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German Pages [339] Year 2021
Jutta Becher
Gut untergebracht Die Geschichte der Kinderheime des Landkreises Köln
Studien zur Geschichte an Rhein und Erft herausgegeben vom Kreisarchiv des Rhein-Erft-Kreises Band 9
Jutta Becher
Gut untergebracht Die Geschichte der Kinderheime des Landkreises Köln
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildungen Vorderseite: Abb. 46 und 27 im Textteil dieses Bandes; mittleres Bild: Kreiskindererholungsheim in Barkhausen an der Porta. Rückseite: Abb. 14 im Bildteil dieses Bandes. Alle Abbildungen aus dem Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. Satz: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52321-3
Inhalt
Grußwort ......................................................................................................................
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1. Einleitung .. .............................................................................................................
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2. Vorgeschichten .. .................................................................................................... 2.1 Frühe Findel- und Waisenbetreuung in Deutschland ..................... 2.2 1496: das Brühler Hospitälchen, ein Zufluchtsort . . ........................... 2.3 1861: eine Kinderbewahranstalt für Brühl ............................................ 2.4 1918: Salvatorianerinnen eröffnen ihr Kinderheim im „Pavillon“ ....
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3. Der Landkreis Köln gründet ein eigenes Kinderheim ............................... 61 3.1 Spendenaufrufe für erholungsbedürftige Kinder .. ............................. 61 3.2 Das Kreiskindererholungsheim in Barkhausen an der Porta ......... 64 3.3 Die Waisenkinderabteilung im Erholungsheim ................................ 71 3.4 Eine Schule für die Waisenkinder ......................................................... 73 3.5 Das Heim im Nationalsozialismus ........................................................ 75 3.6 Zahlen und Daten von 1926 bis 1949 .. ................................................... 81 3.7 Seit 1950: nur noch ein Kindererholungsheim ................................... 84 3.8 Letzte Jahre in Barkhausen . . .................................................................... 90 3.9 ZeitzeugInnen erinnern sich ................................................................... 103 3.10 „Porta hatte ausgedient“ . . .......................................................................... 106 4. Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler ........................... 4.1 Kinder in Not nach dem Zweiten Weltkrieg ..................................... 4.2 Das provisorische Heim im Hilfskrankenhaus des Landkreises ..... 4.3 Heimalltag in Brauweiler ......................................................................... 4.4 „Wir brauchen mehr Platz!“ ....................................................................
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5. Das moderne „Haus Ehrenfried“ in Brühl .................................................... 5.1 Pläne für ein neues Kinderheimgebäude in Brühl ............................ 5.2 „Wir kommen hier nach Brühl in ein Paradies“ . . .............................. 5.3 „Ein Hort der Ehre und des Friedens“ . . ............................................... 5.4 Leben im neuen Heim .............................................................................. 5.5 Die Ordensschwestern verlassen „Haus Ehrenfried“ ....................... 5.6 Die Verabschiedung von Jakob Sonntag in den Ruhestand . . ......... 5.7 Änderungen in den Ausbildungsvorschriften .. ................................... 5.8 Personalsuche und Modernisierungsmaßnahmen in Brühl ........... 5.9 Die neue Heimleiterin .. ............................................................................. 5.10 Pflegeeltern gesucht ...................................................................................
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Inhalt
5.11 Hohe Besuche in „Haus Ehrenfried“ .................................................... 5.12 Nochmals eine Suche nach Personal . . ................................................... 5.13 Erfolgreich: die Suche nach Pflegeeltern . . ........................................... 5.14 Jakob Sonntag: von höchster Stelle ausgezeichnet ........................... 5.15 Ein neuer Heimleiter und „frischer Wind“ in „Haus Ehrenfried“ ... 5.16 Kritik an Kosten und am pädagogischen Konzept ........................... 5.17 Und wieder: die Personalsituation im Kreiskinderheim .. ................ 5.18 Noch einmal ein neues Heimkonzept ..................................................
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6. „Haus Ehrenfried“: keine Fortsetzung ........................................................... 6.1 Die Absage an eine Neukonzeption . . .................................................... 6.2 Proteste, Meinungskampf und knappe Mehrheiten . . ....................... 6.3 Das Ende der Heimzeit ............................................................................ 6.4 Verkauf des Kinderheims „Haus Ehrenfried“ . . ...................................
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7. Erinnerungen an „Haus Ehrenfried“ .............................................................. 7.1 Die Schwestern vom Orden der Cellitinnen zur hl. Elisabeth ..... 7.2 Die erste weltliche Heimleiterin ............................................................ 7.3 Die Wohnsituation der Heimkinder und ihrer Erzieherinnen ..... 7.4 Die Gruppenstruktur . . ............................................................................... 7.5 Ausstattung und Versorgung ................................................................... 7.6 Kontakte ........................................................................................................ 7.7 Freizeit ........................................................................................................... 7.8 Strenge, Strafen und Misshandlung . . .................................................... 7.9 „Vieles war auch gut“ ................................................................................. 7.10 Eine neue Atmosphäre im Heim ........................................................... 7.11 Das Bild vom Heimkind .......................................................................... 7.12 Zur Schließung des Kreiskinderheims im Jahr 1983 . . ....................... 7.13 Erinnerungsstücke ......................................................................................
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8. Zum Schluss .......................................................................................................... 8.1 Heimerziehung in Westdeutschland nach 1945 – und neue Wege . . . 8.2 Die landkreiseigenen Kinderheime: ein Resümee ............................ 8.3 Haus Schumaneck: Erfolgsmodell seit 1998 .......................................
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9. Zur Quellen- und Materialrecherche . . ........................................................... 289 Zeitleisten ..................................................................................................................... Kindererholungsheim in Barkhausen an der Porta Westfalica . . ............. Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ .............................................................. Kinderheim Comesstraße 42 ............................................................................ Kinderbewahranstalt ...........................................................................................
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Inhalt
Bildteil ........................................................................................................................... I. Zum Benediktus-Kinderheim in Brühl .................................................... II. Zum Kreiskindererholungsheim in Barkhausen (1926 – 1956) ........... III. Zum Kreiskinderheim in Brauweiler (1950 – 1958) .. ............................. IV. Zum Kreiskinderheim in Brühl (1958 – 1983) .........................................
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Literaturverzeichnis .................................................................................................. 333 Abbildungsnachweise ................................................................................................ 338 Abbildungen im Textteil .................................................................................... 338 Abbildungen im Bildteil .................................................................................... 338
Grußwort
Mit dem Inkrafttreten des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes am 1. April 1924 waren die Landkreise verpflichtet, im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe Erholungs- und Betreuungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Zuständig für die Umsetzung dieser Maßnahmen waren die neu gebildeten Kreisjugendämter. Schon 1926 konnte der Landkreis Köln ein eigenes Kindererholungsheim in Barkhausen an der Porta Westfalica etablieren, in das vier Jahre später zusätzlich eine „Waisenkinder- bzw. Pflegekinder-Abteilung“ integriert wurde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges musste für die große Zahl der Waisen kinder eine neue Unterkunft gefunden werden. Sie sollte dem gestiegenen Bedarf entsprechen und sich zudem in der Nähe des Kreissitzes – Köln – befinden. Seit 1950 diente das ehemalige Rathaus von Brauweiler für eine Übergangszeit als Kreiskinderheim. Der Beschluss zum Bau eines modernen Kinderheims beendete dieses Provisorium. 1958 erfolgte der Umzug in den Neubau auf der Liblarer Straße 21 – 25 in Brühl. Dort war „Haus Ehrenfried“ bis 1983 in Betrieb. Für die vorliegende Studie „Gut untergebracht“ wurde erstmals die Geschichte der landkreiseigenen Kinderheime in Barkhausen, Brauweiler und Brühl umfangreich und detailliert anhand von Archivmaterial recherchiert, ergänzt durch Erinnerungen von ZeitzeugInnen. Frank Rock Landrat Rhein-Erft-Kreis
1. Einleitung
Der Landkreis Köln 1 bot bereits 1926 für Kinder und Jugendliche, die nach dem Ersten Weltkrieg elternlos, ohne Obdach und auf öffentliche Versorgung angewiesen waren, ein Erholungsheim in Barkhausen an der Porta Westfalica an, das kurze Zeit später um eine „Waisenkinder- bzw. Pflegekinderabteilung“ erweitert wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der durch Flucht und Vertreibung in Not geratenen Kinder und Jugendlichen auch im Landkreis Köln erneut drastisch an. Für ihre Aufnahme erwies sich die Waisenkinderabteilung in Barkhausen mit nur 30 Plätzen als zu klein, und außerdem war sie viel zu weit vom Landkreis Köln entfernt. Jakob Sonntag 2, seit 1937 Leiter des Kreisjugendamts Köln, erkannte die Notwendigkeit, zügig konkrete Hilfe zu leisten. Vordringlich war daher, „dass der Kreis ein eigenes Kinderheim schaffen müsste, um der akuten Not Herr zu werden“.3 Um dieses Projekt zeitnah verwirklichen zu können, wurde am 1. April 1950 im leerstehenden ehemaligen Rathaus der Gemeinde Brauweiler ein provisorisches „Kreiswaisenhaus des Landkreises Köln“ eingerichtet. In Erinnerung an den Gründer der Brauweiler Abtei erhielt es den Namen „Haus Ehrenfried“. 1956 beschloss der Kreistag, diese Übergangslösung aufzugeben und einen Neubau zu errichten, der eigens für die Nutzung als Kinderheim konzipiert sein sollte. Im September 1958 konnte der Umzug in den als „großzügig und modern“ gelobten Gebäudekomplex in Brühl, Liblarer Straße 21 – 25, stattfinden. Ordensschwestern der Kölner „Cellitinnen zur hl. Elisabeth“ leiteten und betreuten das Heim von 1950 bis 1965, unterstützt von weltlichem Erziehungs- und Hauspersonal. Nach dem Weggang der Schwestern wurde auch die Heimleitung in weltliche Hände gelegt: Zunächst übernahm eine examinierte Kindergärtnerin diese Aufgabe, seit 1970 oblag sie drei aufeinanderfolgenden Sozialpädagogen. Mit ihnen veränderte sich das pädagogische Klima 1 Der Landkreis Köln entstand 1816 in der damaligen preußischen Provinz Jülich-Kleve-Berg aus den von 1798 bis 1814 zu Frankreich gehörenden Kantonen Brühl und Weiden und im Arrondissement de Cologne im Département de la Roer sowie der rechtsrheinisch gelegenen Mairie Deutz. Ihm gehörten 13 Bürgermeistereien an, darunter auch Brühl; bis 1974 gehörte der Landkreis Köln (seit 1969: Kreis Köln) zum Regierungsbezirk Köln. 2 Der Brühler Jakob Sonntag (1902 – 1991) wechselte zum 15. April 1926 von seiner bisherigen Dienststelle bei der Stadtverwaltung Brühl zum Kreisjugendamt des Landkreises Köln, St.-Apern-Straße 21. 3 Jakob Sonntag: Fünfzig Jahre Reichsjugend-Wohlfahrts-Gesetz vom 9. Juli 1922. Ein Rückblick auf die Entwicklung der Jugendwohlfahrtsarbeit im Kreis Köln seit der Bildung des Kreisjugendamtes am 1. April 1924 (maschinenschriftliches Dokument, 1972), S. 29. Archiv der Stadt Brühl.
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Einleitung
im „Haus Ehrenfried“ grundlegend, da sie sich an fortschrittlicheren Methoden der Heimerziehung orientierten. Schon im August 1983, nur 25 Jahre nach der feierlichen Eröffnung in Brühl, beendete ein mit knapper Stimmenmehrheit gefasster Kreistagsbeschluss endgültig die Geschichte von „Haus Ehrenfried“, das bis heute das einzige landkreiseigene Waisen- bzw. Kinderheim geblieben ist. Genau 40 Jahre vor dem Umzug des Kreiskinderheims zur Liblarer Straße 21 – 25 war in Brühl ein erstes Kinderheim eröffnet worden. Seine Geschichte begann im Sommer 1918, als das Ende des Ersten Weltkriegs noch nicht einmal absehbar war. Damals erwarben Schwestern aus der apostolisch-missionarischen Ordensgemeinschaft der „Salvatorianerinnen“ ein ehemaliges Hotel, das sich nahe Schloss Augustusburg und wenige Schritte vom Bahnhof entfernt befand. Die Ordensfrauen waren davon überzeugt, dass die durch den Krieg hervorgerufenen Probleme eine gezielte „Fürsorgeerziehung“ für Kinder und Jugendliche zwingend notwendig machten, und sie setzten diese Erkenntnis konsequent um: „Die Salvatorianerinnen erkannten nicht nur die Bedürfnisse dieser Zeit, sondern sie waren auch bereit, vollen Einsatz dort zu leisten, wo die Notsituation sie forderte.“4 Sie planten, verlassenen, verwaisten oder orientierungslosen Kindern und Jugendlichen Schutz, Unterkunft und Verpflegung zu bieten. Bestärkt und tatkräftig unterstützt von einem Brühler Dominikanerpater, der von der Idee einer solchen karitativen Einrichtung für Kinder beseelt war, wagten sie in diesen unsicheren Zeiten die Eröffnung ihres Kinderheims in der Comesstraße 42. Unglückliche Umstände führten dazu, dass die Initiatorinnen ihr engagiert und erfolgreich begonnenes Vorhaben nach knapp zwei Jahren aufgeben mussten. Doch bedeutete dies nicht das Ende des Kinderheims. Die Kölner Ordensgemeinschaft der „Cellitinnen zur hl. Maria in der Kupfergasse“ übernahm fortan die Betreuung der Kinder. Bis 1956 blieben die Schwestern hier tätig, auch nachdem das Kinderheim in den 1940er Jahren aufgelöst und das Haus 1951 in ein Altenheim umgewandelt wurde. Während „Haus Ehrenfried“ vollkommen aus dem Brühler Stadtbild verschwunden ist, besteht das von den Salvatorianerinnen als Kinderheim genutzte Hotelgebäude noch heute. Es beherbergt seit 2005 das Max Ernst Museum des Landschaftsverbands Rheinland (LVR). In Brühl gab es schon lange vor der Gründung des ersten Kinderheims Möglichkeiten, verwaiste oder in Not geratene Kinder zu versorgen. So existierte hier bereits seit 1496 als allgemeiner Zufluchtsort ein Hospital, in dem auch verlassene oder ausgesetzte Kinder beherbergt werden konnten. Als das „Hospitälchen“ Mitte des 19. Jahrhunderts in dieser Funktion nicht mehr zur Verfügung stand, 4 Aus: Luminosa Wimmer SDS: Entwicklungsgeschichte der Deutschen Provinz der Salvatorianerinnen, I. Teil: Niederlassungen, die vom Beginn des E rsten bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges errichtet wurden. Herausgegeben anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Deutschen Provinz, 1976.
Einleitung
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wurden auf Initiative des Oberpfarrers Laurentius Berrisch im Brühler Altstadtbereich zwei neue karitative Einrichtungen realisiert: Eine erste stationäre Versorgung für Kranke sowie eine Kinderbewahranstalt, betreut von „Dernbacher Schwestern der Armen Dienstmägde Christi“. Die Geschichte des „Hospitälchens“, der Kinderbewahranstalt und des Kinder heims der Salvatorianerinnen bildet den Hintergrund für die Geschichte des Kreiskinderheims „Haus Ehrenfried“, die 1926 in Barkhausen an der Porta Westfalica als „mutiges Wagnis“5 ihren Anfang nahm. Für die Recherche wurden Quellen hauptsächlich aus den Archiven in Bergheim, Brühl, Köln und Pulheim ausgewertet.6 Ergänzt durch Berichte von ZeitzeugInnen war es möglich, Auskünfte und Erläuterungen zum alltäglichen Leben in den landkreiseigenen Kinderheimen zu erhalten und in einem eigenen Kapitel nachzuzeichnen.
5 Jakob Sonntag: Kreiskinderheim an der Porta war eine soziale Pioniertat. Kölnische Rundschau, 19./20. Mai 1966 (1966b). 6 Zu den weiteren Archiven s. die Angaben in Kap. 9.
2. Vorgeschichten
2.1 Frühe Findel- und Waisenbetreuung in Deutschland Zu mildtätigem Handeln gegenüber Waisen mahnten schon das Alte Testament und die Psalmen,1 und in der römisch-griechischen Antike wurde die Betreuung von Waisen- und Findelkindern bereits durch soziale Gesetzgebungen geregelt. Seit dem 4. Jahrhundert konnten diese Kinder auch in Klöstern aufgenommen werden, denn päpstliche Erlasse legten fest, dass ein Drittel bzw. ein Viertel der kirchlichen Einnahmen für die Versorgung der Armen verwendet werden sollte.2 Die früheste Gründung einer kirchlichen Institution in Westeuropa, die ausgesetzte oder elternlose Kinder unter ihren Schutz stellte, ist jedoch erst mit der Findelanstalt des Mailänder Erzbischofs Datheus für das Jahr 787 belegt. Findelhäuser entstanden daraufhin in zahlreichen größeren Städten, zunächst vorwiegend in Italien und Frankreich.3 In Köln kümmerte sich Erzbischof Anno II. seit der Mitte des 11. Jahrhunderts um arme und benachteiligte Kinder. In seiner Lebensgeschichte, der „Vita Annonis“, wird er als „ein wahrer Vater der Waisen“4 beschrieben. Rund hundert Jahre s päter soll es Papst Innozenz III. gewesen sein, der den „gewohnten Anblick von Kinderleichen, die den Tiber hinuntertrieben“,5 nicht mehr ertragen konnte und sich dafür einsetzte, diesen Morden Einhalt zu gebieten. So verfügte er 1198, im ersten Jahr seines Pontifikats, an den Außenmauern der Pforten von Klöstern und Findelhäusern Drehladen 6 anzubringen, um ein geheimes und anonymes Aussetzen der Säuglinge zu ermöglichen. Konstruiert war eine Drehlade als 1 5. Buch Mose, Vers 24, 19: „Wenn du dein Feld aberntest und eine Garbe auf dem Feld vergisst, sollst du nicht umkehren, um sie zu holen. Sie soll den Fremden, Waisen und Witwen gehören, damit der Herr, dein Gott, dich bei jeder Arbeit deiner Hände segnet.“ Psalm 146, 9: „Der Herr beschützt die Fremden und verhilft den Waisen und Witwen zu ihrem Recht.“ 2 Die anderen Teile kamen dem Bischof, der Geistlichkeit und dem Kirchenbau zugute, vgl. Horst Fuhrmann: Einladung ins Mittelalter. München, 5. Aufl. 1987, S. 45. 3 Beispielsweise in Siena (im Jahr 832), in Bergamo (982), in Padua (1000), Montpellier (1070), Florenz (1317) und Venedig (Ospedale della Pietà, 1346). Details dazu: Claus Veltmann: Die Entwicklung der Waisenpflege von der Spätantike bis zum 16. Jahrhundert. In: Claus Veltmann, Jochen Birkenmeier (Hg.): Kinder, Krätze, Karitas. Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit. Kataloge der Halleschen Stiftungen 23, Halle 2009, S. 13 – 27. 4 Vita Annonis. In: Monumenta Annonis, Köln und Siegburg. Weltbild und Kunst im hohen Mittelalter. Ausstellung des Schnütgen-Museums der Stadt Köln. Köln 1975, S. 60. 5 Vgl. Josef Maria Niederberger: Kinder in Heimen und Pflegefamilien. Fremdplazierung in Geschichte und Gesellschaft. Bielefeld 1997, S. 36. 6 Drehladen – in Frankreich auch „Drehcylinder“ genannt – sind die Vorläufer der modernen Babyklappen. Die erste dieser Art in Deutschland wurde im April 2000 in Hamburg-Altona eingerichtet.
Frühe Findel- und Waisenbetreuung in Deutschland
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leerer Holzzylinder, auf einem zentralen Zapfen in der Mauer angebracht und zur Hälfte auf einer Seite offen. Auf dem Boden des Zylinders befand sich eine kleine Wiege, in welche das Neugeborene gelegt wurde. Die Kinder wurden meistens in der Abenddämmerung gebracht, von der Mutter oder einer hilfreichen Verwandten wurden sie in die Lade gelegt, die in Italien „torno“ oder „buca“ genannt wurde. […] War das Kind in die Lade gelegt, wurde eine Glocke gezogen und die Lade um 180 Grad gedreht.7
Der Glockenton rief eine Schwester herbei, die sich um das Kind kümmerte und es versorgte. Mit der Einrichtung dieser Drehladen stieg die Anzahl der ausgesetzten Kinder enorm an. Offenbar animierten sie Mütter und Väter, sich auf diese Weise ungewollter Kinder zu entledigen – sie also im wahrsten Sinne des Wortes den kirchlichen Institutionen „anzudrehen“. Zudem führten die Drehladen nur in unerheblichem Maß zur Reduzierung von Kindsmorden, weshalb etliche von ihnen bald wieder abgeschafft wurden.8 Grundlagen für ein institutionalisiertes Hospitalwesen waren im Jahr 816 unter Ludwig dem Frommen geschaffen worden. Das „Hospital“ war ein Ort der Hilfe, Pflege und Ruhe, und hier wurden alle Bedürftigen betreut: Arme und Alte, Kranke und Invalide, Reisende und Pilger, „Sieche“ und „Irre“ – und eben auch verlassene, ausgesetzte Kinder. Sie fanden in diesen Häusern Unterkunft und Verpflegung. Die frühen Hospitäler bildeten sich zu einer umfassenden Einrichtung der Armenfürsorge heraus, auch als „Institutionalisierung der Barmherzigkeit“9 bezeichnet. Meist oblag K irchen und Klöstern die Aufsicht über die Hospitäler; Mönche und Nonnen übernahmen die Pflege der Armen und Kranken. Kirchliche Hospitäler waren damals die einzigen, die Bedürftige kostenlos aufnahmen und behandelten. Zu ihren Aufgaben gehörte vielfach auch die Unterstützung von „Hausarmen“, die nicht in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und daher oft in Häusern von Verwandten, Freunden oder Bekannten mitlebten. Hierzu zählten vor allem die Witwen; zusammen mit den Waisen, Kranken und „Krüppeln“ bildeten sie die traditionelle Armutsgruppe. Anfangs hing die Gründung von Hospitälern fast ausschließlich von Vermächtnissen gut betuchter Bürger und frommer Stiftungen ab. Da das vorrangige Motiv der Bürger und Adligen darin bestand, hiermit zur Rettung ihrer 7 Volker Lehmann: Von der Drehlade zur Babyklappe. In: häb (Hamburger Ärzteblatt) 1/2003, S. 7. 8 In Hamburg wurde im dortigen Waisenhaus noch 1709 eine Drehlade eingerichtet, ausdrücklich zur Verhütung von Kindesmord, die aber aufgrund des großen „Erfolges“ (mehr als 200 abgegebene Kinder in einem Jahr) 1714 wieder geschlossen wurde, vgl. Wolfgang Reinhard: Lebensformen Europas, eine historische Kulturanthropologie. München 2004, S. 235 ff. Vgl. dazu auch Johann Heinrich Pestalozzi: Über Gesetzgebung und Kindermord. Frankfurt/Leipzig 1783. 9 Vgl. Uta Lindgren: Europas Armut. Probleme, Methoden, Ergebnisse einer Untersuchungsserie. In: Saeculum 28, 1977, S. 410.
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Vorgeschichten
eigenen Seele vor der „ewigen Verdammnis“ beizutragen, erwarteten sie von den mit ihren guten Gaben bedachten Armen, Alten und Kranken nur eines: sich zu verpflichten, inständig für das Seelenheil ihrer Gönner zu beten. Im Hospital erfuhren ausgesetzte oder elternlose Kinder meist zwar keine spezifische, immerhin aber eine allgemeine Versorgung. Zuweilen wurden sie dort auf ein Leben als „selbständige Bettler“ vorbereitet: Im Spital lebten die Kinder gewöhnlich zusammen mit den erwachsenen Spitalinsassen: Kranken, Alten, Armen, Pfründnern und durchreisenden Fremden. Gelegentlich gab es eine besondere Kinderstube, in der die Kinder von einer Kindermutter verpflegt wurden. Über die Art der Erziehung ist wenig überliefert. Mit dem siebenten Lebensjahr erachtete man sie meist als alt genug, daß sie ihren Lebensunterhalt selbst durch Betteln erwerben konnten, sodass sie nur noch eine Schlafstelle im Spital brauchten. Zum Teil wurden die Knaben auf Kosten des Spitals zu Handwerkern verdingt, deren Handwerk sie erlernten, die Mädchen kamen in sehr jungen Jahren in einen Dienst.10
Die immer größer werdende Zahl elternloser, ausgesetzter und unversorgter Kinder forcierte die Ausbildung eines differenzierten und spezialisierten Hospitalwesens. Nach und nach etablierten sich seit dem 13. Jahrhundert auch in Deutschland Findelanstalten, s päter kamen Waisenhäuser hinzu.11 Kirchengemeinden, private Stifter und zunehmend auch Kommunen unterstützten und förderten sie. In diesen Häusern wurden die Kinder verwahrt und versorgt, wobei der Schwerpunkt auf religiöser Unterweisung lag, mit dem Ziel, die Seelen der Kinder zu retten. Dennoch war der Umgang mit den Kindern nicht selten von „barbarischer Strenge“12 gekennzeichnet. Hinzu kam, dass viele Findelhäuser weder optimal ausgestattet noch entsprechend geführt waren und überdies häufig überfüllt. Von der Gründung weiterer Findelhäuser erhoffte man sich nicht zuletzt einen Rückgang der immer noch verbreiteten Kindsmorde. Allerdings litten viele Kinder schon bei ihrer Aufnahme ins Findelhaus unter Krankheiten. Und obwohl dort Ernährung und Pflege meist deutlich besser waren als bei den Eltern, trugen die „mitgebrachten“ Krankheiten und weitere ungünstige Bedingungen dazu bei, dass in Findelhäusern eine hohe Sterblichkeitsrate zu beklagen war. 10 Heide Kallert: Waisenhaus und Arbeitserziehung im 17. und 18. Jahrhundert. Frankfurt/M. 1964, S. 2. 11 In Deutschland zählen zu den frühesten Häusern die in Einbeck (1200/1274), Memmingen (13. Jh.), Köln (1341; 1523 wurde in Köln die Versorgung von Findlingen erstmals der städtischen Verwaltung unterstellt), Nürnberg (um 1365), Freiburg/Br. (1376), Augsburg (1471), Straßburg (1481), München (1489), vgl. dazu u. a. Klaus Arnold: Kind und Gesellschaft in Mittelalter und Renaissance. München 1980, S. 46. 12 Vgl. Eckhart Knab: Jugendhilfe im Mittelalter. In: Michael Macsenaere, Klaus Esser, Eckhart Knab, Stephan Hiller (Hg.): Handbuch der Hilfen zur Erziehung. Freiburg/Br., 2014, S. 21.
Frühe Findel- und Waisenbetreuung in Deutschland
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Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) führte die wiederum stark angestiegene Zahl ausgesetzter und verwaister Kinder zu so zahlreichen Waisenhaus-Neugründungen, dass die Jahre zwischen 1650 und 1750 sogar als „Zeitalter der Waisenhäuser“ bezeichnet werden. Doch waren auch hier „verhängnisvolle Mißstände in der Waisenerziehung“13 zu beobachten. Zu diesen Missständen zählte, dass seit dem 17. Jahrhundert Waisenkinder in Zucht- und Arbeitshäusern untergebracht wurden, die im 16. Jahrhundert in den Niederlanden konzipiert worden waren. Hauptmotiv war die Erziehung zur Arbeit, die in einer äußerst inhomogenen Gruppe stattfand: In jedem Fall handelte es sich bei diesen rational strukturierten Zentralanstalten um keine kindgerechten pädagogischen Institutionen, waren der Kontakt zu moralisch schlecht beleumdeten Erwachsenen und der Anblick ihrer harten Züchtigung doch fast unvermeidlich.14
Maßgeblichen Anteil an der Entwicklung und Weiterentwicklung von Fürsorgeeinrichtungen für verlassene und verwaiste Kinder hatte der Pietist August Hermann Francke. Seine Pionierleistung bestand 1696 in der Gründung des nach ihm benannten Waisenhauses in Halle an der Saale 15 sowie weiterer damit verbundener Erziehungsanstalten, die er nach seinen pädagogischen und seelsorgerlichen Grundsätzen leitete. Er wollte die „Kinder zu einer lebendigen Erkenntnis Gottes (…) und zu einem rechtschaffenen christlichen Tun“16 führen, womit er eindrücklich den zentralen pietistischen Impuls seiner Erziehungsauffassung dokumentierte. Doch obwohl sich Francke kritisch gegen Zucht-, Arbeits- und Waisenhäuser richtete, deren Ziele lediglich in Arbeit und Ausbeutung bestanden, entwickelte auch er letztlich ein bedrückendes, auf Askese und Zucht bedachtes Erziehungsprogramm.17 In den meisten Waisenhäusern sah es nicht viel anders aus. So beklagte nicht nur der Aufklärungspädagoge Christian Gotthilf Salzmann, dass dort die Kinder 13 Johannes Dicks: Die stadtkölnische Waisenerziehung von 1520 bis 1825. Diss. Köln 1925, S. 2. 14 Christina Vanja: Waisenhäuser der Aufklärung und der Waisenhausstreit. In: Veltmann u. a. (2009), S. 118. Die Reduzierung der schlimmsten Zucht- und Arbeitsmethoden in den Erziehungsanstalten wurde durch den allmählichen Aufbau eines Schulwesens gefördert, das sich der Erziehung und Bildung auch der Kinder unterer Sozialschichten widmen sollte. 15 1695 hatte A. H. Francke das Armenhaus gegründet. Nachdem er im Sommer 1696 das Pädagogium als Erziehungs- und Bildungsanstalt für Kinder aus Adel und reichem Bürgertum eröffnet hatte, begann er 1698 mit dem Bau des großen Waisenhauses, das er durch den geschickten Einsatz von Spendengeldern ermöglichte. Am 24. Juli 1698 wurde der Grundstein der Franckeschen Stiftungen gelegt; das Hauptgebäude trug die Inschrift: „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler“ ( Jes. 40, 31). 16 Franckes Abhandlung „Kurzer und einfältiger Unterricht, wie die Kinder zur wahren Gottseligkeit und christlichen Klugheit anzuführen sind“ aus dem Jahr 1702 ist die pädagogische Hauptschrift des Pietismus. 17 Vgl. Herwig Blankertz: Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Wetzlar 1982, S. 51.
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Vorgeschichten
„in Not und Verkommenheit“ lebten und dass die Atmosphäre bestimmt wurde „durch eine Mischung aus Arbeit, Prügel und Frömmelei, aus Ordnungssucht, Lieblosigkeit und bornierter Psalmsingerei“.18 Diese Zustände blieben der Öffentlichkeit nicht verborgen und wurden auch öffentlich kritisiert, ebenso wie die Kombination von Manufakturen und Waisenhäusern. Die Diskrepanz z wischen den Erziehungsmaximen der pädagogischen Aufklärer und der Lebenswirklichkeit in den Waisenhäusern führte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Eskalation dieser Kritik im „Waisenhausstreit“, der sich mit der Frage nach dem richtigen Ort für die Pflege und Erziehung verwaister Kinder auseinandersetzte. Dabei beabsichtigten die Aufklärer nicht, die Familienerziehung grundsätzlich als günstigere Alternative zur Unterbringung in pädagogischen Anstalten zu proklamieren. Vielmehr richteten sie ihre Forderungen pauschal auf die Auflösung der Waisenhäuser. Den Aufklärern ging es am Ende des 18. und im frühen 19. Jahrhundert „um die Verwirklichung ihres Ideals einer ‚natürlichen Erziehung‘ von Kindern auf dem Lande“.19 Bestimmend für diese Forderungen war nicht zuletzt die hohe Sterblichkeitsrate unter den Anstaltskindern, die mit mangelhaften Versorgungsstandards in den Heimen ursächlich in Verbindung gebracht wurde. Die Kritik an diesen Zuständen führte zwar dazu, dass teilweise mit Erfolg für den Ausbau des Pflegekinderwesens und die Auflösung einiger Anstalten plädiert werden konnte.20 Jedoch musste dies bald schon korrigiert werden: Es zeigte sich, dass es ihnen dort [in den Pflegefamilien] häufig nicht besser ging. Andere Waisenhäuser wurden reformiert und übernahmen pädagogische Ideen der Aufklärung, während neue Waisenhausbauten verstärkt unter hygienischen Gesichtspunkten geplant und an „gesünderen“ Standorten errichtet wurden 21.
2.2 1496: das Brühler Hospitälchen, ein Zufluchtsort Die älteste dokumentierte Fürsorgeeinrichtung in Brühl war ein Hospital,22 das laut einer Schöffenurkunde vom 4. Oktober 1496 in einem Haus in der Kölnstraße 23 eingerichtet war und sich im Besitz einer in Brühl bereits bestehenden Vermögensreserve befand. Aus diesem Hospitalfonds wurden Unterhaltsgelder für verlassene oder ausgesetzte Kinder gezahlt. 18 Christian Gotthilf Salzmann: Carl von Carlsberg oder über das menschliche Elend. Erster Theil. Leipzig 1783. Faksimiledruck, Bern 1977. 19 Vanja (2009), S. 123. 20 Vgl. Hans Scherpner: Geschichte der Jugendfürsorge. Göttingen 1966, S. 92 – 95. 21 Veltmann u. a. (2009), S. 207. 22 Vgl. dazu ausführlicher: Jutta Becher: Das Brühler Hospital. Zur Geschichte der ältesten karitativen Einrichtung in Brühl. In: Brühler Heimatblätter, 2006. 23 Heute: Kölnstraße 4.
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Abb. 1 Links im Bild: Das alte Brühler „Hospitälchen“ an der Ecke Hospital- und Kirchstraße vor dem Abriss, um 1970.
1726 wurde das Gebäude wegen Baufälligkeit abgerissen, aber schon kurz d arauf konnte die Tätigkeit im Hospital in einem Neubau in der Kirchstraße,24 in unmittel barer Nähe der Pfarrkirche St. Margareta, fortgesetzt werden. Zahlreiche Hospitalrechnungen der Brühler Pfarrei St. Margareta dokumentieren Hilfeleistungen für Bedürftige.25 Die beiden folgenden Beispiele belegen, dass die Rettung ausgesetzter Kinder gelingen konnte, nicht zuletzt mithilfe von Geldern aus dem Brühler Hospitalfonds, vor allem aber aufgrund der Fürsorgeleistung von Privatpersonen: Im ersten Fall handelte es sich um das am 13. Oktober 1752 „in der Mühlengasse vor der Uhlpforte gefundene Kind. Es wird der Frau des Johann Funck in Pflege gegeben; zum Unterhalt sollen jährlich 24 Thaler dem Hospitalfonds entnommen werden.“26 Ferner wurde berichtet, dass am 22. August 1782 „unter dem Thor im Wirtshauß zum Rosenkrantz 27 in der Pferdtskrippen“ ein sechs Wochen altes Kind gefunden wurde. Seine Existenz war gesichert, denn es „wird der Hebamme Agnes Ginster zur Versorgung übergeben und soll sogleich getauft werden“. Außerdem beschloss man, dass „der Rat die nötige Leinwand [d. h. Leinen, z. B. für Bettwäsche] gibt; der Unterhalt soll 24 Anfang des 19. Jahrhunderts wurde dieser Teil der Kirchstraße in „Spitalsgaß“ (heute: Hospital straße) umbenannt. 25 Vgl. Historisches Archiv des Erzbistums Köln: Hospitalrechnungen des Pfarrarchivs St. Margareta in Brühl, Nr. 572 (1717 – 1790). 26 Archiv der Stadt Brühl, Kurfürstenzeit, Ratsprotokolle 1752 – 1783, Akten 6, 1752 – f. 1; Okt. 13. 27 Das Haus Zum Rosenkranz wird schon 1747 von Pfarrer Mauel erwähnt. Seit 1790 wurde es als Wirtschaft genutzt und lag am Wall „binnen der statt Brüell an der Uhlpforten“ (d. h. an der Uhlstraße/Ecke Wallstraße), vgl. dazu Fritz Wündisch: Alte Brühler Hausnamen. In: Brühler Heimatblätter, 1987 (1987a).
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aus Hospitalmitteln geleistet werden; der Agnes Ginster wird das restliche Bürgergeld erlassen“.28 1769 reichte ein in Brühl mit seiner Garnison einquartierter Offizier Klage bei der Stadt ein, in der er sich über die Beherbergung einer ledigen M utter mit zwei Kindern im gleichen Gebäude beschwerte und ihre sofortige Ausweisung verlangte. Zu seinen Argumenten zählten die angeblich kursierenden bösen Gerüchte über die Frau sowie die mutmaßliche Ablehnung und „abschew“ der ebenfalls dort einquartierten Soldaten. Der Offizier bekam Recht mit seiner Klage, und dementsprechend wurde die Frau ausgewiesen.29 Auch die unehelichen Kinder mussten neben schlechten emotionalen und materiellen Bedingungen drastische Strafen und Benachteiligungen verkraften. Sie wurden von den Zünften nicht als Lehrlinge angenommen und durften manches Gewerbe nicht erlernen. Aufgrund ihrer Herkunft erfuhren sie meist sogar im Lauf ihres ganzen Lebens zahlreiche Einschränkungen. Am 22. Juni 1783 verfügte Kurfürst-Erzbischof Maximilian Friedrich, dass „arme sowohl als reiche Kinder das gantze Jahr hindurch ohne Unterlaß zur Schule gehen“ und dass den armen Kindern „so viel wie möglich und vorzüglich beyzustehen“30 und von ihnen kein Schulgeld zu erheben ist. Mit dem Einmarsch der französischen Truppen in die linksrheinischen Lande begann in Brühl am 6. Oktober 1794 die knapp 20 Jahre dauernde Besatzungszeit. Die französische Gesetzgebung und Verwaltungsorganisation ordnete die desolate Situation der Armenfürsorge und etablierte eine Armenverwaltung; die gesamte öffentliche Armenpflege und ihre Stiftungen waren nun Sache der Gemeinde. Es wurde Pflicht, in jeder Mairie (Bürgermeisterei) ein Bureau de Bienfaisance (Wohlfahrtsamt) einzurichten. Ab 1801 widmete sich der Brühler Pfarrer und zeitweilige Maire He(i)nrich Gareis 31 dem neu begründeten Wohlfahrtswesen, d. h. der Fürsorge für Arme und Kranke. Seine Initiative war dringend erforderlich: Schließlich war es vor Beginn der Franzosenzeit allgemein um das Wohlfahrtswesen in Brühl „schlecht bestellt“ gewesen: „Weder der Staat noch die Kirchen noch die Stadt kümmerten sich darum. In Brühl bestand zwar eine Armenkasse, der Hospitalfonds, aber deren Mittel reichten kaum aus, ärgste Not zu lindern.“32
28 Archiv der Stadt Brühl, Kurfürstenzeit, Ratsprotokolle 1752 – 1783, Akten 6, 1782 August 22. 29 Vgl. Archiv der Stadt Brühl, Kurfürstenzeit, Ratsrapiare, Nr. 7.7; zit. n. Adam Wojtala: Obrigkeitlicher Umgang mit Armut in der kurkölnischen Stadt Brühl in den Jahren 1750 – 1794. Magisterarbeit, Köln 2012, S. 18. 30 Zit. n. Fritz Wündisch: Vom Schulwesen im alten Brühl. In: Brühler Heimatblätter, 1959. 31 Heinrich Gareis war von 1793 bis 1815 Pfarrer an St. Margareta und von 1801 bis 1803 gleichzeitig auch Maire (Bürgermeister) bzw. Agent Municipal (Ratsherr) von Brühl. 32 Fritz Wündisch: Aus der Franzosenzeit. In: ders.: Brühl. Mosaiksteine zur Geschichte einer alten kurkölnischen Stadt. Köln 1987, S. 235.
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Wie aus der von Gareis erstellten Einwohnerliste von 1801 ersichtlich, betreute er selbst zu diesem Zeitpunkt ein wenige Monate altes Pflegekind.33 Im gleichen Jahr legte Gareis zudem einen Bericht 34 über die sozialen Verhältnisse vor und beschrieb darin die beengte Situation im Hospital in der „Spitalsgaß“. Es handele sich um „ein altes Holz- und Lehmgebäude in einer abgelegenen Gasse. Es enthält drei Kämmerchen und einen Gemeinschaftsraum mit Ofen. Darin wohnen drei alte Frauen; […] ein größeres Gebäude ist dringend erwünscht, um Kranke und obdachlose Hilfsbedürftige unterbringen zu können.“ Im folgenden Jahr forderte Gareis nochmals dringend Räume für Kranke, denn er musste nach wie vor feststellen, „für Kranke gebe es in Brühl kein einziges Bett“. Ende 1803 berichtete die Wohlfahrtskommission, dass 40 Kranke zu betreuen waren, 24 Kindbetterinnen, 50 Kinder unter 12 Jahren, 18 Invalide und 18 sonstige Hilfsbedürftige. Dennoch lehnte der Innenminister das Gesuch der Wohlfahrtskommission ab, in der Hubertusburg eine Krankenstation und ein „atelier de travail“ (eine Behindertenwerkstatt) einzurichten. Rund 20 Jahre s päter schlug der Kreisphysikus Dr. Carl Anton Werres 35 in seiner „Medizinischen Topographie des Landkreises Köln“36 vor, das Brühler Hospitälchen zu einem Kreishospital oder einer „Irrenanstalt“37 auszubauen, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu verbessern. Allerdings fand diese Anregung keine Zustimmung. Erst 1894 konnte mit der Einweihung des neu erbauten Marien hospitals die Krankenversorgung in Brühl professionell geregelt werden. Zudem war im Landkreis Köln zu Beginn des 19. Jahrhunderts weder eine „Erziehungsanstalt“, noch ein einziges Waisen- oder Findelhaus zu finden. Für Kinder gab es lediglich einige wenige „elementare Schulen“. Deutliche Kritik übte Kreisphysikus Dr. Werres an der Vernachlässigung und mangelhaften Versorgung von Kleinkindern, die entscheidend durch die damals allgemein übliche Erwerbstätigkeit der Eltern bedingt war.38 33 Vgl. Fritz Wündisch (1987), S. 278. Das im Jahr 1801 erstellte Verzeichnis ist lt. Fritz Wündisch „das älteste Brühler Einwohnerverzeichnis“. 34 Vgl. zu den Ausführungen Wündisch (1987), S. 235 f. 35 Der Mediziner Dr. Carl Anton Werres (1785 – 1836) führte in Köln eine Praxis und war einer der vier Armenärzte der Kölner Wohltätigkeitsanstalt, zudem war er Arresthausarzt, Gerichtsmediziner und seit 1819 Kreisphysikus im 1816 gegründeten Landkreis Köln. Werres hatte am 12. Dezember 1824 den Auftrag erhalten, bis zum 1. Juli 1825 eine medizinische Topografie zu erstellen, als regionale Bestandsaufnahme nach einem festgelegten Muster. „Kreisphysikus“ bezeichnete in Preußen den staatlichen Gesundheitsbeamten des Kreises. 36 Vgl. Sabine Graumann (Bearb.): Carl Anton Werres. Der Landkreis Köln um 1825. Preußische Bestandsaufnahme des Landes und seiner Bevölkerung. Köln/Weimar/Wien 2007. 37 1801 hatte F. J. Hertmanni, einer der fünf Mitglieder der Brühler Wohlfahrtskommission, berichtet, dass im Hospital „zwei Verrückte und eine Kranke“ wohnten; vgl. Fritz Wündisch (1987), S. 235. 38 Graumann (2007), S. 35. Werres’ Witwe, Maria Catharina Theresia Wilhelmina geb. Brauweiler (1791 – 1849), unterstützte seine Vorstellungen und eröffnete um 1840 in der Kleinen
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Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das „Hospitälchen“ für karitative Aufgaben genutzt, für die Versorgung „unbegleiteter“ Kinder und auch für die Betreuung alter und gebrechlicher Menschen.39
2.3 1861: eine Kinderbewahranstalt für Brühl 25 Jahre nach dem Vorstoß von Kreisphysikus Dr. Carl Anton Werres hatte der Brühler Oberpfarrer Laurentius Berrisch 40 Erfolg mit seinem Beitrag zur Lösung aktueller sozialer Probleme. Auf seine Initiative wurde am 8. März 1852 in Brühl ein Frauenverein „zum hl. Vinzenz von Paul“41 gegründet, der sich am 8. März 1853 dem Elisabethen-Verein anschloss. Zu dessen Zielen zählte die Hilfe und Unterstützung für Bedürftige, nicht zuletzt durch die Einrichtung von Kinder-Bewahrschulen und Krankenküchen, die Organisation der Pflege von Armen und Kranken und das Engagement in der Fürsorge für Familien.42 Die Mitglieder des Vereins besuchten die Armen in ihren Wohnungen und unterstützten dieselben mit Geld und Nahrungsmitteln usw. […]. Man ging von dem richtigen Gedanken aus, die Armen durch Spinnen und Stricken zu eigenem Verdienst zu verhelfen. Die verarbeitete Leinwand und Strickwaren wurden nach Bedarf für die Armen verwandt, der Ueberschuß verkauft und der Ertrag floß wieder in die Kasse zurück.43 Telegraphenstraße 6 in Köln eine „Kleinkinder-Verwahrschule für höhere Stände“. 39 Nach der Säkularisation in der Franzosenzeit kam das Hospital in den Besitz der Stadt, danach in den Besitz der Pfarrei. Eigentümer im Jahr 1907 war die Armen-Verwaltung Brühl; ab 1921 die Stadt Brühl. Später diente das Gebäude des „Hospitälchens“ als Mietshaus zu „normalen Wohnzwecken ohne jeden Komfort“, vgl. Jakob Sonntag: „Altes Hospitälchen” wird abgerissen. In: Brühler Heimatblätter, 1972 (1972c). 1974 wurde es niedergelegt, um Platz für einen Wendehammer zu schaffen. Damit es nicht in Vergessenheit geriet, ließ die Stadt Brühl das historische Gebäude 1979 durch den Künstler Hans Günther Obermeier ( Jg. 1943) als Fassadenmalerei auf die Brandmauer des Hauses Hospitalstraße 26 aufbringen. 40 Laurentius Berrisch (1803 – 1883) kam am 3. September 1845 als Oberpfarrer nach Brühl; am 28. Juni 1866 wurde er Dechant des Dekanats Brühl. Er blieb bis 1883 in Brühl tätig. Vgl. Johannes Trimborn: Geschichte der Pfarrgemeinde St. Margareta Brühl in den Jahren 1815 – 1888. Hgg. von Hanspaul Heider. Brühl 1993, S. 25. 41 Der französische Priester und Ordensgründer Vinzenz von Paul (1581 – 1660) kümmerte sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts um arme und ausgesetzte Kinder. Sein Engagement machte ihn zum Begründer der neuzeitlichen Caritas. 42 Das Ziel der Elisabethen-Vereine, die Armen und Schwachen in der Gesellschaft zu unterstützen, basierte auf den Gedanken des Vinzenz von Paul. 1840 gründete Anna Weißebach (1811 – 1841) nach seinem Vorbild in Deutschland die Elisabeth-Vereine; in Köln wurde 1849 eine ElisabethKonferenz (als Verein) gegründet. 1868 existierten im Erzbistum Köln bereits 43 Elisabeth-Vereine. Vgl. dazu: Hermann-Josef Scheidgen (Hg.): Ein Jahrhundert Nächstenliebe. Die Geschichte des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln e. V., Köln 2016, S. 15 f. 43 Richard Bertram: Die Brühler Geistlichkeit im Lichte der kirchlichen und örtlichen Ereignisse (1815 – 1888). In: Brühler Heimatblätter, 1920.
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Das große Engagement des Elisabethen-Vereins mag mit dazu beigetragen haben, dass in dieser Zeit das „Hospitälchen“, die älteste Brühler Fürsorgeeinrichtung, aufgelöst wurde. Schon bald nach der Gründung des Brühler Elisabethen-Vereins brachte das Ausmaß der anfallenden Arbeit die aktiven Mitglieder an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Daher beschloss der Vereinsvorstand im September 1860, auf Betreiben von Pfarrer Berrisch, Ordensschwestern der „Armen Dienstmägde Jesu Christi“44 nach Brühl zu holen und somit den karitativen Bestrebungen „die richtige Unterlage und Stütze zu verleihen“. Das erzbischöfliche Generalvikariat erteilte umgehend die „Genehmigung zur Einführung einer Filiale des Ordens der armen Dienstmägde Christi behufs Pflege armer Kranker in den Familien, des Unterrichts armer Kinder in Handarbeiten und einer Verwahrschule für arme Kinder“.45 Daraufhin legten der Elisabethen-Verein und der Orden der Dernbacher Schwestern in einem Vertrag vom 26. Oktober 1860 die gegenseitigen Pflichten fest:46 Leistungen des Vereins: 1. Freie Wohnung für die Schwestern, d. h. mindestens vier Zimmer mit Küche, sowie die Räumlichkeiten, die zur Durchführung ihrer Aufgaben notwendig sind, 2. eine einfache Einrichtung der Wohnung, 3. den Unterhalt der Schwestern, besonders auch die Verpflegung im Krankheitsfalle, 4. alle Reisekosten, auch die der Generaloberin und des Superiors anlässlich der jährlichen Visitationen, 5. jährlich 20 Taler für jede Krankenschwester und 50 Taler für jede Schulschwester an das Mutterhaus, 6. Stellung der nötigen Betrachtungs- und Erbauungsbücher oder Zahlung von jährlich ca. 5 Talern.
44 Die Katholische Ordensgemeinschaft, nach ihrem Mutterhaus auch als Dernbacher Schwestern bekannt, wurde am 15. August 1851 durch Maria Katharina Kasper (1820 – 1898) in Dernbach (Westerwald) im Bistum Limburg gegründet. Haupttätigkeitsbereiche der Dernbacher Schwestern sind heute noch Krankenpflege, Kinderfürsorge, Erziehung und Bildung sowie pastorale Dienste. Die Genossenschaft war seit 1861 in Brühl tätig und versorgte auch das 1894 gegründete Marienhospital. Am 1. April 1967 verließen die Ordensschwestern das Marienhospital. Ihre Grabstätte befindet sich auf dem Brühler Südfriedhof. 45 Vgl. dazu Trimborn (1993), S. 38. 46 Zit. n. Wolfgang Drösser, Josef Meyer: 100 Jahre Marienhospital – 100 Jahre Dienst am Menschen 1894 – 1994. Festschrift zum 100jährigen Bestehen. Brühl 1994, S. 2.
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Leistungen des Ordens: 1. Schwestern nach Brühl zu schicken, die die Kranken des Filialortes, eventuell auch der umliegenden Orte, in ihren Häusern – unentgeltlich – besuchen und pflegen sollen, 2. Kinder zu häuslichen Arbeiten, insbesondere zum Nähen, Sticken und Häkeln anzuleiten. Am 9. Januar 1861 erteilte der Limburger Bischof Peter Josef Blum dem Superior des Mutterhauses zu Dernbach „gerne die oberhirtliche Ermächtigung zur Gründung einer Filiale der armen Dienstmägde Jesu Christi zu Brühl, Erzdiö zese Köln“.47 Die Notwendigkeit, Einrichtungen für die Betreuung, „Verwahrung“ und Beaufsichtigung von Kindern zu schaffen, die jünger als sechs Jahre alt und damit noch nicht schulpflichtig 48 waren, ergab sich wesentlich als Folge der Industrialisierung. Immer mehr Frauen und Mütter mussten als Tagelöhnerinnen oder Arbeiterinnen zum Lebensunterhalt der Familie beitragen und konnten sich nicht in ausreichendem Maße um die Erziehung ihrer Kinder kümmern. Selbst kleine Kinder blieben oft stundenlang unbeaufsichtigt. Um Abhilfe zu schaffen, etablierte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach und nach die öffentliche Kleinkindererziehung. Zunächst gab es „Kleinkinderbewahranstalten“ und „Kleinkinderschulen“, seit den 1840er Jahren auch den von dem Thüringer Pädagogen Friedrich Fröbel 49 begründeten „Kindergarten“, der sich allerdings konzeptionell von den Kinderbewahranstalten unterschied. Eine erste „Aufbewahrungs-Anstalt für kleine Kinder“ in Deutschland gründete am 1. Juli 1802 die regierende Fürstin Pauline zur Lippe in ihrer Residenzstadt Detmold, sodass Kinder arbeitender Mütter nicht mehr sich selbst überlassen waren. Die erste Kleinkinder-Bewahranstalt in Preußen wurde 1814 in Aachen eröffnet. Zu einer stärkeren Zunahme der Betreuungseinrichtungen in Preußen kam es erst seit Mitte der 1840er Jahre, nach den dort 1827 und 1828 erlassenen behördlichen Verfügungen zur Errichtung von Kleinkinderschulen.50 Der Augsburger Lehrer Johann Heinrich Wirth legte im Jahr 1838 ein erstes deutsches Handbuch zur Pädagogik von Bewahranstalten vor. Darin verdeutlichte er sehr präzise den „Zweck dieser Anstalten“: Die Kleinkinderbewahranstalten sind zunächst bestimmt, Kinder vom 2ten bis 6ten Jahre in Aufsicht und Leitung zu nehmen um ihnen entweder die häusliche Erziehung zu 47 Zit. aus dem Abdruck dieser Urkunde. In: Drösser u. a. (1994), S. 2. 4 8 Erst mit der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 konnte die allgemeine Schulpflicht durchgesetzt werden. 49 1782 – 1852. 50 Vgl. Günter Erning, Karl Neumann, Jürgen Reyer (Hg.): Geschichte des Kindergartens. Bd. I, Freiburg/Br. 1987, S. 27 f.
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ersetzen oder dieselbe zu unterstützen.- Eltern, w elche des Broderwerbes wegen an der Erziehung ihrer Kinder gehindert sind, sind es vorzüglich, w elche ihre Kleinen solchen Anstalten übergeben. Uebrigens können noch manche andere häusliche Verhältnisse die Hilfeleistung der Bewahranstalten in Anspruch nehmen. Es kommt dabei vorzüglich auf das Geschäft, das die Eltern betreiben, auf deren Wohnung, Kinderzahl etc. an. Manche Sterbefälle lassen oft die Aufnahme kleiner Kinder in die Bewahranstalt dringend wünschen.51
Neu war damals, dass Wirth diesen Einrichtungen ihren eigenen pädagogischen Wert verlieh, der über das reine Aufbewahren oder das schulische Unterrichten der Kinder weit hinausging. Wirth nahm die kindlichen Lebensbedürfnisse in den Blick und stellte das Spiel in den Mittelpunkt. In Brühl zogen nach der Genehmigung durch den Limburger Bischof die ersten drei Ordensschwestern aus der Genossenschaft der armen Dienstmägde Jesu Christi, die Pfarrer Laurentius Berrisch für Brühl „angeworben“ hatte, im Januar 1861 in ein kleines, um 1800 erbautes Fachwerkhaus in der Belvédèrestraße 18 52 ein, das eigens für diese Niederlassung zum Preis von 750 Talern erworben und für rund 240 Taler instandgesetzt worden war.53 Am 26. November 1861 kam eine vierte Schwester zur Unterstützung hinzu. Bereits im ersten Jahr wurden 61 Kranke gepflegt; im folgenden Jahr waren es schon 76. Zudem galt es, hier eine „Verwahrschule für arme Kinder“ zu leiten und „arme Kinder“ zu häuslichen Arbeiten anzuleiten; vor allem für die Mädchen waren Handarbeiten wie Nähen, Sticken und Häkeln vorgesehen. Diese Fertigkeiten sollten auf die Rolle als Hausfrau vorbereiten und dazu beitragen, später auch mit geringen Mitteln einen ordentlichen Haushalt führen zu können oder als Dienstmädchen durch Kenntnisse im Nähen, Stopfen und Flicken die Wäsche im Haushalt der Arbeitgeber instandzuhalten.54 Da das Gebäude in der Burgstraße schon bald den wachsenden Erfordernissen nicht mehr genügte – immerhin besuchten durchgehend 50 – 60 Kinder diese Bewahrschule 55 –, wurde es am 2. März 1866 veräußert. Die Pfarrgemeinde St. Margareta kaufte ein größeres Haus in der Uhlstraße 72 – das ehemalige Haus 51 Johann Georg Wirth: Ueber Kleinkinderbewahranstalten. Eine Anleitung zur Errichtung solcher Anstalten so wie zur Behandlung der in denselben vorkommenden Lehrgegenstände, Handarbeiten, Spiele und sonstige Vorgänge. Augsburg 1838. 52 Das heutige Haus Burgstraße 18 wurde um 1800 als zweigeschossiges Fachwerkhaus erbaut. Dass „ein kleines Pförtchen an der Haustür Nr. 18, das an das alte Klösterchen erinnert“, verschwunden ist, erwähnt Bertram (1920). 53 Vgl. Bertram (1920). 54 Im Königreich Preußen wurde am 15. Oktober 1872 durch den Erlass der „Allgemeinen Bestimmungen“ des königlich-preußischen Ministers der Handarbeitsunterricht für Mädchen an den preußischen Volksschulen obligatorisches Unterrichtsfach – nicht zuletzt, um zur „Häuslichkeit und zum Hausfleiß“ zu erziehen. 55 Vgl. Bertram (1920).
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Zum Rosenkranz 56 –, das die Dernbacher Schwestern der Armen Dienstmägde Christi einen Monat später, am 9. April 1866, beziehen konnten. In diesem Haus war neben ambulanter Krankenpflege nun, nach entsprechenden Umbauten, auch eine stationäre Behandlung möglich. Ab Anfang 1867 unterstützte eine fünfte Schwester die Arbeiten im Hause. 1884 wurde „im Hofe des Klosters aus milden Beiträgen ein neues Haus für männliche Kranke gebaut“, heißt es in der Chronik der Dernbacher Schwestern.57 In der anliegenden Scheune richtete man zudem eine Kapelle ein. Später wurde das Haus nochmals erweitert, als die kath. Kirchengemeinde das Haus Wallstraße 2 erwarb. Doch waren auch die Räumlichkeiten in den beiden Gebäuden an der Uhl- und Wallstraße aufgrund der ständig steigenden Zahl der Patienten, die ambulant wie stationär zu versorgen waren, bald nicht mehr ausreichend. Auch Pfarrer Richard Bertram 58 hatte schon kurze Zeit nach seinem Amtsantritt im Jahr 1888 erkannt, dass in Brühl unbedingt eine angemessene Krankenbetreuung und -versorgung sichergestellt werden müsste. Er setzte sich intensiv für den Bau eines modernen Krankenhauses in seiner Gemeinde ein; am 18. September 1894 wurde es als „Marienhospital“ in der Mühlengasse eingeweiht.59 Der Krankenhausneubau ermöglichte die Trennung von dem „alten Kranken haus“. Richard Bertram notierte in der Pfarrchronik, dass am 20. Februar 1899 das in der Uhlstraße 72 befindliche „alte Krankenhaus […] zum Preis von 14.200 Mark an die Geschwister Litterscheidt verkauft“ wurde. Ausgeschlossen von dem Verkauf waren die in dem Komplex untergebrachten Räumlichkeiten für die Kleinkinderbewahrschule.60 1868 wurden in der Filiale der Dernbacher Schwestern im Haus Uhlstraße 72 zusätzlich zu den Kindern der Bewahrschule 12 – 13 Waisenkinder beherbergt und versorgt. Die Schwestern waren durch die Krankenpflege zunehmend in Anspruch genommen, sodass es immer schwieriger wurde, die Betreuung der Kinder fortzusetzen. Zur Aufgabe der Kinderbetreuung waren die Schwestern letztlich durch eine staatliche Verordnung gezwungen. In ihrer Chronik findet sich dazu lediglich der lapidare Satz: „Wir erhielten im April 1876 von der Regierung die Weisung, die Kinder bis 1. April aus dem Kloster zu entlassen.“ Darüber hinaus sind in der Chronik der Dernbacher Schwestern keine weiteren Einträge notiert, die Auskünfte oder Erläuterungen zu der angeordneten Entlassung der Kinder aus der Bewahranstalt geben. 56 Zum Haus Zum Rosenkranz vgl. Anm. 27. 57 Die Kopie dieser handschriftlichen Chronik stellte mir freundlicherweise der Brühler Historiker und Autor Wolfgang Drösser zur Verfügung. 58 Richard Bertram (1834 – 1920) kam 1888 als Pfarrer nach Brühl. Er wurde 1896 zum Dechant ernannt. 59 Es war so frequentiert, dass schon 1897/98, 1905 und 1908 Erweiterungsbauten erstellt werden mussten. Weitere Details zur Geschichte des Marienhospitals in: Drösser u. a. (1994). 60 Vgl. Pfarramt St. Margareta, Brühl: Pfarrchronik 1888 – 1935, S. 49. Die Geschwister Litterscheidt eröffneten in dem Gebäude Uhlstraße 72 ein Geschäft für Kurz-, Weiß- und Wollwaren.
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Die „Weisung der Regierung“ war eine Folge des „Kulturkampfs“, des damals herrschenden Konflikts zwischen Staat und Kirche. Für die Orden war in d iesem Zusammenhang von besonderer Relevanz das Gesetz, das am 31. Mai 1875 in Kraft trat und mit dem der preußische Staat erneut in das kirchliche Leben eingriff: „Wilhelm I., König von Preußen. Gesetz, betreffend die geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen K irche. Vom 31. Mai 1875. § 1: Alle Orden und ordensähnliche Kongregationen der katholischen K irche sind […] von dem Gebiete der Preußischen Monarchie ausgeschlossen.“ Das Gesetz war binnen sechs Monaten zu befolgen, mit einer Einschränkung: „§ 2: Niederlassungen der Orden oder ordensähnlichen Kongregationen, w elche sich ausschließlich der Krankenpflege widmen, bleiben fortbestehen“. Dennoch wurden sie durch restriktive Maßnahmen in ihrer Tätigkeit behindert. Erst mit dem „Milderungsgesetz“ vom 14. Juli 1880 konnten die krankenpflegenden Genossenschaften wieder „die Pflege und Unterweisung von Kindern, die sich noch nicht im schulpflichtigen Alter befinden, als Nebentätigkeit übernehmen“.61 1885 endete für die Kölner Kirche der Kulturkampf, als Bischof Philipp Krementz am 30. Juli durch Papst Leo XIII. zum neuen Erzbischof von Köln ernannt wurde. Mit dem „Friedensgesetz“ vom 21. Mai 1886 erhielten die Krankenpflegegenossenschaften die nun deutlich weitergehende Erlaubnis zur „Übernahme der Pflege und Leitung in Waisenanstalten, Armen- und Pfründenhäusern, Rettungsanstalten, Asylen und Schutzanstalten, Arbeiterherbergen, Mägdehäusern, sowie auf die Übernahme der Leitung und Unterweisung in Haushaltsschulen und Handarbeitsschulen für Kinder im nicht schulpflichtigen Alter“.62 Der Betrieb der Brühler Bewahranstalt wurde erst 1891, elf Jahre nach dem „Milderungsgesetz“, wieder aufgenommen, allerdings im Gebäude der kath. Mädchenschule, die seit 1818 im ehemaligen Krankenhaus 63 des Franziskanerklosters in der Uhlstraße 21 untergebracht war und aus Platzgründen 1888 in einen Neubau in der Friedrichstraße 64 umzog. Das dadurch freigewordene Haus in der Uhlstraße wurde der katholischen Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt. So 61 Gesetz vom 14. Juli 1880, Art. 6, zit. n. Ernst-Rudolf Huber, Wolfgang Huber: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. II, 2014, S. 819. 62 Gesetz vom 21. Mai 1886, Art. 13, zit. n. Huber u. a. (2014), S. 869. Am 23. Mai 1887 erklärte Papst Leo XIII. den „Kampf, welcher die Kirche schädigte und dem Staat nichts nützte“, für beendet. 63 Dieses Krankenhaus war 1668 als separates Gebäude neben dem Franziskanerkloster, an der Westseite des Klostergartens, erbaut worden. 1783 hatten zwei Franziskanerpatres darin die Knabenschule eingerichtet. 64 Da die Regierung in der Uhlstraße einen Erweiterungsbau für die Schule ablehnte und von Brühl verlangte, an anderer Stelle eine neue Mädchenschule zu errichten, erwarb die Stadt 1886 ein Grundstück in der Friedrichstraße. Der Schulneubau befand sich gegenüber der 1884 erbauten Synagoge (zerstört am 9./10. November 1938). Wiederum aus Platzgründen zog die Mädchenschule 1920 um ins Alumnat, Clemens-August-Straße.
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Vorgeschichten
Abb. 2 Das Gebäude des ehemaligen Franziskanerkrankenhauses, erbaut 1668. Die Fassade ist mit einem Zwerchgiebel versehen, der entsprechend der Entstehungszeit barocke Zierelemente aufweist. Das Foto entstand um 1900, als die Gebrüder Zingsheim in diesem Haus und dem Nachbargebäude ihr „Erstes Brühler Möbelhaus“, Uhlstraße 21 – 23, führten.
konnte Richard Bertram in der Pfarrchronik von St. Margareta berichten, dass am 8. Juli 1891 „die Kinderbewahrschule in der ehemaligen Mädchenschule in der Uhlstraße durch die Schwestern ‚arme Dienstmägde Christi‘“ eröffnet und „schon am ersten Tage von 50 Kindern besucht“ wurde.65 Räume, die die Bewahrschule nicht nutzte, wurden als Wohnungen vermietet. 1898/99 erwarb Schreinermeister Bertram Zingsheim 66 das Gebäude und erweiterte damit sein kleines Möbelgeschäft, das er seit 1889 im Nebenhaus mit einer Schreinerei betrieben hatte. Der Verkauf des Hauses an Bertram Zingsheim erforderte einen weiteren Umzug der Kinderbewahrschule, diesmal in die Gebäude in der Wallstraße 2a, die nach wie vor der Kirchengemeinde gehörten. Im Adressbuch der Stadt und Bürgermeisterei Brühl aus dem Jahr 1904 ist die „Kinder-Bewahr-Anstalt“ dementsprechend eingetragen mit „Dechant Bertram als Vorsteher und Schwester Thasilla als Leiterin“; ein gleichlautender Eintrag findet sich im Brühler Adressbuch von 1907. Dort liest man zusätzlich den Hinweis „Neubau Mühlengasse 20 im Bau begriffen“. Dieses Bauvorhaben war erforderlich, weil sich die Bewahrschule in der Wallstraße bald als zu klein erwiesen hatte. Im Februar 1907 begann man mit der Errichtung des kath. St. Josephshauses, das für die Nutzung als Bewahr- und Nähschule und als Vereinslokal vorgesehen war. Schon Ende des Jahres konnten dort erste Feiern abgehalten werden. „Die Weihnachtsfeier fand dieses Jahr am 22. Dezember für die Bewahrschüler [und] am 23. Dezember für die Kranken im Vereinssaale des neuen St. Josephshauses statt“, liest man in der Chronik der Dernbacher Schwestern. 65 Aus der Chronik der Dernbacher Schwestern. 66 Vgl. dazu auch Hans-J. Rothkamp: Bertram Zingsheim gründete 1889 in Brühl das erste Möbelhaus zwischen Köln und Bonn. In: Brühler Bilderbogen, April 1988.
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Am 16. Januar 1908 veräußerte die kath. Kirchengemeinde die alte Kinderbewahrschule in der Wallstraße 2a an den Schlossermeister Heinrich Wichterich. Drei Tage s päter, am 19. Januar 1908, wurde das St. Josephshaus „durch seine Eminenz Kardinal Erzbischof Fischer von Köln feierlich eingeweiht und am 23. Januar die Bewahrschule, am 3. Februar die Nähschule darin eröffnet“.67 Die Kinderbewahrschule zog ins Erdgeschoss ein. In der Tagespresse erfuhr man Details zur Zweckbestimmung des St. Josephshauses: Es sollte „das Zentrum der katholischen Vereinsarbeit in Brühl bilden. Sowohl die Kleinen, die der Obhut der Schwestern anvertraut sind, als auch die heranwachsende Jugend, die in dem Hermann-Josef-Verein und der Marianischen Jungfrauenkongregation zusammengeschlossen ist, soll hier eine Heimstatt finden.“68 Seit der Ausgabe des Brühler Adressbuchs von 1912/13 findet man das Josephshaus unter „Katholische Kirchengemeinde, St. Josephshaus Vereinshaus. Mühlengasse 20. Nähschule und Kinderbewahrschule (geleitet jeweils von Schwestern), morgens ½ 9 – 12 Uhr, nachm. ½ 3 – 6 Uhr“. Mit Beginn des E rsten Weltkrieges am 1. August 1914 wurde die Näh- und Bewahrschule vorübergehend geschlossen und einige ihrer Räumlichkeiten als Krankensaal bzw. als Verbandszimmer eingerichtet. Bereits am 28. September 1914 konnte die Bewahrschule wieder eröffnet werden. Begründet wurde dies mit den Zeitumständen: Die Bewahrschule weiter zu führen zeigte sich jedoch bald als sehr notwendig besonders für jene Familien in denen der Mann zum Heeresdienst eingezogen und die Frau durch ihrer Hände Arbeit die Familie zu ernähren hatte. Deshalb wurde beschlossen das der kath. Kirchengemeinde gehörige in der Uhlstraße gelegene Local dafür einzurichten.69
Schon im Mai 1916 wurde die Bewahrschule ins St. Josephshaus zurückverlegt. Dechant Richard Bertram hatte einen Antrag an die Militärverwaltung gestellt und konnte damit die Freigabe des Vereinshauses erwirken. Bis Ende des Jahres speisten mittags 50 Kinder in der Bewahrschule unentgeltlich und wurden von den Damen des Elisabethen-Vereins von 12 bis 13.30 Uhr beaufsichtigt. Im folgenden Kriegsjahr war die Lebensmittelknappheit so groß, dass die Schwestern lediglich noch 20 armen Kindern aus der Bewahrschule ein Mittagessen anbieten konnten. Auch die Nähschule im St. Josephshaus nahm ihren Betrieb für Schulkinder und die aus der Schule entlassenen Mädchen wieder auf.
67 Aus der Chronik der Dernbacher Schwestern. 68 Pfarramt St. Margareta, Brühl: Pfarrchronik 1888 – 1935, S. 75 (Zeitungsausschnitt). 6 9 Aus der Chronik der Dernbacher Schwestern. Die kath. Kirchengemeinde bzw. die „Pfarrgemeinde Brühl“ besaß zu d iesem Zeitpunkt in der Uhlstraße auch das Haus Nr. 66 und das Haus Nr. 8.
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Nach Ende des Krieges besetzten Engländer die Stadt und beschlagnahmten auch das St. Josephshaus. Ende November 1919 räumten sie es, und die Bewahrschule konnte wieder eröffnet werden. Dafür hatten die Schwestern persönlich einen entsprechenden Antrag bei der englischen Behörde gestellt. Die Nähschule, die während des Krieges zeitweise ausfallen musste, konnte ebenfalls fortgesetzt und nun kontinuierlich betrieben werden. Seit dem 15. April 1920 wurde sie von rd. 60 Schülerinnen bzw. schulentlassenen Mädchen besucht. Im Adressbuch von 1938/39 wird das St. Josephshaus als „kath. Vereinshaus“ beschrieben sowie als „Kindergarten, geleitet von Schwestern, vorm. 8 ½–12, nachm. 1 ½–4 Uhr“. Der Begriff „Kinderbewahrschule“ wurde nun nicht mehr verwendet, auch wird die Nähschule nicht erwähnt. Dennoch steht für 1939 in der Chronik der Dernbacher Schwestern, dass sowohl Näh- als auch Bewahrschule trotz des Beginns des Zweiten Weltkrieges am 1. September „ungestört weitergeführt werden“ konnten. Im Adressbuch von 1941/42 ist neben dem Kindergarten die Nähschule wieder verzeichnet. Allerdings verloren die Schwestern am 8. Juni 1941 die Genehmigung zur Führung eines Kindergartens; ihn übernahm nun die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV ), eine Parteiorganisation der NSDAP . Die Räume im St. Josephshaus wurden mitsamt der Einrichtung beschlagnahmt. Dennoch blieben die Schwestern hartnäckig: „Schw. Aquilla mit ihrer Helferin und zwei Mädchen wurden zur Weiterarbeit verpflichtet. Unter der Bedingung, den Kinder garten wie bisher weiterführen zu dürfen, übernahmen wir die Weiterarbeit.“ Auch die Nähschule war im ganzen Jahr 1941 gut besucht.70 Am 30. September 1943 erfolgte „auf Befehl des Kreisleiters“ [Heinrich L oevenich 71] dann doch die Schließung des Kindergartens. Die Schwestern notierten: Die Mütter wurden aufgefordert, ihre Kinder in den N. S. V. Kindergarten in der Kaiserstraße zu schicken. Die Eltern erhoben gegen diese Anordnung Protest und so wurde der Kindergarten am 2.10. wieder eröffnet. Die Freude sollte jedoch nicht lange dauern. Am 12.10. wurde Schw. Aquilla durch eine braune Schwester abgelöst. Das Personal mußte bleiben. Der Kindergarten wurde in Brühl seit dem Jahre 1891 von unseren Schwestern geleitet und war es uns schwer, unsere lieben Kleinen der N. S. V. zu übergeben.72
Es sollte noch schlimmer kommen: Am 28. Dezember 1944 legte ein schwerer Bombenangriff der Alliierten weite Teile der Stadt Brühl in Schutt und Asche; auch das Josephshaus wurde völlig zerstört 73. 70 Aus der Chronik der Dernbacher Schwestern. 71 Heinrich Loevenich (1896 – 1965) war von 1934 bis 1945 Landrat des Landkreises Köln.1926 trat er der NSDAP bei und war von 1927 bis 1937 deren Kreisleiter im Bereich des Landkreises Köln. 72 Aus der Chronik der Dernbacher Schwestern. 73 Zerstört wurden bei d iesem Angriff zahlreiche Häuser in Brühl, nicht zuletzt auch das Gebäude der früheren Kinderbewahranstalt in der Uhlstraße 21 und in der Uhlstraße 72/Wallstraße 2/2a.
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So war der Kindergarten der Dernbacher Schwestern von einer bewegten Geschichte gekennzeichnet: 1861 als „Verwahrschule für arme Kinder“ in der Burgstraße gegründet, 1876 vorübergehend aufgelöst und 1891 in der Uhlstraße wieder eröffnet. Der nächste Umzug führte die „Kinder-Bewahr-Anstalt“ in die Wallstraße 2a, um von da aus im 1908 eröffneten St. Josephshaus eine neue Bleibe zu finden. Obwohl das Josephshaus im Krieg zerstört worden war, gelang es den Dernbacher Schwestern bereits am 2. Oktober 1945, ihren Kindergarten wieder zu eröffnen, zunächst im Gebäude der früheren Taubstummenanstalt bzw. Landbauschule an der Schützen-/Ecke Friedrichstraße.74 Dort reichten die Räumlichkeiten für die zahlreichen Anmeldungen nicht aus: Platz war lediglich für 180 Kinder, alle weiteren mussten abgewiesen werden. Am 2. Februar 1946 konnte die Nähschule im wieder aufgebauten Marienhospital eröffnet werden; sie wurde von rd. 60 Mädchen besucht. Nach knapp drei Jahren in der ehemaligen Taubstummenschule zog der Kindergarten 1948 in eine umgebaute alte Wehrmachtsbaracke in der Mühlenstraße. Sie befand sich an der gleichen Stelle wie das frühere St. Josephshaus. Hier wurden 120 Kinder betreut.75 Auch bei den „Dernbachern“ machte sich der Schwesternmangel bemerkbar, und infolgedessen wurde Schwester Dulcitia, die Leiterin der Nähschule, Ende Januar 1955 abberufen. „Somit mußten wir, mit dieser Versetzung, diese schöne Einrichtung, die in den vergangenen Jahren soviel Segen stiftete, mit schweren Herzen schließen“, bedauern die Dernbacher Schwestern in ihrer Chronik. Zudem übernahm die Kath. Kirchengemeinde St. Margareta am 1. April 1955 den Kindergarten. „Aber unsere Schwester Euphronia blieb als Leiterin weiter bei den Kleinen, was uns sehr freute.“ Die Dernbacher Schwestern hatten bis zu diesem Zeitpunkt 94 Jahre lang in eigener Regie Kinder in ihrer „Bewahranstalt“ versorgt. Das Kindergarten-Provisorium in der Baracke in der Mühlenstraße blieb mehr als 20 Jahre bestehen. Nach längeren Verhandlungen mit der Stadt erhielt die Gemeinde St. Margareta für den Neubau des Kindergartens das Gelände der ehemaligen Stadtmühle, ebenfalls in der Mühlenstraße. Ein Teil der Mühlengebäude war im Zweiten Weltkrieg zerstört und nicht mehr aufgebaut worden. „Jetzt will die Stadt im Tausch das Gelände an die Kirchengemeinde übergeben, die dort einen neuen, dringend nötigen Kindergarten errichten wird“, erläuterte Jakob Sonntag damals die Planungen.76 Nach zweijähriger Bauzeit wurde das Gebäude im Frühjahr 1972 eingeweiht. 74 Straßenname heute: An der Synagoge. Seit 1980 ist dort die Volkshochschule (VHS) untergebracht. 75 Vgl. Sonntag (1972), S. 33. 7 6 Vgl. Jakob Sonntag: Die alte Brühler Stadtmühle fällt für einen Kindergarten. In: Kölnische Rundschau, 20. Januar 1966; vgl. auch ders.: Auch das gehört zur Stadtgeschichte: Neuer Kindergarten auf historischem Gelände. In: Brühler Heimatblätter, 1972 (1972c).
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Abb. 3 Der Kindergarten St. Margareta, Mühlenstraße, im Jahr 1949. Die Baracke ist im Hintergrund erkennbar.
Seit dem 1. Januar 2007 befindet sich die katholische Tageseinrichtung St. Margareta, Mühlenstraße 85a, in Trägerschaft des SkF (Sozialdienst katholischer Frauen) Rhein-Erft-Kreis e. V.
2.4 1918: Salvatorianerinnen eröffnen ihr Kinderheim im „Pavillon“ Für elternlose oder ausgesetzte Kinder war das Brühler „Hospitälchen“ jahrhundertelang der Ort gewesen, in dem sie untergebracht und versorgt werden konnten. Nachdem es seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr diesem Zweck diente, gab es für Kinder zwar seit 1861 die von den Dernbacher Schwestern geleitete Bewahranstalt, jedoch keine feste Einrichtung für verwaiste oder verlassene Kinder mehr. Dies änderte sich, als im Sommer 1918 von Salvatorianerinnen das erste „Heim für Fürsorgekinder“ in Brühl eröffnet wurde: im ehemaligen Ausflugs- und Vergnügungslokal in der Comesstraße 42, das unter der Bezeichnung „Hotel Pavillon“ über die Grenzen Brühls hinaus bekannt und beliebt gewesen war. König Friedrich Wilhelm IV.77 hatte 1842 beschlossen, Schloss Augustusburg in die Reihe der königlich-preußischen Schlösser aufzunehmen und es als Residenz 77 1795 – 1861, preußischer König seit 1840.
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im Rheinland zu n utzen. Er ordnete eine durchgreifende Restaurierung und Neuausstattung des Schlosses und eine gärtnerische Umgestaltung des Parks zu einem „Englischen Garten“ an. Brühl hatte durch diese Maßnahme wieder einen repräsentativen Mittelpunkt zu bieten. Einen wichtigen Impuls für den wirtschaftlichen Aufschwung Brühls brachte die Eröffnung der Eisenbahnstrecke Köln–Bonn–Koblenz am 15. Februar 1844. Die kleine Stadt mit ihren rd. 2000 Einwohnern 78 war zu diesem Zeitpunkt noch recht übersichtlich, jetzt aber an das überörtliche Verkehrsnetz angeschlossen und ein wichtiger Zwischenhalt zwischen Köln und Bonn. Mit dem Bau der Eisenbahnlinie Köln–Brühl–Bonn setzte für Brühl eine Zeit des wirtschaftlichen und sozialen Aufstiegs ein. Durch die neu geschaffene Verkehrsverbindung rückte Brühl der Stadt Köln näher, übernahm für einige Jahrzehnte die Rolle einer Villenund Gartenstadt und wurde zum Ausflugsziel der näheren Umgebung. Wohlhabende Kölner und pensionierte Militärangehörige entdeckten die vornehme Wohnatmosphäre Brühls und errichteten großzügige Villen mit parkartigen Gärten. Zu dieser Entwicklung trug auch der zeitweilige Aufenthalt des preußischen Königshauses im Schloss Augustusburg bei.79
In der Erwartung einer wirtschaftlichen Blütezeit für Brühl ließ der Kaufmann Peter Granthil im Herbst des Jahres 1844 an der früheren kurfürstlichen Reitbahn, in unmittelbarer Nähe zur preußischen Residenz Schloss Augustusburg, ein Ausflugslokal mit Restauration erbauen. Um sich ganz d iesem Vorhaben widmen zu können, hatte er im Vorjahr den in der „Cölnstraße“ gelegenen Burbacher Hof verkauft, der sich zehn Jahre in seinem Besitz befunden hatte. Für das neue Lokal wählte Granthil den Namen „Pavillon“. Er konzipierte es als gehobenes, seriöses Vergnügungsetablissement, vorzugsweise für die Bewohner der benachbarten Großstädte. Wie andere örtliche Hoteliers 80 und Gastwirte auch, profitierte Peter G ranthil nicht zuletzt davon, dass die Einwohnerzahl in Brühl stetig anwuchs – auch die der „gut betuchten“ – und Brühl nun ein beliebtes Ziel für Ausflügler war. Deshalb 78 „Brühl zählt 300 Häuser und ungefähr 2000 Einwohner, meistens Handwerker, Kleinhändler und Ackerer.“ Zit. aus der Chronik des Pfarrarchivs von St. Margareta, zit. n. Trimborn (1993), S. 16. Zum Stichtag 1. Dezember 1906 waren es bereits 7415 Einwohner. Zu den Berufen zählten nach wie vor überwiegend „Handwerker, kleine Geschäftsleute, Ackersleute und Tagelöhner“, vgl. Brühler Straßen vor 30 bis 50 Jahren. In: Brühler Heimatblätter, 1922. 79 Marie-Luise Sobczak: Vom Brühler Pavillon zum Max Ernst Museum. In: Brühler Heimatblätter, 2005. 8 0 Erwähnt sei an dieser Stelle beispielhaft das Hotel „Belvedere“, das 1817 als Gastwirtschaft von Engelbert Weisweiler in der ehemaligen, um 1740 errichteten „Hubertusburg“ (Burgstraße 11), einer Unterkunft für das Jagdpersonal des Fürstbischofs Clemens August, eröffnet worden war. Neben dem Hotel „Pavillon“ wurde es bereits 1849 in Karl Bädekers Reiseführer „Rheinreise von Basel bis Düsseldorf“ als empfehlenswert angepriesen: „Pavillon und Belvedere sind als Gasthäuser zu empfehlen; bei Barion an der Kölner Landstraße gut und billig.“ Das Hotel Barion existierte, wie der „Pavillon“, bereits 1844.
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richtete er sich mit seinen Werbemaßnahmen vornehmlich an die zahlungskräftige Kundschaft. Perfekt war die Lage seines Anwesens mit der Nähe zu Bahnhof, Schlosspark und Innenstadt. So konnte Granthil sicher davon ausgehen, dass sich Investitionen in seine Immobilie stets rentieren würden. Er vergrößerte und modernisierte sein Haus um 1865 und bezeichnete es nun als „Pavillon-Hotel“, das er 1870 nochmals umbaute und erweiterte.81 Zwei Seitenflügel waren inzwischen entstanden, sodass der „Pavillon“ mit seinem äußeren Erscheinungsbild als Dreiflügelanlage das königliche Schloss Augustusburg zitierte. 1890 wurde der „Pavillon“ an den Hotelier Franz Kluth verkauft. Auch dieser Besitzer erweiterte das Haus und nannte es „Hôtel, Kurhaus & Pension“. Nach Kluths Tod im Dezember 1906 veranlasste seine Witwe Mathilde in den Jahren 1907/08 einige Veränderungen an dem Gebäude und warb mit ihrem Hotel als „Elegantes u. grösstes Ball- und Gartenlokal. Comesstraße 42“. Im Brühler Adressbuch für das Jahr 1907 schaltete sie eine Werbeanzeige, in der sie darauf hinwies, dass sich das Hotel Pavillon „2 Minuten vom Bahnhof vis-à-vis des Kgl. Schlossparks“ befinde und dass es hier „Täglich um 1 Uhr Table d’hote nebst reichhaltigen Tagesplatten, sowie guten Kaffee, Reine Weine erster Firmen, Maiwein, Erdbeer- und Pfirsich-Bowle etc.“ gebe, und „Garderobe für Fahrräder. Stallung für Pferde. Hochachtend Frau Wwe. Kluth“. Das gepflegte und vornehme Hotel „Pavillon“ war und blieb also überaus gefragt – nicht nur bei den Brühlern, sondern auch bei den Bewohnern der umliegenden Städte, die gerne anreisten, um hier zu Gast zu sein. Ein Zeitzeuge schilderte begeistert: Gutgestellte Bürgerfamilien aus Köln kamen während der schönen Monate in eigenen oder Mietwagen am Sonntag Nachmittag nach Brühl hinausgefahren, sodass die lange Zeile der Fuhrwerke die ganze Comesstraße bis weit in die Kölnstraße säumte, um im Pavillon den K affee einzunehmen, das Schloss und den Park zu besuchen, sich nachher an einem ausgezeichneten Abendessen zu laben und zum Schluss zu einer Bowle ein gutes Konzert zu hören oder ein Tänzchen zu wagen.82
Auch seitens der Brühler Geistlichkeit an St. Margareta wurde der „Pavillon“ bevorzugt als erste Adresse für Feierlichkeiten genutzt. So berichtete etwa die „Brühler Zeitung“ am 11. Mai 1914 über die Abschiedsfeier für einen Präses, die zugleich als Einführung seines Nachfolgers stattfand. Veranstaltet wurde sie im „Pavillon“ vom Katholischen Arbeiterverein.83 81 Einzelheiten zu den Bauphasen des Gebäudes finden sich auch in der detaillierten und reich bebilderten Dokumentation von Karl Herbert Oleszowsky: Vom Brühler Pavillon über das Benediktusheim zum Max Ernst Museum in Brühl. Brühl 2007. 82 Peter Zilliken: Die Villenstadt. In: Brühler Heimatblätter, 1956. 83 Vgl. Pfarramt St. Margareta, Brühl: Pfarrchronik 1888 – 1935, S. 125.
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Abb. 4 Werbeanzeige aus dem „Brühler Adressbuch“ von 1907.
Wenige Wochen s päter, am 28. Juni 1914, beging die St. Sebastianus-Schützenbruderschaft ihr 400-jähriges Bestehen mit einem Festakt im Hotel „Pavillon“, im Anschluss an ein feierliches Hochamt, das vom Ehrenmitglied des Vereins, Dechant und Oberpfarrer Msgr. Bertram, zelebriert worden war.84 In einer Festschrift der Brühler Schützenbruderschaft, die anlässlich d ieses „Jubelfestes“ erschien, machte die Eigentümerin des „Pavillon“, Wwe. Franz Kluth, noch einmal mit einer Werbeanzeige auf die Vorzüge ihres Hotels aufmerksam.85 Wie fast überall in Deutschland kam es mit Beginn des E rsten Weltkriegs Anfang August 1914 auch für die Brühler Bevölkerung zu gravierenden Veränderungen im Alltagsleben. Die bestehenden sozialen Notlagen verschärften sich, sodass zügig Hilfsmaßnahmen ergriffen werden mussten. In der Bürgermeisterei Brühl, Landkreis Köln, mit ihren inzwischen schon rd. 18.000 Einwohnern 86 existierten sechs Wohltätigkeitsanstalten:87 die „Armen-Deputation“, die sich auch um die Waisenpflege kümmerte, das „Marien-Hospital“, die „Giesler-Stiftung“, der „Samariter-Verein“, der „Elisabethen-Verein“ und die „Kinder-Bewahr-Anstalt“. Da Brühl im Aufmarschgebiet Richtung Westen lag, wurde hier ein Garnisons- und Lazarettstandort mit Belegung des Ersatz-Bataillons des LandwehrInfanterie-Regiments 29 eingerichtet. Die Stadt stellte 1200 Soldaten, d. h. etwa 7 % der Brühler Bevölkerung befanden sich im Kriegsdienst, und fast jede Familie war durch die Einberufungen betroffen. Frauen und Mütter mussten zunehmend für den Unterhalt der Familie sorgen. Nicht zuletzt die Kriegsindustrie forderte 84 Vgl. Pfarramt St. Margareta, Brühl: Pfarrchronik 1888 – 1935, S. 126 f. 85 Abgedruckt in: Oleszowsky (2007), S. 42. 86 Um 1911; bezogen auf die gesamte Bürgermeisterei Brühl, vgl. Wolfgang Drösser: Brühl. Geschichte. Bilder, Fakten, Zusammenhänge. 3. veränd. Aufl., Brühl 2016, S. 177. 87 Vgl. Brühler Adressbuch, 1912/13.
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die Frauen zur Mitarbeit auf, wodurch sie wenigstens die Ernährung ihrer Familie einigermaßen gewährleisten konnten. Die Stadt unterstützte hilfsbedürftige Familien durch eine tägliche Beihilfe von 60 Pfg. für die Frauen und 30 Pfg. pro Kind aus dem Armenfonds.88 Das Brühler Krankenhaus diente jetzt zusätzlich als Reserve-Lazarett. Bereits am 29. August 1914 traf der erste Transport von rd. 150 Schwerverwundeten ein. Neben einem weiteren Reserve-Lazarett im eigens dafür geschlossenen städtischen Alumnat in der Clemens-August-Straße – ab dem 29. August 1914 waren hier Plätze für 300 Verwundete vorhanden – wurden zwei weitere Reserve-Lazarette eingerichtet: im beschlagnahmten St. Josephshaus ebenso wie in der Villa Penners, Kölnstraße 83. Damit stellten die Brühler Lazarette insgesamt 450 Plätze zur Versorgung der Verwundeten bereit. In den ersten Kriegsjahren konnte das Leben im Marienhospital noch halbwegs seinen gewohnten Gang nehmen, doch verschlechterte sich die Lage mit zunehmender Dauer des Krieges deutlich. Seit 1916 wurden im Krankenhaus und, wie schon erwähnt, auch im Josephshaus Suppen an Bedürftige ausgeteilt, zunächst nur an Kinder, s päter an alle Armen. Doch wegen der allgemeinen Lebensmittelknappheit war es bald nicht mehr möglich, diesen Dienst im notwendigen Umfang aufrechtzuerhalten.89 Erschwerend kam hinzu, dass der massive Anstieg der Kriegskosten im Frühsommer 1916 auch zu einer dramatischen wirtschaftlichen Krise geführt hatte. Die Wohnungsprobleme in Deutschland, gekennzeichnet durch miserable Wohnverhältnisse und Wohnungsmangel, hatten sich bereits aufgrund des durch die Industrialisierung hervorgerufenen Bevölkerungswachstums intensiviert und wurden durch die Verordnung des Baustops für private Bauprojekte in den Kriegsjahren 1914 – 1918 noch verschärft. Neubauten waren nun nur noch in wenigen Fällen möglich.90 Es fehlte nicht nur an Bau- und Reparaturmaterial, sondern auch an Arbeitern, die die Wohnungen bauen könnten. Fast alle wehrtauglichen Männer waren eingezogen, und der größte Teil der noch verfügbaren Arbeitskräfte war mittelbar oder unmittelbar in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Zu Beginn des E rsten Weltkriegs mussten viele der gehobenen Restaurationsbetriebe, aber auch Tanz- und Vergnügungslokale schließen; in Wirtshäusern, Vereinslokalen und Kinos war das gesellige Leben weitgehend zum Erliegen gekommen bzw. untersagt worden. Kinos, die weiter betrieben wurden, mussten nun Programme zeigen, die der Zeit angepasst waren. Als dann in der Bevölkerung nach und nach wieder das Bedürfnis aufkeimte, an die bisher gewohnten Aktivitäten anzuknüpfen, reagierte die Obrigkeit zumeist restriktiv. Ausschlaggebend dafür war nicht nur die allgemeinen Kriegslage, die 88 Zit. n. Drösser (2016), Anm. 661. 89 Vgl. Drösser u. a. (1994), S. 15. 90 Vgl. dazu Günther Schulz (Hg.): Wohnungspolitik im Sozialstaat, Deutsche und europäische Lösungen 1918 – 1960, Düsseldorf 1993.
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die diversen „Amusements“ unangemessen erscheinen ließ, sondern entscheidend waren auch die wirtschaftlichen Probleme: Geldausgeben für alles, was nicht „das Nötigste“ betraf, war vor allem in Bezug auf die ärmeren bzw. weniger betuchten Bevölkerungsschichten verpönt. Vermutlich schon zu Beginn des Krieges oder gegen Ende des Jahres 1914 stellte der „Pavillon“ seinen Betrieb ein.91 Die Zeit d ieses bis dahin weithin bekannten „Hotel I. Ranges“, mit seinem Garten, seiner guten Küche und seinen erlesenen Weinen, gehörte damit der Vergangenheit an. Die Hoteliersfrau Mathilde Kluth, die sich, wie damals üblich, in sämtlichen Unterlagen, Werbeanzeigen, im Telefonbuch usw. stets als „Wwe. Franz Kluth“ bezeichnete, vollendete im November 1915 ihr 65. Lebensjahr.92 Außer den Umständen, die der Krieg mit sich brachte, war dies möglicherweise ein weiterer Grund, ihr Hotel zu schließen und in den Ruhestand zu treten. Bis März 1918 wohnte sie dann nachweislich noch im Gebäude Comesstraße 42.93 Nach seiner Schließung wurde das seriöse Hotel „Pavillon“ von einem unrühmlichen Nachfolger übernommen: Unter der Bezeichnung „Zum Schlosspark“ etablierte sich darin ein Gasthaus mit zweifelhaftem Ruf. Die Gründe für diesen schlechten Ruf formulierte der Brühler Oberpfarrer Dechant Richard Bertram, als er 1918 rückblickend seine Eindrücke in der Pfarrchronik niederschrieb. Er empörte sich über „das hiesige Gasthaus ‚Zum Schlosspark‘ (früher ‚Pavillon‘), ein früheres Vergnügungsnest, worin die Halbwelt von Cöln, Bonn und Umgegend sonntags zum Ärgernis der ganzen Pfarrgemeinde ihre Orgien feierte“.94 Das „Vergnügungsnest“ ist wohl z wischen 1915 und 1917 betrieben worden, denn als Richard Bertram seinen Kommentar notierte, stand das Gebäude bereits einige Zeit leer und wurde zum Verkauf angeboten. Außer der Bewertung durch den Oberpfarrer sind über d ieses Gasthaus bislang keinerlei weiteren Informationen bekannt. Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war Richard Bertram aufgrund der angekündigten Besatzungstruppen überaus besorgt um das Wohl der Jugend, besonders der weiblichen. Dies dokumentiert sein „Mahnwort“, das er am 3. Dezember 1918 in der „Brühler Zeitung“ veröffentlichen ließ: Ein ernstes Mahnwort an unsere Jugend In wenigen Tagen treffen fremde Besatzungstruppen in Köln und wahrscheinlich auch in Brühl ein. Da ergeht an euch die ernste und eindringliche Mahnung, nichts zu tun, was euch die Feindseligkeit der fremden Soldaten zuziehen könnte. Bedenket, daß hierunter ihr selbst, eure Eltern und eure Vaterstadt schwer leiden würden.
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Genauere Daten sind bislang nicht ermittelbar. Archiv der Stadt Brühl. Archiv der Stadt Brühl. Pfarramt St. Margareta, Brühl: Pfarrchronik 1888 – 1935, S. 195.
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Seid höflich und zurückhaltend! Insbesondere sei die erwachsene weibliche Jugend gemahnt, der Besatzung gegenüber geziemende Zurückhaltung zu üben. Liebäugeln mit dem Gegner ist Verrat an der Heimat. Darum wahret eure Ehre! Kühl und gemessen sei euer Verhalten! Kein Wegwerfen! Bleibt euch bewusst, daß eure Wiege am freien deutschen Rhein gestanden! Bildet auch eine Schutzwehr für leichtfertige Mitschwestern, welche die zarte Blume der deutschen Frauenehre nicht zu schätzen wissen. Wer anders handelt, versündigt sich am Andenken unserer Gefallenen, an dem Wohle unseres Volkes und der Zukunft unseres tief gebeugten Vaterlandes. Brühl, den 3. Dezember 1918 Msgr. Bertram, Ehrendechant.95
Die ersten englischen Besatzungstruppen,96 rd. 250 Kavalleristen und 100 Mann Fußtruppen, marschierten bereits fünf Tage s päter, am 8. Dezember 1918, in Brühl ein. Alumnat, Gymnasium, Josephshaus, Hotel Hubertusburg (Belvedere) und die Teppichfabrik Froehlich wurden beschlagnahmt; die Offiziere logierten im kath. Pfarrhaus St. Margareta. Zum „Versündigen“ gehörte nicht zuletzt auch die „Verbrüderung“ z wischen deutschen Frauen und Besatzungssoldaten, aus der vielfach uneheliche Kinder entstanden. Unehelich geborene Kinder wurden als „Frucht der Sünde“ oder als „Kinder der Schande“ bezeichnet und diskriminiert; ledige Mütter waren nicht selten Repressionen ausgesetzt. In vielen Fällen konnten sie ihre Kinder nicht ausreichend betreuen und waren auf karitative Einrichtungen angewiesen. Kirchenrechtlich wurden uneheliche Kinder als „fleischgewordener Fehltritt“ bezeichnet. Manche Frau beging wegen ihrer unehelichen Schwangerschaft und den damit verbundenen Diffamierungen Selbstmord.97 Die „Brühler Zeitung“ sah sich ebenfalls veranlasst, am 21. Januar 1919 eine „Warnung an die Weiblichkeit“ zu veröffentlichen: Der Polizeipräsident weist darauf hin, daß der britische Militärgouverneur gegen Frauenspersonen, die versuchen, auf der Straße mit britischen Soldaten in Beziehungen zu treten, scharfe Maßnahmen angeordnet hat, indem die betreffenden Personen festgenommen und vor ein britisches Gericht gestellt werden. Diese Festnahme kann von den schwerwiegendsten Folgen begleitet sein. Die weibliche Bevölkerung wird daher dringend gewarnt.
95 Der Original-Ausschnitt der Brühler Zeitung befindet sich in der Pfarrchronik im Pfarramt St. Margareta, Brühl. 96 Brühl gehörte zur nördlichen Besatzungszone des Rheinlandes. Die Besatzungszone in Köln und im Umkreis von Köln wurde infolge der Verträge von Locarno im Januar 1926 geräumt. 97 Eine Untersuchung über Selbstmorde in Köln aus der Zeit um 1920 dokumentiert, dass ein Teil der 15- bis 25-Jährigen Selbstmörderinnen wegen ihrer unehelichen Schwangerschaft in den Tod gingen, s. dazu: Bettina Bab: Kindstötung, Todesstrafe und Selbstmord – Tod im Rhein. In: Bettina Bab, Marianne Pitzen (Hg.): Rheinreise 2002. Romantik, Reisen, Realitäten. Frauenleben am Rhein. Bonn 2002, S. 138.
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Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch vielleicht harmlos gemeinte Annäherungsversuche falsch gedeutet werden und Festnahmen mit unliebsamsten Konsequenzen, die öffentlich nicht erörtert werden können, nach sich ziehen.
Am 16. Oktober 1918 hatte die „Brühler Zeitung“ gemeldet, dass während der Kriegsjahre 156 Brühler auf den Schlachtfeldern ihr Leben verloren hatten – 13 % der Soldaten, die von hier aus in den Krieg gezogen waren. Viele Kinder waren zu Halb- oder Vollwaisen geworden. Für diese Kinder richteten Ordensschwestern der Salvatorianerinnen 98 im Juni 1918 ein Kinderheim im Gebäude des ehemaligen Hotels „Pavillon“ ein. Bewundernswert und gleichsam erstaunlich ist, wie sie den Mut und die Zuversicht aufbringen konnten, dieses große Fürsorgeprojekt in der von so erheblichen Mangelerscheinungen geprägten Zeit des E rsten Weltkriegs zu planen und zu realisieren. Um ihr Ziel zu erreichen, ließen sie sich nicht durch die meist unzureichende Lebensmittel-, Kleidungs- und Brennstoffversorgung oder die schwierigen Hygieneund Wohnverhältnisse beirren – auch nicht durch die Geldentwertung, zu der die Finanzierung des Weltkriegs durch letztlich wertlos gewordene Kredite geführt hatte. Ihre Motivation und Energie entsprang vornehmlich der dringenden Notwendigkeit, eine Unterbringungsmöglichkeit für bedürftige Kinder zu schaffen. 1916 war es ihnen gelungen, ihre ersten beiden Niederlassungen in Deutschland zu etablieren: am 1. September im Kloster Steinfeld/Eifel, wo sie mit der Erziehungshilfearbeit an der damals so genannten „Königlichen Erziehungsanstalt“99 begannen, einen Monat s päter in Pingsdorf bei Brühl. Dem vorausgegangen war im August 1916 eine Begegnung zwischen der damaligen Generaloberin der Salvatorianerinnen, M utter Ambrosia Vetter 100, und dem Brühler Dominikanerpater Hilarius Faßbender 101, der entschlossen war, in Brühl eine karitative Einrichtung für Kinder zu schaffen: 98 Die internationale apostolisch-missionarische Gemeinschaft wurde im November 1888 in Tivoli bei Rom gegründet. Erziehung und Unterricht von Kindern und Waisenkindern gehörte von Anfang an zu den praktischen Tätigkeiten der „Schwestern vom Göttlichen Heiland“ (Sorores Divini Salvatoris, SDS). Aufgrund der Kulturkampfgesetze konnten sich die Schwestern in Deutschland zunächst nicht niederlassen. Mit Beginn des E rsten Weltkrieges 1914 fühlten sich deutschstämmige Schwestern, die in verschiedenen Ländern tätig waren, aufgerufen, im Reservelazarett in München zu helfen. Danach gelang es den Schwestern, in Deutschland die ersten Niederlassungen zu gründen. 99 Es handelte sich um eine „staatliche Zwangs-Erziehungs-Anstalt mit 280 Zöglingen von 10 bis 21 Jahren“. Im Frühjahr 1917 errichteten die Salvatorianerinnen eine weitere Niederlassung in Urft/Eifel, in der sie die Haushaltung im Fürsorgehaus übernahmen. Vgl. dazu: Johan Moris, Schwester Marianne Stracke SDS: Der Fuß ist in der Tür … Eine Dokumentation über die Anfänge der Salvatorianerinnen in Deutschland. Steinfeld in der Eifel 2016, S. 73. 100 Mutter Ambrosia Vetter (1866 – 1925) leitete die Kongregation von 1908 bis 1921. 101 Hilarius Faßbender, Sohn eines Sägemühlenbesitzers, wurde am 27. Oktober 1872 in Pingsdorf geboren als Michael Franz Faßbender. Später trat er in den Dominikanerorden ein, wo er seine Profess am 23. April 1899 ablegte und am 14. August 1905 zum Priester geweiht wurde.
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[Er] wollte auf seinem väterlichen Besitztum eine Anstalt gründen und suchte für diesen Zweck Schwestern, denen er s päter das ganze Werk übergeben könnte, wenn sich die Rentabilität desselben erwiesen und die nötigen Bauten ausgeführt wären. Vorläufig war nur von drei Schwestern die Rede.102
Nach entsprechenden Beratungen im Mutterhaus in Rom stimmte M utter mbrosia d A iesem Vorhaben zu. Als die ersten beiden Salvatorianerinnen im Oktober 1916 nach Pingsdorf kamen, fanden sie Pater (P.) Hilarius jedoch „gesundheitlich in einem elenden Zustand“103 vor. Aufgrund der kriegsbedingten Notzeiten war es ausgeschlossen, dort für das geplante St. Michaelskloster einen Neubau zu errichten. Daher schlug P. Hilarius vor, das Mühlengebäude seiner Eltern in Pingsdorf, Obermühle 21, in ein Kloster umzuwandeln. Mitte Oktober 1916 zogen drei Schwestern zunächst in ein kleines, an das Elternhaus von P. Hilarius angebautes Haus ein.104 Von hier aus begannen sie ihre Tätigkeit. Neben der Leitung einer in einem nahegelegenen Mietshaus untergebrachten Kinderbewahrschule für Kinder unter sechs Jahren widmeten sich die Schwestern auch der ambulanten Krankenpflege, dem Handarbeitsunterricht für die schulentlassenen Mädchen und der Armenfürsorge.105 Kurze Zeit später entschloss sich P. Hilarius, auf eigene Kosten ein Anwesen zu erwerben, das den Schwestern mehr Platz für die Erfüllung ihrer Aufgaben bieten sollte: Da in Pingsdorf der beabsichtigte Bau des Bauverbotes wegen unterbleiben musste, kaufte P. Hilarius ein Haus nebst schönem Garten und liess es in den Wintermonaten einrichten. Sobald es in etwa bewohnbar war, zogen die Schwestern ein und eröffneten eine Bewahrschule und Kriegsküche. Vom Kath. Erziehungsverein für die Rheinprovinz wurden ihnen kränkliche Fürsorgekinder unter 6 Jahren zur Pflege übergeben.106
Wenig später konnten elf Schwestern das Haus in der Euskirchener Straße 143/ Ecke Obermühle beziehen. Die neue Niederlassung trug, wie vereinbart, den Namen „St. Michaelskloster“.107 102 Moris u. a. (2016), S. 77. 103 Moris u. a. (2016), S. 77. 104 Vgl. Wimmer (1976). 105 Vgl. Moris u. a. (2016), S. 78. Als die Niederlassung in Pingsdorf und die Kinderbewahrschule eröffnet wurden, trat auch die Pfarrei Badorf an die Schwestern heran mit der Bitte, in Badorf eine Bewahrschule zu leiten und die ambulante Krankenpflege dort zu besorgen. 106 Aus: Ambrosia Vetter: Meine Erlebnisse, S. 4. In: Moris u. a. (2016), S. 78. 107 Der Erzengel Michael ist einer der Patrone der Kongregation der Salvatorianerinnen. Im Volksmund wurde die Niederlassung noch lange „das Klösterchen“ genannt, obwohl es bereits ab 1921 als Mietshaus von mehreren Parteien genutzt wurde. In den 1980er Jahren wurde es niedergelegt. Diesen Hinweis verdanke ich dem Brühler Heimatforscher, Autor und Sammler Dr. Hans-J. Rothkamp.
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Etwa 30 „kränkliche Kinder“ waren im Mai 1917 in Pingsdorf zur Verpflegung und Erziehung im Haus untergebracht. Am 11. Oktober 1917 fand die Eröffnung der Kinderbewahrschule im gleichen Hause statt, „welcher auch der Herr Bürgermeister, der sich stets als ein wohlwollender Förderer des ganzen Werkes erwies, beiwohnte“.108 Gegen Ende Dezember 1917 bat Mutter Ambrosia den Generaloberen der Salvatorianer, P. Pankratius Pfeiffer 109, dringend, wegen einer wichtigen Angelegenheit nach Pingsdorf zu kommen. Denn Dominikanerpater Hilarius Faßbender hatte in Erfahrung gebracht, dass das ehemalige Hotel „Pavillon“ in der Comesstraße 42, das schon seit einiger Zeit leer stand, zum Verkauf angeboten wurde – eine interessante Immobilie an zentraler Stelle in Brühl, die gut zu Faßbenders Plänen passte. Mit seinen drei Gebäudeflügeln war dieses Gebäude sehr großzügig bemessen und würde die Arbeit der Schwestern mit den Kindern auch zukünftig ermöglichen, denn die Kinder könnten in diesen Räumlichkeiten besser untergebracht und versorgt werden als in der Enge und Beschränktheit der Pingsdorfer Niederlassung. Inklusive der kompletten Einrichtung und der dazugehörigen Liegenschaft sollte die Immobilie in der Comesstraße 120.000 Reichsmark kosten. P. H ilarius war von diesem Angebot sehr angetan und bat die Entscheidungsträger der Salvatorianerinnen, zu einer Besichtigung nach Brühl zu kommen. Seine Gesundheit, die schon im Oktober 1916 negativ aufgefallen war, hatte sich zwischenzeitlich keineswegs gebessert. Dennoch war es möglich, die Besichtigung des Anwesens Anfang Januar 1918 durchzuführen, und noch im selben Monat wurde der Kauf des ehemaligen Hotels getätigt, vorläufig noch alles auf den Namen des Hochw. P. Hilarius Fassbender, doch mit der Versicherung der Übernahme von unserer Seite, sowohl für dieses Haus, als auch für das ganze Besitztum in Pingsdorf. Hochw. P. General [P. Pankratius] half auch mit einer Anleihe aus. Das Haus war aber in schlechtem Zustande und bedurfte grösserer Reparaturen, als man anfangs gemeint. Ich blieb nun dort, um im Verein mit Hochw. P. Hilarius, der aber seines körperlichen leidenden Zustandes wegen nicht von Pingsdorf fort konnte, die Arbeiten in Brühl zu leiten und zu beaufsichtigen.110
Erfreulich war, dass die Niederlassung der Salvatorianerinnen seit Mai 1918 auch staatlich bewilligt war.111 Die Ordensbrüder der Salvatorianer notierten ihrerseits zufrieden in ihrer Chronik: „In Brühl kauften unsere Schwestern ein 108 Aus: Salvatorianerinnen Chronik, IV. Jahrgang Nr. 2, 1917. 109 Pater Pankratius Pfeiffer (1872 – 1945) leitete seit 1915 fast 30 Jahre lang den Salvatorianerorden. 110 Aus: Ambrosia Vetter: Meine Erlebnisse, S. 5, vgl. Moris u. a. (2016), S. 79. 111 Aus: Brief von M utter Ambrosia an P. Pankratius vom 11. Mai 1918, vgl. Moris u. a. (2016), S. 80.
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Abb. 5 Rechts im Bild das „Klösterchen“ der Salvatorianerinnen in der noch sehr schmalen Euskirchener Straße – einem noch unbefestigten Karrenweg – in Brühl-Pingsdorf, nach 1900. Der Eingang ist über den vor dem Gebäude liegenden Treppenaufgang erreichbar. Im Vordergrund ist einer der damals regelmäßig am Straßenrand angeordneten Stromverteiler zu sehen.
Abb. 6 Die Salvatorianerinnen am 10. Juli 1918 im Garten ihrer Niederlassung St. Michael in der Euskirchener Straße 143 in Pingsdorf. Im Hintergrund ist ein Teil der in Fachwerk errichteten Rückseite ihres Gebäudes zu erkennen.
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stattliches Gebäude, das voraussichtlich Kreis-Waisenhaus werden und für den Fortschritt unserer Schwestern in Deutschland von Bedeutung sein dürfte.“112 Das K inderheim wurde jedoch, anders als von den Ordensbrüdern erwartet, nicht als „Kreis-Waisenhaus“, also unter Verwaltung des Landkreises, sondern in freier Trägerschaft betrieben. Und es sollte sich erweisen, dass die Leitung durch die Salvatorianerinnen nur von kurzer Dauer sein würde. Als sich abzeichnete, dass im Gebäude des ehemaligen Hotels „Pavillon“ eine Fürsorgeanstalt für Kinder eingerichtet werden sollte, war Dechant Richard Bertram, Oberpfarrer an St. Margareta in Brühl, offenbar hocherfreut und erleichtert. Nun würden endlich wieder geordnete Verhältnisse in das Gebäude einziehen, geprägt von sozial-karitativem Engagement. Bertram schrieb am 16. Januar 1918 in die Pfarrchronik:113 Heute früh war der Generalobere der Salvatorianer bei mir auf Besuch und überbrachte mir die freudige Nachricht, daß die Salvatorianerinnen, welche im vergangenen Jahr eine Niederlassung in Pingsdorf gegründet, das hiesige Gasthaus ‚Zum Schlosspark‘ (früher ‚Pavillon‘) zum Preis von 115.000 Mark (incl. Inventar) angekauft [haben] zur Errichtung einer Fürsorge-Anstalt. Ich habe diese Mitteilung zunächst schon deshalb begrüßt, weil dadurch ein früheres Vergnügungsnest, worin die Halbwelt von Cöln, Bonn und Umgegend sonntags zum Ärgernis der ganzen Pfarrgemeinde ihre Orgien feierte, ausgehoben ist. Ich begrüße das Unternehmen weiter in der Hoffnung, daß mit der vorläufig projektierten Fürsorge-Anstalt für die weibliche Jugend dort ein Waisenhaus erwächst und das Vereinshaus S. Josef demselben die Kinderbewahr- und Handarbeitsschule […] dorthin abtreten wird. Das Areal ist 4 Morgen groß und ist durch seine Lage außerordentlich geeignet für alle möglichen sozialen und karitativen Zwecke.
Allerdings wurde die Hoffnung des Oberpfarrers, die Kinderbewahr- und Handarbeitsschule aus dem St. Josephshaus in das geplante neue Kinderheim zu verlagern, nicht realisiert. Am 26. März 1918 zog die Hoteliersfrau Wwe. Franz Kluth aus ihrem ehemaligen Hotelgebäude aus, und Ende Juni 1918 konnten die von den Salvatorianerinnen bisher in Pingsdorf betreuten Kinder in ihr neues Domizil in der Comesstraße 42 umziehen. Die Renovierungsarbeiten an dem Haus waren zwar noch nicht abgeschlossen, aber weit genug fortgeschritten, um den Einzug der 60 Kinder zu ermöglichen. Es handelte sich teils um Waisen, teils um Fürsorgekinder. Eine zeitgenössische Quelle bot eine Definition an: Man muß sich darüber klar sein, daß nicht nur Waisenkinder im eigentlichen Sinne des Worts, deren Eltern tot sind, und Findlinge unter diesen Begriff fallen, sondern auch
112 Aus: Salvatorianer-Chronik, 3. Jg., Nr. 1, S. 143, vom 1. Mai 1918, vgl. Moris u. a. (2016), S. 79. 113 Pfarramt St. Margareta, Brühl: Pfarrchronik 1888 – 1935, S. 195.
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verlassene Kinder, deren Eltern sich ihrer Unterhaltspflicht entzogen haben, und zahlreiche Kinder, die von ihren Eltern oder ihrer unehelichen Mutter mangels ausreichender Mittel nicht verpflegt werden können.114
Die Leitung des Kinderheims sollte Schwester (Sr.) Germana Steidel als Oberin übernehmen; sechs weitere Schwestern waren für die Pflege und die Erziehungsarbeit vorgesehen. Sr. Soteris Osswald, die bereits im September 1916 in der neu gegründeten Niederlassung in Pingsdorf als Kindergärtnerin der Kinderbewahrschule vorgestanden hatte, wurde am 10. Juli 1918 in das Brühler Heim versetzt. Sie hatte noch vor Beginn des E rsten Weltkriegs ihre Ausbildung in Belgien mit einem Diplom als Kindergärtnerin abgeschlossen 115 und war damit fachlich auf die Arbeit im Kinderheim vorbereitet. Darüber hinaus sind keinerlei Informationen oder Dokumente vorhanden etwa über die Ausbildung des übrigen Personals, über pädagogische Konzepte, Methoden und Maßnahmen, über Schwierigkeiten oder Konflikte bei der Versorgung der Kinder in der Zeit von 1918 bis 1920, auch nicht, wie es um das „Ansehen“ der Kinder in der Brühler Bevölkerung bestellt war. Formale Verträge, wie z. B. die Einsetzung des P. Hilarius als Direktor oder als Verwalter der Liegenschaft, waren ebenfalls nicht ermittelbar. Möglicherweise handelte es sich bei einigen Vereinbarungen um „Verträge per Handschlag“. „In Brühl entwickelte sich eine harmonische, frohe Kommunität“, beschreibt Sr. Luminosa Wimmer SDS in ihrem Rückblick 116 die sich zunächst noch so positiv darstellende Situation. Auch Sr. Innocenza Stahl meldete am 9. September 1918 zufrieden an P. Pankratius: „Von hier kann ich berichten, dass Gott Dank alle soweit gesund sind. Auch sind alle recht heiter.“117 Zur gleichen Zeit war die Zahl der betreuten Kinder auf 80 angestiegen. Die Renovierungsarbeiten zogen sich immer noch hin, sodass sich nach wie vor stets Arbeiter im Haus befanden. Am 14. Dezember 1918, kurz nach Beendigung des Weltkrieges und nach dem Einzug der britischen Besatzungstruppen in Brühl, bezog P. Hilarius offiziell als „Direktor des Kinderheims“ das Haus Comesstraße 42. Seine Kompetenz für diese Leitungsfunktion war schon aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme erkennbar eingeschränkt – ein Dilemma, das sich bald zum Schaden des Heims und der Salvatorianerinnen auswirken sollte. Von den Tätigkeiten des P. Hilarius ist ein einziger Vorgang dokumentiert: Ein Bauantrag, den er am 4. November 1918 an das Bürgermeisteramt der Brühl-Stadt 114 Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht Berlin (Hg.): Kleinkinderfürsorge. Einführung in ihr Wesen und ihre Aufgaben. Berlin 1917, S. 115. 115 Vgl. Moris u. a. (2016), S. 57. Nach Beginn des E rsten Weltkriegs hatten sämtliche deutschen Schwestern Belgien verlassen müssen, weil sie des Landes verwiesen worden waren. 116 Vgl. Wimmer (1976). 117 Zit. n. Moris u. a. (2016), S. 81.
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richtete und in dem es um die Erlaubnis ging, einen „neuen Reinigungsschacht auf der Komesstrasse vornehmen zu dürfen“.118 Im Management des Kinderheims machten sich inzwischen erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bemerkbar. Offenbar waren die Gegebenheiten im Haus dermaßen bedrückend, dass sich die Leiterin, Sr. Germana, im März 1919 veranlasst sah, diese ernst gewordene Lage in einem ausführlichen Bericht an den Generaloberen P. Pankratius Pfeiffer zu melden. Darin bezeichnete sie den Zustand in Brühl als „sehr verworren“: Sie hatte „keinerlei Vertrauen zum Direktor P. Hilarius, der ohne Buchführung wirtschaftete, große Schulden machte und viel Alkohol trank“.119 Alle diese Hinweise gaben Anlass zu größter Besorgnis. Der Kauf des Hauses Comesstraße 42 war auf den Namen des Paters Hilarius Fassbender getätigt worden, obwohl die Salvatorianerinnen Kapital dafür zur Verfügung gestellt hatten und sich auch der Generalobere P. Pankratius mit einer Anleihe daran beteiligt hatte. Eine „Zeichnung zur Gebäudetaxe“120 weist das Kinderheim der Salvatorianerinnen sogar als „Besitzung“ des P. Hilarius aus. Außerdem war der Pater – aufgrund des ursprünglich sogar sehr großen Vertrauens zu ihm – befugt worden, ohne Unterschrift der Schwestern Hypotheken und Schulden auf das Anwesen aufnehmen zu können. Diese Möglichkeit hatte er offenbar reichlich genutzt. „Da die Schwestern jedoch selber das Geld für das Haus in Brühl aufnehmen mussten, sahen sie sich bald außerstande, d ieses belastete ‚Erbe‘ zu übernehmen.“121 Wegen der unklaren Zustände im Kinderheim reiste im Juli 1919 ein im Auftrag von P. Pankratius abgesandter Pater zur Visitation nach Brühl. Sein ausführlicher Bericht muss die Dramatik der Lage in Brühl überaus deutlich gemacht haben; intensive Beratungen auf höchster Ebene der Salvatorianer – Generalat und Provinzialat – folgten. Das Ergebnis dieser Gespräche war eindeutig, und Mutter Ambrosia musste am 28. September 1919 zur Kenntnis nehmen: Uns scheint es, dass wir beide Stellen [Pingsdorf und Brühl] aufgeben sollen. P. Fassbender hat, ohne jemanden zu fragen, Schulden gemacht, die mich entsetzten. Auf Brühl allein lasten rund 550.000 Mark! Also etwas über eine halbe Million; auf beiden Niederlassungen zusammen über 800.000 M! Und dann ist Brühl noch lange nicht fertig. […]
Daraufhin schloss sich M utter Ambrosia der Entscheidung, Brühl und Pingsdorf zu verlassen, ohne Zögern an: „Ich glaube, wir machen uns am besten los, und zwar je eher, desto besser.“122 Konsequent sprach sie im Oktober 1919 gegenüber P. Hilarius die Kündigung zum 1. April 1920 aus und gewährte ihm damit die g leiche Frist wie den Schwestern, die das Heim ebenfalls noch bis dahin zu betreuen hatten. 118 Der Bauantrag befindet sich im Bauaktenarchiv der Stadt Brühl. 119 Zit. n. Moris u. a. (2016), S. 81. 120 Im Bauaktenarchiv der Stadt Brühl. 121 Vgl. Wimmer (1976). 122 Zit. n. Moris u. a. (2016), S. 81.
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Am Ende d ieses unerfreulichen Jahres rief die „Brühler Zeitung“ anlässlich des bevorstehenden Weihnachtsfestes zu Spenden für das Kinderheim auf, die mit den „heutigen Teuerungsverhältnissen“ begründet wurden. Dem Aufruf vom 19. Dezember 1919 lassen sich die hohe Zahl der dort lebenden Kinder „auch aus Brühl und Umgegend“ wie auch deren Wünsche entnehmen: Im Kinderheim der Salvatorianerinnen Comesstraße weilen jetzt etwa 170 Kinder, darunter auch aus Brühl und Umgegend. Alle harren sehnsüchtig des Christkindleins, aber es hält bei den heutigen Teuerungsverhältnissen äußerst schwer, selbst die bescheidensten Ansprüche zu befriedigen. Unsere Leser werden gebeten, in diesen Tagen des Kinderheims zu gedenken. Alles ist willkommen, brauchbares Spielzeug, getr. Kleider, Obst u. auch Geldspenden. Auf Wunsch werden entbehrliche Sachen gern abgeholt und wolle man Telephon 58 [ Telefon nummer des Kinderheims] anrufen. Allen fröhlichen Gebern sei herzlichst gedankt.
Nach dem Fest, am 30. Dezember 1919, folgte eine Danksagung in der „Brühler Zeitung“: Das Kinderheim fühlt sich zu innigem Danke allen edlen Wohltätern gegenüber verpflichtet, die zur freudigen Weihnachtsfeier der Kinderschar mitgeholfen haben. Für die jetzigen Verhältnisse sind Gaben, sei es in Eß- und Spielwaren, sei es in Geldbeträgen u. anderen nützlichen Sachen reichlich eingeflossen, sodaß die Bescherung wohl einer solchen in Friedens zeiten gleichgerechnet werden kann. Heller Jubel und fröhliche Begeisterung hat so der geschmückte Weihnachtstisch bei all den lieben Kleinen ausgelöst. Ein dankbares Gedenken werden wir deshalb allen Gebern bewahren. Das Christkind möge sie segnen, jetzt und immer.
Auch wenn es ein schönes Weihnachtsfest für die Kinder gewesen sein mag, die Probleme z wischen den Schwestern und dem Direktor P. Hilarius und das dadurch absehbare Ende des Unternehmens „Kinderheim“ trübte deren Zusammenarbeit. Nach der Kündigung des Paters zum 1. April 1920 wurde nun auch am 1. Februar 1920 das Haus in Pingsdorf für den Herbst 1920 gekündigt, unter der Bedingung, dass das Noviziat noch so lange in Pingsdorf bleiben könne, bis ein neues Noviziatshaus gefunden sei. Im März 1920 verließen die Schwestern ihre Brühler Wirkungsstätte. Zwar erleichtert, aber nicht ohne Bitterkeit richtete Sr. Germana, die zunächst noch in Pingsdorf bleiben konnte, am 31. März einen Brief an P. Pankratius: […] Mit Brühl sind wir jetzt fertig. Gott Dank! Der Auszug der Salvatorianerinnen aus dem Kinderheim und der Einzug der Augustinerinnen in dasselbe, ging vor sich wie die Besetzung des Rheinlandes. Auf beiden Seiten Höflichkeit und kühle Zurückhaltung. […] Unsere meisten Schwestern sind nach Hause zur Erholung, die sie sehr nötig haben. […].123
123 Vgl. Moris u. a. (2016), S. 82.
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Die Fortsetzung des Heimbetriebs war durch die Schwestern der Kölner Cellitinnen-Augustinerinnen zur hl. Maria 124, die bereits von 1898 bis 1918 im Brühler Alumnat den Haushalt versorgt hatten, gewährleistet. Dennoch: Der Übergang verlief offenbar sehr reserviert und technisch, keinesfalls herzlich oder wertschätzend gegenüber der Leistung der Gründerinnen. Gut ein halbes Jahr später, im Oktober 1920, trennten sich die Schwestern wie geplant auch von der Liegenschaft in Pingsdorf. Die Salvatorianerinnen wurden hier, anders als in Brühl, gebührend gewürdigt: „Das Volk und die Behörden schätzten die Arbeit der Schwestern sehr; obwohl sie an diesem Orte nur von kurzer Dauer war, so war es dennoch kein Misserfolg; denn vieles, sehr vieles wurde in diesen Jahren für die arme Menschheit getan.“125 Nach seiner Kündigung konnte P. Hilarius Fassbender, der ehemalige „Direktor des Kinderheims Brühl“, weiterhin in der Comesstraße 42 wohnen bleiben. Dort starb er wenig später, am 9. Juni 1920, im Alter von 48 Jahren. Es war ihm nicht gelungen, seine Idealvorstellung von der „Zukunftssicherung für die Arbeit der Salvatorianerinnen mit den Kindern“ zu verwirklichen und das Heim in die von ihm erstrebte „Rentabilität“ zu führen. Da zu d iesem Zeitpunkt schon die Kölner Cellitinnen das Brühler Kinderheim betreuten, war es nun die Aufgabe der Ordensschwester Isabella 126, den Tod des „Ordenspriesters ‚Pater Hilarius‘ Franz Michael Faßbender“ beim Standesamt Brühl persönlich anzuzeigen. Sie konnte bestätigen, „von dem Sterbefall aus eigener Wissenschaft unterrichtet zu sein“. Ganz im Gegensatz zu den negativen Erfahrungen, die die Salvatorianerinnen gemacht hatten, brachte die „Brühler Zeitung“ am 10. Juni 1920 einen ausführlichen, sehr anerkennenden Nachruf auf P. Hilarius: Trauernd stehen die Schwestern und Zöglinge des hiesigen Kinderheims mit ihrem Seelsorger an der Bahre des hochverehrten und vielgeliebten Gründers und Leiters der Anstalt, des hochwürdigen Herrn Franz Michael Faßbender, mit dem Ordensnamen P. Hilarius, O. Pr., geboren am 27. Oktober 1872 zu Pingsdorf und zum Priester geweiht am 14. August 1905. Der im Herrn Entschlafene hat sich ohne Zweifel auf charitativsozialem Gebiete Verdienste erworben durch die Gründung des Kinderheims zu Brühl. Trotz großer äußerer und innerer Schwierigkeiten, trotz seiner kränklichen Gesundheit
1 24 Die Ordensgemeinschaft der „Cellitinnen zur hl. Maria in der Kupfergasse“ betätigte sich vor allem in der Pflege kranker und alter Menschen. Zudem unterhielten und betreuten die Schwestern Bewahranstalten (Kindergärten) und Waisenhäuser und waren Lehrerinnen in Haushalts- und Nähschulen. Vgl. Stephanie Habeth-Allhorn: 175 Jahre Cellitinnen zur hl. Maria in der Kupfergasse. Eine sozial-karitative Ordensgemeinschaft im Herzen von Köln. Köln 2003, S. 46, S. 125. 125 Vgl. Wimmer (1976). 126 Die Augustinerin Sr. Isabella war vom 7. April 1920 bis zum 8. November 1920 in Brühl, Comesstraße 42, gemeldet. Archiv der Stadt Brühl.
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Vorgeschichten
scheute er nicht Mühe und Anstrengung, mit nie versagender Hingabe und standhaftem Opfermute das Unternehmen bis zu seiner Vollendung und Vervollkommnung zu bringen. Schwer genug waren diese Opfer, noch bitterer wurden sie gemacht durch die Wermutstropfen, die ihm die falsche Beurteilung seiner Absichten, seiner idealen Pläne und seiner edlen Charakterzüge einbrachte. – Für die Kinder war er ein milder, guter Vorgesetzter, der wohlverstehend die heutigen traurigen Verhältnisse ein warmes Herz für die Waisen- und Fürsorgekinder besaß. Es war stets seine Sorge und sein Denken, die seiner Obhut anvertrauten Kinder zu tüchtigen und brauchbaren Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft heranzubilden. Darum rufen wir Dir, teurer Herr Pater, ein Wiedersehen im Himmel zu. Tränen der Dankbarkeit und Liebe fließen auf dein Grab. Gottes Lohn ist Dir sicher; denn „selig sind die Barmherzigen, weil sie Barmherzigkeit erlangen.“ R. i. p.
P. Hilarius hatte den Salvatorianerinnen einen gigantischen Schuldenberg hinterlassen, dementsprechend formulierten sie ihre Ansprüche gegenüber seinen Erben. Erst nach langwierigem Schriftverkehr und der Bestellung eines Rechtsanwalts kam am 21. Mai 1921 ein Vertrag mit Philipp Fassbender, dem jüngeren Bruder des P. Hilarius, zustande, mit dem zwar die Streitigkeiten beendet, jedoch nicht mehr als 50 % der Forderungen ausgeglichen werden konnten. Ereignisse rund um das Kinderheim beleuchteten hin und wieder Berichte in der „Brühler Zeitung“. Seit Ende des Krieges wurden darin in der Rubrik „Brühl und Umgebung“ häufig Einbrüche und Raubüberfälle gemeldet, bei denen bevorzugt Wäsche, Kleidung, Schuhe und Wertgegenstände entwendet wurden. Am 28. Mai 1920 war auch das Kinderheim betroffen: Mehr kann eine Frechheit nicht überboten werden. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag drangen Diebe in das Kinderheim in der Comesstraße ein und stahlen dort 60 Kinderkleider und 20 Paar Kinder-Lederschuhe, während sie die Holzschuhe stehen ließen. Ein zweiter Einbruchversuch in der vergangenen Nacht mißlang, da die Diebe durch Wächter verscheucht wurden. Man sieht, wie tief das lichtscheue Gesindel gesunken ist, da es nicht einmal Halt vor dem Eigentum selbst der ärmsten Waisenkinder macht und sich an dem Wenigen, was diese Kleinen besitzen, vergreifen. – Vielleicht tragen diese Zeilen dazu bei und rühren mitleidige Herzen, daß die Kinder recht bald wieder in den Besitz neuer Kleider kommen.
Drei Tage s päter, am 1. Juni 1920, brachte die „Brühler Zeitung“ mit Bezug auf diesen Einbruch einen Aufruf an die Leser: […] Unsere Bürgerschaft, deren Wohltätigkeitssinn sich immer so glänzend bewährt hat, wird frdl. gebeten, sich an der von uns eröffneten Sammlung zu beteiligen, damit die armen Kinder bald wieder zu ihren Sachen kommen.
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Am folgenden Tag erteilte die Zeitung Auskunft über bisher eingegangene Spenden: Für das Kinderheim, Comesstraße, dem durch nächtlichen Einbruch fast sämtliche Lederschuhe und Wäschestücke der Fürsorgezöglinge gestohlen wurden, gingen bei uns zum Ersatz ein von Frau Justizrat Dr. Meyer-Leiden 127 Mk. 500.-, Brühler Zeitung P. Becher Mk. 200.-. Weitere Gaben, groß und klein, werden von uns dankbar entgegen genommen. Geschäftsstelle der Brühler Zeitung.
Am 4. Juni 1920 konnte die „Brühler Zeitung“ vermelden, dass für das Kinder heim von einem privaten Spender nochmals 100 Mark eingegangen waren. Es wurde weiterhin um Gaben gebeten, die an die Geschäftsstelle oder an das Kinderheim gesendet werden sollten. Durch den Einbruch in das Heim fehlte es den Kindern an Kleidung und Schuhen, mit der Folge, dass „die Pflegekinder wegen mangelnder Schuhe gestern nicht an der Prozession teilnehmen (konnten) und einstweilen mit Klappsandalen vorlieb nehmen (müssen)“. Bereits am nächsten Tag berichtete die Zeitung, dass weitere 60 Mark „Für das Kinderheim“ eingegangen seien und dass man gern weiterhin Gaben in der Geschäftsstelle entgegennehme.128 Mehr als ein halbes Jahr nach dem nächtlichen Einbruch wurde in der „Brühler Zeitung“ der Verkauf des Kinderheims an den Caritasverband für die Stadt Essen e. V. bekanntgegeben, der das Gebäude seit dem 1. Januar 1921 als „St. Benedictus- Kinderheim“ führte. Der Name „Benedictus“ wurde gewählt, weil die Liegenschaft mit Geld aus einer Spende von Papst Benedikt XV. gekauft worden war. Auch nach diesem Besitzerwechsel versorgten und betreuten die Kölner Cellitinnen zur hl. Maria das Heim. Es beherbergte neben den Waisen- oder Fürsorgekindern auch mangelernährte und erholungsbedürftige Kinder, die hier während etwa fünfwöchigen Kuren untergebracht wurden. Eines der zentralen Anliegen auch des Caritasverbandes war es, sich nach den schweren Jahren des Ersten Weltkriegs nachhaltig für diese Kinder einzusetzen. Die katholischen Kinder besuchten die Volksschulen für Mädchen und K naben, die seit 1920 im ehemaligen Brühler Alumnatsgebäude eingerichtet waren, die evangelischen die Volksschule in der Bonnstraße 52. In der Pfarrchronik von 1921 befasste sich auch Oberpfarrer Heinrich Fetten 129, der nach dem Tod Richard Bertrams Ende des Jahres 1920 dessen Nachfolger geworden war, mit den Ereignissen, die sich seit 1918 im Gebäude Comesstraße 42 zugetragen hatten. Er fasste sie nach bestem Wissen zusammen: 127 Gattin des Brühler Rechtsanwalts Dr. Mayer-Leiden (so die korrekte Schreibweise). 128 Dem Archiv der Stadt Brühl liegt die Brühler Zeitung von Juli bis Dezember 1920 nicht vor, sodass eventuelle Einträge und Nachrichten zum Kinderheim aus d iesem Zeitraum hier nicht wiedergegeben werden können. 129 Heinrich Fetten (1880 – 1949) war von 1920 bis 1941 und von 1945 bis 1949 in Brühl tätig.
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Vorgeschichten
An der Komesstraße hatte ein Dominikanerpater Hilarius Fassbender, gebürtig aus Pingsdorf, das ehemalige Hotel Pavillon 130, ein richtiges Sündenlokal, gekauft u. zu einem Heim für Fürsorgekinder eingerichtet. Über 170 Kinder waren darin. Der Pater starb plötzlich. Da zeigte sich, daß das Haus beinahe eine Million Mark Schulden hatte. Schon waren Spekulanten da, die das Haus kaufen u. wieder dem früheren Zweck dienstbar machen wollten, da kaufte es der Essener Caritasverband und richtete es zum Erholungsheim für schwächliche Stadtkinder ein. Weil es mit Geld, das aus einer Spende des Papstes Benedikt (XV .) stammte, gekauft worden war, erhielt es den Namen St. Benediktusheim. Besorgt wird es von den Augustinerinnen aus der Kupfergasse in Köln. Die zeitige Schwester ist Pia Adams aus Wegberg. Das Haus soll etwa 170 Kinder beherbergen.131
Nachdem das Heim von den Salvatorianerinnen geleitet worden war und sich jetzt im Besitz des Essener Caritasverbandes befand, konnte sich der Oberpfarrer nun sicher sein, dass sich die längst vergangenen Tage des Hauses als „Sündenlokal“ in absehbarer Zeit nicht wiederholen würden. Unter der Leitung von P. Hilarius waren trotz der Geldausgaben, die er auf Kreditbasis vorgenommen hatte, die erforderlichen Bauarbeiten auch im Juli 1919 „noch lange nicht fertig“ gewesen, wie die Salvatorianerinnen damals feststellen mussten. Daher waren jetzt gründliche Nachbesserungen und Ergänzungsarbeiten zu leisten. Am 4. Januar 1921 berichtete die „Brühler Zeitung“, dass das Haus nun „den neuzeitlichen Anforderungen entsprechend wieder hergestellt wird. Die Kapelle wird erweitert und sonstige notwendige Verbesserungen ausgeführt. Da auch die kath. Waisenkinder von Brühl-Stadt und -Land im Kinderheim untergebracht werden, mögen die Wohltäter auch fernerhin des Benediktus-Kinderheims gedenken.“ Der Aufwand war allerdings so hoch, dass Mitte Februar eingeräumt werden musste: „Die vorzunehmenden Reparaturarbeiten machen es leider unmöglich, daß die erste Kinderschar aus Essen schon am 15. Februar eintreffen kann. Vielmehr wird die Aufnahme erst am 21. Februar erfolgen können.“132 Tatsächlich traf am 21. Februar 1921 „der erste Transport erholungsbedürftiger Kinder aus Essen“ ein. Sie blieben hier bis zum 31. März. Gleichzeitig angekündigt wurde „ein zweiter Transport von 50 Knaben und 50 Mädchen“, der am 6. April ankommen sollte.133 Im März schenkte das Schuhhaus Ingber, Wallstraße 14, dem Kinderheim 30 Paar Kinderstiefel „als Ostergabe“, wie am 26. März 1921 in der 130 Bei dem „Sündenlokal“ handelte es sich, wie bereits weiter oben gezeigt, definitiv nicht um das seriöse und renommierte Hotel „Pavillon“, das vermutlich Ende des Jahres 1914 geschlossen worden war, sondern um das später von anderen Betreibern geführte Gasthaus „Zum Schlosspark“. 131 Pfarramt St. Margareta, Brühl: Pfarrchronik 1888 – 1935, S. 231. 132 Brühler Zeitung, 15. Februar 1921. 133 Brühler Zeitung, 21. Februar 1921.
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„Brühler Zeitung“ zu lesen war. „Herr Ingber hat den bedürftigen Kindern hiermit eine große Freude bereitet, wofür ihm herzlichst gedankt wird.“ Auch im Archiv der Cellitinnen befinden sich keinerlei Unterlagen zu Gegebenund Gepflogenheiten, die den Alltag oder Tagesablauf im Brühler Kinderheim unter der Leitung dieser Kongregation kennzeichneten. Grund dafür ist, dass es sich hierbei um eine nicht-ordenseigene Niederlassung handelte: „In diesen Fällen ist es stets so, dass in den ordenseigenen Archiven kaum Unterlagen zu finden sind. Denn die Schwestern zogen mit ihren wenigen persönlichen Dingen zum Arbeiten in die jeweilige Einrichtung und verließen sie bei der Auflösung der Niederlassung. Die Schriftstücke gehörten nicht ihnen, sondern zu den Einrichtungen und sind dort vor Ort verblieben.“134 Gerade die erzieherischen Aspekte wären für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse gewesen, handelte es ich doch um die Zeit der Weimarer Republik mit ihren reformpädagogischen Impulsen. Es sind jedoch lediglich einige Vertragsunterlagen bei den Kölner Cellitinnen-Augustinerinnen erhalten geblieben, so zum späteren Gestellungsvertrag von 1942, der mit dem Caritasverband für die Stadt Essen e. V. geschlossen wurde und Entlohnung, Urlaubs- und Krankheitsfragen regelte, sowie zur Auflösung der Niederlassung im Jahr 1956.135 Man kann allerdings vermuten, dass der Tagesablauf im St. BenediktusKinderheim ähnlich strukturiert ablief wie etwa in dem großen Waisenhaus in Rheydt, das die Schwestern der Kölner „Cellitinnen zur hl. Maria in der Kupfergasse“ seit 1901 unterhielten. Im Jahr 1909 wurden dort 100 Kinder versorgt; somit war das Heim in Bezug auf die Größenordnung vergleichbar mit dem Brühler Heim, in dem 1921 ebenfalls 100 Kinder untergebracht waren. Morgens 6 Uhr Aufstehen. Unter Aufsicht der Schwestern, die den Kleinen helfen, kleiden sich die Kinder stillschweigend an. Die Größeren helfen den Schwestern, die Kleinen anzuziehen. Ebenfalls müssen erstere sich schon daran gewöhnen, die Betten zu ordnen und Waschschüsseln und Fußböden zu reinigen. Das Morgengebet, das nun folgt, wird gemeinsam verrichtet. […] Der Morgenkaffee bringt die erste Erheiterung, doch muß auch hierbei noch das Stillschweigen bewahrt bleiben. Es folgt ein kleiner Aufenthalt auf dem Spielplatze, und dann gehen alle in geordnetem Zuge zum Besuch der hl. Messe in die Pfarrkirche, nachher zur Schule. […] Nur wenige Kleine, die noch nicht gehen können, bleiben zu Hause. Ihnen wird jetzt auch die nötige Nahrung gereicht, und dann können die Schwestern bis zur Heimkehr der draußen in den Schulen weilenden Kinder putzen, waschen und nähen für ihre Schutzbefohlenen. Um 12 ½ Uhr wird das Mittagessen gehalten. Die Größeren nehmen sich dabei der Kleineren hülfreich an. Nach dem Schluß des Nachmittagsunterrichts wird um 4 ½ Uhr 134 Diese Auskunft erteilte mir freundlicherweise Stephanie Habeth-Allhorn, Kulturreferentin Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria, Köln-Longerich. 135 Dazu weiter unten. Diese Unterlagen aus dem Archiv des Caritasverbandes stellte mir freundlicherweise Dr. Karl Herbert Oleszowsky zur Verfügung.
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Abb. 7 Der große Schlafsaal im Benediktus-Kinderheim, 1920er Jahre. affee getrunken. Dann werden die häuslichen Aufgaben für die Schule unter Aufsicht der K Schwestern ausgeführt. Nachher wird die freie Zeit zum munteren Spiel auf dem freien Platze hinterm Hause verwandt. Um 6 Uhr erhalten die Kleinsten ihr Abendbrot und sind bis um 7 Uhr zur Ruhe gebracht. Die größeren nehmen teil an dem für alle Bewohner des Hauses gemeinsamen Abendgebet in der Kapelle und gehen um 9 Uhr schlafen.136
Im „Großen Schlafsaal“ des Benediktus-Kinderheims zierte ein christlicher Denkspruch den Wandsturz über der Eingangstür: „Schlaf wohl in stiller Nacht, Gottes Engel bei dir wacht.“ Die „schlechten Zeiten“ nach Ende des Krieges wirkten sich nach wie vor auch auf das Kinderheim aus. Deshalb informierte die „Brühler Zeitung“ am 3. Dezember 1921, wie schon in den Vorjahren, über eine Sammlung, die nun die Cellitinnen-Schwestern ihrerseits bei der Brühler Bevölkerung angeregt hatten und bei der es wiederum nicht nur um Spielsachen für die Kinder des Heims ging: Im Benediktus-Kinderheim, Comesstraße, wo etwa 100 Kinder untergebracht sind, darunter auch die Waisenkinder von Brühl-Stadt und -Land, möchte St. Nikolaus und das Christkind den Kindern eine Freude bereiten; aber beide haben bei den teuren Zeiten nichts im Ränzel. So manches Spielzeug, Bilderbuch usw. liegt von früher bei unsern Mitbürgern nutzlos herum und würden sich die Waisenkinder herzlich darüber freuen. Spendet auch abgelegte Kleidungsstücke, vor allem Aepfel, Nüsse, Weckmänner usw. Die Kinderherzen sind schnell zufrieden gestellt, aber ganz vergessen darf man deren Wünsche nicht. Eine
136 Zit. n. Habeth-Allhorn (2003), S. 46 f.
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Schwester des Kinderheims wird in den nächsten Tagen bei mildtätiggesinnten Familien unserer Stadt vorsprechen, um Gaben für die Kinder zu erbitten. Gebe Jeder nach seinen Kräften und werden die Kinder aller Wohltäter gern im Gebete gedenken.
Nach dem Weihnachtsfest bedankten sich die Kinder des Heims mit einer „schönen Unterhaltung“ bei den Spendern. „Das Benediktus-Kinderheim ladet alle Wohltäter, Freunde und Gönner zu einer Aufführung morgen Donnerstag, 28. d. M., nachmittags 5 Uhr in das Josephshaus ein. Allen Besuchern wird recht schöne Unterhaltung geboten.“137 Auch im Dezember des folgenden Jahres rief die „Brühler Zeitung“ wieder zu Spenden auf für „unsere charitativen Anstalten, besonders das Marienhospital, das Benediktus-Kinderheim und das St. Josephshaus. Alle haben unsere Unterstützung dringend nötig und helfe jeder nach seinen Kräften.“138 Zuvor hatte es in dieser Zeitung schon einen ausführlichen „Hinweis“ gegeben, der die Situation der Waisenkinder vor Weihnachten ins Bewusstsein der Leser heben sollte: Waisenkinder! Weihnachten, das frohe Kinderfest, steht vor der Tür! Wie freuen sich die Kleinen im Waisenhaus auf diesen Tag, von dem sie soviel Gutes und Schönes erhoffen. Sie müssen das Jahr hindurch so manches entbehren, an Weihnachten möchte man doch auch einmal ihre Hände voll geben, an diesem Tage sollen sie doch vergessen dürfen, daß sie arme Waisenkinder sind. Sie sollen Freude, helle Freude haben. Sie sind noch so kindlich naiv, daß sie sich gar keinen Kummer machen, woher und wie all die vielen Wünsche befriedigt werden sollen, aber alle hoffen zuversichtlich, daß treue Liebe ihnen auch in diesem Jahre den Weihnachtstisch bereiten wird. Es ist unmöglich, von den knappen Mitteln, die den im harten Kampfe ums Dasein ringenden Waisenhäusern zur Verfügung gestellt sind, all diese Wünsche zu befriedigen. Gottlob gibt es noch edle Seelen, deren größte, reinste Weihnachtsfreude in dem Bewußtsein besteht, armen Waisen eine Freude bereitet zu haben. Möchte dieser Hinweis recht viele Wohltäterherzen weich stimmen, daß sie nach Kräften beisteuern.139
Um diesem Anliegen noch mehr Nachdruck zu verleihen, schaltete die Zeitung schon einen Tag später eine weitere Bitte um Spenden für das Benediktus- Kinderheim: Auf die Notlage der charitativen Anstalten, besonders der Waisenhäuser, haben wir schon mehrfach hingewiesen. Jetzt vor Weihnachten, wo die Kinder sich besonders auf die Gaben des Christkinds freuen, hält es schwer, selbst die bescheidensten Wünsche zu erfüllen. Der Not gehorchend, wird eine Schwester des hiesigen Benediktus-Kinderheims von Mittwoch
137 Brühler Zeitung, 28. Dezember 1921. 138 Brühler Zeitung, 19. Dezember 1922. 139 Brühler Zeitung, 4. Dezember 1922.
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an bei unsern Mitbürgern vorsprechen, um eine Gabe zu erbitten für die Aermsten der Armen. Gebe jeder gern nach seinen Kräften; die Waisenkinder werden für ihre Wohltäter beten. Auch sind Spielzeuge, gebr. Kleider, Schuhe sowie Lebensmittel sehr willkommen und werden auf Wunsch gern abgeholt.140
Notwendig wurden diese intensiven Bemühungen um Spenden, weil man davon ausging, dass „das diesjährigen Weihnachten der Ziffer nach das teuerste aller Weihnachtsfeste werden (wird); denn es müßte ein Wunder geschehen, wenn die Preise zurückgehen würden“.141 Durch die fortschreitende Geldentwertung drohten die Preise für die Erfordernisse des täglichen Bedarfs unerschwinglich zu werden, was nicht zuletzt zur Folge hatte, dass man sich auf den Brühler Straßen bei Dunkelheit nicht mehr vor Übergriffen sicher fühlen konnte. Daher sahen sich die Bürgermeister von Brühl-Stadt, Rudolf Freericks, und von Brühl-Land, Wilhelm Dohr, veranlasst, am 18. November 1922 einen Aufruf in der „Brühler Zeitung“ zu veröffentlichen. Darin baten sie die Bevölkerung von Brühl-Land, „die Stadt in den Abendstunden nicht zu betreten, um sich nicht unnötigen Gefahren auszusetzen“. Nach Weihnachten fand dann für die „Gönner und Wohltäter des Benediktus-Kinderheims“ wieder eine Aufführung im St. Josephshaus statt, die am 27. Dezember 1922 in der „Brühler Zeitung“ angekündigt wurde: „Außer Deklamationen gelangt das Weihnachtsspiel ‚Das Sternlein von Bethlehem‘, sowie Krippenreigen und ein lebendes Bild zur Aufführung. Alle Kinderfreunde sind zu dieser Veranstaltung herzlichst eingeladen.“ Auch am 6. Dezember 1924 druckte die „Brühler Zeitung“ wieder Spendenaufrufe für die Waisenkinder: Gedenket der Waisenkinder! In wenigen Wochen feiern wir wieder das hochheilige Weihnachtsfest. Das Christkind trifft schon große Vorbereitungen, um seine Lieblinge mit Gaben zu beschenken. Im vorigen Jahr sah es unter den meisten Weihnachtsbäumen leer aus, weil wir uns von den schlimmen Zeiten der Inflation noch nicht erholt hatten. Das diesjährige Weihnachtsfest begehen wir mit weniger Sorge. Zwar ist die Armut noch groß. Viele Familien, deren Ernährer ohne Arbeit und Verdienst ist, wissen nicht, wie sie ihren Hunger stillen sollen. Die Kinder solcher Eltern verfügen aber doch noch über einen Reichtum: sie haben noch ihre Eltern. Wie viel schlimmer sind diejenigen Kinder daran, denen Vater und M utter durch den Tod entrissen worden sind. Die Schwestern des Kinderheims, die mit hingebender Liebe Elternstelle bei ihnen vertreten, möchten ihren Pfleglingen auch gern eine Weihnachtsfreude bereiten. Wie können sie das aber, ohne die Unterstützung der Mitbürger? Sie wissen, daß ihre bewährte Mildtätigkeit auch diesmal wieder in hellstem Lichte erstrahlen wird. Ihr alle, die ihr den Waisenkindern eine Freude bereiten möchtet, tuet es durch Spendung von nützlichen Sachen, Kleidung und Eßwaren,
140 Brühler Zeitung, 5. Dezember 1922. 141 Brühler Zeitung, 28. November 1922.
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oder Geldspenden. Vielleicht haben manche Familien auch Spielwaren übrig. Bringet eure Gaben zum Benediktus-Kinderheim in der Comesstraße! Jede, auch die kleinste Spende, wird gern angenommen. Die Waisenkinder werden ihren Wohltätern Dank wissen für jedes Zeichen der Liebe, welches ihnen kundtut, daß man ihrer gedenkt. „Alles, was ihr einem meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan“, sagte Christus. Der himmlische Wohltäter wird die guten Taten mit ewigen Gütern belohnen.
Knapp zwei Wochen s päter, am 15. Dezember 1924, erinnerte die Zeitung nochmals daran, Spenden für die Waisen zu geben: Weihnachten, das Fest der Kinder naht. Alles freut sich auf Weihnachten, das lieblichste Fest, das Licht und Wonne in die dunkle Winterszeit strahlt. Glückseliges Kinderlächeln im heiligen Abend – himmlische Freude für Vater und M utter, die in kindlichem Gemüte das Fest für die Kleinen in stiller Arbeit vorbereiten, Wünsche entgegennehmen, und dann am Weihnachtsabend empfinden, welch eine Welt voll Seligkeit ein Kinderherz umschließt. Glücklich das Kind, dem noch in dieser Stunde ein Mutterherz schlägt. – Doch alle Kinder wollen sich freuen, alle, auch die armen Waisenkinder, deren Eltern frühzeitig durch den Tod dahin gerafft wurden, deren Väter in treuer Pflichterfüllung fürs Vaterland ihr Leben hingegeben haben. Laßt uns darum hier an dieser Stelle eine kleine Bitte an Euch richten. Denkt auch in d iesem Jahre an die Waisenkinder des Kinderheims in Brühl. Auch dort soll das Christkind Einkehr halten, auch dort warten Kinderherzen in freudiger Erregung und bangem Zagen, ob wohl das Christkind auch an sie denken wird. Auch die kleinste Gabe kann schon ein Kinderherz erfreuen. Tausendfacher Dank wird Euch gebracht im Gebete der Kleinen. Von morgen Dienstag ab wird seitens der Schwestern des Kinderheims die übliche Weihnachts-Kollekte gehalten.
Im Anschluss an die Spendenaktion folgte, wie in anderen Jahren, eine Darbietung, mit der den Spendern herzlich gedankt wurde. Angekündigt wurde sie am 31. Dezember 1924 in der „Brühler Zeitung“: „Benediktus-Kinderheim. Für die Freunde und Wohltäter des Kinderheims findet am Dreikönigstage, abends 6 Uhr, im Josephshause eine Theateraufführung statt. Zur Aufführung gelangt ‚Von St. Maria Herzen‘. Kinder haben nur in Begleitung Erwachsener Zutritt. Die Mitbürger werden um regen Besuch gebeten.“ 1927 wich die „Brühler Zeitung“ von den bisher formulierten Spendenaufrufen ab und brachte statt dessen am 22. Dezember 1927 ein Gedicht, das dem gleichen Zweck dienen sollte: Der Waisen Weihnachtsbitte Die heil’ge Weihnacht naht heran, Ihr güt’gen Freunde, denkt daran! Im Waisenhaus, im Kinderheim, Da bitten Kinder groß und klein. O, legt was zu dem Tannenbaum,
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Erfüllt der Kleinen Weihnachtstraum. Ihr werdet hoch gesegnet sein, Vom göttlich lieben Jesulein!
Schon wenige Zeit später änderte der Caritasverband das Konzept des Hauses. Von 1928 bis 1939 betrieb er es nicht mehr als Kinderheim, sondern als Kinderund Mütterheim unter der Bezeichnung „Benediktus-Erholungsheim“.142 Die Ordensschwestern wohnten in der um 1880 erbauten „Villa Suermondt“, im sog. Augustinusheim, Comesstraße 39, gegenüber dem Benediktusheim. Seit 1928 befand sich diese Villa im Eigentum des „Kath. Karitasverband Essen“. Außer für die Schwestern wurde sie auch als Wohnhaus für weitere Mieter genutzt.143 Zwischen 1922 und 1928 hatte der gebürtige Niederländer Cornelis Dalmeyer in diesem Gebäude das „Schloss-Café, Pension – Conditorei Augustusburg“ betrieben. Er warb für sein Etablissement mit attraktiven Details: „Schöner schattiger Garten, angenehmer Familienaufenthalt, direkt am Bahnhof. Kinderspielplatz – Garagen.“144 Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 wurde im Tiefkeller des Benediktusheims ein Luftschutzkeller angelegt.145 Zudem mussten bei Kriegsausbruch nun alle Kinder und fünf Pensionäre das Haus Comesstraße 42 verlassen, weil es als Flüchtlingslazarett der Wehrmacht dienen sollte. Dafür wurden 100 Betten aufgestellt, und Anfang Dezember 1939 konnte das Lazarett eröffnet werden. Im Februar 1940 war das Haus mit 50 kranken und verwundeten Soldaten belegt.146 Eine Statistik vom 30. April 1943, in der sich auch die Bezeichnungen „Kinderheim“ und „Altersheim“ finden, belegt, dass – neben anderen Pfleglingen – 23 Kleinkinder und Säuglinge im Benediktusheim gepflegt wurden: „Zu d iesem Zeitpunkt waren sechs Schwestern im Haus, 11 weibliche und 3 männliche Kräfte (bei den Frauen dürfte es sich größtenteils um Lehrmädchen gehandelt haben), 36 ‚Hausinsassen‘, davon oder zusätzlich 15 Wehrmachts-Kranke.“147 Bis 1945 bestimmten nun Soldaten und Angehörige des Reichsarbeitsdienstes das Leben im Benediktusheim; auch Zwangsarbeiter waren hier eingesetzt.148 Weiterhin waren nach wie vor Säuglinge und Kleinkinder untergebracht: 142 Inzwischen war an der Fassade des Heims die Aufschrift von „St. Benedictus-Kinderheim“ in „Benediktus-Erholungsheim“ umgeändert worden. Im „Adreßbuch der Stadt Brühl“ von 1941/42 wird das Haus Comesstraße 42 als „Pensionat Benediktusheim“ bezeichnet. 143 Vgl. „Adreßbuch der Stadt Brühl“, 1928/29. 144 Zit. n. einer Ansichtskarte aus dem Bestand des Brühler Heimatforschers, Sammlers und Autors Dr. Hans-J. Rothkamp. 145 An dieser Stelle des Ostflügels hatte sich bereits seit 1844/45, der Erbauungszeit des Hotels „Pavillon“, der Weinkeller befunden. 146 Vgl. Oleszowsky (2007), S. 44. 147 Diese Auskunft erteilte mir freundlicherweise Stephanie Habeth-Allhorn, Kulturreferentin Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria, Köln-Longerich. 148 Vgl. dazu Drösser (2016), S. 249.
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Abb. 8 Benediktus-Erholungsheim, 1930er Jahre.
Abb. 9 Die Küche im Benediktus-Erholungsheim, 1930er Jahre.
1944 wurden 22 Kleinkinder und Säuglinge versorgt, 1945 waren es 21. 1946 betrug die Gesamtzahl der verpflegten Personen zwar 62, davon waren jedoch lediglich acht Kleinkinder. Säuglinge sind in dieser Statistik nicht ausgewiesen.149 Mit einem erneuten Gestellungsvertrag vom 2. März 1942 zwischen dem Kath. Caritasverband für die Stadt Essen e. V. und der Genossenschaft der 149 Die Gesamtzahl der verpflegten Personen im Augustinus- und Benediktusheim betrug 1943: 491; 1944: 552; 1945: 204. Die Zahlen und weitere Details sind entnommen aus Unterlagen des Caritasverbands Essen e. V.
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Abb. 10 Werbung. Aus dem „Adressbuch der Stadt Brühl“ von 1928/29.
Cellitinnen-Augustinerinnen zur hl. Maria in der Kupfergasse in Köln stellte die Genossenschaft dem Caritasverband die erforderliche Zahl von geeigneten Schwestern für das Benediktusheim in Brühl zur Verfügung; die Schwestern waren demnach „in dem Heim im Auftrag und nach den Weisungen des Vorstandes des Caritasverbandes tätig“.150 Nach den Zerstörungen durch den schweren Bombenangriff auf Brühl am 4. März 1945 mussten nach Ende des Krieges die Schäden am Gebäude Comesstraße 42 beseitigt sowie im Jahr 1946 die notwendigen Instandsetzungsarbeiten für eine neue Abteilung zur Aufnahme kranker Säuglinge durchgeführt werden. Seit 1951 nutzte der Caritasverband das Haus als Altenheim. Die Generaloberin Schw. Priscilla sandte am 7. Februar 1955 ein Schreiben an das Erzbischöfliche Generalvikariat, in dem sie darum bat, „entsprechend der durch den Hochwürdigen Herrn Generalvikar unserer verstorbenen Ehrwürdigen M utter gegebenen Zusage die Aufhebung unserer oben genannten Niederlassung gemäss can. 486 zu genehmigen“.151 Der Direktor des Caritasverbandes bemühte sich daraufhin, andere geeignete Pflegekräfte für das Benediktusheim zu finden. Weil er dabei keinen Erfolg hatte, hoffte er, die Cellitinnen dazu bewegen zu können, wenigstens drei Schwestern in diesem Heim zu belassen, damit die wichtigsten Posten mit ihnen besetzt werden könnten (die Leitung des Hauses, der Küche und der Stationen), während das übrige Personal aus Laienkräften bestehen sollte. Schwester Priscilla konnte dies nicht zusagen, da „unsere Schwestern wegen der Überbeanspruchung in verstärktem Maße ausfallen. Es läßt sich das nicht weiter verantworten“.152 Dies 150 Vgl. Oleszowsky (2007), S. 53. 151 Schreiben aus dem Archiv des Caritasverbands. 152 Aus dem Schreiben vom 9. März 1956.
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Abb. 11 Im Park des Benediktus-Erholungsheims, 1930er Jahre.
war nicht zuletzt eine Folge der stark rückläufigen Schwesternzahl auch in dieser Ordensgemeinschaft. Die Cellitinnen wollten nun das Heim zum 1. April 1956 verlassen. Der Caritas verband hatte ihnen im März mitgeteilt, dass Caritasschwestern der Erzdiözese Köln die Heimleitung übernehmen würden. Als sich abzeichnete, dass sich dies noch einige Zeit verzögern würde, zeigten die Cellitinnen Entgegenkommen und verschoben ihren Weggang nochmals um sieben Monate. Am 6. November 1956 erteilte der Erzbischof von Köln die ausdrückliche Erlaubnis und Zustimmung, die Schwestern zum 30. November 1956 zurückzuziehen und damit die Niederlassung aufzuheben. Er dankte der Genossenschaft „für die langjährige segensreiche Tätigkeit im Benediktusheim von Herzen“. So verließen die letzten vier verbliebenen Cellitinnen von der Kölner Kupfergasse am 30. November 1956, nach insgesamt 36 Jahren, endgültig das Benediktusheim, um sich ganz der Krankenpflege in den Einrichtungen ihrer Genossenschaft zu widmen. Zeitgleich übernahm die angekündigte Caritasschwesternschaft das Brühler Altenheim. Auch der Direktor des Caritasverbandes für die Stadt Essen dankte der Schwesternschaft für so viele Jahre „treue, selbstlose und hingebende Dienste an den Kindern, Müttern und schließlich an unseren alten Leuten“.153
153 Schreiben vom 19. Oktober 1956.
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Am 1. Oktober 1959 wurde das „Altenpflegeheim Benediktus“ in die Trägerschaft des Ordens der „Dienerinnen des Heiligen Herzens Jesu“154 übernommen; 1962 ging es in ihr Eigentum über. Unter ihrer Leitung wurde das Heim weitergeführt, bis sie es ebenfalls aufgeben mussten, kurz nach ihrem 30-jährigen Jubiläum in Brühl. Es lag auch hier die ausdrückliche Anordnung des Mutterhauses in Metz vor, das Haus in Brühl nicht weiter zu betreiben. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren im Wesentlichen die rückläufige Schwesternzahl und die Überalterung der Ordensschwesternschaft. Zu diesem Zeitpunkt beherbergte das Heim etwa 17 Männer und Frauen, die von rund 20 Mitarbeiterinnen versorgt wurden. Schwester Maria Liuba, die das Heim bereits seit 1985 leitete, war der Meinung, es sei „finanziell nicht verantwortbar, das Haus noch jahrelang mit nur wenigen Heimbewohnern weiterzuführen“.155 Die Instandhaltung eines so umfangreichen Anwesens war aufwendig; hinzu kamen die Kosten für das auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegende Schwesternwohnheim in der Villa Suermondt („Kloster Marienschutz e. V.“), das sich ebenfalls im Besitz des Ordens befand. Nach einigen Verhandlungsgesprächen erwarb die Stadt Brühl 1990 das Gebäude „Benediktusheim“ mit den zugehörigen Liegenschaften. Die Fortführung des Altenheims durch die Ordensfrauen war dadurch noch für eine Übergangszeit, bis 1993, sichergestellt. In ihrem Wohnheim, der ehemaligen Villa Suermondt in der Comesstraße 39, logierten die sechs letzten noch verbliebenen Schwestern der „Dienerinnen des Heiligen Herzens Jesu“ bis Januar 2001. Anschließend zogen sie sich zurück in die von ihrem Orden geführte Maison de Retraite du Sacré Cœur in Dauendorf (Elsass). 2001 entschied die Stadt Brühl, im ehemaligen Benediktusheim das erste Personalmuseum für den in Brühl geborenen Künstler Max Ernst (1891 – 1976) zu schaffen. Die feierliche Eröffnung fand am 4. September 2005 statt.
154 Das Mutterhaus der Kongregation der Dienerinnen des Heiligen Herzens Jesu (Maison du Sacré Cœur) befindet sich in Scy-Chazelles bei Metz in Frankreich. 155 Kölner Stadt-Anzeiger, 4. Januar 1991.
3. Der Landkreis Köln gründet ein eigenes Kinderheim
3.1 Spendenaufrufe für erholungsbedürftige Kinder Kurz vor dem Ende des E rsten Weltkriegs fand in Berlin am 20./21. September 1918 der Jugendfürsorgetag statt. In der Schlusserklärung war zu lesen: „Der Deutsche Jugendfürsorgetag hält die Errichtung von Jugendämtern in Stadt und Land als Träger der öffentlichen Jugendfürsorge (Fürsorge für Armenkinder, Waisenkinder, Kost- und Haltekinder, uneheliche Kinder, Fürsorgezöglinge) für unerläßlich.“1 Diese Forderung wurde mit der Verabschiedung des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt (RJWG) am 9. Juli 19222 erfüllt, das in seinem §1 die Normierung des Rechts auf Erziehung sowie den Anspruch auf öffentliche Erziehungshilfe formulierte.3 Doch bis zum Inkrafttreten des RJWG war der Landkreis Köln aufgrund der Notlage unmittelbar nach dem E rsten Weltkrieg weder in der Lage, noch dazu verpflichtet, den zahlreichen kriegsgeschädigten und unterernährten Kindern kreiseigene Erholungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Um ihnen dennoch einen Aufenthalt an einem geeigneten Ort ermöglichen zu können, war dringend finanzielle Unterstützung erforderlich. In Brühl wurden Frau Bürgermeister Wilhelm Dohr 4 und Frau Geheimrat Dr. Martin Mertens 5 aktiv und riefen im März 1920 in der „Brühler Zeitung“ zu Spenden „Für die 1 Aus: Jugendämter als Träger der öffentlichen Jugendfürsorge im Reich: Bericht über die Verhandlungen des Deutschen Jugendfürsorgetages am 20. und 21. September 1918 in Berlin, Berlin 1919, S. 101. 2 In Kraft getreten am 1. April 1924. Der 1911 eingeführte Begriff „Jugendpflege“ wurde im RJWG durch „Jugendwohlfahrtspflege“ ersetzt. 3 „Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit. […] Insoweit der Anspruch des Kindes auf Erziehung von der Familie nicht erfüllt wird, tritt […] öffentliche Jugendhilfe ein.“ Dieses Ziel entsprach zwar den damaligen reformpädagogischen Bestrebungen, gleichwohl blieb das Gesetz von Anfang an von restriktiven Elementen gekennzeichnet: Durch die „Verordnung über das Inkrafttreten des RJWG“, die die Reichsregierung am 14. Februar 1924 – also kurz vor dem Inkrafttreten des RJWG – aufgrund hoher Inflation und wirtschaftlicher Not per Notverordnung erließ, wurden diejenigen Teile des Gesetzes, die Neuerungen bringen sollten, weitgehend wieder aufgehoben. Wörtlich heißt es dazu in Art. 1 der Verordnung: „[…] bis auf weiteres sind Reich und Länder nicht verpflichtet, Bestimmungen des RJWG durchzuführen, die neue Aufgaben oder eine wesentliche Erweiterung bereits bestehender Aufgaben für die Träger der Jugendwohlfahrt erhalten“, zit. n. Wolfram Hodermann: Das neue Jugendwohlfahrtsrecht. Berlin o. J. (1928), S. 63. Davon unberührt blieb die Festlegung eines Anspruchs auf Erziehung für „jedes deutsche Kind“ (§1 RJWG). 4 Wilhelm Dohr war von 1910 bis 1931 Bürgermeister von Brühl-Land. 5 Dr. Martin Mertens war von 1893 bis 1917 Direktor des Brühler Gymnasiums.
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Kinder von Brühl-Stadt und -Land“ auf. Sie bekundeten mit ihrem Einsatz beispielhaft das soziale Engagement, das „zum Lebensinhalt der bürgerlichen Oberschicht“6 gehörte und sich nicht zuletzt in Stiftungen für diverse soziale Anliegen zeigte. Der Kreis Köln-Land hat in letzter Zeit eine Anzahl erholungsbedürftiger Kinder zum vorübergehenden Landaufenthalt in das neutrale Ausland – Holland – entsandt und hierbei überraschende Erfolge erzielt. Die Zahl der kurbedürftigen Kinder ist aber so groß, daß die Aufwendungen hierfür aus eigenen Mitteln allein nicht mehr bestritten werden können. Der Kreis ist daher gezwungen, zur Erfüllung seiner großen sozialen Aufgaben sich an den bekannten Opfersinn seiner Bewohner zu wenden. Es wird ausdrücklich bemerkt, daß die aus Brühl-Stadt und -Land eingehenden Spenden ausschließlich den erholungsbedürftigen Kindern dieser beiden Bürgermeistereien zu Gute kommen und voll und ganz zur Unterstützung nur solcher Kinder verwendet werden, welche für einen Kurgebrauch nach amtsärztlichem Gutachten ausgewählt worden sind. Je mehr Geld wir erhalten, desto mehr Kindern kann die Wohltat des Landaufenthaltes gewährt werden. Schnelle Hilfe tut dringend Not. Zahlungen werden erbeten, auf Konto der Städt. Sparkasse Brühl (Kinderfürsorge BrühlStadt und -Land). Brühl den 13. März 1920. Frau Geheimrat Dr. Mertens. Frau Bürgermeister Dohr.
Die „Brühler Zeitung“ unterstützte das Anliegen am 23. März 1920 mit einem redaktionellen Beitrag: Erholungsbedürftige Kinder aus Brühl-Stadt und -Land haben verschiedentlich mit gutem Erfolge im Ausland, vor allem im gastfreundlichen Holland Aufnahme gefunden. Kur- und erholungsbedürftige Kinder gibt es noch in großer Zahl. Die dem Kreis zur Verfügung stehenden Mittel sind erschöpft, der Landkreis Köln ist daher gezwungen, sich an den bekannten Opfersinn seiner Bewohner zu wenden, wie aus dem Inserat in der vorliegenden Nummer näher ersichtlich ist. Wenn nun die aus Brühl-Stadt- und -Land eingehenden Spenden restlos auch den erholungsbedürftigen Kindern aus diesen Bürgermeistereien zu Gute kommen, so darf mit Recht wohl erwartet werden, daß Spenden zu diesem Zwecke in reichlicher Weise eingehen. Die Not in manchen Familien ist groß und die Unterernährung vieler Kinder macht sich immer mehr bemerkbar. Schnelle Hilfe tut daher Not. […]
6 Paul-Georg Custodis: Die Villen des späten 19. Jahrhunderts in Brühl. In: Rheinische Heimatpflege 3, Juli–September 1972, S. 170.
Spendenaufrufe für erholungsbedürftige Kinder
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Nach wenigen Tagen gingen die ersten Spenden ein. In der Rubrik „Kinderfürsorge-Sammlung“ wurden sie am 27. März 1920 in der „Brühler Zeitung“ aufgelistet: [Namen und Beträge]. Summa 4966 M., den Gebern herzlichsten Dank! I. A. Frau Geh.-Rat Mertens. Frau Bürgermeister Dohr.
Die Druckerei Peter Becher, das Rankewerk, die Beamtenvereinigung Brühl, das Elektrizitätswerk Berggeist, Bergrat Gruhl, Frau Geh.-Rat Mertens, Dr. MayerLeiden und viele andere spendeten ebenfalls, sodass bis zum 3. April 1920 ein Betrag in Höhe von 10.276,00 Mark zusammenkam. Frau Mertens und Frau Mayer-Leiden setzten ihr Engagement fort, indem sie im Juni 1920 zu Spenden für das Benediktus-Kinderheim in der Comesstraße aufriefen, nachdem d ieses beraubt worden war.7 Im Februar 1921 berichtete die „Brühler Zeitung“ unter der Überschrift „Die Kinder aufs Land!“ von einem Runderlass Preußischer Minister, der sich auch in diesem Jahr mit der „Unterbringung von erholungsbedürftigen, unterernährten Kindern der Großstädte und Industriebezirke in ländlichen Familien“ befasste. In dem Erlass wird allen nachgeordneten Behörden die nachdrücklichste Unterstützung der Bestrebungen des Vereins „Landaufenthalt für Stadtkinder“8 zur Pflicht gemacht. […] Den Kindern wird wie bisher, soweit sie bei Selbstversorgern untergebracht sind, die Selbstversorgerration zugebilligt und bei Unterbringung in Kolonien darf der zuständige Oberpräsident auch diesen Kindern die Selbstversorgerration auf Antrag zubilligen.9
Im Landkreis Köln sollte es nicht dabei bleiben, den Verein „Landaufenthalt für Stadtkinder“ zu unterstützen. Nachdem zeitgleich mit dem Inkrafttreten des RJWG am 1. April 1924 das Kreisjugendamt Köln-Land gegründet worden war,10 war der Landkreis nun verpflichtet, „neben privaten, kirchlichen oder stadtkölnischen Heimen auch eigene Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen“.11 Dieser Aufgabe wurde entsprochen: Mitbedingt durch die damalige kurze Phase des konjunkturellen Aufschwungs Mitte der 1920er Jahre konnte sich der Landkreis Köln nun sogar mit dem Gedanken tragen, „dem Ankauf eines eigenen Kinderheims näherzutreten“.12 Gefunden hat man ein sehr 7 s. weiter oben. 8 Landaufenthalt für Stadtkinder e. V., Reichszentrale für die Entsendung von Kindern zum Erholungsaufenthalt, Berlin (gegr. 1917). 9 Brühler Zeitung, 8. Februar 1921. 10 Am 10. November 1924 erhielt es eine rechtsgültige Satzung. 11 Hermann Daners: Das Kreiswaisenhaus „Ehrenfried“ im ehemaligen Brauweiler Rathaus. In: Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde. Bd. 22, 1998, S. 203. 12 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/18. 2. Januar 1926.
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a ttraktives Objekt in Barkhausen an der Porta,13 Kreis Minden, Portastraße 8, das am 9. Januar 1926 besichtigt werden konnte.
3.2 Das Kreiskindererholungsheim in Barkhausen an der Porta Schon am 16. Januar 1926 fasste der Kreistag des Landkreises Köln den Beschluss, das besichtigte Gebäude zu erwerben.14 Genutzt werden sollte es als Erholungsheim für die Schulkinder, die wegen der Entbehrungen während und nach dem Ersten Weltkrieg vielfach unterernährt und von schlechter Gesundheit gekennzeichnet waren und oftmals herbe Schicksalsschläge zu verkraften hatten. Vorteilhaft für den beabsichtigten Kauf war, dass in der zweiten Jahreshälfte 1924 ein wirtschaftlicher Aufschwung eingesetzt hatte. Im November 1923 war die Rentenmark, eine provisorische neue Währung, als Zahlungsmittel ausgegeben worden und hatte die Hyperinflation der Jahre 1922/23 beendet. Im August 1924 wurde zusätzlich die Reichsmark eingeführt, und mit dieser „endgültigen“ Währungsreform sollte die deutsche Währungsstabilität garantiert werden. Günstig für die Pläne des Landkreises war zudem, dass das Besatzungsstatut für die Zone I, zu der er gehörte, infolge des Locarno-Vertrages von 1925 vorzeitig endete. Es brachte die Befreiung des Rheinlands von der alliierten Besatzung am 31. Januar 1926. Das Gebäudeensemble in Barkhausen war unter verschiedenen Eigentümern als Hotel, Kurhotel und Pension genutzt worden.15 Seit September 1922 befand es sich im Eigentum der 1889 gegründeten Gelsen kirchener Gußstahl- und Eisenwerke AG, die hier ihren Angestellten nach dem Ersten Weltkrieg als fürsorgerische Maßnahme das „Erholungsheim-Porta“ einrichtete. Details dazu waren 1923 im „Mindener Tageblatt“ zu lesen: „Die von der Gesellschaft geschaffene Wohlfahrtseinrichtung soll ihren Angestellten und besonders ihren Arbeitern zur Erholung nach schwerer Zeit dienen. Es können außer den Heimangestellten 38 Erwachsene und 18 Kinder in ihm untergebracht 13 Zu den Ortsbezeichnungen „Barkhausen an der Porta“ oder „Porta-Barkhausen“ finden sich sehr lesenswerte Überlegungen bei Fritz W. Franzmeyer: Liegt Barkhausen an der Porta oder bei Schilda? Kurioses um einen Namenszusatz. In: ders.: Die Porta Westfalica links der Weser. 2. Aufl. BoD 2013, S. 414 – 417; sowie ders.: Wie die „Weserscharte“ zur „Porta Westfalica wurde. Zu Entstehung und Karriere eines topografischen Begriffs. In: Walter Gödden, Arnold Maxwill (Hg.) Literatur in Westfalen. Bielefeld 2020, S. 13 – 28. 14 Diese Entscheidung trafen Landrat Philipp Heimann sowie der Kreissyndikus und Sozialdezernent der Verwaltung, Wilhelm Breitbach, der Kreisarzt, Medizinalrat Dr. Schrammen, sowie der gesamte Kreistag, der sich für dieses Vorhaben ausgesprochen hatte. Vgl. Jakob Sonntag: Heim an der „Porta Westfalica“ erinnert viele an ihre Kindheit. In: Kölnische Rundschau, 3. Februar 1966 (1966a). 15 Das Haupthaus war um 1870 erbaut worden; 1888, 1898 und um 1908 waren Erweiterungsbauten vorgenommen worden.
Das Kreiskindererholungsheim in Barkhausen an der Porta
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Abb. 12 Kurhotel Zur Westfälischen Pforte.
werden. Im Heim sind gemeinsame Speise- und Unterhaltungsräume geschaffen.“16 Firmeneigene Erholungsheime gehörten zu den finanziell aufwendigen Instrumenten betrieblicher Sozialpolitik, die wegen der wiederkehrenden ökonomischen Krisen zunehmend von anderen sozial-karitativen Unterstützungsleistungen der Unternehmen abgelöst wurden. Die Entscheidung, sich vom „Erholungsheim-Porta“ zu trennen, traf die Gelsenkirchener Gußstahl- und Eisenwerke AG im Jahr 1925. Damals war vermutlich schon geplant, im folgenden Jahr zur Rheinisch-Westfälischen Stahlund Walzwerke AG in Gelsenkirchen umzufirmieren. Da der Kreisausschuss des Landkreises Köln überzeugt war, dass es sich bei dem Objekt in Barkhausen um ein durchaus günstiges Angebot handelte, wurde am 18. Januar 1926 der Kaufvertrag über das Anwesen einschließlich Inventar unterzeichnet. Um es für die Nutzung als Kindererholungsheim vorzubereiten, kamen aufgrund der bestehenden Gegebenheiten keine größeren Investitionen auf den Landkreis zu. Das „Mindener Tageblatt“ berichtete: Der neue Besitzer beabsichtigt das bestens eingerichtete Haus zu einem Kinder-Erholungsheim auszugestalten. Es sollen dafür Kinder aus dem Landkreise Köln unter Leitung von Ordensschwestern in Frage kommen. Veränderungen an der Einrichtung des Heims werden nur wenige nötig sein. Die Inbetriebnahme wird bald nach Ostern erfolgen.17
16 Mindener Tageblatt, 29. Mai 1923. 17 Mindener Tageblatt, 6. Februar 1926.
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Abb. 13 Als Erholungsheim der Gelsenkirchener Gussstahlwerke.
Abb. 14 Das Haupthaus des Kindererholungsheims.
Für die Betreuung der Kinder wurden Schwestern der Ordensgemeinschaft „Unserer Lieben Frau“18 ausgewählt. Sie gründeten in Barkhausen eine Ordensniederlassung, für die eine Schwester Oberin als Vorsteherin sowie sieben weitere Ordensschwestern abgestellt wurden. 18 Ihr Mutterhaus war zunächst von 1850 bis1874 in Coesfeld, ab 1888 in Mülhausen bei Grefrath am Niederrhein errichtet worden.
Das Kreiskindererholungsheim in Barkhausen an der Porta
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Im ersten Vertrag vom 30. März 1926 war vereinbart (Auszug):19 Der Landkreis Köln überträgt den Schwestern der Genossenschaft Unserer Lieben Frau zu Mülhausen Bez. Düsseldorf die Führung des Haushaltes und die Wartung, Pflege und Beaufsichtigung der in das Kinderheim zu Porta aufgenommenen Pfleglinge. Der gesamte Betrieb geht zu Lasten des Landkreises Köln, sodass der Genossenschaft daraus ein finanzielles Risiko nicht entstehen kann. Die Genossenschaft wird nach besten Kräften durch gute und sparsame Einrichtung und Verwaltung die Interessen des Heimes sich angelegen sein lassen. Die Genossenschaft stellt die für das Kinderheim erforderlichen Schwestern. Das zum Haushalt gehörige Dienst- und Hilfspersonal wird von den Schwestern im Einvernehmen mit dem Landkreis Köln angestellt und untersteht ihrer Aufsicht. Die Schwestern übernehmen das Heim spätestens Anfang Mai ds. J. [1926]. Bei freiem Unterhalt, wozu auch Wohnung, Ausbessern und Ersatz von Kleidung und Wäsche – ausgenommen neues Ordenskleid –, notwendige Reisen gehören, erhält die Genossenschaft für jede im Heim tätige Schwester eine Vergütung von monatlich 20.—Mark. In Erkrankungsfällen kommt der Kreis für Arzt, Arznei und Krankenpflege bis zur Dauer von 26 Wochen auf. Zur Deckung der Ausgaben für den häuslichen Betrieb erhalten die Schwestern im Voraus rechtzeitig jeweils eine ausreichende Summe zur Verfügung, über deren Verwendung dem Kreise monatlich eine Abrechnung vorgelegt wird. Der Vertrag ist beiderseits mit halbjähriger Frist kündbar.
In diesem Vertrag sind die Aufgaben, die die Schwestern bei der Betreuung der Erholungskinder zu übernehmen hatten, noch nicht konkretisiert. Das vierstöckige Haupthaus bot nach entsprechenden Umgestaltungen bis zu 80 Kindern aus dem Landkreis Köln Platz und erfüllte „alle Voraussetzungen, die an ein modernes Kinderheim gestellt werden müssen“. Alle Räume machten einen „hellen und luftigen Eindruck“.20 Das Erdgeschoss verfügte u. a. über zwei geräumige Speisesäle, einen Empfangsraum, eine große Lehrküche mit Nebenräumen. Im ersten Obergeschoss lagen außer einigen Einzelzimmern die Schlafräume mit dazugehörigen Waschräumen, ein großer Tages-Aufenthaltsraum für die Kinder und das Untersuchungszimmer für den Heimarzt, im zweiten Obergeschoss weitere Schlafsäle, Wasch- und Baderäume sowie Einzelzimmer, im Dachgeschoss die Räume für das Pflegepersonal. Für die Beheizung des Hauses war eine Zentralheizung installiert. 19 Vgl. die Abschrift aus dem Kloster der Kongregation Unserer Lieben Frau in Grefrath-Mülhausen. Dank an die Archivschwester Adelgondis. 20 Kindererholungsheim des Landkreises Köln an der Porta Westfalica. In: Heimatkalender für den Landkreis Köln, 10. Jg., hgg. v. Landrat Loevenich, Kreisleiter des Landkreises Köln. Gauverlag Westdeutscher Beobachter 1937, S. 114. Der Westdeutsche Beobachter war eine der NSDAP zugehörige Zeitung im Gau Köln-Aachen.
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Abb. 15 Auch wenn die Betten eng an eng standen: „Helle und luftige Schlafsäle“, heißt es 1937.
Abb. 16 Der Lageplan des Erholungsheims in Barkhausen.
Schon ein Jahr nach dem Ankauf der Liegenschaft beschloss der Kreisausschuss am 25. Februar 1927, das Areal um zwei Parzellen mit insgesamt rd. 12.300 m² zu erweitern. Sie lagen oberhalb des Kindererholungsheims, hinter dem Gemeindeweg „Unter den Tannen“. Dort befand sich ein im Jahr 1870 erbautes einstöckiges Wohnhaus, das sog. Wittekindhaus, sowie Wiesen- und Waldland.
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Abb. 17 Die 1927 erbaute Turnhalle im Kreiskindererholungsheim in Barkhausen.
Der Heimatkalender von 1937 informierte über die Vorteile des gesamten Areals rund um das Erholungsheim: Das Heim ist umgeben von einem drei Morgen großen Park, in vier Terrassen am Wittekindberg ansteigend, mit schönem alten Baumbestand, vielen Grotten und Lauben, nebst großem Obst- und Gemüsegarten. Unmittelbar an den Garten grenzt der ausgedehnte prachtvolle Wald des Wittekindberges.21
Rund um das Haupthaus wurden anschließend einige Um- und Anbauten vorgenommen: Im parkähnlichen Garten rund um das Hauptgebäude entstanden für die Kinder eine Liegehalle (120 m²) und ein großer Spielplatz. Aus dem vorhandenen, halb verfallenen Pferdestallgebäude wurde eine etwa 198 m² große Turnhalle geschaffen und eine Bühne ganz neu gebaut;22 einen alten Schuppen ließ man umgestalten zu einem einstöckigen Bau mit Waschküche, Mangel- und Bügelstube, Brausebädern und Umkleideräumen (insgesamt 136 m²) sowie einer 19 m² große Wagenhalle (Remise). Zu Beginn und am Ende der Erholungskuren wurden die Kinder vom Heimarzt untersucht, der sie auch während ihres Aufenthaltes betreute. Im Sommer dauerten die Erholungskuren sechs Wochen, in den Wintermonaten fünf Wochen. 21 Kindererholungsheim des Landkreises Köln an der Porta Westfalica (1937), S. 113. 22 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/18. Gem. Beschluss des Kreisausschusses am 23. Juli 1926.
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Abb. 18 Erholungskinder mit ihren Koffern.
s, 1926.23
Abb. 19 Schwestern Unserer Lieben Frau, Erholungskinder, der Arzt Dr. Walter Scheide, der Gärtner Gustav Krause, u. v. a., im Garten des Kindererholungsheims, 1926.23
23 Gustav Krause war seit 1924 beim Landkreis Köln angestellt und wurde 1926 Gärtner im Kreiskindererholungsheim. Er bewohnte das „Wittekindhaus“, das sich auf dem Gelände des Heims befand. Im Herbst 1958 wechselte er als Gärtner und Hausmeister ins neu errichtete „Haus Ehrenfried“ in Brühl. Dort versah er seinen Dienst noch bis 1968.
Die Waisenkinderabteilung im Erholungsheim
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Pro Jahr wurden regelmäßig neun Kuren durchgeführt: vier Kurzkuren zu 32 Tagen und fünf Langkuren zu 39 Tagen; ggf. wurde eine Kurverlängerung gewährt. Zwischen den Kuren lagen jeweils einige Tage zur Generalreinigung, Desinfektion und Überholung des Heims. Am 18. Mai 1926 trafen die ersten 80 Erholungskinder aus dem Kreisgebiet in Barkhausen ein. Das Motto im Kreiskindererholungsheim Porta-Barkhausen lautete: „Kinder, laßt uns fröhlich sein, uns gehört der Sonnenschein!“
3.3 Die Waisenkinderabteilung im Erholungsheim 1928 waren erste Überlegungen des Kreises aufgekommen, neben dem Erholungsheim in Barkhausen an der Porta Westfalica ein weiteres Kinderheim einzurichten. Gedacht war es nicht für Erholungskinder, sondern für solche, die in der Obhut des Kreises standen, weil sie Waisen waren oder aus anderen Gründen nicht in der eigenen Familiengemeinschaft aufwachsen konnten. Bislang waren für sie drei feste Unterbringungsmöglichkeiten im Landkreis Köln vorhanden: Im Benediktus-Kinderheim in Brühl, Comesstraße 42, das seit 1920 von den Kölner Augustinerinnen-Cellitinnen zur hl. Maria in der Kupfergasse geleitet wurde, im Katharinen-Hospital 24 in Frechen und im Krankenhaus „Maria Hilf “ 25 in Stommeln, dem eine Kinderheilstätte bzw. ein Kinderheim angeschlossen war. Allerdings reichten diese karitativen Einrichtungen nicht mehr aus, um den gestiegenen Bedarf zu decken. Anders als beim Ankauf des großzügigen Areals in Barkhausen im Jahr 1926 war inzwischen die Phase der wirtschaftlichen Erholung zu Ende gegangen, ausgelöst maßgeblich durch den Zusammenbruch der New Yorker Börse im Oktober 1929. Dieses einschneidende Ereignis wirkte sich auch auf die Kreis finanzen aus, und so meldeten sich im Kreistag Stimmen mit der Forderung, aus Gründen der Kostenersparnis das Kindererholungsheim aufzulösen. Um dies zu verhindern, beschloss der Kreistag auf Vorschlag des Sozialdezernenten, im Erholungsheim Barkhausen zusätzlich eine Pflegeabteilung für 30 Dauerpflegekinder als „Waisenkinderabteilung“ einzurichten,26 die, anders als die Erholungskuren, ununterbrochen betrieben würde. Mit dieser Maßnahme war eine perfekte Lösung gefunden worden: Die Beibehaltung von Porta war gewährleistet, und gleichzeitig konnte die angedachte neue Unterkunft für Waisenkinder realisiert werden, ohne dafür ein weiteres Haus mieten oder erwerben zu müssen. 24 Es wurde 1882 von den Cellitinnen aus der Kölner Severinstraße übernommen und war zunächst als Hospital und Waisenhaus eingerichtet. Die Cellitinnen betreuten es bis 1974. 25 Gegründet im November 1908 und geleitet von den Cellitinnen zur hl. Maria aus der Kölner Kupfergasse bis zum 31. Mai 1965. 26 Vgl. dazu Sonntag (1972), S. 20.
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Abb. 20 Der Kindergarten im Haus Portastraße 8.
Die in das Erholungsheim integrierte Abteilung für Waisenkinder führte zu einem größeren Arbeitsaufwand, weshalb die Vergütung der Schwestern ab dem 5. November 1930 gegenüber dem bisherigen Vertrag vom 30. März 1926 vertraglich angepasst wurde: Die Genossenschaft erhält vom 1. Oktober 1930 an für jede im Kindererholungsheim Porta tätige Schwester eine Vergütung von monatlich 25.—RM (gleich 300.—RM jährlich) sowie ein Kleidergeld von 20.—RM jährlich je Schwester. Im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen Vertragsbestimmungen.27
So konnte die Genossenschaft Unserer Lieben Frau ihren Wirkungsort seit 1930 beschreiben als „Kinder-Erholungsheim des Landkreises Cöln, Waisenhaus mit Kindergarten und Volksschule, Interne Haushaltungsschule“ und bezeichnete ihre dortige Niederlassung als „Liebfrauenhaus“.28
27 Vgl. die Abschrift aus dem Kloster der Kongregation Unserer Lieben Frau in Grefrath-Mülhausen. Dank an die Archivschwester Adelgondis. 28 So zu lesen in den Annalen Unserer Lieben Frau, Coesfeld (Dank an die Archivschwester Luzilla) sowie in dem Buch „Werden und Wirken der Kongregation der Schwestern Unserer Lieben Frau, Mülhausen-Rhld.“, II. Aufl., Köln 1932, aus der Bibliothek des Klosters der
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3.4 Eine Schule für die Waisenkinder Schon bald trafen die ersten Waisenkinder, die dauerhaft hier leben sollten, in Barkhausen ein. In den Annalen der Liebfrauen ist verzeichnet, dass „am 24. Juni 1931 die ersten 7 kleinen Waislein im Alter von 2 ½ – 3 Jahren bei uns einzogen.“ Da auch schulpflichtige Waisenkinder kommen sollten, wurde eine Heimschule beantragt, die unter der Leitung einer Ordensschwester stehen sollte; sie erhielt dazu die Genehmigung von der Regierung in Minden.29 „Am 4. November besichtigte Herr Schulrat von Minden das Heim, um ein passendes Schullokal auszusuchen“, heißt es in den Annalen der Schwestern Unserer Lieben Frau. Ausgewählt und eingerichtet wurde daraufhin in einem der Räume des Haupthauses die „Heimschule Barkhausen/Porta, Portastraße 8“, eine achtklassige Volksschule für Knaben und Mädchen von sechs bis 14 Jahren. Zunächst übernahm Schwester M. Virginalis die Heimschule, 1932 löste Schwester M. Aurea 30 sie ab. Der Unterricht in der Heimschule war lediglich für die „Waisenkinder“, nicht aber für die Erholungskinder vorgesehen. Die beiden ersten Jahrgänge unterstanden einer Mitschwester, alle übrigen der Schwester M. Aurea. Die Worte in ihrem Nachruf aus dem Jahr 195931 bezeugen ihr hohes Ansehen, geben darüber hinaus aber auch Auskunft über die intellektuellen und persönlichen Defizite einiger ihrer Schüler: Bei diesen schulisch Zurückgebliebenen und zum Teil Schwererziehbaren konnte sich ihre echte Mütterlichkeit in mühevoller Kleinarbeit so entfalten, wie es ihrem edlen, opfervollen Herzen entsprach. […] Wo es nottat, konnte die stille, zurückhaltende Schwester jedoch recht energisch vorgehen. Das galt besonders den vierzehnjährigen Jungen, wenn sie glaubten, sich etwas leisten zu dürfen.
Schwester M. Eleuthera hatte drei Jahre mit Schwester M. Aurea in der Heimschule in Barkhausen gearbeitet und wusste zu berichten: „Die ehemaligen Heimkinder vergaßen ihre treue, gute Lehrerin nicht, und manche besuchten sie noch nach langen Jahren. Sie hatte ja wie eine wahre Mutter für all ihre Bedürfnisse gesorgt.“ 32
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Kongregation Unserer Lieben Frau in Grefrath-Mülhausen. Dank an die Archivschwester Adelgondis. Jakob Sonntag: Aus einem Behelf wurde das Kinderheim „Haus Ehrenfried“. In: Kölnische Rundschau, 30. Mai 1970. Schwester Maria Aurea (1884 – 1959) hatte im Lehrerinnenseminar Vechta ihre Ausbildung und 1909 in Oldenburg die Lehramtsprüfung absolviert. Vgl. die Abschrift aus dem Kloster der Kongregation Unserer Lieben Frau in Grefrath-Mülhausen. Dank an die Archivschwester Adelgondis. Erinnerungen von Schwester Eleuthera im Nachruf auf Schwester Maria Aurea. Dank an die Archivschwester Adelgondis.
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Abb. 21 Versetzungszeugnis der „Heimschule Barkhausen/ Porta“, Ostern 1948, unterschrieben von der Lehrerin Schwester M. Aurea.
Nach 17-jähriger Tätigkeit in der Heimschule wurde Sr. Maria Aurea 1949 zur neugegründeten Liebfrauenschule in Büren versetzt. Deutlich wird, dass sie sich in Barkhausen sehr wohl gefühlt und ihren Dienst in der dortigen Schule besonders gern versehen hatte: „Sie äußerte keine Klage über ihre Versetzung, wenngleich ihr das Scheiden von Porta sicher ein großes Opfer war.“33 Die Waisenkinderabteilung in Porta-Barkhausen blieb 20 Jahre bestehen und hat in diesem Zeitraum etwa 1000 „Waisen- und Fürsorgekindern“ ein Zuhause geboten. 1950 beschloss der Kreisausschuss, das ehemalige Rathaus der Gemeinde Brauweiler anzumieten und zu einem Kinderheim umzugestalten. Daraufhin konnte am 1. April 1950 die Heimschule in Porta aufgelöst werden. Jugendamtmann Jakob Sonntag war sich sicher, dass die Situation für diese Kinder in Brauweiler erheblich besser sein würde. Denn in der Unterbringung im Porta-Heim sah er drei wesentliche Nachteile: 33 Vgl. die Abschrift des Nachrufs aus dem Kloster der Kongregation Unserer Lieben Frau in Grefrath-Mülhausen. Dank an die Archivschwester Adelgondis.
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„1.) konnten nur solche Kinder nach Porta in Dauerpflege gegeben werden, die keine näheren Verwandten hier hatten oder deren Verwandten sich nicht um sie kümmerten, denn die weite Entfernung nach Porta brachte ja zwangsläufig eine Lockerung und Lösung familiärer Bindungen mit sich. 2.) war eine Lösung für Fälle plötzlicher Notstände nicht gefunden und 3.) war die für die weitere Betreuung durch das Jugendamt wünschenswerte und notwendige Verbindung nicht so möglich, daß auch die Zuführung zur Berufsausbildung nach der Schulentlassung gesichert werden konnte, zumal die Kinder durch die Enge der einklassigen Heimschule in den entscheidenden Jahren der Entwicklung dem Leben entwöhnt und dem Jugendamt entfremdet worden waren. […] Auch die Kombination Erholungskinder – Waisenkinder war nicht gut. Für die Erholungskinder war das eine Behinderung, und die Heimkinder, die ja eigentlich in Porta hätten zu Hause sein sollen, kamen von der Schürze der Gruppenschwester nicht los.“34
Hinzu kam, dass in Porta gerade in der Nachkriegszeit stets ausreichend viele Plätze für Erholungskinder zur Verfügung stehen sollten, was jedoch nicht möglich war, so lange die Waisenkinderabteilung dort integriert war. Sonntag: „Auch wegen der katastrophalen Gesundheitsverhältnisse unserer Schulkinder in der Nachkriegszeit, die eine volle Ausnutzung der Erholungsmöglichkeiten im Heim Porta dringend erforderte, mußte nach der Währungsreform eine neue Unterbringungsmöglichkeit für unsere Heimkinder geschaffen werden.“ Eine vorübergehende Lösung bot die Einrichtung des ehemaligen Rathauses in Brauweiler als Kinderheim. Als dort im Juni 1950 die Belegung begann, verließen die 24 zu d iesem Zeitpunkt noch in Porta untergebrachten Waisenkinder das Kindererholungsheim und zogen nach Brauweiler um, in ihr neues Domizil.
3.5 Das Heim im Nationalsozialismus Knapp drei Jahre nach der Standortsicherungsmaßnahme für das Erholungsheim in Porta – ermöglicht durch die Eingliederung der Waisenkinder- bzw. Pflegekinderabteilung – begann mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler die nationalsozialistische Diktatur im Deutschen Reich, mit gravierenden Auswirkungen auch auf die Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Jugendfürsorge: Das NS-Regime übernahm die Kontrolle über die Jugendwohlfahrt. Bereits wenige Monate nach dem 30. Januar 1933 wurden Jugendarbeit und Jugendpflege in den NS-Staat eingegliedert. Es folgte deren Umgestaltung gemäß den Erziehungszielen des völkischen Staates; den Kreisjugendämtern wurden wichtige Aufgaben entzogen und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) oder der 34 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 I. 1. April 1955. Es war nicht zu ermitteln, wie die betreffenden Kinder den Transport nach Porta und den Aufenthalt in einem so weit von ihrem Zuhause entfernten Heim erlebt haben, etwa ob sie sich fremd fühlten oder unter Heimweh litten.
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Hitlerjugend (HJ) zugewiesen. Am 1. Dezember 1936 erließ die Reichsregierung das „Gesetz über die Hitlerjugend“: § 1 Die gesamte deutsche Jugend innerhalb des Reichsgebietes ist in der Hitlerjugend zusammengefaßt. § 2 Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen. […] Von da an war die HJ 35 für alle deutschen Jugendlichen ab dem 10. Lebensjahr zur einzigen Erziehungsinstitution neben Familie und Schule geworden. Mit diesem Monopolanspruch, den sie auf die gesamte außerschulische und außerfamiliale Jugendarbeit durchsetzen konnte, verfügte die HJ zwar über die größten Möglichkeiten, nationalsozialistische Erziehungsideen zu verwirklichen, dennoch machten sich Grenzen der Einflussnahme bemerkbar: „Der Drill des HJ-Dienstes erwies sich langfristig als sicheres Mittel, um vielen Kindern und Jugendlichen die Begeisterung für den Nationalsozialismus auszutreiben.“36 Am 1. Februar 1939 wurde das Führerprinzip auch in das Jugendwohlfahrtsrecht eingeführt, als die Neufassung des RJWG als Reichsgesetz verkündet worden war. Reformpädagogische Ansätze wurden, wenn sie überhaupt Beachtung fanden, für nationalsozialistische Zwecke eingesetzt. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs blieben die vom RJWG geschaffenen Einrichtungen und Institutionen gleichgeschaltet. Damit hatte nicht zuletzt das Jugendamt, wie es vom RJWG von 1922/24 konzipiert und gewollt war, ausgedient. Dem Kindererholungsheim an der Porta Westfalica widmete der Heimatkalender aus dem Gauverlag des Westdeutschen Beobachters im Jahr 1937 ein Kapitel, in dem die vorteilhaften Aspekte dieser Einrichtung hervorgehoben werden, ohne dabei die neue ideologische Ausrichtung zu erwähnen, die im Gegensatz zur christlichen Orientierung der Heimleitung stand: Das Heim steht unter sachkundiger Leitung, und besonders in gesundheitlicher Beziehung wird Vorbildliches geleistet. […] Die Kinder stehen morgens um 7 Uhr auf. Spielen, Turnen und größere Spaziergänge wechseln tagsüber miteinander ab. Nach dem Mittagessen ist eine einstündige Ruhepause vorgesehen. Gegen 8 Uhr gehen die Kinder zur Ruhe. 3 5 Mit dem Erlass der zweiten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Hitlerjugend wurde am 25. März 1939 die Jugenddienstpflicht ( Jugenddienstverordnung) eingeführt; es bedeutete die Zwangsmitgliedschaft schon für die zehnjährigen Jungen im „Deutschen Jungvolk“, für die Mädchen im „Jungmädelbund“. 36 Franz Sonnenberger: Kindheit im Dritten Reich. In: VATER MUTTER KIND. Bilder und Zeugnisse aus zwei Jahrhunderten. München 1987, S. 353. Eine bereits 1945 unter Angehörigen der ehemaligen Hitlerjugend durchgeführte soziologische Untersuchung belegt, dass trotz der strikten Verordnungen nur gut 30 Prozent der Eltern mit der nationalsozialistischen Kinder- und Jugenderziehung einverstanden waren, 40 Prozent lehnten sie ab, rd. 25 Prozent waren indifferent, vgl. Heinz Boberach: Jugend unter Hitler. Düsseldorf 1982, S. 66 f., zit. n. Sonnenberger (1987), S. 346.
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Besonders erholungsbedürftige Kinder machen außerdem Liegekuren durch oder erhalten ein- bis zweimal wöchentlich ein Solbad. So ist in jeder Hinsicht Vorsorge getroffen, den Aufenthalt für die Kinder so zweckentsprechend und angenehm wie möglich zu machen.37
Wie angenehm der Aufenthalt tatsächlich war, lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, denn die vorhandenen Unterlagen geben lediglich Auskunft über formale Umstände. Hilfreich waren Aussagen von ZeitzeugInnen, die sich auf einen Aufruf im „Mindener Tageblatt“ im Februar 2020 gemeldet hatten (s. dazu Kap. 3.9). Aus den Unterlagen und Beschreibungen des Heims lässt sich entnehmen, dass die ständig im Heim lebenden Waisen- bzw. Pflegekinder, allesamt aus dem Landkreis Köln stammend, weitgehend auf ihre Heimumgebung fixiert waren. Hier fanden sie eine perfekte „Infrastruktur“ vor, wurden in der hauseigenen Schule unterrichtet und hatten stets die Möglichkeit zu Kontakten mit den anderen dauerhaft im Heim untergebrachten Kindern. Vorteilhaft war zudem, dass sie sich in einem sehr großzügigen Areal bewegen konnten, mit vielfältigen Möglichkeiten für Spiel und Abwechslung. Sie lebten jedoch fast völlig abgeschottet von der „Außenwelt“, hatten dorthin kaum Kontakte, etwa zu den Kindern aus Barkhausen, die sich nachmittags z. B. zum Fußballspielen trafen oder zu anderen Freizeitgestaltungen verabredeten. Mehrere ZeitzeugInnen aus Barkhausen erinnern sich an die „Unsichtbarkeit“ der Heimkinder im Dorfleben: „Man sah sie nicht, man kannte sie nicht, sie blieben sehr abgekapselt unter sich, waren Außenseiter.“ Diese Abschottung änderte sich erst in der NS -Zeit, als auch die Dauerpflege-Heimkinder in die HJ eintreten mussten. In einem Bericht im „Mindener Tageblatt“ heißt es in Bezug auf das Kreiskindererholungsheim an der Portastraße 8: „Damals war die Einrichtung vielleicht doch eine Insel in Barkhausen. Die Kinder blieben gewöhnlich unter sich, wurden wohl anders erzogen, als es der Nazi-Herrschaft genehm war. Trotzdem waren sie zum Dienst in den NS-Nachwuchsorganisationen gezwungen.“38 Jetzt mussten auch sie ihre „Burg“ regelmäßig verlassen und begegneten den Kindern aus dem Dorf, etwa wenn sie gemeinsam mit ihnen auf dem Schulhof anzutreten hatten, um u. a. aufmarschieren zu lernen. Die Schwestern Unserer Lieben Frau konnten ihren Dienst in Barkhausen fortsetzen, obwohl die Hitler-Diktatur deutlich kirchenfeindliche Aktivitäten aufwies. Ermöglicht wurde den Schwestern die Fortführung ihrer Arbeit in dieser Niederlassung, weil sich der Landrat des Landkreises Köln, Heinrich Loevenich, „nach der Machtübernahme in Zusammenarbeit mit Kreissyndikus Breitbach dieses Kindererholungsheims besonders angenommen“39 hatte.
37 Kindererholungsheim des Landkreises Köln an der Porta Westfalica (1937), S. 114. 38 Robert Kauffeld: Vom Hotel zur Malche. Bewegte Geschichte eines alten Gebäudes. In: Mindener Tageblatt, Porta extra, 2006, S. 11. 39 Kindererholungsheim des Landkreises Köln an der Porta Westfalica (1937), S. 115.
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Abb. 22 Blick in die Heimschule für die Kinder der Waisen- bzw. Pflegekinderabteilung: Alle werden in einem einzigen Raum unterrichtet. Die größeren Knaben hinten links tragen HJ-Uniformen, an der Wand hängt ein Hakenkreuz – die Schwestern Unserer Lieben Frau mussten es hinnehmen. Nach 1933.
Obwohl Landrat Heinrich Loevenich dafür gesorgt hatte, dass die Schwestern Unserer Lieben Frau auch in der NS-Zeit das Heim weiterhin leiten konnten, machten diese bald schon die Erfahrung, dass es „erste Schwierigkeiten in der NS -Zeit“ gab und das Heim nun „anderen Zwecken diente“. Eine der Liebfrauen-Schwester beklagte später im Rückblick, welche Maßnahmen dazu zählten: Ohne Besprechung mit den Schwestern wurde die Hakenkreuzfahne auf dem Haus angebracht. So manche Priester hatten sich zuvor im Haus erholt und dabei den Gottes dienst versorgt. Nun erfolgte die strenge Anweisung, keinen Priester, auch keine anderen Personen mehr im Haus wohnen zu lassen ohne ausdrückliche Genehmigung von Köln. Das bedeutete für die Schwestern eine große und ständige Sorge um die Aufrechterhaltung des Gottesdienstes, denn der Weg zur Kirche war weit. […] In den letzten Kriegsmonaten wurde noch ein Reservelazarett eingerichtet mit einer Durchgangsstation für Truppen.40
40 Schreiben der Provinzialoberin vom 3. April 1956 an das Erzbischöfliche Generalvikariat in Paderborn sowie zit. n. einem internen Rückblick auf 30 Jahre Porta-Heim. Dank an die Archivschwester Luzilla.
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Seit dem Frühjahr 1944 hatte die Wehrmacht die Turnhalle auf dem Gelände des Porta-Heims belegt. Diese Belegung bestand noch, als der Landkreis Köln zum 15. November 1944 einen Mietvertrag 41 mit der „Hammerwerke G. m. b. H.“ in Minden/Westf. schloss. Dabei handelte es sich um die Vermietung zweier Säle neben dem großen Haupthaus, und zwar um „den im Kinderheim in Barkhausen rechts vom Eingang strassenwärts gelegenen Saal in Grösse von 96 qm sowie die im Hofe gelegene Turnhalle – ohne Bühnenraum – in Grösse von etwa 120 qm“. Vereinbart wurde nun: „Mieterin wird den Saal und die Turnhalle lediglich für Bürozwecke in Anspruch nehmen. Den Büroangestellten stehen die beiden am Ende des Eingangsflurs gelegenen Closette zur Verfügung. Die Benutzung weiterer Räumlichkeiten sowie des Luftschutzkellers des Kinderheims durch das Büropersonal der Mieterin ist nicht gestattet.“ Die Turnhalle konnte erst bezogen werden, wenn sie „durch die Wehrmacht“ geräumt sein würde. Insgesamt etwa 80 Personen des Hammerwerks wurden in diesen beiden Sälen des Porta-Heims untergebracht. Es ist davon auszugehen, dass die Hammerwerke, ein eisenverarbeitendes Unternehmen, in dieser Zeit an der Rüstungsproduktion beteiligt war. Am 26. November 1944 bedankte sich Kreissyndikus Breitbach in einem Schreiben beim Landrat des Kreises Köln dafür, dass „die Verhandlungen wegen der Inanspruchnahme des Kinderheims zum Abschluß gelangt“ waren, nachdem „die Turnhalle schon seit längerer Zeit vom Militär belegt“ war und sich der Bürgermeister nun bemühte, „dieses anderweitig unterzubringen“.42 Auch die Firma Friedrich Krupp AG nutzte seit dem Frühsommer 1944 Räumlichkeiten des Kindererholungsheims: Im Haupthaus belegte die Firma den Speisesaal als Großbüro. Krupp hatte die Zuteilung von männlichen KZHäftlingen angefordert, weil Kriegsgefangene und ausländische Zivilarbeiter nicht zur Verfügung standen. Krupp betrieb mit den KZ-Häftlingen im Raum Porta „die Produktionsanlagen im Berg“.43 Ganz in der Nähe des Erholungsheims lag das renommierte, Anfang der 1890er Jahre erbaute Hotel Kaiserhof. 1944 wurde es von der SS beschlagnahmt, Wachmannschaften der SS belegten sämtliche Zimmer des Hotels. Im großen Saal des Hauses war seit März 1944 ein Außenlager des Hamburger KZ Neuengamme 44 eingerichtet, in dem bis zu 1500 Häftlinge, vornehmlich aus osteuropäischen Staaten, auf engstem Raum und unter menschenunwürdigen Umständen interniert waren, während das Hotel-Restaurant für die Zivilbevölkerung geöffnet blieb. Der Däne Jørgen Kieler, Häftling in diesem KZ-Außenlager, schreibt dazu: „Also war es im Ort weit und breit bekannt, dass sich im Festsaal, der früher 41 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/90/142/1. 22. November 1944. 42 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/90/142/1. 43 Auskunft zur Fa. Krupp aus dem Archiv der Malche e. V. 44 Vgl. www.gedenkstaette-porta.de (zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2021).
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den Rahmen zahlreicher Veranstaltungen mit bis zu 2500 Gästen bildete, jetzt ein Häftlingslager befand. Hier waren die ‚Höhlenmenschen‘ untergebracht, mit denen Himmler der deutschen Flugzeugindustrie aus der Produktionskrise helfen wollte.“ Die Häftlinge mussten unter dem Wesergebirge in den Stollen arbeiten, weil dort die „kriegswichtigen Güter“ besser vor alliierten Bombenangriffen geschützt waren.45 Fast ein Jahr lang wurde täglich ein Teil der Häftlinge „für jedermann sichtbar in Kolonnen vom Lager Großer Kaiserhofsaal über die Fährstraße und die Kettenbrücke auch in den Jakobsberg zur Arbeit und wieder zurück getrieben“.46 Auch die Kinder, die Liebfrauenschwestern und das übrige Personal im Erholungsheim erlebten den erschütternden Anblick der Häftlinge, die in ihrer gestreiften Häftlingskleidung vom Kaiserhof in Richtung Weser und dort über die Brücke laufen mussten. Ebenfalls 1944 wurde verfügt, im Kreiskindererholungsheim eine Entbindungsstation einzurichten. Es handelte sich um die Wöchnerinnenabteilung des Mindener Krankenhauses, die hierhin ausgelagert wurde. Durch die Vermietungen „zu Bürozwecken“ und durch das Reservelazarett war sie nicht beeinträchtigt. Bis zum 31. Oktober 1948 war sie im zweiten Obergeschoss bzw. im Dachgeschoss des Erholungsheims untergebracht; in diesen Jahren „fanden in der Kapelle des Hauses viele Taufen und manche Trauungen statt“.47 Die Pflegerinnen wohnten im Wittekindhaus, Unter den Tannen 4. „Mit ihnen bestand bestes Einvernehmen“, erinnerte sich eine der Liebfrauenschwestern. Die Hakenkreuzfahne verblieb während der gesamten NS-Zeit auf dem Dach des Heimgebäudes. Eingeholt werden konnte sie erst seit dem Einmarsch der Amerikaner Anfang April 1945, als sämtliche Nazi-Embleme, -Attribute und -Kleidungsstücke unverzüglich vernichtet werden mussten. Landrat Heinrich Loevenich kam von Mai 1945 bis März 1946 sowie von Februar 1948 bis April 1948 in Internierungshaft. 1949 wurde er wegen „Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Aussageerpressung und Körperverletzung“ zu drei Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt. Im folgenden Jahr hatte Loevenich Erfolg mit seinem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Drei Leumundszeugnisse wurden vorgelegt, eines kam von den Schwestern Unserer Lieben Frau aus dem Kinderheim in Barkhausen an der Porta, die sich für Heinrich Loevenich einsetzten und mit ihrem Schreiben vom 11. Juni 1949 gleichzeitig ihre Arbeit im Heim illustrierten: 45 Kieler, Jørgen: Dänischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Hannover 2011. Zur Rüstungsproduktion im Portaberg und den unterirdischen Stollen: Franzmeyer (2013), S. 457 ff. Das Lager im Kaiserhof und die beiden weiteren in Porta eingerichteten Lager wurden am 1. April 1945 aufgelöst. 46 Robert Kauffeld, Fritz W. Franzmeyer, Hans Rösler: Als Unser Omma noch klein war. Bilder aus dem alten Barkhausen an der Porta. Berlin 2003, S. 363. 47 Aus einem internen Rückblick auf 30 Jahre Porta-Heim. Dank an die Archivschwester Luzilla.
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Herr Loevenich hat während seiner Amtstätigkeit als Landrat des Landkreises Köln niemals einen politischen Druck auf uns Ordensschwestern ausgeübt. Er hat im Gegenteil dem Heim sämtliche Unterstützung zuteilwerden lassen, die mit seiner Beamteneigenschaft zu vereinbaren waren. Unter seiner Leitung und Führung des Heims konnten wir Schwestern unsere Ordenspflichten frei ausüben. Die Kapelle durfte dem Heim verbleiben, die Kruzifixe wurden verschont, der Religionsunterricht wurde weiter erteilt, auch der Gottesdienst weiter abgehalten. Herr Loevenich zeigte stets ein warmes, väterliches Herz für Heim, für Schwestern und Kinder. Jeder Wunsch im Interesse der Kinder wurde gerne erfüllt. Wir Schwestern wünschen nur, dass Herr Loevenich recht bald in seine Familie zurückkehren kann. Namens der Schwestern des Kinderheimes: Schwester Maria A. Schwester Maria I.48
Die Aussagen in den Leumundszeugnissen führten dazu, dass das Schwurgericht beim Landgericht in Köln am 16. Oktober 1950 das gegen Loevenich ergangene Urteil vom 28. Mai 1949 aufhob und der Angeklagte mangels ausreichender Beweise freigesprochen wurde.
3.6 Zahlen und Daten von 1926 bis 194949 1926 und 1927 waren jeweils zehn Schwestern Unserer Lieben Frau in ihrer „Filiale Porta“ eingesetzt; 1929 waren es acht, 1931 neun. 1932 und 1933 waren jeweils zehn Schwestern tätig, 1932 zudem eine Jugendleiterin, eine Kindergärtnerin, ein Gärtner, eine Hausangestellte und ein Hausgeistlicher sowie vier Erholungsschwestern; 1933 zudem eine Kindergärtnerin, eine Kinderpflegerin, ein Gärtner, eine Hausangestellte und ein Hausgeistlicher. Die Zuständigkeit der zehn Schwestern war präzise geregelt: 1932 war eine Schwester die „Vorsteherin“, die die „Kasse und Kapelle“ betreute; je eine für • „Brotsorge, Refektorium, kleine Ämtchen“, • „Küche und Hausarbeit“, • (Sr. Aurea) die „Anstaltsschule“, 4 8 Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (Landesarchiv NRW). Rep. 231 Bl. 477, zit. n. Franz-Joseph Kiegelmann: Tatort Steinzeugofen. Die Frechener Kommunisten. Widerstand, Verfolgung und Justizwege. Frechen 2008, S. 57 f. Unterzeichnet haben die Lehrerin Schwester Maria Aurea und Schwester Maria Irmina. 49 Die Schwesternkongregation hat mir Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt, in denen seit 1932 die jeweiligen Tätigkeiten der Schwestern zu ersehen sind. Auch die Ausführungen des Rechnungsprüfungsamts, die seit 1950 vorliegen, geben Einblicke in die Verwaltungs- und Tätigkeitsstruktur des Kindererholungsheims Porta, s. dazu die Annalen der Kongregation Unserer Lieben Frau in Grefrath-Mülhausen. Dank an die Archivschwester Adelgondis.
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die „Mädchengruppe“, die „Knabengruppe“, „Musik, Flicken“, „Sorge für die Kleinen“, und eine als „Krankenschwester“.
Durch die Einrichtung der Waisenkinderabteilung im Jahr 1930 mit 30 Plätzen im Porta-Heim hatte sich die Anzahl der Plätze für die Erholungskinder bereits reduziert. Im Heimatkalender 1937 heißt es, dass „insgesamt bis zu 75 Kinder aufgenommen werden (können). Davon bleiben 30 elternlose Kinder bis zum 14. Lebensjahr im Heim, und der Rest besteht aus erholungsbedürftigen Kindern des Landkreises.“50 In den Annalen der Liebfrauen-Schwestern wird diese Verteilung bestätigt, die sich ab 1931/32 nochmals zugunsten der Waisenbzw. Pflegekinder verschob, sodass zu dieser Zeit deren Zahl bereits auf rd. 50 gestiegen war.51 1932 beherbergte das Haus 132 Erholungskinder und 51 Pflegekinder (27 Knaben und 24 Mädchen); schulpflichtig waren 16 Knaben und sieben Mädchen; vorschulpflichtig 52: sieben Knaben, zehn Mädchen; schulentlassen: ein Knabe, drei Mädchen. 1933 gab es neben der Vorsteherin folgende Aufgabenverteilung: • Sorge für die Waisenkinder, • (Sr. Aurea) für die 1-klassige Schule, • Sorge für die Erholungskinder mit 1 Kindergärtnerin, • Küche, Sorge für die Lehrköchinnen, • Lingerie, Refektorium, Brotzimmer, • Sorge für die Kleinen mit einer Kindergärtnerin, • Harmonium, Gesangsstunde, Nachhilfestunde und Lernstunde für die Kleinen, • Nähzimmer, Wäsche und Kleidung für die Waisenmädchen, • Hausarbeit, Wäsche. 1933 wurden 139 Erholungskinder und 50 Pflegekinder betreut, von denen zum Zeitpunkt der Aufzeichnung in den Annalen noch 23 Knaben und 17 Mädchen im Haus lebten. Schulpflichtig waren 17 Knaben und neun Mädchen; vorschulpflichtig sechs Knaben und acht Mädchen; drei Mädchen waren aus der Schule entlassen.
50 Kindererholungsheim des Landkreises Köln an der Porta Westfalica (1937), S. 114. 51 Aus den Annalen der Schwestern Unserer Lieben Frau. Dank an die Archivschwester Luzilla. 52 Orientiert ist dieser Begriff an den im 19. Jahrhundert gegründeten Kleinkinderschulen bzw. Bewahranstalten, deren Aufgabe es war, 2 – 6-jährige Kinder zu versorgen, zu betreuen, zu beaufsichtigen und zu beschäftigen, s. weiter oben.
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Als „Liebeswerke“ ausgegeben wurden in d iesem Jahr 1825 Mittagsmahlzeiten und 3676-mal Kaffee und Brot. „4 arme, kinderreiche Familien bekamen 6 Wochen lang ihr Mittagessen bei uns.“ 1935 versorgten zehn Schwestern das Kindererholungsheim, 1937 waren es elf, 1938 wieder zehn. 1939 sorgte die „Hausoberin“ für die Kasse, Botschaften, Sorge für die sieben Lehrköchinnen. Die neun übrigen Schwestern hatten folgende Aufgaben: • (Sr. Aurea) Leiterin der einklassigen Volksschule, 32 Schulstunden, eine Religionsstunde bei den Lehrköchinnen und den schulentlassenen Mädchen, • Schulknaben von 6 bis 14 Jahren, • Gruppenschwester der Mädchen, • Sorge für die Erholungskinder, Harmoniumspielen, eine Kindergärtnerin als Hilfe, • Krankenämtchen, Höhensonne, Refektorium, • Hauswerk, Wäsche, Bügeln, • Nähzimmer, Schwarz- und Weißnäherei für die Schwestern, Flicken fürs ganze Haus, neue Kleider für die Kinder, • Küche, Vorratszimmer, Stundenschelle, • Brotzimmer, Kapelle, Lingerie. Im Haus halfen außer den schulentlassenen Mädchen und Lehrköchinnen eine Hausgehilfin und ein Gärtner für den Garten. 1939 besuchten von den 38 Pflegekindern 18 Knaben und 14 Mädchen die einklassige Volksschule; drei Mädchen waren schulentlassen, drei vorschulpflichtig. Die Aufzeichnungen der Schwestern Unserer Lieben Frau weisen aus, dass die Schulschwester M. Aurea in diesem Jahr 32 Schulstunden pro Woche gegeben hat sowie eine Religionsstunde bei den Lehrköchinnen und den schulentlassenen Mädchen. Eine andere Schwester betreute die Schulknaben von 6 bis 14 Jahren, eine arbeitete als Gruppenschwester für die Mädchen; eine Schwester betreute die Erholungskinder. Diese Einteilung galt auch für das Jahr 1940. 1940 verteilten sich die Aufgaben ebenfalls auf zehn Schwestern: • Vorsteherin, Kasse, Botschaften, • (Sr. Aurea) einklassige Volksschule, • Sorge für die Schulknaben, • Sorge für die Schulmädchen, • Sorge für die Kurkinder, • Krankenämtchen, Höhensonne, Refektorium, • Hausarbeit, Wäsche, Bügeln, • Nähzimmer, Nähen für Schwestern und Kinder, auch neue Kleider, • Küche, Vorratszimmer, Stundenschelle, • Brotzeit, Kapelle, Lingerie.
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1941 waren elf Schwestern im Heim, 1942 zehn, 1944 neun, 1948 zehn. Für zwei Jahre, vom 1. April 1942 bis zum 6. April 1944, lässt sich anhand eines Arbeitsbuches 53 nachweisen, dass eine Jugendliche vom 14. bis zum 16. Lebensjahr im Porta-Heim als Hausgehilfin beschäftigt war. 1949 waren 38 – 40 Kinder in der „Waisenabteilung“; 17 – 20 Knaben und zwölf Mädchen wurden in der Heimschule Porta unterrichtet.
3.7 Seit 1950: nur noch ein Kindererholungsheim Aufschlussreich für die damalige Situation im Kindererholungsheim sind die „Niederschriften über die Prüfung der Kassen- und Wirtschaftsprüfung des Kreiskinderheims in Barkhausen an der Porta durch das Rechnungsprüfungsamt des Landkreises Köln“54 zu Beginn der 1950er Jahre. Mit ihnen kann man sich noch heute einen guten Einblick in die Organisationsstruktur des Heims verschaffen. Im Rechnungsjahr 1950 erfolgte die Belegung des Heims mit je Kur 75 – 80 erholungsbedürftigen Kindern; die Auswahl der Kinder war nach dem vom Kreisgesundheitsamt aufgestellten Plan getroffen worden. 1950 zählten außer den acht Ordensschwestern elf hauptamtliche Kräfte zum Personal, das überwiegend eine Vergütung nach den Bestimmungen der Tarifordnung A (TO.A) erhielt: 4 Kindergärtnerinnen, Vergütungsgruppe VIII TO.A, 1 Kinderpflegerin, Vergütungsgruppe IX TO.A, 1 Hilfskraft als Kinderpflegerin, Vergütungsgruppe IX TO.A, 1 Hausmeister, Vergütungsgruppe VIII TO.A, 1 Arbeiter, 256,00 DM monatlich, 2 Hausgehilfinnen, 45,00 und 25,00 DM monatlich, bei freier Unterkunft und Verpflegung, 1 Hausgehilfin für die Nähstube, 50,00 DM monatlich, bei freier Unterkunft und Verpflegung. Hinzu kamen fünf Lehrköchinnen (bei freier Unterkunft und Verpflegung; sie zahlten monatlich 15,00 DM an den Kreis und entrichteten selbst ihre Beiträge zur Sozialversicherung) und als nebenamtliche Kräfte ein Arzt (200,00 DM vierteljährlich) sowie ein Hausgeistlicher. Dieser erhielt freie Unterkunft und Verpflegung, jedoch keine Barentschädigung. 53 Vgl. „Gesetz über die Einführung eines Arbeitsbuches vom 26. Februar 1935“. Das Arbeitsbuch befindet sich im Kreisarchiv des Rhein-Erft-Kreises. 54 Vgl. die Abschrift im Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/104/5.
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In dieser Übersicht wurden auch die Einsatzgebiete der Schwestern genau definiert. Es erfolgte ein Einteilung nach vorschulpflichtigen und s chulpflichtigen Kindern. Da die Heimschule bereits seit dem Weggang der Kinder aus der „Waisenabteilung“ geschlossen war, handelte es sich hierbei lediglich um eine Zuordnung zu einer altersspezifischen Betreuung. Für die Betreuung der Gruppen I und II, die jeweils 30 Kinder umfassten, waren je eine Schwester und je zwei Kindergärtnerinnen zugeteilt. Das Entgelt für die Schwestern betrug jeweils 40,00 DM (25,00 plus 15,00 DM für Kleidung) und war an das Mutterhaus zu zahlen. Wie im Ursprungsvertrag vom 30. März 1926 erhielten die Schwestern freien Unterhalt, zu dem auch Wohnung, Ausbessern und Ersatz von Kleidung und Wäsche – ausgenommen für ein neues Ordenskleid –, notwendige Reisen zum Mutterhaus und Reisen im Interesse des Heims gehörten. Zudem übernahm der Kreis die Kosten eines jährlichen Erholungsurlaubs für die Schwestern und die Reisekosten für die Teilnahme an den vorgeschriebenen Exerzitien. In Erkrankungsfällen trug der Kreis bis zu 26 Wochen die Kosten für Arzt, Arznei und Krankenhauspflege. Die Oberin hatte die Leitung des Heims inne und trug gegenüber der Kreisverwaltung die volle Verantwortung für eine ordentliche und wirtschaftliche Führung des Heims. Sie war berechtigt und verpflichtet, im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel alle notwendigen Ausgaben für die Haushaltsund Wirtschaftsführung zu tätigen, kleinere Reparaturen an Haus und Inventar durchführen zu lassen und bei Notstand sofort alle Anordnungen zu treffen, die zur Erhaltung des Anwesens und zur Vermeidung größerer Schäden erforderlich waren. Nur außerordentliche Anschaffungen bedurften der Zustimmung der Kreisverwaltung. Die Einstellung und Entlassung des Personals erfolgte nach Anhörung und Vorschlägen der Oberin durch die Kreisverwaltung unter Mitwirkung des Haupt- und Personalamts. Die Oberin war als Leiterin des Heims unmittelbare Dienstvorgesetzte des Personals, das daher ihren Anordnungen Folge zu leisten hatte. Schwester I leitete eine Gruppe (I) von 30 Kindern, erledigte die Korrespondenz mit den Eltern und unterstützte die Kinder im Briefverkehr mit den Angehörigen. Sie bediente die Kinder bei den Mahlzeiten, fertigte morgens und nachmittags die Butterbrote für die Gruppe I. Weiterhin löste sie die Kindergärtnerinnen während deren Freizeit ab; packte die Wäsche der Kinder ein und aus (bei deren Ankunft und Abfahrt). Sie versorgte die Hühner und verwaltete die Obstvorräte. Schwester II war zuständig für Einkauf und Ausgabe von Brot, Aufstrich und Belag; sie sorgte für die Kapelle und pflegte die Klausurräume in der zweiten Etage. Schwester III führte die Küche und verwaltete die Küchenvorräte. Schwester IV erledigte die Büroarbeiten, die Ausbesserung der Wäsche und wirkte mit beim Einkaufen und bei sonstigen Ausgängen.
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Schwester V war zuständig für Näharbeiten, für die Betreuung der Angestellten und die Pflege der Klausurräume in der ersten Etage. Schwester VI leitete eine Gruppe von 30 Kindern bei Schwester I und versah den Krankenpflegedienst. Schwester VII besorgte die Wäsche und die allgemeine Hausarbeit mit Unterstützung der beiden Hausgehilfinnen. Die vier Kinderpflegerinnen betreuten jeweils zu zweit unter Leitung einer Schwester eine Gruppe von 30 Erholungskindern (Gruppe I–II). Ferner oblag ihnen die Bedienung der Höhensonne, das Baden der Kinder, das Ausbessern der Wäsche der Gruppenkinder, Spaziergänge und Ausflüge mit den Kindern, die Überwachung der Liegezeit (täglich zwei Stunden), die Reinigung der Speisesäle und der Nachtdienst bei den Kindern. Eine Kinderpflegerin und die Gehilfin waren zuständig für die gesamte Betreuung der Kinder der Gruppe III , bestehend aus 15 vorschulpflichtigen Kindern. Der Hausmeister und der Arbeiter versorgten die Heizung, pflegten den Gemüse- und Obstgarten, besorgten die Arbeiten im Treibhaus, pflegten die Gartenanlagen, führten kleinere Reparaturen im Haus aus, sorgten für technische Anlagen sowie für die An- und Abfuhr von Gütern, für die Fütterung und Pflege des Pferdes und der Schweine. Sie besorgten Ausgänge, Einkauf von Obst, Gemüse, Eiern, Kartoffeln, Futtermitteln und Stroh. Die beiden Hausgehilfinnen waren zuständig für die Reinigung der Schlafräume der Kinder und des Hauspersonals (außer den Klausurräumen), der Treppen, Flure, Waschräume, Toiletten, des Badehauses, der Turnhalle, der Priester- und Männerwohnungen, und sie halfen mit bei der Wäsche. Die höchstmögliche Belegung bei neun Kuren pro Jahr betrug 720 Kinder, die jedoch nicht regelmäßig erreicht werden konnte, weil damit gerechnet werden musste, dass Kinder wegen Erkrankungen oder sonstiger Umstände in den letzten Tagen vor Kurbeginn ausfielen und für sie dann keine Ersatzkinder mehr eingeschoben werden konnten. Zudem wurden die Kuren in den Wintermonaten mit zumeist durchschnittlich 70 Kindern schwächer belegt. Die „Dienstordnung für das Kindererholungsheim des Landkreises Köln in Barkhausen an der Porta“ vom 27. April 195155 sah vor, dass die Belegung des Heims mit erholungsbedürftigen Kindern aus dem Landkreis Köln mit Zustimmung des Oberkreisdirektors durch das Kreisgesundheitsamt unter Leitung des Kreisobermedizinalrats erfolgt. Leitung, Personal, Dauer und Häufigkeit der Kuren sowie die Anzahl der Plätze für erholungsbedürftige Kinder pro Kur entsprachen den Bedingungen wie bereits 1926. Im August 1951 wurde das 25-jährige Bestehen des Kinderheims des Landkreises Köln gefeiert. Die Jubiläumsveranstaltung „fand in einer würdevoll 55 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772.
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Abb. 23 Der anlässlich der 25-Jahr-Feier festlich geschmückte Haupteingang des Kreiskindererholungsheims in Barkhausen, 1951.
ausgeschmückten Feierstunde einen prächtigen Rahmen“, hieß es in einem Zeitungsbericht unter dem Titel „Kinderheim im Lichtermeer der Kerzen“.56 Zu den Anwesenden zählte Landrat Josef Scheuren 57 ebenso wie der frühere Landrat des Landkreises Köln, Geheimrat Philipp Heimann 58, der 1926 die Kaufvertragsverhandlungen beim Erwerb der Liegenschaft mit geführt hatte. Scheuren betonte die Bedeutung, die der Landkreis Köln der Jugendpflege im vergangenen Vierteljahrhundert beigemessen hatte, und sein Amtskollege des Kreises Minden befand, „daß sich der Landkreis Köln glücklich schätzen müsse, diese Stätte der Erholung der Jugend zu besitzen“. Er versicherte, mit dem Landkreis Köln auch zukünftig einen guten Kontakt zu pflegen sowie sich gemeinsam mit ihm für die „Hilfe für den Dienst an der Jugend“ einsetzen zu wollen. Ein besonderer Dank wurde den Schwestern und dem Personal 56 Der Artikel befindet sich im Archiv des Klosters Unserer Lieben Frau in Coesfeld. Genaues Datum und Presseorgan sind unbekannt. 57 1898 – 1972, Landrat des Landkreises Köln von 1948 bis 1952. 58 1881 – 1962, Landrat des Landkreises Köln von 1920 bis 1933.
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ausgesprochen, da sie „in nie erlahmender Hilfsbereitschaft und Aufopferung im christlichen Dienst an der hilfsbedürftigen Jugend ihren verantwortungsvollen Dienst versehen“.59 Abb. 24 Briefkopf des Kindererholungsheims in Barkhausen a. d. Porta.
Nach den Kriegs- und Nachkriegsjahren waren im Kreiskindererholungsheim in Barkhausen, wie in zahlreichen anderen Heimen auch, Investitionsstaus aufgrund finanzieller Engpässe aufgelaufen. Noch im „Jahresabschlussbericht des Kreis erholungsheims des Landkreises Köln in Porta für das Rechnungsjahr 1952“60 wurde ein erheblicher Sollbetrag festgestellt, mitbedingt durch den Nachholbedarf für die letzten 20 Jahre in Bezug auf Unterhaltung und Instandsetzung, Bewirtschaftung der Haupt- und Nebengebäude und Räume, die Erneuerung von Anstrichen und Fußböden, auf eine dringende gründliche Überholung der Toilettenräume für die Kinder, die Neuverlegung von Elektroleitungen, die Neuanschaffung einer Waschanlage und neuer Matratzen inkl. Schonerdecken für 80 Betten u. v. m. Von 1930 bis zum Ausbruch des Krieges im Jahr 1939 waren keinerlei nennenswerte Erneuerungen bzw. Erhaltungsarbeiten erforderlich gewesen, weil sich das Anwesen in einem einwandfreien Zustand befunden hatte. Auch waren in diesem Zeitraum keine größeren Ersatzbeschaffungen von Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen erfolgt. Die Umstände der Kriegs- und Nachkriegszeit hatten dann bis etwa 1949 weder die inzwischen notwendig gewordenen größeren Erneuerungsarbeiten und Neuanschaffungen, noch die laufende Bestandsergänzungen zugelassen. Erst zwischen 1949 und 1952, also nach der Währungsreform vom 20. Juni 1948, wurden an den Gebäuden des Kreiskindererholungsheims die dringendsten Anbauten, Einbauten, Innenausbauten, Erneuerungsbauten, Kanalarbeiten und Anschaffungen getätigt. Die damit verbundenen beträchtlichen Ausgaben veranlassten zu der Überlegung, eine Erhöhung des Verpflegungssatzes in Betracht zu ziehen, um Defizite auszugleichen und somit die Wirtschaftlichkeit des Kreiskindererholungsheims sicherzustellen. Denn Ziel der Wirtschafts- und Rechnungsführung des Kindererholungsheims ist es, Einnahmen und Ausgaben so miteinander in Einklang zu bringen, dass diese sich tragen. Genau so, wie es nicht beabsichtigt ist, einen Gewinn aus dem Betrieb des Kindererholungsheims zu 59 Aus: „Dienst an hilfsbedürftiger Jugend. Jubiläumsfeier im Kinderheim Porta“. Zeitungsartikel aus dem Archiv des Klosters Unserer Lieben Frau in Coesfeld. Genaues Datum und Presseorgan sind unbekannt. 60 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772.
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erzielen, so ist es andererseits aber auf Dauer ebenfalls nicht vertretbar, laufend Zuschüsse des Kreises in Anspruch zu nehmen.61
Den Einnahmen, für die lediglich die Kurkosten maßgeblich waren, standen auf der Ausgabenseite die Personal-, Unterhaltungs- und Verpflegungskosten gegenüber. Angeregt wurde daher, die Kostenbeteiligung der Eltern in tragbarer Höhe festzusetzen, auch um die Zuschussleistungen des Kreissozialamts bzw. der Gemeinden zu reduzieren. Die Kurkosten für die Erholungskinder zahlten die entsendenden Firmen aus eigenen Mitteln, während die Gemeinden die Kosten von den Krankenkassen und den Eltern einzogen. Waren Eltern dazu nicht in der Lage, konnten ggf. Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln gewährt werden. Die Zuweisungen erfolgten zu rd. 25 % durch Industriebetriebe des Landkreises (Fa. Hürtherberg, Fa. Knapsack-Griesheim, Fa. Roddergrube Brühl, Fa. Union Kraftstoff, Wesseling), zu 75 % durch das Gesundheitsamt. Beteiligt waren die Städte Brühl und Frechen, die Gemeinden Brauweiler, Hürth, Lövenich und Rondorf, die Ämter Pulheim und Wesseling. Vorteilhaft war, dass im Rechnungsjahr 1952 in Barkhausen eine Belegung mit 698 Kindern erfolgte, was als „sehr gute Ausnutzung der Belegungsmöglichkeit“ bezeichnet wurde; lediglich 22 Plätze blieben frei (Belegungskapazität: 720 Plätze). Am 14. Dezember 1953 stellte sich die personelle Besetzung im Kindererholungs heim folgendermaßen dar: 1 Oberin (Ordensschwester), 6 Ordensschwestern (1 Stelle seit Ende April 1952 unbesetzt), 2 Kindergärtnerinnen, 4 Kinderpflegerinnen, 1 Hausmeister und Gärtner Krause, 1 Arbeiter, 5 Hausgehilfinnen, 2 davon für die Nähstube. Dies bedeutete eine Kraft mehr als im Vorjahr (eine Schwester weniger, zwei Hausgehilfinnen mehr). Hinzu kamen im Nebenamt, wie bisher, ein Arzt und ein Hausgeistlicher. Vier Lehrköchinnen waren im Heim gegen Kost und Logis beschäftigt; die Kosten für ihre Sozialversicherung übernahm der Kreis. Der Hausarzt des Kindererholungsheimes, Dr. med. Walter Scheide 62, Arzt für Allgemeinmedizin und Geburtshilfe, hatte seine „spartanisch ausgestattete“63 Praxis in unmittelbarer Nachbarschaft, Portastraße 10. Er betreute auch die Wöchnerinnenstation im Haus Portastraße 8. 61 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. Aus dem Jahresabschlussbericht für das Jahr 1952. 62 Ca. 1895 – 1967. 63 Kauffeld u. a. (2003), S. 59.
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Aufgrund des Beschlusses des Haupt- und Finanzausschusses vom 25. März 1953 wurde das „Wittekindhaus“ zur Unterbringung von Erholungskindern bestimmt, speziell für besonders nervöse und ruhebedürftige Kinder.64 Instandsetzung und Aufstockungsumbau des Wittekindhauses, Unter den Tannen 4, waren bereits 1951 erfolgt. Die Erholungskinder (1953: 643 Kinder, davon 128 Kinder von Firmen aus dem Kreisgebiet, d. h. 1/3 weniger als im Vorjahr; Belegungskapazität: 780 Plätze; unbelegt: 137 Plätze) wurden in drei Gruppen betreut. Aufgrund des Beschlusses des Haupt- und Finanzausschusses vom 25. März 1953 hatte sich die Belegungskapazität des Kinderheims infolge der Einbeziehung des Wittekindhauses in das Kurprogramm ab Kur 6/1953 von bisher 80 auf 90 – 95 Plätze erhöht.65
3.8 Letzte Jahre in Barkhausen Ab dem 4. Januar 1954 wurde der Pflegesatz auf 4,00 DM pro Tag und Kur-Kind erhöht. Dennoch belasteten steigende Kosten den Kreis, vor allem die Kosten für Erhalt und Instandsetzung der Gebäudeanlagen. Der Leiter des Rechnungsprüfungsamts des Landkreises Köln berichtete am 12. Februar 1954, die Verfügung des Kreissozialamts, „die Übernahme von Kosten aus den Portakuren selbst zu entscheiden“, habe dazu geführt, dass „die großzügige Behandlung der Durchführung der Portakuren durch die Gemeinden wesentlich eingeschränkt worden“66 sei. Eine durchschnittliche Belegung des Heims mit 80 Kindern an jährlich 300 Verpflegungstagen hätte eine Mehrbelastung des Kreises von etwa 28.800,00 DM zur Folge. Zudem verwies er auf eine mögliche Konsequenz hin, die das Kreisgesundheitsamt am 22. Januar 1954 erstmalig angesprochen hatte und die eine erste indirekte Absage an das Heim bedeutete: Wenn die volle Belegung des Heims nicht zu ermöglichen sei, käme eine so gewaltige Mehrbelastung auf den Kreis zu, dass „der Frage der Schließung des Heimes nähergetreten werden müßte“. Das Heim in Porta-Barkhausen schien durchaus entbehrlich, denn man ging davon aus, dass „die Unterbringung erholungsbedürftiger Kinder in anderen Heimen grundsätzlich keinen besonderen Schwierigkeiten begegnen wird“.67 Bis zum Erlass der Richtlinien für die Beteiligung aus öffentlichen Mitteln an der Kurverschickung von erholungsbedürftigen Kindern war das Haus Porta „ständig voll belegt“ gewesen; erst danach war „die Belegung und Rentabilität 64 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. Aus dem Jahresabschlussbericht des Kindererholungsheimes des Ldkr. Köln in Barkhausen a. d. Porta für das Rechnungsjahr 1953. 65 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. Aus dem Jahresabschlussbericht des Kindererholungsheimes des Ldkr. Köln in Barkhausen a. d. Porta für das Rechnungsjahr 1954. 66 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1935. 67 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 12. Februar 1954.
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des Hauses ernstlich gefährdet“.68 Da die Durchführung erforderlicher Instandsetzungsarbeiten aus finanziellen Gründen nicht sichergestellt werden konnte, waren u. a. die Schlafsäle in einem derart schlechten Zustand, dass einerseits weniger Plätze im Heim belegt werden konnten und es andererseits zunehmend abgelehnt wurde, Kinder dorthin in Erholung zu s chicken. Auf die Missstände in Porta machte das Kreisgesundheitsamt in einem Schreiben an den Oberkreisdirektor vom 20. September 195469 mit aller Deutlichkeit aufmerksam: Der ausserordentlich schlechte Zustand der Schlafsäle fällt gegenüber dem sonst einwandfreien Zustand des Hauses sehr unangenehm auf. Dies ist für den Ruf des Hauses insbesondere auch dadurch sehr nachteilig, dass laufend Fürsorgerinnen bzw. Begleitpersonen von den Firmen, die Kinder nach Porta schicken, mitfahren. Da die Durchführung der Malerarbeiten in den Schlafsälen schon vor etwa 2 Jahren geplant war, wird die Kritik an dem Zustand der Räume aus diesen Kreisen immer stärker. Hierbei erinnere ich daran, dass vor etwa Jahresfrist die Firma Union-Kraftstoff in Wesseling die weitere Belegung von Porta aus diesen Gründen abgesagt hat.
Dass der Zustand des Hauses realistisch als „einwandfrei“ bezeichnet werden konnte, ist fast ausgeschlossen, denn eine umfassende und sämtliche Bereiche der Liegenschaft betreffende Liste 70 notwendiger Instandsetzungsarbeiten ist nur teilweise erledigt worden, wie die anschließenden Berichte über nicht erfolgte Arbeiten ausweisen. Nicht nur wegen dieser Problemlagen wurden im Jahr 1954 lediglich 528 von möglichen 810 Plätzen belegt, und damit wies der Jahresabschlussbericht für das Rechnungsjahr 195471 einen „außerordentlich starken Belegungsrückgang ab der Kur 9/53“ aus. Als weitere Ursache für den „ständigen Belegungsrückgang“ wurden nicht „Schwierigkeiten bei der Auswahl erholungsbedürftiger Kinder“ gesehen, auch hatte sich die Zahl der erholungsbedürftigen Kinder nicht reduziert. Probleme entstanden zusätzlich dann, „wenn die Kostenregulierung bezüglich der ungedeckten Kurkosten z wischen dem Kreissozialamt und den Eltern“ erfolgte, wodurch ein größerer Zuschuss seitens des Kreises erforderlich wurde. Der Kreis aber geriete dadurch abermals in finanzielle Schwierigkeiten, weil „in Anbetracht des außerordentlich schlechten Zustandes der Räume“ im Erholungsheim dringende Instandsetzungen und Ersatzbeschaffungen durchzuführen waren, die ihrerseits hohe Ausgaben nach sich zogen. Im folgenden Monat überlegte man, „nach Möglichkeit eine Einsparung von Personal bei den Praktikantinnen“ vorzunehmen, soweit die Belegung des 68 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. Aus dem Jahresabschlussbericht des Kindererholungsheimes des Ldkr. Köln in Barkhausen a. d. Porta für das Rechnungsjahr 1953. 69 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 70 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 14. Mai 1954. 71 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 12. Mai 1955.
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Kinderheims weniger als 75 Kinder betrüge. „Ferner wird auch versucht, vorüber gehend 1 Kindergärtnerin einzusparen“. Die Kinder waren in zwei Normalgruppen eingeteilt mit je 30 schulpflichtigen Kindern, betreut von einer Leiterin (Schwester oder Kindergärtnerin), zudem waren in beiden Gruppe eine Kindergärtnerin und eine Kinderpflegerin bzw. entsprechende Praktikantin beschäftigt; außerdem gab es eine Gruppe mit 15 vorschulpflichtigen Kindern, betreut von einer Kinder pflegerin und einer Praktikantin. Im Rechnungsjahr 1954/55 beschäftigte das Heim 20 hauptamtliche Kräfte: 1 Oberin, 6 Ordensschwestern, 2 Kindergärtnerinnen, 1 Kinderpflegerin, 3 Praktikantinnen für Kinderpflege, 1 Hausmeister und Gärtner, 1 Hilfsarbeiter, 3 Hausgehilfinnen für die Hauspflege, 2 Hausgehilfinnen für die Nähstube. Hinzu kamen vier Lehrköchinnen und, „ferner ist noch in der Küche eine Witwe tätig, die lediglich freie Unterkunft und Verpflegung erhält“. Als nebenamtliche Kraft wird lediglich ein Arzt aufgeführt, denn „ein Hausgeistlicher wird zur Zeit nicht gehalten. Die kirchliche Betreuung erfolgt durch den Geistlichen der katholischen Kirchengemeinde Hausberge.“72 Außer den erholungsbedürftigen Kindern waren im Kinderheim zeitweise auch Schwestern der gleichen Ordensgemeinschaft sowie Angehörige von Ordensschwestern untergebracht: Für deren Unterbringung und Verpflegung wurde pro Tag je 4,00 bzw. 5,00 DM gezahlt. Am 10. November 1955 beendete der Kreisinspektor seinen Halbjahresbericht 73 mit einem Hinweis auf den Beschluss des Sozialausschusses des Landkreises. Dieser hatte am 4. November 1955 „neue, den Erfordernissen weit besser angepasste Richtlinien für die Kostenaufbringung bei Kinderverschickungen beschlossen“. Demnach stand „zu erwarten, daß das Kinderheim ab 1956 wieder in vollem Umfang dem Wohle erholungsbedürftiger Kinder des Landkreises dienen kann“. Diese Vorhersage ist erstaunlich, denn immer noch waren „sämtliche, bereits seit Jahren erforderliche Überholungs- und Anstricharbeiten in den einzelnen Stockwerken“, zu denen insbesondere die Schlafräume der Kinder zählten, nicht erledigt. Im Rechnungsjahr 1955 konnten insgesamt 644 Kinder nach Porta verschickt werden. 553 Kinder entfielen dabei auf die Gemeinden, 91 Kinder auf Industrieunternehmen im Landkreis, die die Entsendung aus Betriebsmitteln (Sozialfonds) durchführten.74 Die Zahl der Verschickungen nach Porta war g egenüber dem Vorjahr wieder erheblich angewachsen und fast auf dem Stand von 1953. Hinzu kam eine höhere Bezuschussung durch die AOK und Klärungen in der Kosten frage für die Kindertransporte. So wurde die Frage der „etwaigen Veräußerung 72 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 13. Juni 1955. 73 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. Halbjahresbericht des Kindererholungsheimes des Landkreises Köln in Barkhausen an der Porta für die Zeit vom 1.4. bis 30. 9. 1955. 74 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. Jahresabschlußbericht des Kindererholungsheimes des Landkreises Köln in Barkhausen an der Porta für das Rechnungsjahr 1955.
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des Kindererholungsheims Porta“ zunächst – einstimmig – zurückgestellt, wenngleich die Gründe, die zu dieser Überlegung geführt hatten, nicht gänzlich ausgeräumt waren: Die Entscheidung über eine etwaige Veräußerung des Kindererholungsheims Porta wird zurückgestellt. Eine etwaige Veräußerung des Kindererholungsheims Porta findet ihre Begründung darin, daß der Zuschußbedarf dieses Heimes sehr hoch, die Frequenz stark zurückgegangen und ggf. eine zusätzliche Subventionierung der Kindererholungskuren durch den Kreis infolge der verminderten Zuschußbeträge der AOK erforderlich ist.75
Der Personalbestand des Kindererholungsheims umfasste am 31. März 1956 24 Kräfte und war damit gegenüber dem gleichen Zeitpunkt des Vorjahres um eine Person geringer. Es handelte sich um 6 Schwestern (darunter eine Oberin, eine geprüfte Kindergärtnerin und 2 unmittelbar für die Betreuung der Kinder eingesetzte Schwestern), 2 Kindergärtnerinnen, 1 Kinderpflegerin, 1 Kinderhilfe, 2 Praktikantinnen, 4 Hausgehilfinnen, 3 Lehrköchinnen, 3 Haustöchter, 1 Hausmeister, 1 Hilfsarbeiter. Die Entscheidung über die Veräußerung des Heims war aufgeschoben worden, konnte letztlich jedoch nicht mehr umgangen werden. Schon am 9. November 1955 beschloss der Kreisausschuss, dem Oberkreisdirektor den Auftrag zu erteilen, das Kindererholungsheim des Landkreises Köln in Porta Westfalica zum Verkauf anzubieten. Da der Jahresabschlussbericht für das Rechnungsjahr 1955 am 5. April 1956 vorgelegt wurde, war zu diesem Zeitpunkt die Absicht des Kreises bereits bekannt, das Anwesen des Kreiskindererholungsheims zu veräußern. Daher sollten nur noch die unumgänglich notwendigen Unterhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten durchgeführt werden. Der endgültige Beschluss zur Veräußerung des Kreiskindererholungsheims fiel einstimmig in der Kreistagssitzung am 25. Januar 1956. In der Niederschrift heißt es, dass der Verkauf „nicht mit dem Ziele erfolgt, ein neues kreiseigenes Kindererholungsheim zu erbauen.“76 In der gleichen Sitzung wurde beschlossen – basierend auf dem Beschluss des Kreisausschusses vom 9. November 1955 und der Beschlüsse des Jugendwohlfahrtsausschusses vom 13. Januar 1956 –, einen Kreiskinderheim-Neubau in Brühl zu errichten, der keinesfalls als Erholungsheim mit Kurbetrieb konzipiert werden würde. Die letzte Kur in Barkhausen dauerte bis zum 5. Oktober 1956. Dieser Zeitpunkt wurde gewählt, weil die Ordensschwestern zum 1. Oktober gekündigt hatten, und weil „bekanntlich nach den Sommerferien die Belegungszahlen in Porta immer rückläufig waren und die erholungsbedürftigen Kinder in den Herbst- und Wintermonaten verhältnismäßig leicht in andern Häusern 75 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 76 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772.
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untergebracht werden können.“77 Um die ordnungsgemäße Übergabe des Hauses vorzubereiten, blieben die Schwestern Unserer Lieben Frau bis zum 15. Oktober vor Ort. Die Oberin hielt dies für notwendig, da neben Säuberungsarbeiten im Hause insbesondere die Wäsche zu reinigen und instandzusetzen war. Den Angestellten wurde zum 31. Dezember 1956 gekündigt. Einige von ihnen sollten mit einem befristeten Arbeitsvertrag bis zum Verkauf des Hauses dort verbleiben. Im „Halbjahres- und Abschlussbericht des Kindererholungsheimes des Landkreises Köln in Barkhausen an der Porta für die Zeit vom 1.4. – 15. 10. 1956“ 78 berichtete Kreisinspektor Rohlmann am 19. Oktober 1956: Mit dem Kurende am 15. 10. 1956 hat das Kindererholungsheim des Landkreises Köln auch seine Pforten für die Kinder des Landkreises endgültig geschlossen. Nach 30-jähriger segensreicher Tätigkeit dient das Haus nunmehr aufgrund eines Kreistagsbeschlusses nicht mehr der Kinderverschickung. Bei der letzten Kur, nochmals bis auf den letzten Platz belegt, trafen sich Kinder des Landkreises und aus Berlin zur letzten Erholungskur an der Porta. 33 Kinder kamen aus dem Landkreis 30 Kinder kamen aus Berlin auf Kosten des Landkreises Minden 20 Kinder kamen aus Berlin auf Kosten des Landkreises Köln 10 Kinder kamen aus Berlin auf Kosten der Fa. Grosspeter, Lindemann 79 3 Kinder kamen aus Berlin auf Kosten der Gemeinde Rondorf Rückblick. In den gut 30 Jahren seines Bestehens konnte rund 10.000 Kindern des Landkreises eine 5 – 6 Wochen dauernde Erholungskur geboten werden. Bis zum 25-jährigen Jubiläum im Jahr 1951 kamen rund 7 000 Kinder, in der Zeit vom 1. 4. 1952 bis 5. 10. 1956 insgesamt 2 881 Kinder nach Porta. Außerdem haben seit 1930 etwa 1 000 Waisenkinder im Kinderheim Aufnahme gefunden. Vom Kriegsjahr 1944 bis Oktober 1948 war im Obergeschoss des Hauses die Wöchnerinnenstation des Krankenhauses Minden untergebracht. So haben noch 1 835 neue Erdenbürger im Kinderheim das Licht der Welt erblickt. Die 30-jährige erfolgreiche Tätigkeit des Kindererholungsheimes ist in erster Linie dem pflichteifrigen Zusammenwirken von Hauspersonal, Schwestern und Heimarzt zu danken. Wenn auch die Schliessung des kreiseigenen Kindererholungsheimes eine einschneidende Massnahme darstellt, so darf diese jedoch grundsätzlich in der Frage der Kinderverschickung keine Verschlechterung bedeuten. Künftig werden daher die notwendigen Kinderverschickungen über das Landesjugendamt oder durch unmittelbare Vereinbarungen in fremde Heime erfolgen.80
1926 bis 1951 waren 7000 Kinder nach Porta verschickt worden, allerdings „mit mancherlei Unterbrechungen“, wie Kreisinspektor Rohlmann in seinem Bericht 77 78 79 80
Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/90/142/1. 26. Juli 1956. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. Quarzwerke GmbH Frechen. Vgl. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1935.
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am 5. April 1956 einräumen musste. Die Durchschnittszahl der Erholungskinder pro Kur z wischen 1926 und 1951 betrüge dann – rechnerisch – 31; von 1951 bis 1956 waren es pro Kur durchschnittlich 70 Kinder. Die geringe Durchschnittszahl für die Zeit von 1926 bis 1951 ergibt sich daraus, dass das Heim in der NS-Zeit kaum oder gar nicht mit Erholungskindern belegt wurde, während die Waisenkinderabteilung (die „Dauerpflegekinder“) beibehalten wurde. Deutlich wird dies in einem Rückblick von Jakob Sonntag. Er berichtet, dass das Gesundheitsamt in den ersten Nachkriegsjahren immer mehr darauf drängte, die Waisenkinderabteilung zu räumen. Auch die Wöchnerinnenstation wurde 1948 ins Stadtkrankenhaus nach Minden zurückverlegt. Das Heim sollte „voll und ganz den erholungsbedürftigen Kindern des Kreises wieder verfügbar gemacht werden“.81 Dabei hatte es sich offenbar in der Vergangenheit nicht nur um „mancherlei Unterbrechungen“ gehandelt, vielmehr habe der Kinderkurbetrieb sogar „einige Jahre eingestellt“82 werden müssen. In einem Schreiben der Provinzialoberin M utter Maria Irmingard aus dem Provinzialhaus „Liebfrauenburg“ in Coesfeld vom 31. März 1956 an Dr. Willy Genrich 83 kündigt sie den mit dem Landkreis geschlossenen Vertrag zum 1. April 1956 mit einer Frist von einem halben Jahr, also zum 31. Oktober 1956. Als Begründung führt sie an: Infolge des immer stärker werdenden Schwesternmangels ist es uns leider nicht mehr möglich, den Betrieb des Kinderheims in Porta mit unseren Schwesternkräften aufrecht zu erhalten. Wie Ihnen bekannt sein wird, weilt die derzeitige Oberin wieder seit einigen Wochen im Krankenhaus Minden. […] Die Schwester, die die Heimküche leitet, ist infolge einer schweren Herz- und Zuckererkrankung bei ihrem hohen Alter der Leitung der Küche nicht mehr gewachsen. […] Für die Kassenverwaltung ist zur Zeit keine Schwester mehr verfügbar. Die fehlenden Schwesternkräfte sind nicht durch neue Kräfte mehr zu ersetzen. […] Sollte vom Landkreis Köln aus beabsichtigt sein – wir hörten von dem geplanten Verkauf des Hauses – das Haus in Porta zu veräußern und den Heimbetrieb schon eher stillzulegen, so wären wir gerne damit einverstanden, daß wir unsere Schwestern bereits vor dem 1. Oktober zurückzögen. Wir bitten, Verständnis zu haben für diese unsere Maßnahme. Sie erwächst lediglich aus der betrüblichen Tatsache, daß wir nicht mehr hinreichende Schwesternkräfte zur Verfügung haben.84
81 Vgl. Jakob Sonntag: Vor 25 Jahren aus der Not geschaffen: Haus Ehrenfried. In: Kölnische Rundschau, 4. Juni 1975. 82 Vgl. Sonntag (1972), S. 29. 83 1905 – 1971. 1950 – 1962 Oberkreisdirektor des Landkreises Köln. 84 Aus dem Archiv der Kongregation der Schwestern Unserer Lieben Frau in Coesfeld. Dank an die Archivschwester Luzilla.
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Wenige Tage später, am 3. April 1956, bat die Provinzialoberin der Schwestern Unserer Lieben Frau beim Erzbischöflichen Generalvikariat in Paderborn um die Zustimmung zur Auflösung der Niederlassung in Porta.85 Anders als in dem Schreiben an den Oberkreisdirektor des Landkreises Köln machen die Ausführungen hier deutlich, dass es in den 30 Jahren ihrer Tätigkeit in Barkhausen auch Zeiten gegeben hat, die durchaus von größeren Schwierigkeiten gekennzeichnet waren. Mutter M. Irmingard erinnert rückblickend an die Tätigkeit ihrer Mitschwestern im Kreiskindererholungsheim: Ihre Kongregation habe seit 1926 dem Landkreis Köln als Besitzer und Unterhaltungsträger des Kindererholungsheims in Porta, dem bis 1950 auch die Abteilung für Waisen- und Fürsorgekinder verbunden war, eine Schwesterngemeinschaft zur Wirtschaftsführung und zur Betreuung der Kinder zur Verfügung gestellt. Sie betont, dass die Zusammenarbeit z wischen den Schwestern und dem Landkreis Köln lange Zeit gut und reibungslos verlaufen sei. Erst mit der Machtergreifung durch die NS-Regierung s eien Schwierigkeiten aufgetreten. Die Schwestern seien in Porta geblieben, obwohl das Heim damals auch „anderen Zwecken diente“; diese führt sie in d iesem Schreiben jedoch nicht aus. In einem späteren Leumundszeugnis für Landrat Loevenich betonten die Schwestern, dass sie auch in der Zeit der NS-Diktatur unter dessen Führung ihre „Ordenspflichten frei ausüben konnten“86 – anders als etwa im ebenfalls von den Liebfrauen seit 1917 betreuten Vinzenz-Waisenhaus in Handorf b. Münster, das 1935 aufgelöst werden musste, oder in der Kölner Liebfrauenschule, die im März 1939 durch die Nationalsozialisten geschlossen wurde. Der Chronik der Liebfrauen ist zu entnehmen, dass die Geheime Staatspolizei 1941 das Mutterhaus der Schwestern Unserer Lieben Frau in Grefrath-Mülhausen sogar beschlagnahmte und die Schwestern vertrieb. Nach dem Krieg setzten die Schwestern zwar ihre Arbeit in Barkhausen „in der früheren Form“ fort, allerdings seien Einfluss und Freiheit der Schwestern „mehr und mehr beschränkt“ worden. Auch nachdem 1950 die Abteilung für Waisenkinder mit der dazugehörigen Schule nach Brauweiler verlegt worden war und das Heim nur noch der Aufnahme und Pflege von Erholungskindern diente, wurden die Arbeitsbedingungen für die Schwestern zeitweilig so schwierig, „daß wir schon vor fünf Jahren [1951, im Jahr des 25-jährigen Bestehens] ernstlich in Erwägung zogen, die Niederlassung aufzugeben.“ Einer der Gründe war wohl, dass sich die Zahl der Schwestern in Porta bereits seit 1950 auf acht reduziert hatte statt der erforderlichen zwölf Schwestern, mit denen dort von Beginn an gearbeitet worden war. Wie zahlreiche andere Kongregationen und Orden hatten auch die Schwestern Unserer Lieben Frau einen merklichen Nachwuchsmangel zu beklagen, der sich auf die 85 Aus dem Archiv der Kongregation der Schwestern Unserer Lieben Frau in Coesfeld. Dank an die Archivschwester Luzilla. 86 Schreiben vom 11. Juni 1949, s. o.
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Besetzung in den von ihnen betreuten Einrichtungen auswirkte. Zur Fortführung der Arbeit im Porta-Heim hatte die Schwestern dann wohl vorrangig der Umstand bewogen, „daß damals wegen der noch nicht wiederhergestellten Weserbrücke viele Katholiken von Barkhausen, die am Sonntag in unsere Kapelle zur hl. Messe kamen, nach dem Weggang der Schwestern vielleicht keine Gelegenheit mehr haben würden, an der Sonntagsmesse teilzunehmen“. Dieses Motiv, die Niederlassung bestehen zu lassen, entfiel allerdings seit 1954, als die 1945 zerstörte Brücke wiederhergestellt worden war. Im Frühjahr 1956 versorgten nur noch fünf Schwestern den Betrieb, nachdem es von 1952 bis 1954 noch sieben Schwestern gewesen waren, 1955 noch sechs. „Das hat neben der starken Arbeitsbelastung der Schwestern weitere Unzuträglichkeiten mit der Kölner Verwaltung des Heimes zur Folge“, heißt es in dem Schreiben der Provinzialoberin. Die für Büroarbeiten eingesetzte Schwester war wegen einer Erkrankung ausgefallen, weshalb diese Arbeiten nur behelfsweise ausgeführt werden konnten. Dies hatte den Schwestern die eine oder andere Ermahnung seitens der Kreisverwaltung eingebracht. Als auch die Küchenschwester aus Alters- und Krankheitsgründen ausschied, die Oberin des Heims unheilbar erkrankt war 87 und für beide keine Nachfolgerinnen rekrutiert werden konnten, blieb nur der Ausweg, die Niederlassung aufzulösen und die übrigen fünf Schwestern, „von denen zwei weitere auch nur noch in sehr beschränktem Maße arbeitsfähig sind“, zurückzuziehen. Die Entscheidung des Ordens erfolgte ohne Kenntnis des kurz zuvor, d. h. im November 1955/Januar 1956 gefassten Beschlusses der Kreisverwaltung, das Haus in Barkhausen zu veräußern. Dass dieser gegenüber den Schwestern bis zu d iesem Zeitpunkt nicht kommuniziert worden war, konnte selbstverständlich nicht die Zustimmung der Provinzialoberin finden, die nun ihren Eindruck in deutliche Worte fasste: „Es scheint, daß wir mit dieser Tatsache in etwa sogar den Wünschen der Kreisverwaltung entgegenkamen, da sie – wie wir jetzt erfahren – seit einiger Zeit beabsichtigt, das Haus zu verkaufen.“ Trotz mancher Probleme und Verstimmungen, die im Laufe der 30 Jahre in Porta z wischen den Schwestern und dem Landkreis Köln aufgetreten sein mögen, bedauerte die Provinzialoberin jedoch außerordentlich, „daß die Schwestern von Porta Abschied nehmen müssen“, und sie betonte ausdrücklich, dass „die Verkaufsabsichten des Landkreises Köln nicht der Grund für die Aufkündigung des Vertrages gewesen sind“.88 Nach der NS -Zeit hätten viele Schwestern und mancher Priester wieder Erholung und Gesundung im Haus und in der schönen Umgebung von Porta gefunden, heißt es in den Annalen der Liebfrauen. Sie zeigen darüber hinaus auf, 87 Am 5. Juni 1956 verstarb Oberin Maria Luiga, die das Porta-Heim seit 1953 geleitet hatte. 88 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/90/142/1. Aus der Niederschrift über eine Fahrt des Oberkreisdirektors zum Kindererholungsheim Porta vom 28. bis 30. Juni 1956.
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wie sehr die Schwestern das Haus aus ihrer apostolischen Sendung heraus geführt haben und darauf bedacht waren, den Kindern Glauben und Religiösität zu vermitteln. Es geschah auf verschiedenste Weise, durch das gemeinsame Gebet, durch Gottesdienstbesuch, Vorbereitung auf die Sakramente, durch Filme und Theaterspiele. Ein Zeugnis des religiösen Wirkens der Schwestern ist sicherlich die Konversion des langjährigen, treuen Hausmeisters und Gärtners.89
In der Sitzung am 19. September 1956 beschloss der Kreisausschuss, eine schlichte Abschiedsfeier für die Schwestern des Kreiskinderheims in Porta stattfinden zu lassen und bei dieser Gelegenheit den Schwestern ein angemessenes Geschenk als äußeres Zeichen des Dankes für die langjährigen treuen Dienste zu überreichen. Teilnehmen sollten einige Abgeordnete der Kreisvertretung, seitens der Kreisverwaltung der Oberkreisdirektor sowie einige Mitarbeiter der Kreisverwaltung. Die Feier fand am 16. Oktober 1956 statt. Dabei bedankten sich die Schwestern Unserer Lieben Frau beim Landrat, dem Oberkreisdirektor und dem Kreistag für die gute Zusammenarbeit und die vielfach bewiesene verständnisvolle Unterstützung während 30 Jahren.90 Am 31. Oktober 1956 notierten die Schwestern M. Johanne und M. X averius, dass für die Weiterverwendung im Kinderheim Brauweiler von ihnen auch „alle Spiele der Kinder (Würfelspiele zumeist)“ in einer Kiste zusammengestellt wurden. Zu dem zurückgelassenen Spielzeug zählen auch eine Puppenwohnung, eine Puppenwiege und ein Puppenbettchen.91 Nach dem endgültigen Beschluss des Kreistags, das Kindererholungsheim in Barkhausen an der Porta Westfalica samt Areal zu veräußern, wurde am 24. August 1956 ein ausführliches Wertgutachten erstellt. Grundlage war das „Wertgutachten für die Besitzung Kindererholungsheim des Landkreises Köln in Porta“ vom 18. März 1939; 1956 wurde es hinsichtlich der baulichen Erweiterungen des Wittekindhauses sowie der Werteinschätzung angepasst, da ansonsten „nur laufende Unterhaltungen, Grundinstandsetzungen insbesondere aller Leitungen für Wasser und Abfluss, sowie Wertverbesserungen z. B. durch Verfliesungen in den Küchen, Anlage von Treppen am Hofteil und sonstiges“92 erfolgt waren. Um Interessenten zu finden, wurde der Kreis zunächst selber aktiv und bot die Liegenschaft im Rahmen eines freihändigen Verkaufs diversen potentiellen Käufern an. In einem Angebotsschreiben des Kreisdirektors Dr. Viktor von Dewitz vom 20. Februar 1956 erläuterte dieser das Motiv des Landkreises Köln, den Verkauf des Porta-Heims zu betreiben: 89 Aus einem internen Rückblick auf 30 Jahre Porta-Heim. Dank an die Archivschwester Luzilla. Der Gärtner Gustav Krause hatte das Heim seit 1926 betreut. 90 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 6. Dezember 1956. 91 Dies wird im ehemaligen Kindererholungsheim (jetzt genutzt von der Malche e. V.) aufbewahrt. 92 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772.
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Der Landkreis Köln trennt sich nicht gerne von diesem Anwesen, das ihm mehr als 30 Jahre gedient hat und allen Beteiligten durch seine verkehrsgünstige Lage und seine Naturschönheit lieb geworden ist. Wenn der Kreistag sich trotzdem mit Veräußerungsabsichten trägt, so läßt er sich nur durch das Urteil der Ärzte leiten, die das dort untergebrachte Heim aus klimatischen Gründen als ungünstig ansehen. Dabei soll nichts gegen das Klima an der Porta gesagt werden. Die Ungunst liegt für den Landkreis Köln nur in der Tatsache begründet, daß die klimatischen Verhältnisse im Landkreis Köln genau dieselben sind, wie die erholungsbedürftigen Kinder sie an der Porta antreffen. Es ist verständlich, daß in dieser Situation ärztlicherseits mehr für ein Reizklima (Schwarzwald oder See) plädiert wird. Da die Vertretungskörperschaft des Landkreises Köln einem derart großzügigen Unternehmen, wie es die Kindererholungsfürsorge darstellt, zu einem vollen Erfolg verhelfen möchte, würde sie sich unter Umständen, wie oben schon gesagt, schweren Herzens von der Porta trennen. Das kann aber nur verwirklicht werden, wenn durch eine Vermögensverlagerung mit Hilfe des Verkaufserlöses der Idealzustand erreicht werden kann.93
In einem weiteren Angebotsschreiben wurden die Beweggründe für die Verkaufsabsichten etwas anders akzentuiert: Der Landkreis Köln besitzt in unmittelbarer Nähe der Porta/Westfalica in Barkhausen, Kreis Minden, in landschaftlich reizvoller Gegend ein Gelände, das sich sehr vielseitig verwenden läßt. Der Landkreis Köln hat dort bis vor kurzem in eigener Regie ein Kindererholungsheim betrieben. Der Betrieb mußte eingestellt werden, da einerseits der Betreuungsvertrag mit einer Katholischen Ordensgemeinschaft auslief, andererseits aber auch einer mehr gestreuten Unterbringung der erholungsbedürftigen Kinder der Vorzug gegeben wurde.94
Es meldeten sich zahlreiche Interessenten. Einige von ihnen bekundeten ein grundsätzliches Interesse und besichtigten das Objekt in Barkhausen; zu einem Kauf kam es jedoch nicht. Andere wollten lediglich Teile der Liegenschaft erwerben, so etwa das Gartenhaus, das Wittekindhaus oder die auf dem Gelände vorhandenen unterirdischen Stollen. Daher erteilte der Landkreis Köln am 12. April 1957 einem Kölner Treuhänder den Auftrag zum Verkauf des Kindererholungsheims. Befristet war der Auftrag bis zum 31. Dezember 1957. Nicht wenige der daraufhin gezielt angeschriebenen „Großfirmen“ verwiesen etwa darauf, „eigene Unterbringungsmöglichkeiten für unsere Betriebsangehörigen und deren Kinder“ (Dr. August Oetker in Bielefeld) zu haben, oder dass „für die Erholungsverschickungen unserer Werksangehörigen bereits Heime in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen“ (Volkswagenwerk GmbH Wolfsburg). Die Vereinigte Elektrizitätswerke AG, Dortmund, begründete ihre Absage 93 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/90/142/1. 94 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 8. November 1957.
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damit, dass „wir bereits zwei eigene Erholungsheime besitzen“, ebenso die BASF, Ludwigshafen, die die Möglichkeit hatte, „Kinder unserer Werksangehörigen in werkseigenen Erholungsheimen unterzubringen“. Die Accumulatoren-Fabrik AG , Hannover, erklärte, dass die Verschickung der Kinder ihrer Belegschaftsmitglieder „auf andere Weise bestens gewährleistet ist“. So hatte sich bis August 1957 trotz intensiver Bemühungen noch niemand gemeldet, der Verwendung für das angebotene Gebäudeensemble und die gesamte Liegenschaft hatte. Ausschlaggebend für einige der Absagen war u. a., dass das Haupthaus „zu alt“ war. Auch wurde es für eine Nutzung als Heim abgelehnt, weil die Lage unmittelbar an der sehr stark befahrenen Bundesstraße 61 eine „erhebliche Gefährdung der Kinder“ bedeute und der „ständige Straßenlärm“ zusätzlich „die beabsichtigte Erholung beeinträchtigen“ würde. Nach den monatelangen erfolglosen Versuchen des Maklers, einen Käufer für das Anwesen zu finden, fasste er die dafür möglichen Gründe zusammen: Es handelt sich um ein – wenn auch gepflegtes – so doch altes und wenig ansprechendes Gebäude. Die Anlage des Hauses, die wenig luftigen Räume und so vieles andere reizen wohl kaum zum Kauf an. Hierbei spielt auch der [im Wertgutachten] genannte Wert von DM 332.000,– ein entscheidende Rolle. Ich bin überzeugt, daß diese Summe nicht annähernd beim Verkauf des Objektes erzielt werden kann. Derjenige, der einen solchen Betrag für ein Objekt dieser Art ablegen will, würde wohl eher ein in ruhiger Lage gelegenes Grundstück zum Aufbau eines nach heutigen Gesichtspunkten zufriedenstellenden Heimes verwenden.95
Darüber hinaus hatte der Makler Gespräche mit der Bevölkerung in Barkhausen geführt und „einen gewissen Unwillen über das Leerstehen des Gebäudes festgestellt. Die Bevölkerung hat wenig Verständnis dafür, daß angesichts der Wohnungsnot und des Flüchtlingselends ein Besitztum der öffentlichen Hand nicht in Anspruch genommen wird. Auch aus diesen Gründen erscheint eine baldige Lösung der Angelegenheit ratsam.“96 Berücksichtigt werden musste auch, dass der Leerstand des Hauses jedes Jahr „weitere hohe Unkosten ohne eine Gegenleistung für den Kreis verursachen würde“.97 Nach der Kreisausschusssitzung vom 31. Oktober 1957 bot der Kreiskämmerer dem Landeskirchenamt in Bielefeld die Liegenschaft des Landkreises Köln an der Porta Westfalica inklusive Inventar an und war „hinsichtlich des Kaufpreises gern zu Verhandlungen bereit.“ Mehr noch: „Es besteht unter Umständen auch die Möglichkeit einer angemessenen Zahlungsstreckung.“98 Dieses 95 96 97 98
Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 3. Juli 1957. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 1. Juli 1957. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 31. Oktober 1957. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1772. 8. November 1957.
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ntgegenkommen hatte der Makler seit August 1957 aus gegebenem Anlass E seinen Anschreiben hinzugefügt. Um sich an Ort und Stelle „ein gutes Bild über die erforderlichen Maßnahmen zu verschaffen“ und „zu einer richtigen Beurteilung des Objektes und der näheren Umgebung von Barkhausen“99 zu kommen, unternahm der Kreisausschuss am 14. November 1957 eine Orientierungsfahrt zum stillgelegten Kreiskinderheim. Zwei Tage s päter besichtigte das Schwesternwerk der Frauenmission Malche e. V. das Grundstück, nachdem das Landeskirchenamt das Angebot an sie weitergereicht hatte. Schon kurz darauf kam es mit dem Landkreis zu einem verbindlichen Vorvertrag, in dem die von der Malche angebotene Kaufsumme von 160.000,00 DM festgeschrieben wurde. Gezahlt werden sollten 80.000,00 DM bei Abschluss des Kaufvertrages, der Restkaufpreis sollte fünf Jahre nach Abschluss bei einer Verzinsung von 4 % p. a. entrichtet werden. Das Inventar, das vom Schwesternwerk übernommen werden sollte, war gesondert zu bewerten und zu vergüten.100 Ausgeschlossen aus dem vorhandenen Inventar wurden gegenüber dem Schwesternwerk – einvernehmlich – Gegenstände, die auf der „Wunschliste“101 der Jugendburg Dattenberg 102 verzeichnet waren. Für die übrigen Inventargegenstände einigte man sich auf einen „globalen“ Verkaufspreis.103 Der Vorstand der Malche drückte dem Oberkreisdirektor seinen „warmen Dank“ aus und seine „Freude darüber, dass unserem Angebot entsprochen werden konnte. Es ist uns damit ein schwerer Sorgenstein fortgenommen, der mit einem solchen Erwerb hätte verbunden sein können.“104 Am 2. Januar 1958 kam der Kaufvertrag mit dem Schwesternwerk der Frauen mission Malche e. V., Hannover, Hohenzollernring 40, betreffend die Besitzungen Barkhausen, Portastraße 8 und Unter den Tannen 4, zustande; die Eintragung ins Grundbuch datiert auf den 26. März 1958.105 Die Übergabe erfolgte am 1. April 1958. Aus diesem Anlass wandte sich der Vorstand des Schwesternwerks noch einmal mit einem Schreiben an den Oberkreisdirektor des Landkreises Köln. Darin lud er u. a. den Landkreis Köln zur geplanten Einweihungsfeier ein und dankte „für alles während der Verhandlungen gezeigte Entgegenkommen, desgleichen für die pflegliche Behandlung des ganzen Anwesens bis zum Tage der Übergabe. 99 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/ 1772. 31. Oktober 1957. 100 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1933. 13. Dezember 1957. 101 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1933. 22. Januar 1958. 102 Der Landkreis Köln hatte 1949 das Anwesen in Dattenberg bei Linz am Rhein im Landkreis Neuwied (Rheinland-Pfalz) erworben und bis 1996 als Erholungs-, Begegnungs- und Bildungsstätte (Landschulheim) für die Jugend des In- und Auslandes genutzt. Seit 2003 befindet sich die Burg in Privatbesitz. 103 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1933. 26. Februar 1958. 104 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1933. 29. und 30. November 1957. 105 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1933. 26. März 1958.
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Der Landkreis Köln gründet ein eigenes Kinderheim
Der gute Zustand des Grundstückes und seiner Gebäude schon bei unserer ersten Besichtigung war für uns ein besonderer Anreiz zum Erwerb.“106 Der Kämmerer des Landkreises Köln fasste den Ablauf der Verkaufsbemühungen ausführlich zusammen:107 Die Parzelle Nr. 159 besteht aus Hof- und Gebäudefläche in Größe von 7.840 qm und Gartenland in Größe von 1.229 qm. Die Parzelle Nr. 144 besteht aus einer Hof- und Gebäudefläche von 770 qm, Gartenland von 4.270 qm und einer Holzung von 7.287 qm. Der Betrieb [des Kinderheims] wurde einerseits wegen einer ärztlich empfohlenen Umstellung der Kindererholungsfürsorge, andererseits wegen der Kündigung eines Betreuungsvertrages der katholischen Ordensschwestern der Liebfrauenburg in Coesfeld in Westfalen eingestellt. Den medizinischen Erfordernissen nach verschiedenen Reizklimen konnte Barkhausen nicht gerecht werden, da dort ungefähr die gleichen klimatischen Verhältnisse wie im Landkreis Köln herrschen. Die Kündigung des Betreuungsvertrages durch den Schwesternorden ist auf den empfindlichen Schwesternmangel und wichtige andere Aufgaben des Ordens zurückzuführen. Aus diesen Gründen, aber auch wegen der für ein Kinderheim ungünstigen Verkehrslage an der hochfrequentierten Bundesstraße Minden/Bielefeld hat der Kreistag am 25. 1. 1956 auf Vorschlag des Kreisausschusses den Verkauf der Liegenschaft beschlossen. In den vom Dezember 1955 bis November 1957 andauernden Verkaufsbemühungen der Kreisverwaltung und eines Grundstücksmaklers erwies sich die schwierige Verkäuflichkeit des Objektes. Schuld daran trugen u. a. die verkehrsungünstige Heimlage, die Unwirtschaftlichkeit des überalterten Hauptgebäudes (Baujahr ca. 1870), sowie die für gewisse Verwendungszwecke ungünstige Hanglage des Geländes. Die Kreisverwaltung hat in der genannten Zeit neben dem Erwerber mit 12 teils privaten, teils behördlichen Interessenten verhandelt. Ein vom Landkreis Köln beauftragter Grundstücksmakler hat seine Bemühungen mit negativem Erfolg hauptsächlich auf westdeutsche Industriekreise erstreckt. Er hat seinen Auftrag wegen Erfolglosigkeit zurückgegeben. In dieser Situation hat der Kreisausschuß, nachdem er am 31. 10. 1957 nochmals auf den auch während der Stillegung hohen Zuschuß von rd. 27.000,– DM jährlich hingewiesen worden war, am 14. 11. 1957 eine Besichtigung an Ort und Stelle vorgenommen. Bei dieser Gelegenheit waren sich alle Beteiligten klar, daß eine Veräußerung nur unter Zurückstellung aller Gewinnabsichten möglich war. Man ging in der Überlegung so weit, teilweise lediglich zum Bodenpreis zu verkaufen. Glücklicherweise hatte das Liegenschaftsamt kurze Zeit nach der Besichtigung, am 27. 11. 1957, ein Festgebot des Schwesternwerkes der Frauenmission Malche e. V., Hannover, vorliegen, das im Endergebnis zum Verkauf geführt hat. […] Der Kreisausschuß und der Kreistag haben die günstige Gelegenheit genutzt und am 28.11. und 13. 12. 1957 den Verkauf beschlossen. […]
106 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1933. 1. April 1958. 107 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1933.
ZeitzeugInnen erinnern sich
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Der jetzt erzielte Verkaufspreis erscheint […] als angemessen. Laut […] Auszug aus dem Beschlußbuch des Kreisausschusses Köln-Land vom 16. 1. 1926 hat der Landkreis Köln das Heim zum Preise von 62.500,– RM einschließlich Inventar erworben. 1926 betrug der Bauindex 165,8 % des Wertes von 1913/14. Bei einem Bauindex von 310 % – Wert 1957 – würde sich demnach ein Wert 1957 in Höhe von rd. 117.000,– DM ergeben. Wenn der Landkreis Köln während der 31 Jahre seines Eigentumes zweifellos auch nicht unwesentliche Investierungen auf dem Grundstück vorgenommen hat, so darf man nicht übersehen, daß durch die Altersabschreibungen auf der anderen Seite auch entsprechende Vermögensminderungen eingetreten sind.
Am 20. Juni 1958 informierte das „Mindener Tageblatt“ über den Verkauf des Areals „Das Gebäude ist an das evangelische Schwesternwerk der Frauenmission Malche verkauft worden, das zur Zeit seinen Sitz in Hannover hat, wo die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten. Die Frauenmission Malche feiert in diesem Jahr ihr 60jähriges Bestehen.“ Im selben Artikel lieferte das „Mindener Tageblatt“ eine Erklärung für die Schließung des Kinderheims: Der Landkreis Köln hat das Erholungsheim verkauft, weil er der Meinung ist, daß der Luftwechsel an der Porta gegenüber Köln nicht sehr groß sei. Man darf aber wohl annehmen, daß die Lage an der verkehrsreichen Portastraße für den Verkaufsentschluß mit ursächlich gewesen ist. Als vor Jahrzehnten die Anlage noch als Noltings Hotel weit und breit bekannt und das Ziel von Familienausflügen war, war (es) in dem großen schattigen Garten mit den Tuffsteingrotten recht gemütlich. Später war dort vorübergehend ein Entbindungsheim. Das Gebäude ist zuvor dem Landkreis und der Gemeinde Barkhausen angeboten worden, die aber keine geeignete Verwendung hierfür hatten.
3.9 ZeitzeugInnen erinnern sich Um ZeitzeugInnen zu finden, die sich an das Kreiskinderheim in Barkhausen erinnern können, brachte das „Mindener Tageblatt“ am 8. Februar 2020 einen kurzen Rückblick auf die Geschichte des Hauses, verbunden mit einem Aufruf, sich bei mir zu melden. Da das Erholungsheim bereits vor 64 Jahren geschlossen worden war und die Waisenkinderabteilung sogar schon 70 Jahre nicht mehr existierte, war die Aussicht, eine Antwort zu erhalten, eher gering. Dennoch meldeten sich einige „Portaner“, die das Haus als Kind gekannt haben oder sich an jemanden erinnerten, der dort gearbeitet hat. Keine einzige Meldung erreichte mich jedoch von ehemaligen Erholungs- oder Waisen- bzw. Pflegekindern, auch nicht von früherem Personal. Übereinstimmend haben die ZeitzeugInnen von der Isolation der H eimkinder berichtet, wobei nicht unterschieden werden konnte, ob es sich dabei um die Waisen- oder auch um die Erholungskinder handelte.
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Der Landkreis Köln gründet ein eigenes Kinderheim
So schilderte etwa eine 91-Jährige, die 1934 in der kath. Volksschule in Hausberge eingeschult wurde, wie sie bis zum vierten Schuljahr das Kinderheim in der Portastraße 8 mit ihrer Schulklasse besucht hat. Es war üblich, das Heim zweimal pro Jahr zu besuchen. Die Idee dazu hatte einer unserer Lehrer. Außerhalb dieser Besuchstage hatten wir praktisch keinen Kontakt zu den Kindern und konnten uns nicht vorstellen, was sich dort in dem großen, schönen Haus abspielte. Bei unseren Besuchen boten uns die Schwestern Kakao und Teilchen an, wir haben gesungen und gespielt, waren in der Turnhalle und im Garten. Die Heimkinder wirkten fröhlich; es war eine gute Atmosphäre in dem Haus. Ich bin gerne hingegangen und habe gute Erinnerungen an diese Zeit. Manche der Heimkinder sind nach der „Entlassung“ in Porta geblieben und haben dort auch geheiratet. Ich habe meinen Sohn 1948 in der in dem Heim untergebrachten Wöchnerinnenstation des Mindener Krankenhauses geboren.
Sie erinnerte sich noch gut daran, wie erstaunt sie war, als sie seit 1944 täglich viele junge Männer auf der Straße sah. Es handelte sich um Häftlinge und Zwangsarbeiter, die im benachbarten Hotel Kaiserhof regelrecht eingepfercht waren. Die damals 16-Jährige nahm deutlich die traurigen Gesichter dieser Männer und ihren schlurfenden Gang wahr – Eindrücke, die sie bis heute nicht vergessen hat. Eine weitere Zeitzeugin ( Jg. 1943) konnte berichten, dass die Heimkinder keinen oder nur sehr wenig Kontakt zur Außenwelt hatten: Nach dem Krieg gab es keine katholische Kirche in Barkhausen, deshalb sind wir sonntags oft in die sehr schöne und von mir als Kind auch als opulent empfundene Kapelle im Kindererholungsheim gegangen. Die Heimkinder sah man bei dieser Gelegenheit nicht; im Dorf oder auf dem Weg zur Weser hielten sie sich ausschließlich in geschlossenen Gruppen auf. Daher hatte ich keinen Kontakt und keine Beziehung zu ihnen.
Barkhausen hatte lediglich eine evangelische K irche; die nächste katholische irche befand sich in Hausberge, auf der anderen Weserseite. In den ersten JahK ren nach dem Krieg stand als Ersatz für die zerstörte Brücke behelfsweise eine sehr kleine Fähre für den Übergang über die Weser zur Verfügung. Ein Zeitzeuge sagte, dass es ihm und seinen Schulkameraden „geheimnisvoll“ erschien, was sich wohl innerhalb dem von den Nonnen geführten Haus abspielte. Auch er musste feststellen, dass die dort lebenden Kinder „gewöhnlich unter sich blieben, sie fanden kaum Aufnahme in die Dorfgemeinschaft“. Unabhängig davon ging er gerne zum Spielen in den zum Heimgelände gehörenden großen Garten. Er mochte den Kontakt zu dem „netten Herrn Sacharenko“, der viele Jahre als Arbeiter im Heim angestellt war und in Barkhausen wohnte. „Mit ihm war es immer interessant. Er hat auch das zum Haus gehörende Pferd ‚Lotte‘ versorgt, das oft vor die Kutsche gespannt wurde.“ Sehr beliebt bei den Kindern war natürlich das Kinderkarussell auf dem kleinen Spielplatz im Wald, oberhalb des Wittekindhauses.
ZeitzeugInnen erinnern sich
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Abb. 25 Gärtner Gustav Krause mit drei Mädchen und dem Pferd Lotte im Garten des Kindererholungsheims.
Abb. 26 Mit Besuch im Garten des Kindererholungsheims, Anfang der 1940er Jahre.
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Der Landkreis Köln gründet ein eigenes Kinderheim
„Lotte“ ist auch einem Zeitzeugen im Gedächtnis geblieben, der zwischen 1939/40 und Dezember 1944 mehrfach für mehrere Wochen seine Schulferien im PortaHeim verbracht hat. Dort durfte er im ersten Stock des Haupthauses – sehr privilegiert – ein eigenes Zimmer bewohnen. „Es befand sich unmittelbar über der Brotküche, und deren Duft zog bis in mein Zimmer“, erinnerte er sich. Auch seine Großmutter und eine Schwester seiner M utter lebten von 1939 bis 1945, während der gesamten Zeit des Zweiten Weltkriegs, im Porta-Heim. Sie fühlten sich dort sicherer als in ihrem Wohnort in der Nähe von Köln. Durch ihre persönlichen Kontakte zum Landrat konnte ihnen diese Unterbringung ermöglicht werden. Die Tante des Zeitzeugen kümmerte sich um das Pferd „Lotte“ und fuhr mit der Kutsche öfters mal nach Bad Oeynhausen zum Einkaufen. Sie arbeitete ebenfalls im Heim und hat s päter eines der Pflegekinder bei sich aufgenommen. Erholungskinder waren in diesen Jahren nicht im Heim. Belegt war ausschließlich die Abteilung für die Waisen- bzw. Pflegekinder. „Die waren strikt an die Hausordnung gebunden und konnten das Gelände nicht verlassen, aber da Park und Garten rund um das Heim sehr groß waren, hatten sie eine Umgebung, die bestens zum Spielen geeignet war.“ Das „Ferienkind“ hatte demgegenüber fast jegliche Freiheiten und genoss es, auch die Gegend außerhalb des Heims zu erkunden und etwa zum K aiser Wilhelm-Denkmal oder zur Freilichtbühne zu gehen und in den Wäldern zu stromern. Freitags gingen die Heimkinder – und auch das „Ferienkind“ – nach Minden ins Solbad. Anschließend wurde im Heim unter dem Glasdach der parallel zur Straße befindlichen Liegehalle „geruht“. Danach bekam jedes Kind einen Wecken. Der Zeitzeuge denkt gerne daran zurück: „Das Essen war sehr, sehr gut in diesem Heim, und die Schwestern waren sehr nett und herzlich.“ Diesen Eindruck teilte auch eine Zeitzeugin, die in eine Erholungskur nach Barkhausen geschickt wurde, als sie etwa 13 Jahre alt war. Noch im Rückblick ist sie sehr angetan auch von den Außenanlagen des Heims und von den allabendlichen Spaziergängen zum Kaiserdenkmal. Selbstverständlich waren nicht alle Kinder gleichermaßen von der Verkösti gung in diesem Heim begeistert. Eine Zeitzeugin, damals etwa fünf Jahre alt, erlebte die sechs Wochen als Erholungskind zumindest in Bezug auf das Essen als durchaus unangenehm: Sie wurde unter Druck gesetzt, als sie das eine oder andere nicht mochte, und musste weiteressen, auch nachdem sie schon erbrochen hatte.
3.10 „Porta hatte ausgedient“ Jakob Sonntag, der im April 1926 als hauptamtlicher Jugendamtssachbearbeiter in die Kreisverwaltung Köln eingetreten war, würdigte im Rückblick den „voraus eilenden Mut“ der Kreisverwaltung, als sie Anfang 1926 beschlossen hatte, das Kindererholungsheim einzurichten. Es sei eine „wegweisende soziale Pioniertat
„Porta hatte ausgedient“
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gewesen, für die es damals noch kein Vorbild gab“,108 eine „für kommunale Kreisverhältnisse erstmalige Einrichtung“.109 Der Gedanke dazu sei bereits in den ersten Jahren nach dem Ende des E rsten Weltkriegs aufgekommen, und der Landkreis verdiene „Dank und Anerkennung“ dafür, dass er sich so einstimmig der Gesundheitspflege der Kinder angenommen habe. Hatte es die Not nach dem Zweiten Weltkrieg noch erforderlich gemacht, im Porta-Heim alle möglichen Plätze für erholungsbedürftige und unterernährte Kinder verfügbar zu machen, entschloss sich der Kreis vor allem aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen doch schon wenige Jahre später zum Verkauf des Kindererholungsheims. Für diese Entscheidung hatte Jakob Sonntag Verständnis:110 „Jede Zeit hat ihre besonderen Erfordernisse, und andere Zeiten bringen andere Lösungen. So war es auch mit Porta.“ Er war darüber hinaus sogar überzeugt: „Die Kindererholungsfürsorge ist inzwischen zur Selbstverständlichkeit in der kommunalen Sozialarbeit geworden.“ Abschließend beurteilte er die damalige „soziale Pioniertat“ als Relikt aus früheren Zeiten, das sich selbst überlebt hatte: „Porta hatte ausgedient. Was damals ein mutiges Wagnis war, ist heute nur noch eine gute Erinnerung bei vielen erwachsenen Landkreisbürgern.“
108 Sonntag (1966b). 109 Sonntag (1966a). 110 Zitate aus: Sonntag (1966b).
4. Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler
4.1 Kinder in Not nach dem Zweiten Weltkrieg Erst nach der bedingungslosen Kapitulation am 8./9. Mai 1945 konnte das Jugendwohlfahrtsrecht von 1922/24 wieder aufgenommen werden, zunächst durch die Alliierten in den westlichen Besatzungszonen. Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 wurde auch die Gesetzgebungskompetenz im Bereich der öffentlichen Fürsorge normiert.1 Die Wahrnehmung der Aufgaben erfolgte nun durch das Jugendamt als selbständige Behörde der kommunalen Selbstverwaltung.2 Was nach dem Krieg als „allgemeine Jugendnot“ bezeichnet wurde, bedeutete konkret: Mehr als 1,5 Millionen Kinder hatten ihren Vater im Krieg verloren, nicht weniger als 100 000 Kinder und Jugendliche zogen, meist vollständig verwaist, als Flüchtlinge oder Vertriebene heimatlos durch Deutschland. Sie litten unter Ziel- und Orientierungslosigkeit, unter Traumatisierungen als Folge der Kriegsund Fluchterfahrungen; viele führten ein Leben auf der Straße. Zum beherrschenden Thema für die Stadtverwaltungen wurde daher die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Besonders seit Herbst 1946 strömten auch in den Landkreis Köln 3 Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland, zudem Flüchtlinge aus der Sowjetischen Besatzungszone. Die Stadt Brühl hatte dabei eine besonders große Aufgabe 1 In Art. 74, Abs. 1, Nr. 7. Dieser Artikel bildet auch heute noch die Grundlage für die Bundeskompetenz im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. 2 Allerdings wurden Reformen und Anpassungen an den neuen föderativen Staatsaufbau erst durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes vom 29. August 1953 wieder vorgenommen. Diese Novellierung führte im Wesentlichen zu folgenden Änderungen: Die Zuständigkeit für die Heimaufsicht wechselte vom Bund auf die Länder. Die öffentliche Jugendhilfe wurde wieder in die Selbstverwaltung der Kommunen überführt, die Behörde Jugendamt neu organisiert und die Einschränkung ihrer Aufgaben durch die Notverordnungen von 1924 aufgehoben. Die Gesetzesnovelle führte erstmals individuelle Rechtsansprüche auf Leistungen der Jugendhilfe ein und stärkte die Position der freien Träger. So trat das RJWG in seiner ursprünglich gedachten Form erst rd. 30 Jahre nach seiner Verabschiedung vollständig in Kraft. Mit einer weiteren Novellierung vom 11. August 1961 wurde das RJWG in Jugendwohlfahrtsgesetz ( JWG) umbenannt und inhaltlich geändert; seit 1980 war es in das Sozialgesetzbuch integriert. Das JWG wurde vom KJHG (Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts, Achtes Buch des Sozialgesetzbuches – SGB) abgelöst, das am 1. Januar 1991 in der gesamten Bundesrepublik in Kraft trat. 3 Der Landkreis Köln gehörte seit 1946 zum Land Nordrhein-Westfalen. Durch die Kommunale Gebietsreform kam es am 1. Januar 1975 zum verwaltungsrechtlichen Erlöschen des seit 1969 in „Kreis Köln“ umgewandelten Landkreises und zur Neugründung des Erftkreises, seit 1. November 2003 „Rhein-Erft-Kreis“.
Kinder in Not nach dem Zweiten Weltkrieg
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zu bewältigen, da sie fast fünf Jahre, vom Winter 1946 bis zum 31. August 1951, als Flüchtlingslager des Landkreises Köln ausgewiesen war. Die Vertriebenen und Flüchtlinge wurden hier zunächst in öffentlichen und privaten Räumlichkeiten (Turnhallen/Schulen, Säle/Gaststätten) untergebracht; später wies man ihnen leerstehende Wohnungen zu. Die allgemeine Wohnungs- und Versorgungsnot machte die Bewältigung dieser Aufgaben überaus schwierig, zumal Spannungen mit der ebenfalls kriegsgeschädigten und -belasteten einheimischen Bevölkerung auftraten. Um die zu regelnden Angelegenheiten besser koordinieren zu können, wurde am 5. September 1947 in Brühl ein eigenes Flüchtlingsamt errichtet.4 Neben den Flüchtlingen war eine weitere Gruppe von Kindern auf öffentliche Hilfe angewiesen. Nach dem Einmarsch der alliierten Besatzungstruppen im Frühjahr 1945 galt zwar ein Verbrüderungsverbot, aber geschätzt wird, dass bis 1955 mindestens 200.000 „Besatzungskinder“ in Deutschland geboren wurden. Die meisten wuchsen ohne ihren leiblichen Vater auf, denn nicht selten hatten die betreffenden Männer Strafen zu erwarten oder wurden nach Hause versetzt, wenn die Militärbehörden von ihrer Vaterschaft erfuhren. Erschwerend für die Mütter war zudem der Beschluss des Alliierten Kontrollrats vom 10. Oktober 1945, nach dem kein alliierter Soldat auf Unterhaltszahlung und Vaterschaftsanerkennung verklagt werden konnte. Auch die deutschen Behörden fühlten sich für etwaige finanzielle Hilfen nicht zuständig. Hinzu kam, dass ledige Mütter gesellschaftlich oftmals als „gefallene Mädchen“ verunglimpft und wegen ihres „schändlichen“ Verhaltens abgelehnt und ausgegrenzt wurden, selbst von ihrer eigenen Familie. Ihre unehelich geborenen Kinder aus einer Beziehung mit dem „Feind“ waren ebenfalls Diskriminierungen und Stigmatisierungen ausgesetzt. Viele konnten nicht bei ihrer M utter bleiben, weil sie unerwünscht waren und/ oder deren neuer Partner das „Kind der Sünde“ nicht dulden wollte. Uneheliche Kinder standen als „Amtsmündel“ von Geburt an unter der Aufsicht des Jugendamts und des Vormundschaftsgerichts.5
4 Vgl. dazu ausführlicher: Wolfgang Drösser (2016), S. 275 f. Noch nach 1953 wurde jährlich in Ratssitzungen und in der Presse mehrfach über den nicht abreißenden Strom der Flüchtlinge berichtet, vgl. dazu z. B. die Protokolle der Ratssitzungen vom 25. Januar und 15. November 1954 und vom 28. April 1958; s. Kölner Stadt-Anzeiger vom 20. Dezember 1958. 5 Erst mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 lautete der Verfassungsauftrag, „unehelichen Kindern (…) die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen“. In der Praxis haftete unehelichen Kindern und ledigen Müttern jedoch noch lange ein negatives Image an. Mit dem Gesetz vom 19. August 1969 erhielten die ledigen Mütter selbst die elterliche Sorge; das Jugendamt war nicht mehr automatisch Vormund über uneheliche Kinder, die jetzt als „nicht eheliche“ Kinder bezeichnet wurden. Die Unterscheidung zwischen „unehelichem“/„nicht ehelichem“ und „ehelichem“ Kind wurde durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts am 1. Juli 1998 in Deutschland abgeschafft.
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Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler
1945 war es Kreisjugendamtsleiter Jakob Sonntag gelungen, nach dem Kriegsdienst in seine Heimatstadt Brühl zurückzukehren und ab August seine Tätigkeit nach fast sechsjähriger Abwesenheit wieder aufzunehmen.6 Er erkannte die elende Lage der alleinstehenden Kinder und die Notwendigkeit, zügig geeignete Versorgungsmöglichkeiten für sie zu schaffen. Da der Landkreis über keine bedarfsgerechte, geeignete Einrichtung verfügte, sollten sie Heimen unterschiedlicher Träger in der näheren und weiteren Umgebung zugewiesen werden. Doch aufgrund der Kriegseinwirkungen waren diese Heime räumlich und personell noch so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass sie nur bedingt aufnahme- und funktionsfähig oder bereits überbelegt waren. Viele Kinder hatten ihre Eltern verloren. Mit den Flüchtlingstrecks aus dem Osten kamen Kinder, die elternlos von fremden Menschen mitgebracht wurden und deren Herkunft nie geklärt werden konnte. […] Die Not der Zeit zwang insbesondere, nach Möglichkeiten der Unterbringung alleinstehender, ungeborgener und verwaister Kinder zu suchen. Das städtische Waisenhaus in Köln war stark zerstört und für Kinder, die nicht in Köln beheimatet waren, nicht aufnahmefähig. Im Kreis, wo ehedem Unterbringungsmöglichkeiten in Brühl, Frechen und Stommeln bestanden hatten, waren keine Plätze mehr verfügbar.7
Das Brühler Benediktusheim, 1918 als Kinderheim eingerichtet, war während des Zweiten Weltkrieges u. a. als Lazarett genutzt worden. Inzwischen kümmerte man sich dort überwiegend nur noch um erwachsene Bedürftige. Das Kindererholungsheim in Barkhausen an der Porta Westfalica, das seit 1930 zusätzlich eine Waisenkinderabteilung mit 30 Plätzen und seit 1944 zudem eine Station für Wöchnerinnen des Mindener Krankenhauses eingerichtet hatte, war ebenfalls überlastet. Die dort vorhandene Zahl der Plätze für die „Dauerpflege- bzw. Waisenkinder“ sollte keinesfalls überschritten werden, denn „das Gesundheitsamt drängte darauf, im Porta-Heim alle möglichen Plätze für erholungsbedürftige 6 Das Jugendamt der Kreisverwaltung Köln konnte – als einzige Abteilung der Kreisverwaltung – Anfang 1946 von seiner Notunterkunft in einer Baracke in Frechen in das Kreishaus Köln-Land in der St.-Apern-Straße 21 in Köln zurückgeholt werden. Die Einrichtung weiterer Abteilungen im Kreishaus wurde erst im Herbst 1946 wieder möglich. In der Kreistagssitzung am 30. Juni 1954 wurde beschlossen, einen Jugendwohlfahrtsausschuss für den Bereich des Landkreises Köln „auf der Grundlage der Landkreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. 7. 1953“ zu bilden. Der neue Ausschuss trat am 7. Oktober 1954 erstmals zusammen. Mit der am 15. Dezember 1954 beschlossenen vorläufigen Satzung war der Ausschuss arbeitsfähig und das Jugendamt gesetzlich konstituiert. „Mit der Konstituierung des Jugendwohlfahrtsausschußes war eigentlich zum ersten Mal verwirklicht, was den Vätern des Jugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 vorgeschwebt hat, nämlich ein fruchtbares Zusammenarbeiten von Verwaltung und Rat, von Administration und Legislative auf überschaubarem Raum und mit der gesetzlich festgelegten Aufgabe: Förderung der Jugendwohlfahrt.“ S onntag (1972), S. 23; S. 42 f. 7 Sonntag (1972), S. 29; ders. (1975).
Das provisorische Heim im Hilfskrankenhaus des Landkreises
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Kinder verfügbar zu machen“8 – auch deren Zahl war nach dem zweiten großen Krieg des Jahrhunderts wieder enorm angestiegen. Überdies war man der Meinung, dass die Waisenkinderabteilung in Barkhausen nicht mehr den neuen Ansprüchen genügte.9 Dieser Umstand machte deutlich, dass es dringend geboten war, mit konstruktiven Lösungen auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren. Es stand bereits damals, 1947, bei mir fest, dass der Kreis ein eigenes Kinderheim schaffen müsste, um der akuten Not Herr zu werden. […] Immer dringlicher wurde die Forderung nach eigenen Heimplätzen für die der Obhut des Jugendamtes übergebenen Kinder.10
So sah sich der Landkreis Köln zunehmend in der Pflicht, alternative bzw. ganz neue Unterbringungsmöglichkeiten für eltern- und heimatlose Kinder zu schaffen. Der Plan, ein kreiseigenes Waisenhaus zu etablieren, wurde dadurch immer konkreter. Günstig für dieses Vorhaben wirkte sich die am 20. Juni 1948 in Kraft getretene Währungsreform aus. Sie „gab den Verwaltungen wieder Boden unter die Füße. Nun erst konnte ernsthaft auch das geplant werden, was nur in einer geordneten Finanzwirtschaft realisierbar war“, schreibt Sonntag im Rückblick.11 Hilfreich hierfür waren fest geregelte staatliche Zuschüsse: So war es Ziel und Zweck etwa des am 18. August 1949 in Kraft getretenen „Soforthilfegesetzes“, den durch die Kriegsereignisse besonders in Not geratenen Menschen in Westdeutschland möglichst bald zu helfen; auch der erste Bundesjugendplan, verkündet am 18. Dezember 1950, beinhaltete Fördergelder für die politische und kulturelle Kinder- und Jugendarbeit in West-Deutschland.
4.2 Das provisorische Heim im Hilfskrankenhaus des Landkreises Nachdem einige Zeit lang kein Objekt gefunden worden war, das für die Unterbringung heimatloser Kinder geeignet war, bot sich dem Landkreis 1949 endlich eine Lösung an: Das Gebäude des ehemaligen Bürgermeisteramts von Brauweiler, gelegen am Richthofenplatz, zwischen Brauweiler und Glessener Straße, sollte in Kürze frei werden. Es hatte schon mehr als 15 Jahre nicht mehr als Rathaus gedient, weil Brauweiler seit dem 1. Oktober 1934 zum „Amt Lövenich“12 gehörte. Als die Bemühungen der Gemeinde, das 1927 errichtete Gebäude zu veräußern, 8 9 10 11 12
Sonntag (1970). Vgl. Sonntag (1966b). Sonntag (1972), S. 29. Sonntag (1972), S. 31. Aus der Bürgermeisterei Lövenich war 1928 das Amt Lövenich geworden, in das die Gemeinde Brauweiler 1934 eingegliedert wurde. Das Amt Lövenich wurde 1937 in Amt Weiden umbenannt. Das Amt Weiden wurde am 31. März 1951 aufgehoben, wodurch Brauweiler und Lövenich
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Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler
nicht erfolgreich waren, wurde es von 1934/35 bis 1938 an nationalsozialistische Organisationen verpachtet. Ab April 1938 bis zum 1. August 1941 konnte der Komplex an den Berufsschulzweckverband (Gemeinden Brauweiler-LövenichPulheim) vermietet werden.13 Seit dem 1. September 1942 mietete das Amt Weiden die Räumlichkeiten des Rathauses an, das damals schon mehr als ein Jahr lang leerstand, und nutzte es als „Hilfskrankenhaus für Scharlachkranke“ bzw. Infektionskranke 14 des Landkreises Köln. Der Vertrag z wischen dem Landkreis und der Genossenschaft der C ellitinnen, Kloster zur hl. Elisabeth 15, Köln, Antonsgasse 7, übertrug der Genossenschaft die Leitung und Führung des Haushaltes und die Betreuung der Kranken […]. Der gesamte Betrieb (geht) zu Lasten des Landkreises Köln, sodass der Genossenschaft daraus ein finanzielles Risiko nicht entstehen kann. Die Genossenschaft stellt für d ieses Hilfskrankenhaus vier Schwestern und zwar zwei geprüfte Krankenschwestern, von denen eine als Oberin die gesamte Leitung übernimmt, eine Schwester für die Küche und eine Schwester für das Haus. […] Bei freiem Unterhalt, wozu auch Wohnung, Reinigung der Wäsche, Auslagen für notwendige Reisen zum Mutterhaus und im Interesse des Krankenhauses und dergleichen gehören, erhält die Genossenschaft für Ausbildung, Bekleidung und Altersversorgung der im Krankenhaus tätigen Schwestern eine Vergütung von je 75.- RM – i. W. Fünfundsiebzig Reichsmark – monatlich für die beiden Krankenschwestern und von je 60.- RM – i. W. Sechzig Reichsmark – monatlich für die beiden anderen Schwestern.16
wieder selbständig wurden. Seit der Gebietsreform (in Kraft getreten am 1. Januar 1975) gehört Lövenich zur Stadt Köln. 13 Vgl. Daners (1998), S. 197 ff. 14 „Im Laufe des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit entwickelte sich das Brauweiler Hilfskrankenhaus zu einer reinen Isolierstation für Seuchenerkrankungen wie Diphtherie, Typhus, Scharlach, Ruhr. In der zweiten Hälfte der 40er Jahre wurden vor allem Tbc-Fälle behandelt. Aufgrund der schlechten Ernährungslage war im Landkreis Köln die Zahl der TbcKranken 1948 auf ca. 4000 angestiegen“, schreibt Daners (1998), S. 201; dort zit. n. „Volksstimme“ Nr. 116 vom 27. Oktober 1948. Die „Volksstimme“, ein Organ der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) erschien zweimal wöchentlich. Am 17. August 1956 wurde die KPD auf Antrag der Bundesregierung vom Bundesverfassungsgericht in der Bundesrepublik Deutschland verboten. 15 Vertreten durch die Generaloberin Schwester M. Thaddäa, vom 16. August 1942. Genehmigt vom Erzbischöflichen Generalvikariat Köln am 1. Oktober 1942. Das Kloster zur hl. Elisabeth wurde am 9. Januar 1312 in Köln als Beginenkonvent gegründet. Vorbild der Beginen war Elisabeth von Thüringen. In Erinnerung an sie widmeten sich die Frauen vor allem Kranken sowie hilfsbedürftigen Familien. Eine Kölner Bürgerin schenkte den Beginen ihr Haus in der Antonsgasse 7, weshalb der Orden auch „Cellitinnen von der Kölner Antonsgasse“ genannt wird. 1454 nahm der Konvent die Regel des hl. Augustinus an und wählte die hl. Elisabeth von Thüringen zu seiner Patronin. Das Kloster zur hl. Elisabeth in der Antonsgasse wurde 1944 durch Bomben zerstört; 1953 konnte das neu erbaute Mutterhaus auf der Gleueler Straße 301 in Köln-Lindenthal eingeweiht werden. 16 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759.
Das provisorische Heim im Hilfskrankenhaus des Landkreises
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Darüber hinaus gewährte der Kreis den im Krankenhaus tätigen Schwestern einen jährlichen bezahlten Erholungsurlaub von zwei bis drei Wochen in einer klösterlichen Anstalt. Die Oberin war befugt, weiteres Hilfspersonal für das Haus selbst auszusuchen. Der Gemeinderat in Brauweiler stimmte dieser Neunutzung des ehemaligen Rathauses am 12. Oktober 1942 zu; der Vertrag lief zunächst über sechs Jahre, mit der Option, gegebenenfalls verlängert zu werden.17 Mitte 1949 beschloss der Kreistag, das Hilfskrankenhaus aufzugeben, obwohl die Gemeinde Brauweiler für die Fortführung plädierte. Dennoch wurde den im „Kreiskrankenhauses Brauweiler“ tätigen Ordensschwestern zum 31. März 1950 gekündigt. „Das Vorhandensein des Krankenhauses hat sich durch den Aufbau der Kölner Hospitäler und die Steigerung der Bettenzahl innerhalb der Krankenhäuser des Landkreises als überflüssig ergeben“, lautete die Begründung.18 Nach dem Kreistagsbeschluss stattete Jakob Sonntag dem Brauweiler Kranken haus in der zweiten Jahreshälfte 1949 einen Besuch ab, um die örtlichen Gegebenheiten in Augenschein zu nehmen und in Erfahrung zu bringen, ob sich das ehemalige Rathausgebäude gegebenenfalls als Waisenhaus bzw. Kinderheim eignen würde. Vorteilhaft war, dass es außer dem Verwaltungsbereich zur Rückseite hin noch über einen Trakt verfügte, der ursprünglich als Wohnung des Bürgermeisters gedacht war, sowie über einen Garten. Zudem erfuhr Jakob Sonntag, dass die Leiterin des Hilfskrankenhauses, Schwester Oberin Bonifatia von der Genossenschaft der Kölner „Cellitinnen zur hl. Elisabeth“, nicht nur examinierte Krankenschwester, sondern auch examinierte Kindergärtnerin war. Sr. Bonifatia hatte viele Jahre in einem Kindergarten in der Kölner Kämmergasse praktische Erfahrungen gesammelt, als sie „die Kinder der Großstadt“ betreute.19 Sie erklärte sich bereit, im Falle der Umwandlung des Krankenhauses in ein Kinderheim mit ihren beiden Mitschwestern Benigna und Neophyta (für die Küche bzw. den Wirtschaftsbereich) dort zu verbleiben.20 Nachdem „viele andere Überlegungen nicht zum Ziele geführt“21 hatten, beschloss der Kreisausschuss am 5. Januar 1950, die Einrichtung des ehemaligen Rathauses bzw. Hilfskrankenhauses als Waisenhaus zu genehmigen, es ab dem 1. April 1950 anzumieten und entsprechend umzugestalten. Dieses Vorhaben stieß allerdings nach wie vor nicht nur auf Zustimmung. So vermerkte die „Volksstimme“ 17 Vgl. Daners (1998), S. 201. 18 Kölner Stadt-Anzeiger, 12. Juli 1950. 19 Rheinische Zeitung, 12. Juli 1950. 20 Wie bereits weiter oben beschrieben, war es genau 30 Jahre vorher die Ordensgemeischaft der Cellitinnen-Augustinerinnen aus der Kölner Kupfergasse gewesen, die 1920 die Betreuung der Kinder im ersten Brühler Kinderheim in der Comesstraße 42 (Benediktusheim) übernommen hatte. 21 Jakob Sonntag: Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brühl. Auch ein Kapitel Brühler Heimatgeschichte. In: Brühler Heimatblätter, 1960.
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Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler
Abb. 27 Das Alte Rathaus der Gemeinde Brauweiler am damaligen Richthofenplatz (heute: Konrad-Adenauer-Platz), eingeweiht am 18. August 1927. Foto vom 27. Juli 1953.
am 15. März 1950: „Diese Umwandlung soll bis zum 1. 4. des Jahres beendet sein. Der Beschluß wurde gefaßt, obwohl die Bevölkerung es bedauert, da diese segensreiche Einrichtung [das Hilfskrankenhaus von Brauweiler] in erster Linie Heimkehrern und Flüchtlingen zugute kam.“22 Dass der Vertrag mit der Ordensgemeinschaft schon im Jahr zuvor zum 31. März 1950 gekündigt worden war, noch bevor der Kreis den Beschluss zur Umwandlung der bisherigen Nutzung des Rathauses gefasst hatte, machte die Situation nicht einfacher.23 vielmehr „bedurfte (es) langer Verhandlungen mit dem Generalvikariat in Köln und dem Orden, damit die Kündigung rückgängig gemacht werden konnte. Ein sog. Schwesterngestellungsvertrag kam gar nicht mehr zustande, so daß das Verbleiben der drei Ordensschwestern immer vom
22 Der Zeitungsartikel wurde mir freundlicherweise von Horst Kandt, damals Leiter des Stadtarchivs Pulheim, zur Verfügung gestellt. 23 Zu den Auseinandersetzungen z wischen dem Landkreis Köln und der Gemeinde Brauweiler in Bezug auf die Nutzung des Gebäudes und die dazugehörigen vertraglichen Vereinbarungen vgl. Daners (1998), S. 201 ff.
Das provisorische Heim im Hilfskrankenhaus des Landkreises
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Wohlwollen des Ordens abhängig war.“24 Trotz dieser Unsicherheiten sollte es sich erweisen, dass stets drei bis vier Schwestern in dem neuen Heim tätig sein konnten: von 1950 bis 1958 in Brauweiler und dann auch noch, nach dem Umzug des Heims, von 1958 bis 1965 in Brühl. Mit der Auflösung des Kreiskrankenhauses Brauweiler am 31. März 1950 wurde offiziell das „Kreiswaisenhaus“ – auch als „Kreispflegeheim“ bezeichnet – in diesem Gebäude eingerichtet. Die zweieinhalb Monate dauernde Zeit bis zum Beginn der Belegung im Juni 1950 diente als Auslaufzeit für das Krankenhaus und Anlaufzeit für das „Kreiswaisenhaus“, in dem Platz für bis zu 60 Kinder vorgesehen war. Um zu vermeiden, dass sich ein Begriff wie „Kreiswaisenhaus“ im öffentlichen Sprachgebrauch etablierte, sollte für das neue Heim eine adäquate Bezeichnung gefunden werden.25 In Erinnerung an Pfalzgraf Ehrenfried, den Stifter der Benediktinerabtei Brauweiler, entschied man sich mit „Haus Ehrenfried“26 für einen Namen, der einen unmittelbaren Bezug zur Ortsgeschichte von Brauweiler herstellte. Dass die Abteikirche dem Bischof Nikolaus geweiht ist, einem Heiligen, dem zugeschrieben wird, Menschen aus Ausweglosigkeit und Nöten zu befreien, der als Wohltäter und Freund der Kinder verehrt wird sowie als Schutzpatron der unschuldig Gefangenen und zum Tode Verurteilten, war in d iesem Zusammenhang ein sehr passendes Detail. Bei der Einrichtung von „Haus Ehrenfried“ wurde zunächst von der Aufstellung eines Stellenplans abgesehen, um praktische Erfahrungen sammeln zu können. Als Vergütung erhielten die Schwestern ab dem 1. Juli 1950 monatlich 3 × 60,00 DM, insgesamt 180,00 DM, zu zahlen an das Mutterhaus in Köln, zudem wurde ihnen „freie Station gewährt“. In der Übergangszeit bis zum 30. Juni 1950 hatte die Vergütung als „Krankenhausschwester“ monatlich noch 75,00 DM je Schwester betragen, also 15,00 DM mehr pro Person. 24 Sonntag (1972), S. 33. Schwesterngestellungsverträge, die auch für die kreiseigenen Kinderheime vereinbart wurden, beinhalteten, dass der jeweilige Orden dem Auftraggeber eine bestimmte Schwesternzahl zur Verfügung stellte, die ihre Aufgaben gegen Kost und Logis, ggf. geringfügige Sozialleistungen und eine monatliche Zahlung je Schwester übernahmen. 25 Mit Blick auf die Gepflogenheiten, die im behördlichen Schriftverkehr üblich waren, erschien diese Befürchtung durchaus berechtigt: In den Akten des Kreisarchivs Rhein-ErftKreis wird das Brauweiler Heim trotz der Namensgebung „Haus Ehrenfried“ noch einige Zeit als „Kreiswaisenhaus Brauweiler“ geführt, so etwa in den Kreistagsakten und in den Kreisausschussakten. 26 Um 991 fand die Hochzeit z wischen Pfalzgraf E(h)renfried (Kurzform: „Ezzo“) (um 955 – 1034), einem Sohn des lothringischen Pfalzgrafen Hermanns I., und Mathilde (um 979 – 1025), einer Tochter von Kaiser Otto II. und Theophanu, statt. Sie versprachen, Gott eine Stätte ewigen Dankes zu errichten, wenn ihnen reicher Kindersegen beschert sein würde. Aus ihrer Verbindung gingen zehn Kinder hervor. 1024 erhielten Ezzo und Mathilde von Papst Benedikt VIII. Reliquien und ein Kreuz zur Gründung eines Klosters und erfüllten damit ihr Gelöbnis. Als Standort wurde Brauweiler gewählt, u. a. weil hier bedeutende Besitzungen Ezzos lagen.
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Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler
Da die im Heim vorgesehene Höchstbettenzahl von 60 bald erreicht war, ergab sich die Notwendigkeit, weitere Erziehungsfachkräfte einzustellen. Hinzu kamen zunächst eine Erzieherin und ein geprüfte Kindergärtnerin, wenig s päter waren es drei Erzieherinnen (eine Jugendfürsorgerin, eine Kindergärtnerin und eine Kinderpflegerin), sowie das notwendige Hauspersonal.27 Um das Gebäude auf die neue Verwendung vorzubereiten, waren größere Maßnahmen erforderlich. Doch deutete sich von vorneherein ein Problem an: „Die Gemeinde Brauweiler (wollte) aus dem Amtsverband Weiden wieder h eraus und daher das Rathaus nicht langfristig abgeben.“28 Somit konnte es sich in Brauweiler nur um eine vorübergehende Lösung für die Unterbringung der „Waisenkinder“ handeln, mit der Konsequenz, dass „das Haus wenigstens in etwa für die Aufnahme von Kindern hergerichtet werden (musste); es mussten, wenn auch nur behelfsweise, Bade- und Brauseeinrichtungen sowie eine funktionsfähige Küche eingerichtet werden.“ Gerade die Sanitäreinrichtungen blieben allerdings ohne besondere Annehmlichkeiten: Das Personal teilte sich den Waschraum mit den Mädchen; ein Duschraum und ein Raum mit zwei Badewannen befanden sich im Keller des Hauses. Einige Zeit war auch noch eine Arztpraxis in dem Gebäude, „die erst nach weiteren mühseligen Bemühungen herausgenommen werden konnte“.
4.3 Heimalltag in Brauweiler Am 1. Juni 1950 war es dann so weit: Das ehemalige Rathaus in Brauweiler öffnete seine Pforten „für die heimatlosen Kinder unseres Kreisgebietes“.29 Dazu zählten an erster Stelle die letzten 24 „Dauerpflegekinder“ aus der „Waisenkinderabteilung“ des Kindererholungsheims in Barkhausen an der Porta Westfalica, das von da an ausschließlich der Unterbringung erholungsbedürftiger Kinder diente. Auch „Kinder, die 1945 mit dem großen Flüchtlingstreck in den Westen gekommen waren“30, trafen in Brauweiler ein. So befanden sich bald 40 Kinder im Heim, zwischen drei und 14 Jahre alt, die meisten von ihnen, im schulpflichtigen Alter z wischen sechs und 14 Jahren, besuchten die Volksschule in Brauweiler.
27 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis.102/3427 I. 10. Januar 1951. 28 Alle Zitate in d iesem Absatz aus: Jakob Sonntag (1972), S. 33. Da das Amt Weiden 1951 aufgehoben worden war, waren Brauweiler und Lövenich nun nicht mehr in Verwaltungsgemeinschaft verbunden, sondern wieder selbständige, amtsfreie Gemeinden (s. o.). Von daher war es von großem Vorteil, dass es Mitte der 1930er Jahre nicht zu einem Verkauf des Rathausgebäudes gekommen war und es nun als Kinderheim genutzt werden konnte. 29 Kölnische Rundschau,11. September 1958. 30 Sonntag: Schicksalsweg eines Heimes. In: Kölnische Rundschau, 24. Februar 1972 (1972a).
Heimalltag in Brauweiler
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Oberin Bonifatia übernahm die Gesamtleitung des Heims, „und zwar sowohl die geschäftliche Leitung, Büro, Kassenführung und Hausverwaltung, als auch die erzieherische Gesamtleitung des Hauses“.31 Schwester Benigna oblag als Küchenleiterin „die ganze Sorge für die Verpflegung“, und Schwester Neophyta war als Wirtschaftsleiterin zuständig für „die Sorge für Kleidung und Wäsche der Kinder, für das Inventar sowie die Anleitung der größeren Mädchen im Nähen, Stricken und Stopfen, ferner die Ausbildung der hauswirtschaftlichen Anlernlinge“.32 Einer ausgebildeten Erzieherin, Frl. N., oblag „die gesamte erzieherische Betreuung der Jungen“; eine examinierte Kinderpflegerin, Frl. G., war für die schulpflichtigen Mädchen zuständig, „sie überwacht Hausaufgaben, bastelt, musiziert und spielt mit ihnen“. Diese beiden hauptamtlichen weltlichen Kräfte erhielten eine Pauschalvergütung, für Frl. N. 100,00 DM und für Frl. G. 80,00 DM monatlich. Beiden wurde freie Wohnung und Verpflegung gewährt. Anfangs gehörte noch eine Hilfskraft zur Mitarbeitergruppe. Sie betreute die nicht schulpflichtigen Kinder.33 „Das gesamte Personal des Heimes wohnte im Haus […]. Die Personalausstattung blieb bis zum Ende des Waisenhauses in Brauweiler mehr oder weniger gleich. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre kam noch eine vierte Ordensschwester hinzu.“34 Es blieb auch weiterhin eng und nur mäßig gut ausgestattet im Brauweiler Heim, in dem immer mehr Kinder und Personal unterzubringen waren. Schließlich war das Gebäude als Verwaltungssitz konzipiert worden und eignete sich von daher nur bedingt als Ort, der den Kindern ein „echtes Heimatgefühl“ vermitteln konnte. Auch wenn es hier nicht „ungemütlich“ war und man sich um eine Umgestaltung bemühte, konnte diese Unterkunft nur als Notlösung betrachtet werden. Dazu noch einmal die anschaulichen Schilderungen von Jakob Sonntag. In der ehemaligen Bürgermeisterwohnungsküche war die Heimküche eingerichtet worden, und das ehemalige Familienwohnzimmer wurde zur Heimkapelle „zweckentfremdet“. Im Dachgeschoß wurde aus drei ehemaligen Mansardenräumen eine Schwesternklausur eingerichtet, und im Keller war eine mehr als provisorische Badeeinrichtung für die rund 80 Heimbewohner (inkl. Personal) entstanden. Was an Komfort aber fehlte, wurde durch die mütterliche Herzlichkeit von Schwester Bonifatia reichlich aufgewogen.35
31 32 33 34 35
Sonntag (1972), S. 33. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759. 12. April 1951. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759. 12. April 1951. Daners (1998), S. 206. Jakob Sonntag: Seit dreißig Jahren Kreiskinderheim. In: Kölnische Rundschau, 28. Juni 1980. Schwester Bonifatia galt als „kölsche“ Oberin, vgl. Daners (1998), S. 203.
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Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler
Am 10. Juli 1950 wurde das durch den Beschluss des Kreistags neu geschaffene „Kreiswaisenhaus“ Brauweiler öffentlich seiner Bestimmung übergeben. Bei der offiziellen, aber sehr schlicht und einfach 36 gehaltenen „Einweihungsfeier“ waren zahlreiche Vertreter aus der Kommunal- und Kreisverwaltung 37 anwesend. Der damalige Sozialdezernent, Kreisamtmann Paul Warmke, vermeldete stellvertretend für Landrat Josef Scheuren, es sei gelungen, mit der Gemeinde Brauweiler einen Mietvertrag über zehn Jahre für das Gebäude abzuschließen. Damit hatte der Landkreis eine sichere Basis, um Waisenkinder zentral in d iesem Heim unterzubringen, während er sie früher nur unter großen Schwierigkeiten und gegen einen erhöhten Pflegesatz auf städtische Waisenhäuser verteilen musste. Kreisamtmann Warmke beschrieb, wie sich das Leben in diesem Heim für die Kinder idealerweise darstellen sollte: „Die Bitterkeit des Waisenhauses soll von den Kindern möglichst ferngehalten werden. Im ehemaligen Kreiskrankenhaus sollen gesunde, ehrliche und arbeitsfreudige Kinder ohne Zwang und Furcht aufwachsen.“38 Gleichermaßen positiv berichtete die Rheinische Zeitung am 1. August 1950 über die neue Nutzung des ehemaligen Rathausgebäudes: Nun ist es die Heimat der Kinder, die ihr höchstes Gut verloren: die Eltern. Sie werden hier gehegt und gepflegt. Die Erzieher versuchen mit viel Liebe ihnen die Eltern zu ersetzen und ihnen das Leben schlicht, aber freudvoll zu gestalten. Vom Kreistag war es ein begrüßenswerter Gedanke, gerade an dieser Stelle und in diesem Hause das Waisenhaus einzurichten. Die Kinder, die dort eine zweite Heimat gefunden haben, werden es den Kreisvätern bestimmt einmal danken.
Die Kinder standen unter der Aufsicht des Jugendamts, das als Vormund handelte, sofern das Vormundschaftsgericht nicht eine Einzelperson zur Übernahme einer Vormundschaft (als gesetzlicher Vertreter des Kindes) anhielt. Erforderlich war die Vormundschaft von Amts wegen, wenn ein (minderjähriges) Kind nicht unter elterlicher Sorge stand – etwa weil diese krank oder verstorben waren – oder den Eltern das Sorgerecht über ihr Kind entzogen worden war. Jakob Sonntag blieb bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1965 „qua Amt“ Vormund der Kinder im „Haus Ehrenfried“. Die Kinder konnten sich im Haus und im Außengelände frei bewegen, sie sollten sich wie zu Hause fühlen. Aufenthaltsräume und Spielzimmer sowie ein Garten mit Spielplatz und Sandkasten standen ihnen zur Verfügung, außerdem wurde im Heim Musikunterricht angeboten. Die Heimleitung wünschte und befürwortete unbedingt auch den Kontakt der Kinder mit der Außenwelt: „Sie 36 So empfand es Sonntag (1972), S. 33. 37 Sämtliche Namen in: Sonntag (1972a) sowie ders. (1972), S. 33 f. 38 Rheinische Zeitung, 12. Juli 1950.
Heimalltag in Brauweiler
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Abb. 28 Kinder beim Spiel im Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler.
sollen sich in jeder Lebenslage ungezwungen bewegen können“39 und durften sich praktisch jederzeit ganz unbefangen mit ihren kleinen und großen Fragen und Anliegen an die Heimleiterin wenden: „Jedes Kind betrachtet die Oberin als seine persönliche Mutter“, schätzte die Kölnische Rundschau das Verhältnis der Kinder zu ihr ein. Ein Spruch in der Eingangshalle von „Haus Ehrenfried“ sollte diese allgemeine Einstellung bekräftigen: „Hier wohnen viel Freude, viel Arbeit, viel Lärm. Nicht jeder mag’s, wir haben’s gern!“40 Oberin Bonifatia beharrte nicht auf einer strikten Geschlechtertrennung: Um eine Isolierung mit ihren psychologischen Folgen zu vermeiden, werden die schulpflichtigen Kinder zusammen mit den anderen in der Dorfschule unterrichtet. Wie uns die Schwester-Oberin Bonifatia wissen ließ, hält sie eine Trennung nach Geschlechtern für unglücklich, weil gerade so das geschwisterliche Zusammenleben gefördert und eine sittliche Gefährdung ausgeschlossen wird. Die Kleinen sollten in Freiheit
39 Kölnische Rundschau, 24. Dezember 1954. 40 Kölnische Rundschau, 17. Oktober 1953.
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Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler
Abb. 29 Bett an Bett in einem Schlafsaal von „Haus Ehrenfried“, Brauweiler. leben, ohne Unterschied auf ihre Herkunft und in der Schule nur durch ihr gepflegtes Äußeres auffallen.41
Im Rückblick auf 25 Jahre „Haus Ehrenfried“ kam Jakob Sonntag zu einer sehr positiven Einschätzung gerade auch der ersten Zeit in Brauweiler: Es war eng und klein im Heim zu Brauweiler. Aber es war, wie mir heute immer noch von „Ehemaligen“ versichert wird, gemütlich und häuslich. Man lebte wie in einer großen Familie zusammen, und Schwester Bonifatia war eine gütige, mütterliche Frau, die dem Haus eine den Kindern bekömmliche wohlige Atmosphäre zu geben verstand, die es vor allem verstand, die häuslichen Feste, die Namenstage, Geburtstage, Kommunions- und Konfirmationstage so zu gestalten, daß sie als Kindheitserlebnisse tief haften geblieben sind.42
41 Kölner Stadt-Anzeiger, 12. Juli 1950. 42 Jakob Sonntag (1975).
Heimalltag in Brauweiler
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Dennoch war die Einrichtung des Heims zumindest in den Schlafsälen noch deutlich an den früher üblichen Standards orientiert und keinesfalls fortschrittlich, was auch den beengten Umständen des Hauses geschuldet sein mochte: In den Schlafsälen waren in der Regel neun bis zwölf Betten, bzw. Gitterbettchen für die kleineren Kinder, untergebracht, bei einer Zimmergröße von 27 – 30 m².43 Der Tagesablauf im „Haus Ehrenfried“ verlief strukturiert: Der Tag begann im Waisenhaus um 6 1/2 Uhr, nach dem Waschen wurde das Morgengebet in der hauseigenen Kapelle verrichtet. Das Frühstück wurde in den Aufenthaltsräumen im Erdgeschoß eingenommen. Anschließend ging es zur katholischen oder evangelischen Volksschule in Brauweiler. Wer noch nicht schulpflichtig war oder noch keine Schule hatte, half – so weit es ging – beim Aufräumen, Geschirrspülen und bei den E ssensvorbereitungen. Für die Betreuerinnen der schulpflichtigen Kinder gab es eine einzige tägliche Freizeit zwischen neun und elf Uhr. Das Mittagessen wurde wieder zusammen eingenommen. Nach dem Essen gab es eine Stunde Freizeit und dann folgte das Silentium für die Anfertigung der Hausaufgaben. Den verbleibenden Nachmittag konnten die Kinder selbst gestalten oder am Programm der Betreuerinnen teilnehmen. Der Tag endete für die Kinder in der Regel gegen 21 Uhr. Die älteren Mädchen halfen nachmittags sowohl bei der Betreuung der jüngeren Kinder als auch bei den Näharbeiten, um die Kleidung aller in Ordnung zu halten. Während der großen Ferien stand das Haus häufig leer, denn man verbrachte die Ferienzeit in Kall in der Eifel, dort besaß der Orden der Cellitinnen ein Haus. Für die Jungen organisierte man seit der Mitte der 50er Jahre auch Zeltlager in der Eifel.44
Zum Personal zählten neben den drei Ordensschwestern eine Kindergärtnerin, fünf Hausgehilfinnen (davon vier Anlernlinge) und eine Hilfskraft. Die Kindergärtnerin erhielt monatlich 100,00 DM bei freier Verpflegung, Unterkunft und Übernahme der Sozialversicherung durch den Kreis. Hausgehilfinnen und Anlernlinge erhielten monatliche Pauschalsätze. Daneben wurde ihnen freie Unterkunft und Verpflegung gewährt; der Kreis übernahm den Arbeitnehmeranteil an der Sozialversicherung. Die Hilfskraft erhielt monatlich 50,00 DM , jedoch keine Verpflegung. Soweit als Kostenträger Gemeinden usw. auftraten, erfolgte die Einweisung der „Pflegekinder“ nach der Anerkennung der Kostenübernahme. Setzte sich das Personal im Brauweiler Heim im Jahr 1954 aus 12 Mitarbeitern zusammen, waren es 1955 bis zu 16.45
43 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 8. Juli 1955. 44 Aus einem Interview mit der früheren Kinderpflegerin Frl. G., die bis Mitte der 1950er Jahre im „Haus Ehrenfried“ beschäftigt war, in: Daners (1998), S. 209. 45 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759. 7. Mai 1956.
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Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler 1954
1955
3
4
b) Erzieherin, Verg.Gr. VI b TO. A.
1
1
c) Kindergärtnerin Verg.Gr. VIII TO. A.
1
1
d) Kinderpflegerin, Verg.Gr. IX TO. A.
–
1
a) Ordensschwestern davon 1 Leiterin 1 für die Küche 1 für die Kinderbetreuung und Nähstube 1 für sonstige Arbeiten im Hause
e) Praktikantinnen: mtl. DM 50,00, freie Unterkunft und Verpflegung
1
1, teils 2
f) Haushaltslehrlinge: Taschengeld, freie Unterkunft und Verpflegung
6
8, teils weniger
12
16
Außerdem wurde für die Besorgung der Heizung, der Garten- und Viehhaltung ein Arbeiter werktägig vier Stunden beschäftigt. Die Betreuung der vorhandenen drei Kindergruppen erforderte im Durchschnitt 1,5 Arbeitskräfte. In der Zeit z wischen April 1955 und April 1956 waren vier Ordensschwestern im Heim tätig; nur eine war, neben der Nähstube, auch für die Kinderbetreuung zuständig. 62 Betten standen für die Kinder zur Verfügung; 53 davon waren belegt. „Schwankungen [in der Belegung der Betten] von Bedeutung treten in den Monaten März und April eines jeden Jahres nach der Entlassung der nicht mehr schulpflichtigen Kinder ein.“ Die Personalsituation stellte sich im Rechnungsjahr 1957/58 leicht reduziert dar:46 Planstellen
z. Zt. besetzt
a) Ordensschwestern davon 1 Leiterin
1
1
1 für die Küche
1
1
1 für die Kinderbetreuung und Nähstube
1
–
b) Erzieherin, Verg.Gr. VI b TO. A.
1
–
c) Kindergärtnerin Verg.Gr. VIII TO. A.
1
–
d) Kinderpflegerin, Verg.Gr. IX TO. A.
3
3
e) Praktikantin
–
1
f) Haushaltslehrlinge: Taschengeld, freie Unterkunft und Verpflegung
–
3
g) Hausangestellte
46 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759. 23. April 1958.
–
3
9
13
Heimalltag in Brauweiler
123
Für die Belegung standen in diesem Jahr zwei Betten weniger zur Verfügung als zuvor, also 60. Davon waren zum Zeitpunkt der Prüfung 59 Betten belegt. Die Gemeinde Brauweiler führte von 1950 bis 1955 Listen 47 der beschulten Kinder als Nachweis für die Schulkosten, die von anderen Gemeinden und Städten zurückgefordert wurden. Zum Zeitpunkt der Rechnungsprüfung für das Rechnungsjahr März 1950 bis März 1951 lebten im Kreiskinderheim 44 schulpflichtige Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren,48 die die kath. Volksschule in der Mathildenstraße in Brauweiler besuchten; 14 gingen zur ev. Volksschule, die sich unmittelbar neben der kath. Volksschule befand. 1951/52 besuchten 54 volksschulpflichtige Kinder die kath. Volksschule (21 die ev. Volksschule). 1952/53 besuchten 49 Heimkinder die kath. Volksschule (ev.: 14). 1953/54 waren es 44 kath. VolksschülerInnen (ev.: 14). Die letzte vorhandene Liste behandelt das Rechnungsjahr 1954/55 und weist 36 Kinder aus, die die kath. Volksschule in Brauweiler besuchten, 17 die ev. Volksschule. Nach Beendigung der Volksschule mit dem achten Schuljahr stellte sich die Frage nach der beruflichen Orientierung und dementsprechend auch nach der Unterbringung und Betreuung der Jugendlichen außerhalb des Heims. Zuständig dafür waren das Kreisjugendamt sowie das Arbeitsamt, auch das Heimpersonal bemühte sich um Lösungen. Falls Mädchen nach der Schulzeit nicht zu vermitteln waren, konnten sie im Heim wohnen bleiben und dort als Haushaltslehrlinge beschäftigt werden. In Brauweiler gab es damals noch keine weiterführenden Schulen,49 daher wurden meist Gymnasien in Köln besucht, so z. B. die Liebfrauenschule 50 für Mädchen, das Gymnasium Kreuzgasse 51 oder das Apostelgymnasium 52 für Jungen. Allerdings wurde ein solcher Schulbesuch kaum den Heimkindern ermöglicht, weil dafür Schulgeld, Geld für die Lernmittel und die Busfahrten erforderlich gewesen wäre. Auf einen Aufruf im Kölner Stadt-Anzeiger am 9. Juni 2020 nach ZeitzeugInnen, die sich an „Haus Ehrenfried“ erinnern können, meldeten sich bei mir neben ehemaligen Heimkindern auch ehemalige MitschülerInnen aus der kath. Volksschule Brauweiler:
47 Stadtarchiv Pulheim. Akte I/B-545: Beschulung der Kinder des Kreiskinderheims „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler 1951 – 1959. 48 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759. Mai 1951. 49 Das Brauweiler Abtei-Gymnasium wurde erst 1973 gegründet, die Arthur-Koepchen-Realschule im Jahr 1977. 50 Sie befand sich von 1947 bis 1953 in einem Gebäude in der Aachener Straße 443 und konnte 1953 in einen Neubau in der Brucknerstraße 15 umziehen. 51 Seit 1953 in der Vogelsanger Straße 1. 5 2 Es war bis zum Umzug in einen Neubau im Jahr 1961 in einem Provisorium, Lotharstraße 14 – 18, untergebracht.
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Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler
Während des Unterrichts und vor allem in den Pausen pflegten wir einen ganz normalen Umgang mit diesen MitschülerInnen. Kontakte außerhalb der Schulzeiten fanden aber nicht statt, denn es war den Kindern wohl nicht gestattet, nach der Schule das Heim zu verlassen. Man konnte sie auch nicht im Heim besuchen, allenfalls kam man bis zur Eingangshalle. So bildeten sie eine etwas abgesonderte, abgeschottete Gruppe. Übrigens kannten wir meist nur ihre Vornamen, was spätere Versuche, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, z. B. bei der Planung von Klassentreffen, fast unmöglich machte.
Im Gegensatz zu den offiziellen Darstellungen eines offenen und liberalen Heims, etwa in den Tageszeitungen, wussten diese MitschülerInnen noch, dass die Heimkinder nach der Schule sofort zurück ins Heim kommen mussten, wenig Kontakt zu anderen Kindern hatten und in einer Art selbstverständlicher Verschwiegenheit nicht über ihr Heim sprachen. Dabei hätten die Heimkinder keineswegs „irgendwie anders“ gewirkt hätten, vielmehr beteuerten die Befragten: Man sah es ihnen an ihrem Äußeren tatsächlich nicht an, dass sie „Heimkinder“ waren, denn sie wirkten immer akkurat. Sie hatten im Heim einen Garten zum Spielen, in den ich ein- oder zweimal im Jahr mal zu einer Geburtstagsfeier kommen konnte. Ich war überzeugt, dass meine MitschülerInnen dort von den Nonnen gut betreut wurden. Kein Kind hat sich offen über das Heim beklagt, möglicherweise durften sie ja nichts sagen. Das ehemalige Rathaus war natürlich von den Räumlichkeiten her nicht perfekt als Kinderheim geeignet.
Eine Kinderpflegerin, die nach ihrer Ausbildung Mitte der 1950er Jahre ein eineinhalbjähriges Praktikum im Brauweiler Heim absolviert hatte, bestätigte den guten Eindruck „von außen“: „Ich war sehr gerne dort und habe nur gute Erinnerungen an das Heim. Dort habe ich eine Mädchengruppe geleitet mit allem, was zum Alltag gehörte.“ Ein anderer Zeitzeuge, der damals im Heim lebte, berichtete von seiner Kommunion am Weißen Sonntag 1955, die in der Vorhalle der noch zerstörten Brauweiler Pfarrkirche St. Nikolaus mit dem Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings zelebriert wurde. Noch im selben Jahr erteilte der Kardinal den Kommunionkindern auch die hl. Firmung. Beide Male besuchte er anschließend das Kinderheim im ehemaligen Rathausgebäude. „Wir haben für ihn Lieder gesungen; es war alles sehr feierlich“, berichtete der Zeitzeuge, der gern an dieses Ereignis zurückdenkt. Solchen Erinnerungen konnten sich mehrere ehemalige Heimkinder nicht anschließen und widersprachen mit großem Nachdruck. Eine damals 12-Jährige, die 1950 für zwei Jahre nach Brauweiler kam, fühlte sich in dem Heim keinesfalls gut aufgehoben. So wurde ihr beispielsweise der Kontakt zu ihrer kleinen Schwester, die in eine andere Gruppe eingeteilt war, verwehrt. Was den Schulbesuch betraf, löste schon allein der Weg dorthin in ihr ein Grauen aus, weil er an der Arbeitsanstalt vorbei führte, die in der ehemaligen Benediktinerabtei Brauweiler
„Wir brauchen mehr Platz!“
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untergebracht war. „Es war eine unheimliche Atmosphäre, an den vergitterten Fenstern entlangzugehen. Der Lehrer in der kath. Volksschule begrüßte mich am ersten Tag mit der Bemerkung: ‚Wieder so ein Krimineller aus dem Heim!‘ Ich habe das alles bis heute nicht vergessen, und immer noch verfolgen mich Alpträume aus dieser Zeit.“53
4.4 „Wir brauchen mehr Platz!“ Bei aller räumlichen Enge war das Brauweiler Heim ständig mit 60 bis 63 Kindern vollständig ausgelastet, obwohl ursprünglich lediglich 50 bis 60 Kinder vorgesehen waren. Daher mussten weitergehende Überlegungen angestellt werden, die zu einer besseren und dauerhaften Lösung für die Unterbringung der heimpflegebedürftigen Kinder führen sollten: „Sehr bald mußte die Notwendigkeit eines neuen Kinderheims offenbar werden.“54 Um eine umfassende Einschätzung der Lage zu erhalten, forderte Oberkreisdirektor Dr. Willy Genrich in einem Schreiben vom 18. März 1952 Stadt-, Gemeinde- und Amtsverwaltungen des Kreisgebietes auf, bis zum 15. April 1952 „einen Erfahrungsbericht darüber einzusenden, ob eine fühlbare Besserung bei der Unterbringung von Kindern in Heimpflege gegenüber früher eingetreten ist“.55 Das Ergebnis war eindeutig: Die Stadtverwaltung von Brühl beklagte, dass „eine fühlbare Besserung bei der Unterbringung von Kindern in Heimpflege seit der Errichtung des Kreiskinderheims ‚Haus Ehrenfried‘ in Brauweiler bisher nicht eingetreten ist“; ebenso beschrieb die Stadt Frechen einen „untragbaren Zustand, der weiterhin nicht zu verantworten ist“. Schließlich war es für Kinder vielfach von äußerster Dringlichkeit, ins Heim aufgenommen zu werden, so z. B. wenn „die Mutter sofort inhaftiert wurde oder schwer erkrankt direkt in ein Krankenhaus kam“. Konnte dies nicht erfolgen, „mußten solche Kinder notgedrungen bei fremden Leuten unterkommen“. Auch die Gemeinde Hürth forderte in ihrem Bericht, „daß 1. die Zahl der Heimplätze für kreisangehörige Kinder bedeutend vergrößert werden muß, daß 2. die Einrichtung eines Hauses für Kleinkinder dringend erforderlich ist und 3. auch für hilfsschulbedürftige und erziehungsschwierige Kinder eine Lösung gefunden werden muß“. Die Gemeinde Lövenich führte aus, dass es durch die geringe Bettenzahl in Haus Ehrenfried nicht möglich (war), alle Kinder dort unterzubringen. Es kann erst von einer fühlbaren Erleichterung gesprochen werden, wenn 53 Weitere persönliche Erfahrungen aus dem Alltag im Brauweiler Kreiskinderheim finden sich in Kapitel 7: Erinnerungen an „Haus Ehrenfried“. 54 Sonntag (1972), S. 34. 55 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 I.
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Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler
es gelingt, alle Kinder in einem kreiseigenen Heim unterzubringen. Es wird bei dieser Gelegenheit besonders auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die bei der Unterbringung von Kindern in fremden Heimen, besonders bei Kindern unter 3 Jahren, entstehen. Auch das Fehlen eines Säuglingsheims macht sich stark bemerkbar.56
Der Gemeindedirektor von Rodenkirchen und die Amtsdirektoren von Wesseling und Pulheim beklagten ebenfalls die zu geringe Bettenzahl in Brauweiler und sprachen die Notwendigkeit größerer Räumlichkeiten an, damit die Kinder nicht in fremden Heimen untergebracht werden mussten. Am 18. Juli 1952 wurde dem Oberkreisdirektor ein Bericht über die bisherige Entwicklung des kreiseigenen „Waisenhauses“ vorgelegt. Darin hieß es: Die Hoffnung, daß sich nach der Einrichtung des kreiseigenen Heims die Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Kindern lockern würden, haben sich nicht bestätigt. Es ist nicht nur niemals eine Bettenreserve vorhanden, sondern es müssen darüber hinaus fortwährend Kinder in fremden Heimen untergebracht werden, und zwar in vielen Fällen, besonders bei Kindern im Säuglingsalter, nach Überwindung großer Schwierigkeiten und oft auch in weit entfernten Heimen. Eine Erweiterung der Wohlfahrtswaisenpflege des Landkreises Köln, und zwar sowohl eine Vermehrung der Bettenzahl überhaupt als auch die Ausweitung dahin, daß dem kreiseigenen Heim eine Unterbringungsmöglichkeit für Kleinkinder angegliedert wird, erscheint unerläßlich. Als vollkommenste Lösung käme zweifellos die Errichtung eines Neubaues in einer der schulgünstiger gelegenen größeren Gemeinden des südlichen Kreisgebietes in Frage. […] Eine s olche Ideallösung sollte man jetzt schon anstreben und durch jährliche Rücklagen aus den ordentlichen Haushaltsmitteln vorbereiten. Solange aber diese anzustrebende Lösung nicht verwirklicht werden kann, also zumindest für die Dauer des z.Zt. bestehenden Mietvertrages mit der Gemeinde Brauweiler, sollte man es nicht bei der bisherigen Lösung, die nach den bisherigen Erfahrungen nur als eine Notlösung angesehen werden kann, belassen, vielmehr sollte man auch unter den jetzt noch bestehenden Möglichkeiten eine Erweiterung des Heims zu ermöglichen versuchen. […] Eine Erweiterung des Kinderheims auf 85 Betten würde gleichzeitig auch eine noch wirtschaftlichere Haushaltsführung ermöglichen.57
Weihnachten 1952 äußerte auch Oberin Bonifatia den dringenden Wunsch nach einem größeren Haus für die Unterbringung und Betreuung der Kinder. Ein Artikel in der Tagespresse unterstützte sie in ihrem Anliegen: Hoffen wir mit der Schwester Oberin, daß das Christkind auch eines Tages ihren großen Wunsch erfüllen werde, auf daß die Kreisväter den Waisenkindern des Kreises an Stelle
56 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 I. 57 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/ 3427 I; die folgenden Zitate ebda.
„Wir brauchen mehr Platz!“
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Abb. 30 Die Köchinnen im „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler am 16. April 1957. Links oben ist die Holztafel des Kinderheims an der Außenwand angebracht. des viel zu kleinen und engen Heimes in Brauweiler einmal ein schönes großes Kinderheim erbauen werden, ein Heim, in dem mindestens 40 Kinder mehr Unterkunft finden können und in denen der Flur nicht mehr Festsaal zu sein braucht.58
Drei Jahre s päter legte Jugendamtsleiter Jakob Sonntag anlässlich des fünfjährigen Bestehens von „Haus Ehrenfried“ in der Sitzung des Jugendwohlfahrtsausschusses vom 1. April 195559 ein ausführliches Referat vor, in dem er neben der Vorgeschichte des Kreiskinderheims zahlreiche Problemfelder des Hauses behandelte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren 324 Kinder dort aufgenommen 58 Kölnische Rundschau, 30. Dezember 1952. 59 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759. Aus der Niederschrift vom 7. April 1955. In der Kreistagssitzung am 30. Juni 1954 war beschlossen worden, einen Jugendwohlfahrtsausschuss für den Bereich des Landkreises Köln „auf der Grundlage der Landkreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. 7. 1953“ zu bilden. Der neue Ausschuss trat am 7. Oktober 1954 erstmals zusammen. Mit der am 15. Dezember 1954 beschlossenen vorläufigen Satzung war der Ausschuss arbeitsfähig und das Jugendamt gesetzlich konstituiert. „Mit der Konstituierung des Jugendwohlfahrtsausschußes war eigentlich zum ersten Mal verwirklicht, was den Vätern des Jugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 vorgeschwebt hat, nämlich ein fruchtbares Zusammenarbeiten von Verwaltung und Rat, von Administration und Legislative auf überschaubarem Raum und mit der gesetzlich festgelegten Aufgabe: Förderung der Jugendwohlfahrt.“ Sonntag (1972), S. 42 f.
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Das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler
Abb. 31 Die Holztafel des Kreiskinderheims.
worden (43 Vollwaisen; 47 Flüchtlinge; 158 Halbwaisen; darunter 56 uneheliche Kinder und 99 Kinder aus geschiedenen Ehen). Aktuell war das Heim mit 64 Kindern belegt (15 Vollwaisen; 35 Halbwaisen; 14 Flüchtlinge; darunter 25 Kinder aus geschiedenen Ehen). Einigen Eltern war das Erziehungsrecht entzogen worden. Die überwiegende Zahl der insgesamt 324 Kinder war katholisch, 66 waren evangelisch. Kinder, die aus zerrütteten Familien stammten und daher ihre Eltern kannten, durften mit diesen gelegentlich besuchsweise im Heim zusammentreffen, allerdings lediglich zu den großen Festen, wie etwa Kommunion oder Konfirmation.60 In seinem Bericht machte Jakob Sonntag unmissverständlich deutlich, dass die Unterbringung im ehemaligen Rathausgebäude nur eine vorläufige Lösung sein konnte, da es auf Dauer als Heim ungeeignet war. Nach dem Vortrag des Jugendamtsleiters beschloss der Ausschuss einstimmig, dem Kreistag als Empfehlung die Bitte vorzulegen, die Errichtung eines neuen kreiseigenen Kinderheims (Waisenhauses) baldmöglichst zu beschließen, damit noch in diesem Jahre mit den Bauarbeiten begonnen werden kann. Die Errichtung eines Kreiskinderheims (Waisenhaus) ist nach Meinung des JWA’s [ Jugendwohlfahrtsausschuss] eine echte Kreisaufgabe, der sich der Kreis nicht entziehen kann.61
Mit d iesem letzten Satz war eine sehr eindeutige, verbindliche Aussage getroffen worden, mit dem Effekt, dass der Kreistag am 10. Juni 1955 d iesem Vorschlag zustimmte und den Jugendwohlfahrtsausschuss mit der vorbereitenden Planung beauftragte. So wurde doch noch der Wunsch auch von Oberin Bonifatia erhört, der Raumnot ein Ende zu setzen. 60 Vgl. Daners (1998), S. 209. 61 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759. 7. April 1955.
„Wir brauchen mehr Platz!“
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Ausschlaggebend für den Beschluss des Kreistags waren drei Faktoren: Der Bedarf an Heimplätzen stieg beständig; im Brauweiler Provisorium war es inzwischen extrem eng geworden, und die Behelfsmäßigkeit dieser „Notlösung“ verhinderte eine Unterbringung nach zeitgemäßen Standards. „Das Kreiswaisenhaus in Brauweiler entspricht seit langem nicht den Anforderungen, die man heute an ein solches Heim stellen muß.“62 Von Bedeutung war dabei nicht zuletzt, dass „wesentliche bauliche Veränderungen oder Erweiterungen unmöglich“ waren. Außerdem benötigte die Gemeinde Brauweiler ihr altes Rathaus inzwischen wieder als Verwaltungssitz. Da es vom Landkreis als Kinderheim genutzt wurde, musste die Gemeinde für ihre Verwaltung ein Gebäude von einem privaten Eigentümer anmieten und ihre Ratssitzungen in einem wenig geeigneten Schulsaal abhalten. Dieser Mietvertrag lief 1956 aus, während der Mietvertrag des Heims, geschlossen zwischen Landkreis und Gemeinde, noch bis 1960 Gültigkeit hatte. Die Auflösung des Mietverhältnisses gestaltete sich durchaus kontrovers und kompliziert. Schlussendlich einigte man sich „auf eine einmalige Abfindung des Kreises an die Gemeinde in Höhe von 25.000,00 DM und eine letzte Mietzahlung für den Monat September 1958“.63
62 Kölner Stadt-Anzeiger, 27. Januar 1956. 63 Daners (1998), S. 212.
5. Das moderne „Haus Ehrenfried“ in Brühl
5.1 Pläne für ein neues Kinderheimgebäude in Brühl Bereits am 15. Juli 1955 wurde vom Jugendwohlfahrtsausschuss des Landkreises Köln festgelegt, dass im geplanten neuen Kreiskinderheim Platz für 90 – 100 Kinder geschaffen werden müsse. An seinem Standort sollten alle Schularten zwischen Hilfsschule und Gymnasium, Kirchen beider Konfessionen sowie ein Krankenhaus vorhanden sein. Gewünscht wurde zudem, im Heim eine Wohnund Betreuungsmöglichkeit für die aus der Heimpflege ausgeschiedenen und in der Berufsausbildung stehenden ehemaligen Heimkinder vorzusehen. Rodenkirchen fiel als Standort wegen seiner Nähe zu den projektierten Heimen der Diakonie in Michaelshoven 1 aus. Es waren nun die Städte Brühl und Frechen, die sich „um Grundstücke (bemühten) und entsprechende Vorschläge (machten)“.2 Jakob Sonntag sprach sich dafür aus, das Kreiskinderheim in Brühl zu errichten. Inzwischen hatte man die Bezeichnung „Waisenhaus“ gegen „Kinderheim“ ausgetauscht, weil die Gründe für die institutionelle Unterbringung von Kindern und Jugendlichen nur noch selten in der Elternlosigkeit der Kinder lagen. Am 25. Januar 1956 beschloss der Kreistag des Landkreises Köln, dass die Stadt Brühl der Standort für das neue „Kreiswaisenhaus“ sein solle. Dort waren die Voraussetzungen für den Aufbau einer sozialpädagogischen Einrichtung gegeben, in der „elternlose oder sonstwie ungeborgene Kinder aus dem ganzen Kreisgebiet für dauernd oder doch für längere Zeit Aufnahme finden“3 sollten. Mit einer knappen Mehrheit von 23 zu 20 Stimmen fiel die Wahl auf Brühl. Bedenken gegen diesen Standort bezogen sich vor allem darauf, dass in Frechen die vorhandenen Lern- und Arbeitsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche als qualitativ besser eingestuft wurden.4 Auf Vorschlag von Jakob Sonntag sollte der Bauplatz für das neue Heim ein Grundstück der Katholischen Kirchengemeinde St. Margareta sein. Sonntag setzte sich erfolgreich für einen günstigen Ankauf dieses Baugrundstücks ein; die Stadt Brühl erklärte sich bereit, die Übertragung d ieses Grundstücks auf den Landkreis Köln zu vermitteln: „Während der Auswahlverhandlungen wurde von 1 1950 hatte Pfarrer Erwin te Reh den Verein Coenaculum gegründet. Im Auftrag des Evangelischen Stadtkirchenverbandes Köln erwarb der Verein 1954 ein 20 ha großes Weideland im südlichen Teil von Rodenkirchen, um dort Unterkünfte für die zahlreichen Flüchtlinge, darunter auch Waisenkinder, zu schaffen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die weitgehend zerstörte Stadt Köln kamen. 1955 wurde der Grundstein für die ersten Häuser gelegt. 2 Sonntag (1972), S. 46. 3 Sonntag (1960). 4 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 27. Januar 1956.
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Pläne für ein neues Kinderheimgebäude in Brühl
Brühler Seite ein finanzielles Entgegenkommen der Stadt in Aussicht gestellt, falls die Standortfrage zu ihren Gunsten gelöst würde.“5 Konkret entschied man sich für ein 12.093 m² großes Areal Ackerland in der Liblarer Straße. Abb. 32 Briefkopf des Kreiskinderheims in Brauweiler.
Im Frühjahr 1956 unternahm der Unterausschuss „Kinderheim-Neubau“ des Jugendwohlfahrtsausschusses mehrere Besichtigungsfahrten zu bereits bestehenden Kinderheimen, so etwa nach Köln-Brück, nach Bergheim-Zieverich und Overath, um sich mit den zeitgemäßen Voraussetzungen eines modernen Kinder heims vertraut zu machen. Sehr detailliert formulierte die Kreisbauverwaltung am 27. März 1956 dann das „Raumprogramm für den Neubau eines Kinderheimes in Brühl, Liblarer Strasse“: Der Landkreis Köln beabsichtigt, in Brühl an der Liblarer Strasse (Gemarkung Brühl, Flur 11, Flurstück 14) ein Kreiskinderheim zu erstellen. Es soll aufnahmebereit sein für 80 Kinder, und zwar 20 Kleinstkinder (2 – 4 Jahre), 60 Klein- und Schulkinder (4 – 14 Jahre), sowie 10 Haushaltslehrlinge. Es muss ferner folgende Personalkräfte aufnehmen können: 6 Ordensschwestern, 6 Erzieherinnen, 3 Hausangestellte, 1 Gartenarbeiter. Raumprogramm: 1 Gruppe für 20 Kleinstkinder: 2 Tagesräume (1 Essraum, 1 Spielraum) zus. 40 m2, 3 Schlafräume je 15 m2, 1 Wasch- und Baderaum mit 2 Waschbecken (in kindergemässer Höhe installiert) und 2 kleinen Badewannen (auf einem Sockel installiert), 1 Toilettenraum in guter Verbindung zum Waschraum mit zwei kleinen Sitzen, 1 Töpfchenbank, 1 Fäkalausguss,
5 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1935. 31. Januar 1957.
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Das moderne „Haus Ehrenfried“ in Brühl
1 Garderoben- und Schrankraum, 1 Wohn-Schlafraum für die Erzieherin mit fl. Wasser 12 – 15 m2, 1 Spül- und Teeküche nahe dem Tagesraum, 1 Erwachsenen-W. C. 4 Gruppen für je 15 Klein- und Schulkinder, je: 1 Tagesraum für Essen und stille Beschäftigung, 1 Spielraum zus. 45 – 50 m2, 3 Schlafräume mit je 5 Betten, je 15 – 18 m2, 1 Spülküche mit elektrischer Kochgelegenheit, zugleich Teeküche, evtl. mit Durchreiche zum Essraum, Wandschrank, 1 Garderobe, möglichst beim Gruppeneingang, 1 Waschraum mit 4 in kindergemässer Höhe angebrachten Waschbecken, 2 Fusswaschbecken, 2 Duschen (in Duschzellen), 1 Toilettenraum mit 2 Erwachsenensitzen, 1 grosser Schrankraum (Schuhschrank mit Aussenlüftung, Schubladenschrank, für jedes Kind ein kleines Spind, gemeinsame Kleider- und Wäscheschränke), 1 kleiner Abstellraum (Spind für Besen pp.), 1 Wohn- und Schlafraum für die Gruppenerzieherin mit fl. Wasser, 12 – 15 m2, 1 Erwachsenen-W. C. Von diesen 4 Gruppen soll eine als Gemischtgruppe für Geschwister und zum Ausgleich eingerichtet werden (getrennte Wasch- und Toilettenräume). 1 Gruppe für 10 Haushaltslehrlinge: 1 Tagesraum in der Nähe der Küche, zugl. für Hausangestellte, 15 – 20 m2, 3 Schlafräume mit insgesamt 10 Betten je 20 – 25 m2, 1 Waschraum mit 3 Waschbecken, 2 Duschzellen mit Fusswaschbecken, 1 Toilettenraum mit 1 Erwachsenensitz, Gemeinschaftsräume: 1 Gemeinschaftsraum mit Podium und mit Vorrichtung zur Filmvorführung (Scheinwerfer zur Bühne, Vorhangeinrichtung) etwa 80 m2, 1 Bastelraum (evtl. im Dachgeschoss), 3 Badezimmer mit je 3 Badezellen, 1 Fahrradraum (im Keller), 1 Raum für Gartengerät (im Keller), 1 Toilette für Jungen und Mädchen getrennt sowie für Personal, von aussen zugängig, mit zusammen 3 grossen und 1 kl. Sitz, 1 Kapelle mit Nebenraum (Sakristei), im Nebenraum fl. Wasser und besonderes Ausgussbecken für Blumenpflege u. dergl., zentral liegend. 50 + 10 = 60 m2. Als Bettenreserve und als kurzfristige Isolier-Möglichkeit 3 Schlafräume mit je 3 Betten und je einem Waschbecken, dazu mit je einem gesonderten W. C. direkt verbunden. 1 Arztzimmer, 1 Erwachsenen-W. C. Wirtschaftsräume: 1 Küche (mit kleinem Nebenraum als Geschäftszimmer für die Wirtschaftsleiterin),
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1 Spülküche (zusammen etwa 50 m2), 1 Gemüseputzraum mit Ausgang nach draussen, 20 m2, 1 Brotküche (Aufbewahrung und Verteilung von Brot und Aufstrich) 20 m2, 4 – 5 Vorratsräume mit 1 Kühlzelle hinter Vorkühlraum, 1 Waschküche mit anschliessendem Trockenraum und Bügelraum sowie einem Seifenkämmerchen, 1 Wäschekammer mit Wandschränken und einer Theke (luftig), 1 Nähstube mit anschliessendem Textilraum (hochgelegen), 1 Schuhraum (Vorräte), 1 Abstellraum. Heimverwaltung: 1 Schreibzimmer 12 m2, 1 Sprechzimmer 16 m2, 2 Besuchsräume je 10 m², 1 W.-C. mit Waschbecken für Besuch. Heimpersonal: 6 Wohn-Schlafräume (Zellen) für Ordensschwestern mit fl. Wasser bis 10 m2, 1 Toilette, 1 Badezimmer, 1 Gemeinschaftsraum (Aufenthalt und Refektorium) nahe der Küche 16 m2, 3 Wohn-Schlafräume für Hausangestellte mit fl. Wasser je 10 m², 1 Toilette (1 Sitz), 1 Tagesraum für Erzieherinnen 12 m2, 1 Wohn-Schlafraum für den Gartenarbeiter 10 m2. Offene Spielhalle, etwa 60 m²: Diese Halle kann auch mit dem Gemeinschaftsraum verbunden werden, wenn letzterer in der Planung ebenerdig gelegt wird und nach Bauart (Fussboden) als Tischtennisraum u. ä. genutzt werden kann. Wirtschaftshof: Stallung für einige Schweine, Hühner, Tauben usw. Die Unterkunftsräume dürfen jedoch nicht durch Gerüche beeinträchtigt werden.
Nach einigen bautechnischen Hinweisen wurde darauf verwiesen, dass „die Gebäude möglichst an die Liblarer Strasse zu rücken (sind), da evtl. später an der Südgrenze eine neue Wohnstrasse gebaut wird, die das zuhinterst liegende Gartenland für eine gesonderte Bebauung erschliessen könnte.“ Anschließend wurde vom Kreisausschuss ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben, zu dem zehn „leistungsfähige Architekten“ eingeladen wurden und denen hierfür pro Person 1.250,00 DM Entschädigung gezahlt werden sollte.6
6 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3157.
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Am 4. April 1956 legte der Architekt Aloys Möhring 7, der bereits mehrfach Kinderheimgebäude entworfen und realisiert 8 hatte, seinen Entwurf unter dem Titel „Erläuterungsbericht und Baubeschreibung für den Neubau des Kreiskinder heimes in Brühl“ vor. Möhring formulierte „Zur Planung“: In dem geplanten Kinderheim sollen insgesamt 80 Kinder, in 5 Gruppen aufgeteilt, sowie eine Hauskindergruppe von 12 Hauskindern und das Pflegepersonal Aufnahme finden. Die Aufteilung ist so vorgesehen, daß die zur Unterbringung der Kinder bestimmten Gebäude so angeordnet sind, daß sie von den übrigen allgemeinen Räumen getrennt liegen. So beginnt die Anlage mit dem quer zur Straße gestellten Wirtschaftsgebäude, in dem sich die Küche sowie die Räume für Vorräte, Wäscherei, Näherei und die Räume für die Unterbringung des Personals befinden. An das Wirtschaftsgebäude schließt sich, in Atriumform, Verwaltung, Klausur, Kapelle, Gemeinschaftsraum und die Badeanlage an. Alle diese Räume sind miteinander verbunden, diese Verbindung, teils überdeckt, teils geschlossen, ist so fortgeführt, daß auch die 3 Gruppenhäuser angeschlossen sind. Die Gruppenhäuser, in gestaffelter Anordnung, sind mit ihren Wohnräumen nach Süden orientiert. Im 1. Haus soll Parterre die Kleinkindergruppe und im Obergeschoß eine Normalgruppe Platz finden. Das 2. Wohngebäude ist für je 1 Normalgruppe im Erdund Obergeschoß vorgesehen. Hieran schließt sich ein einstöckiges Gebäude für die Mischgruppe. An der östlichen Grenze des Grundstückes mit guter Verbindung zum Wirtschaftshof an der Küche ist ein kleines Oekonomiegebäude geplant, in dem ein Wohnraum für einen männlichen Arbeiter, eine Garage, Stallung für etwa 4 Schweine 9 und ein Geräteraum für Gartengeräte vorgesehen sind. Unter diesem Gebäude soll ein Kartoffel-Gemüsekeller angeordnet werden.
Möhring hatte seinen Entwurf mit viel Bedacht und Sorgfalt ausgearbeitet. Gemäß Beschluss der Kreistagssitzung vom 18. Juli 1956 und mit der einstimmigen Empfehlung des Bauausschusses vom 26. September 1956 an den Kreisbauausschuss erhielt Möhring den Auftrag zur Planung und Durchführung des neuen Kreiskinderheims. Daraufhin legte er am 4. Oktober 1956 den endgültigen Plan vor. Die fertiggestellten und geprüften Durchführungspläne wurden am 14. Januar 1957 „hinsichtlich der Zweckmässigkeit in der organisatorischen und wirtschaftlichen Anlage anerkannt“.10 7 Der Baumeister und Architekt Aloys Möhring gründete 1950 das Architekturbüro in Düsseldorf. Hinzu kam ein zweites Büro in Köln, um zahlreiche Bauaufträge in dieser Region zu bearbeiten. Größte Auftraggeber waren in dieser Zeit die katholische K irche sowie zahlreiche gemeinnützige Vereine. 8 Z. B. das Kinderheim Aegidienberg (Bauplan aus dem Jahr 1953) und das Kinderheim Overath (Baupläne aus dem Jahr 1954). 9 Die Schweinehaltung wurde Mitte/Ende der 1960er Jahre aufgegeben; den Raum nutzte man dann als Abstellfläche. 10 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/876 I. 16. Januar 1957.
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Das Grundstück an der Liblarer Straße 21 – 25 galt schon allein deshalb als besonders geeignet für das Neubauvorhaben, weil, wie gewünscht, Schulen und Kirchen beider Konfessionen, Berufs- und Realschule sowie öffentliche Verkehrsmittel in unmittelbarer Nähe lagen. Da in der weiteren Umgebung keine Industriebetriebe angesiedelt waren, erwartete man damals keine „Staubbelästigungen“.11 Zudem befand sich die „altbebaute“ Liblarer Straße, die erst um 1900 baulich erschlossen worden war, in unmittelbarer Nähe zum Stadtkern, war „keine Durchgangsstraße“ und „diente nur dem innerörtlichen Verkehr“.12 Somit bot sie ein ruhiges Umfeld und verhinderte „von vorneherein eine Isolierung des Heims und der Kinder“.13 Um den Kauf des großzügigen Grundstücks vorzubereiten, bemühte sich das Liegenschaftsamt der Stadt Brühl nun um eine Einigung und „führte in langen Verhandlungen mit den kirchlichen Instanzen eine Lösung zugunsten des Kreises herbei“. Für die Kirche kam lediglich der Tauschweg für die Veräußerung ihrer Grundstücke infrage, und so lautete die Vorgabe: Im Tauschweg muß die Stadt der Kirche ein Grundstück zur Verfügung stellen, das sich für einen Kirchneubau eignet und hinsichtlich des Aufschlusses keine zusätzlichen Kosten für die Kirchengemeinde zur Folge hat.14
Die Verhandlungen zwischen der Stadt Brühl und der Kreisverwaltung ergaben, dass die Stadt sich sehr großzügig in das Tauschgeschäft einbrachte, denn vereinbart wurde, dass die Kirche ein Ersatzgrundstück im Wert von rd. 50.000,00 DM erhielt. Außerdem mußte die Stadt Aufschließungsverpflichtungen im Wert von rd. 28.000,– DM eingehen. […] Die Kaufpreisforderung an den Landkreis Köln für das Waisenhausgrundstück müsse sich kalkulatorisch verständlicherweise auf dem von Brühler Seite eingebrachten Tauschwert aufbauen. […] Man einigte sich auf einen Mittelpreis von 3,– DM je qm, ausmachend für die gesamte Fläche 36.279, -- DM. Es wurde ferner vereinbart, daß die Stadt Brühl keine Aufschließungskosten erheben würde und daß sich die vom Landkreis Köln zu übernehmende Grunderwerbsteuer im üblichen Rahmen halten solle, d. h., daß er nur den letzten Grundstücksumsatz zu versteuern habe.15
11 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 II. Die allgemeine Luftbelastung durch den Braunkohleabbau in Brühl, der erst Ende der 1960er Jahre eingestellt wurde, oder durch das Brühler Eisenwerk war offensichtlich nicht relevant; sie wurde in der Niederschrift des Unterausschusses „Kinderheim-Neubau“ des Jugendwohlfahrtsausschusses am 9. Dezember 1955 als „kaum noch vorhanden“ eingeschätzt. 12 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/876 I. 10. Dezember 1955. 13 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 II. 16. Dezember 1955. 14 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 II. 24. Januar 1957. 15 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 II. 24. Januar 1957. Mit Grunderwerbssteuer, Notariatskosten und Gerichtsgebühren belief sich der Kauf des Grundstücks auf 39.283,53 DM.
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Die Mitglieder des Kreisbauausschusses hatten einstimmig am 16. Januar 1957 beschlossen, das Grundstück „in Kürze“ dem Landkreis Köln zu überschreiben. Der günstige Quadratmeterpreis war vereinbart worden mit der Maßgabe, auf dem Grundstück eine karitative Einrichtung zu erbauen. Notar Peter Joseph Heinrich Therstappen, Brühl, beglaubigte am 28. März 1957 den Kaufvertrag zwischen der Kath. Pfarrgemeinde St. Margareta (Verkäuferin) und dem Landkreis Köln (Käufer) „für die Errichtung eines Kreiswaisen hauses“.16 Der Landkreis überwies die Kaufsumme an die Kirchengemeinde St. Margareta, diese leitete sie weiter an die Stadt Brühl und erhielt dafür die vereinbarten neuen Parzellen.17 Um den geplanten Bau des Kinderheims finanzieren zu können, war der Landkreis Köln auf ein Darlehen angewiesen.18 Dazu sprach Kreisdirektor Dr. Viktor von Dewitz am 25. Januar 1957 im Landesministerium Düsseldorf vor und erläuterte, dass für die Erstellung des Kreiskinderheims, für das „ein ausserordent licher Bedarf vorhanden“ sei, Gesamtkosten in Höhe von 900.000,00 DM zu finanzieren seien. Am 25. Februar 1957 beantragte der Landkreis Köln beim Kölner Regierungspräsidenten formell die „Bewilligung eines Landesdarlehens zur Förderung der Baumaßnahmen freier gemeinnütziger Einrichtungen“ nach den „Bestimmungen über die Förderung von Baumaßnahmen freier gemeinnütziger und kommunaler sozialer Einrichtungen aus Mitteln des Arbeits- und Sozialministers vom 20. Juni 1955 in der Fassung vom 1. April 1957“ und zeigte dabei nochmals die Umstände auf, die den Neubau erforderlich machten: Der Landkreis Köln hat vor dem Kriege kein eigenes Waisenhaus besessen. Er verfügte auch nicht über Vertragsheime. Zu dieser Zeit gelang es noch, wenn auch manchmal mit Schwierigkeiten, die Waisen und gefährdeten Kinder in Heimen kreisfremder Träger unterzubringen. Nach dem Kriege wurden die Unterbringungsschwierigkeiten einerseits wegen der dezimierten Heimplätze, andererseits durch den Zuwachs an Hilflosen, immer größer. Der Landkreis Köln befand sich damals auf d iesem Gebiet in einer echten Zwangslage und mußte vorübergehend sein Kindererholungsheim bei Minden an der Porta Westfalica als Waisenhaus zur Verfügung stellen. Die große Entfernung zu diesem Heim und der anhaltende Bedarf zwangen ihn, im Jahre 1950 das ehemalige Rathaus der Gemeinde Brauweiler zur Verwendung als provisorisches Waisenhaus zu mieten. Bis heute hat Brauweiler in der Art eines Behelfsheims mit 60 Heimplätzen seinen Zweck erfüllt. Verständlicherweise konnte dort aber nie ein Idealzustand erreicht werden. Einmal ist das Gebäude, welches auf einen ganz anderen Zweck zugeschnitten ist, wenig geeignet, zum andern macht sich 16 Historisches Archiv des Erzbistums Köln. UR Nr. 662 für 1957. 17 In der Brühler Pfarrchronik findet sich im Jahr 1958 der Vermerk, dass das neue Kinderheim „auf einem Gelände steht, das unsere Pfarrei im Tausch gegen ein städtisches Gelände z wischen Kentenich- und Römerstraße abgegeben hat“. Pfarrchronik St. Margareta, 1958, S. 174. 18 Alle folgenden Zitate dazu aus: Landesarchiv Duisburg. NW 169/26.
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das Fehlen verschiedener Schularten (Hilfsschule bis Gymnasium) bemerkbar. Darüber hinaus bietet das Mietobjekt Brauweiler keine Möglichkeit, den neuzeitlichen Anforderungen an Erziehung und Wohngestaltung in Heimen gerecht zu werden. Die geschilderten mißlichen Verhältnisse in der augenblicklichen Unterkunft und der anhaltende große Bedarf an Heimplätzen haben die Kreisverwaltung schon vor Jahren zu dem Plan eines Neubaues bewogen. […] Der Landkreis Köln (ist) in Verbindung mit der Verwendung der Waisenhausrücklage zu einer Eigenleistung in Höhe von 540.000 DM in der Lage. Nach sorgfältiger Prüfung aller Finanzierungsmöglichkeiten glaubt der Landkreis Köln, auf die Inanspruchnahme eines Landesdarlehens in der beantragten Höhe von 400.000,– DM nicht verzichten zu können. In den letzten Jahren und in der nahen Zukunft drängen sich dem Kreis außerordentliche Maßnahmen in einem derart außergewöhnlichen Umfange auf, daß deren finanzielle Verkraftung den Verantwortlichen große Sorgen bereitet. […] Im Hinblick auf diese großen Geldbeschaffungssorgen wird der Antrag auf die Gewährung eines Landesdarlehens für das Kreiswaisenhaus sowohl dem Grunde nach als auch der Höhe des Darlehensbetrages nach sicherlich Verständnis finden.
Errichtet werden sollten 90 Heimplätze, zehn Bettplätze für Ärzte, Pflege- und „Erziehungspersonal“ sowie sechs Bettplätze für Wirtschafts- und Verwaltungspersonal. Versichert wurde, dass der Landkreis Köln das Waisenhaus in Brühl wie schon das Waisenhaus in Brauweiler selbst, d. h. „in eigener Regie“ betreiben und die Aufwendungen und Erträge im Haushaltsplan ausweisen werde. Zudem sei keine Eigengesellschaft geplant. Seinem Antrag auf Bewilligung des Darlehens legte OKD Dr. Willy Genrich die Berechnung der Kosten bei: 39.283,53 DM • Kosten für das Baugrundstück DM • Baukosten 900.000,00 ______________ 939.283,53 DM Eigenleistung 540.000,00 DM Darlehen 400.000,00 DM Am 23. Mai 1957 sandte der Landschaftsverband Rheinland (LVR) seine Stellungnahme zum „Neubau eines Kinderheimes durch den Landkreis Köln“ an den Kölner Regierungspräsidenten: „An der Errichtung des Neubaus besteht ein öffentliches Interesse. Die jetzige provisorische Unterkunft in den gemieteten Gebäuden des ehemaligen Rathauses Brauweiler bietet keine Möglichkeit einer den zu stellenden Anforderungen gerecht werdenden Unterbringung der Kinder. […] Das Neubauprojekt kann aus fachlicher Sicht als geglückt bezeichnet werden.“ In seinem Schreiben vom 10. Juli 1957 befürwortete auch der Kölner Regierungspräsident den Zuschuss, da „die kommunale Aufsichtsbehörde keine Bedenken gegen die Errichtung des Waisenhauses (hat)“.
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Mit Erlass vom 26. August 1957 wurde das Darlehen über 400.000,00 DM bereitgestellt, ging am Tag darauf zur Prüfung an den Minister für Wiederaufbau, der ebenfalls die Planung und das Darlehen befürwortete, und am 12. September 1957 informierte der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen über die Gewährung des Darlehens, gleichzeitig aber auch über seine Bedenken: Der geplante Neubau des Kreiskinderheims des Landkreises Köln in Brühl ist angesichts der bisherigen behelfsmäßigen Unterbringung dieser Einrichtung und der durch die starke Industrialisierung bedingten soziologischen Struktur des Kreises als notwendig anzusehen. Gegen die Gewährung einer Landesbeihilfe für dieses Bauvorhaben bestehen vom Standpunkt der Kommunalaufsicht keine Bedenken. Im Hinblick auf die über dem Durchschnitt liegende Finanz- und Steuerkraft des Landkreises Köln stellt sich aber die Frage, ob die Bewilligung einer Landesbeihilfe in der von Ihnen vorgesehenen Höhe von 400.000 DM erforderlich ist. […] Ich will mit diesem Hinweis nur die in besonderem Maße gegebene finanzielle Bewegungsfreiheit des Kreises beleuchten. […] Unter diesen Umständen bin ich, wie schon erwähnt, mit der Bewilligung eines Landes darlehens an den Landkreis Köln zwar einverstanden, halte aber den vorgesehenen Betrag von 400.000 DM für zu hoch.
Endgültig bewilligt wurde das Darlehen am 3. Januar 1958, ausgezahlt am 11. März 1958. Ein Jahr zuvor hatten bereits die Bauarbeiten begonnen. Am 27. Juni 1957 wurde in einer feierlichen Zeremonie der Grundstein für das neue Kinderheim (2.500 m² Wohnfläche und 11.750 m³ umbauter Raum) gelegt. Dieser schwere Trachyt-Haustein stammte aus der Abteikirche Brauweiler, die im Jahr 1048 von Richeza 19 gestiftet worden war. Schon im April 1957 hatte sich der damalige Ortspfarrer von Brauweiler, Dechant Dr. Paul Tücking 20, im Hinblick auf das Neubauvorhaben in Brühl mit einem sehr herzlichen Vorschlag an den Jugendamtsleiter Jakob Sonntag gewandt: Wenn wir in Brauweiler auch verstehen, dass ein Neubau unbedingt notwendig ist, so erfüllt uns doch der Gedanke an einen baldigen Abschied mit Wehmut. Hier in Brauweiler, in dem einen Brennpunkt des Landkreises Köln, hat das Kinderheim des Landkreises seinen Anfang genommen, in Brühl, in dem anderen Brennpunkt des Kreises wird es seine Vollendung finden. Darf ich Ihnen, damit der Ursprungsort des Heimes nicht in Vergessenheit gerate, einen Stein aus dem alten Gemäuer der Brauweiler Abteikirche als Grundstein für das neue Haus anbieten? Es würde mich und gewiss auch die ganze Gemeinde Brauweiler mit grosser Freude erfüllen, wenn der Landkreis dieses Angebot annehmen würde.21 19 Richeza, die älteste Tochter von Ezzo und Mathilde, wurde nach ihrer Heirat im Jahr 1025 Königin von Polen, blieb aber weiterhin Gönnerin ihres Heimatortes Brauweiler. 20 1898 – 1972. 21 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 II. 23. April 1957.
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Das Angebot wurde „überall mit Freude angenommen“, betonte Jakob Sonntag in seinem Antwortschreiben 22 und brachte später noch einmal die Bedeutung dieser Schenkung zum Ausdruck: So hat das Heim von Brauweiler nicht nur den Namen, sondern auch die durch den in der Eingangshalle sichtbar vermauerten Grundstein feste Bindung an die ehrwürdige Geschichte dieses seines Gründungsortes mitgebracht.23
Eingeladen zu der Feier der Grundsteinlegung auf der Baustelle in der Liblarer Straße wurden der Ältestenrat des Kreistags, Oberkreisdirektor Dr. Willy Genrich, Kreisdirektor Dr. Viktor von Dewitz, die Mitglieder des Unterausschusses, der Oberbaurat, der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende des Bauausschusses, Joseph Hürten 24, stellvertretend für Bürgermeister Martin Oswald, Stadtdirektor Hans Horrichs 25, der Jugendamtsleiter von Brühl, die kath. und ev. Pfarrer von Brühl, der Oberregierungs- und Baurat aus Köln, der Vorsitzende Heinrich Richrath und der stellvertretende Vorsitzende des Jugendwohlfahrtsausschusses, sowie Pfarrer Tücking aus Brauweiler, die Leiter der kath. und ev. Volksschulen Brühl. Gewünscht wurde zudem, dass die Ordensschwestern und die Kinder des Kinderheims Brauweiler geschlossen an der Feier teilnehmen. Anschließend sollte den Kindern auf der Schlossterrasse ein Kakao gereicht werden.26 Zum Programm gehörten von den Kindern vorgetragene Lieder, die Segnung des Grundsteins durch den Brühler Dechant Kreutzberg 27, der Segensspruch des ev. Pfarrers Dr. Kenntner, die Ansprache des Landrats Toni Lux 28, der von zwei Kindern als Dialog aufgeführte Prolog „Der Grundstein“, die Vermauerung des Grundsteins durch den Vorarbeiter, Hammerschläge und weitere Segenswünsche. Hinter dem Grundstein wurde eine Kapsel mit dem Original folgender Urkunde eingelassen: Urkunde. Am 10. Juni 1955 faßte der Kreistag des Landkreises Köln den einstimmigen Beschluß, für das seit 1950 in Brauweiler bestehende Kreiskinderheim in Brühl ein
22 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 II. 15. Mai 1957. 23 Jakob Sonntag (1960). 24 Der Brühler Joseph Hürten (1899 – 1977) war 1946 – 1947, 1950 – 1956 und 1958 – 1961 Bürgermeister von Brühl und von 1961 bis 1969 Landrat im Landkreis Köln. Seit 1922 war er Lehrer an der Clemens-August-Schule, die damals eine katholische Volksschule war; von 1946 bis 1963 war er dort Rektor. 25 1900 – 1987; Stadtdirektor von 1947 bis 1965. 26 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 II. 14. Mai 1957. 27 1898 – 1968; seit 1950 Pfarrer an St. Margareta in Brühl. 28 Landrat von 1956 – 1961.
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Abb. 33 Urkunde über die Grundsteinlegung am 27. Juni 1957.
kreiseigenes Gebäude neu zu erstellen. In d iesem Neubau wurde heute der Grundstein, der aus der im Jahr 1048 erbauten Abteikirche in Brauweiler entnommen wurde, im Rahmen einer Feierstunde gelegt. Köln, den 27. Juni 1957.
Unterschrieben wurde die Urkunde von Landrat Toni Lux, Oberkreisdirektor Dr. Willy Genrich, Heimleiterin Schw. M. Bonifatia und Architekt Aloys Möhring. In den Grundstein war eingraviert: 1957 AUS DER ABTEIKIRCHE ZU BRAUWEILER
Zwei Kinder des Heims, ein Mädchen und ein Junge, sprachen zur Feier der Grundsteinlegung einen symbolischen Dialog z wischen der Zeit (1.), die eine Frage stellt, und dem Grundstein (2.), der die Antwort gibt. In den letzten drei Strophen ist das karitative Selbstverständnis von Aufgabe, Ziel und pädagogischer Einstellung des Heims formuliert:
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Abb. 34 Die Grundsteinlegung am 27. Juni 1957.29 1.29 Du bist so schroff und scheinst gar alt, Nicht schön ist Deine graue Gestalt. Doch bist Du stolz und scheinst so froh. Was ehrt Dich alten Stein denn so? 2. Fast tausend Jahr‘ hab‘ ich getragen Des hohen Münsters festen Turm, Hab‘ Regen, Frost und Schnee ertragen Und trotzte Donner, Blitz und Sturm. Sah viele deutsche Kaiser ziehen Nach Aachen, zu der Krönung Fest, Und Menschen aus den Städten fliehen Vor Not und Tod, Gewalt und Pest. Ich hört‘ Sankt Bernhards Ruf erschallen, Als in Gefahr das Heilige Land, Und sah die deutschen Ritter wallen, Die Kreuzesfahne in der Hand. Ich sah der Zeiten Komm’n und Gehen, Sah Gottesfrieden und auch Menschennot Blieb fest im Turm verankert stehen, Als Bomben brachten bitt’ren Tod.
29 Der Grundstein befand sich bis zum Abriss des Kinderheimgebäudes im Jahr 1983 an dieser Stelle, der späteren Eingangshalle von „Haus Ehrenfried“ in Brühl.
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1. So lerntest Du der Menschen Not verstehen In tausendjähriger Geschichte Lauf. Doch sag mir, alter Stein, was macht Dich freuen? Was läßt Dich froh sein, trägt man heut‘ Dir auf ? 2. Zu hoher Aufgab’ ward ich auserkoren, Zu starkem Dienst bin ich bereitgestellt. Wenn auch im hohen Turm den Eckplatz ich verloren, So ward als Grundstein für das neue Haus ich auserwählt. 1. Was ist das für ein Haus, das Du sollst tragen? Zu welchem Dienst stehst heute Du bereit? Lohnt sich’s, nach tausend Jahren diesen Tausch zu wagen? Welch‘ hoher Aufgab‘ ist das neue Haus geweiht? 2. Ja, gern will ich am neuen Hause tragen, Ist’s doch ein Haus, das Kindern Herberg‘ gibt, Mich deucht, das ist kein großes Wagen Dort mitzuhelfen, wo man Kinder liebt. Geht’s doch darum, Geborgenheit zu schenken, Dort Heim zu bieten, wo es schuldlos fehlt, Und heimatlos geword’ne Kinder hinzulenken Zu sich’rem Schreiten in die kalte Welt. 1. Fürwahr, so ist Dein Tun ein edles Dienen, Und viel Vertrauen schenkt man Deiner Kraft. Mög‘ dieses Werk, das Menschen heut‘ beginnen, Der Herrgott segnen, der das Gute schafft.30
Bei der baulichen Gestaltung des Kinderheims in der Liblarer Straße in Brühl wurde das „Familienprinzip“ ausdrücklich berücksichtigt, das sich in der Heimerziehung allmählich als pädagogisches Konzept etabliert hatte. Demnach sollten die Gruppen in den Heimen verkleinert und familiengerechter gestaltet werden, um eine differenzierte und individuelle Betreuung zu ermöglichen. „Haus Ehrenfried“ war mit der Umsetzung dieses Konzepts mustergültig im Bereich der öffentlichen Erziehungsheime. Es war koedukativ ausgerichtet, bedeutete also das gemeinsame Wohnen und Leben von Jungen und Mädchen in einer Gruppe, was bis dahin nur bei Kleinkindern üblich gewesen war.
30 Zit. n. Sonntag (1960).
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Abb. 35 und 36 Ordensschwestern, Kinder und Jugendliche aus dem Brauweiler „Haus Ehrenfried“ sowie Gäste zu Besuch auf der Terrasse von Schloss Augustusburg in Brühl anlässlich der Grundsteinlegung am 27. Juni 1957.
Im näheren Umfeld von Brühl befand sich das Sülzer Kinderheim 31, in dem Direktor Josef Abeln 32 bereits seit 1952 das Konzept „familienähnlicher“ Gruppen realisiert hatte. Abeln griff damit eine Anregung des Pädagogen Andreas 31 Das Sülzer Kinderheim war 1917 in Köln, am Sülzgürtel 47, als „großes neuzeitliches Waisenhaus“ eröffnet worden und blieb dort bis zum Jahr 2012 in Betrieb. 32 Direktor von 1948 bis 1971.
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Abb. 37 Die Lage des neuen Kreiskinderheims in Brühl, zwischen Köln und Bonn. Aus der Broschüre zur Mitarbeiter werbung für das Kreiskinderheim, 1970.
Mehringer 33 auf, der als einer der Begründer d ieses Prinzips gilt. Mit der „familienanalogen Heimgruppe“ bezog Mehringer sich u. a. auf Pädagogen wie Johann Heinrich Pestalozzi 34 und Johann Hinrich Wichern 35. Beide waren bereits bemüht 33 Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Mehringer (1911 – 2004) die Leitung des Münchner Waisenhauses übernommen und es grundlegend reformiert, indem er vor allem das Familienprinzip der alters- und geschlechtsgemischten Gruppen einführte. Das Münchner Heim entwickelte sich schon bald zu einer fortschrittlichen Modelleinrichtung der Heimerziehung und zum Vorbild für andere Heime. Allerdings hatte sich Mehringer in der NS-Zeit dafür eingesetzt, sog. „erbkranken Nachwuchs“ durch Zwangssterilisation an der Fortpflanzung zu hindern. Zudem strafte er die Heimkinder mit schweren körperlichen Züchtigungen. Vgl. Christine Rädlinger: „Weihnachten war immer sehr schön.“ Die Kinderheime der Landeshauptstadt München von 1950 bis 1975. Aufarbeitung der Heimerziehung (Fürsorgeerziehung) in den Jahren 1950 bis ca. 1975 in Münchner Heimen in stadteigener Trägerschaft. München 2014. 34 Pestalozzi (1746 – 1827) hatte 1799 das Waisenhaus in Stans/Schweiz eingerichtet und dessen Leitung übernommen. 35 Wichern (1808 – 1881) gründete 1833 das Rauhe Haus in Hamburg-Horn.
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gewesen, „aus der Anstaltserziehung eine an der Familie orientierte Heimerziehung zu bilden“.36 Am 6. November 1957 wurde das Richtfest für „Haus Ehrenfried“ gefeiert.
5.2 „Wir kommen hier nach Brühl in ein Paradies“ Als der Gebäudekomplex im September 1958 bezugsfertig war, lobte Brühls Stadtdirektor Hans Horrichs den „großzügigen, modernen und praktischen“37 Neubau in der Liblarer Straße als „eine Zierde für Brühl“.38 Die „Kölnische Rundschau“ prophezeite, dass d ieses neue Haus „nicht nur ein Schmuckstück der Stadt werden wird, sondern auch in ihrem inneren Gefüge und kulturellen Leben seinen festen Platz finden wird“.39 Der Umzug von Brauweiler nach Brühl wurde nach einem genau festgelegten Plan in der Woche von 15. bis 22. September 1958 durchgeführt. Ausschlaggebend für diese Terminierung war, dass einerseits ein längeres Leerstehen der neuen Gebäude vermieden werden sollte, andererseits in Brauweiler in Erwartung des Umzugs nach Brühl deutlich mehr Kinder aufgenommen worden waren, was die dortigen beengten Verhältnisse nochmals verschärft hatte. Da die Zeit der Übergangslösung in Brauweiler nun in Kürze beendet sein würde, wurde noch einmal an das Schicksal der insgesamt rd. 500 Kinder erinnert, die dort seit 1950 „sorgsam betreut und behütet“ worden waren: „Kinder, deren Eltern ihre Pflicht vergaßen oder in schlechten häuslichen Verhältnissen lebten. Ferner war und ist das Kreiskinderheim Heimstatt für die jungen Waisen unserer Zeit.“40 Die Bedeutung des Kinderheim-Neubaus, den der Landkreis möglich gemacht hatte, kommentierte auch der Kölner Stadt-Anzeiger: „Mit Recht spricht man bei d iesem Kreiskinderheim von einer sozialen Tat des Kreises, und es soll heute noch einmal dem Jugendwohlfahrtsausschuß gedankt sein, der sich seit Jahren für diesen Bau eingesetzt hat.“41 Jakob Sonntag wies auf die Besonderheit hin, dass dieses Heim nicht in karitativer Trägerschaft gegründet worden sei, wie es in ländlichen Gegenden üblich war, sondern auf Initiative des Landkreises.42 36 Friedrich Franz Röper: Das verwaiste Kind in Anstalt und Heim. Ein Beitrag zur historischen Entwicklung der Fremderziehung. Göttingen 1976, S. 240. 37 Kölnische Rundschau, 17. September 1958. 38 Kölner Stadt-Anzeiger, 12. September 1958. 39 Kölnische Rundschau, 24. September 1958. 40 Kölner Stadt-Anzeiger, 12. September 1958. 41 Kölner Stadt-Anzeiger, 12. September 1958. 42 Vgl. Sonntag (1960).
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Abb. 38 Der Umzugswagen ist da.
Zum Abschied lud die Gemeinde Brauweiler die 57 Kinder des „Kreiswaisenhauses“ sowie die gesamte Belegschaft zu einem Ausflug in den Kottenforst ein. Im Restaurant „Zur Waldau“ auf dem Venusberg bei Bonn verbrachten Heimleiterin Oberin Bonifatia und ihre beiden Mitschwestern Benigna und Neophyta zusammen mit den Kindern und allen „treusorgenden Betreuerinnen“ einen fröhlichen, ausgelassenen Nachmittag. Auch Jakob Sonntag kümmerte sich herzlich um die Kinder.43 Während der Umzugstage waren 35 kleinere, schulpflichtige Heimkinder auf der Jugendburg Dattenberg untergebracht, die übrigen bezogen schon ihr neues Heim in Brühl. Am 22. September 1958 kamen auch die Kinder aus Dattenberg, und schon am folgenden Tag erlebten alle schulpflichtigen Kinder ihren ersten Schultag in Brühl. Knapp 60 Kinder wurden in die Clemens-August-Schule aufgenommen.44 Ein Mädchen besuchte die Elisabeth-von-Thüringen-Realschule, die sich damals noch zusammen mit dem Ursulinengymnasium in der Kaiserstraße befand. 43 Vgl. Neue Rhein Zeitung (N. R. Z.), 10. September 1958. 44 Die männlichen katholischen Kinder und Jugendlichen des Kreiskinderheims besuchten die Clemens-August-Volksschule in der Clemens-August-Straße 33, die Mädchen besuchten die in einem separaten Gebäudeteil der Clemens-August-Schule untergebrachte Margaretenschule. Die evangelischen Kinder und Jugendlichen besuchten die Martin-Luther-Volksschule auf der Bonnstraße 52. Die kath. Clemens-August-Schule und die kath. Margaretenschule wurden im September 1967 zur „Clemens-August-Schule“ vereinigt und in Grund- und Hauptschule (bis zum neunten Schuljahr) unterteilt. Seit 1978 wird die Clemens-August-Schule nur noch als Hauptschule genutzt. 1964 waren die bisherigen „Volksschulen“ durch den Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 19./20. Oktober formell aufgelöst worden. Als Regelschulen gab es nun die Grundschule (vier Jahre) und die Hauptschule (fünf Jahre). Ab 1966 wurde das neunte Schuljahr Pflicht, ab 1980 das zehnte Schuljahr.
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Sehr angetan war die Heimleiterin Oberin Bonifatia von denjenigen Heimkindern, die beim Umzug geholfen hatten – immerhin hatten neun Möbelwagen nicht ausgereicht, um alle Gegenstände von Brauweiler nach Brühl zu transportieren: „Es ist vorbildlich, wie die Kinder sich beim Umzug verhalten haben. Anweisungen gab es nicht. Selbst als Lausbuben bekannte Jungen faßten zu und packten an, wo zwei Hände gebraucht wurden. Ich brauchte nicht einmal zu schimpfen.“ Die Kinder haben sich „ausnahmslos als ordentlich und wohlerzogen bewährt, ohne dabei sogenannte Duckmäuser zu sein – das freute Schwester Oberin!“ Und sie zeigte größtes Verständnis für die Unruhe und Aufregung der Kinder, ließ sogar „heilige Ruhe und sinnvolle Hausordnung“ in diesen Tagen „ausfallen“. Sie war sogar der Meinung, „was richtige Kinder sind, die wollen und müssen auch mal brüllen!“45 Den Grundstock für die Ausstattung von „Haus Ehrenfried“ in Brühl bildeten nicht mehr benötigtes Mobiliar und weitere Gegenstände aus dem im Oktober 1956 geschlossenen Kreiskindererholungsheim in Barkhausen. Man hatte diese Sachen bis zum Verkauf des Hauses dort aufbewahrt und musste sie anschließend bis zur Weiternutzung in Brühl zwischenlagern. Ihre Q ualität schien jedoch inzwischen nicht mehr unbedingt der Verwendung in einem Neubau angemessen: Ein Großteil der dort gebrauchten Möbel, Betten, Wäsche usw. wurde von Porta einfach nach Brühl geschafft, um im neuen Kinderheim verwendet zu werden. Die Sachen mussten monatelang eingelagert werden, wofür das Arbeitsamt an der Liblarer Straße Kellerräume zur Verfügung stellte. Sie wurden dort bei einem starken Regenfall, der Rückstauwasser in die Kellerräume presste, einmal stark in Mitleidenschaft gezogen. Aber sie mussten im Kinderheim verwendet werden und es wurden nur so viel Mittel zur Verfügung gestellt, als außer diesen Portasachen noch anzuschaffen waren.46
Ordensschwestern der Kölner Cellitinnen vom Kloster der hl. Elisabeth betreuten auch in Brühl gemeinsam mit weltlichem Erziehungs- und Hauspersonal das Heim; die Kinder wurden von drei Schwestern und sechs „weltlichen“ Erzieherinnen versorgt.47 Im Juni 1958 hatte sich glücklicherweise „die Frage der Schwestern besetzung insoweit geklärt, als die Generaloberin der Cellitinnen sich mit dem Verbleiben der Schwestern ihrer Genossenschaft einverstanden erklärt hat“.48 Dass diese Erklärung nur von recht begrenzter Dauer sein würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar.
45 46 47 48
Kölner Stadt-Anzeiger, 23. September 1958. Sonntag (1972), S. 47. Vgl. Kölnische Rundschau, 4. Dezember 1958. Vgl. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3157. 6. Juni 1958.
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Die Äußerungen von Schwester Neophyta während der Umzugsvorbereitungen lassen erkennen, wie begeistert die betreuenden Schwestern von dem neuen Haus waren: „Wir kommen hier nach Brühl in ein Paradies, und alles kommt uns wie ein Traum vor. Alles ist so groß, so weit und so modern. Hier können wir uns doch viel besser entfalten. Das ist für die Erziehung der Jungen und Mädchen von besonderem Vorteil.“49 Die Anlage des Kinderheims entsprach weitgehend der ursprünglichen Planung. Zum Wirtschaftsflügel gehörten die große Küche, der Lehrlingsschlafraum, Nähstube und Vorratskammer, Bügelzimmer, Mangelraum und Wäscheausgabe. In den übrigen Gebäudeteilen waren für die fünf Kindergruppen das Kleinkinderhaus in zwei Etagen für eineinhalb- bis dreijährige sowie drei- bis sechsjährige Kinder untergebracht, ein eingeschossiger Bau für die koedukative Gruppe (3 – 14 Jahre), ein Gruppenhaus für eine reine Mädchen- und eine reine Jungengruppe.50 Jeder Gruppe stand „eine gut eingerichtete Wohnungseinheit“ zur Verfügung.51 Im Atriumgebäude befand sich u. a. ein Klausurtrakt für die Schwestern, die der hl. Elisabeth von Thüringen geweihte Kapelle mit der Sakristei, und der Festsaal, auch als Aula bezeichnet. An diese Aula schloss sich ein Bet- bzw. Andachtsraum für die evangelischen Kinder an, deren Anteil etwa 20 % betrug. Wegen der großzügigen Platzverhältnisse wurden zusätzlich zu den drei bereits bestehenden Gruppen zwei weitere Kindergruppen gebildet, insgesamt also fünf Gruppen: • die Margaretengruppe: eine reine Mädchengruppe, später koedukativ; • die Don-Bosco-Gruppe: eine reine Jungengruppe, später koedukativ; • die Christopherusgruppe: eine gemischte Kleinkindgruppe (Kindergartengruppe); • die Mariengruppe: eine Geschwistergruppe; • eine Säuglingsgruppe. Das Jugendamt ging von einer Maximalbelegungszahl von 112 Plätzen aus,52 doch Medizinaldirektor Dr. Klein definierte am 12. Dezember 195953 die Höhe der Belegungszahlen für „Haus Ehrenfried“ in Brühl: geeignet waren insgesamt 82 Plätze (42 Kleinkinder im Alter von 2 – 5 Jahren; 16 Schulkinder im Alter von 6 – 10 Jahren; 34 Schulkinder im Alter von 10 – 14 Jahren). Im neuen Kinderheim des Landkreises Köln hatte man gut 30 % mehr Plätze zur Verfügung als im Brauweiler „Behelfsheim“, in dem die offizielle Höchstzahl von 60 Plätzen oftmals deutlich überschritten worden war. 49 Vgl. Neue Rhein Zeitung (N. R. Z.), 17. September 1958. 50 Die Belegung und Nutzung dieser Gruppengebäude hat sich bis zur Schließung des Heims im Jahr 1983 immer wieder geändert. 51 Kölnische Rundschau, 5. Dezember 1958. 52 Vgl. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 I. 31. Juli 1959. 53 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 I.
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Abb. 39 Im neuen Kreiskinderheim Brühl.
Am 21. September 1958 feierte Dechant Heinrich Kreutzberg in der provisorisch eingerichteten und noch mit unverglasten Fenstern versehenen Kapelle 54 des Kinderheims die erste heilige Messe. Anschließend segnete er die Räume. Er betonte in seiner Ansprache besonders das zentrale Anliegen in „Haus Ehrenfried“: für die „ungeborgenen Kinder“55 da zu sein.
5.3 „Ein Hort der Ehre und des Friedens“ Gut zwei Monate später, am 3. Dezember 1958, fand feierlich die „weltliche“ Einweihung des Kreiskinderheims statt. Zahlreiche Vertreter der Landkreis-Politiker waren anwesend, wie z. B. Brühls Bürgermeister Joseph Hürten, Landesrat Dr. Jans (Leiter des Landesjugendamts), Landrat Toni Lux, Oberkreisdirektor Dr. Willy Genrich, Oberregierungsrätin Dr. Ellscheidt, Dechant Heinrich Kreutzberg 54 Das Inventar für die Kapelle war nicht Eigentum des Kreises, sondern nach besonderer vertraglicher Abmachung Eigentum der katholischen Kirchengemeinde St. Margareta. Gelder für die Einrichtung wurden teils von der kirchlichen Behörde bereitgestellt, kamen aber auch durch Spenden zusammen, die Jakob Sonntag teils persönlich in einzelnen Pfarrgemeinden im Landkreis, bei katholischen Verbänden usw. gesammelt hatte. Einen künstlerisch sehr wertvollen Tabernakel (Bronzeguss, das „goldene Haus“ darstellend) schuf der Kölner Bildhauer Elmar Hillebrand (1925 – 2016). Zudem wurde ein Altar aus blauem Lahn-Marmor erworben, den er entworfen hatte. 55 Kölnische Rundschau, 24. September 1958.
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Abb. 40 Bei der Einweihung im Festsaal des Kreiskinderheims, 3. Dezember 1958. Am Rednerpult: Landrat Toni Lux.
(für das Dekanat Brühl und die Pfarre St. Margareta), Pfarrer Dr. Karl Kenntner (für die ev. Gemeinde und den Kölner Kirchenkreis), der Geistliche Rat Pfarrer Dr. Paul Tücking (als Nachbar des bisherigen Kreiskinderheims in Brauweiler), die Ehrw. Mutter Generaloberin Thaddäa 56 von den Kölner Cellitinnen aus der Antonsgasse, Bundestags- und Landtagsabgeordnete des Kreises, Amts-, Stadtund Gemeinde-Bürgermeister, Verwaltungschefs einzelner Gemeinden, Mitglieder des Jugendwohlfahrtsausschusses und dessen Vorsitzender Heinrich Richrath, Kreisjugendamtsleiter Jakob Sonntag, Dezernenten der Kreisverwaltung sowie weitere prominente Gäste. Joseph Hürten sagte in seiner Ansprache zu, „dass seine Stadt das Haus als eine Gabe zu würdigen wisse und sich nach Kräften bemühen werde, es in der Zukunft weiter zu unterstützen“, und Pfarrer Dr. Tücking wünschte, der Neubau möge zum „Hort der Ehre und des Friedens“ werden.57 Seinen Abschluss fand „das in der Geschichte des Kreises so bedeutungsvolle Ereignis“, wie schon nach dem Richtfest im November 1957, bei einem Imbiss im Brühler Restaurant „Schützenhof “, Kölnstr. 41/Ecke Schützenstraße.
56 Mutter M. Thaddäa (1884 – 1961) war von 1937 bis 1960 Generaloberin; ihr folgte Mutter M. Julitta von 1960 bis 1972, Mutter M. Juliana von 1972 bis 1984. Seit 1984 ist Mutter M. Hedwig Generaloberin des Klosters zur hl. Elisabeth in Köln-Lindenthal. 57 Kölnische Rundschau, 4. Dezember 1958.
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Abb. 41 Kinder führen am 3. Dezember 1958 in ihrem neu erbauten Kreiskinderheim ein Singspiel auf, mit dem die Geschichte des Heims erzählt wird.
Abb. 42 Die Schwestern vom Kloster der Cellitinnen zur hl. Elisabeth im Festsaal des neuen Kreiskinderheims in Brühl bei der Einweihung am 3. Dezember 1958. Zweite von rechts: Heimleiterin Sr. Oberin M. Bonifatia; ganz rechts: Sr. M. Benigna.
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5.4 Leben im neuen Heim Die erste Zeit im neubezogenen, modernen Kinderheim „Haus Ehrenfried“ wird durch die Aufzeichnungen von Jakob Sonntag aus dem Jahr 1972 anschaulich geschildert: Um eine Isolierung des Kinderheims, sowohl der Kinder als auch des Personals, zu vermeiden und möglichst in das kulturelle Leben der Stadt Brühl einzubeziehen, wurde von Anfang an versucht, durch Dichterlesungen im Heim, durch Konzerte und Vortragsveranstaltungen im Gemeinschaftssaal des Hauses Heimbewohner und Brühler zusammenzuführen. So wurde es z. B. zu einer festen Tradition, dass die Brühler Chorvereinigung in der Weihnachtszeit ein kleines Volks- und Weihnachtsliederkonzert veranstaltete. Es kamen u. a. mindestens einmal jährlich das Collegium musicum, ein Orchester aus Hürth, es kamen außerdem Dichter, die aus eigenen Werken vorlasen und es kamen schließlich Heimatkundler usw. Diese Veranstaltungen waren sehr beliebt; sie hoben das Niveau des Hauses und waren für Kinder und Personal jeweils eine besondere Abwechslung. Als eine „Brühler Tradition“ hatte es sich im Kreiskinderheim eingebürgert, dass in der Vorweihnachtszeit alle Puppen aus den Kindergruppen „verschwinden“ und dann von Brühler Müttern und Hausfrauen neu eingekleidet werden. In der Regel erfahren so rund 70 – 80 Puppen eine weihnachtliche Erneuerung und die Kinder freuen sich, ihre Lieblinge am Heiligen Abend wieder unterm Weihnachtsbaum vorfinden zu können. Das Heim lädt dann die Mütter, die geholfen haben, zu einem nachweihnachtlichen Kaffee ein, wobei die Kinder musizieren und ihr Weihnachtsspiel aufführen. Die Hausgemeinschaft des Kinderheims war zu einer echten Heimfamilie zusammengewachsen. Das Namenstagsfest der Oberin, der Elisabeth-Tag als Patronatsfest von Heim und Kapelle und das Weihnachtsfest waren die feststehenden „großen“ Feste des Hauses. Dazwischen gab es kleinere Feste, die in den einzelnen Gruppen gefeiert wurden. Und die schon genannten kulturellen Veranstaltungen.58
Besonderer Wert wurde darauf gelegt, den Kindern in den Ferien Erholung zu ermöglichen: Eigene Ferienlager wurden in Schwesternhäusern in Kall und in Roetgen organisiert. In den Jahren 1962 und 1963 konnten wir im Internatsgebäude des Zisterzienserklosters Marienstatt ein Ferienlager für alle größeren Kinder einrichten, mit eigener Küche. 1964 gelang es, das Jugendheim Lorbach der Sozialistischen Jugend für die Ferienzeit anzumieten.59 58 Sonntag (1972), S. 48 f.; S. 64. 59 Sonntag (1972a). Dieses Jugendheim war nach dem Zweiten Weltkrieg aus privater Initiative auf den Resten eines Militärbauwerks errichtet und am 1. Mai 1949 als Jugendbegegnungsstätte und Schullandheim der „Sozialistischen Jugendheim-Organisation e. V.“, Köln, eingeweiht worden. Das Haus stand Jugendlichen, Schulklassen und Gruppen aller politischen und weltanschaulichen Richtungen offen.
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Drei Wochen nach der weltlichen Einweihung stattete Landrat Toni Lux dem neuen „Haus Ehrenfried“ einen vorweihnachtlichen Besuch ab, begleitet vom Sozialdezernenten des Kreises, von Kreisdirektor Dr. Viktor von Dewitz sowie zwei Kreistagsabgeordneten; auch Kreisjugendamtsleiter Jakob Sonntag war vor Ort. Die Kinder sangen im Rahmen einer Feierstunde im Festsaal des Heims für den hohen Besuch vorweihnachtliche Lieder und lasen Gedichte vor. Danach verteilte Landrat Lux Schokolade und Apfelsinen.60 Der Landrat kam nicht nur einmal – auch in den folgenden Jahren brachte er den Kindern im „Haus Ehrenfried“ Geschenke zu Weihnachten. „Es gehört zu meinen schönsten Aufgaben, diesen Kindern, von denen viele keine Eltern haben, zu Weihnachten eine Freude zu machen“,61 betonte der Landrat bei seinem Besuch im Dezember 1960.62 Zu diesem Zeitpunkt war das Kreiskinderheim voll belegt mit 44 Mädchen und 49 Jungen, darunter sieben Vollwaisen, 46 uneheliche Kinder, 40 Kinder aus unvollständigen Familien, deren Eltern entweder geschieden oder verwitwet waren oder getrennt lebten. Etwa 30 Kinder waren noch nicht schulpflichtig.63 Auch die „St.-Sebastianus-Schützen-Bruderschaft vor 1442“, der älteste Verein der Stadt Brühl, besuchte das Kreiskinderheim. 1965 feierten sie ihr 524. Schützen- und Volksfest. Nach Kirmestrubel und Königsball kamen sie auch zu den Kindern von „Haus Ehrenfried“ und beschenkten sie, außerdem die Brühler Kindergärten und das Krankenhaus.64 Im August 1961 verstarb Heinrich Richrath, der seit 1946 dem Kreistag Köln-Land angehört hatte und von 1954 bis 1961 Vorsitzender des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses gewesen war, nach schwerer Krankheit im Alter von nur 48 Jahren. Sein engagiertes Wirken, besonders in Bezug auf das Brühler Kreiskinderheim, würdigte ein ausführlicher Artikel in der Kölnischen Rundschau: „In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Jugendwohlfahrtsausschusses des Kreistages lag Heinrich Richrath die Förderung der Jugend ganz besonders am Herzen. In den Jahren, in denen der Jugendwohlfahrtsausschuß unter seiner Leitung stand, wurde als größte Leistung das Kreiskinderheim ‚Haus Ehrenfried‘ in Brühl geschaffen.“65 Jakob Sonntag schätzte Heinrich Richrath als „langjährigen und verdienten Jugendwohlfahrtsausschuß-Vorsitzenden“. Er war „ein von allen Parteien anerkannter Kommunalpolitiker, der sich um den Aufbau einer systematischen Jugendwohlfahrtspflege im Landkreis Köln unbestritten große Verdienste 60 61 62 63 64 65
Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 24. Dezember 1958. Neue Rhein-Zeitung (N. R. Z.), 27. Dezember 1960. Vgl. Kölnische Rundschau, 24. Dezember 1960. Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 26. November 1960. Vgl. Kölnische Rundschau, 3. Juli 1965. Vgl. Kölnische Rundschau, 25. August 1961: „Tod von Heinrich Richrath ist ein großer Verlust für den Landkreis.“ Den Original-Zeitungsartikel mit dem Nachruf hat mir freundlicherweise Frau Gabriele Hartmann-Richrath überlassen.
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Das moderne „Haus Ehrenfried“ in Brühl
Abb. 43 Bronzerelief (Bronzeguss), 51,3 × 72 cm, geschaffen 1961 von dem Bildhauer Hans Karl Burgeff (1928 – 2005). „Heinrich Richrath, geboren 30. 08. 1912, gestorben 21. 08. 1961. Kreistagsabgeordneter 1946 – 1961. Er diente der Jugend als Vorsitzender des Jugendwohlfahrtsausschusses von 1954 bis 1961.“ 66
erworben66hat“.67 Zum fünften Jahresgedächtnis im Jahr 1966 betonte die Kölnische Rundschau, dass sich Richraths Hauptinteresse auf die Jugendarbeit konzentriert hatte und dass ihm wichtig gewesen war, „den ungeborgenen Kindern aus zerrütteten häuslichen Verhältnissen zu helfen und sie zu einem geordneten Berufs- und Erwachsenenleben zu befähigen.“ Erinnert wurde auch noch einmal daran, dass sich Heinrich Richrath für den Ausbau der Jugendburg Dattenberg eingesetzt und als Förderer des großzügigen und modernen landkreiseigenen Kinderheims „Haus Ehrenfried“ erwiesen hatte.68 Am 30. April 1959 erstellte die Prüfungsabteilung der Kreisverwaltung die Nieder schrift über die jährliche „Kurzprüfung der Kassen- und Wirtschaftsführung des Kreiswaisenhauses in Brühl“, bezogen auf das Rechnungsjahr April 1958 bis 66 Die Bronzetafel befand sich seit 1962 im Foyer von „Haus Ehrenfried“, nach dessen Schließung ab August 1984 in der Burg Dattenberg. Als die Burg im Jahr 2003 in private Hände überging, erfolgte die Übernahme des Reliefs in die kulturhistorische Sammlung des Rhein-Erft-Kreises. 67 Sonntag (1972), S. 64. 68 Vgl. Kölnische Rundschau, 23. August 1966.
155
Leben im neuen Heim
April 1959.69 In diesem Jahr hatte sich der Personalbestand des Heims nach dem Umzug nach Brühl vergrößert: Das Personal setzte sich zusammen aus Planstellen
z.Zt. besetzt
davon Leiterin
1
1
a) Ordensschwestern:
Küchenschwester
1
1
Haus- und Wäschepflege
1
-
Leiterin der Nähstube
1
1
b) Kindergärtnerinnen: Verg.Gr. VIII TO.A
1
1
c) Kinderpflegerinnen: Verg.Gr. VIII TO.A (als Gruppenleiterin)
4
3
Verg.Gr. IX TO.A
6
2
d) Praktikantinnen: 90,– DM monatlich, freie Unterkunft und Verpflegung, Übernahme des Arbeitnehmeranteiles an der Sozialversicherung
–
1 3
e) Haushaltslehrlinge: Taschengeld, freie Unterkunft und Verpflegung
4
f) Hausangestellte: Lohngruppe 2
4
9
g) Putzfrauen: Lohngruppe V
2
1 + 1 Hilfskraft
h) Hausmeister: Verg.Gr. VII TO.A
1
1
j) Handwerker: Lohngruppe 2
1
–
27
24 + 1
Zur Zeit der Prüfung (April 1958 bis April 1959) 107 standen 107 Kinderbetten zur Verfügung; 99 – 103 waren belegt. Nur noch drei Ordensschwestern versahen ihren Dienst im Kinderheim, und offiziell war keine von ihnen mehr für die Kinderbetreuung eingesetzt. Die Arbeit der Ordensschwestern wurde vom Kreis offenbar weiterhin pauschal mit monatlich 60,00 DM pro Person (insgesamt 180,00 DM) vergütet. Bei der Prüfung für die Zeit von April bis November 195970 standen für die Belegung des Heims nach wie vor 107 Kinderbetten zur Verfügung. Im November 1959 waren hiervon, wie schon im April, 99 – 103 Betten belegt. Das Personal setzte sich in d iesem Halbjahr aus 23,5 Mitarbeitern zusammen, wobei das Heim wieder mit vier Ordensschwestern besetzt war:
69 Vgl. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759. 70 Vgl. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759.
156
Das moderne „Haus Ehrenfried“ in Brühl
Abb. 44 Prominenz am 6. Juli 1959, dem Tag der Einweihung der Kinderheimkapelle durch Weihbischof Josef Ferche. Planstellen
z. Zt. besetzt
davon Leiterin
1
1
Küchenschwester
1
1
Haus- und Wäschepflege
1
1
a) Ordensschwestern:
Leiterin der Nähstube
1
1
b) Kindergärtnerinnen: Verg.Gr. VIII TO.A
1
1
c) Kinderpflegerinnen: Verg.Gr. VIII TO.A (als Gruppenleiterin)
4
3
Verg.Gr. IX TO.A (davon gesperrt)
6
2
d) Praktikantinnen: 90,– DM monatlich, freie Unterkunft und Verpflegung, Übernahme des Arbeitnehmeranteiles an der Sozialversicherung
–
1
e) Haushaltslehrlinge: Taschengeld, freie Unterkunft und Verpflegung
–
3
f) Hausangestellte: Lohngruppe 2
4
1 + 4 (davon 4 in der Kinderbetreuung)
g) Putzfrauen: Lohngruppe V
2
2 + 1/2
h) Hausmeister: Verg.Gr. VII TO.A
1
1
j) Handwerker: Lohngruppe 2
1
–
k) Bürohilfe: Verg.Gr.VIII TO.A
1
1
24
23 + 1/2
Leben im neuen Heim
157
Die nächste Prüfung der Wirtschaftskasse des Kreiskinderheims erfolgte für die Zeit vom 24. November 1959 bis zum 6. April 1960.71 Für die Belegung des Heims standen 107 Kinderbetten zur Verfügung; belegt waren seit der Prüfung im November 1959 durchschnittlich 95 Betten. Im Kinderheim tätig waren vier Ordensschwestern: • eine Leiterin, • eine Küchenschwester, • eine Schwester für Haus- und Wäschepflege, • eine Schwester für die Küche. Der Stellenplan für das Rechnungsjahr 1960 sah außerdem 21 Planstellen vor: • einen Hausmeister (VII), • eine Büroangestellte (VIII), • zehn Erzieherinnen (in Lohngruppen VII und VIII), davon waren neun Stellen besetzt, • sechs Hausgehilfinnen (Lohngruppe 2), davon waren drei Stellen besetzt, • einen Handwerker (A II), • zwei Putzfrauen (A V), davon war nur eine Stelle besetzt. Um die Jahreswende 1964/65, also gut sechs Jahre nach dem Umzug, waren in Brühl insgesamt 80 Kinder untergebracht,72 das Heim war demnach voll belegt: 63 schulpflichtige Kinder, 17 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren, 53 katholische Kinder, 26 evangelische. 50 Kinder besuchten die Volksschule, neun Kinder die Sonderschule 73, ein Kind das Gymnasium in Brühl, drei Kinder die Tagesstätte der „Lebenshilfe“ (für geistig behinderte Kinder). Als Kostenträger zuständig waren für 30 Kinder das Kreisjugendamt, für 26 Kinder das Stadtjugendamt Brühl, für 15 Kinder das Gemeindejugendamt Hürth, für sechs Kinder das Stadtjugendamt Köln, für je ein Kind das Landesjugendamt und die kommunalen Jugendämter Bad Godesberg und Gummersbach. Außer im Kreiskinderheim waren weitere 177 Kinder in 47 anderen Heimen untergebracht, davon allein 43 Kinder im Säuglingsalter, für die im Kreiskinderheim keine Aufnahmemöglichkeit bestand.74
71 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759. 72 Vgl. Sonntag (1972), S. 49. 73 Bis 1963 hatte die Pestalozzi-Sonderschule (gegr. am 18. Mai 1947; bis 1965 als „Hilfsschule“ bezeichnet; heute: „Förderschule“) für Mädchen und Jungen mit erheblichen Lernstörungen ein Gastrecht in der Clemens-August-Volksschule. Dort wurden ihr Unterrichtsräume zur Verfügung gestellt. 1963 konnte das neu errichtete Schulgebäude der Pestalozzischule in der Kölnstraße 85 bezogen werden. 74 Vgl. dazu Sonntag (1972), S. 69.
158
Das moderne „Haus Ehrenfried“ in Brühl
Ursprünglich nach dem Zweiten Weltkrieg vom Kreisjugendamt als Waisenhaus konzipiert, erfüllte „Haus Ehrenfried“ inzwischen überwiegend eine andere Funktion: als Heim für Kinder aus problematischen Familienverhältnissen, sog. Sozialwaisen. Dabei handelte es sich um „Kinder und Jugendliche, die erhebliche Erziehungsdefizite im leiblichen, seelischen, schulischen bzw. beruflichen Bereich aufweisen und aus diesen Gründen sowohl nicht mehr in ihren Familien als auch nicht in Pflegefamilien leben können“.75 1965 waren lediglich drei der hier untergebrachten 77 Jungen und Mädchen „echte“ Waisen, die ihre Eltern durch Krankheiten, Unfälle u. ä. verloren hatten. 1964 erlebten die Ordensschwestern ein letztes Mal die Weihnachtszeit im „Haus Ehrenfried“, bevor sie es im folgenden Herbst verließen. Am 23. Dezember 1964 wurde unter ihrer Leitung erstmalig von den „80 elternlosen Kindern“ ein Krippenspiel aufgeführt: das Singspiel „Wer klopfet an?“76 Oberin Wilhelma, Heimleiterin seit 1962, begrüßte die Gäste dieser „stimmungsvollen Weihnachtsfeier“.77 Unter ihnen befanden sich Oberkreisdirektor Dr. Karlheinz Gierden 78 und Jakob Sonntag, Leiter des Jugendamts, sowie zahlreiche Lehrer der von den Kindern besuchten Brühler Schulen.
5.5 Die Ordensschwestern verlassen „Haus Ehrenfried“ Das Jahr 1965 brachte das Ende der konfessionellen Leitung des Kinderheims unter den Cellitinnen aus dem Kloster der hl. Elisabeth: Anfang September verließen sie nach 15-jähriger Tätigkeit „auf Wunsch des Mutterordens“79 das Haus. Alle vier noch in Brühl eingesetzten Schwestern mussten dem Beschluss folgen, den die Ehrw. M utter Generaloberin Thaddäa schon vor 1960 gefasst hatte. Als Gründe wurden Nachwuchsmangel und Überalterung genannt. Beides hatte dazu geführt, dass seit 1962 bereits vier Einrichtungen 80, die von den Cellitinnen betreut worden waren, aufgegeben oder in andere Trägerschaften übernommen werden mussten.81 Seit 1965 waren fast jährlich Kindergärten, Krankenhäuser und Altenheime von solchen Veränderungen betroffen. 75 Vgl. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/2629. „Situation und Perspektiven des Kreiskinderheims ‚Haus Ehrenfried‘“. 76 Das Singspiel behandelt die Herbergssuche von Maria und Josef, wie sie in der Bibel überliefert ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg förderte die Identifizierung mit Maria und Josef die Wiederaufnahme traditioneller Lieder und Bräuche rund um die Herbergssuche, die mit der Not der Flüchtlinge in ihrer Heimatlosigkeit gleichgesetzt wurde. 77 Kölnische Rundschau, 29. Dezember 1964. 78 Oberkreisdirektor des Kreises Köln von 1962 – 1974. 79 Kölner Stadt-Anzeiger, 12. September 1965. 80 Drei Kindergärten und ein Altenheim. 81 Diese Entwicklung war allgemein in Orden zu beobachten und führte dazu, dass ihr Personal zunehmend nur noch in den ordenseigenen Einrichtungen eingesetzt werden konnte.
Die Ordensschwestern verlassen „Haus Ehrenfried“
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Die Umsetzung des Beschlusses von 1960 bezüglich „Haus Ehrenfried“ hatte sich dann noch Jahre hingezogen, weil er erst in Abstimmung und mit Genehmigung des Generalkonvents und des Erzbischöflichen Generalvikariats ausgeführt werden konnte. Anfang Dezember 1964 hatte die Generaloberin M utter M. Julitta den Generalvikar in Köln – vermutlich zum wiederholten Mal – gebeten, die Schwestern nun zeitnah aus dem Kreiskinderheim zurückziehen zu dürfen. Es handelte sich um die Heimleiterin Schwester M. Wilhelma sowie drei weitere Schwestern; mehr als diese vier Schwestern hatte der Orden für den Dienst im Kinderheim auf Dauer nicht entbehren können. Als Begründung für den Rückzug gab die Generaloberin an, die Arbeit im Heim gehe über die Kräfte der wenigen dort verbliebenen Schwestern. Ende des Monats gab der Orden gegenüber der Kreisverwaltung bzw. dem Oberkreisdirektor bekannt, dass man sich definitiv in der zweiten Jahreshälfte 1965 aus dem Kinderheim verabschieden werde, und empfahl dem Träger, sich für diese Zeit um geeignete Gruppenleiterinnen und genügend Erzieherinnen zu bemühen.82 Daraufhin versuchte der Oberkreisdirektor, den Orden dazu zu bewegen, die Aufgaben im Kreiskinderheim doch weiterhin zu übernehmen, wenigstens aber den Weggang nochmals hinauszuzögern. Schließlich war man seitens des Landkreises Köln offenbar mit der Arbeit des Ordens im Brühler Kinderheim zufrieden gewesen. Als besonders vorteilhaft hatte sich zudem stets der Umstand erwiesen, dass die Schwestern die Betreuung der Heimkinder rund um die Uhr gewährleisten konnten. Am 5. Mai 1965 erklärte sich der Orden bereit, die Schwestern noch bis zum 30. November 1965 in Brühl zu belassen. Doch am 20. Mai 1965 musste OKD Dr. Gierden dem Kreisausschuss berichten, dass der Orden das Kinderheim doch schon Anfang September verlassen werde. Dieser Termin veranlasste Dr. Gierden, die Bemühungen um eine Nachfolge zu intensivieren, da er die Situation im Kinderheim für die Zeit nach dem Weggang der Cellitinnen als „sehr kritisch“ einschätzte. Die Suche nach einem anderen Orden, der die Heimleitung übernehmen sollte, stellte sich für Dr. Gierden tatsächlich als durchaus schwierig dar. Im Protokoll der Kreisausschusssitzung vom 20. Mai 196583 hieß es dazu: Ein Konvent verlange eine größere Anzahl von Schwestern, die auch Laienkräfte ausbilden würden. Hieraus könne sich ergeben, daß in Brühl auf dem Gelände, das dem Kreis zur Verfügung stehe, eines Tages ein Schwesternwohnheim gebaut werden müßte. Dies sei unproblematisch, da Mittel des sozialen Wohnungsbaus und Landesmittel zur Verfügung gestellt würden.
Der OKD zeigte sich bereit, Zugeständnisse zu machen, und schlug vor, 15 – 20 Schwestern im Kreiskinderheim „ansässig zu machen und damit eine dauerhafte 82 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3157. 83 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3157.
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Das moderne „Haus Ehrenfried“ in Brühl
und gründliche Betreuung der Kinder – einschließlich einer nach Möglichkeit noch zu bildenden Aufnahmegruppe – zu gewährleisten“. Jedoch stellte sich heraus, dass dieses Konzept so nicht realisiert werden konnte. Als die Cellitinnen die Betreuung der Heimkinder in „Haus Ehrenfried“ 1965 aufgaben, leitete die ausgebildete Kindergärtnerin Schwester Wilhelma 84 bereits dreieinhalb Jahre – seit Anfang 1962 – das Heim.85 Außer Schwester Wilhelma waren noch drei weitere Schwestern im Brühler Kinderheim beschäftigt: Schwester Augustine 86, die hier in den letzten drei Jahren als Erzieherin die „Mutter der Kleinkinder im ‚Haus Ehrenfried‘“87 gewesen war, wechselte nun zu einem Kindergarten in Leverkusen-Küppersteg. Die Schwestern Crementia 88 und Benigna 89 waren im Kreiskinderheim im außererzieherischen Bereich eingesetzt. Schwester Benigna hatte 15 Jahre die Küche geleitet und nahm jetzt eine Stelle im Krankenhaus St. Anna in Duisburg-Huckingen an, das sich seit seiner Gründung im Jahr 1914 in der Trägerschaft der Cellitinnen befand. Schwester Neophyta 90, die die Näh- und Wäschearbeiten besorgte, hatte schon einige Zeit vor 1965 „Haus Ehrenfried“ verlassen und eine neue Aufgabe im Cellitinnen-Hospiz St. Hedwig in Köln-Rondorf übernommen. Nicht nur der Landkreis Köln bedauerte den Weggang der Cellitinnen. Im Historischen Archiv des Erzbistums Köln ist eine Notiz erhalten, die besagt, dass sich „eine weibliche Privatperson aus Brühl sehr bedauernd an den Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings wandte“. Ihr Anliegen war es zu betonen, dass sie und weitere Personen („wir alle“) die Schwestern „sehr gerne weiter in Brühl gesehen“ hätten. Daher setzte sie sich für die Rückkehr der Schwestern ein.91 Dennoch blieb es bei der endgültigen Entscheidung des Ordens, das Kreiskinder heim zum 31. August 1965 zu verlassen. Im August 1965 verbrachten rd. 70 Heimkinder ihre Sommerferien im Jugendheim Lorbach bei Mechernich/Eifel. Etwa 25 Kinder blieben im Brühler Heim zurück, weshalb Heimleiterin Sr. Wilhelma nicht die ganze Ferienzeit in der Eifel verbringen konnte. Ihre „regelrechte Sehnsucht“ nach den Kindern veranlasste sie, so oft sie Gelegenheit dazu hatte, in die Eifel zu fahren, „und jedesmal ist es ein herzlicher Empfang und eine fröhlich-feierliche Begrüßung, die sie dort 84 1909 – 1996. 85 Ihre Vorgängerin in der Heimleitung war für kurze Zeit – von Mai bis Dezember 1961 – Schwester Basilia (1908 – 1997), die ebenfalls ausgebildete Kindergärtnerin war. Oberin Bonifatia (1894 – 1973) hatte das Heim seit der Eröffnung 1950 in Brauweiler bis April 1961 geleitet. Sie war zum St. Johannes-Hospiz in Bonn-Oberkassel/Siegkreis versetzt worden, wo sie im Mai 1961 ihre Arbeit aufgenommen hatte. Anschließend leitete sie ein Altenheim in Köln-Poll. 86 1930 – 2012. 87 So wurde sie im Rückblick von einer damaligen weltlichen Erzieherin bezeichnet, die sich auf den Aufruf nach ZeitzeugInnen bei mir gemeldet hat. 88 1931 – 2004. 89 1909 – 1994. 90 1912 – 1988. 91 Historisches Archiv des Erzbistums Köln. GVA II 1982.
Die Ordensschwestern verlassen „Haus Ehrenfried“
161 Abb. 45 Ausschnitt aus einem Zeugnis der „Ev. Volksschule in Brühl“, datiert auf den 25. März 1964 und unterschrieben von Sr. M. Wilhelma, damals Heimleiterin von „Haus Ehrenfried“.
erlebt“.92 Es war für die Cellitinnen die letzte Ferienzeit mit den Kindern, bevor sie ihren Dienst im „Haus Ehrenfried“ beendeten. Für die Verabschiedung der Ordensschwestern wurde am 31. August 1965 eine kleine Feierstunde organisiert. Rudi Adams 93, damals stellvertretender Landrat, dankte herzlich im Namen des Kreistags „für die Mühe und die Opferbereitschaft der Schwestern“ und versicherte, „daß ihre Leistungen unvergessen bleiben würden.“ OKD Dr. Gierden betonte in seiner Rede, wie schwer es ihm gefallen sei, Verständnis für die Maßnahme der Generaloberin zu finden. „Nachdem er aber Einblick in die Arbeitssituation des Kinderheimes bekommen habe, sei er davon überzeugt, daß die Schwestern körperlich und seelisch über ihre Kräfte in Anspruch genommen waren.“ Sie hätten keinen Acht-Stunden-Tag gehabt, sondern mussten „rund um die Uhr jeweils für zwei“94 arbeiten. Materiell entlohnt wurden sie für ihren intensiven Einsatz mit einer monatlichen Pauschale von etwa 80,00 DM pro Person, während „weltliche“ Angestellte nach dem Bundesangestelltentarif bezahlt wurden.95 Im Einvernehmen mit Rudi Adams bot OKD Dr. Karlheinz Gierden den Schwestern als Dank und Anerkennung für ihre jahrelange Tätigkeit einen vierwöchigen Erholungsurlaub auf Kosten des Kreises an, den diese gerne annahmen. Schon nach zwei Wochen schickten sie Urlaubsgrüße nach Brühl; allen war der Abschied sehr schwer gefallen. Schwester Benigna schrieb aus Oberdollendorf: „Die elf Jahre, die ich im Kreiskinderheim tätig sein durfte, werden für mein ganzes Leben als die schönste Zeit in meiner Erinnerung fortleben. Wie schön ist es doch, Kinderherzen froh zu machen.“ Und die bisherige Heimleiterin, Schwester Wilhelma, die mit Schwester Crementia diese Ferien in Leutasch/Tirol verbrachte, formulierte: „Es ist hier unbeschreiblich schön. […]. Trotzdem fliegen die Gedanken immer wieder nach ‚Haus Ehrenfried‘. Wie geht’s den Kindern?“96 92 93 94 95
Kölnische Rundschau, 18. August 1965. 1919 – 2013. Zitate aus: Kölnische Rundschau, 2. September 1965. Als Vergleich wurde in der Kölnischen Rundschau am 13. September 1965 eine 28-jährige Kinderpflegerin gewählt, die mit entsprechender Ausbildung 685,00 DM brutto für ihre Tätigkeit im Kinderheim erwarten konnte und nur 11,00 DM für ein Zimmer entrichten musste. 9 6 Zitate aus: Kölnische Rundschau, 21. September 1965.
162
Das moderne „Haus Ehrenfried“ in Brühl
Vor allem Schwester Wilhelma verließ das Brühler Kinderheim mit sehr großem Bedauern. Ihre Mitschwestern berichten noch heute, dass sie sich außerordentlich gerne, liebevoll und engagiert der Erziehung der Kinder gewidmet hat. Zunächst wechselte sie ins St. Elisabeth-Krankenhaus nach LeverkusenSchlebusch. Später versah sie noch viele Jahre den Dienst an der Pforte in ihrem Mutterhaus, dem Kloster zur hl. Elisabeth in Köln-Lindenthal. Dort besuchten sie immer wieder einmal ehemalige „Zöglinge“ aus „Haus Ehrenfried“, die ebenfalls beteuerten, der Aufenthalt dort sei „die schönste Zeit in ihrem Leben“ gewesen. Gut zwei Jahre später, Anfang 1968, als die ehemalige Heimleiterin Sr. Bonifatia die Einladung erhielt, an der Verleihung der „Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“ an Jakob Sonntag teilzunehmen, nutzte sie diese Gelegenheit, um ihrerseits einen sehr positiven Rückblick auf ihre Zeit in „Haus Ehrenfried“ zu formulieren: In den Jahren, in denen ich dem Landkreis Köln bei den Kindern dienen durfte, habe ich vieles gesehen und miterlebt. Ich darf Ihnen sagen, dass es mit die schönsten Jahre meines langen Ordenslebens waren und dass ich restlos befriedigt an diese so schöne Zeit zurück denke, für die ich dem guten Vatergott sehr danke.97
5.6 Die Verabschiedung von Jakob Sonntag in den Ruhestand Kurze Zeit nach dem Weggang der Ordensschwestern trat der langjährige Jugendamtsleiter Jakob Sonntag am 30. November 1965, mit 63 Jahren, aus gesundheit lichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand. Ihm war es nach 1945 gelungen, „das persönliche Schicksal von Jugendlichen und auch in vielen Fällen von Familien in andere Bahnen zu lenken“.98 Dazu zählte nicht zuletzt, dass er rd. 160 Kinder in Adoptivfamilien vermitteln und diese Kinder durch notarielle Verträge zwischen ihm und den annehmenden Eltern rechtlich absichern konnte. Er setzte sich auch für die Vermittlung von Pflege- oder Arbeitsstellen für die aus dem Heim entlassenen Jugendlichen ein. Eine besondere Aufgabe war mir persönlich die Betreuung der aus dem Kinderheim schulentlassenen Kinder und Jugendlichen. […] Noch heute verbinden mich fast verwandtschaftliche Bindungen zu solchen „Ehemaligen“. […] Für mich war die Tätigkeit im Kreisjugendamt die Erfüllung einer mir aufgetragenen Lebensaufgabe.99
97 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/2178. 18. Januar 1968. 98 Sonntag (1972), S. 70 f. 99 Sonntag (1972), S. 70 f.
Die Verabschiedung von Jakob Sonntag in den Ruhestand
163
Abb. 46 Haus Ehrenfried, um 1960. Blick Richtung Eingangshalle.
Jakob Sonntag war maßgeblich daran beteiligt gewesen, das Kreiskinderheim zunächst als Provisorium in Brauweiler zu etablieren und nach dieser Zeit ein maßgeschneidertes Domizil in dem 1958 eröffneten Neubau in der Liblarer Straße zu schaffen. Seit dem Umzug nach Brühl 1958 war er einmal pro Woche ins Kinderheim gekommen, um dort eine „Sprechstunde“ für die Anliegen der Heimbewohner und der Betreuer abzuhalten. Zudem berichtete er immer wieder in der Tagespresse über die Geschichte des Heims. So war es passend, die feierliche Verabschiedung in „seinem“ Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ zu begehen. OKD Dr. Gierden betonte, dass man Jakob Sonntag „vor allem für die menschliche Wärme danken müsse, mit der er sein Amt erfüllt habe und die besonders dem ‚Haus Ehrenfried‘ zugute gekommen“100 sei. Die Kölnische Rundschau titelte zutreffend: „Seine Mühe und Sorge galt immer der Jugend.“ Die persönliche Wertschätzung beruhte offenbar auf Gegenseitigkeit. In seinem Rückblick auf die Entwicklung der Jugendwohlfahrtsarbeit im Kreis Köln seit der Bildung des Kreisjugendamts am 1. April 1924 würdigte Jakob Sonntag die Bedeutung, die Dr. Gierden für das Kreisjugendamt zukam: Der Amtsantritt des neuen Oberkreisdirektors Dr. Karl-Heinz Gierden am 1. 10. 1962 brachte dem Jugendamt eine wesentliche Aufwertung innerhalb der Kreisadministration. Dr. Gierden, das darf hier ausdrücklich gesagt werden, machte die Anliegen des Jugendamtes zu den seinigen, nahm, womit er dies auch optisch sichtbar machte, das Jugendamt
100 Kölnische Rundschau, 14. September 1965.
164
Das moderne „Haus Ehrenfried“ in Brühl
aus dem Sozialdezernat heraus und nahm es in sein eigenes Dezernat und bewirkte damit eine vorher nicht mögliche positive Entwicklung der Jugendamtsarbeit.101
Schon rund zehn Monate vor seiner Verabschiedung aus dem Amt war Jakob Sonntag eine besondere Ehre zuteilgeworden, als er „mit Dank und Freude“ am 19. November 1964, dem Tag der hl. Elisabeth, aus der Hand von Kreisdechant Heinrich Kreutzberg in den Räumen von „Haus Ehrenfried“ den päpstlichen Orden „Pro ecclesiae et pontifice“ empfangen konnte.
5.7 Änderungen in den Ausbildungsvorschriften Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) wurde im Jahr 1953 durch das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG ) abgelöst. Dessen Novellierung vom 11. August 1961 beinhaltete Änderungen bezüglich der Heimaufsicht und der Ausbildungsvorschriften; in ihnen war eine Veränderungsbewegung zu erkennen, die sich seit Beginn der 1960er Jahre zunächst vereinzelt, dann in immer mehr Heimen und Jugendämtern abgezeichnet hatte. U. a. war nun im JWG geregelt, dass die Zuständigkeit für die Heimaufsicht nicht mehr beim Bund, sondern bei den Ländern lag: Jugendwohlfahrtsgesetz, Abschnitt VII. Heimaufsicht und Schutz von Minderjährigen unter 16 Jahren in Heimen. § 78, (1): Das Landesjugendamt führt die Aufsicht über Heime und andere Einrichtungen, in denen Minderjährige dauernd oder zeitweise, ganztägig oder für einen Teil des Tages, jedoch regelmäßig, betreut werden oder Unterkunft erhalten.
Die Gesetzesnovelle (in Kraft getreten am 1. Juli 1962) führte erstmals eine institutionelle Heimaufsicht für alle Einrichtungen ein, die Minderjährige dauerhaft oder zeitweise betreuten, sowie individuelle Rechtsansprüche auf Leistungen der Jugendhilfe. Das Landesjugendamt hatte dafür zu sorgen, dass in den Heimen „das leibliche, geistige und seelische Wohl der Minderjährigen“ (JWG, § 78 (2)) gewährleistet war. Durchgeführt wurde die Aufsicht wesentlich in Form von Besichtigungen, die teils angemeldet, teils unangemeldet stattfinden konnten. Ziel war vor allem, ungeeignetes und unqualifiziertes Personal festzustellen und zu entlassen, gem. § 78 Abs. 3 JWG: „In den der Heimaufsicht unterliegenden Einrichtungen muß die Betreuung der Minderjährigen durch geeignete Kräfte gesichert sein. Über die Voraussetzungen der Eignung sind Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe anzustreben.“ 101 Sonntag (1972), S. 70 f. Sonntag (1972), S. 65.
Änderungen in den Ausbildungsvorschriften
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Außerdem musste der Träger der Einrichtung gem. § 78 Abs. 4 JWG „dem Landesjugendamt Personalien und Art der Ausbildung des Leiters und der Erzieher der Einrichtung melden“. Allerdings waren mit den „geeigneten Kräften“ nicht unbedingt pädagogisch ausgebildete Mitarbeiter gemeint, sondern es galt allgemein der Grundsatz, dass die Ausbildung des Personals ihren Aufgabenstellungen angemessen sein musste. Unter „geeignetem“ Personal wurden in der Literatur Mitarbeiter verstanden, die sowohl von ihrer Ausbildung her als auch charakterlich für die Aufgabe der Heimerziehung qualifiziert waren. Offenbar bestand nach dem Inkrafttreten der Vorschrift aber zunächst ein Mangel an geeigneten Fachkräften oder an den notwendigen Personalmitteln; jedenfalls wird berichtet, dass noch in den 70er Jahren aus beiden Gründen Erzieherinnen und Erzieher ohne pädagogische Ausbildung eingestellt wurden. Darüber hinaus wurde weithin davon ausgegangen, dass die freien Träger bei der Auswahl ihres Personals einen Beurteilungsspielraum hätten, der nur durch die Kindeswohlgefährdungsschwelle begrenzt sei. Erst nach und nach setzte sich die Auffassung durch, dass die gesetzliche Vorgabe des § 78 Abs. 3 JWG auch für die freien Träger als verbindlich anzusehen war.102
Bereits am 15. März 1949 hatte der Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Abt. Jugendwohlfahrt, dem Regierungspräsidenten des Landes NRW zur Kenntnis gegeben: Die jugendpflegerischen Bemühungen um die Jugend können ihr erzieherisches und soziales Ziel auf die Dauer nur erreichen, wenn die Jugendpfleger, Heimleiter und Heimerzieher die erforderliche Ausbildung für ihre Aufgaben haben. Grundsätzlich brauchen Kreisjugendpfleger, Leiter von Heimstätten, Jugendsiedlungen und Jugendwohnheimen und Verbandsjugendpfleger, die mit verantwortlichen Aufgaben der Jugendhilfe und Jugendpflege betraut sind, eine sozialpädagogisch-jugendpflegerische Vollausbildung an einer staatlich anerkannten Wohlfahrtsschule oder auch an einer pädagogischen Akademie.103
Die Ausbildung sollte drei Jahre dauern: zwei Jahre überwiegend als theoretische Ausbildung, danach folgte ein praktisches Jahr. Seit 1956 erfasste das Arbeits- und Sozialministerium NRW, in welcher Form und durch w elche Instanz die Aufsicht über Heime bisher durchgeführt worden 102 Vgl. Günter Happe: Heimaufsicht und Heimkinderschutz nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz. 2. Aufl. Frankfurt/Main 1984, S. 86, S. 114; s. a. Expertise zu Rechtsfragen der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre. Gutachten im Auftrag des „Runden Tisch Heimerziehung“, Göttingen 2010. 103 Karl Hugo Breuer: Anfänge der Heimstatt im rheinischen Raum. Eine Dokumentation. Köln 1968, S. 263.
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war. Mit dem daraus resultierenden sog. „Zeven-Erlass“ aus dem gleichen Jahr war nun eine pädagogische Ausbildung der Heimleiter und Heimerzieher vorgeschrieben, außerdem sollte das Vorleben des Heimpersonals durchleuchtet werden. In Heimen war die schriftliche Zusicherung von Erzieherinnen und Erziehern einzuholen, auf körperliche Züchtigung zu verzichten, und d ieses Dokument in die Personalakte aufzunehmen. Diese Anweisungen bedeuteten damals einen wichtigen ersten Schritt in Richtung Heimaufsicht, der allerdings auf großen Widerstand bei den freien Trägern der Jugendhilfe stieß. Insbesondere die Kirchen werteten den Erlass als Bevormundung. Seine Empörung gegenüber den neuen Vorschriften formulierte etwa Prälat Wilhelm Böhler, Beauftragter der Fuldaer Bischofskonferenz und als Leiter des „Katholischen Büros“ seit 1951 auch offiziell Vertreter der katholischen K irche in Deutschland, im Mai 1956 in einem Schreiben an den Arbeits- und Sozialminister NRW: Mit d iesem Erlass werde „zutiefst in die Freiheit, Eigenständigkeit und Selbstverantwortung der konfessionellen Träger eingegriffen“, und er sei „in dieser Form von den unter kirchlicher Aufsicht stehenden Einrichtungen nicht zu akzeptieren“. Außerdem sei die Pflicht zur „schriftliche(n) Versicherung der Erzieher, keine Prügelstrafe anzuwenden, […] für jeden guten Erzieher diskriminierend“.104 Nur ein Jahr s päter erhielt diese Auffassung Rückendeckung durch eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Oktober 1957. Darin heißt es zwar, dass die körperliche Züchtigung den Tatbestand einer Körperverletzung erfülle, dass es aber „Eltern und sonstigen Erziehern“ erlaubt sei, „zu Erziehungszwecken maßvoll zu züchtigen“. Immerhin akzeptierten weite Teile der Bevölkerung die körperliche Züchtigung als notwendiges und durchaus geeignetes Mittel zur Disziplinierung „kindlichen Ungehorsams“. Zumindest auf formeller Ebene hat sich später etwas gewandelt: 1971 wurde in Nordrhein-Westfalen das Recht auf jegliche „körperliche Züchtigung“ in pädagogischen Einrichtungen aufgehoben; zwei Jahre später galt dies für die gesamte Bundesrepublik. Während Berufsbild und -ausbildung der von Kindergärtnerinnen zunächst noch bis in die 1960er Jahre mit lediglich geringen länderspezifischen Unterschieden von den Richtlinien der Weimarer Republik bestimmt waren,105 war nun seit 1961 eine aktualisierte, professionalisierte und vereinheitlichte Ausbildung für die Arbeit in Heimen vorgeschrieben. Diese Vorschrift trug wesentlich dazu bei, dass in Heimen zunehmend weltliches Personal beschäftigt wurde. Schließlich hatten Ordensleute nicht immer die Möglichkeit, eine spezifische Ausbildung 104 Zit. n. Heimkinder und Heimerziehung in Westfalen 1945 – 1980. Zusammenfassung der zen tralen Ergebnisse aus der Quellenarbeit. Bearb.: Matthias Frölich. LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte. PDF 2010, S. 16 (zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2021). 105 Bereits in den 1920er Jahren war die Ausbildungsdauer für Kindergärtnerinnen immerhin von einem auf zwei Jahre verlängert worden. Details dazu s. Franz-Michael Konrad (Hg.): Kindheit und Familie. Münster 2001.
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für die Arbeitsbereiche zu absolvieren, in denen sie eingesetzt wurden. Vielmehr blieb eine solche Ausbildung meist sogar die Ausnahme.106 Um die diversen sozialpädagogischen Ausbildungsgänge zu vereinheitlichen, wurde entsprechend den Rahmenvereinbarungen der Kultusministerkonferenz von 1967 die Ausbildung zum/zur „Staatlich anerkannten Erzieher/in“ an Fachschulen für Sozialpädagogik bundesweit eingeführt. Zugangsvoraussetzung für die Ausbildung war von nun an der mittlere Schulabschluss sowie ein zwölfmona tiges Vorpraktikum; die Ausbildung dauerte drei Jahre.107
5.8 Personalsuche und Modernisierungsmaßnahmen in Brühl Eine deutliche Veränderung nach dem Weggang der Cellitinnen zum 31. August 1965 bestand darin, dass „Haus Ehrenfried“ jetzt „voll und ganz in der Regie des Landkreises betrieben wurde“.108 Eine Einschätzung, die sich nur auf die innere Gestaltung des Heims beziehen konnte: Schließlich war es von Anfang an eine Einrichtung des Kreises gewesen, deren wirtschaftliche und finanzielle Belange stets vom Kreisjugendamt und vom Kreistag bestimmt wurden, wie es auch bei der Beantragung des Baudarlehens im Jahr 1956 formuliert worden war. Weder die Ordensschwestern noch die Ordensgenossenschaft waren Träger des Hauses.109 Die Suche des Oberkreisdirektors nach einer neuen Heimleitung und nach Pflege- und Erziehungspersonal stellte sich als äußerst schwierig heraus. Hinzu kam, dass die aktuelle Situation im Heim überaus angespannt war: „Das Heim sei z.Zt. mit 90 Betten belegt und damit überbelegt“, liest man in der Niederschrift über die Sitzung des Kreisausschusses vom 20. Mai 1965.110 Unter diesen Umständen entschloss sich der OKD zu dem Versuch, durch Aufnahmesperre diese Zahl zu reduzieren. Durch Verhandlungen mit Herrn Pfarrer te Reh hoffe man, daß zumindest einige evangelische Kinder nach Michaelshoven kommen könnten. Es sei anzustreben, die Zahl der Kinder im Kinderheim Brühl auf 75 Kinder zu reduzieren. Ferner müsse die Stelle einer Hauswirtschaftsleiterin ausgeschrieben werden. 106 Vgl. Carola Kuhlmann: Erziehungshilfen von 1945 bis heute. In: Macsenaere u. a. (2014), S. 28. 107 Vgl. Bernhard Nagel: Der Erzieherberuf in seiner historischen Entwicklung. In: Bildung, Erziehung, Betreuung von Kindern in Bayern, 2000, Heft 1, S. 11 – 13. Die aus der Kultusministerkonferenz resultierenden Regelungen zur Erzieherinnenausbildung wurden in den folgenden fünf Jahren länderspezifisch geordnet und umgesetzt, vgl. Josef Hederer: Ausbildung von Erziehern und Sozialpädagogen. In: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hrsg.): 150 Jahre Kindergartenwesen in Bayern. Festschrift anlässlich der 150-Jahrfeier der von König Ludwig I. genehmigten „Bestimmungen, die die Einrichtung von Kinderbewahranstalten betreffen“. München 1989, S. 221 f. 108 Vgl. Kölnische Rundschau, 13. September 1965. 109 Vgl. Sonntag (1972a). 110 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3157.
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Es müsse auf alle Fälle dafür gesorgt werden, daß der Küchenbetrieb weitergehe, denn die Kinder müßten etwas zum Essen haben. Einige pädagogische Kräfte müßten ebenfalls eingestellt werden. Die Zahl der verfügbaren weltlichen Kräfte sei gering. Anstelle der vier Ordensschwestern müßten mindestens 6 weltliche Kräfte eingestellt werden, um auch die pädagogische Betreuung nach dem 31. 8. 1965 sicherzustellen. Ob diese weltlichen Kräfte rechtzeitig eingestellt werden könnten, sei mehr als zweifelhaft. Er habe gestern eine Besprechung mit dem Diözesan-Caritasverband gehabt. Es sei ihm versprochen worden, daß ab 1.9. Caritasschwestern zur Betreuung zur Verfügung gestellt werden sollten.
Die Niederschrift schließt mit dem Satz: „Die Situation sei jedenfalls sehr kritisch.“ Von fünf Ordensgemeinschaften erhielt Dr. Gierden klare Absagen. Gründe dafür waren aus seiner Sicht, dass „kleinere Konvente von vier oder sechs Schwestern von den Mutterhäusern nicht mehr gewünscht (werden). Sie führen zur physischen und psychischen Erschöpfung.“111 Auf eine Fortsetzung der Leitung von „Haus Ehrenfried“ durch Ordensschwestern musste also verzichtet und stattdessen die Suche nach weltlichen Mitarbeitern intensiviert werden. Die Gewinnung von Pflege- und Betreuungspersonal für die Kinder im „Haus Ehrenfried“ war zum dringendsten Anliegen geworden. „Jetzt sucht der Landkreis Köln Personal im ganzen west- und süddeutschen Raum“, meldete der Kölner Stadt-Anzeiger am 13. September 1965. Bis zur „endgültigen Lösung“ hielt man im Kreiskinderheim einen „Notbetrieb“ aufrecht. Attraktiv für die gesuchten neuen Mitarbeiter im Brühler Kinderheim war nicht zuletzt, dass die Kinder dort nach modernen pädagogischen Gesichtspunkten in den fünf „Familiengruppen“ betreut wurden, hinzu kam eine Aufnahmegruppe. Jede Gruppe wurde von einer Kindergärtnerin geleitet und sollte von einer Pflegerin, einer Helferin und einer Putzhilfe unterstützt werden. „Jahrzehntelang wurde die Arbeit in einem Kinderheim als Schmutzarbeit angesehen. Das soll und wird sich ändern. Die 45-Stunden-Woche, gute Bezahlung und das Leben in gepflegten Zimmern wird auch das Arbeiten im Haus Ehrenfried wieder attraktiv machen“, versprach Kreisinspektor Leo-Herbert Haller 112, der neue Leiter des Kreisjugendamts, mit viel Optimismus, und er charakterisierte damit die Zukunftsperspektive des Heims im Rahmen einer Sitzung des Jugendwohlfahrtsausschusses, die am 10. September 1965 in „Haus Ehrenfried“ stattfand. Auch die Notwendigkeit einer gründlichen Renovierung und Modernisierung des Heims wurde thematisiert. Dazu gab Kreisinspektor Haller die Devise aus: „Modernisieren heißt unser Ziel. Das eintönige Grau muss verschwinden.“113 Allerdings machte er damit unverhohlen darauf aufmerksam, wie negativ sich die Zustände seiner Meinung nach in dem bei seiner Eröffnung noch als „hell und modern“ gepriesenen Gebäudekomplex innerhalb kurzer Zeit entwickelt hatten. 111 Kölner Stadt-Anzeiger, 13. September 1965. 112 Leo-Herbert Haller, Wohlfahrtspfleger mit staatlicher Anerkennung, war Nachfolger von Jakob Sonntag und blieb bis zum 31. August 1974 Kreisjugendamtsleiter. 113 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 13. September 1965.
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169 Abb. 47 Briefkopf des Kreiskinderheims in Brühl, 1960er Jahre.
Schon vor 1965 waren erhebliche Nachteile aufgetreten, vor allem in Bezug auf die minderwertige Qualität der verwendeten Materialien. Diese Mängel wurden nun offen thematisiert und sogar über die Presse kommuniziert. Dr. Gierden beschrieb in der Sitzung des Jugendwohlfahrtsausschusses am 10. September 1965114 die Situa tion ohne Umschweife: „Das Haus ist in der Funktion gut geplant. Die Bauausführung läßt stark zu wünschen übrig. Die Mängel treten immer stärker hervor.“ Mängel in der Bauausführung waren schon kurz nach dem Einzug festgestellt worden und konnten offenbar nicht zeitnah behoben werden. Neue Auflistungen, erstellt u. a. nach einer Besichtigung der Heimgebäude durch den Unterausschuss des Jugendwohlfahrtsausschusses am 23. Februar 1959,115 beanstandeten nicht zuletzt schlechte Anstricharbeiten, schlecht schließende Fenster (z. T. wegen feuchtem Holz), fehlende oder schadhafte Verputze, unsachgemäß eingebaute Abflussrohre in den Waschräumen mit daraus folgenden Feuchtigkeitsschäden, undichte Flachdächer, Risse in Wänden, nachlässig ausgeführte Ausbesserungsarbeiten, zugige Flure, nicht verkleidete Heizkörper, unsachgemäß befestigte Treppengeländer u. v. m. In der Küche, so beklagte Oberin Bonifatia, fehlte ein sachgemäßer Abzug für die Küchendämpfe, wodurch Schw. Benigna sowie alle, die in der Küche arbeiten, laufend erkältet sind und über Schmerzen klagen, weil sie nur im Durchzug arbeiten oder genötigt sind, alle diese Dämpfe einzuatmen. […] Ich darf noch erwähnen, dass trotz des notwendigen Fensteröffnens der Dampf nicht abzieht, sondern niederschlägt und den Boden nässt, sodass beim Kochen und Abkochen nur in feuchter Küche gearbeitet wird.116
Bei der Einschätzung der Unzulänglichkeiten im September 1965 hielt Dr. G ierden auch die Renovierung und bauliche Umgestaltung der Personalräume für dringend erforderlich. Sie wurden nun in einem neuen Trakt als Ein- und Zweibettzimmer eingerichtet; dafür mussten u. a. die bisher von den Schwestern genutzten Klausurräume, „die naturgemäß recht spartanisch eingerichtet waren“,117 neu und gemütlicher ausgestattet werden. Während Ordensschwestern allgemein nur geringe Ansprüche hatten, sollten nun für das dringend gesuchte „weltliche“ Personal bessere Bedingungen geschaffen werden. 114 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/2970. 115 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 II. 116 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427 II. 16. Februar 1959. 117 Kölnische Rundschau, 13. September 1965.
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Im Zuge der Modernisierungsmaßnahmen waren schon wenige Wochen zuvor die bisherigen Eisenbetten im Kinderheim durch „freundlichere Holzbetten“ ersetzt worden: Im Mai 1965 hatte man beschlossen, „nach und nach alle im Kreiskinderheim Brühl befindlichen weiß-lackierten Anstaltsbetten durch sogenannte Stollen-Holzbetten zu ergänzen, wie bereits 50 Stück […] geliefert wurden. Diese Betten haben sich bewährt und geben den Schlafräumen ein warmes und wohnliches Aussehen.“118 Die Stollen-Holzbetten hatten eine Größe von 80 × 170 cm und waren „GoldTeak“ furniert; die Federkern-Matratzen wurden in „Anstaltsausführung“ bestellt. Man will die typische Heimatmosphäre möglichst durch das Wohnzimmer ersetzen, in dem den Kindern weitgehend der Eindruck eines echten Familienlebens vermittelt wird. Dazu gehören […] Verbannung der Wachstuchtischdecken, Geschirr aus Porzellan (selbst wenn etwas mehr kaputt geht), etwas buntere Kleidung – viele Kinder waren mit einer Art Einheitsschürze bekleidet – und schöner gestaltete Zimmer. So hatte man früher aus praktischen Erwägungen einen der Schlafräume gekachelt, weil die Kinder vorher Löcher in die Wände gebohrt haben. Auf die Gefahr hin, dasselbe zu erleben, wird jetzt mit Rauhfaser darüber tapeziert.119
Dieser Darstellung der Umstände im „Haus Ehrenfried“ widersprach die frühere Heimleiterin Sr. Bonifatia. Die Oberin, die sich dem Heim auch nach ihrem Weggang verbunden fühlte, versicherte noch Jahre später, dort habe es „niemals Etagenbetten und auch kein Blechgeschirr gegeben“.120 Um im Heim den familienähnlichen Charakter zu stärken, wurden die Kinder in Gruppen zusammengefasst, die jeweils einen eigenen Wohnraum hatten. Ein Grund für die neu zu schaffende „Aufnahmegruppe“ für neu eingewiesene Kinder, die erfahrungsgemäß häufig bei Nacht ins Heim kamen, war, dass dadurch das familiäre Leben in den einzelnen Gruppen und die Erziehungsarbeit nicht mehr gestört werden würde. In der Aufnahmegruppe sollte abgeklärt werden, ob sich die neuen Kinder in das Leben in derjenigen Gruppe einfügen könnten, die für sie zuständig sein würde. Die Belegung des Hauses sollte auf maximal 65 Kinder reduziert werden – mehrfach waren 107 Kinder untergebracht gewesen, was eine Überbelegung von rd. 30 % bedeutete. Dr. Gierden plädierte dafür, die Obergrenze von 65 Kindern einzuhalten: „Alles andere läßt sich mit pädagogischen Grundsätzen kaum vereinbaren. Nur so kann die Erziehung der Kinder in ‚Familiengruppen‘ echt gewährleistet werden“, sagte er.121 Da im „Haus Ehrenfried“ zu d iesem Zeitpunkt 118 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3427. 18. Mai 1965. Es ist davon auszugehen, dass den älteren bzw. größeren Kindern selbstverständlich längere Betten zur Verfügung gestellt wurden. 119 Kölnische Rundschau, 13. September 1965. 120 Vgl. Kölnische Rundschau, 24. Februar 1972. 121 Kölner Stadt-Anzeiger, 13. September 1965.
Die neue Heimleiterin
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77 Kinder lebten, wurde eine Aufnahmesperre verhängt, die so lange gelten sollte, bis sich nur noch 65 Kinder im Heim befänden. Nachdem bisher nur Kinder bis zum 14. Lebensjahr im Heim untergebracht waren, sollten in Zukunft auch Schulentlassene weiterhin hier wohnen können. Dem Familiencharakter entspräche auch, dass man das Prinzip der Koedukation pflegen wolle, betonte Inspektor Haller. Aufgrund seiner persönlichen Situation galt er als besonders kompetent: „Er weiß, worauf es ankommt. Er ist selber Vater von acht Kindern.“122 Nach wie vor sollte zu jeder Kindergruppe in Zukunft eine Kinderpflegerin als Leiterin, eine Helferin und eine Putzhilfe gehören. Der Wirtschaftstrakt des Hauses, der sich, von der Liblarer Straße aus gesehen, links vom Eingang befand, war mit Schneiderei, Waschküche und Wäschemangel sowie mit der großen Küche modern ausgerüstet und auch personell zufriedenstellend besetzt. „Tadellos in Schuß“ befanden sich auch die Gartenanlagen, die von Gustav Krause „vorbildlich versorgt“ wurden.123 Von den 77 Jungen und Mädchen, die 1965 im Kreiskinderheim lebten, waren lediglich drei Vollwaisen, die übrigen Kinder waren „Sozialwaisen“: entweder uneheliche Kinder, Scheidungskinder oder Kinder aus Familien, die über zu geringen Wohnraum verfügten „In diesen Fällen hat man zuallererst das Heim entlasten können, indem den Betroffenen größere Wohnungen zur Verfügung gestellt wurden“, lobte die Kölnische Rundschau, und ergänzte: „.Bei einem Rundgang berichtete der neue Jugendamtsleiter [Leo-Herbert Haller] von einer Familie, die mit fünf Kindern in nur einem Wohnraum leben mußte.“124 OKD Dr. Gierden gelang es zwar nicht, eine Ordensgemeinschaft zu finden, die die Nachfolge der Celltininnen im „Haus Ehrenfried“ übernehmen würde, obwohl er seine Sondierungen sogar noch bis nach Holland ausgedehnt hatte; auch die Personalsuche war noch nicht beendet. Doch konnte die Kreisverwaltung inzwischen einen Erfolg bei der Suche nach einer neuen pädagogischen Leitung für das Kinderheim vermelden: Die Brühlerin Marie-Theres Lennartz nahm ihre Arbeit im „Haus Ehrenfried“ zum 1. September 1965 auf.
5.9 Die neue Heimleiterin Frau Lennartz verfügte zu d iesem Zeitpunkt bereits über einschlägige Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern – so etwa über rd. eineinhalb Jahre in einem Kinderheim der Stadt Köln, drei Jahre als Leiterin eines katholischen Kindergartens in Bonn und zweieinhalb Jahre als Leiterin eines Kindergartens in Wesseling. Zuvor hatte 122 Neue Rhein Zeitung (N. R. Z.), 14. September 1965. 123 Vgl. Kölnische Rundschau, 13. September 1965. 124 Kölnische Rundschau, 13. September 1965.
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sie an einer Fachschule für Kindergärtnerinnen und -hortnerinnen das staatliche Examen abgelegt. Dies alles ließ sie „für die neue Tätigkeit in Brühl geradezu prädestiniert erscheinen“, bescheinigte ihr die Tagespresse.125 Gemeinsam mit der neuen Leiterin betreuten nun „pädagogisch geschulte Frauen“ die Heimkinder.126 Geplant war, in Zukunft 15 Pflege- und hauswirtschaftliche Kräfte einzustellen, die jeweils 45 Stunden pro Woche arbeiten sollten. Derzeit waren neun Angestellte beschäftigt. Damit Hausverwaltung und Hauswirtschaft von der pädagogischen Arbeit getrennt werden konnten, wurde, wie angekündigt, ab 1. Oktober 1965 zusätzlich eine Hauswirtschaftsleiterin angestellt. Als Übergangslösung stellte man auch Hilfen aus der Kantine der Kreisverwaltung ab, und das Landkölner Kreishaus delegierte zwei Familienfürsorgerinnen, die sechs Wochen die Arbeit im „Haus Ehrenfried“ unterstützen sollten. Kurz nachdem Frau Lennartz ihre Stelle angetreten hatte, wurde sie mit einem ersten Zwischenfall konfrontiert: Sie musste die Kriminalpolizei alarmieren, weil eine junge Frau in der Dunkelheit des frühen Abends ihren Säugling mitten in Brühl ausgesetzt hatte und danach spurlos verschwunden war. Zuvor hatte sie fremde Kinder aufgefordert, den Kinderwagen zum Kinderheim zu fahren und sich dort mit dem Kleinkind zu melden. Ein Zwölfjähriger kam ihrem Ansinnen nach und brachte das Kind unversehrt und „bei bester Gesundheit“ zur L iblarer Straße.127 Erst im April 1967 klärten sich die Hintergründe dieser Tat auf.128 Ein weiteres Problemfeld belastete die neue Heimleitung. Der „katastrophale Personalmangel im Kreiskinderheim“ hatte dazu geführt, „dass die vorhandenen Kräfte Tag und Nacht im Einsatz sein müssen und sich die wohlverdienten Freizeiten nun schon seit Wochen nicht gönnen können, was nicht zu verantworten ist“. Zu diesem Zeitpunkt wurden im „Haus Ehrenfried“ 76 Kinder im Alter von 11 Monaten bis 14 Jahre in fünf Gruppen betreut, für die jeweils eine ausgebildete Kindergärtnerin und eine Kinderpflegerin vorgesehen waren. Tatsächlich aber waren statt der erforderlichen 13 nur acht Mitarbeiterinnen im Heim beschäftigt: „junge Praktikantinnen, Halbtagskräfte, ‚ausgeliehene‘ Fürsorgerinnen schon eingeschlossen – Hausangestellte werden bereits zur Aushilfe herangezogen.“ Ein vom Kreisjugendamt unterstützter Appell richtete sich an „verantwortungsbewußt denkende junge Mädchen und Frauen zum freiwilligen Sozialeinsatz vor allem am Wochenende oder für halbe Tage, wofür auch Vergütung gewährt werden kann“. Dabei wurden vorrangig junge Frauen oder Mädchen „möglichst mit 125 Kölnische Rundschau, 16. September 1965. 126 Kölnische Rundschau, 2. September 1965. 127 Vgl. Kölnische Rundschau, 2. Oktober 1965. 128 Die Kölnische Rundschau berichtete am 1. April 1967, dass es sich um eine 31-jährige Witwe handelte, die ihr damals zehn Monate altes uneheliches Kind dem Heim überlassen wollte, ohne sich weiter zu kümmern oder etwa Unterhalt zu zahlen. Sie wurde für ihre Tat zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt, die sie im Kölner Gefängnis „Klingelpütz“ absitzen musste.
Die neue Heimleiterin
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einiger Ausbildung und Erfahrung in der Kinderbetreuung“ um ihre freiwillige Hilfe im „Haus Ehrenfried“ gebeten. Die Heimleiterin, die in dieser Notlage außerplanmäßig sogar die Führung einer der fünf Gruppen übernehmen musste, erläuterte die Zukunftsperspektive: „Wir können erst zu Ostern 1966 auf neue Nachwuchskräfte hoffen. Bis dahin können wir aber bei dem jetzigen Tempo nicht durchhalten. Wir sind dringend auf die Unterstützung einsichtsvoller Mitbürgerinnen angewiesen und dabei auch für die Hilfe von Nicht-Fachkräften sehr dankbar“. Die Kölnische Rundschau startete daher einen Aufruf mit der Bitte „Helft helfen!“ und hoffte auf „ein starkes Echo unter liebevollen Landkölnerinnen“129; der Kölner Stadt-Anzeiger titelte am 30. Oktober 1965: „Kinder warten auf Ihre Hilfe.“ Schon zwei Monate s päter, zu Weihnachten, hieß es: „Hilferuf blieb nicht ungehört.“130 Weit über 20 Mädchen hatten sich spontan gemeldet, um einen Teil ihrer Freizeit, etwa am Wochenende, als Hilfskräfte im Kreiskinderheim zu verbringen. Die Heimleiterin konnte sich diejenigen unter ihnen aussuchen, die für die Unterstützung im Heim in dieser Übergangszeit am besten geeignet schienen. Manche Mütter boten sogar an, sechs oder acht Stunden pro Tag auszuhelfen. Gerade in Weihnachtszeiten meldeten sich Familien im Heim, die ein Kind über die Feiertage zu sich nach Hause einladen wollten, um es in einer liebevollen Atmosphäre zu beschenken. Die Heimleiterin war von solchen Anfragen wenig angetan. Entsprechend ihrer pädagogischen Überzeugung hielt sie es für sehr ungünstig, wenn Kinder, die das ganze Jahr im Heim leben, plötzlich aus der gewohnten Umgebung herausgerissen würden. „Nicht selten sitzen sie weinend da und wollen viel lieber wieder ins Heim zurück.“131 Ausnahmen waren jedoch möglich: Wenn sich eine Familie auch während des übrigen Jahres um eines unserer Kinder kümmert, es hin und wieder besucht, dann ist ja nichts dagegen einzuwenden, wenn diese Familie das Kind zum Weihnachtsfest in die Wohnung einlädt. Aber wem das Herz nur an einem Tag im Jahr schlägt, dem möchte ich keines unserer Kinder anvertrauen.132
Die Pflegerinnen, Kindergärtnerinnen und Aushilfsfrauen im „Haus Ehrenfried“ gaben sich deshalb gerade an den Weihnachtstagen besonders viel Mühe, „damit die Kinder nicht so sehr vermissen, was ihnen niemand ersetzen kann: die Familie“.133
129 Alle Zitate aus: Kölnische Rundschau, 23. Oktober 1965. 130 Kölner Stadt-Anzeiger, 24./25. Dezember 1965. 131 Neue Rhein Zeitung (N. R. Z.), 23. Dezember 1966. 132 Kölner Stadt-Anzeiger, 24./25. Dezember 1965. 133 Kölner Stadt-Anzeiger, 24./25. Dezember 1965.
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Die Besuchstage an Feiertagen brachten auch manch andere Enttäuschungen mit sich. Da zeigten die Herkunftsfamilien oftmals Verhaltensweisen, die die Heimleitung keinesfalls gutheißen konnte und die es nachvollziehbar machten, dass die Kinder besser im Heim untergebracht waren. So etwa, wenn sie mit dem Besuch von Vater oder Mutter rechneten, die dann aber nicht kamen, obwohl sie sich angesagt hatten. Frau Lennartz war sich sicher: Diese mangelnde Liebe macht den Kindern vielfach so schwer zu schaffen, daß sie zu den Feiertagen gar nicht mehr in die elterliche Atmosphäre zurückkehren wollen und lieber im Heim mit ihresgleichen die Tage verbringen. Hier haben sie fast alles, was sie brauchen: Pflege, Liebe, Spielkameraden und eine gewohnte und angenehme Umgebung.134
Auch unabhängig von hohen Festtagen warteten manche Kinder vergebens und „mit Tränen in den Augen Stunde um Stunde vergebens auf den Besuch“, der vorher von einem Elternteil fest versprochen worden war. Überdies kam es vor, dass Eltern an Besuchstagen mit Geschenken kamen und erwarteten, dass die Kinder nun ihre Freude besonders zum Ausdruck bringen würden. Meistens war aber gerade dann das Gegenteil der Fall: Die Kinder „stehen fassungslos da und bringen kein Wort über ihre Lippen. Die Angehörigen vergessen in diesen Fällen ganz, daß auch sie nicht auf Kommando lachen können.“135 Die Heimleitung setzte sich dennoch für die Kontakte z wischen den Eltern und ihren im Heim untergebrachten Kinder ein und versuchte immer wieder, Angehörige zum Besuch der Kinder aufzufordern. Dabei waren ihre Bemühungen nicht unbedingt erfolgreich. So etwa, wenn die M utter eines Kindes geheiratet hatte und unter ihrem früheren Namen nicht mehr erreichbar war – „Adresse unbekannt“. Erfreulicherweise waren immer wieder Familien bereit, regelmäßig ein Heimkind zu sich nach Hause einzuladen. Dass sich diese Kontakte sehr positiv gestalten konnten, zeigt das Beispiel eines kleinen Jungen, der in den 1960er Jahren an den Wochenenden bei seiner Gastfamilie zu Besuch war: Er schenkte ihr in der Osterzeit ein selbstbemaltes Ei – diese Geste lässt ahnen, wie wohl sich das Kind dort fühlte. Am 16. März 1966 wurde im Jugendwohlfahrtsausschuss diskutiert, ob im Kinderheim nur katholische oder auch evangelische Erziehungskräfte eingestellt werden sollten. Kreisinspektor Haller führte dazu aus, dass das Kinderheim Brühl „auf Dauer mehr als katholisches Heim geführt wird und, im Sinne der Eltern der Kinder, auf katholischer Grundlage ausgerichtet werde“. Zudem habe man für 20 evangelische Kinder im Kinderheim „Haus Kinderheimat“ in RodenkirchenMichaelshoven Heimplätze sichern können. Dem fügte der Oberkreisdirektor 134 Neue Rhein Zeitung (N. R. Z.), 23. Dezember 1966. 135 Neue Rhein Zeitung (N. R. Z.), 23. Dezember 1966.
Pflegeeltern gesucht
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hinzu, dass es „im Sinne einer konsequenten Menschen- und Persönlichkeitsbildung besser sei, eine einheitliche Glaubensrichtung im Kinderheim zu fördern. Keinem Kind solle aber aufgrund seines Glaubens die Aufnahme im Kinderheim Brühl verwehrt werden.“ Dazu verwies er auf „die überaus große Toleranz der früher im Kinderheim Brühl tätigen katholischen Ordensschwestern, die ihm immer wieder versichert hätten, daß ihnen die liebevolle Betreuung, insbesondere der evangelischen Kinder, Herzensangelegenheit gewesen sei“.136
5.10 Pflegeeltern gesucht Auch die Tageszeitungen beteiligten sich an der Suche nach Pflegeeltern für Kinder und Jugendliche aus „Haus Ehrenfried“. In der Regel mussten die Kinder bzw. Jugendlichen spätestens mit 15 Jahren das Heim verlassen. Anfang 1966 befanden sich unter ihnen zwei Jungen, die in Brühl ein Lehrstelle gefunden hatten: einer als Stahlbauschlosser im Raum Brühl und einer als Schriftsetzer in einer Brühler Druckerei. Der eine Junge war Vollwaise, der andere Halbwaise, ohne Verwandte in der näheren Umgebung. Für beide Jungen wurden in der Kölnischen Rundschau für die Dauer der Lehrzeit Pflegeeltern gesucht. „Es wird ausreichendes Pflegegeld garantiert, außerdem Kleidung gestellt, so daß kein finanzielles Risiko besteht.“ Die Beziehung zu den Pflegeeltern sollte den jungen Menschen eine Heimat bieten, durch die ihnen „die unpersönliche Betreuung in einem Lehrlingsheim erspart werden könnte“.137 Die Kölnische Rundschau betonte in ihrem Artikel, dass es „in den vergangenen Jahren stets möglich (war), im Kreise der Rundschau-Leser Familien zu finden, die sich zur Aufnahme eines Jungen entschlossen“. Dabei war ausschließlich von „Jungen“ die Rede; nach Pflegeeltern für Mädchen wurde zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht gesucht – oder man hatte keine gefunden. Interessenten sollten sich an die Heimleiterin wenden, an den Caritasverband für den Landkreis Köln e. V. in Brühl, oder an den ehemaligen Jugendamtsleiter Jakob Sonntag, der ebenfalls in Brühl ansässig war. Am 18. April 1968 konnte die Kölnische Rundschau melden, dass 174 Kinder – Jungen und Mädchen – im Landkreis Köln bei 160 Pflegefamilien untergekommen waren. Weitere 280 Kinder des Landkreises – auch bei ihnen handelte es sich um Waisenkinder, Kinder aus zerrütteten Ehen oder aus „milieugeschädigten Familien“ – verbrachten dagegen ihre Kindheit weiterhin in Kinderheimen. OKD Dr. Gierden dankte bei einem geselligen Zusammensein den 100 Pflegeeltern, die seiner Einladung gefolgt waren, für ihren Einsatz. Schließlich böten sie mit ihrer Bereitschaft und ihrem Engagement Kindern, die eine bewegte und 136 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/2970. 137 Kölnische Rundschau, 24. Februar 1966.
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oft auch belastende Geschichte mitbrächten, eine gute Alternative zur Heimunterbringung. Daher wünschte er, dass „Pflegeeltern mehr von der Gesellschaft anerkannt und aufgewertet werden“. Gleichzeitig äußerte er die Hoffnung, der Pflegesatz von 200,00 DM pro Kind und Monat „möge, wenn auch nicht Anreiz, so doch ausreichende Sicherheit sein“. Und er versprach: „Wir im Kreistag wollen alles tun, um Ihre Arbeit zu erleichtern.“
5.11 Hohe Besuche in „Haus Ehrenfried“ Während der knapp fünf Jahre, die Frau Lennartz das Kinderheim leitete, gab es, wie früher schon, hin und wieder Besuch von hohen Gästen. Am Tag vor Heiligabend, am 23. Dezember 1965, versammelten sich die rd. 80 Kinder des Kreiskinderheims in der Aula, dem „Festsaal“ des Heims, um vor zahlreichen Ehrengästen das fast schon zur Tradition gewordene Krippenspiel „Wer klopfet an?“ aufzuführen. Anwesend war u. a. OKD Dr. Karlheinz Gierden, der „treusorgende Vater für alle Kinder des Kreiskinderheims“,138 außerdem CDU-Fraktionschef Wilhelm Schmitz, Kreisjugendamtsleiter Leo-Herbert Haller, Vertreter des Brühler Jugendamts und Kreisamtmann i. R. Jakob Sonntag. Nach der kleinen Weihnachtsfeier wurden alle Kinder in ihren „Familiengruppen“ mit Geschenken bedacht. Ein weiterer „großer Tag“ war der 17. Dezember 1966, als der damalige Bundespräsident Dr. Heinrich Lübke mit Frau Wilhelmine „Haus Ehrenfried“ besuchte. Jedes Jahr wählte der Bundespräsident für seine Besuche ein Kinderheim aus, und in d iesem Fall war es der Initiative von Kreisjugendamtsleiter Haller zu verdanken, dass Dr. Lübke auch das Brühler Heim in sein Besuchsprogramm aufgenommen hatte. Landrat Joseph Hürten 139, OKD Dr. Karlheinz Gierden, der Vorsitzende des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses Kurt Pauli, Brühls Bürgermeister Robert Ehl, Stadtdirektor Dr. Wilhelm J. Schumacher 140, Kreisjugendamtsleiter Leo-Herbert Haller und sein Vorgänger, Kreisamtmann a. D. Jakob Sonntag, repräsentierten den Landkreis und die Stadt Brühl. Bewusst wurde auf eine größere Gruppe offizieller Teilnehmer verzichtet, um den privaten Charakter dieses Besuchs zu wahren. Der Bundespräsident widmete sich allen fünf Gruppen des Heims (Margare tengruppe, Mariengruppe, Don-Bosco-Gruppe, Markusgruppe, Christopherusgruppe), überreichte – gemäß den zuvor ins Bonner Bundespräsidialamt eingesandten Wunschzetteln – jedem Kind ein persönliches Geschenk und fragte nach den kleinen Sorgen und Nöten der 65 im Heim lebenden Kinder im Alter 138 Neue Rhein Zeitung (N. R. Z.), 27. Dezember 1965. 139 Landrat von 1961 bis 1969. 140 Stadtdirektor in Brühl von 1966 bis 1990.
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Abb. 48 Anlässlich des Besuchs von Bundespräsident Heinrich Lübke am 17. Dezember 1966 werden in der Eingangshalle des Heims Weihnachtslieder gesungen. Vorne links: Heimleiterin Frau Lennartz. In der Mitte links, mit schwarzem Jackett: Gruppenleiterin Elisabeth Klaffki.
von drei bis 14 Jahren.141 Lübke erkundigte sich zudem bei der Heimleitung eingehend nach pädagogischen Prinzipien, Personalverhältnissen und nach der finanziellen Lage des Hauses; er lobte die „gute Führung“ und „gute Gesinnung“ des Heims. In seiner k urzen Ansprache ging er auf das Schicksal der im Heim untergebrachten Kinder ein, das hier zwar „durch sorgsame Betreuung nach bestem Vermögen gemildert wird, s päter aber in Eigenverantwortung zu gestalten ist“. Im Festsaal führten die Kinder zur großen Freude des hohen Besuches wieder einmal das bewährte und beliebte Krippenspiel „Wer klopfet an?“ mit Chorgesang und Musikbegleitung auf und schenkten ihm zum Abschied selbstgemalte Bilder.142 Im folgenden Jahr besuchten Politiker des Landkreises wiederum „Haus Ehrenfried“, um die Kinder zu Weihnachten zu bescheren. Auch diesmal präsentierten sie unter der Regie der Heimleiterin und ihrer Kolleginnen auf der Bühne des Gemeinschaftsraumes ihr Krippenspiel und erfreuten damit die Zuschauer. Zu den Gästen zählten Kreisjugendamtsleiter Leo-Herbert Haller; Konrad Grundmann, der Arbeits- und Sozialminister des Landes NRW; Landrat Joseph Hürten; Oberkreisdirektor Dr. Karlheinz Gierden; Obermedizinaldirektor 141 Das Heim hatte inzwischen die „ideale Belegungszahl-Höchstgrenze“ erreicht. 142 Kölnische Rundschau, 19. Dezember 1966.
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Abb. 49 Bundespräsident Heinrich Lübke und Ehefrau Wilhelmine beschenken die Kinder im „Haus Ehrenfried“.
Dr. Josef Klein samt Mitarbeiterinnen; Schulrat Merz sowie der Brühler Stadtdirektor Dr. Wilhelm J. Schumacher mit einem Stadtverordneten. Die Gewohnheit, nur die in Brühl geborenen Kinder im Heim zu beschenken, wurde nun abgelöst durch die Neuerung, dass alle im Heim lebenden Kinder als „Brühler“ angesehen wurden. Infolgedessen überreichte Dr. Schumacher jedem Kind ein Buch zu Weihnachten.143 Als der Kölner Regierungspräsident Dr. Günter Heidecke 144 am 13. Dezember 1967 dem Landkreis Köln seinen ersten offiziellen Besuch abstattete, fand das Mittagessen im Brühler Kreiskinderheim statt. Unter der Überschrift „Ein Ohr für die Schwachen“ hieß es im Kölner Stadt-Anzeiger: „In dem Haus herrschte eine anheimelnde Atmosphäre. Daß sich die Kinder dort (fast) wie zu Hause fühlten, zeigte die individuelle Ausschmückung und Gestaltung.“145 Dr. Heidecke stellte bei dieser Gelegenheit fest, dass ihm die Probleme der Daseinsfürsorge mehr am Herzen lägen als die großen Fragen der Wirtschaft. Die Gesellschaft müsse bereit sein, sich zu den Sorgen um diese Kinder, die in solchen Einrichtungen 143 Kölner Stadt-Anzeiger, 27. Dezember 1967. 144 1922 – 2011. Regierungspräsident von 1967 bis 1978. 145 Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Dezember 1969.
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untergebracht sind, zu bekennen. „Man darf das nicht allein den Behörden und ihren Richtlinien überlassen.“ Er betonte, wie sehr es ihn freue, „daß sich hier junge Menschen einer schweren Aufgabe mit Erfolg widmen. Der Wert einer Gesellschaft kann daran gemessen werden, was sie für ihre schwächsten Glieder zu tun bereit ist.“146 „Frau Minister“ Aenne Brauksiepe 147, 1968/69 CDU -Bundesministerin für Familie und Jugend im Kabinett von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger 148, besuchte am 7. Januar 1969 das Kreiskinderheim in Brühl und wurde, passend zur Jahreszeit, ebenfalls mit dem Krippenspiel herzlich willkommen geheißen. Begrüßt wurde sie auch von Oberkreisdirektor Dr. Karlheinz Gierden, dem stellvertretenden Landrat und SPD-Kreisvorsitzenden Rudi Adams (MdB), Bürgermeister Robert Ehl, Jugendamtsleiter Leo-Herbert Haller, dem Vorsitzenden des Jugendwohlfahrtsausschusses Kurt Pauli sowie weiteren Vertretern der Kreisverwaltung und des Landschaftsverbandes. Danach führte die Heimleiterin gemeinsam mit Dr. Gierden den Gast durch das Haus. Frau Brauksiepe konnte sich davon überzeugen, dass die rd. 60 hier lebenden Kinder in fünf „Familiengruppen“ untergebracht waren, die jeweils 12 – 13 Kinder umfassten. Jede Gruppe wurde von zwei Kindergärtnerinnen betreut, verfügte über ihr eigenes Wohn- und Spielzimmer sowie selbstverständlich über ausreichend Schlafräume, und allen stand das großzügige Außengelände zur Verfügung. So wurde der Ministerin vermittelt, dass im „Haus Ehrenfried“ ein modernes Konzept umgesetzt wurde und es mit einem Waisenhaus, wie man es früher kannte, nicht zu vergleichen war. Die Ministerin beschenkte die Kinder der jeweiligen Gruppen zu deren großen Freude mit einem Plattenspieler, einem Globus und einer Gitarre, Möbeln für ein Puppenhaus, einem Traktor samt Anhänger sowie Spielzeug für die Kleinsten, darunter Holzschaufeln für den Sandkasten.149 Frau Brauksiepe nahm auch an der anschließenden Sitzung des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses im Festsaal des Kinderheims teil. Dort gab OKD Dr. Gierden, der sich um das Kreiskinderheim „besonders verdient gemacht hat“,150 einen Überblick über die Jugendhilfe im Landkreis Köln. Zum Thema „Kinderheime“ berichtete er, dass die Zunahme der Heimplätze in keinem Verhältnis zur Zahl der Fälle stehe: Im Jahr 1964 wurden 109 Heimplätze in Anspruch genommen; im Jahr 1968 waren es bereits 214, wobei die Wartezeiten auf einen Platz oftmals sechs bis 18 Monate betrugen. In d iesem Zusammenhang sei es notwendig, die offene Erziehungsberatung zu intensivieren. Dr. Gierden: „Der Gedanke liegt
146 Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Dezember 1969. 147 1912 – 1997. 148 1904 – 1988. Bundeskanzler von 1966 bis 1969. 149 Vgl. Kölnische Rundschau, 9. Januar 1969. 150 Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Dezember 1967.
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Abb. 50 Frau Minister Brauksiepe am 7. Januar 1969 im „Haus Ehrenfried“.
nahe, eine Erziehungsberatungsstelle im Kreis einzurichten.“151 Denn anders als in früheren Jahren komme das „moderne Waisenkind“ aus einer gestörten oder geschiedenen Ehe. Es liege an den sozialen Verhältnissen, die das Verbleiben der Kinder in ihrem Elternhaus unmöglich machten. Daher sei es nicht immer einfach, ihnen Nestwärme zu vermitteln. Beratung könne in solchen Situationen durchaus hilfreich sein. Auch finanzielle Aspekte sprach Dr. Gierden an. Die Unterbringung im „Haus Ehrenfried“ koste, seitdem die Ordensschwestern das Heim nicht mehr betreuten, pro Kind monatlich 950,00 DM, d. h. es handelte sich um einen Pflegesatz von 30,00 DM pro Tag, den entweder die Eltern oder die öffentliche Hand für die Unterbringung im Heim aufbringen müssten. Dr. Gierden wies darauf hin, dass dieser Satz jedoch nicht die Kosten decke, die dem Kreis mit der Unterhaltung des Kreiskinderheims entstünden. 151 Kölnische Rundschau, 10. Januar 1969. Tatsächlich wurde 1970 das Institut für Psychohygiene, ein Beratungszentrum für Kinder, Jugendliche und Eltern, vom damaligen Kreis Köln und Dr. med. Gerd Biermann (1914 – 2006), dem ersten Leiter des Instituts in den Jahren 1970 bis 1978, gegründet. Zunächst befand es sich an der Ecke Friedrichstraße (heute: An der Synagoge)/ Schützenstraße (heute VHS), seit 1972 in der Kaiserstraße 6 in Brühl. Biermann gilt als Pionier der psychoanalytischen Kinderpsychotherapie und psychohygienischer Reformen. 1974 wurde das Institut in „Heinrich-Meng-Institut des Erftkreises“ umbenannt. Dr. med. Heinrich Meng (1887 – 1972), ein Schüler Sigmund Freuds, war Psychoanalytiker und Begründer der europäischen Bewegung der Psychohygiene. 2003 wurde das Institut in der Kaiserstraße 6 aufgelöst. Schon 1991 hatte das Sozialpädagogische Zentrum Rhein-Erft-Kreis, Heinrich-Meng-Institut gGmbH, Kerpen, seine Arbeit als eine Abteilung des Brühler Heinrich-Meng-Instituts aufgenommen.
Nochmals eine Suche nach Personal
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In den Heimen freier Träger koste die Unterbringung 650,00 DM, in einer Familie dagegen lediglich 230,00 DM (200,00 DM Pflegegeld). Aus d iesem Grund sei die Pflegestellenbewerbung und -beratung deutlich intensiviert worden. Kritisch merkte Dr. Gierden an, dass heute noch zu viele Vorschriften die Aufnahme eines Kindes in eine Familie erschwerten. „Man sollte es der Verwaltung und den Pflegeeltern leichter machen. Viele Vorschriften sind einfach überflüssig.“152 Zum Abschied versprach der Gast aus der Bundeshauptstadt Bonn an d iesem 7. Januar 1969: „Ich werde die Erfahrungen, die ich hier gesammelt habe, bei der Novellierung des Jugendwohlfahrtsrechtes mit verwerten.“153 Wichtig sei ihr der Kontakt mit der Praxis, „sonst laufen wir Gefahr, rein theoretisch zu entscheiden“,154 betonte die Ministerin.
5.12 Nochmals eine Suche nach Personal 1966, ein Jahr nach dem Übergang in die „weltliche“ Leitung, hatte das Heim genug Personal; es war nun sogar „nach überwundenen Anfangsschwierigkeiten ideal besetzt“.155 Diese vorteilhafte Personalsituation änderte sich jedoch knapp vier Jahre später. Am 21. Januar 1970 meldete der Kölner Stadt-Anzeiger „Schlechte Nachrichten aus Brühl“, das Kinderheim befinde sich „in der Klemme“. Als Ursache für die zunehmend kritische Situation sei „die ungenügende personelle Besetzung der wichtigen Posten“. Auch die Kölnische Rundschau berichtete kurz darauf, dass OKD Dr. Gierden erneut eine „völlige Aufnahmesperre“ im Kreiskinderheim anordnen musste. Eine „hohe Fluktuation“ hatte es seit 1965 immer schon gegeben, aber „so kritisch wie jetzt war die Personalsituation noch nie“.156 Gründe dafür lagen offenbar nicht allein in der Vergütung, sondern auch darin, dass aufgrund der spezifischen Konzeption d ieses Kinderheims (Betreuung in Familiengruppen) kein Schichtdienst möglich war, und Überstunden, wenn auch bezahlt, waren aufgrund des immer wieder auftretenden Personalmangels keine Seltenheit. Manche Mitarbeiterinnen verließen das Heim, weil sie heiraten und eine eigene Familie gründen wollten. Obwohl die aktuellen Gegebenheiten sehr prekär waren, wurde zu d iesem Zeitpunkt von der Heimleitung keinesfalls der Vorschlag von Dr. Gierden in Erwägung gezogen, eine der fünf Gruppen aufzulösen und die Kinder auf andere Heime zu verteilen, um „Haus Ehrenfried“ wieder funktionstüchtiger zu machen. Dass vielmehr alle fünf Gruppen mit je etwa zwölf Kindern bestehen bleiben 152 Kölnische Rundschau, 10. Januar 1969. 153 Neue Rhein Zeitung (N. R. Z.), 8. Januar 1969. 154 Kölnische Rundschau, 10. Januar 1969. 155 So beschrieben in einem Rückblick in der Kölnischen Rundschau, 31. Januar 1970. 156 Kölnische Rundschau, 31. Januar 1970.
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konnten, war „dem starken Einsatz der verbliebenen Kräfte zu danken“,157 betonte die Heimleiterin. Damals lebten 64 Kinder im Alter von eineinhalb bis 16 Jahren im Kreiskinderheim. Jeder der fünf „Familiengruppen“ sollte planmäßig eine Kindergärtnerin als Gruppenleiterin, eine Pflegerin und eine Helferin zur Verfügung stehen. Allerdings fehlten nun eine fest angestellte Kindergärtnerin, eine Kindergärtnerin als „Springerin“ sowie drei Hilfskräfte. So mussten einige Gruppen statt von erfahrenen Kräften von 17-jährigen PraktikantInnen geleitet werden. Hinzu kam, dass eine weitere Hilfskraft und die Wirtschaftsleiterin zum 31. März 1970 gekündigt hatten. Die ungenügende personelle Besetzung löste auch intern Kritik an der Heimleiterin und an Jugendamtsleiter Leo-Herbert Haller aus. Ihnen warf das Personal mangelnde Unterstützung vor. Die Kreisverwaltung entschloss sich, dem Personalnotstand mit Stellenausschreibungen in Tages- und Fachzeitschriften nicht nur im Kölner Raum, sondern bis in die Südeifel und in den Taunus, abzuhelfen und damit eine mögliche personelle „Katastrophe“ im Kinderheim abzuwenden. Auch mithilfe einer farbigen Broschüre warb die Kreisverwaltung im Jahr 1970 um examinierte Kindergärtnerinnen als Gruppenleiterinnen und Kinderpflegerinnen als stellvertretende Gruppenleiterinnen, die Kinder z wischen zwei und 15 Jahren in fünf Familiengruppen mit jeweils elf bis 14 Kinder betreuen sollten. Allerdings gestaltete sich die Suche nach ErzieherInnen – wie auch in anderen Heimen – wiederum als relativ mühsam, nicht zuletzt, weil es noch zu wenige PädagogInnen gab, die gemäß den neuen Vorschriften des JWG ausgebildet und zudem bereit waren, sich den Heimkindern mit der entsprechenden persönlichen Einstellung zu widmen und sich für sie einzusetzen. Das in Heimen zu beobachtende Personalproblem lag nach wie vor wesentlich in dem geringen gesellschaftlichen Ansehen des Berufs „HeimerzieherIn“, der gekennzeichnet war durch schlechte Bezahlung, schlechte Arbeitsbedingungen und eine schlechte Altersversorgung.158 Als attraktiver bewertet wurde eine Stelle, durch die man in eine höhere Tarifeinstufung kommen konnte. Trotz der diversen Initiativen resümierte die Kölnische Rundschau schon am 19. März 1970: „Personalwerbung war für die Katz.“ Im Kreiskinderheim fehlten immer noch vier Pflegerinnen, eine Kindergärtnerin und eine Nachfolgerin für die ausscheidende Wirtschaftsleiterin. Niemand hatte Interesse gezeigt, eine dieser Stellen in Brühl anzutreten.
157 Kölner Stadt-Anzeiger, 13. März 1970. 158 Vgl. dazu: Manfred Kappeler: Die Heimerziehung der 40er- bis 70er-Jahre im Spiegel der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ Diskussionen – Stellungnahmen – Ausblendungen. Eine Studie auf der Grundlage der Bestände des AGJ-Archivs, hgg. von der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ. Berlin 2011, S. 40.
Nochmals eine Suche nach Personal
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Abb. 51 Deckblatt der Broschüre des Kreiskinderheims zur Mitarbeiterwerbung, 1970.
In dieser Situation meldete sich der Caritasverband, der „seinen Wunsch, das Heim in seine Betreuung zu übernehmen“,159 erneut bekundete. Die Befürworter dieses Anliegens argumentierten, es gehe bei einer Umorganisation keinesfalls um Sparmaßnahmen, vielmehr seien „einige grundsätzliche Erwägungen maßgebend, die für solche Heime, die einer Behörde unterstehen, allgemein gelten“. Damit klang bereits an, was ein Jahr später deutlicher nach außen kommuniziert werden sollte: Die Probleme der Kreisverwaltung mit dem Management des Kinderheims. So wurden die Vorteile einer Übernahme durch den Caritasverband aktuell vor allem in der „großzügigeren Handhabung beim Personaleinsatz“ gesehen. Dennoch traf der Vorstoß der Caritas nicht nur auf Befürworter. Die N. R. Z. stellte in ihrem Artikel vom 12. März 1970 die Frage: „Soll die Einrichtung, die sich jahrzehntelang bewährt hat, auf den Kreisverband der ‚Caritas‘ übergehen?“ OKD Dr. Gierden positionierte sich zu d iesem Thema unmissverständlich: „Es bleibt wie bisher.“ In einem Gespräch mit der Kölnischen Rundschau betonte er, dass Gerüchte, nach denen das Kreiskinderheim der Caritas oder einem anderen Wohlfahrtsverband „übergeben“ werden solle, „jeder Grundlage entbehren. Es sind auch keinerlei Verhandlungen in dieser Richtung geführt, noch solche 159 Neue Rhein Zeitung (N. R.Z), 12. März 1970.
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Möglichkeiten in der Kreisverwaltung erwogen worden.“160 Das Brühler Kinderheim werde weiterhin vom Kreis unterhalten. Der Kreisausschuss veröffentlichte zu dieser Frage seine Resolution in der Tagespresse. Wörtlich hieß es: „Der Kreisausschuß des Kreises Köln stellte in seiner Sitzung vom 12. 3. 1970 einmütig fest, daß das Kreiskinderheim des Kreises Köln in Brühl nach wie vor in der Regie des Kreises erhalten und nach besten Kräften auch weiter unterstützt werden soll. Es besteht aus der Sicht des Kreisausschusses nicht die Absicht, d ieses Kreiskinderheim in die Trägerschaft eines freien Wohlfahrtsverbandes zu übertragen.“161 Damit war eine Entscheidung gefällt worden, die jedoch schon bald wieder neu diskutiert werden sollte. Zeitgleich belastete ein weiteres Problem das Heim: Frau Lennartz kündigte ihren Arbeitsvertrag kurzfristig zum 30. Juni 1970 mit der Begründung: „Fünf Jahre sind genug. Wir arbeiten bis zu 14 Stunden am Tag, da möchte man auch mal Schluß machen und sein eigenes Leben leben.“ Sie verwies damit auf die grundlegenden Missstände im Brühler Heim und machte auch keinen Hehl daraus, dass ihrer Meinung nach die Gehälter nicht mehr auf dem neuesten Stand seien und insofern die Mitarbeiter hier schlechter bezahlt würden als in vergleichbaren Einrichtungen, etwa in Michaelshoven. Dort werde u. a. eine Bereitschaftspauschale gezahlt, die das Einkommen der Pflegerinnen, „die keinen Acht-Stunden-Tag kennen und auch nachts bereitstehen müßten“, erheblich aufbessere. Frau Lennartz: „Wir stehen am Schluß der Tabelle.“162 Zu ihrer Entscheidung trug auch bei, dass ihre Stellvertreterin, die Erzieherin E lisabeth Klaffki, inzwischen zu einem Modellkindergarten nach Köln-Weiden gewechselt hatte.163 Wenige Tage später betonte Dr. Gierden, dass in den fünf Jahren seit dem Weggang der Cellitinnen „trotz des augenblicklichen Notstandes […] alles gutgegangen“ sei. In der Kreistagssitzung vom 19. März 1970 wurde zur Verbesserung der Personalsituation und als Anreiz für neue MitarbeiterInnen beschlossen, dass man sich in Zukunft nicht mehr so eng an den Tarifgehältern orientieren wolle. Außerdem sollte eine Überstundenpauschale gezahlt werden.164 Dr. G ierden: „Die Kreisverwaltung ist bemüht, die Probleme zum Vorteil der Beteiligten zu lösen.“ Der Verbesserung in der Besoldung des Personals stimmten nun auch Kreistag und Verwaltung zu.165 160 Kölnische Rundschau, 12. März 1970. 161 Kölner Stadt-Anzeiger, 13. März 1970. 162 Kölner Stadt-Anzeiger, 13. März 1970. 163 Dort leitete Elisabeth Klaffki eine Modelleinrichtung, für die dem Kreis ein Haus zur Verfügung gestellt worden war. Untergebracht wurde dort eine sog. Kinderfamile mit fünf bis sieben Jungen und Mädchen, vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 18. Dezember 1973. 164 Kölnische Rundschau, 19. März 1970. 165 Kölner Stadt-Anzeiger, 20. März 1970.
Erfolgreich: die Suche nach Pflegeeltern
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Durch die Kündigung von Frau Lennartz als Heimleiterin bestand eine weitere Herausforderung darin, zeitnah die pädagogische Leitung des Heims neu zu besetzen. Für diese Stelle kam nach Ansicht von OKD Dr. Gierden diesmal „auch ein Mann“ infrage.166
5.13 Erfolgreich: die Suche nach Pflegeeltern Das Jugendwohlfahrtsgesetz verpflichtete die Kreise, für die Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen (bis zum Alter von 16 Jahren) Sorge zu tragen, falls diese nicht durch die Eltern gewährleistet werden konnte. Minderjährige unter 16 Jahre wurden in einem Heim untergebracht, wenn kein Familienpflegeplatz für sie zur Verfügung stand oder sie dafür aus bestimmten Gründen nicht geeignet waren. Zu den Gründen für eine Aufnahme im Kinderheim zählten bekanntermaßen Notfälle, etwa durch Ausfall des Elternhauses aufgrund von Tod oder Krankheit, unvollständige Familien, Problemfamilien, d. h. sozial- und erziehungsschwache oder -unfähige Eltern, auch aufgrund von Überforderung oder Suchterkrankungen (Alkohol, Drogen) der Eltern bzw. eines Elternteils, allgemeine Unterversorgung und Vernachlässigung der Kinder, Verdacht auf Gewalt und Misshandlung bis hin zum Verlassen der Kinder, was häufig zum Entzug des Sorgerechtes führte; nicht zuletzt Entwicklungs- und Erziehungsschwierigkeiten der Kinder. Das Jugendamt war verpflichtet, Minderjährige bei drohenden Gefahren, Gewalt oder Vernachlässigung aus ihren Familien und in Obhut zu nehmen, die so lange bestehen bliebe, bis eine Lösung der Problemsituation gefunden wäre. Im Vergleich zur Unterbringung in einem Heim wirkte sich die Unterbringung in einer Pflegefamilie kostenmäßig durchaus günstiger aus: Die Unterbringung im Heim war durchschnittlich rund 2,5- bis 3-fach teurer als die Unterbringung in einer Pflegefamilie. Dieser Umstand trug neben anderen Überlegungen dazu bei, dass Stadt und Kreis Köln am 17. Februar 1970 parallel zur Werbeaktion für neue Mitarbeiter im „Haus Ehrenfried“ eine weitere gemeinsame große Werbeaktion starteten, um Pflegeeltern für Kinder und Jugendliche zu finden, die ansonsten im Heim leben müssten. Eine Heimunterbringung sollte nach Möglichkeit vermieden werden, denn: „Untersuchungen haben ergeben, daß auch das am besten geführte Heim den Kindern nicht die Liebe vermitteln kann, die es von den Eltern erwartet und im Normalfall auch erhält.“167 Unter dem Motto „Wir nehmen ein Pflegekind – Kinder bringen Glück ins Haus“ brachte das Kreisjugendamt eine Broschüre mit erzieherischen, psychologischen und 166 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 20. März 1970; Kölnische Rundschau, 19. März 1970. 167 Kölnische Rundschau, 19. Februar 1970.
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juristischen Ratschlägen für Pflegeeltern heraus. Zusätzlich wurde mit Plakaten und Handzetteln, die u. a. Listen von niedergelassenen Ärzten, von K irchen und Dienststellen aller karitativen Verbände enthielten, auf die Aktion aufmerksam gemacht. Notwendig wurde sie nicht zuletzt, weil im Jahr 1969 sowohl in der Stadt Köln als auch im Kreisgebiet lediglich für etwas mehr als die Hälfte der Kinder, die für ein Pflegestelle infrage kamen, neue Eltern gefunden werden konnten. Anders als die Suche nach Personal für das Kreiskinderheim konnte im Mai 1970 von einem ersten Erfolg dieser Aktion berichtet werden:168 Bis dahin hatten sich 20 Pflegeeltern gemeldet. 1967 waren 289 Kinder im Landkreis Köln in Heimen und 277 in Familien untergebracht gewesen, 1968 war die Zahl der Pflegekinder in Familien, die vom Jugendamt die Genehmigung (gem. § 28 JWG) dazu erhalten hatten, auf 309 angestiegen, während 305 Kinder in Heimen lebten. Zu Beginn des Jahres 1970 befanden sich 221 Kinder in Heimen und 317 Kinder in Familienpflege. Demnach nahm die Zahl der Pflegestellen im Kreis Köln ständig zu, während die der Kinder in Heimen abnahm. Eine im Jahr 2010 durchgeführte Studie des LVR-Landesjugendamts bestätigte den damaligen Trend: Waren 1952 12.312 Minderjährige in öffentlicher Erziehung, waren es 1974 nur noch 5.143. Diese Entwicklung spiegelt eine zunehmend kritische Haltung gegenüber der öffentlichen Erziehung, die sich mit dem Wendejahr 1968 durchsetzte, wodurch öffentliche Erziehung nur noch zurückhaltend angeordnet wurde.169
1968 kostete jedes im „Haus Ehrenfried“ untergebrachte Kind den Landkreis Köln einschließlich einer Kleiderpauschale 32,90 DM pro Tag (987,00 DM pro Monat). Der Kreistag beschloss damals aufgrund einer für den Etat 1969 aufgestellten Pflegesatzberechnung, den Tagessatz auf 30,00 DM (900,00 DM pro Monat) festzulegen.170 Fünf Jahre später bezahlte der Kreis 1.000,00 bis 2.000,00 DM pro Heimkind/ Monat, d. h. 34,00 bis 67,00 DM pro Tag. Eine Pflegemutter erhielt 350,00 DM pro Monat; ab Januar 1974 betrug der Satz 425,00 DM pro Monat (14,20 DM pro Tag).171 Nach den Ausführungen der Organisationsabteilung im Hauptamt der Kreisverwaltung Köln vom Oktober 1972 stellte sich die Relation Kinder in Familienpflege vs. Kinder in Heimpflege folgendermaßen dar (Stand: 20. Juni 1972):172 168 Kölnische Rundschau, 9. Mai 1970. 169 Landschaftsverband Rheinland, LVR-Landesjugendamt (Hg.): Verspätete Modernisierung. Öffentliche Erziehung im Rheinland – Geschichte der Heimerziehung in Verantwortung des Landesjugendamtes Rheinland (1945 – 1972). Studie von 2010, S. 13. 170 Vgl. Kölnische Rundschau, 16. Dezember 1968. 171 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 10./11. November 1973 und 14. Dezember 1973. 172 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3168.
Erfolgreich: die Suche nach Pflegeeltern
Familienpflege
Heimpflege
Anzahl Kinder
Anzahl Kinder
1967
277
289
1968
309
305
Jahr
1969
317
221
1970
386
174
1971
342
161
1972
367
193
187
Diese Zahlen entsprachen dem Anliegen, „öffentliche Erziehung nur noch zurückhaltend anzuordnen“. Folglich sollte auch die Aufenthaltsdauer im Heim für die betroffenen Kinder so kurz wie möglich bemessen werden. Damit verbunden war das Ziel, die Kinder entweder in ihre Ursprungsfamilien zurückzuführen, oder, wenn dies als ausgeschlossen angesehen werden musste, sie in Pflegefamilien unterzubringen. Die Aufnahme eines Kindes bedeutet sowohl für Pflegefamilien als auch für Pflegekinder eine große Umstellung, und nicht jeder Pflegefamilie gelingt es, die mit der neuen Situation verbundene Aufgabe zu bewältigen. Ebenso sind nicht alle Kinder, die außerhalb der Ursprungsfamilie untergebracht werden, für eine Adoption geeignet: Pflegekinder sind nicht selten durch ihre Erlebnisse in der Vergangenheit traumatisiert, sind verhaltensauffällig und therapiebedürftig. So werden rd. 25 % der Pflegeverhältnisse vorzeitig abgebrochen.173 Aufgrund des Mangels an passenden Heimplätzen richtete der Kreis (seit 1975: Erftkreis) im Jahr 1976 sonderpädagogische Pflegestellen ein, da sie finanziell deutlich günstiger waren als Heimplätze mit einem monatlichen Kosten aufwand von 1.530,00 DM. Demgegenüber wurde der monatliche Pflegesatz für die privaten sonderpädagogischen Pflegestellen auf 750,00 DM festgesetzt. „Im Schnitt bedarf es einer halbjährigen Vorbereitungszeit, um diese Kinder in Familien einzugliedern.“174 Die aufnahmebereiten Familien wurden nach verbindlichen Richtlinien auf ihre Eignung überprüft. Bekannt geworden sind allerdings auch Fälle, bei denen das Jugendamt etwa Signale für Vernachlässigung der in einer Pflegefamilie untergebrachten Kinder übersehen hat.175 Die Diskussion um die Frage, ob Pflegestellen gegenüber einer Unterbringung im Heim zu bevorzugen sind, zieht sich durch die gesamte Geschichte der 173 Vgl. dazu: Jürgen Blandow: Pflegekinder und ihre Familie. Geschichte, Situation und Perspek tiven des Pflegekinderwesens. Weinheim/München 2004. Schon 1972 behandelte Blandow dieses Thema: Jürgen Blandow: Rollendiskrepanzen in der Pflegefamilie: Analyse einer sozialpädagogischen Institution. München 1972. 174 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 25. März 1976. 175 Eine „Ehemalige“ aus „Haus Ehrenfried“ berichtete mir, dass sie nach der Entlassung aus dem Heim bei ihrer Mutter untergebracht wurde und das Jugendamt die dortigen Umstände (so etwa schwere Misshandlung durch die Mutter) nicht bemerkt habe.
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„Fremderziehung“.176 Vorherrschend war die Meinung, Kinder s eien in Pflegefamilien besser aufgehoben, da ihnen dort die leiblichen Eltern besser ersetzt werden könnten. Doch zeigte sich stets, dass es auf den jeweils individuellen Fall ankommt, ob die Unterbringung bei Pflegeeltern oder einem Kinderheim die bessere Alternative ist. Schon im Jahr 1917 hieß es dazu – eben nicht zum ersten Mal: „Zur Prinzipienfrage eignet sich die Frage, ob Anstalts- oder Familienpflege vorzuziehen ist, überhaupt nicht; nur für eine einzelne Person kann die Frage entschieden werden, welche Form der Erziehung vorzuziehen ist.“177
5.14 Jakob Sonntag: von höchster Stelle ausgezeichnet 1968, gut zwei Jahre nach seiner Verabschiedung in den Ruhestand, wurde Jakob Sonntag von Bundespräsident Heinrich Lübke die „Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“ verliehen. Der Oberkreisdirektor des Landkreises Köln, Dr. Karlheinz Gierden, hatte die Anregung zu dieser Auszeichnung unterstützt. In der Begründung bzw. in der Ansprache hieß es: Herr Kreisamtmann a. D. Jakob Sonntag, der bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Oktober 1965 in verantwortlicher Stellung beim Jugendamt des Landkreises Köln, zuletzt als dessen Leiter, tätig war, hat in fast 30-jähriger Tätigkeit maßgeblichen Anteil am Aufbau und an der Ausweitung der Jugendhilfe im Kreisbereich genommen. Er hat sich während dieser Zeit über die Erfüllung seiner allgemeinen Dienstpflichten hinaus in anerkennenswerter Weise für die Belange gefährdeter Kinder und Jugendlicher eingesetzt. Seine besonderen Bemühungen galten den Waisen. Seine Verdienste um die Einrichtung des Kreiswaisenhauses „Haus Ehrenfried“ in Brauweiler und eines Kreiskinderheimes in Brühl sind besonders hervorzuheben. Auch nach seiner Versetzung in den Ruhestand halten zahlreiche junge Leute ihre Verbindung mit Herrn Sonntag aufrecht; ihnen steht er auch heute noch mit Rat und Tat zur Seite. Durch die heutige Aushändigung der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundes republik Deutschland soll das langjährige vorbildliche Wirken von Herrn Sonntag auf dem Gebiete der Jugendhilfe in gerechter Weise gewürdigt werden.178
Die Übergabe fand im Rahmen eines kleinen Festaktes im kleinen Sitzungssaal des Kreishauses in Köln, St.-Apern-Straße 21, statt. Anwesend waren etwa 30 von Jakob Sonntag ausgewählte Gäste. Dazu zählten u. a. Mitglieder des Kreis jugendwohlfahrtsausschusses, der stellvertretende Oberkreisdirektor; Leo-Herbert 176 Vgl. Josef Maria Niederberger (1997). 177 Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht Berlin (Hg.): Kleinkinderfürsorge. Einführung in ihr Wesen und ihre Aufgaben. Berlin 1917, S. 117. 178 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/2178.
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Haller, Leiter des Jugendamts; Brühls Oberpfarrer Phillip Lehnen in Vertretung für Kreisdechant Heinrich Kreutzberg; Vertreter des Kreiscaritasverbandes; zwei Kreisjugendpfleger sowie Bedienstete des Jugendamts. Auch Frau Lennartz, die Leiterin des Kreiskinderheims, mit weiteren Mitarbeitern des Heims und der Jugendburg Dattenberg, stand auf der Gästeliste, außerdem ein inzwischen 22-jähriges ehemaliges Heimkind, das sich „Haus Ehrenfried“ immer noch verbunden fühlte: Der junge Mann war seit seinem vierten Lebensjahr und bis zur Entlassung im Alter von 14 Jahren dort untergebracht gewesen, und Jakob Sonntag hatte ihn in dieser Zeit als Amtsvormund betreut. Oberin Bonifatia, die nicht an der Verleihung teilnehmen konnte, würdigte in ihrer Absage, die sie schriftlich an Landrat Joseph Hürten richtete, Jakob Sonntags Leistung: Aus Ihrer Einladung, für die ich Ihnen sehr danke, ersehe ich, dass meinem alten verehrten Chef, Jakob Sonntag, eine grosse Ehrung zuteil wird. Ich glaube, er hat sie auch verdient. Denn der neue Aufbau nach den schweren Kriegsjahren war nicht leicht. Das Kreisjugendamt zu dem zu führen, was es vielleicht heute ist, war seine Sendung und er wusste auch, dass diese schwer war. […] In Verbundenheit bin ich in Dankbarkeit Ihre ergebene Schw. Bonifatia.179
5.15 Ein neuer Heimleiter und „frischer Wind“ in „Haus Ehrenfried“ In der Phase des Personalnotstands im Brühler „Haus Ehrenfried“ und der Suche nach qualifizierten und passenden Mitarbeitern, die zu Beginn des Jahres 1970 wieder einmal überaus dringend geworden war, hatte die Heimleiterin ihren Dienst auf eigenen Wunsch am 30. Juni 1970 beendet. OKD Gierden hatte schon nach ihrem Kündigungsschreiben im März 1970 die Absicht geäußert, die frei werdende Stelle der pädagogischen Heimleitung vorzugsweise einem männlichen Bewerber zu übertragen. Unter den Bewerbern ausgewählt wurde der Sozial- und Heilpädagoge Siegfried Hölker, der nach nur vierwöchiger Vakanz im „Haus Ehrenfried“ die Arbeit am 1. August 1970 aufnahm. Es war eine von revolutionären Umbrüchen gekennzeichnete Zeit, auch bezogen auf Situation und Standards der aktuellen Heimerziehung. Kritische Fachbeiträge machten auf die Lebensbedingungen und die häufig mangelhaften Sozialisationschancen von Heimkindern aufmerksam. Mit der Studentenbewegung der 1960er Jahre hatten die Diskussionen über verkrustete Strukturen in der deutschen Gesellschaft eine breite Öffentlichkeit erreicht. Als Wegbereiterin für eine radikale Kritik an den Verhältnissen in 179 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/2178.
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Kinder- und Jugendheimen gilt Ulrike Meinhof 180, die zusammen mit Andreas Baader aufsehenerregende Aktionen gegen die Zustände in bundesdeutschen Erziehungsheimen durchführte. Seit 1969 engagierte sie sich in der „Heimkampagne“ der Außerparlamentarische Opposition (APO ), die dazu beitrug, auf Missstände in diesen Erziehungssystemen hinzuweisen. Angeprangert wurde, dass die in Heimen untergebrachten Kinder und Jugendlichen von der Gesellschaft als Außenseiter betrachtet wurden und dass es das System der Fürsorgeerziehung selbst war, das Ausgrenzung, Disziplinierung und Unterdrückung erzeugte. Siegfried Hölker, der ehemalige Heimleiter im Brühler „Haus Ehrenfried“, berichtete mir im Rahmen meiner Recherche, dass sich auch vor „Haus Ehrenfried“ Gruppen versammelten und den Schlachtruf der Heimkampagne – „Holt die Kinder aus den Heimen!“ – skandierten. Die verschärfte Kritik an ungeeigneten, repressiven und willkürlichen Erziehungsmethoden und das Bekanntwerden von Skandalen öffnete den Weg zu effektiven Veränderungen. Nach und nach wurde nun die Erziehungsarbeit reformiert, wurden Heimkonzeptionen korrigiert und somit Bedingungen in den Heimen dauerhaft verbessert. Manche Heime wurden sogar für immer geschlossen. Es verging allerdings meist noch einige Zeit, bis der Erziehungsstil der Nachkriegszeit endgültig aus den Mauern der Kinderheime verschwunden war. Auch an „Haus Ehrenfried“ ging der Zeitgeist nicht spurlos vorüber: Angesagt war nun eine zeitgemäße, fortschrittliche Erziehungsarbeit. Der neue Heimleiter veranlasste sehr schnell konzeptionelle Veränderungen und damit eine Neuausrichtung der erzieherischen Arbeit. Zu Beginn seiner Tätigkeit im August 1970 war es für Herrn Hölker offensichtlich, dass die „Modernisierung“, die OKD Dr. Gierden und der als sehr progressiv bekannte Kreisjugendamtsleiter Leo-Herbert Haller nach dem Weggang der Cellitinnen angekündigt hatten, bisher nur teilweise umgesetzt worden war. Zwar waren damals Renovierungsarbeiten an dem Gebäudekomplex vorgenommen worden, und neben den fünf „Familiengruppen“ war eine Aufnahmegruppe gebildet worden, aber ein wirklich „frischer Wind“181 fehlte bislang im Heim, denn die Kinder wurden durchaus noch nicht „nach modernsten pädagogischen Gesichtspunkten betreut“, wie Kreisinspektor Haller im September 1965 optimistisch prognostiziert hatte. Eine ehemalige Heimbewohnerin erinnerte sich vielmehr daran, dass sich der Übergang von den Ordensschwestern zur ersten
180 Die Journalistin und spätere RAF-Terroristin Ulrike Meinhof (1934 – 1976) wurde Ende der 1960er Jahre mit der Recherche für das Drehbuch des Films „Bambule“ (1970) beauftragt, in dem die autoritären Erziehungsmethoden in einem Fürsorgeerziehungs-Mädchenheim kritisiert werden. Im Verlauf des Films veranstalten die Heiminsassinnen ein Revolte gegen diese unterdrückenden Strukturen. 181 „Frischer Wind im Kinderheim“ – so titelte der Kölner Stadt-Anzeiger am 12. September 1965 seinen Beitrag über „Haus Ehrenfried“.
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weltlichen Heimleitung weder im Erziehungsstil, noch in einer Veränderung der häuslichen Atmosphäre bemerkbar gemacht hatte. Unter diesen Umständen erkannte der Heimleiter grundsätzlichen Handlungsbedarf vorrangig darin, auf die Sorgen und Bedürfnisse der Kinder, die vielfach aus sozialen Brennpunkten oder zumindest aus sozial sehr problematischen Familienverhältnissen kamen, besser eingehen zu können. Zum veränderten Konzept gehörte gleichfalls, Koedukation in allen Gruppen zu praktizieren; Vierbettzimmer wurden abgeschafft, in der Regel erfolgte eine Reduzierung der Bettenanzahl auf zwei bis maximal drei Betten pro Zimmer. Die hauseigene Kapelle, in der unter der Leitung der Cellitinnen täglich Betstunden abgehalten worden waren, wurde aufgehoben und umgenutzt. Hölker gelang es, auch männliche Erzieher und Praktikanten anzuwerben. Dies war ebenfalls Bestandteil der Neukonzeption, da „Haus Ehrenfried“ von Beginn an ausschließlich von weiblichen Erziehungskräften betreut worden war. Der Heimleiter öffnete das Heim nach außen: Regelungen zum Thema „Ausgang“ der Kinder und Jugendlichen wurden neu getroffen, wodurch die Kontaktmöglichkeiten der Heimkinder ausgedehnt werden konnten. Selbstverständlich waren dazu differenzierte Absprachen und Entscheidungen in jedem Einzelfall erforderlich. Dazu zählte eine gründlich ausgearbeitete Beurteilung des Entwicklungs- und Reifezustands des jeweiligen Kindes bzw. Jugendlichen sowie seines Sozialverhaltens. Was die Besuche im Heim betraf, war der Kontakt zu den Eltern, sofern erwünscht, weiterhin nach Absprache und den erforderlichen Vorbereitungen in den Räumlichkeiten des Kinderheims möglich. Anders als bisher durften jetzt sowohl Familienmitglieder wie auch Freunde bis in die Gruppenräume kommen. Ein weiteres dezidiertes Ziel des Heimleiters war es, die Kinder möglichst in ihre Ursprungsfamilien zurückzuführen. Die Frage nach der jeweils passenden Schule für die Kinder und Jugendlichen wurde ebenfalls überarbeitet. In diesem Zusammenhang wurde der Förderbedarf neu eingeschätzt und den hilfsbedürftigen Schülern z. B. Nachhilfestunden angeboten. Gefördert wurde auch der Zugang z. B. zu Sportvereinen. Von Vorteil für Hölkers Pläne war die finanzielle Ausstattung des Landkreises Köln, die sich günstig auf die Haushaltslage des Kreiskinderheims auswirkte. Und da der Heimleiter die bereits im Jahr 1965 als optimal definierte Obergrenze von insgesamt 65 Kindern einhielt bzw. sogar auf eine durchschnittliche Belegung von 40 – 45 Kindern kam, reichten die Gelder zunächst aus, um auch einem großen Teil der Heimkinder, etwa zwei Drittel, beispielsweise die Teilnahme an Ferienmaßnahmen des katholischen Jugendferienwerks zu ermöglichen. Kindern und Jugendlichen, die für diese Gruppenreisen aufgrund ihrer Persönlichkeitsproblematiken nicht geeignet waren, wurden – in überschaubar kleinen Gruppen – Ferienreisen angeboten, die der Heimleiter persönlich betreute, unterstützt von weiteren Mitarbeitern. Ein beliebtes Ziel war etwa das „Kölner Haus“ bei Serfaus/Tirol in Österreich, das dann für drei Wochen gebucht wurde.
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Abb. 52 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „In der gemütlich eingerichteten Bibliothek, die mit Unterhaltungsliteratur und guten Fachbüchern ausgestattet ist, finden regelmäßig Fortbildungsgespräche mit Schulräten, Ärzten, Psychologen u. a. statt.“
5.16 Kritik an Kosten und am pädagogischen Konzept Die Neukonzeption stieß nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. „Geht’s im Kinderheim drunter und drüber?“, titelte die Kölnische Rundschau am 4. Dezember 1971. Der FDP-Kreisvorsitzende Walter Klein hatte wenige Tage vorher in der Kreistagssitzung bemängelt: „Eine extrem antiautoritäre Erziehungsmethode und die damit verbundenen katastrophalen Folgen, die inzwischen […] im Kreiskinderheim Ehrenfried in Brühl als Verwahrlosungserscheinungen innerhalb der Jugend auftreten, sind eine soziale Perversion.“182 Die massive Kritik, die Walter Klein an der pädagogischen Situation im Kreiskinderheim übte, richtete sich primär gegen den Heimleiter, der sich in seinen Auffassungen vom konservativ geprägten Erziehungsstil unterschied, der bis vor gut 16 Monaten im „Haus Ehrenfried“ vorherrschend gewesen war. Dementsprechend kommentierte die Tagespresse, Hölker habe „dem strengen Erziehungsprinzip seiner Vorgängerin einen Stil entgegengesetzt, in dem Freiheit und damit verbundenes Verantwortungsgefühl großgeschrieben werden“.183 Erziehungsarbeit 182 Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Dezember 1971. 183 Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Dezember 1971. Daraus auch die folgenden Zitate.
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setze in Heimen schon aus rein organisatorischen Gründen eine gewisse Freiheitsbeschränkung voraus, erläuterte Hölker sein Konzept. Kreisjugendfürsorger Werner Groppe widersprach den Ausführungen des FDP-Sprechers Walter Klein bezüglich der angeblich „extrem antiautoritären Erziehung“ mit ihren „katastrophalen Folgen“ und verteidigte den Erziehungsstil des neuen Heimleiters. Er hob hervor, dass im Kinderheim „inzwischen modernere, repressionsarme Erziehungsmethoden“ angewandt würden, und dazu gehöre, dass nicht nur mit Verboten „gearbeitet“ würde. Nachbarn hätten spontan erklärt, seitdem Siegfried Hölker die Leitung übernommen habe, sei im Kinderheim „ein neuer guter Geist eingekehrt. Die Kinder können wieder lachen.“ Groppe zeigte andererseits Verständnis für den Eindruck, die mit den Reformen verbundenen neuen Freiheiten seien etwas plötzlich gekommen und hätten die Kinder offenbar dazu verführt, vorübergehend mal über die Stränge zu schlagen. „Es gab Ärger. Heimkinder wurden als Automatenknacker entlarvt, brachen nachts in die Küche ein und zogen sich den Ärger der Brühler Bevölkerung zu.“ Der Heimleiter konnte während dieser Aufzählung ganz gelassen bleiben, denn es wurde deutlich gemacht, dass diese Begebenheiten, die sich nur zu Beginn seiner Dienstzeit im Heim zugetragen hatten, Episoden geblieben waren – wenn auch durchaus ärgerliche. Hölker stellte klar: „Das sind Vorfälle, die ein Jahr zurück liegen. Dank einer guten und konsequenten Teamarbeit haben wir derartige Ausfälle auffangen können.“ Kreisjugendfürsorger Werner Groppe zeigte in Anbetracht der aktuellen Situation völlige Übereinstimmung mit dem Heimleiter: „Früher wurde hier mit harter Hand regiert. Von Anarchie im Heim kann keine Rede sein.“ 1970 lebten 42 Kinder im Heim und wurden von zehn pädagogischen Fachkräften (Heimleiter, eine Kindergärtnerin, eine Heimerzieherin, drei Kinderpflegerinnen, vier JahrespraktikantInnen) betreut. In Verwaltung und Hauswirtschaft waren sieben Ganztagskräfte beschäftigt, zusätzlich 15 Halbtagskräfte für die Hauswirtschaft. 1972 waren dort 45 Kinder im Alter von eineinhalb bis 15 Jahren in vier koedukativen Gruppen untergebracht. Außer einem einzigen Waisenkind kamen die übrigen Kinder teilweise aus asozialen Verhältnissen, aus zerbrochenen Ehen, wurden im Elternhaus misshandelt, oder die Eltern „kamen mit ihnen nicht mehr zurecht“. Die Hälfte der Kinder war lernbehindert, einige geistig nur schwach entwickelt, viele litten unter Konzentrationsschwächen. 15 Kinder, also ein Drittel, wurde bereits vom kreiseigenen Institut für Psychohygiene behandelt. Daher formulierte die Tagespresse, „Haus Ehrenfried“ sei Heimstatt für die „negative Auslese“184 – ein unzutreffendes und zudem unqualifiziertes Urteil, das keinesfalls förderlich war für das Ansehen des Heims. Die Personalsituation im Heim war zwar ausreichend für die Betreuung der vier Gruppen; um eine weitere Gruppe bilden zu können, hätte man jedoch zwei 184 Vgl. Kölnische Rundschau, 12. Februar 1972.
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weitere Kindergärtnerinnen beschäftigen müssen. Doch selbst diese personelle Aufstockung wäre nach Ansicht von Hölker und Groppe letztlich nicht ausreichend gewesen. Sie hatten gehofft, dass das Kreiskinderheim über kurz oder lang in ein heilpädagogisches Heim umgewandelt würde, denn sie waren überzeugt: „Nur dann kann man sich um diese schwierigen Kinder wirklich kümmern“. Drei qualifizierte Fachkräfte würden Gruppen mit sechs bis acht Kindern betreuen, zusätzlich müsste ein Psychologe für die Kinder und die Erzieher zur Verfügung stehen. Damals bot Hölker bereits täglich in seinem Büro eine „Sprechstunde“ an, um sich den Sorgen und Bedürfnissen der Kinder widmen zu können. Sie wurde auch angenommen und stark frequentiert, doch war die Zeit, die dafür eigentlich erforderlich gewesen wäre, immer zu knapp. Der Kreisvorsitzende Walter Klein äußerte nicht nur Kritik an Hölkers Erziehungsmethoden, sondern forderte in der Kreistagssitzung indirekt dazu auf, das Kinderheim auch wegen der „extrem hohen Kosten“ abzustoßen,185 und lieferte damit erneuten Zündstoff für eine mögliche Lösung, die Anfang 1970 bereits angedacht worden war. Für 1972 waren laut Haushaltsplan Kosten in Höhe von 1,2 Millionen DM veranschlagt; eine halbe Million war als Zuschussbedarf ausgewiesen. Der Pflegesatz pro Kind betrug 900,00 DM monatlich bzw. 35,00 DM pro Tag (für 42 Kinder = 37.800,00 DM pro Monat/453.600,00 DM pro Jahr); hinzu kamen die Personalkosten, die im Etat mit 780.300,00 DM angegeben waren, insgesamt handelte es sich also um rd. 1.234.000,00 DM.186 Dennoch verwahrte sich das Kreisjugendamt gegen den Vorwurf, unwirtschaftlich zu arbeiten: „Im Vergleich zu anderen Kinderheimen sind wir ausgesprochen billig.“187 Der Personalmangel hatte allerdings dazu geführt, dass vor kurzem doch eine Gruppe geschlossen werden musste und diese Kinder in umliegenden Kinderheimen untergebracht wurden. Für sie kam der Kreis nach wie vor finanziell auf, ohne dabei kostengünstiger arbeiten zu können: Die Pflegesätze von sieben in der Umgebung liegenden Kinderheimen lagen z wischen 30,00 und 35,00 DM, drei andere Heime verlangten mehr als 40,00 DM, vier Heime über 45,00 DM, eines mehr als 55,00 DM und zwei mehr als 70,00 DM. Somit stellte sich die Finanzierung des Kreiskinderheims in Brühl dar als „Teuer – aber billiger als die anderen“.188 Aufgrund seines Missfallens gegenüber dem neuen Erziehungsstil im „Haus Ehrenfried“ und wegen der hohen Kosten plädierte Walter Klein dafür, die Heimkinder in privaten Pflegestellen unterzubringen, wo sie den Kreis nur 300,00 DM pro Monat kosten würden. Dem konnte jedoch entgegengehalten werden, dass 185 Kölnische Rundschau, 4. Dezember 1971. 186 Kölnische Rundschau, 4. Dezember 1971. 187 Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Dezember 1971. 188 Schlagzeile im Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Dezember 1971.
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zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwei Drittel der Kinder, für die der Kreis eine Unterbringung finanzierte, in Familienpflege lebten. Beachtet werden musste auch, dass nicht alle „elternlosen“ Kinder in Pflegefamilien betreut werden konnten. „99 Prozent der Kinder aus Brühl können von Normalfamilien nicht verkraftet werden“,189 vielmehr bräuchten sie eine fachliche Betreuung, die die Pflegefamilien nicht leisten können. Daher sei der Wunsch, allen Kindern ein Leben in einer Pflegefamilie bieten zu können, nicht realisierbar.190 Die Einwände gegen die Beibehaltung des Kreiskinderheims blieben nicht ungehört. So verbreitete sich bald erneut das Gerücht, der Oberkreisdirektor „habe bereits mit dem Caritas-Verband als eventuellem neuem Träger des Kreiskinder heims Verhandlungen aufgenommen“. Dr. Gierden dementierte dies nicht,191 vielmehr gab die Kreisverwaltung zu, mit dem Kinderheim überfordert zu sein.192 Diese Feststellung bezog sich nicht nur auf die finanzielle, sondern auch auf die organisatorische und pädagogische Belastung. Noch knapp zwei Jahre zuvor hatte sich der Kreisausschuss dezidiert gegen eine Übernahme des Kinderheims durch einen anderen Träger, etwa den Caritas verband, ausgesprochen. Nachdem während der Kreistagssitzung im Dezember 1971 lediglich der FDPKreisvorsitzende Walter Klein mit großem Nachdruck Kritik an den Umständen im Kreiskinderheim geäußert hatte, wurde wenige Wochen später offensichtlich, dass nicht nur die FDP von dem Kinderheim Abstand nehmen wollte: „Die Kritik am Kreiskinderheim ging durch alle Fraktionen.“193 So waren es die Kreisvertreter, die den Anstoß zu den Verhandlungen gaben, während Kreisjugendfürsorger Werner Groppe trat entschieden dafür ein, „der Kreis müsste das Heim behalten. Er muss die Möglichkeit haben, hier auch Notfälle unterzubringen.“ Der Kölner Stadt-Anzeiger formulierte, nicht ohne kritischen Unterton: „Mit dem stillen Einverständnis des Kreistages will sich die Kreisverwaltung des Kreiskinderheims ‚Haus Ehrenfried‘ in Brühl entledigen. Dr. Karlheinz Gierden verhandelt zur Zeit mit dem Generalvikariat, doch sind diese Verhandlungen ‚noch nicht von der Stelle gekommen‘ (Gierden).“194 Der Verwaltungschef schloss inzwischen einen Verkauf der Brühler Einrichtung jedenfalls nicht aus, „wenn überhaupt jemand Geld dafür gibt“. Mit dem Zusatz ließ er keinen Zweifel daran, wie er selber die Situation und die Leistung des Heims einschätzte. Doch sei die Kostenfrage lediglich der Auslöser für die Bemühungen, sich von dem Heim zu trennen, und um „Abschiebung“ gehe es dabei keinesfalls, stellte Dr. Gierden den Sachverhalt klar und führte aus, schon Walter Klein habe behauptet, 189 Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Dezember 1971. 190 Kölnische Rundschau, 4. Dezember 1971. 191 Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Dezember 1971. 192 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 22. März 1972. 193 Kölnische Rundschau, 12. Februar 1972. 194 Kölner Stadt-Anzeiger, 27. Januar 1972.
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der Erfolg des Kreiskinderheims sei „besonders für die betroffenen Kinder sehr zweifelhaft“. Deshalb sei hier „jede Initiative zu begrüßen, die den Kreis von einer Aufgabe entbinden kann, der er nicht gewachsen ist“.195 Auch Dr. Gierden war also überzeugt, „dass eine Kreisverwaltung mit ziemlicher Sicherheit bei einer solchen Erziehungsaufgabe überfordert ist. Eine Organisation wie die Caritas, die viele solcher Heime unterhält, hat ein ganz anderes Personalpolster. Für uns bedeutet der Weggang einer Kindergärtnerin eine Katastrophe. Die Caritas kann aus anderen Heimen die Lücke füllen.“196 Jakob Sonntag, 2. Vorsitzender des Kreis-Caritasverbandes und bis 1965 Leiter des Kreisjugendamts, hatte derweil bereits das Kinderheim und das Kreisjugendamt besucht, um dort Unterlagen und Informationen für mögliche Verhandlungen in Empfang zu nehmen. Dies wurde als Indiz für ein ernsthaftes Interesse der Caritas an einer Übernahme von „Haus Ehrenfried“ gedeutet. Schon kurze Zeit später titelte die Kölnische Rundschau: „Caritas will das Kinderheim übernehmen.“197 Kreisdechant Joseph Stoffels, Vorsitzender des Kreis-Caritasverbandes, bestätigte diese Bereitschaft; das Generalvikariat hatte schon einige Tage vorher die Genehmigung erteilt. „Wo es um Kinder geht, müssen wir helfen.“ Joseph Stoffels stand auf der Seite der Kritiker und vertrat die Auffassung, dass in Brühl „nicht alles so gelaufen ist, wie es in einem gut geführten Heim hätte sein sollen“, dabei wies er auf den Personalmangel im „Haus Ehrenfried“ hin. Zu den Kostenfragen konnte er sich nicht äußern, ging aber davon aus, dass ein freier Wohlfahrtsverband preiswerter wirtschaften könne. Zudem war er sich sicher, dass sich eine Kommune bei der Unterhaltung eines Kreis-Kinderheims nicht so engagieren könne wie ein freier Träger. Als Begründung führte Stoffels an: „Bei der Kommune reden zu viele rein.“ Wenn die Caritas die Leitung übernähme, würde das Heim nach modernen Erziehungsmethoden geführt, und auch Koedukation sei selbstverständlich. Die Caritas werde die Kinder nicht nach ihrer Konfession aussuchen. Für die Heimleitung war man bereits in Verhandlung mit drei interessierten Ehepaaren. Der Heimleiter bzw. die Heimleiterin sollte heilpädagogisch ausgebildet sein und „völlig selbständig“ arbeiten können. Sollte sich die Notwendigkeit ergeben, „Haus Ehrenfried“ in ein heilpädagogisches Heim umzuwandeln, werde sich die Caritas dieser Aufgabe nicht verschließen. Doch bremste Stoffels zu hohe Erwartungen: „Das muß erst einmal überprüft werden. Man kann auch nach der anderen Seite hin übertreiben.“198 Der Oberkreisdirektor war überzeugt, dass das Heim bei der Caritas „in gute Hände“ käme. Der Kreis würde sich in jedem Fall ein Belegungsrecht sichern, 195 Kölner Stadt-Anzeiger, 27. Januar 1972. 196 Kölnische Rundschau, 12. Februar 1972. 197 Kölnische Rundschau, 12. Februar 1972. 198 Vgl. Kölnische Rundschau, 12. Februar 1972.
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um auch „Notfälle“ unterbringen zu können. Er bliebe Eigentümer des Hauses, das er zunächst einmal renovieren wollte. Dr. Gierden: „Wir behandeln Haus Ehrenfried, als wenn es beim Kreis bleiben würde.“ Dem Personal sprach er „jede Sicherheit“199 zu. Heimleiter Hölker, dem es inzwischen gelungen war, die Versorgung der vier Gruppen im Heim durch qualifiziertes Personal zu gewährleisten, machte unmissverständlich klar, dass er auf keinen Fall für die Caritas, einen freien Wohlfahrtsverband, arbeiten wolle. Er unterstellte dem freien Träger nicht von vorneherein veraltete Erziehungsmethoden, doch hatte er die Sorge, „daß ein Tendenzträger sich die Kinder aussucht“,200 und er fragte sich, welche Motivation der Übernahme des Heims zugrunde liegen mochte, denn er wusste: „Auch freie Träger müssen kostendeckend arbeiten.“201 Die Verhandlungen des Kreises mit dem Caritasverband zur Übernahme des Kinderheims wurden dennoch fortgesetzt. Dies veranlasste Herrn Hölker, seine Stelle als Heimleiter zum 1. Juli 1972 zu kündigen. Hölker hatte schon im Jahr zuvor auf die Notwendigkeit hingewiesen, „Haus Ehrenfried“ in ein heilpädagogisches Heim, das in Kreisregie geführt werden sollte, umzuwandeln. Als Begründung hatte er angeführt, dass die meisten Kinder in ihrer Entwicklung erheblich gestört seien. Um dies zu überprüfen, wurde im März 1972 jedes Kind von Prof. Dr. Gerd Biermann, dem Leiter des Instituts für Psychohygiene, untersucht. Von den Untersuchungsergebnissen sollte abhängen, ob der Jugendwohlfahrtsausschuss die Einrichtung eines heilpädagogischen Heims empfehlen würde. Doch unabhängig von den Diagnosen, zu denen Dr. Biermann käme, plädierte Rudolf Schmitz, Vorsitzender des Jugendwohlfahrtsausschusses, aus päda gogischen Gründen dafür, das Heim beim Kreis Köln zu belassen und es nicht der Caritas zu übergeben. In der Tagespresse hieß es, Schmitz befürchte „einen Bruch in der pädagogischen Betreuung der Kinder, wenn mit der Übernahme des Heims durch die Caritas ein neuer Heimleiter Vater für die Sozialwaisen wird. Schmitz steht mit seiner Meinung nicht allein im Kreis.“202 Tatsächlich blieb die Sorge des Jugendwohlfahrtsausschussvorsitzenden nicht ungehört: Obwohl der Kreisverwaltung bereits ein Vertragsentwurf der Caritas vorlag, wurden im Juni 1972 die Übernahmegespräche vorläufig eingestellt, nachdem der Jugendwohlfahrtsausschuss mit einer knappen Mehrheit von 5:4 Stimmen, bei zwei Enthaltungen, dafür votiert hatte. Daraufhin beschloss auch der Kreistag, die Verhandlungen mit der Caritas zu stoppen. Das Heim sollte zunächst in der Trägerschaft des Kreises verbleiben; die Entscheidung über 199 Vgl. Kölnische Rundschau, 12. Februar 1972. 200 Kölnische Rundschau, 12. Februar 1972. 201 Kölnische Rundschau, 12. Februar 1972. 202 Kölnische Rundschau, 25. März 1972.
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die künftige Trägerschaft wurde in der Kreistagssitzung vorerst zurückgestellt. Hauptgründe dafür waren, dass eine Übergabe an die Caritas zwar einen Wechsel in der Heimleitung und in der Betreuung der Kinder gebracht hätte, die finanzielle Verantwortung aber nach wie vor beim Kreis gelegen hätte. Dabei waren es gerade die finanziellen Aspekte gewesen, mit denen gegen die Fortführung durch den Kreis argumentiert worden war,203 denn „im Hintergrund stand der Wunsch des Kreistags, von der Verantwortung für das schwierige Objekt entbunden zu werden“.204 Auf politischer Ebene hatte sich vor allem eine Mehrheit unter den Sozialdemokraten gegen den Wechsel in der Trägerschaft ausgesprochen. Die SPDKreistagsabgeordnete Irmgard Pleines erläuterte, die meisten der im Heim untergebrachten Kinder seien verhaltensgestört und müssten entsprechend betreut werden; Fachleute des Brühler Instituts für Psychohygiene sollten nicht nur mit Analysen, sondern auch mit therapeutischen Maßnahmen beauftragt werden; auch bei Übernahme durch die Caritas entstünde keine Kostenermäßigung für den Kreis; ganz im Gegenteil würden die Kosten ansteigen, weil mehr Personal eingestellt würde; und würde das Heim, wie angeregt wurde, in Zukunft stärker nach heilpädagogischen Gesichtspunkten geleitet, müssten der Kreis oder der Träger mit noch höheren Kosten als bisher rechnen, weil zusätzliches Fachpersonal erforderlich wäre.205 Trotz dieser Argumente wiederholte der FDP-Sprecher Richard Schmieder im Verlauf der Debatte die schon früher von Walter Klein vorgetragenen Vorwürfe. Willy Kreitz 206, Redakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, kommentierte in der Ausgabe vom 17./18. Juni 1972, dass diese Vorwürfe „in der Sache völlig am Problem vorbeigehen“. OKD Dr. Gierden empfahl, in der nächsten Kreistagssitzung erneut über das Thema zu beraten und kündigte an, nach den Sommerferien eine Vorlage zu unterbreiten, in der die verschiedenen Möglichkeiten, auch die der Trägerschaft des Kinderheims durch die Caritas, aufgezeigt würden. Unter der Überschrift „Ohne Entscheidung“ erschien im Kölner Stadt-Anzeiger ein weiterer kritischer Kommentar des Redakteurs Willy Kreitz: Nun scheint sich der Kreistag in der Frage des Kinderheims doch auf seine Verantwortung zu besinnen. Mit der Trägerschaft vor einigen Jahren übernahm der Kreis auch die Verpflichtung, alles für das Heim und seine Kinder zu tun. Kann der Kreis ein reines Gewissen haben?
203 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 16. Juni 1972. 204 Kölner Stadt-Anzeiger, 17./18. Juni 1972. 205 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 16. Juni 1972. 206 Schon seit Mitte der 1960er Jahre hatte Willi Kreitz mehrfach Artikel über das Kreiskinderheim für den Kölner Stadt-Anzeiger verfasst.
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Tatsächlich fehlte es in Brühl häufig an Unterstützung aus dem Kreishaus. Wir erinnern an die Behandlung von Stellenausschreibungen. Wie schon früher berichtet,207 brauchte man in der Personalabteilung des Kreishauses einmal elf Monate, bis die gewünschten Anzeigen erschienen. Doch davon war in keiner Kreistagssitzung die Rede. Es ist manchen Abgeordneten billiger, dem Leiter Vorwürfe zu machen. Und noch effektvoller, wenn man – wie jetzt wieder FDP-Mann Schmieder aus Wesseling – mit Millionenbeträgen um sich wirft, die das Heim angeblich kostet, oder wenn man die Handlungen verhaltensgestörter Kinder als böswillige Untaten geißelt, die als Folge eines Erziehungssystems verteufelt werden. Wir wiederholen einen alten Vorschlag: Etwas weniger Aufwand bei der Befriedigung ehrgeiziger Pläne in der Erwachsenenbildung und statt dessen etwas mehr Einsatz beim Kinderheim, das stünde dem Kreis gut an.208
Auch in einem früheren Beitrag hatte Willy Kreitz bereits darauf hingewiesen, dass die Kreisverwaltung sich zwar für die Erwachsenenbildung stark mache, aber an anderer Stelle versuche, „sich lästiger Anhängsel zu entledigen, zum Beispiel des Kinderheims“. Und er kritisierte unverhohlen: „Im Kreiskinderheim hielt der Schwung, mit dem man an die neue Arbeit ging, keine sechs Jahre an.“209
5.17 Und wieder: die Personalsituation im Kreiskinderheim Der Wechsel von der Heimbetreuung durch die Ordensschwestern zu rein weltlichem Personal hatte sich nachhaltig in den Personalkosten bemerkbar gemacht. Die Gehälter der „weltlichen“ Mitarbeiter schlugen deutlich höher zu Buche als die geringfügigen Pauschalen, mit denen die Cellitinnen-Schwestern entlohnt worden waren. Thema einer Verwaltungskonferenz am 9. November 1971 war daher die „Personalsituation im Kreiskinderheim“.210 Stand 15. Oktober 1971 waren dort zehn pädagogische und 19 andere Kräfte tätig, wobei die Teilzeitbeschäftigten zu vollen Kräften addiert worden waren. Von den zehn pädagogischen Kräften hatten drei eine Ausbildung als Erzieherin, drei waren Kindergärtnerinnen, vier pädagogische Kräfte waren JahrespraktikantInnen. Die Belegung belief sich auf durchschnittlich 50 Kinder. Immer noch waren die Bedingungen für die Arbeit als ErzieherIn im Kinderheim nicht besonders attraktiv. Männliche Praktikanten waren daher so gut wie gar nicht zum Verbleib zu motivieren, und auch unter den weiblichen Mitarbeitern war die Fluktuation nach wie vor groß. Der Wechsel der Bezugspersonen 207 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 27. Januar 1972. 208 Kölner Stadt-Anzeiger, 17./18. Juni 1972. 209 Kölner Stadt-Anzeiger, 22. März 1972. 210 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. Vgl. 102/3168.
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erschwerte die Situation der Kinder und Jugendlichen zusätzlich: Da sie in den meisten Fällen unter einem problematischen Sozialisationsverlauf zu leiden hatten, waren für sie feste Bezugspersonen und eine beständige Umgebung wichtige Bausteine auf dem Weg zu einer größeren inneren Stabilität und damit zu einer positiven Weiterentwicklung. Um diesen Erfordernissen besser genügen zu können, war in der Verwaltungskonferenz vom 9. November 1971 ausgeführt worden, daß nunmehr eine erste Ausarbeitung des Jugendamtes vorliegt, die sich mit den Möglichkeiten der Rationalisierung und Einsparung von Personal bei den Wirtschaftskräften befaßt. […] Dabei ist zunächst an die Auflösung des zentralen Waschdienstes und der Nähstube gedacht. Auf etwas längere Sicht sollte auch die weitere Notwendigkeit der Stelle der Wirtschaftsleiterin überprüft werden.
Das Hauptamt war damit beauftragt, die Fragen der Kündigungsfristen zu prüfen, „damit man sich im Laufe des Jahres 1972 unter Vermeidung sozialer Härten von einigen Beschäftigten trennen kann“.211 Nach den monatelangen Überlegungen des Kreises Köln, das Kinderheim in die Hände eines neuen Trägers zu geben, wurde Ende August 1972 im Kreistag entschieden, der Caritas eine Absage zu erteilen und das Kinderheim „Haus Ehrenfried“ in der Trägerschaft des Kreises Köln zu belassen. Heimleiter H ölker hatte schon mit Blick auf die bereits im Frühsommer 1972 unterbrochenen Verhandlungen mit der Caritas als möglichem Träger seinen Kündigungstermin aufgeschoben und sich entschlossen, seine Tätigkeit fortzusetzen. Damit war die Grundlage für eine kontinuierliche Weiterarbeit im Kreiskinderheim mit den derzeit 50 Kindern, die hier in den Familiengruppen lebten, geschaffen. Die von der Kreisverwaltung beabsichtigten Veränderungen in der Personalstruktur sahen Einsparungen im Bereich des Wirtschaftspersonals vor, während das „Sorgenkind des Kreises“212 in Bezug auf das erzieherische Personal ausgebaut werden sollte. Zum 1. September 1972 wies die Personalliste 213 aus, dass im Kreiskinderheim 23 Angestellte und 18 Arbeiter beschäftigt waren. Die Angestellten gliederten sich auf in einen Heimleiter (Sozialpädagoge), zwei Kindergärtnerinnen, einen (männlichen) Sozialpädagogen, eine Heimerzieherin, eine Erzieherin, drei Kinderpflegerinnen, zwei Helferinnen, acht PraktikantInnen (davon drei männliche), zwei Verwaltungsangestellte, eine Wirtschafterin, einen Hausmeister. Als Arbeiter beschäftigt waren zwei Hausangestellte, acht Haus- und Küchenhilfen, fünf Raumpflegerinnen, drei Näherinnen. 211 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3168. 212 Kölner Stadt-Anzeiger, 1. September 1972. 213 Vgl. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3241.
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Zur Reduzierung der Personalkosten trennte man sich zum 1. Januar 1973 von acht Beschäftigten. Küche, Nähstube und Waschküche wurden aufgegeben; die Wäsche wurde in einer Großwäscherei versorgt; lediglich die Feinwäsche (z. B. Pullover) wurde weiterhin im Kinderheim gereinigt. Um Küchenpersonal einsparen zu können, stellte man auf die Anlieferung von Tiefkühlkost um. Der Heimleiter erläuterte: „Nur durch diese Rationalisierung können wir das Geld für die Anstellung heilpädagogisch geschulter Erzieher freimachen, die wir dringend brauchen.“214 Einmal pro Woche wurden die fertigen Mahlzeiten in Aluminiumschalen mit 6 – 10 Portionen angeliefert und zur Aufbereitung 50 Minuten im Heißluftofen erwärmt; dafür hatte jede Gruppe ihren eigenen Konvektomat. Es hieß, dass die Nährstoffe „voll erhalten“ blieben, und eine Gruppenleiterin bestätigte anfangs: „Den Kindern schmeckt’s ausgezeichnet.“ Wöchentlich wurde bestellt, und die Kinder konnten sich ihr Essen aussuchen. Da jedoch nur eine begrenzte Auswahl an Gerichten zur Verfügung stand, stellte sich schon nach kurzer Zeit ein gewisser Überdruss ein. Es fiel eine große Menge Verpackungsmüll an, zudem brachte diese Form der „Küchenwirtschaft“ nicht die gewünschte Erleichterung: Suppen, Salate und Nachtisch mussten nach wie vor von der Hauswirtschafterin und dem verbliebenen Küchenpersonal vor Ort hergestellt werden – eine sehr zeitaufwendige zusätzliche Arbeit. So wurde die Versorgung mit Tiefkühlkost schon nach etwa einem Dreivierteljahr eingestellt. Anschließend wurde wieder gekocht „wie früher“. Die ErzieherInnen, unterstützt von einigen Heimkindern, trugen die Schüsseln und Platten mit dem Essen in die jeweiligen Gruppenräume. 1973 wurden die 50 im Heim lebenden Kinder in fünf Gruppen von je zwei Erziehern betreut. Der Heimleiter hielt zwei Erzieher pro Gruppe für zu wenig, weil es sich durchweg um Kinder aus sozial nicht intakten Familien handelte und er überzeugt war, dass die Erziehung von Kindern und Jugendlichen schwieriger geworden sei. Aufgrund der möglich gewordenen Einsparungen im hauswirtschaftlichen Bereich sah ein neuer Stellenplan die Anstellung von fünf weiteren ErzieherInnen vor, sodass nun drei BetreuerInnen pro Gruppe eingeteilt werden konnten. Außerdem wollte der Heimleiter für zwei Gruppen heilpädagogisch geschulte Kräfte einsetzen, um die erziehungsschwierigen Kinder angemessen versorgen zu können. Entgegen mancher Vorwürfe in Bezug auf seine Pädagogik, denen sich S iegfried Hölker im vergangenen Jahr ausgesetzt gesehen hatte, vertrat er keineswegs antiautoritäre Erziehungsprinzipen, vielmehr war er von Anfang an der Überzeugung gewesen, dass eine richtig verstandene und praktizierte Autorität nötig sei. Um zur Selbständigkeit zu erziehen, wurden u. a. in den Gruppen Pflichtaufgaben verteilt: Jedes Gruppenmitglied hatte abwechselnd zu spülen, Zimmer aufzuräumen, Schuhe zu putzen usw. Eine solche Aufgabenverteilung zählte schon in 214 Kölner Stadt-Anzeiger, 5. Januar 1973.
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der Zeit, als das Heim noch in Brauweiler untergebracht gewesen war, zum Programm und wurde nach dem Umzug 1958 in Brühl fortgesetzt. Damals wurden diese Aufgaben als „Ämtchen“ bezeichnet, die die Kinder zu übernehmen hatten. Im Dezember 1973 gab der Kreistag seine Zustimmung bekannt, erneut Kinder aus „Haus Ehrenfried“ herauszunehmen und z. B. in der Modelleinrichtung in Weiden unterzubringen. Nun ging es zudem darum, für „eine Gruppe Jungen, die in der Berufsausbildung steht, ein Haus in Brühl zu mieten“. Begründet wurde diese Maßnahme mit dem Mangel an geeigneten Lehrlingsheimen. Jedes Jahr verließen rd. fünf Jugendliche im Alter von 15 bis 16 Jahren „Haus Ehrenfried“, waren jedoch weiterhin auf eine adäquate Unterbringung angewiesen. „Diese oft erheblich entwicklungsgestörten Minderjährigen brauchen eine intensive Betreuung während der Berufsausbildung“, so die Kreisverwaltung. Außer ihnen sollten auch solche Kinder in das Haus ausgelagert werden, die „aufgrund ihrer Gesamtentwicklung“ einer Kindergruppe nicht mehr angehören konnten. OKD Dr. Gierden: „Die Verwaltung ist sich des experimentellen Charakters dieser Maßnahme bewußt. Sollte sich zeigen, daß die Isolierung zu Schwierigkeiten führt, wird die Verwaltung nicht zögern und um eine Revision des Beschlusses bitten.“215 Ebenfalls im Dezember 1973 erreichten den Heimleiter wieder die alljährlichen Anfragen von Ehepaaren und alleinstehenden Erwachsenen, die sich wünschten, ein Heimkind über Weihnachten einladen zu dürfen. Die Motivation dafür bestand nach wie vor zuweilen darin, einem Heimkind eine schöne Zeit zu schenken, andere wollte die Festtage nicht allein verbringen müssen. Doch genau wie die vorige Heimleiterin, Frau Lennartz, vertrat auch der Sozial- und Heilpädagoge Hölker den Standpunkt, das Kinderheim „Haus Ehrenfried“ sei kein „Lieferant für Kinderglück am Heiligabend“.216 Weder aus pädagogischer, noch aus psychologischer Sicht sei es vertretbar, „ein Kind in eine scheinbar gesunde Atmosphäre für einen oder zwei Tage zu holen und es dann an den übrigen 364 Tagen im Jahr wieder seinem Heim-Schicksal zu überlassen“, betonte er. „Viele sind überzeugt, damit ein gutes Werk und dem Heim einen Gefallen zu tun. Es bedarf oft stundenlanger Gespräche, um den Leuten klarzumachen, daß es mit einem einmaligen Ausflug in die bunte Weihnachtswelt nicht getan ist.“ Der Heimleiter konnte auch von Bitten wie dieser berichten: „Schicken Sie uns doch ein Heimkind. Wir brauchen einen Spielgefährten für unser eigenes Kind über Weihnachten.“ Hölker verwies darauf, dass im Heim überwiegend Kinder lebten, „die auf Grund ihres enormen geistig-seelischen Nachholbedarfs besonderer Förderung und Zuwendung bedürfen“. Daher hatte er nur dann nichts gegen einen Aufenthalt der Kinder außerhalb des Heims einzuwenden, wenn ständige, regelmäßige Kontakte zu einer Familie bzw. zu einem Elternteil 215 Vgl. dazu den Rückblick im Kölner Stadt-Anzeiger, 18. Dezember 1973. 216 Alle Zitate in diesem Absatz: Kölner Stadt-Anzeiger, 22./23. Dezember 1973.
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gewährleistet waren, die nicht nur an hohen Feiertagen, sondern in der Regel an jedem Wochenende stattfinden sollten. Die Zahl der in Heimen des Erftkreises untergebrachten minderjährigen Kinder stieg im Lauf des Jahres 1976 wieder stark an auf insgesamt 287 (1972: 193). Von diesen Kindern befanden sich 220 in 40 verschiedenen Kinderheimen – 27 von ihnen im Brühler Heim –, 25 waren in neun verschiedenen heilpädagogischen Heimen untergebracht, und 42 Minderjährige befanden sich in 23 verschiedenen Internaten.217 Im Mai 1977 lebten 302 Kinder, deren Unterbringung der Kreis finanzieren musste, in Heimen, davon 34 in Internaten (Kosten monatlich: jeweils 635,00 DM); 24 in privaten Häusern (Kosten monatlich: ca. 1.050,00 DM), 198 in weiteren Heimen (Kosten monatlich je nach Träger mit einer Spanne zwischen 60,00 und 1.820,00 DM); im kreiseigenen Kinderheim in Brühl lebten 40 Kinder, in Weiden sechs. Von den insgesamt 724 Kindern in Pflegefamilien (davon 135 mit dem Ziel der Adoption 218), musste der Kreis für 387 von ihnen Zuschüsse in Höhe von monatlich 350,00 bis 450,00 DM leisten.219 1978 kostete ein Heimplatz rd. 3.000,00 DM.220 Im Mai 1979 präsentierte Karl-Heinz Kemmerich, Sozialdezernent des Erftkreises, dem Jugendwohlfahrtsausschuss in einer ausführlichen Stellungnahme zum Thema „Vermittlung von Heimkindern“ die dazugehörigen Zahlen: Nach der von der SPD beantragten Studie des Jugendamts waren im Jahr 1977 287 Kinder und Jugendliche in Heimen untergebracht (179 männliche, 108 weibliche). In den 40 Kinderheimen lebten insgesamt 220 Minderjährige, die ü brigen verteilten sich auf neun verschiedene heilpädagogische Heime, in denen 25 Kinder lebten, und auf 23 Internate mit 45 Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren. Das Durchschnittsalter der Kinder lag bei knapp über zwölf Jahren. Bei der Einweisung der Minderjährigen waren sie seit 1976 durchschnittlich zehn Jahre und fünf Monate alt, während das Altersniveau 1975 noch bei neun Jahren und fünf Monaten gelegen hatte, 1973 bei acht Jahren und vier Monaten. Als Hauptgrund und Anlass für die meisten Einweisungen wurde nach wie vor die Erziehungsunfähigkeit der Eltern ermittelt, 87 der 287 Kinder kamen wegen unvollständiger Familien ins Heim, zwölf wegen Verdacht auf Misshandlung. Gleichzeitig war die Zahl der adoptionswilligen Familien stark gestiegen – auf 85 –, doch stand dieser Zahl nur ein vermittelbares Kind gegenüber. „Die Mehrzahl der Kinder ist nicht vermittelbar, weil sie die erwarteten Voraussetzungen nicht erfüllen“, erläuterte der Sozialdezernent und formulierte ein aufschlussreiches 217 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/1226. Vgl. darin die Situationsanalyse der in Heimen untergebrachten Minderjährigen, die das Jugendamt auf der Sitzung am 17. April 1979 vorstellte. 218 Am 1. Januar 1977 war das neue Adoptionsvermittlungsgesetz in Kraft getreten. 219 Die Zahlen sind entnommen dem Kölner Stadt-Anzeiger, 5. Mai 1977. 220 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 10. Januar 1979. Zum Vergleich: 2018 waren die Kosten für einen Heimplatz auf 5.000,00 €, für die Unterbringung in einer Pflegefamilie auf 800,00 € gestiegen.
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Abb. 53 Das Kreiskinderheim, um 1970.
Resümee. „Wenn ein Kind höchstens zwei Jahre alt ist und obendrein noch blond und blauäugig, dann hat es gute Chancen – doch wie viele Kinder erfüllen diese Voraussetzungen?“221 1977 entschied sich Heimleiter Siegfried Hölker, „Haus Ehrenfried“ zum 31. Oktober d. J. zu verlassen.222 Unmittelbar im Anschluss, am 1. November 1977, übernahm der Sozialpädagoge René Marx zunächst kommissarisch die Stelle des stellvertretenden Heimleiters. Ihm war das Haus bestens bekannt, da er dort bereits seit dem 1. Februar 1974 als Heilpädagoge beschäftigt gewesen war. Als kommissarischem Leiter oblag ihm nun zusätzlich die Tätigkeit im Gruppendienst. Zum 1. Juni 1978 wurde Marx als Heimleiter bestellt, allerdings blieb diese Dienstzeit nur von kurzer Dauer, denn zum 31. August 1979 wurde sein Arbeitsverhältnis in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst. Erneut galt es, einen geeigneten Leiter für das Kreiskinderheim zu finden. Erst nach mehreren Monaten konnte die Stelle neu besetzt werden. Am 1. Januar 1980 übernahm der Sozialpädagoge (grad.) Alfons Fränzel die Leitung des Brühler Kreiskinderheims. 221 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 10. Mai 1979. 222 Die Angaben zu den Dienstzeiten der weltlichen Heimleiter entstammen der Auskunft aus dem Personalamt der Kreisverwaltung Bergheim, Mail vom Sekretariat des Landrats des Rhein-Erft-Kreises vom 4. April 2017.
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5.18 Noch einmal ein neues Heimkonzept Bereits seit der Eröffnung von „Haus Ehrenfried“ im September 1958 in Brühl bestand das Prinzip der methodischen Arbeit darin, die Kinder in Wohn- bzw. Familiengruppen zu erziehen. Geändert hatte sich seither die Gruppenstärke, die anfangs häufig noch bei mehr als 15 Kindern lag. Seit etwa Mitte der 1960er Jahre war sie so weit verringert worden, dass lediglich noch zehn Kinder eine Gruppe bildeten. Je eine Gruppenleiterin war für sämtliche in der Gruppe anfallenden Aufgaben verantwortlich und musste diese im Rahmen des Heimkonzepts und in Zusammenarbeit mit dem Heimleiter durchführen. Außerdem verfügte jede Gruppe über drei ErzieherInnen und eine Jahrespraktikantin, ggf. auch über eine Kinderpflegerin sowie Auszubildende. Am 1. Mai 1981 verfügte das Kinder heim über zwölf pädagogische MitarbeiterInnen mit jeweils 40 Wochenstunden, 13 Frauen in der Hauswirtschaft mit einem Arbeitseinsatz z wischen 20 und 40 Wochenstunden, drei Damen im Büro bzw. an der Pforte (20 bzw. 17,5 Wochenstunden), einen Hausmeister, sechs JahrespraktikantInnen und vier „sonstige Auszubildende“.223 Erziehungsziel war es, „die bei den untergebrachten Kindern aufgetretenen Erziehungsschäden zu beheben und die Kinder und Jugendlichen zu zufriedenen und verantwortungsbewußten Gliedern dieser Gesellschaft heranzubilden“.224 Im Jahr 1981 beherbergte „Haus Ehrenfried“ vier koedukative Gruppen: die Christopherusgruppe (zehn Kinder/Jugendliche im Alter von 7 – 18 Jahren); die Margaretengruppe (zehn Kinder/Jugendliche im Alter von 13 – 18 Jahren; die Mariengruppe (zehn Kinder/Jugendliche im Alter von zehn bis 16 Jahren), die Markusgruppe (zehn Kinder/Jugendliche im Alter von zehn bis 16 Jahren), sowie eine koedukative Wohngruppe (zehn Jugendliche im Alter von 16 – 19 Jahren) für Jugendliche, die sich auf die Heimentlassung vorbereiteten; eine Jugendliche bewohnte ein Einzelzimmer und wurde vom Wohngruppenteam betreut. Insgesamt waren zu d iesem Zeitpunkt also 50 Kinder und Jugendliche untergebracht. Die ErzieherInnen im Heim galten als „die wichtigsten Bezugspersonen für das ohne Eltern lebende Kind“, weshalb die Erziehung „konstant und kontinuierlich“ stattfinden sollte, damit sich die Chancen dafür erhöhen, „daß sich ein Kind oder Jugendlicher positiv entwickelt“. Die Aufgaben der in Vollzeit arbeitenden ErzieherInnen bestanden „für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche darin, im pflegerischen, hauswirtschaftlichen, schulischen und erzieherischen Bereich mit dem Ziel tätig zu werden, Defizite im emotionalen, sozialen und schulischen Bereich so auszugleichen, daß sie einmal ohne Konflikte leben können“.225 223 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/2629. 224 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/2629. 225 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/318.
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Damit war ein sehr anspruchsvolles Ziel für die Arbeit der ErzieherInnen formuliert. Um d ieses effektiver umsetzen zu können, strebte Heimleiter Fränzel eine Überarbeitung bzw. Neukonzeption an. Schon Anfang 1981 war aufgrund der Problematiken im Heim eine grundsätzliche Neukonzeption „in Übereinstimmung mit dem Jugendamt und in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Heimes“226 befürwortet worden. Alfons Fränzel betonte: Die Heimerziehung hat inzwischen verschiedene Modelle entwickelt, die Erziehung und Dienst anders organisieren, um dem Kind gerechter zu werden. Für unser Heim würde dies eine völlig neue Organisation bedeuten. […] Für das Kinderheim ist es notwendig, daß die pädagogische Zielsetzung neu überdacht und weiterentwickelt wird. Es muß ein Konzept erarbeitet werden, in dem die Voraussetzungen dafür erhalten sind, daß der Erzieher zufrieden und erfolgreich seine Arbeit mit und an den ihm anvertrauten Kindern und Jugendlichen verrichten kann. Inzwischen gibt es einige Beispiele in der Bundesrepublik, die Anhaltspunkte für ein neues Konzept geben könnten. Die Verwirklichung eines solchen Konzeptes ist aber nur dann möglich, wenn alle – sowohl die Mitarbeiter des Heimes als auch der Träger – bereit sind, mitzuarbeiten.227
Unterstützt wurde Fränzel in seinem Anliegen dadurch, dass auch der Kreisjugend wohlfahrtsausschuss (JWA) auf ein neues Heimkonzept drängte. Am 10. Oktober 1981 lud Fränzel den amtierenden Oberkreisdirektor Dr. Helmuth Bentz 228 „herzlich zu einem Besuch in unserem Kinderheim ‚Haus Ehrenfried‘“ ein, um mit ihm „gerne einmal im Kreise der Erzieher über unsere Situation und unsere Aufgaben“ zu sprechen, „damit Sie einen umfassenden Einblick in unsere Arbeit bekommen können“.229 Ebenso lud er den OKD im Dezember 1981 zum „Jahresabschlußfest der Mitarbeiter des Kreiskinderheims in weihnachtlichem Rahmen“ ein, „da Sie unser Heim und unsere Arbeit stets tatkräftig unterstützen und immer Ihre Verbundenheit mit uns bewiesen haben“.230 Schon am 26. November 1981 erhielt die Erzieherkonferenz den Auftrag, für den OKD zu formulieren, welche Ziele das Heim „Haus Ehrenfried“ verfolge. Insbesondere sollte die jeweilige Problematik der Kinder diskutiert und entschieden werden, welchen Kindern in d iesem Heim weitergeholfen werden könne. Als zentrales Ergebnis stellte sich heraus, dass zahlreiche Kinder aufgrund ihrer Problematiken „in unserem Heim deplaciert sind“, mit der Folge, „daß unsere Gruppen aufgelöst werden müssen und eine völlig neue Struktur dafür entstehen muß. Hinzu kommt, daß das Psycho-Hygiene-Institut unter den bestehenden 226 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/318. 227 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/318. 228 Oberkreisdirektor von 1975 bis 1987. 229 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3133 II. 230 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3133 II. 6. Dezember 1981.
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Umständen sich nicht in der Lage sieht, sinnvoll mit uns zusammen zu arbeiten, weil therapeutische Maßnahmen in unserer Heimstruktur nicht möglich sind.“231 Zwei mögliche Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen lauteten: • Umstrukturierung der Gruppen in Klein-, Familien- und heilpädagogische Gruppen, zusätzlich eine Aufnahmegruppe und eine Gruppe, die darauf abzielt, die Kinder in die Familie zurückzuführen; • Weiterbestehen der Gruppen wie bisher, allerdings mit stärkerer Kontrolle durch die Heimleitung. Um weitgehend autonom bleiben zu können, vertraten die ErzieherInnen die Meinung, man solle sich jetzt deutlicher vom kreiseigenen Institut für Psychohygiene ablösen. Außerdem wurde auf den Trend hingewiesen, „Kinder oder Jugendliche in Familien unterzubringen. Nur noch diejenigen, die regelrecht ‚auf der Straße liegen‘, werden in ein Heim eingewiesen. Wir müssen folglich mit vielen Mädchen im Alter von 15 – 16 Jahren rechnen.“232 Eine Erklärung für diese Erwartung wurde nicht abgegeben. Auf einer weiteren Erzieherkonferenz am 13. Januar 1982233 wurde eingehend der Haushaltsplan erläutert und in dem Zusammenhang aufgezeigt, dass die finanzielle Situation des Heims bereits Sparmaßnahmen erforderlich machte. Die Belegung des Heims wies eine spürbare Fluktuation auf: Im Jahr 1980 waren 48 Kinder neu ins Heim aufgenommen worden, dabei 36 nur vorübergehend; 1981 kamen 35 Kinder neu ins Heim, von denen 22 nur kurze Zeit dort blieben; die Belegung des Heims betrug 1981 durchschnittlich 41 Kinder; im Januar 1982 waren 47 Kinder im Heim untergebracht. Aufgrund der vorgetragenen Problemlagen und Diskussionen fand am 27. Januar 1982 im Kreishaus Bergheim die erste Sitzung des Unterausschusses Kreiskinderheim Brühl des Jugendwohlfahrtsausschusses statt.234 Heimleiter Fränzel und die vom Institut für Psychohygiene delegierte Psychologin, Frau Berwanger, stellten ihr Papier vor, in dem die notwendig gewordenen Zukunftsperspektiven entwickelt werden sollten. Der Anspruch an die erzieherische Arbeit der Beteiligten zielte darauf ab, dass sie „besser, qualifizierter und den Kindern gerechter werden soll“. In dieser Sitzung wurde weiterhin Folgendes berichtet: Bei der Eröffnung von „Haus Ehrenfried“ im Jahr 1958 war die Unterbringung von bis zu 80 Kindern geplant worden; im Zuge der verbesserten pädagogischen Arbeit war die Zahl der Heimplätze inzwischen auf etwa die Hälfte reduziert worden. Von den 47 Kindern, die im Januar 1982 im Kreiskinderheim 231 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/2629. 232 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/2629. 233 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/2629. 234 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/2629.
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lebten, befanden sich in der Altersgruppe 0 – 11 Jahre sieben Kinder (männlich); in der Altersgruppe zwölf bis 14 Jahre acht männliche und fünf weibliche Kinder; in der Altersgruppe 15 – 19 Jahre waren es 17 männliche und zehn weibliche Jugendliche. 33 % aller schulpflichtigen Heimkinder besuchten Sonderschulen (für Erziehungshilfe, für Lernbehinderte, für geistig Behinderte), sechs Kinder/Jugendliche eine Real- oder Fachschule; 29 besuchten die Hauptschule. Zu diesem Zeitpunkt war offenbar keines der Kinder bzw. Jugendlichen SchülerIn eines Gymnasiums. In den vier koedukativen (Familien-)Gruppen waren jeweils bis zu zehn Kinder untergebracht, dazu kamen wie bisher die koedukative Wohngruppe (bis zu zehn Jugendliche im Alter von 16 – 19 Jahren) sowie zwei Jugendliche in je einem Einzelzimmer, die vom Wohngruppenteam betreut wurden. Was die Herkunftsfamilie betraf, waren die Eltern von 23 Kindern geschieden oder getrennt, fünf Kinder waren unehelich, bei 13 Kindern war die Mutter verstorben; in vier Fällen lebten die Eltern zusammen. Bei allen Kindern, deren Eltern zusammenlebten, und bei einem großen Teil der Kinder, deren Eltern alleinstehend waren, lagen auf Seiten der Eltern oder einem Elternteil Sozialisationsdefizite vor im Sinne von Kriminalität, HWG , Verwahrlosung, Alkoholproblemen sowie psychischen Erkrankungen wie etwa eine schizophrene Psychose oder eine Depression. Ohne vorherige Unterbringung in anderen Heimen oder Pflegefamilien waren zehn Jungen und ein Mädchen direkt ins Heim gekommen; umgekehrt hatten also 36 Heimkinder (rd. 77 %) vor ihrer Einweisung ins Brühler Kinderheim bereits andere Kinderheime und/oder Pflegefamilien bzw. andere Unterbringungen erlebt. Durchschnittlich hatten 50 % der ins „Haus Ehrenfried“ aufgenommen Kinder schon Erfahrungen mit einer oder mehreren Pflegestellen sowie mit Heimunterbringungen gemacht. Gemäß Jugendwohlfahrtsgesetz befanden sich diese Kinder und Jugend lichen im Heim, weil sie erhebliche Erziehungsdefizite im leiblichen, seelischen, schulischen bzw. beruflichen Bereich aufwiesen und daher weder weiterhin bei ihren Familien, noch in Pflegefamilien leben konnten. 29 Jungen und elf Mädchen der 47 Heimkinder galten als in verschiedener Hinsicht auffällig; in den meisten Fällen handelte es sich um psychische Auffälligkeiten wie Sozialisationsdefizite, Dissozialität, Hospitalismusfolgen, Psychoneurosen, „Borderline“-Fälle. Nur sieben Kinder konnten als unauffällig bezeichnen werden. Man kam zu dem Resultat, dass der überwiegende Teil der psychisch auffälligen Kinder vom Institut für Psychohygiene ambulant nicht angemessen psychotherapeutisch behandelt werden könne, weil sie zu schwer gestört s eien. Auch die 2. Sitzung des Unterausschusses Kreiskinderheim Brühl des Jugendwohlfahrtsausschusses am 26. Februar 1982 thematisierte die Notwendigkeit und gleichzeitig die Frage, ob im Heim Erziehungsformen angeboten werden könnten, die den aufgenommenen, häufig psycho-sozial gestörten Kindern gerecht
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werden würden; die 3. Sitzung des Unterausschusses Kreiskinderheim Brühl des Jugendwohlfahrtsausschusses am 17. Mai 1982 behandelte ausschließlich die Frage nach der möglichen Umstrukturierung des Kinderheims „Haus Ehrenfried“.235 In der „Verwaltungsvorlage für die Sitzung des Beirates am 26. Mai 1982. Überlegungen zur Umstrukturierung des Kinderheims ‚Haus Ehrenfried‘ in Brühl“ wurde noch einmal die allgemeine Situation skizziert.236 Darin hieß es, im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern des Jugendamts, des Kreiskinderheims und den Mitarbeitern des Instituts für Psychohygiene sei immer deutlicher geworden, dass die Arbeit im Heim neu strukturiert werden müsse, um eine bessere und qualifiziertere Erziehung der vielen verhaltensauffälligen und psychisch gestörten Kinder erreichen zu können. Dabei ergab sich die Problematik des Heims ausdrücklich nicht aus einer mangelnden Qualifikation der Erzieher, sondern aus der Art der organisatorischen Abläufe und der Zusammensetzung der untergebrachten Kinder, d. h. der „Kinderpopulation“. Ein Dilemma bestand darin, dass das Brühler Kinderheim als Einrichtung eines kommunalen Trägers (hier: Kreis Köln) in stärkerem Umfang als andere Heime Kinder aufnehmen musste, obwohl es strukturell darauf nicht ausgelegt war. Als Folgeerscheinung hatte sich schon in den vorherigen Jahren ergeben, dass das Heim nicht die Möglichkeit hatte, ein Kind als zu schwer gestört oder als für die Heimerziehung ungeeignet abzulehnen. Dadurch entstand die ungünstige Situation, dass gerade in d iesem Heim besonders viele s olche Kinder untergebracht wurden, und zwar in den Familiengruppen, in denen sie wegen ihrer Störungen und Verhaltensauffälligkeiten nicht immer ausreichend gefördert werden konnten, eben weil „Haus Ehrenfried“ nicht heilpädagogisch ausgerichtet war. Das Fehlen einer adäquaten Aufnahmegruppe erschwerte die Situation zusätzlich. Die Überlegungen bezogen sich daher auf die Frage, ob und in welchem Maße neue Formen der Unterbringung und Erziehung gefunden werden könnten und ob Strukturveränderungen im Heim grundsätzlich möglich wären. In der Verwaltungsvorlage für den 26. Mai 1982 wurden vier Vorschläge zur Umstrukturierung des Heims vorgestellt: 1. Einrichtung einer gemischten Aufnahmegruppe, in der die Kinder bis zur Klärung der weiteren Erziehungsform zusammengefasst würden, damit die bestehenden anderen Gruppen nicht so oft gestört würden. 2. Einrichtung einer heilpädagogisch-therapeutischen Gruppe, die aufgrund der Auffälligkeiten der Kinder dringend notwendig wäre, um diese besonders und intensiv fördern zu können. Dadurch wäre aber auch die Anstellung mindestens eines Heilpädagogen erforderlich. 235 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/2629. 236 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/2629.
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3. Die neue Konzeption sähe die Beibehaltung von zwei (statt bisher vier) koedukativ geführten Familiengruppen vor. 4. Beibehaltung der Wohngruppe für ältere Jugendliche, eine verstärkte Anmietung von Außenzimmern und die Möglichkeit, kleine Wohnungen für zwei oder drei Jugendliche anzumieten. Für die Verfahren bei zukünftigen Heimeinweisungen wurden ebenfalls Vorschläge erarbeitet: 1. Eine psychodiagnostische Abklärung des speziellen Erziehungsbedarfs durch das Institut für Psychohygiene werde erforderlich, wenn dies noch nicht durch das Jugendamt festgelegt werden konnte bzw. nach einer Beobachtungszeit im Kreiskinderheim nicht erkennbar war. 2. Über die Eingangsdiagnostik solle das Institut für Psychohygiene die weiterführende Betreuung des betreffenden Kindes in definierten Bereichen leisten. Die neu zu schaffende Heimstruktur sah zudem eine modifizierte Zuweisung in die Gruppen vor, wobei es weiterhin Familiengruppen geben sollte, zudem heilpädagogische Gruppen und heilpädagogische Einzelbetreuungen sowie eine Außengruppe oder Einzelzimmer zur Vorbereitung auf die endgültige Heimentlassung. Eine Umstrukturierung des Kinderheims würde dementsprechend Art, Umfang und Inhalt der Aufgabe ändern, die das Institut für Psychohygiene im Kinderheim wahrnehmen könnte. Zusätzlich wurden gruppenergänzende und gruppenübergreifende Maßnahmen im Freizeit-, Schul- und therapeutischen Bereich als notwendig erachtet. Seit dem 1. Mai 1981 waren dem Heim bereits 15 Stunden für einen Heimpsychologen vom Institut für Psychohygiene zur Verfügung gestellt worden. Zur Veränderung der Heimstruktur im Rahmen eines neuen Heimkonzepts zählte auch eine bessere Qualifizierung der Erzieher, um den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen noch mehr gerecht werden zu können. Als überaus wichtig für die Neuorientierung des Heimkonzepts wurde die Festlegung der Kriterien für die Aufnahmegruppe erachtet, ebenso wie eine gründliche Eingangsdiagnostik, erstellt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Psychohygiene und dem Jugendamt, die in einen Erziehungsplan für das jeweilige Kind münden sollte. Des Weiteren sollte sich das Institut um die Realisierung möglicher alternativer Unterbringungsformen für Minderjährige kümmern sowie, in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, um die Festlegung eines Behandlungsplans und um die Verlaufskontrolle. Es war selbstverständlich, dass sämtliche Pläne d ieses neuen Konzepts für eine Weiterentwicklung des Kinderheims nur im Rahmen eines langanhaltenden pädagogischen Prozesses erfolgen konnten und dass über dessen Ausführung, Dauer und Erfolg keinerlei Vorhersagen möglich waren.
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Eine von Heimleiter Fränzel im Mai 1982 erstellte Tabelle zeigte die Verweildauer der 45 zu d iesem Zeitpunkt im Heim lebenden Kinder und Jugendlichen. Danach waren jeweils sechs Kinder „bis 6 Monate“, „bis 1 Jahr“ und „bis 2 Jahre“ im Heim; jeweils vier Kinder „bis 4 Jahre“, „bis 4,6 Jahre“; jeweils drei Kinder „bis 1,6 Jahre“, „bis 2,6 Jahre“, „bis 3,6 Jahre“, „bis 10 Jahre“; jeweils zwei Kinder „bis 3 Jahre“, „bis 6,6 Jahre“, jeweils ein Kind „bis 5 Jahre“, „bis 5,6 Jahre“, „bis 7,6 Jahre“. Anders als bei der Eröffnung des Heims im Jahr 1958 erwartet, hatte sich inzwischen gezeigt, dass nur relativ wenige Heimkinder freundschaftliche Außenkontakte hatten. Auch der Flur im Heimeingang stellte nun in Bezug auf eine positive Kommunikation sowohl innerhalb des Heims als auch gegenüber Besuchern ein Problem dar: Die Bauanordnung im Heim musste für die sozial und emotional gestörten Kinder und Jugendlichen als nicht mehr adäquat angesehen werden, obwohl das Gebäude noch nicht einmal 25 Jahre in Betrieb war. Daher sollte im Rahmen einer neuen Heimkonzeption auch die bauliche Substanz so verändert werden, dass die Kommunikation unter den Heimkindern „auf das Wesentliche reduziert“ würde. Hilfreich wären dafür auch eigene Hauseingänge zu den Gruppenbereichen. Hierbei handelte es sich um Entscheidungen, die aufgrund konkreter interner Umstände und Erfahrungen getroffen wurden. Anfang Juni 1982 konnte die Tagespresse vermelden, dass dem neuen Konzept für das kreiseigene Kinderheim „Haus Ehrenfried“ mit einem einstimmig verabschiedeten Beschluss des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses zugestimmt worden war. Heimleiter Fränzel als Mitinitiator dieses Konzepts war für diese Einstimmigkeit im Ausschuss „sehr dankbar“. Somit war die seit langer Zeit fällige organisatorische Umgestaltung und päda gogische Neuorientierung in greifbare Nähe gerückt. Und diese waren dringend erforderlich, denn: „Die Situation [im Heim] wurde zunehmend unerträglich“, berichtete Dr. Volker Klepp, FDP-Kreistagsabgeordneter und Vorsitzender des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses „Wir sind froh, endlich einen Weg gefunden zu haben, der das Heim aus der Misere herausführen kann.“237 Die Kölnische Rundschau hatte positive Schlagzeilen für ihren Beitrag ausgewählt: „Eine neue Chance für die Kinder im Brühler Heim. Kreispolitiker billigten neues Konzept für ‚Haus Ehrenfried‘. Im Kreiskinderheim ‚Haus Ehrenfried‘ soll die Zukunft besser werden.“ In ihrem Artikel fasste sie die geplanten Verbesserungen zusammen: Die neu aufgenommenen Kinder, die oft einer besonderen Förderung bedurften, sollten in Zukunft in die geplante gemischte Aufnahmegruppe kommen, um von dort aus weiterversorgt zu werden, ggf. in einer heilpädagogischen Gruppe mit mindestens einem Heilpädagogen. Die bestehenden Familiengruppen würden auf zwei reduziert; die Wohngruppe bliebe zwar im 237 Kölner Stadt-Anzeiger, 10./11. Juni 1982.
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Heim, dafür sollten verstärkt Außenzimmer für die fast erwachsenen Jugendlichen angemietet werden. Die Zusammenarbeit mit dem Institut für Psychohygiene sollte intensiviert werden. Dessen Fachkräfte sollten während der zwölfwöchigen Eingangsdiagnostik der ins Heim eingewiesenen Kinder nach genau definierten Untersuchungskriterien vorgehen.238 Im Juli 1982 lud der Heimleiter zu einem Sommerfest auf das Gelände des Kreiskinderheims ein.239 Bei dieser Gelegenheit wollte er die Gäste „hinter die Kulissen“ dieser Einrichtung blicken lassen, um zum besseren Verständnis der Heimsituation beizutragen: Wie sieht der Tagesablauf aus, nach welchen pädagogischen Zielrichtungen wird gearbeitet, wie gestaltet sich die Freizeit? Durch den zwanglosen Kontakt der Gäste mit den rd. 50 im Heim lebenden Jugendlichen sollten mögliche Hemmschwellen überwunden werden. Fränzel wollte vermitteln, dass die Heimkinder in „Haus Ehrenfried“ in ihrer Entwicklung zu selbstbewussten Persönlichkeiten unterstützt werden, was ihnen besonders dann zugutekommen sollte, wenn ihnen etwa Vorbehalte aufgrund ihrer „Heimvergangenheit“ entgegengebracht würden. Zusammen mit fast 20 ErzieherInnen arbeitete Fränzel konsequent an einer weltoffenen Gestaltung des Heimlebens. Dabei galt es neben der „Pädagogik der Freizügigkeit“ auch, weniger verantwortungsbewussten Kindern ihre Grenzen aufzuzeigen. „In solchen Fällen scheuen wir uns nicht vor strafferen Maßnahmen“, betonte der Heimleiter.
238 Vgl. Kölnische Rundschau, 3. Juni 1982. 239 Vgl. dazu: Kölner Stadt-Anzeiger, 12. Juli 1982.
6. „Haus Ehrenfried“: keine Fortsetzung
6.1 Die Absage an eine Neukonzeption Trotz der intensiven Bemühungen um ein neues Heimkonzept, das vom Kreisjugendwohlfahrtsausschuss immerhin einstimmig empfohlen worden war, wurde es letztlich abgelehnt. Nach der Sitzung des Kreisausschusses vom 23. September 1982 unter Leitung des Vorsitzenden, Landrat Dr. Bernhard Worms, stellte sich heraus, dass die Zustimmung aus finanziellen Gründen eingeschränkt werden musste: Die Umstrukturierung wurde zwar befürwortet, nicht aber die Einstellung mindestens eines Heilpädagogen – darin waren sich die Sprecher der CDU - und der SPD -Fraktion „angesichts der vorhandenen finanziellen Misere“1 einig. Schließlich hatte die Kreiskasse einen Fehlbedarf in Höhe von sechs Millionen D-Mark zu verzeichnen.2 Oberkreisdirektor Dr. Helmuth Bentz wollte nun zwar versuchen, das neu erarbeitete Konzept für „Haus Ehrenfried“ umzusetzen, allerdings unter Einsparung von neuem Personal, was bedeutete, dass es in wesentlichen Punkten nicht realisiert werden konnte. Heimleiter Fränzel hatte sich zuvor in zahlreichen Gesprächen und Sitzungen über einen langen Zeitraum sehr engagiert für Verbesserungen in der Heimkonzeption von „Haus Ehrenfried“ eingesetzt. Auch seine beiden Vorgänger als Heimleiter, René Marx und Siegfried Hölker, hatten bereits auf deutliche Mängel hingewiesen, die eine Neukonzeption erforderlich gemacht hätten. Überrascht und enttäuscht vom negativen Ergebnis der Kreisausschusssitzung wandte sich Fränzel am 7. Oktober 1982 in ausführlichen Schreiben 3 an den Landrat sowie an den Sozialdezernenten Kemmerich. Er kommentierte darin die einseitigen finanziellen Betrachtungen seitens des Kreisausschusses und die abschlägige Wertung des Sozialdezernenten in Bezug auf das neue Konzept für die Heimunterbringung. Nicht nachvollziehbar war für ihn die einstimmig beschlossene Nichteinstellung eines Heilpädagogen für das Kreiskinderheim, obwohl, wie Fränzel darstellte, „alle Vertreter der Parteien des Kreistages in den Ausschüssen [im Unterausschuss Kreiskinderheim, im Jugendwohlfahrtsausschuss und im Beirat des Instituts für Psychohygiene], in denen ich unsere Heimarbeit darstellen konnte, die Erziehungssituation des Kreiskinderheims erkannt (haben).“ Seine Motivation für eine Neu- und Umstrukturierung des Heims beschrieb er als ausschließlich darin begründet, 1 Vgl. Kölnische Rundschau, 8. Oktober 1982. 2 Zu den einzelnen Positionen vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 27. Dezember 1982. 3 Alle folgenden Zitate aus den Schriftwechseln sind entnommen aus: Kreisarchiv Rhein-ErftKreis. 100/318.
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den in ihrem jungen Leben schon jetzt viel zu kurz gekommenen und im Heim leben müssenden Kindern und Jugendlichen eine bessere, qualifiziertere und nach den heutigen Gesichtspunkten optimalere Erziehung zuteil kommen zu lassen. Meine Überlegungen entstanden aus meiner langjährigen Erfahrung in der Heimerziehung und meinem Informationsstand über die Heimerziehung in der Bundesrepublik.
Und er ergänzte: Ich war sehr betroffen über die Art und Weise, in der dieser Tagesordnungspunkt behandelt worden ist. Das dem Ausschuß vorliegende Konzept einer Umstrukturierung des Kreiskinderheims ist das Minimalergebnis eines langanhaltenden Prozesses. […] Dass der von Ihnen [Herrn Dr. Worms] geleitete [Kreis-]Ausschuss die vorher gefassten einstimmigen Beschlüsse nicht übernommen hat, kann sicher nur durch fehlende Information geschehen sein. Ich kann nicht glauben, dass die mir bekannten Entscheidungsträger mit doppelter Zunge reden.
In seinem Schreiben an den Sozialdezernenten Kemmerich führte Fränzel weiter aus: Dabei kann ich mich Ihrer Wertung nicht anschließen, dass man bei dem vorliegenden Konzept nicht ausreichend fiskalische und personalwirtschaftliche Aspekte berücksichtigt hat. […] Die Qualifizierung des Heims durch eine heilpädagogisch/therapeutische Gruppe ist aber nur und ausschließlich durch die Einstellung eines Heilpädagogen möglich. […] Sehr geehrter Herr Kemmerich, ich glaube aber, dass man Ziele, die man für richtig hält und die fachlich fundiert sind, auch dann erreichen kann und erreichen sollte, wenn der Weg dahin sehr schwierig ist.
Aber auch mit diesem Appell hatte der Heimleiter keinen Erfolg. Vielmehr stellte sich heraus, dass nicht nur die Einstellung zusätzlichen Personals abgelehnt wurde. Womit wohl niemand im „Haus Ehrenfried“ gerechnet hatte: Es wurde letztlich sogar die komplette Auflösung des Heims beschlossen. Der Kreis wollte oder konnte offensichtlich nicht die neuen Wege beschreiten, die dem Kreiskinderheim unter veränderten pädagogischen Leitlinien ein neues Konzept und ein Weiterbestehen ermöglicht hätten. Aus diesem Für und Wider entspann sich in der folgenden Zeit eine kontro vers geführte Auseinandersetzung z wischen Befürwortern und Gegnern des Kreiskinderheims.
6.2 Proteste, Meinungskampf und knappe Mehrheiten 1983 hätte das Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ sein 25-jähriges Bestehen feiern können – bezogen auf den Umzug im September 1958 und die darauf folgende offizielle Einweihung im Dezember. Auf d ieses Jubiläum wies Heimleiter Alfons
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Fränzel bereits Mitte Januar 1983 an entsprechender Stelle in der Kreisverwaltung hin. Die schriftliche Anfrage des Jugendamts an den Oberkreisdirektor Dr. Helmuth Bentz, „ob und ggf. in welcher Form aus diesem Anlaß besondere Veranstaltungen des Kreises geboten erscheinen“, wurde einige Wochen später mit einer knappen handschriftlichen Notiz kommentiert: „Hat sich wegen Heimauflösung erledigt.“ Diese Auskunft basierte auf dem Protokoll über das Monatsgespräch am 10. Januar 1983 in Hürth, in dem der OKD bestätigt hatte, es „seien Überlegungen im Gange, das Brühler Kinderheim zu schließen. Konkretes habe man jedoch noch nicht beschlossen; sobald dies greifbar werde, würde der Personalrat eingeschaltet.“4 In der Kreistagssitzung am 18. November 1982 hatte Dr. Bentz „erstmals seit Bestehen des Erftkreises einen unausgeglichenen Haushalt vorgelegt, der vorau ssichtlich einen Fehlbedarf von 6,2 Mio DM ausweisen wird. Da der Kreis in diesem Jahr mit einem Minus von 2,5 Mio DM abschließen wird, ergibt sich eine Deckungslücke von 8,7 Mio DM.“5 Bei aller Kritik an der Finanzpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen und der daraus folgenden Notwendigkeit größerer Einsparungen verteidigte Dr. Bentz allerdings ausdrücklich die Ausgaben für die Jugendpflege. „An der Jugendhilfe, die ohnehin schon knapp genug sei, darf nicht weiter gespart werden“, bekräftigte er.6 Bei den Etatberatungen des Kreisausschusses Anfang Dezember 1982 ging es dann um die Neuverteilung der Finanzlasten. „Was die kreiseigenen Jugendbildungsstätten betrifft, ist sich die CDU mit den Sozialdemokraten einig: Die Häuser sollen nicht verkauft werden. Aber die Diskussion über einen möglichen Verkauf habe erheblich zu einer Verminderung der Kostenansätze beigetragen, stellen [Lothar-Theodor] Lemper und CDU -Kreisvorsitzender [Willi] Kaiser zufrieden fest.“7 Die Forderung der SPD an die Kreisverwaltung, ihre RWE Aktien zu verkaufen und mit dem Erlös die Finanzlage aufzubessern und den örtlichen Arbeitsmarkt anzukurbeln, lehnten CDU und FDP kategorisch ab.8 CDU- und FDP-Kreistagsfraktion baten im Frühjahr 1983 in d iesem Zusammenhang den Oberkreisdirektor „zu überlegen, ob nicht zur Entlastung des Kreises diese Einrichtung [das Kinderheim „Haus Ehrenfried“] zugunsten freier Träger aufgegeben werden könne, zumal dort infolge des Geburtenrückganges freie Kapazitäten vorhanden s eien“.9 Und wenn die freien Kapazitäten nicht ausgenutzt werden könnten, stünden die freien Träger in absehbarer Zeit vor der misslichen Situation, dass einigen ihrer Häuser dann möglicherweise die Schließung drohe. 4 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 5 Vgl. Kölnische Rundschau, 19. November 1982. Am 17. Dezember 1982 schrieb der Kölner Stadt-Anzeiger, dass es sich letztlich um „Fünf Millionen Defizit im Kreishaushalt“ handele. 6 Kölner Stadt-Anzeiger, 19. November 1982. 7 Kölner Stadt-Anzeiger, 9. Dezember 1982. 8 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 17. Dezember 1982. 9 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 6. Mai 1983.
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Jedoch dürfe den freien Trägern „die Existenzgrundlage nicht entzogen werden“, erklärte OKD Dr. Bentz.10 Diese Überlegung beinhaltete eine massive Bedrohung für das Weiterbestehen von „Haus Ehrenfried“: Würde sie realisiert, müsste das Heim nicht nur die zunächst geplanten Einsparungen verkraften, sondern wäre in seiner gesamten Existenz infrage gestellt. Ob das Kreiskinderheim überhaupt wirtschaftlich genug betrieben werden konnte, um eine Weiterführung zu rechtfertigen, war seit Anfang der 1970er Jahre immer wieder in Haushaltsberatungen diskutiert worden. Neben der Einsicht in die finanzielle und organisatorische Belastung, die das Kinderheim für die Kreisverwaltung bedeutete, wurde schon damals die Auffassung vertreten, eine Kreisverwaltung sei einer solchen Erziehungsaufgabe nicht gewachsen bzw. sei damit schlicht überfordert. Dies hatte bei der Kreisverwaltung den Wunsch ausgelöst, von der Verantwortung für das immer öfter als „schwierig“ bezeichnete Objekt entbunden zu werden und das Heim in die Trägerschaft eines freien Wohlfahrtsverbands zu übergeben. Doch 1983, mehr als zehn Jahre später, war es anders. Jetzt ging es nicht um die Suche nach einem anderen Träger, sondern es bahnte sich der Entschluss an, das Kreiskinderheim aufzugeben. Eine bedeutsame Richtungsentscheidung wurde am 21. März 1983 im Büro des Kölner Regierungspräsidenten (RP ) Dr. Franz-Josef Antwerpes gefällt, als der Landrat, die drei Fraktionsvorsitzenden des Kreistages sowie der Oberkreisdirektor für die Kreisverwaltung dorthin eingeladen worden waren. Themen der Besprechung waren der Kreishaushalt 1983, „der bekanntlich ein Millionen-Loch hat“,11 sowie Perspektiven zur Sanierung der Kreisfinanzen.12 Der RP erklärte, den Haushalt 1983 nur dann genehmigen zu können, „wenn wesentliche Einsparungen vorgenommen würden“. Dabei regte er u. a. an, an die Auflösung des Kreiskinderheims zu denken. Dies sollte umsetzbar sein, mit der Begründung, dass „viele freie Träger einen erheblichen Mangel an Kindern haben und ihre Häuser nicht mehr auslasten können. Es müßte daher möglich sein, die Kinder angemessen unterzubringen.“ Auch an den Verbleib des Personals war bereits gedacht: „Es müßte versucht werden, es bei den aufnehmenden Heimen, wenn möglich, unterzubringen. Notfalls müßte auch an Entlassungen gedacht werden.“ Erst die Prüfung durch die Verwaltung des Erftkreises, „von welchen teuren kreiseigenen Einrichtungen er sich trennen könne“,13 habe ergeben, „dass gewichtige Gründe für die Auflösung des Brühler Kinderheims sprechen“.14 Unmittelbar anschließend beauftragte der OKD das Fachdezernat, eine Prüfung 10 11 12 13 14
Kölner Stadt-Anzeiger, 28. April 1983. Kölnische Rundschau, 19. Mai 1983. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 24. März 1983. Kölnische Rundschau, 19. Mai 1983. Kölner Stadt-Anzeiger, 20. Mai 1983.
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zu veranlassen, bei w elchen freien Trägern die Kinder des Heims und ggf. auch das Personal untergebracht werden könnten. Das übergeordnete Ziel dieser geplanten Maßnahmen zur Entlastung des Kreishaushalts wurde präzise benannt und in der Tagespresse veröffentlicht: „Ziel ist u. a. der Verkauf des gesamten Areals, der eine erhebliche Einnahme für den Vermögenshaushalt bedeuten würde. […] Die Tage des Kinderheims ‚Ehrenfried‘ in Brühl scheinen gezählt zu sein. Der Oberkreisdirektor will Haus und Grundstück verkaufen. Der Erftkreis braucht dringend Geld.“15 Dies stimmte mit der Aussage von Dr. Bentz überein, dass „die schlechte Haushaltslage des Erftkreises ausschlaggebend für die beabsichtigte Veräußerung des Heimes“ war. „Sollten keine größeren Probleme auftauchen, werde er – der OKD – dem Erftkreis die Auflösung des Kinderheims vorschlagen. Er hoffe, daß zum Jahresende die Vorbereitungen abgeschlossen s eien und die Veräußerung Anfang 1984 erfolgen könne.“16 Vom Verkauf von Haus und Grundstück des Kinderheims erhoffte sich der Erftkreis drei bis fünf Millionen D-Mark. Und auch Kaufinteressenten waren bereits bekannt. Der OKD hatte seine Mitarbeiter verpflichtet, in dieser Sache zu schweigen.17 Noch mehr: Er hatte „all denen disziplinarische Maßnahmen angedroht, die sich in irgendeiner Form zur Auflösung des Kinderheims äußern bzw. sich an Protestmaßnahmen beteiligen“.18 Trotz dieser Ankündigung wurde die Vorgabe nicht eingehalten. So informierten die Lokalseiten der Tageszeitungen umgehend über die aktuell formulierte Zielperspektive für „Haus Ehrenfried“, wodurch die brisante Neuigkeit an eine breite Öffentlichkeit gelangte. Die Kölnische Rundschau berichtete unter der Überschrift „Kinderheim in Brühl gefährdet“, dass in der nächsten Sitzung des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses auf Antrag von CDUKreistagsmitglied Willi Zylajew das Thema Kinderheim auf der Tagesordnung stehe. „Verwaltungsintern wird nämlich zur Zeit geprüft, ob das Kinderheim Brühl aus wirtschaftlichen Erwägungen aufgelöst werden soll und die Kinder in anderen Heimen untergebracht werden sollten.“19 Im Kölner Stadt-Anzeiger war von bislang internen und „geheimgehaltenen Verhandlungen“ zu lesen, über die weder die Betroffenen im Kinderheim, noch die Mitglieder des Jugendwohlfahrtsausschusses, noch die übrigen Kreispolitiker in Kenntnis gesetzt worden waren.20 Die von ihm verordnete „Geheimhaltung“ begründete Dr. Bentz damit, zuerst einmal vertrauliche Gespräche zu führen um festzustellen, ob überhaupt eine Chance bestand, daß ein freier Träger zur Übernahme bereit war. […] Wenn der Kreistag am 31. 06. 1983 positiv über die Auflösung des Heimes entscheidet, werde ich mich 15 16 17 18 19 20
Kölner Stadt-Anzeiger, 20. Mai 1983; 9./10. April 1983. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 15. April 1983. Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 9./10. April 1983. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 26. Mai 1983. Kölnische Rundschau, 9./10. April 1983. Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 9./10. April 1983.
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selbstverständlich persönlich um das weitere Schicksal von Kindern und Erziehern bemühen und dafür sorgen, daß jeder zu seinem Recht kommt.21
Gegen das Vorgehen der Kreisverwaltung setzte sich dennoch etwa Willi Zylajew als Vorsitzender der CDU Hürth, Kreistagsabgeordneter und Mitglied im Jugendwohlfahrtsausschuss, zunächst zur Wehr. Er empörte sich darüber, „wie hier Menschen vermarktet werden, nur um an Geld zu kommen“,22 und argwöhnte, „der Erftkreis wolle sich die lästige Aufgabe der Betreuung von Problemkindern in Brühl ‚vom Hals schaffen‘, aber ‚Verwaltungshobbys‘ wie die Burg Dattenberg würden nicht angetastet. […] Es sei unerträglich, daß beim Erftkreis die Politik nicht vom Kreistag, sondern vom Kämmerer gemacht werde.“23 Aus seiner Sicht hätte „der saubere Weg über eine Sondersitzung des JWA geführt“. Diesem Antrag entsprach umgehend der Vorsitzende des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses, Dr. Volker Klepp. In einer Presseerklärung am 12. April 1983 in der Kölnischen Rundschau wehrte sich der CDU-Kreistagsvorsitzende Lothar-Theodor Lemper entschieden gegen die Vorwürfe von Willi Zylajew, bei der Auflösung des Kinderheims spielten lediglich finanzielle Erwägungen eine Rolle. Jedoch zwinge die Finanzlage den Kreis, „vorurteilslos über Einsparungen nachzudenken“ und demzufolge einen Verkauf des Heims und die Unterbringungsmöglichkeiten für die Kinder in anderen Heimen zu prüfen. Voraussetzung für die Auflösung des Kreiskinderheims seien die Qualitätsstandards in den übernehmenden Heimen, die mindestens genauso hoch wie im „Haus Ehrenfried“ sein müssten. „Jedes Mitglied im Kreistag ist sich darüber einig, das Beste für die Kinder des Heimes zu tun“, so Lemper. Und er betonte nachdrücklich: „Kindern und Personal gilt dabei die Hauptsorge.“24 Der OKD sei am 20. November 1982 von der CDU -Kreistagsfraktion einstimmig gebeten worden, Möglichkeiten einer Veräußerung des Kreiskinderheims unter den genannten Bedingungen zu untersuchen. Der Regierungspräsident Dr. Antwerpes habe ebenfalls angeregt, die Möglichkeit der Unterbringung der Kinder des Kreiskinderheims in einem anderen Heim zu überprüfen. Von einem Alleingang der Kreisverwaltung in der Angelegenheit könne demnach keine Rede sein. Auf die Überlegungen im Kreisausschuss, das Brühler Kinderheim zur Entlastung der Haushaltslage zu verkaufen, wandten die Vertreter der SPD ein, dass der Kreis eine finanzielle Entlastung allein durch den Verkauf des Grundstücks erreichen würde, während die Kosten für die Unterbringung der Kinder in anderen Häusern gleich blieben.25 „Statt den Verkauf des Kinderheimes zu 21 22 23 24 25
Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 31. Mai 1983. Kölner Stadt-Anzeiger, 11. April 1983. Kölner Stadt-Anzeiger, 9./10. April 1983. Brühler Schloßbote, 13. April 1983. Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 2. Juni 1983.
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betreiben, sollte der OKD lieber den Beschluß des Kreistages ausführen, die Grundstücksflächen zu verkaufen, die für die Nutzung des Kinderheimes nicht benötigt werden. Darüberhinaus gibt es noch andere ‚Vermögenswerte‘, die verkauft werden könnten.“26 Sie hielten zudem ihren Beschluss aufrecht, das Heim in der Trägerschaft des Erftkreises zu lassen, da die Auflösung für die betreuten Kinder eine erneute Entwurzelung nach sich ziehen würde. Die mit großem pädagogischem Einsatz aufgebauten Bindungen der Kinder zu ihren Erziehern und die Vertrautheit mit ihrer Umgebung würden abrupt zerrissen. Mit dieser Einordnung befand sich die SPD -Fraktion in Einklang mit dem gesamten Kreisjugendwohlfahrtsausschuss. An den Plänen, das Kinderheim zu schließen, änderten auch die ausführlichen Darlegungen zur Situation der dort untergebrachten Kinder nichts, die die Erzieher bzw. Leiter der jeweiligen Gruppen im „Haus Ehrenfried“ an den OKD Dr. Bentz 27 übermittelten. So hieß es im Schreiben der „Mariengruppe“ vom 20. April 1983: Mit unserem Schreiben möchten wir unbedingt darauf hinweisen, was eine Auflösung des Kinderheims für jedes unserer Kinder bedeuten würde. […] Kinder, die sich im Laufe der Jahre mit allen Schwierigkeiten in den Gruppen- u. Heimalltag eingelebt haben und die sich wie zu Hause fühlen. Es wirkt sich positiv auf das Verhalten der Kinder aus, eine konstante Bezugs- und Pflegeperson zu haben, deren Vertrauen sie genießen, was vor ihrer Heimeinweisung in den meisten Fällen nicht gegeben war. Das seelische Gleichgewicht der Kinder, um deren wegen wir so bemüht sind, würde durch einen Wechsel der gesamten Lebenssituation des Kindes völlig gestört werden. […] Eine Verlegung (würde) für jedes einzelne Kind eine unzumutbare Belastung ergeben.
Die „Markusgruppe“ schrieb am 21. April 1983: Wir wollen nicht versäumen, Ihnen mitzuteilen, wie tieftraurig und enttäuscht Kinder und Erzieher sind, daß unser Haus, in dem wir uns alle sehr wohl fühlten, verkauft werden soll. Auch wenn Sie es nicht glauben wollen, für viele ist das Kinderheim ein Zuhause. […] Wir haben zu vielen Kindern einen sehr engen emotionalen Kontakt, der für unsere Arbeit sehr wichtig ist, und den das Kind zur normalen Entwicklung braucht. […] Jeder Umzug ist schmerzlich und tut weh; wenn er zu umgehen ist, würde es jeder Vater und jede Mutter tun. 26 Vgl. Kölnische Rundschau, 13. April 1983; Kölner Stadt-Anzeiger, 13. April 1983. 27 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. Schreiben mit Durchschriften „an den Fraktionsvorsitzenden der CDU, Herrn Lemper; an den Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Hartmann; den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Schild; an den Jugendwohlfahrtsausschussvorsitzenden, Herrn Dr. Klepp; an den Kreistagsabgeordneten der CDU, Herrn Zylajew; an die Heimaufsicht des Landschaftsverbandes, Frau Dr. Siebenmorgen; an den Kinderschutzbund Brühl“.
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Das Team der „Christopherusgruppe“ formulierte ihr Schreiben ebenfalls am 21. April 1983: „Das Team unserer Gruppe macht sich große Sorgen um die Zukunft der uns anvertrauten Kinder.“ Nach der Schilderung der Vorgeschichte der jeweils sehr belasteten Kinder sowie ihrer Betreuung und Versorgung im Heim baten die Betreuer der Christopherusgruppe, zu bedenken, was es für unsere Kinder bedeutet, wenn unser Heim in Zukunft geschlossen würde und die Kinder in anderen Heimen untergebracht würden. […] Hier lernten sie nach großen anfänglichen Schwierigkeiten sich zu integrieren, Vertrauen zu fassen, in der Schule festen Fuß zu fassen und auch aufnahmebereit zu sein. Für unsere Kinder würde ein Neuanfang in einer anderen Einrichtung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Wie soll ein Mensch werden, der ständig entwurzelt wird.“
Die Erzieher der „Margaretengruppe“ sahen es als unsere Pflicht an, die zuständigen Behörden über die Gefahren und Konsequenzen, die durch die Schließung des Heimes auftreten, zu informieren. Der Einbruch von Störungen wird in jeder Entwicklung zur kritischen Belastungsprobe. Unsere Kinder erleben im Heim die derzeitige Situation als beklemmend. Sie reagieren mit Angst, Aggressionen und fühlen sich jedermann ausgeliefert. Es muß geprüft werden, ob der gesetzliche Auftrag JWG §1 bei einer Verlegung der Kinder noch gegeben sein kann. […] Das seelische Wohl jedes unserer Kinder wird durch eine erneute grundlegende Veränderung in Frage gestellt. Sie verlieren ihre Freunde und werden aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen. Dieses und noch tiefgreifendere seelische Probleme werden durch den Paragraphen des JWG,28 wie er hier von Ihnen gehandhabt wird, nicht beachtet.
Auch die „Wohngruppe“ meldete sich am 21. April 1983 mit einem dezidierten Schreiben zu Wort: Wir möchten unsere tiefe Betroffenheit über die bevorstehende Schließung unseres Hauses zum Ausdruck bringen. Wir sind der Überzeugung, daß die meisten der maßgebenden Entscheidungsträger die Tragweite einer Schließung des Heims nicht ermessen können. In unserem Haus haben 50 Kinder und Jugendliche ein neues Zuhause gefunden, das sie jetzt aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten verlieren sollen. […] Die Reaktionen unserer Kinder/Jugendlichen auf den Artikel im Kölner S tadtanzeiger vom 9. 4. 83 werden Ihnen die Gefühle und Empfindungen der Betroffenen am besten verdeutlichen. Die Kinder waren völlig entsetzt und verstört. Einige weinten, die meisten reagierten mit panischer Angst. Wir Erzieher werden permanent mit der Frage konfrontiert, was jetzt aus ihnen werden solle.
2 8 § 1 JWG: „Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit.“
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Unsere Kinder wollen nicht weg aus Brühl! Sie fühlen sich wohl hier, weil hier ihr soziales Umfeld ist wie Schule, Arbeitsstelle, Freundeskreis, Verwandtschaft. Für die Jugendlichen, die bereits mehrfach die Schule wechseln mußten, würde sich ein erneuter Schulwechsel äußerst nachteilig auswirken. Ein positiver Abschluß ist durch das Herausreißen aus der gewohnten Schulsituation und dem Beziehungsfeld gefährdet. Eine derartige zusätzliche Belastung ist unseren Kindern nicht zuzumuten! […] Was unseren Kindern und Jugendlichen durch eine Schließung des Heimes bevorsteht, ist entwicklungspsychologisch nicht zu vertreten. Das Wohl unserer Kinder und Jugendlichen soll wegen finanzieller Aspekte zurückstehen. Die Verlegung eines einzelnen Kindes unseres Hauses erfolgte bisher erst nach genauester Prüfung sämtlicher pädagogischer und sozialer Gesichtspunkte. Um das Finanzloch des Erftkreises angeblich stopfen zu können, sollen nun 50 Kinder auf einmal abgeschoben werden.
Vor diesem Hintergrund beruhten die zahlreichen Proteste des Personals gegen die Schließung nicht zuletzt auf der berechtigten Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Auch die im Heim untergebrachten Kinder wandten sich mit zielgerichteten Aktivitäten gegen die Pläne zur Aufgabe des Hauses. Plakataktionen und Demonstrationen, Gespräche mit den Verantwortlichen und Briefe an die Politiker sollten auf ihre Situation und ihre Befürchtungen hinweisen: „Wer fragt uns? […] Wir lassen uns nicht wie Schlachtvieh verfrachten.“29 In ihrem Protest unterstützt wurden die Heimkinder von der Öffentlichkeit, so z. B. von Vertreterinnen der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF). Diese hatten zu einer Demonstration aufgerufen, der etwa 50 Personen folgten, und 50 Unterschriften gegen die Pläne des OKD gesammelt, die dem Heimleiter Fränzel von den beiden SPD-Politikern Klaus Lennartz (MdB) und Albert Klütsch (MdL) überreicht wurden. Anschließend marschierten die Protestler unter Polizeischutz mit ihren Transparenten durch die Brühler Innenstadt. Dass den Kindern aus „Haus Ehrenfried“ seitens der Kreisverwaltung Protestaktionen gegen die geplante Schließung untersagt wurden, bezeichnete Irene Westphal, SPD-Vorsitzende des Kreissozialausschusses, in einem offenen Brief an Oberkreisdirektor Dr. Helmuth Bentz als „eine sehr schlechte Demonstration in Sachen Demokratie“. Ein Maulkorb fördere keinesfalls gesellschaftspolitisches Verantwortungsbewusstsein und Engagement.30 An der Auseinandersetzung um die Schließung des Kreiskinderheims „Haus Ehrenfried“ beteiligten sich auch Leser der lokalen Tagespresse und des Wochenblatts „Brühler Schloßbote“: „Ich habe viele Kinder erlebt, die erstmals im Heim ein Zuhause hatten und sich dort geborgen und sicher fühlten. […] Ich kann deshalb nicht verstehen, daß man ein Heim auflöst und die Kinder aus ihrem 29 Kölner Stadt-Anzeiger, 22. April 1983. 30 Kölner Stadt-Anzeiger, 25. April 1983.
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gewohnten Umfeld reißt, nur weil Geld im Kreishaushalt fehlt.“31 In einem anderen Leserbrief wird das „Millionen-Loch im Kreishaushalt“ thematisiert: Wofür die Heimkinder in Wahrheit büßen müssen, wird erst deutlich, wenn man das Folgende hierbei berücksichtigt. Der Haushaltsvorschlag der Verwaltung, bei der diesjährigen Kapitalerhöhung der RWE die dem Kreis zustehenden Aktienbezugsrechte für etwa 2,1 Millionen DM zu veräußern, wurde von der Kreistagsmehrheit abgelehnt. Statt dessen setzten die beiden Mehrheitsfraktionen durch, daß der Erftkreis im Zuge der Kapitalerhöhung neue RWE-Aktien zum Preis von ca. 4,3 Millionen DM erwirbt, obwohl schon damals ein gewaltiges Haushaltsdefizit erkennbar war. Allein dieser Beschluß belastet den Haushalt des Erftkreises durch Mindereinnahmen von 2,1 Millionen und Mehrausgaben von 3,4 Millionen DM insgesamt mit 5,5 Millionen DM. Da nunmehr der Regierungspräsident als Aufsichtsbehörde eine Verringerung des Haushaltsdefizits verlangt, fällt der Kreistagsmehrheit nichts besseres ein, als die durch die eigene Fehlentscheidung mitverursachte Haushaltslücke durch den Verkauf des funktionstüchtigen Kinderheims auszugleichen, weil man bei dieser Maßnahme wohl mit dem geringsten Widerstand rechnete. Letztlich bezahlen also die Heimkinder die Zeche für die weitere Aufstockung des RWE-Aktienkapitals durch den Erftkreis.32
Mit einem sehr kritischen Kommentar bezog auch Ulla Fröhlich, Redakteurin beim Kölner Stadt-Anzeiger, Stellung zu der geplanten Schließung des Brühler Kinderheims: Die Kinder von Haus Ehrenfried haben sich zu Wort gemeldet: Selbstbewußt, engagiert, erstaunlich gut informiert. Die Politiker werden nicht umhin können, ihnen Gehör zu schenken. Denn diese Kinder fürchten um ihr Zuhause, das ihnen der Kreis gegeben hat und jetzt wieder zu nehmen droht. Die Pläne, das kreiseigene Kinderheim zu schließen, um die Finanzlage des Erftkreises wenigstens etwas aufzubessern, haben bisher recht wenig Protest ausgelöst. Dabei war Haus Ehrenfried, das im Herbst dieses Jahres 25 Jahre alt würde, mal eins der Paradestücke. Von vielen anderen Kinderheimen unterscheidet sich das Haus wohltuend: Die Kinder leben in relativ kleinen Gruppen mit festem Zusammenhalt, die sie selber als ihre Familien bezeichnen. Wer eine Schließung d ieses Heimes ernsthaft ins Auge faßt, muß sich darüber im klaren sein, daß er die jungen Menschen, von denen einige erst hier erfuhren, was „Zuhause“ heißt, zum zweiten Mal entwurzelt. Fünf Gruppen gibt es in Haus Ehrenfried – fünf Familien, die auseinandergerissen werden. Die Proteste der Kinder zu überhören, kann sich weder der Kreis noch irgendein Politiker leisten. Denn sie sind Staatsbürger – mit viel Vertrauen in die Demokratie. Ihnen
31 Brühler Schloßbote, 20. April 1983. 3 2 Kölner Stadt-Anzeiger, 8. Juni 1983. Im Jahr 2007 konnte der Kreis durch den Verkauf von RWE-Aktien vollständig entschuldet werden.
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zu verbieten, ihre Plakate aufzuhängen, muß man fast für Angst vor Meinungsäußerungen halten. Ein Kinderheim zu verkaufen, um den Etat zu sanieren, ist der Tiefpunkt kommunaler Selbstverwaltung. Daß ein Parlament unter einem gerade als Familienpolitiker bekannten Vorsitzenden einen solchen Beschluß fällt, ist kaum vorstellbar. Die Pläne sollten gar nicht erst wieder in die Schublade, sondern direkt in den Papierkorb wandern.33
Aber weder alle diese engagierten Schreiben hatten Erfolg, noch Einlassungen der „Jungsozialisten Erftkreis“, der „Grünen – Brühl“, von Vertretern der Ortsgruppen von „Terre des Hommes“ und des „Deutschen Kinderschutzbundes“, von Vertretern der SPD -Fraktion, der „Falken“, von Mitarbeitern des Jugendamts und der Gemeindebücherei, mit über 3000 Unterschriften als Solidaritätsbekundungen für die Heimkinder, darunter auch zahlreiche von Brühler SchülerInnen, ergänzt durch viele weitere Protestbekundungen und Argumente gegen die Heimschließung. Die Jungsozialisten im Erftkreis formulierten in ihrer Stellungnahme, dass es durch den Verkauf von „Haus Ehrenfried“ zwar gelingen könnte, den Kreishaushalt kurzfristig zu sanieren, jedoch seien dies einmalige Entlastungen. „Nicht in die Rechnung fließen hier die sozialen Folgekosten ein, ganz zu schweigen von den nicht in Geld auszudrückenden Schicksalen junger Menschen.“34 Die Arbeitsgruppe der Kinderhilfsorganisation „Terre des Hommes“ äußerte sich zutiefst beunruhigt über die geplante Schließung und verwies auf die „Deklaration über die Rechte der Kinder“ der Vereinten Nationen vom 20. November 1959,35 und man bezweifelte, ob es das Beste für die Kinder sei, wenn sie zum zweiten Mal entwurzelt würden.36 Ende Mai 1983 kam sogar die Überlegung auf, gegen die beabsichtigte Schließung des Kinderheims den Rechtsweg zu beschreiten. „Eine Klage für das Recht auf Wohlergehen der Kinder wäre möglich“, könne aber „nur von Heiminsassen oder deren Vormund eingeleitet werden“.37 Dazu kam es nicht. Selbst der Personalrat bei der Kreisverwaltung des Erftkreises schaltete sich ein. Er hatte einstimmig beschlossen, sich gegen die Veräußerung des Kreiskinder heims in Brühl auszusprechen und argumentierte sehr differenziert: Die Verlegung selbst einzelner Gruppen aus diesem Heim in ein anderes Heim käme sicherlich einem erneuten Entwurzelungsprozeß gleich, der sich schädlich auf die der besonderen Fürsorge bedürfenden Kinder auswirken könnte. […] Gravierende Bedenken gegen die Auflösung des Kinderheims haben wir allerdings aus personeller Sicht. […] 33 Kölner Stadt-Anzeiger, 22. April 1983. 34 Brühler Schloßbote, 15. Juni 1983. 35 Grundsatz 7: „Das Beste des Kindes ist der Leitgedanke für alle, die für seine Erziehung und Fürsorge Verantwortung tragen.“ 36 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 2. Mai 1983. 37 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 31. Mai 1983.
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Wegen diesen vielfältigen personellen Problemen, aber auch wegen der mit dem Verkauf verbundenen sozialen Problemen vertritt der Personalrat die Auffassung, das Kinderheim unbedingt zu behalten.38
Seine Verärgerung über die Absicht, das Heim aufzugeben, nachdem noch im vergangenen Jahr im Verlauf von zahlreichen Sitzungen eine neue Konzeption für das Heim entwickelt worden war, artikulierte auch der Jugendwohlfahrtsausschuss. Daraufhin erinnerte die CDU, deren Mitglieder mehrheitlich für die Auflösung des Heims votiert hatten, an das Subsidiaritätsprinzip, nach dem in erster Linie freie Träger die Aufgabe haben, soziale Dienstleistungen zu erfüllen. Erst wenn freie Träger diese Aufgabe nicht mehr erfüllen können, kann der Staat – und in diesem Falle ein kommunaler Träger – in Anspruch genommen werden. Der Gesetzgeber habe sich klar und eindeutig für die freien Wohlfahrtsverbände als Heimträger ausgesprochen.39 Diesen Ausführungen hielten die Vertreter der SPD entgegen: Freie Träger seien nicht besser als ein öffentlicher Träger. Die Pflegesätze der freien Träger seien zwar geringfügig niedriger, allerdings nur für Normalfälle, nicht aber für Problemkinder, welche auch in Brühl untergebracht seien. Vorstand und Fraktion des SPD -Ortsvereins verlangten mit Nachdruck den Erhalt des Brühler Kinderheims. Sie warfen dem OKD außerdem vor, die Wünsche der Kinder, die sich für ihr Heim ausgesprochen hätten, überhaupt nicht berücksichtigt zu haben.40 Wer diesen Kindern auch noch zumute, aus der gewohnten Umgebung gerissen zu werden, der setze sich „kaltschnäuzig“ über die Nöte einer Randgruppe hinweg. Die sehr eindeutige Position des SPD -Ortsvereins zitierte der Kölner Stadt-Anzeiger: „Eine Gesellschaft, die sich tatkräftig für Wirtschaftsförderung, Parkplätze, Straßenbau und Kulturpaläste einsetze und gleichzeitig die Interessen von Minderheiten ignoriere, verdiene es nicht, human genannt zu werden.“41 Um die Entscheidung zur Auflösung von „Haus Ehrenfried“ zu untermauern, sagte OKD Dr. Helmuth Bentz nun im Kreisausschuss ungeachtet der Gegenargumente: „Ich kann die Auflösung des Heims guten Gewissens empfehlen, es war ohnehin für einige Fälle überfordert.“42 Und Willi Zylajew ergänzte: „Wir sollten nicht so tun, als sei im Haus Ehrenfried in den letzten Jahren ein heile Welt gewesen. Ich bezweifle, daß der Erftkreis in der Lage ist, das Heim so zu führen, wie es geführt werden müßte.“43 Daher sprach auch er sich nun für die Schließung des Heims aus, obwohl sich dadurch an den laufenden Kosten für 38 39 40 41 42 43
Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 22. April 1983. Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 20. Mai 1983. Vgl. Kölnische Rundschau, 30. April 1983. Kölner Stadt-Anzeiger, 3. Mai 1983. Kölner Stadt-Anzeiger, 19. Mai 1983. Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 19. Mai 1983.
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den Kreis wenig ändern würde, es also zu keiner finanziellen Entlastung kommen würde. Er wusste: „Wir sparen nichts.“44 Lothar-Theodor Lemper unterstrich seine Ansicht nochmals in einer Presseerklärung:45 Da in Heimen der freien Träger aufgrund der abnehmenden Zahl von Kindern ausreichende Plätze zur Verfügung ständen, sei es nicht zu vertreten, ein Heim in kommunaler Trägerschaft zu erhalten, wobei das Führen eines Heims ohnehin „keine originäre Aufgabe einer kommunalen Gebietskörperschaft“ sei und eine Kreisverwaltung „im Hinblick auf die vielfältigen Probleme des Heimes von Natur aus überfordert sei, trotz des enormen Engagements der Mitarbeiter“. Er war der Überzeugung: „Eine Kommune ist nicht in der Lage, Kinder zu erziehen.“ Später ergänzte er diese grundsätzliche Einstellung durch ein inhaltliches Argument: „Wir sind der Auffassung, daß die Führung eines Heimes gerade aus pädagogischen Gründen in den in Frage kommenden nichtstaatlichen Heimen, die über jahrelange erzieherische Erfahrungen verfügen, im Interesse der Kinder sinnvoller ist.“46 Willi Zylajew zeigte keinen Zweifel an den Kompetenzen der Erzieher im „Haus Ehrenfried“. Vielmehr warf er dem Kreis vor, er habe sich bislang aus Kostengründen gegen weitreichende Neuerungen in Brühl gesperrt.47 Der JWAVorsitzende Dr. Volker Klepp erinnerte daran, dass in der Vergangenheit immer wieder Umstrukturierungen des Brühler Heims gefordert worden s eien, eben weil unter den gegebenen Bedingungen nicht optimal gearbeitet werden konnte.48 Am 18. Mai 1983 titelte der Kölner Stadt-Anzeiger: „Die CDU steht unter Druck. Massiver Protest gegen Heimpläne.“ An diesem Tag sollte der Jugendwohlfahrtsausschuss des Kreistags die Vorentscheidung über die Zukunft des Kinderheims treffen. Es war inzwischen deutlich geworden, dass sich auch PädagogInnen, die nicht im „Haus Ehrenfried“ tätig waren, über die Absichten des Kreises empörten. In ihrem Beitrag in der Kölnischen Rundschau vom 20. Mai 1983 wies Redaktionsleiterin Ingeborg Eimermacher unter der Überschrift „Das Beste für die Kinder?“ auf die erwartbaren Konsequenzen der Heimschließung hin: „Fest steht, für die Brühler Kinder ist ein Heimwechsel kein lockerer Umzug, sondern ein einschneidendes, schwerwiegendes Erlebnis, auch wenn die Bezugspersonen mitgehen und die Heimauflösung so behutsam wie möglich geschieht. […] Ob in Bergheim oder in Michaelshoven die Bedingungen sehr viel besser sind, darüber gehen die Meinungen auseinander“. Der Personalrat des Kreises ergriff nochmals Partei für die Heimkinder. In einem Schreiben an OKD Dr. Bentz formulierte er scharf: 44 45 46 47 48
Vgl. Kölnische Rundschau, 4. Mai 1983. Vgl. Kölnische Rundschau, 19. Mai 1983. Kölnische Rundschau, 1. Juni 1983. Vgl. Kölnische Rundschau, 4. Mai 1983. Vgl. Kölnische Rundschau, 19. Mai 1983.
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Da einige Verantwortliche im Erftkreis nicht in den Verdacht geraten wollen, für Geld seien sie zu jeder sozialen Untat bereit, haben sie sich ein ebenso simples wie durchschaubares Konzept ersonnen: Nicht etwa finanzielle Erwägungen sind für die Schließung des Kreiskinderheims maßgebend, sondern vornehmlich die Bemühungen um eine optimale pädagogische Versorgung der Kinder.49
Eigentliches Ziel sei es vielmehr, „irgendwelche Defizite im Etat abzudecken“.50 Willi Mengel, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Brühl, bezeichnete die Argumentationsstrategie, es gehe angeblich zentral um die Interessen der Kinder, sogar als „Alibi für Finanzspiele, nur damit Kreispolitiker nicht Farbe bekennen müssen“.51 Am gleichen Tag beendete der Redakteur Willy Kreitz seinen Kommentar im Kölner Stadt-Anzeiger unter der Überschrift „Trauriger Handel“ mit den Sätzen: „Über 30 Jahre lang wurde im Kreistag, wenn Beschlüsse f ü r das Heim zu fassen waren, damit argumentiert, dies diene vor allem der pädagogischen Betreuung der Kinder. Und nun? Wo sind die CDU -Kreistagsabgeordneten, die anderer Meinung sind als Bentz/Lemper? Was sagt Landrat Worms, der u. a. als Familienpolitiker in NRW Karriere macht?“ Trotz aller Proteste, Kritiken und Debatten zeichnete sich jetzt das Ende des Kinderheims immer klarer ab. In den kurz hintereinander folgenden Abstimmungen wurde die Auflösung des Heims besiegelt: • Am 17. Mai 1983 beschloss die CDU-Kreistagsfraktion einstimmig die Auflösung des Kreiskinderheims in Brühl. Am 18. Mai 1983 fasste der Jugendwohlfahrtsausschuss mit acht Ja-Stimmen • und sieben Nein-Stimmen die Beschlussempfehlung: „Das Kreiskinderheim ‚Haus Ehrenfried‘ in Brühl wird aufgelöst.“ • Am 19. Mai 1983 beschloss der Kreisausschuss mit neun gegen sieben Stimmen die Empfehlung für den Kreistag, das Brühler Kinderheim aufzulösen. • Am 1. Juni 1983 stimmte der Kreistag der Auflösung und dem Verkauf des Kinderheims endgültig zu, mit 31 Ja-Stimmen und 27 Gegenstimmen, bei einer Stimmenthaltung. Die CDU -Kreistagsfraktion votierte als einzige einstimmig; bei den übrigen Gremien ergaben sich jeweils äußerst knappe Mehrheiten für die Schließung. Während der Kreistagssitzung im großen Sitzungssaal des Bergheimer Kreishauses am 1. Juni 1983 waren die Zuhörerränge bis auf wenige Plätze voll 49 Kölner Stadt-Anzeiger, 18. Mai 1983. 50 Kölner Stadt-Anzeiger, 20. Mai 1983. 51 Kölner Stadt-Anzeiger, 18. Mai 1983.
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besetzt – ein deutliches Z eichen für das außerordentlich große Interesse und die Anteilnahme vorwiegend der Brühler Bürger am Schicksal der im Heim untergebrachten Kinder, nicht zuletzt auch des dort angestellten Personals. Jedoch blieb es dabei, dass sämtliche Proteste aus der Brühler Bevölkerung gegen die Schließung des Heims erfolglos waren: Letztlich empfahl die CDU, „im Interesse der Kinder“ die Auflösung des Heims zu beschließen und „einen vernünftigen Übergang“52 zu finden, für den sich die Verwaltung „viel Zeit lassen“ sollte, um „jedes einzelne Schicksal im Auge behalten“ zu können.53 Mit der Abstimmung am 1. Juni 1983 war die Abwicklung der Brühler Insti tution „Kreiskinderheim ‚Haus Ehrenfried‘“ endgültig und unwiderruflich auf den Weg gebracht. Dabei bot die damals aktuelle Situation im „Haus Ehrenfried“ – zumindest an äußeren Merkmalen gemessen – keinen Anlass zu größerer Besorgnis. Sie stellte sich folgendermaßen dar:54 Per 31. Mai 1983 lebten dort 47 Kinder sowie vier Kinder bzw. Jugendliche in Einzelzimmern mit Außenbetreuung. 1) Zur Aufenthaltsdauer im Heim, bezogen auf die Anzahl der Kinder: Von diesen 47 Kindern lebten dort • bis zu 1 Jahr: 12 Kinder • bis zu 2 Jahren: 13 Kinder • bis zu 3 Jahren: 8 Kinder • bis zu 4 Jahren: 4 Kinder • bis zu 5 Jahren: 3 Kinder • mehr als 5 Jahre: 7 Kinder. 2) Zur Altersstruktur der Kinder bzw. Jugendlichen: 3 Kinder waren 4 – 6 Jahre 11 Kinder 7 – 10 Jahre 4 Kinder 11 – 12 Jahre 9 Kinder 13 – 14 Jahre 8 Jugendliche 15 – 16 Jahre 10 Jugendliche 16 – 18 Jahre 2 Jugendliche über 18 Jahre. 3) Von diesen Kindern bzw. Jugendlichen standen sieben vor einem Hauptschulabschluss, fünf Kinder standen vor einem Lehrabschluss bzw. Abschluss der Berufsschule. 4) 4 – 12 Kinder waren für die Wohngruppe vorgesehen. 5) Bezogen auf das Jahr 1977 gab es im Bereich des Landschaftsverbandes Rheinland insgesamt 132 Heime gem. §§ 5,6 JWG, von denen 19 kommunal geführt 52 Kölner Stadt-Anzeiger, 2. Juni 1983. 53 Vgl. Kölnische Rundschau, 2. Juni 1983. 54 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271.
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wurden, die übrigen in freier Trägerschaft. 1983 waren im Bereich des Landschaftsverbandes Rheinland insgesamt 135 Heime gem. §§ 5,6 JWG zugelassen, inkl. der Kleinstheime. 18 befanden sich in kommunaler Trägerschaft, die übrigen in freier Trägerschaft. Heimleiter Fränzel wies am 6. Juni 1983, also wenige Tage nach der endgültigen Abstimmung für die Schließung von „Haus Ehrenfried“, den Personalbestand des Kreiskinderheims Brühl wie folgt aus (insgesamt 30 Personen, je 15 im erzieherischen Bereich und im Wirtschaftsbereich): 1) Erzieherpersonal: Heimleiter, fünf Gruppenleiterinnen, sieben Erzieherinnen, zwei Kinderpflegerinnen. 2) Wirtschaftspersonal: ein Hausmeister, eine Wirtschafterin, eine Beiköchin, zwei Wäscherinnen, zwei Näherinnen, zwei Büromitarbeiterinnen, sechs Raumpflegerinnen. Auch die Gruppenbelegung dokumentierte Heimleiter Fränzel: Am 8. Juni 1983 befanden sich im „Haus Ehrenfried“ die Markusgruppe mit sieben Kindern; die Christopherusgruppe mit elf, die Mariengruppe mit acht; die Margaretengruppe mit acht, die Wohngruppe mit elf Jugendlichen, und die Außengruppe war mit vier Jugendlichen belegt. Insgesamt handelte es sich um 49 Kinder bzw. Jugendliche. Das Heim war ursprünglich (erste Pläne: 1956) für die Aufnahme von 80 Kindern konzipiert gewesen, und bezogen auf diese Belegungszahl war es jetzt zu rd. 60 % ausgelastet. Doch schon seit etwa Mitte der 1960er Jahre hatte sich die Zahl der Kinder pro Gruppe auf durchschnittlich zehn eingependelt, sodass insgesamt rd. 50 Kinder im Heim lebten. Die Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, die der damalige Oberkreisdirektor Dr. Gierden 1970 herausgegeben hatte, definierte die Stärke der fünf Gruppen mit jeweils elf bis 14 Kindern, insgesamt also 55 – 70 Kinder. Zudem ergaben sich jährliche Schwankungen in den Belegungszahlen, die etwa auf der Beendigung der Schulzeit oder dem Abschluss einer Lehre beruhten. Es bestand bis Mitte 1983 also keinesfalls eine ungewöhnliche oder auffallende Unterbelegung. Eine relativ geringe Belegungsdichte hatte sich nicht erst in den Jahren 1981 und 1982 gezeigt (im Durchschnitt 41 bzw. 47 Kinder), sondern auch schon zehn Jahre früher, und diese war von Heimleiter Siegfried Hölker als perfekte Obergrenze favorisiert worden (z. B. 1971: 42 Kinder; 1972: 45 Kinder). Die Belegungszahl für Juni 1983 (49 Kinder) lässt sich durchaus als Folge der seit mehr als sechs Monaten dauernden Diskussionen um die Schließung des Heims deuten, wodurch sich die Zuweisungen seitens der Jugendämter bzw. des Kreisjugendamts reduziert haben dürften. Gleichwohl bedeutete diese Belegungszahl in Relation zum Erziehungspersonal (49:15) eine grundsätzlich sehr vorteilhafte Situation für die Betreuung der im „Haus Ehrenfried“ untergebrachten Kinder und Jugendlichen. Dennoch war damals allgemein zu verzeichnen, dass sich die Anzahl der Heime und die der dort untergebrachten Kinder seit dem Höhepunkt der Heimkampagne
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im Jahr 1968, also 15 Jahre vor der Schließung des Brühler Kinderheims, reduziert hatte.55 Als einer der Gründe dafür wurde u. a. die Zunahme von Unterbringungen in Pflegefamilien genannt, mit der Einschränkung, „daß gerade ältere Kinder und Jugendliche nach wie vor bevorzugt in Heime eingewiesen werden, da sie sehr viel schwerer in Familien vermittelt werden können. Das gilt im übrigen auch für Geschwisterkinder.“56 Nach der endgültigen Entscheidung des Kreistags über die Schließung des Brühler Kinderheims wurde die Verwaltung beauftragt, alle erforderlichen Schritte einzuleiten, um die weitere qualifizierte Betreuung der Kinder und Jugendlichen nach ihrer Zeit im „Haus Ehrenfried“ sicherzustellen. Eine Liste, die zur „Verteilung“ der Kinder angelegt worden war, wies aus, dass zu d iesem Zeitpunkt fünf Kinder Kindergärten/Tagesstätten besuchten; drei besuchten eine Grundschule, 13 eine Hauptschule, ein Kind ging auf eine Realschule, zwölf auf eine Sonderschule, sechs Jugendliche befanden sich in Ausbildung, drei besuchten eine Fachschule. Für sie alle sollte mit den Trägern des Gertrud-Bäumer-Hauses in Michaelshoven (Diakonie) und des Kinderheims St. Gereon der „Stiftung van Gils“ in Bergheim-Zieverich verhandelt werden. Im Rahmen der Übernahmevereinbarungen galt es, mindestens eine Außenwohngruppe in Brühl sowie die Notaufnahme zu garantieren. Darüber hinaus sollte sichergestellt werden, dass die bestehenden Bezugsverhältnisse z wischen Kindern und Erziehern erhalten blieben – Geschwister und Gruppen sollten nicht getrennt werden – und Auflösungsverträge erst dann abgeschlossen würden, wenn die Übernahme des Personals abgesichert wäre.57 Die Kreis-CDU beschrieb dies als „weichen Übergang“. Man ging allerdings nach wie vor davon aus, dass es durch die Auflösung des Kinderheims zu keinem Spareffekt in Bezug auf die laufenden Kosten kommen werde. Die CDU hatte ihren Beschluss an die Voraussetzung geknüpft, dass sowohl den Kindern als auch dem Personal eine Wahlmöglichkeit zwischen den beiden avisierten Heimen gewährt werde.58 Auch die Ausführungen zu dem geplanten „weichen Übergang“ in die neuen Heime blieben nicht unwidersprochen. Ihren ausführlichen Beitrag in der Kölnischen Rundschau beendete Ingeborg Eimermacher mit dem Hinweis: „Fest steht, für die Brühler Kinder ist ein Heimwechsel kein lockerer Umzug, sondern ein einschneidendes, schwerwiegendes Erlebnis, auch wenn die Bezugspersonen mitgehen und die Heimauflösung so behutsam wie möglich geschieht.“59 Im 55 Vgl. Statistische Jahrbücher für die Bundesrepublik Deutschland. 56 Dieter Sengling: Stichwort „Heimerziehung“. In: Pädagogische Grundbegriffe, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 706. 57 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/3271. Vgl. die gleichlautenden Texte in den Niederschriften des JWA vom 18. Mai 1983, des Kreisausschusses vom 19. Mai 1983 und des Kreistags vom 1. Juni 1983. 58 Vgl. Brühler Schloßbote, 18. Mai 1983. 59 Kölnische Rundschau, 20. Mai 1983.
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Vorfeld war schließlich auf die Ängste und Verunsicherungen der Heimkinder, ausgelöst durch die Diskussionen um die Schließung des Heims, ausgiebig hingewiesen worden. Heimleiter Fränzel bedauerte nicht nur die Auflösung des Heims und deren Auswirkung auf die Kinder, die nun „umverteilt“ werden mussten. Ganz besonders beklagte er die Art und Weise, wie dieser Plan kommuniziert worden sei: „Wir haben davon erst aus der Zeitung erfahren.“60
6.3 Das Ende der Heimzeit Ende August 1983 wurde der Heimbetrieb im „Haus Ehrenfried“ eingestellt; Heimleiter Alfons Fränzel schied zum 30. September 1983 aus dem Amt. Die Jugendeinrichtung Michaelshoven, in der Trägerschaft des Amtes für Diakonie der Evangelischen K irche, zeigte sich bereit, im damaligen GertrudBäumer-Haus einige Heimkinder und evtl. auch Personal aufzunehmen. Fränzel sollte dort als Heimleiter eingestellt werden.61 Auch die Stiftung van Gils bot an, 30 Heimkinder zu nehmen und das gesamte erzieherische Personal sowie den Heimleiter einzustellen, dem dann eine leitende Funktion zu übertragen wäre. In einem Schreiben an Oberkreisdirektor Dr. Bentz schloss sich der Leiter des Kinderheims St. Gereon in einer Stellungnahme zu den Problemen in der Heimerziehung der Auffassung an, dass „der Geburtenrückgang in den nächsten Jahren eine weitere Reduzierung der notwendigen Platzkapazität in der gesamten Heimerziehung um 40 % erwarten läßt“, wodurch auch die Reduzierung und Schließung von Heimen, insbesondere in freier Trägerschaft, zu erwarten wäre.62 Damit unterstützte er die Argumentation der Kreis-CDU sowie die Anliegen der Freien Träger. Rund acht Jahre vorher, Ende November 1974, hatte auch das Kinderheim St. Gereon vor der Schließung gestanden. Die Leitung des Hauses hatte seit 1896 in den Händen der Schwestern der Vinzentinerinnen gelegen, denen auch die Betreuung und Versorgung der Kinder oblag. Im Oktober 1974 gaben die Vinzentinerinnen die Leitung des Kinderheims ab, das zu diesem Zeitpunkt 86 Kinder beherbergte. Angeblich wollte die Heimleitung nun die Belegungszahl halbieren, um das Haus in ein heilpädagogisches Heim umzuwandeln. Ein Sprecher der Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Köln (SSK) berichtete damals, dass in den vergangenen fünf Jahren im Gebiet des für die Heime zuständigen Landschaftsverbandes Rheinland acht Häuser ersatzlos aufgelöst worden waren. Noch ein halbes Jahr zuvor sei vom Landesjugendwohlfahrtsausschuss 60 Kölner Stadt-Anzeiger, 21. Mai 1983. 61 Dazu ist es jedoch aus verschiedenen, auch persönlichen Gründen nicht gekommen. 62 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 26. April 1983.
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erklärt worden, dass weitere Schließungen nicht hingenommen werden dürften.63 Daraufhin bemühte sich das Kuratorium der Stiftung van Gils lange Zeit vergebens, verantwortliche MitarbeiterInnen für die Leitung des Hauses zu finden. Durch Übergangslösungen gelang es, bis zur Einführung einer neuen Heimleitung am 1. April 1975 die Verwahrung und Versorgung der verbliebenen Kinder und Jugendlichen sicherzustellen. Aufgrund „wirtschaftlicher und gesetzlicher Veränderungen“64 übernahm die Caritas Jugendhilfe GmbH (CJG) mit Sitz in Köln im Jahr 1989 die Betriebsträgerschaft des Hauses St. Gereon. In Brühl wurden für die Zeit nach der Auflösung von „Haus Ehrenfried“ für vier Kinder Pflegefamilien gefunden. Zudem verblieb ab dem 22. August 1983 die Wohngruppe mit ca. zwölf Kindern/Jugendlichen und drei bis vier Jugendlichen als „Außenwohngruppe“ im Hauptgebäude des ehemaligen Kinderheims in der Liblarer Straße, unter der Trägerschaft der van-Gils-Stiftung. Drei Erzieherinnen und eine Hauswirtschaftskraft wurden dorthin übernommen.65 Zwei Gruppen (22 Kinder) sollten ab dem 22. August 1983 im Gertrud-BäumerHaus in Michaelshoven leben; sechs Mitarbeiterinnen wurden ebenfalls dort untergebracht.66 Da der Tagessatz im Gertrud-Bäumer-Haus niedriger lag als der frühere Satz im „Haus Ehrenfried“, gewährte der Erftkreis aus den Einsparungen, die sich nun doch im Haushalt 1983 ergaben, der Einrichtung in Michaelshoven einen Zuschuss in Höhe von 20.000,00 DM, außerdem wurde dem Gertrud-BäumerHaus kostenlos die im Brühler Kinderheim vorhandene Ausstattung für zwei Wohngruppen überlassen.67 Die Stiftung van Gils in Bergheim-Zieverich nahm 14 Kinder und fünf MitarbeiterInnen auf. Mit insgesamt 122.567,00 DM wurde die jährliche Einsparung beziffert, mit der Einschränkung, dass sich „dieser Betrag bei Angleichung der Tagessätze für 1983 jedoch noch reduzieren“68 werde. Anfangs war die Stiftung van Gils davon ausgegangen, schon bald eine alternative Unterbringungsmöglichkeit für die Außenwohngruppe Brühl zu finden. Dafür wurde zunächst nach geeigneten Mietobjekten gesucht, und als das ohne Erfolg blieb, auch nach Kaufobjekten. Erst Ende 1984 zeichnete sich eine Gelegenheit ab, als das ehemalige Jugendamtsgebäude, das sich in der Rosellstraße 1/Ecke Luxemburger Straße befand, von der Stadt Hürth der Stiftung van Gils zum Kauf angeboten wurde. Im Frühjahr 1985 fand der 63 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 30. November 1974. 64 Aus der Geschichte des CJG Hauses St. Gereon, vgl. www.cjg-hsg.de (zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2021). 65 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 29. Juni 1983. 66 Vgl. Kölnische Rundschau, 12. Juli 1983. 67 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 19. September 1983. 68 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 7. November 1983.
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Umzug dorthin statt; bis dahin blieb die Außenwohngruppe mit Jugendlichen im Alter von 14 – 18 Jahren insgesamt noch eineinhalb Jahre nach der Schließung im Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ in der Liblarer Str. 21 – 25 untergebracht. Sie konnten anschließend mit dem ihnen vertrauten Betreuungspersonal nach Hürth wechseln. Mit Erreichen des 18. Lebensjahrs (Volljährigkeit) endet in der Regel die Möglichkeit, in einem Heim, in Wohngruppen oder bei Pflegeeltern zu bleiben. Geschützt sind junge Erwachsene jedoch durch die Sozialgesetzgebung. Im Achten Buch Sozialgesetzbuch (Kinder- und Jugendhilfe), § 41, ist die Hilfe für junge Volljährige und deren Nachbetreuung geregelt: (1) Einem jungen Volljährigen soll Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe auf Grund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden. […] (3) Der junge Volljährige soll auch nach Beendigung der Hilfe bei der Verselbständigung im notwendigen Umfang beraten und unterstützt werden.
Die Vollendung des 27. Lebensjahres stellt die definitive Grenze für die Zuständigkeit der Jugendhilfe dar. Um den Übergang in ein eigenständiges Leben besser meistern zu können, wurden auch im „Haus Ehrenfried“ ab dem 16. Lebensjahr Trainingskurse zur Entwicklung der Selbständigkeit angeboten. So berichtete die Stiftung van Gils am 15. Februar 1985 dem damaligen Sozialdezernenten Karl-Heinz Kemmerich vom pädagogischen Konzept und der Unterbringung der Außenwohngruppe im Hauptgebäude des ehemaligen Kreiskinder heims in Brühl: Die Außenwohngruppe Brühl ist ein spezielles Angebot für Jugendliche ab 16 Jahren, die sich auf ein selbständiges und eigenverantwortliches Leben in einer eigenen Wohnung nach ihrer Volljährigkeit und Entlassung aus dem Heim vorbereiten wollen und müssen. […] Hierzu gehören insbesondere das Übernehmen von Verantwortung und das Einüben von Selbständigkeit, die eigenständige Bewältigung aller Schulangelegenheiten und die Einführung in das Berufsfeld sowie die Schaffung eines Freundeskreises vor der Heimentlassung. […] Der Erzieher trägt die Verantwortung für die Wohngruppe und damit für den einzelnen Jugendlichen und hat die Verpflichtung, für die Einhaltung der Gruppenziele Sorge zu tragen. Hierbei hat der Erzieher die Aufgabe, den einzelnen Jugendlichen entsprechend seines Entwicklungsstandes individuell zu fördern und zu unterstützen. […] Nach der erfolgreichen beruflichen Eingliederung hat der Erzieher wiederum unter dem Aspekt der Hilfestellung und Begleitung sicherzustellen, daß der Jugendliche eine für seine Verhältnisse adäquate Wohnung findet und schrittweise auf den Auszug vorbereitet wird. […] Nach Abschluß dieses Prozesses wird der Jugendliche in Abstimmung mit
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dem jeweils zuständigen Kostenträger in die Eigenständigkeit entlassen und der Erzieher hat eine Nachbetreuung zu gewährleisten. Zwingend vorgegeben für die Aufnahme eines Jugendlichen in die Außenwohngruppe ist, daß sich der Jugendliche entweder in Schuloder Berufsausbildung bzw. im Arbeitsprozeß befindet.69
Mitte der 1960er Jahre hatte dies noch anders ausgesehen. Eine ehemalige Bewohnerin von „Haus Ehrenfried“, geboren 1950, berichtete mir: „Ich habe fast meine gesamte Kindheit mit den Schwestern verbracht. 1966, nach dem Abschluss der Schule, musste ich das Kinderheim verlassen.“ Sie absolvierte dann auf Geheiß der Heimleitung eine Hauswirtschaftslehre: „Die hielten die Nonnen für Mädchen richtig.“ Schon im Juli 1950, nur wenige Wochen nachdem das Kreiswaisenhaus in Brauweiler seine Pforten für „Waisenkinder aus dem Landkreis Köln“ geöffnet hatte, erschien ein Artikel der Kölnischen Rundschau, der die Zeit nach dem Heim als unproblematischen Übergang erscheinen ließ: Was aber geschieht mit jenen, die vierzehn Jahre werden und nach der Regel nicht mehr für das Heim in Frage kommen? Auch diese Waisen werden durch das Jugendamt betreut, das in vielen Fällen ihre Vormundschaft übernommen hat. Von dieser Stelle aus wird alles geschehen, dem heranwachsenden jungen Menschen eine Lehrstelle zu vermitteln, wo er Pflegeeltern findet, die sich seiner annehmen. Derartige Pflegestellen können jederzeit dem Kreisjugendamt gemeldet werden, das die Vermittlung eines geeigneten Kindes übernimmt.70
Tatsächlich bestand die Möglichkeit, als Lehrling in der Familie des Lehrherrn aufgenommen zu werden. Auch Jakob Sonntag setzte sich dafür ein, dass nach der Entlassung aus dem Heim Arbeitsstellen und Unterbringungsmöglichkeiten für die Jugendlichen gefunden wurden.
6.4 Verkauf des Kinderheims „Haus Ehrenfried“ Als die Kreisverwaltung im Jahr 1957 das Grundstück in der Liblarer Straße erwarb, handelte es sich, wie weiter oben ausgeführt, um ein Tauschgeschäft, bei dem die Kirchengemeinde St. Margareta für das Grundstück Liblarer Straße von der Stadt Brühl zwei andere Grundstücke im gleichen Wert und in gleicher Gesamtgröße erhielt. Außerdem übernahm die Stadt Brühl die Erschließungskosten für diese beiden Grundstücke (28.000,00 DM) sowie für das Grundstück in der Liblarer Straße, das an den Kreis verkauft worden war. 69 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 70 Kölnische Rundschau, 13. Juli 1950.
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Zum Zeitpunkt der Verkaufsbemühungen des Kreises Ende 1983 war bekannt, dass sich u. a. Baugenossenschaften für das Gelände an der Liblarer Straße interes sierten. Das rd. 12.100 m² große Areal sollte jetzt für 238,60 DM/m² – insgesamt also für knapp drei Millionen DM – weiterverkauft werden. Aber auch ein Jahr später, im Dezember 1984, zeichnete sich noch keine Lösung ab. Verschiedene Interessenten, die das Gelände inkl. des bestehenden Gebäudes sanieren und zu sozialen Zwecken umnutzen wollten, hatten zwischenzeitlich von dem Objekt Abstand genommen. Die Kreisverwaltung strebte lediglich einen Verkauf des Grundstücks an; andere Möglichkeiten der Überlassung, z. B. Verpachtung oder Erbbaupacht, wurden ausgeschlossen. Im März 1986 stellte der Kreisausschuss auf Antrag der SPD den schon beschlossenen Abbruch des Kinderheims zurück. Es sollte Klarheit darüber geschaffen werden, ob die Gebäudeteile von einem künftigen Besitzer genutzt werden könnten, und „ob sie überhaupt auf Kosten des Kreises verschwinden sollten“.71 Um die Verhandlungsposition zu verbessern, stimmte der Brühler Stadtrat einer Neuplanung des Grundstücks zu, vorausgesetzt, „daß das umliegende Wohngebiet berücksichtigt wird. Im Zentrum der Stadt dürfe weder Industrie noch ein Supermarkt angesiedelt werden.“72 Die Suche nach einem Käufer war auch gegen Ende des folgenden Jahres noch nicht erfolgreich verlaufen. „Kreis plagt sich mit dem alten Kinderheim“, titelte der Kölner Stadt-Anzeiger in seiner Ausgabe vom 5. November 1986. Darin hieß es zu den Hintergründen: Für die Grünen ist es zum Spekulationsobjekt verkommen, für die Kreisverwaltung zum Sicherheitsrisiko: Das ehemalige Kreiskinderheim ‚Haus Ehrenfried‘ soll abgerissen werden. […] Während die Grünen das Haus erhalten und sinnvoll nutzen möchten, drängen die Baufachleute vom Kreis auf Abbruch. Sie lehnen die weitere Verantwortung für das ihrer Ansicht nach nicht mehr bewohnbare, dringend sanierungsbedürftige Gebäude ab. […] Investitionen [zur Sanierung des Gebäudes] würden die mit rund 250.000 Mark veranschlagten Abrißkosten bei weitem übersteigen, argumentiert der Kreis. […] Bisherige Versuche, Grundstück und Haus an den Mann zu bringen, sind gescheitert. […] Die Grünen unterstellen der Kreisverwaltung, sie habe das Gebäude absichtlich vergammeln lassen, um es loszuwerden und das Grundstück versilbern zu können. Verkaufspreis: Drei bis 3,5 Millionen Mark – eine Summe, die dem matten Kreishaushalt wieder Glanz verleihen könnte.
Eine Entscheidung fiel, als der Kreistag am 6. November 1986 bei vier Stimmenthaltungen beschloss, „Haus Ehrenfried“ abreißen zu lassen. Der Fraktionssprecher 71 Kölner Stadt-Anzeiger, 14. März 1986. 72 Kölner Stadt-Anzeiger, 14. März 1986. Diese Auffassung hat sich inzwischen längst geändert. So wurde z. B. auf dem Gelände der ehemaligen Giesler-Brauerei, nicht weit von der Liblarer Straße entfernt, am 23. November 2006 die neu geschaffene Giesler-Galerie eröffnet, eine Einkaufsmeile mit derzeit zwei Lebensmittel-Supermärkten.
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der Grünen kündigte unmittelbar anschließend an, „daß seine Fraktion einem Verkauf des Grundstücks unter keinen Umständen zustimmen werde. Auch wenn der Kreis knapp bei Kasse sei, halten es die Grünen für falsch, sich von Grundbesitz zu trennen. Schließlich gebe es ja auch die Möglichkeit einer Verpachtung oder Vermietung.“73 Am 30. Januar 1987 berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger, die Bundesanstalt für Arbeit habe die Absicht, das Gelände in der Liblarer Straße 21 – 25 zu erwerben. Sie wolle dort einen Neubau für das Brühler Arbeitsamt errichten, das im Dezember 1972 in der Wilhelm-Kamm-Straße 1 bezogen worden und schon zwei Jahre später von großen Platzproblemen gekennzeichnet war. Waren 1972 noch 170 Mitarbeiter beschäftigt gewesen, hatte sich deren Zahl inzwischen auf 400 erhöht. Der Hauptgrund dafür lag im Anstieg der Arbeitslosenquote von 0,5 auf 9 %. Zur Bewältigung der anfallenden Arbeit wurden Nebendienststellen eingerichtet. Um dem weiter steigenden Platzbedarf zu genügen, hatte man bereits 1976 nach einem geeigneten Baugrundstück für ein deutlich größeres Arbeitsamts gebäude gesucht,74 allerdings erfolglos, weshalb nach und nach weitere Räumlichkeiten innerhalb Brühls angemietet werden mussten. Mitte 1978 wurde der Plan des Arbeitsamts vorgestellt, in Brühl ein neues Dienstgebäude errichten zu lassen und anschließend anzumieten. Dieses Konzept hätte den Vorteil gehabt, nicht von der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg genehmigt werden zu müssen.75 Die Anfang 1987 näher gerückte Aussicht auf einen großzügigen Neubau in der Liblarer Straße würde die bisherige Dezentralisierung der Dienststellen bremsen und wäre daher wünschenswert, befand Lotte Müller, langjährige Direktorin des Brühler Arbeitsamts. Sie hielt das Kinderheimgelände für ideal, und auch die Stadt Brühl hatte nach dreieinhalb Jahren ein verstärktes Interesse daran, den unbefriedigenden Zustand eines ungenutzten Gebäudekomplexes samt Außengelände beenden zu können. Der Kölner Stadt-Anzeiger informierte am 30. Januar 1987 darüber, dass die Stadt Brühl es begrüßen würde, „wenn der ‚weiße Fleck‘ an der Liblarer Straße verschwinden könnte. Die Stadtplanung erlaubt eine sechsgeschossige Bebauung. Brühl wäre bereit, alle planungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Arbeitsamt-Neubau zu schaffen.“ Der Bundesanstalt für Arbeit sollte das gesamte Areal für rund 3,5 Millionen Mark verkauft werden. Der Erftkreis plante, den Erlös dem Vermögenshaushalt zuzuführen, um den Kreditbedarf für das Jahr 1987 zu verringern. Der Abriss des ehemaligen Kinderheims wurde daraufhin auf das Frühjahr 1987 terminiert; der Auftrag war bereits an ein entsprechendes Unternehmen vergeben.76 73 74 75 76
Kölner Stadt-Anzeiger, 12. November 1986. Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 9. Januar 1976. Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 30. Juni 1978. Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 24. Februar 1987.
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„Haus Ehrenfried“: keine Fortsetzung
Unter der Schlagzeile „Bagger beendet ein Kapitel Kreispolitik“ meldete der Kölner Stadt-Anzeiger am 4. März 1987, dass sämtliche Gebäude von „Haus Ehrenfried“ in der Liblarer Straße 21 – 25 durch ein Bauunternehmen niedergelegt worden waren. Ein beigefügtes Foto illustrierte, wie ein Bagger das Heimgelände bereits in eine Trümmerlandschaft verwandelt hatte. Das ehemalige Kreiskinderheim hatte nicht nur, wie Jahre zuvor das Kindererholungsheim in Barkhausen, „ausgedient“. Vielmehr existierte in diesem Fall bis auf wenige verbliebene Bruchstücke und Fundamentreste die gesamte Gebäudeanlage nicht mehr. Zwei Tage nach dem Bericht über den Abriss brachte die Kölnische Rundschau einen Artikel mit der Schlagzeile „Der Erftkreis will das Grundstück an der Liblarer Straße für 3,7 Millionen Mark verkaufen. Abbruch ist erledigt. Kommt nach ‚Haus Ehrenfried‘ nun das Arbeitsamt Brühl?“ Der Liegenschaftsausschuss des Kreistages hatte am 5. März 1987 über einen Verkauf an die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg beraten, und die Entscheidung sollte am 19. März 1987 im Kreistag fallen.77 Tatsächlich wurde an diesem Tag bei vier Gegenstimmen im Kreistag beschlossen, das kreiseigene Grundstück in Brühl, Liblarer Straße 21 – 25, Gemarkung Brühl, Flur 29, Flurstück 252 (15.710 m²), eingetragen im Grundbuch von Brühl, Blatt 1990, für den Neubau eines Arbeitsamts zu verkaufen und zu übereignen. Der Kaufpreis betrug 3.750.000,00 DM (238,70 DM pro Quadratmeter).78 Zugrunde gelegt wurden nun rd. 15.500 m², also rd. 3.400 m² mehr als beim Kauf im Jahr 1957, zustandegekommen durch den zwischenzeitlich erfolgten Zukauf einer Fläche für den Außenbereich des Kinderheimgeländes. Der Quadratmeterpreis hatte sich fast um das Achtzigfache erhöht. Allerdings hatte der Kreis damals ein unbebautes Grundstück erworben, neben den Anschaffungskosten die Bauplanung und die Baukosten zu tragen gehabt und darüber hinaus die Einrichtung der Gebäude, die Gestaltung der Außenanlagen sowie die Instandhaltungs- und Folgekosten finanziert. Gemäß Kaufvertrag übernahm der Erftkreis folgende Verpflichtungen in Bezug auf die Räumung noch bestehender Bauten sowie einiger Sicherungsmaßnahmen auf dem bezeichneten Gelände: „Der Erftkreis verpflichtet sich, die Aufbauten […] einschließlich Keller, Fundamente, Öltanks, auf seine Kosten zu räumen. Die Grube ist mit vorschriftsmäßig verdichtetem Füllkies zu verfüllen.“79 Gegenüber dem Anschaffungswert von 3,00 DM /m², die der Kreis 30 Jahre vorher für das Areal zu bezahlen hatte, war der nun erzielte Verkaufspreis von 238,70 DM /m² auch unter Berücksichtigung der Abrisskosten sicherlich recht vorteilhaft. 77 Vgl. Kölnische Rundschau, 6. März 1987. 78 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 4. März 1987. 79 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 19. März 1987.
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Der Käufer, die Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, verpflichtete sich gegenüber dem Verkäufer, dem Erftkreis: Sollte der Käufer diesen Grundbesitz innerhalb von zehn Jahren – gerechnet vom Tag des Vertragsabschlusses – ganz oder teilweise verkaufen, sollte der Erftkreis eine im Kaufvertrag definierte Ausgleichszahlung erhalten, deren Höhe ggf. von einem Gutachterausschuss in einem Gutachten festgelegt werden würde.80 Direktorin Lotte Müller versprach sich von einem Neubau für ein zentrales Gebäude „mehr Effektivität und eine zügigere Bearbeitung. Doch bis dahin wird noch viel Zeit vergehen.“81 Sie sah in der Planung sogar ein „Jahrzehnte-Programm“. Allerdings kam es ganz anders. Nach dem Verkauf wurden zwar vertragsgemäß sämtliche auf dem Heimgelände noch vorhandene Gebäudeteile niedergelegt, doch blieb das Areal unbebaut. Der neue Eigentümer entschied sich aufgrund der damaligen Wirtschafts- und Finanzlage letztlich gegen den Bau eines neuen Arbeitsamts in der Liblarer Straße 21 – 25, und im Jahr 2008 veräußerte er die Liegenschaft. Nachdem das Gelände inzwischen fast 25 Jahre brachgelegen hatte, wurden seit 2011 dort von mehreren Bauträgern Wohngebäude – sog. „Geschosswohnungs- und Einfamilienhausbau“ – errichtet. Den endgültigen Beschluss über das Inkrafttreten des Bebauungsplanes 02.03 „Liblarer Straße / Heinestraße“ hatte die Stadt Brühl am 22. Dezember 2010 bekanntgegeben: Der Rat der Stadt Brühl hat in seiner öffentlichen Sitzung am 13. 12. 2010 gemäß § 10 Baugesetzbuch (BauGB) in Verbindung mit § 13a BauGB, in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. 09. 2004 (BGBI . I S. 2414), zuletzt geändert durch Artikel 4 G vom 31. 07. 2009 (BGBI. I S. 2585) den Bebauungsplan 02.03 „Liblarer Straße / Heinestraße“ einschließlich der textlichen Festsetzungen als Satzung beschlossen. Gleichzeitig wurde die zugehörige Begründung beschlossen. Mit dieser Bekanntmachung tritt der Bebauungsplan 02.03 „Liblarer Straße I Heine straße“ gemäß § 10 Abs. 3 BauGB in Kraft. Das Plangebiet liegt in der Gemarkung Brühl, Flur 29.
80 Vgl. Kölnische Rundschau, 6. März 1987. Weitere Details dazu s. Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 100/3271. 19. März 1987. 81 Vgl. Kölnische Rundschau, 6. März 1987.
7. Erinnerungen an „Haus Ehrenfried“
Im Zuge der Recherche und Darstellung der Geschichte von „Haus Ehrenfried“ stellte sich die Frage, wie Kinder und Jugendliche, Erziehungs- und Hauswirtschaftspersonal dort die Atmosphäre und den Alltag erlebt haben: Waren sie „gut untergebracht“? Um ZeitzeugInnen zu finden, schaltete die Wochenzeitung „Brühler Schlossbote“ am 7. März 2018 in meinem Auftrag einen Aufruf, versehen mit einem Luftbild des Heimgeländes in der Liblarer Straße 21 – 25 aus der Zeit um 1970. Einen weiteren Aufruf auf der Suche nach ZeitzeugInnen aus dem Brauweiler „Haus Ehrenfried“ veröffentlichte der Kölner Stadt-Anzeiger am 9. Juni 2020 mit einem k urzen redaktionellen Beitrag und einem Foto des damals als Kinderheim eingerichteten alten Rathausgebäudes. Die Resonanz auf diese Aufrufe war außerordentlich groß: Es zeigte sich, dass sich immer noch zahlreiche Menschen erstaunlich detailliert an das „provisorische Kreiswaisenhaus“ in Brauweiler, das dort bis 1958 genutzt wurde, und an das zu diesem Zeitpunkt bereits seit 35 Jahren geschlossene „Haus Ehrenfried“ in Brühl erinnerten und über ihre Erfahrungen sprechen wollten. Mehr als 50 Personen meldeten sich, größtenteils telefonisch, aber auch per E-Mail. Überwiegend handelte es sich dabei um ehemalige Heimkinder. Sie erzählten offen und freimütig über ihren Lebenslauf und ihr Schicksal, ihre guten und weniger guten Erlebnisse. Manche klagten über seelischen Verletzungen, die ihnen im Heim zugefügt worden s eien und teilweise noch bis heute anhielten. Andere wiederum nutzten die Möglichkeit der Kontaktaufnahme, weniger um von konkreten Erfahrungen im „Haus Ehrenfried“ zu berichten, als vielmehr die teils katastrophalen Zuständen und Misshandlungen während ihrer Kindheit in ihrem Elternhaus zu schildern, die dazu geführt hatten, dort nicht weiter leben zu können. Die Ausführungen der ZeitzeugInnen bestätigten, dass die Ursache für die Unterbringung im Heim oftmals in der Unfähigkeit ihrer Eltern gelegen hatte, mit ihrem Leben und vielfach auch mit einer zu großen Kinderzahl angemessen zurechtzukommen. Daneben kennzeichneten zahlreiche weitere Faktoren die Umstände, vor denen Kinder durch die Aufnahme ins Heim geschützt werden sollten. Auch der Tod eines Elternteils, vor allem der Mutter, hatte in manchen Fällen zur Folge, dass nun alleinerziehende berufstätige Väter nicht mehr in der Lage waren, ihre Kinder zu versorgen. Nicht wenige der ehemaligen Heimkinder sind durch die heutigen sozialen Medien, z. B. über Facebook, miteinander vernetzt. Über ihre Einträge erfuhr ich, dass weitere „Ehemalige“ aus den Heimen in Brauweiler und Brühl meine Aufrufe zwar zur Kenntnis genommen hatten, sich aber nicht melden wollten. Kommentiert wurde dies u. a. damit, dass sie unter einem ausgeprägten
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Missverhältnis gegenüber ihrer Vergangenheit litten: Etwa weil sie immer ein „normales“ Elternhaus vermisst hätten und sich durch diesen Mangel in ihren Lebenschancen benachteiligt fühlten, oder weil sie sich für die Situation und die Probleme ihrer Eltern schämten – schließlich wurden uneheliche Geburt, ledige Mütter, Alkoholismus, „Erziehungsunfähigkeit“ usw. noch lange gesellschaftlich geschmäht und diskriminiert. Aus diesen Gründen dauert die Sprachlosigkeit wegen der in einem Heim (oder sogar in mehreren Heimen) verbrachten Kindheit und Jugend oftmals noch bis heute an und verhindert, dass ehemalige Heimkinder diesen Teil ihrer Biografie gegenüber ihren Partnern und Kindern oder gegenüber ihren Freunden und Bekannten „zugeben“ können. Manch einem ehemaligen Heimkind kam die Medienpräsenz der „Heimskandale“ zugute, die seit Beginn d ieses Jahrhunderts und vor allem seit dem „Runden Tisch“ in den Jahren 2009/10 offen thematisiert wurden.1 Auch wenn ihre Entlassung aus „Haus Ehrenfried“ bis dahin schon Jahrzehnte zurücklag, trug diese mediale Aufmerksamkeit und die damit verbundene Offenheit gegenüber frühen Erfahrungen in Erziehungseinrichtungen dazu bei, sich mit seiner eigenen Heimzeit auseinanderzusetzen, sich zu artikulieren und sich damit einer inneren Aufarbeitung zu nähern. Auf meine Aufrufe reagierten auch ehemaligen Erzieherinnen von „Haus Ehrenfried“. Die Gespräche mit ihnen waren ebenfalls sehr aufschlussreich, denn sie erweiterten den Blick auf den Heimalltag um interessante Facetten, zudem bestätigten sie die Erinnerungen mancher Heimkinder. Auch MitbürgerInnen aus Brauweiler und Brühl, die beide Heime – zumindest von außen – schon seit ihrer Kindheit gekannt hatten, ermöglichten es, die Geschichte von „Haus Ehrenfried“ zu beleuchten und noch ein Stück nachvollziehbarer zu machen. Aufgrund der letztlich doch relativ kleinen Anzahl von Interviews erheben diese Befragungen freilich keinesfalls den Anspruch einer repräsentativen Stichprobe, sie geben eher Eindrücke vom Alltag im „Haus Ehrenfried“ aus den acht Jahren seines Bestehens in Brauweiler und aus den 25 Jahren in Brühl wieder. Dabei handelt es sich um eine wesentlich von den InterviewpartnerInnen getroffene Themenauswahl, die ich nur behutsam gelenkt und im Nachhinein geordnet habe. Der Schwerpunkt lag auf den subjektiven Wahrnehmungen, Blickwinkeln und Einschätzungen, Begegnungen und Gefühlen der ZeitzeugInnen. Sie machen lebendig und anschaulich, was sonst überwiegend abstrakt bliebe, und sie korrigieren, wo sich die erlebte Erziehungspraxis nicht mit der offiziellen Außendarstellung des Heims deckt. Allen InterviewpartnerInnen bin ich sehr dankbar für ihre Offenheit, ihr Vertrauen und ihre Kooperationsbereitschaft. Sämtliche personenbezogene Daten 1 Vgl. dazu die Auswahl aus der Fülle der Publikationen in Kapitel 8.
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ehemaliger Heimkinder wurden von mir anonymisiert.2 Da es beabsichtigt ist, dass keine „Querverbindungen“ hergestellt werden können, wird keine Zuordnung der auf diese Weise in den laufenden Text eingestreuten Beiträge zu dem/ der jeweiligen InterviewpartnerIn vorgenommen. Der Rückblick eines Brühlers, der mit seinen Eltern 3 neun Jahre auf dem Gelände von „Haus Ehrenfried“ in der Liblarer Straße 21 – 25 lebte, sei an dieser Stelle der „Vortritt“ gelassen. Die sehr persönliche und positive Schilderung seiner Kindheit auf dem Heimgelände möge auf die Erinnerungen der dort untergebrachten „elternlosen oder sonstwie ungeborgenen Kinder aus dem ganzen Kreisgebiet“4 einstimmen. Ich bin 1959 in Brühl geboren und habe bis zu meinem 9. Lebensjahr eine glückliche Kindheit im Umfeld des Kreiskinderheimes verlebt. Mein Vater war Hausmeister des Kreiskinderheimes, und meine M utter, soweit ich mich erinnere, hat zeitweise bei den Nonnen in der Näherei gearbeitet. Wir wohnten in dem kleinen Bungalow links die Zufahrt Richtung Hof und Sportplatz hinunter. Der Bungalow hatte einen kleinen Garten, an den sich ein Schuppen anschloss, in dem zeitweise sogar Schweine für die Küchenabfälle gehalten wurden. Als Kind hatte ich immer den Eindruck von einem riesigen Areal des Geländes, welches sich dann im Erwachsenenalter schon als überschaubares Gelände relativierte. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich ab einem bestimmten Alter immer gemeinsam mit meinen Eltern zu Zeiten der Ausstrahlung der „Tagesschau“ hinüber ins Hauptgebäude in den Saal mit dem Fernseher gegangen bin. Wir selbst hatten zu dem Zeitpunkt keinen eigenen Fernseher. Die Kinder waren in Gruppen untergebracht und mit einigen war ich sehr gut befreundet. Ich erinnere mich an ein Weihnachtsfest mit Bescherung in einer Gruppe durch den damaligen Bundespräsidenten Herrn Heinrich Lübke. Ich erhielt aus seinen Händen eine Märklin-Dampflok mit echtem Dampf. Natürlich stammte das Geschenk von meinen Eltern. Mein Vater hat sich nahezu um alles gekümmert. Als Gärtner stammten die abwechselnden Beetbepflanzungen von ihm. Er kümmerte sich um die Obstbäume und hatte sogar ein Spargelbeet. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis zu den Ordensschwestern, welches im Fall des Ausscheidens der Küchenschwester „Benigna“ aus dem aktiven Dienst im Kinderheim sogar darüber hinausging. Wir besuchten sie später auch in dem Kloster, in dem sie ihren Lebensabend verbrachte. Aus dieser Zeit resultierte auch das freundschaftliche Verhältnis meiner Eltern und mir zu einer Mitarbeiterin der Verwaltung des Hauses sowie einer 2 Alle Textbeiträge und auch die mündlichen Äußerungen sind von den betreffenden ehemaligen Heimkindern für diese Veröffentlichung freigegeben worden. 3 Der Vater, Gustav Krause, war seit 1926 im Kreiskindererholungsheim in Porta-Barkhausen beschäftigt und von 1958 bis 1968 Hausmeister und Gärtner im „Haus Ehrenfried“. 4 Sonntag (1960).
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der Köchinnen des Hauses. Von ihr wurde ich immer mit „Leckereien“ versorgt. Von uns aus war es nicht weit bis in die Küche, einfach nur über den Hof eine Treppe hinauf. Alles in allem war es eine für mich unbeschwerte Zeit. Möglicherweise ist es auch ein bisschen der verklärte Rückblick auf die „gute alte Zeit“. Das sind meine spontanen Erinnerungen an diese Zeit meines Lebens. Weil mein Vater 1968 die Arbeit dort aufgab, zogen wir innerhalb Brühls um. Ich weiß noch, dass meine Eltern seinerzeit über die Schließung des Hauses sehr bestürzt waren.5
7.1 Die Schwestern vom Orden der Cellitinnen zur hl. Elisabeth Als Leiterinnen im Kinderheim „Haus Ehrenfried“ tätig waren Oberin M. (Maria) Bonifatia (von 1950 bis 1961), Sr. M. Basilia (1961) und Sr. M. Wilhelma (von 1962 bis 1965), alle drei waren ausgebildete Kindergärtnerinnen. Für die Wäsche war Sr. M. Neophyta zuständig, in der Küche war Sr. M. Benigna beschäftigt, Sr. M. Augustine, ebenfalls Kindergärtnerin, betreute den erzieherischen Bereich. Auch Sr. M. Gonzaga 6, die schon als Novizin in das Brauweiler Heim gekommen war, und Sr. M. Crementia, die die Säuglingsgruppe versorgte, arbeiteten zeitweise im „Haus Ehrenfried“. Sr. Benigna galt als „die gute Seele des Heims“, war beliebt und von vielen sehr gemocht; manche hielten den Kontakt zu ihr noch Jahre nach ihrem Weggang aus dem Heim aufrecht. Sr. Neophyta, die in auch der Nähstube beschäftigt war, war die Lieblingsschwester einer Heimbewohnerin. Deshalb habe sie sich gerne bei ihr unter dem Ordenskleid versteckt. Sr. Augustine „konnte sehr nett sein, wenn Kinder lieb waren“. Seit dem Umzug nach Brühl wohnten die Schwestern in einem Klausurbereich, den Architekt Aloys Möhring bei der Planung des Kinderheims für sie vorgesehen hatte: „6 Wohn-Schlafräume (Zellen) für Ordensschwestern mit fl. Wasser bis 10 m², 1 Toilette, 1 Badezimmer.“ Ein Refektorium (Speisesaal) und die Kapelle mit Sakristei komplettierten den „klösterlichen“ Teil des Heims. Das Zimmer für die Schwester Oberin lag etwas abseits der fünf anderen Schwesternzimmer, unmittelbar neben der Sakristei. Da in Klöstern dieser Bereich grundsätzlich den Ordensangehörigen vorbehalten und Abgeschlossenheit vorgeschrieben ist, hatte auch in diesem Kinderheim kein „Weltlicher“ Zutritt zu der Klausur. Kinder, die bis 1965 im „Haus Ehrenfried“ lebten, erinnerten sich daran, dass es ihnen strengstens verboten war, diesen Teil des Heimgebäudes zu betreten oder auch nur einen Blick dort hineinzuwerfen. 5 Michael Markus Krause hat mir freundlicherweise die schriftliche Einwilligung gegeben, seinen Text mit vollem Namen im Rahmen dieser Publikation zu verwenden. 6 Geboren 1936.
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Abb. 54 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Die Kapelle des Hauses, die noch aus der Zeit stammt, als das Kinderheim von Ordensschwestern geführt wurde, steht auch heute noch den Mitarbeiterinnen und Kindern zur Verfügung. Aus pädagogischen Gründen ist jedoch Anschluß an den Gottesdienst der zuständigen katholischen und evangelischen Pfarrgemeinden gefunden worden.“
Auch nachdem die Schwestern das Heim verlassen hatten und der ehemalige Klausurtrakt umgenutzt wurde, blieb er bis zur Schließung des Heims im Sommer 1983 für die Kinder „tabu“ und war stets verschlossen. In der 50 m² großen Kapelle wurde jeden Morgen eine Messe gelesen, die auch Gläubigen offenstand, die außerhalb des Kinderheims lebten. Den Gottesdienst versah Jakob Wichartz 7, der seinerzeit in direkter Nachbarschaft des Kinderheims, in der Liblarer Straße 39, wohnte. Die Kapelle war zwar klein, aber offenbar durch eine angenehme Atmosphäre gekennzeichnet. So gefielen nicht zuletzt die Lichteffekte: „Die Kapelle hatte wunderschöne Fenster“, erinnerte sich eine Gottesdienstbesucherin. Es handelte sich um Glasbausteine, die in lichten blauen und hellgrauen Farbtönen gehalten waren. Den Zugang zur Sakristei ermöglichte eine Tür in der Wand links hinter dem Altar.
7 Nachdem die Cellitinnen das Kreiskinderheim verlassen hatten, wechselte Wichartz (1902 – 1981) nach Brühl-Heide, wo er von 1966 bis zu seinem Tod als Pfarrer an der K irche St. Maria Hilf wirkte.
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Vor allem während der Betreuung des Heims durch die Ordensschwestern war es überaus „opportun“, wenn sich die Kinder gelegentlich betend in der Hauskapelle blicken ließen. Das machte die Schwestern eher gewogen, die Erlaubnis zum Fernsehen in der Aula zu erteilen: „Am Sonntagmorgen durften alle Kinder, sofern sie artig gewesen waren, nach dem Kirchgang dort fernsehen, u. a. Lassie, Augsburger Puppenkiste, die Schatzinsel usw.“ Nach dem Weggang der Cellitinnen wurde der gemeinsame sonntägliche Gang aller Heimkinder zur Schlosskirche in der Brühler Innenstadt „aus pädagogischen Gründen“ aufgegeben. Nun mussten die evangelischen Kinder eine etwas weitere Strecke bis zum Gemeindesaal im Rodderweg gehen, wo seit 1962 und bis zur Einweihung der Johanneskirche im Jahr 1975 Gottesdienste stattfinden konnten. Der Betraum für die evangelischen Kinder des Kreiskinderheims ist nicht als solcher in den Architektenplänen eingezeichnet, aber ein „Ehemaliger“, der schon 1953 ins Brauweiler Heim gekommen und nach dem Umzug noch bis 1961 in Brühl untergebracht war, erinnerte sich daran, dass sich dieser Raum zwischen Badehaus und Aula befand. In den 25 Jahren des Heims am Brühler Standort hatte sich die Raumkonzeption der Gebäudeanlage immer wieder verändert: So wurden beispielsweise nach 1970, unter Heimleiter Siegfried Hölker, Kapelle und Sakristei entweiht und für andere Zwecke genutzt. Das „wesentliche Inventar“ war Eigentum der kath. Kirchengemeinde St. Margareta und wurde dorthin zurückgeführt. Hatten „Ehemalige“, die bis 1970 im „Haus Ehrenfried“ lebten, die Hauskapelle noch in Erinnerung, so wussten Heimkinder, die s päter dort untergebracht waren, freilich nichts mehr von deren früherer Existenz, ebenso wie vom Betraum der evangelischen Mitchristen, der nach 1970 die Hausbibliothek beherbergte. Auch Gruppengebäude wurden umgenutzt. Nicht alle InterviewpartnerInnen konnten sich nach bis zu mehr als 60 Jahren noch an die „alten“ Schwesterntrachten erinnern, wie sie etwa auf den Fotos aus dem Kreiswaisenhaus in Brauweiler und bei der Einweihung von „Haus Ehrenfried“ in Brühl zu sehen sind. Sie vermuteten, dass die Ordensschwestern schon einige Zeit vor ihrem Weggang im Jahr 1965 eine „reduzierte“ Tracht angelegt hatten. Sie trugen zwar noch ihre knöchellange Kleidung, aber ohne die seit 1930 üblichen Hauben mit Schleier. Diese hatten sie schon 1960 gegen kleinere, auf die Haare aufgesteckte Kopfbedeckungen ausgetauscht.8 Manche „Ehemalige“ berichteten, dass „die Schwestern für uns Kinder ganz plötzlich und unerwartet zurückgerufen wurden und wir nur noch weltliches Personal hatten“. So erinnerte sich ein „Ehemaliger“ noch sehr gut an die Zeit und den aus seiner Sicht überraschenden Weggang der Ordensschwestern: „Ich war vom ersten Tag an in Brühl im ‚Haus Ehrenfried‘ dabei und habe die volle Ära 8 Vgl. dazu: Kloster zur hl. Elisabeth (Hg.): 675 Jahre Kloster zur hl. Elisabeth in Köln. Köln 1986, S. 84.
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mit den Ordensschwestern mitgemacht. Alle Höhen und besonders die Tiefen. Ich kann mich noch heute an Begebenheiten erinnern, als wenn es gestern gewesen wäre. So auch an den Tag, als die Schwestern in der Frühe noch da waren, und nach der Schule waren sie weg.“ Andere hatten dagegen den Eindruck, dass der Wechsel in der Heimleitung und der damit verbundene Abschied von den Ordensschwestern im Herbst 1965 „so plötzlich damals nicht kam. Wir Kinder haben schon vorher gewusst, dass ‚neue Frauen‘ kommen.“ Einerseits sei der Wechsel zu weltlichem Personal „sehr wohltuend“ gewesen. Doch der Übergang zur ersten weltlichen Heimleitung habe kaum zu einer spürbaren pädagogischen Veränderung geführt.
7.2 Die erste weltliche Heimleiterin Die erste weltliche Heimleiterin, eine ausgebildete Kindergärtnerin, begann ihre Tätigkeit im „Haus Ehrenfried“ am 1. September 1965. Im Heim stand ihr zwar ein kleines Appartement in der umgebauten ehemaligen Klausur der Ordensschwestern zur Verfügung, doch behielt sie ihre Privatwohnung außerhalb des Heimgeländes bei. Die folgenden Heimleiter wohnten in Dienstwohnungen, die ihnen der Kreis Anfang der 1970er Jahre in der Liblarer Straße 28, gegenüber dem Kinderheim, zur Verfügung stellte. Heimleiterin Marie-Theres Lennartz betonte im Interview, eines ihrer Motive für ihren Dienst in „Haus Ehrenfried“ sei es gewesen, „ein christliches Heim zu führen.“ Sie habe sich als Heimleiterin um jedes einzelne Kind gekümmert und sich für die Kinder intensiv eingesetzt. So wurde sie häufig „nachts aus dem Bett geklingelt, weil wieder ein Kind auf der Straße aufgegriffen wurde“ und sie ihm eine Unterbringung ermöglichen musste. Übereinstimmend erzählten ehemalige Heimkinder, dass Frau Lennartz konsequent und streng war: „Sie achtete sehr auf Zucht und Ordnung und gute Manieren. Mit ihrem sehr katholischen Erziehungsstil unterschied sie sich so gut wie gar nicht von der Erziehungspraxis der Cellitinnen-Schwestern.“ Als Heimleiterin hatte sie u. a. die Aufgabe, zur Vorlage beim Jugendamt regelmäßig jedes Jahr zu jedem Kind einen „Entwicklungs- und Erziehungsbericht“ zu schreiben und die Schulzeugnisse der Heimkinder zu unterzeichnen. Frau Lennartz erklärte, dass verschiedene Problemlagen und Gegenströmungen, auch seitens des Jugendamts, sie veranlasst haben, diese Arbeitsstelle schon 1970 aufzugeben.
Die erste weltliche Heimleiterin
Abb. 55 Entwicklungs- und Erziehungsbericht von 1967, erstellt von der Heimleiterin Frau Lennartz. Abb. 56 Heimleiterin Marie-Theres Lennartz im „Haus Ehrenfried“. 2. von rechts: Landrat Joseph Hürten.
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Abb. 57 Postkartenmotiv aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970.
7.3 Die Wohnsituation der Heimkinder und ihrer Erzieherinnen Als „Haus Ehrenfried“ 1958 aus dem Brauweiler Notbehelf nach Brühl umzog, fand man hier einen modernen Kinderheim-Neubau vor. Architekt Aloys Möhring hatte Platz für insgesamt 80 Kinder vorgesehen; der Gruppe der 20 Kleinstkinder (2 – 4 Jahre) standen drei Schlafräume zur Verfügung, in jedem Zimmer also sechs bis sieben (Gitter-)Betten. Für weitere vier Gruppen (je 15 Klein- und Schulkinder) waren je drei Schlafzimmer geplant (je fünf Betten). Die Betten stammten damals zum größten Teil aus dem 1956 geschlossenen Kindererholungsheim in Barkhausen. Eine „Ehemalige“, die von 1960 bis 1967 im Heim lebte, beschreibt anhand dieser Ansichtskarte ihre Erinnerungen an die Gebäude des Kinderheims: Die Postkarte zeigt das Kinderheim, wie ich es ab 1960 erlebte. Auf dem Foto oben links stellen die beiden nebenstehenden Häuser (rechts ein einstöckiges Haus mit Flachdach und links daneben das Haus mit zwei Stockwerken – ebenerdig und 1. Etage) die Unterkünfte von drei Wohngruppen dar. Rechts in dem Haus mit Flachdach (gelb gestrichen) war die koedukative Kindergruppe, im zweistöckigen Haus links davon war unten die reine Mädchengruppe und darüber im ersten Stock die reine Jungengruppe, alle drei Gruppen mit 12 bis max. 14 Kindern im Alter von drei bis 16 Jahren. Das Foto darunter beweist: kein Schlafraum im Heim enthielt mehr als sechs Betten. Und selbst diese geringe Betten-Anzahl entstand nur durch Überbelegung. In meiner
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koedukativen Gruppe schliefen sowohl die schulpflichtigen Mädchen als auch die schulpflichtigen Jungen in jeweils nur einem Vierbettzimmer, lediglich im Kleinkinderzimmer standen sechs Gitterbettchen für die Vorschulkinder – bis zum 1. Schultag schliefen die Kinder in ihren Gitterbetten. Die Wohngruppen erinnerten in der Raumaufteilung und in der Einrichtung der jeweiligen Gruppen sehr an eine Familienwohnung. Nach dem Öffnen der Tür gelangte man erstmal in eine winzigkleine Diele, von der mehrere Türen abgingen. Die Raumaufteilung im gelben Flachbau macht den Wohngruppencharakter deutlich. Bis auf die Kleinkinderwohngruppen mit nur 3-bis 6-Jährigen hatten die vier anderen Gruppen jeweils eine komplett eingerichtete Küche mit Vier-Platten-Elektroherd, einen riesengroßen Kühlschrank, Spüle und Schränke jeweils mit einer Resopalplatte abgedeckt. Alle Wohngruppen hatten ein Esszimmer mit ca. drei Tischen für die 12 bis max. 14 Kinder, ein Wohnzimmer mit Wohnzimmerschrank, Teppich davor als Spielteppich und einer Sitzecke mit Tisch und Eckbank, an denen die Kinder ihre Hausaufgaben erledigten. Natürlich hatten wir die obligatorisch zwei abgetrennten Badezimmer (für Mädchen und Jungen): Jede Gruppe hatte zwei Bäder (zumindest die vier Schulkindergruppen), sehr scharf getrennt für Jungen und Mädchen. Ich kann mich noch sehr gut an die Strafen für das Betreten des falsch-geschlechtlichen Waschraumes erinnern. Jede Gruppe hatte drei Schlafzimmer (schulpflichtige Kinder nach Geschlecht getrennt, Kleinkinder im Gitterbettchen gemeinsam im Zimmer), einen Kleiderraum, eine Garderobe für die vielen Mäntel und Schuhe der Kinder. Die „Schrankzimmer“ waren eine große Erleichterung, weil jetzt jedes Kind sein eigenes Schubfach und seinen eigenen Kleiderschrank hatte, während man in Brauweiler die Kleidung lediglich in „Massengarderoben“ unterbringen konnte, in denen Ordnung und Übersichtlichkeit kaum möglich waren. Das Foto oben rechts auf der Vierfach-Abbildung stellt den Gang zur Aula (unserem „Festsaal“) dar. Schon 1960 hatte das Heim dort einen Fernseher.
Seit den 1970er Jahren war der „Festsaal“ nicht mehr der Treffpunkt für das „kontrollierbare Fernsehen“. Nun hatte jede Gruppe ihren eigenen Fernseher, Radios und Schallplattenspieler. Gruppenleiterinnen hatten ihr Zimmer in der jeweiligen Gruppe, sie wohnten ausschließlich dort und hatten keine zusätzlichen Privatwohnungen. Architekt Aloys Möhring hatte für sie in den jeweiligen Gruppen „1 Wohn-Schlafraum mit fl. Wasser 12 – 15 m²“ geplant. Eine „Ehemalige“ bestätigt dies mit ihren Erinnerungen aus der Zeit zwischen 1960 und 1967: „Die Erzieherinnen hatten selbstverständlich ihre eigenen Zimmer, und die Gruppenleiterinnen, die in der Regel im Bereich der jeweiligen Gruppe schliefen, hatten ein zum Gruppen-Schlafbereich gehörendes Zimmer mit eigenem Badezimmer.“ Seit dem Weggang der Ordensschwestern durften sie sich die Möbel für ihr Mitarbeiterzimmer selbst aussuchen. Für die Praktikantinnen waren separate Zimmer vorgesehen.
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Erinnerungen an „Haus Ehrenfried“
Abb. 58 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Ein kleiner Saal macht das – kontrollierbare – Fernsehen mit den Kindern möglich. Hier werden die kleinen Feste im laufenden Jahr gefeiert, hier ist die Gelegenheit für Laienspiele und musikalische Darbietungen.“
Abb. 59 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Mitarbeiterinnen, die für längere Zeit bei uns bleiben, werden modern eingerichtete Einzelzimmer zur Verfügung gestellt. Sie sind nicht groß, sollen aber außerhalb der Dienstzeiten Entspannung und Erholung ermöglichen.“
Die Gruppenstruktur
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Mit dem Weggang der Ordensschwestern, die im Klausurtrakt des Heims gewohnt hatten und rund um die Uhr vor Ort für die Kinder erreichbar gewesen waren, veränderte sich die Betreuungssituation: Die ständige Präsenz wurde durch Arbeitszeitregelungen wie Tag- und Nacht- sowie Schichtdienste abgelöst, die ihrerseits den Kontakt und die Beziehung z wischen den Heimkindern und den BetreuerInnen beeinflussten.
7.4 Die Gruppenstruktur Gemäß Architektenplan sollte es vier Gruppen geben, in denen Klein- und Schulkinder von vier bis 14 Jahren lebten. Auch hier verfügte jede Gruppe über drei Schlafräume, sodass jeder Raum zunächst mit fünf Betten belegt war. Eine ehemalige Heimbewohnerin erinnerte sich – 50 Jahre nach ihrem Eintritt in „Haus Ehrenfried“: Fünf Gruppen waren auf drei Gebäudeteile verteilt: Zwei Häuser mit je zwei Gruppen, ein Haus mit einer Gruppe. Der Gruppenverband (ähnlich einer Familienstruktur!) war von Anfang an ab der Eröffnung 1958 das Konzept des Heimes. Fünf Gruppen mit 12 bis max. 14 Kindern, die alle „autark“ agierten. Zu erkennen war dies an der baulichen Struktur des Heimes: a) Jede Gruppe hatte entweder eine eigene Etage (in den 2-stöckigen Häusern) oder ein eigenes Haus (das gelbe Haus mit dem Flachdach). b) Jede Gruppe hatte eine eigene voll ausgestattete Küche, ein eigenes Esszimmer, ein eigenes Wohnzimmer, eigene Bäder, eigene Schlafzimmer bis max. 6 Betten im Raum etc. – außer, es wurden Akutfälle aufgenommen. c) Auch die Gruppen-Erzieherinnen hatten in den jeweiligen Gruppen ihr eigenes Zimmer mit Bad! Für die Praktikanten gab es ein Zimmer ohne Bad in der Gruppe. Die Erzieherinnen gehörten damit auch räumlich ausschließlich zu dieser Gruppe, waren also ‚Bezugspersonen‘.
Im Interview mit ihr stellte diese „Ehemalige“ abschließend fest: „Das Brühler Kinderheim war 1958 ein absolutes Novum, ein bezüglich der Konzeption wirklich topmodernes Kinderheim nach neuesten pädagogischen Erkenntnissen – ein ‚Modellkinderheim‘.“
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Abb. 60 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Die Gruppen sind nach dem Familiensystem gegliedert, jede Gruppe besteht aus ca. 12 Kindern im Alter von 2 – 15 Jahren, Jungen und Mädchen. Hierfür stehen jeweils eine Kindergärtnerin, Kinderpflegerin, Helferin und Putzhilfe als Mitarbeiterinnen zur Verfügung.“
Abb. 61 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Die wohnliche Einrichtung der Gruppen ist mustergültig. Die musischen Interessen unserer Mitarbeiterinnen werden zur Freude der Kinder gefördert (hier z. B. die Arbeit mit Orffschen Instrumenten).“
Ausstattung und Versorgung
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7.5 Ausstattung und Versorgung Übereinstimmend wurde berichtet, dass im Heim bis etwa Ende der 1960er Jahre zwischen „Hauskleidung“ bzw. „Freizeitkleidung“ und Kleidung für die „Außenwelt“ (z. B. Schule, Kirchgang) unterschieden wurde. „Nach der Schule mussten sich die Kinder umziehen, ‚Hauskleidung‘ anziehen; anderes war nicht erlaubt. Alle Heimkinder hatten nachmittags karierte Pullunder an. Jeden Freitag bekam man frische Sachen zum Anziehen. Wir hatten einen Schrankraum mit vielen Fächern, die nummeriert waren.“ Auch gab es u. a. grün-beige Pumphosen als „Hauskleidung“, die dem Heim gehörten und „weitervererbt“ wurden. Doch erhielten die Kinder und Jugendlichen auch regelmäßig neue Kleidung. Im Wirtschaftstrakt lagerte ein größerer Bestand an „Basiswäsche“, darüber hinaus wurden Textilien zugekauft, zumeist in Köln. An diesen Tagen fuhr man mit der Straßenbahn dorthin. Spätestens seit den 1970er Jahren durften sich die größeren Heimkinder die Kleidung – in vorgegebenen finanziellen Grenzen – selbst aussuchen und kaufen. Schon Oberin Bonifatia hatte ganz zu Beginn ihrer Heimleitung im Jahr 1950 propagiert, die im „Haus Ehrenfried“ untergebrachten Kinder sollten „ohne Unterschied auf ihre Herkunft und in der Schule nur durch ihr gepflegtes Äußeres auffallen“.9 Wie 1956 im Entwurf für das neue Kinderheimgebäude beschrieben, befand sich das Badehaus im Anschluss an das „quer zur Straße gestellte Wirtschaftsgebäude, in dem sich die Küche sowie die Räume für Vorräte, Wäscherei, Näherei und die Räume für die Unterbringung des Personals befinden. An das Wirtschaftsgebäude schließt sich, in Atriumform, Verwaltung, Klausur, Kapelle, Gemeinschaftsraum und die Badeanlage an.“ Ein „Ehemaliger“ – heute 75 Jahre alt – berichtete, dass zwischen 1953 und 1961, als er im „Haus Ehrenfried“ lebte, freitags Badetag im Badehaus war. Alle Kinder hatten eine Kenn-Nummer, die auf Handtüchern, Zahnputzbechern und Waschlappen in den Gruppenbadezimmern vermerkt war. Persönliche Vornamen und die Gruppennummer fanden sich zudem auf den Badutensilien und in den Kleidern. Nicht nur Kleidung und Bademöglichkeiten für die Heimkinder waren „gut“, sondern auch das Essen, das immer reichlich vorhanden war. „Im Kinderheim gab es immer satt und genug zu essen – aber der Teller musste auch leergegessen werden, da gab es kein Pardon.“ Neben der Vorschrift, stets den Teller leerzuessen, mussten die Heimkinder lange Zeit eine weitere Einschränkung hinnehmen: Beim Essen durfte nicht gesprochen werden. Ab etwa 1970 wurde diese Regelung endgültig abgeschafft. Die Lebensmittel wurden von Montag bis Freitag angeliefert, und an diesen Tagen lagen morgens frische Brötchen auf dem Tisch – so berichtet von einem ehemaligen Heimkind, das von Anfang bis Mitte der 1960er Jahre im „Haus 9 Kölner Stadt-Anzeiger, 12. Juli 1950.
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Abb. 62 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Mitarbeiterinnen, die nicht mit den Kindern essen möchten, nehmen im Mitarbeiterwohnzimmer an den gemeinsamen Mahlzeiten teil. Dabei wird nicht nur auf das gute, abwechslungsreiche Essen, sondern auch auf eine freundliche Atmosphäre großer Wert gelegt.“
Abb. 63 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „In jeder Gruppe steht aber noch eine modern eingerichtete Teeküche zur Verfügung. Hier wird nicht nur gespült, sondern es besteht die Möglichkeit, daß die Mitarbeiterinnen für sich selbst oder mit den Kindern (vor allen Dingen mit den großen Mädchen) kochen und backen.“
Ausstattung und Versorgung
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Abb. 64 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Das Haus hat zur völligen Entlastung der Gruppen eine gut geführte (unter Oberleitung einer Hauswirtschaftsleiterin) und zweckmäßig eingerichtete Küche.“
Ehrenfried“ gelebt hatte. Die Brötchen waren als Pausenbrote für die Schule gedacht und konnten mit Wurst oder Käse belegt werden; hinzu kam ein Stück Obst. Samstags gab es Brot zum Frühstück, mittags Eintopf und abends Kakao und Röggelchen. Die Kinder genossen die kulinarischen Extras: „So hatten wir z. B. sonntags Rosinenstuten, dienstags Pommes Frites satt. Karneval gab es Berliner, die die Nonnen selbst buken.“ Viele „Ehemalige“ erinnerten sich an „die vielen Süßigkeiten, die stets im Heim zu haben waren“: Besonders zu Ostern, zu Weihnachten, zum Geburtstag oder zur Kommunion wurden die süßen Teller noch einmal mehr aufgefüllt. Als besonders angenehm wurde vermerkt, dass das Essen pro Gruppe im jeweiligen Esszimmer eingenommen wurde und nicht in einem großräumigen Speisesaal für alle Heimkinder. Das Personal beaufsichtigte die Kinder, konnte selbst aber die Mahlzeiten separat im „Mitarbeiter-Speiseraum“ einnehmen, der sich im Atriumgebäude befand. Heimleiter Hölker hatte zu Beginn des Jahres 1973 aus Kostengründen für die warmen Mahlzeiten Tiefkühlkost anliefern lassen, also Fertigessen, das lediglich aufgewärmt werden musste. Da sich diese Umstellung nicht bewährte, wurde diese Methode schon nach etwa neun Monaten reduziert bzw. abgeschafft. Von da an konnte man im Heim wieder täglich frisch zubereitetes Essen genießen, das nur hin und wieder durch Tiefkühlkost ergänzt wurde. Auch die ärztliche Versorgung war im Heim geregelt: Architekt Aloys Möhring hatte bereits bei der Planung im ersten Obergeschoss des Wirtschaftsgebäudes
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ein Arztzimmer und zwei Isolierzimmer vorgesehen. Bei akuten Erkrankungen oder Verletzungen kam ein Arzt ins Heim, zur Versorgung der übrigen Erkrankungen gingen die Kinder und Jugendlichen alleine oder in Begleitung einer Erziehungskraft zu den jeweiligen Arztpraxen in Brühl. Was die schulische „Versorgung“ betraf, war in den ersten 20 Jahren des Bestehens von „Haus Ehrenfried“ nur wenigen Heimkindern die Gelegenheit geboten worden, ein Gymnasium oder andere weiterführende Schulen zu besuchen. Ein früheres Heimkind, das 1963 eingeschult wurde, erinnerte sich: „Im Kinderheim waren in der Zeit von 1960 bis 1967 ca. 12 – 1 4 Kinder in jeder Gruppe; von den 67 Kindern waren 57 Schulkinder, nur drei davon gingen zur öffentlichen Volksschule, alle anderen zur Sonderschule.“ Daher festigte sich der Eindruck: „Es wurde nicht gefördert im Heim!“ Lediglich ein Teil der nicht mehr schulpflichtigen Jugendlichen absolvierte damals nach dem Heimaufenthalt eine Lehre, und viele der weiblichen Jugendlichen wurden im Heim zu gering qualifizierten Arbeiten verpflichtet: Konventionellen Rollenkonzepten entsprechend, setzte man die Mädchen noch bis in die 1960er Jahre häufig in der heimeigenen Haushaltsführung ein und bereitete sie so auf die ihnen zugedachte Rolle als Hausfrau vor. Anstelle von Entlohnung waren sie meist gegen „Kost und Logis“ tätig, was nicht zuletzt den Nachteil hatte, dass in der Regel keine Rentenanwartschaften für diese Zeit erworben werden konnten. Bemängelt wurde von einigen InterviewpartnerInnen auch, dass – aus ihrer Sicht – im Heim nicht genügend auf körperliche Beeinträchtigungen der Kinder geachtet wurde. Dieser Einschätzung lag das Selbstbild zugrunde: „Ich war ja nur ein Heimkind, da kümmerte man sich nicht so richtig.“ Sicherlich blieben wohl hin und wieder z. B. Sprach- und Sprechentwicklungsstörungen, Sehstörungen oder Schwerhörigkeit unerkannt und führten in manchen Fällen fälschlicherweise dazu, dass Kinder eine Sonderschule besuchen mussten. „Sonderschüler zu sein war kein Makel, sondern man ging untereinander ganz neutral damit um“, hieß es, was auf eine stimmige Solidarität im Kinderheim schließen lässt. Und manche ZeitzeugInnen konnten sich daran erinnern, dass spezielle Behandlungen, z. B. bei einer Logopädin, in Anspruch genommen wurden. Ab etwa 1970, unter der Heimleitung von Siegfried Hölker, richtete sich der Blick verstärkt auf (heil-)pädagogische Erfordernisse.
7.6 Kontakte In der Zeit der Cellitinnen versah eine Schwester an der Pforte ihren Dienst und wachte streng über den Eingangsbereich und die lange Jahre stets abgeschlossene Haustür: zur Sicherheit und um zu überblicken, wann welche Kinder das Heimgelände verließen und wann sie zurückkamen. Nach dem Klingeln mussten die Kinder warten, bis ihnen aufgedrückt wurde. „Direkt gegenüber der gläsernen
Kontakte
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Abb. 65 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Auf die Verbindung zu den Eltern der Kinder legen wir besonderen Wert. An den Besuchssonntagen steht ihnen ein eigener wohnlicher Raum für Gespräche zur Verfügung, – soweit die Eltern nicht in die Familiengruppen gehen.“
Eingangstür war das Fenster der Pfortenschwester, die den ganzen Tag da saß, jeden Besucher registrierte und dann erst auf den Summer zum Öffnen der Tür drückte“, wusste ein ehemaliges Heimkind, das hier seit 1960 gelebt hatte, noch fast 60 Jahre später. Besuche bei anderen Kindern außerhalb des Heims waren untersagt. Besuch durfte nur bis ins Eingangsfoyer kommen. „Nicht mal der Gang in den Garten war Besuchern erlaubt!“ Dass schon unter der früheren Heimleiterin Oberin Bonifatia Ausnahmen von den strengen „Besuchsregeln“ gemacht wurden, erzählte mir eine frühere Erzieherin. Bonifatia, die als „kölsche Oberin“ galt, empfing sonntags öfters mal den Kölner Volksschauspieler Willy Millowitsch 10 im Brühler „Haus Ehrenfried“, mit dem sie gut befreundet war. Dessen Kinder durften dann im Außengelände des Heims spielen – nicht aber die Heimkinder. Sie mussten sich währenddessen in den Gebäuden aufhalten. Eine „Ehemalige“ berichtete aus dem Jahr 1966, dass „Auswärtigen“ der Aufenthalt auch in den Gruppenräumen grundsätzlich nicht erlaubt war. Spätestens seit 1970 stand den Eltern an den Besuchssonntagen auch ein Raum für Gespräche zur Verfügung. 10 1909 – 1999.
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Im Rückblick stellte sich auch Bedauern darüber ein, damals so auf das Terrain des Kinderheims eingeengt worden zu sein. Eine „Ehemalige“, die überwiegend in der Zeit der Cellitinnen im Heim lebte, berichtete: „Es gab keine offenen Türen, und man durfte das Haus praktisch nicht verlassen. Außenkontakte waren gering bzw. kamen gar nicht vor, auch kamen sehr selten andere Kinder ‚von außen‘ ins Heim. Man lebte hier abgeschirmt.“ Eine weitere „Ehemalige“ aus dieser Zeit erinnerte sich ebenfalls an die geringen Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme nach außen: „Nach der Schule musste man umgehend zurück ins Heim. Man blieb auf dem Gelände des Kinderheims, und es gab keine Besuche bei oder von Klassenkameraden. Ausgang war nur in geschlossenen Gruppen erlaubt, so zur Schule und zum Kirchgang. Andernfalls brauchte man eine Sondergenehmigung.“ Auch die Erkundung der Stadt Brühl war dadurch nur sehr begrenzt möglich: Ich hätte Brühl damals viel intensiver kennen lernen wollen, durfte es aber nicht, denn wir Kinder aus dem Kinderheim ‚Haus Ehrenfried‘ durften das Gebäude nur verlassen, um die Schule und – sehr, sehr oft – die Gottesdienste zu besuchen, in den Kirchen der Stadt Brühl, das waren hauptsächlich die Marienkirche [Schlosskirche], die Margaretenkirche [St. Margareta] und die K irche St. Heinrich. Ansonsten hatten wir keinen Freigang durch Brühl, leider! Später, als die Nonnen das Heim verlassen hatten, Mitte 1965, da wurde dies etwas großzügiger gehandhabt.
Aus der Brauweiler Zeit von „Haus Ehrenfried“ meldeten sich ehemalige Klassenkameraden aus der Volksschule und bestätigten die Aussagen der „Ehemaligen“: „Wir pflegten während des Unterrichts und vor allem in den Pausen einen ganz normalen Umgang mit diesen MitschülerInnen. Allerdings kann ich mich nicht an Kontakte außerhalb der Schulzeiten erinnern. Ich meine heute, dass es den Kindern nicht gestattet war, nach der Schule das Haus zu verlassen.“ Unter der Leitung von Frau Lennartz wurde die Pforte zwar weiterhin von einer Mitarbeiterin überwacht, doch wurden die bisherigen strengen Bestimmungen sichtlich gelockert: Man durfte das Haus verlassen, wenn man vorher Bescheid gab. Nicht nur nach außen, sondern ebenso innerhalb des Heims gab es „Kontaktvorschriften“: „Wir Kinder durften nur in den Außenbereichen ‚gruppenübergreifend‘ Kontakte pflegen. Im Haus mussten wir in unserer eigenen Gruppe bleiben, also untereinander.“ Ab 1970 änderten sich die Anordnungen bezüglich der Kontaktaufnahmen innen wie außen von Grund auf. Unter Heimleiter Hölker gab es keine „Pfortenaufsicht“ mehr, und man musste nicht mehr sofort nach der Schule zum Heim zurückkommen. Frühere KlassenkameradInnen berichteten, dass sie damals viele Freunde und Freundinnen aus dem Heim hatten, dass sie sie im Heim besuchten und sie auch mit nach Hause bringen durften.
Freizeit
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7.7 Freizeit Viele ehemalige Heimkinder erinnerten sich im Rückblick auf ihre Zeit im „Haus Ehrenfried“ – jenseits aller Einschränkungen – an die doch möglichen Freizeitaktivitäten innerhalb des Heimgeländes mit seinen weitläufigen Außenanlagen: Ich habe auch die Außenanlagen des Brühler Heims genossen: Unser „Swimmingpool“ hatte zwar nur eine Wassertiefe von ca. 30 cm, aber für uns Kinder war er ein Paradies, wenn wir darin planschen konnten. Er war richtig groß, genauso wie der Sandkasten! Weiterhin gab es in den Außenanlagen des Heimes einen Teer-Fußballplatz, eine Sportanlage (Aschenplatz) mit drei Laufbahnen und Sprungkasten, eine Rollschuhbahn und mehrere Schaukel- und Klettergerüste.
Außerdem waren noch mehrere Schaukelanlagen vorhanden sowie ein kleiner Sandkasten mit einer Rutsche für die kleineren Kinder. Ein geplantes Schwimmbad wurde nicht realisiert. 1965 war das Nachbargrundstück mit den Apfel-, Pflaumen-und Kirschbäumen angekauft worden, und im Frühjahr 1966 wurde dort ein Fußballplatz als Rasenplatz neu hergerichtet. Der bisherige Aschenplatz war häufig Ursache kleinerer Verletzungen und Infektionen der Kinder gewesen und erhielt daher einen Asphaltbelag, um als Rollschuhbahn genutzt werden zu können. Dass diese Rollschuhbahn „sehr wünschenswert (wäre), um die weitere sportliche Betätigung der Kinder zu fördern und weil hier genügend Aufsichtsmöglichkeit besteht“, hieß es im Jugendwohlfahrtsausschuss am 16. März 1966.11 Rollschuhfahren war in dieser Zeit eine überaus „angesagte“ sportliche Freizeitbetätigung. „Jedes Schulkind hatte ein eigenes, rotes Rollschuhpaar“, berichtete eine „Ehemalige“. Beliebt waren auch die regelmäßigen Feste und Feiern im Heim. „Es wurde Weihnachten, Ostern und natürlich Karneval gefeiert, und wir erlebten schöne Sommerfeste, es gab Besuche im Kölner Hänneschen-Theater, im Zoo und im Märchenwald von Altenberg.“ Vergleichbare Erlebnisse und Erfahrungen machten auch andere ehemalige Heimkinder: „Einmal pro Monat gingen wir nach Wesseling ins Schwimmbad. Im Advent fuhren wir mit dem Bus zum Zirkus Krone auf dem Neumarkt. Manche Kinder nahmen am Rollschuh-Wettbewerb in Wesseling teil. Besonders die Sommerferien in der Eifel waren toll!“ Am Nikolausabend kam viele Jahre lang ein Nachbar ins Kinderheim, verkleidet als „der heilige Mann“. Er brachte Geschenke für die Kinder, wurde aber auch begleitet von Knecht Ruprecht. „Und die Erzieherinnen haben sich nicht mit der Schelte wegen irgendwelcher kleiner ‚Vergehen‘ zurückgehalten, auch wenn sie schon Monate vorher passiert waren. Sie wurden für jedes Kind vorgelesen, und das im Beisein aller!“ Sicher hat sich dabei manches Kind bloßgestellt gefühlt und sehr geschämt. 11 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/2970.
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Abb. 66 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Auf den am Haus angelegten Spielplätzen können sich die Kinder nach Herzenslust austoben.“
Abb. 67 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Der Spielplatz für die Kleinen unmittelbar am Haus.“
Ein ehemaliges Heimkind, heute fast 60 Jahre alt, erinnert sich noch genau an die Freizeitangebote, an denen man Mitte der 1970er Jahre teilhaben konnte. So ging es in eine Jugendherberge ins oberbergische Wiehl, zu Ferienfreizeiten in die Niederlande, zum Lagerfeuer auf die Brühler Maiglerwiese, es gab auch
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Nachtwanderungen zum Brühler Wasserturm, „wo die Kinder und Jugendlichen Glühwürmchen zählten!“ Es sei „wirklich vieles möglich“ gewesen. Neben den Ferien kam den Kindern auch von anderer Seite gelegentlich ein „Extra“ zu: So bereitete die Kreissparkasse Köln Ende Oktober 1965 etwa 40 Kindern aus „Haus Ehrenfried“ einen erlebnisreichen Ausflug in die Kölner Zentrale.12 Und im Sommer 1966 überreichte Heinz Korte, der in Brühl wohnende Inhaber der Kölner Firma „Touring-Sport“, dem Kreiskinderheim eine großzügige Spende: Er verschenkte 20 Rucksäcke, zehn Campingbeutel, sechs Tischtennisschläger, elf Bälle, fünf Federballspiele, fünf Cordhosen, 15 Badeanzüge, acht Anoraks und sieben Lederhosen.13 Vermutlich ab Mitte der 1960er Jahre gab es Taschengeld im Heim. Aus der Zeit Anfang der 1960er Jahre erinnerte sich eine „Ehemalige“: Bis zum 6. Lebensjahr gab es pro Monat 3,00 DM Taschengeld, ab Schuleintritt: 7,00 DM. Obwohl man im Kinderheim mit Süßigkeiten „überschüttet“ wurde, haben sich viele Kinder von dem Taschengeld am Büdchen Süßigkeiten gekauft; manche auch Bücher, z. B. Pferdebücher. Das Taschengeld wurde von den Gruppenleiterinnen in einem Buch eingetragen, auch, ob die Kinder es sich bar auszahlen oder stehen ließen, also sparten.
Ein „Ehemaliger“, der das Heim 1961, mit 14 Jahren, verlassen hatte, weiß, dass es zu seiner Zeit kein Taschengeld für die Heimkinder gab. Gemäß den „Richtlinien des Landesjugendamts für die Gewährung von Taschengeld an Minderjährige in Heimen und gleichartigen Einrichtungen“ war die Höhe des monatlichen Taschengelds gestaffelt und lag rd. 15 Jahre, nachdem es „3,00 DM bis zum 6. Lebensjahr“ gegeben hatte, bei: Stufe I vom Beginn des 5. Lebensjahres bis zur Einschulung Stufe II von der Einschulung bis zur Vollendung des 10. Lj. Stufe III vom Beginn des 11. Lj. bis zur Vollendung des 14. Lj. Stufe IV vom Beginn des 15. Lj. bis zur Vollendung des 17. Lj. Stufe V vom Beginn des 18. Lebensjahres an (Stand 1. Januar 1980)
5,00 DM 14,00 DM 27,00 DM 54,00 DM 63,00 DM
Diese Regelung wurde in der Sitzung des Jugendwohlfahrtsausschusses des Erftkreises am 10. Januar 1980 einstimmig übernommen. Allerdings blieb auch die bisherige Regelung bestehen, dass „sowohl aus pädagogischen Gründen als auch aus Gründen des Heimfriedens in Heimen mit überwiegend anderer Belegung, abweichend von den vorgenannten Sätzen, das in diesen Heimen übliche 12 Vgl. Kölnische Rundschau, 27. Oktober 1965. 13 Vgl. Kölnische Rundschau, 23. Juli 1966. Die Geschäftsräume der Firma „Touring-Sport“ befanden sich in Köln am Barbarossaplatz und in der Luxemburger Straße.
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Abb. 68 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Klettern und Schaukeln zu jeder Jahreszeit, Planschen und Duschen im Sommer.“
Abb. 69 Aus der Broschüre zur Mitarbeiterwerbung, 1970. „Neben Klettergerüsten und Sandkästen geben noch ein Fußballplatz und eine Aschenbahn Gelegenheit zur sportlichen Ertüchtigung. Zu Therapiezwecken und als Freizeitangebot für Mitarbeiter wird in Kürze ein kleines Hallenschwimmbad gebaut.“
Strenge, Strafen und Misshandlung
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Taschengeld gezahlt [wird].“ Ebenfalls beschlossen wurde in dieser Sitzung, ab dem 1. Januar 1980 aufgrund der gesteigerten Gesamtkosten den Tagessatz im Kreiskinderheim von bisher 97,00 DM auf 101,00 DM zu erhöhen.
7.8 Strenge, Strafen und Misshandlung Je nachdem, in welchem Zeitraum die von mir befragten „Ehemaligen“ im kreiseigenen Kinderheim „Haus Ehrenfried“ gelebt hatten, beurteilten sie ihren Aufenthalt dort sehr unterschiedlich – als „besonders schön“ und „erfreulich“ die einen, andere wiederum erlebten ihn als „überaus belastend“: Ehemalige Heimkinder, die in Brauweiler und/oder in Brühl untergebracht gewesen waren, berichteten einhellig, dass in der Zeitspanne z wischen 1950 und 1970 die Ordensschwestern, das weltliche Personal und die Heimleiterinnen dafür bekannt waren, vieles zu reglementieren und auch vor körperlichen Strafmaßnahmen gegenüber den Kindern nicht zurückzuschrecken „Sie waren streng, sogar verdammt streng.“ Diesen Eindruck bestätigten auch damalige MitschülerInnen; eine von ihnen formulierte es kurz und knapp so: „Mir machte das Haus immer Angst.“ Die Erziehung zu striktem Gehorsam und zur Unterordnung sowie die oftmals als sehr ungerecht empfundenen Strafen konnten extrem verletzend auf Körper und Seele der Schutzbefohlenen wirken. Diese Erlebnisse haben sich bis heute fest in der Erinnerung der Betroffenen verankert. Manche von ihnen waren daher erst nach längerem Zögern in der Lage, sich zu überwinden und mir ihre Geschichte ausführlicher zu erzählen. Einige der damaligen Heimkinder leiden noch bis ins Erwachsenenalter unter Traurigkeit, Verschlossenheit und Schüchternheit und erklären sich dies mit ihrem Heimaufenthalt, bezeichnen sich aufgrund mancher Einschränkungen und Erlebnisse dort gar als „heimgeschädigt“. In d iesem Kontext verwiesen sie auf die geringe Herzlichkeit und den kaum vorhandenen Körperkontakt, auf fehlende persönliche Ansprache und individuelle Förderung, ganz besonders, wenn sie vor 1970 im Heim gelebt hatten. Eine heute 75-Jährige schilderte Strafen und Übergriffe, die schon die kleineren Kinder ertragen mussten, und zwar für „Vergehen“, die dies in keinster Weise rechtfertigten und in Widerspruch zu den nach außen hin artikulierten Erziehungsvorstellungen etwa der Oberin Bonifatia standen. Die Zeitzeugin habe noch bis vor wenigen Jahren unter Alpträumen gelitten, die sie mit ihrer Heimerfahrung in Verbindung bringt. Sie war damals etwa drei Jahre alt und insgesamt knapp zwei Jahre in Brauweiler untergebracht. Erst nach Beginn der öffentlichen Diskussion über Missbrauchsfälle in verschiedenen Heimen, wodurch sie selber endlich über ihre früheren Erlebnisse habe sprechen können, hätten diese Träume aufgehört. Eine andere Heimbewohnerin wusste noch, wie sie sich – als evangelisches Kind – bei den Gebeten vor und nach den Mahlzeiten selbstverständlich nicht
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bekreuzigte. Eine „weltliche“ Erzieherin drohte ihr: „Wenn du dich nicht bekreuzigst, bekommst du nichts zu essen!“ Dieser Vorfall ereignete sich 1960/61, als die Cellitinnen das Heim unter der Leitung von Oberin Bonifatia betreuten. „Diese Erzieherin machte mir auch klar, dass meine erst kürzlich verstorbene M utter nicht in den Himmel komme, denn sie sei ja evangelisch gewesen.“ Obwohl sie nur wenige Monate in dem Heim verbrachte, hat die damals 10-Jährige diese Maßnahmen nicht vergessen, und sie ist noch im Nachhinein überzeugt: „Manche weltlichen Erzieherinnen waren rabiater als die Schwestern.“ Viele andere „Ehemalige“ erinnerten sich noch sehr gut daran, wie Kinder im Brauweiler Heim geschlagen wurden. Diese Maßnahmen setzten sich auch 1958, nach dem Umzug, in Brühl fort. Gestraft wurde „mit Schluffen“, „mit Stöckchen“, „mit Linealen“, „mit Kleiderbügeln“, „mit dem Handfeger“ und „mit dem Rohrstock“ – von den Ordensfrauen, aber auch von „weltlichen“ Erzieherinnen. Wer petzte, bekam auch dafür Schläge. „Geglaubt wurde uns Kindern sowieso nicht.“ Unter den Ordensschwestern durften die Kinder zudem erst dann zu Bett gehen, wenn sie ihre Gebete gesprochen hatten. Ungehorsam wurde nicht geduldet. Wer ins Bett gemacht hatte, „wurde zur Strafe mit einer Wurzelbürste blutig geschrubbt und danach kalt abgeduscht“. Auch bei den Mahlzeiten konnte es sehr schroff zugehen: Wenn man seinen Teller nicht leer aß, musste man so lange davor sitzen bleiben, bis man es „geschafft“ hatte. Mehrere damalige Heimkinder berichteten mir, dass sie sogar „Erbrochenes“ essen mussten. Als dann im September 1965 die neue Heimleiterin kam, sorgte die dafür, dass solche „Erziehungsmethoden“ im gesamten Heim endgültig der Vergangenheit angehörten. Kinder ab dem 6. Lebensjahr wurden intensiv in die Hausarbeit einbezogen. Sie hatten in regelmäßigem Wechsel sog. „Ämtchen“ zu übernehmen, die entlang der Raumaufteilung vergeben wurden: 7 Tage das Zimmer putzen; 7 Tage Betten machen – auch die der kleineren Kinder – „die haben so gestunken!“; 7 Tage den langen Flur putzen bzw. bohnern; 2 × 7 Tage Küchendienst (spülen, abtrocknen, Kartoffeln schälen); 7 Tage das Esszimmer reinigen; 7 Tage das Wohnzimmer bohnern; 7 Tage das Badezimmer putzen (Mädchen das Mädchenbadezimmer, Jungen das Jungenbadezimmer). Für manches Kind waren diese Aufgaben belastend, andere sahen sie jedoch sehr positiv als „Vorbereitung aufs Leben“. Eine „Ehemalige“, die mit 14 Jahren ins Heim gebracht worden war, weil die Verhältnisse bei ihren Eltern dort keinen weiteren Aufenthalt erlaubten, konnte im Interview abschließend feststellen: „Ich kann nicht sagen, dass es kein gutes
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Heim war, vor allem, nachdem Herr Hölker die Leitung übernommen hatte. Manchmal ist ein Heim die bessere Lösung als ein schlechtes Zuhause.“ Viele der Erfahrungen, die mir in den Interviews berichtet wurden, aber an dieser Stelle nicht in aller Ausführlichkeit wiedergegeben werden können, passen zu den zahlreichen Untersuchungsergebnissen zur Heimerziehung nach 1945, die gezeigt haben, dass gerade in konfessionell geführten Häusern die Erziehung allgemein von einer rigiden, restriktiven Vorstellung von Moral, Ordnung und Disziplin geprägt war. Fraglich ist an dieser Stelle, wie es um die Erfüllung der Heimaufsicht bestellt war: Schließlich war in der Novelle des Jugendwohlfahrtsgesetzes in der Fassung vom 11. August 1961 in Abschnitt VII, §§ 78, 79 „Heimaufsicht und Schutz von Minderjährigen unter 16 Jahren in Heimen“ eingefügt worden.14 In § 78 (2) hieß es: „Die Aufsicht erstreckt sich darauf, dass in der Einrichtung das leibliche, geistige und seelische Wohl der Minderjährigen gewährleistet ist.“ Die praktische Umsetzung dieser Vorgaben war stets der Gradmesser für das tatsächliche Wohl der BewohnerInnen.
7.9 „Vieles war auch gut“ Für eine inzwischen 73-jährige Interviewpartnerin sei es schön gewesen in „Haus Ehrenfried“, vor allem in der Brauweiler Zeit. „Bei allen Nachteilen hat es auch viel Gutes gegeben.“ Zu den positiven Aspekten gehörte, dass viel unternommen wurde, dass immer wieder Feste gefeiert wurden und man auch in Ferien fahren konnte. Die „Ehemalige“ zeigte trotz negativer Erlebnisse und einem oft als belastend empfundenem Alltag viel Verständnis für die Ordensschwestern. Zeitweise seien zu viele Kinder im Heim gewesen, sodass sich die Schwestern und auch die Erzieherinnen nicht genug um jedes einzelne Kind kümmern konnten. Zudem mussten die Schwestern in den 1950er Jahren, die noch zur Nachkriegszeit zählten, auch ihre eigenen Kriegserlebnisse verarbeiten: „Vom Krieg haben die Cellitinnen viel erzählt.“ Welche Erziehungsauffassung dem Verhalten der Ordensschwestern und des weltlichen Erziehungspersonals zugrunde lag, ob sie überfordert waren, ob und wie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die damit verbundenen Schrecken und Verluste in ihnen nachwirkten, ist nicht ermittelbar. Selbstverständlich waren sie geprägt von ihrer eigenen Sozialisation und Biografie sowie von Überzeugungen, die sie im Rahmen ihrer Ausbildung erworben hatten.
14 Im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) war weder die Heimaufsicht, noch die Heimerziehung geregelt worden.
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Erinnerungen an „Haus Ehrenfried“
Manche der früheren Heimkinder äußerten sich uneingeschränkt positiv über das „sehr saubere, empfehlenswerte“ Heim und über sehr gütige und herzliche Verhaltensweisen sowohl der Schwestern wie auch der HeimleiterIn und der ErzieherInnen. Als positive Merkmale erwähnten fast alle „Ehemaligen“ ihre materiell stets gute Versorgung im Brühler Kreiskinderheim: ihre ordentliche, saubere Kleidung und die ausreichende Ernährung – wenn auch nicht immer gern gegessen, manchmal sogar schlecht vertragen; dass sie in einer geordneten Umgebung lebten und mit allem ausgestattet waren, was sie für die Schule brauchten. Auch ehemalige SchulkameradInnen haben sie nicht als „irgendwie armselig oder befremdlich“ erlebt. Diese Beobachtung war notgedrungen oberflächlich, weil sie praktisch ausschließlich während der Unterrichts- bzw. Schulzeiten Kontaktmöglichkeiten mit den Kindern aus „Haus Ehrenfried“ hatten. Dass manche Kinder Schwierigkeiten und Leid im Heim ertrugen, musste den SchulkameradInnen wohl verborgen bleiben. Sehr beliebt bei den Heimkindern waren Einladungen von Unternehmen, die für sie „bunte Nachmittage“ veranstalteten und ihnen mit süßen „Kaffeetafeln“ eine Freude machten, ebenso natürlich die für sie ausgewählten Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke. Hervorgehoben wurde auch, dass schon seit der Brauweiler Zeit regelmäßig Ausflüge mit den Heimkindern unternommen und häufig Feste gefeiert wurden. Im neuen Heim in der Liblarer Straße in Brühl genossen die Kinder ganz besonders die ausgedehnten Außenanlagen und die meist im Sommer stattfindenden Aufenthalte in Ferienlagern. Mehrere der interviewten ehemaligen ErzieherInnen konnten in ihrem Rückblick auf „Haus Ehrenfried“ bestätigen: „Die Kinder in d iesem Heim waren zumindest äußerlich nicht unglücklich. Es wurden hier auch viele gute Erfahrungen ‚fürs Leben‘ gemacht. Einen wesentlichen Anteil daran hatten die ErzieherInnen, die gute Arbeit geleistet haben, Kinder unterstützt und ihnen bei vielem geholfen haben.“ Dieser Einschätzung schloss sich auch ein Teil der befragten ehemaligen Heimkinder an. Allerdings konnte seelische Geborgenheit nicht immer genügend oder nicht nachhaltig hergestellt werden. So gehörte zu den weniger guten Erinnerungen vieler InterviewpartnerInnen, im Zeitraum bis etwa 1970 nicht in ausreichendem Maß emotionale Zuwendung und individuelle Unterstützung, kognitive Anregung und intellektuelle Förderung erfahren zu haben; dies war offenbar der allgemeinen Grundversorgung nachgeordnet. Differenzierte pädagogische und therapeutische Angebote gab es noch nicht oder nur in geringem Umfang.
Eine neue Atmosphäre im Heim
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7.10 Eine neue Atmosphäre im Heim Verbesserungen in der Atmosphäre von „Haus Ehrenfried“ sind für die Zeit ab 1970 deutlich erkennbar. Nun hatte sich eine liberale, unterstützende Einstellung gegenüber den hier untergebrachten Kindern und Jugendlichen fest etabliert. Sie entwickelten großes Vertrauen zu Heimleiter Siegfried Hölker, der bis 1977 in Brühl tätig blieb. Eine „Ehemalige“, die mit sieben Jahren ins Heim kam und von 1974 bis 1979 dort lebte, charakterisiert ihren Aufenthalt zwar subjektiv, aber sicherlich auch stellvertretend für manche der damaligen MitbewohnerInnen: „Es war sehr unkompliziert im Heim, wie eine große Wohngemeinschaft.“ Für sie waren die Jahre im „Haus Ehrenfried“ „die fünf schönsten Jahre meiner Kindheit, es war wie in einer kleinen Familie. Dies umso mehr, als ich eines Tages aus meiner eigenen Familie von der Polizei abgeholt worden war. Die Polizisten sagten mir zu meiner Beruhigung: ‚Wir bringen dich in ein Kinder-Hotel‘.“ Im „Haus Ehrenfried“ fand sie vier koedukative Gruppen mit jeweils ca. 15 Kindern vor und eine Außengruppe für Jugendliche ab 16 Jahren. In jeder Gruppe gab es je ein Esszimmer, Wohnzimmer, Badezimmer, und große, geräumige Ein- bis Zwei-Bett-Zimmer – nach Geschlechtern getrennt –, teils mit Balkon. In jedem Zimmer standen jedem Bewohner ein Schrank, ein Schreibtisch und eine Kommode zur Verfügung. Ab Mitte der 1960er Jahre ist zudem durch ZeitzeugInnen belegt, dass die Heimkinder auch „kleine Haustiere“ halten durften: Wellensittiche, Hamster, Meerschweinchen. Seitdem Herr Hölker die Heimleitung innehatte, wurden in der Aula zweimal pro Woche Filme gezeigt, die durch Aushänge bekanntgegeben wurden: „Es war wie ein kleines Kino.“ Zu diesen Aufführungen konnten auch die KlassenkameradInnen/FreundInnen der Heimkinder kommen; „Eintrittsgelder“ wurden nicht erhoben. „Wir gingen gemeinsam zur Schule, und danach machten wir uns gemeinsam auf den Heimweg“, berichtete ein Zeitzeuge, der in unmittelbarer Nachbarschaft zum Heim wohnte. „Auch nachmittags haben wir uns getroffen, entweder im Heim, draußen oder bei uns zuhause. Wir waren befreundet, es gab da kein Problem und keine Einschränkungen, die wir nicht auch von zu Hause aus zu beachten hatten. Übrigens haben sich die Jungs und Mädchen aus dem Heim zumindest mir gegenüber nicht über ihre Situation beklagt.“ Für meine Recherche verfasste eine „Ehemalige“ eigens einen Rückblick: Heimleiter war Herr Hölker. Er war beliebt, kompetent und engagiert. Er organisierte Ausflüge und Veranstaltungen innerhalb des Heims. Dafür stand ein großer Saal mit Bühne zur Verfügung. Die Ausflüge wurden in den Ferien und an Wochenenden gemacht. Zu Ostern, Weihnachten und an den Geburtstagen gab es ebenfalls Festivitäten und Geschenke. Alles war sehr frei in meinem ‚Schlaraffialand‘, nach dem Prinzip laissez-faire. Schläge gab es nicht. Wir durften einfach Kinder sein.
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Erinnerungen an „Haus Ehrenfried“
Auch bezüglich Diskriminierung von Heimkindern habe ich nichts Negatives zu spüren bekommen. Wir Heimkinder besuchten verschiedene Schulen, auch das Gymnasium, je nach Begabung. Wir hatten somit Kontakt zu anderen Kindern, die bei ihren Eltern lebten. Es fanden selbstverständlich Besuche bei den Kindern/KlassenkameradInnen statt, die nicht im Heim lebten, und umgekehrt. Die Eingangstür zum Heim stand uns stets offen. Wir waren immer sehr gut versorgt und hatten wirklich gutes Essen. Das Mittagessen gab es täglich frisch aus der Heimküche. Zusätzlich befand sich in jeder Gruppe eine kleine Küche, in der wir mit unseren Erzieherinnen auch schon mal etwas kochten. Auch wurde sich darum gekümmert, schwächeren Schülern Nachhilfe zu geben oder therapeutische Maßnahmen anzubieten.15
Auch eine weitere „Ehemalige“, die 1973 – 1981 im Haus Ehrenfried gelebt hat, empfand dieses Heim als „schönstes Heim“. Sie hatte aufgrund familiärer Probleme schon eine längere „Unterbringungs-Karriere“ hinter sich, als sie nach Brühl kam: In einem Heim bei strengen Nonnen, danach bei Pflegeeltern, anschließend wieder in einem Heim, und nochmals 3 – 4 Jahre bei Pflegeeltern. „Im ‚Haus Ehrenfried‘ war es schön, weil man sich frei bewegen und rausgehen konnte, und weil die Betreuer nett waren.“ Einen solchen „Freigang“ hatte es in anderen Heimen offenbar nicht gegeben. Ein Heimkind, das 1977 im Alter von zehn Jahren ins „Haus Ehrenfried“ kam, ist heute überzeugt: „Die Zeit im Brühler Heim war gut für mich. Hier bot sich mir eine angenehme Atmosphäre, in der er ich mich sehr geborgen gefühlt habe. Toll waren auch die interessanten Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung.“ Durch den Heimaufenthalt konnte dieser „Ehemalige“ ein sehr schwieriges familiäres Umfeld hinter sich lassen, in dem er auch körperlich misshandelt worden war. In „Haus Ehrenfried“ lebte er bis zur Schließung im Jahr 1983. Etliche der ehemaligen Mitarbeiterinnen, die sich auf meinen Aufruf gemeldet haben, gaben an, gerne im Brühler Heim gearbeitet zu haben, auch wenn die Arbeit sehr anstrengend gewesen sei, vor allem, weil es wenig eigene Freizeit gegeben habe. Auch sie waren sich einig: „Es war eine schöne Zeit, wie in einer großen Familie!“ Manche Erzieherin hatte eine so gute Verbindung zu den Kindern ihrer Gruppe, dass sie von ihnen „Mutti“ genannt wurde, und einige Erzieherinnen hatten später noch lange Jahre Kontakt mit ehemaligen Heimkindern.
1 5 Ich danke dieser „Ehemaligen“ sehr herzlich für ihre Mühe, diese Aspekte ihrer Heimzeit schriftlich fixiert zu haben (hier in einer leicht gekürzten Fassung).
Das Bild vom Heimkind
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7.11 Das Bild vom Heimkind Heimkinder lebten oftmals in dem bitteren Bewusstsein, „Heimkinder“ zu sein, denen kein Leben in einer liebevollen (Ursprungs-)Familie beschieden war. Nicht selten hatten sie unter Vorurteilen zu leiden, galten als Negativ-Auslese der Gesellschaft. Daher fühlten sie sich teilweise auch in der Schule ausgegrenzt und gemieden. Hinzu kam, dass sie in den Augen der „Außenwelt“ lange Zeit als „ungezogen“ und „verhaltensauffällig“ galten, was ihnen nicht selten als fest gefasstes Vorurteil begegnete, denn direkte Kontakte, die diese Beschreibung hätten rechtfertigen können, blieben ja weitgehend ausgeschlossen. Ehemalige Schüler der Brühler Clemens-August-Schule berichteten vor allem für die Zeit bis Ende der 1960er Jahre, dass Mitschüler, die im Heim lebten, „unter sich“ blieben, dass sie als „nicht gesellschaftsfähig“ galten und dass es „tabu“ war, sie auf ihre Situation anzusprechen. „Waisenkinder waren ein Makel in der Gesellschaft. Mit denen gab man sich nicht ab.“ Deshalb besuchte man sich gegenseitig nicht: Weder verabredete man sich mit den Kindern im Heim, noch kamen diese nachmittags nach Hause zu Klassenkameraden. Heimkinder traf man praktisch immer nur in Gruppen an, kaum einmal einzeln. Dazu ein Zeitzeuge, der von seinen Beobachtungen aus den 1960er Jahren berichtete: „Kinder im ‚Haus Ehrenfried‘ lebten eher abgeschottet, man wollte nicht unbedingt hingehen, sondern blieb lieber fern. Viele Brühler fragten sich: Wie konnten die Nonnen, die das Heim leiteten, sich dafür hergeben, ‚solche Kinder‘ zu betreuen?“ In Anbetracht dieser ablehnenden, verachtenden Einstellungen zählt die Erinnerung einer ehemaligen Heimbewohnerin, die Mitte der 1960er Jahre die ev. Martin-Luther-Schule besuchte, zu den erfreulichen Gegendarstellungen, die eine ganz andere Realität spiegeln: „Ich habe keine Ausgrenzung in der Schule erfahren.“ Ein weiterer Zeitzeuge konnte dies bestätigen: „Die Lehrer betonten zwar, diese Kinder müssten streng erzogen werden. Doch sie mahnten uns Mitschüler auch, sie zu integrieren: ‚Nehmt sie positiv auf !‘“ Für ein negatives oder positives Selbstverständnis waren auch die Gründe ausschlaggebend, die zur Einweisung ins Kinderheim geführt hatten. Wenn Kinder ins Heim kamen, etwa weil die Mutter gestorben war und der Vater die Betreuung nicht leisten konnte, fühlten sie sich nicht zwangsläufig als „Heimkind“ diskriminiert. Ein „Ehemaliger“ legte im Interview Wert darauf, mir mitteilen zu können, dass er beruflich eine Führungsposition erreicht hat, „obwohl ich im Heim aufgewachsen bin.“ Die Autorin Jenny Schon 16, die ihre Kinder- und Jugendzeit von 1946 bis 1961 in Brühl verbracht hat, verschenkte im Herbst 1958, kurz nach der Eröffnung von 16 Geboren 1942 in Trautenau (Böhmen), lebte Jenny Schon nach ihrer Vertreibung im Jahr 1945 zunächst im Erzgebirge und von November 1945 bis 1961 in Brühl/Rheinland. Bis 1957
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Erinnerungen an „Haus Ehrenfried“
„Haus Ehrenfried“, alle ihre – wenigen – Spielsachen und Puppen an das Kreiskinderheim in der Liblarer Straße: „Es war nicht viel, was ich hatte, als KriegsVertreibungskind.“ Dennoch war es für sie selbstverständlich, ihre Sachen den Heimkindern weiterzugeben. Jennys Mutter hatte eine einfühlsame und gütige Einstellung mit Blick auf die Kinder von „Haus Ehrenfried“, und so war sie überzeugt: „Wir waren alle sehr arm, aber keiner war so arm wie die Waisenkinder.“ Mutter und Tochter hatten die Schrecken von Krieg, Vertreibung und Flucht selber erfahren und wussten sehr genau, was es bedeutete, die Familie, die Wohnung und die Heimat verloren zu haben. Nach ihrer Ankunft im Rheinland wurden sie hier abschätzig als „Pimocken“ bezeichnet – ein damals gängiger Begriff für die aus östlichen, ehemals deutschen Gebieten in den Westen geflohenen oder vertriebenen Zuwanderer. Auch andere Brühler berichteten, dass sie in ihrer Kinderzeit von ihren Eltern angehalten wurden, regelmäßig, vornehmlich in der Weihnachtszeit, ihr Spielzeug auszusortieren und den Kindern im „Haus Ehrenfried“ zu bringen. Ein deutlicherer Wandel hin zu einer allgemein größeren Akzeptanz der Heimkinder vor allem durch Gleichaltrige erfolgte erst seit den 1970er Jahren. Kontakte nach außen wurden offener, Isolation und Stigmatisierung ließen merklich nach. So konnte ein „Ehemaliger“, der seit Mitte der 1970er Jahre im „Haus Ehrenfried“ lebte, berichten: „Ich hatte kein negatives Image, vielmehr fühlte ich mich überall normal aufgenommen. Dazu gehörte, dass ich auch Mitschüler außerhalb der Schule getroffen habe.“ In dieser Zeit hatte sich auch die Atmosphäre im Brühler Kreiskinderheim bereits spürbar entspannt. So konnte man im Juli 1982 in der Tagespresse lesen, dass „die überwiegende Zahl der Heimbewohner einen gänzlich unbekümmerten Freundeskreis außerhalb des weiträumigen Haus Ehrenfried aufgebaut hat“.17 Im Zusammenhang mit meinem Aufruf zur ZeitzeugInnensuche wurde mir jedoch eine Begebenheit berichtet, die sich noch Anfang der 1980er Jahre in Brühl zugetragen hatte: Eine Erstklässlerin war mit einem gleichaltrigen Schulkameraden befreundet, der im Kreiskinderheim lebte. Da sie ihn sehr mochte, lud sie ihn in ihr Elternhaus ein, um mit ihm den Nachmittag verbringen. Nach fast 40 Jahren erinnerte sich die Mutter des Mädchens daran, wie sich ihre Nachbarin darüber entrüstete: „Wie konnten Sie das nur erlauben? Der Junge kommt doch aus dem Heim!“ Offenbar hielt bei manchen Menschen noch lange eine negative Einschätzung gegenüber dem Kinderheim an.
ewirtschafteten ihre Eltern gegenüber dem Kinderheim ein Gärtchen mit Gemüse. Diese b Auskünfte erteilte mir Jenny Schon persönlich. Ihre Zeit in Brühl verarbeitete sie auch literarisch, s. dazu: www.jennyschon.de (zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2021). 1 7 Kölner Stadt-Anzeiger, 12. Juli 1982.
Zur Schließung des Kreiskinderheims im Jahr 1983
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7.12 Zur Schließung des Kreiskinderheims im Jahr 1983 Das Thema der Heimschließung beschäftigte alle, die meinem Aufruf gefolgt waren. Lediglich sehr wenige von ihnen befürworteten die Schließung auch heute noch und sagten im Rückblick: „Das war das Beste, was der Kreis tun konnte!“ Man vermutete, dass sich die Beibehaltung des Heims finanziell „nicht mehr gelohnt“ und es somit einen zu hohen Kostenapparat für den Kreis bedeutet habe. Das Haus sei in den Jahren 1982/83 unterbelegt gewesen, und es seien kaum neue Kinder aufgenommen worden: „Kinder wurden nicht mehr dorthin geschickt.“ Dies entsprach weitgehend der Erklärung, die von offizieller Seite für die Schließung kommuniziert worden war. Tatsächlich aber war das Heim im Juni 1983 mit 49 Kindern und Jugendlichen grundsätzlich perfekt belegt – bei einer gewünschten maximalen Obergrenze von 60 Kindern. Es gab auch vereinzelt die Meinung, das Leben in der unmittelbaren Nachbarschaft des Heims sei unangenehmer geworden, „weil sich die dort untergebrachten Jugendlichen an keine Regeln mehr hielten und nachts über die Zäune sprangen. Es ging wohl zu locker und chaotisch zu, vieles ist aus dem Ruder gelaufen. Die ‚ausgebrochenen‘ Jugendlichen wurden dann von der Polizei zurückgebracht.“ War bis in die 1970er Jahre das Höchstalter der Heimkinder 15 Jahre gewesen – danach wurden sie vom Heim nach Möglichkeit in eine Lehrstelle vermittelt –, so war es inzwischen auf 18 bis 19 Jahre angehoben worden. Dieser Umstand hat möglicherweise zu einem ausgeprägteren „Freiheitsbedürfnis“ der Heranwachsenden beigetragen. Daher war ein eindeutiges pädagogisches Handeln notwendig, um effektiv Einfluss nehmen zu können. Der Mehrzahl meiner InterviewpartnerInnen artikulierte ihr Bedauern über die Auflösung und das Verschwinden von „Haus Ehrenfried“. Sie hatten kein Verständnis für die negativen und kritisierenden Äußerungen gegenüber „Haus Ehrenfried“. Es sei ein gut funktionierendes und gut geführtes Heim gewesen. „Bei vielen Menschen in Brühl kam die Schließung nicht gut an. Man fragte sich, wie man eine so wichtige Einrichtung für Kinder aufgeben konnte“, hieß es etwa, selbst aus der Nachbarschaft des Heims. „Es war sehr bedauerlich, dass in Brühl nun viel weniger für die vielen sozialverwaisten Kinder getan wurde. Es war eine politische Entscheidung, nach langen kontroversen Auseinandersetzungen.“ Damit wiesen die meisten InterviewpartnerInnen auch unmissverständlich darauf hin, dass sie die von den Politikern gewählten Argumente für die Schließung keinesfalls als schlüssig empfanden. Auch erwähnten sie die Konsequenzen für die dort untergebrachten Kinder: „Die Kinder waren die Hauptleidtragenden.“ Gleichermaßen wurde daran erinnert, dass außer den Kindern auch die Angestellten mit der Schließung konfrontiert wurden. Ein „Ehemaliger“, der vom dritten bis zum 18. Lebensjahr im Brühler „Haus Ehrenfried“ gelebt hatte, antwortete auf meine Frage, wie er die Schließung des Heims aufgenommen habe: „Es war doch mein Zuhause. Ich bin dort
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Erinnerungen an „Haus Ehrenfried“
aufgewachsen.“ Das galt für ihn noch bis heute, obwohl er bereits 1980 aus dem Heim entlassen worden war. Ein weiterer „Ehemaliger“ schilderte ebenfalls, wie er die Information über die Schließung des Heims erlebt hat: Für meine Gruppe kam sie ziemlich überraschend. Wir wurden kurzfristig, also 2 – 3 Monate vorher, darüber informiert, dass wir in ein anderes Heim umziehen mussten. Das neue Heim wurde nicht vorab besichtigt, und es gab keine Verabschiedung in „Haus Ehrenfried“. Zwar ging meine Gruppe fast geschlossen nach Michaelshoven, aber viele Kinder aus „Haus Ehrenfried“ habe ich leider nie wiedergesehen.
Wenig nachvollziehbar erschien ferner die Tatsache, dass der gesamte Gebäudekomplex relativ kurz vor der Schließung noch gründlich überarbeitet worden war. Etwa ein Jahr vor dem endgültigen Aus des Kinderheimbetriebs s eien hier außer der Renovierung des lange Zeit ungenutzten Badehauses – das mit sechs Wannen versehen war – und der aufwendigen Sanierung des ehemaligen Klausurtrakts noch neue Alu-Fensteranlagen eingebaut worden. „Für diese Maßnahmen und die große Zahl der Fenster hat der Kreis richtig viel Geld investiert“, kommentierten dies mehrere ZeitzeugInnen. Die Heimschließung war zu dem Zeitpunkt wohl weder geplant noch absehbar gewesen. Sehr unterschiedlicher Meinung waren meine InterviewpartnerInnen in Bezug auf die Bausubstanz des Heims. Beschrieben manche sie gar als „primitiv und marode, zu schnell hochgezogen“, konnten sich viele andere dieser negativen Einschätzung nicht anschließen. Vielmehr merkten sie an, dass sämtliche Gebäudeteile einen „guten Standard“ hatten und kontinuierlich „in Schuss gehalten“ wurden. Kritisch kommentiert wurde zudem, dass die zahlreichen Proteste gegen die Schließung seitens der Kreisverwaltung letztendlich ignoriert wurden. Bis zum Schluss sei sogar abgestritten worden, dass das Haus geschlossen werden sollte. Das als einer der Gründe für die Schließung des Kreiskinderheims angeführte Argument, „eine Kommune könne keine Kinder erziehen“,18 traf auf besonders großes Unverständnis und Missfallen meiner InterviewpartnerInnen beim Rückblick auf die damaligen Vorgänge. Ein Leser fasste mit seinem Brief im „Brühler Schloßboten“ vom 20. April 1983 die aus seiner Sicht fragwürdige Entscheidung zusammen: Über 14 Jahre führe ich nun mit den Kindern des Kreiskinderheims den Sport – neben meiner beruflichen Tätigkeit – durch. Viele Freunde und Bekannte sprechen mich nach dem Erscheinen des Schloßboten-Artikels [vom 13. April 1983] an, was ich denn von der Auflösung halte.
18 Vgl. Kölnische Rundschau, 19. Mai 1983.
Erinnerungsstücke
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Ich habe viele Kinder erlebt, die einstmals im Kinderheim ein Zuhause hatten und sich dort geborgen und sicher fühlten. Natürlich waren sie aufgrund ihrer Vorgeschichte oft sehr schwierig und haben auch mir einige Sorgen und Ärger bereitet. Aber viele von ihnen sind inzwischen prächtige Kerle und führen mir oft ihre Familie vor oder erzählen von ihrer Arbeit. Ich kann deshalb nicht verstehen, daß man ein Heim auflöst und die Kinder aus ihrem gewohnten Umfeld reißt, nur weil Geld im Kreishaushalt fehlt. Besonders betroffen war ich über die Art des Berichtes in Ihrer Zeitung, da sogar die angegebenen Zahlen nicht der Wirklichkeit entsprechen. Zur Zeit sind mehr als 37 Plätze belegt, so daß von einer Unterbelegung nicht die Rede sein kann. Ich sehe in dieser Darstellung sowie im Umgang mit der Auflösung des Heimes durch Verwaltung und Politik eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit.
Nicht wenige der ehemaligen Heimkinder hatten in den knapp 30 Jahren, die zwischen der Schließung des Heims (1983), dem Abriss (1987) und der Neubebauung des Areals (seit 2011) lagen, das Gelände aufgesucht, das sich mehr und mehr zu einem „Brachland mit Schafherde“ entwickelt hatte, und dort Fragmente „von früher“ gefunden. Eine „Ehemalige“ formulierte ihren Eindruck sehr anschaulich: „Als ich im Jahr 2000 auf der Suche nach meiner Kinderheim-Akte nach Brühl fuhr, standen auf dem ehemaligen Obstgarten noch Apfelbäume und ein paar trostlose Reste der mittlerweile verrosteten Spielgeräte. Die einzigen Überbleibsel des ehemaligen Kreiskinderheims, wie ich es kannte.“ Von ihren gemischten Gefühlen berichteten auch diejenigen „Ehemaligen“, mit denen ich die Liblarer Straße 21 – 25 aufgesucht habe, um dort Anhaltspunkte ihres alten Wohn- und Lebensumfelds aufzuspüren. Wo sich die weitläufige Außenfläche des Heimgeländes befunden hatte, wo Rollschuh- und Aschenbahn, Planschbecken und Turngeräte viel Platz für Spaß, Spiel und Sport geboten hatten, war nach der langen Phase als „leeres Wiesenareal“, wie es bürokratisch tituliert wurde, eine ganz neue, dicht bebaute „Wohnwelt“ entstanden. Der südliche, einst von Bäumen und Hecken geprägte Teil des ehemaligen Kinderheim-Grundstücks war stets durch einen Zaun von der „bespielbaren“ Grünfläche des Heims abgetrennt gewesen. Dieser Bereich zwischen „Heinestraße“ und „An der Kleiststraße“ ist inzwischen als Grünanlage („Heinepark“) mit integriertem städtischem Spielplatz („Spielplatz Heinestraße“) gestaltet worden.
7.13 Erinnerungsstücke Aus „Haus Ehrenfried“ sind zwei Erinnerungsstücke erhalten geblieben, eins von ihnen war zunächst mitten in Köln zu finden. Die Holztafel mit der Beschriftung „Haus Ehrenfried. Kinderheim des Landkreises Köln“, die von 1958 bis 1974 am Jägerzaun vor dem Eingang zum Kinderheim in der Liblarer Straße aufgestellt
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Erinnerungen an „Haus Ehrenfried“
Abb. 70 Ansicht vom Eingangsbereich des Kreiskinderheims. Vorne rechts, hinter Zaun und Hecke: Die Holztafel, die sich hier von 1958 bis 1974 befand. Abb. 71 Ausschnitt.
war, hatte der Fotojournalist Zik 19, ein früherer Bewohner im „Haus Ehrenfried“, lange vor dem Abriss des Heims im Jahr 1987 an sich genommen. 19 Künstlername von Heinz-Walter Friedriszik (* 24. Januar 1953, † 1. Juni 2016). „Zik“ arbeitete für den Kölner „Express“, war stets auf Rollschuhen unterwegs und avancierte so zum „Kult-Reporter“. Nach Ziks Beisetzung auf dem Kölner Friedhof Melaten am 14. Juni 2016 wurde die Holztafel zunächst mit folgendem Text im „Biergarten am Aachener Weiher“ in Köln gezeigt: „Dieses Schild war das Eingangsschild des Kinderheims Brühl, in dem Zik eine glückliche Kindheit verbrachte. Leider wurde d ieses Haus aufgelöst. Doch Zik rettete das Schild vor der Abrissbirne, bis vor kurzem war es in dem Besitz seiner Ziehmutter Elisabeth Klaffki zur Erinnerung an die schöne Zeit. Da Zik sehr oft mit seinem besten Freund Josef Rayes am Aachener Weiher war und ihm das Schild sehr am Herzen lag, wird es ihm zu Ehren hier
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Erinnerungsstücke
Abb. 72 Die seit 1975 am Kreiskinderheim aufgestellte Tafel.20
1974 hatte die Tafel ausgedient, nachdem im Rahmen der Kommunalreform zum 1. Januar 1975 der Erftkreis neu gebildet worden war und der Text d ieses Eingangsschildes angeglichen werden musste. Die alte Holztafel wurde durch eine neue Tafel aus Metall ersetzt, und zu lesen war nun: DER OBERKREISDIREKTOR ERFTKREIS KREISKINDERHEIM
Haus Ehrenfried
aufgehängt.“ Im November 2018 überließ Josef Rayes, der Betreiber des Biergartens, die Holztafel freundlicherweise der Kulturhistorischen Sammlung des Rhein-Erft-Kreises. Ziks frühere Gruppenleiterin Elisabeth Klaffki war seit Mai 1957 in Brauweiler und von 1958 bis Mitte 1970 im Brühler Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ beschäftigt, zuletzt als stellvertretende Heimleiterin. Anschließend leitete sie den Modellkindergarten in KölnWeiden. Sie wurde im Juni 2007 mit dem „Rheinischen Ehrenpreis für soziales Engagement“ ausgezeichnet, den der Landschaftsverband Rheinland (LVR) damals erstmalig verlieh. Als eine von neun PreisträgerInnen erhielt sie den Preis „für ihre Arbeit in einem Familienhaus. Nach der Aufgabe eines Kinderheimes vor 40 Jahren hatte sie mit den Kindern des Heimes in einer Familiengruppe zusammengewohnt und ihnen so eine neue Perspektive geboten.“ Auch ihr ehemaliger Ziehsohn Heinz-Walter Friedriszik gehörte zum Kreis der Gratulanten und betonte: „Noch heute bezeichnen viele ihrer Zöglinge Elisabeth als ihre M utter.“ Vgl. Kölnische Rundschau, 5. Juni 2007.
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Erinnerungen an „Haus Ehrenfried“
Abb. 73 Oberkreisdirektor Dr. Karlheinz Gierden bei der Einweihung des Bronzereliefs für Heinrich Richrath, 1962.
Abb. 74 Der Grundstein bei der Feier am 27. Juni 1957. Ausschnitt.
Außer der hölzernen Eingangstafel ist ein weiteres Relikt aus „Haus Ehrenfried“ nach dessen Schließung erhalten geblieben:20Das Bronzerelief von 1961, das sich im Eingangsbereich des Gebäudes befunden hatte und an Heinrich Richrath erinnert, den früheren Vorsitzenden des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses.21 Auch der Grundstein aus Trachyt, einem vulkanischen Gestein, war an einer Wand im Eingangsbereich des Kinderheims zu sehen. Sein Verbleib nach der Schließung und dem Abriss des Heims konnte bislang (Stand: Juni 2021) trotz intensiver Recherche nicht geklärt werden.
20 Diese Tafel ist vermutlich 1987 beim Abriss der Gebäude entsorgt worden. 21 Das Relief ist inzwischen ebenfalls Bestandteil der Kulturhistorischen Sammlung des Rhein-Erft-Kreises.
Erinnerungsstücke
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Ein weiteres „Erinnerungsstück“ sind die Aufzeichnungen von Ingetraud Seidel, die von 1978 bis zur Schließung im August 1983 in ihrem erlernten Beruf als Kinderpflegerin im „Haus Ehrenfried“ beschäftigt war und ihre Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen aus diesen fünf Jahren schriftlich festgehalten hat. Im Frühjahr 2021 wurde ihr Manuskript, das eigentlich schon in den 1980er Jahren publiziert werden sollte, unter dem Titel „Ein Haus voller Kinder … und was nun? Notizen aus einem Kinderheim“ veröffentlicht. Die Brühler LeserReporterin Heike Löhrer kennt Frau Seidel persönlich aus ihrer Zeit im „Haus Ehrenfried“. Aus eigener Erfahrung schreibt sie: „Es geht in diesem Buch in erster Linie um die Kinder, denen ein Zuhause mit Vertrauen und liebevoller Geborgenheit geboten werden soll“,22 und darum, zu zeigen, „in welchem Dilemma Menschen, vor allem Kinder, verharren müssen, die in dem Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit und in der Abhängigkeit von den Entscheidungen der Politik gefangen sind“.23 Besonders kritisch setzt sich Ingetraud Seidel mit den Geschehnissen rund um die Schließung des Heims und den damit verbundenen Konsequenzen auseinander.
22 Brühler Schlossbote, 26./27. März 2021. 23 Auszug aus dem Klappentext.
8. Zum Schluss
8.1 Heimerziehung in Westdeutschland nach 1945 – und neue Wege In der Geschichte der Heimerziehung sind immer wieder Konzeptionen verändert, Alternativen vorgeschlagen und praktiziert, Ausbildungsvorschriften erlassen und erweitert worden. Die Frage, ob sich Heime für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen eignen, wird diskutiert, seit es Waisenhäuser gibt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts führte die Diskrepanz zwischen den Erziehungsmaximen der pädagogischen Aufklärer und der Lebenswirklichkeit in den Waisenhäusern zum so genannten Waisenhausstreit, mit der Frage nach dem richtigen Ort für die Pflege und Erziehung verwaister Kinder. Mehr als 150 Jahre s päter, in der Weimarer Republik, machten Reportagen und autobiografische Erzählungen die Öffentlichkeit mit Erlebnissen und Leiden in Heimen auf Fürsorgeskandale aufmerksam;1 mehrere Prozesse brachten Misshandlungen und Körperverletzungen von Fürsorgezöglingen an die Öffentlichkeit. Ob Klosterschulen, Kadettenanstalten, Landerziehungsheime:2 Selbst aus reformpädagogischen Internaten wie etwa der von Paul Geheeb 1910 gegründeten Odenwaldschule sind Missbrauchsfälle von erheblichem Ausmaß bekannt geworden.3 Seit Beginn des 20. Jahrhunderts konnten neue Erkenntnisse zur Pädagogik und zur Kinder- und Jugendpsychologie grundsätzlich Eingang in die inhaltliche Konzeption der Ausbildungsstätten für Kindergärtnerinnen finden. Der 1930 gegründete „Arbeitskreis zur Reform der Erziehungsfürsorge“ zählt zu den Initiativen, die moderne Ansätze formulierten, indem sie etwa „pädagogische
1 So etwa: Peter Martin Lampel: „Revolte im Erziehungshaus“ (Theaterstück 1928; als Stummfilm 1930), basierend auf Recherchen des Autors in öffentlichen Fürsorgeheimen Preußens, die zur Verabschiedung eines Gesetztes im Reichstag zur Reform der Fürsorgeerziehung führten; sowie ders.: „Jungen in Not“ (Reportageserie, 1928); Georg Glaser: „Schluckebier“ (Eine autobiographische Erzählung, 1932). 2 Zeitgenössische literarische Verarbeitungen z. B. bei: Rainer M. Rilke: Die Turnstunde. In: Die Zukunft (Berlin), 10. Jg., 1902; Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. Wien, Leipzig 1906; Hermann Hesse: Unterm Rad. Berlin 1906; Klaus Mann: Der Alte. 1924. 3 Vgl. Matthias Bartsch, Markus Verbeet: Die Wurzeln des Missbrauchs. In: DER SPIEGEL 29, 2010, S. 40 – 43; Michael Häussler: „Dienst an K irche und Volk“, Heimerziehung in den 1920er Jahren. Studie über die Deutsche Diakonenschaft (1913 – 1947). Stuttgart 1995. Die Missbrauchsfälle in der Odenwaldschule behandelt auch der Fernsehfilm „Die Auserwählten“ (2014, Regie: Christoph Röhl).
Heimerziehung in Westdeutschland nach 1945 – und neue Wege
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Strafen statt Drill“ propagierten, zudem freiheitlichere Erziehung, Koedukation sowie pädagogisch gut ausgebildetes Personal forderten.4 Solche Ideen wurden zurückgedrängt, als von 1933 bis 1945 auch die Erziehung im Kindergarten und die daran gekoppelte Ausbildung der betreuenden Pädagogen gleichgeschaltet und damit den Zwecken des nationalsozialistischen „Führerprinzips“ untergeordnet wurden. Ideologiekonforme Erziehungsratgeber, zu denen etwa die weitverbreiteten Veröffentlichungen der Ärztin Johanna Haarer zählten, beeinflussten die praktische Erziehungsarbeit, so in „Reichsmütterschulungskursen“ der NS-Frauenschaft. Dort wurde ihr auflagenstarkes Buch „Die Mutter und ihr erstes Kind“ von 1934 als Ausbildungsgrundlage für junge Frauen genutzt. Erst nach 1945 war es möglich, Fachbücher, die bereits in der Weimarer Republik neue psychologische und pädagogische Impulse gebracht hatten, wieder in der ErzieherInnenausbildung zu nutzen. Doch auch nach dem Krieg waren, trotz der Abkehr von nationalsozialistischen Idealbildern, Spuren der damaligen Erziehungsmaximen erkennbar, wie sich u. a. an der Weiterverwendung des „Lehrbuchs“ von Johanna Haarer zeigte.5 Abzulesen war dies besonders in den 1950er und 1960er Jahren an autoritären Strukturen, zu denen z. B. auch die Befürwortung „maßvoller“ körperlicher Züchtigung als Erziehungsmittel gehörte. Zu einer Trendwende kam es seit Mitte der 1960er Jahre, die allerdings noch keineswegs die generelle Durchsetzung einer Erziehung ohne körperliche, psychische, sexuelle und emotionale Gewalt nach sich zog.6 Demgegenüber wurden Missstände in der westdeutschen Heimerziehung in dieser Zeit endlich in einer breiten Öffentlichkeit skandalisiert und diskutiert, vornehmlich initiiert durch die „Heimrevolte“ bzw. „Heimkampagne“, die gegen Ende der 1960er Jahre von Angehörigen der Außerparlamentarischen Opposition (APO) ausging. Dieser „Heimkampagne“ kommt nicht zuletzt das historische Verdienst zu, mit ihrer radikalen Kritik umfassende Reformmaßnahmen provoziert zu haben. Ziel war es allerdings nicht, sich vom Konzept „Heimerziehung“ zu trennen, sondern aus pädagogischer Sicht günstigere Rahmenbedingungen zu schaffen und interne Vorgänge transparent zu machen.7
4 Vgl. Eva Schumann, Friederike Wapler (Hg.): Erziehen und Strafen, Bessern und Bewahren. Entwicklungen und Diskussionen im Jugendrecht im 20. Jahrhundert. Göttingen 2017, S. 12. 5 In sprachlich von der nationalsozialistischen Propaganda „bereinigter“ Form wurde „Die Mutter und ihr erstes Kind“ nach wie vor in großen Auflagen noch bis in die 1960er und 1970er Jahre in Berufs- und Fachschulen eingesetzt. 1987 wurde es letztmalig aufgelegt. 6 Erst am 6. Juli 2000 verankerte der Deutsche Bundestag das Recht auf gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch § 1631 Abs. 2: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ 7 Vgl. Thomas Köhler-Saretzki: Heimerziehung damals und heute – Eine Studie zu Veränderungen und Auswirkungen der Heimerziehung über die letzten 40 Jahre! Berlin 2009.
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Zum Schluss
Auch in Köln regten sich Kräfte und Initiativen, die sich der Suche nach Aufbruch und Veränderung anschlossen. Eine von ihnen bezeichnete sich als „Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Köln (SSK)“, gegründet im Herbst 1969 von StudentInnen und SozialarbeiterInnen. Als ihre Aufgabe proklamierten sie die Schaffung alternativer, öffentlicher Erziehungseinrichtungen, und ähnlich wie die Gruppe um die APO machten sie aufmerksam auf Gewalterfahrungen, Ausbeutung sowie sexuellen und psychischen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, die in Fürsorgeheimen untergebracht waren. Zuvor war das Thema „Heimerziehung“ im Rahmen des „Politischen Nachtgebets“ behandelt worden, das im September 1968 in der evangelischen Antoniterkirche in Köln etabliert worden war und einmal monatlich stattfand. Als Titel und Thema wählte man sehr bezeichnend und treffend „Trautes Heim. Fürsorgeerziehung in der BRD “. Allerdings standen damals die individuellen Folgen der bisherigen Erziehungspraxis für Kinder und Jugendliche in Heimen noch nicht zur Debatte.8 Seit dem Jahr 2003 beleuchteten Medienberichte die Heimerziehung der frühen Bundesrepublik mit Blick auf subjektiven Erfahrungen, schwerpunktmäßig unter Berücksichtigung konfessionell geführter Heime: Bedingungen und Praktiken der Heimunterbringung wurden zunehmend diskutiert und problematisiert. Als erster veröffentlichte SPIEGEL -Redakteur Peter Wensierski im Sommer 2003 einen kritischen Artikel über die Heimerziehung in Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren, den er anschließend zu einem Buch ausarbeitete.9 Die aktuelle Diskussion um die Heimerziehung in Westdeutschland zeigt, dass es nicht allein genügt, verlassenen oder (sozial-)verwaisten Kindern eine feste Unterkunft zu bieten. Zudem wird deutlich, dass in einigen Kinderheimen, vor allem in kirchlicher Trägerschaft, nicht nur „vorbildliche Liebe und selbstlose Hingabe“10 an der Tagesordnung waren. Vielmehr fanden dort oftmals körperliche Misshandlungen, seelische Grausamkeiten bis hin zu sexuellem Missbrauch statt. Einschlägige Publikationen vermitteln ein erschreckendes Bild von den Zuständen in manchen deutschen Kinderheimen seit 1945.11 8 Erste Publikationen über die Missstände in Heimen fanden zunächst wenig Beachtung: Vgl. dazu z. B. Peter Brosch: Fürsorgeerziehung, Heimterror, Gegenwehr, Alternativen. Frankfurt/M. 1975; Alexander Markus Homes: Prügel vom lieben Gott: eine Heimbiografie. 2012 (Erstausgabe: 1981); ders.: Heimerziehung: Lebenshilfe oder Beugehaft? Gewalt und Lust im Namen Gottes. 2006 (Erstausgabe: 1984). Homes hatte bis zu seinem 17. Lebensjahr in katholischen Heimen gelebt. 9 Peter Wensierski: Schläge im Namen des Herrn. Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 2006. 10 Zitat nach dem Schreiben des Direktors des Caritasverbandes für die Stadt Essen vom 19. Oktober 1956, mit dem er der Schwesternschaft für so viele Jahre „treue, selbstlose und hingebende Dienste an den Kindern, Müttern und schließlich an unseren alten Leuten“ dankte. 11 Vgl. dazu z. B.: Rainer Kröger, Christian Schrapper (Hg.): Fürsorgeerziehung der 1950er und 1960er Jahre. Stand und Perspektiven aktueller Forschung Dokumentation eines
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Auf Empfehlung des Deutschen Bundestags richtete die Bundesregierung im Februar 2009 unter Vorsitz von Dr. Antje Volmer einen „Runden Tisch“ ein, dessen Aufgabe es war, das Schicksal ehemaliger Heimkinder aufzuarbeiten. Entstanden war dieser „Runde Tisch“ als Folge einer Petition ehemaliger Heimkinder, der ein jahrzehntelanger Kampf der Betroffenen um Rehabilitation und Rentenansprüche vorausgegangen war. Bis Ende 2010 sollte aufgearbeitet werden, welche Erziehungsstandards in westdeutschen Heimen zwischen 1945 und den 1970er Jahren galten und wo bzw. in welcher Weise Unrecht geschah. Dabei ist davon auszugehen, dass z wischen 1949 und 1975 bis zu 800.000 Kinder und Jugendliche in Westdeutschland in Heimen lebten. Die im Mai 2010 unter dem Titel „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren‘. Erziehungsvorstellungen in der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre – Maßstäbe für angemessenes Erziehungsverhalten und für Grenzen ausgeübter Erziehungs- und Anstaltsgewalt“ vorgelegte Expertise für den Runden Tisch bestätigte die Missstände: Welche Erziehungsmethoden in der Praxis der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre in der überwiegenden Mehrzahl der Einrichtungen angewandt wurden, darüber besteht nach dem jetzigen Forschungsstand kaum noch ein Zweifel. Aus den Interviews mit betroffenen Kindern und Jugendlichen, Aktenanalysen aus Jugendbehörden und Heimen, aus autobiographischen Quellen und der Auswertung der kritischen Literatur zur Zeit der Heimskandale um 1970, ergibt sich insgesamt ein übereinstimmendes Bild einer von heute aus betrachtet nicht mehr zu rechtfertigenden Erziehungspraxis, w elche den kindlichen Gehorsam und die Anpassung an Disziplin, „Sittlichkeit“, Arbeit und Ordnung als wesentliche Erziehungsziele verfolgte und dies zum Teil mit gewalttätigen, auf jeden Fall erniedrigenden Strafen zu erreichen versuchte.12
xpertInnengesprächs am 3. Juni 2009 in Koblenz; Wilhelm Damberg, Bernhard Frings, E Traugott Jähnichen, Uwe Kaminsky (Hg.): Mutter Kirche – Vater Staat? Geschichte, Praxis und Debatten der konfessionellen Heimerziehung seit 1945. Münster 2010. Expertise zu Rechtsfragen der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre. Gutachten im Auftrag des „Runden Tisch Heimerziehung“, Göttingen 2010; Frölich (2010); Landschaftsverband Rheinland (2010); Michael-Peter Schiltsky: Folgen der Heimerziehung aus Perspektive ehemaliger Heimkinder. 2010. Kappeler (2011); Susanne Schäfer-Walkmann: Die Zeit heilt keine Wunden: Heimerziehung in den 1950er und 1960er Jahren in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Freiburg/Br. 2011; Rädlinger (2014); Claudia Bundschuh: Sexueller Missbrauch, physische und psychische Gewalt am Collegium Josephinum, Bad Münstereifel. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung mit und für Betroffene. Endbericht, Köln 2017; Luna Born: Missbrauch mit den Missbrauchten. Baden-Baden 2019. 1 2 Der Deutsche Bundestag beschloss am 7. Juli 2011 eine weitgehende Übernahme der Empfehlungen des Runden Tischs „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“, vorgelegt von Prof. Dr. Carola Kuhlmann in Bochum, 31. Mai 2010.
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Der Bericht brachte Gewissheit darüber, dass Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung in der Regel nur unzureichend gefördert wurden, vielfach Demütigungen erlitten und oft auch Opfer von Misshandlungen und Missbrauch wurden. Angeregt nicht zuletzt durch diese Expertise, entbrannte erneut die Diskussion um die Verhältnisse in kirchlich geführten Einrichtungen.13 Zahlreiche Betroffene wiesen darauf hin, dass auch Ordensfrauen ihnen anvertraute Kinder und Jugendliche misshandelt hatten. Die Provinzoberin der Ordensgemeinschaft der Armen Dienstmägde Christi (Dernbacher Schwestern) bat im April 2010 um Vergebung und Verzeihung, falls es in von ihr geführten Kinderheimen in den 1950er und 1960er Jahren zu „menschenunwürdigen Behandlungen“ wie etwa körperlichen Züchtigungen gekommen sei, die „auch mit dem damaligen pädagogischen Zeitgeist nicht in Einklang zu bringen“ seien. Noch bis kurz zuvor hatten die Dernbacher Schwestern jegliche Vorfälle dieser Art vehement abgestritten,14 obwohl schon früher zahlreiche ehemalige Heimkinder von Misshandlungen durch diese Ordensgemeinschaft berichtet hatten.15 Bei der Kommentierung derartiger Vorfälle wird zur Entlastung der kirchlichen und „weltlichen“ Einrichtungen immer noch vielfach angeführt, der „Zeitgeist“ sei früher anders gewesen, es hätten damals auch Erkenntnisse aus entsprechenden Wissenschaftszweigen wie etwa Pädagogik und Psychologie gefehlt. Dem widersprach entschieden Prof. Claudia Bundschuh, Professorin für Kinder- und Jugendpädagogik: Für sie geht dem Machtmissbrauch stets die 13 Vgl. z. B. zu den Missbrauchsfällen im Bonner Aloisiuskolleg: Ebba Hagenberg-Miliu (Hg.): Unheiliger Berg. Das Bonner Aloisiuskolleg der Jesuiten und die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Stuttgart 2014. Als im September 2018 eine im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz erarbeitete Studie zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute (erfasster Zeitraum: 1946 – 2014) veröffentlicht wurde, zeigte sich auch hier, dass selbst anhand der lediglich die durch die K irche zur Verfügung gestellten Akten, die darüber hinaus teilweise geschwärzt worden waren, tausendfacher Missbrauch an Minderjährigen durch Vertreter der katholischen K irche dokumentiert werden konnte. Das am 18. März 2021 von Kölner Anwälten vorgelegte erneute Missbrauchsgutachten („Pflichtverletzungen von Diözesan-Mitarbeitern des Erzbistums Köln im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und Schutzbefohlenen durch Kleriker oder sonstige pastorale Mitarbeiter des Erzbistums Köln im Zeitraum von 1976 bis 2018“) gab aufgrund der ermittelten Daten und der Reaktionen seitens des Kölner Erzbischofs Anlass zu großer Empörung, löste gar „ein Erdbeben“ aus, vgl. www.katholisch.de/artikel/29139-erschreckend-reaktionenaus-kirche-und-pokitik-zum-koelner-gutachten vom 18. März 2021 (zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2021). 14 Vgl. dazu: Aachener Zeitung, 9. April 2010, Titel: Misshandlungen im Kinderheim: Der Orden bittet um Verzeihung; Kölner Stadt-Anzeiger, 26. August 2008, Titel: Mit der Zwangsjacke in die Wanne. 15 Nachzulesen in: Unrechtsschicksale der Heimkinder der 50er und 60er Jahre. Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Familie und Gesundheit am 29. Oktober 2009. Schriften des Hessischen Landtags, Heft 13, Wiesbaden 2011. Darin geben manche Dernbacher Schwestern ihre Taten zu.
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persönliche Entscheidung voraus, andere Menschen für eigene Interessen zu benutzen: „Die Entscheidung zum Machtmissbrauch ist weder eine quasi angeborene Erkrankung, noch Folge von anerzogener Moral, zeitbedingten sozialen Normen oder unterdrückter Sexualität.“16 Somit weist sie den Handelnden vollumfänglich die Verantwortung für ihr Tun zu. Dieser Anspruch setzt allerdings voraus, dass der/die Betreffende zur Reflexion des eigenen Verhaltens fähig und bereit ist. Von wegweisender Bedeutung für die Aufdeckung des Missbrauchsskandals in der deutschen katholischen K irche war der Jesuitenpater Klaus Mertes: Am 28. Januar 2010 machte er als damaliger Rektor des Berliner Canisiuskollegs einen jahrzehntelangen Missbrauch von Schülern durch Angehörige seiner Ordensgemeinschaft öffentlich und löste damit nicht nur bundesweit eine Skandalwelle in Bezug auf Einrichtungen der katholischen Kirche aus.17 Durch Klaus Mertes ermutigt, meldeten sich immer mehr ehemalige Heimkinder zu Wort; die verschiedenen Internetforen ermöglichten und erleichterten eine Vernetzung der Betroffenen. Sie berichteten, wie wenig Fürsorge, Geborgenheit und Schutz ihnen in den Heimen zuteilgeworden war. Viele von ihnen wurden gedemütigt und lebten in der beängstigenden Gewissheit, auch ohne Anlass mit drakonischen Strafen rechnen zu müssen. Eine solche andauernde Erfahrung führte nicht selten zu Angstzuständen, Panikattacken, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen und Bindungsunfähigkeit und bestimmte das Lebensgefühl bis ins Erwachsenenalter hinein.18 Mitausgelöst durch die verschiedenen Untersuchungen und Veröffentlichungen zum Heimalltag seit 1945 in Deutschland, lassen sich inzwischen deutliche Veränderungen bei der Unterbringung und Versorgung von Kindern und Jugendlichen nachweisen. Dies zeigt exemplarisch der von der Journalistin Anke Bruns gedrehte Film „Wir sind doch keine Heimkinder“.19 Die 52-minütige Dokumentation wurde in den Wohngruppen der Graf Recke Stiftung 20 mit den dort lebenden Kindern und Jugendlichen realisiert. Ziel ist es, das falsche Bild vom schwer erziehbaren, aggressiven, kriminellen, asozialen und in gefängnisähnlichen Heimen untergebrachten Heimkind zu korrigieren, das dort ein hartes Leben führe, gestraft und schlecht behandelt 16 Kölner Stadt-Anzeiger, 13. September 2018. Vgl. auch Bundschuh (2017). 17 Klaus Mertes wurde am 8. April 2021 gemeinsam mit Matthias Katsch, der als Jugendlicher an einem Jesuitenkolleg sexuell misshandelt wurde und inzwischen Betroffenenvertreter ist, von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für ihren herausragenden Einsatz bei der Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. 18 Vgl. Schiltsky (2010). 19 www.wir-sind-doch-keine-heimkinder.de (zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2021). Die Premiere des Films fand am 14. Februar 2019 im Düsseldorfer UFA-Palast statt. 20 Die Graf Recke Stiftung ist eine der ältesten diakonischen Einrichtungen Deutschlands.
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werde. Dieses Klischee halte sich bis heute hartnäckig und versehe die Betroffenen mit einem Makel, betont Anke Bruns. Gründe dafür lägen nicht zuletzt in den zahlreichen Erfahrungen von Gewalt und Strafe in der Heimerziehung vor allem der 1950er und 1960er Jahre. Die Betroffenen blieben dann oftmals unter sich, und aus Scham verschwiegen sie gegenüber Anderen, wo sie aufgewachsen sind. Der Film soll dazu beitragen, alte Vorurteile und die negative Bedeutung des Begriffs „Heim“ bewusst zu machen, das Stigma „Heimerziehung“ aufzubrechen und zum Umdenken anzuregen. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung machte auch der Landschaftsverband Rheinland (LVR ). Im Jahr 2013 richtete er im Keller seiner Solinger Jugendhilfe-Einrichtung Halfeshof einen Erinnerungsort ein, der BesucherInnen „über die dunklen Kapitel der Heimerziehung im Rheinland aufklärt, die in der Nachkriegszeit und bis in die Siebzigerjahre in deutschen Heimen an der Tagesordnung waren“.21 Erinnert wird dabei auch an eine strukturelle Problematik: Der LVR war Träger einer großen Anzahl von Heimen, und gleichzeitig oblag ihm die Heimaufsicht. Eine weitere Initiative starteten Landtag und Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, als sie am 19. Juni 2019 zu einer gemeinsamen Veranstaltung mit der evangelischen und der katholischen Kirche einluden; sie fand in Düsseldorf unter dem Titel „Zuhören – Anerkennen – Nicht vergessen!“ statt, um das Schicksal ehemaliger Heimkinder zu würdigen und um Verzeihung für erlittenes Unrecht und Leid durch Missbrauch und Misshandlungen zu bitten.
8.2 Die landkreiseigenen Kinderheime: ein Resümee Geht’s doch darum, Geborgenheit zu schenken.22
1926 hatte der Landkreis Köln in Barkhausen an der Porta Westfalica sein erstes Kindererholungsheim etabliert, eine „wegweisende soziale Pioniertat“. Als bereits nach wenigen Jahren in Erwägung gezogen wurde, dieses Heim aus wirtschaftlichen Gründen zu schließen, konnte seine Existenz nur durch die Eingliederung einer weiteren Abteilung gesichert werden. 1956 hat der Kreis sein Kindererholungsheim dann doch geschlossen; es hieß: „Porta hatte ausgedient.“ Diese Entscheidung korrespondierte mit den zeitgleichen Plänen des Landkreises für einen Kinderheim-Neubau in Brühl. Der Kreisjugendwohlfahrtsausschuss hatte ein Jahr zuvor ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „die Errichtung eines Kreiskinderheims (Waisenhaus) eine 21 www.lvr.de (zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2021). 22 Aus dem „Prolog“, der anlässlich der Grundsteinlegung des Kreiskinderheim-Neubaus in Brühl am 27. Juni 1957 vorgetragen wurde und in dem eine ausdrücklich karitative Einstellung zum Ausdruck gebracht wird.
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echte Kreisaufgabe [ist], der sich der Kreis nicht entziehen kann“.23 Auch der damalige Jugendamtsleiters Jakob Sonntag betonte, dass ein Kreiskinderheim „selbstverständlich in das Kreisgebiet hinein[gehört]“.24 Mitte der 1950er Jahre konnte sich der Landkreis Köln ein eigenes Heim finanziell leisten und war nicht auf eine karitative Trägerschaft angewiesen, da er „längst den Charakter eines Landkreises verloren“ hatte und strukturell durch „die Merkmale einer schnell wachsenden, großen Stadt industriellen Charakters“ gekennzeichnet war. Die für dieses Vorhaben ausgewählte Stadt Brühl wurde durch die Etablierung von „Haus Ehrenfried“ zum Sitz einer Jugendhilfe-Einrichtung, „wie sie nur von wenigen Kreisen unterhalten werden“.25 Diese stolz anmutende Beschreibung ebenso wie die Begeisterung für den gelungenen Neubau bei seiner Eröffnung im Jahr 1958 ließ nicht ahnen, dass „Haus Ehrenfried“ so bald schon als Last für den (Land-) Kreis Köln eingestuft werden würde. Doch nach den jahrelangen Mühen mit der Organisation und Verwaltung des Kreiskinderheims kam die Entscheidung für sein endgültiges Aus letztlich nicht überraschend. Bereits Anfang 1970 hatte die Kreisverwaltung konstatiert, nicht nur finanziell mit dem Kinderheim überfordert zu sein. Insbesondere der Weggang der Ordensschwestern im Jahr 1965 hatte dazu beigetragen, denn die bis dahin so günstige Kostenstruktur hatte nicht länger aufrechterhalten werden können. Eine mögliche Lösung schien darin zu bestehen, das Heim in eine andere Trägerschaft zu übergeben. Davon wurde zunächst Abstand genommen. Gut zehn Jahre nach den ersten Überlegungen zur finanziellen Entlastung des Kreises wurde nicht mehr nach einem neuen Träger gesucht, um dieses „schwierige Objekt“ fortführen zu können, sondern es wurde der Beschluss zum Verkauf gefällt. Dabei ging es offensichtlich nicht um die generelle Infragestellung der Institution „Kinderheim“, oder darum, das pädagogische Prinzip der „Familiengruppen“ für überholt zu erklären; schließlich hatte sich das Heim „jahrzehntelang bewährt“. Vielmehr war seit Ende 1982 von zentraler Bedeutung für die Begründung der „alternativlosen“ Schließung von „Haus Ehrenfried“ das „Millionen-Loch“ im Kreisetat. Um zu rechtfertigen, dass ausgerechnet die Auflösung des Kinderheims hierbei Abhilfe schaffen könnte, wurde auf das Subsidiaritätsprinzip verwiesen, mit dem der grundsätzliche Vorrang der freien gegenüber den öffentlichen Trägern gesetzlich normiert war. Freie Kapazitäten der freien Träger standen dabei dem finanziellen Aufwand des Kreises bei einer Fortführung des Heims gegenüber. Mit der Begründung, dass die Bereitstellung und Führung eines Kinderheims „keine originäre Pflichtaufgabe eines Kreises“26 sei, waren an dieser Stelle Einsparungen möglich. 23 24 25 26
Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis. 102/1759. 7. April 1955. Sonntag (1960). Sonntag (1960). Kölnische Rundschau, 20. Mai 1983.
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Den Befürwortern der Heimschließung kam zugute, dass die freien Träger, anders als eine Kreisverwaltung, über sehr gute Möglichkeiten verfügten, Einrichtungen effizient zu managen und mit entsprechendem Personal zu versehen. Es sollte dort – „zum Wohle der Kinder“ – auch eine bessere pädagogische Betreuung als im „Haus Ehrenfried“ gewährleistet sein. Die Heime in Michaelshoven und in Bergheim-Zieverich boten die Übernahme der Brühler Kinder an, und man ging davon aus, dass diese sich nach einer gewissen Übergangsphase in die neue Umgebung einleben würden. Die soziale und psychologische Bedeutung der Heimschließung mit ihren möglichen Belastungen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen wurde seitens der Entscheidungsträger offenbar als gering eingestuft und konnte demzufolge in Kauf genommen werden. Obwohl bekannt war, dass die Schließung von „Haus Ehrenfried“ nicht die erforderliche finanzielle Entlastung des Kreisetats herbeiführen würde, wurde im Wege der Güterabwägung den möglichen wirtschaftlichen Vorteilen Vorrang eingeräumt. Die Aussicht auf einen gewinnbringenden Verkauf einer mit rd. 12.100 m² recht großzügigen Liegenschaft in bevorzugter Innenstadtlage mag in Zeiten angespannter öffentlicher Kassen eine nicht zu unterschätzende Triebfeder bei der Entscheidungsfindung gewesen sein. Zum Verkauf kam es jedoch erst Anfang 1987, kurz nach dem Abriss sämtlicher Gebäudeteile. Geblieben sind die Erinnerungen an diese einstige „Heimat unzähliger Mündel“. Aussagen von ZeitzeugInnen, die sich auf meine Aufrufe gemeldet haben, lassen erkennen, dass der Aufenthalt im „Haus Ehrenfried“ nicht pauschal als gut oder schlecht beurteilt werden kann, sondern stets von subjektiven Blickwinkeln geprägt ist. Dennoch: Vor allem bis Mitte/Ende der 1960er Jahre wurden dort, wie in vielen anderen Kinderheimen der deutschen Nachkriegszeit, päda gogische Methoden praktiziert, die heute mindestens als überholt angesehen werden müssen. Studien zum Heimalltag vor allem für die Zeit zwischen 1945 und etwa 1970, die von traumatischen Erlebnissen in Heimen berichten, haben zu der verbreiteten Überzeugung beigetragen, Kinder seien vor einer Unterbringung im Heim zu bewahren. Doch auch das Gegenteil ist belegbar. Selbst der gegenüber der Heimerziehung sehr kritisch eingestellte Sozialpädagoge Manfred Kappeler schränkt ein: „Es gab auch zu jedem Zeitpunkt einzelne Einrichtungen und Modellprojekte, die zeigen konnten, dass eine die Würde und die Rechte von Kindern/Jugendlichen achtende, ihre individuelle Entwicklung fördernde Erziehungspraxis in Heimen möglich war.“27 Nicht „die 27 Prof. Dr. Manfred Kappeler, zit. n. dem Vortrag „Anvertraut und ausgeliefert“ im Rahmen der Ethik-Vorlesung an der Hochschule Esslingen (Fakultät Soziale Arbeit) am 27. Mai 2014, www.veh-ev.eu/home/vehevinf/public_html (zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2021).
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Heimerziehung“ ist als grundsätzlich schlecht zu bezeichnen; eine qualitative Bewertung ist immer bezogen auf konkrete Einrichtungen und Zeiten sowie auf die fachliche und persönliche Kompetenz der ErzieherInnen, gerade auch in Grenzsituationen, vorzunehmen. Ein Heim kann durchaus vor der eigenen Familie schützen: Betrachtet man die hohe Zahl von Kindern und Jugendlichen, die jährlich in ihren Familien alleingelassen, missachtet und misshandelt, vergewaltigt, seelisch und körperlich gequält oder sogar getötet werden,28 ist dem Verbleib in der Ursprungsfamilie nicht prinzipiell der Vorzug zu geben. Für manches Kind war und ist das Leben im Heim oder in einer vergleichbaren Einrichtung selbst in Anbetracht dort möglicher Einschränkungen und Nachteile eindeutig die bessere Alternative. Genau das galt auch für „Haus Ehrenfried“: Einige der dort untergebrachten Heimkinder schilderten den Aufenthalt dort als Zeit in einem „Schutzraum“, an den sie sich gerne zurückerinnern, sogar als „die schönste Zeit in meiner Kinderund Jugendzeit“. Manch einer von ihnen entwickelte trotz relativ ungünstiger Umfeldbedingungen ungeahnte Lebenskräfte. So kann auch das Leben im Brühler Heim als Dasein z wischen zwei Polen verortet werden, zwischen „Segen und Fluch“, wie es ein ehemaliger Bewohner des städtischen Kinderheims in Köln-Sülz durchaus treffend formulierte. Er wählte diese beiden Begriffe als Überschrift für seinen emotionalen Kommentar, den er im März 2010 vor dem Abriss der dortigen Kinderheimgebäude mit roter Farbe an eine der Hauswände sprayte: „1914 – 2009 SEGEN UND FLUCH. MEINEN DANK DEN AUFRICHTIGEN, DEN SCHÜTZENDEN UND DEN LIEBENDEN! DEN ANDEREN DAS JÜNGSTE GERICHT UND DIE GNADE DER GEDEMÜTIGTEN UND ZERBROCHENEN. FÜR UNS SELBST MUT UND FRIEDEN “.29
28 Lt. den Zahlen des Bundeskriminalamts (BKA) bzw. Polizeistatistik (2017) wird in Deutschland jeden zweiten Tag ein Kind Opfer eines Tötungsdeliktes, und ebenso ist es Tatsache, dass die Zahl der Kinder, die unter Vernachlässigung, Verwahrlosung und Misshandlungen leiden und an den Folgen sterben, stetig ansteigt. Dabei ist sogar von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Das Statistische Bundesamt gab am 19. November 2019 bekannt, dass 2018 die Jugendämter bei 50.400 Minderjährigen eine Kindeswohlgefährdung feststellten, zehn Prozent mehr als im Jahr 2017. 29 Veröffentlicht in: Stadt Köln – Der Oberbürgermeister: Geschichte(n) der Sülzer Kinderheims 1917 – 2012. Vom Kölner Waisenhaus zu Ki d S. Köln 2013, S. 25.
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Zum Schluss
8.3 Haus Schumaneck: Erfolgsmodell seit 1998 Seit der Auflösung von „Haus Ehrenfried“ sind fast 40 Jahre vergangen, und an die Stelle von traditionellen Kinderheimen sind Betreuungsangebote getreten, die zeigen, wie überholt der Begriff vom Heim als einer von außen relativ abgeschlossenen „Insel“ ist. Als s olche hatten sich das Heim in Barkhausen an der Porta und das Kreiskinderheim in Brauweiler dargestellt, bis Mitte der 1960er Jahre auch „Haus Ehrenfried“ in Brühl. Inzwischen wird eine pädagogisch differenzierte Unterbringung favorisiert, mit Wohngruppen, in denen die Kinder dezentral in Ein- bis Zweifamilienhäusern leben, betreut von Erziehern, die mit Psychologen und entsprechenden Ämtern kooperieren. Eine ähnliche Weiterentwicklung hatte auch schon der letzte Leiter von „Haus Ehrenfried“ in seiner umfassend ausgearbeiteten Konzeption zur Neugestaltung des Heims geplant. Denn „Haus Ehrenfried“ war damals zwar bereits „in die Jahre gekommen“, hätte aber grundsätzlich gute Voraussetzungen für das Gelingen einer solchen Aktualisierung geboten. Mit deren Umsetzung wären pädagogische Ansprüche realisiert worden, u. a. durch geringere Gruppenstärken, zusätzliches Erziehungspersonal und die Einstellung eines Heilpädagogen. Allerdings hätte dies eine veränderte Kostenstruktur zur Folge gehabt. 15 Jahre nach dem Ende von „Haus Ehrenfried“ entstand in Brühl aus einer privaten Initiative ein modernes Kinderheimkonzept: 1998 gründeten Ursula und Bernhard Schumacher, beide examinierte und durch ihre 20-jährige Berufspraxis in einem Kinderheim der Diakonie professionalisierte Erzieher, die „Schumaneck Kinderhaus gemeinnützige GmbH“, eine familienanaloge Einrichtung der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Sie soll vernachlässigten, verwahrlosten oder misshandelten und traumatisierten Kindern und Jugendlichen ein schützendes Zuhause bieten. Bernhard Schumacher erläuterte, dass hier die stationäre Heimerziehung in eine familiäre Struktur umgewandelt werde, „um in kleinen, überschaubaren Einheiten das Leben der Kinder in den Sozialraum zu integrieren und sich damit von dem Heimstigma der Großeinrichtung zu trennen.“ Er betonte, ein solches Konzept sei anfangs „fast schon revolutionär“ gewesen.30 Auch die Gesetzeslage hatte sich verändert: Am 1. Januar 1991 war das Kinderund Jugendhilfegesetz (KJHG) in Kraft getreten und löste das Jugendwohlfahrtsgesetz ab, das noch wesentlich auf Vorgaben des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von 1922/24 basierte. Zu den modernen Reformzielen gehörte, „ein Leistungsrecht auszugestalten, das von Rechtsansprüchen Betroffener ausgeht, deren Partizipation in den Mittelpunkt stellt, repressive Momente zurückdrängt und Jugendhilfe
30 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 15. Juni 2018.
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nach den Grundsätzen moderner Leistungsverwaltung mit stark präventiven Ansprüchen und Möglichkeiten aufbaut“.1 Nachdem „Schumaneck“ mit einer ersten Familiengruppe begonnen hatte, in der sechs Kinder lebten, hat sich diese Einrichtung auf 13 Häuser in Brühl und Bornheim mit bis zu 73 Kindern im Alter von 0 bis 18 Jahren ausgedehnt. Zum Angebot gehören Familien- und Familienwohngruppen, sozialpädagogische Lebensgemeinschaften, eine Verselbständigungswohngemeinschaft sowie ein Paten- und Integrationsprojekt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. „Schumaneck“ bestätigt exemplarisch, dass nach wie vor großer Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche besteht, die von den Jugendämtern aus dem Elternhaus genommen werden. „Wir können maximal 73 Kinder unterbringen. Unsere 13 Häuser sind voll belegt, es kommen immer wieder Notfälle dazu, und die Not ist groß“, erläuterte mir Ulla Schumacher „Die Anzahl der von den Jugendämtern angefragten Plätze übersteigt oft deutlich die Kapazitäten unserer Einrichtung.“ Dass Unterbringungsmöglichkeiten heute weder leer bleiben noch überflüssig geworden sind, belegen auch die Zahlen aus dem Statistischen Bundesamt.2 „Heimkinder sind kein Auslaufmodell“, brachte Prof. Dr. Stefan Sell diese Entwicklung in seinem Blog zur Sozialpolitik im Mai 2018 auf den Punkt.3 Als 13. Einrichtung der Schumaneck Kinderhaus gGmbH befindet sich in der Brühler Auguste-Victoria-Straße 22 das Janusz-Korczak-Haus, eine Wohngruppe für insgesamt neun Jungen und Mädchen im Alter von sechs bis zwölf Jahren. Der Name des Hauses ist mit Bedacht gewählt und verweist auf den Leitgedanken von „Schumaneck“: Der polnische Kinderarzt und Pädagoge Janusz Korczak 4 hatte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert: „Kinder werden nicht erst Menschen, sie sind es bereits.“ Um dieser Maxime mehr Realität 1 Erwin Jordan, Dieter Sengling: Jugendhilfe. Weinheim/München, 2. Aufl. 1992, S. 68. 2 Die Anzahl der in einem Heim oder einer anderen betreuten Wohnform untergebrachten Kinder und jungen Erwachsenen stieg z. B. von 2008 bis 2016 um 89 Prozent: 2008 lebten insgesamt 34.096 Kinder und Jugendliche in Heimen, im Jahr 2016 waren es insgesamt 64.217. Während die Zahl z wischen 2008 und 2013 jährlich etwa um zwei bis fünf Prozent anwuchs, nahm sie z wischen 2014 und 2015 um 23 Prozent zu, zwischen 2015 und 2016 sogar um 25 Prozent. Im Jahr 2016 führten Jugendämter insgesamt 84.200 sog. Vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen durch, was eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 8,5 Prozent bedeutet. Im Vergleich zum Jahr 2013 (42.133) kam es sogar zu einer Verdoppelung der Inobhutnahmen (Herausnahme von Kindern und Jugendlichen aus ihren Familien) nach § 42 SGB VIII. 3 Heimkinder. Kein Auslaufmodell. 21. Mai 2018. www.aktuelle-sozialpolitik.de (zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2021). 4 1878 – 1941. Janusz Korczak eröffnete 1912 das jüdische Waisenhaus „Dom Sierot“ (Haus der Waisen), das er 30 Jahre lang als Direktor leitete; daneben übernahm er seit 1919 die Leitung eines Kinderheims für verwaiste und verwahrloste Arbeiterkinder in Warschau. Während der deutschen Besatzung musste „Dom Sierot“ im Oktober 1940 ins jüdische Ghetto von Warschau umziehen. Anfang August 1942 wurde Korczak gemeinsam mit den Kindern dieses Waisenhauses im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Er gilt als Vorreiter der Kinderrechtediskussion.
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zu verschaffen, forderte er nicht zuletzt für die Heimerziehung, Kinder durch strukturelle Maßnahmen konstitutionell vor der Missachtung ihrer Persönlichkeitsrechte zu schützen. Bei der Eröffnung des Janusz-Korczak-Hauses im Oktober 2018 betonte Brühls Bürgermeister Dieter Freytag: „Wir sind Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet, dass Sie hier Kindern die Möglichkeit geben, wie in einer Familie aufs Leben vorbereitet zu werden.“ Er bezeichnete die Schumaneck-Einrichtungen als einen „für Brühl unschätzbaren Pfeiler in Sachen Jugendhilfe“.5
5 Kölner Stadt-Anzeiger, 8. Oktober 2018.
9. Zur Quellen- und Materialrecherche
Die Recherche zu diesen früheren sozialen Einrichtungen zur Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Porta Westfalica, Brauweiler und Brühl basiert überwiegend auf Archivmaterial. Dass diese Recherche möglich war, verdanke ich der sehr kooperativen und unbürokratischen Unterstützung in den zuständigen Archiven: An erster Stelle der Leiterin des Kreisarchivs RheinErft-Kreis, Gabriele Mohr M. A., und ihren KollegInnen; Brigitte Freericks M. A., stellvertretende Leiterin des Archivs der Stadt Brühl, und Alexander Entius, der die Leitung des Brühler Stadtarchivs im August 2018 übernommen hat, und ihren KollegInnen; dem ehemaligen Pulheimer Stadtarchivar Horst Kandt; dem Direktor des Historischen Archivs des Erzbistums Köln, Dr. Ulrich Helbach; Annegret Hensel, ehemalige Hausleiterin der Malche e. V. in Porta Westfalica; Bettina Lütjen, Stadtverwaltung Porta Westfalica; Susanne Sieker, Stadtarchiv Porta Westfalica; Nadja Töws, Kommunalarchiv Minden-Lübbecke; den Archivschwestern Luzilla und Adelgondis vom Orden Unserer Lieben Frau in Coesfeld bzw. Grefrath; und nicht zuletzt der Archivschwester der Salvatorianerinnen, Marianne Stracke SDS (verstorben 2020). Sie alle haben mir Gelegenheit gegeben, in zahlreiche Akten Einsicht zu nehmen und sie auszuwerten. Auch bei komplizierteren Suchanfragen wurde ich tatkräftig unterstützt. Frau Mohr war über die Aktenrecherche hinaus auch beim größten Teil der Fotorecherche hilfreich. Anregungen und Bildmaterial verdanke ich auch dem Brühler Heimatforscher, Sammler und Autor Dr. Hans-J. Rothkamp, dem Brühler Sammler Peter Kelter sowie dem Brühler Autor Dr. Karl Herbert Oleszowsky. Auch Robert Kauffeld, Franz W. Franzmeyer und Bernd Möller aus Barkhausen/ Porta Westfalica haben mich bereitwillig beraten und mir großzügig Bildmaterial aus ihren Beständen zur Verfügung gestellt. Mitglieder der Familien Sonntag und Richrath gaben mir freundlich und eingehend Auskünfte über die beiden Initiatoren und Beförderer von „Haus Ehrenfried“, Jakob Sonntag und Heinrich Richrath. Auch die erste weltliche Heimleiterin, Marie-Theres Lennartz, und ihr Nachfolger als Heimleiter, Siegfried Hölker, haben mir in ausführlichen Gesprächen vieles über ihre schon lange zurückliegende Zeit im „Haus Ehrenfried“ nahegebracht. Dr. Karlheinz Gierden, von 1962 bis 1974 Oberkreisdirektor des Landkreises Köln und in dieser Funktion zuständig für das Brühler Kreiskinderheim, sowie die Politiker Klaus Lennartz (verstorben 2019) und Willi Zylajew waren bereit, sich persönlich mit mir über diese wichtige kreiseigene Institution auszutauschen und haben mit ihren Hinweisen zur Ergänzung meiner Recherchen beigetragen. Michael M. Krause schrieb mir gern und auf eigene Initiative einen Rückblick auf die Zeit, als er mit seinen Eltern auf dem Gelände des Kinderheims in Brühl gelebt hat. Stephanie Habeth-Allhorn,
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Zur Quellen- und Materialrecherche
Kulturreferentin Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria, Köln-Longerich, erteilte mir ebenfalls sehr freundlich Auskünfte über diese Kongregation. Die Geschichte der kreiseigenen Kinderheime konnte ich durch Berichte von ZeitzeugInnen ergänzen: Auf meine Aufrufe meldeten sich zahlreiche ehemalige MitarbeiterInnen, Heimkinder, ehemalige SchulkameradInnen und Menschen, die diese Heime „von außen“ kannten. Die Gespräche mit ihnen haben mir teilweise recht vertrauliche Auskünfte über die individuell erlebte und verarbeitete Heimrealität zugänglich gemacht. Auf den Aufruf im Mindener Tageblatt zum Kindererholungsheim bzw. zur Waisenkinderabteilung in Porta konnten sich – verständlicherweise – nur wenige ZeitzeugInnen melden; auch ihre Berichte und Erzählungen haben mir neue Einblicke in die Zeit von damals ermöglicht. Ich danke allen sehr herzlich, die bereit waren, mich an ihren Erinnerungen, Erfahrungen und ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Einige „Ehemalige“ waren auf der Suche nach ihrer Heimvergangenheit bereits selber aktiv geworden und hatten bei verschiedenen Institutionen nach Einzelakten aus ihrer Heimzeit angefragt. Enttäuschend war in d iesem Zusammenhang die Antwort, die der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland im Mai 2010 geben musste: „Auf Ihre Anfrage wegen des früheren Haus Ehrenfried, Brühl, bedauere ich, nicht mit Akten weiter helfen zu können. Weder im Archiv des LVR noch in der Registratur des Landesjugendamts Rheinland (welches Heimaufsicht über das Heim ausführte) waren einschlägige Unter lagen zu ermitteln.“ Umso erfreulicher war es, dass in den Akten des Kreisarchivs Rhein-Erft-Kreis und des Stadtarchivs Pulheim dann doch noch einige wenige Unterlagen – hauptsächlich Abrechnungsnachweise – in Bezug auf die Heimkinder zu finden waren. Einen weiteren Einblick in die internen Abläufe im „Haus Ehrenfried“ ermöglichte mir die Dokumentation der früheren Erzieherin Ingetraud Seidel. Sie hat auf diese Weise ein lesenswertes Zeitzeugnis geschaffen. Über das 1918 gegründete „Kinderheim der Salvatorianerinnen“ im ehemaligen „Hotel Pavillon“ standen mir einige wenige Materialien sowie eine frühere Chronik der Salvatorianerinnen zur Verfügung. Da ZeitzeugInnen, die in diesem Heim untergebracht waren, ebenfalls aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr für ein Befragung zur Verfügung standen, bleibt diese Darstellung auf die Aspekte bezogen, die ich auf der Basis vorhandener Archivalien auswerten konnte.
Zeitleisten
RJWG (Reichsjugendwohlfahrtsgesetz) JWG ( Jugendwohlfahrtsgesetz) KJHG (Kinder- und Jugendhilfegesetz)
1922/1924 in Kraft getreten 1961 – 1990 1991 in Kraft getreten
Kindererholungsheim in Barkhausen an der Porta Westfalica 1926 Kauf durch den Landkreis Köln Von 1930 bis 1950 auch als Kreiswaisenhaus für rd. 30 Kinder genutzt Schließung im Juni 1956
Kreiskinderheim „Haus Ehrenfried“ Eröffnung in Brauweiler am 1. Juni 1950, Einweihung am 10. Juli 1950 Leitung durch Ordensschwestern der Cellitinnen zur hl. Elisabeth, Köln, Antonsgasse Grundsteinlegung in Brühl, Liblarer Straße 21 – 25 am 27. Juni 1957 Richtfest am 6. November 1957 Einzug: Mitte September 1958, Segnung der Räume durch Dechant Heinrich Kreutzberg am 21. September 1958. Weltliche Einweihung am 3. Dezember 1958 Einweihung der Kapelle durch den Kölner Weihbischof Josef Ferche am 6. Juli 1959 Schließung des Kreiskinderheims am 31. August 1983
Heimleiter: Juni 1950–Mai 1961: Oberin M. Bonifatia Mai–Dezember 1961: Sr. M. Basilia Januar 1962–August 1965: Sr. M. Wilhelma 1. September 1965 – 30. Juni 1970: Frau Lennartz 1. August 1970 – 31. Oktober 1977: Herr Hölker 1. November 1977 – 31. August 1979 (seit 1. Februar 1974 stellv. Heimleiter): Herr Marx 1. Januar 1980 – 30. September 1983: Herr Fränzel
Kinderheim Comesstraße 42 Sommer 1918 – März 1920: Gegründet und geleitet von Salvatorianerinnen April 1920: Versorgung durch Cellitinnen-Augustinerinnen zur hl. Maria, Köln, Kupfergasse
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Zeitleisten
1. Januar 1921: Der Caritasverband für die Stadt Essen e. V. wird Eigentümer; Umbenennung in „St. Benedictus-Kinderheim“. Versorgung weiterhin durch die Augustinerinnen. 1930 – 1939: Kinder- und Mütterheim „Benediktus-Erholungsheim“ 1939 – 1945: Lazarett; Unterbringung von kranken Säuglingen und Kleinkindern 1945 – 1950: Unterbringung von kranken Säuglingen und Kleinkindern 1951 – 1991: Altenheim
Kinderbewahranstalt 1861: Belvederestraße (Burgstraße 18) 1866: Uhlstraße 72/Wallstraße 2 1891 – 1899: Uhlstraße 21 1899: Wallstraße 2a 1908 – 1914 und 1916 – 1918: St. Josephshaus, Mühlengasse 20 1938 – 1944: Kindergarten im St. Josephshaus, Mühlengasse 20 1945: Kindergarten in der ehem. Taubstummenschule, Schützenstraße 1948 – 1972: Baracke in der Mühlenstraße (ehem. St. Josephshaus) Seit 1972: im Neubau Mühlenstraße 85 (ehem. Stadtmühle)
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I. Zum Benediktus-Kinderheim in Brühl
Abb. 1 – 9 „Gruß aus dem Kinderheim St. Benediktus, Brühl bei Köln“. Ansichten aus einem Leporello. 1920er Jahre.
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Zum Benediktus-Kinderheim in Brühl
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Zum Benediktus-Kinderheim in Brühl
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II. Zum Kreiskindererholungsheim in Barkhausen (1926 – 1956) Abb. 10 Seit 1926 war das historistische Gebäude in Barkhausen im Besitz des Landkreises Köln und wurde als Kindererholungsheim genutzt.
Abb. 11 Ansicht vom Park aus.
Abb. 12 Das Gartenparterre mit Wiese, Bäumen, Sitzgelegenheit und Blumenrondell.
Zum Kreiskindererholungsheim in Barkhausen (1926 – 1956)
Abb. 13 und 14 Kinder spielen im Wiesengelände am Hang.
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Abb. 15 Mädchen beim Ringelreihen.
Abb. 16 Auf der Wippe.
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Zum Kreiskindererholungsheim in Barkhausen (1926 – 1956)
Abb. 17 In der Wiese.
Abb. 18 Mit Schubkarren unterwegs.
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Abb. 19 Hier werden Brote vorbereitet.
Abb. 20 Mädchen helfen beim Bodenwischen.
Zum Kreiskindererholungsheim in Barkhausen (1926 – 1956)
Abb. 21 Kommunionkinder.
Abb. 22 Alle sind festlich geschmückt.
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Abb. 23 Das Essen für draußen ist fertig.
Abb. 24 Die Kutsche wird von „Lotte“ gezogen.
Zum Kreiskindererholungsheim in Barkhausen (1926 – 1956)
Abb. 25 Das sind wohl die Kleinsten – sicher keine Erholungs-, sondern Waisen- oder Pflegekinder.
Abb. 26 Knaben auf der Wippe.
Abb. 27 Draußen ist ein großer Tisch für die Verpflegung bereitet.
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Abb. 28 Die Knaben helfen beim Spülen.
Abb. 29 Fertig!
Zum Kreiskindererholungsheim in Barkhausen (1926 – 1956)
Abb. 30 Freizeit.
Abb. 31 Die Klettergruppe.
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Abb. 32 Beim gemeinsamen Ausflug.
Abb. 33 Die Gruppe wurde sicher zurückgeleitet.
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Abb. 35 Das Treppenhaus im Hauptgebäude.
Abb. 36 Die Kapelle.
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Abb. 37 Der Speisesaal.
Abb. 38 Ein Aufenthaltsraum.
Abb. 39 Ein Gästezimmer mit Flügel.
Zum Kreiskindererholungsheim in Barkhausen (1926 – 1956)
Abb. 40 Die Nähstube.
Abb. 41 Ein Schlafraum fürs Personal, oder ein Zweibett-Krankenzimmer?
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Abb. 42 Im Flur.
Abb. 43 Kleiderspinde im Flur.
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Abb. 44 Die Küche.
Abb. 45 Ein Waschraum.
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Abb. 46 Gärtner Gustav Krause.
Abb. 47 Gärtner Gustav Krause mit Helferinnen.
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Zum Kreiskindererholungsheim in Barkhausen (1926 – 1956)
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Abb. 48 Liebfrauen-Schwestern mit Besuchern im Kinderheim Barkhausen, wohl zur 25-Jahr-Feier im Jahr 1951.
Abb. 49 Regionale Politiker aus den Kreisen Köln und Minden im Gespräch.
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Abb. 50 Die ausgeräumte Turnhalle – der Betrieb des Kinderheims war seit 1956 eingestellt.
Abb. 51 Hier sind die Betten schon abgeräumt.
Zum Kreiskindererholungsheim in Barkhausen (1926 – 1956)
Abb. 52 Ein weiterer ehemaliger Schlafsaal.
Abb. 53 Ein Kleinkinder-Schlafsaal, inzwischen ebenfalls ohne Matratzen.
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III. Zum Kreiskinderheim in Brauweiler (1950 – 1958)
Abb. 54 Küchen-Schwester M. Benigna, eine Lernschwester und sieben Küchenhelferinnen in der Juno-Großküchenanlage.
Abb. 55 Küchen-Schwester M. Benigna, eine Lernschwester, eine Küchenhelferin und eine Mädchengruppe bei der Essensvorbereitung.
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Zum Kreiskinderheim in Brauweiler (1950 – 1958)
Abb. 56 Küchen-Schwester M. Benigna und fünf Küchenhelferinnen.
Abb. 57 An der Pfaff-Nähmaschine.
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Abb. 58 Gemeinsames Stricken und Stopfen in der Nähstube.
Abb. 59 Spindfächer für die Kleiderablage.
Zum Kreiskinderheim in Brauweiler (1950 – 1958)
Abb. 60 Vorschulkinder spielen in ihren Kittelchen.
Abb. 61 Körperpflege im Badezimmer.
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IV. Zum Kreiskinderheim in Brühl (1958 – 1983)
Abb. 62 Kinder singen zur Feier der Grundsteinlegung.
Abb. 63 Beim Richtfest in Brühl am 6. November 1957.
Zum Kreiskinderheim in Brühl (1958 – 1983)
Abb. 64 Innenarbeiten in der Küche.
Abb. 65 Beim Einräumen.
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Abb. 66 Prominenz bei der Einweihung des Kreiskinderheims „Haus Ehrenfried“ in Brühl am 3. Dezember 1958.
Abb. 67 Die Einweihung der Kinderheim-Kapelle am 6. Juli 1959.
Zum Kreiskinderheim in Brühl (1958 – 1983)
Abb. 68 Weihbischof Josef Ferche am 6. Juli 1959.
Abb. 69 Karneval 1962 – Elferrat im Kinderheim.
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Abb. 70 Sankt Martin im November 1962.
Abb. 71 Krippenspiel im Dezember 1962.
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Abb. 72 Bescherung im Dezember 1962. Die Ordensschwester freut sich mit den Kindern.
Abb. 73 Vorbereitung auf eine Ferienfahrt im August 1964, mit Hilfe von BundeswehrSoldaten einer Pionier-Einheit und einem LKW der Bundeswehr.
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Abb. 74 Auch viele Koffer kamen mit.
Abb. 75 Es darf auch auf dem Teppich gespielt werden. Die Autos fahren elektrisch, die Lokomotiven sind aus Holz und müssen gezogen werden.
Zum Kreiskinderheim in Brühl (1958 – 1983)
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Abb. 76 – 79 Aus den Plänen des Architekten Aloys Möhring für den Neubau von „Haus Ehrenfried“ in Brühl.
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Abb. 78
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Abb. 80 Das Kreiskinderheim im Stadtplan von Brühl (Ausschnitt), 1973.
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Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht Berlin (Hg.): Kleinkinderfürsorge. Einführung in ihr Wesen und ihre Aufgaben. Berlin 1917. Zilliken, Peter: Die Villenstadt. In: Brühler Heimatblätter, 1956.
Abbildungsnachweise
Abbildungen im Textteil Archiv der Salvatorianerinnen: Abb. 6 Privat: Abb. 1, 3, 4, 5, 7, 9 – 13, 19, 22, 26, 45, 55 Malche e. V.: Abb. 21, 23 Stadtarchiv Brühl: Abb. 2, 8 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis: 14 – 18, 20, 24, 25, 27 – 44, 46 – 54, 56 – 73
Abbildungen im Bildteil Privat: Abb. 1 – 9 Malche e. V.: Abb. 46 – 47 Kreisarchiv Rhein-Erft-Kreis: Abb. 10 – 45, 48 – 79 Städte-Verlag: Abb. 80