Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis [3., unveränderte Aufl., Reprint 2020]
 9783112332283, 9783112332276

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Grundzüge einer

Metaphysik der Erkenntnis von

Nicolai Hartmann o. ö. Professor an der Universität Berlin

Dritte unveränderte Auflage

Berlin 1941

Walter de Gruyter & Co. dvormal- G. 2. SSschen'sche Verlag-handlung — 3. (Suttentag, Verlag-buchhandlung Georg Reimer—Karl 3. Trüdner — Veit S Somp.

Archiv Nummer 421641 Manuldruck von «V- Ullmann G. m. b. H.. Zwickau Sa.

Vorwort zur ersten Auflage. Metaphysik der Erkenntnis — das will ein neuer Name sein für Erkenntnistheorie — besser als Erkenntniskritik: nicht eine neue Meta­ physik, deren Grundlage Erkenntnis wäre, sondern durchaus nur eine Erkenntnistheorie, deren Grundlage metaphysisch ist. Daß hinter dem neuen Namen auch eine neue Sache stecke, darf nur mit Vorbehalt behauptet werden. Der Erkenntnistheorien sind viele; eine neue den alten hinzuzufügen, ist am Ende gar kein Er­ fordernis. Ich glaube, daß die Sache, zu deren Sprecher ich mich mache, in vielen philosophischen Köpfen bestanden hat und noch besteht; desgleichen daß sie in vielen Teilen bereits klar ausgeprägt vorliegt. In diesem Sinne ist sie gewiß keine neue Theorie. Aber es gibt ein Neues im Alten, dessen Sein damit, daß es war und ist, nicht erschöpft ist, ein Etwas, das uns fehlen kann, obgleich wir es haben. Man muß es neu sehen lernen, um es im Alten zu erkennen. In diesem Sinne ist Metaphysik der Erkenntnis uns Heutigen, wie ich fürchte, nur gar zu sehr eine neue Theorie. Ihr Problem ist — so behaupte ich — das Kernproblem der Erkenntnis. An ihm scheiden sich die Theorien, je nachdem sie es erfassen oder verfehlen, in solche, die wirklich Erkenntnis­ theorie sind, und solche, die es nicht sind. Ein Neues im Alten herauszuarbeiten, das über dem Gegen­ satz der Standpunkte besteht, ist die Aufgabe dieses Buches. Es macht damit einen ersten Versuch und muß sich die Beschränkungen eines solchen auferlegen. Es kann keine vollständige Theorie liefern, sein Gegenstand macht nicht den ganzen Gehalt des Erkenntnisproblems aus. Es greift aus der unübersehbaren Problemfülle des Erkenntnis­ phänomens nur ethen Komplex heraus. Dieser Komplex aber ist — das wird niemand bestreiten — der in der Forschung unserer Tage vernachlässigte. Daß er zugleich der zentrale Fragekomplex der Er­ kenntnistheorie ist, wird erst noch besonders zu erweisen sein. Aber auch nicht alles, was zu diesem Fragekomplex gehört, kann hier zu Worte kommen, sondern wiederum nur ein Ausschnitt all­ gemeinerer Fragen. Von Rechts wegen gehörte die ganze Kategorien­ lehre mit dazu. Praktisch aber läßt sich ihre Abtrennung von den



Grundfragen nicht vermeiden. Gegen diese gehalten sind ihre Probleme Spezialfragen. Kategorienlehre ist heute nicht mehr, was sie zu Kants Zeiten war, ein Abschnitt eines Abschnitts. Sie hat sich zu einer ver­ zweigten Disziplin ausgewachsen, die gesonderte Behandlung erfordert. Auch geht ihr Problem keineswegs im Erkenntnisproblem auf. Es steht mitten inne zwischen Logik, Ontologie, Gnoseologie und Psycho­ logie. Ja, sie greift über diese Gebiete, über die Grenzen des Theoreti­ schen, hinaus ins Reich der Werte. Auch aus diesem Grunde ist das Vorliegende nur ein Teil — die äußere Geschlossenheit darf darüber nicht täuschen — aus einem Ganzen, in dem sich manches erst recht­ fertigt. Das mag den Leser in einzelnen Punkten zu willkürlicher Ergänzung in einer der gewohnten Richtungen verleiten. Keine Spezialuntersuchung kann dem ganz vorbeugen. Um so mehr muß sie sich gegen jede Ergänzung solcher Art verwahren. Jede Abrundung, die nicht aus dem Gang der Untersuchung selbst stammt, kommt einem Mißverständnis gleich. Die Untersuchung hält sich in den Grenzen des Möglichen bewußt diesseits gewisser letzter metaphysischer Ent­ scheidungen — die standpunktlichen sind nicht die einzigen — und jedes Borgreifen niuß eine Methode, die eben in dieser Diesseitigkeit wurzelt, zerstören. Erkenntnistheorie kann für sich genommen überhaupt nicht über metaphysische Grundfragen entscheiden. Das ist Sache einer anderen, fundamentaleren Disziplin, der Ontologie, die allseitig, und nicht bloß theoretisch, orientiert sein muß. Auf ge­ wisse Grundlagen dieser Disziplin geht freilich auch die vorliegende Untersuchung ein. Aber die Durchführung muß sie einer späteren, breiter anzulegenden Arbeit überlassen. Manchem Fachgenossen wird außerdem die Bezugnahme auf die einschlägige Literatur der Gegenwart fehlen. Aus zwingenden äußeren Gründen habe ich bei dieser Drucklegung von allen ins einzelne gehen­ den Auseinandersetzungen, sowie von Heranziehung vieler wertvoller Bestätigungen abgesehen. Die Aufnahme der zum Text gehörigen Anmerkungen hätte das Buch um mehr als die Hälfte seines Umfanges vergrößert. Und ein bloß gelegentliches Eintreten in Auseinander­ setzung würde nur den Schein der Einseitigkeit erwecken. Der kritische Leser also wird sich auf seine eigene Kenntnis der Fachliteratur angewiesen sehen; ihm wird nicht entgehen, daß zahlreichen Lehrmeinungen gegenüber eine sehr bestimmte Stellungnahme wenigstens implicite durchgeführt ist. Dem Lernenden aber, dem das Werk als Lehrbuch dienen soll, wird das Fehlen des kritischen Apparats wohl eher eine Erleichterung bedeuten. Er sieht sich im Gang der Untersuchung nicht vor die üblichen Meinungsgegensätze, sondern unmittelbar vor die Probleme selbst gestellt.

In sichtbarer Form ist nur auf die großen geschichtlichen Ahnen der Erkenntnistheorie Rücksicht genommen. Diesem Erfordernis ist der zwischen die Problemanalyse und die eigentliche Theorie ein­ geschaltete „zweite Teil" gewidmet. Daneben sind in der Kritik der idealistischen Theorien gewisse Grundlehren der Neukantianer heran­ gezogen, wobei freilich, entsprechend der Art der Untersuchung, mehr was mich von ihnen scheidet, als was mich mit ihnen verbindet und was ich ihnen verdanke, zum Vorschein kommt. Die Einseitigkeit dieser Auswahl ist in der Sache begründet: nach dieser Richtung vor allem mußte eine ontologisch orientierte Erkenntnistheorie Klarheit schaffen. Positiver konnte das Verhältnis zur Phänomenologie gestaltet werden. Mit der tatsächlichen Arbeit ihrer Methode (nicht mit ihrer Methodenlehre) weiß ich mich in der Ausgangsstellung solidarisch. Die Art der theoretischen Verwertung des am Phänomen gewonnenen Materials ist notgedrungen in einer Metaphysik der Erkenntnis eine andere.

Mai 1921.

Vorwort zur zweiten Auflage. Die neue Auflage bringt in den Hauptteilen den Text der alten wieder. Die Änderungen und Ergänzungen beschränken sich auf das dringlichste: einige eingefügte Kapitel und Unterabschnitte, sowie den bisher noch fehlenden „fünften Teil", der dem Problemgebiet des Apriorischen einen Abschluß gibt. Dem Umfang nach ist das Hinzu­ gefügte nicht wenig. An der Aufgabe gemessen aber, vor die mich die Neuauflage stellte, ist es wenig — ein Bruchteil dessen, was die Sache erfordert hätte. Die Beschränkung mußte ich mir auferlegen, weil es sonst Jahre hätte dauern können, bis ich die Umarbeit, wie sie mir vorschwebte, zustande gebracht hätte. Der Grund liegt darin, daß eine Metaphysik der Erkenntnis die Bearbeitung des Kategorienproblems voraussetzt, ohne sie doch in ihren eigenen Rahmen ausnehmen zu können. Als ich vor vier Jahren die erste Auflage vorbereitete, trug ich mich mit der Hoffnung, eine spätere zweite Auflage schon auf eine durchgeführte und veröffentlichte „Kategorienlehre" stützen zu können. Die Schwierig­ keiten der Kategorialanalyse einerseits — sie werden mich, wie es scheint, noch ein Jahrzehnt fortgesetzter Arbeit kosten — und der über Erwarten schnelle Absatz der ersten Auflage andererseits haben diesen Plan vereitelt. So bleibe ich die eigentlichen ontologischen Grundlagen

In sichtbarer Form ist nur auf die großen geschichtlichen Ahnen der Erkenntnistheorie Rücksicht genommen. Diesem Erfordernis ist der zwischen die Problemanalyse und die eigentliche Theorie ein­ geschaltete „zweite Teil" gewidmet. Daneben sind in der Kritik der idealistischen Theorien gewisse Grundlehren der Neukantianer heran­ gezogen, wobei freilich, entsprechend der Art der Untersuchung, mehr was mich von ihnen scheidet, als was mich mit ihnen verbindet und was ich ihnen verdanke, zum Vorschein kommt. Die Einseitigkeit dieser Auswahl ist in der Sache begründet: nach dieser Richtung vor allem mußte eine ontologisch orientierte Erkenntnistheorie Klarheit schaffen. Positiver konnte das Verhältnis zur Phänomenologie gestaltet werden. Mit der tatsächlichen Arbeit ihrer Methode (nicht mit ihrer Methodenlehre) weiß ich mich in der Ausgangsstellung solidarisch. Die Art der theoretischen Verwertung des am Phänomen gewonnenen Materials ist notgedrungen in einer Metaphysik der Erkenntnis eine andere.

Mai 1921.

Vorwort zur zweiten Auflage. Die neue Auflage bringt in den Hauptteilen den Text der alten wieder. Die Änderungen und Ergänzungen beschränken sich auf das dringlichste: einige eingefügte Kapitel und Unterabschnitte, sowie den bisher noch fehlenden „fünften Teil", der dem Problemgebiet des Apriorischen einen Abschluß gibt. Dem Umfang nach ist das Hinzu­ gefügte nicht wenig. An der Aufgabe gemessen aber, vor die mich die Neuauflage stellte, ist es wenig — ein Bruchteil dessen, was die Sache erfordert hätte. Die Beschränkung mußte ich mir auferlegen, weil es sonst Jahre hätte dauern können, bis ich die Umarbeit, wie sie mir vorschwebte, zustande gebracht hätte. Der Grund liegt darin, daß eine Metaphysik der Erkenntnis die Bearbeitung des Kategorienproblems voraussetzt, ohne sie doch in ihren eigenen Rahmen ausnehmen zu können. Als ich vor vier Jahren die erste Auflage vorbereitete, trug ich mich mit der Hoffnung, eine spätere zweite Auflage schon auf eine durchgeführte und veröffentlichte „Kategorienlehre" stützen zu können. Die Schwierig­ keiten der Kategorialanalyse einerseits — sie werden mich, wie es scheint, noch ein Jahrzehnt fortgesetzter Arbeit kosten — und der über Erwarten schnelle Absatz der ersten Auflage andererseits haben diesen Plan vereitelt. So bleibe ich die eigentlichen ontologischen Grundlagen

auch diesmal schuldig und lasse das Buch mit einigen Ergänzungen wiedererscheinen, die den Charakter des Vorläufigen nicht verhehlen. Wenn ich aber erwäge, wie es in meiner eigenen Werkstatt noch mancher elementaren Arbeit bedarf, ehe die ontologischen Grund­ fragen spruchreif werden können, so will es mir scheinen, daß auch dem Leser, sofern er aus die Probleme selbst gestimmt ist und nicht auf greifbare Resultate, die offenen Fragepunkte in der jetzigen Be­ arbeitung eine bessere und wahrhaftigere Orientierung bedeuten dürften als antizipierende Ergänzungen, welche die Lücken verschleiern. Januar 1925.

Vorwort zur dritten Auslage. In den sechzehn Jahren, die seit der zweiten Auflage ver­ strichen sind, hat sich die Sachlage für die Metaphysik der Er­ kenntnis wesentlich verändert. Damals stand das Werk noch allein für sich da, in vielen Grund- und Grenzfragen mußte ich mich mit Andeutungen behelfen. Heute hat es an den drei ontologischen Bänden, die ich seither veröffentlicht habe, eine Stütze gefunden. Der letzte dieser Bände, der vom „Aufbau der realen Welt" handelt (Berlin 1940), bringt auch bereits den allgemeinen Teil der Kate­ gorienlehre und füllt damit die Lücke aus, die ich damals noch offen lassen mußte. Aus diesem Grunde glaube ich, diesmal die erkenntnistheoretischen Untersuchungen unbesorgt in unveränderter Form er­ scheinen lassen zu können. Sieht man sie im Zusammenhang mit den ontologischen Arbeiten an, so schweben heute keine Behaup­ tungen mehr in der Luft; und was einst gewagt erscheinen inochte, findet nun durch natürliche Eingliederung in einen ungleich wei­ teren Zusammenhang von Erörterungen diejenige Art von Be­ gründung, die im Felde erkenntnistheoretischer Probleme die allein mögliche sein dürste. Diese Eingliederung selbst in die Metaphysik der Erkenntnis übernehmen hieße, das in jenen Arbeiten Dargelegte noch einmal sagen: in extenso wäre es in ihr nicht unterzubringen gewesen, stark verkürzt aber bliebe es mißverständlich. Ich habe daher von aller Wiederholung abgesehen. Oktober 1940.

Nicolai Hartmann.

auch diesmal schuldig und lasse das Buch mit einigen Ergänzungen wiedererscheinen, die den Charakter des Vorläufigen nicht verhehlen. Wenn ich aber erwäge, wie es in meiner eigenen Werkstatt noch mancher elementaren Arbeit bedarf, ehe die ontologischen Grund­ fragen spruchreif werden können, so will es mir scheinen, daß auch dem Leser, sofern er aus die Probleme selbst gestimmt ist und nicht auf greifbare Resultate, die offenen Fragepunkte in der jetzigen Be­ arbeitung eine bessere und wahrhaftigere Orientierung bedeuten dürften als antizipierende Ergänzungen, welche die Lücken verschleiern. Januar 1925.

Vorwort zur dritten Auslage. In den sechzehn Jahren, die seit der zweiten Auflage ver­ strichen sind, hat sich die Sachlage für die Metaphysik der Er­ kenntnis wesentlich verändert. Damals stand das Werk noch allein für sich da, in vielen Grund- und Grenzfragen mußte ich mich mit Andeutungen behelfen. Heute hat es an den drei ontologischen Bänden, die ich seither veröffentlicht habe, eine Stütze gefunden. Der letzte dieser Bände, der vom „Aufbau der realen Welt" handelt (Berlin 1940), bringt auch bereits den allgemeinen Teil der Kate­ gorienlehre und füllt damit die Lücke aus, die ich damals noch offen lassen mußte. Aus diesem Grunde glaube ich, diesmal die erkenntnistheoretischen Untersuchungen unbesorgt in unveränderter Form er­ scheinen lassen zu können. Sieht man sie im Zusammenhang mit den ontologischen Arbeiten an, so schweben heute keine Behaup­ tungen mehr in der Luft; und was einst gewagt erscheinen inochte, findet nun durch natürliche Eingliederung in einen ungleich wei­ teren Zusammenhang von Erörterungen diejenige Art von Be­ gründung, die im Felde erkenntnistheoretischer Probleme die allein mögliche sein dürste. Diese Eingliederung selbst in die Metaphysik der Erkenntnis übernehmen hieße, das in jenen Arbeiten Dargelegte noch einmal sagen: in extenso wäre es in ihr nicht unterzubringen gewesen, stark verkürzt aber bliebe es mißverständlich. Ich habe daher von aller Wiederholung abgesehen. Oktober 1940.

Nicolai Hartmann.

Inhalt. Einleitung..........................................................................................................

Stitr 1

Erster Teil.

Phänomen und Problem der Erkenntnis. I. Abschnitt: Latz Unmetaphysische im Erlenntnisproblem. 1. Kapitel. Notwendige Unterscheidungen ............................................... a) Dreierlei Metaphysik............................................................................. b) Problemlage und Problemgehalt....................................................... c) Tas weitere und das engere Erkeuntnisproblem............................ 2. Kapitel. Das Psychologische im Erkenntnisproblem ...................... a) Erkennen als psychisches Geschehen................................................... b) Psychologismus und Antipsychologismus......................................... c) Gnoseologie und Psychologie............................................................. 3. Kapitel. Das Logische im Erkenntnisproblem.................................... a) Formale, ontologische und transzendentale Logik........................... b) Logik des Denkens und Logik des Gegenstandes............................ c) Erweiterung der logischen Sphäre ................................................... d) Das Logische und die apriorischen Prinzipien.................................. e) Der Panlogismus und die metaphysischenRestprobleme................ f) Logische Sphäre und ideale Sphäre................................................. g) Ideale und reale Ontologie...............................................................

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II. Abschnitt: Datz Metaphysische im tzrkenntnisproblem. 4. Kapitel. Gnoseologische Einstellung....................................................... a) Metaphysik und Kritik......................................................................... b) Phänomenologie und Aporetik ......................................................... c) Der Umfang des Gegebenen............................................................. 5. Kapitel. Analyse des Erkenntuisphänomens (Phänomenologie der Erkenntnis) .......................................................................... a) Das Grundphänomen des „Erfassens"............................................. b) Das „Bild" des Objekts im Subjekt................................................. c) Das transzendente Objekt als „Bestimmendes"................................ d) Aposteriorische und apriorische Erkenntnis....................................... e) Gnoseologisches Ansichsein................................................................... f) Grenzphänomene der Erkenntnis ..................................................... g) Die verschiebbare Grenze der Objektion........................................... h) Das Phänomen der Wahrheit........................................................... i) Ontologisches Ansichsein und die unversckiebbare Grenze der Ob­ jektion ..............................................................................................

33 33 35 39 43 43 44 46 47 50 52 52 54

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Seite

6. Kapitel. Analyse des Erkenntnisproblems enz verfolgt, das aktuelle (tatsächliche) Denken dem idealen anzunäherin. Dieses aber kann nur als ein dem idealen Sein angepaßtes gefaßt werden. Daraus ergibt sich dann weiter die Notwendigkeit, die logischen Gebilde in Denk­ gebilde umzudeuten, ihre Gesetze, Begriffe, Urteile und Schlüsse in Tenkgesetze, Funktionen, Akte, Setzungen und Methoden umzuprägen. Aber dem Logischen als solchem ist diese Umprägung nicht eigentümlich. Seine Strukturen werden von ihr nicht berührt oder zu etwas anderem gemacht, als sie an sich sind. Tas ideale Seiin als solches wird nicht zur Setzung, Begriff oder Schluß nicht zur Methode des Denkens. Tenken und Sein stehen hier weder im Verhältnis der Identität noch der wechselseitigen Abhängigkeit. Tie Abhängigkeit ist vielmehr eine durchaus einseitige, nicht umkehrbare: nur das ideale Tenken ist an das ideale Sein gebunden, nicht dieses an jen. Die Reflexion braucht deswegen keine totale zu sein, sie kann sehr wohl partial bleiben; auch die relativ vollkommenste Reaktivität kann eben sehr wohl eine unvollkommene sein. In dem Mikrokosmos des Subjekts kann ein bestimmter Ausschnitt des Seienden relativ genau repräsentiert sein, während das über dessen Grenze hinausliegende Seiende in unklarer Repräsentation verschwimmt und schließlich von einer ge­ wissen Seinsferne ab vollkommen außerhalb des Reaktionsradius des Subjekts zu liegen kommt. Das Bewußtsein ist dann der Jnnenaspekt eines solchen reagierenden und repräsentierenden Gebildes. Der repräsentierte Ausschnitt aus dem System des Seien­ den ist die Gegenstandssphäre seiner Erkenntnis, der „Hof seiner Objekte"; was jenseits derselben liegt, ist das Transobjektive. Daß nun der Jnnenaspekt eines reaktiven Gebildes „nur seine Inhalte enthält", also von den anderen Seinsgebilden nur die Repräsenta­ tionen, nicht aber sie selbst umfaßt, ist dann eine Selbstverständlichkeit. Daß diese Inhalte in ihm aber die außer ihm seienden Gebilde re­ präsentieren, ja nichts als repräsentierende Reaktionen seines We­ sens auf jene Gebilde sind, bleibt trotzdem bestehen. In ihnen wird dem Bewußtsein eben das Transzendente immanent erfaßbar. Hat man sich diesen rein wesensgesetzlichen Sachverhalt einmal klar­ gemacht, so fallen alle immanenzphilosophischen Paradoxien auf einen Schlag hin. Denn die Immanenz des Objektbewußtseins steht nicht im Widerspruch zur Transzendenz des Objekts. Sie ist einfach der gnoseologische Jnnenaspekt derselben funktionalen Abhängigkeit, welche das ontologische Wesen der Repräsentation aus­ macht. Der Jnnenaspekt nämlich umfaßt nur die Jnnenglieder der zwischen Subjekt und Objekt waltenden Seinsrelation. Wesentlich für dieses Gesamtbild bleibt es aber, daß die Sonder­ stellung des Subjekts unter dem übrigen Seienden, ontologisch genommen, keine absolute ist. Nur der Jnnenaspekt, das eigentliche Be­ wußtsein, scheidet es wesenhaft von anderen Gebilden. Um eine

„Erklärung" dieses Jnnenaspektes handelt es sich aber hier gar nicht — seine Bedingungen dürften in noch ganz anderem Maße irrational sein — sondern nur um das seiende Grundverhältnis zwischen dem Subjekt und den ihm objizierten Seinsgebilden, welches unter Vor­ aussetzung des Jnnenaspektes ein erfassendes Objektbewußtsein erst ermöglicht. Der Jnnenaspekt des Subjekts als solcher steht im Er­ kenntnisproblem gar nicht in Frage; er ist das Bekannteste, ja das einzig Bekannte, die Sphäre, in der sich die gnoseologische Überlegung bei ihren Ausgängen (bet Analyse des Phänomens) vorfindet. In Frage steht allein das Außerbewußte und seine Beziehung zur Innen­ welt des Bewußtseins. Und diese Beziehung ist offenbar eine viel allgemeinere als die Erkenntnisrelation. Sie besteht in mannigfaltigen Abstufungen zwischen allen Seinsgebilden. Auch die verschiedenen Typen der Wechselwirkung, welche die reine Mechanik, die Physik und die Bio­ logie entwickelt, dürfen als niedere Stufen derselben Grundbeziehung angesehen werden. Der Gedanke liegt nah, daß hierbei die niederen Stufen der Reaktivität allemal Bedingungen der höheren sind und in ihnen enthalten sind. Die Tatsache, daß nur ein Lebewesen Träger des Bewußtseins sein kann, fügt sich diesem Gesamtbilde zwanglos ein; desgleichen die biologische Tatsache, daß das Lebewesen seiner­ seits durch die ganze Stufenleiter der physikalischen Reaktionssysteme bedingt ist. Leibniz hat im Stufenreich der Monaden diesen Gedanken bis in seine Konsequenzen verfolgt. Aber damit ist nicht etwa eine „Erklärung" des Bewußtseins im naturalistischen Sinne gegeben, sondern durchaus nur das durchgehende Kontinuum eines onto­ logischen Zusammenhanges, in welchem das Bewußtsein ein­ gegliedert ist, innerhalb dessen aber das Spezifische seiner mikro­ kosmischen Innenwelt durchaus ein Novum bedeutet und ein Prin­ zip eigener Art voraussetzt. d) Die Pluralität der Subjelte und ihre gegenseitige Repräsentation.

Die ontologische Eingliederung des Bewußtseins in ein größeres allgemeines Beziehungssystem ist überaus wesentlich für die Be­ handlung des Erkenntnisproblems. Es ist nicht nur das Rätsel der Transzendenz in der Erkenntnisrelation, das sich in ihr lichtet. Auch die grundsätzliche Gleichstellung des Subjekts mit den übrigen Seins­ gebilden wird an ihr verständlich. Denn das Subjekt ist keineswegs nur Repräsentierendes, nur Jnnenaspekt; es ist auch Repräsentiertes, hat auch einen Außenaspekt, der in der Jnhaltswelt der Erkenntnis eine sehr wesentliche Rolle spielt. Das Subjekt kann auch Objekt

44. Kap. Das Ersassen des Objekts durch das Subjekt.

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sein, und zwar nicht nur inneres Objekt der Selbsterkenntnis, sondern auch äußeres Objekt sür ein anderes Subjekt: das Bewußtsein des fremden Subjekts zeigt es als Objekt unter anderen Objekten. Tie Seinsbeziehungen, in welche das Subjekt einbezogen ist, sind eben keine einseitigen, es sind Wechselbeziehungen. Alles Seiende bestimmt einander gegenseitig, reagiert gegen­ seitig aufeinander. Wo daher mehrere Subjekte einander gegenüber­ stehen, müssen sie auch auseinander reagieren, nicht anders als auf die übrigen Seinsgebilde. So sind sie süreinander Objekte unter anderen Objekten und repräsentieren einander, wie sie alles Seiende repräsentieren, das in ihren Realtionsradius fällt. Tie Irreversi­ bilität der Erkenntnisrelation, welche Subjekt und Objekt unver­ tauschbar macht, findet in der gegenseitigen Repräsentation der Subjekte ihre Grenze. Sie wird reversibel, wo das Subjekt selbst zugleich Objekt für ein Subjekt ist, wo das Repräsentierende zugleich Repräsentiertes für ein anderes Repräsentierendes ist. Genau genommen freilich wird nicht die Erkenntnisrelation als solche umge­ kehrt; das Bestimmende ist auch hier immer das Objekt, das Bestimmte das 'Subjekt. Nur das Zusammenfallen von Subjekt und Objekt in ein und demselben Seinsgebilde gibt ihr den reziproken Charakter. Das Wesen der Relation als solcher aber bleibt unberührt. Damit aber ist zugleich der Ausblick auf eine größere, gemein­ same, nicht dem Einzelsubjekt gehörige Erkenntnissphäre eröffnet. Daß die vielen Subjekte in einer und derselben Welt des Seienden stehen, ist zwar eine Selbstverständlichkeit, wenn überhaupt es eine Vielheit seiender Subjekte gibt. Daß'sie aber auch in ihrem Innen­ aspekt, ungeachtet ihrer inneren Verschiedenheit, bewußt in einer gemeinsamen repräsentierten Welt leben, während doch jedes selb­ ständig für sich die Welt repräsentiert und folglich seine eigene streng geschlossene Borstellungswelt hat, das ist nur möglich, wenn einerseits die allgemeinen Bedingungen der Repräsentation in ihnen die gleichen sind, und wenn andererseits sie sich gegenseitig repräsentieren. Die Welt der Objekte muß die Welt der Subjekte mit umfassen. Nur so kann es eine Erweiterung der individuellen Objekterkenntnis durch die Objekterkenntnis fremder Subjekte geben. Die sachliche Verständigung über gemeinsame Objekte ist nicht Bedingung dieses Verhältnisses, sondern beruht schon ihrerseits auf ihm. Da aber der Reaktionsradius des einzelnen Subjekts ein indi­ viduell bedingter ist und von dem der anderen Subjekte sehr ver­ schieden sein kann, so ergänzt sich die Objekterkenntnis des einen Subjekts durch die des anderen, sofern die Kommunikation der Innen­ aspekte in die allgemeine gegenseitige Repräsentation einbezogen ist, Hartmann, Metaphysik der Erkenntnis.

und in der Gemeinschaft dieser gegenseitigen Ergänzung erweitert sich die Erkenntnissphäre der Subjekte zu einem festen inter­ subjektiven Gefüge von Repräsentationen, deren Totalität in keinem einzelnen Subjekt mehr aufgeht. Sie gewinnt ein Gepräge von Objektivität, das wir im System der Wissenschaft als ein streng überindividuelles kennen. Die ontologische Grundlage dieser objektiven Erkenntnissphäre kann man als die Wechselbeziehung der Jnnenaspekte ver­ schiedener repräsentierender Gebilde bezeichnen, wobei der Bestim­ mungscharakter dieser Wechselbeziehung das Bild für einen durchaus transkausalen Typus der Reaktion ist. Die Bedingungen und Ge­ setze der intersubjektiven Übereinstimmung, die dieser objektiven Er­ kenntnissphäre zugrundeliegen, bilden ein besonderes Kapitel der Er­ kenntnistheorie, in welchem das Problem des Apriorischen und der mit ihm untrennbar zusammenhängenden „logischen Sphäre" die Zen­ tralprobleme bilden. e) Tie Aporie des „fremden Ich" und ihre Behebung in der Ontologie.

Das Problem des „fremden Ich" ist ein exemplum crucis des Idealismus, sowohl des empirischen als auch des transzendentalen und seiner Marten. Ist das individuelle Ich das einzig Reale, so ist das fremde Ich entweder eine Vervielfachung des Realen, oder es ist, wie die anderen Objekte, nichts als Vorstellung. Im ersteren Falle ist die strenge Idealität des Objekts durchbrochen, das fremde Ich als Objekt des eigenen macht eine Ausnahme in der Reihe der Ob­ jekte, es ist reales Objekt. Der empirische Idealismus darf ein solches nicht anerkennen, eine einzige Ausnahme durchbricht seine These und läßt es unbegründet erscheinen, warum gerade nur dieses Objekt real sein soll, während die übrigen Objekte bloß ideal sind. Die Aner­ kennung eines realen Subjekts neben dem eigenen läßt ihn unmittel­ bar in sein Gegenteil umschlagen, in empirischen Realismus. Im zweiten Falle aber, wenn das fremde Ich konsequent als bloße Vor­ stellung behandelt wird, nimmt der Idealismus die Form des Solipsismus an und hat dessen metaphysische Konsequenz zu tragen. Diese zeigt sich als ein wunderlicher regressus infinitus. Das fremde Subjekt ist auch ein Vorstellendes, seine Vorstellungswelt ist also für die des eigenen Ich eine vorgestellte Welt von Vorstellungen. Da aber diese fremde Vorstellungswelt auch weitere fremde Borstellungswelten vorstellt, die ihrerseits wiederum das gleiche tun, so erhalten wir im realen eigenen Subjekt eine Art Schachtelung der Borstellungs­ welten; es enthält die Vorstellung der Vorstellung der Vorstellung

44. Kap. Das Ersassen deS Objekts durch das Subjekt.

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usw. in infinitum. Die Konsequenz als solche mag natürlich zu Recht bestehen. Aber die Künstlichkeit der standpunktlichen Hypothese leuchtet an ihr ein. Im transzendentalen Idealismus verschwindet diese Schwierig­ keit nicht. Für ihn ist nur das „transzendentale Ich" real, das em­ pirisch individuelle aber ideal, sowohl das eigene wie das fremde. Das Verhältnis der Subjekte zueinander kam: ihm konsequenterweise also auch nur ein ideales sein. Der regressus infinites kehrt demnach ungeschwächt wieder, auch wenn er hier nicht als ein solcher der „Vor­ stellungen" gefaßt werden kann. Das gleiche trifft mutatis mutandis auf jede Art des metaphysischen, logischen oder phänomenologischen Idealismus zu. Jeder Jmmanenzstandpunkt steht eben ratlos vor der Vielheit und gegenseitigen Erkennbarkeit der Subjekte. Daß wir aber in den bekannten idealistischen Systemen auf diese Konsequenz nicht stoßen, hat einen sehr einfachen Grund: das Problem des fremden Ich wird in ihnen gar nicht gestellt, es ist in der Reihe der Fragen, von denen sie ausgehen, einfach überschlagen. Und diese Überschlagung muß hier freilich als weisliche Vorsicht anerkannt werden. Denn sobald ein idealistischer Standpunkt diese Frage ernst nimmt, hebt er sich an ihr auf. Der Idealismus kann nur bei einer bestimmten Auswahl von Problemen bestehen. Daß aber solche Aus­ wahl um des Standpunktes willen vor der Untersuchung kein kri­ tisches Verfahren ist, leuchtet ein, wenn man überlegt, daß die ab­ gewiesene Frage eben doch nichtsdestoweniger besteht und nur gestellt zu werden braucht, um den Standpunkt aus den Angeln zu heben. Die Ontologie schlägt auch hier den geradesten und einfachsten Weg ein. Sie nimmt das Gegebene in breitester Masse, läßt jedes stellbare Problem grundsätzlich gelten und nimmt es als gleichberechtigt mit allen anderen Problemen. Die Frage nach dem fremden Ich ist ihr so wesentlich wie nur eine andere. Sie orientiert sich von vorn­ herein nicht am theoretischen Problem allein, im Gebiete des Ethi­ schen aber ist das Verhältnis zum fremden Ich die Kernfrage. Aber auch das Erkenntnisproblem, wenn man es nicht künstlich auf das Logische beschränkt, ist wesenhaft an die Vielheit der Subjekte und ihr erkennendes Verhältnis zueinander gebunden; denn die Verschieden­ heit der Ansichten, Meinungen und Vorstellungen von derselben Sache ist durch sie bedingt. Diese Verschiedenheit aber bildet das alte Pla­ tonische Problem der Mfa. Erst im Gegensatz zu ihr wird die Frage der Verständigung der Subjekte, der Einheit der Wahrheit und des logisch überindividuellen Erkenntnisgehaltes aktuell. Diese aber bildet von jeher eine Zentralfrage der Erkenntnistheorie. Indem die Ontologie das fremde Subjekt als Problem in die

ti»

Objektfrage der Erkenntnis anfnimmt und ihm die gleiche Realität und Transzendenz zugesteht wie den übrigen Objekten, hebt sie die künstlich geschaffene Sonderaporie des „fremden Ich" mit einem Schlage auf und sichert sich zugleich den einzig möglichen Zugang zu dem alten, vielumstrittenen Problemzusammenhang von Meinung und Wissen (vas Epikur mit der eväqyeta, die Stoa mit der xatäx^yi;

meinte. So müßte in der Tat ein Kriterium beschaffen sein, diesen beiden Bedingungen müßte es entsprechen. Nur dürfte es freilich nicht in der einen oder der anderen Erkenntnisquelle selbst gesucht werden; denn die Wahrheit eben dieser Erkenntnisquellen ist es ja gerade, die in Frage steht, für sie wird das Kriterium gesucht. Der Fehler der stoischen Ansicht liegt nicht nur in der sensualistisch-einseitigen Bevorzugung der Wahrnehmung als „kataleptischer Vorstellung", und deswegen als Kriterium; ein viel größerer und prinzipiellerer Fehler liegt in der naiven Annahme, daß dieselbe xaralqyic, um deren Wahrheit es sich überhaupt erst handelt, zugleich ihr eigenes Kriterium sein könne. Und derselbe Vorwurf trifft die analogen Theorien intellektualistischer oder intuitivistischer Art. Der Sinn des Kriteriums ist vielmehr der, daß es ein Korrektiv zu einem vorhandenen Erkenntnisinhalt bildet. Es kann daher niemals diesem selbst entnommen werden, welcher Prove­ nienz er auch sein sollte; es muß durchaus einer von ihm unabhängigen Gegeninstanz angehören, die nötigenfalls auch gegen ihn Zeugnis ablegen kann. Daher kann es keinem Zweifel unterliegen, daß ein Kriterium der Wahrheit eines Erkenntnisinhalts nur in einer zweiten, von ihm unab-

66. Kap. Von der Möglichkeit eine- Kriterium- usw.

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hängigen Bindung an das Objekt bestehen kann. Ein einziges Zeugnis vom Gegenstände kann für sich genommen wohl wahr oder unwahr sein, aber es kann als solches kein Kennzeichen seiner Wahrheit oder Unwahrheit an sich haben. Ein solches tritt erst in den Kreis des Mög­ lichen, wo zwei Zeugnisse auf verschiedenen Wegen vom selben Gegenstände vorliegen und in einem Bewußtsein miteinander ver­ gleichbar werden. Ist nun diese „zweite Bindung" an das Objekt (von der die positive Aporic spricht, Kap. 6. d. 10.) int buchstäblichen Sinne als eine ganz neue, in der Erkenntnisrelation nicht enthaltene, in keiner Art des Erfassens vorhandene zu verstehen, so kann sie nur eine Art zweiten Erfassens neben dem eigentlichen Erfassen des Objekts, also eine Art zweiter Erkenntnis bilden, die der ersten und eigentlichen Erkenntnis gleichsam als Kontrollinstanz übergelagert ist. Dieses zweite Erfassen müßte dann nicht nur neben der sinnlichen Gegebenheit be­ stehen, sondern auch neben der apriorischen Einsicht, und damit zugleich auch neben allen konkret-komplexen Typen und Stufen der Gegen­ standserkenntnis. Damit würde sich aber das Erkenntnisproblem in außerordentlich künstlicher Weise komplizieren und die Fühlung mit dem Gehalt des Phänomens verlieren, auf dem es beruht. Denn von solcher Überlagerung der Bindungen und Relationen weißdasPhänomennichts. Das Kriterium müßte einen Charakter des Erfassens haben, der weder a priori noch a posteriori, noch auch aus beiden gemischt sein dürfte. Abgesehen davon aber müßte dieses Erfassen — und das ist die größte Schwierigkeit — im Gegensatz zu dem der inhaltlichen Erkenntnis ein absolutes sein, an dem kein Zweifel mehr möglich wäre, ein Er­ fassen also, das seinerseits keines Kriteriums mehr bedürfte. Denn wenn das Kriterium selbst wieder eines anderen Kriteriums bedarf, so ist es vielmehr gar kein Kriterium. Anderenfalls befände man sich mit ihm in einem regressus infinitus, in welchem die Unendlichkeit der Reihe gerade seine Gegebenheit als Kennzeichen für das Bewußtsein auf­ heben würde. Erst ein absolutes Erfassen (in der „zweiten Bindung") würde also ein wirkliches Kriterium des relativen Erfassens ergeben. Und zwar wäre ein solches dann selbst ein absolutes Kriterium. Aber wollte man ein solches im Ernst annehmen, so stieße man sofort auf zwei un­ überwindliche Mdersprüche gegen das Phänomen. Denn erstens ken­ nen wir in aller transzendenten Gegenstandserkenntnis keinen einzigen Typus des Erfassens, der Anspruch auf Absolutheit erheben könnte, an dem die Möglichkeit des Irrtums nicht wenigstens prinzipiell be­ stünde. Und zweitens widerspräche das Vorhandensein eines absoluten Kriteriums der Tatsache, daß das transzendente Wahrheitsbewußtsein ein durchaus relatives ist.

c) Gnoseologische Struktur und allgemeines Schema eines relativen Kriteriums.

So also ist das transzendente Wahrheitskriterium jedenfalls nicht zu verstehen. Es kann kein Erfassen neben dem Erfassen bedeuten, sondern muß in den vorhandenen Formen des Erfassens selbst schon enthalten sein. Das bedeutet aber, daß es sich überhaupt nicht um ein absolutes Kriterium handeln kann, sondern nur um ein relatives. Und das entspricht der Tatsache, daß wir im ganzen Gebiete der realen Gegenstandserkenntnis absolute Gewißheit nur als Ideal, nie­ mals aber als wirklich vorliegenden Fall kennen. Schränkt man aber das Problem auf die Frage nach einem relativen Kriterium der Wahrheit ein, so gewinnt die Forderung der Vergleichbar­ keit ein vollkommen anderes, dem Phänomen entsprechendes Gepräge. In dieser Einschränkung nämlich kann es sehr wohl in den phänomenal vorliegenden Formen des Erfassens enthalten sein. Denn dazu genügt es, wenn dieser Formen nur überhaupt mehr als eine sind, und wenn sie genügend heterogen und unabhängig voneinander sind, da­ mit die eine als Gegeninstanz und Korrektiv der anderen dienen kann. Das relative Kriterium der Wahrheit liegt dann in der Übereinstimmung zwischen zwei Erkenntnisinstanzen, die beide ein transzendentes Erfassen eines und desselben realen Gegenstandes sind, also in einer immanenten Übereinstimmung mit transzendenter Geltung. Die beiden scheinbar widersprechenden Postulate, die dem Kriterium anhaften, sind dann erfüllt: es ist transzendent, indem es die Geltung des Inhalts für den ansichseienden Gegenstand bezeugt; und ist doch zugleich immanent und kann dem Bewußtsein als Kennzeichen dienen, weil es zu ihm gehört und ihm als ein Moment der Kongruenz an seinen eigenen Inhalten gegeben ist. Die negative Aporie, nach welcher das Kriterium weder im Bewußtsein noch außer ihm sein kann, weil es im ersteren Fall nicht „vom Gegenstand", im letzteren nicht „für das Bewußtsein" gelten könnte, wäre damit zugleich behoben. Ein Wahrheitskriterium dieser Art hat komplexe, relationale Struk­ tur. Es hat für das Bewußtsein die Form einer rein innersubjektiven Relation zwischen Inhalt und Inhalt, d. h. zwischen den Inhalten zweier Erkenntnisinstanzen. Aber es geht nicht auf in dieser inneren Relation; sonst wäre es bloß das Kriterium immanenter Wahrheit, mit dem es die Jnnenstruktur gemeinsam hat. Eine Übereinstimmung, um die das Bewußtsein unmittelbar wissen soll, kann unmöglich eine andere als die zwischen Inhalt und Inhalt sein. Aber diese innere Übereinstimmung kann das Vehikel einer äußeren zwischen Inhalt und seiender Sache sein, wenn beide Inhalte bereits sachbezogen sind und diese ihre trän-

szendente Sachbezogenheit sich in ihrer innerbewußten Be­ ziehung aufeinander erhält. Das Vergleichen, d. h. das Bewußt­ sein der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zwischen ihnen ist dann von Hause aus eine Relation zwischen homologen Gliedern zweier anderer (transzendenter) Relationen, deren Gegenglieder im ontologischen Ausichsein der Sache, resp, des Sachverhalts, liegen. Dadurch wird die gnoseologische Struktur der Relation, in der das Kriterium besteht, komplex. Sie wächst aus der Dimension immanenter Beziehung zwischen Inhalt und Inhalt hinaus in die transzendente Dimension der Beziehung zwischen Inhalt und Sache und involviert so die transzendente Bedeutung der immanenten Jnhaltsbeziehung. Die relationale Struktur des Kriteriums besteht dann in einer Relation zwischen zwei Relationen, d. h. in einer immanenten Relation der ins Bewußtsein fallenden Glieder zweier transzendenter Relationen — denn jede transzendente Erkenntnisrelation reicht mit einem Gliede ins Subjekt, mit dem anderen aber ins reale Objekt —, oder in der Relation zweier Repräsentationsgebilde, die auf denselben seienden Gegenstand bezogen sind. Der Gegenstand bleibt auch hier transzendent, wie über­ haupt in aller Erkenntnisrelation; aber sofern seine Repräsentationen in ihrem gegenseitigen Verhältnis ein Kennzeichen der Übereinstimnlung mit ihm enthalten, so ist dieses Kennzeichen nichtsdestoweniger immanent und gleichwohl von transzendenter Geltung. Denn die Wahrheit der Repräsentationen besteht ja nicht selbst in ihrem gegenseitigen Verhältnis, sondern nur ihr Kriterium besteht in ihm. Sie selbst aber liegt voll und ganz im transzendenten Verhältnis beider zum Gegenstände. Im Schema (Fig. 4) kann man sich die komplex relationale Struktur des Kriteriums folgendermaßen klarmachen. A und B seien zwei heterogene, auf verschiedenem Wege gewonnene Repräsentationen des

Gegenstandes X. Jede von ihnen ist nichts als ein naiv hingenommener Inhalt, resp, ein Jnhaltsmoment, das für sich genommen keinerlei Kriterium seiner Übereinstimmung mit X enthält. A ist basiert auf der transzendenten Erkenntnisrelation a, B ebenso auf ß. Sofern sich nun aber A und B in einem Bewußtsein gegenüberstehen und beide mit dem Hartmann, Metaphysik der Trkenntnll.

Anspruch auftreten, X zu repräsentieren, so liegt in der Identität dieses ihres transzendenten Beziehungspunktes zugleich die Forderung, daß sie inhaltlich miteinander übereinstimmen müssen. Diese Übereinstimmung braucht keineswegs Deckung zu sein, weder totale noch par­ tiale, denn A und B können sich auf sehr verschiedene Seiten von X be­ ziehen; aber sie müssen sich doch irgendwie reimen oder zusammen­ passen, sie dürfen nicht Widersprechendes von dem identischen X be­ sagen. Tun sie letzteres, so muß entweder in A oder in B ein Fehler sein. Und zwar kann der Fehler dann nicht etwa in der inneren Relation K zwischen A und B allein liegen, sondern er muß notwendig in einer der beiden transzendenten Relationen a oder ß, oder auch in beiden, liegen. In diesem Sinne ist die Relation K, obgleich sie selbst eine rein imma­ nente ist, dennoch ein Kriterium der transzendenten Wahrheit von A, resp. von B. DennA und B sind die Jnnenglieder transzendenter Rela­ tionen, ihre beiderseitigen Gegenglieder liegen in X. Soweit das allgemeine Schema. Bevor wir bestimmte Inhalts­ werte in seine Struktur substituieren, ist a priori zu diskutieren, wieviel es für das Problem des Kriteriums positiv leistet. d) Diskussion des Schemas. Kompensation heterogener Fehlerquellen.

Es liegt auf der Hand, daß ein solches Kriterium an zwei sehr emp­ findlichen Mängeln leidet. Einerseits ist es nur ein sehr relatives, andererseits aber ein bloß negatives. Beides liegt in der Natur der Sache, weil die in Vergleichung tretenden Inhalte beide keine absolute Gewißheit haben, sondem jeder am anderen Halt sucht. Das Kriterium hat daher die logische Form der Diallele, und diese muß vor dem Anspruch der positiven Absolutheit versagen. Diesen Mangel aber teilt das Kriterium der transzendenten Wahrheit mit dem der immanenten. Und wie am letzteren durch ihn die Bedeutung als Gewißheitskenn­ zeichen nicht verloren geht, sondern eben nur relativiert wird, so auch am Kriterium der transzendenten Wahrheit. Hier wie dort handelt es sich ja nicht um isolierte Einzelerkenntnisse, sondern um größere Zusammen­ hänge, die letztlich in einen einzigen großen Erkenntniszusammenhang. eingefügt werden. In diesem hebt sich dann das Unstimmige an der relativ festen Gegeninstanz des vielfach übereinstimmend Bezeugten auf. Darum kann sich das Wahre hier zu unbegrenzt hohen Gewißheits­ graden erheben, denen gegenüber der Zweifel nur den Charakter einer theoretisch immer möglichen universalen Skepsis gegen die Erkenntnis transzendenter Gegenstände überhaupt behält. Das heißt aber, ein relatives Kriterium von komplex relationaler Struktur kann sich dem Charakter eines absoluten Kriteriums unbegrenzt nähern.

Damit aber nähert es sich zugleich auch dem Charakter des positiven Kriteriums. Das hängt mit der Heterogeneität der in Vergleich treten­ den Inhalte A und B zusammen. Sind diese nämlich nicht heterogen, gehören sie etwa beide dem gleichen Sinne an, so ist auch die Struktur der Erkenntnisrelationen a und ß in ihnen die gleiche, oder doch eine ganz eng verwandte. Stimmen nun A und B überein, so brauchen des­ wegen noch nicht beide wahr zu sein, denn beide könnten auf dem gleichen Fehler der Repräsentation beruhen, da ja die Relationen a und ß, in denen sie entstehen, wesensverwandt sind, den gleichen Weg des Umsatzes (den gleichen Modulus) haben und folglich auch die gleichen Fehlerquellen einschließen. In diesem Falle also bleibt das Kriterium rein negativ: Nichtübereinstimmung zeigt wohl die Unwahrheit von A oder B an, Übereinstimmung aber zeigt noch nicht Wahrheit an. Anders, wenn A und B heterogene Inhalte sind, wenn die zuge­ hörigen Erkerintnisrelationen a und ß vollkommen verschiedene Wege des Umsatzes einschlagen, auf denen wohl beiderseits Fehlerquellen, aber nicht die gleichen Fehlerquellen vorliegen. Wenn in diesem Falle A und B übereinstimmen, d. h. einander so ergänzen, daß sie ein wohlgefügtes Gesamtbild ergeben, so ist die Wahrscheinlichkeit ihrer beiderseitigen Übereinstimmung mit X relativ groß, und sie ergeben zusammen ein positives Kriterium von relativ hoher Gewiß­ heit. Denn da die Relationen a und ß verschiedene Struktur und Ge­ setzlichkeit haben, so ist nicht zu gewärtigen, daß in beiden derselbe Fehler vorliegen könnte. A priori läßt sich vielmehr erwarten, daß die Fehler von a mit denen von ß divergieren müssen. Dann aber müssen sie sich in Abweichungen oder Unstimmigkeiten zwischen den Inhalten A und B äußern, die in der immanenten Relation K sofort ein negatives Kriterium abgeben. Dabei nun ist es evident, daß der positive Wert des Kriteriums in der Übereinstimmung von A und B um so größer sein muß, je heterogener und unabhängiger voneinander die Rela­ tionen a und ß dastehen. Das Prinzip eines solchen Kriteriums ist aufgebaut auf der Kom­ pensation heterogener Fehlerquellen. Da sich Fehler nur negativ fühlbar machen können, so bleibt sein ursprüngliches Wesen ein negatives; und da Fehler sich nur im Vergleich kundgeben, so bleibt es auch ein relatives. Mer die Relativität schwindet in der Häufung des Materials, die Negativität mit der Mannigfaltigkeit und Zusammen­ hangslosigkeit seiner Provenienz. Je weniger das Erkenntnismaterial seine Zusammenhänge mitbringt, um so bedeutungsvoller werden die in der immanenten Beziehung sich herstellenden Zusammenhänge für die Gewißheit des Gesamtbildes. So kommt es, daß ein relatives Kriterium sehr wohl Kriterium absoluter Wahrheit sein kann. Und das

ist es, was im Problem gefordert ist. Denn Wahrheit und Unwahrheit sind absolut und bestehen gleichgültig gegen das Kriterium. Das Wahr­ heitsbewußtsein aber ist ein relatives. 57. Kapitel. Der Einschlag drS Apriorischen und Aposteriorischen int Kriterium der Wahrheit. a) Geschichtliche Vorgänge (Temolrit, Platon, Kant).

Die weitere Frage des Kriteriums hängt nun einzig daran, ob es ein solches Gegenüber zweier auf denselben Gegenstand bezogener Er­ kenntnisinstanzen gibt, die inhaltlich genügend homogen sind, um mit­ einander vergleichbar zu sein, und doch zugleich ihrer Struktur und Ge­ setzlichkeit nach genügend heterogen sind, um die gleichen Fehlerquellen attszuschließen. Es kann nach den vorhergehenden Abschnitten der Untersuchung über die Erkenntnis des Gegenstandes keinem Zweifel unterliegen, daß es tatsächlich zwei solche selbständige und einander heterogene Erkenntnisinstanzen gibt. Bevor wir aber die dort gewon­ nenen Resultate in das oben entwickelte Schema des Kriteriums sub­ stituieren, ist es von Interesse, sich von der Tatsache zu überzeugen, daß die Forschung nach dem Wahrheitskriterium von altersher diesen Weg genommen und den Gedanken der Konfrontation und gegenseitigen Ergänzung zweier heterogener Erkenntnisquellen im Bewußtsein aus­ gebaut hat. Sehr verscyieden sind hierbei nur die Fassungen der beiden Erkenntnisquellen selbst, sowie der Grad der Gewißheit und der Anteil am Kriterium, der ihnen beigemessen wird. Die antike Atomistik ging mit dem Gedanken voran, daß es Xdyot gebe, welche „von der Wahrnehmung Zugestandenes", also mit ihr libereinstimmendes, sagen und alles das, was der Identität des X6yo