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German Pages 374 Year 2020
Rupert Graf Strachwitz, Eckhard Priller, Benjamin Triebe Handbuch Zivilgesellschaft
Maecenata Schriften
Herausgegeben von Dr. phil. Rupert Graf Strachwitz, Dr. sc. Eckhard Priller und Christian Schreier
Band 18
Rupert Graf Strachwitz, Eckhard Priller, Benjamin Triebe
Handbuch Zivilgesellschaft
ISBN 978-3-11-055129-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-055347-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-055140-2 ISSN 1866-122X Library of Congress Control Number: 2020933281 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Dank Die Idee, ein Handbuch Zivilgesellschaft herauszubringen, wurde schon vor mehreren Jahren in einem Gespräch zwischen Thomas Krüger, dem Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), und Rupert Graf Strachwitz, dem Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft, geboren. Von dieser Geburtsstunde bis zur Fertigstellung hat das Projekt lange, vielleicht allzu lange gebraucht. Da es auf Wunsch der bpb kein Sammelband, sondern ein Autorenband werden sollte, wurde es ein Kraftakt, der aus vielerlei Gründen immer wieder Verzögerungen erfahren hat. Die bpb, namentlich Dr. Hans-Georg Golz, hat das Vorhaben über mehrere Jahre hinweg dankenswerterweise unterstützt. Insbesondere war es aufgrund dieser Unterstützung möglich, eine Zuarbeit auszuschreiben. Markus Beek, Iris Beuerle, Elke Bojarra-Becker, Malte Ebner von Eschenbach, Gabriele Gollnick, Stefanie Groll, Karsten Holler, Katrin Kiefer, Marisa Klasen, Holger Krimmer, Burkhard Kustermann, Marius Mühlhausen, Susann Tracht, Isabel Urrutia, Andrea Walter, Germo Zimmermann und Iris Zschidrich haben sich an dieser Zuarbeit beteiligt. Besonders wertvolle Hilfe leistete darüber hinaus Ansgar Klein. Sie alle haben ausdrücklich der Verwendung ihrer Beiträge für den Text dieses Bandes zugestimmt. Für ihre Beiträge sei ihnen an dieser Stelle sehr herzlich gedankt. Als CoAutoren haben sich in verschiedenen Phasen Christian Schreier und Christopher Gohl für das Projekt engagiert. Auch ihnen sind die verbleibenden Autoren zu Dank verpflichtet. Markus Edlefsen und Philipp Kreutzer haben sich geduldig und beharrlich darum bemüht, das Projekt voranzutreiben. Dafür sind ihnen die Autoren außerordentlich dankbar. Bernhard Matzak, Leiter der Maecenata Bibliothek, hat die ausführliche Bibliographie zusammengetragen und die Autoren bei der Suche nach Quellen beständig unterstützt. Ihm gebührt dafür besonderer Dank. Alle Genannten haben es auf ihre je besondere Weise ermöglicht, dass dieses Handbuch nunmehr endlich erscheinen kann. Für alle Unzulänglichkeiten, Irrtümer und Fehler sind aber keinesfalls sie, sondern allein die Autoren verantwortlich.
https://doi.org/10.1515/9783110553475-001
Inhalt Dank | V Einführung | 1 Ergänzende Literatur | 8 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5
Historischer Zugang | 9 Ursprünge der Zivilgesellschaftsforschung | 9 Aristoteles und die antiken Wurzeln | 9 Adam Ferguson und die schottische Aufklärung | 10 Georg Friedrich Wilhelm Hegel und die bürgerliche Gesellschaft | 12 Alexis de Tocqueville und die bürgerlichen Assoziationen | 13 Karl Marx: Zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Zivilgesellschaft | 15 1.1.6 Max Weber und die Soziologie der Herrschaft | 17 1.1.7 Antonio Gramsci: Hegemonie und zivile Gesellschaft | 18 1.1.8 Hannah Arendt und die Vita Activa | 20 1.1.9 Karl Popper und die offene Gesellschaft | 22 1.2 Ursprünge moderner Zivilgesellschaft | 23 1.2.1 Frühe Geschichte: Von der Confoederatio zur Universitas | 23 1.2.2 Bürgerliche Gesellschaften | 25 1.2.3 Geheime Bünde | 28 1.2.4 Vaterländische Vereinigungen | 30 1.2.5 Jugend- und Studentenverbindungen | 31 1.2.6 Arbeitervereine | 33 1.2.7 Wohlfahrtsverbände | 34 1.2.8 Philanthropische Organisationen | 36 1.2.9 Kirchliches Verbandswesen | 38 1.2.10 Fazit | 39 Ergänzende Literatur | 40 2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1
US-Amerikanisch dominierte Civil Society Diskurse | 41 Übersicht | 41 Stränge der Diskussion: Normative Zivilgesellschaftstheorien des 20. Jahrhunderts | 46 Vorbemerkungen | 46 Kritische Theorie und Neue Soziale Bewegungen | 47 Heutige Bedeutung | 48 Sozial Konservative/Republikaner, Neo-Liberale | 49 Heutige Wirkung | 50
VIII | Inhalt
2.4 Links-Progressive vs. sozial Konservative | 51 2.5 Liberale/Liberal-republikanisch | 51 2.6 Kommunitarismus | 53 2.6.1 Heutige Bedeutung | 54 2.7 Kommunitaristen vs. Liberale | 55 2.8 Robert Putnam: Sozialkapital | 56 2.8.1 Wirkung und heutige Bedeutung | 58 2.9 Der empirische, sozialökonomische Ansatz | 58 Ergänzende Literatur | 60 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.3 3.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.5.6 3.5.7
Europäische Zivilgesellschaftsdiskurse | 61 Demokratietheoretische Konzepte der Zivilgesellschaft | 61 Die Rolle der Zivilgesellschaft in modernen Demokratietheorien | 61 Deliberative und partizipative Demokratie | 63 Das Credo der demokratischen Selbstregierung | 65 Reflexive Demokratie und Zivilgesellschaft | 67 Zivilgesellschaft in Transformationsprozessen | 68 Historische Bewegungsforschung | 70 (Neue) Soziale Bewegungen in Deutschland | 70 Arbeiterbewegung | 71 Frauenbewegung | 73 Studentenbewegung | 75 Umweltbewegung | 77 Friedensbewegung | 79 Europäische Bewegungen | 80 Soziale Bewegungen in der DDR | 82 Bürgerbewegungen in Mittel- und Osteuropa | 85 Ältere deutsche Zivilgesellschaftsdiskurse | 87 Subsidiarität | 87 Korporatismus | 90 Pluralität | 91 Solidarität | 92 Krise des Wohlfahrtsstaates | 93 Liberaler Zugang und Small-State-Debatte | 95 Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ | 97 3.6 Der normative Diskurs | 98 Ergänzende Literatur | 101 4 4.1 4.1.1
Empirische Zivilgesellschaftsforschung | 103 Grundlagen empirischer Zivilgesellschaftsforschung | 103 Ausgangssituation und Datenüberblick | 103
Inhalt | IX
Komplexe Forschungsansätze | 106 Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project | 106 Civicus | 111 Ausgewählte Erhebungen und Datenquellen auf Organisationsebene (Meso-Ebene) | 121 4.3.1 „Organisationen heute“ | 121 4.3.2 ZiviZ-Survey | 122 4.4 Ausgewählte Erhebungen auf der Personenebene (Mikroebene) | 124 4.4.1 Deutscher Freiwilligensurvey | 124 4.5 Weitere empirische Studien, Quellen und Erhebungen | 126 4.5.1 Engagementberichte der Bundesregierung | 126 4.5.2 Datenreport Zivilgesellschaft | 127 4.5.3 Spendenstatistiken und Spendenerhebungen | 128 4.5.4 Datenbanken als spezielle Datenquelle | 131 4.5.5 Weitere Datenerhebungen und Datenbanken mit Zivilgesellschaftsbezug (Dauererhebungen) | 134 Ergänzende/weiterführende Literatur | 136
4.2 4.2.1 4.2.2 4.3
5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.6.1 5.6.2
Die Makro Perspektive: Zivilgesellschaft, Staat und Markt | 137 Bürgergesellschaft und Zivilgesellschaft | 137 Drei Arenen | 141 Zivilgesellschaft als Arena | 144 Markt als Arena | 147 Staat als Arena | 149 Hybridformen der Gemeinwohlproduktion | 153 Corporate Social Responsibility/Corporate Citizenship | 154 Sozialunternehmen/Social Entrepreneurship/solidarisches Wirtschaften | 158 Ergänzende Literatur | 161
6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.6 6.2.7 6.3
Die Meso Perspektive: Zivilgesellschaftliche Organisationen | 163 Einführung | 163 Unterscheidungen | 166 Grundausrichtung | 167 Funktion | 167 Ziele | 168 Steuerrechtlicher Status | 169 Finanzierung | 171 Rechtsform | 172 Verfasste und nicht verfasste Akteure | 172 Funktionsbereiche | 174
X | Inhalt
6.3.1 Dienstleistungsfunktion | 174 6.3.2 Themenanwaltsfunktion | 176 6.3.3 Wächterfunktion | 178 6.3.4 Selbsthilfefunktion | 179 6.3.5 Mittlerfunktion | 179 6.3.6 Gemeinschaftsbildungsfunktion | 180 6.3.7 Politische Deliberationsfunktion/Mitgestaltungsfunktion | 181 6.3.8 Funktion der persönlichen Erfüllung (personal growth) | 181 6.4 Finanzierung | 182 6.4.1 Grundsätzliches | 182 6.4.2 Mittelherkunft | 184 6.5 Legitimität | 198 6.6 Rechtsformen | 203 6.6.1 Der Verein | 203 6.6.2 Der Verband | 205 6.6.3 Die Stiftung | 207 6.6.4 Die gemeinnützige Kapitalgesellschaft | 209 6.6.5 Die Genossenschaft | 210 6.7 Netzwerke | 212 6.8 Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen | 216 6.9 Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) | 219 Ergänzende Literatur | 220 7 Die Mikro-Perspektive: Bürgerschaftliches Engagement | 221 7.1 Ehrenamt vs. Bürgerschaftliches Engagement | 221 7.2 Geschichte | 223 7.3 Traditionen | 225 7.4 Soziales und politisches Engagement | 228 7.5 Der heutige Diskurs | 229 7.6 Ziele und Formen | 231 7.7 Motivation | 234 7.8 Vergütung | 235 Ergänzende Literatur | 237 8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3
Der Beitrag der Zivilgesellschaft | 239 Warum Zivilgesellschaft? | 239 Der zivilgesellschaftliche Mehrwert | 243 Ressourcen der Zivilgesellschaft | 245 Widerstand und ziviler Ungehorsam | 248 Widerstandskategorien | 249 Empowerment als Konzeption von Widerständigkeit | 250 Widerständigkeit und zivilgesellschaftliche Entwicklung | 251
Inhalt | XI
8.5 Stakeholder der Zivilgesellschaft | 252 Ergänzende Literatur | 264 9 Internationale Zivilgesellschaft | 265 9.1 Einführung | 265 9.2 Zivilgesellschaft weltweit | 267 9.3 Zivilgesellschaft und politisches Ordnungskonzept | 269 9.4 Vertrauen | 271 9.5 Die Shrinking-Space-Debatte | 273 9.5.1 Einführung | 273 9.5.2 FATF und AMLCFT | 276 9.5.3 Der Shrinking Civic Space in „westlichen“ Demokratien | 279 9.6 Zivilgesellschaft in Europa | 280 Ergänzende Literatur | 282 10 Aktuelle Debatten | 283 10.1 Die Debatte um politische Mitgestaltung | 283 10.2 Stadtentwicklung und Zivilgesellschaft | 286 10.3 Religionsgemeinschaften, Parteien und Gewerkschaften | 289 10.4 Transparenz und Compliance | 292 10.4.1 Einführung | 292 10.4.2 Mehr Transparenz | 297 10.4.3 Grenzen der Transparenz | 298 10.5 Zivilgesellschaft und kommunikative Revolution | 302 10.6 Neue Formen | 305 10.7 Communities of Choice | 309 10.8 Grenzen der Zivilgesellschaft | 311 10.9 Zivilgesellschaft – Immer gut? | 314 10.9.1 Einführung | 314 10.9.2 Heterogenität und Gemeinsamkeiten | 315 10.9.3 Kriterien einer guten Zivilgesellschaft | 317 10.9.4 Fazit | 318 Ergänzende Literatur | 319 Nachwort | 321 Bibliographie | 323 Monografien | 323 Sammelbände | 336 Aufsätze, Artikel und Beiträge | 345 Online-Publikationen | 355
Einführung Der Begriff Zivilgesellschaft (ZG) wird einerseits schon seit Jahrhunderten in wechselnden Bedeutungen verwendet. In dem Wort steckt das lateinische civilitas, das nicht etwa ein zivilisiertes oder ziviles Verhalten, schon gar nicht etwas ziviles im Gegensatz zum militärischen bezeichnet. Gemeint ist vielmehr das Bürgerschaftliche, das mit dem Bürgerstand Verbundene, das Rechte und Pflichten beinhaltet. Roms erster Kaiser, Augustus, verwendete den Ausdruck oft, um damit auszudrücken: „Wir sind alle gemeinsam Bürger.“1 Andererseits bildet Zivilgesellschaft erst seit höchstens einer Generation in Deutschland einen Gegenstand der ernsthaften politischen Debatte. Tendenzen der Entstaatlichung der Politik, Erfahrungen – und Erfolge – zivilgesellschaftlicher Gruppen vor und während der Wendezeit (1989/90), die Krise des Wohlfahrtsstaates, ein allgemeines Markt- und Staatsversagen, der sich stärker artikulierende Wille der Bürgerinnen und Bürger, an der res publica, den allgemeinen Angelegenheiten aktiv zu partizipieren und andere Gründe können dafür benannt werden. Nicht zuletzt die Protestbewegungen im In- und Ausland zeigen uns deutlich, dass ZG neben Staat und Markt eine dritte gleichrangige Arena des kollektiven Handelns im öffentlichen Raum geworden ist, wesentlich unterstützt durch die Kommunikationsrevolution der letzten Jahre. In dieser Arena finden rund 80 Prozent des heute so oft beschworenen bürgerschaftlichen Engagements statt. Heute ist festzustellen: Die Zivilgesellschaft entwickelt sich rasant, aber in der politischen, wissenschaftlichen, medialen und Bildungsöffentlichkeit wird dies wenig und meist nur selektiv wahrgenommen2. Nach wie vor werden Fehl- und Vorurteile vorgetragen, die einen sachgerechten Diskurs weitgehend verhindern. Beispielsweise stellt die deutsche Politik und Verwaltung allein auf die Dienstleistungsfunktion der Zivilgesellschaft ab und verkennt den zivilgesellschaftlichen Mehrwert ebenso wie den Beitrag zivilgesellschaftlicher politischer Mitgestaltung zur Stabilisierung einer Demokratie, die in eine schwere Krise geraten ist. Dazu trägt auch bei, dass der Begriff der Zivilgesellschaft einerseits einen Bedeutungswandel erfahren hat, sodass ältere Konzepte mit der heutigen Begrifflichkeit nicht in Einklang zu bringen sind, während andererseits in Deutschland der Begriff der Bürgergesellschaft als konkurrierender Begriff mit gleicher Bedeutung in die Diskussion eingeführt wurde. Inzwischen besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass mit Bürgergesellschaft etwas anderes gemeint ist: eine heterarchische Gesamtgesellschaft, die von den Bürgerinnen und Bürgern aufgebaut und von diesen her organisiert ist, und || 1 Beard, SPQR – A History of Ancient Rome, S. 356. 2 Siehe dazu bspw. das 2019 von dem international sehr renommierten Finanzwissenschaftler Raghuram Rajan vorgelegte Buch „The Third Pillar: How Markets and the State Leave the Community Behind“, der als dritte Säule der Gesellschaft ausschließlich die politische Gemeinde sieht. https://doi.org/10.1515/9783110553475-002
2 | Einführung
die sich von einer hierarchischen, von einem Gründer oder Herrscher her organisierten Gesellschaft abhebt. Zivilgesellschaft ist in beiden Modellen denkbar und auch tatsächlich anzutreffen. Es verwundert nicht, dass die Zivilgesellschaftsforschung ebenfalls noch ein junges Forschungsfeld darstellt, das unter anderem durch definitorische Unklarheiten, eine starke Varianz in der Gewichtung ihrer Unterthemen und eine inhärente, an den Rändern unscharf abzugrenzende Interdisziplinarität gekennzeichnet ist. Dabei lässt sich zur politikwissenschaftlichen Einordnung eine reiche theoretische Forschung und Literatur entdecken; ebenso sind aus der empirischen Sozialforschung Studien in reichem Maße vorhanden. Aus den Geschichts- und Kulturwissenschaften, aus Spezialgebieten wie Arabistik, Amerikanistik usw. liegen auch aus dem deutschen Sprachraum Untersuchungen und Studien, darunter zahlreiche Qualifizierungsarbeiten, in großen Mengen vor, von englischen Veröffentlichungen ganz zu schweigen. Aber obwohl Zivilgesellschaft theoretisch und empirisch mehr als hinreichend fundiert erscheint, wird in der öffentlichen Debatte im Wesentlichen nur mit juristischen, gelegentlich mit ökonomischen Positionen argumentiert. Bisher kaum gelungen ist auch das Mainstreaming eines zivilgesellschaftlichen Denkansatzes, das heißt, weder die allgemeine Forschungslandschaft der Sozialund Geisteswissenschaften noch etwa die Curricula der allgemeinbildenden Schulen haben sich hinlänglich diesem Aspekt gewidmet. Dies ist um so mehr zu bedauern, als Studierende fast aller sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen wachsendes Interesse daran zeigen. Bürgerschaftliches Engagement in der ZG muss als Querschnittsaufgabe der Forschung ebenfalls noch entdeckt und entwickelt werden. Was zu alldem fehlt, ist ein Kompendium, das das Vorhandensein und die Bedeutung dieses Themas aufzeigt, den Forschungsstand abbildet, Anregungen für weitere Beschäftigung mit der Thematik bietet und Entscheidungsträger, Medienvertreter, Lehrkräfte, Studenten und andere Interessenten an dieses Themenfeld heranführt. Diese Lücke soll das hier vorgelegte Handbuch schließen helfen. Das Werk soll die angesprochenen Herausforderungen verdeutlichen und einen Beitrag zu deren Lösung bieten. Es stellt traditionelle und neue Erscheinungsformen einander gegenüber und versucht bewusst nicht, einengend an die Thematik heranzutreten. Gerade die Vielseitigkeit der Zivilgesellschaft und der Forschung dazu und die damit verbundene interdisziplinäre Anknüpfbarkeit bieten Chancen für vielseitige Erkenntnisgewinne. Die Gliederung des Handbuchs entwickelt diese Multidimensionalität aus den Traditionslinien des Forschungsfeldes. Dabei werden einerseits die maßgeblichen Autoren mit ihren Kernaussagen vorgestellt, andererseits die Diskurse und Forschungslinien erläutert, die die Theoriebildung und Praxisentwicklung bestimmt haben. Eine anschauliche Darstellung wird durch Bezüge zu aktuellen Entwicklungen und Debatten angestrebt.
Einführung | 3
Ausdrücklich ausgeklammert werden so weit als möglich juristische und ökonomische Ansätze, die sich mit den Organisationen der ZG befassen, da sie einen grundsätzlich verschiedenen Zugang beinhalten. Überdies wird die öffentliche Diskussion um Zivilgesellschaft in Deutschland ohnehin von diesen – durchaus wichtigen und notwendigen – Fragestellungen beherrscht. Dagegen versucht dieser Band, ein argumentatives Gegengewicht zu bilden. Ebensowenig soll das Handbuch ein Management-Ratgeber sein. Dementsprechend wird die Diskussion um Effektivität oder Impact zivilgesellschaftlichen Handelns nicht vollumfänglich aufgenommen. Sie würde vom proprium, dem Spezifischen zivilgesellschaftlichen Denkens und Handelns wegführen und die Betrachtung auf ein marktgemäßes Verhalten lenken3. Vermittelt werden sollen vielmehr Grundlagen, Strömungen, Diskurse und Verknüpfungsansätze, die ein soziales Phänomen beschreiben, einordnen und theoretisch begründen. Insbesondere die geistesgeschichtliche, historische und politiktheoretische Herleitung ist ein Anliegen dieses Handbuchs. Sie soll dem Leser insbesondere dazu dienen, zivilgesellschaftliche Zusammenhänge und Fragestellungen in allgemeine gesellschaftsrelevante Themen zu integrieren. Den Beiträgen des Handbuchs sind folgende Annahmen zugrundegelegt: 1. Dem Konzept des Handbuchs liegt ein Menschen- und Gesellschaftsbild zugrunde, das den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Älteren Konzepten, wonach der Mensch für die Gesellschaft oder für den Staat4 da sei, wird eine klare Absage erteilt. 2. ZG wird begrifflich als deutsche Übersetzung des englischen civil society verstanden. Auf die reichhaltige englischsprachige Praxis- und Forschungstradition wird insoweit Bezug genommen. 3. Der in der öffentlichen Debatte gelegentlich vorgetragenen Ansicht, ZG sei nur eine, wenn auch vielleicht notwendige oder begrüßenswerte Modeerscheinung des frühen 21. Jahrhunderts wird ausdrücklich nicht gefolgt. Vielmehr wird sie als Idee mit langer Geschichte gesehen, auch wenn das gegenwärtige Konzept von ZG in den letzten rund 30 Jahren die Konturen bekommen hat, unter denen es heute fassbar ist. Dementsprechend wird auch davon ausgegangen, dass es aus der Debatte um gesellschaftliche Ordnungskonzepte nicht mehr oder jedenfalls nicht so schnell verschwinden wird. 4. Der Vorstellung, ZG setze eine demokratische Gesellschaft voraus, wird ebensowenig gefolgt, allerdings auch nicht der Meinung, ihr Erstarken sei Ausdruck || 3 Edwards, The Oxford Handbook of Civil Society, S. 11. 4 Unter dem Begriff Staat werden in diesem Buch durchweg alle öffentlichen Gebietskörperschaften zusammengefasst, also Bund, Länder und Gemeinden (Kommunen) sowie wo betreffend auch die Europäische Union. Dabei wird nicht verkannt, dass die Kommunen historisch und bis ins 20. Jahrhundert eher anti-staatlich konditioniert waren und dass dort heute wieder Tendenzen erkennbar werden, sie aus dem Status der Vollzugsbehörde zu befreien und eine originäre Gemeinschaftsbildung zurückzuerobern.
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einer Krise der Demokratie. Vielmehr wird unterstellt, dass sie unter jedweden gesellschaftlichen Verhältnissen anzutreffen ist, allerdings in unterschiedlicher Stärke und mit unterschiedlichen Zielen. 5. ZG wird, dem weit überwiegenden Sprachgebrauch folgend, als eher deskriptive, formale Sammelbezeichnung für untereinander sehr heterogene kollektive Akteure gebraucht, denen aber gemeinsame Charakteristika zugeordnet werden können, unter anderem (1) dass sie subjektiv Ziele des allgemeinen Wohls verfolgen, (2) dass ihre Tätigkeit nicht in erster Linie wirtschaftlichen Zielen dient, (3) dass die Zugehörigkeit zu einem zivilgesellschaftlichen Kollektiv freiwillig ist, (4) dass sie keine dem Machtmonopol des Staates vorbehaltene Funktionen ausüben, (5) dass Überschüsse aus ihrer Tätigkeit nicht an Mitglieder oder Eigentümer ausgeschüttet werden.5 6. ZG wird als eine von drei Bereichen, Arenen, Sphären des kollektiven Handelns in der Gesellschaft definiert, deren andere der Staat und die Wirtschaft sind. Dabei ist klar, dass eine eindeutige Zuordnung in Einzelfällen schwierig ist, sodass Hybridzonen erkennbar bleiben. 7. Die vor allem in Deutschland auch noch gebräuchliche Definition von ZG als Sphäre des zivilen Umgangs miteinander oder als Abgrenzung von einer militärisch organisierten Gesellschaft wird ausdrücklich nicht übernommen. Ebensowenig wird unterstellt, dass ZG in jedem Einzelfall normativ akzeptabel ist. Vielmehr wird unterstellt, dass ZG ebenso wie Staat und Markt Akteure beinhaltet, die normativ nicht akzeptabel erscheinen. 8. Die Arena der ZG gruppiert sich wie die anderen beiden Arenen um die Sphäre des Individuums und seiner unmittelbaren Privatsphäre, bspw. der Familie, die als Ausgangspunkt der Gesellschaft gesehen wird. 9. Die Heterogenität der ZG erstreckt sich auf die unterschiedlichen Rollen und Funktionen, die zivilgesellschaftliche Organisationen einnehmen bzw. ausüben können6: (1) Dienstleistungsfunktion, (2) Themenanwaltsfunktion, (3) Wächterfunktion, (4) Mittlerfunktion, (5) Selbsthilfefunktion, (6) Gemeinschaftsbildungsfunktion,
|| 5 Vgl. Salamon et al., Global Civil Society. 6 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung über die Förderung der Rolle gemeinnütziger Vereine und Stiftungen in Europa; ergänzend Strachwitz, Achtung vor dem Bürger, S. 81 ff.
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(7) politische Mitgestaltungsfunktion, (8) Funktion der je persönlichen Selbsterfüllung.
Dabei ist klar, dass (1) einzelne Organisationen der ZG mehrere Funktionen ausüben können, (2) ZG somit Organisationen jeder Größenordnung und mit sehr unterschiedlichen Zielen umfasst, vom Wohlfahrtsverband bis zu einer kleinen örtlichen Umweltgruppe, (3) ZG in jedem Fall unabhängig von der konkreten Rolle eines Akteurs eine politische Dimension hat. 10. Die Heterogenität beinhaltet auch, dass zivilgesellschaftliche Organisationen ein sehr unterschiedliches Verhältnis zu den anderen Arenen bzw. zur Gesamtgesellschaft haben können. Zugrunde gelegt wird die von Albert Hirschman eingeführte Typisierung: (1) loyal (unterstützend), (2) exit (sich absondernd), (3) voice (die Stimme erhebend).7 11. Der Begriff der ZG umfasst und ersetzt alle älteren Bezeichnungen wie ‚gemeinnütziger Sektor‘, freiwilliger Sektor‘, Dritter Sektor‘, NPO-Sektor‘, NGO-Sektor‘ usw. Diese sind im Wesentlichen als Synonyme zu verstehen. Den akademischen Debatten um feine Unterschiede zwischen diesen Begriffen wird nicht gefolgt. Dass aber der Ausdruck NPO bzw. Dritter Sektor geeignet ist, einen hochorganisierten, institutionalisierten Teil der Zivilgesellschaft zu kennzeichnen, wird nicht bestritten.8 12. Während ZG gemeinhin oft mit Vereinen und Verbänden gleichgesetzt wird, wird hier einer umfassenderen Definition Raum gegeben. Nicht nur werden einerseits Stiftungen und gemeinnützige Kapitalgesellschaften der organisierten Zivilgesellschaft zugerechnet, während andererseits der steuerliche Status der sogenannten Steuerbegünstigung (Gemeinnützigkeit, Mildtätigkeit, Kirchlichkeit) nicht als Maßstab der zugehörigkeit herangezogen wird. Außerdem wird unterstellt, dass ZG in zwei Formen auftritt (1) als organisierte ZG, bestehend aus verfassten, mit Satzungen ausgestatteten Bewegungen, Gruppen, Organisationen und Einrichtungen, und
|| 7 Vgl. Hirschman, Exit, Voice and Loyalty; siehe auch Kap. 6.2.1. 8 Die Bezeichnung NGO wurde 1947 von den Vereinten Nationen 41 international tätigen NichtRegierungsorganisationen zuerkannt, damit diese für die Teilnahme an Debatten im Economic and Social Council (ECOSOC) akkreditiert werden konnten. Bis heute ist die Liste auf rund 4000 Eintragungen angewachsen. Der Ausdruck ist jedoch nicht geschützt und wird über diese Kategorisierung hinaus frei zur Kennzeichnung von zivilgesellschaftlichen Organisationen aller Art verwendet.
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(2) als unorganisierte oder spontane ZG mit spontanen Kollektiven, die sich
nicht oder noch nicht verfasst haben9. Aus diesen Annahmen wird deutlich, dass dieses Handbuch ausdrücklich das Ziel verfolgt, die Gemeinsamkeiten aller zivilgesellschaftlichen Akteure herauszustellen, dadurch zu einem kollektiven Bewusstsein dieser Akteure beizutragen und für eine praktikable Gesamtdefinition von Zivilgesellschaft zu werben. Dass dieses Zugehörigkeitsgefühl gerade von älteren Organisationen zum Teil noch entwickelt werden muss, steht außer Frage. Durch eine Systematisierung von Konzept und Begrifflichkeit soll der vielfach zum Ausdruck kommenden Verwirrung bei der Benutzung dieses Begriffs entgegengewirkt werden, denn diese behindert die öffentliche Wahrnehmung insbesondere hinsichtlich der Möglichkeiten, die eine starke ZG für die Stabilisierung eines freiheitlichen Gemeinwesens bietet10. Nicht alle zur Eingrenzung und Definition verwendeten Begriffe sind so eindeutig, dass sie nicht Anlass zu Diskussionen bieten würden11. Beispielsweise lässt sich über die Frage streiten, was denn das allgemeine Wohl bzw. Gemeinwohl beinhalte. Selbst zu konkreten Einzelfragen wird es möglicherweise konträre Standpunkte geben, die subjektiv akzptabel und objektiv nicht gegeneinander abwägbar erscheinen12. Auch kann die ZG keinesfalls ein Monopol auf die Definition von Gemeinwohl beanspruchen – ebensowenig wie dies in einem modernen Verständnis vom Staat diesem zuzubilligen wäre. Insofern ist Hegels Position des per se vom Staat unanfechtbar zu definierenden Gemeinwohls problematisch und muss zumindest als überholt gelten13. Zu Recht hat sich daher Claus Offe gegenüber einer Universalisierung des Begriffs skeptisch geäußert14. Schließlich kann keineswegs behauptet werden, die ZG sei der Gemeinwohlproduktion von vornherein näher als etwa der Markt oder der Staat, schon gar nicht, sie allein würde Beiträge zum Gemeinwohl leisten. „Dass wir es mit einer Vielzahl von Gemeinwohlakteuren zu tun haben, die nicht nur für sich reklamieren, Beiträge zum Gemeinwohl zu leisten, sondern von denen – z.B. von der Rechtsordnung – solche Beiträge auch erwartet werden, ist ein inzwischen […] unstreitiger Befund“15. Es gilt, was Hermann Lübbe postuliert hat: „Kom-
|| 9 Dass rechtlich ohne Zutun der Beteiligten eine Minimalverfassung in Form der Gesellschaft bürgerlichen Rechts Platz greift, wenn ein kollektives, allen zuzuordnendes Verhalten aller Beteiligten erkennbar wird, bleibt davon unberührt. 10 Zivilgesellschaftliche Akteure (Gruppen, Bewegungen, Organisationen, Einrichtungen) werden im Folgenden, wo nicht im Einzelfall eine andere Bezeichnung angezeigt ist, einheitlich als zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGO) bzw. Civil Society Organisations (CSO) bezeichnet. 11 Vgl. Lietzmann, Nichtregierungsorganisationen als Gemeinwohlakteure, S. 297. 12 Vgl. Offe, Wessen Wohl ist das Gemeinwohl? S. 63. 13 Vgl.Münkler/Bluhm, Gemeinwohl und Gemeinsinn als politisch-soziale Leitbegriffe, S. 25. 14 Vgl. Offe, Wessen Wohl ist das Gemeinwohl?, S. 57. 15 Schuppert, Gemeinwohldefinition im kooperativen Staat, S. 73.
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plexe und dynamische Gesellschaften [sind] auf maximale Freisetzung der Bürger zu moralischer Selbstverantwortung in Erfüllung ihrer konventionellen Pflichten gegen sich selbst und gegen andere angewiesen.“16 Insoweit kann im Zusammenhang mit dem Anspruch und der Wirklichkeit zivilgesellschaftlichen Handelns stets nur von einem subjektiven Gemeinwohlbegriff gesprochen werden, den zivilgesellschaftliche Akteure mit Respekt vor anderen Gemeinwohlbegriffen auf sich beziehen können. Ob und inwieweit dies geschieht, mag als Gradmesser für das Bekenntnis eines Akteurs zu einer offenen Gesellschaft gesehen werden. Keinesfalls kann der hier vorgelegte Band den Anspruch erheben, alle Aspekte des Themas ZG zu würdigen. Leser, die einzelne Aspekte vermissen oder zu dem Schluss kommen, andere als die tatsächlich behandelten wären wichtiger oder ebenso wichtig gewesen, werden insoweit um Entschuldigung gebeten, ebenso natürlich die vielen Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls über Aspekte der ZG publiziert haben und sich hier nicht zitiert finden. Andererseits haben sich die Autoren dafür entschieden, ein gewisses Maß an Redundanzen zuzulassen, um dem Handbuch-Charakter des Bandes gerecht zu werden, der ein Nachschlagen einzelner Kapitel ohne die Notwendigkeit ermöglichen soll, auf allzuviele Querverweise zurückgreifen zu müssen. Dies gilt nicht für das ausführliche Literaturverzeichnis am Ende des Bandes, auf das über die kurzen Angaben zu Autor und Titel in den Fußnoten verwiesen wird. Dies ist der häufigen Verwendung gleicher Quellen in mehreren Kapiteln und Abschnitten geschuldet und soll zugleich ein Kompendium für die weitere Beschäftigung mit dem Thema bieten. Einige wenige Hinweise auf herausragende weiterführende Literatur sind zusätzlich am Ende jeden Kapitels eingefügt. Dem besonders interessierten Leser bieten sich daher drei Möglichkeiten der Vertiefung: 1. die Heranziehung der in den Fußnoten in Kurzform genannten Quellen, die im Literaturverzeichnis vollständig genannt sind; 2. der Griff zu der am Ende der Kapitel genannten ergänzenden Literatur; 3. das „Stöbern“ und Entdecken von interessanten Quellen im Literaturverzeichnis. Um an die internationale Debatte, die in vielfacher Hinsicht der deutschen voraus ist, anschließen zu können, werden die dort üblichen englischen Ausdrücke wo betreffend eingeführt und verwendet. Zu der Frage, ob und inwieweit die ZG und ihre Akteure zur Gestaltung unserer Gesellschaft beitragen und beitragen können, wird an mehreren Stellen des Buches Stellung genommen. Sie wird im Grundsatz ausdrücklich und emphatisch bejaht. Dabei wird unterstellt, dass dies im engen Zusammenwirken mit Akteuren in den anderen Arenen (Markt und Staat) und mit den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern || 16 Lübbe, Gemeinwohl als Aufgabe der Ordnungspolitik, S. 293.
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in ihrem unmittelbaren Umfeld erfolgt. Es erscheint aber wichtig, einerseits den Eigensinn, die Unabhängigkeit, den Freiraum und die spezifische Handlungslogik der ZG gewahrt zu wissen, während andererseits Lern- und Kooperationsprozesse durchaus willkommen sind. In der jüngeren Vergangenheit hat die Zivilgesellschaft – nicht immer freiwillig – viel von Organisations- und Handlungsprinzipien des Staates und des Marktes gelernt und übernommen. Im Gegenzug wäre es angebracht, dass von der ZG die dringend notwendige Zivilisierung von Staat und Markt17 ausgeht. Gemeinwohl-ökonomische Ansätze gehen durchaus in diese Richtung. Allerdings müssen viele zivilgesellschaftliche Akteure diese Zivilisierung erst selbst wieder einüben und deutlich machen. Wir würden uns wünschen, dass dieses Handbuch hierzu einen Beitrag leistet. Berlin, im Oktober 2019 Rupert Graf Strachwitz, Eckhard Priller, Benjamin Triebe
Ergänzende Literatur Adloff, Zivilgesellschaft. Theorie und politische Praxis Anheier/Toepler (eds.), International Encyclopedia of Civil Society, 3 vols. Edwards (ed.), The Oxford Handbook of Civil Society Salamon et al., Global Civil Society – Dimensions of the Nonprofit Sector, 2 vols. Horton Smith/Stebbins/Grotz (eds.), The Palgrave Handbook of Volunteering, Civic Participation, and Nonprofit Associations Strachwitz, Achtung vor dem Bürger
|| 17 Für den Hinweis und den Begriff der Zivilisierung sei Roland Roth herzlich gedankt.
1 Historischer Zugang 1.1 Ursprünge der Zivilgesellschaftsforschung Zivilgesellschaft ist als Begriff zwar neu, aber als Phänomen und als Forschungsgegenstand alt. Schon in der Antike, genauer seit der Zeit der großen Transformation, die Karl Jaspers beschrieben und in der Zeit des 6.—4. Jahrhunderts vor Christus festgemacht hat18, finden sich in allen Kulturen unabhängig voneinander theoretische Überlegungen und praktische Beispiele für ein freiwilliges, mehr oder weniger organisiertes und nachhaltiges Handeln zugunsten der Gemeinschaft, das sich in einer Dichotomie zur politischen Herrschaft vollzieht ebenso wie zu der Art, wie solche Gemeinschaft entsteht und wie sie ihrerseits auf ihre Mitglieder zurückwirkt. Ob mehrere Gemeinschaften parallel entstehen können, welche Loyalität sie einfordern können, ob einzelne Menschen mehreren Gemeinschaften zugehören können oder in jedem Fall zugehören, ob und inwieweit diese Macht über ihre Mitglieder ausüben und nicht zuletzt, was sie bewirken können, gehört zu den Grundfragen gemeinschaftlichen Lebens, mit denen von jeher experimentiert worden ist und mit denen sich Theoretiker der politischen Ordnung auseinandergesetzt haben. Nachfolgend wird eine Auswahl beispielhaft vorgestellt.
1.1.1 Aristoteles und die antiken Wurzeln Die Geschichte der Zivilgesellschaft als Begriff und politische Realität beginnt spätestens in der griechischen Polis. Aristoteles (384—321 v.Chr.) verwendet als erster den Begriff koinonia politike, dessen lateinische Übersetzung societas civilis später von Cicero (106—43 v.Chr.) in den Diskurs eingeführt wird und etymologisch am Anfang der Begrifflichkeit steht. Allerdings versteht Aristoteles darunter etwas grundlegend anderes als heute. In seinem Sinne umfasst der Begriff das Gemeinwesen insgesamt – ohne zwischen ‚Staat‘ und ‚Gesellschaft‘ zu unterscheiden – und charakterisiert ihn als Sammlung von Menschen, die in einer ohne Zwang zustande gekommenen politischen Ordnung vereint sind. Zivilgesellschaft beschreibt in diesem Sinne alles, was über das unmittelbar partikulare oder individuelle hinausgeht. Dieses ist Gegenstand der von Aristoteles begründeten politischen Wissenschaft, deren Blick somit nicht auf staatliches Handeln begrenzt ist. Damit ist Aristoteles zugleich der Begründer einer Definition von Zivilgesellschaft als Handlungslogik, denn seine politische Ordnungsvorstellung verfolgt das normative Ziel eines guten Lebens „unter Häusern und Geschlechtern zum Zwecke eines vollkommenen und
|| 18 Vgl. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel von Geschichte. https://doi.org/10.1515/9783110553475-003
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sich selbst genügenden Daseins“19. Dazu gehören für ihn Verwandtschaftsbeziehungen, aber auch religiöse und gesellige Vereinigungen. Sie „sind das Werk der Freundschaft; denn es ist Freundschaft, wenn man sich entschließt, zusammenzuleben“20. Aus dem Kerngedanken der Freundschaft entwickelt Aristoteles das Ziel des glücklichen und tugendhaften Lebens. Damit ist ein Konzept vorgedacht, das freiwillige Vereinigungen als konstitutives Element der gesellschaftlichen Ordnung begreift. Dieses Konzept ist zugleich Teil der Kritik an Platon (428/27—348/47 v.Chr.), der eine Gemeinsamkeit in allem und an allem postuliert hatte. Für Aristoteles hingegen ist der Staat eine Vielheit und benötigt nur ein geringes Maß an Einheitlichkeit, um hinreichend zu funktionieren. Indem Aristoteles aber auch Platons Idee der Herrschaft der Tugendhaften zurückweist, weil damit alle übrigen als ehrlos und tugendlos gelten müssten, relativiert er den normativen Ansatz seines eigenen Gesellschaftsmodells. Das aristotelische Denken hat in Europa die politische Theorie bis ins 18. Jahrhundert hinein dominiert. Die neben der Polis bestehenden korporativen Elemente der Gesellschaft, die Aristoteles zwar gesehen, aber nicht unterschieden hat, sind so lange unstrittiger Teil einer Gesellschaft geblieben, bis der Staat – beginnend mit Jean Bodin am Ende des 16. Jahrhunderts – nicht mehr nur als dominierende, sondern alleinige Autorität konzipiert wurde. Damit war auch die Diskussion darüber eröffnet, ob es neben dem Staat und dem Privatbereich seiner Mitglieder weitere legitime Sphären der Gesellschaft geben könne.
1.1.2 Adam Ferguson und die schottische Aufklärung Im 18. Jahrhundert entwickeln sich in Europa zwei grundsätzlich verschiedene Auffassungen über die Gesellschaft. Vor allem in Frankreich setzt sich unter dem Einfluss von Jean Bodin21 (1530—1596) und seinen aus den Religionskriegen gewonnenen Erkenntnissen das Bild des Citoyen durch, dessen Kollektivität sich allein im nationalen Staatsverband artikuliert. Die britische Tradition hingegen führt zur Herausbildung des Konzepts der Civil Society, das vor allem von den sogenannten schottischen Aufklärern und namentlich von Adam Ferguson vertreten wird. Thomas Hobbes (1588—1679) neigt eher der in Frankreich vorherrschenden Position zu22; Adam Smith (1723—1790) dagegen legt 1759 eine „Theorie der menschlichen
|| 19 Aristoteles, Politik 1280b30–35. 20 Aristoteles, Politik 1280b35. 21 Bodin, Les six livres de la république. 22 Hobbes, Leviathan.
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Gefühle“23 vor, die auf der Annahme beruht, dass jeder Mensch grundsätzlich fähig ist, Empathie für andere Menschen zu empfinden. Smith, der vor allem als Vater der Nationalökonomie im Gedächtnis geblieben ist und auf den sich gern all jene berufen, die den Menschen als ein Wesen mit ausschließlich eigennützigen Interessen begreifen, hat damit ausdrücklich die Begrenzungen einer gänzlich den Marktgesetzen gehorchenden Gesellschaft aufgezeigt. Während Smith die in der Gesellschaft kollektiv zu leistenden Aufgaben auf Staat und Markt verteilt, entwickelt Adam Ferguson (1723—1816) in seiner 1767 erschienenen Schrift „An Essay on the History of Civil Society“24 weitergehende Fragestellungen. Er teilt mit seinen schottischen Zeitgenossen die Überzeugung, dass der Mensch als soziales und „moralisches“ Wesen geschaffen ist. Kommunikation, Austausch, gemeinsames Nachdenken sind für ihn Voraussetzungen des intellektuellen und gesellschaftlichen Fortschritts, der gerade deswegen dem menschlichen Dasein inhärent sei. Ferguson beschäftigt sich zunächst mit den Unterschieden zwischen dem Naturzustand und der Gesellschaft. Er weist das von Hobbes entwickelte Modell eines Krieges aller gegen alle zurück und neigt eher Jean-Jacques Rousseaus (1712—1778) Idealisierungen vom Naturzustand zu. Allerdings hält Ferguson auch diese Ideen für ungenügend und argumentiert, dass beide Modelle zum einen ähnlicher sind, als sie auf den ersten Blick erscheinen, und zum anderen den Kern des Problems verfehlen, weil der Mensch eben von Natur aus soziale Kontakte sucht und es somit einen vorsozialen Naturzustand gar nicht geben konnte. Die Existenz der Gesellschaft ist demnach in der menschlichen Natur angelegt. Einen Unterschied markiert Ferguson zwischen primitiven (rude) und fortgeschrittenen (polished oder polite) Gesellschaften. In letzteren drohen besonders die Mechanismen des Marktes den sozialen Impetus zu bedrängen. Deshalb beschäftigt Ferguson das Problem, inwieweit die Herrschaft des Rechts tatsächlich in der Lage ist, die Freiheit des Menschen zu sichern. Ebenso konstatiert er, dass das Rechtssystem ständig der Gefahr der Korruption ausgesetzt ist, und zwar unabhängig davon, ob die politischen Führer gute oder schlechte Absichten verfolgen. Daraus leitet er eine unbedingte Notwendigkeit von checks and balances, einer ausgewogenen Verteilung von Macht mit Wächterfunktionen ab. Hinsichtlich der Zivilgesellschaft ist ein weiterer Gedanke Fergusons besonders wichtig: Nüchtern stellt er fest, dass Konflikte unausweichlich sind und ein Maß an Unordnung mit sich bringen. Gerade „überlegene Geister“ sähen das als eine Gefährdung an, weshalb sie versuchen werden, Freiheiten einzuschränken oder sie den weniger Überlegenen zu verweigern. Gesellschaftlicher Fortschritt birgt insofern die Gefahr ihres Niedergangs in sich. Protestbewegungen und Demonstrationen
|| 23 Smith, A Theory of Moral Sentiments. 24 Vgl. Ferguson/Oz-Salzberger, An Essay on the History of Civil Society.
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sind, gerade weil sie nicht jedermann gefallen, ein notwendiger Teil der checks and balances. Ferguson argumentiert daher entschieden für eine Entstaatlichung von Politik. Diese ist für ihn zu wichtig, um sie den Politikern zu überlassen. Die bürgerlichen Freiheiten (civil liberties) können für ihn nur erhalten werden, wenn sich jeder Bürger als Politiker sieht, anstatt in Passivität zu verfallen. In mancher Hinsicht nimmt Ferguson Hegels Konzept einer bürgerlichen Gesellschaft vorweg, weil er ebenfalls verschiedene Ebenen der Kollektivierung unterscheidet und beide als legitim akzeptiert. So wird sein Begriff der Civil Society auch regelmäßig falsch als „Bürgerliche Gesellschaft“ übersetzt. Doch trennt er deutlich zwischen dem Marktgeschehen und der bürgerschaftlichen Mitgestaltung und Kontrolle des Staatswesens – freilich ohne einen gesonderten Bereich für kollektive Tätigkeiten zu definieren, die weder dem Staat noch dem Markt zugeordnet werden können. Staat und Markt sind für Ferguson Funktionen der Gesamtgesellschaft, die er dann als Civil Society bezeichnet, wenn sie Grundsätzen der Freiheitserhaltung und Mitwirkung folgt. Zugleich arbeitet er bereits Funktionselemente wie Protest, Wächter oder Partizipation heraus, die auf den modernen Begriff der Zivilgesellschaft verweisen. Seine Sichtweise ist von Pragmatik bestimmt. Die gedankliche Nähe zu der von Thomas Reid (1710—1796) etwa gleichzeitig in Schottland entwickelten Theorie des gesunden Menschenverstandes (common sense) ist nicht zu übersehen.
1.1.3 Georg Friedrich Wilhelm Hegel und die bürgerliche Gesellschaft Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770—1831) unterscheidet unter anderem in seiner 1821 erschienenen Rechtsphilosophie zwischen der „bürgerlichen Gesellschaft“ und dem „Staat“.25 Er ist darin zwar nicht der erste, wohl aber für das Konzept der Zivilgesellschaft schon deshalb der folgenreichste, weil Zivilgesellschaft heute oft synonym als Bürgergesellschaft bezeichnet und im Hegelschen Verständnis von bürgerlicher Gesellschaft definiert wird. Die bürgerliche Gesellschaft umfasst bei Hegel sowohl das Wirtschaftsleben, das „System der Bedürfnisse“, als auch die Korporationen, dazu die privatrechtliche „Rechtspflege“ und – seltsamerweise – die „Polizei“. Dieser Gesellschaft steht der „politische Staat und seine Verfassung“ gegenüber. Während das System der Bedürfnisse von einem tendenziellen „Verlust der Sittlichkeit“, von egoistischer Interessenverfolgung gekennzeichnet ist, sind die Korporationen für Hegel ein reintegrierender Faktor, der die Individuen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft entlang von „Rechtschaffenheit“ und „Standesehre“ vereinigt. Da bewusst gewählt, gehören die Korporationen nicht im engeren Sinn zu jenem abstrakten und willenlosen Pro|| 25 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts.
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zess hinter dem Rücken der Beteiligten, der das Wirken der Marktgesellschaft kennzeichnet. Legt man ein dualistisches Verständnis von Individuum und Gesellschaft zugrunde, so ordnet Hegel das wirtschaftliche Handeln der Gesellschaft zu, während Aristoteles es im Bereich des Individuellen verortet hatte. Allerdings fasst Hegel gewinnorientiertes und nicht-gewinnorientiertes kollektives Handeln unter dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft zusammen und grenzt es vom hoheitlichen Handeln des Staates ab, während Aristoteles staatliches Handeln und nichtgewinnorientiertes Handeln von Korporationen als Einheit ansah und dieses vom gewinnorientierten Handeln abgrenzte. Hegels Konzept entwirft die bürgerliche Gesellschaft als eine Zone zwischen Individuum und Staat, die drei Zugängen ausgesetzt ist: a) dem Zugang durch die Individuen über deren trans-individuelles, teils interessengebundenes, teils auf die Allgemeinheit orientiertes Verhalten; b) dem Zugang über die Kräfte des Marktes, die einerseits für die Befriedigung der Bedürfnisse Sorge tragen, andererseits aber von partikularistischen Zielen geprägt sind; und c) dem Zugang von Seiten des Staates über die in der bürgerlichen Gesellschaft wirksamen Ordnungskräfte. Dabei weist Hegel dem Staat eine übergeordnete Stellung zu, die sich nicht nur aus seinem Gewaltmonopol ergibt, sondern eine Vielzahl von Eingriffsrechten in die bürgerliche Gesellschaft beinhaltet. Dennoch behält die Gesellschaft eine eigene Legitimation und Würde, die sich besonders daraus ableitet, dass sie als „sittliche Wurzel des Staates“ gesehen wird, wobei hier offenkundig nicht das System der Bedürfnisse, sondern die Korporationen gemeint sind. Trotzdem nimmt die bürgerliche Gesellschaft in Hegels System nur einen intermediären Rang ein. Sie bleibt dem Staat stets untergeordnet, denn erst in ihm findet nach Hegel das Individuum letztlich seine Erfüllung. Obwohl schon zu seinen Lebzeiten bspw. von Schopenhauer heftig kritisiert, hat das Hegelsche Denken eine kaum zu überschätzende Rezeptionsgeschichte erfahren; das bis heute in Deutschland bestehende Grundvertrauen in staatliches Handeln leitet sich daraus ab. Insofern vollzieht sich die Entwicklung einer positiven Theorie der Zivilgesellschaft notwendigerweise als Widerspruch gegen Hegelsches Denken.
1.1.4 Alexis de Tocqueville und die bürgerlichen Assoziationen „Es entbehrt nicht der Ironie, dass einer der kanonischen Texte der amerikanischen Demokratie von einem französischen Aristokraten verfasst wurde.“26 Bis heute gilt Alexis de Tocqueville (1805—1859) als einer der wesentlichen Theoretiker der Zivilgesellschaft. Mehr noch: Die US-amerikanische Gesellschaftstheorie ist ohne Tocqu|| 26 Hoffmann, Tocquevilles ‚Demokratie in Amerika‘, S. 303.
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eville nicht denkbar; kein gesellschaftspolitischer Diskurs in den USA kommt ohne einen Verweis auf sein Werk „Über die Demokratie in Amerika“ (1835/40) aus.27 Besonders im 20. Jahrhundert gründet sich Tocquevilles Ruhm weitgehend auf seine als zutreffend geltenden Prognosen zur Entwicklung der amerikanischen Demokratie hin zu immer mehr Gleichheit der Bürger sowie zur Bedeutung der USA in der Welt. In ihrer Verknüpfung erscheinen diese Prognosen geradezu als prophetisch. Einige moderne Sozialwissenschaftler, etwa Robert Putnam (*1941), lassen sich schon deshalb gern als Neo-Tocquevillians bezeichnen. Tocquevilles Einfluss auf die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft und das moderne Konzept der Zivilgesellschaft kann daher kaum überschätzt werden. Dabei beruht seine Analyse weniger auf einer bewussten Prüfung gesellschaftlicher Modelle, sondern auf scharfsinnigen Beobachtungen im Verlauf einer Reise. Als französischem, der Aristokratie entstammendem Staatsbeamten ist ihm ein im Staatsrecht verankertes Gesellschaftsmodell geläufig, in dem nicht-staatliche Vereinigungen und Institutionen Misstrauen erregen und als unwichtig für die gesellschaftliche Entwicklung angesehen werden. Allerdings sieht die Realität in Frankreich oft anders aus als in der Staatstheorie, die Tocqueville vor Augen hat. Mit Erstaunen und keineswegs unkritisch, ja vielfach ausgesprochen skeptisch, beobachtet er, wie sich die ausdrücklich auf demokratischen Grundsätzen aufbauende Gesellschaft der Vereinigten Staaten tatsächlich entwickelt. Ihn als Kronzeugen der Vorzüge der amerikanischen Gesellschaft anzurufen, wie es gerade Amerikaner oft tun, erscheint daher übertrieben. Allerdings beschreibt er zutreffend das Wesen der amerikanischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert, die in der Tat von den örtlichen Gemeinden und nicht-staatlichen Vereinigungen her organisiert ist. Die Bürger, so konstatiert Tocqueville, erbringen Loyalität gegenüber unterschiedlichen Kollektivitäten, ohne Schaden für die Gesellschaft als Ganzes anzurichten – für den französischen Beobachter eine unerhörte Vorstellung. Tocquevilles Skepsis gründet sich auf die Effekte dieses Systems, besonders das Mehrheitsprinzip in allen Entscheidungen, das nach seiner Einschätzung geistige Unabhängigkeit und Diskussionsfreiheit verkümmern lässt und einen immer stärkeren Konformitätsdruck erzeugt. Als Gegengewicht hierzu sieht er die vielen freiwilligen Vereinigungen, die nicht nur zahllose kleine Aufgaben erledigen, die der Staat niemals erfüllen könnte, sondern in denen auch die Bürger zu einem Leben in der Demokratie herangebildet werden. Tocqueville unterscheidet zwei Assoziationstypen: politische und bürgerliche Assoziationen, die sich gegenseitig bedingen und beeinflussen. Während die Zuordnung der ersteren, den modernen Parteien vergleichbar, umstritten bleibt, bilden letztere in der Summe das, was heute gemeinhin als Zivilgesellschaft definiert wird – unterteilt in solche Assoziationen, die Dienstleistungen erbringen, und sol|| 27 Vgl. Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika.
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che, bei denen die soziale Integration der Bürger im Vordergrund steht. Diese auch heute durchaus treffende Unterteilung unterstreicht Tocqueville, indem er den Vereinigungen eine zentrale Rolle bei der Erhaltung des sozialen Friedens und beim Wachhalten des Gemeinsinns der Bürger zumisst und diese Qualitäten als wesentliche Gelingensbedingung der Demokratie herausstellt. Es ist nicht immer leicht zu unterscheiden, wo Tocqueville beobachtend analysiert und wo er normative Prognosen anstellt. Auch trennt er nur unscharf zwischen Vereinigungen mit und ohne wirtschaftliche Interessen. Doch die begeisterte, wenngleich folgenlose Rezeption ist ein wichtiges Indiz dafür, dass sowohl die Ablehnung freiwilliger Assoziationen wie in Frankreich als auch deren konsequente Zähmung wie in Deutschland vielfach als defizitär empfunden wurden. Zivilgesellschaft als Voraussetzung für ein stabiles Staatssystem erschien demgegenüber als ein attraktives Gegenmodell.
1.1.5 Karl Marx: Zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Zivilgesellschaft Es mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, bei der geistesgeschichtlichen Herleitung der Zivilgesellschaft auch Karl Marx (1818—1883) einzubeziehen. Doch erscheint seine Kritik an Hegels Konzept der bürgerlichen Gesellschaft geeignet, den Begriff der Zivilgesellschaft von dem der bürgerlichen Gesellschaft zu trennen. Zudem hat der Marxist Antonio Gramsci wesentliches zur Herausbildung des Konzepts der Zivilgesellschaft beigetragen (siehe Kap. 1.1.7). Marx kritisiert in seinen frühen Schriften die sozialen Ungleichheiten in radikaldemokratischer Weise. Doch schon für den frühen Marx ist die Frage nach Rechtsverhältnissen und Staatsform nur im Zusammenhang gesellschaftlicher, insbesondere ökonomischer Lebensverhältnisse zu begreifen. In seinen späteren Schriften bleibt diese „Überbietung und Radikalisierung der bürgerlichen Demokratie“28 jedoch zweitrangig hinter der Kritik an der Demokratie als Herrschaftsform der bürgerlichen Klassengesellschaft. So kann Marx den Zusammenhang von Citoyen und politischem Gemeinwesen in der Gesellschaft der Zukunft nur noch zweifelhaft bestimmen. Von einer politischen Theorie im eigentlichen Sinne kann im Spätwerk nicht gesprochen werden. Marx’ Vorstellungen über die Zukunftsgesellschaft, die als klassenlose Gesellschaft ihren „bürgerlichen“ Charakter verliert, zielen auf einen utopischen Raum jenseits des Politischen. In den frühen Schriften gelten Freiheit und Gleichheit des Staatsbürgers für Marx als bloß politischer Ausdruck für die Etablierung des ‚egoistischen Menschen‘ in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Trennung von Bourgeois und Citoyen kritisiert er dort unter Bezug auf den Maßstab der ‚menschlichen‘ Emanzipation als künstli|| 28 Wellmer, Endspiele: Die unversöhnliche Moderne, 230 f.
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che und zu überwindende Trennung. Erst die „Kritik der politischen Ökonomie“ (1859) reduziert Freiheit und Gleichheit der Individuen als bloßes Entsprechungsverhältnis zu den Erfordernissen des kapitalistischen Warentauschs: Vor dem Hintergrund der schon von Hegel vorausgesetzten Trennung von Staat und Gesellschaft analysiert Marx die politischen Institutionen des bürgerlichen Staates hinsichtlich ihrer Funktionalität für die kapitalistische Tausch- und Produktionsstruktur. Der bürgerliche Rechtsstaat garantiert mit der Gleichheit der Rechtssubjekte und der Freiheit egoistischer Privatinteressen die Rahmenbedingungen des entwickelten Warentausches. Die Freiheit des Privateigentümers ist wesentlich Freiheit von persönlichem Zwang oder negative Freiheit. Die Garantie der Eigenschaften der Warenbesitzer als Rechtspersonen, ihre Sicherheit, Freiheit und Gleichheit, ihre Rechtsfähigkeit und ihr Rechtsschutz sind notwendigerweise öffentlich-rechtlicher Natur. Das darauf beruhende System des Austausches ist für Marx jedoch „bloßer Schein“29. Die herrschafts- und ideologiekritische Entlarvung des schein-egalitären Herrschaftscharakters der bürgerlichen Demokratie stellt in der Folge zugleich eine theoretische Hypothek für Marx’ politische Theorie dar. Da die kapitalistische Form der Ausbeutung nicht im Gegensatz zur formellen Freiheit und Gleichheit steht, sondern vielmehr erst innerhalb dieser rechtlichen Bedingungen möglich wird, geraten die politisch-institutionellen Realisationsformen von Freiheit und Gleichheit unter einen pauschalen Ideologieverdacht. Dem entspricht bei Marx eine demokratietheoretische Leerstelle bezüglich der institutionellen Erfordernisse der proletarischen Zukunftsgesellschaft. Die politische Macht gilt ihm vor allem als ein Mittel zur Revolutionierung der Gesellschaft. „Anstatt […] das Emanzipationspotenzial der bürgerlichen Demokratie in allgemeine Emanzipationsbedingungen weiterzudenken, interessieren Marx die bürgerlichen Institutionen ausschließlich als Mittel der proletarischen Machtergreifung und Vorstufen der proletarischen Gegenherrschaft.“30 Im Kommunistischen Manifest ist für Marx die „Erkämpfung der Demokratie“ bereits nichts anderes als die „Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse“. Und auch in seinem Zweiten Entwurf zum Bürgerkrieg in Frankreich (1871) gilt ihm die Republik bloß „als revolutionäres Mittel, um die Klassenherrschaft selbst zu zerbrechen“31. Marx denkt die „politische Übergangsperiode“ nur in den Begriffen von Klassenherrschaft: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung […]. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“32 Mit dem Verschwinden der Klassenge-
|| 29 Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie., S. 409. 30 Zimmermann, Utopie, Rationalität, Politik, S. 228. 31 Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, S. 608. 32 Marx, Kritik des Gothaer Programms, S. 28.
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gensätze, davon ist Marx überzeugt, verschwindet schließlich das Politische, denn die „politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer andern“33.
1.1.6 Max Weber und die Soziologie der Herrschaft Max Weber (1864—1920) gilt als Begründer der Herrschaftssoziologie; Macht und Herrschaft sind zentrale Aspekte seines Forschungsinteresses. Insofern ist er für die Zivilgesellschaft unter dem Gesichtspunkt der herrschaftsfreien Teilhabe an der Gemeinwohlproduktion interessant, weil er Hegels Vorstellung vom Staat als objektiviertem Gut zurückweist und stattdessen von einem funktionalen Staatsverständnis ausgeht. Andererseits misst Weber prosozialem Handeln eine protestantischtheologische Fundierung und zugleich einen unmittelbaren Bezug zu modernen marktwirtschaftlichen Mechanismen zu, die es einem von „Wirtschaftsgesinnung“ unabhängigen prosozialen Verhalten schwer machen, sich aus dem „stahlharten Gehäuse“ des modernen Kapitalismus zu befreien.34 Allerdings wird oft übersehen, dass Weber diese Zuordnung kritisch verstanden wissen will. Er versteht protestantische (gemeint ist calvinistische) Ethik ausdrücklich nicht als begründende Entschuldigung für allein wirtschaftlich orientiertes Sozialverhalten. Auf dem ersten Deutschen Soziologentag 1910 stellte Weber fest: „Der heutige Mensch ist ja unzweifelhaft neben vielem anderen ein Vereinsmensch in einem fürchterlichen, nie geahnten Maße.“35 Den Verbänden widmet Weber in seinem Hauptwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ einen eigenen Abschnitt im Kapitel zum „Begriff des sozialen Handelns“.36 Dabei differenziert er zwischen sozialem und gleichmäßigem Handeln. In seinem berühmten Regenschirm-Beispiel führt er aus, dass, wenn auf einer Straße bei einsetzendem Regen viele Menschen gleichzeitig einen Regenschirm aufspannen, dies zwar ein gemeinsames Bedürfnis, nicht aber aufeinander bezogen ist. Eine sinnhafte Beziehung zwischen den Akteuren fehlt – selbst dann, wenn ein psychologisch leicht erklärbares massenbedingtes Handeln die Einzelnen antreibt. Weber räumt durchaus ein, dass die Übergänge von gemeinsamem zu sozialem Handeln unscharf oder fließend sein können. Er besteht aber auf der prinzipiellen Unterscheidung, um Merkmale sozialen Handelns herausarbeiten zu können, die sich wesentlich an der sinnhaften Beziehung messen lassen müssen. Soziales Handeln zeichnet sich für ihn dadurch aus, dass es wechselseitig auf das Handeln anderer bezogen ist.
|| 33 Marx/Engels, Manifest der kommunistischen Partei, S. 482. 34 Vgl. Weber, Protestantische Ethik. 35 Simmel, Verhandlungen des 1. Deutschen Soziologentages, S. 53. 36 Weber/Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 11–30.
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Dieses soziale Handeln erfolgt wesentlich in Verbänden, wobei zunächst offenbleibt, um welche Art es sich dabei handelt. Ob es sich um Vergemeinschaftung oder Vergesellschaftung handelt, macht für den Verband begrifflich keinen Unterschied. Dies wird deutlich, wenn Weber das Vorhandensein eines Leiters für konstitutiv erklärt und Familienhaupt, Vereinsvorstand, Geschäftsführer, Fürst, Staatspräsident und Kirchenhaupt unterschiedslos in dieser Rolle sieht. Wichtiger ist, dass diese Leitung das Handeln der anderen zu erzwingen vermag und der geschlossenen sozialen Beziehung dadurch ein weiteres Merkmal hinzufügt. Demgemäß ist eine erotische Beziehung oder eine Sippengemeinschaft ohne Leiter kein Verband. Hinzu tritt das regelmäßige, aber nicht zwingende Vorhandensein von wie auch immer motivierten Akteuren (z.B. ein „Verwaltungsstab“), die nach Weisung des Leiters Ordnungen durchzusetzen haben. Mithilfe dieser Merkmale kann ein Verband nach außen eine beschränkte oder geschlossene soziale Beziehung darstellen und nach innen die Einhaltung seiner Ordnung garantieren. Für die Zivilgesellschaftsdebatte ist entscheidend, dass Weber zwischen sehr unterschiedlichen Verbandsformen keinen prinzipiellen Unterschied macht. Weder die Entstehung noch die innere Ordnung und deren Gestaltung, noch die Funktion oder Aufgaben im Einzelnen, noch die Art der Bestellung des Leiters beeinträchtigen die grundlegende Einheitlichkeit des Verbands-Begriffs. Damit verknüpft ist aus der Sicht der Zivilgesellschaft auch eine gleichmäßige Legitimation der Verbände. Demnach kann z.B. ein staatlicher Verband aufgrund seines Gewaltmonopols oder der demokratischen Bestimmung der Leitung keine höhere Legitimation beanspruchen als andere Verbände. Weber stellt vielmehr nur fest, dass soziales Handeln sich in solchen Verbänden manifestiert. Und wenn er in den darauffolgenden Abschnitten einzelne Verbandsarten beschreibt und besonders dem politischen Verband hinsichtlich der Ausübung von Macht spezifische Merkmale zuerkennt, so bleibt doch die Gleichrangigkeit erhalten. Dies zeigt sich auch daran, dass der Staatsverband nicht umfassender als andere Verbände abgehandelt wird. In Webers bekanntem Vortrag „Politik als Beruf“37 wird dies ebenso deutlich: Der Staat, in dem Politik ausgeübt wird, ist hier eine Verbandsform, aber keinesfalls von übergeordneter Stellung.
1.1.7 Antonio Gramsci: Hegemonie und zivile Gesellschaft Antonio Gramsci (1891—1937), der sich selbst als Marxisten und Bolschewisten bezeichnete, entwickelt ein Konzept von Zivilgesellschaft, das einen Bruch in der Geschichte des Begriffs darstellt. Anders als Definitionen, die Zivilgesellschaft als Ort der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung dem Staat entgegensetzen, fasst er || 37 Vgl. Weber, Politik als Beruf.
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sie als Teil des Staates auf, in dem um gesellschaftliche Hegemonie, also um alltägliche Denk-, Handlungs- und Empfindungsweisen gerungen wird. In Gramscis „Gefängnisheften“, deren insgesamt 2848 Seiten thematisch unzusammenhängend in Paragraphenform gegliedert sind, taucht der Begriff der Zivilgesellschaft (società civile) verstreut auf – überwiegend ab dem 6. Heft und vor allem im Zusammenhang mit Hegemonie und Staat.38 Die wichtigsten theoretischen Bezugspunkte seines Begriffs von Zivilgesellschaft sind Hegel, der italienische Philosoph und Historiker Benedetto Croce (1866—1952), Rosa Luxemburg (1871—1919) und Leo Trotzki (1879—1940). Im Unterschied zu dem seit Thomas Hobbes und John Locke kanonisierten liberalen Selbstverständnis des modernen Staates, das auf der Unterscheidung zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat beruht, analysiert Gramsci die Zivilgesellschaft als besonderen Bestandteil der westlichen demokratischen und kapitalistischen Staaten. In seiner Analyse stellen die Institutionen der Zivilgesellschaft innerhalb des Staates eine Form der Selbstorganisation der bürgerlichen Klassen dar, über die Hegemonie und Zustimmung hergestellt werden. Die Zivilgesellschaft wird dabei nicht als Widerspruch oder Gegenspieler zum Staat gedacht. Vielmehr dient die Unterscheidung von Zivilgesellschaft und politischer Gesellschaft Gramsci lediglich als analytisches Mittel, um die Funktionsweise und Herstellung von Hegemonie verstehen zu können. So stellt er heraus, dass „im konkreten historischen Leben […] politische Gesellschaft und Zivilgesellschaft ein und dasselbe“39 sind. Die Zivilgesellschaft ist ein Ort des Kampfes um gesellschaftliche Hegemonie, durchzogen von Macht- und Herrschaftsbeziehungen ökonomischer und sozialer Art. Sie ist das Terrain der Auseinandersetzungen um Lebensweisen, Konformität, Alltagsverstand und Weltauffassungen. Der Staat strebt danach, die Institutionen der Zivilgesellschaft zu integrieren, um über die so hergestellte Hegemonie Konsens zu erzeugen und gesellschaftliche Widersprüche zu entschärfen. Die Zivilgesellschaft stellt bei Gramsci gewissermaßen einen „integralen Staat“ dar. Erst wenn diese Mechanismen zur Konsenserzielung versagen und die Zustimmung zur bestehenden Staatsformation in Gefahr gerät (z.B. durch die subalternen Klassen), wendet der Staat gesetzlich legitimierte Gewalt an. Auf dieser Sichtweise beruht auch der wohl bekannteste Satz Gramscis mit definitorischem Charakter: „In dem Sinne, könnte man sagen, dass Staat = politische Gesellschaft + Zivilgesellschaft, das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang“40 ist. Gramsci eröffnet aber auch eine Perspektive, in der die Zivilgesellschaft den Staat verändern und überwinden kann: Wenn eine Klasse „sich selbst als geeignet setzt, die gesamte Gesellschaft zu assimilieren, […] führt diese Auffassung vom Staat
|| 38 Vgl. Gramsci, Gefängnishefte. 39 Gramsci, Gefängnishefte, Bd. 3, Heft 4 § 38, S. 499. 40 Gramsci, Gefängnishefte, Bd. 4, Heft 6 § 88, S. 783.
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und vom Recht zur Vollendung, bis sie schließlich das Ende des Staates und des Rechts konzipiert, insofern sie überflüssig geworden […] und von der Zivilgesellschaft aufgesogen worden sind“41. Der Staat würde sich demnach in der Zivilgesellschaft auflösen. Gramsci bezeichnet diesen Vorgang als das „Wiederaufgehen der politischen Gesellschaft in der zivilen Gesellschaft“42. So umschreibt er auch seine gesellschaftliche Idealvorstellung, den Kommunismus: „In dieser Gesellschaft verschwimmt die herrschende Partei nicht organisch mit der Regierung, sondern ist Instrument für den Übergang von der zivil-politischen Gesellschaft zur ‚regulierten Gesellschaft‘.“43
1.1.8 Hannah Arendt und die Vita Activa Hannah Arendt (1906—1975) formuliert entgegen der zu ihrer Zeit gängigen politikwissenschaftlichen Ansätze eine politische Theorie der Massengesellschaft, die besonders drei Elemente verbindet: ein auf Interaktion begründeter Handlungsbegriff, eine spezifische Konstruktion des politisch-öffentlichen Raumes sowie ein Machtkonzept, das mit beidem zusammenhängt. Bedeutung für den Zivilgesellschaftsdiskurs erlangt Arendts Arbeit vor allem durch die herausgehobene Stellung des gemeinsamen Handelns der Bürgerinnen und Bürger sowie deren aktive Einbindung in politische Angelegenheiten. Sie misst der politischen Öffentlichkeit als dem Produktionszentrum kommunikativer Macht große Bedeutung zu, ebenso wie den unabhängigen Assoziationen und dem zivilen Ungehorsam. In ‚Vita Activa oder vom tätigen Leben‘ (1958) unterscheidet Arendt drei Begriffe menschlichen Tuns: Arbeit, Herstellen und Handeln.44 Durch Arbeit sind Tätigkeiten beschrieben, die zur Erhaltung des Lebens zwangsläufig notwendig sind. Aus ihr gehen Produkte hervor, die für den Verbrauch bestimmt sind. Die Tätigkeit des Herstellens beschreibt die Produktion von beständigeren Gebrauchsgütern und einer künstlich erzeugten objektiven Welt. Handeln hingegen wird bei Arendt als eine zwischen Menschen durch sprachliche Interaktion stattfindende Tätigkeit verstanden. Das Handeln ist ein kreativer und spontaner Ausdruck des freien Willens – und bildet in Verbindung mit der politischen Urteilskraft der Bürger auch die Grundlage der politischen Macht. Macht ist somit in der politisch-öffentlichen Sphäre verankert und entsteht überall dort, „wo Menschen sich versammeln und zusammen handeln, und […] verschwindet, wenn sie sich wieder zerstreuen“45.
|| 41 Gramsci, Gefängnishefte, Bd. 5, Heft 8 § 2, S. 943. 42 Gramsci, Gefängnishefte, Bd. 3, Heft 5 § 127, S. 685. 43 Gramsci, Gefängnishefte, Bd. 4, Heft 6 § 65, S. 757. 44 Vgl. Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben. 45 Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, S. 313.
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Anders als bspw. Jürgen Habermas (siehe Kap. 3.1.2) lehnt sie universalistische Begründungsversuche von Moral ab und vertritt ein Konzept kontextualisierter Moralität, das Traditionen von Aristoteles und Immanuel Kant (1724—1804) vereint. Für Arendt beruhen politische Macht und die republikanischen Institutionen der Freiheit nicht auf Pflichten, die mit universellen Vernunftprinzipien begründet werden, sondern vielmehr auf der affektiven Kraft des gegenseitigen Vertrauens und Versprechens.46 Ihr Machtbegriff ist dabei grundsätzlich verschieden zu der weiter verbreiteten Definition von Max Weber. Während bei Weber Macht innerhalb sozialer Beziehungen verortet wird und auf der Chance zur Durchsetzung des eigenen Willens auch gegen den Willen des Anderen basiert, konzipiert Arendt einen positiveren Machtbegriff – positiv in dem Sinne, dass ein Einzelner niemals über Macht verfügen kann, sondern immer auf die Unterstützung durch Gleichgesinnte angewiesen ist. Somit lässt sich Macht nicht für vorgegebene Ziele instrumentalisieren. Trotzdem ist sie für das politische Gemeinwesen unabdingbar, da politische Institutionen erst über die Macht ihre Legitimation erhalten. Dies erinnert an das oft zitierte Diktum von Ernst-Wolfgang Böckenförde (geb. 1930), wonach der freiheitliche säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht zu garantieren im Stande ist.47 Böckenförde, Verfassungsjurist und Historiker, argumentiert in der Tradition der Katholischen Soziallehre. Und auch wenn er damit aus anderer Perspektive auf den Bedarf an gesellschaftlichem Sozialkapital (siehe Kap. 2.8) anspielt, gehen beide Ansätze doch in dieselbe Richtung. Hannah Arendts Politikverständnis entwickelt sich angesichts der in den modernen Massengesellschaften vorherrschenden Totalitarismus-Tendenzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ihr Konzept der politischen Öffentlichkeit baut dabei grundsätzlich auf der Sphäre des Privaten auf, in der sich die Persönlichkeit des Einzelnen herausbildet, auf die jedes politische Handeln angewiesen ist. Hierin zeigt sich ein starker Bezug auf den klassischen republikanischen Tugenddiskurs. Die politische Öffentlichkeit entspricht dabei dem Raum zwischen der privaten und der politischen Sphäre. Als große Gefahr erkennt Arendt die zunehmende Vereinnahmung der Öffentlichkeit durch private Interessen in liberalen Demokratien. Daher bedarf es für sie eines republikanischen Geistes, der gefestigt in Institutionen den Rahmen für eine bürgerschaftliche Selbstregulierung ermöglicht, denn die Unabhängigkeit von Interessen sei die wichtigste Voraussetzung für die Fähigkeit zu moralischem Handeln. Eine vorwiegend von Eigeninteressen geleitete Politik und die vorherrschende Konsumorientierung in modernen Massengesellschaften führen nach Ahrendts Ansicht zu einer stark manipulierten Öffentlichkeit. In der Konsequenz verlieren die Bürger
|| 46 Vgl. Buchstein/Speth, Hannah Arendts Theorie intransitiver Macht, S. 250 f. 47 Vgl. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 60.
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ihren Gemeinsinn und ihre moralischen Kompetenzen. Besondere Bedeutung misst Arendt deshalb einem institutionellen Unterbau bei, „der Interessen nicht einfach in Form von Willensrepräsentation weiterleitet und schließlich aggregiert. Stattdessen bedarf es solcher Formen der Repräsentation, welche die Bürger dazu ermutigen und auf Dauer befähigen, sich als kompetente Bürger wahrzunehmen und entsprechend zu handeln“48.
1.1.9 Karl Popper und die offene Gesellschaft Der österreichisch-britische Philosoph Karl Raimund Popper (1902–1994) gilt als Begründer des kritischen Rationalismus. Seine wissenstheoretischen Positionen und philosophischen Ansichten sind stark geprägt von den beiden Weltkriegen und seinen biografischen Erfahrungen als vormaliger Tischler, Erzieher und Lehrer. In Poppers bekanntestem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“49 betont er seine Erkenntnis, dass es keine allgemeinverbindliche Instanz gibt, die die Wahrheit besitzt. Das Wissen über die Welt nimmt zwar stetig zu, aber alles neue Wissen besteht nur aus Hypothesen, die immer wieder neuerlicher Kritik unterzogen werden müssen. Popper setzt sich kritisch und ablehnend mit den philosophischen Schriften von Platon, Hegel und Marx auseinander. Er entzaubert Platons Schriften, indem er totalitäre Gedanken in dessen Werk erkennt, und kritisiert vor allem, dass die Schriften Platons bisher unreflektiert und kritiklos hingenommen worden sind. Popper fordert, dass gerade in einer offenen Gesellschaftsordnung die kritischen Fähigkeiten eines jeden Menschen gesichert sein sollten. Dies soll unter anderem dadurch gelingen, dass sich die offene Gesellschaft endlich von den Strukturen der geschlossenen Stammesgesellschaft befreit. Die bisherige Nichtüberwindung der geschlossenen Gesellschaftsform hat nach seiner Auffassung zum totalitären Staat geführt. Die Entstehung des Faschismus bringt er in diesem Zusammenhang auf die schlichte Formel: Hegel durchmischt mit ein wenig Materialismus und Darwinismus.50 Als Gegenentwurf zur geschlossenen Gesellschaft erklärt Popper die Demokratie, die er als erstrebenswerteste Staatsform ansieht. Aber auch die Demokratie darf kein starres Gebilde sein, sondern unterliegt stetigen Veränderungen. Die offene Gesellschaft ist gewissermaßen eine freiheitliche, ihren Kinderschuhen entwachsene Staatsform, deren Fundament die Vernunft bildet. Anders als in verkrusteten
|| 48 Buchstein/Speth, Hannah Arendts Theorie intransitiver Macht, S. 241. 49 Vgl. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. 50 Vgl. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2, S. 73: „Die Form des faschistischen Gebräus ist also in allen Ländern dieselbe: Hegel plus ein Schuß Materialismus des 19. Jahrhunderts (insbesondere Darwinismus in der vergröberten Form, die ihm Haeckel gegeben hatte).“
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Gesellschaftsformen sollen in der Demokratie die Rollen jedes Einzelnen nicht von vorneherein festgelegt sein. Gleichzeitig fordert Popper das menschliche Individuum dazu auf, für die Freiheit, die Gleichheit und die Gerechtigkeit einzustehen. Er übt Kritik an der Macht und den Mächtigen und verlangt nach deren institutioneller Kontrolle. Zugleich lehnt er das (faschistische) Führerprinzip strikt ab. Die Geschichtsschreibung sieht Popper dabei in einer besonderen Verantwortung. Er kritisiert, dass sie einzig die Historie der Herrschenden und Mächtigen erzählt. Diese Art der Geschichtsinterpretation vergisst die Menschen, die doch gleichwertige Individuen wie die Herrschenden sind. Dadurch entsteht nach Poppers Auffassung der Eindruck, die Geschichte verlaufe nach einem „göttlichem Gesetz“ nach dem Willen der Mächtigen – für ihn ein schwerwiegender Irrglaube. Er entlarvt den Historizismus, also den Glauben, dass Geschichte nach bestimmten Gesetzen verlaufe, als unwahr. Es gibt für ihn niemanden, und erst recht keinen Führer, der einen Masterplan der Geschichte besitzt. Popper plädiert für die Selbstverantwortung jedes Menschen bei seinen ethischen Entscheidungen. Die offene und demokratische Gesellschaft ist für ihn eine Prozessgesellschaft, die sich ständig kritisch hinterfragt und dadurch im Sinne einer Evolution weiterentwickelt. Politiker haben als Staatsträger dabei die Aufgabe, keine gesellschaftlichen Versprechungen über Glückseligkeit abzugeben, sondern sich darauf zu konzentrieren, dass die größten Übel vermieden werden. Poppers Demokratietheorie empfiehlt letztlich eine „Sozialtechnik der Einzelschritte“, die darauf ausgelegt ist, dass Folgen politischen Handelns stets korrigiert werden können. Angesichts gegenwärtiger Debatten um eine Zivilgesellschaft, die sich entweder als Summe von Akteuren in einer offenen Gesellschaft oder als Instrument einer geschlossenen (autoritären) Gesellschaft versteht, haben Poppers Unterscheidungen in jüngster Zeit erhebliche Aktualität gewonnen.
1.2 Ursprünge moderner Zivilgesellschaft 1.2.1 Frühe Geschichte: Von der Confoederatio zur Universitas Die deutschen Städte, von denen ein Teil auf römische Gründungen zurückgeht, entwickeln sich in den Jahrhunderten des Mittelalters in höchst unterschiedlicher Weise. Die unterschiedlichen Umstände der Gründung, wechselhafte Herrschaften und viele andere Einflüsse führen dazu, dass von einer einheitlichen oder gar nationalen Stadtentwicklung keinesfalls gesprochen werden kann. Dies vorausgeschickt lässt sich feststellen, dass es zum Wesen der mittelalterlichen Stadt gehört, dass es dort freiwillige Zusammenschlüsse von Menschen gibt. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die Verfassung einer Stadt auf die Verfassungen der jeweiligen innerstädtischen Vereinigungen ausstrahlt. „Die Stadtgemeinde ist als erster genossenschaftlicher Verband über das Stadium der bloßen Genossenschaft hinausge-
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langt und zur Körperschaft (universitas) fortgeschritten, nach heutigem Sprachgebrauch zur juristischen Person geworden.“51 Hier wird eine Entwicklung sichtbar, die schon in der Antike begonnen hatte. Weder das griechische noch das römische Recht bis zur Kaiserzeit kennen juristische Personen. Immer war bspw. eine natürliche Person als Handlungsbevollmächtigter oder als Treuhänder eines Vermögens vonnöten. Erst in der Spätantike können sich „moralische Personen“ rechtlich etablieren. Doch bis ins Mittelalter hinein bleibt ihre rechtliche Position schwach. Deutlich wird dies am Beispiel der Kirche, die zwar im 4. Jahrhundert die Anerkennung als moralische Person erlangt, aber dennoch für viele Jahrhunderte rechtlich an die Person des Bischofs gekoppelt bleibt. Dieser fungiert als Treuhänder des Kirchenvermögens, wobei immer strittig ist, ob er nun der Treuhänder der Stifter, der Kirchenmitglieder oder – theologisch ausgedrückt – der Treuhänder Gottes ist. Analog gilt dies für den weltlichen Herrscher und für jeden Menschen. Unter dieser Prämisse ist die Organisation einer Stadt oder einer Vereinigung im rechtlichen Sinne schwierig. Einen ersten Fortschritt stellt die Genossenschaft als Personenverband dar, der sich erst allmählich zur Korporation (universitas) als eine von seinen Mitgliedern unabhängige Organisation entwickelt. Wie sich dieser Schritt vollzogen hat, ist in der Forschung umstritten, doch „eine große Bedeutung [hat] in diesem Zusammenhang die Auffassung erlangt, wonach die örtlichen Kaufleutegilden einen maßgeblichen Einfluss auf die Gemeindebildung gehabt hätten. Zugrunde liegt dem die Annahme, dass neben der vertikal ausgerichteten Herrschaft genossenschaftliche Formen der Rechts- und Verbandsbildung unter Rechtsgleichen eigenständig fortbestanden hätten“52. Daraus ergibt sich, dass diese „Verbandsbildung“ keineswegs unbedingt eines vorgegebenen Rechtsrahmens bedarf, sondern diesen vielmehr selbst hervorbringen kann. Der Verband ist in moderner Terminologie schon deshalb durchaus ein Ort der politischen Deliberation, sogar mit Vorbildfunktion. Während die coniuratio („Schwurgemeinschaft“) oder confoederatio („Bündnis“) als reiner genossenschaftlicher Personenverband seine Mitglieder nur im Innenverhältnis bindet, ist die universitas als eigenständiger Körper regelmäßig auf ein eigenes Außenverhältnis hin ausgerichtet. Dies lässt sich am Beispiel der Namens- und Siegelführung der Städte gut ablesen.53 Allerdings ist der Übergang von der Genossenschaft zur Körperschaft mit weitreichenden Konsequenzen in der Stadtgemeinde vorgebildet und später von den Vereinigungen nachvollzogen worden. Anders als heute wird aber kein prinzipieller Unterschied zwischen öffentlicher und privater Körperschaft gesehen. Auch die
|| 51 Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, S. 214. 52 Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, S. 209. 53 Vgl. Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, S. 214.
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Stadt empfindet sich als Mitgliedsorganisation, in die man – freilich unter sehr unterschiedlichen Bedingungen – eintreten und aus der man austreten kann. Der Stadt und sonstigen Verbänden ist gemeinsam, dass sie nur als Körperschaft einen einheitlichen Willen ausbilden, rechts-, handlungs- und vermögensfähig werden, Prozesse führen, Darlehen aufnehmen, Schulden machen und schließlich auch Delikte begehen können – alles Eigenschaften, die einer Vereinigung als gesellschaftlich wirksamer Kraft erst die notwendige Konsistenz verleihen. Die in vielen deutschen Städten nach italienischem Vorbild entstehenden religiösen, genossenschaftlich verfassten Bruderschaften ordnen sich in diesen Kontext ein54. Einerseits wird ihr durch Beiträge, Spenden und Stiftungen erworbenes Vermögen als Kirchengut behandelt, andererseits erbringen sie nicht unwesentliche Dienstleistungen zum Wohle der Allgemeinheit und eröffnen besonders ärmeren Handwerkern, Gesellen und Dienstboten den Zugang zu diesen Dienstleistungen. „Weitere Zwecke der Bruderschaften waren gemeinsamer Gottesdienst und gemeinsames Gebet, gemeinsame Heiligenverehrung, Teilnahme an Prozessionen, Caritas durch Almosenstiftungen und Spenden sowie Geselligkeit bei Mählern und Trinkgelagen.“55 Auch Zünfte und Gilden pflegen ein intensives Gemeinschaftsleben, vertreten kontinuierlich ihre Interessen gegenüber der Gesamtheit und erbringen erhebliche Leistungen für ihre Mitglieder, obwohl ihnen mangels des Körperschaftsstatus manche Eingriffsinstrumente nicht zur Verfügung stehen. Dies gilt selbst für eine so bedeutende und einflussreiche Organisation wie die Hanse, die 1469 – in diesem Fall zu ihrem Vorteil – ausdrücklich darauf hinweist, sie sei weder societas, noch collegium, noch universitas, sondern lediglich eine confoederatio, weil ihr alle wesentlichen Elemente einer Körperschaft abgehen.56 Das Beispiel zeigt zum einen, dass der Wille, sich zusammenzutun, der Entwicklung entsprechender Verbandsformen vorausgeht, zum anderen, dass die so entstandenen Kollektive in der Lage sind und auch ausdrücklich dazu gebildet werden, eine ganze Palette von gesellschaftlichen Funktionen wahrzunehmen.
1.2.2 Bürgerliche Gesellschaften Spätestens seit dem 17. Jahrhundert bilden sich auf ganz unterschiedliche Weise und mit sehr unterschiedlichen Zielen Gruppierungen, die mehrere Merkmale gemein haben: Zum ersten ist die Mitgliedschaft freiwillig und kann jederzeit beendet werden. Zum zweiten erreichen viele dieser Gruppierungen eine erstaunliche Kon-
|| 54 Siehe hierzu bspw. Karg, St. Anna Bruderschaften im Bistum Freising. 55 Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, S. 657. 56 Vgl. Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, S. 934 f.
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sistenz, die ihnen eine nachhaltige Existenz zumindest für mehr, oft viel mehr als eine Generation sichert. Zum dritten steht die Verfolgung eines Ziels und nicht die Ausübung von Herrschaft im Mittelpunkt. Zum vierten bestimmen sie autonom über die Prinzipien ihrer Organisation. Solche freien Zusammenschlüsse von Menschen stehen am Beginn der bürgerlichen Gesellschaft. Schon im 14. Jahrhundert waren in den Städten Italiens die ersten gelehrten Gesellschaften entstanden, im deutschsprachigen Raum folgen besonders Sprachgesellschaften und „deutsche Gesellschaften“. Die Form ist also vorhanden, die dann ab dem 17. Jahrhundert einen neuen Inhalt bekommt. Der wachsende Individualismus der Bürger führt zu ihrer zunehmenden Selbstfindung gerade in den Vereinigungen, denen sie freiwillig beitreten und die insoweit die ständischen Korporationen ersetzen. Lesezirkel, Freimaurerlogen, Dichterbünde, ökonomische Sozietäten und politische Clubs schießen aus dem Boden. „Ein ungemeines Bedürfnis nach geistigem Austausch, geselligem Verkehr, Beförderung von Wissen tut sich darin kund. […] Das Verlangen und der Wunsch nach Partizipation, nach Teilhabe am öffentlichen Geschehen macht sich energisch geltend.“57 Es wäre zu einfach, daraus bereits den Beginn eines politischen Vereinslebens schlechthin zu konstruieren. Ohne Zweifel aber erwächst aus dem politischen Anspruch der Antrieb zu kollektivem Handeln. Und er begrenzt sich keineswegs auf Menschen, die sich von der Teilhabe ausgeschlossen fühlen. So wird 1617 von Fürsten die „Fruchtbringende Gesellschaft“ gegründet, der in ihrer besten Zeit 800 Mitglieder angehören – offenkundig die Mehrheit von ihnen nicht Angehörige von Herrscherfamilien. Fürsten werden auch Mitglieder in Freimaurerlogen und unterwerfen sich dort den Regeln und Ritualen privater Organisationen, die dem Zeremoniell ihrer Höfe in keiner Weise entsprechen, diese allerdings oft nachahmen. „Der Aufbruch der bürgerlichen Intelligenz erfolgt aus dem privaten Innenraum. […] Ohne sich ihres privaten Charakters zu begeben, wird die Öffentlichkeit zum Forum der Gesellschaft.“58 Diese Zusammenschlüsse entstehen überall – mit sehr unterschiedlichen Zwecken, aber ineinander übergehenden Zielen. Die zugleich egalitär und elitär aufgebauten Vereinigungen entwickeln sich zu einem Ersatzraum politischer Aktivität und nehmen öffentliche Aufgaben wahr. Sie können insofern auch als frühe Entwicklungsstadien politischer Parteien interpretiert werden.59 Ein typisches Beispiel dafür ist die 1779 in Görlitz gegründete „Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften“, die durch Förderung der Wissenschaften das wirtschaftliche und kulturelle Leben im Land systematisch entwickeln und dadurch das Lebensniveau der dort lebenden Menschen nachhaltig heben will. Die (nach Wiedergründung) noch
|| 57 Garber, Die bürgerliche Gesellschaft beginnt in kleinen Gruppen, S. 4. 58 Koselleck, Kritik und Krise, S. 41. 59 Vgl. Hoffmann, Jakob Mauvillon, S. 123.
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heute bestehende Gesellschaft erwirbt sich dabei hohes Ansehen; unter anderem zählten Alexander und Wilhelm von Humboldt und die Gebrüder Grimm zu ihren Mitgliedern. An Jakob (de) Mauvillon (1743—1794), einem Schriftsteller der Aufklärung und Freund und Co-Autor des französischen Publizisten und Politikers der Revolutionszeit Graf Honoré Gabriel Mirabeau, lässt sich beispielhaft zeigen, wie sehr über solche Vereinigungen auch Netzwerke geknüpft werden. Mauvillon gehörte in Kassel der „Gesellschaft des Ackerbaues und der freien oder nützlichen Künste“ an, später auch der „Gesellschaft der Alterthümer“, in der die Landesherren und fast alle staatlichen Honoratioren Mitglieder waren. Nach seiner Übersiedlung nach Braunschweig wurde er Mitglied im „Großen Klub“, ebenfalls einem Honoratiorenzirkel, und dies obwohl „Mauvillon […] zu dieser Zeit schon weithin als radikales Element verschrien war“60. Außerdem gehörte er einer Freimaurerloge an und trat später auch in den Illuminatenorden ein. Bei all diesen Aktivitäten besaß die „Möglichkeit zur Durchsetzung und v.a. Verbreitung seiner Ideen“61 eine hohe Priorität. Zugleich bemühte er sich aber ständig um „Teilnahme an allen damals üblichen Formen der Geselligkeit, angefangen von Zusammenkünften, die einfach nur der Unterhaltung oder dem Gesellschaftsspiel dienten“62. Ein späteres Beispiel ist die 1817 gegründete „Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft“ in Frankfurt am Main, die in der Tradition der schon 1763 gegründeten Dr. Senckenbergischen Stiftung stand. Diese wurde zunächst als Wohltätigkeitsstiftung eingerichtet, verfolgte aber von Beginn an und später immer mehr auch wissenschaftliche Ziele der Naturkunde, mit der Begründung, dass jeder gebildete Mensch die Pflicht habe, sich in der Naturkunde umzutun (so der in der Stiftung tätige Arzt Dr. Philipp Jakob Cretzschmar). Besonders interessant ist dabei etwas anderes: „Der Status, den der Verein in der Stadtgesellschaft (und darüber hinaus) genoss, sollte dazu benutzt werden, um nicht mehr nur über den Erwerb, den Kauf oder den Tausch von Naturalien zu diskutieren, sondern Fragen von politischer, kultureller und weltanschaulicher Bedeutung zu verhandeln.“63 Und: „Die Jahresfeste dienten […] der Selbstdarstellung des Vereins im öffentlichen Raum. Nach innen trugen sie, in geselliger Runde, bei Wein und Gesang, zur kulturellen Vergemeinschaftung bei.“64 Ob die im 18. und frühen 19. Jahrhundert besonders beliebten Salons ebenfalls dazu beitrugen, mag bezweifelt werden. Entstanden aus den italienischen Musenhöfen einer Isabella d’Este und ausgebildet in Frankreich ab 1600, waren sie zwar
|| 60 Hoffmann, Jakob Mauvillon, S. 128. 61 Hoffmann, Jakob Mauvillon, S. 151. 62 Ebd. 63 Kretschmann, Intellektuelle im bürgerlichen Verein?, S. 981. 64 Kretschmann, Intellektuelle im bürgerlichen Verein?, S. 982.
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Ausdruck einer neuen Geselligkeitskultur: Sie dienten dem freien Ideenaustausch – ungeachtet der Schranken von Klasse und Geschlecht – und förderten die Aufklärung; Philosophen wie Voltaire oder Diderot verkehrten in den Pariser Salons und bereiteten dort den Boden für die Französische Revolution. Dennoch fehlte ihnen das Element der Vergemeinschaftung, denn sie waren vom Willen einer oder mehrerer Gastgeberinnen abhängig und entwickelten keine Binnenstruktur. In Deutschland kam im 18. Jahrhundert der Literarische Salon als Ort bürgerlicher Geselligkeit in Mode, ursprünglich als Imitation der Hofsitten. Berühmt wurden die Salons der Frühromantik, z.B. der Jenaer Salon der Caroline Schelling oder der Berliner Salon der Rahel Varnhagen. In der restaurativen Zeit des Biedermeier waren sie Zeichen eines bürgerlichen Rückzugs ins Private und dienten oft der Förderung junger Talente in Literatur und Musik. Eine Art musikalisch-literarischer Salon waren die Treffen der Freunde um Franz Schubert im Wien der 1820er-Jahre, die sogenannten „Schubertiaden“.
1.2.3 Geheime Bünde Die Geschichte Europas und Nordamerikas im 18. Jahrhundert ist ohne die Rolle der Geheimbünde – insbesondere der Freimaurer, Illuminaten, Rosenkreuzer und anderer – nicht verständlich. Einerseits spielten ihre Mitglieder bei wichtigen politischen Entwicklungen und Umwälzungen eine erhebliche Rolle. So waren etwa 50 der 56 Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung Freimaurer. Andererseits wurden sie von Staaten und Kirchen bekämpft, soweit sie sich im Einzelfall nicht aktiv am Kampf gegen andere Bünde beteiligten (wie etwa die Rosenkreuzer in Preußen nach 1786 aufgrund ihrer Verbindungen zur Regierung). Sie galten im Wesentlichen als „neue soziale Bewegungen“ ihrer Zeit, als revolutionäre Opposition, „deren Mitglieder sich durch Bande der Bruderschaft verknüpften, auf einen gewissen Zweck gemeinschaftlich arbeiteten […], die Denkungsart des Volkes umzustimmen“65. Allen Geheimbünden war eine strikte Arkan-Disziplin eigen, d.h. es wurde über das Gemeinschaftsleben, die Rituale, das Schriftgut und über Vorkommnisse innerhalb des Bundes nach außen Stillschweigen bewahrt. Dies war nicht selten Anlass zu Mutmaßungen und Theorien, die in diffamierender Absicht über die Geheimbünde verbreitet wurden. Während sich die Freimaurer auf die mittelalterlichen Dombauhütten und baumeisterlichen Gildenbruderschaften zurückführten, sahen die Rosenkreuzer ihre Ursprünge sogar in der Zeit des Moses und beriefen sich zudem auf einen angeblich 1388 geborenen Christian Rosenkreutz. Historisch fassbar sind die Rosenkreuzer jedoch erst seit 1710, die Freimaurer seit 1717. Da beide Organisationen sich auf das || 65 Reinalter, Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, S. 35 f.
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Gedankengut der Aufklärung stützten – letztere, um es zu vollenden, erstere, um es zu überwinden – mutet die Mystifizierung ihrer Ursprünge seltsam an, sieht man davon ab, dass sich im virtuellen Freiraum des Geheimnisses die Konstruktion einer neuen Subjektivität der Bürger als Menschen angekündigt haben mag. Überhaupt sind weder Freimaurer noch Rosenkreuzer frei von mystischen oder sogar esoterischen Elementen. Die Freimaurerei umfasste diesbezüglich von Beginn an sehr unterschiedliche Ausprägungen. Die Illuminaten hingegen, die ausdrücklich 1776 als ihr Gründungsjahr und Ingolstadt als den Gründungsort bezeichneten, sind von solchen Auswüchsen nicht betroffen. Insgesamt stellten die geheimen Assoziationen, besonders die Freimaurer, die sich im 18. Jahrhundert mit einem Netz von mehreren hundert Logen deutschlandweit verbreiteten, wesentliche Bestandteile des sozialen Substrats der Aufklärungsbewegung dar. „Man wird heutzutage in allen Ständen wenig Menschen antreffen, die nicht […] wenigstens eine Zeitlang Mitglieder einer solchen geheimen Verbrüderung gewesen wären“66, notierte Adolph Freiherr Knigge, seit 1780 einer der führenden Illuminaten. Für die Entwicklung einer Zivilgesellschaft ist vor allem von Interesse, dass die aufgeklärte Intelligenz nach dem Abklingen der ersten Reformphase die enge Bindung an den Staat zwar vielfach als einengend empfand, daraus aber keine Staatsverdrossenheit oder revolutionäre Gesinnung entwickelte, sondern vielmehr ein wachsendes Bedürfnis nach geselliger Kommunikation. Die allgemeine Welle von Gesellschaftsgründungen in den 1770er und 1780er Jahren ist dafür ein paralleles Indiz. Besonders die Illuminaten verfolgten die Absicht, mittels einer strategisch darauf ausgerichteten Organisation eine außerstaatliche Tugend- und Bildungsinstitution zu schaffen. Soweit gingen die Freimaurer mehrheitlich nicht; sie sahen sich eher als Sammelbecken der aufstrebenden bürgerlichen Kräfte und als Übungsfeld neuer Interaktionsformen. „Die Logen der Maurer sind eine für das neue Bürgertum typische Bildung einer indirekten Gewalt im absolutistischen Staat.“67 Folgt man der Einteilung von Albert Hirschman (siehe Einführung), sind die Freimaurer somit eher im Bereich exit, die Illuminaten eher im Bereich voice anzusiedeln. Bemerkenswert erscheint in jedem Fall, dass sich die allmähliche Erweiterung der Teilhabe der Bürger (noch nicht der Bürgerinnen) an den Angelegenheiten des Staates im modernen Verfassungsstaat fast gleichzeitig mit der Herausbildung nichtstaatlicher kollektiver Strukturen vollzieht.
|| 66 Zitiert nach Norbert Schindler, Der Geheimbund der Illuminaten. Aufklärung, Geheimnis und Politik, in: Reinalter, Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, S. 284. 67 Reinalter, Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, S. 62.
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1.2.4 Vaterländische Vereinigungen Patriotismus wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum Merkmal zahlreicher freiwilliger Zusammenschlüsse in Deutschland. Auch dies ist bemerkenswert, weil das französische Vorbild der Aufklärung gerade zu dieser Zeit einen anderen Weg einschlug: 1791 wurden in Frankreich alle Vereinigungen per Gesetz mit der Begründung abgeschafft, der Staatsbürger (Citoyen) habe nur im Staatsverband, also der Nation, seine Kollektivität zu finden und auszuüben. In Deutschland wurden politische Entwicklungen wie die allmähliche Einebnung von Klassenschranken und der Aufstieg des Bürgertums gerade durch freiwillige Vereinigungen vorangetrieben – ähnlich zu den USA, wie Tocqueville eine Generation später erstaunt feststellte. Die Mitgliedschaft in der 1791 gegründeten „Märkischen Ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam“, eine von 239 zwischen 1723 und 1817 entstandenen ökonomischen Sozietäten in Preußen, stand beispielsweise jedem „biederen, von Vaterlandsliebe beseelten Manne aus jedem Stande frei, dem es nicht an Kenntniß und Erfahrung über dergleichen Dinge fehlt und der also, wo nicht in mehrern, doch in einem oder dem anderen Fache, durch Nachrichten, Vorschläge und Beurtheilungen etwas nützliches leisten kann“68. Eine besondere Blütezeit erlebten diese Vereinigungen in den Befreiungskriegen gegen Napoleon. In erklärtem Gegensatz zu staatskritischen Ideen der Aufklärung sollten jetzt Vereine den Staat in seinem Kampf gegen die Fremdherrschaft unterstützen. Patriotische Organisationen, etwa der „Tugendbund“ mit Sitz in Königsberg, schossen in großer Zahl aus dem Boden und bildeten Netzwerke. Auch die 1811 von Friedrich Ludwig Jahn gegründete Turnbewegung hatte ausdrücklich die Vorbereitung junger Männer für den Kampf gegen die Franzosen zum Ziel; ebenso ausdrücklich waren sie keine Soldaten, sondern Bürger, die sich freiwillig dazu meldeten. Die Turnkunst, so Jahn, sei „eine bleibende Stätte zur Bildung frischer geselliger Tugenden, zur Erhaltung des Gemeinsinns, des Sinnes für Sitte und Gesetz, für freudigen Gehorsam, auch in freier Bewegung und froherer Selbstbestimmung“69. Nach dem Ende der Befreiungskriege 1815 waren viele dieser Vereinigungen der erbitterten Gegnerschaft der restaurativ regierenden Fürsten ausgesetzt. Zwar setzte sich allmählich die Meinung durch, dass dem erstrebten Nationalstaat auch eine Nationalgesellschaft entsprechen müsse. So erklärten freiwillige Vereinigungen ausdrücklich die Schaffung eines deutschen Nationalstaats zum Ziel und trieben damit, wenn auch zunächst sehr langsam, eine politische Entwicklung voran. Aber damit verband sich vor allem die Hoffnung auf eine politische Liberalisierung, die von den Fürsten nicht zu erwarten war. Diese reagierten zum Teil panisch, in jedem
|| 68 Schmitt/Tosch, Vernunft fürs Volk: Friedrich Eberhard Rochow 1734–1805 im Aufbruch Preußens, S.60 f. 69 Jahn/Eiselen, Die deutsche Turnkunst.
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Fall aber repressiv. Selbst die seit den 1820er Jahren im Rheinland gegründeten Karnevalsvereine, die die bestehenden Verhältnisse mit Spott überzogen, wurden Opfer staatlicher Zwangsmaßnahmen. Ab den 1830er Jahren hatte eine von Freiwilligkeit getragene Nationalbewegung keine Chance mehr. Hegels Verherrlichung des (preußischen, bürokratischen, protestantischen) Staates beeinflusste das politische Denken lange Zeit so nachhaltig, dass selbst für vaterländische, aber von den Bürgern getragene Bewegungen keine Aussicht auf Erfolg bestand. Zudem wurden sie zunehmend zwischen konservativer Staatsgläubigkeit und sozialistischen Alternativen zerrieben. Als Ausweg blieb der Rückzug ins Unpolitische oder in eine unkritische Loyalität. Nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 wurden die vaterländischen Vereine immer mehr zu staatstreuen Honoratiorenvereinigungen. Da Frauen der Zugang zu den von Männern gebildeten Vereinen im Wesentlichen verschlossen war, kam es auch im Bereich der patriotischen Vereinigungen im Laufe der Zeit zur Gründung eigener Frauenvereine. Den ersten Vaterländischen Frauenverein auf Landes-, später auf Reichsebene gründete 1866 die preußische Königin Augusta (Gemahlin König Wilhelms I., des späteren Kaisers), nachdem sich die Verwundetenpflege im deutsch-dänischen Krieg als unzureichend erwiesen hatte. Aufgabe des Vereins sollte es sein, in Friedenszeiten Notstände zu lindern sowie die Krankenpflege zu fördern und in Kriegszeiten sich um die Verwundeten zu kümmern. Bis 1869 hatten sich bereits 291 Ableger gebildet. In den 1880er Jahren zählten diese Vereine 150.000 zahlende Mitglieder, um 1910 rund 300.000. Intern pflegten die Frauenvereine zumeist einen autoritären und militärischen Führungsstil; in den Vorständen spielten Männer aus der Oberschicht eine dominierende Rolle.
1.2.5 Jugend- und Studentenverbindungen Studentische Verbindungen gibt es, seitdem es Universitäten gibt. Die zwei ältesten europäischen Universitäten, in Bologna und Paris, sind aus studentischen Korporationen entstanden. Später schlossen sich oft Studenten gleicher geographischer Herkunft zusammen und wurden kurz Landsmannschaften genannt. Seit dem 17. Jahrhundert hatten sie in Deutschland eine wechselvolle Geschichte von landsmannschaftlicher Zweckgemeinschaft, geselliger Vereinigung und geheimer Schwurgemeinschaft, von Zulassung, Tolerierung und Verbot. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts waren sie Teil der bürgerlich-aufklärerischen Sozietätsbewegung, die ein individuelleres Gesellschaftsmodell einzuläuten half. Nach 1770 gab es an deutschen Universitäten, besonders in Halle und Jena, vier große Studentenorden, die Constantisten, Amicisten, Unitisten und Harmonisten. 1793 wurden sie verboten. Doch lebten einige, besonders kleinere Zusammenschlüsse fort und bildeten den Nährboden für die späteren studentischen Verbindungen.
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Auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts dominierten zunächst Zusammenschlüsse von Studenten gleicher landsmannschaftlicher Herkunft. Die Bezeichnung „Corps“ ist erstmals 1810 in Heidelberg nachweisbar. Die elitären Corps setzten sich zum Ziel, die Tradition der Landsmannschaften fortzuführen. Davon zu unterscheiden sind die Burschenschaften, die sich ausdrücklich als landsmannschaftsübergreifende Reformbewegung verstanden; die erste Vereinigung dieser Art wurde 1815 in Jena gegründet. Im Jahr 1817 trat die neue Bewegung bei einem Treffen zahlreicher Burschen auf der Wartburg, dem sogenannten Wartburgfest, zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Es war rund ein Drittel aller Studenten im Deutschen Bund zugegen. Hier wurde das Ziel der Zusammenführung der Studentenschaft in einer einheitlichen Organisation durchformuliert, um damit die Einheit Deutschlands im universitären Bereich vorwegzunehmen. Dies gelang jedoch nie, da unterschiedliche Gruppierungen und Netzwerke teils fortbestanden, teils sich neu bildeten. Ab 1837 entstanden neue Landsmannschaften, in Göttingen auch „Festlandsmannschaften“ genannt. Sie übernahmen von den alten Studentenorden das Lebensbundprinzip. Der neue Name Landsmannschaft bedeutete jedoch nicht die Wiederaufnahme des Regionalprinzips. Der wesentliche Unterschied zu den Corps lag im Grundsatz der Gleichberechtigung. Gesonderte katholische Studentenverbindungen entstanden als Reaktion auf die Unterdrückung der katholischen Bevölkerung durch die protestantisch dominierten Regierungen der deutschen Länder; die erste katholische Verbindung gründete sich 1844 in Bonn. Daneben gab es zahlreiche andere studentische Vereinigungen. Den politischen Mord an dem Dichter August von Kotzebue durch den Burschenschafter Carl Ludwig Sand nahm der Deutsche Bund 1819 zum Anlass, alle selbstverwalteten studentischen Zusammenschlüsse zu verbieten. Die sogenannten Karlsbader Beschlüsse wurden erst 1848 aufgehoben. Sie hinderten jedoch weder die Corps noch die Burschenschaften wirksam an ihrer Ausbreitung und Weiterentwicklung. Ähnlich wie andere Vereinigungen sahen sich auch die studentischen Verbindungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr als Hüter konservativer Werte, behielten allerdings ihre Autonomie in der Binnenorganisation bei. Aus einem der beiden Gründe waren sie unterschiedlichen Regierungen stets suspekt. So wurden die Studentenverbindungen im 20. Jahrhundert nicht nur von den Nationalsozialisten und Kommunisten unterdrückt, sondern zunächst auch in der jungen Bundesrepublik. Nachdem nicht-studentische traditionelle Jugendorganisationen (bspw. Schülerverbindungen und Gesellenvereine) ebenfalls immer weniger auf sozialen Wandel orientiert waren, entstanden am Ende des 19. Jahrhunderts neue Jugendorganisationen. Sie sahen sich – mit sehr weit auseinanderliegenden Akzenten – als Motoren einer allgemeinen Reformbewegung. „Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestal-
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ten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein.“70 So lautete die sogenannte Meißnerformel, die 1913 vom Freideutschen Jugendtag geprägt wurde. Während sich traditionelle – im Sinne Hirschmans (siehe Einführung) loyale – studentische Korporationen an den pompösen Einhundert-Jahr-Feiern der Völkerschlacht bei Leipzig beteiligten, fanden sich sehr unterschiedliche Verbände in ausdrücklichem Protest dagegen auf dem Hohen Meißner in Nordhessen zusammen: Vegetarier, Anti-Alkoholiker, Naturheiler, Naturschützer, Wandervögel, Reformpädagogen, Propheten der freien Liebe, der Nacktkultur, der Reformkleidung, des Jugendstils, der naturnahen Lebensgemeinschaft – politisch teils uninteressiert, teils radikal. Sie kämpften für genossenschaftliche Siedlungen oder für den „Meister“ Stefan George. Was sie einte, war die fundamentale Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen. Sie sind Hirschmans exit-Kategorie zuzuordnen. Als nachhaltig populär erwiesen sich vor allem die Wandervögel, 1901 aus einer losen Gruppe als „Wandervogel – Ausschuss für Schülerfahrten e.V.“ gegründet, deren Liedersammlung, der „Zupfgeigenhansl“ eine Auflage von 750.000 Exemplaren erreichte.
1.2.6 Arbeitervereine Die Bruderschaften und Freiheiten der Gesellen wurden seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend von der sich nach innen manifestierenden Macht der Staaten bedrängt. Besonders nach 1815 waren die Gesellenzusammenschlüsse staatlicher Reglementierung und Unterdrückung ausgesetzt. Schließlich brach der Obrigkeitsstaat des Vormärz der traditionellen Kollektivität der Gesellen den Rücken. Fast zeitgleich begannen in den 1840er Jahren die Arbeiter, die durch die Industrialisierung immer zahlreicher wurden, eine eigene Subkultur zu entwickeln. Das Bestreben der Handwerksmeister, sich von Gesellen und Arbeitern abzusetzen und (nach dem Prinzip itio in partes, des „Auseinandergehens in Gruppen“) in eigenen Verbänden zusammenzuschließen, heizte diese Entwicklungen zusätzlich an, ebenso wie der Druck und die Missachtung seitens der politischen und wirtschaftlichen Eliten. In Frankreich, England und der Schweiz entstanden die ersten Arbeitervereine, die durch ihre bloße Existenz Hegels Ansicht über „Korporationen“ und „bürgerliche Gesellschaft“ widerlegten. In Deutschland verhinderten die Koalitionsverbote der 1840er Jahre zunächst derartige Zusammenschlüsse. Deshalb erfolgte die Gründung der ersten deutschen Arbeitervereine im europäischen Ausland. So schlossen sich im Jahr 1832 deutsche Handwerker, die aufgrund ihrer traditionellen Gesellenwanderung häufiger im Ausland unterwegs waren, in Paris zum „Deutschen Volksverein“ zusammen. 1848 entstand mit der „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbrü|| 70 Mogge/Reulecke, Hoher Meißner 1913, S. 52.
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derung“ der erste nationale Zusammenschluss, dem allerdings überwiegend Arbeiter aus Handwerk und Gewerbe und erst später Industriearbeiter angehörten. Mit den revolutionären Unruhen jener Zeit traten in Deutschland auch lokale Arbeitervereine zunehmend öffentlich auf. Sie forderten radikale Veränderungen, wurden aber mit dem Scheitern der Revolution von 1848/49 zunächst wieder zurückgedrängt. Dennoch blieben zahlreiche Arbeitervereine auch danach in Deutschland aktiv und organisierten sich in gewerkschaftsähnlichen Sammlungsbewegungen. Es waren allerdings häufig bürgerliche Intellektuelle, die die ersten Bildungsvereine für Arbeiter organisierten. Der Beamtensohn Wilhelm Liebknecht, Vater von Karl Liebknecht, trat bspw. als revolutionärer Flüchtling 1849 in der Schweiz einem Arbeiterverein und nach 1850 in London dem Bund der Kommunisten bei. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er 1863 Mitglied im „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“, den Ferdinand Lassalle, ebenfalls kein Arbeiter, im gleichen Jahr gegründet hatte. Nach der Fusion mit August Bebels „Sozialdemokratischer Arbeiterpartei“ ging daraus lange nach Lassalles Tod 1890 die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) hervor. Obwohl im eigenen Selbstverständnis zunehmend politisch ausgerichtet, dienten die Arbeitervereine zunächst der Selbsthilfe und Geselligkeit: Feiern und Tanzen, Bildung und Solidarität gehörten zum festen Programm. Der Verein als zentraler Lebensmittelpunkt oder sogar Ersatzfamilie bildete sich vor allem hier aus. Die politische Arbeit trat erst in einer zweiten Phase nach hitzigen Diskussionen hinzu. Allmählich entstand ein Klassenbewusstsein; die in Vereinen organisierte Arbeiterschaft wurde zur offensiven Emanzipationsbewegung, die ihren Anteil am Fortschritt einforderte. Frauen wurde bis 1904 die Mitgliedschaft verweigert. Daher gründete Pauline Staegemann, die ihr Berufsleben tatsächlich als Dienstmädchen begonnen hatte, im Jahr 1873 den „Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein“. Nach dessen Auflösung trat sie dem „Verein zur Wahrung der Interessen von Arbeiterinnen“ bei, den Gräfin Gertrude Guillaume-Schack gegründet hatte.
1.2.7 Wohlfahrtsverbände Im 19. Jahrhundert stieg die Lösung der „Sozialen Frage“ zu einem zentralen Problem von Gesellschaft und Staat auf, das durch traditionelle, im Wesentlichen von den Kirchen geleistete Fürsorge nicht mehr gelöst werden konnte. Industrialisierung, Landflucht, rasantes Bevölkerungswachstum und Verelendung bargen sozialen Sprengstoff, der nicht mehr zu übersehen war. Auch ein erweitertes allgemeines Verständnis von den Aufgaben eines Staates führte dazu, dass die „Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes“ in der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 erstmals ausdrücklich zum Staatsziel erhoben wurde. Zur Mitwirkung an der Erfüllung dieser Aufgabe mussten mangels Alternativen die zahlreichen vorhandenen,
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fast ausschließlich kirchlich gebundenen Einrichtungen gewonnen werden, die sich aufgrund ihres Selbstverständnisses aber auch dazu verpflichtet fühlten. Sie hatten zudem ein kirchenpolitisches Interesse daran, da sie zum einen weder den Kontakt zu ihrer Basis noch im politischen Diskurs an Gewicht verlieren, zum anderen ihre teilweise seit Jahrhunderten bestehenden Einrichtungen in Eigenregie weiterführen wollten. Die kirchlichen Institutionen waren darüber hinaus auf ein erweitertes und geregeltes Finanzierungssystem angewiesen, da die rapide steigenden Leistungen nicht mehr aus freiwilligen Beiträgen oder dem eigenen Vermögen finanziert werden konnten. Aus dieser Interessenkongruenz entstand das korporatistische System der deutschen Wohlfahrtspflege, bestehend aus kirchlichen und bürgerschaftlichen Organisationen, die auf zum Teil erhebliche Potenziale ehrenamtlicher Mitarbeit zurückgreifen konnten. Zwischen 1840 und 1930 bildeten sich christliche, politische und gesellschaftliche Dachverbände, die die Entwicklung der ihnen angeschlossenen Organisationen vorantreiben, deren gemeinsame Interessen gegenüber den staatlichen Instanzen vertreten und bisher nicht ausgeübte Tätigkeiten aufgreifen konnten. Die ersten Verbände, die motiviert durch den christlich-protestantischen Glauben dem Elend der Zeit begegnen wollten, entstanden bereits 1849: Auf Drängen des evangelischen Pastors Johann Hinrich Wichern kam es zur Gründung des „Centralausschusses für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche“ – des Vorläufers des Diakonischen Werkes (DW der EKD). Im gleichen Jahr gründete der katholische Priester Adolph Kolping in Köln einen Verein katholischer Handwerksgesellen zur sozialen Unterstützung, Bildung und religiösen Lehre der Jugendlichen aus dem Arbeitermilieu. Nach der Entstehung weiterer Hilfsanstalten bildete sich 1897 unter Prälat Lorenz Werthmann der Deutsche Caritasverband (DCV). 1863 gründete der evangelische Theologe Christoph Ulrich Hahn mit dem „Württembergischen Sanitätsverein“ die erste nationale Rotkreuz-Gesellschaft, aus der 1921 das Deutsche Rote Kreuz (DRK) als Dachorganisation hervorging. Die Frauenrechtlerin und Leiterin des „Jüdischen Frauenbundes“ Bertha Pappenheim regte 1917 die Gründung der bis heute bestehenden Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) an. Nachdem die Bündelung aller verfügbaren Kräfte zur Bekämpfung des dramatisch angewachsenen Elends zwischen 1917 und 1924 zu einem „Zusammenrücken“ weiter Teile der Gesellschaft geführt hatte, erlangten die Wohlfahrtsverbände erstmals eine umfassende rechtliche Absicherung: Mit Artikel 123 (Versammlungsfreiheit) und 124 (Vereinsfreiheit) der Weimarer Reichsverfassung erhielten sie wie viele andere Interessenverbände legislativen Schutz. 1919 gründete Marie Juchacz daraufhin die Arbeiterwohlfahrt (AWO) als „Hauptausschuss für die Arbeiterwohlfahrt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“. 1924 gründete Leopold Langstein die „Vereinigung der freien privaten gemeinnützigen Wohlfahrtseinrichtungen Deutschlands e.V.“, deren Vorläuferverband sich bereits 1892 formiert hatte. Heute kennt man die Vereinigung unter dem Namen Paritätischer Wohlfahrtsverband.
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Diese sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege (Diakonie, Caritas, DRK, ZWST, AWO, der Paritätische) schlossen sich 1925 zur „Deutschen Liga der Freien Wohlfahrtsverbände“ zusammen, aus der nach dem Zweiten Weltkrieg die „Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege“ hervorging. Konstitutionell für das Verhältnis von Staat und zivilgesellschaftlichen Organisationen im sozialen Bereich wurde das Subsidiaritätsprinzip (siehe Kap. 3.5.1), das aus der katholischen Soziallehre stammt und nicht zuletzt unter dem Einfluss kirchlich gebundener Ministerialbeamter durch das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (1922/24) und die Reichsfürsorgepflichtverordnung (1924) rechtlich verankert wurde. Nicht zuletzt wegen ihrer Leistungsstärke und ihrer dem Staat genehmen Hauptfunktion als Dienstleister bilden die Wohlfahrtsverbände bis heute einen Kern der „loyalen“ Zivilgesellschaft. Aus der durch Subventionen und Kontrakte gestützten Umklammerung durch den Staat versuchen sich insbesondere die kirchlichen Spitzenverbände in jüngster Zeit zu befreien, indem sie sich zunehmend als „Anwälte ihrer Betreuten“ empfinden und damit die Funktion als Themenanwälte ausüben.
1.2.8 Philanthropische Organisationen Zur Tradition zivilgesellschaftlichen Handelns gehört seit den frühen Hochkulturen das Schenken und Stiften. Im modernen Sprachgebrauch wird es meist als Philanthropie bezeichnet, obwohl dieser Begriff ursprünglich sehr viel weiter gefasst war und bspw. im 18. Jahrhundert auch ein Bildungsideal umfasste. Ebenso bedeutet Philanthropie mehr als Mäzenatentum und lässt sich auch nicht prinzipiell auf das Schenken von materiellen Werten reduzieren. Für den vorliegenden Zusammenhang ist vor allem die Konkretisierung der Philanthropie in einer Stiftung von Bedeutung. Nachdem philanthropische Institutionen in antiker Tradition – im Sinne des Codex Justinianus aus dem 6. Jahrhundert – bereits im frühen Mittelalter durch die Übertragung von Vermögenswerten entstanden waren, nahmen entsprechende Gründungen in Deutschland mit der Urbanisierung und verbesserten Rechtssicherheit ab dem 12. Jahrhundert zu. Bürgerspitalstiftungen, etwa in Würzburg, dokumentieren bis heute philanthropische Organisationen dieser Zeit. Neben Institutionen, die oft eng an Gemeinden, Kirchen oder Universitäten angelehnt waren und nicht selten auch von Herrschern gestiftet wurden, entstanden zunehmend auch unabhängige Körperschaften. Die vom Kaufmann Jakob Fugger (1459—1525) gegründeten Fuggerschen Stiftungen des 16. Jahrhunderts sind ein bekanntes, relativ frühes Beispiel für die gedankliche Verbindung zwischen persönlichem Wohlstand und Gemeinwohlverpflichtung. Ein abweichendes Beispiel sind die Franckeschen Stiftungen, deren Grundstock 1695 durch das gemeinsame Engagement des keineswegs wohlhabenden Professors und Pfarrers August Hermann Francke und zahlrei-
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cher zunächst anonymer Spender gelegt wurde, woraus sich ein umfassendes Bildungs- und Erziehungswerk entwickelte. Neben Spenden sicherten aber vor allem Einnahmen aus Wirtschaftsbetrieben langfristig die Finanzierung dieser autonom verfassten Einrichtung. Die in der deutschen Aufklärung entwickelte Vorstellung von individuellem Handeln, die sich von der französischen, staatstheoretisch verknüpften und gegenüber autonomen Institutionen sehr skeptischen Auffassung unterschied, begünstigte später ebenfalls das Entstehen unabhängiger philanthropischer Institutionen. Ein Beispiel aus dem 18. Jahrhundert ist die von dem Arzt Johann Christian Senckenberg 1763 gegründete Senckenbergische Stiftung in Frankfurt am Main, die sowohl der traditionellen Wohlfahrtspflege als auch der medizinischen Forschung diente (siehe auch Kap. 1.2.2). Bestimmenden Einfluss auf die Entwicklung des Stiftungsrechts in Deutschland hatte die Stiftung des Städelschen Kunstinstituts, die 1816 als unabhängige museale Einrichtung durch das Testament des verstorbenen Frankfurter Bürgers Johann Friedrich Städel entstand. Die langwierigen juristischen Auseinandersetzungen mit den enterbten Familienangehörigen Städels (nicht so sehr das Konstrukt an sich) führten dazu, dass die mögliche Eigentümerlosigkeit und Unabhängigkeit einer Stiftung rechtlich ebenso festgeschrieben wurde wie die schon von Immanuel Kant postulierte besondere staatliche Aufsicht71. Trotz dieses Spannungsverhältnisses wurden im 19. Jahrhundert zahlreiche neue Stiftungen gegründet und zwar sowohl von Einzelpersonen oder Familien mit eigenem Vermögen (z.B. Hermann Julius Meyer in Leipzig und Ernst Abbe in Jena) als auch von vermögenslosen Sozialunternehmern wie Gustav Stutzer in Erkerode oder Adolf Aich in Meckenbeuren, die die materielle Grundlage durch die Einwerbung von Mitteln sicherstellen mussten. Herrscher, Angehörige des Adels und Bürger waren gleichermaßen als Stifter aktiv, darunter überproportional jüdische Bürger. Doch weder war die Begrifflichkeit eindeutig, noch war Philanthropie notwendigerweise mit dem Konstrukt einer Stiftung verbunden. Ebenso wenig finanzierten sich philanthropische Institutionen notwendigerweise ausschließlich aus Erträgen eigenen Vermögens. So war etwa das von ca. 50 Frankfurter Bürgern im Jahr 1859 (absichtsvoll zum 100. Geburtstag Friedrich Schillers) in Frankfurt gegründete „Freie Deutsche Hochstift“, das im Sinne der Freiheitsideale der Revolution von 1848 „das gemeine Recht der Geistesbildung unseres ganzen Volkes“72 zum Ziel hatte, gerade keine Stiftung im Rechtssinn, obwohl die Initiatoren erhebliche Vermögenswerte bereitstellten. Auch der Leipziger Kaufmann und Mäzen Maximilian Speck von Sternburg (1776—1856) öffnete seine private Kunstsammlung auf eigene Kosten in einem eigenen Gebäude dauerhaft für die Öffentlichkeit, schuf aber hierfür keine philanthropische Institution.
|| 71 Siehe hierzu Strachwitz, Kant und die Stiftungen. 72 Adler, Freies Deutsches Hochstift, S. 19.
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Bis zum Ersten Weltkrieg nahm die Zahl der philanthropischen Initiativen exponentiell zu – ungeachtet der Diskussionen, die sich um den möglicherweise zu großen Einfluss von wohlhabenden Einzelnen und um die „Herrschaft der Toten Hand“ (also das Fortwirken des verstorbenen Stifters) rankten. Anschließend ging die Zahl infolge der schweren Vermögenskrisen und im Zuge des Allzuständigkeitsanspruchs des Staates jedoch drastisch zurück.
1.2.9 Kirchliches Verbandswesen Ein gesondertes kirchliches Verbands- und Vereinswesen ist in Deutschland vor allem in der katholischen Ausprägung von Interesse. Seine Wurzeln liegen einerseits im weitgehenden Rückzug der katholischen Amtskirche aus der allgemeinen Politik nach der Aufklärung, verbunden mit dem Versuch, die katholischen Gläubigen ebenso zu weitgehender Abstinenz vom politischen Leben zu bewegen. Andererseits führte die antikatholische Grundhaltung der preußischen Regierung in den überwiegend katholischen Rheinprovinzen (die 1815 zu Preußen gekommen waren) zu einer schwer überbrückbaren Kluft zwischen vielen Katholiken und dem Staat. Sie mussten sich dafür als unpatriotische Anhänger einer ausländischen Macht – des Papstes – verunglimpfen lassen: „Pfaffen haben kein Vaterland, sie haben nur einen Vater, einen Papa, in Rom“73, formulierte Heinrich Heine im Jahr 1840. Schon früh schlossen sich katholische Bürger zu gesonderten (nach Hirschman exit-) Vereinigungen zusammen, die in der Regel eng mit der Amtskirche verbunden waren und unter anderem zur Absicherung des katholischen Milieus in den gesellschaftlichen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts dienten. Neue Laienbewegungen lehnten sich an alte kirchliche Gruppen an und verschmolzen im Laufe der Zeit mit diesen. Die Entstehung zahlreicher katholischer Vereine wurde besonders von der Ausstellung des „Heiligen Rocks“ im Trierer Dom im Jahr 1844 befördert. Aus dieser Zusammenkunft entstand 1848 der Deutsche Katholikentag. Als organisatorischer Träger wurde 1868 das „Zentralkomitee der katholischen Vereine Deutschlands“ gegründet, dem 1871 bereits 271 Mitgliedsvereine angehörten. Solche Vereine gab es für alle Gruppen: Arbeiter, Lehrlinge und Gesellen, Studenten, Frauen; selbst der katholische Adel fand sich in eigenen Vereinen zusammen. Zu den bekanntesten Organisationen zählten die von Adolph Kolping 1850 gegründeten Katholischen Gesellenvereine. Als Kolping 1865 starb, gab es 418 Ableger mit 24.000 Mitgliedern. Zur gleichen Zeit entstanden die katholischen Arbeitervereine, die sich zwar als Gewerkschaften verstanden, sich aber von den sozialistischen Arbeitervereinen strikt abgrenzten und sich ausdrücklich als katholische
|| 73 Heine/Börne. Eine Denkschrift, in: Windfuhr (Hrsg.), Gesamtausgabe Bd. 11, S. 104.
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Antwort auf die soziale Frage verstanden. Die katholische Soziallehre ist in dieser Bewegung verwurzelt. Die politische Einordnung der katholischen Verbände war konfliktbeladen, da keineswegs alle Katholiken den sogenannten Antimodernismus des Vatikans befürworteten. Dennoch unterwarfen sie sich fast durchgängig auch kontroversen römischen Weisungen, etwa dem Unfehlbarkeitsdogma und dem syllabus errorum, eine Sammlung „moderner Irrtümer“ aus Sicht der Kirche. Aus dem katholischen Verbandswesen, das in den katholischen Gebieten durchaus ein Machtfaktor war, entstand auch der politische Katholizismus, der ab 1871 in der Zentrumspartei eine bis 1933 bestehende Konkretisierung erfuhr. Die christlich-sozialen Arbeitervereine waren grundsätzlich überkonfessionell, organisierten in der Regel aber vor allem Katholiken. Gesonderte evangelische Arbeitervereine entstanden erst in den 1880er Jahren und erlangten nie die Bedeutung der katholischen Pendants. Auf anderen Gebieten gab es jedoch schon im frühen 19. Jahrhundert ein lebendiges evangelisches Vereinswesen. Bildung, Jugendfürsorge und andere karitative Tätigkeiten standen im Mittelpunkt. So entstand der „CentralAusschuss für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche“ bereits 1849 als Koordinierungsstelle für die Tätigkeiten vieler einzelner Organisationen.
1.2.10 Fazit Aus dieser, keineswegs vollständigen Übersicht (zu nennen wären beispielsweise auch die Turn- und Sportvereine, die Museums- und Fördervereine, die Schul- und Bildungsvereine, die gemeinnützigen Aktiengesellschaften als Träger zoologischer Gärten und viele andere) wird deutlich, dass über viele Jahrhunderte, zum Teil seit der Spätantike, freiwillige Zusammenschlüsse vielfältiger Art, dazu andere „moralische“ Personen, das Leben der Menschen in mindestens ebenso großem Umfang bestimmten wie die Zuordnung zum politischen Gemeinwesen. Max Webers schon zitiertes Diktum („Der heutige Mensch ist ja unzweifelhaft neben vielem anderen ein Vereinsmensch in einem fürchterlichen, nie geahnten Maße.“) traf insoweit nicht nur für das frühe 20. Jahrhundert zu, sondern war in einem sehr viel stärkerem Maße und in sehr viel längerer Tradition bestimmend, als es die auf Herrschaftsgeschichte fokussierte Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts wahrhaben will.74 Hinzu kommt, dass bei genauerer Betrachtung die Gemeinden über lange Zeit eher einem korporativen als einem geographischen Konzept folgten und sich überdies als natürliche Gegner des Territorialstaates verstanden. Auch die immer wieder vorgetragene Meinung, diese Vereinigungslandschaft sei wesentlich Ausdruck einer bürgerlichen Gesellschaft, sei mit dieser entstanden || 74 Siehe hierzu ausführlich Adam, Zivilgesellschaft oder starker Staat?
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und gewachsen und schlösse die Aristokratie und die Arbeiterschaft aus, erweist sich bei näherem Hinsehen als unhaltbar. Standesübergreifende Zusammenschlüsse haben ebenso eine Tradition wie standesbezogene; Voraussetzungen anderer Art, etwa die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft können, aber müssen historisch nicht ausschlaggebend für den Eintritt in eine bestimmte freiwillige Korporation sein. Vereinigungen treten als Schutzmechanismen von Minderheiten (exit) ebenso auf wie als sytemerhaltende Beiträger (loyal) oder als Protestgruppen (voice). Insgesamt ergibt sich ein Kontinuum von höchst unterschiedlichen, freiwillig entstehenden „moralischen“, d.h. juristischen Personen, gegründet von einem oder mehreren Bürgern, später auch von Bürgerinnen, noch später von Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam. Hierarchisch angelegte und von einem Gründer ins Leben gerufene Organisationen werden überwiegend als Stiftungen ausgebildet; heterarchisch angelegte und von mehreren Initiatoren angestoßene Gründungen bedienen sich der Formen, die im 19. Jahrhundert als Verein ausgebildet werden und deren Gründung seit der ersten republikanischen Verfassung in Deutschland (1919) ein Grundrecht bildet. In heutiger Begrifflichkeit sind sie alle der Zivilgesellschaft zuzurechnen, auch wenn sie diesen Begriff noch nicht auf sich anwenden konnten.
Ergänzende Literatur Borgolte, Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte Lingelbach, Spenden und Sammeln Schmidt, Zivilgesellschaft. Bürgerschaftliches Engagement von der Antike bis zur Gegenwart
2 US-Amerikanisch dominierte Civil Society Diskurse 2.1 Übersicht Da die heutige Bedeutung des Begriffs der civil society in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich und auch für Europa und darüber hinaus bestimmend in den USA entwickelt und als Gegenstand der Forschung angenommen wurde, erscheint es unabdingbar, auf diese Tradition einzugehen. Der Diskurs zur amerikanischen Zivilgesellschaft bezieht sich auf eine etablierte liberale Demokratie und deren breites Assoziationswesen. Assoziationen sind der liberalen Gesellschaftstheorie zufolge eine notwendige Lebensform der Bürger. Zu den von John Stuart Mill formulierten drei Fundamentalfreiheiten der „human liberty“ gehört das Vereinswesen.75 Dieses Vereinswesen faszinierte den französischen Juristen Alexis de Tocquevilles, der 1826 von der französischen Regierung beauftragt wurde, das Rechtssystem in den USA zu studieren. Aus dieser Amerikareise und den dort gemachten Erfahrungen resultiert das berühmte, 1835 und 1840 in zwei Bänden erschienene Hauptwerk „De la démocratie en Amérique“76, auf das sich zahlreiche amerikanische Zivilgesellschaftstheoretiker berufen. Tocqueville sprach zwar nicht explizit von einer Zivilgesellschaft, aber er beschrieb als einer der ersten Beobachter einer post-aristokratischen, sich modernisierenden Gesellschaft die Demokratie als Lebensform und die dafür entscheidende Bedeutung von bürgerschaftlichen Assoziationen und der diesen innewohnenden Kräfte der Selbstorganisation. Drei heute im amerikanischen Diskurs prägende Schulen der Demokratietheorie sind 1. die Pluralismus-Theorie, 2. die partizipative Theorie und 3. die deliberative Demokratietheorie. Sie werden ergänzt von der pragmatistischen Demokratietheorie, die auf Arbeiten John Deweys in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgeht und heute wiederentdeckt wird. Die dominante Schule der Demokratietheorie nach dem Zweiten Weltkrieg war zunächst die Pluralismus-Theorie. Sie versteht Demokratie als Wettbewerb zwischen Interessengruppen um Einfluss und Anteil am gemeinsamen Kuchen, wobei strate-
|| 75 John Stuart Mill, On Liberty. 76 Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika. https://doi.org/10.1515/9783110553475-004
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gisches Verhalten auch zu Kooperation und Konflikt führt77. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass sich die (faktisch vorhandene und normativ auch wünschenswerte) gesellschaftliche Pluralität in einem pluralen Interessengruppensystem auf der Ebene der Entscheidungsfindung widerspiegelt78. Dabei können der PluralismusTheorie zufolge grundsätzlich alle Interessen artikuliert und organisiert werden79. Die Analysen der Pluralismus-Theoretiker zeigten, dass es aber letztlich nur die Eliten der Interessengruppen sind, die politisch partizipieren. In einer Art Flucht nach vorne wurde der Beitrag der Interessengruppen als effektiv gerechtfertigt und das Partizipationspostulat zurückgenommen80, zumindest in Bezug auf den einzelnen Bürger.81 Der Fokus liegt auf dem Regierungsprozess einer Demokratie im engeren Sinne: Wie kommen Entscheidungen zustande? Klassisch hierfür ist Trumans The Governmental Process.82 Fragen nach der Beteiligung im Vorfeld spielen zunächst nur dann eine Rolle, wenn sie Agenda-Setzungen und Personalauswahl betreffen. In dieser Tradition des Interesses am Regierungsprozess steht aber auch ein neu erwachtes Interesse an Konfliktlösungsmechanismen durch institutionelle und prozedurale Investitionen in Mediations- und Konsensbildungsverfahren.83 Das erweitert den Blick: Strukturierte Verfahren sollen kollektives Lernen, konstruktive Interessensverhandlung und sogar die Suche nach gemeinsamen Gewinnen jenseits des bestehenden Kuchens leisten – beispielhaft hierfür ist der Ansatz des Bostoner Consensus Building Institute84. Dieser Fokus auf den Status quo, die Eliten und die Ausblendung von Machtungleichgewichten zwischen gesellschaftlichen Interessengruppen wurden der Pluralismus-Theorie jedoch zum Vorwurf gemacht.85 Hier setzt die assoziative Demokratietheorie mit ihren Vorschlägen an. Obgleich mit anderer Vorgeschichte86, geht auch sie von der Annahme pluraler Interessengruppen aus, möchte jedoch die Potenziale gesellschaftlicher Demokratisierung durch subsidiäre Dezentralisierung, Konsultation, Kooperation und assoziationsinterne Demokratisierung realisieren.87 Die Schule der partizipativen oder partizipatorischen Demokratietheorie88 entstand als Einspruch gegen augenscheinlich von Eliten dominierte repräsentative || 77 Vgl. de Souza Briggs, Democracy as Problem Solving, S. 28; vgl. auch Barber, Starke Demokratie, S. 135 und Schmidt, Demokratietheorien, S. 227. 78 Hager, Wie demokratisch ist direkte Demokratie?, S. 8 f. 79 Schmidt, Demokratietheorien, S. 227. 80 Hager, Wie demokratisch ist direkte Demokratie?, S. 25. 81 Schmidt, Demokratietheorien, S. 236. 82 Vgl. Truman, The governmental process. 83 Vgl. De Souza Briggs, Democracy as problem solving, S. 29. 84 Vgl. Susskind/McKearnan/Thomas-Larmer, The Consensus Building Handbook. 85 Schmidt, Demokratietheorien, S. 236 f., Hager, Wie demokratisch ist direkte Demokratie?, S. 9. 86 Hirst, Associate democracy, S. 15–21. 87 Hirst, Associate democracy, S. 34–40. 88 Schmidt, Demokratietheorien, S.251–268.
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Demokratien. In den USA ist die Entstehung der Idee von participatory democracy, von Carol Pateman in ihrem Schule-machenden Buch Participation and Democratic Theory programmatisch zusammengefasst (1970), untrennbar mit den sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre verbunden89. Sie ist eine stark normative Theorie, in den Augen ihrer Kritiker unrealistisch und idealistisch bis illusorisch90. An ihrem Ausgang steht die Vorstellung klassischer politischer Philosophie, eine politische (demokratische) Ordnung müsse mit dem Guten im Menschen als Bürger (als citoyen, nicht als bourgeois) korrespondieren und zu einer solidarischeren, intelligenteren Politik führen. Dementsprechend ist sie einerseits an der Reorganisation von politischen Institutionen und Prozessen, andererseits am Menschen als Bürger interessiert – und weniger an der Ergebnisproduktion demokratischer Politik. Eine demokratische Gesellschaft wurde dabei als Sphäre der Selbstbestimmung des Menschen als Bürger, ja: der Menschheit aufgefasst. Dazu schrieb Jürgen Habermas: „Demokratie arbeitet an der Selbstbestimmung der Menschheit, und erst wenn diese wirklich ist, ist jene wahr. Politische Beteiligung wird dann mit Selbstbestimmung identisch sein“91. Barber definiert: „Starke Demokratie als Bürgerbeteiligung löst Uneinigkeit bei Fehlen eines unabhängigen Grundes durch den partizipatorischen Prozess fortwährender, direkter Selbstgesetzgebung sowie die Schaffung einer politischen Gemeinschaft, die abhängige, private Individuen in freie Bürger und partikularistische wie private Interessen in öffentliche Güter zu transformieren vermag“92. Eine unter dem Gesichtspunkt der Partizipation maximierte Demokratie erfordert eine umfassende gesellschaftliche Demokratisierung, eine „Entgrenzung der Partizipation“93, um Demokratie als Lebensform zu verwirklichen. Diese Vorstellung schließt an republikanische Traditionen an94 und lebt auch im Konzept einer dem Staat kritisch und kontrollierend gegenüberstehenden Zivilgesellschaft fort. Sie ist ein Programm der Machtbeschränkung der repräsentativen Demokratie und wird zunehmend auch als Bollwerk gegen die wirtschaftlichen und politischen Fliehkräfte der Globalisierung verstanden95. Dafür wurden verschiedene Agenden der sozialen Teilhabe und politischen Teilnahme formuliert. Sie reichten im Bereich der Politik von Vorstellungen eines radikalen Rätemodells bis zu bescheideneren Ergänzungen des repräsentativen Systems durch erweiterte Beteiligung, umfassten aber auch Wirtschaft und Gesellschaft, so unter anderem Betriebe, Schulen und Kinder-
|| 89 Herzberg, Wie partizipative Demokratie zu politisch administrativen Verbesserungen führen kann, S. 8–11. 90 Schmidt, Demokratietheorien, S. 261. 91 Habermas et al., Student und Politik, S. 15. 92 Barber, Starke Demokratie, S. 147. 93 Holtkamp et al., Kooperative Demokratie, S. 71. 94 Vgl. Buchstein/Schmalz-Bruns, Republikanische Demokratie, S. 304–308. 95 Vgl. Dahl, A democratic dilemma; Archibugi/Held, Cosmopolitan Democracy.
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gärten96. Dementsprechend entstanden demokratische Konzepte in der Pädagogik, für die Arbeitsteilung und Mitbestimmung in Betrieben sowie zur Ausgestaltung einer „Wirtschaftsdemokratie“97. Über die Strategien der Demokratisierung und das Ausmaß der damit verbundenen Politisierung besteht Uneinigkeit98. Einigkeit besteht aber im Anspruch, eine Vielfalt innovativer demokratischer Prozeduren zu schaffen, wofür Schmidt an den Begriff der „prozeduralistischen Demokratietheorie“ von Habermas erinnert99. Die deliberative Demokratietheorie, wie sie seit den 1980er Jahren in amerikanischen und deutschen Demokratiediskursen entwickelt wurde, schließt an das allgemeine Programm der partizipativen Demokratietheorie an und konkretisiert sie in der Vorstellung einer „Regierung durch Diskussion“100. Dabei entstanden nicht nur Vorstellungen vom umfassenden deliberativ-demokratischen System, sondern auch konsistente Maßstäbe für konkrete diskursive Verfahren101. Deliberative Demokratietheoretiker haben sich also nicht allein mit dem makrosystemischen Wozu und Wie, sondern auch mit dem Wozu und Wie der Mikroebene beschäftigt. Das hat eine Reihe reflektierender Beteiligungspraktiker angezogen, die ihr eigenes Wirken durch die deliberative Brille rekonstruiert haben – beispielsweise im Deliberative Democracy Consortium (DDC), einem internationalen, aber anglo-amerikanisch geprägten Forschungsverbund. Einig sind sich deliberative Ansätze, dass die Quelle demokratischer Legitimität der Prozess der Deliberation ist102. Regierung durch Diskussion heißt, dass Rechtsetzung erfolgt, indem der politische Prozess vor der Rechtsetzung nicht nur Präferenzen aggregiert und abrechnet, sondern indem der Meinungsbildungsprozess Verständigung und rationale Argumentation fördert. Er vollzieht sich in komplex verflochtenen Diskursarenen, die für alle möglichen Sorten von Gründen empfänglich sind. Zentrale Kriterien des deliberativ-demokratischen Systems sind die Inklusion aller Bürgerinnen und Bürger in den Meinungs- und Willensbildungsprozess, die dafür notwendig vorzuhaltenden Beteiligungsmöglichkeiten und die Chance eines aufgeklärten Verständnisses der Themen.103 Zivilgesellschaftliche Institutionen, reale, mediale und digitale Öffentlichkeiten, Parlamente, Verwaltungen und
|| 96 Herzberg, Wie partizipative Demokratie zu politisch administrativen Verbesserungen führen kann, S. 10 f. 97 Holtkamp et al., Kooperative Demokratie, S. 70 f. 98 Schmidt, Demokratietheorien, S. 255. 99 Schmidt, Demokratietheorien, S. 259 ff. 100 Vgl. Feindt, Regierung durch Diskussion? 101 Vgl. Saretzki, Strategie als Herausforderung für deliberative Demokratietheorie, S. 126–132. 102 Vgl. Strecker/Schaal, Die politische Theorie der Deliberation, S.120. 103 Vgl. Gastil, Political communication and deliberation, S. 5–8.
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Justiz halten dafür vielfältige Foren und Formen demokratischer Kommunikation und Deliberation bereit.104 Nicht jede Form von politischer Kommunikation ist im konkreten Sinne Deliberation, wie sie von Deliberations-Denkern gefordert wird. „When people deliberate, they carefully examine a problem and arrive at a well-reasoned solution after a period of inclusive, respectful consideration of diverse points of view“.105 Renn (2008) beschreibt als den Zweck eines Beteiligungsverfahrens im deliberativen Ansatz, Wahrheitskriterien zu debattieren und normative Validierungen im Hinblick auf die Wahrhaftigkeit vorzunehmen. Die Rationalität der Deliberation erfordere dann, alle relevanten Argumente einzubeziehen und Konsens durch Argumentation zu erzielen – als Beispiele hierfür nennt er Citizen Forums oder Deliberative Juries. Dahinter steckt ein prozeduraler Vernunftbegriff, wie ihn Jürgen Habermas in seiner Diskursethik maßgeblich formuliert hat.106 Habermas definiert den Diskurs als „die durch Argumentation gekennzeichnete Form der Kommunikation [...], in der problematisch gewordene Geltungsansprüche zum Thema gemacht und auf ihre Berechtigung hin untersucht werden. Um Diskurse zu führen, müssen wir in gewisser Weise aus Handlungs- und Erfahrungszusammenhängen heraustreten; hier tauschen wir keine Informationen aus, sondern Argumente, die der Begründung (oder Abweisung) problematisierter Geltungsansprüche dienen.“107 Die Habermassche Diskursethik postuliert ausdrücklich die Gebote des Respektes, der Fairness, der Reziprozität, der intersubjektiven Verständlichkeit und der Überprüfbarkeit und fordert den Verzicht von strategisch-instrumenteller Kommunikation seitens der Teilnehmer. Damit formatiert Habermas eine „ideale Sprechsituation“, also Kommunikationsbedingungen, unter denen über Geltungsansprüche allein kraft des „besseren Arguments“ vernünftig zu befinden ist. Damit werden „die Verständigungsverhältnisse [...] zum einzigen und unverzichtbaren Garanten von Humanität“.108 „Diskurs ist zum Ideal, Diskursivität zu einem Qualitätskriterium geworden, um die Dignität und das Legitimationsvermögen von Prozessen der politischen Willensbildung zu überprüfen. [...] Der Anspruch auf Diskursivität wird somit zum theorieförmigen Modellfall einer gelingenden Praxis“.109 Partizipative und deliberative Demokratietheorien verbindet mit der pragmatischen Demokratietheorie die Vorstellung, dass in Beteiligungsverfahren eine neue Form von Wissen entsteht110: „Starke Demokratie stellt Politik als Erkenntnistheorie
|| 104 Vgl. Gastil, Political communication and deliberation, S. 284. 105 Gastil, Political communication and deliberation, S. 8. 106 Vgl. Keller, Diskursanalyse, S. 318. 107 Habermas, Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, S. 130 f. 108 Nennen, Diskurs, S. XII. 109 Nennen, Diskurs, S. X. 110 Vgl. Barber, Starke Demokratie, S. 154–168.
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ins Zentrum ihrer Praxis“111, das durch Beteiligung entstehende politische Wissen könne „autonom, unabhängig“, „angewandt, praktisch“, „provisorisch, flexibel“, „schöpferisch, gewollt“ und „auf Konsens ausgerichtet, gemeinschaftlich“ sein.112 In der Systematik der Zivilgesellschaft (siehe Einführung) korrespondieren diese Demokratietheorien mit der Funktion der politischen Mitgestaltung, die sich überwiegend, aber keineswegs ausschließlich im Modus des voice vollzieht. Im Kontext der Herrschaftsausübung durch den Staat werden sie in Theorie und Praxis kritisch beäugt und sind zunehmend Versuchen der Eindämmung ausgesetzt, obwohl sie für das Verständnis einer demokratiekonformen Zivilgesellschaft und für die Fortschreibung demokratischer Strukturen konstitutiv sind.
2.2 Stränge der Diskussion: Normative Zivilgesellschaftstheorien des 20. Jahrhunderts 2.2.1 Vorbemerkungen Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Vorstellungen über Zivilgesellschaft teilen die im Folgenden vorgestellten Autoren einige Gemeinsamkeiten. So lässt sich zum einen ein gemeinsamer zeitlicher Beginn ihres intellektuellen Wirkens in den 1980er und 1990er Jahren feststellen. Zum anderen berufen sich die Autoren auf gemeinsame Vordenker der Zivilgesellschaft der frühen und späten Aufklärung und deren Gesellschafts- und Vertragstheorien. Zu diesen Vordenkern zählen unter anderen die Vertragstheoretiker John Locke (1632—1704) und Thomas Hobbes (1588—1679), der Franzose Charles de Montesquieu (1689—1755) mit seiner Theorie der Gewaltenteilung, Alexis de Tocqueville (1805—1859), Immanuel Kant (1724—1804) sowie Karl Marx (1818—1883) und Antonio Gramsci (1891—1937). Weitere Gemeinsamkeiten sind das Interesse am Ausloten des Verhältnisses von Staat und Zivilgesellschaft, die Zustimmung zu einer normativen und konsensualen Grundlage von sozialer Ordnung sowie deren Verteidigung als essentielle Grundlage einer funktionierenden Demokratie. Indem die Autoren der Demokratie einen eigenen Wert beimessen, bilden sie eine gemeinsame Gegenperspektive zu den Realisten und Rationalisten, die Zivilgesellschaft nicht als etwas Eigenständiges ansehen, sondern als Bestandteil der öffentlichen Politik (public polity). Die gemeinsame Forschungsfrage der vorgestellten Autoren lautet daher: Wie beeinflusst die ZG-Perspektive die Formulierung der öffentlichen Politik? Die jeweilige Ausarbeitung dieses Verhältnisses ist abhängig von historischen Entwicklungen und den gesellschaftlichen Problemen sowie deren Interpretation
|| 111 Barber, Starke Demokratie, S. 158. 112 Barber, Starke Demokratie, S. 160.
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und Rahmenbedingungen. Nicht zuletzt spielen auch individuelle Prägungen und die Sozialisation der jeweiligen Autoren eine entscheidende Rolle in deren Ideen und Vorstellungen einer funktionierenden Zivilgesellschaft. Die verschiedenen Autoren werden unterschiedlichen US-amerikanisch geprägten politischen Theorien und Bewegungen zugeordnet. Anzumerken ist, dass die Autoren nicht immer eindeutig den verschiedenen Lagern (links, konservativ, liberal, kommunitaristisch) zuzuordnen sind. In der Literatur findet man deshalb sehr unterschiedliche, sich teilweise widersprechende Einteilungen. Auch bilden die einer bestimmten Theorie zugeordneten Autoren keine homogenen Gruppen, wie sie in Folge von Verallgemeinerung und Abstraktion irrtümlicherweise in der Literatur beschrieben werden. Es gilt: Je intensiver die Gedanken der einzelnen Theoretiker und Praktiker studiert werden, desto schwieriger werden ihre Kategorisierung als Teile einer bestimmten Strömung und die Benennung und Identifikation einer Strömung an sich. Dies liegt auch daran, dass die einzelnen Autoren unterschiedliche Ansprüche an ihre eigene Theorie bzw. Lehre haben. Wohingegen die einen bestehende Ideen weiterentwickeln wollen, verfolgen andere eher die Herausgabe von praxisnahen und umsetzbaren Reformvorschlägen. Des Weiteren sind die Beziehung und Reaktion der verschiedenen Theorien zueinander sehr unterschiedlich. Es lassen sich zwar immer Gemeinsamkeiten und Unterschiede identifizieren; während jedoch die Neo-Konservativen als Gegenbewegung zu den Neuen Linken angesehen werden können, ist eine Gegenüberstellung der Liberalen zu den Kommunitaristen problematisch. Es wird sich zeigen, dass sich diese Bewegungen trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtungen nicht ausschließen, sondern eher gegenseitig ergänzen. Oftmals handelt es sich nur um einen anderen Schwerpunkt oder Blickwinkel auf soziale und politische Zusammenhänge.
2.2.2 Kritische Theorie und Neue Soziale Bewegungen Zu den wichtigsten Vertretern der amerikanisch geprägten kritischen Theorie zählen Andrew Arato (geb. 1944) und Jean L. Cohen (geb. 1946). Mit ihren Schriften haben sie seit den 1980er Jahren einen wichtigen Beitrag zur Zivilgesellschaftstheorie geleistet. Ihr bekanntestes Werk erschien 1992 unter dem Titel „Zivilgesellschaft und Politische Theorie“ (Civil Society and Political Theory). Ihre darin entwickelte Argumentation verläuft in zwei Schritten. Im ersten untersuchen sie die europäischen Wurzeln der Zivilgesellschaft (insbesondere Arendt, Habermas, Foucault, Luhmann). Im zweiten Schritt übertragen sie ihre Überlegungen auf funktionierende liberale Demokratien. Statt Zivilgesellschaft als Raum außerhalb des Staates zu definieren, benennen Cohen und Arato zunächst einmal den Bereich des Sozialen, den sie in drei Gesellschaften einteilen: Erstens die Zivilgesellschaft, zweitens die politische Gesellschaft (Regierung, Parteien, politische Interessensgruppen) und drittens die wirtschaftli-
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che Gesellschaft. Die wirtschaftliche und die politische Gesellschaft werden durch Geld und Macht koordiniert. Sowohl Geld als auch Macht wirken oft aufgrund des politischen Wettbewerbs und der damit verbundenen Unterwanderung von moralischen Normen restriktiv auf die gesellschaftliche Kommunikation. Die Zivilgesellschaft ist der einzige Ort, an dem Geld und Macht keine starke Wirkung haben und Kommunikation frei ausgeübt werden darf. Deshalb gilt sie als Hauptquelle demokratischen Potenzials in modernen Gesellschaften. Die Anerkennung von prozeduralen Regeln der politischen Gesellschaft durch die zivilgesellschaftlichen Akteure ist für den politischen Prozess wesentlich. Nur diese Regeln ermöglichen die fortwährende Einbringung gruppenspezifischer Interessen in den politischen Prozess. Eine wesentliche Form der Einbringung ist die Verteidigung der kritischen politischen Öffentlichkeit. Die Zivilgesellschaft ist aufgefordert, neben den etablierten, oftmals von der Politik dominierten auch alternative Kommunikationsstrukturen zu nutzen. Durch die Konstruktion einer eigenen kollektiven Identität wird eine autonome Sphäre des politischen Prozesses gesichert.113 Als typische Beispiele für diesen Teil der Zivilgesellschaft nennen Cohen und Arato die ‚Neuen Sozialen Bewegungen‘. Nach Cohen und Arato können der Zivilgesellschaft drei wesentliche Merkmale zugeordnet werden: 1. die Pluralität, die eine Vielfalt der Interessensgruppen und der Lebensformen fordert, 2. die Privatsphäre, die der moralischen und individuellen Sozialisation, aus der man sich letztlich produktiv in einen Diskurs begibt, einen Raum bietet, 3. die grundlegende rechtliche Verfassung, in der die Trennung von Pluralität, Privatsphäre und Publizität festgeschrieben und geschützt wird. Diese drei Merkmale dienen der Sicherung der institutionellen Existenz der Zivilgesellschaft.114
2.2.3 Heutige Bedeutung Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss haben Cohen und Arato mit ihrer Erfassung der in den 1960er Jahren entstandenen ‚Neuen Sozialen Bewegungen‘ erlangt, zu denen unter anderem die Umwelt-, Frauen-, Studenten- und Friedensbewegung zählen (siehe auch Kap. 3.2). Diese Bewegungen haben gemeinsam, dass sie politisch „links“ stehen und aufgrund ihrer weitverbreiteten Netzwerke und gut funktionierenden Infrastruktur einen großen Einfluss auf das Politikgeschehen hatten. || 113 Vgl. Cohen/Arato, Civil Society and Political Theory, S. 251. 114 Vgl. Cohen/Arato, Civil Society and Political Theory, S. 346.
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Verglichen mit Parteien und Verbänden sind sie in ihrer Organisation und Struktur weniger auf Dauerhaftigkeit ausgerichtet. Beispielsweise haben einige Bewegungen keine festen Führungsorgane und Organisationsmitglieder, die sie mit Mitgliedsbeiträgen binden können. Daher ist die gefühlte Identität der Mitglieder mit der Bewegung, die mit Freiwilligkeit und Engagementbereitschaft einhergeht, eine notwendige Bedingung für das Überleben jeder Bewegung. Neue Soziale Bewegungen agieren selbstbestimmt in einem Feld, das sich gegen etablierte Organisationen und Akteure in der Wirtschaft und in der Politik richtet.115 Ihr Protest wird zum einen hörund sichtbar durch Protestaktionen und Stellungnahmen, zum anderen durch die Massenmedien, die über sie berichten. Man spricht von einem „Dreieckshandel“ zwischen der Neuen Sozialen Bewegung, dem Adressaten ihres Protests und den Medien.116 Neben dem offensiven politischen Protest üben soziale Bewegungen auch eine eher defensive, lebensformbezogene Identitätspolitik aus. Cohen und Arato sprechen daher von einer „dualen Politik“ der Neuen Sozialen Bewegungen. Für eine Demokratisierung von Normen, Werten, Institutionen und Lebensformen sind beide Seiten dieser Politik von größter Bedeutung. Cohen und Arato formulieren für jede Bewegung vier politische Hauptziele: 1. die Konstituierung als zivilgesellschaftlicher Akteur über eine Identitätspolitik, 2. die Einflussnahme auf politische Diskurse und Akteure der politischen Gesellschaft, beispielsweise auf Parteien und Verbände, 3. der Übergang und die Inklusion zivilgesellschaftlicher Akteure in die Politik, 4. die politische Reform der Politiken, gegen die sie sich wehren. Nur durch das Zusammenspiel dieser vier politischen Ansätze ist für sie eine gesellschaftliche Modernisierung möglich.117
2.3 Sozial Konservative/Republikaner, Neo-Liberale Der Sozial-Konservatismus ist dagegen eine politische Strömung, die weniger auf die (Weiter-) Entwicklung von theoretischen Annahmen fokussiert ist als vielmehr auf die Herausgabe von Politikempfehlungen, Netzwerk- und Lobbyarbeit. Die stärkere Handlungsorientierung dieses Ansatzes liegt darin begründet, dass einige seiner Vertreter selber aus der Politik stammen oder als politische Berater tätig waren und immer noch sind, wie der ehemalige US-amerikanische Bildungsminister William Bennett (geb. 1943) oder Francis Fukuyama (geb. 1952). Fukuyama ist zwar pri-
|| 115 Vgl. Klein, Der Diskurs der Zivilgesellschaft, S. 144. 116 Vgl. Therborn/Wirthensohn, Die Gesellschaften Europas, S. 323. 117 Vgl. Cohen/Arato, Civil Society and Political Theory, S. 497–509.
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mär als Wissenschaftler tätig, arbeitet jedoch immer wieder für die US-Regierung. Gemeinsam ist den meisten Sozial-Konservativen ihre überwiegend konservativprotestantische Sozialisation und ihre vorrangig in Amerika erhaltene Schulbildung. Fukuyamas bedeutendstes Werk in der Zivilgesellschaftsdebatte ist „Vertrauen“ (Trust)118, in welchem er die Konstruktion einer Zivilgesellschaft in einem demokratischen Kapitalismus thematisiert. Vertrauen ist seiner Meinung nach der Schlüsselbegriff für eine funktionierende Zivilgesellschaft, da es soziale Beziehungen ermöglicht und so eine Form des sozialen Kapitals mit sich bringt. Dieses soziale Kapital wird wiederum für kollektive Aktionen oder ökonomische Produktivität benötigt. Nach Fukuyama sind Gesetze, Verträge und ökonomische Rationalität zwar notwendige, aber keine ausreichenden Voraussetzungen für Stabilität und Reichtum in einer postindustriellen Gesellschaft. Auch sie bedürfen der Reziprozität, der moralischen Verpflichtung, des Pflichtbewusstseins gegenüber der Gesellschaft und schließlich des Vertrauens, das weniger auf einer rationalen Kalkulation basiert, sondern eher eine zeitunabhängige Gewohnheit darstellt.
2.3.1 Heutige Wirkung Ende der 1990er Jahre wurde in den USA ein nationales Gremium gegründet, das die Revitalisierung der amerikanischen Zivilgesellschaft zur Aufgabe hatte. Die Initiatoren und Vorsitzenden dieser Nationalen Kommission zur bürgerlichen Wiederbelebung (National Commission on Civic Renewal) waren der republikanische Bildungsminister William Bennett und Senator Sam Nunn. Geschäftsführer war der Politikwissenschaftler und ehemalige Clinton-Berater William Galston. Ziele der Revitalisierung sind die Stärkung der Familie, der Nachbarschaft und der lokalen Gemeinschaften, Leitwerte sind die Freiheit und die Autonomie des Individuums. Die Kommission bestand aus 23 Mitgliedern aus Wirtschaft, Gesellschaft und der Politik. Ihre Devise lautete: „Bringing together people from a broad spectrum of experiences and political views to try and address the quality of our civil and civic life.“ Die Kommission hatte beratende Funktion, führte Veranstaltungen durch und veröffentlichte Diskussionspapiere. Die Existenz dieser Kommission kann als Zeichen gedeutet werden, dass die Zivilgesellschaft auch in der Politik angekommen war. Politiker hatten erkannt, dass die Regierung allein unfähig ist, eine Politik der nachhaltigen Zukunft zu etablieren, und dass die Förderung von zivilgesellschaftlichen Strukturen sowie der ständige Austausch von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Politikern für die Überlebensfähigkeit der Demokratie von elementarer Bedeutung sind.
|| 118 Vgl. Fukuyama, Trust.
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2.4 Links-Progressive vs. sozial Konservative Links-Progressive und sozial Konservative unterscheiden sich hinsichtlich ihrer normativen Annahmen über Zivilgesellschaft. Links-Progressive gehen von einer Zivilgesellschaft aus, die mit dem Ziel der persönlichen Selbstentfaltung und der sozialen Gerechtigkeit auf einen sozialen Wandel ausgerichtet ist. Zu Letzterem gehören unter anderem kollektive Aktionen, bei denen die Akteure marginalisierten Gruppen eine Stimme geben. Für sozial Konservative hat hingegen die Erhaltung von traditionellen sozialen Werten und Praktiken höchste Priorität. Nur mit diesen ist ihrer Meinung nach die soziale Kohäsion und das Überleben einer Gesellschaft zu sichern. Die Wurzeln ihrer Grundwerte liegen im Liberalismus des 19. Jahrhunderts, in dem einerseits Eigeninitiative und Selbsthilfekraft als Schlüssel für ökonomischen Erfolg angesehen wurden, andererseits die Aufrechterhaltung von konservativen Werten als Garant gegen den zunehmenden Verfall der Gesellschaft galt. Strittige Themen zwischen Links-Progressiven und sozial Konservativen sind unter anderem Fragen der Familie, Erziehung, Bildung, Ehe, Homosexualität, Abtreibung und Scheidung. Konservative setzen dabei auf starken Patriotismus, Selbstverwirklichung und Konkurrenzindividualismus. Bildungsrelevante Themen der Links-Progressiven sind die Förderung von Kreativität und Selbstverwirklichung, die Kritik an Autoritäten und die Empathie mit den Unterdrückten. LinksProgressive gehören oftmals gebildeten, säkularen kosmopolitischen Gruppen an, Konservative eher religiösen Gruppen. Gemeinsam ist ihnen der Wunsch nach einer Vollzugsgewalt des Staates für ihre jeweiligen Anliegen. Während für LinksProgressive jedoch die Verbesserung von Fördermaßnahmen zur Stärkung des kollektiven Verantwortungsbewusstseins und der sozialen Gerechtigkeit an oberster Stelle steht, präferieren sozial Konservative eher Werte wie Selbständigkeit und Leistungsorientierung.
2.5 Liberale/Liberal-republikanisch Für Liberale ist eine Zivilgesellschaft dann liberal, wenn sie für die Durchsetzung ihrer Ziele auf Gewalt verzichtet und sich stattdessen des durch die Bürgerrechte institutionalisierten Toleranzprinzips als notwendiges Abwehrmittel gegen despotische Herrschaft bedient. John Rawls (1921–2002) schreibt: „Die einzige Alternative zum Toleranzprinzip ist der unumschränkte Gebrauch staatlicher Macht“.119 Im Toleranzprinzip ist das von Rawls postulierte Primat der Gerechtigkeit vor dem Guten implizit enthalten. Danach muss der Staat, aufgrund seiner ethischen Ungebundenheit des Gerechtigkeitsbegriffs und seinem Vorrang vor dem Guten beziehungsweise || 119 Rawls, Die Idee des politischen Liberalismus, S. 264.
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vor inhaltlich bestimmten Konzeptionen vom „guten Leben“, Neutralität gegenüber bestimmten partikularen Vorstellungen und Annahmen vom Guten wahren.120 Des Weiteren sind im Liberalismus die Kernidee der Freiheit, die gesetzlich verankerte Chancengleichheit und der Wertepluralismus von größter Bedeutung. Anhänger der Zivilgesellschaft müssen vom Staat diese Rechte einfordern. Nur mit diesen haben sie eine Basis für die friedliche und humane Austragung von Konflikten und die Erneuerung der Politik „von unten“. Als zu Beginn des 21. Jahrhunderts Erscheinungen des Wertezerfalls beobachtet wurden und einige Liberale dies als Wertepluralismus deuteten, wurde Kritik laut. Michael Walzer (geb. 1935) beschrieb den Wertezerfall als Folge verschiedener Faktoren, beispielsweise der zunehmenden Mobilität hinsichtlich der Wohn- und Arbeitsorte, der zunehmenden Gefahr des sozialen Abstiegs, der Lockerung von partnerschaftlichen Bindungen und der gewachsenen Flexibilität in politischen Ansichten und Zugehörigkeiten.121 Daran knüpfte er die Frage, wie die sich immer weiter fragmentierende liberal-demokratische Gesellschaft zu retten sei. Seiner Meinung nach konnten dies nur bürgerliche Tugenden, die für das Funktionieren einer Zivilgesellschaft und die Autonomie von zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und sozialen Bewegungen, gegenüber dem Staat verantwortlich sind. Walzer sieht in der Zivilgesellschaft zwar auch ein moralisches Projekt und eine deskriptive soziale Kategorie, jedoch ist für ihn die Zivilgesellschaft in erster Linie das Ergebnis eines historischen Findungsprozesses von Gleichgewicht, Geduld und Toleranz zwischen den unterschiedlichen sozialen Gruppen. Es sei die Tugend der Toleranz, so Walzer, die einerseits das politische Agieren dieser Gruppen in einer Demokratie beeinflusst und andererseits dieses Agieren mäßigt. Hier beruft sich Walzer auf die oben angesprochene Perspektive der Linken bezüglich der Neuen Sozialen Bewegungen. Trotz ihrer oppositionellen Haltung vermeiden diese Bewegungen jegliche totalitären Mittel der Machtergreifung und suchen vielmehr nach einem Kompromiss innerhalb einer von ihnen akzeptierten politischen Ordnung der Gewaltenteilung. In diesem Sinne sei die Zivilgesellschaft zu fördern, da sie nicht nur die Bürger zum Engagement aufruft, sondern zu einer bestimmten Form des Engagements, die Zivilität, Gewaltlosigkeit und Toleranz zum Grundsatz hat. Nach Walzer schafft der Staat den Aktionsrahmen der Zivilgesellschaft. Gleichzeitig stärkt er die Freiheit und die Motivation zum bürgerschaftlichen Engagement. „Nur ein demokratischer Staat kann eine demokratische, zivile Gesellschaft schaffen, nur eine demokratische zivile Gesellschaft kann einen demokratischen Staat aufrechterhalten“.122 Hier offenbart sich Walzers Ambivalenz von liberalen und kommu-
|| 120 Vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 81. 121 Vgl. Walzer, Die kommunitaristische Kritik am Liberalismus. 122 Walzer, Zivile Gesellschaft und amerikanische Demokratie, S. 91.
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nitaristischen Theorieteilen. Anders als im „klassischen Liberalismus“ ist der Staat bei Walzer auch Teil der Zivilgesellschaft und stellt nicht nur ihren Aktionsrahmen dar. Die Rolle des Staates innerhalb der Sphäre der politischen Macht begründet Walzer dennoch liberal. Er bezieht sich hier auf die aus der liberalen Tradition stammende Trennung der gesellschaftlichen Sphären. Die wichtigste Sphäre sei die erwähnte Sphäre der politischen Macht, die den Rahmen für alle anderen Sphären und damit der politischen Gemeinschaft sichert. Die Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft und die mit ihr verbundene Inanspruchnahme von Bürgerrechten hat einen Vorrang vor allen anderen Mitgliedschaften, da sie den Staatsbürgern die Chance zur politischen Beteiligung gewährt. Schließlich sei „jeder Bürger […] ein potentieller Teilhaber der Macht, ein potentieller Politiker“.123 Die Zuordnung Walzers zum Liberalismus ist nicht unumstritten. Walzer lehnt einige Elemente des „klassischen Liberalismus“ mit Nachdruck ab und nimmt stattdessen Elemente des kommunitaristischen Ansatzes sowie der linken Perspektive, insbesondere jene der Neuen Sozialen Bewegungen auf. In der Literatur wird er deshalb unterschiedlich beurteilt. Sowohl Kommunitaristen als auch liberale Denker berufen sich auf ihn. Walzers Ansichten werden hier deshalb dem Liberalismus zugeordnet, weil er sich zum einen selbst als „linken Liberalen“124 bezeichnet, zum anderen weil er die kommunitaristischen Ansätze, die er in seiner Theorie aufgreift, dem Liberalismus als eine theorienotwendige Kritik auf der Basis gleicher, also liberaler Ausgangswerte zuordnet. Schließlich zeigt Walzers Auffassung von Zivilgesellschaft auch, dass sich bestimmte Perspektiven trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtungen nicht immer ausschließen müssen, sondern sich auch gegenseitig ergänzen können, indem sie jeweils auf Schwachstellen und Lücken der anderen Theorie reagieren.
2.6 Kommunitarismus Der Kommunitarismus ist eine besonders in den Vereinigten Staaten bedeutsame Strömung der politischen Philosophie, die sich in den 1980er Jahren in Reaktion auf Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit gebildet hat. Er stellt keine fest umrissene Theorie dar, noch viel weniger eine geschlossene Schule politischen Denkens. Vielmehr ist er ein im amerikanischen Kontext verwurzelter Sammelbegriff für Befürworter der Solidarität und der Gemeinschaftszugehörigkeit und gleichzeitig Gegner des atomistischen Individualismus und der damit verbundenen Entsolidarisierungen, Identitäts- und Sinnkrisen, wie sie in der (neo-) liberalen postmodernen Gesellschaft verbreitet sind. Die meisten Kommunitaristen sehen ihre Aufgabe weniger in der
|| 123 Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 438. 124 Vgl. ebd.
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Bekämpfung des Liberalismus, als vielmehr in dessen Ergänzung und Stärkung mit kommunitären Werten. Zu den bekanntesten Vertretern des Kommunitarismus zählt Amitai Etzioni (geb. 1929). An seiner Person kann beispielhaft gezeigt werden, wie Umstände, historische Einflüsse und Geschehnisse die Einstellungen und Postulate von politischphilosophischen Denkern beeinflussen. In seiner Kindheit musste Etzioni wegen seiner jüdischen Abstammung mit seinen Eltern aus Deutschland fliehen. Der Nationalsozialismus forderte 25 in Konzentrationslagern Ermordete in seiner Verwandtschaft. Ebenso weitreichenden Einfluss hatten die Einwanderung seiner Familie nach Palästina 1936, das Aufwachsen in einem Kibbuz-ähnlichen, gemeinschaftlich orientierten Kollektiv und das aktive Erleben des israelischen Unabhängigkeitskriegs als Widerstandskämpfer und Soldat. Nach seiner Emigration in die USA 1957 wurde Etzioni Zeuge der umwälzenden gesellschaftlichen Prozesse der 1960er und 1970er Jahre, wie des Vietnamkriegs und des Kalten Krieges.125 Etzioni wirft stets die Verantwortlichkeit von Gesellschaften, Gemeinschaften und Kollektiven als Fragen auf und bearbeitet sie. Ihm geht es im Kommunitarismus um „die Rekonstruktion der Gemeinschaft, der Community, um die Wiederherstellung der Bürgertugenden, um ein neues Verantwortungsbewusstsein der Menschen, um die Stärkung der moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft.“ Im Mittelpunkt steht die Gemeinschaft von Menschen, die in einem gegenseitigen solidarischen Anerkennungsverhältnis zu einander stehen und in unterschiedlichen, miteinander verbundenen Handlungsräumen agieren. Die Community bildet die Zivilgesellschaft, den dritten Weg bzw. dritten Sektor zwischen Markt und Staat. Etzioni sagt über seine Bewegung: „Wir Kommunitarier sind der Meinung, dass die große Frage nicht Staat oder Markt lautet, sondern Community“.126 In diesem Sinne wird Zivilgesellschaft im Kommunitarismus verstanden als „Netz selbständiger, vom Staat unabhängiger Vereinigungen, die die Bürger in gemeinsamen interessierten Dingen miteinander verbinden und die durch ihre bloße Existenz oder Aktivität Auswirkungen auf die Politik haben können.”127
2.6.1 Heutige Bedeutung 1990 gründete Etzioni die Kommunitarische Bewegung, die er zu seinen erfolgreichsten Initiativen zählt. Den Erfolg sieht er selbst darin begründet, dass die geschichtliche Situation eine Neuorientierung forderte. Nach der neoklassischen Ökonomie von Margaret Thatcher (1925—2013) und Ronald Reagan (1911—2004) war laut
|| 125 Vgl. Reese-Schäfer, Amitai Etzioni zur Einführung, S. 7–9. 126 Etzioni, Kommunitarismus – Antworten auf die Sinnkrise der neunziger Jahre? S. 53. 127 Taylor, Die Beschwörung der Civil Society, S. 52.
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Etzioni die Zeit reif für eine Umgestaltung der sozialen und gesellschaftlichen Erfordernisse in Richtung Kommunitarismus und Sozioökonomie. Die größte Breitenwirkung fanden seine Konzepte in den USA, aber auch durch Tony Blair in Großbritannien. Bis heute ist der kommunitaristische Ansatz parallel zur Sozioökonomie und bedingt durch den beschleunigten Wandel, die Globalisierung und die zunehmende Isolierung und Atomisierung von Individuen innerhalb der Gesellschaft von außerordentlicher Relevanz. Meist geht es in den Diskussionen um eine Erneuerung von moralischen Werten in der Gesellschaft. Auf die Entwicklung zivil-gesellschaftlicher Theorie hat er nicht unbeträchtlichen Einfluss gehabt.
2.7 Kommunitaristen vs. Liberale Bei einem Vergleich des Kommunitarismus mit dem Liberalismus ist zu beachten, dass die Anhänger beider Strömungen die Normen und Ziele der Zivilgesellschaft und die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie teilen. Kommunitaristen wollen diese nicht durch antiliberale Alternativen ersetzen, sondern streben durch ein besseres Verständnis ihrer Grundlagen und Voraussetzungen ihren Erhalt an. Die Unterschiede zwischen dem kommunitaristischen und dem liberalen Ansatz liegen in den Begründungen und konkreten Ausführungen der jeweiligen Annahmen. Während Liberale die vom Staat garantierte und geschützte Zivilgesellschaft als Raum der freien, individuellen Entfaltung und Befriedigung werten, in dem Freiheit, Toleranz und Pluralität oberste Priorität haben, Werte wie Kollektivität und soziale Solidarität diesen aber nachgeordnet werden, streben Kommunitaristen und Liberale nach individueller Autonomie und Schutz vor dem Gesetz und den staatlichen Institutionen. Jedoch betonen Kommunitaristen im Gegensatz zu den Liberalen die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zu gemeinsamen, kommunitären normativen Werten sowie deren staatliche Implementierung und Schutz als Voraussetzung für die individuelle Autonomie. Die Solidarität gilt hierbei als einer der bedeutendsten normativen Werte. Dieser bildet die Basis der Zivilgesellschaft, indem er die Individuen lehrt, dass sie nur dann mit Respekt behandelt werden, wenn sie von anderen als ebenbürtige Mitglieder derselben moralischen Gemeinschaften angesehen werden. Dies ist für sie unabhängig davon, wieviel sie als Individuum leisten oder welchen persönlichen und beruflichen Hintergrund sie haben. Die Wurzeln der Solidarität liegen in der Annahme, dass Individuen bestimmte Einstellungen, insbesondere über das Gute, den Respekt vor geteilten Rechten und gegenseitige An- und Aufnahme in ihrer Gemeinschaft miteinander teilen. Nur in einer Gemeinschaft kann der Wert der Solidarität und können in dessen Folge liberale Werte wie Freiheit und Selbstverwirklichung gelebt werden. Das Individuum ist folglich der Gesellschaft nachgeordnet und die individuelle Identität wird durch die kollektive bedingt. Die Liberalen teilen zwar auch kollektive Normen und Vorstel-
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lungen, wie die Freiheit des Individuums, jedoch ist für sie gerade die individuelle Freiheit nicht universell, sondern eine historische und partikulare Errungenschaft. Im liberalen Ansatz bleibt unklar, wie die gemeinsame Vorstellung vom guten liberalen Leben in einer heterogenen und pluralen modernen Gesellschaft geformt und erhalten werden kann. Der demokratische Kommunitarismus schlägt hier eine Bestimmung des Begriffs der Freiheit durch eine Art der Entscheidungsfindung in Form einer „communal practice of citizenship“128 anstatt durch partikulare Rechte und Pflichten vor. Um die Bürger politisch und sozial in die Gesellschaft zu integrieren, schlägt Charles Taylor (geb. 1931) die Identifikation des Individuums mit dem Republikanismus und der in ihm angelegten patriotischen Identifikation vor.129 Hier finden schließlich liberale und kommunitäre Vorstellungen zusammen.
2.8 Robert Putnam: Sozialkapital Sozialkapital steht für die Gesamtheit der potenziellen und aktuellen Ressourcen, basierend auf gemeinsamen Normen und Werten, die für die zwischenmenschlichen Beziehungen benötigt werden. Zu den Ressourcen zählen beispielsweise Vertrauen und Verbindungen. Das Sozialkapital eröffnet Individuen den Zugang zum gesellschaftlichen und sozialen Leben. Sozialkapital ermöglicht und erleichtert sowohl dem Individuum als auch der Gesamtheit der Bürger in einer Gesellschaft das Zusammenleben. In diesem Sinne ist ein gewisses Maß an Sozialkapital eine Grundvoraussetzung für soziale Integration, ökonomische Effektivität, demokratische Stabilität und folglich auch für eine funktionierende Zivilgesellschaft. Große Bekanntheit erlangte Robert Putnams Konzept des Sozialkapitals. Er entwickelt es aus einer Langzeitbeobachtung Italiens, aus der er den Schluss zieht, dass das Vorhandensein „informeller Netzwerke“, d.h. von Vereinen (im Norden des Landes) unmittelbare Auswirkungen auf die Qualität der öffentlichen Verwaltung und die Leistungskraft der Wirtschaft hat. Für den US-amerikanischen Sozialwissenschaftler besteht soziales Kapital aus drei Komponenten: 1. soziales Vertrauen, das die zur gesellschaftlichen Koordination erforderliche Kooperation zwischen den Individuen erleichtert, 2. die Norm generalisierter Reziprozität, die zur Lösung sozialer Dilemmata beiträgt, 3. Netzwerke zivilgesellschaftlichen Engagements, die generalisierte Reziprozitätsnormen pflegen und soziales Vertrauen aufbauen.130
|| 128 Cohen/Arato Civil Society and Political Theory, S. 10. 129 Vgl. Taylor, Aneinander vorbei, S. 116. 130 Vgl. Putnam, Making Democracy Work, S. 170.
Robert Putnam: Sozialkapital | 57
Mit dieser Auffassung verweist Putnam (geb. 1941) auf die enge Verbindung zwischen sozialem Kapital, Ökonomie und Demokratie. Ist soziales Vertrauen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen vorhanden, verringert sich die Notwendigkeit sozialer Kontrolle durch den Staat, was wiederum Kosten im staatlichadministrativen und ökonomischen Bereich senkt. In seinen Analysen über soziales Kapital nimmt Putnam die traditionellen bürgerlichen Assoziationen und Vergemeinschaftungen, bspw. kirchliche Gruppierungen oder Sportvereine, in den Blick. Er nennt eine aktive Mitgliedschaft, zwischenmenschliche Identität und Solidarität als Voraussetzungen für den Erhalt der Gruppen. Mitglieder erlernen als „Nebenprodukt“ ihrer Aktivitäten Kooperation, Kommunikation und soziales Vertrauen. Folglich wird hier soziales Kapital generiert und regeneriert. Mithilfe von ZeitreihenVergleichen des bürgerschaftlichen Engagements und der Vereinsmitgliedschaften stellt Putnam eine allmählich abnehmende Bedeutung des sozialen Kapitals fest. In seinem Werk „Bowling alone: The collapse and revival of american community“131 äußert er sich pessimistisch über die Entwicklung des Sozialkapitals in den USA und benutzt dafür beispielhaft das Bowling-Spielen. In den letzten Jahren bowlen, so meint er, immer mehr Menschen allein, während es immer weniger organisierte Bowling-Teams gibt. Daraus folgert er, dass die Lockerung der familiären und gemeinschaftlichen Bindungen und die Expansion des Individualismus Trends darstellen, die alle Demokratien bedrohen. „Aber in den Vereinigten Staaten wird der Verfall von zivilem Engagement und sozialer Einbindung besonders deutlich.“132 Dabei nennt er den geringen gesellschaftlichen Einsatz der Generation der BabyBoomer als Hauptursache und prognostiziert: „Jedes Jahr nimmt der Tod der amerikanischen Gesellschaft wieder eine Zahl engagierter Bürger weg; sie werden ersetzt durch wesentlich weniger engagierte Menschen [...]. Wenn wir also nicht bald etwas tun, dann wird das Problem immer schlimmer werden.“133 Bezugnehmend auf die Demokratie schreibt er weiter: „eine Auflösung der Bindungen beschädigt mit großer Wahrscheinlichkeit die Nervenstränge der Demokratie in wichtigen Bereichen – indem sie bürgerliche Verantwortungslosigkeit fördert, den sozialen Zusammenhalt reduziert, Berechenbarkeit abbaut, das Gefühl der gemeinsamen Identität schwächt und so die Fähigkeit der Gemeinschaft, sich den gemeinsamen Problemen zu stellen, verringert“.134 Putnam identifiziert auch potenzielle Auswege aus diesem Dilemma. Diese sind die Revitalisierung der Zivilgesellschaft und der bürgerlichen Vereinigungen sowie die Stärkung republikanischer Traditionen und demokrati-
|| 131 Putnam, Bowling alone. 132 Putnam, Die Symptome der Krise, S. 71. 133 Putnam, Niedergang des sozialen Kapitals?, S. 8. 134 Vgl. Putnam, Die Symptome der Krise, S. 75.
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scher Partizipation auf lokaler Ebene. In einer „Agenda für Soziales Kapital“135 fasst er diese Anforderungen nochmal zusammen.
2.8.1 Wirkung und heutige Bedeutung Putnams Analyse hat weitreichende Wirkung gezeitigt, insbesondere in den westlichen Demokratien. In Deutschland trafen seine Schriften auf einen gesellschaftspolitischen Diskurs, der in den 1990er Jahren begann und sich um die zunehmende Individualisierung und die desintegrierende Gesellschaft drehte. Einige Vorschläge Putnams wurden aufgegriffen, beispielsweise in der Mediensendung „Gesellschaft der Ichlinge“. Dort hieß es: „Nicht nur das ökonomische Kapital, sondern ebenso das ‚soziale Kapital‘ entscheidet über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands“.136 Putnam argumentiert aus amerikanischer Perspektive. Hans Joas (geb. 1948) kommentiert, dass „der Diskurs über Gemeinschaft in den USA Bestandteil der Selbstverständigung einer liberalen Gesellschaft war und ist, während er in Deutschland – und das ist unabhängig von der Gesinnung der einzelnen Beiträger – über einen langen Zeitraum im Rahmen einer im Wesentlichen illiberalen Gesellschaft stattfand. Die innere Spannung zwischen Marktliberalismus und Gemeinschaftsdiskurs ist in die politische Selbstverständigung der USA eingebaut.“137 Dieser Unterschied ist auch aus der Debatte zwischen Liberalen und Kommunitaristen ersichtlich. Will man Putnams Begriffe auf andere Gesellschaften übertragen, besteht die Gefahr, dass ihre ursprüngliche Bedeutung verloren geht.
2.9 Der empirische, sozialökonomische Ansatz Als ein historischer „Meilenstein“ in der empirischen Erfassung und systematischen Analyse der Zivilgesellschaft ist das Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project anzusehen (siehe auch Kap. 4.2.1). Das international vergleichende Forschungsprojekt, das von Lester M. Salamon und Helmut K. Anheier (Johns Hopkins University, Baltimore MD) initiiert und geleitet wurde, trat in der ersten, 1990 begonnenen Phase unter der Überschrift einer international vergleichenden Erfassung des Dritten oder Nonprofit-Sektors an. Als eines der größten sozialwissenschaftlichen Projekte überhaupt hatte es sich die Aufgabe gestellt, weltweit einen wesentlichen Beitrag zur Sichtbarmachung des Dritten Sektors zu leisten und die Diskussion über die Chancen und Potenziale des Sektors auf eine gesicherte empirische Grund-
|| 135 Vgl. Putnam, Bowling alone, S. 402. 136 Keupp, Eine Gesellschaft der Ichlinge?, S. 17. 137 Joas, Gemeinschaft und Demokratie in den USA, S. 51–53.
Der empirische, sozialökonomische Ansatz | 59
lage zu stellen.138 In der zweiten, 1995 begonnenen Phase, die in Deutschland bis 1999 lief und vor allem Daten bis 1995 zusammentrug oder selbst erhob, weitete sich die Perspektive und der Bezug sowie die Übereinstimmungen zur Zivilgesellschaftsthematik wurden deutlich herausgestellt.139 Im Johns Hopkins Projekt wurden mit Hilfe eines komparativen Ansatzes besonders Umfang, Struktur, Finanzierung und Rolle des Nonprofit-Sektors jeweils auf nationaler Ebene untersucht und sowohl national als auch international aggregiert. Neben den quantitativen Betrachtungen von ökonomischen, sozialen und gemeinschaftlichen Strukturen erfasste das Projekt auch qualitativ historische, gesellschaftliche, rechtliche und politischen Aspekte. In der empirischen Weiterentwicklung des Ansatzes wurde im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Statistikabteilung der UNO eine Methodik erstellt, die als Anleitung für die Implementierung dieses Bereichs in die nationalen Statistiksysteme dienen kann.140 Das UN-Handbuch wurde der Leitfaden für eine international standardisierte Berichterstattung zur Zivilgesellschaft. In einigen Ländern wie Belgien, Italien und Schweden wurden inzwischen Bestandsaufnahmen der Zivilgesellschaft erstellt und fortgeschrieben, die sich an der empfohlenen Methodik orientieren. Gleichwohl haben sich jedenfalls in Europa bislang nur wenige Länder zu einem solchen Schritt entschieden. Waren in der ersten Projektphase sieben Industrieländer (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Schweden, Ungarn und die USA) sowie fünf Entwicklungsländer (Ägypten, Brasilien, Ghana, Indien und Thailand) beteiligt, so konnte in der zweiten Phase der Kreis der Länder auf mehr als 30 Projektteilnehmer erheblich erweitert werden.141 Anfang 2000 lagen sogar Angaben zu insgesamt 35 Ländern vor.142 Zu wichtigen Ergebnissen des Projekts zählen neben den Daten eine Reihe methodischer Instrumente, die bis heute in der empirischen Zivilgesellschaftsforschung Verwendung finden. So wird im Rahmen des Projektes mit einer einheitlichen Definition der Nonprofit-Organisation gearbeitet, die vorrangig an operativen Kriterien ausgerichtet ist. Demnach sind zur Zivilgesellschaft alle diejenigen Organisationen zu rechnen, die formell strukturiert, organisatorisch unabhängig vom Staat und nicht gewinnorientiert sind, Überschüsse aus der Tätigkeit nicht unter Eigentümern oder Mitgliedern verteilen und die eigenständig verwaltet werden. Die Zugehörigkeit darf stets nur freiwillig sein.143
|| 138 Vgl. Zimmer/Priller, Gemeinnützige Organisationen im gesellschaftlichen Wandel, S. 31 ff. 139 Vgl. Anheier/Priller/Zimmer, Zur zivilgesellschaftlichen Dimension des Dritten Sektors, in: Klingemann/Neidhardt (Hrsg.), Zur Zukunft der Demokratie, S. 71–98. 140 Vgl. United Nations, Handbook on Non-Profit Institutions. 141 Vgl. Salamon/Anheier, The Emerging Sector. 142 Vgl. Salamon/Sokolowski/List, Global Civil Society. An Overview. 143 Vgl. Anheier/Priller/Seibel/Zimmer, Einführung, in: dies. (Hrsg.), Der Dritte Sektor in Deutschland.
60 | US-Amerikanisch dominierte Civil Society Diskurse
Auch wenn einige der vorgelegten quantitativen Angaben inzwischen veraltet und zahlreiche Lücken in der Erfassung erkannt worden sind, hat das Johns Hopkins Projekt wesentlich dazu beigetragen, ein gemeinsames internationales Verständnis von Zivilgesellschaft zu entwickeln und in dieser selbst, aber auch bei Wissenschaft, Politik und Medien Ansätze einer Vorstellung vom Umfang, dem Funktions- und Aufgabenspektrum und der Leistungskraft der Zivilgesellschaft zu erzeugen.
Ergänzende Literatur Adloff, Zivilgesellschaft. Theorie und politische Praxis Joas, Gemeinschaft und Demokratie in den USA Salamon et al., Global Civil Society
3 Europäische Zivilgesellschaftsdiskurse 3.1 Demokratietheoretische Konzepte der Zivilgesellschaft Zivilgesellschaftsdiskurse lassen sich nur schwer nach Ländern voneinander trennen. Zu groß ist die wechselseitige Beeinflussung, vor allem zwischen den europäischen und US-amerikanischen Diskursen (siehe Kap. 2). Auch ist nicht zu verkennen, dass der US-amerikanische den europäischen Diskurs massiv beeinflusst hat. Jedoch haben sich in Deutschland und Europa einige spezifische Schwerpunkte und Wegmarken herauskristallisiert, die im Folgenden aufgezeigt und eingeordnet werden sollen.
3.1.1 Die Rolle der Zivilgesellschaft in modernen Demokratietheorien Das Konzept der Zivilgesellschaft spielt in Europa in modernen Demokratietheorien erst seit wenigen Jahrzehnten eine Rolle. Die Voraussetzung dafür war eine scharfe Abgrenzung des Begriffs vom Staat im Laufe des 19. Jahrhunderts. Dem ging wiederum die analytische Trennung von Staat und Gesellschaft voraus, etwa durch den frühen Soziologen Emile Durkheim (1858—1917), der für einen eigenständigen Begriff des Sozialen eintrat. In der deutschen Soziologie fielen die Unterscheidungen noch stärker aus: „Einerseits wurden Gemeinschaft und Gesellschaft (Tönnies) beziehungsweise Wert- und Zweckrationalität (Weber) voneinander gelöst, andererseits wurden Staat und Gesellschaft streng dichotom betrachtet, mit dem Ergebnis, dass Gesellschaft nur noch als Zusammenhang zweckrational kalkulierender Individuen betrachtet werden konnte, die einem bürokratischen, übermächtigen Staat gegenüberstehen.“144 In der Tradition von Hegel und Marx galt die bürgerliche Gesellschaft als ein vorpolitischer Bereich, in dem die Menschen vorwiegend ihre partikularen Interessen verfolgen. Dadurch geriet das politische Gemeinwesen als vermittelnde Instanz zwischen Staat und Gesellschaft weitgehend aus dem Blick. Anders ausgedrückt: Das, was heute als Zivilgesellschaft bezeichnet wird, spielte in den gesellschaftswissenschaftlichen Debatten solange keine gewichtige Rolle, wie Politik in Deutschland vor allem etatistisch-obrigkeitsstaatlich verstanden wurde.145 Erst ein semantischer Wechsel, bei dem sich – unter dem Eindruck der Bürgerbewegungen in Ostmitteleuropa – der Begriff der Zivilgesellschaft nach und nach gegen den der Bürgergesellschaft durchsetzen konnte, ermöglichte Fragen nach dem Beitrag, den die Zivilgesellschaft zum Gelingen von Demokratie und Staat leisten kann oder leisten sollte. Erste Ansätze einer solchen Betrachtung finden sich || 144 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 53. 145 Vgl. Adam, Philanthropy. https://doi.org/10.1515/9783110553475-005
62 | Europäische Zivilgesellschaftsdiskurse
bereits im Politikkonzept von Hannah Arendt (siehe Kap. 1.1.8.), das einen Referenzpunkt vieler Demokratietheorien darstellt. Explizit wird der Begriff der Zivilgesellschaft in diesem Zusammenhang seit den 1980er Jahren diskutiert. Dabei wird er sowohl normativ als auch analytisch verwendet. Allerdings hat die parallel verlaufende Verwendung des Begriffs in wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskursen seine analytische Anwendung stark eingeschränkt. Der Impetus des Normativen schwingt bei der gegenwärtigen Thematisierung von Zivilgesellschaft in der Regel mit und bezieht sich zumeist auf die „guten“ Einflüsse der Zivilgesellschaft auf demokratische Strukturen. Wie die Demokratie durch zivilgesellschaftliche Einflüsse verbessert werden soll, ist Gegenstand verschiedener Theorien, die sich im Spannungsfeld zwischen liberalen und republikanischen Ideen bewegen. Für die deutsche Diskussion unterscheidet Ansgar Klein (geb. 1959) drei Ansätze demokratietheoretischer Konzepte mit Bezug zur Zivilgesellschaft: 1. Konzepte demokratischer Selbstgesetzgebung, 2. Konzepte demokratischer Selbstregierung, 3. institutionentheoretische Perspektiven.146 Konzepte demokratischer Selbstgesetzgebung beschäftigen sich vorrangig mit der Frage, wie Rechtsetzung demokratisch organisiert und gesellschaftlich legitimiert werden kann. Zivilgesellschaft ist in diesen Konzepten die Arena, innerhalb derer Argumente diskursiv entwickelt und lautverstärkend in die Öffentlichkeit getragen werden können. Dies ermöglicht gleichzeitig politisch-kulturelle Lernprozesse. Dagegen spricht jedoch die traditionell gering ausgeprägte Fähigkeit der Zivilgesellschaft, in den politischen Prozess korrektiv einzugreifen, da sie in der Peripherie des politisch-administrativen Systems verortet wird. Die letzten Jahre haben diesbezüglich einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Konzepte demokratischer Selbstregierung wiederum schreiben der Zivilgesellschaft in erster Linie eine Steuerungsfunktion zu und verorten sie im Zentrum der Demokratie. Weil dies jedoch mit hohen Erwartungen an die Leistungsfähigkeit der Zivilgesellschaft verbunden ist, wird oft ein unrealistischer Anspruch kritisiert. Institutionentheoretische Konzepte versuchen zwischen den beiden ersten Ansätzen zu vermitteln und deren Probleme zu umgehen, indem sie die institutionelle Einbettung und das Zusammenspiel der Zivilgesellschaft mit Staat und Politik thematisieren. Ein wichtiger Impuls zur Rolle der Zivilgesellschaft wurde von Ulrich Beck (1944–2015) gesetzt, auch wenn er keine eigene Demokratietheorie entworfen hat. Beck weist darauf hin, dass Politik und Gesellschaft zunehmend direkt von Bürgerinitiativen beeinflusst werden, vorbei an Parlamenten und Parteien als den klassischen Institutionen der repräsentativen Demokratie. Diese „Subpolitik von unten“ || 146 Vgl. Klein, Der Diskurs der Zivilgesellschaft, S. 314.
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markiert für ihn einen Wandel im Politikverständnis147 und wirft die Frage auf, wie Demokratie gerade unter den Bedingungen der Globalisierung noch funktionieren kann. Beck verbindet mit der Zivilgesellschaft dabei eine gesamtgesellschaftliche Reformidee: „Das Faszinosum dieses Begriffs liegt […] darin, dass ‚Zivilgesellschaft‘ gerade nicht das Bestehende bilanziert und festschreibt, sondern es im Sinne einer immanenten Kritik von unten für politische Reformen öffnet.“148 Die Zivilgesellschaft besitzt demnach das Potenzial, das Wesen der Demokratie selbst zu verändern.
3.1.2 Deliberative und partizipative Demokratie Das Modell der deliberativen Demokratie gehört zu wichtigsten Demokratietheorien der vergangenen Jahrzehnte. Das einflussreichste Konzept stammt von Jürgen Habermas (geb. 1929), der auf einen zuerst von Joseph Bessette verwendeten Begriff rekurriert149 und ein Konzept in Abgrenzung sowohl zum republikanischen als auch zum liberalen Demokratiemodell entwirft. Durch die Berücksichtigung der Komplexität moderner Gesellschaften soll es das dezidiert normative Erbe beider Strömungen antreten. Das republikanische Modell, so kritisiert Habermas, stellt eine normative Überforderung der Menschen hinsichtlich ihrer Bürgertugenden dar. Die Schwäche des liberalen Modells wiederum liegt für ihn in der fehlenden Solidarität der Bürger und in der anspruchslosen politischen Kommunikation in Form von Werbekampagnen. Die Theorie der deliberativen Demokratie betont dagegen die Bedeutung öffentlicher Debatten für die politische Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger. Habermas hat die Zivilgesellschaft zwar nicht in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt, doch sein Werk beinhaltet wichtige Grundlagen für nachfolgende Diskurse, die bis heute fortwirken. Ein erster Hinweis auf die Rolle der Zivilgesellschaft liefert die starke Input-Orientierung bei der Betrachtung des politischen Prozesses, die seiner Demokratietheorie eigen ist. Die Impulse ins politische System sollten nach Habermas derart gestaltet sein, dass die durch Diskurse entstandene kommunikative Macht in administrative Macht übertragen wird, die in staatlichen Institutionen nutzbar ist. Mit seinem Begriff der kommunikativen Macht orientiert er sich an Hannah Arendt (siehe Kap. 1.1.8), die damit einen durch zwanglose Kommunikation entstandenen gemeinsamen politischen Willen beschreibt. Macht entsteht für Arendt „zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet,
|| 147 Vgl. Beck, Die Erfindung des Politischen, S. 154–165. 148 Beck, Zivilgesellschaft/Bürgergesellschaft, S. 5. 149 Vgl. Bessette, Deliberative Democracy.
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sobald sie sich wieder zerstreuen“150. Kommunikative Macht – ebenso wie das Recht – resultiert demnach aus einer Meinung, auf die sich viele Akteure öffentlich geeinigt haben. Habermas unterscheidet grundlegend zwei Dimensionen von Kommunikation: 1. kommunikatives Handeln als die umgangssprachliche Kommunikation und Interaktion; 2. Diskurs als jene Art der Kommunikation, mit der die Kommunikation selbst thematisiert wird. Beim kommunikativen Handeln übermittelt die Sprache zum einen Informationen und dient zum anderen der sozialen Vermittlung sowie Steuerung, da sich die handelnden Subjekte durch umgangssprachliche Kommunikation koordinieren und verständigen können. Kommunikatives Handeln ist bei Habermas somit eine zentrale Voraussetzung für die Sozialintegration und jede Form sozialer Ordnung.151 Auf die Ebene von Diskursen wechselt die umgangssprachliche Kommunikation, sobald sie sich aus einzelnen Handlungszusammenhängen entfernt, ein Einvernehmen über Deutungen und Erklärungen nicht mehr gegeben ist, aber weiterhin ein Interesse an Interaktion besteht. Diese Form des analytischen Sprechens findet fortan auf einer Meta-Ebene statt und zielt auf die Herstellung eines Einverständnisses über die Gültigkeit von Ansichten, Regeln und Urteilen des Diskurses. Für die deliberative Demokratietheorie sind schließlich die öffentlichen Diskurse relevant, weil in ihnen ausgehandelt wird, was gesellschaftlich als akzeptabel gilt. Vor allem dienen Diskurse dazu, über die öffentliche Beteiligung eine hohe Legitimität herzustellen – sei es von politischen Entscheidungen, moralischen Normen oder Rechtsnormen. So gilt bei Habermas z.B. nur das Recht als legitim, „das in einer diskursiven Meinungs- und Willensbildung von allen Rechtsgenossen rational akzeptiert werden könnte“152. An den Prozess der politischen Deliberation – also das gemeinsame, öffentliche Abwägen und sich beratschlagen – stellt er ebenfalls hohe Anforderungen. Die Qualität der diskursiv erzeugten Beschlüsse hängt vor allem davon ab, dass alle davon Betroffenen gleichberechtigt in den Diskurs einbezogen werden. Um dies zu gewährleisten, setzt Habermas auf die kommunikativen Freiheiten der Bürger und weist der Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle bei der Verwirklichung seines Konzepts zu. Für Habermas wird die Zivilgesellschaft gebildet durch „jene nicht-staatlichen und nicht-ökonomischen Zusammenschlüsse und Assoziationen auf freiwilliger
|| 150 Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, S. 252. 151 Auf den zum kommunikativen Handeln komplementären Begriff der Lebenswelt, die darauf aufbauenden gesellschaftlichen Subsysteme sowie die Kolonisierungsthese wird hier nicht näher eingegangen. Vgl. dazu Adloff, Zivilgesellschaft, S. 80. 152 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 169.
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Basis, die die Kommunikationsstrukturen der Öffentlichkeit in der […] Lebenswelt verankern. Die Zivilgesellschaft setzt sich aus jenen mehr oder weniger spontan entstandenen Vereinigungen, Organisationen und Bewegungen zusammen, welche die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereichen finden, aufnehmen, kondensieren und lautverstärkend an die politische Öffentlichkeit weiterleiten. Den Kern der Zivilgesellschaft bildet ein Assoziationswesen, das problemlösende Diskurse zu Fragen allgemeinen Interesses im Rahmen veranstalteter Öffentlichkeiten institutionalisiert.“153 Doch nur im Zusammenspiel mit den etablierten politischen Institutionen können die Akteure der Zivilgesellschaft etwas bewegen. Denn um kollektiv bindende Entscheidungen zu erzeugen, müssen die zivilgesellschaftlichen Diskurse durch das Zentrum des politischrechtlichen Systems hindurch geleitet werden. Mittels eines Systems von Schleusen sind beide Bereiche miteinander verbunden und können wechselseitig Impulse für Entscheidungsprozesse aussenden. Die Zivilgesellschaft als Träger der autonomen Öffentlichkeit fungiert bei Habermas quasi als zentraler Mittler zwischen individueller Lebenswelt und dem politischen System. Das partizipative Moment der deliberativen Demokratie besteht vor allem in der angestrebten Beteiligung möglichst vieler Bürger an den Verfahren zur Vorbereitung und Diskussion politischer Entscheidungen, also am Input der Politik. Ebenso Input-orientiert sind andere partizipatorische Demokratietheorien, etwa von Benjamin Barber154 (1939–2017) oder Ingeborg Maus155 (geb. 1937), die allerdings stärker auf die wirkungsvolle Einflussnahme der Bürger auf politische Entscheidungen abheben und weniger auf das gemeinsame Debattieren. Beide Formen beteiligungszentrierter Konzepte loben aber „den Eigenwert politischer Beteiligung und verständigungsorientierter Kommunikation und preisen die damit erhoffte erzieherische Funktion und Integrationskraft der Demokratie“156.
3.1.3 Das Credo der demokratischen Selbstregierung Als Hauptvertreter des Projekts der demokratischen Selbstregierung gelten Ulrich Rödel (geb. 1943), Günter Frankenberg (geb. 1945) und Helmut Dubiel (1946–2015). In ihrem Essay „Die demokratische Frage“ aus dem Jahr 1989 kritisieren sie die elitären und totalitären Tendenzen ihrer Zeit und entwerfen ausgehend von Protestformen und zivilem Ungehorsam als symbolischer Praxis „eine auf umfangreiche Partizipation hin angelegte Vision radikaler Demokratie, die den gesamten Aufbau
|| 153 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 443 f. 154 Vgl. Barber, Starke Demokratie. 155 Vgl. Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie. 156 Schmidt, Demokratietheorien, S. 238.
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der staatlichen Ordnung aus der politischen Praxis der Bürger hervorgehen lassen und an diese rückbinden will“157. Dabei knüpfen die Autoren – wie Habermas – an Hannah Arendt an und betonen neben dem flüchtigen Charakter von Macht auch die Bedeutung des Aktivbürgers für die Demokratie. Im Zentrum ihres Konzepts steht die Überzeugung, dass Demokratie von Streit und Protest lebt – und dass Konflikte um gegensätzliche Interessen in einer pluralistischen Gesellschaft ausgetragen werden müssen. Aus Sicht von Rödel, Frankenberg und Dubiel kann nur so ein Zusammenhalt zwischen den Bürgern entstehen, da diese in der demokratischen Auseinandersetzung gemeinsame Lösungen im Sinne des Gemeinwohls finden müssen. Dies schließt die Möglichkeit ein, alle Gesetze jederzeit infrage zu stellen und öffentlich debattieren zu können. Eine solche Konfliktgesellschaft kann jedoch nur funktionieren, wenn sich die Bürger an bestimmte Bedingungen halten: „Die Grenzen ergeben sich freilich nicht aus einer abstrakten Treue zum Staat […] oder zu einzelnen Normen der Verfassung […], sondern allein aus der wechselseitigen Anerkennung und Verpflichtung der Bürger, auf denen ihr politisches Gemeinwesen gründet. Danach kann alles gedacht und jede Forderung öffentlich artikuliert, kann für alles öffentlich demonstriert, aber nichts gewaltsam durchgesetzt werden. Denn dadurch würde gerade die Anerkennung der Bürger als politisch Gleiche aufgekündigt“158. Die Konflikte dürfen also nur in zivilisierter Form ausgetragen werden, ohne handfesten Widerstand gegen die staatliche Ordnung. Hinter dieser Konzeption steht die Idee, dass sich die Demokratie „nicht im geltenden Recht und institutionellen Status quo erschöpft“159. Vielmehr sollen sich die Bürger durch aktives demokratisches Engagement selbst regieren. Die Basis dafür bildet die Zivilgesellschaft, aus der somit jegliche politische Macht resultiert. Besonders Minderheiten und sozialen Bewegungen wird dabei eine zentrale Rolle zugedacht, denn ihre Initiativen und Proteste würden verhindern, dass Machtstrukturen und die institutionelle Ordnung verkrusten. Rödel, Frankenberg und Dubiel knüpfen dabei an Ideen französischer Demokratietheoretiker der 1970er Jahre an (Claude Lefort, Marcel Gauchet, Cornelius Castoriadis), indem sie auf die veränderbare Repräsentation von Macht verweisen. Außerdem kritisieren sie eine gängige Vorstellung des Republikanismus, dass die Gesellschaft eine Einheit ohne Differenzen sei. Dieses stark normativ geprägte Konzept eines zivilgesellschaftlichen Republikanismus bzw. einer libertären Demokratie hat viel Kritik hervorgerufen, besonders aufgrund seiner voraussetzungsreichen Annahmen. So wurde Rödel, Frankenberg und Dubiel vorgeworfen, dass sie organisierte Interessengruppen und deren Einfluss in der modernen Demokratie vernachlässigen, und dass sie die Bedeutung politischer Strukturen und des Konstitutionalismus für ein demokratisches Gemeinwesen
|| 157 Bluhm/Malowitz, Integration durch Konflikt. S. 196. 158 Rödel/Frankenberg/Dubiel, Die demokratische Frage, S. 177 f. 159 Rödel/Frankenberg/Dubiel, Die demokratische Frage, S. 42.
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unterschätzen, obwohl diese den geforderten zivilgesellschaftlichen Wettbewerb erst ermöglichen. Angesichts dieser umfangreichen Kritik hat ihr Konzept demokratischer Selbstregierung zwar eine wichtige Debatte angestoßen, letztlich aber nur begrenzten Einfluss auf den weiteren Zivilgesellschaftsdiskurs entfaltet.
3.1.4 Reflexive Demokratie und Zivilgesellschaft Mit seinem Konzept der „reflexiven Demokratie“ knüpft Rainer Schmalz-Bruns (geb. 1954) direkt an die demokratietheoretischen Diskussionen vom Anfang der 1990er Jahre an. Dabei geht es ihm vor allem um eine Erweiterung des deliberativen Modells von Habermas, dessen Potenzial nicht voll ausgenutzt werde. Außerdem möchte er die Defizite des Konzepts demokratischer Selbstregierung korrigieren, indem die Möglichkeit untersucht wird, wie die Institutionen der repräsentativen Demokratie unter Beteiligung aller relevanten politischen Akteure modernisiert und demokratisiert werden können. Eine solche Demokratisierung ist aus Sicht von Schmalz-Bruns notwendig, weil die Effizienz und Rationalität demokratischer Entscheidungsprozesse im Zuge von Globalisierung und komplexer werdendem Regieren unter Druck geraten sind. In der reflexiven Demokratie soll das demokratische Prinzip auf die Demokratie selbst angewendet werden. Einen bereits vorhandenen reflexiven Mechanismus stellen z.B. die aufeinander bezogenen Prozesse der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Regierung dar. Die reflexive Demokratie ist deshalb grundsätzlich in der Lage, sich selbst zu transformieren. Schmalz-Bruns geht es bei dieser Selbstveränderung vor allem um „eine Politisierung und Demokratisierung des Zusammenspiels unterschiedlicher Formen von Demokratie“160, also von repräsentativen, direktdemokratischen und deliberativen Organisationsformen. In der reflexiven Demokratie stehen die Verfahren zur Entscheidungsfindung somit nicht von vornherein fest, sondern unterliegen selbst der demokratischen Aushandlung. Ziel ist es, die partizipatorischen Potenziale der Demokratie besser zu nutzen, ohne jedoch die politische Beteiligung maximieren zu wollen. Mit Blick auf die Schwächen der zuvor erläuterten Konzepte von demokratischer Selbstgesetzgebung und Selbstregierung soll die erweiterte Teilhabe der Bürger insbesondere über institutionelle Reformen erreicht werden, „die die Chance bieten, die Bürger von allzu hohen Tugendzumutungen einerseits zu entlasten, andererseits aber zu moralischem Handeln zu motivieren und somit die Rationalität politischer Entscheidungen zu fördern“161. Als zentralen Akteur der reflexiven Demokratie sieht Schmalz-Bruns die Zivilgesellschaft (bzw. die repolitisierte bürgerliche Gesellschaft). Ihr kommt die Aufgabe
|| 160 Schmalz-Bruns, Reflexive Demokratie, S. 28. 161 Klein, Der Diskurs der Zivilgesellschaft, S. 277 f.
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zu, „den Zusammenhang von öffentlicher Meinungsbildung und politischer Entscheidungsfindung zu wahren […], um so […] auch auf den Staat einzuwirken“162. Schließlich erscheint die Zivilgesellschaft als privilegierter Ort, um soziale und politische Auseinandersetzungen auszutragen. Anders als Habermas zeichnet SchmalzBruns das Bild einer „im ganzen politisch strukturierten zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit“, wobei Staat, Verbände, Unternehmen und Interessengruppen einen „gemeinsamen Handlungszusammenhang von ‚policy-communities‘“163 bilden. Damit betont er die Bedeutung institutioneller Arrangements für die Demokratie, erweitert um deliberative Verfahren. Diese sollen durch mehr Bürgerbeteiligung zu einer optimierten Willensbildung beitragen – inklusive höherer Qualität und Legitimität der getroffenen Entscheidungen. Die demokratisierten Strukturen von bestehenden Institutionen sollen wiederum dafür sorgen, dass die Bürger – anders als beim Projekt der demokratischen Selbstregierung – mit der Aufgabe der diskursiven Willensbildung nicht allein gelassen und überfordert werden. Schmalz-Bruns konzipiert die Zivilgesellschaft somit als Vermittler zwischen politischen Strukturen und sozialer Integration, zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Willensbildung in der repräsentativen Demokratie.164
3.1.5 Zivilgesellschaft in Transformationsprozessen Einen wichtigen Impulsgeber für die Konjunktur der Theoriedebatten über Zivilgesellschaft und die erläuterten Demokratiekonzepte stellten in den 1980er und 1990er Jahren die oppositionellen Bürgerbewegungen dar, die sich vor allem nach der Unterzeichnung der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Helsinki, 1975) bis zum Ende des Kalten Krieges gegen sozialistische Regime in Mittel- und Osteuropa formiert hatten. Geprägt von diesen Bewegungen entstand ab den späten 1970er Jahren ein neues Begriffsverständnis, das mit Zivilgesellschaft „ein Modell radikaldemokratischer Reformpolitik“165 verband. Dabei war die wissenschaftliche Konzeption mehr den politischen Entwicklungen geschuldet als andersherum. Vor allem die ostmitteleuropäischen Dissidentenbewegungen haben hier ihre Spuren hinterlassen: Neben der tschechoslowakischen Oppositionsbewegung Charta 77 waren die polnische Gewerkschaft Solidarność sowie die Intellektuellendiskurse in Ungarn für das neu aufkeimende Interesse an einer wissenschaftlichen Thematisierung von Zivilgesellschaft maßgeblich. Die Zivilgesellschaft wurde dem inzwischen marode gewordenen Wunschbild des real
|| 162 Schmalz-Bruns, Reflexive Demokratie, S. 23 f. 163 Schmalz-Bruns, Reflexive Demokratie, S. 114. 164 Vgl. Klein, Der Diskurs der Zivilgesellschaft, S. 374–376. 165 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 11.
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existierenden Sozialismus gegenübergestellt – als ebenso utopischer Gegenentwurf.166 Der dadurch zwangsläufig stark wertgeladene Begriff stellte in antitotalitärer Manier die freiheitsverbürgende Wirkung einer Trennung von Staat und Gesellschaft in den Vordergrund. In der Folge fand der Begriff der Zivilgesellschaft verstärkt in der politikwissenschaftlichen Transformationsforschung Verwendung.167 Es war jedoch nie das Ziel dieser Disziplin, eine umfassende Zivilgesellschaftstheorie zu entwickeln. Vielmehr wurde versucht, Zivilgesellschaft als Variable zur Beschreibung von Systemtransformationen nutzbar zu machen und sie in die Transformationstheorie zu integrieren. So weisen insbesondere Wolfgang Merkel (geb. 1952) und Hans-Joachim Lauth (geb. 1957) auf bestimmte Muster hin,168 wie sich die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure beim erfolgreichen Übergang von autoritären zu demokratischen Systemen wandelt: Normalerweise gibt es in autoritären Regimen kaum Platz für zivilgesellschaftliche Aktivitäten; sie nehmen jedoch zu, wenn das Regime in Krisen gerät. Während der sogenannten Liberalisierungsphase vor einem Systemumbruch spielen demgemäß oft wenige Akteure aus der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle, wenn sie strategisch und koordinierend wirken und dadurch die Handlungsfähigkeit und Geschlossenheit der Opposition sicherstellen können. Beim Übergang bzw. der Transition zur Demokratie kann die Zivilgesellschaft durch konstruktive Mitarbeit an der neuen Ordnung (z.B. bei der Verfassung oder demokratischen Institutionen) den zukünftigen Staat stark beeinflussen. Die Zivilgesellschaft wird in dieser Phase pluralistischer und es treten vermehrt die unterschiedlichen Interessen der Akteure zutage, die zuvor durch die gemeinsame Ausrichtung gegen das autoritäre Regime verdeckt wurden. In der Konsolidierungsphase der demokratischen Transformation verändert sich schließlich das Verhältnis der Zivilgesellschaft zum Staat. Ihr Handlungsspielraum verringert sich; Dissidenten und Bürgerbewegungen verlieren gegenüber institutionalisierten Akteuren wie den Parteien an Bedeutung. Die vormals oppositionelle Zivilgesellschaft tritt nicht mehr als Alternative zum autoritären Staat auf, sondern unterstützt nun als „reflexive Zivilgesellschaft“ das demokratische Gemeinwesen. Im Sinne Albert Hirschmans wird aus der ursprünglichen voice-Reaktion der Bürgerbewegungen loyalty. Die Demokratisierungspotenziale der Zivilgesellschaft werden von Transformationsforschern aber auch jenseits von Systemwechseln hervorgehoben. Dabei wird allgemein die Bedeutung einer starken, pluralistischen Zivilgesellschaft für eine starke Demokratie betont. Denn die Zivilgesellschaft leistet „nicht nur einen Beitrag zur Demokratisierung, Pazifizierung und Selbstorganisation der Gesellschaft, son-
|| 166 Vgl. Beyme, Die Zivilgesellschaft als letzte Ideologie der Intelligencjja in Osteuropa, S. 161–177 167 Einen umfassenden Überblick zur Rolle der Zivilgesellschaft in der Transformationsforschung bietet Kollmorgen/Merkel/Wagener (Hrsg.), Handbuch Transformationsforschung. 168 Vgl. Lauth (Hrsg.), Zivilgesellschaft im Transformationsprozess.
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dern vermag auch den Staat besser zu kontrollieren, demokratisieren und zu entlasten“169. Allerdings wird auch darüber diskutiert, wie sehr die Zivilgesellschaft in jungen Demokratien partizipieren sollte, ohne deren Stabilität zu gefährden.
3.2 Historische Bewegungsforschung Protestbewegungen und soziale Bewegungen werden gemeinhin als typisches Erscheinungsbild der Zivilgesellschaft wahrgenommen. Befördert durch das Misstrauen der Bürger richten sich politische Bewegungen gegen staatliche Beschlüsse oder gar ganze Regime. Als Glanzstunde der Zivilgesellschaft gilt vielen zu Recht der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989170. Doch gibt es in Europa eine ganze Reihe an Vorläufern, die als Reaktion auf Missstände in Staat und Gesellschaft entstanden sind. Sie sind Gegenstand der Bewegungsforschung, die verschiedene Aspekte sozialer Bewegungen untersucht und vergleicht: ihre Mobilisierungsdynamiken, die Bildung kollektiver (Bewegungs-)Identitäten, Netzwerke und Organisationen, Gelegenheitsstrukturen und Ressourcen. Im Folgenden werden vor allem die großen historischen Bewegungen und ihre wissenschaftliche Aufarbeitung betrachtet; diese bauen oft auf den Erfahrungen vorheriger Protestbewegungen auf.171
3.2.1 (Neue) Soziale Bewegungen in Deutschland Soziale Bewegungen sind ein Phänomen der Moderne und gehören zu den sichtbarsten Akteuren der Zivilgesellschaft. Dabei handelt es sich um „soziale Gebilde aus miteinander vernetzten Personen, Gruppen und Organisationen […], die mit kollektiven Aktionen Protest ausdrücken, um soziale bzw. politische Verhältnisse zu verändern oder um sich vollziehenden Veränderungen entgegenzuwirken“172. Sie versuchen, für ihre Anliegen Einfluss auszuüben und richten sich an das politische System und die Öffentlichkeit, wobei die mediale Berichterstattung über die Ziele und Aktionen der Bewegung eine zentrale Rolle spielt. Besonders wichtig sind auch Empörung und Skandalisierungen, um Menschen für Bewegungen und Protest mobilisieren zu können. Innerhalb sozialer Bewegungen entstehen meist eigene Strukturen und Netzwerke (z.B. Bildungsstätten, Archive, Forschungsinstitute), die teilweise auch alternative Lebensweisen fördern, um die Gesellschaft insgesamt zu verändern. Die Bewegungen sind abzugrenzen von Bürgerinitiativen, klassischen Nichtregierungsorganisationen || 169 Keane/Merkel, Zivilgesellschaft, S. 450. 170 Vgl. Muschter/Strachwitz/Strachwitz, Keine besonderen Vorkommnisse? 171 Vgl. insbesondere Roth/Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. 172 Rucht/Neidhardt, Soziale Bewegungen und kollektive Aktionen, S. 540.
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(NGO), Verbänden und Parteien, auch wenn diese eng mit einzelnen sozialen Bewegungen und ihrer Infrastruktur verbunden sein können. Sie weisen eine losere Organisation auf, Menschen agieren in ihnen spontaner und weniger hierarchisch als in Parteien oder Verbänden. Als kollektiv handelnde Akteure mit netzwerkartiger Organisation müssen Bewegungen offen sein für unterschiedliche Ideen und Überzeugungen – gerade in einer pluralistischen Gesellschaft. Gewöhnlich lässt die Mobilisierung der bewegten Menschen mit der Zeit nach, insbesondere nach Erfolgen verlieren soziale Bewegungen an Schwung oder werden über neue Parteien ins politische System integriert – wie es bei der Partei ‚Die Grünen‘ der Fall war, die Anfang der 1980er Jahre aus verschiedenen Bewegungsmilieus entstanden ist. Als Akteure der Zivilgesellschaft können soziale Bewegungen positive Funktionen für die Demokratie erfüllen: Sie adressieren als Themenanwälte bisher ungelöste oder kaum wahrgenommene Probleme, entwickeln eigene kreative Lösungen und repräsentieren fast immer Interessen, die von etablierten Parteien und Verbänden nicht oder zu wenig vertreten werden.173 Dadurch rufen sie in der Regel ambivalente Reaktionen und Gegenkräfte in der Gesellschaft hervor, die wiederum die demokratische Auseinandersetzung stärken können. Da Formen des kollektiven Protests für soziale Bewegungen eine große Rolle spielen – vor allem, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen und Menschen zu mobilisieren –, stellt sich oft die Frage nach der Legitimität und Legalität von einzelnen Aktionen (etwa von Sitzblockaden oder anderen Formen zivilen Ungehorsams). Besondere Relevanz erlangt diese Frage bei antidemokratischen Bewegungen, die sich gegen bestimmte Menschen- oder Bürgerrechte richten. So waren bspw. die Nationalsozialisten in ihren Anfängen in der Weimarer Republik ebenfalls eine soziale Bewegung und auch der gegenwärtige Rechtsextremismus agiert oft in Bewegungsform. Das heutige positive Verständnis des Begriffs haben erst die „Neuen Sozialen Bewegungen“ geprägt, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Boden einer erwachenden Zivilgesellschaft entstanden sind und die wesentlich zum Wandel und zur Öffnung der (west)deutschen Nachkriegsgesellschaft beigetragen haben. Dabei kam es zwischen einzelnen Bewegungen durchaus zu Überschneidungen von Anhängerschaft und Themen.
3.2.2 Arbeiterbewegung Die erste große soziale Bewegung, die die Gesellschaft nachhaltig verändert hat, war die Arbeiterbewegung. Sie entstand in Deutschland bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext der Industrialisierung und hatte ihre organisatorischen Ursprünge
|| 173 Vgl. Rucht, Soziale Bewegung als Signum demokratischer Bürgergesellschaft, S. 321–336.
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in den Bruderschaften, Gesellenvereinigungen und Selbsthilfevereinen der Arbeiter, die seit Beginn des Jahrhunderts beständig zunahmen (siehe Kap. 1.2.6.). Grundsätzliches Ziel der Bewegung war und ist die politische und rechtliche Emanzipation der Arbeiter sowie die Verbesserung ihrer ökonomischen und sozialen Lage. Dies sollte durch die Mobilisierung der „arbeitenden Massen“ zu Wahlen, Demonstrationen, Arbeitskämpfen und Streiks erreicht werden, die sich vornehmlich gegen Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen richteten. Teile der Bewegung wollten den zugrundeliegenden Konflikt zwischen Kapital und Arbeit allerdings ganz auflösen, indem sie die Überwindung des Kapitalismus anstrebten. Insgesamt setzte sich die Bewegung aus verschiedenen ideologischen Strömungen zusammen, die miteinander um die Gewinnung der Arbeiterschaft konkurrierten. Sie reichten von sozialdemokratischen über kommunistische bis hin zu christlichen Organisationen. Eine wichtige Rolle spielte bei dieser Ausdifferenzierung die Frage, ob die Emanzipation der Arbeiter besser durch einen evolutionären Prozess von Sozialreformen oder durch eine systemüberwindende sozialistische Revolution erreicht werden sollte. Die sozialistische Strömung dominierte die Arbeiterbewegung; aus der christlichen Strömung gingen aber ebenfalls wichtige Impulse hervor, etwa die katholische Soziallehre. Die organisierte Arbeiterschaft war im 19. Jahrhundert immer wieder staatlicher Repression ausgesetzt. So wurde bspw. 1854 die Arbeiterverbrüderung verboten; die Sozialistengesetze untersagten zwischen 1878 und 1890 sogar fast sämtliche sozialistischen Aktivitäten im deutschen Kaiserreich. Trotzdem stieg die „Sozialistische Arbeiterpartei“ (SAP) bis 1890 zur wählerstärksten Partei auf und benannte sich nach Aufhebung der repressiven Gesetze in „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (SPD) um. Um 1900 beruhte die Arbeiterbewegung auf drei Säulen: auf Parteien, auf Gewerkschaften sowie auf Arbeitervereinen und Genossenschaften. Beim Umbruch vom Kaiserreich zur Weimarer Republik spielten zudem die Arbeiter- und Soldatenräte eine wichtige Rolle. Obwohl die Bewegung in der neuen Republik eine starke Stellung einnahm, wurde sie durch die Massenarbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 so stark geschwächt, dass sie dem Aufstieg der Nationalsozialisten nicht mehr effektiv entgegentreten konnte. 1933 wurden die Organisationen der Arbeiterbewegung weitgehend zerschlagen oder gleichgeschaltet. Erst in der Nachkriegszeit lebten die Gewerkschaften wieder auf und wurden reorganisiert, z.B. im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) als neuem Dachverband. Durch die Teilung Deutschlands in BRD und DDR sowie den Kalten Krieg erlebte die Arbeiterbewegung jedoch eine scharfe Abgrenzung zwischen kommunistischen und sozialdemokratischen Überzeugungen. In der DDR wurde die Arbeiterschaft in ihren Einheitsorganisationen schließlich der Diktatur der Staatspartei SED unterworfen. In der Bundesrepublik hingegen fand im Zuge des angestrebten Ausgleichs zwischen Kapital und Arbeit eine umfassende Institutionalisierung und Einbindung der Arbeiter in die westdeutschen Strukturen der korporatistischen Interessenvertretung statt, besonders in Form der Gewerkschaften und Betriebsräte. Die SPD wan-
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delte sich – auch unter dem Einfluss der Neuen Sozialen Bewegungen – von der größten Arbeiter- zur Volkspartei. Im Gegensatz zu den späteren sozialen Bewegungen war und ist die Arbeiterbewegung stark von den Prinzipien der Delegation und Repräsentation geprägt. Der Bewegungscharakter ging durch diese Entwicklungen im Laufe der Zeit größtenteils verloren. Dazu trug auch eine starke Orientierung der Arbeiter auf den Staat bei, die ihn als Vermittler und Problemlöser für ihre Anliegen nutzen wollten. Mit diesem Ansatz konnten sie aber tatsächlich einige Erfolge verbuchen: von betrieblicher Mitbestimmung und flächendeckenden Tarifverträgen über den Kündigungsschutz bis hin zum Mindestlohn – um nur ein paar der vielen Errungenschaften für Arbeitnehmer aus den vergangenen Jahrzehnten zu nennen. Die Erben der ehemals dynamischen Arbeiterbewegung findet man heute in etablierten Organisationen wie Gewerkschaften und Betriebsräten, deren Protestpotenzial in Deutschland nur noch selten bei Warnstreiks und Arbeitskämpfen aufblitzt. Dennoch bleibt die Arbeiterbewegung mit ihrem historischen Wirken und ihrer heutigen Infrastruktur ein wichtiger Akteur und Faktor der Zivilgesellschaft.
3.2.3 Frauenbewegung Die Frauenbewegung wird meist zu den Neuen Sozialen Bewegungen gezählt, die in Deutschland seit den 1960er Jahren auf den Plan traten. Ihr ging hierzulande jedoch eine historische Frauenbewegung voraus, die zwischen 1848 und 1933 um gleiche soziale und politische Rechte kämpfte. Die Bandbreite dieser Bewegung reichte von Vaterländischen Frauenvereinen über konfessionelle Frauenverbände bis zu Vereinen von und für Arbeiterinnen. Dabei spaltete sie sich jedoch in eine proletarische und eine bürgerliche Strömung, was ihre Erfolgschancen langfristig schmälerte. Bis 1918 konnte zwar zunehmend eine Öffentlichkeit für Frauenfragen hergestellt und das allgemeine Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger durchgesetzt werden. Aufgrund des patriarchalischen Ehe- und Familienrechts blieben Frauen in der Gesellschaft aber weiterhin stark benachteiligt. Die NS-Zeit zwischen 1933 und 1945 bedeutete, wie für viele andere zivilgesellschaftliche Akteure, auch für die Frauenbewegung eine Zäsur, von der sie sich nicht so schnell erholen sollte. Erst zum Ende der 1960er Jahre regte sich in der Bundesrepublik, inspiriert von feministischen Bewegungen in den USA und Frankreich und zunächst nur im akademischen Milieu, wieder größerer Widerstand gegen konservative Familienpolitik und die bestehende Geschlechterhierarchie. Diese Zeit war allgemein geprägt von Individualismus und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung, was sich auch im zunehmenden politischen Engagement von Frauen niederschlug. Während ihre Vorläuferinnen bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts um grundlegende Bürgerrechte kämpften, trat die neue Frauenbewegung gegen noch weitreichendere Benachteiligungen und für mehr Selbstbestimmung ein – im Öffentlichen wie im Privaten. Thematisiert und kritisiert wurden seitdem insbesondere Gewalt gegen Frauen, ihre
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ökonomische Abhängigkeit vom Partner bzw. Ehemann, die Aufteilung von Lohnund Hausarbeit zwischen den Geschlechtern sowie Formen gesellschaftlicher Bevormundung. Zum symbolischen Konflikt um weibliche Selbstbestimmung entwickelte sich dabei die Frage nach dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch: Ab 1971 sorgte eine Protest-Kampagne gegen das staatliche Abtreibungsverbot und für die Streichung des entsprechenden Strafgesetzbuch-Paragraphen 218 für eine breite Mobilisierung von Frauen und das milieuübergreifende Anwachsen der Bewegung. Dies bildete die Grundlage für ein Wir-Gefühl und eine kollektive Identität, auf denen die Frauenbewegung in der Folgezeit aufbauen konnte. Ein charakteristisches Merkmal der westdeutschen Frauenbewegung war in jener Zeit die besondere Betonung ihrer Autonomie gegenüber etablierten Formen politischer Partizipation und der Ausschluss von Männern. Innerhalb der Bewegung ging es den Akteurinnen allerdings explizit nicht darum, alle Frauen zu repräsentieren oder hierarchisch aufzutreten, „kennzeichnend war stattdessen der Versuch, dezentral, basisdemokratisch und lokal informelle Kommunikationsstrukturen aufzubauen und überregional vielfältige Netzwerke zu bilden.“174 Dafür eignete sich besonders die Arbeit in Projekten, die zu einem weiteren Markenzeichen der westdeutschen Frauenbewegung wurde. Als Beispiele für die vielgestaltige zivilgesellschaftliche Projektarbeit sind Frauenhäuser, Mütterzentren, Frauentreffen, Vereine und Cafés zu nennen, aber auch Verlage und Zeitschriften (etwa „Emma“ oder „Courage“). Ähnlich wie die Arbeiterbewegung schuf sich die Frauenbewegung auf diese Weise eine eigene Infrastruktur, um Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben und die kulturellen Praktiken im Verhältnis der Geschlechter zu verändern. Viele der frauenbewegten Projekte haben sich im Laufe der Zeit professionalisiert oder wurden sogar staatlich institutionalisiert. Daraus erwuchsen innerhalb der Frauenbewegung jedoch auch immer wieder Auseinandersetzungen um die Frage zivilgesellschaftlicher Autonomie oder Mitwirkung in staatlichen Strukturen. Im Ergebnis ist es der Bewegung gelungen, viele ihrer Anliegen in der Gesellschaft zu verankern, die individuellen Handlungsspielräume von Frauen zu erweitern und einen Wandel im Geschlechterverhältnis anzustoßen. Dies zeigt sich unter anderem an der wachsenden Präsenz von Frauen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar schien. Die Gleichberechtigung der Geschlechter und empowerment von Frauen sind – zumindest vom Anspruch her – ein fester Bestandteil staatlicher Politik geworden, sei es durch Gleichstellungsbeauftragte oder Quotenregelungen. Mit der Frauen- und Genderforschung hat die Bewegung zudem eine eigene wissenschaftliche Disziplin hervorgebracht. Nach einer ruhigeren Phase seit den 1990er Jahren scheint sich in jüngster Zeit eine neue Generation von Feministinnen aufzumachen, um aktuelle Erscheinungen || 174 Gerhard, Frauenbewegung, S. 207.
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beruflicher Diskriminierung und sexistischer Übergriffe öffentlich zu problematisieren – als Stichworte seien hier nur gender pay gap, die Aktion #aufschrei im Jahr 2013 oder die internationale Debatte unter dem Hashtag #MeToo seit Ende 2017 genannt. Ob daraus eine neue Phase der Frauenbewegung entstehen wird, ist jedoch noch nicht absehbar.
3.2.4 Studentenbewegung Studenten sind weltweit oft wichtige Initiatoren und Träger von zivilgesellschaftlichen Protesten, die auf politische oder gesellschaftliche Reformen abzielen. Ein Grund dafür liegt darin, dass Studenten sich selbst nicht selten als Avantgarde und Vorkämpfer für gesellschaftlichen Wandel sehen. In der deutschen Geschichte hat es immer wieder bedeutende studentische Proteste gegeben, etwa von oppositionellen Studentengruppen und nationalliberalen Burschenschaftlern beim Wartburgfest 1817, beim Hambacher Fest 1832 oder bei der demokratischen Bewegung von 1848/49. Als die Studentenbewegung schlechthin gilt heute die Mobilisierungswelle zwischen 1966 und 1969, die in Deutschland oft als „68er-Bewegung“ bezeichnet wird. Ihr gingen eine starke Expansion der Hochschullandschaft, eine Verdopplung der Studierendenzahlen seit 1955 sowie die Politisierung des akademischen studentischen Milieus infolge des Krieges in Vietnam voraus. Ausgehend von Südkorea und bald danach den USA kam es in jener Zeit auch in vielen anderen Ländern zu Unruhen und studentischen Protestbewegungen, so in Frankreich, Italien, Japan oder beim Prager Frühling in der damaligen Tschechoslowakei, der freilich eine wesentlich andere Zielrichtung hatte, nämlich die Durchsetzung von Menschenund Bürgerrechten, während in den „westlichen“ Ländern der Protest gegen die als imperialistisch empfundene Politik der US-Regierung im Vordergrund stand. International waren der eskalierende Vietnamkrieg, Befreiungskämpfe in der Dritten Welt und Kritik an kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen die großen, länderübergreifenden Themen.175 In Deutschland ging es der Bewegung, die als „Außerparlamentarische Opposition“ (APO) auftrat, zudem um Redefreiheit und studentische Mitbestimmung, weniger autoritäre Strukturen an den Universitäten, Widerstand gegen die Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und eine kritischere Auseinandersetzung mit der NSZeit. Gegeninstitutionen der Bewegung wie Kommunen, antiautoritäre Kinderläden oder „kritische Universitäten“ sollten dazu beitragen, die Gesellschaft im Sinne einer linken Transformationsstrategie zu verändern. Zum „organisatorischen Kern
|| 175 Vgl. Frei, 1968. Jugendrevolte und globaler Protest.
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der Studentenbewegung der 60er Jahre“176 wurde der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). An der außerparlamentarischen Opposition waren darüber hinaus auch der Sozialdemokratische Hochschulbund (SHB), politische Jugendorganisationen, Republikanische Clubs, Gewerkschaften und die Organisationen der traditionellen Ostermärsche beteiligt. Damit kamen in der Studentenbewegung noch vielfältigere Gruppen und Interessen zusammen als etwa bei der Frauenbewegung. Eine besondere Rolle bei der Koordinierung all dieser zivilgesellschaftlichen Bündnispartner spielte das Kuratorium ‚Notstand der Demokratie‘, nach dessen Auflösung im August 1968 das Protestnetzwerk bald zerfiel. Streitpunkte innerhalb der Bewegung waren vor allem der Autonomiegrad von lokalen Gruppen sowie die Frage nach der Akzeptanz von Militanz und Gewalt. Insgesamt war dies eine international synchronisierte, wenn nicht sogar transnationale Protestbewegung, die stets in Wechselwirkung mit den Reaktionen staatlicher Politik agierte. Dabei spielten auch Gewalt und Gegengewalt eine Rolle, etwa bei den Demonstrationen gegen den Besuch des Shahs von Persien (1967) in WestBerlin. Der Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der im Verlauf der Demonstrationen von einem Polizisten erschossen wurde, führte zu einer dynamischen Ausbreitung und Radikalisierung der Bewegung in Westdeutschland. Der Mordanschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke ein Jahr später führte zu weiterer Eskalation. Roland Roth und Dieter Rucht stellen dazu fest: „Die Proteste […] erreichten indes nur bescheidene, oft weithin überschätzte Größenordnungen. Dramatisch war nicht das Ausmaß, sondern die ideologische und habituelle Radikalität des Protests, der entsprechend harsche Gegenreaktionen hervorrief, die in Diffamierungen durch die „Springer-Presse“ und in polizeilichen Überreaktionen gipfelten.“177 So setzten viele studentische Aktivisten gegenüber der Mehrheitsgesellschaft auf Provokationen und eine Rhetorik der Revolution anstatt auf Überzeugungsarbeit, was im Umfeld der internationalen Ereignisse jener Zeit aber auf große öffentliche Resonanz und mediale Präsenz stieß. Die Proteste der „68er“ wurden von der damaligen politischen Elite als „Unruhe“ oder „Aufstand“ gewertet. Die Deutung als Studentenbewegung setzte sich erst später durch. Die Bewegung fand schon zu Beginn der 1970er ein Ende, entfaltete aber weitreichende Folgen: Sie veränderte langfristig das politische Klima in der Bundesrepublik, sorgte unter anderem durch den Eintritt vieler Aktivisten in die SPD für eine „Dynamisierung der Sozialdemokratie“178 und wirkte in den Neuen Sozialen Bewegungen der Frauen-, Umwelt- und Friedensbewegung fort. Allerdings gingen aus den Studentenprotesten als „Zerfalls- und Transformationsprodukte“179
|| 176 Schulz, Studentische Bewegungen und Protestkampagnen, S. 424. 177 Roth/Rucht, Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, S. 31. 178 Roth/Rucht, Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, S. 31. 179 Roth/Rucht, Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, S. 20.
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auch terroristische Gruppen wie die „Rote Armee Fraktion“ hervor, deren Kampf gegen den Staat die Bundesrepublik ebenfalls nachhaltig geprägt hat. APO und Studentenbewegung, innerhalb eines Voice-Modus der ZG sicher als besonders extrem zu charakterisieren, haben aber letztlich eine Veränderung des Verhältnisses von Zivilgesellschaft und Staat bewirkt und den Boden für weitere soziale Bewegungen bereitet. Für diese bleibt die 68er-Bewegung deshalb ein wichtiger Referenzpunkt. Ebenso wie für spätere studentische Proteste, bei denen es bundesweit seit 1990 thematisch aber vornehmlich um bessere Bedingungen an den Hochschulen und gegen Studiengebühren ging.
3.2.5 Umweltbewegung Die Ursprünge der Umweltbewegung reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Die durch die Industrialisierung hervorgerufenen Veränderungen der natürlichen und sozialen Verhältnisse sorgten damals für eine emotionalisierte Naturwahrnehmung und eine Sehnsucht nach unberührten Landschaften. Teilweise verbunden mit Zivilisationskritik wurden die Natur und das Landleben romantisch verklärt und es entstanden Vereinigungen für den Schutz von Kulturdenkmälern, Tieren und Pflanzen. So waren in Deutschland in den 1880er Jahren bereits 50.000 Menschen in 120 Tierschutzvereinen organisiert. Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden viele weitere Gruppen und Verbände, die sich dem Natur- und Heimatschutz verschrieben, ohne jedoch zwingend politische Ansprüche zu formulieren. 1904 wurde in Dresden unter dem Namen Bund Heimatschutz der bis heute bestehende Bund Heimat und Umwelt in Deutschland gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Umweltbewegung zunächst nur schwer wieder auf die Beine, auch weil „die nationalsozialistische Ideologie Begriffe wie Heimat, Landschaft und Natur nachhaltig entwertet hatte“180. Erst Ende der 1960er Jahre lebte die Bewegung wieder auf. Dazu trug vor allem ein Perspektivenwechsel vom vormals kulturell-konservativen Naturschutz hin zur Thematisierung von konkreten Umweltproblemen bei. Das Verhältnis von Natur und Gesellschaft wurde nun systematischer betrachtet und es entstand, befördert durch wissenschaftliche Untersuchungen, zunehmend ein Bewusstsein für die globale Dimension der Ökologie. Die adressierten Themen waren und sind dementsprechend so vielfältig, dass sich die Umweltbewegung bis heute aus zahlreichen Teilbewegungen zusammensetzt, die gegen Umweltverschmutzung, Industrialismus, Waldsterben, Atomkraft, Gentechnik, Klimawandel, große Infrastrukturprojekte oder für Tierrechte eintreten. Die größte Bedeutung erlangte in Deutschland in den 1970er Jahren die Anti-AtomkraftBewegung, die in ihrer Hochzeit bundesweit Hunderttausende von Menschen gegen || 180 Brand, Umweltbewegung, S. 223.
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den Bau von Atomkraftwerken mobilisieren konnte. Bis zum Ende des Jahrzehnts polarisierte der Streit pro und kontra Atomkraft sogar einen Großteil der Gesellschaft. In dieser Zeit fand eine „Fundamentalisierung des ökologischen Konflikts“181 statt. Dies äußerte sich in einem teils militanten Widerstand, z.B. gegen die CastorAtommüll-Transporte, gegen atomare Wiederaufbereitungsanlagen oder gegen staatliche Großbauprojekte wie die Startbahn West am Frankfurter Flughafen. Neben der Durchführung öffentlichkeitswirksamer Protestmobilisierung gründete die Umweltbewegung in jener Zeit aber auch „Öko-Institute“ und stellt seither wissenschaftliche Expertisen zu Umweltfragen bereit. Die große Themenvielfalt korrespondierte zudem mit einem breiten Spektrum an zivilgesellschaftlichen Akteuren: von autonomen Basisgruppen und lokalen Bürgerinitiativen über große Verbände – wie dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) oder Greenpeace – bis hin zu grün-alternativen Wählerlisten. In den 1980er Jahren erfolgte schließlich eine Institutionalisierung und Professionalisierung der Bewegung, unter anderem in Form der Partei „Die Grünen“, die ebenso wichtige Impulse aus der Friedens- und Frauenbewegung aufnahm. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (1986) und daraufhin entstandene Initiativen wie die „Mütter gegen Atomkraft“ führten schließlich dazu, dass Umweltfragen immer stärker ins öffentliche Bewusstsein rückten: „Die Umweltbewegung wurde – zum Teil wider Willen und mit erheblichen Identitätsproblemen – von einer antiinstitutionellen Massenbewegung zu einem akzeptierten, auch wegen seines Sachverstands gefragten gesellschaftspolitischen Akteur.“182 Heute stellt die Umweltpolitik ein etabliertes Betätigungsfeld der Zivilgesellschaft dar, die unter Mitwirkung der seit den 1970er Jahren entstandenen Umweltbewegung viel bewirkt hat. Als Beispiele seien genannt: der Schutz der natürlichen Grundlagen als eigenes Staatsziel im Grundgesetz, die Förderung regenerativer Energien, eine höhere Sensibilität für Fragen des Tierschutzes und der lange Zeit umkämpfte Ausstieg aus der Atomenergie. „Die Umweltbewegung hat sich in diesem Umfeld mehr und mehr von einer Protest- zu einer proaktiven Umsetzungsbewegung gewandelt“183, wie Karl-Werner Brand feststellt. Dies dokumentiert den möglichen Wandel von voice zu loyal in der Ausrichtung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, was sich auch am Wandel der Grünen zeigt, die von einer „Bewegungspartei“ zu einem nachhaltigen Akteur deutscher Politik geworden sind. Die gesellschaftlichen und politischen Reaktionen auf die Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 verdeutlichen jedoch, dass Themen des Umweltschutzes in Deutschland immer noch ein großes Mobilisierungspotenzial besitzen.
|| 181 Brand, Umweltbewegung, S. 220. 182 Brand, Umweltbewegung, S. 227. 183 Brand, Umweltbewegung, S. 242.
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3.2.6 Friedensbewegung Die Friedensbewegung kann sich in Deutschland auf mehrere Vorläufer berufen: zum einen auf den bürgerlichen Pazifismus und den Antimilitarismus der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert, zum anderen auf eine erste Massenbewegung unter dem Motto „Nie wieder Krieg!“ in den Anfangsjahren der Weimarer Republik. Doch schon vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten hatten es pazifistische Überzeugungen in der deutschen Gesellschaft schwer und galten nicht selten als Landesverrat. Dies änderte sich erst mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und der anschließenden Besetzung durch die Siegermächte. Seitdem stieß die Friedensbewegung in mehreren Phasen und aus verschiedenen Anlässen wiederkehrend auf verstärkte gesellschaftliche Resonanz: etwa bei ihrem Widerstand gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands zwischen 1949 und 1955, bei den Ostermärschen der „Kampagne für Demokratie und Abrüstung“ in den 1960er Jahren oder bei den Massenprotesten gegen den NATO-Doppelbeschluss von 1979, der die Nachrüstung mit neuen Atomraketen in Westeuropa vorsah. Insbesondere gegen die atomare Aufrüstung entstand zwischen 1979 und 1983 eine der größten Protestbewegungen in Deutschland, die zu ihren Demonstrationen mehrere hunderttausend Menschen mobilisieren konnte (z.B. im Bonner Hofgarten). Nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges erreichten die Proteste gegen die Kriege im Irak, auf dem Balkan oder in Afghanistan bei weitem nicht die Größenordnung wie in den 1980er Jahren. Eine Ausnahme stellt die internationale Massenmobilisierung gegen den 2. Irakkrieg der USA im Jahr 2003 dar – ohne diesen Waffengang und seine verheerenden Auswirkungen im Nahen Osten jedoch verhindern zu können. Die Anliegen der Bewegung weisen in allen erwähnten Phasen eine weitgehende Kontinuität auf. So ging es stets darum, Krieg zu überwinden, Aufrüstung – insbesondere mit Atomwaffen – zu verhindern und zivile Konfliktlösungen zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, organisieren friedensbewegte Akteure Demonstrationen, Mahnwachen oder Menschenketten, leisten mit eigenen Zeitschriften Informationsarbeit, treten für Kriegsdienstverweigerer und desertierte Soldaten ein oder untersuchen die Ursachen und Bedingungen von gewaltsamen Konflikten. Dies geschieht in unterschiedlichen Organisationen wie Aktionsgruppen, Gewerkschaften, Kirchen oder Parteien. Die sehr heterogene Bewegung hat zudem mehrere Netzwerke und Dachorganisationen gebildet, etwa die „Kooperation für den Frieden“ oder den „Bundesausschuss Friedensratschlag“. Ihr Einfluss auf staatliche Politik blieb jedoch gering, auch weil friedenspolitische Proteste meist nur anlassbezogen und kurzfristig größere Teile der Zivilgesellschaft mobilisieren konnten. Die größten Erfolge der Friedensbewegung bestehen sicherlich darin, dass sie eine breitere gesellschaftliche Debatte über Militär, Rüstung und Nuklearwaffen überhaupt angestoßen und in dieser Hinsicht soziale Lernprozesse befördert hat. So ist Kriegsdienstverweigerung heute in Deutschland weithin akzeptiert, und Rüstungsexporte sind oft Gegenstand
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öffentlicher Kritik. Zudem hat die Bewegung dazu beigetragen, die Friedensforschung und Ansätze ziviler Konfliktbearbeitung hierzulande zu etablieren.
3.2.7 Europäische Bewegungen Eine europäische Zivilgesellschaft hat in Deutschland ebenso wie in anderen Teilen Europas Geschichte, Vorbilder und Tradition. Die Reduktion des politischen Denkens auf den Nationalstaat und dessen Regierung war nie so universell gelungen, wie es sich die Inhaber der Macht in den einzelnen Staaten vielleicht gewünscht hätten. So finden sich schon früh Beispiele dafür, dass sich selbstermächtigte und selbstorganisierte Gruppen in und für Europa engagierten: Nach dem fehlgeschlagenen polnischen Aufstand gegen Russland 1831 sorgten beispielsweise Polenbegeisterung und Polenvereine in Deutschland für die Aufnahme der zahlreichen polnischen Flüchtlinge im Geist europäischer Solidarität. Im Oktober 1914 verfasste eine kleine Gruppe von Deutschen um Georg Friedrich Nicolai und Albert Einstein einen „Aufruf an die Europäer“. Der Aufruf war eine Antwort auf das sogenannte Manifest der 93 (Wissenschaftler, darunter bspw. Max Planck) „An die Kulturwelt“, in dem dessen Autoren die These von der deutschen Kriegsschuld zurückgewiesen und die Kriegsverbrechen der deutschen Armee in den ersten Kriegswochen in Belgien verteidigt hatten. Der Aufruf an die Europäer begann mit den Sätzen: „Während Technik und Verkehr uns offensichtlich zur faktischen Anerkennung internationaler Beziehungen und damit zu einer allgemeinen Weltkultur drängen, hat noch nie ein Krieg die kulturelle Gemeinschaftlichkeit des Zusammenarbeitens so intensiv unterbrochen wie der gegenwärtige. Vielleicht kommt es uns allerdings auch nur deshalb so auffällig zum Bewusstsein, weil eben so zahlreiche gemeinschaftliche Bande vorhanden waren, deren Unterbrechung wir schmerzlich verspüren.“184 Und weiter: „Die Welt ist durch die Technik kleiner geworden, die Staaten der großen Halbinsel Europa erscheinen heute einander so nahe gerückt, wie in alter Zeit die Städte jeder einzelnen kleineren Mittelmeerhalbinsel, und Europa – ja man könnte fast sagen, die ganze Welt – stellt bereits durch die mannigfachsten Beziehungen eine in den Bedürfnissen und Erlebnissen jedes einzelnen begründete Einheit dar. [...] Es wäre wohl die Pflicht der gebildeten und wohlwollenden Europäer, wenigstens den Versuch zu machen zu verhindern, dass Europa infolge seiner mangelhaften Gesamtorganisation dasselbe tragische Geschick erleidet wie einst Griechenland. … Wir wollen grundsätzlich betonen, dass wir fest davon überzeugt sind, dass die Zeit da ist, in der Europa als Einheit auftreten muss, um seinen Boden, seine Bewohner und seine Kultur zu schützen. (…) Aber es ist notwendig, dass die || 184 Nicolai, Aufruf an die Europäer.
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Europäer erst einmal zusammenkommen, und wenn – was wir hoffen – sich genügend Europäer in Europa finden, d.h. Menschen, denen Europa nicht nur ein geographischer Begriff, sondern eine wichtige Herzenssache ist, so wollen wir versuchen, einen solchen Europäerbund zusammenzurufen. Der soll dann sprechen und entscheiden“185. Ein weiteres Beispiel: Am 16. Februar 1919, als in Versailles Frankreich, Großbritannien, Italien und die anderen Siegermächte unter sich den mit dem Deutschen Reich abzuschließenden Friedensvertrag diskutierten, notierte Harry Graf Kessler, Europäer und genauer Beobachter des Weltgeschehens, in sein Tagebuch, der von Woodrow Wilson angestrebte Völkerbund könne doch als ein Bund von Verbänden konzipiert werden, um den ständigen Widerstreit unterschiedlicher nationaler Interessen zu überwinden. Die heutige Idee, das große europäische Projekt von den Nationalstaaten abzukoppeln, ist so neu also nicht. In den 1940er Jahren entstand in Westdeutschland wie in anderen westeuropäischen Ländern eine Bewegung für den europäischen Einigungsprozess. Spektakuläre Aktionen, bei denen bspw. 1950 Schlagbäume an der deutsch-französischen Grenze gewaltsam geöffnet wurden, erregten große Aufmerksamkeit und trugen neben politischen Erwägungen wohl auch dazu bei, dass sich die Politik dem Gedanken eines europäischen Einigungsprozesses in dem Gefühl verschrieb, von Bürgerinnen und Bürgern darin unterstützt zu werden. Daraus entstanden stabile Organisationen, die wiederum Dachverbände bildeten, bspw. die Europäische Bewegung Deutschland und die Europa-Union Deutschland. Obwohl diese Verbände politisch unterstützt und aus öffentlichen Mitteln subventioniert wurden, erlahmte mit der Zeit ihre Kraft als Bewegung. Viele nationale Verbände hatten im Laufe der Jahrzehnte europäische Zusammenschlüsse gebildet (in der Regel, aber nicht ausnahmslos innerhalb der Europäischen Union), doch waren diese meist nur mit einem sehr schwachen Mandat ausgestattet. Sie sahen und sehen ihre Aufgabe in der Regel im Monitoring europäischer Regelungen im Auftrag ihrer nationalen Mitglieder, nicht aber in einer Europäisierung von deren Arbeit. Eine Ausnahme bildet der Europäische Kulturerbeverband Europa Nostra, der keineswegs nur die Europäische Union im Blick, sondern auch Organisationen und Einzelpersonen aus ganz Europa unter seinen Mitgliedern hat. Der Verband sieht sich als europäische Bewegung, als Themenanwalt für das gemeinsame europäische Kulturerbe186 und als Wächter, wenn Kulturerbestätten von europäischem Rang gefährdet sind. Angesichts des sehr schleppend verlaufenden Prozesses der europäischen Integration verwundert es nicht, dass sich nach der Jahrtausendwende zunehmend zivilgesellschaftliche Initiativen des Themas annahmen. Ein Beispiel unter vielen ist
|| 185 Nicolai, Aufruf an die Europäer. 186 Vgl. Quaedvlieg-Mihailovic/Strachwitz, Kulturerbe – Eckstein Europas.
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das Projekt „Europa eine Seele geben“, das von der Stiftung Zukunft Berlin initiiert wurde. Nicht ohne Einfluss waren ferner lokale europäische Initiativen, beispielsweise in grenznahen Regionen, die auch auf gemeindlich institutionalisierte Programme (etwa Städtepartnerschaften) ausstrahlten. In vielen Aktionen themenanwaltschaftlich agierender Gruppen ist die Europäisierung ohnehin längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Nationalität spielt dort, außer in betont nationalistisch geprägten Bewegungen wie Pegida, in der Regel keine Rolle mehr. Seit dem Jahr 2012, als erkennbar wurde, dass das europäische Einigungsprojekt ernsthaft scheitern könnte, formierten sich neue pro-europäische Bewegungen, beispielsweise Pulse for Europe, und auch ältere Gruppierungen erhielten erneut Aufmerksamkeit und Zulauf. Wie es mit diesen Bewegungen und Gruppen weitergeht, hängt dabei insbesondere davon ab, wie sich die Europäische Union als politisches und wirtschaftliches, aber eben auch als zivilgesellschaftliches Projekt weiterentwickeln wird.
3.3 Soziale Bewegungen in der DDR Bei der Auseinandersetzung mit oppositionellen Gruppen in der DDR stellt sich angesichts ihrer gesellschaftlichen Marginalität bis in die 1980er Jahre die Frage, ob man hier überhaupt von sozialen Bewegungen sprechen sollte – oder eher von sozialen Protesten.187 Denn in der DDR gab es zwar immer wieder Kritik und Opposition gegenüber dem sozialistischen Regime, aber sie zeigte sich nur selten offen und fast nie so massenhaft wie im spontanen Aufstand der Arbeiter vom 17. Juni 1953, den erst sowjetische Truppen niederschlagen konnten. Dieses Ereignis zeigt jedoch, dass sich spontanes, zugleich durchaus organisiertes zivilgesellschaftliches Handeln in extremen Situationen ungeachtet mangelhafter politischer Rahmenbedingungen und kommunikativer Möglichkeiten und fehlender institutioneller oder organisatorischer Voraussetzungen jederzeit bilden kann. Von der Staatsführung abweichende Meinungen und unangepasstes Verhalten wurden in der DDR regelmäßig unterdrückt oder sollten zumindest unterbunden werden. Da fast alles parteistaatlich organisiert und kontrolliert wurde, konnte sich die Zivilgesellschaft nur in der informellen Sphäre entfalten. Größerer Widerstand gegen die Politik des Staates entwickelte sich erst in Phasen gradueller Liberalisierung und geringerer Repression. Die Gelegenheitsstrukturen für Protest hingen auch vom internationalen Kontext ab. „So korrelierten die innenpolitischen Krisen in der DDR jeweils mit Erschütterungen des sowjetischen Herrschaftssystems: mit dem innersowjetischen Machtkampf nach dem Tod Stalins 1953, mit dem ungarischen
|| 187 Vgl. Ohse/Pollack, Dissidente Gruppen in der DDR, S. 364.
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Aufstand 1956, mit dem „Prager Frühling“ 1968 in der Tschechoslowakei sowie mit den Auflösungstendenzen des Ostblocks 1989.“188 Die meist kleinen, informell agierenden zivilgesellschaftlichen Gruppen mit politischem Anspruch lassen sich nach unterschiedlichen Anliegen unterscheiden: Zum einen gab es Widerstand gegen das Regime an sich, zum anderen Dissidenten, die zwar Kritik übten und die Einhaltung grundlegender Bürgerrechte einforderten, das sozialistische System aber verbessern und nicht überwinden wollten (der sogenannte Reformsozialismus): „Statt einer bürgerlich-parlamentarischen Demokratie erstrebten die Bürgerrechtler eine Zivilgesellschaft, wie sie osteuropäische Dissidenten […] entworfen hatten. Darin kam dem Staat nur noch eine Schutz- und Garantiefunktion autonomer Räume zur Entfaltung der Individuen […] zu.“189 Darüber hinaus gab es auch DDR-Bürger, die sich – ähnlich zu den Neuen Sozialen Bewegungen in Westdeutschland – für die Umwelt oder für den Frieden einsetzten. Ausgangspunkt für widerständiges Verhalten waren oft persönliche Repressionserfahrungen sowie die wachsende Kluft zwischen den Ansprüchen des Regimes und der politisch-wirtschaftlichen Realität. Ende der 1970er Jahre formierte sich im Nachgang zur Verabschiedung der Schlussakte der KSZE-Konferenz in Helsinki (1975) eine kleine politisch-alternative Szene aus Intellektuellen, Künstlern, Friedensbewegten, Umweltschützern, DritteWelt-Gruppen und Studentengemeinden. Die sich daraus entwickelnden Prozesse in den mittel- und osteuropäischen Ländern einschließlich der DDR wurden daher als ‚Helsinki-Prozess‘ bezeichnet. Insbesondere unter dem Dach der Kirchen entstanden Bewegungen, denn wegen des Fehlens anderer vom Staat unabhängiger Strukturen boten nur sie Gelegenheiten für politische Diskussionen und Aktionen. Kirchliche Amtsträger und Wohlfahrtsverbände hatten überdies bessere Kontaktmöglichkeiten mit interessierten Stellen in Westdeutschland und konnten in gewissem Umfang Informationen und Ressourcen vermitteln. Ein Beispiel für solche politischen Aktionen ist die Friedensinitiative „Schwerter zu Pflugscharen“, die sich – bezugnehmend auf ein Bibelzitat190 – für Abrüstung, Entmilitarisierung und eine blockübergreifende Friedensbewegung einsetzte. Die vor allem von Jugendlichen getragenen Aufnäher der Initiative entwickelten sich zu einem Streitobjekt mit staatlichen Autoritäten und wurden so zu einem Symbol der Oppositionsbewegung. Weitere Beispiele sind das DDR-weite Netzwerk der „Kirche von unten (Kvu)“, die „Frauen für den Frieden“, oder die „Umweltbibliothek“ der Berliner Zionsgemeinde, die sich zu einem Kommunikationszentrum des alternativen Milieus entwickelte. Allerdings blieben die Aktivitäten dieser Gruppen wegen des staatlichen Informationsmonopols und der
|| 188 Ohse/Pollack, Dissidente Gruppen in der DDR, S. 368. 189 Ohse/Pollack, Dissidente Gruppen in der DDR, S. 389. 190 Micha 4: 1–4.
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Fragmentierung und Konkurrenz innerhalb der politisch-alternativen Szene weitgehend von der gesellschaftlichen Öffentlichkeit isoliert. Dies änderte sich erst im Frühjahr 1989, als mit den Protesten gegen die Manipulationen bei den Kommunalwahlen und der Flucht tausender DDR-Bürger über Ungarn in den Westen die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Regime offensichtlich wurde und im Spätsommer, zeitgleich mit den Massenfluchten aus der DDR über Ungarn, die Tschechoslowakei und Polen und den ersten Erfolgen von Bürgerrechtsbewegungen in anderen mittel- und osteuropäischen Ländern (insbesondere in Polen), Massendemonstrationen einsetzten. Die kleinen, informellen Gruppen unter dem Dach der Kirche fungierten dabei oft als Organisatoren der Proteste und vor allem als intellektuelle Keimzellen verstärkter Diktatur- und Systemkritik, die nun breiter in die Gesellschaft hineinwirkte. Daraus entstanden schließlich Sammlungsorganisationen der Bürgerbewegung wie das „Neue Forum“, „Demokratie Jetzt“ oder der „Demokratische Aufbruch“, die für eine Reform des Staates, Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Reisefreiheit eintraten. Die Aktivisten dieser Bürgerbewegung trugen entscheidend dazu bei, unmittelbar nach dem Fall der Mauer das Machtmonopol der SED zu brechen, indem sie Runde Tische bildeten, Stasizentralen besetzten und zu „Stichwortgebern der Revolution“191 wurden. Trotzdem verloren sie im demokratischen Übergangsprozess gegenüber der Regierung und den Parteien aus der BRD schnell an Bedeutung, weil sich die Bürgerrechtler in der populären Frage der deutschen Einheit zögerlich bis ablehnend positionierten und weil das westdeutsche politische System mit großer Energie daran ging, sich ohne Änderungen in Ostdeutschland zu replizieren. Besonders deutlich zeigte sich dies bei der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990, bei der die verschiedenen Wahlbündnisse der Bürgerbewegung nur fünf Prozent der Stimmen erhielten. Viele Ziele der Bürgerrechtler wurden letztlich zwar erreicht, doch war das Ergebnis mit der deutschen Wiedervereinigung ein anderes als die erhoffte Reform des „demokratischen Sozialismus“. Die Dissidentengruppen der Reformsozialisten bildeten, so gesehen, den Ausgangspunkt für eine zivilgesellschaftliche Transformationsbewegung wider Willen. Von den politisch relevanten Gruppierungen überlebte nur die Partei „Bündnis 90“ die direkte Nachwendezeit, während viele Aktivisten der anderen Organisationen in die westdeutschen Parteien aufgenommen wurden. Immerhin findet das Modell der Runden Tische bis heute auf lokaler und regionaler Ebene gelegentlich Anwendung. Als bedeutendste Leistung der Bürgerbewegung gilt aber, dass die zivilgesellschaftlichen Akteure bei ihren spontanen Massenmobilisierungen der geheimdienstlichen und militärischen Repression des Staates durchweg gewaltfrei begegnet sind und den Systemwechsel tatsächlich ermöglicht haben. Ohne sie hätte es trotz der veränderten politischen Großwetterlage den Mau-
|| 191 Rink, Bürgerbewegungen in der DDR, S. 410.
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erfall nicht gegeben. Insoweit bleiben die Ereignisse von 1989 eine Sternstunde der politisch mitgestaltenden Zivilgesellschaft.
3.4 Bürgerbewegungen in Mittel- und Osteuropa Die Protestbewegungen in Mittel- und Osteuropa, die maßgeblich zum Ende der Blockkonfrontation beigetragen haben, gelten heute als vorbildlich für die friedliche und demokratische Überwindung autoritärer Systeme. Die oppositionellen Bewegungen gegen die sozialistischen Regime sind zudem „ein zentraler Ausgangspunkt des Zivilgesellschaftsdiskurses“192 von heute, weil sie die Idee der Zivilgesellschaft als Gegenmodell zum alles organisierenden Parteienstaat in Stellung gebracht haben. Diese galt den Oppositionellen als normative Zielperspektive, die man erreichen musste; faktisch traten mit den Dissidentenbewegungen bereits erste zivilgesellschaftliche Akteure im Staatssozialismus auf. Länderübergreifend können für das östliche Europa zwei Grundkonflikte als Hauptursachen für kollektive Unzufriedenheit und Proteste während der Blockkonfrontation ausgemacht werden: zum einen die Spannung zwischen dem Anspruch bürgerlicher Freiheit und einem autoritären Parteistaat; zum anderen der Wunsch nach nationaler Souveränität, der im Widerspruch zur sowjetischen Oberherrschaft stand. Hinzu kamen Beschränkungen etwa hinsichtlich der Reisefreiheit sowie materielle Bedürfnisse, denn Versorgungsengpässe und Preiserhöhungen sorgten oft für eine allgemeine Unzufriedenheit bei den Bürgern. Die zivilgesellschaftlichen Handlungs- und Protestmöglichkeiten waren im europäischen Staatssozialismus jedoch von Land zu Land sehr unterschiedlich und veränderten sich immer wieder, besonders in Abhängigkeit vom Grad der staatlichen Repression. Mehr Gestaltungsraum für die Zivilgesellschaft hinter dem „Eisernen Vorhang“ eröffnete die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), deren 1975 unterzeichnete Schlussakte grundlegende Menschenrechte garantierte, die die Sowjetunion und ihre Verbündeten hatten zugestehen müssen, um im Gegenzug die Unverletzlichkeit der Grenzen durchzusetzen. Auf diese verbürgten Rechte konnten sich die Bürger der unterzeichnenden Staaten nun berufen; und sie taten es – zur allgemeinen Überraschung in Ost und West. So bildeten sich in den Folgejahren mehrere Dissidenten-Netzwerke wie das „Komitee zum Schutz der Arbeiter“ (KOR) in Polen oder die „Charta 77“ in der Tschechoslowakei, die auch Kontakte in die DDR unterhielten. In Ungarn führten reformkommunistische Bestrebungen in den 1980er Jahren sogar zu schrittweisen Veränderungen und schließlich zu einem ruhigen, paktierten Transformationsprozess zwischen Regime und Oppositionsbewegung. Repressive Erfahrungen wie die Niederschlagung des „Prager Früh-
|| 192 Hackmann, Zivilgesellschaft und die osteuropäische Geschichte, S. 9.
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lings“ (1968) oder die Verhängung des Kriegsrechts in Polen (1981) hatten manche Oppositionelle in ihrer Auffassung bestärkt, dass der Staatssozialismus nicht zu reformieren sei. Dadurch veränderte sich die Ausrichtung der Dissidenten in Mittelund Osteuropa weg von der Regierung, hin zur Gesellschaft insgesamt als Adressat einer Reformstrategie. Mithilfe von gesellschaftlicher Selbstorganisation in Initiativen und einer eigenen Gegenöffentlichkeit sollte langsam eine politisch aktive und von parteistaatlichen Strukturen unabhängige Zivilgesellschaft aufgebaut werden. „Die Idee der Zivilgesellschaft kann demnach in ihrer mittelosteuropäischen Variante als politische Strategie der Opposition beschrieben werden, die auf einen evolutionären Systemwandel von unten hinzielte.“193 Das Modell für diese Strategie schlechthin ist Solidarność in Polen. Solidarność entstand als eine Bewegung der Arbeiter in Danzig zunächst aus einer revolutionären Situation im Sommer 1980, als die polnische Regierung nach einer Streikwelle unabhängige Gewerkschaften erlaubte. Ein Jahr später wurde die Gewerkschaft mit der Verhängung des Kriegsrechts zwar ebenso verboten wie Streiks und andere Formen des betrieblichen Widerstands. Doch der Staat bekam den zunehmenden Druck aus der Zivilgesellschaft nicht mehr unter Kontrolle; in den Folgejahren kam es immer wieder zu Protesten und Streiks, bis die Gewerkschaft 1988 erneut zugelassen wurde. Solidarność mobilisierte zu diesem Zeitpunkt Arbeiter, Angestellte sowie Intellektuelle und wandelte sich von einer Gewerkschaft zu einer breiten Oppositionsbewegung, die 1989 einen demokratischen Übergang mit der Regierung aushandeln konnte und bis 1990 auf fast 10 Millionen Mitglieder anwuchs. Eine besondere Rolle für die Bürgerbewegung spielte in Polen die katholische Kirche, die während der Phase des Verbots von Solidarność Freiräume für oppositionelle Aktivitäten bot und einen Gegenpol zum Parteistaat bildete. In den anderen sozialistischen Gesellschaften Mittel- und Osteuropas kam der Impuls zu verstärktem Protest und zur Bildung von Bürgerbewegungen eher von den Reformbemühungen Michail Gorbatschows, die unter den Schlagworten „Glasnost“ und „Perestroika“ (Offenheit und Umgestaltung) bekannt geworden sind. Ohne diesen Politikwandel wären eine weitere Liberalisierung der autoritären Systeme und ein Anwachsen der oppositionellen Bewegungen nicht möglich gewesen. In Polen und in der Tschechoslowakei waren sie im Umbruchjahr 1989/90 stärker an der Macht beteiligt als in der DDR und konnten die politische Transformation entscheidend mitgestalten, auch wenn sie anschließend ähnlich schnell zerfielen. Darüber hinaus haben die Bürgerbewegungen ihre Spuren auch in der Forschung hinterlassen, besonders in der Demokratietheorie und Transformationsforschung oder in empirischen Untersuchungen zum sogenannten Dritten Sektor194. Und sie
|| 193 Fein/Matzke, Zivilgesellschaft. Konzept und Bedeutung für die Transformation in Osteuropa, S. 27. 194 Vgl. Schreier (Hrsg.), 25 Years After.
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haben zur Einsicht beigetragen, dass ohne Zivilgesellschaft, nur über den Staat, Gesellschaft langfristig nicht zu organisieren ist. Dass die Geschichte sozialer Bewegungen in Osteuropa bis heute nicht abgeschlossen ist, zeigt sich unter anderem an wiederkehrenden Protestbewegungen gegen Wahlbetrug oder korrupte Eliten, etwa bei den Demonstrationen in Rumänien 2017, an der friedlichen „Orangen-Revolution“ in der Ukraine 2004 oder bei den blutigen Maidan-Protesten zehn Jahre später.
3.5 Ältere deutsche Zivilgesellschaftsdiskurse Der deutsche Diskurs über die Zivilgesellschaft ist seit jeher davon geprägt, dass diese in Deutschland nur mangelhaft wahrgenommen wird, obwohl sie gerade hier stark ausgeprägt ist. Zudem werden in Deutschland viele Debatten mit zivilgesellschaftlichem Bezug geführt, die so in anderen Ländern nicht stattfinden. In diesem Kapitel werden deshalb einige spezifisch deutsche Diskurse dargestellt, aus denen sich teilweise prägende gesellschaftspolitische Leitbilder entwickelt haben.
3.5.1 Subsidiarität Das Prinzip der Subsidiarität wird heute in der Regel als ein Grundsatz des modernen deutschen Verfassungsstaates wahrgenommen, wonach eine übergeordnete Instanz nur dann Aufgaben übernehmen darf, wenn die kleinere Einheit dazu nicht in der Lage ist. International gilt dieses Prinzip der Nachrangigkeit höherer Ebenen hingegen oft als Wesenskern der deutschen Zivilgesellschaft. Historisch gesehen handelt es sich jedoch um nicht mehr als eine theoretische Unterfütterung des Verhältnisses zwischen den großen christlichen Kirchen und dem Staat in Deutschland. Das Subsidiaritätsprinzip wurde für das deutsche Wohlfahrtswesen im 19. Jahrhundert entwickelt und fand im 20. Jahrhundert Eingang in die katholische Soziallehre. Nicht zufällig wurde es jedoch ausdrücklich nicht auf andere Felder der Daseinsvorsorge und öffentlichen Angelegenheiten angewendet. Nachdem 1867 in der Verfassung des Norddeutschen Bundes erstmals die Wohlfahrt als Staatsziel normiert worden war195 und mit der Sozialgesetzgebung der 1870er und -80er Jahre auch mit seiner Verwirklichung begonnen wurde, entstand in mehreren Phasen der moderne Gewährleistungsstaat. Dieser musste allerdings darauf achten, dass traditionelle soziale Dienstleister – besonders Kirchen, Klöster, kirchliche Wohlfahrtseinrichtungen und Stiftungen – zwar ihre Arbeit fortsetzten, zugleich aber Loyalität
|| 195 Im Jahr 1871 wurde dieses Staatsziel wortgleich in die Verfassung des Deutschen Reiches übernommen.
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zum säkularen Gemeinwesen entwickelten. Zur Aufrechterhaltung eines Minimums an sozialer Fürsorge war man aufeinander angewiesen. Die staatliche Zersplitterung Deutschlands begünstigte die Zusammenarbeit, denn besonders den kleineren deutschen Staaten fehlten die finanziellen und personellen Ressourcen, um bestehende durch neue Systeme des Wohlfahrtswesens zu ersetzen. Zugleich erwies sich schon früh, dass Systeme mit freiwilliger Beteiligung eine bessere Wohlfahrtsproduktion ermöglichten als rein staatlich organisierte Systeme. Aus dieser gegenseitigen Abhängigkeit erwuchs im Verlauf des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, was den deutschen Wohlfahrtsstaat jedenfalls theoretisch bis heute kennzeichnet. Eine Verallgemeinerung wäre freilich weit übertrieben. Nur die kirchlichen oder kirchennahen Träger von Krankenhäusern und anderen sozialen Einrichtungen vermochten zunächst den Anspruch der Subsidiarität durchzusetzen, ehe vor und nach dem Ersten Weltkrieg säkulare Wohlfahrtsverbände wie das Deutsche Rote Kreuz oder die Arbeiterwohlfahrt gleichrangig dazu traten. Dank einer politisch weitgehend mit der katholischen Zentrumspartei assoziierten Beamtenschaft im Reichsarbeitsministerium konnte in den 1920er Jahren das Subsidiaritätsprinzip als Grundprinzip der Wohlfahrtspflege in Deutschland verankert werden. Die katholische Soziallehre, entwickelt von Gustav Gundlach und Oswald v. NellBreuning196 und von Papst Pius XI. in seiner Enzyklika Quadragesimo Anno (1933) zum Lehrinhalt erhoben, lieferte dafür die theoretische Folie. Sie hob heraus, dass nicht-staatliche Anbieter von Wohlfahrtsleistungen prioritär tätig werden sollten, bevor staatliche und kommunale Stellen vergleichbare Leistungen anbieten durften. Damit wurde der Grund gelegt für eine der quantitativ stärksten, zugleich im Sinne von Albert Hirschman als loyal einzustufenden Säulen der Zivilgesellschaft in Deutschland. In anderen Bereichen, etwa Forschung oder Bildung, verlief die Entwicklung anders. Dabei kann unterstellt werden, dass diese Bereiche zur nachhaltigen Sicherung des staatlichen Herrschaftsanspruchs als sehr viel wichtiger eingestuft wurden. Erklärtes Ziel der staatlich organisierten Bildung war schon seit der frühen Neuzeit die Entwicklung von loyalen und fähigen Staatsdienern und Staatsbürgern. Die Betreuung der minder Privilegierten trat dahinter deutlich zurück. Bereits im vormodernen Staat waren daher die Universitäten fast ausnahmslos staatliche, d.h. landesherrliche Einrichtungen geworden. Dies blieb bis zum Ende des 20. Jahrhunderts so, obwohl es schon im 18. Jahrhundert Stimmen gegeben hatte, die sich für eine Entstaatlichung einsetzten. Diese Auffassung setzte sich in Deutschland nicht durch. Trotz ihres plakativen Charakters ist Subsidiarität also keineswegs ein verfassungsstaatliches Grundprinzip. Nicht einmal im Verhältnis zwischen den Kommunen, den Ländern und dem Bund hat sich eine umfassende Subsidiarität durchset|| 196 Vgl. Nell-Breuning, Gerechtigkeit und Freiheit.
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zen können. Sie war und blieb in ihrer konkreten Anwendung eine wandelbare Kompromissformel, die staatliche Regelungsansprüche mit dessen mangelnder Leistungsfähigkeit und dem bewährten Angebot nicht-staatlicher Anbieter zu versöhnen trachtete. Inzwischen haben die Herausbildung der Zivilgesellschaft als autonome Arena kollektiven öffentlichen Handelns und das wachsende Zusammengehörigkeitsgefühl von sich ehemals fremden Akteuren dazu geführt, dass weit mehr als früher eine gemeinsame zivilgesellschaftliche Handlungslogik betont wird. Zu deren Komponenten gehört neben Pluralität und anderen Merkmalen zweifellos eine umfassende Subsidiarität. Gerade große Organisationen haben aber nach wie vor Probleme damit, das Konzept der Subsidiarität tatsächlich umzusetzen. Die Wohlfahrtsverbände werden oft als Teil des politisch-administrativen Systems wahrgenommen und sind infolgedessen von der gleichen Entfremdung betroffen wie die als bürgerfern wahrgenommen staatlichen Institutionen. In einigen Teilbereichen des von den Wohlfahrtsverbänden abgedeckten Tätigkeitsspektrums gelten ohnehin andere Regeln. So kommt im Bereich des Rettungsdienstes, des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes und des Suchdienstes das Völkerrecht197 zur Anwendung, das den nicht-staatlichen Akteuren einen eigens definierten Status als nationale „freiwillige Hilfsgesellschaften“ zuweist. Hier wie auch in anderen Bereichen wird das Subsidiaritätsprinzip vom gesetzlichen Gebot der staatlichen Anerkennung überlagert. Der Grundsatz, die primäre Gestaltungs- und Handlungshoheit solle stets beim Bürger liegen, wird im Regelwerk des Wohlfahrtswesens allenfalls partiell umgesetzt. Wenn die Spitzenverbände gegenüber ihren Fach-, Regional- und Mitgliedsorganisationen nicht die Subsidiarität zulassen, die sie für sich selbst einfordern, handeln sie damit nicht anders als beispielsweise der Bund gegenüber der EU und insbesondere die Länder, die gegenüber dem Bund die Subsidiarität zwar ständig im Munde führen, sie aber den Kommunen doch nur sehr ungern zugestehen wollen. Letztlich war die Entwicklung der großen Wohlfahrtsverbände in der Praxis über lange Zeit auch dadurch gekennzeichnet, dass diese zwar gegenüber dem Staat permanent auf das Subsidiaritätsprinzip pochten, zugleich aber innerhalb des jeweiligen Verbandes eine Zentralisierungspolitik betrieben, die den Mitgliedsorganisationen ihre Selbständigkeit weitgehend nahm. Zudem unterwarfen sich die Verbände vielfach aus finanziellen Erwägungen den Forderungen ihrer staatlichen Partner in einem Umfang, der das Subsidiaritätsprinzip weitgehend zur Farce werden ließ. Diese Haltung wird heute generell in Frage gestellt. In jüngster Zeit haben insbesondere die kirchlichen Verbände durch eine verstärkte Themenanwaltschaft versucht, wieder mehr Unabhängigkeit zu erlangen.
|| 197 Vgl. I. Genfer Abkommen („Genfer Konvention“ – 1949), Art. 26. Als freiwillige Hilfsgesellschaften sind in Deutschland das Deutsche Rote Kreuz, der Malteser-Hilfsdienst und die JohanniterUnfallhilfe anerkannt.
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3.5.2 Korporatismus Eng verbunden mit dem Subsidiaritätsprinzip ist das Modell des Korporatismus, das im Ausland ebenfalls als eine deutsche Spezialität gesehen wird (obwohl Österreich oder die skandinavischen Länder wesentlich stärker korporatistische Politikmuster aufweisen). Der Korporatismus verfolgt das Ziel, verschiedene gesellschaftliche Interessensgruppen – beispielsweise die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände oder den Sozialstaat und die Wohlfahrtsverbände – an den politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, die sie betreffen, und so auf freiwilliger Basis gemeinsame Vereinbarungen auszuhandeln. So sollen „durch die Einbindung einer begrenzten Zahl von Akteuren, die aber eine umfassende Repräsentanz darstellen, der Koordinationsaufwand geringgehalten und Konflikte minimiert werden“198. Den organisierten Interessen wird dabei eine intermediäre Stellung zwischen Staat und dem einzelnen Bürger zugeschrieben. Das deutsche Modell der korporatistischen Interessenvermittlung hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg und vor allem seit Mitte der 1960er Jahre entwickelt und war besonders wirtschaftspolitisch lange Zeit erfolgreich. Beispiele sind etwa die „konzertierte Aktion“ der Bundesregierung (Große Koalition, 1966–1969) zwischen allen politischen Ebenen, den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden oder das „Bündnis für Arbeit, Ausbildung, und Wettbewerbsfähigkeit“ von 1998. Seit den 1990er Jahren ist häufig vom Neokorporatismus die Rede, der als Begriff „die Neuformulierung der Beziehungen zwischen dem Staat und den organisierten Interessen widerspiegeln“199 soll. Denn besonders als Wohlfahrtsstaatsmodell steht der Korporatismus heute aus unterschiedlichen Gründen auf dem Prüfstand. Der deutsche Korporatismus hatte mit der formell formulierten umfassenden Subsidiarität im Wortsinn nicht viel zu tun. Viele angeblich subsidiär handelnde Akteure sind staatlichen Verwaltungsstellen oder auch Wirtschaftsunternehmen so ähnlich geworden, dass sie von diesen kaum zu unterscheiden sind und daher etwa von neuen sozialen Bewegungen nicht als zivilgesellschaftlich verwandt, sondern als hoheitlich und fremd wahrgenommen werden. Dies wirft die Frage auf, wie sehr Verbände und andere zivilgesellschaftliche Akteure eigentlich an der Verwirklichung staatlicher Politik mitwirken sollten. Die korporatistisch ausgehandelten Vereinbarungen werden in der Praxis häufig von den Zuwendungsbescheiden für öffentliche Mittel überlagert, mit denen sich der Staat eine Deutungshoheit über wohlfahrtsstaatliche Prozesse sichert. Institutionelle und Projektförderungen sowie öffentlich-rechtliche Verträge geben den staatlichen Stellen traditionell eine weit stärkere Position, als die Tatsache erwarten lassen würde, dass sie zur Erbringung der Leistung auf die Partner angewiesen sind.
|| 198 Weßels, Die Entwicklung des deutschen Korporatismus, S. 17. 199 Grzeszick, Wohlfahrt zwischen Staat und Markt, S. 15.
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In Einzelfällen reicht dies bis zur Ausübung massiven Drucks, um ein Wohlverhalten der nicht-staatlichen Akteure gegenüber politischen Entscheidungen sicherzustellen. In der Korporatismusdebatte wird zudem über die Legitimität der Interessen und des Vertretungsanspruchs von Großorganisationen diskutiert. Darüber hinaus wird die Gefahr gesehen, dass überkommene korporatistische Mechanismen den Pluralismus zivilgesellschaftlicher Akteure beeinträchtigen können, weil nur bestimmte Akteure von der Zusammenarbeit im staatsnahen Sektor profitieren, während andere außen vor bleiben.200
3.5.3 Pluralität Pluralität ist ein zentrales Merkmal offener, demokratischer Gesellschaften und Teil einer normativ akzeptablen zivilgesellschaftlichen Handlungslogik. Die Akzeptanz von Pluralität garantiert die Existenz und den Wettbewerb verschiedener Meinungen und Interessengruppen. Ein klassisches Beispiel ist die religiöse Pluralität, die sich in jahrhundertelangen Auseinandersetzungen ausgebildet hat und für das friedliche Zusammenleben in einer multireligiösen und multikonfessionellen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist201. Für die Zivilgesellschaft und ihre Handlungslogik ist die Akzeptanz von Vielfalt und Differenz ebenso fundamental. Aus dem Anspruch, sich in einer offenen Gesellschaft ungehindert entfalten zu können, folgt ein plurales Verständnis des Handelns, da andere Bürgerinnen und Bürger stets auch andere Organisationen freiwillig bilden können – aus welchen Gründen auch immer. Diese Pluralität ist wesentliche Vorbedingung für die Kreativität der Zivilgesellschaft. Sie durch ein Verlangen nach klaren Strukturen, wenigen Ansprechpartnern, legitimen Repräsentanten oder leistungsfähigen Organisationen zu verdrängen, würde bedeuten, die Natur der Zivilgesellschaft zu verkennen und diese zu beeinträchtigen. Die Vielfalt zivilgesellschaftlicher Akteure wird in Deutschland bspw. durch korporatistische Strukturen im staatsnahen Bereich teilweise eingeschränkt. Zur Pluralisierung der deutschen Gesellschaft und ihrer politischen Institutionen haben hingegen die neuen sozialen Bewegungen beigetragen. Wie wichtig die Pluralität der Zivilgesellschaft für die Demokratie ist, zeigt ein Blick in die jüngere Geschichte: „So zerstörte beispielsweise der NS-Staat zunächst einmal alle unabhängigen intermediären Organisationen, die eine Autonomie der Gesellschaft gegenüber dem Staat hätten bewahren können, oder schaltete diese gleich.“202 Auch deshalb gelten Meinungspluralismus und eine vielfältige Zivilge-
|| 200 Vgl. Münch, Das Regime des Pluralismus, S. 82 f. 201 Siehe hierzu Strachwitz, Religious Communities and Civil Society in Europe. 202 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 99.
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sellschaft heute als grundlegende Pfeiler der Demokratie. Der gewaltlose Wettbewerb konkurrierender Interessengruppen soll schließlich dem Aushandeln legitimer politischer Entscheidungen dienen – oder wie Ernst Fraenkel (1898–1975) es in seinem berühmten Diktum ausdrückt: Erst „aus dem Parallelogramm der divergierenden ökonomischen, sozialen und ideellen Kräfte“203 kann in einer heterogenen Gesellschaft so etwas wie Gemeinwohl entstehen. Hier stehen loyal und voice prinzipiell in einem Konflikt zueinander, der zunehmend auch innerhalb einzelner zivilgesellschaftlicher Organisationen ausgetragen wird. Die Organisation und Vertretung von unterschiedlichen Partikularinteressen wird heute oft mit dem negativ konnotierten Lobbyismus gleichgesetzt. Globalisierung und wachsende gesellschaftliche Ungleichheit tragen dazu bei, das pluralistische Ideal gleichberechtigter Interessenvertretung infrage zu stellen, weil mächtige Verbände und transnationale Großunternehmen über Lobbydienstleister mehr und mehr Einfluss auf Politik und Medien ausüben können, sei es durch spezifische Politikberatung, finanzielle Zuwendungen oder personelle Verflechtung. Insgesamt wandelt sich das Feld der Interessenvertretung zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft in jüngster Zeit weg von kooperativen, korporatistischen Strukturen, hin zu einem eher konfrontativeren, pluralistischen System. Gerade deshalb sind wiederum „zivilgesellschaftliche watchdog-Gruppen notwendig, die die verdeckte Indienstnahme der Öffentlichkeit durch Interessengruppen skandalisieren können“204, wie Rudolf Speth feststellt.
3.5.4 Solidarität Solidarität bezeichnet im Allgemeinen ein Zusammengehörigkeitsgefühl und den Willen zu gemeinsamem Handeln, das zumeist Hilfe und Einsatz für Mitmenschen zum Ziel hat. Bei solidarischem Verhalten werden nicht selten eigene Nachteile zum Wohl der Gruppe oder der unterstützten Sache in Kauf genommen. Bedingung für das Entstehen von Solidarität ist stets ein Zweck oder Gegner, bspw. Solidarität mit der „Dritten Welt“, mit der Natur oder gegen die politische Unterdrückung bestimmter Gruppen oder die Ausbeutung durch Unternehmen. Dies gilt auch für Solidarität innerhalb der Zivilgesellschaft: Sie „bildet sich mithin durch Grenzziehung gegenüber einem »Anderen« der Zivilgesellschaft, sei es gegenüber dem Barbaren[205], dem Staat oder dem rein eigennützigen Wirtschaftssubjekt“206. || 203 Fraenkel, Möglichkeiten und Grenzen politischer Mitarbeit der Bürger in einer modernen parlamentarischen Demokratie, S. 271 f. 204 Speth, Das Bezugssystem Politik – Lobby – Öffentlichkeit, S. 14. 205 Hier wird auf die Terminologie der römischen Antike angespielt, die grundsätzlich zwischen Römern und Barbaren unterschied. 206 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 15.
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Solidarische Zusammenschlüsse sind ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft. Sie finden sich bereits in den Strukturen der frühen Arbeiterbewegung (bspw. in Form von Bruderschaften und Unterstützungskassen) und sind bis heute durch Gewerkschaften, Nachbarschaftshilfen und soziale Bewegungen präsent. Solidarität ist zudem ein Grundprinzip der Wohlfahrtsverbände (bspw. kommt sie im Namen der „Volkssolidarität“ zum Ausdruck207) und des Sozialsystems. Die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme basieren auf dem Prinzip wechselseitiger Solidarität bzw. erweiterter Reziprozität: Man unterstützt mit dem eigenen Beitrag alle anderen und kann gegebenenfalls selbst Unterstützung erwarten. Auf niedrigerer Ebene können zivilgesellschaftliche Organisationen Solidarität zwischen ihren Mitgliedern stiften, etwa durch die Geselligkeit in Sportvereinen. „Wenn jemand einen Beitrag zum Sportverein liefert und weiß, dass andere dies auch tun, verwandeln sich freiwillige Beiträge in sich stabilisierende Muster von Freiwilligkeit und sozialer Verpflichtung. Diese Form der Solidarität, die auf einem reziproken Muster von Geben und Nehmen beruht, ist von enormer Bedeutung für die soziale Komponente zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation.“208 Die Betonung dieser Formen zivilgesellschaftlicher Solidaritätsproduktion hat dazu geführt, dass der Zivilgesellschaft besondere gesellschaftliche Integrationsleistungen zugemessen werden. „Der lange Zeit auf die neuen sozialen Bewegungen fokussierte Diskurs über Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlicher Demokratisierung erweiterte sich in einen breiten Diskurs über die sozialen, moralischen und bürgerschaftlichen Fundamente der Gesellschaft.“209 So gilt die in der Zivilgesellschaft erzeugte Solidarität heute als wichtiger Beitrag zur Gemeinschaftsbildung und Sozialintegration. Diese ist umso bedeutender, als die auf der Solidarität aller Bürgerinnen und Bürger aufgebaute nationalstaatliche Gesellschaft durch die vielgestaltige Globalisierung und aus anderen Gründen unter Druck geraten ist. In diesem Sinne wird die Solidarität unter den Bürgern gerade auch für die Identifikation mit dem republikanisch-demokratischen Gemeinwesen benötigt.
3.5.5 Krise des Wohlfahrtsstaates Der Wohlfahrtsstaat erfüllt in Deutschland seit seiner Entstehung im 19. Jahrhundert die Funktion eines gesellschaftlichen Strukturmodells, das Wirtschaft, Staat und Gesellschaft miteinander verbindet und sowohl der Demokratie als auch der sozialen Teilhabe dient. Ohne Zweifel hat der Wohlfahrtsstaat den Bürgerinnen und
|| 207 Die „Volkssolidarität“ war der staatlich geförderte Wohlfahrtsverband der DDR, besteht aber bis heute. 208 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 154. 209 Braun, Solidarität, Gemeinwesen, Gemeinwohl, S. 131.
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Bürgern zahlreiche positive Errungenschaften beschert. Doch spätestens in den 1980er Jahren ist er im Zuge von Wirtschafts- und Beschäftigungskrisen angreifbar geworden und in die Kritik geraten. Nicht nur sah und sieht er sich immer weniger in der Lage, die zugesagten oder in Aussicht gestellten Leistungen zu erbringen, weil die Kosten die staatlichen Einnahmen übersteigen. Die hohen Transaktionskosten erscheinen auch immer weniger plausibel, zumal die Qualität der Leistungen mit den Ansprüchen, den Möglichkeiten und dem Wettbewerb immer weniger Schritt halten konnte. Deshalb wurde die Frage, was „der Staat“ leisten kann, um die Frage ergänzt, was dieser überhaupt leisten soll. Die Leitbilder staatlichen Handelns hatten sich in der Bundesrepublik bereits zuvor mehrfach gewandelt. Jörg Bogumil und Werner Jann unterscheiden vier Phasen210: – In der Nachkriegszeit erfolgte der Wiederaufbau eines demokratischen und sozialstaatlichen Systems mittels hierarchischer Verwaltung. – Ab Mitte der 1960er Jahre widmete sich der „aktive Staat“ den Problemen und dem steigenden Steuerungsbedarf des umsorgenden Interventions- und Wohlfahrtsstaats. – Mit dem zu Beginn der 1990er Jahre entwickelten Leitbild des „schlanken Staates“ sollte sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentrieren, um effizienter und effektiver zu werden sowie der zunehmenden Bürokratisierung und den Steuerungsproblemen der öffentlichen Verwaltung zu begegnen. – Seit Mitte der 1990er Jahre setzt sich das Konzept des „aktivierenden Staates“ durch, das darauf abzielt, die Verantwortlichkeiten zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft neu aufzuteilen. Der Staat soll weder alles regeln, noch sich komplett zurückziehen, sondern bestimmte öffentliche Grundbedürfnisse gewährleisten und darüber hinaus für die Aktivierung der Bürger sorgen. Bei der Entlastung des „aktivierenden Staates“ wird der Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle zugedacht: Gesellschaftliche Probleme sollen vom Staat, „wo immer möglich, an die Zivil- oder Bürgergesellschaft zurückgegeben werden oder zumindest gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren bearbeitet werden“211. Der aktivierende Staat fördert und stärkt dazu die Selbstverantwortung und Eigeninitiative der Bürger, die an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben mitwirken und so wiederum den Staat stärken sollen. Er versucht, „die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich ein Engagement für den Einzelnen lohnt und dazu beiträgt, auch für die Gemeinschaft Nutzen zu stiften“212. Bei dieser Form der Verantwortungsteilung handelt
|| 210 Vgl. Bogumil/Jann, Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland, S. 44–50 & 72– 74. 211 Bogumil/Jann, Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland, S. 50. 212 Heinze et al., Ausblicke auf den aktivierenden Staat. S. 20.
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es sich also um „ein Verhältnis gegenseitigen Aufeinander-Einwirkens“213 zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Dieses Zusammenwirken soll die Krise des Wohlfahrtsstaates lösen, indem den Bürgern bei der Daseinsvorsorge mehr zugetraut, aber auch mehr zugemutet wird. Als Leitsatz gilt hier die Formulierung vom „Fördern und Fordern“. Die Aktivierung von zivilgesellschaftlichem Engagement durch den Staat stößt jedoch auf mehrere Probleme. So bleibt unklar, unter welchen Voraussetzungen die Bürger dem Staat bei der Gemeinwohlproduktion tatsächlich helfen können bzw. mit welchen staatlichen Steuerungselementen (Hierarchie, Kooperation, Wettbewerb oder Markt) sich die Zivilgesellschaft am besten einbeziehen lässt. Zudem geht mit der Aktivierungsstrategie des Forderns und Förderns nicht selten eine Ausweitung von Zwang und sozialer Kontrolle einher, etwa in der Arbeitsmarktpolitik, ohne mehr Engagement und Eigenverantwortung zu bewirken. Zudem gilt das Prinzip der Selbstermächtigung und Selbstorganisation als Grundpfeiler eines modernen Verständnisses von Zivilgesellschaft. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ (1999–2002) hat sich intensiv mit dieser Problematik auseinandergesetzt und sich schließlich mehrheitlich für die Formel des „ermöglichenden Staats“ entschieden214 (siehe Kap. 3.5.7).
3.5.6 Liberaler Zugang und Small-State-Debatte Dem Leitbild des „aktivierenden Staates“ ging in den 1990er Jahren ein anderes Reformziel voraus, das den Staat auf seine ursprünglichen Funktionen zurückführen sollte: das Leitbild des „schlanken Staates“ (small state). Dieses Konzept wurde ab 1995 von der Bundesregierung unter Helmut Kohl favorisiert und von einem Sachverständigenrat „Schlanker Staat“ konkretisiert, nachdem es bereits zuvor in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert worden war. Die Verfechter des schlanken Staats beriefen sich dabei insbesondere (aber nicht immer zu Recht) auf Ralf Dahrendorf (1929–2009), den Vordenker der liberalen Demokratie in Deutschland schlechthin. Dahrendorfs großes Thema war die Freiheit, ihre Verfasstheit und Verteidigung. Für ihn beruht sie, wie Frank Adloff feststellt „auf drei Säulen: dem Verfassungsstaat beziehungsweise der Demokratie, der Marktwirtschaft und der Zivil- beziehungsweise Bürgergesellschaft. […] Ihm geht es um den liberalen Schutz der Gesellschaft vor dem Staat, um die Konstitution einer Sphäre, die sich freiheitlich vom
|| 213 Schuppert, Aktivierender Staat und Zivilgesellschaft, S. 187. 214 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement: Auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft.
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staatlichen Handeln absetzt.“215 Dahrendorf stellt sich damit gegen das etatistisch geprägte politische Denken in Deutschland. Die politischen und sozialen Freiheitsrechte sind für ihn die Voraussetzung der Bürgergesellschaft. In seiner liberalen Lesart soll die Zivilgesellschaft vielfältig und unabhängig von Monopolen oder Machtzentren sein sowie sich durch ziviles, gewaltloses Verhalten auszeichnen, ohne jedoch die Existenz sozialer Konflikte abzustreiten. Konkurrenz und Wettbewerb betrachtete Dahrendorf vielmehr als wünschenswerte Bestandteile der Gesellschaft. Anknüpfend an diesen liberalen Zugang zum Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft diskutierten die Kritiker des Umverteilungsstaates über dessen „Verschlankung“ und eine Stärkung des Marktprinzips. Der Staat sollte künftig den Rahmen setzen und sich in seinen Aufgaben beschränken, damit er einerseits funktionsfähig bleibt und andererseits nicht zu einer Gefahr für die individuelle Freiheit wird. Der Sachverständigenrat betonte zudem, dass der überforderte Staat nur auf diese Weise gesunden und Deutschlands wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit nur so gesichert werden könne. Deregulierung und Privatisierung staatlicher und kommunaler Unternehmen sollten dazu beitragen, den Staat zu verschlanken sowie die gesellschaftlichen Selbstregelungskräfte und die individuelle Selbstverantwortung zu stärken: „Der schlanke (Sozial-)Staat entlastet sich von seinen Aufgaben und verlagert diese auf die aufgeklärten, zur Selbstverantwortung willigen und fähigen Individuen.“216 Nachdem der Abschlussbericht des Sachverständigenrates 1997 veröffentlicht worden war, verschwand das Konzept alsbald aus der öffentlichen Diskussion. An seine Stelle trat nach dem Regierungsantritt Gerhard Schröders das Reformziel des aktivierenden Staats. Als Verdienst der Debatte um den schlanken Staat gilt die Problematisierung von Staats- und Politikversagen, selbst bei Befürwortern starker staatlicher Intervention. Trotzdem wurde viel Kritik an dem Leitbild und den daraus abgeleiteten Maßnahmen laut. Mit Bezug auf die Zivilgesellschaft wurde insbesondere kritisiert, dass das Konzept des schlanken Staates die Kräfte gesellschaftlicher Selbstregelung verabsolutiert und darüber hinaus vernachlässigt, dass viele zivilgesellschaftliche Akteure für die Verwirklichung ihrer Ziele mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten müssen oder aktiv versuchen, auf staatliche Politik einzuwirken. Zudem könnten eine deregulierte Marktwirtschaft und verstärkter Wettbewerb (ebenso wie eine zu umfassende Staatstätigkeit) die Vielfalt und die Leistungen zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation beeinträchtigen.
|| 215 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 78. 216 Planke/Paß, Vom schlanken Staat zum aktivierenden Staat, S. 30.
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3.5.7 Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ Mit der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages (1999–2002) wurde erstmals der Versuch unternommen, das Themenfeld Zivilgesellschaft – Ehrenamt – bürgerschaftliches Engagement in die politische Debatte einzuführen. Die 22 Mitglieder der Kommission (elf Mitglieder des Bundestages, nach der Stärke der Fraktionen von diesen nominiert, und elf nach dem gleichen Schlüssel von den Fraktionen nominierte sogenannte Sachverständige Mitglieder) bemühten sich, in rund zweieinhalb Jahren zum einen eine Bestandsaufnahme durchzuführen und zum anderen Handlungsempfehlungen für die Bundespolitik zu erarbeiten. Hierzu wurden zahlreiche Expertengespräche geführt und Gutachten in Auftrag gegeben. Sowohl den zivilgesellschaftlichen Verbänden als auch den mit dem Thema befassten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern war dadurch erstmals die Gelegenheit geboten, sich mit ihren Positionen und Anliegen zu präsentieren. Diese Chance wurde in unterschiedlichem Umfang und in unterschiedlicher Qualität der Präsentation genutzt. Die Arbeitsergebnisse der Kommission wurden in einem ausführlichen Abschlussbericht festgehalten und als Bundestagsdrucksache und in Buchform veröffentlicht.217 In Buchform erschienen außerdem sieben Begleitbände218 mit den Texten der Gutachten und anderen Materialien. Im Mittelpunkt der Debatten stand naturgemäß das Verhältnis der Zivilgesellschaft zum Staat. In den Jahren der Kommissionsarbeit begann sich dieses aus einer jahrzehntelangen Tradition des Ergänzungsund Vorfeldverständnisses zu lösen. Insofern war das Ergebnis nicht einheitlich. Das von manchen Kommissionsmitgliedern vorgeschlagene Konzept des aktivierenden Staates blieb umstritten und setzte sich im Abschlussbericht nicht durch. Es wurde stattdessen der Begriff des ermöglichenden Staates verwendet, auch um deutlich zu machen, dass die Zivilgesellschaft grundsätzlich selbstermächtigt tätig wird und sie weder des Staates zu ihrer Aktivierung bedarf, noch eine solche durch den Staat akzeptieren muss. Für die Mitglieder der Kommission bedeutete es eine enttäuschende Erfahrung, dass der Abschlussbericht politisch nur wenig wahrgenommen wurde. Zwar führte die Kommissionsarbeit zu einer kleinen Reform des rechtlichen Rahmens, zur Einrichtung eines ständigen Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ im Bundestag und zur Gründung des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement. Ein Einfluss auf allgemeinere politische Debatten blieb ihr jedoch versagt. Neben einem traditionellen Desinteresse trugen hierzu wohl auch, etwa acht Mona-
|| 217 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement: Auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. 218 Enquete-Kommission Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements, Bericht: Bürgerschaftliches Engagement. Der Bericht wurde vorab veröffentlicht als Bundestagsdrucksache Nr. 14/8900.
98 | Europäische Zivilgesellschaftsdiskurse
te vor dem Ende der Kommissionsarbeit, der Einschnitt des 9. September 2001 sowie der Widerstand der Gewerkschaften gegen eine Betonung der Bedeutung des Engagements im beginnenden Wahlkampf zur Bundestagswahl 2002 bei.
3.6 Der normative Diskurs Konzeptionell wird die Zivilgesellschaft oft unterschiedlich verstanden: Bereichsbezogen als kollektive Arena oder Sphäre neben Wirtschaft und Staat (siehe Kap. 5.3) oder handlungsbezogen als staatsunabhängiges, gemeinwohlorientiertes, gewaltfreies, ziviles Handeln219. Sowohl die bereichsbezogene Definition von Zivilgesellschaft als auch die handlungslogische Definition sowie die Kombination beider Arten (z.B. bei Jürgen Kocka220) folgen implizit oder explizit normativen Grundannahmen. Überwiegt jedoch die normative Betrachtung, können Handlungen und Akteure, die nicht den genannten Merkmalen entsprechen, nicht Teil der Zivilgesellschaft sein. Theoretisch gibt es dann keine Schattenseiten von Zivilgesellschaft, weil sie ja nur sein darf, was in einer eigenen Sphäre zwischen Markt, Staat und Familie liegt und den genannten Handlungsmaximen folgt221. Eine solch rigide theoretische Position ist für Forschung und Praxis ungeeignet, weil sie einen Idealtyp beschreibt, der die Heterogenität der Sphäre vernachlässigt. Die empirische Forschung braucht realistische – oder auch: relativistische – Konzepte von Zivilgesellschaft, die Grauzonen, Schattierungen oder eben Schattenseiten zulassen. Wo die Grenzen verlaufen, etwa in Bezug auf die Verortung zwischen Zivilgesellschaft und Wirtschaft (Beispiel: Lobbyverbände) oder in Bezug auf die Bestimmung zwischen zivilem und unzivilem Handeln (Beispiel: Sachbeschädigung zur Verhinderung von Castortransporten), wird nicht immer deutlich. Doch „unziviles“ zivilgesellschaftliches Handeln kann nicht einfach definitorisch ausgegrenzt werden, da es dann keiner Arena mehr zugeordnet werden könnte. In der deutschsprachigen Literatur wird im Zusammenhang mit der dunklen Seite von Zivilgesellschaft häufig Roland Roth zitiert.222 Mit Verweis auf die Wirklichkeit weicht er theoretisch-normative Konzepte von Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlichen Vereinigungen auf. Dabei wird nicht die Normativität an sich kritisiert. Dies wäre auch verwunderlich, denn normative Theorien gehören selbstverständlich zur Politikwissenschaft dazu. Roth konstatiert vielmehr, dass normative Konzepte nicht zum Gegenstand empirischer Gesellschaftsanalysen gemacht werden dürfen. So formuliert er auch eine methodologische Forderung, wo|| 219 Vgl. Gosewinkel/Rucht/van den Daele/Kocka (Hrsg.), Zivilgesellschaft – national und transnational. 220 Vgl. Kocka, Zivilgesellschaft in historischer Perspektive, S. 29–44. 221 Vgl. Strachwitz, Zivilgesellschaft – immer gut? 222 Vgl. Roth, Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft.
Der normative Diskurs | 99
nach reale Zivilgesellschaften mit ihren negativen, dysfunktionalen Elementen der methodologische Ausgangspunkt von Gesellschaftsanalysen sein sollten. Als konkrete Beispiele von dunklen Seiten führt Roth Korruption, rechtsextreme und extremistisch-religiöse Vereinigungen an, die durch ein Versagen von Markt, Staat und Zivilgesellschaft entstünden. Noch extremer ist die Position von Ulrich Hemel, der ebenfalls drei Arenen benennt, diese aber mit den Bezeichnungen „Staat“, „Zivilgesellschaft“ und „organisiertes Verbrechen“ völlig anders abgrenzt.223 Er ordnet alles normativ negativ zu Beurteilende der letztgenannten Arena zu, während die Wirtschaft in Hegelscher Tradition als Teil der Zivilgesellschaft gesehen wird. Nicht nur bei Roland Roth, sondern auch in anderen Texten findet sich die Begrifflichkeit in Auseinandersetzung mit Robert Putnams Theorie des sozialen Kapitals (siehe Kap. 2.8). Roth schreibt, dass es sich in der Tradition dieses SozialkapitalAnsatzes so verhalte: „Die Existenz von Gruppierungen einer bad civil society wird in der Regel nicht geleugnet, aber analytisch nur unzureichend berücksichtigt.“224 „Bad Civil Society“ ist zugleich der Titel eines Aufsatzes von Simone Chambers und Jeffrey Kopstein,225 in dem die wesentlichen Einwände gegenüber dem vorherrschenden civil society argument, die auch Roth anführt, schon enthalten sind. Der gemeinsame Nenner des civil society argument, das in verschiedenen Versionen auftritt und politikwissenschaftlich wie politisch benutzt wird, sei eine negative Hypothese: Die Zerstörung und das Verschwinden zivilgesellschaftlicher Assoziationen signalisiert den Niedergang der Demokratie. Chambers und Kopstein bemängeln, dass die schlechte Zivilgesellschaft in diesem Argument und in Gesellschaftsanalysen á la Putnam nicht hinreichend beachtet wird. Was die konzeptionelle Kritik an Putnam oftmals übersieht, ist, dass er sehr wohl Unterscheidungen in Bezug auf Sozialkapital und die Leistungen zivilgesellschaftlicher Vereinigungen trifft. Insofern werden die Schattenseiten auch von Putnam beachtet. Bridging („Brücken bauendes“) soziales Kapital ist jenes soziale Kapital, das zu einer kollektiven Ressource, zu Systemkapital226 werden kann. Es ist dann eine Kapitalform, von der nicht nur die Mitglieder der Vereinigung profitieren, in der es erzeugt wurde, sondern eben auch demokratische Institutionen (Putnam untersucht vergleichend die Performanz von Verwaltungen227) und andere Menschen (etwa durch konkrete soziale Hilfeleistungen). Bonding (anhaftendes) soziales Kapital sei eine Kapitalform, von der nur die profitieren, die an seiner Erzeugung beteiligt seien. Bonding social capital ist eher vergleichbar mit sozialem Kapital im
|| 223 Vgl. Hemel, Globale Zivilgesellschaft und die Religion, S. 3. 224 Roth, Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft, S. 45. 225 Vgl. Chambers/Kopstein, Bad Civil Society, S. 837–865. 226 Vgl. Gabriel, Sozialkapital und Demokratie. 227 Vgl. Putnam, Making Democracy Work.
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kritischen Verständnis von Pierre Bourdieu. Putnam erkennt auch an, dass nicht jede zivilgesellschaftliche Organisation soziales Kapital erzeugen kann. Notwendig sei unter anderem, dass es eine längerfristige und regelmäßige face-to-faceInteraktion gebe und die Mitglieder persönlich nicht asozial, unzivil und antidemokratisch eingestellt seien. Berechtigt bleibt die Kritik, dass Putnam seine eigenen konzeptionellen Differenzierungen methodisch nicht repräsentieren kann, was er auch eingesteht.228 Das methodische Problem ist, dass seine Datenbasis keinen Aufschluss darüber gibt, ob in den erfassten Vereinigungen bridging oder bonding social capital erzeugt wird. Dazu wären qualitative Daten oder Einzelfallstudien notwendig, mit denen detailliert untersucht werden könnte, auf welcher Wertebasis soziales Kapital entsteht und was die externalisierten Effekte der Netzwerke und Vereinigungen sind. Hierzu wäre ferner die Entwicklung allgemeiner Maßstäbe und Indikatoren erforderlich, mit denen jeweils bridging und bonding social capital identifiziert werden könnte. Unter der Überschrift „Die dunkle Seite von Dritte-Sektor-Organisationen“ beschäftigen sich Christina Stecker und Stefan Nährlich mit anderen negativen Effekten von Leistungen, die im gemeinnützigen Sektor entstehen können.229 Sie diskutieren und untersuchen drei Fragen und Thesen: 1. Inwiefern verfügen Dritte-Sektor-Organisationen in der Wohlfahrt tatsächlich über komparative Wettbewerbsvorteile gegenüber staatlichen und privaten Leistungsbringern (politisch-ökonomische Perspektive)? Ein wesentliches Charakteristikum von gemeinnützigen Organisationen ist, dass darin Ehrenamtliche tätig sind, die ihre Zeit und ihre Kompetenzen freiwillig spenden. Den Faktor Ehrenamt und Zeitaufwendung betrachten Stecker und Nährlich in mehreren Hinsichten kritisch als „dunkle“ Seiten von Dritte-SektorOrganisationen. Ihr postulierter volkswirtschaftlicher Nutzen werde neutralisiert, etwa aus diesem Grund: „Die Ressource Zeit tritt in Konkurrenz zu anderweitig aufgewendeter Zeit für Erwerbsarbeit, Haus- und Pflegearbeit sowie zur Kindererziehung und damit möglicherweise produktiveren Möglichkeiten der Zeitverwendung.“230 Außerdem weisen sie auf betriebswirtschaftlich nicht wünschenswerte Reibungsverluste durch das Nebeneinander von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Beschäftigungsverhältnissen hin. In volkswirtschaftlicher Hinsicht sei problematisch, dass Hauptamtliche durch Ehrenamtliche ersetzt werden (Substitution von bezahlter Lohn- und Erwerbsarbeit) oder „sich der Druck auf das Lohngefüge verstärkt und ein nicht ausreichendes materielles
|| 228 Vgl. Putnam, Making Democracy Work, S. 22 f. 229 Vgl. Stecker/Nährlich, Die „dunkle“ Seite von Dritte-Sektor-Organisationen. 230 Stecker/Nährlich, Die „dunkle“ Seite von Dritte-Sektor-Organisationen, S. 187.
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3.
und sozial sicherndes Einkommen wiederum von sozialstaatlichen Fürsorgeleistungen flankiert werden muss“231. Inwiefern ist es empirisch gerechtfertigt, Sportvereine per se als Institutionen zu betrachten, in denen tugendhaftes und ziviles Verhalten gelernt wird? Welche Kosten (im Sinne von Vertrauens- und Legitimationsverlust) entstehen, wenn stattdessen asoziales Verhalten gelernt wird? Stecker und Nährlich thematisieren hier also soziale Dysfunktionalitäten im Dritten Sektor, mit denen volkswirtschaftliche Folgekosten verbunden sind. Haben Sportvereine prinzipiell und Kraft des Sportes („Auf dem Platz sind alle gleich“, Teamgeist, gemeinsame Erfolgserlebnisse und Bewältigung von Niederlagen etc.) eine integrierende, über den Sport hinausgehende soziale Wirkung? Diese, auch von Putnam vorgetragene Transferhypothese ist für Stecker und Nährlich empirisch nicht hinreichend belegt. Zudem legen Untersuchungen nahe, dass Sportvereine spezielle staatliche Förderung in Anspruch nehmen, um etwa Leistungen im Bereich der Gewaltprävention und der Integration von Ausländern zu realisieren. Der WZB-Brief „Wenig Licht, viel Schatten – der Dritte Sektor als arbeitsmarktpolitisches Experimentierfeld“232 weist ebenfalls auf empirisch vorfindbare Schattenseiten des Dritten Sektors hin und stützt die Kritik von Stecker und Nährlich. Die Autoren ermitteln, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Teilzeitjobs und befristete Arbeitsverträge den Sektor zunehmend dominieren, dass eine weitere Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse und die Entwicklung eines Niedriglohnsektors drohen.
Ergänzende Literatur Enquete-Kommission Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements, Bericht: Bürgerschaftliches Engagement Freise/Zimmer (Hrsg.), Zivilgesellschaft und Wohlfahrtsstaat im Wandel Roth/Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945
|| 231 Ebd., S. 187. 232 Vgl. Dathe/Hohendanner/Priller, Wenig Licht, viel Schatten, S. 3.
4 Empirische Zivilgesellschaftsforschung 4.1 Grundlagen empirischer Zivilgesellschaftsforschung Obgleich die Zivilgesellschaft im gegenwärtigen gesellschaftlichen Leben einen hohen Stellenwert hat und in politischen, sozialen, kulturellen und weiteren Bereichen unverzichtbar erscheint, sind empirische Studien und genaue Angaben zur Größe, zur Anzahl der Organisationen und ihrer Ausrichtung, zu den erbrachten Leistungen, den Effekten, Wirkungen und insgesamt zu ihrer gesellschaftspolitischen Einbindung nicht in hinreichendem Umfang greifbar. Die Ursachen für die Datendefizite sind unter anderem darin zu sehen, dass die Zivilgesellschaft noch immer nicht als spezieller gesellschaftlicher Bereich in Politik, Wissenschaft und breiter Öffentlichkeit anerkannt ist. Bestandteile und Aspekte der Zivilgesellschaft haben deshalb bislang kaum in vorhandenen offiziellen Erhebungssystemen und statistischen Übersichten Berücksichtigung gefunden. Das Statistische Bundesamt beschränkt sich beispielsweise in seinem jährlich herausgegebenen ‚Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland‘ im Abschnitt ‚Kultur, Freizeit, Sport‘ lediglich auf Angaben des Deutschen Chorverbandes zur Anzahl von Chören und deren Mitgliedern, auf die Anzahl von Stiftungen nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen und auf die Anzahl Freiwilliger Feuerwehren nach Angaben des Deutschen Feuerwehrverbandes. Des Weiteren basieren die Angaben zur Anzahl von Sportvereinen und deren Mitgliedern oder zur zivilgesellschaftlichen Trägerschaft von Sportstätten vor allem auf Daten des Deutschen Olympischen Sportbundes. Es zeigt sich hier sehr deutlich, dass im amtlichen statistischen Erhebungssystem die Zivilgesellschaft keine systematische Berücksichtigung findet. In anderen Ländern ist dies zum Teil deutlich anders.
4.1.1 Ausgangssituation und Datenüberblick Den Organisationen der Zivilgesellschaft selbst ist es bislang nicht gelungen, eine umfassende, systematische, untereinander abgestimmte und regelmäßig aktualisierte Datenbasis zu ihren Tätigkeitsfeldern zu erstellen. Als ein neuer Ansatz ist der unter Leitung der Projektgruppe Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ) im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft der erstmalig 2019 erschienene „Datenreport Zivilgesellschaft“ zu sehen.233 In diesem Datenreport werden ausgewählte Angaben aus den Organisationen, wissenschaftlichen Untersuchungen und weiteren statistischen Quellen zusammengeführt.
|| 233 Vgl. Krimmer (Hrsg.), Datenreport Zivilgesellschaft. https://doi.org/10.1515/9783110553475-006
104 | Empirische Zivilgesellschaftsforschung
Einzelne Organisationen haben ihre statistische Berichterstattung – in der Regel über ihre Dachverbände – unterschiedlich weit entwickelt. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen stellt jährlich der Öffentlichkeit aktuelle zum Stiftungssubsektor verfügbare Angaben zur Verfügung. Dabei handelt es sich zum Teil um selbst erhobene und zusammengefasste Daten zu speziellen statistischen Sachverhalten aus dem Bereich der Stiftungen. Andere Organisationen sind in ihrer Berichterstattung weniger aktuell und umfassend. So veröffentlicht die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zu den Einrichtungen und Diensten der Freien Wohlfahrtspflege nur alle vier Jahre eine Gesamtstatistik – mit zumeist nicht sehr aktuellen Daten.234 Im Bereich des Sports sind besonders die im Intervall von zwei und künftig von drei Jahren erstellten Sportentwicklungsberichte des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zu nennen. Insgesamt bleiben die Angaben aus den Organisationen selektiv. Sie sind miteinander kaum abgestimmt und stehen eher unregelmäßig der Gesellschaft zur Verfügung. Hinzu kommt, dass eine spezielle empirische Zivilgesellschaftsforschung bislang schwach entwickelt ist und deshalb Daten aus dieser Quelle nur partiell sowie kaum systematisch bereitgestellt werden. Zudem bedarf es hinsichtlich der Schließung von Lücken einer besseren Verknüpfung und zur Erhöhung der Aussagekraft dieser Daten einer weiteren methodischen Fundierung. Es fehlt also insgesamt an einer umfassenden und auf Dauer etablierten empirischen Forschung. Die deutlich auszumachenden Defizite haben zwar immer wieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu einer kritischen Bilanzierung der nicht ausreichenden Datensituation sowie zur Formulierung von Desideraten und erforderlichen Schritten bei der Datenerhebung geführt; die Situation hat sich aber seit den 1990er Jahren nicht grundsätzlich verändert.235 Oft liegen Resultate aus Untersuchungen mit zum Teil beachtlich unterschiedlichen Ergebnissen vor. Die Unterschiede bei den erhobenen Daten werden aber kaum reflektiert, erklärt oder begründet. Deutlich zeigt sich dies beispielsweise bei den Angaben aus den relativ häufigen Erhebungen zum zivilgesellschaftlichen Engagement oder zum Spenden.236 Die Unterschiede lassen sich zum Teil aus der ungleichen Begriffsverwendung erklären; gleichwohl wird darauf kaum Bezug genommen. Eine unzureichende außeruniversitäre institutionalisierte Zivilgesellschaftsforschung geht mit noch immer nur vereinzelt in Erscheinung tretender spezifischer universitärer sozialwissenschaftlicher Forschung und Lehre einher; beides wirkt sich kritisch auf die Situation der empirischen Forschung aus. Es fehlen daher so-
|| 234 Die aktuelle Gesamtstatistik (im Januar 2019 verfügbar) ist aus dem Jahr 2012. Vgl. www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Broschuere_Gesamtstatistik_2012_Webversion.pdf 235 Vgl. Priller, Dynamik, Struktur und Wandel der Engagementforschung; Alscher et al., Ansätze für eine künftige Forschungsprogrammatik, S. 325–328. 236 Vgl. Priemer et al., Finanzierung der Zivilgesellschaft, S. 113–144.
Grundlagen empirischer Zivilgesellschaftsforschung | 105
wohl auf die empirische Forschung zur Zivilgesellschaft ausgerichtete Lehrstühle an Universitäten und Hochschulen als auch ausreichend gut ausgestattete Forschungseinrichtungen außerhalb von Universitäten und Hochschulen. Diese wären eine wichtige Voraussetzung, um sich der empirischen Seite der Thematik in ihrer Spezifik und Komplexität konzentriert und langfristig zuzuwenden. Das Fehlen der Forschungsinfrastruktur hat zur Folge, dass auch künftig beträchtliche Defizite bei den verfügbaren Daten zu erwarten sind. Daher stützen sich selbst jüngere Untersuchungen und Publikationen zur organisierten Zivilgesellschaft in Deutschland oft auf Datenbestände, die längst veraltet sind und nicht die aktuelle Situation reflektieren. Zudem sind manche Untersuchungen von anderen als unmittelbaren Forschungsinteressen geleitet. Neben diesen Defiziten der Zivilgesellschaftsforschung fehlt zudem ihre Gestaltung als komplexe, eigenständige Disziplin und es mangelt an in die Tiefe gehenden bereichsspezifischen Betrachtungen. Es zeigt sich nämlich immer mehr, dass die Zivilgesellschaft trotz aller Gemeinsamkeiten sehr heterogen ist. Die einzelnen Bereiche entwickeln sich sehr unterschiedlich und unterscheiden sich in ihrer Spezifik somit zunehmend voneinander. Die Gesamtbetrachtung, wie sie bis in die jüngste Vergangenheit erfolgte, reicht gegenwärtig und künftig unter analytischen Gesichtspunkten nicht mehr aus. Insofern sind immer dringlicher empirische Untersuchungen erforderlich, die systematisch die unterschiedlichen Aspekte, Seiten und Ausprägungen der Zivilgesellschaft umfänglich und differenziert betrachten. Es sind darüber hinaus aktuelle Angaben nötig, um den Stellenwert der sich sehr dynamisch verändernden und entwickelnden Zivilgesellschaft, ihrer einzelnen Bereiche und Seiten in der Gesellschaft, die eingetretenen Fortschritte und den Beitrag zur Lösung gegenwärtiger und künftiger gesellschaftlicher Probleme näher zu bestimmen. Aus den vorhandenen empirischen Ansätzen lassen sich drei Ausrichtungen erkennen: – Empirische Konzepte, die vor allem auf eine Betrachtung und Erfassung der Zivilgesellschaft als Ganzes in ihrer Komplexität ausgerichtet sind; – Angaben, die sich auf bestimmte Bereiche und Strukturen innerhalb der Zivilgesellschaft (z.B. Stiftungswesen, Spendenerfassung) konzentrieren; – Zusammenstellungen statistischer Angaben auf der Ebene einzelner Organisationen bzw. mehrerer zu einem Verband zusammengeschlossener Organisationen (z.B. Verbandsstatistiken). Diese drei Ansätze greifen in der Regel auf mehrere Ebenen von Zivilgesellschaft zurück: 1. Angaben zu umfassenden und komplexen Zuständen und Prozessen der Zivilgesellschaft (Makro-Ebene): Bei diesen Daten zur Zivilgesellschaft handelt es sich unter anderem um Angaben zur Anzahl der zivilgesellschaftlichen Organisationen, zu ihren unterschiedlichen Rechtsformen und zu ihrer regionalen Ver-
106 | Empirische Zivilgesellschaftsforschung
2.
3.
teilung, zur Anzahl der Beschäftigten und ihrem Anteil an der Gesamtbeschäftigtenzahl in Deutschland oder zur Wertschöpfung der Organisationen und ihrem Anteil an der nationalen Wertschöpfung insgesamt. Angaben auf der Ebene von zivilgesellschaftlichen Organisationen (MesoEbene, bspw. Angaben zu den Rechtsformen, der thematischen Ausrichtung und Arbeitsweise der Organisationen): Hier geht es vor allem um Organisationsformen, -strukturen und -gremien, um die Existenz und das Zusammenwirken von haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeitern oder um das Verhältnis zu staatlichen Institutionen bis hin zum Einsatz unterschiedlicher Finanzierungsformen. Angaben auf der individuellen Ebene (Mikro-Ebene): Hier geht es um Daten zu Personen (z.B. Engagierte, Spender, Nutzer von Leistungen). Die individuelle Ebene richtet sich vor allem auf Angaben zum zivilgesellschaftlichen Engagement sowie zum Anteil der Engagierten, ihren sozialstrukturellen Merkmalen, zum Zeiteinsatz der Engagierten, der thematischen Ausrichtung des Engagements oder zu den Motiven für das Engagement.
Gerade auf der individuellen Ebene hat die seit der Jahrtausendwende intensiver geführte Diskussion zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland zwar zu einer Intensivierung der Forschung beigetragen, aber noch zu keiner grundsätzlich zufriedenstellenden Situation geführt. Kritisch zu sehen ist vor allem, dass der Forschungsschwerpunkt relativ einseitig auf das individuelle Engagement gelegt wurde. Gerade hinsichtlich der bereichsspezifischen und der Organisationsperspektive bestehen hier weiterhin beträchtliche Forschungslücken und Datendefizite. Im Folgenden werden wichtige Ansätze vorgestellt, die aus den unterschiedlichen Perspektiven empirischer Zivilgesellschaftsforschung in Deutschland Daten bereitgestellt haben und konzeptionell eine besondere Rolle spielen. Zu betonen ist, dass es sich nur um ausgewählte Beispiele handelt, die jedoch einen Einblick in die Komplexität und Vielschichtigkeit der Thematik vermitteln können.
4.2 Komplexe Forschungsansätze 4.2.1 Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project Das Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project (siehe auch Kap. 2.9) hat international einen beachtlichen Beitrag zur Verbesserung der empirischen Datensituation geleistet. Im Rahmen des Projekts wurde erstmals systematisch durch quantitative Erhebungen in den Projektländern eine international vergleichbare Datenbasis zur Zivilgesellschaft geschaffen. Die strikte Anwendung der Vergleichsperspektive bei den nationalen Erhebungen lieferte die Grundlage für diese Datenbasis.
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Die quantitative Erfassung des Sektors auf Länderebene wurde anhand von Tätigkeitsbereichen vorgenommen. Da auf kein bereits bestehendes Klassifikationssystem für die Erhebungen zurückgegriffen werden konnte, wurde im Rahmen des Projektes die International Classification of Nonprofit Organizations (ICNPO) als eigenständige Taxonomie der Tätigkeitsbereiche von Nonprofit-Organisationen entwickelt. Das vielfältige Tätigkeitsprofil der Nonprofit-Organisationen wurde in die folgenden Einzelbereiche eingeteilt: – Kultur und Erholung – Bildung und Forschung – Gesundheitswesen – Soziale Dienste – Umwelt- und Naturschutz – Wohnungswesen und Beschäftigung (lokale Wirtschaftsentwicklung) – Vertretung von Bürger- und Verbraucherinteressen – Stiftungs- und Spendenwesen sowie ehrenamtliche Arbeit – Internationale Aktivitäten – Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaften – Sonstiges Diese Bereiche wurden jeweils weiter untersetzt und in eine Vielzahl von Einzelaktivitäten untergliedert, so dass sich für die ICNPO Deutschlands ein breitgefächertes Spektrum von Nonprofit-Aktivitäten und Arbeitsbereichen ergibt. Tabelle 1: Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche von Nonprofit-Organisationen nach ICNPO Kultur 1 Medien und Kommunikation, Pressedienst 2 Bildende Kunst, Architektur 3 Darstellende Kunst 4 Musik 5 Literatur 6 Museum 7 Zoo oder Aquarium 8 Sonstige kulturelle Organisation Sport, Freizeit 9 Sport 10 Erholung, Freizeitgestaltung 11 Sonstiges
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Bildungswesen und Forschung 12 Schule (Primar-/Sekundarstufe) oder vergleichbare Ausbildungseinrichtung 13 Universitäts-, Hochschul- oder Fachhochschulausbildung 14 Berufsschulen 15 Allgemeine Erwachsenenbildung/-weiterbildung 16 Sonstige allgemeinbildende Einrichtung 17 Medizinische Forschung 18 Naturwissenschaften und Technik 19 Sozial-, Wirtschafts-, Geisteswissenschaften 20 Politikberatung 21 Politische Bildung 22 Sonstige Organisation im Bildungs- und Wissenschaftsbereich 23 Sonstige Forschungseinrichtung Gesundheitswesen 24 Akutkrankenhaus 25 Sonderkrankenhaus (außer Psychiatrische Krankenhäuser) 26 Pflegeheim 27 Psychiatrisches Krankenhaus 28 Stationäre therapeutische Einrichtung 29 Ambulanter psychiatrischer oder psychosozialer Dienst 30 Sonstige psychiatrische, psychotherapeutische oder psychosoziale Einrichtung 31 Gesundheitsberatung/-erziehung, krankheitsspezifische Organisationen 32 Ambulanter Pflegedienst 33 Ambulante Rehabilitationseinrichtung oder -maßnahme 34 Krankentransport und/oder Rettungsdienst 35 Sonstiges Soziale Dienste und Hilfen 36 Kleinkind- oder Vorschulerziehung, Kinderpflegewesen 37 Jugendarbeit 38 Familienhilfe, Ehe- und Erziehungsberatung 39 Frauenhaus 40 Hilfe bei Kindesmisshandlung 41 Sexualberatung 42 Behindertenhilfe/-heim (außer Pflegeheim und Rehabilitation) 43 Altenhilfe/-heim (außer Pflegeheime und Rehabilitation) 44 Mobiler Sozialer Hilfsdienst 45 Essen auf Rädern
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46 Bewährungshilfe, Rehabilitation Straffälliger 47 Ausländerarbeit 48 Hilfe für Verbrechensopfer 49 Sonstiger persönlicher sozialer Dienst 50 Gemeinwesenarbeit, Nachbarschaftshilfe 51 Katastrophenschutz und -hilfe 52 Nichtsesshaften-, Wohnungslosenhilfe 53 Hilfe für Asylbewerber, Aussiedler und sonstige Zuwanderer 54 Finanzielle Unterstützung und Hilfe, Schuldnerberatung 55 Hausnotruf 56 Sonstiges Umwelt- und Naturschutz 57 Umwelt-, Natur-, Artenschutz 58 Landschaftspflege 59 Tierschutz, Tierheim, Tierfreunde 60 Tierärztlicher Dienst 61 Sonstiges Wirtschaftliche Entwicklung und Wohnungswesen 62 Organisation und Beratung lokaler Entwicklungsprojekte 63 Gemeinnützige Wohnungswirtschaft 64 Mieterorganisation 65 Sonstige Organisation im Bereich des Wohnens 66 Berufliche Fortbildung, Umschulung, Qualifizierungsmaßnahmen 67 Beschäftigungsinitiativen, Berufsförderung 68 Berufliche Wiedereingliederung (soweit nicht medizinische Rehabilitation) 69 Sonstiges Vertretung von Bürger- und Verbraucherinteressen 70 Staatsbürgerliche Vereinigung 71 Verbrauchervereinigung (z.B. Stiftung Warentest), Verbraucherberatung, -schutz 72 Organisation einer ethnischen Minderheit 73 Minderheitenschutz 74 Geschlechterspezifische Organisation/Interessenvertretung/Beratung 75 Vertretung von Senioreninteressen 76 Bürgerinitiative 77 Rechtsberatung 78 Frauenförderung
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79 Verbrechensverhütung, öffentliche Sicherheit 80 Sonstiges Stiftungswesen, Spendenwesen, allgemeine ehrenamtliche Arbeit 81 Fördernde Stiftung 82 Einrichtung zur finanziellen Förderung und Unterstützung von ehrenamtlicher Arbeit, sozialem Engagement und Partizipation 83 Einrichtung zur finanziellen Förderung und Unterstützung politischer Bildung 84 Einrichtung zur Organisation und Unterstützung von Spendenaktionen 85 Sonstiges Internationale Aktivitäten 86 Völkerverständigung, Kulturaustausch, Städtepartnerschaft 87 Entwicklungshilfeorganisation 88 Internationale Hilfsorganisation 89 Internationale Menschenrechts- oder Friedensorganisation 90 Sonstiges Wirtschaftsverbände, Berufsverbände, Gewerkschaften 91 Wirtschaftsverband/-organisation 92 Berufsverband/-vereinigung 93 Fachverband 94 Gewerkschaft 95 Sonstiges Religion 96 Religiöse Tätigkeiten 97 Seelsorge 98 Sonstiges Sonstige
Bei der Ermittlung von Daten im Rahmen des Projektes wurde soweit wie möglich auf vorhandenes Material zurückgegriffen. Gleichwohl zeigte sich, dass in einer Reihe von Ländern, so auch in Deutschland, bestehende Datenlücken mit eigenständig durchgeführten Erhebungen geschlossen werden mussten. Für das deutsche Teilprojekt wurde in der Phase II insgesamt auf folgende Datenquellen rekurriert:
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Tabelle 2: Datenquellen der deutschen Teilstudie des Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project
– Amtliche Statistik (Statistisches Bundesamt): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (Beschäftigte, Finanzen), verschiedene Spezialstatistiken, Sonderauswertungen – Bundesanstalt für Arbeit: Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte nach Wirtschaftsklassen, jeweils am 30. Juni (Gesamtbeschäftigte, Voll-, Teilzeit unter und über 18 Stunden), Sonderauswertungen – Stiftungsdatenbank des Maecenata Instituts – Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege/Berufsgenossenschaft für Verwaltung: Beschäftigte, Arbeitsstunden, Einkommen, Sonderauswertungen – Statistiken der Wohlfahrtsverbände und anderer Organisationen: Beschäftigte nach Voll- und Teilzeit, Differenzierung nach Bereichen – Weitere spezielle Statistiken: Krankenhausstatistik: Beschäftigte, Finanzen, Leistungen; Statistik des Deutschen Städtetages; Stiftungsdatenbank des MAECENATA Instituts u.a. – Spezielle eigene Erhebungen im Projekt: – Bevölkerungsbefragung zum Ehrenamt und Spendenverhalten 1996 und 1997 (Stichprobenumfang: 3.000) – Organisationserhebung „Gemeinnützige Organisationen im gesellschaftlichen Wandel” (Rücklauf: 2.240 Fragebögen)
Wie die Übersicht zeigt, wurden einzelne Quellen der amtlichen Statistik sekundäranalytisch genutzt sowie das statistische Material von Einzelorganisationen, wie etwa der Wohlfahrtsverbände, zu Rate gezogen. Als eigenständige Primärerhebungen fanden im Rahmen der deutschen Teilstudie des Johns Hopkins-Projektes repräsentative Befragungen zum ehrenamtlichen Engagement und zum Spendenverhalten237 sowie die Organisationserhebung „Gemeinnützige Organisationen im gesellschaftlichen Wandel“238 statt.
4.2.2 Civicus Das Civicus Project machte es sich zur Aufgabe, den „Zustand“ von Zivilgesellschaft(en) weltweit im jeweils nationalen Kontext zu erfassen. Das Projekt wurde von der internationalen zivilgesellschaftlichen Organisation Civicus in Kooperation mit Partnerorganisationen in den einzelnen Ländern durchgeführt. In Deutschland wurde das Projekt erstmalig 2003–2005 vom Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft realisiert.239 || 237 Vgl. Priller/Zimmer, Ende der Mitgliederorganisationen? 238 Vgl. Zimmer/Priller, Gemeinnützige Organisationen im gesellschaftlichen Wandel, S. 73 ff. 239 Vgl. Reimer, Die Stärke der Zivilgesellschaft in Deutschland.
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Civicus: World Alliance for Citizen Participation ist ein weltweites Netzwerk zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements mit Sitz in Johannesburg (Südafrika) und Büros in London, Genf und New York. Es wurde 1993 gegründet und ist mittlerweile in 145 Ländern vertreten. Civicus will mit seiner Arbeit zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft beitragen und Bürgerbeteiligung als lebendigen Aspekt des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens fördern. Das „Civil Society Index Project (CSI)“ ist eines von mehreren Projekten, die von dem Netzwerk unternommen wurden. In diesem Kontext sollte mit dem Projekt besonders das Wissen über die Zivilgesellschaft vergrößert, der Dialog zwischen ihren Akteuren angeregt und vor allem eine Plattform für weitere (nationale und internationale) Forschungsarbeiten geschaffen werden. Bei der Erstellung der Länderberichte wurde in dem Projekt in zwei Schritten vorgegangen. In einem ersten Schritt wurden Informationen zur Zivilgesellschaft anhand eines Kategorienmodells mittels einer Sekundäranalyse und einer Medienanalyse erfasst. In einem zweiten Schritt wurden die Ausprägungsgrade der Zivilgesellschaft durch ihre Akteure und Stakeholder – die „National Advisory Group“ – entlang des Kategoriensystems und auf der Grundlage der gewonnenen Informationen bewertet. Als Ergebnisse entstanden Länderberichte, die zur graphischen Veranschaulichung in einem „Civil Society Diamond“ für die einzelnen Länder dargestellt wurden. Somit konnten umfassende und teils nach neuartigen Merkmalen gestaltete internationale Systematisierungen von bestehenden und neu gewonnenen Informationen vorgenommen und durch Experten in Diskussionsgruppen bewertet werden. Für den Bereich der Zivilgesellschaft wurde dadurch für Deutschland nicht nur eine Zustandsanalyse erstellt, sondern auch die Position Deutschlands in einem internationalen Rating vorgenommen. Im Design des Civicus Projekts wurde die Zivilgesellschaft in vier Dimensionen erfasst, die sich wiederum in Unterdimensionen und in rund 70 Indikatoren gliedern. Die vier Dimensionen lauten: – Struktur, – Rahmenbedingungen, – Werte und Normen, – gesellschaftliche Effekte. Mit der Dimension „Struktur“ wurden grundlegende Informationen zur Zivilgesellschaft erfasst. Darunter fiel etwa der Anteil bürgerschaftlich Engagierter an der Gesamtbevölkerung, deren soziale Zusammensetzung und der Umfang des Engagements. Die Dimension „Rahmenbedingungen“ bezog sich auf den politischen, rechtlichen, sozioökonomischen bzw. soziokulturellen Kontext, in den die Zivilgesellschaft eingebettet ist. Als Beispiel für die soziokulturelle Einbettung kann etwa das Merkmal Vertrauen genannt werden. Die Dimension „Werte und Normen“ zielt auf die dem Handeln in der Sphäre der Zivilgesellschaft zugrunde liegenden Werte
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und Normen, die durch ihre Akteure und Organisationen transportiert und stets aufs Neue konstituiert werden. Hierunter fällt beispielsweise die Frage, inwieweit zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrem Handeln an Transparenz orientiert sind. Die Dimension „gesellschaftliche Effekte“ bezieht sich auf Sachverhalte wie den politischen Einfluss der zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die folgende Übersicht gibt die Dimensionen, Unterdimensionen und Indikatoren wider: Tabelle 3: Übersicht zu Dimensionen, Unterdimensionen und Indikatoren des Civicus Projektes240
1 Struktur der Zivilge- 2 Rahmenbedin3 Werte und Normen sellschaft in gungen für die ZiDeutschland vilgesellschaft in Deutschland
4 Gesellschaftliche Effekte
1.1 Verbreitung des Engagements
2.1 Politische Rah- 3.1 Demokratische 4.1 Einflussnahme zivilgemenbedingunStrukturen in zivilsellschaftlicher Akteugen für die Zivilgesellschaftlichen re auf Prozesse politigesellschaft in Organisationen scher Deutschland und anwaltschaftliEntscheidungsfindung ches Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen für Demokratie
1.1.1 Verbreitung der Mitgliedschaft in zivilgesellschaftlichen Organisationen 1.1.2 Verbreitung des Engagements 1.1.3 Verbreitung des Geldspendens 1.1.4 Verbreitung des nicht parteigebundenen politischen Engagements 1.1.5 Verbreitung gemeindebezogener Aktivitäten
2.1.1 Politische 3.1.1 Demokratische 4.1.1 Einflussnahme Rechte Strukturen in zizivilgesellschaftli2.1.2 Parteienwettvilgesellschaftlicher Akteure auf bewerb chen OrganisatiProzesse politischer 2.1.3 Vertrauen in onen Entscheidungsfindie Gerichts- 3.1.2 Für Demokratie dung im Bereich der barkeiten anwaltschaftlich Menschenrechte 2.1.4 Korruption tätige zivilgesell- 4.1.2 Einflussnahme 2.1.5 Staatliche schaftliche OrzivilgesellschaftliAufgabenerfülganisationen cher Akteure auf lung Prozesse politischer 2.1.6 DezentralisieEntscheidungsfinrung dung im Bereich der Sozialpolitik 4.1.3 Einflussnahme zivilgesellschaftlicher Akteure auf die Haushaltsplanung
|| 240 Vgl. Reimer, Die Stärke der Zivilgesellschaft in Deutschland, S. 116 ff.
114 | Empirische Zivilgesellschaftsforschung
1.2 Intensität des Engagements
2.2 Die Ausgestal3.2 Korruption inner- 4.2 Einflussnahme auf die tung der Grundhalb der ZivilgeRechenschaftslegung rechte als Rahsellschaft, finanzivon Staat und Wirtmenbedingung elle Transparenz schaft für die Zivilgezivilgesellschaftlisellschaft in cher OrganisatioDeutschland nen und Anstrengungen zivilgesellschaftlicher Akteure zur Förderung von Transparenz
1.2.1 Anzahl der Mit2.2.1 Bürgerrechte 3.2.1 Korruption in4.2.1 Einflussnahme gliedschaften 2.2.2 Informationsnerhalb der Zivilzivilgesellschaftli1.2.2 Durchschnittlich freiheit gesellschaft cher Akteure auf die für das Engage- 2.2.3 Pressefreiheit 3.2.2 Finanzielle Rechenschaftslement aufgewenTransparenz zigung des Staates dete Zeit vilgesellschaftli- 4.2.2 Einflussnahme 1.2.3 Anteil der Spencher Organisatizivilgesellschaftliden am Persoonen cher Akteure auf die neneinkommen 3.2.3 Anstrengungen Rechenschaftslezivilgesellschaftgung von Wirtlicher Akteure schaftsunternehmen zur Förderung von Transparenz 1.3 Soziodemographi- 2.3 Sozioökonomi- 3.3 Toleranz innerhalb 4.3 Gesellschaftliche sche Merkmale Ensche Rahmenbeder ZivilgesellRelevanz der Tätigkeit gagierter und regidingungen für schaft und Anzivilgesellschaftlicher onale Verteilung die Zivilgesellstrengungen zivilAkteure zivilgesellschaftlischaft in gesellschaftlicher cher OrganisatioDeutschland Akteure zur Fördenen rung von Toleranz 1.3.1ˆMitgliedschaft in zivilgesellschaftlichen Organisationen und Engagement nach soziodemographischen Merkmalen 1.3.2 Funktions- und Leitungspositionen in zivilgesellschaftlichen Organisationen nach soziodemographischen Merkmalen
3.3.1 Toleranz inner- 4.3.1 Gesellschaftliche halb der ZivilgeRelevanz der Tätigsellschaft keit zivilgesell3.3.2 Anstrengungen schaftlicher Akteure zivilgesellschaft- 4.3.2 Vertrauen in zivilgelicher Akteure sellschaftliche Orgazur Förderung nisationen von Toleranz
Komplexe Forschungsansätze | 115
1.3.3 Regionale Verteilung zivilgesellschaftlicher Organisationen 1.4 Organisationsniveau zivilgesellschaftlicher Organisationen
2.4 Soziokulturelle 3.4 Gewaltfreiheit in 4.4 Bürgerermächtigung Rahmenbedinder Zivilgesellgungen für die schaft und AnZivilgesellschaft strengungen zivilin Deutschland gesellschaftlicher Akteure zur Förderung von Gewaltfreiheit
1.4.1 Eingebundenheit 2.4.1 Vertrauen zivilgesellschaft- 2.4.2 Toleranz licher Organisati- 2.4.3 Public Spirionen in Dachvertedness bände 1.4.2 Zufriedenheit der Organisationen mit der Arbeit der Dachverbände 1.4.3 Nutzung von Instrumenten der Selbstkontrolle in zivilgesellschaftlichen Organisationen 1.4.4 Zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützende Infrastruktur 1.4.5 Internationale Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen 1.5 Grad der Vernetzung unter zivilgesellschaftlichen Organisationen
3.4.1 Gewaltfreiheit 4.4.1 Öffentliche Aufkläinnerhalb der Zirung durch zivilgevilgesellschaft sellschaftliche Orga3.4.2 Anstrengungen nisationen zivilgesellschaft- 4.4.2 Vernetzung und licher Akteure Stärkung kollektiven zur Förderung Engagements von Gewaltfrei- 4.4.3 Unterstützung von heit Randgruppen durch Akteure der Zivilgesellschaft 4.4.4 Unterstützung von Frauen durch zivilgesellschaftliche Organisationen 4.4.5 Bildung sozialen Kapitals 4.4.6 Soziale Leistungen zivilgesellschaftlicher Organisationen im Bereich Arbeitsmarkt
2.5 Rechtliche Rah- 3.5 Geschlechterge4.5 Soziale Relevanz der menbedingunrechtigkeit innerTätigkeit zivilgesellgen für die Zivilhalb der Zivilgeschaftlicher Akteure gesellschaft in sellschaft und Deutschland Anstrengungen zivilgesellschaftlicher Akteure zur Förderung von Gleichberechtigung
116 | Empirische Zivilgesellschaftsforschung
1.5.1 Kommunikation 2.5.1 „CSO3.5.1 Geschlechterge- 4.5.1 Lobbying zivilgesellunter zivilgesell..Registrati on“ rechtigkeit in der schaftlicher Organischaftlichen Or- 2.5.2 Zulässigkeit Zivilgesellschaft sationen gegenüber anwaltschaft- 3.5.2 Gleichstellungsganisationen dem Staat und Auflicher Tätigkei1.5.2 Kooperation bemühungen zigabenverteilung ten zivilgesellunter zivilgesellvilgesellzwischen Staat und schaftlicher schaftlichen Orschaftlicher OrZivilgesellschaft beOrganisatioganisationen ganisationen züglich sozialer Leisnen 3.5.3 Anstrengungen tungen 2.5.3 Steuerrechtlizivilgesellschaft- 4.5.2 Direkte Unterstütche Rahmenlicher Akteure zung Hilfebedürftibedingungen zur Förderung ger durch zivilgefür zivilgesellvon Geschlechsellschaftliche schaftliche tergerechtigkeit Organisationen Organisatio4.5.3 Direkte Unterstütnen zung von Randgrup2.5.4 Steuerrechtlipen durch zivilgeche Rahmensellschaftliche bedingungen Organisationen für philanthropisches Handeln 1.6 Ressourcen zivilge- 2.6 Verhältnis zwi- 3.6 Armutsbekämpsellschaftlicher Orschen Staat und fung durch zivilgeganisationen Zivilgesellschaft sellschaftliche Organisationen 1.6.1 Finanzielle Ressourcen zivilgesellschaftlicher Organisationen 1.6.2 Personelle Ressourcen zivilgesellschaftlicher Organisationen
2.6.1 Kontrolle und 3.6.1 ArmutsbekämpAufsicht zivilfung durch zivilgesellschaftligesellschaftliche cher OrganisaOrganisationen tionen durch den Staat 2.6.2 Dialog und Kooperation: Die Art der Beziehungen zwischen Staat und Zivilgesellschaft 2.6.3 Finanzielle Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen durch den Staat
Komplexe Forschungsansätze | 117
2.7 Verhältnis zwi- 3.7 Anstrengungen schen Wirtschaft zivilgesellschaftliund Zivilgesellcher Akteure im schaft Sinne der Förderung des Umweltschutzes 2.7.1 Haltung der Wirtschaft gegenüber der Zivilgesellschaft 2.7.2 Corporate Social Responsibility 2.7.3 Corporate Philanthropy
Die Informationserfassung und Darstellung der Ergebnisse im Bericht orientieren sich an den in der Tabelle 3 veranschaulichten Merkmalen. Civicus verfolgte im Hinblick auf die Generierung von Informationen folgende Zugangswege: 1. Sekundäranalysen, 2. „Regional Stakeholder Consultations“, in denen Akteure und Stakeholder der Zivilgesellschaft auf der lokalen Ebene befragt werden, 3. „Community Sample Surveys“, in denen „Face to Face“-Interviews mit Mitgliedern der Kommune geführt werden (diese werden über eine geschichtete Auswahl gewonnen), 4. „Fact Finding“, worunter unter anderem das Studium „grauer Literatur“ oder Experteninterviews fallen und 5. eine Medienanalyse. In Deutschland wurden aus forschungspragmatischen Gründen (personelle und finanzielle Ressourcen) im Rahmen der Informationserfassung Sekundäranalysen sowie Medienanalysen durchgeführt. Im Rahmen der Sekundäranalyse wurde auf eine Reihe relevanter Studien und Publikationen zurückgegriffen (vgl. Tabelle 4). Priorität hatten international vergleichende sowie spezifische aktuelle deutsche Studien, nach Möglichkeit mit Langzeitperspektive. Besondere Beachtung fanden die Berichte der Enquete Kommission zur „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages, die Angaben des Freiwilligensurvey von 1999 und die Ergebnisse des Johns Hopkins Comparative Non Profit Sector Project. Als schwierig erwies sich der unterschiedliche Zuschnitt von Merkmalen in den einzelnen Untersuchungen, wodurch die Vergleichbarkeit erschwert wurde. An einigen Stellen wurde auf Beispiele zur Illustration zurückgegriffen. Diese wurden anhand von Internetrecherchen gewonnen. Weiterhin wurden an einigen Stellen Ergebnisse der Medienanalyse einbezogen.
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Tabelle 4: Zentrale Studien, die für den Civicus Report Deutschland Verwendung fanden241 Studie
Die allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS)
Institut für Demosko- Das Soziopie Allensbach (IfD)242 oekonomische Panel (SOEP)
EnqueteKommission243
Kurzbe- Seit 1980 alle zwei Umfragen zu Alltag schrei- Jahre durchgeführ- und Lebensgefühl, bung te Umfrageserie zu gesellschaftlicher und Einstellungen, politischer EinbinVerhaltensweisen dung der Deutschen und Sozialstruktur und zur ehrenamtlichen Aktivität
Seit 1984 jährlich stattfindende Beobachtung politischen und gesellschaftlichen Wandels Zivilgesellschaftliche Fragen v. a. bei Teilen der Schwerpunktthemen wie Zeitverwendung, Familie etc.
Bestandsaufnahme bürgerschaftlichen Engagements und Handlungsempfehlungen für Akteure aus Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft.
Zentrale Politische BeteiliBegriffe gung: Mitgliedschaft in Organisationen
Ehrenamt/ehrenamtliche Tätigkeit: Unbezahlte Aktivität, die zugunsten der Allgemeinheit oder Dritter, eingebunden in einen organisationellen Rahmen, ausgeübt wird
Bürgerschaftliches Engagement: Steht für freiwilliges, zivilgesellschaftliches, gemeinwohlorientiertes Engagement, Ehrenamt, Freiwilligen-/Bürgerarbeit, Selbsthilfe. Fünf Charakteristika: Freiwilligkeit, keine Ausrichtung auf materiellen Gewinn, Gemeinwohlorientierung, Stattfinden im öffentlichen Raum, gemeinschaftliche Ausübung.
Ehrenamtliche Aktivität:244 Innehaben eines gering- oder unbezahlten Amtes in einer Gruppe oder Organisation
Ehrenamtliche Tätigkeit in der Freizeit: Einbindung in eine Private Aktivität: Gruppe oder Orga- Gering- oder unbenisation zahlte Tätigkeit in einer Gruppe oder Organisation, ohne Ausfüllung eines bestimmten Amtes
|| 241 Enquete-Kommission Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements, Bericht: Bürgerschaftliches Engagement; Institut für Demoskopie Allensbach, Lob und Anerkennung für ehrenamtliche Helfer; Noelle-Neumann/Köcher (Hrsg.), Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1998–2002; Statistisches Bundesamt, Datenreport 2002. 242 Es handelt sich hierbei um das elfte Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie (1998–2002) und den Allensbacher Bericht Nr. 10/2003. 243 Es handelt sich hierbei um den Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerlichen Engagements“ des 14. Deutschen Bundestages. 244 Die Unterscheidung zwischen ehrenamtlicher und privater Aktivität wurde in diesem Bericht ausschließlich bei der Fragestellung, nicht bei der Auswertung vorgenommen.
Komplexe Forschungsansätze | 119
Studie
Die allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS)
Institut für Demosko- Das Soziopie Allensbach (IfD)242 oekonomische Panel (SOEP)
EnqueteKommission243
Verbindungslinien zu Begriffen wie Bürger, Bürgergesellschaft, soziales Kapital, Öffentlichkeit.
Fortsetzung Zentrale Studien245 Studie
JHP
Wohlfahrtssurvey Freiwilligensurvey
Zeitbudgeterhebung
Kurzbe- Erfassung des Dritten Seit 1978 sieben schrei- Sektors als instituti- durchgeführte bung onellem Kern der Erhebung zur Zivilgesellschaft. Messung der Aufschluss über Wohlfahrt und ökonomische Struk- Lebensqualität in tur und historische, Ost- und Westgesellschaftliche und deutschland politische Dimension des Dritten Sektors
1999 durchgeführte Erhebung zu Umfang, Potenzial und Erscheinungsbild der Freiwilligenarbeit und deren Bedeutung für die Zivilgesellschaft
Darstellung des Zusammenlebens der Bundesbürgerinnen und -bürger in Haushalten und Familien sowie der wechselseitigen Einwirkung der Haushalts- und Familienmitglieder aufeinander
Zentrale Fünf Kriterien von Begriffe Not for Profit Organisationen (NPO): formelle Struktur, organisatorische Unabhängigkeit vom Staat, keine Gewinnorientierung, Selbstverwaltung, keine Verkörperung von Zwangsverbänden
Freiwilliges Engagement: Übernahme freiwilliger, ehrenamtlicher Aufgaben und Arbeiten
Ehrenamt: wichtiges Element im breiten Feld bürgerschaftlichen Engagements
Soziale und politische Beteiligung: Mitgliedschaft in Organisationen und Vereinen als Ausdruck sozialer und politischer Integration der Gesellschaft und als Gegenpol zu sozialer Exklusion
Aktive Beteiligung: Aktivität des „Mitmachens“ in Vereinen, Gruppierungen, Organisationen und Einrichtungen
|| 245 Vgl. Rosenbladt, Freiwilliges Engagement in Deutschland; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Statistisches Bundesamt, Wo bleibt die Zeit?; Priller/Zimmer, Der Dritte Sektor; Salamon et al., Global Civil Society; Salamon/Anheier, The Emerging Sector; Statistisches Bundesamt, Datenreport 2002; Statistisches Bundesamt, Datenreport 1999.
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Im Rahmen der Medienanalyse wurden Informationen zur deutschen Zivilgesellschaft in der medialen Öffentlichkeit anhand ausgewählter Medien analysiert. Berücksichtigung fanden die Zeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Süddeutsche Zeitung (SZ) und Bild (alle ohne Sonntagsausgaben) für die Zeiträume Oktober bis November 2003 sowie Februar bis März 2004. Mit der Medienanalyse wird unter anderem erfasst, wie häufig die einzelnen Merkmale (siehe oben Kategoriensystem) angesprochen werden (Frequenzanalyse). Darüber hinaus wurden Bewertungen ermittelt, so etwa wie Zivilgesellschaft dargestellt wird (positiv, negativ, ambivalent, keine Wertung). Als offene Kategorie ist die Nennung der Akteure/ZGO anzuführen. Die Auswahl der als National Advisory Group bezeichneten Akteure erfolgte auf der Grundlage der von Civicus genannten Kategorien. Für Deutschland wurde entsprechend der Empfehlung des wissenschaftlichen Beirates zusätzlich eine Spiegelbzw. Kontrollgruppe eingerichtet. Die Aufgabe der National Advisory Group sowie der Spiegelgruppe bestand darin, auf der Grundlage des vorgelegten Berichtes die Ausprägung der Zivilgesellschaft auf einer Ordinalskala von „0“ (liegt nicht vor) bis „3“ (liegt sehr ausgeprägt vor) zu bewerten. Auf dieser Grundlage wurden die Werte für die vier untersuchten Dimensionen ermittelt. Dies wurde graphisch in einem „Civil Society Diamond“ veranschaulicht:
Grafik 1: Beispiel eines Civil Society Diamonds Quelle: Reimer, Die Stärke der Zivilgesellschaft in Deutschland, S.135.
Ausgewählte Erhebungen und Datenquellen auf Organisationsebene (Meso-Ebene) | 121
4.3 Ausgewählte Erhebungen und Datenquellen auf Organisationsebene (Meso-Ebene) 4.3.1 „Organisationen heute“ In Fortführung und Tradition der empirischen Erhebung im Rahmen des Johns Hopkins Project wurde 2011/2012 von der damaligen Projektgruppe Zivilengagement am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung246 und mit Förderung durch die Hans Böckler Stiftung sowie die Jacobs Foundation eine bundesweite Befragung unter der Überschrift „Organisationen heute – zwischen eigenen Ansprüchen und ökonomischen Herausforderungen“ durchgeführt.247 Es wurde eine Stichprobe im Umfang von 11.971 Vereinen, gemeinnützigen Unternehmergesellschaften (gGmbH), Genossenschaften und Stiftungen aus unterschiedlichen Quellen gezogen. Das Untersuchungsfeld bestand also aus den Rechtsformen, die im Wesentlichen die Zivilgesellschaft in Deutschland prägen. Befragt wurden die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer bzw. Vorstandsvorsitzende oder -mitglieder, die stellvertretend für ihre Organisation Auskunft geben konnten. Die Fragebögen wurden schriftlich versandt, wobei alternativ die Möglichkeit bestand, eine Online-Version zu nutzen. Mittels des schriftlich erfolgten Zugangs konnte ein großer Teilnehmerkreis angesprochen werden. Die Feldphase dauerte vom 13. Oktober 2011 bis zum 9. Januar 2012. Da über 90 Prozent der Organisationen in Deutschland als Verein organisiert sind, war die Ziehung einer disproportional geschichteten Zufallsstichprobe sinnvoll. Dies bedeutete, dass – in Relation zu ihren eigentlichen Anteilen in der Grundgesamtheit – die eingetragenen Vereine deutlich seltener und die anderen Rechtsformen häufiger angeschrieben wurden. Die disproportionale Stichprobenziehung sicherte ab, dass kleinere Teilgesamtheiten wie gGmbHs, Genossenschaften und Stiftungen in einer für die Datenanalyse ausreichenden Anzahl vertreten waren. Der Fragebogen wurde auf Grundlage der Forschungsfragestellungen und durch die Nutzung bewährter Erhebungsinstrumente aus anderen Untersuchungen entwickelt. Eine Vorabversion wurde von 35 Vertreterinnen und Vertretern aus Praxis und Wissenschaft durchgesehen und in anschließenden Expertengesprächen auf inhaltliche Vollständigkeit, Verständlichkeit und Funktionalität ausgewertet (Pretest). Der Fragebogen gliederte sich in neun thematische Blöcke: 1. Organisationsstruktur 2. Tätigkeitsfelder der Organisation
|| 246 Siehe Priller, Projektgruppe Zivilengagement unter www.wzb.eu/de/forschung/beendeteforschungsprogramme/zivilgesellschaft-und-politische-mobilisierung/projekte/zengprojektgruppe-zivilengagement 247 Vgl. Priller et al., Dritte-Sektor-Organisationen heute.
122 | Empirische Zivilgesellschaftsforschung
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Mitglieder Ehrenamtliches Engagement Ehrenamtliche Funktionen Beschäftigung Einbindung der Organisation in die Umwelt Finanzierung Angaben zur ausfüllenden Person
Quer zu den inhaltlich-thematischen Blöcken erhob der Fragebogen Informationen zur Beteiligung und Integration von jungen Menschen in den Organisationen des Dritten Sektors. Damit konnten Anforderungen aus dem demographischen Wandel und besonders der Praxis der Nachwuchsarbeit der Organisationen näher erfasst werden. Von den versendeten Fragebögen wurden 3.111 Exemplare ausgefüllt, was einer Rücklaufquote von rund 26 Prozent entspricht. Von allen realisierten Interviews wurden 2.536 schriftlich bearbeitet, 575 Organisationen nutzten die Online-Version. Die Antwortbereitschaft war in den einzelnen Rechtsformen unterschiedlich. Während 32 Prozent der angeschriebenen Vereine den Fragebogen beantworteten, wurde bei den gGmbHs eine Rücklaufquote von nur 18 Prozent erzielt. Bei den Stiftungen betrug der Rücklauf 21 Prozent und bei den Genossenschaften 19 Prozent. Die Ausschöpfung der Befragung ist damit im Vergleich zu anderen Erhebungen mit ähnlicher Methodik als sehr hoch einzuschätzen.
4.3.2 ZiviZ-Survey Die ZiviZ gGmbH ist eine Tochtergesellschaft des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft mit Sitz in Berlin. Entstanden aus der Projektinitiative „Zivilgesellschaft in Zahlen“ (ZiviZ) des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, der Bertelsmann Stiftung und der Fritz Thyssen Stiftung besteht die Zielstellung von ZiviZ als eigener Organisationseinheit darin, zu einer nachhaltigen Verbesserung der Datenlage und wissenschaftlichen Erkenntnis über die organisierte Zivilgesellschaft in Deutschland beizutragen. Dazu soll eine quantitative Dauerbeobachtung entwickelt und langfristig implementiert werden. Auch eine Einbindung des Themas Zivilgesellschaft in die amtliche Statistik wird angestrebt.248 Ein wichtiger Bestandteil der Aufgabenstellung von ZiviZ ist die bisherige zweimalige Durchführung des ZiviZ-Survey als umfangreiche Organisationserhebung. Diese orientiert sich wie eine Reihe anderer Organisationserhebungen an den vier wichtigsten Rechtsformen zivilgesellschaftlicher Organisationen: den eingetra|| 248 Vgl. Priemer/Krimmer, ZiviZ-Survey 2017, S. 59.
Ausgewählte Erhebungen und Datenquellen auf Organisationsebene (Meso-Ebene) | 123
genen Vereinen, Stiftungen, gemeinnützigen GmbHs und Genossenschaften. Der erste ZiviZ-Survey wurde im Jahr 2012 mittels eines Fragebogens durchgeführt; er wurde 2016/2017 wiederholt. Die Untersuchung beansprucht für sich Repräsentativität für die organisierte Zivilgesellschaft in Deutschland. Durch wiederholte Befragungen werden Trendaussagen zur gesamten Bandbreite der Organisationslandschaft angestrebt. Der ZiviZ-Survey ist ein Instrument der Dauerberichterstattung zur organisierten Zivilgesellschaft in Deutschland. Thematisch ist der Fragebogen der Tradition des Johns Hopkins Project verbunden und weist eine ähnliche Struktur auf. Die Untersuchung lehnt sich strukturell an die Erhebungssystematik zum Dritten Sektor an, die 2003 mit dem „Handbook on Non-Profit Institutions in the System of National Accounts“ von den Vereinten Nationen vorgelegt wurde.249 Durch den Anspruch auf Repräsentativität hat theoretisch jeder eingetragene Verein, jede Stiftung und jede gemeinnützige GmbH oder Genossenschaft die Chance, durch den ZiviZ-Survey befragt zu werden. Allerdings gewichtet auch diese Erhebung die Rechtsformen unterschiedlich. In der Stichprobe der Befragung von 2016/2017 waren 80 Prozent Vereine, 12 Prozent Stiftungen, 6 Prozent gGmbHs und 2 Prozent Genossenschaften. Insgesamt umfasste die Stichprobe 71.382 Organisationen. Mit 6.334 Organisationen, die den Fragebogen beantworteten, konnte ein Rücklauf von 10 Prozent erreicht werden. Das traf auch für Vereine zu, die mit ihren 5.081 beantworteten Fragebögen den dominanten Anteil an der Befragung hatten.250 In der ersten Erhebungswelle antworteten 3.819 Organisationen mit einem Rücklauf von 19 Prozent251. Von der Anlage her wurde ein Teil der Fragen in den einzelnen Erhebungen erneut gestellt, um Aussagen über Trends und Entwicklungen in der organisierten Zivilgesellschaft in Deutschland zu erhalten. Außerdem werden in jedem ZiviZSurvey neue Schwerpunktthemen aufgenommen, um die Wirkung aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen auf die Organisationen besser abbilden zu können. Inhaltliche Schwerpunkte 2016/2017 waren Fragen zum Engagement im Bildungskontext, zu Fördervereinen sowie zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und von Flüchtlingen. Es ist vorgesehen, die Erhebung alle vier bis fünf Jahre durchzuführen.
|| 249 Vgl. United Nations, Handbook on Non-Profit Institutions. 250 Vgl. Priemer/Krimmer, ZiviZ-Survey 2017, S. 53. 251 Vgl. Krimmer/Priemer, ZiviZ-Survey 2012, S. 82.
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4.4 Ausgewählte Erhebungen auf der Personenebene (Mikroebene) 4.4.1 Deutscher Freiwilligensurvey Der Freiwilligensurvey wird im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) durchgeführt. Er basiert auf einer telefonischen Befragung von Einzelpersonen zum Vorhandensein, Umfang und zur Ausrichtung ihres Engagements. Bislang wurde der Freiwilligensurvey in fünf Wellen (1999, 2004, 2009, 2014 und 2019) durchgeführt. Ziel des Freiwilligensurveys ist es, die Strukturen und Inhalte von zivilgesellschaftlichen Aktivitäten in formellen und informellen Zusammenhängen zu erfassen. Die Konzipierung der Erhebungen wird durch einen Projektbeirat mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen begleitet. Zentrale Ergebnisse werden veröffentlicht252. Staatliche, wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure nutzen den Freiwilligensurvey als Informationsquelle. Die Enquete-Kommission zur „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ (1998–2002) nahm in ihren Bestandsaufnahmen und Empfehlungen vielfach Bezug auf den Survey und regte an, die Erhebung als Längsschnittstudie zu etablieren. Im Unterausschuss des Bundestages für Bürgerschaftliches Engagement sowie in engagementpolitischen Arbeitsgremien der Parteien finden die Daten und Analysen kontinuierlich Verwendung. Verbände und Vereine beziehen sich ebenfalls regelmäßig auf den Survey, da sie mit den Daten argumentieren und ihr Freiwilligenmanagement gestalten und entwickeln können. In der Wissenschaft stößt der Survey allgemein auf positive Resonanz, da er eine umfassende empirische Grundlage für individuelles Engagement darstellt, die für Analysen im Rahmen eigener Forschungen gut verwendet werden kann. Gleichzeitig wird an der Ausrichtung und den Ergebnissen des Surveys Kritik geübt. Sie betreffen einerseits die mit dem Survey ermittelten hohen und steigenden Werte der Engagementbeteiligung (Engagementquoten), die mit der Wahrnehmung und Praxis vieler Organisationen nicht übereinstimmen. Andererseits haben gerade die in der Erhebungswelle von 2014 vorgenommenen umfangreichen methodischen Veränderungen – die nicht nur zu stark angestiegenen Zuwachsraten im Engagement führten, sondern auch die Vergleichbarkeit zu den Ergebnissen der vorherigen Erhebungen einschränken – das Vertrauen in die Angaben gemindert. Inhaltlich wird mit dem Freiwilligensurvey ermittelt, in welchen Bereichen (z.B. Sport und Bewegung, Feuerwehr und Rettungsdienste, Natur- und Tierschutz),
|| 252 Vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer (Hrsg.), Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014; Gensicke, Freiwilliges Engagement in Deutschland. Freiwilligensurvey 2009; Gensicke/Geiss/Picot, Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999–2004.
Ausgewählte Erhebungen auf der Personenebene (Mikroebene) | 125
Organisationsformen (z.B. Verein, Kirche, Verband) und mit welchen Erwartungen und Motiven (Spaß, Geselligkeit, etwas für das Gemeinwohl tun wollen) sowie wie häufig und wie lange Personen zivilgesellschaftlich aktiv sind. Da auch umfangreiche personenbezogene Merkmale wie Einkommens- und Erwerbsverhältnisse, Haushaltsgröße, Größe des Freundes- und Bekanntenkreises und regionale Mobilität abgefragt werden, können mit dem Datensatz unterschiedliche sozialwissenschaftliche Fragestellungen bearbeitet werden, etwa solche, die im Zusammenhang mit der Untersuchung von sozialem Kapital, sozialer Integration und Wertewandel stehen. Eine Stärke des Freiwilligensurveys ist dabei, dass Veränderungen im Zeitverlauf seit 1999 sichtbar sind. Schwerpunkte von Auswertungen sind unter anderem wie sich Mitgliedschaften und politische Aktivitäten entwickeln und inwiefern eine Veränderung des Arbeitsmarkt- und Arbeitlosenregimes sowie der Bildungspolitik einen Einfluss auf freiwilliges Engagement haben. Erörtert werden zudem die Themen Monetarisierung von ehrenamtlichen Tätigkeiten, vorhandene Engagementpotenziale und Engagementhemmnisse sowie Engagement und öffentliche Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund. Als freiwillig engagiert gelten Personen, die sich in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen aktiv beteiligen, ein Amt oder eine Funktion darin übernehmen. Der Maßstab des Organisationsgrades ist im Freiwilligensurvey eher niedrig angesetzt, auch Tätigkeiten in informellen Gruppen, wie sie etwa in der Bewegungs- und Aktivismusszene üblich sind, werden als Engagement gewertet. Der Freiwilligensurvey ist die größte repräsentative Erhebung zu Trends in der Zivilgesellschaft und beim freiwilligen Engagement in Deutschland. Der Umfang der Stichprobe wurde seit 1999 kontinuierlich vergrößert, von 14.922 Fällen in der ersten Welle auf 20.005 Fälle im Jahr 2014. Die Erhebung im Jahr 2019 ist noch nicht abgeschlossen und erste Ergebnisse werden 2020 erwartet. Befragt werden im Freiwilligensurvey zufällig ausgewählte Personen ab 14 Jahre. Die hohe Fallzahl ermöglicht es, verschiedene tätigkeits- und personenbezogene Merkmale miteinander zu kombinieren. So kann man den Zeitaufwand für Engagement von Frauen mit jenem von Männern vergleichen oder Erwartungen an das Engagement von jungen und älteren Personen analysieren. Ein weiterer Vorteil der hohen Fallzahl ist, dass auch kleinere Engagementbereiche, wie Feuerwehr und Rettungsdienste oder Gewerkschaften, abgebildet werden. Oftmals interessieren Forscherinnen und Forscher der Grad der Integration und das Engagement nach Variablen wie Einkommen, Status, Alter und Herkunft. Die hohe Fallzahl erlaubt in dieser Hinsicht den Test vieler Hypothesen. Die Erhebung 2009 beinhaltet beispielsweise eine Stichprobe von 1.000 Arbeitslosen, 2.500 Personen in Ausbildung (davon jeweils 900 Schülerinnen und Schüler sowie Studierende) sowie von rund 1.800 Menschen mit Migrationshintergrund. 2014 wurden in jedem Bundesland mindestens 1.100 Personen befragt, was unter anderem landesspezifische Sonderauswertungen für die einzelnen Bundesländer ermöglicht.
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Neben dem Hauptbericht gibt es eine Reihe von personen- und bereichsspezifischen Auswertungen des Datensatzes: So hat beispielsweise Sybille Picot253 im Auftrag der Bertelsmann Stiftung (die auch an der Finanzierung der dritten Erhebung beteiligt war) das Engagement von Jugendlichen ausgewertet und sich in einem Bericht auf Engagement in Zeitkonkurrenz mit Ausbildung und Beruf, schichtspezifischen Merkmalen, Motivwandel und zunehmender Mobilität fokussiert. Auf die Engagementbereiche, Erwartungen und Motive von Studierenden geht Stefanie Groll254 in ihrer Dissertationsschrift ein. Für den größten Engagementbereich, Sport und Bewegung, wurde eine Sonderauswertung am Forschungszentrum für Bürgerschaftliches Engagement der Humboldt-Universität Berlin erstellt.255
4.5 Weitere empirische Studien, Quellen und Erhebungen 4.5.1 Engagementberichte der Bundesregierung Gemäß einem 2009 vom Deutschen Bundestag gefassten Beschluss hat die Bundesregierung in jeder Legislaturperiode einen Bericht zur Lage des bürgerschaftlichen Engagements vorzulegen. Der Bericht soll eine Bilanz der Entwicklung des Engagements ziehen, eine nachhaltige Engagementpolitik unterstützen und dazu beitragen, dass sich vorhandene Potenziale in der Gesellschaft für bürgerschaftliches Engagement entfalten können. Nach einer 2009 am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) erstellten Vorversion256 werden die Engagementberichte, die bislang 2012 und 2017 vorgelegt wurden, von einer unabhängigen Sachverständigenkommission erarbeitet. Das Gutachten der Sachverständigen wird durch eine Stellungnahme der Bundesregierung ergänzt. Insgesamt enthalten die Berichte zahlreiche Statistiken und Daten, die aus vorhandenen Erhebungen zusammengetragen, sekundäranalytisch ausgewertet oder speziell erhoben werden. In der 2009 erstellten Vorversion wurde der Schwerpunkt besonders auf das Engagement im Kontext von Familie und auf familiennahe Unterstützungsformen gelegt. Außerdem hatten Engagementpolitik und Konzepte künftiger Engagementforschung einen zentralen Stellenwert. Der erste reguläre Engagementbericht unter der Überschrift „Für eine Kultur der Mitverantwortung“ aus dem Jahr 2012 legte den Schwerpunkt auf das Engagement von Unternehmen257. Zur Schwerpunktsetzung der Analyse des Engagements von Unternehmen aus ökonomischer und volkswirt-
|| 253 Vgl. Picot, Jugend in der Zivilgesellschaft. 254 Vgl. Groll, Engagiert Euch!? Zivilgesellschaftliches Engagement an Hochschulen. 255 Vgl. Braun, Ehrenamtliches und freiwilliges Engagement im Sport. 256 Alscher/Dathe/Priller, Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. 257 Enste/Neumann/Schare, Erster Engagementbericht.
Weitere empirische Studien, Quellen und Erhebungen | 127
schaftlicher Sicht wurde die Analyse mit den Daten einer Unternehmensbefragung verbunden, die für den Engagementbericht im Rahmen des IW-Zukunftspanels zum Engagement von Unternehmen durchgeführt wurde. Der Bericht der Bundesregierung umfasst außerdem einen allgemeinen Teil zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland, der Befunde und Trends auf der individuellen Ebene und der Ebene der Organisation sowie Debatten im fachwissenschaftlichen und politischen Kontext vorstellt. Der zweite Engagementbericht aus dem Jahr 2017 trägt den Titel „Demografischer Wandel und bürgerschaftliches Engagement: Der Beitrag zur lokalen Entwicklung“.258 Im allgemeinen Teil des Berichts werden empirische Befunde und Trends vorgestellt und zentrale gesellschaftliche Debatten etwa zu den Themen Flüchtlinge, Migration und Engagement aufgegriffen. Seinen Schwerpunkt legt der Bericht aber auf die Herausforderungen des demografischen Wandels für die lokale Politik. Der Bericht liefert eine Aufbereitung von Strukturmerkmalen von Regionen und arbeitet ihre Bedeutung für die Engagementbeteiligung heraus. Damit werden Bereiche in den Mittelpunkt gestellt, die beim demografischen Wandel vor Ort hohe Bedeutung haben und mit der Sicherung der Daseinsvorsorge zusammenhängen, wie unter anderem Mobilität, Katastrophenschutz, Pflege, Kultur und Sport.
4.5.2 Datenreport Zivilgesellschaft Der „Datenreport Zivilgesellschaft“ folgt der Tradition einer wissenschaftlichen Sozialberichterstattung. Auf der Basis von vorhandenen Daten wird dabei versucht, einen Einblick in die Struktur und Entwicklung der Zivilgesellschaft als gesellschaftlichen Bereich zu gewähren. Der Datenreport Zivilgesellschaft trägt in diesem Sinne Daten aus unterschiedlichen empirischen Erhebungen – zumeist sekundäranalytisch – zusammen. Diese Angaben liegen häufig bereits aus dem Kontext verschiedener Primärerhebungen und entsprechender Veröffentlichungen vor, werden an dieser Stelle aber zusammenfassend präsentiert. Von Holger Krimmer, dem Herausgeber des Datenreports wird hervorgehoben, dass die „ganze Bandbreite vorliegender Erhebungsdaten“ durch „die Zusammenarbeit der entsprechenden Institutionen und Akteure im Forum Zivilgesellschaftsdaten (FZD)“ überblicksartig vorgestellt wird.259 Schwerpunkte sind Angaben zur organisierten Zivilgesellschaft in der Darstellung ihrer verschiedenen Rechtsformen und Tätigkeitsfelder. Die Analysen konzentrieren sich dabei auf Angaben aus den ZiviZ-Surveys. Ein weiterer Schwerpunkt sind die Darstellungen zum zivilgesellschaftlichen Engagement. Genutzt werden vor
|| 258 Klie/Klie/Marzluff, Zweiter Engagementbericht. 259 Vgl. Krimmer (Hrsg.), Datenreport Zivilgesellschaft, S. 1.
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allem die Daten aus den Freiwilligensurveys und aus Erhebungen zur Zeitverwendung (ZVE) des Statistischen Bundesamtes. In einem weiteren Abschnitt werden Angaben zur Zivilgesellschaft als Arbeitsmarkt zusammengetragen. Als Quellen dienen vor allem das IAB-Betriebspanel, das Statistische Unternehmensregister, Daten der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege sowie der ZiviZSurvey. Der Abschnitt zur Finanzierung der Zivilgesellschaft berücksichtigt verschiedene Finanzierungsquellen zivilgesellschaftlicher Organisationen und bezieht sich dabei vor allem auf Ergebnisse der ZiviZ-Surveys. Im Mittelpunkt steht allerdings die Spendenthematik. Dazu werden Ergebnisse aus der im Auftrag des Deutschen Spendenrats von der GfK durchgeführten Untersuchung „Bilanz des Helfens“ sowie Angaben des DZI zu Spenden-Siegel-Organisationen genutzt. Schließlich werden in einem Abschnitt zu politischen und gesellschaftlichen Einstellungen als den soziokulturellen Grundlagen von Selbstorganisation verschiede Aspekte zivilgesellschaftlichen Engagements wie der Bezug zu Wertorientierungen zu Religion und zu demokratischen Orientierungen aufgegriffen. Die Angaben stammen dabei aus Analysen mit Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS), dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) und den Freiwilligensurveys. Zu den Vorzügen des Datenreports Zivilgesellschaft gehört, dass es gelungen ist, Daten aus unterschiedlichen Untersuchungen zusammenzutragen. Kritisch zu hinterfragen ist allerdings die konzeptionelle Struktur. Die behandelten Schwerpunkte vermitteln eher den Eindruck, dass die Auswahl nur auf der Grundlage des Vorhandenseins von Daten erfolgte. Insofern sind eine gewisse Problemorientierung und eine Ausrichtung auf das Schließen von Datenlücken zu vermissen.
4.5.3 Spendenstatistiken und Spendenerhebungen260 4.5.3.1 Sozio-oekonomisches Panel Bei den thematisch orientierten Erhebungen stechen jene zu Spenden besonders hervor. Zum einen werden zu Spenden mehrere umfangreiche, miteinander konkurrierende Erhebungen und Untersuchungen durchgeführt, zum anderen zeigen sich hier besonders auffällige Unterschiede in den Ergebnissen der einzelnen Ansätze. Dies verdeutlicht nachdrücklich die Berücksichtigung methodischer Effekte, wenn es insgesamt um Erhebungen und Untersuchungen zur Zivilgesellschaft geht. Die Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung weisen beispielsweise für 2014 ein Geldspendenvolumen von 8,0 Mrd. Euro aus. Der von Kantar TNS getragene und in Kooperation mit dem
|| 260 Vgl. Schulz-Sandhof, Wie viel wird in Deutschland gespendet.
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Deutschen Fundraising Verband veröffentlichte Deutsche Spendenmonitor kommt für etwa diesen Zeitraum auf weniger als die Hälfte (3,7 Mrd. Euro). Die im Auftrag des Deutschen Spendenrates durchgeführte Erhebung „Bilanz des Helfens“ – ein Teilergebnis des GfK Charity*Scope Panels – verzeichnet 5,0 Mrd. Euro. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014, der im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt wurde, ermittelte 5,9 Mrd. Euro. Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI), das auf der Grundlage seines Spenden-Index die Hochrechnung aus dem SOEP jährlich fortschreibt, kommt für 2014 auf ein Gesamtvolumen von 6,7 Mrd. Euro. 4.5.3.2 Lohn- und Einkommensteuerstatistik Informationen zur Spendentätigkeit lassen sich auch aus der Lohn- und Einkommensteuerstatistik des Statistischen Bundesamtes entnehmen. Wegen der beim Besteuerungsverfahren zu berücksichtigenden Fristen liegt die jeweilige jährliche Statistik aber vollständig erst nach etwa dreieinhalb Jahren vor. Zugleich bestehen einige weitere methodische Spezifika, die es bei der Verwendung der Daten zu berücksichtigen gilt. Die im Jahr 2013 steuerlich geltend gemachten Spenden und Mitgliedsbeiträge zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke (ohne Spenden an Parteien und in den Vermögensstock von Stiftungen etc.) belaufen sich laut Lohn- und Einkommensteuerstatistik auf 6,8 Mrd. Euro. Mitgliedsbeiträge, denen eine Gegenleistung gegenübersteht (z.B. bei Sportvereinen), gehen nicht in diesen Wert ein, da sie nicht steuerbegünstigt sind. In der Spendensumme sind andererseits Sachspenden enthalten. Die Sachspenden und Mitgliedsbeiträge für steuerbegünstigte Zwecke dürften im Vergleich zu den Geldspenden quantitativ eher von geringem Wert sein. Die geltend gemachten Spenden und Mitgliedsbeiträge für steuerbegünstigte Zwecke gehen auf 9,9 Millionen Steuerpflichtige zurück, wobei zusammenveranlagte Ehepaare und Personen in eingetragenen Lebenspartnerschaften als ein Spender gelten. Bei den Angaben des Statistischen Bundesamtes kann es aufgrund von Vorträgen über die Jahre zu Doppel- und Mehrfacherfassungen kommen. Vorträge entstehen, wenn geltend gemachte Spenden und Mitgliedsbeiträge in einem Jahr nicht oder nicht vollumfänglich steuerlich berücksichtigt werden können, etwa aufgrund der Höchstgrenzen bei der steuerlichen Absetzbarkeit. Die Vorträge auf das Jahr 2013 bspw. belaufen sich auf 2,5 Mrd. Euro. 4.5.3.3 Spendenangaben aus Bevölkerungsbefragungen Bei der „Bilanz des Helfens“ und beim SOEP beziehen sich die Umfragen jeweils auf einen feststehenden Personenkreis (Panel). Demgegenüber werden die befragten Personen beim Spendenmonitor und beim Freiwilligensurvey bei jeder Befragung in einem statistisch repräsentativen Zufallsverfahren neu ausgewählt. Unterschiede bestehen bei allen Umfragen im Hinblick auf den Stichprobenumfang. Die Spanne
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liegt zwischen 4.000 Personen (Spendenmonitor) und 29.000 Personen (Freiwilligensurvey 2014). Die Art der Auskunftserteilung durch die Befragten unterscheidet sich ebenfalls. Der Freiwilligensurvey stellt die Fragen telefonisch, beim Spendenmonitor werden persönliche Interviews geführt und bei dem der „Bilanz des Helfens“ zugrunde liegenden Verfahren führen die Teilnehmer ein schriftliches, monatliches Tagebuch zu ihren Ausgaben. Der SOEP-Fragebogen wird schriftlich oder persönlich beantwortet. Abweichungen bestehen zudem beim zeitlichen Bezug der Spendenfragen. Die „Bilanz des Helfens“ bezieht sich auf kontinuierliche, monatliche Spendenangaben. Das SOEP fragt nach den Spenden im letzten Kalenderjahr. Demgegenüber geht es beim Freiwilligensurvey und beim Spendenmonitor um die Spenden in den letzten zwölf Monaten. Die Antworten der Befragten beziehen sich bei diesen beiden Umfragen also auf Zeiträume, die innerhalb von zwei Kalenderjahren liegen. Die zeitliche Lage der Erhebung kann zudem zu gewissen Verzerrungen führen, wenn Notlagen oder Katastrophen eine außerordentliche Spendenbereitschaft wecken. Die Spenderquote und das Spendenaufkommen können dann sprunghaft ansteigen. Einfluss auf das Ergebnis der Umfragen hat offenbar die genaue Formulierung der Spendenfrage bzw. die Definition, was unter Spenden zu fassen ist. Mit Ausnahme des Spendenmonitors richten sich alle Spendenfragen ausdrücklich auf Geldspenden. Die Erläuterungen oder Hinweise dazu fallen jedoch unterschiedlich aus. Im Freiwilligensurvey und Spendenmonitor ist die Spendenfrage jeweils knappgehalten. Die „Bilanz des Helfens“ und das SOEP geben nähere Hinweise, beide schließen Mitgliedsbeiträge explizit aus. Das SOEP fokussiert sich im Übrigen eher darauf, was zu den Spenden gehört, zum Beispiel auch Spenden in Sammelbüchsen und Kollekten in Kirchen. Die „Bilanz des Helfens“ stellt klar, was nicht dazu zählt, zum Beispiel Spenden an politische Parteien sowie gerichtlich veranlasste Spenden. Eine Rolle spielt zudem, dass die Spendenfrage im SOEP auf das gesamte Spendenspektrum abzielt. So wird nach Spenden für „soziale, kirchliche, kulturelle, gemeinnützige und wohltätige Zwecke“. Der Freiwilligensurvey fragt etwas enger gefasst nach Spenden für „soziale und gemeinnützige Zwecke“ gefragt. Beim Spendenmonitor und bei der „Bilanz des Helfens“ geht es demgegenüber nur um Spenden an „gemeinnützige Organisationen“ bzw. noch enger gefasst um „gemeinnützige (Hilfs)Organisationen“. Bei den Fragen nach der Höhe der Spenden wird mit Ausnahme des Freiwilligensurveys nach dem konkreten Spendenbetrag gefragt. Der Freiwilligensurvey ermittelte bis 2014 hingegen nur bestimmte Spendenkategorien (bis 100 Euro, 101 bis 500 Euro, 501 bis 1.000 Euro, über 1.000 Euro). Ein Aspekt, der sich bei der Hochrechnung auf das Gesamtvolumen möglicherweise ebenfalls deutlich auswirken könnte, ist die Spendenkappung. Sie wird mit sogenannten „Ausreißern“ bei höheren Beträgen begründet. Die „Bilanz des Helfens“ berücksichtigt bei der Hochrechnung Spenden über 2.500 Euro nicht, der Freiwilligensurvey zieht die Grenze hypothetisch bei 2.000 Euro. Beim Spendenmo-
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nitor werden Großspenden ebenfalls bei der Hochrechnung außen vor gelassen. Eine Aussage über die konkrete Grenze lässt sich in der Veröffentlichung jedoch nicht finden. Das SOEP nimmt im Unterschied zu den anderen Hochrechnungen keine Kappung vor. 4.5.3.4 DZI Spenden-Index (Organisationserhebung) Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) setzt bei seiner Erhebung anders als die vier Bevölkerungsumfragen auf der Empfängerseite der Spenden an. Das Institut erfasst die Geldspendeneinnahmen von Spenden-Siegel-Organisationen und berechnet jährlich den DZI Spenden-Index. Der Spenden-Index umfasst die – gemessen an den Geldspenden – 30 größten Organisationen, die das Spenden-Siegel des Instituts tragen (z.B. Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt oder Misereor). Das Geldspendenaufkommen der Indexorganisationen liegt jährlich bei etwa 1,2 Mrd. Euro. Die Geldspenden umfassen nach der Definition des DZI die Geldspenden von privaten Personen und Unternehmen. Letztere machen einen geringen Anteil aus. Nicht zu den Geldspenden zählen beim Vorgehen des DZI unter anderem Mitgliedsbeiträge, Nachlässe, Geldauflagen und Zuwendungen anderer Organisationen. Das DZI nimmt keine Hochrechnung auf das Spendenvolumen vor, sondern rechnet das Spendenvolumen aus dem SOEP auf Basis der Veränderungsraten des Spenden-Index jährlich fort. Um Verzerrungen durch die im Index überrepräsentierten Katastrophenspenden zu minimieren, werden dabei vom DZI außerordentliche Katastrophenspenden (insbesondere infolge großer medialer Spendenaufrufe) gesondert berücksichtigt. Grundlage hierfür sind fallbezogene Umfragen des DZI bei allen relevanten Spendenorganisationen in Deutschland.
4.5.4 Datenbanken als spezielle Datenquelle Die seit den 1980er Jahren stark verbesserten technischen Möglichkeiten zum Aufbau und zur Nutzung von Datenbanken fanden naturgemäß auch bei der Bereitstellung von Informationen für die Zivilgesellschaft Anwendung. Allerdings zeigte sich hier, wie in anderen Feldern, dass der erforderliche „lange Atem“ sowie die langfristige institutionelle und finanzielle Absicherung für die Themenbereiche der Zivilgesellschaft problematisch sind. Partiell sind zwar Datenbanken wie die Stiftungsdatenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen weiter existent, sie haben aber an Bedeutung eingebüßt. Eine Reihe von Datenbanken hat ihre Arbeit sogar eingestellt. Exemplarisch soll diese Situation an drei Beispielen vorgestellt werden.
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4.5.4.1 Protestereignisdatenbank (Prodat) Die Protestereignisdatenbank Prodat (Dokumentation und Analyse von Protestereignissen in der Bundesrepublik Deutschland) wurde in den 1990er Jahren am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) begründet und erfasste für den Zeitraum von 1950 bis 2002 mehr als 17.000 Protestereignisse in Deutschland. Proteste in der DDR bzw. in den neuen Bundesländern sind ab 1989 enthalten. Das Projekt wurde zunächst von der DFG gefördert (1992–1994) und später mit Mitteln des WZB realisiert.261 Empirische Grundlage der Datenbank sind quantitative Inhaltsanalysen von Berichten der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau, die jeweils sonnabends und sonntags sowie für die Werktage jeder vierten Woche analysiert wurden. Derzeit liegt ein analysefähiger Datensatz für die Periode von 1950 bis einschließlich 2002 vor. Die Datenbank ist breit angelegt und kann der Beantwortung unterschiedlicher Forschungsfragen dienen. Sie ermöglicht Längs- und Querschnittsanalysen von Protestereignissen. Anhand von Zeitreihen über die Zu- und Abnahme von Protesten sind Entstehungs- und Entwicklungsdynamiken oder zyklische Verläufe von Protesten darstellbar. Des Weiteren können Aussagen über die Verteilung von Protesten im Hinblick auf Inhalte, Formen, Dauer, sozialstrukturelle Merkmale von Trägergruppen, räumliche Verteilung usw. getroffen werden. Schließlich lassen sich sowohl Zusammenhänge zwischen diesen Merkmale als auch ihre Korrelation mit externen Daten (z.B. Meinungsumfragen, Strukturdaten) untersuchen, um Analysen der gesellschaftlichen Bedingungen und Folgen von Protesten durchzuführen.262 4.5.4.2 Stiftungsdatenbank des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft Die Datenbank deutscher Stiftungen wurde von der Maecenata Management GmbH 1989 aufgebaut und Ende 1997 vom Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft übernommen. Von 2012 bis 2018 erfolgte dies in Kooperation mit der Fachzeitschrift DIE STIFTUNG. Ab September 2014 stand ein neu gestaltetes, benutzerfreundlicheres Onlineportal zur Verfügung. Im Jahr 2018 entschied sich die Maecenata Stiftung im Rahmen einer engeren Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Deutscher Stiftungen die Datenbank des Bundesverbandes zu unterstützen und die eigenen Aktivtäten in dieser Hinsicht nicht mehr fortzusetzen. Die Stiftungsdatenbank des Maecenata Instituts war Ausgangspunkt und Datengrundlage für verschiedene Forschungsvorhaben zu Fragen des Stiftungswesen und der Zivilgesellschaft. Darüber hinaus basierte auch der Maecenata Stiftungsfüh|| 261 Vgl. Koopmanns/Rucht, Protest Event Analysis; Rucht/Teune, Das Protestgeschehen in der Bundesrepublik seit den 1980er Jahren zwischen Kontinuität und Wandel. 262 Für einen aktuellen Ansatz der Protestereignisanalyse siehe bspw. Quent/Bischof, Was bewegt Zivilgesellschaft?
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rer auf Angaben aus der Datenbank. Der Stiftungsführer, erstmals 1994 erschienen, war ein praxisorientiertes Nachschlagewerk für Studierende, Wissenschaftler, Künstler, Vereine und alle, die sich einen Überblick über das Stiftungswesen in Deutschland verschaffen oder sich zur Finanzierung gemeinnütziger Projekte an Stiftungen wenden wollten. Er war ein systematisch aufbereiteter Auszug der Stiftungsdatenbank und wurde sechs Mal herausgegeben, zuletzt 2010. Grundlage für den Aufbau, die Vervollständigung und Fortschreibung der Einträge in der Datenbank waren öffentlich zugängliche Informationen (z.B. Medien, öffentliche Verzeichnisse von Behörden) über die Existenz und Tätigkeit von Stiftungen in Deutschland. Auf der Grundlage dieser Hinweise wurden die Stiftungen angeschrieben und um entsprechende Informationen zu ihrer Struktur und Tätigkeit gebeten. Die freiwillige Mitarbeit der Stiftungen war dabei ein entscheidender Faktor für die Existenz und Vervollständigung der Datenbank. Anders als z.B. in den USA sind die Stiftungen in Deutschland nicht zur Herausgabe von Informationen verpflichtet. Dennoch war die Mitarbeit der Stiftungen und Stiftungsverwaltungen hoch. Seit 1989 wurden wiederholt Fragebögen in größerer Zahl an Stiftungen versandt (1990 und 1991 im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, 1993 im Auftrag der EG-Kommission, 1994, 1998, 2000, 2005 und 2010 für die Veröffentlichung des Maecenata Stiftungsführers, 1996 an alle erfassten Stiftungen). Die Zahl der Stiftungen, die keine oder nur eingeschränkte Angaben über ihre Tätigkeit machen, ist in dieser Zeit stark zurückgegangen. Dennoch scheuen sich nach wie vor einige vor der Publizität, beantworten nur einen Teil der Fragen oder gestatten die Verwendung von Angaben lediglich zu statistischen Zwecken. Auflagen dieser Art wurden streng beachtet. Aus diesem Grund und da einheitliche Bilanzierungsrichtlinien fehlten, waren statistische Angaben über die finanziellen Verhältnisse der Stiftungen nur sehr eingeschränkt möglich. Die Angaben aus der Stiftungsdatenbank wurden unterschiedlich verwertet. Neben dem Stiftungsführer hat das Maecenata Institut sechs Forschungsberichte zum Stiftungswesen erstellt. Diese Auswertungen der Stiftungsdatenbank sind in Form und Umfang sehr unterschiedlich. Zuletzt erschien der sechste Forschungsbericht 2013 als Opusculum Nr. 66.263 4.5.4.3 Stiftungsdatenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen Ähnlich wie das Maecenata Institut verfügt der Bundesverband Deutscher Stiftungen über eine Datenbank. Die Datenbank geht auf die 1990/91 durchgeführte Erstbefragung durch das Maecenata Institut zurück und basiert ebenfalls nur auf eigenen Angaben der teilnehmenden Stiftungen. Für die Aktualisierung der Datenbank findet alle drei Jahre eine bundesweite Vollerhebung unter Stiftungen aller Rechtsfor-
|| 263 Vgl. www.opusculum.maecenata.eu
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men statt. Die Teilnahme an der Befragung ist freiwillig. Die teilnehmenden Stiftungen entscheiden selbst, ob und welche Angaben im Verzeichnis Deutscher Stiftungen veröffentlicht werden (Zweck, Sitz, Vermögen, Kontaktmöglichkeit, Aktionsradius). Weitere Angaben werden durch den Bundesverband aus öffentlich zugänglichen Quellen recherchiert. Auf der Grundlage der Datenbank wird das Verzeichnis Deutscher Stiftungen erstellt, das der Bundesverband Deutscher Stiftungen seit 1991 herausgibt. Die Publikation ist das umfangreichste aktuelle Stiftungsregister in Deutschland, da von staatlicher Seite aus Stiftungsverzeichnisse nur auf Landesebene und nur für die Rechtsform der rechtsfähigen Stiftung bürgerlichen Rechts existieren. Das Verzeichnis Deutscher Stiftungen umfasst aktuell rund 26.000 Einträge von Stiftungen aller Rechtsformen in drei Bänden. Allerdings ist die Vollständigkeit allenfalls im Hinblick auf die rechtsfähigen Stiftungen des bürgerlichen Rechts gegeben. Die wesentlich zahlreicheren nicht rechtsfähigen Stiftungen sind nur in Einzelfällen zu finden. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen bietet auf dieser Datenbasis auch eine kostenlose Suchmaschine für Stiftungen im Internet. Diese umfasst rund 10.000 Stiftungen in Deutschland, die eine eigene Webseite haben und der Veröffentlichung zugestimmt haben. Die Veröffentlichung der Daten ist für Stiftungen kostenlos und unabhängig von einer Mitgliedschaft im Bundesverband Deutscher Stiftungen.
4.5.5 Weitere Datenerhebungen und Datenbanken mit Zivilgesellschaftsbezug (Dauererhebungen) Für wissenschaftsbasierte Analysen zur Zivilgesellschaft stehen in Deutschland im beschränkten Umfang weitere Daten aus langfristigen Erhebungsprogrammen der empirischen Sozialforschung zur Verfügung, die für die regelmäßige Beobachtung der Gesellschaft konzipiert wurden. Zivilgesellschaftliche Aspekte betreffen aber zumeist nur einzelne Fragestellungen und sind konzeptionell kaum umfassend in diesen Erhebungen verankert. 4.5.5.1 Sozio-oekonomisches Panel Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) hat besonders für Fragen zur Erfassung des Engagements in der Langzeitperspektive einen besonderen Stellenwert. Entsprechende Angaben stehen seit 1984 zur Verfügung. In größeren Abständen werden in den letzten Jahren auch Angaben zum Spendenverhalten erhoben. Das SOEP ist eine repräsentative Längsschnitterhebung zur empirischen Beobachtung des sozialen Wandels, bei der seit 1984 zwei Ausgangsstichproben (deutsche und ausländische Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik) jährlich befragt werden. Das SOEP zeichnet sich durch eine hohe Stichprobenstabilität aus. 1984 beteiligten sich
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in Westdeutschland 5.863 Haushalte mit 16.099 befragten Personen an der Erhebung. In Ostdeutschland wurden 1990 erstmals 2.158 Haushalte mit 6.014 Personen befragt. Im Jahr 2016 umfasste das SOEP mit seinen einzelnen Stichproben zusammengenommen 44.101 Personen in 17.698 Haushalten. Das Sozio-oekonomische Panel wurde ursprünglich im Rahmen des durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Sonderforschungsbereichs „Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik“ der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Universität Mannheim konzipiert und wird nunmehr in Form einer „forschungsbasierten Infrastruktureinrichtung“ im Rahmen der Leibniz-Gemeinschaft (WGL) vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) durchgeführt. Die Daten werden der interessierten Fachöffentlichkeit für eigene Analysen zur Verfügung gestellt. Das SOEP zielt insbesondere darauf ab, Informationen über Veränderungen im Zeitverlauf auf der Mikroebene von Individuen und Haushalten bereitzustellen. Die thematischen Schwerpunkte des SOEP liegen in den Bereichen des Einkommens und der Erwerbstätigkeit, aber es werden – im Rahmen variierender thematischer Vertiefungen – auch Längsschnittinformationen zu weiteren Aspekten der sozioökonomischen Lebensverhältnisse, zum Beispiel zu sozialer Sicherung, Familie und sozialen Netzwerken und in begrenztem Umfang auch zu subjektiven Wahrnehmungen, Bewertungen und Einstellungen erhoben. 4.5.5.2 ALLBUS – Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften Hinsichtlich der Mitgliedschaft in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen liefert die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS)264 umfängliche Informationen. Der ALLBUS ist eine Repräsentativbefragung, die in der Bundesrepublik seit 1980 in zweijährigem Turnus durchgeführt wird. Verantwortlich für das Forschungsprogramm und das Gesamtdesign der Erhebungen ist eine Gruppe der Abteilung „Dauerbeobachtung der Gesellschaft“ bei GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim. Die Aufbereitung, Archivierung und Weitergabe der Daten erfolgt über das Forschungsdatenzentrum (FDZ) ALLBUS bei GESIS in Köln. Mit wechselnden inhaltlichen Themenschwerpunkten und der teilweisen Replikation von Fragen stellt ALLBUS eine der meistgenutzten Datenquellen für die sozialwissenschaftliche Forschung und Lehre in Deutschland dar. Orientiert an den Zielsetzungen der deskriptiven Sozialberichterstattung, der Untersuchung des sozialen Wandels und der international vergleichenden Analyse werden regelmäßig Informationen zu den Bereichen Sozialstruktur und Sozialbeziehungen, Wertorientierungen und Grundeinstellungen sowie der Legitimität der sozialen und politischen Ordnung erhoben. Zu den Schwerpunkten des ALLBUS
|| 264 Vgl. www.gesis.org/allbus, 21.9.2019.
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2016 gehörten die Themen Familie und Geschlechterrollen, Akzeptanz von Immigration sowie Einstellungen zu ethnischen und religiösen Minderheiten. Die Stichprobengröße lag bis 1991 bei rund 3.000 Befragten; seit 1992 beträgt die angestrebte Nettofallzahl 2.400 Befragte in den westdeutschen und 1.100 Befragte in den ostdeutschen Bundesländern. 4.5.5.3 Weitere Umfragen Weitere Umfragen, die Angaben zu zivilgesellschaftlichen Aspekten – zumeist zum Engagement oder zu Mitgliedschaften – enthalten, fokussieren sich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. So basiert die Studie „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A II)265, die zwischen 2013 und 2015 vom Deutschen Jugendinstitut durchgeführt wurde, auf einer repräsentativen Stichprobe von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (4.777 Personen im Alter von 9 bis 17 Jahren), die zu ihrer Lebenssituation befragt wurden. Der Deutsche Alterssurvey (DEAS)266, der seit 1996 vom Deutschen Zentrum für Altersfragen durchgeführt wird, erfasst die Lebensbedingungen von Menschen in der zweiten Lebenshälfte, das heißt im Alter ab 40 Jahren. Im Jahr 2014 wurden dafür 10.324 Personen befragt. Darüber hinaus können auch supranationale Surveys genutzt werden, die die Möglichkeit bieten, die zivilgesellschaftlichen Aspekte in einem internationalen, insbesondere europäischen, Kontext zu betrachten und zu bewerten.
Ergänzende/weiterführende Literatur Krimmer (Hrsg.), Datenreport Zivilgesellschaft Priller/Alscher/Dathe/Speth (Hrsg.), Zivilengagement. Herausforderungen für Gesellschaft, Politik und Wissenschaft Simonson/Vogel/Tesch-Römer (Hrsg.), Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014
|| 265 Vgl. surveys.dji.de, 4.2.2019. 266 Vgl. www.dza.de/forschung/deas.html, 4.2.2019.
5 Die Makro Perspektive: Zivilgesellschaft, Staat und Markt 5.1 Bürgergesellschaft und Zivilgesellschaft In der Diskussion der letzten Jahrzehnte ist es vielfach auch darum gegangen, ob der englische Begriff civil society richtigerweise mit Zivilgesellschaft oder mit Bürgergesellschaft zu übersetzen sei.267 In diese Fragestellung war eine andere verwoben: Ist das Vorhandensein einer civil society durch das Vorhandensein einer demokratischen Ordnung bedingt? Der Ansatzpunkt des Konzepts der Bürgergesellschaft ist normativ bestimmt. Eigenverantwortliches Handeln, das von dem Bürger und der Bürgerin ausgeht, als Maxime jeder Kollektivität steht an seinem Beginn. Sie sind die Souveräne, sie erteilen Vollmachten zu kollektivem Handeln (principal vs. agent). So steht jedem Bürger das Initiativrecht in allen öffentlichen Angelegenheiten zu. Er kann sich nicht nur dann an deren Gestaltung beteiligen, wenn er dazu aufgefordert wird („Bürgerbeteiligung“), sondern ist dazu jederzeit ermächtigt. Dieses unveräußerliche Recht des Bürgers ist im Hinblick auf kollektives Handeln in alle Arenen gleichermaßen delegiert. Somit besitzt auch die Zivilgesellschaft das Recht des selbstermächtigten Handelns, so wie es Staat – mit deutlich zweifelhafterer Legitimationsbasis – und Markt für sich in Anspruch nehmen. Mit diesem Recht ist auch der Anspruch auf Gehör in einem organisierten Prozess verbunden. Vom Begriff der Bürgergesellschaft (englisch richtig: civic society) unterscheidet sich der der Zivilgesellschaft (civil society) demgemäß dadurch, dass jener eine Gesellschaft insgesamt charakterisiert, die genossenschaftlich aufgebaut ist (und theoretisch die zivilgesellschaftliche Komponente ablehnen kann), während letzterer einen Teilaspekt beschreibt, der auch in einer allein von Herrschaft bestimmten Gesellschaftsform möglich erscheint und auch tatsächlich vorkommt. Die Unterscheidung von gesellschaftlichen Arenen lässt sich eher mit der Vorstellung von Zivilgesellschaft als einem Bereich gesellschaftlichen Handelns verbinden, der insgesamt nicht oder jedenfalls nicht notwendigerweise normativen Ansprüchen genügt. Die Komplexität des Problems wird dadurch zusätzlich erhöht, dass die Begrifflichkeit selbst nicht eindeutig ist. Historisch sind geradezu vielfach andere Begriffsbedeutungen gewachsen, die zum Teil durchaus, zum Teil aber nur bedingt oder gar nicht in die hier skizzierte einmünden. Zivilgesellschaft setzt selbstermächtigtes Handeln voraus, das subjektiv als zugunsten der Gemeinschaft der Bürger gewertet wird. In diesem Zusammenhang erscheint es wichtig, darauf hinzuweisen, dass ein Konsens über den Begriff der
|| 267 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S. 76, 99, 156 et passim. https://doi.org/10.1515/9783110553475-007
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Gemeinschaft der Bürger heute nicht besteht. Die Betonung nationaler Symbolik im internationalen Wettbewerbssport ist in diesem Zusammenhang ein Anachronismus. Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft gerade dann eine herausragende Bedeutung gewinnen, wenn sie in einem Umfeld stattfinden, das sich den Prinzipien von Menschen- und Bürgerrechten, Demokratie und Herrschaft des Rechts nicht unterwirft oder jedenfalls mit diesen Prinzipien hadert, wenn das politisch opportun erscheint. Mutiges Engagement oder eine überaus aktive Zivilgesellschaft lassen sich heute in Ägypten, China, dem Iran, Russland, der Türkei und vielen anderen Ländern beobachten, deren politisches System fremd oder gar abstoßend erscheint. Dort wirken die Helden der Zivilgesellschaft, die offenkundig nicht eines demokratischen Systems bedarf, um sich zu bilden, zu wachsen und erfolgreich zu arbeiten. „In countries that lack a fully representative democratic government, civil society is often the only vehicle through which to vocalize – on behalf of the men, women, and children of all the religious or ethnic groupings – the most effective and constructive way to develop and implement a lasting peace in their society.“268 Damit soll nicht gesagt sein, dass demokratische Systeme einer aktiven Zivilgesellschaft etwa weniger bedürftig wären. Das einzige radikale Projekt, in dem versucht wurde, eine Demokratie ausdrücklich ohne Zivilgesellschaft aufzurichten, ist in sehr kurzer Zeit gescheitert: In Frankreich wurden 1791 Vereine und Stiftungen per Gesetz abgeschafft.269 Der Bürger (citoyen) sollte sich nur und ausschließlich in der Nation aufgehoben fühlen; diese wurde zum einzig zulässigen und legitimen Kollektiv. Fast noch interessanter als die Tatsache, dass die 1791 gegründete Französische Republik in kurzer Zeit zu einer Schreckensherrschaft wurde und in einer autoritären imperialen Diktatur endete, ist, dass die exklusive Kollektivierung im Staatsverbund in der Praxis nicht funktioniert hat. Kathleen McCarthy270 hat nachgewiesen, dass Alexis de Tocqueville, der die amerikanische Zivilgesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts der französischen Staatszentrierung gegenüberstellte (siehe Kap. 1.1.4), zwar die amerikanische Situation korrekt beschrieben hat, nicht aber die französische. Auch hier gab es durchaus eine breite, wenngleich weniger formelle Zivilgesellschaft, in der sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger engagierten. Es fehlten allerdings die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine organisierte Zivilgesellschaft, wie es sie in den meisten europäischen Ländern in irgendeiner Form gab und gibt. Daraus lässt sich zum einen folgern, dass nicht etwa die Zivilgesellschaft das Vorhandensein von Demokratie voraussetzt, sondern dass sich Demokratie nur dort entwickeln und entfalten kann, wo es auch Zivilgesellschaft gibt. Diese entsteht in
|| 268 Muller Stuart, Storm in the Desert, S. 167. 269 Vgl. Simitis, Die Loi Le Chapelier. 270 McCarthy, Frauen im Spannungsfeld von Religion, Philanthropie und Öffentlichkeit, S. 37 f.
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unorganisierten Prozessen überall, ausdrücklich auch dort, wo keine demokratischen Verhältnisse herrschen. Ihre Verantwortung und Chance besteht daher in erster Linie darin, an politischen Prozessen zu partizipieren und diese wo notwendig anzustoßen. Die Bürgergesellschaft lässt sich insoweit als eine Gesellschaft beschreiben, die von den Bürgerinnen und Bürgern her aufgebaut ist und in der die Prinzipien der Menschen- und Bürgerrechte, der Herrschaft des Rechts, der Demokratie und der kulturellen Traditionen formell anerkannt sind und auch verwirklicht werden. Von besonderem Gewicht ist in diesem Zusammenhang die Partizipation aller an der res publica, auf die manche Beteiligte – zumal aus dem politisch-administrativen System und von den damit korporatistisch verbundenen Marktteilnehmern – gern verzichten würden: der selbstermächtigte und selbstorganisierte, d.h. auch uneingeladene Auftritt in der Öffentlichkeit. Diese Form steht theoretisch allen Bürgerinnen und Bürgern auch individuell offen. Sie müssen allerdings befürchten und haben vielfach auch die Erfahrung gemacht, dass ihre Argumente nicht einmal zur Kenntnis genommen, geschweige denn beachtet werden. Kollektives Handeln verspricht etwas mehr Erfolg und entspricht in besonderer Weise der Handlungslogik der Zivilgesellschaft. Denn diese besteht prinzipiell nicht darin, zu warten, bis explizit und womöglich selektiv zur Mitwirkung aufgefordert wird. Bürger, die sich selbstermächtigt einbringen, nehmen ein originäres Bürgerrecht wahr, gleich, ob sie dies allein oder kollektiv tun. Bürgerinitiative ist insofern von Bürgerbeteiligung zu unterscheiden. Auch die in jüngster Zeit von Regierungen vermehrt ins Gespräch gebrachten Instrumente der Bürgerbeteiligung271 (Open Government Partnership, Town Hall Meetings u.v.a.), die grundsätzlich – bei mancher Kritik an der Durchführung – zur Belebung demokratischer Prozesse durchaus zu begrüßen sind, können aus mehreren Gründen die Teilhabe der Zivilgesellschaft nicht ersetzen. Zu den Gründen zählen u.a.: – die unterschiedliche Legitimation (Einladung vs. Selbstermächtigung), – der unterschiedliche Grad der Expertise (allgemeiner „gesunder Menschenverstand“ vs. ausgeprägtes Fach- und Erfahrungswissen). Insoweit beinhaltet die zivilgesellschaftliche Funktion der politischen Mitgestaltung das Anregen, Initiieren, Gestalten und Beeinflussen von Entscheidungsprozessen mittels selbständiger und selbstermächtigter Deliberationsprozesse. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass solche Deliberationsprozesse regelmäßig Entscheidungsprozesse beeinflussen; mehr noch: nicht selten nehmen sie diese vorweg, indem deren Ergebnisse die formelle Entscheidung präjudizieren. Dies bedeutet keine Beschränkung der repräsentativen Demokratie oder der Entscheidungshoheit des Parlaments, sondern unausweichliche Konsequenz einer || 271 Vgl. Walk, Partizipative Governance.
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offenen Gesellschaft, in der das Öffentliche auch öffentlich verhandelt wird. Dass die Beteiligung an solchen Prozessen regelmäßig eine bestimmte Interessenlage voraussetzt, ist gewiss richtig; allerdings trifft dies – entgegen Hegels berühmtem Diktum – auf gewählte Parlamentarier und Mitarbeiter der staatlichen Verwaltung ebenso zu. Wer dies im Sinne einer Idealisierung staatlichen Handelns in Hegelscher Tradition bestreitet, verkennt die Realität. Weiterführend erscheint daher nicht eine Hierarchisierung der Arenen im Sinne einer Definition als vorpolitischer Raum, sondern ein funktionierendes System der checks and balances zwischen ihnen. Dies meint Colin Crouch, wenn er von den Aufgaben der Zivilgesellschaft spricht: „Wir brauchen starke zivilgesellschaftliche Kräfte, die in der Lage sind, vielfältige Formen von Druck auf den verschiedensten Gebieten auszuüben, damit wir vergleichen und kritisieren können.“272 Erst durch das Zusammenspiel der Arenen Staat, Markt und Zivilgesellschaft auf gleicher Augenhöhe unter Beachtung der unterschiedlichen Aufgaben, Rechte und Pflichten (bspw. des staatlichen Gewaltmonopols auf demokratisch legitimierter Grundlage) entsteht die Bürgergesellschaft. Eine so definierte Bürgergesellschaft bedarf also der Zivilgesellschaft – und des Staates in seiner demokratischen Erscheinungsform und wohl auch des Marktes –, um den nie endenden Prozess der Verwirklichung durchführen zu können. Eine nur auf Eigeninteresse, das heißt kapitalistischen Tauschmechanismen aufgebaute Gesellschaft – in Deutschland war eine Zeitlang sogar vom Bürger als Kunden des Staates die Rede – wäre insoweit nicht funktionstüchtig und schon gar nicht lebenswert. Selbstermächtigung und Selbstorganisation, ja auch die anthropologische Konstante des Schenkens von Kreativität, Empathie, Know-How, Zeit, Reputation und materiellen Ressourcen, bilden die Grundlagen dafür, dass eine resiliente, zukunftsfähige Gesellschaft als solche überhaupt erst aufgebaut werden kann. Die Herausforderung besteht in der Anerkennung von und dem Respekt für Heterogenität, unorganisierte Prozesse und Selbstermächtigung. An dieser Stelle ist zwischen der Aufgabe der Zivilgesellschaft in offenen Gesellschaften einerseits und geschlossenen Gesellschaften andererseits zu unterscheiden. Während sich Zivilgesellschaft in einer offenen Gesellschaft im Wesentlichen ungehindert entfalten, in allen ihren Funktionen (siehe Einführung) tätig werden und relativ konfliktftrei zwischen loyal, exit und voice273 alternieren kann, wird die Ausübung namentlich von Wächter-, Themenanwalts- und politischen Mitgestaltungsfunktionen mehr oder weniger stark behindert und stehen sich „loyale“ und anders ausgerichtete zivilgesellschaftliche Akteure antagonistisch gegenüber. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die Übergänge zwischen als offen und als geschlossen zu charakterisierenden Gesellschaften fließend sind. Für Deutschland
|| 272 Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, S. 242. 273 Vgl. Hirschman, Loyal, Exit, Voice.
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lässt sich sagen, dass eine grundsätzlich als offen zu charakterisierende Gesellschaft traditionell mit starken Elementen einer geschlossenen Gesellschaft durchsetzt ist. Dies äußert sich im für Deutschland kennzeichnenden Korporatismus weiter Teile der Zivilgesellschaft.274 Ein Gemeinwesen, das die Multifunktionalität, Heterogenität und Heterarchie275 von Zivilgesellschaft nicht respektiert, kann nicht als offene Gesellschaft oder als Bürgergesellschaft gesehen werden. Historische Narrative und Bildungsanstrengungen der letzten Jahrzehnte haben dazu geführt, dass trotz aller Ängste oder Sehnsüchte der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nur die offene Gesellschaft überlebensfähig erscheint. Der totale Verwaltungsstaat dagegen – und sei er noch so demokratisch legitimiert und rechtsstaatlich organisiert – ist dies ebensowenig wie autoritäre Regime, ob nun mit populistischem Anstrich oder nicht. Diese bringen mittelfristig Gegenbewegungen hervor, die sie schlussendlich aus den Angeln heben können. Die Unordnung des Engagements und der Selbstermächtigung wird historisch immer wieder über jeden Versuch der totalen Ordnung siegen. Damit ist ausdrücklich nicht gesagt, dass Zivilgesellschaft als solche über Kritik erhaben sei. Im Gegenteil: Zu ihr gehören sehr unterschiedliche Akteure; sie alle sind in gleichem Maße der öffentlichen Kritik unterworfen wie die Akteure des Staates und des Marktes. Parag Khanna spricht von einem „fetzige[n] Gruppentanz, an dem Mitglieder von Ministerien, Unternehmen, Kirchen, Stiftungen, Universitäten, aber auch Aktivisten und bereitwillige, wagemutige Individuen teilnehmen […], um bestimmte Ziele zu erreichen. Die Herausforderungen des 21. Jahrhundert werden durch solche Koalitionen williger Akteure – Regierungen, Unternehmen und zivilgesellschaftliche Gruppen – gelöst werden, die sich nicht nur verbal hinter eine Sache stellen, sondern personelle und sonstige Ressourcen bereitstellen.“276
5.2 Drei Arenen Gesellschaften sind lebendige Gebilde, in denen sich zahllose sehr unterschiedliche Akteure bewegen. In diesem Sinne lassen sich die Bereiche oder Sektoren gesellschaftlicher Wirklichkeit als Arenen bezeichnen. Als solche sind die Arenen durchlässig und erlauben damit auch jederzeit Übertritte. Der Ausdruck ‚Arenen‘ soll die Kritik entkräften, eine Einteilung in Aktionsbereiche sei zu statisch oder mechanisch und trage dem permanenten Wechsel jedes Menschen von einem in den anderen Bereich zu wenig Rechnung, oder begründe ein System, das eine allumfassende Erklärung für sich in Anspruch nehme. Die drei Arenen sind bildlich so angeordnet,
|| 274 Vgl. Adloff/Schwertmann, Leitbilder und Funktionen deutscher Stiftungen, S. 106 ff. 275 Vgl. Dreher, Formen sozialer Ordnung im Vergleich. 276 Khanna, Wie man die Welt regiert, S. 37.
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dass sie einen zentralen Bereich umkreisen. Im Zentrum steht der Mensch in seinen unmittelbaren persönlichen und familiären Bezügen. Er bildet, klammert man den komplexen Bereich transzendentaler Bezüge einmal aus, den Mittelpunkt des Bildes; von ihm nimmt die Betrachtung ihren Anfang. Er ist das primäre Subjekt der Gesellschaft, nicht etwa deren Objekt. Das Bild versucht, ein politisches Ordnungskonzept zu beschreiben, welches die traditionelle Unterscheidung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, bei Hegel zwischen dem Staat und der bürgerlichen Gesellschaft, zugunsten von drei solchen Arenen gesellschaftlich wirksamen kollektiven Handelns überwindet. Zugleich stellt es klar, dass nicht von der Gesellschaft auf den Menschen, sondern vom Menschen auf die Gesellschaft geschlossen wird.
Grafik 2: Arenen des kollektiven Handelns in der Gesellschaft Quelle: Maecenata Institut
Mit den in jeder schematischen Darstellung angelegten Unschärfen werden die vom Menschen ausgehenden und seinen persönlichen Raum überschreitenden kollektiven Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Wünschbarkeiten jeweils einer Arena zugeordnet: 1. der Arena der Zivilgesellschaft 2. der Arena des Staates 3. der Arena des Marktes
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Im Einzelnen unterscheiden sich Staat und Zivilgesellschaft, übrigens auch Familie (community of fate) und Zivilgesellschaft, grundsätzlich dadurch voneinander, dass die Mitgliedschaft in der letzteren notwendigerweise auf einem bewusst und freiwillig vollzogenen Akt beruht (community of choice) und ebenso auch beendet werden kann.277 Schon dadurch gehört Volatilität zu den definitorischen Merkmalen, die einerseits akzeptiert, andererseits auch nicht hinweggewünscht werden können. Vom Markt bleibt Zivilgesellschaft im Grundsatz dadurch abgegrenzt, dass sie weder insgesamt noch hinsichtlich der Akteure primär der materiellen Daseinsvorsorge dient, sondern nicht-materielle Ziele verfolgt. Diese Charakterisierung weist allerdings auf Hybridformen hin, wenn bspw. die Frage aufgeworfen wird, ob Gesundheitsvorsorge, traditionell in großem Umfang von zivilgesellschaftlichen Akteuren sichergestellt, zur Daseinsvorsorge zu rechnen ist. Gerade hierzu entsteht in jüngster Zeit eine sehr intensive und kontroverse Diskussion, die sich unter anderem auf die Mischformen, z.B. die französische économie sociale, erstreckt. Aus der Aufgabenteilung ergeben sich unterschiedliche Handlungslogiken: Der Staat übt, durchaus in legitimer Weise, Gewalt aus und ist dazu durch die Ermächtigung aller berechtigt. Die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung fand dafür im 18. Jahrhundert den Slogan: No taxation without representation!278 Der Markt hingegen funktioniert nach der Logik des Tauschs; die jeweiligen Wirtschaftsgüter und -prozesse erhalten ihren Wert im Wechselspiel von Nachfrage, Verfügbarkeit und Konkurrenz. Die Zivilgesellschaft wiederum folgt der von beidem unterscheidbaren Handlungslogik des Schenkens. François Perroux entwickelte diese Dreiteilung möglicher Handlungslogiken schon vor über 50 Jahren anhand seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Konzept des homo oeconomicus, also dem Bild des Menschen, der bei allem, was er tut, seinen wirtschaftlichen Vorteil bedenkt.279 Die gewählten Attribute Gewalt, Tausch und Geschenk erscheinen zur Differenzierung der Bereiche hilfreich und öffnen zugleich den Blick dafür, dass das Zusammenleben in der Gesellschaft ausschließlich in den Kontexten von Staat und Markt fundamental unbefriedigend wäre, weil es dem Bedürfnis zu schenken nicht hinreichend Rechnung trägt. Eine alternative Interaktion von Bürgern und Bürgerinnen erscheint vielmehr unerlässlich. Allerdings fällt diese Unterteilung für manche Konkretisierungen leichter als für andere. Sie bewegen sich zum Teil in Zwischenräumen oder Hybridzonen. Solche Unschärfen sind unvermeidlich. Dennoch kann eine derartige Darstellung dazu beitragen, die zentrale Aussage deutlich zu machen.
|| 277 Vgl. Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten. 278 erstmals in: Lord Camden, Speech on the Declaratory Bill of the Sovereignty of Great Britain over the Colonies, London Magazine, Februar 1768, S. 89. 279 Vgl. Perroux/Berger-Lieser, Zwang, Tausch, Geschenk; siehe hierzu auch Offe, Reproduktionsbedingungen des Sozialvermögens, S. 273 ff.
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Mit dieser Einteilung wird aber ausdrücklich nicht versucht, im Sinne eines Systems die gesamte Lebenswirklichkeit systematisch zu ordnen oder gar zu erklären, sondern lediglich, zu beschreiben, in welche unterschiedlichen Handlungslogiken und organisatorischen Bedingungen der Mensch eingebettet ist, wenn er sich in der Gesellschaft bewegt. Die einzelnen Arenen lassen sich nicht immer klar voneinander trennen. Auch bewegen sich höchst unterschiedliche Akteure in ihnen. Die Arena der Zivilgesellschaft beispielsweise umfasst ein breites Spektrum: von der radikalen Protestbewegung, über kurzlebige Bürgerinitiativen und kleine, eher selbstbezogene Gruppen bis zu Jahrhunderte alten Stiftungen, noblen Kunstvereinen und großen Wohlfahrtsverbänden mit Hunderttausenden von Mitarbeitern. Diese Unterschiede werden gelegentlich zum Anlass dafür genommen, der Arena jede Kohärenz abzusprechen. Bis heute erfassen etwa die amtlichen Statistiken in Deutschland – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – die Zivilgesellschaft nicht gesondert und gemeinsam (siehe Kap. 4.1). Dabei sind die anderen Arenen in sich nicht weniger heterogen. Zwischen einer kleinen ländlichen Gemeinde, dem Bundesgerichtshof und der Europäischen Kommission, den gesetzlichen Sozialversicherungsträgern, dem Staatstheater und dem staatlichen Pferdezuchtbetrieb sind die Unterschiede mindestens ebenso ausgeprägt – und doch gehören sie alle zur Arena des Staates. Ebenso müssen sich auch der kleinste Handwerksbetrieb, die Volkswagen AG, die genossenschaftliche Bank und der global operierende Hedge-Fonds alle der Arena des Marktes zuordnen lassen, obwohl nicht nur die Umsatzzahlen, sondern auch der Bezug zur Allgemeinheit höchst unterschiedlich sind. So erbringt der Bäcker, der für das tägliche Brot in seinem Umfeld sorgt, einen Beitrag zum gemeinen Wohl, der dem mancher „gemeinnütziger“ Akteure zumindest nicht nachsteht. Die Genossenschaften wiederum dienen ausdrücklich nicht nur ihren Eigentümern, sondern auch der Allgemeinheit. Es kommt also bei der Zuordnung zu einer der Arenen nicht auf den normativen Anspruch oder dessen Einlösung, sondern auf zunächst recht formale Kriterien an: darunter wesentlich die Priorität des ideellen Ziels vor eventuellen wirtschaftlichen Erwägungen, den subjektiven Gemeinwohlbezug, das strikte Verbot der Ausschüttung von Überschüssen an Mitglieder oder Eigentümer und die Freiwilligkeit in der Konstituierung der Organisation selbst und der Gewinnung von Mitgliedern und Förderern. Dass diese Definition von Zivilgesellschaft mit älteren Begrifflichkeiten nicht unbedingt identisch und auch nicht universell gebräuchlich ist, muss auch an dieser Stelle hervorgehoben werden.
5.3 Zivilgesellschaft als Arena Zivilgesellschaft ist in diesem Kontext eine der drei Arenen, in denen sich der Mensch jenseits seines unmittelbaren Umfeldes, also der Familie, bewegt. Idealtypisch wird die Zivilgesellschaft als herrschafts- und hierarchiefreie Arena aufge-
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fasst, in der nicht nur die Handlungslogik, sondern auch die Kommunikation unter den Beteiligten von der in den anderen Arenen grundsätzlich verschieden ist. Zivilgesellschaft kann insoweit als die Summe der Interaktionen angesehen werden, die diesen Grundsätzen folgen. Um sie präziser eingrenzen zu können, lässt sich Zivilgesellschaft als die Summe von formellen und informellen Institutionen, Organisationen und Aktionen definieren, die ein Mindestmaß an Kohärenz aufweisen, wenngleich nicht notwendigerweise juristische Personen darstellen. Weitere Merkmale sind ein Mindestmaß an Nachhaltigkeit, wiederum aber nicht notwendigerweise eine längerfristige Beständigkeit, sowie neben dem subjektiven Gemeinwohlinteresse die primäre Ausrichtung an ideellen und nicht etwa wirtschaftlichen Zielen. Entscheidend ist ferner das uneingeschränkte Verbot der Ausschüttung von eventuellen Gewinnen an Mitglieder oder Eigentümer, nicht allerdings ein Verbot, Überschüsse überhaupt zu erwirtschaften. Entscheidendes Merkmal der Zivilgesellschaft ist, da für das Geschenk zwingende Voraussetzung, ferner das Gebot der Freiwilligkeit der Zugehörigkeit. Nur aus eigenem Antrieb, selbstermächtigt, kann der Bürger in diesen Bereich eintreten. Weder durch Geburt, noch durch Beruf oder Wohnort ist eine Mitgliedschaft vorgegeben. Diese Selbstermächtigung hat weitreichende Konsequenzen für das Selbstverständnis und die Handlungslogik der Zivilgesellschaft, die es zu respektieren gilt, wenn der Dialog mit der Zivilgesellschaft erfolgreich sein soll. Diese Selbstermächtigung ist pädagogisch exogen, nichtsdestotrotz aber intrinsisch endogen bestimmt. Aus der Selbstermächtigung folgt im Übrigen die autonome Selbstorganisation bzw. Selbstverwaltung. Ebenso folgt daraus ein plurales Verständnis des Handelns, da ja aus welchen Gründen auch immer Andere eine andere Organisation freiwillig bilden können. Diese Pluralität ist wesentliche Vorbedingung für die Kreativität der Zivilgesellschaft. Sie durch ein Verlangen nach klareren Strukturen, wenigen Ansprechpartnern, legitimen Repräsentanten oder leistungsfähigen Organisationen zu verdrängen, heißt, die Natur der Zivilgesellschaft zu verkennen, was notwendigerweise zu Beeinträchtigungen des Ergebnisses führen muss. Die Handlungslogik der Zivilgesellschaft führt vielmehr zu einem Wirken außerhalb von Hierarchien, in Netzwerken und informellen Kommunikationszusammenhängen, was keinesfalls als defizitär, sondern im Sinne moderner Wissenschaftstheorie als weiterführend zu deuten ist.280 Wenn heute die Zivilgesellschaft als der Oberbegriff für die vielfältigen Akteure in die Diskussion eingeführt wird, die nicht dem Markt zurechenbar sind, und neben diesem und den vielfältigen staatlichen und kommunalen Instanzen gesellschaftliche Prozesse maßgeblich bestimmen, so ist dies sehr unterschiedlichen Traditionslinien ebenso geschuldet wie einem gewandelten und sich weiter wandelnden normativen Verständnis der Bürger und Bürgerinnen von der Gesellschaft, in der sie leben möchten. Für den Charakter der Zivilgesellschaft ist es symptoma|| 280 Vgl. Dürr, Vernetzung der Zivilgesellschaft als Chance für Zukunftsfähigkeit.
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tisch, dass sich die Akteure nur bedingt in nachhaltig stabilen Formen organisieren. Informelle Zusammenschlüsse, relativ kurzlebige Netzwerke, formfreie Initiativen und dergleichen treten im Kern gleichberechtigt neben große, verbandsmäßig organisierte Strukturen. Die Kommunikation seitens der anderen Bereiche auf die eher traditionell ausgerichteten Partner zu beschränken, heißt, den Charakter, die Handlungslogik und die Perspektive der Zivilgesellschaft zu verkennen und Chancen der Kooperation und der Nutzung von Ideen und Engagement ungenutzt zu lassen. Neben dem deskriptiv orientierten Bereichskonzept kann Zivilgesellschaft auch als normatives Handlungskonzept verstanden werden (siehe Kap. 3.6). „Civil society has been defined in at least three ways: as the forms of associational life, such as NGOs, labor unions, social movements, and churches; as the norms of the good society, defined by values such as cooperation, nonviolence, and tolerance; and as an arena for public deliberation, consisting of spaces that are relatively autonomous from both states and markets.“281 Eine Verständigung zwischen diesen Konzepten scheint möglich; insbesondere sind form und space leicht mit einander zu vereinbaren. Doch stellt das Handlungskonzept (norms) eher ein bestimmtes Verhalten der Menschen, den zivilen Umgang mit der Mitwelt in den Vordergrund, während das Bereichskonzept (forms oder forms + space) eher im analytischen Bereich verbleibt. Dementsprechend sind in einem Bereichskonzept gute ebenso wie schlechte Akteure vorstellbar, während das Handlungskonzept per se mit normativen Wertungen verknüpft ist. Während in einem Handlungskonzept Zivilgesellschaft und Bürgergesellschaft als Synonyme gelten können, erscheint in einem Bereichskonzept eine begriffliche Trennung unabdingbar. Hier werden Zivilgesellschaft und Bürgergesellschaft ausdrücklich nicht als Synonyme gebraucht. Während Bürgergesellschaft als normativ besetzter Begriff erscheint, ist Zivilgesellschaft als Übersetzung des englischen civil society im Sinne eines Bereichskonzepts eher deskriptiv konnotiert. Anders ausgedrückt: Während Bürgergesellschaft die Gesellschaft definiert, die nach eigenem Selbstverständnis und tatsächlich vom Menschen her konzipiert ist, beschreibt Zivilgesellschaft den Teil davon, der sich durch unterscheidbare, im Weiteren näher zu erläuternde Kriterien von anderen Teilen, namentlich Staat und Markt, abhebt. Nur dadurch lässt sich Kritik an zivilgesellschaftlichem Handeln in einer Weise diskutieren, die nicht zugleich das gesamtgesellschaftliche Konzept der drei Arenen gesellschaftlich relevanten Wirkens in Frage stellt, etwa wenn rechtspopulistische Gruppen in ein zivilgesellschaftliches Vakuum vorstoßen. Dies ist normativ zu kritisieren, darf aber offenkundig nicht dazu führen, dass alle zivilgesellschaftlichen Akteure mit diesem Vorwurf konfrontiert werden, dass ihnen misstraut wird oder dass sie gar aus kommunikativen Arrangements ausgeschlossen werden. Andererseits können nur im Rahmen eines Bereichskonzepts in einem ersten Schritt formale Kriterien der Zugehörigkeit entwickelt werden, denen dann in einem zwei|| 281 Jordan, Global Civil Society, S. 94.
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ten Schritt eine normative Beurteilung folgen kann. Verzichtet man auf den ersten Schritt, wird dem zweiten der Beurteilungsrahmen entzogen. Dem Handlungskonzept ist darüber hinaus entgegenzuhalten, dass es einer Definitionsinstanz bedarf, die die Zugehörigkeit einzelner Ausformungen festzustellen hat.
5.4 Markt als Arena Der Markt arbeitet mit der Logik des Tauschs; er produziert Güter und Dienstleistungen und bietet sie denen an, die daran Bedarf haben und sie bezahlen können. In der Arena des Marktes sind die gewerblichen Wirtschaftsunternehmen als Akteure tätig – von den großen internationalen Konzernen bis zu den kleinsten Handwerksbetrieben. Der Markt eröffnet ihnen und anderen Mitgliedern der Gesellschaft die Möglichkeit von Tauschbeziehungen, wobei ein großer Teil des Tauschs regelmäßig über Geld abgewickelt wird. Im Idealfall erreicht der Markt ein optimales Ergebnis von funktionierenden Tauschbeziehungen, die jedermann die Befriedigung seiner/ihrer Bedürfnisse ermöglicht. Hierzu ist er zwar aufgrund seiner heterogenen, stark diversifizierten Struktur weitgehend und offenkundig besser in der Lage, als es hierarchische Strukturen sind. Dennoch kommt es in mehr oder weniger großem Umfang regelmäßig zu Marktversagen. Dieses kann Gründe haben, die erkennen lassen, dass die Erbringung bestimmter Dienstleistungen durch zivilgesellschaftliche Akteure geeignet ist, das Versagen zu beenden. Die Kritik am Markt entzündet sich außerdem zum einen an der Tatsache, dass die erwirtschafteten Gewinne relativ ungleich und in manchen Fällen normativ gesehen ungerecht verteilt werden. Zum anderen führt die strikte Prioritätensetzung jedes Wirtschaftsunternehmens zugunsten eines zu erwirtschaftenden Gewinns notwendigerweise dazu, dass andere Gesichtspunkte, bspw. die Schonung der Umwelt, die Berücksichtigung sozialer Umstände usw., weniger Beachtung finden. Schließlich kann auch durchaus zu Recht kritisiert werden, dass Akteure des Marktes dank ihrer finanziellen Ressourcen oder aus anderen Gründen insbesondere in den letzten rund 30 Jahren eine erhebliche und oft überproportionale Steuerungsmacht in den öffentlichen Angelegenheiten erlangt haben und in der Lage sind, politische und gesellschaftliche Prozesse nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen. Dennoch kommt dem Markt in einem gesellschaftlichen System, das bereit ist, einen Markt grundsätzlich zuzulassen, eine außerordentlich wichtige Rolle in der materiellen Versorgung und Bedürfnisbefriedigung zu. Ob eine solche Zulassung gerechtfertigt erscheint, kann hier nicht weiter diskutiert werden. Vielmehr geht es im Folgenden um die Frage der Unterscheidung zwischen Markt und Zivilgesellschaft. Während noch bei Hegel Markt und das, was heute als Zivilgesellschaft bezeichnet wird, unter dem Sammelbegriff der bürgerlichen Gesellschaft zusammengefasst wurden, erscheint dies heute unmöglich. Allerdings ist nicht zu übersehen,
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dass bedeutende zivilgesellschaftliche Akteure zugleich nicht unbedeutende Teilnehmer am Marktgeschehen sind, sodass bisweilen die Frage aufgeworfen wird, ob sie überhaupt der Zivilgesellschaft zuzuordnen sind, während andererseits manche Wirtschaftsunternehmen unbestritten auch Elemente der Zivilgesellschaft verkörpern. Beispiele für die ersteren sind insbesondere die Wohlfahrtsverbände, die Hunderttausende von Arbeitnehmern beschäftigen und mit den angebotenen Dienstleistungen, etwa dem Betrieb von Krankenhäusern, erhebliche Umsätze machen und durchaus mit gewerblichen Anbietern im Wettbewerb stehen. Beispiele für die letzteren sind traditionell die Genossenschaften und neuerdings auch Sozialunternehmen, social businesses, Intitiativen von social entrepreneurs und dergleichen in unterschiedlichen Ausprägungen. Ihnen allen ist gemein, dass sie auch gemeinwohlorientierte Ziele verfolgen. Dennoch können idealtypisch Unterschiede definiert werden, die eine Zuordnung ermöglichen: 1. Das primäre Ziel jedes gewinnorientierten Wirtschaftsunternehmens ist die Erwirtschaftung eines Gewinns. Produkte und Dienstleistungen, die hierzu nicht oder nicht mehr geeignet erscheinen, müssen zwingend eingestellt werden. Die Unternehmen können andererseits nach dem Willen ihrer Eigentümer jederzeit neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln und anbieten. Diese müssen keinen wie auch immer gearteten Zusammenhang zu den bisherigen aufweisen. 2. Das primäre Ziel einer zivilgesellschaftlichen oder zielorientierten Unternehmung ist die Verfolgung eines durch Satzung vorgegebenen Ziels. Zwar ist darauf zu achten, dass möglichst keine Verluste erwirtschaftet werden, doch steht die Erwirtschaftung von Gewinnen keinesfalls im Vordergrund. In nicht seltenen Einzelfällen werden Verluste sogar bewusst in Kauf genommen und durch Subventionen, philanthropische Zuwendungen oder Quersubventionierung ausgeglichen. Im Falle, dass das Satzungsziel – gleich, aus welchen Gründen – nicht mehr verfolgt werden kann, nicht mehr verfolgenswert erscheint oder erreicht ist, ist der Betrieb einzustellen. Leistungen (Produkte kommen ohnehin kaum in Betracht) anzubieten, die nicht von der Satzung gedeckt sind, ist ausgeschlossen. Eine einfache Satzungsänderung genügt nicht, um dies doch zu ermöglichen. 3. Gewinne aus der unternehmerischen Tätigkeit von Wirtschaftsunternehmen stehen den Eigentümern zu. Diese entscheiden, welcher Teil hiervon für Investitionen, Rücklagen usw. im Unternehmen verbleibt und welcher an sie oder ggf. als philanthropische Zuwendung an zivilgesellschaftliche Organisationen ausgeschüttet wird (Spenden). 4. Gewinne aus der unternehmerischen Tätigkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen (zielorientierten Unternehmungen) stehen den Eigentümern bzw. Mitgliedern ausdrücklich nicht zu. Sie sind für die weitere Verfolgung des Satzungsziels zu verwenden.
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Zielorientierte Unternehmen können und sollen neben ihrer Dienstleistungsfunktion auch andere zivilgesellschaftliche Funktionen wahrnehmen und tun dies in zunehmendem Maße. Beispielsweise verstehen sich insbesondere die kirchlichen Wohlfahrtsverbände ausdrücklich als Anwälte der von ihnen Betreuten im öffentlichen Raum und üben damit die Funktion des Themenanwalts aus. Das subjektive Gemeinwohlinteresse bildet für jeden Akteur der Zivilgesellschaft ein unerlässliches Eintrittskriterium in die Arena. Für den Akteur des Marktes ist dies jedoch nicht der Fall.
Trotz dieser Kriterien ist die Zuordnung nicht immer so eindeutig, wie es idealtypisch wünschenswert wäre. Auch lässt sich beobachten, dass manche zivilgesellschaftlichen Organisationen ihre Prioritäten falsch setzen oder durch die Gestaltung von Gehältern und Nebenleistungen Überschüsse de facto ausschütten. Letztlich wird es aber darauf nicht ankommen. Ebenso wenig kann es darum gehen, den zivilgesellschaftlichen Akteuren eine normativ überlegene Position zuzumessen. Wer als „ehrbarer Kaufmann“ ein gewerbliches Unternehmen führt oder für ein solches tätig ist, erbringt möglicherweise für die Gesellschaft eine bessere Leistung als manch selbstermächtigter zivilgesellschaftlicher Akteur. Es geht also ausdrücklich um eine systematische, nicht eine wertende Unterscheidung.
5.5 Staat als Arena Der moderne europäische Verfassungsstaat ist vier Prinzipien verpflichtet: 1. den Menschen- und Bürgerrechten, 2. der Herrschaft des Rechts282, 3. der Demokratie, 4. kulturellen Traditionen. Wie alle anderen europäischen Staaten hat sich auch Deutschland in zahlreichen internationalen Verträgen auf die Einhaltung dieser Prinzipien, die regelmäßig im Konflikt miteinander stehen können, festgelegt. Traditionell wird der Staat als die Gemeinschaft seiner Bürgerinnen und Bürger gesehen. Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert entwickelte sich insbesondere das Konzept des Nationalstaates als primäres Kollektiv der diesem angehörenden Bürgerinnen und Bürger. Die Nationalstaaten bilden die primären Völkerrechtssubjekte; sie
|| 282 Auf Deutsch wird oft vom Rechtsstaat gesprochen. Dies ist aber eine falsche Übersetzung des englischen Begriffs, die eine unzulässige Einengung mit sich bringt. Die Herrschaft des Rechts gilt im Zweifelsfall auch gegen vom Staat gesetztes Recht.
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sind Träger der Souveränität. Mit diesem Staat sollten sich die „Staatsangehörigen“ identifizieren, er konnte von ihnen Loyalität einfordern („Good or bad – my country!“). John F. Kennedys berühmtes Diktum „Ask not what your country can do for you, as what you can do for your country!“283 beruht auf diesem Staatskonzept. Dies ist jedoch in vieler Hinsicht brüchig geworden. So wird die Staatssouveränität durch mehrere Entwicklungen in Frage gestellt, beispielsweise: – die freiwillige Abgabe von Souveränitätsrechten seitens der Nationalstaaten an supranationale Organisationen (bspw. EU oder NATO), bis hin zur Entwicklung der völkerrechtlichen Doktrin der globalen Verantwortung der Völkergemeinschaft, bspw. für die Einhaltung grundlegender Menschenrechte (Responsibility to Protect – R2P284); – die durch das starke Anwachsen der Weltbevölkerung, die Probleme der Umweltzerstörung, die Möglichkeit der Auslöschung der Menschheit durch menschliches Handeln und andere Entwicklungen zwingend notwendig gewordene transnationale Zusammenarbeit; – die Entfremdung vieler Bürgerinnen und Bürger vom Staat auf Grund von berechtigtem Misstrauen, Enttäuschungen, dem Verlust von Gemeinschaftsgefühl, extremer Verwaltungsherrschaft, überzogenen Kontrollen und Versagen von Personen und Systemen; – das Erstarken von regionalen und lokalen Identitätsvorstellungen, zum Teil mit konkreten politischen Konsequenzen (bspw. in Flandern, Katalonien, Schottland); – die Globalisierung der Wirtschaft, die die Bedeutung von nationalen Grenzen drastisch gesenkt und völlig neue Identifizierungsmodelle hervorgebracht hat (bspw. die Cyber-Community); – die durch Migration, aber auch durch andere Phänomene gestiegene Mobilität vieler Menschen, die zu wechselnden und parallelen Loyalitäten führt; – die durch die kommunikative Revolution, aber auch durch höhere Bildung und mehr Wissen bedingte Individualisierung der Menschen, die vor traditionellen kulturellen, ethnischen oder religiösen Grenzen nicht haltmacht; – das von vielen Menschen konstatierte Versagen des Staates unabhängig von dessen Ausformung bei der Lösung der anstehenden Herausforderungen; – das Erstarken einer internationalen Zivilgesellschaft, für deren Akteure gemeinsame Ziele und Anliegen eine primäre Identifizierung bedeuten.
|| 283 John F. Kennedy, Präsident der USA, Inaugural Address vom 20. Januar 1961 (https://www.bartleby.com/124/pres56.html). 284 Siehe Vereinte Nationen, General Assembly Resolution 60/1 (kurz A/RES/60/1) vom 24. Oktober 2005.
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Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Versuche, sie durch einen Rückgriff auf eine angebliche gemeinsame Stammeszugehörigkeit zurückzudrehen, mögen für manche attraktiv erscheinen, sind aber zum Scheitern verurteilt. Staatsaufgaben werden daher unter Berücksichtigung von multiplen Loyalitäten und Identifizierungen des Einzelnen und der Anwendung eines Principal-Agent-Modells neu definiert. Der Staat wird insoweit weniger als Gemeinschaft, sondern eher als Funktion von Bürgerin und Bürger mit definierten Aufgaben gesehen, wobei angesichts verschiedener Ebenen eher von einer Funktionsgruppe gesprochen werden sollte, der mit den Funktionsgruppen Markt und Zivilgesellschaft zwei weitere gleichrangig gegenüberstehen. Die primären Akteure des Staates sind als Gebietskörperschaften organisiert. Zum Wesen des Staates gehört das Vorhandensein von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Nach modernem Staatsverständnis herrscht innerhalb der Körperschaften die Gewaltenteilung zwischen Legislative (Parlamente), Exekutive (Regierung und Verwaltung) und Judikative (Gerichtsbarkeit). Diese sorgt idealtypisch für gegenseitige Kontrolle und eine Relativierung der Gewaltausübung (checks and balances). In den letzten Jahrzehnten hat jedoch die Kontrolle durch die Parlamente massiv an Bedeutung verloren, während die Macht der Exekutive, insbesondere der Verwaltung, exponentiell zugenommen hat. Colin Crouch spricht in diesem Zusammenhang davon, dass angesichts der nicht mehr funktionierenden checks and balances innerhalb der Staatsorganisation der Zivilgesellschaft heute diese Aufgabe als wichtigste zukommt.285 Die Funktionsgruppe bzw. Arena „Staat“ weist unter anderen folgende Besonderheiten auf: 1. Der Einzelne betritt sie nicht oder nur sehr bedingt freiwillig. Er wird mit seiner Geburt (von seltenen Ausnahmefällen abgesehen) Angehöriger eines Staates. Er kann zwar mit Zustimmung der aufnehmenden Angehörigen die Staatsangehörigkeit wechseln, ganz auf eine Staatsangehörigkeit verzichten kann er aber nicht, seitdem die Erde flächendeckend in Staaten eingeteilt ist (seit ca. 100 Jahren). 2. Dem Staat ist – mit zunehmender Transnationalität – die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung übertragen. Solange er diese Aufgabe verantwortungsvoll und kompetent wahrnimmt, ist dies beruhigend und eine unverzichtbare Grundlage jedes gesellschaftlichen Agierens. Umso schwerwiegender sind Kompetenzdefizite („failing states“) und Verantwortungsdefizite, etwa die pauschale Erklärung eines „war on terror“286. 3. Es besteht weithin Konsens darüber, dass dem Staat das sogenannte Gewaltmonopol übertragen ist. Der Staat hat die Autorität und Möglichkeit, seine Bürge-
|| 285 Vgl. Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, S. 242. 286 , Präsident der USA, Ansprache vor dem Kongress der USA vom 20. September 2001
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rinnen und Bürger zu bestimmtem Verhalten (bspw. dem Verzicht auf Rache), zu bestimmten Maßnahmen (bspw. der Entrichtung von Steuern) und zu bestimmten Dienstleistungen (bspw. der Ableistung von Wehrdienst) zu zwingen. All dies ist historisch gesehen, eine relativ neue, in Europa maximal 500 Jahre zurückgehende Errungenschaft, die weithin für unverzichtbar gehalten wird. Aus dieser Aufgabenzuweisung ergibt sich in unserem Demokratieverständnis, dass der Staat hierzu durch ein Beteiligungsverfahren, an dem sich alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen können, legitimiert ist (no taxation without representation). 4. Dank der ihm zufließenden Steuern sind die Akteure des Staates mit Abstand die finanziell stärksten der Gesellschaft. Dem deutschen Staat flossen 2017 insgesamt ca. 1.300 Milliarden Euro an Steuern, Abgaben, Zöllen und sonstigen Einnahmen zu. Dies lässt es von vornherein schwierig erscheinen, mit Akteuren anderer Arenen auf gleicher Augenhöhe („level playing field“) zu verhandeln. 5. Der moderne Gewährleistungs- und Wohlfahrtsstaat hat über seine Grundfunktionen hinaus wichtige weitere Aufgaben übernommen (Bildung, Gesundheit, Verkehr, Post usw.). Ob und inwieweit er auch hier eine Monopolstellung besitzt, ist im Einzelfall umstritten und wird seit etwa 40 Jahren aus Gründen mangelnder oder zu teurer Angebote oder aus grundsätzlichen Erwägungen höchst kritisch gesehen. Allerdings haben die vielfach vorgenommenen Privatisierungen zugunsten der Markt-Arena oft nicht zu einer Verbesserung geführt und werden ebenfalls kritisch beurteilt. 6. Der Konzentration der Produktionsverhältnisse in der Hand des Staates scheint durch die nach 1990 gewonnenen Einblicke in sozialistische Systeme eine stichhaltige Begründung abhandengekommen zu sein. 7. Der Staat arbeitet zwar, sofern er demokratisch konstituiert ist, in Fragen von Strategie und Regelungsverfahren – zumindest formell – heterarchisch. Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger, die in Wahlen und Abstimmungen (siehe Art. 20 Abs. 2 GG) ihre Repräsentanten bestimmen oder über Sachverhalte abstimmen, entscheiden bottom-up. Im Vollzug allerdings arbeitet der Staat streng hierarchisch (top-down). 8. Der moderne Verwaltungsstaat ist in einer Weise professionalisiert, von der andere gesellschaftliche Akteure nur träumen können. Er tritt anderen Akteuren in sehr unterschiedlicher Gestalt gegenüber: – als Gesetzgeber, – als Vollzugs-, Regulierungs- und Verwaltungsinstanz, – als Geldgeber, – als Wettbewerber und er versteht es, 9. diese Gestalten zu seinem Vorteil zu kombinieren und zu mischen.
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In der Arena des Staates werden, so lässt sich zusammenfassen, primär die hoheitlichen Belange der Gesellschaft verwirklicht und bearbeitet. Welche Aufgaben und Tätigkeiten nun genau unter diese Kategorie fallen, ist regelmäßig Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Während aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts Aufgaben im Zweifelsfall eher zivilgesellschaftlichen Akteuren zufielen (Subsidiaritätsprinzip), hat bei Neuzuweisungen der letzten 30 bis 40 Jahre regelmäßig der Markt obsiegt. An vielen Stellen lässt sich deshalb, aber auch aus anderen Gründen (Netzwerke, Lobby-Arbeit usw.), von einer Allianz von Staat und Markt gegen die Zivilgesellschaft sprechen. Überdies geht insbesondere der deutsche Staat in seiner Rechtsetzung nach wie vor grundsätzlich von einer Ergänzungs- bzw. Entlastungsaufgabe der Zivilgesellschaft in ihrem Verhältnis zum Staat und von einem Prinzip der Staatsnützigkeit zivilgesellschaftlichen Handelns aus. Dass auch Themenanwälte und Wächter als gemeinnützig anerkannt worden sind, ist allein politischem Druck zu verdanken.
5.6 Hybridformen der Gemeinwohlproduktion Staat und Markt haben ebenso wie die Zivilgesellschaft in der Gemeinwohlproduktion wichtige Aufgaben wahrzunehmen. In das Blickfeld sind in den letzten Jahren insbesondere Misch- und Gemeinschaftslösungen zivilgesellschaftlichen Handelns und gesellschaftlicher Unternehmer als Innovationsmotoren geraten. Der Rückblick in die Geschichte der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zeigt, dass Strukturen der Arbeits- und Sozialordnung immer wieder im unternehmerischen Handeln einzelner Personen vorbereitet worden sind. Es geht dabei auch um die kulturelle Dimension und um ein integrales Verständnis des Gemeinwesens. Gesellschaftliches Unternehmertum erscheint hier als Kristallisationspunkt zivilen Engagements, dessen politische Rolle neu bedacht werden muss. Ehemals als private Sphäre beschrieben, hat sich inzwischen zwar die Ansicht durchgesetzt, dass Zivilgesellschaft und Markt (genauso wie Privatheit) analytisch differenziert werden müssen, um den jeweils vorherrschenden Bereichslogiken gerecht zu werden. Doch nähern sich die beiden Arenen inzwischen dergestalt an, dass es vermehrt intermediäre Organisationen gibt, die sich nicht ohne Schwierigkeiten einem der beiden Bereiche zuschreiben lassen. Die zunehmenden Verbindungen von Zivilgesellschaft und Wirtschaft und die damit einhergehende Ausweitung der intermediären Zone zwischen diesen Handlungsfeldern umfasst unter anderen Themen wie: – Corporate Social Responsibility – Corporate Citizenship – Social Entrepreneurship – Sozialunternehmertum – Solidarische Ökonomie
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5.6.1 Corporate Social Responsibility/Corporate Citizenship Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship – vielfach synonym verwendet – sind nicht Funktionen der Zivilgesellschaft, sondern des Marktes. Sie greifen jedoch in ihren Auswirkungen so sehr in die Handlungslogik der Zivilgesellschaft ein, dass sie an dieser Stelle beschrieben werden müssen. Unter dem Schlagwort „Corporate Social Responsibility“ (CSR) werden proaktive wie reaktive Beiträge nachhaltigen Wirtschaftens subsummiert, die über gesetzliche Regelungen (Compliance) hinausgehen. Der Terminus CSR ist nicht trennscharf von konkurrierenden Begrifflichkeiten abzugrenzen, bspw.: – Corporate Responsibility – Corporate Sustainablity – Business Ethics – Corporate Philanthropy – Corporate Responsibility Culture – Corporate Citizenship – unternehmerisches (Bürger-)Engagement – nachhaltiges Wirtschaften – unternehmerisches Engagement – unternehmerische gesellschaftliche Verantwortung Es hat sich jedoch die Übersetzung „gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen“ durchgesetzt. Damit setzt CSR im Idealfall die ökonomische, soziale und ökologische Dimension (triple bottom line) wirtschaftlichen Handelns explizit gleich. CSR kann Ansätze verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns im Kerngeschäft und entlang der Wertschöpfungskette, das Beziehungsmanagement mit relevanten externen wie internen Anspruchsgruppen (auch Bezugsgruppen, Stakeholdern) sowie Investitionen in das Unternehmensumfeld bezeichnen. Eine einheitliche Definition scheitert sowohl an dem umfassenden Anspruch des Konzeptes als auch an nationalen Unterschieden, die den institutionellen Rahmen für die CSR-Praxis bilden. Im europäischen Raum hat sich die Definition eines Grünbuchs der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2001 als Referenz etabliert. Danach ist CSR „ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren. Sozial verantwortlich handeln heißt nicht nur, die gesetzlichen Bestimmungen einhalten, sondern über die bloße Gesetzeskonformität hinaus „mehr" investieren in Humankapital, in die Umwelt und in die Beziehungen zu anderen Stakeholdern. […] Nichtsdestoweniger sollte die soziale Verantwortung von Unternehmen nicht als Ersatz für bestehende Rechtsvorschriften und Regelungen im Bereich soziale Rechte und Umweltstan-
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dards gesehen werden und auch nicht als Ersatz für die Entwicklung neuer einschlägiger Rechtsvorschriften.“287 Schon seit vielen Jahren beschäftigt sich eine reiche wissenschaftliche und Praxis-Literatur intensiv mit Corporate Social Responsibility. Das Managementkonzept entspringt sowohl einer exogenen und politisch flankierten Zuschreibung einer weitergehenden gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen als auch einem Suchprozess der Unternehmen selbst. So wird häufig normativ argumentiert, dass Unternehmen gesellschaftliche Ressourcen beanspruchen und daher der Gesellschaft etwas zurückgeben sollten. Nicht zuletzt aufgrund ihrer relativen Ressourcenstärke solle sich die Wirtschaft mehr an der Reproduktion ihrer soziokulturellen und ökonomischen Grundlagen beteiligen (extrinsische Begründung). Andererseits sei CSR ökonomisch motiviert: Neue Interaktionsformen mit der unternehmerischen Umwelt werden nötig, um frühzeitig Chancen und Risiken zu erkennen und um die Generierung bzw. Sicherung vorökonomischer Vorteile dauerhaft zu erhalten (wie Image, Reputation, Glaubwürdigkeit; Differenzierung am Markt; Produktivität, Zufriedenheit und Loyalität der Angestellten; Entwickeln und Nutzen von Innovationspotenzialen; Vertrauen der Anspruchsgruppen und des Kapitalmarktes; Unternehmenskultur; Zugang zu Informationen, Wissen und Ressourcen; etc.). Kurzum: Eine Erweiterung des betrieblichen Blickwinkels wird nötig, um langfristig am Markt zu bestehen (intrinsische Begründung). Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland drückt sich im Spannungsfeld von Persistenz (innerhalb der Sozialen Marktwirtschaft), Ambivalenz (zwischen Mäzenatentum und Verwertung) und Dualismus (traditionelles Engagement neben strategischer CSR) aus. Deutsche Unternehmen werden durch ihre Beteiligung an Gesetzgebungsverfahren, recht weitreichende arbeits-, sozial- und umweltrechtliche Standards, ihre Orientierung an Tarifverträgen, ihre Rolle als Ausbildungspartner im dualen Bildungssystem sowie über die Zahlung von Steuern und Beiträgen im internationalen Vergleich bereits als überdurchschnittlich gesellschaftlich aktiv eingeschätzt. Ihre gesellschaftliche Rolle wurde korporatistisch ausgehandelt, in gesetzlichen Regelungen kodifiziert und damit weitgehend institutionalisiert. CSR hat bislang den Charakter eines Konzeptes: Es ist ein umfassender, gedanklicher Entwurf, der sich an Leitideen (hier: Nachhaltigkeit, Freiwilligkeit, Verantwortung) orientiert und grundlegende Handlungsrahmen und operative Handlungen zu einem schlüssigen Plan zusammenfasst. Dieses Konzept ist innerhalb des Bezugsrahmens der betriebswirtschaftlichen Theorie, vornehmlich der neoliberalen Wirtschaftsforschung, einzuordnen. Das Nachhaltigkeitskonzept, das Freiwillig-
|| 287 Europäische Kommission, Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, S. 7.
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keitspostulat sowie der normative und relationale Verantwortungsbegriff begründen einige konzeptionelle Schwierigkeiten: 1. Durch den Nachhaltigkeitsbegriff wird dem CSR-Konzept ein holistischer Charakter verliehen, was eine Operationalisierung und Überprüfbarkeit verhindert. 2. CSR wirkt v.a. auf die „vorökonomischen Erfolgswirkungen“288, was gleichwohl viele Autoren nicht davon abhält, eine Kausalität von CSR und Profit zu unterstellen. 3. Der Verantwortungsbegriff ist ein kultureller Begriff, für den es innerhalb der ökonomischen Denk- und Handlungsrahmen kaum Anknüpfungspunkte gibt. Damit hat der Begriff einer unternehmerischen Verantwortung „seine Bodenhaftung in den Wirtschaftswissenschaften und ragt in die Höhen der Philosophie hinauf“289. 4. Die Unklarheit darüber, wo unternehmerische Verantwortung beginnt und wo sie aufhört, macht eine Vergleichbarkeit theoretischer wie empirischer Arbeiten oft unmöglich. Compliance als Grenze von CSR erschwert transnationale Vergleiche aufgrund der verschiedenen, institutionellen Rahmen. 5. Innerhalb des Wettbewerbs als dem zentralen Steuerungsinstrument des Marktes fällt es schwer, das Freiwilligkeitspostulat aufrecht zu erhalten und gleichzeitig Argumente für die Rationalität individueller Selbstbindung und eines gesellschaftlich wünschenswerten Outputs von CSR (social case) zu finden. 6. Das Konzept mutet teilweise tautologisch an: Bleibt im Einzelfall der ökonomische Erfolg (business case) aus, müsse dies beispielsweise an einer mangelhaften Analyse der unternehmerischen Ausgangssituation und seiner externen Einflüsse, einer falschen Implementierung oder schlechten Kommunikationsstrategie liegen. Die Sinnhaftigkeit des Konzepts insgesamt bleibt dabei unantastbar und nicht falsifizierbar. 7. Prämissen aus der Theorie oder einzelnen best practices werden oft mit einem appellativen Charakter auf die Engagementpraxis projiziert und empirische Daten zum Modellfitting verwendet. Die Einbettung der unternehmerischen Handlungen in den soziokulturellen, institutionellen und politischen Rahmen, in dem Unternehmen in einem dynamischen Beziehungsgeflecht mit anderen Akteuren verbunden sind sowie die Berücksichtigung von Unternehmensgröße, Branchenstandards und Ressourcenausstattung der Unternehmen stellen an die Wissenschaft im Bereich der theoretischen Konzeptionalisierung und an die empirische Forschung große Anforderungen. Das Konzept hat sich in den letzten Jahren sowohl in der Wissenschaft als auch medial und politisch profiliert; zahlreiche Forschungseinrichtungen, Beratungs- und Ratingagentu-
|| 288 Vgl. Hansen/Schrader, Nachhaltiger Konsum. 289 Bendixen, Die unsichtbare Hand, die Freiheit und der Markt, S. 7.
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ren fokussieren CSR; es haben sich erste Standards, Zertifizierungen und Labels etabliert. Nun bedarf es einer Fundierung und Verzahnung von Theorie und Empirie, einer Reflexion der zugrundeliegenden Ideologien, Forschungstraditionen, der Anwendbarkeit auf nicht-westliche Kontexte und auf neue Zielgruppen (v.a. kleine und mittelständische Unternehmen), einer vertieften Auseinandersetzung mit der Beziehung von Unternehmen und nicht-ökonomischen Akteuren, weiterer Bemühungen um Quantifizierung und Evaluation von CSR-Maßnahmen sowie einer Erweiterung des Forschungsfokus auf bislang ‚blinde Flecken‘ in der CSR-Literatur. Das Beziehungsgeflecht zwischen CSR und Zivilgesellschaft erwächst zum einen aus den kommunalen Beziehungen, die sich zwischen Markt- und Zivilgesellschaftsakteuren entwickeln, etwa bei der Förderung oder gemeinsamen Gestaltung von zivilgesellschaftlichen Projekten. Zum anderen erwächst es aber auch aus Wettbewerbssituationen, die sich ergeben können, wenn einerseits zivilgesellschaftliche Akteure und andererseits Unternehmen im Rahmen von CSR bei der Realisierung von Projekten miteinander konkurrieren. Für die Akteure der Zivilgesellschaft sind CSR-Partnerschaften nicht unproblematisch. Sie können im Einzelfall heikel sein und sich extremen Fällen sogar verbieten. Betroffen sind nicht so sehr die Wächter und Themenanwälte, die ohnehin kaum als Partner in Frage kommen, sondern vielmehr die Dienstleister in Sport und Kultur, auch im Sozialwesen, ebenso die gemeinschaftsbildenden ZGO, etwa Karnevals- oder Schützenvereine. Auch die politischen Mitgestalter sind hier zu nennen; gerade diese sind korrumpierbar. Überdies agieren viele und immer mehr zivilgesellschaftliche Akteure in mehreren Funktionen. Viele ZGO sind sich der Probleme, die in einer Partnerschaft mit einem Unternehmen auftreten können, allerdings in keiner Weise bewusst – sei es, dass sie in Probleme, die beim Unternehmen auftreten, mit hineingezogen werden können; sei es, dass sie in eine Abhängigkeit geraten, die beim oft abrupten Ende der Partnerschaft existenzbedrohend sein kann. Partnerschaften dieser Art tragen in der Regel auch wenig zur Organisationsentwicklung der ZGO bei; sie folgen genauso wie die meisten staatlichen Subventionen und Zuwendungen von Förderstiftungen dem fatalen kurzfristigen Projektförderprinzip, das dazu führt, dass die ZGO sich von Projekt zu Projekt hungern und sich eben nicht entwickeln können. Es ist nicht grundsätzlich zu kritisieren, wenn Unternehmen allein oder gemeinsam ZGO gründen und diese im Rahmen ihrer CSR fördern. Es gehört vielmehr zu ihren Rechten als corporate citizens. Allerdings muss sichergestellt sein, dass sie nicht etwa nur, steueroptimiert und mit dem Etikett der CSR versehen, zwar legitime, aber eben doch anders zu bewertende unternehmerische Ziele verfolgen. Insofern erscheint es unabdingbar, dass CSR-Partnerschaften einer public accountability, einer Offenlegungspflicht gegenüber der Öffentlichkeit unterliegen. Dass in Deutschland die Instrumentarien hierfür bisher nur sehr rudimentär vorhanden sind, steht auf einem anderen Blatt.
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Schließlich mag es scheinen, als sei die Zivilgesellschaft nur dann betroffen, wenn es um externe CSR geht, denn nur dann kommen ihre Akteure als Partner in Betracht. Dies ist jedoch ein Trugschluss. Ihre Akteure sind auch in ihrer Funktion als Wächter aufgerufen, Praktiken von Unternehmen aufzuzeigen, die sozial unverantwortlich erscheinen. Deutschlands führende Verbraucherschutzorganisation, die Stiftung Warentest, stellt als Wächter beispielsweise seit Jahrzehnten nicht nur Produktvergleiche an, sondern weist auch, ohne dies explizit unter diese Überschrift zu stellen, auf Produktmissstände hin, die soziale Verantwortung vermissen lassen. In der Funktion des Themenanwalts treten zivilgesellschaftliche Organisationen beispielsweise für eine Verbesserung von Arbeitsbedingungen oder das Verbot von Jugendarbeit ein und können Unternehmen veranlassen, verantwortungsvoller zu handeln. Dies kann durch ein Lobbying für veränderte rechtliche Rahmenbedingungen geschehen, aber auch durch sogenanntes nudging, dem Ausüben von sozialem Druck. Manche Unternehmen lassen sich heute gezielt durch ZGO darin beraten, wie sie ihrer sozialen Verantwortung besser gerecht werden können. Die Zusammenarbeit zwischen BP und Greenpeace nach dem Brentspar-Vorfall war dafür ein Beispiel. Schließlich wirken ZGO im Rahmen ihrer politischen Mitgestaltungsfunktion auch daran mit, Rahmenbedingungen zu entwickeln, die den Unternehmen ein verantwortungsvolles Handeln aufgeben. Beispielsweise versammeln Stiftungen und andere ZGO, die sich dieser Aufgabe verpflichtet fühlen, regelmäßig unterschiedliche Gesprächspartner, um gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten für von Unternehmen mitverantwortete gesellschaftliche Probleme zu suchen.
5.6.2 Sozialunternehmen/Social Entrepreneurship/solidarisches Wirtschaften Unternehmerisches Handeln und Gemeinwohlorientierung haben sich noch nie ausgeschlossen. Schon vor Jahrhunderten gründeten unternehmerisch veranlagte Persönlichkeiten nicht nur gewinnorientierte Wirtschaftsunternehmen, sondern auch zielorientierte Unternehmungen, die heute der Zivilgesellschaft zugerechnet werden könnten (siehe Kap. 1.2). Frühe Beispiele sind die Spitalstiftungen in den Städten des Mittelalters, zu einem gewissen Grad auch die frühen Schul- und Universitätsgründungen, hinter denen engagierte Gründerpersönlichkeiten standen. Ein herausragendes Beispiel für eine frühneuzeitliche Gründung sind die Franckeschen Stiftungen, um 1700 von August Hermann Francke ohne nennenswerte eigene Mittel als Bildungs- und Jugendfürsorgeeinrichtung ins Leben gerufen. Während ursprünglich Spenden und Zuwendungen, unter anderem des preußischen Königs, die Finanzierung sicherstellen mussten, entwickelte sich bald ein florierendes Wirtschaftsunternehmen – durch den Druck und Vertrieb von Bibeln, die bis in die USA exportiert wurden und die eine solide Finanzierungsgrundlage für den wachsenden Bildungsbetrieb bildeten. Im 18. Jahrhundert konnte sich Jakob
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Mauvillon mit seiner Idee nicht durchsetzen: „Ich bin fest überzeugt,“ schrieb er 1780, „dass wenn man das Erziehungsgeschäft der eigenen Industrie überließe; wenn man weder Professoren noch Rektoren noch Konrektoren, weder öffentliche Schulen noch Universitäten hätte; wenn der Staat das Geld, das er dafür ausgibt, in die Hände der Privatpersonen ließe, um die Lehrer der Kinder nach Verdienst und nach der Konkurrenz zu belohnen, so würde dieses Geschäft einen ganz anderen und viel vortrefflicheren Schwung bekommen.“290 Im 19. Jahrhundert entstanden parallel zu den frühkapitalistischen Unternehmensgründungen auch zahlreiche Sozialunternehmen in Stiftungs-, Genossenschafts-, Vereins- oder Kapitalgesellschaftsform. Sie dienten der Krankenpflege, der Betreuung von körperlich und geistig Behinderten, der Bildung sowie dem sozialen Wohnungsbau. Victor Aimé Huber entwickelte in den 1840er Jahren ein Model gemeinwohlorientierter Aktienbaugesellschaften, um die Wohnungsbedingungen für Arbeiterfamilien zu verbessern.291 Andere ähnliche Unternehmungen folgten in unterschiedlicher Gestaltung, unter denen die von Hermann Julius Meyer in Leipzig gestifteten Wohnungen wegen ihrer großen Zahl (1.173) herausragen.292 Die 1867 bei Bielefeld gegründeten VonBodelschwinghschen Anstalten in Bethel beschäftigen heute rund 18.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und erwirtschaften mit ihren Einrichtungen zur Betreuung von behinderten Menschen einen Jahresumsatz von 2 Milliarden Euro. Sozialunternehmen in diesem Sinn sind aber auch Zoologische Gärten (meist in der Rechtsform der gemeinnützigen Aktiengesellschaft betrieben), Schulen und Krankenhäuser in gemeinnütziger Trägerschaft oder die 1913 von Frankfurter Bürgern (darunter überproportional vielen jüdischen Bürgern) gegründete Universität Frankfurt am Main in der Form einer Stiftung, die später zwar verstaatlicht wurde, heute aber wieder die Rechtsform einer Stiftung hat. Heutzutage gewinnt das Sozialunternehmertum, das sich im Hybridbereich zwischen Markt und Zivilgesellschaft verorten lässt, wieder zunehmend an Bedeutung, insbesondere auch bei kleinen und mittleren Unternehmungen, deren Gründer ihre start-ups bewusst ganz oder teilweise dem allgemeinen Wohl widmen. Im Sinne einer formalen Zuordnung zur Zivilgesellschaft ist zwischen Ansätzen, die sich den Kriterien der Zugehörigkeit unterwerfen (insbesondere dem Ausschüttungsverbot) und solchen, die dies nicht tun, zu unterscheiden. Gleichwohl sind marktgemäße Ansätze, die auf eine Ausschüttung nicht verzichten oder eine geringere Gewinnerwartung akzeptieren, legitim und leisten überaus positive Beiträge sowohl in Erfüllung ihres Geschäftszwecks als auch zur Verdeutlichung alternativen Wirtschaftens, das die Gewinnerwartung nicht zum absoluten Maßstab macht.
|| 290 Mauvillon/Dohm, Physiokratische Briefe an den Herrn Professor Dohm, S. 265. 291 Vgl. Adam, Zivilgesellschaft oder starker Staat, S. 133. 292 Vgl. Adam, Zivilgesellschaft oder starker Staat, S. 152.
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Seit Mitte der 1990er Jahre erhält das aus dem anglo-amerikanischen Raum stammende Konzept des Social Entrepreneurship auch in Deutschland immer mehr Aufmerksamkeit. Die wörtliche Übersetzung von social entrepreneurship mit „Sozialem Unternehmertum“ ist allerdings etwas missverständlich da social in diesem Fall nicht mit „sozial“, sondern mit „gesellschaftlich, auf die Gesellschaft bezogen“ gleichzusetzen ist. Daher ist auch der Begriff „gesellschaftliches Unternehmertum“ gebräuchlich.293 Sozialunternehmen können als Unternehmen beschrieben werden, die mit dem Ziel antreten, auch zur Lösung eines gesellschaftlichen Problems beizutragen. In diesem Sinne lassen sich auch das Genossenschaftswesen und andere solidarische Wirtschaftsweisen als social businesses bezeichnen. Das spezifische am „Social Entrepreneurship“ liegt allerdings in Abgrenzung zu klassischen, eher karitativen Ansätzen zivilgesellschaftlicher Organisationen oder den verwaltungsorientierten staatlichen Institutionen darin, dass die social entrepreneurship organisations (SEO) versuchen, die gesellschaftlichen Probleme gezielt mit innovativen unternehmerischen Mitteln – also basierend auf strategischen Instrumenten wie Businessplan und Marktanalysen – einer Lösung näherzubringen. Politisch ruhen zum Teil große Hoffnungen auf den Tätigkeiten und Leistungen dieser engagierten Sozialunternehmen, wobei diese immer von dem befürchteten Kontrollverlust gedämpft werden. Die Bundesregierung versucht diese Entwicklung zu fördern, sie unterstützt Sozialunternehmer als Personen, „die aus ihrem individuellen bürgerschaftlichen Engagement heraus soziale Organisationen gründen, die gesellschaftliche Herausforderungen mit innovativen und unternehmerischen Herangehensweisen lösen“294. Auf diese Weise vereinigt sich gewissermaßen bürgerschaftliches Engagement mit unternehmerischem Denken. Ähnlich wie „Corporate Social Responsibility“ (CSR) oder „Corporate Citizenship“ ist auch der Begriff „Social Entrepreneurship“ eher von Seiten der Praktiker als im Rahmen einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung geprägt worden. Einer der zentralen Akteure für die Verbreitung des Social Entrepreneurship war die 1980 von Bill Drayton gegründete Ashoka, die in mittlerweile über 40 Ländern Social Entrepreneurs speziell in ihrer Gründungsphase unterstützt und fördert. Ein wichtiger Protagonist der Entwicklung des Social Business als wirtschaftlichem Konzept ist der dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Gründer der in Bangladesch ansässigen Grameenbank Muhammad Yunus. Sein Ansatz, mit einer Mikrofinanz-Kreditgenossenschaft Mikrokredite an Kleinunternehmer und Landwirte zu vergeben, ohne dafür klassische Sicherheiten zu fordern, erregte viel Aufmerksamkeit und wird bis heute vielfach nachgeahmt. Seit offenkundig geworden ist, dass entgegen vieler Befürchtungen die Ausfallquoten deutlich niedriger liegen als im klassischen Kreditgeschäft, ist die ursprünglich sehr kontroverse Diskussion
|| 293 Vgl. Habisch, Gesellschaftliches Unternehmertum. 294 Bundesregierung, Nationale Engagementstrategie, S. 5.
Ergänzende Literatur | 161
weitgehend verstummt. Allerdings hat der Erfolg der Mikrokredite der Diskussion um die Frage, wo wirtschaftliche Hilfestellungen einen wirksameren Beitrag zur Entwicklung leisten als karitative, zu Recht neue Nahrung gegeben. Das Engagement von SEOs kann sich auf den Kampf gegen Armut, Umweltzerstörung oder Diskriminierung, aber auch für Bildung, die Integration von Randgruppen, kulturellen Wandel etc. beziehen. Meist beschränkt es sich auf einen Aspekt bzw. eine Personengruppe und bezieht dazu auch weitere Multiplikatoren und Netzwerke in innovative Lösungsansätze mit ein. Interessante Handlungsfelder für SEOs sind insbesondere Schnittstellenthemen zwischen strukturell voneinander abgeschotteten gesellschaftlichen Bereichen. Sie wirken als Innovatoren im gemeinnützigen Bereich, der angesichts neuer Problemlagen im 21. Jahrhundert dringend die Entwicklung passgenauerer Lösungen benötigt. Zur Finanzierung, insbesondere zur schwierigen Anschubfinanzierung solcher SEOs hat sich inzwischen die Venture Philanthropy formiert. Zu dieser bekennen sich vor allem Stiftungen als intermediäre Organisationen (gewissermaßen selbst SEOs), die sich darauf spezialisiert haben, andere SEOs dabei zu unterstützen, gesellschaftliche Investitionsmittel (social investments) von philanthropisch und ethisch engagierten Anlegern zu mobilisieren. Sie gehen für bis zu zehn Jahre Partnerschaften mit SEOs ein und unterstützen diese nicht nur finanziell, sondern auch beratend in vielerlei Hinsicht.295
Ergänzende Literatur Patze/Smettan/Renner/Föhr (Hrsg.), Methodenhandbuch Bürgerbeteiligung Raupp/Jarolimek/Schultz (Hrsg.), Handbuch CSR. Kommunikationswissenschaftliche Grundlagen, disziplinäre Zugänge und methodische Herausforderungen Quednau (Hrsg.), Zukunft der Demokratie
|| 295 Siehe hierzu Ebermann/Hoelscher/Schlüter (Hrsg.), Venture Philanthropy in Theorie und Praxis; siehe auch Letts/Ryan/Grossman, Virtous Capital.
6 Die Meso Perspektive: Zivilgesellschaftliche Organisationen 6.1 Einführung Die Zivilgesellschaft bedarf, um nachhaltig wirken zu können, wie jede andere kollektive Tätigkeit eigener Strukturen. Kollektive, die über einen längeren Zeitraum hinweg stabil und funktionsfähig bleiben wollen, müssen sich verfassen und eine Aufbauorganisation entwickeln. Dies kann auf informellem Wege geschehen, indem in einer Gruppe alle Entscheidungen im Konsens aller Mitglieder getroffen werden oder ein Mitglied unwidersprochen oder auf Bitten der anderen die Leitung übernimmt und Aufgaben verteilt. In der sogenannten informellen oder unorganisierten Zivilgesellschaft ist dies die Regel. Rechtlich entsteht durch gemeinsames Handeln, das als solches erkennbar ist, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Diese bedarf keiner schriftlich-formellen Verfassung (Satzung). So gesehen gibt es eigentlich keine ‚unorganisierte Zivilgesellschaft‘, denn die GbR als Form der Organisation entsteht automatisch. Dennoch ist im engeren Sinn erst dann von organisierter Zivilgesellschaft zu sprechen, wenn sich eine Organisation eine Verfassung (Satzung) gegeben bzw. im Fall der Stiftung eine solche erhalten hat. Auch die GbR kann durch Satzung Verantwortlichkeiten und Aufgabenverteilung regeln. Soll ein zivilgesellschaftliches Kollektiv im Rechts- und Geschäftsverkehr eigenständig auftreten, ist in der Regel eine formellere Struktur zu wählen. Grundsätzlich sind zivilgesellschaftliche Organisationen mit hierarchischen und heterarchischen Strukturen zu unterscheiden.296 Beide können die Kriterien der Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft erfüllen, auch wenn assoziative, heterarchische Strukturen dominieren und nicht selten sogar als für die Zivilgesellschaft allein bestimmend angesehen werden. Während in einer heterarchischen Organisation die Mitglieder oder Eigentümer ihre Führungskräfte ebenso bestimmen wie die Ziele und die Schritte auf dem Weg zu diesen Zielen, und während sie diese Ziele unter Einhaltung einvernehmlich festgelegter Verfahrensregeln jederzeit verändern können, fällt in einer hierarchischen Organisation die Spitze der Hierarchie die maßgeblichen Entscheidungen. Die Extremform einer hierarchischen zivilgesellschatlichen Organisation bildet die Stiftung, deren Stifter oder Stifterinnen auch über ihren Tod hinaus die hierarchiche Spitze darstellen, auf die Lebenszeit der Stiftung die Ziele festlegen und Vorgaben für die Governance machen. In der Praxis existieren zahlreiche Mischformen, in denen hierarchische und heterarchische Elemente miteinander verbunden sind. Die bekannteste findet sich beispielsweise in Ordensge-
|| 296 Vgl. Dreher, Formen sozialer Ordnung im Vergleich https://doi.org/10.1515/9783110553475-008
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meinschaften, die ihren Leiter wählen, ihn damit aber mit fast unbeschränkter Autorität ausstatten. In dieser Hinsicht unterscheiden sich zivilgesellschaftliche Organisationen nicht von denen in den anderen Arenen kollektiven Handelns: – ARENA HIERARCHIE HETERARCHIE – Staat Monarchie Republik – Markt/Wirtschaft Familienunternehmen Publikumsgesellschaft – Zivilgesellschaft Stiftung Verein Ob in einer demokratischen Gesellschaft hierarchische Organisationen überhaupt Legitimität besitzen, ist immer wieder Gegenstand der Diskussion. Diese übersieht oft, dass die moderne („westliche“) Gesellschaft nicht nur auf dem Prinzip der Demokratie aufgebaut ist, sondern auch auf der Herrschaft des Rechts, den Menschenund Bürgerrechten und den kulturellen Traditionen – Prinzipien, die im Einzelfall im Konflikt miteinander stehen können und zwischen denen permanent eine Güterabwägung stattzufinden hat. Im liberal-demokratischen Staatswesen wird die Demokratie als oberstes Prinzip für so grundlegend erachtet, dass die Aufsicht der demokratisch gewählten Parlamente über jede Tätigkeit von Regierungen und Verwaltungen unabdingbar erscheint. Jedoch hat auch der demokratisch verfasste Staat, bspw. durch die Einrichtung einer Staatsverwaltung, erhebliche hierarchische Strukturen ausgebildet. Dass diese sich der demokratischen Beaufsichtigung weitgehend entziehen, ist zwar als Krisenelement erkannt, muss aber andererseits toleriert werden, da eine rein heterarchische Governance-Struktur des Staates kaum praxistauglich wäre. Jedoch sorgt nur ein abgewogenes – aber keineswegs immer gleiches – Verhältnis zwischen den vier erwähnten Prinzipien für die Resilienz einer freiheitlichen, offenen und partizipativen Gesellschaft, für den Schutz des einzelnen Menschen vor der Gemeinschaft, für einen angemessenen Schutz von Minderheiten vor der Mehrheit, für eine Bündelung und Funktionsfähigkeit des kollektiven Handelns und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Resilienz und Innovation. In der Zivilgesellschaft, zu deren positiven Merkmalen ein ziviles hierarchiefreies Miteinander und das Bekenntnis zu einem partizipativ angelegten Gemeinwesen gehören, kommt heterarchischen Formen eine besondere Bedeutung zu. Nach herrschender Meinung lässt jedoch das Grundgesetz im nicht-staatlichen Bereich Strukturen ausdrücklich zu, die nicht dem demokratischen Staatsaufbau entsprechen. Verlangt ist Verfassungs- und Gesetzestreue, nicht aber eine Entsprechung zur staatlichen Aufbauorganisation (sog. forma interna/forma externa Grundsatz). Eine andere Auffassung würde sehr schnell zu einem Konflikt zwischen den genannten Grundprinzipien der Gesellschaft führen. Sie wäre auch demokratietheoretisch unlogisch, denn prinzipiell hat nicht der Staat darüber zu bestimmen, wie die Bürgerinnen und Bürger ihr Leben zu organisieren haben, sondern diese bestimmen, welchen Staat sie wollen. Nur das regelt das Grundgesetz; es bildet nicht die Folie für jedwedes private oder kollektive Handeln.
Einführung | 165
International bürgert sich als Sammelbezeichnung für alle korporativen Akteure der Zivilgesellschaft zunehmend der Ausdruck civil society organisations (CSOs) ein, auf Deutsch „Zivilgesellschaftliche Organisationen“ (ZGO). Daneben sind auch andere Ausdrücke gebräuchlich, beispielsweise NPO (Nonprofit-Organisationen oder Not-for-Profit-Organisationen), Dritter-Sektor-Organisationen oder NGO (nongovernmental organisations). Aus der Akkreditierung als NGO bei den Vereinten Nationen leiten die in den dort geführten Listen eingetragenen Organisationen gelegentlich den Anspruch ab, nur sie seien NGO im vollen Wortsinn297. Dies ist jedoch unzutreffend. Der deutsche staatliche Sprachgebrauch besteht auf einer Eindeutschung des Ausdrucks NGO als NRO (Nichtregierungsorganisation), analog zu VN (Vereinte Nationen) statt UN. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich dies jedoch nicht durchgesetzt. Häufiger werden die Ausdrücke NPO und NGO so verwendet, dass NPO den Unterschied zu gewinnorientierten Unternehmen und NGO den Unterschied zu staatlichen Akteuren herausstellen soll. Die Akteure der Zivilgesellschaft teilen die folgenden gemeinsamen definitorischen Merkmale: 1. Es sind kollektive Akteure (aber nicht notwendigerweise juristische Personen im Rechtssinne). 2. Sie dienen subjektiv (d.h. nach eigener, aber nicht notwendigerweise nach Einschätzung Dritter) wesentlich dem Wohl der Allgemeinheit, dem Gemeinwohl. 3. Sie sind freiwillig zustande gekommen und die Zugehörigkeit zu ihnen ist freiwillig. 4. Sie verwalten sich selbst. 5. Sie setzen alle Einnahmen einschließlich ggf. erwirtschafteter Überschüsse aus ihrer Tätigkeit für ihre satzungsmäßigen Zwecke ein und schütten sie nicht an Mitglieder oder Eigentümer aus. 6. Sie üben keine im engen Sinne staatliche (hoheitliche) Tätigkeit aus. Diese Definition ermöglicht eine Abgrenzung zu kurzlebigen und formlosen Versammlungen, zu staatlichen Einrichtungen, zu Wirtschaftsunternehmen sowie zu Verbänden, in denen die Mitgliedschaft zwangsweise rechtlich vorgegeben ist (bspw. Kammern). Jedoch erfüllen nicht alle ZGO alle Kriterien uneingeschränkt. Beispielsweise werden Mitglieder von Stiftungsorganen nicht selten von außen bestellt. Mitglieder von Sportvereinen sind regelmäßig deshalb Mitglieder, weil sie selbst die vereinseigenen Anlagen nutzen wollen. Im Einzelfall kommt es daher oft auf die Gemeinwohlorientierung in einem allgemeineren Sinn, auf die Selbstein-
|| 297 Nach Artikel 71 der UN-Charta können Nichtregierungsorganisationen Konsultativstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) erlangen, wenn sie die in der ECOSOCResolution 1996/31 festgelegten Kriterien erfüllen. Zurzeit sind dort fast 5.000 Organisationen registriert.
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schätzung, das Verhalten, eventuelle Abhängigkeiten sowie auf die Akzeptanz durch die Gesellschaft im Allgemeinen an, um die Zugehörigkeit einer Organisation zur Zivilgesellschaft zu bestimmen. Umstritten ist die Zugehörigkeit von drei großen gesellschaftlichen Gruppen: 1. Parteien, 2. Gewerkschaften, 3. Religionsgemeinschaften. Diese ist differenziert zu betrachten. Idealtypisch sind alle drei Gruppen der Zivilgesellschaft zuzurechnen, da sie weder gewinnorientierte Unternehmen noch Teilträger der Hoheitsverwaltung des Staates darstellen. Das sehen aber vor allem die jeweiligen Protagonisten zum Teil anders. So bewegen sich die Religionsgemeinschaften in jüngerer Zeit auf die Zivilgesellschaft zu298, während die Gewerkschaften, zumindest an deren Spitzen, eine Zugehörigkeit ablehnen und sich der Arena der Wirtschaft zugehörig fühlen. Eine Selbsteinschätzung der Parteien scheitert an ihrem Anspruch, wesentliche Akteure des Staates zu sein. Aus der empirischen Betrachtung der organisierten Zivilgesellschaft werden sie überwiegend ausgeklammert (siehe auch Kap. 10.2).
6.2 Unterscheidungen Die Zivilgesellschaft besteht aus zahlreichen, untereinander sehr heterogenen Akteuren. In dieser Heterogenität unterscheidet sich die Zivilgesellschaft nicht grundsätzlich von den gesellschaftlichen Arenen Staat und Markt. Die große Heterogenität führt nicht nur häufig zu Missverständnissen und Fehleinschätzungen hinsichtlich der Zivilgesellschaft als ganzer; sie lässt auch die von dritter Seite oft gewünschte Gesamtvertretung der Zivilgesellschaft unmöglich erscheinen. Insoweit gibt es niemals Vertreter der Zivilgesellschaft, sondern stets nur Akteure in ihr. Zwar haben sich unter verschiedenen Aspekten Dachverbände gebildet, doch sind der Akkumulation, Wirksamkeit und Legitimation solcher Verbände durch die Vielzahl nach eigenem Willen unabhängiger Akteure deutliche Grenzen gesetzt, nicht zuletzt durch kontinuierlich und in großer Zahl neu entstehende sowie andere ihre Tätigkeit beendende Akteure, deren Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft nicht zu bestreiten ist. ZGO können nach mehreren Kriterien unterschieden werden. Diese Unterscheidungen ermöglichen es, die Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Breite zu erfassen.
|| 298 Vgl. Strachwitz (ed.), Religious Communities and Civil Society in Europe.
Unterscheidungen | 167
6.2.1 Grundausrichtung Die Grundausrichtung jeder zivilgesellschaftlichen Organisation bestimmt sich nach Albert Hirschman danach, ob sie als loyal, exit oder voice zu klassifizieren ist.299 – Loyal sind Organisationen, die, wie beispielsweise Wohlfahrtsverbände, durch ihre Tätigkeit die bestehende Gesellschaft (und in der Regel den Staat) unterstützen bzw. ergänzen. Auch die als sogenannte „beliehene Unternehmer“, bspw. im Rettungsdienst und Katastrophenschutz tätigen Hilfsorganisationen (Arbeiter-Samariterbund, Deutsche Lebensrettungsgesellschaft, Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfallhilfe, Malteser-Hilfsdienst) gehören in diese Kategorie. – Exit charakterisiert Organisationen, die sich von der Mehrheitsgesellschaft fernhalten. Beispielsweise waren die Arbeitervereine des 19. Jahrhunderts typische Ausprägungen dieses Typs. Heute können dazu Minderheitsorganisationen ebenso wie Subkulturen gehören. – Voice bezeichnet beispielsweise Protestbewegungen, aber auch große Themenanwälte, die „ihre Stimme erheben“, um bestehende Verhältnisse zu ändern. Greenpeace oder Amnesty International sind für diese Kategorie typisch.
6.2.2 Funktion Aus einer Einteilung in vier Funktionsbereiche, die die Europäische Kommission 1997 erarbeitet hatte300, hat sich inzwischen eine Einteilung in acht Funktionsbereiche entwickelt, die von ZGO wahrgenommen werden. Viele Organisationen sind dabei in mehreren Bereichen aktiv: 1. Dienstleistungen (bspw. Caritas) 2. Themenanwaltschaft (bspw. Amnesty) 3. Wächter (bspw. Verbraucherschutz) 4. Selbsthilfe (bspw. Patientenselbsthilfen/Sport) 5. Mittler (bspw. Förderstiftungen/Dachverbände) 6. Gemeinschaftsbildung (bspw. Schützen-, Trachtenvereine) 7. Politische Mitgestaltung (bspw. Think Tanks/Europa Union) 8. Persönliche Selbsterfüllung (bspw. Glaubensgemeinschaften) Gemessen an der Zahl der Mitglieder sind manche gemeinschaftsbildende Organisationen (beispielsweise Karnevalsvereine) sowie die Sportvereine und der ADAC mit
|| 299 Vgl. Hirschman, Exit, Voice and Loyalty. 300 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung über die Förderung der Rolle gemeinnütziger Vereine und Stiftungen in Europa.
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Abstand die größten; gemessen am finanziellen Umsatz und der Anzahl der Beschäftigten sind es dagegen Dienstleister im gesundheitlichen und karitativen Bereich, die den Schwerpunkt zivilgesellschaftlicher Tätigkeit in Deutschland bilden. Dies ist in anderen Ländern anders. So spielt beispielsweise in Frankreich der karitative Bereich der Zivilgesellschaft eine untergeordnete Rolle, in Großbritannien ist der größte Automobilclub AA (seit einigen Jahren) ein gewinnorientiertes Unternehmen und kennt keine Mitglieder, während etwa in den Niederlanden der Ausbildungs- und Erziehungsbereich im Gegensatz zu Deutschland in hohem Maße zivilgesellschaftlich organisiert ist. In Skandinavien wiederum spielen die gemeinschaftsbildenden ZGO eine noch größere Rolle als in Deutschland. – Zu den Funktionsbereichen im Einzelnen siehe Kap. 6.3
6.2.3 Ziele Kern jeder ZGO bilden die von ihr angestrebten Ziele. Eine ZGO ohne Ziel ist nicht vorstellbar. Insgesamt besteht international weitgehende, wenngleich nicht vollständige Einigkeit darüber, welche Ziele von ZGO verfolgt werden können. Dies heißt freilich nicht, dass dies auch tatsächlich überall möglich ist. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und die grundsätzliche politische und gesellschaftliche Akzeptanz unterscheiden sich erheblich. Dies gilt nicht nur für undemokratisch regierte Staaten wie Nordkorea, China, Saudi-Arabien oder Russland. Über Registrierungsmodalitäten, steuerliche Behandlung und andere administrative Maßnahmen werden Ziele bewusst staatlich privilegiert oder benachteiligt. Eine international anwendbare Klassifizierungsmöglichkeit aller zivilgesellschaftlichen Organisationen anhand ihrer Ziele wurde erstmals in den 1990er Jahren im Rahmen des Johns Hopkins International Nonprofit Sector Project erarbeitet und als International Classification of Nonprofit Organizations (ICNPO) vorgelegt301: 1. Kultur und Freizeit (Kunst und Kultur, Sport und Freizeit, sonstige Freizeitvereine) 2. Bildung und Forschung (Allgemein- und berufsbildende Schulen der Grundund Sekundarstufe, Hochschulen, sonstige Bildungs- und Forschungseinrichtungen) 3. Gesundheitswesen (Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken, Seniorenheime, Sanatorien, Frauenhäuser und andere Kriseneinrichtungen, sonstige Gesundheitsdienste) 4. Soziale Dienste (Soziale Dienste, Not- und Rettungsdienste, Lohnhilfen und Unterstützung)
|| 301 Vgl. Salamon/Anheier, The International Classification of Nonprofit Organizations.
Unterscheidungen | 169
5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Natur- und Umweltschutz (Umwelt- und Naturschutz, Tierschutz) Wohnungswesen und Beschäftigung (Wirtschaftliche, gesellschaftliche, lokale Entwicklung, Wohnungsgenossenschaften, Beschäftigung und Fortbildung) Rechtswesen, Bürger- und Verbraucherinteressen und Politik (Bürger- und Verbraucherinteressen, rechtliche Dienste, politische Organisationen) Stiftungen und Förderung des Ehrenamtes Internationale Aktivitäten Religions- und Glaubensgemeinschaften Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaften Sonstige
Diese Klassifizierung war zwar von Anfang an der Kritik ausgesetzt (aus Deutschland beispielsweise mit der Begründung, Kultur und Freizeitgestaltung ließen sich nicht in einer Gruppe zusammenfassen), doch sie hat sich im Wesentlichen bewährt und durchgesetzt und ist bspw. in das Klassifizierungssystem der UNO eingegangen302. Die Klassifizierung steuerbegünstigter Zwecke nach § 52 der deutschen Abgabenordnung, die insgesamt 83 verschiedene steuerbegünstigte Zwecke unter 34 zum Teil in sich völlig heterogenen Ziffern auflistet, ist im Vergleich dazu nicht nur unsystematisch und an einigen Stellen geradezu willkürlich, sondern blendet auch die ZGO aus, die der Zivilgesellschaft zwar zugehören, aber nicht in den Genuss der sogenannten Steuerbegünstigung kommen können. Die gelebte Praxis weicht aus historischen, kulturellen, rechtlichen und anderen Gründen häufig von den grundsätzlichen Zielen ab. Die Übernahme von Aufgaben, die systematisch eher vom Staat oder der Wirtschaft erledigt werden sollten, durch ZGO ist keine Seltenheit, zumal sich der Konsens darüber, wer welche Aufgaben übernehmen sollte, schneller verändert als das Selbstverständnis und die Bindungen der Akteure. So beobachtet beispielsweise die Europäische Kommission als Hüterin der in den EU-Verträgen niedergelegten Wettbewerbsfreiheit die Dominanz der sogenannten freigemeinnützigen Krankenhäuser in Deutschland mit Argwohn, da sie im Wettbewerb mit (steuerlich schlechter gestellten) gewerblichen Krankenhäusern stehen.
6.2.4 Steuerrechtlicher Status Das Steuerrecht gilt in Deutschland, nicht unbedingt zu Recht, als primäre rechtliche Basis für die Zuordnung einer Körperschaft zur Zivilgesellschaft. Es legt im Grunde aber nur fest, dass Körperschaften, die bestimmte, in der Abgabenordnung normierte Ziele verfolgen und eine Reihe weiterer Voraussetzungen erfüllen, von || 302 United Nations, Handbook on Non-Profit Institutions in the System of National Accounts.
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der Entrichtung von Ertrags- und Vermögensteuern befreit sind. Diese Körperschaften sind im Einzelnen bestimmt (§ 1 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz). Es sind (unter anderem): 1. Kapitalgesellschaften (AG, GmbH, UG haftungsbeschränkt) 2. Genossenschaften 3. Eingetragene Vereine 4. Rechtsfähige Stiftungen 5. Nicht rechtsfähige Vereine, Stiftungen u.ä. Sie werden – demokratietheoretisch wenig schön – als steuerbegünstigte Körperschaften bezeichnet, sofern sie im Einzelnen die Voraussetzungen erfüllen und einen entsprechenden Bescheid erhalten haben.303 Ausdrücklich nicht als steuerbegünstigt anerkennungsfähig sind Personengesellschaften (bspw. Kommanditgesellschaften oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts) und natürliche Personen. Die genannten Körperschaften können ferner nur dann als steuerbegünstigt anerkannt werden, wenn sie kirchliche, gemeinnützige oder mildtätige Ziele verfolgen. Das Steuerrecht unterscheidet demgemäß zwischen den Religionsgemeinschaften (kirchliche Zwecke), der Verfolgung bestimmter, in der Abgabenordnung (§ 52) festgelegter Ziele und der Hilfe für Personen in Not. Ferner darf es sich bei den Destinatären (den Nutznießern der Tätigkeit der Organisation) nicht um einen abgeschlossenen Personenkreis (beispielsweise eine Familie oder die Mitarbeiter eines Unternehmens) handeln. Inwieweit etwa die Bewohner einer Straße in diesem Sinn als abgeschlossener Personenkreis gelten, ist strittig, was für manche Bürgerinitiative von Bedeutung sein kann. Schon aus diesem Grund umfasst die Zivilgesellschaft sowohl steuerbegünstigte als auch nicht steuerbegünstigte Organisationen. Während es im kirchlichen und mildtätigen Bereich relativ leicht ist zu ermitteln, ob eine ZGO den Anforderungen für die „Steuerbegünstigung“ genügt, ist dies im gemeinnützigen Bereich im engeren Sinn oft schwierig. Die Abgabenordnung enthält hierzu neben der Aufstellung von Zwecken auch zahlreiche andere Voraussetzungen, bspw. die kaum erklärbare „Förderung der Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet“304. Allein aus der Notwendigkeit einer solchen Aufstellung wird deutlich, dass der Gemeinnützigkeitsbegriff ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, der den jeweils dominierenden sozialen, politischen und ökonomischen Strömungen unterliegt. In den letzten Jahrzehnten ist die Aufstellung vielfach verändert worden, in der Regel im Sinne einer Klientelpolitik („Schach gilt als Sport“) und nicht infolge neuer Erkenntnisse zum Aufgabenspektrum der Zivilgesellschaft. Beispielsweise wird von Kritikern beanstandet, dass bürgerschaft-
|| 303 Zu beanstanden ist das Wort „Begünstigung“ (in der Alltagssprache oft auch „Privilegierung“) als Relikt eines patriarchalischen Be- oder Vergünstigung verteilenden Obrigkeitsstaates. 304 § 52 Abs. 1 Abgabenordnung (abrufbar unter https://dejure.org/gesetze/AO/52.html).
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liches Engagement nicht als eigenständiges Ziel, sondern nur zugunsten eines anderen Zweckes Gemeinnützigkeit im Sinne der Abgabenordnung darstellt und dass politischen Aktivitäten durch den Anwendungserlass enge Grenzen gezogen sind.
6.2.5 Finanzierung Eine weitere Möglichkeit der Differenzierung eröffnet die Finanzierung. Neben ZGO, die ihre Aufgaben primär aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen bestreiten, insbesondere den meisten Vereinen, stehen Organisationen, die ihre Einnahmen vorrangig aus der Verwaltung eigenen Vermögens generieren, beispielsweise manche Stiftungen. Viele ZGO generieren Einnahmen aus eigener Tätigkeit, sei es in Erfüllung ihrer Satzungsziele, etwa durch den Betrieb einer Einrichtung (related business), sei es unabhängig davon, etwa durch einen landwirtschaftlichen Betrieb oder die Rendite eines Wirtschaftsunternehmens (unrelated business). Bestimmte satzungskonforme Tätigkeiten (beispielsweise der Betrieb eines Krankenhauses) sind von der Finanzverwaltung als sogenannte Zweckbetriebe klassifiziert und werden nicht besteuert. Zahlreiche ZGO finanzieren sich zu wesentlichen Teilen durch die Förderung aus Steuermitteln, sei es über Subventionen, die als institutionelle oder Projektfördermittel gewährt werden, sei es auf Grund von Verträgen (Kontrakten), die mit Kommunen, Sozialversicherungsträgern und dergleichen abgeschlossen werden, oder durch Entgelte, die für erbrachte Leistungen (bspw. in der Krankenpflege) entrichtet werden. Insgesamt gesehen spielen die für die Zivilgesellschaft in erster Linie charakteristischen Spenden (die in den anderen Arenen eher unbedeutend sind) in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. Dies ist dort, wo Zivilgesellschaft ausschließlich antistaatlich und entweder geheim oder als Protestbewegung agiert, natürlich grundlegend anders. Zivilgesellschaftstheoretisch zulässig sind alle Finanzierungsarten; für die Zuordnung kommt es nicht auf die Mittelherkunft, sondern auf die Mittelverwendung an. Entgegen landläufiger Meinung ist für die Zuordnung einer Organisation zur Zivilgesellschaft weder eine ausschließliche Finanzierung durch Spenden oder Erträge eigenen Vermögens noch der völlige Verzicht auf wirtschaftliche Tätigkeit bzw. die Erzielung eigener Einnahmen aus der Tätigkeit selbst noch die Abhängigkeit von Subventionen aus öffentlichen Mitteln oder der Verzicht auf solche Subventionen konstitutiv. – Zur Finanzierung im Einzelnen siehe Kap. 6.4
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6.2.6 Rechtsform ZGO sind in zahlreichen Rechtsformen verfasst. Zwar werden durch die Rechtsform Struktur und Tätigkeit einer Organisation weitgehend bestimmt, doch hat nicht jede Organisation die ihr gemäße Form. Während der Verein und die Stiftung mehrheitlich in der Zivilgesellschaft und nur ausnahmsweise in Staat und Markt vorkommen, findet sich die Rechtsform der Kapitalgesellschaft vor allem im Markt und nur ausnahmsweise in der Zivilgesellschaft. Weitere Formen kommen nur gelegentlich vor. Ein Rechtsformwechsel ist im Wesentlichen möglich und nicht selten bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auch angezeigt; nur die Form der rechtsfähigen Stiftung bürgerlichen Rechts kann nicht mehr verlassen werden. – Zu den Rechtsformen im Einzelnen siehe Kap. 6.6
6.2.7 Verfasste und nicht verfasste Akteure Die Fülle verfasster zivilgesellschaftlicher Akteure ist nahezu unüberschaubar. So gibt es in Deutschland beispielsweise rund 600.000 eingetragene und mutmaßlich 300.000 nicht eingetragene Vereine, über 20.000 rechtsfähige Stiftungen, geschätzt mindestens 30.000 nicht rechtsfähige (= Treuhand-) Stiftungen und nahezu 100.000 Kirchen- und Kirchenpfründestiftungen. Hinzu kommen rund 5.000 gemeinnützige GmbHs, Aktiengesellschaften und Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt) sowie rund 500 gemeinnützige eingetragene Genossenschaften. Die Zahl der zivilgesellschaftlichen Gesellschaften bürgerlichen Rechts, besser bekannt als Initiativen und Bewegungen in der informellen Zivilgesellschaft, ist auch nicht annähernd zu schätzen. Gemeinsam bilden sie die kollektiven Akteure in der Zivilgesellschaft – oder anders ausgedrückt: die organisierte Zivilgesellschaft. Wenngleich in den letzten Jahren die informelle gegenüber der organisierten Zivilgesellschaft an Bedeutung gewonnen und spätestens seit dem unverzichtbaren Beitrag dieser Akteure zur Betreuung der geflüchteten Menschen (2014–2016) auch in Deutschland die gebührende öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hat, bleibt die organisierte Zivilgesellschaft der größere Teil dieser Arena. Verfasste Akteure sind dadurch gekennzeichnet, dass sie über eine Verfassung verfügen (im Sprachgebrauch meist Satzung genannt). Diese ist für das Entstehen einer Organisation konstitutiv. In heterarchischen Organisationen, z.B. Vereinen, haben die Mitglieder sich diese selbst gegeben und können sie nach dort festgelegten Regeln jederzeit ändern. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts bedarf zu ihrem Entstehen nicht zwingend einer Verfassung; vielmehr entsteht sie durch als gleichgerichtet erkennbares Handeln zunächst automatisch und nach vom Gesetz definierten Regeln; sie kann jedoch eine gesonderte Verfassung haben. Hierarchische Organisationen, bspw. Stiftungen, erhalten ihre Verfassung durch einen Gründer, der grundsätzlich auch den Spielraum für Änderungen bestimmt.
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In der nicht-organisierten, informellen oder spontanen Zivilgesellschaft greift dagegen das Problem der Verfassung nicht. Sie besteht aus (zahlreichen) individuellen Akteuren, die sich spontan zur Mitwirkung an einer Dienstleistung (bspw. Katastrophenhilfe), Protestbewegung, Bürgerinitiative usw. entschließen und ebenso spontan ihre Mitwirkung beenden können. Vielfach schließen sich diese Akteure, ohne eine wie immer geartete Bindung (bspw. eine Mitgliedschaft) zu begründen, einem bestehenden organisierten Akteur an. So fanden sich etwa im Herbst 2015 zahlreiche Bürgerinnen und Bürger bei Hilfsorganisationen, Gemeinden usw. ein und boten im Kontext der Flüchtlingskrise ihre Mithilfe an. Ähnliches ist schon seit einigen Jahren bei Naturkatastrophen zu beobachten, wenn über soziale Netzwerke Freiwillige aufgefordert werden, sich zu melden und dies oft in größerem Umfang als notwendig oder einsetzbar auch tun.305 Ähnlich ist die Mitwirkung einzelner Bürgerinnen und Bürger an Demonstrationen zur Artikulation eines politischen Willens zu sehen, wie sie seit den 1950er Jahren, wenn nicht schon länger, zum öffentlichen Leben gehört. Bemerkenswert ist, dass es sich dabei eben nicht, wie oft von Gegnern dieser Positionen behauptet wird, um „Berufsprotestler“ handelt, die etwa den Staat oder die freiheitliche Grundordnung aus den Angeln heben wollen, sondern – zumindest teilweise und zunehmend – um besorgte Bürgerinnen und Bürger, die ausdrücklich nur für ein sehr spezielles Anliegen, bspw. die Verhinderung des Bauprojekts Stuttgart 21, ihr Bürgerrecht auf freie Meinungsäußerung in dieser Form wahrnehmen. Dass aus informeller in einem Entwicklungsprozess organisierte Zivilgesellschaft entstehen kann, lässt sich an der zunehmenden Verfestigung mancher zunächst sehr informeller Strukturen ablesen. Dies entspricht in der Soziologie und Psychologie vielfach beschriebenen Entwicklungsprozessen306; es wäre verwunderlich, wenn dies in der Zivilgesellschaft anders wäre. So haben beispielsweise manche Helfergruppen von 2016 inzwischen zu einer Vereinsform und sogar zu einem Verband der entsprechenden Vereine gefunden. Eine wie immer geartete Verpflichtung dazu lässt sich nicht formulieren. Auch ist der Vorwurf, solche informellen Helfergruppen seien nicht nachhaltig und würden sich allzu schnell wieder auflösen (gelegentlich begleitet von der Vorhaltung, ihr Motiv sei es wesentlich, Abwechslung in ihre Leben zu bringen und Aufmerksamkeit zu erregen), ungerecht und nicht weiterführend. Im Alltag besteht an Bürgerhilfe in dieser Größenordnung normalerweise kein Bedarf. Vielmehr kann festgestellt werden, dass sich die Gesellschaft in Deutschland und darüber hinaus in Europa und vergleichbaren Ländern in Ausnahmesituationen darauf verlassen kann, dass Bürgerinnen und Bürger in hinreichender Zahl zur freiwilligen Hilfeleistung zur Verfügung stehen. Akteure der organisierten Zivilge-
|| 305 Vgl. INKA Forschungsverbund (Hrsg.), Engagiert im Katastrophenschutz. 306 Siehe bspw. Glasl/Lievegoed, Dynamische Unternehmensentwicklung.
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sellschaften, die mit diesen Themen befasst sind, tun gut daran, sich auf den Einsatz, die Führung und wo möglich auch die Ausbildung von Spontanhelfern einzustellen – nicht zuletzt deshalb, weil die Neigung, sich dauerhaft zu verpflichten, drastisch abgenommen hat und es selbst außerhalb von Ausnahmesituationen immer notwendiger wird, auf nicht verfasste Gruppen und einzelne Spontanhelfer zurückzugreifen, um kontinuierliche Dienste aufrecht erhalten zu können.
6.3 Funktionsbereiche Die acht Funktionsbereiche von zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden bereits mehrfach genannt: 1. Dienstleistungsfunktion 2. Themenanwaltschaftsfunktion 3. Wächterfunktion 4. Selbsthilfefunktion 5. Mittlerfunktion 6. Solidaritätsstiftungs- oder Geselligkeitsfunktion 7. politische Deliberationsfunktion (politische Mitgestaltungsfunktion) 8. persönliche Selbsterfüllungsfunktion An diese funktionale Differenzierung knüpfen wesentliche wissenschaftliche, politische und allgemeinere Debatten um Definition, Legitimation, Selbstverständnis und normative Beurteilung von Zivilgesellschaft an. So bejaht beispielsweise der deutsche Staat mehrheitlich ausdrücklich die Zivilgesellschaft in ihrer dienstleistenden und Mittlerfunktion, akzeptiert die Selbsthilfe- und Gemeinschaftsbildungsfunktion und hat in den letzten Jahrzehnten mit der Themenanwaltsfunktion zu leben gelernt. Der Wächter- und politischen Deliberationsfunktion steht er dagegen skeptisch oder sogar ablehnend gegenüber. Die Europäische Kommission hingegen argwöhnt, dass die Dienstleistungsfunktion den freien Wettbewerb behindert, schätzt dagegen die Deliberationsfunktion als alternative Quelle von Informationen und Entwicklungsvorschlägen. In der Zivilgesellschaft selbst wird traditionell die Gemeinschaftsbildungsfunktion als wichtiger Teil des Selbstverständnisses gesehen, während die Sozialforschung zunehmend in der Wächterfunktion und Deliberationsfunktion den entscheidenden Beitrag zur Gesellschaft verortet.
6.3.1 Dienstleistungsfunktion Die Dienstleistungsfunktion erstreckt sich auf alle Leistungen, die von ZGO für die Allgemeinheit angeboten und von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern in Anspruch genommen werden, in der Regel gegen Erstattung der dadurch verursachten Kos-
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ten, sei es durch den Nutzer selbst, sei es – beispielsweise regelmäßig bei den Wohlfahrtsverbänden – durch Dritte, etwa die gesetzlichen Sozialversicherungsträger307. Zu diesen Leistungen gehören beispielsweise neben Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und ambulanten Sozialdiensten auch Kindergärten, Schulen, in jüngster Zeit auch Hochschulen, Museen und viele andere. Idealerweise erstrecken sich diese Leistungen auf solche, die vom Markt, in manchen Fällen auch vom Staat aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen nicht oder nicht in hinreichender Menge oder Qualität angeboten werden. Das Angebot ist insoweit zum Teil Folge eines Marktoder Staatsversagens, zum Teil aber auch die Fortführung einer Jahrhunderte zurückreichenden Tradition. Insoweit greift hier das gesellschaftliche Grundprinzip der Beachtung kultureller Traditionen. Die Praxis ist komplex. Zum einen werden manche Dienstleistungen aus historischen Gründen von ZGO erbracht, obwohl die Bedingungen dafür sich wesentlich verändert haben. Die ZGO genießen einen gewissen Bestandsschutz und können – jedenfalls nicht „über Nacht“ – aus der Erbringung von Leistungen ausgeklammert werden. Im Sozialbereich, allerdings auch nur hier, gilt darüber hinaus das Subsidiaritätsprinzip, das ZGO eine Priorität vor staatlichen Leistungserbringern einräumt. In Zeiten eines stark expandierenden Marktgeschehens treten zivilgesellschaftliche Organisationen jedoch zunehmend in einen Wettbewerb mit gewinnorientierten Unternehmen. Dies führt zu dem Dilemma, dass einerseits der Fiskalstaat eine insbesondere steuerliche Gleichstellung fordert, um die Freistellung von der Besteuerung abschaffen und höhere Steuereinnahmen erzielen zu können, während der Gewährleistungsstaat befürchten muss, im Zuge einer solchen Entwicklung Dienstleistungen, die bisher von diesen Organisationen erbracht wurden, zum Teil dann selbst zu weit höheren Kosten erbringen zu müssen, da ein Ausstieg der Zivilgesellschaft aus der Dienstleistung nicht auf Wettbewerbssituationen begrenzbar sein würde. Zudem werden durch manche Leistungen zugleich und wesentlich Vorhaltungs- und Ausbildungsfunktionen für den Not-, Katastrophen- oder Verteidigungsfall ausgeübt, die durch gewerbliche Anbieter nicht wahrgenommen werden können. Hinzu treten andererseits wettbewerbsrechtliche Erwägungen, von denen insbesondere die Europäische Kommission als Hüterin des europäischen Vertragssystems ausgeht, zu dessen Grundpfeilern die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen gehört. Der ermöglichende Staat, wie ihn die Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestags 2002 beschrieben und herausgearbeitet hat, hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass Umsetzungsmöglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement in großem Umfang verlorengehen könnten, wenn ZGO von der Erbringung sozialer Dienstleistungen ausgeschlossen würden, was nicht nur das politische Ziel unterlaufen würde, gerade dieses Enga|| 307 In der Fachsprache als sozialwirtschaftliches Dreiecksverhältnis bezeichnet.
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gement zu fördern, sondern möglicherweise Engagierte aus den relativ staatsnützigen und strukturkonservativen (loyal) Dienstleistungen in die relativ staatskritischeren, unbequemen, ja oft aufmüpfigen Themenanwaltschaften (voice) treiben würde. Die Zugehörigkeit der Dienstleistungs-ZGO zur Zivilgesellschaft wird dennoch immer wieder in Zweifel gezogen. Diese weisen notwendigerweise viele Merkmale von Wirtschaftsunternehmen auf. Durch das Prinzip des Gewinnausschüttungsverbots (anders ausgedrückt des Gebots der Reinvestition aller Überschüsse in das Unternehmen) sind sie aber von gewinnorientierten Unternehmen so lange unterscheidbar, wie Mitarbeitern, insbesondere haupt-, ehren- und nebenamtlichen Funktionsträgern gewährte Honorierungen einem Drittvergleich standhalten und das Gewinnausschüttungsverbot nicht untergraben. In manchen internationalen Sportverbänden ist dies wegen der überhöhten Aufwandsentschädigungen für „ehrenamtliche“ Funktionsträger nicht der Fall. Ihre Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft ist daher zu bezweifeln. Die bekanntesten ZGO mit Dienstleistungsfunktion sind zweifellos die Wohlfahrtsverbände, deren größte, der Deutsche Caritasverband und die Diakonie Deutschland mit ihren (überwiegend rechtlich selbständigen) angeschlossenen Organisationen jeweils rund 500.000 Mitarbeiter beschäftigen. Zu den großen Dienstleistern unter den ZGO gehört aber beispielsweise auch der ADAC. Gerade die Genannten erfüllen jedoch in Selbstverständnis und Praxis auch die Funktion der Themenanwaltschaft. Dagegen tritt die Gemeinschaftsbildungsfunktion in Dienstleistungsorganisationen regelmäßig in den Hintergrund. Die Debatten darüber erstrecken sich daher im Wesentlichen auf vermeintliche Wettbewerbsvorteile oder auf ein Überwiegen von marktwirtschaftlichen gegenüber zivilgesellschaftlichen Grundsätzen. Die Legitimität der Tätigkeit unterliegt hingegen – nicht zuletzt aus einem kulturellen Verständnis für ihre Tätigkeit – kaum einem Zweifel, zumal zwar die großen Verbände das Gesicht der ZGO-Dienstleister prägen, die Praxis aber vielmehr durch eine kaum überschaubare Vielfalt von Nachbarschaftshilfen, Tafeln, Kindergärten und zahlreichen anderen lokal tätigen ZGO bestimmt ist.
6.3.2 Themenanwaltsfunktion Die Themenanwaltschaft (advocacy) besteht darin, selbst gewählten Themen in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu verschaffen und sie insbesondere gegenüber Politik und Verwaltung zu vertreten. Hier gilt in besonderem Maße, dass das für alle ZGO geltende Prinzip der Gemeinwohlorientierung stets nur eine subjektive Gemeinwohlorientierung sein kann. Diese erstreckt sich typischerweise auf Themen von allgemeinem Belang, etwa Umweltschutz oder Menschenrechte; es ist jedoch nicht zu übersehen, dass häufig Themen von sehr begrenztem Belang, nicht selten mit einem hohen Anteil von Eigeninteresse, die Aktivität von Themenanwälten
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bestimmen. Beispielsweise sind zwar Bürgerinitiativen zu einem unverzichtbaren Teil der politischen Entscheidungsfindung auf lokaler Ebene geworden; doch auf diese Weise können sich auch sehr konkrete Eigeninteressen manifestieren. Die Engländer haben diese Gruppe mit dem Ausdruck NIMBY (not in my back yard) belegt. Themenanwälte nehmen kein allgemeines politisches Mandat wahr und nehmen typischerweise keine Güterabwägung zwischen unterschiedlichen Positionen oder Interessen vor; vielmehr vertreten sie eine spezifische Thematik oder Position und überlassen die Abwägung der Diskussion mit anderen Teilnehmern an der Debatte. Dabei argumentieren sie meist sehr konsequent und überwiegend mit großer Sachkenntnis, andererseits aber nicht selten intolerant gegenüber anderen Positionen oder Interessen. Der manchen Themenanwälten eigene missionarische Eifer für ihre Sache birgt gelegentlich ein nicht zu unterschätzendes Aggressions- und in Einzelfällen Gewaltpotenzial. Ganz überwiegend legen jedoch Themenanwälte großen Wert auf Gewaltverzicht. Zu den oft vorgetragenen Argumenten gegen konkrete Themenanwaltschaften gehören Zweifel an der Legitimität. Hierzu wird häufig die geringe Mitgliederzahl oder werden intransparente Entscheidungs- oder Finanzierungsstrukturen ins Feld geführt. Auch ist nicht zu bestreiten, dass die Grenze zur ausschließlich interessengebundenen Lobby-Arbeit nicht immer klar erkennbar ist, etwa wenn wirtschaftliche Interessen mit vorgeblich gemeinwohlorientierten Argumenten verbrämt werden. Diesen Argumenten ist nur mit einem gelebten Bekenntnis zu Transparenz entgegenzutreten. Mittelherkunft, Mittelverwendung und Entscheidungsfindung müssen der öffentlichen Debatte zugänglich sein. Dagegen ist das Argument der mangelnden Repräsentativität ein Scheinargument, da sie nur für solche Entscheidungen notwendig ist, durch die Zwang auf alle Mitglieder der repräsentierten Gesamtheit ausgeübt werden kann (z.B. durch Beschlüsse des Bundestags auf alle in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger). Für die Teilnahme an der Entscheidungsvorbereitung durch das Einbringen von Argumenten und Positionen ist dies solang ohne Belang, wie nicht eine größere Repräsentativität beansprucht wird, als tatsächlich besteht. So kann sich ein Verein mit sieben Mitgliedern sehr wohl und auch lautstark mit Argumenten an einer Debatte beteiligen, solange er nicht behauptet, er vertrete die Position einer größeren Gesamtheit. Wäre dies anders, wäre auch jedem einzelnen Bürger die Teilnahme verwehrt, was nicht nur demokratietheoretisch unhaltbar wäre, sondern auch die Qualität der Debatten drastisch senken würde. Die großen Erfolge von Umwelt-, Friedens-, Frauen- und Menschenrechtsgruppen, die das öffentliche Bewusstsein nachhaltig verändert und gesetzliche Umsteuerungen bewirkt haben (siehe Kap. 3.2), machen deutlich, wie unvernünftig dies wäre. In manchen Themenanwaltsorganisationen findet außerdem eine aktive Gemeinschaftsbildung statt. Manche Gruppen entwickeln über die Verfolgung des gemeinsamen Ziels hinaus eine hohe Kohärenz.
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In der Themenanwaltschaft ist bürgerschaftliches Engagement viel bestimmender, auch wenn der Anteil der Engagierten, die in diesen ZGO aktiv sind, am Gesamtengagement deutlich kleiner ist als der der aktiven „Ehrenamtlichen“ in Dienstleistungsorganisationen. Andererseits sind auch große Themenanwälte vom Zwang zur Professionalisierung erfasst worden und haben längst erkannt, dass ihre Wirksamkeit in den öffentlichen Debatten von der Qualität der Argumente ebenso wie der der Kampagne abhängt. Beides ist in vielen Fällen nur mithilfe von hauptamtlichen Mitarbeitern zu leisten. Zu den bekanntesten Themenanwälten gehören Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty International. Aber auch eine Vielzahl von sozialen Bewegungen, Initiativen und Protestgruppen mit eher lokalem oder regionalem Bezug ist diesem Funktionsbereich zuzurechnen, der in Hirschmanscher Diktion in der Regel zur Kategorie voice gehört. Gerade bei diesem Bereich erweist sich die Unterscheidung zwischen der Zuordnung zur Zivilgesellschaft oder zu einer anderen Arena anhand relativ formaler Kriterien als besonders einfach. Die Bewertung als „gute Zivilgesellschaft“ bleibt hingegen oft schwierig und kontrovers, ist zugleich aber unabdingbar. Zur Zivilgesellschaft sind ohne Zweifel auch die Themenanwälte zu zählen, deren Argumente oder Positionen mehrheitlich nicht geteilt oder sogar rundweg abgelehnt oder als abwegig abgetan werden. Gerade hier erweist sich die Unterscheidung nach formalen Kriterien als einzige Möglichkeit, eine Zuordnung ohne normative Aufladung vorzunehmen.
6.3.3 Wächterfunktion Die Wächterfunktion bezieht sich auf ein ebenso formelles wie informelles und oft überaus wirksames Wachen über die Belange, die in einer aufgeladenen öffentlichen Diskussion oder in machtvollen, z.B. ökonomisch bestimmten, Prozessen nicht beachtet zu werden drohen. Ob dem Entscheidungsträger tatsächlich dadurch abgewogenere Entscheidungen ermöglicht werden, steht auf einem anderen Blatt. Typische traditionelle Wächterorganisationen sind die Verbraucherschutzverbände und die Stiftung Warentest. Auch das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI), das das Spendensiegel vergibt, kann als Wächterorganisation eingestuft werden. In den letzten Jahren haben sich neue Wächterorganisationen dazugesellt, bspw. Food-Watch, Abgeordneten-Watch. Doch auch ganz anders konstituierte zivilgesellschaftliche Akteure nehmen bisweilen wichtige Wächteraufgaben wahr, etwa die Kirchen, wenn sie unter Berufung auf das Naturrecht vor totalitären Diktaturen warnen. Colin Crouch sieht in der Wächterfunktion eine künftige Kernaufgabe der Zivilgesellschaft, da die checks and balances der repräsentativen Demokratie nicht mehr funktionstüchtig sind und durch neue Kontrollmechanismen ersetzt
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werden müssen.308 In der Hirschmanschen Einteilung können Wächter-ZGO sowohl loyal als auch voice darstellen.
6.3.4 Selbsthilfefunktion Die Selbsthilfefunktion, klassischerweise etwa in Selbsthilfeorganisationen von Benachteiligten (Patientenselbsthilfen, Anonyme Alkoholiker und dergl.) realisiert, ermöglicht den so Organisierten den Erfahrungsaustausch, die solidarische Hilfeleistung und die Erarbeitung von Positionen zu Fragestellungen, von denen die Mitglieder betroffen sind. Es lässt sich aber zeigen, dass auch der vereinsmäßig organisierte Sport, dem heute (im Gegensatz zum frühen 20. Jahrhundert) die Unterstützung von Staatszielen – etwa der Wehrertüchtigung – wohl kaum noch als Legitimationsbasis dienen kann, im Kern eine Selbsthilfeorganisation darstellt. Er ist eben „nur noch“ ein Zusammenschluss von Menschen, die gern Sport treiben oder das Sporttreiben unterstützen. Hier schließen sich naturgemäß weitergehende Fragen an, etwa die, ob eine Charakterisierung als Gemeinwohlakteur allein damit gerechtfertigt werden kann, dass eine zunächst allein zum persönlichen Nutzen ausgeübte Tätigkeit gemeinschaftlich ausgeübt wird. Die Selbsthilfefunktion ist der Gemeinschaftsbildungsfunktion relativ nah verwandt und die praktische Tätigkeit lässt sich im Einzelnen oft unter beiden Überschriften fassen. So steht beispielsweise außer Zweifel, dass Sportvereine auch eine starke Gemeinschaftsbildungsaufgabe erfüllen. In dieser Funktion findet auf die meisten Akteure die Charakterisierung loyal Anwendung, auf einige wohl auch voice; besonders stark verbreitet sind aber hier Exit-Organisationen, deren Mitglieder sich, beispielsweise wegen als peinlich empfundenen Krankheit, von der Mehrheitsgesellschaft absondern.
6.3.5 Mittlerfunktion Die intermediäre Funktion, klassischerweise von Förderstiftungen, Fördervereinen, Dachverbänden und ähnlichen Organisationen wahrgenommen, wird auch als Ausdruck der Grundfunktion jedes zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses gesehen, indem sie den sich dort freiwillig zusammenschließenden Bürgern ein Identifikations-, Kommunikations- und Aktionsfeld, in gewisser Weise ein Stück Heimat bietet. Fördervereine und -stiftungen nehmen durch die Bereitstellung von finanziellen Ressourcen eine zunehmend wichtige Förderfunktion wahr. Dachverbände bieten Know-How, Ausbildungsmöglichkeiten und Beratung und fassen gemeinsame Inte|| 308 Vgl. Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, S. 242.
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ressen ihrer Mitglieder zusammen, um sie gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber dem Staat zu vertreten. Spitzen-Dachverbände gibt es in Deutschland für jedes Tätigkeitssegment.309 Diese wiederum sind im Bündnis für Gemeinnützigkeit zusammengeschlossen, das insbesondere gemeinsame Positionen zu rechtlichen Rahmenbedingungen erarbeitet und vertritt. Mit wenigen Ausnahmen sind die Mittlerorganisationen als loyal einzustufen.
6.3.6 Gemeinschaftsbildungsfunktion Die Gemeinschaftsbildungs- oder Geselligkeitsfunktion, auch die Funktion der Solidaritätsstiftung genannt, wurde lange Zeit besonders unterschätzt, produziert aber tatsächlich den größten zivilgesellschaftlichen Mehrwert. Sie wird in Schützen-, Trachten- und Karnevalsvereinen, in der Laienmusik und im Laientheater, in betont unpolitischen Organisationen wie Rotary oder Lions Club oder politisch tendierenden wie Heimatvereinen gepflegt. Hier assoziieren sich Menschen und wenn es gelingt, in diesen ZGO gesellschaftspolitische Ziele wie Inklusion oder Integration zu implantieren, dann wird dort mehr für diese Ziele getan, als durch alle staatlichen Maßnahmen möglich wäre. Ohne Zweifel ist auch der Sport in besonderer Weise an dieser Solidaritätsstiftung beteiligt. Auf diese Funktion stellt etwa Robert Putnam besonders ab, wenn er von dem in informellen Netzwerken erzeugten sozialen Kapital spricht (siehe Kap. 2.8), auf das die Gesellschaft insgesamt angewiesen ist und das Staat und Markt zwar verbrauchen, aber nicht erzeugen. Gerade diese, übrigens vom republikanischen Staatsmodell Frankreichs über lange Zeit besonders bekämpfte Funktion kann, wie Putnam und andere gezeigt haben, über Vertrauensbildung, Integration und Partizipation den sozialen Kitt einer Gesellschaft schlechthin bilden. Dass sich viele Menschen eher „ihrem Verein“ als ihrer politischen Gemeinde oder gar ihrer Nation verbunden fühlen, sollte ernst genommen und als integrativer Faktor aufgenommen und nicht bekämpft werden. Dies gilt gerade auch für Gemeinschaftsbildungen alternativer Art in Jugend-, Protest-, Themenanwalts- sowie Vereinigungen von Menschen mit alternativen Orientierungen (z.B. LGBTI/LGBTQ) oder Interessen (z.B. Kunstsammler und dergleichen). Die Anerkennung multipler Identifikationen und Loyalitäten führt zwar zu einem komplexeren, aber letztlich stabileren gesellschaftlichen System als von vornherein zum Scheitern verurteilte Versuche der Verpflichtung auf
|| 309 Bspw. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW), Deutscher Kulturrat, Deutscher Naturschutzring (DNR), Verband der Entwicklungs-Nicht-Regierungs-Organisationen (VENRO), Bundesverband Deutscher Stiftungen, Deutscher Jugendring, Deutscher Spendenrat, Deutscher Olympischer Sportbund usw.
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eine Einheitsidentität. Gemeinschaftsbildungsorganisationen können im Übrigen loyal, voice oder exit repräsentieren.
6.3.7 Politische Deliberationsfunktion/Mitgestaltungsfunktion Die Funktion der Deliberation besteht darin, dass in der Zivilgesellschaft Entwicklungen und Lösungsansätze für allgemeine Themen diskutiert werden. Es ist grundlegend irrig zu glauben, dass diese Debatte an Entscheidungshoheit gekoppelt sei. Vielmehr kann anhand zahlloser historischer und aktueller Beispiele gezeigt werden, dass notwendige politische, für die gesamte Gesellschaft maßgebliche Entwicklungen und Entscheidungen, die nach unserem Verständnis ein demokratisch bestimmtes Verfahren voraussetzen, überwiegend erst dann gefällt werden, wenn eine öffentliche Debatte einen Lösungsansatz erbracht hat. Oft genug wird diese Debatte von einem einzelnen Bürger, einer einzelnen Bürgerin oder einer sehr kleinen Gruppe angestoßen und argumentativ bestimmt. Der Reifungsprozess kann sehr unterschiedlich lang sein. Außerdem bedürfen viele wichtige Entwicklungen ohnehin keiner politischen Entscheidung, sondern eines gesellschaftlichen Bewusstseinswandels und entfalten ihre Wirksamkeit unmittelbar durch die Debatte. Insofern ist die Anerkennung der Zivilgesellschaft als „vorpolitischer“ oder „vorparlamentarischer“ Raum eine unzulässige Verkürzung und dient oft genug als Totschlagsargument gegen den Rang der deliberativen Demokratie.310 Im Grundsatz gehört die Ausübung der Mitgestaltungsfunktion, die im loyalebenso wie im voice-Modus, wesentlich aber im letzterem auftritt, konstitutiv zum Verständnis von moderner Zivilgesellschaft. Insofern sind Bestrebungen, gerade diesen Aktionsraum mit den Mitteln der staatlichen Gewalt zu beschränken, die unter Überschriften wie closing/shrinking/narrowing space for civil society weltweit beobachtet werden, mit großer Sorge zu betrachten.311
6.3.8 Funktion der persönlichen Erfüllung (personal growth) Erst in jüngster Zeit ist ein Bewusstsein dafür gewachsen, dass die Gesellschaft eine Mitverantwortung dafür trägt, dass jeder einzelne Mensch seine persönliche Erfüllung finden kann und soll. Die Erfüllung kann religiös oder säkular fundiert sein || 310 Zum Begriff der deliberativen Demokratie siehe Kap. 3.1.2 und insbesondere Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. 311 Vgl. Hummel, Shrinking Space for Civil Society (SCS) – Zugänge zu einem globalen Problem; Wachsmann/Bouchet, A Matter of Precaution – Watching the Shrinking Civic Space in Western Europe; Alscher/Priller/Ratka/Strachwitz, The Space for Civil Society: Shrinking? Growing? Changing?
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und von sehr unterschiedlichen Zielvorstellungen ausgehen. Die muslimische Glaubenslehre etwa weist besonders darauf hin, dass es zu den Aufgaben des Staates gehört, dafür zu sorgen, dass jeder Muslim seine religiösen Pflichten erfüllen kann. Es ist unstrittig, dass viele Menschen diese Erfüllung im unmittelbaren Umfeld, in der Familie oder sogar in der eigenen Person finden, wie dies bspw. der Buddhismus lehrt. Ebenso ist aber deutlich erkennbar, dass wohl die Mehrheit, um ein erfülltes Leben zu finden, aus diesem Bereich hinaustreten will. Da die Erfüllung in einem Wirtschaftsunternehmen zu finden wahrscheinlich eher den Unternehmern und Spitzenmanagern vorbehalten ist, und da die Erfüllung im Staatsdienst zum einen wegen der zunehmenden Bürokratisierung schwieriger wird und zum anderen mit der Machtfrage verknüpft ist, die nicht jedem Menschen liegt, bietet sich das Engagement in einer ZGO als Mittel zur Erfüllung an. In der Tat sehen viele Menschen die Motivation für ihr bürgerschaftliches Engagement (siehe Kap. 7) unter diesem Aspekt. Für die Organisation und Tätigkeit von ZGO hat dies Konsequenzen. Dies wird traditionell beispielsweise in sogenannten beschützenden Werkstätten oder in Einrichtungen des betreuten Wohnens sichtbar, wo Menschen mit Behinderungen in größtmöglichem Umfang die Teilhabe am Leben ihrer Mitmenschen ermöglicht wird. Die Pflicht, diese Funktion nicht aus dem Auge zu verlieren, setzt jedoch darüber hinaus für ZGO der wirtschaftlichen Optimierung von Betriebsabläufen Grenzen. Auch ist die Tätigkeit mancher ZGO primär unter diesem Gesichtspunkt zu sehen und gewinnt schon dadurch eine gewisse Legitimität. Es kann, sofern nicht wesentliche andere Gründe (etwa eine Schädigung der Allgemeinheit) vorliegen, nicht Aufgabe der Gesellschaft – und schon gar nicht des Staates – sein, solche Tätigkeiten zu unterbinden oder sie im Sinne einer rationalen Zweckoptimierung zu kanalisieren oder zu bündeln. Die Fragmentierung der Zivilgesellschaft ist nicht zuletzt dieser Funktion geschuldet und muss insoweit als grundlegendes Handlungsprinzip der Zivilgesellschaft akzeptiert werden.
6.4 Finanzierung 6.4.1 Grundsätzliches Die Debatte um die Finanzierung der Zivilgesellschaft ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern jung. Hinzu kommt, dass die Finanzierung eigener zivilgesellschaftlicher Arbeit lange eher als „notwendiges Übel“, denn als ein eigenständiges Aufgabenfeld zivilgesellschaftlicher Akteure interpretiert wurde und vielfach allzu schnell nach staatlicher Finanzierung gerufen wurde. Gleichwohl ist hervorzuheben, dass zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure unter der geringen Planbarkeit ihrer Einkünfte leiden und diese Situation einen erheblichen Unsicherheitsfaktor mit Blick auf die Konstanz ihrer Arbeit beinhaltet. In Umfragen wird von
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den Akteuren selbst angegeben, dass von allen Herausforderungen mit „am dringlichsten […] eine bessere Finanzierung der Projektarbeit“312 notwendig wäre. Zuzugeben ist allerdings auch, dass die Kreativität und Spontanität, die viele zivilgesellschaftliche Akteure im positiven Sinne auszeichnet und sie von Akteuren in anderen Arenen unterscheidet, ursächlich mit deren Überlebenswillen und „Hunger“ zu tun hat. Um zu verstehen, warum dennoch die Finanzierung der Zivilgesellschaft in ihrem Bestreben, möglichst unabhängig agieren zu können, die Achillesferse darstellt, gilt es, sich vor Augen zu führen, dass sie nicht nur von einzelnen Menschen und nicht nur von unmittelbaren Partnern abhängig ist, sondern zu ihrem Fortbestehen der finanziellen Unterstützung aus den Arenen Markt und Staat bedarf. Dies ist nicht unproblematisch, da sich die Zivilgesellschaft zugleich in ihrer Handlungsund Bereichslogik vom Staat und der Wirtschaft abgrenzen möchte. Aufgrund von rechtlichen Rahmenbedingungen ist es den Vertretern der Zivilgesellschaft fast unmöglich, selbst Gewinne zu erwirtschaften, die eine konstante Finanzierung möglich machen. Sie laufen dabei immer Gefahr, ihren steuerrechtlichen Status (in der Regel der Gemeinnützigkeit) zu verlieren. Und weil die Anerkennung als steuerlich begünstigte Körperschaft dem örtlich zuständigen Finanzamt unterliegt, ist die Zivilgesellschaft zugleich in der Finanzierung ihrer Arbeit in erhöhtem Maß von staatlicher Regulierung abhängig, auf die sie selbst kaum Einflussmöglichkeiten hat. Dieses Abhängigkeitsverhältnis vom Staat ist der maßgebliche Anstoß für die Debatte über die Finanzierung der Zivilgesellschaft in Deutschland.313 In autoritär oder populistisch regierten Ländern sind Entwicklungen zu beobachten, dass der Staat sich durch eine gezielte Subventions- und Anerkennungspolitik eine eigene, „folgsame“ Zivilgesellschaft schafft, die sich mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Mitgestaltung, ihre Wächter- und Themenanwaltsfunktion tatsächlich wahrnehmen wollen, in keiner Weise gemein macht. Auch in Deutschland kann zwischen einer staatlich subventionierten und einer unabhängigen Zivilgesellschaft unterschieden werden, wobei die Auswirkungen schon deshalb weniger deutlich hervortreten, weil subventionierte ZGO zunehmend mehr Unabhängigkeit anstreben. Diese wird zum Teil auch dadurch erreicht, dass Zuwendungen aus der Wirtschaft die staatlichen Zuwendungen relativieren. Es wäre aber im Hinblick auf den sozialen Wandel wenig weiterführend, wenn sich nun die Wirtschaft ihrerseits eine „eigene“ Zivilgesellschaft schaffen würde. Bisher konnten Zuwendungen von Unternehmen quantitativ mit denen von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern nicht konkurrieren, wobei die Abgrenzung im Hinblick auf Unternehmer als Spender schwierig ist. Sollte sich aber
|| 312 Gensicke/Geiss, Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009, S. 45. 313 Vgl. u.a. Backhaus-Maul/Nährlich/Speth, Denkschrift Bürgergesellschaft.
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der Trend verstärken, dass Partnern immer größere Beträge im Rahmen von CSR zufließen, könnte sich dies ändern. Verschärft wird das Problem durch die Tatsache, dass CSR-Mittel, soweit sie von Publikumsgesellschaften stammen, kaum den im Prekariat lebenden, sondern überwiegend wenigen großen, publikumsträchtigen und wachstumsorientierten ZGO zugutekommen, die eher am Rande der Zivilgesellschaft stehen. Zivilgesellschaft darf sich, will sie ihren spezifischen Auftrag in der Gestaltung und Entwicklung der modernen Gesellschaft erfüllen, nicht durch große oder kleine Zuwendungen von wem auch immer korrumpieren lassen, weder unmittelbar, noch indem sie etwa Schäden und Nutzen gegeneinander aufrechnet. Ein weiteres großes Problem besteht darin, dass ZGO in Gefahr geraten, von ihrem eigentlichen Ziel abzurücken und Aufgaben oder Projekte zu übernehmen, um Geldgebern zu gefallen. Sie mutieren von mission driven zu donor driven, fühlen sich dazu auch durch die Sorgen um das eigene Überleben, die Finanzierung der laufenden Kosten usw. gedrängt oder machen mit Blick auf die eigene Organisationsentwicklung Kompromisse, die sie eigentlich nicht machen dürften. Dieses Problem besteht zwar auch, aber doch in sehr viel geringerem Maße, wenn ZGO sich nach den Vorstellungen ihrer Mitglieder (die aber immerhin ihre primären stakeholder sind) oder nach den Wünschen ihrer privaten Spender richten müssen. Abhängigkeiten dieser Art können letztlich die Existenz einer ZGO bedrohen. Dies trifft in besonderem Maße auf die nicht wenigen ZGO zu, die von vornherein von Unternehmen oder vom Staat mit dem Ziel gegründet worden sind, Partner dieser und anderer Unternehmen bzw. des Staates zu sein. Ihnen geht von vornherein die Selbständigkeit ab.
6.4.2 Mittelherkunft Die Akteure der Zivilgesellschaft können zur Finanzierung ihrer Arbeit grundsätzlich auf eine Reihe von sehr unterschiedlichen Möglichkeiten zurückgreifen. Welche sie tatsächlich nutzen, hängt nicht nur von der Art und dem Umfang ihrer Tätigkeit ab, sondern oft auch von grundsätzlichen Erwägungen zur Vereinbarkeit mit ihrer Mission. So nimmt Greenpeace bspw. keine Spenden von Unternehmen an. Die Gewichtung der einzelnen Quellen ist keinesfalls ausgewogen. Den größten Anteil der Gelder erhalten die Akteure der Zivilgesellschaft, insgesamt gesehen, von der öffentlichen Hand. In einzelnen Organisationen sieht dies zum Teil völlig anders aus. Insbesondere Akteure mit der Funktion Themenanwaltschaft, Gemeinschaftsbildung, Selbsterfüllung oder politische Mitgestaltung erhalten in der Regel keine öffentlichen Mittel. Akteure in den Funktionen Selbsthilfe, Mittler oder Wächter erhalten nur sehr selektiv öffentliche Mittel: bspw. Sportvereine (Selbsthilfe) in hohem Maße, gelegentlich Dachverbände (Mittler) und Wächter (bspw. Verbraucherschutz) ebenfalls in Einzelfällen. Regelmäßig überwiegend aus öffentlichen
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Mitteln finanziert sind hingegen Organisationen in der Funktion Dienstleistungen. Dies erfolgt grundsätzlich zu Recht, da sie auf der Basis von vertraglichen Vereinbarungen Aufgaben der öffentlichen Gewährleistung wahrnehmen. Wegen der Größenordnung dieser Organisationen bestimmen sie das Gesamtbild. Insbesondere der in sich nicht einheitliche Bereich der freiwilligen Zuwendungen ist eine Besonderheit der Zivilgesellschaft. Nicht zuletzt deshalb werden auch steuerlich die Finanzströme von ZGO in vier Gruppen unterschieden: – Ideeller Bereich steuerfrei314 – Vermögensverwaltung steuerfrei – Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb steuerpflichtig315 – Zweckbetrieb steuerfrei Im Folgenden werden die einzelnen Mittelherkunftsarten im Einzelnen beschrieben und in ein Verhältnis zur Berichterstattungspflicht gesetzt. 6.4.2.1 Mitgliedsbeiträge Die Mehrheit der ZGO ist als Verein konstituiert und verfügt daher über Mitglieder, die durch regelmäßige Beiträge die Arbeit ihrer Organisation (mit-)ermöglichen. Der Mitgliedsbeitrag erweist sich in der Praxis vielfach als der entscheidende Hebel der Mitglieder, um vom Vorstand bzw. der Geschäftsführung Auskünfte zu erhalten. Der Vorstand ist den Mitgliedern für die satzungsgemäße Verwendung der Beiträge verantwortlich und diesen in vollem Umfang rechenschaftspflichtig. Diesen steht auch grundsätzlich die Entscheidung zu, ob und in welchem Umfang die Berichterstattung öffentlich erfolgt oder auch Nicht-Mitgliedern zugänglich gemacht wird. Dieses System ist in kleineren Vereinen mit überschaubarer Mitgliederstruktur im Wesentlichen praktikabel. In Großvereinen wird es durch ein Delegiertensystem ausgehebelt, das diese Delegierten de facto zu Insidern mutieren lässt. Tatsächlich kommt eine Offenlegung gegenüber Zehntausenden von Mitgliedern einer Veröffentlichung gleich, wodurch alle mit einer Veröffentlichung verbundenen Dilemmata auf den Verein durchschlagen. Andererseits empfinden sich viele Mitglieder von Großvereinen eher als Kunden oder Dauerspender denn als mit Eigentumsrechten ausgestattete Mitglieder und reagieren auf Unzufriedenheit eher mit Austritt als mit einer Durchsetzung ihrer Mitgliederrechte. Allerdings sind Mitgliederversammlungen oft stürmische (und von den Vorständen gefürchtete) Veranstaltungen, in denen unter anderem regelmäßig mehr Auskünfte verlangt werden.
|| 314 Mit „steuerfrei“ ist hier die Befreiung von Ertrag- und Vermögensteuern gemeint. Die Umsatzbesteuerung folgt besonderen gesetzlichen Regelungen, die hier nicht thematisiert werden. 315 Ausnahme: geringfügiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb unter 35.000 Euro Jahresumsatz
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6.4.2.2 Erträge eigenen Vermögens Das eigene Vermögen stellt nicht nur bei Stiftungen, sondern auch bei zahlreichen anderen ZGO eine Einnahmequelle dar. Zu unterscheiden ist zwischen echten Zuflüssen aus dem Anlagevermögen und buchhalterischen Zuflüssen, etwa aus dem Ansatz von Mieten für die Nutzung eigener Gebäude im Rahmen von Kontrakten mit öffentlichen Körperschaften, Sozialversicherungsträgern und anderen. Da seitens der Kostenträger ein derartiger Mietansatz häufig verweigert wird, werden betriebsnotwendige Immobilien häufig in rechtlich selbständige und nicht verbundene Rechtsträger (in der Regel Stiftungen) ausgegliedert. Besonders in Stiftungen widmen Aufsichtsorgane der Vermögensverwaltung in der Regel hohe Aufmerksamkeit, beschließen Anlagerichtlinien und überwachen deren Einhaltung. Defizitäre Berichterstattung wird unter Umständen gerügt. Zur Vermögensverwaltung gehören auf Grund einer höchstrichterlichen Entscheidung auch land- und forstwirtschaftliche Betriebe von Stiftungen, obwohl sie materiell eher dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zuzurechnen wären. Die Finanzverwaltung hat ein Augenmerk darauf, dass es sich bei der Vermögensverwaltung tatsächlich um eine Verwaltungstätigkeit handelt. Häufige Umschichtungen und andere Aktivitäten, die darauf schließen lassen, es könne sich um eine unternehmerische Tätigkeit handeln, werden daher genau geprüft. Die Offenlegung der Erträge des eigenen Vermögens bildet eines der zentralen Konfliktpotenziale bei der Bestimmung des Umfangs einer allgemeinen Transparenzverpflichtung für ZGO, die mit Gebietskörperschaften und Sozialversicherungsträgern Leistungsverträge abzuschließen haben. Denn im Gegensatz zu einem privaten Vertragspartner, für den das Preis-/Leistungsverhältnis das entscheidende Kriterium darstellt, ziehen öffentliche Vertragspartner regelmäßig leistungsfremde Kriterien und dabei besonders die Vermögenssituation der ZGO als Beurteilungskriterium für die Preisgestaltung heran. Dass sie mit hoheitlicher Gewalt ausgestattet sind, erschwert die Lösung solcher Konflikte. Andererseits ist die Vermögensausstattung einer ZGO, die im öffentlichen Raum agiert, zur Beurteilung von deren Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit durchaus von öffentlichem Interesse. Insoweit tritt neben eine Verpflichtung zur Rechenschaftslegung, die hier primär nur gegenüber den eigenen Organen (Vorstand, Stiftungsrat, Aufsichtsrat usw.) besteht, in Grenzen auch eine öffentliche Transparenzpflicht. Sie kann sich ebenso auf die Art der Vermögensanlagen beziehen. Von einer Umweltorganisation wäre beispielsweise zu erwarten, dass ihre Vermögensanlagen nach umweltorientierten Zielen ausgerichtet sind.316
|| 316 Die 1990 von der Bundesrepublik Deutschland gegründete Deutsche Bundesstiftung Umwelt, die nach eigenen Angaben „innovative beispielhafte Projekte zum Umweltschutz“ fördert, musste zehn Jahre nach ihrer Gründung zugeben, dass ihre Vermögensanlagen in Höhe von 1,3 Mrd. Euro in keiner Weise nach Umweltkriterien ausgewählt worden waren.
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6.4.2.3 Erträge aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben Wirtschaftliche Geschäftsbetreibe im Voll- oder Teileigentum einer ZGO erwirtschaften nicht selten einen wesentlichen Teil der zur Zielverwirklichung benötigten Mittel. Zu unterscheiden ist zwischen Betrieben, die durch die Art ihrer Tätigkeit an der Verwirklichung der Ziele teilnehmen (related business), aber aus steuerlichen Gründen als wirtschaftliche Geschäftsbetriebe gesondert geführt werden müssen, und solchen, die keinen Bezug zu den gemeinwohlorientierten Zielen haben (unrelated business). Zu den ersteren gehören auch die sogenannten Zweckbetriebe, die der Zielverwirklichung so unmittelbar dienen, dass sie von Ertrags- und Vermögenssteuern befreit sind, beispielsweise der Krankenhaus- oder Museumsbetrieb. Auf die wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe, sei es nun der Museumsshop oder z.B. der wesentliche Vermögensgegenstand der Robert-Bosch-Stiftung GmbH, die RobertBosch-GmbH mit einem Jahresumsatz von rund 50 Mrd. Euro, richtet sich das besondere Augenmerk der Finanzbehörden. Die Steuererklärungen steuerbegünstigter Körperschaften (ZGO) enthalten überwiegend Angaben zu den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben. Hierzu verlangt die Finanzverwaltung detaillierte Auskünfte, die jedoch dem Steuergeheimnis unterliegen und weder einzeln noch aggregiert veröffentlicht werden. Geprüft wird auch, ob im Rahmen der Tätigkeit einer ZGO nebenbei, etwa durch Kuchenverkauf beim Sommerfest, steuerpflichtige Einnahmen erzielt worden sind und die Freigrenze überschritten worden ist. Die einzige diesbezügliche Erleichterung der letzten Jahre ist die weitgehende Lockerung des Geprägegrundsatzes; auf das Verhältnis der Einnahmen aus wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb zu sonstigen Einnahmen kommt es nicht mehr unmittelbar an. Eine wesentliche Unterscheidung lässt sich ferner danach treffen, ob der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb rechtlich abgetrennt ist oder nicht. Dies ist bei unrelated business regelmäßig der Fall, bei related business weniger häufig, insbesondere dann nicht, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb eher klein ist. Rechtlich selbständige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe werden, sofern sich die ZGO als Eigentümerin auf die Wahrung ihrer Eigentümerrechte beschränkt, steuerlich der Vermögensverwaltung zugerechnet. Sie sind in der Regel als Kapitalgesellschaften (GmbH oder AG) verfasst, operieren selbständig und unterliegen den für diese Rechtsformen geltenden Publizitätsvorschriften, im Wesentlichen der Veröffentlichung periodischer Berichte im elektronischen Bundesanzeiger.317 Rechtlich unselbständige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe unterliegen diesen Publizitätspflichten dagegen nicht. Auch bestehen, analog zu den ZGO insgesamt, keine sonstigen Pflichten zur Veröffentlichung von Berichten. Die Angaben fließen jedoch im Rahmen aller übrigen Angaben in die Rechenschaftsberichte ein, die von ZGO nach unterschiedlichen gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen zu erstellen sind.
|| 317 Vgl. Achleitner/Block/Strachwitz (Hrsg.), Stiftungsunternehmen. Theorie und Praxis.
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Eine Schwierigkeit in der Gesamtbeurteilung des Vermögens und der Leistungskraft einer ZGO ergibt sich daraus, dass rechtlich selbständige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe, auch Zweckbetriebe, zwar jeweils einzeln mit ihren Berichten im elektronischen Bundesanzeiger auftauchen, jedoch keine konzernähnliche Konsolidierung stattfindet. In der Bilanz der Eigentümer-ZGO erscheinen sie, sofern diese als Verein oder Stiftung verfasst ist, lediglich mit ihrem Buchwert im Anlagevermögen, in der Regel nur summarisch.318 Ein Gesamtbild lässt sich so nicht gewinnen. Das Beispiel verdeutlicht ein – im Übrigen stark gestiegenes – öffentliches Interesse an den Vermögensverhältnissen großer ZGO, das durch eine Berichterstattung an die Finanzverwaltung nicht hinreichend befriedigt oder ausgeräumt wird. 6.4.2.4 Freie Spenden von Bürgerinnen und Bürgern Jede ZGO kann von Bürgerinnen und Bürgern, die die Arbeit der Organisation fördern oder unterstützen wollen, Zuwendungen entgegennehmen. Sie ist aber hierzu nicht verpflichtet. Zuwendungen, die als Spenden gewährt werden, müssen freiwillig und ohne Gegenleistung gewährt werden, um die (in der Regel gewünschte) steuerliche Wirkung beim Spender zu erreichen. Ein Dank, der auch eine öffentlich wahrnehmbare Form annehmen kann, gilt in diesem Sinne nicht als Gegenleistung. Dennoch beschränkt sich die Rechenschaftslegung in der Regel auf die Ausstellung der Zuwendungsbestätigung (landläufig Spendenquittung genannt), die dem Spender mit einem sehr allgemein gehaltenen Dank, allenfalls einer sehr kurzen, werblich aufgemachten Fassung eines Tätigkeitsberichts übersandt wird. Zur Gewinnung philanthropischer Mittel hat sich in den letzten 25 Jahren das Berufsbild des Fundraisers entwickelt.319 Fundraising dominiert zunehmend die Tätigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure und droht, die Zweckverwirklichung in den Hintergrund zu drängen. „[Diese] Konzentration auf das Fundraising ist umso erstaunlicher, als nach neueren Befunden gerade in der Bundesrepublik nur der kleinste Teil der NPO-Finanzierung durch Spenden bestritten wird.“320 Immer wieder wird unter Verweis auf die höheren Spendeneinnahmen in den USA die Hoffnung geweckt, dass mit gezieltem Fundraising deutliche Mehreinnahmen für die Zivilgesellschaft möglich wären; die Hoffnung reicht bis zur Forderung einer neuen Kultur der Gabe. Bisher haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt. Vergleiche sind nicht unproblematisch, aber grob geschätzt spendet der durchschnittliche US-Amerikaner etwa das Sechsfache des durchschnittlichen Deutschen. Das Gesamtaufkommen hat sich trotz Professionalisierung des Fundraisings, trotz gestiegenem Volksvermögen und gestiegener Bevölkerungszahl seit 1990 nicht wesentlich erhöht.
|| 318 Vgl. Ott, Unternehmensbeteiligungen gemeinwohlorientierter Stiftungen in Deutschland. 319 Vgl. Haibach, Handbuch Fundraising. 320 Vilain, Finanzierungslehre für Nonprofit-Organisationen, S. 48.
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Ein besonderes Problem stellt für die Empfänger von Spenden nicht nur die schwierige Planbarkeit von Spendeneinnahmen dar. Ebenso macht allen Empfängern eine immer wieder geschürte Skepsis bezüglich der sachgerechten Verwendung von Spenden zu schaffen. Dramatisierend dargestellte Berichte über Veruntreuungen von Spenden führen auf Spenderseite zu Verunsicherung. Zudem haben die Empfänger selbst über viele Jahrzehnte den Spendern weiszumachen versucht, alle Spenden würden kurzfristig und vollständig unmittelbar und genau für den Zweck verwendet, für den sie eingeworben wurden. Das Bewusstsein für Transaktions-, Organisationsentwicklungs-, Ausbildungs- und andere Kosten, die erst eine nachhaltig sachgerechte Verwendung ermöglichen, ist daher bei den meisten Spendern verloren gegangen. Sie werden von den Medien in dieser Fehleinschätzung unterstützt. Daran haben die erfolgreich wirkenden Gütesiegel, bspw. das Spendensiegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI)321 oder die Mitgliedschaft in der Initiative Transparente Zivilgesellschaft (ITZ)322, bislang wenig zu ändern vermocht. Insgesamt kann man den Bereich privater Mittelbeschaffung als den sich am schnellsten wandelnden Finanzierungsbereich bezeichnen. Relevanter als sehr vereinzelte Vorkommnisse ist die nicht selten zu beobachtende Tendenz mancher Organisationen, sich bei ihrer Prioritätensetzung in erster Linie nach den Akquisemöglichkeiten oder Spendenangeboten und erst in zweiter Linie nach erkannten Bedarfen zu richten. Relativ neu ist die Mode, sich vom Spendenbegriff zu lösen und den Begriff der „Sozialen Investition“ zu etablieren. Ziel eines solchen Begriffswandels ist es, Spenden nicht als Gabe zu interpretieren, sondern als Investition mit Gemeinwohlbezug.323 Bei Bestrebungen wie diesen wird zunehmend der Fokus auf eine bessere Wirkungsanalyse gelegt. Damit soll die Legitimation der Mittelverwendung für gemeinnützige Zwecke unterstrichen werden. Allerdings rückt diese Sichtweise die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen in eine nicht ungefährliche Nähe zur Handlungslogik des Marktes unter Aufgabe von zivilgesellschaftlichen Propria. In den letzten Jahrzehnten haben insbesondere die großen, in hohem Maße von Spenden abhängigen ZGO die Berichterstattung eng mit ihren Bemühungen, weitere Spenden zu akquirieren, verknüpft. Es ging ihnen infolgedessen oft weniger um einen sachlichen Bericht über die Verwendung der bereits eingeworbenen Mittel oder um eine Erläuterung der Abläufe und Maßnahmen und der damit verbundenen Kosten, sondern um den Versuch, die Spender zu erneutem Spenden anzuregen. Emotionale Argumente standen dabei häufig im Vordergrund; Vertrauensbildung,
|| 321 Vgl. DZI, Spenden-Siegel Leitlinien. 322 Vgl. Initiative Transparente Zivilgesellschaft (www.transparency.de/mitmachen/initiativetransparente-zivilgesellschaft). 323 Vgl. Anheier/Schröer/Then (Hrsg.), Soziale Investitionen.
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Spenderbindung, Dankbarkeit verbunden mit erneuten Bitten waren wichtiger als rationale Abrechnung. Auch das unglückliche Schönrechnen der sogenannten Verwaltungskosten war dieser Gewichtung geschuldet. Zweifellos war und ist diese Herangehensweise vielfach nach wie vor erfolgreich; ein aus anderen Gründen, beispielsweise nach einem Skandal (wie etwa bei der Treberhilfe), eingetretener Vertrauensverlust wirkt sich jedoch unmittelbar auf das Spendenaufkommen aus und ist durch einen Nachweis tatsächlich erbrachter Leistungen kaum aufzufangen. 6.4.2.5 Freie Spenden von Unternehmen Auch Unternehmen gründen ihre Spendentätigkeit vielfach auf emotionale Verbundenheit mit den Zielen einer ZGO und auf das Vertrauen in ihre grundsätzliche Ausrichtung und sind nur wenig an einer präzisen Rechenschaftslegung interessiert. Dies gilt besonders, wenn entweder die Eigentümer (von eigentümergeführten Unternehmen) Spenden aus steuerlichen Gründen vom Unternehmen leisten lassen – in diesem Fall sind die Unternehmen Privatpersonen vergleichbar – oder wenn Führungskräfte (Vorstandsmitglieder, Niederlassungsleiter usw.) über einen bestimmten Spendenetat frei verfügen können. Da diese beiden Fallgruppen insgesamt die Mehrheit bilden, sind strategisch ausgerichtete und dementsprechend auf ihre Wirkung geprüfte Unternehmensspenden die Ausnahme. Spenden von Unternehmen stellen eine Gewinnverwendung dar, die (von Kapitalgesellschaften) steuerlich ebenso wie von steuerpflichtigen Bürgern geltend gemacht werden kann. Daraus ergibt sich allerdings bei der Publikumsgesellschaft die Schwierigkeit, dass der Gewinn grundsätzlich den Anteilseignern zusteht, die Spende die Ausschüttung also mindert. Dadurch erwerben die Anteilseigner zumindest das Recht auf vollständige Rechenschaftslegung, das ihnen jedoch in der Praxis kaum gewährt wird. 6.4.2.6 Zweckgebundene Spenden von Bürgerinnen und Bürgern Gegenüber gemeinnützigen ZGO (nicht jedoch im mildtätigen Bereich) haben Spender in der Regel die Möglichkeit, ihre Spenden einem präzisen Einzelzweck, einem einzelnen Projekt und dergleichen zu widmen. An diese Widmung sind die Empfänger gebunden. Sind sie von vornherein nicht willens oder in der Lage, diese Widmung einzulösen, müssen sie die Spende ablehnen, erweist sich dies später als unmöglich, müssen sie sie zurückerstatten. Diese Widmung muss im Rechnungswerk der ZGO auch abgebildet werden. Der Spender kann Rechenschaft im Hinblick auf die Einhaltung der Widmung verlangen. Gelegentlich handelt es sich bei zweckgebundenen Spenden um Zuwendungen für ein Großprojekt, beispielsweise ein Bauvorhaben. In diesem Fall ist der Ausdruck des Dankes oft mit einer besonderen Geste verbunden, beispielsweise einer Namensgebung, Erinnerungstafel oder dergleichen. Dieses kann der Spender zwar nicht vertraglich mit dem Empfänger vereinbaren, da der Spende keine Gegenleistung gegenüberstehen darf. De facto kom-
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men aber entsprechende Zusicherungen regelmäßig einer bindenden Vereinbarung nahe und werden durch die Verpflichtung zu Dankbarkeit gestützt. Eine besondere Form der zweckgebundenen Spende stellt die Ausstattung einer Stiftung mit Kapital dar, das vom Stifter324 ebenso wie von Dritten, unter Lebenden ebenso wie von Todes wegen, bei Gründung ebenso wie später zur Verfügung gestellt werden kann. Die steuerlichen Regelungen sehen vor, dass die Entscheidung über diese Art der Zweckbindung unter Lebenden dem Geber zusteht und von diesem ausdrücklich getroffen werden muss. Mit daraus ergibt sich das besondere Verhältnis zwischen einer Stiftung und ihrem Stifter bzw. ihrer Stifterin. Die Stiftung bleibt dem Stifter, auch wenn dieser in der Stiftung keine Funktion ausübt, sich keine Sonderrechte vorbehalten hat und auch nicht die Stellung eines Treugebers (der nicht rechtsfähigen oder Treuhandstiftung) innehat, ja selbst wenn dieser bereits verstorben ist, für die Exekution des Stifterwillens verantwortlich. Dies zu überwachen, ist die Kernaufgabe der staatlichen Aufsichten über die Stiftungen bürgerlichen Rechts, die hierzu auch eine relativ umfassende Berichterstattung anfordern und erhalten. 6.4.2.7 Zweckgebundene Spenden von Unternehmen Unternehmen können ihre Spenden ebenso wie Bürgerinnen und Bürger und zu den gleichen Bedingungen einem bestimmten Einzelzweck widmen, an den die empfangende ZGO gebunden ist. (Dies gilt auch für eine Zuwendung zum Kapital einer eigenen oder fremden Stiftung. In diesem Fall entstehen auch hier die unter Ziff. 5 und 6 beschriebenen Schwierigkeiten.) Besonders im Falle von zweckgebundenen Spenden betreten Unternehmen gelegentlich einen weiteren Grenzbereich. Wenn ein Unternehmen bspw. einen namhaften Betrag für ein Bauvorhaben spendet und der Bau dann nach dem Unternehmer benannt wird, fließen erstens UnternehmensPR und Mäzenatentum ineinander, können zum zweiten öffentliche Mittel in den Dienst ebendieser PR gestellt werden und kann drittens die Transparenz des Gesamtvorhabens und seiner Finanzierung erheblich beeinträchtigt sein. 6.4.2.8 Mittel aus öffentlichen Sammlungen In Kirchen, bei Veranstaltungen, aber auch auf Grund von Aufrufen in den Medien erhalten vor allem große ZGO mehr oder weniger regelmäßig Spenden, die nicht oder nicht ohne weiteres einem einzelnen Spender zugeordnet werden können. Handelt es sich um abgeschlossene Aktionen, wird in der Regel am Ende die Gesamthöhe der Einnahmen veröffentlicht. Die Kirchen geben meist im Groben bekannt, wofür diese Mittel verwendet worden sind. Insbesondere Religionsgemein-
|| 324 Hier und im Folgenden steht „Der Stifter“ immer auch für die „Die Stifterin“, „Die Stifterinnen“, „Die Stifter“ usw.
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schaften und Wohlfahrtsverbände machen regelmäßig von dieser Form der Einnahmeerzielung Gebrauch. Bis vor wenigen Jahren war diese durch einschneidende gesetzliche Regelungen auf Landesebene reguliert. Dies ist jedoch in den meisten Ländern aufgegeben worden. Die durch Kollekten eingenommenen Mittel sind nicht unerheblich und bedienen wenigstens ansatzweise eine lange Liste der damit unterstützten Zwecke. 6.4.2.9 Freie Mittel regulierter Herkunft (Lotterien, Zuwendungen aufgrund gerichtlicher Auflagen und dergleichen) Öffentliche Lotterien und Zuwendungen aufgrund gerichtlicher Auflagen („Gerichtsbußen“) sind im Gegensatz zu den unter Ziffer 8 genannten Sammlungen gesetzlich reguliert. Zu dieser Gruppe zählen auch öffentliche Straßensammlungen, wenngleich die meisten Länder die strenge Regulierung dieser Sammlungen beseitigt haben.325 Empfänger von Mitteln dieser Art sind gesetzlich verpflichtet, darüber Rechenschaft abzulegen. Allerdings ist diese Rechenschaft sehr kursorisch und wird nur selten überprüft. Kleinere ZGO haben kaum Anteil an dieser Einnahmeart. 6.4.2.10 Fördermittel von Fördervereinen Fördervereine (bspw. einer Schule, eines Museums, einer Sozialeinrichtung usw.) sind regelmäßig durch ihre Satzung dazu bestimmt, ihre Mittel ausschließlich der Einrichtung zukommen zu lassen, für die sie gegründet wurden. Insofern kann die Einrichtung darauf vertrauen, dass ihr die eingeworbenen Mittel auch zufließen. Dies führt in vielen Fällen dazu, dass die Einrichtung die Mitglieder des Fördervereins und insbesondere die Mitglieder des Vorstands zwar in einem allgemeinen Sinn umwirbt (etwa durch Freikarten, besondere Veranstaltungen usw.), aber darauf besteht, die Mittel zur freien Verfügung zu erhalten und darüber nur rudimentär Rechenschaft abzulegen. Eine besondere Situation ergibt sich vielfach bei den Kunstvereinen, die sich in der Regel auf Ankäufe spezialisieren, wodurch die Mittelverwendung als Kaufpreis unmittelbar deutlich wird. Andererseits gibt es durchaus Fälle, in denen Fördervereine und deren ambitionierte Vorsitzende mithilfe der Vereinsmittel die Politik der Einrichtung maßgeblich mitbestimmen wollen. Das inhärent vorhandene Konfliktpotenzial lässt sich nur über klare Abmachungen im Vorhinein und präzise Berichterstattung im Nachhinein in den Griff bekommen.
|| 325 Zur Tradition und Geschichte dieser Sammlungsform siehe: Lingelbach, Spenden und Sammeln.
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6.4.2.11 Fördermittel von Stiftungen Viele ZGO erhalten Fördermittel von Stiftungen. Ein weitverbreitetes Missverständnis, das so weit geht, dass selbst Finanzbehörden die Ausstellung von Zuwendungsbestätigungen tolerieren, klassifiziert diese Zuwendungen als Spenden, was sie jedoch nicht sind. Zu Spenden ebenso wie zum Sponsoring sind Stiftungen grundsätzlich nicht befugt. Stiftungen vergeben Fördermittel, sei es, weil die empfangende ZGO bereits in der Satzung als Destinatarin verankert ist oder aufgrund des erkennbaren Stifterwillens traditionell Mittel erhält, sei es, weil die Stiftungsorgane eine entsprechende Entscheidung getroffen haben. Die Mittel können für ein spezielles Projekt bestimmt sein oder eine institutionelle Unterstützung der Organisation darstellen. In diesen Fällen kann der Förderung ein Antrag zugrunde liegen, es kann eine Ausschreibung (tender) oder ein Wettbewerb (pitch) vorausgegangen sein oder die Stiftung kann selbst den Empfänger ausgesucht haben. Im Rahmen ihrer Satzung ist die Stiftung in der Wahl des Verfahrens frei, was erhebliche Auswirkungen auf die Rechenschaftslegung haben kann. In der Regel ist eine Förderstiftung eher an den Effekten der Fördermaßnahme interessiert (bspw. ob die geförderte Schule tatsächlich gebaut wurde) als an Einzelheiten der Rechnungslegung (bspw. ob wo immer möglich der ÖPNV als Transportmittel gewählt wurde). Diese Betrachtung findet ihre Grenzen in den Vorgaben der Finanzverwaltung (bspw. dass die Kosten einem Drittvergleich standhalten müssen, insbesondere wenn nahestehende Personen einen Vorteil erlangt haben), möglicherweise an eigenen Bestimmungen in der Satzung, den Richtlinien oder Beschlüssen und in jedem Fall dort, wo die Stiftungsmittel als öffentliche, der Kontrolle der Rechnungshöfe unterliegende Mittel angesehen werden müssen (bspw. bei der Volkswagen Stiftung). 6.4.2.12 Mittel anderer ZGO Viele ZGO geben im Rahmen ihrer Tätigkeit – aber anders als Förderstiftungen oder Fördervereine nicht in unmittelbarer Erfüllung ihres Satzungsauftrags – Mittel an andere ZGO weiter. Unter anderem sind folgende Fallgruppen denkbar: – Mehrere ZGO führen gemeinsam ein Projekt durch und übertragen einer die Geschäftsführung. Die übrigen stellen dieser Organisation die vereinbarten Mittel zur Verfügung, die sie gesamthaft bewirtschaftet. – Eine Dachorganisation oder ein Verband erhält Mittel, die für Mitgliedsorganisationen bestimmt sind und reicht sie an diese weiter. – Eine große ZGO, bspw. eine Religionsgemeinschaft, bedient sich affiner kleiner Organisationen zur Durchführung eines Ziels oder einzelnen Projekts und/oder fördert bewusst die Tätigkeit kleiner affiner Organisationen durch Subventionen.
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In jedem Fall sind die Empfänger solcher Mittel den Gebern über die Verwendung rechenschaftspflichtig. Die Einzelheiten sind Gegenstand einer entsprechenden Vereinbarung. Schwierigkeiten können dann auftreten, wenn ZGO zwar wie beschrieben in einem Projekt zusammenarbeiten (gelegentlich auch zusammenarbeiten müssen), im Übrigen aber Wettbewerber sind. Ihnen kann eine Offenlegung von Daten, die das Projekt nicht betreffen, nicht zugemutet werden. Dach- und Großverbände benutzen vielfach die Mittelvergabe an angeschlossene oder affine Organisationen, um einen besseren Einblick in deren Tätigkeit zu erhalten, sie zu kontrollieren oder Macht über sie auszuüben. Eine sorgfältige Güterabwägung ist in diesen Fällen unerlässlich. 6.4.2.13 Sponsoring von Unternehmen Zwar wird der Ausdruck Sponsoring vielfach ganz allgemein als Synonym für private Zuwendungen oder solche aus der Wirtschaft verwendet. Doch bezeichnet er korrekterweise ausschließlich Geld- oder Sachleistungen, die von einem steuerpflichtigen Wirtschaftsunternehmen aus betrieblich veranlassten Gründen (in der Regel im Rahmen von Marketing, Werbung, Öffentlichkeitsarbeit oder Public Affairs, seltener im Rahmen von Personalmanagement) auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung einer ZGO gewährt werden. Die Vereinbarung beinhaltet zwingend eine Gegenleistung der ZGO. Im Kern verkauft die ZGO in der Regel eine Werbewirkung, die sich aus ihrem Namen, ihrer Tätigkeit, ihrer Reputation, ihrer öffentlichen Wirkung, ihrer Besucher usw. ergibt, die sie aber selber nicht nutzen kann, an ein Unternehmen und gewährt, damit das Unternehmen den Nutzen hat, diesem bestimmte Rechte, bspw. die Verwendung eines Firmenlogos im Programmheft. Im Gegensatz zur Spende stellt die Sponsoringleistung für den Sponsor eine Betriebsausgabe dar, was zu folgenden Besonderheiten führt: – Sponsoring ist Teil der allgemeinen Geschäftspolitik und unterliegt somit der Verfügungsgewalt der Geschäftsführung, ggf. der Zustimmung des Aufsichtsorgans. – Aufwendungen für Sponsoring sind (steuermindernde) Betriebsausgaben, die allen für Betriebsausgaben geltenden Regeln und Beschränkungen unterliegen, insbesondere auch der Beurteilung nach den Effekten für das Unternehmen durch die Finanzbehörden. – Sponsoring ist in der Höhe nicht durch eine starre Obergrenze begrenzt, sondern richtet sich wie jede andere Werbemaßnahme nach der Branchenüblichkeit; auf die steuerliche Kategorisierung des Empfängers oder dessen ideelle Ziele kommt es nicht an, sondern nur auf die erzielte Werbe-/PR- oder Marketingwirkung. Ein Sponsor ist insoweit kein Mäzen, sondern ein Geschäftspartner.
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Die Vereinbarung zwischen Sponsor und gesponsorter ZGO regelt das Sponsoring in allen Einzelheiten und enthält u.a. spezifische Regelungen zur Berichterstattung. Diese wird sich darauf konzentrieren, ob die vereinbarten Leistungen tatsächlich erbracht worden sind und ob die zugrundeliegenden Prämissen (bspw. die Zahl der Besucher) sich als zutreffend erwiesen haben. Die Erbringung eines zivilgesellschaftlichen Mehrwerts ist, was häufig übersehen wird, hier ohne Belang. Allerdings werden oft unausgesprochen oder ausdrücklich Arrangements getroffen, die Spenden und Sponsoring kombinieren oder vermischen. Bspw. werden für relativ geringe Sponsoring-Leistungen relativ hohe werbliche Gegenleistungen vereinbart, weil gleichzeitig eine Spende des Unternehmens geleistet wird. Solche Arrangements können für ZGO zum Verhängnis werden, da Gegenleistungen zwar für dieses grundsätzlich steuerlich unschädlich sind, aber nicht in unbeschränktem Umfang. Besondere Bedeutung hat das Sponsoring im Sport, wo seit langem selbst im Vereinssport Banden- und Trikotwerbung üblich sind, vom Profisport ganz zu schweigen. Wenn dort bspw. die im Eigentum der FC Bayern München AG stehende, aus Zuwendungen Dritter und eigenem Vermögen für 286 Mio. Euro (plus rund 200 Mio. Euro aus Steuermitteln finanzierte Verkehrserschließung) gebaute AllianzArena bei München diesen Namen trägt, weil die Allianz SE über 15 Jahre 6 Mio. Euro pro Jahr zu den Kosten des Unterhalts beiträgt, so steht die Gegenleistung kaum in einem adäquaten Verhältnis zur Sponsoring-Leistung. Bekanntheitsgrad der Marke und Verknüpfung mit einem populären gesellschaftlichen Aktionsfeld stellen jedenfalls für die Allianz SE einen erheblichen Ertrag dar. An kaum einer anderen Stelle ist der Mangel an einer umfassenden Transparenz in dem Beziehungsgeflecht zwischen Gemeinwohl und wirtschaftlichen Interessen so ausgeprägt wie hier. 6.4.2.14 Leistungsentgelte privater Leistungsempfänger Das Verhältnis der ZGO zu privaten Leistungsempfängern ist naturgemäß viel weniger kompliziert. Das Prinzip von Leistung und Gegenleistung wird hier im Wesentlichen aufrechterhalten. Dementsprechend konzentriert sich die Berichterstattung darauf, ob die zu bezahlende Leistung tatsächlich erbracht worden ist. Der Leistungsaustausch kann auch andere Formen annehmen, bspw. den Kauf eines Ausstellungskatalogs. Die Preisgestaltung richtet sich, jedenfalls prinzipiell, nach Angebot und Nachfrage, sodass sich eine weitergehende Berichterstattung im Grunde erübrigt. Nicht zu verkennen ist allerdings der erhebliche Wissens- und Informationsvorsprung der Anbieter gegenüber dem Leistungsempfänger, der durch die von diesem in der Regel abgeschlossene Versicherung nur zum Teil kompensiert werden kann. Ein besonderes Interesse an der Berichterstattung hat in dieser Fallgruppe wiederum die Finanzverwaltung, weil hier in der Regel Umsatzsteuer anfällt.
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6.4.2.15 Leistungsentgelte öffentlicher Träger Besonders im Sozial- und Gesundheitswesen, deren vielfältige Dienstleistungen in Deutschland zu weit über 50 Prozent von den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege und den ihnen zugeordneten Einrichtungen angeboten werden, bestehen langjährige und vielfältige Vertragsbeziehungen zwischen den Anbietern, den staatlichen Stellen sowie den gesetzlichen Sozialversicherungsträgern. Dafür gilt das sozialwirtschaftliche Dreiecksverhältnis. Das direkte Verhältnis zwischen Preis und Leistung wird schon im Ansatz außer Kraft gesetzt, indem die Leistungserbringer direkt mit den Kostenträgern abrechnen. Hinzu tritt allerdings der multiple Charakter der öffentlichen Partner, die gleichzeitig als Gesetz- und Verordnungsgeber, Regulierungsbehörde, Vertragspartner und Wettbewerber auftreten. Es kann unter diesen Umständen nicht ausbleiben, dass sich objektive Regulierungs-, Fiskal- und behördliche Eigeninteressen in unzulässiger Weise vermischen, von politischem Druck, persönlichen Interessen und der Berücksichtigung nahestehender Anbieter ganz zu schweigen. Die Erfordernisse der Rechnungslegung als Nachweis der erbrachten Leistung mit den Erfordernissen der Transparenz zugunsten der Wahrnehmung der Interessen aller Bürgerinnen und Bürger und den Schutzbedürfnissen der ebenfalls im Wettbewerb stehenden ZGO in Einklang zu bringen, ist daher eines des schwierigsten Themen der ganzen Debatte. Das System kann nicht befriedigen, weil – die ZGO gesetzlich zu einer weitgehenden Offenlegung aller Vorgänge verpflichtet sind, – ihre wichtigsten Vertragspartner, die gesetzlichen Sozialversicherungsträger, zu keiner Offenlegung verpflichtet sind, – für die Öffentlichkeit das gesamte Sozial- und Gesundheitssystem als undurchschaubar gilt, – die ZGO über Ausgliederungen und andere Maßnahmen versuchen, ihre tatsächliche Situation zu verschleiern, – die Leistungsempfänger, die in vielen Fällen eine nicht zu unterschätzende Wächterfunktion ausüben könnten, in der Regel im Unklaren gelassen werden, – die öffentlich-rechtlichen Wettbewerber (Universitäts- und kommunale Kliniken, Berufsfeuerwehren im Rettungsdienst usw.) vielfach, ohne dass dies transparent gestaltet ist, mit anderen Maßstäben gemessen werden. Manche Leistungsentgelte haben (auch) subventionierenden Charakter, da die ZGO nur über diese lebensfähig sind. Angesichts der oft erheblichen Verantwortung für Betreute und Mitarbeiter ist dieser subventionierende Charakter nicht zu unterschätzen und erklärt in Teilen die Nachgiebigkeit der betroffenen ZGO gegenüber staatlichem Druck, zumal staatliche Vertragspartner gern den subventionierenden Aspekt sehr deutlich herausstreichen oder als Druckmittel benutzen.
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6.4.2.16 Öffentliche Subventionen Wenn in der öffentlichen Diskussion und in wissenschaftlichen Publikationen326 häufig festgestellt wird, die deutschen ZGO würden überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert, so ist dies nicht nur dem – im Verhältnis zu anderen Ländern – sehr hohen Anteil zivilgesellschaftlicher Anbieter an der Wohlfahrtsproduktion geschuldet. Es liegt auch daran, dass Subventionen und aus öffentlichen Mitteln finanzierte Leistungsentgelte zusammengerechnet werden, woraus in der öffentlichen Debatte der Eindruck entsteht, die Zivilgesellschaft würde überwiegend vom Staat subventioniert. Dies ist jedoch nicht der Fall. Subventionen machen nur einen relativ kleinen Anteil der Finanzierung des Sektors aus und sind, wenngleich genaue Zahlen fehlen, den Subventionen vergleichbar, die Wirtschaftsunternehmen gewährt werden. Immer wieder wird darüber hinaus die Ansicht vertreten, die Steuerbegünstigung, die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – den ZGO gewährt wird, vor allem aber die steuerlichen Vorteile für Stifter und Spender stellten in sich bereits Subventionen dar, indem der Staat auf einen Teil des ihm zustehenden Steueraufkommens verzichte.327 Dazu ist festzustellen, dass dies zunächst ein Principal-Agent-Problem darstellt. Geht man, wie demokratietheoretisch mehrheitlich, davon aus, dass die Bürgerinnen und Bürger als Prinzipale darüber bestimmen, welche Steuern sie dem Staat zubilligen, hat dieser für diesen angeblichen Verzicht keinen Ermessensspielraum, sodass schon deswegen nicht von einem Verzicht gesprochen werden kann. Anders als bei Leistungsentgelten herrscht bei der (echten) Subventionierung, soweit es sich nicht um eine institutionelle Förderung handelt, in der Regel das Prinzip der Fehlbedarfsfinanzierung. Dies hat in beiden Fällen zur Folge, dass nach den Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung (BHO) und der (fast identischen) Landeshaushaltsordnungen (LHO) gegenüber der zuständigen Behörde Finanzdaten in großem Umfang offengelegt werden müssen. Insbesondere muss im Falle der institutionellen Förderung das gesamte Budget genehmigt werden; im Falle der Fehlbedarfsfinanzierung muss der Anteil der Finanzierung durch Dritte nachgewiesen werden, weil sich danach der Umfang der Förderung bemisst. Dass sich dies häufig negativ auf Bemühungen auswirkt, überhaupt Mittel von Dritten zu akquirieren, sei nebenbei angemerkt. Diese weitgehende Offenlegung eröffnet staatlichen Stellen einen so tiefen Einblick in die Finanzströme der betroffenen ZGO, dass in der Tat von „gläsernen Taschen“ gesprochen werden muss. Diese führen aber einerseits nicht zu weitergehenden empirischen Erkenntnissen zur Meso-Ebene der Zivilgesellschaft, da die gewonnenen Daten weder an die Statistik-Ämter noch für wissenschaftliche Auswertungen weitergegeben werden, während sie andererseits im Zuge der Amtshilfe,
|| 326 Siehe vor allem: Salamon et al., Global Civil Society, S. 109. 327 Vgl. Waldhoff, Brauchen wir ein Steuergeheimnis für gemeinnützige Organisationen?
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zu der Behörden verpflichtet sind, auch jeder anderen staatlichen Behörde diesen Einblick gestatten. Dadurch entsteht eine Zweiteilung der Zivilgesellschaft in ZGO, die – aus welchen Gründen und in welchem Umfang auch immer – öffentliche Subventionen erhalten und solche, die dies nicht tun, weil sie dies von vornherein ablehnen, keine Subventionen erhalten, weil ihre Anträge nicht erfolgreich sind oder ihnen keine Subventionsmöglichkeiten offenstehen. Die vielfach prekäre Finanzlage vieler ZGO verstärkt die Tendenz, sich um Subventionen zu bemühen und hierzu nicht nur die Offenlegung, sondern auch die Einflussmöglichkeiten und den Druck der Behörden in Kauf zu nehmen. Das System der Subventionen ist somit weitgehend für das staatliche Gängelband verantwortlich, an dem die Zivilgesellschaft in weiten Teilen der Öffentlichkeit gesehen wird, obwohl dies tatsächlich am ehesten für die Dienstleister und am wenigsten für die ZGO zutrifft, die im Bereich von Themenanwaltschaft, Wächterfunktion oder politischer Deliberation unterwegs sind. In der Tat lehnen manche dieser Organisationen Subventionen jeder Art konsequent ab, um der Offenlegung zu entgehen, wodurch der paradoxe Effekt eintritt, dass gerade über die ZGO, die allenfalls der verfassungsmäßigen Ordnung schaden könnten, im staatlichen Bereich die wenigsten Informationen gesammelt werden, während über die ohnehin dem Staat eher zuarbeitenden Dienstleister am meisten gesammelt wird. Versuche der Staatsverwaltung, über Extremistenklauseln, die die ZGO in Mithaftung nehmen sollen, hieran etwas zu ändern, waren nicht sonderlich erfolgreich, da sie sich als politisch nicht durchsetzbar erwiesen.
6.5 Legitimität In der Entstehungsgeschichte des modernen deutschen Verfassungs- und Rechtsstaates des frühen 19. Jahrhunderts kommt dem Kampf um die Legitimität der Akteure, die heute unter dem Begriff Zivilgesellschaft subsummiert werden, hohe Bedeutung zu. Während der erste französische Demokratieentwurf (1789/91) die Daseinsberechtigung anderer korporativer Akteure innerhalb der Republik ausdrücklich ausschloss, hat der Kampf um die Vereinigungsfreiheit die politische Auseinandersetzung des 19. Jahrhunderts in Deutschland gerade unter dem Aspekt der Freiheit beherrscht. In Anlehnung an Tocqueville328 und andere ist schon damals das Vorhandensein von freiwilligen Vereinigungen und anderen Körperschaften als geradezu konstitutiv für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung erkannt worden. Andererseits ist die seit 1919 weit ausgebaute Vorstellung von einem Wohlfahrtsstaat insofern konfliktbeladen, als sie vielfach ein Gegenmodell zur Vereinigungs-
|| 328 Vgl. Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika.
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freiheit darstellt – jedenfalls dann, wenn diese zum Zwecke der Erbringung von Dienstleistungen gegründet werden. Böckenförde329, Putnam330 und andere haben im 20. Jahrhundert immer wieder die über Dienstleistungen weit hinausreichende Bedeutung unabhängiger Vereinigungen mit überzeugenden Argumenten hervorgehoben. Heute sind dieses Recht und damit auch die prinzipielle Legitimität solcher Vereinigungen in Europa gewiss unbestritten. Es ist in die Europäische Menschenrechtskonvention eingeflossen und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte individuell einklagbar. Es ist als verfassungsrechtliches Grundrecht ausdrücklich benannt.331 Dass in einer modernen Gesellschaft neben gewinnorientierten korporativen Akteuren auch gemeinwohlorientierte einen festen und legitimen Platz haben, gehört zu den Grundelementen unserer politischen Ordnung. Der Kampf um die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurde gerade für diese korporativen Akteure geführt und gewonnen. Die Ereignisse von 1989/90 haben in Mittel- und Osteuropa einschließlich der DDR eindrucksvolle Beweise für die Kraft und Wirkung öffentlichen zivilgesellschaftlichen Handelns geliefert. In Anbetracht der gegenwärtigen Krise der Gesellschaft und politischen Systeme und insbesondere des massiven Vertrauensverlustes in Institutionen jedweder Art kommt auch auf ZGO die Aufgabe zu, ihre Legitimität besser zu begründen und um Vertrauen zu werben. Legitimität wird im Wesentlichen auf folgende, oft miteinander verbundene Arten begründet: – durch Berufung auf demokratische Einsetzung, – durch Berufung auf sakrale Herleitung, – durch erbrachte Leistungen (Output-Legitimität), – durch Berufung auf eine Haltung oder einen Anspruch (Input-Legitimität), – durch Berufung auf eine Tradition (Besitzstand-Legitimität), – durch Berufung auf Legalität, – durch Akzeptanz. Da Legitimität durch demokratische Einsetzung für eine ZGO kaum erfolgen kann – selbst der größte Verein vertritt immer nur die Gemeinschaft seiner Mitglieder und nicht die Allgemeinheit – und sakrale sowie durch Tradition begründete Legitimierungen zunehmend in Frage gestellt werden, setzen ZGO heute meist auf Legalität, Input- oder Output-Legitimierungen und haben von der Legitimität durch Akzeptanz profitiert.332 In den letzten rund 15 Jahren hat dabei die Output-Legitimierung in || 329 Vgl. Böckenförde, Der säkularisierte Staat. 330 Vgl. Putnam, Making Democracy Work. 331 Siehe Art. 9 Abs. 1 GG. 332 Die Legitimität durch Akzeptanz kommt insbesondere im sogenannten neo-institutionalistischen Ansatz zum Tragen. Siehe hierzu u.a. Walgenbach/Meyer, Neoinstitutionalistische Organisationstheorie.
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der Diskussion ein Übergewicht erhalten, indem Wirkung, Effekte, Erfolge und vor allem Impact als gebräuchliche Vokabeln zur Begründung von Legitimität herangezogen wurden. Der Verweis auf messbare und somit objektive Faktoren einerseits und auf Innovation andererseits hat dieses Übergewicht noch verstärkt. Immer mehr wird aber deutlich, dass diese Schwerpunktsetzung einen Trugschluss beinhaltet. Zum einen können problematische Messverfahren zu zwar gewünschten, aber nicht notwendigerweise validen Ergebnissen führen; zum anderen erscheint die Konzentration auf Output-Legitimierung als solche problematisch. Zudem bleiben zwar nicht messbare, aber sehr wohl beobachtbare Faktoren außer Betracht. Dies wird bspw. dadurch deutlich, dass Verfahren dieser Art zu Vergleichen zwischen den Erfolgen von ZGO mit denen von Wirtschaftsunternehmen anregen, bei denen ZGO nicht selten hinter diesen zurückbleiben. In der Entwicklungszusammenarbeit wird diskutiert, ob nicht wirtschaftlich motivierte Partnerschaften in Ländern des globalen Südens hinsichtlich der Ergebnisse den Hilfsmaßnahmen internationaler ZGO überlegen sind. Die Diskussion ist nicht abgeschlossen. Es erscheint aber notwendig, darüber nachzudenken, ob solche Vergleiche nicht den besonderen Charakter der Angebote von ZGO falsch bewerten bzw. darstellen, weil andere Indikatoren vernachlässigt werden. Dabei schwingt auch die Sorge mit, dass sich in der Öffentlichkeit die Überzeugung durchsetzen könnte, Wirtschaftsunternehmen seien grundsätzlich zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen ebenso gut oder sogar besser in der Lage, was erhebliche Auswirkungen auf privilegierte Rahmenbedingungen, den Zufluss von Einnahmen, insbesondere Spenden, aber auch auf den selbst gestellten Anspruch hätte, eine besondere Mission zu erfüllen. Zudem befürchten große ZGO, in den Sog des Vertrauensverlustes hineingezogen zu werden, was durch zahlreiche, im Einzelnen in den Aussagen voneinander abweichende, aber in der Grundaussage beständige Untersuchungen bestätigt wird. ZGO müssen sich daher dem Problem stellen, ob eine Antwort auf die Frage „Wozu?“ genügt oder ob nicht gerade sie auch die Frage nach dem „Warum?“ schlüssig beantworten müssen. Nicht zuletzt große ZGO haben es sich infolgedessen zur Aufgabe gemacht, ihre Legitimität umfassender zu begründen und dabei die Spezifika zivilgesellschaftlichen Handelns sehr viel deutlicher in die Begründung einzubeziehen. Dies kann allerdings nur erfolgreich sein, wenn diese Spezifika nachvollziehbar und substantiiert begründet und mit Verbesserungen des gegenwärtigen Standes verknüpft werden. Bloße Hinweise auf eine traditionell verfolgte Mission, auf die – in aller Regel unstrittige – Legalität des Handelns oder auf einen allgemeinen zivilgesellschaftlichen oder bürgerschaftlichen Teilhabeanspruch, auf ein Subsidiaritätsprinzip oder andere gesellschaftliche Übereinkommen genügen keinesfalls. Auch Akzeptanz kann schon wegen ihres volatilen Charakters nicht hinreichend sein. Auf die Verantwortlichkeit (accountability) gemeinwohlorientierten Handelns gegenüber der Gesellschaft insgesamt mit den daraus abzuleitenden Konsequenzen hinsichtlich Transparenz und Compliance kann nicht verzichtet werden. Entspre-
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chend dem Grundverständnis vom Aufbau der Gesellschaft sind überdies gesellschaftliche Normen zugrunde zu legen, die, wenn nicht einen Konsens, so doch die Überzeugung eines nicht unwesentlichen Teils der Mitglieder dieser Gesellschaft reflektieren. Hierzu gehören bspw. das Bekenntnis zu einer Gesellschaft, die vom Menschen ausgeht, zur uneinschränkbaren und Respekt bedingenden Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG), zur Freiheit in Lebensentwurf und Teilhabe und damit auch zur grundsätzlichen Achtung vor abweichenden Positionen (Pluralität). Daraus ergeben sich konkrete Parameter, die die Legitimität zivilgesellschaftlichen Handelns bedingen, aber auch einen Rahmen setzen, in dem dieses stattfinden kann. Hierzu gehören bspw. Grundrechte wie jenes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), auf Versammlungs- (Art. 8 Abs. 1) und Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1). Insofern ist eine Reduktion zivilgesellschaftlichen oder bürgerschaftlichen Handelns auf vom Staat festgesetzte Ziele oder Notwendigkeiten grundsätzlich nicht statthaft, taugt andererseits aber auch nicht als Argument für die Legitimität. Diese kann vielmehr – und tut es bspw. in autoritären Regimen geradezu regelmäßig – aus einer Gegnerschaft zu den Absichten und Wünschen eines Staates entstehen. Daraus ergibt sich aber auch die Notwendigkeit, die Ausübung dieser Rechte gegenüber der Allgemeinheit zu begründen. Handlung und Begründung begegnen generell der Schwierigkeit, dass sie in Prozesse eingreifen, hinter denen Rahmensetzungen regelmäßig zurückbleiben. Infolge der gegenwärtigen Krise der Gesellschaft sind manche traditionelle gesellschaftliche Normen zurzeit sogar einem erheblichen und teilweise höchst kontroversen und prinzipiell nicht organisierbaren Veränderungsprozess unterworfen. Als Beispiele seien Geschlechtergerechtigkeit, Transnationalität und die Krise der repräsentativen Demokratie genannt. Ebenso bedingen aktuelle Herausforderungen, wie die technologisch-kommunikative Revolution, die klimatischen und geopolitischen Veränderungen eine Neujustierung von gesellschaftlichen Normen. Diese disruptive Dynamik stellt das Konzept der offenen Gesellschaft auf den Prüfstand. Die Fundamentalprinzipien unserer Gesellschaft, namentlich die Menschen- und Bürgerrechte, die Herrschaft des Rechts, die Demokratie, und unsere kulturellen Traditionen müssen einerseits verteidigt werden, sich aber andererseits auch neu bewähren. Erschwerend kommt hinzu, dass traditionelle Akzeptanz von Misstrauen überwuchert zu werden droht. Für die Bewährung oder auch Neuformulierung von Grundsätzen bietet ein Klima des Misstrauens grundsätzlich nicht die geeigneten Voraussetzungen. Das Dilemma muss jedoch in Kauf genommen werden, da andererseits nur die Bewältigung der Bewährungsprobe geeignet erscheint, das Misstrauen zu überwinden. Ein Beharren auf überkommenen Formen oder eine Verweigerung des Nachdenkens über Veränderungen erscheint jedenfalls nicht weiterführend. Die wachsende Sichtbarkeit zivilgesellschaftlichen Handelns lässt das Misstrauen naturgemäß auch bei denen wachsen, die dadurch eine Einbuße an Macht befürchten müssen. Zu dem gesellschaftstheoretischen Anspruch, die eigene Legi-
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timität nachzuweisen, tritt insoweit eine vorausschauende Positionierung gegenüber Kräften, die die Tätigkeit und den Einfluss der Zivilgesellschaft eindämmen oder gar beseitigen wollen. Eine informierte, selbstkritische und kontinuierliche Debatte über die Aufgaben und Begrenzungen zivilgesellschaftlichen Handelns erscheint insoweit als geeigneter Abwehrmechanismus. Viele zivilgesellschaftliche Bewegungen, Organisationen und Institutionen sind allerdings klein, arbeiten auf lokaler oder regionaler Ebene und verfolgen sehr spezifische, eng umschriebene Ziele. Sie sind von der Legitimitätsdebatte weniger betroffen, sollten sich allerdings daran erinnern, dass alle radikalen Maßnahmen oder Versuche zur Beseitigung der sogenannten Intermediäre (Frankreich 1789/91, Russland 1917/18, Deutschland 1933, Ostdeutschland 1952 usw.) keinen Unterschied zwischen Groß und Klein gemacht haben. Insofern haben auch kleinere Organisationen ein Interesse daran, eine umfassende Legitimitätsbasis zu gewinnen. Eine nicht geringe und ständig wachsende Zahl von Organisationen ist jedoch in den letzten 50 Jahren zu international oder zumindest national operierenden Akteuren geworden, deren Handeln durchaus Einfluss auf das Leben der Gesellschaft insgesamt hat. Insbesondere ihre Legitimität, ihre Berechtigung zu handeln (licence to operate) hängt von einer nachhaltigen Legitimierung ab, zu der Akzeptanz wesentliches, aber nicht alles beitragen kann. Es wird auch auf den Input und Output ankommen, die ZGO glaubhaft verkörpern. Eine Möglichkeit, sowohl organisationsspezifisch als auch organisationsübergreifend unterschiedliche Zugänge aufeinander zu beziehen und zu einem Ergebnis zusammenzuführen, bietet ein Kategorienmodell, das vor kurzem für den Bereich der Stiftungen entwickelt wurde, das aber auch auf andere ZGO anwendbar erscheint.333 Es beinhaltet einen systematischen Versuch, wesentliche Kriterien einer vertrauens- und legitimitätsbasierten Zivilgesellschaft zu generieren. Es wurden fünf Hauptkategorien mit jeweils drei Subkriterien definiert: 1. Grundhaltung (1) Mitgefühl (2) Verständnis (3) Respekt 2. Gemeinwohlorientierung (1) Zielorientierung (2) Bedarfsorientierung (3) Integrität 3. Relevanz (1) Nachhaltigkeit (2) Erfolg (3) Wirkung || 333 Vgl. Alter/Strachwitz/Unger, Philanthropy.Insight – Work in Progress.
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4. Leistung (1) Modernster Praxis-Standard (2) Führungsqualität (3) Dialogbereitschaft 5. Verantwortlichkeit (1) Transparenz (2) Verantwortung (3) Regelgerechtigkeit Zu jedem Subkriterium wurden drei Indikatoren in Frageform formuliert, sodass insgesamt 45 Indikatoren bewertet werden. Daraus ergeben sich jeweils unterschiedliche Profile. Das Ziel ist die Schaffung eines Instruments, das einerseits ZGO selbst ermöglicht, ihre Arbeit anhand vergleichsoffener Indikatoren zu evaluieren, andererseits aber auch der Öffentlichkeit Möglichkeiten der vergleichenden Evaluierung bietet. Ein Dialog zwischen Organisationen und Außenstehenden, insbesondere mit Stakeholdern, der sich daraus ergibt, kann für alle Beteiligten weiterführend sein. Im Mittelpunkt der Bemühungen stehen die Substantiierung der Legitimität und eine produktive Auseinandersetzung mit Kritik, vor allem aber die Gewinnung bzw. Rückgewinnung von Vertrauen.
6.6 Rechtsformen 6.6.1 Der Verein Der Verein, d.h. die Vereinigung von natürlichen (seltener juristischen) Personen zum Zwecke der Verfolgung eines gemeinsamen Ziels, ist die klassische Organisationsform der zivilgesellschaftlichen Arena. Er ist als grundsätzlich heterarchische Organisationsform die demokratische Vereinigungsmöglichkeit schlechthin. Freiwillige Vereinigungen prägen das Leben der Bürger seit Jahrhunderten. Der Verein ist insoweit keine Errungenschaft der Moderne; auch in vormodernen Gesellschaften finden wir Vereine, zuweilen in großer Zahl. Hegels weithin rezipierter Feststellung, Vereinigungen dieser Art seien ein Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft und diese wiederum eine Errungenschaft der modernen Welt, kann so nicht gefolgt werden. Bis heute existieren sogenannte altrechtliche Vereine, die vor 1900 gegründet wurden und deshalb nicht aufgrund einer Eintragung in ein Register, sondern durch ein hoheitliches Privileg oder auf andere Weise Rechtsfähigkeit erlangt haben oder sogar eine hohe Kontinuität aufweisen, ohne eine Rechtsperson darzustellen. Doch ging mit der Entwicklung des modernen Verfassungsstaates im 19. Jahrhundert der Kampf um die Vereinigungsfreiheit einher, der mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 als im Wesentlichen gewonnen gelten kann. Im
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Grundgesetz von 1949 ist die Vereinigungsfreiheit als Grundrecht ausgebildet (Art. 9 GG). Die Gründung eines Vereins bedarf folgerichtig keiner staatlichen Genehmigung, ebensowenig einer Eintragung in ein Register. Soweit ein Verein im Rechtsverkehr nicht oder kaum auftreten muss, genügt die Form des nicht eingetragenen Vereins. In Deutschland bestehen rund 600.000 eingetragene Vereine. Die Zahl der nicht eingetragenen Vereine wird auf bis zu 300.000 geschätzt. Zu diesen fehlen aber genauere Angaben. Vereine rekrutierten sich regelmäßig, aber nicht ausschließlich über Familien-, Berufs-, Bildungs-, Partei-, Konfessions- und sonstige Grenzen hinweg aus Bürgern und Bürgerinnen, die ihre Reputation, Empathie, ihr Know-How, ihre Ideen, Zeit und ihr Geld einbringen und Gemeinschaft und Gemeinsamkeit erwarten. Auf die Besonderheiten der Assoziierung unter Gleichgesinnten einerseits, über Grenzen hinweg andererseits macht Robert Putnam mit den Begriffen bonding und bridging aufmerksam.334 Vereine haben überwiegend, aber keineswegs immer einen lokalen Bezug. Auf Freiwilligkeit gegründete, keine unmittelbar wirtschaftlichen Ziele verfolgenden Vereinigungen sind für die Erledigung von Aufgaben und für den sozialen Frieden unverzichtbar. Ihre von jeher große und weiter stark wachsende Zahl ist darüber hinaus ein Beweis dafür, dass sich die Ziele der Menschen weder in der Verfolgung wirtschaftlicher Interessen noch als „Staatsbürger“ erschöpfen. Sie sind geprägt durch eine kleine oder große Zahl von Mitgliedern, die an der Realisierung eines Vorhabens mitwirken wollen. Ein- und Austritt sind in der Regel rasch und unkompliziert möglich, was zu einer hohen Fluktuation führen kann. Die Mitglieder bestimmen im Rahmen der Mitgliederversammlung die Ausrichtung des Vereins. Unabhängig vom Vereinszweck bieten Vereine ihren Mitgliedern die Möglichkeit, soziale Netzwerke zu bilden. Freilich bildet dieses Nebenprodukt oft nicht nur den Hauptantrieb, sondern auch das Hauptprodukt der Kollektivität im Verein. Vereine finden sich in praktisch jeder der oben dargestellten Ausformungen von Zivilgesellschaft und können besonders zu allen vorgestellten Funktionen beitragen (siehe Kap. 6.3). Das Vereinsrecht hebt allerdings, was schon bei der Debatte vor der Einführung des BGB im späten 19. Jahrhundert kritisch angemerkt wurde, vorwiegend auf kleine Vereine ab und stellt Großorganisationen in Vereinsform immer wieder vor nicht unerhebliche Probleme. Diese beginnen beispielsweise bei der Durchführung von Mitgliederversammlungen, wenn die Zahl der Mitglieder die Kapazitäten eines Raums überschreitet. Die Arbeitsweise von Vereinen ist sehr unterschiedlich. Beispielsweise stehen sehr basisdemokratisch ausgerichteten Vereinen, in denen jede Einzelheit des Vereinslebens Gegenstand der Beratung unter allen Mitgliedern ist, andere Vereine gegenüber, die von einem Vorstand eher „straff“ geführt werden und in denen sich die Mitglieder im Wesentlichen auf die Wahl des Vorstandes und die Entgegennah|| 334 Vgl. Putnam, Bowling Alone.
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me eines jährlichen Berichts beschränken. Wesentliches Element jedes Vereins ist jedoch, dass die Mitglieder die Herrinnen und Herren sind und bleiben. Der permanente Willensbildungsprozess nach demokratischen Grundregeln bildet ein konstitutives Element jeden Vereins. Dies macht ihn nach Überzeugung vieler Autoren, nicht zuletzt bei Alexis de Tocqueville335, zur Schule der Demokratie. Unabhängig davon können Vereine jedoch jede Funktion einer ZGO ausüben, nicht selten mehrere.
6.6.2 Der Verband Eine Sonderform des Vereins bildet der Verband. Verbände stellen in moderner Begriffsverwendung Dach- oder Sammelorganisationen von zivilgesellschaftlichen Organisationen dar und dienen überwiegend der überregionalen Vertretung von gemeinsamen Interessen, der gegenseitigen Unterstützung und nicht selten der Beeinflussung der Öffentlichkeit. Im Sinne der funktionalen Einteilung sind sie der Gruppe der Mittler zuzurechnen. Formal sind die Verbände in der Regel in der Rechtsform des eingetragenen Vereins ausgebildet. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive sind sie von diesen jedoch zu unterscheiden. Mit dem Begriff des Verbands wird vornehmlich der Zusammenschluss von Interessen-, Fach- und Berufsvereinigungen sowie Standesorganisationen verstanden, in denen sich Einzelpersonen, vornehmlich aber Organisationen oder auch Unternehmen zur Verfolgung gemeinsamer Ziele zusammenschließen können. Ob Verbände, die zwar als (möglicherweise sogar gemeinnützige) Vereine organisiert sind, Wirtschaftsunternehmen als Mitglieder haben und deren Interessen verfolgen, Akteure der Zivilgesellschaft darstellen, ist umstritten. Sie sind jedenfalls als Hybridorganisationen zu klassifizieren. In diesem Sinne können Verbände idealtypisch als Repräsentanten eines gesellschaftlichen Pluralismus verstanden werden, die die Vermittlung der Interessen zwischen Regierung, Parteien und den jeweiligen Interessengruppen unterstützen. Im Selbstverständnis eines pluralistischen Gemeinwesens erfüllen die Verbände so gesehen wertvolle Funktionen für das politische System. Demgegenüber ist die öffentliche Wahrnehmung der organisierten Interessensvertretungen eher kritisch konnotiert. Unter dem Stichwort des Lobbyismus werden die zum Teil sehr weitreichenden und selten transparent gehaltenen, von Außenstehenden als mächtig eingeschätzten Formen der Einflussnahme der verbandlichen Interessensvertreter auf den politischen Prozess problematisiert. Deren Einflussnahme orientiert sich ausdrücklich an den konkreten (Partikular-)Interessen der Verbandsmitglieder. Insbesondere, aber nicht ausschließlich finanzstarke wirtschaftliche Verbände haben in || 335 Vgl. Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika.
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diesem Sinne beträchtliche Spielräume, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Schon seit Jahrzehnten wird daher die „Herrschaft der Verbände“ beklagt. Sie prägen den typisch deutschen Korporatismus (siehe Kap. 3.5.2). Das Bild des traditionellen deutschen Korporatismus orientiert sich am Zusammenwirken zwischen Gesetzgeber, Verwaltung und Verbänden in der Erarbeitung von Regulierung und im Vollzug von Maßnahmen. Das Thema hat bis heute keineswegs an Aktualität verloren. Allerdings sind Verbände auch eine Schule der Demokratie, in der sich wie in den anderen Bereichen der Zivilgesellschaft die Volkssouveränität verwirklicht. Eine Sonderstellung nehmen die sogenannten Wohlfahrtsverbände ein. Diese vertreten im Bereich der Wohlfahrtspflege organisierte Interessen, erbringen als Anbieter sozialer Leistungen und Kontraktpartner aller staatlichen Ebenen aber auch in hohem Maße konkrete Dienstleistungen. Die sechs großen Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland (Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Caritasverband, Diakonisches Werk, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) sind in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) organisiert und fungieren ihrerseits als Dachverbände für zahlreiche rechtlich selbständige Organisationen. Durch Änderungen im Sozialhilfe- und Steuerrecht ist die Macht der Spitzenverbände in den letzten Jahren allerdings zurückgedrängt worden. Aus den besonderen Charakteristika dieser Verbände ergibt sich ein Spannungsverhältnis bei der Verfolgung ihrer Verbandsziele nach innen und außen: Einerseits ist es ihr erklärtes Ziel, ihre Attraktivität als Mitglieder-Organisationen zu stärken und perspektivisch neue haupt- und ehrenamtlich Aktive zu rekrutieren. Andererseits gilt es, ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt der sozialen Einrichtungen und Dienste zu erhalten und ihre Funktion als Interessenvertreter auf kommunaler, Landes-, Bundes- und EU-Ebene öffentlich wirksam wahrzunehmen. Sie müssen also zugleich als Dienstleister und Themenanwälte und als loyal und voice auftreten. Diese Doppelfunktion kann konfliktreich sein und setzt die betroffenen Verbände gelegentlich staatlichem Druck aus, für das Wohlwollen des Staates bei der Vergabe von Aufträgen auf kritische Stellungnahmen gegenüber staatlichen Maßnahmen zu verzichten. Zudem gibt es durchaus Konkurrenz zwischen einzelnen Organisationen, die demselben Spitzenverband angehören. Seit einiger Zeit wird die Forderung muslimischer Verbände nach einem eigenen Wohlfahrtsverband mit gleichen Rechten und Pflichten diskutiert. Dies ist bisher nicht nur an den Schwierigkeiten gescheitert, den muslimischen Verbänden einen den christlichen Kirchen und dem Judentum vergleichbaren Status zuzuerkennen, sondern auch an dem Argument, der Bedarf an sozialen Dienstleistungen werde für die Muslime durch die vorhandenen Wohlfahrtseinrichtungen bereits vollständig gedeckt. Überdies sehen sich die Wohlfahrtsverbände zunehmend der Konkurrenz von gewerblichen Anbietern gegenüber, deren Position unter anderem durch diverse Novellierungen von Bundesgesetzen und das europäische Gemeinschaftsrecht deutlich gestärkt worden ist. Auch der gesellschaftliche Wandel wirkt
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auf die Organisationsstrukturen ein, indem große Organisationen zunehmend Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Mitgliedern und ehrenamtlichen Helfern haben. Zu den Verbänden in einem weiteren Sinn gehören auch die Kammern (Ärztekammer, Notarkammer, Industrie- und Handelskammer usw.). Diese sind jedoch grundsätzlich nicht der Zivilgesellschaft zugehörig, da sie das Kriterium der freiwilligen Mitgliedschaft nicht erfüllen.
6.6.3 Die Stiftung Stiftungen gelten als wichtiger und traditioneller Teil der Zivilgesellschaft und haben in den vergangenen 30 Jahren an Bedeutung gewonnen, obwohl sie nicht unbedingt alle Merkmale einer zivilgesellschaftlichen Organisation uneingeschränkt erfüllen.336 Insbesondere fehlt es vielen Stiftungen an Autonomie, weil ihre Funktionsträger (Organe) von außen bestimmt werden. Hinter dem Begriff Stiftung verbergen sich in der Praxis überdies unterschiedliche Konstrukte. In der Öffentlichkeit wird eine Stiftung als eine Institution verstanden, die mit Hilfe eines von einem Stifter, einer Stifterin oder mehreren Stifterinnen und/oder Stiftern zur Verfügung gestellten Vermögens einen von diesen definierten, in der Regel (aber nicht notwendigerweise) dem Gemeinwohl gewidmeten Stiftungszweck verfolgt. Schon von jeher entspricht nur ein Teil der Stiftungen diesem Modell. Deutsche (ebenso wie andere europäische) Stiftungen nehmen vielmehr zahlreiche Funktionen war als 1. Sicherer von Vermögenswerten für einen bestimmten Zweck (Eigentümerfunktion), 2. Träger von Einrichtungen und Projekten (operative Funktion), 3. Unterstützer von fremden Einrichtungen und Projekten (Förderfunktion) und 4. Unterstützer von Personen in Not (mildtätige Funktion). Stiftung ist kein geschützter Rechtsbegriff. Stiftungen kommen vielmehr in unterschiedlichen Rechtsformen vor, von denen die rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts und die nicht rechtsfähige (= Treuhand-)Stiftung die häufigsten sind. Von einer Regelform und Ausnahmen davon kann jedoch nicht gesprochen werden. Eine Stiftung beispielsweise in der Form einer GmbH ist nicht weniger regelgerecht, sofern die wesentlichen Merkmale einer Stiftung erfüllt sind. Das wesentliche definitorische Merkmal einer Stiftung ist die Bindung der Tätigkeit an den bei der Gründung formulierten Stifterwillen. Wird dieses Merkmal nicht erfüllt, muss die Organisation als unechte Stiftung gelten. || 336 Siehe hierzu Strachwitz, Die Stiftung – ein Paradox?
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Während zwischen 1918 und 1945 die Zahl der Stiftungen in Deutschland drastisch zurückging, ist die Zahl der Neugründungen in Westdeutschland seit 1945, vor allem aber seit etwa 1980 immer stärker angestiegen. In Ostdeutschland wurden um 1953 fast alle bestehenden Stiftungen von Staats wegen aufgelöst. Nach 1990 setzten Neugründungen dort nur langsam ein. Die genaue Zahl der heute bestehenden Stiftungen ist unbekannt. Während sich die Zahl der rechtsfähigen Stiftungen (ca. 20.000), die der von den Ländern ausgeübten staatlichen Stiftungsaufsicht unterstehen, relativ leicht ermitteln lässt, gehen die Schätzungen zu den nicht rechtsfähigen (Treuhand-)Stiftungen (die nicht der Stiftungsaufsicht unterliegen) mit 20.000 bis 40.000 weit auseinander. Hinzu kommen rund 100.000 Kirchen- und Kirchenpfründe-Stiftungen, die nach außen nur selten in Erscheinung treten und daher häufig, aber unter systematischen Gesichtspunkten zu Unrecht nicht mitgezählt werden. (Die Zahl der Stiftungen in anderen Rechtsformen ist mit ca. 1.000 relativ klein.) Mit der quantitativen Gründungsdynamik geht eine Entwicklung einher, dass Stiftungen von der Politik, wenn Grenzen der staatlichen Leistungsfähigkeit erreicht werden, vermehrt als Chance gesehen wurden, Finanzierungslücken des Staates zu schließen. Diese Überlegung erklärt neben der aktiven Lobby-Arbeit des entsprechenden Verbandes am ehesten, warum die Stiftungen gegenüber den übrigen Formen von zivilgesellschaftlichen Organisationen in den steuerlichen Reformvorhaben der Jahre 2000 bis 2013 immer wieder privilegiert wurden. Erfüllt haben sich die damit verbundenen Erwartungen kaum. Zum einen blieb trotz der Steuervorteile die Summe der Stiftungsmittel für öffentliche Aufgaben im Verhältnis zu den Ausgaben des Staates minimal. Zum anderen nahm im gleichen Zeitraum die Bereitschaft der Stiftungen, staatliche Aufgaben mitzufinanzieren, kontinuierlich ab, weil Stiftungen immer mehr eine eigene Agenda entwickelten, die sich eher an zivilgesellschaftlichen Zielen orientierte. Zudem sind insbesondere die operativen Stiftungen keine Geldgeber. Sie betreiben Krankenhäuser, Museen und Universitäten, generieren Initiativen und Projekte und erheben immer häufiger den Anspruch, als agenda setters gesellschaftliche Impulse zu geben. Stiftungen haben keine Mitglieder, Stiftungen bürgerlichen Rechts darüber hinaus auch keine außenstehenden Eigentümer. Sie bestehen, um den Willen ihrer Stifter zu erfüllen. Ein ständiger Willensbildungsprozess findet insoweit nicht statt. Jede Stiftung bedarf deshalb einer bei ihrer Gründung formulierten Idee und in der Regel auch der materiellen Ressourcen, um diese zu verwirklichen. Allerdings müssen die Ressourcen nicht notwendigerweise in Erträgen eines Vermögens bestehen. Jede Stiftung bedarf eines eigenen Vertretungsorgans, sofern sie nicht als Treuhandstiftung von einem externen Treuhänder vertreten wird. Wie dieses Vertretungsorgan, in der Regel, aber nicht notwendigerweise Vorstand genannt, zusammengesetzt ist und ins Amt kommt, regelt für die Stiftungen bürgerlichen Rechts die Satzung; für Stiftungen in der Form der Kapitalgesellschaft gelten naturgemäß die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Zur Kontrolle des Vorstands können
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weitere Organe, beispielsweise ein Stiftungsrat, bestellt sein. In der Gestaltung der Aufbauorganisation ist im Übrigen ein Stifter wesentlich freier als es etwa Vereinsgründer sind337. Stifter können Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, Vereine oder sogar Bund, Länder und Gemeinden sein. In Ausnahmefällen kann die Stiftung selbst wiederum eine Stiftung gründen. Eine relativ neue Entwicklung im Stiftungswesen bilden die Bürger- und Gemeinschaftsstiftungen. Sie knüpfen an die Jahrhunderte alte Tradition an, „der Vaterstadt“ oder „der alma mater“ etwas zu stiften. Bürgerstiftungen verbinden in der Regel Stiftungs- mit Vereinsmerkmalen, indem sie einen größeren Kreis von Spendern und Zustiftern, gelegentlich auch von aktiven Helfern in ihre GovernanceStruktur einbinden. Andererseits achten sie auf Unabhängigkeit von politischen Strukturen in ihrem Einzugsbereich (meist der Gemeinde, manchmal auch dem Stadtteil, Landkreis oder Land). Gemeinschaftsstiftungen lehnen sich meist eng an die Organisation an, die sie mithilfe möglichst vieler Spender und Zustifter unterstützen wollen.
6.6.4 Die gemeinnützige Kapitalgesellschaft Kapitalgesellschaften (GmbH, AG, UG haftungsbeschränkt, SE) gelten als Inbegriff von Wirtschaftsunternehmen. Wie sehr diese Auffassung in der Öffentlichkeit verankert ist, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass gemeinnützigen GmbHs weniger gern gespendet wird als etwa Vereinen. In Wirklichkeit stellt jedoch die Kapitalgesellschaft ein Organisationsmodell dar, das auch in für zivilgesellschaftliche Organisationen befriedigender Weise Verantwortlichkeiten, Publizitätspflichten und andere Einzelheiten regelt, die dann von großer Bedeutung sind, wenn die Organisation einen Betrieb unterhält. Die heute am häufigsten vertretene Form ist die gemeinnützige GmbH. Seit 1994, als durch die Einführung der „kleinen AG“ diese Rechtsform auch für kleinere Unternehmungen attraktiv wurde, wird der Form der gemeinnützigen AG mehr Beachtung geschenkt, wobei ihre Bedeutung in Deutschland mit weniger als 100 gAGs nach wie vor marginal ist. Seit ihrer Einführung kommt auch die Unternehmergesellschaft (UG haftungsbeschränkt) als Rechtsform einer Stiftung in Betracht. Der für Kapitalgesellschaften relevanteste Unterschied zu anderen Rechtsformen zivilgesellschaftlicher Organisationen ist das mit der „Steuerbegünstigung“ einhergehende Gewinnausschüttungsverbot, da Gewinn meist als Hauptmerkmal von Kapitalgesellschaften verstanden wird. Der Verzicht auf die Ausschüttung ist daher notwendiger Satzungsinhalt. Eigentümer einer GmbH sind die Gesellschafter. Sie halten die Gesellschaftsbeteiligungen als Vermögenswert. Die Schaffung weiterer Gesellschaftsrechte ebenso || 337 Vgl. Strachwitz, Stiftungen. Nutzen, führen und errichten.
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wie die Übertragung der bestehenden Rechte auf andere Gesellschafter unterliegt qualifizierten Voraussetzungen. Aufgrund ihrer Bindung an die Gesellschafter bietet sich die GmbH daher insbesondere dann an, wenn der Gesellschafterkreis gar nicht oder nur selten wechseln soll. Die Gesellschafter sind auch die Entscheidungsträger für alle wesentlichen Fragen der Geschäftstätigkeit und Organisation der GmbH. Sie sind es, die die Geschäftspolitik bis hin zu Einzelfragen bestimmen können. Insbesondere steht ihnen ein uneingeschränktes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung zu. Es spricht daher für die Errichtung einer GmbH, wenn sich ein kleiner Kreis privater Initiatoren auf Dauer Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten erhalten möchte. Die Kombination der für Kapitalgesellschaften einerseits, für steuerbegünstigte Körperschaften andererseits geltenden Rechtsvorschriften hat folgende Auswirkungen: – Die im GmbH- und Aktiengesetz obligatorischen Organe und Mitbestimmungsprozesse bedingen ein Mindestmaß an Professionalisierung. Bei der AG gilt, anders als bei der GmbH, der Grundsatz der formellen Satzungsstrenge, der wenig Spielraum für die Gestaltung der inneren Strukturen lässt. Beide Organisationsformen kennen eine Trennung zwischen Geschäftsführung und Gesellschafterinteressen. In der gAG bestellt und entlässt der von der Hauptversammlung gewählte Aufsichtsrat den Vorstand, während dies bei der gGmbH direkt über die Gesellschafterversammlung erfolgt. Damit ist der Vorstand einer gAG weniger den Aktionären, sondern mehr der Unternehmung verpflichtet. Die lediglich indirekte Mitbestimmung der Aktionäre ermöglicht eine höhere Kontinuität in der Geschäftsführung im Vergleich zur gGmbH. Diese klar definierten Führungsund Kontrollstrukturen begünstigen nicht nur die Professionalisierung, sondern auch die Transparenz der Organisation. – Anders als der Verein und die Stiftung sind Kapitalgesellschaften zu einer doppelten Buchführung verpflichtet. Am Jahresende müssen sie ihre Bilanzen sowie ab einer gewissen Größe auch ihre Gewinn- und Verlustrechnung offenlegen. Die Jahresabschlüsse sind im elektronischen Handelsregister zu hinterlegen und öffentlich einsehbar; sie erlauben somit Gesellschaftern wie potenziellen Interessenten einen Einblick in die Organisation. Dieser offene Umgang mit der Mittelverwendung ist in der Zivilgesellschaft zurzeit noch selten. Die Offenlegungspflicht besteht allerdings auch für Vereine und Stiftungen, die Wirtschaftsbetriebe unterhalten. Über eine Verbesserung der Transparenz wird seit längerer Zeit diskutiert.
6.6.5 Die Genossenschaft Die Genossenschaftsidee ist im 19. Jahrhundert entstanden und geht in Deutschland auf Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) und Hermann Schulze-Delitzsch
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(1808–1883) zurück. „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele“ ist ein Zitat, das Raiffeisen zugeschrieben wird und das durchaus mit normativen Grundsätzen der Zivilgesellschaft kompatibel erscheint. Darin kommt auch heute noch die Gründungsmotivation zum Ausdruck. Die seit der 2006 erfolgten Novellierung des Genossenschaftsgesetzes wieder zahlreicheren Neugründungen umfassen bspw. Energiegenossenschaften und Dorfläden, die regelmäßig auf zivilgesellschaftliches Engagement zurückgehen. Dennoch sind Genossenschaften nicht rundweg der Zivilgesellschaft zuzurechnen, da sie überwiegend wirtschaftliche Ziele verfolgen und zum Teil auch Gewinne an Mitglieder ausschütten. Sie können jedoch, sofern entsprechende Satzungsbestimmungen bestehen, als gemeinnützig im steuerlichen Sinn anerkannt werden. Der Zusammenhang zwischen Zivilgesellschaft und Genossenschaft wird durch die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Genossenschaft deutlich. Diese ist in erster Linie ein ökonomisches, soziologisches und sozialethisches Gebilde. Der Erfolg von Genossenschaften ist insoweit von dem wirtschaftlichen Zweck und vom persönlichen Engagement der Mitglieder abhängig. Genossenschaften sind demgemäß Unternehmungen, in denen sich Personen zusammenschließen (Personenvereinigung), die gleichzeitig einen Geschäftsbetrieb unterhalten. Der Internationale Genossenschaftsbund (IGB) definiert Genossenschaften als freiwillige autonome Personenvereinigungen, die versuchen, mithilfe eines gemeinsam getragenen und demokratisch kontrollierten Unternehmens die gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse ihrer Mitglieder zu erfüllen. Die Genossenschaft verfolgt keine eigenen wirtschaftlichen Ziele, sondern wird tätig, um den Lebensunterhalt oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange zu fördern und zu unterstützen. Sie versteht sich als Selbsthilfeeinrichtung. Ihr Ziel ist die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder, nicht die Gewinnmaximierung: member value statt shareholder value. Der Gewinn bleibt meistens, aber nicht immer in der Genossenschaft und wird in den Geschäftsbetrieb reinvestiert. Menschen oder Betriebe schließen sich freiwillig zusammen, um ihre Ziele gemeinsam besser zu erreichen. Sie können jederzeit ihre Mitgliedschaft kündigen und erhalten die eingezahlten Geschäftsanteile zurück. Zu den Aufgaben, die aus dem Lebenszusammenhang der Gemeinwesen resultieren, zählen z.B. Wohnen, Wohnumfeld, Kinder- und Altenbetreuung, Bildung, Kultur, nahräumliche Versorgung, Transportwesen, Umweltschutz und personenbezogene Dienstleistungen. Auf diesen Tätigkeitsfeldern können Sozialgenossenschaften gegründet werden. Genossenschaften gelten als besonders geeignete Unternehmensform, da für eine Gründung kein Gründungskapital erforderlich ist. Außerdem orientieren sie sich an den Potenzialen der Menschen und an basisdemokratischen Zielsetzungen. Zusammenfassend können die Genossenschaftsprinzipien auch als Grundwerte der demokratischen Zivilgesellschaft angesehen werden. Die Tatsache, dass Genossenschaften heute verstärkt als ZGO ins Blickfeld rücken, ist
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aber auch Ausdruck davon, dass hybride Organisationen zwischen Markt und Zivilgesellschaft an Bedeutung gewinnen.
6.7 Netzwerke Die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft als Arena autonomer, selbst ermächtigt handelnder Akteure gründet sich unter anderem auf deren Netzwerkcharakter. Freiwillig zustande gekommene Netzwerke sind seit dem Erlöschen einer ausschließlich auf familiären oder Stammes-Bindungen aufgebauten Gesellschaft (vor rund 2.500 Jahren) eine Gelingensbedingung der gesellschaftlichen Ordnung und, wie Robert Putnam herausgearbeitet hat, die Voraussetzung für eine funktionierende Staatsverwaltung und einen funktionierenden Markt338. Nur dort, so Putnam, wo ein Geflecht informeller sozialer Netzwerke eine hierarchiearme Kommunikation und die freie Entwicklung von Vertrautheit und Vertrauen ermöglicht, kann eine freiheitliche Demokratie überhaupt bestehen. Der im Staat trotz parlamentarischer Kontrolle extremen, aber auch in der Wirtschaft vorherrschenden Handlungslogik der Hierarchiebildung wird hier eine heterarchische oder jedenfalls hierarchiearme Handlungslogik gegenübergestellt, die bewusst auf dem Prinzip der Spontanität aufbaut und Instabilität und Volatilität in Kauf nimmt. Grundsätzlich sind Netzwerke in der Regel der Zivilgesellschaft zuzurechnen. Im Anschluss an Manuel Castells339, der ganz generell von einer Netzwerkgesellschaft spricht, fordert Friedrich Fürstenberg die „Einbindung von Netzwerken in einen umfassenden Institutionalisierungsprozess global relevanten Handelns unterschiedlichster Akteure“340. Auch die Europäische Kommission hat schon 1996 die EU-Institutionen aufgefordert, ihre Interaktion und Vernetzung mit Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und einer Vielzahl von Benutzergruppen zu stärken. Jeremy Rifkin fasst dies in den Begriff der „polyzentrischen Regierungsform“: „Für den polyzentrischen Regierungsstil sind der kontinuierliche Dialog und Verhandlungen zwischen allen Mitwirkenden in den vielen, stets sich ändernden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Netzwerken charakteristisch. Der neue Politikertyp ist eher ein Vermittler als ein Befehlshaber. An die Stelle von Kommandos tritt die Koordination.“341 Wegen dieser klaren Indikatoren gegen starre Hierarchien und damit für die Bedeutung von Netzwerken in politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen werden heute Netzwerke in erster Linie als Alternative zum Staat und Merkmal der Zivilgesellschaft und der neu entstehenden Hybridzonen zwischen Zivilgesellschaft || 338 Vgl. Putnam, Making Democracy Work. 339 Vgl. Castells, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. 340 Fürstenberg, Die Bürgergesellschaft im Strukturwandel, S.149. 341 Rifkin, Der europäische Traum, S. 244.
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und Markt einerseits und Zivilgesellschaft und Staat andererseits gesehen. Insoweit ist die zunehmende Akzeptanz von Netzwerken als Bindungs- und GovernanceInstrumente nicht nur als Ergebnis der Akzeptanzkrise überkommener Ordnungen, sondern auch als „Verzivilgesellschaftung“ des öffentlichen Miteinanders zu interpretieren. Netzwerke werden gerade auch von dessen Mitgliedern ausdrücklich als Gegenbewegung zu als überholt angesehenen Strukturen und als Bereicherung des eigenen Lebensentwurfs gesehen. Sich als Beteiligter an einem oder mehreren Netzwerken zu sehen, heißt für viele, sich von wettbewerbsbestimmten ebenso wie von hierarchischen Strukturen bewusst abzusetzen. Das Konzept des die Durchsetzung des ‚Ich‘ über alles stellenden homo oeconomicus, der im Sinne von Thomas Hobbes der strengen Aufsicht durch eine machtvolle öffentliche Gewalt unterworfen werden muss, wird bewusst aufgegeben und macht einem kooperativen Zusammenspiel gleichrangiger Akteure Platz. Traditionell auch mit geographischer Nähe verbunden, wird diese heute nicht selten durch virtuelle Nähe substituiert. Hier allerdings ist in der Beurteilung Vorsicht geboten. Missverständlich ist schon die Bezeichnung social network (Soziales Netzwerk), die im Grunde nur sehr allgemein ein gesellschaftliches Phänomen bezeichnet, aber durch die Doppelbedeutung des Wortes „sozial“ leicht eine normativ begrüßenswerte, „gute“ Qualität annimmt. Beispiele für das Gegenteil häufen sich seit einiger Zeit. Und nicht überall, wo Netzwerk draufsteht, ist in diesem Sinne Netzwerk drin. So kann manchen, sich selbst als Netzwerk bezeichnenden, sehr losen Verbindungen zwischen Menschen und Institutionen kaum ein echter Netzwerkcharakter zugeschrieben werden, da diese nicht über Knotenpunkte verfügen und daher nicht jenes Minimum an Kontinuität besitzen, das für das Funktionieren eines Netzwerks unerlässlich ist. Auch weisen seine Teilnehmer nicht notwendigerweise jene Verantwortlichkeit für ihr Netzwerk auf, die erst dessen Akzeptanz ermöglicht. Und wenn auch Netzwerke definitionsgemäß nicht mit den autoritativen Führungsstrukturen ausgestattet sind, die Institutionen eigen sind, so ist doch eine Governance-Struktur, die sich in einem Verfahren für den Eintritt, den Umgang mit den Partnern, die Einigung auf unabdingbare Verfahrensmodalitäten und den Austritt bezieht, erfolgsentscheidend. Netzwerke können in der Tat dazu verführen, sich als Teilnehmer treiben zu lassen, weil Fehlverhalten kaum Sanktionen nach sich zieht. Nutzen bringen sie aber nur, wenn jeder Teilnehmer sich als Knotenpunkt begreift, sein ‚Ich‘ in dieser Struktur entwickelt und von daher das Netzwerk aktiviert. Wenn Netzwerke gern als definitorisches Merkmal von Zivilgesellschaft in Abgrenzung von Staat oder Markt herangezogen werden, liegt darin zugleich eine Ambivalenz. Kritik richtet sich zudem gegen die mangelnde demokratietheoretische Legitimität von Netzwerken. Der Beobachtung, dass manche Menschen sich nichts sehnlicher wünschen, als in ein solches Netzwerk aufgenommen zu werden, steht der nicht grundlose Vorwurf gegenüber, Netzwerke verhinderten systematisch einen transparenten und leistungsbedingten Zugang zu einflussreichen Positionen. Sie dienen, so wird argumentiert, der Abkapselung von Eliten gegen partizipatorische
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Prozesse. Netzwerke von Absolventen elitärer Internate und „Alte Herren“ von studentischen Korporationen, im englischen mit eindeutig negativer Konnotation old boys networks genannt, würden – so die nicht durchweg unberechtigte Kritik – ebenso wie Rotary-, Golf- oder Tennis-Clubs die Chancengleichheit von Bürgern und Bürgerinnen beim Durchsetzen von Ideen ebenso wie beim Erlangen von geschäftlichen Aufträgen, Arbeitsplätzen oder gesellschaftlicher Reputation verhindern. Ähnlichen Vorwürfen sahen und sehen sich als abgeschlossen geltende Gruppierungen, etwa Freimaurer oder religiöse oder ethnische Minderheiten, ausgesetzt. 100 Jahre nach Ausrufung der deutschen Republik wird dieser Vorwurf heute ebenso gegen den historischen Adel erhoben, der nach Auffassung vieler nach wie vor eine Kaste bildet, in die man nicht eindringen könne, deren Mitglieder untereinander heiraten, sich gegenseitig zum Erfolg verhelfen und einen ungerechtfertigten Einfluss auf die Gesellschaft insgesamt ausüben. Auch die meist wohlhabenden Unternehmer und Eigentümer großer Unternehmen werden von außen als abgeschlossenes Netzwerk gesehen, die Vorstände großer Publikumsgesellschaften ebenso. Netzwerke („Seilschaften“) werden in Parteien und Kirchen, Gewerkschaften und vielen anderen Zusammenhängen vermutet. Zwischen der demokratiefördernden und der schädigenden Wirkung von Netzwerken besteht insoweit eine Dichotomie, die ernst zu nehmen ist, weil in öffentlichen Debatten die Zivilgesellschaft insgesamt mit dieser Gegenposition konfrontiert wird. Zur Demokratieverträglichkeit können – so wird versucht, diese Dichotomie zu überbrücken – Kriterien für Netzwerke beitragen, die eine Struktur mit formalisierten Meinungsbildungsprozessen und öffentlicher Verantwortlichkeit aufweisen und nicht persönlich gebildet und intransparent erscheinen. Diese Abschichtung klingt idealtypisch zunächst plausibel, scheitert aber an einigen entscheidenden Einwänden: 1. Durch das Augenmerk auf Netzwerke wird einer korporativen Institutionalisierung zu Lasten spontaner kreativer Aktion als ebenso wesentlichem Merkmal von Zivilgesellschaft das Wort geredet, da bei letzterer das personale Element überwiegt. Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen haben zumindest zu Beginn regelmäßig den Charakter eines personalen Netzwerks. 2. Diese Unterscheidung blendet die Erfahrung aus, dass gerade große institutionelle Netzwerke regelmäßig erheblich größeren Einfluss, wenn nicht gar Druck auf allgemeine Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse ausüben. Der eher berüchtigte traditionelle deutsche Korporatismus wäre dadurch legitimiert, das unmittelbare, oft spontane bürgerschaftliche Engagement dagegen diskreditiert. 3. In Anlehnung an Putnam342 ließe sich mit dem durch die Netzwerke produzierten sozialen Kapital argumentieren. Putnam unterscheidet zwischen bonding und bridging social capital, also zwischen dem Sozialkapital, das bestehende || 342 Vgl. Putnam, Making Democracy Work.
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Gruppen immer enger zusammenführt und von anderen abhebt, und dem, das durch aktive Öffnung gegenüber Fremden integrativ wirkt. Das Ethos der guten Zivilgesellschaft würde sich schnell für Letzteres entscheiden, doch dies wird nicht immer der Realität gerecht und qualifiziert vorschnell Akteure ab. So kann es gut sein, dass eher traditionelle Netzwerke homogener Gruppierungen mehr zum sozialen Kitt einer Gesellschaft beitragen als solche, die sich wohlmeinend auf Integration unterschiedlicher Teilnehmer konzentrieren, darüber hinaus aber wenig Einfluss und Kohärenz haben. 4. Im Hinblick auf deren Einfluss lässt sich überlegen, ob zwischen institutionellen und funktionalen Netzwerken unterschieden werden kann. Zu den ersteren gehören beispielsweise Brauchtumsverbände, die nicht primär dafür bestehen, dass sie bestimmte Ziele in die Gesellschaft hineintragen, sondern eher Gleichgesinnte zusammenbringen wollen. In ihnen wird zivilgesellschaftlicher Mehrwert in sehr viel höherem Maße produziert; ihre gesellschaftsbildende Bedeutung ist also größer als die von Netzwerken, die ein in der Gesellschaft durchzusetzendes Ziel verfolgen. Sehr befriedigend ist allerdings auch diese Abschichtung nicht, denn die Grenzen sind schwer auszumachen; Binnensicht und Außensicht klaffen zum Teil erheblich auseinander. Letztlich müssen Stärke und Einfluss von Netzwerken aus ihrer tatsächlichen Leistung und Wirkung beurteilt werden. Es ist nicht zu übersehen, dass alle Abschichtungsversuche letztlich an der Realität des 21. Jahrhunderts vorbeigehen. In den letzten Jahren sind besonders die ITgestützten Netzwerke unbeschadet ihres überwiegend gewinnorientierten Charakters zu Katalysatoren der Zivilgesellschaft geworden. Die kommunikative Revolution der vergangenen 20 Jahre hat bewirkt, dass Bürgerinnen und Bürger miteinander in nie gekanntem Maße in Kontakt treten können. Schon das Telefon bedeutete diesbezüglich eine neue Qualität gegenüber der schriftlichen Korrespondenz. Die fast ungehinderte weltweite Verbindungsaufnahme per E-Mail, SMS, Skype, Facebook, Twitter, Festnetz- oder Mobil-Telefon, Fax usw. hat dazu geführt, dass Texte, Dialoge, feste und bewegliche Bilder zeitidentisch um die Welt gehen, ohne dass irgendeine Autorität dies steuern oder wirksam begrenzen könnte. Für die Zivilgesellschaft hat dies zur Folge, dass sich schneller als je zuvor, oft ganz und gar spontan, globale Netzwerke bilden lassen, die eine Regulierung des Eintritts durch die hoheitliche Gewalt oder andere Torwächter weder dulden noch erforderlich machen. Selbst aus Gesellschaftssystemen, die sich um größtmögliche Kontrolle und Unterdrückung bemühen wie dem Iran oder China dringen über solche Netzwerke Informationen nach außen und können weltweit von Sympathisanten aufgenommen und verarbeitet werden. Die deliberativen und advokatorischen Komponenten der Weltgesellschaft, die sich auf Netzwerke dieser Art stützen und ständig an Einfluss auf politische und wirtschaftliche Entscheidungen gewinnen, sind einerseits aus unserer Öffentlichkeit nicht mehr wegzudenken, andererseits ohne die heute verfügbaren
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technischen Kommunikationsnetzwerke auch nicht denkbar. Allerdings haben die Stärken von Netzwerken, d.h. insbesondere ihre größere Flexibilität und ihre kreativitätsfördernde Wirkung, sie angesichts des Vertrauensverlusts in hierarchische Strukturen zu einem – eventuell gelegentlich überschätzten, aber jedenfalls ernsthaften – strukturellen Wettbewerber heranreifen lassen.
6.8 Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen Bürgerinitiativen als flexibles Instrument zur Gestaltung des Gemeinwesens haben in den vergangenen Jahrzehnten erheblich an Popularität gewonnen. Konnte noch 1974 gesagt werden: „Bürgerinitiativen – ein neues Wort. Vor zehn Jahren war es noch unbekannt“, nehmen heute Zusammenschlüsse wie die „Bürgerinitiative Leben in Stuttgart“ als Organisator des Aktionsbündnisses gegen das Projekt Stuttgart 21 eine prominente Rolle ein. Zunehmend prägen diese Bewegungen – nicht zuletzt in der Form der Protestbewegung – das Gesicht der Zivilgesellschaft. Sie leisten überdies einen wichtigen und in seiner Bedeutung zunehmenden Beitrag zur Kontrolle der gewählten Volksvertreter und zur Belebung des politischen Klimas, indem sie schwierige Themen aufgreifen und in das Bewusstsein der Allgemeinheit rücken. Kritiker rügen neben fehlender demokratischer Legitimation ihren Dramatisierungszwang, die nahezu ausschließliche Verarbeitung aktueller und vorwiegend ortsnaher Probleme sowie die Gefahr des Durchgriffs von Einzelinteressen. Manche Autoren charakterisieren Bürgerinitiativen zudem als Verhinderungsallianzen, die auf die bloße Erhaltung des status quo, nicht aber auf die zukunftsorientierte Gestaltung des Gemeinwesens ausgerichtet sind. Diese Kritik ist nicht insgesamt von der Hand zu weisen, doch wird sie häufig dazu missbraucht, die vorgetragenen Anliegen und Argumente zu desavouieren. Insbesondere geht das Argument der fehlenden Legitimität insoweit ins Leere, als diese nach allgemeinen Grundsätzen demokratischen Verhaltens nur für Entscheidungen zwingend erforderlich ist, die sich auf alle auswirken, nicht aber für den Vortrag von Argumenten in der Entscheidungsfindung. Tatsächlich sind Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen im zivilgesellschaftlichen Modus des voice unterwegs und üben eine Themenanwalts- und/oder Wächterfunktion aus. Ohne ausdrückliche Verwendung des Begriffs sind Bürgerinitiativen nahezu untrennbar mit dem sozialen Zusammenleben der Menschen verknüpft und spiegeln die kulturellen Traditionen dieses Zusammenlebens ebenso wider wie neue, gelegentlich sehr modische Herausforderungen an die Gesellschaft. In organisierter Form gibt es sie zumindest seit dem ausgehenden Mittelalter. So sieht sich bspw. die Pforzheimer Löbliche Singergesellschaft von 1501, die zur Bestattung von an der Pest verstorbenen Mitbürgern gegründet wurde, als „eine der ältesten lokalen Bür-
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ger-Initiativen Deutschlands“343. Der Ursprung von Bürgerinitiativen als Instrument politischer Willensbildung wird demgegenüber in Deutschland meist in den 1950er Jahren gesehen (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Ostermarschbewegung, Studentenbewegung usw.). Die ersten umweltpolitischen Bewegungen gründeten 1972 den Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und leisteten damit einen wesentlichen Beitrag zur Verankerung der Bürgerinitiativenbewegung in Deutschland. Diese Bewegungen zeichnen sich oft dadurch aus, dass unterschiedliche Akteure (Vereine, Initiativen, Verbände), die sich derselben oder einer ähnlichen zivilgesellschaftlich relevanten Thematik widmen, durch gemeinsame Mobilisierungs- und Handlungsstrategien eine Wirkung erzeugen, die über die Summe der Wirkung der einzelnen Organisationen oder gar Initiatoren hinausgeht. Ziel ist das Sichtbarmachen oder die Lösung eines konkreten Problems oder die Etablierung einer alternativen Verhaltensweise in der Gesellschaft. „Soziale Bewegungen reklamieren und steigern die Selbstgestaltungsfähigkeit von Gesellschaften.“344 Zu den bekanntesten Beispielen für Bewegungen zählen etwa die Friedensbewegung, die Ökologiebewegung, die Frauenbewegung, die Lesben- und Schwulenbewegung oder die Menschenrechtsbewegung (siehe Kap. 3.2). Dabei muss die politische Richtung, in die die Gesellschaft durch die Bewegung geführt werden soll, nicht notwendigerweise progressiv oder „links“ sein. Auch rechtsextreme Gruppierungen können die Begriffsmerkmale einer Bewegung erfüllen. Die Begriffe „Bürgerinitiative“ und „Soziale Bewegung“ trennscharf zu definieren, fällt schwer. Sie lassen sich beide als spontane, zeitlich in der Regel, aber keineswegs immer begrenzte, organisatorisch lockere Zusammenschlüsse von Bürgerinnen und Bürgern beschreiben, die sich außerhalb der traditionellen Institutionen und Beteiligungsformen der repräsentativen Parteiendemokratie zumeist aus konkretem Anlass als unmittelbar Betroffene zu Wort melden und sich, sei es im Wege der Selbsthilfe, sei es im Wege der öffentlichen Meinungswerbung und der Ausübung politischen Drucks, um Abhilfe im Sinne ihres Anliegens bemühen. Zwei Ausformungen lassen sich relativ gut unterscheiden: Einerseits gibt es Initiativen, die darauf ausgerichtet sind, ganz konkret und aus eigener Kraft heraus im Wege der Selbsthilfe das eigene soziale Umfeld zu gestalten (bspw. Nachbarschaftsinitiativen zur Gestaltung der eigenen Straße, Elterninitiativen zur Errichtung eines Spielplatzes, Senioreninitiativen zur Organisation des gemeinschaftlichen Wocheneinkaufs). Diese Bürgerinitiativen sind von ihrem Aktionsradius her meist so begrenzt, dass sie nicht im Interesse der weiteren Öffentlichkeit stehen. Sie sind überwiegend der Hirschmanschen Gruppierung loyal zuzuordnen. Andererseits gibt es Bürgerinitiativen, die ausdrücklich darauf abzielen, Einfluss auf den politischen
|| 343 www.loebliche-singer-pforzheim.de/wir-ueber-uns 344 Roth/Rucht, Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, S. 14.
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Willensbildungsprozess zu nehmen, indem sie durch das Sammeln von Unterschriften, Protestaktionen, Demonstrationen oder Petitionen intensive Öffentlichkeitsarbeit betreiben und politischen Druck ausüben (bspw. die Bürgerinitiative Leben in Stuttgart). Die inhaltliche Ausrichtung dieser sozialen Bewegungen ist sehr vielfältig. Sie gehören fast ohne Ausnahme der Gruppierung voice an. Zu nennen sind insbesondere Themen wie Bau- und Straßenplanung, Gebietsreformen, Umweltund Denkmalschutz. Interessant sind in diesem Zusammenhang die seit einigen Jahren neuen pro-europäischen Bewegungen sowie die Initiativen zugunsten einer Willkommenskultur gegenüber geflüchteten Menschen und Migranten, da sie voice und loyal zugleich sind. Sie unterstützen und verteidigen den Konsens der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger und politischen Parteien gegen Minderheits- oder Extrempositionen. Von politischen Parteien, die ein umfassendes Programm zur Gestaltung des Gemeinwesens entwickeln, unterscheiden sich Bürgerinitiativen durch ihre inhaltliche Beschränkung auf in der Regel eine konkrete Problematik. Sie werden daher auch Einzweckbewegungen (single purpose movements) genannt. Zumindest die Partei Bündnis 90/Die Grünen und bereits im 19. Jahrhundert auch die SPD sind jedoch aus Bewegungen dieser Art hervorgegangen und haben sich zu Parteien weiterentwickelt, die zu allen relevanten politischen Fragen Positionen artikulieren. Die Besonderheit nahezu jeder Bewegung besteht darin, dass ihre Abgrenzung zu anderen Bewegungen oft nur schwer möglich ist. Zum Protest gegen ein bestimmtes politisches Programm oder zur dessen Unterstützung finden sich oft Initiativen und Bewegungen mit ursprünglich sehr unterschiedlichen Zielen als politische Sympathisanten zusammen, nicht selten auch mit etablierten Organisationen wie Gewerkschaften und Parteien. Eine formale Mitgliedschaft ist den Bewegungen in der Regel fremd. Doch können die Akteure nur dann mobilisiert werden, wenn sie sich der Bewegung zugehörig fühlen. Unklare Grenzziehungen schwächen die Sichtbarkeit und Schlagkraft der Bewegung und können zu erheblichen Reibungsverlusten mit anderen Bewegungen führen, deren Zielsetzung ähnlich, aber nicht identisch ist. Die Wirkung ist nach Roland Roth vielfach ein „erfolgreiches Scheitern“345. Oft gelingt es einer Bewegung zwar, eine bestimmte Problematik in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Weitergehende Schritte, etwa zur Veränderung der geltenden Rechtslage, können jedoch mangels Kohärenz und Sachkenntnis nicht in jedem Fall gegangen werden. Manchen Bürgerinitiativen ist dies wohl bewusst; in Einzelfällen ist dort eine hohe Sachkompetenz und Argumentationsstärke entwickelt worden. Sie sind darauf ausgerichtet, über den öffentlichen Diskurs Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung zu nehmen. Eine unmittelbare Gestaltung des politischen Prozesses ist ihnen auf dem Wege eines Volksbegehrens (auf kommunaler Ebene meistens in || 345 Vgl. Roth, Erfolgreiches Scheitern?
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Form eines Bürgerbegehrens) in Einzelfällen möglich. In der Europäischen Union ist durch den Vertrag von Lissabon ausdrücklich die Europäische Bürgerinitiative als Instrument der direkten Demokratie aufgenommen worden. Mithilfe dieses Initiativerfahrens können die Unionsbürger bewirken, dass sich die Europäische Kommission mit einem Thema auseinandersetzt. In der Regel verzichten Bürgerinitiativen darauf, sich formell zu verfassen. Dies erscheint insofern verlockend, als ein unverzügliches Agieren möglich ist und keinerlei gesetzlichen Gründungsanforderungen zu berücksichtigen sind. Gefördert werden diese unselbständigen bürgerschaftlichen Zusammenschlüsse zudem durch die Länder, die zum versicherungsrechtlichen Schutz bürgerschaftlich Engagierter in unterschiedlichem Umfang Sammelversicherungsverträge abgeschlossen haben. Die weitgehenden Steuervorteile, die der Gesetzgeber gemeinnützigen Körperschaften einräumt, bleiben diesen Initiativen jedoch verwehrt. Soziale Bewegungen, die nachhaltig tätig sein wollen, kommen daher um eine formelle Verfassung meist nicht herum. Die Bedeutung von Bürgerinitiativen wird in den kommenden Jahren erwartbar zunehmen. Damit politikfernere Bürger und Bürgerinnen die Initiative ergreifen können, bedarf es allerdings nach Auffassung mancher Autoren unterstützender Strukturen. Ein Beispiel dafür ist die Methode des Community Organizing. Community organizers, zu deren berühmtesten Vertretern Barack Obama am Beginn seines Berufslebens zählt, zielen darauf ab, Bewohner zu befähigen und zu bestärken, ihr eigenes Leben, das gesellschaftliche Zusammenleben und damit das öffentliche Leben gemeinsam mit anderen zu gestalten und zu entwickeln, d.h. persönlich und öffentlich politisch handlungsfähig zu werden346.
6.9 Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Zwar verbietet sich an dieser Stelle eine ausführliche Würdigung dieser im Allgemeinen wenig bekannten Rechtsform. Eine kurze Erwähnung erscheint jedoch notwendig, weil zivilgesellschaftliche Bewegungen und Initiativen nicht selten diese Rechtsform haben, ohne dass deren Mitglieder dies überhaupt wissen. Sie entsteht nämlich automatisch dann, wenn ein nachhaltiges gemeinsames Wirken einer Gruppe erkennbar wird. Dazu bedarf es keiner formellen Verfassung oder Konstituierung. Dies kann erhebliche Konsequenzen haben, bspw. wenn die Mitglieder gemeinschaftlich zur Haftung für das Verschulden eines Mitglieds herangezogen werden. Die GbR kann sich eine Satzung geben und darin Verantwortlichkeiten und Haftungsausschlüsse regeln. Den steuerlichen Status der Gemeinnützigkeit kann sie als Personengesellschaft nicht erlangen; dennoch gehören GbR, sofern sie die all-
|| 346 Siehe hierzu Penta (Hrsg), Community Organizing.
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gemeinen Kriterien dafür erfüllen, zur Zivilgesellschaft. Viele korporative Akteure der informellen oder spontanen Zivilgesellschaft treten bewußt oder unbewußt als GbR auf.
Ergänzende Literatur Freise/Zimmer (Hrsg.), Zivilgesellschaft und Wohlfahrtsstaat im Wandel Strachwitz, Die Stiftung – ein Paradox? Zur Legitimität von Stiftungen in einer politischen Ordnung Deutscher Verein für Öffentliche und Private Fürsorge (Hrsg.), Vielfalt und Zusammenhalt. Herausforderungen für die Soziale Arbeit
7 Die Mikro-Perspektive: Bürgerschaftliches Engagement 7.1 Ehrenamt vs. Bürgerschaftliches Engagement Der Begriff des bürgerschaftlichen Engagements ist mit dem Konzept der Zivilgesellschaft auf das engste verbunden. Er löst seit etwa 20 Jahren den traditionellen Begriff des Ehrenamts weitgehend ab, insbesondere dort, wo die gesellschaftliche Komponente der freiwilligen Tätigkeit angesprochen werden soll. Zudem verbindet sich für viele das „Ehrenamt“ mit einer Honoratiorentätigkeit in einem Vorstand, während für die freiwillige – und im Wesentlichen unentgeltliche – Mitarbeit gilt: „Weder Ehre noch Amt!“347 Der Ausdruck „Bürgerschaftliches Engagement“ weist auf die im weitesten Sinn politische Dimension des Engagements hin. Es sind Bürgerin und Bürger – hier ausdrücklich nicht im Sinne des Staatsbürgers, sondern eines verantwortungsvollen, aber auch mit Rechten ausgestatteten Weltbürgertums verstanden –, die sich für das Gemeinwohl engagieren. Bürgerschaftliches Engagement bezeichnet die freiwillige, nicht auf materielle Gegenleistungen ausgerichtete und meist kollektive Tätigkeit von Menschen für das jeweils subjektiv definierte allgemeine Wohl. Der Begriff umfasst auch den klassischen Begriff Ehrenamt, ergänzt diesen aber durch eine in einem allgemeinen Sinn politische Komponente und steht insofern in enger Verbindung zum Begriff des Bürgers bzw. der Bürgerin (citoyen, citoyenne) im Sinne eines allgemeinen Weltbürgertums. Bürgerschaftliches Engagement bildet ein originäres Menschen- und Bürgerrecht, das traditionell und mehrheitlich, aber keineswegs in jedem Fall in organisierter Form, bspw. in Vereinen und Stiftungen, ausgeübt wird, immer häufiger aber auch spontan und außerhalb traditioneller Strukturen. Überwiegend findet es im lokalen Umfeld statt; zunehmend präsentiert es sich aber auch als Ausdruck einer Weltgesellschaft. Eine Verbindung zu eigenen Interessen (bspw. als Eltern, Nachbarn usw.) wertet dieses Engagement nicht grundsätzlich ab. Bürgerschaftliches Engagement ist eine wesentliche Komponente der Zivilgesellschaft, findet sich aber auch im Staat und in der Wirtschaft. Es bildet die Voraussetzung für die Entwicklung einer Bürgergesellschaft, d.h. einer Gesellschaft, die unmittelbar von den Bürgerinnen und Bürgern her lebt und von diesen gestaltet wird. In einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft gilt dies in besonderem Maße. Es hat
|| 347 Im Alltag der Organisationen und Engagierten sind „Ehrenamt“, „Ehrenamtler“, „ehrenamtlich“ nach wie vor gebräuchliche Begriffe. Dass jedoch die Bundesregierung im Zusammenhang mit strukturschwachen und ländlichen Räumen im Jahr 2019 eine „Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt“ gegründet hat, ist ein begrifflicher Rückschritt. https://doi.org/10.1515/9783110553475-009
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wesentlich den Charakter des Geschenks, das freiwillig in Form von Empathie, Wissen, Kreativität, Reputation, Zeit und materiellen Ressourcen angeboten wird.348 Bürgerschaftliches Engagement besitzt einen Eigensinn und bedarf oder unterliegt grundsätzlich keiner Regelung oder Steuerung. Es bildet eine wesentliche Voraussetzung für ein erfülltes Leben und artikuliert sich in Form von Themenanwaltschaft (advocacy), Dienstleistungen, organisierter Selbsthilfe, in Mittler- oder Wächterfunktionen, in der Gemeinschaftsbildung und in der Mitgestaltung der res publica im Sinne der deliberativen Demokratie. Es entwickelt sich insoweit unabhängig vom staatlich verfassten Gemeinwesen, kann dessen Handeln aber auch infrage stellen oder gemeinsam mit ihm Ziele des allgemeinen Wohls verfolgen. In der Regel wird es im öffentlichen Raum, unter besonderen Umständen aber auch im Verborgenen verwirklicht. Bürgerschaftliches Engagement ist eine Gelingensbedingung für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen. („Ohne bürgerschaftliches Engagement keine Bürgerrechtsbewegung, keine Frauenbewegung, keine Umweltbewegung, kein Mauerfall!“) In der aktuellen Flüchtlingshilfe wird dies besonders augenfällig. Einen ermutigenden Freiraum dafür zu schaffen, zu befördern und zu bewahren, ist deshalb eine primäre Aufgabe aller gesellschaftlichen Akteure. Mindestens 80 Prozent des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland findet in der Zivilgesellschaft statt349. Diese gilt daher als die Arena des Engagements schlechthin, als Bürgersektor – zumal in Zeiten, in denen freiwilliges Engagement im Staat immer mehr hinter eine professionalisierte Politik zurücktritt. Schwieriger ist dagegen die Abgrenzung zum Engagement im unmittelbaren Privatbereich. So bleibt es, nicht zuletzt im Hinblick auf statistische Erfassung, aber auch auf Entschädigungen und Anrechenbarkeiten, strittig, wo die Grenze etwa zwischen der freiwilligen Pflege einer Angehörigen zu Hause und freiwilliger, ehrenamtlicher Arbeit in einer Einrichtung zu ziehen ist. Durch eine Entwicklung, die individuelles Engagement gegenüber dem organisierten immer mehr in den Vordergrund treten lässt, wird diese Unterscheidung naturgemäß nicht erleichtert. Wolfgang Thierse schreibt hierzu: „Eine eindeutige Abgrenzung zwischen privatbürgerlichem und zivilbürgerlichem Engagement wird immer schwerfallen. Freiwilligkeit trifft für beides zu. Der Maßstab Gemeinwohl ist nicht hinreichend präzise, weil ein bestimmtes Bild von Gemeinwohl auch aus dem Blickwinkel der jeweils verfolgten Eigeninteressen behauptet werden kann.“350 || 348 Vgl. Breithaupt, Kulturen der Empathie; de Waal, The Age of Empathy. 349 Von den übrigen 20 Prozent entfällt ein großer Teil auf die Freiwilligen Feuerwehren, die als öffentliche Einrichtungen formal nicht zur Zivilgesellschaft gehören, dieser aber in vieler Hinsicht sehr nahestehen. Ferner ist darin das Engagement im Technischen Hilfswerk (ebenfalls einer öffentlichen Einrichtung), als Schöffen, ehrenamtliche Gemeinderäte, ehrenamtliche Gewerkschaftsfunktionäre und mehr enthalten. 350 Thierse, Grundlagen und Gefährdungen der modernen Zivilgesellschaft, S. 19.
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Jedoch wird, insbesondere im deutschen Diskurs, das bürgerschaftliche (auch freiwillige) Engagement mit der Vorstellung des unentgeltlichen und gemeinwohlorientierten Ehrenamtes verbunden, insbesondere in Vereinen, politischen Parteien, Bürgervereinigungen und Bürgerinitiativen, wie es historisch aus verschiedenen eigenständigen Traditionslinien heraus gewachsen ist.
7.2 Geschichte Eine der ältesten und bis heute prägendsten Überlieferungen ist das im christlichen Glauben geforderte Gebot der Nächstenliebe. Christlich motiviertes Engagement prägte die deutsche Gesellschaft. Einige Beispiele: – Seit Beginn des Mittelalters traten in Deutschland immer wieder Persönlichkeiten auf, die sich für die Linderung des Leides anderer eingesetzt haben.351 – Im 16. Jahrhundert errichtete die Patrizierfamilie Fugger die älteste heute noch bestehende Sozialsiedlung der Welt. Bis heute beträgt die Jahres(kalt)miete für eine Wohnung den nominellen Gegenwert eines Rheinischen Gulden, derzeit 0,88 Euro, sowie ein Gebet. – Eine frühe systematische Organisation ehrenamtlicher Tätigkeiten entstand mit der Gründung der Hamburgischen Armenanstalt im Jahr 1788. Die für die Dauer von drei Jahren gewählten ehrenamtlichen Armenpfleger/innen wurden bestimmten Bezirken in Hamburg zugeordnet und erhielten die Aufgabe, Armenpflege mit Hilfe systematischer Fragebögen zu betreiben. – Ein ähnliches System entstand 1853 in Elberfeld352. Kommunale Armenverwaltung wurde an die Bedingungen der allmählich entstehenden Industriegesellschaft angepasst, indem die Stadt in kleine Quartiere eingeteilt und jedem Quartier ein ehrenamtlicher Armenpfleger zugeteilt wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde dieses „Elberfelder System der sozialen Arbeit“ in fast allen größeren Städten Deutschland adaptiert353 und später im „Straßburger System“ weiterentwickelt. Unter Berufung auf die Herausbildung des citoyen als Begriff im modernen Verfassungsstaat entstand im 19. Jahrhundert zunehmend ein von religiösen Kategorien losgelöster Begriff des Ehrenamts, der sich als bürgerliche Tugend manifestierte. Mit zunehmender Professionalisierung ehrenamtlicher Tätigkeiten entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein – durchaus konfliktbehaftetes – Verständnis der Arbeitsteilung von ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern. Diese forderten die
|| 351 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S. 90–91. 352 Elberfeld ist heute ein Teil der Stadt Wuppertal. 353 Vgl. Deimling, 150 Jahre Elberfelder System.
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Berechtigung zur Anleitung von Ehrenamtlichen als Vorgesetzte mit dem Argument, dass ehrenamtlichen Mitarbeitern oftmals die notwendige Fachkompetenz fehle und diese nur als Helfer der Hauptamtlichen fungierten. Hauptamtliche wehrten sich außerdem dagegen, Ehrenamtlichen unterstellt zu werden. Hinzu kam, dass auch der Staat beanspruchte, die Gemeinwohlproduktion nicht nur Ehrenamtlichen zu überlassen, sondern bezahlten, hauptamtlichen Mitarbeitern zu übertragen, die leichter zu führen waren. Die Spannung zwischen der Aufwertung von Hauptamtlichen und der relativen Abwertung von Ehrenamtlichen wirkt in abgeschwächter Form vielfach bis heute fort. Aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 ist das quantitativ begrenzte, aber doch vorhandene, aktive, mutige und gefährliche Engagement in vielen Widerstandsgruppen unterschiedlichster Zusammensetzung, nicht zuletzt im kirchlichen Bereich, hervorzuheben. Zugleich zog allerdings auch das nationalsozialistische System selbst Engagement in seinen zahlreichen gleichgeschalteten Gruppierungen an. In der Nachkriegszeit blühte indes das Ehrenamt im politischen, sozialen und kulturellen Bereich mit neuen Konturen schnell wieder auf. Als frühe Nahkriegsbeispiele von Engagement gelten die sogenannten Trümmerfrauen, denen ein Großteil der Befreiung der zerbombten Gebäude und Straßen von Trümmern zu verdanken ist, sowie Vereinigungen von kriegsgeschädigten und kriegshinterbliebenen Kindern, Männern und Frauen. Zu Beginn der 1950er Jahre waren viele Bürger überwiegend mit der Sicherung ihrer materiellen Existenz beschäftigt, was zur Folge hatte, dass nur wenige Raum und Zeit für ehrenamtliches Engagement fanden. Dennoch blühte in Kirchen, Verbänden und Vereinen das freiwillige und selbstbestimmte soziale und politische Engagement. Besonders deutlich trat es unter anderem in den Heimatverbänden der Vertriebenen zutage. Die Professionalisierung des Ehrenamts, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt hatte, setzte sich fort, sodass die Bedeutung von hauptamtlichen Mitarbeitern zunahm und die von ehrenamtlichen abnahm. Das freiwillige Engagement fand neue Formen in alternativen und innovativen bürgerschaftlichen Initiativen und Bewegungen mit definierten Interessensgebieten, wie Umwelt-, Frauen-, Ökologie- oder Friedenspolitik. Infolge des Wertewandels, von Individualisierungsprozessen sowie Pluralisierungs- und Entgrenzungstendenzen löste sich das „neue Ehrenamt“ zunehmend aus seiner ursprünglichen altruistischen, christlichen oder von Honoratioren getragenen politischen Ausrichtung, ebenso aber – wenn auch langsamer – aus einer Exit-Konnotierung von alten und neuen Minderheiten, und es schloss neue Faktoren wie Flexibilität, Selbstentfaltung und Selbsterfahrung sowie die Entwicklung der Persönlichkeit mit ein.354 Mit der Wiederentdeckung der Zivilgesellschaft als Sphäre freiwilligen Engagements sowie sozialer, kultureller und ökologischer Dienstleistungen wurde in den 1990er Jahren || 354 Vgl. Peglow, Das neue Ehrenamt, S. 27–31.
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auch das ehrwürdige „Ehrenamt“ begrifflich neu erfasst und als bürgerschaftliches Engagement beschrieben. Die Geschichte des Ehrenamtes zeigt, dass seine Form und Intensität eng mit den historischen Gegebenheiten und ökonomischen Voraussetzungen verbunden sind. In Zeiten des Krieges und der Entbehrung entstehen andere Formen von bürgerschaftlichem Engagement als in Zeiten des Friedens, des Wohlstandes oder eines starken Sozialstaates. Die Formen des Ehrenamts ändern sich und sind somit nicht nur Ausdruck, sondern auch ein Zeugnis ihrer Zeit. Zurzeit schlägt die Skepsis gegenüber großen Organisationen in vollem Umfang auf das Engagement durch. Große, traditionelle ZGO finden es zunehmend schwierig, Nachwuchs zu gewinnen, während kleine, neue Initiativen und Bewegungen Zulauf genießen. Deutlich wird aber auch, dass der Drang, sich zu engagieren, einem menschlichen Grundbedürfnis entspringt, das zwar in begrenztem Umfang aktiviert, ermutigt oder ermöglicht werden kann, sich aber im Kern selbstermächtigt entwickelt.
7.3 Traditionen Der Begriff des bürgerschaftlichen Engagements beschreibt nach Adalbert Evers355 zwei Begründungszusammenhänge von Engagement: Die Diskussion darum, warum man sich engagieren könnte oder sollte, verläuft [...] in einem von zwei Polen gebildeten Spannungsfeld. Auf der einen Seite steht ein individualistischliberales Verständnis, das Neigungen und Interessen des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt, so dass soziales Engagement einen spezifischen Markt der Möglichkeiten darstellt. Auf der anderen Seite steht ein stärker von der Debatte um Gemeinwohl und Bürgersinn geprägtes Verständnis; es thematisiert soziales Engagement vor allem unter dem Blickpunkt von Anforderungen der Gesellschaft und der Gemeinschaft.356
Die nachfolgend erläuterten Traditionen lassen sich zwischen den hier genannten Polen einordnen. In jedem der Traditionen wird ein bestimmtes Bürgerbild, Gesellschafts-, Staats- und Regierungsverständnis und schließlich bürgerschaftliches Engagement ersichtlich: 1. Das individuelle Kosten-Nutzen-Kalkül des homo oeconomicus bildet die Grundlage des bürgerschaftlichen Engagements im liberal-individualistischen Diskurs. Ebenso wie jede andere Form menschlichen Handelns, wird Engagement nur ausgeübt, um individuelle Interessen zu verfolgen und ideelle oder materielle Gegenleistungen zu erhalten. Folglich wird Engagement zu einem Tausch auf Basis individueller Interessenverfolgung.357 Die Aufgabe des Staates besteht || 355 Vgl. Evers, Bürgerschaftliches Engagement und soziale Reformpolitik. 356 Evers, Soziales Engagement, S. 186. 357 Vgl. Braun, Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen in Deutschland, S. 12 f.
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hierbei in der Gewährleistung von Abwehr- beziehungsweise Freiheitsrechten, welche die Bürger vor staatlichen Übergriffen schützen und ihnen Handlungsautonomie verleihen. Im Rahmen ihrer Handlungsautonomie kommt es zu freiwilligen pluralistischen Zusammenschlüssen der Bürger. Schließlich können Gruppen effektiver ihre religiösen, ethnischen oder kulturellen Interessen vertreten als einzelne Bürger. Hierbei haben die einzelnen Mitglieder der Gruppen immer zuerst den privaten, persönlichen Nutzen für ihre jeweiligen Ziele und Präferenzen im Blick und nur an zweiter Stelle das Wohl der Allgemeinheit.358 Der persönliche Nutzen kann aus einem individuellen Nutzen-Kosten-Kalkül entstehen, aber auch durch individuelle Sinngebung oder persönliche Befriedigung verliehen werden.359 Das Erlangen politischer Mitbestimmungsrechte erhält hier eine nachrangige Bedeutung. Politik wird in erster Linie als Angelegenheit politischer Institutionen und Eliten angesehen. 2. Sowohl in der republikanischen als auch 3. in der kommunitaristischen Tradition werden Anforderungen an die Handlungskompetenz und -bereitschaft der Individuen gestellt, die über die dargestellten Anforderungen des liberalen Diskurses hinausgehen. Bürgerschaftliches Engagement ist hier ein fester Bestandteil und Eigenwert der vom Staat gewährten und geschützten Öffentlichkeit eines Gemeinwesens. Es kann durchaus auch vorkommen, dass Vertreter der Bürgerschaft bestimmte Formen der Beteiligung von mündigen Bürgern als verpflichtend vorschreiben. Gemeinwohlorientierung und Gemeinsinn als Ausdrucksform des bürgerschaftlichen Engagements können aber unterschiedlich artikuliert und ausgeübt werden, wie in den folgenden zwei Diskursen ersichtlich wird. 4. Den Ausgangspunkt in der kommunitären Tradition bilden vom Staat in ihrer Autonomie geschützte Gruppierungen und Gemeinschaften mit ethnischen, religiösen oder kulturellen Interessen. Die Eingliederung von Individuen in eine oder mehrere Gruppen wird hier als selbstverständliche Verpflichtung angesehen, ebenso wie ihr aktives Engagement in dieser Gruppe.360 5. In der republikanischen Perspektive stehen zwar ebenfalls Gruppen im Mittelpunkt, jedoch sind diese im Gegensatz zur kommunitären Perspektive „politisierter“. Hier geht es um Gruppierungen, die sich primär mit dem Ziel gründen, politische Einstellungen, Werte und Normen zu vertreten. Diese Interessen sind ein unmittelbarer Bestandteil der staatlichen Politik, da hier das politische Engagement als selbstverständliche Tugend, gar Pflicht eines jeden Bürgers angesehen wird.361 Der Staat gewährleistet den Bürgern, wie im liberalen Diskurs, die
|| 358 Vgl. Evers, Verschiedene Konzeptionalisierungen von Engagement, S. 54. 359 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S. 83. 360 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S. 84. 361 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S. 85
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6.
dazu notwendigen, grundrechtlich verankerten Rechte. Wichtige Vertreter des republikanischen Diskurses sind im angelsächsischen Raum unter anderem J.G.A. Pocock362 und Philip Pettit363, in Deutschland Hannah Arendt364 und Herfried Münkler365. Schließlich ist die demokratische Tradition zu nennen. Diese setzt im Gegensatz zu den anderen Perspektiven nicht nur eine bestimmte Lebensform, sondern eine bestimmte Form und Organisation des Staates voraus, nämlich die der „gelebten Demokratie“. Die aufgeklärten Bürger erfahren hier am eigenen Leib die Gestaltungsformen von Demokratie – als Adressaten der Leistungserstellung, politische Auftraggeber und Mitgestalter des Gemeinwesens.366 Der Staat gewährt den Bürgern Raum für Proteste, Bürgerinitiativen und Vereine. Eine entscheidende Ebene dafür ist die kommunale, wo 80 Prozent des bürgerschaftlichen Engagements stattfinden.367 Ähnlich wie in der republikanischen Perspektive, hat das Engagement hier primär eine politische Ausrichtung.
Die sechs bisher beschriebenen Diskurse entstammen politischen und sozialmoralischen Traditionen. Die nun folgende 7. „arbeitsgesellschaftliche“ Konzeption hat dagegen seine Wurzeln in der sozioökonomischen Diskussion um das Thema Arbeit. Im Mittelpunkt steht nicht das „traditionelle“ bürgerschaftliche Engagement im Gemeinwesen, sondern die Ausübung von „bürgerschaftlicher“ Erwerbsarbeit, das heißt die Herstellung von gemeinschaftlich genutzten Gütern, die Förderung einer nachhaltigen Ökonomie und Ökologie und schließlich die Artikulation und Verbesserung von gemeinschaftlichen Aufgaben. Autoren wie Ulrich Beck oder Gerd Mutz fordern mit ihren Konzepten der „Bürgerarbeit“368 oder der „Tätigkeitsgesellschaft“369, dass bürgerschaftliches Engagement als der Erwerbsarbeit ebenbürtige Tätigkeit angesehen werden sollte. Familien- und Heimarbeit würde dadurch – insbesondere aus feministischer Sicht kritisch oder affirmativ – eine Aufwertung erhalten.370 Bei den beschriebenen Traditionen handelt es sich um bestimmte theoretische und normative Konzeptionen des Bürgerengagements und der politischen Mitbestim-
|| 362 Vgl. Pocock, The Machiavellian Moment. 363 Vgl. Pettit, Republicanism. 364 Vgl. Arendt, Vita activa oder Vom Tätigen Leben. 365 Vgl. Röhr (Hrsg), Herfried Münklers Herausforderung an die hegemonische Denkweise des Politischen. 366 Vgl. Roth, Auf dem Weg zur Bürgerkommune?, S. 163–184. 367 Vgl. Klein, Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft, S. 6. 368 Vgl. Beck, Schöne neue Arbeitswelt. 369 Vgl. Mutz, Strukturen einer neuen Arbeitsgesellschaft. 370 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S. 85–86.
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mung. In der Praxis kommt es oftmals zu Verbindungen der Diskurse, wobei meist ein Diskurs dominiert. So verbindet das Leitbild der für die Diskussion um bürgerschaftliches Engagement als Katalysator wirkenden Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestags (siehe Kap. 7.5) Elemente aus der liberal-individualistischen, der demokratischen und der republikanischen Tradition. Der „ermöglichende Staat“ legt juristische Rahmenbedingungen und Infrastrukturen für freiwilliges und pluralistisches bürgerschaftliches Engagement fest, beispielsweise den organisationellen Rahmen von Bürgerinitiativen, Stiftungen oder Vereinen, und stärkt zugleich die binnenorganisatorische Demokratie in gesellschaftlichen Einrichtungen und Verbänden. Letzteres fordert von den Bürgern eine politische Selbstregulierung der Gesellschaft ein – und damit auch ein über den Staat hinausgehendes Verständnis des Politischen.371
7.4 Soziales und politisches Engagement Neben dem bürgerschaftlichen Engagement steht das politische Ehrenamt. Im modernen Staat hat es seine Wurzeln in der Preußischen Städteordnung von 1808, die bürgerschaftliche Mitbestimmung in der kommunalen Selbstverwaltung regelte. Mit dem Ziel, das Gemeinwesen finanziell zu entlasten, wurde festgelegt, dass Bürger zur Übernahme öffentlicher, unentgeltlicher Ämter verpflichtet werden können (§ 191). Letztlich konnten sich jedoch nur 6 Prozent der städtischen Bevölkerung die Übernahme einer unentgeltlichen ehrenamtlichen Tätigkeit für den Staat leisten.372 Eine erste Blütezeit erlebte das Ehrenamt im 19. Jahrhundert mit der Gründung von feministischen, kulturellen, sozialen, religiösen oder politischen Vereinen jenseits des Staates. Aus den politischen Vereinen entwickelten sich später die politischen Parteien. Von der Obrigkeit des Kaiserreiches wurden die Vereine zunächst mit großem Argwohn betrachtet, bedeutete doch jeder Verein ein Stück weniger Regentschaft und mehr bürgerliche Autonomie. Hier sind bereits die engen Verbindungen zwischen Demokratisierung und bürgerschaftlichem Engagement ersichtlich. Auch in der Verfassung von 1919 wurde politische ehrenamtliche Arbeit festgeschrieben: „Jeder Deutsche hat nach Maßgabe der Gesetze die Pflicht zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten“ (Art. 132).373 Allerdings wurde hier insbesondere auf ehrenamtliche Tätigkeiten im Justizbereich (Schöffendienst) abgestellt, wozu in der Praxis nur wenige Bürger und Bürgerinnen befähigt waren. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges wurden viele der in der Weimarer Republik und im Kaiserreich entstandenen Formen ehrenamtlicher Tätigkeiten entweder verboten oder hauptamtlichen
|| 371 Vgl. Evers et al., Engagementpolitik als Demokratiepolitik, S. 153–164. 372 Vgl. Aner/Hammerschmidt, Zivilgesellschaftliches Engagement des Bürgertums, S. 67. 373 Vgl. Aner/Hammerschmidt, Zivilgesellschaftliches Engagement des Bürgertums, S. 85–86.
Der heutige Diskurs | 229
Mitarbeitern von Staat und Partei übertragen. Eigeninitiiertes Engagement war nicht mehr erwünscht; vielmehr wurde von den Bürgern instruiertes Engagement in der staatlichen „Volksgemeinschaft“ und zum „Wohle des Volksganzen“ verlangt.374
7.5 Der heutige Diskurs Der heutige Diskurs über das bürgerschaftliche Engagement ist maßgeblich durch eine sozialstaatliche oder eine wirtschaftliche Perspektive geprägt. Erstere wird präsentiert von der bereits erwähnten Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, die 1999 mit dem Ziel eingesetzt wurde, sich „mit der Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ zu befassen. Die Kommission definierte bürgerschaftliches Engagement im weitesten Sinn als das „Spenden von Ressourcen: Zeit, Geld, Know-how“375 mit einer gemeinwohlorientierten Ausrichtung. Sie trägt, so einhellig die Kommission, damit zur Stärkung von aktiver demokratischer und staatsbürgerlicher Teilhabe bei. Hierbei können sowohl Akteure wie auch Aktivitäten unterschiedliche Formen annehmen. Aufbauend und sich zugleich vom historisch-traditionellen Begriff des Ehrenamtes abgrenzend, hat sich die Enquete-Kommission bewusst für den Begriff des „bürgerschaftlichen Engagements“ entschieden.376 Ehrenamt bezeichne „stärker formalisierte, in der Regel eingebundene und dauerhafte Formen des Engagements“377, wohingegen bürgerschaftliches Engagement, zusätzlich zur dauerhaften Form, auch eine zeitlich befristete, aktive Teilhabe aus der Identität als Bürger heraus am gesellschaftlichen, politischen und sozialen Leben eines demokratischen Gemeinwesens betont. Diese gesellschaftspolitische und gesellschaftstheoretische Konnotation verleiht dem Begriff des „bürgerschaftlichen Engagements“ einen normativen Charakter. Somit lässt sich festhalten, dass die notwendigen Bedingungen für bürgerschaftliches Engagement die Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft sowie das Tragen von bürgerlichen, politischen und sozialen Rechten sind. Der Staat tritt hierbei sowohl als ein „aktivierender“ als auch als „ermöglichender“ Akteur auf.378 Er muss die Menschen als Rechtspersonen anerkennen, sie zur Artikulation ihrer Bedürfnisse aktivieren und bessere Zugangschancen für Benachteiligte bieten. Zudem muss er Gelegenheitsstrukturen gewährleisten und Räume schaffen, in denen Bürger die Möglichkeit haben, sich zu engagieren. Die Konzepte des aktivierenden Staates und des ermöglichenden Staates stehen für die Realisierung des bürgerschaftlichen Engagements in einer engen wechselseitigen || 374 Vgl. Budde, Bürgertum nach dem bürgerlichen Zeitalter, S. 7. 375 Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S. 57. 376 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S. 74–77. 377 Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S. 74. 378 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S 60–61.
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Abhängigkeit. Teilhabechancen müssen sowohl gegeben, wie auch genutzt werden. Letzteres lässt sich als hinreichende Bedingung für das bürgerschaftliche Engagement bezeichnen. Gemeinwohl braucht aktive Bürger, die die individuelle Bereitschaft aufweisen, ihre eigenen Interessen gegenüber anderen abzuwägen und damit öffentlichen Raum zu nutzen oder auch erst zu schaffen. An die Tradition teils ehrenamtlicher, teils professionalisierter Dienstleistungen des gemeinnützigen Sektors knüpft die wirtschaftliche Perspektive auf bürgerschaftliches Engagement an. Mit der Ausweitung wirtschaftlicher Globalisierung und der zunehmenden Ressourcenabhängigkeit in eher wirtschaftsfernen gesellschaftlichen Bereichen wie Kunst, Literatur oder Sport gerät auch der Zusammenhang zwischen bürgerschaftlichem Engagement und Wirtschaft ins Blickfeld. Dazu gibt es unterschiedliche Ansätze, Unternehmen und Unternehmenslogiken in den zivilgesellschaftlichen Diskurs einzubinden. Neben traditionelle Formen sozialer Verantwortung von Unternehmen, zum Beispiel Philantropie und Mäzenatentum, rücken neue Formen bürgerschaftlicher Verantwortung von Unternehmen. Sie sollen sich als corporate citizens fühlen bzw. ihre corporate citizenship (dt. Unternehmensbürgerschaft) wahrnehmen, indem bürgerschaftliches Engagement in und von Unternehmen auf Basis eines verantwortungsvollen sozial ausgehandelten oder sozial definierten Nutzens ausgeübt wird. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber sollen sich, über ihre eigene Geschäftstätigkeit hinaus, aktiv für die lokale Zivilgesellschaft und für kulturelle, politische oder ökologische Belange einsetzen – insbesondere für solche, die sie selber mit ihrer Arbeit beeinflussen. Eng verwandt, teilweise auch synonym mit dem Konzept des corporate citizenship benutzt, ist im Streben nach nachhaltiger Entwicklung der Begriff der corporate social responsibility (CSR) entstanden, der ebenfalls soziale, ökonomische und ökologische Beiträge eines Unternehmens zum Gemeinwohl beschreibt (triple bottom line).379 Über CSR noch hinaus reichen Konzepte des Sozialunternehmertums (als social business oder social entrepreneurship) bis hin zum Konzept „sozialer Investitionen“380. Besonders von social entrepeneurs und sozialen Investitionen wird erwartet, dass sie gesellschaftliche Probleme wie Armut oder Umweltbelastungen durch innovative Ideen und Ressourcenkombinationen zu lösen vermögen (siehe Kap. 5.6).381 Hohe Aktualität und Aufmerksamkeit hat seit einigen Jahren die Frage geweckt, ob und inwieweit sich das Engagement in ZGO auch auf politische Fragestellungen erstrecken soll, kann oder darf. In einem aufsehenerregenden Verfahren, dessen Ende noch nicht abzusehen ist, wurde einem Verein (ATTAC e.V.) die steuerliche Gemeinnützigkeit mit der Begründung entzogen, diese erfolge nicht nur nebenbei
|| 379 Vgl. Polterauer, Corporate-Citizenship-Forschung in Deutschland. 380 Vgl. Then et al. (Hrsg), Social Return on Investment Analysis. 381 Vgl. Schröer/Sigmund, Soziale Investitionen.
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und als Ausfluss der sonstigen gemeinnützigen Tätigkeit, sondern sei zum Hauptzweck der Organisation geworden. Ein solches allgemeines politisches Mandat sei jedoch nach Ziff. 15 zu § 52 AEAO382 steuerbegünstigten Organisationen verwehrt. Die Auseinandersetzung darüber ist zu einem wesentlichen Teil der Debatte um eine Modernisierung des Rechtsrahmens für ZGO geworden.
7.6 Ziele und Formen Die Vielfältigkeit des bürgerschaftlichen Engagements drückt sich in seinen Handlungsfeldern aus. So kann zwischen sozialem und gesellschaftlichem Engagement in der Kirche, in Wohlfahrts-, Umwelt- und Jugendverbänden einerseits (bspw. in Elternbeiräten, der freiwilligen Feuerwehr oder Sanitätsorganisationen) und politischem Engagement in Parteien, Gewerkschaften und Verbänden andererseits unterschieden werden. Hinzu kommen Ehrenämter, wie ehrenamtliche Richter- oder Schöffentätigkeiten, die nicht immer freiwillig ausgeführt werden, sondern eher einen verpflichtenden Charakter haben. Zu diesen öffentlich bestimmten Ehrenämtern zählen auch Tätigkeiten im Rahmen des Betreuungsrechts. Schließlich zählen auch Formen der gegenseitigen Hilfe wie Nachbarschaftshilfe und Selbsthilfe von Arbeitslosen, Familien oder Migranten zum bürgerschaftlichen Engagement. Und nicht zuletzt zählt das oben bereits beschriebene Engagement in und von Unternehmen dazu.383 Eine besondere Gruppe bilden Ehrenämter als Mitglied von Vorständen, Beiräten, Stiftungsräten, Kuratorien oder als Präsidenten, Ehrenvorsitzende usw. in zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das bürgerschaftliche Engagement im Einzelnen den Funktionsbereichen der Zivilgesellschaft zuzuordnen, erscheint schwierig, da diese oft ineinander übergehen und einzelne Engagierte etwa Dienstleistung und Themenanwaltschaft in ihrer eigenen Arbeit weder unterscheiden können noch wollen. Es lässt sich aber festhalten, dass die große Mehrheit des Engagements als konkrete Hilfeleistung erbracht wird und somit am ehesten unter die Überschrift „Dienstleistung“ fällt. Zugleich lässt sich gerade hier das Miteinander und nicht selten auch die Konkurrenz mit einer hauptamtlichen Tätigkeit in einer ZGO beobachten, zumal letztere häufig mit einem Engagement in Empathie einhergeht384. Auch persönliche Sinnerfüllung steht ebenso häufig hinter der Berufswahl wie hinter einem bürgerschaftlichen Engagement. Kontinuierlich beliebt ist unvermindert das Engagement im Sport. Neben der Selbsthilfe, dem eigenen Sport im Verein, steht ohne Zweifel Gemeinschaftsbildung || 382 AEAO = Anwendungserlass zur Abgabenordnung, eine Verwaltungsanordnung des Bundesfinanzministeriums. 383 Vgl. Bericht Bürgerschaftliches Engagement, S. 65–66. 384 Die weitaus größte Zahl der in der Zivilgesellschaft beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist im Bereich der Dienstleistungen tätig.
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im Mittelpunkt des Interesses. Im Gegensatz zu fast allen anderen Zielen ist das Engagement im Sport überwiegend mit einem lokalen, regionalen und vor allem nationalen Element verbunden. Hymnen und Fahnen spielen bei internationalen Sportereignissen wie Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften eine exorbitant große und allen Tendenzen der Überwindung des Nationalen zuwiderlaufende Rolle. Zudem hat im ländlichen Raum der Sportverein vielfach die Rolle der gemeindlichen Identitätsbildung übernommen, die die politische und die Kirchengemeinde nicht mehr auszufüllen in der Lage sind. Dies ist zunächst nicht unbedingt negativ zu sehen, birgt aber die Gefahr, dass den Sportvereinen darüber die zivilgesellschaftliche Identität abhandenkommt. Ein Problem, mit dem Sportvereine in Städten zu kämpfen haben, ist die Konkurrenz gewerblicher Sportangebote (bspw. Fitness-Studios), die sich oft nicht nur stärker an den Wünschen vor allem junger Bürgerinnen und Bürger orientieren, sondern die auch keine Ansprüche an lästige „ehrenamtliche Dienste“ stellen. Engagement im kulturellen Bereich ist ein von außen wenig beachteter, aber unvermindert starker Bereich des Engagements. Der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände gehören bspw. rund 1,3 Millionen Mitglieder an, davon sind 60 Prozent unter 26 Jahre. Hinzu kommen eine Million Mitglieder im Deutschen Chorverband und zahlreiche weitere Engagierte in der Laienmusik, im Laientheater und in der kulturellen Bildung. Vielfach steht hier die Gemeinschaftsbildung im Vordergrund, auch wenn formell „die Pflege der Musik“ oder ähnliches angegeben wird – und tatsächlich in der Regel mit großer Ernsthaftigkeit betrieben. Laienmusik und Laientheater sind besonders davon betroffen, dass Gemeinschaftsbildung in seiner Bedeutung vom Staat nicht erkannt ist. Den hier tätigen Vereinen wird die volle steuerliche „Privilegierung“ versagt. Nach wie vor häufig ist das Engagement im kirchlichen Bereich, wobei überwiegend Mehrfachziele für das Engagement den Ausschlag geben (Kirche und Musik, Kirche und Hilfe für geflüchtete Menschen usw.) und oft das nicht-kirchliche Ziel artikuliert werden kann, während das kirchliche oder religiöse eher unbewusst mitschwingt, manchmal sogar ausdrücklich bestritten wird. Konkreter Dienst am Nächsten (Dienstleistung), der Wunsch, zum sozialen Wandel beizutragen (Themenanwaltschaft), die Suche nach einer Gemeinschaft Gleichgesinnter (Gemeinschaftsbildung) und nach Sinnerfüllung (Sinnstiftung) – anders ausgedrückt: extrinsische, altruistische und intrinsische, selbstbezogene Gründe sind in diesem Zusammenhang kaum voneinander zu trennen. Dies ist legitim. Versuche, die intrinsischen Gründe abzuwerten („Die wollen ja nur ihren Spaß haben!“), die in der Öffentlichkeit und den Medien nicht selten vorgetragen werden, sind als respektlos und darüber hinaus auch als wirklichkeitsfremd zu charakterisieren. Die Sorge für andere Menschen, darunter besonders für Kinder und Kranke, sowie für Tiere steht nach wie vor in der Zielrichtung von Engagement ganz oben. Es verwundert nicht, dass bspw. Naturkatastrophen und Berichte über lebensbedrohliche Krankheiten Wellen von Hilfsbereitschaft auslösen. Dass, wo möglich, Hilfe zur
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Selbsthilfe angeboten werden soll, findet im Engagement seinen Widerhall. Dagegen beschränken sich Diskussionen über die Notwendigkeit, doch eher soziale Systeme zu ändern statt nur Symptome zu kurieren, eher auf die professionelle und wissenschaftliche Debatte. Anders verhält es sich mit Protestbewegungen gegen politische Systeme und Maßnahmen, die unvermindert viel Engagement anlocken. Dies gilt allerdings auch für populistische Bewegungen (bspw. Pegida). Die Umweltthematik ist das Ziel sowohl sehr konkreten Engagements, bspw. in der Wiederaufforstung von Bergwaldregionen (Dienstleistung), als auch von nachhaltiger, nicht selten transnationaler Themenanwaltschaft, bspw. bei Greenpeace. Wenig bürgerschaftliches Engagement findet sich im Bereich von Wissenschaft und Forschung. Die aktive Beteiligung von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die aus wissenschaftlicher Sicht als Laien bezeichnet werden, an der Forschung ist traditionell auf wenige Felder beschränkt, bspw. die Vogelbeobachtung oder die Archäologie. Sie unter der Überschrift Citizen Science auch auf anderen Gebieten zu entwickeln, ist ein neuer, noch kaum praxiserprobter Ansatz.385 Sogenannte Metathemen, bspw. die Stärkung des Engagements oder der Zivilgesellschaft an sich, Grundprobleme der humanitären Hilfe und dergleichen locken kaum unentgeltliches Engagement an. Dagegen engagieren sich viele Menschen im Ausbildungsbereich, bspw. in Elternbeiräten, Nachhilfegruppen, Deutsch-Unterricht für geflüchtete Menschen usw., allerdings oft nicht in zivilgesellschaftlichen Organisationen, sondern in der informellen Zivilgesellschaft oder individuell in direkter Anbindung an öffentliche Einrichtungen. Ein quantitativ nicht übermäßig großes, aber oft sehr starkes und durchaus wirksames Engagement findet sich für Menschen- und Bürgerrechtsthemen, wobei hier in Deutschland der globale Ansatz deutlich überwiegt. Einschränkungen von Bürgerrechten in Deutschland, bspw. Grenzüberschreitungen von Sicherheitskräften, finden zwar in den Medien Resonanz, im konkreten Engagement aber erstaunlich wenig Beachtung, während die Solidarität mit Unterdrückten oder Opfern von Menschenrechtsverletzungen im Ausland immer wieder durch Demonstrationen, Brief- bzw. Twitter-Aktionen und dergleichen zum Ausdruck gebracht wird. In der Bewertung ist Vorsicht angebracht. Wenn pauschal die Rede davon ist, „das Volk“ oder „die Menschen“ würden sich über dieses oder jenes begeistern oder empören, ist damit notwendigerweise nur ein Ausschnitt der Bevölkerung gemeint, dessen Positionen keineswegs für alle repräsentativ sein müssen. Damit ist zugleich ein Problem angesprochen, das von Kritikern des Engagements immer wieder thematisiert wird und durch die kommunikative Revolution eine neue Dimension bekommen hat: Zur Ausübung von Engagement muss der eigene „Lehnstuhl“ nicht notwendigerweise verlassen werden. Schon immer war || 385 Vgl. Finke, Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien.
234 | Die Meso Perspektive: Zivilgesellschaftliche Organisationen
das sogenannte Scheckbuch-Engagement Gegenstand verächtlicher Bemerkungen. Aber während früher das Schreiben von Briefen an Entscheidungsträger oder gar Anrufe doch einen gewissen Aufwand erforderten, erlauben heute die Teilnahme an Online-Umfragen und -abstimmungen und das Absetzen einer Twitter- oder Facebook-Botschaft relativ mühelos, sich selbst das gute Gefühl (warm glow) zu vermitteln, man habe sich für eine wichtige Sache engagiert.
7.7 Motivation Im Gegensatz zur Genese des historischen Ehrenamtes, die regelmäßig von religiösen Motiven geprägt war, geht die empirische Forschung heute davon aus, dass anstelle einer bedingungslosen Hingabe für Andere unter Verzicht und Aufopferung eigener Interessen und Bedürfnissen das Verlangen steht, sich sein Engagement selbst auszuwählen und es den eigenen Interessen, Bedürfnissen und zeitlichen Gegebenheiten anzupassen.386 Es lassen sich mehrere Motivbündel für Engagement identifizieren. Die Bedeutung, die den einzelnen Motivbündeln beigemessen wird, ist individuell unterschiedlich387. In der Regel kommt eine kaum durchschaubare und auch von den Engagierten selbst nicht unbedingt in allen Facetten ausgelotete Mischung zum Tragen. Zu den wichtigsten Motiven zählen: 1. religiöse Motive (Erfüllung selbst auferlegter Pflichten), 2. altruistische Motive (Gemeinwohlorientierung und Pflichterfüllung), 3. gemeinschaftsbezogene Motive (aktive Partizipation und Mitbestimmung), 4. problemorientierte Motive (Bewältigung eigener Probleme und Veränderung gesellschaftlicher Missstände), 5. entwicklungsbezogene Motive (personal growth, Selbstverwirklichung). Zu den Beteiligungsformen des bürgerschaftlichen Engagements gehören unter anderem: 1. Spenden, einfache Mitgliedschaften sowie die aktive Mitarbeit in Verbänden, Vereinen, politischen Gremien oder Gewerkschaften, 2. die unbezahlte, freiwillige Mitarbeit in gemeinwohlorientierten und karitativen Einrichtungen, 3. unterschiedliche Formen direkt-demokratischer Bürgerbeteiligung, beispielsweise Volksentscheide, 4. die Teilnahme an Protestaktionen.388
|| 386 Vgl. Olk, Das soziale Ehrenamt, S. 90. 387 Vgl. Kühnlein, Gibt es einen Motivationswandel des Bürgerengagements?, S. 35. 388 Vgl. Roth, Bürgerschaftliches Engagement, S. 25–48.
Vergütung | 235
Die Beschreibung dieser Bereiche ist keine abschließende oder trennscharfe Aufzählung. Die Bereiche überschneiden sich zum Teil und lassen sich schwer voneinander trennen. Auch sind die Bereiche stark wandelbar, da immer neue Formen der Beteiligung entstehen und alte abgelöst werden. Dies ist beispielsweise bei neuen Formen des Engagements im Internet der Fall, etwa beim Erstellen und Unterschreiben von Online-Petitionen oder dem Verbreiten von Nachrichten mit Bezug auf bürgerliches Engagement in den sozialen Medien. Eine weitere Veränderung ist auf den unterschiedlichen Ebenen des Engagements zu sehen. Lange Zeit fand bürgerschaftliches Engagement lokal und auf kommunaler Ebene statt, bevor sich ehrenamtliche Gruppen und Vereine landesweit bzw. bundesweit zusammengeschlossen haben. Heute gibt es eine kaum überschaubare Anzahl von Ehrenämtern auf europäischer und sogar globaler Ebene. Zunehmend wird von einem europäischen demos (Volk) gesprochen. Der Begriff der „Bürgerschaft“ erhält eine neue Bedeutung. Bürgerschaftliches Engagement bezieht sich hier zum einen auf die Rolle der EU-Bürger in einem vereinten Europa, der wie der einzelne Bürger in Deutschland Rechte und Pflichten hat, und zum anderen – bezogen auf die globale Ebene – auf die Rolle eines Weltbürgers, der Solidarität und Mitgefühl für andere Menschen aufbringt. So wandelbar und anpassungsfähig wie der einzelne Mensch in einer globalisierten Welt ist, so vielfältig und dynamisch ist auch das bürgerschaftliche Engagement. Es trägt in nicht geringem Maße zur Auflösung einer einseitig national bestimmten Identität und Loyalität bei.
7.8 Vergütung Bürgerschaftlichem Engagement liegt grundsätzlich die Vorstellung von einem Geschenk zugrunde. Es lässt sich als Geschenk an die Allgemeinheit charakterisieren. Das Schenken folgt einem im Menschen – und auch in Primaten und manchen anderen Säugetieren – angelegten Impuls389. Während das Schenken von Empathie, Know-How, Ideen und Reputation ein finanzielles Entgelt ausschließt, ist beim Schenken von Zeit und finanziellen Ressourcen die Frage der Gegenleistung, d.h. einer Vergütung, aktuell. Beim Schenken von finanziellen Ressourcen (üblicherweise von Geld, aber auch von Sachwerten verschiedener Art) ist seit über 100 Jahren eine Gegenleistung in Form einer Zuwendungsbestätigung (Spendenquittung) üblich, die bis zu einer vom Staat festgesetzten Höchstgrenze von der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer abgesetzt werden kann, sofern der zivilgesellschaftliche Empfänger als „steuerbegünstigt“ eingestuft ist. Dadurch wird die tatsächliche finanzielle Belastung durch die Spende gemin-
|| 389 Vgl. Adloff (Hrsg.), Prosoziales Verhalten.
236 | Die Meso Perspektive: Zivilgesellschaftliche Organisationen
dert; der Staat erleidet dadurch einen Steuerausfall, was unter anderem ein öffentliches Interesse an der Verwendung der Spende begründet. Sehr viel komplexer ist die Thematik von Entschädigungen für das Schenken von Zeit, d.h. von bürgerschaftlichem Engagement in engstem Sinn, das auch als Ehrenamt bezeichnet wird. Auch hier gilt zunächst der Grundsatz, dass das Engagement unentgeltlich zu erfolgen hat; andernfalls ist es idealtypisch gesehen kein Ehrenamt, sondern eine Nebentätigkeit. Allerdings sind schon seit langem Ausnahmen üblich, die zum Teil auch vernünftig sind. Hier ein paar Beispiele: – Im Rettungsdienst, Krankentransport und Sanitätsdienst, wo das Engagement in der regelmäßigen Teilnahme am Schichtdienst besteht, werden üblicherweise (und von den Sozialversicherungsträgern gegenfinanziert) Aufwandsentschädigungen gewährt, damit die eingesetzten Helfer und Helferinnen die erhöhten Ausgaben für Speisen und Getränke kompensieren können. Würde man dies nicht tun, würde der Einsatz von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Helferinnen und Helfer abhängen, was nicht nur sozial unverträglich wäre, sondern auch zu einem Mangel an verfügbaren Kräften führen würde. – Im Sport sind schon seit langem die sogenannten Übungsleiterpauschalen dort üblich, wo der Einsatz nicht in der persönlichen Hilfe, sondern in der Anleitung zur Hilfe besteht. Dass deren steuerliche Absetzbarkeit in der jüngsten Vergangenheit mehrfach erhöht wurde, ist nicht zuletzt dem erfolgreichen Lobbying der Sportverbände zu verdanken. Dies ist aber nicht unumstritten, zumal andere Verbände, etwa im Sozialbereich, um vergleichbare Privilegien kämpfen. – Für „Ehrenämter“ in Vorständen und dergleichen werden zum Teil erhebliche Aufwandsentschädigungen gewährt390. Sie sind zum Teil berechtigt, weil der mitunter beträchtliche Verantwortungsumfang nicht nur zu einem hohen zeitlichen Einsatz, sondern auch zu einer Belastung führt, die das zumutbare Maß an unentgeltlichem Einsatz deutlich überschreitet. Allerdings erscheint die Bezeichnung „Ehrenamt“ dann nicht mehr gerechtfertigt. Wenn etwa der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees für sein „Ehrenamt“ eine monatliche Aufwandsentschädigung von 18.000 Euro erhält, so ist dies schlechterdings nicht mehr als Ehrenamt oder bürgerschaftliches Engagement zu klassifizieren. Dass der Präsident wahrscheinlich den Großteil seiner Zeit mit diesem Amt verbringt, ist unbestritten, dass dies eine Vergütung rechtfertigt, ebenso, die Bezeichnung ist es nicht. Für die Empfänger solcher Aufwandsentschädigungen hat der Gesetzgeber Höchstgrenzen der Steuerfreiheit festgesetzt. Darüber hinausgehende Leistungen sind
|| 390 Siehe hierzu wegweisend: Sandberg/Mecking, Vergütung haupt- und ehrenamtlicher Führungskräfte in Stiftungen.
Ergänzende Literatur | 237
Einkünfte, die der üblichen Besteuerung unterliegen. Für die ZGO, die solche Leistungen gewähren, gilt: 1. die Leistung muss in einem angemessenen, d.h. auch einem Drittvergleich standhaltenden Verhältnis zum tatsächlichen Engagement stehen; 2. sofern sie ihrerseits nicht ausbezahlt, sondern in Form einer Zuwendungsbestätigung gewährt wird, müsste die ZGO in der Lage sein, die Aufwandsentschädigung auch auszuzahlen (was einer Privilegierung großer subventionierter ZGO gleichkommt); 3. die Gewährung muss in der Satzung verankert sein. Ein Sonderproblem ist in jüngster Zeit dadurch aufgetreten, dass die Entschädigungen (zum Teil erheblich) unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegen. Einzelne Stimmen vertreten die Meinung, dass das Mindestlohngesetz auch hier gilt.
Ergänzende Literatur Klein, Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. Die reformpolitische Diskussion Klie/Klie (Hrsg.), Engagement und Zivilgesellschaft. Expertisen und Debatten zum Zweiten Engagementbericht Sandberg/Mecking, Vergütung haupt- und ehrenamtlicher Führungskräfte in Stiftungen
8 Der Beitrag der Zivilgesellschaft 8.1 Warum Zivilgesellschaft? Noch vor wenigen Jahrzehnten sprach niemand von Zivilgesellschaft, wenn es um Bereiche kollektiven Handelns in der Gesellschaft (engl. society) ging. Noch 1987 konnte die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher in einem Interview mit einer englischen Frauenzeitschrift sagen: I think weʼve been through a period where too many people have been given to understand that if they have a problem, itʼs the governmentʼs job to cope with it. ,I have a problem, Iʼll get a grant.‘ ,Iʼm homeless, the government must house me.‘ Theyʼre casting their problem on society. And, you know, there is no such thing as society. There are individual men and women, and there are families.391
Nicht nur setzte sie Staat und Gesellschaft gleich, sondern, etwas unlogisch, sie bestritt zugleich, dass es so etwas wie Gesellschaft überhaupt gäbe. Mit dieser Deutung stand sie keinesfalls allein. In den 1990er Jahren sprach man gern vom Dritten Sektor zwischen Staat und Markt, betonte aber andererseits entweder in später Anlehnung an Hegel zugleich die Trennung zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft oder teilte das Handeln zwischen Staat und Markt auf. Man blickte auf die Wohlfahrtsverbände und teilte sie wegen ihrer Finanzierungsgrundlage dem Staat oder wegen der erbrachten Dienstleistungen dem Markt zu. Weite Teile von dem, was wir heute Zivilgesellschaft nennen, wurden entweder ausgeblendet oder dem Privat- und Familienbereich zugeordnet. Die spezifische Relevanz für die Gesellschaft wurde ihnen damit abgesprochen. Obwohl sich der Blick auf die Zivilgesellschaft in jüngster Zeit verändert hat, nicht zuletzt infolge der notwendigen und tatsächlich erbrachten Leistungen zivilgesellschaftlicher Akteure in der Betreuung des Ansturms geflüchteter Menschen insbesondere im Herbst 2015, aber auch wegen der weltweit zu beobachtenden Aktivitäten von Menschen- und Bürgerrechtsgruppen, erscheint es wegen dieser relativ frischen Vorgeschichte notwendig, die Debatte um den Stellenwert, das Selbstverständnis sowie den Beitrag der Zivilgesellschaft zur gesellschaftlichen Entwicklung insgesamt aufzugreifen. Dabei erhebt sich zunächst die Grundsatzfrage, unter welcher Überschrift zivilgesellschaftliches Handeln grundsätzlich zusammenzufassen ist. Geht es, wie besonders in den Jahren 2000 bis 2015 vielfach betont wurde, in einer ökonomischen Betrachtungsweise um den Impact, also den tatsächlichen, messbaren Beitrag zivilgesellschaftlicher Akteure zur Wohlfahrtsproduktion, Verbesserung der Lebensqua-
|| 391 Thatcher, Interview mit der Zeitschrift Woman’s Own. https://doi.org/10.1515/9783110553475-010
240 | Der Beitrag der Zivilgesellschaft
lität und sozialen Innovation? Geht es in demokratietheoretischer Perspektive eher um die Ermöglichung und Verwirklichung von Partizipation am Gemeinwesen, um den Ausgleich von erkannten Defiziten einer rein parlamentarisch-repräsentativ aufgebauten demokratischen Verfassung? Oder geht es letztlich weder um das eine noch das andere, sondern baut zivilgesellschaftliches Handeln individualistisch auf Menschen- und Bürgerrechten auf, indem die Staatsordnung allen Bürgerinnen und Bürgern zuzubilligen hat, zur eigenen, möglicher- aber nicht notwendigerweise religiösen Erfüllung einer anthropologischen Grundkonstante des Schenkens von Zeit, Empathie, Wissen, Ideen, Reputation und Vermögenswerten Genüge zu tun? Die Antwort auf diese Frage hat möglicherweise Einfluss auf die Beantwortung der viel häufiger gestellten und oft recht verbissen geführten Frage, was denn im Einzelnen der Zivilgesellschaft zuzurechnen sei. So sind beispielsweise die Krankenhäuser in gemeinnütziger Trägerschaft – Träger von rund 50 Prozent aller Krankenhausbetten in Deutschland – Betriebe, die sich mit Wirtschaftsbetrieben vergleichen lassen müssen. Weder eine demokratietheoretische noch eine individualistische Komponente lassen sich diesen zuordnen. Insofern ist ihre Zuordnung so lange zu Recht strittig, wie der Beitrag zur Wohlfahrtsproduktion nicht als hinreichende Begründung für zivilgesellschaftliches Handeln angesehen wird. Andererseits beweist eine aktuelle Auseinandersetzung um die Zulässigkeit eines allgemeinen politischen Mandats durch eine „steuerbegünstigte“ zivilgesellschaftliche Organisation (ZGO), dass der demokratietheoretische Ansatz durchaus Gegenstand der Debatte ist. Autoren wie Colin Crouch sehen die Zivilgesellschaft vor allem anderen in der Rolle des Wächters in der Gesellschaft, da die für die repräsentative Demokratie entscheidenden gegenseitigen Kontrollund Ausgleichsmechanismen (checks and balances) innerstaatlich nicht mehr funktionieren.392 Interessanterweise wird der Individualansatz nicht nur von Vertretern einer liberalen Gesellschaftsordnung propagiert, sondern ist auch in muslimischen Gesellschaften bestimmend. Beispielsweise werden das Recht, eine religiöse Stiftung (waqʼf) zu gründen, und die Pflicht des Staates, dies zu ermöglichen, nicht im Zusammenhang mit Erträgen für die Gemeinschaft, sondern mit der Erfüllung der religiösen Verpflichtungen durch den einzelnen Bürger gesehen. Insgesamt gesehen stehen die drei Begründungsansätze wohl in Form eines „und/oder“ nebeneinander. Im Einzelnen ist allerdings eine genauere Betrachtung erforderlich, welchen Beitrag die Arena der Zivilgesellschaft und ihre Akteure nicht notwendigerweise für die, in jedem Fall aber in der Gesellschaft erbringen. Hierzu kursieren die unterschiedlichsten Ansichten und Beurteilungen. Während die Staatsverwaltung vor allem die zivilgesellschaftlich erbrachten Dienstleistungen im Sozialwesen, in der Bildung usw. anerkennt und Zivilgesellschaft am liebsten auf || 392 Vgl. Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, S. 242.
Warum Zivilgesellschaft? | 241
das – dank bürgerschaftlichem Engagement kostengünstige und die staatlichen Kassen entlastende – Erbringen solcher Dienstleistungen reduzieren will, klammert beispielsweise die Europäische Union gerade diesen Bereich aus der „wahren“ Zivilgesellschaft aus. Die EU verortet sie eher oder ausschließlich in der Vertretung von Anliegen des allgemeinen Wohls. Beides allein erscheint weder wünschenswert noch eigentlich vernünftig. Vor allem unter dem Gesichtspunkt des bürgerschaftlichen Engagements lassen sich selbst die beiden Extrempositionen kaum voneinander abgrenzen. Wenn es stimmt, dass Innovation und Kreativität in der Freiheit, nicht in der Regulierung gedeihen und wenn die Zivilgesellschaft als die am stärksten freiheitsorientierte Arena der Gesellschaft gilt, kann von ihr ein Höchstmaß an Innovation und Kreativität eingefordert werden, wobei Innovation nicht in dem Sinn missverstanden werden darf, wie es in der Wirtschaft oft geschieht. Weder ist Innovation als „Neuheit, die sich verkaufen lässt“ zu verstehen, noch darf sie als Ziel verabsolutiert werden. Zugleich ist mit dem bürgerschaftlichen Engagement, das zu 80 Prozent in der Zivilgesellschaft verwirklicht wird, fast immer ein sehr konkreter Impuls verbunden. „Nur“ kreativ zu sein, „nur“ für ein Ziel zu kämpfen, ist den meisten Engagierten zu wenig. Sie wollen etwas konkretes, oft sehr praktisches dafür leisten. In der Verbindung zwischen Abstraktem und Konkretem erbringt die Zivilgesellschaft den Mehrwert, auf den die anderen Arenen angewiesen sind. Er beinhaltet bspw. Inklusion, Integration, Partizipation und die Schöpfung von sozialem Kapital. Und nur, wenn die Zivilgesellschaft diesen erbringt, können die drei Arenen auf gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren, die Legitimität der Aufgabenerfüllung in den jeweils anderen Arenen anerkennen und sich gegenseitig befruchten und unterstützen. Idealtypisch werden, jeweils auf Grund von Delegation seitens der Bürger, in jeder Arena spezifische Aufgaben wahrgenommen: – im Staat die Gewährleistung von Sicherheit, die Regelung der Angelegenheiten, die zwingend für alle verbindlich zu regeln sind und die Gewährleistung – nicht notwendigerweise die Bereitstellung – der Leistungen, die allen Bürgern und Bürgerinnen zugänglich sein müssen. (Bildung sei hier als herausragendes Beispiel genannt.) Staat assoziiert sich insoweit mit Repräsentation, Konstitution, Recht, Gewalt und Ordnung. – Der Markt hingegen produziert Güter und Dienstleistungen und bietet sie denen an, die daran Bedarf haben und sie bezahlen können. Er assoziiert sich mit Vertrag, Tausch, Gewinn, aber auch mit Lebensunterhalt und Sicherstellung der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Der Konzentration der Produktionsverhältnisse in der Hand des Staates scheint durch die nach 1990 gewonnenen Einblicke in sozialistische Systeme jedenfalls die stichhaltige Begründung abhandengekommen zu sein. Aus dieser Aufgabenteilung ergeben sich unterschiedliche Handlungslogiken. – Zivilgesellschaft kann als die Summe von Interaktionen angesehen werden, die dem Bedürfnis zu schenken Rechnung tragen. Entscheidendes Merkmal ist, da
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für das Geschenk unerlässliche Voraussetzung, daher das Gebot der Freiwilligkeit der Zugehörigkeit. Nur aus eigenem Antrieb, selbstermächtigt, kann der Bürger in diesen Bereich eintreten. Weder durch Geburt, noch durch Beruf oder Wohnort ist eine Mitgliedschaft vorgegeben, wenngleich jede dieser Voraussetzungen handlungsleitend sein kann. Die Selbstermächtigung hat weitreichende Konsequenzen für das Selbstverständnis und die Handlungslogik der Zivilgesellschaft, die es zu respektieren gilt, wenn der Dialog mit der Zivilgesellschaft erfolgreich sein soll. Sie ist pädagogisch exogen, im Übrigen aber intrinsisch endogen bestimmt. Aus der Selbstermächtigung folgt im Übrigen die autonome Selbstorganisation bzw. Selbstverwaltung. Ebenso folgt daraus ein plurales Verständnis des Handelns, da ja aus welchen Gründen auch immer andere eine andere Organisation freiwillig bilden können. Diese Pluralität ist wesentliche Vorbedingung für die Kreativität der Zivilgesellschaft. Sie durch ein Verlangen nach klaren Strukturen, wenigen Ansprechpartnern, legitimen Repräsentanten oder leistungsfähigen Organisationen zu verdrängen, heißt die Natur der Zivilgesellschaft zu verkennen, was notwendigerweise zu Beeinträchtigungen des Ergebnisses führen muss. Zivilgesellschaft assoziiert sich insoweit mit Begriffen wie Partizipation, Freiheit, Deliberation, Öffentlichkeit, Kooperation und Geschenk. Und auch daraus ergibt sich eine unterscheidbare Handlungslogik. Um den potenziellen Beitrag zu ermessen, muss geklärt werden, wer zu dieser Zivilgesellschaft gehört. Dies erscheint umso notwendiger, als die Auftritte weniger, durchaus legitimer Akteure den Blick auf diese konzentrieren, den auf die übrigen Akteure aber vernebeln. Deshalb sind letztlich radikale und weniger radikale Bürgerinitiativen ebenso dazuzuzählen wie Sportvereine, Kirchenchöre, Selbsthilfegruppen, klassische Hilfsorganisationen wie die Malteser, Museumsvereine, Service-Clubs wie Rotary, Umwelt- und Naturschutzorganisationen, Bürgerrechtsgruppen, operative und fördernde Stiftungen, bürgerliche Geselligkeitsvereine, Automobilclubs, Trachten- oder Schrebergartenvereine und staatsbürgerliche Vereinigungen. Sie sind konservativ, liberal oder „links“, alt oder neu, groß oder klein, mehr oder weniger formell strukturiert. Sie sind traditionalistisch oder progressiv, staatsnah oder staatsfern, empfinden sich als Hüter der Ordnung oder als Agenten des Wandels. Die Akteure pflegen wenig Zusammenhalt untereinander und sehen traditionell große andere Organisationen als nicht zugehörig oder minder legitimiert an. Eine gemeinsame Zivilgesellschaftsidentität geht ihnen großenteils ab; manche teilen ihr Selbstverständnis eher mit Markt- und Staatsorganisationen ähnlicher Zielrichtung als mit anderen Teilen der Zivilgesellschaft. Manche sind wichtige Teilnehmer am Marktgeschehen, überwiegend sind sie aber im wirtschaftlichen Sinne unbedeutend. Kurz: Sie sind höchst heterogen und finden nur teilweise zu gemeinsamen Interessenvertretungen. Und doch ist offensichtlich, dass es zwischen der sich aufopfernden Caritasschwester und dem „Wutbürger“ in Stuttgart, dem „ehrenamtlichen“ Jugendsportleiter und dem aktiven Mitglied in einem Laienchor mehr
Der zivilgesellschaftliche Mehrwert | 243
Gemeinsamkeiten gibt, als traditionell angenommen wurde. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich gut dadurch herausarbeiten, dass man die Funktionsbereiche von ZGO darstellt. Unübersehbar ist, dass fast jede ZGO regelmäßig mehr als eine dieser Funktionen erfüllt (siehe Kap. 6.3). Andererseits wird deutlich, dass diese Betrachtungsweise eine gesamthafte Untersuchung der Zivilgesellschaft ermöglicht und zugleich über die getroffene Einteilung eine sinnvolle Zuordnung einzelner Akteure erleichtert.
8.2 Der zivilgesellschaftliche Mehrwert Der Zusammenhang zwischen Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement ist unter anderem dem ursächlich selbstermächtigten und selbstorganisierten Charakter eines jeden Engagements geschuldet. Bürgerschaftliches Engagement erfüllt diverse Funktionen; eine weithin vernachlässigte Funktion ist, dass durch bürgerschaftlich engagiertes Handeln ein Mehrwert produziert wird, der der Gesellschaft zugutekommt. Dies gilt unabhängig davon, ob das zivilgesellschaftliche Handeln im Sinne Albert Hirschmans als loyal, exit oder voice zu kennzeichnen ist393. Auch Dierk Borstel spricht von der Tätigkeit und den Projekten zivilgesellschaftlicher Akteure als subversiv, stabilisierend oder integrierend.394 Setzt man den Menschen zu tatsächlichen Machtstrukturen in Beziehung, wird deutlich, dass alle diese Funktionen ihre Notwendigkeit besitzen, damit heranwächst, was oft mit Zivilgesellschaft verwechselt wird: die Bürgergesellschaft, die Gesellschaft also, die von den Bürgern her bestimmt ist. In Bezug auf wünschenswerte Klärungen von Aufgabenstellung und Abgrenzung findet sich hier im Übrigen die Scheidewand. Was mit diesem Ziel nicht kompatibel ist, gehört nicht hierher. Organisationen, in denen getauscht und nicht geschenkt wird, gehören danach beurteilt. Und selbstverständlich: Feinden der offenen, der Bürgergesellschaft kann durch diese Trennung das Deckmäntelchen der Gemeinnützigkeit genommen werden. Es gehört zu den Paradoxien des modernen Staates, dass dieser einerseits die Entstehung einer Zivilgesellschaft durchaus gefördert, andererseits aber auch notwendig gemacht hat, indem sich gerade die demokratisch gewählte Staatsführung in besonderem Maße von den Bürgerinnen und Bürgern abgeschottet und isoliert hat. Bei der Beurteilung von bürgerschaftlichem Engagement aus der Sicht des gesellschaftlichen Bedarfs kommt es nicht oder nur nachrangig darauf an, welche unmittelbare Leistung mit welchem Erfolg durch dieses Engagement erbracht wird und ob diese für die Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben finanziell attraktiv ist.
|| 393 Vgl. Hirschman, Exit, Voice and Loyalty. 394 Vgl. Borstel, Zivilgesellschaft in dörflichen Kontexten.
244 | Der Beitrag der Zivilgesellschaft
Vielmehr geht es darum, dass Menschen kontinuierlich die Prozesse des Schenkens an die Gemeinschaft erlernen und immer wieder üben. Hier und nur hier befindet sich die Schule der Demokratie, mehr noch, die Schule der Bürgergesellschaft. Gegen den Ausdruck „zivilgesellschaftlicher Mehrwert“ ist eingewendet worden, dass er selbst der Begrifflichkeit des Marktes entnommen und daher zur Charakterisierung spezifischer Errungenschaften der Zivilgesellschaft ungeeignet sei. Das Argument ist schlechterdings nicht von der Hand zu weisen, jedoch ist derzeit kein besserer Ausdruck erkennbar. Es ist allerdings festzuhalten, dass mit dem zivilgesellschaftlichen Mehrwert gerade die Leistungen der Art bezeichnet werden sollen, zu deren Erbringung Organisationen des Staates und Unternehmungen des Marktes nicht oder nur peripher in der Lage erscheinen. Diese Leistungen legitimieren in herausragender Weise die Zivilgesellschaft als eigene Sphäre oder Arena gesellschaftlich relevanten Handelns. Mehr noch: Sie ermöglichen einen anderen Blick auf die Argumente, die zur Begründung einer Sonderstellung herangezogen werden können. Dies erscheint deswegen relevant, weil zahlreiche, normativ durchaus positiv zu bewertende Organisationen der Sozialwirtschaft, z. B. Genossenschaften, als Hybride und in letzter Konsequenz als Marktteilnehmer gesehen und (etwa nach Europäischem Wettbewerbsrecht oder deutschem Steuerrecht) als solche beurteilt werden, obwohl ihre Doppelfunktion nicht zu übersehen ist. Sie können durch Ausdrücke wie low profit oder „zielorientierte Unternehmungen“ von ausschließlich gewinnorientierten Unternehmungen unterschieden werden. Die Ausprägung solcher Hybride legt die Schlussfolgerung nahe, dass eine scharfe Abgrenzung der Arenen unmöglich ist; der zivilgesellschaftliche Mehrwert mag als Kriterium bei der Grenzziehung heranzuziehen sein. Zum zivilgesellschaftlichen Mehrwert können ferner Inklusion und Integration von Mitgliedern eines Verbundes, Partizipation an Entscheidungsprozessen sowie Beiträge zum sozialen Wandel und sozialen Frieden gehören. Auch die Einübung eines zivilen Miteinanders, einer Zivilität, kann hierunter gefasst werden, womit eine Brücke zu einem Handlungskonzept von Zivilgesellschaft geschlagen wird (siehe Kap. 5.3). Wenn Menschen sich durch bürgerschaftliches Engagement in ihrem Wohn-, Arbeits- und sozialen Umfeld angenommen fühlen, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft sich zusammengehörig fühlen und gemeinsam allseits betreffende Herausforderungen annehmen und meistern können, wird dadurch für die Stabilität der Gesellschaft viel erreicht, auch wenn sich das Erreichte schwer messen und schon gar nicht ordnen lässt. Wenn sich Bürgerinnen und Bürger durch die Erfahrung erfolgreicher Beteiligung an Entscheidungsprozessen und Projekten in selbstorganisierten, überschaubaren Gruppierungen als Bürger bestätigt fühlen, ist dies für das Zusammenleben wertvoll. Wenn sie darüber hinaus partizipatorisches Verhalten einüben und dies für die Beteiligung in größeren Zusammenhängen, etwa der Gemeinde nutzen, wird dadurch ein demokratietheoretischer Gewinn erzielt. Dass das Gemeinwesen im
Ressourcen der Zivilgesellschaft | 245
Übrigen durch seine weitere Ausdifferenzierung zunehmend Partizipationsprozesse in selbstermächtigt zustande gekommen Gruppierungen organisieren muss und insoweit das längst brüchige staatliche Monopol der Gemeinwohldefinition überwindet, ist ein aus zivilgesellschaftlicher Perspektive wünschenswerter, aus staatlicher Sicht hingegen zu respektierender Effekt. Sozialer Wandel bezieht sich insoweit nicht nur auf eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse insbesondere für benachteiligte Teile der Gesellschaft, sondern beinhaltet auch einen experimentell angelegten Entwicklungsprozess hin zu neuen Ausformungen einer im weitesten Sinn politischen Ordnung. Dieser Mehrwert wird unabhängig von den hergestellten Gütern produziert. So können beispielsweise Geselligkeitsvereine, Schützen- oder Trachtengruppen, Blaskapellen, Laientheatergruppen usw. einen erheblichen zivilgesellschaftlichen Mehrwert produzieren, obwohl die von ihnen hergestellten Güter möglicherweise von geringem öffentlichem Interesse sind und überwiegend der Freizeitgestaltung ihrer Mitglieder dienen. Die interessante, bislang kaum untersuchte Frage ist, inwieweit einzelne zivilgesellschaftliche Organisationen zur Produktion des Mehrwerts beitragen.395
8.3 Ressourcen der Zivilgesellschaft Die Arena der Zivilgesellschaft stellt der Gesellschaft einerseits Ressourcen zur Verfügung, die keine andere Arena – also weder Staat noch Markt – bereitstellen kann. Die zivilgesellschaftlichen Akteure sind andererseits auf Ressourcen angewiesen, ohne die sie ihren bürgergesellschaftlichen Auftrag nicht erfüllen können. Die materiellen Ressourcen der Zivilgesellschaft setzen sich aus einer Vielzahl von Elementen zusammen. Entgegen landläufiger Meinung stehen Spenden nicht im Vordergrund. Vielmehr sind viele Organisationen sehr wohl auch Anbieter von Dienstleistungen, durch die sie unmittelbar die eigenen gemeinwohlorientierten Ziele zu erfüllen trachten (related business). Außerdem können als materielle Ressource auch die Erträge aus eigenem Vermögen und aus nicht zur Zielstellung der Organisation gehörenden eigenen Wirtschaftsunternehmen dienen (unrelated business). Für viele, aber keineswegs alle Stiftungen, ist dies die einzige Art, materielle Ressourcen für die Verfolgung der ideellen Ziele zu gewinnen, aber auch andere Organisationen können, bspw. infolge von Erbschaften, gelegentlich auf derartige Ressourcen zurückgreifen. Die überwiegende Zahl der zivilgesellschaftlichen Akteure befindet sich allerdings in einem systemisch bedingten Prekariat, das es ihnen nur aufgrund einer ständigen Selbstausbeutung und einer oft überproportionalen Gewichtung des
|| 395 Vgl. Groschke/Gründinger/Holewa/Schreier/Strachwitz, Der zivilgesellschaftliche Mehrwert.
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Fundraising erlaubt, ihre Ziele zu verfolgen. Dass dies vor allem auf kleinere, damit aber auch oft auf besonders ideenreiche und aktive Organisationen zutrifft, ist offensichtlich. Eine indirekte materielle Ressource besonderer Art stellt die Freistellung gemeinwohlorientierten Handelns von Ertrags- und Vermögensteuern und die Gewährung von Steuernachlässen an Spender und Stifter dar, die seit über 100 Jahren zum festen Attribut zivilgesellschaftlichen Handelns gehören. Es ist demokratietheoretisch unrichtig und im Grunde auch unlauter, dies als Steuerprivileg, Steuerbegünstigung oder Steuervergünstigung zu bezeichnen, wie es in den offiziellen Texten der staatlichen Verwaltung geschieht. Der moderne Verfassungsstaat hat keine Privilegien zu gewähren, sondern entscheidet nach Maßgabe des Willens der Bürgerinnen und Bürger nur, was zu besteuern ist und was nicht. Dass gemeinwohlorientiertes Handeln der Bürgerinnen und Bürger in gesetzlich normiertem Umfang der Besteuerung nicht unterliegt, ergibt sich wesentlich aus übergeordneten Gesichtspunkten, beispielsweise dem erbrachten zivilgesellschaftlichen Mehrwert. Allerdings ist nicht zu bestreiten, dass es hier eine Einengungsnotwendigkeit gibt. Ob sie so ausfallen muss, wie es die deutsche Gesetzgebung und vor allem Verwaltungspraxis handhabt, ist jedoch strittig. Die zivilgesellschaftliche Handlungslogik bedingt, dass eine Beschreibung der Ressourcen der Zivilgesellschaft keinesfalls auf die materiellen Ressourcen beschränkt bleiben darf. Der Begriff des Geschenks als definitorisches Attribut dieser Arena bedingt zahlreiche Formen, in denen diese Geschenke erbracht werden: 1. An erster Stelle steht dabei gewiss die Empathie, die zugleich als Geschenk an einen konkreten Mitmenschen und an die Gesellschaft insgesamt gesehen werden kann. Ohne Empathie wäre jede Gesellschaft zum Untergang verurteilt. In den 1990er und 2000er Jahren, als der homo oeconomicus endgültig zum Leitbild eines angeblich siegreichen Kapitalismus zu avancieren schien und man in den Arenen des Marktes und des Staates unablässig das verkündete, was angeblich Adam Smith zur Grundlage des Wohlstands der Nationen erkoren hatte, kam man – wie sich ab 2007 erwies – diesem Untergang gefährlich nah. Die Sorge war aber unbegründet, denn, so hatte Adam Smith tatsächlich gesagt: How selfish soever man may be supposed, there are evidently some principles in his nature, which interest him in the fortune of others, and render their happiness necessary to him, though he derives nothing from it except the pleasure of seeing it.396
Empathie gehört in der Tat zu den Grundkonstanten menschlicher Existenz und richtet sich auch keineswegs nur auf die Mitglieder der eigenen Familie oder auf die Partnerin bzw. den Partner, sondern auch auf entfernter stehende Men-
|| 396 Smith, The Theory of Moral Sentiments.
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schen.397 Allein als Arena der Empathie hätte die Zivilgesellschaft schon ihre Daseinsberechtigung. Wirtschaftlich bedeutend ist zweifellos das Schenken von Zeit, früher meist Ehrenamt genannt, heute in der Regel durch den Begriff des bürgerschaftlichen Engagements ausgedrückt. Dieser umfasst zwar auch die übrigen Formen, nimmt aber das Zeitengagement genauso in den Fokus wie die politische Komponente, indem er Engagement mit einem Bürgerbegriff assoziiert, der im modernen Verständnis von materiellem Wohlstand ebenso unabhängig ist wie von der Zugehörigkeit zu Bildungs- und anderen Eliten. Noch wichtiger erscheint allerdings das bürgerschaftliche Engagement als wesentliches Element gerade in den zivilgesellschaftlichen Funktionen, die nicht mit Dienstleistungen verbunden sind, aber regelmäßig den größten zivilgesellschaftlichen Mehrwert erbringen. Hinzu treten weitere Geschenke in Form von Kreativität, Know-How und Reputation, allesamt überaus wichtig und regelmäßig sowie in großem Umfang erbracht. Komplizenschaft – in der Definition des deutschen Strafrechts Mittäterschaft im Schmieden einer Idee und deren Umsetzung – ist auch im allgemeinen Sprachgebrauch begrifflich für die reserviert, die kollektiv Illegales im Schilde führen. Gesa Ziemer hat jüngst herausgearbeitet, dass er durchaus auch legale und vor allem legitime Handlungen umfassen kann und heute als innovativer Ansatz kollektiven Handelns erscheint398. Einzelne Bürger handeln hochgradig affektiv, verbindlich gemeinsam, aber nur temporär, dabei durchgehend individuell, zielorientiert und dennoch erfinderisch-kreativ. In diesem Konzept scheint Karl Poppers „Offene Gesellschaft“ auf, eine wandlungsfähige Heterarchie399, in der die Stärke der Ideen das Rennen macht. Diese Stärke der Ideen, die in offenen, kreativen, kontroversen, chaotischen, unorganisierten Prozessen und Diskursen entstehen, sich formen, beeinflussen und erledigen, sind die entscheidende Ressource, die die Zivilgesellschaft einbringen kann. Nicht technische Innovationen oder messbare Erfolge (impact), sondern der nie abkühlende „Hexenkessel“, in dem immer neue Akteure zu Komplizen der älteren werden, sind letztlich auch die entscheidende Ressource der Zivilgesellschaft selbst. Die Komplizen an ihrer „Selbstausbeutung“ zu hindern, ist ein Akt der Borniertheit und Unvernunft, sie dazu zu ermutigen hingegen ein Akt der Klugheit und Weitsicht. Die Wagenburg eines überkommenen politisch-administrativen Systems zu errichten, um sich gegen diese Komplizen zu verteidigen, ist darüber hinaus sinnlos: „On résiste à lʼinvasion des armées; on ne résiste pas à lʼinvasion
|| 397 Vgl. Armstrong, The Great Transformation. 398 Vgl. Ziemer, Komplizenschaft. 399 Vgl. Dreher, Formen sozialer Ordnung im Vergleich.
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des idées.“400 (dt.: „Man kann der Invasion von Armeen Widerstand leisten, aber keiner Invasion von Ideen.“) Wer für solchen Widerstand Ressourcen des Staates einsetzt, veruntreut Mittel, die ihm die Bürgerinnen und Bürger anvertraut haben. Mit diesen Ressourcen hingegen den Dialog mit den Komplizen zu führen, ihre Ideen zu befördern, die Ressourcen in diesem Sinne zu nutzen und den vordergründigen Verlust an bürokratischer Macht zu akzeptieren, gereicht dem Staat des 21. Jahrhunderts und seinen Vertretern zur Ehre und bringt die Gesellschaft voran. In ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen sind Geschenke in Form von Reputation, Know-How und Kreativität. Die Idee, prominente Mitbürgerinnen und Mitbürger als „Botschafter“ zu gewinnen und mit der Aufgabe zu betrauen, in der Öffentlichkeit für eine Organisation zu werben, macht durchaus Sinn. Auch flexible Modelle, die dazu dienen können, das Wissen von Experten oder den Ideenreichtum von hierzu begabten Menschen nutzbar zu machen, haben sich vielfach bewährt. Beiräte und Kuratorien arbeiten, wenn sie gut organisiert sind, erfolgreich mit diesen Instrumenten.
8.4 Widerstand und ziviler Ungehorsam Proteste fallen gelegentlich Deutungen anheim, die ein entwertendes Bild in der Öffentlichkeit zeichnen. Widerständigkeit, Negation, Dissens, Widerspruch oder Protest scheinen mancherorts nicht zum Elementarbereich von Demokratietheorie zu gehören. Um einer affirmativen Auslegung von Demokratie zu entgehen, wird im Folgenden der Begriff Widerständigkeit betont. Die Hervorhebung von Widerständigkeit – in Albert Hirschmans Diktion voice – als konstitutives Element eines kritischen Bestandteils von Zivilgesellschaft setzt sich entschieden von affirmativen Demokratieauffassungen ab und schöpft ihre Produktivkraft und motivierende Dynamik aus der selbstbewussten Negationshaltung von zivilgesellschaftlichen Akteuren gegenüber den jeweils relevanten Funktionssystemen wie Politik, Wirtschaft, Religion, Erziehung, Medizin und so weiter. Dieser Ausdrucksform zivilgesellschaftlichen Handelns entgegenzuhalten, sie sei nicht bereit oder nicht in der Lage, Lösungsansätze für das angeprangerte Problem zu entwickeln oder gar umzusetzen, ist schon im Hinblick auf die unterschiedliche Aufgabenstellung unsinnig. Letztlich ist „der Staat“ von den Bürgerinnen und Bürgern damit beauftragt, Lösungen zu finden; hierfür erhält er auf dem Wege der Steuer Mittel in einem Umfang, über den die zivilgesellschaftlichen Akteure nicht im entferntesten verfügen können.
|| 400 Hugo, Histoire dʼun crime, S. 600.
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8.4.1 Widerstandskategorien Das breite und facettenreiche Spektrum von Widerständigkeit besitzt vielfältige Ziele und Wirkungsgrade. Gemeinsames Merkmal aller Protestformen ist, dass sie „zumindest im Ansatz eine Gegenmacht zur etablierten, mit einem Monopol zur Anwendung physischer Gewalt ausgestatteten, Politik darstellen“401. Die hier vorgeschlagenen drei Widerstandskategorien haben nur analytischen Charakter, denn es erweist sich als problematisch, der komplexen Realität des Widerstandes mit seinen fließenden Übergängen gerecht zu werden: 1. Der legale Protest als ein produktives Merkmal demokratischer Gesellschaften: Unter dieser Bezeichnung lassen sich unterschiedliche Aktionsformen subsumieren, mit denen öffentliche Aufmerksamkeit hergestellt wird. Legal ist all das, was gesetzlich erlaubt ist; legitim ist das, was nach gesellschaftlichen, kulturellen, moralischen, also kollektiven Werten und Normen als rechtmäßig angesehen wird. Wichtig erscheint in diesem Kontext, dass alle Protestaktionen sich im Rahmen demokratischer Ordnung abspielen und produktiven Charakter für die Zivilgesellschaft und letztlich für die Gesellschaft haben402. Zu den häufig anzutreffenden Formen zählen z.B. Demonstrationen, Straßentheater, autonomes Publizieren oder Unterschriftensammlungen. Der Protest zeigt sich eruptiv und besticht durch seine Spontanität, wodurch seine besondere Virulenz für die Gegnerschaft hervortritt. 2. Der zivile Ungehorsam als ein regelüberschreitender Widerstand auf der Basis demokratischer Mittel: Diese wohl populärste Form des gesetzesübertretenden gewaltlosen Protesthandelns kristallisiert sich in der Idee des zivilen Ungehorsams. Die historischen Wurzeln sind bei Henry David Thoreau (1817–1862) zu suchen. Seine Idee der civil disobedience ist eine gewaltlose Gehorsamsverweigerung gegenüber staatlichen Anordnungen, z.B. in Form einer Steuerverweigerung. Diese Verweigerung ist zulässig und geboten – Thoreau selbst spricht von der „Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“403 –, auch wenn durch die Anordnung eine Ungerechtigkeit gegenüber Dritten zu antizipieren ist. Dabei ist der Maßstab der Entscheidung sein eigenes Gewissen gewesen404. 3. Der absolute Widerstand, der notwendigerweise nicht innerhalb demokratischer Prozeduren zu verorten ist: Dieser beschreibt die aggressivste, nicht verständigungsorientierte Form des Protests. Hier wird die demokratische Ordnung überschritten und es werden Ergebnisse absoluter (irreversibler) Entscheidun-
|| 401 Mehlich, Politischer Protest und Stabilität, S. 135. 402 Vgl. Rucht, Die konstruktive Funktion von Protesten in und für Zivilgesellschaften, S. 144. 403 Thoreau, Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat, S. 7 ff. 404 Vgl. dazu kritisch Laker, Ziviler Ungehorsam, S. 80; weiterführend Vandamme, Basisdemokratie als zivile Intervention sowie Kleger, Der neue Ungehorsam.
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gen eigenmächtig erzielt. Die Hinwendung der Protestierenden zu Mitteln der Gewalt deutet den Versuch an, Entscheidungen zu erzwingen bei gleichsamer Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols. Der Verzicht auf die Einhaltung der Gewaltlosigkeit ist in der Regel der qualitative Unterschied gegenüber dem legalen Protest und dem zivilen Ungehorsam.
8.4.2 Empowerment als Konzeption von Widerständigkeit Der Ursprung des Konzepts des Empowerment ist im angloamerikanischen Raum zu verorten und fand dort seinen Ausdruck in den Aktionen des community organizing405. Die Wiederherstellung des eigenen Alltags mit seinen eigenlogischen Strukturen als gesellschaftliche Emanzipationsbewegung ist für die Empowermentkonzeption grundlegend. Der Begriff bedeutet „Selbstbefähigung und Selbstermächtigung, Stärkung von Eigenmacht, Autonomie und Selbstverfügung. Empowerment beschreibt couragierte Prozesse der Selbstbemächtigung, in denen Menschen in Situationen des Mangels, der Benachteiligung oder der gesellschaftlichen Ausgrenzung beginnen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, in denen sie sich ihrer Fähigkeiten bewusst werden, eigene Kräfte entwickeln und ihre individuellen und kollektiven Ressourcen zu einer selbstbestimmten Lebensführung nutzen lernen“406. Es kann von den sich Ermächtigenden selbst oder Dritten ausgehen. Dabei zielt die Aneignungsbewegung bei der Erschaffung von (Frei-)Räumen zunächst nicht auf konsensuelle Verständigung mit Anderen, sondern ihr Widerstandscharakter speist sich gerade aus der Durchsetzung und Abgrenzung selbstgewählter und selbsthergestellter Eigenheitssphären gegenüber eben jenen Anderen (auch im Lichte der Exklusionsproblematik). Exemplarisch sind hierfür die Entwicklungen in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, in der Frauenbewegung und in der Selbsthilfebewegung. In ihren Anfängen tendierten diese Sozialen Bewegungen dazu, Eigenheitssphären für ihre Selbstentfaltung, aufgrund von Missachtung, in einem sozialen Kampf um Anerkennung407 zu erstreiten und diese zu behaupten. Die Durchsetzungsprozesse der Eigenheitssphären mit ihrer spezifischen Eigenlogik und -dynamik geschahen im Wesentlichen durch die Anwendung vielfältiger Protestmittel. Das Kreativitätsspektrum umspannte den Bereich zwischen legalen Protesten, zivilem Ungehorsam und absoluten Widerstandshandlungen. Um jedoch zivilgesellschaftlich gestalterisch und partizipatorisch tätig sein zu können, konnte allein die Be-
|| 405 Vgl. Alinsky, Anleitung zum Mächtigsein. 406 Herriger, Empowerement in der sozialen Arbeit, S. 21. 407 Vgl. Honneth, Kampf um Anerkennung, S. 224; Taylor, Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung.
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hauptung eines exklusiven own space nur temporärer Natur sein. Für die Einnahme einer zivilgesellschaftlichen Position bedarf es notwendigerweise einer verhandlungsoffenen und perspektivenübernehmenden Einstellung gegenüber anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren mit der Verantwortung, distant-issue-Anliegen übernehmen zu wollen. Erst diese voraussetzungsvolle Bereitschaft, sich auf (deliberative) Aushandlungsverfahren in der Zivilgesellschaft einzulassen – wobei hier neben Konsens- auch Differenzkonstruktionen angetroffen werden können –, ermöglicht wirkungsvolle Partizipation in der Zivilgesellschaft.
8.4.3 Widerständigkeit und zivilgesellschaftliche Entwicklung Die durch Widerständigkeit selbstbewusste Erschaffung von Eigenheitssphären der kollektiven Akteure – Bürgerrechtsbewegung, Frauenbewegung, Selbsthilfebewegung – bedarf der Abgrenzung von anderen bei gleichzeitiger Anerkennung der Abgrenzung durch die anderen, weshalb hier die Machtfrage in den Vordergrund rückt. Im sozialen „Kampf um Anerkennung“ kommen diese Selbstbestimmungsund Empowermentprozesse zum Ausdruck. Der Kampf um Anerkennung wird als „notwendiges Moment […] des allgemeineren menschlichen Strebens nach Selbsterkenntnis transparent [und bildet] nunmehr das Pendant und den Kontrapunkt zum modernen Streben nach Autonomie und Emanzipation [und] wirkt als Mittel der Sozialintegration und Gemeinschaftsbildung“408. In einer funktional-differenzierten Gesellschaftsform zeigt sich die Widerständigkeit von sozialen Bewegungen gegenüber Deutungshoheiten und hegemonialen Machtansprüchen funktionssystemischer Herkunft als unabdingbar für die gesellschaftliche Gesamtentwicklung. Gleichzeitig ist die Funktionssystemebene der Gesellschaft auf die Widerständigkeit der lebensweltlichen Ebene angewiesen und die lebensweltliche Ebene bedarf ihrerseits selbstbewusster Opponenten, damit aus demokratietheoretischer Perspektive die Produktivität des Spannungsverhältnisses zwischen „Funktionssystem und Lebenswelt“409 fruchtbar gemacht werden kann. Im Kontext von Zivilgesellschaft ist dieses Spannungsgefüge durch einen komplementären Widerstand gekennzeichnet.410 Die Widerständigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure ist somit Selbstausdruck ihrer Wahrnehmung als produktives demokratisches Element. Ihre Sensitivität und Sensibilität, ausgehend von ihrer Beheimatung in den lebensweltlichen Verbindun-
|| 408 Roth, Abstraktes Recht und Sittlichkeit in Hegels Jenaer Systementwürfen, S. 35. 409 Vgl. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns und Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. 410 Vgl. Ebner von Eschenbach, Zur pädagogischen Relevanz von Widerständigkeit; weiterführend Ebner von Eschenbach, Intermediarität.
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gen, ermöglicht es ihnen, auf Umwelteinflüsse spezifisch zu reagieren. Diese Umweltreagibilität – insbesondere in Form von Widerständigkeit – zeigt die Produktivität für die Konstitution zivilgesellschaftlicher Entwicklung.
8.5 Stakeholder der Zivilgesellschaft Die Zivilgesellschaft hat nicht nur unterschiedliche Stakeholder; diese haben auch höchst unterschiedliche Anforderungen an eine ZGO. Ebenso sind die Verpflichtungen einer Organisation gegenüber dem einzelnen Stakeholder sehr verschieden. Ein allen Anforderungen genügendes, Aggregierung und Vergleich zulassendes, in der Praxis handhabbares und die Schutzinteressen der einzelnen ZGO hinreichend berücksichtigendes Berichts-, Kommunikations- und Bezugssystem wird sich daher unter anderem danach richten, welche Stakeholder welche Bedeutung für die einzelne ZGO haben. Dieser Stakeholder-Ansatz ist keineswegs neu. Jedoch ist er als entscheidendes Klassifizierungsinstrument für die Analyse des Verhältnisses zwischen Akteuren in der Zivilgesellschaft und anderen Akteuren in allen Arenen erst vor relativ kurzer Zeit in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Gerade in Deutschland war traditionell die vom Staat verliehene Legalität lange Zeit der entscheidende Maßstab. Erst ein erweitertes Legitimitätsverständnis, wie es bspw. im neo-institutionalistischen Ansatz zum Ausdruck kommt, hat über den hier zentralen Begriff der Akzeptanz als Legitimitätsbedingung die Bedeutung aller Stakeholder für eben diese Legitimität deutlich werden lassen.411 Anders ausgedrückt: Die Berechtigung, tätig zu sein (licence to operate), hängt primär nicht davon ab, dass ein Gesetz dies zulässt, sondern dass das gesellschaftliche Umfeld dies tut. Dies hat jedoch zur Voraussetzung, dass jeder Stakeholder sich – idealtypisch gesehen – anhand erhaltener Informationen ein Urteil bilden kann. In diesen Zusammenhang ist auch die Transparenzproblematik eingebettet. Berichterstattung an eine staatliche Behörde ist in diesem Sinn gerade kein Ausdruck von Transparenz; diese entsteht vielmehr erst durch eine befriedigende Information aller Stakeholder. Als eindrückliches Beispiel mag die Tätigkeit von Bürgerrechtsgruppen in Opposition zu einem herrschenden autoritären Regime dienen, die von den beteiligten Bürgerinnen und Bürgern – und im Ausland – regelmäßig als besonders legitim beurteilt wird. Hatte Burkhard Wilke acht Stakeholder-Gruppen unterschieden und darauf hingewiesen, dass sich der Kreis noch erweitern ließe, wenn man den Blick auf alle ZGO richtet412, so lassen sich gesamthaft in der Tat mindestens 20 Stakeholder-Gruppen identifizieren, die hin-
|| 411 Siehe hierzu Strachwitz, Die Stiftung – ein Paradox?, S. 213 (dort insbesondere Fußnote 942 mit Verweis auf Meyer/Rowan, Institutionalized Organizations). 412 Vgl. Wilke, Transparenz im Spendenwesen.
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sichtlich der gewünschten oder ihnen zustehenden Informationen jeweils unterschiedliche Anforderungen an ZGO richten.
Grafik 3: Stakeholder der Zivilgesellschaft Quelle: eigene Darstellung
Im Folgenden werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit 20 unterschiedliche Stakeholdergruppen danach untersucht, was und in welchem Umfang sie tatsächlich an Berichterstattung erhalten, was ihnen in der Regel berichtet wird und was ihnen zusteht bzw. wünschenswert wäre: 1. Stifter/Mitglieder/Gesellschafter/Aktionäre: Abhängig von der Rechtsform der einzelnen ZGO haben deren Verwalter eine primäre Rechenschaftspflicht gegenüber dem Stifter (den Stiftern, der Stifterin usw.) einer Stiftung, den Mitgliedern eines Vereins, den Gesellschaftern einer GmbH oder den Aktionären einer AG. Allerdings besitzt der Stifter keine Eigentümerrechte. Die rechtsfähige Stif-
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tung hat keinen externen Eigentümer. Eigentümer der nicht rechtsfähigen Stiftung ist, wenngleich gebunden, der Treuhänder. Mitglieder eines Vereins, Gesellschafter einer GmbH oder Aktionäre einer AG sind hingegen Eigentümer der jeweiligen Organisation. Der im Rahmen des Ausschüttungsverbots notwendige Ausschüttungsverzicht hebt die grundsätzlichen Eigentümerrechte nicht auf. Zumindest ihnen steht daher ein vollumfängliches Auskunftsrecht zu. Ob es eingelöst wird und ob die Eigentümer es überhaupt eingelöst haben wollen, hängt von ihnen selbst ab. Jedenfalls steht es einem Vorstand bzw. einer Geschäftsführung nicht zu, dieses Recht zu beschneiden. Dies kann freilich zu Konflikten führen, wenn bspw. Vertragspartner zugleich Mitglieder sind und das ist häufig der Fall. Bspw. sind in Sportvereinen regelmäßig Mandatsträger oder Mitarbeiter der örtlichen Verwaltung Mitglieder oder sogar Vorstandsmitglieder. Wenigen ist bewusst, dass sie als solche ein Treueverhältnis zu ihrem Verein haben und Interna nicht in ihrer anderen Funktion verwerten dürfen. In der Praxis ist dies allerdings kaum durchzuhalten. Bei Stiftungen verhält es sich ein wenig anders. Zum einen können Stifter einer rechtsfähigen Stiftung nach der Gründung nur dann Einfluss auf Vorgänge in der Organisation nehmen, wenn sie sich dies im Gründungsakt vorbehalten haben. Dessen ungeachtet besteht aber eine Rechenschaftspflicht hinsichtlich der Erfüllung des Stifterwillens fort. Die Stifter werden darin auch über ihren Tod hinaus von der staatlichen Stiftungsaufsicht unterstützt bzw. vertreten, die mit den Instrumenten der hoheitlichen Gewalt ihr Auskunftsbedürfnis befriedigen kann. Stifter einer nicht rechtsfähigen Stiftung behalten in der Regel die Funktion des Treugebers, der vom Treuhänder jederzeit Auskünfte aller Art einfordern kann. Sie können die Treugeberrechte bspw. auf einen Beirat übertragen. Ob und in welchem Umfang Stifter die ihnen grundsätzlich zustehenden Auskünfte erhalten, hängt allerdings auch von der Gestaltung des Stifterwillens in der Satzung ab. Anders als Vereinsgründer haben sie hinsichtlich der Gestaltung der Governance-Struktur einen großen Spielraum. Versuche, diesen über Mustersatzungen und dergleichen einzuengen, sind insoweit unzulässig. Bürgerinnen und Bürger: In einer offenen Gesellschaft haben alle Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf, von Vorgängen zu erfahren, die vorgeben, ihrer Gesamtheit zu dienen. Dieser Anspruch wird nur sehr unvollkommen eingelöst, auch wenn die Mehrzahl der ZGO heute mittels barrierefreier Kommunikationsinstrumente Informationen bereitstellt. Mangels einheitlicher Kriterien lassen sich diese aber ohne besondere Fachkenntnis nicht einordnen und bewerten. Ob vorgetragene 10 Prozent Verwaltungskosten in einer ZGO zu viel, zu wenig oder angemessen sind, lässt sich nur beurteilen, wenn man Vergleiche anstellen kann und Maßstäbe an der Hand hat, die eine solche Beurteilung erlauben. Ob bestimmte ZGO spendenwürdig sind oder nicht, darf nicht nur von der Qualität der jeweiligen Werbemaßnahmen abhängen, sondern muss jedenfalls im Ansatz nachprüfbar sein. Ob die subjektive Gemeinwohlorientierung
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einer ZGO konsensfähig ist, bedarf eines Diskurses, der nicht durch die Mehrheit entschieden, sondern anhand anderer verfügbarer Maßstäbe zu einer Entscheidung geführt werden muss. Demokratie verlangt jenseits der reinen Verfahrensdemokratie die Beurteilung alles Öffentlichen durch alle Bürgerinnen und Bürger. Hierzu müssen alle Akteure, die dieser Beurteilung unterworfen sind, auch Rechenschaft über ihr Handeln ablegen. Dies geschieht zurzeit in Bezug auf die Zivilgesellschaft nicht oder jedenfalls nicht hinreichend. 3. Interne Aufsichtsorgane: Internen Aufsichtsorganen (z.B. einem Stiftungsrat oder einem Vorstand, falls das Tagesgeschäft von einer Geschäftsführung betrieben wird), das heißt mit Entscheidungskompetenz für die Organisation ausgestatteten Gremien, steht zu jeder Zeit eine umfassende und zeitnahe Rechenschaftslegung und Berichterstattung über alle Vorgänge in einer ZGO zu, bei besonderen Vorkommnissen auch eine unverzügliche Information. Diese Aufsicht ist nicht auf Sitzungen beschränkt; in der Praxis wird sie meist vom Vorsitzenden ausgeübt. Andere Mitglieder wenden sich mit der Bitte um Auskünfte an diesen, der sie dann an die Geschäftsführung weiterleitet. Die strikte Einhaltung dieser umfassenden Auskunftspflicht ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass das Aufsichtsorgan seiner Pflicht zur Entgegennahme von Jahresberichten und zur Entlastung des Exekutivorgans verantwortlich nachkommen kann. Ein genereller ausdrücklicher oder stillschweigender Verzicht auf umfassende Berichterstattung ist keinesfalls statthaft. Ein herausragendes Thema bildet in diesem Zusammenhang die Haftung von Organen für das Handeln der Organisation bzw. von deren Mitgliedern (§ 31 BGB). Es liegt insoweit im eigenen Interesse aller Organmitglieder, umfänglich über alle Vorgänge informiert zu sein. Wenig beachtet wird in diesem Zusammenhang, dass die Mitglieder aller Organe gegenüber der ZGO eine Treuepflicht sowie eine Verpflichtung zur Vertraulichkeit haben. Dies kann insbesondere dann zu Konflikten führen, wenn Mitglieder solcher Aufsichtsorgane von außen entsandt sind oder zur Verbesserung des Netzwerks bewusst aus den Reihen der Vertragspartner o.ä. ausgewählt werden. Konflikte dieser Art lassen sich möglicherweise in einem eng gesteckten, besonderen Einzelfall dadurch begrenzen, dass ein Mitglied eines Aufsichtsorgans auf Informationen verzichtet. Im Übrigen lässt sich aber ein Konflikt dieser Art nur durch den Austritt des bzw. der Betreffenden aus dem Aufsichtsorgan lösen. 4. Interne beratende Gremien: Viele ZGO verfügen über Kuratorien, Beiräte oder sonstige beratende Gremien, die keine Entscheidungskompetenz für die Organisation besitzen. Eine relativ umfassende und kontinuierliche Berichterstattung an diese Gremien ist im Hinblick darauf, dass die Mitglieder in der Regel wegen ihrer Kompetenz oder ihres Netzwerks dafür ausgewählt wurden, ein Gebot der Vernunft und dient dem Marketing der Organisation. Auch Mitglieder solcher Gremien sind, wenngleich nicht in so ausgeprägtem Maße wie Mitglieder der Aufsichtsorgane, zur Treue gegenüber der Organisation und in jedem Fall zur
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Verschwiegenheit über interne Vorgänge verpflichtet. Es ist jedoch statthaft, den Gremienmitgliedern Informationen vorzuenthalten, die diese in nicht wünschenswerter Weise verwerten könnten. Allerdings kann dies zu erheblicher Verärgerung führen, die möglicherweise mit einem öffentlich inszenierten Austritt beantwortet wird. Externe Aufsichtsgremien: Nicht wenige ZGO unterliegen einer Aufsicht durch Gremien oder Einrichtungen außerhalb ihres eigenen Einflussbereichs. Gemeint sind damit nicht primär Regelungen der hoheitlichen Gewalt, sondern Stellen, denen aus unterschiedlichen Gründen und in höchst unterschiedlicher, oft hochkomplexer Ausgestaltung ein Einfluss auf autonome Entscheidungen oder Abläufe eingeräumt wird. Wenn bspw. die Deutsche Bischofskonferenz feststellt, „den Bischöfen kommt bei der Aufsicht über Dienste und Einrichtungen in katholischer Trägerschaft eine wichtige Rolle zu“413, so ergibt sich daraus ein Sonderverhältnis, das Auswirkungen auf die Kommunikation und somit auch auf die Berichterstattung hat. Ähnlich lässt sich mutatis mutandis auch die fortdauernde Aufsicht des Bundesrechnungshofs über die Volkswagen Stiftung definieren, die schon 1961 als Stiftung des bürgerlichen Rechts begründet und damit aus der Sphäre des Staates ausgegliedert wurde. Ähnlich verhält es sich mit dem Verhältnis zwischen Dachverbänden und ihren rechtlich selbständigen Regional- oder Fachgliederungen. Das Interesse solcher externer Aufsichtsorgane konzentriert sich im Wesentlichen auf die Einhaltung bestimmter Regeln, die die Grundüberzeugungen und die Einheitlichkeit bestimmter Grundaussagen berühren, im katholischen Bereich etwa der kirchlichen Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch, im Bereich der Volkswagen Stiftung von Verfahrensund sonstigen Bestimmungen, die für den öffentlichen Dienst (und damit zunächst gerade nicht für eine privatrechtliche Stiftung) gelten. Die Einforderung einer accountability kann hier sowohl rechtlich normiert sein, als auch auf andere Weise eingefordert werden. Möglichkeiten reichen von vertraglicher Absicherung (etwa im Rahmen einer Lizenzvergabe) bis zu moralischem Druck verbunden mit der Verpflichtung auf ideelle Grundwerte. Eine zusätzliche Komponente kann in Einzelfällen eine nicht rechtlich, aber „moralisch“ begründete Mithaftung eines Verbandes für seine einzelnen Einrichtungen beinhalten. Hauptamtliche Führungskräfte: Hauptamtliche Führungskräfte, die nicht unmittelbar Organmitglieder sind, über wesentliche Tatsachen, Entwicklungen, Neuigkeiten und Probleme einer ZGO nicht im Unklaren zu lassen, gehört zu den Grundsätzen einer Good Governance. Allgemein verbindliche Regeln lassen sich hierfür nicht aufstellen. Jedoch kann und muss in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass diese Führungskräfte sowohl in Wahrnehmung ihrer Ver-
|| 413 Katholische Kirche, Soziale Einrichtungen in katholischer Trägerschaft und Aufsicht, S. 37.
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antwortung als auch aus existenziellen Gründen ein hohes und berechtigtes Informationsbedürfnis haben. Dieses bildet neben grundsätzlichen Überzeugungen die Grundlage ihrer Loyalität. Wird dieses Bedürfnis nicht befriedigt, ist die Trennung eine schmerzliche, aber nicht die schlimmste Konsequenz. Noch verhängnisvoller ist eine innere Emigration der Führungskräfte, die den Fortbestand der Organisation akut gefährden kann. 7. Ehrenamtliche Führungskräfte und Mitarbeiter: Im Umgang mit ehrenamtlichen Führungskräften und Mitarbeitern sind geteilte Überzeugungen, Inklusion, Loyalität und Partizipation die entscheidenden Instrumente, um die Bindung an die Organisation herzustellen, zu erhalten und wo möglich zu verbessern. Mangels des für hauptamtliche Mitarbeiter einschlägigen Direktionsrechts sind notwendige Weisungen nur auf dieser Basis durchzusetzen. Sie entsprechen im Übrigen dem zivilgesellschaftlichen Mehrwert, den jede ZGO einerseits erbringen muss und holen andererseits die ehrenamtlichen Mitarbeiter bei ihrer spezifischen Motivation ab. Dafür bildet umfassende und kontinuierliche Information eine unabdingbare, aber oft vernachlässigte Voraussetzung. Der Umfang der Berichterstattung wird nach Größe der ZGO und anderen Umständen variieren, doch muss das Vertrauen in die Mitarbeiter Vorrang vor Vertraulichkeitsbedenken behalten. Solche Bedenken müssen durch Verabschiedung, nicht durch Informationsentzug geahndet werden. 8. Haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter: Die Gewinnung von Mitarbeitern einschließlich in Freiwilligendiensten basiert ebenso auf den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes wie auf bereits vorhandener Affinität. Neue Mitarbeiter können hochmotiviert aus dem Ehrenamt kommen oder ihren neuen Arbeitsplatz wie jeden anderen beurteilen. In beiden Fällen ist ein Prozess der Anpassung an die besonderen Bedingungen einer ZGO und das dortige Arbeitsverhältnis erforderlich, der dann besonders komplex ist, wenn dort auch ehrenamtliche Mitarbeiter tätig sind. Die Haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiter haben darüber hinaus ein berechtigtes Interesse daran zu wissen, ob ihr Mitarbeiterverhältnis aus wirtschaftlichen Gründen gefährdet sein kann – angesichts der prekären finanziellen Situation vieler ZGO kein unbilliges Verlangen. Diesem Verlangen stattzugeben und zugleich eine offene Informationspolitik als Gestaltungselement für Zusammenarbeit und Inklusion zu nutzen, liegt insoweit im Interesse der Organisation und ihrer Geschäftsführung. 9. Spender/Sponsoren: Während private Spender in der Regel im Vertrauen auf die Leistungen einer ZGO ohne weitere Beschränkungen spenden, sind Spenden und vor allem Sponsoringleistungen von Unternehmen häufiger an Auflagen gebunden, etwa die Verwendung für ganz bestimmte Zwecke oder im Falle von Sponsoren die Gewährung bestimmter Gegenleistungen. Allen Spendern und Sponsoren steht jedoch eine Rechenschaftslegung über die Verwendung der gespendeten Mittel zu und zwar im Zusammenhang der Gesamtleistung der ZGO. Eine Beschränkung auf die Verwendung der einzelnen Spende genügt insoweit
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nicht. Auch hier ist jedoch die Möglichkeit des Interessenkonflikts gegeben, wenn sich Außenstehende mit anderen Interessen mithilfe einer Spende Zugang zu vertraulichen Informationen verschaffen wollen. Der Umfang der Berichterstattung wird sich daher in vielen Fällen an dem für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmten Umfang orientieren müssen. Ein völliger Verzicht kommt jedoch nicht in Betracht. In der Praxis haben es insbesondere private Spender oft schwer, ihren Informationsanspruch durchzusetzen. Ihnen bleibt allerdings stets das Instrument des Verzichts auf erneutes Spenden. Ein Rückforderungsrecht steht ihnen dagegen nicht zu; entsprechende Versuche, dieses gerichtlich durchzusetzen, sind regelmäßig gescheitert (Beispiel: Stiftung Menschen für Menschen), wenn nicht – analog zur Schenkung – grober Undank nachgewiesen werden konnte. 10. Zuwendungsgeber: Öffentliche Gebietskörperschaften, sonstige öffentliche Körperschaften und privatrechtliche Stiftungen sind vielfach Zuwendungsgeber von ZGO. Ihnen stehen Auskünfte über die Verwendung ihrer Zuwendung im Zusammenhang der Gesamtleistung zu. Dies stößt allerdings bei Großorganisationen an Grenzen, da diesen nicht zuzumuten ist, in der Rechenschaftslegung für eine relativ kleine Zuwendung zu einem Einzelprojekt ihr gesamtes Rechnungswesen offenzulegen. Insbesondere die oft zur Nachprüfung eingesetzten bzw. ermächtigten Verwaltungsämter und Rechnungshöfe überziehen hier nicht selten ihr Auskunftsbedürfnis bei weitem. Allen Zuwendungsgebern steht, sofern dies vertraglich vereinbart wurde oder gesetzlich geregelt ist, im Falle der ungenügenden Rechenschaftslegung ein Rückforderungsrecht zu, das auch regelmäßig ausgeübt wird. Völlig intransparent ist die Nutzung, Aggregierung und Weitergabe von Informationen, die – etwa bei einer Behörde – auf diese Weise gewonnen werden. Angesichts der gesetzlich normierten allgemeinen Zusammenarbeitspflicht zwischen staatlichen Behörden ist ein späterer Missbrauch für unberechtigte Eingriffe nicht auszuschließen. Der Umfang zur Verfügung gestellter Informationen bedarf daher sorgfältiger Abwägung. Vorsicht ist geboten. 11. Andere ZGO: Zunehmend hat die Zivilgesellschaft insgesamt ein Interesse daran, dass sie als aufgeschlossen gegenüber dem Wunsch nach mehr Transparenz gesehen wird. Insofern gehört sie einem besonders interessierten Bereich der Öffentlichkeit an, da mangelnde Verantwortlichkeit sich negativ auf unbeteiligte ZGO auswirken könnte. Die Verbände der ZGO unternehmen nicht zuletzt deshalb immer häufiger Versuche, ihre Mitgliedsorganisationen zu mehr Transparenz zu bewegen. Von dem einzigen Sanktionsmittel, das sie haben, dem Ausschluss bei Nichtbefolgung bestimmter Grundsätze, hat jedoch bisher kein Verband Gebrauch gemacht. Andere ZGO haben darüber hinaus im Vorfeld eventueller Kooperationen einen Auskunftsanspruch. Dieser richtet sich auf Vertretungsbefugnisse, rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse sowie Erfahrungen in einem bestimmten Tätigkeitsbereich. Die einsetzbare Sanktion ist der
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Verzicht auf Kooperation, der aus Sicht aller Beteiligten aber auch dann sinnvoll erscheint, wenn die Gefahr besteht, dass Auskünfte für eine Wettbewerbssituation auf anderem Gebiet ausgenutzt werden können. 12. Markt: ZGO treten vielfach auch auf dem Markt auf, als Kunden ebenso wie als aktive Marktteilnehmer. Treten sie als (potenzielle) Kunden auf, haben die entsprechenden Lieferanten ein legitimes Interesse daran, zu erfahren, ob die ZGO die bestellten Güter oder Dienstleistungen auch bezahlen kann und ob ihr Vertreter berechtigt ist, den Auftrag zu erteilen. Sie sind andererseits zur vertraulichen Behandlung solcher Auskünfte verpflichtet. Dass gerade Finanzdienstleistungsunternehmen diese Vertraulichkeit gelegentlich nicht wahren, ist ein strafbewehrter Tatbestand. Unübersehbar ist der Trend vieler Unternehmen, immer mehr Informationen zu verlangen, die angeblich zur Durchführung einer due diligence oder aus anderen Gründen notwendig sind. Welchen Gebrauch insbesondere marktbeherrschende Unternehmen (bspw. Google) davon machen, ist intransparent. Insoweit ist hier Vorsicht geboten. 13. Vertragspartner: Vertragspartner einer ZGO jedweder Art haben im Vorfeld eines Vertragsabschlusses ein Interesse daran zu erfahren, ob diese die angebotene Leistung erbringen kann, welche Erfahrungen sie besitzt und ob der Verhandlungspartner berechtigt ist, die ZGO bei Vertragsabschluss zu vertreten. Außerdem besteht möglicherweise ein berechtigtes Interesse an Konzepten zur hinter der Leistung stehenden Theorie und zur Durchführung der Leistung. Auch die Biographie der wesentlichen handelnden Personen kann von Interesse sein. Dies gilt besonders für sensible Bereiche wie Kindererziehung, Schulausbildung, aber auch Krankenpflege und ähnliches. Beispielsweise wollen Eltern, die ihr Kind in eine Schule schicken und mit dieser einen Ausbildungsvertrag abschließen möchten, berechtigterweise wissen, welches Ausbildungskonzept verfolgt wird und ob die eingesetzten Lehrkräfte über jeden Verdacht der Pädophilie erhaben sind. Eine besondere Gruppe der Vertragspartner stellen die gesetzlichen Sozialversicherungsträger dar, die selbst vollständig intransparent sind. Für diese gilt in besonderem Maße, dass sie ihre Marktmacht für extremen Druck auf ihre Vertragspartner nutzen. Der von ihnen geforderte nahezu unbeschränkte Einblick in die Rechnungswerke ihrer Partner erlaubt es ihnen, diese gegeneinander auszuspielen und sie gemeinsam unter Druck zu setzen. Hier findet daher die Auskunftspflicht ihre Grenze am notwendigen Schutz vor unberechtigten und überzogenen Einblicken in die Innenkalkulation der ZGO. 14. Destinatäre: Die Destinatäre der Tätigkeit einer ZGO, seien es nun Empfänger von Fördermitteln oder von Leistungen, erhalten in der Regel besonders wenige Informationen über die betreffende ZGO im Allgemeinen. Dabei sollten sie in den meisten Fällen die Entscheidungshoheit darüber behalten, ob sie die Förderung bzw. Leistungen überhaupt in Anspruch nehmen wollen. Der Respekt vor jeder natürlichen oder „moralischen“, das heißt juristischen, Person gebietet es, dieser deutlich zu machen, wer man ist und warum man für sie Leistungen er-
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bringt bzw. sie fördert. Hierzu ist eine Offenlegung der Grundzüge der Tätigkeit im Allgemeinen ebenso wie im vorliegenden Einzelfall unerlässlich. Dass diese in akuten Notsituationen mitunter unterbleiben oder nachgetragen werden muss, versteht sich von selbst. An die erteilten Informationen knüpfen sich oft notwendige Nachfragen zu Bedingungen usw. 15. Vermittler/Berater: An nicht wenigen Stellen nehmen auch ZGO Vermittler und Berater in Anspruch. Diese können ihre Aufgabe nur sachgerecht wahrnehmen, wenn sie umfassend informiert werden. Dies erfolgt häufig nicht. Allgemeine Ängstlichkeit und übermäßige Vorsicht sowie Angst vor Kritik am bisherigen Handeln führen oft dazu, dass die zu gebenden Informationen gefiltert, verkürzt oder beschränkt werden. Dies führt unweigerlich zu einem Leistungsabfall und damit zu einer suboptimalen Verwendung der eingesetzten Mittel, entspricht also nicht dem geforderten verantwortlichen Handeln der damit befassten Führungskräfte. 16. Politik: Seit vielen Jahren wird der Verzicht der meisten Bundes- und Landesregierungen auf eine stringente Zivilgesellschaftspolitik beklagt. Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen werden, je nach Standpunkt, als unzureichend oder Klientelpolitik kritisiert. Die Ursachen liegen vielfach in der mangelnden Vertrautheit der politischen Mandatsträger mit den tatsächlichen Gegebenheiten in der Zivilgesellschaft. Sie beziehen ihre Informationen allzu oft aus Zufallsbegegnungen oder inszenierten „Zufallsbegegnungen“ in ihren Wahlkreisen, bei denen Funktionäre nicht immer mit dem erforderlichen Blick für das Wesentliche konkrete Anliegen vorbringen. Ihnen fehlen die Kriterien für eine sachgerechte Einordnung dessen, was ihnen zugetragen wird. Der berühmte Kommentar des damaligen Bundesarbeitsministers Franz Müntefering in der Bild-Zeitung zu dem 2006 vorgelegten Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister der Finanzen, „An den Vereinen wird nicht geschnippelt“, ist dafür nur ein Beispiel unter vielen. Politische Mandatsträger mit besonderer Sachkenntnis im Bereich von Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement waren immer sehr selten; im gegenwärtigen 19. Deutschen Bundestag gibt es kaum einen. Die Gründe dafür liegen auch darin, dass dieser Bereich immer als ein randständiges, die Karriere nicht förderndes und vor allem politisch wenig gestaltbares Thema angesehen wurde, bei dem man sich überdies auf die Lobbyarbeit der einschlägigen Verbände verlassen zu können glaubte. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass die mangelhafte öffentliche Verantwortlichkeit zunehmend, wenn auch noch nicht lautstark, politisch kritisiert wird und das Bedürfnis nach unabhängig aggregierter Berichterstattung wächst. Hinzu kommt eine zunehmende Ratlosigkeit angesichts der Vorkommnisse bei Organisationen wie der Treberhilfe oder dem ADAC, der Urteile von Gerichten zum Idealverein gemäß § 21 BGB usw., deren politische Aufarbeitung einerseits für notwendig erachtet wird, für die andererseits aber keine Lösungsvor-
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schläge vorliegen und für die eine populistische Lösung nicht geeignet erscheint. In den politischen Think-Tanks, etwa bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, beschäftigen sich zwar Arbeitskreise mit der Thematik. Ihnen fehlen jedoch weitgehend die wissenschaftlichen und empirischen Grundlagen. Die Verbesserung des politischen Stellenwerts der Zivilgesellschaft, die Formulierung vernünftiger gesetzlicher Rahmenbedingungen und eine Kommunikation zwischen Politik und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe sind insoweit stark davon abhängig, dass der Informationsstand über die ZGO bei politischen Entscheidungsträgern und deren Mitarbeitern und zuarbeitenden Stellen wesentlich erhöht wird. Auf die öffentliche Verwaltung ist diesbezüglich kein Verlass. Sieht man darüber hinaus die Parlamente als Repräsentanten der Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger, kommt hier freilich auch das demokratietheoretische Argument zum Tragen, das allen Gemeinwohlakteuren – insbesondere aber denen, deren Gemeinwohlorientierung subjektiv definiert und nicht repräsentativ legitimiert ist – eine besondere Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit aufgibt und die Parlamente zu Hütern der öffentlichen Interessenwahrnehmung bestimmt. Insoweit sind diese auch für die Einforderung einer optimierten Transparenz verantwortlich zu machen. 17. Öffentliche Verwaltung: Die öffentlichen Verwaltungen als Regulierungsbehörden, Subventionsgeber, Vorbereitungsinstanzen politischer Entscheidungsträger und Vertragspartner erhalten fortlaufend eine ausführliche Berichterstattung seitens der ZGO.414 Im Hinblick auf die Rechenschaftslegung gegenüber Verwaltungsbehörden ist die Transparenz von ZGO gewiss nicht defizitär. Die Problematik besteht darin, dass die genannten Funktionen nicht voneinander getrennt sind und mithilfe der Zwangsmittel, die der hoheitlichen Gewalt zur Verfügung stehen, Rechenschaftslegung nahezu unbegrenzt eingefordert werden kann. So kann etwa eine Behörde unter Berufung auf ihre Regulierungsfunktion oder als Subventionsgeber unter Berufung auf Bestimmungen des Haushaltsrechts an Informationen gelangen, die sie in Vertragsverhandlungen, bei denen es um die Bezahlung von in Auftrag gegebenen Leistungen geht, gegen ihre Vertragspartner nutzen kann. Es besteht insoweit nicht nur ein extremes, durch die Größenverhältnisse bedingtes Ungleichgewicht zwischen den Partnern, sondern auch eine extreme Benachteiligung der zivilgesellschaftlichen Partner in allen zu führenden Verhandlungen. Das legitime Schutzbedürfnis der ZGO wird an dieser Stelle massiv unterhöhlt. Hinzu kommt, dass vermutlich ein großer Teil der eingeforderten Rechenschaftsberichte ohne weitere Bearbeitung einfach archiviert wird. Ob dies in allen Fällen tatsächlich so ist oder ob Informationen an andere Stellen, Sicherheitsbehörden oder weitere Vertragspartner weitergereicht wer|| 414 Siehe hierzu ausführlich: Krimmer et al., Transparenz im Dritten Sektor.
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den, ist unbekannt. Insofern ist auch der Schutz vor unkontrollierbaren Datensammlungen, die gegen einzelne ZGO oder die Zivilgesellschaft im Allgemeinen verwendet werden können, mangelhaft. Der Versuch einiger Politiker vor ca. 15 Jahren, einigen unliebsamen Protestbewegungen die Steuerbegünstigung zu entziehen, ist hierfür ein warnendes Indiz. Ebenso kann dies umgekehrt wirken: Meldungen über die gezielte Aushorchung anerkannter Themenanwälte (beispielsweise Amnesty International) durch die NSA verleiten zu der Schlussfolgerung, Behörden jedweder Art könnten ggf. ihren Informationsstand durch Geheimdienstinformationen verbessern. Dementsprechend kommt hier wie gegenüber keinem anderen Stakeholder der Güterabwägung zwischen legitimer und notwendiger Rechenschaftslegung einerseits und dem Schutz vor unerlaubten Einblicken in vertrauliche Interna einer ZGO andererseits herausragende Bedeutung zu. 18. Finanzverwaltung: Mit sehr wenigen Ausnahmen ist die Steuerbegünstigung ein Kennzeichen aller ZGO in Deutschland. Im Zusammenhang der Verwaltungsbehörden kommt der Finanzverwaltung daher eine Sonderstellung zu. Sie verfügt über ein für alle ZGO besonders einschneidendes Regulierungsinstrumentarium und erhält zu dessen Feststellung in besonders großem Umfang zu Beginn und anschließend periodisch Informationen über jede Organisation. Als Eingriffsverwaltung verfügt sie überdies über alle notwendigen hoheitlichen Instrumente, um den Vollzug der einschlägigen Vorschriften sicherzustellen. Bspw. würde die Zusammenfassung aller aus den eingereichten Unterlagen ersichtlichen Angaben über den Eingang von Spenden (denen die Ausstellung einer Zuwendungsbestätigung gegenübersteht) relativ exakte Angaben darüber ermöglichen, wieviel Spenden den ZGO insgesamt zur Verfügung stehen. Ob die Finanzverwaltung für interne Zwecke die Angaben aggregiert, ist unbekannt. Die gelegentlich im Zusammenhang von zusätzlichen steuerlichen Erleichterungen für steuerbegünstigte Körperschaften vor Ausschüssen des Parlaments vorgetragenen Zahlen lassen eher den Schluss zu, dass dies nicht geschieht (oder absichtsvoll geheim gehalten wird). Sicher ist, dass die der Finanzverwaltung zwangsweise zur Verfügung gestellten Angaben weder im einzelnen (dies würde dem Prinzip des Steuergeheimnisses widersprechen) noch in aggregierter Form (was dem Steuergeheimnis nicht widersprechen würde) für statistische oder wissenschaftliche Zwecke verfügbar sind. Dies bedeutet, dass die Finanzverwaltung zumindest hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Mittel zwar einerseits die bestinformierte Stelle im Land darstellt, diese Informationen aber am wenigsten gut verwertet. Dem Gebot der Transparenz wird die Berichterstattung an die Finanzverwaltung jedenfalls in keiner Weise gerecht. 19. Wissenschaft: Die empirische Sozialwissenschaft ist seit rund 25 Jahren auch in Deutschland an robusten Daten über die Zivilgesellschaft und ihre Organisationen in hohem Maße interessiert, nachdem bspw. in den USA bestimmte Grunddaten schon seit der Tax Reform Bill von 1969 über die Finanzverwaltung öffent-
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lich zugänglich sind. Der Verzicht auf gesetzliche Verpflichtungen oder auch nur einen allseits akzeptierten Konsens, die die Bereitstellung von Daten zur wissenschaftlichen Erforschung der Zivilgesellschaft mit sich gebracht hätten, behindert seit dem Beginn einer gezielten empirischen Forschung um 1990 die Erarbeitung valider, empirisch gesicherter Aussagen zur Stärke, Finanzausstattung, finanzieller Potenz usw. Nicht einmal die Zahl der ZGO ist auch nur annähernd bekannt. Da aber wissenschaftliche Aussagen in heutiger Zeit ohne empirische Basis kaum akzeptiert werden, ist der notwendige Verweis auf fehlende Veröffentlichungsvorschriften und daraus resultierende empirische Defizite nicht nur im internationalen Vergleich, sondern auch verglichen mit der wissenschaftlichen Darstellung anderer Forschungs- und Lebensbereiche außerordentlich negativ zu beurteilen. Nicht zuletzt ist der demokratietheoretische Anspruch auf die Teilnahme aller an der res publica, das heißt, an den öffentlichen Angelegenheiten, ohne belastbares Material zu diesem Forschungs- und Lebensbereich kaum zu verwirklichen. Wenn das Informationsfreiheitsgesetz und andere Vorschriften Staats- und Markthandeln zunehmend der Nachprüfbarkeit durch die Gesamtheit der Bürger aussetzen, dann muss zivilgesellschaftliches Handeln im Grundsatz ebenfalls öffentlich diskutierbar sein. Hierfür bedarf es ebenso der wissenschaftlichen Analyse wie der Vorbereitung vernünftiger Rahmenbedingungen. Schließlich ist ein originäres wissenschaftliches Interesse, das sich, vor allem bei Nachwuchswissenschaftlern zunehmend feststellen lässt und das den Kenntnisstand über die Zivilgesellschaft auf den der anderen Arenen heben kann, ohne valide Empirie letztlich nicht zu befriedigen. Den Sozialwissenschaften steht insoweit das Recht auf Verbesserung der Informationen zu. 20. Medien: Die mangelhafte mediale Wahrnehmung der Zivilgesellschaft wird oft genug beklagt. Sie ist zum Teil den schlechten Möglichkeiten der ZGO geschuldet, eine kontinuierliche professionelle Pressearbeit zu betreiben, zum Teil auch der Ungeschicklichkeit von Vertretern der ZGO im Umgang mit Medien. Ein wesentlicher Grund liegt aber darin, dass Medienvertreter unter Verweis auf die fehlende Auskunftspflicht oft genug keine oder nur ungenügende Auskünfte erhalten. Hinzu kommt das Fehlen von wissenschaftlich einwandfreiem Material. Es verwundert insoweit nicht, dass sich Medienvertreter auf öffentlich bekannt werdende Ereignisse stürzen, etwa den Besuch von politischen Repräsentanten und vermeintliche oder tatsächliche Skandale. In großen Organisationen sind nicht selten Informanten anzutreffen, die gegen Entlohnung bereitwillig Informationen vermitteln. Es ist bezeichnend, dass erst durch eine Veröffentlichung im SPIEGEL dem Großteil der Mitarbeiter und fast allen Mitgliedern des ADAC das Ausmaß des über die Jahre angesammelten Vermögens, der Rücklagen sowie die Struktur dieser ZGO bekannt wurden. Ein kontinuierlicher, kritisch-sachlicher medialer Diskurs über die Zivilgesellschaft findet nicht statt. Zivilgesellschaftlich dominierte Ereignisse wie in Ägypten, der Ukraine oder
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Stuttgart werden nicht als Ausdrucksformen der Zivilgesellschaft erkannt und gewürdigt. Rubriken zu Engagement und verwandten Themen werden in einigen Medien nicht ernsthaft journalistisch gestaltet, sondern dienen mithilfe einfacher Reportagen bloß der Leser-, Hörer- oder Zuschauerbindung. Diese erzwungene mediale Abstinenz schadet der Zivilgesellschaft mehr als jede Kritik an einzelnen ZGO oder Ereignissen ihr schaden könnte. In einer Gesellschaft, die sehr stark den öffentlichen Diskurs betont, führt die Abwesenheit aus diesem Diskurs zwangsläufig zu einem Bedeutungsverfall des Themas.
Ergänzende Literatur Bruhn, Weltweiter ziviler Ungehorsam. Die Geschichte einer gewaltfreien Revolution Daphi/Deitelhoff/Rucht/Teune (Hrsg.), Protest in Bewegung? Zum Wandel von Bedingungen, Formen und Effekten politischen Protests Strachwitz, Transparente Zivilgesellschaft? Accountability und Compliance in Non-profitOrganisationen
9 Internationale Zivilgesellschaft 9.1 Einführung Als zum Beginn des 21. Jahrhunderts der damalige Präsident der Weltbank, James Wolfensohn, auf einer Konferenz in Bonn ausführlich von der Notwendigkeit sprach, die Zivilgesellschaft (civil society) in die Strategie- und Governance-Prozesse der internationalen Entwicklung einzubeziehen, pflichteten ihm in der anschließenden Podiumsdiskussion fast alle Teilnehmer, darunter ein lateinamerikanisches Staatsoberhaupt, ausdrücklich bei. Nur das daran beteiligte Mitglied der deutschen Bundesregierung gab hierzu keinen Kommentar ab. Aus dem Publikum darauf angesprochen, kam eine für die damals in Deutschland herrschende Meinung durchaus typische Antwort: „Zivilgesellschaft mag ja geeignet sein, lateinamerikanische Militärdiktaturen zu überwinden; für Deutschland hat sie keine Bewandtnis.“ Noch extremer war der Kommentar des Vorstandsvorsitzenden eines der größten deutschen Unternehmen, als Wolfensohn bei einer nächsten Weltbankkonferenz in Berlin wieder davon sprach. „Zivilgesellschaft“, meinte der Vorstandsvorsitzende, „das sind doch nur die Leute, die mich daran hindern wollen, in mein Hotel zu kommen, wenn ich an einer internationalen Tagung teilnehme!“ Etwa um die gleiche Zeit hatte ein Mitglied einer deutschen Landesregierung, im Anschluss an einen Vortrag über das Ehrenamt auf die politische Bedeutung von Zivilgesellschaft angesprochen, folgenden Kommentar bereit: „Im Moment brauchen wir das wohl, weil die Staatskassen leer sind. Sobald sich das ändert, nehmen wir die Dinge schon wieder in die Hand!“415 Zu dieser Zeit lag bereits der von Lester Salamon und anderen herausgegebene Sammelband „Global Civil Society“416 vor und die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements arbeitete an ihrem Abschlussbericht, in dem es heißt: „Bürgerschaftliches Engagement orientiert sich […] am Begriff der Bürgergesellschaft bzw. Zivilgesellschaft.“417 Einer der von der Kommission herausgegebenen Begleitbände zum Abschlussbericht trug den Titel „Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft“418. In diesem Band ist unter anderem der übersetzte Text eines Vortrags zum Begriff des sozialen Kapitals abgedruckt, den Robert Putnam auf einem Symposium der Arbeitsgruppe „Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft“ der Enquete-Kommisssion am 2.
|| 415 Rupert Strachwitz war Ohrenzeuge aller drei hier zitierten Äußerungen. 416 Vgl. Salamon et al., Global Civil Society. 417 Enquete-Kommission Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements, Bericht: Bürgerschaftliches Engagement, S. 59. 418 Enquete Kommission Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements – Deutscher Bundestag (Hrsg.), Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. https://doi.org/10.1515/9783110553475-011
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April 2001 gehalten hatte. Darin führte er unter anderem aus: „Das Thema, das uns heute zusammenführt, wird manchmal als Zivilgesellschaft, dann wieder als bürgerschaftliches Engagement bezeichnet und neuerdings mit dem Begriff soziales Kapital umschrieben. Es rangiert in vielen Ländern weit oben auf der wissenschaftlichen und politischen Tagesordnung. Das gilt für mein Land [die USA]. Bei einem kürzlichen zweiwöchigen Aufenthalt auf den britischen Inseln stellte ich fest, dass dieselbe Thematik auch in Großbritannien und Irland auf der politischen und wissenschaftlichen Tagesordnung steht. Gleiches gilt für andere Länder einschließlich der Bundesrepublik Deutschland.“419 Diese Feststellung mag für die Debatte unter Experten zutreffend gewesen sein420; im breiteren politischen, wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs spielten jedoch weder der Begriff noch die dadurch bezeichnete gesellschaftliche Arena eine wesentliche Rolle. Dieser blieb dadurch hinter dem internationalen Diskurs deutlich zurück. Obwohl diese Vorgeschichte nun schon länger zurückliegt, hat sich der Begriff in Deutschland, anders als in anderen Ländern, auch heute nur teilweise durchgesetzt. „Die Vernachlässigung des Begriffs Zivilgesellschaft hat […] in der Soziologie seltsame Blüten getrieben […].“421 Dies ist umso erstaunlicher, als die ganze Welt am 9. November 1989 und davor auf Deutschland geblickt und eine Sternstunde der Zivilgesellschaft miterlebt hatte. Ohne die zivilgesellschaftlichen Bewegungen in der DDR und den anderen mittel- und osteuropäischen Ländern wäre der Transformationsprozess nicht entstanden und nicht so abgelaufen, wie ihn Millionen von Menschen weltweit mitverfolgen konnten (siehe Kap. 3.3 und 3.4). „In den Samisdatzeitschriften und den Dokumenten der achtziger Jahre spiegelt sich […] die Vertiefung des Lernprozesses. Befruchtet wurde er durch Bürgerrechtler, die Kontakte nach Polen oder der CSSR pflegten und die dortige Debatte um die Zivilgesellschaft in die DDR einbrachten.“422 Obwohl es aber die keimende Zivilgesellschaft in Mittelund Osteuropa nach wie vor als Sternstunde zivilgesellschaftlicher Wirksamkeit zu erkennen gilt, muss andererseits konstatiert werden, dass gerade diese Zivilgesellschaft nach dem Transformationsprozess schweren inneren Krisen ausgesetzt war oder sogar verschwunden ist. Was übrig blieb, orientierte sich vielmehr an westlichen Vorbildern als an der eigenen Geschichte.423 Auch heutzutage begegnet man Vorurteilen der oben geschilderten Art und in der politischen Debatte spielt die Zivilgesellschaft nach wie vor nur eine begrenzte Rolle, was heute allerdings nicht mehr der Zivilgesellschaft selbst, sondern der Qua|| 419 Putnam, Soziales Kapital in der Bundesrepublik Deutschland und in den USA, S. 257. 420 Siehe hierzu bspw. Evers/Leggewie, Der ermunternde Staat; Klein, Der Diskurs der Zivilgesellschaft. 421 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 152. 422 Neubert, DDR-Opposition und die Herausbildung von Zivilgesellschaft, S. 109. 423 Vgl. Schreier (Hrsg.), 25 Years After, S. 209 f.; Szábo, Civic Engagement in East-Central Europe, S. 80.
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lität der politischen Debatte vorzuwerfen ist424. Dass sich Zivilgesellschaft dennoch als breite, von vielen sich ihr zugehörig fühlenden Institutionen und Bewegungen gestützte politische Kraft auf Dauer etabliert hat, lässt sich nicht mehr bestreiten.
9.2 Zivilgesellschaft weltweit Mehr denn je zuvor verbreitet sich die Kenntnis von gesellschaftlichen Phänomenen und Entwicklungen seit dem 20. Jahrhundert schnell und weltweit. Ideen und Maßnahmen, die an einem Ort erfolgreich erscheinen, werden an vielen anderen Orten kopiert; Zustände, die an einem Ort in die Kritik geraten, lösen weltweit Gegenbewegungen aus. Es kann von daher nicht erstaunen, dass das Phänomen der selbstermächtigten Bildung von selbstorganisierten Gruppen heute als globales Phänomen zu sehen ist, das zu gegebener Zeit an jedem Ort der Welt aufflammen kann. Gewiss sind die Voraussetzungen unterschiedlich und es haben sich besonders im Bereich der Erbringung von Dienstleistungen verschiedene Traditionen herausgebildet. Wenn in Deutschland bspw. 7 Prozent aller Schülerinnen und Schüler allgemeinbildende Schulen in Trägerschaft zivilgesellschaftlicher Organisationen besuchen, in Frankreich rund 20 Prozent, in Spanien 35 Prozent und in den Niederlanden fast 70 Prozent, dann weist dies auf erhebliche Unterschiede in den kulturellen Traditionen und Rahmenbedingungen hin. Ähnliches gilt für das Gesundheitswesen: In Deutschland befinden sich rund 50 Prozent aller Krankenhausbetten in Trägerschaft eines zivilgesellschaftlich organisierten Trägers und nur rund 15 Prozent in staatlicher (einschließlich kommunaler) Trägerschaft. In Frankreich dagegen steht mehr als die Hälfte aller Krankenhausbetten in staatlichen Krankenhäusern. Besonders extrem ist der Unterschied im Hochschulwesen zwischen Europa und den USA. Während staatliche Hochschulen in Europa (ungeachtet häufiger proto-zivilgesellschaftlicher Ursprünge) die Regel sind, ist das Verhältnis in den USA etwa 50 zu 50 Prozent.425 Allerdings ist die Finanzierungsstruktur kaum unterschiedlich, was einen wesentlichen Aspekt aller zivilgesellschaftlichen Dienstleistungen markiert. Ganz überwiegend werden diese Dienstleistungen im Rahmen staatlich dominierter Strukturen finanziert und werden daher als korporatistisch, staatsnah und den politischen Verhältnissen tendenziell loyal und eher passiv gegenüberstehend gesehen426. Die subventionierte Zivilgesellschaft, die sich wegen der Sorge um die Kontinuität der Subventionen (und Kontrakte) mit dem Staat arrangieren muss, ist vielfach || 424 Im Koalitionsvertrag zur Bildung einer Bundesregierung vom 7. Februar 2018 taucht zwar der Begriff Zivilgesellschaft in unterschiedlichen Zusammenhängen insgesamt rund zehnmal auf, jedoch ohne konkrete Programme zu benennen. 425 Dies gilt insbesondere, wenn man die Zahl der Studierenden zum Maßstab nimmt. 426 Siehe hierzu besonders Hirschman, Exit, Voice and Loyalty.
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zu einem Markenzeichen des liberalen Gewährleistungsstaates geworden. Das im frühen 20. Jahrhundert entwickelte Subsidiaritätsprinzip des deutschen Wohlfahrtswesens unterscheidet sich nur noch graduell von Verhältnissen in vielen anderen Staaten. In den letzten Jahren sind in autoritären Staaten bewusste Versuche zu beobachten, loyale Zivilgesellschaften zu schaffen, die einerseits als liberales Aushängeschild, andererseits als Vorfeldorganisation im Arrangement der Macht dienen können. „There is a second civil society that extends the reach of the state into the new Chinese economy and community.“427 Ähnliches wird für Ungarn konstatiert428. Erscheinungsformen dieser Art gibt es mutatis mutandis aber auch in „westlichen“ Gesellschaften. Politik, Medien und Öffentlichkeit haben vor allem dann ein besonderes Augenmerk auf die Zivilgesellschaft, wenn eine gesellschaftliche Krise konstatiert wird, wenn Staat oder Markt versagt zu haben scheinen, wenn besondere Anstrengungen für erforderlich erachtet werden, um die Krise zu überwinden und wenn zivilgesellschaftliche Akteure in Opposition zu den politischen Verhältnissen die Initiative ergreifen429. Einerseits wird dann auf bestehende NGOs, Verbände, Stiftungen usw. mit der Erwartung geblickt, von dort könnten Ideen und Konzepte, aber auch Umsetzungsstrategien kommen. Andererseits entstehen in unorganisierten Prozessen neue Bewegungen, in den sich Menschen zusammenfinden, die zum Teil niemals vorher im öffentlichen Raum tätig geworden sind und die regelmäßig von den Akteuren des jeweils bestimmenden politisch-administrativen Systems mit großem Misstrauen beäugt und vielfach auch versuchsweise mit Gewaltmaßnahmen unterdrückt werden. Ein Beispiel für beides sind die Bürgerrechtsbewegungen in der DDR (Umweltbibliothek, Montagsgebete usw.), die teils aus bestehenden tolerierten Institutionen wie den Kirchen erwachsen, teilweise aber auch völlig neu entstanden sind. „Wir katholischen Laien in Berlin, Potsdam und in der weiteren Umgebung hatten im September, Oktober 1989 angefangen, uns in Gruppen, Kreisen und Gesprächsforen zusammenzufinden. [Wir] hatten […] das Gefühl, wie wir es bisher nie erlebt hatten, dass man in politischer Hinsicht zunehmend sagen und tun konnte, was man wollte“, erinnert sich der Hochschullehrer Hans-Joachim Meyer430. Dies ist dem Prozess vergleichbar, den Alfred Stepan 1988 in Bezug auf Lateinamerika beschrieben hat: „Civil society is the arena in which […] manifold social movements (such as neighbourhood associations, womens’ groups, religious groupings, and intellectual currents) and civic organizations of all classes (such as lawyers, journa-
|| 427 Frolic, State-led civil society, S. 56. 428 Miszlivetz/Ertsey, Hungary. Civil Society in the Post-Socialist World, S. 78 f. 429 In Hirschmans Kategorisierung: voice. 430 Hans Joachim Meyer in: Muschter/Strachwitz, Keine besonderen Vorkommnisse?, S. 239.
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lists, trade-unions and entrepreneurs) attempt to constitute themselves in an ensemble of arrangements so that they can express themselves and advance their interests.“431 Aus ganz anderen Gründen, aber unter vergleichbaren Bedingungen erlebte das in konfuzianischer Tradition gegenüber individuellem Handeln skeptische Japan ein ähnliches Phänomen: The Japanese government dithered in its response to the [1995 Great Hanshin] earthquake. […] In response, a great number of individuals […] rushed to help the victims […]. The earthquake became ‚a watershed event for the development of a civil society in Japan‘432, fueling intense discussion on the role of civil society and creating a broader awareness of the need to foster citizens’ groups. The Great Hanshin Earthquake became a catalyst for both the growth of preexisting citizens’ groups and the launching of many new groups.433
Die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts hat die „loyale“ ebenso wie die protestierende (voice) Funktion weltweit in hohem Maße, wenn auch graduell sehr unterschiedlich, ausgebildet. Dabei werden traditionelle Abgrenzungen, etwa zwischen der Erbringung von Dienstleistungen und politischer Aktion, ebenso verwischt wie regionale oder gar nationale Unterschiede. Wenn der Deutsche Caritasverband, dessen Einrichtungen, Regional- und Fachverbände über 500.000 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigen, von sich sagt, als Verband der Freien Wohlfahrtspflege mische er sich in die sozialpolitische Diskussion ein und mache sich für eine gerechte und solidarische Gesellschaft stark434, unterscheidet sich dies kaum von der Aussage der internationalen Organisation CIVICUS: „Over the 2017–2022 period, we will work to strengthen citizen action and civil society toward a more just, inclusive and sustainable world.“435
9.3 Zivilgesellschaft und politisches Ordnungskonzept Zivilgesellschaft kann nicht als Teil eines Ordnungskonzepts, möglicherweise sogar gar nicht erfasst werden, wenn es mit Hegels Konzept der bürgerlichen Gesellschaft436 in Verbindung oder gar von diesem abgeleitet wird. Denn dieses umfasst ausdrücklich auch die Unternehmen und grenzt sich als Gesamtsphäre bürgerlichen Handelns vom Staat ab (dem es aber untergeordnet bleibt), während Zivilgesell|| 431 Stepan, Rethinking Military Politics. S. 3 f.; (zitiert nach: Avritzer, Latin America in the TwentyFirst Century, S. 40 f.). 432 Japan Center for International Exchange, The Recent Debate on the Role of NPOs in Japan and Private Sector Responses. 433 Hirata, Civil Society in Japan, S. 33 f. 434 Vgl. www.katholisch.de/kirche/verbande/deutscher-caritasverband 435 CIVICUS Strategic Plan 2017–2022, S. 9 (www.civicus.org/documents/strategic-plan/civicusstrategic-plan-2017–2022_en.pdf). 436 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 31 ff.
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schaft sich ebenso explizit von der Sphäre der Wirtschaft absetzt und idealtypisch eine Äquidistanz zu Staat und Wirtschaft postuliert. Wird diese Unterschiedung nicht getroffen, fällt das Konzept der Zivilgesellschaft dem Marxschen Verdikt über die bürgerliche Gesellschaft anheim, dem schon Antonio Gramsci mit seinen Ausführungen zur società civile – als ein vom politischen System im engeren Sinn abzugrenzender Teil des Überbaus und nicht der Basis im Marxschen Sinne – widersprochen hat.437 Auch Jürgen Habermas hat diese Abgrenzung zwischen Markt, Staat und Zivilgesellschaft herausgearbeitet und hierbei den 1980 von Joseph Bessette geprägten Begriff der deliberativen Demokratie438 in den Mittelpunkt gestellt439. Als Arena der deliberativen Demokratie ist Zivilgesellschaft in transnationalen Kontexten schon seit langem von Bedeutung. Es ist bspw. vielfach darauf hingewiesen worden, dass zivilgesellschaftliche Akteure schon vor Jahrzehnten bei der Entwicklung und Formulierung europäischer Konventionen und Verträge Einfluss ausgeübt haben.440 Dem verstärkten Druck, den europäischen Einigungsprozess partizipativer zu gestalten, versuchte die Europäische Kommission (gegen große Widerstände aus dem Rat) entgegenzuwirken, indem sie die politische Rolle der Zivilgesellschaft ausdrücklich hervorgehoben und den Kontakt zu dieser in ihrer themenanwaltschaftlichen (advocacy-) sowie der Wächter- und politischen Deliberationsfunktion gesucht hat.441 Spätestens seit den 1990er Jahren ist ein formalisierter Prozess auf EU-Ebene etabliert. Daran hatte die EU nicht zuletzt unter Gesichtspunkten der Legitimierung ein Interesse.442 „The issue of citizens’ participation in civil society in Europe is perceived as crucial for the democratization and the legitimacy of the European Union as well as for the development of a European identity.“443 Allerdings war der Dialog immer mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass die Zivilgesellschaft schon auf nationaler Ebene kaum von ihr selbst gewählte bevollmächtigte Vertreter kennt, auf die etwa staatliche Gesprächsangebote zurückgreifen könnten. Auf supranationaler Ebene kommt hinzu, dass die Unterhaltung von Zusammenschlüssen und die Finanzierung von Experten, die sich in die komplexen Verhandlungsthemen einarbeiten können, nur sehr großen Organisationen möglich sind. Den meisten und hier gerade den kleinen progressiven Initiativen ist das aus finanziellen Gründen verwehrt.
|| 437 Siehe zu Gramsci Kapitel 1.1.7. 438 Vgl. Bessette, Deliberative Democracy. 439 Vgl. Habermas, Drei normative Modelle der Demokratie. 440 Vgl. Bouza Garcia, Participatory Democracy and Civil Society in the EU, S. 27. 441 Siehe bspw. Europäische Kommission, Mitteilung über die Förderung der Rolle gemeinnütziger Vereine und Stiftungen in Europa. 442 Vgl. Freise, Was meint Brüssel eigentlich, wenn von Zivilgesellschaft die Rede ist?, S. 19. 443 Enjolras, Opportunity Structure for Citizens’ Participation in a European Network Civil Society, S. 227.
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Neben der EU haben sich auch andere supranationale Zusammenschlüsse zum Missfallen der Nationalstaaten bzw. von deren Regierungen um einen konstruktiven und nachhaltigen Dialog mit der Zivilgesellschaft bemüht. Die Funktion von Zivilgesellschaft als wesentlicher Teil einer politischen Ordnung ist somit supranational weit früher zur Kenntnis genommen worden als im deutschen Kontext444, in dem ein klares und ernst gemeintes Bekenntnis zur Bedeutung der Zivilgesellschaft im politischen Prozess noch aussteht – insbesondere, wenn es um Europa geht. „It is clear that EU institutions have to take responsibility in consulting with CSOs, and national authorities are responsible for encouraging their nationality based civil society to take part in debates on European issues.“445 In den letzten Jahrzehnten hat sich diesbezüglich manches entwickelt, doch die Unterschiede sind weiterhin deutlich. So wurde etwa noch 2004 für Israel festgestellt: „Civil Society in Israel has not developed into an arena for wide-ranging public debate and negotiations over values and norms.“446 Aber während in Europa nach wie vor eine nationale Zivilgesellschaft zugrunde gelegt und der Weg zu einer europäischen Zivilgesellschaft als schwierig gesehen wird, bemerkt Shalini Randeria mit Bezug auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Indien: „Civil society in the colonies was a product of imperial rule, with, from its inception, transnational referents.“447
9.4 Vertrauen Mit Blick auf die ismaelitische Minderheit in Afrika bemerkt Paul Kaiser: „The case of the Ismaelites demonstrates that multiple identities within and between communities complicates conceptual notions of civil society. To analyze associational life in Africa, it is necessary to accommodate this diversity.”448 Das Konzept von multiplen Identitäten und Loyalitäten gewinnt auch in Europa zunehmend an Bedeutung. Zu verlangen, dass sich Bürgerinnen und Bürger ausschließlich mit ihrem Nationalstaat identifizieren, erscheint heute anachronistisch. Neben supranationalen, regionalen, lokalen und persönlich bedingten Identitäten (Gender, Alter usw.) erscheint die Identifikation mit einer zivilgesellschaftlichen Bewegung, Organisation oder Institution oder sogar einem Netzwerk vielfach Priorität vor anderen Identitäten zu besitzen. Eine „deutsche“ Identität kann sich daher allenfalls im respektvollen Zusammenspiel mit anderen und gerade nicht gegen diese behaupten. Dass nationale
|| 444 Vgl. Sanchez Salgado, Europeanizing Civil Society, S. 70. 445 Versteegh, Civil Society and Civil Society Organisations in the Institutional and Legal Framework of the European Union, S. 45. 446 Gidron/Bar/Katz, The Israeli Third Sector, S. 159. 447 Randeria, Entangled Histories, S. 220. 448 Kaiser, Culture, Transnationalism, and Civil Society, S. 14.
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Identität vom Machtmonopol des Nationalstaates gestützt wird,449 ändert an diesem Befund nichts, erklärt jedoch, warum das Zusammenspiel als Machtverlust interpretiert und dementsprechend bekämpft wird. Die internationale Debatte um den Shrinking Space (siehe Kap. 10.5) hat ebenso wie die Diskussion um die „dunkle Seite“ der Zivilgesellschaft450 viel mit diesem Problem zu tun. Der „CIVICUS State of Civil Society Report 2017“ beginnt mit dem Satz: „Civil society faces unprecedented levels of restriction. Around the world, it is becoming increasingly dangerous to challenge power, and to do so risks reprisals.“451 Offenkundig ist dafür nicht nur die Tatsache bestimmend, dass der Anteil der Menschen, die weltweit in offenen Gesellschaften leben, von 2014 bis 2017 von 12,5 auf 4,4 Prozent abgenommen hat, während der Anteil derer, die in ausgeprägt autoritären Regimen leben, unverändert bei 32,3 Prozent liegt.452 Es genügt nicht, den Shrinking Space den autoritären Staaten zuzuschreiben; auch in liberalen, offenen Demokratien gehen erhebliche Veränderungen vor sich. Wenn sich Parteien plötzlich den Anschein zivilgesellschaftlicher Bewegungen geben, um der Entfremdung zwischen Bürgern und Parteipolitik entgegenzuwirken453, verändert dies auch die Zivilgesellschaft. Sie wird dadurch in gefährlicher Weise geschwächt, noch mehr durch das wachsende Misstrauen, das mit Verdächtigungen wie Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung begründet wird, dem aber letztlich die Erkenntnis zugrunde liegt, dass eine zunehmend unglaubwürdige repräsentative Demokratie eben nicht nur von Populisten bedroht ist, sondern gegenüber einer international wachsenden, selbstbewusster werdenden und wichtige Beiträge leistenden Zivilgesellschaft an Macht verliert. Durch repressive administrative Maßnahmen zurückdrängen lässt sie sich nicht mehr. Dass Versuche, genau dies zu tun, darüber hinaus gefährlich sind, wird weithin verkannt. „Weakening civil society, interfering with its institutionalization, can only weaken the state, the market, as well as the nation.“454 Die Position der Zivilgesellschaft lässt sich im Ergebnis im internationalen Vergleich so beschreiben, dass ihr innerer Zusammenhalt ebenso zugenommen hat wie ihre Stärke und ihre Fähigkeit, wirksame Auswege aus Krisen der heutigen Gesellschaft aufzuzeigen. Ob sie sich allerdings perspektivisch weiter positiv entwickeln kann, ist nicht so sicher, obwohl zahlreiche Indikatoren dafür sprechen. Angesagt wäre nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an Respekt vor unterschiedlichen Wegen zur Verwirklichung des allgemeinen Wohls, letztlich also mehr Vertrauen in eine
|| 449 Siehe bspw. Triebe, Der Nationalstaat als sozialwissenschaftliche Denkkategorie. 450 Siehe Kapitel 3.6 sowie Blomberg, The Bright & Dark Sides of Civil Society. 451 CIVICUS State of Civil Society Report 2017 (www.civicus.org/index.php/state-of-civil-societyreport-2017). 452 Vgl. The Economist Intelligence Unit, Democracy Index 2017 (http://pages.eiu.com/rs/753-RIQ438/images/Democracy_Index_2017). 453 Vgl. Hummel/Kreutzer, The Changing Space for Civil Society, S. 24. 454 Arato, Civil society, Constitution, and Legitimacy, S. 41.
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Gesellschaft, in der nicht Abgrenzungen, sondern Gemeinsamkeiten maßgebend sind. Sich gegenseitig zu helfen, scheint die bessere Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu sein, als sich gegenseitig zu beherrschen oder zu übervorteilen. Vielleicht leben die Lehrmeister dafür woanders, als wir es vermuten: Horizontal philanthropy refers to people within a community, either as individuals or in a group, giving to one another to get the resources that they have to where they are needed most. […] Horizontal philanthropy is witnessed around the world, typically where there is a strong sense of collectivism in society. It has been written about in Canada with reference to the first nation’s people, and in New Zealand focussing on the Maori. It is also a recognized feature of civil society in Pakistan and Mexico [and in] the African setting and the context of poverty.455
9.5 Die Shrinking-Space-Debatte 9.5.1 Einführung Einschlägige Veröffentlichungen, z.B. von CIVICUS, liefern seit Jahren Material, aus dem die Bedrängung der Zivilgesellschaft auch in europäischen Ländern deutlich wird.456 „Das letzte Jahrzehnt hat widersprüchliche Entwicklungen gesehen. ZGO sind weithin anerkannte Entwicklungsakteure eigenen Rechts geworden. Sie haben an Zahl zugenommen, reagieren auf neue Situationen und bauen auf allen Ebenen Koalitionen auf. Sie stechen durch ihre Fähigkeit hervor, verletzliche und sozial ausgegrenzte Personengruppen zu erreichen, zu ermächtigen, zu vertreten und zu verteidigen; sie setzen soziale Innovationen in Gang. Vor diesem Hintergrund haben Regierungen in mehreren Ländern ihre Beziehungen zu ZGO verstärkt. Trotzdem ist das Verhältnis zwischen Staaten und ZGO oft fragil. In vielen Ländern überwiegt nach wie vor eine eingeschränkte Tradition des Dialogs, und viel zu oft bleibt der Handlungsraum der Zivilgesellschaft schmal oder sinkt sogar, indem einschneidende Beschränkungen zur Anwendung kommen.“457 Diese Analyse, entstanden in einer intergouvernementalen Organisation, bringt gut zum Ausdruck, was in den letzten fünfzehn Jahren mit dem Phänomen Zivilgesellschaft geschehen ist. Zwar hat sich die Zivilgesellschaft konsolidiert und ist stark angewachsen. Die Lektionen, die in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren – genannt „das Jahrzehnt der Zivilgesellschaft“458 – hätten gelernt werden können,
|| 455 Wilkinson-Maposa, Turning Philanthropy Sideways, S. 1. 456 Der „Civicus State of Civil Society Report 2019“ nennt 12 EU-Mitgliedsstaaten, in denen zivilgesellschaftliches Handeln beschränkt, und einen EU-Staat, in denen es behindert wird (siehe www.civicus.org). 457 Europäische Kommission, The roots of democracy and sustainable development, S. 3–4 (Übers.: Rupert Graf Strachwitz). 458 Act alliance, Changing political spaces of civil society organisations, S. 2.
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sind jedoch nicht gelernt worden, schon gar nicht in Mittel- und Osteuropa, aber auch nicht in Südafrika und an anderen Orten, an denen die Zivilgesellschaft Sternstunden des durch sie bewirkten Wandels erlebt hatte. Während sich einerseits in der Forschung und Praxis die Überzeugung durchgesetzt hat, dass kollektives Handeln in drei voneinander abgrenzbaren Arenen stattfindet, hat sich die Gesellschaft nicht so entwickelt, dass diese drei Arenen auf gleicher Augenhöhe miteinander und im Respekt vor einander verkehren würden. Besonders in den letzten Jahren hat sich im Gegenteil ein Klima des Wettbewerbs und des Misstrauens entwickelt, das das Wachstum der Zivilgesellschaft überlagert. Dies hat mit dem aggressiv operierenden globalen Markt, mit Markt- und Staatsversagen, dem eifersüchtigen Hüten von vermeintlichen oder tatsächlichen Machtpositionen und -instrumenten ebenso zu tun wie mit Ratlosigkeit und dem Unvermögen, sich auf veränderte gesellschaftliche Verhältnisse einzustellen. Wer Macht hat oder glaubt, sie zu haben, sucht heute offensichtlich sein Heil primär in dem Versuch, diese Macht kurzfristig zu verteidigen und nicht darin, neue Ideengeber einzubinden, um sie langfristig zu erhalten. Insofern ist die Zivilgesellschaft seit einigen Jahren von Kontrollen, Gängelungen, Restriktionen, Verdächtigungen, Bedrängungen und Beschränkungen betroffen, für die sich international das Schlagwort vom Shrinking Space for Civil Society eingebürgert hat459. Es wird viel benutzt, um Regierungen in Ländern wie Ägypten, China, der Türkei oder Ungarn anzuprangern. Gerade in Ungarn, einem Mitgliedsland der EU, ist in der Tat deutlich erkennbar, wie nach einer längeren Phase des Stolzes auf die errungene Freiheit, die freie Meinungsäußerung und die Bürgerrechte, die dort bereits vor 1989 begonnen hatte, nunmehr das Rad zurückgedreht wird. Schlimmer noch: Während Menschenrechtsund Oppositionsgruppen drangsaliert und, wenn sie aus dem Ausland kommen, des Landes verwiesen werden, züchtet die Regierung über eine gezielte Subventionierungs- und Gängelungspolitik eine gefügige „eigene“ Zivilgesellschaft heran, nicht zuletzt, um ausländischen Kritikern zu demonstrieren, es gäbe doch eine Zivilgesellschaft. Schlagworte wie Terrorismusbekämpfung, Sicherheit, Vermeidung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung dienen nicht selten dazu, in subtiler oder weniger subtiler Weise die Tätigkeit von ZGO einzuschränken oder auszubremsen. Ausschreitungen von gewaltbereiten Gruppen, die ohne Zweifel vom Staat in Ausübung seines Gewaltmonopols in die Schranken gewiesen werden müssen, werden dazu benutzt, die Zivilgesellschaft insgesamt zu diffamieren. Das Instrumentarium für die Beschränkung des zivilgesellschaftlichen Handlungsraums ist vielfältiger, als auf den ersten Blick erkennbar wird. Instrumente der Beschränkung sind beispielsweise460:
|| 459 Vgl. Anheier/Lang/Toepler, Civil society in times of change. 460 Vgl. Ayvazyan, The Shrinking Space of Civil Society.
Die Shrinking-Space-Debatte | 275
restriktives Verwaltungshandeln (bspw. durch die Einführung von Genehmigungspflichten oder die Verschärfung oder Verlängerung von Genehmigungsverfahren); 2. der Entzug der finanziellen Basis (bspw. durch die Einschränkung oder Aufhebung der Steuerfreiheit); 3. polizeiliche Kontrollen und Behinderungen unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung oder Geldwäsche; 4. die Übernahme und Neuverteilung von Tätigkeiten (bspw. beim Betrieb von Schulen und sozialen Einrichtungen); 5. philanthropischer Protektionismus (bspw. die Behinderung von transnationalen Spenden mit dem sogenannten Foreign-Agent-Argument); 6. Beschränkungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (bspw. durch Demonstrationsverbote oder -beschränkungen); 7. Beschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Pressefreiheit (bspw. durch Zensur, aber auch durch selektive Medieninformationen oder den Entzug von Werbeeinnahmen); 8. Einschüchterung und Gewaltanwendung gegen Akteure der Zivilgesellschaft; 9. Kriminalisierung und Stigmatisierung von Kämpfern für Menschen- und Bürgerrechte; 10. die gezielte Diskreditierung von ZGO oder der Zivilgesellschaft insgesamt durch (falsche) Anschuldigungen. 1.
Die Instrumente kommen in unterschiedlicher Intensität weltweit zur Anwendung. Deutsche Politiker und Medien beteiligen sich etwa durch den Gebrauch von Ausdrücken wie „Mitleidsindustrie“, „Empörungsindustrie“ oder „Anti-AbschiebeIndustrie“ in öffentlicher Rede an der Diskreditierung und Diffamierung zivilgesellschaftlichen Wirkens. In Frankreich ebenso wie in Deutschland muss die Steuerbefreiung als Disziplinierungsinstrument herhalten. Großbritannien und Deutschland eint der Versuch, die politische Tätigkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu beschränken. Dass hierzulande Wirtschafts- und Berufsverbände mit gleichem steuerlichen Status uneingeschränkt Lobby-Arbeit betreiben dürfen, wird dabei geflissentlich übersehen. Auch hier unterscheiden staatliche Behörden bei der Auswahl von Vertragspartnern durchaus zwischen subventionierten (d.h. leichter am Zügel zu führenden) und unabhängigen Akteuren der Zivilgesellschaft. Aber – und auch dies gehört zum Gesamtbild – dies alles hat seinen Ursprung unter anderem in der bereits historischen Stärkung der Zivilgesellschaft, die manchen Verfechtern überholter Ordnungsvorstellungen Angst macht. Das Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft wird nach menschlichem Ermessen nicht dazu führen, dass sich zivilgesellschaftliche Akteure den Mund verbieten lassen. Eine Fülle von Ereignissen in Istanbul, Kairo, Kiew, London, Paris, Teheran, Tunis, aber auch wieder in Budapest und Warschau macht immer wieder deutlich, dass die Menschen des 21. Jahrhunderts sich weltweit nicht davon abhalten lassen,
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sich selbstermächtigt zu versammeln und ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, sei diese nun affirmativ (loyal) oder sei es im Protest (voice). Vielmehr ist damit zu rechnen, dass das Wachstum der Zivilgesellschaft weitergeht. Daher erscheint es korrekter, nicht vom shrinking, sondern vom changing space, nicht vom schrumpfenden, sondern von einem sich verändernden Handlungsraum der civil society zu sprechen461.
9.5.2 FATF und AMLCFT FATF (Financial Action Task Force) ist eine intergouvernementale Organisation, die 1989 gegründet wurde, mittlerweile 39 Staaten und zwei regionale Zusammenschlüsse als Mitglieder hat und das Ziel verfolgt, Standards zu erarbeiten und die Umsetzung von gesetzlichen, administrativen und operativen Maßnahmen zu fördern, die geeignet sind, Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und andere Bedrohungen der Integrität des internationalen Finanzsystems zu bekämpfen. Sie tut dies über Empfehlungen (recommendations), die von rund 180 Staaten als verbindliche Richtlinien akzeptiert werden. Diese Empfehlungen haben daher erheblichen Einfluss auf die Gestaltung nationaler Politik in diesem Bereich und bilden ein Kernstück der internationalen Bemühungen zur Bekämpfung von Terrorismus, Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Die Summe dieser Bemühungen wird meist mit dem Kürzel AMLCFT (anti money-laundering/combat financing of terrorism) oder ähnlichen Abkürzungen bezeichnet. Von dem Problem an sich und von den staatlichen Maßnahmen dagegen sind auch zivilgesellschaftliche Akteure in erheblichem Maße betroffen. Es ist nicht zu bestreiten, dass sich terroristische Gruppen zivilgesellschaftlicher Formen bedienen, um tätig zu werden oder Aktionen vorzubereiten; ebenso können sich hinter Stiftungen oder anderen Organisationen Geldwäsche-Aktionen oder Versuche der Steuerhinterziehung verbergen. Dies gilt besonders im transnationalen Bereich. Dass beispielsweise grenzüberschreitende Spenden, wie sie etwa das europäische Stiftungsnetzwerk Transnational Giving Europe (TGE)462 unterstützt, die Aufmerksamkeit von Fahndern und Steuerbehörden erregt, ist insoweit verständlich. Die Zivilgesellschaft selbst und ihre Akteure haben das größte Interesse daran, „schwarzen Schafen“ das Handwerk legen zu helfen. Allerdings ist die Zivilgesellschaft diesbezüglich in einen Generalverdacht geraten. Ihre Akteure seien, so hieß es jahrelang in der Formulierung der Recommendation no. 8 von FATF, besonders anfällig für eine Unterwanderung durch Terroristen und andere kriminelle Elemente und müssten daher – im Gegensatz etwa zu Instituten der Finanzdienstleistung –
|| 461 Vgl. Alscher/Priller/Ratka/Strachwitz, The Space for Civil Society. 462 Siehe www.transnationalgiving.eu
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besonders scharf überwacht werden. Dass bei letzteren gar nicht so selten skandalöse Vorgänge aufgedeckt werden, während in der Zivilgesellschaft kaum je irgendwelche negativen Vorfälle auftauchen, ändert an dieser Grundhaltung nichts, ganz abgesehen davon, dass die weit überwiegende Mehrheit der ZGO viel zu klein ist, um für derlei Missbrauch interessant zu sein, aber durchaus und mit steigender Tendenz auch international tätig sein könnte. In Fachkreisen ranken sich Mythen um US-amerikanische Beamte, die seinerzeit wohl etwas unbedarft und – wie sich zeigen sollte – in fahrlässiger Weise zu dieser Formulierung gefunden haben könnten. Mit der Zeit hat sich die Behauptung der besonderen Verwundbarkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen jedenfalls verfestigt und wurde zu einer nicht hinterfragten Wahrheitsannahme, die weltweit weitreichende Folgen für die Zivilgesellschaft hat. 2016 gelang es einer globalen Koalition von spezialisierten zivilgesellschaftlichen Mittlerorganisationen, darunter bspw. das European Foundation Centre in Brüssel, die fragliche Formulierung in der Recommendation no. 8 zu ändern.463 Die pauschale Anschuldigung der besonderen Anfälligkeit für Missbrauch wurde deutlich abgeschwächt und ein risikobasierter Bewertungsansatz eingeführt. Demnach sollen Staaten in ihre Entscheidungen immer auch einfließen lassen, welche Bereiche des NPO-Sektors einer besonderen Gefahr ausgesetzt sind. Regelungen dürfen somit nicht mehr pauschal erlassen werden, sondern sollen sich vorrangig auf die Bereiche erhöhten Risikos konzentrieren. Die Folgen des über viele Jahre im Raum stehenden Verdachts sind aber dadurch nicht beseitigt. Denn nicht wenige Regierungen haben diese Aussagen benutzt, um eine Gesetzgebung zu rechtfertigen, die sich gegen eine unliebsame zivilgesellschaftliche Opposition richtet464. Sie erhielten paradoxerweise dafür oft auch noch gute Bewertungen in den regelmäßigen FATF Evaluationen. Für die aktuellen zivilgesellschaftlichen Debatten sind in diesem Zusammenhang drei Themen von besonderer Bedeutung: 1. Der Foreign-Agent-Vorwurf: Russland und andere Länder werfen oppositionellen ZGO vor, Handlanger ausländischer Mächte (foreign agents)465 und damit der Geldwäsche oder des Terrorismus verdächtig zu sein, und versuchen, deren Spendenzufluss aus dem Ausland durch administrative Regelungen möglichst einzudämmen.
|| 463 Vgl. den Abschnitt „Information on updates made to the FATF Recommendations“ unter www.fatf-gafi.org/publications/fatfrecommendations/documents/fatf-recommendations.html 464 Vgl. Schreier, Macht im Hintergrund. 465 Die in den Medien oft benutzte deutsche Formulierung „ausländischer Agent“ ist nicht ganz korrekt, da dieser Ausdruck im Allgemeinen mit Geheimdiensten oder ähnlichen under coverAktivitäten in Verbindung gebracht und negativ konnotiert wird. Der englische Ausdruck agent ist hingegen neutral und bezeichnet jeden, der im Auftrag eines Dritten irgendetwas tut.
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2.
3.
Das Problem der Bankverbindung: Viele Geldinstitute haben eine so große Scheu vor den Meldepflichten im Zusammenhang mit Konten von ZGO entwickelt, dass sie ZGO grundsätzlich die Eröffnung eines Kontos verweigern oder sie zwingen, bestehende Konten zu kündigen. In vielen Ländern sind ZGO bei Banken nicht mehr gern gesehene Kunden, da die gestiegenen Prüfungsanforderungen im Zahlungsverkehr so aufwendig sind, dass die auf Gewinnerzielung ausgerichteten Bankhäuser in der Bereitstellung ihrer Dienstleistungen für ZGO mehr Kosten als Nutzen sehen. Ein verwehrter Zugang zum Bankensystem, der als Folge des derzeit um sich greifenden sogenannte Bank De-Risking auch in Europa schnell Verbreitung findet, ist jedoch gerade für international agierende Organisationen oftmals mit Handlungsunfähigkeit gleichzusetzen. In manchen Ländern werden diesbezügliche Auflagen so erhöht, dass ZGO praktisch keine Möglichkeit mehr haben, eine Bankverbindung zu unterhalten. Sie werden somit von internationalen, zum Teil sogar von nationalen Spendenzuflüssen abgeschnitten und können keine finanziellen Ressourcen mehr akquirieren. Die Interpretation von Terrorismus: Schon der zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg bestehende Völkerbund setzte eine internationale Kommission ein, die den Begriff des Terrorismus definieren sollte. Diese Kommission überdauerte ihre Auftraggeber und stellte erst um 1960 ihre Arbeit ein, nachdem sie rund 180 verschiedene Definitionen ermittelt, aber sich auf keine allseits akzeptable Begriffsbestimmung hatte verständigen können. Auch heute ist weitgehend unklar, was unter Terrorismus eigentlich zu verstehen ist. Die Regierungen, allen voran die der USA, nutzen den Begriff, um jede Form des gewaltsamen Widerstandes gegen einen bestehenden Staat zu brandmarken und treffen damit auch Bewegungen, die sich selbst als Freiheitsbewegungen verstehen und durchaus auch von außen als solche gesehen werden. Diese Regierungen stellen damit das (historische, heute sehr brüchige) Prinzip der Staatssouveränität über das der Selbstbestimmung und über Menschen- und Bürgerrechte. Nur gelegentlich erkennen sie – entweder unter erheblichem zivilgesellschaftlichem Druck (etwa in Libyen 2011) oder aus politischer Opportunität – Freiheitsbewegungen gegen den Willen der Regierung an, gegen die sich diese Bewegung richtet. Insoweit ist der Begriff des Terrorismus, der durchaus auch nicht positiv zu bewertende Bewegungen umfasst, zu einem politischen Kampfbegriff verkommen. Beispielsweise wurden schon die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, friedliche Demonstranten gegen G-20-Konferenzen und andere zivilgesellschaftliche Themenanwälte pauschal als Terroristen diffamiert. Auf schwarzen Listen, die in den USA geführt werden, erscheint eine Vielzahl von ZGO, an die infolgedessen nicht gespendet werden darf – ohne dass bekannt ist, wie ZGO auf diese Liste gelangen und ohne dass es ein transparentes Verfahren gibt, mittels dessen ZGO sich dagegen zur Wehr setzen könnten.
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9.5.3 Der Shrinking Civic Space in „westlichen“ Demokratien Fridays for Future, die von Schweden ausgehende und ganz Europa erfassende Bewegung, hat es beispielsweise gezeigt: Der Klimaschutz, der viele Bürgerinnen und Bürger von jeher bewegt, aber bislang kaum an die Spitze der politischen Prioritätenliste gelangen konnte, steht dank engagiertem zivilgesellschaftlichem Handeln mittlerweile ganz oben. Neben Negativ-Schlagzeilen aus der Wirtschaft haben das unter anderm zigtausende von jungen Menschen bewirkt, die durch ihre Konsequenz und Ernsthaftigkeit, aber auch durch die Beherrschung der Sachfragen und professionelle Kommunikation zu beeindrucken vermochten. Ähnlich ist es mit der humanitären Hilfe im Mittelmeer: Zustimmung begleitet die zivilgesellschaftlichen Helferinnen und Helfer, die sich von den Instrumenten der Staatsmacht nicht davon abhalten lassen, Menschen zu retten. Nicht nur die menschliche Grundstimmung der Sympathie mit Bedrängten kommt hier zum Tragen, auch auf das politische Anliegen wird ein Schlaglicht geworfen, das den Argumenten der staatlichen Politik überlegen ist. Dies alles ist nicht neu. Schon vor Jahrzehnten bestimmte Zivilgesellschaft bei der Erkennung, Formulierung und Bewusstmachung neuer Herausforderungen in Europa das Tempo. Und schon lange bevor man den Sammelbegriff überhaupt verwendete, war ohne die Vereine ein Gemeinschaftsleben ebenso wenig denkbar wie ohne die freien Träger eine stabile und engagierte Krankenfürsorge, Kinderbetreuung und die Wahrnehmung vieler anderer sozialer Aufgaben, die eigentlich der Staat gewährleisten sollte. Den damit befassten Wohlfahrtsverbänden war jahrzehntelang kaum bewusst, welche Macht sie in Händen halten. Demütig nahten sie sich den öffentlichen Kostenträgern und ließen sich von ihnen gängeln. Der Nachweis, dass eine aktive – und durchaus auch unbequeme – Zivilgesellschaft die Voraussetzung für eine lebensfähige Demokratie darstellt (und nicht etwa umgekehrt), ist leicht zu führen und schon vor fast 200 Jahren von Alexis de Tocqueville geführt worden. Von zivilgesellschaftlichen Bewegungen gingen alle Kämpfe für mehr Menschen- und Bürgerrechte, für den Frieden, für den Schutz der Umwelt, für die Gleichberechtigung der Frauen und seit 1945 auch für die Überwindung faschistischer und kommunistischer Diktaturen aus. Um so alarmierender müssen daher in der gegenwärtigen tiefen Krise der „westlichen“ Demokratien Versuche erscheinen, die Tätigkeit der Zivilgesellschaft einzudämmen, nachdem die letzten 30 Jahre deren wesentliche Stärkung, Konsolidierung und öffentliche Bewusstwerdung erlebt haben – in Deutschland und Europa ebenso wie weltweit466.
|| 466 Siehe hierzu Strachwitz, 30 Jahre Zivilgesellschaft und Zivilgesellschaftsforschung.
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9.6 Zivilgesellschaft in Europa Am 6. August 1950 öffneten, zersägten und verbrannten am deutsch-französischen Grenzübergang St. Germanshof-Wissembourg in einer sorgfältig geplanten Aktion junge Bürgerinnen und Bürger aus mehreren europäischen Ländern, vor allem aber aus Frankreich und Deutschland, die Schlagbäume und weckten auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Welt für ein Europa ohne Grenzen. Damit begann das bürgerschaftliche Engagement für den Prozess, der große Teile Europas in die EU führte. Am 19. August 1989 war das pan-europäische Picknick an der ungarischösterreichischen Grenze bei Sopron eines der Signale, das den Transformationsprozess in Mittel- und Osteuropa einläutete. Hier wie so oft wurde erkennbar: Zivilgesellschaft kann – und will – Europa. In dieser Tradition stehen heute zivilgesellschaftliche Akteure, deren Ziel ein vereinigtes Europa ist. Die engagiertesten Europäerinnen und Europäer sind oft eher in der unorganisierten als in der organisierten Zivilgesellschaft zu finden. Doch finden sich in ganz Europa auch traditionsreiche zivilgesellschaftliche Bewegungen, Organisationen und Einrichtungen, die europäisch unterwegs sind, etwa die Europäische Bewegung Deutschland oder die Europa Union, beide eng vernetzt mit Partnern in anderen europäischen Ländern. Dazu gehören auch Tausende von europäischen Netzwerken, Bewegungen und Verbänden mit Mitgliedern in ganz Europa, vom europäischen Kulturerbeverband EUROPA NOSTRA über die Kommission der europäischen Bischofskonferenzen COMECE, den europäischen Umweltverbund Green 10 und die zahlreichen europäischen Sportverbände bis zum European Civic Forum und vielen anderen mehr. Kein Subsektor der europäischen organisierten Zivilgesellschaft kommt heute noch ohne einen europäischen Dachverband aus; vor allem bei den Organen der Europäischen Union, aber auch beim Europarat und anderen intergouvernementalen europäischen Zusammenschlüssen gilt es, konsequent und nachhaltig Interessen der Zivilgesellschaft zu vertreten. So war beispielsweise das European Foundation Centre aktiv an den erfolgreichen Verhandlungen mit der internationalen Organisation FATF beteiligt über die Neuformulierung einer im früheren Wortlaut extrem diskriminierenden Empfehlung zum Umgang mit der Zivilgesellschaft im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Die meisten dieser Zusammenschlüsse greifen übrigens deutlich über das EU-Europa hinaus und heißen Mitglieder aus allen im geographischen Europa gelegenen Ländern willkommen. Über protokollarische Fragen, die die Staaten bis zur Lähmung beschäftigen können, setzen sie sich souverän hinweg. In der stark zersplitterten und kaum überschaubaren Zivilgesellschaftsszene auf europäischer Ebene ist freilich kaum eine Organisation erkennbar, die stark und unabhängig genug ist, um den übrigen Akteuren, von den Organen der EU bis zu den Vorständen großer Unternehmen, auf Augenhöhe gegenübertreten zu können. Dass mancher Verband durchaus stärker auftreten könnte, wenn er dies nur wollte,
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ist ebenfalls nicht zu übersehen. Auch dass viele von ihnen ihre einzige Aufgabe darin sehen, Fördermittel der EU abzugreifen, dazu im Wettbewerb miteinander stehen und gerade nicht gemeinsam helfen wollen, die europäische organisierte Zivilgesellschaft insgesamt zu stärken, darf nicht verschwiegen werden. Ebensowenig hilfreich ist die generelle Scheu vieler zivilgesellschaftlicher Akteure vor Kritik und Selbstkritik. Und schließlich tragen Bestrebungen, dem eigenen Beitrag zum subjektiv empfundenen Gemeinwohl ohne jede Bereitschaft zum Diskurs allgemeine Gültigkeit zuzumessen, nicht dazu bei, das Vertrauen in die Zivilgesellschaft zu erhöhen. Die Arbeit vieler Verbände, aber auch der Vertretungen und Büros, die von nationalen Verbänden in Brüssel unterhalten werden, leidet darunter, dass sie fast alle sehr klein und finanziell sehr schlecht ausgestattet sind und schon deshalb im Schatten der mächtigen Wirtschaftsverbände stehen. Darüber hinaus sind viele von ihnen von Subventionen der Europäischen Kommission oder der nationalen Regierungen abhängig, die diese Zwangslage durchaus nutzen, um die zivilgesellschaftlichen Vertreter zu gängeln, zu Wohlverhalten zu zwingen und, wenn gewollt, auch mit Sanktionen zu belegen. Hier wie überall offenbart sich zudem, dass Zivilgesellschaft prinzipiell heterogen und polyarchisch organisiert ist und zahlreiche voneinander völlig unabhängige Akteure zu ihr gehören, die ganz konträre Positionen vertreten können. „Vertreter der Zivilgesellschaft“, wie sie sich Politik und Verwaltung als angeblich verlässliche Ansprechpartner wünschen würden, gibt es kaum, und wenn, ist ihr Verhandlungsmandat sehr eng gefasst. Dies ist im Grundsatz nicht änderbar. Insbesondere im Rahmen der deliberativen Demokratie, also in der Vorbereitung möglicher hoheitlicher Entscheidungen, bleibt deshalb den Gesprächspartnern oft nichts anderes übrig, als von sich aus zivilgesellschaftliche Akteure auszuwählen und einzuladen. Sich bemerkbar zu machen, um eingeladen zu werden, gehört für diese Akteure insoweit zum Geschäft. EU und Europarat haben an solchen Gesprächen oft ein höheres Interesse als die meisten Regierungen der Mitgliedsstaaten. Allerdings gibt es durchaus einen Optimierungsspielraum für eine Professionalisierung, Bündelung und konzentrierte Präsentation von Positionen der europäischen Zivilgesellschaft gegenüber Dritten. Dass Regierungen (beispielsweise die deutsche) dies durch die Auswahl der Mitglieder des europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zusätzlich zu behindern suchen, ist nicht zu übersehen467. Auch sonst verbindet sich mit der notwendigen Auswahl nicht selten eine Selektion nach subjektiven Gesichtspunkten. Dass sich beispielsweise die ungarische Regierung (aber nicht nur diese) eine eigene, abhängige, finanziell gut ausgestattete Zivilgesellschaft schafft, um unabhängige Akteure
|| 467 Die 27 deutschen Mitglieder des Wirtschafts- und Sozialausschusses der EU werden vom Bundeswirtschaftsministerium in einem intransparenten Verfahren nominiert. Die deutsche Zivilgesellschaft wird in der Zusammensetzung kaum abgebildet.
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an den Rand zu drängen und in Europa behaupten zu können, es gäbe im Land eine blühende Zivilgesellschaft, passt in dieses Bild. Allerdings führen solche Manöver erfahrungsgemäß immer zu Gegenbewegungen. Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass zivilgesellschaftliches Engagement andere Akteure zum Handeln zwingen kann. Die organisierte Zivilgesellschaft ist eine der fünf Kräfte geworden, die dem Gefüge der Nationalstaaten und ihrem 1815 gegründeten System zu schaffen machen. Neben supranationalen Zusammenschlüssen, zugunsten derer die Nationalstaaten teilweise schon vor vielen Jahrzehnten mit voller demokratischer Legitimation auf Souveränitätsrechte verzichtet haben, regionalen Bewegungen, die sich erfolgreich einen Teil der Macht zurückholen, der Macht des globalen Marktes, der grenzenlosen Kommunikation und der Selbstbehauptung des einzelnen Menschen, sind Akteure der Zivilgesellschaft heute aktive Mitgestalter der res publica und nehmen immer weniger Bezug auf nationale Begrenzungen.
Ergänzende Literatur Casey, The Nonprofit World. Civil Society and the Rise of the Nonprofit Sector Keane, Civil Society and the State. New European Perspectives Vieregge, Wo Vertrauen ist, ist Heimat. Auf dem Weg in eine engagierte Bürgergesellschaft
10 Aktuelle Debatten 10.1 Die Debatte um politische Mitgestaltung Nachdem ATTAC im Jahr 2014 seine Gemeinnützigkeit mit der Begründung verloren hatte, seine politische Arbeit sei nicht wie vorgeschrieben ein Ausfluss seiner sonstigen Tätigkeit, sondern zum Hauptzweck der Organisation geworden, forderte am 10. Dezember 2015 der Bundestagsabgeordnete Dr. Joachim Pfeiffer (CDU), der schon am 1. Oktober im Bundestag die Arbeit von Campact und anderen Organisationen als „Empörungsindustrie“ diffamiert hatte, in den „Stuttgarter Nachrichten“: „Es ist dringend geboten, die Gemeinnützigkeit von Campact zu überprüfen.“ Solche Forderungen hat es immer wieder mal gegeben; neu ist jedoch, dass sie erfolgreich sind.468 Das geltende deutsche Gemeinnützigkeitsrecht wurde im Wesentlichen zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt, als die Steuersätze nach oben schnellten. Waren zuvor Spitzensteuersätze von 4 Prozent üblich, erreichte die Belastung in wenigen Jahren ganz andere Dimensionen. Gründe dafür waren unter anderen der sich herausbildende Wohlfahrts- und Gewährleistungsstaat, die steigenden Militärausgaben und das generell sehr geringe Steueraufkommen des Deutschen Reichs im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern. Darüber gab es in den Parlamenten des Reichs und der Länder viele Debatten und notwendigerweise mussten Ausnahmen von der steigenden Steuerlast beschlossen werden. Eine davon betraf vor allem die im sozialen Bereich tätigen Organisationen, da mit Recht argumentiert wurde, diese würden der Staatskasse umso mehr zur Last fallen, je mehr man sie besteuere. Das Hauptziel der Steuerbefreiung war insoweit die Entlastung des Staates. Zugleich wirkte die jahrhundertealte Tradition fort, wonach die Kirchen einschließlich ihrer Wohlfahrtseinrichtungen vom Staat nicht besteuert wurden. So ist es bis heute geblieben, nicht nur in Deutschland. Fast weltweit, zumindest in den sogenannten westlichen Industriestaaten, bildete sich ein weitgehender Konsens darüber heraus, welche Organisationen und Ziele nach welchen Kriterien von der Besteuerung ausgenommen werden sollten. Dazu gab es immer Besonderheiten: So wird der Sport in den angelsächsischen Ländern eher als Freizeitbeschäftigung eingestuft und nicht von Steuern befreit, während z.B. in Deutschland eher die Laienmusik und das Laientheater unter dieses Verdikt fallen. Auch stellt etwa Großbritannien eher formale Kriterien, insbesondere das Verbot der Ausschüttung von Überschüssen an Mitglieder, in den Vordergrund der Beurteilung, während in Deutschland, wo die Liste der steuerbegünstigten Zwecke viel stärker in die Einzel-
|| 468 So wurde infolge der ATTAC-Entscheidung des Bundesfinanzhofs der NGO CAMPACT im Oktober 2019 tatsächlich ebenfalls der Steuerstatus der Gemeinnützigkeit aberkannt. https://doi.org/10.1515/9783110553475-012
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heiten geht als anderswo, diese und die Art der Verwirklichung im Vordergrund stehen. Zwei Entwicklungen sind nicht zu übersehen. Zum einen wurden zunehmend Organisationen von Steuern befreit, an deren Tätigkeit der Staat ein politisches Interesse haben musste oder zu haben glaubte. Dazu gehörten in Deutschland nicht nur zahlreiche Organisationen im Kulturbereich, denen eine für die Allgemeinheit wichtige Funktion zuerkannt wurde, sondern beispielsweise auch die Sportvereine, anfangs mit dem Argument, ihre Arbeit diene der Wehrertüchtigung und vormilitärischen Ausbildung. Zum anderen sahen Politiker zunehmend die Chance, mit diesem Instrument das Wohlwollen bestimmter Interessengruppen zu erlangen. Im Lauf des 20. Jahrhunderts wurden Erweiterungen des Katalogs gemeinnütziger Zwecke immer mehr zu einem Ausdruck von Klientelpolitik. Dass beispielsweise nach Schach auch Bridge im Verein als gemeinnützig anerkannt wurde, lässt sich nur so erklären. Vorstellungen von einer offenen Gesellschaft, in der nicht-staatliche ebenso wie staatliche Akteure an der Gestaltung der res publica mitwirken und genau deswegen nicht besteuert werden sollten, hatten in diesem System keinen Platz. Der totalitäre NS-Staat, der 1941 die Gemeinnützigkeitsverordnung erließ, die in den Grundzügen bis heute gilt, verstärkte naturgemäß den Trend zur Staatsnützigkeit. Und während nach 1945 in Ostdeutschland Gemeinnützigkeit im steuerlichen Sinn so gut wie gar nicht existierte, entwickelte sich in Westdeutschland das überkommene System weiter. Von Carl Schmitt, dem berühmt-berüchtigten, leider auch nach 1945 noch sehr einflussreichen deutschen Staatsrechtslehrer, ist die Aussage überliefert, wer Allgemeinwohl sage, wolle betrügen. Dem fiskalischen und politischen Interesse und der Klientelpolitik stand das grundsätzliche Misstrauen gegen alles gegenüber, was nicht staatlich veranlasst und durchgeführt oder zumindest kontrolliert war. Die Anerkennung der Themenanwaltschaft als einer gemeinnützigen Funktion von privatrechtlichen Organisationen musste hart erkämpft werden. All dies ist mit einem modernen Verständnis von einer offenen demokratischen Gesellschaft unvereinbar. Schon gar nicht spiegelt sich in dem, auch in sich inkonsistenten, gültigen Rahmen die Entwicklung der letzten 30 Jahre wider, die gerade den nicht-staatlichen und nicht-wirtschaftlichen Akteuren im öffentlichen Raum eine wachsende Rolle in der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen zuweist. Selbstermächtigte und selbstorganisierte Themenanwälte und Wächter sind heute ebenso wichtig wie Dienstleister, Selbsthilfeorganisationen, Solidarität und Gemeinschaft stiftende Vereinigungen und Orte der politischen Deliberation. Dass besonders letztere denen ein Dorn im Auge sind, die um ihre Gestaltungsmacht fürchten müssen, ist nachvollziehbar, aber demokratietheoretisch dennoch nicht akzeptabel. Die Auseinandersetzung zwischen der CDU (unter Federführung des von der Automobilindustrie geprägten Landesverbands Nord-Württemberg) und der Deutschen Umwelthilfe e.V., einer Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation, die die Automobilindustrie wegen ihres Betrugs bei der Messung von DieselAbgasen anprangert, ist im Jahr 2019 ein markantes Beispiel dafür.
Die Debatte um politische Mitgestaltung | 285
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass das System der steuerlichen Gemeinnützigkeit tatsächlich über viele Jahre in besonders schwerwiegender Weise missbraucht wurde – von den politischen Parteien. Dabei werden diese davon gar nicht erfasst, sondern haben im Parteiengesetz eine eigene gesetzliche Grundlage, die auch ihre (Nicht-)Besteuerung und die steuerlichen Vorteile für Spender regelt. Die Parteien und die ihnen nahestehenden Stiftungen erhalten zudem erhebliche direkte Subventionen aus Steuermitteln. Dies alles genügte ihnen aber nicht und so gründeten sie seit den 1950er Jahren immer mehr Vereine, die vorgeblich als gemeinnützig anerkannte Ziele der staatsbürgerlichen Bildung erfüllen sollten, tatsächlich aber Spendensammelvereine zugunsten der Parteien darstellten. Dem einen Riegel vorzuschieben, war nach einem der vielen Skandale um Parteispenden ein wichtiges Anliegen: Es wurde bestimmt, dass politische Arbeit einer steuerbegünstigten Körperschaft nur insoweit erlaubt sein soll, als sie sich nebenbei aus ihrer sonstigen Tätigkeit ergäbe. Diese Einschränkung hatte jedoch zwei demokratietheoretisch höchst unerwünschte Nebeneffekte. Zum einen wurde die im Grundgesetz angelegte Ermächtigung für die Parteien, an der politischen Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger mitzuwirken (Art. 21 Abs. 1 GG) im Umkehrschluss zu einem Anspruch, dies ausschließlich tun zu dürfen. Zum anderen wurde die beginnende Öffnung der Gesellschaft über eine aktivere politische Mitgestaltung durch Vereine, Stiftungen und Verbände aller Art im Sinne der von Habermas eingeforderten deliberativen Demokratie erheblich gebremst. So konnte es geschehen, dass Attac auf eine Anfrage an das Bundesfinanzministerium im August 2015 folgende Antwort bekam: „Wer politisch aktiv sein möchte, der wird in der bestehenden Parteienlandschaft bzw. Wählergemeinschaft sicher fündig.“ Wenn nun der Entzug der Gemeinnützigkeit zu einer Waffe in der Hand von Politikern geschmiedet wird, die damit ihnen unliebsame Stimmen zum Schweigen bringen wollen, so ist dies nicht nur ein eklatanter Missbrauch politischer Macht. Es ist auch eine gefährliche Weichenstellung in Bezug auf die weitere Entwicklung, womöglich sogar eine Bedrohung der Demokratie. In einer Zeit, in der sich die politische Kultur für mehr Partizipation öffnen sollte, passt eine Beschränkung politischer Mitgestaltung auf Parteien ebenso wenig in die Landschaft wie eine Unterdrückung der Mitgestaltung durch andere. Nicht zuletzt, weil die Parteien und das politisch-administrative System so sind, wie sie sich entwickelt haben, erleben wir eine fortschreitende Entstaatlichung von Politik, die nicht auf dem Verwaltungswege unterdrückt werden sollte. Denn noch nie in der Geschichte hat Repression langfristige Erfolge gezeitigt, schon oft hingegen viel Leid über die Menschen gebracht. Nicht nur die Einzelfälle, von denen es inzwischen einige gibt, sind daher zu bereinigen. Das Gemeinnützigkeitsrecht bedarf insgesamt dringend einer Anpassung an die Wirklichkeit der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Es muss sich daran orientieren, was heute im breiten Konsens der Bürger und Bürgerinnen als allgemeines Wohl gesehen wird und darf dem Verlust ihres Vertrauens in den Staat nicht ein
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Misstrauen gegen die Bürger entgegensetzen. Denn sie sind, so sagt das Grundgesetz, die Souveräne.
10.2 Stadtentwicklung und Zivilgesellschaft Zivilgesellschaft findet trotz aller Transnationalisierung nach wie vor überwiegend auf lokaler Ebene statt. Dem Zusammenhang zwischen Zivilgesellschaft und Stadtentwicklung oder -planung kommt daher besondere Bedeutung zu. Allerdings erschließt sich dieser nicht auf den ersten Blick. Es erscheint daher hilfreich, zunächst ein Augenmerk auf die Begrifflichkeiten zu richten. Während die Stadtplanung nach wie vor als hoheitliche Aufgabe wahrgenommen wird, in der es nur wenig Mitsprachemöglichkeiten gibt, ist die Stadtentwicklung deutlich breiter aufgestellt469. Sie umfasst neben der eigentlichen Planung auch soziale, ökonomische, ökologische oder politische Komponenten und ist damit in hohem Maße interdisziplinär aufgestellt. Diesen verschiedenen Zugängen will sie unter anderem mit dem sogenannten integrierten Ansatz gerecht werden. Dieser hat, neben der besseren Zusammenarbeit unterschiedlicher Ressorts, die Einbeziehung unterschiedlicher Akteursgruppen außerhalb der Stadtverwaltung zum Ziel. In diesem Kontext – und damit auf den zweiten Blick – entstehen durchaus Schnittstellen mit der Zivilgesellschaft. Diese manifestieren sich beispielsweise in diversen Ehrenämtern, im Bereich der Nachbarschaftshilfe in einem Quartier, eigenen Projekten und Ideen, klassisch in Form der Mitwirkung bei Beteiligungsverfahren in der Stadtplanung und -entwicklung oder aber in Form von Protestaktionen gegen solche Vorhaben. Freilich unterliegen diese zivilgesellschaftlichen Aktivitäten unterschiedlichen Motivationen, und sie unterscheiden sich beim Zusammentreffen mit der öffentlichen Hand. Gemeinsam ist ihnen, dass sich viele Akteure dieser Schnittstelle kaum bewusst sind; vielmehr ist davon auszugehen, dass sich kaum jemand zivilgesellschaftlich engagiert, um Stadtentwicklung zu betreiben470. Bei dem Zusammentreffen zivilgesellschaftlicher Akteure mit Politikern und Verwaltungsmitarbeitern können unterschiedliche Konfliktfelder entstehen. Zum einen stehen selbstermächtigte, eigene Themen definierende oder gegen Themen protestierende Menschen und Gruppen Politikern gegenüber, die sich zunächst einmal demokratisch legitimiert fühlen. Zusätzlich sind diese Politiker je nach Stadtgröße ebenso ehrenamtlich engagiert wie diejenigen, die nunmehr eigene Themen setzen wollen. Auf der anderen Seite gibt es Mitarbeiter der Verwaltung, die über eine qualifizierende Ausbildung verfügen und sich womöglich nicht erfreut
|| 469 Vgl. u.a. Adloff, Selbst- und Fremdsteuerung in der Zivilgesellschaft, S. 39; Becker/Runkel, Zivilgesellschaft in räumlichen Arenen, S. 191; Becker, Alle reden über Zivilgesellschaft, S. 125. 470 Vgl. Becker/Runkel, Zivilgesellschaft in räumlichen Arenen, S. 126.
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zeigen, wenn Bürger eigene Themen besetzen und nicht selten für sich in Anspruch nehmen, etwas besser zu machen als die städtische Verwaltung. Deutlich wird, dass hier in besonderer Weise unterschiedliche Handlungslogiken aufeinander stoßen. Während die öffentliche Hand auftragsgegeben beispielsweise mit Instrumenten wie Raumanalysen und Konzepten arbeitet (oder arbeiten muss), geschieht dies bei zivilgesellschaftlichen Akteure in der Regel kaum (weil sie dies auch nicht muss). Damit stoßen Fachwissen und analytische oder konzeptionelle Ansätze auf eine andere Form von Fachwissen, nämlich dem von „Betroffenen“. Auch dies kann zu Konflikten oder Missverständnissen führen. Erfolgversprechend sind auf jeden Fall Ansätze oder Versuche, Prozesse gemeinsam und ergänzend anzugehen. Zivilgesellschaftliche Akteure oder Initiativen bereichern hier oftmals durch eher weiche Faktoren und Wahrnehmungen. Hierbei das richtige Verfahren, Maß an Augenhöhe und Miteinander zu finden ist nicht einfach; leider gibt es kein Patenrezept. Aber gelingt dies nicht, zeigen neuere Entwicklungen, dass Protestaktionen wahrscheinlich werden, die sich ebenfalls der Zivilgesellschaft zuschreiben lassen. Eine kontroverse Diskussion gibt es darüber, ob Bürger, die ihre Zeit, ihr Wissen und Engagement im Rahmen von Beteiligungsverfahren zur Verfügung stellen, primär instrumentalisiert werden oder ob hier nicht auch eine Chance für das Erlernen bürgerschaftlichen Engagements liegt. Selbst wenn in Beteiligungsverfahren der Rahmen, die Ausrichtung, der Inhalt oder Akteurskreis vorbestimmt werden, bemüht sich doch eine Vielzahl der Verfahren darum, denjenigen eine Stimme zu geben, die sich ansonsten nicht zu Wort melden würden (Beispiele: Einrichtung eines Quartiersmanagements, Planungszelle, Zukunftswerkstadt, Stadtteilspaziergang, aufsuchende Befragung). In vielen Förderprogrammen der Stadtentwicklung, die wiederum verstärkt in sogenannten benachteiligten Stadtteilen zum Tragen kommen, werden Beteiligungsverfahren explizit gefordert471. Eine angemessene (und ihrem Selbstverständnis entsprechende) Rolle nimmt die Zivilgesellschaft und Bürgerschaft grundsätzlich dann ein, wenn sie zu einem frühen Zeitpunkt im Prozess eine Mitsprachemöglichkeit bekommt. Damit verstärkt sich ihre Funktion als Problemerfasser gegenüber der ihr oft zugeschriebenen Funktion als Problemlöser. Diese Rolleneinteilung gelingt nicht überall bzw. ist das Bewusstsein für diese Differenzierung nicht gleichermaßen gegeben. In keinem Fall ersetzen von politischer oder administrativer Seite eingesetzte Beteiligungsverfahren selbstermächtigtes und selbstorganisiertes zivilgesellschaftliches Handeln. Die politische oder strategische Dimension der Stadtentwicklung setzt durchaus auf ein besseres Miteinander zwischen den Akteuren. Ob dieses gelingt, ist nicht unwesentlich von den lokalen Gegebenheiten abhängig. Einen Baustein stellte bei diesen Bemühungen die „Nationale Stadtentwicklungspolitik“ dar, die 2007 auf || 471 Vgl. Engagement und Partizipation in der Stadtentwicklung, S. 76 ff.
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Bundesebene initiiert wurde. Erstmals bekam hier die Zivilgesellschaft mit dem Handlungsfeld „Bürger für ihre Stadt aktivieren – Zivilgesellschaft“ eine eigene Rolle und Funktion zugeschrieben (neben bzw. unabhängig von Förderprogrammen). Die Idee der Nationalen Stadtentwicklungspolitik ist es unter anderem, „Stadt zum öffentlichen Thema zu machen“, auch damit sich Menschen ihrer Verantwortung für ihr Umfeld, für städtische Herausforderungen (bspw. Demografie, Klimawandel, Integration) und die Stadtgesellschaft bewusster werden472. Schließlich engagiert man sich primär für die Themen, die man selber als relevant empfindet. Wenig beleuchtet und untersucht ist die Frage, was zivilgesellschaftliche Akteure tatsächlich außerhalb von Förderprogrammen für die Stadtentwicklung leisten. Dies wird dadurch erschwert, dass der Begriff der Stadtentwicklung nicht rechtlich geschützt oder eindeutig ist. Sind die Blumenkübel der lokalen Bürgerinitiative Stadtentwicklung? Auf jeden Fall werten sie das Stadtbild auf und stärken ein Bewusstsein für Stadt. Betreiben die Mitglieder einer (Kirchen-)Gemeinde Stadtentwicklung, wenn sie Hausaufgabenhilfe anbieten? Auf jeden Fall leisten sie einen Beitrag gegen Segregation und verbessern Bildungschancen. Hier wird von zivilgesellschaftlichen Akteuren viel verlangt und erwartet. Schließlich ist auch innerhalb manch einer Verwaltung die Reflexion des integrierten – und damit ressortübergreifenden – Handelns nicht immer verinnerlicht. Eine Sachbearbeiterin in der Kämmerei hat bspw. vermutlich wenig Erfahrung mit Bürgerbeteiligungsprozessen. Der Bauamtsmitarbeiter wird wenig über das vom Amt für Liegenschaften verwaltete Haus der Vereine wissen und ebenso kaum über die Auswirkungen der dort agierenden Akteure auf die Stadtentwicklung nachdenken. Zwar gibt es hier auch positive Beispiele, aber zumeist steht man noch sehr am Anfang einer bewussten Auseinandersetzung. Im Übrigen wird auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen seitens der Zivilgesellschaft und der öffentlichen Hand unterschiedlich miteinander umgegangen. Während es lokal oftmals eine Erwartungshaltung an zivilgesellschaftliche Akteure gibt, Aufgaben wie Bürgerbäder oder kulturelle Einrichtungen zu übernehmen, kann eine irgendwie geartete Erwartungshaltung auf der recht abstrakten Ebene der Metropolregionen kaum konstatiert werden473. Ein zivilgesellschaftlicher Akteur sei im Kontext der Stadtentwicklung besonders hervorgehoben: die Bürgerstiftungen. Um die Lebensqualität in einem per Satzung definiertem Raum – meist eine Stadt oder Region – zu verbessern, tun sich Menschen in einer Gemeinschaftsstiftung zusammen und bieten eine Plattform, um je nach individueller Möglichkeit Zeit, Wissen oder Geld zur Verfügung zu stellen. Seit mit Gütersloh und Hannover vor mehr als 25 Jahren die ersten Stiftungen dieses Typs nach anglo-amerikanischen Vorbildern entstanden, sind inzwischen über 400
|| 472 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer nationalen Stadtentwicklungspolitik, S. 22. 473 Vgl. Becker, Zivilgesellschaft und Metropolregionen, S. 181.
Religionsgemeinschaften, Parteien und Gewerkschaften | 289
Initiativen diesen Beispielen in Deutschland gefolgt. Im Gegensatz zu den Vorbildern verstehen sich die deutschen Bürgerstiftungen weniger als Finanziers, sondern eher als aktive Akteure in lokalen Entwicklungsprozessen. Zwar steigen auch diese zumeist über eher soziale Projekte ein, der Zweck der Satzung umfasst aber in der Regel all die Themen, die auch die Stadtentwicklung umfasst (Kultur, Soziales, Heimatpflege etc.). Akteure einer Bürgerstiftung agieren bewusst freiwillig und selbstbestimmt. Nicht nur dies unterstreicht die Schlussfolgerung: Zivilgesellschaft kann (un)bewusst stadtentwicklungsrelevante Themen belegen und übernehmen – sie muss dies aber nicht.
10.3 Religionsgemeinschaften, Parteien und Gewerkschaften Ob Religionsgemeinschaften, politische Parteien und Gewerkschaften der Zivilgesellschaft zuzurechnen sind, ist nicht nur eine systematisch interessante, sondern auch viele Menschen interessierende Frage, die nach jedem öffentlichen Vortrag über die Zivilgesellschaft gestellt wird. Im Hinblick auf Parteien und Gewerkschaften fehlen hierzu genauere Untersuchungen. Im Selbstverständnis der dort handelnden Personen wird eine Zugehörigkeit weithin bestritten. Führende Gewerkschaftsfunktionäre haben sich mehrfach öffentlich dahingehend geäußert, dass sie der Arena der Wirtschaft zugerechnet werden und mit der Zivilgesellschaft nichts zu tun haben wollen. Dies verrät zwar ein defizitäres Verständnis von den Kriterien, nach denen eine Zuordnung erfolgen kann – und wird wohl im Übrigen auf der Arbeitsebene in Grundsatzabteilungen auch nicht geteilt –, darf aber bei der Betrachtung nicht außer acht gelassen werden. Mehrere Indikatoren deuten freilich darauf hin, dass Gewerkschaften zumindest in einem weiteren Sinn der Zivilgesellschaft in der hier durchweg zugrunde gelegten Bedeutung zuzurechnen sind: Sie setzen sich aus Mitgliedern zusammen, die freiwillig beigetreten sind und die ihre Leitungsorgane autonom durch Wahlen bestimmen. Sie finanzieren sich aus Beiträgen der Mitglieder; sie sind nicht gewinnorientiert, d.h. sie verfolgen, jedenfalls im Kern, keine wirtschaftlichen Ziele für sich selbst (sehr wohl allerdings für ihre Mitglieder, was der Zuordnung aber nicht entgegensteht). Sie verfolgen diese Ziele in geradezu idealtypisch zivilgesellschaftlicher Weise als – Themenanwälte, – Dienstleister, – Wächter, – politische Mitgestalter und – Gemeinschaftsbildner (wenn auch viel weniger als früher). In der Hirschmanschen Einteilung sind sie denen zuzuordnen, die ihre Stimme erheben (voice); allerdings haben sie sich über viele Jahrzehnte auch als sehr loyale
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Stützen (loyal) der sozialen Marktwirtschaft und damit der aktuellen Ordnung der Gesellschaft insgesamt erwiesen. Darüberhinaus lässt sich beobachten, dass Gewerkschaften sich häufig – manche Kritiker würden sagen, geradezu penetrant – als Mitveranstalter oder aktiv Beteiligte bei vielfältigen zivilgesellschaftlichen Aktionen profiliert haben. Protestkundgebungen, Demonstrationen und andere für die zivilgesellschaftliche Themenanwaltschaft typische Aktivitäten finden regelmäßig unter Beteiligung von Gewerkschaften statt. Rechtlich gesehen stellen die Gewerkschaften kurioserweise Gesellschaften bürgerlichen Rechts dar. Diese Rechtsform ist durchaus typisch für zivilgesellschaftliche Akteure, allerdings dient sie (zum Teil ohne dass die Beteiligten dies überhaupt wissen) sonst eher Bewegungen, die hinsichtlich ihrer organisatorischen Verfestigung ganz am anderen Ende der Skala zu positionieren sind. Aus alldem lässt sich jedenfalls ableiten, dass die moderne Zivilgesellschaft auch die Gewerkschaften umfasst. Schwieriger und strittiger erscheint die Zuordnung der politischen Parteien. Zwar setzen sich auch diese aus Mitgliedern zusammen, die freiwillig beigetreten sind und die jedenfalls nominell ihre Führungskräfte autonom durch Wahl bestimmen. Im Gegensatz zu allen übrigen nicht-staatlichen Akteuren schreibt ihnen das deutsche Parteiengesetz (vom 24. Juli 1967, zuletzt geändert 2018) ausdrücklich vor, dass sie den demokratischen Staatsaufbau intern abzubilden haben. Sie finanzieren sich nur zum Teil – grob gesagt zu 50 Prozent – aus Beiträgen und Spenden, im Übrigen aber aus öffentlichen Mitteln, die sie in Relation zu ihren Erfolgen bei Wahlen und zu ihren sonstigen Einkünften erhalten. Das Parteiengesetz verleiht ihnen auch eine Rechtsform eigener Art; die Hürden, diese Form zu erlangen, sind deutlich höher als etwa die zur Gründung eines Vereins oder einer Stiftung. Schließlich unterscheidet sich auch die Art der steuerlichen Würdigung von Zuwendungen beim Zuwendungsgeber grundlegend von der, die bei zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Anwendung kommt.474 Die Aufgabenstellung der Parteien erstreckt sich ganz und gar auf die Mitgestaltung der Politik, konkret auf das Erringen, Gestalten und Bewahren politischer Macht und zwar ausdrücklich in der Arena des Staates, auf allen Ebenen der Staatlichkeit. Diese Funktion ist ihnen durch das Grundgesetz (Art. 21) ausdrücklich übertragen, allerdings nicht ausschließlich, wie von ihnen regelmäßig in Anspruch genommen wird. Von zivilgesellschaftlichem Handeln halten sich Parteien traditionell fern. Im Gegenteil: Nicht selten treten sie in öffentlichen Auseinandersetzungen als Gegenpart zu zivilgesellschaftlichen Akteuren und als Verteidiger der Staatsmacht auf. In das Hirschmansche Modell lassen sie sich schwer einordnen; sie sind so eng mit anderen staatlichen Akteuren verflochten, dass sich diese Frage nicht
|| 474 Spenden an politische Parteien werden in begrenzter absoluter Höhe auf die Steuerschuld angerechnet; Spenden an sog. steuerbegünstigte Körperschaften werden bis zu einer Höhe, die sich nach dem zu versteuernden Einkommen richtet, auf dieses angerechnet.
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stellt. Aus all diesen Gründen spricht vieles dafür, die politischen Parteien – zumindest in Deutschland – nicht der Zivilgesellschaft, sondern (neben der exekutiven, legislativen und judikativen Gewalt) der Arena des Staates zuzuordnen. Die Frage der Zuordnung der Religionsgemeinschaften ist systematisch ebenso schwer zu beantworten. Dies liegt wesentlich daran, dass den großen christlichen Kirchen sowie der jüdischen Kultusgemeinde durch die Reichsverfassung von 1919 (insb. Art. 137 Abs. 5 WRV, dann übernommen ins Grundgesetz durch Art. 140 GG) ihr überkommener Status als Körperschaften öffentlichen Rechts garantiert und anderen Religionsgemeinschaften die Möglichkeit eröffnet wurde, diesen ebenfalls zu erlangen. Im gleichen Artikel wurde unter Absatz 1 wurde jedoch festgelegt, dass es keine Staatskirche geben soll. Diese Zwitterstellung, in der Literatur meist als „hinkende Trennung von Kirche und Staat“ beschrieben, hat zahlreiche Konsequenzen, die insgesamt eine ausgeprägte Staatsbindung der Religionsgemeinschaften begründen. Allerdings erweist sich dieses nunmehr 100 Jahre alte und auf jahrhundertealten Traditionen aufbauende Konstrukt einer modernen Betrachtung gesellschaftlicher Zusammenhänge nicht mehr gewachsen. Dazu trägt nicht nur die dezidiert kirchenferne Gestaltung des modernen Staatswesens und die abnehmende Dominanz der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft bei. Auch die Religionsgemeinschaften haben ein anderes Selbstverständnis entwickelt und sehen sich überwiegend nicht mehr als Teil der oder auch nur Beteiligte an der staatlichen Ordnungsmacht. Im Ergebnis eines Forschungsprojekts, das diese Veränderungen europaweit untersucht hat475, kann festgestellt werden, dass die Frage, ob eine Zuordnung der europäischen Religionsgemeinschaften zur Zivilgesellschaft grundsätzlich möglich ist, sinnvoll erscheint und bejaht werden kann. Ebenso lässt sich feststellen, dass innerhalb (wie außerhalb) der Religionsgemeinschaften eine sich beschleunigende Debatte zur eigenen Positionierung in der Gesellschaft stattfindet. Hierzu hat der aufmerksame Blick auf die Religionen beigetragen, der unter anderem durch das Reformationsjubiläum, Äußerungen des gegenwärtigen Papstes und zahlreicher Kirchenvertreter im Rahmen der „Flüchtlingskrise“ sowie durch den anhaltenden Fokus auf die gesellschaftliche Rolle des Islams verstärkt wurde und bei weitem noch nicht abgeklungen zu sein scheint. Ebenfalls bejahen lässt sich die Frage, ob das Modell der Zivilgesellschaft (in analytisch-deskriptiver Konnotation) geeignet erscheint, den Religionsgemeinschaften eine positive Zuordnung zur modernen Gesellschaft zu bieten, die es ihnen gestattet, ihre Mission zu erfüllen. Dies wird besonders deutlich, wenn man prüft, ob und in welchen Funktionen von Zivilgesellschaft sich Religionsgemeinschaften wiederfinden:
|| 475 Vgl. Strachwitz (Hrsg.), Religious Communities and Civil Society in Europe.
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– – – – – – – –
Dienstleistungen, Themenanwaltschaft, Selbsthilfe, Mittler, Wächter, Gemeinschaftsbildung, politische Mitgestaltung, Ermöglichung persönlicher Erfüllung.
Bei genauer Betrachtung sind Religionsgemeinschaften in allen Funktionen tätig. Anders ausgedrückt: Sie erfüllen in allen Funktionen ihre Mission. Allerdings ist der Bewusstwerdungs- oder Entwicklungsprozess innerhalb einzelner Gemeinschaften und unter unterschiedlichen kulturellen und politischen Rahmenbedingungen keinesfalls einheitlich. Vielfach wird traditionellen Privilegien, der Nähe zum oder sogar der Einbindung in den Staat, Vorstellungen von Machtausübung oder zumindest der Beteiligung daran und anderen überkommenen Elementen des Selbstverständnisses nachgetrauert. Oder es wird anderen Akteuren der Zivilgesellschaft so misstraut, dass eine gemeinsame Zugehörigkeit schwierig oder unmöglich erscheint. Insgesamt bietet sich insoweit ein sehr differenziertes Bild. Die aktuelle Rechtslage, die vielfältigen kulturellen Traditionen geschuldet ist, begünstigt in vielen europäischen Ländern solche Nostalgien ebenso wie ein weithin unreflektiertes Selbstverständnis. Allerdings scheint die Akzeptanz, möglicherweise sogar die Attraktivität der Religionsgemeinschaften in der extrem säkularen Umgebung des Europa im 21. Jahrhundert wesentlich davon abzuhängen, dass sie in den oben genannten zivilgesellschaftlichen Funktionen erkennbar sind.
10.4 Transparenz und Compliance 10.4.1 Einführung Der Antagonismus gegen menschliche Verantwortlichkeit im Zusammenhang des Gemeinwohls ist so tief verwurzelt, dass die gesetzlichen Regelungen für die Körperschaften, die überwiegend steuerbegünstigt sind (insbesondere Vereine und Stiftungen), bis heute keine Vorschriften für das Rechnungswesen enthalten, die denen von Wirtschaftsunternehmen auch nur annähernd vergleichbar wären. Während das Handelsrecht nicht nur Grundsätze für die Buchführung oder die Erstellung und Prüfung von Jahresabschlüssen festschreibt, sondern darüber hinaus auch zahlreiche Einzelbestimmungen (etwa zu Bilanzmethoden, zur Wertermittlung, zu Abschreibungen usw.) enthält, beschränken sich die Vorschriften für steuerbegünstigte Körperschaften auf ganz allgemeine Äußerungen über die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung. Lediglich die steuerbegünstigten Körperschaften, die
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in einer Rechtsform verfasst sind, die aber überwiegend von nicht steuerbegünstigten Körperschaften genutzt werden (insbesondere als gGmbH, gAG, gUG haftungsbeschränkt) sowie solche, die (auch in anderer Rechtsform) einen im Handelsregister eintragungspflichtigen Geschäftsbetrieb unterhalten, unterliegen den Publizitätsvorschriften dieser Rechtsformen, etwa der Veröffentlichung von Jahresabschlüssen im elektronischen Bundesanzeiger. Die Gründe, auch von zivilgesellschaftlichen Akteuren mehr Transparenz einzufordern, haben nicht in erster Linie mit einem allgemeinen Korruptions- oder Fehlallokationsverdacht zu tun. Vielmehr wird neben ethischen Grundsätzen einer guten Zivilgesellschaft – denn Zivilgesellschaft ist keineswegs eo ipso gut – eine Reihe von eher demokratietheoretischen Argumenten angeführt: – Die Darlegung von Finanzquellen und der Tätigkeit ist ein Ausgleich für die grundsätzlich fehlende Repräsentativität des Sektors. Eine gemeinnützige Organisation ist nicht insgesamt demokratisch legitimiert und wirkt doch mitunter ganz erheblich im öffentlichen Raum. (Eine wie immer geartete interne Demokratie ist dafür kein Ersatz.) – Wegen des Verzichts auf Steuern im Zusammenhang mit Spenden, aber auch wegen oft hoher Leistungsentgelte und Subventionen aus öffentlichen Kassen steckt in fast jedem von einem Verein oder einer Stiftung ausgegebenen Euro ein Anteil von Mitteln, die der Gesamtheit der Bürger gehören. Diese haben dementsprechend einen Anspruch darauf, zu wissen, was damit geschieht. – Die öffentliche Darlegung dient dem öffentlichen Diskurs und der durchaus auch kontroversen und auf Tatsachen gestützten Auseinandersetzung mit der Arbeit der Zivilgesellschaft und erfüllt damit die wichtigste Bedingung für die Entwicklung von Qualität in Führung, Arbeit und Ausbildung. Transparenz bezeichnet hier die Veröffentlichung von Angaben über die Tätigkeit einer Organisation, die es Mitwirkenden und Außenstehenden erlauben, sich ein zutreffendes Bild von der Tätigkeit der Organisation zu machen. Die hierfür notwendige Erstellung von Berichten ist als Steuerungs- und Planungsgrundlage ebenso wertvoll wie als Ausdruck einer Rechenschaftspflicht. Dieser Pflicht wird in einer offenen Gesellschaft durch die Abgabe von Berichten an Behörden auf Grund gesetzlicher Erfordernisse, die zum Teil außerordentlich umfangreich sind476, nicht genügt, weil die Öffentlichkeit zu diesen Berichten keinen oder kaum Zugang hat. Im Mittelpunkt des Interesses stehen folgende Angaben: 1. Governance-Struktur (Aufbauorganisation, Leitung, Entscheidungsfindung), 2. Mittelherkunft, 3. Mittelverwendung.
|| 476 Siehe hierzu ausführlich: Krimmer et al., Transparenz im Dritten Sektor.
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Schon seit langem, spätestens seit Vorlage des Abschlussberichts der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ 2002 spielt die Frage, ob die den ZGO gewährte Befreiung von Ertrags- und Vermögenssteuern mit der Verpflichtung verknüpft werden soll, über Tätigkeit und Finanzen gegenüber der Öffentlichkeit Auskunft zu geben, eine herausragende Rolle. Von Wissenschaft und Experten wird dies einhellig gefordert, auch die Dachverbände der Zivilgesellschaft (Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege, Deutscher Olympischer Sportbund, Deutscher Kulturrat, Deutscher Naturschutzring, VENRO, Bundesverband Deutscher Stiftungen usw.) befürworten im Grundsatz heute mehr Transparenz. Das früher oft gehörte Argument des zu hohen Aufwandes ist durch die weite Verbreitung eigener Internet-Auftritte obsolet geworden. Durch diese grundsätzliche Positionierung ist allerdings noch nichts Entscheidendes gewonnen. Es kommt vielmehr darauf an, das Transparenzgebot mit Argumenten zu untermauern, die auch die zahllosen, daran nicht gewöhnten Träger gemeinnütziger Einrichtungen und Initiativen überzeugen können. Zu diesen Argumenten gehört das Vertrauensargument. In den letzten Jahren ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den ehrlichen Kaufmann ebenso erschüttert worden wie in den aufrechten Sportler und den glaubhaften Politiker. Bürgerengagement und Zivilgesellschaft als unabhängige Akteure und Wächter sind nicht zuletzt deshalb aktuell und Transparenz ist überall angesagt. In besonderem Maße ist die Spende als freiwillige Zuwendung und Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements definitionsgemäß ein Vertrauensbeweis. Die Zivilgesellschaft und ihre Akteure leben von diesem Vertrauensbeweis besonderer Art. Bürgerinnen und Bürger tauschen damit nichts ein und werden nicht dazu gezwungen. Vielmehr helfen sie damit freiwillig Organisationen und Projekten, die sich um das allgemeine Wohl verdient machen wollen. Um sich dazu zu entschließen, müssen die Bürger sich von dem Anliegen selbst ebenso überzeugen können wie von der Qualität der Arbeit. Sie brauchen Vertrauen. Sie gewinnen es aus eigener Anschauung, über andere Personen, vor allem aber aus Berichten. Es ist deshalb erstaunlich, dass gemeinnützige Organisationen bisher von der Forderung nach mehr Transparenz kaum erfasst werden. Viele zögern, den Spenderinnen und Spendern oder gar der Öffentlichkeit zu sagen, wieviel Unterstützung von wem kommt, was damit geschieht und wie die notwendigen Entscheidungen gefasst werden. Sie verweisen gern auf Behörden, denen sie regelmäßig berichten müssen; davon haben aber Öffentlichkeit und Spender nichts, denn diese Berichte werden weder zusammengefasst noch weitergegeben. Eine Verpflichtung, wenigstens ein Minimum zu veröffentlichen, gibt es in Deutschland nicht, und auch wenn viele Organisationen es inzwischen freiwillig tun, sind es doch immer noch zu wenige. Da es keine Richtlinien dafür gibt, sieht zudem jeder Bericht anders aus. Das macht es den Spendern schwer. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn viele sich nur auf ihr Bauchgefühl verlassen, misstrauisch bleiben und gar nicht spenden.
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Dem ist mit dem Druck auf die Tränendrüse nicht abzuhelfen. Wir brauchen für unser Vertrauen eine sachliche Grundlage. Leider ist die Lösung nicht so einfach, wie sie scheinen mag. Bevor beispielsweise eine gesetzliche Regelung eingeführt wird (die es in anderen Ländern seit Jahrzehnten gibt), müssten dazu Festlegungen getroffen und Grenzen der Transparenz benannt werden, die beispielsweise mit Zumutbarkeit, mit dem Schutz der Privatsphäre des Spenders, mit dem Charakter der Tätigkeit oder auch mit illegitimen Eingriffen staatlicher oder kommerzieller Späher zu tun haben. Außerdem sind die Verhältnisse in einem großen Wohlfahrtsverband anders als einem Kunstverein oder einer lokalen Bürgerinitiative. Trotzdem wird der Gesetzgeber auf Dauer nicht umhin können, verpflichtende Regeln einzuführen, die freilich auch die behördlichen Empfänger von Berichten einbeziehen müssen. Vorschläge dafür liegen seit langem auf dem Tisch. Solange diese Regeln nicht existieren, ja eigentlich auch wenn es sie gäbe, leisten freiwillige Transparenzverpflichtungen gute Dienste. Manche Verbände haben für ihren Bereich dafür Richtlinien erlassen, können sie allerdings nur im Einvernehmen mit den Betroffenen durchsetzen. Außerdem gibt es unabhängige Möglichkeiten. Dazu zählen beispielsweise: – Die Initiative Transparente Zivilgesellschaft (ITZ) ist relativ leicht und kostenlos erreichbar. ZGO können sich mit Hilfe einer Selbstauskunft zur Beteiligung an der Initiative anmelden. Die Auskünfte werden geprüft, und falls diese hinreichen, wird der Organisation die Beteiligung bescheinigt. Zugleich wird sie verpflichtet, bestimmte Grundsätze einzuhalten und zum Zeichen der Beteiligung das Logo der ITZ deutlich sichtbar zu führen. Folgende Angaben sind zwingend Voraussetzung für eine Teilnahme: 1. Name, Sitz, Anschrift und Gründungsjahr 2. Vollständige Satzung sowie Angaben zu den Organisationszielen 3. Angaben zur Steuerbegünstigung 4. Name und Funktion wesentlicher Entscheidungsträger 5. Tätigkeitsbericht 6. Personalstruktur 7. Angaben zur Mittelherkunft 8. Angaben zur Mittelverwendung 9. Gesellschaftsrechtliche Verbundenheit mit Dritten 10. Namen von Personen, deren jährliche Zahlungen mehr als 10 Prozent des Gesamtjahresbudgets ausmachen – Die größten Spendensammler Deutschlands unterziehen sich fast alle der rigorosen Prüfung durch das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI), um das begehrte, allerdings nicht ganz billige Spendensiegel zu erhalten. Dieses bescheinigt zuverlässig, ob eine Organisation nicht mehr als notwendig für die Einwerbung der Spenden ausgibt, die sie bekommen will – und muss, um ihre Mission erfüllen zu können. Voraussetzung für die Zuerkennung des Spenden-
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siegels ist die jährliche Einreichung detaillierter Angaben zur GovernanceStruktur, zu den finanziellen Verhältnissen und besonders zum Verhältnis zwischen Spenden und dem zur Einwerbung notwendigen Aufwand. Manche Verbände haben eigene Transparenzregeln erlassen, bspw. – die Transparenzstandards von Caritas und Diakonie, – der AWO Governance Kodex, – VENRO Verhaltenskodex zu Transparenz, Organisationsführung und Kontrolle.
Eines allerdings kann kein Siegel erreichen: das Vertrauen in die tatsächlich geleistete Arbeit erhalten oder gar wiederherstellen. Dazu bedarf es einer sachkundigen und sachorientierten Berichterstattung durch die Organisation selbst an ihre Stakeholder, denen sie verantwortlich ist. Auch Spender achten heute auf compliance und accountability. Kein Spender sollte, von wenigen extremen Ausnahmen abgesehen477, an eine Organisation spenden, die nicht in befriedigender Weise über ihre Arbeit Auskunft erteilt. Bunte Bilder genügen da nicht. Vertrauen gründet sich auf informative Berichte, auf Überprüfbarkeit durch kompetente, nicht notwendigerweise staatliche Stellen und auf eine darauf gestützte und sachlich geführte öffentliche Debatte. Für die Zukunft des Engagements und der Zivilgesellschaft ist eine solche Vertrauenskultur wichtiger als jede Anerkennungskultur. In diesem Zusammenhang ist nicht zu übersehen, dass die Europäische Kommission ihre verbindlichen Transparenzrichtlinien, die Teil des europäischen Maßnahmenpakets zur Terrorismusbekämpfung sind, Zug um Zug verschärft. Allerdings gerät die Zivilgesellschaft dadurch in ein seltsames Licht. Nicht wegen des Verdachts, als Steigbügelhalter für Geldwäscher und Terroristen angesehen zu werden, sollte sie sich für mehr Transparenz begeistern, sondern um ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Stakeholdern zu haben. Erhebliche Schwierigkeiten in der Berichterstattung ergeben sich daraus, dass jeder Finanzierungspartner eigene Regeln dafür aufstellt, die zumindest in den Berichten an diesen einzuhalten sind. Zudem fußt die Notwendigkeit der Berichterstattung je nach Herkunftsart auf sehr unterschiedlichen Grundlagen. Während für einige Herkunftsarten die Berichterstattung durch Gesetz vorgeschrieben ist, ist sie für andere im Rahmen des Vertragsverhältnisses zwischen Mittelgeber und Mittelempfänger geregelt. Bei wieder anderen besteht zwar keine Verpflichtung zur Berichterstattung, doch diese ist eine mehr oder weniger notwendige Voraussetzung dafür, dass diese Herkunftsquelle erhalten bleibt. Folgt also die ZGO bei einigen Herkunftsarten überwiegend den Wünschen der Mittelgeber, handelt sie bei ande-
|| 477 Solche Ausnahmen können bspw. in der Natur der Arbeit liegen, wenn deren Erfolg zwingend von absoluter Geheimhaltung abhängig ist. Dies gilt insbesondere für die Arbeit in Krisenregionen oder Ländern, in denen die Empfänger besonders bedroht sind.
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ren überwiegend aus eigenem Interesse. Die Mittelherkunft bestimmt demzufolge in den meisten Fällen die Art der Berichterstattung. Es ist zu unterscheiden zwischen 1. durch Satzung und Governance-Struktur gegebene Berichtspflichten, beispielsweise an – Mitglieder, – Aufsichtsorgane, – interne Kontrollstellen; 2. gesetzlich normierten Berichtspflichten, beispielsweise an – Regulierungsbehörden, – Subventionsgeber, – öffentliche Kontraktpartner; 3. freiwilliger, aber notwendiger Berichterstattung, beispielsweise an – Spender; 4. vertraglich vereinbarten Berichtspflichten, beispielsweise an – Vertragspartner, – Sponsoren.
10.4.2 Mehr Transparenz Jede steuerbegünstigte Körperschaft wird mindestens insoweit von der Gemeinschaft der Steuerzahler mitfinanziert, als sie auf die Besteuerung dieser Körperschaft verzichtet und einen Steuerausfall durch steuerliche Vorteile für die Spender in Kauf nimmt. Schon dies legt den Gedanken nahe, dass ebendiese Gemeinschaft – und nicht nur das dem Steuergeheimnis unterworfene Finanzamt – das Recht hat zu erfahren, was diese Körperschaften tun. Darüber hinaus gehört es aber im Rahmen der Entwicklung der Zivilgesellschaft zu einem eigenständigen und gleichrangigen gesellschaftlichen Aktionsfeld neben Markt und Staat zu den unstrittigen Qualitätsund Legitimationsmerkmalen einer guten Zivilgesellschaft, ihre Tätigkeit einem öffentlichen Diskurs zu unterwerfen, nicht zuletzt deshalb, weil ihr eine demokratische Repräsentativität prinzipiell abgeht. Nur durch diese Unterwerfung unter einen öffentlichen Diskurs kann die Zivilgesellschaft dem Vorwurf begegnen, sie bzw. Teile von ihr verträten gar nicht Anliegen des gemeinen Wohls, sondern Partikularinteressen ihrer Geldgeber. Dieser Diskurs ist nur relevant, wenn ihm konkrete Daten zugrunde liegen. Er ist ohnehin schwierig, da die Übergänge fließend sind. Im Mittelpunkt steht nicht so sehr die Tatsache der Mittelherkunft im Einzelnen, sondern die Nachprüfbarkeit des Hintergrunds von Sachaussagen im Verhältnis zur Herkunft der Mittel. Darüber hinaus ist auch die Zivilgesellschaft sowohl in ihrer Themenanwalts- als auch ihrer Dienstleistungsfunktion nicht frei von Korruption. Wie von Markt und Staat bekannt ist, führt der Kampf gegen Korruption über die Transparenz. Darüber hinaus steht es der Zivilgesellschaft im Zusammenhang mit
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ihren normativen Positionen gut an, in diesem Kampf Vorreiter und nicht Nachzügler zu sein. Die – selbst auferlegte oder gesetzlich erforderliche – Verpflichtung zur Transparenz wird in der Regel durch Veröffentlichung eines Jahresberichts erfüllt, dem ein Jahresabschluss, d.h. eine retrospektive Betrachtung der finanziellen Situation, angefügt ist. Für ZGO, die steuerbegünstigte Körperschaften darstellen und nicht handelsrechtliche Vorgaben einhalten müssen, bestehen keine gesetzlichen Vorschriften, wie diese Bilanz auszusehen hat. Jedoch hat sich für ZGO jeder Größe die Übernahme der in der Wirtschaft üblichen Form (Bilanz plus Aufwands-/Ertragsrechnung) bewährt. Die vielfach geforderte Abstufung der Transparenzerfordernisse nach der Größe der Organisationen ist nicht nur schwierig zu konkretisieren (z.B. Umsatz oder Anlagevermögen oder Zahl der Beschäftigten oder „Ehrenamtlichen“ als Bemessungsgrundlage?), sondern im Zeitalter standardisierter und automatisierter Buchhaltung auch obsolet. Es muss gelingen, einheitliche Maßstäbe für den Umfang der Veröffentlichungspflicht zu erarbeiten. Dabei treten folgende Probleme auf: 1. Das Veröffentlichte muss relevant sein und die Tätigkeit und Finanzströme tatsächlich widerspiegeln. So kann etwa durch die Ausgliederung wesentlicher Tätigkeiten in Tochtergesellschaften die Transparenzverpflichtung unterlaufen werden, indem dem Zahlenwerk der Muttergesellschaft jede Aussagekraft genommen wird. 2. Die Veröffentlichung darf andererseits nicht die Wettbewerbssituation insbesondere der gemeinnützigen Dienstleister dadurch beeinträchtigen, dass Wettbewerber und Kostenträger einen vollständigen Einblick in die Innenkalkulation erhalten. 3. Das Spenden durch einzelne Bürgerinnen und Bürger ist auch ein privater schützenswerter Vorgang. Die Identität privater Spender darf nicht gegen deren Willen zum öffentlichen Wissen werden. Es muss daher nach Wegen gesucht werden, Offenlegungs- und Schutzerfordernisse auf einen Nenner zu bringen. Es erscheint wahrscheinlich, dass eine öffentliche fachkundige (d.h. nicht fiskalische, sondern für Zivilgesellschaft fachkundige) Stelle für manche sensible Informationen der einzige Adressat sein könnte, während andere Informationen tatsächlich jedermann zugänglich sein müssen.
10.4.3 Grenzen der Transparenz Es erscheint notwendig, zwischen der Verpflichtung des einzelnen Menschen und seinen kulturell-religiösen Normen einerseits sowie zivilgesellschaftlichen Organismen andererseits zu unterscheiden, wobei letztere wohl eher in dem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Verantwortung im gesellschaftlichen Kontext zu sehen sind. Vereine oder Stiftungen sind demgemäß, insoweit sie als solche handeln,
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keine oder jedenfalls nicht nur Verwirklichungen individueller Lebenspläne, sondern stellen korporative Akteure dar. Aus dieser Argumentation heraus hat der säkulare, kulturell-religiöse Normen achtende Staat zweifellos Geheimhaltungswünsche einzelner Bürgerinnen und Bürger zu respektieren – sie aber freilich nicht zu fordern. Für eine Übertragung solcher Wünsche auf Korporationen versagt hingegen diese Argumentation. Auch auf gemeinwohlorientierte korporative Akteure sind die Regeln anzuwenden, die sonst für alle korporativen Akteure gelten. Neuere Entwicklungen legen nahe, den seit einigen Jahren weithin hörbaren Ruf nach mehr Transparenz in der Zivilgesellschaft einer differenzierten Betrachtung zu unterziehen. Dem stehen der exponentielle Bedeutungszuwachs der Zivilgesellschaft im gesamtgesellschaftlichen Gefüge, der allgemeine Trend zu mehr Offenheit und eine Reihe von eher peinlichen Enthüllungen über Missstände in einzelnen Organisationen diametral gegenüber. Das fundamentale Recht, nicht alles von sich offenbaren zu müssen, seine Gedanken, Gefühle, Ansichten und Handlungen nicht einem permanenten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt zu sehen, ist im Kern ein Schutzrecht des Einzelnen vor den Mächtigen.478
Dies gilt grundsätzlich auch für korporative zivilgesellschaftliche Bürger. Insgesamt kann daher als Ausgangssituation ein fundamentales Dilemma festgehalten werden. Das demokratietheoretische Transparenzgebot einer ZGO hat sich an sehr unterschiedlichen und prinzipiell kaum in Einklang zu bringende Maßstäben zu messen: – Auskunftsbedürfnis der Öffentlichkeit einschließlich der wissenschaftlichen Auswertung; – Rechenschaftslegungspflicht von ZGO gegenüber internen und externen Stakeholdern; – Schutz der Privatsphäre einzelner Bürgerinnen und Bürger; – Vertraulichkeit interner Prozesse der Akteure vor Vertragspartnern, Wettbewerbern und fremden Dritten; – Schutzbedürftigkeit der Akteure vor unkontrollierbaren Datensammlungen und daraus folgenden staatlichen oder kommerziellen Eingriffen. Folgende Problemzonen sind dabei erkennbar: 1. Bedeutung und Bedingungen von Transparenz im Sinne von Verantwortlichkeit sind noch kaum erkannt. 2. Die Bedürfnisse, Interessen und berechtigten Ansprüche an zu erhaltende Informationen sind unterschiedlich und nicht hinreichend definiert. 3. Verbindliche oder auch nur mehrheitlich akzeptierte Richtlinien zur Herstellung von Informationen fehlen. || 478 Rieger, Von Daten und Macht, S. 6.
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4. Ein one fit all-System wird den Fragestellungen nicht gerecht. 5. Eine Transparenzkultur ist in der Zivilgesellschaft noch im Entstehen. 6. Die geforderte Transparenz gegenüber staatlichen Instanzen erscheint hochgradig überreguliert479. 7. Die bei staatlichen Instanzen gesammelten Daten werden nicht aggregiert und der Wissenschaft zugänglich gemacht. 8. Transparenz gegenüber staatlichen Instanzen erhöht nicht die Transparenz gegenüber der Gesellschaft. 9. Eine Erhöhung der Transparenz gegenüber der Gesellschaft erhöht auch die Möglichkeiten der missbräuchlichen Verwendung und vermindert den Schutz vor Vertragspartnern, Wettbewerbern und Trittbrettfahrern. 10. Transparenz gegenüber der Gesellschaft und der Schutz vor missbräuchlicher Verwendung sind vollständig ungeregelt. Während der Grad der Transparenz im Rahmen staatlicher Regulierungsmechanismen außerordentlich hoch ist, fällt er im Rahmen einer offenen Verantwortlichkeit deutlich niedriger aus. Der Schutz vor Vertragspartnern, Wettbewerbern und Trittbrettfahrern ist derzeit relativ hoch, der Schutz vor missbräuchlicher Verwendung von Informationen für staatliche oder gewerbliche einschließlich krimineller Eingriffe dagegen kaum erfasst. Daraus ergibt sich die Arbeitshypothese, dass der Ruf nach mehr Transparenz komplexe Überlegungen und Prozesse auslösen muss und politisch-administrativ keinesfalls im Schnellverfahren und mit einfachen Lösungen beantwortet werden kann. Dazu ist Zivilgesellschaft bei voller Würdigung ihrer Gemeinsamkeiten, die die Zuordnung zu einer Arena rechtfertigen, viel zu komplex und diversifiziert. Die Organisationen unterscheiden sich hinsichtlich der Größe, Funktion, Finanzierung, Zielsetzung usw. Angesichts des (grundsätzlich beruhigenden) Mangels an akuten Problemfällen ist darüber hinaus den Binnenwirkungen von Transparenz in einer ZGO bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass sich Mitglieder (von Vereinen), Gesellschafter (von gemeinnützigen Kapitalgesellschaften), Mitglieder von Vorständen (von Vereinen und Stiftungen), Stiftungsräten, Kuratorien, Aufsichtsräten und anderen entscheidungsbefugten und damit verantwortlichen Organen vielfach nicht oder kaum ihrer rechtlichen und moralischen Verantwortung bewusst sind und das tatsächliche Geschehen ihnen gegenüber intransparent bleibt, ohne dass sie hiergegen etwas unternehmen. Daraus können diesen, oft ehrenamtlich tätigen Führungskräften erhebliche Risiken erwachsen. Dieses Argument wird durch die seit einiger Zeit vor allem in der Wirtschaft geführte Compliance-Diskussion gestützt.
|| 479 Siehe hierzu ausführlich: Krimmer et al., Transparenz im Dritten Sektor.
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Während also Transparenz ein absoluter Begriff ist, geht es in Wirklichkeit viel eher darum, die für eine effektive Zielerfüllung unerlässliche Vertraulichkeit und die von außen im Grundsatz durchaus zu Recht eingeforderte Offenlegungspflicht gegeneinander abzuwägen und daraus einerseits einen Ausweis der Verantwortlichkeit, andererseits einen Maßstab der Befolgung sinnvoller Regeln zu entwickeln. Dies ist ein Prozess, der weder konfliktfrei zu führen, noch apodiktisch oder einseitig zu beenden ist. Er muss vielmehr zwischen den Interessenten ausgehandelt werden, wobei gewisse Mindeststandards ebenso zu beachten wie überzogene Forderungen abzulehnen sind. Diese Interessenten, die Stakeholder, haben unterschiedliche Anforderungen, die keineswegs im Einklang miteinander stehen. Hinzu treten berechtigte Schutz- und Eigeninteressen der Organisation selbst, etwa der Schutz vor Wettbewerbern, die Sorge um eine Verschiebung des Gleichgewichts der Positionen in Verhandlungen oder bei einigen zivilgesellschaftstypischen Tätigkeiten die Angst davor, dass mithilfe der Staatsgewalt oder einer Marktmacht legitimes Handeln mit Maßnahmen und Eingriffen behindert wird, die formal legal sind, am Rande der Legalität liegen oder sogar illegal sind, aber geduldet werden. Eine Lösung der Konflikte kann nur gelingen, wenn auf der Makro-Ebene die Existenz der Zivilgesellschaft und die Tätigkeit der Akteure in ihr als wesentlicher und legitimer Teil der Gesellschaft verstanden werden, während auf der Meso-Ebene unterschiedliche Verfahren herausgearbeitet werden. Über die Frage des Ausmaßes des Schutzes besteht kein auch nur annähernder Konsens. Allerdings ist unstrittig, dass auch ZGO und erst recht Privatpersonen, die mit ZGO in welcher Form auch immer zu tun haben, eine Privat- oder „Intim“Sphäre besitzen, die es zu achten und zu respektieren gilt. Kriterien dieser Privatsphäre, an denen sich ZGO selbst und deren kritische Beobachter orientieren könnten, fehlen allerdings. Dass Spenden sammelnde Organisationen sowie Stiftungen unter diesem Defizit besonders leiden, versteht sich von selbst. Weniger selbstverständlich, aber für die Betroffenen von hoher Bedeutung, ist der Schutz vor der Erlangung von Wettbewerbs- oder Verhandlungsvorteilen durch einen Einblick in die Kalkulation einer ZGO. Diese Befürchtung ist insoweit berechtigt, als das Ausmaß der öffentlichen Publizität nicht definiert ist. Schwierig erscheint dabei eine Abgrenzung zwischen objektiv legitimen Schutzinteressen und subjektiven Schutzbehauptungen. Spätestens seit den Enthüllungen im Jahr 2013 über die digitale Überwachung durch die NSA ist ein besonderes Augenmerk auf die grenzwertige oder illegitime, oft auch illegale Sammlung von Daten über Bürger, Unternehmen und ZGO gelenkt worden. Belastbares empirisches Material hierzu fehlt naturgemäß gänzlich. Aber es gilt hier in besonderem Maße, dass das oft vorgetragene Argument „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten!“ abwegig ist. ZGO haben eine legitime Pflicht, auch in der Abwehr von und der Fundamentalkritik an staatlichem Handeln tätig zu werden. Es ist mit den Grundsätzen der Herrschaft des Rechts und der Men-
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schen- und Bürgerrechte unvereinbar, dass vorsorglich zur Verhinderung solchen Tätigwerdens schutzwürdige Daten von ZGO unkontrolliert abgegriffen werden.
10.5 Zivilgesellschaft und kommunikative Revolution Mit der Etablierung verschiedener Social Media-Dienste hat unsere Medien- und Kommunikationslandschaft grundlegende Veränderungen erfahren, dessen Auswirkungen die Art, wie Organisationen sich konstituieren und handeln, zunehmend beeinflussen. So werden Konsumenten mittels Ausbau und Stärkung partizipativer Möglichkeiten im Internet zu „Prosumenten“ ermächtigt und übernehmen eigenständig die Produktion und Verteilung von Medien in digitalen Netzwerken480. Mit der gewachsenen Popularität sozialer Netzwerkplattformen wie Facebook oder Instagram verändert sich auch die öffentliche Meinungsbildung. Dieser Strukturwandel der Öffentlichkeit ermöglicht die Herausbildung von Gegenöffentlichkeiten, die neben den Massenmedien Einfluss auf die Agenda gesellschaftspolitischer Themen nehmen481. Gemeinnützige Organisationen geben demzufolge nicht mehr allein die Inhalte vor, sondern sind, unabhängig von einer aktiven oder passiven Rolle im social web, Teil von Gesprächen im Netz. Diese Öffnung und Transparenz von Informationen stellen zugleich Herausforderung und Potenzial für NonprofitOrganisationen dar. Konkurrenzdruck um finanzielle Ressourcen, Mitglieder, Kooperationspartner, öffentliche Aufmerksamkeit und Legitimation der zivilgesellschaftlichen Institutionen verstärkt den Zwang zur Professionalisierung482 und Öffnung der Kommunikationskultur für netzwerkbasierte Austauschprozesse. Die Begriffe social media und social web wurden erst in den beiden vergangenen Jahrzehnten geprägt, die Geschichte des Internets als sozialer Treffpunkt reicht dagegen bis in die Anfänge des Netzwerkmediums zurück483. Ebersbach et al. bezeichnen unter dem Begriff social web „web-basierte […] Anwendungen, die für Menschen den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und deren Pflege, die Kommunikation und die kollaborative Zusammenarbeit in einem gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Kontext unterstützen, sowie Daten, die dabei entstehen und Beziehungen zwischen Menschen, die diese Anwendungen nutzen“484. Diese Definition umfasst neben verschiedenen Social Media-Diensten wie Blogs, Podcasts, Microblogs, sozialen Netzwerken, Social-Sharing-Plattformen und Wikis auch die durch die Nutzer generierten Inhalte (user generated content). Social Media-
|| 480 Vgl. Winter, Medienentwicklung und der Aufstieg einer neuen Beziehungskunst. 481 Engesser/Wimmer, Gegenöffentlichkeit(en) und partizipativer Journalismus, S. 43–63. 482 Vgl. Zimmer/Priller, Gemeinnützige Organisationen im gesellschaftlichen Wandel. 483 Vgl. Ebersbach/Glaser/Heigl, Social Web; Schmidt, Was ist neu am Social Web? 484 Ebersbach/Glaser/Heigl, Social Web, S. 35.
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Anwendungen gemeinsam ist die Stärkung des Pull-Ansatzes, bei dem sich Nutzer, geleitet von individuellen Interessen, ihre Inhalte selbständig aussuchen können. Seit ihrer Einführung bewirken soziale Medien einen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel unseres Kommunikations- und Mediennutzungsverhaltens. So sind laut dem D21 Digital Index 2018/19 knapp 84 Prozent der Deutschen online, 68 Prozent nutzen das Internet zudem mobil per Smartphone, Tablet oder E-Reader.485 „Zwei Drittel der Deutschen sind in sozialen Medien aktiv. Mit Abstand am weitesten verbreitet ist WhatsApp, das auch die älteren Generationen zunehmend für sich entdecken. Selbst von den über 65-Jährigen nutzen es 20 Prozent. Facebook ist bei 41 Prozent der Deutschen im Einsatz, YouTube nutzt jeder Dritte.“486 Hinzu kommen Plattformen wie Twitter, Instagram oder Xing, die zum Teil auch von nicht registrierten Passivleser besucht werden. Allerdings zeichnet sich ein klares StadtLand-Gefälle beim Nutzungsverhalten ab: „Menschen in den Städten nutzen das Internet deutlich vielfältiger und öfter.“487 Die weiterhin wachsende Relevanz sozialer Medien im Alltag tausender Menschen verdeutlicht die Notwendigkeit für ZGO, sich mit diesen Kommunikationsformen auseinanderzusetzen. Für zivilgesellschaftliche Akteure mit ihren organisationsspezifischen Merkmalen bieten soziale Medien zahlreiche Einsatzmöglichkeiten für die Planung und Steuerung. Social Media fördern insbesondere einen intensiven, dialogorientierten Austausch mit den Stakeholdern einer Organisation, eine beidseitige Kommunikation auf Augenhöhe sowie die Personalisierung von Inhalten und deren virale Verbreitung. Stakeholder können von reinen Ressourcengebern zur mitgestaltenden Kraft ermächtigt und aktive Beteiligungschancen ermöglicht werden488. Eine gleichberechtigte Stakeholder-Kommunikation bildet zudem die Grundlage für erfolgreiches Fundraising. Über Social Media können gemeinnützige Organisationen dem Informationsbedürfnis von Ressourcengebern gerecht werden und Projekteverläufe offen, transparent und authentisch darstellen. Beispielhafte Geschichten vor Ort stärken das Vertrauen und fördern die Bindung zur Organisation nachhaltig489. Vor allem jedoch können Organisationen über Netzwerkmedien auch jüngere Zielgruppen als zukünftige Spendergeneration ansprechen. Neben den erweiterten Handlungsspielräumen für die Stakeholder- und Fundraising-Kommunikation können zivilgesellschaftliche Organisationen über soziale Medien eigene Öffentlichkeiten für ihre Themen schaffen und umfassend informieren490. Bürgerschaftliche Diskussionen lassen sich demokratisch führen || 485 Vgl. Initiative D21, D21-Digital-Index 2018/2019, S. 8. Zum Vergleich: Im Jahr 2012 nutzten nur 26 Prozent der Deutschen über 14 Jahren mobiles Internet. 486 Initiative D21, D21-Digital-Index 2018/2019, S. 24. 487 Initiative D21, D21-Digital-Index 2018/2019, S. 44. 488 Vgl. Reiser, Mehr Partizipation wagen. 489 Vgl. Breidenbach, Revolution im Spendenmarkt; Kiefer, NPOs im Social Web. 490 Vgl. Zerfaß/Boelter, Die neuen Meinungsmacher.
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und für jedermann zugänglich und nachvollziehbar im Netz darstellen. Durch die Sharing-Funktionen in sozialen Netzwerken lassen sich schließlich in kurzer Zeit tausende Menschen aktivieren, vernetzen und mobilisieren491. Die Einsatzfelder sozialer Medien für ZGO reichen somit weit über Stakeholder-Management und Fundraising hinaus und eröffnen auch neue Perspektiven für die Kampagnen- und Lobbyarbeit. Schließlich ergeben sich mittels sozialer Medien auch erweiterte Unterstützungsmöglichkeiten für Personalmanagement und Online-Volunteering492. Durch die Schaffung flexibler, kurzfristiger Engagementangebote sowie die Ansprache neuer Zielgruppen bieten Netzwerkmedien zahlreiche Chancen für den Ausbau von freiwilligem Engagement. Über das Internet lässt sich ebenso mit Menschen mit besonderen Bedarfen zusammenarbeiten. Dialog, Partizipation und Transparenz sind die zentralen Potenziale von sozialen Medien für gemeinnützige Institutionen und bürgerschaftliches Engagement. Inwiefern jedoch soziale Medien in ZGO tatsächlich für Kommunikations- und Partizipationsprozesse eingesetzt werden, liegt aufgrund fehlender Überblicksstudien in Deutschland weiterhin im Unklaren. Neben vereinzelten sehr spezifischen Studien von Fundraising-Dienstleistern493 existieren Längsschnittstudien, die das Social Media-Engagement von mitgliederstarken gemeinnützigen Organisationen in Deutschland aus den Bereichen Umwelt-/Naturschutz, Internationale Aktivitäten und Soziale Dienste mittels einer angebotszentrierten Inhaltsanalyse erfassen494. In den vergangenen Jahren haben zunehmend mehr ZGO den Einstieg in soziale Medien gefunden und die Anzahl ihrer angebotenen Social Media-Kanäle deutlich ausgeweitet. Viele Organisationen sind bestrebt, die Netzwerkkanäle intensiv für Stakeholderdialog, Online-Fundraising, Kampagnenarbeit und Freiwilligenmanagement einzusetzen. Neben diesen positiven Entwicklungen scheuen jedoch diverse zivilgesellschaftliche Organisationen die mit sozialen Medien verbundenen Änderungsprozesse in Richtung Offenheit, Dialog und Transparenz. Die Potenziale der sozialen Medien für bürgerschaftliches Engagement werden somit noch nicht völlig ausgeschöpft. Als Triebkraft für Stakeholdermanagement, Fundraising, Mobilisierung, Informationsarbeit und Personalmanagement ist es jedoch für zivilgesellschaftliche Organisationen unerlässlich, das Netzwerkpotenzial sozialer Medien zu nutzen, um Legitimation für ihr Handeln zu erhalten, neue Mitglieder und Spender zu gewinnen sowie ihren zivilgesellschaftlichen Auftrag erfüllen zu können.
|| 491 Vgl. Voss, Nichtregierungsorganisationen und das Social Web. 492 Vgl. Kiefer/Schwegel, Social Media als Chance für das NPO-Personalmanagement, S. 18–25. 493 Vgl. Altruja GmbH (Hrsg.), Altruja Online Fundraising Studie 2019. 494 Vgl. Kiefer, NGOs im Social Web.
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10.6 Neue Formen Die Ausgestaltung der Zivilgesellschaft als Arena sagt relativ wenig darüber aus, was eine gute Zivilgesellschaft für Merkmale tragen könnte. Dies erscheint deswegen relevant, weil zahlreiche normativ durchaus positiv zu bewertende Organisationen der Sozialwirtschaft, z.B. Genossenschaften, als Hybride bzw. in letzter Konsequenz als Marktteilnehmer gesehen werden, obwohl ihre Doppelfunktion nicht zu übersehen ist. Sie können durch Ausdrücke wie low profit oder „zielorientierte Unternehmungen“ von ausschließlich gewinnorientierten Unternehmungen unterschieden werden. Ob neben dem formalen Verbot der Ausschüttung von Überschüssen an Mitglieder oder Eigentümer möglicherweise auch ihre deutlich geringere „Produktion“ von zivilgesellschaftlichem Mehrwert diese von eindeutig zivilgesellschaftlichen Organisationen unterscheidet, bleibt offen. Aber auch, ob bestimmte traditionell der Zivilgesellschaft zugerechnete Unternehmungen trotz Vorliegen aller übrigen formalen Voraussetzungen eben doch der Wirtschaft zuzurechnen sind. Die Ausprägung solcher Hybride legt die Folgerung nahe, dass eine scharfe Abgrenzung der Arenen unmöglich ist. Vielmehr könnte ein Normengerüst beschrieben werden, das möglicherweise in den bisher genannten Organisationen stärker ausgeprägt ist als anderswo, das aber durchaus in jeder Form von Organisation entwickelt werden kann – sei es ein Parlament, eine Behörde, Universität, Verein, Konzern, Handwerksbetrieb oder letztlich auch eine Familie. Um dieses Normengerüst zu definieren und an seiner Gestaltung mitzuarbeiten, müssen ein paar neue Vokabeln eingeführt und altbekannte in Erinnerung gerufen werden. Pluralität und Respekt gehören ebenso dazu wie Anstand, das rechte Maß, Selbstbescheidung und Sinnstiftung. Immer mehr in den Vordergrund tritt Akzeptanz. Eine Untersuchung des Unternehmens RWE hat gezeigt, dass Großprojekte nur noch dann realisierbar und finanzierbar sind, wenn durch Einbeziehung aller denkbaren Betroffenen (stakeholder) im Vorfeld Akzeptanz hergestellt worden ist, was nur mit Respekt vor deren konträren oder abweichenden Meinungen funktioniert.495 Legitimität ist schon deshalb nicht dasselbe wie Legalität. Nicht das Vorhandensein einer Gesetzesnorm, sondern ein Normenkonsens begründen Legitimität und schließlich – wenn auch gewiss nicht abschließend – Empathie und zwar nicht als abstrakte, gruppen- oder gemeinschaftsbezogene Solidarität, sondern als Hinwendung zum konkreten Menschen, erwachsen „aus dem tiefen menschlichen Leid, das die Geburtswehen der Zivilisation mit sich brachten“496. Daran scheint das Konzept des Konvivialismus anzuknüpfen, sich jedoch eher an Bildern aus der Welt des Marktes abzuarbeiten: „Die ersten dieser Gefahren sind
|| 495 Vgl. RWE Aktiengesellschaft, Akzeptanz für Großprojekte. 496 Rifkin, Die emphatische Zivilisation, S. 153 f.
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hauptsächlich materieller, technischer, ökologischer und ökonomischer Art.“497 Insofern als die Unterwerfung aller Daseinsbereiche unter ökonomische Zwänge und Mechanismen gemeint ist, kann diesem Bild in Ansehung der gesellschaftlichen Prozesse, die in den letzten Jahrzehnten abgelaufen sind, gefolgt werden. Das Zerrbild vom Bürger als Kunden des Staates ist Ausdruck davon. Projizieren wir diese Entwicklung in die Zukunft, so bedarf es kaum prophetischer Gaben, um ein weiteres Wachsen der Bedeutung dieser Dimension des Lebens zu prognostizieren. Markt- und Staatsversagen werden angesichts immer komplexerer Herausforderungen voraussichtlich exponentiell zunehmen. Die Gabe der Empathie erscheint als wirksamste Methode, der ausufernden Ausübung von Gewalt über Menschen Herr zu werden. Die modernen Kommunikationsinstrumente begünstigen das Entstehen von und Handeln in barrierefreien Netzwerken, die sich um althergebrachte Begrenzungen nicht kümmern. Kreativität, eine der wesentlichen Gaben bürgerschaftlichen Engagements, wird in fast unbegrenzter Menge benötigt, um die Herausforderungen zu meistern. Diese Kreativität entsteht durch vertrauensgestütztes kollektives Handeln. Dem Geben, dem Schenken steht daher eine Zukunft mit Konflikten und Diskursen um das rechte Maß, die rechte Form, den rechten Geist, den rechten Ausdruck bevor, in jedem Fall aber eine Zukunft mit großer Kraft und Wirkung. Sie wird auch geprägt sein von einer Herausbildung neuer Lebensformen, in denen ursächlich zivilgesellschaftliches das Handeln in anderen Arenen mitbestimmt und schon dadurch den Handlungsraum der Zivilgesellschaft wachsen lässt. Ob allerdings diese Vorstellung in der Lage ist, alle Lebensbereiche in einer Weise zu durchdringen, dass die Dominanz des Eigeninteresses durchbrochen wird, ist aus zwei Gründen zu bezweifeln. Zum einen wohnt auch dem Schenken, wie schon Marcel Mauss herausgearbeitet hat498, ein Eigeninteresse inne; der reine Altruismus bleibt die Ausnahme. Zum anderen erscheint es lohnend, andere Ausformungen des zivilgesellschaftlichen Mehrwerts mit in den Blick zu nehmen und daraus ein Konzept zu entwickeln, das eben nicht universell, sondern nur in einem Teilbereich der Gesellschaft, allerdings mit notwendiger Ausstrahlung in alle übrigen Bereiche gilt. Seit den 1960er Jahren sind Initiativen, die für eine Sache eintreten, immer präsenter geworden. Das Umweltthema manifestierte sich zunächst ausschließlich zivilgesellschaftlich, Kultur und vieles andere bekam zivilgesellschaftliche Konnotationen. Aus der öffentlichen Auseinandersetzung um Menschen- und Bürgerrechte, Nachhaltigkeit und Resilienz sind zivilgesellschaftliche Organisationen nicht mehr wegzudenken. Sie sind zu akzeptierten, ob ihrer Sachkenntnis gesuchten Gesprächspartnern geworden. Gerade in jüngster Zeit haben wir aber erneut lernen müssen, dass die Zuordnung einer Aktivität oder Institution zur Zivilgesellschaft
|| 497 Les Convivialistes, Das konvivialistische Manifest, S. 44. 498 Vgl. Mauss, Die Gabe.
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keine Rückschlüsse auf einen Normenkonsens zulässt. Es gilt daher zwischen formaler Zuordnung und normativer Bewertung hier ebenso zu unterscheiden wie bei Staaten oder Wirtschaftsunternehmen, wobei die Bewertungen in allen Fällen differenziert auszufallen haben. Die Verallgemeinerung von Zivilgesellschaft auf ein universelles, normativ bestimmtes Handlungskonzept scheint diese daher der Beliebigkeit auszusetzen und die Zuordnung einer „schlechten Zivilgesellschaft“ unmöglich zu machen. Sie erweist sich deshalb als wenig weiterführend. Wenn die der dritten Arena zugrundeliegenden Normen auf die anderen ausstrahlen und in Teilen auch dort gelebt werden, umso besser. Auch in die Zivilgesellschaft sind Grundsätze des Marktes und des Staates (beispielsweise Ordnungsmäßigkeit und Verantwortlichkeit) nicht nur unter Druck, sondern durchaus freiwillig und aus guten Gründen übernommen worden. Dies alles sind Normen, „um die in unserer Zivilgesellschaft gestritten wird – Gerechtigkeit und Rechte, Verpflichtung und Übereinkunft, Ehre und Tugend, Moral und Gesetz“499. Diese Normen in politische Prozesse einzubeziehen, mehr noch, auf sie zu hören, wenn die Zivilgesellschaft solche Prozesse selbstermächtigt anstößt, ist daher das Gebot der Stunde und Ausdruck von Verantwortung. Die bildungsbürgerliche Entgeisterung über die „Spaßgesellschaft“ darf andererseits nicht den Blick dafür verstellen, dass unzählige Menschen auf der ganzen Welt mit viel Spaß jeden Tag aufs Neue versuchen, unsere Welt zum Positiven zu verändern. Sie handeln selbstermächtigt in Verantwortung für sich und andere, auch für die nach ihnen geborenen, sehen sich aber keineswegs als Opfernde oder Verzichtende. Sie wollen vielmehr ihr Leben mit Sinn erfüllen und sehen dies als persönliche Verantwortung. Dies ist die Gelingensbedingung der Freiheit. Wer politische oder wirtschaftliche Macht ausübt, ist verantwortlich dafür, dass Menschen in ihrer Freiheit so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Gerade hier erkennt man eine der wichtigsten Aufgaben der Kräfte, die das Gewaltmonopol für sich in Anspruch nehmen. Wir bezahlen diese heute nicht dafür, dass sie uns ein starres Normengerüst aufzwingen, sondern dass sie einen Normenkonsens – so nennt das Jürgen Habermas – bewahren und fortentwickeln, innerhalb dessen die Menschen die Freiheit ausleben können, die sie ausleben wollen. Eine „neue Kunst des Zusammenlebens“500 weist in diesem Prozess dem selbstermächtigten Engagement in freiwillig zustande gekommenen Organisationen eine unverzichtbare Aufgabe zu. Indem der Mensch in den Arenen Staat, Markt und Zivilgesellschaft als Akteur oder auch nur als passiv Beteiligter auftritt, rückt er in den Mittelpunkt der Betrachtung, wird gewissermaßen resubjektiviert, wobei die Zivilgesellschaft die besondere Attraktivität besitzt, dass niemand in sie eintreten muss und jeder sie jederzeit ver-
|| 499 Sandel, Gerechtigkeit, S. 45. 500 Les Convivialistes, Das konvivialistische Manifest, S. 3.
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lassen kann. Das Problem beginnt damit, dass von den Befürwortern einer starken Zivilgesellschaft dieser alle Attribute zugemessen werden, die normativ wünschenswert erscheinen: Menschenrechte, Gerechtigkeit, Solidarität, Toleranz, Inklusion, Partizipation, soziales Kapital usw. Die Skeptiker und Gegner von Zivilgesellschaft halten dagegen gerade diese Attribute für marginal, entbehrlich oder sogar schädlich, wenn es darum geht, eine resiliente politische Ordnung zu schaffen oder zu bewahren. Sie glauben vielmehr an die Attraktivität der Macht und die Verfolgung von je eigenen Interessen, damit einerseits durch den Wettbewerb eine dynamische Entwicklung, andererseits durch die konsequente Durchsetzung der Herrschaft Stabilität ermöglicht wird. Die Begründung dieser Macht durch einen begrenzten partizipativen Prozess und die weitgehende Befreiung von der Daseinsvorsorge reichen in diesem Konzept nach Ansicht ihrer Befürworter aus, um die partizipativen Bedürfnisse der Machtlosen so weit zu befriedigen, dass diese nicht auf Änderungen dringen. Das Dilemma der modernen Gesellschaft besteht wesentlich darin, dass auf der einen Seite die Befürworter dieser Ordnung nach wie vor an die Richtigkeit dieses Konzepts zu glauben scheinen und nicht ohne Zynismus andere Konzepte mit abwertenden Attributen wie naiv, träumerisch oder weltfremd zu desavouieren trachten. Mit Vokabeln wie „Empörungsindustrie“ wird darüber hinaus eine subversive Steuerung unterstellt. Auf der anderen Seite verlieren immer mehr Menschen das Vertrauen in eben diese Ordnung und stellen ihre Legitimität zunehmend in Frage. Hier scheint ein Schlüssel für die Lösung des begrifflichen Dilemmas von „Zivilgesellschaft“ zu liegen. Eine politische Ordnung bestimmt sich, wie etwa das Konzept des Konvivialismus mit Recht herausstellt501, nicht von der Gesellschaft, sondern vom Menschen her. Dieser ist geprägt von Empathie, unterhält gleichzeitig Vorstellungen von der Herrschaft des Rechts, dem Erstreben persönlichen Wohlstands, der Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten, der kollektiven Sicherheit, der adäquaten Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, womöglich sogar im Überfluss. Er entwickelt Überzeugungen vom guten Leben, von Respekt vor anderen Menschen, von menschlichen und transzendentalen Bezügen. Die Vernunft lehrt ihn, dass manche dieser Konzepte besser zueinander passen wollen als andere und dass sich daraus eine Sortierung in unterschiedliche Handlungsbezüge ergibt. Daraus drei Arenen des Handelns zu entwickeln, von denen je eine eher von Gewalt, von Tausch und von Geschenk bestimmt wird, erscheint legitim und weiterführend. Damit ist nicht gesagt, dass die Grundsätze, die in einer Arena dominieren, in den anderen fehlen müssen. Im Gegenteil: Je mehr sie auch in anderen Arenen sichtbar werden, desto eher könnten Konflikte vermieden werden. Dies freilich setzt voraus, dass jede Arena in ihrer Eigengesetzlichkeit erkennbar bleibt und die in ihr domi-
|| 501 Vgl. Adloff/Heins (Hrsg.), Konvivialismus. Eine Debatte.
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nierenden Grundsätze auslebt. So ist Zivilgesellschaft in jedem Fall eine eigene Arena; wenn sie in die anderen ausstrahlt, umso besser.
10.7 Communities of Choice Wenn heute von der Krise der Demokratie, der Krise des Nationalstaats und der Krise des Kapitalismus gesprochen wird, stellt sich die Frage, wer dazu beitragen kann, diese Krisen zu überwinden. Sicher erscheint, dass eine rein technokratische Beherrschung der weiteren Herausforderungen unseres Jahrhunderts, etwa des Klimawandels, nicht hinreichen wird. Auch die politische Ordnung bedarf einer grundlegenden Neuaufstellung. Dies kann nicht, wie etwa in China versucht wird, zu Lasten des Anspruchs der Bürgerinnen und Bürger gehen, mehr und nicht etwa weniger an den öffentlichen Angelegenheiten zu partizipieren. Die Probleme, denen sich das chinesische System gegenübersieht (bspw. Hongkong, Taiwan, Tibet und die übrigen Territorien mit nicht-chinesischen Minderheiten), sollten daher ins Kalkül gezogen werden, wenn mal wieder das erfolgreiche „Funktionieren“ des chinesischen Gemeinwesens gelobt wird. Die Zivilgesellschaft hat gezeigt, dass sie zur Entwicklung unserer Demokratie viel beizutragen hat – mehr noch: zum Rettungsanker für die Demokratie werden kann, zumal bürgerschaftliches Engagement für das Gemeinwesen vor allem hier spontan ebenso wie in organisierter Form zum Tragen kommt. Zudem ist in der Zivilgesellschaft die Akzeptanz einer freiheitlichen und demokratischen Ordnung und einer sozialen Marktwirtschaft weit überdurchschnittlich vorhanden; ihre Akteure genießen weit mehr als Staat und Parteien das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Die vergangenen 30 Jahre haben hier, wenngleich langsam und gewiss noch nicht abschließend, einiges verändert. Die Zivilgesellschaft ist gewachsen und hat sich konsolidiert. Immer mehr Menschen solidarisieren sich in communities of choice (Gemeinschaften ihrer Wahl), die mehr Loyalität binden und Identität verleihen als der Nationalstaat und andere communities of fate (Schicksalsgemeinschaften), in die man hineingeboren wurde. Immer mehr zivilgesellschaftliche Bewegungen, Organisationen und Institutionen, Vereine ebenso wie Stiftungen, treten multifunktional auf. Sie sind zugleich Dienstleister und Themenanwälte, fördern die Gemeinschaftsbildung und bieten Hilfe zur Selbsthilfe, sind Mittler und haben Anteil an der deliberativen Demokratie – und verhelfen, anders als Staat und Markt, den Menschen zu einem selbsterfüllten Leben. Es ist unübersehbar, dass gegen die Zivilgesellschaft heute keine Politik mehr gemacht werden kann. Die verbissen verteidigte Geringschätzung durch die Berufspolitiker hat insofern nicht gefruchtet. Zivilgesellschaft hat Macht. Es kann insofern nicht verwundern, dass Staat und Markt versuchen, diese Macht einzudämmen. Es mehren sich, so kurzsichtig dies ist, auch in „westlichen“ Ländern, die für sich in Anspruch nehmen, als offene Ge-
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sellschaften und als liberale Demokratien zu gelten, die Versuche, den Handlungsraum der Zivilgesellschaft auf vielfältige Weise zu beschränken. Es besteht inzwischen weitgehend Einigkeit darüber, dass auch Länder wie Großbritannien, Frankreich oder Deutschland davon betroffen sind,502 von Italien oder den USA ganz zu schweigen. Dass nach Auffassung vieler Protagonisten des Staates und des Marktes die Zivilgesellschaft zu mächtig geworden ist, bildet hierfür einen plausiblen Erklärungsansatz. Besonders empfindlich reagieren Regierungen, Parlamente und Parteien dann, wenn sie das Gefühl bekommen, aus der Gestaltungshoheit in den öffentlichen Angelegenheiten verdrängt zu werden. Die über Jahrzehnte gewachsene Selbsteinschätzung, nur sie seien befähigt und legitimiert, diese Gestaltungshoheit auszuüben, ist offenkundig schwer zu erschüttern, obwohl die historische Entwicklung zumindest der letzten Jahrzehnte den Beweis des Gegenteils erbracht hat. Das Eindämmen der Zivilgesellschaft findet demgemäß weltweit und auch in Deutschland statt. Betroffen sind Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger wie das auf freie Meinungsäußerung, Informationsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, aber auch klassische zivilgesellschaftliche Funktionen. Selbst der wichtige traditionelle Bereich der Dienstleistungen im Sozialwesen, der Bildung, der Kultur usw. wird keineswegs verschont. Bedroht ist dadurch mehr als die Existenz einzelner Organisationen, es sind die Grundprinzipien unseres Gemeinwesens, etwa die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte und die Herrschaft des Rechts, die Gefahr laufen, Schaden zu nehmen. Die Verletzungen der Zivilgesellschaft stellen insoweit die Voraussetzungen für das Gedeihen von Demokratie infrage und öffnen Entwicklungen zur Postdemokratie oder zu autoritären Regimen Tür und Tor. Wer also in Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, den USA oder sonstwo den Handlungsraum der Zivilgesellschaft einzudämmen sucht, spielt mit dem Feuer. Allen Sonntagsreden zum Trotz ist auch in Deutschland, auch in Europa Gefahr im Verzug. Dennoch haben sich zivilgesellschaftliche Akteure, Wissenschaftler, Think Tanks und Medien noch nicht intensiv genug damit befasst. Sie können Erscheinungsformen nicht richtig einordnen und ergreifen keine oder die falschen Gegenmaßnahmen. Trotz einiger Berichte bestehen insbesondere bei Publikationen auf Deutsch (ebenso wie in anderen Sprachen außer Englisch) sowie in der empirischen transnationalen Forschung erhebliche Lücken. Einer klaren und zielführenden Auseinandersetzung mit dem Kern des Problems steht dabei oft entgegen, dass die Diskussion mit anderen – durchaus wichtigen – Themenkomplexen vermischt wird, etwa dem Nord-Süd-Konflikt oder Gender-Fragen. Zugleich ist aber die Konkretisierung anhand von Einzelthemen notwendig. Zudem sind die Erscheinungsformen
|| 502 Vgl. Bouchet/Wachsmann, A Matter of Precaution – Watching the Shrinking Civic Space in Western Europe.
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komplex und kontextabhängig, was die Unterscheidung zwischen Einzelmaßnahmen, der Summe vieler Einzelmaßnahmen und einer gezielten Strategie erschwert. Da diese Instrumente, an deren Gebrauch neben Regierungen, Medien und Staatsverwaltungen auch Gerichte sowie Unternehmen und deren Verbände mitwirken, sehr unterschiedlich zur Anwendung kommen, herrscht darüber hinaus Unsicherheit. Erlassene Vorschriften sind vielfach unklar. Sie öffnen der Willkür Tür und Tor und wirken einschüchternd, zumal viele Maßnahmen rückwirkend gelten. Zudem werden neben diesen, gegen missliebige zivilgesellschaftliche Akteure gerichteten Maßnahmen auch pro-aktive Strategien entwickelt, insbesondere die einseitige Bevorzugung abhängiger, „genehmer“ bzw. willfähriger, in manchen Fällen sogar selbst geschaffener Akteure503, sogenannter GONGOs.504 Allerdings sieht es nicht – vielleicht noch nicht – danach aus, als würde diese Strategie so erfolgreich sein, dass schon das Ende der Freiheit oder der liberalen Demokratie beklagt werden müsste. Denn den Eindämmungsversuchen stehen, wie immer, Gegenbewegungen gegenüber, die den Handlungsraum der Zivilgesellschaft wachsen lassen. Auch steht nicht zu erwarten – und ist freilich auch nicht zu hoffen –, dass all das, was Bürgerinnen und Bürger spontan oder in organisierter Form aber in jedem Fall selbstermächtigt für die Gemeinschaft leisten, von Staat und Wirtschaft übernommen wird. Zum Geschenk der Empathie, der Zeit, der Ideen und anderer Ressourcen ist über die letzten Jahrzehnte nicht folgenlos ermutigt worden. Es ist „alternativlos“ und wird für die deutsche und europäische Gesellschaft bestimmend bleiben.
10.8 Grenzen der Zivilgesellschaft Wenn in den vorausgehenden Abschnitten dargelegt wurde, welche Bedeutung zivilgesellschaftliches Handeln sowie die Existenz und Tätigkeit zivilgesellschaftlicher Bewegungen, Organisationen und Institutionen für das Wohlergehen der Gesellschaft haben, so muss zugleich deutlich auf die Grenzen zivilgesellschaftlichen Handelns hingewiesen werden. Zunächst ist dazu festzuhalten, dass der Zivilgesellschaft keine Aufgaben im Sinne eines gesetzten Inhaltes oder Umfangs zuzuschreiben sind. Dies bedeutet, dass sie nicht per se für bestimmte oder vordefinierte Themen oder Aufgaben zuständig ist. Zwar gibt es Bereiche, für die sich eher Engagement-Bereitschaft oder Interesse findet als für andere,505 es widerspräche aber dem Verständnis von Zivilgesellschaft, daraus einen fest umrissenen Aufgabenkatalog abzuleiten. Eher kann es gelingen, Tätigkeiten oder Handlungsfelder zu || 503 Siehe hierzu Fowler/Youngs, The Mobilization of Conservative Civil Society. 504 GONGOs = Government Organized Nongovernmental Organisations. 505 Ausführliche Informationen zu Engagementfeldern und -themen finden sich bspw. im Freiwilligen-Survey.
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definieren, die keinesfalls der Zivilgesellschaft zufallen, bspw. die Ausübung der hoheitlichen Gewalt und im Grundsatz auch die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, sofern und solange diese von einem funktionierenden Markt in ausreichender Menge und Qualität produziert werden. Im Vordergrund soll stets der Teil der Zivilgesellschaft stehen, der selbstermächtigt und selbstbestimmt, ein (subjektives) Gemeinwohl verfolgend, agiert und dafür Geld, Wissen und Zeit zur Verfügung stellt. Eigentlich sollte sich die Frage nach den Aufgaben deshalb nicht stellen, weil Zivilgesellschaft nicht so zu verstehen ist, dass sie dort entsteht oder sich zu Wort meldet, wo ein Defizit besteht, sondern dort, wo sie einen Handlungsbedarf oder Interessenfeld ausmacht506. Dieser Wahrnehmung oder Auffassung folgt nicht jeder gleichermaßen. Nach wie vor wird Politikern nachgesagt, dass der Ruf nach der Zivilgesellschaft dann besonders laut wird, wenn es um die Kompensation leerer Kassen geht. Hier setzt nur sehr zögerlich ein Umdenken ein. Neben der Tatsache, dass dies nicht die Aufgabe von Zivilgesellschaft ist, wird ihre Kapazität hier auch vielfach überschätzt. Im Vergleich zu Mitteln der öffentlichen Hand ist ihr Anteil an der Förderung von Projekten marginal. So liegt der Beitrag von Stiftungen, die gemeinhin als finanzstarke zivilgesellschaftliche Institutionen wahrgenommen werden, bei 0,3 Prozent des Finanzvolumens des Dritten Sektors – ihre Rolle bei der Gesamtfinanzierung des Gemeinwohls gilt als so gering, dass sie nicht mehr messbar ist. Dies sehen wenige als eine Grenze, ist aber de facto eine. Zwar kann Zivilgesellschaft im Vergleich zur öffentlichen Hand recht flexibel und individuell mit eigenem Kapital umgehen, dieses Kapital bleibt aber vergleichsweise gering. Was für die einen eine Stärke der Zivilgesellschaft ist, nämlich dass sie in gewisser Weise zufällig entsteht, ist für andere eine Schwäche, denn sie lässt sich nicht verordnen und ist kaum steuerbar. Dies bedeutet nicht, dass sie nicht auch äußerst zuverlässig, langfristig und verbindlich agieren kann, aber es wäre falsch vorauszusetzen und zu erwarten, dass dem immer so ist. Diese Grenze zeigt sich besonders im Miteinander mit der öffentlichen Hand. Auch diese ruft Zivilgesellschaft gerne dann auf, wenn es um Engpässe und Aufgabenreduzierungen seitens staatlicher Finanzierung geht. Beispiele hierfür sind Bürgerbäder oder Museen. Dies schließt nicht aus, dass Zivilgesellschaft Aufgaben der öffentlichen Hand übernehmen kann, solange sie dies freiwillig tut. Es wäre aber verkehrt, damit die Erwartung zu verknüpfen, dass sie dies nicht nach ihren eigenen Regeln tut. So werden ihr oftmals von außen Aufgaben zugeschrieben, die wenig mit der Wahrnehmung der eigentlichen Akteure zu tun haben. Es lässt sich festhalten, dass Zivilgesellschaft für Dritte in gewisser Weise zufällig handelt und zusätzliche Themen oder Projekte aufgreift. Dabei gibt es durchaus Zuständigkeiten oder Aufgaben der Zivilgesellschaft, über die in gewisser Weise || 506 Vgl. Becker/Runkel, Zivilgesellschaft in räumlichen Arenen, S. 191.
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Konsens herrscht. Diese sind weniger inhaltlicher und mehr struktureller Natur. So ist sie oftmals anwaltschaftlich und versucht korrektiv einzugreifen507. Dabei taucht die Frage auf, wer die handelnden Akteure legitimiert, ein Problem zu lösen oder eine Aufgabe auszufüllen. Hinzu kommt, dass nach wie vor ein Großteil zivilgesellschaftlicher Aktivitäten in der Mittel- und Oberschicht stattfinden508. Wer engagiert sich also für wen und warum? Grundsätzlich wird die Frage um die Legitimität von Zivilgesellschaft kontrovers diskutiert509, wohingegen relative Einigkeit darüber herrscht, dass die Zivilgesellschaft eine legitimierende Funktion in politischen oder demokratischen Prozessen, Willens- und Entscheidungsfindungen innehat. Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft soll einem konstatierten Demokratie- und Partizipationsdefizit entgegenwirken, das sicherlich auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen unterschiedlich ausgeprägt ist.510 Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse, auch wenn sie womöglich nicht demokratisch legitimiert sind, dennoch zu einem demokratischen Willensbildungsprozess beitragen können. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Motivation nur in den seltensten Fällen altruistischer Natur ist, sondern auch ein gewisses Eigeninteresse verfolgt wird. Relative Einigkeit herrscht ebenso darüber, dass Zivilgesellschaft bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt als Frühwarnsystem oder Seismograph wirkt511. Sie nimmt andere Dinge wahr – und Dinge anders wahr. Es gibt ihr gegenüber oft weniger Vorbehalte als beispielsweise gegenüber Politikern. Hier liegt eine echte Stärke zivilgesellschaftlicher Akteure. Die Grenzen der Zivilgesellschaft haben sicherlich auch sehr viel damit zu tun, dass gerade das selbstbestimmte Engagement oftmals in der Freizeit der Engagierten von statten geht. Das bringt zwangsläufig Probleme mit sich, weil Freizeit nicht für jedermann gleichermaßen und gleichmäßig zur Verfügung steht. Beständigkeit ist damit nicht grundsätzlich geben. Zivilgesellschaftliche Akteure handeln, weil sie etwas tun wollen, nicht weil sie dies müssen. Dies führt zu einer eigenen Motivation und Dynamik, aber auch zu einer Kreativität abseits von Normen und Pflichten. Die Aufgaben der Zivilgesellschaft lassen sich demnach so zusammenfassen, dass sie || 507 Schließlich haben zivilgesellschaftliche Aktivitäten entscheidend zu demokratischen Staaten beigetragen, wie die Entwicklungen in Osteuropa oder anderen Transformationsländern zeigen. Hier war sie oft Sinnbild für einen gewaltfreien Umbruch (vgl. u.a. Kaelble, Gibt es eine europäische Zivilgesellschaft?, S. 269; Rosenblum/Post (Hrsg.), Civil Society and Government, S. 17 f. 508 Vgl. u.a. Bödeker, Soziale Ungleichheit und politische Partizipation in Deutschland; Vogt, Das Kapital der Bürger, S. 53; Gensicke, Bürgerschaftliches Engagement in Deutschland, S. 13. 509 Vgl. u.a. Schuppert, Governance-Leistungen der Zivilgesellschaft, S. 260 f.; Strachwitz, Zivilgesellschaft und Stadtentwicklung, S. 286 f.; Sebaldt/Straßner, Verbände in der Bundesrepublik Deutschland, S. 15; Altvater/Brunnengräber, NGOs im Spannungsfeld von Lobbyarbeit und öffentlichem Protest, 11 f.; Weidner, Nachhaltigkeitskooperation, S. 405. 510 Vgl. Adloff, Zivilgesellschaft, S. 137 & 142; Kaelble, Gibt es eine europäische Zivilgesellschaft?, S. 267. 511 Vgl. Becker/Runkel, Zivilgesellschaft in räumlichen Arenen, S. 175.
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dort liegen, wo Menschen Handlungsfelder wahrnehmen, sich zusammentun und sich einbringen. Die Grenzen der Zivilgesellschaft hingegen liegen eher dort, wo die Übernahme solcher Aufgaben erwartet oder gar verordnet wird.
10.9 Zivilgesellschaft – Immer gut? 10.9.1 Einführung Was vor 30 Jahren, als der Abschlussbericht des ersten einschlägigen, weltweit vergleichenden Forschungsprojekts erschien512, niemand ahnte, ist heute Wirklichkeit. Zivilgesellschaft, die deutsche Übersetzung von civil society, ist in Medien und Politik ein viel und selbstverständlich verwendeter Begriff geworden. Auch viele der zahlreichen NGO, NRO, NPO, gemeinnützigen Organisationen, Vereine und Stiftungen oder wie sie sich im Einzelnen auch immer bezeichnen mögen, wenden immer häufiger diesen Sammelbegriff auf sich an und entwickeln darüber ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie vorher nicht hatten. Ältere Begriffe, etwa „Dritter Sektor“ oder „gemeinnütziger Sektor“, werden obsolet; „Bürgergesellschaft“, noch im Abschlussbericht der Enquete Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ mehrheitlich synonym mit „Zivilgesellschaft“ verwendet513, ist weithin als Begriff mit anderer Bedeutung erkannt. In der internationalen wissenschaftlichen Literatur ist dies ganz überwiegend ebenso. Nur in Deutschland wird unverdrossen eine Auseinandersetzung über die Begrifflichkeit fortgesetzt. Dies hat zur Folge, dass sich die deutsche Diskussion bis heute permanent bei der Begriffsdefinition aufhält und andere, wichtigere Aspekte vernachlässigt, nicht zuletzt den sachkundigen, kritischen Blick auf helle und dunkle Seiten zivilgesellschaftlicher Tätigkeit. Das Fehlen einer allgemein akzeptierten Arbeitsdefinition führt auch dazu, dass die deutsche Debatte hinter der internationalen zurückbleibt, sich dort nur schwer einbringen kann und dass der Begriff medial und politisch unterschiedlich instrumentalisiert wird. Beispielsweise lässt sich beobachten, dass Zivilgesellschaft dann positiv konnotiert wird, wenn es um Protest gegen politisch wenig angesehene Regime im Iran oder der Türkei geht. Zugleich scheut man sich, traditionelles bürgerschaftliches Engagement in Deutschland, etwa in Sanitätsorganisationen, Stiftungen oder Sportvereinen, überhaupt unter diesem Begriff zu fassen und benennt sogar politisches Engagement, z.B. in Protestgruppen, oft mit deutlich negativer Konnotation als Zivilgesellschaft. Hinzu tritt eine nicht endenwollende Debatte darüber, ob bestimmte Gruppierungen wie Par-
|| 512 Vgl. Salamon et al., Global Civil Society. 513 Vgl. Enquete-Kommission Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements, Bericht: Bürgerschaftliches Engagement, S. 59.
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teien, Gewerkschaften oder Religionsgemeinschaften zur Zivilgesellschaft gehören. Auch geht es oft um die Frage, ob nicht der Begriff zwingend mit normativen, ethischen Attributen wie Zivilität oder Toleranz versehen werden müsse, um auf diese Weise Kriterien bei der Hand zu haben, die zur Aufnahme in den „Club“ der „guten“ Zivilgesellschaft oder eben zu einer Ablehnung führen. Diese Debatte ist alles andere als hilfreich. Sie ist mit Ursache dafür, dass in Deutschland der Zivilgesellschaft der politische Rang versagt wird, den sie international längst beanspruchen kann; dass ihre im 20. Jahrhundert verbreitete Marginalisierung perpetuiert wird; dass der Begriffsmanipulation Tür und Tor geöffnet bleiben und dass andere politische Kräfte wie Parteien und Wirtschaftsverbände den Wettbewerb in der Gestaltung politischer Inhalte weniger fürchten müssen. Solange die Frage „Wer seid Ihr eigentlich?“ nicht schnell, eindeutig und verständlich beantwortet werden kann, bleibt die Mitwirkung der Zivilgesellschaft an der res publica geringer, als sie sein könnte. Dabei ist die aktive Mitgestaltung durch die Zivilgesellschaft und ihre Akteure heute notwendiger denn je. Es lohnt sich daher, eine Klärung herbeizuführen und dazu innerwissenschaftliche Diskussionen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Dabei ist zwingend auf die internationale Anschlussfähigkeit zu achten. Für einen deutschen Sonderweg gibt es bei der Zivilgesellschaft weder einen Anlass noch eine gute Begründung.
10.9.2 Heterogenität und Gemeinsamkeiten Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die angebotene Unterscheidung idealtypisch zu verstehen ist. Die Realität ist gewiss komplexer. So stehen manche Organisationen im Zentrum der Zivilgesellschaft, während andere eine deutliche Nähe zum Markt oder zum Staat aufweisen. Manche bewegen sich in einer Hybridzone und im Einzelfall mag es durchaus schwer zu entscheiden sein, ob eine bestimmte Organisation der Zivilgesellschaft oder dem Markt oder dem Staat angehört. Die internationale Debatte hat sich längst mit den sogenannten fuzzy edges (fließende Grenzen) abgefunden. Das Modell der drei Arenen taugt auch nicht als allgemeines Welt- oder Gesellschaftserklärungsmodell, sondern nur dazu, bestimmte gesellschaftliche Prozesse beschreiben, analysieren und deuten zu können. Andererseits sagt die Zuordnung eines einzelnen Akteurs nicht nur nichts über das Ergebnis einer normativen Analyse, sondern auch nichts über dessen Verhältnis zu Akteuren in den anderen Arenen oder zur Gesellschaft im Allgemeinen. Wichtig ist, dass die Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft nicht hiervon abhängig gemacht werden kann. Dementsprechend gehört ein subsidiärer Träger von Wohlfahrtsleistungen ebenso dazu wie eine Protestgruppe.
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Dieser Blick auf die Vollständigkeit wird ergänzt durch eine funktionale Unterscheidung, die zunächst von der Europäischen Kommission 1998 zur Diskussion gestellt wurde514. Die damals entwickelte Liste von vier möglichen Funktionen muss heute allerdings auf acht erweitert werden (siehe Kap. 6.3). Dass viele Organisationen mehrere Funktionen ausüben, ist evident. So verstehen sich beispielsweise Wohlfahrtsverbände heute ausdrücklich auch als Anwälte der Sache ihrer Betreuten. Die genannten Unterscheidungen und Kriterien erlauben mit einiger Zuverlässigkeit eine Einordnung kollektiver Organismen in eine der drei Arenen, und zwar im Wesentlichen unabhängig davon, ob dies ihrem je eigenen Selbstverständnis entspricht oder nicht. Allerdings hält die Debatte um Staatlichkeit und Terrorismus an diesem Punkt sehr komplexe Fragestellungen bereit515. Sie erlauben ferner, in einem zweiten Schritt Kriterien normativer Art zu entwickeln, die eine Beurteilung ermöglichen. Nur so kann die in der Literatur vielfach als „dunkle Seite der Zivilgesellschaft“ beschriebene Gruppe methodologisch korrekt identifiziert werden516. Dies kann deswegen gelingen, weil „dunkle Seiten“ auch in den anderen Arenen anzutreffen sind. So ist beispielsweise ein Staat wie Nordkorea einer dunklen Seite zuzurechnen; es lässt sich aber wohl kaum bestreiten, dass Nordkorea ein Staat ist. Ebenso lässt sich wohl relativ schnell Einigkeit darüber erzielen, dass MafiaOrganisationen die dunkle Seite des Marktes repräsentieren. Wenn also Pegida der dunklen Seite der Zivilgesellschaft zugerechnet wird, dann wird damit nicht zum Ausdruck gebracht, dass diese Organisation nicht zur Zivilgesellschaft gehört517. Die zweistufige Herangehensweise erscheint insoweit unerlässlich. Allerdings bedarf dies einer weiteren Differenzierung, die in der Debatte oft vernachlässigt wird. Einzelne Organisationen lassen sich relativ rasch der dunklen Seite zuordnen, wenn sie in ihrer Verfasstheit oder ihrem Gebaren fundamentalen Grundsätzen unserer Gesellschaftsordnung widersprechen. Sehr viel schwieriger ist die Beurteilung, wenn dies nicht der Fall ist, sondern wenn eine Organisation lediglich eine andere Position vertritt. So darf die lokale Bürgerinitiative, die in der Frage des Baus einer Umgehungsstraße deren Notwendigkeit betont und in der sich die Bürgerinnen und Bürger sammeln, die vom Verkehr im Ort befreit sein wollen, von denen, die dort wohnen, wo die neue Straße vorbeiführen soll, deshalb noch lange nicht als dunkle Seite der Zivilgesellschaft diffamiert werden. Genau dies geschieht aber in der öffentlichen Debatte sehr schnell, häufig mit dem Verweis auf Lobbyismus. Freilich ist zuzugeben, dass die Unterscheidung zwischen Themenanwaltschaft || 514 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung über die Förderung der Rolle gemeinnütziger Vereine und Stiftungen in Europa. 515 Vgl. Strachwitz, Achtung vor dem Bürger. 516 Vgl. unter vielen anderen Blomberg, The Bright & Dark Sides of Civil Society. 517 Vgl. Geiges/Marg/Walter, Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?; Marg et. al, No Pegida. Die helle Seite der Zivilgesellschaft?
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(advocacy) für eine Sache und Lobbying für eigene Interessen sachlich schwierig zu treffen sein kann, vom Durchschauen eines gemeinwohlverbrämten Lobbyismus ganz zu schweigen.
10.9.3 Kriterien einer guten Zivilgesellschaft Weil das Eintreten für Interessen, die auch persönlich bedingt sind, allein nicht als Kriterium für eine Charakterisierung als gute oder schlechte, helle oder dunkle Zivilgesellschaft taugt, ist es notwendig, andere Kriterien zu entwickeln – wenn möglich solche, die anhand von Dokumenten oder Verhaltensweisen nachprüfbar erscheinen. Ausgehend von dem bereits erläuterten Prinzip, wonach der Mensch in seiner grundsätzlichen Freiheit im Mittelpunkt steht, und dem daraus abgeleiteten Grundsatz einer umfassenden Subsidiarität werden Organisationen, die dies ablehnen, in unserer Gesellschaft konsensual der dunklen Seite zugerechnet. Faschistoide und andere totalitäre Gruppierungen zählen dazu. Diesen und ihren Mitgliedern geht häufig auch der Respekt vor anderen Positionen und Lebensentwürfen, verbunden mit einem grundsätzlichen Bekenntnis zu einer pluralistischen Gesellschaft, ab. Selbst die gegenüber dem Respekt deutlich schwächere Toleranz anderer Meinungen und Lebensentwürfe wird von solchen Gruppierungen regelmäßig in Frage gestellt. In einem gewissen Umfang sogar justitiabel erscheinen als Kriterien ferner die Grundprinzipien unserer Gesellschaft, also Menschen- und Bürgerrechte, Herrschaft des Rechts, Demokratie und kulturelle Traditionen.518 Wer sich zu alldem nicht bekennen kann, wird kaum als gute Zivilgesellschaft Akzeptanz finden. Zu diesen fundamentalen Prinzipien treten weitere, die Gegenstand von Diskussionen sind. Hierzu zählt beispielsweise das Recht auf freie Assoziation, das Bekenntnis zu Transparenz, der Grundsatz der offenen Gesellschaft, wonach Akteure, die für das Gemeinwohl zu arbeiten vorgeben, der Öffentlichkeit ihre Ziele, ihre Finanzierung und ihre Entscheidungswege offenzulegen haben. Ebenso lässt sich die Anerkennung aller funktionalen Ausformungen, darunter insbesondere das Recht auf politische Mitgestaltung im Sinne einer kritischen Öffentlichkeit, als Prinzip einer guten Zivilgesellschaft benennen. Wer etwa glaubt, nur Dienstleister oder nur Themenanwälte gehörten zur Zivilgesellschaft, kann selbst nicht als guter zivilgesellschaftlicher Akteur gelten. Akkreditierungen, etwa bei der UNO oder EU, bilden hingegen ebenso wenig eine Grundlage für eine Ausgrenzung bestimmter Akteure wie deren steuerlicher Status. Das Prinzip der Selbstermächtigung bietet, zumal im Zusammenhang mit Selbstorganisation, schon eher ein wertendes Kriterium. Ein Indikator schließlich, der für die Zivilgesellschaft bedeutend ist, ist für die Bewertung der Zugehörigkeit || 518 Siehe bspw. Satzung Europa-Union, 5. V. 1949/Charta der Grundrechte der EU, 7. XII. 2000.
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einer Organisation dennoch schwierig: das bürgerschaftliche Engagement, früher Ehrenamt genannt. Richtig ist, dass sich dieses zu über 80 Prozent in Organisationen der Zivilgesellschaft verwirklicht und dass sie durch dieses freiwillige und im Wesentlichen unentgeltliche Engagement geprägt wird. Jedoch kann umgekehrt einer Organisation, die nicht durch Engagement gekennzeichnet ist, nicht schon deshalb die Zugehörigkeit zur guten Zivilgesellschaft abgesprochen werden. All diese Kriterien so zusammenzufassen, dass durch Abhaken auf einer Strichliste Organisationen der Zivilgesellschaft als hell oder dunkel eingeordnet werden können, wird der Komplexität des Gegenstandes nicht gerecht. Wir haben es hier nicht mit einer binären, sondern mit einer differenzierten Zuordnung zu tun. Nicht einmal die Treue zur staatlichen Verfassungsordnung taugt letztlich als entscheidendes Merkmal einer Legitimität. Diese muss sich vielmehr auch – und in manchen Fällen gegen die geltende Verfassung oder Rechtsordnung – an universellen Menschen- und Bürgerrechten messen lassen, wie man bspw. in Ägypten oder der Türkei erkennen kann. Vor allem aber werden letztlich persönliche Urteile gefällt; für diese bilden die genannten Kriterien zwar eine wertvolle Hilfestellung, aber keinen interpretationsfreien Raum.
10.9.4 Fazit Zivilgesellschaft ist nicht immer gut. Ähnlich wie in den Arenen des Staates und des Marktes tummeln sich in ihr höchst unterschiedliche Akteure. Insofern würde mit zweierlei Maß gemessen, wenn von den Akteuren der Zivilgesellschaft eine höhere moralische Qualität verlangt werden würde. Auch kann es nicht angehen, dass die gesamte Arena oder alle ihre Akteure als gleichrangige Mitgestalter abgelehnt werden, weil nicht alle den moralischen Standards oder politischen Vorstellungen gerecht werden, die der Arena zugemessen wird. Oft genug ist diese Ablehnung als typisches Totschlagargument zu sehen, das vorsätzlich und wider besseres Wissen genutzt wird, um die Zivilgesellschaft auszugrenzen oder zu marginalisieren. Durch seine Beschreibung der Demokratie in den USA, die nach seiner Beobachtung wesentlich von freiwilligen Zusammenschlüssen von der Art geprägt war und ist, die wir heute unter dem Begriff Zivilgesellschaft zusammenfassen, hat Alexis de Tocqueville 1835 eine Denkschule begründet,519 die Zivilgesellschaft und Demokratie als zwei Seiten der gleichen Medaille sieht. Dies mag insofern richtig sein, als sich Demokratiemodelle, die sich einer lebendigen Zivilgesellschaft verpflichtet fühlten, als beständiger erwiesen haben als solche, die das nicht taten. In Tocquevillescher Tradition haben dies Ernst-Wolfgang Böckenförde520 und Robert Putnam521 so aus-
|| 519 Vgl. Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika. 520 Vgl. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit.
Ergänzende Literatur | 319
gedeutet, dass der demokratische Staat nicht aus sich selbst heraus bestehen kann. „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“522 So sehr dies plausibel und so sehr eine aktiv mitgestaltende Zivilgesellschaft in der Krise der Demokratie vor allem geeignet erscheint, die Krise zu überwinden, so unplausibel erscheint der häufig daraus abgeleitete Umkehrschluss. Wie die Menschen- und Bürgerrechtsbewegungen in Mittel- und Osteuropa in den 1980er Jahren mehr als deutlich gemacht haben, kann sich eine aktive Zivilgesellschaft gerade auch unter widrigen Umständen entwickeln und zur Verwirklichung einer freiheitlichen Gesellschaft wesentlich beitragen. Beide Beispiele weisen auf die politische Funktion von Zivilgesellschaft hin; diese darf nicht dadurch beeinträchtigt oder gar desavouiert werden, dass einzelne Akteure nicht den Anforderungen an eine die freiheitliche Gesellschaft mitgestaltende Zivilgesellschaft genügen. Es ist daher demokratietheoretisch wichtig, Zivilgesellschaft nicht mit Pauschalurteilen zu belegen, sondern ihre Akteure zunächst in einen Beurteilungsrahmen zu stellen, der eine formale Zuordnung erlaubt, um anschließend anhand qualitativer Merkmale eine Beurteilung vornehmen zu können. Dieses Vorgehen kann einerseits die Kennzeichnung von Akteuren sicherstellen, die einer dunklen, d.h. negativ zu beurteilenden Seite der Zivilgesellschaft zuzuordnen sind, wobei hier gewiss graduelle Unterschiede zu konstatieren sind und nicht in jedem Fall Einigkeit in der Beurteilung herrschen wird. Andererseits sollte diese Vorgehensweise dazu führen, dass eine brauchbare, für den politischen, medialen und öffentlichen Diskurs geeignete Arbeitsdefinition angeboten wird, die nicht Gefahr läuft, permanent von mehr oder weniger unterschiedlichen Einzeldefinitionen verdrängt zu werden. Wenn Zivilgesellschaft, so wie es international der Fall ist, als die Arena gesehen wird, in der sich die zahlreichen nicht gewinnorientierten und nicht dem hoheitlichen Bereich zuzurechnenden Organismen kollektiven Handelns bewegen, die von einem subjektiven Gemeinwohlinteresse getrieben sind, kann die Stimme „der Zivilgesellschaft“ dadurch nur stärker werden523.
Ergänzende Literatur Strachwitz, Achtung vor dem Bürger Strachwitz, Transparente Zivilgesellschaft? Accountability und Compliance in Non-profitOrganisationen Hummel/Kreutzer: The changing space for civil society
|| 521 Vgl. Putnam, Making Democracy Work sowie Putnam (Hrsg.), Gesellschaft und Gemeinsinn. 522 Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 60. 523 Vgl. Klein, Der Diskurs der Zivilgesellschaft.
Nachwort Die Autoren dieses Handbuchs haben versucht, in 10 Kapiteln wesentliche Aspekte des kollektiven Handlungsfeldes Zivilgesellschaft in systematischer Form darzustellen. Sie wollen damit einen Beitrag dazu leisten, dass in Wissenschaft und Praxis, insbesondere aber in der Öffentlichkeit eine informiertere Debatte Platz greifen kann. Auf manchen Einzelaspekt musste verzichtet werden, um den Umfang nicht allzusehr ausufern zu lassen. Die umfangreiche Bibliographie, die über ein Verzeichnis der verwendeten und zitierten Quellen weit hinausgeht, soll zu weitergehenden Studien einladen. Ausdrücklich wird darauf aufmerksam gemacht, dass frühere Veröffentlichungen der Autoren in mehr als geringem Umfang in die Erstellung des vorliegenden Textes eingeflossen sind. Dem Charakter eines Handbuchs entsprechend stand die Systematik des Handlungsfelds, der Arena, im Mittelpunkt der Erarbeitung. Hierzu wurden bezüglich der Definition, des Umfangs und der Handlungslogik Positionen bezogen und Argumente hierfür vorgetragen. Die Beschreibung oder gar Wertung der Arbeit einzelner Subsektoren, Ziele, Handlungsfelder oder Akteure der Zivilgesellschaft musste dahinter zurücktreten, obwohl festzuhalten bleibt, dass eine grundsätzlich wohlwollende kritische Begleitung für den Erfolg zivilgesellschaftlicher Arbeit unabdingbar ist. Auch die großen Aufgaben, die im Einzelnen auf die zivilgesellschaftlichen Akteure warten, bspw. in der Bekämpfung der sozialen Ungleichheit und der drohenden Klimakatastrophe, in der unermüdlichen Friedensarbeit und im Eintreten für Empathie für und Respekt vor dem Mitmenschen, konnten hier nur gestreift werden. An ihrer Dringlichkeit kann ebensowenig ein Zweifel bestehen wie an dem Appell an die Zivilgesellschaft, sich ihnen zuzuwenden. Es ist, so hoffen die Autoren, deutlich geworden, dass Zivilgesellschaft als Voraussetzung und unabdingbarer Bestandteil einer offenen und zukunftsorientierten Gesellschaft gesehen wird, dass aber zugleich erkannt ist, dass sie auch in einer geschlossenen Gesellschaft unter ungleich schwierigeren Bedingungen aktiv sein kann und in der Regel auch ist. Allerdings sind ihre heterogenen Akteure überwiegend, aber nicht notwendigerweise Verteidiger eben dieser offenen Gesellschaft. Die Instrumentalisierung von Zivilgesellschaft für Ziele, die mit einer offenen Gesellschaft unvereinbar sind, ist möglich und findet auch statt. Ihre Akteure müssen daher diesbezüglich auf der Hut sein, um so mehr, als traditionelle politische Zuordnungen, etwa „links“ oder „rechts“, „konservativ“ oder „progressiv“ zunehmend an Erkennungswert verlieren, verwischt und von neuen Unterscheidungen überlagert werden. Immer deutlicher ist zu erkennen, dass sich Konzepte einer pluralen, partizipativen sowie transnationalen und solche einer ausschließenden, autoritären Ordnung argumentativ und politisch gegenüberstehen. Ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger selbst und andere in der Gesellschaft aktive Gruppierungen
https://doi.org/10.1515/9783110553475-013
322 | Nachwort
(Unternehmen, Parteien usw.) müssen sich auch zivilgesellschaftliche Akteure mit dieser Dichotomie auseinandersetzen und Positionen beziehen. Welche Position die Autoren des hier vorgelegten Bandes einnehmen, ist, so hoffen sie, deutlich geworden.
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