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German Pages 238 [242] Year 2018
Wolfgang König Heinrich Aumund (1873–1959)
PALLAS A T H E N E Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Gabriele Metzler Band 51
Wolfgang König
Heinrich Aumund (1873–1959) Erfinder Fördertechniker Hochschulreformer
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: Waggonkipper (1929), Privatarchiv der Familie Aumund, Duisburg-Homberg © 2018
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INHALTSVERZEICHNIS Einleitung .......................................................................................................... Fragestellungen und Aufbau ..................................................................... Quellen- und Literaturlage ........................................................................
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Lebensstationen................................................................................................. Herkunft und Ausbildung .......................................................................... Industrie und Ingenieurbüro: Kooperationen und Konflikte ..................... Erster Weltkrieg: In der Etappe und in der Kriegswirtschaft .................... Danzig: Erhaltung der deutschen Hochschule .......................................... Berlin: Wissenschaftsministerium und Technische Hochschule ............... Nationalsozialismus: Distanz und Diskriminierung.................................. Nachkriegszeit: Wiederaufbau der Fördererbau GmbH ............................
12 12 14 15 26 40 43 53
Der Erfinder ...................................................................................................... Mitarbeiter bei Pohlig ............................................................................... Patentverwertung und Ingenieurbüro ........................................................ Innovationen.............................................................................................. Hochofenbegichtung............................................................................ Eisenbahnkipper .................................................................................. Förderbänder........................................................................................
56 56 60 74 77 82 87
Der Fördertechniker .......................................................................................... 94 Die industrielle Fördertechnik in Zeiten der Rationalisierung.................. 94 Hochschullehrer in Danzig und Berlin...................................................... 100 Das Lehrbuch „Hebe- und Förderanlagen“ ............................................... 102 Forschung und Entwicklung ..................................................................... 109 Der Hochschulreformer .................................................................................... Engagement in technisch-wissenschaftlichen Vereinen ............................ Die Reformdiskussion in der frühen Weimarer Republik ......................... Reform der preußischen Technischen Hochschulen ................................. Technische Hochschule und Universität.............................................. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft ....................................... Fakultätsgliederung ............................................................................. Die Außeninstitute ............................................................................... Von der Ordinarien- zur Gruppenhochschule ...................................... Forschung und Lehre ...........................................................................
112 112 120 127 158 171 193 199 204 206
Zusammenfassung............................................................................................. 211
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Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen ..................................................................................................... 218 Archive und Sammlungen................................................................................. 219 Publikationen Heinrich Aumunds ..................................................................... 220 Zitierte Literatur ................................................................................................ 223 Sachregister ....................................................................................................... 235 Personenregister ................................................................................................ 237
EINLEITUNG FRAGESTELLUNGEN UND AUFBAU Die Technischen Hochschulen gehören zu den Stiefkindern der Hochschulgeschichtsschreibung und die Technikwissenschaften noch mehr zu den Stiefkindern der Wissenschaftsgeschichtsschreibung. Insofern ist es schon fast trivial, wenn man konstatiert, dass eine Biografie des Fördertechnikers Heinrich Aumund (1873– 1959), der von 1909 bis 1922 an der Technischen Hochschule Danzig und von 1925 bis 1935 an der Technischen Hochschule Berlin lehrte, eine Lücke füllt. Tatsächlich gehört Aumund zu den selbst in der technik- und wissenschaftsgeschichtlichen Fachwelt eher unbekannten Technikwissenschaftlern. Was Aumunds Wirken anbelangt, gibt es eine Ausnahme. Zwischen 1920 und 1926 war Aumund im preußischen Wissenschaftsministerium für die Reform der Technischen Hochschulen zuständig. Eine Geschichte der Technischen Hochschulen in den 1920er Jahren lässt sich schwerlich schreiben, ohne ihn wenigstens zu erwähnen. Die entsprechenden hochschulgeschichtlichen Arbeiten werden in meiner Biografie ausgebaut und wesentlich erweitert. Die Teile zur Institutionengeschichte der Technischen Hochschulen umfassen also den Zeitraum zwischen etwa 1909 und 1935. Darüber hinaus eröffnet die Biografie auch einen ersten Zugang zur Geschichte der technikwissenschaftlichen Disziplin Fördertechnik, welche bislang so gut wie keine historische Bearbeitung gefunden hat. Allerdings standen diese beiden systematischen Fragestellungen nicht am Anfang der Entscheidung, Heinrich Aumund mit Hilfe einer Biografie zu würdigen. Heinrich Aumund hatte in der Zwischenkriegszeit ein Ingenieurbüro unter dem Namen „Fördererbau“ gegründet, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg unter seinen Nachfolgern zu einem blühenden global tätigen Unternehmen der Anlagenplanung und des Anlagenbaus entwickelte. Es war das historische Interesse des jetzigen Firmenchefs Franz-Walter Aumund, welches den entscheidenden Anstoß für die Biografie gab. Franz-Walter Aumund und die Fördererbau haben zwar die Recherchen für die Biografie unterstützt, aber keinen Einfluss auf die Inhalte genommen. Die Verantwortung für die Darstellung und die Wertungen liegen also allein bei mir. Die Biografie Heinrich Aumunds hätte nicht geschrieben werden können ohne seine durch Franz-Walter Aumund im Privatdruck herausgegebenen „Lebenserinnerungen“.1 Auf Bitten der Kinder verfasste sie Heinrich Aumund in drei Etappen in der Nachkriegszeit. Es handelt sich um eine knappe, im Druck 74 Seiten umfassende, allerdings sehr informationsreiche Darstellung. Sie ist sehr sachlich gehalten, mit wertenden Urteilen hält sich Heinrich Aumund zurück. Meine Recherchen haben gezeigt, dass die gegebenen Informationen weitgehend sachrichtig sind. Aufgrund des großen Zeitabstands zu den berichteten Ereignissen kommt es 1
Aumund, Lebenserinnerungen, die Vorworte von Franz-Walter und Heinrich Aumund.
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Einleitung
dennoch zu einigen meist zeitlichen, aber auch sachlichen Fehlern. Die Bedeutung der Lebenserinnerungen für die Biografie liegt darin, dass die dort berichteten, meist unbekannten Geschehnisse eine systematische Quellenrecherche erst ermöglicht haben. Aufgrund des eher unpersönlich gehaltenen, sachlichen Tons sind die Lebenserinnerungen dagegen weniger für eine Charakterisierung der Persönlichkeit Heinrich Aumunds geeignet. Überhaupt steht in des Lebenserinnerungen und auch in meiner Biografie – nicht zuletzt aufgrund der Quellenlage – die Persönlichkeit Aumunds gegenüber seiner Tätigkeit und seinem Wirken zurück. Die Lebenserinnerungen und die sich daran anschließenden Recherchen haben eine Reihe weiterer Themen ans Tageslicht gebracht, die geeignet sind, unser Wissen um die Ingenieure, die Technischen Hochschulen und die Technikwissenschaften zu erweitern. (1) Heinrich Aumund war ein hoch qualifizierter Ingenieur, der sich entschloss seine Industriekarriere zugunsten einer Tätigkeit als Hochschullehrer aufzugeben. Damit reihte er sich in eine um die Jahrhundertwende zum Ausdruck kommende Tendenz ein, mehr und mehr praxiserfahrene Professoren an die Hochschule zu holen. (2) Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer betrieb Aumund ein privates Ingenieurbüro, mit dem er seine Innovationen vermarktete. Dabei zeigte sich, dass die erforderliche Zusammenarbeit mit produzierenden Unternehmen alles andere als unproblematisch war. (3) Während des Ersten Weltkriegs arbeitete Aumund in der Kriegswirtschaft. Dabei geriet er sowohl mit dem Militär wie mit der Schwerindustrie in Konflikt. (4) Nach Kriegsende kehrte Aumund nach Danzig zurück und engagierte sich politisch bei der Gründung der Freien Stadt. Darüber hinaus setzte er sich erfolgreich dafür ein, dass die Technische Hochschule der Stadt erhalten blieb. (5) Seine zentrale Stellung bei der Reform der preußischen Technischen Hochschulen in den 1920er Jahren hat schon Erwähnung gefunden. (6) 1935 versetzten ihn die Nationalsozialisten aus politischen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand. Sie bedienten sich dabei des „Gesetzes über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens“, ein Vorgehen, das bislang in der Forschung wenig Beachtung gefunden hat. Aumund war in vier politischen Systemen vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik aktiv und entfaltete eine Fülle von Aktivitäten. Es stellt eine besondere Herausforderung dar, dies in einer Biografie darzustellen, ohne dass eine mehr oder weniger chronologische Aneinanderreihung entsteht, die inhaltliche Zusammenhänge auseinanderreißt. Ich habe mich entschieden, dies in Form eines historischsystematischen Mischsystems zu tun. Das Kapitel „Lebensstationen“ behandelt die wichtigen Etappen seines Lebens in zeitlicher Reihenfolge, ohne dass dabei eine exakte Chronologie angestrebt wird. In den „Lebensstationen“ werden in knapper Form auch die drei zentralen Handlungsfelder angesprochen, welche in den folgenden Kapiteln vertieft werden. Das Kapitel „Der Erfinder“ thematisiert die auf Aumund zurückgehenden Innovationen, welche er üblicherweise patentierte. Dies begann um die Jahrhundertwende während seiner Leitungstätigkeit bei dem Kölner fertigungstechnischen Unternehmen Pohlig. Seine Innovationen als Hochschullehrer und Gründer eines Ingenieurbüros in der Zwischenkriegszeit schließen sich an. Dabei lassen sich drei
Fragestellungen und Aufbau
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Schwerpunkte identifizieren: die Begichtung von Hochöfen, die Konstruktion von Eisenbahnkippern und die Entwicklung von Förderbändern. Im Kapitel „Der Fördertechniker“ wird nach Aumunds Lehre und Forschung als Hochschullehrer gefragt – dies im Kontext eine Skizze der Fördertechnik in Wissenschaft und Praxis. Die Entwicklung des Faches spiegelte sich in seinem Lehrbuch „Hebe- und Förderanlagen“ wider, das zwischen 1916 und 1958 vier Auflagen erlebte. Arbeiten zur Forschung und Entwicklung intensivierte Aumund erst seit etwa 1930 – zuerst als Professor an der Hochschule und dann in seinem Ingenieurbüro in Kooperation mit verschiedenen industriellen Unternehmen. Das Kapitel „Der Hochschulreformer“ ist – aufgrund der günstigen Quellenlage – das mit Abstand umfangreichste der Biografie. Die Basis für seine hochschulpolitische Tätigkeit legte Aumund noch vor dem Ersten Weltkrieg in den Beratungen des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) sowie des Deutschen Ausschusses für technisches Schulwesen (DAtSch). Dabei arbeitete er eng mit seinem engsten Freund zusammen, dem VDI-Direktor und Technikhistoriker Conrad Matschoß (1871–1942). Ihm und dem Staatssekretär bzw. Minister Carl Heinrich Becker (1876–1933) verdankte er die 1920 erfolgte Berufung ins preußische Wissenschaftsministerium als Referent für die Technischen Hochschulen. Bereits vorher, seit den letzten Kriegsjahren, setzte eine umfangreiche Reformdiskussion an den deutschen Hochschulen ein. Die vor allem zwischen 1917 und 1925 an den preußischen Technischen Hochschulen stattfindende Reformdiskussion stellt vielleicht das umfangreichste und aufwändigste Reformvorhaben in der Geschichte der Technischen Hochschulen und Universitäten dar. Ihre Darstellung verfolgt ein doppeltes Ziel: Sie will zeigen, um welche Themen es ging und welche Ergebnisse die Reformberatungen hervorbrachten. Und sie will die Auffassungen und das Vorgehen Heinrich Aumunds rekonstruieren, der bei den Reformen eine zentrale Schaltstelle innehatte. Der Umfang des Materials erforderte eine straffe Gliederung und generalisierende Zusammenfassungen. Zuerst geht es um die wichtigsten Gruppen in der Reformdiskussion, das preußische Wissenschaftsministerium und die Regierung, die Technischen Hochschulen und ihre Gliederungen, die einzelnen Statusgruppen, die technischwissenschaftlichen Vereine und die Industrieverbände. Danach stehen die zentralen Reformfragen im Mittelpunkt. Dabei werden folgende Vorhaben extra ausgewiesen: das Verhältnis von Universität und Technischer Hochschule, die Beziehung zwischen Technik und Wirtschaft, die Gliederung der Technischen Hochschulen in Fakultäten, die Gründung neuartiger Außeninstitute zur Intensivierung der Beziehungen der Hochschule zur Wirtschaft, die Stellung der verschiedenen Gruppen in der Hochschulverfassung und schließlich Veränderungen in Forschung und Lehre. Die Biografie verfolgt also einerseits den Lebensweg Aumunds, analysiert andererseits seine wichtigsten Schaffensgebiete. Sie behandelt einerseits die Protagonisten der Hochschulreform und deren Gegner, andererseits die Themen der Reformdiskussion. Eine solche Gliederung kommt nicht ohne Redundanzen aus. Der Verfasser hofft, dass diese nicht als lästige Wiederholungen empfunden werden, sondern als erweiterte Perspektiven, die unterschiedliche Zugänge zum spannenden Leben eines Ingenieurs und Technikwissenschaftlers eröffnen.
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Einleitung
QUELLEN- UND LITERATURLAGE Grundsätzlich ist die Quellenlage zu Heinrich Aumund schwierig. Aumund war auf zahlreichen Feldern tätig – und dies auch außerhalb des staatlich-öffentlichen Bereichs, der im Unterschied zum privaten in Archiven vielfach befriedigend dokumentiert ist. Aber auch hier haben unter anderem die beiden Weltkriege empfindliche Überlieferungslücken gerissen. Die Aktenlage ist also sehr ungleichgewichtig. Auf die große Bedeutung der „Lebenserinnerungen“ Aumunds ist bereits hingewiesen worden. Für die vorliegende Biografie stellten sie insbesondere eine wertvolle Suchhilfe dar. Sie berichten in großer Vollständigkeit, aber auch in sehr knapper Form, über die Tätigkeiten und Geschehnisse, welche Aumund für wichtig hielt. Einige der Tätigkeitsfelder Aumunds konnten durch umfangreichere Quellenfunde recht gut rekonstruiert werden. Hierzu gehören seine Arbeiten als Erfinder und als Inhaber eines in der Zwischenkriegszeit gegründeten Ingenieurbüros. Die entsprechenden Akten liegen in den Unterlagen der Firma Pohlig im RheinischWestfälischen Wirtschaftsarchiv in Köln. Sie dokumentieren insbesondere die Geschäftsbeziehungen zwischen Aumund und Pohlig nach dessen 1909 erfolgten Ausscheiden aus dem Unternehmen, aber auch zwischen Aumund und der DEMAG und Rheinmetall. In den 1920er Jahren fließen diese Quellen spärlicher, weil die Beteiligten die konfliktreichen Beziehungen zurückfuhren. Mit diesem Quellenfund ist es möglich, das vorhandene spärliche Wissen über private Ingenieurbüros in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erweitern, das sich bislang vor allem auf den Elektrotechniker Oskar v. Miller (1855–1934)2 und die Maschinenbauer Alois Riedler (1850–1936)3 sowie Richard Koch (1887–1972) und Otto Kienzle (1893– 1969)4 bezog. Aumunds Innovationen sind in der Patentdatenbank DEPATISnet mit an die 140 Einträgen vertreten. Darüber hinaus tauchen wichtige Neuerungen in seinen Publikationen auf. Dieser Quellenbestand erlaubt es, den genauen Inhalt der Patente wiederzugeben. Allerdings gibt er in der Regel keine Auskunft darüber, wie es zu den Innovationen gekommen ist. Die meisten Archivalien über die deutsche Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg sind verloren gegangen. Teilweise an entlegenen Stellen konnten immerhin einzelne Hinweise auf einschlägige Tätigkeiten Aumunds gefunden werden. Wichtige Ergänzungen liefern 94 zwischen November 1915 und Juli 1918 geschriebene Briefe und Postkarten Aumunds an seine Frau und seine Kinder. Sie befinden sich im Familienbesitz und wurden mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Aumunds Forschung und Lehre an den Technischen Hochschulen Danzig und Berlin ließen sich auf eher indirekte Weise erschließen. Wichtige Daten konnten den Personal- und Vorlesungsverzeichnissen der beiden Hochschulen entnommen werden. Weitere Einzelheiten fanden sich in den Akten des preußischen Kultusbzw. Wissenschaftsministeriums sowie in Aumunds Lehrbüchern. 2 3 4
Füßl, Oskar von Miller. König, Gelehrte. Seidel, Otto Kienzle.
Quellen- und Literaturlage
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Alles in allem bildete die Arbeit an der Biografie ein Puzzle aus zahlreichen gedruckten und ungedruckten heterogenen Quellen, das in dieser Einleitung nicht ansatzweise dargestellt werden kann, sich aber mit Hilfe der Fußnoten rekonstruieren lässt. Anders sieht dies bei der Quellenbasis für das Kapitel über die Hochschulreformen aus. Das Kapitel konnte auf Tausende Akten im Geheimen Preußischen Staatsarchiv zurückgreifen – mit Ergänzungen im Berliner Bundesarchiv. Bei diesem Kapitel bestand die Aufgabe weniger darin, überhaupt Material zu finden, sondern in der generalisierenden Auswertung der üppig vorhandenen Quellen. In der älteren wissenschaftlichen Literatur ist Aumund denn auch ausschließlich als Hochschulreformer präsent. Eine – allerdings knapp gehaltene – Pionierstudie veröffentlichte Kurt Düwell bereits 1969.5 In späterer Zeit untersuchten mehrere Autoren, welche Resonanz die Aumundschen Reformen an einzelnen Technischen Hochschulen fanden.6 Die preußische Hochschulreform nahm sich 1986 Winfried Heinzel erneut in einer Darmstädter Dissertation vor.7 Vor dieser Arbeit soll hier ausdrücklich gewarnt werden. Sie enthält zahlreiche faktische Fehler, so verwechselt Heinzel Personen und Institutionen. Vor allem aber scheitert er mit dem ziemlich grobschlächtigen Versuch, die Reformdiskussion an die große Politik rückzubinden, was den differenzierten Positionen in den Debatten nicht gerecht wird. In der vorliegenden Arbeit wurde im Allgemeinen vermerkt, an welchen Stellen sich Heinzel zu den angesprochenen Themen äußert, ohne dass dies eine Berufung auf seine Ausführungen bedeutet. Auf die Initiative und Unterstützung Franz-Walter Aumunds und der Aumund Gruppe bei der Entstehung dieses Buches ist bereits mit Dank hingewiesen worden. Die heterogene Literatur- und Quellenlage erforderte Recherchen in zahlreichen Bibliotheken und Archiven. Dabei habe ich umfangreiche Unterstützung gefunden, für die hier pauschal gedankt werden soll. Namentlich erwähnen möchte ich aber meine studentischen Mitarbeiter, die mich bei meinen Nachforschungen unterstützt haben. Bereits vor längerer Zeit haben Lidia Westermann und Nora Thorade die Literatur- und Quellenlage zu Heinrich Aumund erkundet. Daniel Smith und besonders Benjamin Gruber haben mich mit Literatur versorgt und Recherchen durchgeführt. Herr Gruber hat darüber hinaus das Sach- und Personenregister für das Buch angefertigt.
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Düwell, Neugestaltung. Düwell, Gründung (für Aachen); Niemann, TH (für Hannover); Gundler, Technische Bildung (für Braunschweig). Heinzel, Staatliche Reformversuche.
LEBENSSTATIONEN HERKUNFT UND AUSBILDUNG Heinrich Aumund wurde am 10. April. 1873 an der Unterweser, in Osterholz bei Bremen, als sechstes Kind einer relativ wohlhabenden protestantischen Bauernfamilie geboren.1 Die Region gehörte früher zum Königreich Hannover, das 1866 in Preußen aufging. Für die persönliche Entwicklung Heinrichs dürfte es von Bedeutung gewesen sein, dass die Mutter starb, als er 12 Jahre alt war, der Vater, als er das Alter von 19 erreichte. Heinrich war also früh zur Selbständigkeit gezwungen, wenn er auch in seinen älteren Geschwistern eine Stütze besaß. Wirtschaftliche Not musste er nicht leiden, denn der Vater hatte den Kindern so viel hinterlassen, dass sie sich eine gute Ausbildung leisten konnten. Nach dem Besuch der Volksschule in Osterholz beschloss Aumund 1887, nach dem Vorbild seines älteren Bruders Johann Jürgen Ingenieur zu werden.2 Die Voraussetzungen hierfür schuf er durch Absolvierung einer Mittelschule in Achim und einer Privatschule in Bremen. Von dieser Realschule ging er 1890 mit der Mittleren Reife ab, womit die Berechtigung verbunden war, einen verkürzten einjährigen Militärdienst abzuleisten. Die Mittlere Reife ermöglichte damals noch den Besuch einer Technischen Hochschule, aber nur wenn die Schule ein entsprechendes Anerkennungsverfahren durchlaufen hatte. Es spricht für die Entschiedenheit seines Berufswunschs, dass Aumund selbst dieses Verfahren einleitete und zum erfolgreichen Abschluss brachte.3 Allerdings wurde er 1890 zunächst nur als Hörer zugelassen und erst im November 1891 als ordentlicher Studierender.4 Vor dem Studium ging Aumund als Praktikant für ein halbes Jahr in die Maschinenfabrik von Osenbrück & Co in Sebaldsbrück bei Bremen, die Zigarrenpressen und Eismaschinen herstellte.5 Unter anderem arbeitete er in der Werkstatt, dem Zeichenbüro und half bei der Montage einer Kühlanlage in einem Schlachthof.6 Außerdem erhielt er 1890, als Siebzehnjähriger, sein erstes Patent auf eine Pumpe für einen Ammoniakkompressor, welches sich aber als wirtschaftlich nicht einsetzbar erwies.7
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Aumund, Lebenserinnerungen, 1 ff. In einem Lebenslauf von 1908 bezeichnet Aumund seinen Vater als „Gutsbesitzer“ (GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, 180 f.). Aumund, Lebenserinnerungen, 5 ff. Aumund, Lebenserinnerungen, 11 f. Nach Auskunft des Universitätsarchivs Hannover (Rita Seidel). Aumund, Lebenserinnerungen, 9 ff. Vgl. Sammlung Aumund, Briefe, 8.3.1916 – Heinrich an Hedwig Aumund. Aumund, Lebenserinnerungen, 10 f.
Herkunft und Ausbildung
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Für sein Studium wählte Aumund die Technische Hochschule Hannover, die von seiner Heimat aus am nächsten lag.8 Er entschied sich 1890 zunächst für die Elektrotechnik und wechselte 1893 in den Maschinenbau. Der Elektrotechnik räumte man damals zu Recht glänzende Zukunftsaussichten ein. Allerdings gab es einen Grundsatzstreit, ob die Elektrotechnik mehr zur Physik oder mehr zum Maschinenbau gehörte.9 In Hannover hatte der Physiker Wilhelm Kohlrausch (1855– 1936) seit 1884 die Professur für Elektrotechnik inne. Anfangs schnitten die Maschinenbaukollegen den jungen Physiker. Kohlrausch wurde deswegen Mitglied der Abteilung für chemisch-technische Wissenschaften und nicht der Maschinenbauabteilung wie die meisten seiner elektrotechnischen Kollegen an anderen Hochschulen. Letztlich errang Kohlrausch hohes Ansehen, zog zahlreiche Studenten an und befruchtete auch die praktische Elektrotechnik. Allerdings führten die Hannoveraner Querelen zu Schwierigkeiten bei der Aufstellung der Studienpläne und Prüfungsordnungen, die Anfang der 1890er Jahre noch nicht gelöst waren. In dieser Situation hielt es Aumund für besser, das Fach zu wechseln und entschied sich für den Maschinenbau. Einen gewissen Schwerpunkt legte er auf Textilmaschinen, womit er einem seiner Brüder nacheiferte. In seinen Lebenserinnerungen erwähnte er, dass er von den Lehrveranstaltungen Kohlrauschs, des Mathematikers Ludwig Kiepert (1846–1934), des Fachvertreters für Maschinenelemente Albert Frank (1841–1909) sowie des Mechanikers Wilhelm Keck (1841–1900) besonders profitierte. Nach dem Vorexamen unterbrach er das Studium, um 1894/95 in Darmstadt seiner Militärdienstpflicht zu genügen.10 Danach ging er nach Hannover zurück und legte im Juli 1896 das Abschlussexamen mit der nicht gerade berauschenden Note „genügend“ ab. Dies dürfte abgesehen von einer zu kurzen Vorbereitungszeit darauf zurückzuführen sein, dass Aumund zeit seines Lebens mehr der praktischen Technik nahestand als der Theorie. Gegenüber seiner Frau äußerte er später, dass er im Studium die Mathematik und die Statik vernachlässigt habe und dies teilweise nachholen musste.11 Damit besaß Aumund einen Ingenieurabschluss, aber nicht den akademischen Grad Diplom-Ingenieur, denn dieser wurde in Preußen erst 1899 eingeführt.12 Während des Studiums engagierte sich Aumund im Akademischen Verein der Hochschule und wurde zu dessen Vorsitzenden gewählt.13 Solche Vereine, die sich seit den 1870er Jahren jenseits der studentischen Korporationen bildeten, erhoben tendenziell den Anspruch allgemeiner Studentenvertretungen. Aumund wollte da8 9 10 11 12
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Aumund, Lebenserinnerungen, 11 ff. Vgl. hierzu allgemein: König, Technikwissenschaften, und zur Elektrotechnik in Hannover: König, Technikwissenschaften, 42–47. Aumund, Lebenserinnerungen, 13 f. u. 19 ff.; s. u. S. Sammlung Aumund, Briefe, 8.3.1916 – Heinrich an Hedwig Aumund. Von einer Ausnahme abgesehen (UA TUB, 109–2, 5, Personalfragebogen von 1947) bezeichnete Aumund sich denn auch nicht als Dipl.-Ing., sondern firmierte üblicherweise unter Prof. Dr.-Ing. E. h. Fälschlicherweise wird er in Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 1950 und 1954 als Dipl.-Ing. bezeichnet. Aumund, Lebenserinnerungen, 15 ff.
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Lebensstationen
gegen das Profil des Vereins als wissenschaftliche Vereinigung stärken. Im Akademischen Verein lernte er Conrad Matschoß (1871–1942) kennen, den späteren Technikhistoriker und Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure. Zwischen den Beiden entstand eine lebenslange enge Freundschaft; in der Folgezeit arbeiteten sie insbesondere in der Hochschulpolitik eng zusammen.14 Im Oktober 1896 trat Aumund seine erste Stelle als Lehrer am Technikum Hildburghausen in Thüringen an, wo er ein Jahr blieb.15 Mit dem Gehalt konnte er Schulden aus seinem Studium begleichen. Das Technikum gehörte zur Gruppe der technischen Mittelschulen, Vorläufer der heutigen Fachhochschulen, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausbildeten. Die Mittelschulen füllten eine Qualifikationslücke aus, die sich aufgrund der wissenschaftlichen Höherentwicklung der Technischen Hochschulen aufgetan hatte. Sie bildeten unter anderem Techniker für die Fertigung aus sowie Konstrukteure und Zeichner für untergeordnete Positionen. Träger konnten die Länder, aber auch Kommunen oder Private sein. Das qualitative Spektrum der technischen Mittelschulen war ausgesprochen breit. Besonders in der Zwischenkriegszeit gab es Bemühungen, Mindeststandards für die Schulen festzuschreiben. Das Technikum wurde 1876 in Sonderhausen gegründet und 1878/79 nach Hildburghausen im thüringischen Kleinstaat Meiningen verlegt, weil die Stadt und das Land größere Zuschüsse gewährten.16 Es handelte sich um eine private Schule unter staatlicher Aufsicht. Maschinenbau und Bauwesen bildeten die wichtigsten Fächer, später durch die Elektrotechnik erweitert. Die meisten der Schüler kamen aus dem nicht weit entfernten Preußen, wo die Regierung das Mittelschulwesen vernachlässigt hatte. Um die Mitte der 1890er Jahre expandierte das Technikum. Im Wintersemester 1895 erreichte die Zahl der Schüler mit 876 einen Höchststand. 1896 wurde ein Neubau bezogen. Aumund traf also günstige Verhältnisse an. Er konnte sich nicht nur wirtschaftlich sanieren, sondern dürfte auch durch die von ihm abgehaltenen Lehrveranstaltungen sein Wissen vermehrt haben. INDUSTRIE UND INGENIEURBÜRO: KOOPERATIONEN UND KONFLIKTE Aumund hatte von vornherein nicht vor, lange Zeit am Technikum Hildburghausen zu unterrichten, sondern er wollte in die industrielle Praxis. 1897 wechselte er in das Unternehmen von Julius Pohlig (1842–1916) in Köln, das sich mit Förderanlagen einen Namen gemacht hatte.17 Pohlig befand sich in dieser Zeit auf Expansionskurs. Um die Mitte der 1890er Jahre hatte er Lizenzen der New Yorker Firma von Charles Wallace Hunt (1841–1911) erworben und baute eine neue Abteilung auf, um die Erfindungen Hunts für Europa auszuarbeiten und zu vermarkten. Au14 15 16 17
S. u. S. 112 ff. Aumund, Lebenserinnerungen, 22 f.; Abig, Technikum, 64. In den thüringischen Archiven sind keine Unterlagen über die Lehrtätigkeit Aumunds vorhanden. Grüner, Entwicklung, 104 f., 119 ff.; Abig, Technikum. Ausführlicher u. S. 56 ff.
Erster Weltkrieg: In der Etappe und in der Kriegswirtschaft
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mund erwarb sich in der Abteilung offensichtlich große Verdienste, denn 1900 übernahm er deren Leitung. In der Folgezeit verbesserte er zahlreiche Anlagen, welche zudem unter seinem Namen patentiert wurden. 1909 schied er bei Pohlig aus und nahm eine Professur für Hebemaschinen und Förderanlagen an der Technischen Hochschule Danzig an.18 In der Kölner Firma hatten sich die Besitzverhältnisse inzwischen geändert, und die neue Geschäftsführung trieb die technische Entwicklung nicht so voran, wie Aumund sich dies wünschte. Der alte Pohlig, seit der 1906 erfolgten Heirat mit Hedwig Auguste Pohlig Aumunds Schwiegervater, hatte sich bereits 1903 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Aumund war weiterhin an der Verwertung seiner bei Pohlig patentierten Innovationen beteiligt und kooperierte zudem mit weiteren Unternehmen.19 Dabei kam es zu einer Vielzahl von Differenzen und Konflikten. Um die Vermarktung seiner Innovationen auf eine festere Basis zu stellen gründete der 1920 nach Berlin gewechselte Aumund 1922 die „Gesellschaft für Aumund-Patente M. B. H.“20 1937 wurde sie zugunsten der „Fördererbau GmbH“ aus dem Handelsregister gelöscht. Diese saß – zumindest formal – in Berlin bis 1961, ehe sie nach Rheinberg verlegt wurde. Über sein Berliner Ingenieurbüro wickelte Aumund seine Erfindungen, Lizenzvergaben und Projekte ab. Zusätzlich erstellte er Angebote und Pläne für fördertechnische Anlagen. Eine eigene Produktion nahm die Fördererbau GmbH erst Mitte der 1950er Jahre auf – dies unter der Leitung von Heinrichs Sohn GünterClaus (1912–1984) in Rheinberg. ERSTER WELTKRIEG: IN DER ETAPPE UND IN DER KRIEGSWIRTSCHAFT Aus seiner Militärzeit ging Aumund Mitte der 1890er Jahre als Unteroffizier der Reserve ab.21 In der Folgezeit absolvierte er mehrere Reserveübungen, so dass er – trotz einiger Konflikte mit Vorgesetzten – 1901 zum Leutnant der Reserve befördert wurde.22 Als solcher wurde er 1914 bei Kriegsausbruch eingezogen und dem Landsturmbataillon Preuss. Stargard in Ostpreußen zugeteilt, zu dessen Aufgaben der Bahnschutz gehörte.23 Zunächst war er in Dirschau, später in Zoppot und dann in Wilna stationiert.24 Dies erlaubte ihm, tageweise nach Danzig zurückzukehren, wo er sich vor allem um sein in Arbeit befindliches Lehrbuch der Hebe- und Förderanlagen sowie seine kommerziellen Geschäfte kümmerte. In große Kampfhandlungen wurde sein Bataillon nicht verwickelt, Aumund beklagte stattdessen den enormen 18 19 20 21 22 23 24
Ausführlicher u. S. 27 f. u. 100 f. Ausführlicher u. S. 59 ff. Ausführlicher u. S. 65–67. Aumund, Lebenserinnerungen, 39 f. Aumund, Lebenserinnerungen, 39 f.; GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 181, Lebenslauf. Aumund, Lebenserinnerungen, 42 ff. ZLB Berlin, Springer-Archiv B/A/91 I, Briefe von 1914 und 1915.
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Lebensstationen
Leerlauf und die Langeweile in der Etappe und in seinen späteren Stellungen in der Kriegswirtschaft.25 Kurz bevor er das Bataillon im Sommer 1916 verließ, wurde er zum Hauptmann befördert.26 Aumunds Kompetenzen und Talente als Ingenieurprofessor gelangten in seiner militärischen Position in Ostpreußen nicht zur Entfaltung. Allerdings scheute er sich, aktiv seine Versetzung zu betreiben, um nicht als Drückeberger zu gelten. Es ist möglich, dass ihm Matschoß, der zu dieser Zeit im Kriegsamt eine zentrale Position inne hatte, den Weg zu einer fruchtbareren Tätigkeit bahnte. Jedenfalls ging Aumund im späten Frühjahr 1916 nach Lübeck in das Stanz- und Emaillierwerk Carl Thiele & Söhne, um dort eine Massenproduktion von Stahlhelmen in Gang zu setzen.27 Die Artillerie und deren Granatsplitter verursachten im Ersten Weltkrieg die meisten Toten und Verletzten. Im Sommer 1915 reagierten der Armeearzt August Bier (1861–1949) und der Maschinenbauer an der Technischen Hochschule Hannover Friedrich Schwerd (1872–1953) darauf mit der Idee eines Stahlhelms. Dabei entwickelte Schwerd in Kooperation mit dem Eisenhüttenwerk Thale im Harz insbesondere die Ziehfolgen für den Helm.28 Nach den ersten Tests fiel im November 1915 die Entscheidung für die Herstellung eines kleineren Kontingents und nach dessen Erprobung in den ersten Monaten des Jahres 1916 für eine Massenproduktion. Die Aufträge gingen an Thale sowie elf weitere Werke.29 Insgesamt wurden bis 1918 – so lange benötigte man für eine weitgehende Ausrüstung des Heeres – etwa 7,5 Millionen Stahlhelme produziert. Üblicherweise wurden die Verantwortlichen für die Produktion in Thale eingewiesen. Aumund hielt sich dort Ende Mai 1916 auf – vermutlich zu diesem Zweck.30 Schwerd und Aumund kannten sich bereits vor dem Krieg aus den Beratungen über die Reform der Technischen Hochschulen.31 Wir wissen nicht, wie lange Aumund in Lübeck blieb.32 Vermutlich baute er dort nur die Produktion auf und wechselte dann im Spätherbst nach Berlin in das Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt (WUMBA). In Lübeck fand er noch Zeit, Überlegungen für die Verwendung einer 25 26 27
28 29 30 31 32
Aumund, Lebenserinnerungen, 43 f.; Sammlung Aumund, Briefe, 19.12.1917 u. passim – Heinrich an Hedwig Aumund. ZLB Berlin, Springer-Archiv B/A/91 I, 30.5.1916 – Aumund an Springer. Aumund, Lebenserinnerungen, 44; ZLB Berlin, Springer-Archiv B/A/91 I, 30.5.1916 – Aumund an Springer, u. 8.9.1916; vgl. Sammlung Aumund, Briefe, 26.5.1916 – Heinrich an Hedwig Aumund. Aumund selbst gibt das Ende 1915 als Beginn seiner Tätigkeit an. Dies kann aber nicht stimmen, denn die Helme waren zu dieser Zeit noch in der Erprobung und wurden nicht produziert. Vgl. zu Schwerd und dem Stahlhelm: Schwerd, Wie entstand, Bönig, Einführung, Bd. 1, 108; Seidel, Otto Kienzle, 375 ff. u. passim; Baer, Vom Stahlhelm, Bd. 1, 12 ff. Baer, Vom Stahlhelm, Bd. 1, 56; Wikipedia, Art. „Stahlhelm“, Herstellerliste; Zugriff am 19.5.2016. Eine an Springer gerichtete Postkarte vom 30.5.1916 ist in Thale (Harz) abgestempelt (ZLB Berlin, Springer-Archiv B/A/91 I, 30.5.1916 – Aumund an Springer). Deutscher Ausschuß für technisches Schulwesen, Abhandlungen, Bd. 5, 142 f. Jedenfalls schreibt er noch im September 1916 von dort an den Springer-Verlag (ZLB Berlin, Springer-Archiv B/A/91 I).
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Seitengewehrscheide als Spatenstiel und Handgranatenwerfer sowie des Spatenblatts als Bauchschutz anzustellen.33 In Deutschland war man sich schon vor 1914 darüber im Klaren, dass die Rohstoffversorgung im Falle eines Krieges große Probleme bereiten werde. Letztlich trafen die Verantwortlichen aber keine grundlegenden Vorkehrungen, weil sie mit einem kurzen Krieg rechneten und auf Materialvorräte in eroberten Gebieten spekulierten. Erst aufgrund einer Initiative der beiden AEG-Manager Walther Rathenau (1867–1922) und Wichard v. Moellendorff (1881–1937) wurde zur Sicherung der militärisch notwendigen Versorgung im August 1914 die Kriegsrohstoffabteilung (KRA) gegründet.34 Bis April 1915 stand die KRA unter der Leitung Rathenaus, anschließend unter der des Majors Joseph Koeth (1879–1936). Die KRA, in welcher zahlreiche Industrielle und Ingenieure mitarbeiteten, rief ein System von privatrechtlich organisierten, unter staatlicher Leitung stehenden Kriegsrohstoffgesellschaften ins Leben. Für die militärische Versorgung des Heeres in einem engeren Sinne war unter anderem die Feldzeugmeisterei zuständig, die Ende September 1916 durch das Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt (WUMBA) abgelöst wurde.35 Sowohl die Kriegsrohstoffabteilung wie das WUMBA unterstanden dem Anfang November 1916 nach der Berufung Hindenburgs und Ludendorffs in die Oberste Heeresleitung gegründeten Kriegsamt.36 Dieses sollte sämtliche kriegswirtschaftlichen Maßnahmen koordinieren mit dem Ziel einer Steigerung der Kriegsproduktion, wobei von vornherein illusionäre Vorgaben gemacht wurden. Das Kriegsamt und das WUMBA leiteten militärische Führer, denen die Industrie durchaus technisch-organisatorische Kompetenz zutraute.37 Das Kriegsamt unterstand bis Mitte August 1917 Generalleutnant Wilhelm Groener (1867–1939), der sich einen Namen als Eisenbahnfachmann und Logistiker gemacht hatte. Die Spitze des WUMBA bildete der Artillerieexperte Karl Coupette (1855–1929).38 Im Kriegsamt und im WUMBA arbeiteten zahlreiche Ingenieure – auch in leitenden Stellen. Nicht wenige kannten sich aus dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI). So war Kurt Sorge (1855–1928), vor dem Krieg Manager der zu Krupp gehörenden Grusonwerke und 1910/1911 Vorsitzender des VDI, für den Technischen Stab des Kriegsamts verantwortlich. Conrad Matschoß, der 1916 zum Direktor des VDI aufstieg, arbeitete zunächst als Adjutant und Stellvertreter Sorges39 und anschließend im WUMBA mit dem Maschinenbauer Wichard v. Moellendorff zusammen, der wiederum technischer Referent bei Coupette war.40 Der Technische Stab orga33 34 35 36 37 38 39 40
Sammlung Aumund, Briefe, 13.7.1916, 9.5. u. ?.6.1918 – Heinrich an Hedwig Aumund. Vgl. Feldman, Armee, 52 ff. u. passim; Seidel, Otto Kienzle, 28 ff. BArch PH 2/76, Zesch, Bewährung (Juni 1934), 8 ff., 17 ff. u. 26 ff.; Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen, 105 ff. Vgl. BArch PH 2/76, Zesch, Bewährung (Juni 1934), 19; Feldman, Armee, 164 ff. Vgl. Aumund, Lebenserinnerungen, 44. Vgl. Strutz, Coupette; Roth, Staat, 62. BArch PH 2/77, Zesch, Bewährung (Juni 1934), 37; BArch N 46/115, Organigramme; Aumund, Lebenserinnerungen, 44. Vgl. Wölker, Entstehung, 239 u. passim.
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nisierte die Kommunikation zwischen den einzelnen kriegswirtschaftlichen Stellen. Eine zentrale technische Funktion in der Feldzeugmeisterei, dem Heereswaffenamt und schließlich im WUMBA nahm Friedrich Romberg (1871–1956) ein,41 vor dem Krieg Professor für Maschinenelemente für Schiffs- und Schiffsmaschinenbau an der Technischen Hochschule Berlin und 1913 deren Rektor.42 Romberg war zuständig für die technische Ausrüstung der Rüstungsindustrie sowie die Überwachung der Preise für die Kriegslieferungen. Ihm unterstanden z. B. die preußischen Heereswerkstätten, auf die im Laufe des Krieges auch andere deutsche Länder für die Ausrüstung ihrer militärischen Kontingente zurückgriffen. Hierzu gehörte die Gewehrfabrik Spandau, in der man sich Verdienste um die Normierung und Massenproduktion von Waffen erwarb. Die Abteilung des „WR Chefingenieur“ Romberg im WUMBA entwickelte sich zu einem Großbetrieb mit bis zu 1.000 Ingenieuren und Angestellten.43 Seit Ende Dezember 1916 wurden „technische Hauptbüros“ gegründet – mit dem Ziel einer Vereinheitlichung der Waffen und Munition. Alle technischen Hauptbüros leiteten erstrangige Ingenieure. Aumund, der seit Spätherbst 1916 im WUMBA tätig war,44 übernahm die Leitung des Technischen Hauptbüros I.45 In dieser Eigenschaft war er gleichzeitig erster Stellvertreter Rombergs. Die Aufgaben des Technischen Hauptbüros I wurden sehr allgemein beschrieben als Vervollkommnung der technischen Anlagen der Rüstungsindustrie mit dem Ziel einer Ausweitung und Beschleunigung der Produktion. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr litt die deutsche Rüstungsindustrie unter einem Mangel an Maschinen, insbesondere an hochwertigen Werkzeugmaschinen.46 Mit Kriegsbeginn waren die Maschinenimporte aus England sowie aus den USA aufgrund der britischen Blockade weggefallen. Die vorhandenen Maschinen unterlagen wegen der hohen Auslastung einem beträchtlichen Verschleiß. Die deutsche Kriegswirtschaft suchte die größten Engpässe zu beheben, indem sie seit Ende 1916 für die Rüstung benötigte Maschinen in Belgien und den besetzten Teilen Nordfrankreichs beschlagnahmte. Seit Ende 1916 organisierte Aumund in Absprache mit Matschoß und dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) ein System von Maschinenausgleichsstellen.47 Der VDI und seine Bezirksvereine übernahmen gewissermaßen im Auftrag des WUMBA die Vermittlung von Maschinen, die nicht gebraucht wurden, in Industriezweige, die unter Maschinenmangel litten. Hierzu gehörten insbesondere Werk41 42 43 44 45 46 47
BArch PH 2/76, Zesch, Bewährung (Juni 1934), 2 ff., 8, 22 f., 37 ff. u. 59; Weyrauch, Waffenund Munitionswesen, 106 ff. Vgl. Romberg, Über meine Lebensarbeit. Romberg, Über meine Lebensarbeit, 104. Es kursieren sehr unterschiedliche Mitarbeiterzahlen für das WUMBA und seine technische Abteilung, was sich u. a. durch die ständige Expansion der Einrichtung erklärt. Vgl. Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen, 107 u. 109. Sammlung Aumund, Briefe, 30.11.1916 – Heinrich an Hedwig Aumund; Aumund, Lebenserinnerungen, 44. BArch PH 2/77, Zesch, Bewährung (Juni 1934), 6; BArch N 46/115, Organigramm WUMBA. Vgl. BArch PH 2/77, Zesch, Bewährung (Juni 1934), 7 ff. Aumund, Lebenserinnerungen, 44; BArch PH 2/77, Zesch, Bewährung (Juni 1934), 22 ff. u. BArch PH 2/77, Bl. 74 ff.; Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen, 123 ff.
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zeugmaschinen für die Rüstungsindustrie und Arbeitsmaschinen für die Landwirtschaft, um den Ernährungsengpässen entgegenzuarbeiten. Der VDI unterbreitete dem WUMBA einen Vorschlag für den Vorsitz der Maschinenausgleichsstellen. Der Vorsitzende schuf sich einen festen Mitarbeiterstab und griff zusätzlich bei der Durchführung der Arbeiten auf VDI-Mitglieder zurück. Es handelte sich um eine flexible, dezentrale Organisation mit zahlreichen Filialen in Städten und Kreisen; so gab es allein in Preußen 42 Maschinenausgleichsstellen.48 Die Einrichtung scheint sich so bewährt zu haben, dass man sie innerhalb der Kriegswirtschaft ab September 1917 fester institutionalisierte. Der Verein Deutscher Ingenieure konnte sich auf seit 1915 durchgeführte staatliche Erhebungen zur Maschinenausstattung in der deutschen Industrie stützen. Wichtiger dürften aber das Wissen und die Kontakte der VDI-Mitglieder vor Ort gewesen sein. Der Maschinenausgleich und die Vermittlung von Reparaturen erfolgten in aller Regel auf freiwilliger Basis. Rechtlich waren jedoch auch Zwangsmaßnahmen möglich. Diese wurden dann aber durch das WUMBA und nicht durch den VDI eingeleitet. Leider liegen keine quantitativen Angaben zur Art und zum Umfang der durchgeführten Arbeiten vor. Es lässt sich nur indirekt aus der Aufrechterhaltung und dem Ausbau der Maschinenausgleichsstellen schließen, dass man sie als erfolgreich betrachtete. Ungeachtet einzelner Maßnahmen, waren die Ingenieure mit der Gesamtheit der Kriegswirtschaft unzufrieden. Am deutlichsten kam dies zum Ausdruck in einer Denkschrift des VDI vom Juni 1917 „Die Mitwirkung der Technik bei der Landesverteidigung“.49 Sie war unterzeichnet vom damaligen Vorsitzenden und MANManager Anton v. Rieppel (1852–1926), dem Kurator und Beratenden Ingenieur Otto Taaks (1849–1924) sowie den beiden Direktoren des Vereins Conrad Matschoß und Diedrich Meyer (1861–1931). Der VDI und die Unterzeichner verfügten über Insider-Kenntnisse hinsichtlich der kriegswirtschaftlichen Maßnahmen und deren Erfolgen. Die zentrale Botschaft der Denkschrift lässt sich auf die Formel bringen: zu spät und unzureichend. Die Denkschrift skizzierte zunächst die technischen Aufgaben im Krieg, insbesondere die Produktion militärischer Güter. Die Aufgaben hätten „billiger und schneller gelöst werden können, wenn man die Ausnutzung der zur Verfügung stehenden technischen Kräfte planmäßig vorbereitet oder doch während des Krieges in dem erforderlichen Maße betrieben hätte.“ „Und auch jetzt noch wird der Erfolg technischer Arbeit oft dadurch stark beeinträchtigt, daß man die Fachmänner nicht frei schaffen läßt, sondern alle Entscheidungen militärischen Vorgesetzten vorbehält, welche die nötige Kenntnis, Übersicht und Erfahrung nicht besitzen können.“ Die Militärs verfügten über keine Informationen zum Rüstungspotenzial der Industrie.50 Die militärischen Produktionsstätten seien nicht konkurrenzfähig. Man habe zahlreiche ungeeignete Fabrikbauten hochgezogen. All dies habe zu dem bestehenden Waffenmangel beigetragen. 48 49 50
Ein Verzeichnis der Maschinenausgleichsstellen findet sich in BArch R 8729/231, Bl. 2 ff.; BArch PH 2/77, Zesch, Bewährung (Juni 1934), 25. BArch R 703/69, Bl. 68 f.; vgl. Romberg, Über meine Lebensarbeit, 105; Feldman, Armee, 317 f.; Seidel, Otto Kienzle, 33 f. Vgl. hierzu Aumund, Aufgaben, 116 f.
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Die Denkschrift wurde breit gestreut, rief aber – abgesehen von Eingangsbestätigungen – keinerlei konstruktive Reaktionen hervor.51 Im Angesicht der Niederlage sah sich Rieppel gegen Kriegsende veranlasst, beim Reichskanzler an die Eingabe zu erinnern – mit deutlicher Stoßrichtung gegen das Militär.52 „In der jetzigen Schicksalsstunde, die uns sehr bald zwingen kann, die äussersten Kräfte der Nation für einen ertragbaren Frieden einzusetzen, fühle ich die Pflicht, erneut und mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, dass nur eine mit umfassender Vollmacht ausgestattete technische Leitung die bevorstehenden Aufgaben erfüllen kann. Mit dem militärischen Dilettantismus in technischen Dingen muss ein- für allemal endgiltig gebrochen werden.“ Die militärischen Stellen meinten anscheinend, den Ingenieuren gehe es nur um eine „Erweiterung ihrer Machtbefugnisse“. Dies wies Rieppel zurück: „Der Techniker hat es stets mit unbeeinflußbaren Naturgesetzen zu tun und wird durch seinen Beruf zu sachlichem Denken erzogen; beim Militär spielen Rücksichten auf Herkommen und Standesfragen eine große Rolle.“ Zu den kritischen Problemen im Krieg gehörte die Versorgung mit Kohle und Koks.53 Die Einfuhr von Steinkohle ging während des Krieges zurück und kam bis 1918 weitgehend zum Erliegen. Die Zechen litten unter den Einberufungen; der Einsatz von Kriegsgefangenen seit Februar 1915 konnte dies nur unzureichend kompensieren. Auf der anderen Seite erhöhte sich die Nachfrage, so durch die Rüstungskonjunktur der Eisen- und Stahlindustrie. Hinzu kamen Engpässe beim Transport. Für die Brennstoffversorgung vertraute man lange Zeit auf die kartellartigen Zusammenschlüsse im Montanbereich. All dies führte mindestens seit Herbst 1916 zu Verknappungen. In dieser Situation ergriffen die militärischen Stellen die Initiative. So bemühte sich das Kriegsamt unter Wilhelm Groener vor allem die kriegswirtschaftliche Versorgung zu sichern – mit mäßigem Erfolg. Ende Februar 1917 wurde das Amt eines „Reichskommissars für die Kohlenverteilung“, genannt Reichskohlenkommissar, mit erweiterten Befugnissen geschaffen.54 Das Amt kümmerte sich insbesondere um die Förderung und die Zuweisung von Kohlekontingenten und arbeitete dabei mit den bestehenden Kohlesyndikaten zusammen, die weiterhin für den Handel zuständig waren. Die kriegswirtschaftlich wichtigen Betriebe genossen Priorität, strittig war, welche Anteile auf den Hausbrand entfallen sollten. Ein weiterer Streitpunkt war die Frage einer mehr zentralen oder mehr dezentralen Organisation der Kohlewirtschaft. Das montanindustrielle Kohlesyndikat wollte natürlich die Staatseingriffe so weit wie möglich begrenzen. In seinem Geschäftsbericht 1917/18 ist zu lesen:55 „ … so möchten wir doch auch an dieser Stelle uns dem aus allen Kreisen der Industrie und des Handels so nachdrücklich geäußerten Wunsche anschließen, daß diese Kriegsbewirtschaftung von Industrie und Landwirtschaft, Handel und Gewerbe keinen Augenblick länger dauert, als es durch die besonderen Kriegsbedürfnisse geboten erscheint.“ 51 52 53 54 55
Rieppel, Deutsche Zukunftsaufgaben, 53 f. BArch R 703/69, Bl. 67, 9.10.1918 – Rieppel an den Stellvertreter des Reichskanzlers. Vgl. Storm, Geschichte, 75 ff.; Feldman, Armee, 209 ff.; Ziegler, Kriegswirtschaft, 30 ff. Storm, Geschichte, 77 ff.; Feldman, Armee, 213 ff.; Ziegler, Kriegswirtschaft, 35 f. BArch R 703/62.
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Aumund wurde im Frühjahr 1917 als Vertrauensmann Groeners und als Vertreter des Kriegsamts zum Reichskohlenkommissar delegiert.56 Im Kriegsamt war man mit den ergriffenen Maßnahmen höchst unzufrieden. Man unterstellte dem Reichskohlenkommissar eine zu große Abhängigkeit von den montanindustriellen Interessen. Auf einer unter Vorsitz Groeners Ende April 1917 stattfindenden Sitzung griff Aumund den Reichskohlenkommissar in aller Schärfe wegen der Versorgungsprobleme an.57 Als Abhilfe entwickelte er einen nach dem Vorbild der Maschinenausgleichsstellen ausgearbeiteten Plan dezentraler Ortskohlenstellen in den größeren Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern. Im ländlichen Bereich war an eine Zuständigkeit der Kriegswirtschaftsstellen bzw. Kriegswirtschaftsämter gedacht. Die genannten Instanzen sollten Listen erhalten, welche Betriebe vordringlich zu beliefern waren. Groener setzte sich dafür ein, zusätzlich eine regionale Struktur von drei Bereichen zu schaffen. Tatsächlich wurden Aumunds Vorschläge in ihren Grundzügen umgesetzt. In der Folgezeit entstanden an die 1.500 Orts- und Kreis- bzw. Bezirkskohlenstellen, in welchen die Gemeinden, die ortsansässige Industrie und der Handel vertreten waren.58 Die Urteile über die Arbeit des Reichskohlenkommissars widersprechen sich. Man findet positive Würdigungen.59 Aumund selbst nahm dagegen einen eher kritischen Standpunkt ein.60 Dabei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass die von ihm präferierte mehr dezentrale Organisation nach dem Abschied Groeners unter Einfluss des neuen Leiters des Kriegsrohstoffamtes Koeth durch eine zentralistischere abgelöst wurde.61 Im August 1917 wollte Groener Aumund zurück ins WUMBA holen.62 Aumund spekulierte auf die Leitung der Abteilung für Ein- und Ausfuhr. Daraus wurde jedoch nichts, weil der Leiter des Kriegsamts Mitte August aufgrund einer schwer zu durchschauenden Intrige seines Postens enthoben und durch General Heinrich Scheüch (1864–1946) ersetzt wurde.63 Bei der Demontage Groeners wirkten die Oberste Heeresleitung, Teile der Politik und die einflussreiche Schwerindustrie zusammen. Bei den Schwerindustriellen hatte sich Groener unbeliebt gemacht, weil er einen Teil ihrer hohen Kriegsgewinne abschöpfen wollte.64 Dabei handelte es sich um eine im Kriegsamt, im WUMBA und der verarbeitenden Industrie weit
56 57 58 59 60 61 62 63 64
Aumund, Lebenserinnerungen, 44; Sammlung Aumund, Briefe, 25.3.1917 – Heinrich an Hedwig Aumund; BayHStA Abt. IV Kriegsarchiv MKr. 14331, 16.5.1917 – Schiffahrtsabteilung beim Chef des Feldeisenbahnwesens. BayHStA Abt. IV Kriegsarchiv MKr. 14319, 28.4.1917 – „Besprechung …“. Vgl. Storm, Geschichte, 79; Feldman, Armee, 215. Aumund wird in der Literatur nicht erwähnt, sondern stattdessen Wichard v. Moellendorff. Storm, Geschichte, 77. Aumund, Lebenserinnerungen, 44; Sammlung Aumund, Briefe, 7.8.1917 – Heinrich an Hedwig Aumund. Vgl. Feldman, Armee, 214–17. Sammlung Aumund, Briefe, 7.8.1917 – Heinrich an Hedwig Aumund. Feldman, Armee, bes. 307 ff.; Rasch, Zwischen Politik, 103 f. Vgl. zur Frage der Kriegsgewinne: Weyrauch, Waffen- und Munitionswesen, 165 ff. u. 175 ff.
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verbreitete Absicht, welche unter anderem durch Coupette, Moellendorff, Rieppel und Aumund verfolgt wurde.65 Aumund war bereits vorher ins Visier der Montanindustriellen geraten. 1916 hielt er auf der Hauptversammlung des VDI in Berlin einen Vortrag „Aufgaben der Technik im Dienste des öffentlichen Gemeinwesens“, der 1917 veröffentlicht wurde. Darin stellte er die Frage, ob und wie die Zahl der öffentlichen Unternehmungen zunehmen sollte, ohne dass sich die staatliche Verwaltungsbürokratie in gleichem Maße ausweitete. Besonders im Bereich der Grundstoffindustrien zeigte er sich Verstaatlichungen gegenüber nicht abgeneigt. Ebenso bei Investitionsgütern wie Lokomotiven, bei denen der Staat ohnehin der Hauptabnehmer war. In diesem Zusammenhang bemerkte er eher nebenbei, dass die staatlichen Kohlebergwerke während des Krieges die Preisentwicklung gedämpft hätten.66 Jedenfalls seien die Kohlepreise nicht in gleichem Umfang gestiegen wie die für Eisenwaren. Aumund musste sehr schnell erfahren, dass er mit seinem Vortrag in ein Wespennest gestochen hatte. Im November 1916 teilte er seiner Frau mit:67 „Die Industrie fängt an, sich über meinen Vortrag sehr aufzuregen. – Ein Zeichen, daß sie ihn nicht für bedeutungslos hält.“ Der Danziger Professor war zu dieser Zeit als Kurator der technisch-wissenschaftlichen Arbeiten im VDI im Gespräch, das zweitwichtigste Ehrenamt im Verein nach dem des Vorsitzenden. Nach dem durch seinen Vortrag ausgelösten Eklat rechnete Aumund in realistischer Weise nicht mehr mit seiner Ernennung. Im März 1917 sandte der Montanmanager Albert Vögler (1877–1945) seinem Kollegen Heinrich Wilhelm Beukenberg (1858–1923) Aumunds Vortragspublikation mit dem Vermerk, dass diese nicht unwidersprochen bleiben dürfe.68 Beukenberg nahm sich der Sache mit großem Engagement an. Als Vorstandsvorsitzender der Hörder Phoenix AG, Aufsichtsratsmitglied des Rheinisch-Westfälischen Kohlesyndikats, Stellvertretender Vorsitzender des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute (VDEh) und Inhaber zahlreicher weiterer Positionen gehörte Beukenberg zu den einflussreichsten Montanindustriellen. Er verfasste eine Erwiderung und übermittelte sie der Nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, dem Geschäftsführer des VDEh Otto Petersen (1874–1953) sowie dem Leiter der Kriegsrohstoffabteilung, Major Koeth.69 Dabei sparte er nicht mit abschätzigen Urteilen über Aumunds Kompetenz. In dem Schreiben an Petersen ist zu lesen: „Die Ausführungen (Aumunds; W. K.) sind derart kindlich und zeugen von einem … geringen Eingehen auf die Verhältnisse der Eisenindustrie an sich und ihre 65 66 67 68 69
Vgl. BArch N 46/157, 5.11.1918 – Rieppel an Groener; Feldman, Armee, 310, 318 f.; Roth, Staat, 309, 326 ff., 338 ff. u. 379 f.; Pomiluek, Heinrich Wilhelm Beukenberg, 200 ff.; vgl. Groener, Lebenserinnerungen, 368–73. Aumund, Aufgaben, 62 ff. Sammlung Aumund, Briefe, 30.11.1916 – Heinrich an Hedwig Aumund. SZAG Konzernarchiv, Beukenberg, P 2.25.02.3, Bl. 114 f., 21.3.1917 – Beukenberg an Vögler; vgl. zu dieser Angelegenheit: Roth, Staat, 309; Pomiluek, Heinrich Wilhelm Beukenberg, 200. Mit Groener geriet Beukenberg bereits im Herbst 1916 in Konflikt (Feldman, Armee, 174). SZAG Konzernarchiv, Beukenberg, P 2.25.02.3, Bl. 116 f., Beukenberg an Nordwestliche Gruppe; Bl. 125 f., 11.4.1917 – Beukenberg an Petersen; Bl. 118–23, 21.3.1917 – Beukenberg an Koeth.
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Entwickelung im Kriege im besonderen …“. In das Schreiben an Koeth setzte Beukenberg hohe Erwartungen. Vögler teilte er mit: „Herr Major Köth (sic!), der eine ungewöhnliche Auffassungsgabe hat, wird schon Gelegenheit nehmen, dem Herrn eines zu versetzen.“ Insbesondere zerpflückte Beukenberg in seinem Schreiben an den Major Aumunds Hinweis auf die Lohnentwicklung im Bergbau und in der Stahlindustrie. Die Löhne reichten nicht aus, um die Preisentwicklung von Produkten wie z. B. Feinblechen zu beurteilen. Dies war sicher richtig, berührte aber Aumunds zentrales Argument einer preisdämpfenden Wirkung der Staatsbetriebe nicht. Später suchte die Eisen- und Stahlindustrie die Einwände gegen Aumund empirisch zu untermauern.70 Unter anderem holte man bei acht Stahlwerken Informationen über die Entwicklung der Rohstoffpreise sowie die Ausgaben für die Betriebseinrichtungen und die Löhne ein. Dabei musste man feststellen, dass es gar nicht so einfach war, zu belastbaren Verallgemeinerungen zu gelangen. Man unterstrich zwar Beukenbergs Monitum, dass Aumunds überschlägige Rechnung Vieles unberücksichtigt gelassen habe, gestand aber auch ein, dass es jedenfalls in einigen Fällen bei den Stahlpreisen zu Übertreibungen gekommen sei. Der Eisen- und Stahlindustrie sowie Beukenberg ging es bei ihrer Aktion gegen Aumund um mehr. Generell wollte man den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft so weit wie möglich begrenzen. In seinem Schreiben an Petersen brachte Beukenberg das eigentliche Motiv auf den Punkt:71 „Herr Professor Aumund bricht in seinem Aufsatz eine Lanze für die stärkere Einführung der gemischt-wirtschaftlichen Betriebe nach dem Kriege. Bei dem demokratischen Zug, der durch unsere höchsten Regierungsstellen geht und immer stärker in Erscheinung tritt, tun wir gut, uns mit diesen Fragen zu beschäftigen und falsche Begründungen für ein solches System zu widerlegen, weil wir sonst Gefahr laufen, künftig unter die Räder von Beschlüssen der Reichstagsmehrheit oder gar einer gleich denkenden Landtagsmehrheit zu kommen.“ Insbesondere wollte die Eisen- und Stahlindustrie bei der Preisgestaltung und damit den Gewinnmöglichkeiten freie Hand behalten. Eine Besteuerung der Exporte und der Gewinne – so Beukenberg – bedeute, dass gerade erfolgreiche Unternehmen bestraft würden. Bei Koeth dürfte Beukenberg auf offene Ohren gestoßen sein. Koeth, „einer der mächtigsten und gefürchtetsten Männer im deutschen Wirtschaftsleben“,72 tendierte dazu, die Industrie am langen Zügel zu führen – solange sie die militärischen Forderungen erfüllte.73 Erst gegen Ende des Krieges näherte sich die Kriegsrohstoffabteilung der Position einer Begrenzung der Gewinne an. Die Auseinandersetzung mit Beukenberg, der bürokratische kriegswirtschaftliche Apparat und die Reibereien mit den Militärs scheinen Aumund zugesetzt zu haben. Im August 1917 klagte er seiner Frau:74 „Ich habe aber das Arbeiten in den Berliner Ämtern bis zum Erbrechen satt und möchte gern heraus.“ Im Februar 1918 70 71 72 73 74
SZAG Konzernarchiv, Beukenberg, P 2.25.02.3, Bl. 134–37. Vgl. hierzu Pomiluek, Heinrich Wilhelm Beukenberg, 197 ff., 228 f. Feldman, Armee, 57; vgl. zu Koeth: Roth, Staat, 57 f. u. passim Roth, Staat, 252, 265 ff. u. 317 f. Sammlung Aumund, Briefe, 7.8.1917 – Heinrich an Hedwig Aumund.
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richtete sich sein Zorn gegen die Industriellen:75 „Besonders im tgl. Leben dort alles jetzt dazu angetan (sic!), jeden Menschen, der nicht Kriegsgewinnler … ist, nach links zu drängen. Wie gewissenlos die Industriellen vorgehen, daß (sic!) habe ich gestern wieder feststellen können …“.76 Im Zusammenhang mit der Wachablösung im Kriegsamt ging generell der Einfluss der Ingenieure zugunsten der Militärs zurück. Mit Groener hatte zudem einer der Förderer Aumunds seinen einflussreichen Posten verloren. In dieser Situation spielte Aumund eine Reihe von Optionen durch. Hierzu gehörte ein Engagement als Rüstungsberater bei dem türkischen Militärführer Ahmed Djemal Pascha (1872– 1922) in der mit Deutschland verbündeten Türkei.77 Außerdem überlegte er, eine Stellung in der Industrie anzunehmen.78 Und schließlich hoffte er durch Vermittlung Friedrich Rombergs wieder beim WUMBA unterzukommen, wenn er auch einräumte:79 „Aber die Verwaltungstätigkeit wird immer weniger, da die Fabriken ihre Höchstleistung erreicht haben und neue Anforderungen nicht mehr auftreten.“ Schließlich landete er Anfang 1918 als technischer Berater der 4. Armee in Belgien.80 Zu seinen Aufgaben gehörte die Heranziehung belgischer Betriebe für die deutsche Kriegswirtschaft. Er war unter anderem für die Sammlung lederner Treibriemen zuständig, an denen in Deutschland aufgrund der britischen Blockade Mangel herrschte.81 Und er beteiligte sich an Hochschulkursen für deutsche Soldaten.82 Aumund nutzte seine Position, um Lebensmittel und andere Waren an seine Familie nach Danzig zu senden.83 Er nahm anlässlich einer Reise aber auch die Not der französischen Bevölkerung wahr:84 „Hier in Frankreich … ist alles unheimlich knapp und teuer. … Die Leute sind z. T. sehr schlecht dran. Sie suchen die Schlacke unter den Gleisen heraus, um noch Kohlenstücke darin zu finden. Es ist aber ja natürlich, daß die Leute hier die Not am ersten und besonders spüren müssen. Dabei ertragen sie es mit einer bewundernswerten Ruhe und Würde.“ Aumunds Zuversicht, dass der Krieg mit einem Erfolg Deutschlands enden werde, hielt bis in das Jahr 1918 hinein an.85 Seiner Frau stellte er im März 1916 anheim, Kriegsanleihen bis zu einer Summe von 50.000 M zu zeichnen. Militärische Vorteile erwartete er bei Verdun, St. Petersburg, nach der Niederlage Rumäniens, durch die Beschießung von Paris, den Frieden von Brest-Litowsk usw. Er rech75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85
Sammlung Aumund, Briefe, 24.2.1918 – Heinrich an Hedwig Aumund. Die letzte Bemerkung bezog sich vordergründig darauf, dass er sich von der DEMAG betrogen fühlte (S. u. S. 60 ff.), dokumentiert aber auch eine allgemeine Verstimmung. Es sieht so aus, dass Aumund hier zunächst selbst initiativ wurde, später aber von dem Vorhaben wieder Abstand nahm: Sammlung Aumund, Briefe, 2.8.1917 – Heinrich an Hedwig Aumund; Aumund, Lebenserinnerungen, 45. Sammlung Aumund, Briefe, 19.12.1917 – Heinrich an Hedwig Aumund. Sammlung Aumund, Briefe, 19.12.1917 – Heinrich an Hedwig Aumund. Aumund. Lebenserinnerungen, 45; Sammlung Aumund, Briefe, 24.2. u. 20.4.1918 – Heinrich an Hedwig Aumund. Vgl. Hupfeld, Bericht. Sammlung Aumund, Briefe, 20.4.1918 – Heinrich an Hedwig Aumund. Sammlung Aumund, Briefe, 9.5.1918 u. passim – Heinrich an Hedwig Aumund. Sammlung Aumund, Briefe, ?.6.1918 – Heinrich an Hedwig Aumund. Sammlung Aumund, Briefe, Heinrich an Hedwig Aumund, passim.
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nete mit Grenzverschiebungen im Osten zugunsten Deutschlands, „obgleich ich ja, wie Du weisst, nichts weniger als Imperialist bin.“86 „Ich hoffe aber, daß wir im Westen auch noch Erfolg haben werden, und für diesen Fall sehe ich schon unser Colonialreich sich mächtig erweitern …“.87 Er sah für „die nächsten Jahre einen glänzenden Aufschwung in der Industrie (voraus) … trotz Steuern, die allerdings ja Leute wie uns härter treffen werden als die reich gewordene Industrie.“ Die Hoffnungen auf ein siegreiches Ende des Krieges trug Aumund allerdings immer ungeduldiger vor. Erste größere Bedenken scheinen ihm Mitte 1918 gekommen zu sein. Im Juni 1918 äußerte Außenminister Richard von Kühlmann (1873– 1948) vor dem Reichstag Zweifel an einem bevorstehenden militärischen Sieg und plädierte für Friedensverhandlungen. Daraufhin erzwang die Oberste Heeresleitung seinen Rücktritt. Aumund kommentierte dies:88 „Ich habe recht bedauert, daß im Reichstag über der m. Er. recht vernünftigen Rede Kühlmanns … ein solcher Lärm entstand, der zweifellos wieder den Eindruck erweckt, daß bei uns nur die Militairpartei regiert.“ Aumund blieb bis zu den Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Belgien und ging dann nach Berlin.89 Dort schlug er ein Angebot Wichard v. Moellendorffs aus, ihn beim Aufbau der von ihm propagierten „Gemeinwirtschaft“90 zu unterstützen. Der Maschinenbauingenieur Moellendorff war in verschiedenen kriegswirtschaftlichen Organisationen tätig gewesen und hatte mit Aumund im WUMBA zusammengearbeitet. Im Februar 1918 erhielt er eine Professur für Nationalökonomie an der Technischen Hochschule Hannover. Von November 1918 bis Juli 1919 bekleidete er unter dem sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Rudolf Wissell (1869–1962) das Amt eines Unterstaatssekretärs. Seine Gemeinwirtschaftsidee zielte auf eine durch Arbeitgeber, Arbeitnehmer und andere gesellschaftliche Gruppen gemeinsam verwaltete kartellierte Industrie. Auf diese Weise sollten gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Gesichtspunkte gegenüber betriebswirtschaftlichen besser zur Geltung kommen. Letztlich fand er mit seinen Plänen weder bei den rechten noch bei den linken Parteien Unterstützung. Aumund hatte im Krieg und schon vorher mit seinem privaten Ingenieurbüro91 schlechte Erfahrungen mit der Großindustrie gemacht. Er konnte sich durchaus eine Vermehrung der Zahl der staatlichen oder öffentlich-rechtlichen Unternehmen vorstellen.92 Im Einzelnen nannte er den Kohlebergbau, die Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Teile des Fern- und Nahverkehrs, die Rüstungsbetriebe usw. Allerdings verschloss er nicht die Augen davor, dass die staatlichen Betriebe meist schlechter als die privaten arbeiteten. Bei den in den Staatsbetrieben tätigen technischen Beamten handele es sich meist um eine negative Auslese. Und Aumund war 86 87 88 89 90 91 92
Sammlung Aumund, Briefe, 24.2.1918 – Heinrich an Hedwig Aumund. Sammlung Aumund, Briefe, 5.3.1918 – Heinrich an Hedwig Aumund. Sammlung Aumund, Briefe, ?.6.1918 – Heinrich an Hedwig Aumund. Aumund, Lebenserinnerungen, 45. Vgl. zu Moellendorffs Gemeinwirtschaft: Braun, Ingenieure, 871–74; Roth, Staat, 145 u. passim. S. u. S. 60 ff. Aumund, Aufgaben.
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ein unbedingter Anhänger einer Konkurrenzwirtschaft und Gegner von Bürokratien und Monopolen, seien es nun staatliche oder private. Staatsbetriebe sollten deswegen gemäß dem Vorbild der privaten organisiert sein und entsprechende Freiräume besitzen. Dies schien ihm besser als gemischtwirtschaftliche Unternehmen. Aumunds 1916 vorgetragene Überlegungen atmeten den Geist der Kriegswirtschaft und einer damals noch vorhandenen Aufbruchsstimmung. Seine eigenen Erfahrungen mit der kriegswirtschaftlichen Praxis dürften desillusionierend gewirkt haben. Zudem setzten seine Vorschläge voraus, dass der Staat und die Politik bereit gewesen wären, sich einer Einflussnahme auf im Staatsbesitz befindliche Betriebe zu enthalten. Dies war eine kühne Voraussetzung. Jedenfalls fällt auf, dass Aumund in späterer Zeit entsprechende Überlegungen zur Verstaatlichung nicht mehr vortrug. Allerdings wahrte er Zeit seines Lebens eine kritische Haltung gegenüber dem bestehenden Wirtschaftssystem mit seinen großbetrieblichen Strukturen und machte sich Gedanken, wie es rationeller und effizienter gestaltet werden könnte.93 DANZIG: ERHALTUNG DER DEUTSCHEN HOCHSCHULE Im Spätjahr 1918 kehrte Aumund nach Danzig zurück, um seine Tätigkeit an der Technischen Hochschule wieder aufzunehmen. Die Hochschule wurde 1904 gegründet,94 Aumund 1909 berufen. Hinter der Gründung standen zwei Motive. Die preußische Regierung reagierte damit auf die seit den 1880er Jahren stattgefundene Vermehrung der Studentenzahlen und entlastete damit die bestehenden Technischen Hochschulen. Und sie richtete aus wirtschafts-, national- und kulturpolitischen Gründen eine erste Technische Hochschule im Osten Preußens ein. Die Hochschule wurde als Element wirtschaftlicher Strukturpolitik gesehen. Man erwartete von den technikwissenschaftlichen Fächern Innovationsanreize für die lokale und regionale Industrie. Und schließlich bildete die Neugründung einen Baustein der preußischen Germanisierungspolitik. Die neue Hochschule sollte die deutsche Kultur gegenüber der polnischen stärken. Dabei setzte sich Danzig gegen die Konkurrenz einer Reihe anderer Städte durch, vor allem gegen Breslau. Für Breslau, das Zentrum des oberschlesischen Industriereviers, sprachen vor allem wirtschaftliche Gründe. Die Bewerbung Danzigs war dagegen von Anfang an politischer gehalten. Darüber hinaus sprachen die dortigen Verantwortlichen Wilhelm II. und seine kulturellen und Marineinteressen unmittelbar an. Tatsächlich schaltete sich der Kaiser persönlich in die Standortfrage ein und traf letztlich die Entscheidung für die Ostseestadt. 1898 gab Kultusminister Robert von Bosse (1832–1901) im Abgeordnetenhaus offiziell die auf Danzig gefallene Wahl des Kaisers bekannt. Den Unterstützern Breslaus blieb nichts anderes übrig, als Danzig zu akzeptieren und weiter für eine zweite Technische Hochschule 93 94
S. u. S. 94 ff. Die Forschungslage zur Gründung und zur Geschichte der Technischen Hochschule Danzig ist dünn. Einen guten Einstieg bieten: Manegold, Die Technische Hochschule Danzig; König, Wilhelm II., 126–29.
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im Osten Preußens zu werben. Die auf Breslau bezogenen Wünsche wurden schließlich 1910 erfüllt. Der Bau der Technischen Hochschule Danzig begann 1899 und wurde 1904 abgeschlossen. In seiner Eröffnungsrede am 6. Oktober 1904 sprach Wilhelm II. alle wichtigen hochschulpolitischen Dimensionen an: die wirtschaftliche, die machtpolitische und den nationalen Stellenwert der Hochschule und ihre Gleichwertigkeit mit den Universitäten.95 Er hob die Bedeutung der Technik für den „Wettlauf der Nationen“ hervor sowie „für das künftige Wohl des Vaterlandes und die Aufrechterhaltung seiner Machtstellung“. „Sie (die Technische Hochschule, W. K.) stellt in ihrer Eigenart eine wissenschaftliche Universitas dar, die mit der alten Universität um so mehr verglichen werden kann, als ein nicht unbeträchtlicher Teil des Lehrgebietes den beiden Anstalten gemeinsam ist.“ Die Danziger Hochschule wurde von vornherein mit allen wichtigen Fächern versehen, wenn auch die Zahl der Professoren mit denen der anderen preußischen Technischen Hochschulen nicht mithalten konnte. Zu den Professuren gehörte auch eine für Lasthebemaschinen sowie Werkzeugmaschinen und Fabrikorganisation, die mit Albrecht Tischbein (1872–1907) besetzt wurde. Als Tischbein 1907 an Diphterie starb, wurde das übergroße Gebiet geteilt.96 Im Februar 1908 unterbreitete die Maschinenbauabteilung Vorschläge für die Besetzung der Professur für Hebezeuge und Förderanlagen.97 An erster Stelle rangierte der renommierte Karlsruher Professor für Fördertechnik Georg Benoit (1868–1953), an zweiter Stelle der leitende Industrieingenieur Heinrich Aumund. Aumund war sich durchaus darüber im Klaren, dass er – wie üblich bei Industriepraktikern – zwar viele ausgeführte Anlagen, aber wenig wissenschaftliche Veröffentlichungen vorzuweisen hatte, wie er selbst der Hochschule mitteilte:98 „Die Veröffentlichungen enthalten nur allgemeine Angaben und Gesichtspunkte, da detailliertere Mitteilungen als nicht vorteilhaft für die Firma angesehen wurden, in deren Interesse sie erfolgten“. Im Laufe des Jahres 1908 drehte die Abteilung die Reihenfolge zwischen Benoit und Aumund um.99 Begründet wurde dies mit Zweifeln, ob Benoit für Danzig zu gewinnen sei; bei Aumund zeigte man sich optimistischer. Es sieht so aus, als wäre Aumund besonders durch den mit ihm bekannten Maschinenbauer Gerhard Schulze-Pillot (1872–1945) unterstützt worden, mit dem er später ein freundschaftliches Verhältnis einging.100 Außerdem profitierte Aumund davon, dass sich an den Technischen Hochschulen und in den Ministerien mehr und mehr die Überzeugung durchsetzte, man müsse praxiserfahrene Professoren berufen.101 Jedenfalls begrün95 Penzler, Reden, Bd. 3, 227–29. Nach Penzler wurde die Rede von Wilhelm nicht frei gehalten, sondern vorgelesen. 96 Beiträge 163; Königliche Technische Hochschule Danzig, Programm 1908/09, 151 f. u. Programm 1909/10, 161; Technische Hochschule Danzig 1904–1954, 55. 97 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 169–79. 98 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 184, Lebenslauf. 99 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 245–51. 100 Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 192 f., 5.2.1908, Schulze-Pillot an Naumann; Aumund, Lebenserinnerungen, 29. 101 König, Technikwissenschaften, 119 ff.; Kändler, Anpassung, 198 ff.
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dete der Kultusminister gegenüber dem Finanzminister die auf Aumund gefallene Wahl damit, dass man „nicht bloß theoretisch gebildete, sondern auch in der Praxis bewährte Ingenieure für die Lehrkanzel“ gewinnen wolle.102 Damit suchte man das in Aussicht gestellte hohe Gehalt zu legitimieren, mit dem Aumund sich an die Spitze der Danziger Besoldungspyramide setzte.103 Dessen ungeachtet stellte sich Aumund an der Hochschule finanziell deutlich schlechter als bei Pohlig. Die Verhandlungen gelangten zu einem schnellen Abschluss.104 Im Januar unterschrieb Wilhelm II. den Ruf. Am 1. April 1909 trat Aumund seine Danziger Professur an. In Danzig scheint er sich schnell eingelebt und etabliert zu haben.105 1913 bezog er mit seiner Familie ein neu errichtetes repräsentatives Wohnhaus.106 Über die an der Hochschule herrschende kollegiale Atmosphäre äußerte er sich von vornherein positiv. Bereits kurz nach seiner Berufung, vom Sommer 1909 bis zum Sommer 1911, und dann noch einmal 1914/15, gehörte er dem Akademischen Senat an – in der zweiten Periode in der Eigenschaft als Vorstand der Maschinenbauabteilung.107 Aus diesem gedeihlichen Wirken wurde Aumund durch den Ersten Weltkrieg herausgerissen. Den Krieg verbrachte er in der Etappe in Ostpreußen und in Belgien sowie in den Berliner Kriegswirtschaftsämtern. Als er im Spätherbst 1918 nach Danzig an die Hochschule zurückkehrte, traf er auf eine politisch aufgewühlte Professoren- und Bürgerschaft, die wegen der Zukunft der Stadt und der Hochschule verunsichert war. Im März 1919 stand die Stadt Danzig auf der Tagesordnung der Pariser Friedensverhandlungen.108 Frankreich und die USA tendierten zu einer Angliederung an Polen, England, das sich letztlich durchsetzte, für die Bildung einer Freien Stadt. Die ganz überwiegend deutsche Bevölkerung Danzigs protestierte mit Massenkundgebungen gegen die Loslösung von Deutschland. Dabei handelte es sich um eine ganz große Koalition, die das politische Spektrum von den Deutschnationalen bis zu den Sozialdemokraten umfasste – sowohl in Danzig wie im Reich. Teile der Sozialdemokratie schreckten selbst vor schrillen nationalistischen Tönen nicht zurück. So ließ sich der sozialdemokratische preußische Kultusminister Konrad Haenisch (1876–1925) im Februar 1919 in einem Vortrag über die Polen aus, die nach
102 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 279 ff., 18.12.1908 – Wissenschafts- an Finanzminister (das Zitat 280 f.). 103 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. II, 20.10.1919 – Aumund an Wissenschaftsminister; vgl. Aumund, Lebenserinnerungen, 30. 104 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 237, 278 u. 296. 105 Aumund, Lebenserinnerungen, 30. 106 Personal-Verzeichnis Danzig Sommer-Halbjahr 1913, 5; ZLB Berlin, Springer-Archiv B/A/91 I, 19.5.1913 – Aumund an Springer. 107 Königliche Technische Hochschule Danzig, Programm 1909/10, 164; Königliche Technische Hochschule Danzig, Programm 1913/14, 18; Personal-Verzeichnis Danzig Sommer-Halbjahr 1911, 3; Winter-Halbjahr 1913/14, 3; Sommer-Halbjahr 1914, 3; Sommer-Halbjahr 1915, 3; 20 Jahre 23. 108 Aumund, Lebenserinnerungen, 46 ff.; vgl. Loew, Danzig, 72 ff. u. 178 ff.; Ramonat, Völkerbund, 19 ff. u. 33 ff.
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Danzig „ihre gierigen Hände ausstrecken“.109 Und darüber hinaus könne man „lesen Tag für Tag wie sich tschechische, polnische, russisch-bolschewistische Horden anschicken, aus dem zuckend daliegenden Leibe unseres Vaterlandes Stück für Stück herauszureißen“. In Danzig machten Gerüchte die Runde, polnische oder auch kommunistische Freischaren schickten sich an, die Stadt zu erobern.110 Der deutschen Bevölkerung und den Parteien in Danzig blieb letztlich nichts anderes übrig, als sich mit der in Versailles getroffenen Entscheidung zur Gründung einer Freien Stadt abzufinden. 1919 und 1920 waren allerdings noch viele Fragen ungeklärt, wie die Verfassung des neuen Staatswesens und die Danziger oder polnische Zugehörigkeit zahlreicher Einrichtungen, wie der Staatsbetriebe, der Post oder der Technischen Hochschule. In dieser Situation engagierte sich Aumund parteipolitisch, indem er der „Freien Wirtschaftlichen Vereinigung“ beitrat, in welcher er bald das Amt des Stellvertretenden Vorsitzenden bekleidete.111 Die Freie Wirtschaftliche Vereinigung entsprach der Deutschen Volkspartei (DVP) in Deutschland. Beide waren Erben der wirtschaftsfreundlichen Nationalliberalen Partei des Kaiserreichs. Die Anhänger der genannten liberalen Parteien kamen vor allem aus dem höheren und mittleren Wirtschafts- und Bildungsbürgertum. Die DVP lehnte zunächst die Weimarer Verfassung ab, entwickelte sich dann aber doch zu einer Stütze der Republik. Bei den Reichstagswahlen 1920 erreichte sie mit 13,9 % ihre in der Zwischenkriegszeit höchsten Stimmenanteile. Ihr bekanntester Politiker war Gustav Stresemann (1878–1929), der von 1923 bis 1929 das Amt des Außenministers bekleidete und eine Politik des Ausgleichs mit den alliierten Siegermächten verfolgte. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich der Wirtschaftsflügel der FDP in die Tradition der DVP. Die Wahl zur Danziger Verfassunggebenden Versammlung fand am 20. Mai 1920 statt.112 Die meisten Stimmen erreichte die Deutschnationale Partei mit 28,2 % vor den Unabhängigen Sozialdemokraten mit 17,5 %, der SPD mit 15,9 %, dem Zentrum mit 13,9 %, der Deutschen Demokratischen Partei mit 13,4 % und der Freien Wirtschaftlichen Vereinigung mit 9,7 %; der Stimmenanteil der Polnischen Partei betrug 6,1 %. In die Verfassungsgebende Versammlung, die insgesamt 120 Abgeordnete umfasste, zog die Freie Wirtschaftliche Vereinigung mit 12 Vertretern ein; Aumund war einer von ihnen. 1920 fuhr die Freie Wirtschaftliche Vereinigung ihr bestes Wahlergebnis ein; in der Zwischenkriegszeit reduzierten sich ihre Stimmenanteile. 1920 benannte sich die wirtschaftsliberale Vereinigung in Deutsche Partei für Fortschritt und Wirtschaft (DPFW) um. Zwischen Juni und Dezember 1920 erarbeitete die Versammlung eine Verfassung.113 Die bürgerlichen Parteien bildeten eine große Koalition und sorgten mit ihrer Mehrheit für die Verabschiedung; die Sozialisten und die Sozialdemokraten 109 Haenisch, Über Kulturpolitische Aufgaben, 38. 110 Vgl. Ruhnau, Technische Hochschule Danzig, 80–82. 111 Aumund, Lebenserinnerungen, 47 ff.; vgl. zur Danziger „Freien Wirtschaftlichen Vereinigung“: Ramonat, Völkerbund, 43 f. 112 Wikipedia, „Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung in Danzig 1920“, Zugriff am 18.3.2016. 113 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung.
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stimmten dagegen, weil sie ihre Sozialisierungspolitik nicht nur Geltung bringen konnten. Teile des Textes lehnten sich an entsprechende Formulierungen in den Verfassungen der Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck an. In den ersten Monaten nahm Aumund an den Sitzungen der Verfassungsgebenden Versammlung teil, seit Ende September fehlte er.114 Inzwischen hatte er das Angebot der preußischen Regierung angenommen, im Wissenschaftsministerium die Reform der Technischen Hochschulen voranzutreiben.115 Es dürfte ihm immer schwerer gefallen sein, den Spagat zwischen Berlin und Danzig zu vollziehen. In den Sommermonaten 1919 ergriff Aumund in der Verfassungsgebenden Versammlung häufiger das Wort und reichte zusammen mit anderen Abgeordneten Anträge ein.116 Zunächst ging es ihm darum, dass sich die Versammlung auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrierte, die Formulierung und Verabschiedung einer Verfassung.117 Mit den durch den provisorischen, aus Beamten bestehenden Staatsrat erlassenen Gesetzen solle man sich nicht zu intensiv befassen; der Staatsrat solle sich jedoch in wichtigen Fragen mit der Verfassungsgebenden Versammlung ins Benehmen setzen. Im September gelangten die Freie Wirtschaftliche Vereinigung und Aumund jedoch zur Auffassung, dass eine stärkere parlamentarische Rückbindung der provisorischen Regierung sinnvoll sei und unterbreiteten Vorschläge für das Prozedere einer Neubesetzung.118 In anderen Anträgen ging es Aumund und seinen Kollegen um die Sicherung der Arbeitsfähigkeit der Versammlung bzw. des Volkstags, d. h. des Parlaments der Stadt, und des Senats. So sollte die Versammlung nach dem Vorbild des deutschen Reichstags durch eine Bannmeile geschützt werden.119 Nach politischen Unruhen in Danzig fügten Aumund und weitere Abgeordnete einen Passus in die Verfassung ein, dass der Senat vorübergehend die Grundrechte außer Kraft setzen konnte, um „Plünderungen und Ausschreitungen“ vorzubeugen; eine solche Maßnahme musste nachträglich dem Volkstag zur Bestätigung vorgelegt werden.120 In einem anderen Zusammenhang bekundete Aumund den festen Willen, mit der polnischen Minderheit in Danzig in Frieden zu leben, und trat der – allerdings nicht unbegründeten – Behauptung entgegen, die deutsche Mehrheit der Stadt nehme die gegenüber Polen eingegangene Verpflichtung zur politischen Neutralität nicht ernst.121 Ein zentrales Thema Aumunds in der Verfassungsgebenden Versammlung bildete das Verhältnis von Parteipolitik und Sachverstand. Dabei neigte er expertokratischen Vorstellungen zu. Die Senatoren sollten in erster Linie Fachleute sein, 114 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung 644 u. passim 115 S. u. S. 132 ff. 116 Aumunds Reden in der Verfassungsgebenden Versammlung weisen Ähnlichkeiten mit einer Rede seines Kollegen Gerhard Schulze-Pillots auf, welche dieser im Februar 1919 vor Kriegsheimkehrern hielt (Schulze-Pillot, Mitarbeit), dies ein Beispiel für den engen Gedankenaustausch zwischen den beiden befreundeten Professoren. 117 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung 14, 41 f. u. 171. 118 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung 532 f. 119 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung 287 ff. u. 313 ff. 120 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung 404 u. 406 (Zitat). 121 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung 501 u. 504.
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durchaus auch „im Nebenamt“, jedenfalls keine „Berufspolitiker“.122 Für die Zusammensetzung des Senats gab er die Parole aus: „Die Tüchtigsten ohne Rücksicht auf Partei und ohne Rücksicht auf Tagesmeinung, unabhängig von den jeweiligen Strömungen der Partei.“ Dem Volkstag komme die politische Kontrolle über den Senat zu, wobei er die Berufsstände auf eine nicht näher bezeichnete Weise beteiligen wollte. Für seine Partei erklärte Aumund: „Dem rein parlamentarischen System können wir nicht zustimmen, denn bei ihm ist aus den schon angegebenen Gründen die genügende Sach- und Fachkunde nicht gewährleistet, …“. Senatoren sollten auch von außerhalb Danzigs berufen werden, wenn man in der Stadt keine kompetenten Persönlichkeiten fände – dies schon, um „Klüngelwesen und Cliquenwirtschaft“ zu verhindern. Auf einer Sitzung hielt Aumund ein Plädoyer gegen politische Prinzipienreiterei und sprach sich stattdessen für eine pragmatische Verständigung aus.123 So wollte er die Organisation der Elektrizitätswirtschaft unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten behandelt wissen und wandte sich gegen „Sozialisierung“ als politisches Programm.124 Die Freie Stadt Danzig wurde im November 1920 offiziell gegründet. Die letzten britischen und französischen Truppen verließen die Stadt, ebenso der englische erste Völkerbundkommissar Reginald Thomas Tower (1860–1939). Im Dezember wählte die Verfassungsgebende Versammlung den Senat; Oberbürgermeister blieb der parteilose Kommunalpolitiker Heinrich Sahm (1877–1939). Der Senat stützte sich auf eine breite bürgerliche Koalition, der auch die Freie Wirtschaftliche Vereinigung angehörte. Aumund wurde zwar noch Ende 1920 in den Ersten Volkstag, das Parlament der Freien Stadt Danzig, gewählt, trat aber in den Beratungen nicht mehr in Erscheinung, weil er inzwischen in das preußische Wissenschaftsministerium in Berlin übergewechselt war. In der Sitzung am 17. Januar 1921 wurde bekannt gegeben, dass er sein Mandat niedergelegt habe.125 Der Wechsel von Danzig nach Berlin änderte nichts Grundsätzliches am Eintreten Aumunds für die Technische Hochschule der Freien Stadt.126 In Danzig stützte er sich dabei auf seine Position als Hochschulprofessor und Abgeordneter der Verfassungsgebenden Versammlung, in Berlin auf seine Tätigkeit im Preußischen Wissenschaftsministerium. Darüber hinaus waren ihm seine Beziehungen zur Industrie und einer Reihe technisch-wissenschaftlicher Vereine von Nutzen. Als seine wichtigste Aufgabe sah es Aumund an, die Staatsbetriebe und die Technische Hochschule der Stadt Danzig zu erhalten. Im Auftrag des Oberbürgermeisters Sahm suchte er für die staatlichen Betriebe Unterstützung zu aktivieren, so
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Verhandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung 41 f. u. 219. Verhandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung 219. Verhandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung 133. Verhandlungen des Volkstages, Sitzung v. 17.1.1921, 151. In der nationalsozialistischen Zeit wurden Aumunds Verdienste um den Erhalt der Hochschule totgeschwiegen, wovon sich die Forschungsliteratur bis zur Gegenwart nicht frei gemacht hat (Schulze, Technische Hochschule Danzig (1941)). Darüber hinaus gewinnt man den Eindruck, dass der Rektor der Hochschule Otto Schulze seinen – durchaus zentralen Beitrag – über Gebühr betonte (vgl. Predeek, Technische Hochschule Danzig, 502).
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bei dem einflussreichen Montanindustriellen Hugo Stinnes (1870–1924).127 Insbesondere war er auf der Suche nach einer überzeugenden Persönlichkeit, welche die Leitungsposition übernehmen und den Betrieb am Laufen halten sollte. Diese fand er auf Vorschlag des Borsig-Managers Fritz Neuhaus (1872–1949) in dem Maschinenbauer und Magdeburger Industriemanager Ludwig Noé (1871–1949).128 Aumund gelang es, den preußischen Wissenschaftsminister zu veranlassen, Noé in einem beschleunigten Verfahren im September 1919 an die Technische Hochschule als Professor für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetriebe zu berufen.129 Zusätzlich übernahm Noé provisorisch die Danziger Werft und die Eisenbahnwerkstätten. Aus dem Provisorium wurde in der Folge eine feste Anstellung. Der neue Professor und Aumund gingen eine freundschaftliche Beziehung ein. Mit Noé hatte die Stadt Danzig einen glücklichen Fang gemacht. Wie Aumund ließ er sich in den ersten Volkstag wählen. Zuerst für die Deutsche Demokratische Partei; später scheint er in die Partei Aumunds, die Deutsche Partei für Fortschritt und Wirtschaft, übergetreten zu sein. Noé bekleidete das Amt eines Senators für die Staatsbetriebe und vertrat Danzig beim Genfer Völkerbund. Im Vergleich zu den Staatsbetrieben erwies sich die Erhaltung der Technischen Hochschule als die weitaus schwierigere Aufgabe. Einerseits ging es darum, die zuständige Internationale Verteilungskommission des Völkerbunds zu überzeugen, dass die Hochschule der Freien Stadt zugeschlagen werden sollte. Andererseits darum, für die Finanzierung der Hochschule ein tragfähiges Konzept zu entwickeln. Dabei war es klar, dass die Stadt die Lasten schwerlich würde allein tragen können. Wie die überwiegende Mehrheit der Einwohner hätte die Hochschule die Stadt Danzig gern weiterhin als Teil Deutschlands gesehen. Im Oktober 1918 bekundeten Rektor und Senat:130 „Unser Danzig ist kerndeutsch und soll es ewig bleiben.“ Als sich dies 1919 als nicht realisierbar erwies, ging es darum, die Hochschule der Stadt zu erhalten, und zwar als deutsche Hochschule. An die internationale Öffentlichkeit wandte sich die Hochschule mit einer in Zürich 1919 erscheinenden Schrift „Die deutsche technische Hochschule in Danzig“. Sämtliche Verfasser des Sammelbands waren Professoren bzw. Dozenten der Technischen Hochschule.131 Sie vertraten mit historischen, kulturellen, rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Argumenten die Auffassung, dass die Hochschule der Freien Stadt Danzig und nicht Polen zustehe und ihr deutscher Charakter bewahrt werden müsse. Die aggressivsten Töne schlug dabei der Bau- und Kunsthistoriker Adelbert Matthaei (1859–1924) an.132 Matthaei ging später für die Deutschnationale Volkspartei in den Ersten Volkstag und übernahm dort die Präsidentschaft. In seinem Beitrag malte er die 127 Aumund, Lebenserinnerungen, 47 f. 128 Wikipedia: „Ludwig Noé“; Zugriff am 18.3.2016. 129 Aumund, Lebenserinnerungen, 47 f.; GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. II, 27.8.1919 – Aumund an Bodenstein sowie 13.9.1919 – Wissenschaftsminister an Noé. 130 Loew, Danzig, 274. 131 Schulze, Technische Hochschule Danzig, 109. 132 Die deutsche technische Hochschule in Danzig, 24–26 (die Zitate sind auf diesen Seiten verteilt). Vgl. zu Matttaei: Beiträge 149; Loew, Danzig, passim.
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Gefahr einer „Fortsetzung des Vernichtungskampfes gegen die deutsche Nationalität“, einer „Vergewaltigung“, einer „allmähliche(n) Polonisierung Danzigs“ an die Wand. Er wertete dies als „Kriegserklärung an die deutsche Welt“ und drohte: „ … einst wird doch bestimmt die Zeit kommen, wo die deutsche Welt aus ihrer Betäubung erwacht, und weder dem Völkerbund noch dem polnischen Staate wird dies Erwachen gleichgültig sein können.“ Im Vergleich dazu war Aumunds Beitrag „Etwas von den Aufgaben und Pflichten des Völkerbundes. Die Zukunft der Technischen Hochschule in Danzig“ engagiert, aber sehr sachlich gehalten.133 Aumund argumentierte, dass die polnischen Ansprüche auf die Hochschule durch den Versailler Vertrag nicht gedeckt seien. Dessen Bestimmungen zu Danzig stünden vor allem im Zusammenhang mit der Schaffung und Sicherung eines polnischen Korridors zur Ostsee, was mit der Hochschule nichts zu tun habe. Er hob den internationalen Charakter von Wissenschaft und Technik hervor; die Technische Hochschule sei zur Zeit gewissermaßen eine Hochschule des Völkerbunds, der damit sorgsam umgehen solle. Die deutsche Unterrichtssprache komme nicht nur der Mehrheit der Danziger Bevölkerung, sondern auch der deutschen Minderheit in Polen zugute. 1919 legte die Hochschule ihre Position für die anstehenden Verhandlungen mit dem Völkerbund, dem Reich und Preußen fest.134 Die bisherige Hochschulverfassung sollte nach dem Übergang an die Freie Stadt Danzig in ihren Grundzügen bestehen bleiben, was die Beibehaltung der deutschen Unterrichtssprache einschloss. Von Preußen verlangte man die Weiterführung der Gehaltszahlungen an die Beamten. Falls die Hochschule nicht weiter existieren könne, sollten die Professoren die Möglichkeit erhalten, in preußische Dienste überzuwechseln. Man stellte aber auch Überlegungen zu Alternativen an. So gelang es Schulze-Pillot, der damals Vorsitzender des Danziger Bezirksvereins des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) war, und Aumund, die Professorenschaft zur Unterstützung des Versuchs zu bewegen, die Hochschule gegebenenfalls zumindest vorübergehend mit privaten Mitteln weiter zu führen.135 Folgt man Aumunds „Lebenserinnerungen“, dann gab es im preußischen Kultusministerium zunächst durchaus Überlegungen, sich von der Hochschule zurückzuziehen.136 Im Laufe des Jahres 1919 gelang es den Danziger Vertretern, die zuständigen Ministerialbeamten, insbesondere Otto Naumann (1852–1925), umzustimmen. Sie bedienten sich dabei der Unterstützung des Montanindustriellen Albert Vögler, der sich zusätzlich Verdienste um die Finanzierung der Hochschule erwarb. Überdies machten der scheidende Rektor, der Mathematiker Friedrich Schilling (1868–1950), sein Nachfolger F. W. Otto Schulze (1868–1941) und Aumund das Auswärtige Amt mit der Danziger Position vertraut und bereiteten es 133 Die deutsche technische Hochschule in Danzig, 5–11. Der Beitrag in dem Buch ist mit M. Aumund gezeichnet. Vermutlich handelt es sich dabei um einen Irrtum des Setzers, denn ein M. Aumund lässt sich an der Technischen Hochschule Danzig nicht nachweisen. 134 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 107–16; Schulze, Technische Hochschule Danzig, 109. 135 Aumund, Lebenserinnerungen, 46. 136 Aumund, Lebenserinnerungen, 46 f.
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damit auf die Verhandlungen mit dem Völkerbund vor.137 In diesem Zusammenhang übermittelte man dem Amt auch Aumunds Aufsatz „Die Aufgaben und Pflichten des Völkerbundes gegen Danzig“. Damit war das Auswärtige Amt gut gerüstet für ein im November 1919 stattfindendes Gespräch mit dem Völkerbundkommissar Tower.138 Tower hatte in Deutschland studiert und in Berlin als britischer Diplomat gearbeitet. Der Vertreter des Auswärtigen Amts Graf Hugo von und zu Lerchenfeld (-Köfering) (1871–1944) suchte Tower zu überzeugen, die Technische Hochschule und die Reichswerft der Stadt Danzig zu überlassen. Im Anschluss an die Besprechung in Berlin informierte sich Tower in Danzig sowohl über den deutschen wie den polnischen Standpunkt. Im Laufe des Jahres 1920 traf er auch mehrmals mit Aumund zusammen – vermutlich in dessen Eigenschaft als Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung.139 Im Frühjahr 1920 besuchte Tower die Technische Hochschule.140 Dabei soll er erklärt haben, „daß er die Hochschulfrage als eine Kulturfrage ersten Ranges ansehe und alles tun werde, um sie in einem dem Freistaate günstigen Sinne zu lösen“.141 Außerdem bekundete er, dass er nichts gegen Zuschüsse der Heimatstaaten habe, „falls daraus keine Rechte abgeleitet würden“. Allerdings dürfe es dabei keine Diskriminierung der polnischen Studenten geben. In ähnlicher Weise wie bei Tower bemühten sich das Auswärtige Amt und die Hochschule, auf die Mitglieder der Internationalen Verteilungskommission einzuwirken. Die Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Im Sommer 1921 entschied die Internationale Verteilungskommission des Völkerbunds, die Technische Hochschule der Freien Stadt Danzig zuzuschlagen. Oberbürgermeister Sahm ließ es sich nicht nehmen, die gute Botschaft dem Senat der Hochschule am 28. Juli 1921 persönlich zu überbringen.142 Voraussetzung war eine zwischen Danzig und Polen geschlossene Vereinbarung, mit der die im Kaiserreich geübte Diskriminierung der polnischen Studenten beendet werden sollte.143 Die Polen sollten an der Hochschule die gleichen Rechte erhalten wie die deutschen Studenten. Für ihre Bedürfnisse seien Bücher und andere Unterrichtsmittel anzuschaffen. Die Hochschule habe ein Lektorat für polnische Sprache und Literatur einzurichten und Vorträge zur Wirtschaftsgeografie Polens anzubieten. Rektor Schulze sah darin „belanglose Bedingungen“, welche „um so weniger an dem deutschen Wesen der Hochschule etwas ändern (können), als alle bisherigen Professoren hier geblieben sind und auch die Studentenschaft heute noch zu Vier137 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 40 f., 16.8.1919 – Schulze an Simson. 138 Ramonat, Völkerbund, 24 ff. 139 Aumund, Lebenserinnerungen, 48. 140 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 137 ff., 20.3.1920 – Schulze an Bodenstein; Predeek, Technische Hochschule Danzig, 503 (hier das Zitat). 141 Die Formulierung entspricht dem Argument Aumunds in der Denkschrift „Die deutsche technische Hochschule in Danzig“, dass es sich bei der Hochschule nicht um eine wirtschaftliche, sondern eine kulturelle Frage handele. 142 20 Jahre 25. 143 Schulze, Technische Hochschule Danzig, 110 f.; Predeek, Technische Hochschule Danzig, 503.
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fünfteln deutschstämmig ist.“144 Als sich in den folgenden Jahren die Zahl der polnischen Studenten vorübergehend stark erhöhte, wertete man dies als Bedrohung des deutschen Charakters der Hochschule und tat wenig, um die Intentionen der Vereinbarung mit Polen mit Leben zu erfüllen.145 Im Gegenteil kam es wiederholt zu Konflikten zwischen den polnischen Studierenden und den deutschen sowie der Hochschule. Die formale Zuweisung der Hochschule an Danzig war eine Sache, ihre Finanzierung eine andere. Es war den meisten Beteiligten klar, dass die Freie Stadt damit überfordert war. Es gelang Aumund jedoch noch vor dem Sommer 1919, die Unterstützung des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller und des einflussreichen Industriemanagers Albert Vögler146 zu gewinnen.147 Innerhalb weniger Wochen sammelte Vögler in der Industrie an die 2 Millionen Mark ein, was den Unterhalt der Hochschule für etwa zwei Jahre sicherte. Für Vöglers Engagement bedankte sich die Hochschule, indem sie ihn im Dezember 1920 zum Ehrenbürger ernannte.148 Hinter dem Engagement Vöglers und der anderen Spender dürften vor allem nationalpolitische Motive gestanden haben. Man betrachtete Danzig zumindest kulturell als Teil des Reichs und wollte die existierenden Beziehungen so weit wie möglich erhalten und pflegen. Es sei dahingestellt, ob Teile der Schwerindustrie auch wirtschaftliche Interessen verfolgten, wie Lieferungen an die Danziger Werft und andere Staatsbetriebe.149 Mit den industriellen Spenden hatte die Technische Hochschule jedenfalls beträchtlich Zeit gewonnen. Im Vorgriff darauf hatte sich Aumund in einem im Juni 1919 stattfindenden Gespräch im Wissenschaftsministerium – wie das alte Kultusministerium abgekürzt in der Weimarer Zeit genannt wurde – optimistisch zur finanziellen Zukunft der Hochschule geäußert.150 Damit suchte er mit Zielrichtung Völkerbund das Argument zu untergraben, die Stadt könne die Hochschule ohnehin nicht erhalten. Allerdings rechnete die Hochschule mit finanziellen Zuschüssen von Seiten Preußens und des Reichs.151 Daraufhin bekundeten das Auswärtige Amt und das preußische Wissenschaftsministerium ihr Interesse, die Technische Hochschule als deutsche Hochschule weiterzuführen.152 Unterstützung kam zusätzlich von der Verfassungsgebenden Preußischen Landesversammlung.153 Dagegen wahrte der 144 BArch R 8043/113, Bl. 162. 145 Mitter, „Von guten und schlechten Ausländern“; Predeek, Technische Hochschule Danzig, 503; Keyser, Die Technische Hochschule Danzig, 116. 146 Vgl. zu Vögler im VDEh: Rasch, Zwischen Politik. 147 Aumund, Lebenserinnerungen, 46. Fälschlicherweise schreibt sich der geltungssüchtige Otto Schulze den Verdienst an dieser Initiative zu (Schulze, Technische Hochschule Danzig, 109). 148 20 Jahre 33. 149 Ich danke Prof. Dr. Manfred Rasch vom ThyssenKrupp Konzernarchiv für entsprechende Hinweise. 150 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 16, 7.6.1919 – TH Danzig an Wissenschaftsminister sowie an das Auswärtige Amt. 151 PA AA, R 93983, 20.3.1920 – Schulze an Bodenstein; GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 23. 152 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 27 u. 34–37. 153 Deutscher Ausschuß für Technisches Schulwesen, Stimmen, 161.
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Reichsfinanzminister Zurückhaltung und sprach die Frage der Kostenaufteilung zwischen dem Reich und Preußen an, die sich in den folgenden Jahren tatsächlich als kritischer Punkt erweisen sollte.154 Und der Präsident des preußischen Staatsministeriums gab sogar seine Meinung kund, dass „der Freistaat Danzig, der an den Kriegsschulden nicht partizipiert, finanziell sehr viel leistungsfähiger ist als Preußen oder das Reich, so daß er sehr wohl in der Lage wäre, die Hochschule aus eigenen Mitteln zu unterhalten“.155 Der Finanzminister stimmte dieser Äußerung ausdrücklich zu.156 Die Hochschule kalkulierte jedenfalls mit den drei Zuschussgebern Danzig, Preußen und der Weimarer Regierung. Da man Zweifel hatte, ob die Zuschüsse ausreichen würden, kam 1920/1921 die Idee auf, von den Studierenden Gebühren zu verlangen.157 Dabei wollte man aber auf jeden Fall einen Rückgang des Anteils der deutschen Studenten vermeiden. Die Gebühren der Danziger Studenten übernahm die Stadt, für die der Reichsdeutschen sollte das Reich einspringen. Auf einer Besprechung im Februar 1921 präsentierte Aumund, der mittlerweile im Wissenschaftsministerium arbeitete, den Vorschlag im Beisein seines Staatssekretärs Carl Heinrich Becker (1876–1933).158 Die Zusammenkunft litt darunter, dass zwar alle sonstigen involvierten Ministerien vertreten waren, der Finanzminister aber fern geblieben war. Immerhin hatte er im Vorfeld darauf hingewiesen, dass eine Einbeziehung der in Gründung begriffenen „Gesellschaft zur Förderung der Danziger Hochschule“ oder der „Deutschen Stiftung“ nützlich sein könne. Eine finanzielle Beteiligung des Reichs lehnte der Finanzminister zunächst ab und änderte seine Haltung erst im Juli 1921.159 Die grundsätzliche Zustimmung der beteiligten Regierungen zur Finanzierung der Danziger Technischen Hochschule bildete allerdings nur den Auftakt einer quälenden, sich über Jahre hinziehenden Serie von Verhandlungen zwischen den Finanzministerien des Reichs und Preußens über die Aufteilung der Kosten.160 Das 154 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 52, 124, 135 u. 186, 15.8. u. 25.11.1919, 25.3. u. 24.9.1920 – Finanz- an Wissenschaftsminister. 155 GStA PK, I. HA, Rep. 151 Finanzministerium I C, Nr. 7008, 18.2.1920 – Präsident Staatsministerium an Wissenschaftsminister. 156 PA AA, R 93983, 25.3.1920 – Finanzminister an das Auswärtige Amt. 157 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 193–95, 7.1.1921 – Reichs- und Staatskommissar an Wissenschaftsminister; Bl. 196–201„Denkschrift über die Erhaltung der Technischen Hochschule in der Freien Stadt Danzig“; PA AA, R 93983, 7.1.1920 – „Technische Hochschule in Danzig“; vgl. 20 Jahre 18; Schulze, Technische Hochschule Danzig, 110. 158 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 229–31, 22.2.1921 – „Kurze Niederschrift der Besprechung, betreffend die Zukunft der Danziger Hochschule, im Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung“; PA AA, R 93983, 22.2.1921 – Aktennotiz. 159 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 239, 11.4.1921 – Reichsminister der Finanzen an Reichsminister des Auswärtigen; Bl. 249, 9.7.1921 – Reichsminister der Finanzen an Wissenschaftsminister. 160 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 294–301, 7.11.1921 – „Niederschrift über die Verhandlungen, betreffend Zuschuß für die Technische Hochschule Danzig“; Bl. 351 f., 15.2.1922 – „Niederschrift über die Sitzung vom 15. Februar
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Reich bestand strikt auf paritätischer Kostenteilung, Preußen verlangte vergeblich, dass das Reich einen größeren Anteil übernehmen sollte. Das preußische Wissenschaftsministerium, vertreten durch seine beiden zuständigen Referenten Aumund und Otto v. Rottenburg (1885–1945),161 bemühte sich um eine Vermittlung.162 Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ministerien führten zeitweise zu einem verspäteten Eingang der Mittel, aber insgesamt gesehen erlebte die Technische Hochschule in der Zwischenkriegszeit auch unter finanziellen Gesichtspunkten eine positive Entwicklung. Eine weitere Frage stellte die Abwicklung der Zahlungen dar. Schließlich handelte es sich um die Finanzierung einer ausländischen Hochschule durch das deutsche Reich, was außenpolitische Verwicklungen nach sich ziehen konnte. Besonders das Auswärtige Amt legte Wert darauf, dass das Reich nicht direkt in Erscheinung trat und die Gelder über Zwischeninstanzen bzw. Mittelsmänner flossen.163 Hierfür wählte man zunächst als einzige Station den Geschäftsführer der „Deutschen Stiftung“ Erich Krahmer-Möllenberg (1882–1942).164 Die Zahlungen erfolgten auf ein „Sonderkonto Technik“, d. h. die Technische Hochschule Danzig tauchte nicht auf.165 In der „Deutschen Stiftung“ kann man eine „verschleierte Dienststelle“ des Reichs sehen, die im Herbst 1920 für die Unterstützung der deutschen Minderheiten in den abgetretenen Gebieten gegründet worden war. Sie übernahm unter anderem die Aufgaben des Interfraktionellen Reichstagsausschusses für Ostfragen. Finanziert wurde sie in erster Linie durch das Auswärtige Amt, aber auch durch weitere Regierungsstellen. Krahmer-Möllenberg war 1919 aus dem Staatsdienst ausgeschieden, also nicht ohne weiteres mit der Regierung in Verbindung zu bringen. Als Geschäftsführer der Stiftung bot er sich politisch und fachlich an. 1929 verlieh ihm die Technische Hochschule Danzig für seine Verdienste die Ehrendoktorwürde. An sich hätten die Regierungen gern von vornherein die „Gesellschaft von Freunden der Danziger Hochschule“ mit in das Arrangement einbezogen, aber deren Gründung verzögerte sich.166 Im Zusammenhang mit den gesammelten Indust-
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1922, betreffend Zuschussleistungen für die Technische Hochschule in Danzig“; Bl. 353 ff., 18.2.1922 – „Niederschrift über die Besprechung vom 18. Februar 1922 betreffend Zuschussleistungen für die Technische Hochschule in Danzig“; vgl. Bl. 425 ff.; Bl. 451–53, 17.10.1922 – „Niederschrift …“; GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. II, Bl. 44, 12.9.1923 u. passim; BArch R 8043/113, Bl. 129 f., 18.4.1922 u. passim; PA AA, R 93983, passim. S. u. S. 134. So arbeitete Aumund im Oktober 1921 einen Vorschlag zur Aufteilung der Kosten aus (PA AA, R 93983, 10.10.1921 – Aktennotiz). GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. I, Nr. 4, Bd. I, Bl. 294–301, 7.11.1921 –„Niederschrift über die Verhandlungen, betreffend Zuschuß für die Technische Hochschule Danzig“; Bl. 351 f., 15.2.1922 – „Niederschrift über die Sitzung vom 15. Februar 1922, betreffend Zuschussleistungen für die Technische Hochschule in Danzig“. BArch R 8043/113, 23.2.1923 – Krahmer-Möllenburg an Schulze; vgl. zur „Deutschen Stiftung“ und zu Krahmer-Möllenberg: Krekeler, Revisionsanspruch, passim; Eser, „Volk“, 156– 64. PA AA, R 93983, 12.7.1922 – Wissenschaftsminister an Auswärtiges Amt. Instruktive Unterlagen zur Gesellschaft finden sich in StA Danzig 10/988/0/11.
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riegeldern war sie schon um die Mitte 1919 im Gespräch,167 aber offiziell fand die Gründung erst am 17. März 1922 statt – auf Vorschlag Aumunds in Berlin beim Verein Deutscher Ingenieure.168 Bei der Wahl Berlins spielten politische Gesichtspunkte eine zentrale Rolle. In den Worten des Danziger Rektors Schulze:169 „Wenn in Deutschland sich eine Zahl von Männern zusammenfindet, die Mittel sammelt um reichsdeutschen Studierenden das Studium in Danzig zu erleichtern, so kann von keinem fremden Staat etwas dagegen eingewendet werden.“ In der Folgezeit lautete die offizielle Version, dass die Gesellschaft von Freunden die Semestergebühren für die reichsdeutschen Studenten übernommen habe.170 Tatsächlich stammte der Großteil der Mittel vom Reich und Preußen, was Aumund der Gesellschaft bezeichnenderweise nicht schriftlich, sondern mündlich mitteilte.171 An der Berliner Gründungsversammlung nahmen etwa 30 Personen teil, davon zwei Drittel aus der Industrie und ein Drittel aus Behörden und der Wissenschaft.172 Zur zweiten Gruppe gehörten Schulze, Krahmer-Möllenberg, v. Rottenburg und Aumund. Man einigte sich auf eine vorläufige Satzung.173 Krahmer-Möllenberg und Aumund ließen die Gesellschaft ins Vereinsregister eintragen.174 Erst danach machte man sich auf die Suche nach einem Vorsitzenden. Der an sich vorgesehene Albert Vögler lehnte ab, übernahm aber wie auch Aumund und Schulze einen Vorstandsposten.175 Statt seiner schlug Vögler den Industriellen Hans Jordan-Mallinckrodt (1848–1923) als Vorsitzenden vor.176 Nachdem sich Aumund bei diesem einen Korb geholt hatte, landete man schließlich durch Vermittlung Vöglers bei Heinrich Wilhelm Beukenberg. Beukenberg war lange Zeit Vorstand des Ostmarkenvereins gewesen. Er und der von ihm geleitete Phoenix-Konzern hatten bereits früher die Danziger Hochschule finanziell unterstützt und setzten die Wissenschaftsförderung nach dem Krieg mit Spenden an die Technischen Hochschulen Aachen und Breslau sowie die Universitäten Bonn und Münster fort.177 Allerdings war Beukenberg schwer krank und starb bereits 1923; seine Nachfolge übernahm der Borsig-Manager Fritz Neuhaus. Die Geschäfte der Gesellschaft führte weitgehend der Danziger Rektor Otto Schulze. Aumund scheint mit der Zeit ins zweite
167 GStA PK, I. HA, Rep. 151 Finanzministerium I C, Nr. 7008, 5.7.1919 – Technische Hochschule Danzig an Wissenschaftsminister. 168 BArch R 8043/113, 17.3.1922, Niederschrift. 169 BArch R 8043/113, Bl. 179, Schulze an Krahmer-Möllernberg. 170 BArch R 8043/113, passim; vgl. 20 Jahre 19 u. 25; Schulze, Technische Hochschule Danzig, 110; Predeek, Technische Hochschule Danzig, 503. 171 BArch R 8043/113, 7.3.1923 – Gesellschaft von Freunden an Krahmer-Möllenberg; vgl. Aumund, Lebenserinnerungen, 50. 172 PA AA, R 93983, 21.3.1922 – Aktennotiz. 173 BArch R 8043/113, Bl. 150 f. 174 BArch R 8043/113, Bl. 126, 2.5.1922 – Becherer an Krahmer-Möllenberg. 175 StA Danzig 10/988/0/11, „Aufruf zum Beitritt …“. 176 BArch R 8043/113, Bl. 177, 2.3.1922 – Schulze an Krahmer-Möllenberg; Bl. 115 u. 118, 4.5.1922 – Schulze an Vorstand der Gesellschaft von Freunden; 7.5.1922 – Schulze an Krahmer-Möllenberg. 177 Pomiluek, Heinrich Wilhelm Beukenberg, 367 u. 503.
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Glied getreten zu sein. In den spärlich fließenden Quellen taucht er noch 1927 als Rechnungsprüfer auf.178 In der Einladung zur Gründungsversammlung schlug Schulze markante nationale Töne an und wandte sich an alle, „die den Wunsch hegen, daß altes deutsches Land deutsch bleibt“.179 In den später formulierten Werbeblättern der Gesellschaft wurde der Ton moderater, ohne dass man an den nationalen kulturpolitischen Zielsetzungen Zweifel aufkommen ließ und die Stoßrichtung gegen Polen verschwieg.180 Man wies auf die Gefährdung der Hochschule aufgrund der Abtrennung vom deutschen Reich hin. Die Hochschule werde aber „weiter als Hochburg deutscher Kultur im Osten (wirken), als Verbreiterin deutscher Technik, Wissenschaft und Kunst, dieser trotz aller gegenteiligen Behauptungen für die ganze Welt unentbehrlichen Errungenschaften.“ Von 1922 auf 1923 erhöhte sich die Mitgliederzahl der Gesellschaft von 318 auf 434.181 Das Reich und Preußen gehörten der Gesellschaft an, ohne dass sie im Mitgliederverzeichnis auftauchten.182 Die Gesellschaft stützte sich auf Mitgliedsbeiträge und Spenden. Die größten Summen kamen dabei von Siemens & Halske sowie der AEG, wobei die gespendeten Beträge aufgrund der Inflation dramatisch an Wert verloren.183 Die Übernahme der Semestergebühren durch die beiden Regierungen eröffnete der Gesellschaft Freiräume für die Förderung der Hochschule auf anderem Weg. So gewährte man Zuschüsse für wissenschaftliche Arbeiten und finanzierte Studentenwohnungen sowie den Bau eines deutschen Studentenheims. In dem Studentenheim sah das Auswärtige Amt ein „wesentliches Mittel zur Wahrung des deutschen Charakters“ der Hochschule.184 Die Hochschule selbst verhielt sich, als würde sie noch zu den preußischen Technischen Hochschulen gehören. Sie setzte einen nicht unerheblichen Teil der von Aumund initiierten Reformen um.185 Sie trat 1920 dem Verband der deutschen Hochschulen bei.186 Die Hochschule nahm an den jährlich stattfindenden Rektorenkonferenzen teil ebenso wie die Stadt Danzig an den unregelmäßigen Konferenzen der deutschen Regierungen zum Hochschulwesen. 1925 bot sich die Freie Stadt Danzig sogar als Konferenzort an, was nur an Terminproblemen scheiterte.187 Die Danziger Technische Hochschule wusste den Beitrag Aumunds zu ihrem Weiterbestehen zu würdigen. Nach seinem offiziellen Ausscheiden 1922 verlieh sie ihm auf Antrag der Abteilung für Maschinenwesen und Elektrotechnik die Würde 178 StA Danzig 10/988/0/11, Protokoll Hauptversammlung v. 1.7.1927. 179 BArch R 8043/113, Bl. 162. 180 BArch R 8043/113, Bl. 86 (hier das Zitat); StA Danzig 10/988/0/11, „Auszug aus dem Bericht … v. 24.9.1923. 181 StA Danzig 10/988/0/11, „Auszug aus dem Bericht … v. 24.9.1923. 182 Schulze, Technische Hochschule Danzig, 111. 183 BArch R 8043/113, 21.3.1923, Aktennotiz; Bl. 85 „Mitglieder …“. 184 BArch R 8043/113, 21.3.1923, Aktennotiz. 185 S. u. S. 131 u. passim sowie Aumund, Entwicklung, 1180; 20 Jahre 17 f. u. 25 f.; Predeek, Technische Hochschule Danzig, 504 ff.; Technische Hochschule Danzig/Pohlhausen, Technische Hochschule Danzig, 43. 186 20 Jahre 16; Schulze, Technische Hochschule Danzig, 111 f. u. 116. 187 BayHStA MK 39447, 12.9.1925 – Strunk an Albrecht.
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eines Dr.-Ing. E. h. „in Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen und seiner Verdienste um die Deutscherhaltung dieser Hochschule“.188 Außerdem ernannte sie ihn zum Ehrensenator.189 In späterer Zeit geriet Aumunds Wirken in Vergessenheit, und in der nationalsozialistischen Zeit wurde er bewusst totgeschwiegen.190 BERLIN: WISSENSCHAFTSMINISTERIUM UND TECHNISCHE HOCHSCHULE Von Conrad Matschoß empfohlen, arbeitete Aumund seit dem 1. Oktober 1920 im preußischen Wissenschaftsministerium in Berlin, wo er für die Technischen Hochschulen zuständig war.191 Seine Aufgabe bestand insbesondere darin, die bereits in Gang befindliche Reformdiskussion zu bündeln und in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Dabei suchte er der weit getriebenen Spezialisierung in den Technikwissenschaften entgegenzuwirken bzw. sie zu kompensieren. Sein zweites großes Anliegen bestand darin, Technik und Wirtschaft bzw. die Hochschulwissenschaft und die industrielle Praxis einander anzunähern. Die Ergebnisse der durch Aumund federführend betriebenen Reformberatungen sind differenziert zu beurteilen. Zunächst ist festzuhalten, dass die Technischen Hochschulen erst in diesem Zusammenhang die gleichen Rechte wie die Universitäten erhielten. Einige Reformen befanden sich auf einem guten Weg, andere scheiterten nicht zuletzt an der unzureichenden Finanzierung des Wissenschaftssystems. Eine Reihe eingeleiteter Reformen wurden später – besonders durch die Nationalsozialisten – wieder zurückgenommen. Die Verzögerungen und Rückschläge bei den Reformen veranlassten Aumund, seit Mitte der 1920er Jahre wieder den Weg zurück an die Hochschule zu suchen. Zwischen Oktober 1925 und Ende 1926 bekleidete er parallel sein Amt im Wissenschaftsministerium sowie eine Professur an der Technischen Hochschule Berlin; danach konzentrierte er sich auf die Hochschultätigkeit. Ganz wurde er die Hochschulpolitik allerdings nicht los. Nachdem sich kein geeigneter Nachfolger finden ließ, entschied sich Wissenschaftsminister Becker für ein Beratungsgremium, den 1927 eingerichteten und bis 1930 zum Ende von Beckers Zeit als Minister arbeitenden „Beirat für technisches Hochschulwesen“. Zu den ersten Mitgliedern gehörte Heinrich Aumund. Im Beirat engagierte Aumund sich besonders für die Einrichtung einer technischen Fakultät an der Universität Münster, die sich aber in der einsetzenden Weltwirtschaftskrise nicht realisieren ließ. 188 20 Jahre 32; Deutscher Bau-Markt 52 (1953), 513 (hier das Zitat); eine etwas abweichende Formulierung in VDI-Nachrichten 12 (1958), 15). 189 Aumund/Coopmann, Aumund, 29. In den spärlichen Unterlagen der Technischen Hochschule Danzig ließ sich keine Bestätigung für diese Ehrung finden. Allerdings bezeichnete sich Aumund selbst in späterer Zeit als „Senator“ (Technische Hochschule zu Berlin, Programm 1928/29, 32). 190 S. o. Anm. 126. 191 S. hierzu das ausführliche Kapitel „Der Hochschulreformer“ (S. 112 ff.). Im Folgenden wird schwerpunktmäßig auf sein Wirken an der Technischen Hochschule Berlin eingegangen.
Berlin: Wissenschaftsministerium und Technische Hochschule
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Zwischen 1920 und 1922 gehörte Aumund noch nominell der Technischen Hochschule Danzig an, war aber für seine Tätigkeit im Wissenschaftsministerium beurlaubt. Zum 1. Oktober 1922 wechselte er an die Technische Hochschule Berlin und ließ sich wie in Danzig beurlauben.192 Hierfür war kein aufwändiges Berufungsverfahren notwendig, formal handelte es sich um eine Versetzung. Gegenüber der Hochschule trat er als Ministerialbeamter in Erscheinung. Er beteiligte sich nicht an der Lehre, stand aber in Ausnahmefällen als Prüfer für Fördertechnik zur Verfügung.193 Die nicht nur nominelle, sondern materielle Berufung Aumunds an die Technische Hochschule Berlin zum 1. Oktober 1925 besaß eine längere Vorgeschichte.194 Der vorherige Inhaber des vorgesehenen Lehrstuhls Maschinenbau für Berg- und Hüttenleute Richard Vater (1865–1919), Thermodynamiker, Maschinenbauer und Riedler-Schüler, starb im Jahr 1919. Seitdem war die an der Bergbauabteilung angesiedelte Professur vakant. Die Abteilung hätte die Professur am liebsten mit einem Vertreter aus den eigenen Reihen wiederbesetzt. Das Wissenschaftsministerium dagegen wollte sie – nicht zuletzt um Kosten zu sparen – mit der Maschinenbauabteilung verbinden. An die Spitze der 1920 eingereichten Berufungsliste setzte die Bergbauabteilung den Maschinenbauer Fritz Schmidt (1882–1948), Promovend der Berliner Universität im Fach Physik.195 Schmidt hatte eine Assistentur bei Vater bekleidet und vertrat dessen Professur bereits seit 1916; 1919 habilitierte er sich. Von den 1920 eingeholten Gutachten hielten fünf Schmidt für nicht geeignet, drei argumentierten dagegen, dass er gut in die Fußstapfen seines Lehrers Vater treten könne. Unterstützung fand Schmidt unter anderem durch den an der Technischen Hochschule Berlin lehrenden Gewerbehygieniker Benno Chajes (1880–1938)196, ein SPD-Mitglied, der Schmidt als fortschrittlich kennzeichnete. Dies genügte Wissenschaftsminister Haenisch, der ebenfalls der SPD angehörte, jedoch nicht, um Schmidt zu berufen.197 Auch in den folgenden Jahren hielt die Bergbauabteilung an Schmidt fest. Ebenso setzte sich die Fachgruppe Bergbau des Reichsverbands der Deutschen Industrie für ihn ein.198 Das Wissenschaftsministerium, in dem jetzt Aumund die Angelegenheit zu bearbeiten hatte, lehnte Schmidt jedoch weiterhin ab.199 Man zollte 192 GStA PK, I. HA, Rep. 76 I Kultusministerium, Sekt. 31, Lit. A, Nr. 25, Bl. 1606. 193 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 5, Tit. V, Nr. 1 A, Bd. 3, „Zusammensetzung der Prüfungsausschüsse für die Diplomprüfung“ sowie 16.6.1922 – Abteilung an Wissenschaftsministerium. 194 Vgl. Kändler, Anpassung, 134 f. 195 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 26.11.1923 – Aktennotiz; 1.12.1923 – Aktennotiz; vgl. zu Schmidt auch UA TUB, 109–2, 349. 196 Vgl. zu Chajes: Sauerteig, Krankheit, 304; Weder, Sozialhygiene. 197 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 15.2.1924 – Wissenschaftsminister an TH Berlin, Randnotiz. 198 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 18.3. u.12.5.1925 – Hold an Kruess u. passim. 199 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, Februar 1925 – Aktenvermerk.
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zwar seinen Leistungen in der Lehre Anerkennung, er besitze „aber keine Befähigung zu wissenschaftlich produktiver Arbeit“. Die 1925 bei mehreren Maschinenbauern eingeholten Gutachten gelangten zu keiner günstigeren Einschätzung als die von 1920.200 Ein Gutachter hielt Schmidt „mehr für einen technischen Feuilletonisten als einen Hochschullehrer“. Abgesehen von der wissenschaftlichen Qualifikation Schmidts beruhten die Differenzen zwischen dem Ministerium und den bergbaulichen Interessen auf unterschiedlichen Anforderungsprofilen. Das Ministerium wünschte sich einen wissenschaftlich profilierten Maschinenbauer, der Bergbau einen ihm nahestehenden Ingenieur, der zudem über maschinentechnische Kenntnisse verfügte. Die Suche nach Alternativen verlief erfolglos. Ein Kandidat sagte ab.201 Der Hochschule fiel nichts anderes ein, als auf einer Einerliste einen eigenen Assistenten zu präsentieren.202 Weitere Kandidaten brachten die Gutachter in Vorschlag.203 In dieser verfahrenen Situation kam der Name Aumund ins Spiel. Es ist nicht klar, ob Heinrich Aumund seine eigene Berufung auf die Stelle aktiv betrieb. Im Ministerium dürfte sein Wunsch, wieder eine Tätigkeit an der Hochschule aufzunehmen, bekannt gewesen sein. Später bekundete Aumund, die Professur sei ihm aus der Hochschule angetragen worden und dass dies mit beträchtlichen Spannungen verbunden gewesen sei.204 „Der Kreis, der an der früheren Zeit festhalten wollte, warf mir vor, mit den Sozialdemokraten oder anderen Linksparteien zusammengearbeitet zu haben und die schon aufkommenden Nationalsozialisten, versuchten mit anderen Vorwürfen zu kommen.“ Es sei dahingestellt, ob Aumund hier nicht seine Erinnerung täuschte und er spätere Geschehnisse zurückprojizierte. Jedenfalls scheute das Wissenschaftsministerium keine Anstrengung, um Aumund dem Finanzminister und der Bergbauabteilung, die inzwischen Teil einer neuen Fakultät für Stoffwirtschaft geworden war, schmackhaft zu machen. Sie schlug eine Teilung der Professur vor, ein für Aumund bestimmtes Ordinariat „Maschinenlehre mit besonderer Berücksichtigung der Bergwerksmaschinen“205 und ein für Schmidt bestimmtes, von der Fakultät gefordertes Extraordinariat „Einführung in das Maschinenwesen für Berg- und Hüttenleute“.206 Den Finanzminister, der sich zunächst ablehnend verhielt, gewann
200 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 2.4.1925 – Kruess an Hold u. passim; 9.3.1925 – Aktenvermerk (hier das Zitat). 201 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 16. 112.1923 – Süchting an Aumund u. passim. 202 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 5.6.1924 – TH Berlin an Wissenschaftsminister; 12.12. 1024 –Wissenschaftsminister an TH Berlin. 203 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 20.8.1924 – Aktenvermerk. 204 Aumund, Lebenserinnerungen, 53. 205 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 10.7.1925 – Fakultät an Wissenschaftsminister. 206 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 24.6.1925 – Fakultät an Wissenschaftsminister.
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man für den Personalvorschlag mit dem Argument, dass Aumund schon preußischer Beamter sei und keine zusätzlichen Kosten verursache.207 Die gefundene Lösung wurde im November 1925 fixiert.208 Aumund fungierte rückwirkend ab 1. Oktober 1925209 als Ordentlicher Professor in der Fakultät für Stoffwirtschaft, Schmidt als fest angestellter Extraordinarius. Im Laufe des Jahres 1926 reduzierte Aumund seine Tätigkeit im Ministerium sukzessive. Aumund und Schmidt lehrten sowohl in der Fakultät für Stoffwirtschaft als auch in der für Maschinenwirtschaft. Trotz der vorangegangenen Querelen scheinen sich Beide gut verstanden zu haben. Sie teilten sich die Lehre und die Leitung des Maschinenlaboratoriums für den Bergbau. 1928 wurde Schmidts Stelle in ein Ordinariat umgewandelt.210 Ähnlich wie im Kaiserreich bekleidete Berlin unter den deutschen Technischen Hochschulen auch noch in der Weimarer Republik eine herausgehobene Stellung.211 Der Berliner Etat war etwa doppelt so hoch wie der anderer Hochschulen, was sich natürlich in der Zahl der Professoren niederschlug. Eine Berufung nach Berlin bedeutete eine besondere Auszeichnung. Im Vergleich zu anderen Hochschulen ergingen mehr Rufe an Ordinarien, weniger Rufe an Extraordinarien und Privatdozenten. Aumund konnte sich also durchaus am Ziel seiner akademischen Wünsche sehen. Wie in Danzig scheint er sich schnell an der Hochschule etabliert zu haben. 1928 bis 1930 gehörte er dem Akademischen Senat an, die letzten beiden Jahre als Dekan der Fakultät für Stoffwirtschaft.212 1930 gelang es ihm, ein Fördertechnisches Institut einzurichten, in dem er jetzt erstmals in seiner akademischen Laufbahn systematische Forschung und Entwicklung betreiben konnte.213 Zwischen 1930 und 1933 leitete er das Studentenwerk der Hochschule.214 NATIONALSOZIALISMUS: DISTANZ UND DISKRIMINIERUNG Aumund dürfte sich – trotz seines kurzen Ausflugs in das Danziger Parlament – als unpolitischen Fachmann verstanden haben, zumindest als parteipolitisch nicht gebunden. Für die 1933 an die Macht gelangten Nationalsozialisten genügte es dagegen, dass er unter einem sozialdemokratischen und unter liberalen Ministern ge207 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 31.7.1925 – Wissenschafts- an Finanzminister; 12.10.1925 – Wissenschafts- an Finanzminister. 208 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 26.11.1925 – Vereinbarung; 17.12.1925. 209 In der Literatur werden ganz unterschiedliche Daten in dieser komplizierten Sache angegeben. 210 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 5, Tit. III, Nr. 7 A, Bd. I, Bl. 214. 211 S. hierzu Schröder, Lehrkörperstruktur, 112; Kändler, Anpassung, 209 f. u. 263 ff.; Haka, Soziale Netzwerke, 330 f. 212 Technische Hochschule zu Berlin, Programm 1928/29, 18; Programm 1929/30, 21; Programm 1929/30, 38; Die Technische Hochschule 8 (1929), 111. 213 Ausführlich u. S. 109–11. 214 Dies wird im folgenden Kapitel abgehandelt (S. 45 ff.), weil es Aufschlüsse über seine Stellung zum Nationalsozialismus erlaubt.
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dient hatte. Den von Aumund mit verantworteten Hochschulreformen unter Carl Heinrich Becker attestierten die Nationalsozialisten „marxistischen Geist“.215 Dabei bezogen sie sich unter anderem darauf, dass der Statusunterschied zwischen Ordinarien und Nicht-Ordinarien reduziert und tendenziell die Überführung der Extraordinariate in Ordinariate angestrebt wurde. Dies lief dem von den Nationalsozialisten propagierten Führerprinzip entgegen. Tatsächlich bauten sie im Gegensatz zu Weimar das Extraordinariat wieder aus.216 Aumund war jedenfalls in der Ingenieurwelt und an den Technischen Hochschulen die Gallionsfigur für die von den Nationalsozialisten bekämpften Weimarer Hochschulreformen. Dazu kam, dass er Elemente der Ingenieurausbildung in den Vereinigten Staaten als vorbildlich bezeichnet hatte217 und in der Frage der Überfüllung der Hochschulen eine dezidiert andere Meinung vertrat als die Nationalsozialisten.218 Die Einschätzung Aumunds durch die Nationalsozialisten kommt am besten zum Ausdruck im Zusammenhang mit seinem Engagement beim Deutschen Museum. Das 1903 gegründete „Deutsche Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik“ sollte die Leistungen der Naturwissenschaften und Technik sowie ihrer Träger in der Öffentlichkeit herausstellen. Aumund wurde bereits kurz nach dessen Gründung Mitglied des Museums.219 1912 wurde er auf Lebenszeit in den Ausschuss des Museums berufen.220 Der Ausschuss, dem zeitweise mehrere hundert Persönlichkeiten angehörten, diente dem Gründer Oskar v. Miller (1855– 1934) dazu, dem Museum eine breite gesellschaftliche Unterstützung zu verschaffen. In besonderen Fällen konnten die Mitglieder als Ansprechpartner dienen, für die konkrete Museumsarbeit besaß das Gremium keine große Bedeutung. Nach der „Machtergreifung“ hielten sich die nationalsozialistischen Eingriffe in das Museum in Grenzen.221 Man schätzte seine politische Bedeutung nicht sehr hoch ein. Die durch das Museum vermittelten Wissenschafts- und Technikbilder ließen sich zudem gut in die nationalsozialistische Ideologie integrieren. Und schließlich berief das Museum mit dem Verleger Hugo Bruckmann (1863–1941) einen Vertrauten Hitlers in den Vorstand, der das Münchener Haus nach außen abzuschirmen versprach. Auf eigenen Wunsch rückte allerdings Fritz Todt (1891–1942) 1937 zusätzlich in den Vorstand ein. Todt, ein hoch qualifizierter Straßenbauer und fanatischer Nationalsozialist, gehörte der Führungsspitze des „Dritten Reiches“ als einziger Ingenieur an.222 In einem Schreiben an seine Vorstandskollegen monierte Todt im März 1938 die Zusammensetzung des Ausschusses.223 Darunter befänden sich „ganz un215 216 217 218 219 220 221 222
Spenkuch, Politik, 251. Vgl. Nagel, Hitlers Bildungsreformer, 276. S. u. S. 155 f. S. u. S. 47. 17.12.2015 – Mail des Deutschen Museums (Dr. Matthias Röschner) an Matthias Wilden. Aumund/Coopmann, Aumund, 42 f. Vgl. Vaupel/Wolff, Das Deutsche Museum, und besonders König, Distanz, 191. Der Architekt Albert Speer war zwar Diplom-Ingenieur, verstand sich aber mehr als Baukünstler denn als Bautechniker. 223 DM, Archiv, VA 4405; vgl. Seidler, Fritz Todt, 64; König, Distanz, 188 f.; Uekötter, Expansionsgelüste, 220–25.
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glaubliche Adressen“. Unter anderem nannte er Aumund, „im Ausland als Gegner des heutigen Staates bestens bekannt“. Er verlangte die Entfernung der von ihm Genannten und ihre Ersetzung durch der nationalsozialistischen Bewegung nahestehende Persönlichkeiten. Als Ergebnis wurden zwölf Mitglieder, darunter auch Aumund, im Vorstand, Vorstandsrat bzw. Ausschuss des Museums gestrichen. Aumund selbst wahrte gegenüber dem Nationalsozialismus eine kritisch-distanzierte, aber auch pragmatische Haltung. Am besten lässt sich dies an seinem Engagement beim Studentenwerk der Technischen Hochschule Berlin zwischen 1930 und 1933 zeigen. In der Zeit der Weimarer Republik war die soziale Lage der deutschen Studenten denkbar schlecht. Nach dem Krieg wurden deshalb in Deutschland, aber auch an den einzelnen Hochschulorten und Hochschulen soziale Einrichtungen ins Leben gerufen, die Minderbemittelten ein Studium ermöglichen sollten.224 Ein solches als Verein organisiertes Studentenwerk, das sich seit 1928 „Studentenhaus“ nannte, entstand auch an der Technischen Hochschule Berlin.225 Die Namensänderung zeigte an, dass man für die Studenten ein Wohnheim schaffen wollte. Die Satzung des Vereins schloss bei der Gewährung sozialer Leistungen ausdrücklich alle „politischen, konfessionellen und weltanschaulichen Gesichtspunkte“ aus.226 Der Vorstand war erweiterbar, bestand aber in der Regel aus sechs Personen: zwei vom Senat der Hochschule ernannten Dozenten sowie je zwei von den Mitgliedern gewählten Studenten und Nichtstudenten. Auf den Mitgliederversammlungen stimmten die Studenten und Nichtstudenten getrennt ab; Beschlüsse erforderten eine Mehrheit in beiden Gruppen. Das Studentenhaus finanzierte sich durch Beiträge der Mitglieder, durch Spenden und öffentliche Mittel. Bis zu seinem Tod im Februar 1930 leitete der Chemiker Robert Pschorr (1868–1930) das Studentenhaus als Vorsitzender,227 danach rückte Aumund an seine Stelle.228 Er lud sich damit eine arbeitsintensive Tätigkeit auf. In der Amtszeit Aumunds fanden jährlich zwischen sieben und zwölf Vorstandssitzungen statt.229 Die Aktivitäten des Vereins betrafen alle sozialen Belange der Studenten: Speisung, Gewährung von Vergünstigungen, Unterhaltung eines Lesesaals, Wohnungsvermittlung, Krankenkasse usw. Aufgrund der Wirtschaftskrise reduzierte sich die Zahl der fest angestellten Mitarbeiter zwischen 1930 und 1933 von 110 auf 69; dazu kamen zahlreiche ehrenamtliche Helfer.230 Ergänzt wurden die sozialen Aktivitäten des Studentenhauses durch die in der Zeit des Ersten Weltkriegs gegründete „Frau-
224 Vgl. Boelitz, Aufbau, 155 f. 225 Aumund, 10 Jahre; 5 Jahre Studentenhaus; vgl. die allerdings sehr ungenaue Darstellung von Gizewski, Geschichte. 226 Nach der Satzung von 1929 (5 Jahre Studentenhaus 57–60). 227 Die Technische Hochschule 8 (1929), 273–75. 228 Vgl. Aumund, Lebenserinnerungen, 55. 229 Geschäftsbericht des Vereins Studentenhaus Charlottenburg E. V. 6 (1929/30), 5; 7 (1930/31), 5; 8 (1931/32), 6; 9 (1932/33), 7; 230 Geschäftsbericht des Vereins Studentenhaus Charlottenburg E. V. 6 (1929–1930), 6; 7 (1930/31), 5; 8 (1931/32), 6; 10 (1933/34), 7.
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enfürsorge“, ein Zusammenschluss der Ehefrauen von Professoren.231 Diese beschafften notleidenden Studenten Kleidung und zusätzliche Lebensmittel und waren sich auch nicht zu schade, zerschlissene Kleidung auszubessern. Aumund bemühte sich sehr, die Studenten in die Arbeiten des Studentenhauses einzubinden. Zu den Vorstandssitzungen zog er Vertreter der großen studentischen Gruppen hinzu. 1930 wurde ein zwölfköpfiger studentischer Beirat geschaffen:232 „Aufgabe dieses Beirats ist die Unterstützung des Vorstandes in der Führung der Vereinsgeschäfte. Insbesondere soll er Wünsche und Anregungen der Studentenschaft dem Vorstand übermitteln und dem Vorstand helfend und beratend in Fragen zur Seite stehen, deren Erörterung sich vor dem großen Kreis der Mitgliederversammlung als untunlich erweist.“ Die deutsche Studentenschaft war in der Zwischenkriegszeit hoch politisiert. Preußen führte im September 1920 eine verfasste Studentenschaft mit Zwangsmitgliedschaft und Beitragshoheit ein.233 In der Folgezeit ergaben sich Konflikte, weil rechtsradikale Studenten jüdische Mitglieder ausschließen wollten. Sie forderten, die Abstammung zum Kriterium der Mitgliedschaft zu machen, während Becker und das Wissenschaftsministerium auf der Staatsangehörigkeit beharrten. Aufgrund der politischen Auseinandersetzungen verloren die Studentenschaften ihren öffentlich-rechtlichen Status, bestanden aber als studentische Vereine weiter. Im April 1933 führten die Nationalsozialisten wieder eine verfasste Studentenschaft ein, die sich aber von vornherein auf „Studenten deutscher Abstammung und Muttersprache“ beschränkte. Die 1926 erfolgte Gründung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDSB) und seine Erfolge bei den Studentenschaftswahlen spitzten die politischen Konflikte zu. Die Technische Hochschule Berlin bildete eine der Hochburgen des NSDSB; 1930/31 errang er bei den Studentenschaftswahlen erstmals die absolute Mehrheit.234 Aumund hatte es im Verein Studentenhaus und in dessen Gremien also in erster Linie mit nationalsozialistischen Studentenvertretern zu tun.235 Im Rückblick notierte er, dass er gut mit ihnen ausgekommen sei, „obgleich sie wussten, dass ich nicht so eingestellt sei. Die Arbeit führte aber doch zu einem guten Verständnis, wie es wohl überall im Leben der Fall ist, wenn die Menschen sich in der Arbeit gegenübertreten und sie keine Rücksicht auf den Beifall der Masse zu nehmen brauchen.“ So ganz harmonisch scheint es im Verein Studentenhaus jedoch nicht zugegangen zu sein, denn Aumund sah sich genötigt, in einer zu Weihnachten 1932 gehaltenen Festrede zum zehnjährigen Jubiläum „eine friedliche Zusammenarbeit … unabhängig von allen sonstigen Verschiedenheiten in den Anschauungen“ anzumahnen.236 231 Duden/Ebert, Anfänge, 409 f.; Geschäftsbericht des Vereins Studentenhaus Charlottenburg E. V. 8 (1931/32), 17; 9 (1932/33), 22 f.; 10 (1933/34), 16. 232 Geschäftsbericht des Vereins Studentenhaus Charlottenburg E. V. 7 (1930/31), 5. 233 Düwell, Staat, 53 f.; Universität Hannover 486; Müller, Weltpolitische Bildung, 315 ff.; Gizewski, Geschichte, 132 f.; Nagel, Hitlers Bildungsreformer, 33. 234 Baganz, Diskriminierung, 29. 235 Aumund, Lebenserinnerungen, 55. 236 Aumund, 10 Jahre, 110.
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Die Festrede ist auch deswegen bemerkenswert, weil Aumund darin der Auffassung der Nationalsozialisten widersprach, die Hochschulen seien überfüllt und müssten ihre Studentenzahlen reduzieren.237 Bereits vorher hatte sich das Studentenhaus gegen Vorwürfe gewehrt, „daß wir durch unsere Einrichtungen den Zustrom zur Hochschule fördern“.238 Der Verein erwartete ohnehin einen starken Rückgang der Zahl der Studienanfänger,239 was sich in der Folge bewahrheitete.240 In seiner Rede sprach sich Aumund gegen Zwangsmaßnahmen aus und brach stattdessen eine Lanze für den freien Wettbewerb. Die Rede wurde im Februar 1933 publiziert, d. h. nach der „Machtergreifung“, in der vom Verein Studentenhaus herausgegebenen Zeitschrift „Die Technische Hochschule“, was unter den Nationalsozialisten wohl kaum Begeisterung hervorgerufen haben dürfte. Bereits im April 1933 schuf das Regime Klarheit mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“, das unter anderem Zulassungszahlen für überfüllte Fachrichtungen vorsah.241 Die in Bezug auf das Ingenieurstudium verhängten Restriktionen führten in der Zeit danach allerdings zu einem empfindlichen Ingenieurmangel. Innerhalb der ersten Monate des Jahres 1933 gestalteten die Nationalsozialisten die Arbeit des Studentenhauses in ihrem Sinne um. Die Studentenschaft übernahm die Schriftleitung der Zeitschrift „Die Technische Hochschule“.242 Der Wissenschaftsminister ordnete an, dass nationalsozialistische Studenten bei der Vergabe von Begünstigungen zu bevorzugen seien;243 jüdische und marxistische Studenten waren von allen sozialen Leistungen grundsätzlich ausgeschlossen. Eine neue im Juli 1933 verabschiedete Satzung fixierte den politischen Umschwung.244 Der Verein wurde nach dem Führerprinzip organisiert. Die Förderung sollte jetzt unter anderem „nach Auslesegesichtspunkten der nationalen Zuverlässigkeit …“ erfolgen. All dies erfolgte unter der nominellen Verantwortung Aumunds, der erst im August 1933 vom Amt des Vorsitzenden zurücktrat. Die nationalsozialistische Umgestaltung des Studentenwerks dürfte ihm schwerlich gepasst haben. Der Anlass für seinen Rücktritt bildete aber erst das Verhalten der nationalsozialistischen Studenten beim Bau des seit langer Zeit geplanten Studentenhauses. Entsprechende Pläne gingen bis mindestens in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück.245 Ein ernsthafter Anlauf wurde um 1930 unternommen. Ende der 1920er Jahre kam es zu einem Wettbewerb, an dem sich bekannte Architekten wie Hans Poelzig (1869–1936) und 237 238 239 240 241 242 243 244 245
Aumund, 10 Jahre, 111 f. Geschäftsbericht des Vereins Studentenhaus Charlottenburg E. V. 8 (1931/32), 15. Geschäftsbericht des Vereins Studentenhaus Charlottenburg E. V. 9 (1932/33), 6. Gizewski, Geschichte, 134. Vgl. Gizewski, Geschichte, 133; Baganz, Diskriminierung, 23 u. 161 ff.; Heinzel, Staatliche Reformversuche, 350 ff. Die Technische Hochschule 12 (1933), 1. UA TUB, 101, H 103, Bl. 66; Die Technische Hochschule 12 (1933), 5 f.; vgl. Baganz, Diskriminierung, 148 u. 159. Geschäftsbericht des Vereins Studentenhaus Charlottenburg E. V. 10 (1933/34), 11 u. 24–28 (das Zitat 24). BArch R 4901/2263; vgl. Engstfeld, Lehre, 230; Brachmann/Suckale, Die Technische Universität Berlin, 101 ff.
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Heinrich Tessenow (1876–1950) beteiligten. Die Finanzierung wollte der Verein mit Eigenmitteln sowie zusätzlichen Spenden stemmen, erwartete aber auch staatliche Zuschüsse. Der preußische Finanzminister verhielt sich allerdings sehr zurückhaltend gegenüber den vorgetragenen Wünschen. Auch die von Aumund 1931 vorgeschlagene kostengünstige Renovierung eines zur Verfügung stehenden Hauses lehnte er ab.246 Im Februar 1933 unterbreitete Aumund einen neuen Vorschlag, dessen Charme darin bestand, dass er ohne staatliche Mittel auskam.247 Er spekulierte auf einen Bauplatz, der für den Neubau einer Hochschulbibliothek reserviert war. Aumund schlug vor, auf ihm das Studentenhaus zu errichten. Sollte die Bibliothek tatsächlich später in Angriff genommen werden, könne man das Gebäude umwidmen. Durch Verweis auf die mit dem Bau verbundene Arbeitsbeschaffung suchte er den beteiligte Regierungsstellen das Vorhaben schmackhaft zu machen. Der Wissenschafts- und der Finanzminister ließen sich überzeugen und stellten den Bauplatz zur Verfügung.248 Das von ihm konzipierte Raumprogramm sprach Aumund mit den Studentenvertretern ab; auch der „Führer“ der „Großdeutschen Studentenschaft der Technischen Hochschule zu Berlin“, Wilhelm Höffken,249 sicherte seine Unterstützung zu.250 Die verabschiedeten Pläne enthielten keine Wohnungen mehr, sondern konzentrierten sich auf studentische Gemeinschaftseinrichtungen.251 Sie umfassten unter anderem eine Mensa, eine Sporthalle, eine Bücherei mit Lesesaal, Räume für die studentischen Ämter sowie Läden. In der Folge kam es zu Differenzen zwischen Aumund und dem für die Ausarbeitung vorgesehenen Architekten, dem Professor an der Technischen Hochschule Emil Rüster (1883–1949).252 Aumund wies zwar darauf hin, dass der Führer der Studentenschaft seine Planungen als „einfach ideal“ bezeichnet hatte,253 zeigte sich aber hinsichtlich der räumlichen Anordnung und der Ausgestaltung kompromissbereit. Allerdings verlangte er, dass Rüster im vorgesehenen Kostenrahmen von 450.000 Mark blieb, was dieser als unmöglich ablehnte.254 Als eine Einigung nicht zu erzielen war, übernahm Rüsters Architekturkollege Erich Blunck (1872–1950) die Aufgabe.255 Als die Vorbereitungen für den Bau bereits weit gediehen waren, zog der „Führer“ der Berliner Studentenschaft seine Zustimmung zurück.256 Er hatte mit Kom246 BArch R 4901/2263, 22.9.1931 – Aktenvermerk. 247 BArch R 4901/2263, 4. u. 14.2.1933 – Aumund an Wissenschaftsminister. 248 BArch R 4901/2263, 5.5.1933 – Finanz- an Wissenschaftsminister; Geschäftsbericht des Vereins Studentenhaus Charlottenburg E. V. 9 (1932/33), 7. 249 Vgl. zu Höffken: Baganz, Diskriminierung, 34 f. 250 BArch R 4901/2263, 11.4.1933 – Stellungnahme. 251 BArch R 4901/2263, 15.3.1933 – Raumprogramm; 16.6.1933 – Aumund an Wissenschaftsminister. 252 BArch R 4901/2263, 12.6.1933 – Rüster an Wissenschaftsminister sowie Anlagen; 25.6.1933 – Erich Blunck an Rüster. 253 BArch R 4901/2263, 31.5.1933 – Aumund an Rüster. 254 BArch R 4901/2263, 3.6.1933 – Rüster an Aumund; 7.6.1933 – Aumund an Rüster. 255 Vgl. zu Blunck: Krahe, Hundert Jahre, 192 f. 256 BArch R 4901/2263, 21.8.1933 – Aumund an Wissenschaftsminister u. Bericht.
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militonen einen Studententag in Aachen besucht, auf dem die Zusammenfassung der Studienanfänger bis zum dritten Semestern in „Kameradschaftshäusern“ propagiert wurde – mit dem Ziel, diese politisch zu indoktrinieren.257 Hierfür – so die Studentenschaft – benötige man ein wesentlich größeres Grundstück. Insbesondere die dezentrale Speisung in den Kameradschaftshäusern hielt Aumund unter Kostengesichtspunkten für nicht realisierbar. Er zog die Konsequenzen und trat am 21. August 1933 von seinem Amt als Vorsitzender des Bauausschusses zurück.258 Der Rücktritt bezog sich explizit zwar nur auf den Bauausschuss, zog aber sein Ausscheiden als Vorsitzender nach sich. Der Verein Studentenhaus gab Aumunds Niederlegung des Vorsitzes kommentarlos bekannt.259 Aumunds Nachfolger wurde der renommierte Professor für Heizung und Lüftung Heinrich Gröber (1880–1949), der sich bereits vorher im Fürsorgereferat des Senats für die Studenten engagiert hatte.260 Es ist nicht eindeutig zu klären, was letztlich dazu führte, dass sich Aumund 1933 aus der Sozialarbeit für die Studenten zurückzog. Er dürfte empört und frustriert gewesen sein, dass die Berliner nationalsozialistische Studentenschaft aus vordergründigen politischen Überlegungen heraus den lange geplanten Bau des Studentenhauses gefährdete, an dem er mehrere Jahre gearbeitet hatte. Jedenfalls war er nicht gewillt, hierfür die Verantwortung zu tragen. Es ist aber auch möglich, dass er das Studentenhaus benutzte, um sich von der in Gang befindlichen nationalsozialistischen Umorientierung der Hochschule und des Studentenwerks abzusetzen. Nach dem Amtsverzicht Aumunds zog der Verein Studentenhaus die ausgearbeiteten Pläne zurück.261 1934 wurde dann das Vorhaben an der von Aumund vorgesehenen Stelle wieder aufgenommen, nachdem die von den Studentenvertretern betriebene Suche nach einem größeren Grundstück ergebnislos verlaufen war.262 Die neuen Planungen fügten den studentischen Gemeinschaftseinrichtungen ein Wohnheim hinzu, was mit beträchtlichen Kostensteigerungen verbunden war. Als neuer Architekt fungierte ein eher unbekannter Regierungs- und Baurat Hubert Lütcke.263 Im Wintersemester 1936/37 konnte das Haus eingeweiht werden. Die Verdienste Aumunds um den Bau wurden totgeschwiegen.264 Das Haus existiert auch heute noch als studentisches Wohnheim und trägt am Eingang Hardenbergstraße die Schrift „Studentenhaus“. Die von der nationalsozialistischen Studentenschaft in Deutschland angestrebte Konzentration der ersten Semester in „Kameradschaftshäusern“ wurde auch nicht ansatzweise erreicht.265 Abgesehen von den materiellen Schwierigkeiten, geriet das 257 258 259 260 261 262 263 264
Vgl. Grüttner, Studenten, 260 ff. u. passim. BArch R 4901/2263, 21.8.1933 – Aumund an Wissenschaftsminister u. Bericht. Geschäftsbericht des Vereins Studentenhaus Charlottenburg E. V. 10 (1933/34), 7. UA TUB, 101, H 103, Bl. 14 ff.; vgl. zu Gröber: Rheinländer, Hermann-Rietschel-Institut, 96 f. BArch R 4901/2263, September 1933 – Wissenschaftsminister an Finanzminister. BArch R 4901/2263, 15.6.1934 – Studentenschaft an Wissenschaftsminister u. passim. Brachmann/Suckale, Die Technische Universität Berlin, 103. Unser Studentenhaus. Mangels Wissens um die Umstände wurde dies durch die Technische Universität Berlin bis zur Gegenwart nicht korrigiert. 265 Vgl. Grüttner, Studenten, 260 ff. u. passim.
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Konzept bald auch ideologisch in die Kritik. Als sich auch Hitler dagegen aussprach, war es so gut wie tot. Die Gleichschaltung der Studentenwerke war nur ein Aspekt der seit 1933 ergriffenen Maßnahmen, mit denen die Hochschulen auf die nationalsozialistische Ideologie verpflichtet wurden. Dazu kam eine Zentralisierung der Hochschulpolitik, die Einführung des „Führerprinzips“ und die Entfernung der jüdischen und politisch missliebigen Hochschulangehörigen. Am 1. Mai 1935 wurde ein Reichswissenschaftsministeriums unter Bernhard Rust (1883–1945) eingerichtet, welches die Kompetenzen der Kultus- und Wissenschaftsministerien der Länder an sich zog.266 Die einzelnen Hochschulen erhielten als „Führer“ nationalsozialistische oder dem Nationalsozialismus nahe stehende Rektoren. An der Technischen Hochschule Berlin war dies seit 1934 Achim v. Arnim (1881–1940), seit 1932 NSDAP-Mitglied und SA-Führer und seit 1933 Professor für Wehrverfassung.267 Bereits kurz nach der „Machtergreifung“ begannen die nationalsozialistischen Studenten Lehrveranstaltungen jüdischer Dozenten zu boykottieren. Die damit begonnene Ausgrenzung erhielt am 7. April 1933 eine formaljuristische Basis durch das „Gesetz zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums“.268 Es diente dazu, jüdische und politisch missliebige Hochschullehrer im Zeitraum bis 1935 zu entlassen. Die Anträge hierfür kamen in der Regel aus der Hochschule selbst. Die letzten jüdischen Studenten wurden 1938 der Hochschule verwiesen. Anfang 1935 wurde die erweiterte Möglichkeit geschaffen, Professoren in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen. Die rechtliche Grundlage bildete das „Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens“ vom 21. Januar 1935.269 Bei dem Gesetz handelte es sich in erster Linie um eine Sparmaßnahme: „Fällt aus Anlaß des Neuaufbaus ein Lehrstuhl fort oder wird er einem anderen Fachgebiet zugeschlagen, so kann der bisherige Inhaber von seinen amtlichen Verpflichtungen entbunden werden.“ Aber es diente auch dazu, ältere politisch indifferente bzw. konservative Hochschullehrer loszuwerden und durch überzeugte Nationalsozialisten zu ersetzen. An der Technischen Hochschule Berlin griff man seit Frühjahr 1935 in großem Umfang auf das Gesetz zurück.270 Heinrich Aumund gehörte zu den Betroffenen; er wurde zum 30. September 1935 entpflichtet.271 Der Antrag der Hochschule an das Ministerium formulierte zunächst ganz im Sinne des Gesetzes, man wolle den Unterricht und die Prüfungen in der Fakultät für Bergbau und Hüttenwesen wieder in einer Hand vereinigen. „Diese Maßnahme liegt in der Richtung, den Zustand der 266 267 268 269
Vgl. Nagel, Hitlers Bildungsreformer. Vgl. zu Arnim: Baganz, Diskriminierung, 17 u. 48–52. Vgl. für die Technische Hochschule Berlin: Baganz, Diskriminierung, 77 ff. Reichsgesetzblatt, Teil I, 1935, 23 f. (das folgende Zitat 24); vgl. Vezina, „Gleichschaltung“, 89 f.; bei Baganz, Diskriminierung, wird das Gesetz noch nicht einmal erwähnt. 270 GStA PK, I. HA, Rep. 90 A Staatsministerium jüngere Registratur, Nr. 1780/5143 ff. 271 GStA PK, I. HA, Rep. 90 A Staatsministerium jüngere Registratur, Nr. 1780/8436 (hier das Zitat); vgl. Die Technische Hochschule 14 (1935), 15; Ebert, Technische Hochschule Berlin, 463 u. 468; Kändler, Anpassung, 145.
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Aufspaltung und Zersplitterung im Hochschulunterricht zu beseitigen.“ Die Planstelle werde „von einem anderen Professor in durchaus genügender Weise wahrgenommen, so daß der Aumund’sche Lehrstuhl überflüssig ist.“ Danach konnten die Antragsteller es sich nicht verkneifen, die politischen Hintergründe in perfider Weise anzusprechen. Sie suggerierten, dass Aumund zwischen 1922 und 1925 sein Gehalt ohne Gegenleistung erhalten habe und verschwiegen dabei seine Tätigkeit im Wissenschaftsministerium. „Außerdem ist Aumund bereits 62 Jahre alt und gehört nicht gerade zu den erfreulichsten Erscheinungen im politischen Leben Deutschlands.“ Dieser letzte Satz ist in der Akte durchgestrichen. Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass man sich im Wissenschaftsministerium im offiziellen Rahmen des Gesetzes bewegen und jegliches Aufsehen vermeiden wollte. Jedenfalls erhielt auch Aumund bei seiner Entlassung aus dem Hochschuldienst das übliche formale Dankschreiben Hitlers.272 Allerdings dürfte es den meisten an der Hochschule klar gewesen sein, dass man Aumund auch unter politischen Gesichtspunkten loswerden wollte. Folgt man den Lebenserinnerungen Aumunds, dann sagte ihm Rektor v. Arnim ganz offen, der wahre Grund für die Entpflichtung läge darin, dass „der nationalsozialistische Teil der Hochschule auf mich nicht gut zu sprechen sei“.273 Aumunds Verdacht richtete sich auf nationalsozialistische Assistenten, die wegen ihrer unzureichenden wissenschaftlichen Qualifikation erst im Zusammenhang mit der „Machtergreifung“ eine Professur erhielten. Einige machten für ihre Nichtberücksichtigung Aumund verantwortlich. Namentlich nannte Aumund dabei den seit 1934 als Prorektor amtierenden und 1938 v. Arnim im Amt des Rektors nachfolgenden Ernst Storm (1894–1980).274 Storm arbeitete längere Zeit am Bergwirtschaftlichen Seminar der Technischen Hochschule als Assistent. 1930 habilitierte er sich und erhielt eine Privatdozentur für Kohlewirtschaft. Seine Dissertation beschäftigte sich mit dem Reichskohlenkommissar, bei dem Aumund im Ersten Weltkrieg ein kurzes Gastspiel gegeben hatte.275 Es ist denkbar, dass es in diesem Zusammenhang zu fachlichen Differenzen zwischen beiden gekommen ist. 1932 trat Storm der NSDAP und der SA bei. Nach der „Machtergreifung“ zahlte sich dies unmittelbar aus; zum 1. April 1933 wurde er Ordentlicher Professor für Berg- und Volkswirtschaftslehre an der Fakultät für Stoffwirtschaft. Als Stellvertreter des Rektors wirkte er 1935 an der Auswahl und Beurteilung der zu emeritierenden Professoren mit. Im Rückblick wies Aumund – nicht ohne Schadenfreude – darauf hin, dass Storm im Zweiten Weltkrieg ein Opfer der eigenen nationalsozialistischen Ideologie wurde. Wegen seiner polnischen Herkunft und jüdischen Verwandtschaft verlor er seine Ämter und wurde aus der NSADP ausgeschlossen. Die Entlassung aus dem Hochschuldienst nahm Aumund nicht sehr tragisch. Vielmehr betonte er den positiven Aspekt, dass er sich jetzt ganz seinen technischindustriellen Interessen widmen konnte. Tatsächlich intensivierte er die Arbeiten 272 273 274 275
Aumund, Lebenserinnerungen, 54; vgl. UA TUB, 109–2, 5. Aumund, Lebenserinnerungen, 54. Vgl. Baganz, Diskriminierung, 52–57 u. passim. S. o. S. 20 f.
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Lebensstationen
seines privaten Ingenieurbüros und fügte ihnen mit der Entwicklung von Förderbändern ein neues Gebiet hinzu.276 Der nationalsozialistischen Hochschulpolitik stellte er im Rückblick ein denkbar schlechtes Zeugnis aus:277 „Als die nationalsozialistische Partei die Regierungsgewalt in die Hand bekam, sollte jedenfalls alles umgeändert werden und man merkte doch an allen Ecken, dass man davon vorher sehr leichtfertig gesprochen hatte, dass man nun aber, wo gehandelt werden musste, gar nicht wusste, was anzufangen war, es sei denn, dass man offensichtlichen Unsinn ausführte, wie es tatsächlich an allen Ecken geschah.“ Zunächst wurden die Hochschulen mit Sparerlassen überzogen.278 Aber auch später erlebten die Hochschuletats nur bescheidene finanzielle Zuwächse.279 Die angestrebte Umstrukturierung der Inhalte in Richtung Autarkie und Rüstung lief wegen der knappen Mittel nur schleppend an. In erster Linie erfolgte sie durch Umwidmung von mathematisch-naturwissenschaftlichen Professuren in anwendungsorientierte, was teilweise das Studium in Mitleidenschaft zog. Der nationalsozialistischen Hochschulpolitik gelang es nicht, den eigenen Anspruch einzulösen, die Studenten- und Absolventenzahlen mit der Nachfrage des Arbeitsmarktes in Übereinstimmung zu bringen. Nach 1933 gingen die ohnehin schon gesunkenen Studentenzahlen an den Technischen Hochschulen noch einmal kräftig zurück und erreichten 1937/38 einen Tiefpunkt. Zu diesem Zeitpunkt studierten weniger als halb so viele Studenten wie im Wintersemester 1932/33.280 Seit 1936 diagnostizierten oder prognostizierten mehr und mehr Beobachter einen empfindlichen Ingenieurmangel – nicht zuletzt wegen der steigenden Nachfrage in der Rüstungswirtschaft und der Automobilindustrie. Die Hochschulpolitik reagierte auf diese Lage – mit begrenztem Erfolg –, indem sie die Eingangsvoraussetzungen reduzierte, sich bemühte, zusätzliche Aspiranten für das Ingenieurstudium zu gewinnen und die Studienzeiten verkürzte. Während des Krieges verschlechterten sich die Verhältnisse weiter – wegen der Einberufungen und der forcierten Rüstungsanstrengungen. Die Hochschulen und die technischen Mittelschulen wurden mit einer Fülle von Reformerlassen überzogen, die teilweise widersprüchlich waren und unter den Bedingungen des Krieges kaum umgesetzt werden konnten. Seit 1941 beeinträchtigten Zerstörungen durch Bombenangriffe den Lehr- und Forschungsbetrieb. Dies alles führte dazu, dass sich die Technischen Hochschulen mehr und mehr gezwungen sahen, einzelne Arbeitsbereiche zu reduzieren oder sogar einzustellen.
276 S. u. S. 87 ff. 277 Aumund, Lebenserinnerungen, 54. 278 Als Gesamtüberblick zu den Technischen Hochschulen Während des Nationalsozialismus ist immer noch grundlegend: Ludwig, Technik. 279 Vgl. Nagel, Hitlers Bildungsreformer, 97 f. 280 Ludwig, Technik, 275; vgl. für Preußen: Holtz u. a., Kultusministerium, 760.
Nachkriegszeit: Wiederaufbau der Fördererbau GmbH
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NACHKRIEGSZEIT: WIEDERAUFBAU DER FÖRDERERBAU GMBH Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war Heinrich Aumund 66 Jahre alt, zu Kriegsende 72. Während des Krieges dürfte er sich in erster Linie der Entwicklung neuartiger Förderbänder gewidmet haben.281 Als der Einmarsch der russischen Armee absehbar war, verließ Aumund zusammen mit seiner Frau, seiner Tochter und den Enkelinnen Berlin und schlug sich nach Kirchlinteln bei Bremen zu Verwandten durch.282 In Kirchlinteln war er weitgehend auf sich allein gestellt. Der Sohn Günter-Claus Aumund (1912–1984) und der Schwiegersohn Ulrich v. Kritter (1910– 1999) kehrten erst später aus dem Krieg zurück und wurden teilweise interniert bzw. inhaftiert. Günter-Claus Aumund, von der Ausbildung her Jurist, hatte sich schon als Jugendlicher seit 1930 im Nationalsozialismus engagiert.283 Der Schwiegersohn Ulrich v. Kritter wurde 1948 von der britischen Militärregierung in Gewahrsam genommen – wegen des Verdachts, in Frankreich Kriegsverbrechen begangen zu haben.284 Dies ließ sich jedoch nicht bestätigen. Im Gegenteil, bei den Befragungen attestierten die Zeugen v. Kritter vorbildliches Verhalten. In Kirchlinteln startete Heinrich Aumund eine Reihe von Initiativen, um seine Familie zu versorgen. Zusammen mit Ulrich v. Kritter, der im Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) aktiv gewesen war, gab er 1946 ein deutsch-englisches Wörterbuch für Kraftfahrer heraus.285 Die Beiden mögen sich ausgerechnet haben, dass ein solches Werk in der britischen und amerikanischen Besatzungszone eine Nachfrage finden würde. Als (vorzeitig) entpflichteter Professor stand Aumund ein Ruhegehalt zu, welches im Nationalsozialismus – ungeachtet seiner Gegnerschaft zum Regime – anstandslos bis Kriegsende bezahlt wurde.286 Nach dem Krieg erinnerte er die sich jetzt Technische Universität Berlin nennende Hochschule an diese Verpflichtung, wurde aber mehrere Jahre vertröstet und scheint schließlich, als sich seine wirtschaftliche Situation verbessert hatte, nicht mehr nachgehakt zu haben. In diesem Zusammenhang stellte er auch die Möglichkeit in den Raum, seine Hochschullehre in Berlin wieder aufzunehmen, stieß damit aber auf keine positive Resonanz. Immerhin ernannte ihn die Universität am 20. Juli 1951 auf Vorschlag der Fakultät Bergbau und Hüttenwesen „in Anerkennung seiner Verdienste um die ehemalige
281 S. u. S. 88 f. 282 Aumund, Lebenserinnerungen, 58 ff.; 18.7.2016 – Astrid Debold-Kritter an Franz-Walter Aumund. 283 Vgl. zu Günter-Claus Aumund: BArch R 3001/50532 (Personalakte Reichsjustizministerium); BArch R 9361/I/66 (Parteistatistische Erhebung 1939); BArch R 9361/III/514964, Bl. 24085– 24110; BArch R 9361/III/4124, Bl. 652–760; Aumund, Lebenserinnerungen, 69; Rechtsanwalt Günter-Claus Aumund; Aumund/Coopmann, Aumund, 44 ff. Es ist weder bekannt, wie lange die Internierung dauerte, noch ob es zwischen dem Vater, der dem Nationalsozialismus kritisch-skeptisch gegenüberstand, und dem sich für den Nationalsozialismus engagierenden Sohn, zu Konflikten gekommen ist. 284 The National Archives FO 1060/1962. 285 Aumund/v. Kritter, Technisches Wörterbuch. 286 UA TUB, 109–2, 5, bes. 6.12.1945 u. 16.8.1949.; Aumund, Lebenserinnerungen, 61.
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Lebensstationen
Technische Hochschule Berlin“ zum Ehrensenator.287 Aumund antwortete mit einem knapp gehaltenen Dankschreiben:288 „Die Ehrung ist mir an meinem Lebensabend eine angenehme Genugtuung.“ 1948 bot Aumund dem Verlag Julius Springer an, sein Lehrbuch „Hebe- und Förderanlagen“ für eine neue Auflage zu überarbeiten.289 Der Verlag ging darauf ein und die dritte Auflage erschien 1950. Weitere Initiativen bezogen sich auf technische Innovationen. So wollte er in der Landwirtschaft verwendete Wagen mit Gummireifen nachrüsten, was sich aber nicht realisieren ließ.290 Größeren Erfolg erzielte er dagegen in den ersten Nachkriegsjahren mit Plattenbändern für die Beseitigung von Trümmern und Schutt.291 Die Innenstädte waren großenteils durch Bombenangriffe zerstört. Es gehörte zu den vordringlichen Aufgaben, zuerst die Straßen und danach wichtige Grundstücke freizuräumen.292 Der Schutt wurde üblicherweise per Hand oder mit Baggern auf Straßenbahnen oder eigens verlegte Schienenbahnen verladen, die ihn dann abtransportierten; später kamen auch Lastkraftwagen zum Einsatz. Bänder konnten als Lesebänder zur Vorsortierung der Trümmer dienen, welche teilweise als Zuschlagstoffe Verwendung fanden. Oder sie beförderten die Trümmer zur nächsten Verladestation. Entsprechende Aufträge erhielt und erfüllte Aumund in Hamburg, Bremen, Stuttgart, Düsseldorf, Bremerhaven und Berlin.293 Die Plattenbänder bildeten eine gute Basis, um die Fördererbau GmbH wieder ins Geschäft zu bringen. Seit 1948 unterstützte sein früherer Berliner Assistent Herbert Knaust Aumund bei seinen Arbeiten.294 Kurze Zeit später traten der Sohn Günter-Claus Aumund sowie der Schwiegersohn Ulrich v. Kritter in die Fördererbau GmbH ein.295 Knaust und v. Kritter machten sich 1952 selbständig und verlegten ihr neues Unternehmen in den Taunus. Günter-Claus Aumund baute in Homberg bei Duisburg ein Vertriebsbüro auf. In den 1950er Jahren übernahm er sukzessive die Leitung des Unternehmens. Eine wichtige Entscheidung fiel 1955 mit dem Aufbau einer eigenen 287 UA TUB, 119, 85; 405–2, 143, Bd. I, Bl. 122 ff. Auf den Nationalsozialismus wird im Zusammenhang mit der Ehrung nicht Bezug genommen. Es sieht so aus, dass es der Technischen Universität Berlin mit diesen Nachkriegsehrungen darum ging, sich eine Tradition zu schaffen – unabhängig von der politischen Einstellung der Geehrten. So finden sich unter den Ehrensenatoren dieser Zeit mit Hans Bredow sowohl Gegner des Nationalsozialismus wie mit dem Krupp-Manager Edouard Houdremont und Friedrich Flick Industrielle, die in den Kriegsverbrecherprozessen wegen des Zwangsarbeitereinsatzes zu hohen Haftstrafen verurteilt worden waren (UA TUB, 405–2, 143, Bd. I, Bl. 4 ff.). 288 UA TUB, 405–2, 143, Bd. I, Bl. 126. 289 S. u. S. 106 f. 290 Aumund, Lebenserinnerungen, 61 f. 291 Aumund, Lebenserinnerungen, 62 f.; ZLB Berlin, Springer-Archiv C/16/Aumund, 9.5.1948 u. 14.1.1949 – Aumund an Springer. 292 Vgl. für Stuttgart: Poker, Wiederaufbauplanung, 279 ff. Im Landesarchiv Berlin gibt es mehrere Fotos von Plattenbändern für den Trümmertransport aus der Nachkriegszeit, die allerdings keine Angaben zum Entwickler bzw. Hersteller enthalten (LA Berlin F Rep. 290-02-01/ 0000163; F Rep. 290-06-06, 410 u. 411). 293 Recherchen in den Archiven der genannten Städte verliefen ergebnislos. 294 S. u. S. 107. 295 Aumund, Lebenserinnerungen, 69 ff.
Nachkriegszeit: Wiederaufbau der Fördererbau GmbH
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Werkstatt in Rheinberg – dies bis heute der Hauptsitz der Firma. In Rheinberg begann man mit der Reparatur von Fördermitteln und nahm später eine eigene Fertigung auf. Heinrich Aumund konzentrierte sich am Standort Homberg auf technische Innovationen. Am 24. Februar 1959 starb er im Alter von 85 Jahren.
DER ERFINDER 1890 absolvierte Heinrich Aumund ein halbjähriges Praktikum in der Maschinenfabrik von Osenbrück & Co in Sebaldsbrück bei Bremen.1 Die Spezialität der Firma waren Zigarrenpressen und Eismaschinen. Unter anderem arbeitete Aumund in der Werkstatt, dem Zeichenbüro und bei der Montage einer Kühlanlage in einem Schlachthof. Die dort gemachten Beobachtungen und Erfahrungen veranlassten den 17-Jährigen, sein erstes Patent einzureichen. Es handelte sich um eine neuartige Pumpe zum Betrieb des Ammoniakkompressors der Kältemaschine. Diese funktionierte zwar, war aber – wie Aumund später selbst bilanzierte – wirtschaftlich bedeutungslos. Jedenfalls dokumentiert diese Episode das ausgeprägte technische Interesse des jungen Heinrich sowie seinen Willen und seine Fähigkeit, die Technik, mit der er es zu tun hatte, zu verbessern bzw. durch neue Konstruktionen zu bereichern. Dieses Interesse ließ ihn sein gesamtes Leben nicht mehr los. Seine letzten Patente erlangte er Mitte der 1950er Jahre, als er schon über 80 war.2 Insgesamt soll er im Besitz von mehr als 200 Patenten gewesen sein.3 Bei den meisten handelte es sich um Verbesserungsinnovationen – dies ohnehin eine Stärke der deutschen Technik im 20. Jahrhundert.4 MITARBEITER BEI POHLIG 1897 trat Aumund seine erste industrielle Stellung bei der Kölner Firma Pohlig5 an. Die Wurzeln des Unternehmens lagen in einem von Julius Pohlig (1842–1916), einem studierten Maschinenbauer, 1874 in Siegen gegründeten Ingenieurbüro. Über viele Jahre bildete die Konzeption und der Bau von Drahtseilbahnen insbesondere für den Materialtransport die Spezialität des Unternehmens. Zunächst ließ Pohlig die Anlagen durch Drittfirmen bauen. 1890 verlegte er seine Firma nach Köln und nahm einige Jahre später eine eigene Fertigung auf. Bis 1909 sollen weltweit an die 2.000 Bahnen errichtet worden sein.6 1 2 3
4 5 6
Aumund, Lebenserinnerungen, 9 ff.; vgl. Sammlung Aumund, Briefe, 8.3.1916 – Heinrich an Hedwig Aumund. S. u. S. 74 ff. Aumund/Coopmann, Aumund, 42. Die Patentdatenbank DEPATISnet zeigt nur 99 Patente Aumunds an. Dies ist jedenfalls eine zu niedrige Zahl. Die Datenbank setzt bei den deutschen erst 1917 ein, enthält also nicht die früheren Patente. Außerdem ist sie bei den im Ausland genommenen Patenten unvollständig. Grupp u. a., Das deutsche Innovationssystem; ähnlich Manske, Stärken. Vgl. zu Pohlig: RWWA, Findbuch Abt. 69, „Zur Geschichte“; Pohlig, Moderne Transportanlagen; 50 Jahre J. Pohlig; Volkenborn, Geschichte (Ms. im RWWA); 75 Jahre. Pohlig, Moderne Transportanlagen, 17.
Mitarbeiter bei Pohlig
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1899 wandelte Pohlig sein Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um und verbreiterte damit die Kapitalbasis. Er übernahm den Vorsitz im Vorstand, dem neben einem kaufmännischen noch der technische Direktor Wilhelm Ellingen (gest. 1917) angehörte, ebenfalls ein Spezialist für Drahtseilbahnen. Nach der Jahrhundertwende geriet die Firma Pohlig aufgrund mehrerer Fehlinvestitionen in eine Krise, deren Bewältigung Jahre in Anspruch nahm. 1903 zog der 61-jährige Julius Pohlig nach Auseinandersetzungen mit anderen Anteilseignern die Konsequenzen und trat vom Amt des Vorstandsvorsitzenden zurück, blieb aber weiter an der Aktiengesellschaft beteiligt. In den folgenden Jahren bis zum Ersten Weltkrieg erlangte die in Leipzig ansässige Firma Bleichert, die viele Jahre mit Pohlig konkurriert hatte, zunehmenden Einfluss auf die Kölner Gesellschaft und schließlich die Aktienmehrheit. 1890 unternahm Pohlig im Rahmen des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute (VDEh) eine Studienreise in die Vereinigten Staaten, wo er die fördertechnischen Konstruktionen der von Charles Wallace Hunt (1841–1911) 1872 in New York gegründeten Firma kennenlernte.7 Im Einzelnen handelte es sich um Becherwerke, Kübel- und Greiferanlagen, Bahnen, Verladebrücken usw. Nach reiflicher Prüfung erwarb Pohlig von Hunt Lizenzen für eine Reihe europäischer Länder und errichtete Transportanlagen und Lagereinrichtungen für Hütten- und Gaswerke, Zementund Zuckerfabriken, Häfen usw. Die Abteilung für Hunt’sche Verladeanlagen wurde nach den Drahtseilbahnen zum zweiten großen Standbein des Kölner Unternehmens. Der Aufbau und die Expansion der Abteilung erforderten die Einstellung weiterer Ingenieure und anderer Mitarbeiter. Aumund erhielt in diesem Zusammenhang im Jahr 1897 seine erste Anstellung.8 Er verfügte über keine relevanten Erfahrungen mit der Hebe- und Fördertechnik. Rückblickend erinnerte er sich, dass er für seine neuen Aufgaben auch Grundlagen wie die Statik des Bauwesens nacharbeiten musste.9 Jedenfalls scheint er sich glänzend bewährt zu haben, denn bereits 1900 übernahm er als Oberingenieur die Leitung der Abteilung.10 Formal unterstand Aumund weiter dem technischen Vorstandsmitglied Wilhelm Ellingen; inhaltlich teilte er sich mit diesem die technischen Entwicklungsarbeiten. Ellingen konzentrierte sich auf die Drahtseilbahnen, Aumund auf den gesamten Bereich der übrigen Fördertechnik. Um die Jahrhundertwende gehörten hierzu die Konstruktion und der Bau von Waggonkippern und Gichtaufzügen, zwei Technologien, zu denen Aumund zahlreiche Neuerungen beisteuerte.11 Mit seinen Arbeiten gewann er das Vertrauen von Julius Pohlig. So vertrat er den erkrankten Firmenchef im Juni 1900 7 8 9 10 11
Vgl. zur Zusammenarbeit von Pohlig und Hunt: Pohlig, Moderne Transportanlagen, 17 ff.; Aumund, Lebenserinnerungen, 24 ff.; Aumund, Hebezeuge, 339; Volkenborn, Geschichte (Ms. im RWWA), 13; 50 Jahre J. Pohlig 53 ff.; vgl. Reuleaux, Der Hunt’sche Umlader. Aumund Lebenserinnerungen, 24 ff. Aumund, Lebenserinnerungen, 24 f. GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 181u. 252, Lebenslauf; Aumund, Anlage; vgl. Aumund, Lebenserinnerungen, 26 f.; Aumund, Neue Entwicklungsrichtungen, 73; Volkenborn, Geschichte (Ms. im RWWA), 56. S. u. S. 77 ff.
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Der Erfinder
mit einem Vortrag auf der Hauptversammlung des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute.12 Auch in den folgenden Jahren hielt er Vorträge, so beim Niedersächsischen Verein von Gas- und Wasserfachmännern sowie im Münchner Polytechnischen Verein, und brachte sie zum Druck.13 Die frühen Vorträge und Publikationen gehörten zu seinen Dienstaufgaben.14 Sie enthielten keine großen technikwissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern dienten dazu, die Konstruktionen Pohligs vor potentiellen Kunden ins rechte Licht zu rücken. Als Abteilungsleiter war Aumund für die Konstruktion, Projektierung, Ausführung und Abnahme der Anlagen verantwortlich. Dies war mit zahlreichen Reisen verbunden. Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen stellte er 1908 eine Liste unter seiner Leitung entstandener Anlagen zusammen, die einen Eindruck von seiner Tätigkeit vermittelt:15 eine für ein Eisenwerk bei Stettin bestimmte Entladeanlage für Roh- und Brennstoffe, eine Förderanlage für das Elektrizitätswerk Münster, eine Entladeanlage für das Gaswerk Hamburg-Billwerder, eine Koksverladeanlage für das Gaswerk Bremen, eine Verladeanlage in Niederländisch Indien, eine Schlackenförderanlage für die Kombacher Hüttenwerke, eine Verladeanlage für Krupp-Rheinhausen, einen Gichtaufzug für die Niederrheinische Hütte, eine Verladeanlage für das Gaswerk Königsberg, eine Kohlenverladeanlage für den Norddeutschen Lloyd, eine Transportanlage für die Vereinigte Königs- und Laurahütte, Kohleförderanlagen für die Gaswerke Haag in den Niederlanden, die Gaswerke von Köln und Lüttich, einen Gichtaufzug für die Gutehoffnungshütte, zwei Gichtaufzüge für die Gewerkschaft Neheim Hüsten. Zum 1. April 1909 schied Aumund bei Pohlig aus und trat eine Professur für Hebe- und Förderanlagen an der Technischen Hochschule Danzig an.16 Ihn dürfte einerseits die Hochschultätigkeit gereizt haben. Andererseits war er wohl mit seiner Tätigkeit bei Pohlig unzufrieden. 1906 heiratete er die Tochter von Julius Pohlig, Hedwig Auguste (1875–1946). Für seine Stellung im Unternehmen dürfte ihm dies schwerlich Vorteile gebracht haben, denn sein Schwiegervater war bereits 1903 im Streit aus dem Vorstand ausgeschieden. Julius Pohlig und Heinrich Aumund verstanden sich in erster Linie als Ingenieure, die sich kontinuierlich um technische Verbesserungen bemühten.17 Der neuen Geschäftsführung und den Anteilseignern ging es dagegen vor allem um die kurz- und mittelfristige Realisierung von Gewinnen. Der spätere Geschäftsleiter erinnerte sich an ein Gespräch mit Aumund:18 „Ein Grund für sein Ausscheiden war, …, mangelndes Verständnis der Direktion und des Aufsichtsrates für seine Ideen.“ Aumund selbst legitimierte sein Ausschei12 13 14 15 16 17 18
Aumund, Ueber Umlade- und Transportvorrichtungen, 825. Aumund, Die Transport- und Verladeanlagen; Aumund, Anlage; Aumund, Ueber moderne Transportanlagen. GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 184, Lebenslauf. GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 183 f., Lebenslauf. S. o. S. 27 f. Der erste Satz Jubiläumsschrift der Firma von 1925 lautete: „In erster Linie war Julius Pohlig Ingenieur.“ (50 Jahre 15). Volkenborn, Geschichte (Ms. im RWWA), 36 f.
Mitarbeiter bei Pohlig
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den diplomatischer und mehr aus seiner Position als Hochschullehrer heraus:19 „Als ich mich entschloß, die Praxis mit einer Professur zu vertauschen, war der Wunsch mit ausschlaggebend, das in starker Entwicklung befindliche umfangreiche Sondergebiet der Hebe- und Förderanlagen unabhängiger von den Anforderungen des Tages und dem Arbeitsbedarf der Fabrik bearbeiten zu können.“ Auch nachdem er aus der Firma Pohlig ausgeschieden war, arbeitete er weiter mit ihr zusammen, wobei sich allerdings die Konflikte häuften.20 Mit der Familie seiner Frau tauschte er sich über die Entwicklung des Unternehmens aus. Hinweise darauf beziehen sich weniger auf den Senior Julius Pohlig, sondern auf dessen Sohn Julius Pohlig jr. (1870–1942).21 Der Junior war 1898 in das Unternehmen eingetreten und bekleidete auch nach dem Ausscheiden des Vaters aus dem Vorstand leitende Positionen. 1909/10 wurde er stellvertretendes und 1916/17 ordentliches Vorstandsmitglied. 1930 wechselte er vom Vorstand in den Aufsichtsrat. Über die geschäftlichen und privaten Beziehungen hinaus besaß Aumund bis mindestens in die Zeit des Ersten Weltkriegs Aktien der Kölner Gesellschaft.22 Während seiner leitenden Tätigkeit bei Pohlig machte Aumund eine Reihe von Innovationen, insbesondere bei Eisenbahnkippern und Begichtungsanlagen, die entweder unter dem Namen der Firma oder unter Aumunds eigenem Namen patentiert wurden.23 In diesem Zusammenhang schloss er mit dem alten Pohlig im Januar 1903 eine arbeitsrechtliche Vereinbarung, welche die neue Geschäftsleitung im August 1904 neu verhandelte.24 Im Ergebnis verlängerte die revidierte Vereinbarung Aumunds Kündigungsfrist auf sechs Monate und präzisierte die beiden Arten von Erfindungen, für die er bei dem Unternehmen verantwortlich war: (1) „Erfindungen, welche Sie machen und die sich auf Verbesserungen bestehender Konstruktionen unserer Spezialitäten beziehen, bei denen das Wesen der ganzen Konstruktion beibehalten wird, gehören unserer Gesellschaft ohne weitere Verpflichtung Ihnen gegenüber …“. (2) „Sonstige Erfindungen auf dem Gebiete des Transportwesens, welche Sie selbständig und ohne Mithilfe anderer Beamten unserer Gesellschaft machen, sind Sie berechtigt, auf Ihren Namen zum Patent anzumelden.“ Diese habe Aumund aber Pohlig vorrangig anzubieten. Solange er bei Pohlig tätig war, standen ihm für beide Arten von Patenten keine besonderen Vergütungen zu. Sollte er aber das Unternehmen verlassen, dann besaß er ein Anrecht auf Lizenzzahlungen für alle mit den genannten Patenten verbundenen Aufträge. Die Zahlungen wurden bei 10.000 Mark im Jahr gedeckelt. Für den Fall, dass Pohligs Umsätze mit den patentierten Anlagen deutlich zurückgingen, war es Aumund erlaubt, auch andere Lizenznehmer zu suchen. 19 20 21 22 23 24
Aumund, Hebe- und Förderanlagen, 1916, III); ähnlich Aumund, Lebenserinnerungen, 29. S. u. S. 62 ff. Sammlung Aumund, Briefe, 23.2.1916 – Heinrich an Hedwig Aumund. Über Julius Pohlig jr. s. 50 Jahre 249; 75 Jahre 18; Volkenborn, Geschichte (Ms. in RWWA), 24, 43, 52 f., 92 u. 159. Sammlung Aumund, Briefe, 23.2.1916 – Heinrich an Hedwig Aumund. eine Aufzählung dieser Patente findet sich in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 10, Tit. III, Nr. 4, Bd. I, Bl. 182, Lebenslauf; vgl. Aumund, Lebenserinnerungen, 27 f. Die Vereinbarung von 1903 ließ sich in den Akten nicht auffinden, aber die von 1904 (RWWA 69-18-5, 22.8.1904); vgl. Aumund, Lebenserinnerungen, 27 f.
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Der Erfinder
PATENTVERWERTUNG UND INGENIEURBÜRO Nach seinem Ausscheiden bei Pohlig bezog Aumund neben seinem Gehalt an der Technischen Hochschule Danzig also Einkünfte aus den bei dem Kölner Unternehmen erworbenen Patenten. Die Höhe der Zahlungen lässt sich nicht ermitteln. Dazu kamen Einnahmen von der DEMAG, der Deutschen Maschinenbau AG.25 Die Firma entstand Anfang des 20. Jahrhunderts aus mehreren älteren Unternehmen, darunter der Benrather Maschinenfabrik.26 Zu ihrem Produktspektrum gehörten Hebezeuge und Hüttenanlagen. 1910 erwarb die DEMAG gegen Zahlung von 62.500 M Lizenzen für die von Aumund patentierten Begichtungsaufzüge für Hochöfen für mehrere europäische Länder.27 Dazu kam eine Gebühr von 6.000 M pro Auftrag bzw. mindestens 10.000 M pro Jahr. Die Zahlungen der DEMAG ermöglichten es Aumund, in Danzig bis 1913 ein attraktives Anwesen zu errichten.28 Weiter beteiligte sich Aumund an Ausschreibungen. Hierzu gehörte ein zwischen 1907 und 1911 mehrfach wiederholtes Preisausschreiben des Vereins der Deutschen Zuckerindustrie „zur Erlangung von Entwürfen für Vorrichtungen zur mechanischen Entladung von Rüben aus Normalspur-, Schmalspur-, Feldbahn- und Gespannwagen“.29 Die Zuckerfabrik Schoeller & Skene AG in der Nähe von Breslau hatte 1901 den ersten bei Pohlig entworfenen Kipper erhalten.30 Aumund behandelte die Einsatzmöglichkeiten von Kippern für Eisenbahnwagen 1910 in einem auf der Generalversammlung des Vereins gehaltenen Vortrag.31 Dabei pries er insbesondere seine neuartigen fahrbaren Kurvenkipper an.32 Bei den Zuckerrüben bestand ein Problem allerdings darin, dass man die Entladevorrichtungen nur während der zwei bis vier Monate dauernden Rübenkampagne benötigte. Deshalb bot Aumund den Zuckerfabriken in den übrigen Monaten eine Verwendung des Kippers an anderer Stelle an und eine Preisermäßigung von 25 %.33 Er versuchte also, den spezifischen Problemen der Branche mit einem innovativen Geschäftsmodell zu begegnen. 1911 beteiligte er sich mit seinem Kurvenkipper an einer erneuten Ausschreibung und erhielt einen der vier vergebenen Preise in Höhe von 3.000 Mark. Aumunds Zusammenarbeit mit den Lizenznehmern gestaltete sich schwierig und mündete in zahlreiche Auseinandersetzungen, von denen nicht wenige vor Gericht ausgetragen wurden. Zusammen mit Pohlig verklagte Aumund 1910/11 erfolgreich die DEMAG wegen Verletzung seiner Patente auf Trichterkübelaufzüge und erreichte bei dem Maschinenbauunternehmen eine für ihn vorteilhafte vertrag25 26 27 28 29 30 31 32 33
Aumund, Lebenserinnerungen, 31 f.; RWWA 69-18-5, 22.10.1910. Vgl. Matschoß, Ein Jahrhundert; Wessel, Ingenieurswissen. S. u. S. 77 ff. Aumund, Lebenserinnerungen, 32 u. 38; vgl. ZLB Berlin, Springer-Archiv B/A/91 I, 19.5.1913 – Aumund an Springer. Aumund, Lebenserinnerungen, 32 f. u. 38; Stahl und Eisen 32 (1912), 949; Buhle, Spülentladung, 123 f. Rübenentladung; 50 Jahre 80–82 u. 157 ff.; Volkenborn, Geschichte (Ms. im RWWA), 21. Aumund, Ueber die Entladung. S. u. S. 84 ff. Aumund, Ueber die Entladung, 905–07.
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liche Vereinbarung.34 Die Interpretation der dabei mit der DEMAG abgeschlossenen Verträge wurde in der Folgezeit jedoch zu einem zentralen Streitpunkt zwischen Aumund und Pohlig. Aumund traf im November 1911 mit Pohlig ein Abkommen, in dem der Kölner Vertragspartner unter anderem die Vereinbarungen zwischen Aumund und der DEMAG aus dem vorangegangenen Jahr billigte.35 Außerdem vereinbarten die drei Partner, dass weitere Lizenzen nur in wechselseitigem Einvernehmen vergeben werden dürften. Pohlig stellte sich jedoch anschließend gegenüber Aumund auf den Standpunkt, dass dieser seine Patentrechte an die DEMAG abgetreten habe und damit die mit Pohlig 1904 getroffenen Abmachungen hinfällig seien. Aumund könne deshalb von Pohlig keine Lizenzzahlungen mehr beanspruchen. Die DEMAG suchte wesentlich später, nämlich 1921, von den Auseinandersetzungen zu profitieren. Sie stellte ebenfalls die Zahlungen für die Begichtungsaufzüge ein, solange die Patentrechte zwischen den beiden anderen Partnern nicht geklärt seien.36 Damit drang sie jedoch – von Aumund verklagt – beim Reichsgericht nicht durch. Als Ergebnis leistete die DEMAG Nachzahlungen für zwischen 1920 und 1922 errichtete Anlagen.37 Um diese Zeit war das Verhältnis zwischen Aumund und der DEMAG bereits aufs Äußerste gespannt, denn der Danziger Professor war überzeugt, dass ihn die DEMAG während des Krieges regelrecht betrogen hatte.38 Entgegen der expliziten Aussage eines Vertreters des Unternehmens hätte die DEMAG doch drei Schrägaufzüge seiner Bauart für das Hüttenwerk Caen ausgearbeitet, die fälligen Zahlungen in Höhe von 18.000 M aber nicht an ihn entrichtet. Daraufhin drohte Aumund der DEMAG mit einem weiteren Prozess. Ähnliche Klagen führte Aumund später gegenüber Lauchhammer.39 Generell waren die industriellen Vertragspartner wenig daran interessiert, in Kooperation mit Aumund dessen Konstruktionen zu verbessern. Stattdessen investierten sie in eigene Entwicklungen, um die lästigen Lizenzzahlungen loszuwerden. So hatte die DEMAG 1911 Lizenzen auf Aumunds fahrbare Kurvenkipper erworben.40 Parallel hierzu entwickelte sie jedoch eigene Plattformkipper. Bei einer Konstruktion hing die Plattform mit dem Eisenbahnwagen an einer fahrbaren Katze. Die erste Ausführung dieser „Kipperkatzenbrücke“ ging 1915 an die Reichswerft Wilhelmshaven.
34 35
36 37 38 39 40
Aumund, Lebenserinnerungen, 31 f. Leider war der Text der Vereinbarung von 1911 nicht aufzufinden. Zum Inhalt ist man teilweise auf Bezugnahmen in wesentlich später entstandenen Quellen angewiesen: vgl. RWWA 69-185, 22.10.1910; RWWA 69-18-5, 18./20.1.1911; RWWA 69-15-2, 3.8.1911; RWWA 69-15-2, 11.10.1920; RWWA 69-15-2, 16.4. u. 20. 5 1921. RWWA 69-15-2, 27.5.1921; Aumund, Lebenserinnerungen, 33 ff. RWWA 69-15-2, 18.5. u. 8. 8.1922. Die dabei vereinbarten Summen klingen wegen der Inflationszeit astronomisch. Sammlung Aumund, Briefe, 24.2. u. 5.3.1918 – Heinrich an Hedwig Aumund; vgl. Aumund, Lebenserinnerungen, 34 f. Aumund, Lebenserinnerungen, 35. Matschoß, Ein Jahrhundert, 230 f.; Keßner/Bodenburg, Neuere ortsfeste Wagenkipper.
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1913 versäumte es die DEMAG, in England fällige Gebühren zu entrichten, so dass der Patentschutz verloren ging.41 Grundsätzlich hatte sich das Unternehmen gegenüber Aumund verpflichtet, seine Patente gegen Dritte so weit wie möglich zu verteidigen.42 1922 reichte Aumund beim Leipziger Reichsgericht Klage wegen des Verstoßes gegen diese Vertragsbestimmung ein und obsiegte in dem Verfahren. Pohlig und die DEMAG griffen darüber hinaus Patente Aumunds heimlich und offen an. So versuchte Pohlig während des Ersten Weltkriegs, die DEMAG zu veranlassen, gerichtlich gegen Kipperpatente Aumunds vorzugehen.43 In einem anderen Fall bemühte man sich hinter dem Rücken Aumunds um die Beilegung eines Patentprozesses mit der MAN.44 Direkt erhob Pohlig 1920 Einspruch gegen Aumunds Patentanmeldung „Fahrbarer Wagenkipper mit geneigter, konkav gekrümmter Kippbühne“ (DRP 365970).45 Ebenso 1929 gegen sein Patent „Antrieb für Seilförderanlagen“ (DRP 497310).46 In beiden Fällen wies das Patentamt den Einspruch der Kölner Aktiengesellschaft ab. Dazu kamen in den frühen 1920er Jahren mehrere Verfahren vor dem Berliner Landgericht, in denen es um Kipperpatente, aber auch um Hochofenbegichtungen ging.47 Zumindest erstinstanzlich setzte sich Aumund in sämtlichen Verfahren durch. In den 1920er Jahren eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen Aumund und den beiden Vertragspartnern Pohlig und DEMAG. Der Konflikt mit Pohlig entzündete sich an dem zentralen Patent auf Gichtaufzüge von 1903 (DRP 167256), dem von Aumund getätigte Erfindungen zugrunde lagen und wofür er Anteile an den Auftragszahlungen beanspruchte. Das Patent war 1918 erloschen, 1920 verlängerte es das Kölner Unternehmen und nutzte damit eine neu geschaffene gesetzliche Möglichkeit aus.48 Dabei hielt Pohlig es noch nicht einmal für nötig, Aumund darüber zu informieren – gemäß dem Standpunkt, dass ihr früherer Mitarbeiter seine Rechte 1910 an die DEMAG abgetreten habe. Die Empörung Aumunds kannte keine Grenzen. In Schreiben an die Kölner Firma sowie an seinen Schwager Julius Pohlig jr., Vorstandsmitglied bei dem Unternehmen, wertete er das Vorgehen „als gleichstehend mit dem Versuch von Straßenraub“ und bekundete, dass ihm die Verantwortlichen bei Pohlig denkbar unsympathisch seien. Dabei nahm er bewusst in Kauf, dass seine Äußerungen „formell als Beleidigung ausgelegt“ werden könnten. Die Kölner Aktiengesellschaft wiederum beklagte sich in einem Schreiben an ihren Anwalt:49 „Es ist unglaublich, wie ein deutscher Hochschulprofessor sich bei der Verteidigung seines Standpunktes derartig im Tone vergreifen kann, dass er die Stellungnahme seines Gegners mit dem „Versuch eines Straßenraubes“ gleich41 42 43 44 45 46 47 48 49
RWWA 69-15-2, 21.5.1922. RWWA 69-16-25, 21.1.1922; Aumund, Lebenserinnerungen, 33 ff. RWWA 69-15-2, 19.4., 4., 10., 14. u. 20.5.1918; Sammlung Aumund, Briefe, 7.12.1915, 13.7.1916 – Heinrich an Hedwig Aumund. RWWA 69-16-25. RWWA 69-5-12, 17.12.1921 u. passim; DEPATISnet. RWWA 69-17-22; DEPATISnet. RWWA 69-18-5. RWWA 69-15-2, 24.8., 30.9., 4. u. 13.12.1921. RWWA 69-15-2, 26.11.1921.
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stellt.“ Man wollte eine Beleidigungsklage gegen Aumund einreichen, diesem aber vorher Gelegenheit geben, seine Äußerungen zurückzuziehen. Aumund kam der Aufforderung nach, blieb aber in der Frage seines Anteils an dem Patent hart. Nachdem das Gericht zu seinen Gunsten entschieden hatte, wurde eine neue Vereinbarung abgeschlossen, die ihm für jeden ausgeführten Gichtaufzug eine Abgabe garantierte.50 Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die DEMAG seit 1911 fahrbare Eisenbahnwagenkipper nach Aumunds Patenten unter der Bezeichnung „Dynamobilkipper“ baute, aber gleichzeitig eigene Kipper entwickelte. Während des Ersten Weltkriegs stritten sich die drei Vertragspartner über die jeweiligen Rechte an den Kipperpatenten Aumunds.51 Ein Ergebnis bestand darin, dass die DEMAG die Herstellung von Aumund-Kippern aufgab und diesem freistellte, Lizenzen an Dritte zu vergeben. Aumund nahm daraufhin geschäftliche Verhandlungen mit Rheinmetall auf. Das Düsseldorfer Rüstungsunternehmen war gerade dabei, sich aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags auf zivile Produkte umzustellen. Im Februar 1920 erwarb Rheinmetall Lizenzen für die wichtigsten Kipperpatente, die Aumund zwischen 1909 und 1919 in Deutschland und im Ausland erworben hatte.52 Der Danziger Fördertechniker verpflichtete sich, an die Firma „werkstattfähige“ Zeichnungen zu liefern und erhielt dafür eine Zahlung von 16.000 Reichsmark. Außerdem war er prozentual an den Aufträgen beteiligt. Rheinmetall trat also gewissermaßen an die Stelle der DEMAG. Pohlig blieb Lizenznehmer, führte aber mit Aumund eine Reihe von Prozessen. Zur Beendigung der Auseinandersetzungen und zur Vermeidung weiterer schlossen die drei Parteien nach langen und schwierigen Verhandlungen im Juli 1922 ein „Kipperabkommen“.53 Es sollte eigentlich bis zum Auslaufen des zentralen Kipperpatents Aumunds Gültigkeit besitzen. Zusätzlich brachte Aumund seine inzwischen erworbenen Patente in das Abkommen ein. Die beiden Unternehmen wollten die Aufträge paritätisch zwischen sich aufteilen und verpflichteten sich zu Lizenzzahlungen an den Erfinder. Aumund stand ein Kündigungsrecht zu, wenn die Zahlungen unter einem festgesetzten Limit blieben. Weitere Lizenzen sollten nicht vergeben werden. Aumund legte aber Wert darauf, dass er von den beiden Lizenznehmern gelieferte Kipper selbständig vertreiben und dabei auch Verbesserungsinnovationen erproben durfte.54 Damit wollte er verhindern, dass Pohlig, wie in der Vergangenheit geschehen, die Kipper veralten ließ und damit das Geschäft in Mitleidenschaft zog. Der mit dem Abkommen angestrebte Frieden hielt jedoch nur wenige Monate.55 Aumund und Pohlig waren sich uneins, ob der Erfinder berechtigt war, einem Kunden eine von ihm entwickelte neue Stromzuführung anzubieten. Dann ging es 50 51 52 53 54 55
RWWA 69-18-5 sowie 69-15-2, 8.7.1922. RWWA 69-15-2, 19.4., 4., 10., 14. u. 20.5.1918; Sammlung Aumund, Briefe, 7.12.1915, 13.7.1916 – Heinrich an Hedwig Aumund. RWWA 69-15-2. RWWA 69-18-5, besonders 20.7.1922. RWWA 69-15, 20.3.1922. RWWA 69-15-2, 6., 9., 20. u. 22.9.1922 sowie 23., 24. u. 28.10.1922.
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um eine Lizenzzahlung für einen vor der Unterzeichnung des Abkommens erteilten Auftrag und schließlich um die Modalitäten eines vereinbarten Schiedsverfahrens. 1924 fusionierte Rheinmetall mit der Linke-Hoffmann-Lauchhammer AG und nahm auch in Lauchhammer den Bau der Aumund-Kipper auf.56 Dabei zeigten sich bald beide Vertragspartner mit der Zusammenarbeit unzufrieden. Lauchhammer beklagte sich wegen eines nicht verlängerten Kipperpatents57 und Aumund über Verzögerungen bei der Begleichung der Lizenzgebühren. Die beiden Parteien beendeten daraufhin 1926 ihre Zusammenarbeit, um sie 1930 wieder aufzunehmen.58 Aumund wurden dabei jährliche Lizenzzahlungen in einer Mindesthöhe von 5.000 Reichsmark garantiert. Aber auch diese Vereinbarung hielt nicht lange. Nach Auseinandersetzungen vor einem Schiedsgericht wurde der Vertrag im Februar 1932 aufgelöst; Aumund erhielt eine finanzielle Abfindung. Nach der ersten Trennung von Rheinmetall 1926 schloss Aumund mit Pohlig im Dezember eine neue Vereinbarung.59 Das „Düsseldorfer Abkommen“ gewährte Aumund die Möglichkeit, Kipper durch Dritte bauen zu lassen und diese selbständig zu vertreiben. Damit trat er in Konkurrenz zur Kölner Firma, die sich schon lange fragte, ob die Zusammenarbeit überhaupt noch Sinn mache.60 1928 bereitete sich Pohlig jedenfalls auf juristische Auseinandersetzungen mit Aumund vor.61 Unter anderem griff man unter Verweis auf ein älteres Patent der MAN Aumunds umfassendes Patent auf Plattformkipper von 1912 (DRP 258784) an.62 Dem jetzt in Berlin lehrenden Professor teilte man mit, man fühle sich durch die beiden 1922 und 1926 getroffenen Abkommen nicht mehr gebunden.63 In der Folge führten vor allem die Rechtsanwälte der beiden Parteien das Wort.64 Pohlig erklärte in diesem Zusammenhang, dass man an den Patenten Aumunds kein Interesse mehr besitze, weil man sich eine Eigenentwicklung werde patentieren lassen. Aumund warf Pohlig vor, die Verträge nicht erfüllt zu haben. Man habe ihn nicht über Bestellungen informiert und die fälligen Zahlungen nur verzögert oder gar nicht geleistet. Das Pohlig 1920 erteilte Patent DRP 340348 „Fahrbarer Wagenkipper mit Kippbühne auf Drehscheibe“ sei von seinem Patent DRP 258784 „Eisenbahnwagenkipper“ von 1912 abgeleitet; deswegen stünden ihm auch hieraus Lizenzzahlungen zu. Das beiderseitige Säbelrasseln endete schließlich im Mai 1929 in einem Vergleich.65 Darin erkannte Aumund gegen eine Zahlung von 5.000 Reichsmark die Gültigkeit von Pohligs DRP 340348 an. Er verpflichtete sich, sein eigenes Patent 258784 so lange aufrecht zu erhalten, wie die Firma Pohlig fahrbare drehbare Kipper bauen werde. Wenn er sein Patent aufgeben wolle, habe er es Pohlig anzubieten. 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65
RWWA 69-15-2, insbesondere 14.1.1924. Vgl. RWWA 69-15-2, 1.1., 3.1. u. 23.1.1923. RWWA 69-17-21, 10.4.1930; RWWA 69-8-33, 1.3. u. 19.4.1932. Dieses befindet sich nicht bei den Akten, sondern ist nur indirekt zu erschließen: RWWA 69-833, „Uebersicht 15006“ 7. u. 15.1.1929. RWWA 69-15-2, 25.1.1924; RWWA 69-18-5, 6.4. u. 21.8.1928. RWWA 69-18-5, o. D.; RWWA 69-17-21, besonders 5.12.1928. Vgl. DEPATISnet. RWWA 69-8-33, „Uebersicht 15006“. RWWA 69-8-33, 12.8. u. 17.12.1928, 23.1.1929; RWWA 69-8-33, 22.12.1928 u. 30.3.1929. RWWA 69-8-33, 14.5.1929; vgl. 50 Jahre 225–27.
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Pohlig wiederum übernahm die Verpflichtung, Aumund bei Einstellung der Produktion zu benachrichtigen. Der Vergleich von 1929 mündete zwei Jahre später in einen Eklat.66 1931 erlosch Aumunds Patent DRP 258784, weil er die fälligen Gebühren in Höhe von 3.900 Reichsmark nicht beglichen hatte. Aumund dürfte in dieser Sache kein gutes Gewissen gehabt haben. Er entschuldigte sich bei Pohlig, dass er seiner Informationspflicht nicht nachgekommen sei. Er erklärte dies mit dem Irrtum, dass das Patent ohnehin Ende 1930 ausgelaufen wäre; tatsächlich wäre ein Verlängerung bis 1935 möglich gewesen. Dies – so Aumund – hätte aber nichts gebracht, denn aufgrund der veränderten Wirtschaftslage würden Kipper nach seinem Patent ohnehin nicht mehr gebaut. Damit spielte Aumund darauf an, dass man bei den Bahnen in der Zeit der Massenarbeitslosigkeit teilweise wieder zur Entladung der Eisenbahnwagen per Hand zurückkehrte. Als Pohlig keine Ruhe gab, kam Aumund seinerseits mit Vorwürfen. Pohlig habe daran mitgewirkt, seine eigenen Angebote systematisch zu unterbieten. Pohlig unterstellte Aumund böse Absicht und warf ihm „groben Vertragsbruch“ vor, mit dem er sich einen „rechtswidrigen Vermögensvorteil“ verschafft habe. Das Kölner Unternehmen verlangte von Aumund die Zahlung der 3.900 Reichsmark Patentgebühren. Dieser weigerte sich, weil Pohlig kein Schaden entstanden sei und er selbst keinen Gewinn aus der Angelegenheit gezogen habe. In einem Briefentwurf zitierte Pohlig einen Juristen, „dass er geradezu darüber erschüttert gewesen wäre, dass ein Hochschulprofessor so leichtfertig abgeschlossene Verträge verletzt, wie Sie es getan hätten.“ Der Rechtsberater schlug vor, die Sache der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Tatsächlich scheint es jedoch weder zu einem Strafverfahren noch zu einem Zivilprozess gekommen zu sein. Für die Verwertung seiner Patente hatte sich Aumund am 3. August 1922 eine festere institutionelle Basis geschaffen, indem er in Berlin mit einem Kapital von 5.000 Reichsmark die „Gesellschaft für Aumund-Patente M. B. H.“ gegründet hatte.67 Der Hintergrund bestand darin, dass sein zentrales Patent auf Schrägaufzüge für die Hochofenbegichtung 1923 auslief und die Firmen Pohlig und DEMAG wenig in die Weiterentwicklung seiner Eisenbahnkipper investierten.68 Die alten Kipperpatente waren erloschen und Aumund wollte mit Hilfe der Gesellschaft seine neuen Patente vermarkten. Patentierung und die Vergabe von Lizenzen bildeten denn auch die wichtigsten Aktivitäten der Gesellschaft. Allerdings waren die Zeitumstände dem Unternehmen nicht günstig. Die Wirtschaftskrise und die Inflation steigerten sich im zweiten Halbjahr 1922 und 1923 zur Hyperinflation, die erst im November 1923 durch Einführung der Rentenmark beendet wurde. Die Inflation vernichtete zahlreiche Vermögen. Es ist nicht bekannt, wie es um die Vermögensverhältnisse Aumunds bestellt war, aber es gibt Hinweise, dass er sich jedenfalls
66 67 68
RWWA 69-8-33, 26.10. u. 26.11.1931 4. u. 18.3., 15.4. u. 12.5.1932 (hieraus die Zitate). Amtsgericht Charlottenburg, Berliner Handelsregister, Abt. B, 1923 u. 1931, Nr. 26709; Amtsgericht Moers, Handelsregister, HRB 98; RWWA 69-15-2, passim; Aumund, Lebenserinnerungen, 56 ff.; Aumund/Coopmann, Aumund, 30. RWWA 69-16-25, 31.3.1921; RWWA 69-15-2, 12.12.1923.
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1924 in Geldnöten befand.69 In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre setzte dann ein Wirtschaftsaufschwung ein – bis zur Weltwirtschaftskrise 1929. In dem in der Privatwohnung in Berlin-Zehlendorf untergebrachten Ingenieurbüro arbeitete Aumund seine Erfindungen aus und meldete sie zum Patent an. Mit der Zeit entwickelte er sich zum Patentspezialisten, wofür nicht zuletzt seine Erfolge bei Prozessen Zeugnis ablegen. So notierte der Geschäftsführer von Pohlig über den früheren Mitarbeiter:70 „Später gründete er ein eigenes Unternehmen, das oft der Firma Pohlig lästige Konkurrenz, besonders auf dem Gebiet der Waggonkipper, machte. Mit ihm mussten die meisten Patent-Prozesse, die zu führen Pohlig gezwungen war, bis in die höchsten Instanzen durchgefochten werden.“ Aumunds Patentanmeldungen enthielten sauber ausgeführte technische Zeichnungen. Weitere Zeichnungen dienten der Kommunikation mit den Lizenznehmern und mit den Kunden, für die er Förderanlagen konzipierte. In den 1920er Jahren bildeten die Eisenbahnkipper einen Schwerpunkt, wobei er für die Vermarktung seiner neuen leichten Kipper auch neue Geschäftsmodelle entwickelte:71 „Ich habe zu diesem Zweck eine besondere Gesellschaft gebildet, welche in enger Zusammenarbeit mit mehreren erstklassigen Firmen des Transportwesens die Verfolgung der Angelegenheit aufnimmt. Die Gesellschaft hält die Kipper entweder vollständig oder in ihren hauptsächlichsten Teilen auf Lager, um schnell und sicher liefern zu können. Sie übernimmt bei genügend großem Umschlag aber auch die Stellung der Kipper gegen Leihgebühr oder gegen Zahlung der bisherigen Entladekosten bei Abgabe eines Teiles des erzielten Gewinns.“ Kipper bot Aumund z. B. in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre der Stadt Danzig an im Zusammenhang mit dem Bau einer Umschlagsanlage insbesondere für Kohle für ein neues Danziger Hafenbecken.72 Eine zentrale Vorgabe lautete, das Zerbröseln der Kohle beim Umladen – ein Spezialgebiet Aumunds73 – zu reduzieren. Mit der zunächst von der Berlin-Anhaltischen Maschinenbau AG (BAMAG) errichteten Anlage74 waren die Auftraggeber nicht recht zufrieden und ließen zwei weitere Ausschreibungen folgen.75 Bei der dritten Ausschreibung konkurrierten Aumund und Pohlig miteinander, wobei der Geschäftsführer Pohligs Aumund unterstellte, insbesondere auf seine alten Danziger Beziehungen zu setzen – dies jedoch ohne Erfolg: „In einem stundenlangen Streitgespräch mit dem Professor vor dem versammelten Hafenausschuss gelang es dem Sachbearbeiter von Pohlig, die69
70 71 72 73 74 75
Im Juli 1924 wandte sich Aumund an den Verlag Julius Springer und bat um einen Vorschuss für die zweite Auflage seines Lehrbuchs (ZLB Berlin, Springer-Archiv B/A/91 I, 10.7. u.3.9.1924 – jeweils Aktennotiz). Dies erledigte sich allerdings dadurch, dass er das Manuskript früher als von ihm selbst erwartet einreichte und damit ohnehin Anspruch auf Honorierung besaß. Volkenborn, Geschichte (Ms. im RWWA), 36 f. Aumund, Neue Wege, 8. Nach StA Danzig 10/1027/1046, Bl. 719 ff., 18.9.1928 – Aumund an Danziger Hafenbauverwaltung; vgl. Volkenborn, Geschichte (Ms. im RWWA), 94 ff. (das Zitat 96). Einen Überblick über die Umschlagseinrichtungen im Danziger Hafen bietet Fojut, Entwicklung. S. u. S. 81 f. Vgl. StA Danzig 10/1027/1046, 1047 u. 1083. Vgl. StA Danzig 10/1027/1048 u. 1080.
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sen Versuch abzuwehren, so dass der Gesamtauftrag ungeteilt an Pohlig fiel.“ Dabei soll – der Darstellung Aumunds folgend –76 der Vertreter Pohligs behauptet haben, der jüngst von Aumund an die Bergwerks AG Recklinghausen gelieferte Scherenkipper arbeite nicht zufriedenstellend. Nachdem der Auftrag bereits an Pohlig erteilt war, trat Aumund dieser Darstellung in einem Schreiben an die Hafenbauverwaltung energisch entgegen. Er wies darauf hin, dass die Bergwerksgesellschaft inzwischen einen zweiten Kipper bestellt habe, und referierte die Beurteilung seines neuen Scherenkippers in der Fachliteratur.77 Die umfangreichen Aktivitäten des Ingenieurbüros scheinen weitgehend von Aumund allein geschultert worden zu sein. Er persönlich führte die Korrespondenz mit den Lizenznehmern – und zwar meistens handschriftlich. Anfangs soll er gerade einen Mitarbeiter beschäftigt haben.78 Mit der Zeit und besonders in den 1930er Jahren dürfte die Mitarbeiterzahl zugenommen haben, ohne dass wir über genaue Angaben verfügen und wissen, wofür die Angestellten eingesetzt wurden. Aumunds Ingenieurbüro lässt sich jedenfalls schon allein von der Größe her nicht mit denen anderer prominenter Maschinenbauer vergleichen. So beschäftigte der bis 1921 an der Technischen Hochschule Berlin lehrende Alois Riedler (1850– 1936) bereits um die Jahrhundertwende zwischen 20 und 30 Konstruktionsingenieure.79 Und im 1930 erweiterten Ingenieurbüro der beiden Maschinenbauer Richard Koch (1887–1972) und Otto Kienzle (1893–1969), der 1934 den Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetriebe an der Technischen Hochschule Berlin erhielt, arbeiteten zunächst 40 bis 100 Ingenieure.80 Im Zweiten Weltkrieg erhöhte sich die Mitarbeiterzahl des vorwiegend für die Rüstung arbeitenden Büros auf bis zu 1.000. 1937 ließ Aumund die „Gesellschaft für Aumund-Patente“ aus dem Handelsregister löschen; an ihre Stelle trat die „Fördererbau G. m. b. H.“.81 Wenig später taucht eine neue Adresse des Ingenieurbüros in Berlin-Halensee auf.82 Die Verlagerung des Büros aus Aumunds Wohnung an den neuen Standort und die neue Bezeichnung indizieren, dass Aumund sich geschäftlich umorientierte. Seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand durch die Nationalsozialisten eröffneten ihm Freiräume für erweiterte technisch-industrielle Aktivitäten.83 Seit Mitte der 1930er Jahre verlagerte er den Schwerpunkt seiner Entwicklungsarbeiten auf Förderbänder und gewann hierfür mit der Firma Schmidt, Kranz & Co. in Nordhausen im Harz einen Kooperationspartner. Gleichzeitig dürfte die Mitarbeiterzahl gestiegen sein.84 76 77 78 79 80 81 82 83 84
StA Danzig 10/1027/1046, Bl. 719 ff., 18.9.1928 – Aumund an Danziger Hafenbauverwaltung. Weicken, Schonung; vgl. Weicken, Kohlenentladung; Aumund, Vereladen. Aumund/Coopmann, Aumund, 30. König, Gelehrte, 229 f. Seidel, Otto Kienzle, 67 ff., 82 f., 149 u. 157. Amtsgerichts Charlottenburg, Berliner Handelsregister, Schreiben v. 1.6.2016. Kuhlmann, Neuzeitliche Maschinen, 727; montan.dok/BBA 16/845, „Schleppplattenförderbänder Bauart Aumund“. S. o. S. 50 ff. Vgl. Aumund, Lebenserinnerungen, 61.
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Aumunds Kooperation mit Schmidt, Kranz & Co. ging auf die Bekanntschaft mit seinem Kollegen an der Technischen Hochschule Berlin Karl Glinz (1877– 1937)85 und dessen Familie zurück. Karl Glinz, ein studierter und promovierter Bergbauingenieur, war bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Manager in verschiedenen Unternehmen tätig. Aumund dürfte ihn als Geschäftsführer der „Gesellschaft für Förderanlagen Ernst Heckel mbH“ in Saarbrücken gekannt und geschätzt haben. Jedenfalls unterstützte er 1925 aus seiner Position im Wissenschaftsministerium heraus die Berufung von Glinz auf die Professur für Bergbau und Aufbereitungskunde an der Technischen Hochschule Berlin.86 Seit Ende 1925 lehrten Aumund und Glinz gemeinsam an der neuen Fakultät für Stoffwirtschaft. Neben seiner Hochschultätigkeit war Glinz weiter unternehmerisch tätig. 1922 erwarb er die Aktienmehrheit an Schmidt, Kranz & Co. und saß bis zu seinem Tod 1937 dem Aufsichtsrat vor.87 Danach rückte sein Sohn Hans Karl Glinz (1912–1993) in diese Position ein. Hans Karl Glinz hatte an mehreren deutschen und ausländischen Universitäten Bergbau studiert und wurde an der Technischen Hochschule Berlin durch Aumund mit einer Arbeit zur maschinellen Zwischenförderung im Steinkohlenbergbau promoviert.88 Die Wurzeln der Nordhäuser Maschinenfabrik lassen sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück verfolgen.89 Zur Zeit des Engagements von Glinz fertigte man insbesondere Aufzüge sowie Förderanlagen für den Bergbau. Das Unternehmen gehörte zu den bedeutenden Zulieferern des mitteldeutschen Kalibergbaus. Später kamen weitere Produkte hinzu. Nach einer Aufzählung von 1940:90 „Bergwerksmaschinen, maschinelle Antriebe für Schleusen- und Wehranlagen, Aufzüge; Spezialhebezeuge, Zugmaschinen, Schlepper, Eisen- und Blechkonstruktionen jeder Art“. Allerdings handelte es sich bei der Entwicklung des Unternehmens nicht um eine lineare Erfolgsgeschichte. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise geriet die Nordhäuser Firma 1931 in Schwierigkeiten. Eine Insolvenz konnte durch ein Vergleichsverfahren abgewendet werden. Seit 1934 erholte sich Schmidt, Kranz & Co. wieder – nicht zuletzt im Kontext der nationalsozialistischen Rüstungskonjunktur. Den größten Teil der dabei erzielten Erträge investierten die Besitzer erneut in das Unternehmen. Nach dem Tod des Vaters berief der Sohn Hans Karl Glinz neben anderen Persönlichkeiten seinen Doktorvater Heinrich Aumund in den Aufsichtsrat, dem dieser von 1938 bis mindestens 1943 angehörte.91 Es ließ sich nicht klären, wie lange im Zweiten Weltkrieg Aufsichtsratssitzungen stattfanden. Mit Aumund gewann Glinz 85 86 87 88 89 90 91
Vgl. zu Glinz: GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, o. D., Lebenslauf; Sekt. 5, Tit. III, Nr. 7 A, Bd. I, Bl. 204, Dienstlaufbahn. GStA PK, I. HA, Rep. 76 Vb Kultusministerium, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 17, Bd. II, 17.3.1925 – Wissenschafts- an Finanzminister. Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften 40 (1935), 8508 u. 41 (1936), 5425. Glinz, Die maschinelle Zwischenförderung, dort auch ein Lebenslauf.; Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften 42 (1937), 6193. Vgl. Gebhardt, Normag NG 22. Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften 45 (1940), Art. „Schmidt, Kranz & Co.“. Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften 43 (1938), 6423 u. 48 (1943), 5024.
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jedenfalls einen erstrangigen fördertechnischen Fachmann. Und Aumund erhielt die Möglichkeit, mit Schmidt, Kranz & Co. zusammen ein von ihm konstruiertes Förderband weiterzuentwickeln.92 Das erste Aumundsche Schleppplattenband ging bereits 1938 an die Zeche Rheinpreußen und bewährte sich dort glänzend. 1940 bot Schmidt, Kranz & Co. die Bänder in Werbeanzeigen an; ein betriebsfähiges Band könne jederzeit bei dem Unternehmen besichtigt werden.93 Insbesondere argumentierte man, dass die Stahlbänder in der Lage seien, an die Stelle der Gummibänder zu treten, für welche kein Rohstoff mehr zur Verfügung stehe. Das Geschäft mit den Stahlbändern scheint aber ebenfalls nicht in Gang gekommen zu sein, denn bis Anfang 1945 wurde nur ein weiteres verbessertes Band gebaut. Es war für das Kalibergwerk Volkenroda bestimmt, dürfte aber nicht mehr ausgeliefert worden sein. Die Stahlbänder waren materialintensiv. Im Unterschied zu Gummi standen im nationalsozialistischen Deutschland zwar Eisenerze und Koks zur Verfügung, aber diese wurden in erster Linie für die Rüstung benötigt. Die Mechanisierung nicht so kriegswichtiger Bereiche litt dagegen unter der Ressourcenknappheit.94 Als Aumund während des Krieges bei Rheinpreußen nachfragte, ob man nach den guten Erfahrungen mit dem ersten Band nicht weitere bestellen wolle, erhielt er die Antwort, „dass man während des Krieges froh sei, nicht neue Reserveteile zu benötigen und mit den alten auskomme und dass wir nach dem Kriege wohl darüber sprechen könnten.“95 Hinzu kam, dass im Bergbau und beim Bau unterirdischer Rüstungsanlagen zunehmend Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt wurden. Dabei wurde das Material üblicherweise mit von Hand geschobenen Loren auf Schienen bewegt. Die Entwicklung der Förderbänder passte also nicht in die nationalsozialistische Kriegswirtschaft, sondern stellte eher eine Vorbereitung auf die Nachkriegszeit dar. Mit anderen Produkten profitierte Schmidt, Kranz & Co. allerdings beträchtlich von der nationalsozialistischen Rüstungspolitik und dem Krieg.96 Das Unternehmen lieferte Prüfstände für Flugzeugmotoren, Zünder und Zündschrauben, Lafetten für das 8,8 cm-Flakgeschütz, Kettenräder für Panzerfahrzeuge, Gefechtswagen für Pferdezüge, Packkästen für Handgranaten, Öltankwagen, Teile für die V 2 und anderes mehr. Die Zahl der Beschäftigten erhöhte sich von etwa 200 (1935/36) über 530 (1938) auf 1.700 (1944).97 Mindestens seit 1942 setzte das Unternehmen Zwangsarbeiter ein, deren Zahl bis zum Kriegsende auf mehr als 600 anstieg.98
92 93 94 95 96 97 98
Ausführlich s. u. S. 87 ff. Gebhardt, Normag NG 22, 36; montan.dok/BBA 16/845, „Schleppplattenförderbänder, Bauart Aumund“. Vgl. für den Bergbau: Bleidick/Weber, Entwicklung, 98. Aumund, Lebenserinnerungen, 64. Vgl. Wagner, Produktion, 143; Baranowski, Rüstungsproduktion, 159 u. 350; Gebhardt, Normag NG 22, 40 f. Baranowski, Rüstungsproduktion, 351; Gebhardt, Normag NG 22, 41. Wagner, Produktion, 165 u. 417; Baranowski, Rüstungsproduktion, 200 u. 351; vgl. VetulaniBelfoure, In einem deutschen Städtchen, 76 ff.
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Seit Mai 1944 produzierten zudem über 100 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dora Teile der V 2.99 Es ist nicht bekannt, auf welche Weise und wie intensiv sich Aumund während des Krieges bei Schmidt, Kranz & Co. engagierte. Jedenfalls dürfte das Reisen zwischen Berlin und dem Harz zunehmend schwieriger geworden sein. 1945 verließ er mit seiner Familie Berlin und siedelte nach Kirchlinteln bei Bremen über. Die ersten Nachkriegsaufträge für die Fördererbau GmbH betrafen Bänder für die Trümmerbeseitigung in den Städten.100 Seit 1948 kamen Aufträge für den Bergbau hinzu.101 Bereits während des Krieges entschloss sich Aumund, seinen Sohn GünterClaus Aumund sowie seinen Schwiegersohn Ulrich v. Kritter102 in das Geschäft zu integrieren.103 Der Jurist Ulrich v. Kritter war 1934 mit einer Arbeit „Ausgleichsansprüche auf ungerechtfertigt gezogenen Gewinn im gewerblichen Rechtsschutz“ promoviert worden.104 Zusammen mit dem früheren Assistenten Aumunds an der Technischen Hochschule Berlin, Herbert Knaust, bauten Aumund und v. Kritter in Kirchlinteln das technische Büro der Fördererbau GmbH auf. Der Standort Berlin wurde zwar formal bis 1961 aufrechterhalten, besaß aber de facto keine Bedeutung mehr.105 In einem Briefkopf des Unternehmens aus dem Jahr 1950 tauchen Berlin und Kirchlinteln noch nebeneinander auf.106 Als Arbeitsgebiete werden genannt: „Entwurf und Ausführung von Förderanlagen nach Aumund-Patenten, insbesondere Eisenbahnwagenkipper, automatische Umlaufaufzüge, Stahlplattenförderbänder, Trümmer-Voraufbereitungsanlagen“. Herbert Knaust arbeitete seit etwa Mitte der 1920er Jahre bei Aumund an der Technischen Hochschule Berlin.107 Ende 1931 wurde er mit einer Arbeit zur Treibscheibenförderung promoviert; ein paar Jahre später als dessen Oberingenieur geführt. Er war einige Jahre bei der Lauchhammer AG tätig108 und dann bis zum Kriegsende als Dozent an der Technischen Hochschule Breslau. Nach dem Krieg bemühte sich Aumund, Knaust für Kirchlinteln zu gewinnen, was sich aber aufgrund der politischen Verhältnisse bis zum Dezember 1948 hinzog. In Kirchlinteln überarbeitete Knaust zunächst Aumunds Lehrbuch „Hebe- und Förderanlagen“, das 1950 unter beider Namen in der dritten Auflage erschien.109 Danach übernahm er eine technische Leitungsposition in der Fördererbau GmbH. 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109
Wagner, Produktion, 386, 417, 476 u. 552; Baranowski, Rüstungsproduktion, 351 f. S. o. S. 89. Aumund, Lebenserinnerungen, 69. Bei dem am 15.9.1944 veröffentlichten Patent DRP 747201 ist v. Kritter einer der Anmelder (DEPATISnet). Das Folgende vor allem nach: Aumund, Lebenserinnerungen, 69–72. Vgl. Kritter, Ausgleichsansprüche, 56 (Lebenslauf). Amtsgericht Charlottenburg, Berliner Handelsregister, Schreiben v. 1.6.2016; Amtsgericht Moers, Handelsregister, HRB 98. ZLB Berlin, Springer-Archiv C/16/Aumund, 13.6.1950 – Knaust an Springer. Aumund, Lebenserinnerungen, 71; Knaust, Treibscheibenförderung; Die Fördertechnik 24 (1931), 46; Technische Hochschule zu Berlin, Programm 1934/35, 64. Vgl. DEPATISnet, DRP 683305, 733289 u. 751857. S. u. S. 107 f.
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Nach der Rückkehr aus der Internierung trat auch Günter-Claus Aumund in das Unternehmen ein. In den frühen 1950er Jahren baute er in Homberg bei Duisburg ein Vertriebsbüro auf. Die Wahl Hombergs erfolgte in erster Linie wegen der räumlichen Nähe zum Ruhrbergbau, aber auch wegen verwandtschaftlicher Beziehungen in dem Ort.110 In den meisten Fällen holte Günter-Claus Aumund die Aufträge herein und ließ sie im technischen Büro in Kirchlinteln ausarbeiten. Heinrich Aumund sah in der Fördererbau GmbH ein Familienunternehmen und führte in einer Reihe von Patenten zusätzlich seinen Sohn und seinen Schwiegersohn als Anmelder auf, obwohl die beiden Juristen an den technischen Innovationen keinen Anteil besaßen.111 Es dürfte Aumund schwer getroffen haben, dass v. Kritter und Knaust 1952 ein eigenes Unternehmen gründeten, dabei einen Großteil der Belegschaft in Kirchlinteln abwarben und in der Folgezeit der Fördererbau GmbH Konkurrenz machten. Die Gründe für diesen Schritt bleiben unklar. An der neuen Firma TKV Transportanlagen – Konstruktions- und Vertriebs-GmbH hielt v. Kritter 60 % und Knaust 40 %.112 1954 verlegten sie das Unternehmen nach Bad Homburg vor der Höhe im Taunus. Herbert Knaust entfaltete einen ähnlichen innovatorischen Eifer wie Aumund in seinen besten Tagen. In der Datenbank DEPATISnet sind unter seinem Namen 173 Patente eingetragen, unter v. Kritter 154.113 Aber auch die in den frühen 1950er Jahren nach Homburg verlegte Fördererbau GmbH florierte – vor allem wegen der damaligen Konjunktur des Bergbaus.114 Seit etwa 1950 hob die britische Militärregierung die für den Bergbau geltenden Restriktionen sukzessive auf. 1952 begann – durch die Bundesregierung unterstützt – eine weitgehende Mechanisierung.115 Ins Jahr 1956 fällt das Maximum der Steinkohleförderung.116 Der Boom währte allerdings nur kurz. Seit etwa 1958 verschlechterte sich die Lage rapide – wegen der Konkurrenz des Öls sowie der preiswerteren ausländischen Kohle. Den Zechen blieb nichts anderes übrig, als darauf mit Stilllegungen zu reagieren. Die Zulieferindustrie profitierte zunächst vom Kohleboom, litt aber auch seit 1958 unter dessen Niedergang.117 Es handelte sich um eine heterogene Branche mit zahlreichen mehr oder weniger spezialisierten Unternehmen. Das Jahrbuch des deutschen Bergbaus führte 1953 mehr als 1.000 Firmen auf;118 danach reduzierte sich die Zahl beträchtlich. Viele Zulieferer konnten sich nur halten, weil sie neue Kunden erschlossen oder sich auf den Export konzentrierten. Seit den 1970er Jahren übertraf das Auslands- das Inlandsgeschäft. 110 111 112 113 114 115 116 117 118
Aumund/Coopmann, Aumund, 46 u. 49. Z. B. DP 920777 „Stahlgliederband für Bergwerksbetriebe“ im Jahr 1948 (DEPATISnet). Amtsgericht Bad Homburg v. d. Höhe, Registergericht, 103 HRB 23. DEPATISnet; vgl. http://www.google.com/patents/DE801263C. Vgl. zur Geschichte des Nachkriegsbergbaus: Bleidick/Weber, Entwicklung; Farrenkopf u. a., Glück auf! Farrenkopf, Wiederaufstieg, 250 ff.; Bleidick, Bergtechnik, 377 ff. Vgl. Hegermann/Weber, Bergbautechnik, 331; Jovovic, Zur Entwicklung, 492; Bleidick, Bergtechnik, 394 u. 399. Farrenkopf/Slotta, Geschichte, 27. Vgl. zur Zuliefererindustrie: Bleidick/Weber, Entwicklung; Jovovic, Zur Entwicklung. Bleidick/Weber, Entwicklung, 94.
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Der Erfinder
Heinrich Aumund dürfte in den 1950er Jahren mit der Entwicklung seines Unternehmens zufrieden gewesen sein. In diesem Zeitraum gab er die unternehmerische Verantwortung mehr und mehr an seinen Sohn Günter-Claus ab. Er wirkte bei Aufträgen beratend mit und widmete sich seinen technischen Entwicklungsarbeiten.119 Es war eine zukunftsweisende Entscheidung zu einem günstigen Zeitpunkt, dass die Fördererbau GmbH seit 1955 eine eigene Produktionsstätte in Rheinberg aufbaute.120 Diese führte anfangs Reparaturen durch und fertigte Ersatzteile an. 1958 wurde die Produktion von Waggonkippern aufgenommen, ein Jahr später von Förderbändern und weiteren Anlagen. In der Nachkriegszeit entstanden zahlreiche neue Bandkonstruktionen, die sich durch die Plattenlänge, die Führung, den Antrieb usw. unterschieden.121 Sie waren teilweise kurvengängig und konnten größere Steigungen überwinden. Bei der Entwicklung, dem Bau und dem Vertrieb der Bänder arbeitete die Fördererbau GmbH mit den Gewerkschaften Rheinpreußen und Neumühl sowie mit den Stahlwerken Brüninghaus zusammen. Eine besondere Bedeutung für die Entwicklung der Fördererbau GmbH gewann ein 1948 zum Patent angemeldetes und seit 1950 gebautes kurvengängiges Stahlgliederband.122 Die Platten liefen auf Rollen in Schienen und wurden durch zwei seitliche Ketten mit einem großen Durchhang bewegt, womit in Bergwerken häufig vorkommende horizontale oder vertikale Streckenverschiebungen ausgeglichen wurden. Das Band produzierten bis 1953 fünf Lizenznehmer, die damit allein in Deutschland einen Umsatz von 25 Millionen DM erzielten. Dazu kamen umfangreiche Lieferungen ins Ausland. Die Konstruktion war durch zwei Gebrauchsmuster geschützt, ein Patent angemeldet. Seit 1951 kam es zu juristischen Auseinandersetzungen zwischen der Fördererbau GmbH und anderen Herstellern, so den auf Bergbaumaschinen spezialisierten Maschinenfabriken Eickhoff und Hauhinco.123 Eickhoff hatte sich mit Schüttelrutschen und Schrämmaschinen einen Namen gemacht. Zudem stieg man früh in die Produktion von Gummi- und Stahlbändern ein und wollte dieses Geschäft nach dem Krieg ausbauen. Aumund verklagte Eickhoff vor dem Landgericht Düsseldorf wegen Verletzung eines der Gebrauchsmuster, und Eickhoff beantragte beim Patentamt die Löschung des Gebrauchsmusters. Die Ergebnisse konnten unterschiedlicher nicht sein: Das Landgericht gab Aumund 1953 recht, das Patentamt kam dem Antrag Eickhoffs 1954 und 1956 nach. Daraufhin stellten zahlreiche Lizenznehmer, vom Steinkohlen-Bergwerks-Verein unterstützt, die Zahlungen an die Fördererbau GmbH ein. Aumund legte gegen den Entscheid des Patentamts Berufung beim Bundesgerichtshof ein, der als letzte Instanz 119 120 121 122
Aumund/Coopmann, Aumund, 48 u. 69 ff. Aumund, Lebenserinnerungen, 72 ff.; Aumund/Coopmann, Aumund, 49 ff. Ausführlich s. u. S. 89 ff. Vgl. vor allem montan.dok/BBA 176/158, besonders 18.9.1953; Jurion, Bundesgerichtshof, Urteil v. 26.5.1961. 123 Aumund, Lebenserinnerungen, 67 ff. u. 73; vgl. zu Eickhoff: Jovovic, Zur Entwicklung, 493 ff.; Cysewski, 150 Jahre Gebrüder Eickhoff, bes. Kap. 04; Bleidick, Die zuliefernde Industrie, 160 ff.; vgl. zu Hauhinco: Lieder, 50 Jahre Hauhinco; Bleidick/Weber, Entwicklung, 103 f.
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1961 zugunsten der Fördererbau GmbH entschied.124 Heinrich Aumund war 1959 gestorben und erlebte das Urteil nicht mehr. Es ist aber anzunehmen, dass er sich in den 1950er Jahren lebhaft für die juristischen Auseinandersetzungen interessierte. Dabei dürften der Jurist und Unternehmer Günter-Claus Aumund und der in zahlreichen Prozessen gestählte Ingenieurprofessor und Patentfachmann Heinrich Aumund kein schlechtes Gespann gebildet haben. Jedenfalls fällt es auf, dass sich das Patentamt mehr formal auf den Wortlaut der in Frage stehenden Anmeldungen bezog, die Fördererbau GmbH dagegen die Bewährung ihrer Bänder in der Praxis herausstrich. Blickt man auf die mehr als ein halbes Jahrhundert währende Erfindungstätigkeit Aumunds zurück, dann kann man zunächst feststellen, dass er aus seinen Patenten und den vergebenen Lizenzen beträchtliche Einnahmen erzielte. Weitere Einkünfte resultierten aus der Planung von Anlagen und der Beteiligung an Ausschreibungen. Allerdings musste Aumund die Lizenzzahlungen durch harte Verhandlungen und teilweise vor Gericht erkämpfen. Dies gilt insbesondere für die beiden Lizenznehmer Pohlig und die DEMAG. Wie vergiftet die Beziehung war, lässt sich daraus ersehen, dass der ansonsten immer um Kompromisse und Moderation bemühte Aumund sich in zwei Fällen zu problematischem Äußerungen hinreißen ließ. Von einer konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit kann man in diesen und in weiteren Fällen kaum sprechen. Da es keine systematischen Arbeiten über die Kooperation von freien Erfindern mit Unternehmen in Deutschland gibt, sind Verallgemeinerungen der negativen Erfahrungen Heinrich Aumunds kaum möglich. Handelte es sich um Einzelfälle, die durch die jeweiligen Partner und die Art ihrer Beziehung zu erklären sind? Oder hatten deutsche Großunternehmen grundsätzliche Probleme bei der Zusammenarbeit mit externen Erfindern? Im Gegensatz zu dem Verhalten der deutschen Partner berichtete Aumund über den Umgang englischer Firmen mit seinen Patenten in positiver Weise.125 Das englische Stahlunternehmen Lilleshall hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg nach seinen Patenten Gichtaufzüge gebaut. Während des Krieges arbeitete die Firma weiter mit Zwangslizenzen, die sich auf alle deutschen Unternehmen erteilten Patente erstreckten. Nach Beendigung des Krieges leistete Lilleshall hierfür freiwillig Nachzahlungen. Heinrich Aumund war jedenfalls der Auffassung, dass die Unternehmen sich auf ungebührliche Weise auf Kosten der Erfinder bereicherten und profilierten. So führte er in der ersten Auflage seines Lehrbuchs „Hebe- und Förderanlagen“ Klage über deren Verhalten:126 „Einige Firmen belegen fast alles, was sie in ihre Druckschriften aufnehmen, mit ihrem Namen, auch wenn sie z. B. nur das Ausführungsrecht gegen Lizenzzahlung erworben oder wenn sie die Konstruktion ohne jede Änderung von anderen Firmen übernommen haben.“ Um dem entgegenzuarbeiten habe er sich bemüht, nicht nur die Hersteller, sondern auch die Erfinder anzugeben. Dies galt auch für das Sachregister des Buches, wo z. B. die „Aumundsche Hochofenbegichtung“ und der „Aumundsche Kurvenkipper für Eisenbahnwagen“ auftaucht. 124 Jurion, Bundesgerichtshof, Urteil v. 26.5.1961; vgl. Aumund/Coopmann, Aumund, 62 ff. 125 Aumund, Lebenserinnerungen, 36; RWWA 69-15-2, Besprechungsprotokoll v. 16.2.1922; 25.7.1922. 126 Aumund, Hebe- und Förderanlagen, 1916, V (hier das Zitat) u. 787.
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Der Erfinder
In der Zwischenkriegszeit war Aumund auf der Suche nach vertraglichen Vereinbarungen bzw. Geschäftsmodellen, mit denen er als Erfinder zu seinem Recht kommen konnte – dies mit unterschiedlichem Erfolg. In der Nachkriegszeit scheint die Kooperation mit einer Reihe von Unternehmen besser verlaufen zu sein, was jedoch nicht ausschloss, dass Aumund und die Fördererbau GmbH ihre Ansprüche vor Gericht durchsetzen mussten. INNOVATIONEN Die innovatorische Tätigkeit Aumunds lässt sich am besten mit Hilfe seiner Patente analysieren.127 Von den ihm Zeit seines Lebens erteilten mehr als 200 Patenten konnten 143 genauer identifiziert werden. Von diesen wurden etwa zwei Drittel in Deutschland ausgefertigt, ein Drittel im Ausland (Abb. 1). Bei den allermeisten Anmeldungen in anderen Ländern handelte es sich um Innovationen, die Aumund auch in Deutschland patentieren ließ. Dabei war das Länderspektrum ausgesprochen breit; es tauchen auf (geordnet nach der Häufigkeit der Patentnahme): das Vereinigte Königreich und Frankreich deutlich an der Spitze, Belgien, Österreich, die Vereinigten Staaten, die Schweiz, Ungarn, Italien, Dänemark, die Sowjetunion, Rumänien, Bulgarien, Chile und Japan. Es sei dahingestellt, ob sich dieses globale Engagement für Aumund auszahlte. Konkrete Lizenzzahlungen sind nur aus England belegt.128 In einem Bericht von der Weltausstellung in Brüssel 1910 thematisierte Aumund Schwierigkeiten der Patentnahme in anderen Ländern und schlug vor, deutsche Unternehmen sollten sich hierfür zusammentun und im Ausland eine gemeinsame Niederlassung ins Leben rufen.129 'ĞƐĂŵƚŚĞŝƚ ĞƵƚƐĐŚůĂŶĚ &ƌĂŶŬƌĞŝĐŚ sĞƌĞŝŶŝŐƚĞƐ