umschreibung für schwierige Unternehmen schlechthin gilt und gemäß der „Interpretatio christiana“ zuweilen als heidnisches Gegenstück zur biblisch lehrhaften Erzählung vom „Verlorenen Sohn“ dient. Auf seiner Irrfahrt kommt Odysseus zu gefährlichen Völkern, verweilt bei wunderschönen weiblichen Wesen, entzieht sich todbringenden Fabelgeschöpfen, besiegt lebensbedrohende Naturgewalten. Da der Held einen Sohn des Poseidon (s. u. Polyphem, eine Riese ohne Gastfreundschaft) geblendet hat, schickt der Meeresgott wiederholt Stürme, die den Heimkehrer in stets neue Schwierigkeiten bringen, bis er schlussendlich 108 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Epische Beiwörter nach Udo Reinhardt = Odysseus … der städtezerstörende, wackere, vielkluge, vielgewandte, geschichtenreiche, listenreiche, Buntes sinnende, über viele Mittel verfügende, duldende, vielduldende, duldemütige.

= Bitte nicht verwechseln = Dem Große Aias gehört in diesem Band ein eigenes Kapitel. Es gibt noch einen anderen Helden mit gleichem Namen. Gelegentlich wird er als Kleiner Aias, öfter als Aias der Lokrer, bezeichnet, weil er der Sohn des Königs Oileus von Lokris in Mittelgriechenland ist. Im Kampf um Troia gilt er auf griechischer Seite als sehr wichtiger Held. Ihn zeichnet aus, der zweitschnellste Läufer nach Achilleus zu sein. Begierdegesteuert vergewaltigt der Kleine Aias – nach Troias Niederlage – die troianische Seherin Kassandra im Heiligtum Athenes in Troia. Athene entdeckt die Tat ihrem Vater Zeus und verlangt Bestrafung des Frevlers. Zeus überlässt ihr einen Donnerkeil, mit dem Athene dann das Schiff des lokrischen Aias triff t und zerstört, als es südwestlich von Euböa an den Kaphareischen Felsen vorbeisegelt. Aias der Lokrer rudert mit den Händen weiter. Poseidon erbarmt sich und schleudert ihn auf eine Klippe. Als der Gerettete prahlt, er sei den Göttern zum Trotz den Fluten des Meeres entronnen, spaltet Poseidon mit seinem Dreizack den Felsen. Der Kleine Aias ertrinkt und wird von einem Gesteinshügel begraben.

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unter Athenes Aegide wieder zuhause ist. Als Odysseus – nach einer Dekade Troia und einer Dekade Irrfahrt, also nach ca. 20 Jahren – wieder vor seinem Palast steht, hat er unvorstellbar schwere Hindernisse gemeistert, von denen die 24 Bücher der Odyssee / Odysseia mit ihren ca. 12 000 Hexameterversen berichten. In den ersten vier Büchern kommt Odysseus nur indirekt vor. Gattin Penelope und Sohn Telemachos ersehnen seine Rückkehr. Die Freier Penelopes wünschen seinen Tod. Athene mischt sich ein, schlüpft in die Gestalt eines Freundes des Odysseus und berichtet Telemachos von seinem Vater, über den Telemachos bei seinen Reisen mehr erfahren möchte. In Pylos befragt er Nestor. Menelaos und Helena informieren ihn in Sparta. Das Epos Odysseus – König auf einer kleinen Insel | 109

verschlüsselt die Geschehnisse durch vorausschauende und zurückblickende Erzählungen, was nicht nur Erstlesern der Abenteuer erhebliche Verständnisschwierigkeiten bereiten kann, weil es höchster Konzentration bedarf, um zu verstehen, was Odysseus denn schon erlebt hat – das berichtet er dem gastfreundlichen König auf Scheria / Korfu – und was ihm noch bevorsteht. Die Odyssee ist also nicht linear chronologisch aufgebaut. Einer besseren Übersichtlichkeit wegen, paraphrasiere ich die Ereignisse hier erheblich gekürzt und ,aktuell getitelt‘ in der Reihenfolge, wie sie sich denn ereignet haben könnten. Diverse hochkarätige Literatur der letzten Jahre, die ,realistische‘ Rekonstruktionsanalysen des Odysseeverlaufs anbieten und interessante Detailbeobachtungen herausarbeiten, kann ich beim vorgegebenen begrenzten Umfang dieses Bandes nicht einbeziehen. Obgleich zu den hier folgenden Nacherzählungen der Abenteuer bestimmte Lokalisierungen angegeben sind, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie schussendlich in eine Phantasiewelt gehören. Trotzdem lasse ich Odysseus und seine Männer jetzt ,realistisch‘ zu ihrer Odyssee aufbrechen! Wein aus Ismaros

Odysseus und sein Gefolge kommen auf dem angetretenen Heimweg zunächst nach Thrakien, ins Land der Kikonen. Diese sind Verbündete der Troianer gegen die Griechen gewesen. Man plündert die Stadt Ismaros. Odysseus nimmt einen Weinvorrat mit, den er vom Priester Maron erhält. Wildziegenfleisch auf Kythera

Man streift das Kap Malea an der Südspitze der Peloponnes und die nahe Insel Kythera mit ihren Wildziegen, die den Heimkehrern willkommene Nahrung sind. Odysseus verliert sechs Männer. Vegetarische Stärkung

Als nächstes erreicht die Gruppe um Odysseus das Volk der Lotophagen. Vielleicht hat es in Libyen gelebt. Der Name „Lotophagen“ bedeutet ,Lotosesser‘. Gefährten des Odysseus, die vom honigsüßen Lotos probieren, vergessen die Heimat und müssen mit Gewalt auf die Schiffe zurückgebracht werden.

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Polyphem, ein Riese ohne Gastfreundschaft

Odysseus und seine Männer gelangen zu einer Insel, auf der sie eine Höhle mit eingelagerten Lebensmitteln, Käse und Lammfleisch, entdecken. Erfreut darüber, greifen sie zu. Dann naht der Höhlenbesitzer. Ein Menschen fressender einäugiger Riese ist es, der Kyklop namens Polyphem, ein Sohn des Meeresgottes Poseidon. Augenblicklich verschließt er seine Behausung mit einem Felsblock. Die Eindringlinge sollen sein willkommener Essensvorrat sein. Zwei Gefährten des Odysseus verspeist er sogleich, andere später. Hätte Odysseus den Kyklopen im Schlaf umbringen sollen? Angenommen, das wäre gelungen. Wie könnte man dann den gewaltigen Steinblock vor der Höhle entfernen? Die Kräfte der Männer dürften dafür nicht ausgereicht haben. Odysseus findet die Lösung. Er macht Polyphem betrunken durch den Wein aus Ismaros. Mit einem gespitzten, im Feuer geglühten Pfahl durchbohrt er das Auge des eingeschlafenen Kyklopen. Folglich findet der Geblendete die sich in den Nischen der Höhle versteckenden Eindringlinge nicht. Als Polyphem den Stein wegwälzt, um seine in der Höhle blökenden Tiere auf die Weide zu lassen, tastet der Geschundene zwar den Rücken der Schafe ab, weil er vermutet, die Fremden könnten auf ihnen liegend entkommen; aber Odysseus und seine Gefährten haben sich unter die Tiere gebunden und verlassen so unerkannt die Wohnstatt des Polyphem. Zurück auf dem Schiff, beleidigt Odysseus den überlisteten Gegner. Der wirft zornig Felsbrocken in die Richtung, aus der die Stimme kommt. Beinahe treffen sie die Entflohenen. Polyphem bittet nun seinen Vater, es ist ja der das Meer und die Stürme beherrschende Poseidon, Odysseus’ Heimkehr zu vereiteln. Poseidon erfüllt den Wunsch. Abermals hat Odysseus sechs Männer verloren. Aiolos sammelt Winde

Von Polyphems Insel segelt Odysseus mit einigen, ihm verbliebenen Männern zu einem im fernen Westen schwimmenden Eiland, vielleicht zu einer der Aiolischen Inseln, auf der Aiolos herrscht. Dieser Windgott versorgt die Fremden gastfreundlich mit einem Schlauch, in dem er alle Winde bündelt, die für die Heimfahrt hinderlich sind. Nur den Westwind aktiviert er, wodurch die kleine Flotte der Heimat sehr nahe kommt. Als Odysseus schläft, öffnen beutegierige Kameraden den Schlauch, weil sie Schätze aller Art darin vermuten. Aber es entweichen keine Gegenstände aus Gold oder andere Kostbarkeiten, sondern Odysseus – König auf einer kleinen Insel | 111

Wirbelwinde, welche die Schiffe wieder zur Insel des Aiolos zurücktreiben, deren Herr nun nicht mehr weiterhilft. Er verjagt Odysseus und seine Männer. Laistrygonen mögen Menschenfleisch

Sechs Tage segeln Odysseus und seine Gefährten. Dann gelangen sie nach Telephylos, wo König Lamos über die Laistrygonen regiert. ,Vielleicht‘ leben er und seine Menschen fressenden Untertanen, die Nachkommen des Meeresgottes Poseidon, auf Sizilien. Da die Begleiter des Odysseus, gegen des letzteren Rat, ihre Schiffe in einer engen Bucht festmachen, können sie nicht problemlos wenden und müssen erleben, wie die Riesen elf Schiffe umkippen, die meisten Männer ergreifen und auffressen. Da Odysseus sein Schiff außen vor der winzigen Meeresbucht geankert hat, entkommt er mit einigen seiner Leute. Im Banne der Kirke

Man erreicht die Insel Aiaia. Das Eiland wird zum einen irgendwo in der Adria angenommen, zum anderen soll es sich am Rande des die Erde umfließenden Okeanos befinden, bei einem Land, das man gern mit Kolchis, zwischen Schwarzem Meer und Kaukasos, identifiziert. Auf Aiaia erschießt Odysseus einen Hirsch. Man muss ja den Hunger stillen! Einige seiner Begleiter erkunden das unbekannte Terrain und entdecken eine Palastanlage. Hier wohnt Kirke. Sie verwandelt die Männer in Schweine. Nur einer entkommt und bringt die fatale Nachricht zu Odysseus, der sich unverzüglich zur Übeltäterin begibt. Auf dem Weg triff t er den Götterboten Hermes. Er übergibt Odysseus ein Kraut namens Moly, das gegen Kirkes Zauberkraft immun macht. Mit gezücktem Schwert zwingt Odysseus Kirke, den Männern ihre Schweinegestalt zu nehmen und sie wieder in Menschen zurückzuverwandeln. Sie tut es, verliebt sich in Odysseus, bittet ihn zum Beischlaf, damit sie, so vereint, einander trauen können. Odysseus bleibt ein Jahr bei ihr. Sehr gut geht es Odysseus auf Kirkes Insel. Erst als ihn seine Gefährten an die Heimat erinnern, hat er neuerliches Verlangen nach seiner Ehefrau Penelope. Odysseus verabschiedet sich von Kirke, die ihn auffordert, in die Unterwelt hinabzusteigen, um vom Seher Teiresias – nur er behielt im Totenreich seinen einstigen Verstand – wichtige Informationen für die Heimkehr entgegenzunehmen. Teiresias warnt Odysseus vor dem ihm weiterhin feindlich gesonnenen Poseidon und rät ihm inständig, auf der Insel Trinakia (Sizilien) die Herden des Sonnengottes Helios unan112 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

getastet zu lassen, denn nur so könne er dem Verderben entrinnen. Nach dem Besuch im Totenreich kommt der furchterfüllte Odysseus noch einmal zu Kirke, um einen Gefährten namens Elpenor zu bestatten, der sich vom Dach des Kirke-Palastes zu Tode gestürzt hat; einen weiteren Gefährten hat Odysseus verloren. Kirke warnt Odysseus vor zu erwartenden Gefahren, denen er sich denn auch bald stellen muss. Süß singen Sirenen

Zwischen Kirkes Eiland Aiaia – wo auch immer es gelegen haben mag – und einer Meerenge – gemäß heutiger Geographie wohl die Straße von Messina – gibt es Inseln, auf denen zwei Sirenen leben, die alles wissen und alles verraten können, was auf Erden geschieht. Durch ihren bezaubernden Gesang, „die Bestrickenden“ heißen sie in homerischer Sprache, locken sie Seeleute zu sich. Wer ihren süß klingenden Liedern folgt, findet den Tod. Odysseus möchte das ungeheuerliche Geschehen ergründen. Er verklebt die Ohren seiner Kameraden mit Wachs. Das hat ihm Kirke beim Abschied geraten. Dann lässt er sich an den Mastbaum des Schiffes fesseln, damit er das göttliche Singen der beiden Sirenen sehr wohl hören kann aber ihren schmeichelnden Tönen nicht folgen muss. Er hat sich geirrt, denn als ihm die verführerischen Stimmen versprechen, bei einem Verweilen auf ihrer Insel die Zukunft zu entdecken, lockert Odysseus seine Verschnürungen. Großes Verlangen zieht ihn zu den rätselhaften ,Stützpunkten‘ der Sirenen. Seine Männer binden ihn fester, glücklicherweise, denn jenseits des Bannkreises der Sirenen, entfernt von ihren Inseln, wirken die gefährlichen Anlockungen nicht mehr. Tödliche Gefahr im Doppelpack: Skylla und Charybdis

Das nächste Hindernis wartet auf die unglücklichen Segler. Skylla (Hündin) und Charybis (Meeresstrudel) sind es, an der Meerenge von Messina ,vielleicht‘. Links verschlingt der gefährliche Mahlstrom Charybdis dreimal täglich die Schiffe und rechts in felsiger Höhle handelt die krakenhafte Skylla. Um Charybdis zu entgehen, muss Odysseus dicht an Skylla vorbeifahren. Diese hat die Stimme eines jungen Hundes und schnappt mit ihren sechs Köpfen an überlangen Hälsen bequem nach den Seeleuten. Durch Skylla verliert Odysseus alle Schiffe bis auf einen hölzernen Rest. Sechs Gefährten werden verschlungen. Die übrigen entrinnen, weil Odysseus die Mutter der Skylla erfolgreich um Gnade bittet. Odysseus – König auf einer kleinen Insel | 113

Heilige Rinder des Helios und ertrunkene Männer des Odysseus

Die Männer gelangen nach Trinakia (Sizilien), wo sie sich entgegen der Mahnung des Teiresias dann doch an den Rindern des Sonnengottes Helios vergreifen. Schlimmes folgt. Der Blitz des Zeus triff t ihr Schiff. Die restlichen Gefährten des Odysseus ertrinken. Er selbst klammert sich an den ihm gebliebenen Kielbalken des Schiffes, der zur Charybdis zurückgezogen wird und in ihrem Strudel verschwindet. Odysseus kann sich an einem Feigenbaum festklammern, der oberhalb des Mahlstroms wächst. Als das Schiffsfragment wieder auftaucht, lässt er sich darauf herabfallen. Auf ihm wird er sodann über das Meer getrieben. Kalypso hoff t vergeblich

Angeschwemmt an die Küste der Insel Ogygia, die irgendwo am Rande der Welt positioniert sein soll und die der Nymphe Kalypso gehört, findet Odysseus ,vorübergehend‘ Ruhe. Sieben Jahre wird er bleiben, denn Kalypso verliebt sich in Odysseus, will ihn unsterblich machen, möchte ihn bei sich behalten. Man hat eine schöne Zeit miteinander. Dennoch sehnt sich Odysseus zurück nach Penelope. Zeus erbarmt sich und schickt den Götterboten Hermes, durch den Kalypso erfährt, dass sie Odysseus freigeben muss. Ungern folgt sie dem Befehl, unterstützt Odysseus beim Floßbau und stattet ihn aus mit Reisekost. Entschlossen zur Rückkehr, sticht Odysseus in See und erfährt erneut Poseidons Zorn. Wieder einmal schickt der Meeresgott Sturm. Odysseus verliert den Halt auf dem Floß, fällt ins Wasser, kann das rettende Brett wieder erreichen. Hilfe naht. Die Nymphe Ino Leukothea kommt in Gestalt eines Vogels zu ihm und händigt ihm einen Schleier aus, der ihm nach Art einer modernen Schwimmweste weiterhilft. Voll Überraschungen ist Scheria

Am Strand von Scheria (Kerkyra / Korfu) kann sich Odysseus aus der Felsenbrandung in die Mündung eines Flusses retten und schläft in einem nahen Wäldchen unter zu Boden gefallenem Blattwerk. Athene arrangiert, dass Nausikaa, die Tochter des Inselkönigs Alkinoos und seiner Gemahlin Arete, den Fremdling findet, als sie mit ihren Feundinnen an der Flussmündung weilt, weil sie die für ihre Hochzeit bereitliegende Webereien frisch waschen muss. Nausikaa versorgt den Geretteten mit Kleidung und bringt ihn in den Palast 114 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Ein Danaergeschenk = Eine Gabe, die vom Beschenkten zunächst erfreut angenommen wird und sich dann allerdings als unerfreulich für ihn erweist, nennt man „Danaergeschenk“. Dieser Name leitet sich her von einem berühmten Zitat zu jenem beliebt-berühmt-berüchigten Pferd. Vor ihm warnt Laokoon, der troianische Apollonpriester: „Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentis“ (Was immer es sein mag, ich fürchte die Griechen, selbst, wenn sie Geschenke bringen.) Mit den Danaern – sie stammen ab von Danaos, dem Herrscher von Argos – sind die Griechen gemeint. Den zitierten Vers – Vergil (70 v. Chr.–19 n. Chr.), Aeneis 2, 49 – übersetzt Emil Staiger eingängig leicht so: „Was es auch sei, ich fürchte, selbst wenn sie schenken, die Griechen.“ (1985 Deutscher Taschenbuchverlag, München)

= Römisches Rezept: Das Troianische Schwein = Reiche Römer favorisierten ein besonderes Festmahl, das „porcus troianus“, das Troianische Schwein. Man nehme ein ganzes Spanferkel, weide es aus, fülle es mit Würsten und Obst- oder Gemüsestücken, brate es am Stück, serviere es auf seinen Beinen, schneide es auf, lasse die Füllung herausquellen!

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ihrer Eltern aus dem Geschlecht der Phaiaken. Sie nehmen Odysseus als Gast auf, speisen mit ihm, hören seine Geschichte, die er bis zu seiner Abfahrt von Kalypsos Insel erlebt hat. Auch von Troias Zerstörung berichtet er. Obgleich Nausikaa ihn als Gatten an ihrer Seite erträumt, äußert Odysseus sein Begehren, in die Heimat zu seiner Gemahlin Penelope zurückzukehren. König und Fürsten von Scheria beschenken den Helden. Sie stellen ihm ein Schiff zur Verfügung, das Odysseus, der in tiefen Schlaf fällt, nach Ithaka bringt. Penelopes Warten hat sich gelohnt

Am heimatlichen Gestade wird er in einem kleinen geschlossenen Hafen – in der Phorkysbucht, vielleicht ist sie identisch mit der heutigen Syvotabucht – an Land gebracht. Das nach Scheria zurück gesegelte Schiff erfährt Poseidons Rache. Er versteinert es. Bis Odysseus Penelope wieder in die Arme schließen Odysseus – König auf einer kleinen Insel | 115

kann, sind Umsicht und Geduld angesagt. Adlige Männer der Insel werben seit langem um Penelope, die sie für verwitwet halten. Sie verbringen viel Zeit in ihrem Haus, verprassen das Gut, lassen es sich rundum wohl ergehen. Penelope liebt Odysseus noch immer, obwohl er schon so lange fern von ihr ist. Sie wehrt sich gegen eine neue Ehe, gibt vor, einen Freier auswählen zu wollen, sobald sie das Leichentuch ihres Schwiegervaters Laertes zu Ende gewebt habe. Listig verzögert sie die Entscheidung, indem sie nachts wieder auftrennt, was sie tagsüber arbeitet. Um Odysseus vor der Meute der Werbenden zu schützen, hat ihn Athene in einen greisen Bettler verwandelt. Als solchen erkennt ihn auch sein alter Schweinehirt Eumaios nicht. Des Odysseus Sohn Telemachos, unlängst von einer Reise zurückgekehrt, auf der er nach seinem Vater gesucht hat, begegnet ihm nun. Odysseus offenbart sich Telemachos. Beide beschließen die Ermordung der Freier. Noch immer in der Gestalt des Bettlers, der Demütigungen hinnehmen muss, spricht er erstmalig nach 20 Jahren mit Penelope, die ihn nicht erkennt. Die betagte Amme Eurykleia merkt, dass es Odysseus ist. Dem Fremden die Füße waschend, spürt sie nämlich eine ihr noch vertraute Narbe an seinem Bein. Odysseus hält Eurykleia den Mund zu, damit sie ihre Entdeckung nicht offenbart. Penelope entschließt sich, einen Wettkampf im Bogenschießen zu veranstalten, um die Freierwerbung zu beenden. Man rammt zwölf Äxte in den Boden, durch deren Ösen ein Pfeil geschossen werden soll. Als niemand den Bogen des Odysseus, der in Telemachos’ Besitz ist, spannen kann, bittet der ,Bettler-Odysseus‘ es tun zu dürfen und tötet mit dem ersten Pfeil Antinoos, den Anführer der Freier. Endlich ,outet‘ sich der Zurückgekehrte, wirft die Lumpen ab, gewinnt seine Heldengestalt zurück, erschießt die anderen Freier. Penelope stellt ihn trickreich auf die Probe. Als er vom unverrückbaren Ehebett berichtet – ein Pfosten ist nämlich der Stumpf eines Ölbaumes – weiß Penelope: Odysseus ist wieder zuhause.

= = = = = Tod = = = = = Aus der Odyssee ist zu erschließen: Odysseus erreicht ein hohes Alter an der Seite Penelopes, stirbt weit entfernt vom Meer und hinterlässt glückliche Völkerschaften. Aus der Telegonia, einem nur fragmentarisch erhaltenen Epos (6. Jh. v. Chr.) ist zu entnehmen: Jahre nach Odysseus’ Heimkehr entdeckt Telemachos einen 116 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Rinderräuber, der den betagten Odysseus tötet. Telemachos erkennt in dem Fremdling seinen Halbruder Telegonos, den Odysseus mit der Zauberin Kirke gezeugt hat. Gemeinsam bringen die Söhne, begleitet von Mutter Penelope, die Leiche des Vaters zu Kirkes Insel Aiaia. Dort gibt es neue Verbindungen. Telemachos heiratet Kirke und Telegonos heiratet Penelope. Beide Paare gelangen am Ende ihres Lebens ins Elysion, zu den Inseln der Seligen.

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Athena und Poseidon sind die Gottheiten, welche hauptsächlich das Schicksal des Odysseus bestimmen. Sehr viel tut Athene für Odysseus. Als Odysseus endlich in seiner Heimat angekommen ist, verwandelt sich die ihm stets gewogene Athene in einen jungen adligen Mann, dem Odysseus eine Lügengeschichte auftischt. Athene durchschaut ihn und sagt: „Der wäre Meister des Vorteils, Meister im Hehlen und wäre  / Selbst er ein Gott, der dich überböte in sämtlichen Schlichen!  / Hinterhältiger, ewiger Planer, du schwelgst ja im Truge!  / Wolltest du gar in der eigenen Heimat das Täuschen nicht lassen,  / Nicht deine Sucht nach Schwindelberichten. Du liebst sie ja freilich  / Seit deinem ersten Schritt. Doch davon nun nichts mehr! Wir wissen  / Beide, was Vorteil heißt; denn du bist im Raten und Reden  / Weitaus der Beste von sämtlichen Menschen; an mir aber rühmen  / Planendes, Vorteil bringendes Denken die sämtlichen Götter.“ (Odyssee 13, 290 –299) Diese Episode umschreibt die ,tiefe Seelenverwandtschaft‘ von Athene und Odysseus. Sie lässt verstehen, dass Odysseus zum Liebling Athenes geworden ist. Poseidon hingegen hasst ihn. Der Zorn des Meeresgottes verfolgt Odysseus während seiner Heimkehr, weil er tief gekränkt ist, dass Odysseus seinen Sohn, den Kyklopen Polyphem, geblendet hat.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Ithaka oder Pali / Paliki

Das folgende Statement ist unverändert als Zitat aus dem Internet (Quelle: Odysseus – Biografie, Filme, www.digitalvd.de) übernommen. „Odysseus’ Irrfahrt dauerte viele Jahre, am 16. April 1178 vor Christus kehrte der König Odysseus – König auf einer kleinen Insel | 117

angeblich nach Hause zurück. Mit Hilfe der Beschreibung einer Sonnenfinsternis in dem homerischen Epos konnten Astronomen Odysseus’ Rückkehrzeitpunkt nun genau datieren. Constantino Baikouzis von der Rockefeller-Universität in New York und Marcelo Magnasco vom Astronomischen Observatorium in La Plata haben anhand einer in Homers „Odyssee“ beschriebenen Sonnenfinsternis die Ankunft des Königs auf seiner Heimatinsel Ithaka genau datieren können.“ (Jean Lüdeke) Obgleich Ithaka, eine der ionischen Inseln vor der Westküste Griechenlands, ,üblicherweise unangefochten‘ als legendäre Heimatinsel des Odysseus angesehen wird, ist zu bedenken, dass dieses Privileg gefährdet sein könnte. Warum? Pali / Paliki ist die Halbinsel an der Westküste der ionischen Insel Kefalonia, einer Nachbarinsel Ithakas. Und da diese Peninsula, wie man gemäß aktuellen Forschungen weiß, in antiker Zeit als selbstständiges Eiland existiert hat, könnte sie demnächst mit der Auszeichnung ,Heimatinsel des Odysseus‘ werben.

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Ein ganz besonderes Pferd

Das „Troianische Pferd“ einsetzen, d. h. durch eine kluge Aktion, harmlos getarnt, in einen gesicherten Bereich einzudringen und Schäden anzurichten (s. o. Dieses Thema verlangt eine lange Einführung – Troianische Helden im Konzentrat). Es gibt wenige griechische Darstellungen des „Troianischen Pferdes“ aus antiker Zeit. Bekannt ist eine auf den Kykladen entstandene, um 670 v. Chr. zu datierende, große Amphora (Mykonos, Archäologisches Museum, Inv. 2240), deren Halsrelief das schlanke ,Wunderpferd’ auf Rädern zeigt. In seinem Körper gibt es sieben Fensterchen. Darin erscheinen sieben Kriegerköpfe. Um das Pferd herum sieht man mit Helm, Schild und Speer gerüstete Krieger. Sie schreiten in verschiedene Richtungen und lassen assoziieren, dass sie Troia sehr bald einnehmen werden. Ca. hundert Jahre nach der beschriebenen Darstellung ist eine korinthische Vasenmalerei entstanden, an einem kleinen, um 560 v. Chr. zu datierenden Salbölbehälter (Paris, Cabinet des Médailles = Münz- und Antikensammlung der Bibliothèque nationale de France = Département des monnaies, médailles et antiques). Da sind die Griechen durch mehrere Luken aus ihrem fatalen Weihgeschenk-Pferd gestiegen 118 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Udo Reinhardt, der Kommissar des Mythos = Wer an konkreten Zusammenfassungen interessiert ist, wie sich des Odysseus Heimkehr auf wenige Wochen zuspitzt, nachdem er endlich durch die brisante Ansage des Götterboten Hermes nach zwanzig Jahren wieder in sein kleines Königreich gelangt, der lese Udo Reinhardts ,Hochrechnung‘. Der ,Kommissar für mythologisch verwirrende Fälle‘ ermittelt, was hier folgend ,griffig‘ verkürzt aufgelistet wird. Was also passiert Odysseus in den 31 Tagen vor der Wiedergewinnung Penelopes? Vier Tage baut er sein Floß, mit dem er sich von der Nymphe Kalypso und ihrer Insel entfernt. Noch 27 Tage bis Penelope! 17 Tage hält er durch auf dem Floß. Noch 10 Tage bis Penelope! 4 Tage treibt er im Meer. Noch 6 Tage bis Penelope! Am Abend des 6. Tages wirft ihn eine Brandungswelle an Land bei der Insel Scheria; so nennt Homer die Insel Kerkyra / Korfu. Dort bleibt Odysseus zwei Tage. Noch 4 Tage bis Penelope! Am Abend des 4. Tages bringt ihn ein Schiff des Königs Alkinoos von Scheria nach Ithaka, wo er am kommenden Morgen in einer Bucht aufwacht. Noch 3 Tage bis Penelope! Odysseus begibt sich zu seinem Anwesen. Er wird von seinem Sohn Telemachos wieder erkannt. Noch 2 Tage bis Penelope! Odysseus betritt seinen Palast. Wenige Minuten vor dem Tod der Freier, die Penelope viele Jahre begehrt haben, gewinnt er sie offiziell als Gattin zurück. Ca. eine Stunde nur dauert die klärende Auseinandersetzung mit den Rivalen. Noch 1 Tag bis Penelope! Dann endlich kann Odysseus seine Frau umarmen und beide dürfen die lang ersehnte Liebesvereinigung genießen.

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und bekämpfen die herangeeilten Troianer. Eine wohlgeordnete Kriegerreihe – handelt es sich um die zurückkehrenden Griechen? – naht. Auch Reiter gibt es. Die Miniaturbilder vereinen sich zu einem belebten Puzzle, für das die einzelnen Figuren zusammengesucht werden müssen. Das Gewirr aus annähernd flächendeckendem Kriegsgemetzel verrät die reiche Phantasie des Vasenmalers. Er setzt seine Szene zwischen Wasservogel und Panther, die bekannten Tiere, welche in den Tierfriesen des 7. und 6. Jhs. v. Chr. die Gefäßkörper überziehen. Sogar auf dem Panther ist ein zusammengebrochener Krieger zu sehen. Ein Kämpfer befindet sich in gewagtem Spagat, denn sein rechtes Bein steht auf Odysseus – König auf einer kleinen Insel | 119

dem Vorderteil des Pferdes und sein linkes Bein steht auf dem Vorderteil des Panthers. Widder als probate Fluchthilfen

Eine schwarzfigurige Vase (Caeretaner Hydria, New York, Shelby White and Leon Levi Collection, Inv. 688), entstanden um 530 / 520 v. Chr., zeigt folgende Darstellung: Drei Männer krallen sich im Bauchfell von drei Widdern fest und können so unerkannt die Höhle des Polyphem verlassen. Solche Bilder erfreuen in alter Zeit, weil sie die männliche Kraft und den starken Widder gleichsetzen. An dieses Sinnbild erinnert auch die Sage von Phrixos und Helle. Das Geschwisterpaar ist auf Betreiben seiner Stiefmutter Ino zum Opfer bestimmt. Aber Nephele, die leibliche Mutter der Kinder, schenkt ihnen das Goldene Vlies, jenes wundersame Fell eines Widders, auf dem sie sich durch die Luft nach Kolchis am Schwarzen Meer begeben. Phrixos erreicht sein Ziel. Helle stürzt in die Dardanellen, die nach Helle auch „Hellespont“ heißen. Eine Odyssee in Marmor

Lange schon forscht man an einer 1957 bei Straßenarbeiten zwischen Terracina und Gaeta entdeckten, als ,Naturtheater‘ ausgestalteten Höhle an der Küste des Thyrrenischen Meeres. Kaiser Tiberius (14–37 n. Chr.) nutzte die Grotte nahe seiner Villa bei Sperlonga, einem Küstenort zwischen Rom und Neapel. In dieser „Grotte des Tiberius“ gab es ursprünglich mehrere plastische Bildwerke, die wahrscheinlich zwischen 50 und 30 v. Chr. entstanden, in Anlehnung an ältere Werke. Besonders jenes als Frau gestaltete Meeresungeheuer Skylla wurde von Mönchen im 6. Jh. zertrümmert, um Heidnisches auszurotten. Mühevoll ließ sich das Zerschlagene wiedergewinnen. Folgende Hauptgruppen sind zu bestimmen: 1. Odysseus und Gefährten im Schiff gegen Skylla kämpfend (s. o. Heimkehr aus Troia – Tödliche Gefahr im Doppelpack: Skylla und Charybis); 2. Blendung des Polyphem (s. o. Heimkehr aus Troia – Polyphem, ein Riese ohne Gastfreundschaft); 3. Raub des Palladions durch Diomedes und Odysseus (s. o. Das machte ihn berühmt – Er stellt die Weichen für den Sieg); 4. ein Kämpfer (Großer Aias?) trägt den Körper eines Gefallenen (Achilleus?) vom Schlachtfeld. Die Gruppen aus Sperlonga zeigen also mehrere Episoden der Odyssee. Das Ensemble beschränkt sich nicht auf die in der bildenden Kunst üblicherweise herausgegriffenen Darstellungen – Betrunkenma120 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

chen, Blendungstat, Höhlenflucht – zum Kyklopen. Die weit überlebensgroßen Figuren haben Sperlonga zu touristischem Boom verholfen. ,Zurecht‘ erzählen Reisebegleiter, dass Tiberius in besagter Grotte üppige Gelage genoss und die geladenen Gäste des Kaisers beim Anblick der riesigen Gestalten aus Marmor erschauerten. Beleuchtet vom Fackellicht der Nacht war das geisterhaft gespenstische Gesamtkunstwerk von kaum vorstellbarer Attraktivität. Abgesehen von solchen Effekten aus der Vergangenheit, kommt dem Ensemble aktuell eine außerordentliche kunsthistorische Bedeutung zu. Wer sich mit der ,Grotte des Tiberius und ihrem Inhalt‘ fachwissenschaftlich auseinandersetzen möchte, muss die Ergebnisse hochkarätiger Forschungskontroversen durcharbeiten.

Odysseus – König auf einer kleinen Insel | 121

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Schützling der Aphrodite =

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Paris

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Geburtsort: Troia Vater: Priamos Mutter: Hekabe Ehefrau: Oinone, Helena Kinder: Korythos (von Oinone); Bunomus, Corythus, Idaeus (von Helena)

Paris

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Unangenehmes widerfährt Hekabe vor der Geburt ihres zweiten Sohnes Paris, der bei Homer Paris Alexandros heißt. Sie träumt, eine brennende Fackel zu gebären, deren Flammen ganz Troia vernichten. Aus Angst, der Alptraum könne sich realisieren, setzt ein Diener das zur Welt gebrachte Baby aus, im troianischen Idagebirge, dem heutigen Kaz Dag. Der kleine Paris überlebt, weil ihn eine Bärin säugt. Tieftraurig ist Hekabe und Priamos ersinnt Trost für die Gemahlin. Jährlich veranstaltet er Leichenspiele zu Ehren des Ausgestoßenen. Niemand ahnt, dass er in der Obhut von Hirten zum Jüngling heranwächst. Als Paris später seinen folgenschweren Schiedsspruch (s. u. Das machte ihn berühmt – Ein Urteil besonderer Art) geleistet hat, kommt er unerkannt zu den Wettkämpfen seiner eigenen Leichenspiele, nimmt daran teil und besiegt seine Brüder. Einer, Deiphobos, fühlt sich erniedrigt, weil er einem Sklaven unterlegen ist, denn für einen solchen hält man den Fremden, dessen Tod verlangt wird. Sogar Schwester Kassandra, die Seherin, Unheil ahnend, will das Ende des ,Zugereisten‘. Noch rechtzeitig erkennt ein Hirte den zurückgekehrten Paris, der wieder in die Familie aufgenommen wird. Oinone, eine Nymphe, die Tochter des Flussgottes Kebren, ist die erste Gemahlin des Paris.

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Venus, deren Mantel ihrem nackten Körper nur reizende Rahmung ist, schwebt zu Helena heran und dreht die noch zögernde Helena zum Bett hin, auf dem der erwartungsvoll ausgestreckte Paris die Begehrte erwartet.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Mit leichtfertigem Urteil wird Paris als launisch und verweichlicht eingestuft. Man nennt ihn zuweilen Liebling der Frauen, also darf eine angenehme Gesamterscheinung vorausgesetzt werden. Bildliche Darstellungen fassen ihn recht jung mit schönem Gesicht. Als einfacher Hirte im Freien oder als repräsentativer Herrscher vor einem Palast wird er gezeigt. Seine Kleidung kann orientalisch angegeben sein, d. h. er trägt eine Kombination aus Ärmel- und Hosentracht mit leichtem Mantel über den Schultern und einen im Gürtel steckenden Dolch. Oft ist er als Kämpfer mit dem Bogen abgebildet. Seine Kopfbedeckung, die Phrygische Mütze (s. u. Nachantike Seitenblicke – Vom gegerbten Stierhodensack zum Freiheitssymbol) kennzeichnet ihn.

Paris | 123

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v = Hektor beschimpft Paris = „Unglücksparis, du Held von Gestalt und Mädchenverführer! / Wärest du nie geboren und unvermählt doch gestorben! / Das ist wahrlich mein Wunsch! Viel heilsamer wäre dir solches, / Als nun so zum Gespött zu stehen und von allen verachtet! / Ja, ein Gelächter erheben die hauptumlockten Achaier, Die für den besten Führer dich achteten, weil du so schönen / Wuches erscheinst; / doch wohnt nicht Kraft dir im Herzen noch Stärke! / Wagtest denn du, wie du bist, in meerdurchsegelnden Schiffen / Über die Wogen zu fahren, von treuen Gefährten begleitet, / Und, zu Fremden gesellt, ein schönes Weib zu entführen, / Fern aus entlegenem Lande, die Schwägerin tapferer Männer, / Deinem Vater zum Gram und der Stadt und dem sämtlichen Volke, / Feindlichen Männern zum Hohne, zur Schande aber dir selber? / Möchtest du jetzt Menelaos nicht stehen, dem streitbaren Helden? / Bald verstündest du, wem du die blühende Gattin genommen! / Gar nichts nutzte die Zither dir dann und die Gaben der Kypris, / Weder das Haar noch der Wuchs, sobald du im Staube dich wälztest!“ (Ilias 3, 39–55)

= Paris an Helena, oder Bettgeflüster statt Zweikampf = „Komm, wir wollen uns wieder versöhnen, in Liebe gelagert. / Denn noch nie hat also die Lust mir die Sinne verdunkelt, / Auch nicht damals, als ich dich fand und heimlich entführte, / Fort aus der lieblichen Flur Lakedaimon im segelnden Schiffe, / Und auf der Kranae-Insel mich dir in Liebe gesellte, / Wie ich jetzt dich begehre, von süßem Verlangen getrieben. / Sprach’s und nahte dem Lager zuerst; ihm folgte die Gattin. / Beide ruheten dann im feindurchbrochenen Bette.“ (Ilias 3, 441–448)

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= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Ein Urteil besonderer Art

Es geht um das Parisurteil, dessen Vorgeschichte sich so liest: Zur Hochzeit der Meeresgöttin Thetis und des thessalischen Helden Peleus – sie sind die Eltern des Achilleus – lädt Zeus alle Gottheiten ein, mit Ausnahme von Eris. 124 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Die Göttin der Zwietracht möchte er vom Fest fernhalten, aber sie erscheint trotzdem. Als sie nicht eingelassen wird, schleudert sie von der Tür aus einen Apfel – es ist ein goldener Hesperidenapfel (s. u. Äpfel aus Gold) mit der Aufschrift ,Der Schönsten‘ – und ruft mit barsch auffordernden Worten, die Schönste solle ihn aufheben. Augenblicklich entsteht Zank zwischen den Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite, weil sich eine jede die strahlendste Schönheit zuspricht. Zeus erkennt Schlichtungsnotwendigkeit und befiehlt dem göttlichen Boten Hermes, die drei Konkurrentinnen zum troianischen Prinzen auf das Idagebirge zu bringen, damit dieser den ,Schönheitswettbewerb‘ entscheide. Die Episode des Parisurteils liegt zeitlich vor dem, was den Helden rund um Troia geschieht, denn der Troianische Krieg wird indirekt ausgelöst durch das Votum des Paris. Da stehen ihm die drei Göttinnen gegenüber. Eine jede möchte ,die Schönste‘ genannt werden und versucht, Paris mit ,Wahlversprechungen‘ zu manipulieren. Hera lässt Paris wissen, wenn er zu ihren Gunsten urteile, werde er die Welt beherrschen und unermesslichen Reichtum genießen. Athene will ihm für die Zuerkennung des Sieges die größtmögliche Stärke eines Sterblichen und ein außerordentliches Geschick in allen Künsten verleihen. Aphrodite besticht ihn, indem sie ihm für den Fall ihrer Wahl, Liebe und eine ganz andere Belohnung in Aussicht stellt, nämlich Helena, die schönste aller Frauen. Eindeutig entscheidet sich Paris für Aphrodites Angebot und urteilt konsequent, Aphrodite sei die schönste Göttin. An seine Gemahlin Oinone denkt er ,wahrscheinlich‘ nicht mehr. Ein fataler Prozessausgang

Auf Betreiben Aphrodites also gelingt es Paris, dass Helena seinen Verführungskünsten erliegt. Sie entscheidet sich für Paris, folgt ihm nach Troia. Die im ,Schönheitswettbewerb‘ unterlegenen Göttinnen Hera und Athene sind derart zornig und eifersüchtig auf die Troia favorisierende Aphrodite, dass sie ihrerseits als unversöhnliche Feindinnen Troias agieren. Ein wundersamer Zweikampf

Paris ahnt wohl kaum, was er initiiert durch die ,Inbesitznahme‘ der Gattin des Menelaos, mit der er sich umgehend vermählt auf Kranae, dem Inselchen im Golf von Lakonien. Helenas Wegführung veranlasst den zehnjährigen TroiaParis | 125

nischen Krieg, denn Menelaos, der höchst gekränkte königliche Ehemann Helenas, sammelt sofort nach dem Verschwinden seiner Schönen, ein Heer aus Kämpfern der einzelnen griechischen Stämme. Und ebendiese Griechen segeln unter dem Oberbefehl Agamemnons – dessen Bruder ist ja der betrogene Menelaos – gegen Troia, um den Frevel des Paris zu rächen. Sie halten somit ihren Schwur, sich in jeden Streit um Helena einzubringen. Vor Troia liefern sich Menelaos und sein Nebenbuhler Paris einen wichtigen Zweikampf. Prächtig gerüstet sind die Helden. Gemäß Losentscheid gehört Paris der erste Speerwurf. Er prallt ab am Schild des Menelaos. Der Gegenangriff beginnt. Menelaos’ Speer durchbohrt Paris’ Schild und durchtrennt sein Gewand. Nun greift Menelaos seinen Gegner mit dem Schwert an, aber die Waffe zerspringt am Helm des Paris. Heftig zerrt Menelaos am Helmbusch des Rivalen, der zu unterliegen droht. Aber Aphrodite hilft ihrem Liebling Paris, indem sie den Kinnriemen des Helms reißen lässt, so dass Menelaos nur den ,leeren‘ Helm fasst. Daraufhin hüllt Aphrodite ihren Schützling in eine Wolke und transportiert ihn so in die Stadt zurück. Anders ausgedrückt: Die Liebesgöttin entrückt Paris vom Schlachtfeld in ein angenehmeres Ambiente, das Schlafgemach Helenas, wo sich das Paar der Zärtlichkeit hingibt. Hätte Aphrodite ihren Favoriten Paris nicht vorsichtshalber aus dem Kampfgeschehen in Helenas Bett entrückt, wäre er im wichtigen Entscheidungskampf dem Menelaos unterlegen. Da Paris bei Helena weilt und auf dem Schlachtfeld fehlt, wird Menelaos als Sieger deklariert.

= = = = = Tod = = = = = Nachdem Achilleus die Leiche Hektors, des Paris-Bruders, an beider Vater, den König Priamos, zurückgegeben hat, trägt Paris zum Tod des Achilleus bei, allerdings nur mit Apollons Hilfe. Der Gott lenkt den Pfeil des Paris in die ungeschützte Ferse des griechischen Haupthelden Achilleus und entzieht ihn so dem Kampf. Dann stirbt Paris durch einen Giftpfeil, den Philoktetes aus jenem Bogen abschießt, der einst Herakles gehörte. Oinone, die erste Gemahlin des Paris, kennt zwar ein Heilmittel gegen das Gift, aber rettet ihren ,Ex‘ nicht. So rächt sie sich an ihm, weil er sie wegen Helena verließ. Aeneias, ein weiterer Sohn des Priamos, übernimmt die Rolle des gefallenen Paris. 126 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Wie sehr das Leben des Paris von wohlwollend göttlicher Lenkung abhängt, zeigt sich durch seine Verbindung mit Aphrodite. Sie hilft ihm indirekt bei der Beschaff ung der für seine Spartareise notwendigen Schiffe. Sie manipuliert, dass Helena dem schönen Prinzen Paris nicht widerstehen kann. Sie entrückt Paris aus der Schlacht, als er Menelaos zu unterliegen droht. Sie ist die Schutzgöttin des Paris schlechthin, dankt ihm in dieser Funktion dafür, dass er sie einst die Schönste genannt hat (s. o. Das machte ihn berühmt – Ein Urteil besonderer Art). Auch Apollon begünstigt Paris. Der Gott bewirkt, dass es Paris gelingt, Achilleus zu töten (s. o. Tod). Aber schlussendlich muss Apollon gemäß übergeordneter göttlicher Weisung seinen Schützling aufgeben. Artemis, Apollons Schwester, zeigt sich ihrem Bruder solidarisch. Wie er, steht sie zu Paris, dessen Aufenthalt (s. o. Kindheit und Jugend) bei den Hirten im Idagebirge ihr sehr gefallen haben muss, denn schließlich ist sie ja die für Jagd, Tiere und Natur zuständige Göttin.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Vom gegerbten Stierhodensack zum Freiheitssymbol

Häufig wird Paris mit einer eigenartigen Mütze dargestellt. Es handelt sich ursprünglich um den gegerbten Hodensack plus angrenzende Fellpartie von einem Stier. Weiterentwickelt muss man sich diese Kopfbedeckung aus Stoff oder Leder vorstellen. Das lange runde Mützenende fällt nach vorn in die Stirn. Die allenthalben bekannten Mainzelmännchen oder Schlümpfe eilen mit einer solchen, der „Phrygischen Mütze“ ähnlichen, Kopfbekrönung durch die Welt. Diese „Phrygische Mütze“ weist, wie ihr Name sagt, zwar grundsätzlich auf ihre ursprünglichen Träger, die Phryger, zurück, aber in der Antike halten Griechen und Römer die Mützenform allgemeinhin für einen Bestandteil barbarischer Kleidung. Folglich findet man sie auch in frühen Darstellungen bei den „Heiligen Drei Königen“, die aus dem „Morgenland“ kommen. Dass sowohl die Form des „Corno ducale“, jene Kopfbedeckung der Dogen von Venedig, der „Phrygischen Mütze“ verwandt ist, und dass eine medizinisch belegte, angeborene Anomalie der Gallenblase Paris | 127

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v = Äpfel aus Gold = Die goldenen Äpfel, von denen Eris ein Exemplar als Wurfgeschoß bei der Hochzeit von Thetis und Peleus einsetzte, gediehen im Garten der Hesperiden. In ihm hüteten nämlich die Hesperiden, besondere Nymphen schwer fassbarer Abstammung, einen Baum, den eine der ältesten griechischen Göttinnen, Gaia / Erde, anlässlich der Hochzeit von Hera und Zeus wachsen ließ. Er trug goldene Äpfel, die den Gottheiten ewige Jugend schenkten.

= So versteht man das Parisurteil und den Troianischen Krieg besser = Udo Reinhardt konkretisiert die Bedeutung des Parisurteils in folgenden Statements: Der Troianische Krieg ist unvermeintliches Ergebnis eines göttlichen Schicksalsplans. Die Aufschrift ,der Schönsten‘ meint mit dem Adjektiv ,kalós‘ nicht nur äußere Schönheit, sondern Vollkommenheit in Erscheinung und Wesen. Entscheidung zwischen Reichtum, Ruhm und Sex ist zugleich Entscheidung über wesentliche Grundwerte des Lebens, auch im philosophischen Sinn. Um 440 v. Chr. reduziert der Tragödiendichter Sophokles die Dreiergruppe Hera-Athena-Aphrodite in einem verlorenen Stück (Krísis) auf das Zweierschema Athene-Aphrodite. Davon berichtet Athenaios im 2. Jh. n. Chr. in seinen Deipnosophistaí (15, 687c) folgendermaßen. „Der Dichter Sophokles führt in seinem Drama Krísis Aphrodite ein als eine Art Dämon (hedone), mit Myrrhe parfümiert und sich im Spiegel betrachtend, Athene aber als Göttin von Einsicht, Verstand und Tugend (phronesis, nous, arete), mit Olivenöl gesalbt und eifrig trainierend. Ich glaube auch, dass das Parisurteil von den älteren erfunden wurde als ein Vergleich (sýnkrisis) zwischen Lust (hedone) und Tugend (arete); denn nachdem Aphrodite, d. h. die Lust vorgezogen worden war, kam alles durcheinander.“

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„Phrygische Mütze“ heißt, ist wenig bekannt. Eher schon weiß man: Seit der Französischen Revolution von 1789 gilt die „Phrygische Mütze“ als Symbol freiheitlicher Gesinnung und erscheint in Wappen und Fahnen diverser Staaten. 128 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Helena sitzt entspannt auf einem Stuhl. Zuvor verweilte Paris bei ihr im Schlafgemach. Er stützt sich auf seinen Bogen. Den auf dem Boden abgestellten Panzer wird er wieder anlegen und neuerlich kämpfen, nachdem ihm sein Bruder Hektor – er steht voll gerüstet vor ihm – an die kriegerische Verantwortung erinnert hat.

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Männliches Model aus Marmor

Wer in München die Neue Pinakothek besucht, kann ihn nicht übersehen nahe der Hauptzugangstreppe, den überlebensgroßen Paris aus Marmor. Der venezianische Bildhauer Antonio Canova (1757–1822) schuf die Skulptur. Ruhig steht Paris, lehnt sich lässig entspannt an die statuarische Stütze in Form eines Baumstumpfes, präsentiert den Körper frontalansichtig, dreht den Kopf ins Profil. Er trägt die „Phrygische Mütze“, jene für ihn typische Kopfbedeckung (s. o. Nachantike Seitenblicke – Vom gegerbten Stierhodensack zum Freiheitssymbol). Beim Umschreiten der Figur fällt ein Apfel in der rechten Hand des Paris auf. Sofort ,aktiviert sich humanistisches Bildungsgut‘ und lässt folgern: Da ist jenes ,unheilbringende Stück Obst‘ gemeint, das Eris, die Göttin der Zwietracht, einst Paris | 129

von sich schleudert (s. o. Das machte ihn berühmt – Ein Urteil besonderer Art, s. o. Äpfel aus Gold) und das Paris dann an Aphrodite weiterreicht, weil er sie dadurch zur schönsten Göttin kürt. Egal, ob man diese Statue gemäß manch aktuellem Zeitgeschmack unangenehm weichlich und befremdlich süßlich empfindet, oder ob man sie wie die Zeitgenossen Antonio Canovas als Inkarnation männlicher Schönheit nachempfindet, handelt es sich um ein starkes Stück Kulturgeschichte, von dem ein glühender Verehrer, Leopoldo Cicognara, in seinen Briefen an Antonio Canova – „Lettere ad Antonio Canova“ (S. 53) – schwärmt: „Wenn es wahr ist, dass Dinge, die auf die menschliche Einbildungskraft wirken, die Empfängnis beeinflussen, dann wünschte ich ein Gesetz, das die Aufstellung dieser Skulptur am Fuße aller Ehebetten zur Pflicht macht.“ Zu dieser Einschätzung sei die Meinung von Fred Licht (Autor des Bandes „Beginn der modernen Skulptur“, 1983, S. 203) angefügt: „Wie die meisten Männer seiner Zeit war Cicognara offenbar allein an Söhnen interessiert.“

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Er kämpft in der Rüstung des Freundes = Patroklos

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Geburtsort: Meliboia Vater: Menoitios Mutter: Sthenele

Patroklos

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Noch im Kindesalter tötet Patroklos einen Gefährten. Für diese Tat ist mit Rache zu rechnen. Deshalb bringt Menoitios seinen Jungen nach Phthia, zu König Peleus. Dieser nimmt Patroklos freundlich auf und erzieht ihn an der Seite seines eigenen Sohnes Achilleus.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Da Patroklos sehr jung seine Familie verlässt, gesichert in einer neuen Umgebung aufwächst und mit Achilleus in einer bruderähnlichen Gemeinschaft lebt, ist anzunehmen, dass er ,ausgeglichen kampfmotiviert‘ gen Troia zieht. Empfindet man die homerischen Beschreibungen (s. u. Patroklos ,im Schatten‘ des Freundes) eventuell so, dass Patroklos ausführen muss, was sein Freund Achilleus ihm aufträgt, dann ist zu bedenken: Beide haben gemäß der archaischen Adelsgesellschaft den Status des Gefährten / Kameraden (hetairos), der ein umfassendes ,Füreinanderdasein‘ unter Freunden verlangt. Bei seinem Ansturm auf Troia handelt Patroklos eigenmächtig, was sowohl auf angestautem Energiepotential als auch auf starkem Wunsch nach selbst bestimmtem Handeln beruht. Zum Aussehen des Patroklos gibt es keine klaren Hinweise. Erschließen lässt sich lediglich, dass er ,recht groß’ gewesen ist, weil ihm die Patroklos | 131

Drei Troianer ziehen den leblosen Körper des Patroklos vom Schlachtfeld. Nach dem Tod des Freundes greift Achilleus wieder in den Krieg ein.

Rüstung des ,großen‘ Achilleus passt und dass er nicht ,ganz so stark‘ gewesen ist wie der ,starke‘ Achilleus, weil er dessen schwere Lanze nicht benutzt.

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Die Freundschaft zu Achilleus

Seit dem Knabenalter ist Patroklos dem Achilleus in enger Freundschaft verbunden. Eine homosexuelle Liebesbeziehung zwischen beiden kommt in der Ilias nicht vor (s. u. Kriegs- und Liebesgemeinschaft). Schwer muss es für Patroklos gewesen sein, gleich zu Beginn des Iliasgeschehens mit anzusehen, wie Agamemnons Herolde Briseis, die geliebte Sklavin seines Feundes Achilleus, wegführen, weil Agamemnon sie als Ersatz für Chryseis verlangt hat, die ja an ihren Vater, den Apollonpriester, zurückgegeben wird. Später, in seiner Rolle als naher Vertrauter des Achilleus, bekommt Patroklos genau mit, wie eine griechische Gesandtschaft vergeblich versucht, Achilleus wieder in den Kampf zu holen, dem er ferngeblieben ist aus Beleidigung über den Verlust der Briseis.

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v = Patroklos ,im Schatten‘ des Freundes = „Als sie [griechische Gesandte] die Zelte und Schiffe der Myrmidonen ereichten, / Fanden sie ihn [Achilleus], wie er gerade sein Herz an der künstlichen schönen, / Klingenden Leier vergnügte […] / Patroklos saß ihm allein gegenüber in Schweigen und harrte, / Bis des Aiakos Enkel sein Lied zu Ende gesungen. / […] Also sprach er [Achilleus], und Patroklos folgte dem lieben Gefährten. / […] Als nun alles gebraten und ausgebreitet auf Borden, / Nahm Patroklos das Brot und verteilt es in zierlichen Körben / Über den Tisch, doch die Stücke des Fleisches verteilte Achilleus.“ (Ilias 9, 185–217)

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Der Kampf in fremden Waffen

Als die Bedrängnis der Griechen immer größer wird, erlaubt Achilleus seinem Freund, in den Kampf einzugreifen, mit der Einschränkung, die Troianer zwar von den Schiffen zu jagen, sich aber keinesfalls gegen Troia selbst zu wagen. Während Achilleus diese Bedingungen festlegt, geht das Schiff des schon gefallenen Kampfgefährten Protesilaos in Flammen auf. Endlich gibt Achilleus seine eigene Rüstung an Patroklos, der sie anlegt; zu schwer ist ihm allerdings Achilleus’ Lanze, ein Geschenk von dessen Erzieher, dem Kentauren Chiron. Achilleus unterstellt Patroklos seine Gefolgsleute, die Myrmidonen. Sie sind hier im Kapitel zu Achilleus beschrieben. Achilleus bestimmt, dass die Troianer nur vom Lager zurückgedrängt werden sollen. Als Patroklos in der Rüstung des Achilleus ins Kampfgeschehen drängt, halten die Gegner den ,neuen‘ Krieger für Achilleus, denn er stürmt allen voran auf dem Streitwagen des Achilleus. Die Troianer müssen nun annehmen, nach dem plötzlichen Eingreifen des vermeintlichen Achilleus, alle Siegeschancen verloren zu haben, weil sie nicht wissen können, dass Patroklos in der Ausrüstung des Achilleus agiert. Und im Irrtum, Achilleus nehme wieder am Kampf teil, flüchten sie von den Schiffen der Griechen. Patroklos eilt ihnen nach und tötet den Zeus-Sohn Sarpedon, der auf troianischer Seite kämpft. Die Rüstung des Sarpedon bekommt Patroklos. Zeus schwankt, ob er Sarpedon sterben lassen soll. Hera rät dazu. Sie regt an, Sarpedon durch die Gottheiten Schlaf (Hypnos) und Tod (Thanatos) in seine lykische Heimat zu entrücken, um ihn dort rühmlich zu bestatten. Das geschieht auch. Apollon Patroklos | 133

Thetis, die Mutter des Achilleus, tritt mit einem Schild an das Lager, auf dem der gefallenen Patroklos aufgebahrt ist. Achilleus wirft sich trauernd über den Leichnam des Freundes, den zudem zwei Trauernde am Fuß des Bettes beweinen.

geleitet Sarpedons Körper nach Lykien. Patroklos entscheidet gegen Achilleus’ Anweisung, Troia anzugreifen. Vier mal stürmt Patroklos gegen die Mauern der Stadt, wird aber stets von Apollon zurückgehalten, der Hektor ermuntert, sich gegen Patroklos zu stellen. Im folgenden Kampf stirbt zunächst Hektors neuer Wagenlenker Kebriones. Aber dann greift Apollon selber in das Geschen ein und wehrt das weitere Vordringen des Patroklos ab. Der Gott versetzt ihm einen mächtigen Hieb auf Rücken und Schulter, so dass es für Hektor leicht ist, Patroklos mit seinem Speer zu durchbohren.

= = = = = Tod = = = = = Fast schon steht Patroklos auf Troias Stadtmauer. Das weitere Gelingen seiner Übergriffe vereitelt Apollon. Später, als Patroklos bereits von Apollon geschwächt ist, verwundet der troianische Krieger Euphorbos den, anstelle von Achilleus 134 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

kämpfenden, Patroklos. Erst daraufhin wird Patroklos tödlich von Hektor getroffen. Zusammensinkend prophezeit Patroklos den baldigen Tod Hektors. Bald danach errichtet man einen Scheiterhaufen, auf dem der gefallene Patroklos verbrannt wird. Seine Asche, gesammelt in einer Urne, findet Ruhe unter einem Grabhügel. Den Toten ehren die sich seiner Bestattung anschließenden Leichenspiele. Solche Wettkämpfe – u. a. Ringen, Laufen, Bogenschießen – sind sportliche Betätigungen, die nach schrecklichen Geschehnissen zur Entspannung der Zurückbleibenden beitragen.

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Nicht aus eigener Kraft, sondern durch den Einsatz des Apollon besiegt Hektor seinen Gegner Patroklos. Es geschieht nur einmal in der Ilias, dass ein Gott auf diese Weise einem sterblichen Kämpfer beisteht.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Merkwürdig

Längst vergessen sind der Regisseur Manfred Noa und sein Stummfilm aus dem Jahr 1924 mit garantierten 210 Minuten beachtlichen Sehvergnügens: 1. Teil. Der Raub der Helena. 2. Teil. Der Untergang Troias. Noch im Gespräch ist der spektakuläre Film „Troja“, dessen Drehkosten mit ca. 180 / 200 Millionen Dollar und dessen gesamte Einspielgewinne mit ca. 500 Millionen angegeben wurden. Er hatte 2004 seine Weltpremiere in Berlin. Die präsentierte 200 Minuten-Fassung kam 2007 abermals auf den Markt. Diese neue Version, um mehr als eine halbe Stunde gekürzt und partiell verändert, kostete ca. 1 Million. Nur sehr bedingt folgt er der homerischen Überlieferung oder wandelt sie eigenwillig ab, was mythenkundige Zuschauer verunsichert nachfragen lässt und mythenunkundige Zuschauer leichtfertig konsumieren lässt. Vergeblich wartet man auf Protagonisten wie Diomedes, Philoktetes und Neoptolemos. Als Freundes- und Waffenbrüderpaar kommen Patroklos und Achilleus zwar vor, aber abweichend von Homers Ilias weiß Patroklos nicht, dass er in der Rüstung des Achilleus kämpft. Nun, Filme dürfen Quellenmaterial frei umbilPatroklos | 135

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v = Kriegs- und Liebesgemeinschaft = Die Freundschaft zwischen Patroklos und Achilleus macht einen bedeutenden Themenstrang in Homers Ilias aus. Einer ist der Gefährte / Kamerad (hetairos) des anderen, d. h. sie sind sich sehr zugetan, vertrauen sich, stehen füreinander im Kriegsgeschehen, nehmen Mahlzeiten gemeinsam ein, bewohnen das gleiche Zelt. Ihre homosexuelle erotische Verbindung schreibt erstmalig Aischylos (525 / 524–456 / 455 v. Chr.) fest. In einer spärlich erschließbaren Tragödie „Achilleis“ benennt er Achilleus als den älteren Liebhaber (erastés) und Patroklos als den jüngeren Geliebten (erómenos). Eine andere Meinung hingegen setzt sich frei beim Philosophen Platon (um 427–um 347 v. Chr.), wenn Phaidros im Symposion argumentiert: „Aischylos ist ja nicht ernst zu nehmen, wenn er sagt, Achill sei Patroklos’ Liebhaber gewesen, er, der schöner war nicht nur als Patroklos, sondern als alle Helden zusammen, und zwar noch bartlos, zudem viel jünger, wie Homer sagt.“ (Platon, Symposion 180 a. Übersetzt und bearbeitet von Franz Boll und Wolfgang Buchwald, 7. Auflage, 1980, Heimeran Verlag München). Für Platon ist Achilleus also der Geliebte, der seinen Liebhaber so verehrt, dass er nach dessen Tod, bereit ist, für ihn zu sterben.

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den und müssen nicht werktreu sein! Garret Hedlund spielte Patroklos, Brad Pitt spielte Achilleus, Wolfgang Petersen führte Regie. Ob sie zusammen über Brad Pitts Unfall schmunzelten? Der strahlende Held verletzte sich während der Dreharbeiten nämlich realiter an der Achillesferse.

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Erste-Hilfe-Leistung

Die wohl bekannteste antike Darstellung des Freundespaares Patroklos / Achilleus befindet sich im Innenbild einer um 500 v. Chr. zu datierenden attischen Trinkschale (Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung, Inv. F2278). Auf einem Rundschild sitzt der verwundete Patroklos. Achilleus hockt 136 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

vor ihm und verbindet ihm den linken Arm, aus dem er einen Pfeil entfernt hat, der neben Patroklos zu sehen ist. Diese Szene beschreibt Homer in der Ilias nicht. Patroklos wird als Älterer bärtig und Achilleus als Jüngerer mit Flaum, dem ersten weichen Bartwuchs, abgebildet. Die Namen, obgleich in den Abbildungen schwer oder gar nicht zu erkennen, stehen neben den Männern am Bildrand. Bedeuten das Dasitzen des Patroklos mit weit gespreizten Schenkeln und die Darstellung seines entblößten Gliedes eine bewusst eingesetzte erotische Anspielung (s. o. Kriegs-und Liebesgemeinschaft) des Vasenmalers?

Patroklos | 137

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Ein Held, der übel riecht =

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Philoktetes

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Geburtsort: Methone Vater: Poias Mutter: Demonassa

Philoktetes

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Als Nachkomme des königlichen Vaters Poias dürfte Philoktetes im elterlichen Palast behütet aufgewachsen und intensiv für das Kriegsgeschäft vorbereitet worden sein. Indirekt ist zu erschließen, dass er besondere Kenntnisse im Bogenschießen erworben hat, denn er wird als ausgezeichneter Bogenschütze gerühmt und der Bogen des Herakles (s. u. Das machte ihn berühmt – Das besondere Erbstück) könnte ihn zu intensiven Übungen am Bogen veranlasst haben.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Die perspektivlose Lebenssituation in der Einöde der Insel Lemnos (s. u. Das machte ihn berühmt – Ein Schlangenbiss) unter immerwährenden Schmerzen müssen Philoktetes – modern ausgedrückt – in die Depression getrieben haben. Seine äußere Erscheinung kann infolge von Vereinsamung, Entbehrung und Krankheit nur bejammernswert angenommen werden. Erst die ärztliche Kunst lässt ihn nach zehn Jahren gesunden und ihn ,allmählich wieder besser aussehen‘.

138 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Das besondere Erbstück

Von großer Bedeutung ist der Bogen des Philoktetes auch im Troianischen Krieg (s. u. Das machte ihn berühmt – Ein Schlangenbiss). Einst besitzt ihn der Held Herakles. Als dieser, nach Vollendung seines Lebenswerks, einen Scheiterhaufen besteigt und Poias – den Vater des Philoktetes – bittet, die Scheite anzuzünden, überlässt ihm Herakles seinen Bogen zum Dank für die Hilfe. Nachdem der sterbliche Anteil des Herakles verbrannt ist, fährt er mit einem von vier weißen Pferden gezogenen Gespann zum Olymp in Begleitung der Gottheiten Athene, Hermes und Nike. Philoktetes erbt den Bogen von seinem Vater Poias. Ein Schlangenbiss

Philoktetes führt eins der griechischen Flottenkontinente nach Troia. Auf der Fahrt stoppt er, ,schon recht nahe bei Troia‘ auf Chryse oder Tenedos in der Ägäis. Dort beißt ihn eine Schlange in einem Apollonheiligtum. Der gefährliche Biss des Reptils ereignet sich während des Opfers, das Achilleus’ Mord an Tenes, einem Sohn des Apollon, sühnen soll. Eine Mitschuld des Philoktetes an dieser Tat ist nicht bezeugt. Trotz seiner Qualen durch das Schlangengift, lassen die Griechen Philoktetes später allein auf der Insel Lemnos zurück. Hauptverantwortlich für die brutale Entscheidung ist Odysseus, der meint, die unheilbare, übel riechende Wunde störe die Kampfmoral der Gefährten. Zehn Jahre leidet Philoktetes an seiner Verletzung. Die lange einsame Zeit überlebt er nur, weil ihm sein Bogen hilft, Vögel zu erlegen, die er essen kann. Verständlicherweise grollt Philoktetes den Griechen, dass sie ihn skrupellos auf Lemnos zurückgelassen haben. Als sich der Troianische Krieg dem Ende nähert, weiß man durch die Voraussagungen des troianischen Sehers Helenos und des griechischen Sehers Kalchas: Ohne den Bogen des Herakles können die Griechen keinen Sieg mehr erringen. Es gibt unterschiedliche Versionen, wie es ihnen gelingt, den Bogen in ihren Reihen zu sehen. Zum einen heißt es: Diomedes erreicht, dass Philoktetes mit seinem Bogen freiwillig von Lemnos nach Troia kommt. Zum andern heißt es: Odysseus und Neoptolemos begeben sich nach Lemnos. Sie wollen Philoktetes überreden, den begehrten Bogen herauszugeben. Odysseus schickt Neoptolemos vor, der Philoktetes am Strand begegnet. Philoktetes | 139

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v = Philoktetes Abschied von Lemnos. – Schwülstig und schön – Eine Übersetzung des Jahres 1808! = „Nun auf! Erst ruf ich im Scheiden das Land. / Leb wohl, mein Haus, mein hütender Schutz! / Ihr Wassergeschlecht, Bachnymphen zugleich, / Kräftiger Meerhall, und Gebirgshaupt du, / Wo tief oftmals in dem Winkel der Kluft / Dies Haupt mir genässt feuchtstoßender Süd, / Oft ferne zurück mit dem eigenen Laut / Dort Hermes‘ Gebirg mir herübergesandt / Widergeschlagenes Wehklagegestöhn! / Nun Quellen umher, du, süßes Getränk, / Ich verlaß euch nun, ich verlaß euch schon, / Was immer zuvor in den Sinn uns kam. / Leb wohl, lemnisches, ringswogiges Land, / Ohne Gefahr send auf die Meerfahrt uns, / Wie starkes Geschick, das erhabene, führt, / Wo Freundesbeschluß und die Übergewalt / Des verhängenden Gottes dahinlenkt.“ (Sophokles, Philoktetes 1452–1468; Übertragung K. W. F. Solger 1808, Winkler-Verlag, München 1958 / 1967)

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Letzterer stürzt, sein Bogen entgleitet ihm und liegt griff bereit für Neoptolemos, der ihn jedoch nicht an sich reißt. Schlussendlich wird Philoktetes überzeugt, samt seinem Bogen nach Troia zu reisen, um sich im zehnten Jahr des Krieges in die alte Kampfgemeinschaft zurückzufinden (s. u. Ein beliebter Stoff ). Seine medizinische Versorgung

Im griechischen Lager wird Philoktetes wieder gesund. Berühmten Ärzte, Machaon und Podaleiros, heilen ihn. Vielleicht tut es auch nur einer von den beiden. Sie sind Söhne des Asklepios und Enkel des Apollon, stammen also von Heilgöttern ab, die ihnen ihre Kenntnisse vermittelt haben. Egal, ob nun Machaon oder Podaleiros als kompetent erfolgreicher Mediziner der behandelnde Arzt des Philoktetes gewesen ist! Die gelungene Therapie macht Philoktetes wieder so stark, dass er im Zweikampf der Bogenschützen über Paris siegt und so den ,Helena-Räuber‘ ausschaltet.

140 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

= = = = = Heimkehr aus Troia = = = = = Nach Troias Fall erreicht Philoktetes entweder wohlbehalten seine Heimat oder segelt nach Westen, um dort in einer neu gegründeten Stadt Geborgenheit zu finden. Siedlungen in Unteritalien, bei Kroton oder nahe Sybaris, führen sich auf ihn zurück.

= = = = = Tod = = = = = Nichts erfährt man über den Tod des Philoktetes. Also dürfte sein Leben friedlich geendet haben, egal ob seine Bestattung in griechischer oder westgriechischer Erde anzunehmen ist.

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Wird Philoktetes just in einem Heiligtum des Apollon (s. o. Das machte ihn berühmt – Ein Schlangenbiss) von einer Giftschlange gebissen und daraufhin – hauptsächlich durch den Entschluss des Odysseus – einsam und krank auf Lemnos zurückgelassen, dann haben der Troia freundliche Apollon und die Troia feindliche, dem Odysseus zugetane, Athene ,die Hand im Spiel‘.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Philoktetes im 20. Jahrhundert

Der deutsche Dramatiker Heiner Müller (1929–1995) griff das Schicksal des Philoktetes in seinem Stück „Philoktet“ auf (Urauff ührung 1968). Es geht um den antiken, auf Lemnos zurückgelassenen, Helden, der aufgrund seines Bogens dann wieder in den Kampf um Troia eingreifen muss. Heiner Müller gelingt ein faszinierendes Gemenge. Odysseus spielt in seinem Philoktet auf den skrupellosen stalinistischen Kommunismus an, der für die angestrebte Weltrevolution die einzelne Person (Philoktet) opfert oder in Unterordnung zwingt (Neoptolemos). Der Dichter präsentiert verwobene Bezüge. Er überPhiloktetes | 141

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v = Ein beliebter Stoff = Drei berühmte griechische Dichter – Aischylos (525 / 524–465 / 455 v. Chr.), Sophokles (497 / 496–406 / 405 v. Chr.), Euripides (485 / 480–406 v. Chr.),– haben das Schicksal des Philoktetes für eine ihrer Tragödien ausgewählt. Nur das Stück des Sophokles ist erhalten; den Texten der beiden anderen Tragödien können sich Fachwissenschaftler anhand von späteren Überlieferungen annähern. Informationen, zu ähnlicher oder unterschiedlicher Behandlung des Themas sind hervorragend übersichtlich von Egon Gottwein zusammengestellt und unter http: / / www.gottwein.de / Grie / soph / philo0000b.php. im Internet abruar.

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nimmt seinen mythologischen Stoff aus der Tragödie „Philoktetes“ des Sophokles (s. u. Ein beliebter Stoff ) und weist mittels der antiken Thematik subtil vielfältig auf gesellschaftliche Zwänge der Gegenwart hin. Die Anfangszeilen des modernen Prologs folgen hier als Zitat. „Damen und Herren, aus der heutigen Zeit  / Führt unser Spiel in die Vergangenheit  / Als noch der Mensch des Menschen Todfeind war / Das Schlachten gewöhnlich, das Leben eine Gefahr.  / Und daß wirs gleich gestehn: es ist fatal  / Was wir hier zeigen hat keine Moral  / Fürs Leben können Sie bei uns nichts lernen.  / Wer passen will, der kann sich jetzt entfernen.  / Sie sind gewarnt. Sie haben nichts zu lachen.  / Bei dem, was wir jetzt miteinander machen.“ Und nach diesen geistreich frechen Hinweisen setzt Heiner Müller seinen Prolog ernsthaft fort mit den Worten des Odysseus, der, zusammen mit Neoptolemos, den Strand von Lemnos betritt. „Das ist der Platz, Lemnos. Hier, Sohn des Achills  / Hab ich den Mann aus Melos ausgesetzt  / Den Philoktet, in unserm Dienst verwundet  / Uns nicht mehr dienlich seit dem, Eiter drang  / Aus seiner Wunde stinkend  / sein Gebrüll  / Kürzte den Schlaf und gellte misslich in  / Das vorgeschriebne Schweigen bei den Opfern.“

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= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Leid en miniature

Zahlreiche kleinformatige Bildträger – besonders geschnittene Steine – zeigen seit dem 5. Jh. v. Chr. einen Mann – es ist Philoktetes – einsam auf einem Felsen sitzend. In seiner Nähe erkennt man Bogen und Köcher. Die winzigen Kunstwerke sind überwiegend etruskischer, italischer und römisch republikanischer Faktur. Schrecklicher Schmerz in plumper Masse

Adolf von Hildebrand (1846 –1921) vollendete 1886 eine Skulptur des Philoktetes, die in der Neuen Pinakothek in München (Inv. B556) zu sehen ist. Der Held wird unbekleidet auf einem massigen Felsen dargestellt, an dessen Vorderseite Köcher und Bogen reliefiert sind. Bei aufrechtem, leicht nach hinten geneigten Oberkörper stützt sich Philoktetes auf seinen rechten Arm und hält mit der linken Hand – in Fußknöchelhöhe, wo man sich den Schlangenbiss vorstellt – das linke angewinkelte Bein. Philoktetes hat den Kopf zu seiner rechten Schulter gedreht und leicht nach oben gerichtet. Gesichtsausdruck und Augenaufschlag spiegeln die physischen und psychischen Qualen des Helden wider.

Philoktetes | 143

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Ein königlicher Greis stirbt jammervoll = Priamos – König von Troia

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Geburtsort: Troia Vater: Laomedon Mutter: Leukippe Ehefrau: Arisbe, Hekabe Kinder: Deiphobos, Helenos, Kassandra, Paris, Polyxene, Troilos u. a.

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Noch jung muss Priamos gewesen sein, als er den Vater verliert, der durch seine eigene Unaufrichtigkeit den Tod findet. Und das ist so geschehen: Einst lässt sich Laomedon, gegen eine Lohnvereinbarung, von Apollon und Poseidon helfen, die Befestigungsmauern seiner Stadt zu bauen; er hält sein Versprechen nicht, so dass die beiden Götter leer ausgehen; als Bestrafung schicken sie ein Seeungeheuer; um dieses zu besänftigen, will Laomedon ihm seine Tochter Hesione opfern; der König zieht Herakles hinzu, verspricht ihm eine Vergütung, wenn er das Monster umbringt und Hesione rettet; nach erfolgreich ausgeführtem Auftrag kennt der troianische König abermals keine Zahlungsmoral; daraufhin erobert Herakles die Stadt und tötet Laomedon. Priamos überlebt, weil er beim Vergeltungsschlag des Herakles nicht in der Stadt weilt oder weil seine Schwester Hesione für ihn um Gnade bittet bei Herakles. Es gelingt Priamos, die Nachfolge seines wortbrüchigen Vaters anzutreten und dessen Königreich wieder zu stärken. Zuvor Erzähltes führt zurück zum sogenannten Ersten Troianischen Krieg bzw. zum Kleineren Krieg um Troia, in dem Priamos noch Podarkes (,der mit den ausdauernden Füßen‘) heißt. Erst nachdem seine Schwester Hesione ihn von Herakles freigekauft hat, bekommt Podarkes den Namen Priamos (,Der Freigekaufte‘). 144 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Priamos verhält sich umsichtig einfühlsam, als Paris die geraubte Helena nach Troia bringt. Er fügt sich ergeben in sein Schicksal, Söhne und Töchter im Krieg gegen die Griechen verloren zu haben. Demütigungen durch den siegreichen Achilleus erträgt er, um die Herausgabe seines toten Sohnes Hektor zu erreichen. Er ist also belastbar geworden auf seinem Weg ins Greisenalter. Dementsprechend stellt ihn die Bildende Kunst als alten Mann dar.

= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Er wird zum Schwiegervater Helenas

Priamos findet sich mit der Tatsache ab, dass sein Sohn Paris dem spartanischen König Menelaos die Gattin Helena genommen hat. Von Aphrodites Unterstützung in diesem Procedere weiß er nichts. Die Begebenheit wird ausführlich im Kapitel zu Paris erzählt. Sein Kinderreichtum

Mühsam ist es, die für Priamos überlieferten Nachkommen zu ermitteln. Eine Quelle berichtet von Aisakos, einem Sohn, den ihm seine erste Gemahlin Arisbe schenkt. Seiner zweiten Gattin Hekabe verdankt er mehrere Kinder. Zahlreich ist sein außerehelicher Nachwuchs. Insgesamt soll Priamos mehr als 50 Söhne und mehr als zehn Töchter gezeugt haben. Von den bei Homer angeführten Kindern werden im hier vorgelegten Band erwähnt: Deiphobos, Hektor, Helenos, Kassandra, Paris, Polyxene, Troilos. Eigene Kapitel gehören Hektor und Paris. In den Auseinandersetzungen mit den Griechen sterben fast alle Söhne des Priamos (s. u. Stolz und Trauer). Seine Tochter Kassandra folgt Agamemnon als Beutefrau nach Sparta. Ein demütigender Bittgang

Großen Schmerz empfindet Priamos, als er seinen Sohn Hektor betrauert, den Achilleus getötet hat. Noch unermesslicher wird sein Leid, weil Achilleus den ausgeschalteten Feind nicht zur Bestattung frei gibt. Selbst die Götter erwägen, ob sie Hektors Leichnam an sich bringen und den Troianern ausliefern sollen. Philoktetes | 145

Iris nähert sich Priamos, der – gebeugt sitzend, mit über den Kopf gezogenem Mantel – um seinen Sohn Hektor trauert. Die Götterbotin und der König werden begleitet von fünf Troianern. Als Zweier- und Dreiergruppe angeordnet, verharren sie klagend und teilen das Leid ihres Herrschers.

Aber Zeus entscheidet: Achilleus selbst muss den Toten zurückgeben. Dieses Urteil überbringt Iris dem Achilleus, der es bedingungslos akzeptiert. Mit Geschenken und Lösegeld begibt sich Priamos in das Zelt des Achilleus, wirft sich seinem Widersacher zu Füßen, erfleht die Leiche Hektors, um seinem Sohn vor Troia die Totenehren erweisen zu können. Dass sich der greise König so sehr vor Achilleus demütigt, um seinen Sohn würdig zu bestatten, weckt Sympathie, nicht nur bei den heutigen Lesern jener schauerlichen Ereignisse der Kämpfe um Troia, sondern sogar selbst bei Achilleus, von dem man ja eigentlich erwartet, dass er ablehnend auf die Avancen des Priamos reagiert. Aber während eines gemeinsamen Abendessens lernen sich Priamos und Achilleus kennen und schätzen. Bewegt vom Verhalten des betagten Mannes, gibt Achilleus die gewaschene und gesalbte Leiche des ehemaligen Gegners für die Bestattung heraus. Sie kann nun ungestört erfolgen während einer elftägigen Waffenruhe, die Achilleus gewährt. Unter dem Schutz des Hermes verlässt Priamos mit dem toten Hektor, dessen Körper durch göttliche Einwirkungen keine Wunden und Schleifspuren mehr zeigt, das Lager der Griechen. Als die Troianer Hektors Leichnam auf Priamos‘ Wagen sehen, klagen sie laut. Das 146 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

tun auch seine Mutter Hekabe, seine Frau Andromache und seine Schwägerin Helena. Ein Totenmahl folgt. Mit seiner Beschreibung endet die Ilias.

= = = = = Tod = = = = = Trotz des Erreichten – Priamos darf seinen Sohn Hektor ja durch die Einsicht des Achilleus würdig bestatten – gibt es keine Ruhe für Priamos. Ein grausiges Ende erwartet ihn. Nach dem Ausscheiden des Achilleus muss sich dessen Sohn Neoptolemos zwingend an den sich fortsetzenden Kämpfen um Troia beteiligen. Als die Stadt gefallen ist, metzelt er Priamos nieder. Neoptolemos tut es im Hof vor dem Wohnbereich beim Altar des Zeus Herkeios, an dem Väter und Hausherren dem obersten der Olympier in seiner besonderen Funktion des Gottes der Gastlichkeit opfern.

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Kein Liebling der Götter ist Priamos. Obgleich sie beschließen, dass der alte König die Leiche seines Sohnes Hektor von Achilleus ausgeliefert bekommt und die Rückführung des Leichnams unter der Ägide des Hermes erfolgt, lassen sie später seine Ermordung und die seines Enkels durch den Achilleus-Sohn Neoptolemos zu. Stirbt mit Priamos auch sein Enkel Astyanax, Sohn des schon getöteten Hektor, dann heißt das: Der für die Vergangenheit stehende Großvater und der für die Zukunft stehende Enkel werden in Troia ausgerottet von den Göttern, obgleich einige von ihnen dieser Stadt einst sehr verbunden gewesen sind.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = „Schatz des Priamos“

Heinrich Schliemann (1822–1890) entdeckt im Mai 1873 bei Ausgrabungen in Troia einen Hort aus 8833 Einzelstücken. Er entwendet den Fund illegal aus der Türkei. Schlussendlich befinden sich die Gegenstände in Berlin. Seit dem Philoktetes | 147

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v = Stolz und Trauer = „Mich [Priamos] aber schlug das Geschick; denn ich zeugte die edelsten Söhne / Rings in Troia, und keiner davon ist übriggeblieben. / Fünfzig besaß ich den Tag, da die Söhne der Danaer kamen; / Neunzehn hatte der Schoß von einer Mutter geboren, / Doch die anderen zeugt’ ich mit Frauen in meinem Palaste.“ (Ilias 24, 493–497).

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Zweiten Weltkrieg gelten sie zwar als verschollen, aber solange man von ihnen weiß, haben sie die Welt der Archäologen aufgemischt. Es hieß: Heinrich Schliemann fand nicht alles zusammen, sondern kaufte den Schatz von diversen Kunsthändlern. Man behauptete: Keine Originale sondern Fälschungen wurden ausgewertet. Mittlerweile plädierten renommierte Troia-Forscher für die Echtheit des Schatzes und datierten ihn ins ausgehende dritte vorchristliche Jahrtausend. Allerdings kann es nicht der „Schatz des Priamos“ sein, wie Heinrich Schliemann annahm, weil die Protagonisten aus der Ilias nicht mit den Grabungsergebnissen aus Hissarlik (s. o. Troia fasziniert noch immer) zu verbinden sind. Dessen ungeachtet: Die Legende vom „Schatz des Priamos“ lebt fort. Dazu beigetragen haben dürfte auch ein höchst reizvolles Foto, das eine junge Frau zeigt, geschmückt mit wunderschönem Kopf- und Halsschmuck aus dem „Schatz des Priamos“. Es ist Sophie Schliemann, geb. Kastromenou (1852–1932), die 1869 Schliemanns Ehefrau wurde.

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Ein Festessen über einer Leiche

Das Kunsthistorische Museum in Wien besitzt einen attischen Trinkbecher (Skyphos, Inv. 3710) aus der Zeit um 490 / 480 v. Chr., auf dem der Brygos-Maler eine anrührende Szene darstellte: Achilleus – in vitaler Körperlichkeit und entspannt ausgestreckt auf der Kline – genießt sein Mahl. Er hält ein Messer in der rechten und ein Stück Fleisch in der linken Hand. Lange Fleischstücke hängen 148 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

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v = Priamos, nicht Priapos = In mehr als dem Buchstaben „m“ respektive „p“ unterscheiden sich der greise Held und der potenzfördernde Gott. Priamos, der alte König von Troia wird durch die ,bedingt klangliche‘ Namensähnlichkeit zuweilen verwechselt mit Priapos, dem für Natur und Fruchtbarkeit zuständigen Gott, dessen Heimat in der kleinasiatischen Küstengegend am Hellespont (Dardanellen) liegt. Aus Lampsakos, wo ihn die von Dionysos oder Adonis geschwängerte Liebesgöttin Aphrodite zur Welt bringt, soll er nach Griechenland (Priapos) und nach Italien (Priapus) gelangt sein. Da er infolge ,ewiger‘ Zwistigkeiten innerhalb der göttlichen Liebespaare missgestaltet, nämlich mit übergroßem Glied, zur Welt kommt, verleugnet Mutter Aphrodite ihr Baby. Charakteristikum zahlreicher Priaposdarstellungen in der Bildenden Kunst ist das üblicherweise riesige erigierte Glied. Dieses wird auch in schriftlichen Zeugnissen thematisiert.

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vom Speisetisch herab, unter dem der schlaff auf dem Boden lastende Leichnam Hektors liegt. Er blutet aus der Brust. Seine weit über den Kopf ausgestreckten Arme sind gefesselt. Priamos tritt zu Achilleus heran. Zwei Männer und zwei Frauen folgen Priamos. Sie bringen Geschenke, mit denen Achilleus bewegt werden soll, die Leiche des Gefallenen herauszugeben. Mord am Altar

Grausame Bilder zum Tod des Priamos und seines Enkels Astyanax finden sich mehrfach. An einer attischen Trinkschale (Paris, Musée du Louvre) des BrygosMalers, die gegen 490 v. Chr. entstand, erkennt man: Neoptolemos packt den Knaben Astyanax an den Fesseln und schleudert ihn am Altar gegen seinen Großvater Priamos. Noch schrecklicher wirkt das Ensemble an einem um 480 v. Chr. vom Kleophrades-Maler dekorierten Wassergefäß (Hydria, Neapel, Museo Archeologico Nazionale): Inmitten einer Kampfszene hockt der verletzte, heftig blutende Priamos auf dem Altar. Wehrlos hält er seinen erschlagenen Enkel Astyanax auf dem Schoß und erwartet den Todesstoß von Neoptolemos.

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Freiwillig und mutig springt er in den Tod = Protesilaos / Iolaos

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Geburtsort: Phylake Vater: Iphiklos Mutter: Diomedeia Ehefrau: Laodameia

Protesilaos / Iolaos

= = = = = Kindheit und Jugend = = = = = Protesilaos, als Kind und Jugendlicher heißt er Iolaos, heiratet Laodameia. Unmittelbar nach der Hochzeit ist seine Teilnahme am Zug gegen Troia angesagt. Er hat nicht einmal Zeit, anlässlich seiner Vermählung, den Göttern zu opfern, was besonders die Liebesgöttin Aphrodite erzürnt.

= = = = = Wesenszüge und Erscheinungsbild = = = = = Obgleich Iolaos infolge eines Orakels weiß, dass dem ersten Griechen, welcher troianischen Boden betritt, der Tod beschieden sein wird, zögert er im Gegensatz zu seinen Kameraden nicht und springt vom Schiff. Deshalb erhält er den Ehrennamen Protesilaos, ,Der erste im Volk‘. Als bedachten und verantwortungsvollen jungen Mann kann man ihn charakterisieren, der sein Eigenwohl zugunsten der Gemeinschaft zurückstellt. Reiflich muss er sein Handeln überlegt haben, das ja einem Selbstmord gleichkommt. Er begeht ihn, um seinen Mitkämpfern den Zugriff auf Troia zu ebnen. ,Selbstverständlich wird er von angenehmem Erscheinungsbild gewesen sein‘.

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v = Führer sind ersetzbar = „[…] doch jetzt umfing ihn [Protesilaos] die finstere Erde. / Einsam in Phylake blieb mit zerfleischten Wangen die Gattin / Und sein verödetes Haus; ihn fällte ein Dardanerkrieger, / Als er dem Schiffe entsprang, zuerst von allen Achaiern. / Zwar sie blieben nicht ungeführt, den Führer vermissend / Sondern es ordnete sie des Ares Sprössling Podarkes, / Iphikles‘ Sohn, des herdenreichen, von Phylakos stammend, / Selbst ein leiblicher Bruder des mutigen Protesilaos, / Jünger nur von Geburt; der ältere war und der stärkre / Perotesilaos, wie Ares kühn. Obwohl es den Mannen / Nicht am Führer gebrach, so vermissten sie dennoch den Helden. / Jenem folgt’ ein Geschwader von vierzig dunkelen Schiffen.“ (Ilias 2, 699–710)

= Griechisches Schiff in troianischer Hand = „Hektor packte beim Steuer ein meerdurchsegelndes, schnelles, / Stattliches Schiff; das hatte den Protesilaos nach Troia / Hergetragen, doch bracht’ es ihn nimmer zurück in die Heimat.“ (Ilias 15, 704–706)

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= = = = = Das machte ihn berühmt = = = = = Er stirbt als erster der Griechen im Troianischen Krieg

Vierzig schwarze Schiffe aus Phylake unterstehen seinem Kommando. Nachdem er voll Kampfesmut und Todesbereitschaft (s. o. Wesenszüge und Erscheinungsbild) als erster von seinem Schiff auf Troias Strand gesprungen ist, fällt er als erster der angreifenden Griechen durch den Troianer Hektor. Sein Abbild

Nach einer dreistündigen ,Beurlaubung‘ aus dem Hades muss Protesilaos unverzüglich ins Totenreich zurück. Laodameia verabschiedet ihren Gemahl unter Tränen und lässt ein Wachsbild nach ihm formen, um sich dadurch besser an ihn zu erinnern. Gemäß einer anderen Mythosversion gibt sie ein ehernes Abbild des Protesilaos in Auftrag, das sie nach seiner Fertigstellung in ihrem Schlafzimmer hegt. Laodameia ehrt die Statue ihres Mannes wie einen Protesilaos / Iolaos | 151

Gott. Eines Morgens umarmt und küsst sie die Skulptur sogar. Das sieht ein Diener, als er Früchte zu der jungen Frau bringt, die sie vor dem Bildwerk opfern möchte. Da er meint, Laodameia habe einen Liebhaber bei sich, verrät er seine Beobachtung umgehend ihrem Vater namens Akastos. Dieser betritt das Gemach seiner Tochter und entdeckt den Protesilaos aus Metall. Akastos verbrennt die Statue samt der Opfergaben auf einem Scheiterhaufen, weil er hoff t, die Maßnahme werde das Leid seiner Tochter beenden. Aber die unglückliche Laodameia stürzt sich in die Flammen und verbrennt.

= = = = = Tod = = = = = Protesilaos tötet mehrere Troianer. Daraufhin fällt er selbst durch Hektor. Protesilaos kommt ins Reich des Hades und ist voll Sehnsucht nach Laodameia. Für einen Tag bzw. für wenige Stunden erlauben ihm die Götter die Rückkehr zu seiner Frau. Dann muss er zurück in die Welt der Verstorbenen. Laodameia, dem einst gefertigten Abbild ihres Mannes treu verbunden, hält es in Ehren mit leidenschaftlicher Liebe, bis es ihr genommen wird (s. o. Das machte ihn berühmt – Ein Abbild).

= = = = = Vorprogrammiertes Heldenschicksal = = = = = Da ein Orakelspruch schlussendlich auf einen Gott zurückgeht – und eine ebensolche Weissagung existiert ja bezüglich des Schicksals jenes griechischen Kriegers, der als erster den troianischen Boden betritt – hat göttliche Macht den Tod des Protesilaos vorausbestimmt und gewollt.

= = = = = Nachantike Seitenblicke = = = = = Dort ruht Protesilaos

Das vermeintliche Grab (s. u. Protesilaos und Alexander der Große) liegt in jenem Gebiet an den Dardanellen, wo 1915 die verlustreiche Schlacht von Gallipoli / Gelibolu stattfand. Sie rechnet zu den blutigsten im Ersten Welt152 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

krieg. Versuche der Entente-Mächte, die Dardanellen – diesen Europa von Asien trennenden und das Schwarze Meer mit dem Mittelmeer verbindenden Seeweg – zu erobern und die osmanische Hauptstadt Istanbul einzunehmen, misslangen.

= = = = = Museumswelten – Standorte = = = = = Protesilaos in New York

Das Metropolitan Museum of Art in New York zeigt in Gallery 153 die 2,20 Meter hohe Marmorstatue (Accession Number 25116) eines sich vorwärts bewegenden, ausschreitenden Kriegers, den archäologische Forschung als Protesilaos festgeschrieben hat. Fast nackt ist er wiedergegeben. Nur ein kurzer Mantel, die Chlamys, hängt von der linken Schulter herab. In der erhobenen Rechten des Kämpfers darf man sich die Lanze vorstellen. Da am linken Unterarm Reste eines Schildbandes zu sehen sind, muss hier ein Schild angeschlossen haben. Protesilaos trägt einen Helm. Die Zugehörigkeit des Kopfes zur Statue bleibt umstritten. Es handelt sich bei dem Bildwerk um eine römische Kopie, gearbeitet nach einem griechischen Original aus der Zeit um 450 v. Chr., das mit dem Bildhauer Deinomenos in Verbindung gebracht wird. Ob er es denn wirklich war, der das Original der Protesilaosstatue schuf, mögen Experten noch herausfinden. Einfacher ist es für Laien, dass sie die Statue als jenen Protesilaos wahrnehmen, der gerade nach dem Sprung von seinem Schiff den troianischen Boden berührt. Protesilaos in Rom

Wenige Besucher Roms haben genug Zeit und Kraft, um im zweiten Stock der Vatikanischen Museen in der Galleria dei Candelabri (Verbindungsgang zum Päpstlichen Palast) einen Sarkophag zu suchen (Inv. 2465), dessen Reliefs die ,story‘ des Protesilaos in einzelnen aufeinander folgenden Szenen wiedergeben. So liest man das in Stein Erzählte. Linke Nebenseite: Abschied des Protesilaos von seiner Frau Laodameia. Vorderseite von links nach rechts: Vom gelandeten Schiff will Protesilaos über eine angelegte Treppe hinabsteigen. Ein troianischer Krieger stürmt ihm entgegen und tötet ihn, so dass Protesilaos kraftlos am Boden bleibt. Sein verhüllter Schatten verlässt ihn, um Protesilaos / Iolaos | 153

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v = Protesilaos und Alexander der Große = Herodot (Historien IX,116) berichtet, dass man an der Südspitze der Halbinsel Chersones (Chersonesos) bei Elaius (Elaios) das Grab des Protesilaos verehrte. Es lag inmitten eines heiligen Bezirkes, der zahlreiche kostbare Weihgeschenke barg. Auch eine Orakelstätte gab es dort, in der vermutlich Träume gedeutet wurden. An diesen Ort ,pilgerte‘ kein Geringerer als Alexander der Große (356–323 v. Chr.). Zu Beginn seines Persienfeldzuges, 334 v. Chr., opferte er hier – bei politisch wirksamem Besuch – den Göttern und zeigte sich als Nachfolger des mythischen Helden Protesilaos. Nachdem Alexander den Hellespont (Dardanellen) überquert hatte, setzte er in Troias Nähe den Fuß auf asiatischen Boden, so wie es einst Protesilaos tat.

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dem Seelengeleiter Hermes / Merkur zu folgen. Dieser Gott führt Protesilaos – nächster Darstellungsabschnitt – für eine kurze Zeit aus der Unterwelt zu seiner Gemahlin zurück (s. o. Das machte ihn berühmt – Ein Abbild; Tod). Auf der Treppe zum Palast treffen die beiden zusammen. Sie sind einander nahe auf einer Kline. Aber dann wendet sich der Schatten des Protesilaos wieder ab und Laodameia sinkt schmerzerfüllt zurück. Einige sie umgebende Gegenstände aus der Welt des Theaters und des Gelages deuten an, dass die junge Frau eine treue Dienerin des für diese Bereiche zuständigen Gottes Dionysos / Bacchus ist. Die Darstellung setzt sich auf der Vorderseite fort. Hermes / Merkur führt den Verblichenen dem Fährmann Charon zu, der mit seinem Kahn durch das Tor des Hades heraufrudert. Rechte Nebenseite: Drei Büßergestalten – Sisyphos mit dem Felsblock, Ixion mit dem Rad und Tantalos, dem das Wasser vom Munde fließt – sind zu erkennen. (Die hier gegebene Beschreibung folgt Bernhard Andreae, in: Wolfgang Helbig, Führer durch die öffentlicher Sammlungen klassischer Altertümer in Rom, Band 1, Die Päpstlichen Sammlungen im Vatikan und Lateran, 4. Auflage 1963, S. 417 Nr. 527.)

154 | Fünfzehn Helden stellen sich vor

Frauen für die Helden Frauen für die Helden

Alle Frauen der Helden, die in den Einzelkapiteln von Achilleus bis Protesilaos schon einbezogen sind, noch systematisch aufzuzählen und nach unterschiedlichen Quellen zum Mythos plus diverser Weiterungen zu besprechen, kann im vorliegenden Band nicht geleistet werden. Wie bei den Helden ist eine Auswahl angesagt, welche – bis auf die Ausführungen in längeren einzelnen Kapiteln zu Penelope und Helena (s. u. Das Musterbeispiel Penelope, Der Sonderfall Helena) – eine resümierende Schau zu Gattinnen, Geliebten und Geraubten anbietet. Einer Leserschaft, die Troianische Helden ,pur‘ wünscht und bei Einbeziehung der Frauen an ,Themaverfehlung‘ denkt, ist zu entgegnen: Zwar leben die Frauen im dominierenden Schatten der männlichen Entscheidungsträger und hängen von göttlichen Beschlüssen ab, aber trotz ihrer überwiegend passiven Verhaltensweisen beeinflussen sie den Handlungsverlauf vor, in, und nach dem Troianischen Krieg zuweilen so erheblich, dass es ihn ohne sie gar nicht gegeben hätte!

= = = = = Gattinnen, Geliebte, Geraubte = = = = = Eine aristokratisch bestimmte ,homerische Gesellschaft‘ verantwortet jene Zurückhaltung der Frauen, die über Hedna (Brautgeschenke) gewonnen werden, sich in bestimmten Hochzeitsriten dem Bräutigam verbinden, an der Seite ihres Ehemannes leben, ihm Kinder gebären, ihre soziale Aufgabe als gute Wirtschafterinnen erfüllen. Trotz solcher engen Bindungsverhältnisse wird / werden dem Ehemann Nebenfrau / Nebenfrauen zugestanden, mit denen sich seine Ehefrau zu arrangieren hat, auf welche Weise ihr das auch gelingen mag. Im Kriegsfall gibt es Geliebte mit besonderem Status. Es handelt sich um jene Beutefrauen, die von den Siegern gefangen gesetzt werden, ihnen nicht nur als Sexualpartnerinnen zur Verfügung stehen müssen, sondern auch Liebe und Achtung erfahren können, wie sie die zurückgebliebenen Ehefrauen erhalten haben mögen. Achilleus und seine weiblichen Beutestücke hervorzuheben, bietet sich an, denn die Ilias verrät, dass er auf seinen Raubzügen etliche Frauen zwingt, ihm zu folgen. Von Skyros holt er sich die reizende Iphis und überlässt Frauen für die Helden | 155

sie seinem Freund Patroklos. Von Lesbos nimmt er u. a. Diomede mit. Und dann ist da die hoch angesehene Briseis (s. u.). In Mysien reißt er sie an sich. Beim Fall Helena handelt es sich um einen Frauenraub (s. u. Der Sonderfall Helena), der sich von dem üblichen realistischen Vorgang – eine Kriegsgefangene wird gemacht – oder von dem üblichen mythologischen Ereignis – Gott oder Held bemächtigt sich einer verheirateten bzw. unverheirateten Frau – unterscheidet.

= = = = = Deidameia = = = = = Deidameia, Tochter des Königs Lykomedes von Skyros, hat keine Chance, ihren jungen Gemahl Achilleus, trotz beider Sohn Neoptolemos, aufzuhalten, als er die Waffen erkennt, mit denen er in die troianischen Kämpfe eingreifen kann.

= = = = = Briseis, Diomede = = = = = Als Achilleus seine überaus geliebte Beutefrau Briseis an Agamemnon verliert, ist er so gekränkt, dass er sich zunächst höchst konsequent dem Kriegsgeschehen verweigert. Homer lobt Briseis. Er nennt sie schönwangig und schönhaarig. Der Dichter meint gar, Briseis gleiche der goldenen Liebesgöttin. Briseis stammt aus Lyrmessos in Mysien, einer der Troas benachbarten Landschaft. Dort nimmt Achilleus die Schöne gefangen während eines Raubzuges. Später ist sie ihm in Liebe zugetan, obgleich er ihren Gemahl, König Mynes und drei ihrer Brüder umgebracht hat. Briseis geht aus dem Besitz des Achilleus in den Besitz des Agamemnon über, damit letzterer seine Beutefrau Chryseis (s. u.) an ihren Vater zurückgibt. Agamemnons Herolde holen Briseis ab. Daraufhin quält Achilleus eine große Traurigkeit. „Aber Achilleus / brach in Tränen aus, setzte sich schnell, von den Freunden gesondert“, heißt es in der Ilias (1, 348–350). Höchst verletzt ist sein Ehrgefühl und heftig hadert er mit Agamemnon, der ihm Briseis entriss. Über ihren Verlust tröstete er sich mit Diomede, die er auf der Insel Lesbos erbeutete (s. o.). Briseis kehrte nach der Versöhnung zwischen Agamemnon und Achilleus zu letzterem zurück. Wie eine Schachfigur verschiebt man sie im Spiel um Troia. 156 | Frauen für die Helden

Eine Frau erblickt in der Ferne die Schleifung Hektors. Neben ihr kümmern sich drei Troianerinnen um die ohnmächtig gewordene Andromache. Sie hat der Demütigung ihres Mannes zusehen müssen. Eine Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm – es könnte Hektors und Andromachos Sohn Astyanax sein – tritt heran.

= = = = = Hermione, Andromache = = = = = Hermione, Tochter des Menelaos und der Helena, einst dem Agamemnon-Sohn Orestes versprochen, kann sich zwar rühmen, schlussendlich keinen geringeren als Neoptolemos / Pyrrhos, den Sohn des Achilleus, ihren Gatten zu nennen, aber sie ist dennoch unglücklich wegen der ihr beschiedenen Kinderlosigkeit. Als Neoptolemos nach Phthia, in die Heimat seines Vaters, zurückkommt, leidet Hermione noch mehr, weil sich Neoptolomos / Pyrrhos mit seiner Beutefrau Andromache, der tugendreichen Gattin bzw. Witwe Hektors, verbindet und diese ihm den Sohn Molossos gebiert. Hermiones Kummer lässt sie maßlos reagieren. Zusammen mit ihrem Vater versucht sie, die Rivalin umzubringen. Andromache dürfte Molossos mit den aufrichtigen Gefühlen einer neuen Mutterschaft geliebt haben, aber ihre Gedanken müssen auch stets zum Sohn aus der Ehe mit Hektor Frauen für die Helden | 157

zurückgeeilt sein, denn einst sah sie Astyanax leblos mit zerschmetterten Gliedern. Die Griechen warfen ihn von den Mauern Troias.

= = = = = Laodameia, Tekmessa = = = = = Laodameia, Tochter des Akastos, verliert Protesilaos, unmittelbar nach der Vermählung. Er stirbt als erster der griechischen Kämpfer auf troianischem Boden. Die noch sehr junge Witwe lässt ein Abbild ihres gefallenen Ehemannes anfertigen und ehrt es mit Opfern. Als ihr diese Huldigungen seitens ihres Vaters versagt werden, wählt Laodameia den Freitod und verbrennt sich auf dem Scheiterhaufen. Derartig traurig endet Tekmessas Leben nicht, aber auch sie triff t ein schweres Schicksal. Das schreckliche Ende ihres Partners muss sie ertragen. Tekmessa, eine Beutefrau aus Phrygien, Lebensgefährtin des Großen Aias, wird von diesem geschätzt und geliebt wie eine geachtete Ehefrau. Als der Große Aias erkennt, dass man ihn nicht mit den Waffen des gefallenen Achilleus ehrt, fühlt er eine ihm unerträgliche Demütigung, die ihn in den Selbstmord treibt. Er stürzt sich in sein Schwert. Tot sieht Tekmessa den Großen Aias. Beider Sohn Eurysakes mag ihr Trost bedeutet haben.

= = = = = Anaxibia, Arisbe, Hekabe = = = = = Anaxibia, die Gattin des ,Seniorenhelden‘ Nestor schenkt dem König von Pylos den Sohn Antilochos, der sich Achilleus in Freundschaft verbindet. Arisbe ist die erste Gattin des Priamos, des anderen ,Seniorenhelden‘. Der König von Troia nimmt Hekabe als zweite Ehefrau. Sie akzeptiert diverse Nebenfrauen, Geliebte oder Sklavinnen, denn berichtet wird von mehr als 50 Söhnen und mehr als zehn Töchtern des Priamos. Gemäß den Lebensgewohnheiten der archaischen Adelsgesellschaft, in die Hekabe hineingeboren ist, dürfte sie die außerehelichen Zeugungsaktivitäten ihres Gemahls mehr oder minder gelassen hingenommen haben. Während einer Schwangerschaft quält Hekabe dieser Alptraum: Sie trägt eine Fackel in ihrem Leib, gebiert sie, verbrennt so sich selbst und ganz Troia. Derartige Traumgesichte beunruhigen sie nachhaltig und führen dazu, dass sie den neugeborenen Paris nach seiner Geburt im Gebirge aussetzen lässt. Mehr als 158 | Frauen für die Helden

den langjährigen Verlust des Sohnes – er kehrt ja zurück – erleidet Hekabe. Später muss sie den Tod ihres Ehemanns Priamos und fast aller ihrer Söhne beweinen, Töchter und Schwiegertöchter versklavt sehen, den Status als Beutefrau des Odysseus akzeptieren, auch noch den jüngsten Sohn verlieren. Schlussendlich bringt sie sich um. Brillant fasst Udo Reinhardt zusammen: „So entwickelte sie [Hekabe] sich in der Mythentradition zur exemplarischen Symbolfigur für das kollektive Schicksal der besiegten Frau.“

= = = = = Chryseis = = = = = Die begehrteste Beutefrau ist Chryseis, Tochter des Apollonpriesters Chryses. Agamemnon fordert sie für sich und gibt Chryseis trotz der von ihrem Vater angebotenen ,Lösegeldgeschenke‘ nicht heraus. Daraufhin rächt sich Apollon und schickt die Pest ins griechische Lager. Schließlich muss Agamemnon ein Schiff bereitstellen, auf dem Chryseis dann doch zu ihrem Vater zurückkehrt. Im Gegenzug fordert und erhält Agamemnon dafür die Geliebte des Achilleus. Briseis (s. o.) dient also zur Kompensation für Chryseis. Diese, durch Raub zum Heerführer Agamemnon gekommen, ist schön, umworben und sogar geliebt, aber sie hat kein Mitspracherecht über ihren Verbleib.

= = = = = Klytaimnestra = = = = = Klytaimnestra, daheim in Mykene, kann von Chryseis (s. o.), der geraubten Frau an der Seite ihres Gatten Agamemnon, nichts gewusst haben. Klytaimnestra, mit dem epischen Beiwort ,dunkeläugig‘ belegt, gehört zu den verachteten Ehefrauen, weil sie gegen herrschende gesellschaftliche Normen verstößt. Als Gattenmörderin macht sie von sich reden, denn, verbündet mit ihrem Vetter und Geliebten Aighistos, empfängt sie Agamemnon nach seiner Rückkehr aus Troia erst hinterhältig wohlwollend und tötet ihn dann, als er sich wehrlos im Bad aufhält. Nie verzieh Klytaimnestra ihrem Mann, dass er einst beider Tochter Iphigenie opfern wollte, um günstige Winde für die Flotte zu erhalten. Es heißt auch, Klytaimnestra sei zum Mord verleitet worden. Niederschmetternd für die ,Frauenwelt‘ klingt Klytaimnestras Verurteilung aus dem ,patriarFrauen für die Helden | 159

chalischen Munde‘ des Agamemnon, der gegenüber Odysseus im Reich der Toten äußert: „Daraus siehst du: nichts ist so grausam, so hündisch wie Weiber,  / Richtet nur eine auf solcherlei Taten wirklich ihr Sinnen;  / Wie ja auch jene die schändliche Tat recht gründlich bedachte,  / Eh sie den Mord an dem ehlichen Gatten vollzog; ich dachte,  / Kinder und Diener würden mit Freuden willkommen mich heißen, / Käme ich heim. So zog sie als Meisterin grausicher Untat / Schande auf sich und auf alle fraulichen Weiber, die jemals / Später ins Leben noch treten, und wären sie tüchtig geraten […] Darum sei denn auch du jetzt zum Weibe niemals zu gütig! / Was an Geschichten du weißt, ihr sollst du nicht alles erklären.  / Manches sage, doch bleibe auch manches ein tiefes Geheimnis.“ (Odyssee 11, 427– 444)

= = = = = Kassandra = = = = = Des Ehebruchs mit Kassandra beschuldigte Klytaimnestra (s. o.) ihren Ehemann Agamemnon, der die troianische Seherin als Beutefrau mit nach Mykene brachte. Auch Kassandra starb, wie Agamemnon, durch Klytaimnestras Hand. Einst hatte die geheimnisumwobene Seherin, schönste Tochter des troianischen Königs Priamos, ein indirekt mit Troias Fall zusammenhängendes, besonderes Geschick zu ertragen. Es geschah nämlich einmal, dass sich Kassandra den Annäherungen des für Prophezeiungen zuständigen Gottes Apollon widersetzte. Höchst gekränkt verhängte er seine subtile Bestrafung: Kassandra erhielt seherische Kraft und kannte die Wahrheit stets richtig im Voraus, aber niemand glaubte ihren Weissagungen. Man assoziiert Verse, die Friedrich von Schiller (1759–1805) in „Kassandra“, einem mehrstrophigen Gedicht (1802), gelangen: „Freudlos in der Freude Fülle  / Ungesellig und allein,  / Wandelte Kassandra stille  / In Apollos Lorbeerhain. / In des Waldes tiefste Gründe / Flüchtete die Seherin, Und sie warf die Priesterbinde  / Zu der Erde zürnend hin.“ Was widerfährt Kassandra beim Untergang ihrer Stadt? Der griechische Held, Aias der Lokrer – in die hier vorgestellte Heldenauswahl ist er nicht aufgenommen – macht sich Kassandra zu Willen. Es geschieht im Heiligtum der Athene, zu deren Götterbild sie sich flüchtet. Dass dieses Palladion sich ja längst außerhalb der Stadt befindet – Odysseus und Diomedes haben es geraubt – macht in den kaum entwirrbaren Verwicklungen des Mythos kein Problem! Die tragische Rolle Kassandras verantwortete die 160 | Frauen für die Helden

beachtliche, seit dem 18. Jahrhundert auftretende rezeptionsgeschichtliche Bedeutung der troianischen Seherin. Viel ist über ihre Vergewaltigung diskutiert worden. Udo Reinhardt erklärt sie als spezifischen „Einzelfall im Kontext der Ilioupersis“, die abhängig ist von „dem göttlichen Schicksalsplan gegen Laomedon und die troianische Dynastie. Für den Vergewaltiger wird sie wegen des Schauplatzes (Athenetempel von Troia) als Fehlverhalten zum Anlass seiner späteren Bestrafung durch die Tempelherrin selbst. Doch spielt bei Kassandras Schicksal auch die frühere Verweigerung gegenüber dem Gott Apollon eine Rolle; die strenge Scheidung von göttlicher Oberschicht und heroischer Unterschicht lässt wenig Raum für solch widerspenstiges Verhalten. Daher sind auch die vielen sexuellen ,Übergriffe‘ von Göttern (seltener Göttinnen) auf junge Heroinen (seltener Heroen) nach den Vorstellungen des Mythos grundsätzlich ,Beglückungen‘ eines rangniedrigeren durch ein ranghöheres Wesen.“

= = = = = Aigialeia, Euippe = = = = = Aigialeia, die Gattin des Diomedes, trachtet ihrem Mann nach dem Leben, als er nach Troias Untergang in seine Heimat Argos zurückkehrt. Assistiert von ihrem Liebhaber Kometes will sie ihn vergiften, aber Diomedes entkommt nach Korinth. Nach langer Irrfahrt gelangt er nach Apulien, wo er Euippe, die Tochter des Königs Daunus zur Frau nimmt, an deren Seite er in Sicherheit lebt. Plakativ werden die Muster der niederträchtigen und der unauffälligen Ehefrau verwendet.

= = = = = Kreousa / Creusa, Lavinia, Dido = = = = = Kreousa / Creusa in Troia und Lavinia in Latium, die Ehefrauen des Aineias / Aeneas werden letztlich nicht unter emotionalem Aspekt einer Partnerschaft gekennzeichnet, sondern sie erscheinen unerlässlich, um die ,historische‘ Bedeutung der Fahrt des Aineias / Aeneas nach Westen festzuschreiben. Kreousa / Creusa findet den Tod bei der Zerstörung Troias, also ist ihr Gatte frei für Lavinia, die Tochter des Königs Latinus in Latium, die indirekt verknüpft ist mit der Gründung der neuen Stadt Lavinium. Diese wird nach Lavinia benannt und liegt nahe der späteren Hauptstadt Rom. Um seine Aufgabe als Frauen für die Helden | 161

Stadtgründer zu erfüllen, verlässt Aineias / Aeneas die karthagische Königin Dido. Als sie seine Entschlossenheit wahrnimmt, wird sie ohnmächtig. „Mitten im Reden verstummte sie. Die heiteren Lüfte  / Floh sie, zerrissen von Gram, und entzog sich den Blicken der Menschen, / Ihm auch, der tief betroffen noch säumte und manches zu sagen  / Dachte. Dienende Frauen empfingen die Niedergebrochne.  / Und sie betteten sie auf Pfühlen im Marmorgemache.  / Aber der fromme Aeneas, obwohl er ihr Leiden zu lindern, / Sie zu trösten, mit Worten den Kummer zu scheuchen begehrte,  / Seufzte nur tief, im Geiste von großer Liebe erschüttert, / Folgte jedoch den Geboten der Götter und sah nach der Flotte.“ Das Zitat, Aeneis IV, 388–396, folgt der Übertragung durch Emil Staiger (1985, Deutscher Taschenbuchverlag, München). Nicht überleben will Dido den Abschied von Aineias / Aeneas, die sich lange nach dem Tode ihres Mannes durch die tiefe Verbundenheit mit Aineias / Aeneas als dessen Gattin fühlt. Ihre Konsequenz: Dido verbrennt sich auf einem Scheiterhaufen.

= = = = = Kirke, Kalypso = = = = = Die Zauberin Kirke und die Nymphe Kalypso passen nur bedingt zu der Gruppe aus Gattinnen, Geliebten, Geraubten. Kirke und Kalypso handeln zwar recht eigenständig, werden aber doch von ihrer Liebe zu Odysseus gelenkt. Sie hängen von göttlichem Eingreifen ab, das die Verbindung zu Odysseus beendet. Der einjährige Aufenthalt des Odysseus bei der zauberkräftigen, unsterblichen Kirke – er hat sogar einen Sohn mit ihr – interessiert ,noch immer‘, und die siebenjährige, wenn auch unglücklich ausgehende Liebesgeschichte des Odysseus mit der schönen Nymphe Kalypso beeindruckt ,allenthalben‘.

= = = = = Also: Sie alle brachten griechischen und troianischen Helden Glück und Unglück = = = = = Nach den zuvor angebotenen Passagen zu Gattinnen, Geliebten und Geraubten, mag hier noch eine kurze ,zusammenfassende Hommage‘ folgen auf einige ,schillernde Partnerinnen‘, die sich an der Seite ihrer Helden ins Spiel um Troia freiwillig oder unfreiwillig und liebend oder hassend einbringen. 162 | Frauen für die Helden

Zu den ehelichen Paaren: Sowohl bei Hekabe (Priamos) als auch bei Kreousa / Creusa und bei Lavinia (Aineias / Aeneas), wird die persönliche Situation als rechtmäßige Gattin überlagert, zunächst durch die schicksalhafte Eroberung von Hekabes und Kreousas / Creusas Heimatstadt Troia, später durch den göttlichen Auftrag zur Gründung einer neuen Stadt in Lavinias Vaterland. Aber auch diese Ehefrauen sind, wie die meisten Gattinnen anderer Helden rund um Troia, dem Mann treu ergeben, was die fünfzehn Einzelkapitel von Achilleus bis Protesilaos belegen (Deidameia bei Achilleus, Andromache bei Hektor, Laodameia bei Protesilaos, Anaxibia bei Nestor, Arisbe bei Priamos, Euippe bei Diomedes, Penelope bei Odysseus). Penelope gehört ein zusätzliches Kapitel (s. u. Das Musterbeispiel Penelope). Die am höchsten geschätzte weibliche Qualität in der frühen aristokratischen, patriarchalisch bestimmten Gesellschaft ist die Treue der Frau. Von ihrer verbindlich zwingenden Gattinnentreue ist eine Ehefrau befreit, wenn sie durch Kriegsereignisse eine neue Verbindung eingehen muss. Zuweilen kann die Gattin zur Mörderin des Ehemannes werden (Klytaimnestra bei Agamemnon) oder zum Mord am Ehemann entschlossen sein (Agialeia bei Diomedes). Zu den unehelichen Paaren: Die Geliebten bzw. Geraubten in diesem Band sind Briseis und Diomede bei Achilleus, Andromache bei Neoptolemos, Chryseis und Kassandra bei Agamemnon, Tekmessa beim Großen Aias. Primär haben Beutefrauen zwar den Status willkommener Sexualpartnerinnen bei den Helden, obgleich aus derartigen Liaisons durchaus intensive Liebesbeziehungen entstehen können. Aber so sehr Chryseis und Briseis – schöne, umworbene und geliebte Beutefrauen – auch geschätzt werden, fehlt ihnen jegliches Mitspracherecht über ihren Verbleib. Als Tauschobjekte zwischen den Heerführern werden sie bewegt wie Spielsteine. Für das Gesamtgeschehen des Troianischen Krieges sind Chryseis und Briseis von herausragender Bedeutung. Udo Reinhardt fokussiert: Homers „Ilias konzentriert sich nach der 21 Tage umfassenden Exposition mit dem Höhepunkt des Streites der Könige Agamemnon und Achilleus um die Beutefrauen Briseis und Chryseis sowie Achilleus‘ Groll und seinem Rückzug aus dem Kampf am 10. / 11. Tag (Buch 1) auf vier große, an Geschehen prall volle Tage.“ Dem Schema ,Beutefrau contra Gattin‘ entzieht sich Dido bei Aineias / Aeneas, die verlassen wird, weil Aineias / Aeneas nach göttlicher Weisung eine neue Stadt gründen muss. Und eben dieses Raster ,Beutefrau contra Gattin‘ passt auch nicht für die Zauberin Kirke und die Frauen für die Helden | 163

Nymphe Kalypso, bei denen Odysseus trotz allem Heimweh zeitweilig Glück findet, weit entfernt von seiner Ehefrau Penelope (s. u. Das Musterbeispiel Penelope). Kirke, Kalypso und Penelope prägen lange Lebensabschnitte des Odysseus wesentlich. Aus modernen Blickwinkeln erscheinen sie als relativ selbstständige und entschlossene weibliche Wesen. Man erliege aber bitte nicht der Versuchung, ihr Handeln als Ausdruck ,moderner Emazipation‘ einzuschätzen. Empfindungen der Frauen in der Antike – u. a. erschließbar aus Quellen des Mythos in Kombination mit Relikten frühgriechischer Gesellschaftsstrukturen – und Empfindungen der Frauen im 21. Jahrhundert sind überhaupt nicht oder nur höchst bedingt aufgrund ureigener weiblicher Verhaltensmuster kompatibel. Festzuhalten bleibt: Unterschiedliche psychische Defizite der Frauen an der Seite ihrer Helden und das Schicksal der betreffenden Frauen, welches sie ihrer eigenen Opferbereitschaft ausliefert und ihre Opferrollen perfekt spielen lässt, verantworten Männer, gesteuert vom Egoismus und vom Verhaltenskodex ihrer patriarchalischen Gesellschaft. Dass ein solches, sich im Mythos freisetzendes Procedere mit göttlicher Steuerung abläuft, sei hier nochmals allgemein angedeutet, wenn es auch schon offenkundig wird in den Abschnitten „Vorprogrammiertes Heldenschicksal“ der Einzelkapitel zu den Helden und im Vorspann (Dieses Thema verlangt eine lange Einführung – Ohne Gottheit geht gar nichts). Inwieweit die ,Griechischen Frauen‘ in den antiken nachhomerischen Gesellschaftsstrukturen anteilig, obgleich nicht endgültig, den Fesseln einer sie dominierenden Männerwelt entrinnen, zeigen diverse Forschungen aus den letzten Jahrzehnten. Diesbezügliche Ergebnisse im Rahmen des vorliegenden Bandes zu bündeln, ist unmöglich.

= = = = = Das Musterbeispiel Penelope = = = = = Udo Reinhardt hebt bezüglich Penelope hervor, dass sie „primär wegen ihrer Treue, nicht wegen ihrer ausdrücklich bezeugten Klugheit und Schönheit in der europäischen Kulturtradition so nachhaltig gewirkt“ hat, denn „[a]us patriarchalischem Blickwinkel scheint vor allem die Treue bemerkenswert, während Klugheit und Schönheit eine Frau erst einmal suspekt machen.“ Und eben das, so resümiert der Forscher, passt zur patriarchalischen Sehweise, der gemäß das „größte weibliche Laster  […] bekanntlich die angeblich geschlechtsspezifische 164 | Frauen für die Helden

Untreue und Triebhaftigkeit der Frau“ ist. Eine Durchmusterung des Mythos ergibt tatsächlich diverse Episoden, in denen sich Frauen zeigen mit unersättlich verschlingenden Kräften. Sic! Aber infolgedessen, was man ,denn so weiß‘ aus der Odyssee, gelang es Penelope, das Vorurteil frühgriechischer Männer zu entschärfen. Keine sexuellen Begierden steuerten die Gattin des Odysseus. Penelope war treu, klug, umsichtig und schön. Sie zog den Sohn Telemachos groß, unterstützt von den Eltern des Odysseus und seiner Amme Eurykleia. Zwanzig Jahre lebte Penelope ohne Odysseus. Niemals ersehnte sie einen neuen König an ihrer Seite. Keinen noch so kurzen begehrlichen Blick warf sie auf einen der ungeduldig um sie werbenden Freier. Ausschließlich dachte sie zurück an die Liebeserfüllung vor langer Zeit mit Odysseus und hoff te inständig auf seine Rückkehr. Also Penelope lebte die Treue, jene in der patriarchalischen Gesellschaft hoch geschätzte Grundtugend. Und eben diese Penelope, honorige Gattin des Odysseus, stiehlt Helena (s. u. Der Sonderfall Helena) manchmal die Show, denn, so wie der ,ambivalent treuen‘ Helena ein Happyend mit Menelaos beschieden ist, so gibt es auch Fortsetzung und Neuanfang einer Liebe zwischen Odysseus und Penelope, die sich eindrucksvoll nachempfinden lässt aus wenigen Worten über Penelopes Zustand, als sie begreift, dass Odysseus wieder bei ihr ist. „[…] sofort versagten ihr liebes Herz und die Kniee,  / denn sie erkannte das Zeichen, das treffend Odysseus ihr sagte. / Weinend ging sie jetzt grad auf ihn zu und schlang ihre Arme  / Fest um den Hals des Odysseus, küsste das Haupt ihm und sagte: ,Grolle mir nicht mein Odysseus! Du hast ja auch sonst für die Menschen  / Tiefstes Verständnis; es waren die Götter; sie schickten den Kummer, / Gönnten uns nicht beisammen zu bleiben, die Freuden der Jugend  / Froh zu durchleben und so zur Schwelle des Alters zu kommen.  / Räche es jetzt nicht an mir und ergib dich nicht dauerndem Zürnen,  / Daß ich beim ersten Erblicken nicht gleich dich zärtlich liebkoste.“ (Odyssee, 23, 205–214)

= = = = = Der Sonderfall Helena = = = = = In den aristokratisch-patriarchalisch gelenkten Gesellschaftsstrukturen gilt nicht nur die Treue der Ehefrau (s. o. Das Musterbeispiel Penelope), als eine spezifisch weibliche Tugend sondern auch die Schönheit. Und diese verkörpert Helena, die schönste Frau auf Erden! Alle Lebenssituationen der bildschönen, Frauen für die Helden | 165

Venus nähert sich Helena, um sie der bevorstehenden Liebe zu Paris geneigt zu machen. Drei in Rückenansicht wiedergegebene Frauen bemerken die Begegnung zwischen der Liebesgöttin und der spartanischen Königin nicht.

göttlich manipulierten, schicksalsgetriebenen Helena, die schlimmste Unannehmlichkeiten und einmalige Glücksmomente verursacht, faszinieren. Wäre es nicht abendländisches Epos vom Feinsten, dann ließen sich durchaus Storys neuzeitlicher Regenbogenpresse aus aller Welt assoziieren. Wie eine Kostbarkeit dominiert Helena den Heiratsmarkt, auf dem mehr oder weniger bedeutende ,griechische Potentaten‘ die einzigartige ,weibliche Trophäe‘ heimholen möchten. Menelaos erhält sie. Helena, zunächst treue Ehefrau des Menelaos, dann untreue Gattin des Menelaos, daraufhin neu verliebte treue Gemahlin des Paris, anschließend gehorsame Ehefrau des Paris-Bruders Deiphobos und schlussendlich wieder, dank Aphrodites Hilfe – die Liebesgöttin reanimiert Menelaos’ Liebe zu Helena – die ,neue alte‘ treue Gemahlin des Menelaos! Helena, einst nach ihrer fatalen Entführung durch Paris als dessen Gemahlin im troianischen Königspalast ohne erhebliche Ressentiments der Großfamilie aufgenommen, später dann wieder etabliert in ihrem früheren heimischen Pa166 | Frauen für die Helden

last in Sparta, das sind Versatzstücke einer Vita, die themaprägend war für: qualitätvolle und seichte Literatur, hochkarätige und simple Dichtungen, Zeugnisse der Bildenden Kunst zwischen einmaliger Schöpfung und mittelmäßiger Masse. Helena verführt und wird verführt. Sie ist jene schillernde Frauengestalt, die infolge des berühmten Urteils – Paris nennt Aphrodite die schönste Göttin und erhält als Belohnung Helena – dem troianischen Jüngling folgt. Für sie vergisst er seine erste Gemahlin, die Nymphe Oinone. Helena also verursacht, manipuliert durch göttliche Einmischung, den Troianischen Krieg, indem sie Menelaos verlässt und Paris folgt. Dadurch fügt sie Menelaos eine ungeheuerliche Schmach zu. Ihr verwerfliches Tun wird in den beredten Zeugnissen der Vasenmalerei des 6. und 5. Jhs. v. Chr. allerdings niemals moralisierend dargestellt, denn stets ist angedeutet, dass Helena der Gewalt des Entführers und dem Eingreifen der Aphrodite unterliegt. Somit müssen alle ehemaligen Freier der Helena jenen, ihrem Vater einst geschworenen, Eid einlösen, Menelaos bei einem Raub der Helena mit Waffengewalt zu unterstützen. Diese wahnwitzig anmutenden Konstellation des Mythos spiegelt wider, dass vormoderne Gesellschaften die Verführung und den Ehebruch als unlautere Besitzergreifung einstufen, welche den männlichen Verfügungsberechtigten (Ehemann, Vater, Bruder, Vormund) etwas wegnimmt. Einem solchen Konstrukt kann Helena nicht entrinnen. Vielschichtig ist ihre Persönlichkeit im Spannungsfeld von Menschen und Gottheiten. Helena handelt ambivalent. Mehr oder minder einvernehmlich folgt sie Paris. Macht es ihr wirklich nichts aus, ihre Familie in Sparta zurückzulassen? Denkt sie nach über die Tragweite ihres Tuns? Vorübergehend – als Paris gegen Menelaos nicht heldenhaft weiterkämpft und von Aphrodite in Helenas Bett entrückt wird – schwankt Helena zwischen Liebe und Zurückweisung. Trotzdem genießt sie sehr, dass ihr neuer Gemahl lustvoll bei ihr liegt und nicht auf dem Schlachtfeld steht. Nach dem für Paris tödlichen Bogenschuss durch Philoktetes heiratet Helena Deiphobos, was mit dem auf Troias Untergang zielenden Schicksalsplan zu tun hat. Einerseits beweist Helena Solidarität mit den Griechen, andererseits unterstützt sie die Troianer. Mit Aphrodites Hilfe entgeht sie, nach Troias Untergang, dem Racheschwert des Menelaos. Helenas epische Epitheta – „die langgewandete weißarmige Helena mit den schlanken Fesseln und dem schönen Haar, die göttliche unter den Frauen“ – zählt Udo Reinhardt auf und freut sich zwischen Bewunderung und Verwunderung über die hinreißende unvergängliche Frauen für die Helden | 167

Schönheit Helenas. Auch er paraphrasiert, was tausendmal beobachtet wurde: Helena scheint tatsächlich nicht zu altern. Schon als junges Mädchen wird sie entführt von Theseus und Peirithoos. Als junge Frau heiratet sie Menelaos. Noch immer jung lässt sie sich von Paris ver- und entführen. Nach zehn Jahren kehrt sie mit Menelaos von Troia nach Sparta zurück. Nach weiteren zehn Jahren empfängt sie, unverändert schön und strahlend, den Odysseus-Sohn Telemachos. ,Vielleicht‘ hat die ,lange währende Jugendlichkeit‘ mit Helenas göttlicher bzw. halbgöttlicher Abkunft zu tun. Die schönste aller sterblichen Frauen verdankt ihre Existenz einem höchst trickreichen göttlichen Betrug, der Zeus gelingt. Es gibt zwei Versionen des Mythos. Die attische liest sich so: Helena ist die Tochter der Nemesis und des Zeus. Nemesis verwandelt sich, um der Zudringlichkeit des Zeus zu entgehen, in eine Gans. Zeus macht sich zum Schwan und liebt die als Gans getarnte Nemesis. Das hat Folgen. Die Gans legt ein Ei. Ein Hirte findet es und bringt es zu Leda, der Gemahlin des spartanischen Königs Tyndareos, die es vorsichtig in einem Kasten verwahrt. Endlich schlüpft Helena heraus. Leda nimmt sie als eigene Tochter an. Und so geschieht es im peloponnesischen Mythos: Leda badet im Eurotas. Zeus will sie besitzen, lässt einen Adler über ihr kreisen, nimmt die Gestalt eines Schwans an, sucht Schutz vor dem Raubvogel unter dem Mantel der ahnungslosen ,Tierschützerin‘. Zeus genießt die gewünschte Liebesvereinigung. Leda bringt ein Mädchen zur Welt: Helena. Es ist übrigens die einzige Tochter, die der oberste der Olympischen Götter mit einer Menschenfrau hat. Selbstverständlich wäre es ihm leicht gefallen, bei der Zeugung des letzten Kindes mit einer menschlichen Frau wieder einen Knaben vorzubereiten, aber es bedarf eines ,unwiderstehlichen Weibes‘, mit dem Zeus griechische und troianische Helden zielsicher in die Todesbereitschaft lockt. Die Abstammung von Zeus, ihre einmalige Schönheit, ihre Auslösekraft für den Troianischen Krieg erhoben Helena zur Legende. Schon in alter Zeit wurde erzählt, nur ihr Abbild sei nach Troia gelangt und sie selbst sei bis zur gemeinsamen Rückkehr mit Menelaos in Ägypten geblieben. Diese Mythosversion nimmt Helena den Makel der Untreue. Als Helenas Ende naht, bleibt ihr das Schattenreich erspart und sie gelangt ins Elysion, so wird es überliefert. Sie befindet sich demnach auf der Insel der Seligen, die vielleicht mit Leuke vor der Donaumündung gleichgesetzt werden darf. Sieht man oder erahnt man diese flache weiße unbewohnte Insel – militärisches Sperrgebiet – aus der Ferne von einem Touristenschiff, dann braucht es viel Phantasie, sich zu 168 | Frauen für die Helden

Helena hinüberzuträumen. Nicht ganz so schwer ist es, sie am nächtlichen Himmel zu finden, denn dort soll sie, durch Apollons Hilfe, ein Sternbild geworden sein. Fachleute nennen eine solche Verstirnung „Katasterismós“. Also es ging gut aus mit Helena, der Verführerin und der Verführten in einer Person. Auch „kalòn kakón“ nennt man sie. Das bedeutet ,schönes Übel‘.

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Schlussbetrachtungen Schlussbetrachtungen

Die folgenden Nachträge zu den vorgestellten 15 Helden und 21 Frauen versetzen das große Thema Troia in eine Welt kritischen Schmunzelns. Man betrete sie durch die Verse des Harry Heine, jenes Christian Johann Heinrich Heine (1797–1856), den sein kritisch scharfes, politisch beißendes, satirisch spottendes Werk berühmt machte. In Heines „Epilog“, welcher 1854 im ersten Band (S. 213 –214) „Vermischte Schriften“ erschien, möchte der Pelide – gemeint ist Achilleus – nach beachtlich übermenschlichen Heldentaten und göttlich erzwungenem Ableben seinen Platz in der Unterwelt sehr gern gegen ein genüssliches Leben in der Oberwelt eintauschen. Heine spielt an auf die Begegnung des Odysseus mit Achilleus in der Unterwelt und lässt den Sohn der Thetis und des Peleus deutliche Worte gegen das allenthalben so hochgeschätzte, ruhmvolle und heldenhafte Sterben finden: „Unser Grab erwärmt der Ruhm. Thorenworte! Narrenthum! Eine beßre Wärme giebt Eine Kuhmagd, die verliebt Uns mit dicken Lippen küßt Und beträchtlich riecht nach Mist. Gleichfalls eine beßre Wärme Wärmt dem Menschen die Gedärme, Wenn er Glühwein trinkt und Punsch Oder Grog nach Herzenswunsch In den niedrigsten Spelunken, Unter Dieben und Hallunken, Die dem Galgen sind entlaufen, Aber leben, athmen, schnaufen, Und beneidenswerther sind Als der Thetis großes Kind – Der Pelide sprach mit Recht: Leben wie der ärmste Knecht Schlussbetrachtungen | 171

In der Oberwelt ist besser, Als am stygischen Gewässer Schattenführer sein, ein Heros, Den besungen selbst Homeros.“

= = = = = Ein ,aufregender‘ Skelettfund = = = = = Den sachlichen Informationen zur bedeutenden kulturhistorischen Rolle Heinrich Schliemanns im Fall Troia (s. o. Dieses Thema verlangt eine lange Einführung – Troia fasziniert noch immer) sei hier eine Schliemann verunglimpfende Episode hinzugefügt. „Grab Achills aufgedeckt. Achill gefunden. Von Virchow erkannt an Ferse. Körper Achills bis auf Ferse fehlend. Achill in Tasche gesteckt. Alle gesund. Schliemann.“ Dieses Telegramm veröffentlichte die satirische Zeitschrift „Kladderadatsch“ (1879). Des Achilleus‘ Skelett zu finden, bot sich an, denn jeder gebildete Bürger wusste vom Tod des Haupthelden der Griechen im Troianischen Krieg, war auch vertraut mit dem Problem jener verwundbaren Stelle am Fuß des Achilleus (s. o. Achilleus  – Von der Achillessehne zur Achillesferse). Und die Journalisten jener Zeit verlachten die Angewohnheit des einer breiten Öffentlichkeit bekannten Troia-Forschers, alle spektakulären Fundberichte telegraphisch zu übermitteln. Warum versteckten sie – besonders wirkungsvoll – den Namen eines gewissen Virchow im Telegrammtext? Der prominente Mediziner Rudolf Karl Virchow (1821–1902), noch immer sehr geachtet durch seine Forschungen als Pathologe an der Berliner Charité, ging auch sehr erfolgreich medizinhistorischen, anthropologischen und ethnologischen Interessen nach. Sogar Grabungen in Ost- und Mitteldeutschland führte er durch und wertete sie aus. Auf diesem Gebiet Autodidakt, genau wie Schliemann, besaß Virchow, anders als Schliemann, bereits eine große wissenschaftliche Reputation in Deutschland, als man sich erstmalig traf im Jahr 1875. Virchow war Professor in Berlin und hatte dort die renommierte Anthropologische Gesellschaft gegründet. Schliemann, der sich gegen Fachgelehrte durchsetzen musste, fand in der – nicht immer ungetrübten aber schlussendlich bleibenden – Freundschaft mit Virchow einen hoch einzuschätzenden Rückhalt. Kein Wunder also, dass Virchow im „Kladderadatsch“-Telegramm das Skelett des Achilleus identifiziert! 172 | Schlussbetrachtungen

= = = = = Zwei ,bitterböse‘ Karikaturen = = = = = Die Idee des Bandes „Die Helden, ihre Frauen und Troia“ entstand anteilig aus dem Wissen, dass heutiges modernes Lesepublikum trotz beachtlicher Allgemeinbildung nur höchst selten mit den homerischen Epentexten von Ilias und Odyssee vertraut ist und nichts oder wenig weiß von den auswertbaren antiken Texten (s. o. Dieses Thema verlangt eine lange Einführung – Schriftliche Quellen, lesefreundlich aufgearbeitet). Ein solcher Crash-Kurs hätte sich im 19. Jahrhundert erübrigt. Das Bürgertum kannte ,seinen Homer‘. Also wurden die Lithographien des Honoré Daumier (1808–1879), die er in der von ihm seit 1832 herausgegebenen Zeitschrift „Le Charivari“ publizierte, bestens verstanden. Diese Karikaturen geißeln die Antikenbegeisterung seiner Zeitgenossen. Dass sich Daumier außergewöhnlich kompetent des Themas annehmen kann, basiert auf dem Studium antiker Werke im Pariser Louvre, die er ausbildungsbedingt zeichnen muss. Dadurch betrachtet er besonders Statuen und Reliefs akribisch und erkennt die antike Formensprache perfekt. Obgleich auch Daumier die allenthalben hoch gelobten antiken Werke schätzt, setzt er sich in seinem Œuvre auf neue subtile Weise mit ihnen auseinander. Er orientiert sich zwar an den antiken statuarischen Schöpfungen, aber er verändert jene griechischen und römischen Helden und die zu ihnen gehörenden weiblichen Wesen. So macht er aus ihnen alltägliche, mehr oder minder unansehnliche und zuweilen recht unsympathische Typen. Besonders die 50 Lithographien, zusammengestellt in Honoré Daumiers „Histoire ancienne“ (1841–1843) zeigen, dass die Helden keinesfalls attraktiv muskulös und wohl proportioniert daherkommen, wie man sie halt üblicherweise aus antiken Schriftzeugnissen und Bildender Kunst kennt. Sie sind zu fetten oder mageren Gestalten geworden, die sich auf stockartigen Beinen fortbewegen. Und die Physiognomien folgen keineswegs dem ,beliebten, bewährten, klassischen Profil‘, sondern lange spitze Nasen ragen aus dem ausgemergelten Gesicht oder knollig runde Nasen betten sich zwischen den Pausbacken. Anstelle vollen Haupthaares gruppieren sich dünne zerzauste Strähnen über Stirn und Ohren. Mit derartigen Charakterisierungen verhöhnt Honoré Daumier die bildungsbürgerliche Antikenbegeisterung und wendet sich gegen die weit verbreitete Verherrlichung des Altertums. Mit kritisch entlarvendem Zynismus greift er seine Künstlerkollegen an, die im Schlussbetrachtungen | 173

Honoré Daumier: Ménélas le Victor, Série Histoire ancienne, 1841.

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klassizistischen Stil – also inspiriert von der Formensprache klassischer Werke – arbeiten und ihre Helden übertrieben ,heldisch‘, wirklichkeitsfern, überhöht darstellen. Er bricht mit der lange favorisierten Bildtradition der Antike und zwingt die ,vorbildhaften‘ Taten jener Helden des klasssischen Altertums unter seine karikaturistische Lupe, versetzt sie in absurde Situationen, macht sie lächerlich. Um seine geistreichen, humorvollen und vielschichtigen Umsetzungen exemplarisch zu verdeutlichen, werden hier folgend zwei Szenen – Raub und Spaziergang – einbezogen. Die erste Lithographie scheint auf den primären Blick die Entführung einer Frau wiederzugeben, denn gemäß antikem Bildschema weiß man ja, dass ein Mann seine weibliche Beute wegzuführen oder davonzutragen hat. Aber bei genauerem Hinschauen passiert da etwas ganz anderes. Eine recht stämmige Frau von rundlich praller Form hat ihr Haar in einen unattraktiven Dutt gebündelt. Schönheit präsentiert sich anders. Die ,Dame‘ mit keck frechem Gesichtsausdruck ächzt unter schwerer Last. Auf ihrer Schulter trägt sie einen offensichtlich schweren ,Herrn‘. Er ist nackt. Gut scheint er sich zu fühlen, denn er liegt bequem und raucht entspannt eine Zigarette. Es ist Paris, der sich bereitwillig von Helena entführen lässt, die voll Motivation ihren Beutemann wegschleppt. Kleinteilig im Hintergrund wiedergegebene Volksmassen können sie nicht aufhalten. Nur einige Schritte bleiben bis zum Schiff, das einstiegbereit angedeutet ist. Wollte Honoré Daumier mit seiner Verspottung des antiken Traumpaares gleichzeitig die Verspottung der Frauenemanzipation seiner Zeit erreichen? Die zweite Lithographie lässt einen Mann und eine Frau erkennen. Fast stellt man sich ein Ehepaar auf einer Kurortpromenade des 19. Jahrhunderts vor. Aber weit hinter den Lustwandelnden lodern Flammen, rauchen Trümmer, steht ein Pferd aus Holz und näher bei den Spaziergängern liegen Leichen auf freiem Feld. Diese winzigen Details verraten: Troia ist gefallen und bei den Flanierenden handelt es sich um Überlebende. Menelaos und Helena sind gemeint. Menelaos ist fett geworden. Stolz erhebt der König von Sparta sein Haupt. Er tänzelt, als bewege er sich in einem Ballsaal. Trägt er einen Regenschirm? Nein, es ist sein Schwert, von dessen Spitze Blut tropft. Menelaos genießt selbstgefällig, dass Ehre, Gerechtigkeit und Wohlanständigkeit gesiegt haben. Helena gehört ihm wieder. Bemerkt Menelaos sie überhaupt? Wohl eher nicht, denn Honoré Daumier senkt ihm gelangweilte Genugtuung statt neuer Schlussbetrachtungen | 175

Liebe ins Antlitz und gibt ihm eine wenig anmutige Helena an seine Seite, die ein Mopsgesicht bekommen hat.

= = = = = Zitate und Bildnachweis = = = = =

Antike Zitate nach:

Homer, Ilias Übertragen von Hans von Rupé 6. Auflage 1977 Homer, Odyssee Übertragung von Anton Weiher, 5. Auflage 1977 Aeneis, Vergil Deutsch von Emil Staiger, 1981 (1985) Die Illustrationen in diesem Band sind aus:

John Flaxman’s Iliad 1793. First edition 1795. Im Jahre 1793 fertigte der Bildhauer John Flaxman (1755–1826) 34 Zeichnungen zu Homers Ilias in Rom an. Tommaso Piroli stach sie 1795 in Kupfer. Mit Ausnahme S.174, Quelle: dpa Picture-Alliance. 176 | Schlussbetrachtungen

Informationen Zum Buch Die Helden des Troianischen Kriegs gehören in besonderer Weise zur abendländischen Kultur. Ihre Taten beflügelten viele Generationen, ihre Geschichten inspirierten Künstler und Kriegsherrn. Doch ein genauerer Blick zeigt: Auch diesen Helden und ihren Gattinnen war nichts Menschliches fremd. So findet man grausames Hinschlachten, widerwärtige Hinterhältigkeit, feigen Verrat und kaltblütiges Morden neben aufopfernder Waffenbruderschaft, alterskluger Toleranz, tapferer Hilfeleistung und inniger Liebe. Und man entdeckt Hinweise wie »der jammervoll Sterbende« und »der durch eine Wunde übel Riechende«. Also nicht immer strahlend sind sie, diese Heroen. Angelika Dierichs beschreibt Helden und Heldinnen Troias mit ihren »menschlichen Zügen«. In 36 kleinen Biographien haucht sie antiken Mythen und Legenden neues Leben ein und bereitet damit Experten und Laien gleichermaßen ein genussvolles Lesevergnügen.