Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien: Band 1 [Reprint 2018 ed.] 9783111453811, 9783111086392


196 35 75MB

German Pages 764 [768] Year 1969

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der gebrauchten Siglen
Erstes Kapitel. Grundbegriffe und Definitionen
Zweites Kapitel. Geschichte der Urkundenlehre
Drittes Kapitel. Urkundenteile und Urkundenarten
Viertes Kapitel. Uberlieferung und Vervielfältigung der Urkunden
Fünftes Kapitel. Die Archive
Sechstes Kapitel. Die Kanzleibeamten der altrömischen Kaiser und der Päpste
Siebentes Kapitel. Die Kanzleibeamten der italienischen, fränkischen und deutschen Könige und Kaiser
Achtes Kapitel. Sonstige Kanzleibeamte und Urkundenschreiber in Deutschland und Italien
Neuntes Kapitel. Die rechtliche Beweiskraft der Urkunden des Mittelalters
Nachträge und Verbesserungen
Recommend Papers

Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien: Band 1 [Reprint 2018 ed.]
 9783111453811, 9783111086392

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

H A N D B U C H DER

URKUNDENLEHRE FÜR D E U T S C H L A N D UND I T A L I E N VON H A R R Y B R E S S L A U f

ERSTER

BAND

Vierte A u f l a g e

V E R L A G W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE V E R L A G S H A N D L U N G / J. GUTTENTAG, V E R L A G S . BUCHHANDLUNG / GEORG REIMER / K A R L J. T R Ü B N E R / VEIT & COMP.

B E R L I N 1969

Zweiter unveränderter photomechanischer Nachdruck der 2. Auflage

Die erste Auflage erschien 1889. Das für einen zweiten Band bestimmte Material wurde für die zweite Auflage in die einzelnen Kapitel des ursprünglichen ersten Bandes eingearbeitet und das Ganze auf den Band I (1912), Bd. I I erste Abteilung (1915) und zweite Abteilung (1931, aus dem Nachlaß) verteilt. Die dritte Auflage (1958) war ein unveränderter Nachdruck der zweiten Auflage.

€) Arohiv-Nr. 33 05 691 1912 b y W a l t e r de G r u y t e r & Co., v o r m a l s G. J . Göachen'sche Verlagshandlung — J . G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g — Georg R e i m e r — K a r l J . T r ü b n e r — Veit & Comp.» Berlin 30 ( P r i n t e d in Germany) Alle R e c h t e , insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, v o r b e h a l t e n . Ohne ausdrückliche Genehmigung de» Verlages ist es auch n i c h t g e s t a t t e t , dieses B u c h oder Teile d a r a u s auf p h o t o m e c h a n i s c h e m Wege (Photokopie, Mikrokopie» Xerokopie) zu vervielfältigen.

Vorwort Als ich im Anfang des Jahres 1889 den ersten Band dieses Handbuches erscheinen ließ, war es mein Wunsch, die Fortsetzung des Werkes, in der die Spezialdiplomatik der Kaiser- und Papsturkunden behandelt werden sollte, bald folgen zu lassen. Persönliche und sachliche Gründe haben die Ausführung dieses Vorsatzes verhindert. Die Redaktion des Neuen Archivs, die Arbeiten für die Ausgabe der Kaiseiurkunden des 11. Jahrhunderts und die neuen Aufgaben und Pflichten, die mir aus meiner Berufung nach Straßburg ( 1 8 9 0 ) erwuchsen, nahmen mich ganz in Anspruch und ließen mich in den nächsten Jahren zu eingehenderer Tätigkeit an dem Handbuch der Urkundenlehre nicht gelangen. Überdies waren in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts umfassende neue Untersuchungen auf dem Gebiet der Kaiserund Papstdiplomatik in Angriff genommen worden. Während ich selbst mit den Diplomen des 11. Jahrhunderts beschäftigt war, hatte E. MÜHLBACHER im Jahre 1 8 9 2 die Ausgabe der Urkunden der Karolinger übernommen und gab sich der freilich allzu optimistischen Hoffnung hin, das große Werk in 10 Jahren vollenden zu können. Wenige Jahre später faßte die Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen den Plan, die Urkunden der Päpste bis 1198 unter der Leitung PAUL KEHR s in einer auf den gründlichsten archivalischen Vorarbeiten beruhenden Gesamtausgabe erscheinen zu lassen. Um dieselbe Zeit begann L. SCHIAPARELLI die ersten Vorbereitungen für eine kritische Edition der italienischen Könige aus dem Ende des 9. und den ersten 6 Jahrzehnten des 10. Jahrhunderts. Und die von der Ecole française in Rom und zahlreichen Gelehrten anderer Nationen unternommenen Arbeiten im Vatikanischen Archiv vermehrten von Jahr zu Jahr unsere Kenntnis von den Papsturkunden des späteren Mittelalters. Unter diesen Umständen erschien es mir notwendig, wenn nicht die Beendigung, so doch ein weiteres Fortschreiten aller dieser Ar-

IV

beiten abzuwarten, ehe ich an die Fortsetzung meines Handbuches herantrat; ich hätte fürchten müssen, allzu Unvollkommenes und zu schnell Veraltendes zu bieten, wenn ich anders gehandelt hätte. Freilich sind wir nun auch jetzt noch fern von der gänzlichen Vollendung aller jener Arbeiten; allein es ist doch außerordentlich viel dafür getan. Die Originalurkunden der Merovinger liegen uns jetzt in vortrefflichen neuen Abbildungen vor. Von den Diplomen der Karolinger ist der erste Band erschienen, und in der neuen Auflage von MÜHLBACHERS ßegesten ist ein großer Teil von den Vorarbeiten für die Gesamtausgabe allgemein zugänglich gemacht worden; wichtige Untersuchungen sind überdies von M. TANGL, M. JUSSELIN und anderen veröffentlicht worden. Die Urkunden der italienischen Könige sind bis 925 publiziert; eine prächtige Sammlung von Faksimiles solcher Diplome ist im Archivio paleografico Italiano erschienen. Die Ausgabe der Urkunden der sächsischen Kaiser ist abgeschlossen. Von den Urkunden der Salier ist der erste Band erschienen; das Material für die Heinrichs III. übersehe ich vollständig, das für die Urkunden Heinrichs IV. und V. wenigstens zum größten Teile. Für die staufische und die spätere Zeit kann man sich auf die Vollendung der Kaiserurkunden in Abbildungen stützen; Untersuchungen von SCHULTZE, G R A B E R , ERBEN und H . HIRSCH haben unsere Kenntnis von den Urkunden des 12. Jahrhunderts erheblich erweitert; auch für die folgende Periode liegen einige schätzbare neuere Arbeiten vor, und Erschöpfendes ist darüber in absehbarer Zeit überhaupt nicht zu erwarten. Auf dem Gebiet der Papstdiplomatik ist zwar von der Göttinger Edition selbst noch nichts erschienen; aber die Regesta pontificum Romanorum von K E H R und BRACKMANN sichten den Stoff für große Teile Italiens und Deutschlands; die Berichte K E H R S und seiner Mitarbeiter über archivalische Forschungen in diesen Ländern und in Frankreich lehren uns das hier vorhandene handschriftliche Material kennen; v. P F L U G K HARTTÜNG hat, was er besonders über die äußeren Merkmale der Papsturkunden des 11. und 12. Jahrhunderts gesammelt hatte, in einem neuen Buche veröffentlicht, und für die am schwersten zu behandelnde Übergangsepoche in der päpstlichen Kanzleigebarung, die zweite Hälfte des 11. und den Anfang des 12. Jahrhunderts, hat K E H R uns neue Aufschlüsse gegeben. Die französischen Registerpublikationen sind rüstig fortgeschritten und in einzelnen Teilen abgeschlossen; bei der Gleichmäßigkeit und Stetigkeit in der päpstlichen Kanzleientwickelung des späteren Mittelalters, reicht, was wir aus ihnen und anderen neueren Arbeiten lernen können, aus, um eine diplomatische Behandlung der Papsturkunden seit dem 13. Jahrhundert zu ermöglichen.

Vorwort

So habe ich geglaubt wagen zu dürfen, was mir vor 20 Jahren noch nicht tunlich erschien, und ich hoffe in der neuen Bearbeitung meines Handbuches ein abgeschlossenes Ganzes bieten zu können. Im ersten Bande, der die neun ersten Kapitel des Werkes umfaßt, habe ich die Anlage der vorigen Auflage beibehalten; im übrigen aber war es mein Bestreben, aus der Literatur der letzten Jahrzehnte alles Neue, was wirklich Bedeutung hat, gewissenhaft zu berücksichtigen und damit zu verbinden, was ich aus eigenen Studien als neues Ergebnis gewonnen hatte. Wenn so kaum eine Seite des Buches unverändert geblieben ist, wenn gewisse Materien, die in der eisten Auflage noch nicht berücksichtigt werden konnten (wie etwa die Kanzlei der italienischen Könige), nun zusammenhängend behandelt worden sind, über andere, die früher dunkel geblieben waren, sich jetzt Klarheit gewinnen ließ, so war die notwendige Folge davon, daß auch der Umfang jener Abschnitte erheblich, etwa um ein Drittel, anwuchs. Ich konnte das nicht vermeiden, wenn ich meinem Buche den Charakter erhalten wollte, den ich ihm in der ersten Auflage zu geben bestrebt gewesen war. In dem zweiten Bande wird die Einteilung und Anordnung des Stoffes gewisse Veränderungen erfahren. Die Spezialdiplomatik der Königs- und Papsturkunden wird großenteils in die schon vorhandenen Kapitel über Formulare, Sprache, Schreibstoffe, Schrift, Datierung und Besiegelung hineingearbeitet werden, wie das bei anderen Kapiteln schon in der ersten Auflage der Fall war. Daneben werden einige neue Kapitel die Fassung und Formulierung, die Zierschrift und die Schriftzeichen jener Urkunden behandeln. Die Arbeiten für den zweiten Band sind so weit gediehen, daß ich bestimmt hoffe im Frühjahr 1912 den Druck beginnen zu können. Auf das sehr ausführliche und wie ich glaube eine leichte Orientierung ermöglichende Inhaltsverzeichnis lasse ich ein etwas erweitertes Verzeichnis der gebrauchten Siglen folgen. Die Liste der abgekürzt zitierten Buchtitel behalte ich dem zweiten Bande vor; einstweilen steht ja auch noch die in der ersten Auflage gedruckte Liste den Benutzern der zweiten zur Verfügung. Ob es möglich und erforderlich sein wird, dem zweiten Bande ein Sachregister beizugeben, darüber möchte ich die Entscheidung noch offen lassen, die erst nach dem Versuch der Ausarbeitung eines solchen Registers getroffen werden kann. Bei der Bearbeitung dieser neuen Auflage habe ich auf Anfragen und Wünsche so viel gütige Unterstützung gefunden, daß ich mich hier mit einem allgemeinen Danke an alle die Gönner und Freunde

VI

Vorwort

begnügen muß, deren Eat und Auskunft mir zuteil geworden ist. N u r meinen Freunden W. LENEL und H. WIBEL m u ß ich f ü r die auf-

opferungsvolle Hilfe, die sie mir bei der Korrektur geleistet haben, auch öffentlich den wärmsten Dank aussprechen. Möge die neue Auflage meines Handbuchs, über die erst nach dem Erscheinen des zweiten Bandes ein abschließendes Urteil möglich sein wird, eine ebenso freundliche Aufnahme finden, wie sie der ersten Bearbeitung nach Überwindung anfänglicher Zweifel und Anfechtungen zuletzt allseitig zuteil geworden ist. S t r a ß b u r g , 1. Dezember 1911.

H. Bresslau

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage Über die Aufgabe, welche ich mir in diesem Buche gestellt habe, habe ich mich am Schluß des zweiten Kapitels ausgesprochen, und zu den dort entwickelten Gedanken haben seit dem Erscheinen der ersten Hälfte dieses Bandes so viele Fachgenossen in Deutschland und Italien ihre Zustimmung ausgedrückt, daß ich auf eine nähere Erläuterung derselben an dieser Stelle verzichten kann. Auch was den Plan und die Anlage meines Werkes betrifft, darf ich mich wohl auf wenige Bemerkungen beschränken. Die räumliche Einschränkung auf Deutschland und Italien war durch die Natur der Sache geboten; eine allgemeine Diplomatik für alle Länder des mittelalterlichen Europas zu bearbeiten, wird, wenn den berechtigten Ansprüchen der Gegenwart nur annähernd genügt werden soll, ein einzelner Forscher schwerlich imstande sein. Gern würde ich das dritte Land des Imperiums, Burgund, in die Betrachtung einbezogen haben; doch habe ich mich schon bei den Vorarbeiten überzeugt, daß das unmöglich war, wenn ich nicht auch die französischen Urkunden in umfassendster Weise berücksichtigen und damit meinem Buch einen ganz anderen Charakter geben wollte. Zeitlich habe ich in den meisten Fällen das ganze Mittelalter zu behandeln unternommen, insbesondere überall, wo das anging, an die altrömischen Verhältnisse anzuknüpfen und den Zusammenhang zwischen diesen und der frühmittelalterlichen Entwickelung nachzuweisen gesucht. In der Anführung von Beispielen wie in Zitaten überhaupt bin ich nach Möglichkeit sparsam gewesen; es wäre sonst ein leichtes gewesen, den ohnehin schon über meine Erwartungen und Wünsche angeschwollenen Umfang meines Buches noch weiter zu vermehren. Insbesondere bei der Anführung der Literatur habe ich nur diejenigen Schriften, welche für mich Quellen gewesen sind, und diejenigen, aus denen nach meiner Überzeugung noch jetzt mit Nutzen Belehrung über einen im Text behandelten Gegenstand geschöpft werden kann — diese aber auch vollständig — anführen wollen. Dagegen habe icli

VIII

Aus dem Vorwort xur ersten Auflage

den ganzen unnützen Zitatenkram alterer Werke, aus denen heute nichts mehr zu lernen ist und mit deren Nachschlagen man nur Zeit verliert, einfach über Bord geworfen, und ebenso davon abgesehen, ältere allgemeine Werke, die jedem Diplomatiker zur Hand sein müssen, wie etwa MABILLON, den Nouveau Traité usw. Hunderte von Malen bei den verschiedensten Gegenständen zu zitieren. Auch die Polemik habe ich möglichst zu beschränken gesucht. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, da wo ich von Meistern, wie SICKEL oder FICKEB oder von neueren Fachgenossen, mit denen ich im ganzen auf demselben Standpunkt stehe, in Einzelfragen abweiche, dies meinen Lesern nicht zu verschweigen. Wo aber eine grundsätzliche Verschiedenheit der Methode und Arbeitsweise besteht, da glaubte ich mich damit begnügen zu können, den Gegensatz nur in einzelnen besonders wichtigen Fällen zu betonen. Und ganz überflüssig ist es mir erschienen, an den Ansichten älterer Vorgänger, soweit diese nicht als noch heute herrschend anzusehen sind, billige Kritik zu üben. Berlin, im Januar 1889. H. Bresslau

Inhaltsverzeichnis. Erstes Kapitel.

Grundbegriffe und Definitionen

t—11

Urkunde. Definition. Geschichte des Wortes 1. 2. Akten 2. 3. öffentliche und Privaturkunden 8. 4. Aussteller. Empfänger (Destinatar). Diktator, Schreiber (Ingrossist) 4. 5. Subjektive und objektive Fassung 5. Außere und innere Merkmale 5. 6. Aufgabe der Urkundenlehre 6. 7. (Diplomatik, Diplom 6 N. 1.) Echte und unechte (falsche) Urkunden 7. 8. Formale und inhaltliche Uneehtheit 8. Echte Bestandteile unechter Urkunden 9. Kritik und Interpretation der Urkunden 9. 10. Methode der Urkundenlehre 10. Beziehungen zu anderen Disziplinen 10. 11.

Zweites Kapitel.

Geschichte der Urkundenlehre

11—45

Urkundenfälschungen des Mittelalters. IhrZweckll. Beispiele; kirchliche 12. 13. Österreichische Privilegien 13. Städtische Fälschungen 13. Moderne Fälschungen 14. 15. Mittelalterliche Urkundenkritik. Beispiele 15—19. 739. Beispiele mittelalterlicher Kritiklosigkeit 19. 20. Wertlosigkeit mittelalterlicher Authentizitäts-Erklärungen 20. Humanisten: Valla. Flacius. Aventin 20. 21. Bella diplomática 21 ff. Trier. Zyllesius 21. 22. Lindau. Herrn. Conring 22. 23. Papebroch 23—25. Die Mauriner 25. Mabillon 25—28. 739. Gegner Mabillons. Hickes. Die Germonisten 28. 29. Der Nouveau traité. Toustain und Tassin 29. 30. Neuere französische Diplomatiker: Delisle. De Wailly. Giry 30. 31. Neuere italienische Diplomatiker: Maffei. Fumagalli. Gloria. Paoli 31. 32. Deutsche Diplomatiker des 18. Jahrhunderts: Eckhard. Heumann. Oberlin 32. Gatterer. Gruber. Schönemann 33. 34. Bessel und das Chronicon Gotwicense 34. 35. Heumann 35. Umschwung im 19. Jahrhundert 35ff. Aufhören der Bella diplomática 36. Öffnung der Archive 36. 37. Monumenta Germaniae histórica und Jahrbücher der deutschen Geschichte 37. 38. Die Regesten: J.F.Böhmer und seine Nachfolger 38. 39. System Böhmers, Stumpfs u. a. 39. 40. Circulus vitiosus der diplomatischen Methode 40. J. Ficker 40. 41. Theodor Sickel 41 ff. Die Schriftvergleichung als vornehmstes Hilfsmittel diplomatischer Untersuchung 42. 43. Ihre Erprobung: Diplomata-Ausgabe. Kaiserurkunden in Abbildungen 43 ff. Aufgabe dieses Werkes 45.

Drittes Kapitel. Urkundenteile und Urkundenarten

45—85

Text (Kontext) und Protokoll 45—47. Formeln des Protokolls 47. 48. Formeln des Textes 48. Schlichte Beweisurkunden und Geschäftsoder dispositive Urkunden 49ff. 739f. Altrömische Urkundentypen: Schlichte Zeugenurkunden. Chirographa 50. 51. Epistolae 51. Cartae und Notitiae 51. 52. Zeitliche und örtliche Gruppen der Königsurkunden 52. Diplome (Präzepte) und Mandate der vorstaufischen Zeit 53. 54. Sachliche Urkundengruppen der vorstaufischen Zeit: Schenkungen 55. Restitutionen. Tauschurkunden. Lehenbriefe. Mundbriefe 56. Immunitätsverleihungen. Wahlprivilegien 57. Privilegien im engsten Sinn 57. 58. Markt- und Münzrechtsverleihungen.

Inhaltsverxeichnis

X

Z llverleihungen 58 Forstverleihungen und Einforatungen 58. 59. Verleihungen von Zellentrechten, Bergwerken usw. Freilassungen. Vertragsurkunden 59. Bestätigungsurkunden 59. 60. Ersatz verlorener Urkunden 60. 61. Appennes. Pancarten 61. Prekarien und Tausehbestätigungen 62. Formale Urkundenarten der staufischen und naehstaufischen Zeit 62 ff. Privilegien und Mandate 63. (Älterer Unterschied zwischen Privilegium und Präzept 63 N. 1.) Feierliche und einfache Privilegien. Allgemeine und Spezialmandate 63—65. Formale Urkundenarten seit dem 14. Jahrhundert 65ff. Offene und geschlossene Briefe 65—67. Feierliche und einfache Diplome. Patente (offene Briefe). Geschlossene Briefe 67. Sachliche Urkundenarten des späteren Mittelalters 67 ff.: Bestallungen. Ernennungen. Legitimationen. Mündigkeitserklärungen 68. Verpfändungen. Schuldbriefe. Quittungen Lehenbriefe. Protektionsurkunden 69. Preces piimariae. Panisbriefe 70. Städteprivilegien. Beurkundungen von Rechtssprüchen. Urteile. Schiedssprüche 71. Verhängungen der Acht. Konstitutionen. Gesetze. Landfrieden. Verträge. Beglaubigungsschreiben 72. Ältere Papsturkunden 72ff. Briefe 74. Constituía 74. 75. Von der Norm abweichende Urkunden 75. 76. Papsturkunden seit Hadrian I. 76ff. Privilegien und Briefe 76—-78. Veränderungen und Ubergangsformen seit Leo IX, 78—80. Feierliche Privilegien und ihre Merkmale seit Innocenz II. 80. Einfache Privilegien. Briefe 80. 81. Briefe mit Seiden- und Hanfschnur (Gnaden- und Justizbriefe) 81. 82. 740. Execut';riae, Sekret- und Kurialbriefe 82. Bullen im engeren Sinne 82. 83. Briefi mit dem Fischerringsiegel. Breven 83. 84. Motus proprii 84. Untunlichk'it der sachlichen Gruppierung von Papst- und Privatu'künden 85. Vierte. Kapitel.

Überlieferung und Vervielfältigung der Urkunden

Seite

86—148

Originale 86. Kanzleifälschungen 87. Konzepte 88. Abschriften 88 ff. Nachzeichnunge i 89. Einfache und beglaubigte Abschriften 89 (Authentica 89 N 1. 9.J.) Beglaubigung dei Abschriften im Scheinprozeß 90. Beglaubigung (Tianssumierung) durch öffentliche Notare 91, durch Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte usw. 92f. Beweiskraft der Abschriften (forensische, diplomatische) 93. Einzelabschriften, Rotuli 94. Kopialbücher (Chartularien) 94ff. Veränderung der Vorlagen durch die Abschreiber 95 ff. Kiitik der Abschriften 97. Urkunden in histori sehen usw. Werken 98. Traditionsbücher; protokollarische Aufzeichnung darin 99f. 740. Im Auftrag des Ausstellers hergestellte Abschriften 101. Regis erbücher (commentarii) in altrömischer Zeit 101 ff. (Terminogie - Register- und Kopialbücher 103 N. 2. 740.) Päpstliche Registerucher 104ff Anfänge 104. Auszüge aus Papstregistern in kanon i s c h e n Sammlungen 105. Register Gregors I. und Johanns VIII. 106. 740. Annahme einer Unterbrechung der Registerführung nach Stephan V. 107. Register Gregors VII. und AnacletsII. 108. 740f. Verlust der älteren Register 109 Register seit Innocenz III. 110 ff. (Literatur über die Register seit 1198: 111 N. 4. 741.) Anlage und Einrichtung dei Register seit Innocenz III. 113 ff. Registrierung der Einlaufe 113 Anordnung der Registerabschnft°n nach Materien (litterae curiales, communes, secretae u s w ) 113ff 74i Kanzlei , Kammerund Sekietregister 116. Registnerung nach Originalen oder Konzepten 116ff. Originalregister und Abschriften davon 118. 741. Pergament" und Papierregister 119. Vollständigkeit oder Unvollständigkeit der Register i Of 741. Kürzungen des Woitlautes in den Registern 122ff. Chronologische Folge der Registrierung 124. Registerfühlung in Fiankieich seit Philipp II. August 125. Registerführung in Sizilien seit F - i e d r i c h l l . 125 Einrichtung der Register Friedrichs II. 126 f.

Inhaltsverzeichnis Angiovinische Register 127 ff. Aragonesische Register in Sizilien 129. Keine Register im Kaiserreich vor Heinrich VII. 130. Registerfiihrung der Kammernotare Heinrichs VII. 130 ff. KanzleiTegister Heinrichs VII. 132 f. Register Ludwigs des Bayern 133 ff. Register Karls IV. 136 ff. Register Wenzels 138. Register Ruprechts 138ff. Register Sigmunds 140f. Register Albrechts II. und Friedrichs III. 141 ff. Registerführung an deutschen Pürstenhöfen 142ff.741. Trier, Hennegau, Holland, Cleve-Mark, Köln 143. Mainz, Pfalz, Speyer, Bayern, Salzburg 144. Tirol, Österreich, Böhmen 741. Brandenburg, Meißen, Weifische Lande, Mecklenburg 145. 742. Städtische Register 145. Zuverlässigkeit der Registerabschriften 146 ff.

XI Seite

Fünftes Kapitel. Die Archive 149—184 Altrömische Archive 149. Archivwesen der Päpste 149ff. Älteste Zeit. Archiv des Papstes Damasus 150. Zeugnisse für die Existenz des Archivs als Teil der Bibliothek 151 f. Der Primicerius als Leiter des Archivs 152. Das Archiv im Lateran 152f. Archivalien in der Krypta der Peterskirche 153, im Turm beim Titusbogen 155, außerhalb Roms 155. Neubau Innocenz'III. 155. Transport von Archivalien nach Lyon; Transsumierung in Lyon 155. Rouleaux de Cluni 156. Das Archiv Teil des Schatzes 156. Das Archiv in Anagni, Perugia, Assisi, Avignon und seine Inventarisierungen 157. 742. Archivalien in Peniscola 158. Das Archiv in Rom 158 ff. Rücktransporte aus Avignon nach Rom 159. Bau des vatikanischen Archivs 159. Archiv der Engelsburg; Nebenarchive 159. Vereinigung von Archivalien im vatikanischen Archiv 160. Transport des vatikanischen Archivs nach Paris und Rückkehr nach Rom 160. Archivkataloge 160f. Eröffnung des vatikanischen Archivs durch Leo XIII. 161. Mangel eines geordneten Archivwesens bei den Langobarden 161 f. und bei den Franken in merovingischer Zeit 162. Archivwesen der Karolinger 163 ff. Aachen als Archivstelle 163f. Archivalien in Pavia? 165. Kein ständiges Archiv im älteren deutschen Reich ll>5f. Das Archivwesen der Normannen im sizilianischen Reich 166 ff. Archivwesen der Staufer in Sizilien 168. Angiovinisches Archiv 169. Kein ständiges deutsches Reichsarchiv im 13. Jahrhundert 169 f. Archivalische Bestände in der Reichskanzlei 171. Archivalien Heinrichs VII. in Italien und ihre Überreste 171 ff. Archivalien Ludwigs des Bayern in München 175, Ruprechts in Karlsruhe 176. Anfänge eines ständigen Reichsarchivs unter Sigmund 176. Bestimmungen über das Reichsarchiv bei der Reformgesetzgebung von 1495: 176f. Das Kammergerichtsarchiv und das Reichshofarchiv in Wien 177f. Das kurmainzische Reichsarchiv 178. Das Archiv des Reichserbmarschalls 179. Kirchliche Archive in Italien und Deutschland 178 ff. Urkunden von Laien in kirchlichen Archiven 181. Archive weltlicher Herren in Italien und Deutschland 182. Städtische Archive 183f. Sechstes Kapitel. Die Kanzleibeamten der altrömischen Kaiser und der Päpste 184—352 Der magister officiorum und die vier scnma 185. 742 Der quaestor sacri palatii 18G. Die kaiserlichen notarii et tribuni 187 Der primicerius notariorum 188 Die referendaiii 189. 742 Kanzleibeamte Odovakars und der Ostgoten 190. Anfänge des kirchlichen Notariats 191 f. Die Notare und Regionarnotare der römischen Kirche 193. Der primicerius und der secundicerius notariorum 194f. Notare und Scriniare 196ff. (Der Titel chartularius 197 N. 4). Papstkanzlei seit Hadrian I. 200ff. Die iudices de clero 200f.: arcarius 201 f., saccellarius 202f., primicerius defensorum 203f., nomenculator 204f., protoscriniarius 205ff. (Übergang des Titels scriniarius, scriniarius s. Rom.

XII

Inhaltsverzeichnis eccl. auf die römischen Tabellionen 206 ff.). Scriptum- und Datumformel 208. Datare der Papsturkunden 209 ff. Die iudices de clero als Datare 209 ff. Die Bibliothekare als Datare 211 ff. Verschwinden der iudices de clero aus den Papsturkunden 213. Bischöfe als Datare 214 ff. Die Datare der Papsturkunden im 10. und im Anfang des 11. Jahrhunderts 215ff. (Der erste cancellarius 216f.). Pilgrim von Köln als Bibliothekar unter Benedikt VIII. 221. Die Datare Johanns XIX. 221 f. Übertragung des Bibliothekariats an die Bischöfe von Selva Candida 222 f. Petrus diaconus als Bibliothekar und Kanzler 2'23ff. Die Schreiber der Papsturkunden in älterer Zeit 225ff. Der Protoscriniar als Schreiber 225 f. Ausnahmsweise Tabellionen als Schreiber von Papsturkunden 226. Kanzler als Schreiber 227. Der Titel Notar des lateranensischen Palastes 227 f. Zwei Kanzleinotare Heinrichs III. als Schreiber von Urkunden Clemens' II. 228f. Urkundenschreiber Leos IX. 230 f. Udo von Toul und Friedrich von Lothringen Bibliothekare und Kanzler Leos IX. 231 f. Hermann von Köln Erzkanzler 231 f. 742. Aufgabe der eigenhändigen Datierung unter Udo und Friedrich 233. Nicht ständige Kanzleibeamte als Urkundenschreiber Leos IX. 234. Kanzleibeamte Viktors II. 234, Stephans IX. 235, Benedikts X., Nikolaus' II. 236, Alexanders II. 237. Anno von Köln als Erzkanzler 237. Verschwinden des kölnischen Erzkanzleramtes 238 f. 743. Kanzleibeamte Gregors VII. 238 f., Wiberts, Viktors III. 239, UrbansII. 239 f. Kanzleiorganisation seit Paschal II. 240 ff. Liste der Kanzler vom Tode Paschais II. bis zum Tode Innocenz' III. 241 ff. 743. Besetzung des Kanzleramtes 243. Eigenhändigkeit eines Teiles der Datierung 243. Vizekanzler und stellvertretende Datare aus dem Kanzleipersonal 244 f. Liste derselben im 12. Jahrhundert 245 ff. Vizekanzler von Calixt III. und Urban III. bis Honorius III. 247 f. Verschwinden des Kanzlertitels unter Honorius III. Vizekanzler, die nicht Kardinäle sind, seit Honorius III. 247ff. Liste der Vizekanzler und der stellvertretenden Datare aus dem Kanzleipersonal von Honorius III. bis auf Coelestin V. 249ff. Vizekanzler Bonifaz' VIII., Benedikts XI., Clemens'V. 253ff. Kardinal-Vizekanzler seit Johann XXII. 256 ff. (Stellvertretender Vizekanzler 257) Vizekanzler und stellvertretende Kanzleileiter seit dem Schisma von 1378: 261 ff. 743. Vizekanzler und Kanzleileiter seit Martin V. 263 ff. Schreiber der Papsturkunden im 12. Jahrhundert 266 ff. Verschwinden des Scriniartitels 267. Scriptoren und Notare im 12. Jahrhundert 268 f. 743, im 13. Jahrhundert 270. Kanzleiorganisation im 13. Jahrhundert 271 ff. Die Notare 271f. Vizekanzler und Notare 273. Abbreviatoren 274f. Scriptoren 276f. Rescribendar, Distributor 277f. Bullatoren, Registratoren 279. Korrektor 279 f. 743. Auditor und audientia litterarum contradictarum 281 ff. (Litterae simplices und legendae 282; Liste der auditores litt, contrad. 284 N. 1.743.) Schreiberpersonai der Poenitentiaria und der Kammer 286 f. Die päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert 287ff. Kanzleiordnungen 287f. Vertretung des Vizekanzlers (Regens cancellariam, locumtenens, praesidens) 289ff. 743. Custos cancellariae 292. Notare (Protonotare) 292 ff. Notarabbreviatoren 295 f. Kanzleiabbreviatoren 296ff. Abbreviatores de parco maiori, de parco minori, primae visionis 297 ff. Kollegialische Organisation der Kanzleiabbreviatoren 300. Herstellung von Konzepten durch andere Personen 300f. Korrektor 301 f. Auditor litterarum contradictarum 303. Das Scriptorenkollegium 303 ff. Mitgliederzahl 304. Beamte des Scriptorenkollegiums (Distributor, Rescribendar 305ff.; Komputator, Auskultatoren) 307. Bullaria 308ff. Bullatoren 309ff. Taxatoren der Bullaria 311. Sekretäre 312ff. Entstehung des Amtes 313. Zahl und kollegialische Organisation der Sekretäre 314. Der Chefsekretär 315. Expeditio per cameram und per cancellariam. Kompetenz der Sekre-

Seit«

Inhaltsverzeichnis täre 316 ff. Registerbeamte 321 ff. Soziale Stellung der Kanzleibeamten 322 ff. Käuflichkeit der Ämter in der päpstlichen Kanzlei 325 ff. Amterkumulation 326f. Kaufpreise 327. Besoldungen der Kanzleibeainten 328 f. Gebührenwesen (Taxen) 329 ff. Erste Taxordnungen 329. Taxordnungen seit Johann XXII. 330 f. Taxvermerke und Expenszettel 332. Gebührenfreie Urkunden 332f. Taxsätze des 13. Jahrhunderts 334. Die Regelung der Taxen durch Johann X X I I . 335 ff., im 15. Jahrhundert 338 ff. 743 f. Verwendung der Taxen 343 ff. Kanzleibüeher 34er Titel magister 379. Pfalzgräfliche Notare 380f. Herstellung der Kapitularien 381. Privatkorrespondenz des Herrschers 381. Stellung und Einfluß der Kanzleibeamten 382 f. Liste der Kanzleibeamten bis zum Tode Ludwigs d. Frommen 383 ff. Kanzlei Lothars I. 387 ff. Kanzlei Ludwigs II. 389 f. Kanzlei Lothars II. 390 f. Dreigliedrige Abstufung der Kanzleibeamten 391. Kanzlei Berengars I., Widos, Lamberts 392ff. Kanzlei Ludwigs d. Blinden 392. Kanzlei Rudolfs, Hugos, Lothars von Italien 395f. 744. Kanzlei Berengars II. und Adalberts von Italien 397 f. Liste der Kanzleibeamten Lothars I. und seiner Söhne, Berengars I., Widos, Lamberts 399ff. Kanzlei Ludwigs d. Deutschen 405 ff. Die Kapelle und der Erzkapellan 406 f. Kapelle und Kanzlei 407 ff. Der Erzkapellan als Kanzleichef 409 ff. Das Kanzleramt 409f. Erzkapellan, Kanzler und Notare in der Rekognition 411 ff. Die Stellung Hebarhards unter Ludwig d. Deutschen 412. Aufhören der Eigenhändigkeit der Rekognition 413. Bezeichnung der anonymen Schreiber 414. Kanzlei Ludwigs d. Jüngeren und Karlmanns von Bayern 415. Kanzlei Karls III. 415 ff. Liutward von Vercelli als Kanzleichef 416f. Kanzlei Arnulfs 418. Kanzlei Zwentibolds von Lothringen 419. Kanzlei Ludwigs d. Kindes 420. Lothringische Kanzlei 421. Kanzlei Konrads I. 421f. Kanzlei Heinrichs I. 422ff. Kanzlei Ottos I. 424ff. Mehrere Erzkapellane 424f. Brunos Stellung in der Kanzlei 425 f. Rekognition nur durch den Kanzler in Vertretung des Erzkapellans 427. Mainz alleiniger Erzkapellan 428. Italienische Kanzlei Ottos I. 429 f. Liste der Kanzleibeamten von Ludwig d. Deutschen bis zum Tode Ottos I. 430 ff. 744. Die Reichskanzlei 973—1125: 441 ff. Errichtung einer burgundischen Kanzlei 442. Das Erzkanzleramt (Erkapellanat) f ü r Deutschland 442 f. Das Erzkanzleramt f ü r Italien 443, f ü r Burgund 446 f. Titel der Erzkanzler 447ff. Kanzlei und Kapelle 447f. Mainz nicht mehr Erzkapellan, sondern Erzkauzier 449. Verschwinden des Titels Erzkapellan 450. Der Titel cappellarius (capellanarius) 450 f. Stellung der Erzkanzler 451. Stellung der Kanzler 451 ff. Kanzleramt und Bistum 452. Pfründen der Kanzler 452 f. Ihr Einfluß auf die Reichsgeschäfte 454. 744. Die Kanzler Reichsfürsten 455. Diktatoren und Schreiber 456ff. Herstellung von Urkunden durch die Empfänger 460ff.

XIV

Inhaltsverzeichnis

Gelegenheitsschreiber 462 f. Kompetenzabgrenzung der Kanzleiabteilungen 463f. Verwesung vakanter Kanzlerämter 465. Vereinigung der Kanzleiabteilungen unter Heinrich V. 466. Liste der Kanzleibeamten 973—1125: 467 ff. Kanzlei Lothars III. 481 ff. Bruch mit der Tradition; Besetzung der Kanzlei mit neuen Männern 481. Die Erzkanzler 481 f. Stellvertretende Erzkanzler für Italien, Norbert von Magdeburg, Heinrich von Regensburg 482f. Dauernde Vakanz des Kanzleramtes 483ff. Rekognoszenten und Notare 485f. Neue Regel über die Rekognition anstatt des Erzkanzlers 486 f. Kanzlei Konrads III. 487ff. Wiederbesetzung des Kanzleramtes 488. Die Erzkanzler 488 ff. Festigung der neuen Regel über die Rekognition 490. Unterbeamte 491 f. Kanzlei Friedrichs I. und Heinrichs VI. 492 ff. Die Erzkanzler 492 ff. Vienne Erzkanzler für Burgund 493. Investitur der Erzbischöfe maßgebend für den Antritt des Erzkanzleramtes 494. Tatsächlicher Einfluß der Erzkanzler Friedrichs I. auf die Kanzleigeschäfte 494f. Die Kanzler 496. Investitur der Kanzler 496. Protonotar und Notare 497. Form der Rekognition 497f. Funktion der Beamten 498 f. Das italienische Hofgerichtsnotariat 500. Sizilianisches Kanzleiwesen unter Heinrich VI. 501. Kanzleibeamte von Lothar III. bis zum Tode Heinrichs VI. 502 ff. Die Reichskanzlei seit dem 13. Jahrhundert 512ff. Die Erzkanzler 512ff. Vienne im Besitz des burgundischen Erzkanzleramtes 513f. Übergang des Amtes auf Kurtrier 514 ff. Bezirk des trierischen Erzkanzleramtes 517. Streben der Erzkanzler nach Ernennung der Kanzleibeamten 518 ff. Gerhard II. von Mainz unter Adolf von Nassau 518f., unter Albrecht I. 519ff. Peter von Aspelt, Kurfürst von Mainz, und Heinrich VII. 520f. Heinrich von Köln und das italienische Erzkanzleramt unter Heinrich VII. 522. Erzkanzler und Kanzlei unter Ludwig d .Bayern 523 f., unter KarllV. 525ff. Die Erzkanzler in der Goldenen Bulle 525. Erneuerung und Abweisung der Ansprüche unter Ruprecht 527. Ihre Nichtbeachtung unter Sigmund 527 und Abweisung durch Albrecht II. 527 f. Ihr zeitweise errungener Erfolg unter Friedrich III. 528 f. und ihre erneute Vereitelung seit 1443: 529f. Pachtvertrag über die Kanzlei zwischen Friedrich III. und Adolf von Mainz 531. Die Kanzler 531 ff. Ein Stellvertreter des Kanzlers unter Ludwig d. Bayern 532. Titularkanzler 532 f. Stand der Kanzler 533f. Amtsdauer 534f. Bedeutung des Amtes 535f. Protonotare 536f. Der Vizekanzlertitel 537f. Notare; ihre Zahl 538f. Registratoren seit Karl IV. 539. Der Sekretärtitel 540. Geschäftsteilung 540 f. Die erste Kanzleiordnung 541. Korrektoren 541. Taxator 542. Kanzleiknecht 542. Eid der Kanzleibeamten 542. Kanzlei des Reichshofgerichtes und des Kammergerichtes 543. Bureaupersonal anderer königlicher Hof- und Lokalbehörden 543 f. Die Kammernotare Heinrichs VII. 544 ff. Nebenkanzleien 546 f. Stellung der Kanzleibeamten 548 ff. Die ersten Laien in der Reichskanzlei 548. Akademische Bildung 549. Stellung der Subalternbeamten 550. In der Regel keine feste Besoldung der Kanzleibeamten 55t. Naturalbezüge 551. Nebeneinnahmen, Geschenke, Pfründen 551 f. Gebührenwesen 552ff. Die Gebüh:- bei der Belehnung von Reichsfürsten 552ff. 744. Zahlung Piacenzas im Jahre 1191: o55. Partizipierung der Notare an den Gebühren 555. Nachrichten über Gebührenzahlung im 14. Jahrhundert 555f., im 15. Jahrhundert 556ff. Hauptgebühren und Trinkgelder (Bibalien) 556. Taxfreiheit 556. Höhe der Ansätze für die Hauptgebühr o51 f. Höhe und Verteilung der Trinkgelder 559. Verwendung der Hauptgebühr 559 ff Liste der Kanzleibeamten von 1198—1291: 561 ff. Sizilianisch normannische Kanzlei 571 ff. Kanzler und Datare 571 f. Vertretung der Kanzler 573. 745. Vizekanzler 574. Notare 57öff Die Notare sind Laien 575 Protonotare 575. Gebühvenwesen 575. Sizilianische Kanzlei Friedrichs II. 576ff. Kanzleiordnungen Friedrichs II. 579.

Seite

Inhaltsverzeichnis Geschäftsgang in der Kanzlei 580 f. Gegenzeichnung des Mag. Philipp 581. Petrus de Vinea als Kanzleichef 581. Sizilianische Kanzlei Konrads IV. 582. Kanzlei Manfreds 582. Kanzlei Konradins S. 582 N. 5.

xv Seite

Achtes Kapitel. Sonstige Kanzleibeamte und Urkundenschreiber in Deutschland und Italien 583—635 Komische Tabellionen 583 f. Tabellionen und erzbischöfliche Notare in Eavenna und dem Exarchat 584f. Kurialen von Neapel 585f. Scribae von Gaeta und Amalfi 587 f. Langobardische Urkundenschreiber und Notare 588 ff. Gerichtsschreiber im fränkischen Eeich 591 ff. Ausbildung des Instituts in karolingischer Zeit 592 f. Sein Verfall seit dem Ende des 9. Jahrhunderts 593f. Kanzleibeamte geistlicher Herren in Deutschland 594ff.: Mainz 594f. Trier 595f. Köln 596ff. Salzburg 598. Bremen-Hamburg 599. Magdeburg 599 f. Bischöfliche Kanzleibeamte 600f. Halberstadt, Konstanz, Hildesheim, Straßburg, "Würzburg, Paderborn, Minden, Osnabrück, Passau, Merseburg 601 N. 1. Kanzleibeamte deutscher Laienfürsten 602ff.: Heinrich der Löwe 603. Bayern 603. Sachsen 603 f. Brandenburg, Thüringen 604. Meißen 604 f. Osterreich 605. Braunschweig, Mecklenburg 606 N. 1. Funktion der fürstlichen Kanzleibeamten 606 ff. Herstellung der Urkunden durch den Empfänger 607, durch den Aussteller 608 ff. Erwähnung von Diktatoren 608f., von Schreibern 609f. Ergebnisse der Schriftvergleichung von Urkunden deutscher Fürsten 610ff. Notwendigkeit und Ergebnisse der Diktatvergleichung bei solchen Urkunden 612ff. Kanzleibeamte deutscher Fürsten im späteren Mittelalter 614 ff. (Literatur 615 N. 1.) Kanzlertitel 616. Feste Verknüpfung des Kanzlertitels mit einer geistlichen Würde in Flandern, Böhmen, Mainz 616. Stand der fürstlichen Kanzleibeamten 616f. Städtische Kanzleibeamte und Schreiber 617f. 745. Das italienische Notariat 618ff. Einführung der karolingischen Gerichtsschreiber in Italien 619f. Kirchliche Notare in Italien 620f. Grafschaftsnotare 621 f. Königsnotare 622f. Pfalznotare 623f. Übergang der Grafschaftsnotare in Königs- oder Pfalznotare 625. Ernennung der Königs- und Pfalznotare 625 ff., durch den König 625, durch die Pfalzgrafen von Lomello 625f., durch Reichsbeamte oder Reichsbevollmächtigte 626 f. Städtische Kanzleibeamte in Italien 626 N. 4. 745. Investitur der Notare 627. Ernennung von Notaren durch die Päpste 627. Verschmelzung der Tabellionen der Romagna mit den öffentlichen Notaren 628. 745. Ernennung durch die Erzbischöfe von Ravenna 629. Kaiserliche Privilegien über das Recht Notare zu ernennen 629 ff. Neuere (lateranensische) Pfalzgrafen 630 f. Notarkollegien, Prüfung der Notare 631. Übertragung des italienischen Notariats nach Deutschland 631 ff. Gewerbsmäßige Urkundenschreiber in Deutschland im 13. Jahrhundert 632. Erste Fälle des Vorkommens öffentlicher Notare in Deutschland 633. Ernennung der Notare in Deutschland 634. Die Notariatsordnung Maximilians I. 635. Neuntes Kapitel. Die rechtliche Beweiskraft der Urkunden des Mittelalters 635—738 Das Aufkommen des Urkundenwesens bei den Germanen 636. Urkunden als Beweismittel im langobardischen Recht 637 f. Kein Urkundenbeweis im älteren Recht der Sachsen, Friesen, Thüringer 639. Urkundenbeweis im alamannischen Recht 640, im salischen Recht 641, im bayrischen Recht 642, im ribuarischen Recht 642 ff. Anfechtung einer Königsurkunde 643f. Vorzug der älteren Königsurkunde vor der widersprechenden jüngeren 645. Beweiskraft der Königsurkunden im späteren Recht 646. Königsgesetz über Privaturkunden in der Lex Ribuaria 647. Verfahren bei der Anfechtung 648. Schriftvergleichung;

XVI

Inhaltsverzeichnis

die Urkunde selbständiges Beweismittel 649. Urkundenbeweis im Kapitularienrecht 650f. Mißtrauen gegen den Urkundenbeweis 651. 745. Abscbwächung des Urkundenbeweises in Italien in nachkarolingischer Zeit 652. Das Kampfgesetz Ottos I. 653f Trotzdem Umbildung der Notariatsurkunde zu einem mit öffentlicher Glaubwürdigkeit ausgestatteten Dokument 654 f. Zwischenstufen dieses Entwickelungsganges 655. Die Notariatsurkunde als instrumentum publicum 655f. Anerkennung dieser Eigenschaft durch die Dekretale Alexanders III. 656 ff. (Der Ordo iudiciarius ed. Gross 656 N. 4.) Kennzeichen jenes Entwickelungsganges in den Formen der Rechtsgeschäfte und den Formeln der Urkunden 659 ff. Anwendung von Notariatsurkunden durch die Könige 662ff. Öffentliche Notare im königlichen Dienst 664f. Verfall des Urkundenbeweises in Deutschland 665 ft.: Bayern 665 f. Fränkische und alamanuische Gebiete 666 f. Folgen dieser Entwicklung 667. Ersatzmittel für die fehlende notarielle Beglaubigung der Urkunde 667. Chirographierung 667ff. Cartae paricolae 668. Entstehung des Brauches der Chirographierung in England 669 ff. •Übertragung nach Deutschland 671. Vorkommen in Oberlothringen 671 f., in anderen Teilen Deutschlands 673, in Italien 674f. 745 Verfahren dabei: einfacher Schnitt, Zahn- oder Kerbschnitt 673f. Mängel des Verfahrens 675. Deposition eines Teilbriefes an öffentlicher Stelle 675f. Besiegelung der Teilbriefe 676. Die Teilbriefe im späteren deutschen Recht 676f. Besiegelung der Urkunden 677 ff. Versiegelung zum Verschluß in altrömischer Zeit 678 f. UnterSiegelung römischer Urkunden 679ff. Besiegelung der langobardischen Königsurkunden 682 f. Funktion des Siegels bei den Deutschen in älterer Zeit 683ff. Das Siegel als Erkennungszeichen 686f. Ausgangspunkt einer neuen Entwickelung von den Königsurkunden 687. Bedeutung des Siegels bei den merovingischen Königsurkunden 687ff., bei den karolingischen Königsurkunden 689, bei den späteren Königsurkunden 690ff. Das Siegel alleiniges Beglaubigungsmittel der Königsurkunden 692. Besiegelung von Privaturkunden 693ff. Erste Fälle im 9. Jahrhundert 694 ff. Besiegelung erzbischöflicher Urkunden 697 ff.: Mainz 697. Köln 697f. Trier 698f. Bremen, Salzburg 699. Magdeburg 700. Besiegelung bischöflicher Urkunden 700ff.: Erzsprengel von Mainz 700ff., von Köln 702f., von Trier 703f., von Salzburg 704, von Magdeburg und Bremen 705. Besiegelung von Urkunden der Äbte und Klöster 705 f. Besiegelung von Urkunden weltlicher Fürsten und Herren 707 ff.: Herzoge 707 f. Andere Fürsten 708. Grafen 709. Verallgemeinerung des Gebrauches in Deutschland 709. Besiegelte Urkunden italienischer Fürsten 709 f. Älteste Siegel deutscher Städte 710 N. 3. Keine Beschränkung der Siegelführung 711. Besiegelung und Bann 711 ff. Solennität der Besiegelung: Besiegelung vor Zeugen, eigenhändige Besiegelung 712f. Besiegelung fremder Urkunden durch Bischöfe 713, durch andere geistliche Würdenträger 713, durch Könige 714. 746, durch städtische oder andere weltliche Behörden und Gerichte 715 f. 746. durch geistliche Gerichte (Offizialate) 716. Unentbehrlichkeit des Siegels für die Beweiskraft der Urkunden 717. Beweiskraft der Siegel nach kanonischem Recht. Begriff des authentischen Siegels 718, nach der Auffassung der Glossatoren 718ff. Das Londoner Konzil von 1237 718 N. 4. Innocetlz IV. 719. Die Glossa ordinaria 719. Guilelmus Durandus 719. Konrad von Mure 720. Beweiskraft der Siegel nach deutschem Recht 721 ff. Lehre des Schwabenspiegels. Beweiskraft des Siegels in eigenen und in fremden Sachen. „Mächtige", d. h. in fremden Sachen beweiskräftige Siegel 721 ff. Privaturkunden und öffentliche Urkunden im späteren Mittelalter 721 N. I 746. Belege aus anderen oberdeutschen Rechtsaufzeichnungen 722f. Anerkennung der Beweiskraft besiegelter Urkunden in Sachsen 723 ff. Belege aus

Bette

Inhaltsverzeichnis.

Verzeichnis der gebrauchten Siglem

sächsischen Rechtsaufzeichnungen 724 f. Unversehrtheit der Siegel Voraussetzung ihrer Beweiskraft 725. Bevorzugung des Beweises durch Brief und Siegel vor dem Zeugenbeweis 726. Keine Einreden gegen den sachlichen Bericht echter besiegelter Urkunden 726 f. Anfechtung des eigenen Siegels: Einrede der Unechtheit oder des Mißbrauches. Verfahren dabei 727ff. Anfechtung eines fremden „mächtigen" Siegels 729 f. Bevorzugung der Besiegelung durch „mächtige" Personen 730. Unbesiegelte Notariatsurkunden in Deutschland 730ff. Schreinsurkunden und Stadtbücher 732 ff. Köln und Andernach 732 ff. Metz 734f. Verbreitung der Stadtbücher in Deutschland 736. Rechtliche Wirkung und Beweiskraft der Aufzeichnungen in Schreinsurkunden und Stadtbüchern 737 f.

xvn Seite

Verzeichnis der gebrauchten Siglen. AdG. AfU. BEC. BF.(BFW.)

BzD. BzU. CD. CIL. D.

=

(Altes) Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde. = Archiv für Urkundenforschung. = Bibliothèque de l'école des chartes. = B Ö H M E R - F I C K E R ( B Ö H M E R - F I C K E R - W I N K E L M A N N ) , Regesta imperii 1198—1273. = Beiträge zur Diplomatik. = Beiträge zur Urkundenlehre. = Codex diplomaticus (bei italienischen Titeln: Codice diplomatico). = Corpus inscriptionum latinarum. = Diplom. DD. = Diplomata. — Zitierweise der Diplome : DM. = Diplom der Merovinger in der Monumenta-Ausgabe von K. P E R T Z . — DArn. (oder DA.) = Diplom der Arnulfinger in derselben Ausgabe. — DKar. = Diplom der Karolinger in der MonumentaAusgabe von E . M Ü H L B A C H E R und seinen Mitarbeitern. — DK. I . , DH.I., DO. I., DO. II., DO. III., DH. II., DA., DK. I I . = D i p l o m Konrads I., Heinrichs I., Ottos I. II. III., Heinrichs II., Arduins, KonradB II. in den Monumenta - Ausgaben von TÄ. S I C K E L , H. B R E S S L A Ü und ihren Mitarbeitern. — DBer. I., DW., DLamb., DL. III., DR. = Diplom Berengars I., Widos, Lamberts, Ludwigs III. von Italien, Rudolfs von Italien in der Ausgabe von L. S C H I A P A R E L L I in den Fonti per la storia d'Italia, herausg. vom Istituto storico Italiano. Die hinter den Siglen stehenden Zahlen bedeuten die Nummern der Urkunden.

B r e B l a u , Urkundenlehre. 2. Aufl. I.

b

XVIU

Verzeichnis der gebrauchten Siglen

Deutsche Rechtsgeschichte. Ergänzungsband. : Forschungen zur deutschen Geschichte. — Göttinger Gelehrte Anzeigen. Nachrichten der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften in = Göttingen. Gesehichtsquellen. GQ. = - Historiae patriae monumenta (Turiner Ausgabe). HPM. JAPPÉ-E., J A F F É - K . , J A F F É - L . = J A F F É , Regesta pontificum Romanorum, ed. I I . , bearbeitet von E W A L D , K A L T E N B R D N N E R , L Ö W E N F E L D . = » Die päpstlichen Kanzleiordnungen yon 1 2 0 0 — 1 5 0 0 . KO. Kaiserurkunden. KU. = Kaiserurkunden in Abbildungen. KUiA. = MB. Monumenta Boica. = : Monumenta Germaniae histórica. — Cap. = Capitularla; Conc.= MG. Concilia; Const. = Constitutiones et acta publica; Epp. = Epistolae, LL. = L e g e s ; SS. = Scriptores. Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. MIÖG. = Note, Anmerkung; n. = Nummer. N. = Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche GeschichtsNA. = kunde. NF. Neue Folge. = Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen GeQE. = schichte. QFIA. Quellen und Forschungen aus Italienischen Archiven und Biblio= theken. Regesten. Reg. RTA. Deutsche Reichstagsakten (Ausgabe der Münchener historischen Kommission). SB. Sitzungsberichte. Schwsp. Schwabenspiegel. = Ssp. Sachsenspiegel. = - S T U M P F , Reichskanzler Bd. II., Regesten. St. Suppl. Westfälisches Urkundenbuch. Supplement (Münster 1887). = UB. Urkundenbuch. = UL. Urkundenlehre. = VG. Verfassungsgeschichte. ZR. — ~ Zur Reehtsgeschichte der römischen und germanischen Urkunde.

DRG. Erg. FDG. GGA. GGN.

E r s t e s Kapitel.

Grundbegriffe und Definitionen. U r k u n d e n nennen wir im Sinne der nachfolgenden Darlegungen schriftliche, unter Beobachtung bestimmter, wenn auch nach der Verschiedenheit von Person, Ort, Zeit und Sache wechselnder Formen aufgezeichnete Erklärungen, die bestimmt sind, als Zeugnisse über Vorgänge rechtlicher Natur zu dienen. 1 Diese Definition des Wortes dient nur den Zwecken unserer wissenschaftlichen Betrachtung und weicht sowohl von dem heutigen Sprachgebrauch, der eine ungenauere Anwendung des Ausdrucks auf historische Quellen jeglicher Art gestattet, wie von dem des Mittelalters ab. Im Althochdeutschen bedeutet das Wort urchundo (testis) den lebenden Zeugen, 2 urchundi (testimonium) sowohl das gesprochene 1

Vgl. SCHÖNEMANN 1 , llff.; S I C K E L , Acta 1, LFF.; F I C K E R , B Z U . 1 , 6 0 F F . Wenn der letztere hervorhebt, daß in einzelnen Fällen auch Tatsachen ohne rechtliche Bedeutung in Schriftstücken urkundlicher Form aufgezeichnet sind, so handelt es sich dabei um seltene Ausnahmen, auch vermag die spätere Übertragung urkundlicher Formen auf die Bezeugung nicht rechtlich erheblicher Vorgänge an dem Wesen der Sache nichts zu ändern. Auch darauf wird für die Definition wenig Gewicht zu legen sein, ob ein Schriftstück als Beweismittel dienen soll oder nicht: es gibt zahllose Urkunden, denen jede Beweiskraft abgeht. — Eine abweichende, einerseits weiter, andererseits enger gefaßte, in beiden Hinsichten aber meines Erachtens nicht-glückliche Definition gibt, ohne ausreichende Begründung, B E R N H E I M , Lehrbuch der hist. Methode 6 S. 3 0 2 . Dagegen stimmt die Definition von R E D L I C H - E R B E N , UL. 1 , 1 8 , wesentlich mit der hier gegebenen überein. 2 Die ahd. Übersetzung von A N S E Q I S U S 4 , 1 8 , die um 9 0 0 in Lothringen entstanden ist, überträgt festes idoneos „urcundun rehtliche". Ebenso übersetzt die ahd. Version des ISIDORÜS, De fiele cath. contra lud. 9, 1 (ed. W E I N H O L D S. 33) testis in coelo fidelis „chitriuuui urchundo in himile". In Friesland hat sich dieser Sprachgebrauch bis zum Ende des Mittelalters erhalten, vgl. v. R I C H T H O F E N , Altfries. Wörterb. s. v. orkunda. Aber auch im mhd. begegnet er, vgl. v. D. H A G E N , Minnes. 2 , 3 5 4 a: des si got min urkünde, und analog steht noch Ssp. Lehnr. 22, 3: levende orkunde. Seit dem Ausgang des 13. Jh. bel i r i - r . In ll, rrkiimlcnl.'liro. 3. Aufl. I .

1

2

Urkunden. Akten

oder geschriebene wie das durch ein Symbol gelieferte Zeugnis.1 Die zu einem solchen Zeugnis ausgestellten Schriftstücke werden im späteren Mittelalter, als der Gebrauch der deutschen Sprache in ihnen aufkommt, 2 vorwiegend Briefe genannt; und es wird gesagt, daß diese Briefe „zu einem wahren, zu einem festen, steten Urkunde" 3 gegeben seien. Seit dem Ausgange des vierzehnten Jahrhunderts kommt dann die Verbindung „Brief und Urkunde" 4 mehrfach vor; um dieselbe Zeit findet sich auch schon das Compositum „Urkundbrief."6 Im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts — die ältesten mir bekannten Beispiele gehören dem Jahre 1422 und der Landschaft Basel an — werden zuerst Briefe, die über ein Gerichtszeugnis ausgestellt sind, mit dem einfachen Wort Urkunde 6 bezeichnet; aber erst im sechzehnten Jahrhundert mehren sich die Beispiele, in denen Briefe aller Art schlechtweg Urkunden genannt werden. Zu den Urkunden rechnen wir nicht nur diejenigen Schriftstücke, welche unmittelbar von der Vollziehung eines Rechtsgeschäftes Kunde zu geben bestimmt sind, sondern auch die im Verkehr eines Herrschers mit seinen Beamten oder Untertanen oder dieser untereinander erwachsenen Ausfertigungen, welche ein Rechtsgeschäft anordnen, vorbereiten, einleiten oder auf seine Ausführung bezüglich sind. Diejenigen schriftlichen Aufzeichnungen dagegen, die zwar wie die Urkunden nicht lediglich aus dem Wunsche der Nachwelt oder den Zeitgenossen Kunde von historischen Tatsachen zu überliefern, zeichnet dann, namentlich am Niederrhein und in Westfalen, das Wort Urkunde, auch latinisiert orkundia, oft ebenso wie testimonium die den Zeugen in Wein oder Geld zu entrichtende Gebühr. 1 Vgl. die Stellen G R A F F , Althochd. Sprachschatz 4, 4 2 5 ff. * Der ältere gemeingermanische Ausdruck ist Buch, got. böka (Plur. bokos), ags. böc, ahd. puoh, mhd. buoch; vgl. die Belege bei BRUNNER, Deutsche Rechtsgesch. l s , 565. 8 Beachtung verdient der Ausdruck in einer Urkunde der Grafen von Nassau von 1 3 1 8 (HOHENLOH. UB. 2 , 9 7 n. 1 3 7 ) : so geben wir disen prief zu einem sihtigen urchunde und zu einem waren gezeuge diser sache. 4 Zu den ersten Beispielen gehören einige Stellen der Städtechroniken, so bei KÖNIGSHOFEN „gap den von Haselo einen brief und urkünde" (Städtechron. 9, 647); in der ältesten Augsburger Chronik zu 1395 (ebenda 4, 100): „besigelt prieff und urkünd". Ungefähr gleichzeitig sind die von SICKEL, Acta 1, 2 N. 3 angeführten Fälle. 6 UB. Klosterneuburg n. 439 a. 1368; 448 a. 1371. 6 Boos, UB. der Landschaft Basel 2, 731 n. 627: harumb han ich der obgenante Schultheis . . . dis urkünd mit minem angehenkten insigel geben versigelt. Ebenso S. 753 n. 639.

Akten.

Öffentliche und,

3

Privaturkunden

sondern aus dem unmittelbaren Geschäftsverkehr hervorgegangen sind, die aber nicht wie jene einen rechtlichen Vorgang bezeugen wollen 1 — Briefe im modernen Sinne des Wortes, Gesandtschaftsberichte u. dgl. — fassen wir wohl mit den eigentlichen Urkunden unter dem Namen Akten zusammen; wir beschäftigen uns aber mit ihnen nur insoweit, als die bei ihnen üblichen Formen die der Urkunden beeinflußt haben oder von ihnen beeinflußt worden sind.2 Die Urkunden des früheren Mittelalters — eine genauere Zeitabgrenzung wird sich später ergeben — zerfallen mit Rücksicht auf ihren noch zu erörternden Wert als rechtsgültige Zeugnisse in zwei Gruppen. Zu der einen, der Gruppe der ö f f e n t l i c h e n U r k u n d e n , gehören die Dokumente, die von selbständigen oder halbselbständigen Herrschern, namentlich Königen und Kaisern, erlassen sind; ihnen schließen sich für den Bereich der Kirche die Urkunden der Päpste an, und in Italien stehen den Königsurkunden an rechtlichem Wert auch alle auf Grund eines gerichtlichen Beurkundungsbefehls ausgestellten Urkunden gleich. Zu der anderen Gruppe rechnen wir alle übrigen Urkunden, von wem immer sie ausgestellt sein mögen. Wir bezeichnen die letzteren als P r i v a t u r k u n d e n ; in Formularbüchern der fränkischen Zeit werden sie, da es sich in ihnen vorwiegend um Geschäfte handelt, die an den Malstätten eines Gaues vollzogen sind, Gauurkunden [chartae pagenses) genannt. 3 Im späteren Mittelalter haben auch alle Urkunden der Fürsten und Landesherren sowie der Städ r e 1 In der säehs. Summa prosarum dictaminia, QE. 9, 260, werden diese Stücke zum Unterschied von anderen litterae als litterae missiles bezeichnet und ganz gut als solche charakterisiert, „que niehil auetoritatis tribuunt, nichil iuris aequirunt, nichil necessitatis inportant, immo solum intendonem mittentis et reeipientis exprimunt et declarant". 2 Der Unterschied, der hier aufgestellt ist, deckt sich nicht ganz mit dem, welchen D R O Y S E N , Grundriß der Historik 8 S. 1 4 (danach B E R N H E I M a. a. O . S. 254), zwischen geschäftlichen Papieren, die er zu den Uberresten, und Urkunden, die er zu den Denkmälern rechnet, macht. D R O Y S E N sieht als unterscheidendes Merkmal an, ob bei der Herstellung eines Schriftstückes die Absicht der Uberlieferung zum Zweck der Erinnerung mitwirkte; in seinem Sinne würde z. B. ein großer Teil der königlichen Mandate, die lediglich einen Befehl erteilen, nicht zu den Urkunden gehören. Für die Zwecke des Diplomatikers empfiehlt sich eine solche Scheidung nicht, so sehr sie auch gewissen Gesichtspunkten historischer Sachkritik entsprechen mag. ' So unterscheidet M A R C Ü L F in der Vorrede zu seinem Formularwerk ( M G . Formulae S. 37) „negoHa hominum tarn in palntio quam in pago" und dementsprechend in der Überschrift des ersten Buches „regales vel cartas paginsis". Ebenso lautet der Titel der Formulae Salicae Bignonianae (daselbst S. 228): incipiunt cartas regales sive pagensalis.

1*

Aussteller.

4

Empfänger

öffentlichen Charakter, 1 und für die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Urkunden kommen überhaupt andere, erst später zu besprechende Gesichtspunkte in Betracht. An der Ausstellung einer Urkunde sind zumeist zwei Personen oder Parteien beteiligt. 2 Denjenigen, auf dessen Bitte oder Befehl die schriftliche Aufzeichnung einer Urkunde erfolgt, nennen wir den A u s s t e l l e r , 3 gleichviel ob er an ihrer Herstellung persönlich mitgewirkt. sie selbst geschrieben oder unterschrieben hat, oder nicht. Die Urkunde gilt als von ihm herrührend, auch wenn er nur den Auftrag zu ihrer Anfertigung erteilt hat. Denjenigen, zu dessen Gunsten die Urkunde ausgestellt ist, dem sie als Zeugnis ausgehändigt wird und der sie behält, bezeichnen wir als ihren E m p f ä n g e r . 4 Aussteller und Empfänger sind identisch, wenn jemand eine Urkunde schreiben läßt, um sie selbst für sich und bei sich aufzubewahren. 5 Nur selten haben die Aussteller von Urkunden diese selbst verfaßt oder eigenhändig geschrieben. In der Regel treten dafür Mittelspersonen ein, sei es solche, die sich berufs- oder gewohnheitsmäßig mit der Herstellung von Urkunden beschäftigen, sei es solche, die im Einzelfall durch besondere Umstände dazu veranlaßt worden sind. Hauptsächlich zwei Akte kommen, abgesehen von den später zu besprechenden Yollziehungsformalitäten (Unterschrift, Besiegelung usw.), bei jedem Beurkundungsgeschäft in Betracht: die Abfassung der Urkunde, einschließlich der Herstellung des Konzepts in den Fällen, wo ein solches überhaupt hergestellt ist, und die Anfertigung der Reinschrift, die der Empfänger als Zeugnis aufbewahrt. Die erstere Tätigkeit bezeichnet das Mittelalter mit einem schon in spätrömischer Zeit üblichen Ausdruck als „dictare11-,* die, welche sie vornehmen, sind Ver1

Schon 1255 stellt Herzog Heinrieh von Baiern die Urkunden, die er ausstellt, denjenigen, welche „gesta hominum privatorum" betreffen, gegenüber. QE. 5, 136. a Vgl. B R U N N E R , ZR. S. 23ff.; P A O L I , Programma scolastico 3, 4ff. 3 Im Mittelalter wird er in älterer Zeit mehrfach als auctor bezeichnet. Beispiele aus Italien bei P A O L I , a. a. 0 . 3 , 4 N . 1 ; aus Schwaben W A R T M A N N UB. St. Gallen 1, n. 28. 31. 62. 80. 130. 131 usw. 4 B R Ü N N E R wählt dafür den Ausdruck Destinatar. 5 PAOLI, der den Aussteller autore nennt, s. N. 3, bezeichnet als solchen nicht den Urheber der Beurkundung, sondern denjenigen der beurkundeten rechtlichen Tatsache, so daß nach seiner Definition die Identität von Aussteller und Destinatar im allgemeinen nicht möglich ist. 6 Uber den Ausdruck und seine Entstehung vgl. W A T T E N B A C H , Schriftwesen 8 S. 457ff.; GRIMM, Wörterbuch s. v. dichten; N O R D E N , Die antike Kunstprosa 2 9 53 ff.

Diktatoren.

Schreiber.

Subjektive und objektive Fassung

5

fasser oder D i k t a t o r e n der Urkunden. Auf die Herstellung der E einschrift wird in den mittelalterlichen Lehrbüchern und Kanzleiordnungen vielfach wegen der dabei angewendeten stärkeren und größeren Schriftzüge (litterae grossae) der Ausdruck grossare, ingrossare angewandt; wir reden dementsprechend von S c h r e i b e r n oder I n g r o s s i s t e n der Urkunden. 1 Es versteht sich von seihst, daß sehr oft Diktat und Ingrossat einer Urkunde von ein und derselben Persönlichkeit herrühren. Das Diktat einer Urkunde kann entweder so eingerichtet sein, daß ihr Aussteller von sich selbst zu berichten scheint, oder so, daß ein anderer von ihm berichtet. In jenem Falle wird der Aussteller als in erster Person, Singularis oder Pluralis, redend eingeführt, und wir bezeichnen die Fassung der Urkunde als s u b j e k t i v , in diesem Falle tritt der Aussteller der Urkunde in der dritten Person auf, und ihre Fassung heißt o b j e k t i v . 2 Beide Arten der Fassung kommen schon in altrömischer Zeit vor, doch ist die objektive die ältere, neben welcher die subjektive Fassung erst allmählich in Gebrauch kommt und Boden gewinnt. 3 Bisweilen können in einer Urkunde beide Arten der Fassung vertreten sein, indem einige Sätze subjektiv, andere objektiv gehalten sind. Ist die Urkunde objektiv gefaßt, so müssen, da sie einen Bericht über eine von einem anderen vollzogene Handlung gibt, die Yerba, welche für die Bezeichnung dieser Handlung gebraucht werden, in ein Tempus der Vergangenheit gesetzt werden. Das Präteritum ist auch bei subjektiver Fassung möglich, aber nur bei dieser können Präsens oder F u t u r u m 4 angewendet werden. An allen Urkunden, mit denen sie sich beschäftigt, unterscheidet die diplomatische Kritik ä u ß e r e und i n n e r e M e r k m a l e . 5 Aber der 1

Beispiele aus der Kanzlei Karls IV. Lindner , S. 19. Grossare litteras, Winkelmann, Kanzleiordnungen S. 14; grossare notas, Tangl, KO. S. 66 § 9; ingrossare minutas, Ordnung Eugens IV. für die scriptores sedis ap. MIÖGK Erg. 1, 573. Die Beispiele sind leicht zu vermehren. ' Vgl. Brdnner, ZR. S. 17ff. — Bei objektiver Fassung einer Urkunde macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob der vom Aussteller verschiedene Diktator bzw. Schreiber sich in erster Person redend einführt oder nicht. 9 Vgl. Erman, Zur Gesch. der römischen Quittungen (Diss. Berlin 1883) S. 5. 4 Das Futurum kommt in angelsächsischen Urkunden häufig, außerhalb Englands — abgesehen von Urkunden über erst später zu bewirkende Leistungen, bei denen es selbstverständlich ist — nur selten vor. Ich habe es nur in einigen bayrischen Traditionen bemerkt; vgl. ÜB. des Landes o. d. Enns 1, n. 8: volo redonare, redonabo; n. 89: trado atque Iransfirmabo und öfter. 6 Vgl. Sickel, Acta 1, 56FF.

6

Äußere und innere Merkmale

Diplomatiker wendet diese Begriffe nicht so an, wie der Historiker zu tun pflegt, der für ihre Unterscheidung Inhalt und Form als maßgebend betrachten und demgemäß alle aus der Form eines Schriftstücks abgeleiteten Kriterien für oder gegen seine Glaubwürdigkeit als äußere, alle aus dem Inhalt entnommenen als innere Merkmale bezeichnen würde. Dem Diplomatiker steht überhaupt die inhaltliche P r ü f u n g eines Dokuments erst in zweiter Linie; er untersucht vor allen Dingen seine formalen Eigenschaften, und er muß dabei erwägen, daß nicht alle diese Eigenschaften stets in gleicher Weise sich einer solchen Untersuchung unterwerfen lassen. Gewisse Merkmale einer Urkunde haften an ihrer Urschrift und lassen sich nur an ihr mit voller Sicherheit beurteilen; keine Abbildung, auch nicht die treueste und beste, kann dem Forscher ein so sicheres Urteil über die Beschaffenheit des Schreibstoffs, der Tinte und der Schrift, des Siegels und der Unterfertigungszeichen eines Dokumentes ermöglichen, wie die Einsicht der Urschrift selbst; und wenn diese etwa verloren ist, muß er auf die Prüfung jener Merkmale ganz verzichten, oder ist günstigenfalls auf Angaben dritter darüber angewiesen, die niemals die Autopsie zu ersetzen vermögen. Andere Merkmale einer Urkunde dagegen läßt nicht bloß eine gut gelungene photographische Abbildung oder ein sonstiges Faksimile, sondern schon jede getreue Abschrift vollkommen erkennen: den Inhalt einer Urkunde und ihre Sprache, die in ihr enthaltenen Zeit- und Ortsangaben und die Fassung der gebrauchten Formeln können wir nach Abschriften von Originalen, deren vollkommene Richtigkeit vorausgesetzt, mit genau derselben Sicherheit kennen lernen und beurteilen, wie nach den Originalen selbst. Durch diesen Gesichtspunkt ist die für uns maßgebende Unterscheidung zwischen äußeren und inneren Merkmalen gegeben: alles, was sich aus einer korrekten Abschrift so gut wie aus der Urschrift der Urkunde erkennen läßt, rechnen wir zu den letzteren, alles, wobei dies nicht der Fall ist, zu den ersteren. Die Aufgabe der Urkundenlehre oder Diplomatik 1 ist es, den 1 Der Ausdruck D i p l o m a t i k , seit MABILLON für unsere Disziplin vorzugsweise im Gebrauch und erst neuerdings durch das zweckmäßig gewählte deutsche Wort ersetzt, kommt von diploma her. Dies Wort, abgeleitet von dinköu, verdoppele, bezeichnet ursprünglich Schriftstücke, die auf zwei miteinander verbundenen Tafeln geschrieben waren, ist aber schon in römischer Zeit vorzugsweise auf gewisse Arten von Urkunden angewandt worden: einmal auf eine Art von Requisitionsscheinen, die zur Benutzung der Staatsposteinrichtungen, des picblicus cursus, ermächtigten, sodann auf Erlasse, durch welche ehrenvoll entlassenen Veteranen das Bürgerrecht und das eonnubium bewilligt

Echtheit

und

Unechtheit der

Urkunden

7

Wert der Urkunden als historischer Zeugnisse zu bestimmen.1 Demgemäß hat sie in erster Linie festzustellen, ob eine Urkunde e c h t oder u n e c h t (falsch) ist. Als unecht im strengen Sinne des Wortes bezeichnen wir die Urkunden, die nach der Absicht ihres Herstellers sich für etwas anderes ausgeben, als sie in Wirklichkeit sind." wurde, vgl. F O B C E L L I N I S. V. diploma-, W Ü N S C H bei P A T J L Y - W I S S O W A , Realenzyklopädie s. v. diploma; FAABS, A f U . 1, 216f. Von (len letzteren, den Militärdiplomen, ist uns eine erhebliche Anzahl schon aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert erhalten; vgl. F A A S S a. a. O . 1 , 202ff. In einzelnen Fällen scheint dann das Wort kaiserliche Privilegien im allgemeinen zu bezeichnen; so kommt es namentlich bei SUETON mehrfach vor. In ähnlichem Sinne scheint es im Mittelalter gebraucht zu sein, wo es aber verhältnismäßig selten begegnet; vgl. die schon von S I C K E L , Acta 1 , 4 N. 3. 5 N. 5, angeführten Beispiele (von denen aber einige nicht zutreffen, vgl. G I R Y S . 7 N. 3), und dazu aus dem griechischen Unteritalien Urk. von 1032 (DE B L A S I I S , Insurrezione Pugliese 1, 263: Pothus Argyrus nobilissimus prothospaiharius eatapanus ltaliae et dominus noster — praedictum meum prototypum diploma venerando suo diplómate mihi firmavit). H I N K M A B , Ann. Bertiniani 878 (ed. W A I T Z S . 141. 143) gebraucht den Ausdruck dyploma zweimal f ü r ein Schriftstück, durch das gallische Bischöfe ihre Zustimmung zu einer vom Papst Johann VIII. verfügten Exkommunikation geben. Ganz anders ist daun freilich die Bedeutung in der Vita K I C H A R D I abb. S. Vitoni Vird. SS. 11, 285: sie iustus iste quacumque ibat Semper ecclesiae suae diplontata conquirebat. In einer Urkunde von 1295 (XA. 27, 717) heißt es, ein Bote hätte keine Kunde eines Ereignisses überbringen können, „eciam si feliei dupplomate uteretur"-, hier scheint also noch die antike Bedeutung, Benutzung von Reiseerleichterungen, vorzuliegen. In häufigerem Gebrauch ist das Wort erst wieder seit der Zeit "der Humanisten, und wie es da vorzugsweise für in feierlicher Form ausgestellte Urkunden fürstlicher Personen verwandt wird, so empfiehlt es sich, das Wort mit SICKEL a. a. 0 . im Gegensatz zu anderen neueren Forschern, die ihm eine weitergehende Bedeutung beilegen, auch jetzt in diesem eingeschränkteren Sinne anzuwenden. 1 Die Beschränkung auf Urkunden des Mittelalters liegt nicht im Begriff der Diplomatik, wenngleich die diplomatische Kritik vorzugsweise darauf angewandt wird. * Diese Definition, welche mit der Darlegung F I C K E R S B Z U . 1,5, übereinstimmt, scheint mir die wesentlichen Merkmale des Begriffes zu erschöpfen. Wenn S I C K E L früher, Acta 1, 2 1 , auch die Schmiedung neuer Urkunden, welche glauben machen wollen, was in Wirklichkeit nie stattgefunden hat, als Fälschung ansah, so trifft dies wohl historisch, aber nicht diplomatisch zu; derartige Fälle konstituieren eine Fälschung der Wahrheit, aber nicht immer eine Urkundenfälschung im diplomatischen Sinne. Die Urkunden wollen sein Zeugnisse ihrer Aussteller über Tatsachen, und insofern sie das sind, hat sie der Diplomatiker als echt zu bezeichnen. Ob aber diese Tatsachen wahr oder nicht wahr sind, hat der Historiker, nicht der Diplomatiker zu untersuchen. So später auch S I C K E L , Zeitschr. des Harzvereins 23, 351. Die Unwahrheit der bezeugten Tatsachen kann ein Argument sein, dessen sich auch die diplomatische Kritik bedient; aber allein und an und für sich entscheidet sie die Frage der Un

8

Formale und inhaltliche Uneehtheit

Daraus folgt, daß auch alle Schriftstücke, die nach der Absicht ihres Verfertigers den Anschein erwecken sollen, als seien sie Originale (in dem später zu definierenden Sinne dieses Wortes), ohne dies wirklich zu sein, streng genommen als Fälschungen bezeichnet werden müssen; als entscheidend für die Frage, ob dieser Anschein hervorgerufen werden soll oder nicht, kann man wenigstens für die nachkarolingische Zeit im allgemeinen die Besiegelung betrachten: ein mit dem — echten oder nachgemachten — Siegel des Ausstellers versehenes Dokument war nach der im Mittelalter herrschenden Anschauung unfraglich dazu bestimmt, als Original zu gelten. Ist es ein solches in Wirklichkeit nicht, so haben wir es als formal unecht zu bezeichnen. 1 Mit der nachgewiesenen formalen Uneehtheit eines Dokuments ist nun aber noch keineswegs die Fälschung seines Inhalts erwiesen. Zwar ist in jedem Falle, in welchem ein angebliches Original sich als formal unecht, d. h. als nicht original, erweist, die Möglichkeit vorhanden, daß auch eine materielle Täuschung beabsichtigt gewesen ist; und man wird deshalb auch den Inhalt von Schriftstücken dieser Art jederzeit vorsichtig zu prüfen haben. Aber zu aprioristischer Verwerfung solcher Schriftstücke liegt kein Grund vor. Es ist im Mittelalter oft genug vorgekommen, daß man Abschriften verlorener oder beschädigter Originale den Schein der letzteren zu geben wünschte, und sie, so gut man es verstand, in ihrer graphischen Ausstattung, Besiegelung usw. den Originalen gleich zu machen suchte. Dabei wurde, wenn nicht imm r so doch wenigstens häufig, eine Täuschung in bezug auf die Beweiskraft und rechtliche Bedeutung des hergestellten Schriftstücks beabsichtigt, aber bisweilen auch nichts weiter als dies; Dokumente der Art können inhaltlich vollkommen echt und zuverlässig sein. 2 Nur selten wild ferner die auf die Untersuchung der inhaltlichen Echtheit einer Urkunde gerichtete Kritik zu dem Ergebnis führen, echtheit nicht. Die von Kaiser Karl IV. nach der am 6. Juli 1376 vollzogenen Kiönung Wenzels ausgestellte, auf den 6. März rückdatierte Urkunde, welche die Genehmigung des Papstes zur Wahl und Krönung Wenzels nachsucht, will glauben machen, daß diese Genehmigung vor der Wahl erbeten sei, was in Wirklichkeit nicht geschehen war (vgl. FDG. 14, 296f.); sie fälscht die Wahrheit, aber für den Diplomatiker ist sie eine echte Urkunde. 1 Vgl. hierzu — gegen Kehr, Urkunden Ottos III. S. 265f. — Bloch, NA. 19, 647 f. Auch Giry S. 13 erkennt den von Kehr bekämpften Begriff der formalen Uneehtheit an; vgl. auch Redlich-Erben, UL. S. 35f. 2 Ein schlagendes Beispiel bieten die Abdinghofener Urkunden, deren Echtheit ich, Jahrbücher Konrads II. 2, 460 ff., erwiesen habe. Ältere Beispiele bei Sickel Acta 1, 368, vgl. auch Ficker, BzU. 1, 33.

Echte Bestandteile

unechter

Urkunden

9

daß sie vollständig und in ihrem ganzen Umfang erdichtet und zu verwerfen sei. Gerade wie heutzutage die Fälscher von Banknoten oder Wechseln sich echter Muster zu bedienen pflegen, um ihren Trugwerken den Schein der Authentizität zu geben, haben auch die Fälscher mittelalterlicher Urkunden in alter und neuer Zeit gern echte Vorlagen zu Hilfe genommen und sich diesen bis zu einem gewissen Grade angeschlossen. So können auch unechte Urkunden echte Bestandteile enthalten; unter Umständen beschränken sich die mit dem Wortlaut der echten Vorlage vorgenommenen fälschenden Veränderungen auf geringfügige Interpolationen oder Auslassungen,1 während sie in anderen Fällen sich so sehr auf den ganzen Rechtsinhalt erstrecken, daß etwa nur noch die Datierung oder die Namen und Titel des Ausstellers oder die Unterschrift des beglaubigenden Kanzleibeamten oder des Schreibers auf die Vorlage zurückgeführt werden können. Demnach ist die Aufgabe des Urkundenforschers noch nicht gelöst, wenn er eine Urkunde als inhaltlich unecht erwiesen hat. Er hat zunächst festzustellen, ob für die Fälschung eine echte Vorlage benutzt worden ist oder ni,cht, und er muß, wenn das erstere der Fall ist, weiter festzustellen versuchen, welche Bestandteile der Fälschung sich auf die echte Vorlage zurückführen lassen. Derartige Untersuchungen sind um so unerläßlicher, als oft genug die Kunde von echten Urkunden, die von Fälschern benutzt, aber nach der Benutzung verloren gegangen oder absichtlich vernichtet worden sind, nur durch die aus ihnen abgeleiteten Fälschungen auf uns gekommen ist. Endlich aber können auch die vollständig gefälschten, sowie die als unecht erkannten Bestandteile teilweise gefälschter Urkunden unter Umständen noch als historische Zeugnisse verwertet werden; sie können über die Absichten der Fälscher, über Zustände und Gebräuche zur Zeit der Fälschung u. dgl. m. willkommene Aufschlüsse geben. Daraus erwächst der diplomatischen Kritik die weitere Aufgabe Urheber, Entstehungszeit und Entstehungsverhältnisse einer nachgewiesenen Fälschung soweit als möglich klar zu legen. Insofern die Wissenschaft der Urkundenlehre zu einer Kritik nach all den vorgenannten Gesichtspunkten anleitet, löst sie nur den einen 1 Die mit dem Wortlaut einer Originalurkunde in einer Abschrift vorgenommenen Veränderungen, die nicht aus der Absicht, zu täuschen, entspringen, also z. B. Verbesserungen des Stiles, der Orthographie usw., oder bloße Ungenauigkeiten des Kopisten berechtigen natürlich nicht dazu, eine Urkunde als gefälscht zu bezeichnen. Wesentlich für den Begriff der Fälschung im diplomatischen, gerade so wie im kriminalistischen Sinne ist eben die Absicht zu täuschen.

10

Kritik

und Interpretation

der Urkunden.

Methode der

Urkundenlehre

Teil ihrer Aufgabe, den Wert der Urkunden als historischer Zeugnisse zu bestimmen. Kaum minder wichtig ist der zweite Teil dieser Aufgabe: die Interpretation der Urkunden. Indem bei der Herstellung jeder Urkunde zwei Faktoren in Betracht kommen, einmal die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles, dem sie ihre Entstehung verdankt, und sodann der diplomatische Gebrauch der Kanzlei, aus der sie hervorgegangen, des Diktators oder Schreibers, von dem sie verfaßt und ausgefertigt, des Ortes, an welchem, und der Zeit, in welcher sie entstanden ist, machen sich auch für die Interpretation jeder Urkunde zwei verschiedene Gesichtspunkte geltend. Die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles klar zu legen, aus ihnen den Wortlaut der Urkunde zu erklären und ihren Bericht durch Zusammenstellung mit anderweiter Überlieferung zu bestätigen, zu ergänzen, zu berichtigen, ist keine diplomatische, sondern eine historische Aufgabe. Dagegen ist es recht eigentlich die Aufgabe des Diplomatikers, mit den besonderen Mitteln seiner Methode jenem zweiten Gesichtspunkt gerecht zu werden; indem er jene diplomatischen Gebräuche kennen lehrt, zeigt er, inwieweit das Pesthalten an ihnen die in der Urkunde gegebene Darstellung des Einzelfalles beeinflußt hat, und macht erst dadurch ihr Zeugnis für den Einzelfall recht verwertbar. Die Methode der Urkundenlehre ist in ihrem Wesen von der allgemein geschichtlichen nicht verschieden; aber indem die allgemein historische Methode auf eine bestimmte und besondere Gruppe des historischen Quellenmaterials angewandt wird, erhält sie selbst eine der eigentümlichen Beschaffenheit dieses Quellenkomplexes entsprechende eigentümliche Ausgestaltung. Daraus folgt, daß niemand Diplomatiker sein kann, ohne zugleich Historiker zu sein, während das Umgekehrte wohl möglich ist. Für zahlreiche Arbeiten bedarf der Geschichtsforscher der Urkundenlehre überall nicht; wo er aber ihrer bedarf, muß er, soweit es ihm selbst an diplomatischen Kenntnissen mangelt, sich bei dem Urteil sachkundiger Urkundenforscher bescheiden. Ist die Urkundenlehre eine Hilfswissenschaft und zugleich ein Zweig der Geschichtsforschung, so berührt sie sich nicht minder mit anderen Disziplinen, mit der Geographie und mit der Sprachforschung, mit der Chronologie, insbesondere aber mit der Paläographie und der Jurisprudenz. J\Tach beiden Richtungen hin lernt und lehrt der Diplomatiker. Aus der allgemeinen Entwicklung der Schrift begreift sich die besondere Gestaltung der in Urkunden üblichen Schriftarten, und sie wiederum hat jene allgemeine Entwicklung beeinflußt. Ohne Kenntnis der Rechtsgewohnheiten und Rechtssätze eines bestimmten Zeitalters und einer bestimmten Gegend kann der Diplomatiker die Urkunden,

Die Urkundenfälschungen

11

welche Zeugnisse über Vorgänge rechtlicher Natur sind, nicht hegreifen, und seine Arbeit wiederum ist es, die den Juristen lehrt, sich der Urkunden als Quellen der Rechtserkenntnis ohne Gefahr vor Täuschung zu bedienen. 1

Zweites Kapitel. Geschichte der Urkundenlehre. Die Geschichte wissenschaftlicher Behandlung des mittelalterlichen Urkundenwesens steht in unmittelbarer Verbindung mit der Geschichte der Urkundenfälschungen. Es hängt mit den verschiedenartigsten Erscheinungen des mittelalterlichen Lebens und mit den verschiedenartigsten Seiten der mittelalterlichen Lebensanschauungen 2 zusammen, daß derartige Fälschungen in einer Massenhaftigkeit begegnen, in der kaum ein anderes Zeitalter etwas Ähnliches aufzuweisen hat. Und es ist unleugbar, daß selbst die hervorragendsten Männer der Kirche, Geistliche, deren Frömmigkeit und rechtschaffener Lebenswandel hochgepriesen wird, die sich um ihre Diözesen und Klöster die namhaftesten Verdienste erworben haben, wie sie Diebstahl und Lüge anwandten, um sich in den Besitz verehrter und wundertätiger Reliquien zu setzen, 3 so zu Fälschung und Betrug ihre Zuflucht nahmen, wenn es galt, den Besitzstand, die Rechte, das Ansehen ihrer Kirchen zu mehren oder zu verteidigen. Es ist der Grundsatz, daß der Zweck das Mittel heilige, der auch derartige, schlechthin verwerfliche Mittel als erlaubt betrachten lehrte: war es doch inmitten der allgemeinen Kirche der Mehrzahl der Geistlichen höchster Lebenszweck, die Kirche, der sie persönlich zunächst verbunden waren, zu heben, zu bereichern, an Macht und Ehre zu erhöhen. Häufig sind zu solchen Zwecken gleich ganze Reihen von Urkunden geschmiedet worden: um aus der Fülle der Beispiele dafür nur einige wenige anzuführen, kann man etwa an 1

Nur beiläufig mag hier erwähnt werden, daß unter Umständen die diplomatischen Gebräuche selbst bei Schaffung des Rechts mitgewirkt haben, wie an einem interessanten Fall LÖNINO , Über Ursprung und rechtliche Bedeutung der in den alten deutschen Urkunden enthaltenen Strafklauseln (wieder abgedruckt in seiner Schrift: Der Vertragsbruch, Straßburg 1876, S. 534ff.), gezeigt, oder wie FICKER, It. Forsch. 1, 63 ff., an der Entwicklung des Begriffes Königsbann dargetan hat. 2 Vgl. darüber u. a. Gr. ELLINGER, Das Verhältnis der öffentlichen Meinung zu Wahrheit und Lüge im 10., 11. und 12. Jahrhundert (Diss. Berlin 1884). 3 Vgl. WATTENBACH, SB. der Berliner Akademie 1884, S. 1127 ff.

12

Urkundenfälschungen

des

Mittelalters

die Diplome für Le Mans erinnern, welche diesem Bistum mancherlei Rechte verschaffen, vor allem aber seine Ansprüche auf das Kloster Anisola (St. Calais) erweisen sollten,1 an die für Passau, mit denen Bischof Pilgrim im zehnten Jahrhundert seine Rechte auf verschiedene Besitzungen sichern, vor allem aber die Existenz eines alten Erzbistums Lorch und dessen Übertragung nach Passau dartun wollte,2 an die für Osnabrück, die im elften Jahrhundert auf Veranlassung des Bischofs Benno II. angefertigt wurden, um dem Bistum in seinem Zehntenstreit mit den Klöstern Korvey und Herford zum Siege zu verhelfen, 3 an die für das Kloster St. Maximin bei Trier, die man im Anfang des 12. Jahrhunderts fabrizierte, um durch die Fiktion eines unmittelbaren Zusammenhangs der Abtei mit dem kaiserlichen Hause sie der von den Trierischen Erzbischöfen in Anspruch genommenen Oberherrliclikeit zu entziehen,41 an die ungefähr derselben Zeit angehörenden Trugwerke eines Reichenauer Mönches, der sein eigenes und andere süddeutsche Klöster durch gefälschte Diplome gegen die Übergriffe der Vögte zu schützen suchte, 5 an die großartige Fälschertätigkeit, die im 12. Jahrhundert in Deutschland Eberhard von Fulda, in Italien der Diakon Petrus von Montecassino durch Massenfabrikation falscher Urkunden ausgeübt haben, 6 an die aus dem 12. oder 13. Jahrhundert 1 Vgl. SICKEL, Acta 2, 286ff.; SIMSON, Die Entstellung der pseudoisidorischen Fälschungen in L E M A N S (Leipzig 1886); J . H A V E T , Oeuvres 1, 103ff. 271 ff. und die Vorbemerkung zu DKar. 253. 2 Vgl. DÜMMLER, Piligrim von Passau und das Erzbistum Lorch (Leipzig 1 8 5 4 ) ; UHLIBZ, MIÖG-. 3 , 1 7 7 F F . ; SICKEL, MIÖG. Erg. 2 , 135ff.; HAUTHALER, MIÖG. 8 , 6 0 4 ff.; dann (gegen Einwendungen von JDRITZSCH, W I D E M A N N , KATZINGER U. a.) DÜMMLER, SB. der Berliner Akademie 1 8 9 8 , S. 758ff. und zuletzt L E H R , Piligrim, Bischof von Passau und die Lorcher Fälschungen (Diss. Berlin 1 9 0 9 ) . 8 Vgl. zuletzt v. OTTENTHAL, MIÖG. Erg. 6 , 25FF.; B R A N D I , Westdeutsche Zeitschr. 1 9 , 120FF.; PHILIPPI, Mitteil, des histor. Vereins zu Osnabrück 2 7 , 245ff.

und

TANGL, A f U . 4

2 , 1 8 6 ff.

Vgl. BRESSLAU, Westdeutsche Zeitschr. 5 , 2 0 ff. Die Einwendungen, die D O P S C H , MIÖG. 17, lff. (vgl. aber NA. 2 5 , 343) gegen meine Ausführungen erhoben hat, beziehen sich nicht auf diese Gruppe von Fälschungen. Übrigens sind sie nicht zutreffend, wie auch TAKGL, DD.Kar. 1, 5 6 2 (Nachtrag zu DKar. 39), bemerkt. 6 Vgl. BRANDI, Die Reichenauer Urkundenfäls chungen (Heidelberg 1890); LECHNER, MIÖG. 21, 37ff. und dazu BLOCH, N A . 26, 282ff. 6 Über Eberhard von Fulda vgl. FOLTZ, FDG. 1 8 , 4 9 3 F F . ; HARTTÜNG, Diplomatisch-histor. Forschungen, S . 2 9 0 F F ; DOPSCH, MIÖG. 1 4 , 327ff.; WISLICENUS, Die Urkundenauszüge Eberhards von Fulda (Diss. Kiel 1 8 9 7 ) ; KOLLER , Eberhard von Fulda und seine Urkundenkopien (Diss. Marburg 1 9 0 1 ) . Über den italienischen Mönch genügt es jetzt, auf das vortreffliche Buch von E. CASPAR, Petrus Diaconus und die Monte Cassineser Fälschungen (Berlin 1909) zu verweisen.

Urkundenfälschungen

des

Mittelalters

13

stammenden zahlreichen Kaiser- und Papsturkunden, die man in dem thüringischen Kloster Reinhardsbrunn verfälschte, um für Güterbesitz und Freiheiten Rechtstitel zu erlangen, 1 endlich an die um die Mitte des 14. Jahrhunderts auf Anordnung Herzogs Rudolf IY. von Österreich angefertigten Privilegien älterer Kaiser, auf deren Anerkennung durch spätere Herrscher die bevorzugte Stellung Österreichs im deutschen Reich sich gründete. 2 Noch ungleich zahlreicher sind natürlich die Fälle, in denen man nicht so langwieriger Arbeit bedurfte, sondern mit der Falsifikation eines einzelnen Dokumentes den gewünschten Zweck zu erreichen imstande war: es ist überflüssig, Belege dafür beizubringen; jede in ältere Zeit zurückreichende Urkundensammlung gewährt solche in Fülle. Übrigens zeigt schon die Serie der österreichischen Privilegien, daß die Fälscher keineswegs ausschließlich dem geistlichen Stande angehörten. Schon früh haben auch die Städte den gleichen Weg betreten: so ist in Worms schon im Anfange des 13. Jahrhunderts eine Urkunde Friedrichs I. angefertigt worden, die der Stadt umfassende Rechte verbriefte, so stammt aus einer nur wenig späteren Zeit ein interpoliertes Weistum angeblich aus dem Jahre 1169, das bestrittenen Ansprüchen der Bürger von Köln rechtlichen Anhalt gewähren sollte.3 Ebensowenig fehlt es in Italien an solchen städtischen Fälschungen: Asti rühmte sich wenigstens im 15. Jahrhundert eines unechten Zoll- und Marktprivilegiums Karls des Großen; eine Fälschung ist der umfassende Freiheitsbrief Heinrichs VI., welcher der Stadt Messina die ausgedehntesten Rechte und Freiheiten verlieh,4 und auch kleinere Kommunen, wie die von Maderno am Gardasee, haben den Versuch nicht unterlassen, durch Urkunden-Trugwerke sich den größeren an die Seite zu 1 Vgl. NAUD£, Die Fälschung der ältesten Reinhardsbrunner Urkunden (Berlin 1 8 8 3 ) . Eine neue Untersuchung darüber von H . W I B E L wird im NA. Bd. 36 erscheinen. 2 Vgl. zuletzt H U B E R in den SB. der Wiener Akademie, Hist.-pliil. Klasse, Bd. 34, 17 ff. 3 Zuerst nachgewiesen von S T U M P F , Zur Kritik deutscher Städteprivilegien, Sitzungsber. der Wiener Akad. a. a. 0 . 32, 603ff. Die neueren Versuche S C H A U B E S , die Wormser, R I E T S C H E L S , die Kölner Urkunde zu retten, sind m. E . nicht gelungen. Gegen R I E T S C H E L vgl. SEELIGER in Abhandlungen der säclis. Gesellseh. der Wissenschaften 26, n. 3, dessen Ausführungen ich aber auch nicht in allen Teilen zustimmen kann. Gefälscht sind auch das Privileg Friedrichs I. für Hamburg St. 4522, ferner mehrere Urkunden für Bremen St. 3056, BF. 5051 und ein Diplom W E N Z E L S von 1396 u. a. m. Die Magdeburger Fälschungen St. 146 u. a. sind erst in neuerer Zeit entstanden. 4 Vgl. H A R T W I G , Codex iuris municipalis Siciliae 1, 3 0 ; S C H E F F E R - B O I C H O R S T , Zur Gesch. des 12. und 13. Jahrh. S. 225ff.

14

Moderne Urkundenfälschungen

stellen. Und selbst für den Freiheitskampf, den im späteren Mittelalter die Friesen gegen ihre Bedränger führten, suchte man sich durch die Fabrikation von Urkunden Karls des Großen, Wilhelms von Holland, Rudolfs von Habsburg eine rechtliche Grundlage zu verschaffen. 1 Die lange Liste, die hier aufgestellt worden ist, umfaßt nur einen sehr kleinen Teil der mittelalterlichen Falsifikate, welche die neuere Urkundenkritik als solche erkannt und nachgewiesen hat. Ganz unerwähnt geblieben sind bisher die ungemein zahlreichen gelehrten Fälschungen, mit denen die neueren Jahrhunderte den aus den mittleren Zeiten überkommenen Vorrat vergrößert haben. 3 Sie unterscheiden sich von jenen anderen dadurch, daß sie nur in seltenen Fällen dazu verwandt worden sind, unmittelbare praktische Vorteile denen zu erwirken, für welche sie ausgestellt zu sein vorgaben. 3 Ihre überwiegende Mehrzahl verdankt vielmehr dem Wunsche, mächtigen Geschlechtern einen in graue Vergangenheit zurückreichenden Stammbaum zu verschaffen, die Geschichte der eigenen Heimat in glänzende Beleuchtung zu rücken, vielfach auch nur dem Bedürfnis gelehrter Eitelkeit, mit wichtigen historischen Entdeckungen sich zu brüsten, oder dem Bestreben, für aufgestellte Hypothesen einen ausreichenden Beweis beizubringen, seine Entstehung. Besonders zahlreich sind in Italien die genealogischen Fälschungen der Bianchini, Galluzzi, Ceccarelli, Sclavo 4 und vieler anderer, aber auch in Lothringen hat im 16. Jahrhundert de Rosières in der Fabrikation derartiger Urkunden eine großartige Tätigkeit entwickelt. 5 I n Deutschland überwiegen die sozusagen patriotischen Trugwerke: in ihre Kategorie gehört die Urkunde Karls des Großen für den angeblichen Grafen Trutmann, die der Dortmunder Stadtschreiber Detmar Mülher im Anfang des 17. Jahrhunderts ge1 Vgl. v. RICHTHOFEN, Fries. Rechtagesch. 2, 1, 145ff.; vgl. dazu (auch gegen spätere Ausführungen HECKS) die Vorbemerkung zu DKar. 269. 1 Vgl. im allgemeinen meine Straßburger Rektoratsrede von 1904: Aufgaben mittelalterlicher Quellenforschung S. 8 f. 8 Was nicht aussehließt, daß die gelehrten Fälscher selbst praktische Vorteile erstrebten und z. B. von der Dankbarkeit der Geschlechter, deren Stammbäume sie auf falschen Urkunden aufbauten, klingenden Lohn erzielten. * Vgl. über die beiden ersteren. SICKEL ZU DO.I. 462, FUMAGALLI, Istit diplo-

mat. 2, 4 1 9 f f . ; HOLTZMANN, N A . 25, 469FF.; ü b e r C e c c a r e l l i : RIEGL, MIÖGT. 15,

193FF.; v. MITIS, M1ÖG. 23, 279ff.; über Sclavo und seine Helfershelfer: BRESSLAU Jahrb. Konrads IL, 1, 380 ff. 6 Vgl. über sein im Jahre 1583 wegen Fälschung verdammtes Buch: Stemmatum Lotharingiae ac Barri ducum tomi VII, Paris 1580, den Bericht des THUANÜS Z. J. 1583.

Mittelalterliche Urkundenkritik

15

schmiedet hat, 1 und zu ihnen zählt, um nur noch ein zweites Beispiel anzuführen, die Serie von drei Kaiserurkunden des 11. Jahrhunderts, durch die im Zeitalter des Humanismus der gelehrte Arzt Erasmus Stella (Stüler) aus Leipzig dem Städtchen Zwickau, in welchem er sich niedergelassen hatte, eine erdichtete Geschichte schuf. 2 Die Fälschungen endlich, welche lediglich gelehrter Eitelkeit ihren Ursprung verdanken, und mit denen Joh. Falke, Pauliini, Grandidier, Bodmann, Schott u. a. ihren Namen befleckt haben, reichen fast bis in unsere eigene Zeit hinein. 3 An die Versuche nun, die zahlreichen Urkundenfälschungen verschiedener Zeiten als solche zu erkennen, knüpfen die Anfänge der diplomatischen Studien an. 4 Daß man im Mittelalter eine solche Kritik, wie sie oben als Aufgabe der Urkundenlehre bezeichnet wurde, noch nicht gekannt hat, liegt auf der Hand; eine Urkunde, die als nicht vollkommen echt erkannt wurde, galt hier ohne Frage als vollständig gefälscht und wertlos. Daß aber viel, sehr viel gefälscht wurde, hat man auch im Mittelalter sehr wohl gewußt. Von der bekannten Erzählung des Gregor von Tours, 6 wie der Frankenkönig Childebert eine auf seinen Namen gefälschte Urkunde des Bischofs von Eeims dadurch als unecht erweist, daß der Referendar seine darauf befindliche Unterschrift für nachgemacht erklärt, bis zu den Bemühungen des Papstes Innocenz III., 6 untrügliche Kennzeichen für die Beurteilung unechter päpstlicher Urkunden aufzustellen, und über diese Zeit hinaus, fehlt es aus keinem Jahrhundert an Beispielen dafür, daß falsche Urkunden als solche er1

Vgl. KOPPMANN, Dortmunder Fälschungen, FDG. 9 , 6 0 7 ff. Vgl. POSSE, Markgrafen von Meißen S. 95, Anm. 316. ' Literaturangaben darüber bei WATTENBACH, Geschichtsquellen 2 6 , 489 ff. (wo aber überwiegend Geschichtswerke aufgezählt werden) und bei W I B E L , N A . 29, 655 N . 2. 3 . 4 . Über PAULLINI, FALKE und HARENBERG vgl. neuerdings DIETERICH, N A . 18, 449ff.; BACKHAUS, Die Corveyer Geschichtsfälschungen des 17. und 18. Jahrh. (Münster 1905). 4 Das Verhältnis der gefälschten Urkunden zu den echten gestaltet sich um so ungünstiger, je weiter wir zeitlich zurückgehen. Ziehen wir hier alle ganz oder großenteils unechten Urkunden i n Betracht, so sind z. B. von den uns überlieferten Diplomen der Merovinger fast 50 °/o> von denen der ersten vier Karolinger etwa 15°/ 0 , von denen der ersten sächsischen Könige etwa 10%, von denen Konrads II. nur noch etwa 6°/ 0 gefälscht. 6 Hist. Francor. X, 19. — Vgl. auch die Urkunde Theuderichs III., DM. 48, derzufolge Chramlinus das Bistum Embrun „per falsa earta seu per revellacionis audacia, sed non per nostra ordenaeione" in Besitz genommen hatte. 6 Vgl. darüber LASCH, Das Erwachen und die Entwickelung der historischen Kritik im Mittelalter (Breslau 1887) S.102ff.; KRABBO, MIÖG. 25, 275ff.; STENGEL, NA. 30, 649 ff. 8

Mittelalterliche

16

Urkundenkritik

kannt und behandelt worden sind. Und schon früh hat man begonnen, Strafbestimmungen gegen Urkundenfälscher den Gesetzen einzuverleiben1 und für den Fall der Anfechtung einer Urkunde die prozessualischen Formen rechtlich festzustellen.2 In den meisten Fällen, bei denen uns aus den Jahrhunderten des Mittelalters von einer Prüfung der Echtheit vorgelegter Urkunden berichtet wird, handelt es sich freilich nur um solche Dokumente, die derselben Zeit oder der unmittelbaren Vergangenheit angehörten, und für deren Prüfung es also lediglich auf die lebendige Erinnerung, auf die Bekanntschaft mit den Bräuchen der eigenen Kanzlei, 3 allenfalls noch auf die Fähigkeit zu logischem Schließen ankam. Aber nicht so gar selten sind doch auch diejenigen Fälle, in denen alles dies nicht ausreichte, weil es sich um Urkunden längst vergangener Zeit handelte, deren Authentizität richtig zu beurteilen es einer eigentlich diplomatischen Kritik bedurfte. Man hat wohl gemeint, daß es an einer solchen im Mittelalter vor dem 14. Jahrhundert ganz gefehlt habe; 4 indessen einzelne und z. T. recht merkwürdige Beispiele von der Übung derartiger Kritik lassen sich doch schon vor der Zeit Petrarcas, der, freilich ohne eine eigentliche Sachkritik auszuüben, auf Ersuchen Kaiser Karls IV. die angeblichen Privilegien Julius Caesars und Neros für das Erzhaus Österreich für plumpe Fälschungen erklärte,5 nachweisen.0 So ist ein Widerspruch zwischen der Datierung einer Urkunde und anderen auf eine spätere Zeit bezüglichen Angaben, der bis auf die neueste Zeit als einer der stärksten Anfechtungsgründe galt, doch auch schon im Mittelalter beachtet worden. Lediglich auf diesen Grund hin, soviel man sehen kann, ist im Hufgericht Heinrichs Y. 1125 eine Urkunde Konrads II. mit der Datierung von 1025 und kaiserlichem Protokoll „ei chronieorurn vetustate et gestis Chounradi" refutiert und für unecht erklärt 1 Edict. Rotharis 243: si quis cartolam falsam seripserit aut quodlibet membranum, manus ei incidatur. Liutprand 63: quis . . in eartola falsa se scientem manum posuerit, eonponat wirigild suum. Lex Ribuar. 59, 3: si autem testamentus falsatus fuerit . . . . cancellario polix dexter auferatur aut eum quis in 50 solidos redimat. — Capit. Kar. Magiii n. 56 S. 143: si inventus fuerit quis eartam falsam feeisse . . . manum perdat aut redimat. 2 S. unten Kap. I X . 8 Ein interessantes Beispiel dieser Art von Kritik aus der Zeit Karls IV. führt L I N D N E R S. 125. 199 an; es zeigt, wie sehr dies irre führen konnte. 4

So SICKEI,, A c t a 1, 25.

Vgl. G E I G E R , Petrarka S . 7 7 ; S T E I N H E R Z , M I Ö G . 9, 66 ff. 6 Vgl. außer den oben besprochenen Stellen R O D E N B E R G , Epp. saec. X I I I . 1, 200, Prüfung einer Urkunde Calixts I I . unter Honorius I I I . ; M A R T E N E et DURAND, Collect, ampliss. 1, 1066, Prüfung einer Urkunde Clemens' III. durch eine Synode von Metz c. 1205. 5

Mittelalterliche

17

Urkundenkritik

worden;1 des gleichen Arguments bedienten sich im Jahre 1187 die Kanoniker von S. Yincenzo zu Bergamo gegen ein Diplom Heinrichs II. für das Kapitel von S. Alessandro daselbst,2 und wiederum aus dem gleichen Grunde wurde im Jahre 1175 in einem zu Konstanz vor dem Bischof geführten Prozeß eine ältere Kaiseruikunde verworfen.3 Bei den beiden letzten Gelegenheiten hat man zugleich, was auch sonst häufiger vorkommt, an dem Siegel Kritik geübt. 1187, indem man die Besiegelung mittels Bleibulle an Lederriemen ohne Grund beanstandete; 1175, indem man das Siegel nach Farbe und Geruch des Wachses für ein trügerisches Machwerk erklärte.4 In noch verständigerer Weise ist diese Siegelkritik im Jahre 1171 von seiten Alexanders III. an einem ihm in einer Streitsache eingereichten Privileg des Papstes Leo (wahrscheinlich IX.) ausgeübt worden: Alexander ließ sich eine Anzahl von Bleibullen Leos vorlegen, konstatierte ihre völlige Übereinstimmung, verglich mit ihnen die des ihm eingereichten Dokumentes und verwarf es, weil seine Bulle wesentlich von jenen abwich.5 Das Verfahren würde noch heute dasselbe sein; nur daß wir heute die Möglichkeit des Vorkommens mehrerer Stempel beachten und daß wir nicht unbedingt von der Unechtheit des Siegels auf die der Urkunde schließen würden. Daneben wurden dann freilich ganz unzutreffende Einwände gegen diese und eine zugleich eingereichte Urkunde des Papstes Zacharias geltend gemacht.6 1 Vgl. die Vorbemerkung zu DK. II. 281. Daß an der Chronologie „falsitas littere seu surreptio faciUime poterit deprehendi", sagt schon KONRAD von

MÜHE, Q E . 9 ,

477.

Cod. dipl. Bergam. 2, 468; die Kanoniker von S. Vineenzo verwarfen die produzierte Urkunde quinto, quia in eo legitur esse factum anno domini MXIII et dicitur Imperator, aliud vero etusdem Henrici ab eadem parte productum factum fuit anno MXV et primo anno imperii eins et XII regni, unde apparet primum esse falsum; vgl. aber dazu die Vorbemerkung zu DH. II. 254. 3 DtfMofi, Eeg. Badensia n. 98 S. 145, MEYER, Thiugauisches Urkundenbuch 2, 189 n. 51: Olricus idem scriptum . . . . tanquam falsitatis et mendatii plenum arguebat . . . et falsa imperatoris annotatione signatum, quod per cronicorum inspectionem constabat. 4 METER a. a. O. „per cerae etiam novitatem, quam % colore et odore liquebat". 5 Über einen anderen Fall von Siegelvergleichung aus Böhmen von c. 1284, wo man Bild und Umkreis der zu vergleichenden Siegel sorgfältig gemessen hat, vgl. die Urkunde MIÖGr. 20, 273f. 6 J A F F £ - L . 11896. Gegen das Privileg des Zacharias wird eingewandt, das Pergament sei noch nicht hundert Jahre alt: ein an sich nicht unverständiges Argument, das aber doch von gänzlicher Unkenntnis des älteren Kanzleibrauchs zeugt: ein Privileg des Zacharias kann überhaupt nicht auf Pergament, 8

LÜPI,

l l r e ß l a u , Urkundenlf-hre. 3. \11fl. I .

2

18

Mittelalterlich« Urkundenkrilik

Beachtenswert sind auch einzelne Fälle, in denen eine Prüfung von Urkunden durch Sachverständige stattgefunden hat. So ließ 1177 Erzbischof Konrad III. von Salzburg ein ihm vorgelegtes Privileg des 11. Jahrhunderts durch eine Kommission von drei Geistlichen untersuchen, die es nach sorgfältiger Prüfung für falsch erklärten; die Gründe der Entscheidung kennen wir ebensowenig, wie in dem folgenden Falle, aber diese selbst kann, da uns das untersuchte Dokument noch vorliegt, als zutreffend bezeichnet werden.1 Umständlicher verfuhr 1161 der Doge Vitalis Michael von Venedig, voi dessen Gericht eine carta securilatis von 1067 angefochten wurde: er ließ eine beträchtliche Anzahl von Notaren berufen, die das Schriftstück „subtilitei• et caute in concilio eam examinare et perscrutare ceperunt, cumque sollieite undique eam examinassent" die Echtheit anerkannten. Nicht weniger als 18 Notare haben an dieser Prüfung teilgenommen und die Entscheidung unterfertigt. 2 Ebenso ließ 1289 der Richter des Podestä von Bologna, der berühmte Kriminalist Albertus Gandinus, die Echtheit einer verdächtigen Urkunde von 1235 durch Sachverständige, darunter Notare und Schreibwarenhändler, prüfen, die über das Alter des Pergaments und der Schrift ihr Gutachten abgeben und die letztere mit der Schrift einer echten Urkunde des der Fälschung versondern muß auf Papyrus geschrieben sein. Dann werden beide wegen grammatischer Fehler verworfen und das Privileg des Zacharias, insbesondere weil es einen simonistischen Kontrakt enthalte, den einem so heiligen Manne zuzutrauen gottlos sei. Die ganze, immerhin sehr merkwürdige Stelle lautet: Privilegium Zachariae propter stilum dictaminis et eorruptionem grammaticae artis et propter symoniacum contractum quem contincbat, videlicet quod ecelesiam venditor»,, quod de tarn sancto viro nefas est credere, conftrmasset, et propter pergamenum eham quod vix centum videbatur esse annorum, cum quodrigentorum annorum prout in cronicis habetur spatium decurrerit, quod idem Zacharias decessit; Privilegium autem Leonis propter vitium et eorruptionem grammaticae artis, de quo tarn litlerato et prudenti tiro absurdum est existimare, quod tarn ydiotas scriptores habuerit, et propter bullam, quae a bullis eiusdem Leonis quae cum coram nobis produetae fuerant omnino comparebat dissimilis et diversa, illae tnter se eomparerent per omnia similes suspeeta et fide non digna xudieaiimus Es verdient hiei angemerkt zu werden, daß unter Honoiius III man schon ganz andeis über Sprachfehler in alten Urkunden denkt- dei Papst erne, eit e'n Privileg Alexanders II. „non obstante quod in ipso privilegio in multis locis est in latmitate peccatum, sicut in antiquioribus prieilegiis per manum tabellionum conscriptis frequentius invenitur", Marini, Papiri S. 219. 1 Vgl. Redlich, MIÖG-. 5, 358ff. ' U l o e i a , Cod. dipl. Padovano 2, 72 n. 766; vgl. 1, n. 196. Hierhin gehört auch die von Heinrich VII. 1309 angeordnete kommissarische Prüfung einer Urkunde Philipps für Brabant durch den ehemaligen Kanzler K. Albrechts und seinen eigenen Protonotar, Böhmes, Reg. Heinr. VII. n. 19.

19

Mittelalterliche Urkundenkritik

dächtigten Produzenten vergleichen sollten, deren Aussagen aber sehr voneinander abwichen.1 Leider sind wir in beiden Fällen nicht in der Lage, uns über den wirklichen Sachverhalt ein sicheres Urteil zu bilden, da die geprüfte Urkunde in dem einen Falle nur abschriftlich erhalten, in dem anderen gar nicht bekannt ist. Und überhaupt gehören die Fälle, in denen eine derartige Kritik auf Grund von Argumenten, die auch wir heute noch anwenden, ausgeübt worden ist, zu den seltensten Ausnahmen. In ungleich häufigeren Fällen sind Urkunden, die wir jetzt mit voller Bestimmtheit als zum Teil sehr plumpe Fälschungen erkennen, von den Nachfolgern der Herrscher, die sie ausgestellt haben sollten, sowie von Behörden und Notaren, denen sie zur Bestätigung oder Vervielfältigung vorgelegt wurden, als echt anerkannt und beglaubigt worden. Und die Art, wie das geschah, zeigt, daß im allgemeinen weder die Kanzleien noch die Gerichte oder Notare des Mittelalters irgend welche genauere Kenntnis von den Bräuchen besaßen, welehe die Vorzeit bei der Ausstellung von Urkunden beobachtet hatte. Wie in der Kanzlei Ottos II. die unglaublich mißratenen Machwerke, die man im Kloster St. Maximin auf die Namen merovmgischer und karolingischer Könige geschmiedet hatte, als unverdächtig anerkannt wurden,2 so hat im 12. Jahrhundert Kanzlei und Hofgericht Konrads III. sich durch die kaum minder schlechten Trugwerke täuschen lassen, welche der Erzbischof von Trier zum Nachteil jenes Klosters einreichte 3 Innocenz III., der für die Prüfung der Echtheit seiner eigenen Urkunden und der seiner nächsten Vorgänger so kluge Anleitung zu geben wußte, hat im Jahre 1205 zwei gröblich gefälschte Urkunden des Papstes Konstantin I als echt anerkannt und seiner Entscheidung in einem Prozeß zwischen dem Kloster Evesham und dem Bischof von Worcester zugrunde gelegt; und obwohl er dabei den Ausspruch getan hat „huius modi privilegia . . . nobis sunt notissima" hat er in Wirklichkeit weder die im 8. Jahrhundert in Papstprivilegien üblichen Formeln gekannt noch gewußt, daß eine päpstliche Urkunde dieser Zeit nicht auf Pergament, wie das ihm vorgelegte Schriftstück, sondern auf Papyrus hätte geschrieben sein müssen.4 Weder an den zahllosen formalen Mängeln noch an den Unmöglichkeiten und Widersprüchen des Inhalts in der

9, 4 8

1 Die Akten sind herausgegeben und erläutert von KANTOROWICZ, QFIA. ff. 2

Vgl. BRESSLAÜ, Westdeutsehe Zeitschr. 5, 34.

8

V g l . e b e n d a 5, 4 4 ; DOPSCH, N A . 2 5 , 3 2 0 .

4

V g l . SPAETHEN, N A . 3 1 , 6 3 1 . 638FF. 2*

20

Humanisten

angeblichen Urkunde Ludwigs des Frommen für Kloster Murrhardt 1 nahm im Jahre 1225 die Kanzlei Honorius' III., welche sie transsumierte, den geringsten Anstoß.2 Und die Kanzlei Karls IV., die im Jahre 1348 eine angebliche Urkunde Karls des Großen für Kloster St. Denis bestätigte, ließ sich nicht einmal dadurch beirren, daß in dieser Urkunde ein Herzog von Lothringen erwähnt war.3 Beispiele dieser und anderer Art ließen sich zahllos aus allen Jahrhunderten des Mittelalters erbringen, und wir entnehmen aus ihnen die Warnung vor irgend welchem "Vertrauen auf die ebenso oft wiederholten Versicherungen derer, die solche „scripta autkentica non rupta, non abolita nee in aliqua parte vitiata" arglos als echt anerkannt und bestätigt oder abgeschrieben haben. Für unser kritisches Urteil haben dergleichen Versicherungen oder Bestätigungen schlechterdings keine Bedeutung und amtlich beglaubigte Abschriften nur in den seltensten Fällen einen höheren Wert als irgend welche andere, die solcher Beglaubigung entbehren. Auch als im Zeitalter des Humanismus und der Kirchenreformation die historische Kritik zu erwachen begann, als LAURENTIUS VALLA die Unechtheit der konstantinischen Schenkung, MATHIAS FLACIUS und die Magdeburger Zenturiatoren die Fälschung der sog. Isidorischen Dekretalien erwiesen,4 als man auf protestantischer und katholischer Seite mit gleichem Eifer die älteren Legenden und Überlieferungen der Kirchengeschichte prüfend sichtete, gelangte man doch nicht sofort dazu, Regeln für die Beurteilung speziell von Urkunden aufzustellen, oder gar ein System diplomatischer Kritik auszubilden. Auch der bedeutendste Historiker unter den Humanisten und der erste unter ihnen, der geschichtliche Studien wirklich zu seinem Lebensberufe machte, auch AVENTINUS, so hoch er die Autorität der Urkunden schätzte, so sehr er sie als „die sichersten Grundlagen der Geschichte" anerkannte und „den Fabeln der Chronisten" gegenüber bevorzugte,5 hat Kritik wesentlich nur an den letzteren geübt und eine Fülle falscher Urkunden anstandslos für echt gehalten — in dieser Be1 Vgl. Mon. Boica 31a, 39. ' Vgl. auch die Eota-Verhandlung von 1323 über ein gefälschtes Privileg Johanns XIX. für Fulda MIÖGr. Erg. 6, 323ff. und dazu die Bemerkungen T A N G L S , daselbst S. 321 f. » Vgl. DKar. 262. 4 Vgl. VAHLEN, Lorenzo Valla (Berlin 1870); PBEGER, Matth. Flacius Illyricus und seine Zeit (Erlangen 1859—61). 5 Vgl. KIEZLEE in der akademischen Ausgabe von A VENTINS Werken (München 1884) 3, 602.

Bella diplomatica

21

ziehung kaum anders verfahrend als die zahlreichen Historiographen, die im Mittelalter diplomatisches Material für ihre Darstellung verwertet haben. Erst im 17. Jahrhundert begann man in Deutschland wie in Frankreich, in jedem der beiden Länder aber unabhängig von dem andern und auf verschiedenen Anlaß hin, sich eingehender und zielbewußter mit der Kritik von Urkunden zu beschäftigen und zur Aufstellung von Regeln für diese Kritik vorzuschreiten. Auf deutschem Boden waren es zunächst wesentlich praktischjuristische Fragen, von denen diese Untersuchungen ausgingen. Insbesondere staatsrechtliche Streitigkeiten, namentlich solche, bei denen es sich um behauptete oder bestrittene Hoheitsrechte eines Reichsstandes über einen anderen handelte, wurden hier in den letzten Jahren des 30jährigen Krieges und in der Zeit nach dem westfälischen Frieden aufs lebhafteste diskutiert; die hadernden Parteien suchten die Gerechtigkeit ihrer Sache nicht bloß vor den Gerichten, sondern auch vor der öffentlichen Meinung darzutun und gewannen, wenn sie irgend konnten, Juristen von bedeutendem Namen, um in eigenen Schriften dafür einzutreten. Indem man sich nun dabei in Angriff und Verteidigung zumeist auf ältere Urkunden berief, wurde die Echtheit dieser Urkunden ebenso entschieden von der einen Seite behauptet, wie von der anderen in Abrede gestellt: es entstanden so zahlreiche „bella diplomatica", wie der Ausdruck lautet, der seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts für diese Händel im Gebrauch war. 1 Das älteste dieser bella ist der Streit zwischen dem Erzbistum Trier und dem Kloster St. Maximin daselbst über die Reichsunmittelbarkeit des letzteren: dieselben Urkunden, die schon im 12. Jahrhundert dem Reichshofgericht vorgelegt worden waren — Fälschungen hüben und drüben — werden hier in zwei Schriften von 1633 und 1638 untersucht. 1

Er ist aufgebracht von Jo. P E T . VON L U D EWIG in einer dem ersten Bande seiner Reliquiae manuscriptorum (Leipzig 1720) vorangestellten Dissertation: De usu et praestantia diplomaium et diplomaticae artis. Porro de bellis diplomatieis cum in Oallia excitatis, tum in Italia atque in supremis Germanici imperii tribunalibus. L U D E W I G hat also, wie P. L E H M A N N bei T R A Ü B E , Vorlesungen und Abhandlungen 1, 22 N. 2, mit Recht bemerkt, den Ausdruck auch für die gleich zu besprechende theoretische Polemik der französischen Diplomatiker gebraucht und diese als bella diplomatiea litteraria von den bella diplomatica forensia, den durch Rechtsstreitigkeiten veranlaßten, unterschieden. Später aber hat man die Bezeichnung nur auf die letzteren angewandt. — Bibliographie der Bella diplomatica bei B A R I N G , Clavis diplomatica ( 2 . Aufl. Hann. 1 7 5 4 ) S. 2 6 ff.; N A M Ü R , Bibliographie paléographico-diplomatico-bibliologique générale (Liège 1 8 3 8 ) 1 , 56FF. Vgl auch R A G U E T , Histoire des contestations sur la diplomatique (Paris 1 7 0 8 ) .

22

Bella diplomatica.

Hermann

Conring

der das Kloster verteidigte, hat sich dabei nicht nur das Verdienst erworben, seine Archivbestände in für jene Zeit recht guten Abdrücken zu publizieren, sondern er hat neben zahlreichen Irrtümern, die er sich in der Verteidigung der eigenen und der Bekämpfung der gegnerischen Diplome zuschulden kommen läßt, 1 doch auch eine oder die andere richtige kritische Beobachtung gemacht; wie er denn z. B. mit Recht hervorhebt, daß in der Kanzlei der merovingischen Könige die Rechnung nach Jahren nach Christi Geburt noch nicht bekannt gewesen sei. Im großen und ganzen freilich stehen ZYLLESIUS und die meisten andeien Schriftsteller, die sich an diesen d pl ati ch n Kriegen bet iligt haben, nur wenig über dem Standpunkt mittelalterlicher Urkundenkenntnis, und eine namhaftere Förderung der Wissenschaft hat nur einer von ihnen bewirkt — das bellum diplomaticum Lindaviense.2 NICOLAUS ZYLLESIUS,

In diesem zwischen der Reichsstadt und dem Kloster zu Lindau seit langer Zeit schwebenden Stielt über Guter, Rechte und Landeshoheit spielte eine im 12 Jahrhundert gefälschte, jetzt im kaiserlichen Archiv zu Wien befindliche Urkunde eines Kaisers Ludwig, die man bald Ludwig II., bald Ludwig dem Frommen oder Ludwig dem Deutschen zuschrieb, 3 eine wichtige Rolle Verteidigung ihrer Echtheit von Seiten des Stifts und Angriff dagegen von Seiten der Stadt erhoben sich in der ersten Zeit nicht viel über das gewöhnliche Niveau der in solchen Fragen damals üblichen Argumentation. Da aber ward von der Stadt der berühmte Helmstädter Polyhistor, Professor HERMANN CONRIHG,4 um ein Gutachten über jene Urkunde ersucht, das er im Jahre 1672 m einer umfangreichen Schrift unter dem Titel „Censura diplomatis quod Ludovico imperatoi i fei t acceptum coenobium Lindaviense"5 1

Ist er doch z B. der Meinung, daß eine angebliche Urkunde Dagoberts

für das Erzstift zu verweifen sei, „quia manifeste falsarn in constructione lat' nitaiem eontinet"\ 2

Vgl. daxüber METER VON KNONAL, S Y B E L S Historische Zeitschrift 26, 75ff. Vgl. MÜHLBACHER, Reg.' 992 und den Nachtrag dazu auf S. 948f. 4 CONRINO hatte schon früher ( 1 6 5 2 ) in seinem „Gründlichen Bericht von der Landes Fürstlichen Ertzbischöffliehen Hoch- und Gerechtigkeit über die Stadt Bremen" eine falsche Urkunde Heinrichs V. für die letztere (St. 3 0 5 6 ) kritisch behandelt. Aber seine dort gemachten Ausführungen können der gleich zu besprechenden Lindauer Abhandlung nicht an die Seite gestellt werden und verdienen das ihnen noch von GOLDSCHLAO (Beiträge zur politischen und publizistischen Tätigkeit HERMANN C O M I N G S , Diss. Göttingen 1884, S. 2 0 N. 4) gespendete Lob einer „glanzenden diplomatischen Leistung" in keiner Weise. 5 Helmstädt 1672. 4°. Schon 1673 erschien eine zweite Auflage und in G O B E L S Ausgabe der sämtlichen Werke CONRINGS ist die Schrift wiederholt s

Hermann

Conring

23

erstattete. In dieser Schrift ist zum ersten Male in systematischer Weise der methodisch richtige Weg eingeschlagen worden, die Regeln für die Beurteilung einer zweifelhaften Urkunde aus der Yergleichung anderer, für unzweifelhaft echt geltender Urkunden desselben Ausstellers zu gewinnen; und auf der Durchführung dieses Gedankens beruhen vorzugsweise der Wert der Abhandlung und das Verdienst ihres Verfassers um unsere Wissenschaft. Daß er dabei im einzelnen vielfach irren mußte, lag an der Dürftigkeit des ihm für jene Vergleichung, die er auf Schrift, Sprache und Formeln anwandte, zu Gebote stehenden Materials. Wie weit er aber trotzdem auch im einzelnen seine Vorgänger überragte, mag nur an einem Beispiele gezeigt werden. Wir haben eben1 erwähnt, daß in dem Streit über die Urkunden von Trier die falsche Latinität als ein Argument gegen ein merovingisches Diplom geltend gemacht war. Auch in dem Lindauer Handel hatte noch HEIDEH, der vor CONBING die Sache der Stadt vertrat, die gleiche Ansicht aufgestellt. So töricht nun aber dieser Einwand ist, so richtig und unbestreitbar wai es, wenn CONBING i den Satz so faßte, wie er — im allgemeinen — noch heute zu formulieren sein würde: Sprachfehler an sich beweisen nichts gegen die Echtheit einer Originalurkunde; wenn aber ihre Orthographie und Sprache von der Sitte der Zeit und dem Brauche der Kanzlei völlig abweichen, so ist das ein Zeichen der Unechtheit. Mit CONRINGS Schrift war die Methode gegeben, auf der im wesentlichen alle Fortschritte der modernen Diplomatik beruhen. Auf dem von ihm gezeigten Wege fortschreitend mußte man, je mehr sich mit den an Zahl und Wert im Laufe der Jahre immer zunehmenden Urkundenpublikationen das zur Vergleichung zu Gebote stehende Material erweiterte, und je mehr durch seine möglichst vollständige Benutzung und Vergleichung der kritische Sinn sich schärfte, ohne Frage zur Vermeidung der von ihm begangenen Fehler, zur Aufstellung festerer Regeln, zur Gewinnung sicherer Erkenntnis gelangen. Und es ist kein Zweifel, daß die Schrift CONBINGS in diesem Sinne gewirkt hat, auch wenn zunächst von einer anderen Seite her Anregungen ausgingen, welche die deutschen Anfänge wissenschaftlicher Urkundenkritik fürs erste in den Hintergrund treten ließen. Aus einem wesentlich anderen Gesichtspunkte, als derjenige war, welcher die deutschen Arbeiten über Urkundenkritik bisher geleitet hatte, ließ im Jahre 1675 der gelehrte Jesuit DANIEL PAPEBKOCH (1628—1714),

1

der

S. 22 N. l.

nach

dem

1

Tode

JOHANN

Kap. XVII.

BOLLANDS

(1665)

mit

24

Daniel Papebroch

seinem Ordensbruder G O T F E I E D HENSCHEN die Leitung des großartigen Unternehmens der Acta Sanctorum übernommen hatte, 1 sein „Propylaeum antiquarium circa veri ao falsi discrimen in vetustis rnembranis"2 erscheinen. Auch er ging zwar bei seinen Untersuchungen von einem einzelnen gefälschten Diplom — einer angeblichen Urkunde Dagoberts für Kloster Oeren zu Trier 3 — aus; aber an jene Urkunde knüpften sich für ihn keine praktischen, sondern lediglich wissenschaftliche Interessen. * Er war bei seinen Vorarbeiten für die neue Bearbeitung der Heiligenleben mehrfach in die Notwendigkeit versetzt worden, sich über die Echtheit oder Unechtheit älterer Urkunden Klarheit zu verschaffen und empfand das Bedürfnis, von Einzelbeobachtungen zur Aufstellung allgemeiner Regeln (generalia principia 5J überzugehen. Die Methode, die er befolgte, war in dem Grundgedanken mit derjenigen CONBINGS, dessen Schrift PAPEBROCH nicht gekannt zu haben scheint, identisch; das Material, über das er verfügte, nicht viel reichhaltiger. Er kannte nur das vollständige Faksimile einer Urkunde Dagoberts für Kloster St. Maximin 6 und das angebliche Original einer Urkunde Heinrichs IY. für St. Servatius zu Mastricht,7 und diese beiden Stücke waren, was er freilich nur von letzterem ahnte, ebenfalls gefälscht; außerdem verfügte er über eine kleine Anzahl von Schriftproben von Maximiner Diplomen des 9., 10. und 11. Jahrhunderts, die größtenteils wiederum unecht waren. So konnte er zwar, Dank dem bewundernswerten Scharfsinn, den er hier wie in seinen anderen historischen Arbeiten entfaltete, eine Anzahl richtiger Einzelresultate gewinnen, auch in bezug auf diejenige Urkunde, von der er ausging, weil sie noch plumper gefälscht war, als die zur Yergleichung herangezogene, ein zutreffendes Urteil fällen: aber je mehr er, an sich ganz richtig, die Wichtigkeit der äußeren Merkmale für die Urkundenkritik betonte,8 1

Vgl. DE B Ä C K E R , Bibliothèque des écrivains de la compagnie de Jésus 6, 41 ff. • Zuerst gedruckt Acta Sanctoium, Aprilis, Bd II. Der erste, speziell diplomatische Teil ist wiederholt in B A B I N G S Clavis dipl., 2. Aufl. S . 229ff. '•DM. spur. 52. * Daher erklärt er ausdrücklich, daß alte Besitzrechte nicht beeinträchtigt werden könnten, auch wenn die davon zeugenden Urkunden sich als unecht erweisen sollten. 6 Der Ausdruck, den T R A Ü B E , Vorlesungen und Abhandlungen 1, 21 N. 5, bei PAPEBBOCH nicht gefunden hat, steht in der Vorrede des Propylaeums: constitutis semel generalibus quibusdam discriminis inveniendi principiis. • Vgl. Westdeutsche Zeitschrift 5, 32. 7 St. 2886, jetzt im niederländischen Reichsarchiv im Haag. 8 Dabei hat er besonders eingehend die Lehre von den Monogrammen behandelt, auch hier aber natürlich mehrfach im einzelnen geirrt.

Daniel Papebroch

25

desto größer mußten bei seiner mangelhaften Kenntnis dieser äußeren Merkmale seine Irrtümer werden. Keine ausreichende Erklärung aber bietet selbst diese mangelhafte Kenntnis für die ganz unwissenschaftliche Hyperkritik, mit welcher PABEBBOCH den Satz MABSHAMS, daß Urkunden um so weniger Glauben verdienten, je älter sie zu sein vorgäben, 1 ausdrücklich gut hieß, oder die Behauptung aufstellte, daß es keine echte Urkunde aus der Zeit vor Dagobert I. und nur sehr wenige echte Urkunden der Merovinger und Karolinger überhaupt gäbe. Hier stand PABEBBOCH unter dem Bann gewisser vorgefaßter Meinungen, die er teils durch seine eigenen Studien, die ihn zur Verwerfung so mancher mittelalterlicher Mönchsfabeln geführt hatten, teils durch die ihm zweifellos bekannten Schriften von LAUNOY und N AUDIS gefaßt hatte, in denen die Echtheit der von zahlreichen Benediktinerklöstern besessenen Urkunden heftig angegriffen war; und die nun angestellten diplomatischen Untersuchungen hatten ihn in diesen Meinungen nur bestärkt.2 Beiläufig und ohne nähere Begründung hatte PAPEBBOCH auch ein Urteil über die vor einem halben Jahrhundert von DOUBLET 3 publizierten Urkunden des Klosters St. Denis bei Paris abgegeben und die Mehrzahl von ihnen in Bausch und Bogen für gefälscht erklärt. Die französischen Benediktiner, die seit 1618, bzw. 1621, zu einer Kongregation, die den Namen des h. Maurus führte, vereinigt waren, seit 1 6 3 0 unter Leitung des Generaloberen Dom GBEGOIBE TABISSE, an die alten Traditionen ihres Ordens anknüpfend, ihre Kräfte wesentlich wissenschaftlichen, besonders historischen Studien zugewandt hatten und seit 1 6 4 8 nach einem von Dom Luc D'ACH£BY aufgestellten Plan arbeiteten, 4 glaubten die Äußerungen PABEBBOCHs als einen ihrem Orden hingeworfenen Fehdehandschuh ansehen und ihn aufnehmen zu müssen. Dom JEAN MABILLON ( 1 6 3 2 — 1 7 0 7 ) , 6 ein Schüler D'ACHERYS, von diesem im Jahre 1664 aus St. Denis nach dem Zentralpunkt der 1 Chartas fidem habent eo minorem, quo maiorem praeferunt antiquitatem. * Dagegen ist natürlich die — wiederholt widerlegte — Ansicht LUDEWIG s, daß es sich bei PAPEBROCHS Kritik um ein förmliches Komplott der Jesuiten gegen den Benediktinerorden handle, ohne Grund. 8 Histoire de l'abbaye de St. Denys (Paris 1625). 4 Vgl. über die Kongregation der Mauriner, auf deren Geschichte hier nicht näher einzugehen ist, WATTENBACH, Schriftwesen 8 S. 13FF., die daselbst angeführten Schriften und BÄUMEB in der Biographie MABILLON s (s. die folgende Anmerkung) S. 41 ff. 6 Vgl. die Biographien von JADABT, Dom Jean Mabillon (Reims 1879) und von S. BÄÜMER, Johannes Mabillon (Augsburg 1892), dazu E. DE BROGLIE,

26

Jean Mabillon

wissenschaftlichen Arbeiten der Kongregation, nach Kloster St. Germaindes-Pres berufen, seit 1667 Leiter des großen Unternehmens der Acta Sanetorum Ordinis S. Benedicli, ein Mann ebenso bewundernswert durch seine riesenhafte Arbeitskraft wie durch seinen ausgezeichneten Scharfsinn, übernahm es, den Angriff PAPEBROCHS zurückzuweisen. Im Jahre 1 6 8 1 erschien sein, dem französischen Minister COLBERT gewidmetes Buch „De re diplomalica libri VI",1 das Werk, das unserer Wissenschaft den Namen gegeben und ihre fernere Entwickelung für alle Zeit bestimmt hat. Obgleich in gewissem Sinne eine Gelegenheitsschrift, trägt MABILLON s Werk doch wenig von dem Charakter einer solchen an sich. Mit den von dem Gegner aufgestellten Sätzen beschäftigte sich der Benediktiner nur in einigen Kapiteln des ersten und dritten Buches (und die hier versuchte Widerlegung seiner Lehren säumte PAPEBROCH selbst nicht, als vollständig gelungen anzuerkennen); der Hauptteil des Werkes war dem Aufbau eines neuen Systems gewidmet.2 Daß dieser Aufbau in einer für jene Zeit so ausgezeichneten Weise gelingen konnte, lag vor allen Dingen an einem Umstände. Man kann nicht behaupten, daß MABILLON seine Vorgänger PAPEBROCH und CONRING an Geist und Scharfsinn so sehr überragt hätte, wie sein Werk die ihrigen übertrifft. Abei wenn jene Gelehrten, wie wir gesehen haben, mit dem denkbar dürftigsten und unvollkommensten Material hatten arbeiten müssen, so stand ihm die reichste Fülle des-

Mabillon et la société de l'abbaye de Saint-Germain (Paris 1888, 2 Bde.). Bibliographie der auf MABILLON bezüglichen Schriften von H. S T E I N in Mélanges et documents publiés à l'occasion du 2 ' centenaire de la mort de MABILLON (Ligugé und Paris 1 9 0 8 ) S. X X X V if 1 Dazu: Librorum de re diplomatica supplementum (Paris 1 7 0 4 ) . Dasselbe Supplement ist der noch von MABILLON selbst durchgesehenen, aber erst nach seinem Tode von Dom T H . R U I N A K T publizierten zweiten Auflage hinzugefügt (Paris 1 7 0 9 ) . Von R U I N A R T rühren außer der Vorrede, die sich hauptsächlich mit H I C K E S beschäftigt, nur wenige Zusätze und der Appendix her. Eine dritte, minder geschätzte Ausgabe „dissertationibus variorum locupletata notisque nunc primum illustrata a marehione B C M B A E J O H . A D I M A B I " erschien in Neapel 1789 in zwei Bänden. 5 Inhalt des Werkes: Buch I: Urkundenarten. Allgemeine Grundbegriffe. Schreibstoffe. Schriftarten. Buch II: Urkundenstil. Formeln. Kanzleipersonal. Siegel. Zeugen. Unterschriften. Datierung. Buch III: Widerlegung der Ausführungen von P A P E R B R O C H , C O N B I N O , N A C D É u. a. Notitiae Kopialbücher. Buch IV: Die Pfalzen der Frankenkönige. Buch V: Schriftproben. Buch VI: Urkundenbeilagen. Dazu Supplement: Exkurse und Anhänge. — Eine sehr eingehende Analyse des Werkes gibt L . L E V I L L A I N in den S. 2 5 N. 5 erwähnten Mélanges et documents S. 2 1 0 F F . Beurteilung des paläographischen Teiles bei T R A Ü B E , Vorlesungen 1 , 2 4 ff.

Jean Mabillon

27

selben zu Gebote. Außer dem großartigen Archive von St. Denis selbst, das fast allein im ganzen Frankenreiche wirkliche Originale merovingischer Königsurkunden und außerdem einen reichen Schatz von alten Papstprivilegien, Diplomen der Karolinger und in frühe Zeit zurückreichenden Privaturkunden aufbewahrte, standen ihm die klösterlichen und bischöflichen Archive von ganz Fiankreich, die er teils selbst besuchte, teils durch seine Ordensbrüder und Mitarbeiter R U J N A R T , GEBMAIN, ESTIENNOT besuchen ließ, offen; auch aus Italien und Deutschland hat er manche wertvolle Mitteilung erhalten und manches wichtige Dokument zum eisten Male benutzen und veröffentlichen können. Wer die in dem fünften und sechsten Buch seines Werkes mitgeteilten Faksimiles und Urkundenbeilagen auch nur flüchtig durchmustert, wird in dieser Fülle des Materiales den eigentlichen Grund seiner Überlegenheit leicht erkennen So konnte er seine Beobachtungen auf eine Menge von Erscheinungen ausdehnen, die seinen Vorgängern hatten entgehen müssen; es hängt damit zusammen, daß er von den überhaupt für die Kritik der Urkunden in Betracht kommenden Merkmalen nur sehr wenige unbeachtet gelassen, daß auch die auf seinen Schultern stehende Arbeit der kommenden Generationen ihren Kreis nur unbedeutend erweitert hat. MABILLON s Verdienst soll mit diesen Bemerkungen nicht geschmälert, sondern nur erklärt werden; und was er mit diesem Material zu erreichen verstanden hat, sichert ihm für alle Zeit einen der vornehmsten Ehrenplätze in der Geschichte der Wissenschaften. Sein Werk ist einmal eine allgemeine Diplomatik für alle Zeiten und alle Länder, wenn auch mit besonderer Berücksichtigung Frankreichs und dei früheren Jahrhunderte des Mittelalters. In dieser Beziehung "bilden seinen Schlußstein die im 6. Kapitel des dritten Buches 1 — übrigens mit aller Reserve — aufgestellten allgemeinen Regeln zur Beurteilung der Urkunden. Sind sie auch von einer gewissen Tendenz nicht frei, 2 erschöpfen sie auch das, was sich sagen laßt, bei weitem nicht, kann man endlich einige von ihnen mit Recht anfechten, so enthalten doch andere unverbrüchliche Wahrheiten, die seitdem Gemeingut der wissenschaftlichen Forschung geblieben sind, und Sätze, auf deren weiterer Ausführung und Begründung ihr Fortschritt zu gutem Teile

1

De re diplom. S. 241. So besondeis die zweite, achte, zehnte. Ich setze den Anfang der letzteren hierher, um die Art dieser Tendenz zu kennzeichnen. Si qua in mulhs optimis (seil, archivia) falsa aut vitiata diplomata oceurrunt, non continuo monachis insultandum aut improperandum. ì

28

Jean Mabillon.

Oermon

beruht hat. 1 Außerdem aher gibt M A B I L L O N s Werk, ganz abgesehen von der ersten wissenschaftlich brauchbaren Klassifikation der Schriftr arten, der Grundlage aller späteren paläographischen Arbeiten, eine Spezialdiplomatik der fränkischen und französischen Könige, die wenigstens für die merovingische Periode bisher noch durch keine andere zusammenfassende Arbeit ganz entbehrlich gemacht worden ist. Durch M A B I L L O N s Werk war die Urkundenlehre — zunächst noch verbunden mit der Paläographie, die sich erst ein Jahrhundert später von ihr abgetrennt hat — zu einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin geworden, die zugleich von wesentlicher Bedeutung für praktischjuristische Fragen war, und die deshalb nicht bloß in Frankreich, sondern auch in Deutschland, Italien, England das lebhafteste Interesse erweckte. Eine rege Polemik knüpfte sich zunächst an die von M A B I L L O N aufgestellten Beurteilungsregeln. Einzelne von ihnen wurden von dem Engländer G E O R G E H I C K E S 2 heftig angegriffen, der M A B I L L O N geradezu den Vorwurf machte, er habe mit mehr als erlaubter Schlauheit die Mönche lehren wollen, mit welchen Kunstgriffen und Ausflüchten sie ihre gefälschten Urkunden verteidigen könnten. Die Abwehr dieser Angriffe, an der M A B I L L O N durch den Tod verhindert war, führte R U I N A R T in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Libri de re diplomatica. Ein lebhafterer Streit erhob sich, als der Jesuit B A R T H O L O M A E Ü S 3 GEBMON den von seinem Ordensbruder P A P E B B O C H aufgegebenen Standpunkt wieder einnahm und sogar in der Hyperkritik noch viel weiter ging als dieser. Er erklärte es einfach für undenkbar, daß sich echte Urkunden aus der merovingischen Zeit erhalten hätten, behauptete, es sei unmöglich, bei so alten Dokumenten Echtes und Falsches sicher zu unterscheiden, verwarf mit den törichtesten Gründen die Anwendbarkeit paläographischer Kriterien und focht insbesondere die Urkunden des Archivs von St. Denis an. Indessen weder diese Schrift, 1

Ich denke namentlich an Begel IV, daß nicht nach einem Merkmal, sondern nach allen zusammen über die Echtheit von Urkunden zu entscheiden ist, Regel VI, daß die Zeugnisse der Schriftsteller denen der Urkunden nicht unbedingt vorzuziehen sind (eine Begel, gegen die z. B. PAPEBROCH mehr als einmal gefehlt hat), Begel VII, daß an die Kritik bloß abschriftlich erhaltener Urkunden ein ganz anderer Maßstab angelegt werden muß, als an die der Originale u. a. m. ! Linguarum veterum septentrionalium thesaurus grammatico-criticus et archaeologicus (Oxford 1 7 0 3 — 1 7 0 5 , 4 Bde.). 8 De veteribus regum Francorum diplomatibus et arte secernendi antiqua diplo'mata vera et falsa diseeptatio (Paris 1703). Eine diseeptatio secunda erschien Paris 1706. Eine dritte Schrift von GERMON gegen RÜINART u. a. 1707.

Die Oermonisten.

Nouveau traité de

diplomatique

29

noch die seiner Anhänger, der Germonisten, zu denen insbesondere der Jesuit RAGUET (1708) gehörte, 1 oder seiner für MABILLON eint r e t e n d e n G e g n e r FONTANINI ( 1 7 0 5 ) , RUINABT ( 1 7 0 6 ) , LAZZABINI ( 1 7 0 6 ) ,

GATTI (1707), MABANTA (1708) haben die Entwickelung der Wissenschaft direkt irgendwie wesentlich gefördert. Nur insofern sind sie von Wichtigkeit geworden, als sie die Maurinischen Ordensbrüder MABILLON s zu unausgesetzter Weiterarbeit auf diplomatischem Gebiet antrieben. Aus diesen Arbeiten ging dann, unmittelbar veranlaßt durch einen heftigen Streit, der im Jahre 1742 über die Echtheit einiger schon früher angefochtener Urkunden des Klosters St. Ouen wieder ausbrach, das zweite große französische Hauptwerk auf unserem Gebiet hervor, das 1750 von den Maurinern Dom CH. FB. TOUSTAIN und Dom R. FB. TASSIN begonnen, seit 1754 nach TODSTAINS Tode von dem letzteren allein fortgesetzt und 1765 beendet wurde. 2 An stupender Gelehrsamkeit, Sammelfleiß und Massenhaftigkeit des verarbeiteten Materials übertrifft dies Werk dasjenige MABILLON s bei weitem; aber die Verfasser sind ihrem großen Vorgänger an schöpferischer Kraft und eigentlich wissenschaftlicher Begabung, nicht gewachsen. Sie haben einen kolossalen Stoff zusammengetragen, aber 1 Am weitesten in dieser Beziehung ging der Jesuit HARDOUIN, der nicht nur alle älteren Urkunden, sondern auch die Werke der meisten klassischen Autoren, viele Werke der Kirchenväter usw. für späte Mönchsfälschungen erklärte, 1708 aber von seinen Oberen zum Widerruf genötigt wurde. Vgl.

TKACBE a. a. 0 . 1, 31 f. 2 Nouveau traité de diplomatique, où l'on examine les fondemens de cet art: on établit des règles sur le discernement des titres, et l'on expose historiquement les caractères des bulles pontificales et des diplômes donnés en chaque siècle Par deux religieux Bénédictins de la congrégation de St. Maur (Paris 1750 — 1765, 6 Bde.). Deutsche Übersetzung unter dem Titel „Neues Lehrgebäude der Diplomatik", begonnen von JOH. CHK. ADELUNG, seit

B d . 4 fortges. von ANT. RUDOLPH ( E r f u r t 1759—69, 9 Bde.), m i t A n m e r k u n g e n

und Zusätzen. — Inhalt des Werkes: Buch 1. Allgemeine Grundsätze. Glaubwürdigkeit der Urkunden. Archive. Originale und Kopien. Urkundenarten. Buch 2. Schreibstoffe. Schreibinstrumente. Tinte. Ursprung und Geschichte der Schrift. Arten insbesondere der lateinischen Schrift. Interpunktion. Abbreviaturen. Ziffern. Ligaturen. Tironische Noten. Urkundenschrift. Siegel. Außere Beschaffenheit der Originale. Buch 3. Schreibart. Orthographie. Urkundensprachen. Titel. Namen. Formeln. Datierung. Unterschriften. Kanzleipersonal. Buch 4. Spezialdiplomatik der Papsturkunden. Buch 5. Spezialdiplomatik der Urkunden anderer geistlicher Personen und Körperschaften. Buch 6. Spezialdiplomatik der Urkunden von Kaisern, Königen, Fürsten, anderen weltlichen Personen und Körperschaften. Buch 7. Geschichte der Urkundenfälschungen. (Buch 4—7 sind in sich chronologisch angeordnet.) Buch 8. Diplomatische Methode und Kritik.

30

Französische

Diplomatiker

nur zum Teil wirklich bewältigt; und die Brauchbarkeit ihres Werkes wird durch die unglückliche Anordnung, die einerseits zu häufigen Wiederholungen nötigt, andererseits zusammengehöriges auseinanderreißt, erheblich beeinträchtigt. Am ausführlichsten behandelt ist die Paläographie; am wertvollsten ist die im vierten Buch gegebene Spezialdiplomatik der Papsturkunden, die auch jetzt noch immer als unentbehrlich bezeichnet werden muß und deren Verdienst um so hoher anzuschlagen ist, als für sie am wenigsten vorgearbeitet worden war. Was nach dem Nouveau traité in den romanischen Ländern für die allgemeine Diplomatik geschehen ist, kann kurz zusammengefaßt werden. In Frankreich hat zwar die im Jahre 1821 von der Regierung begründete Ecole des chartes für die praktische Ausbildung junger Gelehrter in Paläographie, Diplomatik und Chronologie höchst vorteilhaft gewirkt und dem Lande eine Anzahl vortrefflicher Archivare gegeben, die sich um die Ordnung und Eepertorisierung der ihnen anvertrauten Schatze große Verdienste erworben haben, auch hat sie in ihrer Zeitschrift 1 eine Reihe wertvoller Arbeiten über einzelne Spezialfragen veröffentlicht. Weiter haben in den letzten Jahren, namentlich unter dem Einfluß von LEOPOLD DELISLE, 2 einem der hervorragendsten Paläographen der neueren Zeit, der aber auch diplomatische Fragen mit größtem Erfolg bearbeitet hat, 3 allerdings schon unter der Einwirkung der neueren deutschen, unten näher zu besprechenden Arbeiten, mehrere jüngere Forscher 4 auch bedeutendere selbständige Schriften auf unserem Arbeitsfelde veröffentlicht. Aber an wichtigen allgemeineren Werken war lange Mangel. Das umfangreichste, das erschienen ist, die „Eléments de paléographie" von N. DE WAILLY, 6 beschränkt sich, soweit es überhaupt diplomatische Fragen berücksichtigt, darauf, den von den Maurinern

1

Bibliothèque de l'école des chartes (Paris 1840 ff.). Zum Gebrauch der Schule ist eine höchst wertvolle Sammlung von vortrefflich hergestellten Urkundenabbildungen publiziert u. d. T. Recueil de facsimiles à l'usage de l'école nationale des chartes (Paris 1880ff.). Eine andere wichtige Publikation von Faksimiles gibt das Musée des archives départementales. Recueil de facsimiles héliographiques de documents tirés des archives des préfectures, mairies et hospices (Paris 1 8 7 9 . Text und 6 0 Tafeln); eine dritte das von DELISLE herausgegebene Album paléographique (Paris 1 8 8 7 ) . » 1826-1910; 1874—1904 Chef der Nationalbibliothek von Pans. * Namentlich das Urkundenwesen Innocenz' III., Philipp Augusts von Frankreich und Heinrichs II. von England. * So

UL

ROBERT,

PFISTER,

HALPHEN, L O T , L A U E R U. a . 8

A . LUCHAIRE,

J. HAVET,

M. PEOÜ,

JDSSELIN,

Paris 1838, 2 Bde.; veröffentlicht auf Veranlassung des Ministers GUIZOT und mit Unterstützung des Staates, um als Lehr und Handbuch zu dienen.

Italienische

Diplomaiiker

31

gegebenen Stoff übersichtlicher zu gestalten und mit einzelnen, auf selbständigen Studien beruhenden Nachträgen zu erweitern; und erst in neuester Zeit hat das vortreffliche „Manuel de diplomatique" von A. G I R Y 1 sich, wenn auch nicht völlig, 2 so doch mehr als irgend eine der bisher in Frankreich erschienenen diplomatischen Arbeiten von dem Vorbild der Mauriner losgelöst und in engem Anschluß an die später zu erwähnenden deutschen Forschungen, aber auch auf Grund eigener Studien den Stand unseres Wissens auf dem Gebiet der allgemeinen Urkundenlehre 8 zusammengefaßt. Auch in Italien ist erst in jüngster Zeit ein Aufschwung auf diesem Gebiet zu konstatieren. Zu den wichtigsten Erscheinungen älterer Zeit gehören die Arbeiten von S C I P I O N E M A F F E I 4 und A N G E L O F U M A GALLI.5 Der erstere beschäftigt sich hauptsächlich mit Dokumenten der frühesten Jahrhunderte; er hat sich namentlich auf dem Gebiet der Paläographie große Verdienste erworben, indem er M A B I L L O N S Klassifikation der Schriftarten sehr energisch bekämpfte und die Einheitlichkeit in der Entwickelung der lateinischen Schrift betonte. Der letztere fußt zwar auf dem Werke der Mauriner, hat aber daneben für das italienische Urkundenwesen eigene Studien gemacht, die seinem Buche einen eigentümlichen Wert verleihen. Unterrichtszwecken dienen das fast ganz auf den Arbeiten der Franzosen beruhende Kompendium von GLOKIA, das weniger wegen seines Textes, als wegen der bei1 Paria 1S94. Der Verfasser, dessen Spezialgebiet die Lehre von den Urkunden der französischen Karolinger war, ist 1899 gestorben. Vgl. über ihn u. a. PROU in der Revue internationale de l'enseignement vom 15. März 1900. s Auch GIRY hat noch immer große Abschnitte seines Weikes Dailegungen gewidmet, die, wie Buch III Kap. 2 und 3 (Personen- und Ortsnamen), Kap. 4 (geogiaphische und topographische Bezeichnungen. Maße. Gewichte. Münzen) mit der Urkundenlehre als Wissenschaft nichts zu tun haben und nur noch pi aktischen Zwecken dienen. Und wenn er die ganze technische Chronologie (S. 83—314) in sein Handbuch der Urkundenlehre aufgenommen hat, so hat das lediglich denselben Grund. Mit dem gleichen Recht hätte auch die Paläographie dem Handbuch einverleibt werden können. — Uber das Verhältnis des Manuel zur ersten Auflage meines Handbuchs vgl. ROSENHUND, Fortschritte der Diplomatik seit MABILLON (München 1897) S. 123. * Der allgemeinen Urkundenlehre gehört der weitaus größere Teil des Buches an. Die Spezialdiplomabk ist nur für Frankreich ausführlicher behandelt, daneben noch einigermaßen für die Päpste. Was über deutsche, eng lische und spanische Königs- und Privaturkunden gesagt wird, ist für eine allgemeine Diplomatik zu viel, für eine Spezialdiplomatik in keiner Weise ausreichend. 4 Istoria diplomatica che serve d'introduzione all' arte critica in tal

m a t e r i a ( M a n t u a 1727). 6

V g l . ü b e r i h n TRAUBE a. a. 0 . S. 44FF.

Delle istituzioni diplomatiche (Mailand 1802, 2 Bde.).

32

Deutsche

Diplomatíker

gegebenen Schrifttafeln Beachtung verdient, 1 und das ungleich bedeutendere Lehrbuch von CESABE PAOLI,2 dem auch durch eine Reihe von Spezialuntersuchungen rühmlichst bekannten, 1902 verstorbenen Florentiner Forscher, dessen Arbeiten von vollkommener Stoff beherrschung zeugen und an fruchtbringenden Gedanken nicht arm sind. Mit dem regsten Eifer warf man sich gleich nach dem Erscheinen von MABILLONS großem Werk in Deutschland 8 auf das Studium der neuen Wissenschaft. Noch vor der Mitte des 18. Jahrhunderts, zuerst durch den Jenenser Professor CHB. H E I N E . E C K H A B D 4 (1716 —1751), ward sie in den Universitätsunterricht eingeführt und hier in der Folgezeit besonders durch JOH. F B . JOACHIM in Halle 6 (1713—1768), J O H . H E U M A N N VON TEUTSCHENBBUNN, Professor an der Nürnbergischen Universität Altdorf (1711—1760), 8 J. J. OBEBLIN in Straßburg (1735 1

Compendio delle lezioni teorico-pratiche di paleografia e diplomatica (Padua 1870, Text und Atlas mit 29 Tafeln). 1 Programma scolastico di paleografia latina e di diplomatica (2. Aufl. Florenz 1888—99, 3 Teile). Deutsch (mit Zusätzen des Verfassers) von K. LOHHEYER (Innsbruck 1889—1900). Die Diplomatik behandelt der 3. Teil des Werkes. Gesondert erschienen ist: Le abbreviazoni nella paleografia latina (Florenz 1891, deutsch Innsbruck 1892). Beachtenswert ist auch PAOLIS vergleichende Anzeige der 1. Aufl. meines Handbuchs und des Manuel von GIRY im Arch. stor. italiano 5. Serie Bd. 15. Yon anderen italienischen Spezialarbeiten nenne ich DATTA, Lezioni di paleografia e critica diplomatica sui documenti della monarchia di Savoia (Turin 1834) (wozu jetzt die Faksimiles in P. VAYRA, Museo storico della casa di Savoia, Turin 1881, zu vergleichen sind), ferner Russi, Paleografia e diplomatica de' documenti delle provincie Napoletane (Neapel 1883). Ausgezeichnete Spezialuntersuchungen und vortreffliche Editionen hat in neuester Zeit L. SCHIAPARELLI geliefert. — Wichtigste italienische Faksimilepublikationen: ERNESTO MONACI, Archivio paleografico italiano (Rom 1883AF.); VITELLI und PAOLI, Collezione fiorentina di facsimih paleografici (Florenz 1884—1897). Andere werden später zu erwähnen sein.— Von den englischen Faksimilepublikationen sind auch für das deutsche und italienische Urkundenwesen die von BOND und THOMPSON fui die Paleographical Society herausgegebenen Facsímiles of manuscripts and insciiptions (London 1878FF.) zu beachten.

* Vgl. für das Folgende WEQELE, Gesch. der deutschen Historiographie S. 550ff. ; ROSENMUND, Fortschritte der Diplomatik S. 81 ff. * Verfasser einer Introducilo in rem diplomaticam, praecipue Germanicam (Jena 1742, zweite Ausgabe von BLASCHE, das. 1753). 6 Einleitung zur Teutschen Diplomatik (Halle 1748. 2. u. 3. Aufl. das. 1754. 1785). a Commentarli de re diplomatica imperatorum ac regum Germanorum inde a Caroli Magni temporibus adornati (Nürnberg 1745—53, 2 Bde.). — Commentarti de re diplomatica imperatricum ac reginaium Germaniae (Nürnberg 1749). Ich habe HEUMANN hier mit angeführt, obgleich es zweifelhaft ist, ob er schon

Deutsche

bis

Diplomatiker

33

in Göttingen ( 1 7 2 7 — 1 7 9 9 ) , 2 G R E G O R G R U B E R , Professor an der Ritterakademie in Wien ( 1 7 3 9 bis 1799),3 endlich durch C . T . G . S C H Ö N E M A N N , G A T T E R E R S Nachfolger in Göttingen, ( 1 7 6 5 — 1 8 0 2 ) 4 gepflegt. Alle diese Männer verbanden übrigens den Unterricht in der Paläographie und Diplomatik noch mit demjenigen in der Geschichte oder Rechtswissenschaft, und erst in neuerer Zeit sind in Österreich und Deutschland eigene Lehrstühle für die historischen Hilfswissenschaften geschaffen worden. s Die literarische Tätigkeit hat sich nun auf dem Gebiet der Diplomatik in Deutschland bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, unter allmählicher Ausscheidung der Chronologie und der Paläographie als selbständiger Disziplinen, wesentlich nach zwei Richtungen hinbewegt. Auf der einen Seite suchten zahlreiche längere oder kürzere Kompendien, Lehr- und Handbücher teils den überlieferten Stoff, den sie immerhin noch durch einzelne, neue und eigene Beobachtungen vermehrten, einfacher, faßlicher und systematischer zu gestalten, die Regeln zur Beurteilung der Urkunden möglichst bestimmt und präzise zu formulieren, endlich praktischen Zwecken der Archivare und Juristen zu dienen. 6 Auf diesem Wege ist jedoch nicht viel geleistet worden, das von dauernder Bedeutung gewesen wäre; insbesondere war der Yersuch G A T T E R E R S , durch eine Übertragung der Grundsätze des 1806),

1

JOH. CHRISTOPH

GATTERER

über Diplomatik gelesen hat, vgl. G A T T E R E B , Prakt. Diplomatik S . 103, S C H Ö N E System 1, 137 Anui. 1 Artis diplomaticae primae lineae in usum auditorum (Straßburg 1788). * Elementa artis diplomaticae universalis (Göttingen 1765). Abriß der Diplomatik (das. 1798). Praktische Diplomatik (das. 1799). ' Lehrsystem einer allgemeinen Diplomatik (Wien 1783—84, 3 Bde.). * Versuch eines vollständigen Systems der allgemeinen, besonders älteren Diplomatik (Hamburg 1801—02; 2. Ausg., Leipzig 1818, 2 Bde.). Codex für die praktische Diplomatik (Göttingen 1800—03, 2 Bde.). 5 In Marburg ist ein Institut zur Ausbildung von Archivbeamten begründet worden, das aber in neuester Zeit seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat. In Wien dient das Institut für österreichische Geschichtsforschung (begründet 1 8 5 4 ) auch diesem Zweck; vgl. E . v. O T T E N T H A L , Das k. k. Institut für österreichische Geschichtsforschung (Wien 1 9 0 4 ) . 8 Derartige Arbeiten sind außer den auf Seite 32 Note 4—6 und oben Note 1 — 4 erwähnten noch zu nennen von H E R T (De fide diplomatum Germaniae imperatorum et regum, Gießen 1 6 9 9 ) ; ALDENBRÜCK (In artem diplomaticam isagoge, ed. 2 , Köln 1 7 6 9 ) ; SCHWAB (Brevis introductio in rem diplomaticam, Heidelberg 1 7 7 6 ) ; M E F E A C (Diplomatisches Lehrbuch zur Beförderung der demonstrativen Lehrmethode, Jena 1 7 9 1 ) ; VON SCHMIDT-PHISELDECK (Einleitung für Anfänger der deutschen Diplomatik, Braunschweig 1 8 0 4 ) . Den letzten Yersuch einer neuen Systematik hat E R H A R D gemacht in H Ö F E R , E R H A R D U. M E D E M , Zeitschr. f. Archivkunde, Diplomatik und Geschichte, Bd. 2 (Hamburg 1 8 3 6 ) . MANN,

Hreßl.m,

U r k u n d e n l e h r o . 3. A u f l . I .

3

34

J. O. Hessel

sehen Systems auf Diplomatik und Paléographie diese Disziplinen auf einer ganz neuen Grundlage aufzubauen, 1 eine seltsame Yerirrung und Geschmacklosigkeit, die seine sonst an brauchbaren Beobachtungen nicht armen Bücher schnell veralten gemacht hat. Das Beste, was in Deutschland in dieser Art geschrieben worden ist, bietet das leider unvollendet gebliebene Buch SCHÖNEMANNS, dessen System freilich durch seine ganz unbegründete Abneigung gegen die Scheidung der inneren und äußeren Merkmale 2 geschädigt worden ist. Neben diesen allgemein-systematischen Arbeiten gingen nun aber von Anfang an Spezialuntersuchungen her, die sich wiederum in zwei verschiedene Kategorien teilen lassen. Einerseits nämlich wurden einzelne Kapitel der allgemeinen Diplomatik, wie die Lehre von den Siegeln, den Monogrammen, der Datierung, der Urkundenschrift, den Abbreviaturen, den einzelnen Urkundenformeln für sich behandelt. Die einschlägigen Werke sind mit wenigen Ausnahmen ohne größere Bedeutung und heute veraltet. Andererseits wurden aus der Masse des mittelalterlichen Urkundenvorrats zeitlich oder örtlich abgegrenzte Gruppen hervorgehoben und einer gesonderten Betrachtung unterworfen. Diesen Weg, auf dem aller weiterer Fortschritt der Diplomatik erfolgen sollte, hat in Deutschland 3 zuerst J o n . GEORG B E S S E L (1672—1749), Abt des niederösterreichischen Benediktinerklosters Göttweig, mit Erfolg betreten. Der diplomatische Teil seines für seine Zeit vortrefflichen Prachtwerkes 4 behandelt die Urkunden der deutschen Könige von Konrad I. bis auf Friedrich II. Seinen Erörterungen legt der Verfasser für jede einzelne Regierung eine Anzahl von Faksimiles zu-

LINNÉ

1 Elementa art. dipl. S. 81: nos itaque, partim artis diplomaticae amore eapti, partim hac cogitatione confirmati, nalurae et artium maximam similitudinem esse, in admiranda methodi Linnaeanae pulchritudine ae praestantia eo usque progressi sumus, ut crederemus eam ad dividendos etiam seripturas haitd incormmode accommodari posse. 1 S. oben S. 5 f. 3 Von außerdeutschen Arbeiten des 18. Jahrhunderts gehören hierher diejenigen von MADOX für England ( 1 7 0 0 ) , von ANDERSON für Schottland ( 1 7 3 9 ) , von F A N T für Schweden ( 1 7 8 0 — 8 1 ) , von SCHWARTNER für Ungarn ( 1 7 9 0 ) und von ALTER für Böhmen (1801). 4 Chronicon Gotwí cense Tomus prodromus de codicibus antiquis manuscriptis, de imperatorum ac regum Germaniae diplomatibus . . . (Tegernsee 1732). Auf dem Titel nennt sich BESSEL mit seinem Ordensnamen GOTTFRIED. Vgl. über ihn A L B E R T , Freiburger Diözesanarchiv 2 7 ( 1 8 9 9 ) , 2 1 7 f f . , der hier und in einem ebenso panegyrischen Aufsatz, Histor. Jahrbuch 3 1 , 66FF., den Anteil seines Mitarbeiters F R A N Z JOSEPH VON H A H N an dem Chronicon Gotwicense bespricht, den H E I G E L , W E G E L E und T R A U B E überschätzt haben, ALBERT selbst nun aber doch wohl zu gering anschlägt.

35

J. Heumann

gründe, die freilich — abgesehen von ihren technischen Mängeln — darunter leiden, daß das Format und die Zeileneinteilung der Originale nicht gewahrt sind, und die darum keine richtige Vorstellung von dem Aussehen einer deutschen Königsurkunde geben. An der Hand dieser Faksimiles erläutert der Yerfasser jedesmal zunächst die äußeren, sodann die inneren Merkmale der Diplome, wobei er auch die ihm erreichbaren Urkundendrucke in möglichster Vollständigkeit herbeizieht. An Gelehrsamkeit, Sorgfalt und umfassender Kenntnis übertrifft das Werk alle früheren spezialdiplomatischen Leistungen, diejenigen der Franzosen nicht ausgeschlossen. Sein größter Mangel ist einerseits die alleinige Berücksichtigung der Formalien für die Beurteilung der Urkunden, die in dieser Beziehung doch nicht ausreichen, andererseits der Umstand, daß BESSEL noch nicht dahin gelangt war, sichere Kriterien für die Entscheidung der Frage, ob eine Urkunde wirklich original sei, zu gewinnen, und daß er infolgedessen bei seinen Erörterungen mehrfach von falschen Voraussetzungen ausging. Dazu kam noch, daß BESSEL von den italienischen Urkunden unserer Kaiser gar keine Originale und weder zahlreiche noch genügende Drucke kannte, so daß ihm eine Reihe von Erscheinungen unverständlich bleiben mußten. In der zuerst erwähnten Beziehung bezeichneten nun die beiden Bände des HEÜMANN sehen Werkes über die Urkunden der Karolinger 1 einen abermaligen bedeutenden Fortschritt. HEUMANN, der in der entlegenen kleinen Universität, an der er wirkte, Originalurkunden nie gesehen hatte, der seine Kenntnis von den äußeren Merkmalen der Diplome nur aus Faksimiles und Beschreibungen schöpfen konnte, und der sich dadurch zu einer ungerechtfertigten Unterschätzung jener Merkmale verleiten ließ, 2 hat auf der anderen Seite durch umfassendste Berücksichtigung des Rechtsinhalts der Diplome als eines Merkmales der Kritik die Methodik unserer Wissenschaft bedeutend gefördert. Andere wesentliche Fortschritte in ihrer Vervollkommnung haben erst die letzten Jahrzehnte, hat erst die Zeit nach dem Sturz der napoleonischen Weltherrschaft gebracht. Es war zunächst von erheblicher Bedeutung, daß infolge der durch die französische Revolution herbeigeführten Veränderungen in dem politischen Leben Europas und besonders der Länder, mit denen wir uns hier näher zu beschäftigen 1 Oben S . 3 2 Note 6 . — Zwischen B E S S E L und H E Ü M A N N liegt der Zeit nach eine wenig bedeutende Arbeit von L . G R E B N E R ( 1 7 4 2 ) über die Urkunden Konrads I . — Von H E Ü M A N N erschien später noch eine kürzere Commentatio de re diplomatica Friderici I I . imperatoris (Altdorf 1 7 5 6 ) . 2

V g l . SICKEL, A c t a

1, 37. 3*

36

Umschwung der Verhältnisse im 19. Jahrhundert

haben, Deutschlands und Italiens, die mittelalterlichen Urkunden ihren praktisch-juristischen Wert mehr und mehr verloren hatten. Reicht die Periode der bella diplomatica insofern fast bis zum Ende des alten deutschen Reichs, als in zahlreichen Prozessen des 18. Jahrhunderts auf ältere Diplome zurückgegriffen und infolgedessen ihre Echtheit, erörtert werden mußte, 1 so beruhte jetzt der öffentliche Rechtszustand jener Länder auf neueren staats- und völkerrechtlichen Festsetzungen, die eine Bezugnahme auf den älteren, durch die Urkunden des Mittelalters fixierten Rechtszustand nur noch in sehr seltenen Fällen nötig machten. Und die große Mehrzahl jener Urkunden war noch überdies ihrer praktischen Bedeutung durch den Umstand entkleidet worden, daß die geistlichen Institute und Korporationen, denen sie angehört hatten, aufgehoben oder wenigstens mediatisiert worden waren. Verlor somit die Diplomatik ihren Wert für das praktische Rechtsleben fast ganz, 2 wurde sie immer mehr eine rein theoretische, den Zwecken historischer Erkenntnis dienende Wissenschaft, so wurde sie damit sehr zu ihrem Vorteil von allen den unwissenschaftlichen Tendenzen frei, die in der bisherigen Literatur eine immerhin nicht unbeträchtliche Rolle gespielt hatten. Hiermit aber hing noch ein anderes zusammen. Eben jene Säkularisationen und Mediatisierungen von Klöstern und Bistümern hatten den uns erhaltenen Vorrat an mittelalterlichen Urkunden zum überwiegenden Teil in den Besitz der staatlichen und kommunalen Archive gebracht. Hier wurden sie neu geordnet und im Laufe der nächsten Jahrzehnte in immer zunehmender Liberalität wissenschaftlicher Erforschung zugänglich gemacht: je weniger praktische Bedeutung diese Urkunden jetzt noch hatten, desto weniger Gründe waren vorhanden, 1

Vgl. die Liste von Deduktionsschriften des 18. Jahrhunderts bei S C H Ö N E System 1, 213 ff. 1 In den wenigen Fällen, in denen während der letzten Jahrzehnte für praktisch-juristische Zwecke von mittelalterlichen Urkunden Gebrauch gemacht worden ist, handelte es sich meist um privatrechtliche Streitigkeiten und Statusfragen. Vgl. in letzterer Beziehung die auf Grund einer plump gefälschten Urkunde angeblich Konrads II. getroffene Entscheidung der österreichischen Regierung, Wiener Zeitung 1864 n. 149 (Juni 16). Amtlicher Teil. Doch hat die Interpretation eines Diploms Friedrichs I. von 1188 noch in dem 1890 durch reichsgerichtliches Urteil entschiedenen Prozeß zwischen Lübeck und beiden Mecklenburg über das Hoheitsrecht auf der Trave eine Hauptrolle gespielt, vgl. NA. 17, 235 n. 55. Und auch in dem 1904 durch das Oberlandesgericht zu Kiel entschiedenen Prozeß zwischen der Stadt Kiel und dem preußischen Fiskus über den Besitz des Kieler Hafens sind Fragen der Echtheit und Deutung mittelalterlicher Urkunden ausschlaggebend gewesen, vgl. NA. 34, 291 n. 162. MANN,

Mon. Oerm. histórica.

Jahrbücher der deutschen Geschichte

37

ihre Benutzung zu beschränken. Und indem nun weiter durch die in überraschendem Maße sich steigernde Erweiterung der Kommunikationsmittel archivalische Reisen in einem Umfang und in einer Ausdehnung ermöglicht wurden, wie sie die Gelehrten des 18. Jahrhunderts niemals geträumt hatten, konnte das diplomatische Studium mehr und mehr auf die sichere Grundlage autoptischer Forschung gestellt werden. Yon diesen Erleichterungen aber ward um so ausgiebiger Gebrauch gemacht, als sie mit dem erheblichsten Aufschwung des Sinnes und Verständnisses für historische Studien im allgemeinen und ganz besonders für die Erforschung des Mittelalters zeitlich zusammenfielen. Wie jener Aufschwung sich teils aus der politischen NeugestaltungDeutschlands, teils aus der die Literatur und Kunst, ja das ganze geistige Leben beherrschenden Strömung, die wir Romantik zu nennen pflegen, erklärt, kann hier nicht im einzelnen erörtert werden. Hier genügt es, an zwei Unternehmungen zu erinnern, die von diesem Aufschwung lebendigstes Zeugnis ablegen. Im Jahre 1819 trat in Frankfurt am Main, Dank dem energischen Patriotismus des Freiherrn VON STEIN, die Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde zusammen; im Jahre 1834 begann LEOPOLD R A N Z E die Jahrbücher der Geschichte des deutschen Reiches, zunächst der sächsischen Periode, in systematischer Weise unter Heranziehung aller zugänglichen Quellen und Hilfsmittel durch seine Schüler bearbeiten zu lassen. Die Gesellschaft, bald unter der sachkundigen Leitung von G. H. P E K T Z (1795 bis 187(3) stehend, nahm 1824 in ihrem definitiven Arbeitsplan die Herausgabe der deutschen Königsurkunden bis zum 14. Jahrhundert in Aussicht; die Mitarbeiter der Jahrbücher sahen sich, weil sie den Stoff nach wesentlich chronologischen Gesichtspunkten ordneten, und wegen der Bestimmung des Itinerars der Regenten auf eine sehr viel umfassendere und intensivere Benutzung von Urkunden hingewiesen, als früher üblich gewesen war. So schienen das Bedürfnis nach einer Erweiterung unserer diplomatischen Kenntnisse und die Mittel zu ihrer Befriedigung gleichzeitig zu wachsen. Jahrzehntelang wurden nun von den Sendboten der Gesellschaft deutsche, italienische und französische Archive durchforscht, und es wurden die umfassendsten Sammlungen angelegt, die, wie sehr es auch an der rechten Ordnung und dem rechten Plan fehlen mochte, 1 doch, wenn sie der wissenschaftlichen Benutzung frühzeitig zugänglich gemacht worden wären, den größten Nutzen gebracht haben würden. Dazu aber kam es nicht. Die Leitung des Unternehmens hielt die 1

Vgl. SlCKEL, NA. 1, 432.

Die Begesten.

38

J. F. Böhmer und seine Nachfolger

zusammengebrachten Schätze fast fünf Jahrzehnte lang geheim; und als dann endlich im Jahre 1 8 7 2 durch K . PEUTZ den Jüngeren der erste Band der Diplomata, die Urkunden der Merovinger umfassend, veröffentlicht wurde, stellte es sich heraus, daß er den inzwischen erheblich gesteigerten wissenschaftlichen Ansprüchen in keiner Weise zu genügen vermochte. 1 Inzwischen hatte man nämlich das vorhandene Urkundenmaterial weit besser übersehen und zugleich nach anderen Gesichtspunkten zu beurteilen gelernt. JOH. F B . BÖHMER ( 1 7 9 5 — 1 8 6 3 ) , der Kollege des älteren PEUTZ in der Leitung der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, hatte anfangs die Herausgabe der Kaiserurkunden übernommen, dann aber, als er sich mit PEUTZ über den Plan und die äußere Ausstattung dieser Ausgabe nicht verständigen konnte, den Gedanken gefaßt, selbständig und ungehindert eine DiplomatarAusgabe zu veranstalten. Diesen Plan hat er nun freilich nicht ausgeführt, 3 aber aus den Vorarbeiten dafür sind seine großartigen Urkundenverzeichnisse 3 hervorgegangen, die, vorzugsweise das gedruckte Material berücksichtigend, daneben aber in immer zunehmendem Maße auch ungedrucktes heranziehend, diplomatische Arbeiten, wie sie seitdem üblich geworden sind, überhaupt erst ermöglicht haben. BÖHMER begann seine Regesten 4 mit der Bearbeitung der Kaiser- und Königsurkunden von 911 — 1 3 1 3 (1831), daran schlössen sich die Urkunden der Karolinger und der burgundischen Könige (1833); demnächst erschien die Fortsetzung bis 1347 (1839). Die Regesten Ruprechts von der Pfalz und Friedrichs III. bearbeitete CHMEL ( 1 8 3 4 und 1 8 4 0 ) ; die Karls IV. hat H U B E R aus dem Nachlaß BÖHMEKs und mit zahlreichen Ergänzungen vermehrt herausgegeben (1877; dazu ein Ergänzungsheft 1 8 8 9 ) . Neubearbeitungen einzelner Abteilungen hat BÖHMER selbst noch für die Zeit von 1198—1313 durchgeführt (1844—1849), über-

1

Vgl. Monumenta Germaniae Histórica. Diplomatum imperii tomus I besprochen von T H . S I C K E I (Berlin 1 8 7 3 ) und die Rezension der P E R T Z sehen Ausgabe von K. F. S T U M P F , Histor. Zeitschr. 1 8 7 3 Bd. 2 9 , 3 4 3 F F . 2

Erschienen ist nur ein nicht recht genügendes Probeheft: Acta Conradi I. regis, (Frankfurt 1859). 8 Vgl. darüber im allgemeinen die Ausführungen F I C K E R S in der Vorrede zu B Ö H M E R S Acta imperii selecta (Innsbruck 1870). 4 Das Wort ist in diesem Sinne zuerst angewandt von GEORGISCH in seinem Werk „Regesta chronologico-diplomatica in quibus recensentar omnis generis monumenta et documenta publica" (Frankfurt u. Leipzig 1740—44. 4 Bde.). Es erinnert an den mittelalterlichen Gebrauch des Wortes regestum, regislrum (s. unten), mit dem es jedoch nicht übereinstimmt.

Die Regesten.

J. F. Böhmer und seine Nachfolger

39

dies in Ergänzungsheften Nachträge mancherlei Art mitgeteilt. 1 Außerdem hat, im Zusammenhang mit ihm, K. F. STUMPF ( 1 8 2 9 — 1 8 8 2 ) eine neue Verzeichnung der Urkunden von 919—1197 unternommen, 2 während nach BÖHMEBS Tode, durch von ihm bereitgestellte Mittel in den Stand gesetzt, JUL. FICKEB die Leitung des ganzen Unternehmens (die nach seinem Tode an E. MÜHLBACHEB, nach dessen Abiehen an 0. REDLICH und neuerdings an E. v. OTTENTHAL übergegangen ist) übernommen, selbst eine abermalige, von E. WINKELMANN und F. WILHELM vollendete Bearbeitung der Regesten von 1 1 9 8 — 1 2 7 3 begonnen (1881—1901) und eine ebensolche für die Karolingerzeit durch E. MÜHLBACHEB (2. Auflage, vollendet von J . LECHNEB ( 1 8 9 9 bis 1908), für die sächsische Zeit durch E. v. OTTENTHAL (1893), für Rudolf von Habsburg durch 0 . REDLICH (1898) veranlaßt hat. 3 Was die Erforschung des deutschen Mittelalters diesen Arbeiten BÖHMEBS und seiner Nachfolger verdankt, ist so oft gesagt und von jedem einzelnen Mitforscher an sich selbst so lebendig empfunden worden, daß darüber jetzt noch zu reden überflüssig erscheint. Und auch wie das an den Kaiserurkunden gegebene Beispiel auf andere Gebiete übertragen, von PH. JAFF£ ( 1 8 1 9 — 1 8 7 0 ) für die Urkunden der Päpste bis zum Jahre 1198, dann von zahlreichen jüngeren für andere und andere Urkundengruppen nachgeahmt wurde, daran braucht hier nur kurz erinnert zu werden. Hier ist nur auszuführen, inwiefern die so entstandene Literatur auf die Methodik unserer Wissenschaft zurückgewirkt hat. Einmal war es klar, daß von nun an an jeden, der sich mit der Beurteilung von Urkunden beschäftigte, die Anforderung gestellt werden konnte und mußte, daß er das vorhandene Material möglichst vollständig beherrsche. Sodann aber mußte sich aus der Anfertigung der Regesten selbst ein gewisser Maßstab für die Beurteilung der Urkunden ergeben. Indem BÖHMES, STUMPF und andere nach ihnen die von einem wandernden Königtum ausgestellten Diplome chronologisch aneinander reihten, erschienen ihnen alle die Stücke, die durch Wider1

So zwei Additamente zu den Kegesten von 1246—1313 (erschienen 1849 und 1857). Zu den Regesten von 1314—1346 sind zwei Ergänzungshefte (1841 und 1846) noch von BÖHMER, das dritte 1865 von FICKER herausgegeben. 2 Als zweiten Band eines großen, unvollendet gebliebenen Werkes über die Geschichte der Reichskanzlei, von dessen erstem Bande nur 5 Bogen erschienen sind, und dessen dritten Band eine Sammlung von ungedruckten Kaiserurkunden bildet (Innsbruck 1865—83 mit Nachträgen von J. FICKEB). 8 Die nicht im Zusammenhang mit der Verwaltung des BÖHMER sehen Nachlasses von W. ALTMANN bearbeiteten Regesten Sigmunds (1896—1900) schließen sich zeitlich und in ihrer äußeren Form an diese Arbeiten an.

40

Julius Ficher

spräche in der Datierung untereinander oder mit anderen unverwerflichen Zeugnissen uneinreihbar waren, als durch Schreibfehler oder Irrtümer der Überlieferung entstellt oder als ganz gefälscht. Indem sie zugleich aus einer großen Mehrzahl von unter sich übereinstimmenden Urkunden, die ihnen durch die Hände gingen, gewisse Kriterien einer von ihnen angenommenen Kanzleimäßigkeit abstrahierten, erschien ihnen, was immer sich in diese Regeln nicht fügen mochte, als unecht oder korrumpiert; es war entweder aus der Reihe derRegesten überhaupt zu entfernen oder als Trugwerk besonders zu kennzeichnen. 1 So gewann S T Ü M P J F zwar scheinbar sichere Ergebnisse, aber es ist klar, daß seine Methode sich in einem verhängnisvollen Zirkel bewegte. Man leitete die Regeln für die Beurteilung der Echtheit aus der Übereinstimmung einer Anzahl von Urkunden her, die man als echt annahm, und man verwarf alle Stücke, die von diesen Regeln abwichen. Man ging von der Voraussetzung einer festen Ordnung im Kanzleiwesen aus, aber man erwies diese Voraussetzung nur, indem man alles, was sich jener Ordnung nicht fügte, außer Betracht ließ. Von zwei Seiten her ist dieses System in seinen Grundlagen erschüttert worden. Auf der einen Seite durch J U L . F I C K E R ( 1 8 2 6 — 1 9 0 2 ) , 2 dem sich eben, bei seinen Arbeiten für die neue Ausgabe der Regesten die Überzeugung von dessen Unhaltbarkeit aufdrängen mußte. Er lehrte die einzelne Urkunde als eine für sich stehende historische Quelle ansehen, die so gut wie alle historiographischen Zeugnisse auf ihre Entstehungsgeschichte hin zu untersuchen ist. Er verfolgte diesen Entstehungsprozeß der Urkunden nach seinen einzelnen Stadien und Faktoren und zerstörte die Legende von der vollkommenen Ordnung des mittelalterlichen Urkundenwesens auf das gründlichste, indem er zugleich nachwies, daß eine Fülle von Unregelmäßigkeiten einzelner Urkunden sich aus ihrer Entstehungsgeschichte besser erklären ließen als aus den bisher beliebten Annahmen eines Überlieferungsfehlers oder der Fälschung. Indem er von diesem leitenden Gesichtspunkt aus alle inneren und äußeren Merkmale der Urkunden in den Kreis seiner Betrachtungen einbezog, gab er eine Fülle von Anregungen, die noch 1 Auf dem hier kurz skizzierten Standpunkt haben BÖHMER und STÜMPF, soviel mir bekannt, bis zuletzt beharrt. Jetzt ist er von allen deutschen Diplomatikern, ausgenommen vielleicht von P F I U G K - H A R T T U N G , der noch immer mit dem Begriff der Kanzleimäßigkeit zu operieren liebt, aufgegeben. 2 Beiträge zur Urkundenlehre (Innsbruck 1877—78, 2 Bde., Nachträge dazu MIÖGr. Bd. 1 . 2. 6.). — Vgl. über ihn: J . J U N G , J U L I U S FICKER (Innsbruck 1907).

Theodor Sickel

41

auf lange hinaus fruchtbringend wirken werden, wenngleich manche seiner Annahmen im einzelnen sich, wie er übrigens seihst vorhergesehen hat, als nicht stichhaltig erwiesen haben. Freilich barg seine Lehre auch insofern eine Gefahr in sich, als die von ihm angegebenen Mittel, Unregelmäßigkeiten in den Urkunden zu erklären, von minder umsichtigen und kundigen Nachfolgern leicht dazu benutzt werden konnten und in der Tat hier und da schon dazu benutzt worden sind, 1 auch wirkliche und einer Verteidigung nicht werte Fälschungen in Schutz zu nehmen. Doch für solche Abirrungen ist nicht FICKER selbst, sondern sind diejenigen, die seine Sätze mißbräuchlich angewandt haben, verantwortlich zu machen. Auf der anderen Seite ist hier der Tätigkeit THEODOR SICKELS (1826—1908) 2 zu gedenken. Wir werden dem Namen dieses Mannes, dem unsere Wissenschaft mehr verdankt, als seit den Tagen MABILLONS irgend einem anderen einzelnen Forscher, in diesen Blättern wieder und wieder begegnen, und aus dem häufigen Gebrauch, den wir von den Ergebnissen seiner Studien zu machen haben, wird seine Bedeutung für die Geschichte der Urkundenlehre von selbst klar werden. Für jetzt gilt es, nur einen Haupt- und Kernpunkt seiner Arbeiten zu erfassen. Dieser aber liegt darin, daß SICKEL durch einen ebenso einfachen wie zwingend überzeugenden Gedanken unsere Wissenschaft aus dem verhängnisvollen Zirkel, in welchem sie sich, wie wir sahen, bewegte, herausgeführt hat. Wenn man seit lange erkannt hatte, daß die Eegeln für die Beurteilung zweifelhafter Urkunden aus der Untersuchung zweifellos echter d. h. originaler Stücke abzuleiten seien, so kam alles darauf an, ein sicheres Kriterium für die Entscheidung der Frage, ob eine Urkunde Original sei, zu gewinnen. Dies hat SICKEL zunächst für die Urkunden der karolingischen, dann auch für die der sächsischen Kaiser getan. Er ging von folgender Erwägung aus, die er selbst erst im Laufe der Zeit immer klarer und bestimmter formuliert 1 So z. B . von BAÜMANN bei der Ausgabe der Urkunden von Kloster Allerheiligen zu Schaffhausen. 2 Beiträge zur Diplomatie 1—8 (Wien 1861—1882; aus den Sitzungsberichten der Wiener Akademie). — Acta regum et imperatorum Karolinorum digesta et enarrata (Wien 1867, 2 Bde.). — Programm und Instruktion der Diplomata-Abteilung (NA. 1, 429ff.). — Über Kaiserurkunden in der Schweiz (Zürich 1877). — Monumenta graphica medii aevi (Wien 1858ff.). — Schrifttafeln aus dem Nachlaß von U. F. v. K O P P (Wien 1871). Andere Arbeiten sind schon oben genannt oder werden in anderem Zusammenhang noch zu nennen sein. — Eine ausführliche Biographie fehlt noch. Einstweilen vgl. E. v. OTTENTHAL, MIÖG. 29, 545ff.; W. E R B E N , Histor. Vierteljahrschrift 11, 333ff.; M. TANGL, NA. 33, 773ff.

42 hat. 1 Wenn mehrere Urkunden desselben Ausstellers für verschiedene Empfänger, die nicht in einem nachweisbaren Zusammenhange stehen, also z. B. für ein italienisches Bistum und für ein deutsches Kloster oder für eine bayrische Kirche und einen Laien aus Niedersachsen ganz oder teilweise von derselben Hand geschrieben sind, so kann diese Schriftgleichheit nur auf ihre Entstehung in der Kanzlei des Ausstellers zurückgeführt werden, da die Annahme, sie könnten von demselben Fälscher herrühren, nach allem, was wir von der Entstehung mittelalterlicher Fälschungen wissen, im allgemeinen und abgesehen von wenigen, besonders zu erklärenden Ausnahmefällen als ausgeschlossen angesehen werden kann. 2 Durch diesen Satz wurde die Schriftvergleichung 3 das erste Postulat der neueren Diplomatik und zugleich das Vgl. BzD. 6 (Wiener SB. 85), 361 ff. Zwei solcher Ausnahmefälle sind neuerdings eingehend behandelt worden; einmal die schon oben S. 12 erwähnte Fälschung von Karolingerurkunden für zahlreiche schwäbische Klöster durch einen Fälscher des 12. Jahrhunderts (vgl. L E C H N E R , MIÖG-. 21, 37 ft.), sodann die Anfertigung von vier Diplomen angeblich Konrads II. und Heinrichs III. für die Bistümer Turin, Modena, Bergamo und für die Klöster S. Salvatore zu Tolla und S. Constantius in Villar S. Costanzo, die um die Mitte des 11. Jahrhunderts durch einen Turiner Kleriker angefertigt wurden (vgl. H E S S E L und W I B E L , NA. 32, 321 ff.). Aber jene süddeutschen Klöster haben eben vermutlich in einem gewissen Zusammenhang gestanden, und an die Echtheit der in Frage kommenden Karolingerurkunden konnte, da die Schrift ihre Entstehung im 12. Jahrhundert unzweifelhaft machte, überhaupt nicht gedacht werden. Und wer sich mit der Kritik der vier italienischen Diplome beschäftigte, der mußte auf ihren Zusammenhang schon dadurch aufmerksam werden, daß eines von ihnen für den Bischof Wido von Turin gegeben, in den drei anderen dieser Bischof als Intervenient genannt war. — Schwieriger wäre es zu erklären, wie ein Mönch von St. Medard zu Soissons im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts für eine größere Anzahl von Kirchen, darunter St. Audoenus zu Rouen und St. Augustin zu Canterbury, päpstliche Exemptionsprivilegien hat fälschen können; doch kennen wir den Fall nur durch eine sehr komplizierte Überlieferung: der Fälscher soll es auf dem Totenbett dem Bischof Gaufrid von Chalons gestanden, dieser soll das auf dem Konzil zu Reims vor Innocenz II. berichtet haben. Seinen Bericht ließ dann Hugo, Erzbischof von Rouen, dem Erzbischof Thomas von Canterbury mitteilen, und die Relation Hugos endlich übersandte die Kirche zu Canterbury durch Vermittelung des Bischofs Ägidius von Evreux, der Zeugnis dafür ablegt, an Alexander III. (Bouquet Recueil 15, 961 n. 398, ungenau zitiert von E. M Ü L L E B , NA. 34, 692 N. 1). Das geschah wahrscheinlich 1178, als der Erzbischof und der Augustinuskonvent wiederum in Rom prozessierten. Unter diesen Umständen scheint mir die ganze Sache sehr zweifelhaft zu sein. 8 Schriftvergleichung hat man seit MABILLON immer getrieben. Aber der Unterschied zwischen dem, was S I C K E L , und dem, was seine Vorgänger getan haben, liegt darin, daß diese sich begnügten, den im allgemeinen zeitgemäßen 1

s

Neueste

Fortschritte

der diplomatischen

Methode

43

vornehmste Hilfsmittel unzweifelhaft sicherer, weil auf der unmittelbaren Evidenz des Augenscheins beruhender Erkenntnis; so wurde die Diplomatik, wie man sich auszudrücken versucht sein könnte, zum Range einer exakten Wissenschaft erhoben. Und es hieß nur einen Schritt weiter gehen, wenn man dieselbe Operation von der Schrift auch auf den Stil übertrug und die Yergleichung des Diktats als ein weiteres, freilich minder sicheres und, wie später näher auszuführen sein wird, nur mit gewissen Beschränkungen anwendbares Hilfsmittel diplomatischer Kritik zu Hilfe nahm. Gegen das Zwingende des oben kurz formulierten Gedankens an sich war keinerlei Einwand zu erheben. Zweifel waren nur denkbar und sind gehegt worden, ob er praktisch durchführbar, ob eine sichere Unterscheidung der Hände einzelner Schreiber derselben Zeit möglich sei. Diese Zweifel sind durch eine doppelte Probe gehoben worden. Indem SICKEL im Jahre 1873 die Leitung der Diplomata-Abteilung der Monumenta Germaniae histórica übernommen und im Jahre 1893 die Ausgabe der Kaiserurkunden von 911—1002 vollendet hat, 1 ist an einem Stoffe von etwa 1300 Diplomen die Möglichkeit sicherer Unterscheidung von Schreibern und Verfassern dargetan worden. Und indem SICKEL sich weiter mit H. VON S Y B E L ZU dem großartigen Unternehmen vereinigte, eine Sammlung von 361 technisch vollendeten und vollkommen getreuen, mit erläuterndem Kommentar versehenen Abbildungen von Urkunden deutscher Könige und Kaiser aus der Zeit von Pippin bis auf Maximilian zu veranstalten, 2 ist auch denCharakter einer Schrift nachzuweisen, während jener, und jener zuerst, planmäßig auf den individuellen Charakter der Schrift eines einzelnen Notars einging. 1 Monumenta Germaniae histórica. Diplomatum regum et imperatorum Germaniae tomus I . IL (Hannover 1 8 7 8 — 9 3 ) . — Tomus III und 1Y der Diplomata (Hannover 1 9 0 0 — 0 9 ) , bearbeitet von H . B R E S S L A Ü mit H. B L O C H , R. H O L T Z MANN, H. M E Y E R , H. W I B E L und A. H E S S E L enthalten die Diplome Heinrichs II., Arduins und Konrads II., zusammen etwa 850 weitere Urkunden. — Yon den Urkunden der Karolinger (Diplomata Karolinorum), bearbeitet von E. M Ü H L B A C H E R mit A. D O P S C H , J. L E C H N E R , M. TANCJL ist der erste Tomus erschienen (Hannover 1906), enthaltend die Urkunden Pippins, Karlmanns, Karla des Großen ( 3 1 9 Nummern). — Nach denselben Grundsätzen bearbeitet L. SCHIAPARELLI für das Istituto storico Italiano die Urkunden der nachkarolingischen Könige Italiens in den Fonti per la storia d'Italia. Erschienen sind bis jetzt die Diplome Berengars I., Widos, Lamberts in zwei Bänden (Rom 1 9 0 3 — 0 6 ; etwa 190 Nummern*. 2 Kaiserurkunden in Abbildungen, herausgegeben von H . v. S Y B E L und T H . S I C K E L (Berlin 1 8 8 0 — 9 1 , 1 1 Lieferungen). Bearbeitet sind von S I C K E L selbst die Urkunden der Karolinger und Sachsen bis 1002, von V . B A Y E R die

44

Gegenwärtiger Stand der Urkundenlehre

jenigen, welche nicht in der Lage sind, eine genügende Zahl von Originalen unmittelbar kennen zu lernen, die Möglichkeit gegeben, die Resultate der Schriftvergleichung nachzuprüfen. 1 Die Anwendbarkeit des Prinzips der Schriftvergleichung auf die Kaiserurkunden bis ins 14. Jahrhundert hinein •— denn noch in dieser Zeit ist sie insbesondere mit Bezug auf die Unterfertigungs- und Eegistraturvermerke möglich — hat sich aus dieser Publikation mit voller Sicherheit ergeben. Daß sie auch auf die Papsturkunden wenigstens der älteren Zeit Anwendung finden muß, haben neuere Untersuchungen verschiedener Forscher gezeigt.2 Nicht minder kann sie auch bei den älteren deutschen Privaturkunden mit Erfolg vorgenommen werden, 3 und es ist kein Grund zu bezweifeln, daß sie überall da möglich ist, wo Urkunden in einer Kanzlei entstanden sind: auch bei der scheinbar größten Ubereinstimmung der Schrift solcher Urkunden ergeben sich, wenn Auge und Aufmerksamkeit genügend geschärft sind, Unterscheidungen individueller Natur. Aber auch die Gruppen von Urkunden, die sich nicht so behandeln lassen, werden von der gewonnenen Grundlage befestigter Kenntnis des königlichen und päpstlichen UrkundenHeinrichs II., von H. B R E S S L A C die der Salier, von W. S C H U M die Lothars III. und der Staufer bis 1208 sowie Ottos IV., von F. P H I L I P P I die Friedrichs II. und seiner Söhne, von S. H E R Z B E R G - F R Ä N K E L die des Interregnums und der Könige Rudolf, Adolf, Albrecht I. und Heinrich VII., von H . G R A Ü E R T die Ludwigs des Bayern, von K. U H L I R Z die Friedrichs des Schönen, von T H . L I N D N E R die der luxemburgischen, von S . S T E I N H E R Z endlich die der habsburgischen Periode. 1 Von einer entsprechenden Faksimilesammlung für Italien, den von deiSocietà Romana di storia patria herausgegebenen Diplomi imperiali e reali delle cancellerie d'Italia, ist nur das erste Heft erschienen (Rom 1892, 14 Abbildungen). Einen Ersatz für das Stocken dieses Unternehmens bietet die im Archivio paleografico Italiano (oben S . 32 N. 1) Bd. 9 von L. SCHIAPARELLI herausgegebene Sammlung italienischer Königsurkunden des 9. und 10. Jahrh., von der das erste Heft mit 12 Abbildungen bereits erschienen ist (Rom 1910). — Uber die Abbildungen von Merovingerdiplomen s. unten bei der Geschichte der merovingischen Schrift. 2 Eine große Sammlung von Abbildungen von Papsturkunden hat J . v. P F L C G K - H A R T T Ü N Q unter dem Titel Chartarum pontificum Romanoram specimina selecta (Stuttgart 1885ff.) herausgegeben, die indes teils wegen der gewählten Reproduktionsmethode, welche im Zeitalter der Photographie nicht mehr angebracht ist, teils aus anderen Gründen mit den KUiA. nicht verglichen werden kann. 3 Vgl. FDG. 26, 51 ff. und neuerdings besonders die feinen Untersuchungen von v. M I T I S , Studien zum älteren österreichischen Urkundenwesen (Wien 1906 bis 1908, Heftl—3), sowie die in Kap. VIII verzeichneten Arbeiten zur Geschichte deutscher fürstlicher Kanzleien.

Gegenwärtiger Stand, der Urkundenlehre

45

wesens aus, das für jedes andere im Mittelalter vorbildlich war, ungleich sicherer beurteilt werden können, als zuvor möglich war. I m Anschluß an die zuletzt erörterten, durch die Untersuchungen F I C K E R S und SICKELS herbeigeführten methodischen Fortschritte unserer Wissenschaft bewegen sich die Arbeiten zahlreicher jüngerer Forscher, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Zwischen ihnen herrscht, unbeschadet aller Selbständigkeit der Meinungen im Einzelnen, die erfreulichste Harmonie über die Ziele, die zu erstreben, und über die Wege, auf denen sie zu erstreben sind. Immer mehr erweitert und vertieft sich unsere Kenntnis, und einen immer größeren Nutzen beginnt die eigentliche Geschichtschreibung aus den Ergebnissen unserer Studien zu ziehen. J e mehr aber auch die diplomatischen Studien sich spezialisiert haben, um so angemessener erscheint es, wenigstens für das uns zunächst interessierende Gebiet Deutschlands und Italiens von Zeit zu Zeit zusammenzufassen, was bisher erreicht ist, Rechenschaft zu geben über sicheren und unsicheren Besitz, die vorhandenen Lücken unserer Kenntnis wenigstens zum Teil auszufüllen oder, wo das nicht angeht, nachdrücklich auf sie hinzuweisen und so der zukünftigen Forschung einen Fingerzeig zu geben, wo sie einzusetzen hat. Diesen Versuch unternimmt das vorliegende Buch. 1

D r i t t e s Kapitel. Urkundenteile und Urkundenarten. Jede Urkunde, zu welcher Zeit und von wem immer sie ausgestellt sein mag, läßt sich in zwei Hauptbestandteile scheiden. 2 Der eine wird in seiner Fassung wesentlich durch den Rechtsinhalt der Urkunde, 1 Als es 1889 zum erstenmal erschien, war ein solcher Versuch seit 80 Jahren nicht unternommen worden. Seitdem ist in M E I S T E R S Grundriß der Geschichtswissenschaft (Bd. 1, Leipzig 1906) über Königs- und Kaiserurkunden von THOMMEN, über Papsturkunden von SCHMITZ-KALLENBERG, über sog. Privaturkunden von STEINACKER eine kürzere zusammenfassende Darstellung publiziert worden. Außerdem ist in dem Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte von MEINECKE und v. BELOW der erste Band einer Urkundenlehre erschienen (München 1907), worin 0. REDLICH eine allgemeine Einleitung zur Urkundenlehre gibt, W. E R B E N eine Spezialdiplomatik der Königsurkunden in Deutschland, Frankreich und Italien. Plan und Ausführung dieser Arbeiten decken sich nicht mit denen dieses Handbuchs. 2 Diese wichtige Unterscheidung, die schon bei den altrömischen Urkunden gemacht werden kann, ist zuerst von SICKEL in die Wissenschaft eingeführt worden, A c t a l , 106FF. 208FF.; vgl. dazu F I C K E R , BZU. 1, 16; 2 , 3FF., LLLFF.;

46

Text und

Protokoll

d. h. durch die Art des in ihr bezeugten Rechtsgeschäftes bedingt; 1 er kann daher in Urkunden verschiedener Aussteller aus verschiedenen Zeiten und Orten völlig oder wenigstens in der Hauptsache übereinstimmend lauten, wenn ihr Rechtsinhalt übereinstimmt, muß dagegen in Urkunden verschiedenen Rechtsinhalts, auch wenn sie von demselben Aussteller am gleichen Tage erlassen sind, differieren. Diese Verschiedenheit seiner Fassung bei verschiedenem Rechtsinhalt ist notwendig; jene Übereinstimmung kann je nach den Verhältnissen des Einzelfalles mehr oder minder groß sein. Wir bezeichnen diesen Teil der Urkunden als den T e x t (Kontext).2 Bei den meisten Urkunden bildet der Text den mittleren Teil, dem gewisse Formeln vorangehen und auf den gewisse andere Formeln folgen. Wir fassen diese Eingangs- und Schlußformeln unter dem Namen P r o t o k o l l zusammen, bezeichnen aber da, wo es auf genauere Scheidung ankommt, die ersteren als Eingangsprotokoll (Protokoll im engeren Sinne), die letzteren als Schlußprotokoll (Eschatokoll).3 Der Rechtsinhalt der Urkunde beeinflußt unter Umständen auch das Protokoll, insofern gewisse Formeln desselben in gewissen Urkundenarten gesetzt zu werden, in anderen zu fehlen pflegen. Aber nur die mehr oder minder große Vollständigkeit des Protokolls, nur die Auswahl der zu ihm gehörigen Formeln wird durch den rechtlichen Charakter und Inhalt der Urkunde bedingt; die Fassung seiner Formeln selbst ist davon meistens unabhängig. Sie wird vielmehr hauptsächlich Programma 3 , 9 f f . ; G I R Y , Manuel 5 2 7 F . ; E R B E N , UL. S. 3 0 4 . Schon im Mittelalter ist die gleiche Unterscheidung im Baumgartenberger Formularbuch (QF. 9, 790) gemacht worden. Sein Verfasser unterscheidet einen tenor specialis, qui ex proprietate ipsius materie dinoscitur emanare, und eine generalis cutusdam tenoris formula. Der tenor specialis entspricht dem, was wir Kontext, die für mala dem, was wir Protokoll nennen. ROLANDINUS, Summa totius artis notariae (Venedig 1546) c. 469'ff. bezeichnet den Kontext als tenor negucii, das Protokoll nennt er publieatvmes. — Daß H E R Z B E R G - F R A N K E L , KUiA. Text S. 214 (N. 2), für die späteren deutschen Kaiserurkunden die Ausdrücke Kontext und Protokoll abweichend von dem üblichen Sprachgebrauch verwendet, ist ein wenig glücklicher Gedanke und verdient keine Nachahmung. 1 Aber nicht in gleichem Maße durch die anderweiten SpezialVerhältnisse des Einzelfalles. Schenkungsurkunden z. B. können gleichen Rechtsinhalt und dementsprechend bis auf die Namen gleichen Text haben, mag der Gegenstand der Schenkung groß oder klein, der Beschenkte hochstehend oder gering sein. * Für den Gebrauch von textus in fränkischen Formularen s. den Index in Mon. Germ. Formulae s. v. textus. In Italien findet sich der Ausdruck ebenfalls schon früh, so z . B . im Pact. de Lebur. Mon. Germ. LL. 4, 216: inxta textum cartulae. 3 Uber diese Ausdrücke vgl. S I C K E L , Acta 1 , 2 0 8 N . 1 ; P A O L I , Programma 3, 106. PAOLI,

Formeln des Protokolls

47

bestimmt durch die in der Kanzlei des Ausstellers (wo es sich um eine in einer Kanzlei geschriebene Urkunde handelt) geltenden Anordnungen, ferner durch zeitlich und örtlich wechselnden Gebrauch sowie durch die individuelle Gewöhnung des Schreibers der Urkunde. Darum ist häufig das Protokoll zweier Urkunden eines und desselben Ausstellers, oder zweier von demselben öffentlichen Schreiber ausgefertigten Urkunden verschiedener Aussteller, zumal wenn sie gleichzeitig entstanden sind, wörtlich das gleiche, mag auch ihr Rechtsinhalt völlig verschieden sein; während andererseits zwei in verschiedenen Kanzleien entstandene Königs-, Papst- oder Fürstenurkunden oder zwei von Notaren verschiedener Länder hergestellte Privaturkunden auch bei gleichem oder sehr ähnlichem Rechtsinhalt in ihrem Protokoll die auffallendsten Verschiedenheiten aufweisen können. Text und Protokoll der Urkunden zerfallen in eine Anzahl von Formeln, von denen die wichtigsten schon hier aufzuzählen sind, damit von den technischen Bezeichnungen, die wir ihnen beilegen, im Laufe des Buches Gebrauch gemacht werden kann. Zu den Formeln des Protokolls, wobei wir zunächst zwischen Eingangs- und Schlußprotokoll nicht scheiden, rechnen wir die folgenden: 1. I n v o c a t i o , Anrufung des göttlichen Namens am Eingang der Urkunde. Die Anrufung kann in Worten ausgedrückt oder durch ein Zeichen symbolisiert sein; wir unterscheiden danach eine verbale und eine symbolische (monogrammatische) Invokation. 2. I n t i t u l a t i o , 1 Angabe von Namen und Titel des Ausstellers, häufig verbunden mit der D e v o t i o n s f o r m e l , die dem Gedanken Ausdruck verleiht, daß der Aussteller seine irdische Stellung der Gnade Gottes verdanke. 3. I n s c r i p t i o (Adresse), Angabe der Person oder der Personen, an welche die in der Urkunde enthaltene Willenserklärung gerichtet ist. 2 Die Inscriptio ist häufig verbunden mit einer G r u ß f o r m e l (salutatio). 1

Diese von PAOLI eingeführte Bezeichnung findet sieh schon im Mittelalter selbst, vgl. die Briefe Gregors X . bei T H E I N E R , Cod. dominii temporalis 1, 192f. 2 Abweichend von SICKEL, FICKEB und E B B E N , aber übereinstimmend mit PAOLI (so jetzt auch Gray und K . A. K E H R ) , rechne ich diese Formel zum Protokoll und nicht zum Text. Entscheidend ist für mich, daß die Adresse in ihrer Fassung von dem Rechtsinhalt der Urkunde ganz unabhängig (wenn auch natürlich, was die Namen und Titel der Adressaten angeht, von dem Einzelfall bedingt), und daß sie mit der Intitulatio häufig zu einem Satz verbunden ist, in manchen älteren Papst- und Königs-, sowie zahlreichen Privaturkunden ihr sogar vorangeht. — Im Liber diurnus (ed. SICKEL S . lf.i werden Intitulatio

48

Formeln des Protokolls

und des Textes

4. Subscriptiones, Unterschriften (eigenhändige oder nicht eigenhändige) a) der Zeugen,1 b) des Ausstellers, c) des hei der Ausfertigung der Urkunde beteiligten Kanzleipersonals (Kanzlerrekognition) oder des Urkundenschreibers. 5. Datierung. 6. Apprecatio, kurzes Schlußgebet um Verwirklichung der in der Urkunde ausgesprochenen Willenserklärung. Im Urkundentexte unterscheiden wir: 1. Arenga, 2 allgemein gehaltene Motivierung der Ausstellung der Urkunde. 2. P r o m u l g a t i o (Notificatio), Kundmachung der in der Urkunde enthaltenen Willenserklärung an die in der Inscriptio genannten Adressaten oder an die Gesamtheit aller Christen. 3. Narratio, Erzählung der tatsächlichen Verhältnisse, die der Ausstellung der Urkunde im Einzelfall vorangegangen sind. 4. Dispositio, Ausdruck der Willenserklärung des Ausstellers.3 5. Sanctio 4 (Poenformel), Androhung einer Strafe für die Verletzung dieser Willenserklärung, in vielen Urkunden verbunden mit einer Verheißung von Belohnungen für ihre Beobachtung. 6. Corroboratio, Angabe der Beglaubigungsmittel der Urkunde.5 und Inscriptio als Superscriptio, im späteren Mittelalter werden sie vielfach als Salutatio zusammengefaßt. 1 F I C K E R , B Z U . 2 , 5 , will die Zeugenlisten als einen dritten, weder zum Protokoll noch zum Texte gehörigen Bestandteil der Urkunden betrachten; aber wenn wir an dem für die Unterscheidung aufgestellten Gesichtspunkt — Abhängigkeit oder Unabhängigkeit nicht von den sonstigen Verhältnissen des Einzelfalles, sondern nur vom Kechtsinhalt der Urkunde — festhalten, so kann an ihrer Zugehörigkeit zum Protokoll kaum gezweifelt werden. Wozu E B B E N sie zählt, ist mir aus seinen Ausführungen nicht ersichtlich geworden. * Der Ausdruck schon bei G U I D O F A H A ( Q E . 9 , 1 8 5 ) und später öfter. Gleichbedeutend werden im Mittelalter gebraucht: exordium, proverbium, prooemium, prologus. * In zahlreichen Urkunden sind Narratio und Dispositio zu einer Formel zusammengezogen. Gewisse Urkundenarten enthehren der Dispositio ganz. Innerhalb von Narratio und Dispositio können gewisse Teile noch als besondere Formeln bezeichnet werden; so kann man von einer Interventions-, einer Petitions-, einer Pertinenzformel usw. reden. 4 Über den Ausdruck sanctio, der in diesem Sinne schon in altrömischer Zeit üblich ist, vgl. K A R L O W A , ßöm. Eechtsgesch. 1, 427 ff. 5 Die Korroboration wird in nachstaufischer Zeit vielfach aufs engste mit der Datierung verbunden und kann dann geradezu als ein Teil des Protokolls aufgefaßt werden.

Altrömische

Urkundentypen

49

Für das Verständnis der nachfolgenden Auseinandersetzungen, dem sie allein zu dienen bestimmt ist, wird diese Aufzählung genügen. Sie ist jedoch keineswegs erschöpfend, d. h. es kommen in gewissen Urkundenarten und -gruppen noch andere, hier nicht genannte Formeln vor. Sie ist noch weniger so zu verstehen, als oh sich in allen Urkunden alle hier aufgeführten Formeln fänden, oder als ob diese, wo sie vorkommen, nur in der hier angegebenen Reihenfolge begegneten. 1 In beiden Beziehungen kann nur die spezielle Behandlung der einzelnen Urkundengruppen das Nähere beibringen. Nur mit demselben Vorbehalt, wie von der Gliederung der Urkunden und ihren Teilen, kann hier von den Urkundenarten geredet werden. Auch sie sind verschieden in den einzelnen lokal und zeitlich gesonderten Urkundengruppen, von denen wir später zu reden haben, und nur eine Hauptunterscheidung ist auf alle diese Urkundengruppen in gleicher Weise anwendbar. Sie geht auf altrömischen Brauch zurück 3 und beruht auf dem großen Gegensätze zwischen s c h l i c h t e n B e w e i s u r k u n d e n , d. h. solchen Urkunden, die lediglich dazu dienen, ein zu Be'.veiszwecken aufgenommenes lieferat über eine rechtlich ver1

Die für die Aufzählung gewählte Reihenfolge ist zwar die in Königsund Papst- und in den meisten Privaturkunden im allgemeinen herrschende, aber sie ist keineswegs die allein vorkommende. So kann die Inscriptio vor oder nach der Intitulatio stehen, die Datierung dem Anfangs- oder dem Schlußprotokoll angehören, die Unterschrift des Ausstellers derjenigen der Zeugen folgen oder vorangehen u. dgl. m. In Privaturkunden kann es sogar vorkommen, daß Teile des Kontextes, z. B. die Arenga zwischen Inscriptio und Intitulatio eingeschoben werden, oder daß die Arenga beiden vorangeht. ' Vgl. über das altrömische Urkundenwesen, das noch einer alles zusammenfassenden und erschöpfenden Behandlung bedarf, und auf das hier im einzelnen nicht eingegangen werden kann: G N E I S T , Die formellen Ve träge des neueren römischen Obligationenrechts in Vergleichung mit den Geschäftsformen des griechischen Rechts (Berlin 1 8 4 5 ) ; B R U N S , Die Unterschriften in den römischen Rechtsurkunden (Abhandlungen der Berliner Akademie 1876); derselbe, Die sieben Zeugen des römischen Rechts (Festgaben für MOMMSEN 1 8 7 7 ) ; D E P E T R A , Le tavolette cerate di Pompei (Neapel 1 8 7 7 ) ; B R U N N E R , Zur Rechtsgeschichte d. röm. u. germ. Urk. S . 4 4 ff.; E R M A N , Zur Geschichte der römischen Quittungen und Solutionsakte (Berlin 1 8 8 3 ) ; K A R L O W A , Röm. Rechtsgeschichte 1 , 778FF. 9 9 4 F F ; ferner die Abhandlungen von M O M M S E N , Hermes 1 2 , 8 8 F F . ; Giornale degli scavi di Pompei, 1879 n. 28; Zeitschr. für Rechtsgesch. 24, Rom. Abt. 16, 1 9 5 f f . ; K A R L O W A , G R Ü N H U T S Zeitschr. 4, 497ff.; Neue Heidelberger Jahrbücher 6, 211 ff.; B R U N S , Zeitschr. f. Rechtsgesch. 13, 360ff.; Z A N O E MEISTER, Tabulae ceratae Pompeis repertae, CIL. Tom. 10. Supplementum; E R M A N Zeitschr. f. Rechtsgesch. 33, Rom. Abt. 20, 1 7 2 f f . ; daselbst 39, Rom. Abt. 26, 456ff.; Archiv für Papyrusforschung 1, 68ff.; G E R H A R D , Zeitschr. f. Rechtsgesch. 38, Rom. Abt. 25, 382ff.; Philologus 63, 498ff.; S T E I N A C K E R in Meisters Grundriß 1, 238ff.; F A A S S , A f U . 1, 185ff. l t r c ß l a Ii, U r k u n d e n l n l i r c .

3. A u f l . I .

4

50

Altrömische

Urkundentypen

bindliche Handlung zu liefern, die schon vor Ausstellung der Urkunde perfekt geworden ist, und G e s c h ä f t s - oder d i s p o s i t i v e n U r k u n d e n , d. h. Urkunden über solche Rechtsgeschäfte, die zwar ebenfalls durch die Urkunde bewiesen werden sollen, aber erst durch ihre Ausstellung perfekt geworden sind. Das älteste römische Recht kannte ausschließlich die erstere Urkundenart, und zwar kannte es sie in der Form der schlichten Zeugenurkunde, die ein — natürlich objektiv gefaßtes — Referat über die vor zugezogenen Zeugen erfolgte Rechtshandlung gibt, und deren ganze Beweiskraft auf der Aussage dieser Urkundenzeugen beruht. Die Zeugenurkunden sind auf Wachs- oder Metalltafeln — Diptychen oder Triptychen — geschrieben; einen Aussteller nennen sie nicht und in der Regel sind sie vom Empfänger, der an dem Beweis allein ein Interesse hatte, veranlaßt; die 1875 gefundenen pompejanischen Quittungstafeln, welche dieser Urkundenart angehören, sind sogar zum größten Teil sichtlich vom Empfänger selbst geschrieben. 1 Diesen schlichten Zeugenurkunden trat später eine andere Art von Beweisurkunden zur Seite, die allmählich immer mehr an Boden gewann und jene seit dem dritten Jahrhundert, wenigstens bei gewissen Rechtsgeschäften, ganz verdrängte. Diese neuen Urkunden werden Chirographa genannt; ihre Beweiskraft beruhte auf der Handschrift, konnte aber natürlich durch Zeugenzuziehung verstärkt werden. Sie sind entweder vom Vertragsgegner des Empfängers eigenhändig oder, wenn dieser behindert oder ganz unfähig war, von einem Beauftragten desselben geschrieben worden; im ersteren Falle sind sie subjektiv, im letzteren objektiv gefaßt; in beiden Fällen aber nennen sie ihren Schreiber.2 Während die schlichte Zeugenurkunde vom Empfänger 1 Das Schema dieser Urkundenart erhellt aus dem folgenden Beispiel (CIL. 4, Suppl. S. 321): H. S. N. MMMMCXGII Quae pecunia in slipulatum L. Caeeili Iwundi nenit ob auctione D. Iuni Erotis, mercede minus persoluta, habere se dixsit I). Iunius Eros ab L. Caeeilio Iucundo. Actum Pompeis VII. Id. Apr. Nerone Gaesare II. L. Calpurnio Oos. Iucundus ist der Empfanger der Quittung und hat sie gesehrieben. * Beispiele für beide Fälle: a) CIL..4, Suppl. S. 302: Q. Volusio Satumino P. Cornelio Cos. VIII. K. Iul. M. Alleius Corpus scripsi me aeeepisse ab L. Caeeilio Iucundo S. H. S. MCCCXXCVI ob auctione me sup stipulatu eius Actum Pomp. b) CIL. 4, Suppl. S. 318: Nerone Caesare IL L. Calpurnio Cos. VII. K. Febr. Ti. Claudius Syn . . . scripsi rogatu et mandatu Abascanti Caesaris Augusti

Carta und

51

Notitia

selbst ausgestellt ist, sind bei der chirographischen Urkunde Aussteller und Empfänger regelmäßig verschiedene Personen. Neben diesen schlichten Beweisurkunden kennt nun aber das römische Recht mindestens seit dem dritten Jahrhundert — und zwar für alle Arten von Rechtsgeschäften — Urkunden, die eine dispositive Bedeutung haben. Die Form des Chirographums war auch für sie geeignet und wurde vielfach für sie benutzt; ihre Fassung konnte in diesem Falle objektiv oder subjektiv sein, je nachdem der Aussteller durch einen anderen schreiben ließ oder selbst schrieb. Häufiger aber noch wurden solche dispositiven Urkunden in Briefform gefaßt, wie sie denn auch geradezu als epistolae donationis, traditionis usw. bezeichnet werden; es versteht sich von selbst, daß solche Briefe stets subjektiv gefaßt wurden, auch wenn sie von einem anderen als dem Aussteller geschrieben sind. Nicht alle Typen der altrömischen Urkunde haben sich im Mittelalter erhalten; derjenige der schlichten Zeugenurkunde ist in dieser Form fast vollständig verloren gegangen; andere neue Urkundenformen sind in Gehrauch gekommen. Aber der große Gegensatz zwischen der schlichten Beweis- und der dispositiven Urkunde hat, wie das in der Natur der Sache liegt, seine Bedeutung behauptet und das ganze mittelalterliche Urkundenwesen lange beherrscht. 1 Im langobardischen wie im fränkischen Recht unterscheiden sich beide Urkundenarten bestimmt voneinander; die dispositive Urkunde wird als carta, teslamentum, epistola, die B e w e i s u r k u n d e als notitia,

breve, memoratonum

bezeichnet. 2

I n der

älteren Zeit pflegen diese Benennungen mit scharfer Scheidung angewandt zu werden; erst später, namentlich seit dem 9. Jahrhundert, wird der Sprachgebrauch ungenau, wird der Ausdruck earta oder cartula allgemeiner für alle Urkundenarten gebraucht, gelegentlich auch einmal eine Urkunde in Form und Fassung einer carta als notitia bezeichnet.3 Philippiani eum aceepisse ab L. Caecilio Iucundo sestertia duo mitia septingentos triginta duos nummos . . . . res quos in stipulatu eius . . . . Aatum Pomp. 1 In helles Licht gestellt hat ihn H. B R U N N E R zuerst in der Abhandlung Carta und notitia (Festgaben für MOMMSEN 1 8 7 7 ) , dann in dem Buch Zur Rechtsgeschichte, das ganz auf ihm beruht; vgl. auch Deutsche Eechtsgesch. I2, 568ff. und R E D L I C H , MIÖG. Erg. 6 , 1 ff. s In Bayern hieß die dispositive Urkunde epistola; unter earta verstand man sowohl dispositive wie Beweisurkunden. 8 Beispiele für solche Ungenauigkeiten des Sprachgebrauchs bei B R U N N E R ZR. S. 216. Ich füge zwei bezeichnende aus dem 10. Jahrh. hinzu. Weil Gerichtsurkunden gewöhnlich notitiae sind, geben auch BRK. 1949 und danach DO. I. III sich diese Bezeichnung, obwohl sie zu den cartae gehören. Ottos I. 4*

52

Carta und

Notifia

Aber auch jetzt noch bleibt, in Italien wenigstens, der sachliche und formelle Unterschied beider Urkundenarten bestehen, während er in Deutschland allerdings seine Bedeutung verliert. 1 W i e die Urkunden der römischen Kaiser — und ihnen entsprechend die

amtlichen Erlasse aller Beamten des römischen Reichs —

aus 2 überwiegend

die

Form

der

carta,

näher

gesagt

der

weit-

epistoh,

aufweisen, so gehören auch, von wenigen unten zu besprechenden Ausnahmen abgesehen, alle Urkunden, die aus den Kanzleien der Päpste und der souveränen Herrscher des Abendlandes sowie aus den in ähnlicher Weise organisierten Kanzltien anderer Fürsten sind, den cartae an.

hervorgegangen

Nur im langobardischen Italien begegnen gewisse

gesetzgeberische Erlasse der Könige, die als notitiae bezeichnet werden und als solche stilisiert sind.

Die Gerichtsurkunden 3 der Merovingtr

und der ersten Karolinger, von denen jene von Kanzleibeamten, diese in der R e g e l von besonderen pfalzgräflichen Notaren ausgefertigt sind, sind zwar sachlich cartae zu ziehen,

eher zur Klasse der notitiae als zu derjenigen der stehen

aber

ihrer

stilistischen Fassung

nach

den

letzteren nahe, wenngleich sie sich von anderen Königsurkunden durch besondere

Eigentümlichkeiten

scheiden.

Seit dem Tode Karls des Großen kommen auf deutschem

im Kontext

wie

im

Protokoll

unter-

Boden eigentliche Gerichtsurkunden der Könige viele Jahrhunderte hindurch überhaupt nicht mehr vor; in Italien sind seit der Zeit Karls I I I . die Gerichtsurkunden

des Hofgerichts, wie die aller anderen Gerichte

des Reiches, reine notitiae, die aber niemals von Kanzleibeamten sondern immer von anderen Notaren geschrieben sind. Gehört sonach die große Masse aller deutschen und italienischen Königs- und Papsturkunden zur Kategorie der cartae, so ist doch diese Masse wiederum nach bestimmten persönlichen,

zeitlichen,

örtlichen,

sachlichen Gesichtspunkten weiter in Einzelgruppen zu sondern. Was die Königsurkunden betrifft, so sind zeitlich und örtlich bis zum Ende des Mittelalters die folgenden Gruppen zu unterscheiden: Mandat von 968 über das Erzbistum Magdeburg DO. I. 366 nennt sich selbst „carta fei noticia haec". 1 Vgl. Redlich a. a. 0. und unten Kap. I X . ' Ausgenommen sind allein die Erlasse in Ediktform, vgl. Faass, A f U . 1, 248. 254 ff. Diese Form ist ins Mittelalter nicht übergegangen. 3 Zu den eigentlichen Gerichtsurkunden gehören nicht die Mandate, die der König nach eingeleiteter oder durchgeführter Gerichtsverhandlung an seine Beamten gerichtet hat, um ihnen die weitere Beweisaufnahme, Exekution des Urteils oder dergl. aufzugeben. Solche Mandate heißen technisch indicuU regales; über ihre Hauptarten hat am eingehendsten gehandelt Brunner, Entstehung der Schwurgerichte (Berlin 1872) S. 76 ff.

Arten der Königsurkundm. a) b) c) d) e)

die die die die die um f) die

Diplome und Mandate

53

ostgotischen Königsurkunden, 1 langobardischen Königsurkunden, 2 normannisch-sizilischen Königsurkunden, Urkunden der Merovinger, Karolinger, Sachsen und Salier, 3 Urkunden der Staufer und der nachstaufischen Könige bis die Mitte des 14. Jahrhunderts, Urkunden der luxemburgischen und habsburgischen Könige.

Innerhalb der beiden ersten Gruppen ist eine weitere sachliche Scheidung an dieser Stelle nicht erforderlich; innerhalb der vier anderen wird sie im Interesse des leichteren Verständnisses späterer Ausführungen zweckmäßig schon hier vorgenommen werden. Sehen wir von den Gerichtsurkunden und von den zu den Urkunden im engeren Sinne des Wortes nicht gehörigen eigentlichen Briefen ab, welche letzteren nur die Ubermittelung einer Nachricht, aber nicht die einer Eechtswirkungen hervorbringenden Willenserklärung bezwecken, so zerfallen die Urkunden der merovingischen, karolingischen, sächsischen und salischen Könige ebenso wie die der normannischen Herrscher Unteritaliens in zwei Hauptgruppen, die wir als D i p l o m e oder P r ä z e p t e und M a n d a t e unterscheiden. Maßgebend für diese Unterscheidung ist es, ob die in der königlichen Urkunde getroffene Verfügung dauernde oder vorübergehende Bedeutung in Anspruch nimmt, 4 d. h. ob sie ein Rechtsverhältnis schaffen will, zu dessen Erweisung jederzeit auf das Diplom zurückgegriffen werden kann, oder ob sie Maßregeln anordnet, die, einmal getroffen, ein Rekurrieren .auf das Mandat in späterer Zeit nicht mehr nötig machen. 6 Mit anderen 1

Da diese formell vollkommen den altrömischen Kaiserurkunden entsprechen, so sind sie nur im Zusammenhang mit jenen zu behandeln und können deshalb in diesem Werke nur beiläufig berücksichtigt werden. * Diesen schließen sich die Urkunden der langobardischen Herzöge von Benevent und Spoleto am nächsten an. ' Die Urkunden Lothars III. vermitteln den Übergang von der salischen zur stauiischen Königsurkunde. * Soweit stimme ich mit F I C K E R , B Z U . 2, 6, vgl. auch S I C K E L , Acta 1, 399, überein. Aber ich muß hinzufügen, daß sich wenigstens für das 9., 10. und XI. Jahrh. auch ein bestimmtes formales Unterscheidungsmerkmal gewinnen läßt. 6 Es ist eine alleinstehende Ausnahme, wenn in DO. I. 366 die dauernde Aufbewahrung eines Mandats ausdrücklich angeordnet wird; vereinzelt kommt aber ein Hinweis auf dauernde Bedeutung auch bei unteritalienischen Mandaten vor, vgl. K . A. K E H R , Die Urkunden der normannisch-sizilischen Könige S. 234 N. 2. — Mit dem im Text hervorgehobenen Unterschied hängt es natürlich zusammen, daß uns nur eine ungleich geringere Zahl von Mandaten erhalten ist, als der Natur der Sache und positiven Angaben der historischen Uberlieferung zufolge ausgefertigt sein müssen. Ich meines Teils zweifle nicht

54

Diplome und

Mandate

Worten: das Diplom ist dispositive und Beweisurkunde zu gleicher Zeit, das Mandat ist in der Hauptsache nur dispositive Urkunde; jenes vollzieht und bekundet ein Rechtsgeschäft, dieses dient in erster Linie Verwaltungszwecken. Reicht schon dies sachliche Merkmal für die Unterscheidung heider Urkundenarten in der Mehrzahl der Fälle aus, so kommt für die Urkunden des 9., 10. und 11. Jahrhunderts noch ein formales Merkmal hinzu. 1 Etwa seit dem Jahre 800 verschwindet die Inscriptio, die bis dahin in allen Arten von Königsurkunden begegnet, aus den Diplomen, während sie, mit oder ohne Gruß, in den Mandaten nach wie vor stets auf Namen und Titel des Königs folgt Das Vorhandensein oder Fehlen dieser Formel ist also seit dieser Zeit ein brauchbares Kennzeichen für die Zugehörigkeit einer Urkunde zu der einen oder anderen Urkundenart; 2 es kommt hinzu, daß die Mandate der vorstaufischen Zeit durchweg ein einfacheres Protokoll aufweisen, daß ihnen häufig die Königs- und Kanzlerunterschrift, bisweilen auch die verbale oder monogrammatische Invokation fehlt, und daß sie wenigstens im 10. und 11. Jahrhundert regelmäßig undatiert aasgegeben worden sind. Die Diplome oder Präzepte der vorstaufischen Periode nach formalen Gesichtspunkten noch weiter einzuteilen, liegt ein Bedürfnis nicht vor; 3 wohl aber ist es von Interesse, gleich hier der verschiedenen daran, daß z. B. im 11. Jahrhundert mindestens so viel, wenn nicht mehr, Mandate als Diplome aus der königlichen Kanzlei hervorgegangen sind. 1 Aus der Merovingerzeit sind uns nur wenige Mandate erhalten. Aber daß sie nicht selten waren, liegt in der Natur der Sache und wird durch historiographische Zeugnisse (vgl. z. B. Greg. Tur. 6, 46) belegt; auch haben wir Formulare für Mandate z.B. Marc. 1, 6. 11. 26—29 u.a. — Auch von den Kaiolingem haben wir aus der Zeit vor 800 nur wenige Mandate, z. B. DKar. 77. 88. Über eine Hauptart der Mandate, die gerichtlichen indieuli, siehe oben S. 52 N. 3. Die Bezeichnung indiculus wird aber in mero vingisch er und frühkarolingischer Zeit auch für andere Mandate und für Briefe angewandt. 2 Uber das Wiederauftauchen der Inscriptio im Anfang des 12. Jahrh. siehe unten S. 64. Daß vereinzelt die Inscriptio aus älteren Vorlagen auch noch in Diplomen späterer Zeit beibehalten ist, ändert an der Berechtigung der Unterscheidung selbst nichts. 3 Vgl. jedoch unten S. 64 N. 2. Über die formale Beschaffenheit der Gesetze und Kapitularien vgl. die lehrreichen Ausfüllungen von G. SEELIGEK, Die Kapitularien der Karolinger (München 1893) S. lOff. Einei Kritik nach streng diplomatischen Gesichtspunkten entziehen sie sich, da kein Gesetz vor staufischer Zeit im Original auf uns gekommen ist und die überlieferten Texte durch Redaktoren und Sammler mannigfache Umgestaltungen erfahren haben. Ich würde daher auch nicht so bestimmt, wie SEELIGER S . 24 das tut, zu behaupten wagen, daß die Originalausfertigungen der karolingischen Kapitularien der Beglaubigung durch Siegel und Rekognition entbehrten, gebe aber zu,

Schenkungen

55

Arten von Rechtsgeschäften zu gedenken, die durch Diplome beglaubigt zu werden pflegen; indem die Formeln des Kontextes, wie oben bemerkt ist, durch den Rechtsinhalt bestimmt werden, entsprechen den Arten der Rechtsgeschäfte die nach diesem Gesichtspunkt unterschiedenen Arten der Urkunden selbst. Nur muß von vornherein bemerkt werden, daß oft durch ein und dasselbe Diplom mehrere verschiedenartige Rechtsgeschäfte beurkundet worden sind, und daß demgemäß auch die verschiedensten Kombinationen der sachlichen Urkundenformeln vorkommen. 1 Die Mehrzahl der uns überlieferten Diplome bezieht sich auf den Besitz, und zwar vorzugsweise auf den Grundbesitz geistlicher oder weltlicher Urkundenempfänger. Unter den darauf bezüglichen Urkunden nennen wir in erster Linie die S c h e n k u n g e n , 2 durch die der König einen Teil seines Gutes an andere überträgt. Insoweit sich die Schenkungen auf Grundbesitz bezogen,3 war die Ausstellung einer Urkunde, wenn nicht zu ihrer vollen Gültigkeit erforderlich, so doch jedenfalls in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle üblich, 4 und nur ganz vereinzelt sind auch Schenkungen von Land ohne Ausfertigung eines Diploms vorgekommen.6 Besondere Beachtung innerhalb der Schenkungsurkunden verdienen die Formeln für die Auflassung und für die Ubertragung der Gewere (vestitura), die zu unbeschränkter oder zu in verschiedener Weise beschränkter Verfügung erfolgen konnte, sowie daß diese Annahme eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat. Das Lehensgesetz Konrads II. aber (DK. II. 244), von dem wir eine gleichzeitige Abschrift haben, war ganz in Diplomform gehalten. 1 Einen vortrefflichen Versuch solcher Scheidung in sachliche Gruppen hat M Ö H L B A C H E R , SB. der Wiener Akademie 92, 442ff., an dem aus der RegierungKails III. überlieferten Material vorgenommen; vgl. auch die Indices, DD.Karol. 1, 492 ff. und D D . 4, 447 ff. 2 Donationes, traditiones, cessiones, eoncessiones, largitates, largitiones. Fast alle diese Ausdrücke werden natürlich auch allgemeiner gebraucht. 8 Auf die Frage nach der Rechts Wirkung solcher Übertragungen von Königsgut in ältester Zeit ist hier nicht einzugehen; vgl. zuletzt W A I T Z , V G . 2 3 , 1 , 3 1 0 F F . ; B R U N N E R , SB. der Berliner Akademie 1 8 8 5 , S. 1 1 7 3 F F . ; derselbe, Rechtsgeschichte 2, 243 ff. — Den Schenkungen von Grundbesitz stehen die, welche Knechte und Hörige betreffen, in den Formeln sehr nahe. 4 Vgl. S I C K E L , Acta 1 , 6 . 2 , 2 3 9 ; F I C K E R , B Z U . 1 , 1 2 5 , dazu aber R E D L I C H , MIÖG. Erg. 6, lOff. 5 Vgl. Urk. Heinrichs III., St. 2139: Konrad II. hat dem Kloster Burtscheid eine Güterschenkung solu tradztione gemacht, die das Kloster erst von seinein Nachfolger manuscripti testamento bestätigen läßt. Andere Beispiele bei S I C K E L und F I C K E R a. a. O. In der Regel erfahren wir von solchen Fällen nur, wenn der Beschenkte eine Urkunde des Nachfolgers über die ursprünglich ohne Urkunde erfolgte Tradition erwirkte.

56

Restitutionen.

Tausehurkunden.

Lehenbriefe.

Mundbriefe

die Formel, welche die mit dem geschenkten Gut verbundenen Pertinenzstücke aufzählt. Den Schenkungen nahe stehen die R e s t i t u t i o n e n , 1 wodurch Kirchen oder Privatpersonen in den Besitz ihnen durch Richterspruch oder widerrechtlich entrissener Güter wieder eingesetzt werden; bei Kirchen handelt es sich in der Regel um Gut, das zu beneficium verliehen worden war; bei Laien kommt insbesondere die Rückgabe konfiszierter Güter an die davon Betroffenen oder ihre Erben in Betracht. Königsgut konnte auch im Wege des Tausches veräußert werden; die darüber ausgestellten T a u s c h u r k u n d e n 2 erwähnen gewöhnlich das dem Könige überlassene Besitztum nur kurz, gedenken dagegen des von ihm gegebenen ausführlicher und in Formeln, die denen der Schenkungen verwandt sind. L e h e n b r i e f e im eigentlichen Sinne sind uns aus vorstaufischer Zeit nur wenige erhalten; doch haben wir bereits von einem solchen Konrads II. bestimmte Kunde. 3 Minder groß als die Zahl der Urkunden über unbewegliches Gut ist die Zahl derer, durch welche Privilegien oder nutzbare Rechte verliehen werden. Zu ihnen gehören die M u n d b r i e f e , 4 Urkunden, durch die Privatpersonen oder geistliche Stiftungen unter den besonderen Königsschutz genommen werden, der aus der durch Kommendation begründeten Herrschaft des Königs entspringt und gewisse Vorrechte, insbesondere erhöhte Sicherung von Personen und Besitztümern sowie, in älterer Zeit wenigstens, einen privilegierten Gerichtsstand verleiht. Seit der Zeit Ludwigs des Frommen kommen in Deutschland Urkunden, die allein diesen Königsschutz verbriefen, nur noch vereinzeli vor, während sie sich in Italien im Gebrauch erhalten haben. Erst in der staufischen Periode werden einfache Schutzbriefe 5 auch in Deutschland wieder üblich; in der zweiten Hälfte des 9. und im 10. und 11. Jahrhundert dagegen erscheint der Königsschutz regelmäßig in 1 liestitutiones, redditiones, restaurationes. Auch die S. 55 N. 2 erwähnten Ausdrücke weiden gelegentlich auf Restitutionen angewandt. 2 Co> imutationes, oambia, coneambia. 3 Vg'. B R E S S L A U , Jahrb. Konrads II. 2 , 5 1 0 ff. — Ein Lehnbrief Heinrichs V . für den Grafen von Zütphen ist St. 3022. 4 Car ae mundeburdii, tuitionis, defensionis. — Vgl. über Mundbriefe, Privilegien, Immunitäten S I C K E I , Beiträge zur Dipl. 3 — 5 ; K . R I E O E R , Die Immunitätsprivilegien der Kaiser aus dem sächs. Hause f. ital. Bistümer (Wien 1881); E. STENOEL, Die Immunitätsiukunden der deutschen Könige vom 10.—12. Jahrhundert (Innsbruck 1902). Auf die neuerdings lebhaft erörterten Kontroversen über die rechtsgeschichtliche Entwickelung der Immunität selbst ist hier nicht einzugehen. 5 Die Ausdrücke mundeburdium, tuitio, defensio sind in ihnen wenig gebräuchlich; dafür wild in der Regel gesagt, daß der König eine Person oder Korporation in seine specialis proteciio genommen habe.

Immunitäten.

Wahlprivilegien.

Klosterprivilegien

57

Verbindung mit der Immunität und als deren Ausfluß. Die für die I m m u n i t ä t s V e r l e i h u n g e n 1 charakteristische Formel, die wir geradezu als Immunitätsformel bezeichnen können, ist ein Satz, der den königlichen Beamten das Betreten der mit Immunität beliehenen Besitzungen und die Vornahme gewisser aufgezählter Amtshandlungen daselbst untersagt; 2 damit ist in den meisten Fällen eine Überweisung der aus der Ausführung jener Amtshandlungen zu ziehenden Einkünfte an den Immunitätsherrn verknüpft. 3 Vereinzelt seit der spätkarolingischen Zeit, häufiger seit dem 10. Jahrhundert, wird damit ein Satz verbunden, der die Ausübung' der den königlichen Beamten untersagten Rechte, insbesondere der Gerichtsbarkeit, dem Immunitätsherrn bzw. seinem Vogt überträgt; auch andere Erweiterungen kommen vor, 4 und die mit der Immunität verliehenen Rechte gewinnen im Laufe der Zeit mehr und mehr an Ausdehnung. Dabei verflüchtigt sich allmählich der feste Immunitätsbegriif der älteren Zeit, und die Ausdrücke für Immunität und Schutz werden vielfach, wenigstens in deutschen Urkunden, unterschiedslos und gleichbedeutend gebraucht. 5 Häufig steht in Verbindung mit der Immunität für Klöster, später hier und da auch für Bistümer das Recht der freien oder an bestimmte Voraussetzungen gebundenen Wahl des Abtes oder Bischofs; auch eigene Urkunden, die dies Recht verleihen, W a h l p r i v i l e g i e n , wie wir sie nennen können, kommen vor. Sonst versteht man unter P r i v i l e g i e n 1

Privilegia immunitatis, emunitatis, munitatis; auch kurzweg immunitates. Es ist der Satz: nt nullus (nullusque) . . . audeat (praesumat), dessen Anfangs- und Schlußworte bei allen Variationen in den dazwischen liegenden Teilen durchaus stabil zu sein pflegen. Die Aufzählung der Beamten in dieser Formel ist in den älteren karolingischen Urkunden im allgemeinen nicht üblich. Ein ähnlich formuliertes Verbot pflegen auch die Schutzbriefe zu enthalten; aber während in den Immunitäten Eintritt und Amtshandlungen der Staatsbeamten für das Immunitätsgebiet untersagt werden, verbieten die einfachen Schutzbriefe die Verletzung von Besitzungen und Personen, die unter den Königsschutz genommen sind. 3 Auch dieser Satz hat eine typische, mit den Worten et (sed) quicquid exinde fiscus usw. beginnende Formel. 4 Vgl. über die Entwickelung der italienischen Immunitäten außer dem oben angeführten Buch von RIEGER namentlich auch M . HANDLOIKE, Die lombardischen Städte unter der Herrschaft der Bischöfe (Berlin 1883). Die Lehrsätze, die S T U M P F - B R E N T A N O , Die Wirzburger Immunität-Urkunden des 1 0 . und 11. Jahrhunderts (Innsbruck 1874—76), über die Entwickelung der Immunitätsformel in Deutschland aufgestellt hat, haben sich vielfach als nicht zutreffend erwiesen. 6 Vgl. die Zusammenstellung im Wort- und Sachregister des 3. und 4. Bandes der Kaiserurkunden s. v. immunitas. 2

58

Markt-, Münxrechts-,

Zoll-,

Forstverleihungen

im engsten Sinne dieses Wortes nach dem Sprachgebrauch der merowingischen und zum Teil auch noch der karolingischen Zeit nur die Königsurkunden, welche die Beziehungen der Klöster zur geistlichen Gewalt der Diözesanbischöfe regeln. Schon seit der Zeit Ludwigs des Frommen kommen jedoch derartige Urkunden weltlicher Herrscher nur noch selten vor, und später verliert der Ausdruck diese eingeschränkte Bedeutung ganz. Wie mit der Gerichtsbarkeit ein königliches Regal an geistliche Stiftungen verliehen wird, 1 so gehen nun auch andere Regalien: Zoll, Markt, Münze in privaten Besitz über. Die V e r l e i h u n g e n von M a r k t r e c h t und M ü n z e sind in der Regel miteinander verbunden; doch gibt es auch Urkunden, durch die nur das eine oder das andere dieser Rechte verbrieft wird; durch eine Formel, die diesen Urkunden eigentümlich ist, wird seit dem 10. Jahrhundert den damit Beliehenen der königliche Bann zugestanden, häufig wird auch durch eine andere Formel auf das Recht eines anderen Ortes verwiesen, dem der neu mit Markt und Münze dotierte gleichgestellt werden soll.2 Regelmäßig verbunden mit der Verleihung des Marktrechts, auch wo das nicht ausdrücklich gesagt wird, ist das Recht zur Erhebung eines Marktzolles; dagegen beziehen sich anderweite Z o l l v e r l e i h u n g e n , die teils im Anschluß an die Immunität, teils in eigenen Urkunden erfolgen, auf das Recht zur Erhebung permanenter Durchgangszölle an Straßen, Brücken, Toren, Häfen, Anlegeplätzen usw. Kommen noch nicht alle zuletzt erwähnten Verleihungen in der älteren karolingischen Zeit vor, so finden sich dagegen Zollb e f r e i u n g e n , durch die einem geistlichen Stift die Zollfreiheit im ganzen Reiche oder in lokaler Beschränkung für seinen gesamten Verkehr oder für eine begrenzte Anzahl von Schiffen, Wagen oder für seine eigene Produktion oder Konsumption verliehen wird, schon seit den ältesten Zeiten und sind bis in die späteste Zeit üblich geblieben. Endlich sind hier noch die F o r s t v e r l e i h u n g e n und E i n f o r s t u n g e n 3 zu nennen, die seit dem letzten Viertel des 10. und im 11. Jahrhundert eine eigentümliche Bedeutung erhielten. Wenn in älterer Zeit Verleihungen von Forstbezirken, die aus herrenlosem Land zu königlichem Sondergut geworden waren, von anderen Schen1

Etwa seit dem Jahre 1000 kommt die Verleihung ganzer G r a f s c h a f t e n an Bistümer, spater auch an Klöster vor. 2 Vgl. E H E B E R G , Über das ältere deutsche Münzwesen S . 6ff.; K A T H G E N , Entstehung der Märkte in Deutschland (Diss. Straßburg 1881) S. 15ff.; W A I T Z , VG. 4 3 , 52ff. 95ff., 8, 282ff. 3 1 7 F F . ; B R U N N E R , Deutsche ßechtsgeschichte 2 , 239ff. 3 Forestatio, inforestatio. Vgl. S I C K E L , Zur Geschichte des Bannes (Marburger Rektoratsprogramm 1 8 8 6 ) S. 4 1 ff. und T R I M M E , AfU. 2 , 1 0 1 ff. Näheres unten bei der Lehre vom Konsense.

Verleihungen von Zehnten, Bergwerken.

Freilassungen.

Verträge

59

kungen von Königsgut sich nicht wesentlich unterschieden hatten, so war das anders geworden, seit bei solchen Verleihungen das Jagdrecht immer mehr in den Vordergrund getreten war. In Wäldern, die Privatpersonen oder Kirchen gehörten, wurde nun durch Einforstung das ausschließliche Jagdrecht des Forstherrn unter den Schutz des Königsbannes gestellt. Und darüber hinaus wurden, seit Otto II. vereinzelt, unter Heinrich II. und den drei ersten Saliern immer häufiger, zugunsten einer einzelnen Person oder einer geistlichen Korporation Bezirke, oft sehr großen Umfanges, die in den Urkunden selbst genau abgegrenzt werden, und die den Begünstigten nur zum Teil oder gar nicht eigentümlich gehörten, in Forsten umgewandelt, in denen ihnen der Wildbann, d. h. das durch den Bann geschützte Recht, jede fremde Ausnutzung des Jagdrechts zu verhindern, zustand. Nennen wir noch die seltener vorkommenden Verleihungen von Z e h e n t r e c h t e n , B e r g w e r k e n usw., sowie die F r e i l a s s u n g e n , 1 die, von der mero vingischen bis zum Schluß der salischen Periode vorkommend, in ihren Formeln außerordentlich konservativ sind, erwähnen wir endlich noch die sich wiederum in sehr eigentümlichen Formen bewegenden V e r t r a g s u r k u n d e n , 2 welche die Könige mit den Päpsten oder mit auswärtigen Mächten abgeschlossen haben, so dürften die sachlichen Urkundenkategorien dieser Jahrhunderte, soweit es sich um erste Verleihungen handelt, in der Hauptsache erschöpft sein. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß in gewissen besonders gearteten Einzelfällen, bei denen die Mitwirkung des Königs in Anspruch genommen wurde, Urkunden erlassen sind, die sich in keiner dieser Kategorien unterbringen lassen. Einen mindestens ebenso großen Teil der uns erhaltenen Urkundenvorräte als derartige erstmalige Verleihungen von Gütern und Rechten bilden aber die Diplome, durch welche die Könige rechtliche Verfügungen, sei es ihrer Vorfahren, sei es anderer dritter Personen, bestätigt haben. Diese B e s t ä t i g u n g s u r k u n d e n 3 beziehen sich häufig 1

Sie werden als oartae denariales bezeichnet, weil entsprechend der durch Lex Sal. 26, Lex Rib. 57, 1 geregelten Form der Freilassung zu vollem Recht. Vgl. Brunneb, Rechtsgeschichte 1 ! , 366ff. — Eine eigentümliche Gestalt erhalten die Freilassungsurkunden in Italien, vgl. die DD. B. I. 86; W. 16. 2 Pacta, pactiones. Vgl. über die formalen Eigentümlichkeiten der älteren Pacta Sickel, Das Privilegium Ottos I. für die röm. Kirche (Innsbruck 1883) 5. 84 ff.; Fant a , Die Verträge der Kaiser mit Venedig, M I Ö G . Erg. 1, 51 ff.; Sickel-Bbesslau, Die kaiserliche Ausfertigung des Wormser Konkordats, M I Ö G . 6, 136ff. 3 Confirmationes, corroborationes, roborationes. Daß auch renovare (renovatio) wenigstens in vorstaufischer Zeit dasselbe bedeutet wie confirmare,

60 auf den gesamten Besitz der damit begnadigten Stiftungen und Einzelpersonen, der dann in Italien gewöhnlich in sehr detaillierten Angaben vollständig aufgezählt, in Deutschland vielfach nur summarisch zusammengefaßt wird, in anderen Fällen nur auf einzelne Güter, deren Erwerbungsart eine solche königliche Verbriefung wünschenswert macht, wieder in anderen Fällen auf die Immunitäts-, Mundeburds- und sonstigen Rechte und Privilegien des Empfängers; sehr oft sind auch die Bestätigungen der ersteren und der letzteren Art in einer und derselben Urkunde erteilt worden. Sie schließen sich, worauf zurückzukommen sein wird, in ihrer Fassung zum Teil wörtlich an die Urkunden an, die durch das neue Diplom gefestigt werden sollen; zum Teil weichen sie von der Fassung dieser Urkunden ab, ergänzen, vermehren oder beschränken ihren Inhalt. Es verdient besondere Beachtung, daß der Wortlaut dieser Konfirmationen bisweilen kaum erkennen läßt, daß es sich nicht um eine erste Verleihung, sondern um eine Bestätigung handelt; nicht selten werden in ihnen die Ausdrücke donamus, tradimus, concedimus und ähnliche gebraucht, während die Vergleichung mit älteren Urkunden desselben Empfängers lehrt, daß es sich in Wirklichkeit nicht um eine erste Schenkung oder Verleihung handelt. Eine besonders zu besprechende Gruppe innerhalb der Klasse dieser königlichen Konfirmationen bilden die Diplome, die zum E r s a t z v e r l o r e n e r U r k u n d e n ausgefertigt sind. 1 Wer immer durch irgend welchen Unfall — Überfall von Feinden, Diebstahl, Feuersbrunst, Fahrlässigkeit — Urkunden verloren hatte, deren er zum Beweise des rechtmäßigen Besitzes von Gütern und Rechten bedurfte, der wandte sich nach einem im romanisierten Gallien üblichen Verfahren 2 an die Munizipalbehörde (curia) mit einer Bittschrift, 3 die durch mehrtägige öffentliche Aushängung bekannt gemacht wurde. Das von der Behörde beglaubigte Protokoll über diese Publikation seiner Schrift wurde dem Petenten zurückgegeben und hatte eine uns freilich nicht hat gegen F I C K E R , B Z U . 1 , 3 0 8 ff., und gegen entsprechende Annahmen von und PHILIPPI SICKEL, M I Ö G . 1, 2 3 6 ff., dargetan. Andere Synonyma ebenda S. 238. 1 Vgl. SICKEL, Neuausfertigung oder Appennis, MIOG. 1, 227ff.; ZEUMER, Über den Ersatz verlorener Urkunden im fränkischen Reich, Zeitschr. f. Rechtsgesch. 1 4 , Germ. Abt. 1, 89ff.; BLUMENSTOK, Nouvelle Revue historique du droit français et étranger 15 (1891), 329ff. 2 Ältestes und ausführlichstes Zeugnis für dies Verfahren ist Form. Arvern. 1, MG. Formulae S. 28. WILMANS

s

Coniestatiuncula, seu plancturia.

Appennes.

Panearten

61

im einzelnen bekannte Rechtswirkung, 1 falls es später zu einer Anfechtung des Besitzes des Petenten kam. Im fränkischen Reich wurde dies römische Verfahren eigentümlich umgebildet; 3 wer seine Urkunden in der angedeuteten Weise verloren hatte, ließ zunächst diese Tatsache durch eine von seinen Dorf- oder Kirchspielgenossen ausgefertigte Erklärung feststellen, legte dann diese notitia relationis dem Grafen oder ihm und dem Bischof 3 zusammen vor, die noch andere Zeugen vernehmen konnten, und erwirkte darauf ein neue, A p p e n i i i s 4 genannte Urkunde, die fortan als Rechtstitel für seinen ganzen Besitzstand zur Zeit des Verfahrens diente. Noch größere Sicherheit als eine derartige Urkunde gewährte aber dem Petenten ein Diplom des Königs, und so ist denn schon seit der merovingischen Zeit in Fällen des Urkundenverlustes der König angegangenen worden. In älterer Zeit geschah dies nur nach vorangegangenem Appennis-Verfahren, über das ein Bericht an den König geschickt wurde; später begnügte man sich mit dem Bericht anderer glaubwürdiger Personen oder auch mit der bloßen Erzählung des Geschädigten. Der König erteilte dann ein Diplom, das den ganzen, zur Zeit seiner Ausstellung vorhandenen Güterbesitz des Petenten bestätigte; 5 oft sind damit namentlich im 10. und 11. Jahrhundert noch besondere Vorrechte, die den Beweis dieses Besitzstandes erleichtern sollten, verbunden. Königliche Urkunden der Art sind von den Neueren häufig ebenfalls Appennes genannt worden; die mittelalterlichen Quellen wenden aber dies Wort auf sie nicht an; und wir werden sie am besten mit einem in Westfrancien im 9. Jahrhundert aufgekommenen Ausdruck als P a n e a r t e n 6 bezeichnen. 1 B L U M E N S T O K a. a. 0 . S . 332ff. glaubt, daß dadurch die verlorenen Urkunden vollkommen ersetzt worden seien. 2 Vgl. Form. Andecav. 31—33, Formulae S. 14f. 3 Nicht dem Bischof allein, wie B L U M E N S T O K annimmt; in Form. Turon. add. 7, Formulae S. 162, wo vom Bischof allein die Rede ist, handelt es sich um die Erwirkung einer Königsurkunde. * Von appendere, aushängen; die Urkunde wurde nach Form. Turon. 28, Formulae S. 151, in zwei Exemplaren ausgefertigt, von denen eins auf dem Markte ausgehängt ward. Z E U M E R faßt die Appennisurkunde wohl zutreffend als Urteil des Grafengerichts auf, was B L U M E N S T O K bestreitet, ohne seinerseits ihre juristische Bedeutung bestimmt definieren zu können. 5 Die Rechtswirkung eines solchen Diploms war also, daß jede Anfechtung des Besitzes seines Empfängers auf Grund von Vorgängen, die vor der Zeit der Ausstellung des Diploms lagen, ausgeschlossen war. — Später ist bisweilen das gleiche Recht schon vor dem Urkundenverlust für den Fall eines solchen verliehen worden, vgl. z. B. DK. II. 58, die erste Königsurkunde, die das neubegründete Kloster S. Dionysius zu Mailand erhielt. 6 Schon G A T T E R E R , Prakt. Diplomatik S . 69, hat diesen Ausdruck gewählt.

62

Prekarien- und Tauschbestätigungen

Daß man, auch abgesehen von dem zuletzt besprochenen Falle, für Erwerbungen, die man durch Privaturkunden gemacht hatte, häufig eine königliche Bestätigung nachsuchte, hat seinen Grund in der höheren Beweiskraft, welche die Königs- vor den Privaturkunden voraus hatten, und von der wir noch eingehender zu reden haben. In gewissen Fällen wird aber die Bestätigung durch den König geradezu als notwendig für die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts bezeichnet. Dahin gehören nicht nur die Veräußerungen von königlichem Lehensgut, für die selbstverständlich die Genehmigung des Königs als Lehnsherrn erforderlich war.1 Inwiefern die P r e k a r i e n v e r t r ä g e dazu zu zählen sind, für die mehrfach königliche Bestätigung erwähnt wird, bleibe dahingestellt; 2 sicher dagegen ist, daß Tauschverträge, die von Reichskirchen abgeschlossen wurden, in gewissen Fällen der königlichen Genehmigung zu ihrer Gültigkeit bedurften. 3 Welcher Art diese Fälle waren, ist noch nicht völlig aufgeklärt; Kloster Lorsch hat das Recht, Tauschverträge über weniger als drei Hufen Landes ohne ausdrückliche Autorisation abzuschließen, von Ludwig dem Deutschen erhalten;4, und in Bayern wird es geradezu als altes Recht bezeichnet, daß in allen Fällen, in denen es sich um nicht weniger als fünf Hufen Kirchengutes handele, eine königliche T a u s c h b e s t ä t i g u n g erforderlich sei.5 Erst seit den Staufern wird diese in älterer Zeit durch zahlreiche Beispiele vertretene Urkundenart seltener. Auch bei den Königsurkunden der staufischen und nachstaufischen Periode haben wir den maßgebenden Unterschied zwischen D i p l o m e n oder, wie man dem Sprachgebrauch dieser Zeit entsprechend besser 1 Seit der staufischen Zeit gibt es sogar eine besondere Kategorie von Urkunden, durch die ein für allemal derartige zugunsten geistlicher Stifter gemachten oder in Zukunft zu machenden Veräußerungen königlicher Vasallen oder Ministerialen bestätigt werden. • Nicht bloß in dem einen von W A I T Z , VG. 7, 201 N. 1, erwähnten Fall; andere Beispiele siehe u. a. bei M Ü H L B A C H E R , SB. der Wiener Akademie 9 2 , 467 ff. — In Deutschland werden derartige Verträge mehrfach eonvenientiac genannt. 3 Vgl. S I C K E L , BzD. 1, 361 ff. (dessen Ausführungen insofern unzutreffend sind, als er meint, daß nicht das Verfügungsrecht der Kirchen, sondern das der Gegenpartei eingeschränkt gewesen sei); Dipl. cent. S . 1 7 7 ; F I C K E R , Reichskirchengut (SB. der Wiener Akademie 721, 90ff.; W A I T Z , VG. 7 , 201ff. 4 Chron. Lauresh. SS. 21, 366. 5 Zu W A I T Z a. a. O . 201 N . 4 vgl. die wichtige, bisher nicht beachtete Stelle des Ebersberger Fundationsbuches, DK. II. 213: nam iuxta antiqua iura omne concampium (nlesiastici praedii quinque mansos continens instabile eomputabatur, nisi regia auctoritate firmaretur.

Staufische

Zeit.

Privilegien

und

Mandate

63

sagt, P r i v i l e g i e n 1 und M a n d a t e n festzuhalten. Die Privilegien teilen wir weiter in f e i e r l i c h e und e i n f a c h e ein, die Mandate in a l l g e m e i n e und S p e z i a l m a n d a t e . 2 Allein wärend wir in der voran1 In vorstaufischer Zeit unterscheidet man häufig (sehr deutlich z. B. in den Ann. Bertiniani 878 ed. Waitz S. 143) zwischen Privilegium und praeoeptum, so daß man jenen Ausdruck für Papst-, diesen f ü r Königsurkunden gebraucht; eine Ausnahme machen eigentlich nur die oben S. 58 erwähnten königlichen Privilegien, welche die Beziehungen zwischen Klöstern und Diözesanbischöfen regeln. Dieser Sprachgebrauch herrscht auch bei Albericus von Montecassiuo, der definiert: precepta vet mundiburdia magnarum et secularium potestatum solummodo, proprie autem regum vel principum sunt; privilegia summorum sunt ecclesie euiuslibet concessiones pontificum (QE. 9, 88. 36). Auch im Texte von Königs- und Papsturkunden findet sich oft die gleiche Scheidung; vgl. z. B. das Diplom Ottos I. DO. I. 837: per praecepta regum Langobardorum seu et imperatorum Francarum . . . . sive et per privilegia pontificum . . . ., oder das Diplom Konrads II. DK. II. 249: quam per nostrum praeceptum et apostolicurn Privilegium, usque nunc visus est possidere, oder das Privileg Nicolaus I. Jaff£-E. 2848 (GGN. 1899 S. 215): que anteriores augusti imperatores quam pontifiees apostolice sedis Romane . . . . eontulerunt tarn per precepta quam per privilegia. Auch sonst wird dieser Unterschied gemacht; uoch im 12. Jahrh. z. B. in den Urkundenverzeichnissen Eberhards von Fulda, vgl. Gegenbauh, Das Kloster Fulda im karoling. Zeitalter (Fulda 1871) 1, 12. 13. Aber er ist ebensowenig streng aufrecht erhalten worden, wie der zwischen earia und notitia; schon in spätkarolingischer Zeit werden vereinzelt, in den nächsten Jahrhunderten immer häufiger Königsurkunden aller Art privilegia genannt; den staufischen Urkunden ist dieser Sprachgebrauch schon ganz geläufig; und in der zweiten Hälfte des 12. Jahrh. definiert die Ars dictandi Aurelianensis (QE. 9, 111): Privilegium est apostolica vel imperialis sanctio ratione firmaia; vgl. auch die sächsische Summa prosarum dictaminis QE. 9, 215. Noch später wird das Recht, Privilegien zu erteilen, allen Fürsten ebenso wie dem Papst und dem Kaiser zugesprochen, während Urkunden anderer Personen eigentlich diese Bezeichnung nicht verdienten. So im Baumgartenberger Formularbuch, QE. 9, 781, dessen Verfasser aber gleich hinzufügt: tarnen usus in terra nostra Umgekehrt werden schon im obtinuit, ut omnts litere vocentur privilegia. Liber diumus (s. unten bei den Formularbüchern) sehr oft die Ausdrücke praeceptum und praeceptw auch auf Papsturkunden angewandt. 1

Vgl. Ficker, BzU. 2, 5ff., dessen gegen Hdillard-Bb£holles' Introduction S. 23ff. und gegen meine Bemerkungen, Dipl. cent. S. 182ff., gerichteten Ausführungen ich f ü r diese Zeit zustimme, ohne mich seiner eigenen Klassifikation in allen Teilen anzuschließen. Ebensowenig kann ich die Terminologie ganz annehmen, die Philippi S. 8f. 14f. 27f. gewählt hat, und noch weniger die Einteilung für glücklich halten, die Hebzberq-Fbänkel , KUiA Text S. 214ff., für die nachstaufische Zeit vorschlägt: sie ist künstlich und willkürlich zugleich. Ich verkenne nicht, daß auch die von mir durchgeführte Klassifikation nicht nach allen Eichtungen hin zu befriedigen vermag, glaube aber, daß sich mit ihr immer noch am leichtesten operieren läßt und halte darum an ihr auch nach den Ausführungen Erbens, UL. S. 236 ff, fest.

64

Feierliche und einfache Privilegien

gehenden Periode für die Scheidung der Diplome von den Mandaten in dem Vorhandensein oder Fehlen der Inscriptio ein im allgemeinen durchaus zuverlässiges Merkmal besaßen, entbehren wir jetzt eines solchen. Im Anfang des 12. Jahrhunderts nämlich — zuerst unter Heinrich V. — dringt, offenbar unter dem Einfluß des päpstlichen Kanzleistils, der überhaupt von da ab immer mehr die in der Reichskanzlei herrschenden Bräuche beeinflußt, 1 die Inscriptio auch in die Privilegien ein. Kommt sie nach wie vor allen Mandaten zu, so bleibt sie doch nicht mehr auf diese beschränkt, sondern kann von jetzt ab in jeder Urkunde stehen. Unter diesen Umständen läßt sich zwar noch immer die Gruppe der feierlichen Privilegien leicht von allen anderen unterscheiden; sie werden gekennzeichnet durch ihr vollständiges Protokoll und haben bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts Invokation und Königs-, oft auch noch Kanzlerunterschrift und ausführliche Datierung, 2 von da ab wenigstens immer noch eine oder die andere dieser Formeln; 3 Hand in Hand damit geht eine sorgfältigere äußere Ausstattung, namentlich auch in bezug auf die Besiegelung. Nicht so scharf läßt sich dagegen die Grenze zwischen einfachen Privilegien und Mandaten ziehen; maßgebend bleibt hier nur der sachliche Unterschied zwischen Verfügungen, die auf die Dauer, und solchen, die auf vorübergehende Wirkung berechnet sind, zwischen Verfügungen, die vorwiegend als Beweismittel eines Rechtes, und solchen, die administrativen Zwecken dienen sollen. In den meisten Fällen wird dies Moment ausreichen, um ein bestimmtes Dokument der einen oder der anderen Art zuzuweisen; wo das nicht der Fall ist, werden 1

Vgl. einstweilen MÜHLBACHER, Kaiserurkunde und Papsturkunde, MIÖG. ff. 2 Feierliche und einfache Privilegien lassen sich in gewissem Sinne schon in der vorstaufischen Zeit unterscheiden; so haben z. B. im 9., 10. und 11. Jahrhundert die Mundbriefe sowie die eartae denariales und die Ernennungen von Königsboten (s. unten S. 68 N. 2) keine Königsunterschrift, letztere überdies eine einfachere äußere Ausstattung. Aber im Vergleich zur Gesamtheit der Diplome ist die Zahl der so als einfache Privilegien zu bezeichnenden in dieser Periode so gering, daß es nicht erforderlich ist, um ihretwillen eine Unterteilung vorzunehmen. — Ein sachlicher Unterschied zwischen einfachen und feierlichen Privilegien besteht in der staufischen Zeit nicht; Verfügungen gleichen Inhalts werden bald auf die eine bald auf die andere Art beurkundet. Wahrscheinlich hängt die mehr oder minder feierliche Ausstattung einer Urkunde mit der Höhe der gezahlten Gebühren zusammen. Vgl. übrigens über die Unterscheidung zwischen privileg. simplex und privileg. compositum oder sollempne Boncompagnus bei FICKEK, It. Forsch. 4, 306. 8 Die einfachen Privilegien sind bis 1159 noch selten und kommen erst von da an häufiger vor. Erg.

4, 499

Luxemburgische

Periode.

Offene und geschlossene Briefe

65

wir in dieser Beziehung überhaupt auf ein bestimmtes Urteil verzichten müssen. Nur das kann noch im allgemeinen gesagt werden, daß die Mandate häufig auch durch knappere Formulierung und geringere äußere Ausstattung kenntlich sind, die freilich auch bei einfachen Privilegien vorkommt. F ü r den übrigens wenig erheblichen Unterschied zwischen allgemeinen und Spezialmandaten ist dann natürlich lediglich die Form der Inscriptio maßgebend, je nachdem sie sich an alle Getreuen, an alle, die den Brief des Königs lesen oder lesen hören, oder an einzelne genau bezeichnete P0f.

120

Anlage

und Einrichtung

der päpstlichen

Register

hörte sie ganz auf. 1 Seitdem sind also nur noch Papierregister geführt worden, bis dann im 16. Jahrhundert abermals neue, hier nicht weiter zu verfolgende Yeränderungen in der Anlage der Registerbücher eintraten. In der Zeit, in der die Doppelregistrierung in Übung war, sind die Papierregister vielfach vollständiger und umfassender als die überdies oft fehlerhaften Pergamentabschriften; doch sind die letzteren nicht nur übersichtlicher und bequemer zu benutzen, sondern es kommt auch bisweilen vor, daß sie Urkunden enthalten, die in den Papierregistern fehlen, weil sie erst bei der Anlage der Abschriftenbände in die Registratur abgeliefert wurden. 2 Ob alle oder wie viele und welche von den unter dem Namen eines Papstes ausgegangenen Erlassen in seine Registerbücher eingetragen wurden, läßt sich für die ältere Zeit nicht feststellen. Nur dies kann man den auf uns gekommenen Nachrichten über ihre Benutzung durch die Päpste selbst oder andere Personen, denen der Zugang zum päpstlichen Archiv gestattet wurde, entnehmen, 3 daß man wichtigere Privilegien und bedeutsamere kirchenrechtliche und dogmatische Verordnungen in ihnen zu finden erwartete. Doch mag schon Gregor I. mit der Möglichkeit unvollständiger Registerführung gerechnet haben; denn er hat zweimal gallischen Bischöfen, die ihn um Bestätigung älterer päpstlicher Privilegien baten, anheim gegeben, die zu bestätigenden Urkunden nach Rom zu senden, nachdem er in den Registerbüchern vergeblich danach hatte suchen lassen; 4 und, was noch bemerkenswerter ist, er hat einmal, als er sich nicht mehr genau erinnerte, ob er Anfiagen des Verwalters des sizilischen Patrimoniums vollständig beantwortet habe, Verfügungen für den Fall, daß dies geschehen und für den Fall, daß es nicht geschehen sei, getroffen, 5 wahrend es doch, Vollständigkeit des Registers vorausgesetzt, sehr nahe gelegen hatte, den Inhalt der Antwort, über die der Papst im ungewissen war, daraus feststellen zu lassen. Während es dann für die 1 Vom 12. Jahie des avignonesischen Papstes Clemens VII. au sind alle Register auf Papier, vgl. Keg. Clem. V., Prolegomena S. XVII. Von den Registern Urbans VI. haben sich im Vatikanischen Archiv nur drei Bände erhalten, die sämtlich auf Papier geschrieben sind; dazu kommt ein Fragment des Kommunregisters aus dem 9. Jahre des Papstes in Cod. Ottobon. 1443 der Vatikanischen Bibliothek, vgl. Mon. Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia 5, II f.

2

4

Vgl. Denifle, Specimina S. 50.

3

Vgl. v. Heokei,, AfU. 1, 430.

Reg. Gregor. I. 9, 220. 11, 40 (ed. Ewald-Hartmann 2, 212. 314). Der diitte von v. Hf.ckEr,, AfU. 1, 430 N. 3 angeführte Fall läßt auch eine andere Eikläiung zu, vgl. Mommsen, NA. 17, 390. Dagegen kann noch Reg. Greg. I. 3, 54 (od. Ewai.d-Hartmann 1, 212) angeführt werden. 5

Reg. Greg. I. 5, 7 (ed. Ewai.d-Haiitmann 1, 288).

Anlage und Einrichtung -der päpstlichen Register

121

folgenden Zeiten lange an allen Anhaltspunkten zu einem Urteil über die Vollständigkeit der Registerbücher fehlt, 1 haben wir etwa aus der Wende des 12. und 13. Jahrhunderts zwei ausdrückliche, ungefähr übereinstimmende Zeugnisse darüber. Stephan, Bischof von Tournai (gest. 1203), ein bekannter Kanonist, sagt, es sei die Gewohnheit der römischen Kirche, wenn sie jemandem einen Brief über eine große Sache [de magno negotio) sende, eine Abschrift davon zurückzubehalten,2 und der Walliser Bischof Girald, Elekt von St. Davids, der sich längere Zeit an der Kurie Innocenz' III. aufgehalten hat, bezeugt,3 daß in die päpstlichen Register Abschriften aller Privilegien und der Briefe über wichtigere Sachen {super magis arduis causis) aufgenommen würden. Aber damit ist noch zu viel gesagt. Wie selbst die amtliche Korrespondenz der Päpste in politischen Angelegenheiten, die beständig evident zu halten doch die Kurie selbst das größte Interesse hatte, nicht lückenlos in die Registerbücher des 13. Jahrhunderts übergegangen ist, sondern das, was wir davon wissen, nicht selten aus anderer Überlieferung stammt, so sind auch die feierlichen Privilegien in dieser Zeit, die uns noch in Originalen oder Abschriften erhalten sind, keineswegs ausnahmslos registriert worden.4 Von wem die bei der amtlichen Korrespondenz getroffene Auswahl der in die Register aufzunehmenden Stücke getroffen wurde, läßt sich nicht bestimmen; bei anderen Papstbriefen, die in Gnaden- oder Justizsachen ausgefertigt wurden, hing es im 13. Jahrhundert jedenfalls noch von dem Willen der Empfänger ab, ob sie die Registrierung vornehmen lassen oder ob sie darauf verzichten und so die dafür zu zahlenden Gebühren ersparen wollten: ein allgemeiner Registrierungszwang kann damals noch nicht bestanden haben. 5 In der avignonesischen Zeit aber muß dieser, vielleicht schon unter Clemens V., wahrscheinlicher unter Johann XXII. eingeführt worden sein, allerdings wohl nur für Gnaden-, nicht auch für Justizbriefe; und in dieser Zeit wird es auch üblich geworden sein, die amtliche Korrespondenz der Kurie, insbesondere die Briefe in finanziellen und in politischen Angelegenheiten vollständig zu buchen, wie das Benedikt XII. als Grundsatz der päpstlichen Ver1

Über das Register Johanns VIII. s. oben. S. 106 N. 5. Summa Stepliani Tornacensis, ed. S C H U L T E (Gießen 1891) S. 104: consicetudo est Bomanae eeclesiae, quod, cum alieni de magno negotio mittit epistolam, apud se retinet exemplum. Quae omnia exempla in unum, librum eonficit, quem voeat registrimi. 3 Die Stelle ist oft angeführt, zuletzt von S P A E T H E N , NA. 31, 612 N. 1. 4 Vgl. auch T Ü C E K in der oben S. 1 1 4 N . I zitierten Abhandlung S. 3 6 ff. 5 So jetzt auch v. H E C K KL, A f U . 1, 431 f. !

122

Anlage und Einrichtung

der päpstlichen

Register

waltungspraxis hinstellt. 1 Ausnahmen davon mögen freilich auch später noch vorgekommen sein. Die in die Register eingetragenen Briefe wurden, wie nach neueren Untersuchungen 2 angenommen werden kann, in älterer Zeit, wenigstens bis in die Epoche Gregors VII., 3 vollständig und wörtlich, einschließlich des gesamten Protokolls, kopiert. Dagegen war es von jeher üblich, 4 Briefe, die in gleich- oder nur wenig verschiedeil lautenden Exemplaren an mehrere Empfänger versandt werden sollten, nur einmal zu registrieren. Die Adresse im Register wurde dann in älterer Zeit so gestaltet, daß die Namen aller Empfänger darin aufgenommen wurden, während eine entsprechende Kanzleinotiz darauf hinwies, daß an die einzelnen Empfänger in gleicher Weise geschrieben sei. 6 Die 1

Vgl. seine von BERGER , Registres tbezeugungen (Heiratserlaubnisse, Ernennungen usw.), drittens Quittungen; hier hat man bisweilen Spezialregister auch noch nach anderen Gesichtspunkten angelegt. Die einzelnen Abteilungen enthalten in besonderen Bänden oder Heften je die Erlasse eines Indiktionsjahre*; zuweilen sind alle Erlasse während eines anders begrenzten Zeitrehres, wie z. B. während des Kreuzzuges nach Tunis, zu besonderen Spezialregistern vereinigt. Vollständige und wörtliche Abschrift der Urkunden kam auch in der angiovinischen Kanzlei nur selten vor; in der Regel verkürzte man die Anfangs- und Schlußformeln; von minder wichtigen Erlassen, wie z. B. Ernennungen usw., wurde auch hier häufig nur ein kurzer regestartiger Auszug verzeichnet. Die Eigentümlichkeit der angiovinischen Register besteht also wesentlich in ihrer sehr genauen Spezialisierung, die viel weiter geht als das Verfahren in der päpstlichen Kanzlei und sich für Verwaltungszwecke als sehr praktisch bewährt haben muß. Auf der Insel Sizilien, die unter aragonesischer Herrschaft von dem Königreiche Neapel sich ablöste, soll der Brauch der Registerführung mit dem Jahre 1312 begonnen haben; von da bis 1819 ist er beibehalten worden, und mehr als 1100 solcher Registerbände liegen noch jetzt im Staatsarchiv zu Palermo vor. 1 Auf analoge Einrichtungen, die im späteren Mittelalter in den kleineren ober- und mittelitalienischen Staaten getroffen worden sind, kann hier bei dem Mangel ausreichender Vorarbeiten nicht näher eingegangen werden. 2 Daß nun aber der für Sizilien nachgewiesene Brauch der Registerführung schon unter Friedrich II. auch auf das Kaiserreich 3 übertragen, 1

Vgl. das Inventario officiale del grande archivio di Sicilia (Palermo 1861) S. 2 ff. Eine neuere Untersuchung dieser Registerbücher wäre aber sehr erwünscht. ! Über florentinische Register vgl. Mahzi, Arcli. stör. italiano, 5 Seiie, Bd. 20, 76 ff. * Uber die Registerführung am deutschen Königshofe vgl. im allgemeinen Seeliqer, M I Ö G . Erg. 3 , 2 2 3 ff. llrrUl.111. llrkundonlohre. 3. Aufl. I .

9

130

Register der deutschen Kaiser

daß also auch die für Ober- und Mittelitalien und für Deutschland ausgestellten Urkunden dieses Kaisers registriert worden seien, wie man neuerdings vermutet hat, 1 ist weder zu erweisen noch irgendwie wahrscheinlich. Denn wo einmal im Mittelalter der Brauch der Registrierung in einer Kanzlei eingeführt war, da ist er nicht wieder aufgegeben worden; dafür aber, daß in Deutschland unter Heinrich (VII.),2 Konrad IV. und den Königen des Interregnums oder untei den drei nächsten Herrschern nach dem Interregnum, Rudolf I., Adolf, Albrecht I., Kanzleiregister geführt worden seien, haben wir keinerlei Anhaltspunkte, 3 und auch für die erste Zeit der Regierung Heinrichs VII. fehlen solche noch gänzlich. Aber während des Römerzuges dieses Herrschers haben sich die Verhältnisse in dieser Hinsicht geändert. Als Heinrich im Jahre 1310, worauf wir in anderem Zusammenhang zuruckzukommen haben, 4 ein von der Kanzlei getrenntes, wenn auch mit ihr m einem gewissen Zusammenhange stehendes Kammernotariat schuf, in dem öffentliche Notare zu ständigem Dienst des Herrschers angestellt wurden, gaben diese Männer auch dem Aktenwesen am Hofe eine andere Gestalt. Was bei italienischen Notaren, die im Dienste von Fürsten oder städtischen Kommunen standen, längst üblich war: die Anlage geordneter Amtsakten, die zum Teil in Amtsbüchern verzeichnet wurden, ward nun auch am Königshofe eingeführt; und unter den Archivalien Heinrichs VII., von denen wir später zu reden haben werden, sind uns erhebliche Reste solcher Amtsakten erhalten. So hat Heinrichs Kammernotar Leopardus Frenetti solche Amtsakten angelegt, aus denen eine Anzahl von Abschriften entnommen sind, 1

Pnu.irri 8. 41. Erwähnt wird Eintragung in die Register in der ¡cum Formulai umgestalteten Urkunde W I . N K E L M A N N , Acta 1, n. 432. Aber wir wissen nicht bestimmt, ob sie von Friedrich II. hcnührt, und es stellt nicht fest, daß der teetor ecclesie S. Bartholomei, dessen Angelegenheiten sie betrifft, dem Imperium angehörte; man könnte z. B. sehr wohl an das Kloster San Bartolomeo di Carpineto im Justiziariat der Abruzzen denken, vgl. W I X K E U I A X N , Acta 1, n. 254. 2 Über Heinrich (VII.) vgl. P H I L U T I S. 52, der selbst zweifelt, ob ein Register vorhanden war, und zugeben muß, daß, wenn eins voihanden war, es nicht so eingerichtet gewesen sein kann, wie das sizilianische Friedrichs II.; für Konrad IV. veimutct er S. 54 Registerführung wegen d u Cevohnh iten der kaiserlichen Kanzlei. Das ist natürlich eine Petitio prineipii. 3 Vgl. clie Erörterungen von S C H W E I Z E R , MIÖG. 2 , 2 4 8 f f . ; H E K Z B E I ' G - F H Ä K K E L , ebenda Erg. 1, 2 9 1 ff. und K R E T Z S C H I U R , Die "Formularbücher aus der Canzlei Rudolfs v. Habsburgs (Innsbruck 1889) S. 131 f. — Daß Heinrich VII. ein Register Albrechts nicht gekannt hat, läßt sich aus B Ö H M E R , Reg. H. VII. 470, folgern. 4 S. unten Kap. VII.

Register Heinrichs VII.

131

die wir noch besitzen; sie werden einige Jahre später von seinem Bruder als Acta et gesta serenissimi principis domini Henrici dei gratia Romanorum regis bezeichnet.1 So hat ein anderer Kammernotai, Bernardus de Mercato, am Tage seiner Ernennung zu diesem Amte (20. November 1310) auf besonderen Befehl des Königs ein prächtig ausgestattetes Buch begonnen, das dazu bestimmt war, omnia instiumenta et acta publica, que perpetua memoria indigent, ipsum dominum regem et sacruni Romanum Imperium tangentia facta, recepta et notala et que fient, recipientur et notabuntur tarn per me quam per ceteros notarios saore ipsius domini regis camere aufzunehmen. 2 Das Buch sollte also ein Register für das Kammemotariat werden, aber — zum Unterschied von den Kammerregistern der Päpste — auch alle wichtigeren Einlaufe vollständig enthalten. Zur vollen Ausführung dieses Planes ist es dann freilich nicht gekommen; das Buch ist ein sehr unvollständiger Torso geblieben.3 Bernard und seine Kollegen haben ihre Amtsakten in anderer Weise geführt und andere Amtsbücher angelegt, von denen hier nur zwei erwähnt werden sollen: das im Frühjahr 1313 auf Befehl des Kaisers von Bernardus begonnene, hauptsächlich in franzosischer Sprache abgefaßte Protokollbuch über die Beratungen und Beschlüsse des geheimen Rates, in dem auch Notizen über die auf Grund von Ratsbeschlüssen ausgefertigten Urkunden und Briefe sowie Kopien und Auszüge eingelaufener Suppliken eingetragen wurden, 4 und der gleichzeitig, gleichsam als Supplement zu diesem Ratsbuche angelegte Liber de gestis per consilium imperatoris, der hauptsächlich für die Registrierung von Instruktionen kaiserlicher Gesandtschaften bestimmt war 5 In der Kanzlei Heinrichs VII. hat man ferner, was auch in älterer Zeit bereits vorgekommen sein wird, schon in der Zeit vor dem Römerzuge mehrfach Abschriften \on Urkunden des Herrschers, mit denen gelegentlich auch andere, damit zusammenhängende Aktenstücke oder gleich1 MG. Const 4, 655 N. 5; vgl. ¡uicli HO N 1; 757 X. 1; 951 X. 1 und S. 418, Vorbeineikung zu n. 470. 1 Die Vorrede zu diesem liuclic ist herausgege ben Const. 4, 432 11. 478. ' Vgl. emstweilen SAMAXEK, M I Ö C T . 2 7 , 2 9 8 f. Was früher ich selbst und was SEELIGEH, M I Ö G . 1 1 , 4 2 7 F F . , über die Amtsakten und Amtsbüclier de. Kaininernotare Heinrichs VII. ausgeführt haben, l a ß e sieh schon mu h der Aus gäbe SCINVALMS in 1kl. 4 der Const. vielfach ergänzen und berichtigen. Ausführlieher über diese Dinge zu handeln hat SCHWVIM versprochen, der als erster und bisher als einziger clen g a n z e n , \ielfaeh zerstreuten archivalischen Nachlaß Heinrichs VII. und seiner lvaminernotare durchgearbeitet hat. * Vgl. die Vorrede zu diesem Liber propositorum et expeditorum consilii, wie SCHWALM ihn nennt, Const. 4, 968 n. 933. 5 Vgl. Const. 4, 9ü9 zu n. 934—941.

132

Register Heinrichs

VII.

zeitig ausgestellte Königsurkunden anderen Inhalts vereinigt wurden, auf Einzelblätter oder Rotuli eingetragen, um sie zu späteren Gebrauch aufzubewahren; 1 eine Anzahl solcher Abschriften, die bisweilen Verkürzungen des Eingangsprotokolls enthalten, wie sie in Registerbüchern damals üblich waren, sind uns erhalten. Solche Abschriften sind auch noch in den Jahren 1311 und 1312 angefertigt worden; aber schon im Frühjahr 1311, wenn nicht schon früher, muß auch die Kanzlei zu einer geordneteren Registerführung übergegangen sein. Dafür spricht entscheidend die Tatsache, daß von nun an auf der Rückseite der in der Kanzlei ausgestellten Urkunden, anfangs vereinzelt, später immer häufiger, wenn auch bis zuletzt nicht regelmäßig, ein in der königlichen Kanzlei geschriebener Vermerk über die erfolgte Registrierung begegnet, wie er in der päpstlichen Kanzlei schon seit längerer Zeit üblich war. 2 Dazu kommt, daß in einer nicht ganz kleinen Anzahl von Urkunden aus den Jahren 1311 bis 1313, die Aufforderungen zur Teilnahme an der Kaiserkronung oder zu Hoftagen und Aufgebote zum Kriege enthalten, im Kontexte selbst auf die Registrierung ausdrücklich hingewiesen wird. 3 Kann somit nicht bezweifelt werden, daß 1 Dies ist schon im Januar 1310, also noch vor dein Römerzuge geschehen, vgl. Const. 4, 292 n. 342. 343; 4, 294 n. 345—346 und die Vorbemerkungen dazu. Aus späterer Zeit vgl. noch Const. 4, 596 ff. n. 635—637; 4, 766 n. 775; 4 , 1120 n. 1110—1116; F I C K E R , Die Überreste des deutschen Reichsarchivs zu Pisa (aus den SB. der WieneT Akademie Bd. 14) S. 84 n. 60. 8 Es ist daa Verdienst SCHWALMS, auf diese Vermerke, über die bisher aus der Zeit Heinrichs VIT. nichts bekannt war, zuerst aufmerksam gemacht und festgestellt zu haben, daß sie aus der königlichen Kanzlei stammen. Der erste von ihm verzeichnete Fall ist, wenn ich nichts übersehen habe, eine Urkunde vom 5. Juli 1311, Const. 4, 627 n. 659; dann folgen n. 670. 671 für Eßlingen vom 27. August 1311. 8 Der erste Fall ist die Einladung zur Anwesenheit bei der Kaiserkrönung an den Bischof von Straßburg, Const. 4, 570 n. 607, wahrscheinlich aus dem April 1311, in der es heißt: littcrarum, quas de rerbo ad terbum in noslro regali regislro registrari feeimus. Dann folgt a. a. O. 4, 857 n. 850, Aufgebot zum Kriege an den Abt von Monte Ainiata: has autem litteras rejistrari feciii/us. Weiter Vorladung zum Hoftage cum decenti armorum comitiea an den Bischof von ¡Straßburg, an die Städte Besançon und Vienne und an Raimund von Medullione vom Dez. 1312 oder Jan. 1313, a. a. 0. 4, 906 n. 893. 893a: has autem littcras ad cautelam in registris curie nostre registriri /eeimus. Endlich ähnliche Vorladung an die Bischöfe von Brescia, Verona, Vicenza, Mantua und Modena vom Frühjahr 1313, a. a. 0. 4, 954 n. 923: presentium quas in registris curie nostre signari (registrari) feeimus und presentium quas ad eauteJam registrari feeimus. Ich habe diese Klauseln, soweit sie schon früher bekannt waren, in der ersten Auflage dieses Buches auf Spezialregister für solche Vorladungen bezogen, stimme nun aber, da die Existenz eines allgemeinen Kanzlei-

Register

Ludwigs

des Bayern

133

man in der Kanzlei Heinrichs YII. ein Register geführt hat, so hat sich doch von diesem Register nichts erhalten, and was sein Schicksal nach dem Tode des Kaisers gewesen ist, bleibt uns verborgen. 1 Der Brauch der Registerführung aber ist in der Kanzlei seines Nachfolgers auf dem Throne, Ludwigs des Bayern, beibehalten worden, und von Ludwigs Registerbüchern sind zwei Bruchstücke auf uns gekommen, die heute im Münchener Reichsarchiv aufbewahrt werden. Das erste dieser Fragmente befindet sich jetzt in einem Miszellanbande, der als Tomus Privilegiorum 25 bezeichnet ist, unter Resten aus Registern Ludwigs des Älteren, in dessen Besitz es also nach dem Tode seines Yaters übergegangen ist. Es besteht aus 53 Blättern starken Papieres in Mittelfolioformat. 2 Angelegt ist es im Jahre 1322 zu

registers durch die oben erwähnten Registraturvermerke auf der Rückseite von Urkunden verschiedensten Inhalts sichergestellt ist, der Ansicht S E E L I Q E R S MIÖG. Erg. 3, 231 zu, daß die angeführten Urkunden in diesem enthalten waren. Bedauerlicherweise ist kein einziges der Stücke im Original erhalten, so daß das Vorhandensein eines Registraturvermerkes auf ihnen nicht festgestellt werden kann. — SCHWALM hat darauf aufmerksam gemacht, daß eine ganz entsprechende Klausel sich in einem an Florenz gerichteten Mandat des Diethalm von Guthingen, Vikars Rudolfs I. in Italien, vom Jahre 1284, Const. 3, 575 n. 613, findet; sie ist also jedenfalls in Italien aufgekommen. — Auch die registra curiae, in denen nach Const. 4, 752 n. 762 die Jahressteuer der Städte Friedberg und Wetzlar verzeichnet war, möchte ich nunmehr als das allgemeine Kanzleiregister auffassen: Listen von Städtesteuern sind ja auch in späteren Registerbüchern enthalten, vgl. CHMEL, Reg. Ruperti S . 231, und S E E LIOER a. a. 0. S . 266. Dagegen wird unter dem registrum camere der Urkunde für Amadeus von Savoyen, Const. 4 n. 914 S. 928 Z. 18. 25, wohl ein Amtsbuch der Kammernotare zu verstehen sein, das nicht erhalten ist. 1 Der Vermutung SEELIGER s a. a. 0. S . 231, daß ein guter Teil des archivalischen Nachlasses Heinrichs VII. an den Hof Johanns von Böhmen gekommen sei, kann ich mich nicht anschließen; ich vermisse jeden Anhaltspunkt dafür. Wenn Karl IV. am 11. April 1368 eine beglaubigte Abschrift der von Heinrich VII. am 6. Juli 1312 dem Papst ausgestellten Verbriefung „DuAum antequam", von der er sagt ipsas (seil, lütcras) de rostris imperialibus registris extrahi et coram nobis aperte legi mnndnvimus, herstellen läßt und auf Grund der darin eingerückten promissio Lausannensis den Umfang des Kirchenstaats anerkennt ( H Ü B E R 4647), so muß ich gegen SEELIGER daran festhalten, daß hier Karls eigene Register gemeint sind. Das Register seines Großvateis hatte man gewiß deutlich als solches bezeichnet; in Karls Register aber hat sicher lieh eine Abschrift der Urkunde gestanden, die Karl schon 1346 (Huber 244) und später noch mehrfach erneuert hat. Vgl. auch, was unten in Kap. V über den Verbleib des archivalischen Nachlasses Heinrichs VIT. bemerkt wird. * Nach der jetzigen Zählung der Handschrift, die ich selbst untersucht habe, f. 77—131; zwei Blätter fehlen aber. Das Fragment ist gedruckt bei

134

Register Ludwigs des Bayern

Augsburg von dem kaiserlichen Notar und Registrator Berthold \on Tuttlingen, der am 22. November dieses Jahres seine Herstellung begonnen hat und dessen Hand allein daran tätig gewesen ist. 1 Es reicht bis zum Januar 1327; die beiden Urkunden, die am 4. und 5. Januar dieses Jahres in Innsbruck ausgestellt sind, sind die jüngsten in ihm verzeichneten. Seiner Anlage nach sollte das Register in drei Teile zerfallen, von denen der eine für die bayrischen, der zweite für die italienischen, der dritte für die Reichssachen bestimmt war. In "Wirklichkeit ist aber nur eine einzige italienische Urkunde für die Markgrafen von Este vom 11. Dezember 1322 aufgenommen worden; 2 andere Erlasse für das südliche Reich, darunter «ogar ein im Jahre 1324 ausgestellter Lehnbrief für dieselben Empfänger, 3 müssen, wofern sie überhaupt registriert sind, in ein anderes Buch eingetragen worden sein. Überhaupt sind bei w eitern nicht alle Urkunden ins Register aufgenommen worden. Im Jahre 1323 z B. finden wir zwischen dem 7 März und dem 12. Juli nur zwei Stücke verzeichnet; 4 ebenso nur zwei Stücke zwischen dem 15. Juli und dem 14. September desselben Jahres; 5 im Jahre 1324 findet sich keine Eintragung vom 27. April bis zum 5. August, im Jahre 1325 keine zwischen dem 2. August und dem 6. September; \orzugsweise — aber nicht ausschließlich — scheinen die Urkunden eingetragen zu sein, die sich auf finanzielle Transaktionen des Königs beziehen, doch auch diese keineswegs vollständig. 0 Nur in der Minderzahl der Fälle hat ferner der Registrator die Urkunden ihrem ganzen Woitlaut nach und lediglich mit formelhaften Verkürzungen eingetragen; m der Regel hat ei sich mit einem kurzen, objektiv gefaßten Extrakt begnügt, der das wesentlichste des Inhalts und die Datierung wiedergibt; die Urkunden über preces primariae hat ei am Schluß in einem besonderen Heft zu einer Liste zusammengestellt, die lediglich die Namen des betreffenden Stiftes und des Prezisten angibt und in der sogar die Datierung zumeist fortgelassen O E F E L E , S S . 2, 735 ff. Ein Faksimile daraus bei C H R O U S T , Mon. palaeograpliica Fase. 1 , 8 . ; vgl. auch S E E L I G E K a. a. 0 . S . 233ff.; E R B E N , Ein oberpfalzisches Register aus der Zeit Ludwigs des Bayern S. 64 ff. 1 Nur einmal ist B Ö H M E R , Reg. Lud. Bav. 8 4 7 von anderer Hand nachgetragen worden. 2

BÖHMER, R e g .

3

BÖHMER FICKER, R e g .

4

Lud.

Bav. Lud.

514. Bav

3226.

Zwischen B Ö H M E R 5 4 8 und 5'IO nur 5 6 0 und 5 7 4 . 5 Zwischen B Ö H M E R 5 9 4 und 6 2 4 nur 6 1 6 . 6 1 7 . 6 Dem entspricht es, daß auch Ludwig noch, wie wir das bei Heiniich VII. fanden, in einigen Fällen wenigstens die Registrierung im Kontext der Urkunde ¡msdineklicli anordnet; vgl. SEEI.IGER, MIOG. Erg. 3, 238 X. 1, 3^0.

Register

Ludwigs

des

Bayern

135

i t. Di' Reihenfolge, in der die Eintragungen erfolgt sind, ist wegen der eigentümlichen Anlage des Registers 1 nicht mit Sicherheit festzustellen; als Vorlagen haben dem Registrator 111 den Fällen, m denen ein Urteil darüber überhaupt möglich ist, durchweg die Konzepte gedient. Ob wahrend des Römerzuges Ludwigs des Bayern Register geführt sind, m u ß dahingestellt bleiben. 2 Bald nach der Rückkehr aber ist der Brauch jedenfalls wieder aufgenommen worden. Noch im Jahre 1 3 3 0 beginnt das zweite uns überbliebene Registerfragment, 3 das m einer Handschrift von 2 0 Papierblättern 4 bedeutend größeren F o i m a t s ent halten ist. A u d i hier ist die Registrierung der meisten T r k u n l e i von einem und demselben Schreiber besorgt, der sich indessen n'cht nennt und von Berthold von Tuttlingen zu unterscheiden ist; daneben haben aber noch zwei andere, gleichfalls anonyme Schreiber registriert. 6 Das Register erstreckt sich über den Zeitraum vom Mai 1 3 3 0 bis zum Dezember 1 3 3 2 , 8 ist aber noch weit weniger vollständig als das erste F r a g m e n t ; 7 aus den drei letzten Monaten des Jahres 1 3 3 0 und 1

Es ist nicht kontinuierlich geschrieben, sondern es sind sehr oft Seiten und Teile von Seiten zunächst leer gelassen und erst später beschrieben woiden. * Dafür kann angeführt werden, daß in das Register Ludwigs des Alteien eine in Mailand gegebene Urkunde des Vaters (Böhmer 938) eingetragen ist, die wegen der eigentümlichen Form der Datierung (anno domini CCC vicestmo xecundo [so statt seplimo ausgeschrieben] feria III xe aiixgcndcr phingslwochen) gewiß nicht einem eingereichten Original entnommen ist. Dagegen stammt aus einem solchen das ebenfalls in das Register Ludwigs lei Alten n aufgenommene Stück Böhmer 1049. 3 Aus dem gleichen Jahre stammt auch die Anlage der i lerkwiirdigen Handschrift des Münehener Reichsarchivs: Oberpfälzer Literalien Nr. 1 über die Erbex, Ein ob pfälzisches Register aus der Zeit Kaiser Ludwigs des Bayer 1 (München 1908), zu vergleichen ist. Sie enthält hauptsächlich Uikunden aus der Zeit des Herzogs Ludwig' dts Stiel gen (12o3—1294) und seiner beiden Söhne Rudolf igest. 1319) und Ludwig (des k n'gs und Kaisers), die sich auf heizoglichen Besitz in dei Obeipfalz beziehen, d ren Originale bei Gelegenheit einer im Jahre 1326 aigeoid et i Uiba i ufnal me von den Lehensbesitzern und Pfandinhabem \oigeleg und \ aßen nachträglich registrieit zu sein scheinen. Ein Register im strengen Sinne des Wortes stellt die Handschrift nicht dar; \gl. auch R n i u c n , MIOG 31, 131 ff. Nicht von Pergament, wie Böhmer angibt; vgl. F Löhku, Arcliival. Zeitschr. 12, 280ff; SFIFRIQETT a. a 0 S . 235ff — Gedruckt bei Okkei.e SS. 1, 756FF. Ein Faksimile bei Chroist a. a. O. Fase. 2, 9. ' Vgl. H e n e bei Ciikoust h. a. 0. 6 Böhmer, Reg. Lud. Bav 1685 \ on 1335 ist später nachgetragen. ' Seemoer a. a. 0 . S. 236 bemerkt aber mit Recht, daß manchc Urkunden aus dein Zeitraum von 1330—1332 auch auf jetzt verlorenen Blättern hinter den uns erhaltenen registriert gewesen sein können.

Register Karls IV.

136

den drei ersten Monaten des J a h r e s 1331 z. B. enthält es nicht ein einziges Stück; auch die Zeit vom 19. Mai bis 11. Dezember 1332 und die zwei ersten Monate dieses J a h r e s sind ganz unvertreten. Die aufgenommenen Stücke beziehen sich zum überwiegenden Teil auf Reichssacl en. so daß man an die Existenz eines eigenen bayrischen Registers glaube.i darf, die auch nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß einzelne, ba) rische Landessachen betreffende Urkunden mitten unter Reichssache i eingetragen sind. 1 Die Registrierung erfolgte in anderer F o r m als n dem älteren F r a g m e n t ; zwar sind auch hier n u r wenige Stücke \ollstandig gegeben, aber die Auszüge sind überwiegend subjektiv gefaßt. Als Vorlagen haben in der Regel die Konzepte gedient, vereinzelt aber mögen auch Originale vorgelegen haben; die benutzten Ivor ze )te scheinen häufig noch undatiert gewesen zu sein, und mehrfach ist eme Nachtragung der Daten unterblieben. Überhaupt macht das ganze Register den Eindruck, als ob es mit viel geringerer Sorgfalt behandelt sei als das frühere. Stehen wir somit noch in der Zeit Ludwigs des Bayern erst in den A lfängen einer geordneten Registerführung in der Reichskanzlei, so gestaltet diese sich schon unter Karl IV. sehr viel ordnungsmäßiger. Aus einer Äußerung vom J a h r e 1363 erfahren wir, daß, prinzipiell wenigstens, jetzt eine vollständige Registrierung aller Privilegien in Aussicht genommen war; 2 aus dem Register werden Neuausfertigungen verlorener Urkunden gegeben; die Registratur wird eine eigene Abteilung der Kanzlei mit zahlreichen Beamten; zur größeren Sicherheit wird die geschehene Registrierung, was unter Heinrich VII. und Ludwig doch n u r gelegentlich stattgefunden hatte, jetzt seit 1347 regelmäßig, wenn auch nicht ausnahmslos auf der Originalurkunde vermerkt : kurz man strebte offenbar dahin, die Vorteile, welche die päpstliche Kanzlei aus ihrer geordneten B u c h f ü h r u n g zog, auch für die des Kaisers zu gewinnen. Ganz ist das denn freilich doch nicht gelungen, wie die geringen Überreste zeigen, die uns von den Registerbüchern Karls IV. erhalten sind. 3 Es ist eine Handschrift von 78 Papierblättern, die wahrschein1

So

z. B .

BÖHMER, R e g .

Lud.

Bav.

1369.

1440.

1450.

3958, Karl IV. erklärt, daß er eine von ihm selbst 1355 ausgestellte Urkunde ( H C B E R n. 2001) in regeslro caneellctrie vos/re ccsarie, quo S

HUBER

síngala pi itilegia a nobis emanantia regestrantur de verbo ad verbum vorgefunden habe. — Die Existenz des registnim cancellariae ist schon bezeugt für das Jahr 1353, vgl. H U B E R 1687. 1688. 3 Vgl. L I N D X E R S. 155ff.; F I C K E R , BzU. 2, 33fF.; SEELIGER a. a. 0. S. 238ÍF. Gedruckt ist das Fragment von GI.AFEV, Anecdotorum sacri Romani imperii liistoriain ae ins publicum illustrantium collectio (Dresden und Leipzig 1734).

Register Karls IV.

137

lieh schon im 14. J a h r h u n d e r t — hei welcher Gelegenheit wissen wir nicht zu sagen — in den Besitz der Markgrafen von Meißen gelangt i s t 1 und jetzt im Hauptstaatsarchiv zu Dresden aufbewahrt wird. Sie umfaßt hauptsächlich die Zeit vom J a n u a r 1360 bis zum April 1361, enthält aber auch einzelne Stücke, die bis zum J a h r e 1355 zurückreichen und zwei, die erst dem J u l i 1361 angehören. Aber es sind auch hier zahlreiche anderweit überlieferte U r k u n d e n nicht aufgenommen, darunter mehrere, deren uns erhaltene Originale sogar mit dem Registraturzeichen versehen sind; einzelne dieser Stücke mögen in uns verlorenen Sonderregistern enthalten gewesen sein; bei allen ist das keineswegs wahrscheinlich, und auch das Registraturzeichen bot also keine ganz sichere Gewähr f ü r wirklich vollzogene Registrierung. Bei der Mehrzahl der registrierten Stücke ist — unter üblicher Verkürzung der Protokollformeln — der Kontext seinem ganzen Wortlaut nach kopiert worden; doch kommen auch jetzt noch einige Eintragungen vor, die n u r einen objektiv gefaßten Auszug aus den U r kunden geben. U n d zwar ist das letztere Verfahren nicht bloß bei Kino Anzahl von Stücken, die GLAFEY aus tendenziösen Gründen fortgelassen hat, habe ich verzeichnet NA. 11, 95ff.— Faksimile KUiA., Lief. 6 Taf. 21; TAXOL, Schrifttafeln 3, Taf. 95 und STEFFENS, Lat. Paläographie 3 Taf. 107. — Daß es für Böhmen, für welches Karl IV. einen eigenen Registrator ernannte, wirklich ein Register in dem Sinne, wie wir das Wort fassen, gab, ist unwahrscheinlich (vgl. auch SEEI.IGER a. a. 0. S. 241); nach der Bestallung dieses Registrators (PELZEL, Gesch. Karls IV. 2, UB. S. 362 n. 324) muß vielmehr ein Kopialbuch, in das die empfangenen Urkunden eingetragen wurden, verstanden werden; und gewiß ist, daß zahlreiche Urkunden, die Karl als König von Böhmen ausgestellt hat, sich in dem Dresdener Registerfragment finden. Dagegen wird die in Breslau eingerichtete Nebenkanzlei für Schlesien (vgl. LINDNEB S. 27) jedenfalls ein eigenes Register gehabt haben, und das Register des Reichshofgerichts ist auch später immer von dem der Kanzlei getrennt geblieben und wird oft erwähnt, vgl. FRANKLIN 2, 199; Zeitsclir. f. Rechtsgesch. 15, German. Abt. 2, 181. — Wenzel scheint noch 1416 im Besitz von Registern Karls IV., wenigstens über brandenburgische Dinge, gewesen zu sein, vgl. Monurn. Zollerana 7, 405. 1 Denn die von LINDNER S. 156 erwähnten, in den Registerband eingehefteten Zettel mit Rechnungsnotizen beziehen sich nicht auf die kaiserliche, sondern auf die markgräflieh meißnische Hofhaltung. Daß diese im 14. Jahrh. geschriebenen Zettel sich erst in späterer Zeit in das Registerbuch Karls IV. verirrt hätten, was SEELIGER a. a. 0. S. 239 N. 1 für möglieh hält, erscheint mir höchst unwahrscheinlich. Und auch an die hussitischen Wirren als Ursache für die Verschleppung des Registerfragments nach Meißen möchte ich nicht denken. Eher möchte ich glauben, daß irgend ein Kanzleibeamter Karls IV. oder Wenzels in meißnische Dienste übergetreten wäre und die Blätter mit sich genommen hätte. Das würde aber im 14. Jahrh. ebensogut wie in späterer Zeit möglich gewesen sein.

138

Register Ruprechts

minder wichtigen und ganz formelhaft stilisierten Stücken, wie Legitimationen, Steuerquittungen usw., zur Anwendung gekommen, sondern auch bei solchen Urkunden, die in anderen gleichartigen Fällen ganz vollständig abgeschrieben m urden; es scheint m dieser Beziehung dem Belieben der einzelnen Registratoien ein weiter Spielraum gelassen zu sein. Die Registrierung erfolgte in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle zweifellos nach den Konzepten. Aus der Zeit Wenzels sind uns keine Register erhalten, doch wissen wir aus dem auf seinen Uikunden beibehaltenen Registraturveimerk, daß solche geführt wurden. 1 Auch wissen wir, daß bei verschiedenen Gelegenheiten Ruprecht bei seinen Verhandlungen mit Wenzel an den letzteren die Forderung gestellt hat, ihm die auf das Reich bezuglichen Register und Briefe auszuliefern. 2 Allein die Verhandlungen darüber sind nicht zum Abschluß gelangt, und tatsachlich hat Ruprecht nichts derartiges von seinem Vorgänger erhalten. 3 Erst von der Zeit König Ruprechts an sind die Register der Reichskanzlei in größerer Vollständigkeit auf uns gekommen. Drei Bände dieser Register befinden sich jetzt im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien; es darf angenommen werden, daß es dieselben Bände sind, die bis zum Jahre 1422 Bischof Raban von Speyer, der Ruprechts Kanzler gewesen war, in seinem Besitz behalten hatte, und die er damals auf Befehl Kaiser Sigmunds an den Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg ausliefein sollte, 4 sie sind im August dieses Jahres an Sigmunds Kanzler, den. Bischof Georg von Passau, abgegeben worden und später mit Sigmunds eigenen Registern an die Habsburger gekommen. Eine größere Zahl von Registerbanden Ruprechts wai abei mit seinem sonstigen Nachlaß in den Besitz seines kurpfälzischen Erben übergegangen; sie sind mit dem kurpfälzischen Archiv an Baden gekommen und befinden sich jetzt im Generallandesarchiv zu KarlsTuhe 6 Die Register Ruprechts zerfallen in zwei Kategorien, von 1 Übei eine Handschrift auf der Universitätsbibliothek zu Piag, deren iiiteste um 1425 geschriebener Teile auf die Registerbücher Wenzels zurückgehen, vgl. S E E I I Q E R a. a. 0 . S . 2 4 3 f f . Erwähnung des Registers der Kanzlei in Böhmen in der von L I N D N E R S . 1 8 2 angeführten Urkunde. * RTA. 4, 398 n. 340, 2; 471 n. 392, 4; 5, 419 n. 312; 678 n. 468. 8 Auch spätere Verabredungen zwischen Wenzel und Sigmund, durch die jener sich verpflichtete, Sigmund die Register, „die zu dem heiligen romischen reich gehören", zu leihen oder abschreiben zu lassen (14 Juni 1416, Monuin. Zollerana 7, 404) scheinen nicht ausgeführt zu sein. 4 Vgl. übei diese Vorginge Z I M E R M A N , M I Ö G . 2, 116f. 5 Über die Wiener Bände vgl. C H M E L in der Vorrede zu den Registern Ruprechts; L I N D N E R S . 1 7 1 ff.; W E I Z S Ä C K E R , RTA. 4, Vorrede S . ILLFF. Über

Register Ruprechts

139

denen wir die der einen als allgemeine, die der anderen als Sonderregister bezeichnen müssen. Von letzteren haben wir vier Bände, 1 deren erster die Verhandlungen, Ausschreiben, Quittungen, Notizen, Rechnungen usw. betrifft, die sicli auf die Romfahrt des Königs beziehen, während der zweite zunächst die Aktenstücke über Wenzels Absetzung und Ruprechts Wahl, sodann aber auf Gesandtschaften und auswärtige Beziehungen des Königs bezügliche Briefe und T rkunden, der dritte Extrakte und Abschriften von Urkunden über die vom König erteilten Belehnungen enthält; der vierte Bin l ist Spezialregistei für die pfalzbayrischen Lrblande Ruprechts. Der zweite und vierte Band zerfallen je in einen deutschen und einen lateinischen Teil, und die gleiche Teilung zwischen deutscher und lateinischer Expedition ist auch bei den allgemeinen Registern durchgeführt. 2 Im Lehenregister sind die Belehnungen für Italien und Deutschland getrennt; außerdem sind Urkunden über spezielle deutsche Lehen abgesondert verzeichnet; die pfälzischen Belehnungen enthält eine besondere Abteilung des oben erwähnten vierten Bandes. Bei den allgemeinen Registern findet sich weiter eine Scheidung je nach der Besiegelung der Briefe. Die Urkunden, welche mit Majestätssiegel versehen waren, sind von denen, die unter dem kleinen, dem Sekretsiegel, ausgegeben waren, getrennt. Wir haben also einen Band für die deutschen Urkunden unter dem Majestätssiegel, einen anderen für die deutschen Urkunden unter anhängendem oder aufgedrücktem Sekret, endlich einen Band, dei alle lateinischen Urkunden enthält, aber in zwei Abteilungen die untei dem Majestats- und die unter dem Sekretsiegel ausgegebenen Stücke gesondert. 3 Von jedem dieser drei Bände ist dann spater, aber noch die Karlsruher Bände mindestens acht davon sind wiikliche Register — Bernheim, RTA. 4, Vorrede S. Vff. Über alle eingehend Seeliger a. a O. S. 24 8 ff. 1 Es sind die Bände der kurpfälzischen Kopialbücher in Karlsruhe, die früher die Nummern 111, 146, 149b trugen, dann mit den Nummern 538, 593, 549, jetzt mit den Nummern 896, 950, 906 bezeichnet sind; ferner der Wiener Band, der B signiert ist und das Reichsleheniegister enthält. 8 Ein Bruchstück eines Sonderregisters ist auch ein Teil des Bandes Karlsruhe, Pfalz. Kopialb. 115 (dann 540, jetzt 898), der Briefe, Vollmachten und Instruktionen, namentlich über die Beziehungen zum Papst und über italienische Verhältnisse, enthält. Uber die KaiWuher Bände 139 und 53 (dann 5S2 und 520, jetzt 939 und 871), die licht zu den eigentlichen Reichs registern zu zählen sind, vgl. Seei-wer MIÜG Erg. 3, 257f. 3 Die drei Originalbändc sind die Wiener Register C und A und das Karlsruher Kopialbueh 8 V2 (dann 467, jetzt 809). Faksimiles aus diesen drei Bänden mit Erläuterungen von Bauer bei Chuocst, Mon. palaeographica, Fase. 12, 1—3.

140

Register Sigmunds

unter König Kuprecht eine Abschrift angefertigt, 1 in der ein Teil der als nicht ausgegeben bezeichneten Urkunden fortgelassen ist. Die Briefe unter Sekretsiegel — wenigstens die lateinischen — sind zumeist nur in kurzem Auszuge verzeichnet; auch bei den Majestätssiegelbriefen sind häufig einer vollständig kopierten Urkunde andere gleichartige im Auszuge angereiht; gewisse Urkundenarten, z. B. Steuerquittungen und auf solche bezügliche Schreiben, sind innerhalb der Bände zu eigenen Abteilungen zusammengestellt. Von der vielfachen Scheidung nach den verschiedensten Gesichtspunkten, die wir bei den Registerbüchem Ruprechts beobachten, findet sich in denen Sigmunds nichts. Sieben Bände davon (E—L) sind uns im Wiener Staatsarchiv erhalten; 2 sie alle sind allgemeine Register für Reichssachen; die einzelnen Bände schließen sich aneinander in chronologischer Folge an und umfassen die ganze Regierungszeit des Kaisers. Wenn aus der Zeit vom August 1415 bis zum Februar 1417 nur wenige Stücke gebucht sind, so liegt das daran, daß Sigmund in diesen Monaten lange außerhalb des Reiches verweilte, daß also gewiß weniger Urkunden ausgestellt worden sind und auch die Registrierung der ausgestellten ins Stocken geraten sein mag. Neben diesen allgemeinen Registern, in denen die Urkunden ohne Sonderung nach geographischen, sprachlichen, sachlichen oder formalen Gesichtspunkten eingetragen sind, wurden wahrscheinlich immer auch erbländische Register geführt, von denen wir jedoch nur noch einen Band besitzen; 3 ' in den Reichsregistern sind Urkunden über böhmische, 1 Die drei Abschriftenbände, die sich zu den Originalregistern verhalten, wie in Rom die avignonesischen Pergament- zu den Papierregistern, die aber auch auf Papier geschrieben sind, sind Karlsruhe, Pfalz. Kopialbuch 4 (dann 459, jetzt 801), 149 (dann 548, jetzt 905) und 5 (dann 460, jetzt 802). Daß 149 Auszug oder Kopie von 8 ' / S ist, gibt B E R K H E I M Z U ; daß 4 und 5 Kopien von C und A sind, bestreitet er, aber es scheint mir nach seinen eigenen Angaben fast zweifellos zu sein; vgl. jetzt auch S E E L I G E R a. a. 0 . S. 2G2f. — Von A und 5 ist sogar noch eine dritte, um einige Stücke vermehrte, um andere verminderte Abschrift, Karlsruhe 143 (dann 592, jetzt 949), vorhanden. 1 Vgl. über sie L I N D N E R S . 1771F.; S E E L I G E R a. a. 0 . S . 2l>5ff. Faksimiles aus den Bänden E und G , erläutert von B A U E R , s. bei C H R O U S T , Mon. palaeographica Fase. 12, 4. 5; 13, 1. 2. Aus dem Bande K sind ebenda 13, 3 zwei eingeklebte Konzepte abgebildet. Über die Unterscheidung der Hände vgl. D V O R A K , M I Ö G . 22, 80. — Der Wiener Band D , der oben nicht mitgezählt ist, ist kein Register, vgl. L I N D N E R S . 177; Q U I D D E , RTA. 10, X X X I f . 3 Über diesen Band, der das Ende des Jahres 1436 und das Jahr 1437 umfaßt und Urkunden für Böhmen, Mähren, Schlesien und die Lausitzen nthält, muß ich auf L I P P E R T , Die deutschen Lehnbücher (Leipzig 1903) S. 6 N. 6, verweisen, da mir die dort angeführte tschechisch geschriebene Arbeit von CEI.AKOVSKY ihrer Sprache wegen unzugänglich ist.

Register Albrechts II. und Friedrichs III.

141

luxemburgische und ungarische Angelegenheiten nur in geringer Zahl registriert worden. Aber auch von Urkunden über Reichssachen besitzen wir so viele, deren Originale den Registraturvermerk aufweisen und die doch in den uns erhaltenen Büchern fehlen, daß wir zu der Folgerung 1 gedrängt werden, es habe neben den uns erhaltenen allgemeinen noch, wie in der Zeit Ruprechts, Sonderregister gegeben, die jetzt verloren sind. Während der eine uns erhaltene Registerband Albrechts II. (M) ganz denen seines Vorgängers entspricht, 2 steht es mit denen, die wir aus der langen Regierung Friedrichs III. besitzen, wesentlich anders. 8 Zunächst ist hervorzuheben, daß unter Friedrich seit dem Beginn seiner Regierung, nicht erst seit der Errichtung einer besonderen österreichischen Kanzlei, die im Jahre 1442 erfolgte, grundsätzlich die Registrierung der Reichssachen getrennt von der der österreichischen Landessachen erfolgte, wenn auch gelegentlich einmal Urkundenabschriften der einen Art sich unter solche der anderen Art verirrten. Es gab also zwei Registerserien; keine von beiden ist uns aber in ihrer ursprünglichen Vollständigkeit erhalten. Von den Reichsregisterbiichern haben wir noch sieben größere Bände (0, N, P, Q, S, V, W) und zwei kleinere (CC und DD), die nur einen Teil der zur Zeit ihrer Herstellung registrierten Urkunden enthalten, außerdem einen Band (T), der Abschriften aus CC, DD und anderen, nicht mehr vorhandenen Originalregistern enthält, endlich einen Band (R), der entweder gleichfalls aus einem verlorenen Originalregister kopiert ist oder einen Versuch nachträglicher und einheitlicher Registrierung für eine Zeit enthält, während welcher infolge einer Vakanz des Kanzleramtes die Registerführung unterblieben war. Diese uns erhaltenen Bände beziehen sich aber nur auf etwa drei Fünftel der Regierungszeit Friedrichs III.; aus etwa 22 Jahren (1449—1452; 1456—1464; 1475—1485) ist bis jetzt kein Reichsregister des Königs aufgefunden worden. Die Register sind nach Kanzleiperioden geordnet und zunächst allgemeinen Charakters wie die Sigmunds und Albrechts II.; doch hat man schon früh angefangen insofern sachlich zu scheiden, als man 1

Die S E E L I G E R mit Recht gezogen hat. Vgl. über ihn S E E U G E R a. a. 0 . S. 273 und dazu D V O R A K a. a. 0 . Faksimile MLÖG. 22, Tafel 2. 8 Vgl. über sie S T E I N H E R Z , KUiA. Text S . 475f.; S E E U G E R a.a.O. S . 276 ff.; L E U H X E B , MIOG. 20, 52ff. Faksimiles aus den Reiehsregistraturbüchem N, 0 , S , C C und aus der von L E C H N E R besprochenen Handschrift 14109 der Hofbibliothek zu Wien bei C H R O U S T , Mon. palaeographica Fa&c. 12, 7. 6. 8. 9; 13, 5; KUiA. Lief. 11, Taf. 9*; ein Konzept aus W bei CHROUST a. a. 0 . 13, 7. 8

Register Friedrichs III. gewisse Urkundenarten: erste Bitten, Familiarität«-, Diener-, "VVappennnd Kapellanatsbriefe für sich zusammenstellen wollte; und in solcher Scheidung ist man später weiter gegangen, so daß in den Banden V und W, die den letzten Jahren Friedrichs angehören, Quittungen, Lehenbriefe, Wappen- und Adelsbriefe neben anderen Privilegien und Gnadenbriefen je eine eigene Abteilung bilden. Sonderregister, die neben den uns erhaltenen Bänden einhergingen, hat es außerdem sicher gegeben; ihr Verlust macht es fast unmöglich über die Vollständigkeit der Registrierung der Diplome (Patente scheinen nur selten registriert zu sein) ein bestimmtes Urteil zu fallen. Auch die landesherrlichen Register Friedrichs liegen uns in den 19 Bänden, die wir noch besitzen, 1 keineswegs mehr in ihrem ursprünglichen Bestände vor: SEELIGER nimmt schätzungsweise an, daß wir davon nur noch etwa die Hälfte besitzen. Näher auf ihre Anlage einzugehen ist an dieser Stelle nicht erforderlich; es genüge die Bemerkung, daß wir auch in dieser Serie allgemeine und Sonder-, namentlich Lehenregister zu unterscheiden haben, daß außerdem aber zeitweise eine geographische Scheidung nach den einzelnen Gebieten, die zu den Erblanden des Königs gehörten, durchgeführt worden i s t 3 Auch im 15. Jahrhundeit eifolgte die Registrierung sowohl m der Reichskanzlei wie in der österreichischen vorwiegend auf Grund der Konzepte. In vielen Fällen aber haben nicht einmal diese den Regibtratoren vorgelegen, sondern nur schriftliche Beurkundungsbefehle, auf Grund deren von Urkunden, die sich in ganz feststehenden Formeln hielten, wie etwa ersten Bitten, Legitimationen usw. sowohl die Reinschriften hergestellt wie die kurzen, objektiv gefaßten Vermerke, die davon in die Registerbücher eingetragen wurden, gemacht werden konnten. Registrierung nach den Originalen ist nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen voi gekommen. In die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts fallen auch die der Registerfuhrung an deutschen Fürstenhöfen. 3 Zu den Handschriften solcher Register gehört ein Papierheft, in schriften von Uikunden des Erzbischofs Balduin von Trier 1

Anfänge ältesten das Abaus den

Achtzehn hat SEELIGEK beschrieben, den neunzehnte U L E U I X E R hinzugefügt. Über che Registcrbücher Maximilians, auf die ich hier nicht mehr eingehe, vgl. B A U E « , M L Ö F T . 2 6 , 2 5 1 FF. 3 Ich berücksichtige in den folgenden kurzen Bemerkungen in der Hauptsache nur die ältesten fürstlichen Register, übei die wir naher unteirichtet sind. Auf die Aufzählung von Lehenbüchern und Lehenregistern verzichte ich und verweise dafür auf das gründliche Buch von L I I T E R T , Die deutschen Lehenbiieher (Leipzig 1903), das S. 124ff. ein Verzeichnis von Lehenbiichcrn, Lelienregistcrn und ähnlichen Aufzeichnungen gibt. 2

143 Jahren 1311—1313 eingetragen sind; es ist wohl unzweifelhaft das Beispiel seines kaiserlichen Bruders, Heinrichs YII., dem der Erzbischof hier gefolgt ist.1 Noch etwas höher hinauf, bis ins vorletzte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts, scheint sich der Brauch der Registrierung in der Grafschaft Hennegau verfolgen zu lassen; doch sind wir über die Einrichtung des ältesten hier in Betracht kommendes Bandes, der Urkunden des Grafen Wilhelm I. von 1287—1312 enthält, 2 noch nicht genau genug unterrichtet, um beurteilen zu können, ob hier etwa fremde Vorbilder eingewirkt haben. Mit dem Jahre 1316 beginnt die Reihe der uns erhaltenen Registerbände der Grafen von Holland aus dem Hennegauischen Hause, doch haben wir bis 1324 nur Abschriften der ursprünglichen Register in doppelter Ausführung, während von da an sowohl jene wie die daraus abgeleiteten Reinschriftregister vorhanden sind: die einen wie die anderen in scharfer geographischer Sonderung, so daß für die Angelegenheiten der einzelnen Landesteile, Seeland, Nordholland, Südholland usw., aber auch für die auf Utrecht, Brabant, Geldern, Deutschland und England, Hennegau bezüglichen Briefe und Urkunden je ein besonderer Registerband angelegt worden ist. 8 Weiter rheinaufwärts führen uns die kürzlich in einer Piivatbibliothek wieder aufgefundenen Registerbücher der Grafen und Herzöge von Cleve-Mark, eine stattliche Reihe von Foliobänden, deren erster im Jahre 1356 beginnt, aber auch nachgetragene Urkunden von 1352 an enthält; seit dem Jahre 1448 ist hier eine sachliche Scheidung in registra causarum, feudorum und praesentationum äußerlich durchgeführt worden, und neben den Clevischen gibt es schon seit 1392 besondere Registerbücher für die causas der Grafschaft Mark.4 Im Erzbistum Köln beginnt die fortlaufende Registerführung unter der Regierung des Erzbischofs Friedrich von Saarwerden mit dem 1

V g l . FRIEDEXSBUBG, W e s t d e u t w e h e Z e i t s c h r . 3, 299FF.; LAMPRECHT, D e u t s c h e s

Wirtschaftsleben im Mittelalter 2, 683. Über die späteren kurtrierisehen Kanzleibiieher vgl. LAMPRECHT a. a. 0., in dessen Mitteilungen aber zwischen Registern und Kopialbüchern nicht so deutlich geschieden wird, daß man genau erkennen könnte, wann die ununterbrochene Registerführung beginnt. * Vgl. Inventaire des cartulaires conservés dans les dépôts des archives li> l'Etat en Belgique (Brüssel 1895) S. 61. 64; GACIIET iin Bulletin de la connn. royale d'hist. 2. Serie 4, 9 ff. 3 Vgl. v. RIEMSDIJK in den Verslagen en mededelingen dei Aka kmic zu Amsterdam, Abt. Letterkundc, 3. reeks, deel 7, 124ff. Nicht zugänglich war mir das neue Buch desselben Verfassers: De tresorie en kanselarij van de graven van Holland uit het Henegouwsche en Beyersche huis (Haag 1908). 4 Vgl. ILGEN, Die wieder aufgefundenen Registerbücher der Grafen und Herzöge von Cleve-Mark (Mitteilungen der königl preußischen Archivver waltung Heft 14).

Register deutscher Fürsten

144

Jahre 1370; 1 im Erzbistum Mainz setzt sie unter Erzbischof Gerlach im Jahre 1347 ein und ist bis zur Säkularisation ununterbrochen fortgeführt worden; die Registerbände beruhen jetzt im Kreisarchiv zu "Würzburg, wo sie als Ingrossaturbücher bezeichnet werden. Ungefähr ebenso alt sind die jetzt in Karlsruhe befindlichen, dort als Kopialbücher bezeichneten Register der Kurfürsten von der Pfalz, die mit dem Jahre 1353 anfangen und von denen uns bis zum Jahre 1395 fünf Bände erhalten sind, wobei allerdings die Jahre 1371—1378 fehlen, die wahrscheinlich ein sechster Band umfaßte. 2 Schon einige Jahrzehnte vorher, unter Bischof Gerhard, der im Jahre 1336 sein Amt antrat, begann man die Registerführung im Bistum Speyer; die erhaltenen Registerbücher befinden sich jetzt gleichfalls in Karlsruhe. 3 In Bayern ist die Registerführung, die Kaiser Ludwig begonnen hatte, in der nächsten Zeit fortgesetzt worden; von dem Register seines Sohnes Ludwigs des Älteren sind uns erhebliche Bruchstücke im Münchener Reichsarchiv erhalten; 4 man unterscheidet hier deutlich ein allgemeines oder Haupt- und mehrere, nach sachlichen Gesichtspunkten angelegte Sonderregister. Aus dem Erzbistum Salzburg besitzen wir noch in einer Handschrift des Archivs zu St. Peter in Salzburg ein Registerbuch der Erzbischöfe Ortolf und Pilgrim II. mit Eintragungen aus den Jahren 1364—1379, wozu wenige Nachträge aus früherer Zeit kommen; 5 und auch aus der Grafschaft Tirol scheinen noch Registerbücher des 14. Jahrhunderts vorzuliegen. 8 1

ILGEN

a. a. 0 .

S.

15.

' Vgl. W I L L E , Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 1, XVI; Inventare des Generallandesarchivs zu Karlsruhe' 1, 144 f. 8 Der älteste Band hat jetzt die Signatur 284 (zuerst: Bruchsal 5 a weltlich, dann 1 2 9 ) , vgl. über ihn R E I M E R in der Zeitschr. für Gesch. des Oberrheins (alte Folge) 26, '80. 4 Ein Faksimile daraus mit Erläuterungen von H E R B E bei C H R O U S T , Mou. palaeographica, Fase. 2, 10. Vgl. auch N E U D E G G E R , Geschichte der bayerischen Archive III b . Bayerische Archivrepertorien und Urkundenregister (München 1899—1900) S. lOlff. 5 Vgl. H A U T H A L E R , Ein Salzburgisches Registerbuch dos 1 4 . Jahrhunderts (Programm des Colleg. Borromaeum zu Salzburg 1 8 9 3 ) . " Genaueres darüber vermag ich freilich den kurzen Angaben bei B Ö H M , Die Handschriften des k. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchivs n. 381 ff. 522ff. in denen „Rait-" („Rechnungs-") und „Kanzleibücher" aufgeführt werden, nicht zu entnehmen. Auch für Osterreich fehlt es noch an einer eingehenden Untersuchung über den Anfang der Registerführung. Daß in Böhmen schon im 1 3 . Jahrhundert Register geführt seien, nimmt T A D I U an (vgl. MIÖG. 1 4 , 5 1 5 ) ; wenn diese Annahme sich nur auf die Existenz von Formularbüchern aus der Kanzlei stützen sollte ( T A D B A S Sjhrift ioqi. Gleichbedeutend wird im Reg. Greg, chartarius gebraucht. 1 963 werden einmal 13 scriniarii zugleich als Teilnehmer einer römischen Synode genannt; davon hießen zwei Stephan, zwei Benedikt, zwei Hadrian und vier Leo, Liutpr. Hist. Ott. cap. 9. So ist es keineswegs sicher, daß die elf Urkunden Johanns XII., die einen Leo scriniarius als Schreiher nennen (vgl. JAFF£, Reg.8 S. 463) von demselben Mann geschrieben sind. Aber unter jenen 13 mögen auch römische Stadtnotare, die damals schon scriniarii hießen, gewesen sein.

Die Kanzleibeamten

der Päpste

seit

Gregor I.

199

habe. 1 Die uns erhaltenen Formulare für das Ernennungspatent eines Regionarnotars 2 geben keinen näheren Aufschluß über die Anforderungen, die an Herkunft und Bildungsgang der zu diesem Amt berufenen jungen Leute gestellt wurden; sie erwähnen lediglich die treuen Dienste oder den bescheidenen Wandel und das elegante Leben des zu ernennenden, dem sie treuen Gehorsam gegen die Befehle seiner Vorgesetzten zur Pflicht machen. Sie setzen voraus, daß der zu ernennende noch Laie sei und erst mit seiner Anstellung in den geistlichen Stand eintrete, 3 dem also alle Kanzleibeamten angehört haben müssen. In der Regel scheinen diese nur die niederen Weihen erhalten zu haben; 4 so ist Menas, der schon 531 Notar war und 536 als secundicerius notariorum anliquae Romae auf einer Synode in Konstantinopel erscheint,5 damals erst Lektor; so nennt die Vita Konstantins I. bei der Aufzählung der Reisebegleiter dieses Papstes den Secundicerius und Liutprand bei der Aufzählung der Teilnehmer an dem römischen Konzil Ottos I. von 963 den Primicerius und den Secundicerius hinter allen Diakonen, aber vor den Subdiakonen.6 Daher kann es nicht befremden, wenn selbst die beiden obersten Chefs der Notare verheiratet waren: so 821 der Secundicerius Transmundus, 924 der Primicerius Sergius, 1013 der Primicerius Johannes und andere. 7 1

Greg. Reg. 5, 15 (JAFF£-E. 1330): grate mihi est, quia inrisiones illas, quas habere notarii adhuc pueri solent, usque hodie frater meus Johannes in lingita sua retinet. Und weiter unten: emenda illos mores notarii. 8 Liber diurnus n. 69. 70. 3 Das folgt aus der Uberschrift des Formulars 70: preceptum quando laicus tonsoratur et fit regionarius, und aus den Worten des Textes: censuimus inter clerum huius apostoüce dei ecolesiae te connumerari — Formular 69 betrifft die Beförderung eines schon im päpstlichen Dienst stehenden Beamten (Notars?) zum regionarius. — Auch von Hadrian I. sagt sein Biograph: eurn Paulus elericari iussit, quem notarium regionarium in ecetesia constituens postmodum eurn subdiaeonum feeit; Liber pontif. ed. DUCHESNE 1, 486. 4 Vgl. HINSCHIUS 1, 381. In Ravenna finden wir sogar einen scriniarius Michaelius qui nullo sacerdotali fungebatur honore, Liber pontif. ed. DUCHESNE 1,

477. 5

S. oben S. 194 N. 3. Liber pontif. ed. DUCHESNE 1, 389; ed. MOMMSEN S. '222; Liutpr. Hist. Ott. cap. 9. Der Name des Primicerius fehlt bei Liutprand und es ist nicht zulässig, wie MANSI, GALLETTI u. a. getan haben, den unter den Kardinaldiakonen zuletzt genannten Bonofilius für den Primicerius zu halten. Daß er dies Amt nicht inne hatte, zeigt seine Erwähnung ohne diesen Titel in der Gegensynode Johanns XII. von 964, MANSI 18, 471. 8

7

GALLETTI S. 179. 194 (Reg. Sublac. S. 95 n. 55. 67 n. 27). 243. —

Nur

ganz vereinzelt erscheinen in Rom Notare in höheren Weihen, so der oben er-

200

Päpstliche Kanzleibeamte seit Hadrian I.

Iudices de clero

Und selbst eine gewisse Erblichkeit in diesen Ämtern, die wohl vorwiegend mit Männern aus dem römischen Stadtadel besetzt waren, scheint sich ausgebildet zu haben. Näherer Nachrichten über die Verteilung der Geschäfte in der päpstlichen Kanzlei entbehren wir für die ältere Zeit, abgesehen von den wenigen im Vorstehenden zusammengestellten Tatsachen, vollständig. Erst seit der Zeit Hadrians I. (772—795), unter dem, wie wir früher gesehen haben, 1 der Brauch aufkam, wenigstens in den Privilegien die bei der Ausfertigung beteiligten Kanzleibeamten zu nennen, vermögen wir diese Verhältnisse etwas genauer zu übersehen. Wir erfahren nun, daß an den Kanzleigeschäften neben den gewöhnlichen Notaren und ihren beiden Chefs noch eine Anzahl anderer Beamter beteiligt war, deren Stellung näher zu untersuchen ist. Eine in ihrem Kern jedenfalls in Rom entstandene Aufzeichnung aus der Zeit Ottos III., 2 deren Angaben freilich nicht ohne weiteres als auch für die frühere Zeit zutreffend angesehen werden dürfen, redet von sieben iudices ordinarii oder palatini des Papstes, die als Kleriker 3 von den weltlichen römischen Beamten, den sogenannten indices de militia, zu denen die cónsules, duces, tribuni u. a. gehören, unterschieden werden. Sie weist ihnen Punktionen bei der Kaiserkrönung und der Papstwahl zu, und sie zählt zu ihnen, außer dem primiccrius und secundicerius notariorum,4' noch fünf andere Beamte, wähnte Notar Castorius, der Diakon war, und 986 der Primicerius Petrus, der sogar Presbyter war, Reg. Farf. 3, 107 n. 403. Ein scriniarius, der Diakon ist, begegnet auch in J A F F É - L . 4 0 5 1 . 1 S. oben S. 176. 2 Zuletzt gedruckt bei GIESEBRECHT, Kaiserzeit l 5 , 893. Weitläufige Erörterungen darüber von K E L L E R in der Deutschen Zeitschr. f. Kirchenrecht 10, 161fi., zu denen die Bemerkungen H A L P H E N s, Mélanges d'archéologie et d'histoire 25, 354 ff. zu vergleichen sind. Mit Recht hat KELLER bemerkt, daß der (uns hier übrigens nichts angehende) Schluß der Aufzeichnung (von Ceterum postquam an) erst von Bonizo herrührt. Das von K E L L E R a. a. O . S. 202 neugedruckte Richterverzeichnis aus der Graphia aureae urbis Romae ist für unsere Untersuchungen belanglos. Wenig ergiebig ist, was ARMBRÜST, Die territoriale Politik der Päpste von 500—800 mit besonderer Berücksichtigung der röm. Beamtenverhältnisse (Diss. Göttingen 1885), über die hier besprochenen Dinge vorträgt. Vgl. auch SÄGMÜLLER, Tätigkeit und Stellung der Cardinäle (Freiburg 1896) S. 19 ff. 3 Daher sie auch gelegentlich iudices de clero genannt werden; vgl. Liber pontif. ed. D U C H E S N E 1, 486. 4 Diese beiden sollen nach unserer Aufzeichnung bei Prozessionen und Festlichkeiten den Vorrang vor den Bischöfen und, was nicht einmal unter Otto III. zugetroffen haben kann, auch einen Anteil an der Reichsregierung gehabt haben.

Päpstliche

Kanzleibeamte

seit Hadrian

I.

Iudices

de clero

201

d e n arcarius, den naccellarius, den protus, den primus defensor u n d d e n amminiculator-1 Sie geht d a n n n ä h e r auf deren F u n k t i o n e n ein u n d erklärt schließlich, daß sie als Geistliche von der A u s ü b u n g ihres richterlichen Amtes in Kriminalsachen ausgeschlossen seien. Anderweit wissen wir, daß die hier g e n a n n t e n Ä m t e r sämtlich schon seit längerer Zeit existierten. 2 Der Ausdruck arca ist f ü r die Eeichskassen schon in römischer Zeit sehr gewöhnlich u n d , seit die christlichen K i r c h e n eigenes V e r m ö g e n erwarben, auch auf deren Kassen a n g e w a n d t worden. 3 Das A m t der arearii war zwar in älterer Zeit sehr untergeordnet, u n d diese Bezeichnung wird lediglich f ü r Personen unfreien Standes gebraucht, während die in der Kassenverwaltung beschäftigten freien B u r e a u b e a m t e n andere Titel führen. 4 Allein das scheint sich in späterer Zeit geändert zu haben. Bereits Cassiodor 5 k e n n t arearii bei der Kasse des praefectus praetorio, die offenbar höher 1

So nennt sie den nomeneulator, s. unten S. 204 N. 4. OJb übrigens diese Reihenfolge dem wirkliehen Bang jener Beamten entspricht, wie die Notiz andeutet und wie von GIESEBRECHT 1 5 , 870 bestimmt behauptet wird, ist sehr zweifelhaft. In den Quellen stehen zwar primicerius und secundicerius stets voran; die übrigen aber erseheinen in sehr wechselnder Folge. Vgl. Lib. pont. zu 710 ed. DUCHESNE 1, 389; ed. MOMMSEN S. 222 f.: defensorum primus, saccellarius, nomencolator; 942, GIESEBRECHT S. 886: arcarius, saeellarius, protoscriniarius; 963, Liutpr. Hist. Ott. cap. 9: aminiculator, arcarius, primicerius defensorum, saeellarius; 1014, Arch. stor. Ital. 3. ser. 13, 28: adminiculator, defensorum primicerius, arcarius; 1060, FICKER, It. Forsch. 4, 92: primus defensor, saeellarius, proto. Auch kommen Ämterkumulationen vor, die mit jener Rangfolge nicht vereinbar sind; so ist Sergius 768 secundicerius und nomenclator, JAFF£-L. 2376. Wahrscheinlich waren die fünf Amter an sich gleichgestellt, und es mag etwa das Lebens- oder das Dienstalter die Rangfolge bestimmt haben. 2 Was KELLER, Deutsche Zeitschr. f. Kirchenrecht 9, 4FF., und in seinem Buche: Die sieben römischen Pfalzrichter im byzantinischen Zeitalter (Stuttgart 1904) über diese Amter ausführt, muß ich, soweit es von den schon in der ersten Auflage dieses Werkes vertretenen Anschauungen abweicht, völlig ablehnen. Ich nehme im folgenden weder auf jenen Aufsatz noch auf dies Buch Rücksicht und begnüge mich, auf die Kritik seiner Ansichten bei HALPHEN, Etudes sur l'administration de Rome S. 45FF., zu verweisen. HALPHENS eigene Darlegungen stimmen in der Hauptsache mit meiner Auffassung überein; sehr verdienstlich sind die von ihm S. 89 ff. zusammengestellten Listen der iudices palatini. 3 Tertullian, Apologet, cap. 39. 4 Vgl. HIRSCHFELD, Die kaiserl. Verwaltungsbeamten S. 461 N. 3, und d i e I n s c h r i f t e n C I L . 3 , 5 5 6 ; 6, 8 5 7 4 — 7 6 . 8718FF.; 8, 3 2 8 9 ;

1 0 , 6977.

Einen

arcarius des (heidnischen) Pontifikalkollegiums im Jahr 380 erwähnt Symmachus Ep. 1, 68 (62). 5

V g l . MOMMSEN, N A . 14, 4 6 3 N . 2.

202

Päpstliche Kanxleibeainte seit Hadrian I.

Indices de clero

gestellte Beamte waren; unter Pelagius I. wird 559 ein Bankier (argentarius) Anastasius als arcarius ecclesiae erwähnt; 1 und in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts war das Amt des päpstlichen arcarius ein so ständiges Glied der kirchlichen Verwaltung geworden, daß es auffallend erschien, als Papst Agatho (678—681) es zunächst unbesetzt ließ, seinen eigenen Finanzminister spielte und die Quittungen über die in die Kasse geflossenen Gelder durch den Nomeneulator ausstellen ließ,2 bis er später, als er erkrankt war, sich doch iuoäa consuetudinem zur Anstellung eines arcarius entschließen mußte. 3 Nähere Angaben über Stellung und Funktionen der arcarii, die sich bis zum Schluß des 12. Jahrhunderts nachweisen lassen, liegen nicht vor; die mehrerwähnte Aufzeichnung sagt lediglich, daß sie die Einkünfte der päpstlichen Kasse verwalteten. 4 Während uns im 10. Jahrhundert mehrfach verheiratete arcarii begegnen, die also höchstens die niederen Weihen gehabt haben werden, 5 ist das Amt unter Papst Johann VIII. (872 bis 882) und Stephan VI. (896—897) sogar von Bischöfen bekleidet worden.6 Ein Zusammenhang mit dem Notariat läßt sich für das Amt des arcarius nicht erweisen.7 Jedenfalls jüngeren Ursprungs ist das Amt des saccellarius. Darauf weist schon die Form des Wortes hin, die fast als unlateinisch bezeichnet werden kann; 8 der Titel ist jedenfalls im oströmischen Reiche entstanden, wo er später häufig vorkommt 9 und ist also wohl erst nach 1

2

JAFF£-K 953.

Liber pontif. ed. D U C H E S N E 1, 350; ed. MOMMSEN S. 193. ' Ein arcarius des Erzbischofs von Ravenna begegnet 861, M A N S I 1 5 , 600. 4 GIESEBRECHT a. a. 0 . : tertius est areharius, qui praeest tributis. Alcuin nennt in einem Briefe von 796 Karls d. Gr. Kämmerer Maginfried, den er an anderer Stelle als dispensator thesaurorum bezeichnet regalis palatii arcarius, MG. Epp. 4 (Kar. 2, 159), 12, vgl. 161, 19. 5 Vgl. Reg. Sublac. S. 74 n. 35, 124 n. 81 zu 943 und 984. 6 JAFF£-E. 3288. 3378; JAFF£-L. 3511. 7 Jedes Beweises entbehrt die Behauptung von GIESEBRECHT L 8 , 8 7 0 , daß die sieben iudices de elero die sieben ersten in der Zunft der Notare gewesen seien. 8 Besser würde saccularius sein, das bei Ulpian (Dig. 47, 11, 7) begegnet. Saccellus findet sich für saceulus in der Bedeutung Geldbeutel bei Petron. Sat. 141; saccellarius ist nicht vor der Zeit Gregors I. nachzuweisen. Über saceulus in der Bedeutung von Kasse vgl. TAMASSIA und L E I C H T in den Atti del R . Istituto Veneto 68, 861; saccellus publieus kemmt auch im Frankenreiche vor, DD. M. 61. 74. 9 Vgl. SCHLÜMBEBOER , Sigillographie de l'empire Byzantin (Paris 1884) S. 580; über den Großsaccellarius des Patriarchats von Konstantinopel vgl. Codinus Curopalata bei MIGNE, Patrol. graeca 157, 26, und dazu die Erläuterungen ebenda col. 134ff.

Päpstliche Kanzleibeamte seit Hadrian I.

Iudices de elero

203

der Eroberung Italiens unter Justinian nach Rom übertragen worden. Gregor I. erwähnt einmal in einem Briefe vom Jahre 595 den saccellarius beim Heere des Exarchen von Ravenna, 1 und die Art dieser Erwähnung läßt nicht darauf schließen, daß es schon damals in Rom einen Beamten gleichen Titels gegeben habe, wie denn auch tatsächlich der erste päpstliche saccellarius (es ist der spätere Papst Gregor II.) erst unter Sergius I. (687—701) vorkommt. Seine Funktionen waren die eines Zahlmeisters,2 und wahrscheinlich lag ihm auch die Rechnungsführung über die päpstliche Kasse ob; Gregor II. wurde außerdem, als er zum saccellarius ernannt wurde, die Verwaltung der päpstlichen Bibliothek übertragen, die dadurch zuerst in eine gewisse Verbindung mit dem Schatze trat. 3 Das Amt war ein klerikales; Gregor II. wurde, als er es erhielt, Subdiakon; es ist später sehr häufig mit dem Amte eines Regionarnotars verbunden; 4 auch die Beförderung eines Notars zum saccellarius und eines saccellarius zum semndicerius notariorum ist bezeugt.5 Das Amt des primicerius oder pfrimus defensorum hat wahrscheinlich Gregor I. geschaffen, als er 598 die sieben ersten (priores) in der Zunft der kirchlichen Defensoren 8 zu Regionarbeamten er1 J A F F £ - E . 1 3 5 2 : quibus (sc. Langobardis) quam, multa ab hac ecelesia eotidianis diebus erogantur . . ., suggerenda non sunt. Sed breeiter indico, quia sicut in Ravennae partibus dominorum pietas apud primi exercitus Italiae saccellarium habet, qui eausis supervenientibus eotidianas expensas faciat, ita et in hac urbe in causis talibus eorum saccellarius ego sum. — Donus magist'r •militum et saeellarius des Exarchen Isacius ( 6 2 5 — 6 4 3 ) wird im Liber pontif. (ed. D U C H E S N E 1, 3 3 1 ; ed. MOMMSEN S . 1 7 8 ) erwähnt. — Auch im italienischen Königreich kommt das Amt später vor; in einer Urkunde Berengars I. (SCHLAPAEELLI n. 105) wird der comes illustrisque saeellarius noster Grimald erwähnt. 8 Vgl. die vorige Note und GIESEBRECHT a. a. 0 . : saccellarius qui stipendia erogat militibus et Rome sabbato scrutiniorum dat elemosinam et Romanis episcopis et clerieis et ordinatis viris largitur presbiteria. s Liber pontif. ed. DCCHESNE 1, 3 9 6 : sub Sergio papa subdiaconus atque saeellarius faclus bibliothicae est illi eura eommissa. 4 Wir finden 745 Theophanius not. region. et saccellarius (M G. Concil. 2, 41 n. 5); 757 Johannes reg. et sacell. ( J A F F £ - E . 2335); 772 Stephanus not. reg. et sacell. (Liber pontif. ed. D U C H E S N E 1, 487; vgl. J A F F £ - E . 2419. 2436 von 775 und 781/82, wo er dudum saccellarius heißt). 5 Ersteres fiirCampulus, Notar781, Cod. Carolin, ep.67, MG. Epp. 3 (Karol. 1), 595; Saccellarius bei der Empörung von 799 gegen Leo III., vgl. ABEL-SISISOX, Karl d. Gr. 2, 163ff. Letzteres für Sergius, den Sohn des oben S. 196 X. 1 erwähnten Primicerius Christophorus, unter Paul I. saccellarius, im Anfang der Regierung Stephans III. semndicerius und nomenculator (Liber pontif. ed.

DUCHESNE 1, 4 6 9 . 8

473.)

Schola defensorum, erwähnt in J A F F S - E . 1 6 4 4 . Primicerius defensorum scole noch 1 0 1 1 , GALLETTI S . 2 3 9 . Über die Befugnisse der defensores ecclesiae

204

Päpstliche Kanzleibeamte seit Hadrian I.

Iudices de clero

nannte. 1 Die Defensoren waren Kleriker, 2 hatten aber jedenfalls nur die niederen Weihen; aus einem Brief Gregors I. an Kaiser Phokas vom Juli 603 erfahren wir, daß der primicerius defensorum erst nach längerem treuem Dienst in diesem Amte zum Diakon ernannt und als Gesandter an den kaiserlichen Hof geschickt wurde. 3 Als Notar ist keiner der uns bekannten primicerii defensorum nachweisbar, wie sie ja auch nicht zu deren Zunft gehörten. An sehr alten römischen Brauch wiederum knüpft das Amt des nomenclátor oder notneneulator* an. Unfreie Diener dieses Namens gab es von jeher in allen ansehnlicheren römischen Häusern, und ihre lakaienartigen Funktionen waren auch in den Bureaus der höheren Beamten unentbehrlich. 5 Nirgends im Reiche aber erfreuten sich die staatlichen nomeneulatores eines solchen Ansehens wie in Rom selbst; während sie überall sonst zu den TJnterbeamten gehörten, die den Rang der eigentlichen Bureaubeamten (offtciales) nicht hatten, erscheinen sie in letzterer Stellung allein im Bureau des römischen Stadtpräfekten. 0 Im Dienste des Papstes sind sie seit dem Ende des 7. Jahrhunderts nachweisbar; 7 im Jahre 710 gehörte der Nomeneulator Sisinnius zu den Reisebegleitern Konstantins I.; 8 daß das Amt nicht wenig galt, darf man aus der Tatsache folgern, daß Sergius, der Sohn des allmächtigen Primicerius Christopherus, es sich neben dem Secundiceriat übertragen ließ.9 745 ist der Nomeneulator Gregorius zugleich notarius regionäres; es erinnert an die ursprüngliche Bedeutung des Amtes, daß er den Gesandten des Erzbischofs Bonifatius der von Papst Zacharias

vgl. HINSCHIUS 1, 377. Die Institution ist offenbar deijenigen der defensores civitatis nachgebildet, die Yalentinian I. einsetzte, vgl. v. BETHMANN-HOLLWEG 3, 107ff. Sie finden sich auch bei anderen Kirchen, z. B. in Ravenna. 1

JAFF£-E. 1503.

2

V g l . die E r n e n n u n g s p a t e n t e JAFF£-E. 1341. 1622.

' JAFF£-E. 106.

9

4

Der später nicht mehr verstandene Titel ist mannigfach entstellt worden: nomineulator, JAFF£-E. 2 5 2 5 ; numieulator, Reg. Farf. 2, 221 n. 270; omiculator, BARSOCCHINI, Mem. di Lucca 5, 3, 6 3 9 ; miculator, DO. I. 3 4 0 ; aminiculator, Liutpr. Hist. Ott. cap. 9 ; amminieulator, GIESEBRECHT L 5 , 8 9 4 ; adminieulator, Arch. stör. ital. 3. scr. 13, 28. 6

Bei der Einrichtung des Bureaus des praef. praetorio Africae wird

ihm auch eine schola nomeneulatorum beigegeben; vgl. auch Lydus, De magistratibus 3, 8. 6 Notitia dignit. Occ. 4, 32. 7 Vgl. die oben S. 202 N. 2 angeführte Stelle des Liber pontificalis. 8

9

L i b e r pontif. ed. DUCHESNE 1, 3 8 9 ; ed. MOMMSEN 1, 223.

JAFF£-E. 2376.

Päpstliche Kanzleibeamte seit Hadrian I.

Iudiccs de clero

205

präsidierten Synode anmeldet und bei ihr einführt. 1 Später werden die Nomeneulatoren vorzugsweise für wichtigere Gesandtschaften auserwählt: so geht 815 und wieder 817 Theodorus zu Ludwig dem Frommen; er ist 821 schon Primicerius, während das Amt des Nomeneulator auf seinen Schwiegersohn Leo übergegangen ist, der auf der Reichsversammlung zu Nimwegen im Mai 821 als päpstlicher Legat fungiert. 2 826 ist wiederum der Nomeneulator Theophilactus Gesandter in Ingelheim, und zwei Jahre danach finden wir ihn am gleichen Orte ein zweites Mal.3 Demnächst wird 875 der Nomeneulator Gregorius, Sohn des Theophilactus, als missus und apoerisiarius Johanns VIII am Hofe der Gemahlin Kaiser Ludwigs II. erwähnt. 4 Endlich ist 967 der Nomeneulator Stephanus mit Papst Johann XIII. selbst im Gefolge Ottos I. 6 Über die Punktionen des Nomeneulator in Rom ergibt sich aus älteren Zeugnissen nichts Bestimmtes. Nach einer Angabe war es sein Amt, die während einer Prozession sich dem Papste nahenden Bittsteller in Gemeinschaft mit dem Saccellarius zu verhören. 0 Die oben erwähnte Aufzeichnung von c. 1000 weist ihm den Schutz der Witwen, Waisen, Gefangenen und Bedrückten zu,7 und dem entspricht eine römische Urkunde von 1034, in der von dem Nomenculator Crescentius ausgesagt wird, daß mit seinem Amt die Sorge für Waisen und Unmündige verbunden sei.8 Die ursprüngliche Bedeutung des Amtes aber ist das schwerlich gewesen, da ja der Schutz der Armen in älterer Zeit speziell zur Aufgabe der kirchlichen Defensoren gehörte. Zuletzt haben wir von dem protosoriniarius9 oder primisoriniarius 1

MG. Concil. 2, 38. 41. 42. SIMSON, Ludwig der Fromme 1, 202 N. 5. Beide sind 823 ermordet worden. 3 SIMSON 1, 255. 294. Ob er mit dem gleichnamigen Secundicerius von 854 ff. (JAFF£-E. 2653. 63. 68. 72) identisch ist, muß dahingestellt bleiben. * JAFF£-E. 3 0 1 5 . 8 7 6 wird Gregorius samt seiner Tochter Constantina mit der Exkommunikation bedroht, JAFF£, Reg. 2 S. 388, muß aber begnadigt sein, wofern er mit dem Gregorius nomenculator, missus et apoerisiarius von 8 8 5 (JAFF£-L. 3 4 0 1 ) , der dies Amt wiederum am Hof der Kaiserin Angelberga zu bekleiden scheint, identisch ist. 5 DO. I. 340; die Stelle ist bei HALPHEN S. 133 übersehen. S

6

HINSCHIÜS 1, 3 8 2 N . 8.

' GIESEBRECHT a. a. 0 . : amminieulator, intereeclens pro pupillis et riduis, pro afflictis et captiris. 8 HARTMANN, Eccl. S. Mariae in Via Lata tabularium S. 81 n. 63. Ein Pfleger wird ernannt auetoritate domni Crescentii div. mis, dem. nomenelatoris s. apost. sedis qui euram et diligentiam pupillorum et orfanorum sibi traditam ab imperatoribus legumque datoribus habere clinoscitur. Mit dieser Funktion hängt gewiß die Entstellung des Titels zu der Form adminiculator zusammen. 9 Abgekürzt profus oder proio bei GIESEBREBHT a. a. 0. und mehrfach urkundlich z. B. GIESEBRECHT l 5 , 890; Arch. della soc. Romana di storia

206

Päpstliche

Kanxleibeamte

seit Hadrian

I.

Iudices

de clero

zu reden, dessen Amt jüngeren Ursprungs ist als die bisher besprochenen 1 und auch in anderer Beziehung einen eigentümlichen Charakter hat. Es ist nämlich das einzige von allen hierhergehörigen, dessen Bekleidung durch einen Laien wenigstens in einem Falle zweifellos nachweisbar ist. Der Protoscriniarius Leo nämlich, der seit dem 17. August 942 in diesem Amte nachweisbar ist,2 das schon sein Vater Johannes 917—920 bekleidet hatte, 3 und der 963 unter dem Einflüsse Ottos I. zum Papst erhoben wurde, war damals noch Laie und empfing erst nach seiner Papstwahl an einem Tage sämtliche Weihen von der niedrigsten bis zur höchsten.4 War aber Leo mehr als 20 Jahre Protoscriniar, ohne Kleriker zu sein, so kann er unmöglich dem Kollegium der päpstlichen Notare und Scriniare, die, wie wir früher sahen, die niederen Weihen haben mußten, angehört haben und also auch nicht ihr Chef gewesen sein.5 Was aber war dann das Amt des Protoscriniars? Auf diese Frage gibt die oft erwähnte römische Aufzeichnung von c. 1000 eine Antwort: er war der Vorsteher der Tabellionen.6 Die Tabellionen, auf die wir in anderem Zusammenhang zurückkommen, waren nach den Bestimmungen Justinians 7 öffentliche Schreiber, die ihr Gewerbe unter der Aufsicht und Disziplinargewalt der staatlichen Behörden betrieben, und bei deren Anstellung den letzteren eine gewisse Mitwirkung zustand; ihr Vorgesetzter war der magister census; mit der Kirche und ihrem Dienst hatten sie ursprünglich nichts zu tun. Als nun aber in Rom im 8. Jahrhundert die Stadtherrschaft nach Beseitigung der kaiserlichen Autorität auf den Papst überging, mußten diesem auch die bisher den Tabellionen gegenpatria 27, 60 11. 8; Reg. Farf. 4, 302 n. 906. Auch arohisoriniarius, arohiscrinins und primiscrinius kommen bisweilen vor. 1 Der erste bekannte Protoscriniar ist Joseph, der als primiscrinius Romanus Konzilsakten von 861 unterschreibt, MURATORI SS. 2 a, 204; frühere Erwähnungen finden sich nur in falschen Urkunden JAEF£-E. 2444. 2514. 2572. 2

9 4 2 R e g . S u b l a c e n s e S. 2 0 4 n . 1 5 5 ; 9 4 3 d a s . S. 7 4 n . 3 5 ; 9 4 5 MITTARELLI

A n n . C a i n a l d . 1, 4 3 n. 1 6 ; 9 5 2 R e g . S u b l a c . S. 2 3 7 n. 1 9 5 ; 9 5 5 JAFF£-L. 3 6 6 9 ; 9 5 8 R e g . S u b l a c . S. 5 4 n. 2 0 ; 9 6 1 MITTARELLI 1, 6 4 n .

24.

8

JAFF£-L. 3558; Reg. Sublac. S. 248 n. 207. 4 Vgl. die Quellenzeugnisse bei DÜMMLER, Otto I. S. 353. Auch der Joseph von 861 (Note 2) wird Laie sein. Er unterschreibt ganz zuletzt hinter den Subdiakonen und dem Oblationarius. 5

Dafür

h ä l t i h n HINSCHIUS 1 ,

382,

und

DÜMMLER

a. a. 0 . S . 3 4 7 .

353

macht ihn, wovon gar keine Rede sein kann, zum Kanzler oder gar zum obersten Kanzler des Papstes. 8 GIESEBRECHT a. a. 0 . : quintus est protus, qui praest seriniariis, quos nos tabelliones vocamus. Vgl. FANTUZZI 1, 194: Apollinaris prototabellio huius civitatis Ravennae. 7 Insbesondere nach Nov. 44, vgl. unten Kap. VIII.

Päpstliche

Kanxleibeamte

seit Hadrian I.

Iudices de clero

207

über ausgeübten staatlichen Befugnisse zufallen: die im 9. Jahrhundert noch vorkommenden magistri census1 wird er ernannt haben. Nun aber vollzog sich hier die eigentümliche, nur in Rom und seiner nächsten Umgebung vorkommende Entwickelung, daß die Tabellionen, nachdem sie der päpstlichen Autorität unterstanden, auch den Titel der Notare der eigentlichen päpstlichen Kanzlei annahmen und sich etwa seit der Mitte des 9. Jahrhunderts als scriniarii et tabelliones urbis Bomae, ja später geradezu als scriniarii sanctae Romanae ecclesiae2 bezeichneten. Ja dieser Sprachgebrauch dehnt sich so weit aus, daß in Eom sogar die kaiserlichen Notare den Titel scriniarii imperialis aulae führen, und daß es in einer Glosse zu den Dekretalen geradezu heißt, die Bezeichnung der Tabellionen als scriniarii sei „vulgare Romanum".8 Diesem Sprachgebrauch entspricht es nun 1 In Eom begegnet 758 Theodorus magistro cense urbis Rome, 821 Zacharias chartularius et magister censi urbis Rome, 850 Anastasius consul et magistro censi urbis Rome. Reg. Sublac. S. 158. 96. 71, n. 111. 55. 31. * Vgl. über diese Bezeichnungen jetzt die Zusammenstellungen von K E H R , Abhandl. der Göttinger Gesellsch. N. F. 1, 18. Den Titel serin. et tabell. urbis Roma* führt danach zuerst (da eine Urkunde angeblich von 843, GALI.ETTI S. 66, ins 10. Jahrh. gehört) Zacharias, Reg. Sublac. 1, 132 n. 87, im Jahre 857, dann Leo, ebenda 1, 128 n. 83, im Jahre 866. Der Titel scriniarius sanctae Romanae ecclesiae findet sich vereinzelt schon am Ende des 9. Jahrh. Um die Mitte des 10. Jahrh. kommt es zuerst vor, daß ein Notar sich im Text scriniarius s. R. e. und in der Vollziehungsformel scriniarius et tabellio urbis Romae nennt, und schließlich wird der letztere Titel durch den ersteren ganz verdrängt. Ein Stephanus scriniarius et tabellio urbis Tiburtinae 924, Reg. Sublac. 1, 201 n. 153. — Dabei handelt es sich immer um Schreiber von Privaturkunden, nicht um päpstliche Kanzleibeamte. Gegen die Ansicht H A R T M A N N S , Eccl. S. Mariae in Via Lata tabularium S. XIVff., der die Scriniare und Tabellionen mit den päpstlichen Notaren und Scriniaren schlechtweg identifizieren will, vgl. K E H R a. a. 0. S. 18 N. 2 und GGA. 1896 S. 18ff., sowie T A N G L , M I Ö G . 18, 629f. Vgl. auch das Formular für die Bestallung eines scriniarius bei F I C K E B , It. Forsch. 4, 223 n. 179, aus dem sich sehr deutlich ergibt, daß der bestallte ein öffentlicher Notar, aber kein päpstlicher Kanzleibeamter ist. Dadurch wird natürlich nicht ausgeschlossen, daß päpstliche Kanzleibeamte in einzelnen Fällen auch Privaturkunden geschrieben haben, wie das K E H R , MIÖG. Erg. 6, 108 N. 2, für einen von ihnen nachgewiesen hat; und ganz ausnahmsweise scheint es auch um die Wende des 11. Jahrh. vorgekommen zu sein, daß städtische Scriniare zur Aushilfe in der päpstlichen Kanzlei herangezogen sind, vgl. K E H R , ebenda S. 108 N. 5 und S. 111 N. 2. Es wäre der Mühe wert, zu untersuchen, ob beides nicht auch in Ravenna, wo die kirchlichen Notare von den städtischen Tabellionen ebenso wie in Rom unterschieden werden müssen (s. unten Kap. VIII), vorgekommen ist. 8 OESTERLEY 1, 8 8 n. 5 ; 8 9 , n. 9 . — Später kommt die Bezeichnung auch in anderen Orten des Kirchenstaats vor; vgl. den scriniarius civit. Anagniae von 1231, MG. Epp. pontif. saec. XIII 1, 362.

208

Päpstliche Kanzleibeamte seit Hadrian 1.

Iudices de clero

vollkommen, daß im 9. Jahrhundert der Vorsteher der Tabellionen, der die Funktionen des alten magister census ausübte, den Titel Protoscriniarius erhielt; und es ist eine erwünschte Bestätigung dafür, daß in einer römischen Urkunde von 966 der protoseriniarius Leo mit dem alten und dem neuen Titel zugleich unterzeichnet. 1 Der Protoscriniar ist also päpstlicher Beamter und Vorgesetzter der scriniarii et tabelliones,2 aber er ist nicht Vorgesetzter der scriniarii et notarii regionarii, d. h. der eigentlichen Beamten der päpstlichen Kanzlei. Darum konnte das Amt unter Umständen auch von einem Laien bekleidet werden, wie ja die Tabellionen ursprünglich sämtlich und später gewiß noch vielfach Laien waren; allerdings wird es dann die Gleichstellung des Proto. scriniars mit den bisher besprochenen päpstlichen Beamten mit sich gebracht haben, daß das Amt allmählich ein klerikales und sein Träger den iudices de clero zugerechnet wurde. 3 Alle iudices de clero, so wenig auch ihre ursprünglichen amtlichen Aufgaben — abgesehen von denen der beiden Obernotare — an und für sich mit dem Dienst in der Kanzlei in unmittelbarem Zusammenhang stehen, sind nun in der Zeit seit Hadrian I. bei der Ausfertigung päpstlicher Privilegien 4 beteiligt gewesen.5 In den vollständig erhaltenen Privilegien der Päpste aus der nächsten Zeit wird der Tätigkeit der Kanzleibeamten in verschiedener Weise Erwähnung getan. Einmal wird in der Regel am Schluß des Textes angegeben, wer das betreifende Privileg geschrieben hat. Sodann wird häufig am Schluß des Eschato1

Reg. Sublac. S. 166 n. 118. Im Text: Leo protoserinarius; Unterschrift: Leo proto et magister censuum interfuit. 2 Als solcher tritt er noch im 11. Jahrh. auf, denn zweifellos ist er mit dem prior scriniariorum, den Beno (MG. Libelli de lite 2, 369) mit anderen Vorstehern römischer scholae nennt, identisch. * Dies ist nachweisbar unter Benedikt VIII., unter dem ein notarius Stephanns, also ein Kleriker, als Protoscriniar begegnet, JAFF£-L. 4033. 41. 43a. 45. 56, vgl. GALLETTI S. 147. Ob schon der Protoscriniar Benedictus, der 897 nicht als Abt, aber als Visitator des Klosters S. Erasmus erscheint (Keg. Sublac. 1. 163 n. 116; Zeugen der Urkunde sind drei Scriniare) ein Geistlicher war, lasse ich unentschieden. 4 In Bezug auf die Briefe der Päpste ist lediglich die Annahme gestattet, daß sie ebenso wie die Privilegien von Notaren und Scriniaren geschrieben worden sind. Positive Angaben darüber fehlen. Daß das Diktat der politisch wichtigeren Briefe (wenn sie nicht, was unter Gregor VII. mehrfach nachweisbar ist, vom Papst selbst verfaßt waren) von den Kanzleileitern herrührte, ist wahrscheinlich und z. B. für die Zeit des Bibliothekars Anastasius direkt bezeugt. 6 Vgl. oben S. 200.

Päpstliche Kanxlei seit Hadrian I.

Datare

209

kolls — unter der päpstlichen Unterfertigung — gesagt, durch wessen Hände die Urkunde „gegeben" ist. 1 Die Formel, in der dies zum Ausdruck gebracht wird, ist von dem Datar — so mag der „gebende" Beamte genannt werden — in allen uns erhaltenen Originalen der nächsten Zeit ganz oder wenigstens zum Teil eigenhändig geschrieben. Als ordentliche D a t a r e werden durchweg höhere päpstliche Beamte, nicht einfache Notare, 2 genannt; indem jene die Urkunden mit eigener Hand unterfertigten, sind sie es zweifellos, denen es oblag, das von den Notaren gelieferte Ingrossat zu prüfen und die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß es dem päpstlichen Befehle entsprach. 3 Demgemäß mußte der primicerius notariorum, den wir als den Chef der Kanzlei und des Archivs kennen gelernt haben, zunächst berufen sein, die Funktionen des Datars zu erfüllen. Und diese Voraussetzung bestätigt sich in vollem Umfang. Wenn wir die Urkunden, deren Datierung uns erhalten ist, aus der Zeit von Hadrian I. bis zur Absetzung Johanns XII. (772 — 963) unter diesem Gesichtspunkt zusammenstellen, so ergibt sich, daß von etwas über hundert Stücken, die überhaupt in Betracht kommen, vierunddreißig, also etwa der dritte Teil, von dem Primicerius persönlich gegeben und unterfertigt sind. 4 Man wird diese Verhältniszahl sehr beträchtlich finden, wenn man erwägt, daß der primicerius notariorum während jener zwei Jahrhunderte der einflußreichste Beamte der päpstlichen Verwaltung, sozusagen der erste Minister des Papstes war, und daß er dadurch so-

1 Ich behalte hier vorläufig den Ausdruck „gegeben" bei. Auf die Bedeutung des „datum" per manus kann erst unten näher eingegangen werden. Hier aber mag gleich angemerkt werden, daß in einem einzelnen Falle, JAFF£-E.

2580, sigillata per manum U. statt data per manum U. steht. 2

Eine Ausnahme macht die erste Urkunde, die überhaupt einen Datar nennt, JAFFIS-E. 2437. Sie ist nach dem vorliegenden Text gegeben von Anastasius scriniarius. Wenn die Datierung von JAFF£-E. 2 4 5 4 , wo Anastasius primicerius heißt, zuverlässig wäre (vgl. zuletzt HESSEL, Le Moyen äge 1 9 0 1 S. 387FF.), so könnte man in 2437 einen Lesefehler annehmen, wie sie gerade in den älteren Datumzeilen so häufig begegnen. Aber unmöglich ist es auch nicht, daß, als die Datierung eben erst eingeführt wurde, das Geschäft einmal einem einfachen Notar übertragen ward. Später kommt das vor dem 11. Jahrh. nur noch in JAFF£-L. 3514 vor, wo, wenn die Uberlieferung korrekt ist, der Schreiber, der Notar Samuel, auch gegeben haben soll. 3 Vgl. die oben S. 196 N. 1 erwähnten Anklagen gegen den Primicerius Christophorus. 4

2760.

Diese 781.

Stücke

831.

3052.

sind JAFF£ 2497. 498. 510. 606. 616. 676. 716—20. 759. 3053.

3615. 617. 622. 623. 633.

3455.

465.

527. 581. 588. 596. 597. 601.

636.

B r e s l a u , Urkundrnlehre. 3. Aufl. I .

14

606—08.

210

Päpstliche Kanzlei seit Hadrian I. Datare

wie durch seine häufige Verwendung zu diplomatischen Missionen sehr oft verhindert sein mußte, an den eigentlichen Kanzleigeschäften Anteil zu nehmen. In jedem Falle einer solchen Behinderung aber mußte, da man in der päpstlichen Kanzlei damals noch streng an der Eigenhändigkeit der Datierung festhielt und den anderen Ortes eingeschlagenen Weg, einen Bevollmächtigten des Kanzleichefs zur TJnterfertigung in seinem Namen zu ermächtigen, verschmähte, ein anderer Beamter die Funktionen des Datars verrichten. Es lag nahe, dazu in erster Linie den secundicerius notariorum, sodann aber auch die übrigen höheren päpstlichen Beamten, die iudices de clero, heranzuziehen. Und in der Tat finden wir innerhalb der angegebenen Zeitgrenzen jenen dreizehnmal, 1 den saceellarius,2 arcarius,3 nomeneulator * primicerins defensorum6 aber je sechs- bis neunmal als Datar genannt.6 Nur der protoscriniarius ist mit diesem Auftrage während der ganzen hier ins Auge gefaßten Zeit nur in einem oder höchstens zwei Fällen betraut worden,1 was bei der besonderen Stellung dieses Beamten, die wir oben charakterisiert haben, und in Erwägung der Tatsache, daß er mehrfach als Schreiber verwandt wurde, nicht befremden kann. Nach welchen Gesichtspunkten es entschieden wurde, daß der eine oder der andere von den vier iudices de clero, die neben den beiden Obernotaren als datierende Beamte begegnen, im Einzelfalle mit diesem Geschäft beauftragt wurde, läßt sich aus dem uns zu Gebote stehenden Material nicht feststellen. Insbesondere muß gesagt werden, daß das besondere Ressort des einzelnen Beamten nicht, wie man ver1 JAFF£ 2580 653. 663. 668. 672. 3421 (vgl. GGN. 1897 S. 241). 466. 467. 3473. 558. 626. 675. 690. 2

JAFF£ 3429. 535. 538 (? auch der neue Druck von GABOTTO, L e

piü

antiche carte dello arch. capitol. di Asti S. 61 n. 38, hat die verderbte Form Teodori 3 4

archicaneellani,

v g l . JAFF£-L. 1*, S. 445). 3549. 550. 589.

JAFF£ 3511. 569. 641. 642. 671. 689. 694. JAFF£ 2544. 546. 3020. 401. 497. 499(?). 515. 516 (letztere A n g a b e n a c h

dem Original in Gerona). 3682. 6

JAFF£ 3474. 529. 542. 544. 625. 647 (?).

D a z u i n JAFF£ 2 9 4 7 ,

welches

Stück DIEEAMP, Westf. UB. Suppl. n. 282, wieder für echt zu halten seheint. • Dabei tritt aber noch ein Unterschied hervor. Der Nomeneulator ist früher als die drei anderen Beamten zu diesem Dienst herangezogen worden; er kommt schon 817 als Datar vor. Dagegen finden wir den Saccellarius erst 887, den Vorsteher der Defensoren erst 891 oder 872 und den Arcarius erst 896 in gleicher Tätigkeit 7 JAFF£-E. 3022. Ein zweites Beispiel würde JAFF£-L. 4083 a sein, eine Urkunde Johanns XIX. fü' Fruttuaria von 1027 mit der Datierung: data p. m. Petri ep S Rufinae archiscriniarti s. ap. sedis, vgl. aber über diese Urkunde unten S. 213 N. 1.

Päpstliche Kanzlei seit Hadrian I. Bibliothekare

211

muten könnte, in dieser Bezeichnung maßgebend war. Die Urkunden, um die es sich handelt, sind überwiegend Privilegienverleihungen und -bestätigungen für Bistümer und Klöster, die mit dem Geschäftskreise keines der vier Beamten in deutlich erkennbarem Zusammenhange stehen; und ihrem Rechtsinhalt nach ganz gleichartige Urkunden sind bald von dem einen, bald von dem anderen von ihnen unterfertigt •worden. Nur vermuten kann man, daß die besondere Neigung oder Befähigung bestimmter Persönlichkeiten für den Dienst in der Kanzlei, vielleicht auch das besondere Vertrauen des Papstes in dieser Beziehung den Ausschlag gab.1 Nun ist aber schon seit dem zweiten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts auch ein anderer päpstlicher Beamter, der ursprünglich nicht zu den iudiees de clero gehörte, als Datar beschäftigt worden. Und durch ihn sind in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts jene Männer völlig aus dem Dienst in der Kanzlei, sowie aus dem Genuß der Einkünfte und des Einflusses, die damit wahrscheinlich schon damals verbunden waren, verdrängt worden. Wir haben früher dargelegt,2 daß das Archiv und die Bibliothek der Päpste in älterer Zeit unter dem primicerius notariorum standen; aus den Akten der Lateransynode von 649 darf bestimmt geschlossen werden, daß dies Verhältnis damals noch bestand. Wenige Jahrzehnte später aber, bereits unter Sergius I. (687—701), war die Verwaltung der Bibliothek auf einen anderen der iudiees de clero übergegangen; aus der Biographie des späteren Papstes Gregor II. erfahren wir, daß dieser, als er zum Saccellarius ernannt wurde, zugleich an die Spitze der Bibliothek gestellt wurde.3 Es war nur ein Schritt weiter in derselben Richtung, wenn man demnächst dazu überging, einen eigenen päpstlichen Bibliothekar zu bestellen; und dies muß in den letzten Jahren des 8. Jahrhunderts bereits geschehen sein.4 Bei dem häufig sehr gespannten Verhältnis, in dem die Päpste des 8. und 9. Jahrhunderts zu 1 In dieser Hinsieht ist z. B. zu beachten, daß von den sieben Datierungen des Arcarius die fünf letzten auf einen und denselben Mann, Andreas, der dies Amt mindestens von 948 bis 968 bekleidet hat, fallen. » S. oben S. 203 N. 3. * S. oben S. 152. 4 Der erste bis jetzt nachweisbare päpstliche Bibliothekar ist Theophylactus, der in einem Brief Hadrians I., jAFri-E. 2431, als Beisitzer einer Gerichtssitzung des Papstes (vor dem Saccellarius Stephan) genannt wird. deRobsi, De orig. S. L X X X setzt den Brief zu 784 an; er gehört aber wahrscheinlich zu 781, vgl. Hirsch, FDG. 13, 48; MG. Epp. 3 (Karol. 1), 595 n. 67. — Der Datierung von JaffS-E. 2134 liegt keine echte Vorlage zugrunde; Jaff£-E. 2141 könnte allenfalls auf eine Vorlage aus der Zeit Johanns XV. zurückgehen.

14*

212

Päpstliche Kanxlei seit Hadrian I.

Bibliothekare

den mächtigen Römern standen, die als ihre iudices de olero fungierten, konnte es nun als sehr zweckmäßig angesehen werden, wenn man noch einen anderen, jenem Kreise nicht angehörigen Beamten zu dem Vertrauensdienst in der Kanzlei heranzog, dessen Funktionen im Archive ihn hierzu besonders geeignet machten. Und so darf es uns nicht wundernehmen, wenn schon unter Pascha! I. der Bibliothekar Sergius zweimal als Datar begegnet. 1 Von da ab wird die Datierung durch den Bibliothekar immer häufiger; in der Zeit bis 963 findet sie sich noch in siebzehn anderen Urkunden. 2 Das Amt hat offenbar an Bedeutung schnell gewonnen; schon 829 ist sein Inhaber ein Bischof Leo, der in einer Gerichtssitzung zweier Königsboten als erster der Beisitzer vor dem Primicerius genannt wird; 3 und seit dieser Zeit sind, mit alleiniger Ausnahme des 1

JAFF£-E. 2549. 2551. Das Original der letzteren Urkunde gibt die Namensform Sergius; dieselbe wird bezeugt durch Einhard. Ann. 823, und so wird auch in der echten Vorlage von 2549, die schon wegen der Übereinstimmung mit Liber diurnus form. n. 47 angenommen werden muß, Sergii statt Georgii gestanden haben, und ebenso dürfte in der Vorlage von 2563, wenn dies Stück eine echte Vorlage gehabt hat, was ich nicht entscheiden will, der Name gelautet haben. GUNDLACH, NA. 15, 58 N. 1, hat es abgelehnt, sich auf die Datierung dieser beiden Urkunden einzulassen. — Da die beiden Fälschungen JAFF£-L. 2501 f ü r d a s K l o s t e r P f ä v e r s u n d JAFFE-L. 2502 f ü r die K a p e l l e zu

ETesburg übereinstimmend einen Bibliothekar und Kanzler Johannes als Datar nennen, hatte ich in der ersten Auflage dieses Buches angenommen, daß die Datumzeilen beider Urkunden aus verlorenen echten Vorlagen herzuleiten seien: daraus war dann zu folgern, daß schon Leo III. während seines Aufenthaltes in Westfalen den Bibliothekar mit der Datierung beauftragt habe. Inzwischen ist festgestellt worden, daß ein großer Teil der Pfäverser Fälschungen modernen Ursprungs ist, und danach war die Möglickeit zu erwägen, ob nicht JAFF£-L. 2501 erst mit Benutzung eines Druckes von 2502 angefertigt sei. Ich habe die Uberzeugung gewonnen, daß dies in der Tat der Fall ist: in JAFF£-L. 2501 ist die E d i t i o n d e s BARONIÜS (Ann. ecclesiastici 9, 486) v o n JAFF£-L. 2502 be-

nutzt worden. Dadurch fällt die Pfäverser Urkunde als Quelle für die Geschichte der päpstlichen Kanzlei ganz fort; und der nunmehr alleinstehenden Datierung der Eresburger Urkunde schenke ich kein Vertrauen, obwohl noch jüngst KUHLMANN, Zeitschr. für vaterländ. Gesch. Westfalens 56 B , LLSFF. für ihre inhaltliche Echtheit eingetreten ist. — Immerhin verdient auch jetzt noch Erwähnung, daß Leo III. in JAFF£-L. 2521 den Kanzleivorsteher des Kaisers aancellarius genannt hat, obwohl dieser Titel in der kaiserlichen Kanzlei selbst damals nicht üblich war, und daß zur Zeit von Leos Aufenthalt in Westfalen der Eintritt Alkuins in die päpstliche Kanzlei ernstlich erwogen sein muß, vgl. MG. Epp. 4 (Karol. 2), 296 n. 179. » JAFFG 2666. 904. 3033. 3034. 3104. 230. 389. 533. 621. 624. 669. 676. 3680. 684. 688. 661. 692. 3 Eeg. Farf. 2, 221 n. 270.

Päpstliche Kanzlei

seit Hadrian I.

Bibliothekare

213

gelehrten und besonders angesehenen Anastasius, 1 der unter Hadrian II. und Johann VIII. als Bibliothekar erscheint, auf lange hinaus nur noch Bischöfe Inhaber des wichtigen Postens. Es mag mit den Veränderungen, die sich in Rom seit dem Übergang der Kaiserkrone auf die deutschen Könige vollzogen, zusammenhängen, daß sehr bald nachher die iudiees de clero durch die Bibliothekare vollständig aus der Kanzlei verdrängt werden; suburbikarische Bischöfe waren ohne Frage zuverlässigere Beamte als die mit dem römischen Stadtadel innig zusammenhängenden Männer, die jene Ämter seit langer Zeit inne zu haben pflegten. Nur noch in sieben Urkunden der Nachfolger Johanns XII. begegnen sie als Datare; 2 nach dem Jahre 983 verschwinden sie fast völlig aus der Kanzlei. 3 Auch bei den Kämpfen, die sich unter Otto III. 1 und seinen Nachfolgern in Rom abspielten, treten sie ganz in den Hintergrund; es sind Geschlechter des römischen Landadels, die aus 1

Daß der Bibliothekar Anastasius mit dem Primiscrinius von JAFFÉ-E. 3022 identisch ist, wie schon GALLETTI S. 135 vermutet hat, ist möglich, aber bei der Häufigkeit dieses Namens keineswegs sicher. Ganz unhaltbar aber ist die Annahme von PHILLIPS, Kirchenrecht 6, 366, HINSCHIÜS 1, 435ff., daß die

Ämter des Protoscriniars und des Bibliothekars bis ins 10. Jahrh. dauernd verbunden gewesen seien. Kein späterer Protoscriniar heißt Bibliothecarius, kein Bibliothekar Protoscriniarius. Alle später genannten Bibliothekare sind Bischöfe, und unter den Protoscriniaren fanden wir sogar Laien. Der einzige Proto- oder Archiscriniar, der den Bischofsrang besitzt, ist der letzte, der überhaupt als päpstlicher Kanzleibeamter vorkommt: Petrus von S. Rufina oder Selva Candida (vorausgesetzt, daß die nur fragmentarisch bekannt gewordene Urkunde Johanns XIX. für Fruttuaria, die er 1027 datiert hat, JAFFÉ-L. 4083*, überhaupt zuverlässig ist), und gerade von diesem wissen wir, daß er erst 1036 oder 1037 Bibliothekar geworden ist (s. unten S. 222). Während wir unter Sergius III. den Bischof von Sutri als Bibliothekar finden, ist Melchisedech P r o t o s c r i n i a r (JAFFÉ-L. 3535. 3538); u n d n i c h t erst 1023, wie HINSCHIÜS 1, 437

meint, sondern schon 958 (Reg. Sublac. S. 54 n. 20) erscheinen Bibliothekar und Protoscriniar nebeneinander in einer und derselben Urkunde. « Fünfmal der Primicerius in JAFFÉ-L. 3169. 3810". 3811 und in zwei Urkunden Benedikts VIF. für Asti und für Aisleben von 982 (Mcmorie dcll' accademia di Torino Ser. II, Bd. 42 S. 440) und 983 (nicht 979; GGN. 1902 S. 202); zweimal der Nomeneulator in JAFFÉ-L. 3790 (ed. KEHB, Miscellanea

Cassinese, 1, 33 n. 5) und 3791, dieser wahrscheinlich derselbe Mann, der in den vorher erwähnten Urkunden als primicerius erscheint. 8 Nur der Protoscriniar kommt noch im 11. Jahrh. vor, aber keiner der anderen Judices hat mehr datiert. 4 Daß dieser ihnen wiederum einen größeren Wirkungskreis, einen Anteil an der Stadtregierung eingeräumt und sie zu kaiserlichen Beamten gemacht habe, wie man auf Grund der oben S. 200 f. erwähnten Aufzeichnung mehrfach angenommen hat, bestreitet HALPHEN, Mélanges d'archéologie et d'histoire 25, 357 ff., wohl mit Recht,

214

Päpstliche Kanzlei am Ende des 9. Jahrhunderts.

Datare

der Sabina stammenden Crescentier, die Tusculaner und andere, die um die Herrschaft in der Stadt ringen — Patriziat, Konsulat, Dukat sind die Formen, in die sie ihre Herrschaft kleiden. Die iudices de elero werden auf gewisse Ehrenrechte bei der Kaiserkrönung und auf gewisse Befugnisse der freiwilligen und der Zivilgerichtsbarkeit beschränkt; im Laufe des 13. Jahrhunderts verschwinden sie gänzlich.1 Am längsten, bis zum Jahre 1299, hat sich der Titel des Primicerius erhalten, aber mit der Leitung der päpstlichen Notare und der Kanzlei hatte er seit lange nichts mehr zu tun. 2 Neben den Bibliothekaren, die an deren Spitze stehen, erscheinen nun aber schon seit dem letzten Viertel des 9. Jahrhunderts auch Bischöfe, die diesen Titel nicht führen, als Datare. So zuerst unter Johann VIII. Der erwähnte Bibliothekar Anastasius datiert zum letztenmal im Mai 877; später wird er nicht mehr erwähnt. Demnächst sind Urkunden vom August desselben Jahres von zwei Bischöfen Johannes und Leo, deren Sitze nicht genannt werden und die sich nicht als Bibliothekare, sondern als missi et apocrisiarii bezeichnen, gegeben. 3 Dann tritt wahrscheinlich schon im Mai 878, 1 jedenfalls im Juli desselben Jahres Bischof Walbert von Porto auf, der bis zum Jahre 883, also bis in die Zeit Marinus' I. hinein fungiert und zwölf Urkunden datiert hat. 6 Obgleich er sich nicht Bibliothekar nennt, wird er doch bei der Regelmäßigkeit seiner Tätigkeit als der eigentliche Kanzleichef zu betrachten sein. Neben ihm aber erscheint als Bibliothekar der Bischof Zacharias von Anagni, der indes nur zwei Urkunden vom März 879 und vom Juni 883 datiert hat. 6 1 Vgl. HINSCHIUS 1, 383; HALPHEN, Administration S. 40ff., der Belege für die Titel primicerius und secundicerius iudieum oder iudex, primus defensor iudex, archarius iudex, saeellarius iudex, nomenclátor iudex und protoseriniarius iudex beibringt. * Der letzte Primicerius ist Angelus Petri Mathei, der 1299 vorkommt, T H E I N E R , Cod. dipl. dominii temporalis 1, 365. Die anderen Judices verschwinden schon früher: nach den Listen H A L P H E N s ist der Secundicerius bis 1217, der Arcarius bis 1197, der Primus defensor bis 1195, der Nomeneulator bis 1185, der Saecellarius bis 1202, der Protoseriniarius bis 1207 nachweisbar. 3 Vgl. J A F F É - E . 3 1 0 4 . 1 0 9 — 1 1 1 . Leo ist der Bischof von der Sabina» Johannes vielleicht der von Pavia. * Hierhin wird, wie schon in den Eegesten vermutet ist, J A F F É - E . 2 9 8 7 gehören. 6 Außer J A F F É - E . 2987 noch 3175. 176. 182. 183. 185—187. 189. 200. 3381.-388. 6 J A F F É - E . 3230. 3389; außerdem heißt er Bibliothekar im Text eines Briefes vom Sept. 881, J A F F É - E . 3353.

Päpstliche Kanzlei im 10. Jahrhundert.

Datare

215

Auch im 10. Jahrhundert wiederholen sich ähnliche anscheinende Unregelmäßigkeiten. Der nächste Bibliothekar, der nach Zacharias als Datar begegnet, ist Nikolaus von Sutri im Jahre 904. 1 Es folgen unter Leo YII. und Marinus II. Benedikt von Selva-Candida in den Jahren 939, 943 und 944, 2 unter Agapit II. und Johann XII. Marinus von Bomarzo (955—958), 3 unter Johann XII. und Leo VIII. ein Bischof Johannes, gewiß der von Narni (961 — 963) 4 — alle drei mit dem Titel Bibliothekar. Unter Johann XIII., Benedikt VI. und Benedikt YII. ist demnächst bis zum Ende des Jahres 975 Bibliothekar und Kanzleichef Bischof Wido von Selva Candida; von dreiunddreißig datierten Urkunden dieser Jahre zeigen fünfundzwanzig seine Unterschrift. 6 Neben ihm aber datieren der Bischof Sicco von Bieda (Blera) zweimal in den Jahren 968 und 969, Andreas von Amelia dreimal im April 972, ein Bischof Johannes, der sich auch Bibliothekar nennt, einmal im Jahre 973, endlich Johannes von Salerno einmal 975. Daß es sich hier um Vertretungen des eigentlichen Bibliothekars handelt, ergibt sich deutlich aus einer der Unterschriften Siccos von Bieda,8 in der das ausdrücklich gesagt wird; zweifellos sind auch die anderen Fälle so aufzufassen, mag sich nun der Vertreter als Bibliothekar bezeichnen oder nicht. 7 Solche Vertretungen mußten häufig notwendig werden, da man auch in dieser Zeit noch an dem Grundsatze eigenhändiger Datierung festgehalten zu haben scheint. Auch in der Folgezeit bleibt deshalb das gleiche Verhältnis. Nachfolger Widos von Selva-Candida im Bibliothekariat ist Stephan von Narni geworden, der

1 JAFFÉ-L. 3 5 3 3 . — Von JAFFÉ-L. 3 5 5 9 , welches Stück ich schon früher mit WATTENBACH und DÖMMLER für gefälscht erklärt habe (s. MIÖG. 9, 12 N. 1), ist abzusehen; jetzt ist die Unechtheit eingehend erwiesen worden von BRACK-

MANN, G G N . 1 9 0 4 S . 4 9 6 ff. » JAFFÉ-L. 3 6 1 5 » . 3 6 2 1 .

3624.

Marinus ist 9 4 8 päpstlicher Legat in Deutschland (vgl. CCRSCHMANN, NA. 28, 401 ff.), kommt aber schon 942 in einer römischen Gerichtsurkunde vor; GIESEBRECHT L 6 , 8 8 6 . Vgl. auch die Urkunde des Abtes Leo von Subiaco, Reg. Sublac. S. 54 n. 20. ' JAFFÉ-L. 3 6 6 9 . 7 6 . 80. 8 4 .

4

JAFFÉ-L. 3 6 8 8 . 91. 9 2 . 3 7 0 0 ;

vgl. Reg. Sublac. S. 1 7 3 n. 1 2 4 .

8

Die Zahlen bei JAFFÉ, Reg. 1», 470. 477. 480, dazu jetzt GGN. 1898 S. 371 und 1901 S. 9. Auch im folgenden verzichte ich darauf, die Zahlen JAFFÉ s zu wiederholen, da sie bei den einander naheliegenden Zeiträumen, um die es sich jetzt handelt, leicht zu übersehen sind. 6

JAFFÉ-L. 3736.

Dat. p. m. Sieconis

ep. et bibl. s. sedis apost. 7 Anders HINSCHIÜS 1, 4 3 7 .

ep. S. Bier. ecel. ad vicem

Widonis

216

Päpstliche Kanzlei im 10. und 11. Jahrhundert.

Datare

von 976 bis 983 zehnmal datiert; neben ihm erscheint Johann von Salerno noch zweimal, ein anderer Bischof Johann und ein Bischof Gregor je einmal; die letzteren beiden, obwohl sie gewiß nur als Vertreter Stephans zu betrachten sind, führen auch den Bibliothekartitel. 1 Es folgen aus den Jahren 983—985 zwei datierte Urkunden, die als Datar Johannes episeopus et bibliotheeariux nennen, wahrscheinlich denselben Bischof Johann von Nepi, der demnächst unter Johann XV. vom Januar 986 bis zum Februar 993 an der Spitze der Kanzlei steht; 2 als Vertreter fungieren in dieser Zeit Bischof Gregor von Porto, 3 der sich Bibliothekar nennt, und Bischof Dominicus von der Sabina, der einmal im Mai 993, ohne diesen Titel zu führen, unterfertigt hat. Nachfolger Johanns von Nepi ist Bischof Johann von Albano geworden,4 der das Amt des Bibliothekars auch unter Gregor V. und Silvester II. bekleidet hat; bis zum Ende des Jahres 1000 hat er allein datiert; Vertretungen kommen während seiner Amtsdauer nicht vor. Aus den letzten Regierungsjahren Silvesters II. ist keine datierte Bulle erhalten, 5 und auch aus der Zeit Johanns XVII., sowie aus dem ersten Jahre Johanns XVIII. fehlen solche. Dann ist im März und Juli 1005 Bischof Gregor von Ostia Bibliothekar; mit dem Ende dieses Jahres aber tritt eine neue und von dem bisherigen Brauch abweichende Art der Unterfertigung auf. Aus der Zeit vom Dezember 1005 bis zum Mai 1007 haben wir sieben Privilegien Johanns XVIII. Sechs davon nennen einen Petrus abbas et cancellarius sacri Latera1 JAFFÉ-L. 3794. 3803 (die Bedenken, die PROU und VIDIER, Becueil des chartes de l'abbaye de Saint-Benoit-sur-Loire 1, 170 N. 2, gegen die Echtheit der letzteren Urkunde äußern, können die Zuverlässigkeit des Protokolls nicht beeinträchtigen). — Daß in dieser Zeit Primicerius und Nomeneulator zuletzt als Datare begegnen, ist schon oben S. 213 N. 2 erwähnt wordeD. ' Man darf die Identität vermuten, weil auch jetzt nicht in allen Urkunden der Bischofssitz des Datars angegeben ist, vgl. z. B. JAFFÉ-L. 3827. — Zu den bei JAFFÉ verzeichneten Urkunden kommt hinzu KEHR, Italia pontificia 2, 77 n. 8. 8 Datar in vier Urkunden von 989 und 995; es verdient konstatiert zu werden, daß er in der für ihn ausgestellten Urkunde JAFFÉ-L. 3843, die Johann von Nepi datiert hat, nicht Bibliothekar heißt. * Zwar ist die erste von Johann von Albano gegebene Urkunde (JAFFÉ-L. 3847) scheinbar einige Wochen älter als die letzte von Johann von Nepi datierte (JAFFÉ-L. 3848), aber ihre Überlieferung ist nicht zuverlässig. Wahrscheinlich steckt in der Datierung ein Fehler; anderenfalls müßte angenommen werden, daß der Bischof von Albano schon während der Amtsdauer seines Vorgängers einmal vertretungsweise datiert hat 5 Auch die Originalurkunde JAFFÉ-L. 3927 entbehrt der Datierung.

Päpstliche Kanzlei

im 11. Jahrhundert.

Dolare

217

nensis palatii: einmal als Schreiber, 1 zweimal als Schreiber und Datar, 2 dreimal bloß als Datar: 3 wahrscheinlich sind alle sechs Stücke von ihm sowohl gegeben als auch geschrieben. 4 Der Titel, den er führt •— in Rom damals fast ganz unbekannt —, 5 zeigt uns deutlich den zunehmenden Einfluß der abendländisch-kaiserlichen Kanzleieinrichtungen auf das päpstliche Urkunden wesen, der sich in den letzten vier Jahrzehnten des 10. und im Anfang des 11. Jahrhunderts auch in der Formulierung der päpstlichen Urkunden sehr deutlich zu erkennen gibt. 0 Was aber die eigentliche Bedeutung und Tragweite der von Johann XVIII. durch die Ernennung eines Abtes zum Kanzler des lateranensischen Palastes vorgenommenen Neuerung war, das entzieht sich bei dem trümmer- und lückenhaften Zustande des uns für die Erkenntnis der damaligen römischen Verhältnisse zu Gebote stehenden Quellenmaterials unserer Kenntnis leider ebenso vollständig, 7 wie es uns an Nachrichten über die Persönlichkeit jenes Abtes gebricht. Es liegt nahe, zu vermuten, daß die Maßregel durch den damals in Rom allgebietenden Patricius Johannes aus dem Hause der Crescentier veranlaßt worden ist, dem daran gelegen sein konnte, dem Papste, seiner Kreatur, einen Kanzler zur Seite zu stellen, der nicht dem Kreise der von dem Patricius doch mehr oder minder unabhängigen suburbika1 , T A F F £ - L . 3948 nach dem Druck bei v. P F L U G K - H A R T T U N G , Acta 2, 6 0 ; nach P. K E H R , Scrinium und Palatium, MlÖGr. Erg. 6, 72 (welcher Aufsatz auch für alles folgende zu vergleichen ist), wäre er auch hier als Datar und Schreiber genannt; doch vgl. Italia pontificia 3, 223 n. 1. 8 JAFFIO-L. 3947. 3953. 8 JAFF£-L. 3949. 3951. 3952. * Denn es wird kaum auf Zufall beruhen, daß die drei Stücke, die ihn bloß als Datar bezeichnen, keinen anderen Schreiber und das Stück, das ihn nur als Schreiber bezeichnet, keinen anderen Datar nennen. 5 Vgl. oben S. 212 X. 1. Doch wird der Titel, offenbar für den Vorsteher oder einen Beamten der päpstlichen Kanzlei, gebraucht in einem Brief Silvesters I I . , J A F F £ - L . 3 9 1 1 . 8 Darauf hat, nachdem zuerst E W A L D , XA. 9, 345ff., eine einzelne Beobachtung mitgeteilt hatte, E R B E N , Zeitschr. f. Gesch. des Oberrheins XF. 7, 21 ff. (vgl. auch MlÖGr. 13, 571 ff.), nachdrücklich hingewiesen; nichtsdestoweniger ist die Sache in MÜHLBACHERS Untersuchung über die gegenseitigen Beziehungen von Kaiser- und Papsturkunden, MlÖGr. 4, 499 ff., gar nicht berücksichtigt worden. Xäheres darüber später. 7 Schwerlich zusammenhängen kann sie mit einem anderen Umstand. Zu Anfang des Jahres 1004 ist der Bibliothekar Bischof Leo als päpstlicher Legat in Deutschland (vgl. die Belege bei H I R S C H , Jahrb. Heinrichs I I . 1 , 278 X. 1 ) . Aber diese Abwesenheit kann nicht zur Ernennung des Abtkanzlers geführt haben, da, wie oben bemerkt, im März und Juli 1005 ein anderer Bibliothekar datiert und der Abt Petrus erst seit Ende des Jahres auftritt.

218

Päpstliche

Kanzlei

im 11. Jahrhundert.

Datare

rischen Bischöfe angehörte. 1 Aber irgend welcher Beweis für eine derartige Hypothese läßt sich nicht erbringen, und von Bestand war die Neuerung nicht. Denn in den Urkunden der letzten beiden Jahre Johanns XVIII. begegnet der Abtkanzler Petrus nicht mehr; geschrieben sind sie wieder von Scriniaren, während ein Datar in ihnen nicht genannt wird. 2 Auch unter Sergius IV. (1009—1012), gleichfalls einem Geschöpfe des Patricius Johannes, dauern die Unregelmäßigkeiten fort. Vier Privilegien dieses Papstes nennen zwar wieder Bischöfe, einmal Benedikt von Porto, zweimal Peter von Palestrina, und einmal einen Bischof Gregor als Bibliothekar; 3 aber eine andere ältere Urkunde aus dem Jahre 1 0 1 0 ist, was bis dahin nie vorkam, von einem Kaxdinalpriester gegeben; 4 die übrigen entbehren der Datierung. Erst Benedikt VIII., der im Gegensatz gegen die Crescentier erhoben worden ist, kehrt zu dem alten Brauche wenigstens insofern wieder zurück, als er lediglich durch Bischöfe hat datieren lassen. Aber die als Datare auftretenden Bischöfe sind zahlreicher als unter irgend einem der Vorgänger. Wir 1 Vgl. auch KEHB a. a. 0. S. 74, der auch die Frage aufwirft, ob der Papst in der Zeit, in der der Abtkanzler Petrus genannt wird, vielleicht von Rom abwesend war, was an den oben besprochenen Präzedenzfall aus dem Pontifikat Leos VIII. erinnern würde. Aber auch für die Beantwortung dieser Frage fehlt es allen Quellenangaben. * Auch nicht in dem Or. von J A F F £ - L . 3956, das freilich überhaupt in unfertigem Zustand ausgegeben worden ist, wie die für den Namen des Schreibers gelassene unausgefüllte Lücke zeigt. Allerdings begegnet uns Petrus diaconus atque caneellarius im Dez. 1015 bei Papst Benedikt VIII. (Reg. Farf. 3, 211) und ebenso Petrus diaconus sanetae Romanos ecclesiae et cancellarius sacri palatii in einer Synode Johanns XIX. vom Dez. 1024, J A F F £ - L . 4063. Ich halte es für sehr glaublich, daß dies der abbas Petrus von 1005—1007 ist, der demgemäß zum Kardinaldiakon befördert sein müßte und den Kanzlertitel beibehalten hätte; daß er aber wirklich Funktionen in der Kanzlei ausgeübt hätte, läßt sich für die Zeit nach 1007 nicht erweisen; über zwei Urkunden Johanns XIX. die vice seiner geschrieben sein sollen, s. unten S. 224 N. 1. Trifft aber diese Vermutung zu, so ist der Petrus diaconus et cancellarius, den wir unter Benedikt IX. kennen lernen werden (s. unten) und der als wirklicher Kanzleichef noch bis zum Okt. 1050 nachweisbar ist, doch aller Wahrscheinlichkeit nach ein anderer Mann. An seine Identität mit dem Abte Petrus von 1005—1007 darf keinesfalls gedacht werden; soweit wir über die Handschrift des letzteren nach den beiden Urkunden J A F F £ - L . 3947. 3953 urteilen können, ist sie von der sehr ausgeprägten und sich durchaus gleichbleibenden Schrift des Kanzleichefs von 1044—1050 ganz verschieden. Und wie sollte wohl ein und derselbe Mann 45 Jahre hindurch das Amt eines päpstlichen Kanzlers bekleidet haben! 8

4

J A F F I - L . 3 9 7 1 . 9 8 5 . 9 8 8 ; KEHR, G G N . 1 8 9 8 S . 5 5 .

JAFF£-L. 3967.

Päpstliche Kanzlei im 11. Jahrhundert.

Datare

219

finden Peter von Palestrina, Benedikt von Porto, Benedikt von SelvaCandida, Azzo und Peter von Ostia, Boso von Tivoli, endlich einen Bischof und Legaten Benedikt, der entweder mit dem Herrn von Porto oder mit dem von Selva-Candida identisch sein wird. Dabei gehen die Unterschriften zeitlich so durcheinander,1 daß sich nicht feststellen läßt, ob wir auch jetzt noch, wie für die frühere Zeit vermutet werden durfte, einen eigentlichen Bibliothekar anzunehmen haben, als dessen Vertreter die übrigen gleichzeitigen Datare anzusehen sein würden, oder ob die nebeneinander auftretenden Bischöfe und Bibliothekare als koordiniert anzusehen sind. Jedenfalls kann auch jetzt noch daran festgehalten werden, daß die Datierung, die aber, wie wir schon gesehen haben, unter den Vorgängern Benedikts VIII. und unter ihm selbst häufiger fortbleibt,2 da, wo sie hinzugefügt wurde, eigenhändig geschrieben ward. Nun aber hat Benedikt im Jahre 1023 noch eine weitere Bestimmung getroffen, die von großer Bedeutung werden konnte. Zu Weihnachten dieses Jahres war Erzbischof Pilgrim von Köln, unter den vornehmsten deutschen Kirchenfürsten derjenige, welcher am bereitesten auf weitgehende kirchenpolitische Kombinationen des Papstes einzugehen geneigt war, in Rom; der Papst erwies ihm die größten Ehrenbezeugungen und ernannte ihn, was vordem keinem deutschen Bischof je zuteil geworden war, zum Bibliothekar der römischen Kirche.8 An dieser Stelle ist auf die politische Wichtigkeit der Maßregel nicht einzugehen; es handelt sich hier nur um ihre Bedeutung für die Geschichte der päpstlichen Kanzlei.4 Diese aber mit Sicherheit zu bestimmen ist schwer, da es an zuverlässigen Nachrichten darüber fehlt. Gleich die Frage, ob die Verleihung an Pilgrim persönlich erfolgt, oder ob sie ihm in seiner Eigenschaft als Erzbischof von Köln in der Absicht zuteil geworden ist, daß das Amt auch auf seine Nachfolger auf diesem 1 S. die Zusammenstellung bei JAFF£, Reg. 2 S. 506. Boso kommt auch in zwei neugefundenen Urkunden von 1017 vor (vgl. GIOBQETTI, Arch. stor. ital.

5. Ser.

11,

104, u n d

OMONT, B E C .

1904

S. 377).

' Sie fehlt auch in den beiden Originalen, J A F F £ - L . 4 0 0 1 . 4 0 3 6 , die allerdings beide Spuren der Unfertigkeit zeigen. ' Vgl. GIESEBRECHT, Kaiserzeit25, 198; HIBSCH-BRESSLATT, Jahrb HeinrichsII. 3, 279. Den Gegenbemerkungen H A R T T Ü N Q S , FDG. 16, 594ff. kann ich ebensowenig Bedeutung beimessen, wie den zahlreichen Erörterungen in neueren Dissertationen (zuletzt D E R S C H , Die Kirchenpolitik des Erzbischofs Aribo von Mainz, Marburg 1899), die sich mit den hier einschlagenden Fragen abmähen. * Zuletzt hat über das kölnische Amt in der römischen Kanzlei gehandelt WATTENDORFF, Papst Stephan IX. (Diss. Münster 1883) S. 56 ff.

220

Päpstliche Kanzlei

im 11. Jahrhundert.

Datare

Erzstuhl übergehen sollte, 1 ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden; doch muß das erstere als wahrscheinlicher bezeichnet werden. 2 Auch welche Rechte — abgesehen von der Ehre, die dem Erzbischof erwiesen wurde — mit dem Amte verbunden waren, läßt sich nicht feststellen; n u r das kann man bestimmt sagen, daß er nicht bloß den bisherigen .Bischof-Bibliothekaren gleichgestellt, sondern ihnen übergeordnet werden und wenigstens dem Namen nach an die Spitze der päpstlichen Kanzlei treten sollte. Endlich bleibt es auch ungewiß, ob er sein Amt persönlich ausgeübt hat; Urkunden aus den ersten Wochen des Jahres 1024, die darüber Aufschluß geben könnten, liegen nicht vor. Dagegen scheint dem Erzbischof das Recht zugestanden worden zu sein, da er ja nicht in Rom zu bleiben gedachte, einen Vertreter zu ernennen; er machte davon Gebrauch, indem er Benedikt von Porto, der bisher schon in der Kanzlei tätig gewesen war, mit der Datierung in Vertretung des Bibliothekars beauftragte; zwei Urkunden aus dem Jahre 1024 sind dementsprechend unterfertigt. 3 Wäre das Verhältnis, in das so ein deutscher Erzbischof zur päpstlichen Kanzlei trat, dauernd geblieben, so hätte es leicht von großem 1 Etwa so, wie schon damals das Amt des königlichen Erzkappellans für Deutschland mit dem Erzbistum Mainz verbunden war und wie bald nachher das italienische Erzkanzleramt mit dem von Köln verbunden wurde. ' Gegenteiliger Ansicht ist WATTENDORFF a. a. 0 . , der Gewicht darauf legt, daß in dem Privileg Leos IX. für Hermann von Köln vom 7. Mai 1052, JAFF£-L. 4271, der Ausdruck vorkommt: confirmamus quoque tibi... . sanetae et opostölicae sedis cancellaturam. Aber erstens ist diese Urkunde mindestens stark interpoliert und der betreffende Satz, wie STEINDORFF, Jahrbücher Heinrichs III. 2, 141 N. 1, bemerkt, wahrscheinlich aus Wiberts Biographie Leos IX. (2, 4; ed. WATTERICH 1, 155) eingeschoben, wobei dann Wiberts dare in confirmamus verwandelt ist; zweitens würde er, auch wenn er echt wäre, doch nur beweisen, daß die ja im März 1051 zweifellos schon erfolgte Verleihung ein Jahr später urkundlich bestätigt worden ist. — Für mich ist die Erwägung entscheidend, daß Leo IX., der zu Hermann von Köln in den besten Beziehungen stand, diesem Amt und Titel schwerlich bis 1051 vorenthalten haben würde, wenn er schon vorher ein Recht darauf gehabt hätte. * JAFF£-L. 4057: dat. p. m. Piligrimi Colon, arohiep. et biblioth. s. sed. apost., qui tieem Benedicto commisit episcopo; JAFF£ L. 4058: dat. p. m. Benedict ep. Portuensis vice Pelegrini archiep. Colon, et bibl. s. ap. sedis. Ich halte beide Datierungen trotz ihrer abweichenden Form (eine feste Form für das neue Verhältnis mußte sich erst ausbilden) für gleichbedeutend und glaube, daß beide von Benedikt herrühren. Wenn Pilgrim JAFF£-L. 4057 persönlich datiert hätte, wie neuerdings durchweg angenommen worden ist, so wäre der Zusatz qui vicem usw. ganz überflüssig; überdies würde man dann eommisi statt commisit erwarten. — Man beachte, daß Benedikt in beiden Datierungen nicht Bibliothekar heißt.

Päpstliche Kanzlei im 11. Jahrhundert.

Datare

221

Einflüsse auf deren Entwicklung werden können: eine noch weiter gehende Einwirkung deutscher Bräuche auf den Geschäftsgang in ihr wäre die wahrscheinliche Folge gewesen. Dazu aber kam es für jetzt noch nicht. Der schnell aufeinander folgende Tod Benedikts VIII. und Heinrichs II. löste die engen Beziehungen, die zwischen Papsttum und Kaisertum begründet worden waren; in Deutschland wie in Rom kamen neue Männer ans Ruder; dort Konrad II., der einer Einmischung in die spezifisch römischen Verhältnisse möglichst aus dem "Wege ging, hier Johann XIX., bis dahin Laie und der weltliche Herr der Stadt, dem keinesfalls daran gelegen war, den deutschen Einfluß in Rom zu verstärken. Waren nun überdies durch den Aufstand der weltlichen Fürsten Oberitaliens und ihre Versuche, einen Gegenkönig aufzustellen, die Verbindungen zwischen Rom und Deutschland erschwert, so begreift es sich, daß von dem kölnischen Bibliothekariat zunächst nicht mehr die Rede ist. Vielmehr tritt in Bezug auf die Datierung einfach das frühere Verhältnis wieder ein: Boso von Tivoli, Benedikt von Porto, Peter von Palestrina fungieren wieder nebeneinander und führen den Bibliothekartitel. 1 Nur eine Urkunde Johanns XIX. vom Dezember 1026 macht eine Ausnahme; sie ist von Benedikt in Vertretung Pilgrims gegeben.2 Ihre Ausstellung fällt in die Zeit, während welcher Konrad II., dem Pilgrim gefolgt war, 3 mit einem Heer in Italien weilte, und es wäre möglich, daß man sich damals in einem Einzelfalle veranlaßt gesehen hätte, den Ansprüchen Pilgrims Rechnung zu tragen. Sehr auffallend ist jedenfalls, daß dieser Datierung, in der Pilgrim genannt wird, eine andere vorangeht, in der Boso von Tivoli als Bibliothekar ohne Angabe eines Vertretungsverhältnisses bezeichnet wird, was, wenn hier nicht irgend eine Verwirrung Platz gegriffen hat, geradezu auf die Vermutung führen könnte, daß die zweite Datierung durch Benedikt an Stelle Pilgrims auf eine Reklamation von deutscher Seite nachtraglich hinzugefügt worden sei. Im übrigen ist auch während des Römerzuges Konrads auf den Anspruch des kölnischen Erzbischofs in den Papsturkunden keine Rücksicht genommen. Ohne ihn zu erwähnen, ist eine Urkunde vom Juni 1026 von Benedikt von Porto gegeben; 4 Boso von Tivoli gibt eine andere vom 14. Dezember dieses Jahres; 5 und sogar 1

2

V g l . JAFFÉ R e g . ' S. 515.

JAFFÉ-L. 4076: dat. p. m. Bmedieti Port. ep. (also ohne den Bibliothekartitel, wie 1024) vice Peregrini Cot. arehiep. bibl. s. apost. sedis. 4 ' Vgl. DK. II. 56. JAFFÉ-L. 4074. 5 JAFFÉ-L. 4075; es ist bemerkenswert, daß Benedikt von Porto auch diese Urkunde unterschrieben hat, ohne den Bibliothekartitel zu fuhren.

222

Päpstliche Kanzlei im 11. Jahrhundert.

Datare

ein während des Kaisers Anwesenheit in Rom ausgestelltes Privileg für Cluni1 nennt nicht Pilgrim, der allerdings auch nicht anwesend war, 8 sondern Peter von Palestrina als Datar. Dennoch scheinen die Prätensionen des Kölner Erzbischofs in Rom nicht in Vergessenheit geraten zu sein; darauf deutet eine sehr bald nach seinem Tode getroffene Maßregel, die ganz den Eindruck macht, als. ob sie darauf berechnet gewesen sei, ihre Erneuerung für die Zukunft zu verhindern. Am 24. oder 25. August 1036 ist Pilgrim gestorben;3 dem November des folgenden Jahres gehört eine Urkunde Benedikts IX., der Johann XIX. auf dem päpstlichen Stuhle gefolgt war, an, durch die das Amt des päpstlichen Bibliothekars dem Bischof Petrus von Selva-Candida, den der Papst schon vorher an die Spitze seiner Kanzlei gestellt hatte, 4 zugleich aber auch allen seinen Nachfolgern in diesem Bistum für alle Zeiten übertragen wird.5 Das Privileg ist gegeben worden, während der Kaiser in Italien war und nachdem der Papst erst vor wenigen Monaten eine Zusammenkunft mit ihm gehabt hatte; auch Er-zbischof Hermann von Köln, Pilgrims Nachfolger, war damals in Italien und stand bei Konrad II. in höchstem Ansehen: es ist unter diesen Umständen nicht wahrscheinlich, daß Rechtsansprüche Hermanns bestanden, die durch Benedikts Maßregel verletzt worden wären, und das bestätigt unsere frühere Annahme, derzufolge das Amt an Pilgrim nur für seine Person verliehen worden war. Aber daß die Maßregel, mochte sie formell auch unanfechtbar sein, nichtsdestoweniger einen Schachzug der kurialen Politik gegen den deutschen Einfluß darstellte, der sich eben damals in Italien in so energischer und die päpstliche Autorität nichtachtender Weise geltend machte, wird man kaum bezweifeln können. Für die Geschichte der päpstlichen Kanzlei aber war sie von großef Bedeutung. Von nun an war der päpstliche Bibliothekariat J A F F É - L . 4079, vgl. HESSEL, Zeitschr. f. Kirchengesch. 22, 520 N. 1. Wenigstens ist er im Jahre 1027 in Italien nicht mehr nachweisbar; die gegenteiligen Angaben bei BKESSLAÜ, Jahrb. Konrads II. 1, 1 3 9 ; GIESEBEECHT 2®, 245 sind zu berichtigen. ' BBESSLAÜ, Jahrb. Konrads II. 2 , 2 1 9 . * 8. S. 223 N. 2. 6 J A F F É - L . 4 1 1 0 : non solurn te, sed omnes tuos sueeessores episcopos bibliotecarios sedis nostre esse perpetuo apostolica auctoritate eensemus, et (lies: ut) merito, qui in apostolica ecclesia desudatis, in apostolicis scriptis fideles testes Semper existatis. Den Bemerkungen v. PFLUGK-HARTTUNG S über dies Privileg (MIÖGr. 2 7 , 52f.) kann ich nicht zustimmen; auch K E H R , Italia pontificia 2, 2 7 zu n. 5, hat sie abgelehnt. 1

2

Päpstliche Kanxlei im 11. Jahrhundert.

Datare

223

dauernd mit einem suburbikarischen Bistum verbunden; wenn in späterer Zeit, was nur noch ganz vereinzelt vorkommt, ein Bischof eines anderen Sitzes als Datar genannt wird, so kann er bestimmt nur als Vertreter des Herrn von Selva-Candida betrachtet werden.1 Zugleich aber war wohl noch ein anderes die Folge davon. Indem die oberste Leitung der Kanzlei einem einzigen Kardinalbischof übertragen wurde, der bei den sich immer mehr erweiternden Geschäften der allgemeinen, unter Mitwirkung des Kardinalkollegiums geführten Kirchenregierung gewiß häufig genug behindert war, persönlich die ihm obliegenden Funktionen zu vollziehen,2 mußte der Gedanke nahe liegen, einen ständigen Vertreter des Kanzleichefs zu bestellen. Das Beispiel der Reichskanzlei, in der ganz ähnlich dem Erzbischof von Mainz für Deutschland und dem Erzbischof von Köln für Italien ein Kanzler unterstellt war,3 zeigte die Durchführbarkeit einer solchen Anordnung; ich betrachte es geradezu als eine Nachahmung der deutschen Organisation, daß man dem ständigen Vertreter des Kanzleichefs auch in Rom neben dem althergebrachten Titel eines Bibliothekars, den ja auch früher schon Vertreter des obersten Beamten geführt hatten, den bisher nur ganz vereinzelt von dem Kanzleichef selbst gebrauchten Titel eines cancellarius* übertrug.6 Das neu geschaffene Amt eines 1 S. unten S. 286 N. 5. * Im Anfang von Benedikts Regierung mag der Bischof von Selva-Candida sein Amt wirklich persönlich ausgeübt haben; ein neuerdings zutage gekommenes Privileg vom 15. April 1037 (GGN. 1906 Beiheft 1 S. 19 n. 1) ist von ihm selbst datiert; er führt den Titel cancellarius et bibliotlieearius s. Lateran, palatii. » S. unten Kap. VII. 4 Über die ursprüngliche Bedeutung des Titels cancellarius siehe unten Kap. V I I . 6 Gegen die hier ausgesprochene Ansicht über das Verhältnis der Bischöfe von Selva-Candida zu dem Kanzler Petrus hat KEHR, MIÖG. Erg. 6,74 N. 3, Zweifel geäußert, aber nicht näher begründet. Ich glaube an ihr um so eher festhalten zu dürfen, als nicht nur die Analogie der deutschen Verhältnisse, die im 10. und 11. Jahrh. so stark auf die römischen wirken, für sie spricht, sondern auch die noch darzulegende Art der Tätigkeit des Diakons Petrus in der Kanzlei meines Erachtens deutlich zeigt, daß seine Stellung eine viel mehr subalterne war als die der früheren Kanzleichefs mit Ausnahme allein seineB Namensvetters unter Johann XVIII., und ich glaube, daß KEHRS eigene, an sich sehr ansprechende Ansicht, der Papst habe die Leitung der Kanzlei durch die getroffene Maßregel mehr unmittelbar unter sich selbst bringen wollen, mit meiner Auffassung ganz wohl vereinbar ist. Denn eben durch die Bestellung eines Kanzlers unter dem ersten Bibliothekar wurde dessen Amt mehr und mehr ein bloßer Titel ohne wirklichen Einfluß auf die Leitung der Kanzleigeschäfte.

224

Päpstliche, Kanzlei im 11. Jahrhundert.

Datare

bibliothecarius et cancellarius sedis apostolicae wurde dem Diakon Petrus verliehen, dem wir unter Benedikt IX. dreimal in den Jahren 1042 und 1044 als Datax begegnen. 1 Leider ist über seine Herkunft und sein Vorleben nichts Näheres bekannt; auch eine politische Rolle kann er nicht gespielt haben, da er unter Päpsten der verschiedensten Richtungen, unter Benedikt IX. wie unter Gregor VI., unter Clemens II. 1

Zwei Urkunden vom Juni 1044, JAFFÉ-L. 4115". 4115B., gedruckt NA.

11, 390; 12, 408, geschrieben von Johannes seriniarius et notarius; dat. per manum Petri diaconi bibliothecarii et caneellarii sanctf apostolice sedis. Extrakt einer Urkunde von 1042, einst im Archive zu Soana, nach Tizio von Siena bei MUHATORI, Ant. ital. 3, 833, dat. 3. kal. apr. per manum Petri diaconi et canc. sancff sedis apost. an. decimo domini Benedicti papae; JAFFÉ-L. 4111 \ Vgl. auch in JAFFÉ-L. 4114 die Unterschrift Petrus cancellarius noster. — Zwei Urkunden Johanns XIX., JAFFÉ-L. 4071. 4085, die Johannes cardinalis et cancellarius vice Petri diaconi als Schreiber und Boso (Dodo) episc. et biblioth. als Datar nennen, können nicht als zuverlässig angesehen werden. Daß beim Schreiben einer Papsturkunde ein Vertretungsverhältnis Platz gegriffen hätte, ist für diese Zeit durch kein zweites Beispiel zu belegen und an sich kaum denkbar: das Ingrossieren war, soviel wir sehen können, damals kein Geschäft, das, wie die Datierung, nur einem bestimmten Beamten zukam und also, wenn dieser behindert war, nur vertretungsweise vollzogen werden konnte. Und ebenso ist es durch keinen zweiten Fall zu belegen, daß ein Kardinal und Kanzler geschrieben hätte, ohne zugleich zu datieren. Treffen wir aber zwei derartige Singularitäten in zwei Urkunden gleicher Provenienz, die noch dazu zwei Jahre auseinanderliegen (JAFFÉ-L. 4071 von 1025 restituiert dem Patriarchen Poppo von Aquileja das Kloster S. Maria in Organo zu Verona; JAFFÉ-L. 4085 von 1027 ist eine allgemeine Bestätigungsurkunde für denselben), so ist es klar, daß wir es mit außerhalb der Kanzlei entstandenen Machwerken zu tun haben, zumal da sich dann die Entstehung jener Singularitäten leicht erklärt. Denn die Fälschungen sind offenbar unter Benutzung zweier echter Urkunden entstanden, deren eine von Johann XIX. ausgestellt und von Boso datiert, deren andere von einem seiner Nachfolger erlassen, von Johannes serin. et notar. geschrieben und von Petrus diac. card. et cancell. datiert war: in den Fälschungen hat man das Eschatokoll beider Vorlagen vereinigt. JAFFÉ-L. 4071 hat schon JAFFÉ verworfen und LOEWENFELD zu Unrecht verteidigt; 4085 hat bisher für

echt gegolten und ist auch von mir, Jahrb. Konrads II. 1, 158 N. 4, noch so angesehen worden. Wie weit die Fälschung auch den Inhalt der Urkunden ergriffen hat, bedarf noch näherer Untersuchung; jedenfalls gehört ihr ein Satz von 4085 an, den ich schon a. a. 0. als mit einer anderen in dieser Zeit getroffenen Bestimmung im Widerspruch stehend gekennzeichnet habe. Nach dem, was oben gesagt worden ist, stehe ich jetzt nicht an, den Satz, durch den der Papst Aquileja als caput et metropolis super omnes Italiae ecclesias anerkennt, schlechtweg für gefälscht zu erklären; er ist mit den tatsächlichen Verhältnissen der Zeit und mit der Stellung, die Mailand und Ravenna einnahmen, in keiner Weise zu vereinbaren. Die Fälschung wird noch ins 11. Jahrh. gehören und hängt vielleicht mit dem Rangstreit von 1047 (vgl. STEINDORFF, Jahrb. Heinrichs III. 1, 320f.) zusammen.

Päpstliche Kanzlei

bis »um 11. Jahrhundert.

Schreiber

225

wie unter Leo IX. im Amte blieb und da seine Stellung von all den Veränderungen, die sich in dieser ereignisvollen Zeit in der Verfassung des Papsttums wie in dem Geschäftsgang der Kanzlei vollzogen, völlig unberührt blieb. Acht volle Jahre, vom März 1042 bis zu seinem Tode (Oktober 1050) 1 überließ man ihm ganz allein das Geschäft der Datierung der Papsturkunden, ohne daß die Bischöfe von Selva-Candida, die sich, wie die deutschen Erzkanzler, wahrscheinlich mit der Ebre, vielleicht auch gewissen Einkünften des Bibliothekariats begnügten, darin eingriffen. Es charakterisiert den pflichttreuen und fleißigen Beamten in verantwortlicher, aber doch eigentlich nur subalterner Stellung, daß er in dieser verhältnismäßig langen Zeit nicht nur allein und regelmäßig datiert, sondern auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Urkunden teilweise oder ihrem ganzen Umfange nach eigenhändig geschrieben 2 und daß er sich mit einer kleinen Anzahl von Unterbeamten begnügt hat. Bis dahin waren die Privilegien immer noch in alter Weise von römischen Scriniaren geschrieben worden. Nur ganz vereinzelt hatten höhere Kanzleibeamte selbst mundiert, so, wie wir schon sahen, einmal unter Gregor I. der Secundicerius Paterius; 3 nur die Protoscriniare haben etwas häufiger als Ingrossatoren fungiert, was bei der beson1 Vgl. Chron. S. Petri vivi, MG. SS. 26, 32: in Mo tempore (vgl. J A F F £ , Reg. 1 8 , 539) Leo papa venit Lingones civitatem . . . ibique obiit Petrus diaeonus eins sepultusque est in capitulo S. Manmetis. 8 So schon unter Benedikt IX. die erste Zeile der beiden oben S. 224 N. 1 erwähnten Privilegien, dann unter Clemens I I . J A F F ^ ^ L . 4148 in seinem ganzen Umfang und vielleicht auch J A F F £ - L . 4150 (vgl. K E H R a. a. 0. S. 80 N. 2); unter Leo I X . J A F F Ü - L . 4165. 4169. 4170 ganz, die ersten Zeilen von 4172 (vgl. K E H R a. a. 0 . S. 81) und Teile von 4263 (Or. in Marseille). Daß er auch als Diktator tätig gewesen ist, hat R E H R , GGN. 1898 S. 496 ff., nachgewiesen. " Oben S. 196 N. 2. — J A F F £ - E . 2952 von Hadrian I I . sollte nach der Ausgabe bei MITTARELLJ, Ann. Camald. 3b, 3 n. 1, von Paulus scriniarius secundicerius geschrieben sein. Meine früheren Zweifel an der Richtigkeit dieser Lesung bestätigt jetzt der Abdruck bei P A S Q U I , CD. Aretino 1, 57 n. 41, wo freilich im Text immer noch das falsche, aber wenigstens in den Noten richtigeres steht. Die Urkunde ist von einem Scriniar Paulus geschrieben und von dem Secundicerius, dessen Name ausgefallen ist, gegeben. Ebenso verkehrt muß die Angabe sein, daß J A F F £ - E . 2497 vom 8. März 798 von Eustachius als primicerius notariorum geschrieben sei. Eustachius war noch am 20. April einfacher Notar ( J A F F £ - E . 2498), und der damalige Primicerius hieß Paschalis. Wilhelm von Malmesbury, der das ihm nur in englischem Text vorliegende Stück ins Lateinische übersetzte, hat den Titel des Eustachius gewiß aus J A F F £ - E . 2510 übernommen; 802 kann Eustachius Primicerius gewesen sein. Endlich ist in der Scriptumzeile von J A F F £ - L . 3688 sicher scriniarii statt seeundicerii zu lesen, vgl. HARTTUNO, Dipl.-hist. Forschungen S. 399.

l l r e ü l a u , Urkundenlriire. 3. Aufl. I .

15

Päpstliche Kanxlei bis zum 11. Jahrhundert. Schreiber

226

deren Stellung dieser Beamten, die nach unseren früheren Ausführungen an der Spitze der Zunft der gewerbsmäßigen römischen Urkundenschreiber standen, in keiner Weise auffallen kann. So finden wir den Protoscriniar Melchisedech in zwei Urkunden von 905 und 907,1 dann Johannes in einer Urkunde von 917,2 weiter Petrus, der sich archiscriniarius nennt, in einem Privileg von 939,3 endlich Stephan, der sich sowohl primi- wie protoscriniarius nennt, in fünf Urkunden Benedikts VIII. von 1021—1023 als Schreiber unterzeichnet.4 Nur ganz ausnahmsweise ist es auch geschehen, daß die Päpste unter besonderen Umständen Männern, die nicht zu ihrem eigentlichen Beamtenpersonal gehörten, die Ausfertigung von Privilegien überließen. So ist eine Urkunde Leos VIII. vom Juni 964 von einem Tabellio Johannes in den Formen der römischen Privaturkunde geschrieben; der von seinem Gegner Johann XII. aus der Stadt vertriebene und von Otto I. zurückgeführte kaiserliche Papst hatte offenbar seine Kanzlei noch nicht reorganisiert, als er ihre Herstellung anordnete.5 Unter ähnlichen Verhältnissen und gewiß aus ähnlichem Grunde hat im Jahre 980 Papst Benedikt VII. in Ravenna, wohin er sich vor aufständischen Bewegungen in Rom zurückgezogen hatte, durch einen dortigen Tabellio in den dort üblichen Formen eine Urkunde schreiben lassen.6 Daß die Päpste, wenn sie nicht als Regenten der Kirche, sondern als Privatmänner über ihr Privateigentum verfügten, die Urkunden über solche Verfügungen nicht von ihren Kanzleibeamten 1 J A F F £ - L . 3535. 38. Er ist wahrscheinlich identisch mit dem Scriniar des gleichen seltenen Namens, der 897 in einer Urkunde des Protoscriniars Benedikt als Zeuge auftritt; Reg. Sublac. S. 164 n. 116.

' JAFF£-L. 3558.

8

JAFF£-L. 3616.

4033. 41. 43». 45. 56. Vgl. über ihn H A L P H E N , Etudes sur l'administration de Rome S. 143. Gefälscht oder verderbt sind die Erwähnungen eines primiscrinius in J A F F £ - L . 3832 (vgl. F I N K E , Papsturkunden Westfalens S. 7 n. 20), eines archiscriniarius in 3851 (vgl. H A U T H A L E R , Salzburger U B . 2, 114 n. 62), eines archiserivius in 4108 (vgl. K E H R , MIÖGr. Erg. 6, 75 N. 1). In der Schreiberzeile von 5905 ist statt Pyderii regionarii et referendarii zu lesen: Petri notarii regionarii et scriniarii. Korrumpiert ist endlich auch die Schreiberzeile von 4042, die einen ypocanceltarius nennt, vgl. MIÖG. 9, 26 N. 2. 6 jAFpi-L. 3703. Für die Echtheit der Urkunde bürgt bei den Ausnahmeverhältnissen, unter denen sie ausgestellt wurde, gerade ihre abweichende Form. Auffallend ist nur, daß der Papst am 13. Juni schon im Lateran gewesen sein soll, während maa nach dem Cont. Eeginonis 964 annehmen muß, daß er erst am 23. nach Rom zurückgekehrt ist. Aber das Datum mag in der Kopie vom Jahre 1305 entstellt sein. 6 J A F F £ - L . 3 8 0 2 mit Unterschrift des Papstes. Der Druck bei U G H E L L I 2, 599 ist sehr verderbt. 4

JAFF£-L.

Päpstliche Kanzlei

im 11. Jahrhundert.

Schreiber

227

sondern von anderen öffentlichen Schreibern in den diesen geläufigen Formen herstellen ließen, 1 kann noch weniger befremden; solche Stücke sind überhaupt keine Papsturkunden und haben mit den für diese geltenden Regeln nichts zu tun. 2 Gehörte es zu diesen Regeln, daß der Schreiber und der Datar einer Urkunde zwei verschiedene Personen waren, so ist davon, zuerst, wie wir sahen, der Abtkanzler Petrus in den Jahren 1 0 0 5 — 1 0 0 7 , dann der Bibliothekar und Kanzler Petrus diaconus, wie wir oben festgestellt haben, abgewichen. In dessen Zeit und in der nächstfolgenden treten nun aber noch andere und sehr bemerkenswerte Neuerungen in der Organisation der päpstlichen Kanzlei auf. 3 Daß" die beiden Scriniare, die während der Regierung Benedikts IX. unter ihm die Urkunden schreiben, Sergius und Johannes, sich den Amtstitel sariniarius et notarius sacri Lateranensis palatii geben, 4 hat zwar schwerlich eine die Organisation der Kanzlei betreffende besondere Bedeutung. Seit der Wende des 10. Jahrhunderts wird überhaupt häufiger von dem sacrum palatium Lateranense als dem Sitze des Papstes und seiner Behörden geredet; und wie es aufkam, von Zahlungen an den Lateranpalast zu sprechen, also diesen statt der päpstlichen Kasse oder, um den späteren Ausdruck 1

So Benedikt VIII. 1001 und 1013, Johann XIX. 1027 (JAFFÉ-L. 3998; KEHR, GGN. 1900 S. 305 n. 1, 307 n. 2). Nicht so erklärlich ist, warum Cölestin II. eine Verfügung über Kirchengut im Ravennatischen (JAFFÉ-L. 8465) in den Formen einer Privaturkunde durch einen römischen Stadtnotar (den serin. s. Rom. ecel. Johannes, vgl. oben S. 207) hat schreiben lassen. Abweichende Formen kommen zwar bei solchen Stücken häufiger vor, aber in älterer Zeit scheinen sie doch meist von Kanzleibeamten hergestellt zu sein. — Die Gerichtsurkunden der Päpste sind verschieden behandelt und bald von Kanzleibeamten, bald von anderen Schreibern ausgefertigt. 4 Ebensowenig wie die Urkunden, welche die Päpste in ihrer Eigenschaft als Bischöfe einer anderen Kirche, also Leo IX. als Bischof von Toul (JAFFÉ-L. 4173, nicht bloß von PFLUGK-HABTTUNG, sondern auch von STEINDOBFF, Jahrb. Heinrichs III. 2, 86 mit Unrecht verworfen), Cadalus als Bischof von Parma (AFFÒ 2, 329 n. 29), Alexander II. als Bischof von Lucca (JAFFÉ-L. 4486. 4487. 4554. 4652), W i b e r t

a l s E r z b i s c h o f v o n R a v e n n a (JAFFÉ-L. 5318. 27. 28.

38 u. a.) ausgestellt haben. 8 Für das Folgende sind die ergebnisreichen Untersuchungen KEHRS, MIOG. Erg. 6, 74 ff. grundlegend. Ich weiche von ihnen eigentlich nur darin ab, daß ich die Zuspitzung auf die Schlagwörter scrinium und palatium vermeide und nicht an die Existenz zweier wirklich getrennten Bureaus in der päpstlichen Kanzlei des 11. Jahrh. glaube. S. darüber die folgenden Ausführungen. 4 Aber nicht ausnahmslos, wie KEHR S. 75 N. 1 anzunehmen scheint; in JAFFÉ-L. 4109" steht ganz in alter Weise scriptum per manus Sergii scriniarii et notarti sanetae Romanae ecelesiae. In 4115" steht: post seriptionem Iohannis nostri scriniarii et notarii. 15*

228

Päpstliche Kanzlei unter Clemens II.

zu gebrauchen, der päpstlichen Kammer zu nennen, 1 wie in der früher besprochenen Aufzeichnung aus der Zeit Ottos III. die Oberbeamten des Papstes, die indices de clero, auch indices palalini und später geradezu indices saeri palatii Lateranensis heißen, 2 so ist unter Benedikt IX. auch die Bezeichnung der Kanzleibeamten als Scriniare und Pfalznotare üblich geworden, ohne daß sie hier mehr als in jenen anderen Fällen zu besagen hätte. 3 Eine neue und wichtige Tatsache aber ist es, daß unter Clemens II. zuerst, so viel wir wissen, Männer, die nicht dem an Rom und seine Regionen gebundenen Kreise der Scriniare und Regionarnotare angehörten, in den Dienst der päpstlichen Kanzlei eintraten. Die ersten Urkunden des deutschen Papstes sind noch von demselben Johannes geschrieben, der auch unter Benedikt IX. und unter Gregor VI. fungiert und seit dem Ausscheiden des Sergius, so viel bisher bekannt ist, die ganze Last der Kanzleigeschäfte neben dem Kanzler allein bewältigt hatte; er begleitete den Papst, als dieser im Anfang des Jahres 1047 Rom verließ, bis Salerno, wo er noch am 18. Februar tätig war. 4 Ob er dann nach Rom zurückgekehrt oder gestorben oder durch irgend eine andere Ursache zum Ausscheiden aus dem Dienste des Papstes veranlaßt worden ist, wissen wir nicht; sicher ist, daß er in ihr nicht mehr tätig war, und daß an seine Stelle zwei Männer traten, die bis dahin in der Kanzlei Heinrichs III. gedient hatten. 6 Der eine von ihnen war, soviel wir bis jetzt nachweisen können, nur in Rom und seiner nächsten Umgebung in ihr beschäftigt worden; 6 wir dürfen ihn mit Bestimmtheit als einen 1

n.

4;

DK.

Vgl. die Pönformeln von Jaffé-L. 3 9 2 5 ; Kehr, Italia pontificia 4, 6 7 Jaffé-L. 4 0 0 6 . 4 0 2 4 ; Reg. Farf. 4 , 1 3 n. 6 1 6 ; D O . I . 3 3 6 (S. 4 5 1 Z. 4 0 ) ;

IL

85.

2

Vgl. z. B. Reg. Sublacense S. 88 n. 48. * Schon früher hatten unter Johann XV. die Notare Stephan und Johannes sich als noiarvi regionarii et seriniarii sacri (Lateranensis) palatii bezeichnet; vgl. J a f f é 1 s , 486. Auch unter Johann XVIII. kommt diese Bezeichnung in J a f f é - L . 3955 vor. 1

Jaffé-L. 4143. Die Unterscheidung dieser beiden Schreiber, deren Schrift außerordentlich ähnlich ist und die ich früher zusammengeworfen habe, ist mir erst möglich geworden, seit ich das Or. von St. 2 3 2 6 in San Pietro in Vincoli zu Rom kennen gelernt habe und seitdem mir ein Faksimile des Or. von St. 2 3 5 3 % das Schiapabelli im Archiv des Hospitals zu Piacenza entdeckt hat, zugänglich geworden ist. Ich konstatiere also gern und ausdrücklich, daß PflüokHakttung, der (zuletzt Bullen der Päpste S. 76 N. 1) die beiden Schreiber unterscheidet, hier mir gegenüber Recht behält. Freilich muß ich ihm dann gleich wieder hinsichtlich ihrer Nationalität widersprechen. 8 Er hat die erste Zeile und den Kontext von St. 2 3 2 0 . 2 3 2 1 und 2 3 2 1 * geschrieben. 6

Päpstliche

Kanzlei

tinter

Clemens II.

229

Italiener ansehen.1 Der andere war ein Deutscher und schon länger für Heinrich tätig gewesen; ob er auch schon in Deutschland für die Kanzlei gearbeitet hat, wird erst festgestellt werden können, wenn die deutschen Diplome Heinrichs III. noch genauer untersucht sein werden, als jetzt der Fall ist; nachweisen können wir ihn im Dienste des Königs jedenfalls gleich von dessen Ankunft in Italien an.2 Jener hat das Privileg Clemens II. für Bremen vom 24. April 1047 3 geschrieben. Dieser, der dem Kaiser auf dem Rückwege nach Deutschland gefolgt und noch an einer Urkunde vom 10. Juni 1047 tätig war, muß sich dann zum Papste begeben haben; von ihm ist im September 1047 das Privileg Clemens' für Bamberg 4 mundiert; er mag bis zum Tode des Papstes in Italien geblieben sein, ist aber später nach Deutschland zurückgekehrt und im Herbst 1048 wiederum in der Kanzlei Heinrichs nachweisbar.5 Beide Schreiber haben den von ihnen ausgestellten Papsturkunden ein Aussehen gegeben, daß sich von dem der älteren Privilegien durchaus unterscheidet, in dem sie sich ganz unbefangen der ihnen in der Reichskanzlei geläufig gewordenen Formen bedienten. Selbst die Art der Unterfertigung der Urkunden durch den Papst hat sich, wie ich glaube, durch ihren Einfluß verändert,6 und sogar der Kanzler Petrus hat sich in der ersten ganz von ihm selbst mundierten Urkunde 7 ihnen in dieser Hinsicht angeschlossen. Daß dann unter Leo IX.8 das Eschatokoll der Papsturkunden vollständig umgestaltet wurde, ist schon in 1 Das ist sowohl nach seiner Schrift wie nach seiner Sprache sicher. In ersterer Beziehung genügt es auf das Faksimile von JAFF£-L. 4146 bei BYDBEBQ, Sveriges traktater (Stockholm 1877) Bd. 1 mit häufiger Anwendung des damals nur von italienischen Schreibern gebrauchten Abkürzungszeichens für die Endung -mus zu verweisen; in letzterer mag nur auf die Form Ammaburgensis in der gleichen Urkunde aufmerksam gemacht werden; auch Formen wie Adhelberte, Egidose (statt Egidore), Haluersoethensis (statt Haluersteikensis), Bodarbrummsis (statt -brunnensis), von denen die drei letzten durch Verlesen einer Vorurkunde entstanden sind, zeigen, daß er kein Deutscher war. * Geschrieben hat er St. 2317, die Eschatokolle der drei DD. St. 2320. 2321. 2321«, femer St. 2326 und die Corroboratio und das Eschatokoll von St. 2340a. Sein Diktat ist schon in St. 2316 und auch in St. 2330 zu erkennen. 3

JAFF£-L. 4 1 4 6 .

* JAFF£-L. 4149. Noch nicht bekannt ist mir der Schreiber von JAFF£-L. 4238 (Or. in Lausanne), das nach den Ausführungen PFLÜGK-HABTTUNQS, N. A. 11, 590 ff. (vgl. auch GGN. 1904 S. 434), Clemens II. zuzuweisen ist. 6 Er hat St. 2353* geschrieben. 6 7 Vgl. MIÖG. 9, 22 ff. S. oben S. 225 N. 2. 8 Aus dem kurzen Fontifikat Damasus' II. ist keine Urkunde erhalten.

230

Päpstliche Kanzlei

unter Leo IX.

anderem Zusammenhange erörtert worden; 1 aber auch die Organisation der Kanzlei hat unter ihm noch weitere Veränderungen erfahren, die von großer Bedeutung für die spätere Entwickelung geworden sind. Das Kollegium, das bis auf die Zeit der deutschen Päpste des 11. Jahrhunderts die Geschäfte der römischen Kanzlei nach alten Kegeln und festen Überlieferungen besorgt hatte, ward unter Leo IX. nur in sehr geringem Maße zu ihnen herangezogen. Indem der Papst nur vorübergehend und immer nur auf kurze Zeit in Rom verweilte, im übrigen aber, nach dem Yorbild der deutschen Könige, die nächstgelegenen der seinem Kirchenregiment untergebenen Länder, Italien, Frankreich und Deutschland bereiste, um bald hier, bald dort durch unmittelbares und höchst persönliches Eingreifen seine Auffassung von dem päpstlichen Primat, seinen Rechten und seinen Pflichten, zu betätigen, verschwinden die alten römischen Beamten, die Scriniare und Regionarnotare, aus seinen Urkunden, sei es weil sie durch die Organisation ihres Kollegiums an den Aufenthalt in Rom gebunden waren, sei es weil der Papst selbst auch in seiner Kanzlei, wie in anderen Zweigen der päpstlichen Verwaltung und der Kirchenregierung, neuer Männer aus anderen Lebenskreisen zur Ausführung seiner Gedanken sich zu bedienen wünschte. Den Kanzler Petrus zwar beließ Leo im Amte; aber von römischen Scriniaren sind nur drei in seinem Dienste nachweisbar, von denen einer die erste uns erhaltene Urkunde des Papstes vom 26. Februar 1049, die zwei anderen drei Privilegien vom März und April 1053 in Rom geschrieben haben. 2 Im übrigen hat der wackere Kanzler Petrus jetzt zwar an der Mundierung der Urkunden einen viel größeren Anteil genommen als seine Vorgänger, 3 aber begreiflicherweise das Schreibgeschäft nicht allein bewältigen können. 4 Unter ihm sind, wie die Vergleichung der Schrift der uns erhaltenen Originale lehrt, nacheinander zwei Notare angestellt worden, von denen der eine sicher ein Deutscher war, während die Heimat des anderen bis jetzt nicht sicher festgestellt werden kann. Sie nennen sich in den Urkunden nicht, so wenig wie die Schreiber der königlichen Diplome; aber da der erste von ihnen später Kanzleichef Benedikts X. geworden ist und eine Urkunde dieses Papstes eigenhändig geschrieben und 1

S. oben S. 78f.

2

JAFF£-L. 4 1 5 4 v o n P e t r u s , 4 2 9 2 . 93 v o n A l b i n u s ,

4296 von Gregorius.

Leider ist keines dieser Stücke im Original erhalten. Diese vier Privilegien sind die einzigen Leos IX., die eine Scriptumzeile aufweisen. Die drei Schreiber führen den Titel scriniarius sacri palatii, was vollkommen zu der oben S. 227 f. dargelegten Entwickelung paßt. 8

S. oben S. 225 N. 2.

* Vgl. KEHR, MIÖG. Erg. 6, 81 ff.

Päpstliche

Kanzlei

unter Leo IX.

231

datiert hat, lernen wir aus dieser Datierung seinen Namen kennen; er heißt Lietbuin und ist wahrscheinlich derselbe Mann, von dem wir eine jetzt nur in jüngeren Handschriften überlieferte Aufzeichnung über den Tod Leos IX. besitzen.1 In der Kanzlei ist er, so viel wir bis jetzt wissen, vom September 1049 bis zum Juli 1050 nachweisbar.2 Die Tätigkeit des zweiten Notars läßt sich bis jetzt vom 19. Juli 1050 bis zum 3. Februar 1052 verfolgen;3 ihm ward bald eine noch höhere Stellung in der Kanzlei eingeräumt. Denn als der Kanzler Petrus im Oktober 1050 zu Langres verstorben war,4 ging der Papst noch einen Schritt weiter in der schon von seinem Vorgänger und von ihm selbst eingeschlagenen Richtung. Zum Nachfolger des Petrus ernannte er nicht einen römischen Geistlichen, sondern den aus vornehmem lothringischen Geschlecht stammenden Primicerius der Kirche von Toul Udo, der mit einigen anderen Getreuen dem Papst bei seiner Erhebung nach Rom gefolgt war;5 er bekleidete das Amt des päpstlichen Bibliothekars und Kanzlers, neben dem er seine Touler Pfründe beibehalten durfte, vom 22. Oktober 1050 bis zum 16. Januar 1051. 6 Dann, als der Papst im Februar 1051 aus Deutschland nach Rom zurückkehrte, ließ er Udo, den er zu seinem Nachfolger im Bistum Toul designiert hatte und dessen Ernennung er vom Kaiser erwirkte,7 in der Heimat und übertrug das Amt des Kanzlers und Bibliothekars dem Bruder des Herzogs Gottfried von Lothringen, Friedrich, der, wenn nicht schon früher, so jedenfalls damals zugleich zum Kardinaldiakon erhoben wurde.8 In Friedrichs Zeit aber sind die Urkunden in anderer Weise unterfertigt als in der seiner Vorgänger: der Kanzler erscheint als Vertreter des Erzbischofs Hermann von Köln, der als Erzkanzler bezeichnet wird. Wann der Papst dem Erzbischof dies Amt verliehen hat, ist nicht sicher zu entscheiden; eine Urkunde vom Jahre 1052, die ihn daxin bestätigt, ist in der überlieferten Gestalt nicht echt; 9 nach der Angabe des sonst gut unterrichteten Biographen 1 Vgl. STEINDOKFF 2 , 2 6 6 N . 7 . Er nennt sich dort Libuinus qui est subdiaconus ao servus s. confessoria nostri papae Leonis, und ea ist charakteristisch, daß er im Epilog dieser Aufzeichnung ( W A T T E B I C H 1 , 1 7 7 ) die kanzleimäßige Formel datum per manum Libuini usw. gebraucht. 2

4

JAFFI-L. 4 1 7 2 — 4 2 3 0 .

3

JAFF£-L. 4231—4266.

S. oben S. 225 N. 1. 5 Gesta epp. Tull. cap. 39ff., MG. S S . 8, 644; vgl. STEINDORFF 2. 70. 7 9 J A F F £ - L . 4239—4251. Vgl. STEINDOBFF 2, 139f. 8 Über Friedrich handelt jetzt am besten WATTENDORFF in der oben S. 219 N. 4 erwähnten Schrift. Als Kanzler erscheint er zuerst am 9. März 1051 in JAFF£-L. 4253. 9 S. oben S. 220 N. 2.

232

Päpstliche

Kanzlei

unter Leo

IX.

des Papstes wäre die Ernennung bereits im Juni 1049, als Leo mit dem Kaiser in Köln weilte, erfolgt; 1 in den Urkunden aber gelangt sie erst in der Amtszeit des Kanzlers Friedrich zum Ausdruck. Nach dem Zeugnis Wiberts ist es sicher, daß die Ernennung diesmal nicht bloß, wie im Jahre 1024, zugunsten der Person Hermanns erfolgte, sondern daß das Amt ihm und seinen Nachfolgern auf dem kölnischen Erzstuhl verliehen wurde, also dauernd an den letzteren angeknüpft werden sollte. Daß man den Erzkanzler- und nicht den Bibliothekartitel wählte, mag nach dem Vorbilde der Reichskanzlei geschehen sein, in der ja Hermann das gleiche Amt für Italien bekleidete, mag aber auch mit der Verleihung des Bibliothekartitels an die Bischöfe von Selva-Candida, die durch Benedikt IX. verfügt war und damals nicht ausdrücklich kassiert wurde, zusammenhängen. Ob die Ernennung dem Erzbischof außer der hohen Ehre, die ihm durch die Nennung seines Namens in den päpstlichen Privilegien erwiesen ward, und dem Ertrage der ihm gleichzeitig verliehenen römischen Pfründe sonst noch irgend welche Rechte und Einkünfte gab, darüber fehlt es uns an allen Nachrichten; von seiner Beteiligung an den Kanzleigeschäften findet man keine Spur. 2 So war denn die päpstliche Kanzlei ganz nach deutschem Muster 1

Wibert 2, 4. Drei Urkunden für Kloster München-Nienburg, zwei von Leo IX. ( J A F F £ L. 4334 und 4335) und eine von Viktor II. ( J A F F 1 S - L . 4344) tragen die Datierung per manus cancellarii (4335 archicancellarii) et bibliothecarii s. sed. apost. Hermanni Col. archiep. Daß Hermann die Urkunden nicht persönlich gegeben hat, ist gewiß; und daß es mit dieser Datierung nicht in Ordnung ist, zeigt schon die Ubereinstimmung dreier Urkunden von gleicher Provenienz in dieser sonst nie begegnenden Singularität. Wenn ich nun auch mit v. P F L U Ö K - H A E T T U N G , FDG. 2 4 , 433 f., die Originalität von J A F F £ - L . 4335 (die beiden anderen Stücke hat er nicht berücksichtigt) in Abrede stelle, so bin ich mit seiner Erklärung jener Singularität — wenn anders ich sie recht verstehe — nicht einverstanden. In der Zeit, in welche die Ausstellung der echten Vorlage fallen muß, die, wie auch v. P F L C G K - H A R T T U N Q annimmt, für die Herstellung der Urkunden Leos IX. jedenfalls benutzt ist (Febr.—März 1054), war, worauf schon S C H U M , NA. 6, 621, aufmerksam gemacht hat, KanzleiFriedrich als Gesandter des Papstes in Konstantinopel. Indem dieser nach den Ermittelungen K E H R S , MIÖG. Erg. 6, 84, in der letzten Zeit seiner Amtsführung (s. unten) zu dem Prinzip eigenhändiger Datierung zurückgekehrt war, mag er bei seiner Abreise einen Vertreter nicht bestellt haben. Ich halte nun für möglich, daß die Datierung der echten Vorlage gelautet hat: dat. per manus bibliothecarii et cancellarii s. sedis ap. vice Herimanni arehicanc. et Col. archiep., wobei man für den Namen des Kanzlers zu eventueller Nachtragung eine Lücke ließ. Das könnte man in Nienburg bei der Herstellung der uns vorliegenden Stücke zu der oben angeführten Formel zusammengezogen haben, die dann auch in das Privileg Viktors II. übergegangen ist. 2

Päpstliche Kanzlei unier Leo IX.

233

organisiert: ihr nominelles Oberhaupt ein deutscher Kirchenfürst als Erzkanzler; der Kanzler ein Deutscher; Deutsche auch unter den Schreihern. Nichts als der Titel Bibliothekar, den der Kanzler daneben führte, und die, wie wir schon sahen, selten genug vorkommende Bezeichnung einzelner Schreiber als seriniarii erinnert an die alte römische Tradition; und auch in noch wichtigeren Dingen als in Formelbau und äußerer Ausstattung der Papsturkunden war diese aufgegeben. Udo hatte offenbar eine höhere Auffassung von seiner Stellung als der Diakon Petrus, dem er im Amte nachfolgte. 1 So wenig wie die deutschen Reichskanzler, hat er als Kanzler der römischen Kirche nach dem Beispiel seines Vorgängers sich an dem Schreibgeschäft in dem ihm unterstellten Amte persönlich beteiligen wollen. Nicht einmal die Datierung hat er eigenhändig geschrieben; wie die deutschen Reichskanzler die Rekognition der Urkunden, obwohl sie auf den Namen des Kanzlers an Stelle des Erzkanzlers lautete, durch die ihnen untergeordneten Notare schreiben ließen, so übertrug Udo auch dem Notar, den er von seinem Vorgänger übernahm, Recht und Pflicht der Datierung. 2 Auch in dieser Beziehung ward die altrömische Tradition aufgegeben, und deutsche Anschauung hatte über die römische den Sieg gewonnen. Wie Udo, so hat auch Friedrich in der ersten Zeit seiner Amtsführung die Datierung behandelt. Es ist eine Ausnahme, wenn er nach dem Ausscheiden des von Udo übernommenen Notars einmal ein Privileg vom 1. März 1052 3 eigenhändig datiert hat; als für jenen zwei andere Notare in den Dienst der Kanzlei eingetreten waren, wurden auch diese von der Vollmacht zu datieren nicht ausgeschlossen. Allmählich aber kehrte der Kanzler wieder zu dem alten Brauche zurück; schon im Juli 1052 datiert er abermals selbst; 4 und vom Januar 1053 an sind alle bekannten Originale von seiner Hand gegeben. Aber auf diese Neuerungen hinsichtlich der Datierung haben sich die Abweichungen von den alten Regeln in der Kanzlei Leos IX. nicht beschränkt. Außer den Urkunden, die von dem Kanzler Petrus und denen, die von den vier Männern herrühren, die wir als eigentliche Kanzleinotare betrachten dürfen, haben wir eine Anzahl anderer, un1

Über Petrus' Verhältnis zu ihm hat K E H R , GGN. 1898 S. 504 f., eine interessante Vermutung aufgestellt. * Dies hat zuletzt K E H B , MlÖG. Erg. 6, 83, festgestellt. Aber daraus folgt nicht, daß Udo „nur nomineller Chef der Kanzlei" war. Die tatsächliche Leitung der Kanzleigeschäfte ist von der materiellen Beteiligung am Schreibgeschäft ganz unabhängig. ® JAFF£-L. 4267.

4

JAFFÄ-L. 4279.

234

Päpstliche Kanxlei

unter

Viktor II.

zweifelhaft als Originale zu betrachtender Privilegien des Papstes, die, was die Kontextschrift angeht, je für sich allein stehen und also sicher oder wenigstens höchstwahrscheinlich nicht von ständigen Kanzleiheamten herrühren. 1 Eins davon hat Humbert, der spätere Kardinalbischof von Selva-Candida mundiert, 2 und so mögen auch andere Geistliche aus der Umgebung des Papstes aushilfsweise gelegentlich der Kanzlei ihre Feder geliehen haben. Daneben aber ist es sehr wohl denkbar, daß man in dieser Zeit, wie das in der Reichskanzlei oft genug vorkam, auch in der der Päpste es in einzelnen Fällen den Parteien überließ, die Urkunden, die sie nachsuchten, bis auf die durch die Kanzlei hinzuzufügende Beglaubigung selbst zu schreiben. Man sieht, wie weit die Angleichung der Ordnungen der päpstlichen Kanzlei an die in der königlichen herrschenden Grundsätze unter Leo IX. fortgeschritten war. Dabei aber blieb es nicht lange; schon unter Viktor II. machen sich die Anfänge einer Reaktion bemerkbar. Friedrich wird unter ihm gar nicht mehr als Kanzler genannt. 3 Bis zum April 1056 * sind seine Urkunden von Hildebrand als Kardinalsubdiakon der römischen Kirche gegeben, der nur ein einziges Mal in 1

Ihre Originalität wird bewiesen durch die Datierung des Kanzlers oder eines der Notare und durch die Firmierung der Eota (s. oben S. 78) von Seiten des Papstes selbst, die, wenigstens der Regel nach, durchaus eigenhändig erfolgt. Ob es wirklich sichere Ausnahmen von dieser Regel der eigenhändigen Firmierung gibt, wird noch weiterer Untersuchung bedürfen. Vgl. KEHR in der Göttinger Festschrift für den Hansischen Geschichtsverein 1900 S. 81. 8 JAFF£-L. 4227, vgl. KEHR, GGN. 1900 S. 106ff. 3 JAFF£-L. 4339, das seine Datierung aufweist, kann in der uns vorliegenden Gestalt nicht echt sein, vgl. auch KEHR, MIÖG. Erg. 6, 85 N. 5. Aus den Erörterungen von CURSCHMANN, Die älteren Urkunden des Erzbistums Hamburg S. 62 ff., ergibt sich, daß das (bei ihm S. 51 n. 24 wieder abgedruckte) Privileg, wie es uns überliefert ist, mit zwei notorischen Fälschungen in engem Zusammenhange steht und im günstigsten Falle Exzerpt aus einer verlorenen echten Urkunde ist. Daß unter diesen Umständen auf die Datierung kein Verlaß ist, liegt auf der Hand. Ganz unverständlich ist mir die Bemerkung MÜHLBACHERS, MIÖG. Erg. 4, 505 N. 3, der die Datierung verteidigt, weil der Titel S. R E. cancellariw nur unter Viktor II. auftrete: er kommt ja unter Viktor eben nur in JAFF£-L. 4 3 3 9 vor! — JAFF£-L. 4 3 7 0 nennt Friedrich caneell. Rom. eccl., nunc vero abbas s. Benedieti in Monte Cassino, bezeichnet ihn also ganz deutlich als ehemaligen Kanzler. * JAFF£-L. 4336—4347. Dazu kommt noch nach KEHR, MIÖG. Erg. 6, 86 N. 1, jAFFi-L. 4351 vom 8. November 1055. — Hildebrand muß auch als Datar von JAFF£-L. 4368 angesehen werden. Eine eigentliche Datierungszeile hat dies Privileg zwar nicht, aber es zeigt die Unterschrift Hildebrands mit der Formel: Heldibrandus card. subdiae. S. R. E. dando consensit et subscripsit, vgl. KEHR, GGN. 1900 S. 104ff.

Päpstliche Kanzlei unter Stephan IX.

235

Vertretung Hermanns von Köln, 1 sonst in eigenem Namen datiert hat. Er ist offenbar der Leiter der Kanzlei, obwohl er den Ivanzlertitel nicht führt; man wird den letzteren zunächst noch Friedrich vorbehalten haben, wenn auch dieser dem Zorn des Kaisers gegenüber nicht wagen durfte, als Kanzler zu fungieren.2 Dann seit dem Januar 1057 datiert der Diakon Aribo, dem Namen nach jedenfalls ein Deutscher, wahrscheinlich ein Bayer, der dem Papst nach Italien gefolgt sein mochte: häufiger mit Erwähnung Annos von Köln als Erzkanzler denn ohne sie,3 immer aber ohne sich Kanzler oder Bibliothekar zu nennen. 4 Es folgt der Pontifikat Stephans IX., der, wie bekannt. 5 die Abkehr von der reichstreuen Politik der deutschen Päpste inauguriert. Es ist sehr bemerkenswert und für die Charakteristik des Papstes und seiner Bestrebungen früher nicht hinlänglich beachtet worden, daß Stephan IX., der als Kardinalkanzler sich stets nur als den Vertreter des Erzbischofs von Köln geriert hatte, seit er Papst war, in Bezug auf die Kanzleiorganisation mit seiner eigenen Vergangenheit und mit der seiner unmittelbaren Vorgänger brach und, indem er die Verfügungen Leos IX. ignorierte, an die Benedikts IX. anknüpfte. In der Ausstellung der Urkunden kehrte man also zu dem alten Brauche zurück;6 an die Spitze der Kanzlei trat Humbert von Selva-Candida, nicht als Kanzler oder Erzkanzler, sondern als Bibliothekar; von den Ansprüchen Kölns war nicht mehr die Rede.7 J A F F £ - L . 4343; über 4344 vgl. oben S. 232 N. 2. Vgl. M E Y E B VON KNONAU, Jahrb. Heinrichs IV. 1, 26. * Beachtenswert ist, daß zu den drei Urkunden Aribos, in denen der Name Annos fehlt, J A F F £ - L . 4 3 6 6 für Humbert von Selva-Candida, verfaßt von diesem selbst, gehört. Des Bibliothekariats wird aber in dieser Urkunde, die ein anderes Vorrecht des Bischofs bestätigt, nicht gedacht. 4 Über die Schreiber Viktors I I . s. K E H R , M I Ö G . Erg. 6, 86 f. Von Aribo sind J A F F I - L . 4341 und 4364; von Humbert ist J A F F £ L . 4368 geschrieben und 4366 verfaßt. Die anderen Stücke bis zum Frühjahr 1057 zeigen verschiedene Hände. Dann wird in JAFF6-L, 4365—67, die in Rom selbst ausgestellt sind, der notarius et seriniarius Gregorius als Schreiber genannt Über die Schreiber von 4369. 4370 wissen wir nichts. 1

s

6

4

Vgl.

WATTBNDORFF a . a . 0 .

S. 3.

Als Schreiber wird in sieben Urkunden der < ben N 4 erwähnte Giegorius genannt, einmal ( J A F F £ - L 4 3 8 4 " ; Miscellan. Cassin. 1, 4 2 n. 8) ein scrinianw Octavianus. Von den drei anderen Privilegien Stephans IX. ist keines im Original erhalten. Drei von den von Gregor geschriebenen Urkunden sind in Monte Cassino ausgestellt; also wird dieser, obwohl römischer Scriniar, den Papst dahin begleitet haben. Vgl. K E H B a. a. 0. S. 88 f. 7 Wenn K E H R a. a. 0. S 87 bezweifelt, daß darin ein bewußter Versuch, zu der Ordnung Benedikts IX. zurückzukehren, zu erkennen sei, so sehe ich zu

236

Päpstliche

Kanzlei

unter Nikolaus

II.

Und dabei blieb es auch — nach kurzer Reaktion während der vorübergehenden Herrschaft Benedikts X. 1 — unter der ganzen Regierung Nikolaus' II. Fast unmittelbar bis zu seinem Tode hat der Kardinalbischof Humbert von Selva-Candida die Funktionen des Bibliothekars versehen,2 und er hat die Mehrzahl der in dieser Zeit ausgestellten Urkunden, soweit wir aus den vorhandenen Originalen schließen können, eigenhändig datiert. Einmal im Jahre 1059 ist der Mönch Mainard, der spätere Nachfolger Humberts, der auch unter ihm schon eine höhere Stellung in der Kanzlei eingenommen haben mag, ermächtigt worden, eine Urkunde, die er übrigens nicht selbst geschrieben hat, in eigenem Namen, aber an Stelle des Bibliothekars zu datieren;-1 in einigen wenigen Ausnahmefällen * erfolgt stillschweigende Stellvertretung in der Weise, wie sie unter Leo IX. üblich gewesen war, d. h. also Nennung des Bibliothekars als Datar ? ohne daß er die Datierung geschrieben hat. Erst zwei Tage vor dem Tode Humberts, am 3. Mai 1061, tritt der Kardinal Bernard von Palestrina für ihn ein, der sich aber nicht Bibliothekar nennt; 5 außer ihm hat noch ein Mönch Gerald 6 in diesen letzten Tagen Nikolaus' II. einmal als Stellvertreter des Bibliothekars fungiert. 7 solchem Zweifel keinen Anlaß. Gewiß hat Humberts persönlicher Einfluß auf den Papst dabei den Ausschlag gegeben: aber eben ihn hat er benutzt, um seinem Bistum das ihm durch Leo IX. genommene Kecht zurückzugewinnen. 1 Er ernannte den uns schon bekannten Lietbuin (s. oben S. 231 N. 1) zum Kanzler und Bibliothekar, der J A F F E - L . 4891 geschrieben und datiert hat. J A F F £ - L . 4390, geschrieben von Octavian, darbt der Datierung. 2 Er wird zuletzt am 3 0 . April 1 0 6 1 genannt ( J A F F £ - L . 4 4 6 0 ) ; am 5 . Mai ist er gestorben. s

JAFF£-L. 4416.

* JAFF£-L. 4417. 4418. 4459.

' In drei Urkunden datiert er einfach als Bischof, einmal in JAFF£-L. 4468 als garem officium bibliotheearii, also als Verweser des vakanten Bibliothekariats. Daß zwei Urkunden des Erzbischofs von Benevent vom Juni 1061 (vgl. K E H R a. a. 0. S. 93 N. 4) ihn Kanzler nennen, beweist nichts für seine amtliche Stellung. 6 JAFF£-L. 4 4 6 7 : datum per manus Oeraldi monaehi fungentis officio bibliotheearii S. B. E. 7 Über die Schreiber Nikolaus' II. s. K E H R a. a. 0. S. 90 f. Der meist beschäftigte ist der schon oben (S. 235 N. 6) genannte Scriniar Octavian, der schon unter Stephan IX. und Benedikt X. gedient und Nikolaus überlebt hat. Er ist auch außerhalb Roms mehrfach tätig gewesen. Neben ihm haben in Rom noch zwei andere Scriniare gearbeitet. Während der Papst in Florenz residierte (November 1059 bis Ende Januar 1060), sind diese Scriniare in Rom geblieben und für sie zwei wahrscheinlich florentinische Notare angestellt worden, die sich nicht nennen. Diese haben dann den Papst nach Rom zurückbegleitet und hier neben den römischen Scriniaren in der Kanzlei, aber gewiß

Päpstliche Kanzlei unter Alexander II.

237

Es folgt die Doppelwahl vom Oktober 1061. Wie Cadalus (Honorius II.) seine Kanzlei eingerichtet hat, darüber sind wir ohne jedwede Kunde. Alexanders IL erste Urkunden entbehren der Datierung. Spätestens aber im November 1062 hat er dem Bischof Mainard vonSelvaCandida, dem Nachfolger Humberts, den Bibliothekariat zugestanden, der bis zum Januar 1063, zumeist eigenhändig, datiert.1 Allein schon gegen das Ende 1062 scheint sich ein abermaliger Umschwung vorzubereiten. Alexanders ganze Zukunft hing davon ab, wie sich die wesentlich von Anno von Köln geleitete deutsche Reichsregierung zu ihm und seinem Gegner stellen würde. Als nun im Dezember 1062 Burchard von Halberstadt, Annos Neffe, in Italien erschien, um im Namen des Reichs den Streit zu entscheiden, war es geboten, auf die Ansprüche des Erzbischofs von Köln, die seit mehreren Jahren in Rom mit unverkennbarer Absicht hintangesetzt waren, Rücksicht zu nehmen. Das ist vielleicht schon geschehen, indem Alexander am 19. Dezember auf den seit dem Tode Leos IX. aufgegebenen Kanzlertitel zurückgriff und eine Urkunde von diesem Tage durch einen gewissen Ildebert vice cancellarii datieren ließ: 2 der Name des Kanzlers, den er vertrat, ist dabei wohl nicht ohne Absicht fortgelassen worden. Dann durfte zwar Mainard noch am 31. Dezember und am 13. Januar 1063 datieren , an letzterem Tage sogar eine Urkunde für Burchard von Halberstadt selbst 3 — aber von da ab verschwindet sein Name für immer aus der Datierung.4 Und damit ist der Anspruch der Bischöfe von SelvarCandida, beziehungsweise ihrer Rechtsnachfolger, der Bischöfe von Porto, auf das Amt des Bibliothekars für alle Zeiten beseitigt. Dagegen ward die Erzkanzlerwürde Annos anerkannt;6 Alexander kehrte zu der Organisation Leos IX. zurück. Schon in Sutri, wohin der nach Rom reisende Papst am 25. Januuar 1062 gelangte, datierte der Akoluth Petrus als Bibliothekar ein Privileg vice domni Annonis Coloniensis archiepiscopi S. R. E. archicancellarii.6 Petrus, der noch im nicht in einem gesonderten Bureau, das man dem serinium gegenüber als palatium bezeichnen könnte (KEHR S. 91), gearbeitet. — Von Privatschreibern sind nur zwei Stücke, JAFF£-L. 4393, das erste Privileg des Papstes, und JAFF£-L. 4407" (GGN. 1898 S. 266 n. 1), mundiert. 1 Zuletzt in JAFF£-L. 4498 vom 13. Januar 1063. 2 3 JAFF£-L. 4491. JAFF£-L. 4493. 4498. 4 Gelebt hat Mainard noch 1068, JAFF£-L. 4651. 6 Diese Anerkennung gehört offenbar, was man früher nicht genügend beachtet hat, zu den Gegenleistungen, die Alexander II. für Annos Unterstützung machen mußte, Wie Burchard für sich selbst sorgte, zeigt JAFF£-L. 4498. • G G N . 1909 S. 4 3 8 N . 1.

A k o l u t h n e n n t er s i c h i n JAFF£-L. 4 4 9 9 ; vor-

her hat er schon (ohne Nennung Annos) JAFF£-L. 4497 vom 7. Januar datiert.

238

Päpstliche

Kanzlei

unter Alexander IL und Gregor VII.

Frühjahr 1063 Subdiakon, 1069 Diakon und 1070 Kardmalpriester von Santa Maria Nova wurde, 1 hat dann das Amt des Kanzlers und Bibliothekars nicht nur bis zum Tode Alexanders II., sondern auch unter dessen Nachfolger Gregor VII. behalten. Er hat die große Mehrzahl der Privilegien beider Päpste selbst datiert; gelegentlich fungieren an seiner Statt andere römische Geistliche, die aber nur als seine Vertreter anzusehen sind. 2 Das kölnische Erzkanzleramt ist dagegen nicht bis zum Tode Annos anerkannt worden; schon aus dem September 1064 haben wir wieder eine Urkunde, die seinen Namen nicht nennt; von da ab bis zum Mai 1067 gehen die Urkunden, die seiner gedenken, neben anderen her, in denen das nicht geschieht. Allmählich, jemehr Alexanders Stellung erstarkt, überwiegen die letzteren: nach dem Mai 1067 kommt Anno überhaupt nicht mehr in den Papsturkunden vor; auch als er im nächsten Jahre in Rom war, mußte er froh sein, nicht wegen seines Verkehrs mit dem gebannten Cadalus bestraft zu werden, und konnte eine Wiedereinsetzung in sein Amt nicht erlangen. 3 Wie der Bibliothekariat der Bischöfe von SelvarCandida beseitigt ist, so ist fortan auch von dem Erzkanzleramt der Erzbischöfe von Köln in den Urkunden keine Rede mehr. 4 Nur vorübergehend, im Frühjahr 1111, als Paschaiii. Sollte diese Urkunde etwas später vollzogen sein als das vom 13. Januar noch von Mainard datierte Privileg für Halberstadt? 1 Vgl. J A F F É Reg. 1 * , 5 6 7 ; jetzt kommen noch einige neu gefundene Urkunden hinzu. Seinen Kardinalstitel geben Urkunden von S. Maria Nova, vgl. Ardi, della società Romana 23, 226 ff. 2 Ausdrücklich als solche bezeichnen sich unter Alexander ein Kleriker Petrus, unter Gregor VII. der Kardinalpriester Conon und ein gewisser Benjamin. Oline ausdrückliche Angabe des Vertretungsverhältnisses, aber sicherlich in gleicher Stellung kommen vor unter Alexander der Subdiakon Rembald, unter Gregor der Kardinaldiakon Gregor; vgl. J A F F É 1 ! , 567. 595; K E H R a. a. O. S. 99. 101 und unten S. 239 N. 6. Ein Teil dieser Vertretungen fällt in Zeiten, in denen der Kanzler abwesend war, z. B. 1070 auf einer englischen Legation, vgl. English Historical Review 12, 106. — Der Kanzler Petrus hat meist eigenhändig datiert; unter Alexander Ii. macht nur J A F F É - L . 4670, unter Gregor machen einige Datierungen, die der Notar Rainer geschrieben hat, eine Ausnahme. Auch die Vertreter, die sich nennen, haben meist autograph datiert, doch kommen auch davon einige Ausnahmen vor. Unbedingt ist also unter beiden Päpsten an der eigenhändigen Datierung nicht festgehalten worden. — Die Datierung der Urkunde GGN. 1909 S. 441 n. 2 per maniis Mauri sancte ecclesia Bonifacii abbatte ist unecht. 3 Vgl. Ann. Altah. 1068. 4 Doch war es darum noch nicht aufgehoben. Denn, wie es scheint, spielt noch Gregor VII. im Jahre 1074 darauf an, wenn er an Anno schreibt (Reg. Gregorii VII. 1, 79): quanta earitate Romanae ecelesiae Coloniensis in omnibus obsequendo coniuncta fuerit, dignitas vobis conlata testatur. Die digniias kann doch schwerlich etwas anderes sein als das Erzkanzleramt.

Päpstliche Kanzlei am, Ende des 11. Jahrhunderts

239

ganz in den Händen Heinrichs V. war, hat Erzbischof Friedrich von Köln es durchgesetzt, daß er als Erzkanzler in zwei päpstlichen Privilegien genannt wurde; 1 kaum hatte der Kaiser Rom verlassen, so ist es damit vorbei; und man ist in der Folge nur noch einmal, unter Honorius IL, darauf zurückgekommen, der in einer Urkunde seiner ersten Tage, aus welchen Gründen ist nicht ersichtlich, in des Erzkanzlers Friedrichs Namen datieren ließ.2 Das ist die letzte Reminiszenz an die bedeutungslos gewordene Verfügung Leos IX. Der Kanzler Petrus, der bei Gregor VII. bis zum Ende des Jahres 1083 ausgehalten hatte,3 ist spätestens im Frühjahr 1084 von ihm abgefallen und zu Wibert (Clemens III.) übergegangen.4 So ist die einzige datierte Bulle Viktors III., die wir besitzen, durch den Bischof von Segni als Bibliothekar unterfertigt.5 Urban II. hat dann den Montecassineser Mönch Johannes von Gaeta, den er nach Rom berief und zum Kardinaldiakon von S. Maria scholae Graecae erhob, an ihre Spitze gestellt; 8 dieser führt bis um die Mitte des Jahres 1089 1 JAFF£-L. 6291. 6292. Hiermit wird es zusammenhängen, daß die Ann. Bomani (Liber pontific. ed. DDCHESNK 2, 346) vom Kanzler Johannes (später Papst Gelasius II.) sagen: qui fuit primus diaconorum et vice Frederici cancellarii et archiepiseopi Coloniensis. 4

8

JAFF£-L. 7186 vom 24. Febr. 1125.

Die letzte bestimmt datierte Urkunde mit seinem Namen ist JAFF£-L. 5261 vom 24. Nov. 1083. — Über die Schreiber Alexanders II. und seiner nächsten Nachfolger vgl. die Untersuchungen KEHRS a. a. 0. S. 94 ff. 4 Vgl. MEYEB VON KNONAU, Jahrb. Heinrichs IV. 3, 524 ff. — Als Kanzler Wiberts wird Petrus genannt 1084 und 1089 in den Urkunden bei KEHE, Italia pontificia 1, 76 n. 16. 17, ferner 1092 in JAFF£-L. 5333. 5334.

In der ersten

dieser vier Urkunden datiert der Bischof Siegfried von Bologna, in der dritten ein gewisser Bernerius, in der vierten Bischof Robert von Faenza statt seiner. Letzterer ist vielleicht identisch mit dem Kardinalpriester Robert, Datar von JAFF£-L. 5319. Sonst kommen als Datare vor: der Subdiakon Servusdei in JAFF£-L. 5328* (GGN. 1900 S. 148 n. 7), der Bischof Servusdei von Pesaro, wohl derselbe Mann, in JAFF£-L. 5335' (GGN. 1898 S. 32 n. 2), der Bischof Dietrich von Albano in JAFF£-L. 5339 und der Bischof Guido von Ferrara (Arch. della soc. Romana 23, 282). Letzterer datiert vice canceUarii, die anderen ohne Angabe eines Vertretungsverhältnisses. Eigenhändige Datierung scheint nicht üblich gewesen zu sein. 5

8

JAFF£-L. 5345.

Mit LÖWENFELD hatte ich früher angenommen, daß dieser Johannes schon unter Gregor VII. einige Male als Datar fungiert habe (ebenso KEHR, MIÖG. Erg. 6, 106). Aber von den zwei Urkunden, in denen unter Gregor ein Datar Johannes begegnet, ist JAFF£-L. 5079 sicher unecht (vgl. WIEDERHOLD, GGN. 1906 Beiheft 2, 4 N. 2), was CASPAR, NA. 36, 96, entgangen ist; und auch JAFF£-L. 5256 wird schwerlich echt sein. — Über die Berufung Johanns durch Urban II., die in der von CASPAR zitierten Chronik von Monte Cassino falsch

240

Päpstliche Kanzlei

im 12. Jahrhundert.

Kanzler

nur den Titel prosignator, auf dessen Bedeutung wir zurückkommen müssen, und bezeichnet sich erst von da ab einige Male als Kanzler, zumeist aber bloß als Kardinal. 1 Den Bibliothekartitel hat er unter Urban IL überhaupt nicht geführt und erst unter Paschal II., der ihn in seinem Amt bestätigte, im Jahre 1105 statt des Kanzlertitels, vereinzelt auch daneben, angenommen. Von da ab ist die Organisation der Kanzlei auf lange hinaus feststehend. Als ihr Chef fungiert ein Beamter, der bis auf Cölestin I L den Titel cancellarius oder bibliothecarius2 oder beide nebeneinander führt, seit dem Tode Cölestins IL aber nur noch Kanzler heißt. 3 Die datiert ist, vgl. Pandulf in der Vita Gelasii, Liber pontif. ed. D Ü C U E S N E 2, 311 und dazu M E Y E R VON K N O N A U , Jahrbücher Heinrichs IV. 4 , 2 0 3 N . 18. Aber auch hier ist sie noch zu spät angesetzt; wie J A F F £ - L . 5365. 5 3 6 6 zeigen, ist sie schon in Anagni erfolgt. In J A F F £ - L . 5 3 6 5 heißt Johann noch Subdiakon. 1 Johannes hat einige Urkunden wahrscheinlich auch selbst geschrieben, vgl. K E H R , MIOG. Erg. 6, 103. — Als Vertreter fungiert unter ihm in der Zeit Urbans II. der notarius saeri palatii Lanfrank, der sich in J A F F £ - L . 5457. 5459 und, in anderer Kombinierung der Scriptum- und Datumzeile, in J A F F £ - L . 5691. 5692 als Schreiber und Datar vicem agens caneellarii, in J A F F £ - L . 5498. 5 6 8 8 . 5700 nur als Datar an Stelle des Kanzlers und in J A F F £ - L . 5446. 5682, die Johannes datiert hat, nur als Schreiber nennt, dem aber auf Grund der Schriftvergleichung noch eine größere Anzahl von Urkunden, die keine Scriptumzeile haben, zugewiesen werden können, vgl. K E H R a. a. 0. S. 104. Nur zweimal erscheint ein anderer Vertreter Godescalcus presbyter vicem agens cancellarii in J A F F £ - L . 5430. 5430*. — In der Zeit Paschais II. hat Lanfrank nicht mehr geschrieben, aber noch einmal in J A F F £ - L . 5827 datiert; er nennt sich jetzt scriptor saeri palatii. Denselben Titel führt der Datar Leo in J A F F £ - L . 5831. 5832 (die er aber nicht geschrieben hat, wie K E H R S. 109 annimmt); er ist wahrscheinlich identisch mit dem Kardinaldiakon Leo, der sich in J A F F £ - L . 6207. 6209. 6210 als Datar und in J A F F £ - L . 6204 als Schreiber und Datar nennt. Diese beiden Männer und die Kardinäle Docibilis ( J A F F £ - L . 5808. 5826) und Gualterius ( J A F F £ - L . 5924. 5926) haben ohne Angabe eines Vertretungsverhältnisses datiert. Dagegen haben Equitius, der vom November 1102 bis zum April 1107 ( J A F F £ - L . 5923—6129) eine größere Anzahl von Urkunden datiert hat, und Grisogonus, der in J A F F £ - L . 6391. 6393 ohne Titel, in J A F F £ - L . 6504. 6522. 6559 als subdiaconus oder diaconus cardinalis datiert, stets die Formel agens vicem (vices) cancellarii gebraucht; beide sind auch als Schreiber nachweisbar. — Die Datierung ist seit dem Amtsantritt des Kanzlers Johannes durchweg eigenhändig von dem in ihr genannten Beamten eingetragen. ' Bemerkenswert ist, daß Grisogonus unter Gelasius II. nur als cardinalis diaconus, erst unter Calixt II. als card. diac. et bibliothecarius datiert. 8 Der Bibliothekartitel verschwindet darum noch nicht, geht aber auf Beamte über, die mit der Kanzlei nichts mehr zu tun haben. 1162 erscheint Paulus bibliothecarius (neben Mardo protoscrinius) in einer Urkunde des römischen Senats unter den iudices de clero, G A L L E T T I S. 3 2 3 ; in Urkunden von 1188, 1193, 1201 ( H A L P H E N , Administration de Rome S. 41 N. 6) begegnet der Titel bibliothecarius iudex.

Päpstliche Kanzlei im 12. Jahrhundert.

Kanzler

241

Kanzler sind stets Kardinäle, und zwar Kardinaldiakone oder Kardinalpriester; nur unter dem Gegenpapst Calixt HL (1168—1178) ist es vorgekommen, daß ein Kardinalbischof, Martin von Tusculum (Frascati), mit dem Amte betraut wurde.1 Die Titularkirchen der Kardinalkanzler werden erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in den Unterschriften angegeben und auch da nicHt regelmäßig, doch lassen sie sich auch für die frühere Zeit zumeist ermitteln. Das Verzeichnis der Kanzler vom Tode Paschais IL bis zum Tode Innocenz' HL ist das folgende: 2 Grisogonus diac. card. . 1118 März 21-- 1 1 1 9 Jan. 2. derselbe. . 1119 April 15-- 1 1 2 2 Juni 26. 8-- 1 1 2 4 Nov. 24. Aimericus diac. card. 1123 Mai S. Mariae Novae.3 derselbe. Honorius II. . 1125 Febr. 3 -- 1 1 2 9 Dez. 19. - 1 1 4 1 Mai 20. derselbe. Innocenz IL . 1180 März 1141 Dez. 30. 4 -- 1 1 4 3 Mai 16. Gerardus presb. card. S. Crucis inlerusalem. derselbe.6 Coelestin II. . 1143 Okt. 19-- 1 1 4 4 März 8. Lucius II. . . 1145 Jan. 31-- 1 1 4 5 Febr. 14. Robertus presb. card. S. Martini.6 derselbe. 1145 März 10-- 1 1 4 6 Sept. 22. Eugen III. Guido diac. card. SS. 1 1 4 9 Mai 16.' 1146 Dez. 17-Cosmae et Damiani. 1153 Mai 4 --1153 Juni 16. Rolandus presb. card. S. Marci. derselbe. Anastasius IV. 1153 Sept. 8 --1154 Nov. 30. derselbe.8 Hadrian IV. . 1154 Dez. 1 2 --1159 Aug. 17. Gelasius II. Calixt IL .

1

In den beiden uns erhaltenen Urkunden des Gegenpapstes Gregor VIII. (Burdinus) J A F F £ - L . 7 1 7 8 und K E H B , Italia pontificia 1 , 7 6 n. 1 9 , wird ein Kanzler Petrus genannt, der in der letzteren abbas heißt. 8 Die Angaben beruhen auf den Kegesten von J A F F £ - LÖWENFELD und POXTHAST, die ich nach neueren Publikationen, insbesondere denen K E H R S und seiner Mitarbeiter ergänze. Auf absolute Vollständigkeit wollen sie einen Anspruch nicht erheben. 8 Die Datierung Aimerichs in dem Privileg für Trani, GGN. 1898 S. 273 n. 7, vom 13. November 1120, das nur in einer Kopie des 18. Jahrhunderts überliefert ist, kann unmöglich echt sein. 4 Vgl. GGN. 1906 Beiheft 1 S. 42 n. 17. 6 Wird 1144 Papst. 6 Die Titelkirche nur überliefert GGN. 1900 S. 39 n. 18. 7 8 Vgl. GGN. 1898 S. 317 n. 4. Wird 1159 Papst. B r e ß 1 a u , U r k u n d e n l e h r e . 3. A u f l . I .

1 6

242

Päpstliche Kanzlei

im 12. Jahrhundert.

Alexander III.

1178 Febr.16—1181 Aug. 24. 1

Lucius III. Urban III. Gregor VIII. Clemens III. Goelestin III.

1181 Sept. 2 8 — 1 1 8 5 Nov. 11. 1186 März 4 3 — 1 1 8 7 Okt. 13. Vakanz.

Innocenz III. .

1191 Mai 2 9 6 — 1 1 9 4 Okt. 1.

1194 Nov.

5 — 1 1 9 7 Dez. 3.

1205 Jan.

9 — 1 2 0 5 Dez. 5.

1205 Dez. 2 3 — 1 2 1 3 Mai 4. 1216 März

7—1216 Junil3.9

Kanxler Albertus presb. card. S. Laurentii in Lucina. 2 derselbe. derselbe. 4

Egidius diac. card. S. Nicolai in carcere Tulliano. 6 Centius diac. card. S. Luciae inOrthea, domini papae camerarius. 8 Iohannes diac. card. S. Maria in via lata.7 Iohannes diac. card. S. Mariae in Cosmedin. 8 Thomas (von Capua), erst diac.card.S.Mariae in Via lata, dann presb. card. S. Sabinae.

Gegenpäpste. Anaclet II.

1130 März 2 7 — 1 1 3 1 Sept. 14.

1

Saxo presb. card. S.Stephani in Celio monte.

Vgl. GGN. 1907 Beiheft S. 32 n. 10 und 1900 S. 54 n. 35. Früher als diae. card. S. Adriani Vizekanzler, s. unten S. 245. s Vgl. GGN. 1899 S. 241 n. 28. « Wird 1187 Papst. 5 Vgl. GGN. 1900 S. 190 n. 40. 8 Egidius, der auch Bischof von Anagni, und Centius, der auch päpstlicher Kämmerer war, führen den Kanzlertitel nicht, und daher meint TANOL, KO. S. XIIff., daß schon unter Egidius das Personal der Kanzlei wenigstens teilweise der Kammer unterstellt und daß jene nach seinem Abgang völlig mit der Kammer vereinigt worden sei. Das läßt sich nicht voll beweisen, aber auch nicht widerlegen; der Umstand, den man dafür anführen könnte, daß 1192 der clerieus eamere "Willelmus Rofio zugleich Scriptor der Kanzlei war (Liber censuum ed. FABRE S. 4), ist nicht entscheidend, da camera und rancellaria hier doch ganz bestimmt auseinandergehalten werden und Ämterkumulation auch später häufig ist. Jedenfalls aber haben sowohl Egidius wie Centius völlig die Stellung von Kanzlern eingenommen (so nennen auch zwei Inschriften bei MABILLON, Museum Ital. 2, 166, Centius cancellarius), und sie durften daher in der obigen Liste nicht fehlen. 7 Geht 1206 als Legat nach England. 8 Vgl. FRAIKIN, Bulles inédites (Rom 1900) S. 40. Stirbt vor 13. Juni 1213. 1

8

Vgl. WINKEIMANN, Kanzleiordnungen S. 33.

Päpstliche Kanzlei im 12. Jahrhundert. Anaclet II.

. 1133 Okt. 11'—1137 Apr. 22.

Victor IY. . . 1162 April 5—1163. Paschal HI. . 1165 Nov. 18—1167 Aug. 6. Calixt III. . . 1170 Aug. 29—1174 März 24. 2

Kanzler

243

Matthaeuspresb.card. S. Eudoxiae. Iohannes presb. card. derselbe. Martinus Tusculanus episc. card.

Wie sich aus diesem Verzeichnis ergibt, ist fast durchweg das Kanzleramt bis zum Tode oder bis zu anderweiter Beförderung des Inhabers bekleidet worden; die Kardinäle Johannes, später Gelasius IL, Geraxd, später Lucius II., Roland, später Alexander III., und Albert, später Gregor VIII., sind von ihm aus auf den päpstlichen Stuhl erhoben worden. Nur einmal tritt, abgesehen von diesen Fällen, mit der Erledigung des Pontifikats zugleich ein Wechsel im Kanzleramt ein: nach dem Tode Coelestins III., unter dessen Nachfolger Centius nicht mehr fungiert. Sonst haben durchweg neu erwählte Päpste die Kanzler ihrer Vorgänger im Amte bestätigt. Mehrfach sind die Kanzler aus den Kreisen des niederen Kanzleipersonals hervorgegangen. Grisogonus, ein Pisaner, den Gelasius II. erhob,® war unter Paschal notarius sacri palatii und fungierte 1110—1117 als Schreiber, 1114—1116 auch als stellvertretender Datar; unter Innocenz III. sind Johannes von St. Maria in Via lata und Thomas von Notaren zu Kanzlern emporgestiegen; auch Saxo, der Kanzler Anaclets II. war wohl schon unter Paschal II. Scriptor.1 Kumulation des Kanzleramts mit einem anderen Amt der päpstlichen Verwaltung ist nur unter Coelestin III. nachweisbar, dessen Kämmerer Centius zugleich die Kanzlei leitete, nach dem Tode des Papstes aber diese Stellung aufgab.5 Auch in dieser Periode ist der Grundsatz, daß der Datar eigenhändig unterfertigen mußte, aufrecht erhalten worden. Aber es ist seit Calixt II. nicht mehr für die ganze Datierungszeile, sondern nur noch für einen Teil davon die Eigenhändigkeit festgehalten worden: 1 K E H R , Miscellanea Cassinese 1, 56 n. 16. — Im Nov. 1137 ist Matthaeus Gesandter Anaclets bei Roger von Sizilien und noch Kanzler, vgl. BERNHARDT, Lothar von Supplinburg S. 777f. 1 Vgl. St. 4156, wo Martinus S. R. E. cardinalis et eancellarius Zeuge bei Friedrich I. ist. 3 Seine Ernennung erwähnt die Vita Gelasii, Liber pontif. (ed. D Ü C H E S N E ) 2, 315. Vgl. über ihn K E H R , MIÖG-. Erg. 6, 109 f. 4 Vgl. Liber pontif. (ed. D U C H E S N E ) 2 , 3 1 2 . — Albert, der 1 1 7 8 Kanzler wurde, war 1157 kurze Zeit Vizekanzler gewesen. 6 Vgl. S. 242 N. 6. Er wird 1200 card. presb. von St. Johann und St. Paul und 1216 Papst Honorius III.

16*

244

Päpstliche Kanzlei im 12. Jahrhundert. Vertreter der Kanzler

der Datar trug in eine in der Datierungszeile gelassene Lücke seinen Namen oder den Anfangsbuchstaben des Namens nach; wie sich demgemäß die Unterfertigung des Kanzlers im einzelnen gestaltete, wird später näher auszuführen sein. Hier ist es wichtig, diesen Brauch zu konstatieren, weil sich aus ihm die Notwendigkeit häufiger Vertretungen ergab; wenn der Kanzler einer Gesandtschaft oder anderer Geschäfte halber von der Kurie abwesend oder etwa durch Krankheit oder anderweit behindert war, seine Funktionen wahrzunehmen, ebenso natürlich, wenn das Kanzleramt nicht besetzt war, mußte ein Vertreter bestellt werden; 1 ein abwesender Beamter durfte nicht als Datar genannt werden. In Bezug auf diese Vertretung ist nun aber in doppelter Weise verfahren worden. Entweder es wurde ein Kardinal mit der Vertretung betraut, 2 oder sie wurde einem unteren Beamten aus der Kanzlei übertragen. In ersterem Falle, der nur bei länger dauernder Vertretung eintrat, führte der Vertreter den Titel Vizekanzler;3 er trat wahrscheinlich in alle Rechte und Befugnisse des Kanzlers ein. In letzterem Falle, der stets bei kürzerer Vertretung eintrat, bisweilen aber auch bei länger währender beliebt wurde, führte der Vertreter — von der Zeit Calixts II. bis zur Zeit Urbans III. — jenen Titel nicht,4 sondern bezeichnete sich nach seinem geistlichen Amte oder nach seiner Stellung in der Kanzlei; wir dürfen vermuten, obgleich es an näheren Nachrichten darüber fehlt, daß er nicht vollkommen in den Genuß der * So ist z. B. eine solche Vertretung notwendig geworden, als Kanzler Roland gegen Ende Oktober 1157 päpstlicher Legat am Hofe Friedrichs I. war, und in der Tat entsprechen dem die Urkunden dieser Zeit aufs beste. 8 Auf dessen Stellung in der kirchlichen Hierarchie kam es dabei nicht an; ein Kardinalpriester kann Vertreter eines Kardinaldiakons sein. Die subdiaooni eoel. Romanae gelten, auch wenn sie zuweilen sübdiaeoni eardinales heißen, nicht als Kardinäle im Sinne der hier gemachten Unterscheidung. 8 Vicecancellarius wird in dieser Periode aber noch nicht gesagt, es heißt statt dessen vieem cancellarii agens oder gerens oder vice cancellarii fungens. — Eine Ausnahme macht nur der Fall des Notars Hermann, der lange als stellvertretender Datar fungiert hatte und auch, nachdem er zum Kardinal ernannt war, während einiger Monate des Jahres 1166 in derselben Form wie vorher datiert hat. Ich habe ihn früher als Kanzler betrachtet; aber da er den Titel nicht führt, wird TANGL, KO. S. XI, Recht haben, wenn er ihn auch während dieser Monate nur als Vertreter ansieht. 4 Nur der Scriptor Lucas, der einmal am 1. Januar 1131 eine Urkunde gegeben hat (G-GN. 1906 Beiheft 2 S. 20 n. 2), weicht von dieser Regel ab und datiert agens vicem domini Aimerici cancellarii. Daß er aber damals schon Vizekanzler war (was er 1137 geworden ist) möchte ich nicht annehmen; er war damals auch gewiß noch nicht Kardinal; erst 1132 ist er als solcher nachweisbar.

Päpstliche Kanxiei im 12. Jahrhundert.

Vertreter der Kanzler

245

Rechte und Ehren des Kanzlers eintrat. In der Zeit einer wirklichen Vakanz des Kanzleramtes endlich ist man, obwohl dieselbe oft sehr lange dauerte,1 niemals zur Bestellung eines Kardinal-Vizekanzlers geschritten, sondern hat sich stets mit der Vertretung des Datars durch einen, bisweilen auch durch mehrere niedere Kanzleibeamte nebeneinander begnügt Es liegt nahe, zu vermuten, daß dabei finanzielle Motive mitgewirkt haben; wenn man bei der bis auf Urban III. streng durchgeführten Scheidung der Titel, die früher nicht beachtet worden war, vermuten darf, daß der Kardinal-Vizekanzler auch die vollen, im 12. Jahrhundert wohl schon sehr beträchtlichen Einkünfte des Kanzlers bezog, während diese bei anderweitiger Versehung des Amtes erspart sein mögen, so erklärt sich eben daraus, warum man so oft und auf so lange Zeit von der Ernennung eines Kanzlers oder Vizekanzlers Abstand nahm. So ergibt sich denn für die Zeit von Gelasius II. bis zu Urban III. eine doppelte Reihe von Vertretern des Kanzlers, die nachfolgend zusammengestellt wird. 1. Kardinal-Vizekanzler. Lucas presb. card. SS. Iohannis et Pauli 1137 (Juni und November) und 1138 (November und Dezember).2 Hugo presb. card. S. Laurentii in Lucina 1147 April 15 — Juni 5; 1147 Juli 2, Sept. 17; 1148 Mai 27. 3 Albertus diac. card. S. Adriani 1157 Sept. 26—Dez. I. 4 1 Unter Eugen III. z. B. 4 Jahre, unter Alexander III. beinahe 20 Jahre; unter Innocenz III. wiederum 7 Jahre. * Im November 1187 war der Kanzler Aimerich auf einer Legation bei Roger von Sizilien in Salerno, vgl. BERNHARDT, Lothar von Supplinburg S . 7 7 7 F . ; dagegen war er im November und Dezember 1138 an der Kurie anwesend, und was damals seine Vertretung, was überhaupt in diesen Jahren die Ernennung eines Vizekanzlers veranlaßt hat, entzieht sich noch meiner Kenntnis. 8 Wie sich aus diesen Daten ergibt, tritt der einmal ernannte Vizekanzler auch dann ein, wenn es sich nur um vorübergehende Vertretung handelt; Datierung durch einen unteren Kanzleibeamten ist also nur zulässig, wenn weder Kanzler noch Vizekanzler bei der Kurie sind. Die Vollmacht des Vizekanzlers aber dauert höchstens so lange, als die des Kanzlers, dessen Vertreter er ist. 4 Während dieser Zeit Gesandtschaftsreise des Kanzlers Boland nach Burgund. Die Angabe bei J A F F £ Reg. 2 1 0 3 über die Dauer von Alberts Vertretung ist irrig, vgl. JAFF& 2®, 720, und die Nennung Alberts in der Datierung von J A T F £ - L . 10306 hätte v. PFÜGK-HABTTUNG, Acta 3, 185 also nicht als einen Grund für die Verwerfung dieser Urkunde anführen dürfen.

246

Päpstliche Kanzlei 2. S t e l l v e r t r e t e n d e

im 12. Jahrhundert. Datare

Vertreter der

Kanzler

ns d e m K a n z l e i p e r s o n a l .

Hugo subdiaconus Lucas scriptor Baro capellanus et scriptor . . . Derselbe Derselbe Boso S.R.E. scriptor Plebanus Romanae curiae notarius Marinianus S.R.E. scriptor . . . Bologninus S.R.E. scriptor . . . Hugo S.R.E. scriptor Samson S.R.E. scriptor Hermannus S.R.E subdiaconus et scriptor Derselbe als subdiaconus et notarius Derselbe als diac. card. S. Angeli und presb. card. S. Susannae . . Theodoras S.R.E. subdiaconus et notarius Geraxdus (Girardus) notarius (scriptor) Gratianus S.R.E. subdiac. et not. .

1122 1131 1141 1144 1146 1149 1150 1150 1151 1152 1152

Sept. 1 6 — 1 1 2 3 Apr. 26. 1 Jan. I. 2 Juni 21—Dez. 15. 3 März 1 4 — 1 1 4 5 Jan. 23. 4 Sept. 18—Dez. 4. 6 Nov. 6 — 1 1 5 3 Mai 3. Jan. 30 und Juni 10. Apr. 2 7 — 1 1 5 1 Mai 18.« Apr. 25. Juni 21. Dez. 29.'

1159 April und Mai.8 1159 Okt. 1 5 — 1 1 6 5 Aug. 5. 1166 März 18—Okt. I I . 9 1162 Nov. 5. 16. 1166 Nov. 1 1 — 1 1 6 8 März 2. 1168 März 21 — 1169 Mai 4. 10

1 Auch Schreiber von JAFF£-L. 7020, was nach den oben gemachten Ausfühiungen nicht anstößig ist. — Vereinzelt steht es da, wenn in der Zeit von Hugos Vertretung eine Urkunde vom 6. April 1123 von Guido Romanae curiae

camerar'us

datiert ist, vgl. JAFF£-L. 7056.

Vgl GGN 1906 Beiheft 2 S. 20 n. 2; dazu oben S. 244 N. 4. 3 De selbe auch 1142 Juli 6, JAFF£-L. 8236, jetzt gedruckt GGN. 1906 Beih ft 1 S. 46 n. 19. 4 "Vom 21. Mai 1144 an nennt Baro sich subdiaconus. = 'gl. GGN. 1903 S 610 n. 5. 6 Vgl. GGN. 1907 Beiheft S 26 n. 5 und 1901 S 98 n 12. 7 Wählend der Vakanz des Kanzleramtes 1149—1153 war offenbar Boso der eigentliche stellvert-etende Datar, während seine Kollegen nur gelegentlich zur Datierung herangezogen worden sind, was geschehen konnte, da er nicht Vizekanzler war. 8 Die Gründe von Rolands mehrfacher Behinderung in diesen Monaten sind unbekannt. Die Vollmacht des Vizekanzler Albert wnd mit seiner Beförderung zum presb. Card. S. Laureniii in Lucina (Mai oder Juni 1158) erloschen sein 9 Vgl. GGN. 1902 S. 98 n. 14. 10 Vgl. GGN. 1905 S. 344 n. 15. Dann noch 1169 Aug, 4. GGN. 1903 S. 570 n. 13.

Päpstliche Kanzlei im 12. Jahrhundert. Gerardus (zum zweiten Mal) . . . Gratianus (zum zweilen Mal) . . . Dauferius S.R.E. subdiaconus (et notarius) Hugo S.R.E. notarius

Transmundua S.R.E. notarius

.

.

Vertreter der Kanzler

247

1169 Mai 16—Nov. 26. 1 1169 Dez. 7—1178 Febr. 7. 1179 Okt. 24—1181 Juni 19 in acht Urkunden.2 1184 Juni 10 3 —Dez. 11 und in etwa 20 Urkunden vom 25. Sept. 1182—19. Sept. 1185. 1185 Dez. 9—1186 März 13.

U n t e r Gegenpäpsten. Iohannes subdiaconus et scriptor . Magister Gerardus subdiaconus (et dictator, et notarius) . . . . Godefridus notarius Ricardus episc. civ. Castellanae . .

Okt.—Nov. 1159. 1160 Febr. 15—1161 Juli 25. 1160 Febr. 1160 Febr. 26.

Zuerst unter dem Gegenpapst Caliit III., der, wie schon bemerkt wurde, auch durch die Ernennung eines Kardinalbischofs zum Kanzler von dem herrschenden Gebrauch abwich, findet es sich, daß Männer, die nicht Kardinäle waren — Stephan von Paris und Sixtus5 —, als S.R.E. cancellarii vicem gerentes unterfertigen. Dem hat sich dann Urban III. angeschlossen, indem er dem Vertreter des Kardinalkanzlers Albert, dem lateranensischen Kanonikus Moyses in den Jahren 1186 und 1187 gestattete, in der bisher nur für Kardinäle üblichen Weise zu datieren. Moyses, der erst im März 1188 Subdiakon wurde, ist dann auch unter Gregor VIII. und Clemens III., die überhaupt nicht zur Ernennung eines Kanzlers schritten, sowie in den ersten Wochen von Coelestins III. Pontifikat Vizekanzler geblieben.8 Als dann aber der Papst 1 Vgl. GGN. 1903 S. 147 n. 3. Außerdem Gerard noch 1177 März 16. Apr. 5—7. Aug. 20 (GGN. 1910 Beiheft S. 101 n. 73). Ob in der Datierung von JAFF£-L. 12887 vom 17. Juli 1177 Gratiani oder Gerardi zu ergänzen ist, muß ich dahin gestellt sein lassen. 8 Zu den vier bei JAFF£ verzeichneten kommen hinzu GGN. 1898 S. 86 n. 8, 1901 S. 17 n. 16, 1901 S. 158 n. 14 und 1909 S. 475 n. 17 3 Vgl. GGN. 1898 S. 328 n. 15. 4 Die längere Vertretung des Kanzlers Albert durch Hugo seit Juni 1184 hängt wahrscheinlich mit der Reise des Papstes nach Verona zusammen, wohin Albert ihm erst im Dezember gefolgt sein mag. Albert hat aber auch sonst seine Funktionen mehrfach nicht persönlich wahrgenommen, wie auch die Angaben über Dauferius zeigen. 6 JAFF£-L. 14498. 14504. 6 Zu den schon bei JAFF£ Reg. 2 ' angeführten Urkunden mit seiner Unterschrift ist neuerdings eine größere Anzahl neuer hinzugekommen.

248

Päpstliche Kanzlei unter Innocenx III.

wieder einen Kardinal an die Spitze der Kanzlei stellte, der, wenn er auch den Titel eines Kanzlers nicht führte, doch sicher dessen Stellung einnahm,1 d. h. Ende Mai 1191 kehrte man zu der früheren Ordnung zurück. Moyses ist zwar auch noch ferner als stellvertretender Datar herangezogen werden; 2 nun aber zeichnet er nicht mehr vicern agens canceüarii, sondern nur als Subdiakon und Kanoniker vom Lateran. Dennoch war das Präcedens, das durch die Ernennung des Moyses zum Vizekanzler gegeben war, für die Folge nicht ohne Bedeutung: es tritt ein Schwanken ein, und die frühere strenge Scheidung zwischen Kardinal-Vizekanzler und anderen stellvertretenden Dataren ist nicht aufrecht erhalten worden. Unter Innocenz III., der das Kanzleramt lange vakant ließ, unterzeichnet der erste Datar, der Notar Raynald, später Erzbischof von Acerenza, vom 13. März 1198 bis 30. September 1200 3 als Vizekanzler, der zweite, der Subdiakon und Notar Blasius, später Erzbischof von Torres, vom 11. November 1200 bis zum 7. März 1203 ohne diesen Titel, ebenso der dritte, der Subdiakon Und Notar Johannes, vom 23. März 1203 bis 2. Dezember 1204. Demnächst ist bis zum Mai 1213 das Kanzleramt besetzt gewesen; nur einmal erscheint in dieser Zeit der Notar Guillelmus als vertretender Datar (1211 Februar 25). Darauf datieren 1213 und 1214 der Akoluth und Kapellan Raynald und demnächst bis Ende 1215 der Subdiakon und Notar Thomas, Erwählter von Neapel, ohne den Vizekanzlertitel zu führen; der letztere ist dann im Januar 1216 Kardinal geworden und bis zum Tode Innocenz' III., nun wohl als Kanzler, im Amt geblieben. Mit der Thronbesteigung Honorius' III. aber beginnt eine neue Ordnung der Dinge. Fast für ein Jahrhundert wurden nunmehr zu Vorstehern der Kanzlei nur Männer bestellt, die außerhalb des Kardinalkollegiums standen; 4 wurde einer von ihnen zum Kardinal erhoben, so schied er alsbald aus der Kanzlei.5 Infolgedessen verschwindet 1

S. oben S. 242 N. 6. So im März und April 1192, dann wieder gelegentlich am 13. Juli 1192 und 8. März 1194. Ins Jahr 1192 fällt eine Heise des Kanzlers Egidius nach Sizilien; wäre sie nicht mit Rücksicht auf jene erste Vertretung früher anzusetzen als Toeche, Heinrich VI. S. 316f. tut? — Nach Moyses erscheint am 17. Juni 1196 (Jatf6-L. 17406) der Notar Philipp als stellvertretender Datar. S. über ihn unten S. 272 N. 4. 3 Über ihn vgl. Ep. Innoc. 2, 161ff. 4 Daß diese Maßregel durch die Eifersucht Honorius' III., des früheren Kämmerers Centius, auf die Kanzlei verursacht worden sei, wie Tanol, KO. S. XIV, meint, ist nicht unwahrscheinlich. 5 Eine Ausnahme machen unter Gregor IX. der Vizekanzler Sinibald, der nach seiner Ernennung zum Kardinalpriester, ehe ihm in der Kanzlei ein 8

Päpstl.

Kanzlei

im 13. Jahrh.

Vizekanzler

u. ihre Vertreter

249

der Kanzlertitel, der nach dem mehr als ein Jahrhundert befolgten Brauch nur Kardinälen gegeben werden konnte, ganz aus dem Schematismus der päpstlichen Verwaltung; 1 die "Vorsteher der Kanzlei werden von nun an regelmäßig als Vizekanzler bezeichnet. 2 Die Vizekanzler, die mitunter aus dem niederen Kanzleipersonal aufsteigend zu diesem Amte gelangen, scheinen durchweg Gelehrte gewesen zu sein; seit den letzten Jahren Honorius' III. führen sie fast ausnahmslos den Magistertitel. In Zeiten der Vakanz des Vizekanzleramtes, die nach dem Tode Honorius' III. nur kurz sind, fungieren jetzt, wie früher, untergeordnete Kanzleibeamte als Datare. Die Liste der Datare von Honorius III. bis auf Bonifaz VIII. ist die folgende. 3 H o n o r i u s III.

1216—1227.

Wilhelmus notarius 1216 Aug. 12. ßainerius (Ranerius) prior S. Fridiani Lucani vicecancellarius 1216 Okt. 1 1 — 1 2 1 9 Sept. 14; wird 1219 Nov. 18 Patriarch von Antiochia und unterzeichnet noch 1219 Dez. 13 als R. patriarcha Antiochenus cancell. vicem agens. 4 Nachfolger gegeben wurde, am 23. Sept. 1227 noch einmal datiert, und unter Urban IV. der Vizekanzler Jordanus, der im Mai 1262 Kardinaldiakon SS. Cosmae et Damiani wird, aber bis zum Anfang Juli datiert. Vgl. P O T T H A S T 8039.

18374. 1

Wenn die Vizekanzler Wilhelm unter Honorius III. und Wilhelm, Schulmeister von Parma, unter Innocenz IV. in wenigen Urkunden eancellarii heißen ( P O T T H A S T S. 679. 1285), so ist das nur ein Überlieferungsfehler. 5 Unter Honorius III. kommt noch vereinzelt eaneellarii vicem agens vor ( 1 2 1 9 Nov. 1 9 , P B E S S Ü T T I n. 2 2 6 1 ) , sonst wird durchweg gesagt dat. per man. N. vice eaneellarii, und um die Mitte des Jahrhunderts ist das Substantiv vicecancellarius allgemein gebräuchlich. Auch spricht schon eine Weihenotiz in einem Registerbande Honorius' III. (unten N. 4) von dem officium vicecaneellariae. " Vgl. zum folgenden die Liste B A Ü M O A B T E N S , Von der apostolischen Kanzlei (Köln 1908) S. 72ff., mit Nachträgen in der Römischen Quartalschrift (1910), 40fl. Meine Liste war schon entworfen, ehe ich BADMGARTENA Buch (das bis 1295 meine Angaben in der ersten Auflage dieses Werks zugrunde gelegt hat) kennen gelernt habe, ist aber nach B A U M G A B T E N S Mitteilungen aus handschriftlichen Quellen mehrfach ergänzt und sorgfältig revidiert worden. Wo ich keine anderen Quellenangaben mache, sind die Zusammenstellungen P O T T HAST s hinter den Regesten der einzelnen Päpste zu vergleichen. 4 P B E S S Ü T T I 1, 3 7 6 und n. 2 2 6 1 ; vgl. aber BADMOARTEN S . 7 2 . Bei P O T T HAST n. 6 1 8 5 muß es statt XIII. kal. ian. heißen: XIII. kal. dee. POTTHAST n. 6591 mit Rainers Unterschrift ist in der Datierung verderbt. Nach der Notiz über Rainers Weihe zum Patriarchen ( P B E S S Ü T T I 1, 3 7 6 ) hat er das Amt des Vizekanzlers 3 Jahre 3 Monate bekleidet, ist also Mitte August 1216, bald nach

250

Päpstl.

Kantlei

im 13. Jahrh.

Vizekanzler

u. ihre

Vertreter

Wilhelmus vicecancellarius 1220 Febr. 2 4 — 1 2 2 2 Apr. 3. 1 Mag. Guido capellanus et notarius 1222 Mai 2 4 — 1 2 2 6 Mai 9. Mag. Sinibaldus auditor litterarum contradictaxum 1226 Nov. 14. G r e g o r IX.

1227—1241.

Mag. Sinibaldus (de Flisco) auditor litterarum contradictarum bis 1227 Mai 30. 2 Mag. Sinibaldus (de Fliscoj vicecancellarius 1227 Juni 8—Sept. 23. 8 Mag. Martinus archidiaconus Senensis vicecancellarius 1227 Dez. 1— 1232 Apr. 2* Mag. Bartholomaeus vicecancellarius 1232 Mai 2 8 — 1 2 3 5 März 6. 5 Frater Iosephus ordinis Florensis notarius 1235 Apr. 2 4 — Mai 22.« Mag. Guilelmus vicecancellarius et notarius 1 2 3 5 Juli 4 — 1238 Juni 30. 7 Frater Iacobus (Buoncambio) ordinis praedicatorum vicecancellarius 1239 Apr. 1 5 — 1 2 4 1 Juni 15. 8 dem Regierungsantritt Honorius1 III. ernannt worden, keinesfalls also schon unter Innocenz' III. wie PITRA, Analecta novissima X, 187 N. 2 annahm. Grundlos ist es auch, wenn PITRA zwei verschiedene Kainer unter Honorius unterscheidet. 1

PRESBUTTI n . 2339.

* Nicht Juni 30, wie BAUMOARTEN S. 74 angibt; vgl. Registres de Grégoire IX. n. 123. Am 8. Juni ist er schon Vizekanzler. Von den drei Urkunden, die POTTHAST 1, 939 noch nach dem 8. Juni von Sinibald als auditor litt, contrai, ausgestellt sein läßt, n. 7838. 950. 951, nennen die beiden ersten ihn in Wirklichkeit Vizekanzler, und mit der dritten, deren Edition mir jetzt nicht zugänglich ist, wird es nicht anders bestellt sein. * Registres de Grégoire IX. n. 100. Am 23. September ist er schon Kardinalpriester von St. Laurentius in Lucina, s. oben S. 248 N. 5. Am 13. September führt er diesen Titel noch nicht, Registres n. 154. * Registres n. 164. Gestorben 1232 Apr. 11, Ann. Senenses, MG. SS. 19, 229. 6 Registres n. 796. 2441. Er war vorher Scriptor und Notar. * Über sein Vorleben vgl. Rom. Quartalschrift a. a. 0. S. 40. 7 Registres n. 2670. 4439. Auch Guilelmus muß vorher Notar gewesen sein und hat das Notariat auch als Vizekanzler beibehalten, wie sich aus den Datierungen Wirttemb. UB. 3, 422 n. 919 und Registres de Grégoire IX. n. 4439 ergibt, vgl. BAUMQARTEN S. 75 N. 1. 8 Über sein Vorleben vgl. SUTTER, Johann von Vicenza S. 85. — In einer U r k u n d e v o m 24. M a i 1239 (POTTHAST 10747, g e d r u c k t b e i LÜNIG, R e i c h s a r c h i v

18, 320 n. 6) für Kloster Irsee datiert Bartholomäus notarius sanctae Romanae ecclesiae. Wenn hier keine Korruptel vorliegt, müßte gewiß an einen anderen Mann als den Vizekanzler, aber gleichen Namens gedacht werden, der vorübergehend den Kanzler vertreten hätte, und auf ihn würde dann auch die von BAUMGARTEX S. 74 f. angeführte Aussage Innocenz'IV. von 1243 (Registres

Päpstl. Kanzlei im 13. Jahrh.

Vizekanzler u. ihre Vertreter

251

Coelestin IV. 1241. Unterschriften des Vizekanzlers fehlen. Innocenz IV. 1243—1254. Frater Iacobus (Buoncambio) ordinis praedicatorum vicecancellarius 1243 Sept 26—1244 Juni 2.1 Mag. Marinus (de Ebulo) vicecancellarius 1244 Sept. 27—1251 Dez. 13.2 Guilelmus (de Gatadhego) magister scholarum Parmensis vicecancellarius 1251 vor Dez. 31—1254 Nov. 17. s Alexander IV. 1254—1261. Guilelmus (de Gatadhego) magister scholarum Parmensis vicecancellarius 1255 Jan. 30 1 —1256 Mai 5. Mag. Iordanus (Pironti aus Terracina) subdiaconus et notarius 1256 Juni 1 2 - J u n i 20. 6 Mag. Rolandus vicecancellarius 1256 Juni 28 8 —1257 Mai II. 7 Mag. Iordanus(Pironti) subdiaconus et notarius 1257 Aug. 13.® Mag. Iordanus (Pironti) notarius et vicecancellarius 1257 Nov. 20 —1261 Apr. 17.» d'Innocent IV. n. 151) zu beziehen sein. Daß der Vizekanzler später wieder bloß Notar gewesen wäre, was BAUMGARTEN anzunehmen scheint, ist kaum denkbar. 1 Er wird im Mai 1244 Bischof von Bologna. Am 31. Mai heißt er noch Vizekanzler (Registres d'Innocent IV. n. 720). Als er am 2. Juifi zum letzten Male datiert (Registres n. 714), nennt er sich nicht mehr Vizekanzler, hat aber das Amt gewiß noch bekleidet, da er sonst eben nicht datieren könnte. Am 24. Juni (Registres n. 741) wird er als ehemaliger Vizekanzler bezeichnet. 2 Er wird im Januar 1252 zum Erzbischof von Capua ernannt (Registres d'Innocent IV. 5516, vgl. auch Registres d'Alexandre IV. n. 551, Registres de Clément IV. n. 325). 8 Vgl. Registres d'Innocent IV. n. 8184. Salimbene (MG-. SS. 32, 420) nennt

ihn Guilielminus de Gatadhego.

Er war vorher auditor litterarum contradie-

tarurn (Registres d'Innocent IV. n. 4

1734. 1795).

Registres d'Alexandre IV. n. 129. Am 28. Juni 1256 wird er als verstorben bezeichnet (Registres n. 1381). Nach Salimbene a. a. O. starb er in Assisi. 5 War schon Notar Innocenz' IV. 6 Registres d'Alexandre IV. n. 1381. Die von POTTHAST 16411 angeführte Urkunde mit Rolands Datierung gehört zum 14. Juli, nicht zum 12. Juni 1256;

das Datum ist 11. idus iulii. 7

8

POTTHAST 1 6 8 4 1 .

Noch einmal mit diesem Titel als Datar 1258 Juli 14 in der Urkunde POTTHAST 17345, deren Datierung aber nicht korrekt sein kann. 9 Die Angabe BAUMGABTENS S. 78: bis 1261 Juli 3, wozu er Reg. Vat, Tom 25 f. 259 cap. 121 zitiert, ist mir nicht verständlich. Alexander IV ist schon am 25. Mai 1261 gestorben.

252

Päpstl. Kanzlei im 13. Jahrh.

Vizekanzler u. ihre Vertreter

Urban IV. 1261—1264. Mag. Iordanus (Pirontfi notarius et yicecancellarius 1261 Sept. 24 —1262 Juli 5.1 Mag. Michael (de Tholosa) vicecancellarius 1263 Jan. 9—1264 Juni 24. 2 Clemens IV. 1265—1268. Mag. Michael (de Tholosa) yicecancellarius 1265 Sept. 24—1268 Juni 22. 3 Gregor X. 1271—1276. Mag. Ianonus Leccacorvus4 yicecancellarius 1272 Aug. 31—1274 März 7. Mag. Lanfrancus archidiaconus Pergamensis yicecancellarius 1274 Aug. 30—1275 Apr. 13.6 I n n o c e n z V. 1176. Mag. Petrus (Peregrossus) de Mediolano yicecancellarius 1276 März 23.« Hadrian V. 1276. Eine Unterschrift des Vizekanzlers liegt nicht vor; aber Petrus ist jedenfalls im Amte verblieben. 1

Jordanus wird im Mai 1262 (nicht erst im Dezember, wie BAUMGARTEN S. 78 sagt) Kardinaldiakon SS. Cosmae et Damiani (vgl. J O B D A N , Revue d'hist. et de littérature religieuses 5, 331. 333 und Registres d'Urbain IV. n. 108 vom 22. Juni 1262). Er datiert noch am 5. Juli mit dem Titel S. R. E. diaeonus cardinalis et viceeancellarius ( P O T T H A S T 18374). 5 BAUMOARTEN S . 79 sagt: bis 1264 Juli 8 und zitiert dazu Reg. Vat. tom. 29 f. 328r, cap. 1726. Allein nach den Registres d'Urbain IV. n. 2674 steht zwar im 29. Bande der Register als n. 1726 eine Urkunde vom 8. Juli 1264, aber nicht auf f. 328 r., sondern auf f. 325 v., und wenigstens in dem hier gegebenen Regest wird Michael nicht genannt. Ich wage also nicht, die Angabe BAUMGABTEN s in die Liste aufzunehmen. — Michael war vorher

päpstlicher Kapellan und anddtor generalis causarum palatii,

vgl. Registres

d'Urbain IV. 3, 49. ' Nach BAUMGABTEN: bis 1268 Sept. 24, wozu eine Urkunde des Fondo Domenicani Instrumenta monastica im Vat. Archiv zitiert wird. Mich macht die Wiederholung des Datums des 24. Sept. etwas bedenklich: sollte hier ein Schreibfehler BAUMGABTEN s vorliegen? Daß sie bei ihm vorkommen, zeigt S. 78 N. 1, wo 16841 (statt 17345) aus S. 77 N. 6 wiederholt ist. 4 Oder Leccacorvi; der Name ist, soviel ich sehe, nur in der Genitivform belegt. 6 Vgl. Registres de Grégoire X. n. 398, Wirttemberg. Urkundenbuch 7, 359 n. 2491. 6

Vgl.

BAUMGABTEN S . 8 0 N .

1.

Päpstl. Kanzlei J o h a n n XXL Mag.

im 13. Jahrh.

Vizekanzler

u. ihre Vertreter

253

1276—1277.

Petrus (Peregrossus)

de Mediolano

vicecancellarius

1276

Okt. 1 1 — 1 2 7 7 März 6. N i k o l a u s HI. 1 2 7 7 — 1 2 8 0 .

M a r t i n IV. 1 2 8 1 — 1 2 8 5 .

H o n o r i u s IV.

1285—1287. Mag. Petrus (Peregrossus) de Mediolano vicecancellarius, zuletzt als Vizekanzler erwähnt 1286 Okt. I. 2 N i k o l a u s IV.

1288—1292.

Mag. Iohannes (Monachus) decanus Baiocensis vicecancellarius 1288 Sept. 3 — 1 2 9 2 Febr. 29. 3 C o e l e s t i n V. 1294. Johannes (de Castrocoeli) archiepiscopus cellarius 1294 Okt. 1."

Beneventanus

vicecan-

Zuerst unter Bonifaz VIII. ( 1 2 9 4 — 1 3 0 3 ) ist es wieder vorgekommen, daß ein Kardinal an die Spitze der päpstlichen Kanzlei gestellt wurde. Zu seinem ersten Vizekanzler ernannte der neue Papst 1

Nach BAÜMQARTEN S. 80. * Vgl. Registres d'Honorius IV. n. 626. — Nach den Maurinern (Nouveau traité 5, 298) fungierte Peter noch unter Nikolaus IV. Worauf die Angabe sich stützt, weiß ich nicht zu sagen; in den Regiätres de Nicolas IV. kommt er nicht als Vizekanzler vor. Er ist im Mai 1288 zum Kardinaldiakon St. Georgii ad Velum Aureum ernannt, 1289 Kardinalpriester von St. Marcus geworden und am 1. Aug. 1295 gestorben. ' Das Enddatum nach Registres de Nicolas IV. n. 6862. Johannes war schon unter Honorius IV. päpstlicher Kapellan, wurde 1293 zum Bischof von Arras und 18. Sept. 1294 zum Kardinalpriester SS. Marcellini et Petri ernannt und starb 2 2 . Aug. 1 3 1 3 ; vgl. über ihn F I N K E , A U S den Tagen Bonifaz'VIII. S. 126fi. 4 POTTHAST 23984; seine Ernennung zum Vizekanzler fällt aber schon in den September, vgl. Iacobus Stephaneschi, Vita CoelestiniV. 3, 77ff. ( M C R A TOEI SS. 3, 634). Johann wurde noch im Oktober 1294 Kardinalpriester von St. Vitalis und starb 22. Febr. 1295 (vgl. BAÜMQARTEN in der Festschrift zum elfhundertjährig. Jubiläum des deutschen Campo santo in Rom S. 161 ff.). Ob er nach seiner Ernennung zum Kardinal Vizekanzler geblieben ist, darüber fehlt es an Nachrichten. — Die Angabe F I N K E s, Aus den Tagen Bonifaz'VIII. S. 128, daß der Kardinalpriester von St. Petrus und Marcellinus die Kanzlei für kurze Zeit einem Laien, Bartholomäus von Capua, habe überlassen müssen, bedarf der Modifikation. Erstens ist nach der Chronologie Stephaneschis Johannes von Castrocoeli schon vor der Erhebung des Johannes Monachus zum Kardinalat Vizekanzler geworden; zweitens hat Bartholomäus von Capua dies Amt nie bekleidet, sondern war unter Cölestin V. nur päpstlicher Notar, s. unten.

254

Päpstliche Kanzlei unter Bonifax VIII.

Vizekanzler

den Magister P e t r u s de P i p e r n o , 1 der schon Kapellan Honorius' IV. und während der Sedisvakanz vor der Wahl Coelestins Y. Rektor des tuszischen Patrimoniums gewesen war. Er ist als Vizekanzler nachweisbar seit dem 29. März 1295,2 wurde am 17. Dezember 1295 zum Kardinaldiakon von S. Maria nova ernannt,3 blieb aber im Kanzleidienst, datierte noch am 15. März 1296 und wird noch am 15. Mai dieses Jahres Vizekanzler genannt.4 Allein schon im April dieses Jahres, als er zum Legaten in Mittel- und Oberitalien ernannt wird, führt er in den über seine Ernennung ausgefertigten Urkunden den Titel eines Vizekanzlers nicht mehr und wird in diesem Amt durch den Magister Ricciardus (Petronus) de Senis ersetzt, der zuerst am 13. August 1296 als Vizekanzler datiert 5 und als Inhaber dieses Amtes auch in der Promulgationsbulle des Liber sextus decretalium vom 3. März 1298 genannt wird, die ihm auch den Titel eines doetor iuris utriusque gibt.® Ricciardus wurde am 4. Dezember 1298 zum Kardinaldiakon von St. Eustachius ernannt,7 blieb aber, auch nachdem Petrus de Piperno an die Kurie zurückgekehrt war,8 Kanzleichef und wird als solcher noch am 15. Februar 1300 erwähnt.9 Wie lange er danach noch das Amt innegehabt hat, läßt sich aus dem bisher bekannt gewordenen Quellenmaterial nicht ermitteln; 10 jedenfalls war es nicht mehr 1

Über seinen Namen vgl. BAUMOARTEN S. 85 und über seine Stellung bei dem königlichen Vikar in Tuszien Percival von Lavagna dessen Urkunde von 1286 (MG. Const. 3, 576 n. 614), in der er als cancellarius (doch wohl des Vikars) bezeichnet wird. 8 3 Registres de Boniface VIII. n. 80. EUBEL, Hierarchia 1, 12. 4 Registres n. 965. 1211. 5 Registres n. 1163, vgl. auch n. 1477 vom 21. Dez. 1296 und n. 1839 vom 1 5 . Mai 1 2 9 7 . " POTTHAST 2 4 6 3 2 . 8

1

EÜBEL 1, 12.

Am 31. Jan. und 7. März 1298 ist von Petrus als ehemaligem Vizekanzler (tunc vieeeaneellarius) die Rede, Registres n. 2406. 2518. Wenn POTTHAST ihn als Datar am 7. Mai 1297 (n. 24511) und am 27. Juni 1298 (n. 24706) bezeichnet, so ist das irrig; die erstere Urkunde (mit 1297 und ind. 10, aber ann. pontif. 2) gehört, wenn sie überhaupt echt ist, jedenfalls in ein früheres Jahr, und die letztere nennt gar keinen Datar: Petrus wird in ihr als Zeuge erwähnt, aber ohne den Titel vieeeaneellarius. Der „eigenartige achtfache" Wechsel im höchsten Kanzleiamte (vgl. BAÜMOARTEN S. 84f., Rom. Quartalschrift 1910 S. 43 ff. und TANGL, NA. 34, 277 n. 120) existiert also gar nicht oder wenigstens nicht in diesem Umfang, und an ein Nebeneinanderwirken zweier Vizekanzler ist damals wenigstens nicht zu denken. • Registres n. 3463. Die Urkunde gehört weder zum 16. Febr., wie BAÜMOARTEN S. 83, noch zum 14., wie er Rom. Quartalschrift a. a. 0 . S. 43 meint: XV. kal. mart. ist auch im Schaltjahr der 15. Februar. 10 BAUMOAKTEN, Rom. Quartalschrift a. a. 0 . S. 45 gibt unter Bezugnahme auf Registres n. 4243 an, daß er im Frühjahr 1300 erkrankt sei. Aber die Er-

Päpstliche Kanzlei im 14. Jahrhundert.

Vizekanzler

255

im Herbst dieses Jahres der Fall, denn vom 2. Oktober 1300 haben wir eine Urkunde des Papstes, die wiederum Petrus de Piperno mit seinem Kardinalstitel und als Vizekanzler datiert hat: 1 diese zweite Ernennung Peters hat also zum ersten Male seit den Tagen Honorius' HI. wieder einen schon im Amte befindlichen Kardinal an die Spitze der Kanzlei gestellt. Doch war damit noch keine dauernde neue Ordnung der Dinge geschaffen. Denn als Petrus noch vor seinem Tode, der am 17. Dezember 1302 erfolgte,2 von seinem Amte zurücktrat, wurde der Bischof P a p i n i a n u s (de Roborea) von P a r m a zum Vizekanzler ernannt, der bereits am 17. Mai 1301 in der Adresse eines an ihn gerichteten päpstlichen Erlasses Vizekanzler heißt, 3 und, obwohl er dem heiligen Kollegium niemals angehört hat, die Leitung der Kanzlei bis zum Tode Bonifaz' VIII. und während der ganzen Regierung seines Nachfolgers Benedikts XI. (1303—1304) behielt.4 Auch unter den beiden nächsten Päpsten ist das Amt des Vizekanzlers noch kein ausschließlich kardinalizisches gewesen. Clemens V.5 (1305—1314) übertrug es zunächst dem Magister P e t r u s A r n o l d i (de P u y a n n e ) de B e a r n i o , Abt vom Kloster des h. Kreuzes zu Bordeaux, der es schon am 8. August 1305 innehatte und es auch, nachdem er am 15. Dezember 1305 8 zum Kardinalpriester von S. Prisca ernannt war, bis zu seinem Tode, der am 4. September 1306 erfolgte, behielt. Sein Tod wurde dem damals selbst in der Genesung von schwerem Leiden begriffenen Papst kuTze Zeit verheimlicht, indem man ihm nur die Erkrankung des Vizekanzlers mitteilte; Clemens beauftragte darauf P e t r u s krankung fallt nach dieser Urkunde erst in die Zeit vor 15. April 1301. Er starb erst am 10. Febr. 1314 (EUBEL a. a. 0.) vgl. über ihn FINKE, AUS den Tagen Bonifaz' VIII. S. 106 N. 1, und die dort zitierte Literatur. 1

3

R e g i s t r e s n. 3 9 0 2 = POTTHAST 2 4 9 8 1 .

!

EOBEL a. a . 0 .

Registres n. 4050. Papinian war Kapellan des Papstes und auditor causarum, Bischof von Novara seit 4. Febr. 1296 (Registres n. 914) und wurde 3. Juni 1300 nach Parma versetzt (Registres n. 3631). Seine Postulation zum Erzbischof von Tarent verwarf der Papst 13. Nov. 1301 (nicht 1300; Registres n. 4197). 4

Er wird als Vizekanzler Benedikts zuerst am 2. Nov. 1303 erwähnt (Registres de Benoit XI. n. 12; diese von BAUMGARTEN übersehene Urkunde enthält auch das letzte Zeugnis für seine Leitung der Kanzlei unter Bonifaz VIII. am 16. Aug. 1303), zuletzt am 28. Mai 1304 (Registres de Benoit XI. n. 1272, vgl. auch Regestum Clementis papae V. Prolegomena S. 77 und n. 1102). Er starb am 14. Aug. 1316. 5 Die Angaben über die Vizekanzler Clemens' V., soweit keine anderen Quellen zitiert wurden, nach Regestum Clementis papae V. 6 EÜBEL 1, 13. Nach BAUMGARTEN S. 90 soll er schon am 14. September Kardinal geworden sein.

256

Päpstl. Kanzlei im 14. Jahrh.

Vizekanzler u. ihre Vertreter.

de P o d i o d ' O r f i l a , seit 4. Juni 1306 erwählten Bischof von P a le n c i a in Castilien, zunächst vertretungsweise mit der Leitung der Kanzleigeschäfte 1 und ernannte ihn dann, nachdem er den Tod endlich erfahren hatte, zum Vizekanzler, in welcher Eigenschaft er zuerst am 13. Oktober 1306 2 erwähnt wird. Petrus, der bereits vor dem 16. September 1307 starb, ist der letzte Inhaber dieses Amtes, der nicht zum Kardinalat gelangte, aber noch nicht der letzte in der Reihe derer, die Vizekanzler wurden, ehe sie den roten Hut trugen. Sein Nachfolger A r n a l d u s Novelli, Abt des Cistercienserklosters F o n t i s F r i g i d i in der Diözese Narbonne, 3 wurde erst am 18. oder 19. Dezember 1310, ohne sein Kanzleiamt aufzugeben, zum Kardinalpriester von S. Prisca ernannt und erhielt am 7. Januar 1312 auch die Verwaltung der Titelkirche von St. Laurentius in Damaso.4 Am 14. Mai dieses Jahres wurde er als Nuntius nach England geschickt,5 blieb aber zunächst Vizekanzler, indem die Kanzleileitung einem Stellvertreter übertragen wurde.6 Erst Johann XXII. (1316—1334) scheint ihn seines Amtes enthoben oder vielmehr, da mit dem Tode des Papstes Clemens V. seine Vollmachten von selbst erloschen waren, diese nicht erneuert zu haben. Als Johanns Vizekanzler erscheint nämlich schon am 7. September 1316, also nur zwei Tage nach der Weihe des neuen Papstes, G a u c e l m u s I o h a n n i s D e u z a , Propst von St. Iunianus in der Diözese Limoges,7 der schon am 17. oder 18. Dezember des gleichen Jahres zum Kardinalpriester von St. Marcellinus und Petrus ernannt wurde. Obwohl er im März 1317 als Nuntius nach England geschickt wurde, 8 von wo er erst am 5. November 1318 zurückkehrte, 9 behielt er den Titel eines Vizekanzlers bei.10 Nichtsdestoweniger scheint auch der zu seinem Vertreter in der 1

Das ergibt sich aus dem schon von BAÜMOABTEN S. 91 angeführten Be-

r i c h t e n b e i FINKB, T e m p l e r o r d e n 2, 1 9 — 2 3 .

8

FINKE a. a. O. 2, 28.

3

Er war vorher auditor causarum palatii, Keg. Clementis papae V. n. 2262. 4 Reg. Clementis papae V. n. 8769. 8 Reg. Clementis papae V. n. 8786. 6 S. unten S. 289. Arnaldus starb 14. Aug. 1317. 7 Vgl. Lettres communes de Jean XXII. n. 208. Er war unter Clemens V. Kapellan und auditor causarum gewesen und führte den Titel eines doetor legum. Der Name wird auch in den neueren Publikationen bald Gaucelinus, bald Gaucelmus geschrieben; doch muß letztere Form die richtige sein, wenn sie, wie COULON, Lettres secrètes de Jean XXII. S. 109 zu n. 147, angibt, auf seinen Siegeln (im Nationalarchiv zu Paris) sich findet. 8 Lettres secrètes de Jean XXII. n. 147; Lettres communes n. 3133FF., 5148ff.; BLISS, Calendar of papal letters 2, 127 ff. 9

10

V g l . COÜLON a. a. 0 . n. 4 2 4 N . 6.

Daß er ihn in Schreiben, die an ihn gerichtet sind, führt, hat schon BAÜMQARTEX S. 99 bemerkt, vgl. z. B. Lettres communes de Jean XXII. n. 3650.

Päpstl. Kanzlei

im 14. Jahrh.

Vizekanzler

u. ihre Vertreter

257

Kanzleileitung bestellte B e r t r a n d u s de P o i e t t o (Pogeto, Pugeto), der gleichzeitig mit Gaucelmus im Dezember 1316 zum Kardinal ernannt worden war und den Presbytertitel von St. Marcellus erhalten hatte, zum Vizekanzler ernannt worden zu sein; im 5. Bande des Avignonesischen Registers Johanns XXII. tragen mehrere Quaternionen den Vermerk domini Berlrandi, einer aber ist mit dem Vermerk quaternus lüterarum domini Berlrandi vicecaneellarii versehen, und auch andere Gründe sprechen dafür, daß Bertrand diesen Titel wirklich geführt hat. 1 Es wird also damals wohl die Anschauung bestanden haben, daß, wenn die Vertretung des Vizekanzlers einem Kardinal übertragen wurde, was nicht immer, ja in der Regel nicht zu geschehen pflegte, der Vertreter auch auf Titel und Rang des Vizekanzlers Anspruch machen konnte: wie es aber damals mit den Einkünften, die dem Kanzleichef zustanden, gehalten wurde, darüber fehlt es uns noch an Nachrichten. Nach Gaucelms Rückkehr aus England hat Bertrand das Amt wieder an seinen Vorgänger abgegeben; 2 Gaucelm wird wieder als Aber auch er selbst bezeichnet sich so, vgl. z. B. die Urkunde d. d. London 1318 Mai 5 bei L A N G , Acta Salzburgo-Aquilegensia S. 31 n. 17*. 1 Uber die Registerbezeichnung vgl. SCHNEIDER und K Ä S E R , Wirttemberg. Geschichtsquellen 2, 360. BAÜMQARTEN S . 97f., der die Vertretung des Vizekanzlers durch Bertrand aus seinen Funktionen bei den Prüfungen der Tabellionen mit Recht erschlossen hat, ist dies wichtige Zeugnis ebenso entgangen wie die Notiz in dem Formularbuch des Cod. Barberini XXXi. 11 (Histor. Jahrbuch 14, 817f.), wo es heißt: et sie servatum fuit tempore, quo oardinalis Albus erat vicecaneellarius et magister Manuel regebat oancellariam (s. unten S. 289). Tempore vero cardinalis de Pugeto servatum fuit . . . . et etiam tempore domim Petri tituli saneti Stephani in Celiomonte presbiteri oardinalis Auch hier scheint Bertrand nicht dem regens oancellariam Manuel, sondern den Vizekanzlern Arnaldus de Bearnio und Petrus Letessier gleichgestellt zu sein. Unter diesen Umständen sind auch die Stellen, die BADMQARTEN S. 98 bespricht, anders zu beurteilen, als er getan hat. Wenn der aragonesische Vizekanzler, der im Februar und März 1318 in Avignon war, am 22. März dieses Jahres aus Perpignan schreibt: vicecaneellarius dixit mihi ( F I N K E , Acta Aragonensia S. 473; diese besonders wichtigen Worte hat BADMQARTEN allerdings nicht zitiert), so kann sich das nur auf Bertrand beziehen, und der Spanier hat gewiß nicht seinem Kollegen an der Kurie einen Titel gegeben, der ihm nicht zukam. Demnach sind auch die Vermerke zu Lettres communes de Jean XXII. n. 4034. (vom 7., nicht 6., Juni 1317), 5243. 5244 (vom 10. Mai 1317), 8297 (vom 8. Aug. 1318) als Belege dafür aufzufassen, daß Bertrand Vizekanzler war. 2 Der Fall ist also ganz ähnlich wie der oben S. 255 N. 1 für die Zeit Bonifaz'VIII. konstatierte; nur hat damals die Zurückgabe des Amtes an Petrus de Piperno erst längere Zeit nach seiner Rückkehr von der Legationsreise stattgefunden. l i r e ß l i u i , U r k u n d e n l e h r e . 3. Anfl. I .

17

258

Päpstl. Kanzlei im 14. Jalirh.

Vizekanzler u. ihre Vertreter

Vizekanzler genannt und ist als solcher tätig gewesen; 1 zum letzten Male wird ihm der Titel am 9. Januar 1319 beigelegt.2 Im März 1319 ist er dann abermals mit einer diplomatischen Mission nach Flandern betraut worden,3 die ihn längere Zeit von der Kurie fernhalten mußte, und nun ist er endgültig aus dem Kanzleidienst ausgeschieden.4 Zu seinem Nachfolger wurde P e t r u s T e x t o r i s (Letessier), doctor decretorum, seit dem 27. März 1318 Abt des Klosters St. Saturninus zu Toulouse,5 ernannt, der am 23. Mai 1319 zuerst als Vizekanzler nachweisbar ist 6 und am 19. oder 20. Dezember 1320 zum Kardinalpriester von St. Stephanus in Coelio monte erhoben wurde. Letessier, der in der Woche zwischen dem 17. und 24. März 1325 gestorben ist,7 war der letzte, der das Amt des Vizekanzlers vor der Ernennung zum Kardinal erhalten hat; von nun an sind nur noch Männer, die dem heiligen Kollegium bereits angehörten, an die Spitze der Kanzlei gestellt worden. Obgleich es nun nahe gelegen hätte, diese Kardinäle wieder, wie im 12. Jahrhundert geschehen war, als Kanzler zu bezeichnen, hat man doch an dem Vizekanzlertitel festgehalten, 8 sei es lediglich einer festgewurzelten Gewohnheit folgend, und ohne sich über die Bedeutung der Tatsache, daß der Vizekanzlertitel, wenn es prinzipiell keinen Kanzler gab, eigentlich sinnlos war, Rechenschaft abzulegen, sei es weil 1

2

Vgl.

BAUMGARTEN

S.

99.

Lettres communes de Jean XXII. n. 8795. Bei späteren Erwähnungen im Register vom 15. und 25. Januar (n. 8822. 8877) und vom 21. März 1319 (n. 9102) fehlt der Titel, woraus aber noch nicht folgt, daß er das Amt nicht mehr bekleidet hat. 8 Lettres secrètes de Jean XXII. n. 800ff.; in n. 800 außerordentliches Lob seiner Person. 4 Er starb 1348 als Kardinalbischof von Albano. 5 Lettres communes de Jean X X I I . n. 6758, vgl. Lettres secrètes n. 581. — Die Annahme C I A M P I N I S , daß Letessier schon 1317 zum Vizekanzler erhoben sei, ist irrig und wird abgesehen von anderem schon durch das widerlegt, was wir über seine Tätigkeit in den Jahren 1317 und 1318 wissen, vgl. C O D I O N , Lettres secrètes de Jean X X I I . n. 161 N. 8, und B A U M G A R T E N S . 99f. 6 Lettres communes de Jean XXII. n. 9742. 7 Vgl. B A U M G A R T E N S . 9 9 , der hier seine früheren Angaben ( B A U M G A R T E N , Aus Kanzlei und Kammer S. 214f., wo konsequent 1324 statt 1325 geschrieben war) verbessert. 8 Der Annahme B A U M G A R T E N S S. 144 (vgl. auch T A N Q L , KO. S. XV), es sei dafür der richtige Gedanke maßgebend gewesen, daß der Papst, als die urkundende Persönlichkeit, auch gewissermaßen die oberste Leitung seiner Kanzlei in der Hand behalten müsse, kann ich mich nicht anschließen. Auch ist sie dadurch in sehr authentischer Weise widerlegt, daß Pius X. im Jahre 1908 den Vizekanzlertitel abgeschafft und dem Chef der Kanzlei die Bezeichnung cnncellarhis zurückgegeben hat.

Püpsll.

Kanzlei

im 14. Jahrh.

Vizekanzler

u. ihre Vertreter

259

man sich die Möglichkeit, gelegentlich wieder dem Kardinalkollegium nicht angehürige Prälaten zu Kanzleichefs zu berufen, noch offenhalten wollte. 1 Nach Letessiers Tode blieb das Vizekanzleramt einige Wochen unbesetzt und die Kanzlei hat in dieser Zeit keine Urkunden ausgefertigt. 2 Der Papst hatte die Absicht, seinen Vertreter am französischen Hofe, Johannes d'Arpadola, 3 zum Kanzleichef zu ernennen, und man nahm am 12. April 1325 in Avignon an, daß er in der nächsten Zeit dort eintreffen werde. Allein die Absicht wurde — wir wissen nicht, aus welchem Grunde — aufgegeben, und im Laufe der Woche vom 14. bis 21. April wurde P e t r u s de P r a t i s (des Prés), vorher Professor des bürgerlichen Rechts in Toulouse und päpstlicher Kaplan sowie auditor causarum, seit 31. März 1318 Bischof von Riez, seit 11. September dieses Jahres Erzbischof von Aix, seit 19. oder 20. Dezember 1320 Kardinalpriester von St. Pudentiana, seit 25. Mai 1323 Kardinalbischof von Palestrina, zum Vizekanzler ernannt, 4 der das Amt bis zum Tode Johanns XXII., 5 während des ganzen Pontifikats seiner Nachfolger Benedikts XII. (1334 bis 1342) 6 und Clemens'VI. (1342—1352) und fast während der ganzen 1 Vgl. HINSCHIUS 1, 440. Erst Clemens VII. hat 1532 mit dem Amt des Vizekanzlers den Kardinalstitel von S. Lorenzo in Damaso ständig verbunden. * BAÜMGARTEN, Aus Kanzlei und Kammer S. 215, vgl. BAUMOARTEN, Von der apostolischen Kanzlei S. 103. ' So wird der Name wohl zu schreiben sein. In dem Bericht des aragonesischen Gesandten t aus dem wir das erfahren, wird er en la casa del rey de Franç.a fer lo papa proeurador genannt ( F I N K E , Acta Aragonensia S . 809). 4 Vgl. über seine Stellungen unter Johann XXII. Lettres communes de Jean XXII. n. 4865. 5686. 6788. 8409; Lettres secrètes n. 222 N. 2. Das von BAUMOARTEN S. 104 angegebene Datum seiner Ernennung zum Bischof von Kiez (31. Mai 1318) ist irrig. 6 Als Vizekanzler des von Ludwig dem Bayern eingesetzten Gegenpapstes Nikolaus V. ( 1 3 2 8 — 1 3 3 0 ) bezeichnet E U B E L , Hist. Jahrb. 1 2 , 2 7 9 , Johannes Jacobi (Sciarrae) von Colonna, ohne einen Beleg anzuführen. BAUMGARTEN S. 1 0 4 vermutet, daß der von Nikolaus ernannte Kardinal Paulus de Viterbio das Amt bekleidet habe. 6 Unter Benedikt XII. hat Petrus die Prüfungen der Tabellionen, die in dieser Zeit regelmäßig vom Vizekanzler abgenommen werden, vom 12. März 1335 ab geleitet; vgl. Lettres communes de Benoit XII. n. 1538. In den Briefregistern Benedikts erscheint er oft, aber zumeist nur mit seinem Kardinalsund ohne den Vizekanzlertitel. — Die Angabe C I A M P I N I S , daß die Tätigkeit Peters als Vizekanzler dadurch unterbrochen gewesen sei, daß Bertrandus de Deucio, Erzbischof von Embrun, das Amt von 1337—1343 bekleidet habe, ist durchaus unglaublich, obwohl sie durch das (wohl erheblich jüngere) Epitaphium Bertrands (CIACONIDS 2, 474) gestützt wird. Sichere Zeugnisse 17*

260

Päpstl.

Kanzlei

im 14. Jahrh.

Vizekanzler

u. ihre

Vertreter

Regierung Innocenz' VI. (1352 — 1 3 6 2 ) 1 beibehielt; ob er es bis zu seinem Tode, der im Jahre 1361 erfolgte, innegehabt, oder kurz vorher niedergelegt hat, müssen wir noch dahingestellt sein lassen. 2 Zu seinem Nachfolger bestellte Innocenz VI. im Mai oder Juni 1361 seinen eigenen Neffen P e t r u s de M o n t e r u c o , der päpstlicher Notar und Kapellan gewesen, am 20. November 1 3 5 5 zum Bischof von Pampelona erwählt und am 23. Dezember 1356 zum Kardmalpriester von St. Anastasia erhoben worden war. Er blieb nicht nur bis zum Tode Innocenz' VI. Vizekanzler, sondern er wurde auch von Urban V. ( 1 3 6 2 bis 1370) und Gregor VI. (1370 — 1378) im Besitze des Amtes belassen. 3 Als dieser Papst im Jahre 1376 Avignon verließ und nach Rom übersiedelte, wo er im Januar 1377 eintraf, begleitete der Vizekanzler den Papst nicht, sondern blieb in Avignon zurück, und B a r für eine Wirksamkeit Bertrands als Vizekanzler sind bisher nicht bekannt geworden; und sodann war Bertrand bei seiner Erhebung zum Kardioalpriester (18. Dez. 1 3 3 8 ) von St. Marcus nach der Vita Benedicti X I I . (BALCZB 1, 2 1 6 ) nicht Vizekanzler, sondern auditor litterarum eontradictarum. Es wird wohl, wie auch BAUMGARTEN S. 1 0 5 annimmt, eine Verwechselung mit Bertrandus de Poietto vorliegen. 1 Unter Clemens erscheint Petrus schon am 31. Mai 1342 als Vizekanzler (Lettres closes etc. de Clément VI. n. 9 4 — 1 5 3 ) ; er wurde damals zum Nuntius für Frankreich und England ernannt, blieb aber Vizekanzler und kehrte schon im Frühjahr 1343 zurück. Am 4. April 1343 hat er ein als Formular in das Kanzleibuch aufgenommenes Privileg für den Benediktinerorden datiert (TANGL KO. S. 304 n. 103) und wird seitdem häufig als Vizekanzler erwähnt, auch in den Supplikenregistern, vgl. z. B. BERLIÈRE, Analecta Vaticana-Belgica 1, n. 757. 1042. 1168. 1170; TANGL, KO. 317. 329. 336. 355. Eine Kanzleiverordnung von ihm vom 11. Mai 1347 hat TEIGE, MIÖG. 17, 440, mitgeteilt. 2 Nach den Feststellungen BAUMGARTENS S. 1 0 7 hat er die Tabellionatsprüfungen bis zum 7. Mai 1361 wahrgenommen, während sein Nachfolger Petrus de Monteruco am 29. Juni dieses Jahres die Prüfungen übernimmt. Wenn nun, wie man allgemein annimmt, Petrus de Pratis am 30. Sept. 1361 gestorben wäre, so müßte er, wie auch BAUMGABTEN S. 1 0 7 glaubt, einige Monate vor seinem Tode seines Kanzleiamtes enthoben sein. Allein jenes Todesdatum kann nicht richtig sein, da schon am 19. Sept. 1361 über ein durch seinen Tod erledigtes Beneficium anderweit verfügt wird (vgl. Buss, Calendar of entries in the papal registers. Petitions 1, 321. 376). Danach halte ich es einstweilen nicht für ausgeschlossen, daß er schon vor dem 29. Juni gestorben und das Vizekanzleramt bis zu seinem Tode behalten hat. 3 Vgl. z . B . MIÖG. 8 , 9 9 N . 1 ; OTTENTHAL, Reg. cancell. S . 1 4 ; KIRSCH, Die Rückkehr der Päpste Urban V. und Gregor XI. nach Rom S. 18 n. 33; PASTOR, Gesch. der Päpste 1», 681 n. 11; BROM, Bullar. Traiect. 2, 231 n. 2114. Andere Zeugnisse für seine Wirksamkeit bei BAUMGARTEN S . 108 ff. Über die von ihm mit der Unterschrift P. Pampil[onensis] signierten Originalsuppliken aus der Zeit Urbans V. und Gregors XI. vgl. unten.

Päpstl. Kanzlei im 14. Jahrh.

Vizekanzler u. ihre Vertreter

261

tholomaeus P r i g n a n o , seit 22. März 1363 Erzbischof von Acerenza, dann seit 13. Januar 1377 Erzbischof von Bari, der 1378 Papst Urban VI. wurde, leitete als sein Stellvertreter die Kanzleigeschäfte.1 Nach dem Ausbruch des Schismas bemühten sich sowohl Urban VI. (1378—1389) wie Clemens VII. (1378—1394) eine Zeitlang, den einflußreichen Vizekanzler für ihre Sache zu gewinnen; beide erkannten ihn als Kanzleichef an und ließen nur Stellvertreter an seiner Statt fungieren.2 Petrus, der eine Zeitlang geschwankt hatte, entschied sich bald für den französischen Papst und blieb bis zu seinem Tode (30. Mai 1385) Vizekanzler Clemens' VII. 3 Sonach haben wir von nun an römische und avignonesische Vizekanzler zu unterscheiden. In Rom hatte Urban zunächst einen Neffen des Vizekanzlers Petrus, R a i n u l f u s (oder Ramnulfus) de Gorsa, 4 seit 16. Januar 1370 Bischof von Sisteron, seit 18. September 1378 Kardinalpriester von St. Pudentiana, mit der stellvertretenden Leitung der Kanzlei betraut; da dies Vertretungsverhältnis noch im April 1380 bestand,6 scheint Urban damals die Hoffnung, den Vizekanzler auf seine Seite hinüberzuziehen, noch nicht aufgegeben zu haben. Dann aber — vor dem 1. Juni 1381 — ist Rainulf zum Vizekanzler ernannt, worden; 1

S. unten S. 290. ClemensVII. zuerst N i c o l a u a B r a n c a c e i o , seit 18. Jan. 1377 Erzbischof von Cosenza, dann, nachdem dieser am 16. Dez. 1378 Kardinalpriester von S. Maria Trastevere geworden war, seit 4. Jan. 1379 A e g i d i u s B e l l e m e r , päpstlichen Kapellan und auditor litterarum eontradictarum (vgl. OTTENTHAL, Reg. cancell. S. 90 n. 2); Urban VI. Rainulfus (oder Ramnulfus) de Gorsa, der nachher Vizekanzler wurde, s. oben im Texte. a In seiner letzten Krankheit wurde er durch den correetor litterarum apostoliearum P o n t i u s B e r a l d i in der Kanzleileitung vertreten, vgl. BAUM2

GARTEN S. 126. 4

Vgl. über ihn ALBAN£S, Gallia christiana novissima 1, 738. Das ergibt sich aus dem Schlußsatz des Liber cancellariae des Dietrich von Niem, TANQL, KO. S. LXV, ERLEB, Liber cancellariae S. 204, in dem Rainulf als regem officium eancellarie in absentia . . . Petri tt. S. Anastasie presb. cardinalis vicecaneellarii S. R. E. bezeichnet wird. Was BADMGARTEN S. I I I über diesen Satz bemerkt, ist mir unverständlich. Der Satz ist, wie sein erstes Wort zeigt, geschrieben, als das Kanzleibuch beendet war, und da nun ausdrücklich gesagt wird, daß das Buch im April 1380 begonnen und beendet (•ineeptus et perfectus) sei, so ist auch der Anfang des Schlußsatzes in diesem Monat aufgezeichnet worden Von einem „nachgetragenen Datum" kann also gar keine Rede sein. Auch in einer Verordnung, die nach Abschluß des Kanzleibuches, also frühestens im April 1380 erlassen ist (TANGL, KO. S. 131), bezeichnet sich Rainulf noch als stellvertretender Kanzleichef. Warum BAUMGARTEN S. 112 bei der Erwähnung dieses Erlasses von zwei Verordnungen Rainulfs spricht, weiß ich nicht. 5

262

Päpsll. Kanzlei im 14. Jahrh.

Vizekanzler u. ihre Vertreter

von jenem Tage haben wir ein von ihm in dieser Eigenschaft datiertes Privileg. 1 Schon im folgenden Jahre wurde aber das Amt durch den Tod Rainulfs, der am 15. August 1382 starb, wieder erledigt, und Urban übertrug es wahrscheinlich sogleich dem F r a n c i s c u s H o r i c o t t i (Prignano), der 1362—1380 Erzbischof von Pisa gewesen, am 18. September 1378 zum Kardinalpriester von St. Eusebius und im Juli 1380 zum Kardinalbischof von Palestrina ernannt worden war; nachweisbar ist er als Vizekanzler bisher zuerst am 1. Mai 1385. 2 Franciscus behielt das Amt des Kanzleichefs auch unter Bonifaz IX. (1389—1404), in dessen Registern er sehr oft vorkommt, bis zu seinem Tode, der am 6. Februar 1394 erfolgte. Demnächst ist das Amt des Vizekanzlers mehr als zehn Jahre lang bis zum Tode Bonifaz' IX. unbesetzt geblieben. Während dieser ganzen Zeit fungierte der Notar B a r t h o l o m a e u s F r a n c i s c i (de la Gapra), Propst von S. Stefano zu Prato in der Diözese Pistoia, als stellvertretender Kanzleileiter,3 und erst Innocenz VII. hat — wahrscheinlich nachdem Bartholomaeus gestorben war 1 — am 29. August 1405 5 wieder einen Vizekanzler ernannt. Es war A n g e l u s A c c i a i u o l i , seit 1383 Bischof von Florenz, seit 17. Dezember 1384 Kardinalpriester von 1 Angeführt von BAUMGARTEN S. 111. Zum 11. Sept. 1 3 8 1 ist im Kanzleibuch ( E R L E B S. 205) die Rezeption eines Kanzleibeamten per dominum vicecancellarium erwähnt. Das ist also natürlich Rainulf. 2 Vgl. O T T E N T H A L , Reg. cancell. S . 5 2 n. 2 7 . BAUMGARTEN S . 1 1 2 hat dies Zeugnis anscheinend nicht beachtet, folgert aber aus einer Notiz zum 22. Okt. 1385, die er anführt, mit Recht, daß er schon längere Zeit vor dem letzteren Datum Vizekanzler gewesen sei. CIAMPINI nennt ihn zu 1 3 8 3 regens cancellariam, führt aber keinen Bele^ dafür an. 3 Ich kann ihn zuerst am ]. April 1394 ( E R L E R , Liber cancellariae S. 204) nachweisen. Eine fortlaufende Reihe von Einträgen, die er ins Kanzleibuch gemacht hat ( E R L E R a. a. 0. S. 210 ff.), beginnt am 2. Mai 1394 und endet am 2 8 . März 1 4 0 5 ( E R L E R S . 2 1 4 unten; anno primo ist aus dem vorhergehenden Absatz zu ergänzen). BAUMGARTEN S. 1 1 4 führt noch ein Zeugnis vom 29. April 1405 an. — Bartholomäus war schon unter Urban VI. im Jahre 1381 vorübergehend (wohl während einer kurzen Abwesenheit Rainulfs von der Kurie) regens cancellariam gewesen, MIOG. 13, 105 n. 264. 4

6

A m

7. J a n . 1 4 0 6

war

er

tot,

vgl.

BAUMGARTEN

S.

115.

Von diesem Tage datiert seine Ernennung, vgl. E U B E L , Hierarchia catholica 1 , 2 3 N. 8 und B A U M G A R T E N S . 1 1 6 . Die früher allgemein herrschende, auch von mir in der ersten Auflage dieses Buches adoptierte und von B A U M GARTEN noch jetzt festgehaltene Ansicht, daß Angelus schon seit 1 3 9 4 Vizekanzler gewesen wäre, ist irrig. Es gibt vor dem 29. Aug. 1405 kein Zeugnis dafür, alle Kanzleigeschäfte werden von Bartholomäus wahrgenommen, alle die Kanzlei betreffenden Befehle des Papstes ergehen an ihn, er hat die Tabellionen geprüft, und in einem Notariatsinstrument vom Jahre 1418 wird er geradezu

Päpstl. Kanzlei im 15. Jahrh.

Vizekanzler u. ihre Vertreter

263

St. Laurentius in Damaso und seit 1397 Kardinalbischof von Ostia, der am 31. Mai 1408 starb und bis zu seinem Tode im Amte blieb.1 Inzwischen war am Hofe von Avignon auf Petrus de Monteruco im Jahre 1385 J a c o b u s de M e n t h o n a y (Mentonayo, Mentoniaco), seit 23. Dezember 1383 Kardinalpriester von S. Marcellinus und S. Petrus, als Vizekanzler gefolgt.2 Er starb am 16. Mai 1391 und wurde in seinem Kanzleiamte durch J o h a n n e s de B r o n i a c o (de Brogny), seit 11. August 1382 Bischof von Viviers, seit 12. Juli 1385 Kardinalpriester von S. Anastasia ersetzt,3 der auch unter Benedikt XIII. (1394 —1424) im Amte blieb und von ihm am 2. Juni 1405 zum Kardinalbischof von Ostia ernannt wurde.4 Er trennte sich 1408 von Benedikt XIII., schloß sich dem Pisaner Konzil an, nahm an der Wahl Alexanders Y. teil, 5 wurde von ihm als Vizekanzler bestätigt und blieb auch unter Johann XXIII., nach dessen Absetzung bei dem Konstanzer Konzil und nach der Wahl Martins V. (1417 —1431) unter diesem Papst im Amt bis zu seinem Tode, der am 16. Februar 1426 eintrat. 6 vicecancellarius genannt

( E R L E R , Dietrich von Nieheim, Anhang S. 27 n. 12), was freilich irrig, aber sehr bezeichnend ist. Auch schließt der Wortlaut der Notiz über die Ernennung des Angelus den Gedanken, daß es sich 1405 nur um eine „Bestätigung im Amte" handele, wie B A U M G A R T E N S. 116 schreibt, völlig aus. Daß gerade Bonifaz IX. das Amt des Vizekanzlers jahrelang unbesetzt ließ, ist übrigens wohl begreiflich — gewiß blieb so ein Teil der reichen Einkünfte, die es trug, zur Verfügung des Papstes. 1 Vgl. E Ü B E L 1, 3 5 . 2 , 3 2 3 . Als sein Stellvertreter erscheint 1 4 0 6 BrStnda C a s t i g l i o n i , Bischof von Piacenza, vgl. B A U M G A R T E N S. 1 1 7 . 4 B A U M G A R T E N S. 1 2 7 weist ihn in den Registerbüchern Clemens' VII. am 28. Mai 1386 nach; in den Reg. cancell. Clemens' VII. kommt er am 25. Juni 1387 vor ( O T T E N T H A L S. 1 2 1 n. 1 3 6 ) . Undatiert ist eine Beglaubigungsnotiz von ihm bei O T T E N T H A L a. a. 0 . S. 1 1 7 n. 1 1 9 , die B A U M G A R T E N S. 1 2 6 mißverstanden hat, indem er aus ihr folgert, daß Jacobus schon am 27. Dez. 1383 in Kanzleiangelegenheiten tätig gewesen sei. Von diesem Tage datiert die Kanzleiregel, deren Abschrift aus einem Liber regularum Jacobus beglaubigt (vgl. O T T E N T H A L S. X X X I V N. 1); wann die Beglaubigung erfolgt ist, wissen wir nicht. 8 Bisher nachweisbar als Vizekanzler zuerst am 1 5 . Mai 1 3 9 2 ( O T T E N T H A L a. a. 0 . S. 1 2 2 n. 1 4 0 ) . Eine ihm gewidmete Abhandlung von D U H A M E L , Le Cardinal de Brogny, son origine, sa famille, ses alliances in der Revue Savoisienne vom Jahre 1 9 0 0 , die E H R L E in der Ausgabe der Chronik Alpartils S. 2 1 0 X . 1 anführt, ist mir nicht zugänglich. * OTTENTHAL S . 1 2 4 ; BAUMGABTEN 6 Vgl. M A N S I , Concil. 2 7 , 3 3 1 . 6

Vgl.

OTTENTHAL

a. a.

0.

S. 160

S. 128;

n. 1,

EUBEL

171

1,

n. 1,

35.

187

n. 1,

230

n.

168;

S. 123; T A N G L , KO. S. 147. 160. 165. — Benedikt XIII. hat ihn und die anderen abgefallenen Kardinäle am 21. Okt. 1409 abgesetzt (Alpartils Chron. ed. E H R L E S. 199 N. 2). Einen Vizekanzler scheint er damals nicht ernannt zu haben; als regentes cancellar-iam fungieren bei ihm in der Zeit nach BAUMGARTEN

264

Päpstl. Kanzlei

im 15. Jahrh.

Vizekanzler

u. ihre

Vertreter

Schon drei Tage danach wurde F r a n c i s c u s de M e e z , Abt des Klosters St. Eugendus (Saint-Oyen-de-Joux) im Jura zum stellvertretenden Kanzleichef bestellt, der auch schon vorher im Jahre 1422 den abwesenden Vizekanzler kurze Zeit vertreten hatte. 1 Dieser wurde am 4. März 1426 zum Bischof von Genf ernannt, blieb aber in der Kanzlei und wurde hier erst am 3. Mai 1428 durch G e r a l d u s F a i d i t ersetzt, der

dem Abfall Johanns von Brogny (vorher begegnet so am 14. Juli 1407 in Marseille F r a n c i s c u s L a n d o [so wird bei OTTENTHAL a. a. 0. S. 154 n. 157 nach BAUMGARTEN S . 136 statt Lauda zu lesen sein], der sich presidens caneellarie nennt und vom 14. Apr. 1406 bis 28. Dez. 1407 pro domino vicecaneettario Bullen signiert, und am 1. Dez. 1407 in Savona H a i m e r i c u s N o e l , Bischof von Condom, der einen Eintrag ins Kanzleibuch anordnet, OTTENTHAL a. a. 0 . S. 154 n. 159): 1. J o h a n n e s de C o s t a , seit 6. April 1405 Bischof von Chälonssur-Saöne, seit 10. März 1408 Bischof von Mende, der nach BAUMGARTEN S . 131 (vgl. S. 136) schon am 17. Okt. 1408 als regens caneellariam erwähnt wird, in den Kanzleiregeln Benedikts noch am 1. März. 1409 in dieser Stellung erscheint (OTTENTHAL a. a. 0 . S. 156 n. 162*) und am 4. Mai d. Jahres die Kurie verließ, um sich als Gesandter Benedikts nach Pisa zu begeben (Alpartils Chron. Actitatorum ed. E H R L E S. 187); 2. der Protonotar G u i g o (Hugo) F l a n d r i n i , Erzdiakon von Majorca, der zuerst am 25. Okt. 1409 Regens genannt wird ( O T T E N THAL a . a . O . S. 157 n. 166, vgl. n. 167. 1681, aber das Amt wahrscheinlich schon am 21. April d. J. bekleidete (ebenda S. 158 n. 171). Er war auch mit der Leitung der audienlia litlerarum contradictarum beauftragt. Als er sich im Jan. 1418 von der Kurie Benedikts entfernte, trat 3. A n t o n i u s , Erzbischof von*Kreta (vorher bis 24. Jan. 1416 Bischof von Malta) an seine Stelle, der am 23. März 1419 als regens caneellariam bezeichnet wird und noch 1422 dem abgesetzten Papste anhing (BAUHGARTEN S. 132; E D B E L 1, 224 N. 10). Wenn in den von BAUMQARTEN S. 135f. mitgeteilten Registernotizen 1409 und 1410 ein dominus presidens, 1411 — 1418 ein dominus vicecancellarius erscheint, so kann mit den ersten Notizen nur Guigo Flandrini gemeint sein (nicht, wie BAUMOARTEN S. 136 annimmt, Franciscus Lando). Ob dann 1411 —1418 noch ein Vizekanzler ernannt ist, oder ob Guigo mißbräuchlich so bezeichnet wird, läßt sich einstweilen noch nicht entscheiden. Daß Guigo wirklicher Vizekanzler geworden wäre, ist nicht anzunehmen, vgl B A U M GARTEN S. 132 und Archiv für Literatur- und Kirchengesch, des Mittela l t e r 7, 694. — Auch bei Gregor XII. ist nach dem Tode Acciaiuolis ein Vizekanzler nicht mehr nachweisbar Als regens caneellariam begegnet 1408 -1413 N i c o l a u s ( V i v a r i ) d £ V i n c i o n e , seit 21. Mai 1395 Bi.chof von Ferentino, der 1410 Bischof von Spoleto und am 29. Mai dieses Jahres mit der Verwaltung der Diözese von Palestrina beauftragt wurde. Er wuide vom 3. Aug 1409 an, als er sich auf einige Zeit von der Kurie entfernte, durch den Protonotar R o t h e r i u s de B a l h o r n vertreten, der am 19. Jan. 1413 zum wirklichen Regens ernannt zu sein scheint, vgl. BAUMGARTEN S. 118f.; OTTENTHAL a. a. 0. S. 87 n. 12; E Ü B E L 1, 256 N. 5; 1, 486 N. 6. 1 Vgl. OTTENTHAL a. a. O . S . 2 3 0 n. 168 und S . 222f. n. 132. 135ff. sowie BAUMGARTEN

S. 137F.

Päpstl. Kanzlei im 15. Jahrh.

Vizekanzler u. ihre Vertreter

265

am 5. Juni 1424 zum Bischof von Montauban, am 10. September 1425 zum Bischof von Saint-Lizier (Conserans) ernannt worden war und bis zum Tode Martins V. sein Amt behielt.1 Auch unter Eugen IV. (14B1—1447) dauerte das Interregnum in der Kanzlei fort; nur trat an die Stelle des Bischofs von Saint-Lizier der Patriarch B l a s i u s Molino von G r a d o , 2 der am 20. Oktober 1434 zum Patriarchen von Jerusalem ernannt wurde und bis zum 3. Juli 1435 als regens cancellariam nachweisbar ist.8 Erst in diesem Jahre oder im Anfang des nächsten wurde das Amt des Vizekanzlers durch die Ernennung des J o h a n n e s de R u p e s c i s s a (de la Koche taillée), seit 24. Mai 1426 Kardinalpriester von S. Laurentius in Lucina wieder besetzt,4 der am 28. Januar 1436 zuerst Vizekanzler genannt wird.6 Nach seinem Tode (24. März 1437) wurde der Neffe des Papstes Eugen, F r a n c i s c u s C o n d u l m a r u s sein Nachfolger, 6 der seit 19. September 1431 Kardinalpriester von St. Clemens war 7 und um 1445 zum Kardinalbischof von Porto erhoben wurde. Nikolaus V. (1447—1455) beließ ihn in seiner Stellung; 8 er starb am 30. Oktober 1453.9 1

Vgl.

OTTENTHAL a . a . 0 .

S. 2 3 2

n. 187.

237

11. 2 1 0 ; E U B E L

1,

363.

* 1410—1420 Bischof von Pola, dann Erzbischof von Zara, seit 17. Okt. 1427 Patriarch von Grado. 8

1

V g l . OTTENTHAL a . a . 0 . S . 2 3 8

n . 1, 2 5 4

n. 106;

BAUMGARTEN S . 1 3 9 N .

2.

Sein Ernennungspatent, Reg. Vat. tom. 370 f. 213 (vgl. MIÖG. Erg. 1, 447

N. 1), scheint undatiert zu sein. Er war bis 1412 corrector litterarum apostoltearum unter Johann XXIII., wurde dann Patriarch von Konstantinopel, ferner auch Administrator der Diözesen Saint-Papoul, Genf und Paris und am 26. Juni 1423 Erzbischof von Rouen, dessen Verwaltung er bis 1431 auch nach seiner Ernennung zum Kardinal beibehält. Seit 1429 war er auch Administrator der Erzdiözese Besançon. 1421 hatte er den abwesenden Vizekanzler Johann von Brogny einige Monate als regens ecmcellariam vertreten, B A U M OARTEN S .

137.

" BAUMGABTEN S . 1 3 9 , v g l . E U B E L 2 , 6 N . 1 . 9 Ernannt am 1. Mai 1 4 3 7 , vgl. MIÖG. Erg. 1 , 4 5 2

N. 1 und BAUMGARTEN N. 2 . Vorher war er Protonotar. Über die von ihm als Kardinal verwalteten Diözesen vgl. BAUMGABTEN S. 1 4 1 . 8 OTTENTHAL, Kanzleiregeln S. 255. 9 Als regentes cancellariam sind während seiner Abwesenheit auf einer Legationsreise nach der Türkei 1444—1446 (er kam am 15. Febr. 1446 zurück) nachweisbar 1. C h r i s t o p h e r u s de S a n c t o M a r c e l l o , Bischof von Rimini, seit 18. Sept. 1444 Bischof von Siena, gestorben im November dieses Jahres, 2. H o n u f r i u s F r a n c i s c u s , seit 1437 Bischof von Melfi, der schon am 24. Okt. 1444 neben Christopherus und dann allein die Kanzleigeschäfte leitet, vgl. BAUMGARTEN S. 140 f.; MIÖG. Erg. 1, 571. — Vizekanzler des S.

140 7

266

Piipstl. Kanzlei im 15. Jahrh.

Vizekanzler u. ihre Vertreter

Nun folgte abermals eine mehrjährige Vakanz des Vizekanzleramtes. 1 Stellvertretender Kanzleileiter wurde zuerst durch Ernennung vom 2. November 1453 der Referendar B e r a r d u s E r o l i (aus Narni), Bischof von Spoleto. 2 Calixt III. (1455—1458) bestätigte ihn nicht in diesem Amte, sondern verlieh es am 20. April 1455 dem Referendar J o h a n n e s de M e l l a , Bischof von Zamora. Nachdem dieser am 27. Dezember 1456 zum Kardinalpriester von S. Prisca erhoben worden war, behielt er die Leitung der Kanzlei noch einige Monate bei und wird noch am 21. April 1457 als Regens erwähnt. Aber schon vier Tage später, am 25. April 1457, ernannte der Papst seinen Neffen R o d e r i c u s B o r j a , seit 17. September 1456 Kardinaldiakon von St. Nicolaus in Carcere Tulliano, zum Vizekanzler; 3 weshalb diese Ernennung erst am 3. November 1457 in der Kanzlei publiziert wurde, muß noch dahingestellt bleiben. Borja blieb Vizekanzler unter Pius II. (1458—1464), Paul II. (1464—1471), Sixtus IV. (1471—1484) und Innocenz VIII. (1484—1492), so daß das Amt erst durch seine eigene Wahl zum Papst Alexander VI. (1492 —1503) erledigt wurde; er übertrug es dann am 26. August 1492, wie er schon während des Konklave versprochen hatte, dem Kardinaldiakon von S. Vitus in Macello, A s c a n i o M a r i a S f o r z a , der seit 17. März 1484 den Purpur trug. Bevor wir auf die Stellung des Vizekanzlers innerhalb der Kanzlei und die Bedeutung seines Amtes näher eingehen, wird es zweckmäßig sein, zunächst die Organisation des unter seiner Oberleitung stehenden Beamtenpersonals, soweit es die Überlieferung gestattet, darzulegen. Solange es üblich war, an den Kontext der Papstprivilegien die Nennung des Schreibers (Scriptumzeile) anzuschließen, also bis auf die Zeit Calixts II., sind in der Kanzlei auch die alten Amtsbezeichnungen Basier Konzils war 1439—1442 L u d o v i c u s A l a m a n d i , Erzbisehof von A r l e s , den Martin V. am 24. Mai 1426 zum Kardinalpriester von S. Caecilia ernannt hatte. Er blieb auch Vizekanzler des Gegenpapstes F e l i x V., vgl. BAUMGARTEN 1

S.

1 4 1 ff.

Die folgenden Angaben nach gütigen Mitteilungen M. T A N Q L S aus Cod. Barberin. XXXV. 69. 2 Er war am 13. Nov. 1448 Bischof geworden und wurde 5. März 1460 Kardinalpriester von S. Sabina, 1474 Kardinalbischof von Sabina. Am 6. September 1454 wird er als regens caneellariam und eorrector litt, apostolicarurn bezeichnet, E D B B L 2, 243. 9 Er wurde 1471 Kardinalbischof von Albano, 1476 von Porto. Er verwaltete seit 1458 das Erzbistum Valencia, seit 1482 das Bistum Cartagena, seit 1489 das Bistum Majorka, seit etwa 1491 das ungarische Bistum Erlau.

Päpstliche Kanzlei im 10. u. 11. Jahrhundert.

Schreiber

267

gelegentlich noch gebraucht worden. Aber der Eegionartitel ist in dieser Zeit offenbar nicht mehr richtig verstanden worden. Wenn schon im 10. Jahrhundert gewisse Schreiber sich notarii et regionarii et soriniarii nennen, 1 wenn dann gegen Ende dieses Jahrhunderts an die Stelle der alten Bezeichnung notarius regionarius et scriniarius sanctae Romanae ecclesiae die neue not. reg. et scrin. sacri palatii oder sacri Lateranensis palatii tritt, 2 wenn weiter um die Mitte des 11. Jahrhunderts, als die Beziehung auf den Lateranensischen Palast mit dem Notartitel verbunden wird, die ßegionarbezeichnung ganz fortbleibt, so daß die Formel lautet scriniarius et notarius sacri Lateranensis palatii, wenn endlich unter den nächsten Päpsten die alten und die neuen Titel in verschiedener Weise kombiniert werden: 3 so ist doch erst einer der Schreiber Paschais II. auf die ganz unpassende Verbindung scriniarius regionarius et notarius sacri palatii gekommen, die dann in der nächsten Zeit vorherrscht und erkennen läßt, daß man sich des einst bestehenden Zusammenhanges zwischen dem päpstlichen Notariat und der Regionseinteilung der Stadt nicht mehr bewußt war. Mit der Scriptumzeile verschwand dann der veraltete Titel scriniarius und die ßegionarbezeichnung völlig aus dem Sprachgebrauch der päpstlichen Kanzlei. Der erstere Titel, ursprünglich von den Kanzleibeamten des Papstes auf die öffentlichen Schreiber der Stadt übertragen, blieb nun in seltsamer Verkehrung der Verhältnisse bis ins 13. Jahrhundert hinein diesen allein zu eigen, während jene ihn nicht mehr führten: die soriniarii sanäc Romane ecclesie, die in Zeugnissen dieser Zeit häufig genannt werden, sind lediglich öffentliche Notare, die, vom Papste ernannt und investiert, öffentliche Urkunden aller Art schreiben; mit dem Dienst in der Kanzlei haben sie nichts zu tun. 4 1

2

V g l . z. B . JAKFÉ-L. 3624. 3626. 3689.

S. oben S. 228 X. 3. 3 Unter Leo IX. nennen sich die wenigen Schreiber, die überhaupt ihren Xamen angeben, nur scriniarii sacri palatii. Unter Victor II. und Stephan IX. heißt es not. ac scrin. S. R. E. Unter Nikolaus II. kommt not. (serin.) S. R. Ii. und not. sacri palatii vor. Unter Alexander II. scrin. et not. sacri JMI. oder scrin. et not. sacri pal. sanctaeque Rom. eccl. Ganz vereinzelt nur findet sich die alte Form not. reg. et scrin. S. R. E., mehrere Male not. et reg. ac scrin. s. sedis apost. Unter Gregor VII. wird nur gesagt notarius oder not. sacri pal. Unter Urban II. kommt besonders häufig der Titel notar, region. et scriniar. sacri palatii vor. 4 S. oben S. 207f. und vgl. über Ernennung, Eid und Investitur dieser Scriniare die Aufzeichnung bei MURATORI, Antt. 1, 687. Nur bei den päpstlichen Kammerschreibern erhält sich der Ausdruck scriniarii noch im 13. Jahrh.; die sonstigen Scriniare, die WINKELMANN, FDG. 9, 458ff. 10, 253ff., unter Inno-

268

Päpstliche Kanzlei im 12. Jahrhundert.

Scriptoren und Notare

Die Nachrichten, die wir über das Personal der letzteren besitzen, sind für das 12. Jahrhundert noch außerordentlich dürftig und geben uns keine genügende Vorstellung von der Organisation der Behörde und von ihrem Geschäftsgang. Der Titel prosignator, der unter Urban II. einem Beamten beigelegt wird, der offenbar Leiter der Kanzlei war und gelegentlich geradezu als cancellarius bezeichnet wird, bezieht sich wahrscheinlich darauf, daß dieser Beamte die päpstliche Signierung der Urkunden vorzubereiten hatte, kommt aber später nicht mehr vor.1 Zuerst unter Paschal II. begegnet dann in der päpstlichen Kanzlei der Titel seriptor oder scriplor sacri palatii. Die meisten Männer, die ihn führen, sind uns nur aus den Datierungszeilen der Urkunden bekannt; nur ganz vereinzelt werden päpstliche Scriptoren im 12. Jahrhundert anderweit genannt. 2 Aber noch besteht offenbar kein Unterschied zwischen soriplores und notarii in dem Sinne, daß die ersteren den letzteren untergeordnet und lediglich Reinschreiber der von anderen aufgesetzten Urkunden gewesen wären. Während die Beamten, die in den Scriptumzeilen Paschais II. und Calixts II. erscheinen, also als deren Schreiber anzusehen sind, 3 sich niemals Scriptoren nennen, fungieren diejenigen, welche diesen Titel führen, vielfach sogar als stellvertretende Datare 4 und sind also sicherlich nicht Untergebene der Notare gewesen. Und überhaupt ist schwerlich anzunehmen, daß schon in dieser Zeit eine strenge Geschäftsteilung innerhalb der päpstlichen Kanzlei in dem Sinne bestanden hätte, daß die- einen Beamten nur cenz III. und seinen Nachfolgern nachweist und für päpstliche Kanzleibeamte hält, gehören der Kanzlei nicht an, sondern sind römische Stadtnotare. 1 Vgl. KEHR, MIÖG. Erg. 6, 10G N. 2. Ein Mißverständnis aber ist es, wenn KEHR meint, ich hätte an der Deutung des Titels verzweifelt. Ich hatte ihn vielmehr, wie sich aus meiner Äußerung in der ersten Auflage ergibt, schon damals mit der Unterschrift des Papstes, d. h. der Vollziehung der Rota, in Verbindung gebracht. * So werden im Liber pontificalis (ed. DUCHESNE 2, 312) mehrere scriptores et capellani genannt, die Paschal II. zu Kardinälen erhob. So kommen ferner unter Alexander III. und Lucius III. drei Franzosen aus Orléans als Johannes, G-uillelmus, Eobertus seriptores domini papae in Briefen des Abtes Stephan von S. Genovefa zu Paris vor, vgl. Stefani abb. S. Genovefae et ep. Tornac. epistolae ed. de MOLINET (Paris 1632) n. 65 S. 84, n. 85 S. 126, n. 92 S. 134. — Der Schreiber des Liber censuum von 1192 (ed. FABBE S. 4) war Willelmus Rofio clerieus camere ac. cancellarle domini pape seriptor. 3 Ich will gleich hier bemerken, daß nach dem konstanten Sprachgebrauch aller offiziellen Aufzeichnungen aus der päpstlichen Kanzlei scribere (also auch fcriptum) nur ins Reine schreiben und niemals konzipieren (diktieren) bedeutet. Letzteres heißt nolam (später minutarli) formare oder facere. * S. das Verzeichnis oben S. 246 f.

Päpstliche Kanzlei

im 12. Jahrhundert.

Seriptoren

und Notare

269

mundiert, die anderen nur konzipiert hätten. 1 So wenig wie im 11. Jahrhundert selbst die Kanzler es verschmähten, sich gelegentlich an der Herstellung der Reinschriften zu beteiligen, 2 wird es im 12. Jahrhundert ausgeschlossen gewesen sein, 3 daß auch diejenigen Beamten, die in der Regel die Konzepte entwarfen, ausnahmsweise einmal mundierten; wenigstens solange die Schreiber sich nennen, läßt sich direkt erweisen, daß auch höher gestellte Beamte als Ingrossisten fungiert haben; Lanfrank unter Urban II., Grisogonus unter Paschal II. haben Urkunden geschrieben, obwohl sie nicht nur Notare, sondern sogar zur Stellvertretung der Kanzler ermächtigt waren. Damit soll nicht gesagt sein, daß gar kein Unterschied zwischen Seriptoren und Notaren bestanden hätte. Ist eine Hypethese in dieser Beziehung gestattet, so möchte ich einen solchen Unterschied zwar nicht in Bezug auf die Funktionen oder den Rang, wohl aber in Bezug auf die Einkünfte vermuten. Während in der ältesten Zeit der Titel notarius allgemeiner, die sieben Regionarnotare aber nur die ersten der Notare gewesen waren, ist es sehr wohl möglich, daß schon im 12., wie zweifellos im 13. Jahrhundert, der Titel notarius sedis apostolicae oder domini papae nur noch sieben Beamten zukam; es spricht dafür, daß die Regionarbezeichnung, wie wir gesehen haben, jetzt fortgefallen. notarius also einfach gleich notarius regionarius zu nehmen ist. Da nun zweifellos bei der massenhaften Zunahme von Geschäften in der päpstlichen Kanzlei sieben Beamte zu deren Bewältigung nicht ausreichten, sondern eine erheblich größere Anzahl erforderlich war, so mag für alle diese der Titel Scriptor (wie früher scriniarius) der allgemeinere gewesen sein; aus der Zahl der scriptores mögen dann diejenigen Notare genannt worden sein, denen die sieben ehemaligen Regionarstellen mit ihren gewohnheitsmäßig fixierten Einkünften verliehen waren. Eine Annahme wie diese scheint mir mit den besprochenen Verhältnissen wohl vereinbar zu sein; beweisen läßt sie sich natürlich nicht Lagen aber die Dinge so, so konnte eben hieraus eine weitere Gliederung in der Kanzlei, eine Bevorzugung der Notare auch in Rang 1

Der Titel dietator findet sich nur einmal unter dem Gegenpapst Victor IV. in JAPF£-L. 14497, wäBrend derselbe Beamte sich sonst notarius nennt. Er hat sich damit wohl nur als Verfasser jener Urkunde bezeichnen wollen. 8 S. oben S. 225 N. 2. 3 Gewißheit hierüber wird allerdings nur eine systematische Schriftvergleichung zu erbringen vermögen, wie wir sie erst von der neuen Ausgabe der Papsturkunden, welche die Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften vorbereitet, erwarten diirfen

270

Päpstliche

Kanzlei

im 13. Jahrhundert.

Scriploren

und

Notare

und Funktionen sich leicht entwickeln. Diese besteht im 13. Jahrhundert sicher; es ist ein naheliegender Gedanke, daß eine Neuordnung der Organisation der päpstlichen Kanzlei (cancellaria)1 unter Innocenz III., dem die päpstliche Verwaltung nach verschiedenen Eichtungen hin so viel verdankt, erfolgt sei. Spätestens unter ihm ist die Eidesformel der scriptores domini papae2 festgestellt worden, 3 die eine solche Neuorganisation bereits voraussetzt; und zu der Vermutung, daß sie gerade unter ihm eingeführt sei, berechtigt der Umstand, daß in seiner Zeit der Brauch aufkommt, daß Scriptoren ihre Namen zumeist in sehr starker Abkürzung auf dem Buge der von ihnen geschriebenen Urkunden vermerken ; es ist sehr wahrscheinlich, daß die beiden Anordnungen miteinander im Zusammenhange stehen. 4 Damit stimmen dann andere Umstände überein.6 Seit der Zeit Innocenz' III. kommt es nicht mehr vor, was noch im 12. Jahrhundert geschehen war, daß ein Beamter, der notarius heißt, in späterer Zeit scriplor genannt wird.6 Seit Innocenz läßt sich ein Aufsteigen vom scriptor zum notarius ziemlich bestimmt erweisen; so ist z. B. Boffridus Scriptor 1209, Notar 1222,' so der Magister Bartholomaeus Scriptor 1201, später Notar 8 und 1233 Kanzler. Unter Innocenz endlich finde ich zuerst, daß von zwei Beamten, die als Zeugen in einer Urkunde genannt sind, der eine als Notar, der andere als Scriptor bezeichnet wird.9 1 Der Auadruck kommt schon im Liber censuum von 1192 (ed. FABRE S. 4) vor und wird eben unter Innocenz III. üblicher: Ep. 15, 167; 16, 27. 2 So die regelmäßige Benennung im 13. Jahrhundert. Erst in der avignonesischen Zeit kommt der Titel scriptor litterarum, apostolicarum in Gebrauch. ' TANQL, KO. S. 37 n. 5. In der ältesten Passung des Eides ist noch von einem cancellarius die Bede, den es seit 1216 nicht mehr gibt.

* V g l . N o u v e a u t r a i t é 5, 2 8 4 ;

DELISLE,

B E C . 19 ( 1 8 5 8 ) , 31 ff. ; DIEKAMP,

MIÖG. 3, 592ff.; FINKE, Papsturkunden Westfalens S. 81, Anmerkung zu n. 178; BEROER, Eeg. d'Innoc. IV. S. LXVIIff. Diese Schreibervermerke werden seit 1204 häufiger; vorher kommen sie seit 1198 nur ganz vereinzelt vor. Vgl. FINKE, Papsturkunden Westfalens S. XX. s Ein Verzeichnis der Notare und Scriptoren Innocenz' III., Honorius' III., Gregors IX., Innocenz' IV., das sich freilich nach den neueren Registerpublikationen vielfach vervollständigen läßt, gibt WINKELMANN, FDG. 9, 458ff., 10, 253 ff. 6 Dagegen heißen einzelne Persönlichkeiten, lange Zeit hindurch und oft erwähnt, immer scriptores und nie notarii, so z. B. Petrus de Guarcino, der a l s scriptor

1233—1240

nachweisbar

ist,

v g l . HUILLARD-BRÉHOLLES 4, 4 4 1 ;

5,

1066; MG. Epp. pontif. saec. XIII. 1, n. 542 I. 658. 661. 791. 7

DELISLE a. a. 0 . S. 3 2 ; B F . 1 4 1 0 . 1 4 2 2 .

e

Gesta Innoc. cap. 21; MG. Epp. pontif. saec. XIII. 1, n. 636 II. VIII. THEINER, Cod. dipl. dorn. temp. 1, 36.

9

1429.

Päpstliche Kanzlei

im 13. Jahrhundert.

Notare

271

Für die weitere Geschichte des päpstlichen Kanzleiwesens im 13. Jahrhundert liegen uns nun eine Reihe von Aufzeichnungen verschiedener Zeit und verschiedener Entstehung vor, die zumeist der zweiten Hälfte des Jahrhunderts angehörig, in den Liber provincialis, das offizielle Hand- und Hilfsbuch der Kanzlei aufgenommen worden sind. 1 Mit ihrer Hilfe läßt sich das wesentlichste aus der Organisation der Behörde genügend erkennen. Danach standen neben dem Vizekanzler, dem Chef des gesamten päpstlichen Urkundenwesens, die sieben noiarii domini papae, die Nachfolger der alten Regionarnotare. Ihre Zahl hat sich, ungeachtet der gegen die frühere Zeit bedeutend vermehrten Geschäfte, im Laufe des 13. Jahrhunderts noch verringert; die aus dessen zweiter Hälfte stammenden Aufzeichnungen kennen nur noch sechs Notare. 2 Es ist wahrscheinlich, daß diese Verminderung der Zahl der Notare zuerst unter Gregor IX. erfolgt ist, dessen Notar Guillelmus, als er im Jahre 1235 1

Sie sind herausgegeben von M . T A N G L , Die päpstlichen Kanzleiordnungen von 1200—1500 (Innsbruck 1894). Beachtung verdient auch ein "Verzeichnis der päpstlichen Beamten aus dem ersten Jahre Nikolaus' III., herausgegeben von G A L L E T T I , Memorie di tre antiche chiese di Rieti (Rom 1765) S. 173ff. Einzelne Bemerkungen über die päpstliche Kanzlei des 13. Jahrh., aus denen aber nicht viel zu lernen ist, finden sich in einem satirischen Gedicht bei MABILLON, Analecta S. 370 f. 2 T A N G L , KO. S. 6 7 n. 1 9 : item eonsueverunt esse VI notarii numero et aliquando VII de gratia speciali. Der Verfasser meint also, daß der siebente Notar auf einer gratia specialis des Papstes beruhe, der einen zugegeben habe, was offenbar eine irrige Annahme ist. — Auch die Zahlen bei T A N G L , KO. S. 68 n. 1 sind nur zutreffend, wenn sechs Notare gerechnet werden. Die Kanzlei empfängt täglich 18 petias carnium, 36 panes, 16 talias tini, also wöchentlich sechsmal so viel (denn die Lieferung erfolgt nur omni die qua dantur carnes, also am Freitag nicht) = 108 pet. carn., 216 panes, 96 tat. tini. Davon erhalten sechs Notare jeder einmal wöchentlich (singuli notarii semel in ebdomada) 10 pet. carn., 18 pan., 10 tat. tini, also alle 6 = 60 pet. carn., 108 pan., 60 tat. vini. Es bleiben für den Vizekanzler 48 pet. carn., 108 pan., 36 tat. vini, also täglich 8 pet. carn , 18 pan., 6 tat. vini, wie angegeben ist. Am Freitag erhält die Kanzlei cicera non cocta, T A N G L , KO. S. 6 8 n. 3 . Auch T A N G L , KO. S. 6 7 n. 1 2 , findet sich dieselbe Angabe über die Naturalbezüge der Notare mit dem Zusatz, daß an Fasttagen pisces vel ova geliefert werden; vgl. dazu T A N G L , KO. S. 6 9 n. 8 . Besondere Bezüge des Vizekanzlers, von denen er nichts abzugeben braucht, verzeichnet dann noch T A N G L , KO. S. 6 8 n. 2 ; vgl. n. 4ff. Nach T A K G L S. 6 7 n. 1 3 erhält außerdem jeder Notar monatlich 30 prebendas equorum (Rationen von Hafer und Gerste). Nach der Aufzeichnung von 1 2 7 8 ( G A L L E T T I a. a. O.) bezieht die Kanzlei täglich 12 viandae aus der Küche und der Bäckerei und 16 aus dem Keller, sowie 7 prebendae, von denen der Vizekanzler 3 und die Notare 4 erhalten. Diese letzteren Sätze gelten noch im Anfange des 1 4 . Jahrh.', vgl. H A L L E R , QFIA. 1, 9 .

272

Päpstliche

Kanzlei

im 13. Jahrhundert.

Notare

zum Vizekanzler befördert wurde, sein Notariat beibehalten hat und einige Male als notarius et vicecancellarius unterfertigt; 1 seitdem oder jedenfalls seit Alexander IV., unter dem der Notar Jordanus, als er 1257 Vizekanzler wurde, ebenso verfuhr, scheint eine der sieben Notarstellen samt ihren Einkünften mit dem Vizekanzleramte dauernd vereinigt geblieben zu sein.2 In Fällen der Vakanz des Vizekanzleramtes oder einer Behinderung des Vizekanzlers wird dieser mindestens bis in die Zeit Alexanders IV., wie die oben mitgeteilte Liste ergibt, 3 durch einen der Notare in seinen Funktionen vertreten. Wir wissen nicht, ob dieser Vertreter besonders ernannt werden mußte, oder ob ohne weiteres der erste der Notare (der prior notariorum) eintrat; jedenfalls gab es innerhalb des Kollegiums der Notare eine bestimmte Rangordnung, die vermutlich durch das Dienstalter der betreffenden Beamten bestimmt wurde. 4 Vizekanzler und Notare führen gemeinsamen Haushalt, indem sie einmal täglich zusammen speisen; sie haben gemeinsame Hausbeamte, die nur auf gemeinsamen Beschluß angestellt und entlassen werden können. 6 Bei feierlichem Aufzuge des Papstes begleiten ihn Vizekanzler und Notare; sie haben den Hang vor allen Prälaten unmittelbar hinter den Kardinälen; sie assistieren dem Papst in der Kammer, wie die Kardinäle im Konsistorium; sie unterstehen keiner Jurisdiktion als der des Papstes; sie erhalten von der Kurie ansehnliche Natural- und Geldleistungen, welche ebenso wie die für die Kanzlei einlaufenden Geschenke (enxenia) nach festen Grundsätzen verteilt werden. 8 1 S. oben S. 250 N. 7. Ebenso Jordanus unter Alexander IV. regelmäßig, s. oben S. 251 f. 8 In Martins V. Konstitution „Sanctissimus" (TANGL, KO. S. 162 n. 1) heißt es: antiqui patres Septem tanturn statuerunt prothonotarios, quorum primus est dominus vicecancellarius Romane ecclesie, reliqui vero qui hodiernis temporibus protkonotarii nuneupantur. Eugen IV. verleiht 1437: vicecancetlariatum cum protonotariatu Uli adnexo, OTTENTHAL, MIOG. Erg. 1, 452 N. 1. Da also der Vizekanzler zugleich Notar ist, kann Salimbene, MG. SS. 32, 388, mit Recht von den Septem notarii Romane curie reden. 3 S. 248 ff. * Der prior notariorum wird erwähnt bei TANQL, KO. S. 62 n. 5, S. 63 n. 20. 21; an letzterer Stelle ist von einem bestimmten ordo die Eede, nach welchem die famuli der Notare den Anteil ihrer Herren an den enxenia erheben; TANOL, KO. S. 65 N. 6, kommt der ultimus notariorum vor. 1205 wird als primus notariorum Philipp, später Bischof von Troja, genannt, Chron. Evesham. MG. SS. 27, 424, vgl. über ihn SPAETHEN, NA. 31, 606 N. 1. 5

TAXOL, K O . S. 64 n. 1. 2 ; 61 n. 1; 62 n. 13. 14; 63 n. 20.

Als Beamte

werden genannt der senescalcus cancellariae (auch senesealcus vieecancellarii, TANQL, KO. 68 n. 1), der coquus, hostiarius (portarius) und brodarius. 6 TANOL, KO. S. 53; 61ff.; 65 n. 4. 5; 66 n. llff. 68f.

Päpstliche Kanzlei im 13. Jahrhundert.

Vizekanzler.

Notare

273

Der Vizekanzler ist der eigentliche Leiter der Geschäfte der Kanzlei. Sein Amtseid,1 dessen uns überlieferte Formel in ihrem Kerne aller Wahrscheinlichkeit nach schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden ist, verpflichtet ihn zur Treue gegen den Papst, zu ehrlicher und gerechter Ausübung seiner Funktionen, zur Verhütung von Bestechungen; insbesondere verpflichtet er sich, keine Urkunde ohne Befehl oder Erlaubnis des Papstes bullieren zu lassen, soweit ihm nicht nach dem ihm übertragenen Amte das Recht dazu zusteht. Er hat die Oberaufsicht über alle und die Disziplinargewalt über die Unterbeamten der Kanzlei; 2 er leitet die Verhandlungen, wenn Urkunden, welche de iure et de stilo zu Zweifeln Veranlassung geben, kollegialisch geprüft werden; 3 ihm allein untersteht das Register. 4 Er ist der für das Urkundenwesen in letzter Instanz verantwortliche Beauite; auf seinen Befehl erfolgt die Bullierung und Aushändigung der Reinschriften, wie sich aus seinem Amtseide ergibt; er legt die feierlichen Privilegien dem Papst zur Unterfertigung vor; 5 er trägt den Anfangsbuchstaben seines Namens eigenhändig in ihre Datierung ein. Die sachliche Erledigung der Geschäfte liegt unter seiner Oberleitung zunächst in den Händen der Notare, die vom Papst, unter Umständen mit Zustimmung der Kardinäle, ernannt werden. 0 Durch ihre Hände gehen die von den Parteien eingereichten Petitionen, die sie nach bestimmter Reihenfolge {ex ordine) dem Papste vorzutragen haben. 7 Sie nehmen die Befehle des Papstes darüber entgegen, und 1

TANGL, K O . S. 3 3 , v g l . S. X X X I V .

2

TANGL, KO. S. 66 n. 5. Vgl. die Verordnungen des Vizekanzlers Wilhelm von Parma für die seriptores, TANGL, KO. S. 60. 3

TANGL, K O . S. 6 4 n . 1, S. 6 8 n. 2 3 .

4

TANGL, K O . S. 6 8 n. 2 2 .

6

S

TANGL, K O . S. 7 3 n . 7.

In dem ältesten Ernennungspatent eines Notars, das icli kenne (Reg. Clem. V. n. 130 vom 4. Jan. 1306), wird betont, daß der Ernannte den Kardinälen genehm (gratus plurimum et aeceptus) gewesen und daß seine Ernennung in ihrer Gegenwart erfolgt sei. Da er abwesend war, wird ein Vertreter für ihn per aniilum mit dem officium nötariatus investiert. Der Amtseid der Notare (TANGL, KO. S. 35) ist erst aus dem 14. Jahrh. überliefert. 7 TANGL, KO. S. 65 n. 1. Ausgenommen von der Verlesung durch die Notare sind die Petitionen wegen Verleihung von Bistümern, Abteien und dergl. und wegen Dispens für Personen hohen Ranges. Die ersteren sind jedenfalls schon jetzt im Konsistorium verhandelt worden; wegen der letzteren wird a. a. 0 . auf eine nähere Bestimmung im Provinciale cancellarie verwiesen, die sich nicht erhalten hat. Wenn TANGL S. XXVII meint, es sei an die Bestimmung KO. S/54 n. 3 gedacht, so beruht das auf einem Mißverständnis, die beiden Bestimmungen haben nichts miteinander zu tun; s. unten am Schluß dieses Kapitels. Auch Petitionen von Kardinälen unterliegen einer besonderen Geschäftsbehandlung, auf . die wir später zurückkommen. 18

274

Päpstliche Kanzlei im 13. Jahrhundert.

Abbreviatoren

ihre Aufgabe ist es sodann, für die Ausfertigung der Konzepte auf Grund jener Befehle zu sorgen; die Konzepte werden von ihnen signiert und zur Mundierung an die Schreiher abgegeben. An der Prüfung zweifelhafter Urkunden nehmen sie von Amts wegen teil. Als Gehilfen der Notare bei ihren Funktionen erscheinen die Abb r e v i a t o r e n (abbrevialores oder, wie sie vereinzelt bis in den Anfang des 14. Jahrhunderts auch genannt werden, brevialores),1 die mit der Herstellung der Konzepte beschäftigt sind. Sie sind in dieser Periode noch nicht eigentliche Kanzleibeamte der Päpste, sondern Privatbeamte der Notare, die zu deren familia gehören; 2 sie treten denn auch nur im Auftrage der Notare in Funktion, indem jeder von ihnen nur die dem Bureau (der cam-era) seines Notars überwiesenen Stücke signieren darf; 3 doch steht es dem Vizekanzler zu, sie bei der Prüfung zweifelhafter Urkunden neben den Notaren hinzuzuziehen.4 Spätestens gegen das 1 So 'J ANGL, KO. S. 43 n. I X , S. 54 u. 2, 58 n. 14; aber der Ausdruck kommt noch vor im Keg. Clem. Vt n. 6703 (1311), während ebenda n. 6316 (1310) zwei abbreviatores erwähnt werden. — Übrigens verdient es Beachtung, daß der Titel breviator schon im 12. Jahrh. in Flandern vorkommt, vgl. Album Beige de diplomatique, planche 11. 2 Breviaiores et alii de familia noiariorum heißt es in einer Verfügung Innocenz'IV. auf dem Konzil von Lyon, T A N G L , KO. S. 58 n. 14. Es entspricht dem, daß, soviel ich weiß, im 13. Jahrh. nicht ein einziges Mal ein Beamter erwähnt wird, der den offiziellen Titel abbreviaior litterarum apostolicarum führt, wie das später so oft der Fall ist; dagegen heißt es in der Adresse eines an einen Abbreviator gerichteten Schreibens Urbans IV. (Registres d'Urbain IV. n. 1082) vom 29. Juni 1264: magistro I. de P. abretiatori dilecti füll magistri B. de N. subdiaconi et nutarii nostri. Daß die Abbreviatoren nur von den Notaren ernannt werden, ist auch ausdrücklich bezeugt,

s.

TANGL, K O .

S. 6 5

n. 2.

KO. S. 6 6 n. 3 . 7 ; vgl. den Amtseid der Abbreviatoren ebenda S, 43 n. IX und über die eamerae der Notare Gesta Innoc. cap. 41. 4 T A N G L , KO. S. 68 n. 23. — Der Text von T A N G L , KO. S. 64 n. 1 ist in der Bologneser und der Pariser Handschrift des Kanzleibuches verschieden und in beiden verderbt überliefert. T A N G L s Emendation: qui (notarii) tenebantur, omnibus aliis quibuseunque abbreviatoribus exclusis, lilieras dubias examinare de iure et de stilo [cum] abbreviatoribus advoeatis kann ich mich nicht anschließen: bei der damals noch unbedingten Unterordnung der Abbreviatoren unter die Notare und den Vizekanzler brauchte es wohl nicht ausdrücklich gesagt zu werden, daß Abbreviatoren, die nicht zur Prüfung eingeladen waren, an ihr nicht teilnehmen durften. Dagegen war wohl zu betonen, daß außer Notaren und eingeladenen Abbreviatoren niemand sonst, also z. B. keine Auditoren, auch nicht der Korrektor an der Judikatur teilnehmen durfte; ich halte daher an meinem Besserungsvorschlage: qui tcnebantur, omnibus aliis quibuscumque examinatoribus exclusis, litt. dub. ex. de iure et de stilo, abbreviatoribus advoeatis fest. Ich nehme an, daß im Archetypus 3

TANGL,

Päpstliche Kanzlei

im 13. Jahrhundert.

Abbreviatoren

275

Ende des 13. Jahrhunderts treten sie aber noch in ein näheres dienstliches Verhältnis zum Vizekanzler, indem sie in dessen Hände einen Amtseid ablegen; 1 um diese Zeit erhalten sie auch bereits einen Teil der Petitionen, auf Grund deren sie die Konzepte entwerfen, nicht mehr durch die Notare, sondern direkt aus dem Bittschriftenbureau, der data communis.2 Auch haben sie damals bereits eine kollegialische Organisation: an ihrer Spitze stehen ein vereidigter Distributor oder zwei Distributoren der Petitionen, 3 die auf je einen Monat bestellt werden. Von wem die Bestellung des Distributors ausging, ist nicht überliefert; nach dem Wortlaut des Amtseides ist es nicht unmöglich, daß das Amt zwischen den Abbreviatoren der einzelnen Notare nach der Rangfolge der letzteren wechselte. Wahrscheinlich ist gegen das Ende des 13. Jahrhunderts schon die überwiegende Mehrzahl der Konzepte nicht mehr durch die Notare, sondern in ihrem Auftrage durch ihre Abbreviatoren verfaßt worden. 4 Die Abbreviatoren selbst aber wurden schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts unter Alexander IV. von den Notaren, welche sie ernannten, mindestens zum Teil aus dem Kollegium der Scriptores entnommen. 5 zuerst versehentlich omnibus aliis quibuscunque abbreviatoribus exclusis geschrieben und dann über abbreviatoribus oder am Bande examinatoribus nachgetragen war. In der Bologneser Handschrift wurde der Nachtrag fortgelassen; in der Pariser kam er an eine falsche Stelle und infolgedessen wurde auch advoeatis mißverstanden. Die von SPAETHEN, NA. 31, 640 N. 3 füi möglich gehaltene Auslegung dieser Stelle scheint mir völlig ausgeschlossen. 1 TANGL, KO. S. 43 n. IX. Daß sich dieser Eid nur auf die Notarabbreviatoren, nicht auf die später zu erwähnenden und von ihnen zu unterscheidenden Kanzleiabbreviatoren bezieht, ergibt sich sowohl aus der Randnote der Pariser Handschrift officium abbreviutorum prothonotarii (ERLER S. 148 N. 3) wie aus dem Vergleich mit dem jüngeren iuramentum abbreviatorum qui tenent cameras dominorum prothonotnriorum bei TANGL S. 44 n. IX c einer- und mit dem Eide der Kanzleiabbreviatoren ebenda S. 44 n. IXb andererseits. 2 S. darüber unten Kap. Petitionen und Vorverhandlungen. 3 Petitiones reeipient per manus duorum vel unius iurati distributoris earum (TANGL, KO. S. 43 n. IX). Die Worte vel unius fehlen in einer aus dem 14. Jahrh. stammenden Überlieferung der Eidesformel. 4 Das gilt wenigstens in Bezug auf die gewöhnlichen Gnad n- und Justizbriefe. Wenn in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. der Notar Ber;;rd von Neapel (vgl. KALTENBRÜNNER, MIÖG. 7, 21 ff. 555fl.) als Konzipient noch eine sehr umfassende Tätigkeit entfaltet hat, so handelt es sich dabei vorzugsweise um Kurialbriefe, namentlich die besonders wichtige politische Korrespondenz, die man erklärlicherweise gewöhnlichen Abbreviatoren nicht leicht anvertraute. Solche wichtigen Briefe sind auch in dieser Zeit noch, wie KALTENBRUNNER a. a. 0 . nachweist, zuweilen vom Papst selbst diktiert worden. 8 Vgl. den Erlaß des Vizekanzlers Wilhelm von Parma, TANGL, KO. S. 60 n. 4: item nullus abbreviator, qui sit scriptor usw.

276

Päpstliche Kanzlei im 13. Jahrhundert.

Scriploren

Den S c r i p t o r e n , 1 denen schon im 13. Jahrhundert in der Regel der Magistertitel zukam, lag die Mundierung der von den Notaren oder den Abbreviatoren verfaßten Urkunden ob, deren graphische Ausstattang an feste Regeln gebunden war, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entworfen sind und uns noch in anderem Zusammenhang beschäftigen werden. Sie werden vom Papst ernannt und auf seinen Befehl von dem Vizekanzler vereidigt und investiert; 2 der Vizekanzler prüft sie und stellt sie den Notaren vor,3 und durch ihn erfolgt auf Anordnung des Papstes auch ihre Absetzung wegen Amts- oder sonstiger Vergehen.4 Ihr Amtseid, der, wie wir bereits erwähnten, spätestens unter Innocenz III. festgesetzt worden ist,5 verpflichtete sie, keinen Betrug zu üben oder zu dulden und das Amtsgeheimnis zu bewahren. Sie hatten dem Vizekanzler und den Notaren zu gehorchen; aber nur dem ersteren stand eine disziplinarische Strafgewalt über sie zu.8 Von dem Vizekanzler Wilhelm von Parma sind uns einige unter Alexander IV. erlassene Verfügungen erhalten,7 die sich insbesondere auf das außeramtliche Verhalten der Scriptoren beziehen. Es wild ihnen bei Strafe der Exkommunikation und der Amtsentlassung 9 verboten, Konkubinen zu halten, eine Verordnung, die wenigstens in späterer Zeit auch für alle anderen mit der Kanzlei im Zusammenhang stehenden Personen gegolten zu haben scheint, die aber trotzdem, wie spätere Einschärfttngen und andere Umstände zeigen, nicht recht innegehalten wurde.' Außerdem wird ihnen eine bestimmte 1

Über ihren Amtstitel s. oben S. 270 mit N. 2. Ernennungspatent für einen Scriptor Alexanders IV. von 1256 (Registres d'Alexandre IV. n. 1381): te per dileetum filium II. vicecancellarium nostrum de officio seriptorie in eancellaria nostra feeimus investiri, reeepto a te qnod a nostris prestari solet scriptoribus iuramento. — Vgl. Registres d'Innocent IV. n. 4455: cum per dileetum filium magistrum M. vieecaneellarium ae notarios et seriptores nostros receptus sis solita sollempnilate de nostro speeiali mandato ad eaneellarie nostre officium in seriptorem. 3 TANGL, K.O. S. 66 n. 4. Hierzu vgl. die in der vorigen Note erwähnte Urkunde Innocenz' IV. 4 Acta pontif. Helvetica 1, 410 n. 675, Erlaß Alexanders IV. von 1258 betr. Absetzung eines Scriptors: ipsum per dileetum filium mag. I.... vieecaneellarium et notarium privari feeimus officio seriptorie. — Begnadigung eines abgesetzten Scriptors durch Innocenz IV., ebenda 1, 298 n. 490. 5 S. oben S. 270 N. 3. 9 TANGL, K O . S. 6 6 n. 5 . Der Vizekanzler konnte sie vom Amte suspendieren, aber nicht ohne Befehl des Papstes absetzen. 2

7

8

TANGL, K O .

S. 60.

Diese Strafandrohung erklärt sich aus der vom Papst dem Vizekanzler erteilten Vollmacht, auf die er sich ausdrücklich beruft. 8 Vgl. E R L E B , Dietrich von Nieheim S. 34.

Päpstliche Kanzlei im 13. Jahrhundert.

Seriptoren

211

Tracht, wenigstens für die Orte, an denen die Kurie residiert, vorgeschrieben. Die Zahl der Seriptoren muß schon im 13. Jahrhundert eine recht ansehnliche gewesen sein; 1 der Andrang zu dem einträglichen und ehrenvollen Amt war sehr groß, und indem das Amt nach Gunst und Gnade verliehen wurde, war es bereits unter Clemens Y. dahin gekommen, daß ihrer ungefähr einhundertundzehn waren. Dar mals wandten sich die Seriptoren mit der Beschwerde an den Papst, daß sie infolge dieser übergroßen Zahl von den Einkünften des Amtes nicht mehr standesgemäß leben könnten, und Clemens V. ermächtigte durch einen Erlaß vom 27. Oktober 1310 2 den Vizekanzler Arnaldus, ihre Zahl in ihm angemessen scheinender Weise zu verringern; die Reduktion sollte dadurch herbeigeführt werden, daß, bis die vom Vizekanzler zu bestimmende Zahl erreicht sei, keine neue Ernennung mehr stattfinde. Der Vizekanzler ordnete auf Grund dieser Vollmacht an, daß das Kollegium der Seriptoren aus neunzig Mitgliedern bestehen sollte; 3 doch hat, wie wir sehen werden, diese Anordnung nur kurze Zeit in Kraft gestanden. Über die Leitung der Geschäfte im Scriptorenkollegium geben uns die Formulare für die Amtseide der an ihrer Spitze stehenden Beamten und einige wenige Nachrichten anderer Art Kunde. Nach dem ältesten jener Formulare 4 war der Chef des Kollegiums ein von dem Vizekanzler und den Notaren auf je sechs Monate ernannter Eescribendarius. Ihm lag es ob, die Konzepte gleichmäßig unter die einzelnen Seriptoren behufs ihrer Mundierung zu verteilen und die Gebühren, die den Schreibern nach der amtlich eingeführten Taxordnung zustanden, 6 festzustellen; die Schreiber durften, auch wenn sie zugleich Abbreviatoren waren, keine Urkunden, also auch nicht ihre eigenen Konzepte, mun1

Dem Verfasser des oben S. 271 N. 1 angeführten Gedichts erschienen sie wie eine Wolke; er sagt: Nee facile est omnes numero deprendere certo Sed- possunt decies, ut reor, esse deeem. 8 Gedruckt Reg. Clementis V . papae n. 6 2 6 4 ; TANGL, K O . 8 . 82. 3 Seine Verordnung ist uns nicht erhalten, wird aber in Johanns XXII. Bulle „Decet et expedit" (TANQL, KO. S. 116) erwähnt. 4 TANQL, K O . S. 3 7 n. V I ' ; vgl. daselbst S. X X X V . 5 S. unten am Schluß dieses Kapitels. An der Verteilung der Gebühren nahmen aber nicht alle Seriptoren teil; eine Verfügung des Vizekanzlers Wilhelm von Parma über die Tracht (TANQL, KO. S. 60 n. 3) bezieht sich nur auf die scriptores partes reripientes. Vgl. hierzu die Urkunde Innocenz' IV. von 1248 (Registres n. 3917), Ernennung eines Scriptors mit der Bedingung, daß er sein Amt drei Jahre lang nicht ausübe. Er hat in dieser Zeit natürlich auch keinen Anteil an den Gebühren gehabt.

278

Päpstliche Kanzlei

im 13. Jahrhundert.

Scriptoren

dieren, wenn sie ihnen nicht auf diese Weise überwiesen waren. 1 Von den jedem Schreiber zugeteilten U r k u n d e n hatte er bei Strafe der Suspension vom Amte zuerst diejenigen zu erledigen, die eigene Angelegenheiten der Kurie betrafen. 2 Außerdem hatte der Rescribendar — und hiervon führte er den Amtstitel — auch die litlerae reseribendae, d. h. diejenigen U r k u n d e n , die aus irgend welchen G r ü n d e n , nachdem sie mundiert waren, verworfen wurden und daher noch einmal geschrieben werden mußten, 3 unter die Schreiber zu verteilen. Das Recht.die f ü r den Empfänger taxfreie 4 (gratis zu bewirkende) Rescribierung einer Urkunde anzuordnen, hatten außer dem Vizekanzler die Notare und Abbreviatoren, 5 denen also die P r ü f u n g und Korrektur der fertiggestellten Reinschriften oblag. 8 Die gratis zu rescribierenden Urkunden m u ß t e n von den Scriptoren vor allen anderen, mit Ausnahme der Kurialbriefe, die auch ihnen vorangingen, fertiggestellt werden. Noch im 13. J a h r h u n d e r t wurde aber die Geschäftsleitung im Scriptorenkollegium unter zwei Beamte geteilt. Die Verteilung der Konzepte wurde einem distributor noiarum grossandarum generalis zugewiesen, den nach wie vor der Vizekanzler und die Notare in feststehender Reihenfolge je auf sechs Monate zu bestellen h a t t e n ; 7 n u r die Verteilung der liiterae reseribendae blieb dem Rescribendar, den n u n der Vizekanzler allein unter Ausschluß der Notare auf die gleiche 1 Verordnung iVilhelms von Parma TANGL, KO- S. 60 n. 4. In der Er ledigun.,- der ihnen zugewiesenen Aufträge durften sich die Scriptoren wahrscheinlich schon im - 3 Jahih., wie das später sicher der Fall war, durch einen Genossen veit eten lavs^ Darauf bezieht es sich, wenn es im Eid? des Rescribendais heißt: nee fact im vicariam, quousque fuero rescribendarius, vgl. auch Fi. KE Pa:,sturkunden Westfalens S. XX N. g. 2 TAN'-L, KO S 1 n 8. 9 S. 66 n. 7. Vgl. über diese litterae curiales oben S. 114. 3 In dem oben S. 271 N. 1 angefühlten Gedicht ist auch von mehifacher Resciib' ng (littera bis aut ter iescribenda) d e Rede 4 Dagegen hatte nach späteren Verfügungen (vgl. u a. TANÖL, KO. S 93 n. 5; 101 n. 114; 150 n. 11), die abei wähl scheinlich a u ' h schon im 13. Jahrh gegolten haben, der Abb eviatoi oder Scriptor, durch dessen Verschulden die Rescribieiung nötig geworden war, ihre Kosten zu tragen, also auch wohl den mit der Rescribierung beauftragten Kollegen zu entschädigen. 6

6

TANGL, K O . S. 66 n . 7.

Von Notaren und Abbreviatoren werden also auch die Korrekturvermerke herrühren, über die DIEKAMP, MIOG 3, 598; 4, 522f., und FINKE, Papsturkunden W stf lens S. XXVI, handeln (vgl. auch Straßburger UB 1, 421 n. 555; 2, 129 n. 167; 131 n. 168). Mit der Tätigkeit des einen Korrektors (s unten S. 279 ff) können diese Vermerke schon wegen der Vielheit der in ihnen begegnenden Namen nicht m Verbindung gebiacht werden 7

TANGL, K O . S. 66 n . 9.

Päpstliche Kanxlei im 13. Jahrhundert.

Bullatoren.

Korrektor

279

Amtszeit ernannte. 1 Im 14. Jahrhundert traten dann noch andere Veränderungen in der Organisation des Kollegiums ein, auf die wir zurückkommen. Die ins Eeine geschriebenen Urkunden wurden bulliert und registriert. Eigene Beamte für diese Geschäfte, B u l l a t o r e n 2 und R e g i s t r a t o r e n , 3 gab es natürlich schon im 13. Jahrhundert; aber über ihre Stellung und Tätigkeit erfahren wir für diese Zeit nur wenig. Nach einem Verzeichnis aus dem ersten Jahre Nikolaus' III. (1278) 4 erhielten damals auch die Bullatoren feste Lieferungen aus Küche, Bäckerei und Keller des Papstes, und zwar an Fleisch und Brot ein Drittel, an Wein drei Achtel der Bezüge, die der Kanzlei, d. h. dem Vizekanzler und den Notaren zustanden. Wahrscheinlich gab es schon damals zwei Bullatoren, die aus dem Cistercienserorden stammten. 6 Dem Kanzleipersonal gehörten schließlich noch zwei höhere Beamte an, die im Range und in ihren Bezügen den Notaren nachstanden, einander aber gleichgestellt waren; der correotor litterarum apostolicarum und der auditor litterarum contradietarum.6 Das Amt des K o r r e k t o r s (officium, correctorie)'1 ist seit Innocenz III. nachweisbar und vielleicht erst von ihm im Zusammenhang mit anderen schon erwähnten Maßregeln geschaffen worden. 8 Der KO. S. 66 n. 10. Sein Amtseid bei T A N G L S. 37 n. Vl b ; es heißt hier distributor litterarum apostolicarum rescribendarum. 2 Vgl. Gesta Innocent. III. cap. 41; T A N G L , KO. S. 54 n. 9. 3 Doch ist noch nicht nachgewiesen, daß im 13. Jahrh. schon diese Amtsbezeichnung vorkam. Unter Bonifaz VIII. wird für die Zeit Nikolaus' IV. ein seriptor tenens regestum erwähnt, Registres de Boniface VIII. n. 2335. 4 G A L L E T T I , Memorie di tre antiche chiese di Eieti (Rom 1 7 6 5 ) S . 1 7 3 ff. 5 Nachweisbar sind zwei Bullatoren allerdings erst unter Bonifaz VIII. (BAUMGARTEN, Aus Kanzlei und Kammer S. 8 ) ; keinesfalls aber darf man mit BAUMGARTEN a. a. 0 . S. 3 aus dem Briefe P O T T H A S T n. 3 6 5 folgern, daß Innocenz III. nur einen Bullator gehabt hätte. — Von den drei im 13. Jahrh mit Namen nachweisbaren Bullatoren werden zwei frater genannt, waren also Mönche, und die Zugehörigkeit eines von ihnen zum Cistercienserorden ist sicher, 1

vgl.

TANGL,

BALMGARTEN a . a . 0 . 8

S.

6f

In den Aufzählungen der Beamten werden sie regelmäßig hinter den Notaren genannt. Ihre Geldbezüge sind nach T A N G L , KO. S . 6 3 n. 1 9 , S . 6 6 n. 11, zusammen denen eines Notars gleich. Außerdem erhalten auch sie Naturallieferungen und freies Quartier. 7

9

TANOL, K O .

S. 67 n.

14.

Der erste bekannte Korrektor ist der Subdiakon mag. Petrus Marcus, den Innocenz III (Epp. 15, 167), nachdem er in eaneellaria nostra laudabiliter conversatus per diutinum exercitium in huius modi plenius est instructus an Simon von Montfort, Grafen von Leicester, empfiehlt, der ihn an die Spitze seiner Kanzlei stellen will. Unter Gregor IX. finden

280

Päpstliche Kanzlei

im 13. Jahrhundert.

Korrektor

Korrektor durfte kein anderes Amt bekleiden, und es wird insbesondere ausdrücklich gesagt, daß er weder Scriptor noch Abbreviator sein dürfe, 1 eine Bestimmung, die freilich in späterer Zeit nicht mehr innegehalten worden ist. Über die amtliche Tätigkeit des Korrektors entbehren wir für das 13. Jahrhundert sicherer Nachrichten; doch ist es höchstwahrscheinlich, daß ihm die Revision der von den Notaren oder ihren Abbreviatoren verfaßten Konzepte oblag, und daß Konzepte erst, nachdem sie von dem Korrektor revidiert und wenn nötig verbessert waren, ins Bureau der Scriptoren gebracht werden durften. 2 wir seit Ende 1227 den mag. Bandinus aus Siena als Korrektor, Ann. Senenses, MG. SS. 19, 228; unter Innocenz IV. den Mag. Thomas, der 1252 Bischof von Rieti wird, Registres d'Innocent IV. n. 5614; unter Gregor X. 1274 den mag. Petrus, Kanonikus von Teano, MIÖG. 4, 523. Ein Verzeichnis von Korrektoren des 1 4 . und 1 5 : Jahrh. hat W . v. H O F M A N N , Köm. Quartalschrift 20 b , 94f., aufgestellt; ich vervollständige es für das 14. Jahrh., soweit meine Notizen das gestatten. Unter Benedikt XI. begegnet Iacobus de Rocca 1304 (Reg. de Benoit XI. n. 536). Unter Clemens V. Nicolaus Fabioli de Fractis canon. Patracensis (Reg. Clem. papae V. S. CX, vgl. n. 6316. 6663. 9356. 9641. 10104 und öfter), der das Amt auch unter Johann XXII. behielt (Lettres communes de Jean XXII. n. 2069. 8507; Lettres secrètes de Jean XXII. n. 491; GQ. der Prov. Sachsen 21, 116 n. 65; 246 n. 409; R I B D E B , Rom. Quellen zur Konstanzer Bistumsgesch. 1, 158 n. 599). Unter Clemens VI. war Guillelmus de Lhugaco Korrektor (1342—1347, v. HOFMANN a . a . O . aus Reg. Supplie, l f . 11Y und T A N G L , KO. S. 125), unter Gregor XI. Guillelmus Baronis 1375 (Revue Bénédictine 24, 475), unter Urban VI. und BonifazIX. 1389—1401 Petrus de Wserub (NA. 30, 556; v. H O F M A N N a. a. 0 . ) . Unter Clemens VII. wird 1379 Pontius Beraldi zum Korrektor ernannt ( O T T E N T H A L , Reg. canc. S . 109 n. 78), der noch 1385 nachweisbar ist (BAUMGARTEN, Von der apostol. Kanzlei S. 126), während 1389 der Magister Gilbertus das Amt bekleidete (OTTENTHAL a. a. 0 . S . 121 n. 137). Unter Benedikt XIII. wird 1394 Guillelmus de Ortolano als Korrektor erwähnt (v. H O F M A N N a. a. 0 . S. 95). — Zu den Angaben v. H O F M A N N S für das 15. Jahrh., die im wesentlichen erschöpfend sind und die ich nicht wiederholen will, gebe ich nur zwei Ergänzungen. Iohannes de Rupescissa war bis zu seiner Ernennung zum Patriarchen von Konstantinopel 1412 Korrektor ( E U B E L , Hierarchia 1, 215). 1454 wird Berardus Bischof von Spoleto als cancellariam regens et oorreetor litt, apost. erwähnt ( E U B E L 2, 243 N. 1); wie diese Angabe mit den von v. HOFMANN beigebrachten Daten über . oh Rode vereinbar ist, muß ich noch dahingestellt sein lassen. 1

TANGL, K O .

S. 67 n.

14.

Schrifttafeln 3 , 4 9 , hat die Vermutung ausgesprochen, daß dem Korrektor die formale Revision der ins reine geschriebenen Urkunden in Bezug au+ Schrift und Ausstattung obgelegen habe. Daß diese Vermutung, so ansprechend sie zunächst erscheinen mag, mit Rücksicht auf das, was wir jetzt über die Stellung des Korrektors im 15. Jahrh. wissen, auf schwere Bedenken stößt, haben bereits G Ö L L E R , Rom. Quartalschr. 1 9 B , 83ff., und v. H O F M A N N , ebenda 20b, 91 fF-, gezeigt. Entscheidend dagegen spricht meines Erachtens die Konstitution Johanns X X I I . „Paterfamilias" § 1 0 ( T A N G L , K O . S . 9 3 ) , in der 8

TANGL,

Päpsll. Kanzlei

im 13. Jakrh.

Audientia

litterarum, contradictarum

281

Etwas mehr wissen wir schon für das 13. Jahrhundert über die Tätigkeit des auditor litterarum, contradictarum, durch dessen Bureau, die audientia litterarum contradictarum/ ein Teil der mundierten Urkunden hindurchgehen mußte, ehe sie bulliert, 2 registriert 3 und den Parteien ausgehändigt wurden. Welche Urkunden nun aber dem Verfahren in der Audientia unterworfen waren, darüber haben wir keine ganz widerspruchslosen Zeugnisse, und es ist sehr schwierig, darüber volle Klarheit zu gewinnen. 4 Mehrfach ist angenommen worden, daß dafür bestimmt wird, daß die Prokuratoren pro portandis litteris de cameris notariorum ad correctoriam vel de correotoria ad cancellariam keine Entschädigung verlangen dürfen. Danach mußten ohne Zweifel die Konzepte, die in den Kammern der Notare angefertigt wurden, ehe sie zur Reinschrift in die Kanzlei gebracht wurden, durch das Bureau des Korrektors hindurchgehen. Daß dies eine Neuerung erst aus der Zeit Johanns XXII. wäre, ist schon an sich unwahrscheinlich; daß vielmehr auch schon im 13. Jahrh. die Funktion des Korrektors die gleiche war, folgt, wie mir scheint, mit Sicherheit aus der damit ganz übereinstimmenden Bestimmung bei TANGL, KO. S. 54 n. 9: cum autern notas eorreetas aeeeperit ('seil, der Petent oder sein Bevollmächtigter), sine dilatione eas faeiat scribi et scriptas bullari. — Die letzte Revision der Reinschriften war nach allen Nachrichten, die wir besitzen, Sache der Notare und der Abbreviatoren, und wenn diese sich naturgemäß hauptsächlich auf den Rechtsinhalt und die Fassung der Urkunden bezog, so ist es doch keineswegs ausgeschlossen, daß sie unter Umständen auch ihre äußere Ausstattung prüften und beanstandeten. Der von DEIISLE, BEC. 48, 123F., besprochene Korrekturvermerk kann deshalb ebensogut, wie die oben S. 278 N. 6 erwähnten, von einem Notar oder einem Abbreviator herrühren; die Kegeln über die Ausstattung der Urkunden müssen diesen Beamten, durch deren Hände alle Reinschriften vor ihrer Aushändigung an den Empfänger gingen, völlig geläufig gewesen sein. 1 Sie ist zuerst in dem unter Innocenz III. in Rom geführten Prozesse des Thomas von Evesham in den Jahren 1204—1205 und 1206 nachweisbar, vgl. die von SPAETHEN, NA. 31, 635 N. 2 und 648 N. 1 zitierten Stellen aus dem Chron. abbatiae de Evesham (ed. MACRAY) S. 145. 199. Eine urkundlich beglaubigte Contradictio kennen wir schon aus dem Jahre 1199 (QFIA. 10, 378 n. 3); aber sie erfolgt damals noch nicht in einem besonders dafür eingerichteten Bureau. 4 Daß die Verhandlung in der Audientia in der Regel der Bullierung voranging, ergibt sich für das 14. Jahrh. aus den mehrfach wiederkehrenden Bestimmungen darüber, unter welchen Bedingungen bereits bullierte Urkunden nachträglich in die Audientia zurückgebracht werden sollen. 3 Daß die Urkunden vor der Registrierung die Audientia passieren mußten, ergibt sieh aus den unten S. 286 N. 4. mitgeteilten Vermerken im Register Urbans IV. 4 Vgl. TEIGE, Beiträge zur Geschichte der Audientia litterarum contradictarum (Prag 1897), eine Schrift, die freilich an Klarheit und Sorgfalt viel zu wünschen übrig läßt, und FÖRSTEMANN, Novae constitutiones audientiae contradictarum (Leipzig 1897).

282

Päpstl. Kamlei im 13. Jahrk.

Audientia litterarum contradictarum

der in mancher Beziehung so wichtige Unterschied zwischen Gnadenund Justizbriefen maßgehend war, in der Weise, daß nur die letzteren die Audientia zu passieren gehabt hätten. 1 In der Tat ist es gewiß, daß die große Masse der in der Audientia behandelten Urkunden zur Kategorie der Justizbriefe gehörte, aber daß in ihr auch G-nadenbriefe behandelt wurden, ist nicht minder sicher. Für das 13. Jahrhundert scheint in dieser Hinsicht der Unterschied in Betracht gekommen zu sein, der zwischen Urkunden, die als liiterae legendae, und solchen, die als liiterae simplices oder communes bezeichnet wurden, gemacht ward.2 Diese Unterscheidung wurde gemacht nach der geringeren oder größeren Wichtigkeit des Inhalts, nach der Art des beurkundeten Rechtsverhältnisses und nach dem Range und der Stellung der beteiligten Personen. Die litlerae legendae hießen aber so, weil sie — in welchem Stadium ihrer Ausfertigung werden wir später festzustellen versuchen — dem Papste vorgelesen werden sollten; von ihnen unterschieden sich die litterae simplices dadurch, daß sie, nachdem einmal der Beurkundungsbefehl vom Papst oder einem von ihm dazu bevollmächtigten Beamten erteilt war, ohne weiteres Eingreifen der höchsten Instanz in der Kanzlei fertiggestellt werden durften. Eben diese liiterae simplices mußten nun aber, wie es scheint, — und das ersetzt gewissermaßen ihre Verlesung vor dem Papste — die audientia litterarum contradictarum passieren.3 Freilich ist darüber, welche Urkunden vor dem Papst 1

Von dieser Auffassung geht die ganze Arbeit T E I G E S aus, und sie kann sich auf eine Aufzeichnung des Bonaguida von Arezzo (herausgegeben von T E I G E , M I O G R . 1 7 , 4 1 5 ) stützen, in der es heißt: item omnes littere gratiose non transeunt hodie per audientiam. Aber wenn hier nicht omnes . . . . non gleich non omnes aufzufassen ist, so ist, wie sich zeigen wird, diese Behauptung nicht richtig. Daß Bonaguida, obwohl iuris professor, mit dem Geschäftsgang an der Kurie nicht genügend vertraut war, zeigt seine Äußerung: si littere contradicuntur in audientia coram vicecaneellario; er denkt sich also ganz irrigerweise den Vizekanzler als den regelmäßigen Geschäftsleiter der Audientia. 8 Vgl. einstweilen R O D E N B E R G , NA. 10, 511. Zwischen litterae simplices und litterae communes ist schwerlich ein Unterschied zu machen; an der von R O D E N B E R G , NA. 10, 510, angeführten Stelle wird mit der sächsischen Summa prosarum dictaminis (QE. 9, 221) gegen ihre späteren Ausschreibe! zu lesen sein: alte sunt simplices vtl communes, nicht alie sunt siviplices alte communes. 3 Daß dem so ist, darf aus einer Verordnung Nikolaus' III. vom J. 1278 ( T A N G L , KO. S. 69 ff.) geschlossen werden Hier werden die littere que solent dari sine lectione als solche bezeichnet que transeunt per audientiam. Die Lesart ist allerdings nicht sicher; T A N G L zitiert den Satz S. 70 in der Form Iste sunt littere que solent dari sine lectione et que transeunt per audientiam,

Päpstl. Kanzlei im 13. Jahrh.

Audientia litterarum contradictarum

283

zu verlesen waren, zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Weise Bestimmung getroffen worden. Ob der gleiche Unterschied auch noch im 14. Jahrhundert für die Entscheidung darüber maßgebend war, ob eine Urkunde in der audientia litterarum contradictarum zu behandeln war, läßt sich um so weniger feststellen, als, wie wir später sehen werden, die Verlesung der Urkunden vor dem Papste mehr und mehr außer Gebrauch kam. In einer Verordnung Johanns XXII. vom Jahre 1331 werden einmal 1 die liltere que Iransire habeant per audientiam pablicam2 SO bestimmt den littere gratiose gegenübergestellt, daß man meinen sollte, in dieser Zeit seien wirklich nur noch die Justiz-, nicht aber die Gnadenbriefe durch die Audientia gegangen. Aber daß es sich hier nur um einen ungenauen Ausdruck handelt, ist nichtsdestoweniger ganz sicher. Denn in einem anderen Paragraphen derselben Verordnung 3 werden — in freilich ebenso unpräzisem Ausdruck — von den Gnadenbriefen nicht nur die Justizbriefe, sondern auch alie que per audientiam transeunt unterschieden; und indem nun eine Anzahl von Urkundenarten, die zu dieser zweiten Kategorie gehören, im einzelnen aufgezählt werden, ergibt sich mit voller Bestimmtheit, daß auch gewisse Gnadenbriefe darunter fallen. 4 Wir müssen also auch für diese Zeit daran festhalten, daß, wenngleich die audientia litterarum contradictarum vorwiegend für die Behandlung der Justizbriefe bestimmt war, doch auch gewisse Arten von Gnadenbriefen zu ihrem Ressort gehörten. 5

während er ihn S. 72 N. d ohne das zweite que wiedergibt. Aber darauf kommt meines Erachtens nichts an, und ich glaube nicht, daß wie R O D E N B E R G , Epp. pontific. saec. XIII. 3, XVIII N. 3, annimmt, ein sachlicher Unterschied zwischen beiden Fassungen zu machen ist. — Im einzelnen liegen uns aus dem 13. Jahrh. n"i sehr wenige Nachlichten über Urkunden, die durch die Audientia gegangen sind oder hatten gehen müssen, vor. 4ber unter diesen beziehen sich wenigstens zwei, die Notizen zu Kegistres d'Urbain IV. 1850. 1960 auf Gnaden briefe; s auch unten N. 4. 1

TANOL, K O .

1

Das ist hier zweifellos die audientia litt, contraot.

3

TANOL, K O .

4

S. 1 0 3

S. 108

§

§

127

208.

So nach § 217 die confirmotiones cum protectione, nach § 218 die Briefe mit der Arenga „Iustis petenimm" (vgl. T A N O L , KO. S. 258. 277), nach § 222 die privilegia commuma u. a. Daher steht denn auch auf dem bei T A N G L , Schiifttafeln 3, Taf. 91, abgebildeten Privileg Urbans IV der Vermerk in audientiam, post datam appositam propter cautionem und remittatur magistro P. de Benevento post audientiam. 6 R O D E N B E R G (vgl. oben S. 2 8 2 N . 3 ) meint, es seien die Gnadenbiiefe ge wesen, gegen die ein Widerspruch überhaupt möglich war. Aber ein solcher war wohl bei den meisten Gnadenbriefen nicht von vornherein ausgeschlossen. —

284

Päpstl. Kanxlei im 13. Jahrh.

Audientia

litlerarum

contradietarum

Das Personal der Audientia bestand aus dem auditor litlerarum contradictarum oder seinem Stellvertreter 1 sowie aus zwei aus dem Nach der Konstitution Eugens IV. von 1435 § 45 (TEIGE a. a. O. S. LXXI) gehen damals durch die Audientia 1. die litterae de iustitia simplici, 2. die litterae de iustitia mixta cum, gratia, 3. die litterae de gratia mixta cum iustitia. 1 Eine Liste der Auditoren für das 13. und 14. Jahrh. hat TEIGE S. 27 f. aufgestellt. Ich wiederhole sie mit erheblichen Ergänzungen und Berichtigungen bis zum Jahre 1378. Vollständig ist sie auch jetzt noch nicht. 1. Sinibaldus 1226 Nov. 14 bis 1227 Mai 30 (s. oben S. 250 mit N. 2). 2. Vernacius 1229 (SCHNEIDER, Eeg. Volaterranum S. 164 n. 465). 3. Goffredus de Trano unter Innocenz IV. (MIÖG. 17, 413, vgl. 409). 4. Guillelmus magister scholarum Parmens. 1246 (Reg. d'Innocent 1Y. n. 1734. 1795). 5. Iohannes de Camezano 1252—1256 (Eeg. d'Innocent IV. n. 5614; Reg. d'Alexandre IV. n. 1445). 6. Bartholomeus archidiaconus Ambianensis 1266—1270 (Reg. de Clément IV. n. 381. 382; HASSE, Schlesw.-Holst.-Lauenb. Regesten 2, 159 n. 381 (im Or. dieser Urkunde im Staatsarchiv zu Hamburg ist nach gütiger Mitteilung HAGEDOBNS Bartholomeus statt Burchardus zu lesen); Lübeck. UB. 1, 303 n. 319. 7. Gerardus magister scholarum Parmens. 1277 (Straßburger UB. 2, 36 n. 54); wahrscheinlich identisch mit dem Mag. G., der 1276 unter Johann XXI. als aud. litt, eontrad. begegnet, RAINALD, Ann. eccles. 127G n. 31. 8. Iacobus canonicus Bononiensis 1278 Juli (S (Lübeck. UB. 1, 363 n. 397 9. Gifredus de Anania (von Anagni) 1279—1282 (MABINI, Degli archiatri p o n t i f i c i i 2, 14 N . 10; POTTHAST n . 21903).

10. Guido de Novavilla 1288—1290 (Reg. de Nicolas IV. n. 388. 1079; Lübeck. UB. 1, 496 n. 548; wird im Juni 1290 Bischof von Le Puy und legt sein Amt nieder, Reg. de Nicolas IV. n. 2750. 7371). 11. Ranuccinus de Murro 1291—1292 (Reg. de Nicolas IV. n. 5818. 6591). 12. Octavianus de Placentia 1297 (Reg. de Boniface VIII. n. 1942). 13. Huguitio de Vercellis 1303 (Reg. de Benoit XI. n. 49. 80); wird 1304 Bischof von Novara. 14. Guido de Baysio 1304—1312 (Reg. de Benoit XI. n. 734; Reg. Clementis V. n. 9474; L ü b e c k . U B . 2, 180 n. 208; TEIGE S. Illff.). 15. B e r n a r d u s R o i a r d i 1 3 1 3 — 1 3 1 6 ( R e g . C l e m e n t i s V . n . 9597. 1 0 2 6 2 ; EHRLE,

Archiv f. Kirchen- und Literaturgesch. 5, 130; TEIGE S. 27 f; bei TEIGE S. V N. 1 ist Bernardus Roiardi statt Bernardus Bernardi zu lesen). 16. Petrus de Nogareto 1321—1322 (TEIGE S. 28; Lübeck. UB. 2, 371 n. 423; Mecklenburg. U B . 6, 636 f. n. 4305 f.).

17. Bertrandus de Deucio, Propst, dann Erzbischof von Embrun 1323—1338 (MIÖG. Erg. 6, 329; TEIGE S. VI. XI.; Lübeck. UB. 2, 394 n. 447; Mecklenburg. UB. 8, 21 n. 5027, 8; BALUZE, Vitae papar. Avenionens. 1, 216, s. oben S. 259 N. 6). 18. Beltraminus, Bischof von Bologna 1342—1346 (Lettres closes de Clément VI. n. 156FF; WEBUNSKY, Excerpta ex registr. Clem. VI. et Innoc. VI. S. 45 n. 111;

L ü b e c k . U B . 2, 765. 771FF. n . 823. 830FF.;

storben 1350.

TEIGE S. X I I f f . ) ,

ge-

Päpstl. Kanxlei

im 13. Jahrh.

Audientia

litterarum

conlradietarum

285

Kollegium der Scriptoren genommenen leetores, die zwar erst unter Johann XXII. erwähnt werden, deren Amt aber damals schon längere Zeit und also wohl auch im 13. Jahrhundert schon bestand; 1 außerdem war der Audientia ein Notar beigegeben, den der Vizekanzler bestimmte; später wird auch noch ein zweiter dem Auditor unmittelbar unterstellter Notar erwähnt. 2 Der Disziplinargewalt des Auditors unterworfen waren auch die Prokuratoren derer, die eine Urkunde erwirken oder Widerspruch gegen die von einem anderen erwirkte Urkunde erheben wollten. Sie bedurften, um in der Audientia überhaupt auftreten zu können, einer Autorisation des Auditors, von dem sie wegen unangemessenen Verhaltens oder wegen sonstiger Vergehen auf Zeit oder für immer aus der Audientia ausgeschlossen werden konnten. Kanzleibeamte des Papstes im eigentlichen Sinne waren die Prokuratoren nicht; aber sie wurden auf gute Führung vereidigt und ihre Gebühren waren amtlich geregelt. Die Parteien und ihre Prokuratoren hatten das Recht, gegen Urkunden, welche die Audientia passieren mußten und hier von den Lektoren verlesen wurden, unter bestimmten Voraussetzungen und unter 19. Johannes 1352—1354 Bischof von Valence und Die, 1354 Bischof von Luçon, 1354 Bischof von Eine (Perpignan), 1357 Bischof von Le Puy ( T E I G E S. 37 f. [das Formular ist entstellt; der Domdechant von Hildesheim ist 1352—1354 Volrad von Dreinieben, der 1359 starb, um seine Nachfolge stritten Bernhard von Zuden und Gerhard von Schalksberg]. 54 und XIV; Mecklenb. UB. 13, 502 n. 7965, 12; ebenda 14, 259 n. 8451); gestorben 1361. 2 0 . Gaufridus (von Saligny), seit 1 3 6 9 Bischof von Châlons-sur-Saône ( T A N G L , KO.

S . 1 3 3 ; FÖRSTEMANN S . 7 ) .

Petrus (von Sortenac), Bischof von Viviers 1 3 7 4 — 1 3 7 5 (TANGL a. a. 0 . ; FÖRSTEMANN a. a. 0 . ) wird 2 0 . Dez. 1 3 7 5 Kardinal. 22. Bertrandus, Bischof von Pamphylien (?) 1376 NA. 23, 755. Als Stellvertreter (officium gerentes, loeum tenentes) des Auditors kann ich nachweisen: 1274 den Korrektor Petrus von Teano (MIÖG. 4, 536); 1299—1300 Huguitio de Vercellis, später Auditor (Lübeck. UB. 1, 628 n. 697; 1, 657 n. 723); 1316 —1318 Petrus Fabri, archidiaconus Caturcensis ( E K L E R , Lib. cancell. S. 167; Lettres secrètes de Jean XXII. n. 491; T E I G E S. 24. 26); 1318 Dezember 4 Petrus (de Pratis) Erzbischof von Aix, später Vizekanzler, Lübeck. UB. 2, 314 n. 366; 1333 Petrus Kaymundi de Montebruno (GQ. der Provinz Sachsen 21, 285 n. 514; Mecklenburg. UB. 8, 105 n. 5116, 15); 1358 Petrus Maioris precentor Valentiuensis (Mecklenburg. UB. 14, 259 n. 8451; T E I G E S. 26, vgl. S. 22, wo er Petrus Scatinati heißt). 1 T A N G L , K O . S. 7 1 1 ff. Ihr Amtseid aus avignonesischer Zeit: T A N G L a. a. 0. S. 43. 8 T A N G L a. a. O . S. 112 § 5 . 1360 werden die beiden Lektoren und der Notar des Auditors genannt, Mecklenburg. UB. 14, 445 n. 8497, 3. 1375 werden die beiden Notare erwähnt, FÖRSTEMANN S. 54 § 22, vgl. T E I G E S. LXIX § 39. 21.

286

Päpstl. Kanzlei im 13. Jahrh. Audientia litterarum contradictarum

Beobachtung bestimmter Formen Widerspruch zu erheben. 1 Wenn der Widerspruch nicht durch den Auditor selbst aus formalen oder sachlichen Gründen anerkannt oder zurückgewiesen oder von dem protestierenden Prokurator bedingungslos oder unter gewissen Bedingungen zurückgezogen wurde,2 so erfolgte schließlich wohl immer eine gerichtliche Entscheidung des Streites.3 Daß der Papst selbst trotz erfolgten Widerspruches die Expedition einer Urkunde anbefehlen und daß er auch von dem Verfahren vor der Audientia ganz dispensieren konnte, versteht sich von selbst; eine Anzahl von Fällen, in denen das eine oder das andere geschehen ist, kennen wir aus Bemerkungen in den Registerbüchern Urbans IV. 4 Wir haben, indem wir hier unsere Übersicht über die päpstlichen Kanzleiverhältnisse des 13. Jahrhunderts abschließen, nur noch die Tatsache zu erwähnen, daß es schon damals an der päpstlichen Kurie noch andere Verwaltungsbureaus mit eigenem Schreiberpersonal gab, die mit der Kanzlei nicht im Zusammenhang standen. Dahin gehören namentlich die poenitentiaria und die camera aposlolica. Die erstere war das Amt für die Handhabung des Büß- und Pönitentialwesens 5 und wurde geleitet durch den Pönitentiarius; die ihm untergebenen Schreiber heißen scriptores poenitentiariae.e In der dem Camerarius 1 Das heißt eontradicere oder litleram impedire, arrestare. Eine Urkunde freigeben heißt litteram absolvere. 8 So in den Fällen dea Chron. Eveshamense (oben S. 281 N. 1), dann MIÖGr. 4, 536; Straßburger UB. 2, 36 n. 54 und öfter. 5 1217 bestellt der Papst selbst, nachdem Kontradiktion erfolgt ist, in Gegenwart der Prokuratoren beider Parteien zwei Richter, welche die Kontradiktion abweisen, B R O M , Bullar. Traiectense 1, 29 n. 78. Später wird in der Regel, wenn die Parteien sich über die Richter nicht einigen können, so verfahren, daß jede der beiden Parteien einen und der Auditor einen dritten R ichter ernennt. 4 Vgl. Reg. d'Urbain IV. n. 367: de consilio domini . . epise. Sabinensis tranñvit hee liitera sine audientia; n. 1611: de mandato domini nostri fuit expedita non obstante multorum eontradietione; n. 1850: coneessa est obtentu domini Ouidonis Cisíerc. cardinalis non obstante eontradietione; n. 1960: ad instantiam eamerarii transiit sine audientia; n. 2772: de speciali gratia sine audientia transieruni. 5 Vgl. H I N S C H I Ü S 1, 427ff. und besonders G Ü L L E R , Die päpstliche Poenitentiarie von ihrem Ursprung bis zu ihrer Umgestaltung unter Pius V. (Rom 1907, Bibl. des Preuß. histor. Instituts in Rom, Bd. 3 und 4). 6 Unter Benedikt XII., dessen Konstitution „In agro dominico'1 (Archiv für Literatur- und Kirchengesch. 4, 209 ff.) eine Hauptquelle für die Kenntnis von der Organisation der Poenitentiaria ist, kommen außerdem correctores, distributores, sigillatores vor; in vielen Beziehungen war die Organisation der der Kanzlei nachgebildet.

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Kanzleiverordnungen

287

unterstellten Kammer, der päpstlichen Oberfinanzbehörde, war das Bureaupersonal weniger zahlreich; 1 bemerkenswert ist, daß sich hier noch im 13. Jahrhundert der in der Kanzlei damals nicht mehr übliche Titel eines seriniarius findet.2 Nicht so gut wie über die Verhältnisse des ausgehenden 13. Jahrhunderts, sind wir bis jetzt über die Veränderungen unterrichtet, welche die Organisation der päpstlichen Kanzlei im Laufe des 14. Jahrhunderts, zumal während des Aufenthalts in Avignon, erfahren hat. Zwar besitzen wir aus dem Anfang der avignonesischen Periode mehrere umfassende Konstitutionen, die Johann XXII. zur Regelung der Kanzleiverfassung erlassen hat. 3 Indessen bildet bei der wichtigsten und umfangreichsten dieser Verordnungen die Neugestaltung des Gebührenwesens die Hauptsache; andere Bestimmungen beziehen sich nur auf Äußerlichkeiten, Verhütung von Bestechungen u. dgl.; und so dankenswert die Aufschlüsse sind, die wir durch jene Konstitutionen erhalten, so reichen sie doch nicht aus, um uns ein vollständiges und erschöpfendes Bild von dem Geschäftsgänge in der Kanzlei zu geben. Aus der übrigen Zeit des 14. Jahrhunderts, in der nicht unerhebliche Veränderungen eingetreten sein müssen, liegen zwar gleichfalls einige Verordnungen der Päpste vor, die sich auf die Verhältnisse in der Kanzlei beziehen,4 ' Vgl.

OTTENTHAL,

MIÖGR.

Erg. 1,

485ff.;

GOTTLOB,

Aua

der

Camera

apostolica des 15. Jahrhunderts (Innsbruck 1889) S. 70ff. 113ff. 2 Albertinus, der bald seriniarius, bald notarius heißt, Epp. Innoc. 1, 353; THEINER, Cod. dipl. domin. temp. 1, 29 n. 36. Mag. Nicolaus de Ferentino striniarius camerae 1239, MG. Epp. pontif. saec. XIII. 1, 730 n. 833; HUILLARDBR£HOLLES 5, 394. 3

Es sind 1. die Konstitution „Cum ad sacrosanctae" vom 10. Dez. 1316 über die Taxen der Kanzleiabbreviatoren, der Scriptoren und des Registers, FRIEDBERG, Corp. iur. can. 2, 1218. 2 . - 5 . vier Konstitutionen vom 16. Nov. 1331: a) „Ratio iuris exigit" über die audientia causarum, TANGI, KO. S. 83 ff. b) „Paterfamilias" über Abbreviatoren, Scriptoren und Registraturen, ebenda S. 92ff. c) „Qui exaeti temporis" über die audientia litterarum contradictarum, ebenda S. 111 ff. d) „Deeet et expedit" über die Zahl der Scriptoren, ebenda S. 115 ff. * Zwei ausführliche Konstitutionen Benedikts XII. („Decens et neeessarium" vom 27. Okt. 1340, TANGL, KO. S. 118ff.) und Gregors XI. („Quamvis a feticis" vom 1. März 1375, ebenda S. 128ff.) beziehen sich auf Konsistorien und auf die audientia causarum, speziell auf die Advokaten und Prokuratoren; für die Kanzleigeschichte kommen sie kaum in Betracht. Einige kurze Verfügungen Clemens'VI. von 1347 und 1349 (ebenda S. 124f.) und Innocenz' VI. von 1355 (erwähnt ebenda S. 115 n. XIV) und 1357 (ebenda S. 126) betreffen die Privilegien der Kanzleibeamten und die Zahl der Scriptoren. Eine Konstitution Urbans V. über das Scriptorenkollegium ist bis jetzt nicht zutage gekommen, wird aber

288

Päpstliche Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Kanzleiverordnungen

aber sie sind im ganzen wenig ergiebig und bieten gerade über die wichtigsten Fragen nur geringen Aufschluß. Erst aus dem 15. Jahrhundert haben wir dann wieder zahlreiche einschlägige Konstitutionen, die uns die veränderten Verhältnisse ziemlich genau zu erkennen ermöglichen, aber über den Zeitpunkt, wann die Veränderungen eingetreten sind, keine oder nur ungenügende Auskunft geben. 1 Unter in zwei sie abändernden Verfügungen Gregors XI. („Statutum per felicis" und „Etsi eunotis", beide vom 22. Juli 1372, TAX GL a. a. 0. S. 126ff.) erwähnt. Aus der Zeit nach dem Schisma haben wir aus Avignon gar keine, aus Rom nur zwei kurze Erlasse Bonifaz' IX. von 1391 und 1397 und eine Verordnung des Kanzleileiters Ramnulf von 1380, die sich auf Kanzleibeamte beziehen (TANGL a. a. 0. S. 131 f.). Endlich sind noch eine Anzahl von Verordnungen der auditores litterarum eonlradictarum aus der Zeit von 1311—1375 erhalten (herausgegeben von T E I Q E und FÖRSTEMANN , s. oben S. 281 N . 4), die aber ebenfalls über die Verhältnisse in der Kanzlei nur wenig unterrichten. —• Neben diesen Verordnungen ist eine wichtige Quelle für die Geschichte der Kanzlei im 14. Jahrh. die von v. OTTENTHAL herausgegebene Sammlung der Regulae cancellariae apostolicae (Innsbruck 1888), zu der T E I G E (MIÖG. 17, 415 ff.) einige Ergänzungen geliefert hat. 1 Die wichtigsten dieser Konstitutionen des 15. Jahrh. sind: 1. Martin V.: „In apostoliee dignitatis" vom 1. Sept. 1418, T A N G L , KO. S. 133ff., und bei BAUMGARTEN, Aus Kanzlei und Kammer S. 322ff. 2. Derselbe: „Romani pontificis" vom 1. März 1423, T A N Q L , KO. S. 146ff. 3. Derselbe: „Sanctissimus dominus1,1 vom 13. April 1425, D Ö L L I N G E R , Beiträge 2, 335, Auszug bei T A N G L , KO. S. 162. 4. Eugen IV.: „Merni patris familias" vom 11. Aug. 1432, ebenda S. 165ff. 5. Derselbe: „Oerentes in terris" vom 8. Febr. 1435 (nicht 1434), T E I Q E S. L I F T , (betrifft die audientia litt, contrad.). 6. Derselbe: „Romani pontificis'1 von 1445—1447, T A N G L , KO. S. 168ff. 7. Derselbe: „Sicut prudens" vom 7. Juni 1445, MIÖG. Erg. 1, 569ff. 8. Calixt III.: „Ässidua nostri" vom 28. März 1458, T A N G L , KO. S. 177ff. 9. Pius II.: „Rationi congruit" vom 3 . Sept. 1458, CIAMPINI, Abbreviat. S. 22f. 10. Derselbe: „Dum ingentia" vom 24. Nov. 1458, ebenda S. 23f. 11. Derselbe: „Vices illius'1 vom 15. Nov. 1463, T A N Q L , KO. S. 179ff. 12. Derselbe: „Quo salubrius" vom 30. Mai 1464, ebenda S. 183ff. 13. Paul II.: „Illa quoram" vom 3. Dez. 1464, ebenda S. 189ff. 14. Derselbe: „Cum pridern." vom gleichen Tage, ebenda S. 191ff. 15. Derselbe: „Ut in scribendis" vom 2. Mai 1465, ebenda S. 192. 16. Sixtus IV.: „Cum sicut frequentibus" vom 9. Jan. 1472, ebenda S. 194f. 17. Derselbe: „Divina etemi" vom 11. Jan. 1479, ebenda S. 195ff. 18. Derselbe: „Cum sieut accepimus" vom 9. Juni 1481, ebenda S. 206f. 19. Derselbe: „Romanus pontifex" vom 13. Juni 1482, ebenda S. 207ff. 20. Derselbe: „Cum a predecessoribus", ohne Datum, ebenda S. 213 ff. 21. Innocenz VIII.: „Cum ad sacrosancte" vom 15. Mai 1486, ebenda S. 215ff. und bei BAUMGARTEN, Aus Kanzlei und Kammer S. 346ff. 22. Derselbe: „Kon dcbet reprehensibilea vom 31. Dez. 1487 (über die Sekretäre), Bullar. Romanum 5, 330ff. 23. Derselbe: „Licet iuxta", ohne Datum, T A N G L , KO. S. 223ff. — Von sehr erheblichem Interesse sind außer den Konstitutionen der Päpste die auf die Kanzlei bezüglichen Abschnitte aus den Reformentwürfen des 15. Jahrh., die T A K Q L a. a. 0 . S. 361ff. zusammengestellt hat.

Päpstliche Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Regens cancellariam

289

diesen Umständen werden sich auch jetzt noch über manche wichtige und interessante Fragen nur mehr oder minder wahrscheinliche Vermutungen aufstellen lassen, und der Geschichtschreiber der päpstlichen Kanzlei muß noch immer darauf gefaßt sein, seine Darstellung durch spätere Publikationen vielfach nicht nur ergänzt, sondern auch berichtigt zu sehen. Die größten und wichtigsten Veränderungen hat innerhalb dieser letzten mittelalterlichen Periode der Geschichte des päpstlichen Kanzleiwesens Stellung und Tätigkeit der Notare erfahren. Während bis mindestens in die Zeit Alexanders IV. die Vertretung des Vizekanzlers, wenn eine solche erforderlich war, regelmäßig durch eiuen Notar besorgt wurde, 1 ist schon seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts diese Vertretung anderweit geregelt worden. Als im Jahre 1312 der Vizekanzler Arnald als Legat nach England gesandt wurde, 3 ist es, soviel wir bis jetzt wissen, zum ersten Male vorgekommen, 3 daß ein ständiger Vertreter des Vizekanzlers ernannt wurde, der den Titel regens cancellariam geführt zu haben scheint. 4 Wir kennen nur seinen Namen M a n u e l , wissen aber sonst nichts über ihn; dem Kollegium der Notare Clemens' V. scheint er, soviel sich er1

2 S. oben S. 249ffi S. oben S. 250 N. 5. TANOL (ARNDT-TANOL, Schrifttafeln 3, 50, vgl. NA. 34, 277) möchte schon in dem in den Registern Urbans IV. häufig genannten Petrus archidiaconus Broliensis in ecclesia Agenensi, der als socius des Vizekanzlers Michael bezeichnet wird, einen Vertreter des Vizekanzlers sehen und identifiziert ihn mit einem Petrus de Benevento, der in irgend einer Weise, die wir nicht näher bestimmen können, bei der Ausfertigung eines Privilegs von 1263 für Kloster Breitenau beteiligt war. Allein der Archidiakon Petrus heißt nicht de Benevento, sondern nach Registres d'Urbain IV. n. 1626 de Bardissen, so daß jene Identifikation nicht zulässig ist. Wenn er socius des Vizekanzlers genannt wird, so ist das wohl mit familiaris identisch und nicht auf Vertretung zu beziehen, vgl. z. B. Reg. d'Urbain IV. n. 1847 Oifredus . . . socius mag. Adinulfi capellani; Reg. Clementis papae V. Prolegomena S. 74 Taxvermerk auf einer Urkunde für einen Scriptor Paganus de Asprano de Traiecto: nichil pro Paga.no socio domini vicecancellarii. Schließlich erscheint der Archidiakon Petrus im Register Urbans IV. niemals in einer anderen Funktion als in der eines Examinators der zu providierenden Kleriker; daß er im übrigen in der Kanzlei beschäftigt gewesen wäre, ist nicht zu erweisen. 4 Vgl. die schon oben S. 257 N. 1 angeführte Notiz in dem Formularbuch des Cod. Barberini XXXI, 11: sie servatum fuit tempore, quo cardinalis Albus fuit vieecancellarius et magister Manuel regebat cancellariam. Dem Zusammenhang nach kann unter dem cardinalis Albus nur der Cistercienserabt Arnald verstanden werden, dessen Vulgärname cardinalis Albus (oder Diane us) war. BAUMGARTEN, Von der Apost. Kanzlei S. 57. 94ff.. der diese Notiz nicht beachtet, hat, hält den nachmaligen Papst Johann XXII. für den Vertreter Arnalds, weil 3

I l r e ß l a n , Urkundenlehre. 3. Aufl. I .

19

290

Päpstliche

Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Regens

cancellariam

mitteln läßt, nicht angehört zu haben. 1 Unter J o h a n n X X I I . wurde dann, wie wir oben gesehen haben, 2 der Vertreter des als Nuntius nach England gesandten Vizekanzlers G-aucelmus Iohannis Deuza wahrscheinlich selbst zum Vizekanzler ernannt, da er schon Kardinal war, und erst unter Clemens VI. kam es während einer Gesandtschaftsreise des Vizekanzlers Petrus de Pratis wieder zur Einsetzung eines stellvertretenden Kanzleichefs in der Person des Frater H e l i a s ( A l b e r t i ) , Abtes von S.Florentius zu Saumur, der das Amt bis zum Frühjahr 1 3 4 3 bekleidete. 3 Der offizielle Titel dieses Beamten steht damals noch nicht fest; es kommen die Bezeichnungen officium vicecancellarii gerens oder regens oder officium cancellarie gerens oder vicecancellarii vices gerens oder auch vicecancellarii locumtenens vor; auch Bartholomaeus Prignano, der unter Gregor XI. den in Avignon zurückgebliebenen Vizekanzler vertrat, hat noch ähnliche Titel geführt, 4 und erst allmählich gewinnt seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts der Titel cancellarie officium regens oder noch kürzer cancellariam regens die Vorherrschaft. 5 Die Kanzleiregenten dieser Zeit sind bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts in dem oben S. 2 6 1 ff. gegebenen Verzeichnis der Vizekanzler bereits aufgeführt worden; 6 sie er 1312 und 1313 während der Abwesenheit des Vizekanzlers die Tabellionatsprüfungen vornahm. In der Tat hat er bewiesen, daß später regelmäßig der Vertreter des Vizekanzlers ihn auch in diesen Prüfungen vertritt, während im 13. Jahrh. ein ständiger Zusammenhang zwischen Kanzleileitung und Prüfung der Notare noch nicht bestand. Nur werden wir nach dem angeführten Zeugnis, dessen Glaubwürdigkeit nicht wohl bestritten werden kann, annehmen müssen, daß diese Regel sich erst unter Johann XXII., nicht schon unter Clemens V. fest ausgebildet hat. 1 Wenigstens kommt ein Manuel unter den Notaren Clemens' V., soviel ich sehe, nicht vor. An den späteren Notar Johanns XXII. Manuel de Fliseo ist wohl kaum zu denken, und der Scriptor Manuel de Parma, der im Reg. Clem. V. 5, 421 n. 6316 vorkommt, ist mit dem regens cancellariam gewiß 2 nicht identisch. S. oben S. 256 f. 3 Vgl. Lettres closes de Clément VI. n. 2 6 7 . 5 4 3 und B A L M G A R T E X a. a. 0 . S. lC5ff. 4 S. oben S. 2 6 1 und BAUMGARTEN, Von dër apostolischen Kanzlei S. 1 0 9 . 5 Gleichbedeutend ist im 15. Jahrh. praesidens cancellariae oder locumtenens vicecancellarii; vgl. die unter diesen Schlagworten und unter regens cancellariam in Register zu T A N G L S Kanzleiordnungen und in O T T E N T H A L s Kanzleiregeln verzeichneten Stellen sowie die Notiz bei BAUMGARTEX S. 1 1 9 , wo locumtenentia und regentia cancellarie gleichgesetzt sind. Ein Stellvertreter des Stellvertreters kann natürlich nur locumtenens regentis cancellariam genannt werden. 6 Der Referendar, Abt von St. Saturnin zu Toulouse und der Kardinal Michael de Salva, die 1405 und 1406 dem Vizekanzler Befehle des Papstes übermitteln, haben damit keineswegs, wie BAUMOARTEX S. 1 2 9 N . 2 annimmt, e i n e A r t von Stellvertretung des Vizekanzlers ausgeübt.

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Regens cancellariam

291

sind, soviel wir sehen können, nur in Zeiten der Abwesenheit oder Krankheit der Vizekanzler oder während einer kürzeren oder längeren Vakanz des Vizekanzleramtes vom Papste ernannt worden. Erst aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, aus der Zeit des Rodericus Borja, der drei und ein halbes Jahrzehnt lang das Amt des Vizekanzlers bekleidete, haben wir eine Anzahl von Ernennungspatenten der Stellvertreter, die von dem Vizekanzler selbst ausgestellt sind, freilich zumeist unter ausdrücklicher Berufung auf einen mündlich erteilten Auftrag des Papstes. 1 Der ernannte Vertreter wird in ihnen regelmäßig als locumienens, nie mehr als regens cancellariam, bezeichnet; der Auftrag erfolgt zumeist nur auf kürzere Zeit und wird in der Regel damit motiviert, daß der Vizekanzler in Geschäften oder zur Erholung die Kurie verlassen müsse. So hat der Bischof Alvaro von Silves, der 1467 nach Evora versetzt wurde, in den Jahren 1462—1468 achtmal die Vollmacht erhalten, den Vizekanzler zu vertreten; nur einmal im Jahre 1464, als er selbst in Abwesenheit des Vizekanzlers verhindert war die Kanzleigeschäfte zu leiten, ist ein anderer Locumtenens bestellt worden. Wahrscheinlich ist dann in der nächsten Zeit nach 1468 noch ein anderes Verfahren eingeschlagen worden, indem der Vizekanzler nur die Expedition der Gratialbriefe in eigener Hand behielt und im Verhinderungsfalle einen Vertreter ernannte — so 1470 den Erzbischof Simon von Antivari —, während er die Leitung der Expedition der Justizbriefe an einen ein für allemal bestellten Locumtenens abgab, der ohne Rücksicht auf An- oder Abwesenheit des Vizekanzlers sein Amt ausübte. 2 Doch ist diese Trennung der Oberleitung für Gnaden- und Justizsachen nicht von Dauer gewesen, 3 und 1499, als der Vizekanzler abwesend und der von ihm ernannte Vertreter schwer erkrankt war, hat auch der Papst selbst einmal wieder einen Locumtenens ernannt. 4 1

Vgl. C I A M P I N I , Vicecancell. S . 101 ff. CIAMPINI hat den Cod. Barberin. XXXV. 69 benutzt, aus dem ich weitere Mitteilungen der Güte M. T A N G L S verdanke, die den folgenden Ausführungen zugrunde liegen. * In letzterer Eigenschaft hat wahrscheinlich schon der Bischof Johannes von Girgenti fungiert, dessen Bestallung in dem oben angeführten Codex Barberin. nicht erhalten ist; nach seinem Tode hat am 12. Febr. 1479 der Bischof Marianus von Gland^ves den gleichen, auf Grund schriftlicher Vollmacht des Papstes erteilten Auftrag erhalten. 3 Schon 1484 ist aus einer Originalsupplik erweisbar, daß Marianus von Glandfeves auch bei der Expedition von Gratialbriefen beteiligt war. 4 C I A M P I M a. a. 0 . S . 107. Dieser Vertreter gehörte zum Kollegium der Abbreviatoren, wie denn auch später der älteste Abbreviator den Regens oder Locumtenens bei bloß vorübergehender Behinderung von selbst vertrat, C I A M P I N I , Abbrev. S. 42. 19*

292

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Custos cancellariae

Wichtig ist es an dieser Stelle hervorzuheben, daß sowohl der Papst wie der Vizekanzler bei der Ernennung eines Regens oder Locumtenens ganz nach freiem Ermessen verfahren sind und ihn keineswegs immer aus dem Kanzleipersonal, geschweige denn aus einer bestimmten Kategorie dieses Personal entnommen haben. Ein Notar ist denn auch im 14. und 15. Jahrhundert nur vereinzelt zum Vertreter des Vizekanzlers ernannt worden. 1 Wie an der eben besprochenen, so zeigt sich auch noch an einer zweiten Tatsache eine Lockerung des früher so engen Verhältnisses zwischen Vizekanzler und Notaren: der gemeinsame Haushalt, den sie im 13. Jahrhundert führten, hat aufgehört zu bestehen. Wann seine Auflösung eingetreten ist, wissen wir nicht, doch wird es wohl zu Anfang der avignonesischen Zeit geschehen sein.2 Im 15. Jahrhundert ist demgemäß der einstige Leiter dieses Haushaltes, der senescalcus oder, wie er jetzt heißt, custos cancellariae nicht mehr Privatbeamter des Vizekanzlers und der Notare, sondern päpstlicher Beamter, der in die Hände des Vizekanzlers seinen jährlich zu erneuernden Amtseid leistet; 3 er wird vom Vizekanzler, später vom Papst selbst aus der Zahl der Abbreviatoren oder Scriptoren, und zwar wenigstens seit 1439, sein gutes Verhalten verausgesetzt, auf Lebenszeit ernannt und fungiert hauptsächlich als Vermittler zwischen den einzelnen Bureaus der Kanzlei.4 Sehr viel wichtiger war drittens eine erhebliche Verringerung der amtlichen Obliegenheiten der Notare. Gegen das Ende des 13. oder 1

So Bartholomaeus Francisci unter Bonifaz IX., s. oben S. 262. — Aegidius Bellemer (s. oben S. 261 N. 2) war audilor litterarum contradietarum. Viel öfter kommen Referendare als regentes eancellariam vor. 2 Unter Nikolaus III. und in den ersten Jahren des 14. Jahrh. erhält die Kanzlei noch die üblichen Naturalbezüge, die einen gemeinsamen Haushalt voraussetzen; aber schon in den Rechnungen aus der Zeit Clemens' V. erfolgen die Leistungen an die cancellaria in Geld, nicht mehr in Naturallieferungen (vgl. HALLER, QFIA. 1, 5), und nur die nächste Umgebung des Papstes, die stricto, familia erhielt Naturalverpflegung; vgl. dazu DEHIO, Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgesch. 1910 S. 56ff. 3 So nach Martin V. „In apostolicae dignitatis" § 10, TANGL, KO. S. 136. — Die von Martin V. festgesetzte Eidesformel ist nicht erhalten; eine Formel aus der Zeit Alexanders VI. s. bei TANGL, KO. S. 422. 4 Vgl. OTTENTHAL. MIÖGr. Erg. 1, 460 N. 1. Im 15. Jahrh. kontrolliert er außerdem die Reinschriften der Urkunden daraufhin, ob sich in ihnen keine verunstaltende Rasur findet, SCHMITZ-KALLENBERG, Practica cancellariae S. 31. (Ich bezeichne diese Schrift im folgenden als Practica von 1494, obwohl sie in diesem Jahre nur begonnen und erst einige Jahre später vollendet zu sein scheint).

Päpstliche Kanztei seit dem 14. Jahrhundert.

Notare

293

im Anfange des 14. Jahrhunderts wurde ihnen die Bearbeitung der meisten Petitionen in Gnadensachen und der Vortrag darüber beim Papst entzogen und den Inhabern eines neugebildeten Amtes, den Referendaren, übertragen. 1 Gleichzeitig und infolge davon wurde den Notaren auch ein beträchtlicher Teil der Arbeit des Konzipierens abgenommen, der ebenfalls auf andere Beamte überging, wie gleich näher darzulegen sein wird. Trotz dieser Einschränkung ihrer amtlichen Tätigkeit hat sich die Zahl der Notare im Laufe des 14. Jahrhunderts beträchtlich vermehrt. Bereits 1425 beklagt Martin V., daß, während nach alten Satzungen es nicht mehr als sechs oder einschließlich des Vizekanzlers sieben Notare geben sollte, jetzt mehr als vierzig, die in verschiedenen Teilen der Welt lebten, diesen Titel führten; 2 er verordnet eine Reduktion auf die alte Zahl, die dadurch herbeizuführen ist, daß keine neuen Ernennungen stattfinden sollen, solange es mehr als sieben Notare gibt. 3 Ausgeführt ist diese Bestimmung jedenfalls nicht; 4 gewiß machte man aber schon damals einen Unterschied zwischen wirklich Dienst tuenden und deshalb auchan den Einkünften partizipierenden 6 und zwischen bloßen Titularnotaren, denen nur Rang- und Ehrenvorzüge zukamen.® Diese waren noch immer sehr erheblich: noch "Martin V. bestätigte ihnen insbesondere ihren Vorrang vor den Prälaten in der Weise, daß in der päpstlichen Kapelle wenigstens drei Notare, die nach einem wöchentlichen oder monatlichen Turnus bestimmt werden, sogar vor 1

S. unten Kap. Petitionen und Vorverhandlungen. Martin V. „Sanctissimus dominus" § 1 (TANGL, KO. S. 162): antiqui patres Septem tanium statuerunt prothonotarios, quorum primus est dominus vieecancellarius Rom. eecl., reliqui vero qui hodiernis temporibus prothcmotarii nuncupantur. Et quid ad presens sunt plures quam quadraginta per diversa mundi loca usw. Vgl. TANGL, KO. S. 137 § 12; 149 § 9. 3 Das für das Konstanter Konzil aufgestellte Avisamentum de annuo subsidio peeuniario summo pontißci, eardinalibus et offieialibus curiae Romanae praestando (DÖLLINGER, Beiträge 2, 321) wirft nur für sieben P.o„onota e Gehalt von je 700 Dukaten aus. 4 In dem Reformentwurf Pius' II. von 1464 § 24 (TANGL, KO. S. 376) wird eine Reduktion der Zahl der Notare auf 24 inter presentes et absentes in Aussieht genommen, für Söhne von Königen oder Fürsten oder päpstliche Nepoten aber noch eine Ausnahme zugelassen. 2

5 der Konstitution Das sind die no/arii de numero parlieipantium Alexanders Vf. (TANGL, KO. S. 226, vgl. S. 410 § 34), und mit ihnen identisch sind jedenfalls die notarii numerarii sedis apostolieae in Sixtus' IV. Bulle „Romanus pontifex" § 13 (TANGL S. 210). Vgl. auch Pius' IL Bulle „Cum servctre" (Bullarium Romanum 5, 153). 9

V g l . HINSCHIUS 1, 4 4 3 .

294

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Notare

den geweihten Bischöfen sitzen sollen; erst Pius II. entzog ihnen diesen Vorrang, der nur noch für Konsistorialsitzungen in Kraft blieb.1 Martin verordnete aber auch, daß niemand Notar werden solle, der nicht Doktor oder Lizentiat des kanonischen oder zivilen Rechtes sei; nur wer von beiden Eltern her erlauchter Abkunft ist, kann von der Erwerbung des akademischen Grades dispensiert werden. Außerdem sollen alle Notare wenigstens die Subdiakonatsweihe erlangen. Zum Unterschied von anderen minder hochgestellten Notaren der päpstlichen Behörden wurden die notarii sedis apostolicae schon im 14. Jahrhundert in der Regel als protonotarii bezeichnet; 2 dieser Titel wird ihnen auch bisweilen in päpstlichen Erlassen beigelegt, scheint aber doch im 15. Jahrhundert noch nicht als der eigentlich offizielle betrachtet zu sein.3 Die amtliche Tätigkeit der Protonotare beschränkte sich nun im 14. und 15. Jahrhundert im wesentlichen auf die Bearbeitung erstens derjenigen Urkunden, die in päpstlichen Konsistorialsitzungen beschlossen wurden, d. h. insbesondere derjenigen, welche die Vergabungen von Bischofssitzen und gewissen größeren Klöstern betrafen, 4 zweitens aller Justizbriefe. 5 Sie selbst haben sich schon im 14. Jahrhundert » TAXUI., K O . S. 1 7 9 11. X L I I . 2

So z. Ii. 1367 Nicolaus de Auximo prothonotarius et seeretarius domini pape, KIRSCH, Die Rückkehr der Päpste Urban V. und Gregor XI. von Avignon nach Rom S. 5. — In den Kanzleiregeln kommt die Bezeichnung zuerst unter Bonifaz IX. vor, in Kauzleikonstitutionen unter Martin V. 3 Vgl. Pius' II. „Cum servare" a. a. 0 . : notariorum noslroruni, quos vulgo protonotarios quasi per excellentiam quandam non ab re consuetudo voeat. Daher nennt sich um 1460 der Magister Rode, der offiziell notarius heißt, selbst protonotarius, worin man nicht mit MEINABDUS, NA. .10, 40f., ein Avancement sehen darf. 1 Martin V. „In apostolice dignitatis" § 2 (TANGL, KO. S. 134): notarii predicti pro minutis litterarum provisionum patriarehalium, metropolitanarum ae aliarum catkedralium eeclesiarum ac monasteriorum quorumque consistorialiter factarum, cum alie non pertineant ad ipsos, reeipere valeant usw. Vgl. „Sanetissimus dominus" § 7. 10 (TANÖL, KO. S. 164). — Diesen Promotionsurkunden schließen sich wenigstens im 14. Jahrh. auch die mit den Unterschriften der Kardinäle versehenen feierlichen Urkunden an, die jetzt privilegia communia heißen (vgl. die forma seribendi Privilegium, commune, BEC. 1 9 [1858], 7 3 ) ;

denn

in

der

Taxordnung

Johanns XXII.

(TANGL,

KO.

S. 9 6

§ 38) werden die privilegia communia unter den von den abbreviatores notariorum zu korrigierenden Urkunden aufgezählt. Auch einige andere Konfirmationsurkunden scheinen damals noch zum Geschäftskreise der Notare gehört zu haben. 6 Daß die Justizbriefe zur Kompetenz der Notare gehören, ergibt sich aus den Taxordnungen Johanns XXII. (TANGI, KO. S. 92FF.); s. auch Martin V.

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Notarabbreviatoren

295

noch weniger als im vorangehenden an der Abfassung oder Korrektur der Konzepte dieser Urkunden beteiligt, im 15. wird geradezu gesagt, daß sie dazu nicht mehr imstande seien.1 Diese Arbeit lag vielmehr nach wie vor den Abbreviatoren der Notare (abbreviatores notariorum oder protonotariorum) ob.2 Diese blieben auch im 14. und 15. Jahrhundert streng genommen ebenso Privatbeamte der Notare, von denen sie ernannt wurden, wie sie es im 13. Jahrhundert gewesen waren, 3 allein bei der Bedeutsamkeit ihrer Funktionen in der Kanzlei wurde ihre Stellung darin mehr und mehr durch päpstliche Verordnungen reguliert und eingeschränkt. Johann XXII. hat in dieser Beziehung nur bestimmt, daß die Notare gute und erfahrene Abbreviatoren haben sollen, die sich an die vorgeschriebenen Taxen genau halten; 4 sie haben sich in den Quartieren der Notare zu versammeln und hier von der neunten Stunde bis zur Mittagsmahlzeit ihren Geschäften obzuliegen; „In apostoliee dignitatis" § 12; „Romani pontificis" § 9. 36 (cum eonfectio notarum, que concernunt iustitiam, ad notarios ipsos pertineat); „Sanctissimus dominus" § 9 ; Eugen I V . „Romani pontificis" § 1 0 ( T A N Q L , KO. S. 137. 149. 159. 164. 172, vgl. OTTENTHAI,, MIÖG. Erg. 1, 452). 1 Martin V. „Romani pontificis" § 1 5 (TANQL, KO. S . 1 5 2 ) : et quianotarii dicte sedis, ad quorum officium plurimarum litterarum confectio et expeditio pertinent, illas per se facere nequeunt. ' Abbreviatores notariorum heißen sie in Johanna X X I ] . Konstitution „Paterfamilias" ( T A N Q L , KO. S . 95) und entsprechend später öfter. Gleichbedeutend ist der Ausdruck abbreviatores qui tenebunt cameras notariorum (ebenda S. 94); ihnen gegenüber stehen alii abbreviatores qui non tenebunt cameras notariorum (ebenda 8. 94), und es ist derselbe Gegensatz, wenn (ebenda S. 93) von abbreviatores qui tenent tarn primam generalem quam alias cameras dictorum notariorum gesprochen wird. Gleichbedeutend mit abbreviator notariorum ist wohl der Ausdruck abbreviator de iusticia, der im Kanzleibuch (ERLER, Liber cancell. S. 205) bei der Rezeption des Turibius Fernandi gebraucht wird (vgl. auch T A N Q L , KO. S. 94 § 13). Dagegen heißen die Abbreviatoren, die nicht unter den Notaren stehen, abbreviatores litterarum apostolicarum (so E B L E R a. a. 0 . S. 205 bei der Aufnahme des Gerung von Swaningen und öfter); gleichbedeutend ist der Ausdruck abbreviator cancellariae, der bei der Rezeption des P. de Ingelhuem (ebenda S. 20fi) gebraucht wird; diese Abbreviatoren sind offenbar identisch mit den abbreviatores notarum gratiosarum litterarum usw., T A N Q L , KO. S . 9 8 § 58. Im Deutschen wird man beide Kategorien am besten als Notarabbreviatoren und Kanzleiabbreviatoren unterscheiden. 3 Es ist also nicht richtig, wenn E R L E R , Dietrich von Nieheim S . 2 1 , die Abbreviatoren aus Beamten der Notare Beamte der Kanzlei werden läßt. Die Notarabbreviatoren bleiben vielmehr, wie oben näher ausgeführt wird, Beamte der Notare, aber neben ihnen stehen andere Abbreviatoren als Kanzleibeamte. 4

TANGL, K O .

S. 9 2 f.

296

Päpstliche Kanzlei seit dem, 14. Jahrhundert.

Kanxleiabbreviatoren

ihren Amtseid 1 legen sie in die Hände des Vizekanzlers ab; 2 aus ihm ergibt sich, daß sie bei ihrer ganzen Tätigkeit an die Instruktionen ihrer Notare gebunden sind. Weitergehend in der Einschränkung der Notare sind die Verordnungen des 15. Jahrhunderts. Martin V. beklagt, daß die Notare häufig minder kundige und erfahrene Männer zu ihren Abbreviatoren ernennen; er läßt ihnen zwar das Ernennungsrecht, bestimmt aber, daß in Zukunft kein Notar einen Abbreviator rezipiere, der nicht zuvor im Auftrage des Vizekanzlers durch andere Abbreviatoren einer Prüfung unterworfen ist und diese Prüfung bestanden hat. 3 In einer anderen Konstitution desselben Papstes ist dann dem Vizekanzler noch die Befugnis gegeben, die Notarabbreviatoren abzusetzen, wenn sie sich als untüchtig erweisen; der Vizekanzler hat, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht, dem betreffenden Notar eine angemessene Frist für die Ernennung eines Nachfolgers zu setzen und wenn diese fruchtlos verstreicht, selbst dafür Sorge zu tragen. 1 Die Bearbeitung der Konzepte der nicht den Notaren und ihren Abbreviatoren zugewiesenen Urkunden, 6 d. h. der Hauptmasse der lilterae gratiosae, lag im 14. Jahrhundert den Kanzleiabbreviatoren (abbreviatores litterarum apostolicarum) ob, die zuerst in den Konstitutionen Johanns XXII. ausdrücklich erwähnt werden, aber nicht erst von ihm eingeführt worden sind. Sie sind eigentliche päpstliche Beamte und werden vom Papst oder vom Vizekanzler ernannt, von letzterem vereidigt. 0 Die Zahl dieser Abbreviatoren 7 wurde von Benedikt XII. auf vierundzwanzig festgestellt, hat sich aber später bedeutend erhöht und mannigfach geschwankt, unter Pius II. wurde sie auf 70, unter Sixtus IV. auf 72 festgesetzt. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zerfiel das Kollegium nachweisbar in drei Klassen, die unterste der abbreviatores primae visionis, die mittlere der abbreviatores de parco 1

2

TAMM,,

KO.

S.

44.

Vgl. E R L E R , Lib. canc. S. 211: iuravit mag. F. Cervarie ofßcium abbreviatoris camere domtni Francisci notarii. 3 Martin V.: , Romani pontißcis" § 15 ( T A N G L , KO. S. 152). 4 Martin V.: „Sanctissimus dominus" § 7 ( T A N G L , KO. S. 164); vgl. auch Eugen IV.: „Romani pontificis" § 14 (ebenda S. 173). 5 Soweit sie nicht in späterer Zeit in den Geschäftskreis der Sekretäre fielen, s. unten. 6 Ernennung durch den Vizekanzler ergibt sich aus Johanns XXII. Bestimmung ( T A N G L , K O . S. 9 2 ) : quod rtullus audeat formare notam, nisi abbreviator per vicecaneellarium vel notarium seu quemvis eorum factus. Sixtus IV. überläßt dem Vizekanzler 21 von den 72 Abbreviatorenstellen, die er errichtet, zu freier Verfügung, s. unten S. 300. 7 Vgl. für das Folgende O T T E X T H A I . , MIÖG. Erg. 1, 449 ff. Ich führe Belege nur an, wo ich O T T E N T H A L ergänze oder von ihm abweiche.

Päpstliche

Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Kanzleiabbreviatoren

297

minori und die oberste der abbreviatores de parco maiori. Die letzteren Bezeichnungen stammen von zwei in dem Gebäude der Kanzlei befindlichen, mit Schranken abgegrenzten R ä u m e n , innerhalb deren die kollegialischen Verhandlungen der betreffenden Abteilungen stattfanden (parcus maior und pareus minor), und sie sind wahrscheinlich schon in Avignon entstanden, wie man denn in Frankreich schon früh, was in Italien nicht nachweisbar ist, einen derartigen für richterliche Verhandlungen bestimmten R a u m Parc (Parquet) g e n a n n t 1 und diese N a m e n auch auf das verhandelnde Kollegium übertragen hat. 2 W i e sich aus einer Konstitution Calixts III. von 1 4 5 8 3 ergibt, sind die abbreviatores de parco maiori identisch mit den abbreviatores vicecaneellario assistentes, die schon in früheren Konstitutionen, insbesondere denen Martins V., 4 1 L I T T B É S. v. parc führt aus einer Ordonnanz des 14. Jahrh. an: quant Ii roys de France viendra en parlement, que le parc soit tout vide.. Bei Jean de Condé 2, 21 (Ausg. von SCHELER, Brüssel 1867) erscheinen vor Venus allerlei Leute, die Klagen anbringen, und es heißt:

Devant Venus sont amassé Cil qui a besoignier avaient . . . En pieu, pardewant la diewesse Se leva une chanonesse A grant route de blans souplis; Mout tost en fu li pars amplis. Freundliche Mitteilung von A. TOBLEB. — Gleichbedeutend ist der vereinzelt vorkommende Auadruck parchetus (frz. parquet), MIÖG. 13, 104 n. 226. s Es stimmt zu der Annahme der Entstehung der drei Klassen in Avignon, daß sie nach Sixtus IV. „Divina eterni'1 § 5 (TANGL, KO. S. 198) schon unter Benedikt XIT. existiert haben sollen, was ich nicht mit OTTENTHAL S. 450 N. 8 bezweifeln möchte. Auch wird der Unterschied zwischen den Abbreviatoren, die bei der prima visio, und denen, die bei der secunda litterarum visio fungieren, schon in einem Erlaß des Kanzleichefs Ramnulf unter Urban VI. als bestehend vorausgesetzt (TANQL, KO. S. 131). 8 TANGL, KO. S . 177FF. Keinesfalls können die assistentes vicecancellario, wie E R L E R , Dietrich von Nieheim S . 22, meint, mit den Notarabbreviatoren des 14. Jahrh. identifiziert werden. Aber sie sind allerdings die Nachfolger der schon im 13. Jahrh. vom Vizekanzler durch besondere Berufung zur examinatio litterarum hinzugezogenen Abbreviatoren (s. oben S. 274 N. 4), die damals noch Abbreviatoren der Notare waren. Uber ihre Funktion (ordinatio notularum et examinacio grossarum an earurn expositio ad bullam) vgl. die Einleitung zu den Kanzleiregeln Johanns XXII., MIÖG. 17, 422. 4 T A N Q L , KO. S . 134f. 137. 147ff.; vgl. auch Eugen I V . „Romani pontificis" § 2, ebenda S. 169, und öfter. Aber schon unter Clemens V. (Reg. Clem. pap. V. Proleg. S. XCVIII, vgl. n. 423) wird ein scriptor familiaris des Vizekanzlers belobt, weil er vicecancellario circa ipsius cancellarie cxecutionem officii assistendo sich Verdienste erworben habe. Und schon in einer Kanzleiregel

298

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Kanzleiabbreviatoren

erwähnt werden und offenbar als die zuverlässigsten und erfahrensten Beamten des ganzen Amtes gelten. Sie allein haben nach jenen Bestimmungen gegenwärtig zu sein, wenn „Kanzlei gehalten" wird; sie sind bei der dann erfolgenden feierlichen Judikatur beteiligt, bei welcher die mundierten Urkunden in Gnadensachen 1 verlesen und mit den Suppliken verglichen werden, damit festgestellt werde, ob sie nach Inhalt und Form zu beanstanden oder, von den revidierenden Abbreviatoren und vom Vizekanzler signiert, ans Siegelamt abzugeben seien. Der Aufnahme in den parcus maior ging nach den Konstitutionen Martins Y. ein Examen voraus, das durch die dazu gehörenden und andere vom Vizekanzler zugezogene Abbreviatoren abgenommen wurde; der Aufzunehmende mußte die Mehrheit der Stimmen für sich haben, Calixt III. hat überdies angeordnet, daß der Aufnahme in den parcus maior, den er als den locus praesidenliae cancellariae bezeichnet, 2 eine mindestens dreijährige Dienstzeit in der Abteilung de prima visione und eine fünfjährige im parcus minor voranzugehen habe; 3 er setzte zugleich fest, daß die abbreviatores de parco maiori zur Aufnahme neuer Kollegen nicht verbunden sein sollten, wenn nicht ihre Zahl unter zehn oder zwölf herabgesunken sei.4 Über die Mitglieder der beiden anderen Klassen von Konzipisten, der abbreviatores de prima visione, denen die erste Vergleichung der Johanns XXII.

(OTTENTHAL, R e g . c a n c . S. 7 n. 26) i s t v o n

d e n assistentes

des

Vizekanzlers die Rede, die in examine litterarum mitwirken und den Kanzleichef auf gewisse Klauseln aufmerksam machen sollen. 1 Bei den Justizbriefen findet die Judikatur im Beisein der Notare und i h r e r Abbreviatoren statt, zu denen noch doetores iuris hinzugezogen werden können; bei den litterae de curia und secretae, bei denen ja in der Kegel keine Supplik vorhanden war, fällt sie ganz fort; vgl. OTTENTHAL S. 451 X. 3. — Auf eine Handschrift mit Notizen eines Abbreviators de parco maiori aus dem Ende des 15. Jahrh. über Vorgänge und Verhandlungen bei der Judikatur hat L. CELIER, Arch. della soc. Rom. di storia patria 30, 243ff., aufmerksam gemacht. s Auch in einer Kanzleiregel Martins V. (OTTENTHAL , Reg. cane. S. 226 n. 153) wird der parcus mit der presidentia cancellariae gleichgesetzt und weiden die dazugehörigen von den abbreviatores extra parcum seu presidentiam cancellarie unterschieden. S TANOL, KO. S. 178. Eugen IV. „Romani pontificis" § 1, ebenda S. 168, hat den parcus maior in eine pars superior und eine pars inferior geteilt, deren erste aus den älteren Abbreviatoren bestehen und die schwierigeren Angelegenheiten erledigen solle. Nur wenn so wenige Briefe vorliegen, daß alles in zwei Stunden erledigt werden kann, soll der ganze parcus im Plenum verhandeln. Später ist von einer solchen Teilung, soviel ich sehe, nicht mehr die Rede. 4 Doch betrug sie unter Pius II. schon wieder zwanzig (TANOL, KO. S. 183).

Päpstliche Kanzlei

seit dem, 14. Jahrhundert.

Kanzleiabbreviatoren

299

gefertigten Reinschriften mit den Konzepten und die Anordnung der bei dieser Vergleichung für nötig befundenen Korrekturen oblag, 1 und der abbreviatores de parco minori, die sich von jenen durch ein höheres Dienstalter unterschieden, 2 im übrigen aber wesentlich gleichartige Funktionen gehabt zu haben scheinen, 3 fehlt es an gleich genauen Bestimmungen. An der Abfassung der Konzepte aber waren Mitglieder aller drei Abteilungen beteiligt. 4 1

OTTENTHAL, MIÖG. Erg. 1, 450 N. 11 (jetzt TANQL, KO. S. 387 § 11).

Vgl. TANQL, KO. S. 416 § 56, und den Erlaß des Kanzleileiters Ramnulf, ebenda S. 131 § 2. Am klarsten drückt sich über ihre Funktion die Practica cancellariae von 1494 aus (ed. SCHMITZ-KALLENBERG S. 27). 2

Bei der Aufnahme ins Kolleg der Abbreviatoren trat man zunächst in die Kategorie der abbr. de prima visione, vgl. Sixtus IV. „Romamis pontifex" § 8, TANQL, KO. S. 209. Daher vollzieht nach einem Protokoll über die Rezeption eines Abbreviators vom Jahre 1487 (Rom. Quartalschrift 17, 407ff.) der Aufgenommene seine erste Amtshandlung durch eine Unterschrift in loco primae visionis. Daß er damit abbr. de presidentia minori wird, erklärt sich daraus, daß am Ende des 15. Jahrh. die beiden Kategorien de pareo minori und de prima visione gewöhnlich zu einer zusammengefaßt werden, s. die folgenden Noten. » Vgl. Sixtus IV. „Divina eterni11 § 11 (TANGL, KO. S. 200). In der Practica von 1494 (ed. SCHMITZ-KALLENBERG S. 26) heißt es facias illas videri in prima visione per abbreviatores de parca minori und an einer anderen Stelle (ebenda S. 54): est banchus abbreviato/rum de prima visione: tales etiam sunt de parco minori. Im 16. Jahrh. wird geradezu gesagt banchus abbreviatorum de minori parco qui voeatur de prima visione (QPIA. 2, 36). — Pius II. „Vices iltius gereutes" § 7 (vgl. auch „Quo salubrius" § 7, TANQL, KO. S. 182. 187) stellt den abbr. de parco maiori und denen de prima visione andere gegenüber ad l itlendum litteras per secretarios expediendas. Vielleicht wurden diese aus der Zahl der abbr. de parco minori genommen. —• Außerdem aber scheinen nach der Practica von 1494 (a. a. 0. S. 60) die abbr. de pareo minori die Judikatur der bullae pauperum gehabt zu haben. 4 OTTENTHAL S. 450. Am Ende des 15. und im Anfang des 16. Jahrh. scheint allerdings, obwohl die Distribution der Suppliken nach wie vor an Abbreviatoren aller drei (oder, da die zwei unteren Klassen jetzt gewöhnlich zusammengeworfen werden, beider) Kategorien erfolgte, die Abfassung der Konzepte ausschließlich von den abbr. de parco maiori besorgt worden zu sein, indem die übrigen sich ihr entzogen. So heißt es 1497 : nunc autem, si distribuitur supplicalo uni de pareo minori vel prima visione, capit pro distributione earlenos duos et non facit minutas ei pars cogitur accedere ad abbreviatores de parco maiori, ut habeat minutas suas (TANGL, KO. S. 395). Auch nach der Practica von 1494 (ed. SCHMITZ-KALLENBEBG S. 22) fertigt nur der abbr. de parco maiori die Minute an; ist die Supplik einem abbr. de parco minori zugeteilt, so muß die Partei sie von ihm einlösen und dann selbst für die Herstellung des Konzeptes durch einen abbr. de parco maiori sorgen. Vgl. auch SCHMITZ-KALLENBEBQ, Practica S. 67: abbreviatores de parco maiori sunt 12. llli iudicant bullas et faeiunt minutas.

300

Päpstliche

Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Kanzleiabbreviatoren

Zu einem eigentlichen Kollegium sind die Kanzleiabbreviatoren erst durch zwei Konstitutionen Pius' II. von 1463 und 1464 organisiert worden, 1 in denen die Zahl der aktiven und an der Verteilung der Sportein beteiligten Abbreviatoren (der abbreviatores participantes), wie schon erwähnt, auf 70 festgestellt wurde. Diese partizipierenden Abbreviatoren wurden ermächtigt, alle drei Monate vier Kandidaten aus ihrer Mitte vorzuschlagen, aus denen der Vizekanzler oder sein Vertreter einen Vorstand des Kollegiums (distributor) zu erwählen hatte. Dem letzteren sollten alle genehmigten Suppliken nach ihrer Registrierung übergeben werden, und er hatte sie sodann gleichmäßig und der Reihe nach unter die einzelnen Abbreviatoren zu verteilen. Diese Konstitutionen wurden zwar unter Paul II. auf die Beschwerde des Vizekanzlers, d e r abbreviatores

de -parco maiori

u n d d e r seriptores

wieder aufgehoben,2

und es gingen somit die von Pius II. dem Distributor zugeteilten Funktionen wieder, wie früher üblich gewesen war, auf den Vizekanzler über, aber schon Sixtus IV. stellte 1479 die Kollegial-Einrichtung wieder her. 3 Er fixierte die Zahl der Abbreviatoren auf 72 (12 de parco maiori, 22 de parco minori, 38 de prima visione),* traf neue Anordnungen über die Verteilung der Sportein durch drei von den Abteilungen zu erwählende Rezeptoren, überließ es aber dem Vizekanzler, beziehungsweise seinem Stellvertreter, ob er die Suppliken behufs Anfertigung der Minuten selbst verteilen oder durch einen von ihm aus der Zahl der 72 Abbreviatoren zu ernennenden Distributor verteilen lassen wollte.5 Schließlich überließ er die Besetzung von 21 Abbreviatorenstellen (6 aus der ersten, 7 aus der zweiten, 8 aus der dritten Klasse) dem Vizekanzler, reservierte aber die übrigen Stellen päpstlicher Verleihung. Übrigens sind schon im 14. Jahrhundert nicht alle von den Notaroder Kanzleiabbreviatoren signierten Konzepte auch wirklich von ihnen verfaßt worden. Indem Johann XXII. verbot, daß irgend jemand außer den ordnungsmäßig bestellten Abbreviatoren Konzepte von Papsturkunden zu entwerfen wagen solle, ließ er eine Ausnahme in betreff derjenigen Urkunden zu, die nach ganz feststehenden Formularen geschrieben s KO. S. 179ff. Ebenda S. 189ff. Ebenda S. 195 ff. 4 Da aber von diesen 72 Stellen eine mit dem Amt des Locumtenens des Vizekanzlers und eine mit dem des Keferendars, der die causae commissionum bearbeitet, vereinigt werden (ebenda S. 203), so gibt es auch jetzt nur 70 eigentliche Abbreviatoren. 5 Mit der Maßgabe (§ 10, T A N G L , KO. S . 200): quando uni ex aliis due, abbreviatori de prima presidentia tres lantum supplicationes distribuantur. Dem entsprechend erhalten die Mitglieder der ersten Abteilung nach § 8 ( T A N G L S. 199) auch einen um die Hälfte höheren Anteil an den Gebühren als die übrigen. 1

9

TANGL,

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Kanzleiabbreviatoren

301

wurden. 1 Wahrscheinlich handelte es sich dabei vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, um die gewöhnlichen Justizbriefe; 2 für diese mögen schon damals in zahlreichen Fällen die Prokuratoren der Parteien, denen ja die Formulare bekannt waren, die Konzepte entworfen haben. Noch am Ende des 15. Jahrhunderts 3 muß dagegen bei Gnadenbriefen die Abfassung des Konzeptes in der Kanzlei noch durchaus die Regel gewesen sein,4 während sie um 1525 gleichfalls den Parteien gestattet war.6 Die Abbreviatoren hatten in solchen Fällen die ihnen übergebenen Konzepte zu prüfen, zu korrigieren und danach, ebenso wie die von ihnen selbst entworfenen, zu signieren; durch die Signatur übernahmen sie die Verantwortung für die richtige Abfassung nach Form und Inhalt, und wenn sich die Reinschrift später als durch ihre Schuld oder Nachlässigkeit fehlerhaft erwies, so mußten sie die Kosten der Rescribierung tragen. 6 Von den Veränderungen, welche die Stellung der Notare im Laufe des 14. Jahrhunderts erfahren hat, ist auch die des oorrector liiterarum, apostoliaarum betroffen worden. Zwar an Ansehen hat sie sichtlich gewonnen; schon unter Clemens VII. wird ihm gemeinsam mit dem regens cancellariam die Entscheidung schwieriger Fragen in Provisionsangelegen1 „Paterfamilias ' § 3 (TANGL , KO. S. 92): qnod nullus audeat formare notam, nisi abbreviator per vicecancellarium vel notarium seu quemvis eorum factus existat, simplicibus ae legendis et gratiosis aliisque formis communibus de iustitia, que non mutantur, dumtaxat exeeptis. Vgl. TANGL, MIOG. 13,

5 8 ; HALLER, Q F I A . 2 , 6. 2 In der Taxordnung Johanns XXII. ist vorwiegend bei Justizbriefen und einigen anderen von einer Gebühr pro correetione notarum die Rede, während bei den meisten Gnadenbriefen eine Gebühr pro nota facienda erwähnt wird. 3

Practica v o n 1494 (ed. SCHMITZ-KALLENBERG S. 22, vgl. S. 39).

4

Als Mißbrauch galt es auch, daß Alexander V. auch Konzepte zu Gratienbriefen nach dem roiulus supplicationum durch seine Privatkleriker verfassen ließ und so das Einkommen der Abbreviatoren schmälerte; vgl. ERLER, Dietrich von Nieheim S. 189. 5 In dieser Zeit heißt es mit Bezug auf Gnadenbriefe (QFIA. 2, 22): et si vis litieras apostólicas facere desuper seribi, oportet adire abbreviatorem de parco maiori; aut tu facies illius minutam, si seias, vel per alium, quam portabis ad aliquem dictorum abbreviatorum revidendam. 6

Nur bei den Konsistorialurkunden genügte die Signierung durch die Abbreviatoren nicht. Noch Martin V. „Sanctissimus dominus" § 10 (TANGL, KO. S. 164) verordnet, daß die Abbreviatoren die minutas promotionum den Protonotaren zur Korrektur und Signierung übergeben, und daß diese dementsprechend die Kosten einer wegen Konzeptfehler nötigen Rescribierung tragen sollen.

302

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Korrektor

heiten übertragen; 1 auch erhält er wiederholt vom Papst selbst Aufträge zu Eintragungen in das Kanzleibuch 2 oder zu mündlichen Anordnungen in der Kanzlei.3 Damals war der Grundsatz des 13. Jahrhunderts, daß der Korrektor nicht zugleich Scriptor oder Abbreviator sein dürfe, längst aufgegeben, 4 und in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gehörte er vielmehr regelmäßig zu den abbreviatores de parco maiori, an deren Spitze er stand. 5 Daher nahm er, was nach einer Bulle Bonifaz' IX. vom Jahre 1402 schon für diese Zeit feststeht, 6 an der Judikatur aller Urkunden, die durch die Kanzlei gingen, teil. Dagegen war, wie aus der gleichen Urkunde deutlich hervorgeht, seine Aufgabe der Prüfung, Korrektur und Signierung von Urkunden schon damals in derselben Weise eingeschränkt, wie die Wirksamkeit der Notare, d. h. sie bezog sich nur noch auf die den Notaren vorbehaltenen Konsistorialbullen und Justizbriefe, aber nicht mehr auf Gnadenbriefe irgend welcher Art. 7 Mit dieser Tätigkeit des Korrektors 1

OTTENTHAL, R e g . c a n c . S. 9 8 n . 4 1 , S. 1 0 2 n . 5 0 .

2

3 Ebenda S. 121 n. 137. Ebenda S. 181 n. 57. 4 Auch Kumulationen des Korrektoramtes mit dem Protonotariat, dem Sekretariat und dem Referendariat kommen im 14. und 15. Jahrh. vor. 6 Vgl. Calixt III. „Assidua nostri" (TANGL, KO. 8. 178): inhibentes dilectis filiis correetori . . . nec non praefatis de parco maiori (vgl. S. 179); Pius II. „Eationi eongruit" § 1 (CrAMPisi S. 22); Sixtus IV. „Divina eterni" § 17 (TANGI., KO. S. 203), wo der Korrektor als Inhaber der ersten von den sechs Abbreviatorenstellen de maiori presidentia erscheint, deren Besetzung dem Vizekanzler überlassen wird; Practica cancellariae (ed. SCHMITZ-KALLENBERG S. 68), wo in einer Liste der abbreviatores de parco maiori der Korrektor als erster genannt wird. 6 Rom. Quartalschrift 20 B , 96: omnia doeumenta, videlicet privilegia instrumenta executorias videre et examinare ac dubia iuris circa illa emergentia in dicta canceltaria coram presidentibus ibidem referre et recitare debet. Uber diese Tätigkeit des Korrektors bei der Judikatur vgl. auch die Reformentwürfe

P i u s ' I I . § 2. § 27, TANGL, K O . S . 3 7 3 .

376.

' Nur von den Konsistorialbullen und von den rescripta, executoriae et aliae litterae iustitiam continentes sagt die Bulle von 1402, daß er sie in seinem Hause videre examinare corrigere et signare müsse. Dem entspricht, was Alfons de Soto (auf dessen Zeugnis GÖLLER, Rom. Quartalschrift 19 b , 83 ff., hingewiesen hat) in seinem Kommentar zu den Kanzleiregeln Innocenz' VIII. bemerkt: corrigit minutas rescriptorum iustitiae et postea corrigit ipsa rescripta (also zuerst die Konzepte und dann die Reinschriften, die nach der Bulle Bonifaz' IX. aus seinem Hause auch in die audientia litt, contrad. gebracht werden) et mittit sua aucloritate ad plumbum nomine papae et in aliquibus ponit ipse nomen suurn in medio rescripti a tergo. Hier ist von den Konsistorialbullen nicht die Rede; aber die Tätigkeit des Korrektors bei diesen ist uns durch die Expensenzettel des 15. Jahrh., in denen eine Zahlung pro birreto domini correctoris erscheint, hinlänglich verbürgt.

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Scriptoren

303

bei den Justizbriefen hängt es denn auch zusammen, daß er im 15. Jahrhundert häufig geradezu als corrector litterarum minoris iustitiae bezeichnet wird.1 Über den auditor litterarum conlradictarum ist für diese Zeit dem früher bemerkten nur wenig hinzuzufügen; der Geschäftsgang der audientia litterarum conlradictarum scheint sich nicht wesentlich geändert zu haben, dagegen scheint ihre Kompetenz jetzt wirklich, entsprechend der der Notare und des Korrektors, der nun in engere Beziehungen zu ihr trat und im 16. Jahrhundert bisweilen geradezu corrector litterarum conlradictarum genannt wird, 3 auf die Justizbriefe beschränkt worden zu sein.3 Die Konzepte der päpstlichen Erlasse gingen ausnahmslos in das Bureau der scriptores litterarum, apostolicarum; bei der Reinschrift kam eine Beteiligung der Parteien keinesfalls in Betracht; 4 und gegen die Ausgabe von Justizbriefen direkt durch die Justizbehörden, also auch unter den Siegeln der auditores causarum, die wiederholt vorgekommen ist, sind mehrfach päpstliche Verordnungen ergangen. Die kollegialische Organisation der Scriptores war, wie wir wissen, älter als die der Abbreviatoren, und dementsprechend war lange Zeit auch der Rang der päpstlichen Reinschreiber ein höherer als der der Konzipienten; ersteren kam kraft ihres Amtes der Titel Magister zu, den die Abbreviatoren nur in Avignon, später aber nicht ohne weiteres führen durften; 5 auch erkannte schon Bonifaz IX. an, daß alle Scriptoren Famiiiaren des Papstes seien und gewesen seien.6 Die volle Gleichstellung der Ab1

Vgl. v.

2

TEIQE

Rom. Quartalschrift 2 0 B , 0 4 ; Practica cancellariae (ed. S C H M I T Z - K ALLENBERG S. 6a); T E I O E , Beiträge zur Gesch. der Audientia 8. L X X X V I n. 2. Daß es daneben auch einen corrector litterarum maioris iustitiae gegeben habe, wie man nach einer Notiz bei G Ö L L E R (Rom. Quartalschrift 1 9 B , 8 7 ) annehmen könnte, und wie auch v. H O F M A N N a. a. O. anzunehmen scheint, bezweifle ich; ein solcher wird meines Wissens nie erwähnt. — Uber die Liste der Korrektoren des 15. Jahrh. s. oben S. 279 N. 8. Einen Vizekorrektor weist v. H O F M A N N a. a. O. für das Ende des 1 5 . Jahrh. nach. 3

HOFMAN.V,

a. a .

0.

Eine einigermaßen vollständige Liste der Auditoren läßt sich für das 15. Jahrh. aus dem gedruckten Quellenmaterial nicht aufstellen. Das Amt scheint fast immer von Bischöfen bekleidet zu sein. 4 Dagegen durften nach einer Verordnung des 15. Jahrh. (MIOG. Erg. 1, 588) für die Zierschrift, in der in Gnadenbriefen der päpstliche Name in der ersten Zeile hergestellt wurde, andere Kalligraphen hinzugezogen werden. 5 Clemens VII. hatte ihnen den Magistertitel zuerkannt ( O T T E N T H A L , Reg. canc. S. 118 n. 127, wo ut statt et litterarum, ap. scriptores zu lesen ist). Benedikt XIII. hat das bestätigt (ebenda S. 138 n. 92). 8 Vgl. T A N Q L , K O . S . 132 n. XXIII.

304

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Scriptoren

breviatoren mit den Scriptoren ist erst durch Pius II., der den ersteren Titel und Rechte der päpstlichen Famiiiaren bestätigt, bewirkt worden.1 Die Zahl der Mitglieder des Scriptorenkollegiums war, wie wir uns erinnern, unter Clemens V. auf 90 herabgesetzt worden. Dann verfügte Johann XXII. im Jahre 1331 gleichzeitig mit dem Erlaß seiner Taxordnung auf die Bitte der Scriptoren eine weitere Reduktion auf die Zahl von 70 Mitgliedern, und diese Anordnung wurde noch 1355 von Innocenz YI. bestätigt. 2 Aber schon dessen Nachfolger Urban V. schritt wieder zu einer Erhöhung der Mitgliederzahl und bestimmte, daß das Kollegium aus 101 Mitgliedern bestehen solle, und auch diese Zahl wurde unter Urban VI. und Bonifaz IX. durch neue Ernennungen von Klerikern und Laien noch bedeutend überschritten. 3 Dann verfügte Bonifaz IX. im Jahre 1397 abermals eine Reduktion auf 100 Mitglieder, aber in der Zeit des Schisma konnte diese Bestimmung nicht durchgeführt werden, und erst nachdem das Konstanzer Konzil die Zahl der Scriptoren endgültig auf 101 fixiert4 und Martin V. und Eugen IV. 5 diese Festsetzung eingeschärft hatten, blieb sie dauernd in Kraft, doch ergibt sich aus eben den Verfügungen der beiden letzten Päpste, daß sie nicht streng innegehalten und die Reduktion nur sehr allmählich durchgeführt wurde.6 Die Ernennung der Scriptoren erfolgte auf Lebenszeit 7 durch den Papst; eine Besetzung einzelner Stelleu durch 1

Vgl. Pius II. „ Vices illius" § 2, ebenda S. 180.

2

Vgl.

3

TANGL, K O .

S. 115

n.

XIV.

Dies wird gesagt in der gleich zu erwähnenden Konstitution Bonifaz' IX-, T A N Q L , KO. S . 132 n. XXIV. Daß wirklich unter Urban V. die Zahl der Scriptoren 101 betragen hat, wird bestätigt durch eine Ausgabenotiz vom Jahre 1362: Iohanni de S. Máximo scriptori et ipsius litterarum distributori pro CI gallinis solvi eonsuetis et dari CI scriptoribus domini pape in die coronationis XXX florenos (Mélanges d'archéologie et d'histoire 20, 244 N. 3). * Vgl. O T T E N T H A L , MIOG. Erg. 1, 453. In Konstanz sollen nach D Ä C H E R mindestens 142 Scriptoren anwesend gewesen sein, v. D . H A R D T , Conc. Const. 5, 22. 5 Martin V. ( T A N Q L , KO. S. 1 4 5 n. XXVIII; B A U M G A R T E N , Aus Kanzlei und Kammer S. 3 3 6 ) spricht allerdings von 1 0 0 (vgl. T A N Q L S. 1 6 2 n. XXXII, 165 ii. XXXIV), Eugen IV. aber (MIÖG. Erg. 1, 571) von 101 Scriptoren. 6 Am Ende des 15. Jahrh. heißt es dann allerdings: scriptores aposiolici sunt 101 ( S C H M I T Z - K A L L E N B E R G S . 6 6 ) . 7 Doch kommen auch Ernennungen auf beschränkte Zeit vor, so z. B. wird unter Urban VI. Nicolaus Gilimberti nur bis zur Rückkchr des Egidius Winans rezipiert. Er wird dabei grossator, litterarum apostolicarum genannt, E R L E R , Lib. canc. S . 206. Ob der Titel seripior absichtlich vermieden wurde? Ein Ernennungspatent für einen solchen Ergänzungsschreiber, adressiert an den Vizekanzler, s. in SB. der Münchener Akademie 1890 2, 265. Das Amt nebst Emolumenten wird ihm übertragen in absentia et ad locum eines anderen;

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhunderl.

Scriptoren

305

den Vizekanzler, wie sie bei den Abbreviatoren vorkam, ist nicht nachweisbar. Dagegen hatten nach der Konstitution Eugens IV. von 1445, in der die älteren Verordnungen für das Kolleg zusammengefaßt und ergänzt werden, die vom Papst ernannten Scriptoren vor ihrer Aufnahme in das Kollegium sich einer Prüfung über ihr Vorleben und über ihre Befähigung in constructu et seriptura zu unterziehen, die von einigen Beamten des Kollegiums und von drei oder vier vom Vizekanzler dazu bestimmten Schreibern abgenommen wurde. 1 Die Organisation des Kollegiums hat, wie schon früher angedeutet wurde, 2 im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts mehrfache Veränderungen erfahren und ist immer komplizierter geworden. Zunächst hat im Anfang des 14. Jahrhunderts, spätestens unter Johann XXII., die Verringerung des Geschäftskreises der Notare, die oben besprochen wurde, auch eine Umgestaltung in der Leitung der Geschäfte der Scriptoren zur Folge gehabt. Dem distribulor notarum, den wir oben kennen gelernt haben, 3 welchem in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Verteilung aller Konzepte unter den Scriptoren zustand, verblieb nur die Zuteilung der von den Notaren und ihren Abbreviatoren hergestellten Konzepte, d. h. in der Hauptsache der Konzepte zu Justizbriefen ; aus einem distributor notarum grossandarum generalis wurde er ein distributor notarum litterarum, que per cameras notariorum transeunt. Dagegen wurde die Distribution der von den Kanzleiabbreviatoren gelieferten Konzepte, d. h. in der Hauptsache der Konzepte zu Gnadenbriefen, dem Rescribendar übertragen, der daneben die Verteilung der litterae rescribendae behielt, dem Distributor im ßange voranging und auch im übrigen als der eigentliche Bureauchef des Schreiberkollegs erscheint.4 Damals wurden beide Beamte vom wenn dieser zurückkehrt, soll er statt eines anderen Abwesenden schreiben, bis ihm eine vakante Stelle übertragen werden kann non obstante statuto de certo numero scriptorum earundem litterarum . . . eui per hoc alias non intendimus derogare. 1 „Sicut prudens" § 4, MIÖGr. Erg. 1, 572. Nach der älteren Konstitution Eugens „Eterni patris familias", TANQL, KO. S. 167, erstreckte sich die Prüfung auf litteratura und hone forme littera und wurde vom Rescribendar und drei besonders vereidigten Scriptoren abgenommen. Im stilus eancellariae wurden wohl die Abbreviatoren, aber nicht die Scriptoren geprüft. 8 8 S. oben S. 279. Oben S. 278. 4 Dies ergibt sich zunächst aus den beiden Eidesformeln, TANGL, KO. S. 39. Es gibt also eigentlich keine zwei Rescribendare, und es ist ein ungenauer Ausdruck, wenn die Überschrift der Eidesformel im Kanzleibuche den Distributor der Justizkonzepte als rescribendarius de iusticia bezeichnet, wie denn auch am Rande der Pariser Handschrift der richtigere Ausdruck steht; im Text der Eidesformel selbst ist nur dieser letztere gebraucht, und damit

Hrpßliiu, Urkundenlfilire. 3. Aufl. I.

20

306

Päpstliche Kanxlei seit dem 14. Jahrhundert.

Scriptoren

Vizekanzler je auf ein halbes Jahr ernannt; die Notare hatten keinen Anteil mehr an ihrer Bestellung. 1 Außer der Verteilung der Konzepte, beziehungsweise der lülerae resoribendae stand ihnen die Taxation der Urkunden, d. h. die Festsetzung der dafür zu zahlenden Gebühren zu. Sie selbst erhielten — abgesehen natürlich von ihrem Anteil an den dem Kollegium zustehenden Gebühren — ein festes Gehalt von je zwei grossi Turonenses für jeden Kanzleitag, wozu noch für den Rescribendar 30 grossi für jeden Ferienmonat hinzukamen. Wie lange diese Zweiteilung der Distributionsgeschäfte in Kraft geblieben ist, läßt sich bis jetzt noch nicht genau bestimmen; genauere Untersuchungen über die Rescribendare und Distributoren sind bisher nur für die Zeit Bonifaz' IX. angestellt worden, und ihnen zufolge scheint damals, also in den Jahren 1389—1404, die im Anfang des 14. Jahrhunderts getroffene Ordnung beibehalten, bisweilen aber auch schon eine Vereinigung beider Amter in einer Hand erfolgt zu sein.2 Jedenfalls ist diese entweder vor oder spätestens durch Eugen IV. vorgenommen worden.3 Das Amt des Distributors ist nun mit dem des Rescribendars verschmolzen. Er wird vom Vizekanzler aus vier stimmt vollkommen überein, daß in Johanns XXII. Konstitution „Qui exacti" § 1 9 (TANGL, KO. S. 114) der distribulor neben dem rescribendarius steht, aber weder hier noch in irgend einer anderen Quellenstelle des 14. oder 15. Jahrh. von zwei reseribendarii nebeneinander die Rede ist. Dagegen lehrt die oben S. 304 N. 3 mitgeteilte Notiz ans dem Jahre 1362, daß es damals nur einen Rescribendar gab, und daß dieser der Bureauchef der Schreiber war. Auch ergibt sich aus den Eidesformeln, daß der Distributor mit den litterae resoribendae nichts zu tun hatte. Er schwört: quod in distribuendis notis . . . equalitatem et par ¡täte m servabo, während es im Eide des Rescribendars an der entsprechenden Stelle heißt: quod in distribuendis notis seu litteris . . . equalitatem et paritatem servabo; die litterae, die der. Rescribendar verteilt, sind eben die resoribendae. Ebenso hatte nach den Konstitutionen Urbans V. und Gregors XI. (TANGL, KO. S. 126F.) nur der Rescribendar (neben den Sekretären) die litterae de curia und andere gratis zu schreibende Briefe den Schreibern zuzuweisen. Über die litterae rescribendae hatte er nach Martin V. „Romani pontificis" § 11 (TANQL, KO. S. 150) ein besonderes Verzeichnis zu führen. 1 Ob die Scriptoren ein Präsentationsrecht hatten, muß dahingestellt bleiben. Die Eide erwähnen nichts davon, aber auch in der Eidesformel Eugens IV. ist von einer Präsentation keine Rede, obwohl sie damals sicher erfolgte. 8

V g l . JANSEN i n der P e s t g a b e für TH. V. HEIGEL S. 150ff. ; KOCHENDÖRFFER,

NA. 30, 557ff. — Leider wissen wir nicht, aus welcher Zeit der dem Distributoreneid in Cod. Barberini XXXV. 69 hinzugefügte Zusatz quod autem serratur

(TANGL, K O . S. 39 N. c) stammt. 8

Vgl. „Romani pontifies" § 18tf. (TANGL, KO. S. 174F.), „Sieut prudens" § 7 ff. 23 f. 50. (MIÖG. Erg. 1, 573 ff. 578. 585).

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Scriptoren

307

von dem Kollegium durch Ballotage vorzuschlagenden Kandidaten, die eine fünfjährige Dienstzeit zurückgelegt haben, auf die Zeit von drei Monaten ernannt; eine Wiederwahl für die nächsten drei Monate ist zulässig, 1 dann aber darf derselbe Mann das Amt in den folgenden zwei Jahren nicht mehr bekleiden; das Monatsgehalt des Rescribendars wird auf sieben Goldgulden festgesetzt. Er leitet die Versammlungen des Kollegiums, übt eine gewisse Disziplinargewalt über seine Mitglieder aus, denen er unter bestimmten Voraussetzungen Urlaub erteilen kann, und verteilt 2 möglichst gleichmäßig die zu mundierenden Konzepte, und zwar sowohl die von Gratial- wie die von Justizbriefen unter die einzelnen Scriptoren, 8 wobei er indessen auf die kalligraphische Fähigkeit des einzelnen Rücksicht zu nehmen hat. In ähnlicher Weise wie der Rescribendar werden gleichfalls auf drei Monate drei andere Beamte des Kollegiums, ein Komputator und zwei Auskultatoren, durch den Vizekanzler aus je drei vom Kollegium präsentierten Kandidaten ernannt; auch sie erhalten feste Besoldungen. Mehrere andere Funktionäre, nämlich vier, sechs oder acht Assistenten des Rescribendars, drei oder vier Defensoren, einen Schatzmeister, zwei Buchhalter, drei Syndici wählt das Kollegium selbständig. Für das Beurkundungsgeschäft kommt namentlich die Tätigkeit der drei ersteren in Betracht, deren Amter schon im 14. Jahrhundert bestanden; 4 auch sie erhalten feste Monatsgehälter. Komputator und Assistenten wirken bei der Taxierung mit, jener indem er alle Taxen revidiert und verrechnet, wobei er, wenn der Rescribendar seine Monita nicht anerkennt, das Recht und die Pflicht hat, bei dem Vizekanzler Beschwerde einzulegen, diese namentlich insofern, als ihre Mitwirkung und Mitunter1

„Romani pontificis" § 18.

s

Ohne Verteilung dürfen nur Justizbriefe, deren Taxe weniger als einen Gulden beträgt, und die gratis de mandato zu expedierenden Briefe geschrieben werden. D i e Reinschriften sollen in der Kegel innerhalb drei Tagen fertig gestellt werden. 3 Die Scriptoren haben das Recht, sich im Geschäft des Mundierens durch einen Kollegen vertreten zu lassen, wie das schon im 13. Jahrh. oft vorgekommen war. Solche Substitutionen müssen im 15. Jahrh. sehr häutig stattgefunden haben; nach einem späteren Kollegialstatut (MIOG Erg 1, 587 § 55) waren seit der Zeit Martins V. selten mehr als 60 Schreiber in Rom anwesend. 4 I m 14. Jahrh. waren auch die Ämter des Komputators und der Auskultatoren für Gnaden- und Justizbriefe getrennt und also doppelt besetzt, vgl. die Überschriften der Eidesformeln (TANGL, KO. S. 41 n. V I I b , S. 42 n. VIIc). Auskultatoren und Komputatoren der Justizbriefe standen danach in näherer Beziehung zum Bureau des Korrektors und besorgten in dessen Auftrage die

Übersendung der Briefe an die audientia litt,

eontradietarum. 20*

308

Päpstliche

Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Bullaria

Schrift bei der T a x i e r u n g aller U r k u n d e n erforderlich ist, f ü r welche die G e b ü h r m e h r als vier Gulden b e t r ä g t . Die Auskultatoren h a t t e n es n u r m i t den lilterae rescribendae zu t u n . W ä h r e n d nämlich die m u n d i e r t e n U r k u n d e n im allgemeinen von den B e a m t e n selbst, die sie geschrieben h a t t e n , m i t d e n Konzepten kollationiert werden m u ß t e n , 1 fand bei d e n in der J u d i k a t u r verworfenen u n d zu abermaliger M u n d i e r u n g in das B u r e a u der Scriptoren zurückgesandten U r k u n d e n nach F e r t i g s t e l l u n g der zweiten Reinschrift eine besonders sorgfältige Ü b e r p r ü f u n g d u r c h die beiden Auskultatoren s t a t t ; in dieser P r ü f u n g durch die Auskultatoren m u ß t e konstatiert werden, daß die in der J u d i k a t u r erhobenen Bedenken berücksichtigt seien. 2 N a c h d e m die m u n d i e r t e n U r k u n d e n von den ablreviatores primae visionis noch einmal m i t den Konzepten verglichen w a r e n , wobei kleinere K o r r e k t u r e n v o r g e n o m m e n werden d u r f t e n , 3 u n d d a n n die Revision in der J u d i k a t u r des parcus maior bestanden h a t t e n , k a m e n sie, mit entsprechenden V e r m e r k e n , insbesondere m i t einer zuletzt hinzugefügten V i d i m i e r u n g d u r c h den Kanzleichef versehen, in die B u l l a r i a , 4 das Siegelamt, 5 das freilich, wenigstens i m 15. J a h r h u n d e r t , 1 KO. 455

S.

N. 2

Dies hat schon Johann X X I I . verfügt („Paterfamilias" § 1 2 5 , T A N G L , 1 0 2 ) und Nikolaus V. hat die Verfügung wiederholt ( M I Ö G . Erg. 1, 1).

Daß die Auskultatoren nur mit den lilterae rescribendae et rescriptae, zu tun haben und nicht, wie O T T E N T H A L a. a. O . S . 455 meint, mit allen Briefen, wird man aus § 18 der Konstitution Eugens IV. a. a. 0 . S. 576 folgern müssen. Vgl. auch, was die Practica von 1494 (ed. S C H M I T Z - K A L L E N B E R G S . 81) über die Tätigkeit des Auskultators bei Bullen sagt, die wegen einer entstellenden Rasur rescribiert werden mußten, und ebenda S. 55. Die Rescribierung muß nach § 28 (MIÖG. Erg. 1, 579) infra tres dies a requisitione partis numerandos unentgeltlich erfolgen. 3 Über Korrekturen bei der prima visio vgl. die Verordnung des Kanzleichefs Ramnulf § 3, T A N G L , KO. S. 131. 4 Gleichbedeutend wird auch bulla gebraucht, wie das Registeramt auch registrum genannt wird. — Über das Siegelamt handelt sehr eingehend und die älteren Auffassungen vielfach berichtigend B A U M G A R T E N , Aus Kanzlei und Kammer (Freiburg 1 9 0 7 ) . Doch sind daneben in einigen Beziehungen auch jetzt noch die Ausführungen O T T E N T H A L S , MIÖG. Erg. 1, 4 5 7 F F . , heranzuziehen. 5 In Avignon hatte die Bullaria ein von der Kammer gemietetes Quartier inne; vgl. B A U M G A R T E N S . 7 8 ff. Wo sie nach der Rückkehr Martins V. nach Rom untergebracht wurde, wissen wir nicht: am Ende des 15. Jahrh. befand sie sich im päpstlichen Palast, d. h. im Vatikan. Die Practica von 1494 (ed. SCHMITZ - K A L L E N B E R G S . 33) sagt: communiter est huiusmodi plumbaria (das ist gleichbedeutend mit bullaria) apud sanetum Petrum. Was das bedeutet, lehrt die Practica des Dittens (aus dem Beginn des zweiten Viertels des 16. Jahrh., QFIA. 2, 29 § 25): palatium apostolieum, ubi est officium plumbi

Päpstliche

Kanxlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Bullaria

309

nicht eigentlich zu den Kanzleibureaus gehörte und nicht unter der Oberleitung des Vizekanzlers, sondern unter der des Kämmerers stand. 1 Die Bullierung besorgten nach wie vor die bullatores litterarum apostoliearum-, deren es in der Regel zwei, in Avignon aber zeitweise drei gab; 2 sie wurden zumeist aus der Zahl der Laienbrüder des Cistercienserordens genommen; nur unter Gregor XII. und Martin V. kommt je ein Dominikaner- und ein Karthäuserkonverse als Bullator vor. Unter den Cistercienserklöstern scheint anfangs bei der Auswahl der Bullatoren das Kloster Fossanova in der Diözese Veroli bevorzugt zu sein; in der avignonesischen Zeit trat das Kloster Fontis Frigidi in der Diözese Narbonne, dessen Abt Arnaldus Novelli Vizekanzler Clemens' V. war, an dessen Stelle, bis man in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts — wie 1486 gesagt wird, einem aus ältester Zeit stammenden Brauch folgend — zu Fossanova zurückkehrte: aus anderen Klöstern sind die Bullatoren nur in vereinzelten Ausnahmefällen genommen. 3 Vor ihrer Anstellung im Siegelamte waren diese Mönche, die, worauf streng gehalten wurde, weder lesen noch schreiben konnten, und die man wegen ihrer Barttracht im gewöhnlichen Leben zumeist als fralres barbati bezeichnete, vielfach schon in anderen Stellungen im päpstlichen Dienste, als Stallmeister, Gärtner, Kellermeister, Almosenverteiler usw. beschäftigt; 4 (wie B A U M Q A R T E N S. 85 dazu gekommen ist, diese Stelle für den Anfang des 15. Jahrh. zu benutzen, verstehe ich nicht). Ein von B A U M Q A R T E N S. 86 beigebrachter Befehl vom Jahre 1467 zeigt, daß die beiden Bullatoren damals ein Haus apud plateam eeclesie s. Marei et palatium apustolicum bauten; ob das nur ein Wohnhaus war, oder ob auch das Amtslokal der bullaria zeitweise hierhin verlegt worden ist, muß ganz dahingestellt bleiben. 1 Eine Verordnung des Kämmerers an die Bullatoren von 1417 s. bei B A U M Q A R T E N S. 89. Daß die Bullaria 1497 extra dihonem vicecancellcirii war, ergibt sich aus dem Entwurf der Reformbulle Alexanders VI., T A N G L , K O . S. 410 § 34. Wie es damit zu vereinbaren ist, daß 1484 der Vizekanzler den Auftrag erhält, die Zulassung eines neu ernannten Bullators ad officium, huiusmodi eiusque liberum exereitium zu veranlassen ( B A U M G A R T E N S. 38), ist schwer zu sagen. 2 BAUMGARTEN S. 3 ff. Mitte April 1342 waren ihrer nach B A U M G A R T E X S. 40 sogar vier, und auch unter Martin V. waren nach der Vereinigung der verschiedenen Obedienzen zeitweise vier Bullatoren im Amte. 3 Vgl. das Verzeichnis der Bullatoren bei B A U M G A R T E N S. 6 ff. 4 Es ist also nicht richtig, wenn v. O T T E N T H A L , dem ich in der ersten Auflage dieses Buches gefolgt bin, die fratres barbati oder plumbatores von den bullatores unterscheidet und als ihre Untergebenen ansieht; alle drei Ausdrücke bezeichnen die gleiche Klasse von Beamten, und auch die nur ein einziges Mal vorkommende Benennung custodes bullae geht auf sie. Ebenso irrig ist es, wenn S C H M I T Z - K A L I ENBERG, Practica S . 3 3 X . 2 . annimmt, daß seit der Mitte des 15. Jahrh. das Wort bullator einen Bedeutungswechsel erfahren habe.

310

Päpstliche

Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Bullaria

ihre Ernennung und Vereidigung erfolgte durch den Papst selbst und die letztere wurde erst im 15. Jahrhundert der Kammer überlassen.1 Die Bullatoren holten an drei Tagen der Woche, Dienstags, Donnerstags und Samstags, die in der Kanzlei fertiggestellten Urkunden selbst ab und ließen sie in einer verschlossenen Tasche 2 in die Bullaria bringen; das Geschäft der Bullierung vollzogen sie persönlich mit Hilfe ihrer zwei Diener, für deren Unterhalt ihnen eine Entschädigung aus der päpstlichen Kammer gewährt wurde. 3 Zur Zeit Innocenz' III. scheinen die besiegelten Urkunden oft noch in der Bullaria selbst den Empfängern ausgehändigt zu sein.4 Am Ende des 13. Jahrhunderts und in der nächsten Zeit lieferten die Bullatoren die im Laufe einer Woche eingenommenen Gelder — denn auch die Einhebung der für die Besiegelung zu zahlenden Gebühren war ihre Sache — an jedem Samstag an den Kämmerer ab; auch die Bullenstempel blieben vom Samstag bis Montag im Gewahrsam des Kämmerers; Sonntags wurde nur in außerordentlichen Fällen bulliert. Später kommen auch andere Termine für die Ablieferung der Einnahmen der Bullaria vor.5 An den Gebühren, die in der Bullaria erhoben wurden, war, wie wir noch weiter sehen werden, die päpstliche Kammer in hohem Maße interessiert, während die in den Bureaus der Konzipisten und der Schreiber zu zahlenden Taxen für die päpstlichen Finanzen unmittelbar nicht in Betracht kamen. Gewiß aus diesem Grunde wurde, wahrscheinlich noch im 14. Jahrhundert, in der Bullaria ein besonderes BAUMGARTEN S . 4 4 ff. — Daß sie Analphabeten sein mußten, ist im 15. Jai rh mehrfach bezeugt und sicher schon für die vorangehende Zeit anzunehmen Im 14 Jahrh scheinen die Bullatoren mehrfach clerici litterati in ihrem Dienst g h: bt z i haben; 1420 aber befahl der Kämmerer streng, quod nullus eorum al'quem litteratum haberet, qui bullas legere seiret, BADMGARTEN S. 89. Daß das Gebot nicht ausgeführt wurde, ist anzunehmen; im 15. Jahrh. ist öfter von diesen litterati familiares die Eede. 8

Vgl.

BADMGARTEN

S. 125.

1 8 4 ff.

8

QFIA. 1, 10; BADMGARTEN S . 96 f. — Ob die Besiegelung mit Hanfoder Seidenschnur zu erfolgen hatte, erkannten die Bullatoren an einem einfachen, auch für den Analphabeten nicht zu verkennenden Merkmal, an der Gestalt nämlich, die dem ersten Buchstaben des Papstnamens in der Intitulatio gegeben war; vgl. die Practica von 1494 (ed. SCHMITZ-KALLENBERG S . 33 mit N. 1), A R N D T - T A N G L , Schrifttafeln 3, 48, und unten bei der Lehre von der Urkundenschrift. Ob Briefe bei der Besiegelung zu verschließen waren oder nicht, war an der pliea erkennbar; diese wurde in der Kanzlei gemacht; bei Briefen, die verschlossen werden sollten, fehlte sie (BADMGARTEN S. 197. 201). 4

POTTHAST n . 3 6 5 ,

5

QFIA. 1, 10;

vgl.

BADMGARTEN S .

BAUMSARTEN

S. 247f.

219.

Päpstliche Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Bullaria

311

Kollegium von drei taxatores litterarum apostolicarum in bullaria — so ihr eigentlich offizieller Titel — oder magistri plumbi, wie sie im 15. Jahrhundert gewöhnlich genannt werden, errichtet, die im Siegelamt die von dem Rescribendar im Bureau der Scriptoren festgesetzte Taxe zu revidieren hatten, mit der Befugnis sie zu erhöhen oder in bestimmten Fällen zu vermindern. 1 Sie wurden vom Kämmerer ernannt und vereidigt und scheinen zumeist aus der Zahl der höheren Kammerbeamten genommen zu sein. 2 Die Taxierung und die Signierung der Urkunden durch diese Taxatoren erfolgte vor der Bullierung; der Taxierung aber ging eine Verlesung der Urkunden voran, die bereits für die Zeit Bonifaz' IX. nachweisbar ist. 3 Ehe wir von dem letzten Bureau, durch das die besiegelten Kanzleiausfertigungen hindurchgingen, von der Registratur, sprechen, haben wir noch einer Klasse von Beamten zu gedenken, die zwar zu der 1

Die besten Nachrichten über diese Taxatoren (woraus sich auch ihre Dreizahl ergibt), bietet die Beschwerdeschrift vom Jahre 1497 der collectores plumbi (s. unten S. 344 N. 3) gegen ihre Übergriffe, TANQL, KO. S. 400 ff. Hier heißen sie meist taxatores, einmal auch magistri, in einer anderen Aufzeichnung aus demselben Jahr (ebenda S. 394) magistri seu taxatores in plumbo, daneben aber auch magistri plumbi in dem Entwurf zur Reformbulle Alexanders Vi. (ebenda S. 419), magistri plumbi allein in einem Bericht an diesen Papst (ebenda S. 386) und in dem Verzeichnis der päpstlichen Beamten der Practica von 1494 (ed. SCHMITZ-KALLENBERQ S. 68), wo die drei damaligen magistri genannt sind. Daß es sich überall um dieselben Beamten handelt, unterliegt keinem Zweifel; wenn OTTENTHAI,, MIÖG. Erg. 1, 458, der die taxatores von den magistri plumbi unterscheiden will, meint, die Tätigkeit der Taxatoren habe sich auf die Taxierung im allgemeinen, die der letzteren auf die Siegeltaxe bezogen, so ist das schon deshalb abzuweisen, weil die Taxen für Konzept und Reinschrift in der Kanzlei vor der Bullierung bezahlt werden mußten. — Zur Kontrolle der von dem Rescribendar erhobenen Taxe wohnen die zwei Buchhalter des Scriptorenkollegs der Taxierung in der Bullaria bei (Eugen IV. „Sieut prudens" § 22. 47). — Die taxatores in bulla hat OTTENTHAL a. a. 0. S- 458 seit 1417, bzw. 1422 nachgewiesen, und es ist deshalb unbegreiflich, wie HALLER, QFiA. 2, 12 mit N. 5, auf den Gedanken gekommen ist, sie mit den collectores taxae plumbi zu identifizieren, deren Kollegium von 52 Mitgliedern erst 1486 errichtet wurde (s. unten 8. 325 N. 3), und neben denen das Amt der taxatores bestehen blieb. 2

3

V g l . OTTENTHAL a . a . 0 . S . 4 5 8 N . 4.

Vgl. die von KOCHENDÖRFFER, Bonifatius IX. (Diss. Berlin 1903) S. 68, herausgegebene Aufzeichnung: postea sis in leccione ante bullariam, et cum audieris eas legere, solve qttod debes. Wegen dieser Verlesung werden die Taxatoren auch lectionarii oder leetores bullarum genannt; nach einer Kanzleiregel Clemens' VII., die Benedikt XIII. und Martin V. wiederholt haben, wurden sie in dieser Eigenschaft auch von dem Vizekanzler vereidigt (OTTENTHAL, Regulae canc. S. 119 n. 131. 137 n. 83. 198 n. 50).

312

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Sekretäre

Kanzlei nur in einem loseren Verhältnis stehen, aber für das Urkundenwesen der Päpste im ausgehenden Mittelalter die größte Bedeutung gehabt haben. Das sind die seit der Avignoneser Zeit vorkommenden S e k r e t ä r e (searetarii domini papae oder sedis apostolicae). Ursprung und erste Entwickelung dieses Amtes sind deshalb so schwer zu erkennen, weil päpstliche Konstitutionen, die sich ausschließlich mit den Sekretären beschäftigen, erst aus den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts vorliegen,1 während die älteren Kanzleiordnungen und päpstlichen Verfügungen ihrer nur verhältnismäßig selten und immer nur beiläufig gedenken. Immerhin ist es durch eine Reihe aufeinander folgender Untersuchungen 2 doch möglich geworden, die Entstehung des Amtes und die Stellung der Beamten mit einiger Sicherheit zu erkennen. Schon unter Johann XXII., 3 ja vielleicht schon unter Clemens V., gab es im engeren Kreise des päpstlichen Hofpersonals4, auch einen scriptor. domini nostri, der außerhalb der Kanzlei im persönlichen Dienste des Papstes zu schriftlichen Arbeiten verwandt wurde. Seit 1383 begegnen drei solche Scriptoren, die zunächst unter dem Präfekten der Bibliothek standen, deren oberster Vorgesetzter aber wie bei allen zum engeren Hofstaat gehörenden Klerikern der Kämmerer 5 war. Für die drei seit 1386 als Inhaber dieser Stellung nachweisbaren Männer, 6 die übrigens sämtlich dem Kollegium der Kanzleischreiber angehört haben, 7 kommt dann seit dem Jahre 1341 die Bezeichnung 1 Außer der schon oben (S. 288 N. 1) erwähnten Verordnung Innocenz' VIII. vom 31. Dez. 1487 „Kon debet reprehensibile" kommt noch die bisher wenig beachtete Konstitution desselben Papstes vom l . J a n . 1488 „Apostolatus officium" in Betracht, die T O M M A S I N I im Arch. della soc. Romana di storia patria 12, 15 herausgegeben hat. 2 Vgl. K A L T E N B R U N N E R , MIÖG. 6, 80ff.; O T T E N T H A L , MIÖG. Erg. 1, 4(51 ff.; T A N G L , Die päpstlichen Register von Benedikt XII. bis Gregor XI. (Separatabdvuck aus den Pestgaben für M A X B Ü D I N G E R , Wien 1 8 9 8 ) ; T O M A S E T H , MIÖG. 1 9 , 417FF.; GÖLLER, Mitteilungen und Untersuchungen über das päpstliche Register- und Kanzleiwesen im 14. Jahrh. (Vermehrter Separatabdruck aus QPIA. Bd. 6 und 7) Rom 1904. Ich zitiere diese Arbeiten in dem zunächst folgenden Abschnitt nur mit den Namen ihrer Verfasser. s

Vgl.

GÖLLER

S . 4 7 ff.

* Er wird als familia striata oder intrinseca bezeichnet. s Daß der Kämmerer besonders wichtige und sekrete Angelegenheiten schon unter Clemens V. selbst bearbeitete oder durch ihm untergebene Kleriker bearbeiten ließ, zeigen die merkwürdigen Aktenstücke, die S C H W A L M , QFIA. 7, 220ff, herausgegeben und erläutert hat. 6 Es sind Petrus Villaris, Arnaldus Fabri und Pontius Fabri. 7 Vgl. für Petrus Villaris Lettres closes de Benoit XII. n. 772., Lettres communes n. 2560. 5546. 5823. 6141; für Arnaldus Fabri Lettres comm.

Päpstliche Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Sekretäre

313

secretarii, freilich zunächst ausschließlich in Aufzeichnungen, die nicht aus der Kanzlei, sondern aus der Kammer hervorgegangen sind, vor.1 Überdies erscheint einer von ihnen, Petrus Villaris, als besonderer Aufsichtsbeamter über die Eegistrierung der päpstlichen Sekretbriefe, die unter seiner Oberleitung durch andere Schreiber vollzogen wird. 2 Angesichts jener Titelveränderung, die vielleicht schon im Jahre 1339 eingetreten war, 3 gewinnt nun eine neuerdings ausgesprochene Vermutung, 4 die die Schaffung von besonderen Sekretärstellungen an einen bestimmten Vorfall des Jahres 1338 anknüpft, hohe Wahrscheinlichkeit. Geheime Instruktionen, die der Papst seinen zur Vermittelung des Friedens zwischen Frankreich und England abgeordneten Legaten gesandt hatte, waren verraten worden, und bei der darüber angestellten Untersuchung scheint sich ergeben zu haben, daß die Schuld des Verrates Beamte der päpstlichen Kanzlei traf. Infolgedessen entschloß sich Benedikt XII., wie er den Legaten mitteilte, Vorkehrungen gegen die Wiederkehr eines solchen Vorfalls zu treffen, indem er die geheime Korrespondenz mit den Legaten einem zuverlässigen Abbreviator und einem Scriptor übertrug, die er als fidele? secretarii nostri bezeichnet. So entstand am päpstlichen Hofe ein neues Amt, 5 das freilich nur n. 958. 2782. 3361. 3374. 4766. 4T94. 6144; Lettres closes de Clément VI. n. 316; für Pontius Fabri Lettres comm. de Benoit XII. n. 2784. 4211. 4767. 4793. 6143. 1 Vgl. für Villaris G Ö L L E R S. 28 N. 4, für Pontius und Arnaldus Fabri ebenda S. 47. Alle drei unterscheiden sich von den übrigen Scriptoren auch dadurch, daß sie feste Gehälter beziehen. * Den gleichen Auftrag hatte im Jahre 1336 der Scriptor Gasbertus de Septemfontibus gehabt, der aber nie Sekretär heißt. 3 Denn schon damals erscheint ein Petrus de Caunis scriptor et secretarius domini nostri ( G Ö L L E R S . 50 N. 4). Er war Kammerbeamter Clemens' V. gewesen und ist unter Johann XXII. scriptor geworden (vgl. Archiv f. Literaturund Kirchengesch. 5, 76). — Ganz vereinzelt kommt der Ausdruck secretarius sogar schon 1320 einmal vor; in einem Verhör vom Mai dieses Jahres werden secretarii — anscheinend Kammerbeamte — Clemens' V. erwähnt; Archiv f. Literatur- und Kirchengesch. 5, 86, Z. 38. 4 T A N Q L S . 10 (296). 5 Beachtung verdient in diesem Zusammenhange, daß in der von dem Delphin Humbert II. gerade im Jahre 1340 erlassenen Hofstaatsordnung, die offensichtlich in vieler Hinsicht, insbesondere auch in dem auf die Kanzlei bezüglichen Abschnitt den Verhältnissen am päpstlichen Hofe in Avignon nachgebildet ist, Verfügungen über das Amt eines Sekretärs getroffen werden, der — getrennt von der Kanzlei — mit einem ihm zugewiesenen Notar die vertrauten schriftlichen Geschäfte des Fürsten zu erledigen hat, vgl. VALBONNAIS, Hist. de Dauphiné 2, 399.

814

Päpstliche Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Sekretäre

sehr allmählich fest organisiert wurde. 1 Eine Zeitlang wurde noch gelegentlich von seriptores et secrelarii oder von soriptores secretarii gesprochen, dann aber tritt der Sekretärtitel nur noch selbständig auf. Die Zahl der Sekretäre wächst; unter Gregor XI. sind mehr als sechs nebeneinander nachweisbar; 2 später ist sie noch vergrößert, bis im 15. Jahrhundert Calixt III. und Pius II. in Verfügungen, die noch nicht zutage gekommen sind, 3 sie wieder auf sechs beschränkten. Endlich hat dann Innocenz "VIII. zu Ende des Jahres 1487 die Sekretäre zu einem förmlichen Kollegium von dreißig Mitgliedern organisiert, indem er vierundzwanzig neue Stellen errichtete und verkaufte, 4 gleichzeitig aber bestimmte, daß die Mitgliederzahl in Zukunft wieder auf vierundzwanzig zurückgeführt werden sollte. Er verlieh den Sekretären Rang, Titel und Ehrenrechte der päpstlichen Notare und wies ihnen Amtsräume im päpstlichen Palaste an, die als secretaria apostolica bezeichnet werden sollten. 5

1

Die Vermutung TOMASETHS S. 445ff., daß das Sekretariat sich aus dem alten Notariat entwickelt habe, ist ganz grundlos und von GÖLLER S. 64 fi. ausführlicher, als dieser unglückliche Einfall verdiente, widerlegt worden. 1 Sechs Sekretäre erscheinen in den Sekretregistern Gregors XI., vgl. DONABAUM, MIOG. 11, 109; und man hat wohl angenommen, daß ihre Zahl damals nicht größer gewesen sei. Doch trifft das nicht zu; ich finde einen Grimaldus de Romanis — jedenfalls denselben Mann, dessen Scriptorsignatur TOMASETH S. 449 N. 4 in politischen Briefen Urbans V. von 1367 und 1369 nachgewiesen hat — noch 1376 als Scriptor et registrator litterar. apost. et secretarius domini pape (KIBSCH, Die Rückkehr der Päpste Urban V. und Gregor XI. nach Rom S. 174), ohne daß dieser, soviel ich aus der Literatur ersehen kann, in den Sekretregistern Gregors XI. vorkäme. Später gab es, wie Titularnotare, denen die notarii numerarii oder participantex gegenüberstanden (s. oben S. 293 N. 5), so auch Titularsekretäre (OTTENTHAL S. 472); unter Sixtus IV. („Romanus pontifex" § 13, TANGL, KO. S. 210) werden secretarii numerarii erwähnt, die den unter Calixt III. genannten secretarii partieipantes (OTTENTHAL S. 473) entsprechen. — Nachweisung der Sekretäre außer in den oben S. 312 N. 2 angeführten Arbeiten auch bei KOCHENDÖRFFER, NA. 30, 584FF., für die Zeit Bonifaz' IX. 3 Wir kennen sie nur aus ihrer Erwähnung in den oben S. 312 N. 1 genannten Konstitutionen Innocenz' VIII. 4 Nicht 18, wie man nach dem § 2 der Bulle „Non debet reprehensibile" annehmen sollte; vgl. deren §§11 und 15. Ganz klar wird der Sachverhalt aus der Bulle „Apostolatus officium". — Die Namen der 30 Sekretäre Innocenz' VIII. zählt Sigismondo Conti, der einer der sechs alten und schon von Sixtus IV. ernannt war, in einer von TOMMASINI a. a. 0 . S. 15 N. 2 mitgeteilten Stelle auf. 5 Im 14. Jahrh. mögen die Sekretäre noch in ihren Privatwohnungen gearbeitet haben, vgl. TOMASETH S. 445 N. 1.

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Sekretäre

315

Schon im 14. Jahrhundert erscheint jeweilig einer der Sekretäre als der leitende Mann des Kollegiums, als Chefsekretäx, wie man ihn genannt hat; 1 im 15. ist von einem superior officio secretarius die Bede,2 doch ist es zweifelhaft, ob sich das auf die Stellung im Kollegium oder nur auf den kirchlichen Rang der einzelnen Sekretäre bezieht. Die Bullen Innocenz' T i l l , enthalten keine Bestimmungen über die Leitung der Geschäfte innerhalb des Kollegiums, dagegen behielt der Papst sich vor, aus der Mitte der dreißig Sekretäre oder von außerhalb ihres Kreises einen Kabinetsekretär (secretarius domestims) zu bestellen, der im Palaste des Papstes selbst wohnen und die geheimsten Aufträge des Papstes erledigen sollte.3 Als Gehilfen der Sekretäre werden am Ausgang des 15. Jahrhunderts Schreiber (scriptores secretariorum) erwähnt, die aber deren Privatbeamte sind; es wird in dem Entwurf einer Verordnung aus der Zeit Pius' II. verlangt, daß die Sekretäre sie eidlich zur Bewahrung der ihnen anvertrauten Geheimnisse verpflichten. 4 Nach der Verfügung Innocenz' VIII. sollten die Sekretäre, die ja, wie wir sehen werden, in vielfachen und immer zunehmenden Beziehungen zur Kanzlei standen, wie bisher, so auch nach der Vermehrung ihrer Zahl auch als membra caneellariae gelten und den Vizekanzler als ihren Chef anerkennen. Diese Bestimmung hat aber doch nur eine mehr formale Bedeutung gehabt. In dem Entwurf zu einer Reformbulle Alexanders VI. vom Jahre 1497 5 werden sie zu den Beamten gezählt, die außerhalb der Botmäßigkeit des Vizekanzlers stehen, und die Formel des Amtseides,0 den die vom Papst ernannten Sekretäre in die Hand des Kämmerers, nicht des Vizekanzlers, ablegten, läßt keinen Zweifel darüber, daß sie zum Ressort der Kammerverwaltung gehören; sie geloben darin, die ihnen von dem Papst oder seinem Kämmerer erteilten Aufträge getreulich und sorgfältig auszuführen, vom Vizekanzler aber ist darin gar keine Rede. Unter diesen Umständen ist es auch 1

TAXGL S. 17 (303). Sixtus I V . „Romanus pontifex" § 7 , TANGL, K O . S. 2 0 9 . 3 Vielleicht nahm schon unter Nikolaus V. Petrus de Noxeto, der als secretarius secrelus bezeichnet wird (vgl. OTTENTHAI S. 4 7 3 N . 1) eine ähnliche Stellung ein. 4 Entwurf von 1 4 6 4 § 4 1 . 43, TANGL, KO. S. 378f. Zu solchen Gehilfen gehört auch, da ein päpstliches Kollegium von Brevenschreibern erst 1503 errichtet worden ist, der von KALTENBRUNNER, MIOGR. 6 , 89, nachgewiesene Hieronymus de Carboniano, der sich als sub L. Qrifo Sixli IV. pont. max. seeretario scriptor brevium bezeichnet. 2

6

§ 3 4 TANGL, K O .

6

Sie ist uns erhalten aus dem Jahre 1418, vgl.

TANGL, K O .

S. 47.

S. 410. OTTENTHAL

S. 471 N. 1;

816

Päpstliche Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

¡Sekretäre

nicht befremdlich, wenn die Ausfertigung päpstlicher Urkunden durch die Sekretäre technisch als expeditio per eameram bezeichnet und der Ausfertigung per oancellariam gegenübergestellt wird. 1 Zunächst wurden die Sekretäre mit der Ausfertigung der litterae sceretae2 und des größten Teiles der übrigen nicht auf Antrag eines Bittstellers oder einer Partei, sondern im Interesse der päpstlichen Politik und Verwaltung von Amts wegen herzustellenden Urkunden, 1

Ob bei dem Ausdruck expedire, expeditio per eameram, an die camera apostolica, d. h. an die oberste päpstliche Finanz- und "Verwaltungsbehörde zu denken, oder ob hier das Wort camera in anderem Sinne aufzufassen sei und eine besondere päpstliche Kabinettskanzlei (OTTENTHAL S. 464) bezeichne, ist bestritten. OTTENTHAI hat mit Entschiedenheit die letztere Ansicht vertreten, und ihm haben sich in der Folge die meisten Forscher angeschlossen; auch in der ersten Auflage dieses Buches ist sie vertreten worden. Angezweifelt ist diese Ansicht zuerst von MAYR-ADLWANG , MIÖG. 17, 83 N. 5; entschieden bestritten von HALLER, QFIA. 2, 13, und mit sehr eingehender und sorgfältiger Begründung von GÖLLER S. 35 ff. 99 f. Ungeachtet des Widerspruches, den ein so ausgezeichneter Kenner des päpstlichen Kanzleiwesens wie TANGL, NA. 29, 796, gegen die Ausführungen GÖLLERS erhoben hat, trage ich kein Bedenken, mich, wenn auch nicht in allen Einzelheiten seiner Darlegung, so doch seinem Hauptergebnis anzuschließen; die von ihm aus dem 14. und 15. Jahrh. beigebrachten Zeugnisse für die Identität des Ausdruckes camera schlechtweg mit dem Ausdruck camera apostolica sind so zahlreich und z. T. so schlagend, daß mir jede andere Deutung, wenn sie nicht zu ganz künstlicher Auslegung ihre Zuflucht nimmt, ausgeschlossen erscheint (vgl. besonders die Stellen bei GÖLLER S. 36 und 38). Diesen Zeugnissen gegenüber ist der von TANGL hervorgehobene Umstand, daß Kanzlei-, Kammer- und Sekretärregister zu unterscheiden seien, nicht von Belang; die Dreiteilung der Register zwingt uns keineswegs, eine vollständige Dreiteilung der Behörden anzunehmen. Aber auch das, was OTTENTHAL wahrscheinlich zur Aufstellung seiner Ansicht veranlaßt hat, die Tatsache nämlich, daß am Ende des 15. Jahrh. — vereinzelt unter Sixtus IV., häufiger unter Innocenz VIII. — nicht, wie der weitaus überwiegende Sprachgebrauch ist, einfach von einer expeditio per eameram, und auch nicht, wie mehrfach vorkommt, von einer expeditio per eameram. apostolicam, sondern von einer expeditio per eameram sccretam die Rede ist, hat keine entscheidende Bedeutung. Es ist sehr wohl denkbar — und so möchte ich diese Ausdrucksweise jetzt erklären —, daß, seit das Sekretariat sich zu einer eigenen, zwar immer noch von der Kammer abhängigen, aber doch in sich abgeschlossenen Behörde ausgebildet hatte, man gelegentlich die Expedition von Urkunden, an der die Sekretäre einen wesentlichen Anteil hatten, eben deshalb als expeditio per eameram sccretam bezeichnete (ähnlich scheint sich auch GÖLLER S. 41 die Sache zu denken). Ein ganz ähnlicher Sprachgebrauch ist es, wenn in einem Expensenzettel von 1481 (MIÖG. 17, 96 n. 3) die Registrierung im Sekretärregister als Registrierung in libru secreto bezeichnet wird. 2 Vgl. über den Anteil der Kammer an ihrer Ausfertigung bereits unter Clemens V. oben S. 312 N. 5.

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Sekretäre

317

d. h. der litterae de curia,1 betraut. Die Konzepte dieser Briefe wurden von ihnen entworfen, und wenn sie nicht etwa in einzelnen Ausnahmefällen auch die Reinschrift selbst besorgten, so erfolgte durch sie, was sonst die Sache des Distributors oder Rescribendars war, auch die Überweisung dieser Konzepte an die Scriptoren der Kanzlei, 2 denen ihre Mundierung oblag, und die von den Sekretären sehr bestimmte Weisungen, namentlich über die Zeitfrist, innerhalb deren die Mundierung zu geschehen hatte, erhielten. Mit den fertiggestellten Reinschriften wurden auch die Konzepte an die Sekretäre zurückgeschickt, die dann für die weitere geschäftliche Behandlung sorgten; die Bullierung der Urkunden erfolgte gleichfalls auf ihre Anordnung im Siegelamt. Des weiteren lag den Sekretären seit dem 15. Jahrhundert auch die Ausfertigung der Breven, d. h. der mit Wachssiegel versehenen päpstlichen Erlasse ob; bei diesen aber war jeder Anteil der Kanzlei ausgeschlossen; sie wurden von den Sekretären und ihren Gehilfen sowohl konzipiert wie mundiert, besiegelt und registriert. Endlich aber wurden die Sekretäre auch bei der Herstellung der Gratialbriefe, die vor der Schaffung des neuen Amtes ausschließlich in der Kanzlei ausgefertigt waren, in immer zunehmendem Maße beteiligt. Einmal wurde ihnen das Recht verliehen, die Konzepte für gewisse Arten von Indulgenzbriefen und für die Ernennungspatente der öffentlichen Notare abzufassen, 3 d. h. also nicht etwa für Urkunden, deren 1

Daß auch die litterae seeretae zu den litterae de curia gehören, hat

TANGL S. 12 (298) N . 1 m i t R e c h t betont.

2 Vgl. die verlorene Konstitution Urbans V., die nach Gregors XI. Erlaß von 1372 (TANGL, KO. S. 127) bestimmte: quod scriptores Utteras apostolicas de curia sive gratis de suo mandato scribendas eis per quemcunqtie secretarium suum vel per rescribendarium . . . distributas infra competentem terminum ipsis . . . per . . . secretarium vel rescribendarium . . . assignatum . . . scribere et distribuenti scriptas portare seu remitiere non postponerent. Die Deutung der Stelle ist klar: der Sekretär distribuiert die litterae de curla, der Rescribendar die (Gnaden- oder Justiz)briefe, die nach besonderer Verfügung des Papstes gratis zu achreiben sind. Das bestätigen die Distributionsvermerke auf den noch erhaltenen Konzepten des 14. Jahrh., von denen unten die Rede sein wird. Nur vereinzelt kommt es vor, daß der Sekretär die Auswahl des Scriptors nicht selbst vornimmt, sondern sie dem Rescribendar überläßt. Ob in einzelnen Fällen nicht auch die Mundierung von litterae seeretae durch die Sekretäre erfolgte, ist noch nicht eingehend untersucht worden: ihr Eid (oben S. 315 N. 6) verpflichtete sie scribendo notando rcgestrando die ihnen erteilten Aufträge auszuführen, legte ihnen also die Pflicht auf, sowohl zu mundieren wie zu konzipieren und zu registrieren. 3 In einer Kanzleiregel Martins V. (OTTENTHAL, Reg. canc. S. 227 n. 157) sind diese Urkunden (tabellionalus offieii, altarium portatilium, celebrandi in

318

Päpstliche Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Sekretäre

Konzipierung besondere Schwierigkeiten machte, sondern im Gegenteil für solche, die nach ganz feststehenden und bekannten Formularen geschrieben wurden, so daß es auf der Hand liegt, daß der Zweck der Maßregel lediglich der war, das Einkommen der Sekretäre aufzubessern. Eben deswegen sind diese Urkunden trotz des Anteils, den die Sekretäre daran haben, nicht eigentlich als per cameram. sondern als per caneellariam expediert aufzufassen. 1 Vielmehr scheint der technische Ausdruck für diese Urkunden, bei denen die Gebühren für die Abfassung des Konzeptes nicht den Abbreviatoren, sondern den Sekretären zuflössen, gewesen zu sein: litterae quae per secretarios in cancellaria expediuntur.2 Demgemäß erfolgte auch die Judikatur dieser Briefe, wenigstens nach einer Konstitution Pius' II., durch eine Kommission von sechs Kanzleiabbreviatoren, 3 und abgesehen davon, daß die Originale von den Sekretären signiert wurden, scheinen sie im übrigen geschäftlich ganz wie alle sonstigen Kanzleiausfertigungen behandelt worden zu sein. Am Ende des 15. Jahrhunderts scheinen übrigens die Sekretäre bei diesen Briefen sich auch um die Abfassung der Konzepte in der Regel nicht mehr gekümmert zu haben; sie erhoben nur ihre Gebühren,

loeis interdietis et ante diem, eonfessionalis perpetui, indulgentiarum in mortis articulo et in vita, reeipiendi ecclesiastiea saeramenta et indulgentiarum ecclesiis monasteriis capetlis hospi/alibus et aliis loeis piis concessarum) aufgezählt, vgl. auch „Non debet reprehensibile" § 15. Die Verfügung Martins V. beruft sich auf eine ältere Verordnung desselben Papstes. Die Sache selbst geht aber zweifellos schon in das 14. Jahrh. zurück. Nach GÖLLER S. 59 f. erfolgt schon seit 1348 in einer Anzahl von Fällen und seit Clemens VII. ganz regelmäßig mit verschwindend seltenen Ausnahmen die Prüfung und Vereidigung, die der Ernennung zum öffentlichen Notar voranging, durch die Sekretäre (vgl. auch BAUMOARTEN, Aus der apostol. Kanzlei S. 59 ff.), und TANOL S. 22 (308) hat bemerkt, daß seit 137K alle von ihm eingesehenen Originale der in der Kanzleiregel Martins V. erwähnten Gruppe von Urkunden die Signatur der Sekretäre aufweisen. 1 Daß sie in den Registern mit dem Vermerke de eamera, wozu seit Urban V. zumeist der Name des betreffenden Sekretärs hinzugefügt wird, spricht, wie ich glaube, nicht gegen die im Text aufgestellte Ansicht. Dieser Vermerk dürfte mit der Entrichtung der Taxe, die dem Sekretär zufloß, zusammenhängen und beweist, wie mir scheint, nicht das, was technisch expeditio per cameram genannt wurde. 1 Pius II „ Vues dliiLs" §5. 7, TANGL, KO. S. 181 f. Vgl. Innocenz VIII. „Non debet reprehensibile" § 15 (Bull. Rom. 5, 3341; die Briefe quae per cameram seeretam expi dmiitur sind davon verschieden und werden in § 16 der letzteren Konstitution behandelt. ' S. oben S. 299 N. 3. Nach „Nnn debet reprehenhisibile" scheint das allerdings unter Innocenz VIII. nicht mehr der Fall gewesen zu sein.

Päpstliche Kanzlei seit dem 14. Jahrhundert.

Sekretäre

319

während die Parteien die Konzepte von Abbreviatoren abfassen ließen und sich mit diesen über ihre Entlohnung verständigen mußten.1 Abgesehen von diesen Urkunden, bei denen die Mitwirkung der Sekretäre vorgeschrieben und notwendig war, konnten nun aber auch alle anderen Gnadenbriefe, insbesondere auch deren weitaus zahlreichste Gruppe, die Verleihungen von kirchlichen Pfründen2 (Provisionen), unter ihrer Beteiligung ausgefertigt werden, wenn sie per eameram, statt per cancellariam expediert wurden. Wesen und Bedingungen dieser expeditio per eameram sind aus den bis jetzt bekannten Quellen des 14. Jahrhunderts nicht zu erkennen, aus denen des ausgehenden 15. Jahrhunderts3 dagegen vollkommen klar zu übersehen; und es ist wahrscheinlich, daß wenn auch nicht alles, so doch das meiste von dem, was wir für diese Zeit wissen, auch für die ältere gilt. Nach den Quellen des 15. Jahrhunderts konnte die Expedition per eameram nachgesucht werden, wenn eine Urkunde, nachdem sie konzipiert und mundiert war,4 bei der Judikatur wegen eines Verstosses gegen den Kanzleistil verworfen wurde, weil etwa der Tatbestand in der Supplik und danach in der Urkunde unrichtig oder nicht den Kanzleiregeln entsprechend dargestellt war, oder weil Klauseln, die der Kanzleistil erforderte, fortgelassen oder andere, die überflüssig oder unangemessen waren, eingefügt waren. In solchen Fällen waren, wenn der Verstoß gegen die Kanzleiregeln nur ein mäßiger war und wenn eine Schädigung erworbener Rechte anderer Personen nicht in Frage kam, die Beamten der Kammer ermächtigt, von der strengen Einhaltung der Kanzleiregeln abzusehen. Die schon mundierte Urkunde wurde dann am Ende des 15. Jahrhunderts einem Beamten vorgelegt, der dem Kämmerer untergeben war und als summator (summista, summarius) bezeichnet 1

V g l . TANGL, K O . S. 895.

* Von den 22 Provisionen des Jahres 1481, deren Expensenzettel MAYBADLWANG, MIÖGr. 17, 95ff-, mitteilt, sind 9, nämlich die Nummern 2. 3. 9. 12. 13. 14. 16. 20. 21 per eameram expediert. ' Vgl. für das folgende die Reformentwürfe Sixtus' IV. von e. 1474 § 2 und Alexanders VI. von 1497 § 3 (TANGÍ, KO. S. 380. 404), ferner die Practica v o n 1494 (SCHMITZ-KALLENBERG S. 36 ff.) u n d die P r a c t i c a d e s DITTENS ( Q F I A .

2, 31 ff.) sowie die Verordnung von 1500 über das Amt des Summista, Bull. Rom. 5, 378ff. 4 Practica von 1494 (SCHMITZ-KALLENBERG S. 35): si expedivisti litteras per cancellariam et solvisti duas taias ae alia onera et non possunt transiré per cancellariam, . . . tune necessario //abes transiré per eameram. Die Notwendigkeit sich an die Kammer zu wenden, trat also nach der Mundierung und nach der Bezahlung von Abbreviatoren und Scriptorentaxe, aber vor der Bullierung ein, d. h. sie muß bei der Judikatur eingetreten sein.

320

Päpstliche Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Sekretäre

wird.1 Dieser verzeichnete auf der Rückseite der Urkunde in Kürze ihren in der Kanzlei beanstandeten Inhalt und legte sie dem Papste zur Entscheidung vor. Wenn dann der Papst ihre Expedition genehmigt hatte, wurde die Urkunde sofort ins Siegelamt geschickt. Nach der Bullierung wurde sie zunächst von einem Sekretär revidiert und signiert und dann an die Kammer gesandt, wo der Summator sie abermals revidierte und mit der Supplik verglich; nachdem sie dann in der Kammer registriert war, 2 wurde sie dem Prokurator der Partei dort ausgehändigt. 3 Bei allen auf diese Weise durch die Kammer expedierten Briefen hörte daher die Mitwirkung der Kanzlei nach der Mundierung auf, und ihre weitere Geschäftsbehandlung erfolgte ausschließlich durch die Kammer und ihre Beamten oder auf deren Anordnung. 4 Ursprünglich nur für Ausnahmefälle eingeführt, ist diese Expeditionsform gegen das Ende des Mittelalters in immer zahlreicheren Fallen zur Anwendung gekommen. Mochten nun die Urkunden durch die Kanzlei oder durch die Kammer expediert sein: in jedem Falle sollten Abschriften von ihnen in den Registern der päpstlichen Verwaltung zurückbleiben. Wie wir schon früher 8 bemerkten, sind im 15. Jahrhundert verschiedene Serien 1

Als Summator ist zuerst 1476 Johannes Horn (1464 Distributor im Abbreviatorenkolleg, gest. 1483, vgl. S C H L E C H T in der Zeitschr. des hist. Vereins f. Schwaben und Neuburg 24, 4 9 ff. 86 ff.) von S C H M I T Z - K A L L E N B E R G S . 36 N. 3 nachgewiesen. Neben ihm begegnet 1481 der Sekretär Andreas Trapezuntius (MlÖG. 17, 93 n. 9. 12. 14; vgl. T A N Q L , K O . S. 215 § 3), der unter Sixtus IV. auch Scriptor und Rescribendar war. 1481 fungierten also zwei Summatoren nebeneinander. Zu einem officium perpetuum hat erst Alexander VI. das Amt gemacht. Ehe es eigene Summatoren gab, hat aller Wahrscheinlichkeit nach einer der Sekretäre ihre Funktion ausgeübt. 2 So im 15. Jahrh., vgl. O T T E N T H A L S. 480ff. In Avignon dagegen sind, soviel ich aus den freilich gerade in dieser Hinsicht noch nicht ausreichendeil Ausführungen in der bisherigen Litteratur ersehen kann, die per cameram expedierten Gratialbriefe wenigstens großenteils noch in den Kanzleiregistem, aber mit einem auf ihre Herkunft aus der Kammer hinweisenden Vermerk, registriert worden, vgl. T A N G L S. 2 f. (308 f.), T O M A S E T H S. 438 ff. 8 Daß unter Umständen der Geschäftsgang auch komplizierter sein konnte, zeigt der von O T T E N T H A L S. 5 8 8 mitgeteilte Brief von 1 4 8 6 . Ihm zufolge ist eine Urkunde für Paderborn dreimal transscripta (wohl statt rescripta) und drei oder viermal dem Summator vorgelegt worden. 4 Mit der Ausnahme, daß nach Sixtus IV. „Divina eterni" § 1 6 ( T A N G L , KO. S. 202) zwei Deputierte des Abbreviatorenkollegiums auch diese Urkunden in der Bullaria zu unterfertigen hatten. Dies geschah zur Kontrolle der für ihr Kollegium erhobenen Taxe, zu welchem Zwecke ja auch die Scriptoren Mitglieder in die Bullaria abordneten. 6 S. oben S. 116.

Päpstliche Kanzlei

seit dem 14. Jahrhundert.

Registerbeamte

321

von Kegistern zu unterscheiden: außer den alten Kanzleiregistern, der ursprünglich alleinigen Registerserie, gab es eigene Sekretär- und Kammerregister. 1 Die Kanzlei- oder Bullenregistratur stand, wie die Bullaria, unter dem Kämmerer, der die vom Papst ernannten Oberbeamten vereidigte, 2 doch war auch sie, wie wiederum die Bullaria, in gewissen Beziehungen vom Vizekanzler abhängig 3 Obe.beamte der Registratur waren die vier registratores litterarum apostoliea um 4 die im 15. Jahrhundert magistri registrorum genannt we den, 5 hochgestellte Männer, Bischöfe und Äbte, die, zum Teil aus den Kollegen der Scriptoren und Abbreviatoren hervorgegangen, sich in ihren Funktionen häufig durch Substitute vertreten ließen und sich mit der Einz ehung und Verrechnung der Registereinkünfte begnügten." Ihre Funktion war aber nicht das Eintragen ins Register: hierfür gab es vom Kämmerer ernannte und vereidigte Unterbeamte (unter Martin V dreizehn an der Zahl),7 scriptores registri oder clerici in registro soribentes,8 die ein festes Gehalt bezogen, aber keinen Anteil an den Taxen hatten. Den Magistern lag vielmehr die Verteilung der Bullen unter die Schreiber, die Revision der von diesen angefertigten Registerkopien und 1 Von den Supplikenregistern ist hier ganz abzusehen, vgl. über sie unten Kap. Petitionen und Vorverhandlungen. * Vgl. OTTENTHAL S. 502. Daher ist es irrig, wenn HALLER, QFIA. 2, 12, das Siegelamt von der Kanzlei getrennt sein, das registrum bullarum aber zu ihr gehören läßt. Nach dem Reformentwuvf Alexanders VI. § 34 (TANGL, KO. S. 410) sind beide extra diiionem vicecancellarii. 8 Die Beamten leisten nach der Kanzleiregel Clemens'VII. (s. oben S. 811 N. 3) gleichfalls dem Vizekanzler den dort vorgeschriebenen Eid. 4 Die Vierzahl ist schon für das 14. Jahrh. nachgewiesen von KOCHENDÖRFFEE, NA. 30, 589 (wo aber nicht auf TANGL, KO. S. 388, zu verweisen war, denn diese Stelle bezieht sich auf das, Supplikenregister); für das Ende des 15. Jahrh. vgl. SCHMITZ-KALLENBERG S. 67. Aber zwei der vier Stellen waien wenigstens zeitweise unbesetzt, so daß die Einkünfte dieser Stellen direkt an die Kammer flössen, vgl. OTTENTHAL S. 503. 5 So schon in Martins V. Bulle „Romani pontificii" § 12, TANGL, KO. S. 151. 6 Solche Rechnungen liegen vor aus der Zeit Johanns XXIII von dem Registrator Stephan von Prato, Bischof von Volterra, Arch stor. Ital. 1884

( S e r . 4 B d . 13) S . 172FF., v g l . 39FF. 7

Nach der Practica von 1494 (ed. SCHMITZ-KALLENSERG S. 34) sind es 10 bis 12 (ebenda S. 67 aber 12). 8 In dem Reformbericht von 1497 (TANGL, KO. S. 393) werden sie scriptores sive regestratores genannt. Seit die eigentlichen Registratoren magistri registrorum hießen, mag der letztere Titel gelegentlich den Scriptoren ge geben sein. 9 Martin V . „In apostolicae dignitatis" § 15, TANGL, K O . S. 1 3 8 ; vgl OTTENTHAL S . 5 0 6 .

Hrelilnu, Urkunclrnlolire. 3. Aufl. I.

21

322

Soziale

Stellung

der päpstlichen

Kanzleibeamten

ihre Kollationierung mit den Originalbullen (auseultatio bullarum registratarum) ob, 1 deren Vollziehung sie durch einen Vermerk auf den Originalen und in den Registern bescheinigten.2 Die Register, in welche die von den Sekretären expedierten Briefe" eingetragen vurden, wurden von diesen selbst geführt. 4 Sie besorgten m der Rege* persönlich, bisweilen auch durch Substitute, die Revision und Kollationierung der Eintragungen, die durch ihnen untergeordnete Schreiber angefertigt wurden. Was endlich die seit Clemens VI. nachweisbaren Kammerregister betrifft, 6 in welche diejenigen Erlasse der Päpste, die für die FinanzVerwaltung von Interesse waren, eingetragen wurden, so wurden diese von den nicht zum Kanzleipersonal gehörigen Kammernotaren geführt, die stets kollationiert, vielfach auch selbst geschrieben zu haben scheinen. Die soziale Stellung der meisten päpstlichen Kanzleibeamten war schon früh eine sehr bedeutsame. Das gilt nicht nur — selbstverständlich — vom Kanzleichef, den schon Bernhard von Clairvaux im 12. Jahrhundert als einen der einflußreichsten und angesehensten Beamten der Kurie bezeichnet,6 dessen Amt im 15. Jahrhundert geradezu das rechte Auge des römischen Papstes genannt wird,7 sondern es gilt auch von dem größten Teile des ihm untergeordneten Personals. Die päpstlichen Notare und Scriptoren werden noch im 13. Jahrhundert, gerade wie wir das auch für die älteren Kanzleibeamten nachgewiesen haben, zu Vertrauensmissionen aller Art verwandt: sie vertreten den Papst bei weltlichen Herrschern und geistlichen Fürsten, sie verwalten und regieren päpstliche Besitzungen; so gewöhnlich sind derartige außerordentliche Verwendungen der Notare, daß sie in den 1 Am Ende des 15. Jahrh. vernachlässigten sie diese Pflicht; vgl. den Bericht von 1497, T A N G L , KO. S. 391: bulle . . . in registro debent per magislros aseullari quod minime fit. 2

3

Vgl.

OTTENTHAL

S . 5 0 4 ff.

Aber nicht die von ihnen bloß konzipierten Kanzleiausfertigungen, s. oben S. 318. 320. 4 Vgl. T O M A S E T H S. 427; O T T E N T H A L S. 480ff. 6 Vgl. T A N G L S. 18 (304)f.; O T T E N T H A L S. 486ff 6 Bernardi abb. Epp. 280. 311 (Opera ed. Venedig 1726 1, 274. 292). Vgl. auch Petri abb. Cellensis epistolae 8, 13 (ed. Paris 1613 S. 340). 7 Calixt IV. „Assidua nostri": attendentes quod locus praesidentiae eiusdem eaneellariae dexter oculus Romani pontifieis non immerito appellatur, T A N G L , KO. S. 178.

Soziale Stellung der päpstlichen Kanzleibeamien

328

Aufzeichnungen über die Kanzleibräuche geradezu vorgesehen werden.1 Alle diese Beamten gehören zur familia des Papstes und sind mit mannigfachen Privilegien und Ehrenrechten ausgestattet, die in den späteren Jahrhunderten des Mittelalters immer mehr erweitert worden sind. Geistlichen Standes sind die meisten von ihnen gewesen;8 und die Mehrzahl wird, wie der Magistertitel beweist, den sie seit dem 13. Jahrhundert führen, auch eine gelehrte Bildung besessen haben; später kommt ihnen allerdings auch ohne Rücksicht auf den Besuch einer Hochschule dieser Titel kraft ihres Amtes zu, wie wir bereits erwähnten. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 13. und in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts legten die Päpste häufig Wert darauf, daß die obersten Ämter ihrer Kanzleiverwaltung mit Männern von hervorragender juristischer Bildung besetzt wurden. So fanden wir in der Reihe der Vizekanzler Männer wie Sinibald Fieschi, Iohannes Monachus und Ricciardus von Siena, die zu den ersten Kanonisten ihrer Zeit gehörten; Petrus Textoris war doctor decretorum, Petrus de Pratis war Professor des Zivilrechts in Toulouse gewesen. Auch unter den Notaren und Auditoren findet man namhafte Juristen; 3 für die Abbreviatoren erster Klasse wurde noch im 15. Jahrhundert die Kenntnis beider Rechte erfordert,4 und dem Scriptorenkollegium gehörte unter Benedikt XIII. ein Baccalaureus des kanonischen Rechts an, der vier Jahre an der Kurie darüber gelesen hat.5 Später sind dann die Männer humanistischer Bildung in immer zunehmender Zahl in den Dienst der päpstlichen Kanzlei getreten.6 In der neugeschaffenen Behörde des Sekretariats, für die man auch Petrarca zu gewinnen gedacht hatte, überwiegen sie von vornherein und das ganze 15. Jahrhundert hin1 T A N G L , K O . S. 62 n. 8: item si notarius absens fuerit, clebet habere partem de omni peeunia, que eommumtati cancellarte provenent, aa st presens esset, nisi legationis officio fungeretur ! Daß Coelestin V. einen Laien, den sizilianischen Staatsmann Bartholomaeus von Capua, zu seinem Notar (das bedeutet scriba bei STEPHANESCHI 3 , 7 6 , a MURATORI SS. 3*, 634, vgl. 2, 175 mit der Prosa MURATORI 3 , 616) ernannte, wurde als eine völlig ungewöhnliche Maßregel angesehen. In den niederen Stellen kommen aber im 14. und 15. Jahrh. gelegentlich Laien vor, und im 15. Jahrh. nahm ihre Zahl zu; auch das S. 304 N. 7 angeführte Ernennungspatent ist für einen laicus uxoratus ausgestellt. 3 Vgl. oben S. 294. 4 Calixt III. „Assidtia nostri", TANGL, KO. S. 177. 6 Lettres comm. de Benoit XII. n. 4244. 6 Vgl. v. HOPMANN, Zur Gesch. der päpstl. Kanzlei (Diss. Berlin 1904) S. 45 f.

21*

324

Soziale

Stellung der päpstlichen

Kanzleibeamten

durch; 1 aber auch für das von ihm organisierte Abhreviatorenkollegium zog Pius IL Männer dieser Richtung heran, und in den übrigen Bureaus der Kanzlei fehlten sie nicht. Auf die geistliche Würde, welche die einzelnen Beamten bekleideten, kam nicht allzuviel an. Während einerseits in den höheren Stellungen2 selbst Bischöfe nicht selten vorkommen, haben andererseits oft genug die Kanzleibeamten sich ihr Leben lang mit den niederen Weihen begnügt. Daher fanden sich, obwohl manche päpstliche Verordnungen dagegen einzuschreiten versuchten, zahlreiche verheiratete Männer unter ihnen; 3 und wie schon Eugen IY. den Scriptoren die Ehe mit einer Jungfrau gestattete, so dehnte Pius II. die Heiratserlaubnis auch auf die Abbreviatoren aus, denen auch die Verbindung mit einer Witwe zugestanden wurde.4 Seiner Herkunft nach trägt das päpstliche Kanzleipersonal einen durchaus internationalen Charakter. Überwiegend zwar finden wir Italiener und, namentlich in der avignonesischen Zeit, Franzosen, dann Deutsche, die in der Zeit nach dem Ausbruch des großen Schismas bei den römischen Päpsten in besonders großer Zahl auftreten, daneben aber auch Engländer, Spanier, Portugiesen, Niederländer, Dänen und Skandinavier Am wenigsten zahlreich waren wohl die Slaven vertreten,5 1 Vgl. die Zusammenstellungen TOMASETHS, MIÖG. 1 9 , 4 4 7 ff., über die Sekretäre Urbans V. und Gregors XI. und für die Zeit Martins V. und seiner Nachfolgei OTTENTHAL, MIÖG. Erg. 1, 462FF. 473ff. 2 S; unter den Notaren, den Sekretären, Auditoren der audientia litt, eontrad. und unter den Registratoren. Daß auch Scriptoren und Abbreviatoren zur Winde e nes Bischofs oder Abtes gelangten, ohne ihre Kanzleiämter aufzugeben, erklärte Martin V . („Romani pontificis" § 14 T A N G L , KO. S. 1 5 2 , vgl. auch S 166) für einen Mißbrauch und verfügte, daß Bischöfe, Äbte und Prälaten höherer Stellung diese Ämter nicht innehaben dürften. Doch ist von dieser Yeifügung nicht selten Dispens erteilt worden, vgl. v. HOFMANN a. a. 0. S. 44. s Vgl. v. HOFMANN a. a. 0 . S . 44 f. Im 14. Jahrh. wird einmal eine Schreibe-stelle für vakant erklärt, weil ihr Inhaber ad laicalia vota adspirans '¡um quadam mutiere matrimonium contraxit (Arch. stor. ital. Append. 5, 1 [1847], 152 n. XIII). 4 Eugen IV. „Sicut prudens" § 4 ( M I Ö G . Erg. 1, 572); Pius I I . „ Vices illius" § 2 (TANGL, K O . S. 180); Sixtus I V . „Divina eterni" § 15 (ebenda S. 202). 5 Auch Bedienstete weltlicher Fürsten kommen schon im 14. Jahrh. gelegentlich im päpstlichen Kanzleidienst vor. Von dem sizilianischen Beamten, den Coelestin V. zum Notar ernannte, war schon oben S. 323 N. 2 die Rede. Unter Clemens V. ist der Notar Gaufridus de Plexeyo clericus et familiaris König Phi'ipps von Frankreich und oft in Geschäften seines Herrn von der päpstl-chen Kur.e abwesend (Reg. Clementis V. n. 6708. 7344; vgl. LANGLOIS,

Käuflichkeit der Ämter in der päpstlichen Kanzlei

325

Ton verhängnisvoller Bedeutung für die Geschichte der päpstlichen Kanzlei war es, daß im Ausgang des Mittelalters die meisten Ämter käuflich (officio, vacabilia) geworden sind; die Entartung, die damals um sich griff, ist zu gutem Teil davon eine Folge gewesen. Zuerst wurde die Käuflichkeit für das Amt der Scriptoren eingeführt, für das sie, wie es scheint, durch Bonifaz IX. geschaffen wurde,1 auf das sie aber auch "bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts beschränkt blieb; es ist wahrscheinlich, daß die feste kollegialische Organisation der Schreiber eben mit diesem käuflichen Charakter des Amtes zusammenhängt.2 Sicherlich stand dann die kollegialische Organisation der Abbreviatoren durch Pius II. mit dem Verkaufe dieses Amtes in Verbindung; als Paul IL das Kollegium wieder aufhob, traf er Bestimmungen, welche die Rückerstattung des Kaufpreises, den die Abbreviatoren an die päpstliche Kammer gezahlt hatten, sichern sollten; durch Sixtus IV. aber wurde mit der Kollegialverfassung der Abbreviatoren auch die Käuflichkeit des Amtes wieder hergestellt. Ebenso wurden unter InnocenzVIIL, der das Sekretariat kollegialisch organisierte, auch die Ämter der Sekretäre verkauft, und es ist kein Zweifel, daß damals auch der größte Teil der übrigen Kanzleiämter, insbesondere auch die der Protonotare, käuflich waren. Lediglich um der Käuflichkeit willen wurde 1482 durch Sixtus IV. das Kollegium der hundert Sollizitatoren und wenigstens hauptsächlich aus demselben Grunde 1486 durch Innocenz VIII. das Kollegium der 52 collectores plumbi geschaffen,3 dessen Mitgliederzahl Alexander VI. auf 104 erhöhte, wir haben in unserer bisherigen Darstellung gar nicht von ihnen gesprochen, weil die ihnen zugewiesenen Funktionen völlig nebensächlich und für den Geschäftsgang in der Kanzlei und ihren Nebenämtern nahezu be-

Revue historique 67, 70ff). Unter Benedikt XII. ist der Scriptor Robeitus de Turre de Adria clericus Eduardi regis et Philippae reginae Angliae (Lettres comm. de Benoit XII. n. 4454). 1419 wird Batista Cigala, Rat und Ritter König Sigmunds, päpstlicher Sekretär (MIÖG. Erg. 6, 485 N. 1). An weiteren Beispielen fehlt es nicht. 1

V g l . SAUERLAND, H i s t o n s c h e s J a h r b u c h 7, 6 3 6 f f . ; KOCHEN UÖRFFER, B o n i

fatius IX. S. 16. 4 So nach v. HOFMANN S. 9 N. 3, der weitere Untersuchungen darüber in Aussicht stellt. 8

TANGL, K O . S. 207ff. 215FF.

Ü b e r die V e r o r d n u n g v o m

15. Ma" 1486

vgl. BAUMGARTEN, Aus Kanzlei und Kammer S. 38 N. 3; 92 ff. 346 ff. E bemeikt, daß TANQLS Text mehrfach der Berichtigung bedürfe, insbesondeie wuide die Zahl der Mitglieder des Kollegiums nicht auf 71 sondern auf 52 festgesetzt. Alexander VI. verdoppelte die Zahl im Jahre 1497.

326

Käuflichkeit

der Amter

in der päpstlichen

Kanzlei

deuiungslos waren. 1 die Ämter sind nicht errichtet worden, weil ein sachl ches Bedürfnis dafür vorhanden war, sondern in erster Linie, um verkauft zu werden, wobei dann den Käufern natürlich ein dem Kaufpreis entsprechendes Einkommen aus den Kanzleisporteln gesichert werden mußte. 2 Die Käuflichkeit der Ämter hatte zur nächsten Folge, daß die für ihre Erlangung gestellten Bedingungen nicht streng innegehalten wurden, daß insbesondere das für gewisse Ämter vorgeschriebene Examen vielfach zu einer bloßen Formalität herabsank. Der Inhaber eines käuf liehen Amtes konnte bei Lebzeiten darüber verfügen und es weiter veräußern; er legte dann sein Amt nieder, indem er gleichzeitig den Nachfolger, mit dem er sich über den Kaufpreis geeinigt hatte, präsent erte; natürlich sollte dieser die vorgeschriebenen Eigenschaften besitzen, und er mußte außerdem eine Art von Mutationsgebuhr 3 entrehten, die vielfach ungefähr zehn Prozent des gezahlten Kaufpreises betrug. Nur wenn der Beamte starb, ohne sein Amt abgetreten zu haben, 4 oder wenn er sein Amt durch Beförderung zu einer damit nich vereinbaren geistlichen Würde oder durch Eintritt in ein Kloster oder endlich infolge eines Disziplinarverfahrens verlor, fiel die freie Yerf gung darüber an die Kurie zurück. Infolge der Käuflichkeit nahm auch die Kumulation der Kanzleiamter immer mehr zu.5 Die Vereinigung des Scriptoren- und Ab1

An dieser Auffassung vermag auch der Einspiuch B A U M G A R T E N S S. 9 4 f. nichts zu ändern. Zur Kontrolle der Amtsführung der Bullatoren und zur Verhinderung von Durchstechereien waren ganz gewiß keine 52 collectores plumbi erforderlich. Die Zahl der Mitglieder des Kollegiums zeigt also, daß sein Errichtung ein reines Geldgeschäft war; daß dadurch nebenbei auch sach icher Nutzen wirklich erzielt worden sei, ist an sich wohl möglich, müßte aber erst bewiesen werden. s Von den Sollizitatoren heißt es 1 4 9 7 ( T A N G L , KO. S. 3 9 6 ) : quod officium, liee videatur aperte esse mutile et partibus dampnosum, ein andeimal (a a. 0 . S. 399)- solicitatores sunt devoratores eurie. Über andere später geschaffene offieia vaeabilia in der Kanzlei vgl. H I N S C H I U S , Kirchenrecht 1, 4 4 4 . 3 Diese Bezeichnung ist wohl entsprechender als der von v. H O F M A N N gebrauchte Ausdruck Erbschaftssteuer. 4 Dem galt gleich wenn der Tod innerhalb der Zeit von 20 Tagen nach dei Verfügung eintrat: dann war die Verfügung ungültig Doch galt nach der Bulle Innocenz'VIII. „Non debet reprehensibile" § 11 (Bull. Rom. 5, 332) diese Einschränkung des Verfügungsrechts für die Sekretäre nicht; auch die Mutationsgebühr war bei ihnen auf den Maximalbetrag von 100 Gulden beschränkt. 6 E R L E R , Dietrich von Nieheim S. 23ff. 34ff.; vgl. K O C H E N D Ü R F F E R S. 19ff.; v . HOFMANN

S . 3 0 ff.

Käuflichkeit

der Ämter

in der päpstlichen

Kanzlei

327

breviatorenamtes war schon früher vorgekommen, wurde aber seit dem Ende des 14. Jahrhunderts immer häufiger und im 15. geradezu zur Regel. Ebenso war das Sekretariat von vornherein vielfach mit einem anderen Kanzleiamt verbunden. Aber auch in allen anderen denkbaren Kombinationen kommt im 15. Jahrhundert die Ämterhäufung vor, und sie gereichte der schnellen und sachgemäßen Erledigung der Geschäfte zum größten Nachteil. Hohe und niedere Stellen der Kanzlei und ihrer Nebenbehörden, aber auch der Pönitentiaria und der Kammer waren verbunden; Ämter, denen eine Kontrolle anderer oblag, konnten mit diesen selbst vereinigt sein; fünf und selbst sechs Ämter lassen sich in besonders krassen Fällen als auf eine Person gehäuft nachweisen. Die Kaufpreise waren hoch und steigerten sich am Ausgang des Mittelalters immer mehr; für höhere Ämter kommen Summen bis zu 5000 Dukaten vor, aber auch die einfache Mitgliedschaft im Scriptorenkollegium war für 1000 Dukaten nicht mehr zu erwerben; der Verkauf des Sekretariats trug Innocenz YIII. über 60000 Dukaten ein.1 Dementsprechend waren auch die Beamten darauf bedacht, die Einkünfte aus ihren Ämtern auf jede Weise und mit erlaubten und unerlaubten Mitteln zu erhöhen; und gegen das Ende des Mittelalters steigerten sich somit auch die Ausgaben, die für die Erlangung päpstlicher Gnadenbeweise aufzuwenden waren, zu immer höheren und bisweilen fast unerschwinglichen Beträgen. Feste Besoldungen, ursprünglich Natural-, seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts Geldbezüge, erhielten der Vizekanzler, die Notare, der auditor litterarum contradictarum, der Korrektor und die Bullatoren; 2 1 Preisangaben bei GOTTLOB, AUS der Camera apostolica des 15 Jahrh S. 245 ff., der aber die Mutationsabgabe und den Kaufpreis nicht genügend auseinander hält, und bei v. HOFMANN S. 12. 13. Ich füge noch hinzu, daß der Preis des Korrektoramtes unter Innocenz VIII. auf 5000 Dukat n veranschlagt wurde (Rom. Quartalschrift 19B, 84). 1 Vgl. oben S. 271 N. 2; 279 N 6. Schon in den Aufzeichnungen über den Hofhalt Nikolaus' III. (GALLETTI a. a. 0.) sind Naturalbezüge au h für die Bullatoren vorgesehen. Unter Clemens V. vollzieht sich, wie des en Rechnungen (Regest. Clem. papae V. Append. Bd. 1) ergeben, der Ubergang vom System der Natural-, zu dem der Geldbesoldung für alle diese Beamten (vgl. darüber DEHIO, Vierteljahrschrift f. Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte 1910 S. 56FF.). Über die Gehälter derselben Beamten zur Zeit Johanns XXII. vgl. d e Notizen

TANOIS, M I Ö G .

13, 72 N . 4 u n d

GÖLLERS, R o m .

Quartalsclir ft 1 9 \

8 6 N . 1,

über die Gehälter der Bullatoren im 14. Jahrh BAUMGARTEN, Aus Kanzlei und Kammer S. 258ff., über die Gehälter des Vizekanzlers, des Auditors des Korrektors und dei Bullatoren um die Mitte des 14. Jahrh. d e Aufze chnung, die HALLER, QFIA. 1, 31 ff., herausgegeben hat (dazu die Notizen auf S. 7), und über die Gehälter derselben Beamten untei Urban V. (vgl. TANGL, MIÖG.

328

Besoldung der päpstlichen

Kanzleibeamten

diese Beamten mit Ausnahme der Bullatoren, hatten auch einen Anteil an den Leistungen (procurationes) der Prälaten und Kommunen, bei denen s h die Kurie aufhielt. 1 Gehälter der Scriptoren werden in den mir bisher bekannten Quellen nicht erwähnt, wohl aber einmal im Anfang des 14. Jahrhunderts Naturalbezüge der Abbreviatoren, 2 die aber nur ganz vorübergehend ausgerichtet zu sein scheinen. 3 Die festen Gehälter der Notare scheinen mit der Umwandlung, die dies Amt in der avignonesischen Zeit erfuhr, fortgefallen zu sein; 4 dagegen treten die Sekretäre als besoldete Beamte auf. 6 Das feste Gehalt des Korrektors ist im Jahre 1402 aufgehoben worden. 6 Wie sich im übrigen diese "Verhältnisse im 15. Jahrhundert gestaltet haben, muß noch weiter untersucht werden. Sowohl den Kanzleibeamten, die feste Besoldungen bezogen, wie denen, die ihrer entbehrten, verschafften die Päpste reiche Einkünfte, freilich nicht aus ihren eigenen, sondern aus fremden Mitteln, durch zahlreiche Provisionen mit Pfründen in allen Ländern Europas; 7 13, 72) die wesentlich damit übereinstimmenden Angaben bei M Ü N C H - L Ö W E N S. 12 N. 1. Die Notare werden in diesen Aufzeichnungen aus der Mitte und der zweiten Hälfte des 14. Jahrh nicht mehr erwähnt; dagegen erscheint in den ersteren ein secretarius scriptor (s. oben S. 312 f.) als fest besoldeter Beamter und in ihnen sowie in den Rechnungen Urbans V. außerdem die secretani. 1 T A N G L , KO. S . 62 § 4, 66 § 11. Die Bullatoren waren dafür an den sogen, servitia minuta beteiligt, die von Bischöfen und Äbten, deren Ernennung im Konsistorium erfolgte, entrichtet wurden, vgl. BAUMOARTEN a. a. 0 . S. 263f. Eines der sereitia minuta bezogen der Vizekanzler, die Notare, der auditor litt, contradict. und der eorrector litt, apostolicarum. FELD

1

8

Q P I A . 1,

26.

Sie sind spätestens mit der Einführung der Abbreviatorentaxe (s. unten S. 331 ff.) fortgefallen. 4 Unter Johann XXII. wird noch die Zahlung von Gehalt an die caneellaria, d. h. Vizekanzler und Notare, erwähnt; in späterer Zeit erscheint nur noch der Vizekanzler als Gehaltsempfänger. Wie die Notare, so scheint auch der Auditor m der avignonesischen Zeit aus der Reihe der festbesoldeten Beamten ausgeschieden zu sein. In den Aufzeichnungen aus der Mitte des 14. Jahrh. wird er QFIA. 1, 32 noch neben dem Korrektor genannt, 1, 37 aber und unter Urban V. nicht mehi. Die Notare bezogen, abgesehen von den Gebühren für Justizbriefe, ein sehr erhebliches Einkommen bei den Provisionen der im Konsistorium ernannton Prälaten; dem Auditor fielen ebenfalls beträchtliche Gebühren für seine Amtshandlungen zu. 5 Die Registerschreiber wurden nach dem Maße ihrer Arbeitsleistung bezahlt. 8 Rom. Quartalschrift 20", 95; s. unten S. 341 N. 5. 7 Das beginnt schon im 12. Jahrh.; in dem letzten der drei oben S. 268 N. 3 angeführten Briefe des Abtes Stephan ist von einem benefieium die Rede,

Gebührenwesen

in der päpstlichen

Kanzlei

329

durch ein sorgfältig ausgebildetes S y s t e m von Kanzleiregeln wurde ihnen, wie den anderen Beamten des Papstes ein besonderes Vorzugsrecht bei der Bewerbung u m solche Pfründen e i n g e r ä u m t I m übrigen waren die Kanzleibeamten, die keine festen Gehälter erhielten, 1 offiziell auf den Ertrag aus den Kanzleigebühren oder T a x e n 2 angewiesen; und das Gebührenwesen in der päpstlichen Kanzlei ist schon früh sorgfältig geordnet worden. So viel wir wissen, hat zuerst Innocenz III. bestimmte Gebührensätze für die Kanzleibeamten festgestellt, nach einer Angabe für die Scriptoren und Bullatoren, nach einer anderen, die wahrscheinlich auf einen zweiten, etwas späteren Erlaß zu beziehen ist, für die Notare und die Scriptoren. 3 W e n n uns n u n Nachrichten vorliegen, die schon das der Papst seinem Scriptor Wilhelm von Orléans in Magdunum (Meung) angewiesen hat. Unter Innocenz III. liegen schon zahlreiche Belege vor, und für die spätere Zeit bedarf es solcher nicht mehr, vgl. z. B. K O C H E N D Ö R F F E R , Bonifatius IX. S. 39ff.; E R L E R , Dietrich v. Nieheim S. 38f. 1 Dazu kamen f ü r die Beamten, die einer kollegialisch organisierten Behörde angehörten, gelegentliche Anteile an den Aufnahmegebühren (iocalia) neu aufgenommener Mitglieder des Kollegiums. Die Kanzleiordnungen über die einzelnen Kollegien der Scriptoren, Abbreviatoren usw. enthalten Bestimmungen über ihre Höhe und Verteilung. s

V g l . DIEKAMP, M I Ö G . 4, 5 1 0 f f . ; OTTENTHAL, M I Ö G .

E r g . 1, 5 0 9 F F ;

TANGL,

lff.; J A N S E N in den Festgaben f ü r H E I G E L S. 1 4 6 F F . — Von den späteren Taxbüchern (zuerst gedruckt 1 4 7 9 ) handelt W O K E R , Das kirchliche Finanzwesen der Päpste (Nördlingen 1878) S. 65ff., dessen Ausführungen freilich vielfach unkritisch und unzuverlässig sind, vgl. u. a. Zeitschr. f. Kirchengesch. 3, 141 N. 4; Histor. Zeitschr. 42, 294ff.; Literar. Rundschau 1879 Sp. 7ff. 34ff.; Hist. Jahrb. 4, 381. 8 Gesta Innocentii III. cap. 41: feeit edictum, ut nullus officialium curiae sitae quicquam exigeret praeter solos scriptores et hullatores, quibus tarnen certum modum praefixit, distriete praecipiens, ut singuli suum officium gratis impenderent, recepturi gratanter, si quid eis gratuito donaretur; vgl. T A N G L , K O . S. X X I X f. Man darf aus dieser Stelle nicht folgern, daß Innocenz generell das Fordern von Gebühren verboten und nur die Annahme freiwilliger Geschenke gestattet habe. Der Wortlaut der Stelle nötigt vielmehr zu einer anderen Deutung. Wenn das Fordern von Entschädigungen f ü r Amtsleistungen allen Beamten außer Scriptoren und Bullatoren verboten war, so muß es diesen gestattet gewesen sein. Also hat Innocenz bestimmt, daß Schreiber und Siegler Gebühren erheben dürfen, aber er hat ihre Höhe (certum modum) festgesetzt, allen übrigen päpstlichen Beamten hat er das Fordern von Gebühren verboten und nur die Annahme von freiwilligen Geschenken gestattet. Innocenz hat also ganz sicher nicht nur allgemeine Verfügungen, sondern bereits eine bestimmte Taxordnung erlassen. Dazu kommt nun das Zeugnis des Chron. S. Mariae de Ferraría: instituit certum Stipendium notariis et scriptoribus curie, quod eisdem transgredí non liceat, vgl. SCHMEIDLER, NA. 31, 53. Wie dieser bereits bemerkt hat, MIÖG.

13,

330

Qebührenwesen in der päpstlichen

Kanzlei

im 13. Jahrhundert das Bestehen einer Taxordnung voraussetzen, die einmal als alte Taxe (taxatio antiqua) bezeichnet wird, 1 so ist es sehr wohl möglich, daß hierunter eben jene Verfügungen Innocenz' III. zu verstehen sind; bestimmt bezeugt ist es wenigstens nicht, daß noch ein anderer Papst des 13. Jahrhunderts Verordnungen über das Taxwesen erlassen habe. Daher ist es denn auch nicht ausgeschlossen, wenn es auch nicht bestimmt behauptet werden kann, daß eine Taxordnung für die Scriptoren, die M. TANGL in einem Registerbuche Clemens' VI. aufgefunden hat und die zweifellos ins 13. Jahrhundert gesetzt werden muß, schon auf Innocenz III. zurückzuführen ist. 2 Demnächst ist dann erst in Avignon von Johann XXII. eine umfassende Neuregelung des Gebührenwesens durch zwei Konstitutionen wird diese Verordnung mit der in den Gesta Innoc. erwähnten, die in den Anfang der Regierung des Papstes gehört, nicht identisch sein, einmal weil sie in der Chronik zu 1207 gesetzt wird, sodann weil sie auch für die Notare galt, die Bullatoren aber nicht erwähnt werden. Es sind also aller Wahrscheinlichkeit nach zwei verschiedene Taxverfügungen Innocenz' III zu unterscheiden. Daß aus seiner Zeit auch eine bestimmte Nachricht über die Zahlung von Gebühren stammt, hat schon DIEKAMP, MIÖG. 4, 510, bemerkt, doch ist zu beachten, daß in den Gesta abb. monast. S. Albani (ed. RILEY 1, 199. 217) schon aus der Zeit Clemens' III. berichtet wird, daß ein Privileg (JAFFÉ-L. 16342) non sine multae pemniae effusionc erlangt sei. Vgl. auch für die Zeit Innocenz' III. die von SPAETHEN, NA. 31, 627 N. 1, angeführte Äußerung des Giraldus Cambrensis. Daß unter Honorius III. jedenfalls eine Bullentaxe bereits bestand, zeigt PRESSUTTI, Reg. Honorh III. 1, 29 n. 152: Erwähnung eines taxatum bullae pretium, quod solet ab his exigi, qui litte/ras apostólicas impetrant, vgl. Registres d'Alexandre IV. n. 573. Auf beide Stellen hat GOTTLOB, Die Servitientaxe im 13. Jahrh. (Stuttgart 1903) S. 56 N. 1, aufmerksam gemacht. 1 TANQL, KO. S. 66 n. 9, vgl. den ältesten Abbreviatoreneid ebenda S. 43 und den ältesten Rescribendareid ebenda S. 37. 8 TANQL hat sie zuerst MIÖG. 13, 75 herausgegeben und ebenda S. 9ff. ihre Zuweisung in die Zeit Alexanders IV. begründet, woran er auch KO. S. XXX festhält; er hat dann diese Ordnung mit den uns im Kanzleibuch Dietrichs von Niem erhaltenen Verordnungen des Vizekanzlers Wilhelm von Parma zu einer Konstitution zusammengearbeitet und diese KO. S. 60 herausgegeben. Aber seine Gründe haben mich nicht völlig überzeugt. Insbesondere glaube ich nicht, daß die Taxordnung, die den Scriptoren die Annahme von Geschenken verbietet, mit dem Zeugnis der Gesta Innoc. (S. 329 N. 3) im Widerspruch steht; Innocenz hat vielmehr, wenn ich dies Zeugnis recht verstehe, die Annahme von Geschenken nur den Beamten gestattet, die keine Gebühren erheben durften; Gebührenerhebung und Annahme von Geschenken sollen einander ausschließen. Möglich aber wäre allerdings, daß eine ursprüngliche Ordnung Innocenz' III. in der Verfügung des Vizekanzlers Wilhelm wiederholt ist.

Qebukrenwesen in der päpstlichen

Kanzlei

331

vom 10. Dezember 1316 und vom 16. November 1331 bewirkt worden. 1 Diese Verordnungen sind für das ganze 14. Jahrhundert maßgebend geblieben, wie denn auch in den Eidesformeln der Beamten, die uns aus diesem Jahrhundert überliefert sind, mehrfach darauf Bezug genommen wird. Aber schon seit dem Jahre 1332 sind mit Genehmigung des Papstes durch den Vizekanzler Petrus von Palestrina und später durch seine Nachfolger Ergänzungs- und Zusatzbestimmungen dazu erlassen worden, deren allmähliche Entstehung in zwei Handschriften, in denen sie enthalten sind, klar zu erkennen ist. Unter Urban V. oder vielleicht erst unter Gregor XI. wurden dann die Sätze der Bulle von 1331 und diese Ergänzungen zu einer sachlich geordneten Kompilation, einem Taxbuche, zusammengearbeitet, das uns in einer vatikanischen Handschrift erhalten ist und das man im 15. Jahrhundert schlechthin als das Taxbuch Johanns XXII. zu bezeichnen pflegte. 2 Die strenge Einhaltung der Ansätze dieses Taxbuches hat, nachdem m der Zeit des Schismas vielfache Übergriffe und Mißbräuche vorgekommen waren, noch Martin V. wieder eingeschärft, 3 und noch unter Eugen IV. wird in dem Eide des Eescribendars auf sie Bezug genommen. 4 Dann aber hat eben Eugen IV. nach dem J u n i 1445 eine abermalige Neuordnung des Gebührenwesens vorgenommen, 5 und diese Neuordnung wurde in einem eigenen Buche (quinternus taxas continens) verzeichnet, das der jeweilige Rescribendar in seinem Gewahrsam hatte. Erhalten ist uns dies Taxbuch Eugens IV. in seiner ursprünglichen Gestalt nicht, oder es ist wenigstens bis jetzt noch nicht bekannt geworden. Dagegen ist es sehr wahrscheinlich, daß es, wenn auch später durch Nachträge vermehrt und verändert, der Taxliste einer römischen Handschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts 6 zugrunde liegt, und daß eben darauf auch das erste gedruckte römische Taxbuch vom Jahre 1479 und seine späteren vielfach verderbten Nachdrucke zurückgehen. Abgesehen von diesen Taxordnungen kommen für unsere Kenntnis 1

„Cum ad sacrosanetae" und „Paterfamilias"\ über die Drucke s. oben S. 287 N. 3. 4 Herausgegeben von TANGL, MIOG. 13, T7ff. Über Handschriften und Entstellung dieses avignonesischen Taxbuches vgl. die klaren und durchaus überzeugenden Ausführungen TANGL s ebenda S. 22 ff., denen ich mich auch im folgenden anschließe. 8

V g l . TANGL a. a. 0 . S. 44.

5

4

V g l . TANGL a. a. 0 . S. 45 ff.

6

Cod. Vallicell. J. 80, vgl. TANGL a. a. 0 . S. 47f. — Dem 15. Jahrh. ge-

M I Ö G . E r g . 1, 583.

hört auch die kurze Taxliste an, die MEINARDÜS, NA. 10, 66, aus einer ehemals Bremischen Handschrift mitteilt.

332

Gebührenwesen

in der päpstlichen

Kanzlei

von dem Gebührenwesen der römischen Kanzlei noch die Taxvermerke in Betracht, die seit Alexander IV. auf den Originalen der Urkunden angebracht und im 14. Jahrhundert auch in die Registerbücher eingetragen wurden.1 Weiter besitzen wir, teils in schriftstellerischer, teils in aktenmäßiger Überlieferung mancherlei von den Urkundenempfängern herrührende Angaben über die von ihnen wirklich gezahlten Beträge; 2 endlich sind uns aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Expensenzettel über die Kosten für päpstliche Provisionsbullen erhalten, die zufolge einer Verordnung vom Jahre 1462 von den Prokuratoren bei der päpstlichen Kammer eingereicht und hier geprüft werden mußten.3 Indem wir nun auf Grund dieser Quellen eine Übersicht über die Entwickelung des Gebührenwesens in der päpstlichen Kanzlei zu geben versuchen, müssen wir uns selbstverständlich darauf beschränken, unter Verzicht auf zahlreiche Einzelheiten die Hauptgesichtspunkte, die jeweilig maßgebend waren, kurz hervorzuheben. Gebührenfrei waren natürlich die nicht im Interesse eines Urkundenempfängers, sondern in dem der päpstlichen Politik oder Verwaltung auszugebenden Urkunden und Briefe, die litterae de curia, und es gab deshalb besondere Bestimmungen über ihre schleunige Expedition, damit die Schreiber ihre Herstellung nicht vernachlässigten.4 Daß diese aber doch in irgend welcher Weise für ihre Mühewaltung entschädigt wurden, mag schon im 14. Jahrhundert vorgekommen sein;6 für das 15. Jahrhundert steht es fest, daß wenigstens, wenn die Briefe umfangreicher waren, eine Vergütung dafür aus der gemeinsamen Kasse des Scriptorenkollegiums entrichtet wurde.6 Im übrigen wurden ohne Gebührenzahlung oder mit ermäßigten Gebühren Urkunden für 1 Über die Form dieser wie aller anderen Kanzlei vermerke handle ich im zweiten Bande dieses Werkes. 2 TANOL a. a. 0 . S. 6 0 erwähnt solche Aufzeichnungen erst aus nachavignonesischer Zeit. Aber wir besitzen schon eine wichtige Angabe über die Kosten der Konfirmationsbullen für den Abt von St. Albans vom Jahre 1302 in den Gesta abb. mon. S . Albani ed. ELLEY 2 , 56ff.; s. unten S. 334f. 3

V g l . MAYR-ADLWANG, M I Ö G .

1 7 , 7 1 FF.

* S. oben S. 278. 6 Vgl. den Vermerk bei P O S S E , Privaturkunden S . 9 1 : slatim et habebis pecuniam. 6 Eugen IV. „Sieut prudens" § 13, MIÖG. Erg. 1, curia sind bis zur Länge von 25 Zeilen zu je 26 Silben für längere Briefe wird dem Schreiber ein Betrag von außerdem der sechste Teil eines grossus für jede weitere buch des Kollegiums gutgeschrieben (ins attende gesetzt).

Recipe B. Stephani II 575. Die litterae de gratis zu schreiben; 5 grossi Turon. und Zeile im Kechnungs-

Gebührenwesen in der päpstlichen

Kanzlei

333

in R o m anwesende Arme expediert, 1 ferner diejenigen, die f ü r gewisse, in dieser Hinsicht privilegierte päpstliche W ü r d e n t r ä g e r u n d Beamte (darunter auch die Beamten der Kanzlei selbst) oder ihre Angehörigen und Famiiiaren nach vorgeschriebenem Maße erlassen wurden. 2 Endlich versteht es sich von selbst, daß Erlaß oder E r m ä ß i g u n g der Sportein auch sonst auf speziellen Befehl des Papstes eintreten konnte. 8 I m übrigen aber wurden alle U r k u n d e n taxiert, und zwar sind wahrscheinlich schon von vornherein •— f ü r die späteren J a h r h u n d e r t e des Mittelalters steht es fest — f ü r jedes der verschiedenen Bureaus der Kanzlei besondere Gebühren erhoben worden. Innocenz I I I . schon hatte f ü r die Notare (d. h. also f ü r die Herstellung der Konzepte), dann f ü r die Reinschreiber und f ü r die Bullatoren die Gebühren festgesetzt; 4 n u r eine besondere Taxe f ü r die Registrierung wird in den Zeugnissen, die uns über seine Verordnungen vorliegen noch nicht erwähnt, u n d wir erwähnten schon f r ü h e r , daß sie im 13. J a h r h u n d e r t noch nicht 1 Diese werden signiert gratis pro Deo. Über die Bedingungen, unter denen ganzer oder halber Erlaß der Gebühren an Arme erfolgen kann, vgl. Eugen IV. „Sicut prudens" § 37, MIÖG. Erg. 1, 581. 2 Diese werden signiert gratis pro socio, gratis pro domino cardinali, gratis pro persona notarii, gratis pro familiari domini vicecancellarii usw. 3 Die Signatur lautet dann gratis de mandato domini nostri. Nach einer Kanzleiregel Clemens' VII. (OTTENTHAL, Reg. canc. S. 109 n. 77) bezog sich der durch den Papst speziell verfügte Erlaß in der Regel nur auf die Siegeltaxe, konnte aber durch ausdrückliche Verfügung auch auf die Taxen für Reinschrift und Konzept ausgedehnt werden. Ein beachtenswertes Beispiel von Spezialfeststellung der Gebühr gibt der Vermerk auf einem Konzept des 14. Jahrh.: satisfiat pro labore I flor. et non taxetur (POSSE, Privaturkunden S. 91). 4 S. oben S. 329. Über die Entlohnung der Abbreviatoren, die ja im 13. Jahrh. noch Privatbeamte der Notare waren, sind wir für diese Zeit wenig unterrichtet. In dem Abbreviatoreneide (TANGL, KO. S. 43), der wohl aus der ersten Hälfte des 13. Jahrh. stammt, versprechen sie bei taxierten Konzepten sich an die Taxe zu halten, bei den nicht taxierten Justizbriefen werden sie auf die diskretionäre Bestimmung des Notars verwiesen. Verboten wird ihnen freilich 1245 (TANGL, KO. S. 58 n. 14) jede Forderung an die Parteien oder jede Abmachung mit diesen über ein Honorar, aber an den solita salaria laborantium in eisdem (seil, litteris legendis), die damals erwähnt werden (ebenda n. 13), waren sie sicherlich beteiligt. In einem Briefe des Riccardus de Pophis, der nicht viel später selbst päpstlicher Abbreviator war, aber sich beklagt, daß er nur nomine solo breviatorum eonsors sei, ist von den tot eentenarii et millenarii der Einkünfte der Breviatoren die Rede, von denen nee unieus denarius in nostre (Richards) distribueionis partieipium derivatur; vgl. BATZEK, Zur Kenntnis der Formularsammlung des Richard von Pofi (Heidelberg 1910) S. 137 n. 6. Gab es also damals schon abbreciatores participantes und andere die keinen Anteil an den Gebühren erhielten?

384

Gebührenwesen in der päpstlichen

Kanzlei

obligatorisch war, 1 und daß damit die auffallende UnVollständigkeit der Eintragungen in den Registerbüchern dieser Zeit zusammenhängt. Von den Taxsätzen des 13. Jahrhunderts wissen wir freilich nicht viel. Die uns erhaltene Taxordnung* enthält Ansätze nur für eine nicht große Zahl von Urkunden und nur für die Reinschriften. Die Sätze selbst sind verhältnismäßig niedrig; sie bewegen sich im allgemeinen zwischen 6 und 18 Denaren; 3 nur für eine Art von Urkunden, „die mit größerer Sorgfalt geschrieben werden müssen", steigt die Taxe auf 2 und für feierliche Privilegien auf 10 Solidi. Die Taxierung der Urkunden, für die in der Ordnung des 13. Jahrhunderts keine ausdrückliche Bestimmung getroffen war, wurde dem Ermessen des Distributors anheimgestellt, der dabei nach der Analogie der feststehenden Taxsätze verfahren sollte.4 Wie die Taxe für das Konzept, die den Notaren zu zahlen war, und die Siegeltaxe bemessen waren, darüber haben wir keine Kunde, und über die Höhe der insgesamt gezahlten Beträge geben weder die bisher vorliegenden Untersuchungen über die Taxvermerke der Originale" noch sonstige Quellen 8 genügenden Aufschluß. Die einzige ausführliche Nachricht über die gezahlten Kanzleikosten, die wir aus der Zeit vor den Taxordnungen Johanns XXII. haben, 1 datiert aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts; es handelt sich u m die Urkunden, die aus Anlaß der Konfirmation des Abtes von St. Albans im Jahre 1302 ausgestellt worden sind. 8 Der Abt bezahlte 1 Vgl. oben S. 121. Daß aber auch für die Registrierung, wenn sie erfolgte, etwas zu bezahlen war, ergibt sich aus Takgl, KO. S. 66 n. 6, wonach die Notare und ihre Verwandten von dieser Zahlung befreit waren. * S. oben S. 330. 8 Daß hier denarii provisini (provenienses) senatus zu verstehen sind, hat Tanql, M I Ö G . 13, 14 ff., wohl mit Recht angenommen. 4 Eabita consideratione ad alias taxatas heißt es in der Taxordnung. Damit vgl. man die Bestimmung, Tangl, KO. S. 66 n. 9, wonach der Distributor taxieren soll seoundum taxationem antiqtiam vel consideratione ipsius habita, si littera maior vel minor oeeurrat. Daß hier die Taxordnung selbst benutzt ist, liegt auf der Hand; neu ist der Zusatz, daß auch die Länge der Urkunde bei der Taxierung berücksichtigt werden soll. 6

6

V g l . M I Ö G . 4, 507 ff. 13. 16 ff.

Die von Diekamp, M I Ö G . 3, 6 0 2 , vgl. 4 , 5 0 1 , angeführten Kostennotizen auf der Rückseite einiger Urkunden haben mit der päpstlichen Kanzlei schwerlich etwas zu tun; die von Tanöl, M I Ö G . 13, 17 erwähnten rühren wahrscheinlich von den Prokuratoren her, deren Lohn und manche außer den eigentlichen Taxen geleistete Zahlungen einbegriffen sein können. 7 S. oben S. 331 N. 1. • Gesta abb. mon. S. Alban) ed. Riley 2, 56.

Gebührenwesen

in der päpstlichen

335

Kanzlei

zuerst für die Reinschrift dieser Urkunden 63 grossi Turonmses und gab, als sie kassiert waren, dem Magister Blondinus für ihre Korrektur 2 Gulden. Demnächst entrichtete er bei der Neuausfertigung der Urkunden dem Schreiber und. den Registerbeamten je 60 grossi, außer einem Geschenk von 4 Groschen, das ein Magister P. erhielt, damit die Registrierung beschleunigt würde. Außerdem zahlte er für drei litterae supplioatoriae 65 grossi, endlich an die Bullatoren 12 Gulden und 2 grossi. Dazu kamen noch andere Zahlungen: 50 Gulden an die Notare und außerdem 8 Gulden für das Konzept sowie 35 Gulden für

die

littera

exeeutoria,

endlich

1 G u l d e n pro

bullis

suarum

litte-

rarum supplicatoriarum. Für uns ist es wichtig, festzustellen, daß hier zuerst eine besondere Registertaxe sicher erwähnt wird, und daß ihr Betrag dem der Schreibertaxe gleich war. Für die Siegeltaxe, die in Gulden bezahlt wurde, würden wir auf das gleiche Ergebnis nur dann kommen können, wenn wir, was freilich nicht wahrscheinlich ist,1 annehmen dürften, daß sie für beide Ausfertigungen, die kassierte und die genehmigte, bezahlt worden ist: 123 grossi Turonenses mögen im Jahre 1302 ungefähr 12 Gulden entsprochen haben; ist die Bullentaxe aber nur für die zweite Ausfertigung bezahlt worden, so hat sie ungefähr das doppelte der Scriptoren- und der Registergebühr betragen. 2 Die Zahlung an die Notare ist im Verhältnis zu den übrigen außerordentlich hoch und beruht wohl auf einer besonderen Abmachung. Yon den beiden Taxverordnungen Johanns XXII. trifft die erste 1

Denn dann müßte die Bullierung der Kassierung vorangegangen sein. Über die Wertrelation der Tourser Groschen zu Goldgulden vgl. T A N G L , MIÖG. 13, 15. Eine sehr genaue Angabe aus dem Jahre 1291, die T A N G L noch nicht berücksichtigt hat, haben wir in den Rechnungen des Lanfrancus de Scano über die Erhebung des Zensus in Mittelitalien, herausgegeben von F A B R E , Mélanges d'archéol. et d'hist. 10, 382. Danach wurde ein grossus Tur. zu 32 denar. procisini und 1 Gulden zu 25 sol. prov. gerechnet, und es waren also 3 lib. 16 den., d. h. 736 gr. Turon., gleich 78 Gulden 12 soi. 8 den. prov.; die Umrechnung stimmt genau. Nach der gleichen Kelation wären 63 4- 60, also 123 gr. Tur. gleich 13 3/25 fl. gewesen, während in der Bullaria nur 12 fl. und 2 gr Tur bezahlt sind. Aber um diese kleine Differenz könnte sich, da die Entwertung der Silbeimünzen schneller fortschritt als die der Goldgulden, die Wertrelation zwischen 1291 und 1302 leicht verschoben haben. — Zwischen der Zeit, da man nach provisinischer, und der, da man nach Tourser Währung rechnete, müssen in der päpstlichen Kanzlei die Taxen eine Zeitlang in römischen Groschen (grossiRomanini) berechnet worden sein; vgl. JohannXXII. „Cum ad sacrosanctae" ( F B I E D B E R G , Corp. iur. can. 2, 1219 unten) und den Vermerk auf einer Bulle von 1272 ( F I N K E , Papsturkunden Westfalens S. 322 n. 684) demzufolge die Siegel- und die Scriptorentaxe je 1 gross. Rom. betrug 1

336

Qebührenwesm

in der •päpstlichen Kanxlei

„Cum ad sacrosanctae" vom 10. Dezember 1316 nur für einen Teil der Gratialurkunden, nämlich für die Provisionsbullen, neue Bestimmungen. Sie setzt fest, daß die Abbreviatoren-, Scriptoren- und Registertaxen für diese Urkunden in gleicher Höhe erhoben werden sollen, während sie über die Siegeltaxe keine Anordnung trifft. Die demnach zweimal, und wenn die Briefe registriert wurden, 1 dreimal zu erhebende Gebühr sollte für alle Verleihungsurkunden über ein Kanonikat, eine Präbende oder ein sonstiges Benefiz ohne Rücksicht auf seinen Ertrag — also nicht für Verleihungsurkunden über höhere kirchliche Würden (Erzbistümer, Bistümer, Abteien), die in der Verordnung nicht erwähnt werden — 10 Turnosen betragen. Ein Zuschlag war nur für den Fall gestattet, daß die Briefe mit außergewöhnlichen Klauseln versehen wären; bei diesen sollte für jede Zusatzzeile (die Zeile zu 150 Buchstaben oder 25 Silben gerechnet) 1 / i Turnos berechnet werden. Für den zugehörigen Exekutorialbrief belief sich die Taxe auf 12 Turnosen; Zuschläge waren hier aber nur den Scriptoren und Registratoren gestattet; die Abbreviatoren sollten für die litterae executoriae nur 2 Turnosen berechnen und keine Zuschläge dazu erheben. Endlich wurde für die gleichen Briefe in forma pauperum die Taxe allgemein auf 8 Turnosen ermäßigt. Eine umfassende, zum Teil grundsätzlich abweichende Regelung der Gebührenordnung verfügte Johann 15 Jahre später durch die Konstitution „Paterfamilias" vom 16. November 1331. Der Grundsatz, daß die Scriptorentaxe auch für die Registratur maßgebend sei, blieb aufrecht erhalten; doch mit der Maßgabe, daß bei Provisionsurkunden für Prälaten nur der Hauptbrief mit der Scriptorentaxe, die Nebenbriefe aber nur mit der Hälfte dieser Taxe bezahlt werden sollen. Von mehreren in der Hauptsache gleichlautenden Briefen zugunsten derselben Person soll nur für einen die Haupttaxe, für die anderen eine Gebühr von höchstens 6 Turnosen erhoben werden. Kopien aus dem Register sollen, wenn die Haupttaxe unter 30 Turnosen beträgt, mit dem dritten, wenn sie mehr beträgt, mit dem vierten Teile davon bezahlt werden. Die prinzipielle Gleichheit der Abbreviatoren- mit der Schreibertaxe hat Johann XXII. aufgehoben, es wurde vielmehr für die Abbreviatoren eine eigene, von der der Schreiber unabhängige Gebühren1

Eandem iaxationem . . . . in registro nosiro servari volumus, cum fuerint (litterae) registrandae. Der Nebensatz scheint doch anzudeuten, daß ein Zwang zur Registrierung aller Urkunden noch nicht bestand; sonst wäre er überflüssig.

Gebührenwesen in der päpstlichen Kanzlei

337

Ordnung festgestellt.1 Sie unterschied erstens Justizbriefe, die auf Grund von Urteilssprüchen des Papstes oder der von ihm bestellten Richter von den Abbreviatoren selbst entworfen wurden, zweitens Justizbriefe, für die keine neuen Konzepte anzufertigen, sondern nur die von den Parteien eingereichten Konzepte oder die feststehenden Formulare der audientia zu korrigieren, d. h. dem Einzelfall anzupassen waren, 2 und diejenigen Gnadenbriefe, welche durch die audientia litterarum contradictarum gehen mußten und bei denen die Tätigkeit der Abbreviatoren sich ebenfalls auf eine Korrektur beschränkte, drittens die übrigen Gnadenbriefe. Bei der ersten Gruppe belief sich die Taxe je nach dem Umfang der Urkunde und der Schwierigkeit ihrer Herstellung auf 3—20 Turnosen. Bei der zweiten Gruppe betrug die Taxe zumeist 1 oder 2 Turnosen, sank in den leichtesten Fällen auf 1 j i oder V2 Turnosen und erhob sich nur bei ganz wenigen Urkunden bis zur Höhe von 4, 6 und 12 Turnosen. In der dritten Gruppe endlich wurden Gebührensätze von 6—20 Turnosen festgesetzt, wobei für Provisionsbullen der im Jahre 1316 festgestellte Satz auf 12 Turnosen erhöht wurde. "Über 20 Groschen ging also die Abbreviatorentaxe in keinem Falle hinaus; doch blieb in besonders schwierigen und verwickelten Fällen eine besondere Abmachung über eine Erhöhung der Taxe vorbehalten; konnten die Parteien sich darüber mit dem Abbreviator nicht einigen, so sollte bei den Urkunden, die von den Notarabbreviatoren zu bearbeiten waren, einer der Notare, den der Impétrant zu bezeichnen hatte, bei denen der dritten Gruppe, die von den Kanzleiabbreviatoren verfaßt wurden, ein vom Vizekanzler für eine bestimmte Zeit zu ernennender Abbreviator die Taxe feststellen. Über die Siegeltaxe fehlt es auch in der zweiten Verordnung Johanns an Bestimmungen; daß sie grundsätzlich der Scriptorengebühr gleich sein sollte, ist nur eine Vermutung, die freilich eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat, durch die vorliegenden Einzelzeugisse aber nicht ganz bestätigt wird. Was endlich die Schreibertaxe 3 selbst betrifft, so wird auch in ihr 1 Vgl. für das Folgende die Ausführungen T A N Q L S , MIÖG. 1 3 , 5 8 f f . Doch scheint mir nach § 116 der Konstitution „Paterfamilias" ein Unterschied zwischen formare und facere notam nicht gemacht werden zu dürfen. In der zweiten und dritten Gruppe werden zum Teil dieselben Urkunden erwähnt, vgl. z. B. § 16 und 56, 17. 18 und 57, 19. 21 und 55. Aber die Tätigkeit der Abbreviatoren an ihnen ist verschieden. 8 S. oben S. 300f. 3 Muß ein Brief neu geschrieben werden, so geschieht dies, wenn ein Beamter die Schuld trägt, auf dessen Kosten, sonst zahlt die Partei die halbe Taxe. Ebenso werden Duplikate mit der halben Taxe bezahlt.

JireLilau

Urkundenlehre.

3. A u f l . I .

22

338

Qebührenwesen in der päpstlichen Kanzlei

zwischen den Justizbriefen und den Gnadenbriefen, die durch die Audientia gehen, einer- und den übrigen Gnadenbriefen andererseits ein Unterschied gemacht. Bei den gleichen Urkundenarten ist die Schreibertaxe zumeist etwas höher und nur in ganz vereinzelten Fällen niedriger als die der Abbreviatoren; das letztere trifft aber gerade bei den Provisionsurkunden für niedere Geistliche zu, 1 bei denen die Taxe von 10 Turnosen für den Haupt- und von 12 Turnosen für den Exekutorialbrief aufrechterhalten blieb, wie sie 1316 festgestellt war; 2 auch die Bestimmung, daß bei einer außergewöhnlich langen Narratio oder wegen ungewöhnlichen Klauseln Zuschläge erhoben werden dürften, die zeilenweise berechnet und für die Zeile mit 1 j i Groschen bezahlt werden sollten, blieb bestehen. Im übrigen richtete sich die Taxe der Gnadenbriefe nach dem Inhalt der Urkunde, zuweilen auch nach dem Stande des Empfängers; der niedrigste Satz betrug 8, der höchste — bei Konservatorien für einen Erzbischof und seinen Metropolitansprengel — 50 Turnosen; doch kommen immerhin auch hier Taxen über 20 Turnosen nur selten vor. Bei den Briefen, die durch die Audientia gehen, 3 ist die niedrigste Taxe 1 Turnos, die höchste — für privilegia communia — beträgt 8 Turnosen. Für alle Urkundenarten, die nicht in der Verordnung mit einer besonderen Sachtaxe bedacht sind, soll Bezahlung nach dem Umfange eintreten, mit der Maßgabe daß für jede Zeile bis zu 30 Zeilen bei Gnadenbriefen l j v bei den Justiz- und Audientiabriefen 1 / 3 Turnos bezahlt werden sollte; über 30 Zeilen hinaus kostete die Zeile (für deren Länge, wie wir aus einer späteren Aufzeichnung erfahren, die Verordnung von 1316 maßgebend blieb) bei den ersteren Briefen 1, bei den letztere1" 1 / 2 Groschen. Die Grundsätze der Taxordnungen Johanns XXII. sind in der avignonesischen Zeit und darüber hinaus maßgebend geblieben. Wie lange sich die durch die zweite Konstitution geschaffene besondere GeT ührenordnung für die Abbre viatoren behauptet hat, ist freilich zweifelhaft. Die Konstitution Martins V. „In apostoliee dignitatis" vom Jahre 1418 setzt allerdings noch eine von der Schreibertaxe unab-

1 Provisionsurkunden für höhere Geistliche kosten bei Äbten 16, bei Bischöfen 20, bei Erzbischöfen und Patriarchen 24 Turnosen für jeden Brief. Unter Umständen werden noch 2 Turnosen dazugeschlagen. — Bei Provisionen in forma pauperum bleibt der Satz von 8 Turnosen bestehen. 8 Ei i den Abbreviatoren war sie für den Hauptbrief auf 12 Turnosen erhöht worden, s. oben S. 337. 8 Man baachte, daß für sie auch bei den Justizbehörden und in der audientia Gebühren zu bezahlen waren.

Gebührenwesen in der päpstlichen

Kanzlei

339

hängige Festsetzung der Gebühren für die Konzepte voraus; 1 und für die Notarabhreviatoren hat derselbe Papst noch 1425 Taxen von 12 grossi für die Hauptbriefe bei Prälatenernennungen und von 2 Turnosen für die Nebenbriefe festgesetzt, wobei er sich ausdrücklich auf die Verfügungen Johanns beruft. 2 Ja, soga- noch im Jahre 1455 hat Nikolaus V. für die Abbreviatoren einige besondere Taxbestimmungen verfügt, die von denen Johanns XXII. wenigstens im Prinzip nicht abweichen. 3 Allein in der Praxis scheinen die Abbreviatoren schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sich nicht mehr an diese Verfügungen, wie oft sie neu eingeschärft werden mochten, gehalten zu haben; 4 und im Jahre 1463 hat Pius IL, als er das geschlossene Kollegium der Abbreviatoren errichtete, die Gebührenordnung Johanns durch die Bestimmung aufgehoben, dal.) die Abbreviatoren von nun an bei allen Urkunden, mochten sie per cameram oder per caneellariam expediert werden, dieselbe Taxe wie die Scriptoren erheben sollten. 5 1 TANGL, KO. S. 134 § 2. Für die von den Notaren anzufertigenden Konzepte der Konsistorialbullen trifft sie zugleich neue Bestimmung, indem die Taxe von der Höhe des servitium commune für die betreffende Kirche abhängig gemacht wird. Doch gilt das nur für die Notare (Protonotare) selbst: über die Gebühr ihrer Abbreviatoren bestimmt die Konstitution ,,Sanetissimus dominus" von 1425, TANOL. KO. S. 164 § 7, wie oben angegeben ist. * Diese Gebühren oder wenigstens die von 2 Tumosen sind aber expensis prothonotarii, euius abbreviator est, zu zahlen, also nicht von den Parteien zu entrichten. 3 OTTENTHAL, Reg. canc. S. 259 n. 36. Auch Eugen IV. knüpft noch an die Taxen Johanns XXII., die durch seine eigenen nur ergänzt werden, für die Abbreviatoren sowohl wie für die Scriptoren an. 4 Sowohl in einer venezianischen Kostenberechnung vom Jahre 1405 (CORNELIUS, Ecclesiae Venetae 7, 113 ff.) wie in einer Kostenberechnung für den Abt von St. Albans von 1423 (Ann. monast. S. Albani, ed. RILEY 2, 271) sind die Ansätze für die Abbreviatoren, für die Scriptoren und für die Registratorcn ganz dieselben. Eine besondere Abbreviatorentaxe kam also dafür nicht in Betracht. — Dagegen zahlten Lüneburger Ratsboten 1453 für eine Restitutionsbulle, die der spätere Protonotar Nikolaus Stoketo erwirkte, nachdem sie am 5. Juni die Supplik im Supplikenreginter ausgelöst hatten: am 10. Juni für die Minute 2 Dukaten, am 14. dem scripiori bullae 2 Dukaten 6 Grossi, an demselben Tage in plumbo 1 Dukaten 1 Grossus und in regist. J 2 Dukaten 2 Grossi. Die Taxe wird also 2 Dukaten gewest-n sein, wozu für Schreiber und Registratoren kleine Zuschläge kamen, während im Siegelbureau eine Ermäßigung auf die halbe Taxe mit einem Zuschlage von 10 Prozent (s. unten) stattgefunden zu haben seheint (vgl. Hans. Geschiclitsblätter 1887 S. 48 f.). Diese Angaben sind übrigens auch deswegen beachtenswert, weil sie über die Zeitdauer der Expedition von der Auslösung der Supplik bis zur Registrierung der Bulle Aufschluß geben. 6

TANGL, K O . S. 181 n . 3. 22*

340

Oebührenwesen

in der päpstlichen

Kanzlei

Hinsichtlich der Registertaxe blieb es auch im 15. Jahrhundert bei der Bestimmung, daß sie der der Scriptoren gleich sein solle. Die Scriptorentaxe selbst ist, wie wir schon erwähnt haben, in der avignonesischen Zeit durch Zusätze fortgebildet und ergänzt worden, die zum Teil durch das Aufkommen neuer Urkundenarten und Urkundenformeln veranlaßt wurden, zum Teil aber auch in besonderen Einzelfällen ihre Veranlassung hatten. Die in diesen Zusätzen bestimmten Taxen sind bisweilen erheblich höher als die der Verordnungen Johanns, Beträge von 50, von 100 und selbst von mehreren hundert Turnosen kommen mehrfach vor; in einem Falle ist die Taxe bei einer allerdings ungewöhnlich langen Absolutionsurkunde für Ludwig den Römer und Margarethe Maultasch von Tirol sogar auf 2000 Groschen erhöht worden. 1 Und in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts trat dann wahrscheinlich durch die Ordnung Eugens IV. eine weitere bedeutende Erhöhung der Taxenansätze, freilich nicht für alle, aber doch für viele Urkundenarten ein. Allerdings war auf die Festsetzung der Taxe durch den Rescribendar, seine Assistenten und die Komputatoren des Scriptorenkollegiums ein gewisser Einfluß der Parteien möglich: man handelte wohl darum und gewann die maßgebenden Männer durch Bestechung. So hat im Jahre 1405 der Prokurator des Dominikanerordens, der für die fratres et sorores ordinis

de poenitentia

beati Dominici

eine B e s t ä t i g u n g i h r e r R e g e l

nachsuchte, es durch ein Geschenk von 2 Gulden erreicht, daß die Taxe auf 12 Gulden ermäßigt wurde, während sie zuerst 20, 25 oder gar 30 Gulden betragen sollte.2 Das wußte man auch in Deutschland, und so instruierte der Rat von Hildesheim im 15. Jahrhundert einen Prokurator, gewisse Gratien nur dann zu erwirken, wenn er sie für einen bestimmten Betrag — einmal einen vierfach niedrigeren, als die Kanzleibeamten zuvor angegeben hatten — erwirken könne.3 Der Bremische Rat aber ging im Jahre 1392 ganz sicher, indem er mit einem solchen Urkundenmakler einen Vertrag schloß, durch den dieser sich verpflichtete, für den festen Preis von 300 Dukaten bestimmte Bullen Bonifaz' IX. vera bulla bullatas zu beschaffen, oder, wenn er

1 Über noch viel höhere Taxen bei der Investitur des Königs Ladislaus von Neapel und der Approbation König Euprechts vgl. T A N Q L , M I Ö G R . 1 3 , 6 1 ff. Der daselbst auf S. 63 erwähnte Best von 100 Gulden stellt vielleicht den unten besprochenen zehnprozentigen Zuschlag in der Bullaria dar. ' C O R N E L I U S a. a. 0 . S . 113; vgl. auch den interessanten Brief bei SCHMITZK A L L E N B E R G , Practica cancellariae S . 82. 3 D Ö B N E R , UB. der Stadt Hildesheim 3, 46 n. 101; 362 n. 821; 537 n. 1164.

Gebührenwesen in der päpstlichen

Kanzlei

341

das nicht könne, das Geld zurückzuzahlen: 1 was der Mittelsmann durch Handeln ersparen konnte, war dann sein Verdienst. Die einmal festgesetzte Taxe aber war, nach dem, was wir ohen bemerkt haben, dreimal zu bezahlen: im Bureau der Schreiber, in dem der Abbreviatoren und in der Registratur. Dabei war am Ende des 15. Jahrhunderts im Abbreviatorenbureau ein kleiner Abzug gestattet, wenn schon bei der Anfertigung des Konzepts dem Abbreviator, der dies getan hatte, ein Honorar gezahlt war. 2 In der Bullaria dagegen wurde zu der Scriptorentaxe ein Zuschlag erhoben, der das ganze 15. Jahrhundert hindurch 10 Prozent der Taxe betragen zu haben scheint. 3 Endlich kam im 15. Jahrhundert — wie es scheint seit dem Jahre 1 4 0 3 4 — bei den Urkunden, die per cameram expediert wurden, bei deren Anfertigung also die Sekretäre beteiligt waren, noch eine fünfte Taxe (quinta iaxa, Sekretärtaxe) hinzu, deren Betrag wiederum dem der Scriptorengebühr gleich sein sollte, nicht selten aber darüber hinaus gesteigert wurde. 5 "Überhaupt aber war es mit der Zahlung der eigentlichen Taxen 1

Bremisches UB. 4, 187 n. 144. Practica cancellariae S . 2 7 . 3 So wird 1405 (CORNELIUS a. a. 0 . ) pro quolibet floreno ein Grossus als Zuschlag gezahlt. Ebenso werden 1423 (RILEY a. a. 0.) für eine Bulle statt der Taxe von 8 Gulden und für eine andere statt der Taxe von 10 Gulden im Siegelamt 8 Gulden 8 Grossi und 11 Gulden erhoben. Woher es dann kommt, daß für die Bulle de ieiunio statt der Taxe von 8 Gulden im Siegelamte 22 bezahlt werden müssen, bleibt freilich dunkel. Aber der gleiche Zuschlag von einem Karlin für jeden Dukaten der Taxe (der Dukat hat 10 Karline) wird auch in der Practica cancellariae ed. SCHMITZ-KALLENBERG S. 33 bezeugt, die hinzufügt, daß damals de novo noch ein zweiter gleich hoher Zuschlag erhoben werde. Damals banden sich freilich auch die taxatores in bullaria nicht mehr an die Scriptorentaxe, sondern interdum augmentant taxam per reseribendarium impositam, interdum diminuunt. Daß eine Minderung der Taxe nicht selten war, zeigen die Expensenzettel, MIOG. 17, 95fF.; ebenso aber weisen sie bisweilen auch beträchtliche Erhöhungen auf. Vgl. dazu die Besehwerdeschrift der collectores plumbi von 1497, T A N Q L , KO. S. 400ff. 4 Vgl. J A N S E N in Festgaben für H E I G E L (München 1903) S. 153ff. 6 Für den corrector litterarum apost. wurde im Jahre 1402, als Bonifaz IX. seine feste Besoldung aufhob, die sich bis dahin auf etwa 200 Gulden belaufen hatte, eine besondere Gebühr eingeführt, die sich für Justizbriefe auf '/« bis '/Ü Grossus, für exeeutoriae auf 1 Gr., für Provisionsbullen über Bistümer auf 3 Gr., über Klöster auf 2 Gr. belief, vgl. die Bulle, Rom. Quartalschrift 20b, 95, und oben S. 302. — So erklären sich die Ansätze pro birrelto correctoris in Expensenzetteln des 15. Jahrh., vgl. z. B. MIÖG. 17, 92 n. 2; 100 n. 15; 101 n. 17; 103 Beilage III. Allerdings beträgt hier der Ansatz bei Bistümern und einem Kloster nicht 2 oder 3, sondern 4 Grossi oder Karlini, ist also wieder erhöht worden. A

SCHMITZ-KALLENBERG,

342

Gebührenwesen

in der päpstlichen

Kanzlei

nicht getan. Danehen waren in vielen Fällen, besonders, wenn es sich um wichtigere Urkunden handelte, die mächtigere Herren oder wohlhabende Kommunen zu erwirken wünschten, ansehnliche Beträge, welche die Höhe der Taxen weit überstiegen, an den Papst selbst unter dem Namen einer compositio zu entrichten, mit denen oft genug andere Zahlungen an einflußreiche Kardinäle oder andere Würdenträger der Kurie verbunden werden mußten. Zahlte man Bonifaz IX. nichts, so mußte man auf eine unendliche Verschleppung der Angelegenheit, die man betrieb, gefaßt sein, wie sie sich der Prokurator jener Dominikaner-Kongregation, von der wir oben sprachen, gefallen lassen mußte: man hatte ihm mehrfach gesagt, der Papst wolle Geld haben, 1 aber seine Auftraggeber wollten jede Simonie vermieden wissen, und so kam ihre Sache erst nach Jahren unter einem anderen Papst zur Erledigung. Aber Bonifaz IX. ließ auch mit sich reden: einem kölnischen Gesandten, der 1394 für seine Stadt in Rom Privilegien erwirkte, hatte man zuerst gesagt, daß der Papst für die Absolution der Stadt und die Aufhebung des Interdikts mindestens 8000 Dukaten haben müßte; später bekam er sie für etwa den siebenten Teil dieser Summe und für diesen Preis und einige Nebenkosten noch zwei andere Bullen obendrein. 2 Diese drei und sieben weitere Urkunden, 3 die der Gesandte erwirkte, wurden dann freilich mit der Signatur gratis de mandato domini noslri pape versehen: aber wie wenig das beachtet wurde, zeigt sich aus der Rechnung des Gesandten; obwohl er für die letzteren sieben Urkunden noch einmal 1050 Dukaten an die Kammer gezahlt hatte, mußte er außerdem noch ziemlich bedeutende Beträge für die Anfertigung der Suppliken nicht nur, sondern auch für Konzepte, Reinschriften, Bullierung und Registratur entrichten. 4 Und außerdem waren Nebenzahlungen in jedem Stadium, das eine Urkunde zu durchlaufen hatte, kaum zu vermeiden: darüber geben die früher erwähnten Expensenzettel aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und ein kurzes Handbuch für die, welche Provisionen zu erwirken wünschten, da" SCHMITZ-KALLENBERG unter dem Titel Practica cancellariae veröffentlicht hat und das aus dem Ende dieses Jahrhunderts stammt, C O R N E L I U S a. a. 0. S . 73 ff. Sehr charakteristisch ist die daselbst S. 100 mitgeteilte Äußerung über den einflußreichen Sekretär Johannes de Bononia: ego eognoscebam hominem; ipse est mortuus et possum iam secure dicere: ipse non movissel pedem per duos passus, ut alicui serviret, sine peeimia. 2 Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 4, 12, 76. 73; vgl. T A X G L , MIOG. 13, 65f. 3 Es sind die Nummern 5310—5316 des Kölner Stadtarchivs. 1

4

TANGL

a. a. 0 .

S. 67 f.

Oebührenwesen

in der päpstlichen

Kanzlei

343

genügende Auskunft. 1 Man zahlte im Supplikenbureau, um die Registratur der Supplik zu beschleunigen,2 dort 3 und wiederum im Abbreviatorenbureau, um die Supplik ausgeliefert zu erhalten; im Scriptorenbureau an den Schreiber angeblich für das Pergament, dann an den die Eeinschrift revidierenden Abbreviator in prima visione, an den ousios caneellariae, der etwaige Rasuren festzustellen hatte, in der Bullaria an alle Beamte, im Registraturbureau an den Schreiber, bei der Expedition per cameram an den Summista — dies alles, abgesehen von den bei einer littera rescribenda entstehenden weiteren Kosten, den bei Provisionsbullen zu erlegenden Gebühren für das Examen des Kandidaten usw. und den eigentlichen Taxen.4 Die für die Abbreviatoren und Scriptoren zu erhebenden Gebühren wurden in den beiden Bureaus selbst gezahlt, flössen unverkürzt den ihnen angehörenden Kanzleibeamten zu und wurden — nach sehr eingehenden und komplizierten Bestimmungen, die in den päpstlichen Konstitutionen für beide Beamtenklassen enthalten sind — unter sie verteilt. 6 Dagegen fiel die Bullentaxe ganz der päpstlichen Kammer zu; die Bullatoren hatten sich, abgesehen von ihrem Gehalt, mit den Nebensporteln und Trinkgeldern, die auch bei ihnen üblich waren, und über deren Höhe in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eigene päpstliche Verordnungen ergingen, zu begnügen. Die Taxbeträge wurden, wie wir aus den seit 1299 vorliegenden Rechnungen ersehen, im Siegelamt selbst, bisweilen in sehr verschiedenen Münzsorten, eingezahlt, in einem verschlossenen Kasten aufbewahrt und bis 1336 allwöchentlich, später meistens monatlich, bisweilen aber auch nach kür1 P r a c t i c a canc. S. 21 ff. Vgl. außerdem d e n Bericht v o n 1497 über die Mißbrauche bei der G e b ü h r e n e r h e b u n g in sill^N K a n z l e i b u r e a u s , TANGLJ K O . S. 390 ff. 8 E i n e solche Zahlung k o m m t s c h o n in der oben (S. 340 N . 2) erwähnten E e c h n u n g v o n 1405 vor. — A u c h i m Bullenregister zahlte schon 1302 der A b t v o n St. A l b a n s (s. oben S. 334 N . 8) magistro P. ut citius registarentur 4 Turnose. 3

D a s bedeutet der L ü n e b u r g e r K o s t e n v e r m e r k v o m 5. J u n i 1453: N(icolai) supplieacien te losende in registro 7 b[olonini\, Hans. Geschichtsblätter 1887 S. 48. * Seit dem A u s g a n g des 15. Jahrh. sind diese Extrazahlungen n o c h vermehrt worden. Vgl. z. B. d e n Trienter Expensenzettel v o n 1 4 8 8 , MIÖG. 17, 103 f. 6 D i e e n t g e g e n s t e h e n d e B e h a u p t u n g v o n HALLER, P a p s t t u m u n d Kirchenreform 1, 105 IJ. 1, i s t g a n z irrig, nicht nur für das 14. (wie schon GÖLLER, Mitteilungen u n d U n t e r s u c h u n g e n S. 99, bemerkt hat) sondern auch für das 15. und 16. Jahrh.

344

Gebührenwesen

in der päpstlichen

Kanzlei

zeren oder längeren Zeiträumen an die Kammer abgeliefert. 1 Im Anfang des 15. Jahrhunderts wurden einige Jahre lang die Erträge der Bullaria, soweit nicht aus ihnen auf päpstliche Anweisung Zahlungen unmittelbar an Gläubiger der Kurie oder andere Empfangsberechtigte geleistet wurden, an die Registratur abgeführt, um von hier mit den Einkünften dieses Bureaus zusammen von einem Registrator verrechnet 2 und nach den Anweisungen des Papstes oder des Kämmerers verwandt zu werden. 3 Denn auch die Einkünfte des Registers flössen wenigstens zum Teil in die päpstliche Kammer. Wie es damit im 14. Jahrhundert gehalten worden ist, bedarf freilich noch weiterer Untersuchung; in den päpstlichen Kammerbüchern aus derZeit Johanns XXII. und Benedikts XII. scheinen nach den bisher darüber vorliegenden Angaben Einnahmen aus dem Register nur in den Jahren 1335 und 1337 gebucht zu sein, und zwar scheint nach dem Wortlaut einer der veröffentlichten Eintragungen damals der dritte Teil des wirklichen Ertrages an die Kammer abgeführt zu sein.4 Nach den Rechnungsbüchern des Registrators Stephanus de Prato 5 sollte man annehmen, daß im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts die ganzen Einkünfte aus der Registertaxe so verwandt worden wären, und dem entspricht ein Befehl des Vizekämmerers an die Registratoren vom Jahre 1426, 6 durch 1 Naehweisungen bei B A U M G A R T E N , A U S Kanzlei und Kammer S . 2 4 7 f f . Vgl. auch G Ö L L E R , Vatikanische Quellen zur Gesch. des päpstlichen Hof- und Finanzwesens 1, 71 ff. * Das ergibt sich aus den Rechnungen des Kegistrators Stephanus de Prato, die G U A S T I im Arch. stor. ital. 4. Serie Bd. 13 (1884) herausgegeben hat. Vgl. auch B A U M G A R T E N S. 251 f. 253. ' Nach einer Verfügung Eugens IV. von 1435 sollte ein Drittel der Bulleneinkünfte Beamten der Pönitentiaria abgeliefert werden, vgl. G Ö L L E R , Gesch. der Poenitentiaria 1, 149. Die Hälfte der Einkünfte aus der Bullentaxe bezogen seit 1488 die collectores taxae plumbi; daher beschweren sie sich 1497 darüber, daß die taxatores in bullaria diese Taxen so oft ermäßigen, vgl. T A N G L , KO. S. 400 ff. Bei der Verdoppelung des Kollegiums der Kollektoren durch Alexander VI. wurde ihnen auch die andere Hälfte dieser Einkünfte zugesprochen. 4 G Ö L L E R , Mitteilungen und Untersuchungen S . 9 9 kennt solche Buchung nur aus dem Jahre 1335. Aber in den Rechnungen, die V I D A L , Lettres communes de Benoit XII. 2, 436ff., mitteilt, kommt sie auch 1337 vor, dagegen sonst unter Benedikt XII. nicht. Nach der Taxordnung Johanns XXII. „Paterfamilias1' § 235ff., T A N G L , K O . S . 110, sollte man annehmen, daß die Registertaxe den registratores zugefallen wäre. Dagegen ergibt sich aus Martins V. Bulle „Romani pontifteis" von 1423 § 1 2 , ebenda S. 151, daß die Registerschreiber feste Gehälter und an der Taxe keinen Anteil haben. 6 Oben N. 2. 3 O T T E N T H A L , MIÖG. Erg. 1 , 514.

Gebührenwesen in der päpstlichen Kanzlei

345

den sie angewiesen werden, singulas pecuniarum summas ex emolumentis registri an den Schatzmeister auszuzahlen. Aber aus einer Rechnung über die Einkünfte aus Bullaria und Registratur für die Jahre 1418 und 1419 1 ergibt es sich, daß damals der Vizekanzler von den Registereinkünften einen Anteil, wie es scheint die Hälfte, bezog,2 und aus einer anderen Notiz vom Jahre 1405 3 erfahren wir, daß damals ein Viertel des Registerertrages dem Vizekanzler zufiel.4. Danach wird anzunehmen sein, daß, wenn in anderen Rechnungen von solchen Abzügen von dem Ertrage der Registertaxe nicht die Rede ist, daraus noch nicht gefolgert werden darf, daß sie nicht vorgekommen wären; genauer aber werden diese Verhältnisse erst bei systematischer Benutzung der päpstlichen Kammerbücher zu übersehen sein. In der späteren Zeit des 15. Jahrhunderts ist dann, je nachdem die Urkunden per cancellariam oder per cameram expediert wurden, 6 die Bezahlung von Bullen- und Registertaxe verschieden geregelt gewesen.6 Bei der Expedition per cancellariam, blieb es dabei, daß die Zahlung für die Siegelung in der Bullaria und die für die Registrierung in der Registratur erfolgte; 7 bei der Kammerexpedition dagegen, bei der die Urkunden nicht in die Kanzlei-, sondern in die Kammerregister eingetragen wurden, wurde in der Bullaria der dreifache Betrag der vom Rescribendar festgesetzten Taxe erhoben, 8 nämlich die Gebühren für die Bullierung und für die Registrierung, die ganz der Kammer zufielen,9 und außerdem die oben erwähnte, im Anfang des 15. Jahr1

Köm. Quartalschrift 8, 436 ff. Dies folgt aus den Einträgen zum 81. Mai 1419: a registro pro medietate deductis expensis 480flor. 22sol. 6 den. und außerdem ein Betrag für 14 Bullen de quibus dominus vieecaneellarius non debet habere partem. 8 B A U M G A R T E N , A U S Kanzlei und Kammer S.253. Für die Zeit Johanns X X I I I . vgl. dessen Bulle von 1413, B A U M G A R T E N , Von der apostolischen Kanzlei S. 120, •wonach der dem Vizekanzler zustehende Anteil an der Registertaxe, den er dem Papst dargeliehen hatte, in 26 Monaten die gewaltige Summe von 16000 Gulden betrug. * Daß auch 1437 der Vizekanzler Einkünfte aus der Eegistertaxe bezog, ergibt sich aus dem Emennungspatent des Francesco Condolmer, vgl. O T T E N THAL, MIÖG. Erg. 1, 516. 5 S. oben S. 317 ff. 6 Daher werden denn auch die Siegeleinnahmen der littere per cancellariam expedite gesondert verrechnet. Einen Beleg von 1457 bringt B A U M GARTEN, Aus Kanzlei und Kammer S. 253. 7 Practica cancellariae ed. SCH TT'--KALLENBERG S. 33 f. 5 1 . 8 Ebenda S. 37. Daher die häutige Erwähnung von tres taxae in den Expensenzetteln und Ausgaberechnungen. 9 Daher war in diesem Fall dem Registerbeamten und dem Auskultator noch ein besonderes Entgelt für ihre Arbeit zu zahlen. Welche Extraforde2

346

Päpstliche Kanzleibücher

hunderte eingeführte quinta taxa der Sekretäre. Wie wir aus der Bulle Innocenz' VIII. vom Jahre 1487 über die Organisation des auf 30 Mitglieder verstärkten Sekretärkollegiums erfahren, war von einigen Vorgängern des Papstes und von ihm selbst diese Taxe ganz oder teilweise den Sekretären entzogen und für die Bedürfnisse des Papstes selbst 1 verwandt worden: von nun an, verfügt der Papst, solle sie wiederum ganz dem Kollegium zufallen, dem auch die Taxe für Breven, in denen höhere Ämter, Würden und Einkünfte im Kirchenstaat verliehen wurden, zugute kam. Der Geschäftsgang in der Kanzlei wurde durch päpstliche Erlasse und durch Verordnungen der Kanzleileiter geregelt, die in uns in erheblicher Zahl seit dem 13. Jahrhundert erhalten sind. 2 Schon im Anfang dieses Jahrhunderts hatte man in der Kanzlei ein Hand- und Hilfsbuch, das als Uber provincialis oder provincialis cancellariae oder einfach provincialis bezeichnet wurde; der Kern des Buches, von dem es seinen Namen erhielt, war ein nach Provinzen geordnetes Verzeichnis sämtlicher Erzbistümer und Bistümer der katholischen Christenheit. Dies Buch wurde im 13. Jahrhundert benutzt, um allerhand auf den Geschäftsgang in der Kanzlei, auf die Funktionen der Beamten, ihre Rechte, Pflichten und Einkünfte bezügliche Aufzeichnungen, Eidesformeln und Verordnungen darin einzutragen; auch eine Sammlung von Urkundenformularen, auf die wir in anderem Zusammenhang zurückkommen werden, wurde damit verbunden. Dies Kanzleibuch des 13. Jahrhunderts 3 ist uns nur aus abschriftlicher Überlieferung bekannt. Eine Abschrift, die aber keineswegs den ganzen Inhalt des Buches wiedergibt, wurde wohl um das J a h r 1280 an der Kurie, wahrscheinlich von einem Beamten der Kanzlei oder im Auftrage eines solchen, hergestellt; 4 sie befindet sich jetzt in der Bibliorungen aber auch in der Kanzleiregistratur gestellt wurden, zeigt der Bericht von

1497, 1

TANGL,

KO.

S.

390FF.

In eiusdem sedis opportunitatibus, Innocenz VIII. „Non debet reprehe/nsibile" § 16, Bullar. Roman. 5, 334. * S. oben S. 287 N. 3. 4 und S. 288 N. 1. Vgl. für das Folgende jetzt die Einleitungen zu den unten erwähnten Publikationen von T A N Q L und v. O T T E N T H A L . Die dort gegebenen Belege wiederhole ich nicht. 3 Für die zeitliche Entstehung seiner einzelnen Bestandteile, der ich in der ersten Auflage dieses Buches eine eigene Untersuchung gewidmet hatte, genügt es jetzt auf die Erörterungen T A N G L S a. a. O . zu verweisen; von ihren Ergebnissen weiche ich nur in wenigen Einzelheiten ab, was an den Stellen, wo darauf Bezug genommen wird, im einzelnen näher begründet wird. * Man könnte daran denken, daß Jakob, Domherr von Bologna, der am 6. Juli 1278 als auditor litterarum contradictarum erscheint, aber schon im

Päpstliche

Kanzleibücher

847

thek des Collegium Hispanicum zu Bologna. 1 Nach Anfertigung dieser Abschrift wurde das Kanzleibuch, das bis in die Zeit Urbans YI. in offiziellem Gebrauche blieb, durch zahlreiche und wichtige Neueintragungen bereichert. Da nun aber das alte Kanzleibuch durch den Gebrauch stark abgenutzt war, beauftragte der regens cancellariam Urbans VI. r Kardinal Eamnulf von S. Potentiana, den Abbreviator und Scriptor Dietrich von Niem, eine Abschrift davon herstellen zu lassen, die dieser selbst mit der Vorlage kollationierte; diese Abschrift, die im April 13SO vollendet wurde, ist uns in einer Pariser Handschrift 2 erhalten. Auch sie enthält nicht den ganzen Inhalt des alten Uber provincialis;3 außerdem hat Dietrich von Niem die Ordnung, in der die einzelnen Stücke in seiner Vorlage aufeinander folgten, nach seinem Ermessen

nächsten Jahre durch Gifred von Anagni ersetzt wird (s. oben S. 284 N. 1), die Handschrift nach Bologna gebracht hat, vorausgesetzt daß er, worüber mir nichts bekannt ist, nicht gestorben ist, sondern sein Amt niedergelegt und sich nach Bologna zurückgezogen hat. Daß das jüngste sicher datierbare Stück der Handschrift ( T A N G L , KO. S. 69ff.) vom 12. Febr. 1278 datiert, würde gut zu dieser Vermutung passen. Die Lesung der von T A N G L , KO. S. LXIV, besprochenen Notiz in der Handschrift ist zu unsicher, als daß man bestimmte Schlußfolgerungen daran knüpfen könnte. 1 Cod. collegii Hispanici Bononiensis n. 2 7 5 . Beschrieben von SIMONSFELD, SB. der Münchener Akademie 1 8 9 0 Bd. 2 , 2 1 8 F F . ; T A N G L , K O . S. L X I I F F . Unvollständige Ausgabe nach dieser Handschrift von M E R K E L , Arch. stor. ital. Append. V ( 1 9 . ) , 1 3 1 ff. 2 Cod. Paris, lat. 4169. Eingehende Beschreibung in der Ausgabe von E R L E R , Der Liber cancellariae apostolicae vom Jahre 1880 und der Stilus palatii abbreviatus Dietrichs von Nieheim (Leipzig 1888). " So fehlen das Stück T A N G L , KO. S. 54ff., und einige in der Bologneser Handschrift stehenden Stücke, die zum Lyoner Konzil gehören; daß diese in dem liber provincialis standen, darf man wohl bestimmt annehmen. — Ein Stück, auf das in den consuetudines cancellariae, T A N G L , KO. S. 65 n. VII § 1 , verwiesen wird und das danach im provincialis cancellariae gestanden haben soll, fehlt sowohl in der Bologneser wie in der Pariser Handschrift; denn ich glaube nicht, daß, wie T A N G L S. XXVII und S. XXXI unten meint, in VII, 1 auf Const. II., § 3 (TANOL S. 5 4 , 3 ) verwiesen wird. In VII, 1 ist von der Verlesung der Petitionen vor dem Papst, in II, 3 von der Einreichung von Petitionen in der data communis die Rede: das sind Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Auch ist in II, 3 nicht, wie T A N Q L meint, zu dem Eingangswort nullus das Wort noiarius zu ergänzen; vielmehr verbietet II, 3 ganz allgemein die Einreichung von Petitionen für vornehme Personen ohne besiegelte Vollmacht; vgl. unten Kap. Petitionen und Vorverhandlungen. — Einzelne Stücke aus dem liber provincialis enthält auch das von T A N G L , MIOG. 13, 7, beschriebene Formular- und Kanzleibuch, das dem zweiten Bande der Papierregister Clemens' VI. beigebunden ist; sie fehlen z. T. in der Bologneser wie in der Pariser Handschrift.

348

Päpstliche Kanzleibücher

umgestaltet 1 und die in der Vorlage fehlenden Rubriken sowie andere kleinere Zusätze hinzugefügt. Nachdem diese Abschrift des Uber provincialis hergestellt war, ist die Vorlage wahrscheinlich nicht weiter in der Kanzlei benutzt worden; sie ist verloren gegangen. Dagegen diente nun die Abschrift Niems als offizielles Kanzleibuch, in das noch Verordnungen des Kanzleichefs vom Jahre 1380 oder 1381 sowie mancherlei Notizen, namentlich über die Annahme und Vereidigung von Kanzleibeamten, die bis zum Jahre 1405 2 reichen, eingetragen worden sind; wie und wann es dann nach Paris gekommen ist, wissen wir nicht. In Rom blieb aber eine im Anfang des 15. Jahrhunderts angefertigte Abschrift der von Niem hergestellten Kopie des Uber provincialis, die jedenfalls auch in der Kanzlei offiziell benutzt worden ist; sie enthält außer den in die Pariser Handschrift aufgenommenen noch andere Nachträge, insbesondere Kanzleiregeln aus der Zeit von Johann XXII. bis Gregor XII.; und es scheint, daß sie in der Kanzlei dieses Papstes auch nach dessen Absetzung durch das Pisaner Konzil bis in die letzte Zeit seiner Regierung verblieben ist. 3 Inzwischen hatte man in Avignon, wie T A N G L sehr wahrscheinlich gemacht hat, unter Clemens VI. eine Fortsetzung des alten Kanzleibuches angelegt, die in der Kanzlei als quaternus albus bezeichnet wurde. Darin wurde eine neue Formularsammlung und eine Sammlung päpstlicher Konstitutionen aus der Zeit von Johann XXII. bis auf Urban VI. eingetragen, von denen sich die meisten auf Reservationen von Pfründen in Italien beziehen. Auch dieser quaternus albus ist uns nicht erhalten, doch haben wir in einem Kodex, der wohl durch den Kardinal Francesco Barberini in die Bibliothek seiner Familie gekommen ist, eine Abschrift davon, die Dietrich von Niem im Mai 1380 auf Befehl des Kanzleichefs hat anfertigen lassen und die er in derselben Weise wie jene mit dem Original kollationiert hat. 4 Er bezeichnete diese Abschrift im Gegensatz zu der des Uber provincialis als den Uber secundus cancellariae; und wie der erste Uber cancellariae wurde nun auch der zweite zu Nachträgen benutzt, die von 1423 an gleichzeitig eingetragen 1

Das sollen jedenfalls die Worte et per ordinem meliori modo quo potui eius capitula quelibet collocavi (ERLEB S. 204) bedeuten; auch weicht die Reihenfolge der Stücke in der Bologneser Handschrift ab. 8 Nur eine Zeile ist noch im Jahre 1417 nachgetragen; aber sie beweist, daß die Handschrift damals noch in Kom war. a

4

Cod. Ottobon. lat. 911, vgl. TANGL, KO. S. L X V f . ; MIÖG. 11, 340.

Cod. Barberini XXXV, 69, jetzt in der Vatikanischen Bibliothek, vgl. TANOL, MIÖG. 10, 464if.; KO. S. XLVIIff. LXVIIff.

Päpstliche

Kanzleiregeln

349

und mit authentischen Beglaubigungsvermerken versehen sind. Im 15. und 16. Jahrhundert war diese Handschrift das offizielle Kanzleibuch, in das sowohl die für die Kanzlei erlassenen Verordnungen der Päpste wie zahlreiche andere auf den Geschäftsgang und das Kanzleipersonal bezügliche Einträge aufgenommen wurden. Für die Zeit von 1380 bis 1423 dagegen wird der verschollene quaternus albus selbst noch als offizielles Kanzleibuch gedient haben, und die in der Barberini-Handschrift erhaltenen Nachträge aus dieser Zeit mögen z. T. aus ihm kopiert sein.1 Stellen sich die zuletzt besprochenen Bücher — der quaternus albus und der Uber secundus cancellariae Dietrichs von Niem mit seinen Nachträgen — als Fortsetzungen des alten Kanzleibuches, des Uber provincialis des 13. Jahrhunderts, dar, so wurde nun unter dem für Verfassung und Verwaltung der kurialen Behörden in so vielfachen Beziehungen wichtigen Pontifikat Johanns XXII. noch ein andersartiges Kanzleibuch angelegt. Innerhalb der Jahre 1320-—1325 2 erließ Johann eine Reihe von Vorschriften, Kanzleiregeln (regulae cancellariae), wie sie genannt wurden, die für die Ausstellung von Gnaden- und Justizbriefen, hauptsächlich, aber nicht ausschließlich für solche, die päpstliche Provisionen betrafen, für ihre Fassung, die in sie aufzunehmenden Klauseln und zeitlichen oder sachlichen Beschränkungen und für die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen sie in der Kanzlei expediert werden durften, Normen gaben. Andere Verfügungen, die den ersten Kanzleiregeln angeschlossen wurden, hat dann Johann XXII. später im Laufe seiner Begierang noch mehrfach erlassen, 3 und der 1 Cod. Paris, lat. 4172, vgl. TANQL a. a. 0 . S. LXXI, ist eine Abschrift des Uber secundus cancellariae mit den Nachträgen bis 1468. — Eine Abschrift des ganzen Kodex ist Cod. Barberini XXXV. 94 aus dem 16. Jahrh. — Alle die genannten und noch einige andere, für einzelne Stücke in Betracht kommenden Handschriften sind benutzt in der vortrefflichen Ausgabe von M. TANGL, Die päpstlichen Kanzleiordnungen von 1200—1500 (Innsbruck 1894). 2 Die Daten bei OTTEXTIIAL, Reg. canc. S. IX, 1320—1330 sind so zu ändern, da der im Eingang der Kanzleiregeln genannte Vizekanzler Letessier nicht erst 1330, sondern schon 1325 gestorben ist, s. oben S. 258. 3 Ich halte die §§ 31. 32 in der Ausgabe OTTENTHALS S. 8 und die §§ 38ff. in der Ausgabe TEIGES, MIOG. 17, 428ff., die sich von den vorangehenden durch die Form: item mandavit dominus nosier, dominus noster vult und ähnliche deutlich unterscheiden, für solche späteren Zusätze, während die §§ 1 — 30 bei OTTENTHAL, 1—37 bei TEIGE offenbar eine einheitliche Masse gleichzeitig durch den Vizekanzler verkündigter Regeln darstellen. Dem entspricht es, daß, wie TEIGE S. 420f. bemerkt hat, sein § 40 eine Klausel erwähnt, die erst seit dein sechsten Pontifikatsjahr Johanns in dessen Urkunden vorkommt. Die ersten Verfügungen sind also, wenn meine Auffassung zutrifft, vor 1321/2 erlassen.

350

Päpstliche

Kanzleiregeln

Brauch, solche Regeln für die Kanzlei aufzustellen, hat sich in der Folge dauernd erhalten. Die Eegeln galten immer nur für die Lebenszeit eines Papstes; bei jedem Regierungswechsel wurden sie also erneuert. Dabei schloß sich der Nachfolger gewöhnlich eng an die von seinem Vorgänger erlassenen Regeln an; doch fand immerhin beim Regierungsantritt eines neuen Papstes eine Revision der bis dahin aufgestellten Regeln statt, bei der einzelnes fortgelassen, anderes hinzugefügt, erläutert oder geändert wurde. Die Hauptmasse der von den einzelnen Päpsten aufgestellten Regeln stammt also jeweilig aus der ersten Zeit ihrer Regierung, später meist aus den Tagen vor ihrer Krönung, wozu dann im Laufe der Regierung Ergänzungen hinzutraten. Die Kanzleiregeln wurden auf schriftlichen oder mündlichen Befehl des Papstes oder eines päpstlichen Bevollmächtigten in ein eigenes Kanzleibuch 1 eingetragen, das als Uber regularum cancellariae, aber auch schlechtweg, wie die früher besprochenen Bücher, als Uber cancellariae

bezeichnet wurde. Aber um unsere Kenntnis dieses Buches 3 steht es schlechter, als bei jenen der Fall war: wir kennen weder seinen Originaltext noch authentische Abschriften davon, die in der Kanzlei selbst offiziell gebraucht wurden, sondern, was uns davon erhalten ist, stammt aus Kompilationen, die von Beamten der Kanzlei, der audientia litterarum conlradictarum, der Rota oder von Prokuratoren oder Advokaten

zu ihrem persönlichen Gebrauch angelegt worden sind. Die älteste dieser Handschriften, 3 die noch aus dem 14. Jahrhundert stammt, enthält die Regeln Johanns XXII. und Benedikts XII. in der Gestalt, wie sie bei dem Regierungsantritt Clemens' VI. 4 diesem 1

Nicht in den Uber provincialis,

bzw. seine Fortsetzungen, vgl. TANGL,

MIÖG. 11, 341, dem jetzt auch OTTENT.IAL, MIÖG. 16, 362, zugestimmt hat. 8

Beziehungsweise dieser Bücher: denn nach dem Schisma von 1378 mußte in Avignon ein neuer Uber regularum angelegt werden, da der alte im Besitz Urbans VI. geblieben war. " Cod. Ottobon. 778, vgl. TEIGE, MIÖG. 17, 416ff. Sein Verdienst, die Handschrift entdeckt zu haben, ist anzuerkennen; leider läßt die Beschreibung, die er davon gegeben hat, ebenso wie- seine Ausgabe des Textes der Regeln recht viel zu wünschen übrig. OTTENTHAI ist diese Handschrift leider anbekannt geblieben; er würde sie ganz anders zu verwerten gewußt haben. 4 Das unterliegt gar keinem Zweifel, denn erstens stehen die Kegeln in der Handschrift zwischen Urkunden Clemens'VI. (die nach n. 107 eingetragene Urkunde Urbans V. ist von anderer Hand später nachgetragen, vgl. TEIGE S. 417), zweitens kann ein Entwurf, der nur Regeln Johanns XXIII. und Benedikts XII., aber keine späterer Päpste enthält, eben nur dem unmittelbaren Nachfolger jener beiden vorgelegt seien, drittens ist zu Joh. XXII. § 10 eine offenbar bei der Vorlage des Entwurfes von Clemens VI. getroffene Be-

Päpstliche Kanzleiregeln

351

zur Approbation vorgelegt wurden, mit Zusätzen, die der damalige Vizekanzler gemacht hat, und mit Bemerkungen, die darauf hinweisen, daß über die Genehmigung einzelner Regeln die Entscheidung noch vorbehalten blieb. Außerdem enthält die Handschrift neue Regeln, die im Laufe der Regierung Clemens' VI. und Urbans V. erlassen worden sind, während aus der Zeit Innocenz' VI. solche Regeln in die Handschrift nicht eingetragen sind. 1 Alle übrigen, bisher bekannten Handschriften, unter denen eine vatikanische aus der Zeit von 1403—1411, die einScriptor Innocenz' VII. und Gregors XII. angelegt oder besessen hat, um ihres Alters und ihres sonstigen Inhalts willen die wichtigste ist, 2 enthalten die älteren Kanzleiregeln bis auf Gregor XI. nur in der Gestalt, in der sie diesem Papste vorgelegt und von ihm genehmigt worden sind, und die sie dann, abgesehen von geringen Veränderungen, die Urban VI. angeordnet hat, behalten haben. Clemens VII. hat die Regeln seiner Vorgänger erst am 1. März 1379 bestätigt, nachdem sie von zwei Kardinälen revidiert waren und er selbst schon vorher eine erhebliche Anzahl neuer Verordnungen erlassen hatte. 3 Den gesamten Vorrat der älteren Regeln bis auf Gregor XI. und die seines eigenen Vorgängers Clemens' VII. hat dann Benedikt XIII. gleich nach seiner Wahl einer Neubearbeitung unterziehen lassen, in der die einzelnen Regeln systematisch geordnet und vielfach stilistisch klarer gefaßt wurden; und sein durch seine eigenen späteren Verfügungen vielfach vermehrtes Regelkorpus ist, da sein Vizekanzler 1409 zur Partei des Pisaner Konzils übertrat, neben den Regeln der römischen Päpste zur Quelle für die späteren Redaktionen der Kanzleiregeln geworden, obwohl die Konzilspäpste Alexander V., Johann XXIII. und Martin V. eine ausdrückliche Approbation nur den Regeln der Päpste vor dem Stimmung am Rande nachgetragen, T E I G E S . 4 2 4 N . 4 . Wenn T E I G E S . 4 2 1 N . 2 annimmt, der Entwurf sei Urban V. vorgelegt worden, so ist seine Begründung dafür ganz hinfällig. 1 Die Handschrift wurde wahrscheinlich unter Innocenz VI. nicht mehr benutzt und ist erst unter Urban V. von dem Schreiber der dritten Hand ( T E I G E S. 4 1 6 ) wieder in Benutzung genommen. Angelegt ist sie gewiß unter Clemens VI. 1 Cod. Vatican. lat. 3 9 8 4 ; vgl. OTTENTHAL, Reg. canc. S . XL; TANQL, MIÖG. 11, 340; 13, 22f.; KO. S. LXXI. Es ist eine Kompilation aus allen damals vorhandenen Kanzleibüchem. — Uber die anderen Handschriften verweise ich nur auf die Beschreibungen in der Einleitung zu OTTENTHAL s ausgezeichnetem Buche: Regulae cancellariae apostolicae. Die päpstlichen Kanzleiregeln von Johannes XXII. bis Nicolaus V. (Innsbruck 1888). 8 Für seine Regeln ist Cod. Vatic. lat. 3987, eine in Avignon entstandene Handschrift, besonders wichtig, vgl. OTTENTHAL S. XLI.

352

Päpstliche Kanzleiregeln

Schisma haben zuteil werden lassen. Seit Eugen IV. fällt dann diese Approbation überhaupt fort: von nun an sind die Regeln bei jedem Regierungsantritt in der Form einer selbständigen Verfügung des neuen Papstes erlassen, für die selbstverständlich die der Vorgänger als Vorlage dienten, und die ebenso selbstverständlich durch weitere Verordnungen ergänzt werden konnten. Datiert wurden sie seit Benedikt XIII. vom Tage nach der Wahl, obgleich sie oft erst erheblich später wirklich erlassen, publiziert und in das Kanzleibuch eingetragen wurden. Zu den Kanzleibüchern sind ferner noch die besonderen Taxbücher oder Taxhefte zu zählen, die in der avignonesischen Zeit angelegt wurden und sich unter der Obhut des Rescribendars des Schreiberkollegiums befanden; auch sie sind uns nicht in ursprünglicher, sondern nur in abgeleiteter Überlieferung erhalten. 1 Endlich gab es noch besondere Amts- und Handbücher bei den einzelnen Beamtenkollegien der Kanzlei, von denen uns gleichfalls Abschriften oder Auszüge bekannt sind, auf die hier näher einzugehen aber nicht erforderlich ist.2

S i e b e n t e s Kapitel.

Die Kanzleibeamten der italienischen, fränkischen und deutschen Könige und Kaiser. Über das Kanzleiwesen des l a n g o b a r d i s c h e n Reiches 3 würden wir, da die Urkunden 4 über die Tätigkeit der bei ihrer Abfassung beteiligten Kanzleibeamten regelmäßig in einer der Datierung unmittelbar vorangehenden Formel des Eschatokolls 5 eingehende Mitteilung 1

Vgl. oben S. 331. Über Handschriften, die auf das Statutenbuch der Scriptoren zurückgehen, vgl. v. O T T E N T H A L , M I Ö G . Erg. 1, 5 6 9 ; T A N G L , M I Ö G . 1 3 , 2 5 . 4 7 ; K O . S. LXXII. 8 Vgl. C H R O U S T , Untersuchungen über die Langobardischen Königs- und Herzogsurkunden (.Graz 1888) S. 35ff.; H A R T M A N N , MIÖG. Erg. 6, 17ff. 4 Ich zitiere die Königsurkunden nach der Liste bei CHROUST S . 186ff. (mit C. n. 1. 2. usw.), die sonstigen Urkunden nach den Regesten von B E T H MANN und H O L D E R - E G G E R , NA. 3, 225ff. (mit B H . n. 1. 2. usw.). Gelegentlich sind neuere Drucke anzuführen. Die Drucke des Eegesto di Farfa sind schon nach den Angaben bei C. und BH. zu identifizieren. 5 Die ältesten vier langobardischen Königsurkunden für Bobbio C. n. 1 bis 4 darben allerdings in den uns erhaltenen alten Abschriften dieser Formel, und wenn sie echt sind, ist diese erst später in Übung gekommen. Für ihre 2

Kanzlei

der langobardischen

Könige

853

machen, sehr gut unterrichtet sein können, wenn nicht die Zahl der uns erhaltenen Königsurkunden so gering und ihre Überlieferung so mangelhaft wäre. Wir besitzen nicht eine langobardische Königsurkunde im Original, 1 und bis auf die Mitte des 8. Jahrhunderts überhaupt nur sehr wenige Stücke. Ich stelle deshalb zunächst die Organisation der Kanzlei in der Zeit der letzten Könige, des Desiderius und seines Sohnes und Mitregenten Adelchis, aus der uns die meisten Dokumente vorliegen, dar, und verfolge dann die für diese Zeit ermittelten Ergebnisse soweit als möglich rückwärts. In jener Zeit steht an der Spitze der Kanzlei erst der Eeferendar Sisinnius, den wir bis 762 nachweisen können, 2 dann der Referendar Andreas, der spätestens 771 sein Amt angetreten hat; 3 in der Zwischenzeit wird ein Eeferendar nicht genannt; ob das Amt unbesetzt war, muß dahingestellt bleiben. Sisinnius heißt wiederholt illuster, und für seine Stellung ist es bezeichnend, daß ihn 761 der Herzog von Spoleto amicus nosler nennt; 4 Andreas hat 773 als Gesandter des Desiderius an den Papst fungiert. 6 Beide Männer sind aus einer untergeordneten Stellung in der Kanzlei zu deren Leitung emporgestiegen. Sisinnius begegnet uns schon 747 als Notar, in der gleichen Eigenschaft, aber mit dem auszeichnenden Prädikat illuster im Juli 751 unter Aistulf; er ist dann vor dem November 751 von diesem zum Referendar ernannt worden.6 Andreas finden wir schon 744 unter Hilprand als Urkundenschreiber ohne Titel, dann 751 als Diktator ohne Titel unter Aistulf; 755 ist er Notar des letzteren;' wir sehen also, daß das Kanzleipersonal aus einer Regierung in die andere überging. Echtheit ist neuerdings H A R T M A N N , NA. 25, 6 1 2 F F . , eingetreten, dessen Ausführungen jedoch nicht jeden Zweifel für mich beseitigt haben. Was er dafür anführt, beweist stringent doch nur, daß ihr Inhalt nicht frei erfunden ist, sondern wenigstens z. T. auf echte Vorlagen zurückgehen muß, deren Benutzung auch CHROUST S. 80 schon angenommen hatte. Eine sichere Entscheidung der Frage ist kaum möglich. — Auf die Fassung und Bedeutung jener Formel und ihrer einzelnen Bestandteile komme ich in anderem Zusammenhang zurück. ' Uber das angebliche Original König Aistulfs in Bergamo s. Kap. Urkundenschreibstoffe. * C. n. 26. 28. BH. n. 325. 3 C. n. 33. 34. 39. In C. n. 33 ist referendarium wahrscheinlich zu ergänzen. 4 6 Liber pontificalis ed. D U C H E S N E 1, 492. BH. n. 325. • C. n. 16. 18. BH. n. 232 (s. unten S. 355 N. 2). ' C. n. 14. 18. 22. In C. n. 18 ist ex dieto Andreatis mit Sicherheit in ex dietatu zu emendieren. Auch 767 in C. n. 32 ist er noch Notar. — Wenn Uro Ii In Ii, Urkundrnlelire. 3. Aufl. I. 23

354

Kanzlei

der langobardischen

Könige

Unter den Referendaren stehen, wie wir aus den Urkunden des Desiderius und Adelchis, aber auch schon aus früheren ersehen, Beamte, die keinen Titel führen, und solche, die als Notare bezeichnet werden. Daß die ersteren den letzteren untergeordnet sind, ist mit Sicherheit auzunehmen. Einmal ist keine langobardische Königsurkunde nach dem Diktat eines titellosen Beamten von einem Notar geschrieben, 1 während häufig Beamte ohne Titel nach dem Diktat eines Notars schreiben; sodann erscheint kein Notar in späteren Urkunden jemals ohne Titel, während umgekehrt früher titellose Schreiber später als Notare begegnen; 2 endlich haben niemals titellose Beamte, wohl aber Notare den königlichen Beurkundungsbefehl an die Schreiber übermittelt. Wie weit die drei Ämterstufen zurückgehen, ist nicht mit voller Sicherheit zu ermitteln; aber die Titel notarius und referendarius knüpfen unmittelbar an römische Überlieferung an. Der erste Notar Stablicianus wird bereits unter Agilulf genannt; er ist als Gesandter nach Konstantinopel geschickt worden. 3 Den ersten Referendar — Theodoracius — lernen wir in Perctarits Zeit 673 kennen; 4 dann werden Referendare in ganz sicheren Zeugnissen erst wieder um die Mitte des 8. Jahrhunderts genannt. 6 Aber daß das Amt erst damals geschaffen sei, ist kaum glaublich: 8 in Italien gab es damals sonst keine Referendare, und ein Anschluß an ältere oströmische Einrichtungen ist für diese späte Zeit durchaus unwahrscheinlich, ein solcher an fränkischen Brauch aber im ganzen langobardischen Urkundenwesen nicht erweislieh. 7 Unter König Aistulf sind zwei Referendare nebeneinander im Amt gewesen. Denn während wir Sisinnius 751 und wieder 7 6 0 — 7 6 2 als Referendar nachweisen konnten, begegnet im gleichen Amte im Jahre schon in C. n. 15 vom März 746 ein Andreas illuster referendarius begegnet, so ist dabei vielleicht an den spoletinischen Referendar dieses Namens zu denken (vgl. Chroust S. 146), der ausnahmsweise einmal am Königshofe den Beurkundungsbefehl übermittelt hat. 1 Nur einmal, in C. n. 18 (s. die vorangehende Note), erscheint ein titelloser Diktator neben einem Schreiber ohne Titel. Vielleicht aber ist hier der Titel notarius neben dem Namen des Diktators nur ausgefallen. * So Andreas s. oben. Ebenso Badoald titellos 751, Notar 755—762 und Petrus titellos 762, Notar 766—771 s. unten S. 858. 8 Paulus diac. 4, 35. * BH. n. 28. 5 Doch vgl. was unten S. 357 N. 3 über ein gefälschtes D. Liutprands, in dem ein Referendar Scipio begegnet, bemerkt ist. Ob der Name richtig ist, bleibt freilich zweifelhaft. a Anders Harthann, M I Ö G . Erg. 6, 19 f. 7 Der erste titellose Beamte begegnet 739 unter Liutprand C. n. 11.

355 7 5 6 , vielleicht auch schon 753 ein Theotpert (Theutpert), 1 und daß dieser schon seit 751 neben und gleichzeitig mit Sisinnius fungiert hat, ist im höchsten Maße wahrscheinlich. 2 Daß mehrere Notare und mehrere titellose Beamte zu gleicher Zeit in der Kanzlei beschäftigt waren, kommt mehrfach vor und wird durch die nachfolgende Zusammenstellung der nachweisbaren Namen erwiesen; benutzt sind dafür außer den Königsurkunden auch die sonstigen Quellen, in denen königliche Notare erwähnt werden. 1

Iii C. n. 21, das zu 756 gehört, heißt er Theopertu3 illuster referendarius. In C. n. 23 (ohne Daten) lautet die erst von HARTMANN, MIÖG. Erg. 6, 21, mitgeteilte Subskription ex dicto domni regis per Theutpert ill. feliciter. Zu ergänzen ist, wie HARTMANN bereits bemerkt hat, per Theutpert ill [ustrem referendariurn]. Weiter ist Theutpert mit HARTMANN a. a. 0 . 22 f. und GAUDENZI, Bullett. stor. Italiano 22, 99 N. 2, auch in der Subskription von C. 20 vom Jahre 753 zu erkennen, die jedenfalls auf eine echte Vorlage zurückgeht, in der ich aber aus dein verderbten prothonotarius keinen Notar Proto oder Poto oder Perto zu entnehmen wage. 2 Vgl. BH. n. 232 vom November 751: iudieatum est per missum domni regis Teutpert et Sissinnium referendarios. Daß hier eher missos als referendariurn zu emendieren sei, hatte ich schon in der vorigen Auflage S. 261 N. 1 bemerkt, und es ist mir unbegreiflich, wie HARTMANN a. a. 0 . S. 23 N. 1 diese meine Worte dahin hat mißverstehen können, daß ich referendarios in referendarium hätte ändern wollen. Im Widerspruch mit dieser Angabe steht nun aber der Extrakt einer Urkunde Aistulfs für Nonantola, der in einem Placitum von 898 überliefert ist ( T I R A B O S C H I , Storia di Nonantola 2, 73 n. 56). Die Subskription, wie sie von G A U D E N Z I , Bullett. stor. Italiano 22, 101, berichtigt ist, lautet ex dicto domni regis per Teutperto notario ex dietatum et seripto per ma.no Iohannes notarii (im Original muß gestanden haben: et ex dietatu eins soripsi ego Iohannes notarius) . . . Ravenna in palatio pridie kal. iun. anno filieissimi regni (die Zahl fehlt) indietione octava. Das wäre also der 31. Mai 755. Den Widerspruch mit C. n. 20 fiele nicht ins Gewicht; denn dessen Datierung kann verderbt sein. Aber der Widerspruch mit BH. n. 232 bleibt; selbst wenn man nicht, wie oben vorgeschlagen ist, emendieren wollte, wäre es nicht glaublich, daß Theutpert, wenn er noch 755 Notar war, im November 751 vor dem Referendar Sisinnius genannt worden wäre. Er läßt sich ausgleichen, wenn man indietione VIII in indietione IUI emendiert, was, wenn die Indiktion in Ziffern ausgedrückt war (daß sie es nicht war, kann man nicht behaupten, da wir kein Original einer langobardischen Königsurkunde besitzen), keine tiefgreifende Änderung ist. Dann gehört die Urkunde zum 31. Mai 751 und präzisiert die Eroberung Ravennas, wo Aistulf auch am 4. Juli 751 urkundete (C. n. 18), genauer, als bisher möglich war. Wenn diese Emendation Zustimmung findet, so wären Sisinnius und Theutpert ungefähr gleichzeitig von Notaren zu Referendaren befördert worden; und daß Theutpert wie Sisinnius früher Notar war, dafür spricht auch eine 729 in Pavia ausgestellte Urkunde (BH. 93), wo ein Teudpert notarius unter den Zeugen erscheint, den ich jetzt für denselben Mann halte. 23 *

356

Kanzlei

1. 2. 3. 4.

5. 6. 7.

der langóbardischen

Könige

I. Titellose Beamte. Ritpertus 739. C. n. 11. Andreas 744—751. C. n. 14. 18. Wird Notar.1 Gavigio 747. BH. n. 187. Gauspert (Gaupert) 747—767. C. n. 16. 32 (Tgl. MIÖG. Erg. 6, 24). 39. Radoald (Kodoald) 751. C. n. 18. Wird Notar. Petrus 762. BH. n. 337. Wird Notar. Waldefrit 771. C. n. 35.

HARTMANN,

II. Notare. 1. Stablicianus unter Agilulf. Paul. diac. 4, 35. Aureus unter Adaloald. Ionae Vita Columbani 2 ,

2.

7

(ed. KBUSCH

S. 247).2

3. 4. 5. 6. 7.

Ansoald 643. Ed. Rothari MG. LL. 4, 90. Auso 673. BH. 28. Zauronius 688. C. n. 5. Tassülo 706. C. n. 6.3 Poto 713—715. Ed. Liutpr. MG. LL. 4, 109." PASQDI, C.D. Aretino 1, 7 n. 4.5 8. Sichifredu8 714. PASQUT, C. D. Aretino 1, 6 n. 3. 9. Sigeradus 715. PASQUI, C. D . Aretino 1, 7 n. 4 (ygl. H A B T MANN a . a . 0 . S . 2 0 ) .

1 Vgl. aber oben S. 354 N. 1. * Auf diesen Notar hat zuerst HABTMAXN a. a. 0. S. 17 aufmerksam gemacht, der ihn noch Aurelius nennt. Ganz unbedenklich ist freilich die Aussage des Jonas nicht, ygl. auch die Anmerkung von KEDSCH ZU dieser Stelle. 8 Das Stück ist nicht ohne Interpolation überliefert; die Subskription dürfte aber auf eine echte Vorlage zurückgehen. 4 Hier notarim sacri palatii, welche Bezeichnung sonst nicht wieder vorkommt. 6 Die drei Notare Todo, Auferit und Simderam, die 714 als Zeugen in BH. n. 49 genannt werden, nehme ich in diese Liste nicht auf, da das Stück verfälscht ist und keine Gewähr dafür bietet, daß sie aus echter Vorlage stammen. — Ein Notar Gumfrit begegnet in dem gefälschten Privileg Liutprands für S. Pietro in Cielo d'oro zu Pavia (C. n. 7) in der von CHROÜST n. 7 übersehenen Fassung dieses Diploms, die bei PENNOTTUS, Canonicorum historia tripartita S. 193, abgedruckt ist. Die ganze Zeile ex dicto domini regis per Scipionem illustrem referendarium et ex dietato Oumfrit notarii kann von dem Fälscher kaum frei erfunden sein, und es ist nicht unmöglich, daß sie aus echter Vorlage stammt; vgl. aber oben S. 354 N. 5.

Kanzlei 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

der langobardischen

Könige

357

Guntheram 715. PASQUI, C. D. Aretino 1, 9 n. 5. 1, 17 n. 6. 1 Johannes 715. PASQUI, C. D. Aretino 1, 2 2 n. 7. Ultianus 716. BH. n. 56. 2 Ebregausus 716. BH. n. 56. Asterius 716? TIBABOSCHI, Storia di Nonantola 2, 75 n. 56. 3 Faustinus 725. B O N E L L I , Cod. paleogr. Lombardo tav. 2 (vgl. S C H I A P A E E L L T , Arch. stor. ItaL 5. Ser., Bd. 43, 166 N. 3). Theutpert 7 2 9 — 7 5 1 ? S. o. S. 355. Wird Referendar. Ato (Hatto) 7 3 9 — 7 4 2 . C. n. 11. 12. Petronaxildus 742. C. n. 12. Thomas 746. C. n. 15 (vgl. H A B T M A N N a. a. 0 . S. 21). Asterius 747. BH. n. 187. 4 Ob identisch mit n. 14? Gaideris 747. C. n. 16. Sisinnius 7 4 7 — 7 5 1 . S. oben S. 353. Wird Referendar. Andreas 7 5 5 — 7 6 7 . S. oben S. 353. Wird Referendar. Radoald (Rodoald) 7 5 5 — 7 6 2 . C. n. 22. 26. 28. 6 Iohannes 756. C. n . 2 1 . Vielleicht schon 751, s. o. S . 3 5 5 N . 2 . Audoald 7 5 9 — 7 7 2 . C. n. 25. 36. Audo 759. BH. n. 300. Ob identisch mit Audoald? Gonpert (Gunpert) 7 6 1 — 7 6 9 . BH. n. 329. 434. missus regius 761. BH. n. 319. Leontaces 762. BH. n. 337. Hauthilm 762. C. n. 28. Ansemund 766. C. n. 30. 31.

1 Guntheram heißt nur notarius, nicht not. regius, fungiert aber als missus regius, vgl. PASQUI a. a. 0. S. 18 und kann deswegen mit Sicherheit als Kanzleibeamter angesehen werden. * Für ihn gilt das gleiche wie für Guntheram, s. oben N. 1. — Ultianus notarius et missus domini regis und der Notar Johannes, der ex dicto domni Lihutprandi per Senonem ill. virum schreibt, begegnen in den Unterschriftsformeln von BH. 96 nach einer Abschrift C E E E D A S , die ASTEGIANO, CD. Cremonese 1, 25 N. 1 benutzt hat, deren Vorlage er aber nicht hat wieder finden können. Ist sie zuverlässig, so würde die Urkunde sicher zu 715 gehören. 8 Die zitierte Urkunde ist das oben S. 355 N. 2 erwähnte Placitum von 898. Darin wird erwähnt ein Präzept Liutprands per Asterium notarium scriptum dato in eapite Lambri vicesima secunda die m. novembris anno regni eius quinto, indictione secunda. Der 22. November des 5. Regierungsjahres gehört dem Jahre 716, der 22. November der 2. Indiktion (bei Annahme der Septemberepoche) den Jahren 718 und 733 an. Die Daten sind also nicht miteinander vereinbar. * In C. n. 14 von 744 ex dieto magistri notario ist der Name des Notars verderbt; vielleicht ist Asterii zu emendieren. 6 Vielleicht auch C. n. 25, vgl. HARTMAN* a. a. 0. S. 23.

358

Kanzlei

32. 33. 34. 35. 36.

der langobardischen

Könige

Petrus 766—771. C. n. 30. 31. 34. Aufret 768. BH. n. 431. Groso 771. C. n. 33. Giselit 771. C. n. 35. Ermoald 772. C. n. 36.

Hinsichtlich der Funktionen der Beamten ist zu bemerken, daß die Referendare meist als Übermittler des königlichen Beurkundungsbefehls genannt werden. Doch ist dieser Befehl oft auch Notaren direkt erteilt, gelegentlich in älterer Zeit auch durch dem Kanzleipersonal nicht angehörige Männer übermittelt worden. 1 Selbst mundiert haben die Referendare nie; als Diktator ist mehrfach der Referendar Andreas, einmal auch der Referendar Theodoracius tätig gewesen; dagegen hat Sisinnius, auch wenn er den Beurkundungsbefehl übermittelte, sich nicht am Diktat beteiligt. 2 Die Notare erscheinen als Übermittler des Beurkundungsbefehls, als Diktatoren und als Schreiber; die titellosen Beamten mit einer Ausnahme 3 nur als Schreiber. Ob die Kanzleibeamten Geistliche oder Laien waren, ist nicht bestimmt überliefert, doch ist das letztere sehr wahrscheinlich. Dafür spricht, daß sie in Zeugenreihen und sonstigen Aufzählungen oft hinter Laien genannt werden; es kommt hinzu, daß wir Referendare und Notare der Herzoge von Benevent und von Spoleto — deren Kanzleiwesen im wesentlichen nach dem Muster des königlichen organisiert war und deshalb hier nicht besonders besprochen zu werden braucht — als Inhaber anderer Laienämter nachweisen können.4 Der Rang der Referendare wird durch das ihnen beigelegte Prädikat illuster erläutert, das nur Sisinnius schon als Notar geführt hat; im übrigen war die Stellung der Notare kaum eine hohe: der Notar Gumpert steht 769 hinter allen Gastalden und Gasinden des Königs am Schluß der Zeugenliste. Die Verwendung des Kanzleibeamten zu diplomatischen Sendungen haben wir schon erwähnt; auch mit richterlichen Funk1

So in C. n. 6. 9. Ebenso wahrscheinlich Theotpert, denn C. n. 21 wird, wie alle Urkunden, die einen Diktator nicht nennen, von dem Ingrossisten — hier dem Notar Johannes — auch verfaßt sein. Anders, aber weniger wahrscheinlich, 1

CHBOÜST

S . 4 1 f.

» S. oben S. 354 N. 1. 4 Vgl. C H R O U S T S . 90ff.142 ff. Ein Aufsteigen der Notare zu Referendaren kommt in Benevent nicht vor. In Spoleto ist nur ein Referendar Andreas bekannt, der von dem gleichzeitigen Notar gleichen Namens zu unterscheiden ist, vgl. C H R O U S T S. 1 4 6 . Außerdem heißt der Notar Dagarius einmal Referendar, vgl. S C H N E I D E R , QFIA. 13, 5 N. 5. Titellose Schreiber kommen in den Herzogsurkunden nicht vor.

Merovingische

Reichskanzlei

tionen sind sie als königliche missi nicht selten betraut sie denn auch an der Redaktion der Gesetze beteiligt aber ihre politische Bedeutung derjenigen der gleich zu merovingischen Referendare gleichgekommen sei, erhellt vorliegenden Quellenmaterial nicht.

359 worden, wie waren. Daß erwähnenden aus dem uns

Mit noch geringerer Bestimmtheit als über die langobardische können wir über die Kanzleiorganisation der m e r o v i n g i s c h e n K ö n i g e d e s F r a n k e n r e i c h e s urteilen.1 Abweichend von dem bei den Langobarden beobachteten Gebrauche nennen die fränkischen Königsurkunden die Namen ihrer Schreiber nicht.2 Aber sie tragen sämtlich, soweit sie vollständig erhalten sind, die eigenhändige Unterfertigung höherer Kanzleibeamten, die für die Echtheit der von ihnen unterzeichneten und unter ihrer Verantwortlichkeit von anonymen Ingrossisten hergestellten Urkunden einzustehen haben.3 Diese Kanzleibeamten führen 1

Vgl. Waitz, VG. 2, 2 3 , 80ff.; Brtoner, Rechtsgesch. 2, 113f.; Sickel, Acta Kar. 1, 72f.; Mabillon, Dipl. 112ff.; Nouveau Traité 5, 46ff.; du Canqe 8. v. referendarius. Ebben, UL. S. 42ff. behandelt das merovingische wie das langobardische Kanzleiwesen nur sehr kurz; Giry S. 708f. bringt nichts Neues. 2 Nur in den tironischen Noten von DM. 10 wird nach der Lesung Jusselins (BEC. 68, 488) ein Schreiber genannt; es ist der unterfertigende Referendar Syggolenus. Aber der Vermerk seripsit Sigolenos bezieht sich auch hier wohl nur auf die Unterfertigung selbst. 3 Die Eigenhändigkeit der Referendarunterschrift ergibt sich a) aus Greg. Tur. Hist. Franc. 10, 19, b) aus der Identität der Handschrift dieser Unterfertigungen in den wenigen Originalen, die von einem und demselben Referendar unterfertigt sind (DM. 57. 67. 71 — DM. 60. 61 — DM. 77. 81. 84), c) aus der Tatsache, daß in fast allen Originalen die Referendarunterschrift sichtlich von anderer Hand herrührt als der Kontext. Das Zeugnis der jüngeren Vita Audoini cap. 4, MG. SS. rer. Merov. 5, 555 N. 1, daß der Referendar Dado-Audoinus die von ihm unterfertigten und besiegelten Urkunden auch selbst geschrieben habe, widerlegen die Originale DM. 14. 17. Vita Desiderati cap. 2, Bouquet 3, 444, ist daraus lediglich abgeschrieben. Und die Vita Ansberti cap. 4, SS. rer. Merov. 5, 621: coepit esse aulicus scriba doclus conditorque regalium privilegiorum et gerulus anuli regalis, quo eadern signabantur privilégia, scheint ein Aufsteigen vom Schreiber zum Diktator, dann zum Referendar anzudeuten, wenn hier nicht bloß eine Bibelstelle (Matth. 13, 52) ungeschickt benutzt ist. Endlich die Angabe der Gesta abbat. Fontanell. cap. 1 (ed. Löwenfeld S. 16): a Badone scriptore regalium privilegiorum geruloque anuli régis édita est, ebenso nachher (S. 17 N.): a Badone scriptore auctoritatum regiarum geruloque anuli regii, stammt erst aus der Zeit Ludwigs d. Frommen und ist offenbar nur eine — unzulässige — Folgerung des Autors aus den betreffenden Urkunden selbst. Näheres über Wortlaut, äußere Merkmale und Bedeutung der Referendar-Unterfertigung s. im zweiten Bande dieses Werkes.

360

Merovingische

Beichskanxlei

in den Unterfertigungen keinen Titel, aber aus gelegentlichen Erwähnungen im Texte der Urkunden und aus zahlreichen Stellen zeitgenössischer und späterer Autoren1 wissen wir, daß sie wie die Vorsteher der langobardischen Kanzlei als referendarii bezeichnet wurden. Das Amt der merovingischen Referendare war wie das der langobardischen ein weltliches Hofamt, dessen Inhaber großes Ansehen genossen. Ihre Vorbildung mochten sie wenigstens zum Teil in jenen weltlichen Rhetorenschulen empfangen haben, die sich in Gallien aus der Römerzeit bis in die ersten Jahrhunderte des Mittelalters hinein erhielten. So wird von Bonitus, einem Referendar Sigiberts III., berichtet, daß er in seiner Jugend Grammatik und die Dekrete des Codex Theodosianus erlernt habe: er kam dann an den Hof des Königs und wurde zunächst Oberschenk (princeps pincemarum), dann Referendar und später Statthalter (patricius) der Provence.2 Wie hiernach den Schenken, so gingen die Referendare nach anderen Zeugnissen auch den Seneschalken und Kämmerern im Range voran, waren dagegen den höheren Provinzialbeamten, Patricius, Dux und Comes, untergeordnet; 3 den domestici standen sie wahrscheinlich im Range gleich; 4 einige Referendare sind zugleich domestici gewesen,6 ein anderer hat später das Amt des domesticus erhalten.® In höherem Alter sind aber viele von den Referendaren in den geistlichen Stand übergetreten und dann oft durch ein Bistum für ihre Dienste belohnt worden: so wird Baudinus Bischof von Tours, Flavius Bischof von Chalon-sur-Saône, Licerius Bischof von Arles, Charimeres Bischof von Verdun, Dado-Audoinus Bischof von Rouen, Bonitus Bischof von Clermont-Ferrand u. a. m.7 ' S. das Verzeichnis unten S. 364 ff. 2

Vita S. Boniti cap. 3. 4, SS. rer. Merov. 6, 120f.

Vgl. die Aufzählung der höheren Beamten in Form. Marc. 1, 25 und DM 66. Dazu würde es passen, wenn der Referendar Aghliberthus von DM. 4li. 48 mit dem comes Anglibercthus von DM. 66 identisch wäre. Abweichend von dem sonstigen Brauch stehen in DM. 35 die Referendare hinter den Seneschalken 3

4 In dem Formular werden sie vor ihnen, in der Urkunde hinter ihnen genannt. 6 So Baudinus unter Chlothar I. und Wulfolaecus unter Childebeit III., s. unten das Verzeichnis. 6

Charigisilus unter Chlothar I.

S. das Verzeichnis. Presbyter bleibt Theutharius nuper ex refrendario Sigyberthi regis eonversus, Greg. Tur. Hist. Franc. 9, 33 ; Marcus (ebenda 5, 28. 34. 6, 28) hat erst kurz vor seinem Tode die Tonsur genommen. Daß aber alle diese Männer als Referendare noch Laien waren, ist aus vielen im Verzeichnis angeführten Stellen mit Bestimmtheit zu folgern. 7

361 Es entspricht dem, was wir überall über die Stellung der höheren Kanzleibeamten im Mittelalter erfahren, daß auch die merovingischen Referendare, abgesehen von den eigentlichen Funktionen ihres Amtes, eine einflußreiche Stellung bei Hofe einnehmen. So kommen sie mit anderen höheren Hofbeamten als Beisitzer im Königsgericht vor,1 unter Dagobert I. ist sogar einem Referendar einmal das Kommando eines Heeres, das aus den Mannschaften von zehn Herzogen zusammengesetzt war, übertragen worden.2 Dagegen wissen wir über ihre eigentlichen Amtsverrichtungen sehr wenig. Es darf angenommen werden, daß dazu auch die Anfertigung und Kontrolle der Steuerlisten gehörte; 3 sonst ist nur bekannt, daß sie die Urkunden, wie schon erwähnt, unterzeichneten und eventuell die Echtheit bestrittener Urkunden zu erhärten hatten, 4 sowie daß sie den königlichen Siegelring bewahrten und die Urkunden damit besiegelten. Gerade das letztere wird besonders häufig betont, und die Verleihung des Ringes wird als die des Amtes selbst aufgefaßt. 5 Welchen Anteil sie nun aber an der Ausfertigung der Urkunden im übrigen hatten, darüber entbehren wir der Nachrichten; 8 daß sie die Urkunden nicht selbst schrieben, haben wir schon bemerkt, und ob sie bei der Entwerfung der Konzepte, soweit solche angefertigt wurden, selbst mitwirkten, können wir ebensowenig mit Sicherheit feststellen,7 wie wir bestimmen können, in welcher Weise etwa bei den Vorverhandlungen ihr Einfluß zur Geltung kam. 1

Form. Marc. 1, 25. DM. 35. 66. * Fredegar 4, 78. " Greg. Tur. Hist. Franc. 5, 28. 34; vgl. WAITZ, VG. 2, 2 3 , 81 N. 1. Aber vielleicht ist auch das nur ein besonderer Auftrag, da ein anderes Mal Maiordomus und Pfalzgraf damit betraut werden, Greg. Tur. Hist. Franc. 9, 30. 4 Greg. Tur. Hist. Franc. 10, 19. 5 Vgl. die Stellen bei WAITZ, VG. 2, 2', 80 N. 3 und die tironischen Noten von DM. 83, vorausgesetzt, daß die von JUSSELIN, BEC. 68, 505, angezweifelte Lesung TAHDIFS (Ermedramnus sigillavit) richtig ist. 6 Die Stelle des Aimoin 4, 41 kann kaum als Zeugnis für merovingischen Brauch angesehen werden. 7 Die Vergleichung des Diktats der von denselben Referendaren rekognoszierten Urkunden (s. oben S. 359 N. 3) ergibt in dieser Beziehung, bei der strengen Formelhaftigkeit der merovingischen Urkundensprache, keine zweifellosen Anhaltspunkte. Immerhin mag auf die Ubereinstimmung der Corroboratio in den drei von Wulfolaecus subskribierten Stücken DM. 57. 67. 71 hingewiesen werden: das per tempora conservitur, so bekannt es aus den Formularen ist (Marculf 1, 12. 15. 17), kommt unter Theuderich III. und Childebert III. in keiner von einem anderen Referendar unterfertigten Urkunde vor, wohl aber in mehreren ohne Subscription eines Referendars überlieferten und in späteren Stücken. Auch DM. 81. 84 — beide von Actulius subscribiert — zeigen gewisse Übereinstimmungen.

362

Merovingische Reichskanzlei

Wie im römischen Reiche, so gab es auch bei den Franken mehrere Referendare nebeneinander; in einer Hofgerichtssitzung unter Chlothar III. werden einmal zwei, in einer anderen unter Chlodwig III. vier Referendare als anwesend erwähnt, und eines der Marculfschen Formulare setzt geradezu die Gegenwart mehrerer dieser Beamten im Königsgericht voraus.1 Auch das unten folgende Verzeichnis läßt das Nebeneinanderfungieren mehrerer Referendare erkennen, und in einzelnen Fällen ist sogar bezeugt, daß ihrer zwei bei einem und demselben Beurkundungsgeschäft beteiligt waren. So ist eben jenes Placitum Chlodwigs III., in dem vier Referendare als Beisitzer genannt werden, zwar von einem jener vier unterfertigt, aber in den tironischen Noten neben dieser Unterfertigung wird noch ein fünfter als Rekognoszent genannt;2 und in einer Urkunde, die Aigobercthus an Stelle des Chaldebercthus unterfertigt hat, wird in den tironischen Noten ein Hrodobertus, den wir vielleicht mit dem anderweit bekannten Referendar Chrodbercthus identifizieren dürfen, als Übermittler des Beurkundungsbefehles erwähnt.3 Ob die gleichzeitig fungierenden Referendare einander koordiniert waren, oder ob es einen obersten Leiter des Kanzleiwesens gab, dem die übrigen untergeordnet waren, ist nicht bestimmt bezeugt; eine Angabe, die auf das letztere hinweist und einen Großreferendar nennt/ stammt erst aus karolingischer Zeit und ist also nicht beweiskräftig. Dennoch spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das, was sie besagt; man darf vermuten, daß auch von mehreren gleichzeitigen Referendaren doch nur einer als Siegelbewahrer fungierte, und man wird dann in diesem den Kanzleichef erblicken dürfen.5 Zweifellos standen unter den Referendaren noch andere Beamte, insbesondere solche, die als Ingrossisten tätig waren. Gregor von Tours spricht einmal von cancellarii regales, die als solche

1 DM. 35. 66. Form. Marc. 1, 25. Dabei ißt hier und im folgenden ganz davon abgesehen, daß es eigene Eeferendare der Königinnen gab, Greg. Tur. Hist. Franc. 5, 42; 8, 32. 1 DM. 66. • DM. 70, vgl. Jdsselin, BEC. 68, 500. An den in der folgenden Note genannten Hrotbertus ist schwerlich zu denken. Aber ist die Lesung Jüsselin s ganz sicher? oder ist vielleicht ein Schreibfehler (Hrodeberto statt Chaldeberto) anzunehmen?

* Vita S. Lantberti cap. 1, MG. SS. rer. Merov. 5, 608: Hrotbertus summus palatii tum temporis fuerat referendarius; Vita S. Ansberti, ebenda 5, 620, heiBt er gerulus anuli regis Ohhtharii. 5

Genannt ist der Siegler nur in den tironischen Noten von DM. 83 (doch vgl. oben S. 861 N. 5), und hier ist er zugleich Bekognoszent.

Merovingische Reichskanzlei

363

niedere Kanzleibeamte anzusehen sind; 1 offiziell bezeugt ist der Titel notarius für Eusebius, den Childebert II. 584 einer Gesandtschaft an den byzantinischen Hof beigab; 2 gelegentlich kommen auch noch andere Bezeichnungen für diese Subalternbeamten vor. 3 In vier Urkunden aus der letzten Zeit der Merovingerherrschaft — zuerst in einem Placitum Childeberts III. von 697/8, sodann in zwei Placiten desselben von 709/10 und 710/11, endlich in einem Placitum Theuderichs IV. von 726 4 — werden in den Unterfertigungszeilen zwei Namen genannt: ein Beamter unterschreibt in Vertretung (ad vicem) eines anderen. Daß der Vertretene Referendar ist, ergibt sich mit Bestimmtheit: in den beiden Placiten von 709/10 und 710/11 ist der Vertretene derselbe Mann, Angilbald, während die Vertreter verschieden sind, und Eonardus, der sich 726 vertreten läßt, hat eine andere Urkunde aus früherer Zeit 6 selbst unterfertigt. Zweifelhafter ist, welche Stellung die Vertreter eingenommen haben. Daß Gairebaldus, der 726 den Eonardus vertritt, im nächsten Jahre selbständig rekognosziert, 8 beweist nicht, daß wir ihn auch schon 726 als Referendar betrachten dürfen; er kann sehr wohl damals noch eine subalterne Stellung eingenommen haben und erst ein J a h r später befördert sein. Und wahrscheinlicher ist es jedenfalls, daß jene Vertreter nicht als Referendare anzusehen sind: es würde nicht recht abzusehen sein, warum sie, da 1 De virtut. S. Martini 4, 28: Claudius quidam ex cancellariis regalibus. Sonst werden noch zwei merovingische canceUarü genannt, beide unter Theudebert I.: Aridius, später Abt von Limoges (Vita Aridii cap. 5, SS. rer. Merov. 3, 583) und Antidius, den der König zu einem Botengang verwendet (Vita Valentini cap. 7, BOUQÜET 3, 411). Über die aus Greg. Tur. Hist. Franc. 10, 29 zu folgernde Unrichtigkeit der ersteren Angabe vgl. KRUSCHS Bemerkung a. a. 0.; die Vita Valentini ist offenbar noch jünger, und ihre Angaben über Einrichtungen der Merovingerzeit sind kaum verwertbar. — Auch bei den bayrischen Agilolfingern kommt der Titel vor, vgl. HADTHALER, Salzburger UB. 1, 29. 8 MG. Epp. 3 (Merov. et Kar. 1), 138 n. 25. — Ionas, Vita Columbani 2, 9 (ed. KRDSCH S. 246), erwähnt Agrestius qui quondam Theuderici regis notarius fuerat; vgl. über ihn SCHNÜRER, Die Verfasser der Fredegar-Chronik (Freiburg 1900) S. 85 ff. 3 In der von Odo von Glanfeuil im 9. Jahrh. erfundenen Vita S. Mauri cap. 8, Acta SS. Jan. 1, 1048, heißt es von Ansebald unter Theudebert I.: qui soriptoribus testamenlorum regalium praeerat; die zweite, erst in der Zeit der Nonnannenzüge verfaßte Vita S. Medardi, BOCQUET 3, 453, läßt Chlothar I. durch einen commentariensis eine Urkunde schreiben. Die anderen von WAITZ, VG. 2', 2, 82 N. 5 angeführten Stellen beziehen sich wahrscheinlich nicht auf königliche Kanzleibeamte, sondern auf Gerichtsschreiber. 4 DM. 70. 78. 79. 94. 5 0 DM. 92, vgl. unten S. 369 N. 2. DM. 95.

364

Merovingische Beichskanxhi

offenbar alle merovingischen Referendare, wie auch sonst ihr gegenseitiges Verhältnis gewesen sein mag, in gleicher Weise zu unterfertigen ermächtigt waren, gerade in jenen vier Urkunden betonen sollten, daß sie nicht in eigenem Namen, sondern anstatt eines anderen Beamten die Beglaubigung vollzogen. Auch kommt in Betracht, daß wenigstens in einem der vier Stücke der unterfertigende Kanzleibeamte auch den Kontext der Urkunde geschrieben zu haben scheint, 1 was Referendare, soviel wir bis jetzt zu erkennen vermögen, niemals getan haben. So dürfen wir vermuten, daß in diesen letzten Jahrzehnten des merovingischen Reiches gelegentlich auch Mitglieder des subalternen Kanzleipersonals zur Beglaubigung der Urkunden ermächtigt wurden, daß sie dies aber nicht in ihrem eigenen Namen, sondern nur in dem der ihnen vorgesetzten Referendare tun durften. Weiter als im vorangehenden geschehen ist, gestattet uns das dürftige uns zu Gebote stehende Material nicht, in die Organisation und die Geschichte der merovingischen Reichskanzlei einzudringen. Wir müssen uns begnügen, den gegebenen Mitteilungen ein aus den Angaben der Urkunden und der Geschichtschreiber zusammengestelltes Verzeichnis der Referendare hinzuzufügen. Verzeichnis der merovingischen Referendare. 2 T h e u d e b e r t I. 1. [Ansebald. C h l o t a r I. [2. Atalus 539?

Vita S. Mauri, Acta SS. Jan. 1, 1048.] 3 DM. spur. 9.] *

3. Baudinus. Greg. Tur. Hist. Franc. 10, 31 § 16; auch Domesticus; 546 Bischof von Tours, ebenda 4, 3. 4. Charigisilus, später Domesticus. Greg. Tur. De virt. S. Martini 1, 25. 1

In DM. 70 (Faksimile bei Lauer et Samaran, Les diplômes originaux des Mérovingiens [Paris 1908] Taf. 27) sind Text und Rekognition wohl von gleicher Hand; in DM. 78 (ebenda Taf. 32) sind sie verschieden. Von DM. 94 ist nur eine Kopie erhalten, und das unvollkommene Faksimile des verlorenen Originals von DM. 79 gestattet kein sicheres Urteil. 8 Nach der von Stomff in v. Sybels Hist. Zeitschr. 29, 363 ff. aufgestellten Liste, die ich mehrfach berichtigt und ergänzt habe. 3 Über Aridius und Antidius, die Stumpf hier nennt, s. S. 363 N. 1. 4 Echt nach Sickel, BzD. 3, 21. Unecht nach Zeüjieb, GGA. 1887 S. 367 und Kküsch, M I Ö G . 14, 407 f.

Merovingische Reichskanzlei

365

[5. Desideratus. Vita S. Desiderati cap. 2, BOUQUET 3, 444; später Bischof von Bourges.]1 Sigibert I. 6. Siggo. Greg. Tur. Hist. Franc. 5, 3; De virt. S. Martini 3, 17. 7. Theutharius. Greg. Tur. Hist. Franc. 9, 33; später Presbyter. 8. Boso. Yenant. Fortunat, 7, 22. Chilperich I. 6. Siggo. Greg. Tur. Hist, Franc. 5, 3. 9. Marcus 579/80. Greg. Tur. Hist. Franc. 5, 28. 34; nimmt die Tonsur und stirbt 6, 28. Guntram. 10. Flavius. Greg. Tur. Hist. Franc. 5, 45; wird 580 Bischof von Chälon-sur-Saöne. 11. Asclipiodetus 585. MG. Concil. 1, 162. 12. Licerius. Greg. Tur. Hist. Franc. 8, 39; wird 586 Bischof von Arles; stirbt 588; das. 9, 23. Childebert II. 2 6. Siggo. Greg. Tur. Hist, Franc. 5, 3. 11. Asclipiodus 595. MG. Capit. 1, 17 n. 7 (vgl. über das Jahr KEUSCH, SS. rer. Merov. 2, 577). 13. Charimeres. Greg. Tur. In gloria confess. cap. 93; wird 588 Bischof von Yerdun; Hist. Franc. 9, 23. 14. Gallomagnus bis 589. Greg. Tur. Hist, Franc. 9, 38. 15. Otto. Greg. Tur. Hist, Franc. 10, 19. 16. Faramodus. Yenant. Fortunat. 9, 12. Theudebert IL 17. Adalgrimus 596 (602?). Chlothar H. 18. Hamingus 614.

DM. spur. 6. s

MG. Capit, 1, 23 n. 9.

1 Das Zeugnis der "Vita S. Desiderati ist sehr unzuverlässig, da es aus der zweiten Vita S. Audoini (s. oben S. 359 N. 8) lediglich abgeschrieben ist, vgl. zuletzt KBDSCB, SS. rer. Merov. 5, 550. ' Claudius und Bodilo, die STUMPF hier aufzählt, gehören nicht in die Liste der Referendare. Über Claudius s. oben S. 368 N. 1; Bodilo ist nach Greg. Tur. De virt S. Martini 4, 10 Notar des Bischofs von Tours. • Über die Echtheit des Protokolls vgl. HAVET, Oeuvres 1, 368ff.; über die Auflösung der Datierung ebenda 1, 376; doch kann man zweifeln, ob HAVET mit Recht die Epoche Theudeberts II. bei seines Vaters Lebzeiten ansetzt.

366 19. Syggolenus 6 2 5 .

DM. 1 0 . 1

2 0 . Ursinus vor 2 2 . April 6 2 6 . Dagobert

DM. I I . 2

I.

2 1 . Burgundofaro E n d e 6 2 9 oder bald darauf. 3 2 2 . Chrodobertus 6 3 0 .

DM. 12.

DM. 1 3 (jetzt SS. rer. Merov. 4 , 5 7 1 ) ; 4

wahrscheinlich später Bischof von Tours oder Paris, vgl. SS. rer. Merov. 4, 6 5 0 f . ; 2, 2 3 . Dado 6 3 2 — 6 3 9 .

487.

DM. 14. 1 5 und DM. 1 7 ; 5 F r e d e g a r 4, 7 8 ;

Gesta Dagoberti cap. 4 2 ; vgl. KBUSCH, F D G . 2 6 , 1 8 1 ; LEVISON NA. 2 7 , 3 4 5 N. 2 ; SS. rer. Meroving. 5, 5 5 5 ; wird 6 4 1

unter

dem Namen Audoinus Bischof von Rouen; stirbt 684.® 24. [Maurontus.

Hariulfi Chron. Centul. 1, 5, ed. LOT (Paris 1 8 9 4 )

S. 1 4 , auf Grund von Hucbalds unzuverlässiger (vgl. SS. rer. Merov. 6, 92) T i t a Rictrudis cap. 15, MABILLON, Acta SS. ord. S. Benedicti 2,

947.]

2 5 . Chadoindus 6 3 6 — 6 3 7 . Sigibert

F r e d e g a r 4,

78.

HI.

2 6 . Bonitus.

Vita S. Boniti cap. 2. 3. 4, SS. rer. Merov. 6, 1 2 0 f . ;

wird Bischof von Clermont-Ferrand. 2 7 . Erpo 6 4 3 . Chlodwig

NA. 13, 1 5 7 n. 17.

II.

2 8 . Rado 6 3 9 — 6 5 0 .

Gesta abb. Fontanellens. cap. 1, ed. LÖWEN-

FELD S. 1 6 f. 7 1

Für die Chronologie der Könige folge ich im allgemeinen den Ansetzungen

v o n LEVISON, N A .

3 5 , 3 7 FF.

Wahrscheinlich identisch mit dem Ursinus vir inluster et fedelis nosier im DM. 12. Wenn die Emendationen von HAVET, Oeuvres 1, 259ff., zutreffen (vgl. NA. 35, 42), war er 629 nach DM. spur. 22 Referendar Dagoberts. Über die beiden DD. Dagoberts spur. n. 36. 37 von 636 vgl. KRÜSCH, FDG. 26, 175f. 182 (zu DM. 37 auch L E V I S O N , N A . 27, 346 N . 2); DM. spur. 36 möchte ich günstiger, als KRÜSCH getan hat, beurteilen; es zeigt auch im Diktat eine bemerkenswerte Beziehung zu DM. 11, und mindestens eine echte Vorlage ist sicher anzunehmen. 9 Zur Datierung vgl. K R Ü S C H , SS. rer. Meroving. 5, 171. 4 Zur Datierung vgl. KKUSCH, FDG. 22, 466 f. 5 Über die Unechtheit von DM. 16 vgl. K R U S C H , FDG. 26, 173f. In den Unterschriften erscheint Dado ohne Titel, im Text von DM. 15, woselbst näheres über seine Familie, als ill. vir referendarius. 6 Vgl. VACANDARD , Revue des questions historiques 59, 504. 63, 5 ff. 69, 5ff. 71, 5ff.; Vie de Saint Ouen (Paris 1902). Das Protokoll von DM. spur. 21 (von 628), das einen Referendar O d e f r i d u s nennt, könnte echt sein, vgl. !

LECHNEB, M I Ö G . 22, 864. 7 Subscribiert (ohne Titel) 654, DM. 19. Nach dem ausführlicheren Texte der Gesta abb. Font, bei d'AcHfisT gehören die von ihm ausgefertigten Ur-

367 29. . . . dericus 639—642. PROU in Le Moyen-âge 1899 S. 471. 30. Beroaldus 654. DM. 19. C h l o t h a r III. 1 28. Rado 658—659. DM. 33. 2 31. Chrodinus 657—673. DM. 32. 32. Teotberctus 659—660. DM. 34. 33. Vidrachadus c. 659—661. DM. 35. 38. 34. Ansebercthus c. 659. DM. 35; vgl. Vita S. Ansberti cap. 4, SS. rer. Merov. 5, 621; wird 677/9 Abt von Samt-Wandrille, 684 Bischof von Rouen; um 690 verbannt. 35. Hrotbertus. Yita S. Lantberti cap. 1, SS. rer. Merov. 5, 608; Tita S. Ansberti cap. 2, ebenda 5, 620. 3 T h e u d e r i c h III. 36. Gundinus 675. DM. spur. 74.* 37. Audofredus 676. DM. spur. 75. 5 38. Aghliberthus 676—677. DM. 46. 48. 6 39. Droctoaldus 677. DM. 47. 40. Erchinberthus 679. DM. 49.' 41. Rigulfos c. 680. DM. 51. 42. Vulfolaecus 688. DM. 57. künden ins erste und zwölfte Jahr Chlodwigs II., d. h. 639 und 650; doch ist ihre Echtheit von KBUSCH, SS. rer. Merov. 5, 6, angezweifelt worden; vgl. auch ebenda S. 537 N. 7. 1 Vgl. SS. rer. Merov. 5, 67 N. 3. * Abbelenus und Airadus von DM. 41 sind fortzulassen; die Unterschriftszeilen dieses Diploms sind unbrauchbar. 8 STUMPF schiebt hier einen Madro ein, aber dies letzte lesbare Wort von DM. 35 ist zu Madroald . . zu ergänzen; und der in der Urkunde mehrfach genannte Madroaldus war nicht Referendar. * Über die Echtheit der Unterschrift vgl. H A V E T , Oeuvres 1,410 f. Die von H A V E T für möglich gehaltene Identität mit dem dux Gondoinus von DM. 29 (vom J. 669/70) scheint mir ausgeschlossen; ein dux ist schwerlich später Referendar geworden. Denkbar aber ist die Identität mit dem Gunduinus optimas von DM. 66 (vom J. 693/4). * Über die Echtheit vgl. H A V E T , Oeuvres 1, 402. * In DM. 46 ist Glybertus in Aglibertus zu verbessern, notarius zu streichen. Der nuntius Ebroins Aglibertus, Cont. Fredegar cap. 3, ist wahrscheinlich derselbe; vielleicht auch der comes Anglibercthus von DM. 66. — Das von K E H R , Urkunden Ottos III. S. 292 N. 1, in Schutz genommene Diplom Theuderichs III. für Ebersheim (GBANDIDIER, Hist. de l'église de Strasbourg l b , 40 n. 23) ist eine Fälschung GBANDIDIER S, vgl. BLOCH, Zeitschr.f.Gesch. des Oberrheins N . F. 12,47 7 f. 7 Mit ann. VII. rigni, vgl. LAUER und SAMARAN pl. 16. Die Lesung Erchinberthus ist ganz sicher.

368

Merovingische Reichskanzlei

Chlodwig III. 43. 44. 45. 46. 47.

Abthadus 691. DM. 59. Chlodoinus 691—692. DM. 64. Aghilus (Aiglus) 692—693/4. DM. 60. 61. 66.1 Walderamnus (Waldramnus) 693/4. DM. 66. Attalus 693/4. MD. 66. 2 42. Yulfolaecus 693/4. DM. 66. 48. Chrodbercthus 693/4. DM. 66.3

Childebert III

49. 50.

51. 52. 53. 54. 55. 56.

42. Vulfolaceus (Vulfolaicus) 694/5—697/8. DM.67. 71. Auch Domesticus DM. 70. Kyghinus 695—696. DM. 68.* Nordeberthus 696/7. DM. 69; vorher in DD. M. 64. 66 unter den optimales genannt; wohl identisch mit dem im Liber hist. Franc, cap. 48. 49 (SS. rer. Merov. 2, 322 f.) erwähnten Vertreter Pippins am Hofe.5 Chaldebercthus 697—698. DM. 70. Vertreter: Aigobercthus. Sygobaldus c. 700. DM. 72. Beffa 702—703. DM. 73.« Blatcharius 709/10—711/12. DM. 7 5 ' 76. Actulius 709—710. DM. 77. Angilbaldus (Angylbaldus) 709/10—710/11. DM. 78. 79 8 Vertreter: Dagobertus DM. 78. Chaldomiris DM. 79.

Chilperich II. 55. Actulius 716. DM. 81. 84. 48. Chrodoberthus 716. DM. 82. 57. Ermedramnus 716. DM. 83. 1 Namucho in DM. 62 ist nicht der Name des Referendars, sondern des Ausstellortes, vgl. HAVET, Oeuvres 1, 2 4 9 f. 8 Nach den tironischen Noten Rekognoszent, s. oben S. 362 N. 2. 3 S. oben S. 362 N. 3. Wohl nicht mehr identisch mit 35. Hrotbertus. 4 Die Lesung des Namens nach LAUER und SAHAKAN pl. 2 5 . 6 Er begegnet auch in den tironischen Noten von DM. 72, vgl. JUSSELIN, BEC. 68, 501. 8 Mit arm. VIII. rigni, vgl. LAUER und SAMABAN pl. 2 9 . 7 Zur Datierung von DM. 75 vgl. NA. 35, 48 N. X. 8 Zur Datierung von DM. 77—79 vgl. NA. 35, 48.

Kanzlei der karolingisehen Hausmeier

369

58. Fredebertus? 716. DM. 85. 1 59. Raganfridus 717. DM. 87.2 60. Ado 717. DM. 88. T h e u d e r i c h IV. 61. Eonardus 8 721—726. DM. 92. 94 Vertreter: Gairebaldus DM. 94. 62. Gerbaldus* 727. DM. 95. C h i l d e r i c h III. 63. Cadecissam&nus6 743—747. DM. 97. Aus den elf Regierungsjahren des letzten merovingischen Herrschers, Childerichs III., sind uns nur zwei Königsurkunden erhalten, von denen nur eine den entstellten Namen eines Kanzleibeamten überliefert. Wie schon seit langem alle wirkliche Regierungsgewalt den Händen dieser letzten Merovinger entfallen war, so muß auch Ansehen und Einfluß ihrer Kanzleibeamten gesunken sein. Schon seit der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts sind es gelegentlich die Hausmeier, die ihnen den Beurkundungsbefehl geben; 0 im 8. Jahrhundert urkunden diese selbst mit gleicher Autorität wie die Schattenkönige, denen sie den Namen der Herrschaft gönnen. Die Hausmeier bedienen sich in der älteren Zeit der Formen, die in Privaturkunden anderer vornehmer Franken hergebracht sind.7 Gelegentlich haben noch Karl Martell und Karlmann, sein Sohn, ihre Urkunden durch die amtlichen Grafschaftsgerichtschreiber, von denen unten eingehender zu handeln sein wird, herstellen lassen; 8 häufiger aber lassen sie dieselben von eigenen Beamten anfertigen, die dann wohl anzugeben pflegen, daß sie auf Befehl ihrer Herren tätig sind.9 Die 1

Die Unterschrift Fredebertus scripsit ist jedenfalls verderbt, ob auch der Name aus Chrodeberthus entstellt ist, wie STUMPF vermutet, muß dahingestellt bleiben. * Nicht Raganffridus, wie L A U E R und SAHARAN S . 2 7 lesen, vgl. fluvium pl. 38 Z. 5. 3 So ist mit STUMPF statt ego Conradus in DM. 92 zu lesen. Im Jahre 722 besiegelt ein inl. vir Amalsindo das Testament des Abtes Wideradus von Flavigny (Pardessus 2, 323) sigillo regio. Vielleicht habe,; wir ihn als Referendar zu betrachten. 4 Vom Vertreter zum selbständigen Rekognoszenten aufgerückt. 5 Der Name ist offenbar ganz verderbt. 6 Vgl. die tironischen Noten von DM. 67.77 u.a., sowie HAVET,Oeuvres 2,459. 7

Vgl.

8

So D. Arn. 1 1 . 1 5 und vielleicht auch So z. B. D. Arn. 3. 5. 6. 12.

8

MÜHLBACHER, F D G .

19, 4 5 9 .

B r e ß l a u , Urkundonlnhre. 3. A n f l . I .

16;

vgl.

BRESSLAU,

24

FDG.

26, 31.

370

Kanzlei der karolingischen Hausmeier

Formein dieser Unterschriften sind die gleichen, denen wir in den Urkunden der Herzoge von Alamannien und Bayern begegnen, die ebenfalls eigene Beamte zur Herstellung ihrer Urkunden haben; 1 besondere Beachtung verdient, daß dabei in der älteren Zeit nie von einem Beglaubigen, sondern nur, wie bei anderen Privaturkunden, von einem Schreiben und Unterschreiben die Rede ist. Die Persönlichkeiten, die damit betraut sind, bleiben uns, abgesehen von ihren Namen, gänzlich unbekannt; und nur in einem einzigen Fall bezeichnet Aldo, der 726 „auf Befehl seines Herren Karl" eine Urkunde für den h. Willibrord schreibt, sich ausdrücklich als Kleriker. 2 Noch unter Karl Martell aber tritt eine wichtige Veränderung ein, die damit zusammenhängen wird, daß dieser Hausmeier nach dem Tode Theuderichs IV. auf die Einsetzung eines neuen Scheinkönigs verzichtete und ohne einen solchen die Regierung weiter führte. 8 So trat für eine Reihe von Jahren die Kanzlei der Hausmeier an die Stelle der königlichen Kanzlei und eignete sich gewisse Formen der letzteren an. Die einzige uns erhaltene Urkunde Karl Martells, die nach jenem Zeitpunkt ausgestellt ist, steht zwar in ihrer Fassung den älteren chartae pagenses näher als den Diplomen der Könige; aber sie trägt eine Unterfertigungsformel, die den letzteren entlehnt ist; sie ist nicht bloß, wie die chartae pagenses „geschrieben und unterschrieben", sondern sie ist, wie die Königsurkunden, beglaubigt (rekognosziert).4 Und der Beamte, der diese Unterfertigung vollzogen hat, Chrodegang, wird in einer späteren Quelle geradezu als Referendar des Hausmeiers bezeichnet; er ist vielleicht, wie so manche Referendare der Merovinger, unmittelbar von seinem Hofamt aus zu der Würde eines Bischofs von Metz befördert worden.6

1

V g l . f ü r A l a m a n n i e n BRESSLAU, F D G . 26, 40 N . 1;

f ü r B a y e r n HUNDT,

Abhandl. der bayr. Akademie, hiat. Kl. 12, 1, 178 ff. 3 D. Arn. 12: Aldo elericm iussus a domino meo Karolo seripsi et subscripsi hane testammti cartam. 8 Vgl. MÜHLBACHER, Reg.* 39 h. Die im folgenden besprochene Veränderung im Urkundenwesen der Hausmeier war früher nicht genügend beachtet worden. 4 D.Arn. 14 vom 27. Sept. 741: Crothgangus iussas hane epistolam donaiionis recognovi. 5 Paulus üiac., Gesta epp.Mett., MG. SS. 2,267: (Karoli) referendarius extitit, ae demurn Pippini regis temporibus pontifieale deeun promeruit. Pippini regis ist ungenau, da Chrodegang schon 742 Bischof wurde; nach den Angaben des Paulus (SS. 2, 268) über seine Sedenzzeit von 23 Jahren, 5 Monaten, 5 Tagen muß der am 6. März 766 gestorbene Bischof im Okt. 742 ernannt sein. Ob Chrodegang schon als Referendar Kleriker war, wie SICKEL, Acta 1, 74 (vgl.

Kanzlei König

Pippins

371

Als dann um den Anfang des Jahres 743 die Söhne Karl M r tells, Karlmann und Pippin der Jüngere, .sich noch einmal zur Einsetzung eines merovingischen Titularkönigs entschlossen, muß man zwar wieder eine königliche Kanzlei eingerichtet haben, aber die der Hausmeier blieb in ihren veränderten Formen daneben bestehen. Die beiden uns erhaltenen Urkunden Karlmanns sind wahrscheinlich von einem Grafschaftsgerichtsschreiber hergestellt worden; 1 die Pippins zeigen verschiedene Formen der Unterfertigung, bald mit der Formel iussus seripsi, bald mit der Formel iussus recognovi.2 Dürfen wir die dann begegnenden Beamten noch als Referendare Pippins bezeichnen, so haben ihm, wie dem König, mehrere nebeneinander gedient; auch darin ist der ältere Brauch noch beibehalten worden, daß mindestens einer von ihnen als Laie nachweisbar ist. 3 Eben dieser letztere Beamte ist nun der einzige, der, als im Jahre 751 P i p p i n sich entschloß, die merovingische Scheinherrschaft endgültig zu beseitigen und zu der königlichen Macht den königlichen Namen hinzuzufügen, in seiner Kanzlei Diensten verblieb. 4 Sonst treten in ihr nur neue Namen auf, über deren Träger wenig bekannt ist. 6 In der ersten Zeit Pippins fungieren diese Männer nebeneinander in derselben Weise wie die Referendare der Merovinger, und sie bedienen sich wesentlich der gleichen Unterfertigungsformel (iussus reoognovit)', Reg. 8 S . X C V I I ) annimmt, scheint mir zweifelhaft; es kommt öfter vor, daß Referendare, ohne zuvor Geistliche gewesen zu sein, zu Bischöfen ernannt worden sind. 1 D. Arn. 15. 16, s. oben S. 369 N. 8. 8 Rodegaiius (so wird auch in D. A m . 17 statt Rodegus oder Rodlgus der Handschriften zu lesen sein) unterfertigt in D. Arn. 17. 20 iussus seripsi, in D. Arn. 19 iussus recognovi et [sub]seripsi; Wilecharius in D.Arn. 18 iussus recognovit; Wineramnus in D. Arn. 21 iussus recognovit, in D. Ain. 22 reoognovit et subseripsit (ohne iussus). Die von mir schon in der vorigen Auflage angezweifelte Lesung der tironischen Noten von D. Arn. 22 Bacco rogatus reeognovi, die Tardif vorgeschlagen hatte, ist jetzt als irrig erkannt; es muß heißen Braico fiere iussit, vgl. H A V E T , Oeuvres 2 , 4 6 0 - J C S S E L I N B E C 68, 5 0 6 f . ; A f U . 1, 177. D. Arn. 23 entbehrt der R kognit' n 8 Wineram, der in D. Arn. 22 den Pfalzgrafen \ e i tritt 4 D. Kar. 5 . Die von M Ü H L B A C H E R gar nicht erwähnten Bedenken, die O E L S N E R , Pippin S . 51 ff., gegen die Urkunde geltend gemacht hat, sii.d nicht von Belang. 6 Für die ältere karolingisclie Zeit vgl. S I C K E L , Acta 1, 7 4 F F . ; BzD. 2, 1 4 8 f f . und BzD. 7. W A I T Z , V G . 3 2 , 5 1 2 f f . ; B R U N N E U , Rechtsgesch. 2 , 115ff.; M Ü H L 2 BACHER, Reg. S . XCVII; DD. Kar. 1, S. 1. 61. 77ff.; E R B E N , UL. S. 44ff. 88ff Alle älteren Arbeiten sind jetzt unbrauchbar; angeführt sind sie bei S I C K E L , Acta 1, 75 N. 10. Die Ausführungen von D A H N , Könige der Germanen 8, 3, 140 ff., bedeuten keine Förderung der Sache. MÜHLBACHER,

Kanxiei König Pippins

372

ob einer von ihnen den anderen vorgesetzt war, ist nicht bestimmt zu erkennen. 1 Dann aber ist, noch in der Zeit Pippins, die Organisation der Kanzlei fester geregelt, und es sind Einrichtungen geschaffen worden, die für lange Zeit auf die Entwicklung des fränkischen und deutschen TJrkundenwesens maßgebenden Einfluß ausübten. Es ist möglich, daß diese Veränderung mit der im Vergleich zu der merovingischen Zeit anders gewordenen Stellung zusammenhängt, welche die Kanzlei seit dem Thronwechsel von 751 einnahm. Während die merovingischen Könige, soviel wir wissen, durchweg zu schreiben und zu lesen gelernt hatten und der lateinischen Sprache, in der ihre Urkunden abgefaßt sind, mächtig waren, entbehrten die ersten karolingischen Herrscher dieser Kenntnisse ganz oder doch teilweise. Sie konnten also nicht selbst beurteilen, ob die Urkunden, die ihnen zur Unterfertigung durch ihr Handmal vorgelegt wurden und die dadurch unanfechtbare Rechtskraft erlangen sollten, wirklich ihren Willen zum Ausdruck brachten: sie mußten sich dafür auf ihr Kanzleipersonal verlassen. Damit stieg einerseits dessen Verantwortlichkeit, andererseits die Bedeutung der Kanzleiunterfertigung unter den Urkunden. Es konnte daher angemessen erscheinen, jene Verantwortung schärfer zum Ausdruck zu bringen, indem man sie nicht mehr unter mehrere Beamte verteilte, sondern einem einzigen auferlegte, den man dadurch bestimmter an die Spitze der ganzen Kanzlei stellte.2 Und auch den Geschäften selbst, die mit der zunehmenden Macht des Königtums, der wachsenden Ausdehnung des Reichs sowie den mannigfachen neuen Organisationen in Verwaltung und Rechtspflege sich bedeutend vermehren mußten, wird eine solche straffere Konzentration der Kanzleiverfassung zugute gekommen sein. So ging man, um es mit modernen Ausdrücken zu bezeichnen, dazu über, die aus der Römerzeit über1

Außer Wineram kommen so vor: Chrodingus D. Kar. 2; Widmarus DD. Kar. 4. 7. 11 (verschrieben Wulmarus). 14; Eius DD. Kar. 6. 8. 12. 1 Die im vorangehenden erwähnten Momente hat SICKEL, BZD. 7,15 f., zuerst betont. Weniger Gewicht lege ich auf das, was er ebenda S. 51 ff. hervorhebt. Die Pflicht, die Echtheit angefochtener Königsurkunden gerichtlich zu erhärten, hatten auch die merovingischen Referendare gehabt, und deswegen wäre eine Veränderung der Kanzleivorschriften nicht nötig gewesen. Und daß die den Kanzleichefs untergeordneten Notare vielfach minderen Standes gewesen wären (S. 52), wird sich schwer erweisen lassen; Hitheriua, Bado und andere sind von Notaren zu Kanzleichefs aufgestiegen; Hirminmaris kann es an fides publica nicht gefehlt haben, wie seine Unterfertigung der Urkunde Einhards (SS. 21, 360) beweist; und unfähig, vor Gericht Zeugnis abzulegen, sind gewiß nicht viele königliche Notare gewesen; dieser Umstand ist schwerlich maßgebend gewesen, um sie von der Rekognition im eigenen Namen auszuschließen.

Kanzlei König Pippins

373

kommene kollegialische Organisation des Kanzleiwesens in eine bureaukratische umzugestalten. Diese Umgestaltung erfolgt noch in der Zeit Pippins. Mit den oben 1 erwähnten beiden Beamten Widmar und Eius gleichzeitig fungiert seit dem August 757 ein gewisser Baddilo.* Widmar scheint dann bald nach dem 10. Juni 760 aus der Kanzlei ausgeschieden zu sein; 3 Eius wird nach dem 30. Oktober 759 nicht mehr in den Urkunden genannt. Dafür treten zwei andere Rekognoszenten Hitherius 4 und Bernericu8 ein, aber beide in anderer Stellung als jene. Keiner von beiden rekognosziert, so lange Baddilo im Kanzleidienste nachweisbar ist, in eigenem Namen; Hitherius nennt sich dreimal als Schreiber in Urkunden, die Baddilo unterfertigt hat, 5 er und Bernericus haben dann je einmal rekognosziert, aber nicht selbständig, sondern nur in Vertretung (in vice) des Baddilo.6 Seit dem Juli 766 verschwindet der letztere aus den Urkunden, und nun ist Hitherius an seine Stelle getreten, die er auch in der ersten Zeit Karls des Großen behauptet hat: alle vollständig erhaltenen Diplome Pippins seit jener Zeit sind von ihm in eigenem Namen rekognosziert;7 ihn wie vor ihm Baddilo dürfen wir als Kanzleichefs in dem eben dargelegten Sinne betrachten. In diese Zeit fällt nun aber noch eine andere wichtige Veränderung in der Organisation der Kanzlei. Die Referendare der Merovinger waren, wie oben erwähnt wurde, sämtlich Laien; Hitherius ist der erste königliche Kanzleibeamte des fränkischen Reichs, den wir mit Bestimmtheit als Geistlichen bezeichnen können.8 Von da ab ist auf 1

S. 372 N. l. Vgl. DD. Kar. 9 (wo scripsii in der Rekognition aus sitbscripsit oder reeognovit et subscripsit entstellt sein dürfte). 10. 13. 16. 18. 21 22. 23. * Er ist wahrscheinlich identisch mit dem gleichnamigen Abt von St. Riquicr, den Pippin T61 an den Papst schickt; vgl. OELSNER, Pippin S . 355 N . 3 . 3 0 3 , Hariulf, Chron. Centulense ed. LOT (Paris 1894) S. 43 f. 4 Hitherius schreibt schon D. Kar. 6 (über die tironischen Noten, in denen sein Name nicht vorkommt, s. A f ü . 1,90); D.Kar. 13 ist nach MÜHLBAOHER gleichfalls von ihm geschrieben, während SICKEL zuletzt (KUiA. Text S . 1) die Textschrift dem später erscheinenden Wigbald beilegen wollte. 5 DD. Kar. 21. 22. 23. Aber in D. 21, das im Original eihalten ist, hat er nur die Signumzeile und die Datierung geschrieben; welchen Anteil er an der Mundierung der beiden anderen nur abschriftlich überliefer en Stuck gehabt "hat, läßt sich nicht bestimmen * DD. Kar. 13 18. ' DD. Kar. 24 26. 27. 28. * Er gehörte nach der Vita Hadriam cap.4'1, Liber pontif ed. D U C H E S N E I , 498, der königlichen Kapelle an und wurde noch als Kanzleichef Abt von St Martin zu Tours, D. Kar. 97. Die Zweifel SICKELS (Acta 1, 78. 101) an der Richtigkeit der erste reu Angabe halte ich ebensowenig wie W A I T Z , V G . 3 2 , 5 1 5 N . 5 , für 1

374

Kanzlei der ernten karolingischen Könige

Jahrhunderte hinaus kein Laie mehr als Beamter der fränkischen oder deu sehen Reichskanzlei nachzuweisen, und alle, deren Stand wir bestaunt ermitteln können, lassen sich als Kleriker dartun. Auch diese Veränderung hängt wahrscheinlich mit dem Thronwechsel unmittelbar zusammen Im Gegensatz zu den letzten Merovingern, die sich vorwiegend mit Romanen oder ganz romanisierten Germanen umgeben hatten, zogen die ersten Karolinger vorwiegend deutsche Austrasier in lh Vertrauen und besetzten mit ihnen die einflußreichsten Ämter am Hofe und im Staate. Unter den deutschen Laien kann es nun aber, nach allem, was wir über den Stand der allgemeinen Bildung m der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts wissen, nur sehr wenige gegeben haben, die das für den Kanzleidienst erforderliche Maß von gelehrten Kenntnissen besaßen; wollte man auch hier deutsche Beamte einsetzen, so war man geradezu darauf angewiesen, Geistliche zu wählen. Und das lag um so näher, als auf deutschem Boden damals, soweit man erkennen kann, auch in den Grafengerichten die amtlichen Urkundenschreiber vorwiegend dem geistlichen Stande angehörten.1 Für die fernere Entwicklung der fränkischen und deutschen Verfassung aber war, worauf hier nur mit einem Worte hingewiesen werden mag, diese Veränderung von der großen Tragweite: wer den gewaltigen Einfluß, den der Klerus im mittelalterlichen Staate ausgeübt hat, richtig würdigen will, darf die Tatsache, daß die wichtigste, man kann fast sagen einzige permanente Zentralbehörde dieses Staates ausschließlich mit Geistlichen besetzt war, nicht außer Acht lassen. Die in den letzten Lebensjahren Pippins eingeführte, unter Karlm a n n , Karl dem G r o ß e n und L u d w i g dem F r o m m e n beibehaltene Organisation der Kanzlei war demgemäß die folgende.2 Ihr geistliches Personal steht jeweilig unter der Leitung nur eines Chefs, dessen Anordnungen den gesamten Geschäftsgang regeln.3 Die Kanzlei Vorsteher Karls des Großen sind, mit Ausnahme des letzten, Hieremias, sämtlich aus dem subalternen Personal hervorgegangen; unter Ludwig dem Frommen ist das nicht mehr vorgekommen, sondern es werden Männer begründet. Sie entspringen einer Theorie von der völligen Trennung von Kanzlei und Kapelle, die in dieser Schärfe nicht richtig ist, die aber, auch wenn sie richtig wäre, nicht berechtigen würde eine gelegentliche Amterkumulation zu bestreiten und das positive Zeugnis einer Quelle zu verwerfen, die sich im übrigen als gut unterrichtet erweist. 1 2 S. das folgende Kapitel. Vgl. Sickel, Acta 1, 77ff. 3 Daher ist in zahlreichen tironischen Noten (vgl. Tangl, AfU. 1, 87 ff. 2, lfi7ff.) von seinen Anweisungen die Rede. Über das Verhältnis der Kanzleibeamten zum Erzkapellan s. unten S. 407 ff.

Kanzlei der ersten karolingischen Könige

375

an die Spitze der Kanzlei gestellt, die ihr bis dahin überhaupt nicht angehört haben. Dem entspricht noch ein anderer Unterschied zwischen den beiden Regierungsperioden. Beiden gemeinsam ist, daß die Beglaubigung (Rekognition) aller in der Kanzlei geschriebenen Urkunden 1 entweder von dem Kanzleichef persönlich oder von einem anderen Beamten im Namen und an Stelle [ad vicem) des Kanzleichefs vollzogen wird: kein anderer Beamter ist zur Rekognition in eigenem Namen ermächtigt.2 Aber an dem Beurkundungsgeschäft selbst haben sich die Kanzleivorsteher unter Karlmann, Karl und Ludwig in verschiedener Weise beteiligt. Während Maginar unter Karlmann bisweilen noch ganze Urkunden, Rado und Ercanbald unter Karl noch ganze Eschatokolle3 selbst geschrieben haben, während noch der erste Kanzleichef Ludwigs des Frommen, Helisachar, der bis 819 im Amte war, wenigstens die Rekognition oft eigenhändig eingetragen hat, haben dessen drei Nachfolger, Fridugis, Theoto, Hugo, ohne die Leitung des Schreibgeschäftes aus der Hand zu geben, sich doch persönlich daran nicht mehr beteiligt. Keine der .uns erhaltenen Reinschriften ist in irgend einem ihrer Teile von ihnen hergestellt worden; auch die Rekognitionen sind ausnahmslos von subalternen Beamten anstatt der Kanzleivorsteher geschrieben; sie nennen also in dieser Zeit regelmäßig zwei Namen, den ihres Schreibers und den des Kanzleicheö, ad vicem dessen der erstere subscribiert. Damit aber hängt vielleicht noch ein anderes zusammen. Unter Fridugis und seinen Nachfolgern treten nacheinander zwei der unteren Beamten, Durandus* und Hirminmaris, vor allen anderen hervor; sie beteiligen sich an dem eigentlichen Schreibgeschäft nicht mehr, haben dagegen viel häufiger als ihre Kollegen die Rekognition vollzogen;6 ihre Bedeutung erhellt überdies aus der Tatsache, daß sie wiederholt in den den Diplomen hinzugefügten 1

Zu ihnen gehören die Placita nicht, s. unten S. 380 f. * Dafür sind die Originalurkunden entscheidend. Über scheinbare Ausnahmen in nur abschriftlich vorliegenden Stücken vgl. S I C K E L , Acta 1, 79 f. 3 Zu DD. Kar. 121. 130 vgl. den Nachtrag S. 564 f. Einmal aber hat Rado auch als Kanzleivorsteher noch den ganzen Kontext geschrieben, vgl. D. Kar. 123. 4 Für die Stellung Durands würden auch die von S I C K E L , Acta 1, 88, angeführten Verse des Ermoldus Nigellus 3, 285 f., MG. Poetae latini 2, 49, in Betracht kommen, wenn es nicht geratener wäre, sie mit S I M S O N , Ludwig d. Fr. 1, 132 N. 9, auf den gleichnamigen Abt von St. Aignan d'Orléans zu beziehen, der von unserem Kanzleibeamten zu unterscheiden ist. 6 Daß von der Hand des Durandus und des Hirminmaris nie mehr als die Rekognition und höchstens noch die Datierung geschrieben ist, daß alle ihnen bisher beigelegten Urkunden im übrigen von anderen Ingrossisten geschrieben sind, hat mir M . T A N G L gütigst mitgeteilt.

376

Kanzlei

der ersten karolingischen

Könige

stenographischen Bemerkungen als Vorgesetzte der anderen Beamten bezeichnet werden und daß auf Anordnungen Bezug genommen wird, welche sie getroffen haben. Beide haben offenbar eine höhere Stellung eingenommen als ihre Kollegen und dürfen geradezu als zeitweilige Vertreter des Kanzleivorstehers bezeichnet werden.1 Im übrigen zerfällt das den Kanzleivorstehern untergeordnete Personal in zwei Kategorien. Das Merkmal für ihre Unterscheidung ist nicht, wie in der päpstlichen Kanzlei des späteren Mittelalters, daraus zu entnehmen, ob die einzelnen Beamten an der Abfassung oder nur an der Reinschrift der Diplome beteiligt waren. Diktatoren (Abbreviatoren) und Ingrossisten (Scriptoren) lassen sich in dieser Zeit nur in einzelnen Fällen bestimmter unterscheiden;2 nur selten wird der Name des Diktators in den tironischen Noten einer Urkunde ausdrücklich genannt, 8 und in vielen Fällen haben zweifellos die Ingrossisten auch die stilistische Fassung der von ihnen zu schreibenden Diplome selbst bestimmt. Aber einen Unterschied macht es aus, ob die Beamten zur Rekognition ermächtigt waren oder nicht. Diejenigen, welche rekognoszieren durften, haben nämlich zwar immer diese Unterfertigung und — mit Ausnahme von Durandus und Hirminmaris — oft auch einzelne andere Teile der Urkunden geschrieben, aber wenigstens unter Ludwig nur selten das Geschäft der Mundierung in seinem ganzen Umfange besorgt. Kennen wir die Rekognoszenten aus ihren Unterfertigungen bei Namen, so bleiben die bloß als Ingrossisten tätigen Schreiber für uns namenlos; auf dem Wege der Schriftvergleichung können wir sie voneinander unterscheiden,4 nur in einzelnen Fällen 1

Von Hirminmaris wissen wir, daß er mehrere Male auch die Besiegelung selbst vorgenommen hat, vgl. die tironischen Noten von MÜHLBACHER 8 n. 9 9 4 . 9 9 7 , wozu nach JDSSELIN (Melanges Chatelain, Paris 1 9 1 0 , S. 37f.; vgl. dazu T A N Q L , NA 3 6 , 3 0 7 ) auch och n. 9 8 6 käme, während nach TANGLS Lesung der Noten (AfU. 2, 169) diese Urkunde von dem Kanzler Hugo besiegelt worden wäre. J Ü SELIN (a 0 S 3 6 f ) zufolge ist in den tironischen Noten von MÜHLBACHER n . auch Durandus schon als Siegler dieser Urkunden genannt. TANGL s L sung der Vermerke stimmt aber damit nicht überein. — Nach dem Ausscheiden des Hirminmaris aus der Kanzlei wird Meginarius (s. unten S. 3 8 6 n 1 1 einmal als Siegler von MUHLBACHER * n. 1 0 0 6 genannt; ob er aber ganz die gleiche Stellung eingenommen hat, ist doch nicht sicher, er hat die beiden Diplome n. 1006 und 1007 ganz geschrieben. » Vgl. SICKEL zu KUiA. Lief. I, Tafel 1. 3

So

in

MÜHLBACHER

Reg.!

n

656.

773.

831.

872.

907.

923.

987.

In

der Mehrzahl dieser Fälle bat der Kanzleichef oder sein Vertreter das Diktat geliefert. * In der neuen Ausgabe der Karolingerdiplome werden sie nach dem Vorgange SICKELS, der das für das 10. Jalirh. eingeführt hat, mit Chiffern bezeichnet, s. unten.

Kanzlei der ersten karolingischen Könige

377

erfahren wir ihre Namen durch die tironischen Noten oder dadurch, daß der Ingrossist einer Urkunde sich in anderen Diplomen, die wir an der Gleichheit der Handschrift erkennen, als Rekognoszenten nennt. Dabei kommt es vor, daß ein Beamter, der früher bloß Ingrossist war, später auch Eekognoszent wird,1 aber auch, daß ein Beamter, der schon rekognosziert hat, noch spätere Urkunden, die ein anderer unterfertigt, ganz oder teilweise mundiert.2 Demnach ist es nicht mit voller Bestimmtheit zu sagen, ob die Ermächtigung zur ßekognition einen Unterschied im Bange bedingte oder nicht; immerhin ist es wahrscheinlich, daß Männer, denen sie gegeben ward, eine höhere Stellung einnahmen als solche, denen sie versagt blieb. Jedenfalls aber muß man daran festhalten, daß die Zahl der Beamten, deren Namen wir kennen, nicht den gesamten Bestand des Kanzleipersonals erschöpft.3 Einen offiziellen Amtstitel können wir in der ersten karolingischen Zeit weder für den Kanzleivorsteher noch für die ihm untergebenen Beamten nachweisen. Der Titel Referendar • ist ganz aus dem Gebrauch verschwunden,4, und wahrscheinlich hat man zunächst, ohne einen bestimmten Unterschied zwischen dem Chef und den Subalternen zu machen, auf den einen wie die anderen die Bezeichnungen angewandt, die damals im fränkischen Reiche für andere amtliche Urkundenschreiber üblich waren. Das sind insbesondere die beiden Worte notarius und eaneellarius, deren erstes wir schon in anderem Zusammenhang erläutert haben,5 deren zweites hier in der Kürze erklärt werden mag.8 Es versteht sich von selbst, daß auch dieser Titel aus römischer Zeit 1

So unter Karl Wigbaldus und Genesius, unter Ludwig Bartholomaeus, a. die Liste auf S. 384. 387. * So unter Ludwig Faramund und Gundulf. s Sehr merkwürdig ist, daß unter dem Kanzleivorsteher Rado der Rekognoszent Jakob nur in Urkunden für italienische Empfänger begegnet, daß also schon unter Karl zeitweise ein NotaT offenbar nur mit Geschäften für das südliche Reich beauftragt worden ist. Eine Ausnahme schien nur das ü . Kar. 271 für Osnabrück mit Jakobs Rekognition zu machen; doch hat TANGL jetzt wahrscheinlich gemacht, daß die echte Vorlage, aus der die Rekognition dieser Fälschung entnommen wurde, das D. Kar. 175 (oder 174) war, das der Fälscher 1077 am Hofe Heinrichs IV. kennen gelernt haben wird; vgl. AfU. 2,171 f. 261ff. 4 Er kommt, wie schon MABILLON, Dipl. S . 1 1 4 bemerkt hat, später noch einmal unter König Odo vor 5 S. oben S. 187 ff. 9 Die früheien Ansichten über die Stellung der römischen eaneellarii von BETHMANN HOLLWEO (Der Zivilprozeß des gemeinen Rechts 3 , 1 5 7 ; 4 , 2 6 7 ) , CASAUBONDS (ZU Vopisc. Carin. cap. 1 ) und GOTBOFREDUS (zum Cod. Theod. 1 , 1 2 , 3 ) , sowie BÖCKING (Not. dign. 2 , 3 0 5 , 3 ) sind berichtigt von K R Ü G E R , Kritik des Justinianischen Codex (Berlin 1 8 6 7 ) S. 163ff. und von MOMMSEN, NA. 1 4 , 4 7 8 ff.

378

Kanzlei der ersten karolingisehen Könige

stammt; caneellarii finden wir in der Verfassung des 5. und 6. Jahrhunderts im römischen wie im ostgotischen Reiche vornehmlich bei den mit richterlichen Befugnissen ausgestatteten höheren Provinzialbeamten, bei denen sie wie die adsessores und domestici eine zwischen dem subalternen Bureaupersonal (den offieiales) und der eigentlichen Magistratur stehende Stellung einnahmen. 1 Sie trugen ihren Namen davon, daß sie an den Schranken (eancelli) der Sitzungszimmer standen; sie hatten, da die Parteien diese Schranken nicht überschreiten durften, dem Richter deren Eingaben vorzulegen und die nötigen mündlichen Mitteilungen zu übermitteln; sie waren vielleicht auch bei der Ausfertigung der Erkenntnisse beteiligt. Daß es neben diesen ProvinzialCancellarii, wie ich sie bezeichnen will, auch in der kaiserlichen Kanzlei so genannte Beamte gegeben hat, lehrt das römische Staatshandbuch wenigstens für den Okzident; im Ressort des magister offieiorum, den wir als den obersten Chef des gesamten Kanzleiwesens kennen gelernt haben, 3 werden ammissionales und caneellarii unmittelbar hinter den vier großen Bureaus (sorinia) der Kanzlei erwähnt, so daß sie vielleicht zu diesen in gewisser Beziehung gestanden haben. 4 Auch im Frankenreiche gab es caneellarii sowohl am Hofe wie in den Provinzen. Daß in der merovingischen Zeit die dem Referendar untergeordneten Beamten der königlichen Kanzlei so genannt zu sein scheinen, ist schon oben bemerkt worden; 6 unten werden wir darzulegen haben, daß die Schreiber der Grafengerichte in den ribuarischen, alamannischen und burgundischen Gebieten vorwiegend als caneellarii bezeichnet werden, während sie in den Ländern salischen Rechts häufiger notarii oder amanuenses genannt wurden. 1

In ähnlicher Eigenschaft haben sich publiei caneellarii als Hilfsbeamte der Richter in der Romagna bis ins 11. Jahrh. erhalten. Die Richter bedienen sich ihrer, um die Parteien aufrufen und behufs Einleitung des Kontumazialverfahrens deren Nichterscheinen konstatieren zu lassen. Außerdem werden sie zur Vollstreckung richterlicher Urteile deputiert. Gerichtsschreiber sind diese eancellarii der Romagna nicht. Vgl. die Placita FANTDZZI 1, 213. 228. 264. 274. 285; 2, 50. 68. 71. SAVIOLI 1, 81. Wahrscheinlich ist so auch der cancellarius im Gericht des Königsboten Wido zu Reggio 824 aufzufassen, FICKER, It. Forsch. 4, 12. 8 Vgl. das Ernennungsformular für den cancellaritts des praefectus praetorio, Cassiod. Var. 11, 6: ut consistorn nostri secreta fideli integritate custodias, per ie praesentandus aecedat, per tc nos/ris auribus desiderium supplicis innotescat, iussa nostra sine studio venalitatis expedías omniaque sie gefas ut nostram possis commendare iustitiam; vgl. 12, 3. 8 S. oben S. 185. 1

5

Not. dignit. (ed. SEECK S. 145) Occ. 9, 14. 15.

S. 362.

Kanzlei der ersten karolingisehen Könige

379

Der letztere Umstand macht es erklärlich, daß für die karolingisehen Kanzleibeamten anfangs beide Bezeichnungen angewandt werden, ohne daß der eine oder der andere eine offizielle und ausschließliche Anerkennung erlangt hätte. Den ersten Kanzleichef Karls des Großen nennt die Vita Hadriani notarius/ den zweiten, Rado, bezeichnet Papst Hadrian in einem Briefe an Karl mit dem damals in Rom wie im Frankenreiche gleich ungewöhnlichen Titel protonotarius-,2 den dritten, Ercanbald, nennt Papst Leo III. caneellarius, während er in gleichzeitigen Annalen notarius heißt. 3 Schon unter Ludwig dem Frommen erhält dann aber der Titel notarius einen bestimmten offiziellen Sprachgebrauch: zuerst wendet ihn Hirminmaris an, 4 in den nächsten Jahren auch andere Kollegen: Notar ist nun die amtliche Bezeichnung für die dem Kanzleichef untergebenen Rekognoszenten und wird von da ab für den ersteren nicht mehr gebraucht. Den Vorsteher der Kanzlei bezeichnen die Notare in den tironischen Noten, die sie den Urkunden hinzufügen, schlechtweg als magister, d. h. eben als ihren Vorgesetzten; ein eigentlicher Amtstitel ist das aber nicht, und auch Durandus und Hirminmaris sind in einzelnen Urkunden so genannt worden. Im Kontext der Diplome — nicht in den Subskriptionszeilen — kommt es dann unter Ludwig dem Frommen seit 820 vor, daß der Kanzleivorsteher als summus sacri palatii cancellarins oder notarius oder als sacri palatii archinotarius bezeichnet wird,6 aber feststehende offizielle Titulaturen sind auch diese noch nicht, wie schon ihre Verschiedenheit beweist. Wichtiger ist, daß in zwei Kapitularien Karls des Großen von 808 und Ludwigs des Frommen von 823—825 1

S. oben S. 373 N. 8. JAFF£-E. 2478. ES ist nicht zutreffend, wenn SICKEL, Acta 1, 81, diesen Titel als in Korn aufgekommen und in der päpstlichen Kanzlei üblich bezeichnet; der päpstliche Kanzleichef hieß, wie wir oben sahen, primieerius notariorum; protonotarii kommen hier erst im 14. Jahrh. vor. » JAFF£-E. 2521; MG. SS. 1, 190; vgl. Vita Hlud. cap. 19, SS. 2, 617. Der bei SICKEL, Acta 1, 83 N. 2; WAITZ, VG. 3®, 512 N. 2, angeführte caneellarius Wineradus in der Schenkung der Gisela von 799, D. Kar. 319, hat nichts mit der Kanzlei des Königs zu tun, sondern ist als Gerichtsschreiber anzusehen. 4 Seit 823 in Kaiserurkunden, vgl. SICKEL Acta 1,91 N. 11, aber schon 819 in der von ihm geschriebenen Urkunde Einhards, SS. 21, 360. Da Hirminmaris jetzt schon 816 in der Kanzlei nachweisbar ist, s. unten S. 386, so sind die Bedenken SICKELS gegen die Datierung dieser Urkunde nicht mehr durchschlagend. Vgl. noch Hincmar Op. 1, 21 (ed. MIQNE 125, 85), wonach Aeneas, der 858 Bischof von Paris wurde, 849 als notarius sacri palatii (in der westfränkischen Kanzlei) der Synode von Quierzy beiwohnte. 6 Vgl. SICKEL, Acta 1, 98. S

380

Kanzlei

der ersten karolingischen

Könige

der Kanzleichef, dem gewisse Aufträge erteilt werden, einfach cancellarius noster genannt wird; 1 hat es überhaupt einen anerkannten amtlichen Titel für ihn gegeben, was allerdings nicht feststeht, so ist es wohl dieser gewesen; jedenfalls aber dürfen wir mit Rücksicht auf diese Stellen und auf den für die Zeit der Söhne Ludwigs des Frommen nachweisbaren Sprachgebrauch annehmen, daß schon unter Karl und Ludwig mit dem Kanzlertitel eine höhere Stellung bezeichnet worden ist als mit dem eines Notars. Von dem eigentlichen Kanzleipersonal sind in der Zeit Karls des Großen die Beamten zu unterscheiden, welche die Gerichtsurkunden (plaeita) herstellten.2 Während diese in der Merovingerzeit wie die Diplome von Referendaren unterfertigt und in der Kanzlei geschrieben wurden, während noch unter Pippin das gleiche üblich gewesen zu sein scheint,3 begegnen wir in den entsprechenden Urkunden Karls mehrfach Namen, die Mitgliedern der Kanzlei nicht angehören,4 und nur. vereinzelt sind auch bei der Herstellung dieser Stücke die Kanzleibeamten beteiligt gewesen.6 Noch deutlicher erhellt, daß wir es hier mit pfalzgräflichen Notaren zu tun haben, wenn wir an dieser Stelle schon die Gerichtsurkunden der nächsten karolingischen Herrscher berücksichtigen. Zwar von Ludwig dem Frommen sind eigentliche Gerichtsurkunden überhaupt nicht auf uns gekommen,8 aber von seinen Nachfolgern, wenigstens im westfränkischen Reiche, sind uns eine Anzahl von Plaeita erhalten, die geradezu anstatt (ad vieem) der Pfalz1

S. oben S. 163 N. 4. 5. ' Vgl. SICKEL, Acta 1, 359; BRUNNER, Das Gerichtszeugnis und die fränkische Königsurkunde (Festgaben für HEFFTER, Berlin 1873) S . 1 6 6 ff.; BRÜNNER, Rechtsgesch. 2, 110. 115; BABCHEWITZ, Das Königsgericht unter den Merovingem und Karolingern S. 38 f. • D. Kar. 6. 12. * So in D.Kar. 63" Thiotgaudus, in D.Kar. 102. 110 Theudegarius, wahrscheinlich mit dem vorigen identisch; in D. Kar. 204 Baphuinus, der sich Notar nennt; in D. Kar. 216 Eldebertus. Die Rekognition ego Heldebertus reeognovi der Fälschung D. Kar. 279 ist wahrscheinlich aus einem verlorenen Fuldaer Placitum herübergenommen. Dieser von mir schon früher geäußerten Vermutung haben sich jetzt T A N G L , M I Ö G . 20, 248, und MÜHLBACHER, DD. Kar. 1, S. 415, angeschlossen. — D. Kar. 138 hat die Unterschrift Wilherius not. ad vieem Chrotardi. Letzterer ist sicher kern Kanzleibeamter; aber auch den ersteren wird man kaum (gegen DD. Kar. 1, S. 78) mit dem 812 nachweisbaren Kanzleinotar gleichen Namens identifizieren (s. unten S. 385) dürfen. 6 Über D.Kar. 138 siehe die vorhergehende Note. D.Kar. 197 ist in der Kanzlei geschrieben, aber in Italien, vgl. SICKEL, Acta 1, 3 5 9 8 Doch erfahren wir von einem pfalzgräflichen Notar Archibaldus, der an einer Aachener Hofgerichtssitzung unter Vorsitz des Pfalzgrafen Warengaudes teilnahm, aus einer Urkunde von 834, Musée des arch. départementales n, 5 S. lOff.

Kanzlei der ersten karolingischm Könige

381

grafen oder von Notaren der Pfalzgrafen rekognosziert sind.1 Aus Deutschland sind dagegen eigentliche Gerichtsurkunden nicht mehr erhalten; 2 ob es überhaupt noch vorgekommen ist, daß sie ausgestellt wurden und in welcher Weise und von wem das geschah, läßt sich nicht ermitteln. Für Italien haben wir höchstens noch eine Gerichtsurkunde aus der Zeit Kaiser Ludwigs II., die einen gewissen Anteil der Kanzleibeamten bei der Ausfertigung erkennen läßt; 3 alle späteren, ungemein zahlreichen und bis in die letzte Zeit des Mittelalters hinein reichenden italienischen Gerichtsurkunden sind von außerhalb der Kanzlei stehenden Notaren hergestellt worden. Ganz zweifelhaft bleibt, wie es mit dem Anteil der Kanzlei an der Abfassung und Ausfertigung der Gesetze (capitularía) bestellt war.4 Während in der Merovingerzeit einzelne von ihnen Unterfertigungen von Kanzleibeamten zeigen, ist uns aus der karolingischen Periode kein Kapitular überkommen, das in dieser Beziehung einen bestimmten Anhaltspunkt geben könnte. Die von dem bei Diplomen üblichen Brauch vielfach abweichende Formulierung der Gesetze legt indes die Vermutung nahe, daß wenigstens ihre Konzipierung, die ja auf den großen Reichs Versammlungen erfolgte, nicht Sache der Kanzlei war, sondern von Mitgliedern jener Versammlungen oder anderen Vertrauensmännern dér Herrscher bewirkt wurde,6 womit die Möglichkeit, daß die endgültigen schriftlichen Ausfertigungen in der Kanzlei mundiert wurden, immer noch vereinbar bleibt. Daß endlich die Privatkorrespondenz der Herrscher ebenfalls nicht in der Kanzlei geschrieben wurde, sondern daß dazu vertraute Pfalzgenossen verwandt wurden, ist gewiß. Als solche Sekretäre haben 1

Siehe die Belege bei SICKEL, Acta 1, 359 N. 10. * Vgl. darüber SICKEL, BZD. 6, 62 (SB. der Wiener Akademie 85, 411 f.). Auch das Diplom Karls III. von Westfranken für Prüm, Mittelrhein. UB. 1, 222 n. 159, acheint zwar von einem pfalzgräflichen Schreiber herzurühren, ist aber kein eigentliche» Placitum. ' MÖHLBACHER4 n. 1216 k , geschrieben von dem der Kanzlei nicht angehörigen Notar Simpert, aber ex dictato Tructemiri arclticancellarii. Doch ist zweifelhaft, ob Dructemir hier in feeiner Eigenschaft als Erzkanzler oder als Beisitzer des Gerichts gehandelt hat. — MÜHLBACHER2 n. 1035 von Lothar I. ist ein Diplom und kein Placitum. * Vgl. SEELIOER, Kapitularien S. 22 ff. Der Ansicht (S. 28), daß die Kanzlei sich seit dem Erlaß von Capit. 1, n. 150 (823—825) regelmäßig mit der A b f a s s u n g der Kapitularien zu beschäftigen gehabt habe, kann ich mich nicht anschließen. 6 Ganz gewiß ist aber nicht an ein besonderes, mit der Gesetzesabfassung betrautes Amt zu denken, wie EBBEN, UL. 48 N. 1, für möglich hält. Vgl. oben S. 164 N. 1.

382

Kanzlei der ersten karolingisehen Könige

Alkuin unter Karl dem Großen und Einhard unter Ludwig dem Frommen Dienste geleistet.1 Yon den eigentlichen Kanzleibeamten spielen nur die Kanzleivorsteher hei Hofe eine bedeutendere Rolle. Die Notare und Schreiher sind zumeist nur aus den Unterschriften der Urkunden bekannt und werden sonst kaum genannt. 2 Innerhalb der geistlichen Hierarchie sind sie meistens Diakone oder Subdiakone; ein einziger, Aldricus, hat es zu bischöflicher Würde gebracht, aber erst lange nach seinem Austritt aus der Kanzlei; ein anderer, Hruotfrid, ist Abt von St. Amand geworden. Die Kanzleichefs dagegen sind vielfach zu diplomatischen Missionen verwandt worden 3 und stehen auch sonst in hohen Ehren und in vertrautem Verkehr mit den Herrschern, wo von uns insbesondere die gleichzeitigen Dichtungen, welche die Verhältnisse des karolingisehen Hofes schildern, eine lebendige Vorstellung gewähren.4 Wenigstens unter Ludwig sind es mehrfach Männer des vornehmsten Blutes, denen dies Amt übertragen wird: der Angelsachse Fridugis, dem man königliche Abkunft zuschrieb, und Hugo, der Halbbruder des Kaisers selbst, der aus der Verbindung Karls des Großen mit der Regina stammte. Aber eigentlich maßgebenden politischen Einfluß haben sie in dieser Zeit nicht ausgeübt, wie insbesondere die Tatsache beweist, daß unter Ludwig dem Frommen der Personalbestand der Kanzlei von den Schwankungen und Wechselfällen, die in der Politik des Kaisers und des Hofes eintraten, fast unberührt blieb, daß diese keineswegs eine Änderung in jenem Personalbestande zur Folge hatten. 6 Dagegen erfolgte ein vollständiger Wandel bei dem Tode Karls des Großen, von dessen Kanzleibeamten höchstens ein einziger, der Notar Ibbo, in den Dienst des Sohnes übergetreten ist.8 Ob das

1

Vgl. SICKEL, Acta 1, 103 ff. Daß es aber ein bestimmtes Amt auch dafür gegeben hat, darf aus einem Briefe des Lupus von Ferrières (MG. Epp. 6 [Karol. 4], 33 n. 28) nicht gefolgert werden. Denn hier handelt es sich um Karl den Kahlen und der Ludoguicus epistolare in palatio gerens officium, von dem da die Rede ist, ist eben der Kanzleichef Karls, für dessen Amt Lupus (vgl. Epp. 6, 22 n. 13; 93 n. 108) nur einen klassizierenden Ausdruck gebraucht. Die Stelle hätte also von SICKEL in diesem Zusammenhang gar nicht angeführt werden sollen. * Ein einziges Mal 808 hören wir von einer diplomatischen Sendung des Notars Hruotfrid, vgl. MÜHLBACHER5 n. 431°. 8

4

V g l . WAITZ, V G . 3 3 ,

514.

Vgl. die Stellen bei SIMSON, Karl d. Gr. 2, 545ff., Ludwig d. Fr. 2, 234ff. 2 6 Vgl. SICKEL, Acta 1, Ì02f.; WAITZ, VG. 3 , 515. 6 Inwieweit ein Wechsel im Amt des Kanzleileiters einen solchen im Personal der Notare nach sich gezogen hat, läßt sich nicht bestimmt entscheiden. Am

Kanzlei

der ersten karotingischen

Könige

383

Kanzleipersonal Gebühren für die Ausfertigung der Urkunden von den Parteien bezog, ergeben die Quellen nicht mit Bestimmtheit; doch spricht die Analogie dessen, was in Ansehung der amtlichen Gerichtsschreiber üblich war,1 dafür. Das Haupteinkommen der Kanzleivorsteher aber bestand jedenfalls in dem Ertrage der reichen geistlichen Pfründen, die ihnen verliehen wurden; wir finden die Kanzler durchweg, die Notare wenigstens vereinzelt, als Äbte angesehener Klöster, die ihnen als Belohnung für ihre Dienste verliehen wurden. Ehe wir die Geschichte der fränkischen Kanzlei weiter verfolgen, fügen wir ein Verzeichnis der mit Namen bekannten Kanzleibeamten unter Karlmann, Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen 2 an. Karlmann I. I. Kanzleivorsteher. II. Notare.

M a g i n a r 769 Jan.—771 Dez. D. Kar. 43. 53. 3

Nicht genannt. Karl I. der Große.

I. Kanzleivorsteher. 1. H i t h e r i u s 769 Jan. 1 3 — 7 7 6 Juni 9. D. Kar. 55. I I I . 4 — 775 Abt von St. Martin zu Tours, s. oben S. 373 N. 8; stirbt 796, vgl. SIMSON, Jahrb. Karls d. Gr. 2, 545. meisten seheint unter Karl das Ausscheiden Rados eingegriffen zu haben, von dessen Notaren keiner unter Ercanbald weiter dient. Unter Ludwig dienen die meistbeschäftigten Notare Durand, Hirminmaris, Meginar unter mehreren Kanzleivorstehern. 1 Vgl. B R E S S L A U , F D G . 26, 30. Hier ist auch anzuführen, daß Hinemar, De ord. pal. cap. 16 (ed. K B A U S E S. 15), als Pflicht der Kanzleibeamten bezeichnet, daß sie praecepta regia absque immodetata eupiditatis renalitate schreiben aollen, was wohl nicht auf die Forderung der Unbestechlichkeit zu beziehen ist, sondern eher darauf, daß sie nicht übertriebene Gebühren beanspruchen sollen. 2 Über Pippin s. oben S. 371 ff. 2 • 7 8 4 Abt von St. Denis, vgl. MÜHLBACHER, Reg. S. X C V I I I ; T A N O L , NA. 32, 185 f. 4 Die Rekognition von D. Kar. 11t (777, Januarl Raio ad vicem Liutberti, wo letzterer Name aus Hitherii entstellt ist, kann mit der von n. 113, wo Rado bereits selbständig rekognosziert, in Übereinstimmung gebracht werden, wenn man entweder annimmt, daß die Vollziehung der Urkunde sich um etwa ein halbes Jahr verzögert habe, oder daß Rado bereits vor dem definitiven Austritt des Hitherius aus der Kanzlei zu dessen Nachfolger designiert und deshalb zu selbständiger Unterfertigung ermächtigt worden sei. SICKEL , Acta 1, 77 N. 2, hält sie für Zusatz des Kopisten aus n. 67.

384

Kanzlei der ersten karolingischen Könige 2. R a d o 776 Juli—795 März. 1 D. Kar. 113. 179. — 790 Abt von St. Yaast zu Arras, 2 stirbt 808; SIMSON a. a. 0 . 3. E r c a n b a l d 797 März 31 (oder Apr. 4 oder Apr. 12) bis 812 Apr. 2. 3 D. Kar. 181. 21*7. 4. H i e r e m i a s 813 Mai 9. D. Kar. 218. — 818 Erzbischof von Sens (wahrscheinlich der frühere Kanzleichef), stirbt 828 ; SIMSON a. a. 0 . S. 547; Ludwig der Fromme 1, 300 N. 6.

IL Notare. 1. E a d o 772 Mai—775 Nov. D. Kar. 67. 107; wird 776 Kanzleichef, s. oben. 2. W i g b a l d , Schreiber schon 772 Jan. 13. D. Kar. 64. Rekognoszent 774 Sept. 14—786 Nov. 5. D. Kar. 84 b . 154. 3. E r c a n b a l d 778 Jan.—794 Febr. 22* D. Kar. 119. 176; wird 797 Kanzleichef, s. oben. 4. G i l t b e r t 778 Okt.—795 März. D. Kar. 120. 179. 5. O p t a t u s 779 März 27—788 Okt. 25. D. Kar. 122. 162. — Später Abt von St. Maur des Fossés?; vgl. SICHEL, Acta 1, 81. 6. W i d o l a i c u s 781 Okt.—794 Juli 20. D. Kar. 136. 178. 7. J a c o b 787 März 24—792 Aug. 4. D. Kar. 157. 5 175. 8. E r m i n u s 799 Febr. 2. D. Kar. 187. 9. A m a l b e r t 799 Juni—807 Apr. 28. D. Kar. 189. 205. 10. G-enesius, Schreiber schon 797 März/April. D. Kar. 181, genannt als Schreiber in den tironischen Noten von D. Kar. 183. Rekognoszent 799 Juni 13 3 —802 Sept. 15. D. Kar. 190. 198. 1

Wahrscheinlich noch bis 797 Febr. 17, vgl. D. Kar. 180, s. daselbst S. 244 N. m. Dagegen macht die Rekognition von D. Kar. 188 vom Juni 799 Erchimbaldus ad vieem Radoni größere Schwierigkeiten; SICKEL, Acta 1 , 8 0 N. 1, scheint an einen Fehler des Kopialbuches zu denken, der aber schwer zu erklären wäre; MÜHLBACHER, DD. Kar. 1, S. 78, nimmt an, daß die Ausfertigung sich um mehr als 2 Jahre verspätet habe, was doch auch nicht unbedenklich erscheint. Auch die von EBBEN, UL. S. 46, angedeutete, in dem Fall von S. 383 N. 4 mögliche Erklärung ist hier kaum zulässig. 4 Die Annahme, daß Rado schon 780 Abt gewesen sei (DD. Kar. 1, S. 78), geht auf eine falsche, von TANÖL, DD. Kar. 1, S. 565 und AfU. 1, 99, berichtigte Lesung der tironischen Noten in D. Kar. 131 zurück, 8 Vielleicht schon 796 Dez. 17, wenn, wie die Rekognition, so auch die Datierung von D. Kar. 253 aus echter Vorlage entnommen sein sollte. 4 Noch 794 Apr. 4 nach D. Kar. 250, worin der Name des Rekognoszenten und der Anfang der Datierung aus echter Vorlage stammen. — Über D. Kar. 188 s. oben N. 1. 6 Die Rekognition der Fälschung D. Kar. 234 stammt aus einer verlorenen Urkunde, aber die Datierung ist wahrscheinlich aus n. 133 entnommen, so daß aus ihr nichts über den Zeitpunkt des Eintritts Jakobs in die Kanzlei erschlossen werden kann.

Kanzlei

der ersten karolingisehen Könige

385

11. H a g d i n g u s (wohl statt Hardingus) 8 0 3 Aug. 13. D.Kar. 200. 12. A l d r i c u s 807 Aug. 7 — 8 0 8 Mai 26. D. Kar. 206. 207. 1 — Später Abt von Ferneres, 829 Erzbischof von Sens, stirbt 836; SIMSON, Ludwig der Fromme 2, 259ff., Karl der Große 2, 547 N. 4. 13. 808 Anfang. H r u o t f r i d , notarius, Gesandter in England. MÜHLBACHER2 n. 431°, in den Urkunden nicht genannt. — Abt von St. Amand, stirbt vor 822 Juni 29; vgl. SIMSON, Karl der Große 2, 398 N. 5; 547 N. 4, 14. B l a d o 808 Juli 17. D. Kar. 208. 15. I b b o 809 Juli 7 — 8 1 0 Aug. 12. D. Kar. 209. 210; später in der Kanzlei Ludwigs des Frommen. 16. S u a v i s 811 Dez. 1.» D. Kar. 213. 215. 17. W i t h e r i u s , Diakon, 812 Apr. 2 — 8 1 3 Mai 9. D. Kar. 217. 3 218. III. Schreiber. A d a r u l f 777 Dez. 6, genannt in den tironischen Noten von D.Kar. 118, vgl. S. 564; nachweisbar auch 778 Okt., D. Kar. 120, 4 Ludwig I. der Fromme. 6 I. Kanzleivorsteher. 1. H e l i s a c h a r ® 8 1 4 A p r . 8 — 8 1 9 Aug. 7. 7 MÜHLBACHEE2 n. 521. 699. — 818 Abt von S t Aubin zu Angers, 1

Hier ist der Name zu Altfredus entstellt, die Identität aber sicher, vgl. DD. Kar. 1, S. 277. 2 Die Rekognitionen von D. Kar. 226. 268 (beide unecht) stammen aus einer verlorenen Urkunde aus den letzten Jahren Karls, vgl. DD. Kar. 1, S. 305. s Hier ist der Name zu Guidbertus entstellt, wie DD. Kar. 1, S. 289 gewiß mit Recht angenommen wird, während daselbst S. 78 Guidbertus und Witherius auseinander gehalten werden. 4 Er schrieb 777 auch das Testament des Abtes Pulrad von St. Denis, v g l . TANGL, N A . 3 2 , 5

1 7 6 FF.

Die aquitanischen Urkunden Ludwigs, die vor dem Tode des Vaters ausgestellt sind, nennen als Rekognoszenten: Hildigarius ad vieem Deodati 794 Aug. 3, M C H L B A C H E R 2 n. 516 — Godelelmus ad vicem Guigonis 807 Dez. 28, M Ü H L B A C H E R 4 n. 517 — Albo ad vieem Helizachar 808 Apr. 7, M Ü H L B A C H E R 2 n. 518 — Helisachar 808 Mai, M Ü H L B A C H E R 8 n. 519. 6 Vorher aquitanischer Kanzler, s. Note 5. Ob er mit dem Gerichtsschreiber (canccllarius) Elisachar identisch ist, der 811 eine Privaturkujde für Notre Dame de Paris (vgl. SICKEL, Acta 1, 86 N. 1) subscribiert, bleibe dahingestellt; übrigens hat L A S T E Y B I E , BEC. 43 (1882), 60 ff., die Echtheit dieser Urkunde bestritten. ' Da die Rekognition von M Ü H L B A C H E R 8 n. 702: Durandus ad vicem Helisachar jetzt durch die von n. 703 (819 Okt. 1; Helisachar reo.) gestützt wird, 13 r e ß 1 a u, Urkundenlehre. 3. A u f l . I .

25

Kanzlei der ersten karolingisehen Könige

386

später auch von St. Riquier, stirbt vor 840; vgl. SIMSON, Ludwig der Fromme 2, 234 f. 2. F r i d u g i s 819 Aug. 17—832 März 28. MÜHLBACHEB 2 n. 700. 899. — 808 Abt von St. Martin zu Tours, 820 Abt von Sithiu (St. Bertin), stirbt 834; vgl. SIMSON a. a. 0. 2, 235 ff. 3. Theoto 832 Juni 16—834 Mai 15. MÜHLBACHEB 2 n. 900 (Rekognition echt). 927. — Abt von Marmoutiers bei Tours, stirbt 834; vgl. SIMSON a. a. 0. 2, 238. 4. H u g o 834 Juli 3—840 Juni 8. MÜHLBACHEB 2 n. 929. 1007. Abt von Sithiu und St. Quentin, stirbt 14. Juni 844; vgl. SIMSON a. a. 0 . 2 , 2 3 8 ff. II.

Notare.

1.

Durand, Diakon,

BACHEB 2 n . 5 2 2 .

814

Apr. 23—832 Okt.

4.

MÜHL-

907.1

2. F a r a m u n d 8 1 4 Apr.23—826Mai9. MÜHLBACHEB2^ 523.829. 3. Ibbo 815 Juni 10. MÜHLBACHEB 2 n. 5 8 3 . 2 4 . J o s e p h , zwischen 8 1 5 Dez. 1 4 und 8 1 6 Febr. 1 3 . MÜHLBACHEB 2 n . 6 0 3 .

Arnald 8 1 6 Febr. 1 0 — 8 1 6 Juni 2 1 . MÜHLBACHEB 2 6 0 8 . 6 1 9 . 6. H i r m i n m a r i s , Diakon, 816 Juli 31 — 840 Mai 6. MÜHLBACHEB2 n. 622.1004. 3 —Wahrscheinlich Mönch von St. Martin

5.

zu Tours; vgl. SICKEL, K U . i. d. Schweiz S. 4.

7. Gundulf 820 Apr. 27—821 Okt. 27. MÜHLBACHEB2^715. 745. 8. Macedo (Machedo) 820 Apr. 28. MÜHLBACHER 2 n. 716. 717. 719. — Später vielleicht in der Kanzlei Lothars I., 8. unten. 9 . Sigibert 821 Juli 28. MÜHLBACHEB 2 n. 740. 1 0 . Simeon, Diakon, 8 2 3 J u n i 2 1 — 8 2 4 Juni 3 0 . MÜHLBACHEB 2 n. 776 (Rekognition echt). 786. 11. Meginar, Diakon, 826 Jan. 26—840 Juni 8. MÜHLBACHEB 2 n. 824. 1007. 4 — Später in der Kanzlei Karls des Kahlen. 1 2 . A d a l u l f , Diakon ( 8 2 6 Nov. 1 ? ) — 8 2 8 Aug. 2 0 . MÜHLBACHER 2 n. 835 (Rekognition und wohl auch Datierung aus echter Vorlage). 853. entfallen die Bedenken gegen die Einreihung der ersteren Urkunde zu 819 September, und für beide Stücke ist mit MÜHLBACHEB die Datierung auf ein hinter, die Eekognition aber auf ein vor den 17. August fallendes Stadium des Beurkundungsgeschäftes zu beziehen. 1 Vgl. oben S. 375f. 1 Nach MÜHLBACHEB a. a. O. — gegen SICKEL, Acta 1, 88 — identisch mit dem gleichnamigen Notar Karls des Großen. 3 Über die Echtheit von n. 1 0 0 4 vgl. T A N G L , M I Ö G . 20, 237ff.; über die Stellung des Hirminmaris oben S. 375f. 4 Über seine Stellung in der Kanzlei s. oben S. 376 N. 1.

Kanzlei Lothars I. und, seiner Söhne

387

Subdiakon, 8 8 6 Aug. 2 4 — 8 3 9 Juni 2 0 . MÜHLn. 9 6 3 . 9 9 4 . —Wahrscheinlich später in der Kanzlei Lothars I., s. unten. 14. Bartholomaeus 838 Juni 14—839 Febr. 17. HÜHLBACHEB 2 n. 978. 987. — Schreiber schon früher, mindestens seit 833. 1 Später in der Kanzlei Karls des Kahlen. 1 5 . Glorius 8 3 9 Jan. 2 3 — 8 3 9 Dez. 2 9 . MÜHLBACHEB 2 n. 9 8 6 . 2 1001. — Später in der Kanzlei Lothars I., s. unten. III. Schreiber. Bertcaud, scripior regius 836; vgl. SIMSON a. a. 0. 13.

Daniel,

BACHEB 2

2 , 2 4 0 N. 6.

Von den Teilreichen, die sich aus der Monarchie Karls des Großen und Ludwigs des Frommen nach dem Tode des letzteren absonderten, verfolgen wir nur die, welche von Lothar I. sowie Ludwig dem Deutschen und ihren Nachkommen beherrscht wurden; die Darstellung der Kanzleiverhältnisse in dem aquitanischen Reiche Pippins, in dem westfränkischen Karls des Kahlen und seiner Nachfolger ;und in den burgundischen Staaten, die in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts entstanden, gehört nicht zu unserer Aufgabe. Unter Lothar I. blieb zunächst die in der Kanzlei seines Vaters eingeführte Ordnung unverändert in Kraft. Seine erste Urkunde vom 18. Dezember 822 ist von dem Kanzleichef Witgar selbst rekognosziert,3 wie solche Rekognitionen damals auch noch m der Kanzlei Ludwigs von Helisachar bewirkt wurden. Später, bis zum 17. April 833, rekognoszieren Notare, zumeist in Vertretung der Kanzleivorsteher.4 Nun aber trat eine, wohl durch die politischen Ereignisse bedingte Abweichung von dem bisherigen Brauch ein. Der Kanzieivorsteher Herminfrid, der bis zu jenem Datum fungiert hatte, verschwindet seit der Erhebung Lothars gegen den alten Kaiser aus den Urkunden des erstergn; sei es, weil er von seinem Herrn entlassen war, sei es, weil er Bedenken trug, dem Empörer länger seine Dienste zu widmen.6 1 Ein großer Teil der bisher dem Hiiminmaris zugewiesenen Diplome ist nach freundlicher Mitteilung TANGLS von Bartholomaeus geschrieben. 8 Nach SICKEL gehört MÜHLBACHER 2 n, 986 erst zu 840.

* MÜHLBACHER 4 n .

1015.

* Wenn der Notar Liuthad schon 830 einmal selbständig rekognosziert (MÜHLBACHER 1 n. 1 0 2 9 ) , so möchte ich annehmen, daß das Kanzleramt damals unbesetzt war. Denn Witgar, der am 22. Januar 832 zuerst als Bischof von Turin begegnet, kann sehr wohl schon vor 830 aus dem Kanzleidienst ausgeschieden sein; sein Vorgänger in Turin, Claudius, ist 827 zuletzt nachweisbar. 5 Vgl. SIMSON, Ludwig der Fromme 2 , 5 9 . 25*

388

Kanzlei

Lothars 1. und seiner

Söhne

Indem nun aber der siegreiche Lothar die Leitung der Reichsregierung übernahm, wagte er doch nicht, die großen Reichsämier anderweit zu besetzen oder einen Chef der Reichskanzlei zu ernennen, erkannte aber andererseits auch Theoto, den Kanzleichef seines Vaters, als solchen nicht mehr an und ließ seine Urkunden bis zum Ende des Jahres 834 von zweien seiner Notare selbständig und in eigenem Namen unterfertigen.1 Erst als Lothar, um jene Zeit zur Unterwerfung genötigt, nach Italien zurückgekehrt war, stellte er wieder einen Vorsteher an die Spitze seiner Kanzlei und übertrug dies Amt dem Agilmar, der zu Anfang 842 Erzbischof von Vienne wurde, aus der Kanzlei aber erst Ende 843 austrat. Sein Nachfolger wurde Hilduin, den Lothar zum Erzbischof von Köln machen wollte, der aber nicht in den wirklichen Besitz dieses Erzstiftes gelangen konnte, dafür mit der Abtei Bobbio entschädigt wurde und bis zur Abdankung des Kaisers an der Spitze der Kanzlei blieb.2 Agilmar hat vielleicht noch einmal selbst rekognosziert;3 Hilduin hat dies Geschäft nie selbst verrichtet; ganz dem in der Kanzlei Ludwigs des Frommen in dessen späteren Jahren herrschenden Gebrauch entsprechend, unterfertigen Notare — so bezeichnen sie sich selbst — an Stelle der Kanzleivorsteher;4 zwei von ihnen, Daniel und Glorius, sind aus der Kanzlei des alten Kaisers nach dessen Tode in die des Sohnes übergetreten. Auch in anderen Dingen bleibt die Ordnung der Verhältnisse unverändert; von den Notaren bezeichnen sich zwei als Subdiakone; die Kanzleivorsteher führen in den Unterschriften keinen Titel; im Kontext mehrerer Ur1 M Ü H L E A C H E R 2 n. 1037 — 1041. 1044. 1015. Sehr charakteristisch ist, daß dabei in den tironischen Noten von 1038 der rekognoszierende Notar sich ausdrücklich auf den Befehl des Kaisers beruft (AfU. 1, 139). — Auch diese Art der Unterfertigung spricht übrigens dafür, daß nicht rechtliche, sondern Zweckmäßigkeitsgründe den regelmäßigen Ausschluß der Notare von der selbständigen Rekognition bewirkt haben; vgl. oben S. 372 N. 2. 2 S. unten 8. 3 9 9 das Verzeichnis, wo auch die beiden Stücke M Ü H L B A C H E R * n. 1095. 1110 besprochen sind. 8 ' MÜHLBACHEH n. 1054, wo allerdings das Eschatokoll so verstümmelt ist, daß sehr leicht auch der Name des Notars, der ad vicem des Kanzleichefs unterfertigte, ausgefallen sein kann. 4 Eine Ausnahme machen nur die drei Urkunden, MÜHLBACHER * n. 1088. 1102. 1103, in denen die Namen der Kanzleivorsteher fehlen. Aber zwei von ihnen sind nur abschriftlich erhalten, und in n. 1103 deutet MÜHLBACHER nach den Worten Hrotmundus notarius eine Lücke im Or. an, während P A S Q U J , CD. Aretino 1, 46 n. 32, erst hinter reeognov eine Lücke anzeichnet, die er mit i et ss. ausfüllt. Aber es wäre doch bedenklich, in allen drei das Fehlen des ad vicem Agilmari nur auf Rechnung der mangelhaften Überlieferung zu setzen.

Kanzlei Lothars I. und seiner Söhne

389

künden heißt Agilmar sacri palatii arehicancellarius, Hilduin notarius summus oder archinotarius-,1 in den tironischen Noten legen die Notare dem Kanzleichef den Titel magister bei.2 Wie unter Ludwig dem Frommen Durandus und Hirminmaris eine den übrigen Notaren übergeordnete Stellung einnahmen, so hat endlich auch unter Lothar einer der Notare, Remigius, den wir von 840—851 im Dienste des Kaisers nachweisen können, als Stellvertreter des Kanzleichefs fungiert; auch er wird von den anderen Notaren als Magister bezeichnet und mehrfach berufen sie sich auf seinen Befehl, nennen seinen Namen an hervorragender Stelle oder heben hervor, daß er die Besiegelung vollzogen habe. 3 Ungleich weniger gut gewahrt ist die hergebrachte Ordnung in den Kanzleien der Söhne Lothars I., obwohl wenigstens Ludwig II. und Lothar II. Beamte ihres Yaters in ihren Dienst übernahmen. 4 Bei Kaiser L u d w i g II. finden wir als Kanzleivorsteher den unter Lothar I. vielbeschäftigten Notar Dructemir, der freilich wieder selbst rekognosziert hat, aber niemals an Stelle eines anderen unterfertigt, während die anderen Notare zumeist an seiner Statt unterzeichnen; er legt sich in den Unterschriften selbst die Titel archinotarius und archicanceUarius bei. 5 Ihm folgte 861 der Notar Remigius, der, wie oben erwähnt wurde, schon unter Lothar eine höhere Stellung als die anderen Notare eingenommen hatte und auch unter Ludwig II., ehe er selbst Kanzleichef wurde, als Stellvertreter des Chefs fungierte, da noch während Dructemirs Waltung zweimal anstatt seiner rekognosziert wurde; 6 in den 1 MÜHLBACHER, SB. der Wiener Akademie 85, 506 N. 5. Notarius summus auch in einem Privileg Leos IV. von 850, SCHEFFER-BOICHORST, Zur Geschichte des 12. und 13. Jahrh. S. 365 2 Vgl. die tironischen Noten von MÜHLBACHER2 n. 1036. 1147 (AfU. 1, 139. 141) 3 Vgl die tiiomschen Noten von MÜHLBACHER2 n. 1096. 1104. 1114 (dazu JUSSELIN, Mélangés Chatelam S. 40) 1143. 1147 (TANGL, AfU. 1, 140f.) und von

MÜHLBACHER2 n. 1107. 1108. 1127. 1175 (JDSSELIN, L e M o y e n â g e 1907 S. 318FÎ.;

Mélanges Chatelain S. 40F.; TANGL, AfU. 2, 170. 175f.). Die Bedeutung des Vermerkes Remigius Signum habebal in n. 1114. 1143 ist kaum nicher festzustellen. — Einmal, in n. 1127, wird Daniel als der siegelnde Beamte genannt (JISSELIN, Melauges Chatelain S. 41). 4 Uber die Kanzleiverhältnisse Karls v. Provence ist hier nicht zu handeln. Die wenigen Beamten, die in seinen Urkunden vorkommen, s. unten S. 402. 5

M' ; Ü'BA HER2 n. 1186. 1187 1 2 2 0 , (1194) 1197. 1200.

E i n m a l i n n. 1188

aber auch bloß notarius. 6

MÜHLBACHER2 n. 1183. 1217

MÜHLBACHER, der i h n s c h o n 860 (n. 1217)

Kanzleichef werden läßt, muß infolgedessen für n. 1220 mit der Kekognition Dructemirus archinotarius spatere Beurkundung oder eine andere Unregel mäßigkeit annehmen; die Rekognition von n. 1183 Adalbertus eanc. ad vieern

Kanxiei Lothars I. und seiner Söhne

390

Rekognitionszei'en führt er keinen Titel, im Kontext heißt er einmal Erzkanzler. Denselben Titel führt in einem Placitum von 865 und im Kontext eines Diploms auch sein Nachfolger Johannes, 1 der wie Dractemir wieder seihst unterfertigt hat und sich dabei Protonotarius — also mit emem uns bisher offiziell noch nicht vorgekommenen Amtstitel — benennt.1 Bedeutsamer ist, daß auch die Notare unter Ludwig Ii. sich eine, wie es scheint, höher geltende Bezeichnung beilegen: mehrere von ihnen nennen sich zwar noch notarii, wie seit Ludwig dem Frommen üblich war; andere aber machen auch gelegentlich oder ausschließlich von der Bezeichnung cancellarius Gebrauch, ohne daß sie darum als Kanzler in dem Sinne von Kanzleichefs angesehen werden dürften.8 Etwa seit 866 — vielleicht im Zusammenhang mit dem Feldzuge des Kaisers nach TJnteritalien4 — scheint dann die Kanzlei Ludwigs II. ganz in Auflösung geraten zu sein. Ein Kanzleichef wird nicht mehr genannt; 5 die Urkunden werden von Hofgeistlichen, zum Teil Mitgliedern der Kapelle, ausgefertigt, die sich zwar auch No'aro nennen,8 sich aber regelmäßig, indem sie als Schreiber oder Rekognosz nten unterzeichnen, auf einen ausdrücklichen Befehl des Kaisers 7 erufen: diese Berufung ersetzt die früher übliche Angabe des Vertretungsverhältnisses; und nur einer dieser Geistlichen hat die Gewohnheit, ihr noch die Bemerkung hinzuzufügen, daß er ad vicem eines Kapians Farimund, vielleicht des damaligen Chefs der Kapelle, handle. Den Kanz rtitel finden wir auch in der Kanzlei L o t h a r s II. seit 858 in Gebrau h aber abweichend von dem, was wir eben am Hofe Remigii muß er dann duich spätere Ausfertigung mit Rückdatierang erklären. Wenn er die t roni chen Noten bereits gekannt hätte, aus denen sich die übergeordnete Stell ng des Remigius schon unter Lothar ergibt, würde wohl er selbst von solch n Auskunftsmitteln Abstand genommen haben. 1

8

MÜHLBACHTO* n

1223

1230».

* MÜHLBACHER 8 n . 1 2 2 6 .

1227.

Adalbert und Hericus in allen ihren Urkunden; Regnimirus in seiner einzigen Urkunde; Werimboldus einmal, während ei sich zweimal notarius nennt. In eigenem Namen rekognosziert hat von diesen aber nur Adalbert und nur in einem einzigen der von ihm unterfertigten Diplome, MÜHLBACHER * n. 1225. * Vgl. MÜHLBACHEB Reg.8 8 . XCVIII 6 Den Kapellan Farimund, vgl. MÜHLBACHEE 8 n. 1222f. 1241. 1244. 1245. 1265, möchte ich nicht als solchen ansehen; nur Leudoin unterfertigt an seiner Stelle, Grauginus in n. 1243. 1248. 1299 nicht. 6 Protonotarius in MÜHLBACHER 1 n. 1 2 5 2 ist zweifellos aus presbyter et notarius, wie Giselbert sonst stets heißt, entstellt. 7 Iussu imperatorio, imperatoris, ipsius serenissimi augusti usw. Vgl. SICKEL, B z D .

7, 5 4 (692).

Kanzlei Lothars I. und seiner Söhne

391

Ludwigs II. kennen gelernt haben, und entsprechend dem, was gleichzeitig in Ostfranken geschah, nur für die Leiter der Kanzlei und für diese in deT bemerkenswerten Erweiterung regiae dignitatis cancellarius.1 Übrigens haben die beiden Kanzleichefs Lothars II., Ercambold und Grimbland, einen sehr großen, letzterer sogar den größten Teil der Urkunden persönlich unterfertigt; Grimbland hat auch selbst diktierend ins Beine geschrieben.2 Dagegen haben unter Ercambold zwei Notare, die in der Kanzlei Lothars I. seine Kollegen gewesen waren, Hrodmund und Daniel, auch in eigenem Namen und ohne Angabe des Yertretungsverhältnisses rekognoszieren dürfen. Das lothringische Teilreich ist mit dem Tode Lothars II. verschwunden. Italien aber hat seine staatliche Sonderexistenz auch nach dem Erlöschen des Hauses Lothars L unter einheimischen oder burgundischen Herrschern bis über die Mitte des 10. Jahrurmderts hinaus behauptet; und für die Organisation der Kanzlei dieser Herrscher sind die Verhältnisse maßgebend geworden, die von den letzten Karolingern hier geschaffen worden waren.8 Die dreigliedrige Abstufung der Kanzleibeamten, die wir schon unter Ludwig dem Frommen kennen gelernt haben und die unter Lothar I. und Ludwig II. nicht minder deutlich hervorgetreten war — an der Spitze ein oberster Chef, unter ihm ein höher gestellter Notar, der als Vorgesetzter der anderen Notare und als Vertreter des Chefs erscheint,1 endlich ein mehrköpfiges Personal von Subalternen —, diese dreifache Gliederung tritt unter den späteren italienischen Königen noch bestimmter in die Erscheinung. 1 So nennt sich Grimbland immer; sein Vorgänger Ercambold in n. 1285. 1289. 1290, letzterer aber in n. 1278. 1303 und in den tironischen Noten von n. 1290 einfach notarius, in n. 1280 regiae dignitatis notarius, später in n. 1300. 1305 regiae dignitatis arehicancellarius, in den tironischen Noten von n. 1300 einfach arehicancellarius. — Magister heißt Eicambold in den von Hrodmund geschriebenen tironischen Noten von MÜHLBACHER ' n. 1296. Die untergeordneten Notare geben sonst ihren Vorgesetzten keinen Titel. * SICKEI zu KUiA. Lief. VII, Taf. 9. Über Ercambolds Urkunden ist in dieser Beziehung noch keine Untersuchung bekannt geworden. * Für das Folgende vgl. die grundlegenden Untersuchungen SCHIAPABELLIS im Bullettino dell' Istituto storico Italiano n. 23. 26. 29 und die Einleitung zur Ausgabt der Diplome Lamberts und Widos in den Fonti per la storia d'Italia

(n. 36, R o m 1906).

* Durandus, dann Hirminmaris unter Ludwig L, Remigius unter Lothar I. und Ludwig I. Nach Remigius hat vielleicht Adalbert, der 864 in eigenein Namen rekognosziert (s. oben S. 890 N. 3) eine solche Stellung gehabt. — EBBEN, UL. S. 65 ff., hat, weil er die Stellung des Remigius noch nicht kannte, diese Verhältnisse nicht vollständig übersehen können.

392

Kanzlei

Berengars L, Widos, Lamberts

von Italien

Für die Kanzleichefs wird schon unter Berengar I., Wido und Lambert der Erzkanzlertitel die allein geltende amtliche Bezeichnung.1 Das Amt wird unter Berengar I. ausschließlich von Bischöfen bekleidet, Adalard von Verona, Petrus von Padua, Ardingus von Brescia sind jeder mehrere Jahre in seinem Besitz, der letztere von 902 oder 903 bis 922; nur in den unruhigen Zeiten von 900—902 ist ein häufigerer Wechsel erkennbar und sind drei Erzkanzler, Liutardus (von Alba), Vitalis von Vicenza und Garibaldus von Novara einander schnell gefolgt: die beiden ersteren hatten ebenso wie Peter von Padua vorher ein niederes Kanzleiamt innegehabt. Unter Wido erscheint in den ersten drei Urkunden, die noch aus der Königszeit stammen, Helbuncus als Kanzleichef, der sich zunächst nur cancellarius nennt; er mag schon früher im Dienste des Spoletiners gestanden haben. Nach Widos Kaiserkrönung, als die Kanzlei fester organisiert wird, nimmt auch er den Titel Erzkanzler an 2 und bleibt unter Wido und seinem Sohne im Amte, bis er, wahrscheinlich 896, zum Bischof von Parma ernannt wird und aus dem Hofdienst ausscheidet. In der Oberleitung der Kanzlei folgt ihm der Bischof Amolo von Turin, der eben damals aus seiner Diözese vertrieben zu sein scheint; nach dem Tode Lamberts ist er zu Berengar übergegangen und in sein Bistum zurückgekehrt.3 Ludwig der Blinde hat überhaupt eine eigene italienische Kanzlei nicht eingerichtet; soweit wir es zu erkennen vermögen, sind seine Urkunden für italienische Empfänger von Männern hergestellt, die, schon ehe er die italienische Krone erwarb; i , Burgund in seinem Dienst gestanden hatten: er hat den Italienern nur die Konzession gemacht, daß er auf seinem ersten Zuge einen italienischen Bischof, Liutward von Como, zum Erzkanzler ernannte und die Diplome4 m dessen Namen rekognoszieren ließ. Welche Rechte die Erzkanzler in den Kanzleien Berengars und seiner Gegenkönige ausübten, welche Stellung sie darin einnahmen und 1

In den Rekognitionen kommt er fast ausschließlich vor; nur in der Bekognition von D Lamb. 4 und in den Interventionsformeln von D. Ber. I. 59. 61. 112 steht noch einmal summus cancellarius. 2 Doch begegnet in DW 12 vom 24 Nov. - 91 noch einmal der Titel cancellarius, wenn die Lesung in dieser staik beschädigten Urkunde sichei ist. 3 Vgl. SCHIAPARELLI, Bullett n. 26 S . 17f., und über das Gerücht, daß er die angebliche Ermordung Lamberts angestiftet habe, SCHIBMEYER, Kaiser Lambert (Diss. Göttingen 1900) S. 94 N. 2. 4 Mit Ausnahme des ersten vom 11. Okt. 900; am 12. Okt. wird Liutward schon genannt. — Über die burgundischen Kanzleibeamten Ludwigs vgl. den diplomatischen Anhang bei DE MANTEYER, La Provence du premier au douzième siècle (Paris 1908) S. 451ff., dessen Ausführungen freilich iu vielen Beziehungen höchst anfechtbar und geradezu phantastisch sind.

Kanzlei Berengars I., Widos, Lamberts von Italien

393

welchen Einfluß sie auf die Kanzleigeschäfte ausübten, darüber ergeben die Urkunden nichts. Die Diplome werden auch nicht ausnahmslos in ihrer Vertretung rekognosziert; aber wenn ihr Name in der Rekognition fehlt,1 wird stets eine Berufung auf den Befehl des Herrschers beigefügt,2 und solche Berufung ist in den Fällen, in denen nur ein Name in der Eekognition genannt wird, so üblich geworden, daß man auch dann von ihr Gebrauch machen kann, wenn, wie dies unter Wido einige Male vorkommt,3 der eine Name der des Kanzleichefs ist. Die Stellung der unter den Erzkanzlern stehenden Kanzleibeamten Berengars I., Widos und Lamberts näher zu bestimmen ist nicht leicht; tironische Noten, die in der karolingischen Periode Aufschluß darüber geben, fehlen entweder in ihren Urkunden oder sind da, wo sie noch vereinzelt vorkommen, ganz unergiebig.4 Daß wenigstens einige dieser Beamten keine ganz untergeordnete Stellung einnahmen, ist deutlich zu erkennen; unter Berengar sind Petrus I., Liutardus und Vitalis aus einem niederen Amt zu dem des Erzkanzlers und zu bischöflicher Würde aufgestiegen; Bischöfe sind auch Beatus inTortona und Johannes in Cremona, wahrscheinlich auch Restaldus in Acqui, Ambrosius in Mantua und unter Wido Hevrardus in Piacenza geworden. Die Titel nolarius und cancellarius sind nicht immer scharf geschieden; aber sie sind doch auch nicht ganz unterschiedslos gebraucht; und es ist gewiß nicht bloßer Zufall, daß (von den nur einmal genannten abgesehen) unter Berengar Restaldus, Teudebertus und Martianus immer den Notar-, Vitalis und Ambrosius ebenso ausnahmlos den Kanzlertitel führen, während für einige andere allerdings beide Bezeichnungen vorkommen. Für Petrus I. und Vitalis möchte ich schon in den früheren Jahren Berengars I. eine höhere Stellung wenigstens vermuten;5 daß in der 1 Ob das etwa mit Abwesenheit oder Behinderung des Erzkanzleis zusammenhängt, ist nicht zu sagen. In DD. Ber. I. 1. 35, DD. Lamb. 5. 7 (doch vgl. D. Lamb. 9) könnte man versucht sein, an Vakanz des Kanzleramtes zu denken, in den meisten Fällen aber trifft das nicht zu. Wahrscheinlich aber hängt in den DD. Ber. I. 120. 121 diese Foim der Rekognition damit zusammen, daß diese Diplome fiIi den cancellarius Johannes oder sein Bistum ausgestellt waien, und daß deshalb sein Name nicht in der Rekognition erscheinen sollte. s Nui der Notai Restaldus unter Berengar I., der Kaplan Hevraid und Rimpert unter Wido haben die Gewohnheit, sich auch dann, wenn ad vicem des Erzkanzlers rekognosziert wird, auf die iussio regia zu beiufen, vgl. DD Ber. I. 6. 9—11. 13. 19. 23. W. 2. 17. 19. S

R*D. W . 1. 3. 10. 15.

* Vgl. SCHIAPAHEILI, Archiv für Stenographie 1906 S. 209 ff. 5 Vgl. besonders was SCHIAPARELLI (Bullettino n. 23 S. 27) über die Rekognition in den Diplomen, in denen Vitalis genannt wird, bemerkt.

394

Kanzlei Berengars I., Widos, Lamberts von Halten

späteren Zeit seiner Regierung Ambrosius und nach ihm Johannes eine solche eingenommen haben, scheint mir mit ausreichender Sicherheit behauptet werden zu können. Beide haben, wie SCHIAPABELLI 1 festgestellt hat, keinerlei Anteil an der graphischen Herstellung der Diplome genommen; Ambrosius erscheint zuerst am 1. August 902, vom Februar 904 bis zum August 906 zeigen alle Diplome seinen Namen in der Rekognition; dann tritt neben ihm Johannes auf, der einige Male Kanzler, in den Jahren 911 und 912, in denen er allein rekognosziert, aber ganz überwiegend Notar heißt und zumeist iussu regio unterfertigt. Wenn dann ein Diplom vom Jahre 913* noch einmal den seit 910 aus den Urkunden verschwundenen Namen des Ambrosius aufweist, so ist das offenbar nur geschehen, weil diese Urkunde für Johannes selbst ausgestellt war und also nicht in seinem Namen rekognosziert werden sollte: gerade dieser Umstand spricht dann aber deutlich dafür, daß, während Johannes tatsächlich schon die Geschäfte führte, Ambrosius — vielleicht nur dem Namen nach — eine leitende Stellung einnahm. Seitdem heißt Johannes nicht mehr Notar, sondern nur noch Kanzler; 915 oder 916 ist er Bischof von Cremona geworden, von 915 an nennen alle Diplome mit ganz wenigen Ausnahmen seinen Namen; im Jahre 920 wird in einer Urkunde gegen den Kanzleibrauch an seiner Statt rekognosziert,3 und in einem anderen, von einem mit der Ordnung der Kanzlei nicht vertrauten Schreiber herrührenden Diplom vom Juli 922* erhält er sogar den Titel eines Erzkanzlers, der ihm nur dann zugekommen sein könnte, wenn Ardingus, der bisherige Erzkanzler, zurückgetreten oder entlassen worden wäre, was nicht bezeugt ist. Soviel ist jedenfalls klar: Johannes ist unter dem Erzkanzler Ardingus der eigentliche Kanzleileiter geworden, nachdem Ambrosius, wahrscheinlich aus Anlaß seiner Ernennung zum Bischof von Mantua,6 aus der Kanzlei geschieden war. Unter Wido und Lambert läßt sich für keinen der rekognoszierenden Vertreter des Erzkanzlers eine Stellung nachweisen, wie wir sie eben für Ambrosius und Johannes in Anspruch genommen haben. Ganz einfach aber liegen dann die Verhältnisse unter König Rudolf. 1

Vgl.

SCHIAPARELLI a . a . 0 .

S. 33.

1

D . Ber. I.

89.

' D. Ber. I. 131. Wenn, wie SCHIAPARELLI feststellt, dies Diplom außerhalb der Kanzlei entstanden ist, so erhöht das nur die Bedeutung der Sache: sein Schreiber hält sich nicht an den Kanzleibrauch, der die Rekognition

Iohannes episcopus et cancell. ad vieem Ardingi episcopi et arehicaneell. erfordert hätte, sondern bringt die tatsächliche Stellung des Johannes zum Ausdruck. 4 D. Ber. I. n. 138. 5 Er erscheint als Bischof und Königsbote in D. Ber. 1.117 vom Januar 918, kann aber schon mehrere Jahre vorher ernannt worden sein.

Kanzlei Rudolfs, Hugos, Lothart von Italien

395

Seine italienischen Diplome sind sämtlich — mit alleiniger Ausnahme des ersten vom 4. Februar 922, das ein Notar Hieronymus iussu et praeeeptione domni regia unterfertigt 1 — von Manno rekognosziert, der sich ausnahmslos als eancellarius bezeichnet; als Erzkanzler, an dessen Statt die Rekognition vollzogen wird, erscheint im Jahre 922 ein Giselbert, der keinen geistlichen Amtstitel führt, und über den wir nichts weiter wissen, in den Jahren 924 und 925 Beatus, Bischof von Tortona, den wir bereite in der Kanzlei Berengars I. kennen gelernt haben. Beatus blieb auch unter König Hugo bis zum Jahre 928 an der Spitze der Kanzlei, während das Kanzleramt auf Siegfried überging. Dieser wurde im Herbst 926 zum Bischof von Parma ernannt und trat bald danach aus der Kanzlei ans: am 12. und am 28. November 926 rekognosziert er noch als Bischof und Kanzler, ohne es für notwendig zu halten, den Erzkanzler zu erwähnen.2 Sein Nachfolger wurde Gerlannus, ein Günstling der Königin Alda*, der bald zu höherer Stellung emporstieg. Am 12. Mai 928 wird noch ein Diplom von ihm an Stelle des Bischofs Beatus rekognosziert;* bald darauf muß der Bischof von Tortona gestorben sein, und Gerlann, inzwischen zum Abt von Bobbio ernannt, wurde sein Nachfolger; schon im November 928 rekognosziert der Notar Petrus an seiner Stelle. Das durch Gerlanns Beförderung freigewordene Kanzleramt erhielt Petrus aber noch nicht; hier folgte Recco, der im März 929 zuerst begegnet und wahrscheinlich 981 zum Bischof von Bergamo aufstieg.5 1 AFFÖ, Storia di Parma 1 , 327. Vgl. über ihn SCHIAPAKELLI, Ballett, dell' Istit. 8tor. Italiano n. 30, S. 16 N. 2. • HPM. 13 (CD. Langob.), 889 n. 522 und HPM. Chart. X, 128 n. 76. 3 Er rekognosziert als eancellarius ad vicem Beati episeopi ei arehieaneellarii am 17. Febr. 927 (BBK. 1377). Die Rekognition Gerlannus eane. ad rieem Beati episeopi et arehieaneellarii von BBK. 1384 ist mit der Datierung 929 Mai 12 nicht zu vereinigen, denn in zwei Diplomen vom 12. und 25. Nov. 928 und in einem Diplom vom 12 März 929 (BBK. 1382. 1388 und GIRACD, Uartul. de Saint Barnard de Romans S. 59 n. 26) ist Gerlann bereits Erzkanzler; BBK. 1384 muß zu 928 gehören. — Auf Gerlanns Ernennung zum Kanzler, nicht auf die spatere zum Erzkanzler bezieht sich der Bericht der Miracula S. Columbani cap. 8 (MABILION, Acta SS. ord. S. Benedicti, ed. Venedig 1733, 2,40); rex suurn sigtllum ei tribuit summumque caneellarium esse praeeepit. Denn als Elzkanzler ist Gerlann bereits Abt, die Erhebung zum Abt ist aber nach der klaren Angabe der Miracula (sie fahren fort: mortuo autem Siherado abbate tribuit ei supra memoratam abbatiam) später als die ebenerwähnte Übertragung des königlichen Siegels erfolgt. 4 BBK. 1384, s. die vorige Anmerkung. 5 Sein Vorgänger in Bergamo, Adalbert, wird 928 zuletzt als Bischof genannt; Recco erscheint in Urkunden von Bergamo seit 938 als Bischof,

LÜPI 1, 1 8 1 .

197.

396

Kanzlei

Hugos und Lothars

von

Italien

Nun erst wurde Petrus Kanzler 1 und blieb in diesem Amte bis zum Sommer 936; noch am 24. Juni dieses Jahres rekognosziert er an Stelle des Erzkanzlers Gerlann; 2 bald danach schieden beide Männer aus ihren Ämtern. Am 5. Oktober 937 unterfertigt der königliche Kapellan Giseprand, ohne einen Erzkanzler zu nennen, regio iussu\ am 12. Dezember dieses Jahres heißt er Notar, seit 938 Kanzler. 3 Das Erzkanzleramt hat seit dem 12. Dezember 937 der Bischof Azzo von Como4, inne, der 940 oder 941 5 durch den Bischof Boso von Piacenza, Hugos natürlichen Sohn, ersetzt wurde. Dieser wiederum wurde nach Berengars II. Erhebung im Jahre 945 abgesetzt, während ungefähr gleichzeitig auch der zum Bischof von Tortona beförderte Kanzler Giseprand aus dem Hofdienst austrat. 9 Nun übernahm zunächst der Bischof Peter von Mantua 7 die Leitung der Kanzleigeschäfte, wurde aber weder Kanzler noch Erzkanzler: er rekognosziert zwei Diplome vom 22. Februar und 24. April 946 regio iussu;8 dann aber, noch im Frühling desselben Jahres, wurden beide oberen Kanzleiämter wieder regelmäßig 1

Zuerst am 17. April 931, FDG. 10, 298 n. 11. Das Diplom für Vienne, C H E V A L I E R , Cartulaire de Saint-Andre-le-Bas de Vienne S. 232 n. 22, gehört trotz des Inkarnationsjahres 937 wegen des Regierungsjahres und der Indiktion zu 936, und dasselbe gilt von dem Diplom vom 17. Mai, HPM. 13 (CD. Langob.), 937 n. 549. In dem nur in späten Abschriften überlieferten Diplom BRK. 1399 vom 15. Juni 937 (HPM. 13, 939 n. 550) ist die Rekognition Gerardus cancellarius ao vice dominus episcopi et archicancellarii (die E. M A Y E R , Italien. Verfassungsgesch. 2, 181 N. 27 ganz arglos benutzt) so stark verderbt, daß auf den Namen Gerardus und auf den Titel eancellarius (statt eapellanus"?) kein sicherer Verlaß ist. Statt ac vice ist natürlich ad vicem zu lesen und in dominus muß der Name des Erzkanzlers stecken: eine Verlesung aus axonis ist paläographisch nicht ausgeschlossen. 3 FDG. 10, 303 n. 14; 305 n. 15; BRK. 1402. — Die beiden Diplome BRK. 1401 und P A S Q U I , CD. Aretino 1. 87 n. 63 ( = FDG. 15, 364 n. 2), sind uneinheitlich datiert, vgl. P A S Q Ü I a. a. 0. 1, 88 N. 1. 4 Nicht Atto von Vercelli, wie noch zuletzt in der Biographie dieses Bischofs von SCHULTZE (Diss. Göttingen 1885) S . 8 angenommen worden ist. 5 Soviel ich bis jetzt weiß, zwischen 20. März 940 und 26. März 941, BRK. 1403 (Rekognition wohl zuverlässig). 1404. 6 Boso wird zuletzt als Erzkanzler genannt am 13. Aug. 945, HPM. Chart. 1, 157 n. 95. Vgl. Liutprand, Antapod. 5, 30, und dazu D Ü M M L E R , Otto d. Gr. S. 140f. — Giseprand heißt episcopus et eancellarius schon am 29. März 945 und rekognosziert zuletzt am 13. Aug. dieses Jahres (HPM. 13 [CD. Langob ], 981 n. 575; Chart. 1, 157). — Während Giseprand Kanzler ist, rekognosziert einige Male der Diakon und Kapellan Theodulf, der sich nur in einem von Lothar allein ausgestellten Diplom vom 27. Mai 945 Kanzler nennt. 7 Er ist wahrscheinlich der fruheie Kanzler. 8 FDG. 10, 310 (= MIÖG. 7, 458); HPM. 13 (CD Langob.), 983 n. 576. 2

Kanzlei Berengars II. und Adalberts von Italien

397

besetzt, das des Erzkanzlers mit dem Bischof Brüning von Asti, das des Kanzlers mit einem Diakon Odelricus. Brüning blieb bis zum Tode Lothars und noch in der ersten Zeit der königlichen Herrschaft Berengars II. im Amte, Odelricus schied nach dem 8. August 948 daraus aus; 1 in den Jahren 949 und 950 sind die Diplome Lothars von einem Kapellan Petrus-Amizo und einem Presbyter Paulus 2 unterfertigt. Das Kanzleramt scheint also unter Lothar nicht wieder besetzt zu sein; und erst Berengar verlieh es an Hubert, den nachmaligen Bischof von Parma. Als dann Otto I. im Jahre 951 nach Italien zog, Berengar am 22. September aus Pavia flüchtete, der deutsche König am 23. in die lombardische Hauptstadt einzog, scheint ein Teil des Kanzleipersonals Berengars zu dem neuen Herrn übergegangen zu sein. Während eine Urkunde Berengars vom 26. September 951 noch von Hubert anstatt Brünings iekognosziert ist,3 wird derselbe Erzkanzler in einer Urkunde Ottos genannt, die ein bisheriger Notar Berengars nur wenige Tage später geschrieben hat. 4 So ist es denn begreiflich, daß Berengar, nachdem seine Herrschaft wiederhergestellt war, seine Kanzlei neu organisierte; das Erzkanzleramt übertrug er dem Bischof Wido von Modena, das des Kanzlers einem gewissen Johannes, den wir nicht weiter kennen, der aber schon im Jahre 951 in Berengars Kanzlei tätig gewesen war.6 Später stand Brüning von Asti wieder 1 Er rekognosziert noch in dem Diplom FICKER, Ital. Forsch. 4, 30 n. 24. Mit dem Bischof Odelricus von Bergamo, der nach dem Nov. 953 ins Amt trat (LDPI 1, 223. 227), ist er wohl nicht zu identifizieren. 8 Petrus-Amizo begegnet in den Diplomen vom 20. Aug. 949 (MIÖG-. 5, 401), 31. März 950 (DÜMG£, Reg. Badensia S. 87 n. 26) und 31. Mai 950 (BRK. 1429); der Ameco, der am 13. Febr. 948 regio iussu unterfertigt, ist gewiß der gleiche Mann. Paulus kenne ich nur aus dem Diplom vom 4. Juni 950, HPM. Chart. 1, 166 n. 100. * BRK. 1433. — Wenn der Ausstellungsort in plebe sancti Marini mit dem heutigen San Marino identisch ist, was durchaus wahrscheinlich ist (vgl. DÜMMLER, Otto d. Gr. S . 195 N. 1 ) , so kann die Datierung nicht einheitlich sein. Denn die Entfernung von Pavia, wo Berengar noch am 22. September urkundete, nach San Marino, etwa 300 Kilometer in der Luftlinie, kann der König auch bei eilender Flucht nicht in vier Tagen zurückgelegt haben. 4 DO. I. 136, vgl. die Vorbemerkung dazu. 5 Das von DÜMMLER, FDG. 15, 366 n. 3 , herausgegebene Diplom ohne Jahresangabe für Sant' Antimo mit der Rekognition Johannes iussu regio ad vieem Burningi episc. et archicane. setze ich wegen der Nennung Brünings zum 24. März 951, nicht wie DÜMMLER vorzog, 952. Der Einwand DÜMMLERs, daß alle anderen Diplome des Jahres 951 von Hubert geschrieben (soll heißen: unterfertigt) seien, hat keine Bedeutung: die Rekognition Johannes' ohne den Kanzlertitel und mit der Formel regio iussu zeigt, daß er nicht Kanzler war,

398

Kanzlei der italienischen Könige im 10. Jahrhundert

in guten Beziehungen zu Berengar, aber sein Amt in der Kanzlei erhielt er nicht zurück, sondern Wido behielt es bis zum Sturze der Herrschaft des Königs; dagegen wurde Hubert im Jahre 958 in das früher bekleidete Kanzleramt wieder eingesetzt und 961 zum Bischof von Parma ernannt; 1 erst nach Berengars Fall ist er mit Wido zu Otto I. übergetreten. Ziehen wir aus diesen Zusammenstellungen das Ergebnis. Die Organisation der italienischen Kanzlei ist mindestens seit der späteren Hälfte der Regierung Berengars I. völlig geordnet: an der Spitze ein Erzkartzier, der meistens Bischof ist, unter ihm als eigentlicher Chef der Kanzlei und Siegelbewahrer2 ein Kanzler, unter diesem ein mehr oder minder zahlreiches Personal von Notaren oder Schreibern. Ganz besonders deutlich tritt die dreistufige Gliederung des Kanzleipersonals in einem Diplom Hugos vom 22. Juli 927 hervor, das ausnahmsweise drei Namen in der Rekognition nennt: Petrus notarius ad vicem Beati •episcopi ei archicancellarii et Oerlanni oanoeliarii reeognovi et subsoripsi.3 Die Scheidung zwischen den Titeln notarius und eancetiarius ist seit Rudolf vollkommen durchgeführt; als Rekognoszent erscheint in der Regel der Kanzler anstatt des Erzkanzlers; Notare oder andere Beamte sind nur ausnahmsweise zur Rekognition ermächtigt worden; mehrfach berufen sie sich dann ausdrücklich auf den königlichen Befehl, und eine solche sie kann also sehr wohl auch während Huberts Kanzlerschaft erfolgt sein. — Die Rekognition Johannes eanc. ad vicem Widonis episc. et archieanc. ist bis jetzt zuerst am 9. Sept. 952 nachweisbar, BEK. 1434. 1 Als Kanzler kommt er zuerst wieder vor am 13. Jan. 958, BEK. 1437. Weshalb er diese Urkunde und das Diplom BEK. 1438 regio iussu ohne Nennung des Erzkanzlers unterfertigt, läßt sich nicht sicher sagen; sollte etwa damals auch die Wiedereinsetzung Brünings erwogen sein, zu der es dann doch nicht gekommen wäre? — Von Berengars Sohn Adalbert allein ausgestellt sind die drei Diplome BEK 1439, PASQUI, CD. Aretino 1, 94 n. 69 (= FDGr. 15, 368 n. 4) und Nuovo Archivio Veneto 16, 97. Das erste hat die Eekognition: Arnims diaeonus iussu regio; derBekognoszent wird vielleicht noch der S. 397 N. 2 erwähnte Petrus-Amizo sein. Das zweite rekognosziert Atalongus (korr. aus Adaiongus; FDG. a.a.O. wird wohl irrig Ialongus gelesen; es ist vielleicht der spätere Bischof Adaiongus von Lucca) diaeonus ad vicem Uberti episeopi et archicaneeüarii (die beiden letzten Worte fehlen wohl versehentlich bei PASQUI). Die Rekognition anstatt Huberts und der diesem gegebene Erzkanzlertitel sind ebenso zu beurteilen, wie die gleichen Erscheinungen, die wir oben S. 394 bei Berengars I. KanzleiJohann von Cremona kennen lernten. Die Eekognition der dritten, undatierten Urkunde lautet: Urso presb. ad vicem domni Lamberti archicancellarii. Die beiden Persönlichkeiten weiß ich nicht näher zu bestimmen. • S. oben S. 395 N. 3. ' Faksimile im Arch. paleografico Italiano Bd. 9 Taf. 6.

Kanxlei Lothars I.

399

Berufung erfolgt regelmäßig, wenn während einer Vakanz oder aus anderen Ursachen nur ein Name in der Rekognition genannt wird. Wir lassen nunmehr eine Übersieht über die Kanzleibeamten Lothars L und seiner Söhne, Berengars L, Widos und Lamberts folgen; für die Beamten der späteren italienischen Könige sei auf die im vorangehenden gegebenen und absichtlich ausführlicher gehaltenen Nachweisungen verwiesen: eine listenmäßige und ganz genaue Zusammenstellung ihres Kanzleipersonals wird sich erst bewirken lassen, wenn die von SCHIAPABELU vorbereitet« Ausgabe ihrer Diplome erschienen sein wird. Lothar I. I. Kanzleivorsteher. 1. W i t g a r 822 Dez. 18—825 Mai 31. MÜHLBACHEB* n. 1015. 1027. — Wird zwischen 827 und 832 Bischof von Turin, stirbt nach 838; vgl. SAVIO, Gli antichi vescovi d'Italia S. 319 f. 2. H e r m e n f r i d 832 Febr. 20—833 Apr. 17. n. 1 0 3 2 . 1 0 3 6 . Vakanz des Kanzleivorsteheramtes 833. 834.

MÜHLBACHEB2

3. A g i l m a r (Egilmar, Algimar) 835 Jan. 24—843 Dez. 15. MÜHLBACHEB2 n. 1046. 1113. — Wird Erzbischof von Vienne nach dem Tode Bernhards (gestorben 23. Jan. 842; DÜMMLEB, Ostfränk. Reich 1*, 147). MÜHLBACHEB1 n. 1111. 4. H i l d u i n 844 Febr. 17—855 Sept. 19. MÜHLBACHEB» n. 1114. 1173. 1 — 842—848 designierter Erzbischof von Köln; 852 Abt von Bobbio; 2 MÜHLBACHEB2 n. 1156. 1157. 1 Dieser Anordnung widersprechen scheinbar MÜHLBACHEB ' n. 1 0 9 5 . 1 1 1 0 , deren erstere ad vieem Hilduins rekognosziert ist, während die zweite ihn im Text summus notarius nennt, aber ad vieem Agilmars unterfertigt ist. Allein diese letztere Urkunde, die schon SIMSON, Ludwig d. Fr. 2 , 1 1 8 X . 1 , fur gefälscht erklärt hatte, hält jetzt auch MÜHLBACHEB für sehr verdächtig; und in der ersteren, deren Datierung übrigens nicht unverderbt ist, mögen sich die Jahresdaten auf die Handlung beziehen, während die Beurkundung erst in Hilduins Amtszeit fallen kann. * In MÜHLBACHEB* n. 1132 (Or. in Paris) vom 3. Jan. 848 wird Hilduin toeatus archiepiscopus saerique palatii nostri notarius summua genannt. Daß er mit dem Hilduin identisch ist, dessen Ernennung zum Erzbischof von Köln die Ann. Colon, brevissimi 842 ( M G . SS. 1, 97) melden haben PABISOT, Le royaume de Lorraine S. 743ff., und MÜHLBACHEB' n. 1132 gezeigt, vgl. auch L O T , Le Moyen âge 1903 S. 264. Daß er Abt von Bobbio war, ergibt sich mit voller Sicherheit aus dem Diplom Ludwigs II., MÜHLBACHEB'* n. 1217. Dagegen

Kanzlei

400

Lotkars

I.

II. Notare. 1. M a r e d o 823 Juni 4 — 8 2 4 Jan. 3. MÜHLBACHER 2 n. 1019. 1020. — Vielleicht identisch mit Macedo, Notar Ludwigs des Frommen 820, s. oben S. 386. 2. L i u t h a d 825 Febr. 1 4 — 8 3 3 Dez. 18. MÜHLBACHER 2 p. 1022. 1041. 3. D r u c t e m i r , Subdiakon, 8 3 2 Febr. 2 0 — 8 4 0 Dez. 1 5 . MÜHLBACHER2 n. 1032. 1077. — Später Kanzleichef Ludwigs II., s. unten. 4 . B a l s a m u s 8 3 4 Apr. 7—Juni 2 5 . MÜHLBACHER 2 n. 1 0 4 4 . 1 0 4 5 . 5 . E i c h a r d , Subdiakon, 8 3 9 Aug. 1 7 — 8 4 3 Aug. 2 2 . MÜHLBACHER 2 n. 1 0 6 4 .

1106.

6. R e m i g i u s 8 4 0 Dez. 4 — 8 5 1 Sept. 8. 7. 8.

9.

10.

MÜHLBACHER 2 n. 1 0 7 6 . 114 7. 1 — Später in der Kanzlei Ludwigs II., s. unten. E r c a m b o l d 8 4 1 Sept.L—855Sept.L9. MÜHLBACHER 2 n. 1 0 8 8 . 1173. — Später Kanzleichef Lothars II., s. unten. F i r m a n d u s 8 4 2 Nov. 1 2 . MÜHLBACHER 2 n. 1 0 9 4 . G l o r i u s 8 4 3 Jan. 2 1 . MÜHLBACHER 2 n. 1 0 9 6 . — Früher Notar Ludwigs des Frommen, s. oben S. 38 7. 2 D a n i h e l 8 4 3 Aug. 2 2 — 8 4 9 Okt. 1 8 . MÜHLBACHER 2 n . 1 1 0 5 . 3 1139. — Wahrscheinlich früher Notar Ludwigs des Frommen, d. oben S. 387.

kann ich dem Versuche L O T S a. a. 0 . S. 2 6 8 f f . (vgl. auch Le Moyen âge 1 9 0 4 S. 338), dem die letztere Urkunde entgangen ist, ihn mit Hilduin, Abt von Saint-Denis, dem Erzkapellan Ludwigs des Frommen, zu identifizieren, der von Karl dem Kahlen verdrängt, in Lothars Dienst getreten wäre, nicht zustimmen. 1 S. oben S. 389. Er erscheint in den Rekognitionen nur bis 848 März 16 ( M Ü H L B A C H E R 2 n. 1133), dann aber noch in den tironischen Noten von n 1147, vgl. AfU. 1, 140. 142. * Seine Identität mit dem gleichnamigen Notar Ludwigs des Frommen, der 839 vorkommt (oben S. 387), ist durch die tironischen Noten von M Ü H L B A C H E R 2 n. 1096 völlig gesichert, indem er hier versehentlich ad vicem Hugonis (des Kanzleichefs Ludwigs) statt ad vicem Agilmari (des Kanzleichefs Lothars) rekognosziert, vgl. AfU. 1, 141. Aber es ist sehr möglich, daß er auch mit dem aus Ferrières entlaufenen Mönche G. identisch ist, den Lothar in das Kloster zurückschickte, aber nichtsdestoweniger in officio condendarum epistolarum (d. h. in der Kanzlei, s. oben S. 382 N. 1) weiter zu verwenden wünschte, was der Abt Lupus indes nicht gestattete (vgl. MG. Epp. 6 [Karol. 4], 93 n. 108). Man muß dann annehmen, daß er vor 839, des klösterlichen Lebens überdrüssig, sich an den Hof Ludwigs begeben hat und später in Lothars Dienst übernommen wurde, bis ihn der Abt Markward von Prüm zur Reue bewog, vgl. die Briefe a. a. 0 . S. 91 n. 105; 94 n. 109. Sein nur sporadisches Auftreten unter Lothar erklärt sich auf diese Weise sehr einfach. 3 Über M Ü H L B A C H E R * n. 1095 s. Note 1 S. 399.

Kanzlei

Ludwigs

II. von

Italien

401

11. H r o d m u n d 843 Febr. 1 7 — 8 5 5 Juli 9. MÜHLBACHER2n. 1097. 1172. — Wird Notar Lothars IL, s. unten.

Ludwig II. von Italien. I. Kanzleivorsteher. 1. D r u c t e m i r 851 Jan. 1 0 — 8 6 1 Jan. 13. MÜHLBACHER2 n. 1181. 1220. — Früher Notar Lothars I. 8 6 3 Bischof von Novara; vgl. SB. der Wiener Akademie 49, 3 0 9 u n d SAVIO a. a. 0 . S . 2 5 6 .

2. R e m i g i u s 861 Febr. 26—März 6. MÜHLBACHER2 1 2 2 1 . 1 2 2 2 ; vorher höher gestellter Notar. — 861 Abt von Leno; MÜHLBACHER 2 n . 1 2 2 1 .

3. J o h a n n e s 864 Febr.—865 April. MÜHLBACHER2 1223. 1227. 1228.

1230».

II. Notare. 1. R e m i g i u s , Subdiakon, 851 Jan. 1 0 — 8 6 0 Okt. 7. MÜHLBACHER2 n. 1 1 8 1 . 1 2 1 7 . — Schon in der Kanzlei Lothars I. in einer den anderen Notaren übergeordneten Stellung; wird 8 6 1 Kanzleichef. 2. T h e o d a c r u s , Diakon, 8 5 1 Juni 2 7 — 8 5 7 Jan. 11. MÜHLBACHER 2 n . 1 1 8 2 .

1209.

3. A d a l b e r t 8 5 1 Okt. 5 — 8 6 4 Sept. 19. MÜHLBACHER2 n. 1183. 1 2 2 5 , vgl. 1 2 2 8 . 4. R a i n u s 852 Jan. 2 9 — 8 5 5 Febr. 8. MÜHLBACHER2 n. 1184. 1 1201. 5 . W e r i m b o l d 8 5 2 D e z . 5 — 8 5 7 J u n i 2 0 . MÜHLBACHER 2 n. 1 1 9 1 .

1212. 6. H e r i c u s 8 5 3 Juli 4. 7. R e g n i m i r

854

MÜHLBACHER2 n. 1194, vgl. 1195.

Aug. 17.

MÜHLBACHER n .

1199.

8. P l a t o 856 Mai 1 9 — 8 5 8 März 30. MÜHLBACHER2 n. 1207. 1216. — 871 Bischof von Pisa; MÜHLBACHER2 n. 1250. III. Rekognoszierende und als Notare fungierende Hofgeistliche. 1. G a u g i n u s , sacerdos, capellanus, 866 Juli 4 — 8 7 4 Okt. 13. MÜHLBACHER 2 n . 1 2 3 5 .

1268. —

8 7 4 Dez. Bischof von Vol-

terra; MÜHLBACHER Reg. 2 n. 1273. 2. L e u d o i n , sacerdos, archipresbyter palatinus, 869 Mai 2 5 — 8 7 0 Juni 3. MÜHLBACHER2 n. 1241. 1245. Rekognosziert nur ad vicern des Kapellans F a r e m u n d u s . — 871 Bischof von Modena; MUHATORI, Antiquitates Ital. 2, 1115. 1

Daß in M Ü H L B A C H E R 2 n. 1 1 8 4 Raberius wahrscheinlich aus Rainus und nicht aus Remigius verderbt ist, wird daselbst S. CX mit Recht bemerkt. BreBlau, UrkundcnMire. 3. Aufl. I. 26

402

Kanxlei Lothars IL, Karts von Provence, Berengars I. 3. G i s e l b e r t ,

presbyter,

BACHER8 n . 1 2 5 2 .

872 Jan. 6—874 Nov. 1.

MÜHL-

1272.

A d a l g i s , Diakon, 8 7 4 Okt. 9 . M Ü H L B A C H E R 2 n. 1 2 6 6 . 5. H e l i a s . Diakon und Abt, 8 7 4 Dez. 8 . M Ü H L B A C H E R 2 n. 1 2 7 3 .

4.

I. Kanzleivorsteher. MÜHLBACHEK2

Lothar II. 1. E r c a m b o l d 856 Febr. 11—865 Juli 4. n. 1278. 1307. — Früher in der Kanzlei

Lothars I. 2. G r i m b l a n d 866 Jan. 15—869 Febr. 1. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1308. 1324. — 867 Gesandter in Rom; M Ü H L B A C H E B 2 n. 1316, vgl. DÜMMLEB, Ostfr. Reich 2 2 , 161. II. Notare. 1. H r o d m u n d 855 Nov. 9—866 Jan. 17. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1277. 1309.1 — Früher in der Kanzlei Lothars I. 2. D a n i e l 858 Jan. 2. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1283. — Wohl noch identisch mit dem gleichnamigen Notar Ludwigs des Frommen und Lothars I. 3. B e r n h a r i u s 865 Juli 4. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1307. 4. B e r l a n d (Gerland?) 867 Jan. 17. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1314.

L Kanzleivorsteher.

Karl von Provence. B e r t r a u s 858 Jan. 16—862 Dez. 22.

BACHER2 n . 1 3 2 7 .

MÜHL-

1334.

II. Notare. 1. D e i d o n u s 856 Okt. 10—858. 1329. 2. A u r e l i a n u s 861 Juli 14.

MÜHLBACHEB2

MÜHLBACHEB2

n. 1326.

n. 1332.

Berengar I. I. Erzkanzler. 1. A d e l a r d , Bischof von Verona. 888 März 21 bis 894 Dez. 2. D. Ber. I. 2. 13.2 2. P e t r u s , Bischof von Padua, 896 Juli 29—900 März 11. D. Ber. I. 15. 30. 3 — Vorher Notar und cancellarius. 3. L i u t a r d (wahrscheinlich Bischof von Alba)4 900 Mai 24 bis Nov. 10. D. Ber. I. 31. 33 — Vorher Notar. 1

Hrodmunds Unterordnung unter Ercambold und Grimbland ergibt sich

aus MÜHLBACHEB4 n. 1296. 1308. 1309.

' Lebt noch 906 Sept. 1, Gloria, CD. Padovano 1, 39 n. 26. 8 In Padua ist Petrus nach 900 nicht mehr nachweisbar; wahrscheinlich ist er bald nachher gestorben. 4

Vgl. SAVIO, Gli antichi vescovi d'Italia 1, 53.

Kanzlei

Berengars I. von Italien

403

4. V i t a l i s , Bischof von Vicenza, 901 Aug. 23. D. Ber. I. 34. — Vorher Notar und caneellarius. 5. G a r i b a l d , Bischof von Novara, 9 0 2 Aug. 1. D. Ber. I. 36. 1 6. A r d i n g , Bischof von Brescia, 9 0 2 Aug. 7 — 9 2 2 März 25. D. Ber. I. spur. 7. 2 D. Ber. I. 137. II. Notare und cancellarli. 1. P e t r u s I. 888 März 21—Mai 8. D. Ber. 2. 4. 3 — Wird Bischof von Padua und 895 oder 896 Erzkanzler. 2. L i u t a r d 889 Aug. 18. D. Ber. I. 5. — Wird Bischof (wahrscheinlich von Alba) und 900 Erzkanzler. 3. R e s t a l d 889 Sept. 1 0 — 8 9 9 Jan 6. 4 D. Ber. I. 6. 25. — Wird wahrscheinlich Bischof von Acqui. 4. T e u d e b e r t 890 Febr. 2 8 — 9 0 1 Aug. 23. D. Ber. I. 7. 34. 5. V i t a l i s 896 Apr. 3 0 - 8 9 8 Dez 7. D. Ber. I. 14. 24. — Wird Bischof von Vicenza und 9 0 1 Erzkanzler. 6. M a r t i a n u s 896 Juli 2 9 - 8 9 9 Aug. 19. D.Ber. I. 15. spur. 4. 5 7. P e t r u s II. 898 Nov. 6 — 8 9 9 März 28. D. Ber. I. 20. 27. 8. B e a t u s 900 März 1 1 - 9 0 3 Febr. 5. D. Ber. I. 30. 39. — Kapellan 908 Apr. 24, D.Ber. I. 66; wird Bischof von Tortona und 924 Erzkanzler Rudolfs. 9. P e t r u s III. 902 Juli 1 7 — 9 2 0 Okt. D. Ber. I. 35. 131.« 1

Stirbt um 905. ' Rekognition und Datierung stammen höchstwahrscheinlich aus echter Vorlage; die erste jedenfalls in der Hauptsache echte Urkunde, in der er vorkommt, ist D. Ber. I . 3 8 (vgl. SCHIAPABELLI, Diplomi di Berengario S . 5 0 9 ) vom 1 9 . Jan. 9 0 3 . * Er heißt in diesen Diplomen immer eancellarius. D. Ber. I. 1 ohne Tagesdatum, wo er Notar genannt wird und iussione regia ohne Nennung des Erzkanzlers unterfertigt, ist wahrscheinlich vor D. Ber. I. 2 ausgestellt. Unmöglich wäre aber auch nicht, daß der Petrus notarius von D. Ber. I. I von dem gleichnamigen eancellarius in D. Ber. I. 2—4 zu unterscheiden und mit dem Petrus notarius von DD. Ber. I. 35 zu identifizieren wäre. — Wahrscheinlich ist, wie SCHIAPABELLI vermutet, der Notar und spätere Kanzler mit dem clericus und cappellanus Petrus identisch, dem Berengar noch als Herzog 881 ein Geschenk Karls I I I . auswirkte ( M Ö H L B A C H E K 8 n. 1618). 4 In der Rekognition des D. Ber. I. spur. 5 vom 8. Juli 900 könnte der Name Restus aus Restaldus verderbt sein; aber zum Datum paßt der Name des Erzkanzlers Ardingus nicht, und es ist also kein Gebrauch davon zu machen. 5 Das Eschatokoll von D. Ber. I. spur. 4 stammt aus echter Vorlage. Die letzte echte Urkunde mit seiner Rekognition ist D. Ber. I. 28 vom 25. April 899. 4 Vielleicht identisch mit Petrus II. oder mit dem oben N. 3 erwähnten Petrus notarius des D. Ber. I. 1. 26*

404 10. A m b r o s i u s , Diakon, 1 902 Aug. 1 — 9 1 3 Mai 25. D.Ber. I. 36. 89. — Wird wahrscheinlich Bischof von Mantua. 11. F o r t u n i u s 904 Jan. 4. D. Ber. I. 42. 12. J o h a n n e s 908 Apr. 2 4 — 9 2 2 Juli 28. D. Ber. I. 66. 138. — Wird 915 oder 916 Bischof von Cremona. 2 13. H e r m e n f r e d , Subdiakon, 9 1 7 / 1 8 Dez. 18—923. D. Ber. I. 120. 139. 3 Wido. I. Erzkanzler. H e l b u n c u s 889 Mai 2 7 — 8 9 4 April. DW. 1. 21. — Vor der Kaiserkrönung mit dem Titel Kanzler. Bleibt Erzkanzler Lamberts. II. Notare. 4 1. H e u r a r d 890 Apr. 2 3 — 8 9 2 . DW. 2. 19. Heißt nur capellanus. — Wird Bischof von Piacenza. 2. G o d e r a d 891 Febr. 2 1 — 8 9 2 Sept. 14. DW. 4. 18. 3. M o r o n t i u s , presbyter, 891 Mai 14—Juni 20. DW. 8. 9. 4. D i v o 892 Mai 1—Juli 11. DW. 13. 16. 5. R i m p e r t 892 Juli 18. DW. 17. 6. A i n g l i n u s (Eglinus, Englinus) 8 9 3 Apr. 11. DW. 20. — Bleibt Notar Lamberts. 7. H e i m e r i c u s 894 April. DW. 21. — Bleibt Notar Lamberts. Lambert. I. Erzkanzler. 1. H e l b u n c u s 895 Jan.—896 Mai 4. D. Lamb. 1. 4. — Vorher Erzkanzler Widos. Wird wahrscheinlich 896 Bischof von Parma. 2. A m o 1 o, Bischof von Turin, 898 Mai 21—Sept. 30. D. Lamb. 8 . 1 1 . 1 Mit diesem Titel in den Placiten DD. Ber. I. 73. 74. Capellanus in der Unterschrift von D. 74 ist gewiß für eaneellarius (vgl. D. 73) verschrieben oder verlesen. 1 S13 schenkt ihm Berengar, indem er ihn als elericus et fidelissimus eaneellarius bezeichnet, ein Gut bei der Arena von Verona (D. Ber. I. 89). Daher kann es kein Zweifel sein, daß er mit dem Iohannes elericus de Verona des D. Ber. I. 74 und dem Iohannes elericus des D. Ber. I. 73 identisch ist. In dem ersteren Placitum unterzeichnet er hinter, in dem letzteren vor dem eaneellarius Ambrosius. Seine Herkunft aus Verona steht also fest (vgl. auch D. Ber. I. 58). — Über den Erzkanzlertitel Johannes' in D. Ber. I. 138 s. oben S. 394. 3 In DD. Ber. I. 120. 121. 123 (und im Kontext von D. 126, das für ihn ausgestellt ist) heißt er capellanus, in D. 122 notarius, in D. 139 eaneellarius. Er war nach D. 126 Subdiakon von Verona und stand also wahrscheinlich in persönlichen Beziehungen zu Johannes. 4 Über die Titel s. oben S. 393.

405 II. Notare.1 1. Heimericus 895 Jan.—Dez.6. D.Lamb. 1. B. — Vorher Notar Widos. 2. A i n g l i n u s 896 Mai 4—898 Juli 27. D. Lamb. 4. 9. — Vorher Notar Widos. 3. Andreas 898 Mai 21—Sept. 30. D. Lamb. 8. 11.

Wenden wir uns nun dem ostfränkischen Reiche zu, so haben wir unter Ludwig dem Deutschen eine Entwicklung der Kanzleiorganisation festzustellen, die nicht nur auf die Ordnung des späteren deutschen und italienischen Urkundenwesens für alle Zeit bestimmend eingewirkt, sondern auch auf den gesamten Verlauf der deutschen Verfassungsgeschichte nachhaltigen Einfluß ausgeübt hat.2 In den ersten Jahrzehnten seiner Regierung freilich herrscht, wie in der Kanzlei Lothars I., so auch in der L u d w i g s des D e u t s c h e n ganz die Ordnung, die in der seines Vaters seit 819 eingeführt war. Die Männer, die nacheinander an der Spitze der Kanzlei stehen: Gauzbald, Abt von Niederaltaich (bis 27. Mai 833), 3 Grimald, Abt von Weißenburg (bis zum 23. September 837), 4 Ratleic, Abt von Seligenstadt (bis 18. Mai 854), unterfertigen nicht selbst, aber die Urkunden werden nur in ihrem Namen rekognosziert.5 Die Kanzleivorsteher führen in den Unterschriftszeilen keinen Titel, werden aber von ihren Untergebenen in den tironischen Noten magistri genannt; einmal heißt Grimald im Kontext einer Urkunde8 summus cancellarius. Die Reko1

Über die Titel s. oben S. 393. Vgl. für das Folgende SICKEL, B Z D . 1 . 2 . 7 ; KUiA. Lief. VII Text; 2 MIHLBACHER, Reg. S. XCVIIIff.; Die Urkunden Karls III., SB. der Wiener Akademie 9 2 , 3 3 1 ff.; TANGL, AfU. 1 , 1 6 2 f f . 2 , 178ff.; SEELIQER, Erzkanzler und Reichskanzleien (Innsbruck 1 8 8 9 ) ; Historische Vierteljahrschrift 1 1 , 75 ff.; W A I T Z , V G . 6 2 , 337ff. 345ff.; LÜDERS, AfU. 2 , LFF.; MÜLLER, Die Kanzlei Zwentibolds (Piss. Bonn 1 8 9 2 ) ; E R B E N , U L . S . 4 9 FF. 3 Auch hier, wie bei Lothar I., s. oben S. 387, also ein Wechsel in der Leitung der Kanzlei zur Zeit und gewiß aus Veranlassung der Katastrophe dieses Jahres. 4 Aus der Zeit von da bis zum Dez. 840 liegen keine Urkunden vor. 5 Das Fehlen des Namens des Kanzleichefs in MÜHLBACHER 4 n. 1395 beruht sicher (sowie der Kanzlertitel des Notars in dieser Urkunde) auf einem Überlieferungsfehler; ebenso wahrscheinlich der erstere Umstand in MÜHL2

BACHER 2 n .

1381.

n. 1 3 5 7 . Ebenso Ratleicus in den tironischen Noten von n. 1 3 6 6 , vgl. SICKEL zu KUiA. Lief. III, Taf. 1 0 ; TANGL, A f U . 1, 1 5 1 . Auch in dem nur abschriftlich überlieferten Diplom MÜHLBACHER 2 n. 1 3 4 0 , wo ' MÜHLBACHER 2

MÜHLBACHER 2

406

Kanzlei

Ludwigs

des Deutschen.

Kapelle

gnoszenten bezeichnen sich je nach der Gewohnheit des Einzelnen mit ihrem geistlichen (Subdiakon- oder Diakon-) oder mit ihrem amtlichen Notartitel. Im Jahre 854 1 aber trat nun eine wichtige Veränderung in diesen Verhältnissen ein. Als damals der Kanzleichef ßatleic starb, übertrug der König, 2 dem nicht gleich eine passende Persönlichkeit für dies Amt zur Verfügung stehen mochte, die oberste Leitung der Kanzlei abermals dem Abt Grimald von Weißenburg 3 und jetzt auch von St. Gallen, der sie schon einmal versehen hatte. Der aber war damals nicht bloß Abt, sondern er war zugleich der Inhaber eines anderen hochangesehenen Hofamtes; er war Chef der königlichen Kapelle. Die Kapelle der Frankenkönige 4 hatte ihren Namen von dem Mantel (cappa, cappella) des heiligen Martin von Tours, der im 7. Jahrhundert als eine besonders hochgeschätzte Reliquie von den Herrschern Neustriens auf ihren Reisen durch das Reich mitgeführt, während des Aufenthalts in einer Pfalz in deren Betraum aufbewahrt und nach späteren, aber glaubwürdigen Angaben auch in die Schlacht mitgenommen wurde. Seit dem Anfang des ». Jahrhunderts befand er sich im Besitz der karolingischen Hausmeier; seine Bewahrung und Bewachung war Hofgeistlichen anvertraut, die deshalb cappellani genannt wurden 5 und diesen Namen behielten, auch als die Verehrung des Gewandes des heiligen Martin ihre hervorragende Bedeutung in der karolingischen Zeit nicht in vollem Umfang behauptete. Im Laufe des 8. Jahrhunderts wurde der Ausdruck cappella auch auf die in den Pfalzen befindlichen, kirchGauzbald im Texte sacri palatii summus capellanus genannt wird, ist statt capellanus sicher caneellarius zu lesen; vgl. zuletzt E R B E N , U L . S . 5 2 N . 1 ; LÜDERS 1

S.

67.

Die Annahme M Ü H L B A C H E R S (Reg.2 S. XCIX), daß Grimald erst 856 zum obersten Kanzleichef ernannt sei, und daß die beiden schon 854 in seinem Namen rekognoszierten Urkunden n. 1409 und 1410 als Ausnahmefälle zu betrachten seien, kann ich nicht teilen. In M Ü H L B A C H E R - n. 1409 lauten die tironischen Noten Grimaldus abba scribere preeepii; genau in derselben Weise bezeichnet derselbe Rekognoszent in M Ü H L B A C H E R 2 n. 1374. 1382. 1383. 1397. 1399. 1404 den Befehl des Ratleic ( T A N G L , AfU. 1, 152f.); also wird auch die Stellung Grirnalds dieselbe gewesen sein wie die Ratleics. 3 Spätestens im Juli 8 5 4 , vgl. M Ü H L B A C H E R - n. 1 4 0 9 . 3 Weißenburg hatte er von 8 4 0 — 8 4 6 dem Erzbischof Otgar von Mainz überlassen müssen, 846 aber zurückerhalten, vgl. ZEUS:., Cod. trad. Wizenbuvg. S. 351. * Vgl. 5

LÜDERS

a. a. 0 .

S . 8 ff.

Dieser Ausdruck ist zuerst 741 in D. Arn. nachweisbar, vgl. L Ü D E R S S. 18.

1 4 (ML;HLBACHER?

U. 4 3 )

sicher

Kapelle und Kanzlei

407

liehen Zwecken geweihten Räumlichkeiten angewandt, 1 in denen der Mantel Martins und andere hochgehaltene Reliquien, aber auch kirchliche Geräte, Gewänder, Bücher, gelegentlich auch Urkunden aufbewahrt wurden; im 9. Jahrhundert wurden an den von den Königen meist besuchten Pfalzen: Aachen, Diedenhofen, Frankfurt, Regensburg u. a., eigene Kirchen, die nun gleichfalls als Pfalzkapellen oder königliche Kapellen bezeichnet werden, zu diesem Behufe errichtet, deren Zusammenhang mit dem Hofe sich aber später lockerte und die sich dann zu besonderen Stiftern entwickelten. Daneben blieb aber auch für die Gesamtheit der dauernd am Hofe lebenden Kleriker, der aappellani, die Benennung cappella im Gebrauch; 2 ihr Chef, dessen Amt von Pippin, wahrscheinlich gleich nach seiner Thronbesteigung, geschaffen worden ist, wurde zunächst wie die ihm untergebenen Geistlichen als cappellanus, gelegentlich auch als archipresbyter (vom Papste sogar als archipresbyter Franciae), cuslos cappellae oder primicerius oappellae,3 seit der Zeit Ludwigs des Frommen aber als der erste, oberste Kapellan, bald immer häufiger und zuletzt ausschließlich als der Erzkapellan des Königs bezeichnet.4 Seine Stellung war höchst einflußreich, indem er in gewissem Sinne die Funktionen eines modernen Oberhofpredigers mit denen eines Ministers der geistlichen Angelegenheiten in einer Person vereinigte. Wie er die kirchlichen Handlungen am Hofe vollzog oder unter seiner Leitung vollziehen ließ, so hatte er auch den Vortrag in allen kirchlichen Angelegenheiten beim König; über Bitten, Beschwerden, Streitigkeiten der Geistlichkeit des Reiches erstattete er dem König Bericht und gab seinen Rat; endlich standen die gesamten am Hofe lebenden Geistlichen unter seiner obersten Aufsicht und Disziplin. Eine scharfe und bestimmte Trennung der Kanzlei von der Kapelle, wie sie früher wohl angenommen worden ist,5 hat wahrscheinlich nie1 Der erste Beleg fiir'diesen Sprachgebrauch, den L Ü D E R S S. 4 6 beibringt, gehört dem Jahre 765 an; sehr wahrscheinlich aber ist er schon einige Jahrzehnte vorher entstanden. 2 Aus diesem Sprachgebrauch erklärt sich die Bezeichnung des Erz-

kapellans als sanetae capellae primieerius bei Alcuin, Ep. 90, MG. Epp. 4

(Karol. 2), 134, in der das Wort capella ebensowenig räumlich gefaßt werden kann, wie in dem D. Kar. 162, in dem 788 von Angilram gesagt wird qui et

sanclam eapellam palacii noslri gubernare tidetur. 3

4

LÜDERS S . 2 5 f . 2 9 .

30.

Vgl. L Ü D E R S S. 56 ff. Uber den ihm von Hinkmar zu Unrecht beigelegten Titel apoerisiarius s. L Ü D E R S S. 93 ff. 5 Die Ansicht geht auf S I C K E L , Acta 1, 1 0 1 , zurück, der die Kanzlei als ein von der Kapelle ,.ganz gesondertes Amt" betrachtet, auf dessen Ge-

408

Kapelle und Kanzlei

mals bestanden. Von Hitherius, dem Notar Pippins und Karls des Großen, und von Maginarius, dem Kanzleichef Karlmanns, wissen wir, daß sie auch Kapellane waren, und wir erfahren das nicht etwa aus den von ihnen unterfertigten Urkunden, sondern aus andersartigen Zeugnissen, die zufällig auf uns gekommen sind; es ist also keineswegs ausgeschlossen, daß auch noch andere Kanzleibeamte der ersten Karolinger, für die uns solche Zeugnisse vielleicht nur ebenso zufällig fehlen, der Kapelle angehört haben. Von Adarulf, der im Jahre 777 das Testament des Erzkapellans Fulrad schrieb, aber auch in der Kanzlei als Schreiber beschäftigt wurde, 1 ist es höchst wahrscheinlich, daß er der Kapelle angehörte. 2 Wie Adarulf allem Anschein nach durch Fulrad, so ist gewiß Dominicus unter Ludwig dem Deutschen durch dessen Erzkapellan Baturich von Regensburg in die Kanzlei eingeführt worden, da er auch in privaten Regensburger Geschäften für den Erzkapellan tätig war; 3 daß er auch der Kapelle angehört hat, ist nicht ausdrücklich bezeugt, aber unter diesen Umständen nahezu mit Sicherheit anzunehmen. Daß in Italien die persönlichen Beziehungen zwischen Kanzlei und Kapelle nicht minder deutlich hervortreten, haben wir schon gesehen; in der letzten Zeit Ludwigs II., 4 ebenso aber auch unter Berengar I. und unter Wido, 5 dann wieder in der letzten Zeit Lothars 6 sind sie bestimmt nachzuweisen. Aber nicht bloß auf diejenigen in der Kanzlei tätigen Kleriker, die uns als Kapellane zufällig bekannt sind, sondern auf ihr ganzes Beamtenpersonal, den Kanzleivorsteher nicht ausgeschlossen, bezogen sich die disziplinaren Oberaufsichtsrechte des Erzkapellans, und wenigstens in dieser Beziehung kann er bestimmt als Vorgesetzter auch des Kanzleileiters bezeichnet werden. Und auch an einem gewissen Einfluß auf die Kanzleigeschäfte fehlte es ihm nicht; wie die Ausstellung nicht weniger Urkunden für

bahren der Erzkapellan keinen Einfluß genommen habe, und der in der Durchführung dieser Lehre so weit ging, das Zeugnis der Vita Hadriani, dem zufolge Hitherius Notar und Kapellan war (s. oben S. 373 N. 8), für unglaubwürdig zu erklären. Seine Lehre hat dann, allerdings etwas abgeschwächt, alle späteren Darstellungen, auch die der ersten Auflage dieses Buches, beeinflußt. Dagegen hat neuerdings namentlich TANGL, AfU. I, 162 ff., sehr berechtigten Einspruch erhoben. Vgl. zu dieser Frage SEELIGEK, Hist. Vierteljahrschr. 11, 76ff.; LÜDERS S. 36ff., der aber zu keiner eigentlichen Entscheidung gelangt, und TANGL, AfU. 2, 178 ff. 1 2 S. oben S. 385 N. 4. So schon TANGL, NA. 32, 181. s 4 S. unten S. 431 mit N. 1. S. oben S. 390. 401. 5 S. oben S. 403 mit N. 3; 404 mit N. 3. (Petrus, Beatus, Hermenfredus, Heurardus). « S. oben S. 397.

Der Erzkapellan als Kanzleichef 854

409

geistliche Empfänger auf seinen Vortrag beim Herrscher erfolgte, so hat er auch zwar keineswegs allein, aber doch häufiger als andere den königlichen Beurkundungsbefehl der Kanzlei übermittelt. 1 Darüber hinaus aber ist eine Einmischung des Erzkapellans in den Geschäftsgang in der Kanzlei nicht nachweisbar; wenn in einer Urkunde Karls des Großen 2 bezeugt ist, daß der Erzkapellan Hildebald sich an ihrer Vollziehung in nicht näher bestimmter Weise beteiligt hat, so ist das doch wohl nur als ein Ausnahmefall zu betrachten, 3 der zu weitergehenden Schlüssen nicht berechtigt; nach allen anderen Diplomen, deren Firmierung oder Besiegelung in ihren stenographischen Notizen erwähnt wird, sind es immer Kanzleibeamte, die den Auftrag dazu geben oder sie ausführen. Deshalb war es doch etwas Neues, was eintrat, als Ludwig im Jahre 854 seinen Erzkapellan auch zum eigentlichen Chef der Kanzlei erhob. Eine vollständige Verschmelzung des Personals von Kanzlei und Kapelle wurde dadurch wohl nicht herbeigeführt, wenngleich es jetzt noch näher lag als zuvor, daß Mitglieder der Kapelle mit Dienstleistungen in der Kanzlei beauftragt wurden. Von größerer Bedeutung aber war der Vorgang in anderer Hinsicht. Es war unmöglich, daß der Erzkapellan, dem — abgesehen von der Verwaltung seines Klosters, die ihn zuzeiten nötigte, sich vom Hofe zu entfernen — auch bei seiner Anwesenheit daselbst eine Menge anderer amtlicher Funktionen oblagen, dem Dienste in der Kanzlei dieselbe Zeit und Aufmerksamkeit widmen konnte, wie die früheren, ausschließlich zu diesem Zwecke angestellten Kanzleivorsteher. Er mochte allgemeine Anordnungen dafür treffen und eine oberste Aufsicht darüber ausüben; er mochte auch, so oft es anging, persönlich das Beurkundungsgeschäft leiten: jedenfalls bedurfte man neben ihm noch eines anderen Beamten, der in Fällen der Behinderung des Erzkapellans den eigentlichen Bureaudienst überwachen konnte. So kam man denn schon im Jahre 855 auf die Ernennung eines Kanzleivorstehers zurück, welches Amt zunächst auf kurze Zeit von einem sonst nicht näher bekannten Abt Baldrich, der keinen Amtstitel führte, dann mindestens seit dem Februar 858, während Grimald längere Zeit dem Hofe fernblieb, vom Abt Witgar von Ottenbeuern verwaltet wurde, der sich regelmäßig den Kanzlertitel beilegen ließ. Daß beide Kanzler (denn auch Baldrich dürfen wir als 1 So noch unter Ludwig dem Deutschen; viermal werden Ambasciatoren in seinen Urkunden genannt, und in zwei dieser vier Diplome überbringt der Erzkapellan den Befehl, vgl. A f U . 1, 182 mit N. 2.

4 3

D. Kar. 206: Hilrlebaldus ita firmavit, vgl. Tanol, AfU. 1, 103. 163. Mehr Gewicht seheint Tanoi., A f U . 2, 179, auf diesen Fall zu legen.

410

Kanzlei

Ludwigs

des Deutschen.

Kanzler

solchen ansehen) nicht die gleiche Stellung wie die früheren Kanzleivorsteher einnahmen, sondern dem Erzkapellan als oberstem Kanzleichef untergeordnet waren, läßt sich für die Kegierung Ludwigs des Deutschen nicht so bestimmt erweisen, wie für die seiner Nachfolger, ist aber schon für diese Zeit sehr wahrscheinlich. 1 Persönlich rekognosziert haben 1

An dieser von SICKEL vertretenen Auffassung halte ich ungeachtet des Widerspruches, den S E E L I Q E R , MÜHLBACHER und E B B E N dagegen erhoben haben, mit Entschiedenheit fest, und ich sehe keinen maßgebenden Grund, der gegen sie spräche. Daß weder Baldrich noch Witgar in der Rekognition als Vertreter Grimalds genannt werden (vgl. D Ü M M L E R , Ostfr. Reich 22,437), kann nicht befremden; denn dieRegel, daß die Rekognitionen eigenhändig sind, wird im allgemeinen unter Ludwig dem Deutschen noch streng beobachtet, und keiner von beiden Männern hat sich an dem Schreibgeschäfte irgendwie beteiligt. Wenn SEELIGER früher ineinte (Erzkanzler und Reichskanzleien S. 7 N. 4), eine Unterordnung des Oberkanzellariats unter den Erzkapellanat sei ausgeschlossen, weil der erstere bald nachher verschwunden sei, so bestreite ich eben, daß Baldrich und Witgar noch Oberkanzler im Sinne S E E L I G E R S gewesen sind, und nehme vielmehr an, daß sie das Zwischenamt bekleiden, welches SEELIGER erst 868 entstehen läßt. Wenn MÜHLBACHER ferner hervorhebt, eine zweijährige Stellvertretung des „wirklichen Kanzleichefs" sei nicht anzunehmen, so verkennt er m. E. die tatsächliche Lage der Dinge: der Erzkapellan ist eben nicht „wirklicher Kanzleichef" in derselben Weise geworden, wie es die früheren Kanzleivorsteher gewesen waren; gewiß war es, als 854 Grimald ernannt wurde, die Absicht gewesen, daß er diese Stellung einnehmen sollte, aber eben das erwies sich in der Folge als untunlich, und gerade deshalb wurde das neue Kanzleramt geschaffen, das ebensowenig wie das des Erzkapellans dem der früheren Kanzleivorsteher völlig entsprach; dieser erbte von dem früheren Amte die obere Gewalt und Aufsicht, jener aber die eigentliche Leitung der Bureaugeschäfte. So bleibt nur die Auffassung S E E L I G E R S , Hiat. Vierteljahrschr. 11, 84, und MÜHLBACHERS von der „Grundbedeutung der Rekognition" zu besprechen: weil im Namen Baldrichs und Witgars rekognosziert wird, müssen sie nach der Ansicht beider Forscher Kanzleichefs sein, die keinen Vorgesetzten über sich haben können. Demgegenüber will ich kein entscheidendes Gewicht darauf legen, daß in Italien, wie wir gesehen haben, vereinzelt in Vertretung von Männern rekognosziert wird, die nicht oberste Kanzleichefs sind, aber doch eine höhere Stellung einnehmen; das sind nur Ausnahmefälle. Aber darauf lege ich Gewicht, daß, wie ich eben bemerkte, seit 854 ganz neue Verhältnisse eintraten, Amter geschaffen wurden, die bisher nicht bestanden hatten (wenn auch die Stellung des Durandus und Hirminmaris unter Ludwig d. Fr. gewisse Vergleichspunkte mit dem neuen Kanzleramt aufweist, war sie doch nicht die gleiche), und deren Kompetenzen erst im Laufe der Zeit und auf Grund der Erfahrung gegeneinander abgegrenzt werden konnten. Daß da zunächst ein gewisses Schwanken in den für die Rekognition maßgebenden Normen eintrat, bis man schließlich seit 861 wieder zu einer festen Ordnung gelangte, kann doch nicht wundernehmen, und sollte gerade von S E E L I G E R bei seiner allgemeinen Auffassung von der Entwicklung mittelalterlicher Verfassungsverhältnisse, die ich vollkommen teile, nicht bezweifelt werden. Ganz besonders aber hebe ich gegen ihn und MÜHLBACHER hervor, daß die von ihnen

Kanzlei

Ludwigs

des Deutschen.

beide Kauzler nicht; die Unterfertigungen Notare,1

und zwar entweder anstatt

anstatt des Kanzlers. beiden F o r m e n

Warum

411

Kanzler

besorgen nach wie vor die

[ad vicem) des Erzkapellans oder

bald die eine,

bald die andere dieser

gewählt wurde, läßt sich nicht sicher erkennen; viel-

leicht hing das von der A r t des königlichen Beurkundungsbefehles a b ; es ist möglich, daß anstatt des Kanzlers oder des Erzkapellans rekognosziert wurde, je nachdem der König diesem oder jenem die Beurkundung befohlen hatte; erging der Befehl von Seiten des Königs direkt an den Notar, ohne daß er durch Kanzler oder Erzkapellan vermittelt wurde, so unterfertigte

der N o t a r ,

da er dies anders als in

Stellvertretung

nicht tun durfte, wahrscheinlich anstatt des obersten Kanzleichefs, des Erzkapellans; im N a m e n

des letzteren konnte also auch rekognosziert

werden, wenn er vom Hofe abwesend war. 2 Nach W i t g a r s Rücktritt vom Kanzleramt (861), der wahrscheinlich duroli wurde,

seine

Erhebung

auf

den

ist das A m t einige J a h r e

Augsburger lang

Bischofsstuhl

unbesetzt

geblieben.

veranlaßt In

der

vertretene, der meinigen entgegengesetzte Ansicht, indem sie die ununterbrochene Amtsführung Grimalds seit 854 bestreitet, zu den allergrößten Schwierigkeiten führt. SEELIGER muß annehmen, daß Grimald 854 zum Kanzleichef ernannt, 855 zurückgetreten, 856 abermals ernannt, 858 wieder zurückgetreten» 860 (oder 861) endlich zum dritten Male an die Spitze der Kanzlei gestellt sei. Auf jede Erklärung für diesen Wechsel, wie er in der Geschichte der fränkischen und deutschen Kanzlei nie wieder vorkommt, muß er verzichten, und er muß überdies noch die Datierung und Rekognition mehrerer Urkunden verschieben, die sich in seine Anordnung nicht fügen, ¡während zur Annahme solcher Unregelmäßigkeiten nichts weiter nötigt als die Theorie von der Unverbrüchlichkeit der „Grundbedeutung der Rekognition". Ist es da nicht wirklich einfacher, anzunehmen, daß diese „Grundbedeutung" zu einer Zeit, in der die Kanzleiorganisation wesentlich umgestaltet wurde, vorübergehenden Schwankungen unterlegen hat? 1 Ob diese sich mit ihrem Amtstitel oder nach ihrem geistlichen Amt bezeichnen, scheint auf persönlicher Gewohnheit der einzelnen zu beruhen und nicht auf einen Unterschied in Rang oder Rechten zurückzugehen. Anders SICKEL, B z D .

2, 156.

Vgl. SICKEL, BzD.7,55(693). F ü r das letztere ist entscheidend eine Urkunde wie MÜHLBACHER 2 n. 1431 vom 18. März 858. In dieser Zeit war der Erzkapellan Grimald in seinem Kloster St. Gallen oder dessen Nachbarschaft (WARTMANN 2, 16f. n. 459. 460); die Mehrzahl der Urkunden aus diesen Monaten sind daher ad licem Witgarii rekognosziert; wenn n. 1431 die Unterschrift Comeatus ad vicem Grimaldi trägt, so mag das darauf zurückgehen, daß in diesem Fall der Beurkundungsbefehl an Comeatus unmittelbar ergangen ist. Denkbar wäre aber auch, daß Comeatus, der im Juli 854 zuletzt rekognosziert hatte, als er 858 wieder in der Kanzlei erschien, noch nicht wußte, daß jetzt Rekognition auch im Namen des Kanzlers gestattet war, und deshalb den obersten Kauzleiehef nannte. 2

412

Kanzlei

Ludwigs

des

Deutschen

Kanzlei war schon seit dem Mai 859 der Notar Hebarhard tätig, wahrscheinlich ein Weißenburger Mönch, den Grimald in den königlichen Dienst gezogen hatte. 1 Der zeigte sich seiner Aufgabe in vollem Maße gewachsen und widmete sich ihr mit solchem Fleiß und solcher Hingebung, daß er in den letzten anderthalb Jahrzehnten von Ludwigs II. Regierung fast die gesamten Kanzleigeschäfte — Konzipierung, Mundierung, Unterfertigung der Urkunden — allein besorgt hat; und er muß so großes Vertrauen besessen haben, daß man es nach dem Rücktritt Witgars unterließ, ihm einen Kanzler überzuordnen. Im Anfang des Jahres 868 wurde er dann selbst zum Kanzler ernannt, 2 ohne daß in der Art seiner Tätigkeit seitdem ein Unterschied hervortritt; Hebarhard unterfertigte auch fernerhin nur in Stellvertretung des Erzkapellans und nie in eigenem Namen, und er hat nie in seiner eigenen Vertretung durch einen anderen Notar unterfertigen lassen; wenn ein solcher rekognosziert, so geschieht das immer an Stelle des Erzkapellans. In Hebarhards Stellung änderte sich auch nichts, als im Jahre 870 Grimald in hohem Alter sein Hofamt niederlegte und der Erzbi'schof Liutbert von Mainz zum Erzkapellan ernannt wurde. In anderer Beziehung aber war dieser Vorgang von hoher Bedeutung. Bei der Ernennung Liutberts war sicherlich nicht beabsichtigt worden, den Erzkapellanat dauernd an ein bestimmtes Bistum zu knüpfen, sondern sie war gewiß ebenso persönlich gedacht, wie vorher diejenige Grimalds und anderer. Aber sie wirkte doch in jenem Sinne; sie wirkte mit der Kraft, die der Präzedenzfall überhaupt in der Entwicklung des deutschen Rechtes hatte: es blieb im ostfränkischen Reich und seinen Teilreichen wie im späteren deutschen Reich von da ab Jahrhunderte lang dabei, daß das oberste geistliche Hofamt dem Inhaber des vornehmsten Bistums im Reiche oder Reichsteile verliehen wurde. Und insbesondere 1

Vgl. S I C K E L , KU. in der Schweiz S . 5, und zu KUiA. Lief. VII, Tafel 10. Nur in zwei späteren, in demselben Kopialbuch überlieferten Urkunder für Prüm, M Ü H L B A C H E R 2 n. 1484. 1490, heißt er Notar; M Ü H L B A C H E R 2 n. 1469 ist Fälschung S C H O T T S , vgl. W I B E L , NA. 29, 694ff. — In Bezug auf die Stellung Hebarhards schließe ich mich jetzt der Anschauung M Ü H L B A C H E R S und S E E L I G E R S an. Die Ausführungen S I C K E L S , B Z D . 7, 23 (661)ff., der Hebarhard nur als Titularkanzler betrachten wollte, gehen von einer theoretischen Anschauung über Stellung und Aufgaben des Kanzlers aus, die in Deutschland so wenig wie in Rom den Tatsachen gegenüber standhält. Mit der Stellung und Tätigkeit des Hebarhard in Deutschland mag man passend die des Petrus diaconus in Rom (oben S. 224 f.) vergleichen. Andere Träger des Amtes haben am kaiserlichen wie am päpstlichen Hofe ihre Stellung anders aufgefaßt; Kanzler aber sind die einen wie die anderen gewesen. Der Ansicht E R B E N S , U L . S. 66 ff., kann ich nicht folgen. 2

Kanzlei

Ludwigs

des Deutschen

413

die Erzbischöfe von Mainz verdanken zum guten Teil den Folgen dieser Ernennung Liutberts die Rechte und Befugnisse, die ihnen im deutschen Reiche bis in die neuere Zeit zugestanden haben. 1 Für die Geschichte der Kanzlei aber hatte die Tatsache noch eine andere Folge. War der Erzkapellan schon infolge seiner anderen Obliegenheiten nicht imstande, die Bureaugeschäfte der Kanzlei in intensiver Weise zu beaufsichtigen und zu leiten, so konnte er das um so weniger, wenn er außerdem noch der Vorsteher eines des größten Bistümer des Reiches war. In der Kanzlei mußte eben darum die Stellung des Erzkapellans mehr nur eine Ehrenstellung werden: sie mochte anderweit von großer Bedeutung sein, auf das Urkundenwesen aber haben die Erzkapellane der nächsten Zeit direkt und unmittelbar einen erkennbaren Einfluß nicht mehr ausgeübt. Während der ganzen Regierungszeit Ludwigs des Deutschen scheint an dem Brauch festgehalten worden zu sein, daß die Rekognition eigenhändig, d. h. von dem Beamten, dessen Namen sie nennt, geschrieben ist, 2 und nur eine Ausnahme von dieser Regel ist bis jetzt bekannt. 3 In der Vergleichung der Schrift der Unterfertigungen, die von einem und demselben Rekognoszenten herrühren, liegt daher auch für diese Periode noch das wichtigste Mittel vor, die Originalität der Diplome festzustellen. Erst in den Kanzleien der Teilreiche, die nach dem Tode Ludwigs aus dem ostfränkischen entstanden, wurde dieser Brauch verlassen, und vom Jahre 876 ab galt es also nicht mehr als Erfordernis, daß die zur Rekognition ermächtigten Kanzleibeamten diese eigenhändig bewirken mußten, sie durften sich durch andere 1 Vgl. W E N C K , Zeitschr. des Vereins für hess. Gesch. 43, 2S8 ft'. * Die Angabe S I C K E L S ZU KUiA. Lief. VII, Taf. 11 Text S . 164, daß das Diplom für Speyer, M Ü H L B A C H E R 2 n. 1434, das die Rekognition Comeatus ad vicem Wilgarii aufweist, einschließlich dieser Formel nicht von Comeatus, sondern von Walto geschrieben sei, scheint nicht richtig zu sein; M Ü H L B A C H E R erklärt, daß es ganz von der Hand des Comeatus herrühre, vgl. auch T A N G L , AfU. 1, 156. Dasselbe gilt nach M Ü H L B A C H E R von dem von S I C K E L ebenda erwähnten Diplom für St. Emmerain, M Ü H L B A C H E R 2 n. 1405. Feiner hat S I C K E L seine Annahme (BzD. 7, 32 (670) X. 2), daß die Rekognitionszeile des Diploms für Niederaltaich ( M Ü H L B A C H E R 1 n. 1428) nicht von dem Rekognoszenten Hadebertus geschrieben sei, selbst zurückgenommen (KUiA. zu Lief. VII, Taf. 7). Ebenso ist die frühere Annahme S I C K E L S , wenn in der Rekognitionszeile die erste Person Singularis (recognovi) vorkomme, sei Eigenhändigkeit, wenn die dritte Person (recoynot-il), sei Nicht-Eigenhändigkeit anzunehmen, hinfällig und von ihm selbst aufgegeben. 3 In M Ü H L B A C H E R 2 n. 1 4 3 8 , dem ersten von Hebarhard rekognoszierten Diplom, ist die Rekognition wie das ganze Eschatokoll von Hadebert geschrieben, vgl. auch TAX GL, AfU. 1, 158.

414

Kanzlei der Söhne Ludivigs des Deutschen

Beamte der Kanzlei vertreten lassen. Die Schriftvergleichung bleibt nichtsdestoweniger auch jetzt nach dem, was früher bemerkt worden ist, 1 das vornehmste Kriterium der Originalität der Königsurkunden; aber sie muß in anderer Weise vorgenommen werden als früher. Sind in zwei oder mehr Diplomen für verschiedene Empfänger Kontext oder Protokoll oder sind Teile des einen oder des anderen von derselben Hand geschrieben, so sind diese Urkunden, wenn nicht in besonderen Ausnahmefällen Gründe vorliegen, die ihre Originalität ausschließen, als Kanzleiausfertigungen zu betrachten. Aber wie wir schon vor 876 anonyme Schreiber in der Kanzlei neben den bekannten Rekognoszenten zu unterscheiden hatten, so bleiben uns jetzt in zahlreichen Fällen auch die Männer, von denen die Rekognitionen herrühren, ihren Namen nach unbekannt. Um sie zu unterscheiden, bedienen wir uns eines Chiffrensystems. 2 Wir bezeichnen die namenlosen Schreiber, die wir in den Urkunden durch Vergleichung der Handschriften erkennen, mit Chiffren, die in der Regel so gebildet sind, daß dem Namen des Kanzlers, bzw. Rekognoszenten, unter dem jene Schreiber dienen, Buchstaben hinzugefügt werden, die zugleich die Reihenfolge des chronologischen Vorkommens jener Schreiber anzeigen. Wenn also unter einem Kanzler oder Rekognoszenten X nacheinander drei anonyme Schreiber auftreten, werden wir dieselben als XA, XB, XC zu bezeichnen haben. Ob die Schreiber XA, XB, XC, wenn sie unter einem anderen Kanzler oder unter einem anderen Herrscher weiter dienen, die alte Bezeichnung behalten, oder mit einer neuen versehen werden, muß nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles entschieden werden. Von diesen anonymen Schreibern kann aber, da wir über sie nur wenig wissen, in der folgenden Darstellung nur ganz im allgemeinen die Rede sein. Diese Bemerkungen vorangeschickt, wenden wir uns zur Betrachtung der Entwicklung der Kanzleiverhältnisse in den Reichen der Söhne Ludwigs des Deutschen. 1

Oben S. 42. Zuerst vorgeschlagen von SICKEL, NA. 1, 459. In der MonumentenAusgabe der Kaiserurkunden, in der Edition der italienischen Diplome durch SCHIAPABELLI und in anderen neueren Urkundenpublikationen und diplomatischen UntersuchuDgen ist dies System durchgeführt worden. Dabei sind freilich gelegentliche Modifikationen zweckmäßiger erschienen. So hat SICKEL die italienischen Schreiber, die seit 962 in den Diplomen Ottos I. und Ottos II. vorkommen, nicht nach den Namen ihrer Kanzler (wie Poppo A. B. C usw.), sondern nach ihrer Herkunft als Italiener) A. B. C usw. bezeichnet. Ebenso haben wir die Bamberger Schreiber Heinrichs II. mit den Chiffren Ba. I. II usw. benannt. 2

Kanxlei

der Söhne Ludwigs

des

Deutschen

415

Im ostfränkischeu Reichsteil L u d w i g s III. (des Jüngeren) war die Organisation der Kanzlei die folgende. An der Spitze stand wie unter dem Vater Liutbert von Mainz als Erzkapellan. Unter ihm standen zwei Männer, Wolfherius bis zum 23. März 880, dann Arnolfus, die beide den Kanzlertitel führen und als wirkliche Kanzler anzusehen sind.1 Andere Rekognoszenten kommen nicht vor.8 Die Unterfertigungen erfolgen in der Regel wie in der letzten Zeit Ludwigs des Deutschen ad vicem des Erzkapellans; nur in wenigen Fällen haben die Kanzler von dem Rechte, allein in eigenem Namen zu unterfertigen, Gebrauch gemacht. 3 Immerhin tritt unter Ludwig IIL zuerst zu den drei uns aus den Diplomen seines Vaters bekannten Arten der Unterfertigung — der Notar ad vicem des Erzkapellans, der Notar ad vicem des Kanzlers, der Kanzler ad vicem des Erzkapellans — eine vierte — der Kanzler allein — hinzu." Ähnlich war die Ordnung der Dinge am Hofe K a r l m a n n s von B a y e r n . Erzkapellan wurde der angesehenste geistliche Würdenträger des Reiches, Erzbischof Theotmar von Salzburg. Unter ihm standen ein Kanzler Baldo und ein Notar Madalwin, beide sonst unbekannt. 4 Unter den Ingrossisten, die wir durch Schriftvergleichung unterscheiden, befanden sich sowohl Deutsche wie Italiener. Alle vier ebenerwähnten Arten der Rekognition kommen vor; am häufigsten diejenigen des Kanzlers und des Notars ad vicem des Erzkapellans.5 Andere Verhältnisse dagegen traten unter K a r l III. ein, dem bei der Teilung 876 zunächst Schwaben zugefallen war, der aber im Laufe der nächsten zehn Jahre allmählich in den Besitz der gesamten karolingischen Monarchie gelangte. In seinen Anfängen schloß zwar auch er sich der Ordnung seines Vaters au, indem er, da es einen Erz1 Das hatte SICKEL, BZD. 7, 27 (665), bestritten, später aber, KUiA. Text S. 167 f. 174, seine Behauptung eingeschränkt. Entscheidend ist, daß beide vereinzelt in eigenem Namen rekognoszieren. 8 Über die einzige Ausnahme, MÜHLBACHER * n. 1 5 5 3 , s. unten S. 4 3 3 N. 1. Durch Schriftvergleichung sind bis jetzt vier Ingrossatoren festgestellt. 3 So in MÜHLBACHER2 n. 1574 (OI\, vielleicht aber nur wegen Mangels an Raum, s. KUiA. Text S. 175). 1563 (Abschrift). In n. 1548 ist nach Wolfherius eane. . . . im Original eine Lücke. Nicht ganz zutreffend ist es also, wenn SICKEL, KUiA. Text S. 167, angibt, die Urkunden Ludwigs III. seien sämtlich unterfertigt ad vicem Liutberti archicapellani. « Vgl. SICKEL ZU KUiA. Lief. VII, Tai. 12. 5 Daneben Notar ad vicem des Kanzlers zweimal in MÜHLBACHER4 n. 1520. 1521 (vielleicht war damals der Erzkapellan noch nicht ernannt). Kanzler allein in MÜHLBACHER 5 n. 1 5 4 2 . 1 5 4 3 (für italienische Empfanger) mit der auf den Brauch unter Ludwig II. von Italien (oben S. 390) zurückgehenden Berufung auf den königlichen Beurkundungsbefehl (iussu regio).

416

Kanzlei

Karls

III.

bischof in Schwaben nicht gab, den Bischof Witgar von Augsburg, früheren Kanzler Ludwigs des Deutschen, zum Erzkapellan ernannte; Kanzler wurde Liutward, ein niedrig geborener Schwabe, der bevorzugte und bald allmächtige Günstling des Königs.1 Allein nur bis zum Spätsommer 877 wird der Name Witgars in den Urkunden genannt; seit dem Anfang des nächsten Jahres verschwindet er gänzlich daraus, und Liutward hat offenbar die alleinige Leitung der Kanzlei mit Ausschluß jedes fremden Einflusses an sich gezogen. Sämtliche Urkunden der nächsten Jahre — mit einer einzigen Ausnahme 2 — sind ad vicem Liutwards rekognosziert. Dieser, der vor dem Februar 880 zum Bischof von Yercelli ernannt wurde, wird bis zum 10. Februar 878 3 Kanzler, am 24. März und 5. April dieses Jahres Erzkanzler, am 17. Juli noch einmal Kanzler, von da ab regelmäßig Erzkanzler genannt. 4 Einige Male heißt er in den Diplomen seines Herrn, bei gleichzeitigen Schriftstellern, in einer Urkunde seines Bruders, des Bischofs von Novara, Erzkapellan; 5 und man wird annehmen müssen, daß ihm auch dies Amt ausdrücklich verliehen ist.6 Ingrossisten und Rekognoszenten sind in dieser 1

Die Rekognitionsformen in dieser Zeit sind die uns bekannten: Kanzler allein ( M Ü H L B A C H E R 1 n. 1 5 8 0 ) , Kanzler ad vicern des Erzkapellans ( M Ü H L B A C H E R 2 n. 1 5 7 8 . 1 5 8 2 ) , Notar ad ricern des Kanzlers ( M Ü H L B A C H E R 4 n. 1 5 8 1 ) . — Die Formel Notar ad ricein des Erzkapellans, also mit Umgehung des Kanzlers, kommt nicht vor. 5 2 M Ü H L B A C H E R n. 1603: Gaidtüfus diaeonus adv. Ernusti cancellarii. Ernust rekognosziert sonst adv. Liutwardi; Gaidulf (gewiß ein Italiener) kommt anderweit nicht vor und hat offenbar dem ständigen Personal der Kanzlei nicht angehört. Ich erkläre den Fall einfach aus seiner Unkenntnis der von Liutward eingeführten Ordnung, Gaidulf mag den Beurkundungsbefehl durch Vermittelung Ernusts empfangen und deshalb ad vicem Ernusts rekognosziert haben: der Umstand wurde dann wohl nicht als wichtig genug angesehen, um die Ausfertigung zu kassieren und durch eine andere zu ersetzen. M Ü H L B A C H E R hält diese Erklärung für nicht sehr wahrscheinlich; aber er erklärt diese ganz alleinstehende Rekognition überhaupt nicht. Vgl. auch S I C K E L , B Z D . 7 , 5 6 (694) N. 1. — Uber die Rekognition von M Ü H L B A C H E R 4 n. 1713 siehe SB. der Wiener Akademie 92, 356. * In M Ü H L B A C H E R 2 n. 1 5 8 1 vom 11. Juli 8 7 7 ist mit SCHÖPFI.IN cancellarii zu lesen; arehicancellarii im Drucke G R A N D I D I E R S ist sicherlich nur willkürliche Änderung dieses ganz unzuverlässigen Herausgebers und hätte in die Regesten gar nicht aufgenommen werden sollen. 4 Später nur noch in wenigen mangelhaft überlieferten Urkunden Kanzler. 5 Die Belege bei M Ü H L B A C H E R , S B . der Wiener Akademie 9 2 , 3 4 5 ; S I C K E L , BzD.

7, 2 8 6

(666).

Darin stimme ich jetzt M Ü H L B A C H E R , Reg. 2 S . C gegen S I C K E L a. a. 0 . zu; wenn S I C K E L dagegen anführt, daß von einer Absetzung Witgars nichts berichtet wird', so ist das bei der Beschaffenheit unserer Quellen nicht sehr befremdlich. Und wenn S I C K E L weiter hervorhebt, daß er in der Mehrzahl der

417

Kanzlei Karls III.

Periode zahlreich. Unter jenen finden wir neben den Deutschen auch Italiener und Franzosen. Die Rekognoszenten, von denen einige nur ganz vereinzelt auftreten und dem ständigen Kanzleipersonale wohl nicht angehört haben, werden bis 882 nur als Notare bezeichnet; von da an haben einige von ihnen 1 auch den Kanzlertitel angenommen. Wahrscheinlich sind diese Männer in der Tat höher gestellt gewesen als ihre Kollegen; zwei von ihnen, Waldo und Salomon, sind zu hohen geistlichen Ämtern befördert worden; daß sie aber wirkliche Kanzler in dem Sinne, der mit diesem Titel unter den Brüdern Karls III. verbunden war, gewesen seien, ist nicht wahrscheinlich.2 Die eigentliche Leitung der Kanzleigeschäfte wird Liutward schwerlich aus der Hand gegeben haben; 3 es ist aber, gerade wenn das Kanzleramt vakant war, nicht sehr auffällig, daß angesehenere Notare sich den Kanzlertitel beilegten, und dagegen wird der oberste Kanzleichef nichts eingewandt haben. Erst als im Juni 887 die allgemeine Entrüstung über die Mißregierüng Karls III. den Sturz Liutwards herbeigeführt hatte, wurde die Ordnung, die unter Ludwig dem Deutschen bestanden hatte, wieder Diplome Erzkauzier heiße uud es für kaum glaublich hält, daß ihm von seinen Untergebenen der ihm zukommende „höhere" Titel so oft vorenthalten sei, so scheint es mir durchaus nicht sicher, daß die Notare der Kanzlei noch unter Karl III. den Titel des Erzkapellans als den höheren betrachtet haben. — Übrigens mag auch Liutbert von Mainz den Titel Erzkapellan weiter geführt haben; wenigstens in einem Diplom vom Jahre 882 (MÜHLBACHER2 n. 1643) wird er so genannt. 1 Emust (abgesehen von dem oben S. 4 1 6 N. 2 besprochenen D. MÜHLBACHER4 n. 1603) in n. 1692; Waldo zuerst in n. 1642, dann in den meisten, aber nicht in allen Urkunden, die ihn nennen; Amalbert zuerst in n. 1697, dann in mehreren, aber nur in der Minderzahl der von ihm unterfertigten Diplome; Salomon zuerst in n. 1703, dann in n. 1704. 1714. 1715; Fredebold in n. 1756. 1767, aber in n. 1760 Notar. 8 Anders MÜHLBACHER, Reg.8 S. CIV. 3 Auch der Umstand, daß Amalbert nach dem Sturze Liutwards im Amte belassen wurde, spricht dafür, daß er nur eine subalterne Stellung eingenommen hat. Möglich wäre es, daß er nun, als Liutbert wieder an die Spitze der Kanzlei trat, zum wirklichen Kanzler ernannt worden wäre, aber es ist auch wohl denkbar, daß man in diesen wenigen und sehr erregten Monaten zu einer solchen Ernennung überhaupt nicht geschritten ist. Und daß Salomon und später Fredebold neben ihm den Kanzlertitel führten, zeigt, da zwei wirkliehe Kanzler nebeneinander jedenfalls nicht anzunehmen sind, daß auf diesen Titel in dieser Zeit kein entscheidendes Gewicht zu legen ist. Die Konstruktion MÜHLBACHERS, der Waldo und Amalbert zu Kanzlern aufsteigen läßt, bei Fredebold diese Würde nicht für sicher hält und sie Salomon abspricht, scheint mir jedenfalls willkürlich zu sein. 27

418

Kanxlei

Arnulfs

hergestellt. Da Witgar inzwischen verstorben war, konnte Liutbert von Mainz, der Erzkapellan Ludwigs III., der auf diesen Titel wahrscheinlich nie verzichtet hatte, 1 ohne Widerspruch an die Spitze der Kapelle wie der Kanzlei gestellt werden. Es war eine Nachwirkung der bis dahin herrschend gewesenen Gewohnheit, daß er in den Rekognitionszeilen wiederholt noch Erzkanzler genannt wird; in anderen heißt er Erzkapellan, und daß er das letztere Amt innegehabt hat, darf nicht bezweifelt werden. Jedoch nur auf kurze Zeit erfreute er sich dessen Besitzes. Mit A r n u l f s Regierungsantritt wurde Bayern das Hauptland des Reiches und der fränkische Metropolit mußte dem bayrischen weichen. Beruhte Liutberts Anspruch auf den Erzkapellanat auf seiner Stellung unter Ludwig III., so hatte Theotmar von Salzburg den gleichen Anspruch wegen seiner Stellung unter Karlmann, und Karlmann war der Yater Arnulfs. So fungierte denn der Erzbischof von Salzburg während der ganzen Regierungszeit Arnulfs als Erzkapellan. Auch im übrigen ist die Kanzlei organisiert wie diejenige seines Vaters. Unter dem Erzkapellan stehen als Kanzler 2 bis zum 7. Dezember 892 Aspert, Diakon und seit Mitte 891 Bischof von Regensburg, dann Wiching, der vertriebene Bischof von Neutra. Unter diesen wiederum stehen zwei Notare, Ernust und Engilpero, von denen namentlich der erstere eine große Tätigkeit entfaltet hat. 3 Von den unter Karlmann üblichen vier Formen der Rekognition kommt eine, die durch den Kanzler allein, nicht vor; die Nennung zweier Namen in der Rekognitionszeile und also eine Stellvertretungsunterschrift gilt unter Arnulf und seinen nächsten Nachfolgern durchaus als erforderlich. Den drei anderen Rekognitionsarten — Kanzler ad vicem des Erzkapellans, Notar ad vicern des Erzkapellans, Notar ad vicem des Kanzlers — begegnen wir wie unter Arnulf, so auch unter seinen Nachfolgern bis um die Mitte des 10. Jahrhunderts. Von den sieben 4 Ingrossisten, die man in den

1

S. oben S. 416 N. 6. Die in Nachwirkung des Biauchs unter Karl III. bisweilen auch Erzkanzler heißen, vgl. SICKEL, BZD. 7, 34 (672 f.). 3 Beide Notare werden auch cancellarii genannt, Engilpero vereinzelt (in MÜHLBACHER5 n. 1889, wo eine Verderbnis des Titels anzunehmen nicht geboten ist), Ernust seit 895 fast regelmäßig. Wirkliche Kanzler aber sind sie, wie in diesem Falle auch MÜHLBACHER annimmt, nicht gewesen, sondern es wirken auch dabei nur die unter Karl III. üblich gewordenen Gepflogenheiten hinsichtlich der Titulaturen nach, wie das bis ins 10. Jahrh. hinein der Fall ist. 4 Abgesehen von einigen nur im ersten Jahre Arnulfs und später nicht mehr begegnenden Schreibern. 2

Kanzlei Zwentibolds

419

Originaldiplomen Arnulfs bis jetzt unterschieden hat, 1 stammt nur einer aus der Kanzlei Karls III.; sie sind sämtlich deutscher Herkunft. Von dem Herrschaftsgebiete Arnulfs wurde im Jahre 895 Lothringen als ein besonderes Königreich für seinen illegitimen Sohn Z w e n t i b o l d abgezweigt. Da es notwendig war, für dies Reich eine besondere Kanzlei zu errichten, und da es seit der Zeit Ludwigs des Deutschen hergebracht war, an die Spitze der Kanzlei den angesehensten Kirchenfürsten zu stellen, stieß man in Lothringen auf die Schwierigkeit, daß es hier zwei Erzbischöfe gab, die Herren von Köln und Trier, die damals so gut wie später um die erste Stelle im Lande gewetteifert haben werden. Unter diesen Umständen kam man darauf, beide zu berücksichtigen. Der Erzbischof Hermann von Köln wurde zum Erzkapellan, der Erzbischof Ratbod von Trier zum Erzkanzler ernannt. 2 Mit der Oberleitung der Kanzleigeschäfte 3 wurde aber nur der letztere betraut, so daß die enge Verbindung zwischen Kanzlei und Kapelle, die Ludwig der Deutsche 854 geschaffen hatte, hie abermals unterbrochen wurde. Vorübergehend wurde sie allerdings gegen Ende des Jahres 896 wieder hergestellt; als deT König damals in einen Konflikt mit mehreren angesehenen Grafen geriet, in dessen Folge er im Anfang des nächsten Jahres einen Feldzug nach Trier unternahm, scheint auch der Erzbischof von Trier in diesen verwickelt gewesen zu sein.4 Sei es nun, daß er seines Amtes enthoben wurde, sei es, daß er sich selbst von den Geschäften am Hofe ganz zurückzog, sicher ist, daß sein Name aus den Rekognitionen verschwindet; und nun trat der Erzkapellan an seine Stelle; bis zum Ende des Jahres 897 wurden die Urkunden in Vertretung Hermanns von Köln unterfertigt. Aber schon im Juni

1 S I C K E L zu KUiA. Lief. VII, Taf. 21 22. Zwei von diesen Ingrossisten lassen sich mit den Notaren Engilpero und Ernust identifizieren, vgl. auch

TANGL,

s

AfU.

1,

159.

In den Rekognitionen heißt er archicancellarius odei summus canceilarius.

s In der Beurteilung der Kanzleiorganisation unter Zwentibold schließe ich mich jetzt der Auffassung M Ü H L B A C H E R S , Reg* S C . C V , an, nachdem das Hindernis, das gegen diese Auffassung sprach — die von M Ü H L B A C H E R früher nicht ausreichend erklärte Rekognition eines Diploms vom 25. Okt. 895 in Vertretung Hermanns von Köln —, dadurch fortgefallen ist, daß dies Diplom ( M Ü H L B A C H E R ® n. 1959) als Fälschung erkannt ist. Ein leiser Zweifel bleibt freilich auch jetzt noch bestehen; woher stammt das gute Eschatokoll von n. 1959? Aus n. 1969, worauf M Ü H L B A C H E R hinweist, kann es nicht übernommen sein 1 P A R I S O T S Einwendungen dagegen (Le royaume de Lorraine S . 5 3 4 ff.) scheinen mir nicht zutreffend und hängen auch damit zusammen, daß er noch an die Echtheit des gefälschten Diploms MÜHLBACHEU' 2 n. 1968 glaubt.

27*

Kanzlei Ludwigs IV.

420

muß der König sich mit Ratbod von Trier wieder verständigt haben,1 und vom Anfang des Jahres 898 an erscheint er wieder als Chef der Kanzlei; Hermann mußte auf ihre Leitung verzichten. Als Rekognoszenten fungieren unter Zwentibold fünf Notare; 2 einen Kanzler hat es neben dem Erzkanzler zu seiner Zeit ebensowenig wie zu der Karls I I I . gegeben; in den Urkunden dagegen, die an Stelle Hermanns von Köln als Erzkapellans rekognosziert sind, nennt sich Egilbert, der vorher als Notar bezeichnet wird, Kanzler; für diese kurze Zeit scheint man also auch darin zu dem Gebrauch unter Arnulf zurückgekehrt zu sein, daß man einen Kanzler bestellte und ihm die Stellvertretung des Erzkapellans übertrug.3 Unter L u d w i g I V . war Lothringen wieder mit dem deutschen Reiche vereinigt. Aber die Sonderstellung, die das Land in den letzten Jahren eingenommen hatte, dauerte in gewisser Beziehung fort und bewirkte, daß unter Ludwig eine eigene lothringische Kanzlei bestehen blieb. Die deutsche Kanzlei dieses Königs war der des Vaters entsprechend organisiert. Der Erzkapellanat blieb den Erzbischöfen von Salzburg. Zum Kanzler wurde Arnulfs Notar Ernust befördert, der schon unter jenem Herrscher eine bedeutende Tätigkeit entfaltet hatte;4 ihm folgte, als er 908 aus der Kanzlei ausschied, der Bischof Salomon von Konstanz, der Arnulfs Kapellan und kurze Zeit schon in der Kanzlei Karls I I I . tätig gewesen war. Als Rekognoszenten begegnen die Notare Engilpero, der aus dem Dienste Arnulfs übernommen wurde, und Odalfrid, der nach dessen Ausscheiden eintrat.5 Als Ingrossist tritt neben Ernust und den Notaren (Salomon hat sich am Schreibgeschäft nicht mehr beteiligt) besonders ein Schüler Ernusts hervor, der bis in die Zeit Heinrichs I. hinein eine bedeutende Wirksamkeit entfaltete; da er

1

MÜHLBACHER 2 n . 1 9 6 9 .

MÜLLER, Die Kanzlei Zwentibolds S. 60ff., will drei dieser Notare eliminieren, aber sein Verfahren ist ganz willkürlich. 3 Nach der Wiederberufung Eatbods wird Egilbert nicht mehr genannt2

4 Daß ich Ernust jetzt mit MÜHLBACHER, Reg.* S. CV gegen SICKEL, K U i A . Text S. 187ff., und meine eigene frühere Ansicht als wirklichen Kanzler betrachte, dazu bestimmt mich nicht nur die oben S. 412 N. 2 angestellte Erwägung, sondern namentlich auch seine von MÜHLBACHER gar nicht beachtete Stellung in der lothringischen Kanzlei, s. unten. — Wenn Emust einmal (in MÜHLBACHER8 n. 1993) notarius heißt, so ist darauf nichts zu geben; die Urkunde ist wahrscheinlich, worauf auch die unter Ludwig IV. ungewöhnliche Namensform Hernustus hinweist, außerhalb der Kanzlei geschrieben. 5 Engilpero wird nur zweimal, Odalfrid nur einmal in abschriftlich überlieferten Diplomen caneellarius genannt; sonst und in Originalen immer heißen beide notarius.

Kanzlei Ludwigs IV., Konrads L

421

unter Heinrich rekognoszieren durfte, erfahren wir, daß er Simon hieß. Die Unterfertigungen erfolgen, sowohl wenn die Notare, wie wenn die Kanzler rekognoszieren, ad vicem des Erzkapellans; nur zweimal hat Odalfrid an Stelle des Kanzlers Salomon rekognosziert.1 — Die lothringische Kanzlei Ludwigs stand unter Ratbod von Trier als Erzkanzler, an dessen Stelle ausnahmslos unterfertigt wurde. Ob es in ihr gleich anfangs einen Kanzler gegeben hat, ist nicht sicher zu entscheiden; nur in einer Urkunde aus den ersten Jahren wird ein Rokognoszent, Switgar, der nicht wieder erscheint,2 Kanzler genannt. Dann ist aber spätestens 907 die Geschäftsleitung auch der lothringischen Kanzlei dem ostfränkischen Kanzler Ernust übertragen worden, und unter ihm hat auch Simon als Ingrossist darin gearbeitet,3 so daß also eine vollständige Trennung der beiden Kanzleien wenigstens 907 und 908 nicht bestanden hat. Ob sie später wieder eingetreten ist, oder ob Salomon auch Einfluß auf die lothringischen Geschäfte ausgeübt hat, muß dahingestellt bleiben; von den drei Rekognoszenten, die außer Switgar und Ernust in den lothringischen Urkunden erscheinen, begegnet keiner in denen der ostfränkischen Kanzlei. Da mit der Erhebung K o n r a d s I. auf den Thron Lothringen sich von Deutschland trennte, um sich mit dem westfränkischen Reiche zu verbinden, fiel die besondere Kanzlei für dies Land natürlich seit 911 wieder fort.4 Bei Konrads Wahl 6 war wahrscheinlich der Erzbischof von Salzburg nicht zugegen gewesen; so wurde zunächst Hatto von Mainz zum Erzkapellan ernannt, der aber im Anfang des nächsten Jahres Pilgrim von Salzburg, als dieser dem neuen König gehuldigt hatte, den Platz räumte. Kanzler blieb Salomon von Konstanz,6 ein1

MÜHLBACHER« n. 2066. 2067. * S. unten S. 436. » S. unten S. 436 N. 2. 4 Auch in Westfranken hat es keine besondere lothringische Kanzlei gegeben, und nur insofern ist den Ansprüchen der Erzbischöfe von Trier stattgegeben worden, als Karl der Einfaltige seine lothringischen Diplome seit 913 in deren Namen rekognoszieren ließ und ihnen den Erzkanzlertitel beilegte. Im übrigen wurden auch die lothiingischen Urkunden in der westfränkischen Reichskanzlei hergestellt; vgl. PAHISOT, Le royaume de Lorraine S. 597 6

ff.

Für das folgende vgl. — außer SICKEL, BZD. 7 — auch dessen Vorreden in der Monumentaausgabe der Diplome Konrads I., Heinrichs I., Ottos I., ferner STENGEL, Diplomatik der deutschen Immunitätsprivilegien vom 9. bis zum Ende des 11. Jahrh. (Innsbruck 1910) S. 130 ff. 8 Aber auch er wurde wahrscheinlich erst Anfang 912, als Schwaben den neuen König anerkannte, in seinem Amte bestätigt, vgl. meine Ausführungen in der Straßburger Rektoratarede von 1904, Aufgaben mittelalterlicher Quellen-

422

Kanzlei Konrads I., Heinrichs I.

ziger neben 1 m rekognoszierender Notar Odalfrid (bis 912). 1 Sämtliche Urkunden sind ad vicem des Erzkapellans unterfertigt. Weder der Kanzler noch der Notar haben sich bei dem Geschäft der Mundierung beteiligt, sondern die Reinschrift der Urkunden — einschließlich der Unterfertigungen — lag ganz in den Händen dreier Ingrossisten, unter denen der schon genannte Simon und einer seiner Schüler zumeist hervortreten. Diese unterfertigten sogar in Abwesenheit des in der Rekognitionszeile genannten Kanzlers in dessen Namen; hatte man schon seit 876 darauf verzichtet, an dem Erfordernis der Eigenhändigkeit der Rekognition festzuhalten, so ging man n u n 2 noch einen Schritt weiter und gestattete den unteren Kanzleibeamten sogar, einen Kanzler oder Notar als Rekognoszenten zu nennen, der gar nicht am Hofe anwesend war und also mit dem Beurkundungsgeschäft sich überhaupt nicht befaßt hatte. Das war natürlich nur möglich, wenn die Rekognition ihre alte Bedeutung in dieser Zeit gänzlich oder wenigstens zum Teil schon verloren hatte, und daß dies im Anfang des 10. J a h r hunderts bereits der Fall war, ist gewiß; die Tatsache hängt mit anderen Umständen zusammen, die wir erst später darlegen können. 3 Da die Erhebung H e i n r i c h s I. hauptsächlich von den Franken und Sachsen ausging, während eine Beteiligung der Bayern nicht bezeugt ist. 4 so ging beim Beginn seiner Regierung der Erzkapellanat und die wenigstens nominelle Oberleitung der Kanzlei, wenn auch vielleicht nicht ohne Bedenken und Anstände, 5 auf Heriger von Mainz über, dem im Dezember 927 Hiltibert im Erzbistum sowie in diesem Hofamt folgte. Lothringen wurde erst in den Jahren 923—925 f ü r das deutsche Reich wiedergewonnen, und es bedeutete eine Konzession an die Sonderstellung, die dies Land seit den Tagen Zwentjibolds einnahm, wenn man auch unter Heinrich über die für Lothringen auszustellenden Urkunden besondere Verfügungen traf. Zwar wurde keine besondere lothringische Kanzlei bestellt, wie sie unter Ludwig dem Kinde bestanden hatte, vielmehr sind auch die lothringischen Diplome

forschung S. 11 f. 26 f. Wenn Salomon einmal, in DK. I. 17, notarius genannt wird, ao kann das nur auf ein Versehen des Schreibers zurückgehen, der auch den Namen seines Chefs hier entstellt hat. 1 Er heißt auch jetzt überwiegend Notar, nur in DD. K. I. 1. 10 eaneeltarius. 1 Zum ersten Male ist das, soviel wir bis jetzt wissen, im Jahre 914 geschehen; vgl. SICKEL, BzD. 7, 65 (703). Spätere Fälle der Art bespricht FICKER, BzU. 2, 175 ff. 9 4 S. unten Kap. IX. Vgl. WAITZ, Jahrb. Heinrichs I.« S. 38 f. 5

V g l . SICKEL, BZD. 7, 09 (707).

Kanzlei Heinrichs I.

423

in der allgemeinen Reichskanzlei angefertigt, aber man beließ dem Erzbischof Ruotger von Trier den Erzkanzlertitel, den er unter Karl dem Einfältigen von Westfranken geführt hatte, 1 und ließ die lothrin~ gischen Urkunden an seiner Statt rekognoszieren Nach seinem Tode (27. Januar 930) 2 wurden die nächsten lothringischen Urkunden wieder in HiltibertS Namen unterfertigt, sei es, daß die Wiederbesetzung des Trierer Stuhles sich verzögerte, sei es, daß etwa der Erzbischof von Mainz Einspruch dagegen erhob, die Stellung Ruotgers auf dessen Nachfolger übergehen zu lassen. War das letztere der Fall, so drang er damit doch nicht auf die Dauer durch; der neue Erzbischof von Trier, Rodbert, des Königs Schwager, wird wenigstens im Jahre 935 wieder in der Rekognition genannt und nun sogar als Erzkapellan bezeichnet. Da Salomon von Konstanz, wenn er überhaupt die Wahl Heinrichs erlebt hat, so wenig wie Pilgrim von Salzburg sich daran beteiligt haben kann, konnte keine Rede davon sein, ihm das Kanzleramt zu belassen.3 Als Rekognoszent erscheint bis zum Februar 931 der uns schon bekannte Ingrossist Simon; mit nur zwei Ausnahmen 4 sind in dieser Zeit sämtliche Diplome Heinrichs von ihm oder in seinem Namen unterfertigt. Ob er aber wirklich in die Stellung eingetreten ist, die vor ihm Salomon unter Konrad I. eingenommen hatte, muß bezweifelt werden; denn wenn man auch in Deutschland in dieser Zeit zwischen den Titeln notarius und cancellarius keinen scharfen Unterschied gemacht hat, so ist es doch auffallend, daß Simon in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Urkunden, auch der von ihm selbst ges; .¡rieben n, nur als Notar bezeichnet wird.5 In noch höherem Maße aber fällt ins Gewicht, daß er mehrfach Urkunden nach dem Diktat anderer, dem Kanzleipersonal angehörender Männer ins Reine geschrieben hat; 0 würde ich es durchaus für möglich halten, daß auch unter Heinrich I. noch die Kanzler selbst, wie früher Hebarhard und Ernust, sich am Beurkundungsgeschäft als Diktatoren oder Schreiber 1

4 S. oben S . 421 N. 4. Vgl. W A I T Z a. a. 0. S. 138. Gestorben ist er entweder am 5. Jan. 9 2 0 oder schon 9 1 9 , vgl. W A I T Z a. a . O S. 45 N. 3 ; LADEWIQ, Regesta epp. Constantiensium n. 3 4 0 . 4 DD. H. I. 21. 25. Zu den von SICKEL gedruckten Urkunden kommt noch die in seiner Ausgabe übersehene für Alden-Eyck, NA. 23 120. 6 Cancellarius heißt er nur in den DD. H. I. 6. 7. 11 und in den beiden ersten wohl nur in Nachahmung der Vorurkunden. • SICKEL läßt ihn die DD. H. I. 9. 10 nach Konzepten des SD und 13 nach einem Konzept des 8 E schreiben; vgl. auch STENGEL, Diplomatik der deutschen Immunitätsprivilegien S. 137 und 138 mit N. 3, wo aber die Angaben etwas abweichen. 3

424

Kanzlei Heinrichs I., Ottos I.

eifrig beteiligt hätten, so ist es doch früher, wie es scheint, nie vorgekommen und auch für diese Zeit durchaus unwahrscheinlich, daß sie sich dazu herbeigelassen hätten, Konzepte zu mundieren, die von den ihnen untergeordneten Notaren herrührten. Unter diesen Umständen kann ich mich nicht entschließen, Simon als Kanzler oder auch nur als Leiter der Kanzlei zu betrachten; und wenn man nicht annehmen will, daß ein uns unbekannter, weil in den Rekognitionen nicht genannter Mann in diesen Jahren an der Spitze der Notare gestanden hat,1 so muß man sich dazu verstehen, zuzugeben, daß es damals einen Kanzler oder Kanzleileiter unter dem Erzkapellan überhaupt nicht gegeben hat. Im Jahre 931 schied Simon aus dem Dienste Heinrichs I.,8 und nun trat als Rekognoszent Folkmar oder Poppo3 an seine Stelle, der schon 929 ein Diplom Heinrichs unterfertigt hatte * und jetzt, wie wir annehmen dürfen, zum wirklichen Kanzler bestellt wurde.6 Poppo hat niemand neben sich rekognoszieren lassen; von den Ingrossisten, die unter ihm gedient haben, ist einer, Adalman, unter Otto I. Rekognoszent geworden. Die Veränderungen, welche die Verfassung der Kanzlei während der Regierung Ottos I. erfahren hat, sind ungemein bedeutend gewesen. Zunächst nach dem Regierungsantritt des Königs blieb freilich ihre Organisation der des Vaters entsprechend. Die Erzbischöfe von Mainz und Trier blieben Erzkapeliane, beziehungsweise Erzkanzler (der ursprüngliche Unterschied beider Titel wurde nicht immer beachtet); der erstere für das Reich mit Ausnahme Lothringens, der letztere für diese Provinz. Kanzler blieb Poppo bis zum September 940, aber er ' Wenn, wofür manches spricht, STENGELS Vermutung a. a. 0 . S. 139ff. zutrifft, daß der Diktator SE mit Adeltag, dem späteren Erzbischof von Hamburg, identisch sei, so könnte man versucht sein, an ihn zu denken; aber dagegen spricht, daß er zur Zeit Ottos I. unter dem Kanzler Poppo als Notar erscheint. * Er ist dann im Jahre 936 noch einmal am Hofe Ottos I. erschienen, (DO. 1. 466), aber nicht wieder dauernd in der Kanzlei beschäftigt worden. 8 An der Identität von Folkmar und Poppo halte ich mit WAITZ a. a. O. S . 109 N . 4 , g e g e n SICKEL, BZD. 7, 72 ( 7 1 0 f . ) , f e s t , v g l . a u c h n o c h SICKEL, M I Ö G . E r g . 2, 89 N . 2 ; STENGEL a. a. 0 . S. 142 N . 5 a. 4 DH. I. 25; daß die Urkunde zum 1. Dez. 929 einzureihen ist, hat MEYEB, NA. 23, 118ff., sehr wahrscheinlich gemacht. 6 Wenn auch er in den Unterfertigungen von sieben Diplomen Notar und nur viermal Kanzler heißt, so mag hier die in den Rekognitionen der früheren Jahre Heinrichs herrschende Gewohnheit nachgewirkt haben. Am Schreibgeschäft hat er, soviel man erkennen kann, keinen Teil genommen; anch als Diktator ist er nicht nachweisbar.

Kanzlei

Ottos I.

425

versah sein Amt nicht ganz in derselben Weise wie unter Heinrich: hatte er von 931—936 jeden anderen Rekognoszenten ausgeschlossen, so kommen in der Zeit von 936—940 auch die Rekognitionen durch Notare, und zwar sowohl in Vertretung des Erzkapellans (936 und 937), wie in Vertretung des Kanzlers1 (940) wieder vor. Als dann Ende 940 Poppo seines Amtes enthoben wurde (er ward bald darauf durch das Bistum Würzburg entschädigt), ging jenes auf des Königs Bruder Bruno, einen damals noch sehr jungen Prinzen, über. Man hat wohl daran gedacht, daß Seine Ernennung den Zweck gehabt habe, die in der Kanzlei eingerissene Verwirrung zu beseitigen und einen geordneten Geschäftsgang herzustellen;2 aber davon kann nicht die Rede sein, die Ernennung ist offenbar im Dienste derselben Politik erfolgt, durch die in den nächsten Jahren auch andere Glieder der königlichen Familie in den Besitz der einflußreichsten Amter im Reich gelangten; und wenn man überhaupt von einer Verwirrung der Kanzleiverhältnisse unter Otto I. reden will, so ist sie gerade unter Bruno eingetreten.3 Denn während er in dem ersten Jahrzehnt seiner Amtsführung zwar die Unterfertigung durch Notare ausschloß, so daß von Ende 940—951 die Rekognition durch den Kanzler in Vertretung des Erzkapellans wieder die allein übliche wurde, war es in dieser Zeit keineswegs so klar festgestellt, in Vertretung welches Erzkapellans rekognosziert werden sollte. Neben den Erzbischöfen von Mainz und Trier, die diese Ehre bisher genossen hatten, erhoben nämlich die von Köln und Salzburg ohne Frage auf Grund der von ihren Vorgängern früher ausgeübten Rechte Ansprüche darauf und drangen damit wenigstens zum Teile durch. Am schlechtesten war es dabei ohne Frage mit den Prätensionen des Erzbischofs von Köln bestellt, der sich dafür nur auf die Regierungszeit Zwentibolds berufen konnte: er erlangte denn auch nur ganz ausnahmsweise in den Jahren 941 und 950, daß er in drei Urkunden, die seine eigene Kirchenprovinz betrafen, als Erzkapellan genannt wurde.4 Besser stand es mit den Ansprüchen Herolds 1 Der dann (DO. I. 25. 33), wie in ähnlichen Fällen früherer Zeit, auch Erzkanzler genannt wird, während von den ad vieem des Erzkapellans rekognoszierenden Notaren nur noch Adeltag, der spätere Erzbischof von Hamburg, zweimal (DD. 0 . I. 1. 7) Kanzler, dreimal aber (DD. O. I. 2. 3. 6) Notar heißt. ! So GIESEBRECHT noch in der letzten Auflage der Gesch. der deutschen Kaiserzeit 1 5 , 323, dessen hierauf bezügliche Darstellung überhaupt den neueren Forschungen gegenüber nicht aufrecht zu erhalten ist. 8 Wie sich das z. B. in der Datierung der Urkunden äußert, ist von SICKEL, BzD. 8, einleuchtend dargetan worden. 4 DD. O. I . 42. 123 (von P H I L I P P I , Osnabrück. UB. X, 7 4 zu n. 92, wie ich glaube zu Unrecht, angezweifelt). 124. Die Ansicht SICKELS (MG. DD. 1, 81), daß

426

Kanzlei Ottos I.

von Salzburg, für welche die Kanzleipraxis unter Arnulf, Ludwig IV, und Konrad I. sprach; wenigstens insoweit setzte er sie durch, daß er als Erzkapellan für Bayern anerkannt wurde; vom Juni 945 ab sind durch mehr als acht Jahre alle bayrischen Diplome des Königs in seinem Namen rekognosziert.1 Dagegen ist das Recht des Trierers in dieser Zeit nicht unangefochten geblieben: in der Zeit vom Januar 942 bis Januar 947 verschwindet sein Name aus den Urkunden, und auch nachher sind noch zweimal am 3. und 4. August 947 lothringische Diplome im Namen Friedrichs von Mainz unterfertigt worden. Mit welchen politischen Ereignissen diese Tatsachen zusammenhängen, vermögen wir nicht zu sagen: vielleicht war Rodberta Treue in dieser Zeit nicht frei von Verdacht; wenigstens ist im Jahre 945 von Heinrich, dem Bruder des Königs, eine Anklage wegen Infidelität gegen ihn erhoben worden, die allerdings mit seiner Freisprechung endete.2 Eine Veränderung in diesen Verhältnissen trat nun aber im Herbst 951 ein. Bekanntlich verließ damals Friedrich von Mainz, der schon früher wiederholt Proben seiner Unzuverlässigkeit gegeben hatte, mit Herzog Liudolf den in Italien weilenden König und nahm an jener Saalfelder Versammlung teil, die man als die Vorbereitung der gefährlichsten Verschwörung gegen Otto betrachtete.3 Damit wird es zusammenhängen, 4 daß seit dem Oktober 951 Bruno, während er im übrigen seine Stellung als Kanzler behielt, auch als Erzkapellan fungierte, 5 und daß man gleichzeitig zu dem Brauche zurückkehrte, die Notare 6 in seiner Vertretung rekognoszieren zu lassen. Damit war die die Berücksichtigung des Kölners in diesen Urkunden „nur die Bedeutung einer Zustimmung zu den auch auf das Gebiet des Kirchenregiments hinübergreifenden Verfügungen des Königs" gehabt habe, kann ich nicht teilen, ungeachtet der Bemerkungen MITTAGS, Erzbischof Friedrich von Mainz u. die Politik Ottos d. Gr. (Berliner Programm 1895) S. 43 N. 6. Konsens und Rekognition haben schwerlich etwas miteinander zu tun, und daß man den Konsentierenden Erzkapellan genannt hätte, kommt sonst niemals vor. Die Nennung des Kölners erklärt sich auch ohne diese Annahme durch das, was im Text geltend gemacht ist. 1 Hängt Herolds Eihebung zum Erzkapellan für Bayern etwa mit der zwei Jahre später erfolgten Ernennung Heinrichs zum Herzog zusammen? War sie die Bedingung seiner Zustimmung dazu? * DÜMMLEB, Jahrb. Ottos d. Gr. S. 143. * DÜMMLEB a. a. 0 . S. 2 0 0 .

4

SICKEL, BZD. 7, 97 (735FF).

* Erzkanzler heißt er nur in den von einem Italiener geschriebenen Diplomen DD. 0. I. 140. 142. 144, und in DO. I. 150, dessen Rekognoszent Abraham (s. unten S. 440) sonst nicht wieder vorkommt. 6 Die sich in solchen Fällen zum Teil wieder als cancellarii bezeichnen.

Kanxlei

Ottos I.

427

Möglichkeit gegeben, die Erwähnung Friedrichs in den Urkunden zu umgehen; bis zum Oktober 952 wird er gar nicht, 1 von da ab, nachdem er inzwischen begnadigt worden war, bis zu seinem Tode (Oktober 954) nur noch vereinzelt in den Rekognitionszeilen genannt. 8 Als dann im Sommer 953 Bruno zum Erzbischof von Köln erhoben wurde, gab er das Kanzleramt auf, behielt aber seinen Anspruch auf den Erzkapellanat oder seinen Anteil daran. Nun konnte wieder ein Kanzler an seiner statt unterfertigen; 3 man brauchte von dem Auskunftsmittel, Notare rekognoszieren zu lassen, keinen Gebrauch mehr zu machen; und abgesehen von ganz vereinzelten Ausnahmefällen, ist man für die nächsten anderthalb Jahrhunderte nicht wieder dazu zurückgekehrt: 4 die einzige in normalen Fällen während dieser Zeit angewandte Rekognitionsart ist die durch den Kanzler 5 in Vertretung des Erzkanzlers, beziehungsweise Erzkapellans. Aber die Kanzleiverfassung ließ sich noch weiter vereinfachen. Daß der Erzbischof von Salzburg 954 vom Könige abfiel, gab Veranlassung, ihn seines Hofamtes zu entsetzen; der Erzkapellanat für Bayern wurde Bruno allein übertragen. 8 Ob auch Rodbert von Trier 958 seinen Erzkapellanat für Lothringen verloren hat, läßt sich nicht so bestimmt ausmachen; er hatte ihn, wie wir wissen, nie so ausschließlich besessen, wie Herold das gleiche Amt für Bayern, und so würde die Rekognition zweier lothringischen Urkunden von 953 7 in Vertretung 1

Über das gefälschte D O . I . 153 vgl. jetzt OTTENTHAI., Reg. n. 216, und die Vorbemerkung zu DK. II. 10; STENGEL a. a. O. S . 159 N. 4, 564 N. 2 scheint es günstiger zu beurteilen. * Wenn Bruno nach 951 ad vicem Friedrichs oder Rodberts rekognosziert, führt er den Titel archieappellanus nicht, sondern nur den eines Kanzlers. 8 Den Kanzlerposten erhielt 953 der Notar Liutulf; über seine Nachfolger s. das Verzeichnis unten S. 439. 4 Solche Ausnahmefälle sind die unten S. 441 Z. 4 angeführte Urkunde, ferner die DD. 0 . I I . 55. 218; vgl. S I C K E L , M I Ö G . Erg. 2, 86. s Daß der Kanzler notarius genannt wird, kommt später nur noch selten vor, doch findet es sich noch einige Male unter Otto I I . , vgl. K E H R , Urkunden Ottos HI. S. 41 N. 1, und sogar noch einmal in DO. III. 1. 8 In dieser Hinsicht ist zu beachten, daß die bayerischen Urkunden von 954—965 nur ad vicem Brunos und nicht ad vicem Friedrichs oder Wilhelms von Mainz rekognosziert sind. — Über einen merkwürdigen Versuch, den der Erzbischof Pilgrim II. von Salzburg im Jahre 1387 gemacht hat, den seit Jahrhunderten verschollenen Titel eines Erzkapellans wieder aufzunehmen, vgl. STEINHERZ, MIÖG. 10, 462f. 7 DD. O. I. 168. 169. Beide Urkunden verfügen zugunsten trierischer Klöster gegen den Erzbischof; das mag erklären, weshalb sie nicht od vicem des letzteren rekognosziert sind. Ahnliches gilt dann auch von DO. I. 179.

428

Kanzlei Ottos I.

Brunos noch nicht nötigen, eine Absetzung Rodberts anzunehmen, die überdies, da dieser an der Verschwörung von 953 nicht teilnahm, schwer zu erklären sein würde. Jedenfalls aber ist 956 mit Rodberts Tode der Anspruch der Trierer Erzbischöfe auf das Erzkanzleramt oder den Erzkapellanat für Lothringen erloschen; von seinen Nachfolgern hat keiner ihn wieder durchgesetzt, wenn er überhaupt erneuert wurde. Daß nicht das gleiche geschah, als 954 Friedrich von Mainz starb, hat einen besonderen Grund; der Nachfolger Wilhelm war Ottos Sohn, den man nicht behandeln konnte wie einen Fremden. So blieben Mainz und Köln im konkurrierenden Besitz der nominellen Oberleitung der Kanzlei, beide in der Mehrzahl der Fälle den Titel Erzkapellan führend.1 Eine Scheidung der Kompetenzen nach Territorien fand nicht Statt, nur daß, wie schon bemerkt, für Bayern Bruno allein fungierte: was sonst den Ausschlag gab, den einen oder den anderen zu nennen, bleibt uns verborgen. War es 953 wohl die Absicht gewesen, den Erzbischof von Köln allmählich zum alleinigen Erzkapellan zu machen, so geschah nun das entgegengesetzte. Ais Bruno im Oktober 965 starb, setzte Wilhelm von Mainz es durch, daß dem Nachfolger im Erzbistum Köln, Folkmar, der Erzkapellanat nicht wieder verliehen wurde. So war die Einheit und Unteilbarkeit dieses Amtes hergestellt, aber zugunsten des Erzbischofs von Mainz, dem es dann — freilich in einer im Lauf der Zeit etwas abgewandelten Gestalt und unter anderem Titel — dauernd verblieb. Indes bezogen sich die Rechte des Erzbischofs von Mainz zwar auf das ganze Deutsche Reich, aber auch nur auf dieses. Für Italien wurden wenigstens in der letzten Zeit von Ottos Regierung besondere Anordnungen getroffen. Hatten die Karolinger, die über Italien regierten, von Karl dem Großen bis Arnulf dies Land einfach als einen Teil ihrer Reiche behandelt, dessen Geschäfte von der allgemeinen Reichskanzlei mitbearbeitet wurden, so war die Verbindung, die in den 1 SICKEIS Ansicht, MG. DD. 1, 82, daß eine gewisse Unterordnung Brunos unter Wilhelm bestanden habe, kann ich nicht teilen. SEELIOEK, Erzkanzler S. 226 (vgl. W A I T Z , VG. 6 364 N . 2) nimmt eine „Verschiedenheit der Stellung" Brunos und Wilhelms an, die auf der Fortdauer tatsächlicher Beziehungen Brunos zur Kanzlei beruhe. Meine Auffassung darüber ist unten S. 449 dargelegt. — Erzkanzler hieißt Bruno nur in italienischen Diplomen oder in solchen, die von LF herrühren, dem einzigen Notar der deutschen Kanzlei, der auch für die italienische Kanzlei gearbeitet hat. Dazu kommen nur ein Diplom des Lothringers Otpert (DO. I. 197), der sich hier an LF anschließt, und ein Diplom des LK (DO. I. 308).

Italienische Kanzlei Ottos I.

429

Jahren 951 und 962 zwischen Deutschland und Italien hergestellt wurde, bekanntlich nicht ganz der gleichen rechtlichen Natur, und sie bedurfte deshalb auch besonderer Einrichtungen. Zwar 951 wurde nur insoweit die Sonderstellung Italiens berücksichtigt, daß Otto in einer Urkunde dem letzten Erzkanzler Berengars IL, dem Bischof Brüning von Asti,' demnächst, da dessen politische Haltung wohl zweifelhaft war, dem Erzbischof Manasse von Mailand in zwei Diplomen2 die Ehre erwies, sie als Erzkanzler anzuerkennen. Auch wurde jene in Vertretung Brünings unterfertigte Urkunde von einem Ingrossisten hergestellt, der den bisherigen Königen Italiens gedient hatte, und ein anderer Italiener, Wigfrid, trat sogar als ständiger Notar in den Dienst Ottos, den er auch nach Deutschland begleitete. Dabei blieb man aber auch stehen, und von der Errichtung einer eigenen italienischen Kanzlei war um so weniger die Rede, als Otto bekanntlich schon im nächsten Jahre die Regierung Italiens Berengar und Adalbert wiederum überließ. Erst im Jahre 962, als die definitive Vereinigung Italiens mit dem deutschen Reiche beschlossen war, ward die Errichtung einer besonderen Kanzlei für das südliche Königreich erforderlich. Bereits im März 962 war ein Kanzler für Italien, Liutger, ernannt:3 wir vermögen nicht zu sagen, ob er ein Wälscher war oder ob er aus Deutschland stammte. Demnächst tritt uns dann am 20. April 962 1 — einige dazwischenliegende Diplome sind in der deutschen Kanzlei unterfertigt6 — auch ein italienischer Erzkanzler in der Person des Bischofs Wido von Modena, des letzten Erzkanzlers Berengars II. und Adalberts, entgegen, und vom August dieses Jahres an ist es dann fester Grundsatz, daß die italienischen Diplome, abgesehen von besonders zu erklärenden Ausnahmefällen, im Namen des italienischen Kanzlers in Vertretung des italienischen Erzkanzlers rekognosziert werden. Die Rekognition durch Notare ist entsprechend dem seit 953 in Deutschland herrschenden Prinzip auch für Italien ausgeschlossen und begegnet nur in zwei Ausnahmefällen.6 Im Kanzleramte folgten dann auf Liutger Ambrosius und 970 Petrus, zwei Männer, deren italienische Abkunft sicher ist; und Erzkanzler wurde nach Widos Abfall im Jahre 965 Bischof Hubert von Parma, Berengars II. letzter Kanzler. Im übrigen ist es zweifelhaft, ob die italienische Kanzlei den 1

i Vgl. oben S. 397 N. 4. DD. 0 . I. 138. 145. 4 DD. 0 I. 238. 239. DO. I. 242. 5 Sogar DO. I. 243 vom 29. Juli 962 trägt noch die Rekognitiöb des deutschen Kanzlers ad vieem des italienischen Erzkanzlers. 6 DO. I. 239 (vgl. NA, 23, 129), das noch Brun als Erzkanzler nennt, und DO- I. 245. 3

430

Kanzlei Ludwigs des Deutschen

Kaiser bei seiner Rückkehr nach Deutschland 965 begleitete, oder ob sie damals aufgelöst und erst 966 wieder ins Leben gerufen wurde. In der italienischen Kanzlei sind natürlich auch italienische Diktatoren und Ingrossisten beschäftigt worden; aber auch ein seither in der deutschen Kanzleiabteilung beschäftigter Beamter trat darin ein,1 und wenigstens einer jener Italiener ist dann später auch in Deutschland tätig gewesen, 2 so daß also eine ganz scharfe Scheidung der beiden Kanzleien in bezug auf das niedere Beamtenpersonal wahrscheinlich von vornherein nicht stattgefunden hat. Mit den Jahren 953 und 965 hat, wie schon bemerkt wurde, die Organisation der königlichen, beziehungsweise kaiserlichen Kanzlei die Gestalt erhalten, die ihr im wesentlichen unverändert bis zum Anfang des 12. Jahrhunderts verblieben ist.3 Haben wir bis hierher die Regierung jedes einzelnen Herrschers für sich betrachten müssen, so wird das für die Folgezeit nicht nötig sein: es wird gestattet sein, den ganzen Zeitraum der nächsten anderthalb Jahrhunderte zusammenzufassen. Ehe wir aber dazu übergehen, schließen wir wiederum eine Liste der uns namentlich bekannten Kanzleibeamten aus der Zeit von Ludwig dem Deutschen bis zum Tode Ottos I. hier an.

Ludwig II. der Deutsche. I. Kanzleivorsteher.

A. Bis zum Jahre 854. 1. G a u z b a l d 830 Okt. 6—833 Mai 27. M Ü H L -

BACHER2 n. 1340. 1352. — Abt von Niederaltaich; Nov. 842

Bischof von Würzburg, gest. 20. Sept. 855; vgl. DÜMMLEB, Ostfr. Reich 2 2 , 428 f. 2. G r i m a l d 833 Okt. 19—837 Sept. 23. MÜHLBACHER 2 n. 1353. 1365. 4 — Abt von Weißenburg; später Erzkapellan, s. unten. 1

Vgl. DO. I. 248. 249ff.

1

Vgl.

3

SICKEL, B z D .

8, 3 4 (162) u n d

zu DO.

I. 2 7 6 .

279.

Für kurze Zeit scheint die Einheit der Kanzlei in den ersten Jahren Ottos II. wieder hergestellt zu sein, in denen nur eine geringe Zahl von Urkunden für Italien auszufertigen war. Doch ist schon 976 wieder der Name des italienischen Erzkanzlers in den Urkunden erwähnt und seit 977 (oder 978, s. unten S. 468) auch wieder eine eigene italienische Kanzleiabteilung organisiert worden. Vgl. MIÖG. Erg. 2, 95ff. Über die Zeit Ottos III und Heinrichs II. s. unten S. 444; über die letzte Zeit Heinrichs IV. und die Anfänge Heinrichs V. Tinten S. 445. * Über die Rekognition von MÜHLBACHER' n. 1 3 7 1 vgl. dessen Bemerkungen, die freilich keine völlig befriedigende Erklärung der Unregelmäßigkeit geben.

Kanzlei

Ludwigs

des

Deutschem

431

3. R a t l e i c 8 4 0 Dez. 1 0 — 8 5 4 Mai 18. MÜHLBACHER2 n. 1366. 1408. — 8 2 6 Notar Einhards, 8 4 0 Abt von Seligenstadt; stirbt 14. Juni, wahrscheinlich 8 5 4 ; vgl. DÜMMLER, a. a. 0 . 2 2 , 4 3 1 ff. II. Notare.

1. A d a l l e o d , Diakon, 8 3 0 Okt. 6 — 8 4 0 Dez. 14.

MÜHL-

2

BACHER n. 1340. 1369. — Wahrscheinlich früher im Kloster St. Martin zu Tours, vgl. SICKEL, K U . i. d. Schweiz S. 4. 2. D o m i n i c u s

840

Dez.

10 — 841 Aug.

18.

MÜHLBACHER2

n. 1366. 1370. — 8 3 7 im Dienste des Erzkapellans Baturich, Bischofs von Regensburg, Pez, Thesaur !, 2 5 2 n. 8 0 (vgl. n. 77). 1 3. C o m e a t u s seit 8 4 3 Okt. 31. MÜHLBACHEK2]!. 1373. — S. unten. 4. R e g i n b e r t , Subdiakon, seit 851 Diakon, 8 4 4 Sept. 1 5 — 8 5 2 J u n i 23. MÜHLBACHER2 n. 1379. 1401. 5. H a d e b e r t , Subdiakon, 8 5 4 Mai 18. MÜHLBACHER2 n. 1 4 0 8 . 2 — S. unten. Wahrscheinlich aus St. Martin von Tours, SICKEL, K U . i. d. Schweiz S. 5.

B. . Erzkapeliane. BACHER2 n.

Seit dem Jahre 8 5 4 .

1. G r i m a l d 8 5 4 Juli 2 2 — 8 7 0 Apr. 12. 1409.

1479. —

MÜHL-

Seit 841 Abt von St. Gallen,

wahrscheinlich auch von Ellwangen; stirbt 13. Juni 8 7 2 ; vgl. DÜMMLER, a. a. 0 . 2 2 , 4 3 0 ff.; METER VON KNONAU, Allg. deutsche Biogr 9, 701 ff. 2. L i u t b e r t 1482.

870

Sept. 2 5 — 8 7 6

1 5 1 8 . — Erzbisehof

Juli

von

19.

Mainz,

MÜHLBACHER2 später

n.

Erzkapellan

Ludwigs III.; vgl. DÜMMLER a. a. 0 . 2 2 , 4 3 8 ff.

Auch danach noch bleibende Zweifel an der Echtheit der Urkunde könnte nur die Wiederauffindung des zuletzt in russischem Privatbesitz befindlichen, seit einigen Jahren verschollenen Originals widerlegen. 1 Faksimile einer von ihm geschriebenen Tauschurkunde zwischen Baturich und einem gewissen Maurentius bei CHBOUST, Mon. palaeogr. Ser I, Lief. 6, Taf. 4. 5. Die Urkunde ist geschrieben auf einem Pergamentblatt, das eine Königsurkunde, doch ohne Signumzeile und Datierung, enthalten zu haben scheint; die Verwendung dieses Blattes läßt also auf damalige Tätigkeit des Dominicus in der Kanzlei schließen. Da Baturich im Jahre 844 für den Priester Dominicus, dem Ludwig eine Besitzung zu Lebenbrunn schenkt, interveniert (MÜHLBACHEB" n. 1379; jetzt Salzburger UB. 2, 31 n. 16), ist die Identität dieses Dominicus mit dem Notar nicht unwahrscheinlich; die Urkunde mag später mit dem Besitz an Salzburg gekommen sein. • Die Fälschungen MÜHLBACHEB* n. 1402. 1406 sind nicht zu verwerten.

Kanzlei Ludwigs des Jüngeren

432 I L Kanzler.

1. Baldricus, AM, 855 März 2 0 — 8 5 6 Jan. 2 0 (?). MÜHLBACHEB2 n. 1412. 1414. 1415.1 — Wahrscheinlich gestorben 856 Febr. 6; vgl. DÜMMLEB a. a. 0. 2 2 , 436. 2. Witgar 8 5 8 Febr. 2 — 8 6 1 Juli 8. MÜHLBACHEB 2 n. 1 4 3 0 . 1446. — Abt von Ottobeuren nach 852; später Bischof von Augsburg und Erzkapellan Karls I I I . ; vgl. DÜMMLEB a. a. 0 . 2 2 , 4 3 6 f. 3. Hebarhard 8 6 8 Febr. 4 — 8 7 6 Juli 19. MÜHLBACHEB 2 n. 1 4 6 7 . 1518. — Vorher Notar; später vorübergehend in der Kanzlei Karls HI.

I I I . Notare.

1. Comeatus bis 858 Apr. 29. MÜHLBACHEB 2 n. 1 4 3 4 .

2. Hadebert, Subdiakon, bis 859 Apr. 25. MÜHLBACHEB 2 n. 1437. Schreibt noch am 1. Mai 859. MÜHLBACHEB 2 n. 1438. 3. Liutbrand, Diakon, 858 Febr. 2—875 Nov. 25. MÜHLBACHEB2 n. 1 4 3 0 . 1 5 1 6 , vgl. 1 5 1 7 . — Erhält 8 7 5 für seine

Dienste das Klösterlein Faurndau auf Lebenszeit, n. 1511. 1512; später Kapellan Arnulfs,

BACHEB 2

BACHEB 2 n.

MÜHLMÜHL-

1780.

4. Walto, Subdiakon, 858 Dez. 7—861 Apr. 1. MÜHLBACHEB 2 n. 1436. 1445. — Später Notar Karls III. 5. Hebarhard 859 Mail—867 Aug. 17. MÜHLBACHEB 2 n. 1438. 1466. — Wahrscheinlich aus Kloster Weißenburg, vgl. SICKEL KU. i. d. Schweiz S. 5; wird 868 Kanzler.

Ludwig III. der Jimgere. I. Erzkapellan. Liutbert, Erzbischof von Mainz, 877 Jan. 4—882 Jan 18. MÜHLBACHEB 2 n. 1549. 1575.2 — Später Erzkapellan Karls III. II. Kanzler. 1. Wolfher 876 Nov. 11—880 März 23. MÜHLBACHEB 2 n. 1548. 1566. — Später Bischof von Minden, vgl. STENGEL, Diplomatik der deutschen Immunitätsprivilegien S. 84 N. 3; stirbt 886 Sept. 15; vgl. DÜMMLEB a. a. 0 . 3 2 , 274 N. 5. 1 M Ü H L B A C H E R 2 n. 1 4 1 4 . 1 4 1 5 sind unecht-, das Eschatokoll stammt aus echter Vorlage, doch ist das Datum nicht völlig sicher verbürgt. Denn wenn derselbe Fälscher in MÜHLBACHER* n. 1 4 1 9 aus derselben Vorlage das Datum des 20. August eingesetzt hat, das sicher verkehrt ist, so kann auch das des 20. Jan. nicht als über jeden Zweifel gesichert gelten. 2 M Ü H L B A C H E R 2 n. 1 5 7 6 vom 1 9 . Jan. ist Fälschung S C H O T T S , vgl. W I B E L , NA. 2 9 , 6 9 8 ff.

Kanzlei 2. A r n o l f 1575.1

Karlmanns

II., Karls

8 8 0 Mai 3 — 8 8 2 Jan. 18.

III.

433

MÜHLBACHER2 n. 1 5 6 7 .

Karlmann IL von Bayern I. Erzkapellan. T h e o t m a r , Erzbischof von Salzburg, 8 7 7 J u n i 2 8 bis 8 7 9 Aug. 11. MÜHLBACHEK2 n. 1522. 1 5 4 7 . — Später Erzkapellan Arnulfs. II. Kanzler. B a l d o 8 7 6 Nov. 3 — 8 7 9 Mai 11. n. 1 5 2 0 . 1 5 4 3 . III. Notar. M a d a l w i n 8 7 6 Nov. 3 — 8 7 9 Aug. 11. n. 1520.

MÜHLBACHER2 MÜHLBACHER2

1547.

Karl III. I. Oberste Kanzleichefs. 1. W i t g a r , Bischof von Augsburg, Erzkapellan 8 7 7 Apr. 1 5 — A u g . 18. MÜHLBACHER2 n. 1578. 1 5 8 2 . — Früher Kanzler Ludwigs des Deutschen; stirbt 8 8 7 , vgl. Regino 8 8 7 (ed. KÜRZE S. 128). 2. L i u t w a r d , Erzkanzler und Erzkapellan, 8 7 8 — 8 8 7 Juni. MÜHLBACHER2 n. 1585. 1 7 5 0 , vgl. 1 7 5 1 . 52. 54. 2 — Vorher Kanzler; seit Febr. 8 8 0 Bischof von Yercelli; abgesetzt Ende J u n i oder Juli 8 8 7 ; stirbt 24. J u n i 9 0 0 . 3. L i u t b e r t , Erzbischof von Mainz, Erzkanzler und Erzkapellan, 8 8 7 Juli 2 4 - S e p t . 21. MÜHLBACHER2 n. 1755. 1 7 5 9 . 3 — Stirbt 8 8 9 Febr. 17. 1 Die Echtheit von M Ü H L B A C H E K 2 n. 1553 mit der Rekognition Hebarhardus cane. adv. Liutberti archicapp., das mit dem oben S. 430 N. 4 erwähnten Diplom M Ü H I B A C H E R * n. 1371 eng zusammenhängt, scheint mir noch nicht hinreichend verbürgt. 8 Wie der Zeitpunkt, an welchem Liutward zur Alleinherrschaft in der Kanzlei gelangte (s. oben S. 416), so ist auch der seines Sturzes nicht mit voller Gewißheit zu bestimmen. Das letzte Original, das ihn als Erzkanzler nennt, ist M Ü H L B A C H E K 2 n. 1750 vom 30. Mai, das erste Original, in dem Liutbert wieder erscheint, ist n. 1755 vom 24. Juli 887. Dazwischen liegen — außer dem der Rekognition entbehrenden D. n. 1753 — drei Urkunden vom 16., 17. und 23. Juni (n. 1751. 52. 54), deren Überlieferung zvischen beiden Namen schwankt. Volle Sicherheit ist hier nicht zu gewinnen; doch ist, da auch in M Ü H L B A C H E R 2 1726, und hier ganz sicher, in der gleichen Uberlieferung, die für n. 1751. 1752 vorliegt, der Name Liutwards verderbt ist, eine ähnliche Verderbnis in den drei Urkunden vom Jahre 887 sehr wahrscheinlich. 3 Die Rekognition der Fälschung M Ü H L B A C H E R ® n. 1 7 6 1 muß, wenn nicht Liutwardi aus Liutberti verderbt ist, einer Urkunde aus der Zeit vor dem Sturze. Liutwards entnommen sein.

llrrUln»,

rrkundenlohrp.

3. A u f l . [ .

2S

Kanxlei Karls III.

434 I I . Kanzler.

Liutward

877 A p r

15—878.

MÜHLBACHEB 2 n. 1578.

1584, vgl. 1587. — Wird oberster Kanzleichef. I I I . Notare.

1. H e r n u s t (Ernust), Subdiakon, 877 Juli 11—885 Jan. 11.

MÜHLBACHER 2

2. I n q u i r i n u s

1581—1692.

878 März 2 4 ] — 8 8 7 Mai 30.

MÜHLBACHEB2

n. 1585. 1750. (3. G a i d u l f , Diakon, 880 März 30. MÜHLBACHEB2 n. 1603; wohl nicht zum ständigen Kanzleipersonal gehörig, s. oben S. 416 N. 2.) (4. D e u s d e d i t 880 Dez. 21. MÜHLBACHEB2 n. 1606; wahrscheinlich in derselben Stellung wie Gaidulf.) 5. W a l d o 880 Dez. 29 — 884 Juni 26. MÜHLBACHEB2 n. 1608. 1688. — Wird Bischof von Freising 884 vor Juni 26 (MÜHLBACHEB2 n. 1688) und tritt bald darauf aus der Kanzlei; 2 stirbt 906 Mai 18; vgl. DÜMMLEB a. a. 0 . 3 2 , 539.

6. A m a l b e r t 8 8 1 April 14—887 Sept. 21. MÜHLBACHEB2^ 1617. 1759. — Vielleicht aus Kloster St. Gallen; vgl. MÜHLBACHEB, SB. der Wiener Akademie 92, 358. (7 H e b a r h a r d 881 Mai 9. MÜHLBACHEB2 n. 1619. — Früher Kanzler Ludwigs des Deutschen; in der Kanzlei Karls I I I . wohl nur vorübergehend beschäftigt.)3 8. S e g o i n 884 Febr. 14—Sept. 20.

MÜHLBACHEB2 n. 1678.

1691. 9. S a l o m o n

885 A p r

15—Sept.

23.

MÜHLBACHEB 2 n

1695.

1715. — Aus St. Gallen, vgl. SICKEL, K U . i. d. Schweiz S. 5; später Kanzler Ludwigs I V . 10. A n g e l u l f 887 Febr. 10.

MÜHLBACHEB2 n. 1744.

11. L i u t f r e d 887 Mai 7. MÜHLBACHEB2 n 1749.* — vgl. SICKEL, K U i A . zu Lief. V I I , Taf. 20.

Italiener,

12. F r e d e b o l d 887 Aug. 11—Ende Sept. MÜHLBACHEB2 n. 1756. 1757. 1760. 13. A l b r i c u s 887 nach Juni.

MÜHLBACHEB2 n. 1762.

1 Die Rekognition der Fälschung M Ü H L B A C H E R 2 n. 1579 vom 2'2.Mai 877 wird aus einer späteren Urkunde übernommen sein. 2 Über zwei spätere Urkunden mit seiner Unterfertigung vgl. M Ü H L BACHER, SB. der Wiener Akademie 92, 360ff. 3 Über M Ü H L B A C H E R 2 n. 1 6 5 6 mit der Rekognition Heuerarclus not. ad vieem Liutcardi archicane. vgl. die dort gegebenen Ausführungen. 4 Außerdem in der Fälschung n. 1663, deren Rekognition aus echter Vorlage stammt, deren Datierung aber unsicher ist.

Kanxlei Arnulfs,

Zwentibolds

435

Arnulf. I. Erzkapellari. T h e o t m a r , Erzbischof von Salzburg, 887 Nov. 27 bis 899 Juli 2. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1766. 1955 — Später Erzkapellan Ludwigs IV. II. Kanzler. 1. A s p e r t 888 Jan. 4 — 892 Dez. 7. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1772. 1878. — Schon 884 im Dienste, wahrscheinlich in der Kapelle, Karls III., MIÖG. 10, 479 N. 1. Diakon von Regensburg; nach 891 Juli 14 Bischof von Regensburg; stirbt 893 März 12 (13); vgl. DÜMMLER a. a, 0 . 3 a , 482 f. 2. W i c h i n g , Bischof von Neutra, 893 Sept. 2 — 899 Febr. 8. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1891. 1952. — 899 auf kurze Zeit Bischof von Passau; vgl. DÜMMLER a. a. 0 . S. 483 f. I I I . Notare. 1. E r n u s t 887 Nov. 27—899 Mai 1. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1766. 1954. — Wohl aus Kloster Reichenau, vgl. STENGEL a. a. 0 . S. 137 N. 2; bleibt Notar Ludwigs IV. 1 2. E n g i l p e r o 887 Dez. 11—899 Juli 2. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1767. 1955. — Schon 844 im Dienste Karls III., MIÖG. 10, 479 X. 1; bleibt Notar Ludwigs IV.

Zwentibold von Lothringen. I. Oberste Kanzleichefs. 1. R a t b o d (Ratpod), Erzbischof von Trier, Erzkanzler, 895 Mai 30—896 Juli 30 und 898 Febr. 5—900 Jan. 9. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1956. 1966. 1973. 1983. — Bleibt Erzkanzler Ludwigs IV. 2. H e r i m a n n , Erzbischof von Köln, Erzkapellan, 896 Nov. 11 bis 8 9 7

Dez.

28.

MÜHLBACHER2 n .

1967.

II. Kanzler. E g i l b e r t 896 Nov. 11—897 Juli 26. n. 1967. 1971. — Vorher Notar.

1972. MÜHLBACHER3

III. Notare. 1. C o z b e r t 895 Mai 30. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1956. 2. E g i l b e r t 895 Juni 5. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1957. — Wird Ende 896 Kanzler. 3. W a l d g e r 895 Aug. 1 4 - 8 9 9 Jan. 23. M Ü H L B A C H E R 2 n. 1958. 1982. 1

Die Frage seiner Identität mit Karls III. Notar Hernustus bedarf auch nach den Ausführungen von STENGEL a. a. 0. S. 87 N. 1 noch eingehenderer Untersuchung. 28*

Kanzlei Ludwigs IV.

436

4. H u n g e r 896 Juli 30. 5. F r a n c o

9 0 0 J a n . 9.

MÜHLBACHEB2 n. 1966. MÜHLBACHEB 2 n . 1 9 8 3 .

Ludwig IV. das Kind. A. Ostfränkische Kanzlei. I. Erzkapeliane.

1. T h e o t m a r , Erzbischof von Salzburg, 900 Febr.

7 — 9 0 7 März 19.1

MÜHLBACHEB 2 n . 1 9 8 4 .

2043. —

Vorher

Erzkapellan Arnulfs; stirbt 907 Juli 5 oder 6; vgl. DÜMMLER a. a. O. 3 2 , 5 4 8 . 2. P i l i g r i m , Erzbischof von Salzburg, 907 Okt. 22—911 Juni 16. MÜHLBACHER 2 n . 2 0 4 5 . 2 0 7 0 . — W i r d E r z k a p e l l a n K o n r a d s I .

II. Kanzler. 1. E r n u s t 900 Okt. 8—908 Okt. 5. MÜHLBACHER2 LI. 1989. 2054. — Vorher Notar Arnulfs. 907. 908 auch Kanzler der lothringischen Kanzlei. 2. S a l o m e n , Abt von St. Gallen und Bischof von Konstanz. 9 0 9 J a n . 2 0 — 9 1 1 J u n i 16.

MÜHLBACHER 2 n . 2 0 5 7

2070.

— 885 Notar, 889 Kapellan Arnulfs, seit 890 Abt und Bischof; vgl. LADEWIG, Eegestä epp. Constant. 1, 24. Wird Kanzler Konrads I. III. Notare. 1. E n g i l p e r o 900 Febr. 7 — 906 Nov. 20. MÜHLBACHEB2 n. 1984. 2041. — Vorher Notar Arnulfs. 2. O u d a l f r i d 908 Dez. 17—910 Okt. 9. MÜHLBACHER2 n. 2055. 2067. — Bleibt Notar Konrads I.

I. Erzkanzler. O k t . 15.

B. Lothringische Kanzlei. R a t b o d , Erzbischof von Trier, 900 März 22 — 910 MÜHLBACHEB 2 n . 1 9 8 5 .

2068.

II. Kanzler. 1. S w i t g a r ? 902 Sept. 10. MÜHLBACHEB2 n. 2001. 2. E r n u s t 907 Okt. 2 6 - 9 0 8 Jan. 18. MÜHLBACHER2 n. 2046. 204 7.2 — Auch Kanzler der ostfränkischen Kanzlei. 1

Die Rekognition von M Ü H L U A C H E R 5 n. 2044 ist nach dessen Ausführungen MIOG. 24, 431 nicht zu verwerten. ' Ernustus (nicht wie M Ü H L B A C H E B schreibt Ernusdus) lautet der Name im Or. von n. 2046, von dessen Rekognition R E U S E N S in Analectes pour servir à l'hist. ecclésiast. de la Belgique II, 9, 100 ein Faksimile mitteilt (wiederholt in seineu Eléments de paléographie S. 144). Früher wurde hier Ernusdus oder Ernuldus? gelesen, und es kann also nicht der leiseste Zweifel sein, daß auch in dem nur abschriftlich erhaltenen D. n. 2048 Ernustus statt Ernuldus einzusetzen ist

Kanzlei Konrads I., Heinrichs 1. I I I . Notare.

1.

N. 1 9 8 5 .

Albericus

900

März 22 —Okt. 31.

437 MÜHLBACHER2

1992.

2. R u a d m i r (Ruadivircus) 902 Sept. 19. M Ü H L B A C H E R 2 n. 2002. 3. T h e o d u l p h 902 Okt 9 — 9 1 0 Okt. 1 5 . MÜHLBACHER2 n.

2005.

2068.

Eonrad I. I. Erzkapellane. 1. H a t t o , Erzbischof von Mainz, 911 Nov. 10. DIv. 1.1. 2. P i l i g r i m , Erzbischof von Salzburg, 912 Jan. 11 — 918 Sept. 12. DK. I. 2. 37. — Früher Erzkapellan Ludwigs IV. Stirbt 923 Okt. 8. II. Kanzler. S a l o m o n , Bischof von Konstanz, 912 Jan. 11—918 Sept. 12. DK. I. 2. 37. — Vorher Kanzler Ludwigs IV.; stirbt 919 oder 920, s oben S. 423 N. 3. III. Notar. O d a l f r i d 911 Nov. 10—912 Aug. 23. DK. I. 1. 10. — Vorher Notar Ludwigs IV.; wird wahrscheinlich 912 Bischof von Eichstätt; stirbt 933 Jan. 1.

Heinrich I. I. Erzkapellane für Deutschland. 1. H e r i g e r , Erzbischof von Mainz, 920 April 3—927 Okt. 18. DH. I. 1. 14. — Stirbt 927 Dez. 1. 2. H i l t i b e r t , Erzbischof von Mainz, 927 Dez. 27—935 Okt. 12. DH. I. 15. 41. — Später Erzkapellan Ottos I. II. Erzkanzler (Erzkapellane) für Lothringen. 1. R u o t g e r , Erzbischof von Trier, 927 Dez. 28—929 Dez. 27. DH. I. 16. 21. — Stirbt 930 Jan. 27. 2. H i l t i b e r t , Erzbischof von Mainz, 930 Juni 5—931 Febr. 23. DH. I. 23. 26. 3. R u o d b e r t , Erzbischof von Trier, 935 Juni 8. DH. I. 40. — Später Erzkapellan Ottos I. I I I . Kanzler. P o p p o (Folcmar) 931 Apr. 14—935 Okt. 12. DH. I. 28. 41. — Vorher Notar; später Kanzler Ottos I. Da nun die Rekognition von 2046, wie gleichfalls schon REUSENS bemerkt hat, von derselben Hand wie die des D. n. 2034, d. h. also von Simon geschrieben ist, so ist es völlig sicher, daß hier ebenso wie in n. 2034 der ostfränkische Kanzler zu verstehen ist, und es ist schwer begreiflich, wie MÜHLBACHBB, Reg.' S. CV. CXV, dies übersehen konnte.

438 IV. Notare. 1. S i m o n 920 April 3—931 Febr. 23. DH. I. 1. 26, vgl. 19. — Vorher seit 906 Mai 30 Iiigrossist Ludwigs IV. und Konrads I., vgl. SICKEL ZU KUiA. Lief. I, Taf. 15; später noch Notar Ottos I., s. unten. 2. V a l e h i n g 929 Dez. 27. DH I. 21. 3. F o l c m a r (Poppo) 929 Dez. I. 1 DH. I. 25. — Wird 931 Kanzler. Otto I. A. Deutsche Kanzlei. I. Erzkapeliane (Erzkanzler). 1. R u o d b e r t , Erzbischof von Trier, 936 Aug. 8—953 April 21. DO. I. 466. 164. — Stirbt 956 Mai 19; vgl. DÜMMLEK, Otto d. Gr. S. 281. Fungiert f ü r Lothringen mit Ausnahme der Zeit von 942 J a n . - 9 4 7 Jan., aber nicht ausschließlich. 2. H i l t i b e r t , Erzbischof von Mainz, 936 Sept. 13—937 Mai 23. D O . I . 1. 8. —

Stirbt 937 Mai

3 1 ; v g l . DÜMMLEK a. a.

0.

S. 66. Fungiert für Sachsen, Franken und Schwaben. 3. F r i d e r i c h , Erzbischof von Mainz, 937 J u n i 30—953 Ende April. DO. I. 11. 165. — Stirbt 954 Okt. 25; vgl. DÜMMLEK a. a. 0 . S. 240 Fungiert für Sachsen, Franken, Schwaben, bis 942 Sept. 22 auch für Bayern, von 942 Jan.—947 J a n . und 947 Aug. auch für Lothringen. 4. W i c f r i d , Erzbischof von Köln, 941 Nov. 25 und 950 April 15—20. DO. I. 42. 123. 124. — Stirbt 953 Juli 9; vgl. DÜMMLEK a. a. 0 . S. 220. Fungiert nur für seine Erzdiözese. 5. H e r o l t , Erzbischof von Salzburg 945 J u n i 4—953 Dez. 10. D O . I. 6 7 . 1 7 1 . — G e b l e n d e t 9 5 5 ; vgl. DÜMMLEK a. a. 0 . S. 2 4 8 .

Fungiert für Bayern. 6. B r u n o , seit 953 Erzbischof von Köln, 951 Okt. 15—965 Okt. 1. D O . I. 1 3 9 . 3 0 9 . — S t i r b t 9 6 5 O k t . 1 1 ; v g l . DÜMMLER a. a. 0 .

S. 396; bis 953 zugleich Kanzler. Fungiert für Bayern seit Ende 953 ausschließlich, für das übrige Reich seit 956 konkurrierend mit Mainz. 7. W i l h e l m , Erzbischof von Mainz, 956 Febr. 29—967 Okt. 15. DO.1.176. DO.II. 1 4 . 3 — S t i r b t 9 6 8 M ä r z 2 ; v g l . DÜMMLEK a.a.O. 1

S. oben S. 424 N. 3. — Von der Rekognition von DO. I. 437 kann nach den Erörterungen von UHLIRZ, MIÖG. Erg. 1, 373F., kein Gebrauch gemacht werden. 3 Hier wie bei der Bestimmung der Amtszeit des Kanzlers Liutulf, s. unten, müssen die Urkunden Ottos II., der bis zum Tode seines Vaters keine eigene Kamlei hatte, einbezogen werden.

Kanzlei Ottos I.

439

S. 438. Fungiert bis 965 Okt. konkurrierend mit Köln für das ganze Reich mit Ausnahme Bayerns, seitdem allein für das ganze Reich. 8. H a t t o , Erzbischof von Mainz, 968 Okt. 2 - 9 7 0 Jan. 23. DO. I. 361. 385. 1 — Stirbt 970 Jan. 17 (18); vgl. DÜMMLEK a, a. 0 . S. 472. Fungiert für das ganze Reich. 9. R u o d b e r t , Erzbischof von Mainz 970 Jan. 2 5 - 9 7 3 April 27. DO. I. 388. 2 433. — Fungiert für das ganze Reich. Bleibt Erzkapellan Ottos II. II. Kanzler. 1. P o p p o 936 Nov. 4—940 Sept. 15. 3 DO. I. 4. 34. — Früher Kanzler Heinrichs I. F ü h r t 940 April 7 und Juli 13 den Erzkanzlertitel; wird 941 Bischof von Würzburg; stirbt 961 Febr. 14 oder 15; vgl. DÜMMLEK a. a. 0 . S. 320. 2. B r u n o 940 Sept. 25—953 April 21. DO. I. 35. 164. — Seit 951 mit dem Titel archicappellanus oder arehicancellarius. Wird 953 Erzbischof von Köln und bleibt Erzkapellan s. oben. 3. L i u t u l f 953 Aug. 11—967 Okt. 15. DO. I. 166. DO. II. 14. — Wahrscheinlich 948 Kapellan, s. unten S. 448; 952 Notar; wird Ende 967 oder Anfang 968 Bischof von Osnabrück. 4. P o p p o II. 968 J u n i 29. DO. I. 358. 5. L i u d i g e r 968 Okt. 2 - 9 7 0 Aug. 3. DO. I. 361. 397. Wohl nicht identisch mit dem italienischen Kanzler gleichen Namens, s. unten und vgl. SICKEL, MG. DD. 1, 86 gegen STUMPF, Wirzburger Immunitätsurkunden 1, 42. 6. W i l l i g i s 971 Dez. I 4 — 9 7 3 April 27. DO. I. 404. 433. — Bleibt Kanzler Ottos II. III. Notare. 1. S i m o n 936 Aug. 8. Heinrichs I.

DO. I. 466. — Früher Notar

2. A d e l t a g 936 Sept. 13—937 Febr. 4. DO. I. 1. 7. Heißt cancellarius oder nolarius. — Vielleicht schon unter Heinrich I.

1 DO. I. 385 vom 23. Jan. 970 ist rekognosziert, ehe die Nachrieht seines Todes der in Italien weilenden Kanzlei bekannt wurde. * DO. I. 388, vom 25. Jan. datiert, ist jedenfalls erst später vollzogen. Ruotbert kann nicht wohl vor dem März ernannt, keinesfalls aber am 25. Jan. schon Erzkapellan gewesen sein. 3 DO. I. 37 von 941 Apr. 23 ist noch in Poppos Amtszeit rekognosziert, aber erst später vollendet worden, vgl. BzD. 7, 81 (719). 4 Vielleicht schon im Sommer 971 eingetreten, vgl. OTTENTHAL, Reg. n. 531 zu D O . I. 406.

Kanzlei

440

(3.

4. 5.

6.

7. 8. 9. 10.

Ottos I.

Diktator, s. oben. S. 4 2 4 N. 1. Wird 937 Erzbischof von Bremen; stirbt 988 April 28; vgl. D Ü M M L E R a. a. 0 . S 67; D E H I O , Bremen-Hamburg 1, 132. N o t k e r 940 April 7. DO. I. 2 5 , schreibt auch DO. I. 26. — Mönch von St. Gallen; nicht zum eigentlichen Kanzleipersonal gehörig.) A d a l m a n 940 Juli 13. DO. I. 33. — Ingrossist schon unter Heinrich I. seit 932 Jan 7. W i g f r i d 951 Okt. 1 5 — 9 5 2 März 12. DO. I. 139. 148. Bezeichnet sich als cancellarius. — Ingrossist schon 951 Okt. 9. Italiener. L i u t u l f 952 April 2 9 — J u n i 26. DO. I. 149. 152. Bezeichnet sich stets als cancellarius. — Wird 953 August wirklicher Kanzler, s. oben. A b r a h a m 952 Juni 7. DO. I. 150. Ob Kanzleibeamter? 1 E n n o 952 Juli 4. DO. I 154. 2 Ob Kanzleibeamter? H a o l t 9 5 2 Aug. 9. DO. I. 155. Nennt sich cancellarius. Ob identisch mit Hoholt? O t b e r t 952 Sept. 9—Okt. 26 DO. I. 156. 158. Nennt sich cancellarius. — In der Kanzlei schon seit 948 Juni 11 und bis 958 Dez. 2, vgl. DO. I. 103. 3 198.

1 Die von v. O T T E N T H A L , MIÖG. Erg. 6, 28f., festgestellte Tatsache, daß das von Abraham rekognoszierte DO. I. 150 von demselben Schreiber herrührt wie das auf Intervention des Bischofs Abraham von Freising für dessen Vassailen Negomir ausgestellte DO. I. 279, legt die Vermutung nahe, daß der Rekognoszent des DO. I. 150 mit dem späteren Bischof von Freising identisch ist, und daß dieser die von ihm erwirkte Urkunde für seinen Vassalien selbst geschrieben hat. Dann muß natürlich das DO. I. 279 dem Notar LE, dem S I C K E L es zugewiesen hat, abgesprochen werden; könnte es ihm, wie OTTENTHAL bemerkt, überhaupt nur unter der Voraussetzung beigelegt werden, daß das DO. I. 150 eine nach 960 hergestellte Neuausfertigung wäre, so spricht gegen diese Voraussetzung, daß dies D., wie die Siegelabbildung bei J O S T E S zeigt, vor Ende 956 besiegelt worden ist, da sein Siegel noch nicht den Sprung aufweist, den damals der erste Siegelstempel Ottos I. erlitten hat. * Die Annahme S T E N G E L S a . A . O . S . 159, daß er mit dem Schreiber und Diktator BG identisch sei, ist nicht ausreichend begründet. Die Übereinstimmung der Arenga und Publicatio von DO. I. 154, das Enno rekognosziert hat, mit dem von BG verfaßten echten Bestandteilen des DO. I. 153 verbürgt keineswegs, wie STENGEL annimmt, daß beide Diplome „zweifellos" von dem gleichen Verfasser herrühren, sondern erklärt sich völlig ausreichend, wenn der nur einmal in der Kanzlei beschäftigte Enno das DO. I. 153 als Diktatvorlage benutzt hat. 8 Vgl. aber STENGEL a. a. 0 . S . 154 N. 4.

Kanzlei

Ottos I.

441

11. H o h o l t 953 Jan. 1 — 13. DO. I. 160. 161. 1 Nennt sich cancellarius. — In der Kanzlei schon seit 940 Sept. 25 und bis 953 Apr. 21, vgl. DO. I. 35. 164. 2 12. T u o t o 955 Dez. 12. SB. der bayr. Akademie 1893 S. 296 n 14; Archival. Zeitschrift NF. 5, 6. Nennt sich cancellarius.3 B. Italienische Kanzlei. Organisiert erst 962; vorher als Erzkanzler genannt B r u n i n g u s , Bischof von Asti, 951 S e p t . , D O . I . 1 3 6 ; M a n a s s e , Erzbischof von Mailand, 951 Okt. 1 0 — 9 5 2 Febr. 15. DO. I. 138. 145. I. Erzkanzler (Erzkapellan). 1. W i d o , Bischof von Modena, 962 April 2 0 — 9 6 5 Jan 3. DO. I. 242. 274. — Abgesetzt wegen Untreue, vgl. D Ü M M L E E a. a. 0 ; früher Erzkanzler Berengars II. und Adalberts. 2. H u b e r t , Bischof von Parma, 966 Dez. 2 — 9 7 3 März 28. DO. I. 334. 429. — Früher Kanzler Berengars II. und Adalberts; bleibt Erzkanzler Ottos II. II. Kanzler. 1. L i u t g e r 962 März 1 3 - 9 6 4 Nov. 1. DO. I. 238. 271, vgl. 272. 273. 2. A m b r o s i u s 966 Dez. 2 — 9 7 0 Mai 25. DO. I. 334. 396. — Wird 970 Bischof von Bergamo; stirbt 974. 3. P e t r u s 971 März 1 — 9 7 3 März 28. DO. I. 401. 429. 4 III. Notare. 1. W i l l e r i u s 962 März 13. NA. 23, 130 (DO. I. 239). Nennt sich cancellarius. — In der Kanzlei noch 9 7 2 , vgl. DD. 0 . I. 410. 413. 429. 2. A r n o l f u s , presbyter, 962 Aug. 22. DO. I. 245.

Zu den beiden Kanzleiabteilungen für Deutschland und Italien, deren Scheidung unter Otto I. wir kennen gelernt haben, kam im 1

Die Datierung beider Urkunden ist nicht völlig gesichert. Wenn DO. I. 35 nicht von Hoholt, sondern von BB herrührt, wie STENGEL a. a. 0. S. 149 N. 4 annimmt, würde Hoholt erst im Mai 941 (DO. I. 39) in der Kanzlei nachweisbar sein. 3 Die Datierung der Urkunde, von der wir nur einen Auszug kennen, ist einheitlich und vollkommen korrekt. Die dadurch bezeugte Reise Ottos nach Regensburg ist ohne Frage durch den Tod des Herzogs Heinrich veranlaßt und verfassungsgeschichtlich bemerkenswert, vgl. WAITZ, VG. 7, 115 ff. Die von SICKEL angenommene Datierung des DO. I. 175 bedarf nun aber erneuter Untersuchung. * Ob identisch mit dem Bischof Petrus von. Pavia?, s. SICKEL, MIOGr. Erg. 2, 99 f. 2

442

Die

Reichskanzlei

973—1125

11. Jahrhundert eine dritte, die burgundische Kanzlei.1 Unter Konrad II. zwar ist eine solche noch nicht errichtet worden; die einzige Urkunde dieses Kaisers für Burgund, die aus der Zeit nach dessen Erwerbung erhalten ist, wurde, da der Hof sich damals in Italien aufhielt, in der italienischen Kanzlei hergestellt. 2 Dann aber hat Heinrich III. gegen das Ende des Jahres 1041, 3 als er sich zur Reise nach Burgund anschickte, auch für Burgund eine Kanzlei organisiert, die mindestens bis zum Jahre 1053 bestand, indessen nicht immer voll besetzt war, Heinrich IY. hat in den ersten Jahrzehnten seiner Regierung die wenigen Urkunden für Burgund, die er auszustellen Veranlassung hatte, entweder in der deutschen oder in der italienischen Kanzlei rekognoszieren lassen 4 und ist erst zwischen 1080 und 1082 zur Ernennung eines burgundischen Kanzlers 5 geschritten, der bis zum September 1087 nachweisbar ist; 8 Heinrich Y. hat, so viel wir wissen, vor 1120 nur ein einziges Mal vermittelst der deutschen Kanzlei für Burgund geurkundet; 7 von 1120—1125 hat auch er einen burgundischen Kanzler gehabt. Zu gleicher Festigkeit und Stetigkeit der Organisation wie die beiden anderen ist also die burgundische Kanzleiabteilung nie gediehen. An der Spitze der Kanzlei für das gesamte deutsche Reich steht seit dem Jahre 965 ausschließlich der Erzbischof von Mainz. Ein einziges Mal, so viel wir sehen können, scheint die sonst selbstverständliche Verbindung zwischen dem Hofamt und dem Erzbistum in dieser Periode in Frage gestellt worden zu sein: 1031 nach dem Tode Aribos von Mainz. Am 6. April war dessen Tod erfolgt, am 30. Mai erhielt der Nachfolger Bardo die Investitur, am 29. Juni die Weihe; aber noch in den Monaten Juli und August hat ihn die Reichskanzlei nach Ausweis der Urkunden nicht als ihren Chef betrachtet, und erst seit 1 Vor der Eroberung von Burgund haben deutsche Herrscher uur vereinzelt für burgundische Stifter geurkundet. Die betreffenden Stücke sind zumeist in der deutschen, bisweilen aber auch, wie DH. IT. 353 (vgl. NA. 26, 417 N. 2), DK. II. 87, in der italienischen Kanzlei geschrieben. 2 DK. II. 265. 3 Vgl. S T E I N D O R F F , Jahrbuch Heinrichs III. 1, 343f. und unten S . 475. Basel ist nach St. 2174 zu Deutschland gerechnet; St. 2175 betreffend MoutierGrandval vom 25. April 1040 entbehrt in der uns vorliegenden Überlieferung der Kanzlerrekognition ganz. 4 In der deutschen Kanzlei St. 2709. 2757. 2815; in der italienischen Kanzlei wahrscheinlich die echte Vorlage, die für St. 2788 benutzt ist. 6 Hermanfred von Sitten heißt Anfang 1080 in St. 2820 noch nicht eaneellarius, wohl aber im Frühjahr 1082 in St. 2842. e Die einzige spätere Urkunde für Burgund St. 2996 entbehrt der Rekognition und ist ihrer Schrift nach in der italienischen Kanzlei entstanden. 7 St. 3121 (Or. in Bern).

443 dem 14. September 1031 ist er als solcher anerkannt worden.1 Die Tatsache ist kaum anders als durch die Annahme erklärlich,2 daß man im Rate Kaiser Konrads II. eine Zeitlang die Trennung der Oberleitung der deutschen Kanzlei von dem Erzbistum Mainz in ernstliche Erwägung gezogen hat, wenn man sich auch zuletzt nicht zu einem solchen Bruch mit dem Herkommen entschließen konnte. Als aber unter Heinrich IV. und Heinrich V. die Erzbischöfe von Mainz, Siegfried, Ruthard und Adalbert, wiederholt in einen offen feindseligen Gegensatz zu den Königen traten, war die Verbindung zwischen dem deutschen Erzkanzleramte und dem Erzstuhl von Mainz so fest geworden, daß man an die Ernennung eines anderen Oberleiters der Kanzlei gar nicht mehr dachte.8 Auch nachdem Heinrich sich nach längerem Zögern im Herbst 1077 entschlossen hatte, Siegfried als seines Amtes verlustig zu betrachten, begnügte man sich damit, seinen Namen aus den Unterfertigungen der Urkunden fortzulassen und die Kanzler zur selbständigen Rekognition zu ermächtigen, Wagte aber nicht, einen anderen Erzkanzler zu ernennen. Ähnlich verfuhr man später in ähnlichen Fällen, und für wie unauflöslich man jene Verbindung — ganz unabhängig von der politischen Haltung der einzelnen Erzbischöfe — betrachtete, ergibt sich am klarsten daraus, daß in einer Urkunde vom Jahre 1110, also nach dem Tode Ruthards von Mainz und vor der Ernennung seines Nachfolgers Adalbert, die Rekognition durch den Kanzler „anstatt der K i r c h e von Mainz, die jetzt das Erzkanzleramt inne hat", bewirkt wurde.4 Nicht dieselben Verhältnisse walten in unserer Periode in Bezug auf das Erzkanzleramt in Italien ob. Unter Otto II. und Otto III blieb es in den Händen italienischer Bischöfe. Auf Hubert von Parma, der es schon unter Otto I. bekleidet hatte, folgte nach dessen Tode (Ende 980) Petrus von Pavia, 5 den Otto II. kurz vor seinem Tode (Ende 983) auf den päpstlichen Stuhl erhob. Da aus den ersten fünf Jahren Ottos III. echte Urkunden für Italien nicht vorliegen, so muß 1

Vgl. BRESSLAU, Jahrb. Konrads II. 1, 324; MG. DD. 4, S. XV. Vgl. MG. DD. 4, S. XV N. 1 über den Widerspruch SEELIGERS gegen diese Vermutung. 3 Vgl. BRESSLAD ZU KUiA. Lief. IV, Taf. 22, S . 76f.; Lief. IV, Taf. 2 6 , S. 8 i. 4 St. 3038 (Or. in St. Gallen): Albertus cancellarius vice Mayuniinae i eclestf quae nunc archicancellaiuram optinet recognoci. Ahnlich in den Reinhardsbrunner Fälschungen St. 3073. 3074. 3075, deren Verfasser ein echtes Diplom aus der Zeit der Mainzer Sedisvakanz mit solcher Rekognition gekannt haben muß. 5 Ob er identisch ist mit dem gleichnamigen Kanzler Ottos I., ist zweifelhaft, vgl. SICKEL, MIÖG. Erg. 2, 99. 2

444 es dahingestellt bleiben, ob man während der Kämpfe, die in Deutschland um die Regentschaft geführt wurden, überhaupt daran gedacht hat, eine italienische Abteilung der Kanzlei zu errichten; erst aus dem Herbst 988 haben wir bestimmtere Kunde von einer solchen und finden nun den Bischof Petrus von Como als Erzkanzler, der dies Amt bis zum Tode des Kaisers behielt. 1 Daß Petrus nun aber im Jahre 1002 zu Arduin, dem von den Italienern aufgestellten Gegenkönig, überging, 2 ward die Veranlassung zu einer folgenreichen Neuerung. Heinrich II. sah unter diesen Umständen in seinen ersten Jahren ganz davon ab, eine eigene Kanzlei für Italien zu errichten und ließ die Urkunden auch für das südliche Königreich in der deutschen Kanzlei herstellen und beglaubigen. Erst am Ende des Jahres 1008 oder im Anfang des folgenden Jahres trat eine wenigstens zum Teil durchgeführte Trennung der beiden Abteilungen ein. Erzkapellan und Erzkanzler war damals der Erzbischof Willigis von Mainz, Kanzler aber des Königs besonderer Günstling Eberhard. Da dieser bereits im Herbst 1007 zum Bischof von Bamberg erhoben worden war, mochte es ihm auf die Dauer unmöglich geworden sein, neben der Verwaltung seiner Diözese noch die gesamten Geschäfte der Reichskanzlei zu führen. So gab er vor dem Frühjahr 1009 die Leitung der deutschen Kanzlei ab, während er für Italien Kanzler blieb, und es trat somit um diese Zeit eine abermalige Trennung der beiden Kanzleiabteilungen ein. 3 Dann nach dem Tode des Erzbischofs Willigis (23. Februar 1011 4 ) blieb das Erzkanzleramt für Italien, das seinem Nachfolger in Mainz, Erkanbald, nicht übertragen wurde, mehr als ein Jahr lang vakant, bis der König sich, wohl gegen Ende des Jahres 1012, 5 entschloß, es an Eberhard von Bamberg zu verleihen und einen neuen italienischen Kanzler zu ernennen; der Entschluß zur Romfahrt, der spätestens Weihnachten 1012 zu Pöhlde definitiv gefaßt wurde, wird die Veranlassung der Maßregel gewesen sein. Während Eberhard, solange Heinrich II. lebte, sein Amt behielt, vermochte er es unter dessen Nachfolger nicht zu behaupten; vielmehr 1

Über die Kanzleiverhältnisse in den letzten Jahren Ottos III., in denen eine Verschmelzung beider unter einem Kanzler stehenden Kanzleiabteilungen eintrat, aber zwei Erzkanzler beibehalten wurden, s. unten S. 468 ff. 2 Adalbold cap. 15; vgl. H I R S C H , Jahrb. Heinrichs II. 1, 313 N. 2; 2, 363 N. 2. 3; DD. A. lfi. 3 Vgl. NA. 22, 146ff. < H I R S C H a. a. O. 2, 306. 5 Genauer zwischen 1012 Mai 14 und 1013 Febr., DD. H. II. 246. 254. Am wahrscheinlichsten ist es Weihnachten 1012 in Pöhlde geschehen, vgl. HIRSCH-PABST 2,

3 9 0 f.

Die Reichskanzlei 973—1125

445

verlieh es Konrad II. gleich zu Anfang seiner Regierung dem Erzbischof Aribo von Mainz, der somit noch einmal die höchste Würde in beiden Abteilungen der Reichskanzlei bekleidete,1 während die Geschäfte im übrigen von zwei verschiedenen Kanzlern geführt wurden. Daß nun aber nach dem Tode Aribos, dessen Beziehungen zum Kaiser sich im Laufe der Jahre mehr und mehr verschlechtert hatten, sein Nachfolger in Mainz nicht in die gleiche Stellung einrückte, wird uns nach dem, was oben bemerkt worden ist,2 nicht wundernehmen: noch vor der Weihe Bardos war es entschieden, daß das italienische Erzkanzleramt ihm nicht zufallen würde; bereits am 8. Juni 1031 3 erscheint Erzbischof Pilgrim von Köln, Konrads und mehr noch der Kaiserin Gisela bevorzugter Günstling, der seit Ende 1023 auch päpstlicher Bibliothekar war,4 in dessen Besitz. Indem nun seine Nachfolger Herimann, Anno, Hiltolf, Sigewin und wieder Herimann sich unter Heinrich III. und Heinrich IV. in der gleichen Würde behaupteten, schien auch für das italienische Erzkanzleraint sich die gleiche Entwicklung wie für das deutsche anbahnen zu sollen; wie letzteres an den Mainzer Erzstuhl geknüpft war,5 so schien das erstere im Begriff, mit dem von Köln sich untrennbar zu verbinden. Da aber trat noch eine längere Unterbrechung dieser Entwickelung ein.0 Aus den letzten Jahren Heinrichs IV. und den ersten seines Nachfolgers, aus der ganzen Zeit vom Oktober 1095 bis zum Oktober 1110 ist uns kein königliches Diplom für Italien erhalten; diese fünfzehn Jahre sind, solange die Verbindung zwischen Deutschland und dem südlichen Königreich eine lebendige war, der längste Zeitraum, aus dem uns jede urkundliche Kenntnis von einem Eingreifen des deutschen Herrschers in die Verhältnisse Italiens fehlt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß es in dieser Zeit eine italienische Kanzlei überhaupt nicht gegeben hat, 7 und dieser Umstand mag es Heinrich V. als er Ende 1110 auf seinem Römerzuge wieder zur Errichtung einer solchen schritt, erleichtert haben, die Ansprüche, die der Erzbischof von Köln etwa geltend machen konnte, unberücksichtigt zu lassen. Der König ernannte seinen Vertrauten, Adalbert, der schon erwählter Erzbischof von Mainz war, aber das deutsche Kanzleramt, daß er seit 2 Vgl. MG. DD. 4, S. XIV ff. S. 442 f. DK. II. 167, vgl. BBESSI.AU, Jahrb. Konrads II. 1, 324, und über die zweite dort erwähnte Urkunde die Vorbemerkung- zu DK. II. 168. 4 5 S. oben S. 219. Oben S. 443. 6 Vgl. für das Folgende B R E S S L A U , MIÜG. 6, 131 ff. 7 Dafür spricht insbesondere entscheidend die Rekognition von St. 3043 vom 12. Okt. 1110 für S. Ambrogio zu Mailand durch den deutschen Kanzler. 1

3

Die Reichskanzlei

446

973—1125

dem Regierungsantritt Heinrichs verwaltete, darum nicht aufgegeben hatte und, wie unten noch auszuführen sein wird, auch zunächst nicht aufzugeben gedachte, zum Erzkanzler für Italien. So entstand eine bisher in der Geschichte des Kanzleiwesens unerhörte Kumulation zwischen einem Kanzler- und einem Erzkanzleramte, 1 die freilich nur vorübergehend sein konnte: Adalbert mußte, wenn er die Weihe in Mainz empfangen hatte, deutscher Erzkanzler werden und gedachte ohne Zweifel, wie einst Aribo, mit dieser Würde das gleiche Amt für Italien dauernd zu verbinden. Dazu aber kam es nicht. Im Laufe des Jahres 1112 erkalteten die Beziehungen zwischen Adalbert und dem Kaiser, und schon am 8. Oktober — noch vor dem offenen Bruche — war er seines italienischen Erzkanzleramtes entsetzt, während er als deutscher Erzkanzler noch am 16. Oktober anerkannt wurde und auch dieses Amt erst in den folgenden Wochen verlor. Nun aber zeigte sich deutlich, welcher Unterschied zwischen der deutschen und der italienischen Erzkanzlerwürde bestand. Denn während jene unbesetzt blieb und auch der Kaiser das Recht des Mainzer Erzstuhles nicht anzutasten wagte, wenn der gegenwärtige Erzbischof es auszuüben unfähig war, nahm er hinsichtlich des italienischen Amtes das Recht freier Verfügung in Anspruch und machte davon zu Gunsten Friedrichs von Köln Gebrauch. Als dann auch dieser etwa seit 1114 sich mehr und mehr von Heinrich abwandte, 2 ließ man zunächst mit Unterbrechungen und seit dem Anfang des Jahres 1116 dauernd seinen Namen aus den Urkunden fort und schritt im nächsten Jahre zu einer abermaligen anderweiten Vergabung des italienischen Erzkanzleramtes, das nun dem Bischof Gebhard von Trient verliehen wurde. Erst nach der Herstellung des Friedens in Deutschland und der Versöhnung mit dem Papst hat dieser sein Amt wieder an Friedrich abgeben können: die Urkunde, die Heinrich V. über das Wormser Konkordat ausstellte, ist von Friedrich von Köln als Erzkanzler unterfertigt. 3 Ungleich weniger kompliziert als die Geschichte des italienischen ist die des burgundischen Erzkanzleramtes. Es ist in der Periode, mit 1

Nur die Stellung Brunos nach 951 (8. oben S. 426f.) bietet eine gewisse. Analogie dazu. * Vgl. M E Y E R VON K N O N A U , Jahrb. Heinrichs IV. und Heinrichs V. 8, 298ff. 3 Der Umstand, daß die nach 1122 für Italien ausgestellten Urkunden Heinrichs V. im Namen des deutschen Kanzlers vice Adalberts von Mainz rekognosziert sind, beweist in Anbetracht der unten S. 486f. auseinander zu setzenden Regeln, die in Bezug auf die Kekognition unter Lothar und wahrscheinlich auch schon in Heinrichs letzten Jahren gelten, nicht, daß Friedrich von Köln nach 1122 sein Erzkanzleramt wieder verloren hätte.

Die Reichskanzlei

973—1125

447

der wir uns jetzt beschäftigen, überhaupt nur einmal und nur vorübergehend besetzt gewesen, indem es unter Heinrich III. seit 1045 1 von dem Erzbischof Hugo von Besançon bekleidet war. Unter Heinrich IV. und Heinrich V. hat es, so viel wir wissen, einen Erzkanzler für Burgund nicht gegeben. Die Titel, welche die Oberleiter der Kanzleien führen, haben in der Zeit, von der wir handeln, eine bemerkenswerte Veränderung erfahren. Daß für die obersten Chefs der italienischen und der ourgundischen Kanzlei in dieser Periode der Titel archicancellarius der eigentlich offizielle war, kann nicht bezweifelt werden; heißen sie in einigen Ausnahmefällen archicappellani, so beruht das zumeist nur auf einer Unaufmerksamkeit der Urkundenschreiber, wie sie auch früher, schon unter Otto I., bisweilen vorgekommen war.2 Umgekehrt beruht es für die erste Hälfte unserer Periode auf solchen Unregelmäßigkeiten, wenn in einer kleinen Zahl von Urkunden der Oberleiter der deutschen Kanzlei Erzkanzler genannt wird; zweifellos war sein eigentlicher Amtstitel der eines Erzkapellans. Hier aber trat unter Heinrich III. jene Veränderung ein, die zu erklären wir auf das Verhältnis zwischen Kanzlei und Kapelle, wie es sich seit dem 9. Jahrhundert entwickelt hatte, eingehen müssen. Über die Beziehungen zwischen beiden in älterer Zeit haben wir früher gesprochen.3 Sie wurden seit dem letzten Viertel des neunten Jahrhunderts noch enger als früher. Unter Arnulf finden wir den Kanzler Aspert und den Notar Engilpero als Mitglieder der Kapelle bezeichnet,4 und seitdem mehren sich in immer 1

Er ist wahrscheinlich noch nicht Erzkanzler 3 041 Dez. 29 (St. 2223), sicher Erzkanzler 1045 März (St. 2273). Über St. 2246 s. unten S. 475 N. 1. ' Da unter Heinrich II. Willigis, weil er Erzkapellan war, auch in italienischen Urkunden so genannt wird, so hat sich diese Gewohnheit bis in die erste Zeit Eberhards von Bamberg erhalten (vgl. DD. H. II. 254. 275. 276. 278 ff.) aber bald nach der Kaiserkrönung kommt für ihn die Bezeichnung Erzkanzler in allmählich überwiegenden Gebrauch. Uber den Sprachgebrauch unter Konrad II. und Heinrich III. vgl. B R E S S L A U , Kanzlei Konrads II. S . 7 f.; S T E I N DORFF, Jahrb. Heinrichs III. 1, 345f. 3 S. oben S. 406 ff. 4 Urkunden Arnulfs vom 29. Mai 888: per Asperti eusiodis et eancellarii nostri interventum und vom l.Nov. 891: per interccntum Engilperonis capellani et w.iarii nostri ( M Ü H L B A C H E R 2 n. 1790. 1867). Daß custos nicht Siegelbewahrer bedeutet, wie D Ü M M L E R , Ostfr. Reich 3«, 483, und S I C K E L , KUiA. Lief. VII, Text 2 S . 193, annehmen, hat W A I T Z , VG. 6 , 359 N. 4, mit Kecht bemerkt. Zu den von W A I T Z , VG. 3», 516 N. 2, 518 N. 2, 520 N. 1, beigebrachten Beispielen für den Gebrauch von custos eappcllanus, custos cappellae, custos palatii (vgl. auch NA. 13, 159 n. 26) kommen noch zwei aus dem Anfang des 11. Jahrh. hinzu, s. S. 448 N. 3. Und für die Zeit Arnulfs ist besonders entscheidend die Urkuude M Ü H L -

448

Die Reichskanxlei

973—1125

zunehmendem Maße die Zeugnisse dafür, daß Mitglieder der Kapelle, die freilich als solche immer ein zahlreicheres Personal hatte als die Kanzlei, auch in der letzteren angestellt und beschäftigt wurden. Unter Otto I. z. B. liegt es sehr nahe, den Kapellan Liudolf, der 948 im Auftrage des Kaisers der Synode von Trier beiwohnte, mit dem Notar und Kanzler gleichen Namens, den wir seit 952 kennen lernen, zu identifizieren; 1 und daß des Kaisers Bruder Bruno auch der Kapelle angehörte, kann nach allem, was wir von ihm wissen, nicht bezweifelt werden; wir werden auf die Stellung, die er hier einnahm, gleich zurückzukommen haben. Unter Otto III. war Kanzler Heribert Kapellan, 2 und Kapellan war Bernward, der sich selbst als Schreiber am Königshofe bezeichnet. Unter Heinrich II. sind die deutschen Kanzler Gunther und Udalrich, die italienischen Kanzler Heinrich, Pilgrim, Theoderich, Hugo und der einzige Schreiber der Kanzlei, den wir mit Namen kennen, Erich von Havelberg, als Mitglieder der Kapelle nachweisbar.3 Unter Konrad II. sind außer den schon genannten noch die italienischen Kanzler Bruno und Hermann, unter Heinrich III. die deutschen Kanzler Adaiger und Theoderich (II.) und die italienischen Heinrich, Gotebold und Hecilo aus der Kapelle hervorgegangen 4 und auch in der Folgezeit bleibt die Verbindung zwischen der letzteren und der Kanzlei eine sehr enge. Um so näher mußte es liegen, wie in der Kanzlei der Erzkapellan durch den Kanzler vertreten wurde, so ihm auch in der Kapelle einen Vertreter zu bestellen, der um so mehr i h ^ tatsächliche Leitung übernommen haben wird, je häufiger und n. 1888 von 893 intervtntu Rihharii custodis nostri. Daß hier das Wort nicht Siegelbewahrer bedeutet, steht, da Rihharius nie Kanzler oder Mitglied der Kanzlei war, außer Frage. 1 So schon DÜMMLER, Otto d. Gr. S. 165 N. 5. 4 Über Heribert vgl. DD. 0. III. 184. 210. 248. 261. 281 (wo er sogar Erzkapellan heißt); über Bern ward Vita Bernwardi cap. 51, MG. SS. 4, 779, und Ann. Hildesheim. 993. S. auch unten S. 470 N. 2. 3 Gunther und Udalrich sind schon unter Otto III. Kapellane, vgl. DD. 0. III. 132. 355. Theoderich-Dietrich heißt Kapellan in DH. II. 110; Heinrich in DH. II. 287; Pilgrim in DH. II. 400; Hugo unter Konrad in DK. II. 83; Erich von Havelberg custos cappellae 1019, vgl. H I R S C H , Jahrb. Heinrichs II. 2, 294 N. 8, und dazu NA. 20, 164. Der Walkerus cappellae custos, den Thietmar 7, 27 (6, 53) nennt, ist wahrscheinlich mit dem Kanzleinotar GA Heinrichs II. identisch, vgl. NA. 22, 157. 4 Vgl. BRESSLAU, Kanzlei Konrads II. S . 1 4 , STEINDORFF, Jahrb. Heinrichs III. 1, 358, wo nur der Kanzler Eberhard II., den es überhaupt nicht gegeben hat, zu streichen ist. — Zu bemerken ist übrigens, daß auch bei mehreren anderen Kanzlern dieser Zeit die Zugehörigkeit zur Kapelle sehr wahrscheinlich ist, und daß es nur an ausdrücklichen Zeugnissen dafür fehlt. BACHEB 2

449 länger den Erzbischof-Erzkapellan die Verwaltung der Mainzer Erzdiözese vom Hofe fern hielt. Es ist die Vermutung gestattet, hierauf schon den Titel Erzkapellan zu beziehen, den Bruno unter Otto I. seit 951 führt und der so konsequent auftritt, daß er keinesfalls als eine bloße Ehrenbezeichnung, die in der wirklichen Verfassung des Hofes keine Bedeutung gehabt hätte, betrachtet werden kann. Damals ward das Amt des Erzkapellans noch nicht oder nicht mehr als em wirklich unteilbares angesehen, und daß Bruno damit betraut wurde, brauchte nicht zur Folge zu haben, daß der Erzbischof von Mainz von seiner Führung ausgeschlossen wurde. Dann aber seit 965 hatte man sich gewöhnt, das Amt wiederum als jeweilig nur einem Mann im -Reich zuständig zu betrachten. Und deshalb hat es eine noch andere Bedeutung, wenn unter Heinrich III. der Kanzler Theoderich, der seit 1044 im Amte war, von einem zuverlässigen und gleichzeitigen Chronisten als Erzkapellan des Kaisers bezeichnet wird, und wenn nach seinem Ausscheiden aus dem Hof dienst dem Schwaben Gebhard, der 1058 Kanzler Heinrichs IV. und 1060 Erzbischof von Salzburg wurde, der gleiche Titel beigelegt wurde. 1 Denn daß diesen Männern wirklich die Leitung der Kapelle übertragen, und daß diese somit von dem Erzbistum Mainz und dem damit verbundenen Erzkanzleramt für Deutschland abgelöst wurde, darf man aus der mit jenen Zeugnissen zu kombinierenden Tatsache folgern, daß seit dem Ende des Jahres 1043 unter Heinrich III. Bardo von Mainz in originalen Königsurkunden niemals mehr den früher üblichen Titel Er/.kapellait, f ondein nur noch den Titel Erzkanzler führt, und daß auch seine Nachfolger fa«t immer nur mit dem letzteren Titel bezeichnet werden.2 1

Vgl. für Theoderich Herim. Aug. 1047, MG. SS. 5, 12fi, fui- Gebhard dessen Vita, MG. SS. 11, 25. 35 und dazu BRESSLAU, KUiA., Text S. 74. 2 Für diese Frage können nur Originale in Betracht genommen w.rden, da in Kopien und Drucken die Verwechslung von archicapellanus und archicancellarius ganz gewöhnlich ist. Die letzten Originale nun, in denen Bardo archicapellanus heißt, sind St. 2242. 2243. 2249 vom Juni, Juli und Nov. 1043; von dann an wird er nur noch archicaneellarius genannt Dasselbe gilt von seinem Nachfolger Liutpold bis zum Jahre 1053. In diesem Jahre ist e i n Schreiber auf den seltsamen Einfall gekommen, die bis zum Ende des Jahres 1052 in der Kanzlei vorherrschenden Formen vice L. archiepiscopi et archicancellarii oder vice L. archicancellarii et archiepiscopi durch die Verbindung vice L. archicancellarii

et archieapellani

zu ersetzen, die i n St. 2439. 2442. 2444. 2445. 2454.

2456 angewendet wird. Von da ab kommt der Titel archicapellanus unter Heinrich III. nicht mehr vor. Unter Heinrich IV. ist in St. 2532 archicappellanus aus der Vorurkunde St. 2148 übernommen. Dann bringt noch einmal ein Schreiber des Jahres 1059 Verwirrung in die Titulatur. In St. 2568 3irpBl.ni,

Urknndrnlrlirc.

3. A u f l .

1.

450

Die Reichskanzlei

973—1125

Das Amt des Chefs der Kapelle war damit wieder ein wirkliches Hofamt geworden. 1 Es war zunächst nicht notwendig, wenn auch häufig mit demjenigen des Kanzlers verbunden; auch andere Geistliche des Hofes konnten es bekleiden. Der Titel Erzkapellan kommt für seinen Inhaber seit dem Tode Heinrichs III. in Abnahme und verschwindet damit ganz aus dem offiziellen Sprachgebrauch; unter Heinrich IV. und Heinrich V., sowie unter Lothar HI. und Konrad III. findet sich dafür der Titel cappellarius oder capellanarius,2 der offenbar nach der Analogie des Kanzlertitels gebildet worden ist. 3 Zunennt er den Erzkanzler nur archiepiscopus, in St. 2570. 2571. 2573—2575 aber archicappelianus, wahrscheinlich gleichfalls unter dem Einfluß einer Vorurkunde. Mit St. 2576 kehrt aber auch er zu dem kanzleimäßigen Titel archicancellarius zurück und von da ab herrscht dieser, soweit ich die Originaldiplome Heinrichs IV. bis jetzt kenne, ausschließlich. Entgegenstehende Angaben Stumpfs und Steindorffs sind, soweit ich sie nachprüfen konnte, 1 ungenau. Der Widerspruch Seeliger s, Erzkanzler S. 26 und bei Waitz, VG. 6 345 mit N. 2, scheint mir unbegründet. Seeliger würdigt nicht genügend die Gleichzeitigkeit der Nachrichten über die Ernennung eines mit dem Erzbischof von Mainz nicht identischen Erzkapellans und der Veränderung des dem Erzbischof in den Urkunden gegebenen Titels. Und der von ihm gewünschte Beweis, daß cappellarius nicht bloß Nebenform für cappellanus, sondern Titel eines den anderen Kapellanen übergeordneten Beamten ist, wird durch die Kölner Verhältnisse ausreichend erbracht, s. unten Kapitel VIII. — Auch die Bedenken Erbens, UL. S. 62 N. 1, scheinen mir nicht von wesentlicher Bedeutung. Denn daß unter Otto III. Willigis eine Zeitlang häufiger archiepiscopus als archicapeliimis genannt wird, darf mit dem Vorgang unter Heinrich III. nicht verglichen werden. Erstens kommt neben archiepiscopus die andere Bezeichnung keineswegs ganz außer Gebrauch, und zweitens tritt unter Heinrich II. archicapellanus ganz wieder in sein Recht, während das, was unter Heinrich III. geschah, dauernd maßgebend blieb. Daß aber Heribert einmal in DO. III. 281 arcliieapellanits heißt, hat ebensowenig Bedeutung wie der gleiche Titel Hildebalds in DO II. 218, DO. III. 294. Alle drei Stücke rühren von Männern her, die, mit dem Kanzleibrauch nicht ausreichend vertraut, den Beamten einen höheren Titel gaben, als ihnen zukam. Ahnliches ist zu allen Zeiten vorgekommen; s. unten die Bemerkungen über die Benennung der Kanzleibeamten des 14. und 15. Jahrh. s Er ist seit dem Anfang des 12. Jahrh. auch am Hofe des Erzbischofs von Köln nachweisbar, s. unten Kap. VIII. In Halberstadt begegnet der Titel 1179—1210, UB. Hochstift Halberstadt 1, 256. 411 n. 286. 459. Viel früher, schon 1069, heißt der Kanzleichef des Erzbischofs von Bremen archicappellarius, Hamburg. UB. 1, 98 n. 101. Am Königshof wird zuerst der Propst Gottschalk von Aachen 1099 capxllarius genannt, St. 2943. 3 Vgl. Bresslau , KUiA. Text S. 84 (wo aber die Berufung auf den von Petrus diaeonus erfundenen Brief Lothars, MG. SS. 7, 840, zu streichen ist); Gundlach, Wer ist der Verfasser des Carmen de bello Saxonico 8. 17ff., mit dessen Annahmen ich mich aber nur zum Teil einverstanden erklären kann;

451 meist scheint mit diesem Amte wenigstens seit dem 11. Jahrhundert die Propstei von St. Marien in Aachen verbunden gewesen zu sein, derjenigen Kirche des Reiches, die vor anderen als die Kapelle des Königs galt. 1 In welcher Weise das Amt in staufischer Zeit fortbestanden hat, ist bisher noch nicht ausreichend festgestellt worden.2 Seit 1044 ist nach dem Gesagten der Titel für die drei Erzkanzler der gleiche. Welche Befugnisse mit ihren Amtern verbunden waren, ergibt sich nicht mit Sicherheit, Auf die Bestellung der Kanzler oder der anderen in der Kanzlei beschäftigten Beamten und a .f den Veilauf der Geschäfte in der Kanzlei hat indessen keiner der drei Erzkanzler in dieser Zeit — abgesehen von einer unten zu besprechenden Episode aus der Zeit Heinrichs V. — irgend welchen für uns erkennbaren Einfluß ausgeübt. 3 Ein Wechsel im Erzkanzleramt hat niemals einen solchen im übrigen Kanzleipersonal nach sich gezogen und keine der Neuerungen in der geschäftlichen Behandlung des Urkundenwesens, die in unserer Periode eingetreten sind, fällt mit einem solchen zusammen oder läßt sich irgendwie auf eine Anordnung der Erzkanzler zurückführen. In diesen Beziehungen kann nur von einer nominellen Oberleitung der Kanzleigeschäfte durch den Erzkanzler geredet werden, während ihre wirklichen" Vorsteher die Kanzler waren. Die Männer, die im 10. und 11. Jahrhundert d^s Kanzleramt bekleideten, gehören mit wenigen Ausnahmen den ersten Familien des Reiches an; mehrfach finden wir unter ihnen sogar Mitglieder des Herrscherhauses, so nach Bruno, dem Bruder Ottos I., den gleichnamigen Bruder Heinrichs II. und den wiederum gleichnamigen Vetter Konrads II. Fast ausnahmslos sind sie, soweit sie nicht im Amte geiler Titel cappcllarius bezeichnet

ist zwar nach der Analogie von cancellarius

aber an sich kein Kanzleramt.

GUXDLACHS

spätere

gebildet, Bemerkung

(Heldenlieder der deutschen Kaiserzeit 2, '239 N. 3) ist ohne Belang. 1 Vgl. Quix 1, 75; S T E I N D O R F F , Jahrb. Heinrichs HI. 1, 349. 350; W A I T Z , ä VG. 6 , 343; K U i A . a . a . O . — Auf den Kappellar Gottschalk folgt in der Propstei der Kanzler Adalbert, der wohl auch Chef der Kapelle war, und dann der Kappellar Arnold unter Heinrich V. Uber die entsprechenden Verhältnisse unter Lothar und Konrad III. s unten im Verzeichnis der Kanzleibeamten dieser beiden Könige. * Erwähnt finde ich den eappellarius als Chef der Kapelle und zum Empfange von Lehensgebühren berechtigt noch unter lvonrad IV. im Jahre 1245, BP. 4498. — Unter Friedrich I. wird der Kapellan Heribert einmal als prepositus eurie noslre bezeichnet (QFIA. 9, 181). Er mag damals an der Spitze der Kapelle gestanden haben. 8 Worauf es sich gründet, wenn SCHT-M ZU K U i A . Text S. 115 sehreibt, daß Willigis von Mainz geradezu über die Besetzung der Stellen in der Kanzlei verfügt habe, weiß ich nicht zu sagen. 29*

452

Die Reichskanzlei 973—1125

storben sind, nachdem sie es eine Zeitlang inne hatten,, an die Spitze angesehener und reicher bischöflicher oder erzbisehöflicher Diözesen gestellt worden; 1 wie der Dienst in der Kapelle überhaupt gleichsam eine Anwartschaft auf die Beförderung zu bischöflicher Würde verlieh,8 so war insbesondere den jeweiligen Kanzlern eine solche Beförderung fast völlig gesichert. Nur vereinzelt ist es dagegen vorgekommen, daß Geistliche, die bereits das bischöfliche Amt bekleideten, zu Kanzlern ernannt wurden. Bis um die Mitte des 11. Jahrhunderts sind in dieser Beziehung nur Johannes von Piacenza, kurze Zeit italienischer Kanzler Ottos III., und Kadeloh von Naumburg, italienischer Kanzler unter Konrad II. und Heinrich III., anzuführen; unter Heinrich IV. ist dann allerdings das italienische Kanzleramt seit 1063 nur von Bischöfen bekleidet worden, und auch sein burgundischer, sowie einer seiner deutschen Kanzler, Gebhard von Prag, trugen, als sie das Hofamt erhielten, bereits die Mitra; es entspricht diesem Brauch, wenn auch der italienische und der burgundische Kanzler Heinrichs V. Bischöfe waren. Häufiger geschah es, daß die zu Kanzlern ernannten Bischöfe ihr Holamt noch auf einige Zeit beibehielten, sei es auf wenige Tage oder Monate, etwa bis zur Ernennung eines Nachfolgers, wie Heinrich und Hugo von Parma unter Heinrich II. und Konrad II., Burchard von Halberstadt unter Konrad II. oder Adaiger von Worms unter Heinrich III., sei es auf eine längere Zeit, ja bis zu einer Reihe von Jahren, wie etwa Hildebald von Worms unter Otto II. und Otto III., 3 Heribert von Köln unter Otto III., Eberhard von Bamberg unter Heinrich II., Adalbert von Mainz unter Heinrich V. Doch sind alle diese Fälle nur Ausnahmen, und in der Regel gaben die Kanzler der Könige ihr Hofamt bei ihrer Ernennung zu Bischöfen oder Erzbischöfen sofort aus Händen. Dagegen scheinen sehr viele unter ihnen während ihres Dienstes in der Kanzlei einträgliche Pfründen an bischöflichen Kapiteln oder anderen Kollegiatstiftern innegehabt zu haben, deren Verleihung sie 1

Nur der italienische Kanzler Ottos II. Johannes mußte sieh 982 bei seinem Rücktritt von diesem Amte zunächst mit der Ernennung zum Abt von Nonantola begnügen und ist erst später Erzbischof von Piacenza geworden. 2

3

Vgl.

WAITZ, V G .

7,

2 9 0 f.

Insbesondere Otto III. scheint geradezu Wert darauf gelegt zu haben, daß seine Kanzler vornehme Kirchenämter inne hatten. Wie er 991 seinen Lehrer Johannes, Erzbischof von Piacenza, früher italienischen Kanzler seines Vaters, noch einmal zu diesem Amte berief, so ernannte er 999 seinen Günstling Heribert, der seit 994 italienischer und seit 999 auch deutscher Kanzler war, zum Erzbischof von Köln, ohne ihn zum Rücktritt aus der Kanzlei, deren gesamte Leitung Heribert noch einmal in seiner Hand vereinigte, zu veranlassen.

Die Reichskanzlei

973—1125

453

gewiß der königlichen, einem Befehl gleichkommenden Verwendung zu danken hatten. Daß die Propstei von St. Marien zu Aachen in einer Art von dauernder Verbindung mit der Kapelle und dadurch zeitweise mit der Kanzlei stand, haben wir schon erwähnt; 1 ebenso soll nach späterer Überlieferung die Propstei von St. Servatius zu Mastricht daue nd mit dem deutschen Kanzleramt vereinigt gewesen sein, was vielleicht auf eine Anordnung Heinrichs IV. zurückgeht. 2 Aber auch andere derartige Ämter finden sich sehr häufig im Besitz der Kanzler, 3 und offenbar haben sie einen Hauptteil ihrer Einkünfte eben aus solchen Pfründen bezogen. Ob ihnen daneben ein Anteil an den Kanzleigebühren, die wir gewiß auch für diese Periode annehmen dürfen, zustand, müssen wir dahingestellt sein lassen, da es an ausdrücklichen Zeugnissen über die Entrichtung und Verwendung solcher Gebühren fehlt.

1 S. oben S. 451. In einem Formular der Baumgartenberger Handschrift (ed. Bärwald S. 338 n. 39) bestätigt der König einer Kirche, que est eapella nosire regie magnificencie specialis, ad quam nostre cnncellarie officium a longe retroactis iemporibus est annexum, ihre Privilegien. Welche Kirche hier gemeint ist, scheint bisher nicht ermittelt zu sein. 4 In der freilich gefälschten, aber (vgl. Waitz, VG. 6*, 356) doch wohl auf zuverlässige Tradition zurückgehenden Urkunde Heinrichs IV., St. 2886, wird dies geradezu als Anordnung des Königs bezeichnet: donum vero praepositurae eiusdem eeclesiae nullt coneesstmus nisi ei quem regia et imptraloria manus in curia et eapella sua (man beachte auch dies Zeugnis für die Verbindung von Kanzlei und Kapelle) cancellarium suum ordinamt. . Der erste Kanzler, den ich als Propst von St. Servatius nachweisen kann, ist Adalbert unter Heinrich V., St. 3034. 3215; vgl. für die Zeit Konrads III. St. 3395. 3512, für die Friedrichs I., St. 4063 und dazu Varrentbapp, Christian I. von Mainz S. 106 ff. Wenn im 13. Jahrhundert Propstei und Kanzleramt nicht mehr verbunden sind, so ist der Grund wohl der, daß jetzt die Kanzler meist Bischöfe waren. 3 Nur ein paar Beispiele: Heribert, Kanzler Ottos III., war Dompropst in Worms; Pilgrim unter Heinrich II. Dompropst von Bamberg; Heiimann unter Konrad II. Erzdiakon von Köln. Unter Heinrich III. waren Eberhard Domherr zu Augsburg, Theoderich (II.) Domherr zu Konstanz und — als Erzkapellan (s. oben S. 449 N. 1). — Propst von St. Marien zu Aachen, Winither Domherr zu Würzburg, Adalbert Dompropst von Halberstadt, Hunfried Domherr von Straßburg, Gotebold Domherr zu Eichstädt und Propst von Speyer, Hecilo Propst von St. Simon und Judas zu Goslar, Gunther Domherr zu Bamberg und Propst von Goslar. Unter Heinrich IV. erwähne ich Friedrich Dompropst von Magdeburg, Pibo Domherrn zu Halberstadt, Adalbero Domherrn von Metz, Erlung Domherrn von Bamberg; unter Heinrich V. Adalbert Propst von St. Cyriacus zu Neuhausen, St. Servatius zu Mastricht, St. Marien zu Aachen. Auch im späteren 12. Jahrh. steht es nicht anders.

454

Die Reichskanzlei

973—1125

In der ganzen hier zu behandelnden Periode ebenso wie in der Folgezeit gehören die Kanzler zu den angesehensten und einflußreichsten Beamten des Reichs. Durch ihre Hände geht nicht bloß die formale Erledigung der Geschäfte, sondern auch für die materielle Entscheidung der vor den König gebrachten Angelegenheiten fällt ihre Stimme oft entscheidend ins Gewicht. In Eat und Gericht, im Kriege und im Frieden, bei diplomatischen und finanziellen Fragen bedient sich der König ihrer Mitwirkung und ihrer Hilfe.1 In mannigfachen Bezeichnungen, die ihnen gegeben werden, kommt diese ihre Stellung zum Ausdruck. Schon Otto II. nennt seinen italienischen Kanzler Johannes inier aulicos . . . archimandritem

et consecretalem ;2 unter Otto III. heißt

der Kanzler Heribert, der beiden Kanzleiabteilungen vorstand, logotheta oder archilogotheta des Kaisers,3 und sein Biograph nennt ihn den ersten unter dessen Geheimräten;4 ähnlich wird 1022 Dietrich, italienischer Kanzler Heinrichs II., bezeichnet,6 und als 1032 Burchard zum Kanzler Konrads II. ernannt wurde, wird geradezu gesagt, er sei an den Hof berufen worden, um der Berater des Reiches zu werden.6 Es entspricht dieser Bedeutung der Reichskanzler, wenn einem von ihnen, AVibert, 1060 in den Akten einer Synode Nikolaus' II. das Prädikat serenissimus 1 Vgl. WAITZ, VG. 6* 357 ff. Diese Tätigkeit der Kanzler als königlicher Vertrauensmänner ist hier nur kurz zu berühren, und es wird deshalb genügen, darauf hinzuweisen, daß vorzugsweise die Beamten der italienischen Kanzlei, namentlich die Kanzler, zu königlichen missi in Italien ernannt zu werden pflegten. Vgl. FICKER, lt. Forsch. 1, 323FF.; 3, 41n, und dagegen BRESSLAU, Kanzlei S. 20; GGA. 1871 S. 931; HIRSCH-BBESSI.AU, Jahrb. Heinrichs II. 3, 119 N. 1. 2 DO. II. 283. Man vgl. damit den Titel proto a seeretis, den sich derselbe Mann in DO. III. 69 beilegt und dazu SICKEL, MIÖG. 12, 228f. 3 Vgl. über diesen Titel BLOCH, NA. 22, 84ff. Seine ursprüngliche Bedeutung hat neuerdings SEMENOV, Byzantin. Zeitschr. 19, 440 ff., aufgeklärt. Aus einer von ihm angeführten Stelle aus Codinus ergibt sich, daß es dem byzantinischen Großlogotheten oblag, die Briefe der Kaiser an ausländische Fürsten zu redigieren, woraus sich die Übertragung des Titels auf den Kanzler Ottos III. leicht erklärt. * Vita Herib. cap. 4. Vgl. Fundat. Brunvil. cap. 11: cuius tota imperialis curia parebat consilio (Archiv der Gesellsch. 12, 164). 6 Placitum zu Penne, GATTOLA, Hist. Casinens. 1, 77. Im Text heißt Dietrich eancellarius et summo consiliarius domni imperatoris (so auch in DD. H. II. 465. 467); er unterschreibt als secreiorum Bomani imperii eancellarius ae logot'icta Italieun. Ebenso heißt Otto von Bamberg als Kanzler Heinrichs V. sccretalis intimus, Ebbo, Vita Ottonis 1, 3. 8 Gesta epp. Halberst. MG. SS. 23, 94: regni consiliaior futurus ad curiam imperialem cvocatur; vgl. über seine Intervention in einem Hochverratsprozesse Jahrb. Konrads II. 2, 131.

Die

Reichskanzlei

455

973—1125

beigelegt wird; 1 es ist derselbe Mann, von dem Bonizo sagt, daß ihm die Kaiserin-Regentin

bei seiner Ernennung zum Kanzler die ganze

Verwaltung Italiens übertragen habe.2

So darf es uns nicht wunder-

nehmen, daß gegen das Ende der hier zu behandelnden Periode, als der Reichsfürstenstand sich immer schärfer und bestimmter abschließt, der Kanzler ihm kraft seines Amtes angehört und daß er den gleichen Rang

auch

während

des

ganzen

zwölften Jahrhunderts

behauptet. 3

Der eiste Kanzler, der ihn nachweislich innegehabt hat, ist Adalbert, später Erzbischof von Mainz unter Heinrich V., und es ist nicht unmöglich, daß erst er diese Stellung erworben

hat.

Gerade er wird

wiederholt als der berühmteste und mächtigste aller Kanzler des Reiches bezeichnet, 4 und Heinrich Y . selbst redet in jenem berühmten Manifest, das er nach Adalberts Abfall erließ, von seiner Bedeutung und seinem Einfluß in fast überschwänglichen Ausdrücken. 5 Indem aber so die Reichskanzler in gewissem Sinne als die ersten Minister des Königs angesehen werden dürfen, ergibt sich von selbst, daß sie für die formalen Bureaugeschäfte der Kanzlei nur wenig Zeit behalten haben werden.

Es ist eine früher weit verbreitete, durch die

neuesten Forschungen aber als ganz irrig erwiesene Meinung® gewesen, daß alle Wandlungen, welche die inneren und äußeren Merkmale der Urkunden, ihre graphische Ausstattung, ihre Besiegelung, ihre formel-

1

ZACCARIA, Della badia di Leno S. 104.

Bonizo 6, MG. Libelli de lite 1, 593: haec in primordio regni sui omnes ... Italici regni curas cuidam Giliberto commisti Parmensi.... eumque eaneellarium appellatiti. 1

3 FICKEK, Vom Reichsfürstenstande S. 7If. Schon in St. 3213. 3022 wird der Kanzler unter den principes aufgeführt, allerdings beide Male an letzter

S t e l l e , v g l . FICKER a . a . O .

* Ann. Hildesh. 1111: omnium cancellariorum qui ante eum, fuerunt in aula regia celcberrimus; Ann. Ottenbur. 1112: summus et famosissimus cancellar ius; Gesta abb. S. Trudonis 7, 15: famosits et famosissime polens in curia impera tor is. 5 GIESEBRECHT 3, 1253: maxima siquideni circa illuni nostra familiaris familiaritas universum sibi subiecit regnum praeter quod nome», et imperii nostri sola et singularis denegavit dignitas. Totum cum ilio, nil sine ilio disposuìmus. Secreiorum regni conscius, nullius consilii inscius. Totani sibi curiam, omnem svbiecimus militiam. Non modo nobis secundum rerum dimidium animi nostri fecimun. 8 Sie zieht sich insbesondere noch durch alle Arbeiten von K. STUMPFBRENTANO hindurch, dessen großes Werk „Die Reichskanzler" bestimmt war, diese These zu erweisen, aber schon deshalb unvollendet bleiben mußte, weil sie nicht zu erweisen war.

456 mäßige Fassung im Laufe der Zeit erfahren haben, ja daß die mehr oder minder vollkommene oder mangelhafte Ausstattung einer einzelnen Urkunde Schuld oder Verdienst der Reichskanzler gewesen seien. Wir wissen jetzt, daß die Reichskanzler nur in verschwindend seltenen Ausnahmefällen an der graphischen Herstellung der Urkunden persönlich Anteil genommen haben;1 wir können auch nur selten irgend eine der Veränderungen, die sich im TJrkundenwesen vollzogen und die wir später näher kennen lernen werden, auf die unmittelbare Initiative der Kanzler zurückführen. Sie werden aller Wahrscheinlichkeit nach — auch die uns aus direkten Zeugnissen bekannte Praxis der späteren Jahrhunderte läßt darauf schließen — die sachliche EntScheidung über die Gesuche derjenigen, welche eine Urkunde zu erwirken wünschten, vorbereitet und beeinflußt haben; sie mögen es dann auch gewesen sein, welche die Direktiven für die Herstellung der Diplome nach dem Beurkundungsbefehl des Herrschers gaben; aber damit hört im allgemeinen auch ihr Eingreifen in das Beurkundungsgeschäft auf. Um Fassung und Form, Diktat und Schrift der Urkunden haben sich die Kanzler offenbar und zweifelsohne nur wenig gekümmert; für das, was hier einschlägt, haben wir fast durchweg die Unterbeamten der Kanzlei verantwortlich zu machen und in deren Laune, Willkür, oder individueller Gewohnheit, in ihrer Bildung oder ihrem Bildungsmangel, in ihrer Sorgfalt und Akribie oder ihrer Nachlässigkeit und Ungenauigkeit die Ursachen fast aller der wechselnden Erscheinungen zu erblicken, denen wir im Urkundenwesen dieser Jahrhunderte begegnen. Die Namen und die amtlichen Titel dieser Unterbeamten der Kanzlei sind uns im 10. und 11. Jahrhundert nur in den seltensten Fällen bekannt. Unter Otto I. lernen wir den Namen eines 953 in 1 Nur von einem Kanzler läßt sich seit der Mitte des 10. Jahrh. mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, daß er persönlich eine Korrektur in einer Urkunde vorgenommen hat: es betrifft dies Adaiger unter Heinrich III., von dem auch feststeht, daß er vor seiner Ernennung zum Kanzler eine Urkunde ganz mundiert hat. Vgl. KUiA. zu Lief. II, Taf. 8. Außerdem ist es möglich, daß unter Otto I., Otto II. und Otto III. die Kanzler Petrus, Gerbert und Adelbevt, und wahrscheinlich, daß der Kanzler Heribert sich vereinzelt am Schreibgeschäft beteiligt haben; vgl. MIÖG. Erg. 2, 103. 555f.; Vorbemerkung zu DO. III. 53; MIÖG. 1 3 , 577ff. Für die auf Heribert bezügliche Hypothese E R B E N S spricht insbesondere die große Ähnlichkeit zwischen der Schrift der ihm von E R B E N zugesprochenen Diplome und der Schrift einiger Worte, die Heribert seiner Subskription in dem Frankfurter Synodalprotokoll DH. II. 143 eigenhändig hinzugefügt hat. Auch unter Arduin ist vielleicht noch ähnliches vorgekommen, vgl. DD. 3, 698.

Die Reichskanzlei

973—1125

457

die Kanzlei eingetretenen Ingrossisten Adalbert aus einer früher von ihm zum Teil geschriebenen und unterzeichneten Urkunde des Erzbischofs von Köln kennen.1 Unter Otto II. finden wir 976 einen kaiserlichen Notar Herward, der zugleich Schullehrer in Aschaffenburg war.2 Unter Otto IIL, Heinrich II. und Konrad II. ist der Bischof Leo von Yercelli als Verfasser mehrerer wichtiger Urkunden sicher nachweisbar.3 Unter Heinrich II. hat der Bischof Erich von Havelberg, der, aus seinem Bistum vertrieben, in der königlichen Kapelle Anstellung gefunden hatte, eine Anzahl von Urkunden verfaßt und geschrieben.4 Unter Heinrieh III. können wir in einer Urkunde die Handschrift des Kapellans Adaiger erkennen, der später Kanzler und Bischof von Worms wurde 5 Unter Heinrich IV. nennt sich in einem Diplom vom Jahre 1095 ein Raginaldus als Schreiber, indem er sich als subcancellarius des Kaisers bezeichnet, und derselbe Mann hat mit demselben Titel eine Urkunde des Bischofs Milo von Padua unterschrieben;8 Unter Heinrich V. finden wir unter später näher zu erörternden Umständen den Kappellar Arnold, Propst von Aachen, als ßekognoszenten einer Anzahl von Urkunden,' und ein Diplom vom Jahr 1122 nennt einen Henricus notarius imperatoris unter den Zeugen.8 Mit diesen wenigen Notizen ist alles erschöpft, was über einzelne namentlich bekannte Männer aus dem subalternen Personal der Kanzlei vor dem Jahre 1125 mit Sicherheit festgestellt werden kann; 9 und im übrigen 1 KUiA., Text S . 205f.; vgl. BKESSLAU, NA. 25, 664ff.; STENGEL a. a. O. 163 ff. ' GUDEN, Cod. dipl. 1, 352, s. unten S. 468. 3 Vgl. BLOCH, NA. 22, 59ff.; BRESSLAU, NA. 34, 78 Anmerkung und MG. DD. 4, 41. 4 S. oben S. 448 und unten S. 471. 5 BKESSLAU, KUiA. zu Lief. I I , Taf. 8. Außerdem mag ein Schreiber seinen Namen auf der Rückseite von DH. N. 482 verzeichnet haben. Vgl. die Vorbemerkung dazu und zu DH. II. 82. • B B E S S L A U , M I Ö G . 6, 1 3 1 N . 2.; N A . 1 9 , 683ff. Rainald mag in dieser Zeit, in der die Kanzler sich kaum dauernd an dem vereinsamten kaiserlichen Hofe aufhielten, der eigentliche Leiter der Kanzleigeschäfte gewesen sein. 8 ' S. unten S. 480f. 484. St. 3174. 9 In einigen anderen Fällen sind Vermutungen mit mehr oder minder großer Wahrscheinlichkeit gestattet. So ist der Schreiber LI unter Otto I. und seinen Nachfolgern vielleicht mit dem Magdeburger Schullehrer Ekkehard dem Roten identisch (vgl. UHLIRZ, Gesch. des Erzbist. Magdeburg S . 81; STENGEL a. a.O. S. 196), der Schreiber BA unter Heinrichll. mit dem Bischof Adelbold von Utrecht (vgl. BLOCH, NA. 23, 158), der Schreiber GA unter Heinrich II. mit dem Trierer Kleriker Walker (vgl. BRESSLAU, NA. 22, 156f.), der Schreiber Adalbero C unter Heinrich IV. (der wohl in Zukunft Adalbero B zu benennen sein wird) mit dem Kapellar und Propst von Aachen Gottschalk.

S.

458

Die Reichskanzlei

973—1125

sind wir darauf angewiesen, diejenigen Kanzleibeamten, die wir durch Schrift- und Stilvergleichung unterscheiden lernen, in der früher angegebenen Weise mit Chiffren zu bezeichnen. Ob diese Kanzleibeamten vom König oder vom Kanzler ernannt sind, vermögen wir nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Während nicht selten einzelne von ihnen aus der Amtszeit eines Kanzlers in die eines anderen übergehen und ihre Handschrift sich eine lange Reihe von Jahren in den Urkunden verfolgen läßt, erreicht die Tätigkeit anderer mit dem Ausscheiden eines Kanzlers ein Ende, und bisweilen ist mit einem Wechsel im Kanzleramt auch ein durchgreifender Wechsel des subalternen Personals verbunden gewesen. Einzelne von ihnen haben wohl einen zum Bischof oder Erzbischof ernannten Kanzler in seine Diözese begleitet; 1 unter Heinrich III. scheint ein Notar des Kanzlers Eberhard diesem nach Aquileja gefolgt zu sein, wohin er als Patriarch berufen war, nach seinem Tode aber an den Hof zurückgekehrt und zum zweiten Mal in der Kanzlei angestellt worden zu sein; 2 es kommt endlich vor, daß Schreiber der Kanzlei in Privatgeschäften ihres Kanzlers verwandt werden, 3 aber auch daß sie anderweit im königlichen Dienst zur Verwendung gelangen. 4 Sehr verschieden ist weiter die Zahl der gleichzeitig beschäftigten Beamten. Finden wir unter einzelnen Kanzlern fünf, sechs, ja vereinzelt noch mehr Ingrossisten gleichzeitig in Tätigkeit, so hat zu anderen Zeiten ein einzelner Mann fast die gesamte Arbeit in der Kanzlei verrichtet und ist nur ganz ausnahmsweise von einem oder dem anderen Kollegen unterstützt worden.5 Neben den Schreibern, die wir als ständige Kanzleinotare bezeichnen können, finden sich andere, die offenbar nur aushilfsweise hier und da zur Tätigkeit in der Kanzlei herangezogen worden sind; die letzteren stehen häufig zu einem bestimmten geistlichen Stift oder zu einem bestimmten Ort in näherer Beziehung und haben ausschließlich oder fast ausschließlich Urkunden für jenes Stift geschrieben oder nur, wenn der Hof an jenem

1

So ist ein Schreiber, der unter Kanzler Egbert in der Kanzlei Ottos II. aushilfsweise tätig war, später als Schreiber einer Urkunde des zum Erzbischof von Trier ernannten Egbert nachweisbar; vgl. MIÖG. Erg. 2, 124 N. 1; ich kann die bezügliche Annahme von F O L T Z aus eigener Anschauung bestätigen. 4

KUiA. zu Lief. II, Taf 7. So hat ein Notar des Kanzlers Gregor von Vercelli unter Heinrich IV. dessen Testament geschrieben, MIÖG-. 6, 124. * So begleitet ein Kauzleischreiber im Jahre 1063 den Bischof Burcliard von Halberstadt bei dessen Legation nach Italien, MIÖG. 6, 123 N. 1. 5 Vgl. hierüber die Zusammenstellungen bei E R B E N , UL. S. 97ff. 3

Die Reichskanzlei

973—1125

459

Ort weilte, der Kanzlei ihre Hand geliehen. 1 Aber auch unter den. ständigen Kanzleibeamten sind noch Unterschiede in der Stellung deutlich erkennbar. Einzelne stehen zu anderen in einer Schülerstellung, und der Einfluß solcher Lehrer auf die Formen der Urkunden ist oft noch lange nach ihrem Ausscheiden aus der Kanzlei erkennbar; die einen haben nur mundiert, andere, wohl solche von größerer Kenntnis und Erfahrung, haben diktiert und geschrieben; einige schreiben nur von ihnen selbst verfaßte Stücke, andere arbeiten nur nach fremdem Konzept; es kommt auch vor, daß ein Notar die Arbeit eines anderen korrigiert und etwaige Fehler in der Reinschrift verbessert; und keine Erscheinung begegnet häufiger, als daß in einem und demselben Dokument, auch bei der Reinschrift, zwei, j a zuweilen noch mehr Beamte sich in die Arbeit geteilt haben. Endlich, während im allgemeinen die Tätigkeit dieser Männer eine durchaus subalterne ist, hat doch wohl der eine oder der andere es durch eben diese Tätigkeit zu einer gewissen politischen Bedeutung gebracht; und unter Heinrich I V . hat es sogar den Anschein, als ob die um den Einfluß auf die Regierungsgeschäfte rivalisierenden Großen, wie etwa Anno von Köln und Adalbert von Bremen, auch danach gestrebt haben, Männer ihres Vertrauens in die niederen Kanzleiämter zu bringen. Alle diese Verhältnisse aber sind nicht fest geregelt und geordnet, sondern schwankend und flüssig; und die Aufgabe der einen größeren Komplex von Diplomen bearbeitenden Urkundenkritik ist es, diese Schwankungen und Wechselfälle in den einzelnen Regierungen und Regierungsabschnitten möglichst genau zu verfolgen und von den einzelnen namenlosen Kanzleibeamten, ihren Neigungen und Gewohnheiten, ihrem Können und Wollen, ihrer Herkunft und ihren Beziehungen eine möglichst bestimmte Vorstellung durch Vergleichung aller von ihnen herrührenden Arbeiten und genaue Beachtung der diesen anhaftenden Eigentümlichkeiten zu gewinnen. Werden die aus derartigen Untersuchungen sich ergebenden Resultate in der Mehrzahl der Fälle ein wohl begründetes und sicheres Urteil über Originalität und Echtheit der uns überlieferten Urkunden gestatten, so muß nun aber doch hervorgehoben werden, daß es eine Anzahl von Dokumenten gibt, die als echte Königsurkunden angesehen werden wollen und müssen, und auf die doch die auf solche Weise

1 Beispiele zu allen diesen und den vorangehenden und folgenden Ausführungen geben die Erläuterungen zu KUiA., sowie die Erläuterungen und Exkurse zu den bisher erschienenen vier Bänden der Diplomataausgabe und neuerdings die oft angeführten Untersuchungen STENGELS a. a. 0 . S. 130ff.

Die Reichskanzlei 973—1125

460

zu gewinnenden Kriterien keine oder nur beschränkte Anwendung finden. Nicht immer nämlich sind die Diplome fränkischer, italienischer und deutscher Könige ihrem ganzen Umfang nach in den königlichen Kanzleien hergestellt worden, sondern in zahlreichen Fällen und in mannigfacher Weise haben die E m p f ä n g e r sich an ihrer Herstellung beteiligt. Daß die Parteien, die um die Ausfertigung von Königsurkunden nachsuchten, der Kanzlei Verzeichnisse der Namen von Besitzungen oder Begrenzungen einreichten, deren Aufnahme in die Diplome sie wünschten, lag in der Natur der Sache und ist gewiß schon früher vorgekommen, wenn es auch bisher erst für die Ottonische Zeit an einzelnen Beispielen bestimmt nachgewiesen worden ist.1 Darüber hinaus konnten sie den Kanzleibeamten oder dem Herrscher selbst bereits einen vollständigen Entwurf der Urkunden vorlegen, die sie erbaten: wurde er unverändert oder nur mit geringen Veränderungen genehmigt, so entstand eine Urkunde, deren Diktat von den Empfängern herrührte und in dieser oder jener Beziehung von den Gewohnheiten und dem Sprachgebrauche der Kanzlei abweichen konnte. In welchem Umfange schon in der karolingischen Zeit Fälle dieser Art vorgekommen sind, ist bisher noch nicht genügend untersucht worden; doch besitzen wir noch jetzt den Entwurf zu einem Diplom Arnulfs für das Kloster St. Gallen, der vom Abte eingereicht, mit einigen Abänderungen von der Kanzlei akzeptiert und von einem Kanzleibeamten ins Reine geschrieben wurde, obwohl die Formulierung des Eingangsprotokolls sich in ganz ungewöhnlichen Ausdrücken bewegte.2 Aus den folgenden Jahrhunderten sind uns mehrere solche Entwürfe erhalten, 3 und in zahlreichen Fällen läßt sich seit der Zeit Konrads I.

1

Vgl. S C H R Ö D E R , MIÖG. 18, 16ff. Vgl. T A N Q L , NA. 2 5 , 3 4 7 ff. Durch seinen Nachweis werden die Bemerkungen S I C K E L S über dies Diplom ( M Ü H L B A C H E R * n. 1 8 7 5 ) , KUiA., Text S . 1 8 8 , wesentlich umgestaltet. 3 Aus dem 10. Jahrh. gehört hierher der Entwurf zu dem DO. III. 24 (vgl. KUiA. Lief. X Taf. 25 und S I C K E L in Zeitschi-, des Vereins für Gesch. von Niedersachsen 1890 S. lff.), aus dem 11. Jahrh. die Entwürfe zu DH. II. 90 (im Kloster Niederaltaich verfaßt) und DH. II. 322 (von Leo von Vercelli geschrieben), aus dem 12. Jahrh. der von der Kanzlei nicht genehmigte Entwurf zu einem Diplom Friedrichs I. für St. Blasien (vgl. S C H U L T E , Zeitschr. f. Gesch. des Oberrheins N. F. 3, 120ff.; H I R S C H , MIÖG. Erg. 7, 552. 555). Ausdrücklich bezeugt ist uns ferner, daß Freunde des Propstes von S. Ambrogio zu Mailand eine Urkunde für ihn Konrad III. vorgelegt haben, der sie erst akzeptierte und ihre Besiegelung versprach, später aber diese Zusage nicht erfüllte (vgl. den Brief bei P P L U Q K - H A R T T Ü N O , Iter Italicum S . 477). 8

Die Reichskanzlei

973—1125

461

mit voller Bestimmtheit feststellen, daß die Diplome auf Parteikonzepte zurückgehen. 1 Aber auch an dem Schreibgeschäft hat man die Parteien sich beteiligen lassen. Ein von dem Empfänger der Urkunde gestellter Schreiber mochte zunächst den Kontext oder diesen und Teile des Protokolls mundieren, sei es nach einem von ihm selbst angefertigten, sei es nach einem ihm von der Kanzlei gelieferten Diktat, so daß den Beamten des Königs nur noch übrig blieb die Beglaubigungsformeln des Eschatokolls oder Teile davon hinzuzufügen. 2 Noch weiter ging man, indem man den Parteien ein mit diesen Beglaubigungsformeln bereits versehenes Blankett einhändigte, in das sie den Text eintragen durften, dessen Prüfung dann erst bei der Besiegelung stattfinden mochte, 3 oder indem die Kanzlei ihnen das 1

Für eine einzelne Urkundengattung, die Immunitätsprivilegien, hat STENGEL a. a. 0. S. 256 N. 4 die betreffenden Stücke aus dem 10. und 11. Jahrh. zusammengestellt; sie beginnen mit DK. I. 5 und DH. I. 12 für St. Gallen. 3 Wann dies oder die im folgenden erwähnte vollständige Herstellung eines Diploms außerhalb der Kanzlei zuerst vorgekommen ist, bedarf noch weiterer Untersuchung. Wenn die Originalität des DM. 72 (LAÜER und SAMARAN pl. 33, vgl. PROU, daselbst Vorrede S. I I , und OTTENTHAI, MIÖG.

32, 195) auareichend gesichert wäre, würde es schon in merovingischer Zeit der Fall gewesen sein-, aber ich zweifele daran und mir scheint auch die Unterschrift des Referendars vom Verdacht der Nachzeichnung nicht frei zu sein. Das früher als das erste sichere Beispiel angesehene Diplom Ludwigs des Deutschen für St. Emmeram zu Regensburg, MÜHLBACHER1 n. 1378 (Faksimile bei CHROUST, Mon. palaeogr. 1, Lief. I, Taf. 4. 5), ist nach den Ausführungen TANGLS, AfU. 1, 155, doch wahrscheinlich anders zu beurteilen und ganz in der Kanzlei geschrieben. Wenn ERBEN, UL. S. 102, eine Anzahl von Urkunden der ersten Karolinger hierher zu rechnen geneigt ist, weil ihre Schreiber nicht wieder vorkommen, so_ist das ein sehr bedenklicher Schluß: ob ein Schreiber ein- oder zweimal vorkommt, kann bei der Dürftigkeit der Überlieferung für diese Zeit bloßer Zufall sein; und ERBENS Annahme hat nur vielleicht bei dem D. Kar. 144 in der ungeübten Schrift eine gewisse, aber kaum ausreichende Unterstützung. Noch für die Zeit Arnulfs wollte SICKEL, KUiA., Text S. 188, eine Beteiligung der Empfänger an der Reinschrift nur in zwei Fällen annehmen, und von diesen ist der eine jetzt anderweit erklärt worden (s. oben S. 460 N. 2). So scheinen die ersten bisher ganz sicher gestellten Beispiele doch erst der Zeit Konrads I. anzugehören. 3 Daß bereits besiegelte Blanketts den Parteien ausgehändigt wären, ist selten und nur schwer mit Sicherheit festzustellen. Auch wenn etwa die Schrift dem Siegel auszuweichen scheint, ist nicht unbedingt darauf zu schließen, daß das Siegel schon vor der Schrift vorhanden war: die Einschnitte für das Siegel auf dem Blankett genügten, um den Schreiber darauf hinzuweisen, wo er Raum auszusparen hatte. Immerhin schien uns die Annahme, daß für das DK. II. 124 ein bereits besiegeltes Blankett der Partei übergeben wurde,

462

Die Reickskanzlei

973—1125

Schreibgeschäft völlig überließ, sich lediglich auf die Besiegelung beschränkte und nur noch der Vollziehungsstrich im Handmal vom König selbst hinzugefügt wurde. Beispiele für alle diese verschiedenen Arten von Diplomen, die unter Mitwirkung der Empfänger angefertigt sind, sind für die Zeit der sächsischen und der ersten salischen Könige in der neuen Ausgabe der Kaiserurkunden nachgewiesen. Im allgemeinen wird sich sagen lassen, daß die Beteiligung der Empfänger an der Herstellung der Diplome unter den sächsischen Königen häufiger stattfand als unter den beiden ersten Saliern, daß sie aber dann unter Heinrich IV., Heinrich V. und Lothar wieder zunahm. Über die späteren Zeiten des Mittelalters fehlen noch ausreichend erschöpfende Beobachtungen; daß unter den Staufen eine abermalige Vermehrung der Empfängerausfertigungen stattgefunden hat, ist wahrscheinlich; daß es aber übertrieben ist, wenn man zwei Drittel aller Königsurkunden auf diese Weise entstanden glaubte, ist schon jetzt gewiß; 1 und aller Wahrscheinlichkeit nach ist in der nachstaufischen Zeit ihre Zahl wiederum erheblich geringer geworden.2 Aber nicht bloß die Empfängerausfertigungen bereiten der kritischen Untersuchung der Diplome Schwierigkeiten; auch bei Urkunden, die in anderer Weise entstanden sind, können ähnliche Verhältnisse obwalten. Nicht immer war nämlich die königliche Kanzlei vollständig organisiert und in einem für die Bedürfnisse ausreichenden Maße mit Arbeitskräften versehen und oft genug hat sie, was sich gleichfalls für das ganze Mittelalter seit der karolingischen Zeit erweisen läßt, nicht ständige Schreiber, sei es aus dem Kreise der sonstigen Hofgeistlichkeit, sei es aus der Zahl der Geistlichen des Ortes, an dem der König

wahrscheinlich zu sein, doch wird auch dies Diplom nach Ausfüllung des Blanketts noch einmal in die Kanzlei zurückgekommen sein (vielleicht behufs Vollziehung des Monogramms), da der Ausstellungsort nachgetragen zu sein scheint. Vgl. im übrigen zu dieser Frage W I B E L , A f U . 3, 84ff. — Nicht hierher gehören die von E R B E N , U L . S . 103 N . 3 angeführten Fälle der DD. H. II. 330. 411, denn diese Blanketts sind ja gar nicht den Parteien überlassen, sondern in der Kanzlei selbst ausgefüllt worden. 1 Über die staufische Zeit vgl. P O S S E , Privaturkunden S. 3 N. 1, gegen dessen Behauptungen aber T A N G L , Schrifttafeln 3 Text S. 44, und Zeitsehr. für Kechtsgeschichte 38 (Germ. Abteil. 25), 259f., mit Recht Einsprache erhoben hat,

und s

PHIUPPI

S. 20.

47.

Für das 14. Jahrh. vgl. Lindner S. 18Jff. Ganz verfehlt und unbrauchbar ist, was G C T J A I I R , Die Urkunden deutscher Sprache in der Kanzlei Karls IV. (Leipzig 1906) über diese Fragen phantasiert.

Die Reichskanzlei

973—1125

463

sich gerade aufhielt, aushilfsweise zur Arbeit herangezogen und Urkunden ganz oder zum Teil durch sie herstellen lassen.1 Für das 15. Jahrhundert können wir sogar aus den Rechnungsbüchern der Kanzlei, soweit sie uns erhalten sind, die Existenz solcher Lohnschreiber, ihre Namen und die Höhe ihrer Bezahlung nachweisen; 2 ihr Vorkommen kann aber auch für frühere Zeit nicht bezweifelt werden. Haben sie zwei oder mehr uns erhaltene Urkunden für verschiedene Empfänger verfaßt oder geschrieben, so reicht die Schrift- oder Diktatvergleichung im allgemeinen und abgesehen von ganz besonders gearteten Fällen aus, um die Echtheit dieser Stücke darzutun, und es finden dieselben Grundsätze Anwendung, die für wirkliche Kanzleibeamten gelten. Haben sie nur je eine Urkunde geschrieben, so sind sie für uns von den eben erwähnten Parteischreibern nicht zu unterscheiden. In solchen Fällen nun kann über die Originalität der von ihnen hergestellten Urkunden zwar nicht mit der gleichen Sicherheit geurteilt werden, wie das bei wirklich kanzleimäßigen Elaboraten möglich ist, zumeist wird aber auch bei ihnen sorgfältige Erwägung aller Umstände eine einigermaßen zuverlässige Ansicht auszusprechen gestatten. Für die Abgrenzung der K o m p e t e n z d e r v e r s c h i e d e n e n K a n z l e i a b t e i l u n g e n und die Verteilung der Geschäfte zwischen ihnen ist in dieser Periode im allgemeinen bei Urkunden über Grundbesitz oder sonstige an eine örtlichkeit gebundene Objekte, wie Zollund Marktrechte, die Lage jener örtlichkeit, und soweit das zur Scheidung nicht ausreichte oder das Objekt der Beurkundung nicht bloß einem der drei Kronländer des Reiches angehörte, das Domizil des Empfängers der Urkunde maßgebend gewesen.3 Demgemäß wurden also Urkunden über Realobjekte, die in Deutschland, Italien oder Burgund belegen waren, oder wenn es sich nicht um nur e i n e m Reiche angehörige Realobjekte handelte, Urkunden für deutsche, italienische oder burgundische Empfänger jeweilig im Namen des deutschen, italienischen oder burgundischen Kanzlers und Erzkanzlers rekognosziert. Selbstverständlich galt diese Regel nur dann, wenn die drei Kanzleiabteilungen wirklich getrennt organisiert waren, was, wie

1

Auch daß Beamte, die schon lange aus dem Dienste der Kanzlei ausgeschieden waren, später wieder gelegentlich an deren Arbeit teilgenommen haben, kommt nicht selten vor. » Vgl. MIÖG. 8, 24 ff. 3 Vgl. SICKEL, MIÖG. Erg. 2, 101 f.; BRESSLAU, Kanzlei Konrads II. S. 16; STEINDORFF, Jahrb. Heinrichs III. 1, 359.

464 wir gesehen haben, nicht immer der Fall war. 1 Und auch dann noch erlitt sie einige Ausnahmen. Zunächst ist sie hinsichtlich gewisser Grenzgebiete nicht streng durchgeführt worden, nämlich hinsichtlich der Marken Verona und Friaul, sowie der Grafschaft Chiavenna, die zwischen Deutschland und Italien um so mehr eine schwankende und unbestimmte Stellung einnahmen, als die Herzöge von Bayern und Kärnthen, die dort als Markgrafen fungierten, sowie die Bischöfe von Chur, die in der Grafschaft Chiavenna die staatlichen Hoheitsrechte beanspruchten, Deutsche waren. 2 Sodann haben zu Zeiten gewisse persönliche Verhältnisse eingewirkt: namentlich wenn einer der Kanzler selbst Urkundenempfänger war, scheint man bisweilen, freilich keineswegs immer, die Rekognition in der anderen Kanzleiabteilung bewirkt zu haben; 3 in anderen Fällen mag umgekehrt gerade das persönliche Interesse, das der eine Kanzler an der Erledigung einer Angelegenheit nahm, veranlaßt haben, daß er, abweichend von dem ordentlichen Geschäftsgang, die Ausfertigung der betreffenden Urkunde in seinem Bureau besorgen ließ.4 Vorübergehende Abwesenheit eines Kanzlers vom Hofe hinderte seit dem Anfang des 10. Jahrhunderts nicht notwendig, daß in seinem Namen rekognosziert wurde, und Fälle, in denen das geschehen ist, sind zur Genüge nachweisbar.5 Nichtsdestoweniger

1 Wenn es keine burgundische Kanzlei gab, sind burgundische Angelegenheiten bald in der deutschen, bald in der italienischen Kanzlei behandelt worden. Daß in der burgundischen Kanzlei andere als burgundische Angelegenheiten bearbeitet worden wären, kommt nicht vor. 5 Vgl. B R E S S L A Ü , MIÖG. 6 , 1 2 5 ; S I C K E L , MIÖG. Erg. 2 , 1 0 2 , der mit Recht einen Vorbehalt gegen die im allgemeinen allerdings zutreffende Annahme S T U M P F S (FDG. 1 5 , 153ff.) macht, daß sich aus den Rekognitionen der Urkunden die jeweilige Auffassung der Abgrenzung zwischen Deutschland und Italien sicher erkennen lasse. 3 Vgl. B R E S S L A U , MIÖG. 6 , 1 2 5 . — In der Kanzlei Berengars I. von Italien scheint der Grundsatz, daß ein Kanzler für ihn selbst ausgestellte Urkunden nicht rekognosziert, streng befolgt zu sein. 4 So ist vielleicht der Fall St. 2244, vgl. S T E I N D O R F F 1, 360 N. 1, Bestätigung eines in einem italienischen Placitum durch den deutschen Kanzler Adaiger als Königsboten gesprochenen Urteils, rekognosziert durch Adalgcr selbst, zu erklären. 8 Der erste bis jetzt nachgewiesene Fall der Art gehört in die Zeit Konrads I. und des Kanzlers Salomo von Konstanz, vgl. u. a. S I C K E L , B Z D . 7, 65 (703)f.; M E Y E R VON K N O N A U , St. Galler Mitteil. 15, 75 N . 262; L A D E W I G , Reg. epp. Constant. n. 313. Über weitere Fälle des 10. und der folgenden Jahrhunderte vgl. S I C K E L , MG. DD. 1, 84; F I C K E R , B Z D . 2, 175ff.; B L O C H , NA. 22, 86f.; KÖHNCKE, Wibert von Ravenna (Leipzig 1888) S . 10f.; S C H E F F E R - B O I C H O R S T , Friedrichs I. letzter Streit mit der Kurie S. 205 ff.

Die Reichskanzlei

973—1125

465

scheint im 11. Jahrhundert unter Heinrich IV. auch eine solche vorübergehende Abwesenheit des italienischen Kanzlers bisweilen zur Ausfertigung der Diplome in der deutschen Kanzlei geführt zu haben; die Sache hängt vielleicht damit zusammen, daß, worauf allerlei Umstände schließen lassen, damals zeitweise eigenhändige Signierung der Konzepte durch den Kanzler in der italienischen Kanzlei üblich war.1 Endlich aber bleiben noch einige Fälle übrig, bei denen auch diese Erklärung der anomalen Rekognition nicht begründet werden kann und bei denen wohl lediglich Versehen oder Sorglosigkeit der Urkundenschreiber vorliegen.2 "War das Amt eines Kanzlers oder Erzkanzlers erledigt, während die Kanzleiabteilung selbst eine geordnete Organisation hatte, so trat im 11. Jahrhundert eine Vertretung durch eine andere Kanzleiabteilung nicht ein. Vielmehr wurde, wenn das Erzkanzleramt vakant war, im Namen des Kanzlers ohne Angabe eines Vertretungsverhältnisses oder höchstens mit dem Zusatz vice ecclesiae Moguntinae, wenn dagegen das Kanzleramt vakant war, im Namen des Erzkanzlers allein rekognosziert.8 Im 10. Jahrhundert kam es auch in solchen Fällen zu Vertretungen durch Beamte der anderen Kanzleiabteilung, ohne daß indessen in dieser Beziehung ganz gleichmäßig und regelmäßig verfahren worden wäre.4 Wie die Teilung der Kanzleien in eine deutsche und eine italienische Abteilung schon unter Otto II. und Otto i n . , dann in den ersten Jahren Heinrichs II. und in den ersten Heinrichs V. vorüber1

Vgl. BRESSLAÜ, MIÖG. 6, 125 ff. 129. Vgl. NA. 26, 417 N. 2 über DD. H. II. 283. 313. Ein sehr bezeichnendes Beispiel der Art ist DK. II. 25 für S. Ponziano bei Lucca, mundiert von einem deutschen Schreiber. Hier war zuerst der Name des deutsehen Kanzlers eingetragen, der dann ausradiert und durch den Namen des italienischen Kanzlers ersetzt wurde. Ob auch der von K E H B , Urkunden Ottos III. S . 75, besprochene Fall des DO. III. 273, wo erst der Anfang des Namens des italienischen, dann der Name des deutschen Kanzlers geschrieben wurde, so aufzufassen ist, ist zweifelhaft; bei einem in Italien geschriebenen Diplom für ein burgundisehes Kloster konnte man wirklich schwanken,' welcher Kanzler zu nennen sei; s. oben S. 442 N. 1. Daß später unter Otto III. mehrfach die Namen der beiden Erzkanzler vertauscht sind, vgl. K E H R S. 75ff.und MG. DD. 2, 389b, erklärt sich zu einer Zeit, da die beiden Kanzleiabteilungen miteinander verschmolzen waren, aus mangelnder Sorgfalt der Notare. * STUMPF, Wirzburger Immun. 1, 4 1 N . 7 4 ; BRESSLAU, Kanzlei S . 1 7 ; MIÖG-. 6, 131. 134. Mehrfach kommt es aber auch vor, daß die Rekognition in der Zeit der Vakanz des Kanzleramtes auch in Originalurkunden ganz fehlt. 4 STUMPF a. a. 0. 1, 41; dazu aber SICKEL, MG. DD. 1, 86ff.; MIÖG. Erg. 2, 96 ff. Uri-ßl.iu, UrkundrnMirc. 3. Aufl. I. 30 1

466

Die Reichskanzlei 973—1125

gehend aufgehoben war, so ist sie in den letzten Jahren Heinrichs Y. definitiv beseitigt worden. Nach dem Tode Burchards von Münster (1118 Mäxz 19) scheint tzwar noch einmal in der Person eines vom Kaiser zum Erzbischof von Ravenna ernannten Geistlichen, des Namens Philipp, ein italienischer Kanzler bestellt zu sein,1 aber dieser wird nur einmal im November 1118 erwähnt; nach dem Wormser Konkordat, wenn nicht schon früher, hat er auf seine ravennatischen Ansprüche verzichten müssen und ist nun zum Kanzler für das ganze Reich ernannt worden.2 Einen eigenen Kanzler für Italien und eine italienische Kanzlei hat es seitdem nicht mehr gegeben.3 Dagegen wird für Burgund ein besonderer Kanzler, der Bischof Gerold von Lausanne noch bis zum Jahre 1125 erwähnt, und wenigstens ein Diplom aus dem Jahre 1124 ist auch noch von ihm rekognosziert worden.4 Aber der Fall steht ganz vereinzelt da; daß dem burgundischen Kanzler eigene Unterbeamte unterstanden hätten, ist gewiß nicht anzunehmen, und in der Hauptsache werden wir doch sagen dürfen, daß schon in den letzten Jahren Heinrichs "V. die wichtigste aller denkbaren Veränderungen in der Geschichte der Reichskanzlei eingetreten war: die oberste Regierungsbehörde war wiederum einheitlich organisiert; es gab fortan nur noch eine Reichskanzlei. Ehe wir deren Geschichte des weiteren verfolgen, fügen wir zunächst wiederum eine Übersicht über die mit .Namen bekannten Kanzleibeamten von 973—1125 an.

1

Er wird erwähnt in dem Plaeitum der Kaiserin Mathilde vom Nov. 1118 wo es heißt: in praesentia eleeti arehiepiscopi Ilavennatis ecelesiae Pkilippi et cancellarii imperatoris. Als vom Kaiser intrudierten Erzbischof von Ravenna nennt ihn auch der Erzbischof Walther von Bavenna in einer Urkunde bei MITTARELLI, Accessiones Faventinae (Venedig 1771) S. 427. Daß er mit dem seit dem Sept. 1122 begegnenden Reichskanzler gleichen Namens identisch ist, hat schon AMADESI mit zweifellosem Recht angenommen. Auf diese für die Geschichte der Kanzlei früher gar nicht beachteten Zeugnisse hat mich A. HESSEL aufmerksam gemacht; vgl. jetzt auch MEYEB VON KNONAU, Jahrb. Heinrichs IV. und Heinrichs V. 7, 77 N. 39. s Er wird als Reichskanzler zuerst in St. 3182 genannt. Ihm hat im September offenbar der bisherige Kanzler BruDO weichen müssen, der 1122 weder gestorben noch Bischof geworden ist. 8 St. 3157 vom 31. Mai 1118 rekognosziert noch der italienische Erzkanzler Gebhard von Trient. Zwischen St. 3157 und dem Wormser Konkordat, dessen kaiserliche Ausfertigung Friedrich von Köln rekognosziert hat, ist uns kein Diplom für Italien erhalten. In allen späteren aber werden als Kanzler und Erzkanzler Philipp und Adalbert von Mainz genannt, vgl. MIÖG. 8, 133 f. und unten S. 480. (UOHEILI 2, 364),

4

St. 3201, v g l . SEELIGER bei WAITZ, V G . 6 - , 371 N . C.

Kanzlei

Ottos II.

467

Otto II. A. Deutsche Kanzlei. I. Erzkapellane. 1. R u o d b e r t , Erzbischof von Mainz, 973 Juni 2, bis 975 Tan. 6. DO. II. 28. 93. — Stirbt 975 Jan. 13; vgl. SICKEL, MIÖG. Erg. 2, 89. Fungiert auch für Italien, DO. II. 71. 2. W i l l i g i s , Erzbischof von Mainz, 975 Jan. 25—983 Juni 20. DO. II. 95. 313. — Vorher Kanzler; später Erzkapellan Ottos III. Fungiert 975 Nov. 24 auch für Italien, DO. II. 120. 1 II. Kanzler. 1. W i l l i g i s 973 Juni 2—975 Jan. 6. DO. II. 28. 93. — Vorher Kanzler Ottos I.; wird Erzkapellan. Fungiert auch für Italien, DO. II. 71. 2. F o l k m a r - P o p p o 975 Jan. 25—976 Juni 8. DO. II. 95. 129* — Vielleicht Abt von Werden (DO. II. 88, vgl. STENGEL a. a. 0 . S. 185 und MIÖG. Erg. 2, 92); wird Bischof von Utrecht. Fungiert auch für Italien, DO. II. 120. 3. E g b e r t 976 Juli 5—977 Juli 30. s DO. II. 132. 162. — Sohn des Grafen Dietrich von Holland; wird Erzbischof von Trier. Fungiert auch für Italien, schon seit 976 Juni 30, DO. II. 130. 144. 4. Gerbert 977 Sept. 8—Okt. 20. DO. II. 163. 168. — Italiener vielleicht aus Bobbio, vgl. MIÖG. Erg. 2, 101. Fungiert wahrscheinlich noch für das ganze Reich; bleibt Kanzler für Italien. 5. H i l d i b a l d 977 Okt. 29—983 Juni 20. DO. II. 169. 313. — Wird Anfang 979 Bischof von Worms, DO. II. 183, bleibt aber Kanzler und fungiert als solcher noch unter Otto III. 4 1 DO. II. 154 für Aquileia, betreffend Güter in Istrien, rekognosziert anstatt des Willigis, gehört zu den S. 464 N. 2 erwähnten Diplomen für Grenzgebiete, die sichere Schlüsse auf die Kanzleiteilung nicht zulassen. 1 DO. II. 125. 126 vom 18. und 19. Jan. 976 mit der Rekognition Egberts Bind (nach SICKEL) nach der Handlung datiert, aber erst nach Juni 976 ausgefertigt, vgl. MIÖG. Erg. 2, 142. 8 Über die Rekognition von DO. II. 166, wo Egbertus, nicht Gerbertus, zu lesen ist und das schon vor dem 8. Sept. 977 rekognosziert sein muß, vgl. NA. 34, 78 (Anm. von S. 77). * Heißt Erzkapellan in DO. II. 218; DO. III. 294, s. oben S. 450 N. 1. 30*

Kanzlei Oilos IL

468

i n . Notare. [1. G u n p a l d 973 Aug. 22. DO. II. 55. Gewiß nicht Mitglied der königlichen Kanzlei.] 2. H e r w a r d , domini Ottonis imperatoris notarius et eeclesie que est in Ascafenburg dydasealus. 976 Apr. 28, G U D E N T J S , CD. Mogunt. 1, 352; höchstwahrscheinlich identisch mit dem schon unter Otto I. beschäftigten Kanzleinotar WB, vgl. MIÖG. Erg. 2,

88

N.

1;

STENGEL

a. a. 0 .

S. 1 7 3

ff.

[3. B e n n o 3. (5.?) Juni 980. DO. IL 218. Gewiß nicht Mitglied der königlichen Kanzlei; vielleicht Kanzleibeamter des Bischofs von Verdun, vgl. B L O C H , Jahrb. der Gesellsch. für lothring. Gesch. 10, 411.] B. Italienische Kanzlei. I. Erzkanzler. 1. H u b e r t , Bischof von Parma, 976 Juni 30—980 Febr. 12. DO. II. 130. 212. — Vorher Erzkanzler Ottos I. Stirbt 980. 1 2. P e t r u s , Bischof von Pavia, 980 Dez. 28—983 Aug. 27. DO. n . 238. 317. — Wird Papst Johann XIV. II. Kanzler. Die italienische Kanzlei ist erst 977 oder 978 organisiert. 1. Gerbert 978 April I I 2 — 9 7 9 Nov. 5. DO. II. 173. 206. — Vorher Kanzler für das ganze Reich; wird Bischof von Tortona, DO. II. 206. 2. J o h a n n e s 980 Febr. 12—982 Sept. 30. DO. II. 212. 281. — Wird Abt von Nonantola (DO. IL 283); später Erzieher Ottos HI.; 988 Erzbischof von Piacenza und 991 auf kurze Zeit Chef der italienischen Kanzlei Ottos HI., vgl. MIÖG. 12, 224 ff. 3. A d e l b e r t 982 Nov. 2—983 Aug. 27. Bleibt Kanzler Ottos III.

DO. IL 285. 317. —

Otto m . A. Deutsche Kanzlei. I. Erzkapellan. W i l l i g i s , Erzbischof von Mainz, 984 Okt. 7—1002 Jan. 11. DO. i n . 1.424. — Vorher Erzkapellan Ottos IL, später Heinrichs II. 1

Wahrscheinlich am 7. Nov., vgl. Necrol. Merseburg, ed. DÜMMLEB, Neue Mitteil, des thüring.-sächs. Vereins 11, 244. 2 Über DO. II. 166 s. oben S. 467 N. 3.

469 I L Kanzler.

1. H i l d i b a l d ,

Juli 18.

Bischof von W o r m s ,

9 8 4 Okt. 7 — 9 9 8

DO. m . 1. 2 9 8 . — Vorher Kanzler Ottos I I . ; stirbt

9 9 8 Aug. 4. 2. H e r i b e r t 9 9 9 J a n . 3 1 — 1 0 0 2 J a n . 11. DO. III. 3 0 6 . 4 2 4 . — Kapellan (DO. III. 1 8 4 ) ; seit 9 9 4 italienischer Kanzler; seit 9 9 9 Juli 9 Erzbischof von Köln, ohne seine Ämter in der Kanzlei aufzugeben, die er bis zum Tode Ottos III. beibehielt; stirbt 1 0 2 1 März 16.

B. I. Erzkanzler. J a n . 11.

Petrus,

Italienische Kanzlei. Bischof

von

Como,

DO. I I I . 50. 4 2 3 . — Fällt

988

nach

Okt.

22—1002

Ottos III. Tod

zu

Arduin ab. n . Kanzler. 1. A d e l b e r t 9 8 8 Okt. 2 2 — 9 9 0 J u n i 18. DO. III. 5 0 . 6 5 . — Vorher Kanzler Ottos II. Seine Identität mit dem seit 9 9 6 nachweisbaren gleichnamigen Bischof von Brescia ist zweifelhaft, vgl. MIÖG. 12, 2 2 3 . 2. J o h a n n e s ,

Erzbischof von Piacenza, 9 9 1 Apr. 1 8 — 9 9 2 Juni.

D O . I I I . 6 9 . 9 7 . — Schon früher italienischer Kanzler Ottos I I . ; wird 9 9 7 Gegenpapst Johannes X V I . , vgl. MIÖG. 12, 4 2 9 . 3. P e t r u s 9 9 2 Juli 19.

DO. III.

100.

101.»

Seine Identität

mit dem gleichnamigen Bischof von Asti (DO. III. 99) muß dahingestellt bleiben. 3 Aus DO. III. 305 vom 30. Nov. 998 für Memleben mit der Rekognition Heribertus carte, vice Pttri episc. ist nicht zu folgern, daß Heribert damals schon deutscher Kanzler gewesen wäre, sondern, wenn sie nicht bloß auf Versehen beruht, eher, daß, während über die Besetzung des durch Hildibalds Tod erledigten Amtes noch Erwägungen gepflogen wurden, die italienische Kanzlei mit der Rekognition beauftragt worden ist. Heriberts Ernennung zum Kanzler für das ganze Reich setze ich danach zwischen 998 Nov. 30 und 999 Jan. 8; vgl. MG. DD. 2, 387". * Außer den beiden angeführten Urkunden, die den Kanzler Petrus Sicher stellen, gibt es noch eine dritte gleichen Datums für Asti (DO. HI. 99), die in der deutschen Kanzlei rekognosziert ist. Vielleicht war sie schon einige Tage vor der Ernennung des Petrus ausgefertigt, ist aber erst nachher vollzogen worden, worauf dann das Monatsdatum nachgetragen wäre. Dieser schon in der ersten Auflage gegebenen Erklärung hat sich SICKEI, MIÖG. 12, 230, angeschlossen, während KEHR, Urkunden Ottos III. S. 57, sie bestritten hatte. ' Ob Johannes und Petrus wirkliche Kanzler waren, bezweifelten K E H R a. a. 0 . S. 56 ff., und SICKEL, MIÖG. 12, 228ff., die sie nur als interimistisch mit der Kanzleileitung beauftragt ansehen. Sicheres ist darüber nicht auszumachen. 1

470

Kanxlei Heinrichs II.

4. H e r i b e r t 994 Sept. 29—1002 Jan. 11. DO. III. 149.1 423. — Seit 999 Kanzler für das ganze Reich. Damit tritt eine allmähliche Verschmelzung der beiden Kanzleiabteilungen ein.2 Heinrich II. A. Ungeteilte Kanzlei 1002—1008. I. Erzkapellan und Erzkanzler. W i l l i g i s . Erzbischof von Mainz, 1002 Juni 10—1008 Nov. 4. DH. II. 1. 187. — Bleibt oberster Leiter der Kanzlei auch nachher. II. Kanzler. 1. E g i l b e r t 1002 Juni 10—1005 Mai 5. DH.II. 1. 96. — Wird Bischof von Freising. 2. B r u n o 1005 Mai 31—1006 Apr. 24. DH. II. 97.112. — Bruder des Königs; wird Bischof von Augsburg. 3. E b e r h a r d 1006 Mai 28—1008 Nov. 4. DH. II. 114. 187. — Seit 1007 Nov. 1 Bischof von Bamberg. B. Deutsche Kanzlei 1009—1024. I. Erzkapeliane. 1. Willigis, Erzbischof von Mainz, 1009 März 12 bis 1010 Nov. 2. DH. II. 189. 224. Zugleich italienischer Erzkanzler. — Stirbt 1011- Febr. 23. 2. E r c a n b a l d , Erzbischof von Mainz, 1011 April ¡10—1021 Aug. 10. DH. II. 225. 446. Fungiert nur für Deutschland. — Stirbt 1021 Aug. 17. 3. Aribo, Erzbischof von Mainz, 1021 Sept.—1024 März 9. DH. II. 447. 507. Fungiert unter Heinrich II. nur für Deutschland. — Wird oberster Chef beider Kanzleien unter Konrad II. II. Kanzler. 1. G u n t h e r 1009 März 12—1023Dez. 13. DH.II. 189. 503. — Kapellan Ottos III. (DO.IH. 132); Bruder des Markgrafen von Meißen; wird Erzbischof von Salzburg. 2. U o d a l r i c h 1024 Febr. 5 3 —März 9. DH. IL 505. 507. — Kapellan Ottos III. (DO. III. 355); bleibt Kanzler Konrads II. 1

Die in der ersten Auflage dieses Werkes vorgeschlagene Einreihung zu 994 haben auch KEHR S. 196 N. 2 und SICKEL angenommen. 8 Schreiber am Hofe (aulicus scriba) war B e r n w a r d , später Bischof von Hildesheim, MG. SS. 4, 779. Das nur bei Petrus diaconus überlieferte DO. III. 337 mit der Kekognition Bodelandvs vice Petri Cumani episeopi ist eine ähnliche Fälschung wie das DH. II. 466. * Jan. 3 ist das Kanzleramt noch unbesetzt, DH. II. 504.

Kanzlei

Heinrichs II.,

Arduins

471

III. Diktator und Schreiber. Erich, Bischof von Havelberg, custos cappellae. Als Schreiber genannt 1012 Jan. 21, DU. II. 242. Tätig — durch Schrift- und Stilvergleichung erwiesen — 1006 Jan. 25—1019 Aug. 15, DH. IL 106. 416. 1

C. Italienische Kanzlei 1009—1024. I. Erzkanzler. 1. W i l l i g i s , Erzhischof von Mainz, 1009 April 25. DH. II. 191, s. oben. 2. Eberhard, Bischof von Bamberg, 1013 Febr. 2 —1024 April 19. DH. II. 254. 508. — Vorher Kanzler. H. Kanzler. 1. Eberhard, Bischof von Bamberg, 1009 April 25 bis 1012 Herbst. DH. II. 191. 251, vgl. 245. 246. — Wird Erzkanzler. 2. H e i n r i c h 1013 Febr.—1016 April. DH. II. 254. 349. — Seit Herbst 1015 Bischof von Parma. 3. P i l i g r i m 1016 Juni 21—1021 März 1. DH. II. 353. 440. — Dompropst zu Bamberg; wird Erzbischof von Köln 1021 Juni 29; aus dem Hause der Pfalzgrafen von Bayern. 4. Theoderich 1021 Dez. 6—1023 Jan. 5. DH. II. 461. 483. — 1006 Kapellan (DH. II. 110); wahrscheinlich 1023 gestorben, vgl. H I R S C H - B E E S S L A U , Jahrbücher Heinrichs H . 3, 284 TS. 1. 5. H u g o 1023 Sept. 2—1024 April 19. DH. II. 494. 508. — Bleibt Kanzler Konrads II.

Arduin. I. Erzkanzler. P e t r u s , Bischof von Como, 1002 Febr. 20—1005 Jan. 28. DA. 1. 9. — Vorher Erzkanzler Ottos IH. II. Kanzler. 1. Cunibert 1002 Febr. 20—1005 Jan. 28. DA. 1. 9. — Propst von Vercelli. 2. Gotefred, Presbyter von Mailand, 1005 Febr. 27. DA. 10. 1 Er hat noch unter Konrad II. im Jahre 1025 wahrscheinlich das Diktat des DK. II. 16 geliefert. — Über Megingaud, Propst und Kämmerer von Mainz (1008 Erzbischof von Trier geworden), der in den Ann. Hildesheim, primiscrinius regia genannt wird, s. NA. 22, 148 X. 1. s 1012 Mai 14 ist das Erzkanzleramt noch vakant, DH. II. 245: 246, ebenso noch im Herbst DH. II. 251.

472

Kanzlei Konrads II.

Eonrad II. A. Deutsche Kanzlei. I. Erzkapellane. 1. Aribo, Erzbischof von Mainz, 1024 Sept. 9—1031 April 20. D K II. 1. 165. — Vorher Erzkapellan Heinrichs II.; unter Konrad auch Erzkanzler für Italien; stirbt 1031 April 6, vgl. Jahrb. Konrads II. 1, 317 N. 2. 2. Bardo, Erzbischof von Mainz, 1031 Sept. 14 1 —1039 Mai 1. DK. II. 172. 279. — Bleibt Erzkanzler Heinrichs III. II. Kanzler. 1. U o d a l r i c h 1024 Sept. 9—1032 Aug. 21. DK. II. 1. 183. — Vorher Kanzler Heinrichs II; stirbt 1032. 2. B u r c h a r d 1032 Dez. 17—1036 Okt. 26. DK. II. 184.» 234. — Aus dem Hause der Grafen von Nabburg; wird Bischof von Halberstadt. 3. T h e o d e r i c h 1038 Dez. 11—1039 Mai 1. DK.II. 278. 279. — Bleibt Kanzler Heinrichs III.

B. Italienische Kanzlei. I. Erzkanzler. 1. Aribo, Erzbischof von Mainz, 1025 April 23—1031 Febr. 27. DK. II. 25. 162. — Stirbt 1031 April 6, s. oben. 2. P i l i g r i m , Erzbischof von Köln, 1031 Juni 8—1036 Juli 5. DK. II. 167. 231. — Früher italienischer Kanzler Heinrichs II.; stirbt 1036 Aug. 24 oder 25. 3. H e r i m a n n , Erzbischof von Köln, 1037 März 31—1039 Mai 4. DK. II. 235. 280. — Vorher italienischer Kanzler. II. Kanzler. 1. H u g o 1025 April 23—1027 Mai 24. DK. II. 25. 96. — Vorher italienischer Kanzler Heinrichs II.; wird 1027 vor Mai 22 Bischof von Parma, vgl. DK. II. 100 und den Nachtrag dazu S. 431, sowie DD. 4, XVI N. 4. 2. B r u n o 1027 Okt. 23—1034 März 8. DK. IL 112. 3 205. — Vetter des Kaisers; vorher Kapellan; wird 1034 April 14 Bischof von Würzburg. 1

Aug. 3 war der Erzkapellanat noch unbesetzt (DK. II. 171), obwohl Bardo schon seit Mai 30, bzw. Juni 29, Erzbischof war, s. oben S. 442 f. 2 Vgl. die Vorbemerkung zu diesem Diplom, DD. 4, 243 ff. 3 Unecht, aber Eschatokoll aus echter Vorlage.

Kanzlei Heinrichs III.

473

3. H e r i m a n n 1034 Mai 6 1 —1036 Juli 5. DK. IL 210. 231. — Vorher Kapellan; Erzdiakon von Köln; Sohn des Pfalzgrafen Ezzo von Lothringen; wird Erzkanzler. 4. K a d e l o h , Bischof von Naumburg, 1037 März 31—1039 Mai 4. DK. II. 235. 280. — Bleibt Kanzler Heinrichs III. Heinrich III. A. Deutsche Kanzlei. L Erzkanzler. 1. B a r d o , Erzbischof von Mainz, 1039 Juni 22—1051 Juni 14. St. 2136. 2405. — Vorher Erzkapellan Konrads IL; stirbt 1051 Juni 10 oder II. 2 2. L i u t p o l d , Erzbischof von Mainz, 1051 Juli 31—1056 Sept. 28. St. 2410. 2509. — Vorher Dompropst von Bamberg; bleibt Erzkanzler Heinrichs IV. II. Kanzler. 1. T h e o d e r i c h 1039 Juni 22—1040 Juni 22. St. 2136. 2189. — Vorher Kanzler Konrads II.; wird Bischof von Basel. 2. E b e r h a r d (Eppo) 1040 Juli 4—1042 Nov. 8. St. 2191. 2233. — Wird Patriarch von Aquileja. 3. A d a i g e r 1042 Dez. 13—1044 Juni 16. St. 2234. 3 2263. — Vorher Kapellan (St. 2232), auch als Schreiber in der Kanzlei tätig (oben S. 456 N. 1); wird Bischof von Worms, Ende Jan. 1044; stirbt 1044 Juü 20. 4. T h e o d e r i c h II. 4 1044 Aug. 24—1046 Sept. 10. St. 2265. 2313. — Domherr zu Konstanz, Erzkapellan (s. oben S. 449) und Propst zu Aachen; wird Bischof von Konstanz 1046 Ende Dez. oder 1047 Anfang Jan. 1

Von dem DK. II. 208 vom 30. April 1034 haben wir zwei Exejnplare, ein unbesiegeltes ohne Rekognition und ein bulliertes mit der Rekognition Hertmanns. Da auch das erstere datiert ist, so ist anzunehmen, daß am 30. April das Kanzleramt noch unbesetzt war und Herimann zwischen 30. April und 6. Mai ernannt worden ist. * Daß die Kanzlei am 14. Juni in Minden den in Hessen am 10. oder 11. erfolgten Tod Bardos noch nicht erfahren hatte, ist möglich, unmöglich aber, daß er ihr auch am 17. und 18. Juli 1051 in Kaufungen noch unbekannt war. Keineswegs darf man also mit STEINDOKFF, Jahrb. Heinrichs HI. 2, 424, sagen, daß die Rekognition in den Brauweilerer Urkunden dieses Datums (St 2407 ff.) keine Schwierigkeit mache. Der Versuch einer Erklärung kann erst nach eingehender Untersuchung des Brauweilerer Urkundenkomplexes gemacht werden. * Über das Datum vgl. MULLES, Het oudste Cartularium van het sticht Utrecht S. 90 n. 53. * Ein Kanzler Eberhard II., den STEINDOKFF 1, 349, hier einschiebt, hat nicht existiert; St. 2264 ist falsch.

474

Kanxlei Heinrichs III. 5. H a r t w i c h (Hacelin) 1047 April 27—Sept. 7. St. 2332. 2342. — Wird Bischof von Bamberg. 6. W i n i t h e r 1048 Jan. 25—1056 Sept. 28. St. 2344. 2509. — Domherr in Würzburg; bleibt Kanzler Heinrichs IY.

B. Italienische Kanzlei. I. Erzkanzler. 1. H e r i m a n n , Erzbischof von Köln, 1039 Dez. 30 bis 1055 Nov. 13. St. 2149. 2485. — Vorher Erzkanzler Konrads II.; stirbt 1056 Febr. 11. 2. A n n o , Erzbischof von Köln, 1056 Juli 4. St. 2502. Ernannt 1056 März 3. — Aus schwäbischem Rittergeschlecht; vorher Kapellan; Propst von Goslar; bleibt Erzkanzler Heinrichs IV. H. Kanzler. 1. K a d e l o h , Bischof von Naumburg, 1039 Dez. 30 bis 1043 Nov. 30. St 2149. 2252. — Vorher Kanzler Konrads II.; stirbt 1045 Anfang. 2. A d e l b e r t 1045 Febr. 22. St. 2270. 2271. — Aus dem Hause der Pfalzgrafen von Sachsen; 1 Domherr von Halberstadt, Subdiakon in Bremen; wird Erzbischof von Bremen. 3. H u n f r i d 1045 Juli 12—Sept. 16. St. 2278a. 2 2283. — Aus schwäbischem Grafengeschlecht; Domherr zu Straßburg; wird Herbst 1046 Erzbischof von ßavenna. 4. H e i n r i c h 1046 Nov. 25—1047 Mai 11. St. 2316. 2340. — Kapellan; wird Bischof von Augsburg. 5. G o t e b o l d 1048 April 19—Dez. 21. St. 2348. 2360. 3 — Kapellan, Domherr in Eichstedt, Propst in Speyer; wird Patriarch von Aquileja. 6. Opizo 1049 Ende (Okt. 21?) 4 —1053 Juli 14. St. 2377 (s. STEINDORFF 2, 97 N. 1). 2440. — Wird Bischof von Lodi, vgl. BRESSLAU, Jahrb. Konrads II. 2, 229 N. 3. 7. H e c i l o 1054 Febr. 12—19. St. 2448. 2450. 5 — Kapellan, Propst von Goslar; wird Bischof von Hildesheim. 1 Ich halte mit STEINDORFF 1 ; 281 N.'l gegen D E H I O , Erzbist. HamhurgBremen 1, krit. Ausführ. S. 66, an 1045 als Antrittsjahr Adalberts von Bremen und also auch an der Identität des Kanzlers mit dem letzteren fest. * Vgl. NA. 34, 408, wo Juli 13 Druckfehler ist. 3 Unecht, aber Eschatokoll aus echter Vorlage. 4 1049 Apr. 16 war das Kanzleramt noch nicht besetzt, St. 2366. 6 Rekognition und Daten aus echter Vorlage; der Name des Kanzlers (Hercilo) ist leicht verderbt.

Kanzlei

Heinrichs III., Heinrichs

IV.

475

8. G u n t h e r 1054 Ende Mai—1056 Juli 4. St. 2457a. 2502. — Domherr von Bamberg; wird 1056 Propst von Goslar (Nachfolger Annos); bleibt Kanzler Heinrichs IY. C. Burgundische Kanzlei. L Erzkanzler. H u g o , Erzbischof von Besançon, 1045 März 1 —1053 Nov. St. 2273. 2446. — Stirbt 27. Juli 1066. IL Kanzler. 1. H e r m a n n 1041 Dez. 2 9 — 1 0 4 5 März. St. 2223. 2273. 2 2. H u g o 1053 Nov. St. 2446. — Wahrscheinlich 1066 Erzbischof von Besançon geworden, vgl. M E Y E R V O N K N O N A U , Jahrb. Heinrichs IY. 1, 531 N. 71.

Heinrich IY. A. Deutsche Kanzlei. I. Erzkanzler. 1. L i u t p o l d , Erzbischof von Mainz, 1056 Dez. 5 — 1 0 5 9 Dez. 1. St. 2528. 2582. — Vorher Erzkanzler Heinrichs HI.; stirbt 1059 Dez. 7. 2. S i g e f r i d , Erzbischof von Mainz, 1060 Juni 2 1 3 — 1 0 7 7 Aug. 13. 4 1

Von der Rekognition von St. 2246 kann vor endgültiger Untersuchung seiner Echtheit und Datierung kein Gebrauch gemacht werden. * Das Kanzleramt ist unbesetzt 1049 Juli 11—Dez. 4, St. 2371—2378 (Or. Paris). s Ernannt 1060 Jan. 6. St. 2583. 2586 ohne Rekognition sind nur abschriftlich überliefert. Die Annahme M E Y E R S VON KNONATJ, Jahrb. Heinrichs I V . 1, 182, daß in St. 2586 „ohne Zweifel" die Rekognition gefehlt habe, ist nicht ausreichend gesichert. * Nach dem Herbst 1077 haben nur noch die Diplome für Osnabrück vom 30. Dez. 1077 (St. 2808, J O S T E S n. 21), 27. Jan. 1079 (St. 2814, J O S T E S n. 22) und 30. März 1079 (St. 2814a, J O S T E S n. 23), über die zuletzt T A N G L , AfU. 2, 228ff., eingehend gehandelt hat, die Rekognition Qebehardus cartcellarius vice Sigefridi archiepiscopi (so in n. 21. 22) oder archicaneellarii. Sie ist aus dem älteren dieser drei Diplome in die jüngeren übergegangen; vielleicht deshalb, weil Benno besonderen Wert darauf gelegt haben mag, den Erzbischof in diesen für ihn so wichtigen Urkunden genannt zu sehen (so auch T A N G L a. a. 0 . 2, 232 N. 3). — In der älteren Urkunde kann aber die Rekognition auf die im Oktober in Worms stattgehabte Handlung bezogen werden. Wird nun in einer anderen Urkunde aus demselben Wormser Aufenthalt (St. 2807) Siegfried nicht mehr genannt, so ist vielleicht eben damals der Beschluß gefaßt worden, ihn nicht mehr als Erzkanzler anzuerkennen. Daß er in St. 2808 und danach in St. 2814 archiepiscopm und nicht archicancellarius genannt wird, kann ebenfalls damit zusammenhängen, mag vielleicht aber auch nur auf Willkür des der Kanzlei nicht angehörenden Ingrossisten zurückgehen; in Jostes n. 23 ist dann ebenso willkürlich der Titel archicancellarius wieder eingesetzt.

476

Kanzlei Heinrichs IV. St. 2587. 2806. — Vorher Abt von Fulda; geht zum Gegenkönig Rudolf über; stirbt 1084 Febr. 17. Das Erzkanzleramt wird bis dahin als vakant behandelt, aber nicht wieder besetzt 3. W e c e l o , Erzbischof von Mainz, 1 0 8 4 Okt. 4 — 1 0 8 8 Aug. 1 0 . St. 2 8 6 3 . 2 8 9 0 . 1 — Vorher Domherr von Halberstadt und Propst in Aachen (vgl. MEYEB VON KNONAU 3 , 5 7 8 N . 6 7 ) ; stirbt 1088 Aug. 6. 4. R u o t h a r d , Erzbischof von Mainz, 1089 Aug. 1 4 1 1 0 5 Dez. 3. 3 St. 2899. 2976. — Vorher Abt von Fulda; bleibt Erzkanzler Heinrichs V.

H. Kanzler. 1. W i n i t h e r 1056 Dez. 5—1058 März 3. St. 2528. 2553. — Vorher Kanzler Heinrichs HI; wird Bischof von Merseburg. 2. G e b e h a r d 1058 Sept. 13 4 —1059 Dez. 1. St. 2558. 2582. — Aus vornehmem schwäbischem Geschlecht; vorher Erzkapellan Heinrichs IH.; wird Erzbischof von Salzburg 1060 Juni 11. 3. F r i d e r i c h 1060 Juni 21—1064 Febr. 4. St. 2587. 2640. — Sohn des Markgrafen Dietrich von der Ostmark; Dompropst von Magdeburg; wird Bischof von Münster. 4. S i g e h a r d 1064 Febr. 24—1067 Aug. (?). St. 2642. 2712. — Wird 1067 oder 1068 Patriarch von Aquileja.6 5. B i b o (Pibo) 1068 Mai 14—1069 Aug. 15. St. 2714. 2725. — Aus angesehenem sächsischem Geschlecht; Kapellan; Domherr zu Halberstadt; wird Bischof von Toul. 6. A d a l b e r o 1069 Okt. 7—1076 Mai 23. St. 2726. 2792. — Domherr zu Metz; geht zum Gegenkönig Rudolf über. 7. G e b e h a r d , Bischof von Prag, 1077 Juni 11—1084 Okt. 4. St. 2802. 2863. —.Legt das Amt nieder. 1

Über die Kekognition s. KUiA., Text S. 77. Ernannt nach 1089 Febr. 1. Bis dahin ist das Erzkanzleramt vakant, vgl. St. 2893. 2894; St. 2892. 2898 sind falsch. Das Datum des 25. Juli, das M E Y E B VON K N O N A U 4, 257 (vgl. 4, 251 N 9) nach den Ann. Wirzeburgenses (ed. BUCHHOLZ S. 49) auf die Ernennung Ruothards bezieht, kann meines Erachtens mit Sicherheit nur auf die des Bischofs Emehard von Würzburg bezogen werden, vgl. M E Y E B VON K N O N A U 4, 261 N. 27. • Mit durch seinen Abfall veranlaßten Unterbrechungen, vgl. KUiA., Text S. 78. * Juni 12 ist das Kanzleramt wohl noch vakant, St. 2555; doch ist die Urkunde nur abschriftlich überliefert und gestattet also kein sicheres Urteil. • Über Sigehards Verhältnis zu Anno von Köln vgl. des letzteren Urkunde von 1 0 7 5 , LACOBMLET, Niederrhein. UB. 1, 1 4 3 n. 2 2 0 . s

477

8. H e r m a n n 1085 Juni 1—1089 Febr. 1. St. 2883. 1 2895. — Aus dem Geschlechte der Grafen von Hochstaden; Vizedominus von Köln; wird Erzbischof von Köln. 9. Humbert 1089 Aug. 14—1101 Juli 1. St. 2899. 2954. — Wird Erzbischof von Bremen. 10. W a l c h e r 2 1102 Febr. 11—15. St, 2956. 2958. 11. Otto 1102 bis Dez. Ygl. MG. SS. 6, 224. 12, 750. 825. — Aus vornehmem schwäbischem Geschlecht; Kapellan; wird Bischof von Bamberg Dez. 1102. 12. Erlung 1103 Juli 15 s —1105 Febr. 15. St. 2965. 2974. — Domherr von Bamberg; wird Bischof von Würzburg. 13. Theoderich 1105 Nov. 24—Dez. 3. St. 2975. 2976. B. Italienische Kanzlei., I. Erzkanzler. 1. Anno, Erzbischof von Köln, 1058 Juni 12—1074 Sept. St. 2554. 2781. — Vorher Erzkanzler Heinrichs III.; stirbt 1075 Dez. 4. 2. H i l t o l f , Erzbischof von Köln, 1077 März 44—April 3. St. 2798. 2799. 2799a. 2800. — Stirbt 1078 Herbst; vgl. M E Y E R VON KNONAU a. a. 0 . 3 , 1 5 5 N . 9 5 .

3. Sigewin, Erzbischof von Köln, 1079 Juli 23—1085 Nov. 9. St. 2816. 2869. — Stirbt 1089 Mai 31. 4. Herimann, Erzbischof von Köln, 1090 April 10—1095 Okt. 7. St. 2903. 2932. — Vorher deutscher Kanzler; stirbt 1099 Nov. 22. IL Kanzler. 1. Gunther, Propst zu Goslar, bis 1057 Ostern, Ann. Altah. 1057. — Vorher Kanzler Heinrichs III.; wird Bischof von Bamberg. 1 Mai 1085 ist das Kanzleramt wohl noch vakant, St. 2867. St. 2883. 2884 gehören zu 1085, vgl. M E Y E E VON K N O N A U 4". 39 N. 74. s Wohl nicht identisch mit dem gleichnamigen Bischof von Cambrai, vgl. KUiA., Text S. 78; M E Y E E VON K N O N A U 5, 152 (N. 2 von S. 151). 9 1103 März 4 (St. 2963) scheint noch kein Kanzler ernannt zu sein. Von St. 2964 vom 29. Juni 1103 mit der Rekognition: Godefridus ad vieem Arnulfi caneellarii subscripsi (vgl. KUiA., Text S. 78) befindet sich das angebliche Or. in Namur und ist danach gedruckt in den Analectes pour servir 4 l'hist. eccl£siast. de la Belgique II, 9,158; nach dem, was der Herausgeber über die äußeren Merkmale des Diploms, das ich noch nicht gesehen habe, ausfuhrt, ist es jedenfalls nicht in der Kanzlei entstanden und schwerlich echt. 4 St. 2798 hat nach einer Kopie im bischöflichen Archiv zu Parenzo die Rekognition: Qregorius eane. vice Eiltholphi archiep. Danach sind also meine Bemerkungen, MlÖGr. 6, 125, zu berichtigen.

Kanzlei Heinrichs IV.

478

2. W i b e r t 1058 Juni 12—1068 Juni 24. St. 2554. 2621. — Aus vornehmem Geschlecht von Parma; 1063 abgesetzt (Bonizo lib. 6, MG. Libelli de Lite 1, 596); später Erzbischof von Ravenna und Gegenpapst Clemens III. 3. G r e g o r , Bischof von Vercelli, 1063 Sept. 27—1077 April. St. 2630. 2800. — Aus dem Hause der Burningi von Piacenza; stirbt 1077 April (MG. SS. 5, 291). 4. B u r c h a r d , Bischofvon Lausanne, 1079 Juli23—1087 Sept. 13. St. 2816. 2888. 1 — Legt sein Amt nieder; stirbt 1088 Dez. 24. 5. Oger, Bischof von Ivrea, 1088 Jan. (bei König Konrad, St. 3002) bis 1093 Frühjahr (St. 2921). — 1093 von Eberhard von Augsburg gefangen genommen (MG. SS. 5, 456); stirbt an einem 1. Juli nach 1094, vgl. SAVIO, Gli antichi vescovi d'Italia 1, 202. 6. Walbrun, Bischofvon Verona, 1095 Mai 31—Juni. St. 2929. 2930. 2994. — Wird entlassen. 7. A d a l b e r o , Bischof von Trient, 1095 Juni 5. St. 2912a.2III. Unterkanzler. R a i n a l d 1090? (s. MIÖG. 6, Okt. 7 (s. NA. 19, 683 f.).

131 N. 2); 1095

C. Burgundische Kanzlei. Kanzler.

H e r m a n f r e d , Bischof von Sitten, 1082 Frühjahr—1087 Sept. 13. S t 2842. 2888.

1 Vgl. zu dieser Urkunde KILIAN, Itinerar Heinrichs IV. S. 1 0 8 F . ; da wir von dem Aufenthalt des Kaisers zwischen Anfang August und etwa Mitte Oktober nichts wissen, scheint mir ein Besuch Burgunds, wenn wir auch dessen Ursache nicht kennen, nicht ausgeschlossen. 2 St. 2912 mit der Rekognition Adalbero epise. Tridentinus canc. vice Herrn, archiep. Col. ist der Fassung nach unzweifelhaft echt und nach den Daten, die CIPOLLA mitteilt ( M I Ö G . 4, 216 N. 2; MEYER VON KNONAU 4, 336 N. 6 sind sie entgangen), am besten zu 1095 Juni 5 einzureihen, so daß also Adalbero der Nachfolger des Walbrunus und zugleich der letzte italienische Kanzler Heinrichs IV. war. Zu 1091 kann sie wegen der Rekognition, die ich mich nicht entschließen kann, mit STUMPF als späteren Zusatz zu behandeln (wie sollte wohl ein solcher entstanden sein?) nicht gehören. Noch vor Herbst des Jahres muß dann nach St. 2932 auch dieser Kanzler zurückgetreten oder entlassen sein. Meine Angabe, M I Ö G . 6, 131, bei der auch ich die Note CIPOLLA s jiicht beachtet hatte, ist danach zu ergänzen.

'Kanzlei Rudolfs, Hermanns, Konrads {III.), Heinrichs V.

479

Gegenkönig Rudolf. Erzkanzler. S i g e f r i d , Erzbischof von Mainz. Kanzler. A d a l b e r o , beide vorher im Dienst Heinrichs IV. 1079 März 25. St. 2997. 1 Gegenkönig Hermann. Erzkanzler. S i g e f r i d , Erzbischof von Mainz. Kanzler. B r u n o , beide 1082 Aug. 3—1083 April 13. St. 2999. 3000. Konrad, Sohn Heinrichs IV. Kanzler. 1. O g e r , Bischof von Ivrea, 1088 Jan., s. oben. 2. H e i n r i c h 1097 Aug. 20—24. St. 3003. 3004. 2 Heinrich V. A. Deutsche Kanzlei. I. Erzkanzler. 1. R u o t h a r d , Erzbischof von Mainz, 1106 Okt. 17 bis 1109 Anfang. St. 3009. 3034. — Vorher Erzkanzler Heinrichs IV.; stirbt 1109 Mai 2. 2. A d a l b e r t , Erzbischof von Mainz, 1111 Sept. 4 8 —1112 Okt. 16. St. 3076. 3091, und wieder 1115 Dez. 13—1125 Mai 7.4 St. 3121 (echt). 3212. — Vorher deutscher Kanzler und italienischer Erzkanzler; seit Sommer 1109 Erwählter von Mainz; fungiert seit 1122 auch für Italien; bleibt Erzkanzler Lothars. II. Kanzler. 1. A d a l b e r t 1106 Febr. 14—1111 Aug. 9. St. 3007. 3070. — Aus dem Hause der Grafen vom Saargau; Propst von St. Marien zu Aachen, von St. Servatius zu Mast'richt und von St. Cyriacus zu Neuhausen; seit 1110 Dez. auch italienischer Erzkanzler; als Erzbischof von Mainz geweiht 1111 Aug. 15; wird deutscher Erzkanzler. 1 Die eigentümliche Formel der Rekognition: Ädalberone caneellario existente tice S. arahicaneellarii zeigt, daß man an Rudolfs Hofe Adalbero als Kanzler betrachtete, läßt aber Zweifel, ob er wirklich als solcher Dienste getan hat. 5 Vielleicht gehört hierher auch die Rekognition von St. 2124. 3 Vom Tode Ruthards bis zur Investitur Adalberts (1111 Aug. 15) wird das Erzkanzleramt als vakant betrachtet, aber als Pertinenzstück des Erzbistums Mainz, s. oben S. 443 N. 4. * In der Zwischenzeit ist trotz Adalberts Haft kein anderer Erzkanzler ernannt.

Kanzlei Heinrichs V.

480

2. Bruno 1112 Nov. 30—1122 Juli. St. 3092. 3180. — Dompropst in Straßburg; heißt archicancellarius in St. 3119, vgl. KUiA. Text S. 84. Entlassen.1 3. P h i l i p p 1122 Sept.—1125 Mai 7. St. 3182. 3212. — Vorher italienischer Kanzler. Fungiert für Deutschland und Italien. B. Italienische Kanzlei. I. Erzkanzler. 1. Adalbert, Erwählter von Mainz, 1110 Dez. 27 bis 1111 Mai 26. St. 3044. 3064. — Zugleich deutscher Kanzler. 2. Friderich, Erzbischof von Köln, 1112 Okt. 8—1115 Dez. 20. St. 3090. 3122 (mit Unterbrechungen, vgl. MIÖG. 6, 132 f.). 3. Gebehard, Bischof von Trient 1117 Juni 17—1118 Mai 31. St. 3155. 3157. 2 4. Friderich, Erzbischof von Köln, zum zweiten Male 1122 Sept. 23. St. 3181. II. Kanzler. 1. Burchard, Bischof von Münster 1110 Dez. 27—1117 Dez. 15. St. 3044. 3156. — Stirbt 1118 März 19. 2. P h i l i p p , erwählter Erzbischof vonRavenna 1 1 1 8 Nov. U G H E L L I 2,364. — Wird 1122 Sept. Kanzler für Deutschland und Italien. Seit September 1122 ist die besondere italienische Kanzlei aufgelöst. C. Burgundische Kanzlei. Kanzler Gerold, Bischof von Lausanne, 1 1 2 0 April de B ä l e 1, 239) bis 1 1 2 5 Jan. 8.

(TEOUILLAT,

Mon.

St. 3 2 0 4 , vgl. St. 3 2 0 1 .

D. Unterbeamte. 1. Arnold, cappellarius und Propst zu Aachen (vgl. KUiA., Text S. 84), Rekognoszent in italienischen und deutschen Urkunden 1

Die bisherige Anaahme, daß er mit dem 1123 ernannten Bischof Bruno von Straßburg identisch sei, ist unhaltbar, wie schon WENTZCXE, Regesten der Bischöfe von Straßburg 1, 308 n. 412, bemerkt hat. Der Bischof Bruno war Bamberger Domherr und ist in Bamberg am 10. Juli 1161 gestorben. Der Kanzler Bruno, der schon 1100 Propst in Straßburg war, ist als solcher an einem 6. Mai gestorben (Necrol. Argentin. bei BÖHMER, Fontes 4, 309). — Über die Entlassung des Kanzlers s. oben S. 466 N. 2. 1 Große chronologische Schwierigkeiten bereiten die beiden Urkunden bei v. SCHWIKD-DOPSCH , Ausgewählte Urkunden zur Verfassungsgesch. der deutsch-österreich. Erblande S. 3 n. 3, in denen Gebhard cancelarius domini Henriei imperaioris heißt. Tagesdaten und Indiktion weisen bei der ersten auf 1111, bei der zweiten auf 1113, während als Inkarnationsjahr der ersten 1110, der zweiten 1112 angegeben ist. Aber Gebhard war in den Jahren 1110—1113 weder Kanzler noch Erzkanzler.

Kanzlei Lothars von Supplinburg

481

1112 März 26—Okt. 16. St, 3084. 3091 und 1114 Nov. 30 St 3119. 2. H e i n r i c h , noiarius, 1122 April 25. St. 3174. Vielleicht identisch mit dem Subscribenten von St. 3039 a, 1113 Jan. 25. Die Thronbesteigung Lothars III. von Supplinburg 1 bildet einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der deutschen Reichskanzlei.2 Wenn darin mindestens seit dem Beginn der karolingischen Periode ein ununterbrochener, die Kontinuität der Entwickelung bewahrender Zusammenhang festgehalten worden war, so daß selbst da, wo es sich um einen Wechsel der Dynastie handelte — wie beim Übergang der Krone von Ludwig dem Kinde auf Konrad I., von diesem auf Heinrich I., von Heinrich II. auf Konrad II. —, der Nachfolger die Kanzleibeamten des Vorgängers sämtlich oder wenigstens zum Teil in seinen Dienst übernommen hatte, so tritt 1125 ein weitgehender Bruch mit der bisherigen Tradition ein, der naturgemäß auch die formale Gestaltung der Urkunden beeinflussen mußte. Es erklärt sich aus den nahen Beziehungen, in denen der unglückliche Gegenkandidat Lothars bei der Wahl von 1125, Friedrich von Schwaben, zu Heinrich V. gestanden hatte, daß wir keinen der Urkundenschreiber und Kanzleibeamten des letzten Saliers unter seinem Nachfolger wiederfinden; jene mochten ebensowenig Neigung haben, in den Dienst des Hauptgegners der Politik ihres verstorbenen Herrn zu treten, wie der neue König geneigt sein konnte, in seine oberste Beurkundungsbehörde Männer zu berufen, auf deren Zuverlässigkeit bei den Kämpfen, die ihm gegen die Staufen bevorstanden, er nicht mit Sicherheit rechnen konnte. So ist die arbeitende Kanzlei Lothars durchaus mit homines novi besetzt, die wenigstens zum Teil aus des Königs niederdeutscher Heimat, aus seinem sächsischen Herzogtume stammten. 3 An der Einheit der Kanzlei für alle Teile des Reiches, wie sie zuletzt unter Heinrich V. durchgeführt worden war, hat Lothar festgehalten. Selbstverständlich beließ er auch Adalbert von Mainz, dem 1 Vgl. für das Folgende S C H O M , KUiA., Text S . 1 1 3 ff., dessen Ansichten ich freilich, wie man sehen wird, nur zum Teil beistimmen kann; S E E L I G E R , Erzkanzler S. 37ff.; E R B E N , XJL. S. 77 ff.; SCHULTZE, Die Urkunden Lothars III. (Innsbruck 1 9 0 5 ) S . 3ff. B E R N H A R D I (Lothar v. Supplinburg, Leipzig 1 8 7 9 ) , geht auf die hier zu besprechenden Dinge nirgends im Zusammenhange ein. 2 Diese Tatsache bleibt auch nach den Ausführungen von H I R S C H , M I Ü C T . Erg. 7, 608 durchaus bestehen. 3 Vgl. B R E S S L A U , Dipl. Cent. S . 1 7 9 ; F I C K E R , B Z U . 2 , 3 1 8 ; SCHOM a. a. 0 . S. 1 1 4 f.

3irelil.ni,

Urkundenlphrc.

3. A u f l . I .

31

482

Kanzlei Lothars von Supplinburg

er vor allen die Krone verdankte, im Besitz des Erzkanzleramtes für Deutschland. Wer als Erzkanzler für Italien gegolten hat, ist aus den Urkunden Lothars vor dem Jahre 1132 nicht zu erkennen, doch liegt keine Veranlassung vor, zu bezweifeln, daß Erzbischof Friedrich von Köln, der gleichfalls für die Wahl Lothars tätig gewesen war, dies Amt bekleidet hat; von 1132 bis zu seinem Tode (27. Mai 1137) ruht es in den Händen seines Nachfolgers Bruno II. von Köln. Ob diesem sein Nachfolger im Erzbistum, Hugo, der schon wenige Wochen nach seiner Ernennung am 30. Juni 1137 starb, auch im Erzkanzleramte folgte, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, da Urkunden aus dieser Zeit nicht vorliegen. Das Erzbistum Köln ließ Lothar dann bis zu seinem Tode aus Gründen, die wir nicht kennen, unbesetzt; das Amt des Erzkanzlers für Italien übertrug er, worauf wir gleich zurückkommen, wohl nur vertretungsweise im Juli oder August 1137 1 dem Bischof Heinrich von Eegensburg. Ob es einen burgundischen Erzkanzler Lothars gegeben hat, muß dahingestellt bleiben,2 da rekognoszierte Urkunden aus seiner Begierungszeit für das burgundische Reich überhaupt nicht vorliegen. Ganz neu ist nun aber eine Erscheinung, die uns nur in Lothars Zeit begegnet und vorher keine Analogie hat — die Erscheinung eines stellvertretenden Erzkanzlers. Zur Ernennung eines solchen schritt der König im Jahre 1133 in Italien. Noch in der ersten Zeit seines Römerzuges hatte er sie nicht für nötig gehalten und die in Italien ausgestellten Urkunden einfach, wie früher in ähnlichen Fällen geschehen war, anstatt des Erzbischofs von Köln rekognoszieren lassen, obwohl Bruno in Deutschland geblieben war. Dann aber scheint man in Rom selbst an diesem Yerfahren Anstoß genommen zu haben; schon vor der Kaiserkrönung ist Erzbischof Norbert von Magdeburg zum Erzkanzler für Italien ernannt worden;3 deutsche Annalisten berichten ausdrücklich, daß das Amt ihm übertragen sei, weil der Erzbischof von Köln, dem es rechtmäßig gebühre, abwesend war, be1

Vgl. BERNHARDI, Lothar S . 734 N. 6 6 . Die Behauptung BERNHARDIS S . 610, Lothar habe die burgundische Reichskanzlei, die seit Konrad II. von allen Herrschern unterhalten war, eingehen lassen, ist ebenso ungenau wie die weitere (ebenda N. 43), Friedrich I. habe die burgundische Kanzlei wiederhergestellt. 3 Vgl. St. 3277, wo statt Norberto . . . eaneellario sicher archieancellario zu lesen ist. Uber dies Aktenstück teile ich die Ansicht G I E S E B B E C H T S , Kaiserzeit 4, 435, [daß der Text stark korrumpiert, aber an der Echtheit nicht zu zweifeln ist. Die Ausführungen BERNHARDIS (Lothar S. 847ff.), der überhaupt in seinem ganzen Buch das Verdikt auf Fälschung viel zu leichten Herzens ausspricht, haben mich nicht überzeugt. 8

Kanzlei

Lothars

von

483

Supplinburg

zeichnen seine Amtsführung also deutlich als eine stellvertretende.1 Norbert hat dann als Erzkanzler bis zum Ende des Juli, d. h. solange der Kaiser in Italien verweilte, fungiert, 2 während auf dem zweiten Zuge Lothars nach Italien die Begleitung Brunos von Köln die Ernennung eines Stellvertreters überflüssig machte. Daß man überhaupt 1133 dazu geschritten ist, und daß man auch 1137 nach dem Tode Hugos von Köln Heinrich von Eegensburg zum Erzkanzler für Italien ernannte, offenbar gleichfalls nur interimistisch bis zur Besetzung des Kölner Erzstuhles,3 mag seinen Grund darin gehabt haben, daß es, worauf wir gleich zurückkommen, unter Lothar keinen Reichskanzler gab. Und daß dieser Umstand besonders in Rom fühlbar geworden ist, begreift; sich leicht. Sind, woran man schwerlich zweifeln wird, wenn auch nichts davon vorliegt,4 bei den Verhandlungen zwischen Innocenzü. und Lothar 1133 schriftliche Beurkundungen des letzteren ausgefertigt worden, so mag die Kurie, die bekanntlich auf die Erfüllung aller Formalitäten in solchen Dingen stets besonderes Gewicht gelegt hat, den Mangel eines Kanzleichefs in autoritativer Stellung beanstandet und die Ernennung eines Kanzlers oder Erzkanzlers gefordert haben, was dann zu der Bestellung Norberts zum Stellvertreter des Erzkanzlers geführt haben mag. Daß man aber damals keinen Kanzler ernannte, hat jedenfalls noch einen anderen Grund gehabt. Die Tatsache, daß das Amt des Kanzlers in Lothars ganzer Regierungszeit unbesetzt gewesen ist, steht fest; wenn einigen Notaren und Scriptoren mehrfach in annalistischen und chronistischen Quellen,5 einem von ihnen bisweilen auch in Urkunden die Titel canrellarius oder subeancellarius6 beigelegt werden, 1 Ann. Saxo (Ann. Magdeburg.) 1132; vgl. Gesta epp. Magdeburg., MG. SS. 14, 414. Daß die Ernennung bei dem Ann. Saxo zu früh angesetzt ist, bemerkt BERNHARDI S. 444 N. 22 mit Recht. 2 St. 3282. 3283. Über St. 3298, das nach den Ausführungen von SCHEFFERBOICHORST, Zeitschr. f. westf. Gesch. 29B, 114 N. 8; FICKER, BZÜ. 1, 12; 2, 222; WILMANS-PHILIPPI, Westfäl. KU. 2, 288; SCHDM zu KUiA. Lief. VI, Taf. 8, bestimmt als echt anzusehen ist, s. unten S. 487 N. 1. 3 Darauf deutet der Ausdruck des Ann. Saxo 1137: Ratisponensem episeopum pro Coloniensi archiepiscopo eancellarium institu.it. 4 Außer dem Krönungseide Lothars, der doch wohl auch schriftlich ausgefertigt worden sein wird. 6 So z. B. bei Petrus diac., MG. SS. 7, 795. 822f., und öfter. 8 St. 3244. 3299. 3315, vgl. 3250 (diese Urkunden sind nicht in der Kanzlei

g e s c h r i e b e n , v g l . SCHULTZE S. 10 N . 1); — 3269. 3331. 3333. 3336. 3338. 3 3 5 6 .

Vgl. auch das Placitum St. 3351. — Sehr merkwürdig ist die Rekognition von St. 3340 (nach SCHUM, NA. 1, 144, soll das Or. in Florenz von einem „unter Lothar tätigen" d. h. wohl einem Kanzleischreiber stammen): ego Bertaldus 31*

484 so hat die erstere Bezeichnung doch keinesfalls offizielle Geltung gehabt. Um die Erscheinung zu erklären, hat man vermutet, 1 daß die Vakanz des Kanzleramtes durch eine Differenz zwischen dem Könige und dem Erzbischof von Mainz veranlaßt worden sei; Adalbert habe die Ernennung des Kanzlers beansprucht, sei aber damit nicht durchgedrungen; das habe dann dazu geführt, daß das Amt unbesetzt gelassen sei. Ich kann diese Vermutung nicht für wahrscheinlich halten. 2 Die Forderung Adalberts, einen der ersten Reichsbeamten, der den Rang eines Reichsfürsten hatte, seinerseits zu ernennen, würde ganz ohne Präzedens gewesen 3 uncl mit der Stellung, die der König damals im Reiche einnahm, nicht vereinbar sein; wenn sie anderthalb Jahrhunderte später wirklich gestellt wurde, so waren damals die Verhältnisse so ganz andere, daß aus ihnen ein Schluß auf den Anfang des 12. Jahrhunderts nicht gezogen werden darf. Überdies ist nicht abzusehen, was Lothar, wenn er die Forderung einmal abgelehnt hatte, sein Lebenlang hätte hindern sollen, einen Kanzler zu ernennen. Nicht an eine Differenz zwischen ihm und Adalbert, sondern vielmehr an eine Verständigung beider wird zu denken sein, zumal sich unter Lothar eigentlich nur wiederholte, was schon .unter Heinrich V. einmal dagewesen war. Bereits unter dein letzten Salier hatte Adalbert offenbar danach gestrebt, die oberste Leitung der Kanzleigeschäfte in seiner Hand zu vereinigen. Darum hatte er das deutsche Kanzleramt eine Zeitlang mit dem italienischen Erzkanzleramt vereinigt, 4 hatte ferner das erstere auch nach seiner Wahl zum Erzbischof von Mainz beibehalten und erst darauf verzichtet, als er durch seine Weihe Erzkanzler für Deutschland geworden war.5 Dann aber war, offenbar im Einvernehmen zwischen ihm und dem Kaiser, das deutsche Kanzleramt nicht wieder besetzt worden; unter Adalberts Oberleitung wurden die Geschäfte bis zu seinem Bruch mit dem Kaiser, der wieder die Ernennung eines Kanzlers veranlaßte, von Adalberts Nachfolger in der Propstei zu Aachen, dem CappeUarius Arnold, geführt. Dies war nun gerade der Zustand, der auch unter Lothar bestand: die Vakanz des Kanzlerrriptor domini imperatoris iussu domini caneellarii recognovi. Ist hier der Erzkanzler Bruno von Köln oder der Unterkanzler Ekkehard gemeint? In i'isterem Falle hätten wir in Italien eine direkte Einwirkung des Kölners auf die Kanzleigeschäfte anzunehmen, wie wir sie in Deutschland Adalbert zuschreiben. 1

SCHI'M

a. a. 0 .

S.

LTO.

* Ahnlich jetzt auch SIJELIGER. Erzkanzler S . 3S, und S C H U L T Z ^ S . 3 Über Willigis, auf den S C H U H sich beruft, s. oben S. 451 N. 3. 4 S. oben S. 445 f. 5 B R E S S L A U , KUiA., Text S. 83 f.

7.

Kanzlei

Lothars

von

Supplinburg

amtes sicherte Adalbert als Erzkanzler die oberste Leitung der Geschäfte, wohl auch die Einkünfte, die sonst dem Kanzler zustanden. Es wird eine Belohnung für die Dienste, die Adalbert dem Supplinburger bei der Wahl geleistet hatte, vielleicht gar eine Vorbedingung dafür gewesen sein, daß der neue König diese Einrichtung, die Adalbert unter Heinrich V. nur vorübergehend hatte durchsetzen können, dauernd bestehen ließ.1 So wurden also unter Lothar die Urkunden entweder unmittelbar im Xamen eines der beiden Erzkanzler 2 oder von Beamten, die nicht Bang und Stellung des Kanzlers sondern nur der Notare haben, an Statt des Erzkanzlers rekognosziert.3 Solcher Rekognoszenten scheinen zeitweise zwei nebeneinander fungiert zu haben. 4 Eine Unterordnung des einen unter den anderen ergibt sich mit größerer Bestimmtheit nur für die beiden in der letzten Zeit Lothars hauptsächlich auftretenden Beamten Ekkehard und Berthold (Bertulf); daß ersterer der Vorgesetzte des letzteren war,' lehren die Rekognitionen zweier Urkunden; 6 auch stimmt damit überein, daß Ekkehard mehrfach als cancellarius oder suhcancellarius,0 Bertulf aber nur als notarius oder scriptor bezeichnet wird. Daß die Notare, oder wenigstens einige von ihnen, sich nicht bloß an der Abfassung, sondern auch an der graphischen Herstellung der Urkunden beteiligt haben, ist sehr wahrscheinlich; 7 insbesondere 1

Daß hier französische Verhältnisse eingewirkt hätten, wie Erben, UL. S. 78, annimmt, der überhaupt geneigt ist, den französischen Einfluß auf da? deutsche Urkundenwesen höher einzuschätzen, als mir geraten erscheint, glaube ich nicht. — Wird Adalbert in einigen Urkunden als archicapellanus bezeichnet (KUiA., Text S. 122), so mag auch das nicht bloße Titulatur sein; es ist nicht undenkbar, daß er zu der obersten Leitung der Kanzlei auch die der Kapelle, die sonst seit Heinrich III. davon getrennt war, in Anspruch genommen hat; s. oben S. 451 X. 1. 2 Die Formeln schwanken: St. 3228: ego Adalbertus arehieane. et Mog. archiep. ree. et ego Anno ad vieem canc. scripsi et recogn. 3230: sub Adalbert') arehieane. Mog. archiep. 3283: ego Norbertus archiep. Magdeb. rec. 3349: Bruno archiep. et canc. (1. arehieane.) rec. 3282., vgl. 3298: data per manum Norbert t arehieane. et Magdeb. archiep. 3 Eine Ausnahme machen nur vier Urkunden St. 3303. 3314: ego N. vice canc. ree.\ 3340, s. oben S. 488 X. 6, endlich 3315: ego Berthaldus vice Ekktcardi canc. rec. 4 S C H U M S Annahme, Anno sei Xaclifolger, nicht Amtsgenosse Embricos gewesen, widerspricht den Daten von S T . 322S und 3229; auch S C H U L T Z E S . 11 spricht sich dagegen aus. 5 St. 3315, s. oben X. 3 und 3353, s. unten S. 486 X. 1. 13 ¡S. oben S. 483 N. 6. ; S C H U M ( S . 115) wollte ihnen höchstens die Besiegeluug zusehreiben; vgl. dagegen S C H U L T Z E S . 34ff., dessen Ergebnisse freilich noch nicht als völlig abgeschlossen gelten können.

Kanzlei Lothars von Supplinburg darf dies von den Notaren Anno und Berthold angenommen werden.1 Neben den Notaren gab es freilich auch noch untergeordnete Schreiber, doch nur in kleiner Zahl.2 Und jedenfalls sind unter Lothar noch häufiger als früher dem ständigen Kanzleipersonal nicht angehörige Geistliche zur Hilfstätigkeit im Mundieren der Urkunden herangezogen, auch ist öfter als früher den Empfängern der Urkunden deren Herstellung überlassen worden.3 Welches Erzkanzlers Name in der Rekognition genannt werden sollte, das scheint schon seit den letzten Jahren Heinrichs V. 4 nicht mehr nach der früher geltenden Regel entschieden worden zu sein. In der Tat war, seit es für die Bearbeitung sämtlicher Geschäfte nur noch eine einheitliche Reichskanzlei gab, kein Grund mehr vorhanden, in dieser Beziehung den Inhalt des Diploms als maßgebend zu be1

Ich folgere das (vgl. jetzt auch SCHULTZE S . 3 5 f.) aus den Rekognitionen von St. 3228: ego Adalbertus arohicanc. et Mog. arohiep. reeognovi et ego Anno ad vicem canc. scripsi et reeognovi und 3353: ego Ekkehardm vice Eeinriei Ratisp. ep. et arohicanc. reeognovi et ego Engelbertus monachus viee Bertulfi not. scripsi. In beiden Fällen kann ich mich nicht entschließen, mit F I C K E R , BZU. 2, 26, vgl. 2, 161. 173, scripsi auf die Anfertigung des Konzeptes zu beziehen; die Rekognition der zweiten Urkunde deute ich dahin, daß Bertulf mit der Herstellung der Reinschrift zunächst beauftragt war, diese aber dann durch den nicht zum ständigen Kanzleipersonal gehörigen Mönch Engelbert (wohl aus der Umgebung Wibalds, vgl. S C H Ü M , KUiA., Text S . 365) ausführen ließ. Die mehrfach geäußerte Anschauung, daß die kaiserlichen Notare eine zu angesehene Stellung gehabt hätten, um als bloße Ingrossisten zu fungieren (vgl. H E R Z B E R G F R Ä U K E L , MIÖG-. Erg. 1, 269), geht überhaupt zu sehr von modernen Anschauungen aus. Gut zu schreiben ist im Mittelalter eine hochgeachtete Kunst, auf die man stolz war (vgl. z. B. die Äußerungen Othlohs SS. 11, 393); und königliche Notare haben schwerlich eine höhere Würde gehabt, als die welche die Konzepte anderer Beamten scriptores litterarum apostolicarum, mundierten. Zum Uberfluß ist es für das 14. Jahrh. nachweisbar, daß selbst die Protonotare gelegentlich mundierten, s. unten. Vgl. dazu auch S I C K E L , MIÖG. 6, 361. 2 Über die Schreiber der Urkunden Lothais vgl. SCHCM a. a. 0 . S . 116ff.; S C H U L T Z E b. 18ff. Vollständigen Aufschluß wird erst die neue Ausgabe der Urkunden bringen, zu der H . H I R S C H einige wichtige Vorarbeiten schon veröffentlicht hat. 3 S C H Ü M , KUiA., Text S . 1 1 5 f . ; S C H Ü L T Z E S . 3 8 . — Zum Kanzleipersonal des Kaisers könnte auch Raduardus cn.riac imperialis cappellanua gehören, der 1136 vice canceUarii Metensis eine Urkunde des Bischofs Stephan von Metz rekognosziert und wahrscheinlich auch geschrieben hat. Die Urkunde ist, wie aus der Intervention des Kardinals Gerard geschlossen werden darf, am Hofe, wahrscheinlich auf dem Hoftage zu Speyer oder dem zu Aachen, ausgestellt und bewegt sich ganz in den Formen der Reichskanzlei ( M I R A E D S 1, 102), vgl. aber SCHULTZE 4

S.

Vgl.

37. WAITZ,

VG.

6

369

N . 3;

371

N.

6.

487

Kanzlei Lothars von Supplinburg

trachten. Es vereinfachte den Geschäftsgang, wenn man sich statt dessen nach dem jeweiligen Aufenthaltsort des Herrschers richtete: es brauchte dann nicht mehr von Fall zu Fall über die Art der Rekognition entschieden zu werden, sondern es wurden einfach alle in Deutschland ausgestellten Urkunden im Namen des deutschen, alle in Italien ausgestellten im Namen des italienischen Erzkanzlers rekognosziert. Daß dies die unter Friedrich I. und seinen Nachfolgern in Kraft stehende Regel war, ist bekannt; und dafür, daß sie auch schon unter Lothar III. galt, sprechen die Rekognition von St. 3312, der einzigen auf deutschem Boden für einen italienischen Empfänger ausgestellten Urkunde, im Namen Adalberts und die Nennung Norberts in einer Urkunde für das westfälische Kloster Klarholz, die allerdings erst 1134 in Deutschland datiert und ausgehändigt worden ist, hinsichtlich deren ich aber eben aus der Rekognition schließe, daß die Handlung schon 1133 in Italien stattgefunden hat. 1 Ebenso ist auch eine Urkunde für Stablo, die 1137 in Unteritalien ausgestellt ist, im Namen des italienischen Erzkanzlers rekognosziert.2 Derselbe Vorgang, der sich beim Regierungswechsel von 1125 vollzogen hatte, wiederholte sich dreizehn Jahre später nach dem Tode Lothars und der Thronbesteigung Konrads III. 3 Wiederum war die Wahl nicht auf den Mann gefallen, der dem verstorbenen Kaiser am 1

St. 3298. S C H U M a. a. 0 . S . 128, vgl. 113, hat zwar darin gegen P H I L I P P I sicher recht, daß die Datierung der Urkunde einheitlich und auf das Jahr 1134 zu beziehen ist. Aber weder beweist die Einleitung der Datierung mit actum sicher, daß sie auf die Handlung zu beziehen sei (vgl. E I C K E R , B Z U . 2, 352 f. 375ff.), noch schließt die von S C H U M betonte Einfachheit der Sachlage angesichts zahlreicher, ebenso einfach liegender Fälle aus dem 10.—12. Jahrh. die Möglichkeit aus, daß die ersten Verhandlungen über den Gegenstand schon in Italien stattgefunden haben (anders, aber meines Erachtens unrichtig, SCHUI.TZE S. 8 N. 2). Jedenfalls fehlt ohne diese Annahme jede ausreichende Erklärung für die Nennung Norberts; daß er den Titel Erzkanzler auch in Deutschland beibehalten hätte, oder daß der Gebrauch der Formel data per manurn stati der gewöhnlichen Rekognition, worauf F I C K E R , B Z U . 2, 223, Gewicht legt, die Rechte von Mainz nicht beeinträchtigt hätte, und was sonst angeführt werden kann, genügt für die Erklärung nicht. Dagegen ist allerdings mit F I C K E R a. a. 0 . Gewicht darauf zu legen, daß es sich um ein Prämonstratenserkloster handelte, insofern als es leicht erklärlich ist, daß gerade Norbert seine Amtszeit in Italien dazu benutzt hat, die Verhandlungen über die Bestätigung des Klosters einzuleiten. 2

St. 3353, s. oben S. 486 N. 1. Vgl. für das Folgende S C H U M , KUiA., Text kunden König Konrads III. (Innsbruck 1908). 3

S.

343ff.;

GRABER,

Die Ur-

488

Kanzlei

Konrads

III.

nächsten gestanden hatte, sondern auf seinen persönlichen Gegner: wiederum war die Folge davon ein gänzlicher Wechsel im Personal der obersten Regierungsbehörde des Reiches, der Kanzlei. Keiner der Kanzleibeamten Lothars hat unter Konrad III. weiter gedient, vielmehr treten uns abermals neue Namen entgegen; daß man auf einzelne schon unter Heinrich V. beschäftigte Männer zurückgegriifen hätte, wäre an sich wohl denkbar, ist aber aus dem bisher bekannten Material nicht zu erweisen. Der Umschwung wurde dadurch erleichtert, daß der Erzbischof Adalbert I. von Mainz noch vor Lothar am 23. Juni 1137 gestorben war und die Wahl seines Nachfolgers erst nach der Thronbesteigung des Staufers erfolgte. Unter diesen Umständen brauchte der neue König keinen Anstand zu nehmen, das unter Lothar vakant gewesene Amt des Kanzlers — an der Einheit der Kanzlei wurde festgehalten — sofort wieder zu besetzen; seine Wahl fiel auf Arnold von Wied, Dompropst von Köln, 1 dem 1151, als er auf den Kölner Erzstuhl erholten wurde, Arnold von Seiehofen, königlicher Kapellan, Propst von Aachen, von Aschaffenburg und von St. Peter zu Mainz, folgte. 2 Das Erzkanzleramt in Deutschland sollte natürlich dem Erzbischof von Mainz bleiben; noch vor der Wahl Adalberts II., des Kandidaten der staufischen Partei, wurden die Urkunden vice archicancellarii, oder vice summi cancellarii Moguntini rekognosziert, in einem Falle sogar für den später nachzutragenden Namen des zu wählenden Erzbischofs ein Raum gelassen.3 Aber weder Adalbert II., noch seine Nachfolger Marculf und Heinrich haben in ihrer Stellung als Erzkanzler einen maßgebenden Einfluß auf die Kanzleigeschäfte ausgeübt. Nur ein einziges Mal findet sich unter Konrad III. eine Rekognition unmittelbar im Namen des Er/.kanzlers Heinrich von Mainz in einer Urkunde vom April 1147; 4

1

Übi-r seine Persönlichkeit vgl. da* Zeugnis Friedrichs I. in St. 3672:

Arnuldus mainr in Cohmia prepusitus et domni Cünradi tereii Iltmanorum reyis cancellarius, vir utique preclarus yenere, expertissimus prudencia. spertahitis honestate . . . . Vorher nennt er ihn prudentissimum nostri eri prini-ipem. Vgl. mich KKRSTEN, Arnold von W i e d , Erzbischof von Köln (Diss. Jena 1881). - Vgl. über ihn B.U MÜA' H, Arnold von Seiehofen, Erzbischof von Mainz (Diss. Göttingen 1871). Die Annahme, daß Arnold von Seiehofen schon vor 1151 Kanzler geworden sei (vgl. II.OEN, Westd. Zeitschr. 24, 45), ist mit den Angaben der Urkunden ganz unvereinbar: vgl. auch GRAUER S. 7 N. 2. 3 St. 3:'.71, vgl. BERNHARDI, Konrad III. 1, 27 X. 7. 1 St. 3547 für Kloster Ichtershausen (Or. Gotha). Schwerlich sollte diese Kekognition, wie 1>EUXHARIU S. 561 meint, eine besondere Ehrenbezeugung für den . 916. Dazwischen heißt er freilich auch Kammernotar, Const. 4, 856 n. 848. 857 n. 849. 932f. n. 915, und ebenso erscheint er in den Rechnungen Heinrichs als notair de le eambre, Const. 4, 1194, aber der Titel offieialis legt doch die Armahme nahe, daß er noch eine andere Stellung gehabt habe als seine Kollegen. 2° Er erscheint zuerst am 26. Dez. 1312, Const. 4, 916 n. 900, und wird am 23. Febr. 1313 neben Leopardus und Paulus Kammernotar genannt, Const. 4, 932 n. 915. Man könnte glauben, er sei an Stelle des Johann von Diest ernannt worden, der im Nov. 1312 zuletzt erwähnt wird (Const. 4, 869 n. 863), wenn nicht SCHWALM die Hand des Lüttichers noch in einer Dorsualnotiz vom Mai 1313 (Const. 4, n. 982) zu erkennen glaubte. ' Gegen die allzu scharfe Scheidung S E E L I G E R s a. a. 0 . S . 425, gegen die ich schon Jahresberichte für Geschichtswissenschaft (1892) 4, 101 einen Vorbehalt gemacht habe,, vgl. jetzt SAMAXEK a. a. 0 . S. 239, wo aber N. 1 zu streichen ist, s. oben N. 1. Briißlau,

UrkundenMirc.

3. Aufl. I .

35

546

Die Reichskanzlei seit dem 13. Jahrhundert

Geschäften haben sie sich nur sehr selten, vielleicht nur insofern, als sie einzelne deutsche Schriftstücke ihren Aktenbeständen einverleibten, zu befassen gehabt. Das Amt der Kammernotare, wie es unter Heinrich VII. ausgebildet war, ist nicht zu einer dauernden Institution am Königshofe geworden. Auch unter den späteren Herrschern kommen einerseits öffentliche Notare vor, die dem Hofe in gewisser Weise attachiert waren und häufig oder regelmäßig zur Anfertigung von Notariatsinstrumenten verwandt wurden, 1 und andererseits Kammerschreiber oder Kammernotare; aber jene haben keine nachweisbaren Beziehungen zur königlichen Kammer, und diese haben regelmäßig nur mit der Finanzverwaltung zu tun.2 Die eigentümliche Schöpfung Heinrichs YII. hat die Regierung dieses Königs nicht überdauert. Besondere Nebenkanzleien für die zum deutschen Reich gehörigen Erblande der Könige hat es unter den Herrschern des 13. und 14. Jahrhunderts nicht gegeben; es ist eine vorübergehende Ausnahme, wenn im Anfang der Regierung Karls IV. eine eigene luxemburgische Kanzlei erscheint; der Grund der Ausnahme liegt wohl darin, daß hier das Französische die Geschäftssprache war.3 Für Böhmen hat es unter Karl IY. zwar Kanzler gegeben, da dies Amt mit der Propstei vom Wischerad dauernd verbunden war,4 aber keine besondere Kanzlei; viel1

Eine solche Stellung mag unter Ludwig dem Bayern Konrad von Bonn, Sohn des Magisters Wilhelm, eingenommen haben, den der Kaiser zu seinem elericus und familiaris annimmt und zugleich zum notarius und tabellio publieus ernennt; Reg. Ludov. Additam. 3 S. 420. * Vgl. den Eid des Kammerschreibers unter Ruprecht, NA. 19, 239. 8 Vgl. LINDNER S. 27. Als 1353 Karl IV. seinem Bruder Wenzel die Grafschaft Luxemburg übergab, fiel diese Nebenkanzlei natürlich fort. — Über die Urkunden, die Ludwig der Bayer 1339 und 1340 als Vormund Herzog Johanns von Niederbayern ausstellte, vgl. GBAUEBT, KUiA., Text S. 301; nach SCHAUS S. IV. scheint es auch dafür vorübergehend eine Nebenkanzlei gegeben zu haben. Die oberpfälzische Landschreiberei in Sulzbach, vgl. LINDNEB S. 28, war wohl nur eine Provinzialbehörde. Die czechisch geschriebene Arbeit TADBAS über die * L I N D N E B S. 26 f. böhmische Kanzlei von 1310—1340 (Abhandl. der böhm. Akademie 1892 I. Abt. n. 2) kenne ich nur aus der Anzeige MIÖG. 14, 513ff. — Über die ältere böhmische Kanzlei handelt eingehend und sorgfältig EMLER in den Abhandl. der böhm. Gesellsch. der Wissenschaften, 6. F. Bd. 9. Etwa seit 1211 ist eine festere Verfassung der Kanzlei, deutschem Muster nachgebildet, erkennbar. Das Amt des Kanzlers hat der jeweilige Propst vom Wischerad; unter ihm stehen ein Protonotar, der später auch den Kanzlertitel erhält, dann mehrere Notare und Registratoren. Unter König Johann soll es nach T A D R A 1317 und 1318 neben dem Propst vom Wischerad noch einen wirklichen Kanzler, Heinrich von Schönburg, gegeben haben. Ähnlich organisiert ist die Hofkanzlei für Mähren.

Die Reichskanzlei seit dem 13. Jahrhundert

547

mehr wurden auch die böhmischen Geschäfte in der allgemeinen Reichskanzlei besorgt. Dagegen gab es für die nicht zum Reich gehörigen Besitzungen der Kaiser eigene Kanzleien. Wie das Verhältnis der sizilianischen Kanzlei Friedrichs II. zu dessen Reichskanzlei sich gestaltete, ist freilich durch die bisherigen Untersuchungen noch nicht völlig aufgeklärt;1 doch ist so viel sicher, daß die Scheidung zwischen beiden nicht immer streng durchgeführt worden ist. Unter Karl IV., Wenzel und Sigmund gab es eigene Landeskanzleien für Schlesien in Breslau und später auch in Schweidnitz, die selbständig, aber im Namen des Königs urkundeten; und daß Ungarn unter Sigmund eine besondere Kanzlei hatte, versteht sich von selbst. Dieser hat aber auch, als er Böhmen erwarb, abweichend von dem Gebrauch Karls IV., eine igene böhmische Kanzlei errichtet, die seit 1435 in Prag ihren Sitz hatte, im Beamtenpersonal von der Reichskanzlei völlig getrennt war und , n den Beurkundungsformen ihre eigenen Wege ging. 3 Noch einen Sch • t weiter ist dann endlich Friedrich III. gegangen, indem er, als 144,; der Erzbischof von Trier auf Veranlassung des deutschen Erzkan,leis die Leitung der Reichskanzlei übernahm, für seine deutschen Erblande eine eigene Kanzlei unter eigenem Kanzler und mit eigenem Unte 1 personal schuf, die fortan als die österreichische von der römischen oder Reichskanzlei völlig geschieden blieb.3 1 Auch nicht durch die Bemerkungen P H I L I P P I S S. 19 f. 40 f. Es gab eigene sizilianische Beamte, sizilianische Siegel, ein sizilianisches Register, s unten S. 576 ff. — Auf die nur kurze Zeit bestehende Kanzlei für das Königreich Jerusalem braucht hier nicht näher eingegangen zu werden; vgl P H I L I P P I S. 37, wo aber auch BF. 1668 zu erwähnen war. 8 Für diese Nebenkanzleien vgl. L I N D N E R S. 27f. 31 f. 38; derselbe, Archival. Zeitsehr. 9, 173ff. ' Vgl. V O I G T , Enea Silvio, 1, 278; W E I S S , Aeneas Sylvius (Graz 1897) S . 242fl. (dazu E R B E N , U L . S . 114 N . 3); S E E L I G E R , M I Ö G R . 8, 9f. Erg. 3, 348f.; STEINHERZ, KUiA., Text S . 470 N . 2; ein Kanzleiverweser für Österreich war schon 1441, als Friedrich ins Reich zur Krönung zog, ernannt worden; sein Eid MIÖG. 20, 67. Daß die Scheidung der beiden Kanzleien nicht vollständig durchgeführt wurde, und daß gelegentlich einmal die österreichische Kanzlei in Reichssachen, die Reichskanzlei in österreichischen Sachen tätig war, hat bereits SEELIGER a. a. O . mit Recht bemerkt. Hierhin gehören die merkwürdigen Urkunden für Nürnberg, die H E G E L , Städtechroniken, Nürnberg 4, 399ff., bespricht; sie scheinen alle in der österreichischen Kanzlei ausgefertigt zu sein, vielleicht weil die Reichskanzlei die Verantwortung ablehnte. Die österreichische Kanzlei wählte dabei bald die Unterfertigungsformel der Reichskanzlei, bald ihre eigene; daß man auch sonst krumme Wege bei dem Geschäft einschlug, hat H E G E L gezeigt: nur würde ich in diesem Falle nicht von Fälschung reden. Auch der Reichskanzler Welzli ist offenbar bestochen worden. 35*

548

Die Reichskanzlei seit dem 13. Jahrhundert

Mit allen diesen Nebenkanzleien haben wir uns in diesem Zusammenhang nicht näher zu beschäftigen, dagegen müssen wir auf die soziale Stellung und auf die Einkommensverhältnisse der Beamten der Reichskanzlei sowie auf das Gebührenwesen in ihr noch etwas näher eingehen. Wie die Kanzler selbst, so sind auch die ihnen untergebenen Beamten der Kanzlei im 13. und 14. Jahrhundert durchweg geistlichen Standes. Eine Ausnahme macht indes schon unter Friedrich II. Petrus de Vinea, der aus der richterlichen Laufbahn in die Kanzlei eintrat und in den letzten Jahren des Kaisers das Amt des Reichsprotonotars versah; er ist der erste Laie, der im Mittelalter zu dieser Stellung gelangt ist. 1 Dann sind Laien unter den italienischen Notaren Heinrichs YIL; doch in Deutschland blieb das so gegebene Beispiel lange ohne Nachahmung: erst im 15. Jahrhundert traten auch hier Laien in größerer Zahl in den Dienst der Reichskanzlei. So unter Sigmund, wie wir schon sahen, Kaspar Schlick, der vom Schreiber bis zum Kanzler aufstieg; so Johann Kirchen, der Hofgerichtsschreiber Wenzels und Ruprechts, der als solcher Laie gewesen sein muß, unter Sigmund aber Protonotar der Kanzlei wurde; 2 so Marquard Brisacher, der von 1429 bis 1435 Sigmunds Registrator war, dann zum Notar befördert wurde, als solcher bis zum Tode des Kaisers und unter Albrecht II. fungiert hat, unter Friedrich III. aber Protonotar wurde und die Ritterwürde erhielt; 3 so Uliich Welzli, 4 der es unter Friedrich III. vom Schreiber bis zum Kanzler brachte und sich mit reichen Gütern in Schwaben, Schloß und Herrschaft Achalm, Schloß und Herrschaft Teck, ausstatten ließ, in deren Besitz er sich dann freilich nicht zu behaupten vermochte; 6 so noch mancher andere von den Beamten, die unter Fried-

1 Abgesehen von den sizilianischen Notaren Friedrichs II., die nur gelegentlich in Urkunden für das Reich gearbeitet haben und hier außer Betracht bleiben. 2 S. oben S. 543 N. 2. Auch in den für ihn ausgestellten Urkunden Sigmunds, HARPPRECHT, Kammergericht 3, 4 9 9 ff., heißt er immer nur der ehrsame Johann Kirchen, hat aber nie einen geistlichen Titel. Im Straßburger Bezirksarchiv (E 1406 f. 144) befindet sich ein Privileg des Pfalzgrafen Ludwig vom Jahre 1414 für ihn (er heißt Protonotar und Sekretär Sigmunds), sein Weib Agnes von Romersheim und ihre Kinder, die sich in Heidelberg angekauft und niedergelassen haben. 3 LINDNER S . 37. 3 6 ; CHMEL, Reg. Frid. III. n. 2779. 4 S. oben S. 538 N. 2. 5 Vgl. STALIN 3, 455 N. 4. Aus diesen Belehnungen ist wohl mit Sicherheit zu folgern, daß er Laie war.

Die Reichskanzlei

seit dem 13. Jahrhundert

549

rieh III. eine bedeutendere Rolle spielten und unter Maximilian jene „Schreiberclique" bildeten, über die vielfach geklagt wurde. 1 Sehr viele der Kanzleibeamten der beiden letzten Jahrhunderte des Mittelalters haben ihre Bildung auf den rasch emporblühenden Universitäten erhalten und führten den Magistertitel; 2 manche waren auch Doktoren des bürgerlichen oder geistlichen Rechts. Ausdrücklich hervorgehoben sei, daß auch Kaspar Schlick, 3 hinsichtlich dessen dies früher bezweifelt wurde, eine akademische Bildung genossen hat. 4 1

Vgl. das Gedicht gegen die weltlichen Räte und ihre Habsucht, das Maximilian 1, 251 N. 2, anführt. Er bezieht es u. a. auch auf Joh. Waldner, der in der letzten Zeit Friedrichs III. als Protonotar, ohne den Vizekanzler- oder Kanzlertitel zu führen, die Kanzleigeschäfte leitete, unter Maximilian aber österreichischer Kanzler wurde. Über seinen großen Einfluß schon unter Friedrich orientiert seine Korrespondenz mit dem Markgrafen Albrecht Achilles, vgl. M I N D T O L I , Das kaiserl. Buch des Markgrafen Albrecht Achilles (Berlin 1850). — Nach V O I G T , Enea Silvio 1, 289, und W O L K A N , Der Briefwechsel des Eneas Silvius Piccolomini (Fontt. rer. Aust. 61) 1, XXV, wäre auch dieser berühmteste von allen Kanzleibeamten Friedrichs III., der spätere Papst Pius II., der zu Anfang des Jahres 1443 als Sekretär vereidigt wurde, damals noch Laie gewesen. Aber ich glaube, daß das nicht zutrifft, und daß Aeneas schon auf der Universität Siena oder nicht lange nachher die niederen Weihen erhalten hat und also nicht mehr bloß zu den solius primae tonsurae elerici gehörte, die nach seinen eigenen Worten (Commentarii de concil. Basil., ed princ. S. 31) von der Teilnahme an Konzilien ausgeschlossen sein sollten. Er hatte ja schon vor dem März 1446, in welchem Monat er die Subdiakonatsweihe empfangen zu haben scheint, eine ganze Reihe geistlicher Pfründen, die Propstei von S. Laurentius in Mailand, ein Kanonikat in Trient, Pfarrkirchen im Sarentaner Tal und zu Aspach in der Diözese Passau; diese Pfründen und seine Stellungen im Dienst des Baseler Konzils sowie seine Mitgliedschaft in der Glaubensdeputation in Basel setzen doch voraus, daß er zu den cleriei im weiteren Sinne gehörte. Daß er sich durch diese niederen Weihen 1444 nicht zur Enthaltsamkeit verpflichtet glaubte, ist damit durchaus vereinbar. * So z. B. ganz regelmäßig die Notare Rudolfs von Habsburg. Aber aus dem Magistertitel allein darf wohl noch nicht auf akademische Bildung geschlossen werden; ich halte für wahrscheinlich, daß die kaiserlichen Kanzleibeamten ihn nach dem Vorbilde der päpstlichen angenommen haben, die ihn ganz allgemein und von Amtswegen führen. ' Er war 1413 in Leipzig immatrikuliert, vgl. Die Matrikel der Universität Leipzig (ed. E R L E B , CD. Sax. reg. II, 16) 1, 45. * Auf die namentlich von B U B D A C H in seinem Buche Vom Mittelalter zur Reformation (Leipzig 1893; vgl. auch die Ankündigung der zweiten Auflage, Brünn 1898) und an anderen Stellen nachgewiesene und mit Recht energisch betonte große Bedeutung, welche die Kanzleibeamten Karls IV., insbesondere der Kanzler Johann von Neumarkt und der Registrator Johann von Gelnhausen, für die wissenschaftliche und literarische Kultur des 14. Jahrh. gehabt haben, kann hier natürlich nicht eingegangen werden; ein Hinweis auf die Forschungen B Ü R D A C H S muß genügen. ULMANN,

550

Die Reichskanzlei seit dem 13. Jahrhundert

Während Ansehen und Einfluß der höheren Kanzleibeamten, des Kanzlers und der Protonotare, auch in dieser Periode sehr groß waren,1 nahmen die subalternen Beamten keineswegs eine glänzende Stellung ein. Mochten sie auch vom Kaiser angestellt werden, so war doch wenigstens nach den Schilderungen des Enea Silvio, 2 der sich als Sekretär Friedrichs III. sehr unglücklich fühlte, ihr ganzes Wohl und Wehe in die Hand des Kanzlers gegeben; die Höhe ihres Einkommens, die Art ihrer Beschäftigung, ihre Beförderung und Entlassung war wesentlich von seinem Ermessen abhängig.3 Es entspricht der geringen politischen Bedeutung dieser niederen Amter, daß ihre Inhaber — anders wie die Kanzler — auch in dieser Periode häufig von einer Regierung in die andere übergehen. Es ist wahrscheinlich, daß ein Notar Rudolfs, Andreas Rode, schon während des Interregnums der Reichskanzlei angehört hat; ein Notar Albrechts, Hadamar, ist in die Kanzlei Heinrichs VII. übernommen worden; 4 aus Karls IV. Dienst stammen mehrere Protonotare und Registratoren Wenzels; des letzteren Hofgerichtsschreiber hat unter Ruprecht weiter gedient und ist, wie wir schon wissen, unter Sigmund Kanzleiprotonotar geworden; und die Kontinuität des Kanzleipersonals unter Sigmund, Albrecht II., Friedrich HI. ergibt sich schon aus den bisher angeführten Daten über einzelne ihrer Beamten völlig zur Genüge. Es hängt damit zusammen, daß auch die Dienstzeit der Beamten unter Umständen sehr lang war.6 So mochte denn, auch abgesehen von den Kanzlern selbst, mancher dieser Beamten während seiner Dienstzeit ein nicht unbedeutendes Vermögen erwerben,0 obwohl die Einkommensverhältnisse keineswegs fest geregelt waren. 1 CanceUarius tantus est quantus esse vult, sagt Enea Silvio 1454, vgl. seinen Brief bei WEISS, Aeneas Sylvius S. 243 f.

' V g l . VOIGT a. a. 0 . 1, 2 7 8 ff.

8 Der Vertrag, durch den Adolf von Mainz 1470 die Besorgung der Kanzleigeschäfte übernahm, s. unten S. 560, gab ihm ausdrücklich das Recht, alle Beamten zu ernennen und zu verabschieden. 4

6

V g l . HERZBEBG-FRANKEL, MIÖGR. E r g . 1, 288.

Auch aus fürstlichem Dienst tritt wohl ein Kanzleibeamter in den königlichen über; so war Heinrich Leubing erst sächsischer, dann mainzischer Kanzler, darauf 1441—42 Protonotar Friedrichs III. und kehrte dann in mainzischen Dienst zurück; vgl. über sein Leben die interessanten Zusammenstellungen von LOOSE, Mitteilungen des Vereins für Gesch. der Stadt Meißen 1, 2, 34 ff. 6 Johann Kirchen gibt dem König Sigmund im Anfang seiner Regierung ein Darlehn von 3000 Gulden: doch wohl Ersparnisse aus seiner Tätigkeit als Hofgerichtsschreiber Wenzels und Ruprechts; HABPPRECHT 3, 499. Daß Schlick und Welzli ihrer Herren Gläubiger waren, ist bekannt.

Die Reichskanzlei

seit dem 13. Jahrhunderl

551

Ein festes Gehalt scheint in dieser Periode den Beamten der Kanzlei noch nicht, oder doch nur in seltenen Ausnahmefällen gewährt worden zu sein. 1 Dagegen haben sie aller Wahrscheinlichkeit nach, wie sämtliche übrigen Hofbeamten des Königs, die zu dessen familia, zu seinem Hofgesinde gehörten, vollständige Naturalverpflegung auf Kosten des Herrschers, also Wohnung und Kost für sich und ihr Gefolge, soweit ihnen ein solches bewilligt war, erhalten. 2 Die niederen Kanzleibeamten führten wenigstens im 15. Jahrhundert 3 gemeinsame Wirtschaft, speisten und schliefen zusammen; wobei der Kanzleiknecht und die jüngeren Beamten gewisse Dienstleistungen verrichteten. 4 Abgesehen von diesen Naturalleistungen 6 und den nicht unbeträchtlichen Nebeneinnahmen, die den Beamten das Sollizitieren oder die Übernahme von Prokurationen für die Bittsteller bei Hofe einbrachte, 1 Enea Silvio spricht zwar von einem festen Sold, den einige Sekretäre nach Ermessen des Kanzlers bezogen hätten (er selbst nicht), anderweit aber wissen wir davon nichts. Johann von Gelnhausen unter Karl IV. war summus et eciam stipendiatus . . . litterarum registrator (Collectarius perp. form. Johannis de Geylnhusen, ed. KAISEB S. 1), scheint also eine Ausnahmestellung eingenommen zu haben. * Aus dem Eeich haben wir darüber, was den Kanzler betrifft, kein direktes Zeugnis, aber es ist nach der Analogie der übrigen familiares, domestici et eommensales des Kaisers mit Sicherheit anzunehmen, vgl. SCHWALM, NA. 25. 750. 3 Nach einer Anekdote bei Matthias von Neuburg (cod. Vat. cap. 24 d, ed. WEILAND, Abhandl. der Gesellsch. der Wissensch, in Göttingen 38, 34) speisen schon auf einem Reichstage Rudolfs von Habsburg in Frankfurt Kanzler und Notare zusammen. 4 Das ergibt sich für die Zeit um 1443 aus der Schilderung des Enea Silvio und wird auch in der Kanzleiordnung von 1494 vorgeschrieben; es wird also auch in der Zwischenzeit nicht anders gewesen sein. Wenn SEELIOER, M1ÖG. 8, 47, es bezweifelt, weil das Register keine Ausgaben für den gemeinsamen Haushalt verzeichne, so ist die Voraussetzung, von der er ausgeht, nicht zutreffend; die Ausgaben waren gar nicht jvon den Kanzleigenossen zu bestreiten, sondern die Kost wurde vom Hofe geliefert. Dadurch war natürlich nicht ausgeschlossen, daß einer oder der andere der Beamten, wenn er das vorzog und es ihm bewilligt wurde, besonderen Haushalt führte und dafür gewisse Lieferungen erhielt; bei den Oberbeamten wird dies sogar Regel gewesen sein. Denn glänzend war die Verpflegung gewiß nicht, auch wenn die Klagen, die Enea Silvio in dem Traktat De curialium miseriis darüber führt, übertrieben sein mögen. Daraus erklärt es sich, daß, wenn ein Kanzleibeamter längere Zeit „ohne Kost und Zehrung" diente, er dafür eine besondere Entschädigung erhielt — so Johann Kirchen 1418 600 Gulden und später noch einmal 400 Dukaten, HARPPBECHT 3, 505. 507. 6 Über Naturallieferungen an den Kanzler liegen aus Friedrichs III. Zeit

m e h r f a c h Nachrichten vor, vgl. z. B. CHMEL, Reg. F r i d . I I I . n. 5684. 5706.

552 sowiö dem Ertrage der Pfründen, 1 die den geistlichen, der Lehen, die den weltlichen Mitgliedern der Kanzlei des Kaisers Gnade verschaffte oder verlieh, setzte sich ihr Einkommen aus zwei Quellen zusammen: 2 einmal aus den Geschenken, d ; e den Beamten in den Städten des Reiches, wo der Kaiser Hof hielt, dargebracht wurden, sodann aus Anteilen an den Kanzleigebühren. Jene Geschenke können, soiange die Könige in regelmäßig wiederkehrenden Reisen das Reich durchzogen, als eine feste und sehr erhebliche Einnahme betrachtet werden. Wir sind bisher nur durch die Rechnungen einiger größeren Städte, die uns bekannt geworden sind, darüber unterrichtet, dürfen aber voraussetzen, daß sie überall in annähernd gleicher Weise gewährt wurden. Es sind teils persönliche Gaben, die den höheren Kanzleibeamten direkt zufielen, und die sich natürlich nach deren Rang und Einfluß abstuften, teils Beträge, die „in die gemeine Kanzlei" oder „den Gesellen in der Kanzlei" gemeinsam geschenkt und hier nach bestimmten Grundsätzen verteilt wurden. Die oberen Kanzleibeamten, namentlich der Kanzler selbst, erhielten wohl regelmäßig noch besondere Verehrungen von den Parteien, die damit ihren Bitten Nachdruck geben wollten. Über die Höhe der eigentlichen Kanzleigebühren sind wir erst aus den letzten Jahrhunderten des Mittelalters genauer unterrichtet, doch liegen einzelne Angaben schon für die ältere Zeit vor. 3 Daß bei der Belehnung eines Reichsfürsten mit den Regalien Gebühren entrichtet wurden, 4 wird zum ersten Male im J a h r e 1145 1 Über die P f r ü n d e n j a g d am Königshofe vgl. HERZBERG-FRÄNKEL , M L U G . 16, 468ft',. u n d den oben S. 550 N. 5 a n g e f ü h r t e n Aufsatz von LOOSE. Zahlreiche Belege seit dem 14. J a h r h u n d e r t ergeben sieh aus den päpstlichen Supplikeiireivist":'!!. 1 Vgl. f ü r das Folgende SEELIOER, MIÖG-. 8, 36ff. 3 Vgl. f ü r das Folgende meine A u s f ü h r u n g e n in der Straßburger Festschrift zur 46. Versammlung deutscher l-'hilologen u n d Schulmänner (Straßb a r g 1901) S. 239 ff. 1 Vgl. SCHEVFER-BOICUORST, Zur Geschichte des 12. und 13. ' a h r h . S. 50 N . 3 ; BÖRGER, D I E Belehnung der deutschen geistlichen F ü r s t e n S. 64ff.; ZEÜMER, Die Goldene Bulle 1, » 9 f f . : B Ü C H N E R , Histor. J a h r b . 3 1 , l f f . Die A u s f ü h r u n g e n des letzteren scheinen mir m mehrfacher Beziehung u n a n n e h m b a r ; insbesondere k a n n ieh seiner Ansicht, daß bis zum Erlaß der Goldenen Bulle nur die geistlichen F ü r s t e n diese Lelu twg