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German Pages 655 [656] Year 2022
Grundthemen der Literaturwissenschaft: Autorschaft
Grundthemen der Literaturwissenschaft
Herausgegeben von Klaus Stierstorfer Wissenschaftlicher Beirat Martin Huber, Barbara Korte, Schamma Schahadat, Christoph Strosetzki und Martina Wagner-Egelhaaf
Michael Wetzel (Hrsg.)
Grundthemen der Literaturwissenschaft: Autorschaft
ISBN 978-3-11-029692-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-029706-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038908-1 ISSN 2567-241X Library of Congress Control Number: 2021947344 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet uber http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Die Reihe bietet substanzielle Einzeldarstellungen zu Grundthemen und zentralen Fragestellungen der Literaturwissenschaft. Sie erhebt den Anspruch, für fortgeschrittene Studierende wissenschaftliche Zugänge zum jeweiligen Thema zu erschließen. Gleichzeitig soll sie Forscherinnen und Forschern mit speziellen Interessen als wichtige Anlaufstelle dienen, die den aktuellen Stand der Forschung auf hohem Niveau kartiert und somit eine solide Basis für weitere Arbeiten im betreffenden Forschungsfeld bereitstellt. Die Bände richten sich nicht nur an Studierende und WissenschaftlerInnen im Bereich der Literaturwissenschaften. Von Interesse sind sie auch für all jene Disziplinen, die im weitesten Sinn mit Texten arbeiten. Neben den verschiedenen Literaturwissenschaften soll sie LeserInnen im weiten Feld der Kulturwissenschaften finden, in der Theologie, der Philosophie, der Geschichtswissenschaft und der Kunstgeschichte, in der Ethnologie und Anthropologie, der Soziologie, der Politologie und in den Rechtswissenschaften sowie in der Kommunikations- und Medienwissenschaft. In bestimmten Fällen sind die hier behandelten Themen selbst für die Natur- und Lebenswissenschaften relevant. Münster, im November 2017
Klaus Stierstorfer
Inhaltsverzeichnis Vorwort IX I Einleitung – Michael Wetzel I.1 Gründungsmythen 4 I.2 Krisendiskurse 10 I.3 Schauplätze 44 II II.1 II.2 II.3
Historischer Abriss – Michael Wetzel Vorgeschichte: Antike 79 Schreiben im Mittelalter 82 Der europäische Gründungsmythos vom schöpferischen Individuum: Renaissance 94 II.4 Barocke Regelwerke und die Genese des Copyrights 102 II.5 Der ‚klassische‘ Fehlschluss 113 II.6 Das romantische Erbe 128 Das 19. Jahrhundert und der Beginn des Marktes 135 II.7 Hybridisierungen: Moderne und Postmoderne 145 II.8 II.9 Perspektiven 166 Zur Konzeption des Bandes 168 II.10 III
Zentrale Themen/Fragestellungen
III.1 Dimensionen 201 Autorsubjekt und Werkherrschaft – Matthias Schaffrick 203 III.1.1 III.1.2 Autorschaft und Hermeneutik – Carlos Spoerhase und Marcus Willand 223 Geistiges Eigentum und Copyright – Eric Achermann 238 III.1.3 Genie und Autorschaft – Johannes F. Lehmann 259 III.1.4 III.1.5 Text, Schreiben, Intertextualität – Natalie Binczek 277 Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘ – Uwe Wirth 293 III.1.6 III.2 Inszenierungen 307 III.2.1 Auto(r)biographie – Carola Hilmes 309 Autofiktion. Zur Entstehung und Fortschreibung eines Textmodells III.2.2 mit Autorbezug – Claudia Gronemann 332 Autor-Masken und -Maskierungen – Anke Niederbudde 350 III.2.3 III.2.4 Autor-Bild – Matthias Bickenbach 366 III.2.5 Brief und Autorschaft – Jochen Strobel 382 III.2.6 Pop-Autoren – Thomas Hecken 397
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Inhaltsverzeichnis
III.3 Dezentrierungen 409 III.3.1 Kollektive Autorschaft – Stephan Pabst und Niels Penke 411 III.3.2 Autorschaft und literarischer Markt – Ute Schneider 429 III.3.3 Weibliche Autorschaft – Irina Gradinari 448 Autor und Kritiker: „Critics are authors, too.“ – III.3.4 Nicole Streitler-Kastberger 469 III.3.5 Der Autor-Übersetzer – Claus Telge 492 IV
Interdisziplinäre Verweise
IV.1 Sozialgeschichte 513 Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion – IV.1.1 Thomas Becker 515 IV.1.2 Systemtheorie – Ingo Stöckmann 531 IV.2 Kunsttheorien 541 IV.2.1 Autorschaft in den Bildkünsten. Forschungen über bildende Künstlerinnen und Künstler in Kunstgeschichte, Geschlechterforschung und Kunst – Sabine Kampmann 543 IV.2.2 Regietheater – Caroline A. Lodemann 555 IV.2.3 Autorenfilm. Der filmische Autor als Funktion des Autorendiskurses und die Funktionen filmischer Autorschaft – Jochen Mecke 564 IV.3 Medien 583 IV.3.1 Autorschaft und Medien – Gregor Schwering 585 IV.3.2 Vernetzte Autorschaft: Hypertext und Internet – Christiane Heibach 603 Autorschaft aus dem Blickwinkel der Akteur-Netzwerk-Theorie – IV.3.3 Jens Schröter 625 V Anhang Beiträgerinnen und Beiträger 635 Personenregister 636 Grundthemen der Literaturwissenschaft 646
Vorwort Handbücher signalisieren nicht nur, dass sie das Wissen zuhanden machen, ihr Name erinnert auch daran, dass ihre Inhalte aus vielen Händen stammen und durch viele Hände gegangen sind. Das fordert ein hohes Maß an Koordination und Kontrolle, das seine Zeit braucht. So ist auch dieses Projekt über etliche Jahre hinweg gewachsen und hat nach der intensiven Arbeit der Beiträgerinnen und Beiträger des Bandes noch ungezählte Arbeitsstunden an redaktioneller Abstimmung und Korrektur verschlungen. Für ihre Unterstützung dabei möchte ich daher meinem Mitarbeiter, Herrn David Börsting, herzlich danken, nicht zuletzt aber dem Lektorat des De Gruyter Verlags und besonders Frau Stella Diedrich und Herrn Marcus Böhm sowie bei der Herstellung Herrn Andreas Brandmair, die sich mit großem Einsatz um die Überwachung der Fahnenkorrekturen und vor allem die Herstellung des Registers bemüht haben. Auf die Erstellung einer Gesamtbibliographie ist aus zwei Gründen verzichtet worden. Zum einen gibt es in dem 2014 ebenfalls im De Gruyter Verlag erschienenen Überblicksband Theorien und Praktiken der Autorschaft von Matthias Schaffrick und Marcus Willand eine hervorragende, thematisch gegliederte Auswahlbibliographie, auf die verwiesen werden kann. Zum anderen erschien es für den Leser benutzerfreundlicher, am Ende der einzelnen Beiträge in den spezifischen Bibliographien die Verweise nachschlagen zu können, statt in einer riesigen Gesamtbibliographie nach ihnen zu suchen. Eine Verdoppelung von Einzelbeitrag- und Gesamtbibliographie hätte den Umfang des Bandes nur ungebührlich anwachsen lassen. Umfangsfragen sind bei solchen Mammutprojekten immer ein großes Problem, da sicherlich mancher Beitrag noch mehr hätte einarbeiten wollen. Der Wahrung des Umfangs ist auch eine letzte Bemerkung geschuldet, die den Umgang mit der männlichen und weiblichen Form von Personalbezeichnungen betrifft: Bis auf wenige spezielle Ausnahmen ist bei der Anführung von Personen die männliche Form als geschlechtsneutrale gewählt worden, die als Bezeichnung für männliche wie weibliche Figuren gemeint ist. Osaka im Frühjahr 2021
https://doi.org/10.1515/9783110297065-201
Michael Wetzel
Michael Wetzel I Einleitung
Die Frage nach der Autorschaft war nie so aktuell wie heute. Grund dafür ist paradoxerweise gerade eine Bedrohung der Wirkungsmacht dieses Konzepts einer selbstbewussten und individuellen Urheberschaft von Texten, das darüber hinaus auf die kulturellen Leistungen auch in anderen Künsten Anwendung fand. Seit der vor über einem halben Jahrhundert in polemischer Absicht propagierten Formel vom ‚Tod des Autorsʻ steht die Selbstverständlichkeit und damit die Gültigkeit überhaupt auktorialer Verfasserschaft zur Diskussion. Dabei geht die wirkliche Bedrohung oder Relativierung von Autorschaft nicht nur von internen Debatten und Kontroversen der literaturwissenschaftlichen Experten und der Spekulationen irgendwelcher strukturalistischer oder poststrukturalistischer Theoretiker aus, die den Anteil der individuellen Leistung am kreativen Akt für maßlos überschätzt halten. Auch die reale Situation der Veränderung von Informations- und Kommunikationsprozessen durch die digitalen Medien stellt eine Bedrohung sozusagen von außen dar, die Autoren vor völlig neue Produktionsbedingungen stellt. Die von Computern erzeugten Hypertexte und die im Internet frei zirkulierenden Datenströme haben zwei der wichtigsten Grundlagen der Autorschaft, nämlich ästhetisch die Originalität und ökonomisch das Copyright, immer mehr obsolet werden lassen. Und damit gewinnt die alte, aber unter neuen Bedingungen gravierender werdende Problematik an Dominanz: die Hinterfragung des im Begriff von Autorschaft verankerten Konzepts von Kreativität und davon abgeleitet desjenigen von geistigem Eigentum als individuelle Aneignung der eigentlich kollektiven Produktionen einer Kommunikationsgemeinschaft. Für Forscher der Künstlichen Intelligenz (KI) ist der Gedanke nicht mehr fremd, dass Maschinen originelle Leistungen erbringen, und angesichts der Dispositivität des intertextuellen Netzwerkes literaturgeschichtlicher Zitate erscheint ‚geistiger Diebstahl‘ als Normalfall. Die beiden großen Themen seit Jahren sind: Plagiat und Open Access. Plagiate hat es immer gegeben, was schon der lateinische Ursprung des Wortes signalisiert. Mit den neuen Plagiats-Skandalen kommt aber eine neue Dimension ins Spiel, indem Autoren bewusst die Legitimität des individuellen Urhebers im Namen einer hypertextuellen Postmoderne in Frage stellen, in der sich jeder jedes digital zur Verfügung stehenden und durch copy and paste aneigbaren Textes bedienen kann und daraus ein neues, montiertes Elaborat basteln kann. Ähnliches gilt für die Diskussion der Autorenrechte angesichts der freien Verfügung über Texte im Netz. Eine jede Thematisierung von Autorschaft sieht sich so mit der Aporie konfrontiert, dass eine historische Analyse künstlerischer Kreativität faktisch mit kollektiven Entstehungsprozessen konfrontiert wird, aber ideologisch auf die Vorstellung eines autonom schaffenden Individuums bezogen bleibt. Es ist diese aktuelle Krisensituation, die rückblickend die Frage stellt, ob Autorschaft als Kriterium eines individuellen Schöpfertums oder Wahrung von https://doi.org/10.1515/9783110297065-001
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Einleitung
Verwertungsrechten am geistigen Eigentum dieser Schöpfungen für die Zukunft überhaupt noch eine Rolle spielt oder ob der Umgang mit kulturellen Artefakten nicht vom Wert der Autorschaft befreit werden sollte. Die begriffsgeschichtliche Entwicklung weist so eine signifikante Umkehrung auf, die das mit der Vorstellung von Moderne verbundene Idealbild des Autors in den neueren kritischen Diskursen nur noch im Geiste einer Restauration auftauchen lässt. In diesem Sinne versuchen die Beiträge dieses Handbuches die Bedeutung dieser ‚Krise der Autorschaft‘ hinsichtlich der Reichweite der konstitutiven Aspekte sowie der Stationen der Entstehung der verhandelten Geltungsansprüche zu rekonstruieren, um so die Genealogie eines der wichtigsten Gründungsmythen der europäischen Moderne nachzuvollziehen.
I.1 Gründungsmythen Autorschaft ist kein unbedingt originelles Thema. Angesichts der Fülle der seit Jahren vor allem den deutschen Buchmarkt überschwemmenden Monographien und Sammelbände zum Thema fühlt sich jede weitere Publikation verpflichtet, eine Art von Daseinsberechtigung zu liefern. Bei einem Handbuch stellt sich natürlich auch die Frage, warum erst jetzt das Thema so grundsätzlich angegangen wird (nach der schon repräsentativ umfassenden Darstellung der Theorien und Praktiken der Autorschaft von Schaffrick und Willand 2014 und dem eher beliebigen Überblick des Cambridge Handbook of Literary Authorship von Berensmeyer et al. 2019). Aber mit dieser Aktualisierung der Fragestellung wird auch schon ein grundsätzliches Problem berührt. Dass das Thema für die gegenwärtige Literaturwissenschaft einen so ausgezeichneten Stellenwert hat, versteht sich – ohne theoretische Positionierungen vorwegzunehmen – aus dem generellen Interesse der Moderne, den individuellen Produzenten von Kunstwerken eine besondere Anerkennung und Verehrung zu erweisen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass dem Konzept der Autorschaft die sich am Ende des Mittelalters durchsetzende und als Inbegriff für den Neuanfang, die Renaissance der Moderne, stehende Idee des Individuums zugrunde liegt, die davon ausgeht, dass kulturellen Schöpfungen ein individuell identifizierbares Subjekt als Ursache oder im modernen Verständnis als Urheber von Neuem zuzuordnen sei (Wetzel 2020a). Werke (Texte, Bilder etc.) verdanken aus dieser Sicht ihre Existenz weder der Offenbarung eines Gottes oder vieler Götter noch dem Wirken der Naturkräfte, sondern der kreativen Entscheidung eines Autors. Autorschaft drückt also eine Nobilitierung der schreibenden und bildenden Subjekte aus, die ihnen Autorität bzw. Auktorialität verleiht.
Gründungsmythen
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Auf drei, historisch nacheinander sich entwickelnden Sinnebenen wird diese auctoritas zunächst ästhetisch aufgrund der Originalität der Neuschöpfungen verliehen, bevor im 17./18. Jahrhundert der Autor zum hermeneutischen Schlüssel der Bedeutung des Werks erklärt wird und schließlich ab dem 18. Jahrhundert seine juristische Rolle als alleiniger Besitzer des geistigen Eigentums an seinen Produktionen gefestigt wird. Im „Kreativitätsdispositiv“ (Reckwitz 2012, 15) kommt am deutlichsten der Gründungsmythos der Autorschafts-Idee zum Ausdruck, der sich auch als säkularisierender Prozess der Apotheose des Individuums als gottgleicher Schöpfer beschreiben lässt, „to fill the theological void“ (Burke 2011, 21), und als Emanzipation von bloßer Handwerklichkeit, um – zumindest seit Aufkommen der Kreativitätsmythen vom Genie – den Kern der Inspiration als ontotheologisches Geheimnis der Schöpfung zu umkreisen. Mit der Renaissance wird dieses Selbstverständnis von Originalität, Kreativität und Inspiration zu einem Programm der Selbst-Bildung durch Autorschaft, das – vergleichbar mit dem Aufkommen des Autoporträts in der Malerei – Autorschaft in Form von Biographien und Autobiographien (als sozusagen ‚Erschreiben‘ des eigenen Lebens aus der eigenen Feder) praktiziert. Aufgrund dieser Autorität des Autors über sein Werk setzte sich aus hermeneutischer Perspektive das Prinzip einer in der Intention des Autors begründeten Authentizität der Werke durch. Am einfachsten wurde dieses Prinzip im Zusammenhang der vom amerikanischen New Criticism ausgelösten Kontroverse von Autor- vs. Text-Intention auf die Formel gebracht: „what a text means is what its author intends“ (Knapp und Michaels 1985 [1982], 13) bzw.: „meaning is just another name for expressed intention“ (30). Moderne Hermeneutik braucht also die Kategorie ‚Autorschaft‘ zwingend, um den Sinn von Texten aus dem originalen Kontext der Autorintention zu rekonstruieren (Compagnon 1998, 68), die zugleich die „Verantwortlichkeit“, „la responsabilité de l’auteur sur le texte et la signification du texte“ (51) begründet, aus der sich dann auch die juristische und ökonomische Autonomie von Autoren im Sinne der „Werkherrschaft“ (Bosse 1981) über die Verwertungsrechte herleitet. Dabei gerät gerade bei neueren Diskussionen des Copyrights oft in Vergessenheit, dass dessen Berechtigung mit dem hermeneutischen (Vor-)Urteil der allein entscheidenden Autorintention zusammenhängt, denn in dem Maße, wie sich die Bedeutungsintention des Textes (das unbestreitbare ‚Sagen-Wollen‘ der Texte) von der Instanz des Autors als „présupposé immanquable de toute interpretation [unvermeidliche Voraussetzung jeder Interpretation]“ (73) ablöst und Werke ihre historische Wirkungskraft darin zu bekunden beginnen, dass sie die ursprüngliche Intention ihrer Autoren transzendieren und mit jeder Epoche ihrer Rezeption etwas Neues bedeuten wollen (vgl. 98), wird auch die Wahrung eines geistigen Eigentums problematisch.
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Einleitung
Genau an dieser ‚Bruchstelle‘ von Autorschaftsbegründungen im Verhältnis zum Werk und zur Autonomisierung der Rezeptionsgeschichte setzt die Kritik von Barthes, Foucault et al. an. Die Doppeldeutigkeit einer so zentralen Kategorie wie der Intention, die sich auf die Absicht des Autors, sein Ausdrucks-Wollen, aber auch generell auf die Gerichtetheit auf einen Sinn des Textes oder das Sagen-Wollen des Textes selbst beziehen kann, legt schon den Gedanken einer Einschränkung der Macht des Autors über die Bedeutung nahe. Ausgehend von der Sprache bzw. semiologischen Symbolsystemen als mediale Voraussetzung für Sinngebung hatte der Strukturalismus in den 60er Jahren und darüber hinaus der Poststrukturalismus die Autorität eines souverän entscheidenden Subjekts grundsätzlich in Zweifel gezogen und die entsprechenden Theorien der Autorschaft als ideologische Konstruktion einer parasitären Aneignung attackiert. Die Aufarbeitung einer Begriffsgeschichte der Autorschaft war also zunächst motiviert durch eine Suche nach den Grenzen des Begriffs, nach der historischen Relativität. Allerdings war besonders die deutschsprachige Rezeption dieses Ansatzes durch das Missverständnis einer poststrukturalistischen „Leugnung von Autorschaft“ (Pabst 2011, 7) belastet, da man die kritische Hinterfragung des Autors mit dessen Abschaffung verwechselte. Gut dreißig Jahre später formierte sich daher eine andere Front unter dem Namen einer ‚Rückkehr des Autors‘, die gute Gründe im Kulturleben gefunden zu haben glaubte, die für eine Unverzichtbarkeit der individuellen Instanz als Adressat für literarische Kreativität sprachen. Die von der stichwortgebenden Publikation zur Rückkehr des Autors (Jannidis et al. 1999) angeregten Untersuchungen, ergänzt um den Materialband Texte zur Theorie der Autorschaft (Jannidis et al. 2000) mit einer zusammenfassenden Einleitung zu Thema „Autor und Interpretation“ (7–29) erschöpften sich entsprechend vor allem in historischen Vertiefungen der Positionen und Revisionen des Konzepts von Autorschaft, das unter den traditionellen Kriterien Inspiration, Kompetenz, Autorität, Individualität, Stil, Intention und Copyright diskutiert und gegenüber den Theorien von ‚Text‘, ‚Erzähler‘, ‚impliziter Autor‘ und nicht zuletzt den Problemfeldern ‚Politik‘ und ‚Medien‘ spezifiziert wird. Kurz darauf erschien der Tagungsband Autorschaft Positionen und Revisionen (Detering 2002), der das Begriffsfeld unter den Gesichtspunkten der Gegensätze von ‚Regeltreue und Genie‘, ‚Individuum und Kollektiv‘, ‚erzähltem und fingierte Autor‘ sowie ‚abwesendem und öffentlichem Autor‘ beleuchtete. Für den bereits genannten Band Theorien und Praktiken der Autorschaft (Schaffrick und Willand 2014) haben die Herausgeber dann für ihre einleitende Darstellung der Autorschaft im 20. Jahrhundert (3–148) die vier Themenkomplexe der hermeneutischen Autorschaftstheorien, der poststrukturalistischen Autorschaftstheorien, der Fiktionstheorien und Narratologien sowie der Inszenierung von Autorschaft herausgestellt.
Gründungsmythen
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Was in der weiteren Folge Forschungsarbeiten der letzten zwei Jahrzehnte an einschlägigen Monographien vorgelegt haben, erstreckt sich auf schlichtweg alle Epochen der zumindest abendländischen und amerikanischen Literaturgeschichte. Zumindest in der Literatur- und Kulturwissenschaft, verstärkt aber auch in der Kunstwissenschaft ereignete sich in der Tat eine ‚diskursive‘ Rückkehr des Autors, wobei neben der Konzentration auf einzelne Autorinnen und Autoren eine Verlagerung des Forschungsinteresses auf zwei Themenkomplexe zu beobachten war: den performativen Aspekt der öffentlichen Inszenierung von Autorschaft in den Medien (Fotografie, Radio, Presse, Fernsehen, Internet), oft verbunden mit dem neuen Phänomen der Pop-Literatur, für die das Auftreten des Autors Teil der Werkgenese ist; und die zunächst auf den französischen Kulturraum beschränkte Wendung der Autobiographie-Thematik zur Autofiction als Applikation der Inszenierungsstrategien von Autorschaft auf eine bestimmte selbstreflexive Erzählpraktik, die den Autor als Fiktion seiner selbst wiederkehren lässt. Bei all diesen Diskussionen gilt es aber stets den entscheidenden Unterschied zwischen Autorschaft und Autor zu beachten. Zur Debatte steht eigentlich immer nur das Konzept von Autorschaft als Autorisierung, Nobilitierung, Inszenierung des Autors, nicht die Existenz des Verfassers. Ob man Autorschaft vom Substantiv auctoritas als Ermächtigungsformel für das Schreiben oder vom Verb augere als ersten Hinweis auf ein mehrendes Kreativitätspotential ableitet: als Auszeichnung für den Urheber wird der Begriff oder genauer seine gegebene oder auch fehlende Indikation eines Subjektnamens erst problematisch, wenn man ihn ideologisch auflädt und als Epizentrum der semantischen Bewegungen des Textes behandelt. Auf jeden Fall hat man es zunächst nur mit Namen zu tun, die auf Personen ‚verweisen‘, mittels einer „Konstruktion, wonach ein Name für Funktionen steht, die den Umgang mit bestimmten (literarischen) Diskursen innerhalb des Mediums Schrift/Buch regeln“ (Städtke 2003, VII). Im Autornamen konzentriert sich gleichsam die Kraft, die die „imaginäre Existenz des Autorsubjekts“ belebt: „Sobald der Name eines Autors erwähnt wird, tritt er aus als sinnbildende Kraft in Erscheinung. Mit dem realen Individuum hat diese Präsenz freilich wenig zu tun. Es handelt sich vielmehr um ein synthetisiertes Subjekt, das sich über die Schrift oder die Rede in der Vorstellungswelt von Lesern und Interpreten konstituiert.“ (Schöttker 2001, 267) Ein anderer Name für diese Aufladung ist „Ruhm“ (267), der seit dem Renaissance-Ideal des ‚heroischen‘ Individuums auch mit der Unsterblichkeit des Autors in Verbindung gebracht wird (vgl. Schöttker 2000), um den Preis allerdings einer umstrittenen Anerkennung im realen Leben. Zahlreiche literarische Beispiele der Begegnung von realen Autoren von E.T.A. Hoffmann bis Peter Handke mit ihren Lesern zeugen von der Enttäuschung durch den Nichtglauben an ihre Existenz als lebendige Verkörperung des Verfassers (vgl. Wetzel 2020a, 19).
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Einleitung
Allen Ursprungsmythologien zum Trotz bietet die Forschung eher ein Bild, in dem Autorschaft im Sinne z. B. der begriffsgeschichtlichen Trias von „Ikonen – Stile – Institutionen“ (Meier und Wagner-Egelhaaf 2011) an heteronome Voraussetzungen der Diskursivität gebunden erscheint, denen sich die Autonomie des Autors als diskursiver Effekt verdankt. Zu unterscheiden ist nämlich zwischen einer Rede von oder über Autoren und dem „Autorschaftsdiskurs“: „Im Unterschied zum Autor gehören die Autorschaftsdiskurse, wenn man sie nicht deckungsgleich mit den Autordiskursen ansetzt, in den Bereich der Produktionstheorien. Sie fragen nach der Genese und den zugrundeliegenden Dispositionen und Faktoren von allgemeiner Text- bzw. spezifischer Literaturproduktion. Dadurch lässt sich anderes sichtbar machen als in der Rede über den Autor.“ (Kleinschmidt 2004, 13) Die Abhängigkeit des Redens über den Autor von den Autorschaftsdiskursen liegt in der Notwendigkeit einer Begründung dafür, dass Verfasser von Texten mit dieser Nobilitierung ausgezeichnet wurden, einer Legitimität von Werkherrschaft durch das „Kreativitätsdispositiv“ (Reckwitz): „Aber auch die spätmittelalterliche ‚Erfindung‘ des Autors nach antiken Vorgaben und ihrer hochmittelalterlichen gelehrten Teilrezeption hat damit zu tun, daß die Berechtigung und Notwendigkeit zu schreiben begründet werden muß. Hierher gehören dann auch die Denkfiguren der Authentizität, der Wahrhaftigkeit, der Mimesis oder der Originalität“ (13). Es bleiben diskursive Figuren, in denen die Verantwortung für das Geschaffene auch im Sinne einer Rechtsperson wurzelt, keine realen Personen, die nur im Konjunktiv hinzugedacht werden können: „Der Text inszeniert Autorschaft als seine produktive Medialität, deren personale Konkretisation der Autor, die Autorin wäre.“ (14) Gerade die Thematik der Authentizität impliziert solche Fragen nach den textuellen bzw. medialen Inszenierungsstrategien, denen Autorschaft als Dispositiv, d. h. ermöglichende Begriffskonfiguration zugrunde liegt. „Autorschaft als Sammelbegriff solcher Disposivität“ (15) bezieht sich also genau genommen nicht auf die reale Person als Produzenten von Texten, sondern auf die Konfiguration verschiedener Bezeichnungen bzw. Funktionen derselben (wie z. B. ‚Schöpfer‘, ‚Inspirierter‘, ‚Verfasser‘, ‚Urheber‘ etc.) derselben im Werkprozess. Authentizität im etymologischen Sinne von „Eigenhändigkeit“ (Knaller 2006, 18 u. Wiefarn 2010, 11, 17) bezieht Werk und Autornamen aufeinander, wobei zwischen der Authentifizierung von Autorschaft z. B. durch Stilanalyse, Handschriftenvergleich oder werkinterne Referenzen und der Authentisierung von Autorschaft als Auratisierung des Autors auf dem Wege von „eingeübten Rhetoriken und gesellschaftlich verankerten Mustern und Ritualen der Echtheitszuschreibung“ (Sabrow und Saupe 2016, 10) wie z. B. durch Autorbilder, Reliquien der Schreibutensilien, aber auch durch Anekdoten oder Biographien unterschieden werden muss.
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Die Schwierigkeiten der ‚Erfassung‘ eines Autors beginnen aber schon bei der ‚Echtheit‘ seiner Urheberschaft von sprachlichen Kunstwerken. Denn eine wichtige Voraussetzung dafür, die Sprache, ist selbst immer eine Voraussetzung, die vom Autor nicht geschaffen werden kann, sondern nur in individueller Weise umgeformt wird. Gilbert Adair schreibt in seinem Roman Der Tod des Autors zurecht: „Die Wörter wissen Bescheid. Niemand besitzt sie, und niemand kann bestimmen, wie sie gelesen werden sollen, schon gar nicht ihr Autor.“ (Adair 1997 [1992], 36) Schon die Etymologie von ‚Urheber‘ birgt diese Fragen. In der ‚Fusion‘ mit dem Begriff ‚Autor‘ wird die Abhängigkeit von Anderem hinter der Maske von Autonomie verdeckt: „Auch der Urheber ist derjenige, der erstmalig eine Sache aufhebt oder in Angriff nimmt, welche damit also, bleibt man im Bild, wie die Quelle schon vorhanden sein muß. Was sich dann über den auctor entfaltet, ist keine neue Bedeutung, sondern im Akt der Entfaltung (dilatatio) emergiert eine neue semantische Spannung oder Intensität (lat. intensio), die die nicht zuletzt zwischen Quelle und ihrer sprachlichen Neufassung besteht.“ (Bleumer 2015, 17) Und wenn man die kreative Leistung nicht auf den Begriff des Kunstwerkes einschränkt, kommt man an die Grenze der oft gestellten Frage, ob nicht auch der Verfasser eines ganz alltäglichen Briefes oder einer E-Mail als deren Autor begriffen werden muss, bzw. wo die Grenze zwischen Schreiber, Verfasser und Autor (vgl. Hoffmann 2017) zu ziehen ist, und ganz konkret, editionsphilologisch, ob beispielsweise die Listen von Hegels Weinbestellungen oder Goethes Amtsverordnungen als Weimarer Minister eine Autorhandlung darstellen und Werkrelevanz besitzen. Die französische Sprache hat sogar das Verursachungs- bzw. Verantwortungsprinzip ganz vom Sprachlichen abgekoppelt und bezeichnet grundsätzlich Handlungsträger – auch Täter eines kriminellen Aktes – als auteur. In Bezug auf die historischen Sinnkonfigurationen des Autorbegriffs muss man zwischen denjenigen Ideen unterscheiden, die jenseits der heutigen Vorstellung von Autorschaft als Gründungsmythen angelegt sind, und den semantischen Einsätzen für die Konstitution des so genannten ‚rück-‘ oder ‚wiederkehrenden‘ Autors. Die grundsätzlichen Fragen des ‚Ursprungs‘ betreffen eher den metaphysischen, genauer theologischen Bereich einer grundsätzlichen Suche nach den Schöpfern dieser Welt im Sinne der von Heidegger wieder in Erinnerung gerufenen metaphysischen Grundsatzfrage, warum ist etwas und nicht vielmehr nichts. Dagegen bleiben die drei genannten Themenkomplexe konstitutiv für die Bedeutung von Autorschaft: – der ästhetische: als Frage nach der Kreativität, der stilistischen Neuheit, nach Innovation und Originalität; – der hermeneutische: als Frage nach dem Zusammenhang von Autor, Werk und Leser im Kontext der Kategorien von Urheber, Intention, von Autorität und Authentizität;
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– der juristisch/ökonomische als Frage nach der Verantwortung und dem geistigen Eigentum, nach der Rechtsgültigkeit von Signaturen und der der Regelung des Copyrights und nicht zuletzt nach der Justiziabilität von Plagiatsfällen. Besonders das Thema des Plagiats (vgl. Theisohn 2009 u. 2012 sowie Reulecke 2016) stellt einen neuralgischen Punkt dar, da in der postmodernen Diskussion um hypertextuelle bzw. internet-orientierte Schreibweisen gerade die einst konstitutive Autorschafts-Werteordnung von Originalität und Eigentum zu Fall gebracht wurde. Der Fall „Helene Hegemann“ mit seiner aufgeregten Diskussion zeigte aber – wie die juristisch ganz anders gelagerten, nämlich die ‚Eigenhändigkeit‘ einer wissenschaftlichen Leistung zur Erlangung eines Titels betreffenden Plagiatsskandale bei Doktorarbeiten vor allem von Politikern –, dass eine Sensibilität für die moralische Verletzung des geistigen Eigentumsrechtes für erhitzte und kontroverse Debatten sorgte; und dass ein Bewusstsein des Anachronismus von individueller Autorschaft im Zeitalter digitaler Kommunikation durchaus mit der Würdigung von Autoren als Schöpfern von Neuem koexistieren kann.
I.2 Krisendiskurse 1 Der „Mythos“ vom Tod des Autors Die ubiquitäre und unvermindert anhaltende Rückbeziehung aller Beiträge zur neueren Diskussion von Autorschaft auf die beiden kanonischen Texte Roland Barthesʼ Der Tod des Autors (1968) und Michel Foucaults Was ist ein Autor? (1969) verkennt oft, dass diese beiden Paradebeispiele einer ‚poststrukturalistischen‘ Polemik gegen traditionelle Positionen keineswegs die einschneidende Wirkung eines völlig neuen Paradigmenwechsels darstellen, sondern die Elemente eines seit Anfang des 20. Jahrhunderts sich anbahnenden Paradigmenwechsels in eine punktuell neu auf den Begriff des Autors ausgerichtete Konstellation bringen, die über den polemischen Gestus der beiden Essays hinaus zugleich im Kontext des Gesamtwerks von Barthes und Foucault gespiegelt werden muss. Allein der Begriff ‚Poststrukturalismus‘ verweist trotz seines Gestus der Überschreitung auf die Herkunft aus dem ‚Strukturalismus‘ eines Ferdinand de Saussure, der zwar der Frage der Autorschaft keine Aufmerksamkeit geschenkt hat, aber mit seiner Beschreibung der Sprache als autonom funktionierendes System von paradigmatischen und syntagmatischen Substitutionen und Kombinationen von Zeichenrelationen keinen Zweifel daran gelassen hat, dass eine individuelle Sinnschöp-
Krisendiskurse
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fung in diesem Gefüge von Signifikanten und Signifikaten keinen Stellenwert hat. Auch im russischen und Prager Formalismus und Strukturalismus (vgl. Schaffrick und Willand 2014, 10–12) kommt der Autor nur als Überbauphänomen zur Sprache, das für die literarische Sinnentstehung nicht notwendig ist, sondern nur als „Lebensillusion“ für den Leser (Tomasevskij 2000 [1925], 53) oder als wunschhafte Unterstellung eines „Urhebers“ (Mukarovsky 2000 [1966], 68) fungiert (spez. zum Einfluss auf Foucault vgl. Vassilieva 2018). Für die Weiterentwicklung zum ‚Post‘-Strukturalismus, der an die ganz andere Tradition der drei ‚Meisterkritiker‘ Nietzsche, Freud und Husserl bzw. genauer Heidegger anknüpft, kommt als entscheidend neues Element die ontologische Wende dieses Zeichensystems hinzu, die in Heideggers Nominierung der Sprache als ‚Haus des Seins‘ eine entscheidende ‚Fundierung‘ erfährt und im literarischen Verhältnis von Autor und Werk die hermeneutische Konsequenz eines konstitutiven Vorwegseins der Sprache vor dem individuellen Sprechen impliziert [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft]. Heideggers berühmte Formulierung dieser Autonomie der Sprache lautet: „Die Sprache spricht“, während der Dichter nur „spricht, indem er der Sprache entspricht“ (Heidegger 1959, 32). Jacques Lacan geht mit seiner dezentrierenden Heteronomisierung des Subjekts noch einen Schritt weiter, indem er seine These von der Sprachstruktur des Unbewussten mit einer weiteren These verknüpft, dass es die Sprache des ‚Anderenʻ sei, die dem jeweils eigenen Sprechen immer schon voraus ist (vgl. Burke 2008, 96–100). Alle sprechenden Subjekte sind per definitio nicht Herr ihrer Sprache, sondern ihr (als Sub-jekte) ‚unterworfen‘, denn sie müssen sich auf sie als symbolische Ordnung der Repräsentation durch den Anderen hin entwerfen, in der sie nur entfremdet zu sich selbst kommen und Eigenes im Sinne der Originalität von Autorschaft nur als ‚Angeeignetes‘, der Sprache des Anderen ‚Entwendetes‘ präsentieren können (vgl. Lacan 1975 [1966]). Sprache spielt dabei für Barthes eine wesentliche Rolle als ‚Schrift‘, französisch „écriture“ (was auch als ‚Schreibweise‘ übersetzt werden kann), die als Medium der ‚Dezentrierung‘ des Subjekts fungiert. Seit den ersten Arbeiten fasziniert ihn an der Schrift das Moment einer „Abwesenheit“, die in einer neutralen Schreibweise, einer „Schreibweise im Nullzustand“ (Barthes 1982 [1953], 11) zum Vorschein kommt und dem Schriftsteller gegenübersteht wie „ein Raum für eine Aktion, die Definition und das Erwarten eines Möglichen“ (15). Man spürt hier schon das Gefühl für die Ungerechtigkeit bzw. Ungerechtfertigtheit eines individuellen Anspruchs als Autor auf das mit und in Sprache Gesagte, ein Gefühl für die zu respektierende Eigenmächtigkeit des Textes, das sich auch unter dem ganz entscheidenden Einfluss Maurice Blanchots herausbildete, der – neben dem ebenfalls zu nennenden Edmond Jabès (vgl. Ingold 1992, 415–420) – die Rede vom Tod des Autors schon mit einer radikalen Texttheorie in Verbindung brachte. Ausgehend von der ‚wesentlichen Einsamkeit‘ des Schriftstellers vor dem Werk,
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dem gegenüber er keine Autorität besitzt und nicht „ich“ sagen kann, beschrieb Blanchot das Ausgeliefertsein an die Abwesenheit/Leere der unaufhörlichen und unberechenbaren Zeit eines „unpersönlichen“ Schreibens: „Schreiben ist das Unbeendbare, das Unaufhörliche. Der Schriftsteller verzichtet darauf, ‚Ich‘ zu sagen. […] Der Schriftsteller gehört einer Sprache an, die niemand spricht, die sich an niemanden richtet“ (Blanchot 1959, 26). Barthes benutzte in seiner frühen, strukturalistischen Phase zur Analyse der Sinneffekte dieser referenzlosen, ganz auf sich selbst bezogenen Sprache den schon von Claude Lévi-Strauss benutzten Begriff des Mythos. Sein erster Erfolg mit der Monographie Mythologies (1957, dt. Mythen des Alltags) definierte ein kulturanalytisches Programm, das sich bewusst prosaischen Phänomenen des sozialen Lebens (wie Essen, Sport, Automodelle) mit der Kategorie des Mythos zuwendet, die als klassische Kategorie zur Deckfigur für den politischen Impetus einer Ideologiekritik wird. ‚Mythologie‘ wird in diesem Sinne verstanden als ein „sekundäres semiologisches System“, das ein erstes System der Sprache, die „Objektsprache“, in der sich Signifikanten auf Signifikate als ihren „Sinn“ beziehen, in diese Zeichenbeziehung selbst wieder als Signifikanten einsetzt, der als „Metasprache“ des Mythos zur Form für ein weiteres Signifikat als „Bedeutung“ wird (Barthes 2010, 258–261). Anders gesprochen verdankt sich die „Bedeutung“ also einer Übertragung des denotativen Sinns auf einen konnotativen Kontext, wobei die ideologische Funktion des Mythos für Barthes in einer Naturalisierung dieses Bezugs, d. h. in der Verwandlung von „Geschichte in Natur“ liegt, so als „fundierte der Signifikant das Signifikat“ (278). Damit ist im Grunde genommen der kritische Impetus des Essays vom „Tod des Autors“ vorgegeben, dessen Titel durch seine polemische Geste schon die Grundlage schafft für die Flut der Monographien und Sammelbände über die ‚Rück-‘ und ‚Wiederkehr‘, bzw. ‚Wiedergeburt‘ des Autors, die den eigentlichen argumentativen Ansatz von Barthes zugunsten einer emphatischen Logik der Abwesenheit, der Aufopferung verfehlen (vgl. Spoerhase 2007a, 11–12, Schaffrick und Willand 2014, 42–48). Denn in diesem geht es nicht um ein konkretes ‚Ableben‘ der Vertreter einer schreibenden Zunft, sondern um die Verabschiedung einer ‚ideologischen‘ Figur im Sinne des Mythos, der die Bedeutung von Autorschaft ins Leben ruft: ‚Autorʻ bezieht sich nicht auf eine konkrete Person, sondern auf eine konzeptuelle Repräsentation als Autorschaft. Und es sind mythologische Strukturen, die grundsätzlich Kategorien von Autorschaft begründen, wie Moritz Baßler am Beispiel der Autorintention als Effekt einer „Naturalisierung“, genauer einer „Naturalisierung qua Metonymisierung“ durch die Narration des Mythos vom Autor als Grund der intentionalen Struktur des Textes gezeigt hat (Baßler 2014, 156). Nicht zuletzt steht aber hinter der Frage danach: „Wer spricht? Wer schreibt?“ (Barthes 1969, 44), wie sie Barthes schon 1960 in seiner vergleichenden Typolo-
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gie des ‚Schriftstellers‘ und des ‚Schreibers‘ (scripteur) stellt, von Anfang an eine klare Affirmation des ‚Textes‘ als „Struktur des Wortes“, das als „eine (unablässig) bearbeitete Materie“ (46) weder Instrument noch Transportmittel einer ursprünglichen auktorialen Intention darstellt, sondern nur Identifikationsangebote an den Schriftsteller mit der jeweiligen von der Institution Sprache gegebenen „Weise des Sprechens“ (47) macht, während die Schreiber als „‚transitive‘ Menschen“ im Wort als Mittel nur einen Zweck („Zeugnis ablegen, erklären, lehren“) transportieren (49) [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Beim frühen Barthes kommt allerdings der Autor noch im Zusammenhang der Bestimmung von narratologischen „Funktionen“ (Barthes 1966, 111) vor. Vergleichbar der traditionellen Differenzierung von Ich-Erzähler, auktorialem Erzähler und personalem Erzähler bestimmt er in erster Instanz den Autor als Adressanten der Erzählung, die er als „Person“ aussendet: „diese Person hat einen Namen, sie ist der Autor, in dem ein ständiger Austausch zwischen der ‚Persönlichkeit‘ und der Kunst eines vollständig identifizierten Individuums stattfindet, das regelmäßig zur Feder greift, um eine Geschichte zu schreiben“, als „Ausdruck eines Ich, das ihr äußerlich ist“ – im Gegensatz zur zweiten Form eines totalen, aber unpersönlichen Bewusstseins des Erzählers in der Position eines „Gottes“ und zur dritten Form der Erzählung aus der Sicht der „Protagonisten“ (126). Zugleich steht Barthesʼ polemische Wendung gegen den Autor in einer langen Tradition der Abkehr vom hermeneutischen Monopol der Autorschaft, die unabhängig von der linguistischen Argumentation des Strukturalismus schon auf die ‚anti-auktoriale‘ Poetologie Mallarmés zurückverweist (kritisch dazu Burke 2008, 9). Insofern erfordert die oft zu isoliert betrachtete These vom ‚Tode‘ des Autors eine genauere Kontextualisierung. Andrew Bennett hat darauf hingewiesen, dass Barthesʼ Text nicht nur im Zusammenhang einer Reihe von zeitgenössischen Schriften über Fragen der Textualität, des Schreibens und Lesens sowie des Werks zu sehen ist, die ihn nicht nur einrahmen, sondern über diesen Rahmen auch hinaus wuchern lassen, und zugleich daran erinnert, dass die erste Publikation des Textes 1967 in englischer Sprache im Avantgarde-Magazin Aspen No. 5/6 bezeichnender Weise in einer Mallarmé gewidmeten Nummer erfolgte, in der auch Marcel Duchamp, Alain Robbe-Grillet, Michel Butor, Merce Cunningham, Samuel Beckett und John Cage vertreten waren (Bennett 2005, 11–12). Dies erklärt nicht nur den antiautoritären Pathos der Entthronung der Autor-Herrscherfigur, sondern auch die mit diesen avantgardistischen Künstlerkollegen geteilte Suche nach alternativen Schreib- und Leseweisen, wie sie nämlich Barthes dann auch ganz konkret z. B. in seiner Interpretation der Balzac-Erzählung Sarrasine in der 1968 gehaltenen Vorlesung zu S/Z demonstrierte. Auch hier ist Mallarmé das große Vorbild für ein Lektüreverfahren, bei dem „man nicht mehr weiß, wo das Subjekt ist“, und das eine der wesentlichen Formen der „Arbeit der Moderne am
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Text als Destruktion der Linearität und Schaffung eines ausgedehnten, voluminösen Raumes des Textes, wie er anfänglich durch Mallarmés programmatisches Gedicht Un coup de dé n’abolira jamais le hasard (ein Würfelwurf wird niemals den Zufall abschaffen) zum Emblem wurde“ (Barthes 2011, 83), ausmacht. Der Text wird nicht mehr als Ganzes, sondern im Sinne seiner „Differenz“ gelesen, zu der es keine aufhebende, rezentrierende Metasprache oder -instanz als „Vater“ (100) gibt. Zugleich darf nicht der historische Anlass für Barthesʼ Ausrufung vom „Tod des Autors“ in Vergessenheit geraten, die sich gegen eine bestimmte akademische Literaturkritik in Frankreich als „biographical positivism“ (Burke 2008, 13) richtete, die sich dem Werk allein ausgehend von der Autorintention und von Informationen über den ‚realen‘ Autor und seine Biographie her näherte, und gegen die Barthes sein Ideal von der Befreiung des Textes von der Stimme des Autors formulierte (vgl. Compagnon 1998, 74–75 sowie Spoerhase 2007a, 26–29). Die „Death Thesis“ (Lamarque 1990, 322) richtet sich gegen diese „Historist Thesis“ der Unterwerfung von Texten unter die Herrschaft des Individuums als „personal revelation, expression of belief, seal of authority“ oder „manifestation of a creative act“ (322), während Barthesʼ „Ecriture Thesis“ auf der Einsicht beharrt, „that the very nature of writing makes the author – i. e., the author-as-person – redundant“ (328). Dieses Credo für ein Schreiben ohne Rücksicht auf die Instanz des Schreibenden beherrscht die Zäsur des Poststrukturalismus, die auch markiert ist durch die Gründung der vor allem von Barthes-Schülern (u. a. Philippe Sollers, Julia Kristeva) beeinflussten Zeitschrift Tel Quel, die sich gewissermaßen die Abschaffung des Autors als Instanz der literarischen Sinngebung und seine Ersetzung durch ein Konzept von Intertextualität auf die Fahnen geschrieben hatte (vgl. Simion 1996, 67–70, Burke 2008, 15). Die sich damit etablierende ‚disseminierende‘ Lesepraxis und die Affirmation des Textes als non-auktoriale Agency verleihen den Argumenten vom „Tod des Autors“ einen neuen, anders ausgerichteten Sinn, der nicht nach den Eigentumsrechten der Autoren an ihren Produkten, sondern nach den Sinnpotenzen der Werke in ihrer endlosen Neuschreibung, Neukonfiguration im Rahmen ihrer Rezeption fragt. Zugleich beschuldigt er aber umgekehrt die Eigentums- oder Zuschreibungsfrage, die Entfaltung des Sinns im Sinne eines wirklichen, rückhaltlosen Lesens zu behindern und einzuschränken, „da wir uns seit Jahrhunderten maßlos für den Autor und überhaupt nicht für den Leser interessieren“; man huldige allein dem „Privileg“ des Ursprungs und dem „Autoritätsmotiv“ des Autors als ewigem Besitzer seines Werks: „Der Autor, meint man, hat Rechte gegenüber dem Leser, er zwingt ihn zu einer bestimmten Bedeutung des Werks, und diese Bedeutung ist natürlich die richtige, die wahre Bedeutung“ (Barthes 2006 [1970], 30). Demgegenüber plädiert Barthes in der berühmten
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Schlussformel, die den Tod des tyrannischen Autors als „Geburt des Lesers“ feiert, für einen Leser, der nicht wieder die eine, individuell dominante Deutung repräsentiert und privilegiert, sondern für einen anonymen „jemand, der in einem einzigen Feld alle Spuren zusammenhält, aus denen das Geschriebene besteht“ (Barthes 2006 [1968], 63). Das utopische Ziel ist damit eigentlich eine Kunst des Lesens, die jeden Ursprung und jedes Ziel des mehrdimensionalen Geflechts der Zeichen und vor allem den „Abstammungsprozeß“ des ‚Werkes‘, dem noch die Vorstellung vom „Autor […] als Vater und Eigentümer seines Werkes“ anhaftet, in Frage stellt, denn der „‚Text‘ hingegen wird ohne die Einschreibung des ‚Vaters‘ gelesen“ (Barthes 2006 [1971], 69). Über den rhetorischen Gestus vom „Tod des Autors“ hinaus, den er zuvor als „metaphysical abstraction“, als „monster of totality“ (Burke 2008, 26; vgl. Schiesser 2008, 23) aufbauscht, verfolgt Barthes eigentlich keine grundsätzliche Negation der werkimmanenten Kategorie ‚Autor‘, die er vielmehr als funktionale Relativierung seines Schreibens im Gesamtprozess ästhetischer Sinngebung versteht. ‚Funktional‘ oder, wie Barthes es ausdrückt, in Bezug auf die „umfassenden Verwaltungsfunktionen“ des Textes spielt der Autor als „Performator“ für ihn eine Rolle als „Führung des Sinns“, denn vom „Autor wird immer verlangt, daß er vom Signifikat zum Signifikanten geht, vom Inhalt zur Form, vom Projekt zum Text, von der Leidenschaft zum Ausdruck; und ihm gegenüber geht der Kritiker den Weg in entgegengesetzter Richtung, er steigt von den Signifikanten zum Signifikat auf.“ (Barthes 1976, 173–174) Erst die Verwandlung der Führung in eine „Beherrschung des Sinns“ verklärt den Autor zu einem himmlischen Vater: „der Autor ist ein Gott […], der Kritiker ist der Priester, der darauf bedacht ist, die SCHRIFT dieses Gottes zu entziffern“ (174), eine Konstellation, aus der ihn Barthesʼ Verkündigung des Todes Gottes herausstürzen lässt, um „die etwas verstaubte Gottheit der Alten Kritik“ zu einem „Papierwesen“ werden zu lassen: „das Unternehmen der Kritik […] wird dann darin bestehen, die dokumentarische Figur des Autors in eine romanhafte, nicht auszumachende, verantwortungslose Figur umzukehren, die in dem Pluralen ihres eigenen Textes steht“ (209). Es ist ein symbolischer Tod im Zugrundegehen am Medium, dessen „Performativ“ im Akt der Sinnbildung den Autor vielmehr als modernen Schreiber „gleichzeitig mit seinem Text“ (Barthes 2006 [1968], 60) entstehen lässt und in den er als „Gast“ (Barthes 2006 [1971], 69) zurückkehren kann, d. h. „nicht mehr vorrangig, väterlich, deontisch, sondern spielerisch“ als „Papierautor“ (70), als „return of the author as a paper being“ (Simeon 1996, 109), als „resurrection of the grammatical person“ (110). Es geht ja nicht um den Tod leibhafter Produzenten von Texten, sondern um den der diskursiv erzeugten Wertvorstellung ‚Autor‘. Und hier kommt im Sinne des Verweises auf bestimmte historische Rahmenbedingungen der Entstehung dieser Kategorie ein entscheidender zeitlicher Gestus
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zum Tragen. Es geht ebenso wie beim viel damit verglichenen „Tod Gottes“ von Friedrich Nietzsche um ‚Genealogie‘ und damit um die epochale Umwertung der zur Debatte gestellten Machtposition: „Der Autor ist eine moderne Figur, die vermutlich in dem Maße von unserer Gesellschaft hervorgebracht wurde, in dem sie im ausklingenden Mittelalter mit dem englischen Empirismus, dem französischen Rationalismus und dem persönlichen Glauben der Reformation den Glanz des Individuums oder, wie es vornehmer heißt, der ‚menschlichen Person‘ entdeckt hat. Es ist also logisch, daß der Positivismus, diese Kurzfassung und Vollendung der kapitalistischen Ideologie, im Bereich der Literatur der ‚Person‘ des Autors die größte Bedeutung beigemessen hat.“ (Barthes 2006 [1968], 57–58) Vor dem Hintergrund dieser historischen Positionierung regte der BarthesSchüler Antoine Compagnon an, den „Tod des Autors“ als Gründungsmanifest einer „nouvelle critique“ gegen die Tradition der „histoire littéraire“ vergleichbar der für die Moderne der französischen Kultur legendären Querelle des anciens et des modernes im 17. Jahrhundert zu lesen (Compagnon 1998, 54): Barthes begreift sich als revolutionärer Moderner, der gegen die „anciens“ der herrschenden französischen Literaturgeschichte antritt, die Vertreter der Bourgeoisie und der „idéologie capitaliste“ (55). In diesem Sinne versteht sich auch das Arguments Burkes für eine Wiederkehr des Autors, dass nämlich die Negation des Autors durch den Poststrukturalismus diesen – ganz im Sinne der ‚bestimmten Negation‘ Hegels – nicht loswerde, sondern nur als „never more alive than when pronounced dead“ (Burke 2008, 7) bestätigen würde: „Thus the author will reappear as a desire of the reader’s, a spectre spirited back into existence by the critic himself.“ (28) Dem entmachteten, auf den Boden der Tatsachen des Literaturbetriebes zurückkehrenden Autor gegenüber bringt Barthes durchaus Sympathien entgegen, ja man könnte in seinen Schriften selbst die Tendenz erkennen, „wiederholt dezidiert eine ‚Wiederkehr‘ des Autors“ (Neumann 2014, 264) vorzubereiten. Wenn der Autor nicht mehr die Lust am Text durch sein hermeneutisches Monopol behindert, kann durchaus auch „eine freundliche Wiederkehr des Autors“ stattfinden: „Der wiederkehrende Autor ist zwar nicht der gleiche, der von unseren Institutionen (Geschichte und Studium der Literatur und Philosophie, Diskurs der Kirche) identifiziert wurde; er ist noch nicht einmal der Held einer Biographie. Der aus seinem Text heraus- und in unser Leben eintretende Autor ist keine Einheit: er ist für uns ganz einfach eine Vielzahl von ‚Reizen‘, der Ort einiger zerbrechlicher Details und doch Quelle lebendiger romanesker Ausstrahlung“ (Barthes 1974, 12). Und in einem anderen Text geht Barthes sogar noch einen Schritt weiter, indem er den inmitten des Textes als „der andere“ übrig gebliebenen Autor, der „als Institution“ tot ist, „als juristische, leidenschaftliche, biographische Person“ verschwunden ist, der „als ein Enteigneter […] gegenüber seinem Werk nicht mehr die gewaltigen Vaterrechte“ ausübt, wieder begehrt: „Aber im Text begehre ich in
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gewisser Weise den Autor: ich brauche seine Gestalt (die weder seine Darstellung noch seine Projektion ist), so wie er meine Gestalt braucht“ (Barthes 1974, 43). In seiner letzten Vorlesung Die Vorbereitung des Romans spricht Barthes sogar explizit von einer „Wiederkehr des Autors“ (Barthes 2008 [2003]), 320), zunächst als „Monumente“ einer Literaturgeschichte, sodann im positivistischen Geist einer Beschäftigung mit den äußeren Lebensumständen, ohne Relevanz des Schöpfungsprozesses, schließlich – und das ist die interessanteste Wendung im Denken Barthesʼ – als Wiederkehr nach der von Barthes selbst mitgetragenen Verdrängung des Autors durch den Text, der als reine Äußerung nur auf den Körper des Autors als Schreiber verweise, aber nicht auf seine metaphysische Kreativität. Die Rede ist von einer „‚Entverdrängung‘ des Autors“ (321) seit Erscheinen von Die Lust am Text im Zeichen einer „biographische[n] Neugier“, die sich zunächst auf Gide als „Akteur einer Schreibweise“ (322) des Tagebuchs und Prousts „Biographematik“ als „Fragmentierung, ja sogar Pulverisierung des Subjekts“ (324) richtet, um eine Typologie der schreibenden Ichs zu entwickeln: „a) PERSONA: die bürgerliche, zivile, alltägliche Privatperson, die ‚lebt‘, ohne zu schreiben. b) SCRIPTOR: der Schriftsteller als soziale Imago, derjenige, von dem man spricht, den man kommentiert, einer Schule oder einem Genre zurechnet, in Lehrbücher einsortiert usw. c) AUCTOR: das Ich, insoweit es sich als Garant dessen fühlt, was es schreibt, Urheber des Werkes, der seine väterliche Verantwortlichkeit übernimmt; das Ich, das sich gesellschaftlich oder mystisch als Schriftsteller denkt. d) SCRIBENS: das Ich in seiner Schreibpraxis, das dabei ist zu schreiben, das das Schreiben Tag für Tag lebt.“ (325) Auch bei dieser Wiederkehr des Autors gibt Barthes seine ideologiekritische Distanz nicht auf: Er spricht ausdrücklich davon, dass der Autor sich als Garant des Werkes „fühlt“, dass er sich „mystisch“ als Schriftsteller denkt.
2 Funktionalisierung und Feldfunktion Auch für Michel Foucault steht am Anfang seiner Beschäftigung mit Literatur der Begriff der écriture, d. h. die explizit auf Barthes bezogene Kategorie der „Schreibweise“ (Foucault 2014, 79), dessen Bezug auf das System der Sprache jedoch zunehmend durch die Kategorie einer Ordnung des Diskurses ersetzt wird. Anders aber als Barthes unterscheidet Foucault in seiner frühen, „dualistische[n] Konzeption“ des Diskursmodells „eine souveräne, prädiskursive ‚Ebene‘ (die unter anderem als ‚rohes Sein der Wörter‘, ‚Rauschen‘, ‚Gegendiskurs‘ und ‚Wuchern der Bedeutung‘ bestimmt wird) und eine nachgeordnete, gewaltsam Ordnung herstellende diskursive ‚Ebene‘“ (Spoerhase 2007a, 40). Dies wird neben einzelnen Essays der 60er Jahre besonders in der erst kürzlich publizierten Vorlesungen
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von 1964 über „Wahnsinn und Literatur“ deutlich, in denen er genau genommen drei Bereiche differenziert, die „Sprache [langage], die bekanntermaßen das Gemurmel all dessen ist, was jemals tatsächlich ausgesprochen wurde […] und das System der Sprache [langue]“, die „Werke, […] jene sprachlichen Konfigurationen, die in Bezug auf sich zum Stillstand kommen und verharren, um einen eigenen Raum auszubilden und darin das Strömen des Gemurmels zurückzuhalten“, und schließlich die „Literatur“ als Drittes, über das die Beziehungen zwischen Sprache und Werk wechselseitig verlaufen, ohne sich in ihm aufzuheben (Foucault 2014, 68). Auffällig sind dabei die dynamischen Metaphern, mit denen Foucault diesen dritten Ort der Literatur als der im Titel angesprochenen „großen Fremden“ beschreibt, als „leeren Raum, […] wesentliche Weiße, […] Hohlraum der Sprache“ (71), in dem sich „das Hineinbrechen der Sprache auf einer vollkommen weißen Seite“ (73) ereignet. Neben der in anderen Kontexten von Arbeiten u. a. zu Bataille und Blanchot in Anspruch genommenen Beschwörung eines utopischen „Außen“ (vgl. Spoerhase 2007a, 49) dominiert die Rede von der „Überschreitung“, mittels derer der Schreibakt ein reales Sprechen ins Werk einführt, „um den Raum der Sprache zu durchbohren, um ihm gleichsam eine pfeilartige Dimension zu verleihen“ (Foucault 2014, 75). Im Grunde genommen kennt der frühe Foucault nur zwei Formen der Literatur, die Überschreitung bzw. die Herausforderung des Todes, für die er die beiden Motive „Ödipus“ und „Orpheus“ benennt (78), in der modernen Literatur verkörpert durch de Sade (83), oder die ewige Wiederholung im „Wiederkäuen der Bibliothek“ (76): Dazwischen taucht nur wie eine Chance immer wieder der Verweis auf die Schreibweise Prousts auf als „vermittelnder Zwischenraum“ (82), das „Simulakrum der Literatur“ (83). Von Autorschaft ist in diesem Kontext kaum die Rede, obwohl der Begriff von der „schöpferischen Sprache eines schöpferischen Autors“ (95) fällt, bezogen aber auf eine überlebte, traditionelle Funktion der literarischen Kritik als Richterfunktion zwischen Autor und Publikum. Foucault macht immer wieder deutlich, dass für eine gegenwärtige Kritik das Interesse an der Genese, d. h. „für das psychologische Moment der Erschaffung des Werkes“ 95) – womit er auf die klassische Hermeneutik eines Dilthey anzuspielen scheint –, nicht mehr relevant ist. Stattdessen rückt mit der „Schreibweise“ etwas anderes in den Vordergrund, der „Schreibakt“ (96), der sich als stilistische „Konstellation“ sprachlicher Elemente am Beispiel der Schreibweise von Flaubert, von Proust et al. zu einem Alleinstellungsmerkmal verdichten lässt, das gleichwohl keine Originalität kennt, denn: „Die Literatur existiert in Wirklichkeit nur, sofern man nicht aufgehört hat zu sprechen, sofern man unentwegt Zeichen zum Zirkulieren bringt. Weil sich um sie herum immer Zeichen befinden, weil es spricht, kann es überhaupt einen Literaten geben, der spricht.“ (111)
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Das Thema der Autorschaft rückt erst später in den Fokus der Analysen Foucaults, und zwar am Übergang vom dualistischen zum monistischen Ansatz der Diskursfunktion: „Diskurse werden von Foucault nach dieser Reformulierung seines historiographischen Ansatzes nicht mehr nur als gewaltsam ordnende Kategorien aufgefasst, die einem ursprünglichen Zustand schöpferischer Sprache aufgezwungen werden; die Funktionen der Diskurse werden differenzierter dargestellt und ambivalenter beurteilt, da ihnen nicht nur eine restriktive, sondern auch eine konstitutive Funktion zugesprochen wird“ (Spoerhase 2007a, 48): Der Autor bekommt nun eine entscheidende Funktion in Gestalt eines Regulators, eines Agenten der Ordnung des Diskurses. Der historischen Relativierung des Autorbegriffs durch Barthes schließt sich Foucault dabei mit einer latenten Polemik an, indem er ein Ungenügen an der bloßen Konstatierung des Verschwindens des Autors artikuliert und eine genaue Analyse der damit eröffneten Leerstelle fordert: „Es genügt freilich nicht, als leere Aussage zu wiederholen, dass der Autor verschwunden ist. […] Was man tun müsste, wäre, das Augenmerk auf den durch das Verschwinden des Autors leer gelassenen Raum zu richten, der Verteilung der Lücken und Bruchstellen nachzugehen und die durch dieses Verschwinden frei gewordenen Stellen und Funktionen auszuloten.“ (Foucault 2003 [1969], 242) Deutlich wird, dass es Foucault um eine genauere Differenzierung des metaphorischen Status der Rede vom Tod geht und um die Vermeidung des Missverständnisses, er beziehe sich auf den Schriftsteller selbst, der nur „die Rolle des Toten im Spiel des Schreibens einnehmen“ muss (239) – ganz im Sinne der Bemerkung Isers: „Vielleicht ist am Ende gar nicht der Autor, sondern sind nur naive epistemologische Vorstellungen von ihm dahingegangen.“ (Iser 2003, 239) Foucaults kritische Aufmerksamkeit richtet sich auf die Rolle bzw. Position, die der Autor im Schreiben (écriture) dem Text gegenüber spielt bzw. einnimmt, was eine „historisch-soziologische Analyse“ z. B. der Individualität des Autors, der Authentifizierung von Werken oder des Zusammenhangs „Mensch und Werk“ für ihn zunächst ausschließt (Foucault 2003, 238). Diese Kategorie des Schreibens wird jetzt von der Dimension des ‚Ausdrucks‘, des Verweises auf ein ‚Außen‘ befreit, auch um die Wiederkehr des Autors als transzendentales Apriori zu vermeiden. Denn zunächst interessiert sich Foucault für begriffliche Zusammenhänge, die eine wirkliche „Einsicht in das Verschwinden des Autors“ behindern bzw. das Konzept „am Rande des Verlöschens“ (241) noch festhalten. Und in diesem Sinne zählt für ihn der Begriff des Schreibens (écriture), der bei Barthes für eine Tendenz der Dezentrierung des Subjekts steht, zu den Statthaltern einer „Tiefgründigkeit“ der Rede „vom schöpferischen Charakter des Schreibens“, die „die empirischen Charakterzüge des Autors in eine transzendentale Anonymität übersetzt“.
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Ebenso gilt es, den Werk-Begriff vom Bezug auf den Autor als Urheber zu befreien und „im Wechselspiel seiner internen Beziehungen“ (240) – strukturalistisch gesprochen: als Spiel der Signifikanten – zu denken. Der Autor selbst kommt erst als „Autorname“ bzw. als „Gebrauch des Autornamens“ als „Eigenname“ (242) ins Spiel, durch das eine „Einteilung“, eine „Homogenität“ und eine „bestimmte Erscheinungsweise“ (244) von Texten im Diskurs gewährleistet und seine Bedeutung als „Autor-Funktion“ (245) begründet wird: „charakteristisch für die Existenz-, Zirkulations- und Funktionsweise bestimmter Diskurse innerhalb einer Gesellschaft“ (245). Foucault rekurriert im Folgenden auf vier speziellere Funktionsweisen, die Autorschaft markieren: „Aneignung“ als Herstellung von Eigentumsverhältnissen, „Zuschreibung“ als Indikation der jeweiligen Autornamen, „komplexe Operationen“ zum Zwecke der Konstruktion eines Autorbildes, das für ein konstantes Wertniveau, eine theoretische Kohärenz, stilistische Einheit und historische Einmaligkeit derselben sorgt, und schließlich eine „bestimmte Anzahl von Zeichen“, die innerhalb des Textes auf den Autor verweisen (245–250). Das erklärte Ziel dieser akribischen Differenzierungen ist es, die realen Funktionen des Autors im Diskurs vom „ideologischen Status des Autors“ (259) abzugrenzen, d. h. den Autor als diskursives Dispositiv, das – wie Foucault in den Ergänzungen seiner 1970 in Buffalo präsentierten Vortragsfassung ausführt – ein „Prinzip der Ökonomie in der Verbreitung des Sinns“ darstellt, der „verkehrte[n] Vorstellung“ (260) vom Autor als biographische Entität einer „schöpferische[n] Instanz“, aus der ein Werk heraussprudelt […]. Die Wahrheit ist eine ganz andere: der Autor ist keine unendliche Quelle von Bedeutungen, die das Werk erfüllten, der Autor geht dem Werk nicht voraus. Er ist ein bestimmtes funktionelles Prinzip, durch das man in unserer Kultur begrenzt, ausschließt, auswählt, selegiert: kurz das Prinzip, durch das man der freien Zirkulation, der freien Manipulation, der freien Komposition, Dekomposition und Rekomposition der Fiktion Fesseln anlegt.“ (259–260) In diesem Sinne geht es Foucault nicht um eine Leugnung der Existenz des Autors (vgl. den expliziten Diskussionsbeitrag im Anschluss an seinen Vortrag: „ich habe nicht gesagt, dass der Autor nicht existierte“ [266]), sondern um eine Klärung des Status auch des Subjekts, dessen nominelle Präsenz durch die frühere, auch noch in Texte zur Theorie der Autorschaft (Jannidis et al. 2000) nachgedruckte Übersetzung im Deutschen durch die Doppeldeutigkeit des französischen Ausdrucks „Sujet“ als ‚Stoff‘ verloren gegangen war. Für Foucault geht es aber klar um die Rolle des Subjekts, die es allerdings zu begrenzen gilt: „es geht darum, dem Subjekt (oder seinem Substitut) seine Rolle als ursprüngliche Begründung zu nehmen und es als variable und komplexe Funktion des Diskurses zu analysieren.“ (259) Auch in seiner nur ein Jahr später gehaltenen Antrittsvorlesung am Collège de France über die Ordnung des Diskurses betont Foucault einerseits die im Zusam-
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menhang der Disziplinierungs- und Kontrollmechanismen von Klassifikation, Anordnung und Verteilung, ins Spiel kommende Rolle des Autors als „Prinzip der Verknappung des Diskurses“, als „Prinzip der Gruppierung von Diskursen, als Einheit und Ursprung ihrer Bedeutungen, als Mittelpunkt ihres Zusammenhalts“ (Foucault 1977, 18–19) und andererseits die Existenz des „wirkliche[n] Autor[s]“: „Es wäre sicherlich absurd, die Existenz des schreibenden und erfindenden Individuums zu leugnen. Aber ich denke, daß – zumindest seit einer bestimmten Epoche – das Individuum, das sich daran macht, einen Text zu schreiben, aus dem vielleicht ein Werk wird, die Funktion des Autors in Anspruch nimmt. Was es schreibt und was es nicht schreibt, was es entwirft, und sei es nur eine flüchtige Skizze, was es an banalen Äußerungen fallen lässt – dieses ganz differenzierte Spiel ist von der Autor-Funktion vorgeschrieben, die es von seiner Epoche übernimmt oder die es seinerseits modifiziert.“ (20–21) Nicht die Existenz, sondern die Repräsentanz der realen Person des Autors ist also problematisch. Für den monistischen Ansatz der Diskursanalyse sind folglich allein die „Existenzmodalitäten“ von Diskursen relevant, die nicht mehr „nach ihrem Ausdruckswert“ (Foucault 2003, 258) zu beurteilen sind. Was damit gemeint ist, wird schon in der Archäologie des Wissens deutlich, die gewissermaßen eine Diskursanalyse ohne Autor zu denken versucht. Einleitend wird zwei klassischen Tendenzen der Autoren-Hermeneutik abgeschworen, nämlich allen Ereignissen einen „geheimen Ursprung“ zuzuordnen und alle manifesten Diskurse auf einem „bereits Gesagten“ beruhen zu lassen, einem „Halbschweigen“ (Foucault 1973, 15), das den Raum für das unendliche Gemurmel der schöpferischen Figuren und ihrer Intentionen eröffnet. Gegen diese Lesart von Diskursen als ‚Dokumente‘, als Zeichen für etwas anderes, als Verweis auf die transparent zu machende „Instanz des schöpferischen Subjekts als raison dʼêtre eines Werkes und Prinzip seiner Einheit“ (38), konzentriert sich der Ansatz der ‚Archäologie‘ dagegen auf eine Lesart der Diskurse als „Monumente“ (39) einer immanenten Beschreibung der autoreferentiellen Bezüge, deren Wahrheit nicht im Anderswo, dem Außen oder Apriori einer Autorintention gesucht werden muss. Und dennoch schließt Foucault in diesem Spiel des Diskurses nicht das Vorkommen eines „begründenden Subjekts“ (Foucault 1977, 32) aus. Im Sinne seiner immer wieder durchscheinenden Hochachtung für schöpferische Leistungen prägt er schon im Autor-Vortrag eine auf den zweiten Blick (vgl. Schiesser 2008, 27) erstaunliche Formel, die sich auf einige im Europa des 19. Jahrhunderts auftretende „recht singuläre Autorentypen“ bezieht, die sogenannten „Diskursivitätsbegründer“ (Foucault 2003, 252). Gemeint ist eine Autorschaft, die sich zunächst einmal nicht in der Produktion von Texten erfüllt, die sich also in einer „transdiskursiven“ Position befindet und überhaupt nicht auf konkrete Werke bezieht, sondern „auf die Möglichkeit und die Formationsregeln anderer Texte“
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als „unbegrenzte Diskursmöglichkeit“. Foucault führt Beispiele an, Freud und Marx als Begründer des psychoanalytischen und des marxistischen Diskurses, Ann Radcliffe als Begründerin des Schauerromans, des weiteren Galilei, Cuvier und Saussure als – wie man in einem anderen Sinne sagen könnte – Auslöser eines ‚Paradigmenwechsels‘ in ihren jeweiligen Disziplinen. Entscheidend an dieser Reformulierung von Autorschaft als Meta-Autorschaft ist der Bezug nicht auf konkrete, persönlich als Eigentum beanspruchte Produkte, sondern auf eine spezifische Weise des Produzierens von Diskursen, auf diskursive Dispositive als Bedingung für „eine unbegrenzte Diskursmöglichkeit“ (252). Die Begründungsfunktion von Autorschaft wird also von der Ebene konkreter Inhalte auf die der Form verschoben, womit Foucault implizit Kriterien für die Identifizierung der Individualität eines Autors anhand seines Stils wiederaufgreift: „So far from the work of authors being determined in their nature and very existence by the discursive formation, the entire discursive formation is hereby dependent on the work of an individual author.“ (Burke 2008, 88–89) Eigentlich geht Foucault mit dieser Überlegung zur Begründung von Diskursivität noch einmal zur Urszene der Autor-Aporie zurück, die er in einer „Forderung nach einer ‚Rückkehr zum Ursprung‘“ (Foucault 2003, 255) erinnert sieht. Der geistige Urheber als reale Person hat kein naturrechtliches Besitzrecht an der materiellen Erscheinungsform seiner Werke, aber deren unveräußerliche ‚Form‘, die durch das Copyright geschützt ist, ist ihm als Autornamen zugeordnet. Foucault erteilt der Utopie einer freien Zirkulation von Texten, „zu jedermanns Verfügung“, eine klare Absage, da der „Autor die Rolle des Regulators von Fiktion, die charakteristische Rolle des industriellen und bürgerlichen Zeitalters, des Individualismus und Privateigentums“ (260) spielt. Diskursivität meint in diesem Sinne (übrigens ebenso wie écriture) das Formierende der Form, die besondere Weise einer stilistischen Eigentümlichkeit in der Variation, eine Wiederholung in der Differenz, die ein Denk- bzw. Diskursmodell charakterisiert (Foucault nennt „charakteristische Zeichen, Figuren, Beziehungen, Strukturen, die von anderen wieder verwendet werden konnten“ [253]), die jedoch – im Gegensatz zum Plagiat als identische Kopie – ökonomisch nicht verwertbar ist. Sie ist als eine solche Anwesenheit des Autors qua Abwesenheit im Werk nur eine „Geste“ (Agamben 2005, 62), die gleichwohl eine „authorial absence“ (Bennett 2005, 21) darstellt. Diese ist nicht mit der auctoritas des Urhebers über sein Werk zu verwechseln, sondern haftet letzterem an als ‚Spur‘ – im Sinne des von Walter Benjamin in seinem 1952 in Frankreich veröffentlichten Aufsatz „Der Erzähler“ geprägten Bildes von der „Spur des Erzählenden“, die an der Erzählung haftet wie die „Spur der Töpferhand an der Tonschale“ (Benjamin 1977 [1936], 447). In der Tat hat Foucaults Ansatz der Diskursanalyse in der Kunstgeschichte Fortsetzungen erfahren in Form des Paradigmas der ‚Spurensicherung‘, die anhand eines laten-
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ten Duktus oder Bildens, analysierbar als Symptome, Indizien oder Details, eine verborgene Auktorialität künstlerischer Kreativität in Analogie zur Diagnose einer ‚Autorschaft‘ von Krankheitsbildern, Kriminalfällen und Stilbildungen bei Freud, Conan Doyle und Morelli zu rekonstruieren versucht (Ginzburg 1983). Dennoch lässt Foucault seinen 1970 in Buffalo gehaltenen Vortrag über den Autor mit der Perspektive auf einen gesellschaftlichen „Veränderungsprozess“ ausklingen, der die „Autor-Funktion“ in „polysemischen Texten“ (Foucault 2003, 260) zum Verschwinden bringt. Diskursivität korrespondiert in diesem Sinne mit dem für Foucault wichtigen Begriff der Dispositivität (vgl. Schaffrick und Willand 2014, 46), der als Disposition einer Schreibweise auf die Konstellation oder Konfiguration einer – mit Benjamin gesprochen – objektiven virtuellen Anordnung der Phänomene als narratologische Idee verweist. Die Lesbarkeit von Autorschaft als diskursive Disposition lässt so den Autor nicht nur als Kategorie der ‚Orientierung‘ im ursprünglichen räumlichen Sinne wiederkehren, sondern überantwortet ihn auch überhaupt einer räumlichen Ordnung des Diskurses als „Ort, innerhalb des Diskurses, von dem aus das Subjekt sich äußert“ (Spoerhase 2007a, 55; vgl. Vogel 2014, 176). Autorschaft berührt sich hier mit einem anderen, viel diskutierten Thema Foucaults, der ‚Heterotopie‘ als Eröffnung der neuen Dimension eines Horizontes des existenziellen Entwerfens im Namen einer ‚Sorge‘, die Foucaults Spätwerk im Begriff der ‚Selbstsorge‘ beherrscht, „to inquire what makes man ‚Man‘“ (Burke 2008, 95). Im Vergleich zu Foucaults epistemologischer Fragestellung danach, „was ein Autor ist“, wendet sich Pierre Bourdieu der von jenem ausgeblendeten historischsoziologischen Analyse von Autorschaft im Vergleich mit der Entwicklung des Konzepts von Künstlertum zu [vgl. den Artikel Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion]. Es geht um die Beschreibung der Regeln eines Agierens im gesellschaftlichen Feld, ein Ansatz, der im deutschsprachigen Raum besonders nach Erscheinen der deutschen Übersetzung der zentralen Monographie Die Regeln der Kunst im Bereich der Kultur- und Kunstwissenschaften eine große Aufmerksamkeit erfahren hat und der – ähnlich wie der systemtheoretische Ansatz von Niklas Luhmann mit Bezug auf die Funktion der Kommunikation (vgl. Luhmann 1997) – von einer gesellschaftlichen Konstruktion von Autorschaft (vgl. Corti 1999) ausgeht. Bourdieu arbeitet bei der Erfassung der Autorfunktion nicht mit diskursiven Kategorien, sondern mit dem Konzept sozialer Beobachtung des Habitus, den er als „generative, um nicht zu sagen kreative Kapazität“ (Bourdieu und Wacquant 1996, 154) versteht, durch die sich Autoren und Künstler im Sinne eines ‚Alleinstellungsmerkmals‘ eine Position auf dem von Bourdieu als neuer Schauplatz eingeführten so genannte literarisch-künstlerischen Feld verschaffen. Übernommen hat Bourdieu dieses Habitus-Konzept von Erwin Panofsky, dessen Buch über Architektur und Scholastik von einer in der Hochscholastik sich heraus-
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bildenden „Denkgewohnheit“ als „modus operandi“ (Panofsky 1989 [1951], 22) für neue künstlerische Praktiken vor allem beim Bau gotischer Kathedralen handelte. Für Bourdieu kam es im Zusammenhang der Frage nach der Generativität und den Grenzen der Autorschaft von Künstlertum nun gerade darauf an, den statischen, faktischen modus operatum der Kunstwerke hinsichtlich des modus operandi als Agens zu hinterfragen, wobei er nach einer Vermittlungsform zwischen subjektiver Intention und objektiver Struktur suchte und sie schon früh in Gestalt der „Habitusformen“ als „Systeme dauerhafter Dispositionen“ bzw. als „Erzeugungsprinzip von Strategien“ (Bourdieu 1979, 165) fand. Damit sollte ein Konzept formuliert werden für die Entstehung von Neuem im künstlerischen Prozess ohne Rekurs auf den souveränen Rechtsanspruch eines schöpferischen Individuums, aber auch ohne den Tod des Autors im Namen eines ermächtigten Rezipienten oder einer diskursiven Formation des Werks. Und zugleich sollte ein Ereignis wie die Begründung einer neuen Diskursivität in die sozialhistorischen Bedingungen ihrer Möglichkeit eingebettet werden. Dieses Kräftefeld des sozialen Netzes, das – vergleichbar Barthesʼ écriture oder Foucaults discours – die kulturell Schaffenden in Verbindung setzt mit „anderen Künstlern, Kritikern, Vermittlern zwischen dem Publikum wie Verleger und Kunsthändler oder beispielsweise Journalisten“, ist kein autonom agierendes Gespenst der Generierung von Kulturwerten, sondern die conditio sine qua non für die „Objektivierung der künstlerischen Intention“, die dem auktorial schaffenden Künstler „öffentliche Bedeutung“ verleiht und ihn als „Autor definiert“ (Bourdieu 1974 [1966], 94–95). Es geht dabei um die Legitimation durch die auctoritas der Institutionen, die für Bourdieu ablesbar wird in der sozialen Instanz eines Distinktionsvermögens, d. h. nicht nur im Sinne des Habitus als verinnerlichte solipsistische Absonderung etwa des Künstlers als ‚Sonderling‘, sondern auch im Sinne einer kollektiven Kultivierung des Geschmacks im Bürgertum des 19. Jahrhunderts. Bourdieu greift hier auf eine ganze Reihe von traditionellen Modellen zurück – von Humboldts ‚innerer Sprachform‘ bis hin zu Chomskys ‚Generativer Grammatik‘ –, um zu erklären, wie dieses kollektive Kreativitätspotential als der „demiurgische Ehrgeiz des Artisten“ im Habitus internalisiert werden kann, um den typischen „Lebensstil des Künstlers“ gegen den des „Bourgeois“ im bloßen „Streben nach Ungewöhnlichem“ eines distinguierten Geschmacks auszuspielen. Durch diese distinktive Attitüde lässt sich Autorschaft auf eine meta-ästhetische Valenz zurückführen, entstanden aus einer kulturellen Differenzierung der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert mit ihren begünstigenden Vorurteilen gegen die literarische und künstlerische Avantgarde der verfemten und gescheiterten Künstler. Für die Bewertung eines Kunstwerkes ist somit das ganze Netzwerk seiner Entstehungsfaktoren zu berücksichtigen, das u. a. auch
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den Mythos des Schöpfertums hervorbringt, wobei Bourdieu die mythologischen Übertragungen nach der Ordnung eines Spielfeldes buchstabiert, auf dem die Regeln der Kunst ausgehandelt werden: „Produzent des Werts der Kunstwerke ist nicht der Künstler, sondern das Produktionsfeld als Glaubensuniversum, das mit dem Glauben an die schöpferische Macht des Künstlers den Wert des Kunstwerks als Fetisch schafft. […] Sie [die Wissenschaft] hat also nicht allein mit den direkten Produzenten des Werkes in seiner materiellen Gestalt zu schaffen [Künstler, Schriftsteller, etc.], sondern mit der Gesamtheit der Akteure und Institutionen, die über die Produktion des Glaubens an den Wert der Kunst im allgemeinen und den Wert dieses oder jenes Werks im Besonderen an der Produktion des Werts des Kunstwerks mitwirken.“ (Bourdieu 1999, 362)
3 Dekonstruktion und intentionaler Trug Jacques Derrida hat kein Buch oder Aufsatz publiziert, in dem das Thema der Autorschaft oder des Autors explizit genannt würde, und dennoch umkreisen seine Arbeiten ständig diese Problematik: „Indeed, his work is deeply invested in an interrogation of the question of the author and may be read in part at least as an investigation of the name and nature, the identity and the institution, of authorship“ (Bennett 2005, 81–82). Seine traditionelle Nennung als dritter Vertreter poststrukturalistischer Autortheorie neben Barthes und Foucault ist gerechtfertigt durch die Breite seiner Diskussion von Fragen der Identität und Intentionalität, der Absenz und Singularität des Subjekts, der Verantwortung und des Autobiographischen, der Bedeutung von Namen, Signaturen, Aneignungsverhältnissen und Copyrights. Für ihn gilt der Grundsatz einer Apriorität des Mediums vor dem Subjekt, wobei das Medium bei ihm die Schrift ist, écriture, jedoch nicht im formalen Sinne einer Schreibweise oder einer Diskursformation, sondern als graphematisch bzw. grammatologische Antithese zum phonologischen Identitätsprinzip des logozentrischen Bewusstseins. Diese Schrift steht für ihn im Zeichen der Abwesenheit und des Todes und damit der Entmachtung eines Werkherrschaft ausübenden Autor-Subjekts. Aber anders als bei Barthes ist Abwesenheit bei ihm immer in das Spiel mit Anwesenheit, der Tod des Autors immer in das Spiel mit seiner Wiederkehr, aber einer gespenstischen Wiederkehr in seinem Text, einer Heimsuchung durch den Geist des toten Autors als „spezielle Form des ‚Weiterlebens‘“ (Wegmann 2016, 22) eingelassen, der seine Souveränität einer Opferlogik verdankt (vgl. Peters 2013). Noch genauer gesprochen ist es die Differenz der beiden gegensätzlichen Positionen, die Derrida in ihrer aktiven bahnenden Funktion mit dem Neologismus ‚différance‘ kennzeichnet, die diese Souveränität oder Autorität des Autors erst in der Nachträglichkeit ihres supplementären Aufschubs
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als Zäsur einer „Produktion von Differenzen“ (Wetzel 2019, 32) hervorbringt (vgl. Hammerschmidt 2010, 56). Am Anfang steht also die Schrift, die Derrida später als ‚Ur-Schrift‘ oder ‚UrSpur‘ nach einem von Julia Kristeva zuerst ins Spiel gebrachten Begriff Platons als chora (Ort, Stelle, Gegend) in ihrer Funktion der Eröffnung eines Zwischenraums zwischen Sein und Werden als ‚Statt-Gabe‘ untersucht (vgl. Wetzel 2019, 79). Bezogen auf die Frage nach dem Autor impliziert dies die These, dass Autorschaft sich überhaupt nur in Abwesenheit des Verfassers oder Urhebers konstituiert, wie überhaupt die Bedeutung des Textes sich im Sinne der frühen Husserl-Kritik Derridas in Absehung von Subjekt und Objekt konstituiert: „Die vollständige Abwesenheit des Subjekts und des Objekts einer Aussage – der Tod des Schreibers oder/und das Verschwinden der Gegenstände, die er hat beschreiben können – hindert einen Text nicht daran, zu ‚bedeuten‘. Diese Möglichkeit lässt im Gegensatz das Bedeuten als solches entstehen, gibt es zu verstehen und zu lesen.“ (Derrida 2003 [1967], 125) Dieser Rückgang auf das vieldeutige Bedeuten des Textes ohne Leitung einer auktorialen oder rezipierenden Instanz umschreibt die Methode Derridas, die unter dem Namen Dekonstruktion bekannt geworden ist. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht einfach den Autor und damit eine intentionale Ebene des Textes abschafft, sondern die latente Bedeutung des Textes mit ihr konfrontiert. Burke hat darauf hingewiesen, dass der dekonstruktive Prozess in zwei Phasen zerfällt, bei denen zunächst die Autorintention rekonstruiert wird, bevor sie dann im Horizont der Mehrdeutigkeit dekonstruiert wird. Gesucht wird also eher ein Kompromiss zwischen einer intentionalistischen und einer anti-intentionalistischen Position: „However, the Derridaean position will seem anti-intentionalist in a second and less severe sense, since as a practice of reading the critic sees it as his responsibility to turn the text against its author’s programmatic intentions, thus establishing an opposition between the reader and the writer. […] The author is to be opposed, but not dismissed […] Deconstruction will evoke in order to revoke, accepts the author, but on condition that the critic can produce the text as a broader signifying structure within which the author’s determining will is inscribed as one factor among others.“ (Burke 2008, 137) Diese ‚Doppelmarkierung‘ sowohl der Position des Autors und seiner Intention als auch der Gegenposition des Interpreten oder Kritikers mit seiner Umdeutung des Textes geschieht auf der Basis der Schrift als différance, d. h. als Aufschub des Sinns, der beide, Autor und Leser, Urheber und Publikum, Sender und Empfänger, abwesend werden lässt. In der Auseinandersetzung mit dem Konzept der performativen Sprechakte bei John Austin, die den Auftakt darstellt für die spätere Kontroverse mit John Searle und seiner These einer Identität der Bedeutung des Textes und der Intention des Autors, bindet Derrida noch radikaler das Hervortreten der Schrift an ein Verschwinden des Senders ebenso wie des Emp-
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fängers. Schrift/Schreiben funktioniert vielmehr als „produzierende Maschine“, die gekennzeichnet ist durch „wesentliche Führungslosigkeit“ (also ohne die Verantwortung einer väterlichen Instanz) und iterative „Dissemination“: „Damit ein Geschriebenes ein Geschriebenes sei, muß es weiterhin ‚wirken‘ und lesbar sein, selbst wenn der sogenannte Autor des Geschriebenen nicht länger einsteht für das, was er geschrieben hat, was er gezeichnet zu haben scheint, sei es, daß er vorläufig abwesend ist, daß er tot ist, oder allgemein, oder daß er, was scheinbar ‚in seinem Namen‘ geschrieben wurde, nicht mit seiner ganzen augenblicklichen und gegenwärtigen Intention oder Aufmerksamkeit, mit der Fülle seines Meinens unterstützt.“ (Derrida 1999 [1972], 334) Der zentrale Begriff der „Iteration“ (335) verweist auf die Sinnproliferation schriftlicher Zeichen auch in Abwesenheit der sie hervorbringenden Subjekte, auf seine stete Lesbarkeit, „selbst wenn ich nicht weiß, was sein angeblicher AutorSchreiber in dem Augenblick, da er es schrieb […], bewußt und mit Absicht hat sagen wollen“ (335). Derrida dreht gewissermaßen das Argument Barthesʼ von der Beschränkung des Sinns durch den Autor und Foucaults von der Ordnung des Diskurses durch die Autorfunktion um und lenkt das Interesse auf die ursprüngliche Kraft der „Verräumlichung, die das schriftliche Zeichen konstituiert“ (336), ohne auf die Anwesenheit eines Autors, eines Referenten, eines Bezeichneten, eines Empfängers etc. reduziert werden zu können. Der Autor verschwindet nicht, er ist vielmehr nur ein Bezugspunkt unter anderen: „In dieser Typologie wird die Kategorie der Intention nicht verschwinden, sie wird ihren Platz haben, aber von diesem Platz aus wird sie nicht mehr den ganzen Schauplatz und das ganze System der Äußerung beherrschen können.“ (346) Selbst die ultimative Aneignungsstrategie der Unterschrift als Attestierung der „Anwesenheit des ‚Autors‘ als ‚desjenigen, der spricht‘, als ‚Quelle‘ bei der Produktion des Gesagten“, impliziert im System der schriftlichen Signatur gerade „per definitionem die gegenwärtige oder empirische Nicht-Anwesenheit des Unterzeichners“ als „reine Reproduzierbarkeit eines reinen Ereignisses“ (349). Derrida hat dieses Paradox der Signatur als Spur einer Präsenz, die sich als Abwesenheit des Signierenden – im Sinne der von ihm bevorzugten botanischen Metaphorik – ‚aufpropft‘ (vgl. Wirth 2012), weiter im Kontext der im Zeichen von Nietzsche und seiner Rezeption durch Heidegger stehenden Auseinandersetzung mit der Hermeneutik verfolgt. Nietzsches Werk und besonders Ecce Homo gilt ihm dabei als Paradigma für eine gelungene Parodierung des produktiven Privilegs von Autorschaft durch das Spiel mit Doublierungen und Maskierungen der Autorfunktion, die letztlich auf eine Strategie, mit Nietzsche gesprochen, einen ‚Willen zur Macht‘ zurückverweisen (vgl. Burke 2008, 180–181) [vgl. den Artikel Autor-Masken und -Maskierungen]. Autorschaft ist, mit anderen Worten, letztlich Effekt eines politischen Aktes vor aller philologischen Deutungshoheit,
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d. h. „eine Politik des Eigennamens“, die aber doch nur den Kontrakt der Zueignung mit einem Namen signiert, der nicht selbst erschaffen (oder ‚erschrieben‘ wie in einer ‚Auto-Biographie‘), sondern der gegeben wurde bzw. auf den man ‚hört‘ in einer Art von Ohren- oder „Otobiographie“ (Derrida 2000 [1980], 40). Der Rekurs von Autorschaft auf Autor-Namen hat somit, Derrida zufolge, keinen Rückhalt in einem real existierenden Individuum, sondern folgt nur der Logik einer Benennung von außen und einer Hörigkeit auf einen von anderen gegebenen Namen, während der Annahme als ‚Eigenʻname und der Übernahme des Eigentumsanspruches am Werk immer auch ein Gewaltakt subjektiver Aneignung zugrunde liegt. Derrida insistiert auf dieser Differenz auch gegenüber einem hermeneutischen guten Willen zum Verstehen in seiner Kontroverse mit Hans Georg Gadamer 1981, in der er – ohne explizit den Topos des Autors zu erwähnen – eine „Politik der Unterschrift“ (Derrida 1984, 63) konzipiert, um die „Problematik des Namens“ im Werk Nietzsches und insbesondere in der Interpretation Heideggers zu entfalten, der sich ihm allein von der „Sache des Denkens“ nähern wollte (66). Derrida erteilt beiden Wegen eine Absage: Weder lässt sich das Werk auf den Eigennamen des Autors als gewissermaßen Signatur des in seinem Leben schöpferischen Individuums zurückführen; diese Vorstellung von Identität hat gerade Nietzsche gründlich zerstört, „der seine Namen vervielfältigt und mit den Unterschriften, Identitäten und Masken gespielt hat“ (72): „der Name ist nicht vor dem Denken, er ist die Sache des Denkens, durch es erzeugt und bestimmt“ (66); noch ist die Abkehr vom Namen und Konzentration auf die reine Sache des Denkens, die Heidegger propagiert, der Königsweg des Verstehens, denn sie verfehlt Derrida zufolge wiederum die Pointe von Nietzsches Selbstthematisierung seiner Autorschaft in Ecce Homo. Er plädiert damit nicht für einen biographischen Biologismus (im Sinne: der Mensch hinter dem Werk), sondern „ein anderer Stil von Autobiographie wäre aufgekommen, um die Einheit des Namens und der Unterschrift zu sprengen“ (74). Burke sieht in diesen Argumenten eine deutliche Wende im Denken Derridas, die er als Konfrontation mit „the baroque figure whereby the most telling insights on authorial responsibility issue from authorship’s hollow“ (Burke 2008, 163), bezeichnet. Der vielbeschworene ‚Tod des Autors‘ ist nicht einfach als Löschung zu denken, deren Unmöglichkeit Derrida in zahlreichen experimentellen, zum Teil in die Tradition von Barthes tretenden pseudoautobiographischen Texten wie Die Postkarte (1980) – ein fingierter Briefwechsel mit einer ungenannten Geliebten – ausführt. Er folgt immer dem Prinzip der „inscription under erasure“: „Everywhere, under the auspices of its absence, the concept of the author remains active, the notion of the return of the author being simply a belated recognition of this critical blindness.“ (165) Aber schon früher hat sich Derrida deutlich dagegen
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verwahrt, z. B. den Begriff des Subjekts abgeschafft zu haben, wie er in einer Diskussion ausgerechnet dem Begründer der ‚Autofiktion‘, Serge Doubrovsky, gegenüber ausführt: „The subject is absolutely indispensable. I don’t destroy the subject; I situate it. That is to say, I believe that at a certain level both of experience and of philosophical and scientific discourse one cannot get along without the notion of subject.“ (Derrida 2007 [1970]), 271) Durch das ganze Werk Derridas hindurch zieht sich aber der Grundgedanke einer Uneigentlichkeit auktorialer Ansprüche auf Urheberschaft. Auch in Bezug auf das Aneignungsprinzip der Signatur verweist er später in einem Gespräch auf das juristische Reglement der Apostille, nach dem die Authentifizierung eines Dokuments nicht mit der Unterschrift des Ausstellenden, sondern erst mit der Gegenzeichnung, der „countersignature“ (Derrida 1994, 18; vgl. Kamuf 1988) einer anderen Instanz vollendet ist. Tragend bleibt dabei der an Heidegger orientierte Denkansatz einer Philosophie der Gabe, der alle individuellen Kreationen auf eine grundsätzliche Gabe, ein Geschenk der Sprache zurückführt. Im „es spricht“ manifestiert sich das ontologische „Es-gibt“ als Ereignis der Autorschaft, die aber immer von außen, vom Anderen gestiftet wird und sich als „Hinhören auf das Es-gibt der Sprache“ (Ingold 1992, 351) konstituiert. Ganz konkret thematisiert Derrida dieses Phänomen unter dem Stichwort des Monolinguismus, der Einsprachigkeit des Anderen, in dem auch autobiographisch als Erinnerung an die Situation seiner Kindheit als Jude in dem französisch besetzten Algerien aufgearbeiteten Phänomen eines Sprechens einer eigenen Sprache, die nicht die seinige ist, die vom anderen gegeben wird und in die man immer erst übersetzen muss, um in dieser Sprache des anderen bei sich selbst anzukommen. Derrida bezeichnet die Geste der auktorialen Leugnung dieser „Alienation“ durch die Appropriation der Sprache des Andren auch als den „Kolonialcharakter der Kultur“, dem er die Möglichkeit der Assimilation als Annahme des Gastgeschenks der anderen Sprache gegenüberstellt (Derrida 2003, 46, 129). Derridas Theorieansatz hat insbesondere in den USA eine deutliche Resonanz erfahren, wobei besonders die ‚Yale-Schule‘ (Paul de Man, Hillis Miller, Geoffrey Hartman) hervorzuheben ist (vgl. Burke 2008, 171–179). Paul de Man, der anfänglich noch klar für „intentionality of a transcendental consciousness“ (174) als Fundament des literarischen Prozesses eintrat, vollzieht eine Wende hin zur Lesart von Autobiographie als Maskenspiel, die vor dem Hintergrund des posthumen Skandals der Entdeckung seiner Autorschaft in einem belgischen faschistischen Publikationsorgan während der Nazizeit den Doppelsinn einer Selbstentschuldung provozierte. Für de Man (vgl. generell Spoerhase 2007a, 81–94; Krumrey 2015, 41) ist dabei Autobiographie eine generelle „Lese- oder Verstehensfigur“ (de Man 1993 [1979], 134), die mittels der Trope der Prosopopöie (abgeleitet von griechisch prosopon poien, eine Maske oder ein Gesicht geben) darauf reagiert, dass
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Texte von Autoren gemacht werden, die aber nicht in Form eines Wirklichkeitsbezuges ‚gegeben‘ sein müssen, sondern die durch diese Trope als „Geben und Nehmen von Gesichtern, […] Maskierungen und Demaskierungen, Figur, Figuration und Defiguration“ (140) ‚konstruiert‘ werden. Der gleichnamige Aufsatz (im Original: Autobiography as Defacement) wurde so selbst zu einem Paradebeispiel für die brisanten Infragestellungen von Autorschaft nach den Gesichtspunkten der „Intention“, „Authorithy“, „Biography“, „Accountability“, „Oeuvre“, „Autobiography“ (Burke 2008, 4–5): „Autobiography as de-facement becomes de-facement as autobiography, a cancellation of the self that is self-willed and mirrored in the life of the self-cancelled subject; text and author are united under the signs of their disunion.“ (6) Trotz der intensiven Rezeption seiner Theorie in Amerika hat sich Derrida umgekehrt mit der amerikanischen Literaturtheorie – mit Ausnahme der sprachphilosophischen Sprechakttheorie – nicht beschäftigt, die in Gestalt der Schule des New Criticism einen ähnlichen Vorbehalt gegen auktorialen Intentionalismus – z. B. vertreten durch William Wimsatt und Monroe Beardsley in ihrem einflussreichen Aufsatz zur Intentional Fallacy von 1946 – aufweist. Bei den Amerikanern wiederum hielt sich lange Zeit das Vorurteil, dass die französischen Dekonstruktionen der Autorschaft von Barthes über Foucault bis Derrida nur „a mere Gallic hyperbole for their own more sober ‚intentionalist fallacy‘“ (Lamarque 1990, 319) darstelle bzw. „that deconstruction is merely a continuation and imitative form of the New Criticism or Anglo-American formalism“ (Barzilai und Bloomfield 1986, 151). Aber es scheint nur so, als ob z. B. Derrida die kritische Betonung von „ambiguity – a term I use in a stricly logical sense, not for multiplicity of meaning but for indecisiveness“ (Beardsley 1992 [1970], 29) durch „indeterminacy“ oder „undecidability“ ersetze, denn er bezieht sich nur auf die Instrumente des traditionellen Kritizismus wie „close reading“, „in order to progress beyond them“ (Barzilai und Bloomfield 1986, 154). Sein Ansatz der Intertextualität, den er mit Konzepten wie der „Dissemination“ oder „Polysemie“ (Derrida 1999, 334 u. 350) noch radikalisiert, sprengt die Autonomie des Textes, die Wimsatt und Beardsley vorschwebt (vgl. Burke 2008, 204). Im Gegensatz dazu ist der Anti-Intentionalismus in Der intentionale Fehlschluss von Wimsatt und Beardsley in Deutschland sehr wohl wahrgenommen worden (vgl. Spoerhase 2007a, 68–79). Das erklärte Ziel ist es, eine Ebene der Evidenz von Texten zu bestimmen, die keine Einmischung von biographischen oder historischen Informationen zum Autor bei der Interpretation zulässt. Die beiden gehen vielmehr davon aus, „dass die Absicht oder die Intention des Autors weder eindeutig erkennbar noch ein wünschenswerter Maßstab ist, um den Erfolg eines literarischen Werkes zu beurteilen“ (Wimsatt und Beardsley 2000, 84). Intention wird dabei als „Entwurf oder Plan im Kopf des Autors“ verstanden, in
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dem sich die „Einstellung des Autors zu seinem Werk“ (85) ausdrückt. Der Vorwurf des Fehlschlusses bezieht sich auf die Verwechslung der beiden Bedeutungsebenen, der Autorintention des Meinens und der Textintention des Bedeutens, wie es Bennett in einem nur im Englischen funktionierenden Wortspiel der Frage ausdrückt, „whether or not our sense of what the text means should be determined by our sense of what the author meant by it“ (Bennett 2005, 76). D. h. nicht Intention generell wird ausgeschlossen, sondern nur die den Autor betreffenden Intentionen, während es die Aufgabe des Interpreten ist, „to understand those intentions as the text expresses them“ (77): „Wenn es dem Dichter gelang, es zu verwirklichen, dann zeigt das Gedicht selbst, was er zu schaffen versuchte.“ (Wimsatt und Beardsley 2000, 85). Es geht um eine Konzentration auf das Sein des Textes, bestimmt „durch seine Bedeutung – da sein Medium Wörter sind“ (86), die durch keine textexternen Verweise auf den Autor, seine Biographie, seine Psyche etc. verstellt oder entstellt werden soll. Die Autorität des Urhebers wird aus dieser Sicht einer Unabhängigkeit und Autonomie des Textes als Vorurteil desavouiert, da jedes Werk „im Moment seiner Fertigstellung vom Autor getrennt […], seiner Verfügungsgewalt und seiner Kontrolle entzogen“ wird und als Ausdruck im Medium der Sprache „dem besonderen Besitz der Öffentlichkeit“ angehört (87). In diesem Sinne möchten Wimsatt und Beardsley die Autor-orientierten Kategorien wie „‚sincerity‘, ‚fidelity‘, ‚spontaneity‘, ‚authenticity‘, ‚genuineness‘, ‚originality‘“ durch die Text-basierten Kriterien der „‚integrity‘, ‚relevance‘, ‚unity‘, ‚functionʻ, ‚maturity‘, ‚subtlety‘, ‚adequacy‘“ (Wimsatt und Beardsley 1954 [1946], 9) ersetzen, um das zu begründen, was sie in einem späteren Aufsatz zur „affective fallacy“ – dem umgekehrten Fall einer Verwechslung der Bedeutung eines Textes mit seinen affektiven Auswirkungen – als „objective criticism“ bezeichnen, der vermeiden soll, „that the poem itself, as an object of specifically critical judgement, tends to disappear“ (Wimsatt und Beardsley 1954 [1949], 21). Beardsley bringt es in einer Erwiderung auf die hermeneutischen Einwände von Edward Hirsch noch einmal deutlich auf den Punkt eines „Principle of Autonomy“: „a literary work is first of all a text, a piece of language“ (Beardsley 1992 [1970], 24–25) Weil Texte auch „without the agency of an author, and hence, without authorial meaning“ (25) entstehen können, weil die Bedeutung eines Textes auch nach dem Tode des Autors eine andere werden kann und sogar eine solche sein kann, der der Autor sich nicht bewusst ist/war, weil also ein Text „can have meanings that the author did not intend […] textual meaning is not identical to authorial meaning“ (27). In letzter Konsequenz bedeutet diese Option für die Bedeutung des Textes und gegen die Intention des Autors, „that texts acquire determinate meaning through the interactions of their words without the intervention of an authorial will“ (31–32).
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4 Rückkehr als Reinszenierung Das Hauptproblem der Thematisierungen einer so genannten ‚Rückkehr‘ oder ‚Wiederkehr‘ des Autors ist ihre Ambiguität. Man muss dabei genau unterscheiden zwischen einer Rückkehr der Diskurse über Autorschaft und Diskursen über die Rückkehr des Autors, wobei dabei wiederum zu differenzieren ist zwischen einer Rückkehr des Autors als leibhaftiger Schöpfer seines Werks, als „Autor“ im paratextuellen Zusammenhang seiner Zitierung als Urheber durch den Rezipienten oder Interpreten oder als ‚Autorfigur‘ im Kontext des Gründungsmythos eines Geniekultes. Auch das Präfix ‚Rück-‘ oder ‚Wieder-‘ ist problematisch, da schon der für den abendländischen Gründungsmythos schöpferischen Künstlertums paradigmatische Begriff der Renaissance von der Doppeldeutigkeit einer Wiederkehr des ‚Alten‘ (der Antike), die aber eine Neugeburt des ‚Neuen‘ (der Moderne) meint, heimgesucht ist. Wie schon für den Begriff der Moderne selbst gibt es für eine Wiederkehr des Autors keine historische Terminierung, sondern eine Abfolge von ‚Wiederkehren‘ eigentlich seit Etablierung des Konzepts der Autorschaft am Ende des Mittelalters, denen jeweils Diskurse der Depotenzierung vorausgehen. Kaum ernsthaft zu verhandeln sind Vorstellungen der simplen Restauration einer einmal statuierten Autorfigur. Genauso tautologisch sind die scheinbar ‚autor-affinen‘ Argumente, dass eine jede Abschaffung, Ablehnung oder Aufhebung des Autors diesen ja namentlich wieder im Munde führe und also legitimiere. Seit Barthesʼ polemischer Vorlage des in der Tradition des 19. JahrhundertNihilismus verkündeten ‚Todes des Autors‘ etablierten sich vor allem Modelle einer dialektischen Verbindung von Death and Return of the Author (Burke 2008, zuerst 1992; vgl. auch die Publikation von Simion, die zuerst auf Rumänisch 1981 und auf Englisch 1996 erschien), die das Phänomen der Rückkehr an die transzendentale Bedingung des Verschwindens rückkoppelt und im Sinne einer synthetischen ‚Aufhebung‘ des Gegensatzes von einer ‚Entwicklung‘ des Konzepts zu etwas Anderem ausgeht: „The author returns on condition that his life is discontinuous, fictive: that he ‚puts the work into the life‘.“ (Burke 2008, 29) In diesem Sinne muss der Autor erst einmal sterben, um als andere Figur neugeboren zu werden, und ist die Fokussierung auf frühere Werte der Autorschaft eigentlich frei von Fragen nach Legitimität. Im deutschsprachigen Bereich wird diese Denkfigur vor allem von Ansgar Nünning in der Formel „Totgesagte leben länger“ (Nünning 2001) aufgegriffen, der ebenfalls für eine modifizierte Rückkehr plädiert, die er in die sogenannte „alltägliche Praxis der Literaturwissenschaft“ (360) verlegt. Auch wenn ihm nicht gelingt zu zeigen, wie „in der Tat“ (361) die „tatsächlichen Verwendungsweisen des Autorbegriffs“ neue Ergebnisse „mit wünschenswerter terminologischer Präzision“ (360) hervorbringen, wird doch deutlich, dass bestimmte theoretische Reflexionen über den Autor angesichts der
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beschworenen „Praxis“ der Interpretation zur Bestimmung wichtiger Funktionen der Bedeutungskonfiguration führen. Allerdings wird auch Nünning in seiner enthusiastischen Feier des von ihm besprochenen Sammelbandes Rückkehr des Autors von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matías Martínez und Simone Winko Opfer der Verwechslung des von der Literaturwissenschaft konstruierten Autor-Konzepts als Ordnungskriterium für die vom Interpreten zugeschriebenen „Autorfunktionen“ (vgl. Willand 2011) mit dem leibhaften Produzenten von Texten, der extradiegetisch selbst nur wieder in anderen Texten (kommentierender, autobiographischer, selbstreflektierener Art) ‚vorkommt‘, es sei denn man wollte das gänzlich textexterne Ereignis der persönlichen Begegnung mit dem Autor beschwören. Die Vision einer „triumphale[n] Rückkehr des realen Autors“ (366) lässt Phantome entstehen, wobei das am meisten diskutierte das „kommunikative Phantom“ (371) des impliziten Autors ist, das Wayne C. Booth 1961 in seiner Rhetorik der Erzählkunst auftreten ließ. Gemeint ist damit eine Art Doppelgänger des Autors, den dieser beim Schreiben im Text erzeugt, denn so „schafft er nicht einfach einen idealen, unpersönlichen ‚Menschen schlechthin‘, sondern eine implizierte Version ‚seiner selbst‘, die sich von den in anderen Werken implizierten Autoren unterscheidet“ (Booth 1974, 77). Booth bezeichnet ihn auch als „offiziellen Schreiber“ oder „des Autors ‚zweites Selbst‘“, spricht dann aber unvermittelt von einem „Bild, das sich der Leser von dieser Gegenwart macht“ (79). Unklar bleibt also, ob der Autor oder der Leser dieses „Bild“ entwirft, das Grundproblem bleibt aber „in der komplizierten Beziehung des sogenannten realen Autors zu den verschiedenen offiziellen Versionen seiner selbst“ (78). Noch weitere Begriffe wie „Person“, „Maske“ oder „Erzähler“ werden genannt, aber auch wieder dem impliziten Autor, der sie seinerseits als Elemente der Erzählung schaffe, gegenüber differenziert, um schließlich in ihm das „intuitive Erfassen eines vollständigen künstlerischen Ganzen“ als „totale Form“ einer im Werk zum Ausdruck kommenden Werteordnung zu verorten: „Unser Eindruck von dem implizierten Autor schließt nicht nur die herauslösbaren Sinngehalte ein, sondern auch den moralischen und emotionalen Gehalt jeder kleinsten Handlung und Erfahrung jeder einzelnen Romanfigur“ (80). Booth denkt offensichtlich an eine synthetische Figur, in der individuelle Züge wie Stil, Ton und Technik zusammenkommen, um die Intention des Autors bei der Interpretation des Werks durchzusetzen: „Der ‚implizierte Autor‘ bestimmt bewußt oder unbewußt, was wir lesen; wir sehen in ihm eine ideale, literarische, gestaltete Version des wirklichen Menschen“ (81). Damit wird noch einmal die Differenz zwischen dem realen Autor und seinem implizierten Bild betont, um „Aufrichtigkeit“ (82) und „zuverlässige Erzähler“ (90) zu schaffen, aber der Autor schafft nicht nur – wie es an einer späteren Stelle heißt – ein Bild von sich selbst, sondern auch ein „anderes Bild von seinem Leser; er schafft seinen Leser,
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während er sein zweites Selbst schafft, und ein optimales Lesen ist dann gegeben, wenn die geschaffenen Selbst – Autor und Leser – zu einer völligen Übereinstimmung gelangen können“ (142). Die Wiederkehr des Autors hinter der Maske des impliziten oder implizierten (implied) Autors lässt also im Text eine ‚Autorfunktion‘ zu einer handelnden Person werden, der „persona, jenes in das Buch wirklich hineingehörende zweite Selbst“ (90), was zwangsläufig zu einer irritierenden Verdoppelung des Autors führt, der auch noch mit dem Leser gleichgesetzt wird. Sie verfügt sogar über „Gefühle und Urteile“ als „der eigentliche Stoff, aus dem große Erzählwerke gemacht sind“ (93). Diese Ontologisierung bzw. Anthropomorphisierung hat in der Rezeption des Ansatzes von Booth für nicht wenig Verständnislosigkeit gesorgt, die der Lebhaftigkeit der Diskussion jedoch kaum geschadet hat. Dennoch bleibt der verstörende Eindruck, dass sich die zahlreichen Auseinandersetzungen scheinbar in der Konstatierung einer Unsinnigkeit und Überflüssigkeit des Konzepts angesichts der „Ungereimtheiten von Booths Anmerkungen zum impliziten Autor“ und der „Unschärfe des Begriffs“ (Kindt und Müller 2006, 173), aber auch in der Notwendigkeit einer Reformulierung einig sind, die – wie Sandra Heinen vermutet – als „Versuche […], die Spielarten des impliziten Autors seit seiner Einführung zu multiplizieren“ (Heinen 2002, 329), der Grund für die fortgesetzte Popularität sein mag. Nünning etwa geht in seiner Kritik von dem Verdacht eines „Passepartout“Begriffs (Nünning 2001, 368) für alle ungelösten Fragen einer Erzähltheorie aus und listet eine ganze Reihe von Unstimmigkeiten auf, die „dieser Instanz bestenfalls beschreibungsinadäquat, schlechtestenfalls widersprüchlich, wenn nicht sogar grob irreführend“ (371) zu sein diagnostiziert. Angesichts dieser definitorischen Defizite kann allenfalls noch von einer „Verlegenheitsformel“ (372) die Rede sein, bevor das Verdikt einer fraglichen „Plausibilität und Nützlichkeit des Konzepts ‚implied author‘“ (375) dieses gänzlich verabschiedet, wobei Nünning in letzter Konsequenz doch dem Vermittlungsvorschlag der Deutung von Kindt und Müller folgt, die bei aller geteilten Skepsis der Tragfähigkeit des Konzepts gegenüber den „Kompromißcharakter“ herausarbeiten, „einmal die Forderung, den intentionalen Fehlschluß vom Text auf den Autor zu vermeiden, andererseits Booths Anliegen, ethische Annahmen eines Textes herauszuarbeiten zu wollen“ (Kindt und Müller 1999, 165; vgl. Kindt und Müller 2006, 166). Die diversen Reaktionen auf die Aporien des implizierten Autors monieren vor allem die mangelnde Zuordnung des Begriffs, der zugleich als „nur fiktionale Textinstanz, eine Wertung oder eine Spiegelung des realen Autors“ (Heinen 2006, 36) auftaucht, mal Konstruktion des sogenannten realen Autors, mal Projektion des Lesers ist. Allein Gérard Genette vermag der Kategorie als ideelle Konstruktion Sympathie entgegenzubringen, wobei er allerdings von der Konstruktion dieses Phantoms durch den Leser ausgeht. In diesem Sinne, als „induzierter Autor, wie
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ich ihn aus seinem Text erschließe, ein Bild des Autors, das mir dessen Text suggeriert“ (Genette 2000 [1983], 237, vgl. Heinen 2002, 331, sowie Kindt und Müller 2006, 176–178), hat die Annahme eine Berechtigung, mit der Konsequenz allerdings, dass das vom Leser konstruierte Bild „treuer ist als die Vorstellung, die der Autor sich von sich selbst machte; […] So gesehen also ist der implizierte Autor der authentische reale Autor“ – wird aber damit zu einer „überflüssigen Instanz“ (239). Er wird zu einer Art „Schattenexistenz“ (241), die aber als Vorstellung des aus dem Text ausgeschlossenen realen Autors doch eine Berechtigung hat: „Der implizierte Autor ist all das, was uns der Text über den Autor mitteilt und sowenig wie jeder andere Leser sollte der Poetologe ihn vernachlässigen.“ (244) Er ist aber keine „narrative Instanz“, als solche kann nur der reale Autor fungieren, den man nicht unnötig verdoppeln sollte. Antoine Compagnon erkennt dagegen in Booths Figur die Strategie des Autors, in seinem Werk einen Stellvertreter zu hinterlassen, der es in seiner Absenz kontrolliert („un substitut qui la contrôlait en son absence“), indem mit der gleichzeitigen Konstruktion des imaginären impliziten Lesers die Kondition geschaffen wird, durch einen gewissermaßen apriorischen Dialog den Bedeutungsprozess der Rezeption zu bestimmen (Compagnon 1998, 177). Nimmt man die beiden Sichtweisen Genettes und Compagnons zusammen, so ergibt sich eine leichte Akzentverschiebung, die auf Seiten des Autors eine Tendenz der Dezentrierung des sogenannten realen, aber außerhalb des Textes noch bedeutungslosen Autors in seinem Substitut, eine Supplementierung seiner Autorschaft im Reflexionsmedium des impliziten Autors vermuten lässt und auf Seiten des Lesers eine Vorgeprägtheit der von ihm geschaffenen Vorstellung vom Autor durch die textimmanente Adressierung durch den Autor erkennen lässt. Mit dem Begriff einer Adressierung des Autors als Ersatz für den traditionellen Begriff der Intention ließe sich auch das von Kindt und Müller dargestellte Dilemma des AntiIntentionalismus (Kindt und Müller 2006, 184) bei Booth umgehen, der das Verhältnis einer nachträglichen Identifikation der eigenen Autorschaft im Spiegel des impliziten Autors – vorausgesetzt, dass es sich bei diesen „Selbstbildern von Autoren“ (190) nicht um bloße Abbilder, sondern um wirkliche, projektive ‚Entwürfe‘ handelt – selbst in einer Nebenbemerkung zum Eindruck mancher Romanschriftseller andeutet, „daß sie sich beim Schreiben selbst entdecken oder schaffen“ (Booth 1974, 77). Zugleich wäre in der Doppelfigur von Adresse und Supplement eine Möglichkeit gegeben, die problematische Janusköpfigkeit des impliziten Autors als „Rezeptionsphänomen und Kommunikationsinstanz“ (Kindt und Müller 2006, 179) plausibel zu machen. Vermittelt sind beide Seiten aber durch den Text, in dem sich für den Autor sein Selbstverständnis und für den Leser sein Autorbild konfiguriert: „Der Autor im Text, also der implizite Autor, ist analytisch immer sekundär gegenüber dem Text und kann daher redlicher Weise
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nicht als dessen Vergangenheit, Ursprung und Garant der Intention konstruiert werden.“ (Baßler 2014, 164) Compagnon nennt Booths Ansatz mit Blick auf das Erscheinungsdatum der Rhetoric of Fiction (1961) eine dem Klischee von Tod des Autors vorweggreifende Zurückweisung („manière de refuser le futur cliché de la mort de l’auteur“, Compagnon 1998,177), aber es gibt andere Diskussionen um die Rückkehr des Autors ohne und vor der ‚Todes‘-Polemik. Zu denken ist etwa an die Kontroverse zwischen dem New Criticism und der hermeneutischen Verteidigung des Autors durch Eric D. Hirsch, der in der Tradition Husserls darauf beharrt, dass der „überzeitliche Sinn [von Texten] nur der vom Autor intendierte Sinn sein [kann]“ (Hirsch 2000 [1960], 159). Die restaurative Geste richtet sich gegen die Zumutung, „that textual meaning is independent of the author’s control […] that the best poetry is impersonal, objective and autonomous“ (Hirsch 1992 [1967], 11). Hirsch setzt das kausale Argument von Urheberschaft durch diejenige Instanz, die Barthes als Schreiber bezeichnet, mit der magistralen Bedeutung von Autorschaft gleich, wenn er meint: „Whenever meaning is attached to a sequence of words it is impossible to escape an author.“ (14) Im Grunde genommen folgt er damit dem onto-theologischen Grundsatz, dass jedes Phänomen als Geschaffenes Ausdruck der Schöpferkraft eines Schöpfers ist, verkennt damit aber den seit Stéphane Mallarmés „Würfelwurf“ (s. o.) Einspruch gegen die Autorität von Autorschaft tragenden experimentellen Charakter des Zufalls. Demgegenüber wird die Willenskraft auktorialer Bestimmung ins Feld geführt, die sich nur in einer Übereinstimmung von „textual meaning“ und „verbal intention of the author“ (17) erfüllen kann. Im Gegensatz zu diesem relativ naiven Positivismus einer Autordominanz hat die nachfolgende, im angloamerikanischen Bereich stattfindende Auseinandersetzung mit der Bedeutung und Begrenzung von Autorintentionen sich vor allem auf einen gemäßigten Ansatz eines teilweisen Einflusses der Autorintention auf die Bedeutung des Werks geeinigt. Nachdem er verschiedene Positionen von Intentionalismus und Anti-Intentionalismus aufgelistet hat, schreibt Paisley Livingston in seiner einschlägigen Monographie zum Thema: „Moderate, constrained, or partial intentionalism is the thesis that authorial intentions figure […], yet combine with other factors, such as features of the finished text, artefact, or performance, and aspects of the historical and artistic context in which the work was created. Unlike absolute intentionalism, this view allows that there are unintended meanings, and that some authorial intentions are not successfully realized, even when they are acted upon.“ (Livingston 2005, 142) Er hebt diese vermittelnde Form noch von der ebenfalls ‚gemäßigten‘ des „hypothetical intentionalism“ ab, der allerdings von einer Vorstellung ausgeht, die sich der Interpret von der Autorintention macht (143), die nicht unbedingt mit der wirklichen Intention des Autors oder der Bedeutung der Äußerung übereinstimmen muss
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und eine „parasitic“ (156) Dimension der Bedeutung einführt (zum ‚hypothetischen Intentionalismus‘ vgl. weiter Kindt und Müller 2006, 185–188, Spoerhase 2007a, 123–144 und 2007b sowie Willand 2010, 39). Im letzteren Sinne hat sich die deutschsprachige Diskussion um eine Reevalution der umstrittenen Autorintention darauf geeinigt, das „Autorkonzept in der interpretativen Praxis“ für unverzichtbar zu erachten (Willand 2011, 280), wobei es eben nicht um eine Rückkehr eines „realen Autors“ geht, sondern um die Autorfunktion als „geistige Konstruktion des Interpreten“. Die dabei geführte Grundsatzdebatte über die Restitution wertvoller Aspekte traditioneller Autorschaftsvorstellungen, die zwar immer wieder betont, dass es ein anderer Autor sei, der zurückkehre als der von Barthes u. a. verabschiedete Alleinherrscher über den Text, neigt gleichwohl dazu, doch wieder auf die Evidenz einer letztendlich für den gesamten Werkprozess verantwortlichen Entität als individuelle Instanz zu rekurrieren. Beispielhaft lässt sich am pragmatizistischen Einsatz von Fotis Jannidis unter dem einschlägigen Titel „Der nützliche Autor“ zeigen, wie ein solcher Utilitarismus die Unverzichtbarkeit der Kategorie Autorschaft doch wieder auf Existenzgründe zurückführt zu werden droht, die von der Annahme ausgehen, dass „der Umstand, daß ein Text innovativ ist, nicht auf die Autorintention allein zurückführen, so ist es andererseits nahezu unmöglich, die Innovationsleistung einer anderen Instanz als dem Autor zuzuschreiben.“ (Jannidis 1999, 388) Gegenüber dem Praxisargument eines Mangels an Differenzierung zwischen real agierenden ‚Schreibern‘ und ihrer nachträglichen interpretatorischen Nobilitierung als ‚Autoren‘: „Die Vertreter der ‚Rückkehr des Autors‘ verabsolutieren mithin den handelnden Akteur (die Person), weil sie […] die Rekursivität von handelnden Akteuren und Autorfunktion verfehlen“ (Assmann 2009, 98). Der Rückverweis auf reale, schriftstellerisch handelnde Personen ist letztlich aber für den Nachweis der Autorität von Autorschaft irrelevant, wie gerade Livingstons sehr weiter Definitionsversuch von Autorschaft durch Intention zeigt. Die pseudowissenschaftliche Definition: „author = (def.) An agent who intentionally makes an utterance, where the making of an utterance is an action, an intended function of which is expression or communication“, aus der gefolgert wird: „anything that is not an agent, that is, anything that is not capable of action, cannot be an author“, weshalb z. B. darauf zu schließen ist, dass „if a computer is not capable of genuine action because it literally has no meaningful attitudes, then it cannot be an author“ (Livingston 2005, 69), ist weitgehend durch die neuere Actor-Network-Theory und die Forschung zur Artificial Intellligence überholt [vgl. den Artikel Autorschaft aus dem Blickwinkel der Akteur-NetzwerkTheorie]. Etwas anderes ist es, wenn Livingston kurz zuvor Autorschaft auf Verantwortung zurückführt: „behind the question of authorship lies the interest we take in knowing who, on a specific occasion, has been proximally responsible
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for the intentional production“ (68); womit der Autor in einem sozialgeschichtlichen Feld wiederkehrt oder besser (wieder)auftaucht, das durch die Spannung zwischen ‚Versprechen‘ und ‚Ver-Antworten‘ bzw. grundsätzlich der Verpflichtung auf eine Antwort gegenüber dem Adressaten gekennzeichnet ist und das begründet, was auf einer rechtlichen Basis die Verbindung zwischen Autorschaft und Authentizität durch die Signatur begründet (vgl. Wetzel 2006, 49–50). In diesem sozialgeschichtlich orientierten Sinne lässt sich in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft schon seit den 1980er-Jahren eine intensive Fokussierung auf Fragen der Autorschaft beobachten, die dieses Thema mehr ‚entdeckte‘ als von einer ‚Rückkehr‘ beherrscht war. Der Impetus dieses neu erwachten Interesses an Autorschaft rührte von Analysen der beruflichen, finanziellen und politischen Situation von Autoren als im wertfreien Sinne schriftstellerisch aktiven Künstlern seit Beginn des bürgerlichen Zeitalters in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts her, das für diesen thematischen Kontext nicht zuletzt mit Blick auf die Politik des Copyrights als historischer Beginn der Entstehung von Autorschaft galt. Anlass zu dieser thematischen Wende der Literaturwissenschaft war letztlich die ideologische Zäsur von 1968, die auch ein Umdenken des Umgangs mit der traditionellen motivgeschichtlichen Literaturinterpretation erforderte, d. h. eine Abkehr von immanenten Deutungen unter Ausblendung der materiellen Produktionsbedingungen von Kultur und die alleinige Ausrichtung auf geniehafte Vorbilder einforderte, wobei nicht zuletzt marxistische Referenzen auf das Verhältnis von individuellen Produktivkräften und gesamtgesellschaftlichen Produktionsverhältnissen im Zuge der Wiederentdeckung einschlägiger Ansätze der Vorkriegszeit von Benjamin und Lukacs und im Rahmen der ‚Kritischen Theorie‘ dominant wurden. Ein typisches Beispiel für diese Entwicklung ist der ‚Autorenreport‘, der 1971 vom Spiegel in Auftrag gegeben wurde, aber auch Studien wie die von Schwenger (1979) oder die einschlägige und einflussreiche Untersuchung von Haferkorn (1974) zur „Entstehung der bürgerlich-literarischen Intelligenz“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (vgl. Haferkorn 1974). Es folgte eine ganze Reihe von Untersuchungen, die sich speziell mit der historischen Entwicklung und Einordnung von Autorschaft bzw. dem Selbstverständnis von Autoren im Literaturbetrieb auseinandersetzten (vgl. Schneider 1981) und zugleich den Zusammenhang zwischen Autorschaft und den Medien analysierten, wobei gerade der Begriff ‚Autor‘ als angemessene Bezeichnung für die Produktionsbedingungen nicht nur der Printmedien, sondern auch der Massenmedien wie Funk, Film und Fernsehen herausgestellt wurde (vgl. Kreuzer 1981, 7–9). Eine bedeutende und einflussreiche Studie stellte die Untersuchung von Heinrich Bosse zum Ursprung der Autorschaft im Geiste des Urheberrechtes dar (1981), die die Aufmerksamkeit auch anderer Studien auf die medial realisierten Eigentumsverhältnisse lenkte (vgl. Zons 1983 und Kittler 1985). Daneben setzen auch verstärkt Untersuchungen
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zur Ausdifferenzierung von Autorentypen und vor allem deren historische Einordnung ein (vgl. Haug und Wachinger 1991). Einflüsse des russischen und französischen Strukturalismus finden sich dann in den beiden von Felix Philipp Ingold und Werner Wunderlich herausgegebenen Sammelbänden Fragen nach dem Autor (1992) und Der Autor im Dialog (1995), die unter Berücksichtigung vor allem vieler interdisziplinärer Aspekte einen Stellenwert der Autor-Kategorie in der gegenwärtigen Literaturwissenschaft zu bestimmen suchten. Ingold hat darüber hinaus in zahlreichen Einzelstudien neuen kreativen Techniken von Autorschaft eine kritische Aufmerksamkeit geschenkt, die sich besonders um die Vermittlung zwischen der ‚Abkehr‘ vom Autor und seiner ‚Rückkehr‘ bemühte, wobei für ihn ein „Verschwinden des Autors“ immer nur ein „Schwinden der Autorität des Autors“ (Ingold 1992, 327) und nicht wieder dasjenige der tragenden Person bedeutet. Die Fokussierung des Gesichtspunktes der Autorschaft vollzieht sich Rahmen seiner Entmystifizierung, die den Autor als durch Originalität, Singularität und Autonomie definierte Sozialfigur im Spannungsverhältnis von Werkherrschaft und Sprachherrschaft sieht (vgl. Bogdal 1995, 278–279). Auch die begriffsgeschichtliche Monographie von Kleinschmidt rekurriert grundsätzlich auf den dialektischen Gegensatz einer Würdigung des Eigenen, Originellen von Autorschaft und dessen Desillusionierung als Machtphantasie einer Herrschaft über den Text, die Kleinschmidt als „auktoriale Illusion“ (1998, 133) eines auf der Präsenz der Stimme basierenden Anwesenheitsmodus des Autors entlarvt. Angesichts der Diversität dieser Diskussionen erscheint die in einigen Rezeptionsgeschichten von Autorschaft auftauchende Emphase für das revolutionierende Motiv einer ‚Rückkehr des Autors‘ des gleichnamigen Sammelbandes (Jannidis et al. 1999) übertrieben, da die darin diskutierten Aspekte einer Restitution von Autorschaft eher die genannten Forschungen fortsetzen. Allerdings markiert die Schwelle des Jahres 2000 den Beginn einer neuen Intensivierung der deutschsprachigen Autorschafts-Forschung, angefangen bei der sehr einflussreichen Sammlung von Grundlagentexten zur Theorie der Autorschaft (Jannidis et al. 2000) und der Publikation der Ergebnisse einer einschlägigen DFG-Fachtagung zu Positionen und Revisionen der Autorschaft (Detering 2002). Verstärkt tritt auch die Frage nach der Rolle des Autors in den Hypermedien bzw. im Hypertext in den Vordergrund bzw. letztendlich die Frage eines Überlebens von AutorschaftsIdealen wie ‚Authentizität‘ und ‚Autonomie‘ angesichts kollektiver und digitaler Produktionsverfahren (vgl. Robillard und Fortune 2016). Die von den Verfechtern einer ‚Rückkehr des Autors‘ aber noch gar nicht geahnte Wende vollzog sich dann Anfang des 21. Jahrhunderts unter dem schon von Nünning als Desiderat angesprochenen Thema einer „literarischen Inszenierung von Autorschaft“ und zwar als „diachrone Rekonstruktion des Wandels von Autorschaftsmodellen“
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(Nünning 2001, 383), die im Sinne des performative turn das Interesse weg von Fragen der Bedeutung, der Macht, der Existenz von Autoren hin zu Fragen nach ihrem Auftreten in paratextuellen Kontexten, der medialen Image-Pflege durch eine gezielte Bild-Politik, kalkulierte öffentliche Performanzen wie Interviews, Lesungen, Skandale oder der Steuerung von Rezeptions-Mechanismen lenkten. Neben zahlreichen Tagungen, Sammelbänden (vgl. Künzel und Schönert 2007; Grimm und Schärf 2008; Jürgensen und Kaiser 2011; Meier und Wagner-Egelhaaf 2011; Gisi et al. 2013; Bannert und Klecker 2013; Kyora 2014; Bartl und Kraus 2014) entstanden zahlreiche Monographien als Dissertationen, die sich nicht mehr mit der Rolle der Autorschaft bei der Deutung des Werkes, sondern mit der öffentlichkeitswirksamen Inszenierung von Autorschaft als – wie der Titel der bislang aktuellsten Gesamtdarstellung zum Thema Autorschaft sinnfällig signalisiert – „Praktiken“ (Schaffrick und Willand 2014, vgl. bes. 83–120) der Erzeugung eines Einflussfeldes des Autors als letztendlich fiktiver bzw. fingierter Figur durch autopoetische Autorschaftsstrategien und öffentlich-theatralische ‚Posen‘ beschäftigen (vgl. u. a. Amstutz 2004; Schley 2012;. Schaffrick 2014; John-Wenndorf 2014; Fischer 2016, Witzke 2017). Der epistemologische Umbruch wurde bereits durch die entscheidende Neuorientierung des Authentizitäts-Diskurses in den 90er Jahren vorbereitet, der sich von den Substanz- und Subjektivitäts-Vorstellungen der 70er und 80er abwandte und den traditionellen Gegensatz von Authentizität und Maskenhaftigkeit dialektisch in Darstellungs-Modelle einer ‚Herstellung‘ bzw. einer ‚Vor-stellung‘ (durchaus im theatralischen Sinne) von Authentizität als Effekt überführte, der erst in der Nachträglichkeit der Inszenierung das erzeugt, was er als Ursprüngliches darzustellen behauptet (vgl. Wetzel 2006 und Wiefarn 2010). Für die neuere Diskussion entscheidend ist auch die Erweiterung der Darstellungsweisen dieses „Hergestelltsein[s]“ von Autorschaft (Luhmann 1997, 113) durch die sogenannten ‚sozialen‘, digitalen Massenmedien der Internet-Kommunikation, die ganz neue Inszenierungspraktiken in der Form von Blogs, Twitter-Accounts oder informellen Online-Auftritten über die audio-visuellen Medien wie Photographie, Radio oder Fernsehen hinaus ermöglichen (vgl. Sporer 2019). Schon vorher richtete sich die Aufmerksamkeit auf die theatralischen Effekte des Rollenverständnisses von Schriftstellern (vgl. Grimm 1992) und wurde weiterverfolgt in der Analyse performativer Praktiken der Autorschaft von Schriftstellern als öffentliche Figuren (Grimm und Schärf 2008), wobei das entscheidende Novum die Einsicht ist: „Autorschaft ereignet sich, sie entsteht im Vollzug und erzeugt Präsenz“ (Schaffrick und Willand 2014, 84). Damit wird die Frage einer Rückkehr des Autors völlig neu ausgerichtet und ein Rekurs auf Kategorien der Kompetenz des künstlerischen Individuums auf eine Analyse der Wirkungsweisen umgelenkt, d. h. eine Analyse der Praktiken der Erzeugung von öffentlicher „Aufmerksamkeit“ (Jürgensen und
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Kaiser 2010, 10). Als entscheidende Kategorie kommt auf diesem Schauplatz das ‚Spiel‘ zur Geltung, als Spiel mit den Medien (vgl. Gisi et al. 2013) oder als Spiel mit dem Publikum (vgl. Jürgensen und Kaiser 2011, 14): Als öffentliche Person (vgl. John-Wenndorf 2014) wird der Autor zum Spieler und zur Spielfigur, die vom Werk ablenkt und mit den Mitteln des ‚Spektakels‘, durch Provokationen und Skandale auf die eigene ‚Person‘ als Maskerade konzentriert. In diesem Sinne ist der Aspekt der Inszenierung nicht neu und reicht bis zum self-fashioning (Greenblatt, Weimann) der frühen Neuzeit zurück und hat im Habitus (Bourdieu) der Bohème und des Dandytums im 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt. Auch die Bildnispolitik des Autorenporträts hat eine lange Vergangenheit (vgl. Berndt et al. 2018), erfährt in der modernen Mediengeschichte seit der Photographie eine eigene autonome Dynamik (vgl. Bickenbach 2010; Oster 2014) [vgl. den Artikel Autor-Bild]. Neu ist aber die in der Gegenwart veränderte Oberflächen-Technik des Inszenierens, die vor allem mit der Kunstavantgarde des Pop [vgl. den Artikel Pop-Autoren] die Marktmechanismen des Parergonalen oder Paratextuellen (vgl. Genette 2001 [1987], vgl. dazu Wegmann 2016, 11) als Rahmenwirkungen einer Event-Kultur Priorität einräumt, die den Autornamen nicht mehr über seinen Bezug zum Werk klassifiziert, sondern über das durch ihn als Label und Logo repräsentierte symbolische Kapital seiner Popularität (vgl. Niefanger 2002) – die sich auf Plattformen wie Instagram, Facebook oder Twitter nach der Anzahl der follower quantifizieren lässt. Diese neuen Praktiken der Subjektivierung (Kyora 2014) unterliegen somit einer fortschreitenden „Hybridisierung“ (13), die rückwirkend textextern aktualisierte Subjektformen mit textintern inszenierten verschmilzt. Durch diese veränderten ‚Strategien‘ der Inszenierung (vgl. Gronemann et al. 2012) ergeben sich aber auch Retrospektiven auf geschichtliche Vorläuferschaften, wie das erst spät in der Literatur- und Kulturwissenschaft ausgelöste Interesse generell und die Fixierung auf die besondere Praktik des Interviews zeigt (vgl. Hoffmann und Kaiser 2014, Hoffmann und Pabst 2016). Als Medium des Direktkontaktes mit dem Autor öffnet das sogenannte Gespräch schon seit der Goethezeit den Grenzbereich zwischen Dokumentation und Fiktion: „Denn die Attraktivität des Schriftstellerinterviews basiert auf einer Art säkularisierter Epiphanie, auf der vermeintlichen Präsenz eines Autors, der im Rezeptionsprozess, in der Lektüre stets abwesend ist. […] Der Autor ist anwesend und gleichzeitig abwesend, wobei die Anwesenheit lediglich eine ebenso medial wie konventionell vermittelte Fiktion ist“ (Wegmann 2016, 23–24). Von daher liegt das Auftauchen einer umgekehrt eher werkinternen Inszenierungsdimension in Form einer ‚verschobenen‘ Wiederkehr des Autobiographischen als ‚Autofiktion‘ nahe, die Schreiben als eine Inszenierung von Autor-Subjektivität, aber als Fiktion und nicht etwa Offenbarung eines verborgenen Selbst verstanden wissen will [vgl. den Artikel Autofiktion]. Was als ‚Fiktionspakt‘ mit
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dem Leser ins Feld geführt wird, ist mehr ein narratives ‚Glauben-Machen‘ an den fiktionalen Gehalt: „Die (Auto)Fiktion lässt den Autor als denjenigen, der fingiert und sich selbst fingiert, in Erscheinung treten.“ (Wagner-Egelhaaf 2013, 9) Die Inszenierungspraktiken von Autorschaft werden so durch intradiegetische Fiktionalisierungspraktiken des durch Namensgleichheit Identität mit dem Autor suggerierenden Erzählers ersetzt, wobei die Selbstreferenztechniken der miseen-abyme, die hybridisierenden und rhizomorphen Sinnstreuungen Aufpropfungen des Textes in der Tradition von Poststrukturalismus und Postmoderne (vgl. Gronemann 2002, de Toro und Gronemann 2004 sowie Schaffrik und Willand 2014, 56) stehen: als ein ‚post‘-autobiographisches Schreiben nach der Autobiographie (vgl. Wagner-Egelhaaf 2006), das Selbst-Finden durch Selbst-Erfinden ersetzt. Es ist ein hybrides Spiel mit der Authentizität autobiographischen Bekennens als „Überschreiten der Grenze zwischen Leben und Werk“ (Schaffrick und Willand 2014, 55), das nur eine selbsterfundene Persönlichkeit des Autors präsentiert. Insofern lässt die Autofiktion den Autor wieder nur als ‚Gespenst‘ wiederkehren (vgl. Wagner-Egelhaaf 2008), d. h. schließt an die seit Barthes und Derrida gängige religiöse Metaphorik vom „wiederauferstandenen Autor“ als „Wiedergänger seiner selbst und damit eine höchst komplexe Reflektionsfigur […], die sich ihres Konstruktionscharakters bewusst ist“ (Wagner-Egelhaaf 2014, 29; zur religiösen Dimension vgl. Sieg und Wagner-Egelhaaf 2014 sowie Schaffrick 2014). Als „Auto(r)fiktion“ (Wagner-Egelhaaf 2013) lässt die ‚Wiederkehr‘ zugleich Spuren von Paul de Mans ‚Masken-These‘ wiedererkennen und setzt bewusst auf die Unentscheidbarkeit zwischen Roman (im englischsprachigen Sinne: fiction) und faktenreicher Autobiographie (vgl. Zipfel 2009), d. h. sie erscheint als Erzählung, die sich anscheinend auf Daten aus dem Leben des angeblich realen Autors beziehen, der seine Biographie mit aller Freiheit zum ‚Lügen‘ als Fiktion jedoch im Text neu erfindet. In dieser Form einer pseudo-autobiographischen Rückkehr des Autors im Text verdichten sich zahlreiche Aporien der Autorschaft – von der traditionellen Regel, den Autor nicht mit dem Erzähler zu konfundieren, über die Aufrichtigkeit autobiographischer Bekenntnisse bis hin zur Authentizität der Autorintention –, denn der über die Namensidentität und übereinstimmende biographische Fakten erzeugte Kurzschluss zwischen realem Autor und intradiegetischem Erzähler ist eine Falle, in die der Leser gelockt werden soll, um an die Authentizität der „Medienbiographie […], die sich aus den vom Autor und seinem Verlag gestreuten und den sich zusätzlich im öffentlichen Raum zugänglichen Informationen über ihn speist“, zu glauben und zu vergessen, „dass die textexterne, im öffentlichen Raum als Autor sichtbare Persona aufgrund verschiedener Möglichkeiten der Selbstinszenierung und -stilisierung immer schon einer gewissen Konstruktion unterliegt“ (Krumrey 2015, 28).
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Ursprünglich durch die zudem buchstäblich ‚marginale‘ Erwähnung im Klappentext von Serge Doubrovskys Roman Fils (1977) als Formel für eine chiasmatische Verschränkung von narrativen Fiktionen und biographischen Fakten, von der Sprache eines Abenteuers und dem Abenteuer einer Sprache (übers. nach Krumrey 2015, 23), aufgetaucht, hat dieses Konzept von Doubrovskys Narratologie (vgl. 2004) zuerst in Frankreich eine intensive Diskussion ausgelöst, die vor allem die Frage der Fiktion nicht als kunstvolle Verfremdung der Realität, sondern – erkenntniskritisch und nicht zuletzt selbsterkenntniskritisch – als „Akt der Konstitution individueller Erfahrung“ (Gronemann 2002, 48) generell aufwarf. Die (nicht publizierte) Dissertation des Genette-Schülers Vincent Colonna von 1989 (L’autofiction, essaie sur la fictionalisation de soi en litérature) hat wesentliche Aspekte dieser pseudoautobiographen Restitution von Autorschaft analysiert, an anderer Stelle hat Colonna allerdings auch darauf hingewiesen, dass diese Erzähltechnik durchaus nicht neu ist, sondern sich seit der Antike in Form von ‚Lügen‘-Geschichten in der abendländischen Literaturgeschichte etabliert hat (vgl. Colonna 2004). Darüber hinaus gilt schon Barthesʼ Über mich selbst (1978) als Form der Autofiktion (vgl. de Toro und Gronemann 2004, 13–14, Wagner-Egelhaaf 2006). Auch Kreuzer verweist im Zusammenhang seiner Geschichte der Bohème auf ein früheres Auftauchen dieses Topos: „Der Autor projiziert eine eigene, persönliche Existenzproblematik in den Helden […]. Autofiktiv nennen wir Figuren der Literatur, die permanent auf ihren Autor zurückweisen, nicht ‚abgelöst‘ sind, nicht ‚rundplastisch‘ objektiviert“ (Kreuzer 1968, 85). Schaffrick und Willand haben darüber hinaus auf die Affinität zwischen der Selbstreferentialität autofiktiver Autorschaft und der von Luhmann als typisch für die Medienkulturgesellschaft diagnostizierten Beobachtung zweiter Ordnung hingewiesen [vgl. den Artikel Systemtheorie]: „Die Autofiktion setzt nicht nur die Selbstbeobachtung des Schreibenden voraus, sondern, da er sich selbst in sein Werk kopiert, auch noch die Beobachtung dieser Selbstbeobachtung.“ (Schaffrick und Willand 2014, 56) Mit der Figur einer rekursiven Autopoiesis immunisiert sich Autofiktion so gegen eine Authentifizierung an der außerliterarischen Realität und erzeugt zugleich die Paradoxie, „daß das authentische, weil unmittelbare Handeln als inauthentisch beobachtet wird“ (Luhmann 1997, 123). Sie kapselt sich im Modus ironischer Inauthentizität in sich ab und lenkt die „Aufmerksamkeit vor allem auf selbstreferentiell-metafiktionale Signale der Literatur und Autorschaft“ (Schaffrick und Willand 2014, 58) als „Meta-Autobiographie“ (de Toro und Gronemann 2004, 10). Nimmt man die von Willand beobachtete Ambiguität der Autor-Werk-Herrschaft angesichts der von Luhmann konstatierten Souveränität des einmal publizierten Werkes als autopoietisches System einer „Selbstprogrammierung“ (Luhmann 1997, 332) hinzu, so ergibt sich die zusätzliche Begründung autofiktiver Praktiken in der Absicht einer Wiederaneignung des autonom gewor-
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denen Werks „als Autor, der sich selbst erwähnt“, sich in sein Werk selbst hinein „copiert“ (123), um es wieder zu beherrschen (Willand 2018). Für den in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur identifizierten ‚IchKultʻ bot dieser Interpretationsansatz der „Selbstpoetiken“ oder „autopoetischen Subjektivation“ (Kreknin 2014, 4 u. 20) einen gelungenen Einsatz für zahlreiche Studien zu Autoren wie u. a. Rainald Goetz, Christian Kracht oder Thomas Glavinic, um zu zeigen, wie „durch Autorschaft in literarischen Texten Autor-SubjektFiguren generiert werden“ und „die Bedingungen der eigenen Existenz durch den selbst autorisierten Text“ (32) zu hinterfragen sind. Kreknin differenziert dabei deutlich zwischen Autorinszenierung und Autofiktion, indem er den an den Begriff von Authentizität gebundenen Aspekt einer Sehnsucht nach der Realität des konstruierten Selbst von der „Einschreibung“ der autopoietisch erzeugten Autor-Figur weniger ins Leben an und für sich, als vielmehr in eine „spezifische Form medialisierter Wirklichkeit“ (Kreknin 2014, 32, 128–129) unterscheidet (vgl. Krumrey 2014, Pottbecker 2017, Schlöndorff 2017 und Arnold et al. 2018). Zwar kann man die „autofiktionale Resurrektion des Autors“ mit einer „Sehnsucht nach der im Zeitalter der Postmoderne scheinbar abhanden gekommenen oder zumindest ontologisch unscharf gewordenen Realität“ in Verbindung bringen (Weiser und Ott 2013, 12), man setzt sich damit aber der Gefahr aus, in den Effekten autofiktiver Praktiken der Autorschaft hybriden Simulakra gelebter Realität aufzusitzen, wenn man die ‚Sehnsucht‘ mit der textuellen Wirklichkeit verwechselt.
I.3 Schauplätze 1 Editionsphilologie Der Autor ist eigentlich eine Erfindung der Philologie, schon seit der Antike gilt er als klassifikatorische Kategorie z. B. für die ersten großen Bibliotheken wie in Alexandria oder für die Staatsarchive in Athen. Damit verbunden waren aber keine Vorstellungen von Eigentum am geistigen Werk: Der Name hatte mehr die Aufgabe der Indikation authentischer Manuskriptversionen, die gegenüber späteren Abänderungen bzw. Fälschungen autorisiert werden sollten, Eigentumsansprüche konnte der Verfasser nur der materiellen Form seiner eigenen Niederschrift, nicht aber den öffentlich zirkulierenden Kopien gegenüber geltend machen. Auch wenn es um Fragen der Originalität von Stilen oder Stoffen ging, war in den Poetiken eher vom Dichter/Poeten die Rede, und in den römischen Plagiatsdiskussionen geht es mehr um den Diebstahl des Ruhmeffektes als den geistigen Eigentums. Selbst die Hermeneutik ist in ihren Anfängen nur an Texten
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und deren Deutung durch Entfaltung aller allegorischen Bedeutungsebenen interessiert [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik] und fragt nicht nach deren Determination durch die Intention eines Autors, als der im Mittelalter sowieso nur Gott als „the ultimate author of Wisdom“ (Love 2002, 18) in Frage kommt. Insofern kommt der Autor erst ins Spiel, wenn Authentizität als erstrebenswerter Gegenstand der hermeneutischen Praktik an den semantischen Kontext von Subjektivität rückgekoppelt wird und zum Ausdruck für die Aufrichtigkeit eines individuellen Autors avanciert. Besonders für die Bibelhermeneutik und die seit Gutenbergs Erstdruck und Luthers Übersetzung von ihr geleitete Editionspolitik ist die im 17./18. Jahrhundert nicht zuletzt durch Spinoza – dem „Vater der Philologie“ (Compagnon 1998, 64) – in seinem Tractatus theologico-politicus (1670) ausgelöste Diskussion um den Offenbarungscharakter bzw. die vielmehr profane Autorschaft der Bücher der Bibel einschneidend (vgl. Love 2002, 23). Die Bibel als historisches Dokument zu editieren, heißt fortan, die Frage nach ihren Autoren zu stellen. Fragen der Autorschaft, die für eine gegenwärtige Bibelhermeneutik selbstverständlich sind (vgl. Becker und Rüpke 2018 sowie Frey, Jost und Toth 2019), eröffneten das weite Feld der Zuschreibungsregel von „Text und Autor“ neu (vgl. Henkes 2000) bis hin zu anachronistischen Antizipationen postmoderner Aporien einer anwesend abwesenden Autorschaft in biblischen Offenbarungen (Breu 2020). Der konstitutive Zusammenhang von ‚Autor‘, ‚Autorisierung‘ und ‚Authentizität‘ (Bein et al. 2004) verweist aber gerade im Zusammenhang der Editionsphilologie auch auf die Zweischneidigkeit des Konzepts der Authentizität, das einerseits tragend ist für die Autorisierung des Autors als ‚eigenhändig‘ und damit ‚eigenmächtig‘ Schaffenden, als ‚authentischen Urheber‘, andererseits aber den Autor in Abhängigkeit zu seinem Werk setzt, von dessen eigentlicher Authentizität er die seine als ‚subjektive‘ Eigenschaft nur übertragen erhält. Insofern empfiehlt es sich hermeneutisch, „nicht die Nähe zu einem Autor, zu dem Verfasser eines Textes, als Kriterium der Authentizität zu wählen, sondern in einem ersten Schritt den Begriff an die Überlieferung eines Textes rückzubinden“ (Martens 2004, 41). Hermeneutik beginnt aber schon mit ihrer Frage nach der Autorschaft, die Rolle des Autors zu hinterfragen, zu erschüttern und in der Dimension der Auslegung und Rezeption durch das dialektische Wechselspiel zwischen ursprünglicher Autorintention und erweitertem Interpretenwissen zu komplizieren. Die von Schaffrick aufgeworfene Frage nach der konstituierenden Dialektik zwischen Autor und Werk verweist auf genau diese „Autoritätsambivalenz“, die jede Werkherrschaft des Autors in Form der repräsentativen Herrschaft des Werks, d. h. als „Herrschaft eines Abwesenden, der von seinem Werk repräsentiert wird“ (Schaffrick 2018, 8), heimsucht. Im Grunde genommen sieht schon Gadamer mit seiner Restitution eines allegorischen Auslegens (vgl. Willand 2010, 35) das Problem:
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Verstehen begreift sich einerseits als Reproduktion der ursprünglichen Produktion eines Autors, kann sich andererseits aber primär nur auf den Text beziehen. Hans Georg Gadamer resümiert Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher mit der Einsicht: „Verstehen also ist eine auf eine ursprüngliche Produktion bezogene Reproduktion, ein Erkennen des Erkannten […], eine Nachkonstruktion, die von dem lebendigen Moment der Konzeption, dem ‚Keimentschluß‘ als dem Organisationspunkt der Komposition ausgeht.“ (Gadamer 1972, 175) In seiner eigenen Formulierung der hermeneutischen Aufgabe tritt dann aber der Text als autonome Sinneinheit in den Vordergrund: „Wer einen Text verstehen will, ist vielmehr bereit, sich von ihm etwas sagen zu lassen. Daher muß ein hermeneutisch geschultes Bewußtsein für die Andersheit des Textes von vornherein empfänglich sein.“ (252) Schrift soll also einerseits in Rede verwandelt werden, um die ‚Stimme‘ des Autors lebendig und präsent zu machen, hat aber andererseits das Problem der Flüchtigkeit, da Rede sich in Schrift medial veräußern muss, um objektiv interpretierbar werden zu können. Damit ergibt sich im Sinne der durch Derridas Kritik wieder populär gemachten Polemik gegen Schrift als verstellendes Simulakrum in Platons Phaidros die umgekehrte Aporie einer Abwesenheit der Autorintention und eines Überwiegens der durch Sprache als autonomes Zeichensystem gesteuerten Bedeutungsprozesse über den Stilwillen des Autors. Die hermeneutische Perspektive bleibt so letztlich auf das Werk bezogen und auf den Autor nur über das Werk: „Der Autor ist der Name des Werkes. Es gibt den Autor nicht außerhalb des Werkes. Es ist deshalb falsch, zwischen einer hermeneutischen und einer biographischen Verwendungsweise des Wortes ‚Autor‘ unterscheiden zu wollen, da die Biographie nie allein den Autor thematisiert […]. Der Autor dagegen ist immer nur der, der schreibt.“ (Japp 1977, 89) Überhaupt steht jedes Fragen nach dem Autor mit jeder Wendung wieder vor der fundamentalen Frage nach dem, was ein Werk ist (vgl. Efimova 2018). Schon Foucault hat diese Frage vor seine grundsätzliche Frage „Was ist ein Autor?“ gestellt und auf die philologisch entscheidende Problematik der Grenzen für die Bestimmung einer Werkeinheit aufmerksam gemacht, die „wahrscheinlich ebenso problematisch wie die Individualität des Autors“ ist (Foucault 2003, 241). Es geht dabei auch um Kriterien der von Genette (2001) so genannten ‚paratextuellen‘ Textelemente (Nennung des Verfassernamens, des Titels sowie des Genres, Bewerbung des Werks durch Vorworte oder Klappentexte oder auch Autorbilder etc.). Als werkexterne Kriterien der ‚Ermittlung‘ von Autorschaft kommen zeitgenössische Zuschreibungen ins Spiel, Dokumente betreffs der Entstehungsumstände (wie Tagebücher, Briefe, Verlagsaufzeichnungen) ebenso wie biographische Daten und Angaben zu früheren Interventionen dieser Autorschaft (vgl. Love 2002, 51–78). Angewiesen auf den ‚Tatort‘ des hinterlassenen Werkes, gleicht die Suche nach dem Autor einer „Spurensicherung“ (Ginzburg 1983), die – wie schon
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die französische Nebenbedeutung für auteur als Täter nahelegt – das Werk nach „traces of agency“ analysiert, „to validate individual agency“ (Love 2002, 32). Aber Love setzt dabei einen emphatischen „belief in the reality of individuality“ (10) voraus und verweist auf Edward Said, der sich seinerseits dem Werk mit emotionalen Motiven als „result of human work“ (Said 1983, 4) annähert – oder noch stärker als „that which derives from a desire – to write – that is ceaseless, varied, and highly unnatural and abstract, since ‚to write‘ is a function never exhausted by the completion of a piece of writing“ (131). Das neue Problem ist dabei nur, dass allein auf den Wunsch zu schreiben nicht geschlossen werden kann, wenn kein Werk vorliegt, bzw. wenn das Schreiben nicht an die den Autor anerkennende Öffentlichkeit als Publikation getreten ist: Keine Werkwerdung ohne „Akt der Veröffentlichung“ (Efimova 2018, 3) bzw. ohne Kanonisierung, bei der „durch Andere Autorschaft attestiert worden ist“ (Hoffman 2017, 182). Zwar gibt es den Mythos vom Autor bzw. „Künstler ohne Werk“ (Pontzen 2000), bekannt seit der Renaissance als Topos vom ‚Raphael ohne Händeʻ, und auch die umgekehrte Variante vom „Werk ohne Autor“, nicht zuletzt populär geworden durch den gleichnamigen Film von Florian Henckel von Donnersmarck, dessen Titel auf den Vorwurf an eine bestimmte, mit medientechnischen Reproduktionen und Ready Mades operierende Kunst anspielt, es fehle ihr die eigentliche kreative Leistung und damit Originalität. Aber gerade das Beispiel der Ready-Made-Praktiken zeigt, wie deren ‚Erfinderʻ Marcel Duchamp neue Autorisierungsstrategien von konzeptueller Autorschaft ins Feld führt (vgl. Wetzel 2011 u. 2000, 226–235), und bei dem neoplatonisch-gnostischen Vorbehalt des Autors ohne Werk gegen eine ‚schattenhafteʻ, ‚profanisierendeʻ Verwirklichung seiner Ideen ergibt sich der ‚performative Widerspruchʻ, dass die ‚Erzählung von der Inspirationʻ und von der Unmöglichkeit ihrer Realisierung an die Stelle des künstlerischen Werks einen theoretischen Begründungsdiskurs setzt. Das grundlegende Problem der ‚Zuschreibung‘ von Autorschaft auf dem Wege einer Spurensicherung von individueller agency anzugehen, macht Sinn, wenn man sich mit der passenderen Formulierung einer „Werkpolitik“ (Martus 2007) klar darüber wird, dass es bei den „Aushandlungen von Mächtigkeit“ (13) in der Werkherrschaft immer um mehrere Instanzen geht, dass es sich bei Autorschaft nicht nur um ein „Schreiben unter Bedingungen der Kritik“, sondern auch „unter Bedingungen der Philologie“ (9) handelt. Aber nicht nur diese Art von rezeptionsästhetischer Rekursivität negiert das Wunschbild vom einsam schaffenden Autor, sondern auch der Kontext einer multiplen Autorschaft (vgl. Stillinger 1991) in Form einer „collaborative authorship“ (Love 2002, 33, vgl. Bennett 2005, 94–103) oder „kollektiven Autorschaft“ (Mader 2012) [vgl. den Artikel Kollektive Autorschaft]. Sie beschränkt sich nicht auf den konkreten Fall einer Beteiligung mehrerer Autoren an einem Einzelwerk, sondern schließt auch historische
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Aneignungsverhältnisse einer „precursory authorship“ (Love 2002, 40) im Falle der Übernahme vorliegender Materialien vs. „executive authorship“ (43), einer „declarative authorship“ gegenüber der latenten Aktivität eines ghostwriters und einer „revisionary authorship“ (46) mit ein, die in erster Linie die Herausgeberschaft betrifft (vgl. Wirth 2008), aber in nicht wenigen Fällen auch eine auktoriale Modifikation, Ergänzung oder verfälschende redaktionelle Eingriffe impliziert (wenn man etwa an das eklatante Beispiel des Werks Nietzsches, herausgegeben durch seine Schwester Förster-Nietzsche, denkt). Was die Identifikation dagegen individueller Interventionen anbelangt, ist die Zuschreibung eines Namens als Authentizität von Autorschaft darüber hinaus durch das Problem der ‚Anonymität‘ und ‚Ononymität‘ kompliziert. Nimmt man an, dass letztere zum Standard für die mit dem Namen verbundene Autorschaftskultur wird, so verkennt man die mit der ‚Anonymität des Autors bewusst betriebene „Entkoppelung von Text und Kontextwissen“ durch gezielte „Fiktionsbeglaubigungen“ (Pabst 2011, 5; vgl. Griffin 2019), ein Maskenspiel der Autorschaft (Söhn 1974) durch „Herausgeberfiktionen“ (Iser 2003, 222) und „Pseudonyme“ (228) als Herausforderung für philologische Spurensicherung [vgl. den Artikel Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘]. Anonymität spielt dabei auch bei der Beglaubigung „kollektiver Autorschaft“ (Pabst 2011, 22) eine nicht unerhebliche Rolle, gegen die sich Verfahren der externen Evidenz wie biographische Zuschreibungen in parergonalen Dokumenten wie Tagebüchern, Briefwechseln oder Essays ebenso unwirksam erweisen wie die interner Evidenz durch stilistische Eindeutigkeit, thematische Selbstreferentialität und thematische bzw. konzeptuelle Homogenität (vgl. Love 2002, 51). Zwar haben stylometrische Verfahren (vgl. 79 sowie Schaffrick und Willand 2014, 29) zu erfolgreichen Ermittlungen von Autoren anonymer Publikationen geführt (wie im bekannten Fall der Zuschreibung der 1805 erschienenen Nachtwachen des Bonaventura an August Klingemann), es wäre aber illusorisch, die Zuschreibung von Autorschaft auf statistischem Wege regeln zu können. Das Gleiche gilt auch für empiristische Ansätze der Überprüfung von Autorintentionen (Bühler 2010, 141): Um zu authentischen Interpretationen zu gelangen, müssen sie dem Autor Aufrichtigkeit unterstellen und im Sinne der „Billigkeitsprinzipien […] mit Wohlwollen“ (149) begegnen, um „im Zusammenhang der Generierung von Hypothesen über Autorabsichten“ (151) nicht Intentionen selbst zu beschreiben, sondern nur hypothetische Annahmen (vgl. Schaffrick und Willand 2014, 20). Angesichts der prinzipiellen Variationsmöglichkeiten zeigt sich so nicht nur eine Pluralität der Autorfunktionen, die von der Idee einer kreativen Originalität hin zum „process of adaption and combination“ (Love 2002, 221) lenkt, sondern auch eine Pluralität der Autorinstanzen, „for there is not an absolute cogito of which individual authors are the subalternant manifestation, but authors, many
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authors, and the differences (in gender, history, class, ethnology, in the nature of scientific, philosophical, and literary authorship, in the degree of authorship itself) that exist between authors – within authorship – defy reduction to any universalising aesthetic“ (Burke 2008, 183). Der Schauplatz oder Versammlungsort all dieser Momente ist seit dem Spätmittelalter die Bibliothek (bzw. heute die virtuelle Bibliothek des Internet als Supplementierung und Transformation), in der Sammeln, Lesen und Selbst-Schreiben zusammenkommen (vgl. Höppner et al. 2018). In dieser Verschränkung von „Lektüre, Recherche und Produktion“ (Höppner 2018, 16) zeigt sich, wie als „Ergebnis des Dreischritts Sammeln, Ordnen und Gestalten“ (19) aus Lesern Autoren und aus Autoren Leser werden, wofür schon der Frühhumanismus eines Petrarca das beste Beispiel bietet. Auch Foucault zeigt mit einer Fülle von Aufsätzen zur Problematik der Bibliothek die Wichtigkeit für die Konstitution von Autorschaft auf dem Wege der Werkgenese an (vgl. Werle 2018, 27). Ein vom Editor nicht weit entferntes spezielles Thema der philologischen Analyse von Autorschaft stellt auch der Übersetzer dar, der zunächst gar nicht unter die Kriterien des Autors (Originalität, Innovation, Urheberschaft) zu fallen scheint, aber sich für die Entwicklung des Konzepts auch im Sinne kollaborativer Autorschaft von Bedeutung erweist. Schon historisch spielte die Funktion des Übersetzens eine entscheidende Rolle, da sich Autorschaft zunächst in ihrem Schutze entwickelte (vgl. Müller 1995, 18). Es ist dabei die etymologische Ebene des augere, des Mehrens von Sinn durch die Erstellung einer neuen Version des Textes in einer anderen Sprache, die für die Wertschätzung eines kreativen Aspektes der Übertragung entscheidend wird. Ähnlich wie die Entwicklung der Herausgeberschaft wird auch das Übersetzen im 18. Jahrhundert zu einer entscheidenden ‚Fingerübung‘ für Autorschaft, die sich in der Auseinandersetzung mit der vor allem transnationalen Tradition ausbildet. Noch bevor Goethe den Begriff der Weltliteratur populär machte, formiert sich etwa in Wielands Übersetzungen antiker Werke und nicht zuletzt Shakespeares, vor allem aber in der intensiven Übersetzertätigkeit der Romantiker (von Platon über Cervantes und Calderon bis Shakespeare) so etwas wie ein klassischer Kanon, der Kriterien für die Nobilitierung zum Autor schafft. Im Rahmen der ‚Wiederkehr‘ von Autorschaft als Inszenierung kann, mit Blick auf die dabei zur Geltung kommenden theatralen Stilelemente, auch der Übersetzer eine Auktorialität als „translator-performer“ (Zanotti 2011, 82) beanspruchen, der – wiederum mit Bezug auf die neuere Entwicklung von substitutiver Autorschaft im künstlerischen Bereich von Kuratorentum und Regie – auf der Oberfläche der faktischen Präsentation des Werks für eine Öffentlichkeit in seiner definitiven Gestalt seinen Anspruch daran als „co-author“ (86) einfordert. Dennoch bleibt das Spannungsverhältnis zwischen dem Original und seiner Übersetzung,
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die bei aller Freiheit und Verlockung zum ‚Verrat‘ oder zur ‚Gewalt‘ immer an die Autorität des ursprünglichen Autornamens gefesselt bleibt. Gerade Goethe entwickelte in seiner vielseitigen und auch gewagten Übersetzungspolitik, die vor kommentierenden und erweiternden Eingriffen in den Originaltext nicht zurückscheute, eine besondere Sensibilität für die Aufnahme des Fremden im Eignen, die zugleich in der Annäherung von Fremdem und Eigenem zu einem Ideal auktorialer Souveränität wird: „Das Fremde soll weder im Eigenen aufgelöst, noch seine Qualitäten assimiliert werden, sondern es potenziert in seiner Fremdheit das Eigene.“ (Dueck 2014, 296) Die von Walter Benjamin im Vorwort zu seinen eigenen Baudelaire-Übertragungen unter dem Titel „Die Aufgabe des Übersetzers“ (1923) entfaltete Theorie der Übersetzung als Nachleben des Originals bahnt bereits den Weg für eine supplementäre Autorschaft des Übersetzers, indem „er sein eigenes Schaffen immer schon unter dem Aspekt der Fremdheit und der Vorläufigkeit begreift und damit für die Dynamik des Schreibens […] ohnehin offen ist“ (304). Die besondere Autorschaft des „Autor-Übersetzers“ (Telge 2017) [vgl. den Artikel Der Autor-Übersetzer] versteht sich daher immer in einer Nachträglichkeit gegenüber der ‚Vorgabe‘ des Originals: „Dadurch, dass er einen Autor und dessen Werk in einer bestimmten zeitlichen und räumlichen Struktur rekontextualisiert, wird der Autor-Übersetzer Teil des Symbolsystems des von ihm übersetzen Autors und agiert als dessen Ego, dadurch vergleichbar mit dem, was Foucault ‚Reaktualisierung‘ nennt […], da er die Vorstellung vom Autor als alleinigem Sinnstifter einer Reihe von Texten, die ihm zugeordnet sind, entscheidend verunsichert, indem er mit der Vorstellung von der Autorschaft als originellem Selbstausdruck eines Menschen bricht“ (32). Dies wird noch deutlicher als „Sichtbarkeit des AutorÜbersetzers“ (35) durch verfremdende Übersetzungspraktiken sowie paratextuelle Inszenierungspraktiken wie z. B. einem Vor- oder „Nachwort“ (37). Gerade Derrida hat ein eindrucksvolles Beispiel einer solchen ‚Überschreibung‘ der originären Autorschaft in seiner ersten Buchpublikation vorgeführt, in der er der 43 Seiten umfassenden Übersetzung von Husserls L’origine de la géométrie (Paris 1962) eine 170 Seiten umfassende introduction voranstellte.
2 Literatursoziologie Die aus den positivistischen Ansätzen des 19. Jahrhunderts hervorgegangene und vor allem in den marxistisch orientierten Kulturtheorien des frühen 20. Jahrhunderts (Lukacs, Benjamin, Bloch, Adorno) etablierte Literatursoziologie als Untersuchung des Wechselverhältnisses von künstlerischer Produktion und gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen hat sich zunächst nicht auf das Konzept der Autorschaft konzentriert. Die Rede ist eher vom ‚Schriftsteller‘, vom
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‚Dichter‘ als Künstler ganz allgemein, dessen Autor-Status nicht eigens problematisiert wird. Auch die einflussreiche Studie von Haferkorn spricht eher von einer „bürgerlich-literarischen Intelligenz“ (Haferkorn 1974), Schwenger von „Literaturproduktion“ (Schwenger 1979), Rolf Selbmann wählt in seiner frühen Studie zum Selbstverständnis des Schriftstellers die traditionelle Bezeichnung „Dichterberuf“ (Selbmann 1994), explizit genannt wird der Begriff in empirischen Untersuchungen (Fohrbeck und Wiesand 1972) und späteren Sozialgeschichten (Parr 2008). Eine sich durchziehende Thematik dieser Studien ist dabei der eklatante Gegensatz – wie es Kreuzer exemplarisch für die Epochenschwelle 1800 formuliert – zwischen dem „Anspruch des Autor-Künstlers, […] die eigene Subjektivität und Individualität ungebrochen im originären Werk ästhetisch zu objektivieren“ und den „realen Produktionsbedingungen“ (Kreuzer 1981, 11). Dazwischen steht gewissermaßen der Metadiskurs einer Autor-Nobilitierung durch „‚Reputation‘, ‚Renommee‘ oder ‚Prestige‘“ (Schöttger 2000, 473), der die Rezeption des ‚Ruhms‘ von Autor-Namen steuert. Als die beiden Leitbegriffe einer sozialgeschichtlichen Aufarbeitung von Autorschaft haben sich aber die moderne Herausbildung des Intellektuellen und der urheberechtliche Begriff der Werkherrschaft herauskristallisiert [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft]. Letzterer verdankt seine Bedeutung vor allem der innovativen Studie von Heinrich Bosse von 1981: „Mit der Werkherrschaft ändert sich nicht nur die Rechtsbeziehung zwischen Autor und Verleger, sondern die Angelpunkte solcher Beziehungen – Autor und Verleger, Werk und Buch werden neu organisiert. Der Autor vermittelt nicht mehr die Wahrheit, sondern er stellt sie nurmehr dar, indem er etwas produziert, und wird so, in Bezug auf sein Werk, ein natürlicher Monopolist.“ (Bosse 1981, 124) Im englischsprachigen Bereich sind vor allem die Forschungen von Rose (1993) sowie Martha Woodmansee und Peter Janzi führend (1994, 1999 und 2000), die neue Konzeptualisierungen von Schreibpraktiken, die Originalität unter den Schutz eines immateriellen Eigentumsrechts stellen, auf soziale Kommunikationsstrukturen intellektueller Eliten zurückführen (vgl. auch Hick 2017). Vergleichbare Studien im deutschsprachigen Bereich wie Gerhard Plumpes (1980) Untersuchung zum Zusammenhang von Individualisierung und auktorialen Eigentumsverhältnissen sowie Eric Achermanns (2002) zum Zusammenhang von Autorschaft, Copyright und Warenverkehr verfolgen vor allem den Einfluss juristischer und ökonomischer Machtverhältnisse auf das Betriebssystem Literatur [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright]. Aber auch die Entwicklungsgeschichte der Kommunikationsmedien bestimmt die Entstehung der Vorstellung von geistigem Eigentum ganz entscheidend, wie die beiden eingehenden Untersuchungen von Wey (1993 und 1994) gezeigt haben (vgl. Theisohn 2012). Speziell juristische Studien zur Entwicklung der Monopolstellung von Autorschaft dem Werk gegen-
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über heben die ‚urheberrechtliche Prägetheorie‘ hervor (Barudi 2013), die auch im Kontext neuerer digitaler Medien ihren Ausdruck als Verantwortung des Autors findet (vgl. Reuß 2009). Allerdings zeigt sich schon im alten, analogen Medium Schrift eine genauere juristische Differenzierung der Autorfunktion gegenüber dem „Schreiber“ und dem „Verfasser“: „Der Schreiber trägt die Verantwortung für die fachgerechte Anfertigung einer Schreiberei […]. Der Verfasser trägt hingegen die Verantwortung für den Inhalt der Schreiberei“ (Hoffmann 2017, 167). Die darüber hinaus gehende Funktion von Autorschaft lässt sich aber nicht durch rechtliche Verhältnisse bestimmen, „das Urhebergesetz kennt den Autor so wenig wie Autorschaft, es kennt nur Urheber und Urheberschaft“ (169), als Schreibposition lässt sich Autorschaft nur als kulturelles Faktum erfassen, es ist Resultat einer Zuschreibung von außen bzw. einer sozialen Konstruktion: „Autorschaft ist mit anderen Worten ein Attribut, das von außen und pragmatisch betrachtet heute zunächst vom Literaturbetrieb beigefügt wird“ (180). Der entsprechende Untersuchungsbereich zur sozialgeschichtlichen Herausbildung einer intellektuellen Kompetenz von Autoren ist in Deutschland vor allem durch den systemtheoretischen Ansatz Luhmanns von Beobachtung und Kommunikation (Luhmann 1997, vgl. Corti 1999) beeinflusst, seit geraumer Zeit auch durch das populäre Modell der sogenannte ‚Feld-Theorie‘ Bourdieus (1974 und 1999), der sich vor allem auf Auktorialität als Fähigkeit zu sozialer Distinktion konzentrierte [vgl. den Artikel Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion]. In Frankreich hat diese Analyse künstlerischer Konfigurationen sich vor allem im umfangreichen Werk von Nathalie Heinich zur Soziologie künstlerischer Daseinsformen und speziell zum Schriftsteller-Beruf ausgeprägt (u. a. Heinich 2000, vgl. auch Viala 1985), aber auch im deutschsprachigen Raum gibt es zahlreiche Untersuchungen, die z. B. ausgehend von Autorschaft als „normativer Selbstentwurf“, das „Spannungsfeld zwischen reiner Ästhetik und Marktorientierung“ (Amlinger 2017, 402) analysieren. Darüber hinaus sind überhaupt Aspekte des Literaturbetriebes in ihrer Auswirkung auf Praktiken der Autorschaft immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, die sich an ökonomischen Modellen der Verwertung des symbolischen Kapitals und des Managements ausrichten (vgl. Ingold 1993 und Assmann 2014 a und b). Fokussiert werden dabei Ausprägungen der unternehmerischen Autorität von Autoren, deren Autorschaft sich in diesem Sinne mit der Lenkungs- und Führungskraft eines Managements vergleichen läßt, um sich image-mäßig und ökonomisch-finanziell erfolgreich auf dem literarischen Markt durchzusetzen (vgl. Wunderlich 1989, Wegmann 2005 sowie Künzel und Hempel 2011). Der Literaturbetrieb ist dabei als Markt der Verwertung des geistigen Eigentums von Autoren (vgl. Theisohn und Weder 2013 und Schneider 2013) seit dem 18. Jahrhundert nicht nur entscheidend vom medialen Wandel des Publikationswesens bestimmt [vgl. den Artikel Autorschaft und litera-
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rischer Markt], sondern nicht zuletzt auch von dem zunehmenden Einfluss einer mit dem neuen Medium Zeitung bzw. Zeitschrift sich etablierenden und mit den audio-visuellen Massenmedien expandierenden Instanz der Literaturkritik, die eine autonome „Vermittlerrolle zwischen Text und Rezipienten“ (Ruppert 2019, 41) einnimmt und sich als Richterinstanz auch das Recht anmaßt, Kriterien der Autorzuschreibung vorzuschreiben [vgl. den Artikel Autor und Kritiker]. Anfänglich von Autoren selbst ausgeübt – wie das gelehrte poetologische Gespräch über Klassiker in der französischen höfischen Tradition einer Querelle des Anciens et des Modernes und in Deutschland, mit Lessing beginnend als Diskurs der Genieästhetik (vgl. 44), dann in der Weimarer Klassik und Jenenser Romantik den Höhepunkt mit der Ausrufung eines ‚kritischen Zeitalters‘ erreichend –, geht die Funktion der Kritik im Verlaufe des 19. Jahrhunderts mehr und mehr in die Hand von ‚Experten‘ über. Said unterscheidet vier Formen der Literaturkritik: den „practical criticism“ von Buchrezensionen und literarischem Journalismus, die „academic literary history“ der seit dem 19. Jahrhundert sich entwickelnden Philologien, die „literary appreciation and interpretation“ von Lehrern im Fach Literatur, die unregelmäßig auch Rezensionen verfassen, und schließlich die „literary theory“ im engeren Sinne als relativ neue Erscheinungsform (Said 1983, 1). Für die zweite und vierte Form stellt ein Novum die Veränderung der historischen Denkweise durch die Thematisierung von Gegenwartsliteratur dar, die – was den o. g. Komplex der Autorschaftsinszenierung anbelangt – zeigt, wie die Literaturtheorie auch ‚feuilletonistisch‘ an der Prägung von Autorschaftskonzepten mitarbeitet bzw. als Kritik für die Restaurierung eines individualistischen Autorbegriffs sorgt. Sie erfüllt damit die von Bennett genannte Aufgabe einer Erfindung des Autors als Erfüllung der „strong projections of ‚social desire‘“ (Bennett 2005, 35). Schon Stillinger hat im Kontext seiner Untersuchung zur „multiple authorship“ ein treffendes Beispiel in der Bewegung des sogenannten Autorenfilms als Genre des persönlichen Stils der als Genies verehrten Regisseure gefunden: Angesichts des Paradoxes, dass der Film gerade ein Prototyp für eine kollektive Produktionsweise ist (Stillinger 1991, 163), macht er die Kritiker als Ursache für die Verzerrung der Realität und die Wiederkehr des individuellen Autors im Kino verantwortlich: „But critics do need authors; and just as literary critics for the last two centuries have posited one or another concept of authorship to validate their interpretations, so film critics, once movies were accepted as a serious intellectual and academic subject, have similarly required a concept of authorship in order to focus their studies. The screenwriter would not serve as a center of authorship: there were too many of them“ (178). Norbert Bolz gibt angesichts der massenmedialen Inszenierung von Autorschaft als Marketing-Strategie eine andere Erklärung für die Notwendigkeit von Autoren für Kritiker: „Bestsellerautoren sind Kulturmarken“, die „kaufbare
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Sicherheit präsentieren“ (Bolz 1998, 249), für die „Kritiker als Star[s]“ in ihrem „parasitären Verhältnis zur Literatur“ nicht die Werke brauchen, sondern „den Auftritt ihrer Autoren in einem anderen Medium“ (253) – wobei Bolz an das Beispiel der „Autopoiesis der Literaturkritik“, das „Literarische Quartett“ der Großkritiker (250) denkt, dank derer „Verstehen durch Kaufen“ ersetzt wird (251).
3 Kunsttheorie Autorschaft spielt für die Entwicklung der Kunst seit Ende des Mittelalters die entscheidende Rolle der Anerkennung von Künstlern als schöpferische Autoritäten. Der Begriff des ‚Autor-Künstlers‘ hat seine eigentliche Bedeutung aber erst mit der einschneidend neuen künstlerischen Praktik Marcel Duchamps erfahren, der um die Epoche des Ersten Weltkrieges herum mit dem Malen aufhörte und fortan Installationen von zum Teil vorgefundenen Gebrauchsartikeln (den sogenannten Ready Mades) mittels Strategien der Signatur und Annotation durch beigefügte oder begleitende Texte in Form von Kommentaren oder Konstruktionsanleitungen als Kunstwerke im öffentlichen Raum der Ausstellung zu authentifizieren versuchte (vgl. Tietenberg 2013 und Bippus 2008) und schließlich dazu überging, miniaturisierte Reproduktionen seiner Produktionen als Minimuseen in Schachteln (boîte-en-valise) zu edieren. Das traditionelle Konzept künstlerischen Schaffens wurde so auf das Konzipieren reduziert und die dadurch in den Vordergrund tretende Autorschaft im Prozess ersetzt, was in der concept art der 60er Jahre dann zum Programm einer „media authorship“ wurde (vgl. Finger 2021, 127). Bestimmt wird die wechselseitige Frage nach dem Autor als Künstler und dem Künstler als Autor aber schon durch eine lange Geschichte auch der der sogenannten ‚Doppelbegabungen‘. Sie beginnt genau genommen mit der Renaissance, als Künstler wie z. B. Alberti, da Vinci, Dürer oder Cellini zum Stift griffen und Traktate und Tagebücher verfassten, in denen sie über die Techniken und Theorien ihrer Produktivität, vor allem aber über die auktoriale Legitimität ihrer selbst als Urheber ihrer Ideen Rechenschaft ablegten. Höhepunkt dieser ‚Auktorialisierung‘ der bildenden Künstler ist Giorgio Vasaris Publikation seiner „Lebensbeschreibungen“ Le Vite deʼ più eccelenti architetti, pittori et scultori italiani da Cimabue insino à tempi nostri von 1550, in denen zum ersten Mal die Biographie von Künstlern als Legitimation ihrer Genialität aufgezeichnet wird (vgl. Wetzel 2020a, 104–123) [vgl. den Artikel Auto(r)biographie]. Das Werk gilt gemeinhin als Beginn der Kunstgeschichte, nur dass in diesem inauguralen Falle der Autor selbst ein Künstler und Schüler des berühmten Michelangelo ist. Umgekehrt zeugen künstlerische Aktivitäten (vor allem in der Malerei und Zeichnung) etwa von Goethe über Hoffmann, Keller, Hesse bis Weiss und Grass von den zahlreichen Beispielen, in denen eine
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künstlerische Ambition mit der schriftstellerischen Autorschaft koexistierte. Die Doppelorientierung von Autorschaft und Künstlertum bot zugleich einen Nährboden für den ebenfalls mit der Renaissance wiederauflebenden Wettstreit der Künste, dem sogenannten paragone, der sich dann in der Intermedialitätsdebatte um Text und Bild bis hin zur Medientheorie des pictorial bzw. iconic turn fortsetzte. Auch mit der seriellen Produktion industrieller Kunst verliert das Sigel der Autorschaft nicht seinen bedeutenden Wert, der jetzt bei den „Autorendesignern“ „nicht länger an die materielle Produktion, sondern allein an die Erfindung gebunden“ ist als eine ganz in der Tradition der Renaissance stehende „Frage der inventio“ (Tietenberg 2013, 34). Diese spielt aber auch eine entscheidende Rolle für die an Duchamp anknüpfende Generation der Popart-Künstler der 60er Jahre – von Andy Warhol über Jasper Jones bis Bruce Nauman –, für die Autorschaft ein tragender Teil ihres künstlerischen Selbstverständnisses war, wobei die „Reklamation der dem Autor bis dahin zugesprochenen Rechte und Privilegien […] sich nicht auf Formen der Selbstrepräsentation, der Selbstinszenierung oder Maskierung reduzieren“ lassen, sondern „mit ihren eigenen Codierungen und Techniken in das Netzwerk aus sozialen und diskursiven Einschreibungsverfahren ein[fließen]“ (Bismarck 2010, 12). Das Selbstverständnis der modernen bzw. postmodernen Künstler läuft damit auf ein „Modell polykontexturaler Autorschaft“ hinaus, in dem er sich als „Schöpfer der Kunst, als kunstwissenschaftliches Beobachtungsobjekt, als Künstler ‚im Werk‘, als juristischer Urheber, als Verkäufer auf dem Kunstmarkt, als Produzent und Produkt der Massenmedien und last not least als ein geschlechtliches Wesen“ reflektiert (Kampmann 2006, 75). Neben der einschlägigen Monographie von Sabine Kampmann sind in den letzten Jahren zahlreiche Publikationen zum Thema der Autorschaft in den Künsten (vgl. zentral Caduff und Wälchi 2008 sowie Heibach et al. 2021) erschienen, die auch in Bezug auf den Künstlerbegriff nach einer ähnlichen „Wiederkehr“ wie beim Autor fragen (vgl. Fastert et al. 2012) [vgl. den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten]. Die von Duchamp initiierte Wandlung des Selbstverständnis vom bildenden Künstler zum „Autor-Künstler“ (Wetzel 2020a), der als Intellektueller und „Diskursivitätsbegründer“ (Foucault 2003, 252) das Feld der Ausstellung seiner Werke vorbereitet, rahmt und deren Rezeption kontrolliert, hat generell ein neues ästhetisches Produktionsverständnis geprägt, das vor allem die Rolle paratextueller und parergonaler Phänomene betrifft: „In der Nachfolge von Marcel Duchamps ready-made bildet sich ein künstlerischer Produktionsbegriff heraus, der sich über das Auswählen und Ausstellen definieren lässt. Der Künstler löst sich damit einerseits von einem traditionellen Gedanken der künstlerischen Neuschöpfung, um andererseits das vorgefundene und aufgefundene Material neu zu arrangieren.“ (Vogel 2014, 159–160) Dazu zählen auch neue Formen von kollektiver Autorschaft in den Künsten (vgl. Mader 2012), die nicht nur eine „Revision der
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Idee von Kreativität“ vornehmen, sondern auch neue „Konditionen von Künstlerrollen“ wie die einer nach dem Modell der Akteur-Netzwerk-Theorie gedachten Kollektivität als „agierendes Vielfaches“ (8). Im Sinne dieser Verschiebungen der Konzeptionen von Autorschaft werden auch traditionell nicht ursprünglich am künstlerischen Prozess beteiligte Instanzen auktorial ermächtigt, wie z. B. Kuratoren von Ausstellungen, die aber in dem Moment, wo der Rahmen der Ausstellung, der Präsentation des Werkes, wie paradigmatisch Harald Szeemann auf der Documenta 5 1972 durch kuratorische Autorschaft die „absorbierende Geste des Metakünstlers“ (Richter 2008, 113) einnehmen. Früher schon stellte sich dieses Problem im Theaterbereich als Differenz zwischen dem Autor eines Stücks und dem Regisseur als ‚Realisateurʻ seiner Aufführung als Frage, wer der eigentliche Schöpfer des sichtbaren Werkes sei, das als performatives Ereignis ähnlich wie musikalische Kompositionen erst im Augenblick der Aufführung seine definitive Gestalt erhält. Klassische Autoren wie Goethe und Schiller bemühten sich daher, ihre Stücke auch selbst auf die Bühne zu bringen. Beim Anwachsen des historischen Abstandes oder gar bei antikem Theater stellte sich die Frage der zeitgenössischen Adaption bzw. der Werktreue, wobei historisierende Ansätze sich im Widerstreit mit modernisierenden befinden. Gerade in letzter Zeit lässt sich eine Entwicklung beobachten, die immer mehr den Regisseur als Aufführer des Stücks in die Position der Autorschaft rückt, einer in inszenatorischer Hinsicht entscheidenden „Regie als Autorschaft“ (Lodemann 2010) [vgl. den Artikel Regietheater]. Der Begriff des sich immer mehr durchsetzenden ‚Regie-Theaters‘ bestimmt die Diskussion, in dem der ursprüngliche Verfasser immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird durch einen Innovationsdrang der Inszenierung. Der Regisseur begreift sich nicht als getreuer Vermittler der ursprünglichen Autoren-Intention – vergleichbar mit der traditionellen Auffassung von ‚Übersetzung‘ –, sondern beansprucht immer mehr seine eigene autonome Urheberschaft. Das traditionelle Autorenrecht widerspricht dem und unterscheidet zwischen einer neuen Aufführung und der Schaffung eines neuen Werks, wobei die Leistung des Regisseurs als „urheberverwandt“ (67) eingestuft wird. Die Diskussion ist nicht unabhängig von der Entwicklung der Figur des Autorenfilms und der darin restitutierten ‚Geniegröße‘ des Regisseurs zu sehen, aber sie zeigt auch wie das von Lodemann gewählte Beispiel der Parzifal-Inszenierung 2004 durch Christoph Schlingensief, dass die Freiheit der Interpretation für den sich selbst mitdarstellenden Verantwortlichen der Inszenierung nicht begrenzbar ist und in eine unentscheidbare Kontroverse von Authentizität und Verfremdung führt, die nicht zuletzt schon Brechts laxer Umgang mit den von ihm benutzten dramatischen Vorlagen ausgelöst hatte (vgl. Fuegi 1997). Wobei die ganze Diskussion um die Autorschaft als Autorität im Kunstbetrieb letztlich an die Grenze
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stößt, dass gerade hier – deutlicher noch als im Literaturbetrieb – der Werkprozess durch Ausstellung, Aufführung und Adaption einer Autorschaft multiplen Faktoren überantwortet ist: „And not only does it take enormous numbers of people to create plays and films (agents, studio executives, producers, directors, writers, actors, designers, stage and camera technicians, editors, publicists and marketing executives […]), but there are potential conflicts of interest and authority among them at every crucial moment of production.“ (Stillinger 1991, 163)
4 Medienwissenschaft Medientheoretische Fragestellungen begleiten die Entwicklung von Autorschaft seit ihren Anfängen. Schon in der Antike wird das Problem der Schrift aufgeworfen (vgl. den Phaidros-Dialog Platons), die als Medium der Autorschaft dazu neigt, sich der Werkherrschaft ihrer auctores gegenüber zu verselbständigen. Auch die Anfänge der Rhetorik als oratorische Kunst impliziert Medientechnik als Körpertechnik der stimmlichen Performanz, und Love erinnert daran, dass die von Quintilian angeführten fünf Regeln für den orator, „inventio, dispositio, elocutio, memoria and pronuntiatio“, auch für die Ausübung von Autorschaft gelten, ohne damit die singuläre Urheberschaft eines Autors zu begründen (Love 2002, 39). Für das Mittelalter hat die Studie von Iwan Illich (1996) zeigen können, welchen Einfluss die in Hugo de St. Victors Didascalion eingeführte Schriftordnung auf das epistemologische Selbstverständnis des Schreibers hatte. Dennoch setzen die Untersuchungen im engeren Sinne zum Wechselverhältnis zwischen Mediengeschichte und der Entstehung von Autorschaftskonzepten historisch erst beim Zusammenhang mit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks und der Entstehung des modernen Publikationswesen an (vgl. exemplarisch Giesecke 1991 und Eisenstein 1997). Die Drucktechnik mit beweglichen Lettern ließ mit seiner linearen, exakten und standardisierten Anordnung des Schriftbildes eine Wissensordnung entstehen, in der ein sich als Individuum begreifendes Subjekt in der „GutenbergGalaxis“ (McLuhan) der Welt gegenübersteht, um sie in ein von ihm verfasstes Buch zu transformieren. Zugleich macht die Reproduktionstechnik das Buch zur Ware, wodurch das Interesse an der Wahrung von Eigentums- als Verwertungsrechte geweckt wird. Mit der Autorschaft entsteht das Bedürfnis nach einem Copyright und mit dem Copyright der individuelle Autor als „Rechtssubjekt“ (Plumpe 1981), der sich kraft seiner gesellschaftlichen Nobilitierung von den profaneren Funktionen der Schriftproduktion als „Schreiber“ (mit der „Verantwortung für die fachgerechte Anfertigung einer Schreiberei“) oder „Verfasser“ (mit der „Verantwortung für den Inhalt der Schreiberei“) (Hoffmann 2017, 167) abhebt [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien].
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Der eigentliche Durchbruch des Druckwesens als Massenmedium avant la lettre erfolgte aber erst im 18. Jahrhundert, dem sich die meisten Untersuchungen zuwenden, wobei sich vor allem Friedrich Kittlers Konzept der „Aufschreibesysteme“ (1985) als Verbindung von Medienanalyse und Diskursanalyse im Sinne Foucaults durchgesetzt hat. In ihm wird gezeigt, wie durch medial gesteuerte pädagogische Regime aus Lesern Autoren gemacht werden, die dank technischer Apparate der Adressierung, Speicherung und Verarbeitung von Daten eine Werkherrschaft (vgl. Bosse 1981) gewinnen. Gleichzeitig lässt sich aber schon in dieser Epoche eine gewisse Erosion der Macht des Leitmediums Buch beobachten, die den Siegeszug der sogenannten technischen, audio-visuellen Medien einläutet. Mit der Photographie, der Phonographie und dem Film offerieren sie im 19. Jahrhundert dem Autor neue Ausdrucksmöglichkeiten, die vor allem den Monopolismus der Schrift aufweichen und eine neue mediale Sichtbarkeit von Autorschaft (Heinich 2012) ermöglichen. Nachdem im „Aufschreibesystem 1800“ sich schon die Autonomie des Autorwerks als genieästhetisches Phantasma von creatio ex nihilo erwiesen hatte, dem vielmehr ein Netzwerk von Intertextualität zugrunde liegt, rückt seit dem „Aufschreibesystem 1900“ mehr und mehr der Begriff der Intermedialität als Interplay von Text, Bild und Sound in den Vordergrund. Neuere Untersuchungen zur medialen Autorschaft betonen daher auch stärker den ästhetischen Aspekt als einer zwischen bildnerischem Künstlertum und Autorschaft im traditionellen literarischen Sinne vermittelnden Hybridierung (vgl. Wetzel 2020a und Heibach 2021). Letztlich kommen aber auch traditionelle Schrift-Medien wie Brief und Tagebuch in den Fokus eines Interesses, das sich mehr auf die Materialien der Kommunikation und ihre Autorschaft-konstitutive Funktion als die Intention der Protagonisten konzentriert (vgl. Strobel 2006 und Gisi et al. 2013). Die grundsätzliche Verschiebung im 19. Jahrhundert als dem Zeitalter der ‚Industriellen Revolution‘ kommt am besten in Benjamins Formel vom „Autor als Produzenten“ (1977 [1934]) zum Ausdruck, die auf den entscheidenden Wandel des Autorkonzepts von der individuellen Kreation hin zu multifaktoriellen Prozessen – wie am Beispiel der Arbeitsmöglichkeiten für den Rundfunk – zugleich von der Depotenzierung des Autors im Apparat zeugen. Das gravierendste Beispiel ist der Film, der in seiner theateraffinen Abhängigkeit von literarischen Vorlagen noch Autoren als Stofflieferanten braucht, aber diese im Produktionsprozess depotenziert. Insofern ist von der Forschung mit Interesse beobachtet worden, wie Gegentendenzen, vor allem auf die industriellen Produktionsweisen des Hollywood-Kinos reagierend, zum Aufleben des Autorenfilms in Frankreich vor allem durch die von André Bazin publizistisch geförderte politique des auteurs und in der amerikanischen Filmtheorie als auteurism der als Genies gefeierten Regisseure geführt haben (vgl. Caughie 1981 und de Baecque 2001) [vgl. den Artikel Autorenfilm]. Der in Deutschland gleichzeitig aufkommende Begriff des
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‚Autorenfilm‘ (Fassbinder, Wenders, Herzog) hatte mehr eine politisch-ökonomische Bedeutung, indem sich die Regisseure ähnlich wie im „Verlag der Autoren“ zusammenschlossen, um finanziell unabhängig von der Instanz der Produzenten zu werden. Gegenüber diesen Dezentrierungen der Autorschaft in analogen Medien stellt der historische Einschnitt der digitalen Medien eine fundamentalere Verwerfung der Machtverhältnisse von subjektiver Auktorialität dar, die nicht zuletzt zu völlig neuen Urheberrechtsproblemem führen (Plumpe 2003). Das Schreiben in digitalen Medien (vgl. Simanowski 2002, Heibach 2003) konfrontiert den Autor mit einer weitaus gravierenderen Veränderung seiner Position: die ‚entscheidende‘ Funktion von Autorschaft geht an die Logistik der Textproduktion von hypermedialen Prozessen über (vgl. Bolter 1991 und Landow 1997), der gegenüber der im traditionellen Sinne subjektiv verantwortliche Autor in die Rolle des Arrangeurs, des Editors oder des Redakteurs abgedrängt wird [vgl. den Artikel Vernetzte Autorschaft: Hypertext und Internet]. Eine weitere revolutionäre Konsequenz der digitalen Medien stellt die Vernetzung der individuellen Produktionsprozesse durch das Internet dar, das zu einer Proliferation von kollaborativen Schreibprojekten (vgl. Jungen 2021) geführt hat. Aber nicht nur Interaktion und Intertextualität erfahren digital eine Beschleunigung, sondern in der digital revolutionierten Spielkultur entstehen durch die ‚bidirektionale‘ Schnittstelle zwischen Produktion und Rezeption auch völlig neue Formen von ‚Autorschaft‘ im engeren Sinne einer performativen agency von „gamers as authors“ (Wenz 2021, 218, vgl. Wetzel 2002). Allerdings haben diese Formen digitaler Performanz in der medialen Weiterentwicklung in dem Maße ihre Dominanz eingebüßt, wie Hypertextliteratur generell zu einem Randphänomen geworden ist: „Interaktivität, Intermedialität, Inszenierung scheinen heute weniger eindeutig Leitbegriffe zur Beschreibung digitaler Literatur zu sein.“ (Bajohr und Gilbert 2021, 10) Aber auch in den ganz konventionellen Schriftmedien gibt es mediale Herausforderungen zu verzeichnen: Das diegetisch eher dem Film nähere Medium des Comic Strip hat als Graphic Novel (in der Nachfolge auch als Manga) neue Formen des Erzählens eröffnet (vgl. Stein 2009 und Mitchell 2017), die einen visuellen Stil etablieren. Ähnlich wie beim Film wird auch in diesem Medium das Spannungsverhältnis zwischen kollektiven Produktionsverfahren (im Sinne einer industriellen „assembly line production“), die als Autorschaftsfunktion nur einen „house style“ (Mitchell 2017, 242) kennen, individuellen Kreatoren und der Rollenverteilung zwischen Script-Autoren und Zeichnern thematisch. In neueren Forschungen (Johnson und Gray 2013) werden neben den Veränderungen des Autorschaftskonzepts durch diese neuen Technologien der Narration und der Kommunikation vor allem die Überschreitungen des Bereiches von Autonomie und Originalität diskutiert, die nicht zuletzt auch die Dimension der visuellen
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Inszenierungen von Autorschaft durch die verschiedenen Bildmedien (vgl. Berndt et al. 2018) betreffen. Als markantes Beispiel kann der Manga „Opus“ von Satoshi Kon angeführt werden, in dem der Autor in einer ‚Mise en abyme‘ ganz räumlich real in die Welt seiner Zeichnungen ‚einbricht‘, um dort den Verlust seiner auktorialen Souveränität angesichts der Eigenmächtigkeit der von ihm erschaffenen Figuren zu erleben (Kon 2015/2011).
5 Gendertheorie Autorschaft ist nicht geschlechtsneutral, sondern in ihrer kanonischen Geschichte männlich codiert. Insofern müssen schreibende Frauen sich fragen, inwieweit sie in diesem Wertesystem überhaupt repräsentiert sind. Dennoch wurde ein Problembewusstsein für den Zusammenhang von Autorschaft und Geschlechtlichkeit in der Dichtungstheorie erst relativ spät ausgebildet. Dabei haben weibliche Schriftsteller schon in der Antike eine Rolle gespielt, im Mittelalter vor allem in der Mystik eine originelle Präsenz gezeigt, und nicht zuletzt in der höfischen Kultur des modernen Frankreichs (Mme de Scudéry, Mme de Lafayette etc.) ‚Meisterwerke‘ hinterlassen (vgl. generell Gnüg und Möhrmann 1999 und Zabus 2019). In der deutschsprachigen Literatur sind die Spuren seit der Aufklärung (vgl. Luise Adelgunde Victorie Gottsched alias die „Gottschedin“ und Sophie von La Roche), der ‚Blüte‘ in der Romantik (am bekanntesten durch Autorinnen wie Bettina Brentano bzw. von Arnim, ‚die Günderode‘ bzw. Karoline von Günderrode, Rahel von Varnhagen) und der populären Dichtung der Annette von Droste-Hülshoff zum Inbegriff einer weiblichen Dichtung geworden, der aber oft der Vorwurf einer gattungsspezifischen ‚kleinen Literatur‘ gemacht wurde: als ob Frauen nur in Briefen, Tagebüchern oder Gesprächen Autorschaft entwickeln könnten [vgl. den Artikel Weibliche Autorschaft]. Neuere Untersuchungen verweisen auch auf eher hintergründige Strategien einer weiblichen Autorschaft, die sich z. B. in einer nicht nur reproduzierenden und damit an die Genealogie von Autorschaft anknüpfenden Übersetzungstätigkeit manifestierte (Sanmann 2021). Trotz aller Avanciertheit der Diskussion poetologischer Positionen in den romantischen Kreisen, wird nicht die Frage nach der sexuellen Differenz des Schreibens gestellt: Die schreibenden Romantikerinnen begriffen sich nicht als Vertreterinnen einer ausdrücklich weiblichen Autorschaft, während umgekehrt die männlichen Autoren die sexuelle Differenz als Herausforderung einer Steigerung ihrer Autorschaft zu einer „androgynen Autorschaft“ (Horstkotte 2004) erlebten, eines Spiels mit Geschlechtertausch wie in Friedrich Schlegels Lucinde oder bei Clemens Brentano. Gleichwohl stellen sich Fragen nach der Möglichkeit der Überschreitung des Rollenkonzepts „der männlichen, autonomen, kreativen Autorschaft“ (Schabert
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und Schaff 1994, 13) gerade um 1800 als wichtiger Epoche der ästhetischen Moderne. Noch im 19. Jahrhundert schreiben aber englische Autorinnen unter männlichen Pseudonymen (wie die Brontë-Schwestern oder Mary Ann Evans alias George Eliot). Im Gegensatz zur Blütezeit der Autorschaft seit der Moderne steht die Karriere der Autorinnen unter dem Verdikt der Anonymität oder der Pseudonymität (Hahn 1991), und es bedarf eines langen Wegs der ‚Emanzipation‘, um sich in der männlich dominierten Welt des literarischen Betriebssystems ‚einen Namen zu machen‘ (vgl. Kord 1996). Zum deutlichen Bruch kommt es erst mit der Entstehung der ersten feministischen Bewegungen in England, in deren Folge auch einer der immer wieder zitierten Texte von Virginia Woolf, A Room of Oneʼs Own (1929), entstand (vgl. Rinnert 2001, 23–55). Die entscheidende Frage nach einer weiblichen Autorschaft als Alterität und Alternative, als das Andere zur männlich geprägten Autorschaft und als etwas, das nicht vom ‚Tod des Autors‘ betroffen ist, stellte sich aber erst im Kontext von Strukturalismus und Poststrukturalismus. Die von Kritikern wie Barthes und Foucault relativierte Autorität des Autors wurde als typisch männliche Machtfigur identifiziert, gegen die es subversive Strategien der Ver-wendung als Ent-wendung zu entwickeln galt. In einer Mischung der Theorieansätze von Semiotik, Psychoanalyse und Dekonstruktion entwickelte sich das Konzept einer écriture féminine als feministischer Gegenentwurf, der nicht dem männlichen Schema folgte und die Konfrontation suchte. Claudine Hermann bezeichnete so weibliches Schreiben als ‚entwendetes‘ Sprechen, das Autorinnen im außermoralischen Sinne als „Sprachdiebinnen“ (Herrmann 1978) klassifiziert. Das von ihr prominent diskutierte Beispiel der japanischen Verfasserin der Genji Monogatari (im Jahre 1008), Shikibu Murasaki (Hermann 1978, 27–37), zeigt paradigmatisch, wie dieses Entwenden als produktives Verwenden die weiblichen Potentiale auch medientechnisch freisetzt, verdankt doch die bis dahin von den männlichen Ideogrammen der chinesischen Kanji beherrschte japanische Schrift der Autorin die Popularisierung der Hiragana-Zeichen als einer ‚weiblichen‘ Lautschrift. Auch Hélène Cixous spricht von „Ent-Wenden“ (Cixous 1980, 107), wenn sie das besondere Verhältnis von Frauen zum Schreiben charakterisieren will. Autorschaft repräsentiert für sie eine männliche Ordnung des Eigentums und der Schuld gegenüber dem Vater, die auf einer Logik der Zeugung basiert, der es eine solche der „Gabe, des Geben-Könnens“ und des in der weiblichen Libido repräsentierten Überflusses entgegenzuhalten gilt. Gefordert wird ein neues Modell der libidinösen Produktion von Schrift, „die nicht der Buch-Schrift, nicht der Literatur Schrift angehört, sondern eine Einschreibung von etwas ist […], die weniger eine beherrschte Schrift ist, also eine Schrift, die weiß, daß sie schreibt und sich beim Schreiben beobachtet, als vielmehr diese lebendige Schrift, diese unfaßbare, die die der Schauplätze des Unbewußten, des Phantasmas sein wird“ (23). In diesem
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Sinne einer Abkehr vom Prinzip der Identität als phallischem Prinzip der Schrift geht es auch in anderen Ansätzen (wie etwa dem der Psychoanalytikerin Luce Irigaray) um die Überwindung der Logik von Eigentum, Einzigartigkeit, Einheit etc., die das männliche Vorstellungsbild von Autorschaft prägen (vgl. Rinnert 2001, 59–68). Gegen eine Geschlechterdifferenz, die im Zeichen des ‚Selben‘ und des Mangels steht, geht es Irigaray um eine Körperlichkeit der Schrift, die in ihren fließenden Übergängen dem Geschlecht angemessen ist, „das nicht eins ist“ (Irigaray 1976). Vor die Alternative einer Imitation männlicher Autorschaft oder einer weiblichen Selbstauslöschung gestellt, konzentrieren sich so die Reflexionen zu den Möglichkeiten weiblichen Schreibens auf einen „anderen Begriff von Autorschaft, der zugleich eine andere weibliche Selbstidentifikation ermöglichen würde: eine Form der Subjektivität, die keine Opfer, aber auch keine Selbstopfer fordern würde“ (Lindhoff 1995, 29). Gegen diese Opferlogik stellt sich die meist mit Cixous und Irigaray in einem Atemzug genannte Julia Kristeva mit ihrer klaren Ablehnung der Annahme einer weiblichen Autorschaft und damit eines weiblichen Schreibens in der Überzeugung, „daß die Schreibweise das Geschlecht ignoriert und dessen Differenz in die Diskretion der Sprache und der (notwendigerweise ideologischen und historischen) Bedeutung verschiebt“ (Kristeva 1979b, 80). Für Kristeva endet überhaupt der Versuch eines explizit weiblichen Schreibens oft in einem „Sagen des Nicht-Seins“: „das Schweigen, das Nicht-Gesagte von Wiederholungen durchsetzt, weben einen flüchtigen Stoff, in dem Blanchot ‚die Armut der Sprache‘ erblickte und in dem die Frauen durch die Sparsamkeit ihrer Worte und die Ellipsen ihrer Syntax eine Lücke artikulieren, die unserer mono-logischen Kultur entspricht“ (81). Was Kristeva dagegen sucht, ist eine „Logik, die immer poly-logisch ist“ (84) – frei nach einer „Konzeption des Weiblichen, für die es so viele ‚Weiblichkeiten‘ gibt wie Frauen“ (82) –, da eine Geschlechter‚differenz‘ für sie immer nur ein Diskurseffekt ist, der die „Identität der Frau als Wirkung im Bereich des Symbolischen, als symbolischen Effekt entziffern [lässt …] als ‚Effekt Frau‘“ (Kristeva 1979a, 37). Als dieser Diskurseffekt ist aber „das andere Geschlecht als das Andere […], als Träger von Widersprüchen, von Unmöglichem“ schon wieder symbolischen „Angleichungen dieser Besonderheit, dieser Kreativität an Strukturen und Identitäten“ (40) unterworfen (vgl. Rinnert 2001, 82–86). Im Sinne dieses letztlich dekonstruktivistischen Vorbehalts hat auch Peggy Kamuf als Vertreterin des amerikanischen Feminismus davor gewarnt, einer Logik der Alternative weiblicher Autorschaft allzu leicht zu folgen, da nämlich das maskulin-patriarchale System der auktorialen Autorität ein Gegenbild von Weiblichkeit als „exceptional“ gewissermaßen immanent als ‚Falle‘ mitproduziert, in dem jede Differenz wieder kassiert werde und sich der „cult of the individual“ als „patriarchal heritage“, als väterliche „mask“ fortsetze (Kamuf 1980, 286). Inso-
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fern versteht sich, dass nicht zuletzt vor dem Hintergrund der von Judith Butler ausgearbeiteten Gender-Theorie als These von der performativen Konstruktion von Geschlechtsidentität (vgl. Butler 1991 [1990], 49) feministische Ansätze des amerikanischen Poststrukturalismus versuchen, sich von den Begriffskonfigurationen der französischen Diskussion zu distanzieren. Eine nicht unbedeutende Rolle spielt dabei auch die Beschäftigung mit den Möglichkeiten der Entwicklung weiblicher Autorschaft in den Medien wie z. B. im Film (vgl. Petro 1991 und Jaikunar 2017). Nancy Miller fragt zugleich nach der generellen Relevanz von Topoi wie ‚Der Tod des Autors‘ für weibliche Subjekte, die diesem Regime gar nicht unterliegen, denn in historischer Perspektive „steht Identität für die Frau nicht in jenem Verhältnis zu Ursprung, Institution und Produktion, das für männliche Identität typisch ist“, und „fühlten sich […] noch nie durch zu viel Selbst, Ego, Cogito usw. belastet“ (Miller 2000 [1986], 255). Auch Miller knüpft an das subversive Konzept von „Diebstahl der Sprache und die Unterwanderung des Stereotyps“ (263) an, fragt sich aber, was diese „Auseinandersetzung innerhalb des dominierenden gesellschaftlichen Kontextes“ (264) bewirken kann. Es bietet sich letztendlich nur eine vermittelnde Position an, wie sie Cheryl Walker mit einem Ansatz vom Autor ohne Autorität nahelegt, der zwischen der Vorstellung der Auslöschung weiblicher Autorschaft als Akt der Unterdrückung und ihrer Revokation als Maskerade schwankt und dennoch weiß, „that many voices are speaking simultaneously in the poems we read“ (Walker 1990, 571).
Literaturverzeichnis Achermann, Eric (2002). „Ideenzirkulation, geistiges Eigentum und Autorschaft“. Gedächtnis und Zirkulation. Der Diskurs des Kreislaufes im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Harald Schmidt und Marcus Sandl. Göttingen: 127–144. Adair, Gilbert (1997 [1992]). Der Tod des Autors. Übers. von Thomas Schlachter. Zürich. Agamben, Giorgio (2005). „Der Autor als Geste“. Profanierungen. Übers. von Marianne Schneider. Frankfurt/Main: 57–69. Amlinger, Carolin (2017). „AutorIn sein: schriftstellerische Arbeitsidentitäten im gegenwärtigen deutschen literarischen Feld“. Swiss Journal of Sociology 43.2 (2017): 401–421. Amstutz, Nathalie (2004). Autorschaftsfiguren. Inszenierung und Reflexion von Autorschaft bei Musil, Bachmann und Mayröcker. Köln, Weimar, Wien. Arnold, Sonja, Stephanie Catani, Anita Gröger, Christoph Jürgensen, Klaus Schenk und Martina Wagner-Egelhaaf (Hrsg.) (2018). Sich selbst erzählen. Autobiographie – Autofiktion – Autorschaft. Kiel. Assmann, David Christopher (2009). „‚Tatsächliche‘ Autoren und ‚fiktive‘ Bilder. Zum literaturwissenschaftlichen Umgang mit der Herstellung und Darstellung literarischer Autorschaft“. Focus on German Studies 16 (2009): 89–106.
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Michael Wetzel II Historischer Abriss
II.1 Vorgeschichte: Antike Eine der strittigsten Fragen der Literaturgeschichtsschreibung ist diejenige danach, seit wann es ‚Autoren‘ oder genauer, seit wann das Amt der Schriftstellerei unter dem Wertebegriff/die Nobilitierung der ‚Autorschaft‘ gefasst wird. Nimmt man alle genannten Kriterien zusammen, so fällt auf, dass sie weitestgehend einem modernen Verständnis von Dichtung entstammen. Angesichts dieser historischen Markierung scheint es eher unwahrscheinlich, dass Produzenten von literarischen Werken sich vor Beginn der Neuzeit als Autoren begriffen haben. Aber dennoch beginnt die Begriffsgeschichte von Autorschaft bei den Wurzeln der tragenden abendländischen Kultur, nicht als Begriffsgeschichte von Autorschaft sui generis, sondern als Geschichte der charakteristischen Bedeutungsmerkmale. Besonders steht dabei das Konzept von Kreativität im Mittelpunkt, neben anderen Aspekten wie Inspiration, Göttlichkeit, Autorität und Eitelkeit. Im Grunde genommen läuft die Fragestellung aber darauf hinaus, ob es legitim ist, ein und denselben Begriff ‚Autorschaft‘ als Charakterisierung für (auch kulturell) unterschiedliche literarische Produzenten über tausende von Jahren hinweg zu benutzen. Das Cambridge Handbook of Literary Authorship nimmt diesbezüglich eine der radikalsten Positionen ein, indem es Autorschaft schlichtweg mit dem Beginn von Schriftkultur gleichsetzt: „The ancient Mesopotamian written culture in cuneiform script on clay tablets, beginning about 3000 BCE […], offers abundant evidence for authorship“ (Foster 2019, 13). Völlig ausgeblendet ist dabei ein Faktor, der in allen Bestimmungen von Autorschaft eine zentrale Rolle einnimmt, nämlich die Identifizierung einer individuellen Instanz, die Autorität und Urheberschaft für das Geschaffene beansprucht. Eine solche Anerkennung als Auktorialität setzt aber eine komplexe Sozialstruktur voraus, wie sie erst seit Beginn der Neuzeit sich zu entwickeln beginnt: „Moderne Autorschaft entsteht in einer funktional sich differenzierenden Gesellschaft mit Kunst und Literatur als einem eigenständigen Subsystem. In diesem Rahmen werden Dichter und Schriftsteller als juristisch anerkannte Urheber von Texten, die über Buchdruck und Buchmarkt in die Öffentlichkeit gelangen, zu Autoren.“ (Städtke 2003, XII) Insofern geht die Forschung generell davon aus, dass Autorschaft als solche eine moderne Vorstellung von literarischer Produktion ist, die sich dementsprechend als „Geschichte vom Aufstieg und Verfall des Autors als einer zentralen Chiffre neuzeitlicher Autoritätsbildung“ darstellt: „Die Phase des Aufstiegs wäre identisch mit dem Kanon ‚klassischer‘ Autoren und ihrer Werke, d. h. mit dem aus der Literaturgeschichte vertrauten Kultur- und Bildungserbe aus dem 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Der Verfall würde in der Mitte des 19. Jahrhunderts bei der Literatur der klassischen Moderne beginnen und sich bis in die Gegenwart des Medienzeitalters fortsetzen.“ (XI) https://doi.org/10.1515/9783110297065-002
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Der Begriff Autor (auctor) taucht schon in der Antike auf, aber er ist wie bei vielen Ausdrücken der lateinischen Tradition noch nicht im emphatischen Sinne von Subjektivität kodiert. Es gibt schon ein ausgeprägtes Namensbewusstsein, eine Distinktion der künstlerischen Persönlichkeit und vor allem eine ausgeprägte Lehre künstlerischer Kreativität (Poetik). Aber in der Antike fehlt eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren des Konzepts Autorschaft: der Literaturbetrieb. Obwohl in der römischen Kaiserzeit schon ein Buchmarkt mit einem Verlagswesen existierte, das über ein gut sortiertes Sortiment von Kopien durch Schreibsklaven verfügte (vgl. Cavallo 92009), wird Literatur nur für eine intellektuelle Elite geschaffen, gibt es kein Publikum im Sinne einer eigenständigen festen Leserschaft. Den Ausgangspunkt für die Genese des modernen Konzepts von Autorschaft bilden folglich die antiken Vorstellungen von Dichtertum, insofern sie als tragende Elemente in die Autorisierungsstrategien und Nobilitierungsgesten einer qua Originalität und Individualität bestimmten Vorstellung von Kreativität eingehen und sich in der Renaissance zum modernen Bild der ‚Autorschaft‘ neukonfigurieren. In der griechischen Kultur entwickelt sich vor allem die Idee vom Dichter als inspirierter, ‚von den Musen geküsster Künstler‘, der zu seiner außergewöhnlichen Schöpfung befähigt ist dank der Legitimation höherer Mächte. Insofern ist im Topos vom poeta vates schon früh, spätestens seit Hesiod das Moment von Poesie und Prophetie, vom Sänger und Seher, vom aoidos und mantis verbunden (vgl. Bennett 2005, 35): „Aber die Griechen kannten den Begriff der schöpferischen Einbildungskraft nicht. Sie hatten kein Wort dafür. Was die Dichter vorbrachten, war erlogen.“ (Curtius 1973, 401) Gerade solche archetypischen ‚Figuren‘ wie Homer fallen daher nicht ins Register von ‚Sein oder Nichtsein‘, sondern sind Symbole einer „authorization“ und zwar „through a process of retrospective figuration within and by the tradition“ (Bennett 2005, 34), wobei Bennett diese Tradition nicht auf die Antike beschränkt, sondern bewusst an die „retrospective ‚authorization‘“ (35) des ebenfalls historisch umstrittenen Shakespeare anknüpft. Homers ‚Autorschaft‘ ohne nachweisbaren Autor ist aber nach Bennett insofern signifikant, insofern er als Gründungsmythos der ikonologischen Inszenierung des blinder Sängers demonstriert, „[how] we make them in the image of our desire for a transcendent originary unity“ (35). Auch Raoul Schrott erinnert anlässlich der Entstehung dieses Mythos vom blinden Sänger im Zusammenhang der entscheidenden Medienrevolution der alphabetischen Schrift an die Doppeldeutigkeit des Wortes persona, das ursprünglich Maske bedeutete und so zur „Identifikationsfigur für ein gemeinsames ‚griechischesʻ Bewußtsein“ wird, gegründet auf der Personalunion von „Autoren als ‚Handwerker des Wortesʻ“ und „Rhapsoden“ als „Gilden von wandernden Performern“ (Schrott 2010, 22). Dem damit aufgerufenen kulturellen Paradigma einer
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nationalen Kreativität im Sinne eines indigenen Geniekultes widerspräche aber die kulturgeschichtliche Tatsache, „daß alles Eigenständige in der Regel durch die Übernahme von Ausdrucksformen und Inhalten aus anderen Kulturkreisen zustande kam“ (23) und erst im Prozeß Prozess der nachträglichen Adaption eine Originalität konstruierte, wie Schrott in seinem Versuch einer Relokalisierung des Schauplatzes der Ilias und der Herkunft Homers im kleinasiatischen Kilikien zu rekonstruieren versucht. Platons Dialog Ion gilt als emphatisches Engagement für die göttliche Inspiration des Dichters als Schöpfer, erweist sich aber eigentlich als Beginn einer Depotenzierung seiner künstlerischen Kompetenz, denn es ist allein die Muse, die „Begeisterung“ erzeugt, und „alle rechten Dichter alter Sagen sprechen nicht durch Kunst, sondern als Begeisterte und Besessene alle diese schönen Gedichte“ (Platon 1957 [390 v. Chr.], 103), d. h. sie beherrschen nicht das Können der Kunst als techné, sondern sind nur unbewusste Artikulationen der göttlichen Kraft. Und wenn sie sich der Kunst durch Möglichkeiten der Manifestation in schriftlich fixierten Werken zu bemächtigen suchen, was für Platon der Übergang der Rhapsoden in wirkliche Werkbeherrscher darstellen würde, so wären sie nur Opfer der im Altgriechischen auch als ‚Kunstgriff‘, ‚List‘ oder ‚Betrug‘ zu verstehenden Nebenbedeutung von techné und würden in ihrer poiesis als handwerkliche Hervorbringung der Schrift nichts anderes produzieren als pseudolebendige „Ausgeburten“, die nur ein „Schattenbild“ gegenüber dem darstellen, was die „lebende und beseelte Rede“ als Anwesenheit des logos ausmacht (Platon 1958 [370 v. Chr.], 56). Von daher versteht sich die radikale Konsequenz Platons, der in seinem idealen Modell des Staates die Dichter für überflüssig hält, weil sie lügen, was in seinem Sinne bedeutet, „daß von Homeros an alle Dichter nur Nachbildner von Schattenbildern der Tugend seien und der anderen Dinge, worüber sie dichten, die Wahrheit aber gar nicht berühren“ (Platon 1958 [375 v. Chr.], 292). Weil ihnen alles nur „Spiel und kein Ernst“ (294) ist, sind sie für die Tugend eine Gefahr und müssen sogar aus der Gemeinschaft verbannt werden bis auf solche, die „Gesänge an die Götter und Loblieder auf treffliche Männer“ (298) hervorbringen. Diese Nachahmung wird nun bei Aristoteles als Mimesis positiv gewertet: Alle Dichtkunst bringt „Nachahmungen“ (Aristoteles 1961 [335 v. Chr.], 23) hervor, die den – im modernen Sinne gesprochen – ‚ästhetischen‘ Reiz haben, dass man in ihnen „mit Vergnügen“ betrachtet, was man „in der Wirklichkeit nur mit Unbehagen anschauen“ kann (27). Zwar sind die Dichter für Aristoteles keine Handelnden (im Sinne von praxis) und keine Macher (im Sinne von poiesis), denn sie führen nur Nachahmungen, keine Wirklichkeiten vor. Aber gerade darin liegt ihre Stärke: denn sie sind schöpferisch, indem sie etwas Mögliches hervorbringen, das es vorher noch nicht gegeben hat. Sie unterscheiden sich insofern von den Geschichtsschreibern, „daß es nicht die Aufgabe des Dichters ist, zu berichten,
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was geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte und was möglich wäre nach Angemessenheit oder Notwendigkeit“ (36). Diese Kraft der Fiktion wird vor allem für die mittelalterliche Rezeption Aristotelesʼ bedeutend, denn in diesem Begriff des Möglichen wird zum ersten Mal Kreativität als Überschreitung des Horizontes des Gegebenen gedacht und damit Menschen die Fähigkeit des Entwurfes einer anderen Welt konzediert. Aber auch in der römischen Antike, die wesentlich im Banne der griechischen Vorbilder bleibt, entwickelt sich kein Bewusstsein einer subjektiven Verantwortung für diese Originalität, sondern konzentrieren sich die Poetiken eher auf die Perfektionierung handwerklicher Fähigkeiten des Dichtens. Allenfalls entwickelt sich im Hellenismus eine für das lateinische Mittelalter prägende Form der Tradierung der ‚klassischen‘ Literatur, die den Autor nur als Kopisten kennt (Canfora 2012).
II.2 Schreiben im Mittelalter Für das Mittelalter gilt diese Beschränkung auf das Abschreiben in besonderem Maße, da alle Schöpfung allein Gott vorbehalten ist und der Mensch nur Dank göttlicher Inspiration kreativ werden kann. Erich Kleinschmidt konstatiert daher unmissverständlich: „Erst mit der ‚Erfindung‘ des schöpferischen Subjekts, das sich wesentlich neuzeitlicher Denkprägung, aber auch Marktkonzepten verdankt, wird die spezifische Verbindung von Person und Text- bzw. Kunstproduktion wichtig und deshalb auch theoretisch entworfen.“ (Kleinschmidt 2004, 6) Dennoch ist der Streit darum, ob es schon im Mittelalter ein Autorschaft bewusstsein gibt, unentschieden. Auf der einen Seite heißt es: „Den Autor als biographisch greifbare Größe kennt der Mediävist so gut wie nicht, nur wenige Ausnahmen bestätigen bis ins späte 14. Jahrhundert diese Regel.“ (Bein 2004, 19) Auf der andere Seite hat sich in der Mediävistik eine Tendenz durchgesetzt, dem Konzept des Autors als Schreiben aus „Inspiration“ (Klein 2006) auch in der mittelalterlichen Literatur zu einer Rückkehr zu verhelfen (vgl. generell Andersen e. a. 1995 u. Bolens und Erne 2011). Bein selbst ist ein Beispiel dafür. Der „vor Autorschaft nur so strotzende Parzival Wolframs von Eschenbach“ (Bein 1999, 306) wird von ihm als Beispiel eines durch „Eigensignatur“ (309) sich artikulierenden Autorbewusstseins angeführt, das er ebenso im Verfahren der „Fremdsignatur“ (311) durch die Nennung von Dichter-Namen bestätigt findet, wonach „sich in Namen ‚Dichterische Eigentümlichkeit‘ – und das meint letztlich ‚Autorschaft‘ – konzentriert.“ (312) Allerdings ist bei solchen Behauptungen, dass schon im Mittelalter das Werk auf einen Autor verweise „und der Autorname auf das Werk“ (Bein 1998, 145), oft der anachronistische Fehler zu beobachten, dass Autorschaft
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entsprechend einer petitio principii in der Argumentation einfach vorausgesetzt wird und die an der Produktion von Literatur und Texten generell Beteiligten schlichtweg als Autoren (im heutigen Sinne) adressiert werden, auch wenn sie nicht die Verfügungsgewalt eines modernen Urhebers für sich beanspruchten oder beanspruchen können. Dagegen steht das historische Argument, dass angesichts der literarischen Produktionsbedingungen im Mittelalter nicht ein Autor im modernen Sinne zu unterstellen ist, „er kann ihnen nicht im Sinne jüngerer Autorschaftskonzeptionen seine individuelle Persönlichkeit als eine, das Werk konstituierende Größe entgegensetzen“ (Wachinger 1992, 22): „Was wir unter dem modernen Begriff des Autors fassen, hat kein Äquivalent im Mittelalter.“ (Wenzel 1998, 11) Vehementer Kritiker jenes ‚Fehlschlusses‘ ist auch Bernard Cerquiglini mit seiner Option für eine nicht an das moderne, dem Buchdruck verpflichtete Originalitätsdenkens von Autorschaft gebundene, im Anschluss an Foucault formulierte Funktion der ‚Variante‘, die daran erinnern sollen, dass es sich bei den ‚Werken‘ um jeweils individuelle Textabschriften handelt, bei denen sich die Schreiber durchaus künstlerische Freiheiten (vgl. auch Minnis 2010, xxxvi) ohne auktoriale Konsequenzen erlauben konnten: „L’auteur n‘est pas une idée médiévale.“ (Cerquiglini 1989, 25, vgl. Bein 1998, 121–124) Er sieht zugleich eine Affinität mittelalterlichen Schreibens mit der Abwesenheit des modernen, den PrintMedien verbundenen Autors der „philologie post-textuaire“ (116) des Schreibens von Hypertexten bzw. – wie er 20 Jahre später reformuliert – mit der intertextuellen Entfaltung des Textes als Text (ohne „avant-texte“ noch „post-texte“), die jede Suche nach einem, den kanonischen Eigenschaften der „unicité“, „stabilité“, „finitude“ und „notion d’auteur responsable et d’inspiration“ gehorchenden „Urtext“ (Cerquiglini 2010, 16) als Illusion erweist und vielmehr als „unité organique hétérogène“ (16) wie die mittelalterliche Manuskriptvariation funktioniert. Mediävisten wie Peter Strohschneider erkennen daher keine „Belege auktorialer Textautorisation, […] die den Text gegen Prozesse der variance und den Zugriff von Reproduzenten abschotten“ (Strohschneider 1997, 68), oder sehen sich wie Horst Wenzel daher angesichts des Dilemmas der Konfrontation mit „Texte[n] ohne Autor, Autoren ohne Texte“ (1998, 2) durch die kritische Hinterfragung der Geltung des Autorbegriffs durch die französischen Strukturalisten eher vom Druck entlastet, den ohnehin dem mittelalterlichen Publikum mangels Buchmarkt unbekannten Handschriften eindeutige Urheber zuzuordnen: „Wir kennen im Mittelalter in der Regel nicht den Autor, der den Text hervorgebracht hat, sondern nur den Text, der den Autor hervorbringt.“ (8) Wissensgeschichtlich gesehen ist das Mittelalter zugleich die Epoche der Schrift bzw. des Buches. ‚Verstehen‘ war in buchstäbliche Ordnungen eingeflochten, deren vielfacher Schriftsinn aber in einem Buch zusammengeführt wurde, der in Klosterschreibstuben
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unendlich kopierten Bibel. Daneben gab es die Verwaltung des Erbes antiker Texte in den Bibliotheken als Ort einer Intensivierung der Lektüre und Kopie von Manuskripten, um aus Lesern Schreiber und damit nach und nach aus Nachahmern Autoren zu machen. Autorschaft spielt also schon eine gewisse Rolle, wurde dabei zunächst aber nur als objektive Ordnungskategorie thematisch und stellte noch keine Frage subjektiver Kompetenzen dar, oder anders ausgedrückt: Die Autorisierungsstrategie war eine andere. Wird moderne Autorschaft durch den Autor selbst als biographische Instanz des Verfassers autorisiert, so wird mittelalterliche Autorschaft durch den Anschluss an anerkannte Autoren und deren Texte autorisiert. Autorschaft war also immer die Autorschaft der anderen, der antiken bzw. früheren, schon toten auctores als auctoritas-verleihenden Instanzen, mit Alastair Minnis gesprochen: „the only good auctor was a dead one“ (Minnis 2010, 12). Die durch sie erreichte auctoritas war aber im Sinne der Authentizität einer Erzählung oder einer Argumentation zu verstehen, nicht im Sinne einer Autorisierung zu Originalität und Kreativität, die als Charakteristika der Schöpfung allein der Instanz Gottes vorbehalten waren: „Der Träger der höchsten Autorität des Wortes, selbst als logos oder verbum definiert, ist Gott.“ (Wenzel 1998, 8,), so „daß Autorschaft grundsätzlich nur graduell, als Teilhabe an auctoritas, vorhanden sein konnte“ (Bumke 1997, 102). Mit dieser christlichen Vorstellung einer monotheistischen Alleinstellung Gottes als Schöpfer einer creatio ex nihilo zeichnet sich die entscheidende Differenz zum antiken Polytheismus der Demiurgen ab: Während dort Götter wie Handwerker aus dem vorhandenen Material ihre Erfindungen formten aber nicht erschufen, ist der christliche Gott wie im Alten Testament der freie und spontane Schöpfer einer originären Welt, die es vorher nicht gab. Und auch wenn die späteren Autorschaftsdiskurse wesentlich an antike Poetologien anknüpften und sich häufig die Rede von Gott als oberstem Handwerker und Künstler findet, so sind sie doch in ihrem zentralen Interesse einer Begründung individueller Produktivität an die Vorstellung einer nicht-artisanalen Autokratie des jüdisch-christlichen Schöpfergottes gebunden. Die theologischen Diskussionen seiner Allmacht im Sinne des von Augustinus begründeten Grundsatzes solus creator est deus (vgl. Cramer 1986) stellten also eine Art klandestinen ‚Stellvertreterdiskurs‘ von Autorschaft dar: Auch wenn menschlich zu erlangende auctoritas allein auf die Funktion als ‚Schreiber‘ (scriptor) beschränkt bleibt, als welche besonders in der althochdeutschen Periode der Textproduktion „‚Autoren‘ nur im Sinne von ‚Vermittlern‘ der Worte, Botschaften und Lehren Gottes“ (Bein 1999, 304) vorkommen, stellt das monotheistische Autorisierungsmonopol des dreieinigen Gottes als Vereinigung des Schöpfungspotentials von Wort, Bild und Tat, so wie es sich in der dreifachen Offenbarung durch das ‚Buch der Bücher‘, das ‚Buch der Natur‘ und das ‚Buch der Geschichte‘ manifestiert, gewissermaßen die ‚Blaupause‘ für das
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spätere Ideal individueller Autorschaft dar. Die bekannte Übersetzungsvariation des logos-Begriffs am Anfang des Johannes-Evangeliums durch Goethes Faust als ‚Wort‘, ‚Sinn‘, ‚Kraft‘ und ‚Tat‘ bestätigt später diese Genealogie (vgl. Kittler 2003 [1985], 14–19). Die mittelalterliche Vorstellung sekundärer Autorschaft bloß im ‚übertragenen‘ Sinne beschränkt sich hingegen auf das von Kopisten und Kompilatoren praktizierte Weiterschreiben, ein Weiterdichten als Wiedererzählen der überlieferten Vorlagen im Sinne eines „Wiedergebrauchs von Stoffen und Texten“ in „Übersetzungen, Kompilationen, Bearbeitungen, (Neu-)Fassungen usw.“ (Plotke 2012, 346). Der so als scriptor agierende auctor ist nur Instanz der Retextualisierung einer auctoritas-verleihenden Vorlage, wobei der etymologisch tragende Aspekt des ‚Mehrens‘ (latein. augere) darin zum Ausdruck kommt, dass er als Autor „dessen Bedeutungspotenzial in einem Akt kreativer Neumodellierung mehrt“ (Friede und Schwarze 2015, 2). Im intertextuellen Moment des Wiedererzählens scheint also schon eine eigene produktive Leistung auf, wobei das Entfaltete in der Quelle bereits enthalten sein muss. Das ‚Mehren‘ bezieht sich also auf eine „neue semantische Spannung oder Intensität (lat. intensio), die nicht zuletzt zwischen Quelle und ihrer sprachlichen Neufassung besteht“ (Bleumer 2015 17), also zwischen Vorlage und Variante. Es geht dabei aber nicht eine persönliche „Autorintention“, sondern um eine „Autorintensität“ (Bleumer), die auf „transpersonale Verfahren“ ähnlich postmoderner „distributed authorship“ (Friede und Schwarze 2015, 7) verweist. Was als Intention des Autors zugrunde gelegt werden kann, ist eher als ethisch-didaktische Absicht, als „pedagogic purpose“ (Minnis 2010, xxxiv) zu verstehen, nicht als individuelle Sinngebung. Als Disposition spielt sie dann eine Rolle unter anderen im Prolog oder accessus des Werks (Minnis zählt 8 Aspekte auf: Titulus, Nomen auctoris, Intention auctoris, Materia libri, Modus agendi, Ordo libris, Utilitas, Cui parti philosophiae supponitur [19–23]). Im 13. Jahrhundert kommt es zu einer weiteren Modifikation der instrumentellen Position des Autors gegenüber der ultimativen Autorität Gottes, zu einer Verschiebung von der Auktorialität Gottes zu der des menschlichen Schreibers, für die Minnis die durch die Scholastik initierte Lektüre von Aristoteles und besonders seiner Theorie des vierfachen Grundes verantwortlich macht. Übertragen auf die Frage nach dem Autor kommt dieser als causa efficiens ins Spiel, „the person who brought the literary work into being“ (28), während die causa materialis das Quellenmaterial des Schreibers betrifft, die causa formalis die vom Autor benutzten Muster der Behandlung und Anordnung des Materials und die causa finalis die Rechtfertigung des Werks, seinen Zweck (28–29, vgl. Danneberg 1999, 91). Damit geht auch eine Transformation des Wissenskanons einher, die im Zuge der Ablösung von Grammatik und Rhetorik durch Logik und Dialektik der
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allegorischen Deutung der materiellen Schöpfung Gottes jetzt die buchstäbliche Deutung des verborgenen göttlichen Sinns durch menschliche auctores der Schrift gegenüber stellte: „God is the sole auctor of things and can use things to signify, whereas human auctores are auctores of words and use words to signify. When things are used […] allegorical senses arise; when words are used significatively, we have the literal sense. The literal sense was believed to express the intention of the human auctor.“ (73) Und Minnis zitiert ergänzend eine Schrift von Albertus Magnus, in der zwischen innerem und äußerem auctor unterschieden wird, wobei ersterer natürlich Gott ist: „From the former derives the authenticity of the text; from the later derives its fidelity.“ (Minnis 2010, 82) Noch ein gutes Jahrhundert zuvor kam in Konrad von Hirsaus Abhandlung Dialogus super auctores in Bezug auf die Begründung der Texte neben der „causa maioris confirmationis“ und der „causa recreationis et delectationis“ erst an dritter Stelle die „causa auctoritatis“ zur Sprache, „ut fides habeatur sermoni quem aucthentica persona facit“ (von Hirsau 1955 [1125], 103). Die Position des Autors wurde nur als ein Faktor der Textproduktion unter vielen genannt, die bezeichnenderweise neben den Funktionen des Dichters, des Geschichtsschreibers, des Kommentators, des Sehers, des Predigers oder des Exegeten auch das Bemühen um stilistische Aufbereitung des vorgegebenen Stoffs umfasst (vgl. Müller 1995, 18). Eine Entscheidung oder gar Vereinigung all dieser Autorinstanzen in einer Person ist insbesondere vor der Etablierung schriftlicher Fixierungen unmöglich. Wie sich am Beispiel der paganen Literatur zeigt, ist vor dem Übergang von der oralen zur literalen Werkform nicht davon auszugehen, dass der Vortragende auch der Autor ist. Ja selbst die „Verfasser der höfischen Epen haben sich nicht als Autoren definiert, sondern als Dichter“ (Bumke 1997, 108), „als derjenige, der durch seine Kunstfertigkeit imstande war, einen vorgegebenen Stoff die künstlerische Gestalt zu geben“ (109). Die herumziehenden Troubadoure (abgeleitet von trobar = finden) verband kein Urheberrecht mit den performativen Leistungen ihrer auf Unterhaltung abzielenden Gaia sciensa. Mit der Ebene der schriftlichen Manifestation als Autorisierung durch ein Aufschreibesystem kommt erst nachträglich das auktoriale Kriterium von Authentizität ins Spiel. Aber selbst Namenszuweisungen sind nicht biographischer Verweis auf einen ‚realen Autor‘ als Referenz des „schreibenden Autors“ zu verstehen, sondern als „Vorstellung des vortragenden, erzählenden Autors“ (Unzeitig 2004, 73; vgl. Unzeitig 2010, 202–205) und bleiben im Mittelalter oft auf geographische Angaben zur Herkunft eines fingierten, ‚impliziten Autors‘ oder auf die Konstruktion von Erzählerfiguren als Augenzeugen des Geschehens beschränkt und kennen keine realen Individuen oder gar die Instanz eines Ich. Auch der Versuch, die Bildtradition sogenannten Autorenporträts (vgl. Wachinger 1991, 7–14) zur Authentifizierung von ‚Urheber-Egos‘ heranzuziehen,
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stößt an seine Grenzen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass der scheinbar paratextuelle Schmuck mittelalterlicher Handschriften durch Bildnisse der angeblichen Verfasser vielmehr der typologischen Tradition von ‚auctoritas-Markern‘ folgt und eine „Identifizierung als Autorbild und damit zusammenhängend ihre mögliche Aussagekraft hinsichtlich einer auf der materiell-visuellen Ebene des ‚Buches‘ angesiedelten Konzeptualisierung von Autorschaft im Sinne von Textautorisierung, Texturheberschaft, Verfasserschaft“ (Peters 2008, 11) gar nicht zulässt. Überhaupt kommen in mittelalterlichen Manuskripten „keine Paratexte vor, die bestimmte Angaben zu einem Werk – wie Autorname, Werktitel, Überlegungen des Autors oder des Herausgebers usw. – an einen fest etablierten, werkexternen Platz vermitteln“ (Plotke 2012, 348), und das gilt auch für das Bildprogramm: All die adligen Herren zu Pferd oder die Gelehrten am Schreibpult folgen der Ikonographie von Macht- und Geistes-Idolen von Alexander bis Virgil u. a. und sind nur „Figurationen“ (Löhr 2010, 31) der auctoritas, die sie dem auctor als solchem verleihen sollen. Bekannte Beispiele wie das angebliche Porträt Walthers von der Vogelweide im Codex Manesse beweisen allein schon durch den zeitlichen Abstand und die Unbekanntheit des Künstlers mit dem lang verstorbenen Dichter, dass es sich um eine „textsymmetrische Ikone“ (Wenzel 1998, 3), um eine „historische Konstruktion“ (5) bzw. um ein „pseudo-authentisches Autorenbild“ als „komplizierte Operation“ (Stolz 2006, 80 u. 86) handelt: Sie ist keine „Bürgschaft gelebter Realität“ (97), sondern eine aus den Texten abgeleitete „Pseudo-Aura“ (98). Demgegenüber beginnt im monastischen Aufschreibesystem die symbolische Funktion des Autors am Übergang von der Oralität zur Skripturalität eine Rolle zu spielen, wie Ivan Illich schon anhand der entscheidenden Rolle des Didascalicon von Hugo de St. Victor als Umbruch in der Technik und Ästhetik des Schriftbildes um 1150 gezeigt hat. Auch er verweist darauf, dass die Authentizität eines Textes sich damals keineswegs der Existenz einer wirklichen Autorperson verdankte, sondern eher der symbolischen Personalunion seiner auctoritas, die sich nicht nur aus der Kanonizität von Bibeltexten, sondern auch von heidnischen Autoren herleitete (vgl. Illich 1996 [1993][, 16–20; Hugo von St.Victor 1896 [1150], 158–160, sowie Chenu 1927, 81–86). Neu war in diesem monastischen Aufschreibesystem aber die Funktion des Autors als dictator, der seine Finger nicht mit der Tinte des Griffels beschmutzte, der vielmehr vom scriptor als untergeordneter Instanz geführt wurde. Darin spiegelt sich das mittelalterliche Verständnis der artes, aufgeteilt in intellektuelle und mechanische Tätigkeit, das Hugo de St. Victor selbst in drei Bedeutungsschichten unterteilt, nämlich Kunst als Wissen, „der Regeln und Vorschriften“, Kunst als Behandlung von „Wahrscheinlichkeit“ und schließlich die handwerkliche „Betätigung an einem tatsächlich vorhandenen Stoffe“, was für die Autorfunktion bedeutet, dass sie immer verschiedene Instanzen
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umfasst: den „Erfinder“, den „Vervollkommner“ und den „Vollender“ (Hugo von Victor 1896, 67–68, u. 103, vgl. Illich 1996, 92). Erstaunlich an diesen Differenzierungen ist nicht nur das durchaus modern anmutende Modell der Arbeitsteilung, sondern auch die Tatsache, dass sich schon früh das ‚diktatorische‘ Machtdispositiv künstlerischer Kreation über die Teilung von geistiger und körperlicher Arbeit ausbildet. Dennoch ist bei dem „focus on ‚scribal authorship‘“ die Rolle von „authorial-scribal activities“ nicht zu unterschätzen, die sich im printtechnisch prämedialen Zeitalter der Kopie durchaus darin äußern konnten, dass im Sinne der Variation „scribes could contribute importantly to the meaning of the works they copied […] to put these materials factors and conventions to creative ends“ (Kraebel 2019, 101 u. 109). Diese kennen jedoch keineswegs das für die Moderne konstitutive Element eines ‚Eigentumsanspruchs‘ am Werk. Auch andere Quellen als Vorformen einer Art kollektiver Autorschaft rücken grundsätzlich eine Pluralität der am Entstehen von Kunstwerken Beteiligten in den Vordergrund – wie die kanonische und häufig zitierte Passage von Bonaventura zur Frage der Entstehung von Büchern: „[…] quadruplex est modus faciendi librum. Aliquis enim scribit alienam materiam nihil addendo, vel mutando; et iste mere dicitur scriptor. Aliquis scribit aliena addendo, sed non de suo: et iste compilator dicitur. Aliquis scribit et aliena, et sua; sed aliena tanquam principalia, et sua tanquam annexa ad evidentiam; et iste dicitur commentator. Aliquis scribit et sua, et aliena; sed sua tanquam principalia, aliena tanquam annexa ad confirmationem: et talis debet dici auctor.“ (Bonaventura 1864 [1250–52], 20) („Es gibt vier Arten, ein Buch zu machen. Man kann Fremdes schreiben, ohne etwas hinzuzufügen oder zu verändern, dann ist man Schreiber. Man kann Fremdes schreiben und etwas hinzufügen, das nicht von einem selbst kommt, dann ist man Kompilator. Man kann auch schreiben, was von anderen und einem selbst kommt, aber doch hauptsächlich das eines anderen, dem man das Eigene zur Erklärung beifügt, und dann ist man ein Kommentator, aber nicht ein Autor. Man kann auch Eigenes und Fremdes schreiben, aber das Eigene als Hauptsache und das Fremde zur Bekräftigung beifügen, und dann muß man als Autor bezeichnet werden.“ (Übersetzung nach Illich 1996 [1993], 112; vgl. Müller 1995, 25) Nur der „de sua“ Schreibende erhält jetzt die Nobilitierung als Autor, weil er – wie beim gegebenenen Anlass der zu beurteilenden Bücher von Petrus Lombardus – ‚Herr‘ (Bonaventura sagt sogar: „Patrum“) seiner Rede bzw. der von ihm formulierten Sätze ist, und Bonaventura fährt mit einer kaum zitierten, für das Mittelalter sensationellen Feststellung der nichtmehr göttlichen Alleinherrschaft über die Schrift fort: „Quod ergo abjicitur, quod solus Christus est doctor, et auctor“ (20). Minnis macht für diesen Perspektivenwechsel eine Veränderung des
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Begriffs der ‚Form‘ im 13. Jahrhundert verantwortlich, die als entscheidende Funktion des buchstäblichen Sinns der Schrift das Muster ihrer Entstehung darstellt und damit den menschlichen Autor als Erzeuger der forma seines Textes ermächtigte: „In a literary context, the auctor, the agent responsible for the generation of the text, was believed to have brought the text’s formal cause from potentiality to act.“ (Minnis 2010, 118) Auch wenn Gott der primäre Autor bleibt, der die menschlichen Autoren inspiriert hat, gelangen diese jedoch durch rhetorische Manipulationen ihres Stils immer mehr zu einer „individual authority“ (159), der nur noch die Ausprägung zur Autoren-„personality“ fehlt. Für die Lösungsfigur des Zweiinstanzenmodells von Gott als primäre causa efficiens und Autor als sekundäre causa efficiens oder Instrument Gottes schlägt Minnis die Formel der „duplex causa efficiens“ (164, 173) vor, wie sie vor allem für Beispiele prophetischer und predigender Textgattungen typisch ist. Sein Beispiel, das Werk des englischen Dichters John Gower, demonstriert eine der auctoritas Gottes gegenüber ambivalente, unterwürfige Haltung des Autors als Diener: „Through these fulsome professions of humility, Gower draws attention to his creativity and, in a indirect and impersonal way, claims a degree of auctoritas -’impersonal‘ because the emphasis is placed, not on Gower’s personal achievement, but rather on his assumed office as prophet, preacher and transmiter of truths.“ (186) Die umgekehrte Haltung nimmt sein Zeitgenosse und Freund Chaucer ein, der seine auktoriale Aktivität hinter der bescheidenen Geste des Kompilators, der nur wiederholt und berichtet, verbirgt, dabei aber die Grenzen des Kompilierens für eigene literarische Freiheiten sprengt, ohne die Verantwortung des Autors zu übernehmen, „who bore full responsibility for what he had written“ (192). Auch Kiening bemüht in seiner Suche nach Vorformen literarischer Kreativität im Mittelalter die Formel von der sekundären Formgebung oder Annäherung, die zwar Gott als absoluter Ursache gegenüber „keine eigentliche creatio ist“ (Kiening 2015, 10), aber „neben ihm schaffend tätig“ (20) werden kann. Ausgangspunkt ist wiederum das Didascalicon von Hugo de St. Victor und speziell die dort beim Schöpfungsprozess hervorgehobene Rolle des Geistes, der als ingenium eine auf den profanen Rezipienten übertragbare Potentialität darstellt. Zentral werde diese aber, laut Kiening, in späteren Auseinandersetzungen mit Schöpfungsurkunden wie der Genesis oder dem Johannes-Evangelium verhandelt, wobei gerade letzteres im Medium des Wortes bzw. genereller der Sprache eine Möglichkeit bietet, „die pro- und rekreativen Prozesse, die sich in der Ordnung der Welt abspielen, mit den literarischen zu verknüpfen“ (68). Wiederum zeigt sich hier die Verbindung von biblischem Monotheismus und absoluter Kreativität: Der Dichter entdeckt seine schöpferische Auktorialität also in der „Sprache selbst“ (Cramer 1986, 265), die ihm von Gott verliehen wurde als Begründung der „Kreativität explizit auf der schöpferischen Kraft des Wortes, das zwischen dem sprechenden Gott und der
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gewordenen Kreatur […] vermittelt“ (Kiening 2015, 132). Nicht unbedeutend sind dabei die in der weiteren Geschichte der Autorschaftsdebatten wiederkehrenden Metaphern des textuellen Webens (Schneider 2017) und auch schon der „Aufpropfung (pelzen) durch das Wort“ (Kiening 2015, 170). Alle Forschungsbeiträge betonen aber, dass mittelalterliche Dichter durch diese Strategien noch nicht „nobilitiert“ (171) seien, noch keine „Selbstermächtigung“ (Schneider 2017, 101) erlangt hätten, was eindeutig erst ein Privileg des Sprachverständnisses des italienischen Frühhumanismus und dann der Renaissance mit ihrer Ableitung des Wortes poeta von der griechischen Bedeutung „Schaffen“ und der Instauration des Dichters als „secundus oder alter deus“ (Kiening 2015, 175 u. 177, vgl. Bouwsma 1993, 28). Auch Minnis betont die historische Differenz, die in den profanen Autoren Italiens des 13. Jahrhunderts eine Ausnahme statuiert: Bei Dante, Petrarca und besonders Boccaccio als „unashamed inventor of his stories, the self-confessed craftman whose creativity parallels (in so far as is humanly possible) the perfect creation of God“ (Minnis 2010, 204), kommt eine neue Größe ins Spiel als Anspruch auf Aneignung, aus dem sich das Bewusstsein von geistiger Urheberschaft speist. Schon bei Dante ist der Wandel offenbar und zwar in der Form einer Opposition von performativer Funktion (des Sängers, des Handwerkers) und konzeptueller Position des Künstlers als Vermittler zwischen der „intenzion dell’arte“ als „forma“ und der „materia sorda“ (Dante 1958 [1307–21], 127), der seine ‚Autorität‘ darin bekundet, dass er nicht mehr Gedichte singt, sondern sie dichtet: „l’auteur est celui, non pas qui chante la chanson, mais celui qui l’a composée.“ (Sollers 1968, 25). Von entscheidender Bedeutung für die daran anknüpfende Wertschätzung von Autorschaft in Bezug auf dokumentierende Werke sind dann die diese Autorität stützenden Instanzen oder Institutionen, denen sich die entscheidende „translatio auctoritatis“ von göttlicher auf menschlicher Autorschaft (Minnis 2010, xxviii) verdanken. Der Humanismus hatte mit dem Aufbau der nicht mehr nur theologisch orientierten, privaten Bibliotheken begonnen, in denen sich das abendländische Wissen als der Stoff ansammelte, aus dem sich das neue Selbstbewusstsein der Autorschaft speiste. Ernst Kantorowicz hat in diesem Kontext darauf hingewiesen, dass neben den immer wieder genannten Einflüssen der im 13. Jahrhundert ins Lateinische übersetzten aristotelischen Physik und Poetik auch die altrömischen Rechtsquellen eine entscheidende Rolle für diesen Legitimationsprozess spielten. Das Bindeglied stellte der Bedeutungswandel von Poesis/Poiein dar, das im lateinischen Mittelalter nicht durch „Schaffen, Erschaffen“ übersetzt werden durfte, sondern eher im Sine von Dantes Formulierung einer „fictio rhetorica musicaque composita“ wiedergegeben wurde (Kantorowicz 1998, 336). Genau dieser Topos der Fiktion stiftete aber eine Wahlverwandtschaft zwischen Dichtung und Recht, zwischen Dichterkunst und Amtsgeschäft. So wie nämlich der
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Jurist aus dem Nichts heraus etwas ‚Fiktives‘ als symbolische Instanz – wie z. B. eine Körperschaft oder das corpus mysticum der Kirche – erschaffen konnte, um an ihnen veritable rechtliche Einsichten und Konsequenzen zu demonstrieren, so hat auch das „Amt des Poeten“ in der von Petrarca gegebenen Definition das Recht, sozusagen im Schutze der Einbildungskraft („sub velamine figmentorum“) die Grenzen virtueller Welten zu vermessen. Das Privileg der Fiktion, das der 1341 auf dem Römischen Kapitol gekrönte Dichterfürst beanspruchte, ist somit schon ein juristisch begründetes Recht auf geistige Prokreation (vgl. 333–335; vgl. Stierle 2003, 347, Löhr 2010, 237). Bei Petrarca kommt dies auch in einem neuen Selbstbewusstsein als Autor zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund seiner Büchersammlungen hat er die intellektuelle Bildung, die eruditio litteralis, als entscheidenden Faktor für die Autorkarriere des künstlerisch Kreativen hervorgehoben – nicht zuletzt auch als Heilmittel gegen die allgegenwärtige Gefahr der Eigenliebe ruhmsüchtiger Schreiberlinge. Gerade an Petrarca wird die neue Funktion der Bibliothek für die Ausbildung von Autorschaft deutlich, und zwar einer Bibliothek, die in ihrer Auswahl und Anordnung anders als Klosterbibliotheken die Individualität und das Interesse des Nutzers zugleich als Philologen zum Ausdruck bringt, der vom Leser zum Herausgeber und schließlich zum Schreiber wird. Mit leicht kokettem Unterton fragt er seinen Gönner, den Bischof von Cavaillon, warum dieser so oft seinen Lesedurst mit Petrarca statt mit Platon oder Cicero stillen wolle, um die rhetorische Antwort zu geben, dass, „obschon den Schriften des Altertums eine größere Autorität innewohnt“, dennoch „das neue seinen Reiz [habe], und du liebst es vielleicht zu beobachten, welche Fortschritte ich im Leben mache“, – Fortschritte, die er in „autorum nomina“ gegen die Bedrohung der „scriptorum inscientiae inertiaeque“ zu verteidigen sucht, d. h. gegen die Ungebildetheit und Widerständigkeit der Abschreiber (Petrarca 1988 [1354–1366], 84–86). Mit dieser Etablierung des entscheidenden Wertes von Autorschaft muss sich Petrarca den antiken Autoritäten gegenüber in zweierlei Hinsicht positionieren: Er muss sie als Tote adressieren, um ihre Nachfolge antreten zu können, d. h. sie als solche vom lebendigen Geist ihrer Werke abtrennen, der übertragbar ist und in diesem Sinne eines ‚Überlebens‘ die Sterblichkeit des ‚Autors Petrarca‘ selbst im unsterblichen Ruhm seiner Werke überwindet. Entsprechend beginnt das Totengespräch mit den antiken Größen im 24. Band der Epistolae familares mit einer großangelegten Beschwörung der Vergänglichkeit des Lebens im Gegensatz zum Bleiben der Werke und statuiert im Brief an den verehrten Cicero sogleich die Trennung zwischen dem gewesenen und kritikwürdigen Leben des Urhebers und dem unsterblichen „ingenium“, „Deinen Geist aus Deinen Schriften“ (Petrarca 1999 [1366], 58 u. 65). Der „Erfahrung, dass Autoren ‚tot‘ sind, unerreichbar in ferner Vergangenheit; dass sie keine Lebensspuren außer ihren Texten hinterlassen haben“, wird
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so einerseits zur Bedingung der eigenen Autorschaft, „weckt andererseits aber auch eine besondere Sehnsucht nach dem abwesenden Autor“ (Klecker 2013, 12). Die Verteidigung des Anspruchs auf geistiges Eigentum muss demgegenüber einen dreifachen Nachweis von Authentizität erbringen: zunächst durch Begründung und Sicherung stilistischer Reinheit im Wissen (also durch Lektüre bzw. Studium der ‚Alten‘), sodann durch die Übertragung auktorialer auctoritas von den antiken auf den modernen Schriftsteller und schließlich von göttlicher auf menschliche Urheberschaft. Dieser letztere Aspekt von translatio hat nicht allein eine theologische Dimension, sondern auch im Sinne Ernst Kantorowiczʼ eine juristische: Die Ermächtigung zur Fiktion funktioniert über ein Nachfolgeverhältnis, an dessen Ursprung noch der Schöpfergott steht, in der katholischen Tradition in der Nachfolge Christi dann vertreten durch den Papst, der seit dem 12. Jahrhundert den Titel des „Vicarius Christi“ oder „Vicarius Dei“ trug. In dieser Rolle als Vizeregent Gottes hatte er die Gewalt des „de nihilo aliquid facit ut Deus“ inne, eine in der Folge auch auf Kaiser und Könige übergehende schaffende Kraft; vor allem aber handelte es sich um die Macht, neues Recht zu schaffen („novas leges condere“, wie es im Dictatus papae des Papstes Gregor VII. hieß), und zwar allein aus göttlicher Inspiration (Kantorowicz 1998, 336–338 u. 340–342). Diese Kunst der Übertragung machte das Können der Juristen aus und seiner bediente sich auch die „aequiparatio von Dichter und Kaiser oder König“ (342) seit Dante, der bereits mit seiner Topik des gleichermaßen für „Cesare“ und „Poeta“ (Dante 1958 [1307–27], 330) gepflückten Lorbeers das mit Petrarcas Krönung im königlichen Purpur Roberts von Neapel beginnende Zeitalter der ‚Dichterfürsten‘ einläutete. Poesis als Instrument/Medium der Offenbarung göttlicher Wahrheit emanzipiert sich gewissermaßen von der ursprünglichen Botschaft, die „mit einer Neubegründung volkssprachlichen Dichtens […] im unmittelbaren Dialog mit der Antike“ zu neuem Leben (vita nova) erweckt wird (Kablitz 2018, 60). Man kann darin eine Radikalisierung der schöpferischen ‚Wort‘-Funktion früherer Auslegungen des Johannes-Evangeliums sehen: Festzuhalten bleibt aber zunächst einmal, dass – wie bereits Roger Chartier betonte – sich die Entstehung der Autorfunktion nicht allein auf Urheber- und Rechenschaftsfragen reduzieren lässt, sondern vielmehr als Ausdruck einer neuartigen ästhetischen Wahrnehmungsweise zu werten ist, für die das Werk eine originäre, eigenspezifische Schöpfung darstellt mit neuen Werten wie: „paternité littéraire de l’auteur“ oder „responsabilité de l’auteur“ (Chartier 1992, 53 u. 58). Mit der Funktion der Paternität für kreative Produktion in der metaphorischen Gleichsetzung von Zeugung, Bezeugung und Erzeugung wird das antike platonische Modell des poietes kai pater wieder aufgerufen, das umgekehrt seine christliche Legitimation im Vater-Sohn-Modell schon in Petrarcas Mysterium von Ähnlichkeit-Unähnlichkeit der imitatio dei fand (Bouwsma 1993, 22). Auch
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Jacqueline Cerquiglini-Toulet nutzt diese ‚Familienmetaphorik‘, um die langsame Emanzipation des Autors aus seiner Kopistenrolle Ende des 14. Jahrhunderts zu beschreiben: Der nur als Aufschreiber der göttlichen Wahrheit gewürdigte Dichter beginnt im prokreativen Akt des Schreibens seine epigenetischen Möglichkeiten zu entdecken und gegen den Verdacht theologischer Häresie eine „souveraineté de l’artiste“ zu behaupten, die zugleich gegen die Handwerklichkeit („l’artisanat concret“) des Schreibers („scribe“) als Kopisten abgesetzt ist und diese im Namen der ‚empfangenden‘ Inspiration und des ‚zeugenden‘ Vaterstolzes ablehnt (Cerquiglini-Toulet 1993, 39 u. 160). Das von Cerquiglini-Toulets hervorgehobene Beispiel zeigt allerdings, dass diese Entwicklung nicht auf einen ‚patriarchalen‘ Autorisierungsmodus eingeschränkt war: Das spätmittelalterliche Werk der Christine de Pizan, deren Hauptwerk Le Livre de la Cité des Dames (Das Buch von der Stadt der Frauen) von (1405) eine beispiellose Demon stration weiblicher literarischer Bildung im Selbstbild der Autorin (Baumgartner 1993) darstellt, zeigt gerade am Modell des anderen Geschlechts, wie der Schöpfer die tief gefallene, „aufgrund ihres kreatürlichen Elements“ inferiore Weiblichkeit „um so höher erhob“ (de Pizan 1990, 56), indem er die Erfindung im etymologischen Sinne von Finden auf die ent-deckende Kraft des Spiels mit den Möglichkeiten von An- oder Zueignung in einem performativen Akt von Autorschaft als „dicteur“ ebenso als „acteur, facteur, faitistre, collecteur, versifieur, reciteur“ (Cerquiglini-Toulet 1993, 42 u. 107; vgl. Krohn 1992) expandierte. In dem von Boccaccio übernommenen Beispiel der römischen Autorin Proba wird so die compilatio der Werke Virgils zur Neuschöpfung der biblischen Genesis als nahezu postmodernes patchwork-Autorwerk: „sie blätterte in ihnen herum und las. Dann übernahm sie an einer Stelle ganze Verse, an einer anderen verarbeitete sie einige kleine Teile. In einer äußerst kunstvollen, feinsinnigen und ihrem Gegenstand angemessenen Weise schuf sie vollständige Verse, fügte die kleinen Einzelteile zusammen, paarte und verband sie, unter Beachtung der Regeln und der Kunst, des Versmaßes und der Versbindung: ohne einen Fehler zu begehen, fügte sie alles so kunstvoll zusammen, daß es kein Mann besser vermocht hätte.“ (de Pizan 1990, 97) Auch Julia Kristeva bestätigt am Beispiel des Werks von Antoine de La Sales diese Entwicklung, wobei sie allerdings noch weiter differenziert und die Rolle des acteur als dynamischen oder energetischen Faktor gegenüber dem auteur differenziert, der sich mehr über das Ergebnis, das Werk definiert (vgl. Kristeva 1969, 63). Gerade dieses Handlungsbewusstsein berührt aber das Grundproblem der Autorschaft, nämlich die ‚Legitimität‘ des schöpferischen Sprechens, eine „Legitimation jedes literarischen Unternehmens“ als „Anspruch auf Wahrheit“ in einer noch-mittelalterlichen Zeit, „die keine subjektive Wahrheit und keine Autonomie des dichterischen Redens gelten lassen kann.“ (Wehrli 1984, 74).
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Zum Durchbruch einer Konzeption des „schöpferischen Individuums“ (Wetzel 2020a) kommt es erst, nachdem fortschrittliche Philosophen wie Nikolaus von Kues die Originalität des menschlichen Wortes als Abglanz der göttlichen Schöpfung gewürdigt hatten, deren konzeptuelle Potentialität sich in dieser Übertragung auf den menschlichen Gott entfaltet (vgl. Bouwsma 1993, 29–32). Und so ist es nicht verwunderlich, dass in der ersten deutschsprachigen Verwendung des Autor-Begriffs, nämlich in Heinrich Steinhövels deutscher Bearbeitung von Boccaccios De claribus mulieribus von 1473, gerade der Übersetzer und nicht der Urheber als Autor bezeichnet wird (vgl. Müller 1995, 18–20, u. Ingold und Wunderlich 1995, 10). Auf dem Wege der Übersetzung, der Übertragung, der translatio auctoritatis konfiguriert sich am Ende des Mittelalters das Dispositiv der Autorschaft als Wegweiser literarischer und darüber hinaus künstlerischer Werkherrschaft.
II.3 Der europäische Gründungsmythos vom schöpferischen Individuum: Renaissance Es ist eine gängige Auffassung, dass die Vorstellung des individuell schöpferischen Autors sich zuerst in voller Form im Rahmen der Künstlernobilitierungen der Renaissance ausprägte. Dieses Modell eines Bruchs mit dem Mittelalter, eines revolutionären Einschnitts der Neuzeit in die geschichtliche Entwicklung, das von den Meisterdenkern der so schon benannten Renaissance wie Giorgio Vasari selbst geprägt wurde, hat seit einiger Zeit eine Relativierung erfahren – nicht zuletzt durch die französische Schule der Annales mit ihrem Begriff der longue durée. Nicht nur kommen in den Formulierungen auktorialer Souveränität und besonders im Begriff des ‚künstlerischen Genieʻ Charakteristika zum Durchbruch, die bereits in den Überlegungen des Hochmittelalters zu geistiger Autorität und denen des Frühhumanismus zu schriftstellerischer Auktorialität entwickelt wurden, so konzentrieren sich andererseits die Texte der führenden Intellektuellen der Renaissance eher auf einzelne Aspekte moderner Autorschaft, die sich erst im Laufe weiterer Jahrhunderte bis hin zum 18. Jahrhundert zum einschlägigen Bild des Autors zusammenschließen. Am Beispiel der Inspiration lässt sich dieser Gegensatz artikulieren: „Die enthusiastische antike Auffassung der Inspiration gewinnt erst in der Renaissance an Bedeutung zurück […]; doch ist diese Wendung eher Ausdruck eines neuen schöpferischen Selbstbewusstseins als Anzeichen einer kreativen Befreiung oder aber Enteignung der Dichter. Die Reminiszenzen der alten Inspirationsvorstellung bleiben denn auch wieder poetologisch und praktisch weitgehend folgenlos.“ (Kositzke 1998, 426)
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Gleichwohl hat der „Gründungsmythos“ (Wetzel 2020a) für die Geschichte der Autorschaft seine Berechtigung. Auf die Frage, warum plötzlich im Laufe des 15. Jahrhunderts eine deutliche Beschleunigung anthropozentrischer Emanzipationsdiskurse stattgefunden hat, gibt es verschiedene Antworten. Zu nennen wären historisch-politische Entwicklungen wie die Entdeckung Amerikas und der Beginn des Kolonialzeitalters, medientechnische wie die Erfindung des Buchdrucks, theologische wie die Reformation, vor allem aber kunstgeschichtliche, die dem erstaunlichen Phänomen der Blüte eines neuen Künstlertyps, beschränkt auf den relativ kleinen Kulturraum des Florenz der Medici, Rechnung tragen. Auffällig ist dabei, dass nicht Schriftsteller im engeren Sinne zur Konsolidierung des Autorschafts-Modells beitragen, sondern dass es bildende Künstler (u. a. Cennino Cennini, Leon Battista Alberti, Leonardo da Vinci) sind, die jetzt mit dem Genre der ‚Maler-Bücher‘ oder ‚-Traktate‘ zu Autoren werden, genauer zum Typus des „Autor-Künstlers“ (Wetzel 2020a). Das Ziel ihrer theoretischen Selbstreflexion ist die Nobilitierung als Künstler, der seine mittelalterliche Rolle als Handwerker nach dem Vorbild der vom Frühhumanismus entwickelten literarischen Schöpfungstheorien abstreift und kreative Souveränität beansprucht. Das für die Geschichte der modernen Autorschaft wichtigste Erbe dieses Prozesses ist dabei die Ausprägung der modernen Vorstellung von ‚Genie‘, in der das antike Mysterium einer Inspiration durch einen ‚genius‘ zum Individualtypus der autonomen Künstlerpersönlichkeit gerinnt und in sich „brennspiegelartig die Problematik der Selbstvergewisserung des neuzeitlichen Menschen aus[drückt]“ (Hubig 1983, 187). Die Entstehung dieses künstlerischen Selbstbewusstseins vollzieht sich vor dem intellektuellen Hintergrund der neoplatonischen Akademie am Hofe der Medici in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Vor allem unter der Leitung von Marsilius Ficino und Pico della Mirandola vollzieht sich eine Wiederaufwertung der platonischen Inspiration gegen die aristotelische Mimesis. Ficino erklärt den Menschen zum Rivalen der Natur, weil er wie aus göttlicher Kraft durch den furor poeticus aus sich selbst schafft (vgl. Bouwsma 1993, 23), entlässt ihn damit aber auch in die Unsicherheit einer transzendentalen Obdachlosigkeit der Moderne, die keine göttliche Autorisierung mehr bietet, dafür aber die Angst vor der Verantwortung der eigenen Schöpfung setzt: „Art becomes a function of will and caprice rather than of knowledge, with no claim to the understanding and appreciation of others.“ (32) Entscheidend ist fortan allein das ‚Neue‘: der Dichter schafft ‚Unerschaffenes‘, Fiktives, das jetzt als dichterische Wahrheit legitimiert wird durch seine Autorschaft als autochthone auctoritas. In diesem Sinne konsolidiert sich das Motiv vom Menschen als „zweiten Gott“ (Rüfner 1955, 271): „Die Wahrheit wird nicht mehr in dem von Gott geschaffenen und uns nicht im Innersten erfaßbaren Sein, sondern in dem gesucht, was der Mensch geschaffen hat.“ (272) Diese
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Schöpfung wird im Kunstwerk als inventione der Themenauswahl, als dispositio der mythologisch-literarischen Vorlagen und als compositio der bildnerischen Gestaltung manifest, die wesentlich der Autorität des Künstlers als Autor im Sinne von Urheberschaft unterworfen sind. Und so „verschiebt sich Aufmerksamkeit, Verehrung und Anbetung vom Werk auf den Künstler, von der Leistung auf die Leistungsfähigkeit, vom ausführenden Handwerker auf das göttliche Ingenium des Künstlers“ (Altrichter 1987, 163). In diesem auktorial aufgewerteten Künstlerbild verbindet sich zugleich das philologisch-bibliothekarische Buch-Gelehrtentum humanistischer Autorschaft mit dem naturwissenschaft-empirischen Forscher-Typus zu einem kulturellen Ethos. Erwartet wird vom Autor-Künstler nicht nur eine hohe Literalität (Kenntnisse der gesamten antiken und christlichen Mythologie sowie der klassischen Philosophie für seine allegorischen Stoffe), sondern als Erforscher der Wahrnehmungverhältnisse soll er zugleich auf der Höhe des optisch-physikalischen Wissens seiner Zeit stehen. Archetypus für diesen neuen ‚Ingenieur-Künstler‘ war Leonardo da Vinci, der sich im Sinne seiner Superiorität als ‚Naturwissenschaftler‘ über das Vorbild des dichtenden Autors zu stellen suchte. Den als Paragone wiederaufgegriffenen antiken Wettstreit zwischen den Künsten auf die Konkurrenz zwischen Malerei und Dichtung zuspitzend, um die Nobilitierung des redenden Künstlers über die des Dichters als blinden Maler zu stellen, verleiht er dem Begriff ‚Autor‘ jetzt einen negativen Beigeschmack von Buchgelehrsamkeit: Dem ‚gesenkten‘ Blick der Bibliotheksphantasten wird der freie Blick der Künstler in die Natur gegenübergestellt, die als bessere Autoren nicht „wie jene, so zum Autor anderes nahmen als die Natur, Lehrmeisterin der Meister, sich umsonst bemühten. So will ich von jenen mathematischen Dingen sagen, daß jene, die nur die Autoren studieren und nicht die Werke der Natur, in der Kunst Enkel sind, nicht Kinder selbiger Natur, Lehrmeisterin der guten Autoren.“ (da Vinci 1990, 124) Aber dieser Rekurs auf Natur als Lehrmeisterin ist selbst nur eine rhetorische Formel der Autorisierung und keine Rückkehr zur aristotelischen Mimesis. Ganz im Gegenteil wird Natur in ihrer inneren Form erfasst und aus dieser heraus vom Künstler als Idee neu erschaffen: Disegno und concetto bzw. invenzione sind die neuen Kriterien künstlerischer Kreativität, die den bildenden Künstler zum „Urheber der Regeln“ machen (Panofsky 1993, 37). In dieser gottgleichen Position erfährt er neben der ‚autopoietischen‘ Nobilitierung als Autorpraxis seiner eigenen Theoriereflexionen eine nachträgliche Legendenbildung durch das neue, den Fürsten-, Helden- oder Heiligenviten nachgebildete Genre der Künstlerbiographie, begründet durch Giorgio Vasaris Le Vite de’ più eccelenti architetti, pittori et scultori italiani da Cimabue insino à tempi nostri von 1550. Vasaris Viten markieren nicht nur den Beginn der kunstgeschichtlichen Würdigung des schöpferischen Individuums als ‚Ausnahmewesen‘, mit dem zugleich die Fragen nach der Fest-
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legung urheberrechtlicher Zuschreibungsregeln zur Bestimmung eines individuellen Stils (durch ‚Signatur‘, ‚Handschrift‘, ‚Datierung‘) aufgeworfen werden, sondern verleihen zugleich den mythologischen Transfigurationen des einsamen, exzentrischen und magischen Schaffenden einen festen motivischen Bestand: Er wird in der Apotheose seines Lebens eine Art „sterblicher Gott“ (Vasari 1974 [1550], 313), der als Mittler zwischen himmlischer Weisheit und irdischer Vollkommenheit fungiert. Das von Vasari entworfene Kunstideal geht aber schon über das Kreativitätskonzept der Renaissance hinaus und öffnet sich mit der deutlichen Betonung der Virtuosität des Originalgenies dem exzentrischen, arabesken Stilprinzip einer manieristischen Ästhetik des Außergewöhnlichen (vgl. Bouwsma 2000, 129). Sie steigert die „Legende vom Künstler“ (Kris und Kurz 1995 [1934]) – auch in Weiterführung der schon bei Vasari bestimmenden astrologischen Konstellationslehre künstlerischer Auserwähltheit nicht durch erworbenes Können, sondern durch Geburt – zum Mythos des saturnischen Übermenschen, der, getrieben vom furor poeticus, die ganze Welt aus dem Geiste seiner Autorschaft neu erschaffen will, aber im Zustande der Inspiration als ‚Künstler ohne Werk‘ erstarrt: Mit der hierfür neu geprägten Legende vom „Raffael ohne Hände“ wird eine für Jahrhunderte gültige Formel gefunden, die für apotheotische Übersteigerung, um nicht zu sagen: Pathologisierung von Autorschaft als Genialität steht (vgl. Beyer 1996, 344, und Pontzen 2000, 33–36). Vasari folgen aber andere Zeitgenossen wie Julius Caesar Scaliger, der erneut die Gleichsetzung von Gott und Dichter hinsichtlich ihres gemeinsamen Amts, des inspirierten und enthusiasmierten Poeten, forciert, wobei noch deutlicher wird, dass beide in Parallelwelten herrschen: Als zweiter Gott („deum alterum“) bezeichnet, schafft sich der Dichter seine eigene Natur („natura altera“); während die anderen Wissenschaften nur als Darsteller („tamquam actores“) die von Gott erschaffenen Dinge darstellen, wie Schauspieler als etwas Fremdes nacherzählen („narrare“), beruht die Wahrheit des echten Dichters auf der als „anderer Gott“ ihm verliehenen Fähigkeit zum Erschaffen von Neuem („velut alter deus condere“) (Scaliger 1561, 2; Scaliger 1994 [1561?], 70–73; vgl. Rüfner 1955, 273;Stöckmann 2001, 90). In England ging Philip Sidney in seiner Apology for Poetry (ca. 1583) sogar noch weiter und verglich die creatio ex nihilo des Poeten direkt mit der pneumatischen Schöpfung Gottes, der laut Genesis als Geist über dem Wasser schwebt und dem von ihm als Ebenbild erschaffenen Menschen seinen Geist einbläst, denn der ungebundene „peerless poet“ schafft sich – wie später in William Shakespeares Stück The Tempest der Magier Prospero – seine eigene Welt, „lifted up with the vigour of his own invention, doth grow in effect into another nature, in making things either better than Nature bringeth forth, or, quite anew, forms such as never were in Nature“ (Sidney 1995, 33; vgl. Mack 2005, 23; Rüfner 1955, 274 und Bouwsma 2000, 30).
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Auch andere Repräsentanten dieser manieristischen Epoche wie Torquato Tasso oder Giordano Bruno propagierten die neue Botschaft vom göttlichen Dichter-Heroen, der sich in seiner schöpferischen Allmacht gleich selbst mitschafft. Stephen Greenblatt hat diese Tendenz der Epoche zur bewussten Schaffung einer neuen Persönlichkeitsfigur auf den prägenden Begriff des „self-fashioning“ gebracht, der – von ihm vor allem für die englische Epoche zwischen More und Shakespeare untersucht – den „will to self-fashioning […] ‚as if a man were author of himself‘“ (Greenblatt 2005 [1980], 212), z. B. bei Figuren aus Marlows Stücken zum Ausdruck bringt, in dem der grundsätzliche Zug der Moderne zum Tragen kommt, das eigene Selbst im öffentlichen Leben als Kunstwerk zu stilisieren. Mittel der Wahl war die Rhetorik, „the common ground of poetry, history, and oratory“ und zugleich Medium „between the imagination and the public affairs“, das die Agenten dieses öffentlichen Lebens mit einem ständigen Kampf um Anerkennung und Aufmerksamkeit konfrontierte und ihnen das Gefühl vermittelte, „always on stage“ zu sein (162) (vgl. auch Weimann 1996, 159, zur „self-fashioned authority“). Die Entstehung dieser intellektuellen Öffentlichkeit in Mitteleuropa wurde erst möglich durch die wichtigste technische Revolution der literarischen Produktion, den ‚Buchdruck‘, der zugleich zu einer wesentlichen Differenzierung zwischen Produkt und Produzentem führte und die fortan tragende Gemeinschaft des Autors mit seinem Publikum, dem Leser etablierte, der ihm ja erst seine Autorschaft als solche attestierte: „Die zunehmende Standardisierung war von einer Aufwertung der Individualität begleitet und Verleger sowie Händler mit Drucken förderten jene Autoren und Künstler, deren Werke sie zu verkaufen hofften. Zugleich mit den Titelseiten und Buchhändlerkatalogen erschienen Kopfporträts von Autoren und Künstlern. Immer häufiger wurden unverwechselbare Physiognomien auf Dauer bestimmten Namen zugeordnet.“ (Eisenstein 1997, 121) Erst durch dieses neue Medium – das anfangs nur die ‚Idee‘ eines Massenmediums in sich trug, aber noch auf ein sehr begrenztes Publikum intellektueller Eliten begrenzt war – entstand der moderne Literaturbetrieb mit seinen Vorstellungen einer Individualisierung des Schreibens, einer Originalität der Werke und entsprechend einer Kanonisierung des Autors, eine Abgrenzung des literarischen Feldes, die aber erst Ende des 18. Jahrhunderts mit der Apotheose des Poeten, der Fetischisierung der Autographien und der Obsession für die Hand des Autors ihre definitive Gestalt findet (Chartier 2011, 282). Paradoxer Weise affirmiert nämlich gerade die Standardisierung des Schreibens durch die Technik des Buchdrucks den Wert der authentifizierenden Signatur des Autors: „La main de l’auteur est désormais garante de l’authenticité de l’oeuvre dispersée entre les multiples livres qui la diffusent auprès de ses lecteurs“ (Chartier 2015, 61: „Die Hand des Autors ist fortan Garant der Authentizität des Werks, aufgeteilt zwischen den unterschiedli-
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chen Büchern, die sie bei seinen Lesern verteilen“). Der Öffentlichkeitscharakter des Schreibens fördert zugleich das neue Genre essayistischer Autobiographie (z. B. Montaignes), in dem sich prototypisch diese authentische Autorfunktion – auch im Zeichen der gleichzeitigen reformatorischen Gesinnungsethik – einem virtuellen Publikum ebenso wie einer Zensurinstanz gegenüber als „Verantwortlichkeit des Autors für seine Schriften“ (Seibert 1981, 20) konstituiert: als auktoriale Authentizität eines brilliant erreichten „non-narrative self-fashioning“ (Greenblatt 2005, 252). So wie Vasaris Viten den Anfang der Künstlerbiographie markieren, kann man die Vita di Benvenuto Cellini, orifice e scultore fiorentino da lui medesimo scritta (geschrieben 1558 bis 1567, erstmals gedruckt 1728 in Neapel und 1803 von Goethe ins Deutsche übertragen unter dem Titel Leben des Benvenuto Cellini, florentinischen Goldschmieds und Bildhauers, von ihm selbst geschrieben) als Beginn der ‚Künstlerautobiographie‘ ansehen. Sie steht im Zeichen der neuen literarischen Formen von ‚Lebensbekenntnis‘ und ‚Tagebuch‘, die den modernen Subjektivismus und Individualismus der Autorschaft im Medium der Selbstbeschreibungen einüben. Analoge Gattungsformen wie der Essai als autopoietisches Reflexionsmedium von Autorschaft bestimmen die Funktion des gedruckten Werks als narzisstischen Spiegel seines Urhebers wie in Michel de Montaignes Essais (Erstauflage 1580, erweitert 1588). Alles ‚Darstellen‘ wird als ‚Selbstdarstellen‘ erlebt, das im durch das Medium des Drucks öffentlich werdenden Werk eigentlich das Leben als Autors erst im Angesicht des Publikums hervorbringt: „Me peignant pour autruy, je mes suis peint en moy de couleurs plus nettes que n’estoyent les miennes premieres. Je n’ay pas plus faict mon livre que mon livre m’a faict, livre consubstantiel à son autheur, d’une occupation propre, membre de ma vie; non d’une occupation et fin tierce et estrangere comme tous autres livres.“ (Montaigne 1962, 648: „Indem ich mich für andere darstellte, haben sich meine Züge in mir selber klarer umrissen, als sie es ursprünglich waren. Ich habe mein Buch nicht mehr gemacht, als mein Buch mich gemacht hat, ein Buch vom Fleisch und Blut seines Verfassers, nur mit mir selbst beschäftigt, als ein Teil meines Lebens, nicht mit andern beschäftigt und auf fremde Zwecke gerichtet, wie alle andern Bücher.“ Montaigne 1953, 541; vgl. Neumeister 1991) In der wesentlichen Einsamkeit der Schrift befindet sich der Autor Montaigne doch immer auf der Bühne einer publizistischen Gemeinschaft von Autoren und Lesern, auf der er allerdings nicht eine vorgegebene, traditionelle Rolle spielen will, sondern die seiner Individualität: „Les autheurs se communiquent au peuple par quelque marque particuliere et estrangere; moy, le premier, par mon estre universel, comme Michel de Montaigne“ (1962, 782: „Die Schriftsteller zeigen sich dem Publikum in irgendeiner besonderen und ungewöhnlichen Eigenschaft; ich als erster in meinem ganzen Wesen, als Michel de Montaigne“, 1953, 623). Zugleich
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sind Cellinis und Montaignes Werke mit ihrer experimentellen Vermessung von Autorschaft einschlägige Zeugen für die stilistische Artistik des Manierismus, der erst in neuerer Sicht seinen pejorativen Beigeschmack einer stilistischen Provokation von ästhetischen Traditionen im Übergang von der Renaissance zum Barock überwinden konnte. Dem Buchdruck verdankt die neue Literatur nämlich auch die Eröffnung eines anderen Spielfeldes: der anagrammatischen Vervielfältigung der Repräsentanz von Autorschaft im Werk. Die großen Vorbilder der beginnenden Moderne – auch für die deutsche Literatur bis 1800 – waren hierbei vor allem Rabelais, Shakespeare, Tasso und Cervantes. Francois Rabelais hatte mit seinen ersten pseudonym publizierten Hauptwerken Les horribles et épouvantables faits et prouesses du très renommé Pantagruel, Roi des Dipsodes, fils du grand géant Gargantua. Composés nouvellement par maître Alcofrybas Nasier (1532) und La Vie inestimable du grand Gargantua, père de Pantagruel, jadis composée par l’abstracteur de quinte essence. Livre plein de Pantagruélisme von 1534 einen neuen Standard ‚grotesker Autorschaft‘ gesetzt, die sich in einem burlesken und polyphonen Rollenspiel ganz unterschiedlicher Autormaskierungen als Kompilator, poeta doctus, Chronist, Zeitzeuge, Herausgeber etc. einer eindeutigen Identifizierung entzieht (vgl. Colonna 2004, 129). Wie in einer Vorwegnahme der Feststellung Gustav Flauberts, der Autor müsse in seinem Werk wie Gott in der Schöpfung sein, unsichtbar und allmächtig, man solle ihn überall spüren, ihn aber nirgends sehen (vgl. Flaubert 1977 [1857], 366), gilt schon bei Rabelais wie bei seinen manieristischen Zeitgenossen das hyperbolische Selbstverständnis, dass sie „Autoren der Autorschaft“ waren, indem sie den „auktorialen Status der paratextuellen Weisung“ nutzten (Kleinschmidt 2008, 13), um sich den aus Zitaten, Concetti, Kopien und parodierenden Anagrammen zusammengewürfelten und im Druckbild (wie später bei den surrealistischen Collagen) als neue Werkform buchstäblich ‚gesetzten‘ Text durch „the authors capacity for signifying“ (Weimann 1996, 155) anzueignen. Damit ist die manieristische Dichtung zum einen noch mittelalterlichen Autorenstrategien z. B. des Kompilierens und Imitierens verhaftet, zum anderen aber durch das Parodieren z. B. der scholastischen Beweisrituale oder der Ritterromane bei Rabelais dabei, innovative Freiräume sprachlicher Artistik zu eröffnen, in denen sich die Souveränität und Virtuosität der Autorschaft im Spiel mit den erfundenen Figuren kreativ entfalten kann (vgl. Schulz 2017, bes. 14). Das seit den Untersuchungen Michail Bachtins in den Vordergrund der Rabelais-Forschung gerückte Karnevaleske dieser Irregularität wird noch gesteigert durch Johann Fischarts Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung von 1575, die sich als Übersetzung des Gargantua-Romans von Rabelais präsentiert. Fischart geht weiter als Steinhövels Nobilitierung des Übersetzers als Autor, indem er sich bei seiner Leistung, den französischen Entwurf des Rabelais „überschrecklich lustig in einem Teutschen Model vergossen“ und „in unser Mutter-
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Lallen über und drunder gesetzt“ (Fischart 1977, 5–6) zu haben, alle Freiheiten sprachlicher Kreativität herausnimmt. So sieht er sich als „Author […] gerümet“, weil er wie ein durch Erheiterung heilender Arzt „den nutz mit süß verblümet“ (14), wobei er für fabulierende Freiheit einen neuen methodischen Fachbegriff erfindet: das „vertiern“ (abgeleitet von lat. vertere, wandeln) mit „Ingenio und genio“ oder „gratiam“ (17). Als Legitimationskriterium für diese Autorhandlung greift er auf die Autorisierungskraft der Authentizität zurück, die als hermeneutisches Maß für richtiges Verstehen des Autors ein „Dollmetschen […] wider deß Authors meinung, undeitlich und unteutschlich getractiert“ (21), ausschließen und das eigene Sprechen in „Autentischen beschribenen Faßnachtbutzen“ und „nach Autentischem unwidersprechlichem Cardinalspruch“ (145) der nach Luthers Bibel-Übersetzung literarisch nobilitierten deutschen Muttersprache begründen soll. Bei Fischart vollzieht sich auf exemplarische Weise eine Art Geburt von Autorschaft aus dem Geiste gesteigerter Parodie der Parodie, wobei auch noch intermediale Referenzen zwischen Text und Bild eine entscheidende Rolle spielen (vgl. Kleinschmidt 2008; Bulang 2019). Wie schon Rabelais selbst, der seine Autorschaft im ironischen, karikierenden Umgang mit der Autorität des spätmittelalterlichen Gelehrtenlatein begründet, setzt auch Fischart parodistisch die Maske des poeta docta auf, um hinter ihr durch seine „satirisch gebrochenen Amplifikationen“ jedoch im Sinne des ästhetischen Programms des literarischen Manierismus Autorschaft als „Ausdruck einer tiefgreifenden Skepsis“ gegenüber dem tradionellen Wissen seiner Zeit zu inaugurieren (Schilling 2011, 70). Im Sinne einer Verinnerlichung der Autorität in der Authentizität des eigenen, autonomen Schreibens findet sich dieser auktoriale Modernitätsgestus auch im Don Quijote des Miguel de Cervantes (1605/1615), der in bewusst ironischer Abkehr vom humanistischen Ideal der gelehrten Zitierwut seine Verfasserschaft gegen die Position der „Autoren“ (als später gängiger Topos oft auch einfach nur die „Alten“ genannt) begründet und vielmehr behauptet, er sei „auch von Natur zu bequem und zu träge, um nach Autoren suchen zu gehen, die da sagen sollen, was ich für mich schon ohne sie sagen kann.“ (Cervantes 1972, 9) Zugleich entzieht sich Cervantes seiner Verantwortung als Autor durch eine andere Autorisierungsstrategie, indem er sich nicht – wie Fischart – als Übersetzer, sondern als Herausgeber des angeblich gefundenen (und von anderen übersetzten) Manuskriptes ausgibt und somit seine Autorfunktion als Metalepse einer Herausgeberfiktion etabliert, die sich über die „Glaubwürdigkeit“ (77) des gedruckten Buches authentifiziert (vgl. Colonna 2004, 130; Wirth 2008, 194 sowie Genette 2004, 10). Die sich daraus ergebende neue Werkherrschaft des Autors äußert sich im souveränen Spiel paratextueller Grenzüberschreitungen zwischen literarischer Imagination und extradiegetischer Wirklichkeit, die ja überhaupt als Parodie der spätmittelalterlichen
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Ritterromane thematisch ist, im zweiten Teil des Romans aber z. B. das Buch selbst im Buch vorkommen lässt und die poetischen Fiktionen des Autors als reale Figuren der Handlung auftauchen lässt (vgl. Cervantes 1972, 563 u. 795; dazu Chartier 2015, 69–85). Es sind solche Formen der souveränen Brechung des Handlungskontinuums in Form der mise-en-abyme als ‚Spiel im Spiel‘, die auch das Theater Shakespeares kennzeichnet, der seine (seit einigen Jahren immer wieder neu zur Diskussion gestellte) Autorschaft als „supreme purveyor of ‚empathy‘, the fashioner of narrative selves“, im Gegensatz zu Montaignes wesentlicher Einsamkeit des Schreibers als „presiding genius of a popular, urban art form with the capacity to foster psychic mobility […] of what we may see as a prototype of the mass media“ (Greenblatt 2005, 253) stilisierte. Wobei allerdings gerade bei Shakespeare zwischen der originären Leistung und der mythologischen Verklärung im 18. Jahrhundert als Archetypus des literarischen „genius“ (Young 1918 [1759]), 15) oder „Schöpfer des Neuen“ (Herder, vgl. Janidis 1999, 364) unterschieden werden muss. Die ‚Autorschaft‘ Shakespeares ist so Gegenstand zahlreicher einschlägiger Untersuchungen zur „monumentalisation […] au profit de la construction de l’auteur singulier“ (Chartier 2011, 120) geworden, denn schon in seinem Schaffen, das Greenblatt in seiner Shakespeare-Monographie auf die Formel einer Transformation der zeitgeschichtlichen sozialen Energien gebracht hat, findet sich gerade kein „originary moment, a moment in which the master hand shapes the concentrated social energy into the sublime arsthetic object. […], no pure act of untrammeled creation“ (Greenblatt 1988, 7), sondern der offene Umgang mit den Quellen, typisch für „collobarative authors, all of whom depend upon collective genres, narrative patterns, and linguistic conventions.“ (5) Mangels irgendwelcher authentischer Autographen ist die Autorschaft Shakespeares also als Fiktion der Herausgeber seiner Ausgaben anzusehen, wie die berühmte Folio-Ausgabe (1623) oder die philologisch revidierte Ausgabe von Lewis Theobald von 1726, der auf der Suche nach des „Author’s Meaning“ selbst gesteht: „whenever a Gentleman and a Scholar turns Editor of any Book, he at the same Time commences Critick upon his Author“ (zit. nach Chartier 2011, 161).
II.4 Barocke Regelwerke und die Genese des Copyrights Im Zeitalter des Barocks oder – französisch gesprochen – âge classique deutet sich zwar eine berufliche Anerkennung des Autors als Schriftsteller an, sie steht jedoch wesentlich im Zeichen einer handwerklichen oder kommerziellen Ausführung von Auftrags- oder Gelegenheitsarbeiten durch den eher im Sinne eines
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Dienstleistungsunternehmens anerkannten Dichter. Seine Kompetenz erfährt eine verstärkte Legitimation im Bereich der Gelehrsamkeit als poeta doctus, was sich in der bildungspolitischen Aktivität der überall entstehenden Akademien, Sprach- und Dichtergesellschaften niederschlägt und oft auch mit einer akademischen Lehrtätigkeit, aber auch mit politisch-diplomatischer Tätigkeit verbunden ist (vgl. Garber 1981, 29 u. 32; sowie Viala 1985, 54; Heinich 2000, 24) Auffällig sind dabei die national unterschiedlichen Schwerpunkte der Entwicklung: Während in Frankreich die Akademisierung des Literaturbetriebes durch Regelpoetiken im Vordergrund stand, bemühten sich englische Autoren eher um die juristische Absicherung ihres Urheberrechtes, wohingegen in dem durch den Dreißigjährigen Krieg gezeichneten Deutschland das Exprimentieren mit den Formen seine Fortsetzung fand. Als einer der prominenten Repräsentanten dieser Frühzeit der deutschen Literaturgeschichte spielt Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen z. B. mit den Autorfigurationen in satirischer Brechung ihrer Autorisierungsformen in einer „‚illiteraten‘ Autorschaft“ als „umstrittener Autor […] mit zweifelhafter auctoritas […], die den Ansprüchen der Gelehrtendichtung nicht genügt“ (Merzhäuser 2002, 31 u. 32), und parodiert die Nobilitierung des poeta doctus als alter deus in seinem Schelmenroman Das wunderliche Vogelnest, indem er seinen unsichtbar durch den diegetischen Raum seiner Geschichte geisternden Erzähler plötzlich im Spiegel sichtbar werden lässt als bildlicher Spuk eines „alter diabolus“ (Gaede 2006, 63); andere Autoren wie Martin Opitz, der schon 1624 mit seinem Buch von der Deutschen Poeterey neue kanonische Standards des Schaffens in der Tradition des platonischen „Göttlichen furor […] zum vunterscheide des aberwitzzes oder blödigkeit“ (Opitz 1970, 68) gesetzt hatte – wobei das ovidsche „Est Deus in nobis“ zum „Geist in uns“ als Antrieb dessen, „was von uns geschrieben / Gedacht wird und gesagt“ (67), abwandelte –, etablieren erste mediale Vernetzungen von Autorschaft (vgl. Arend und Steiger 2020); ‚Kasualpoeten‘ wie Simon Dach entfalten im Wechselspiel zwischen barocker Emblematik und poetischer Verklärung von Alltagssituationen neue Möglichkeiten eines auktorialen Gedenkkultes (vgl. Wetzel 2020a, 145). Allerdings muss betont werden, dass nach der mehr spielerischen Phase manieristischer Autormaskierungen mit dem Barock kein Zeitalter prononcierter Autorschaft anbricht, sondern eher Sondierungen des zugrundeliegenden Terrains vorgenommen wurden. Die Individualität des Autors als Urheber eines Werkes ist kaum von Interesse, auch dieser selbst begreift seine Tätigkeit vielmehr als Arbeit an der Sprache nach den von Poetiken und Rhetoriken vorgegebenen Regeln, obwohl schon Opitz Zweifel an der Idee äußert, „man könne iemanden durch gewisse regeln vnd gesetze zu einem Poeten machen“ (Opitz 1970 [1624], 11). Steffen Martus verweist in seiner Geschichte zur neuzeitlichen Werkpolitik daher auch auf die Gleichzeitigkeit der Entstehung moderner Autorenliteratur
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mit Philologie und Kritik. Gerade am Beispiel von Opitz zeigt sich der generelle Anspruch einer sprachpatriotischen Legitimation von Dichtung, der den Autor vielmehr „zum Medium der überindividuellen Bemühungen um eine deutsche Nationalliteratur“ werden lässt (Martus 2007, 25). Erst im Verlauf seiner späteren Tradierung im 18. Jahrhundert erfährt sein Werk eine „Entrhetorisierung“ und er selbst eine individuelle Nobilitierung, die ihn als Autor sogar „allmählich genialisiert“ (27). In den französischen Literaturdebatten des 17. Jahrhunderts geht es vor allem um die Abgrenzung der neuen Position von Modernität gegenüber den Autoritäten der Antike: Die von Charles Perrault nicht erfundene, aber zugespitzte Querelle des Anciens et des Modernes zielt auch auf eine Befreiung des Autors von den Fesseln der nachzuahmenden antiken Vorbilder ab, sein Kontrahent Nicolas Boileau insistiert dagegen in seiner Art poétique auf einem traditionellen Regelkatalog, mit Hilfe dessen er streng zwischen dem, was er auch als gute Autorschaft beurteilt, und schriftstellerischer Mediokrität unterscheidet: „bon sens“, „raison“, „utile“, „simple“, „sublime“, „plaire“, „pureté“, „clarté“, „vérité“ sind die nachahmenswerten Werte für einen Autor, der sich im Sinne der Antike einen Namen zu schaffen weiß und geistigen Ruhm über die verlockenden Werte eines nur auf äußeren Erfolg gerichtete Berufsschrifstellertum stellt (Boileau 1865 [1674], 216 u. 217). Aber gerade diese auf Perfektionierung des Stils ausgerichteten Kriterien liefern der Gegenpartei moderner Autorschaft entscheidende Argumente, die im „Genie als neuer Beurteilungsinstanz, als Typus der Vervollkommnung“ (Hubig 1983, 192) ihr Gegenmodell finden. Während Boileau die materielle Existenz von Autoren noch ganz im Sinne des höfischen Mäzenatentums durch das absolutistische Regime getragen und gefördert denkt, beginnt in bürgerlich-demokratischen Gesellschaften wie England sich eine juristische Reform vor allem des Schriftstellerstatus mit dem Ziel durchzusetzten, seine Rechte als Verfasser gegen die Macht der Verleger und Buchhändler zu schützen. Das bürgerliche Autorideal bahnt sich so über einen entscheidenden Wandel der juridisch-ökonomischen Struktur literarischer Öffentlichkeit an. Das Leitbild des ‚freien Schriftstellers‘ entsteht damit in einer doppelten Bewegung bürgerlicher Avantgarde gegen das feudalistische ‚Patronat‘ und gegen die ästhetischen Normen der ‚Regel-Poetiken‘ des frühen 18. Jahrhunderts und zwar im Namen von „Originalität, Subjektivität und Phantasie“ als – mit Knigge gesprochen – „freiwillige Unterredung mit der Lesewelt“ (Haferkorn 1974, 137 – dort auch das Knigge-Zitat; vgl. auch 115 u. 128, sowie Ungern-Sternberg 1984, 162). Signifikant ist, wie Richard Burton in Vorrede zu seiner Anatomy of Melancholy (1631), die über die Mode seiner „Kritzelzeiten“ spottet, in der „es jeden gelüstet, sich als Autor einen Namen zu machen“ (Burton 1991 [1631], 24), einerseits seine Arbeiten als „Eigentum“ hervorhebt, andererseits aber der Binsenweisheit folgt, dass
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nichts gesagt werden könne, was nicht schon gesagt worden sei: „Wie eine gute Hausfrau aus der Wolle etlicher Schafe ein einziges Stück Stoff webt, eine Biene ihren Honig vielen Blüten verdankt, so habe ich für diese Kompilation zahlreiche fremde Autoren benutzt.“ (26) Das berühmte und immer wieder herangezogene, ursprünglich von Seneca herstammende Bienengleichnis wird von ihm jedoch nicht zur Entschuldigung eines Plagiats missbraucht, sondern, als philologische Methode gewendet, zur Legitimation seiner Autorschaft als Kompilation genutzt: „Und ebenso zitiere ich meine Gewährsleute, selbst wenn das einige Tintenkleckser für pedantisch halten, […] Ich habe geborgt, aber nicht gestohlen“ (27). Und so schließt sich der Kreis der Argumentation für Eigentum und Originalität, indem der Autor sagen kann, dass „die Methode der Verknüpfung meine eigene ist“ und er auch als Zwerg gegenüber der riesigen Tradition dennoch auf deren Schulter stehend „weiter sieht als der Riese selbst“ (27). Die englische Tradition des Kampfes um Autorfreiheit schließt auch den gegen Zensur mit ein und findet schon in John Miltons Areopagitica – A Speech for the Liberty of Unlicensed Printing von 1644 einen engagierten Ausdruck. Ausgehend von einem klaren Bruch mit dem Dogma vom toten Buchstaben im Gegenargument einer Verkörperung des lebenden Geistes ihrer Autoren, wonach „books are not absolutely dead things, but do contain a potency of life in them to be as active as that soul was whose progeny they are; nay they do preserve as in a vial the purest efficacy and extraction of that living intellect that bred them“, verleiht Milton dem Buch sogar einen heiligen Charakter als „reason itself“ qua „Image of God“; um in dieser übersinnlichen Daseinsweise das geistige Über-Leben des Urhebers als schöpferischen Prozess zu denken (Milton 1963 [1644], 280). Eine solche Apotheose des Autors verlangt ganz konkret nach Werkherrschaft z. B. auch durch eigenmächtige Überarbeitung von Korrekturfahnen gegen den äußerlichen Dekretismus der Zensur: „or the author lose his accuratest thoughts, and send the book forth worse than he made it, which to a diligent writer is the greatest melancholy and vexation than can befall. And how can a man teach which authority, which is the life of teaching, how can he be the Doctor in his book as he ought to be, or else had better be silent, whenas all he teaches, all he delivers, is but under the tution, under the correction of his patriarchial licenser to blot or to alter what precisely accords not with the hide-bound humour which he calls his judement.“ (301–302) Im Sinne der ‚Gottesebenbildlichkeit‘ konzediert Milton dem Autor eine ursprüngliche Macht über das von ihm Gemachte, deren Autorität nicht nur gegenüber der staatlichen Zensurkontrolle zu schützen, sondern auch als Eigentum juristisch zu legitimieren ist. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Definition des Begriffes der ‚Person‘ als rechtliche Kategorie, unterschieden von den Vorstellungen des Subjekts oder des Individuums. Schon Thomas Hobbesʼ
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Gebrauch des persona-Begriffs im Leviathan, or The Matter, Forme, & Power of a Common-Wealth (1651) impliziert Konsequenzen für ein Verständnis von Autorschaft, denn es geht hierbei weniger um Fragen des Seins als vielmehr solche der Repräsentation im Sinne einer ‚Autor-Funktion‘. Hobbes unterscheidet zwischen zwei Typen, der „natural person“, deren Worte und Handlungen seine eigenen sind, und der „feigned or artificial person“, die Worte und Handlungen einer anderen Person repräsensiert, wobei er an die Bedeutung des griechischen Wortes prosopon und des lateinischen persona erinnert, „that a person, is the same that an actor is, both on the stage and in common conversation“ (Hobbes 1996 [1651], 106). Mit dieser Wiederaufnahme der manieristischen Theatermetaphorik werden zugleich die Eigentumverhältnisse an Äußerungen und in Grunde genommen das für moderne Autorschaft unverzichtbare Moment der Verantwortung diesen gegenüber als Fragen der Darstellung verhandelt, die weiterhin zwischen Schauspieler und Autor differenzieren: „Of persons artificial, some have their words and actions owned by those whom they represent. And then the person is the actor; and he that owneth his words and actions, is the AUTHOR: in which case the actor acteth by authority.“ Die vom Autor repräsentierte Autorität beschränkt sich für Hobbes aber auf eine Handlungsmacht, er unterscheidet im weiteren zwischen Eigentümern („that which is speaking of goods and posessions, is called an owner“) und Autoren („speaking of actions, is called author“), wobei dessen ‚Autorität‘ etymologisch von ‚Autor‘ abgeleitet wird (107). Der Aufführende kann aber auch durch Verträge („covenant by authority“) mit dem Autor ein Bündnis eingehen, wobei „no less than if he had made it himself; and no less subjecteth him to all the consequences of the same“, die Verantwortung für z. B. einen Bruch mit den Naturgesetzen immer beim Autor bleibt (107; vgl. Danneberg 1999, 97–98). Einen entscheidenden Schritt weiter gehen die Überlegungen John Lockes zum Eigentumsbegriff, der zwar noch nicht die Unterscheidung zwischen materiellem und geistigem Eigentum kennt aber den entscheidenden Begriff der ‚Arbeit‘ als Legitimation des Besitzes bzw. der Nutzung einführt. Ausgehend von der Annahme einer ursprünglichen Gabe der von Gott geschaffenen Welt an die Menschen allgemein und zugleich der Gabe einer Vernunft, die Güter dieser Erde zum besten Nutzen und Vorteil ihrer Existenz einzusetzen, stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Verteilung dieser Güter bzw. der Autorisierung individueller Nutzung. Hier kommt die Arbeit bzw. der Arbeitsaufwand durchaus im Sinne von Max Webers Parallele von Protestantismus und Kapitalismus ins Spiel, indem der Eigentumsanspruch an etwas durch den darin investierten Arbeitsaufwand zu dessen Veränderung und – implizit unterstellt – Verbesserung entscheidend wird. Auch Locke geht von der Kategorie der person aus, sie ist es, an der jederman sein individuelles Anrecht auf Eigentum festmachen kann: „every Man has a Property in his own Person. This no Body has any Right to but himself.
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The Labour of this Body and the Work of his Hands, we may say, are properly his. Whatsoever then he removes out of the State that Nature hath provided, and left in it, he hath mixed his Labour with, and joyned to it something that is his own, and thereby makes it his Property. It being by him removed from the common state Nature placed it in, it hath by this labour something annexed to it, that excludes the common right of other Men. For this Labour being the unquestionable Property of the Labourer, no Man but he can have a right to what that is once joyned to, at least where there is enough, and as good left in common for others.“ (Locke 1988 [1680–82], 287–88) Das entscheidende Argument bei Locke ist das ‚Hinzufügen‘ der Arbeit, die Veränderung des Naturzustandes, in dem die alte Nebenbedeutung von Autorschaft als augere, ‚Mehren des Sinns‘ fortlebt, aber der eigentliche Eigentumsanspruch an dem dadurch zustande kommenden Werk verdankt sich einem argumentativen Sprung: Die göttliche Gabe der person als Repräsentation der körperlichen Potenz garantiert zwar den Eigentumsanspruch am eigenen Körper und seinen Fähigkeiten, aber nicht den an den Produkten seiner Tätigkeiten; „the move from owning one’s labor to owning the products of one’s labor“ (Hick 2017, 111) bleibt ungeklärt, zumal dadurch eine private Nutzung unter Ausschluss der öffentlichen unterstellt wird. Für die Nutzung von geistigen Eigentumsansprüchen gilt aber das Gegenteil, insofern die Früchte der Arbeit nicht unter Ausschluss der Gemeinschaft genossen werden (wie z. B. die Früchte des eigenen Gartens), sondern gerade im Einschluss derselben in der Form einer Mehrung des Eigentums durch die Verwertungsrechte. Autorschaft definiert sich also nicht nur über den etymologischen Indikator des Mehrens, sondern auch über das ‚geistige Eigentum‘ als ‚Mehrwert‘, wobei Locke immerhin schon erkannt hatte, dass durch die „Invention of Money“ (Locke 1988 [1680–82], 293 u. 301) sich die einfachen Eigentumverhältnisse verschieben und eine „größere und raschere Zirkulation der Güter“ (Achermann 2002, 138) ermöglicht wird. Darüber hinaus hat Hannah Arendt in ihrem Buch über die vita activa auf die beiläufige aber entscheidende Differenzierung Lockes zwischen der „Arbeit des Körpers“ und dem „Werk der Hände“ hingewiesen: Im Gegensatz zum bloß physischen Aufwand körperlicher Arbeit ist das absichtsvolle Tun der Werkorientierung durch einen höheren Arbeitseinsatz gekennzeichnet, weshalb z. B. im Netz der Spinne keine auktoriale Kreation anerkannt wird, sondern nur eine naturale „Emanation“ (Arendt 1981, 156), ebenso wie beim bloßen Fleiß körperlicher Arbeit – wie z. B. der sprichwörtliche von Ameisen – die teleologische Kraft geistiger Planung als Werkidee keine Rolle spielt. Insofern droht das Missverständnis, „that a labor-based theory of property may extend greater protection to the copyist than to the original author“ (Hick 2017, 115), wenn Arbeit nur quantitativ und nicht qualitativ als Schöpfung, wenn Lockes „annex“ nur als Hinzufügung und nicht als Erzeugung von etwas
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Neuem verstanden wird (eine Differenzierung, die bei Plagiatsfällen eine entscheidende Rolle spielen wird, denen ebenfalls der Vorwurf gemacht wird, nicht wirkliche Arbeit geleistet zu haben, sondern die anderer gestohlen zu haben). Die Orientierung an der materiellen Vorstellung von Eigentum lässt Locke noch vor einer Differenzierung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit, wie sie Alfred Sohn-Rethel in seiner Studie zur frühneuzeitlichen Abtrennung der rein theoretischen Erkenntnis vom technischen Wissen und damit zur Spaltung von Kopf und Hand namhaft gemacht hat (Sohn-Rethel 1972), zurückweichen und die spezielle Kraft einer geistigen Kreativität nicht erkennen. Andererseits macht der Rekurs auf die ursprüngliche Gabe Gottes deutlich, dass es sich bei der Eigentum schaffenden Arbeit um keine creatio ex nihilo handeln kann, da immer eine materielle Voraussetzung gegeben sein muss, die erst nachträglich angeeignet wird. Gleichwohl bleibt dieser erste Ansatz, im Arbeitsbegriff dem für Autorschaft fundamentalen Eigentumsanspruch ein Kriterium zu verleihen, für die im 18. Jahrhundert zentrale Frage einer Professionalisierung des Autors als „ökonomisches Subjekt“ (Bosse 1981, 7; vgl. Viala 1985, 54–56; Heinich 2000, 24–26) und „juristische Figur“ (Plumpe 1992, 378) fundamental. Durch den Buchdruck wird das Werk zur Ware als „materialer Träger des Tauschwertes“ (Seibert 1981, 17). Was die Copyright-Acts wie The Statute of Anne 1710 in England, das Dekret von Louis XVI. 1777 oder der erste US Copyright Act 1790 (vgl. Hick 2017, 51, und Schellenberg 2019, 139–140) garantieren sollten, war die ‚Werkherrschaft‘ der Autoren als Herrschaft über diesen Tauschwert. Neben der Entwicklung eines Rechts im Sinne des Schutzes von Urheberschaft (als copyright im engeren Sinne) spielte aber auch die persönliche Verantwortung des Urhebers (gegenüber staatlichen Zensurinstanzen) als „pönale Autorfunktion“ (Zelle 2003, 7) eine entscheidende Rolle, die alle an der Publikation beteiligten Instanzen, vor allem natürlich die Drucker, miteinbezog (vgl. Feather 1994, 191). Zeitgleich vollzieht sich ein entscheidender Wandel des Persönlichkeitsbildes im Zeichen des Begriffs von ‚Authentizitätʻ. Lionel Trilling, der in seiner Studie zu Sincerity and Authenticity dieses Konzept als „exigent conception of the self and of what being true to it consists in“ (Trilling 1972, 11) analysiert hat, geht von dem neuzeitlichen Gegensatz zwischen dem vor allem in der englischen Literatur propagierten Ideal der Aufrichtigkeit (sincerety, abgeleitet von lat. sine cera) als Übereinstimmung des inneren Gefühls mit der äußeren Mitteilung und der höfischen, mehr die französische Literatur beherrschende Strategie der Maskenhaftigkeit von Verstellung, Heuchelei und bewusstem Trug (vgl. 13). Die Vorstellungen beider Persönlichkeitsideale entstammen der Theatermetaphorik, die erst im 18. Jahrhundert bei dem ‚Schweizerʻ Jean-Jacques Rousseau in seinen Confessionnes aufgehoben wird zur existenziellen Intensität eines „sentiment of being“ (92), das kein Innen und Außen mehr kennt: „the artist seeks his personal
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authenticity in his entire autonomousness – his goal is to be as self-defining as the art-object he creates.“ (100) Die Entwicklung von Autorschaft durchläuft so in ihrer Emanzipation zur authentischen Autonomie eine deutliche Tendenz zur Säkularisierung, der entsprechend eine Apotheose der Autorfigur korrespondiert. Während im Mittelalter alle Leistungen des Autors von Gottes Gnaden als der alleinigen Instanz der Kreation abhängig war und in der Renaissance der gottgleiche Künstler sich in dieser kreativen Nobilität als alter deus spiegelte, beginnt seit dem Barock sich im Namen von Autorschaft eine zweite Ebene der menschlichen Schöpfung neben der göttlichen zu etablieren, die zwar eine göttliche Gabe als Voraussetzung anerkennt, aber die irdische ‚Herrschaft‘ den menschlichen Subjekten vorbehält: „So wird aus der Heilsgeschichte des Mittelalters [eine] Profangeschichte. Der Mensch hat ein weiteres Gebiet des Seins als seine Schöpfung für sich in Anspruch genommen“ (Rüfner 1955, 276). Seit der Genie-Ästhetik im 18. Jahrhundert dreht sich das Legitimationsverhältnis um, so dass gerade erst dank der menschlichen Schöpfungskraft eine Vorstellung der göttlichen möglich ist, bevor im 19. Jahrhundert gar endgültig der Tod Gottes verkündet wird und damit aber auch seinem Erben, dem gottgleichen Autor, seine transzendente Verankerung verloren geht und das kommende Ende eingeschrieben wird. Diese theologische Orientierung beherrscht auch die entscheidenden argumentiven ‚Weiterentwicklung‘ in Shaftesburys Soliloquy: Or Advice to an Author (1710), der in der Nachfolge zu Scaliger die apotheotische Feier von Autorschaft fortsetzt im Bekenntnis zum genialen „Poet“ als „indeed a second Maker: a just PROMETHEUS, under JOVE“, der als „Moral Artist“ und in Nachahmung jenes „Souvereign Artist or universal Plastick Nature […] forms a Whole, coherent and proportionʼd in it-self, with due Subjection and Subordinacy of constituent Parts“ (Shaftesbury 1981 [1710], 110). Diese Formulierungen werden gemeinhin als Beginn der Genie-Ästhetik gewertet, mit der sich die englische Tradition einer Dichtungstheorie göttlichen Enthusiasmus’ gegen die französische Tradition des Regelkanons einer Nachahmung der schönen Natur durchsetzt: Autorschaft bedeutet, Neues zu schaffen aus innerem Antrieb, der allein der „inneren Form“ folgt, als die „der Geist zu erfassen [sei], der dann das Werk ‚beseele‘“ (Hubig 1983, 194) [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft]. Diese Verbindung mit der eigentlich erst im Sturm und Drang aufblühenden Genie-Ästhetik wird aber nicht durchgängig von der Forschung affirmiert: Während das Genie „in absoluter Selbständigkeit und Eigengesetzlichkeit“ (Hinck 1985, 28) handeln will, bindet Shaftesbury seinen Autor vielmehr immer noch an die ethischen Maximen einer in sich stimmigen Ganzheit und Richtigkeit der ‚inneren Formʻ als Harmonie der Seele (vgl. Hubig 1983, 194). Wirklicher Meister der Dichtung ist nur derjenige, der nicht die Körper-Reize nachzeichnet, sondern „the Graces and Perfections of
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Minds“ studiert (Shaftesbury 1981 [1710], 108), „who can thus imitate the Creator, and is thus knowing in the inward Form and Structure of his Fellow-Creature (110). Was aber Shaftesbury vor allem „zu den entschiedensten Gegnern der Genielehre“ (Mainusch 1991, 53) zählen lässt, ist seine Verachtung gegenüber der Eitelkeit von Autoren, die sich im Ruhm ihrer publizierten Werke spiegeln wollen. Man könnte es als Hommage an den ‚Künstler ohne Werk‘ begreifen, ein Motiv, das ein halbes Jahrhundert später tatsächlich im Zuge der Genie-Ästhetik Karriere machen soll, aber bei Shaftesbury geht die Polemik eher gegen die Macht der Verleger und des Markts, um die eigentliche Leistung des Autors, die nicht im „Genius“ wurzelt, sondern in „Knowledge and good Sense“ (90–92), ganz auf den Schöpfungsakt zu konzentrieren: „And thus am I no-wise more an AUTHOR, for being in Print. I am conscious to my-self of no additional Virtue, or dangerous Quality, from having lain at any time under the weight of that alphabetick Engine call’d Preß.“ (Shaftesbury 1981 [1710], 230) Das Originalitätsmoment künstlerischer Produktion, das schon Perrault im Zusammenhang der Querelle des Anciens et des Modernes für die Überschreitung der handwerklichen Regeln kraft des eigentümlichen ‚Genies‘ verantwortlich gemacht hatte und das Abbé du Bos in seinen Refléxions critiques sur la poésie et sur la peinture (1719) als Naturgabe der Geburt („il faut être né avec du génie pour inventer“, Du Bos 1993 [1755], 172) pries, bleibt für die französische Tradition dennoch auf den Rahmen der Vorbildlichkeit schöner Natur als Gegenstand beschränkt. Charles Batteux definierte in seiner Nachahmungsästhetik zu Beginn der Aufklärung den Autor als das Genie, das nicht imaginieren oder kreiren soll, sondern das wiedergeben, was ist: „Inventer dans les arts, n’est point donner l’être à un objet, c’est le reconnaître où il est, et comme il est [„Erfinden heißt in den Künsten nicht einen Gegenstand das Wesen geben, sondern ausfindig machen, wo er ist, und wie er ist“]“ (Batteux 1989 [1746], 85 [Batteux 1976 [1770], 25]) Wie in der Natur kann er nur produzieren, was er als Samen empfangen hat. Im Anschluss an Aristoteles wird die Aufgabe des Autors auf das poiein als machen reduziert, das „forger, fabriquer, créer“ [„machen, verfertigen, schaffen“] (88 [36]) umfasst. Aber das Imitieren soll „une imitation sage et éclairée“ sein, die nicht knechtisch kopiert, sondern – wiederum im Anschluss an Aristoteles’ Unterscheidung zwischen Poeten und Historikern – die Gegenstände der Natur in ihrer Perfektion darstellt, „en un mot, une imitation, où on voit la nature, non telle qu’elle est en elle-même, mais telle qu’elle peut être, et qu’on peut la concevoir par l’esprit [wo man die Natur nicht so, wie sie an sich ist, sondern so erblickt, wie sie seyn kann, und wie der Verstand sie sich vorzustellen fähig ist“]“ (91 [39]). In diesem Sinne sind die künstlerisch begnadeten Autoren von Göttlichkeit inspiriert, die ihn in den Zustand des schon von Shaftesbury gefeierten „enthousiasme [Begeisterung]“ versetzt und zum „observateur“ höherer Zusammen-
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hänge werden lässt: „Ils excitent eux-mêmes leur imagination, jusqu’à ce qu’ils se sentent émus, saisis, effrayés; alors, Deus ecce Deus: qu’ils chantent, qu’ils peignent, c’est un dieu qui les inspire [„Sie erregen selber ihre Einbildungskraft, bis sie sich davon bewegt, überwältigt, erschreckt fühlen. Alsdann: ‚Siehe den Gott! Ich fühle ihn, den Gott!ʻ Sie mögen singen, sie mögen malen, so sind es Eingebungen eines Gottes“] (96 [47]). Eine ‚sekundäreʻ oder ‚sekundierendeʻ Göttlichkeit menschlicher Autorschaft ist in diesen Diskursen nicht denkbar, allenfalls springt ein göttlicher Funke im furor poeticus über. Auch in der Vorstellung des Autors als Genie dominiert die Heteronomie in diesem Fall nicht gegenüber einer göttlichen Instanz, sondern gegenüber der an ihre Stelle tretenden Natur als ermächtigende Instanz der Schöpfung. Diese argumentative Situation wird von der poetologischen Diskussion im deutschsprachigen Raum gespiegelt, die vor allem durch die Kontroverse zwischen Gottsched und den ‚Schweizernʻ Bodmer und Breitinger beherrscht ist. Johann Christoph Gottsched, der quasi Barthes vorausgreifend, von „Scribenten“ statt von Autoren spricht, zeigt in seiner Vorrede zur zweiten Auflage seiner Critischen Dichtkunst von 1736 einen eher lockeren Umgang mit der Originalität von Autorschaft, indem er sich nach der erschöpfenden Auflistung aller traditionellen „Kunstrichter“ (Gottsched 1751 [1730], XXVII) der Dichtkunst von Aristoteles bis Voltaire gegen den Vorwurf des „ausschreiben[s]“ (im Sinne von ‚abschreiben‘) mit einem eindeutigen, an Richard Burtons o. g. Argumentation erinnernden Zitat des französischen Poetologen Charles Rollin (1661–1741) wehrt, der offen für das Plagiat aus Gründen der stilistischen Bereicherung eigener Texte optiert, die aufgrund der eigenmächtigen Veränderung des Angeeigneten auch keinen Autornachweis braucht: „Pour embellir & enrichir mon Livre, je declare, que je ne me faits point un scrupule, ni une honte, de piller par tout, souvent même sans citer les Auteurs que je copie: parce que quelquefois je me donne la liberté d’y faire quelques changements.“ (XXVIII) Und mit dieser Freiheit glaubt Gottsched auch im Anschluss an Rollin ganz auf die Auszeichnung als Autor verzichten zu können, denn es kommt in der besten Tradition der Kompilation mehr darauf an, ein dem Leser gefallendes Buch zu präsentieren: „Je sens bien, qu’il-y a – moins de gloire à profiter ainsi du travail d’autrui, & que c’est en quelque sorte renoncer à la qualité d’Auteur: mais je n’en suis pas fort jaloux & serais fort content, & me tiendrois très – heureux, si je pouvois être un bon Compilateur, & fournir un livre passable à mes Lecteurs“ (XXVIII; vgl. Rollin 1821 [1730], LXX–LXXI). Und auch in der als Einleitung gedachten Übersetzung von Horaz’ ars poetica stösst Gottsched auf die Erweiterung des Eigentumbegriffs im Recht auf ‚Entlehnenʻ, denn „Es steht ja Dichtern frey, sich aus bekannten Sachen / Durch Witz und Kunst und Fleiß ein Eigentum zu machen“ (25, vgl. Stöckmann 2001, 97–100).
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Das entscheidende Novum bei Gottsched ist aber, dass er dem Poeten, der ganz im Sinne der angeführten Tradition als „geschickter Nachahmer aller natürlichen Dinge“ (99) und ihrer verstandesgemäßen „Vollkommenheit“ (132) definiert wird, als quasi Wiederbelebung des Topos vom poeta doctus auf die Figur des Kunstrichters, des „Kriticus […] als einen Gelehrten, der von freyen Künsten philosophiren, oder Grund anzeigen kann“ (96), ausrichtet. Klares Ziel dieser „Zentrierung des literarischen Diskurses in der Kritik“ (Martus 2007, 115), durch die eine „Privilegierung der Autorperspektive bei Gottsched zugunsten der Kritikerperspektive entschieden wird“ (121), ist die Professionalisierung des Literaturbetriebes durch Festlegung gelehrter Kriterien für einen guten „poetischen Scribenten“ (Gottsched 1751, 94), zu denen auch „guter Geschmack“ (95) gehört [vgl. den Artikel Autor und Kritiker]. Welche Auswirkungen diese Genese von Autorschaft „im Spiegelstadium der Kritik“ auf die sich gerade erst emanzipierenden Autoren selbst hatte, formuliert Steffen Martus mit der ganzen psychologischen Drastik des Lacanschen Modells vom ‚Spiegelstadiumʻ als Projektion des ohnmächtigen Subjekts auf ein allmächtiges aber imaginäres Idealich auch der Verletzbarkeit des neuen, noch sehr unsicheren und überhaupt den traditionellen Autoritäten gegenüber usurpierten Status: „Der Autor […] ist nicht selbständig, sondern gelangt immer auf Umwegen, nie allein durch sich selbst zur Sprache. Seine Aufgabe kann allenfalls darin bestehen, die Abhängigkeit von den ihm vorgängigen, ihn ermöglichenden Diskursen erfolgreich zu verschleiern oder auf eine Weise offenzulegen, die ihn als souveränen Verwalter des literarischen Erbes erscheinen lässt. Das per se abhängige Subjekt bleibt stets verletzbar, weil es selbständig sein soll […]. Unter Bedingungen unkontrollierbarer Bewertung unsichtbarer Qualitäten und Mängel sowie uneinholbarer Einheitsphantasien befinden sich Autoren im ‚Spiegelstadium der Kritikʻ mit all seinen Paradoxien und irritierenderweise handlungsleitenden Idealen.“ (Martus 2007, 64) Die Einführung des Kritikers als Richter über Autorschaft bekommt damit auch psychohistorische Bedeutung des Beginns einer „Einkreisung von Werk und Autor“, die „‚Furcht und Zitternʻ auf Seiten des Dichters bzw. eine vehemente Abwehr von Kritik“ (138–139, vgl. Stöckmann 2001, 101–109) erzeugt, das Fundament für den dann bei den Klassikern ausbrechenden Hass auf die Kritiker, der in der bekannten Formel Goethes „Schlagt ihn todt den Hund! Er ist ein Recensent“ bis in die Gegenwart von Martin Walsers Tod eines Kritikers andauert. Im Gegensatz zu dieser versuchten ‚Verschulungʻ von Autorschaft findet sich bei Johann Jacob Breitinger eine Wertschätzung der Phantasie und vor allem ein gegen den Regelkanon gerichteter Respekt vor der Individualität des Dichters. Breitinger berührt dabei – wie schon zuvor Opitz – ein bis in die Gegenwart unentschiedenes Thema, nämlich das der ‚Lehrbarkeitʻ von Autorschaft (man denke etwa an die angloamerikanische Tradition der Kurse für creative writing), das
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mit der Unberechenbarkeit der Intention des Autors konfrontiert: „Da nun die besondern Absichten eines verständigen Scribenten unendlich verschieden seyn können, indem er seinen Haupt-Zweck durch die Verbindung so unendlich vieler und verschiedener Eindrücke zu befördern suchen muß, so sind auch die Gesetze und Regeln, nach welchen sich das Urteil in der Wahl der Umstände richten muß, eben so unzehlbar und unendlich verschieden, als die besondern Absichten sind, die diese Wahl bestimmen.“ (Breitinger 1740, 429) Um daraus zu schließen, es sei „unmöglich, daß der gute Geschmack durch Regeln, die ein vollständiges Systema der Kunst ausmachen, gelehret und vorgetragen werde“ (430). In diesem Sinne seiner Individualität des Geschmacksurteils bleibt der Poet nicht nur auf die bloße Nachahmung der „Originale, welche ihm die große Künstlerin, die Natur, auf dem unendlich geraumen Schauplatz dieser würklichen Welt darstellet“, als „guter Abdrücker“ (55) beschränkt, sondern hat auch die Freiheit seiner Phantasie, die Welt in ihrer Möglichkeit als verborgene darzustellen. Und an dieser Stelle greift Breitinger wieder auf die Etymologie von griechisch poiesis zurück, um den Dichter als „Schöpfer“ zu würdigen, dessen „Dichten“ nicht anderes bedeutet, „als sich in der Phantasie neue Begriffe und Vorstellungen formieren“, damit er „auch die Dinge, die nicht für die Sinnen sind, gleichsam erschaffet, das ist, aus dem Stande der Möglichkeit in den Stand der Würklichkeit hinüberbringet, und ihnen also den Schein und den Nahmen der Würklichkeit mittheilet“ (60). Damit schließt sich der Kreis des rationalistischen Ansatzes einer Kanonisierung von Autorschaft angefangen bei Opitz, der schon das Nachäffen mit dem Möglichen der aristotelischen Poetik konforntiert, bis hin zu den Kritischen Dichtkünsten der Frühaufklärung, die Kriterien des Geschmacksurteils als Orientierung einführen.
II.5 Der ‚klassische‘ Fehlschluss Es gibt ein unausrottbares Klischee, dass mit der literaturgeschichtlichen Epoche Klassik im deutschsprachigen Raum (in Frankreich wird unter diesen Begriff eine ganz andere Epoche verstanden, die eher dem ‚Rationalismus‘ oder der ‚Frühen Aufklärung‘ entspricht) die Blütezeit des Autors begonnen habe, die in der Romantik ihren Höhepunkt erreicht habe. Ungeklärt ist dabei, ob es dabei um eine ‚diskursiveʻ Blüte des Konzepts oder genauer des Ideals von Autorschaft geht oder um seine berufliche Erfolgsgeschichte als in seiner Autonomie anerkannter Schriftsteller. Ideologiekritisch gesehen kann man diese Epoche auch als Beginn des Niedergangs vom Ideal autonomer und autokratischer Autorschaft sehen, die im Augenblick ihrer Realisierung im literarischen Betrieb eben diese Freiheit ver-
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liert. Gerhard Sauder spricht schon im Nachwort zu Edward Youngs Initialwerk Conjectures on Original Composition / Gedanken über Originalwerke von einer kompensatorischen „Mythisierung des genialen Menschen“ (Sauder 1977, 52), der eigentlich eine zunehmende Entfremdung des sich selbst verwirklichenden Individuums durch ökonomische und soziale Mechanismen entspricht, gegen die das Subjekt – wie auch Adorno dignostiziert – „mit idealistischer Hybris die Idee des Schöpfertums vom transzendentalen Subjekt an das empirische, den produktiven Künstler zediert“ (Adorno 1974, 255). Die gelungene Versöhnung dieser beiden Seiten, d. h. des authentischen Subjekts und des Autorindividuums in einer Person wird im Sinne der Überbenennung der Epoche als ‚Goethezeitʻ von einer ‚konservativenʻ Germanistik in die dominante Gestalt des Weimarer „Dichterfürsten“ (Lämmert 2006) projiziert. Die Heranziehung dieses Paradebeispiels ‚Goethe‘ vergisst oft, dass derselbe nicht als Autor, sondern als Minister am Weimarer Hof sein sprichwörtliches ‚Brotʻ verdiente. Im 18. Jahrhundert gab es keine wirklich professionellen Autoren, auch wenn Klopstock immer wieder mit seiner Idee der Subskription des Messias und der Gelehrtenrepublik (vgl. Martus 2007, 246–251) ein gewisser Erfolg unterstellt wurde (den Johann Wolfgang Goethe selbst an prominenter Stelle in Abrede stellte, vgl. Goethe 1985 [1811–1833], 553), während die faktische Abhängigkeit Friedrich Gottlieb Klopstocks vom dänischen König als Souverän ihn zum „Autor als Pensionär“ (Martus 2007, 251) werden lässt. Auf der Ebene der Publikation, d. h. des öffentlichen Auftretens von Autoren, dominierte eher eine ‚Ethik der Gabeʻ im engen Kreis der Kommunikation zwischen Lesern als Freunden. Der Blick war nicht auf kommerziellen, vulgo pekuniären Erfolg gerichtet, sondern auf Renommee, auf Aufmerksamkeit, die man durch Buchgeschenke zu erregen wusste. Allen kommerziellen Aspekten zuvor dient der Druck also im 18. Jahrhundert, das eben Autorschaft noch nicht als Beruf einträglich machte, der Publizität. Er war „Medium der Autorkonzeption und Instrument der gesellschaftlichen Selbstpositionierung“, seine Produkte dienten mehr als Geschenke an ausgewählte Adressaten im Sinne einer „Gabenökonomie“ (Mix und Spoerhase 2012, 180 u. 181). Und folglich wurde das von Goethe ausgerufene „goldne Zeitalter der Autorschaft“ (Goethe 1988 [1794/95], 196) nicht einfach wiedergefunden oder -geboren, sondern mit dieser medialen Neupositionierung des Dichtens erfunden und per Machtergreifung einer Werkpolitik etabliert. Der Weimarer Klassiker würdigte in diesem Zusammenhang besonders die Vorreiterrolle Klopstocks zu einer Zeit, „wo das Dichtergenie sich selbst gewahr würde“ (Goethe 1985, 429) und „unter den deutschen Autoren eine allgemeine Bewegung“ (552) der Verwertung der Produktion von poetischen Schriften den Verlegern gegenüber entstand. Auch wenn seinen Subskriptionsprojekten kein Publikumserfolg beschert war, repräsentierte er für Goethe doch „das Bedürfnis der Unabhängigkeit“ (568), das Autorschaft auch im ökonomischen Sinne fundiert.
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Leo Löwenthal erinnert in seiner Studie zur Entstehung der Massenmedienkultur auch an Samuel Johnsons 1753 proklamiertes „Age of authors“ (Johnson 1825, 109), deren Rechtstitel gegen die ‚Verleger‘ eingeklagt wurde, zu denen – wie Oliver Goldsmith 1759 klagte – der Autor am Ende des Mäzenatentums seine Zuflucht nehmen muss, um durch Vielschreiberei den ästhetischen Geschmack der Zeit zu ruinieren (vgl. Goldsmith 1881 [1759], 56–57; Löwenthal 1990, 95 u. 103). Deutlich konzentriert sich jetzt – im Gegensatz zur feudalistischen Autonomie-Emphase eines Shaftesbury – das bürgerliche Selbstverständnis von Autorschaft auf den Status des ‚Gedrucktseins‘ (Chartier verweist sogar schon auf Furetières Dictionaire Universel von 1690 als Quelle, in der Autorschaft an Drucklegung gekoppelt ist (vgl. Chartier 1992, 49)). Der Begriff des Publikums verliert seine theatralische Bedeutung, der Autor steht nicht mehr auf einer Bühne, vor der die Zuschauer applaudieren und so seinen Ruhm begründen. Das Publikum als soziale Öffentlichkeit wird mehr zum absenten und anonymen Adressaten, an den der Autor als Absender sich wenden muss, um ihn als Empfänger, sprich als Käufer seiner Werke zu gewinnen. Das Sender und Empfänger aber verbindende Medium ist der Druck, der im Sinne von Marshall McLuhans berühmten Diktum als Medium auch zur Botschaft wird. Der Imperativ, „to be an author was to have composed material that had been typeset and reproduced by the printing press“ (Schellenberg 2019, 134), beherrscht alle Karrieren von Autoren im 18. Jahrhundert, nicht nur hinsichtlich der in ihren Werken verarbeiteten Stoffe. Das gesteigerte Bewusstsein der Autoren für geistige Eigentumsverhältnisse bzw. „their right to remuneration for the produce of their intellectual labors“ (141) verdankte sich so zwar der enormen Expansion des literarischen Marktes in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (bei einer Verdreifachung der Druckerpressen und Vervierfachung ihrer Produktion etwa in London zwischen 1724 und 1757), mußte sich aber im Kampf um die ‚Urheber‘- bzw. ‚Verwertungsrechte‘ des Ideenguts ökonomisch gegen die Buchhändler (die zugleich Verleger waren) und zunehmend gegen das Raubdruckwesen durchsetzen. Nicht von ungefähr war der erste ‚Erfolgsautor‘ im modernen Sinne, Samuel Richardson, hauptberuflich Drucker. Es geht im Namen der Autorschaft auch um eine Kontrolle des Publikationswesens, d. h. des Verhältnisses zwischen Schriftsteller und Öffentlichkeit, das sich im Medium der von Autor zum Leser geführten ‚publizistischen‘ Rede etabliert hat und im Zeitalter der massenwirksamen Alphabetisierung nicht nur das Buchhandelswesen, sondern auch die literarische Öffentlichkeit der neu entstehenden Institutionen wie Leihbüchereien, Buchclubs, Lesezirkel, Kaffeehäuser, literarischen Gesellschaften umfasst, die das anwachsende Lesebedürfnis ebenso befriedigen wie natürlich das seit Beginn des 18. Jahrhunderts florierende Zeitschriftenwesen mit seinen neuen metaliterarischen Instanzen wie den Rezensenten oder den selbst Autorschaft demonstrierenden und von Autoren auch selbst verkörperten Kriti-
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kern (vgl. Löwenthal 1990, 95 u. 110; Habermas 1962, 67–69; Ungern-Sternberg 1980, 142–144). Das im Sinne der Kontrolle bzw. Regulation dieses ‚Marktesʻ des neuen Literaturbetriebes immer stärker in den Vordergrund tretende Problem ist das einer Qualifikation von Autorschaft, d. h. die Frage nach Kriterien für die ästhetische Autorität und schöpferische Authentizität gegenüber den Schwundstufen des „Scribenten“ und seine sprichwörtliche „Vielschreiberey“ (Faulstich 2002, 183 u. 184), um im Medium des Drucks nach einer „difference between scribbling writer and authentic author“ (Ross 1994, 231) zu suchen [vgl. den Artikel Autorschaft und literarischer Markt]. Zwar wird durch die zunehmende Verkopplung von Kunst und Kommerz das geistige Eigentum immer mehr zur ‚Wareʻ, deren Marktwert entsprechend auf (Handels-)‚Messenʻ verhandelt wird; bei dieser Semantik des ‚Marktesʻ als entscheidendes Regulativ einer ‚Kapitalisierung von Kreativität’ muss allerdings zwischen ökonomischer Realität und diskursivem Konstrukt differenziert werden: „Begriffe wie ‚geistiges Eigentumʻ oder ‚Urheberrechtʻ sind nicht nur historische Realitäten, deren Entwicklung es kulturhistorisch zu rekonstruieren gilt, sondern auch von den Zeitgenossen strategisch eingesetzte diskursive Deutungsmuster, die ein neues Verhältnis von autorschaftlicher Würde und literarischem Buchhandel zu etablieren versuchen“ mit dem Buchdruck als „exklusiven Medium zur Herstellung und Darstellung autorschaftlicher Güte“ (Mix und Spoerhase 2012, 185) [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright]. Das Markenzeichen des ‚Stilsʻ ist das Pfund, mit dem der Autor wuchern kann wie der Erfinder mit dem ‚Patentʻ im Sinne von Charles Buffons vielzitiertem Bonmot Le style est l’homme même (vgl. Zelle 2003, 10). Aber mit dem Markt kommt auch – in der Tradition des agonalen Paragone – das kapitalistische Prinzip der „schriftstellerischen und künstlerischen Konkurrenz“ (Mix und Spoerhase 2012, 187) zum tragen, die von der Streitkultur der immer bedeutender werdenden Zeitschriften entfacht wurde. Es geht beim geistigen Eigentum als symbolisches Kapital, das den Wert des Autors bestimmt, ja um den Handel mit „imaginären Waren“, die als Idee existieren, „losgelöst vom Wert des Trägermaterials“ (Weyh 1993, 518). Schon Novalis votierte in seinen Dialogen anlässlich des Erscheinens des Leipziger Buchmessenkatalogs gegen die Verächter der grassierenden „Bücherseuche“ für die „Zunahme dieses Handlungsartickels“ (Novalis 1960 [1798], 661). Und Friedrich Schlegel ging noch einen Schritt weiter und machte sich sogar für ein „Fabrikwesen“ der Autorschaft mit der Frage stark: „Aber soll der wahre Autor nicht auch Fabrikant sein? Soll er nicht sein ganzes Leben dem Geschäft widmen, literarische Materie in Formen zu bilden, die auf eine große Art zweckmäßig und nützlich sind?“ (Schlegel 1967 [1798], 232) Geschützt werden kann diese Form in ihrer Einzigartigkeit dabei aber nur mittels ihres unveräußerlichen Eigentumsverhältnisses durch die geistige Arbeit
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des Bildens als die „affektive, einen Gegenstand modifizierende Handlung“ (Achermann 2002, 137), nicht aber durch den Besitz am realen Werk. Durch die Herausbildung der Genieästhetik seit Mitte des 18. Jahrhunderts dehnt sich der Rechtsschutz auch auf den Originalitätsanspruch des vom Autor Geschaffenen aus und damit auf die Freiheit seiner „Einbildungskraft oder Phantasie“ (129). Die Forderung umfasst eine gleichzeitige „Denk- und Preßfreiheit“ (Bürger 1784, 214), womit ein grundsätzliches Missverständnis in die Welt gesetzt wird, wenn man diese Freiheit nämlich auch auf den Leser und seinen Anspruch auf das ausdehnt, was heute als open source verhandelt wird. Ein Streitpunkt, der im 18. Jahrhundert sich signifikanterweise vor allem an der Verletzung von ‚Autor-ʻ bzw. ‚Urheberʻ-Rechten durch ‚anonyme Nachdruckeʻ entzündete. Die Kehrseite des medialen Dispositivs der Publikation war die Schutzlosigkeit, die das einmal der öffentlichen Zirkulation Preisgegebene allen zugänglich und verfügbar machte. Schon 1732 heißt es in der Vorrede zum ersten Band des Zedlerschen Lexikons: „Wann einmal eine Wahrheit im öffentlichen Druck ist; so kann sich derselben ein ieder bedienen […] Der erste Erfinder muß sich mit der Ehre der Erfindung vergnügen / und sich eine Freude daraus machen; daß andere ein Muster von ihme nehmen.“ (Zedler 1732, 15) Gegen diese ‚Ehreʻ hatte bereits Gotthold Ephraim Lessing entschieden eine moralische Verurteilung des Schriftstellers abgelehnt, „wenn er sich die Geburt seines Kopfes so einträglich zu machen sucht, als nur immer möglich“, und in seinem Projekt zur Gründung eines Selbstverlages und eines Systems der Subskription auf den für die Wahrung der Autorenrechte entscheidenden „Unterschied zwischen Eigentum und Benutzung des Eigentums“ (Lessing 1973 [1780], 781 u. 783) insistiert. Immanuel Kant, der sich schon 1785 in einer kleinen Schrift mit der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks beschäftigt hatte, griff das Thema in der Metaphysik der Sitten wieder auf und führte die Rechtsverletzung auf eine Verwechslung von „Sachenrecht“ und „persönlichem Recht“ zurück: Bücher stellen eine „Rede“ dar, „die jemand durch sichtbare Sprachzeichen an das Publikum hält“, wobei der „Schriftsteller (autor)“ „in seinem eigenen Namen spricht“ und der „Verleger“, „welcher durch eine Schrift im Namen eines anderen (des Autors) öffentlich redet“, rechtlich dazu durch eine „Vollmacht“ des ersteren ermächtigt ist (Kant 1964 [1797], 404). Diese Autorisierung durch den Autor stellt ein „persönliches Recht“ des Nachdrucks der Bücher dar, der Käufer des Buches erwirbt an diesem aber nur das „Sachenrecht“ (405), das ihn nicht zur eigenmächtigen Reproduktion autorisiert. Johann Gottlieb Fichte ging in seinem Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks noch einen Schritt weiter, indem er die Rechtsansprüche des Autors am geistigen Eigentum seiner kreativen Erfindung als für unveräußerlich erklärte, denn jeder habe „seinen eigenen Ideengang, seine besondere Art, sich Begriffe zu machen und sie miteinander zu
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verbinden“, was die „Form dieser Gedanken“ ausmacht (Fichte 1971 [1791], 227). Die Unterscheidung erinnert an Shaftesburys ‚innere Formʻ, was Fichte aber über Kant hinausgehend schützen will, ist die Originalität des Autors durch „seine im Werk Form gewordene Individualität“ (Zelle 2003, 30), als ineffabile geschützt vor der unrechtmäßigen Aneignung seiner Gedanken durch das Plagiat, während der illegale Nachdruck eigentlich in erster Linie den Verleger schädigt. Hinter den ökonomischen Interessen der Copyright-Debatten zeigt sich der eigentliche Einsatz im Modell des Autors als geistig Schöpfenden, als schöpferische ‚Individualitätʻ, wie sie Adelung 1774 in seiner Definition des Autors als „Urheber, Verfasser eines Buches“ festschreibt, die „aber so wie im Französischen etwas Verächtliches bey sich zu führen anfängt“ (Adelung 1774, 601). Neben der Legalität von Urheberschaft bedarf es nämlich auch einer Legitimität im großen Schöpfungsplan der Welt. Gleichsam als Bindeglied zwischen der juristischen Debatte um die Wahrung des geistigen Eigentums der Autoren und der ästhetischen Programmatik von Kreativität verzeichnet die Epoche der ‚Aufklärungʻ eine signifikante Konjunktur ‚hermeneutischerʻ Authentifizierungen von Autorschaft. Während es in Flacius Illyricus’ Bibelauslegung von 1567 noch ausdrücklich hiess, dass allein der Heilige Geist Autor und Ausleger der Heiligen Schrift sei („Spiritus S. est autor simul & explicator Scripturae“, Flacius Illyricus 1969 [1567], 30), tritt im 18. Jahrhundert die individuelle Autorintention als Schlüssel für das Verstehen von Schriften in den Vordergrund. Der ‚Offenbarungsstreitʻ über die Bibelauslegung, ob diese es mit einem sakralen Monument göttlicher Größe oder einem historischen Dokument menschlicher Überlieferung zu tun habe, entzündet sich genau an der Frage nach einer ‚Autorschaftʻ Gottes, die alle religiöse Referenz der Schöpfung endgültig im metaphorischen Kontext skripturaler Beurkundung säkularisiert. Jede Vorstellung numinoser Schöpfungsakte wird für die hermeneutische Sichtweise der Historisierung von Handlungen des Verfassers unterworfen, der „an einem gewissen Orte, vor gewisse Personen, und unter gewissen Umständen geschrieben hat“ (Chladenius 1742, 370). Für diese Position einer urheberrechtlichen Verräumlichung und historischen Verzeitlichung der Bedeutung auch von heiligen Texten ist dann vor allem Johann Georg Hamann zum Stichwortgeber geworden: Seine berühmte Formel im Londoner Tagebuch „Gott ein Schriftsteller!“ (Hamann 1949 [1758], 5) dreht die jahrhunderlang entwickelte Analogie des Autors als alter deus um in die von Gott als alter auctor. Zwar gab es schon im Mittelalter die Bildlichkeit vom Schöpfergott als Künstler, aber Hamann will nicht zur mittelalterlichen Vorbildlichkeit Gottes als oberster Autorität zurückkehren, sondern umgekehrt am Beispiel der höchsten Instanz der Schöpfung für alle Autorschaft den Aspekt der „Erniedrigung und Herunterlassung“ (5) des Schöpfenden in der Schöpfung, d. h. der ‚Kondeszen-
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denzʻ der ideenhaften creatio in der niederen Materie des Geschaffenen aufzeigen (vgl. Bayer 1999; Reuter 2005). Bei Hamann, der als Zeit- und Tischgenosse Kants auf fast alle Intellektuellen des ausgehenden 18. Jahrhunderts – angefangen bei Herder über Goethe bis zu den Brüdern Schlegel und Hegel – mit seinem kryptischen und sybillinischen Stil Einfluss ausgeübt hat, kommt es zu einer paradoxen Verschränkung von Apotheose und Säkularisierung von Autorschaft, die am besten durch seine, u. a. von Kant populär gemachte Formel von der „Höllenfahrt der Selbsterkänntnis“ als „Weg zur Vergötterung“ (Hamann 1950 [1762a], 164) beschrieben ist. Hamann, der wie sein Vorbild Sokrates kein „öffentlicher Autor in groß Quart“ mit seiner „lächerlichsten Eitelkeit“ (Hamann 1951 [1772], 69) im emphatischen Sinne der Werkherrschaft sein wollte, richtet das Interesse eher auf die Buchstäblichkeit einer hermeneutischen Wahrheit des Werkes als „genaueste Localität, Individualität und Personalität“ des Textes (Hamann 1951 [1786], 352). Angesichts der Maskenhaftigkeit von Autorschaft [vgl. den Artikel Autor-Masken und -Maskierungen] bestreitet er jegliches „Eigentumsrecht“ wie „Entscheidungsrecht“ (365) am Werk und bestimmt umgekehrt dieses als Schauplatz einer nachträglichen Offenbarung der auktorialen Intention in der Materialität des Textes: „Folglich offenbaren oder verrathen sich die Absichten und Gesinnungen eines Schriftstellers, als die typische Bedeutung seiner Autorhandlung durch die Einkleidung und Charakteristik der Gedanken.“ (Vgl. Wetzel 1996, 367) Es geht bei der – wie es explizit heißt – „Autorhandlung“ also als Performativ um ein Spiel der Ver- und Einkleidung des Intellektuellen in Sinnlichem, das zwar wieder ins Register der ‚Kondeszendenzʻ fällt, aber die „Mittheilung“ und „Fortpflanzung“ (367) des Gedankens durchs Kreieren im Sinne der „Geschlechtsmerkmale der Autorschaft“ (375) möglich macht. Gleichzeitig verschiebt sich im Prozess der Auslegung das Bedeutungsgeschehen in Richtung auf den Leser als Instanz einer Nachträglichkeit des Verstehens: „Der Leser ist der Herd in der Axe eines Autors, und die Brennlinie, welche ein Kunstrichter suchen und finden muß.“ (Hamann 1950 [1762b), 335) Autor und Leser sind wie „zwo Hälften“ (Hamann 1950 [1762c), 347) des Prozesses aufeinander bezogen, denn „aus Lesern entstehen Schriftsteller“ (341), Autoren sind umgekehrte Leser, deren Autorschaft sich als Frucht der Lektüre erweist, als Übersetzung des Gelesenen, Aufgelesenen in Neugeschreibenes. Aber es geht Hamann nicht um eine Diffamierung des Plagiats, sondern um einen Prozess der Befruchtung bzw. Inspiration: „Die Idee des Lesers ist die Muse und Gehülfin des Autors; die Ausdehnungen seiner Begriffe und Empfindungen der Himmel, in den der Autor die Idee seines Lesers versetzt“ (348). Das entscheidende Prinzip dieses Theologumenons einer Demut der Autorschaft ist nicht Autonomie, sondern Authentizität. Sie repräsentiert eine Autorisierungsstrategie der ‚Nachfolgeʻ, die durchaus an christologische Figuren
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gemahnt bzw. Autorschaft im Sinne einer ‚Gnadenwahlʻ im mystischen Sinne statt nach poetologischen Regeln oder geniehaften Naturgründen nobilitiert. Die ästhetische Leistung von Dichtern und Künstlern besteht dabei in einem ‚Übersetzenʻ der absoluten göttlichen Sprache in die ‚niedereʻ menschliche Sprache, wobei erstere allein in letzterer anwesend ist – eine Argumentation, die sowohl Hamanns Aesthetica in nuce (1762) als auch Johann Gottfried Herders Abhandlung Über den Ursprung der Sprache (1772) beherrscht. Wie sehr auch Kant durch sie inspiriert ist, zeigt sich nicht nur in seiner hermenuetischen Überzeugung, einen „Verfasser […] so gar besser zu verstehen, als er sich selbst verstand“ (Kant 1964 [1781], 322), sondern auch in seiner Theodizee-Deutung durch eine authentische Auslegung des Subjekts an der Stelle Gottes. In diesem Zusammenhang ist auch deutlich der Übergang von einem texthermeneutischen zu einem autor-subjektivistischen Verständnis von Authentizität zu beobachten. Besonders deutlich wird dies in einem kleinen Text Kants Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee von 1793. Kant geht zunächst von der herkömmlichen rechtshermeneutischen Unterscheidung zwischen doktrinaler und authentischer Auslegung aus, wobei erstere sich allein auf den Text als Quelle des Sinns bezieht, der durch Vergleichung mit anderen Texten nach der üblichen Lehr-Meinung „herausvernünftelt“ (Kant 1964 [1791], 116) wird, während zweitere dem ursprünglichen Sinne des Verfassers als „Gesetzgeber“ folgt und durch seine Autorschaft autorisiert wird (vgl. Knaller 2006b, 18–19). Im Falle der Theodizee ist eine solche Erkärung der Absichten des Schöpfers verborgen und ein solches „Machtwort des Urhebers selbst“ (Wetzel 2006, 43) als göttlicher Machtspruch nicht zu erwarten, da Gott sich aus der Schöpfung zurückgezogen hat. Aber Kant findet eine Lösung, indem er das in seiner „transzendentalen Obdachlosigkeit“ (Georg Lukács) auf sich selbst gestellte Subjekt in seiner „authentischen Rede der Vernunft“ (Wetzel 1985, 187; vgl. Wiefarn 2010, 75–77) die Autorschaft Gottes übernehmen und zum Ausleger seines Willens werden lässt. Man könnte im Sinne einer gewissen Übertragung schon Argumente für einen „impliziten Autor“ erkennen, denn auch bei Kant ist diese authentische Auslegung durch die subjektive und nachträgliche Vernunft nur möglich, weil es „ein Ausspruch der selben Vernunft ist, wodurch wir uns den Begriff von Gott als einem moralischen und weisen Wesen notwendig und vor aller Erfahrung machen“ (Kant 1964 [1791], 116). Kants Argumentation zugunsten dieser Begründung von Autorschaft durch Authentizität steht in erstaunlicher Nähe zu seiner in der Kritik der Urteilskraft gegebenen Definition des Genies als Grundprinzip des Autorschafts-Modells der Genie-Ästhetik. So wie Gott in der authentischen Rede durch die Stimme der Vernunft des Subjekts spricht, so die Natur in den Hervorbringungen des Genies durch die „Gemütslage“ des Subjekts: „Genie ist das Talent (Naturgabe), […] die angeborne Gemütslage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt“
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und zwar als „Natur im Subjekte“ (Kant 1964 [1790], 405–406). Damit ist einerseits die auktoriale Autonomie des Genies garantiert, die „dem Nachahmungsgeiste gänzlich entgegen zu setzen sei“ (407), andererseits besitzt das Genie diese „Originalität“ (406), die Kant durchaus etymologisch aus dem Eingeborensein in die Natur herleitet, um den Preis einer Unbewusstheit dieser produktiven Einbildungskraft gegenüber, „und daher der Urheber eines Produkts, welches er in seinem Genie verdankt, selbst nicht weiß, wie sich in ihm die Ideen dazu herbei finden, auch es nicht in seiner Gewalt hat, dergleichen nach Belieben oder planmäßig auszudenken“ (406–407). Als genauer Leser dieser Zeilen betrachtet Goethe nicht nur das ihm „inwohnende Talent ganz als Natur“, sondern beschrieb die „Ausübung dieser Dichtergabe“ (Goethe 1985 [1811], 716) entsprechend als unbewussten Prozess einer spontanen, unkontrollierbaren Produktion der inneren Natur, die oft nachts „unvermutet hervorbrach“ und wie in einem „nachwandlerischen Dichten“ (717) unmittelbar zu Papier gebracht wurde. Mit derAnrufung der Natur als Produktivkraft der Autorschaft ist allerdings noch ein anderer, für das 18. Jahrhundert wirkungsmächtiger Theorieansatz ins Spiel gebracht, nämlich Spinozas natura naturans. Die Vorstellung einer nicht nur geschaffenenen, sondern aus sich selbst frei schaffenden Natur wurde für die Genie-Ästhetik zu einem entscheidenden Argument, das endgültig mit der imitatio dei bricht [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft]. Die substituierende Natur wird nicht nachgeahmt, sie wirkt unmittelbar im genialen Autor, und es ist dieses Moment der „Intensität“ (Schmidt 1985, 64), das den Geniekult von Sturm und Drang begeisterte. Als Augenblick des Erblühens, „wo das Dichtergenie sich selbst gewahr würde“ (Goethe 1985 [1811], 429), wird nicht von ungefähr das Werk Klopstocks gesetzt, der diese Epoche in Deutschland inaugurierte. Der Dichter des Messias und Verfasser der Gelehrtenrepublik hatte zu einer deutlichen „Rangerhöhung des Dichters“ und prophetischen Verklärung zum antike und christliche Tradition kreuzenden „poeta vates“ (Schmidt 1985, 63) beigetragen, die als Nährboden für die Genie-Apotheose des Sturm und Drang fungierten: „Die höhere Poesie ist ein Werk des Genie; und sie soll nur selten einige Züge des Witzes, zum Ausmalen, anwenden. […] Die letzten und höchsten Wirkungen der Werke des Genie sind, daß sie die ganze Seele bewegen.“ (Klopstock 1962 [1755], 1000) Der wiederbelebte antike Topos des Erhabenen leitet buchstäblich die Elevation dieser Ausprägungen einer emphatischen Schöpferposition, die von der Sakralisierung des Dichterberufes bis zur Mythifizierung im Sinne von Macphersons fiktiver Figur des blinden Sängers Ossian führte: eine Legitimationsfigur des volksnahen Barden, auf den dann Dichter-Kulte wie der 1774 gegründete Göttinger-Hain sich gegen die Sittenlosigkeit des höfischen ‚Modeautorsʻ und die Trivialliteratur des ‚Fabrikautorsʻ beziehen konnten.
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Der ‚jugendlicheʻ Typus des am Prometheus-Mythos orientierten, gegen Autoritäten aufbegehrenden Genies negierte so die Tradition des poeta doctus, um die sinnliche Selbstfeier schöpferischer Göttergleichheit des Schaffens von Lebendigem, zu zelebrieren, die zugleich zu einer neuen Konjunktur des Pygmalion-Stoffes führte, der sich signifikanter Weise von der antiken Vorlage insofern unterschied, als nun die Göttin Venus keine Rolle mehr spielte und Pygmalion aus eigener Kraft die Marmorstatue zum Leben erweckte (vgl. Schmidt 1985, 230–276; Schlaffer 1986, 49–58 u. 114–125). Der enthusiastischen Exzentrik dieser produktiven Potenz steht als Kehrseite ein krankhaftes Kreativitätsdefizit gegenüber, so dass der Eindruck entsteht, im Zeitraum zwischen 1750 und 1820 scheide sich der Genie-Diskurs an der semantischen Doppeldeutigkeit des zentralen Topos der ‚Einbildungskraftʻ, die einmal für göttliche Schöpfungsmacht und ein andermal für die Produktion irrationaler Phantome einsteht. Das Motiv der Krankheit war dabei durch eine lange Tradition des ‚Melancholie‘-Topos seit der Antike eingeführt (vgl. Schmidt 1985, 105–110), seine Wiederkehr in den Figuren Goethes wie Werther oder Tasso vollzieht allerdings eine Wendung zur Pathologisierung, wie sie dann von Goethes Zeitgenossen Karl Philipp Moritz in seinem Projekt der Erfahrens-Seelenkunde systematisiert wurde. Gegen die melancholisch in reiner Kontemplation befangene, untätige Künstlerhaltung eines Werther, in welcher „der absolute Vorrang der Autorindividualität vor ihrem Werk“ im Ideal des „Künstlers ohne Werk“ (Plumpe 1996, 382) epochalen Ausdruck gefunden hat, hatte schon Goethe selbst mit seinem ästhetischen Programm des plastisch bildenden Künstlers als Versöhnung von Auge und Hand Stellung bezogen. Außerdem gibt Gerhard Sauder zum Geniekult im Sturm und Drang generell zu bedenken, dass es sich bei der Absonderung des prometheischen Genie als autokratischer alter deus keineswegs um die Artikulation eines kollektiv anerkannten Autorbewusstseins gehandelt habe, sondern vielmehr die begriffliche Feindifferenzierung des „Genius-Mythologems“ zu beachten sei als Anrufung einer in ihrer Universalität vom Individuum unterschiedenen, allgemeinen schützenden und inspirierenden Gottheit (vgl. Sauder 1978, 329–333, sowie Schmidt-Dengler 1978, 86). Was aber bleibt, ist die verbindliche Orientierung an ‚Originalitätʻ als Ideal der Autonomie des Autors. Als Magna Charta dieses Anspruchs gelten Edward Youngs Conjectures on Original Composition (1759), in denen „genius“ inaugural mit der naturalen Fruchtbarkeit eines „perpetual spring“ – dessen schönste Blumen „Originals“ seien – in Verbindung gebracht als Gegensatz zur bloß mechanischen Kopie der Nachahmung: „An Original may be said to be a vegetable nature; it rises spontaneously from the vital root of genius; it grows, it is not made: Imitations are often a sort of manufacture wrought up by those mechanics, art, and labour, out of pre-existent materials not their own.“ (Young 1918 [1759], 7–8) Im
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Sinne dieser enthusiastischen Nobilitierung des Genie-Autors als „master-workman“ (13) liegt auch die Würdigung des Göttlichen nicht fern, das sich fürYoung vor allem in seiner Beispiellosigkeit, seiner „unexampled excellence“ (14), seiner Unabhängigkeit von aller Wissens-Autorität zeigt, die nur auf den „god within“ (15) vertraut: „for genius is from heaven, learning from man“ (17). So findet sich schon die Formel vom ‚Eingeborenseinʻ der Schöpfungskraft als Gabe der Natur, die nur Originale auf die Welt bringt. Und doch lautet Youngs berühmte Klage: „Born Originals, how comes it to pass that we die Copies?“ (20) Sehr schnell ins Deutsche übersetzt (vgl. Young 1760), beschleunigte Young auch im deutschen Sprachraum die Trennung geistiger und körperlicher Arbeit als Vollendung der künstlerischen Emanzipation vom Handwerk und die Rückbesinnung auf eine gegen fremde Autoritäten gerichtete Selbstnobilitierung durch angeborene geistige „property“ –, „which property alone can confer the noble title of an author“ (Young 1918, 24; vgl. 1760, 48: „nur dieses Eigentum kann allein den edeln Titul des Autors geben“). Durch Young wurde auch noch einmal die enthusiastische Rezeption des Autor-‚Originalsʻ Shakespeare als Orientierung für Genialität angefacht, die die gesamte deutsche Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert dominieren sollte. Insbesondere Goethe sollte, motiviert durch das Engagement Herders in der Shakespeare-Rezeption, seine Autorschafts-Konzeption vor dem Hintergrund dieser Helden-Figur entwickeln, aber auch zu einer Vermittlungsfigur zwischen rationaler Regelpoetik und gigantomaner Genieästhetik modifizieren. Der auch von Herder mit angeführte Diskurs über den ästhetischen Gegensatz von Anschauung und Plastik hat Goethes Genievorstellung schon sehr früh gegen die Youngsche Ablehnung von Handwerk und Ausbildung immunisiert. In der Herausbildung des ‚klassischenʻ Paradigmas von Autorschaft als Künstlerideal geht es folglich um die Überwindung der Opposition zwischen geregelter Nachahmungsästhetik und genialer Produktionsästhetik. Im Begriff der ‚Bildungʻ gewinnt dieses neue Paradigma von Autorschaft Gestalt, dessen ästhetische Relevanz sich bei Goethe unter dem Einfluss von Karl Philipp Moritz und dessen Entwicklung des Konzepts einer „bildenden Nachahmung des Schönen“ als entschiedende Überwindung der rezeptiven Nachahmung in Richtung einer Produktionsästhetik des „schaffenden Genie[s]“, der das Nachahmenswerte „aus sich selber bilden“ (Moritz 1962 [1788], 76–77) und zugleich aus diesem „Bildungstrieb […] jede Vorstellung des Eigennutzes, die wir noch finden, tilgen […]; jede Vorstellung des Genusses, den uns das Schöne, das wir hervorbringen wollen, wenn es nun da seyn wird, durch das Gefühl von unserer eignen Kraft, gewähren soll, so viel als möglich, zu verbannen suchen“ (80) muss. Mit diesem Programm der Austreibung von Megalomanie und Melancholie aus der produktiven Autorschaft des Genies verknüpft Goethe die unter dem Einfluss von Herders kulturgeschichtlicher Verdichtung biologischer, ästhetischer
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und pädagogischer Aspekte tradierten ‚vital-vegetabilenʻ Aspekte von Bildung zu dem, was er dann unter der Gattung ‚Bildungsromanʻ zum klassischen Paradigma der Ausbildung als Autor stipuliert: Aus Wilhelm Meisters ‚theatralischer Sendungʻ werden Wilhelm Meisters ‚Lehrjahreʻ, ein nicht unbedeutender Wechsel vom bühnenreifen Frühlingserwachen des ‚Originalsʻ à la Young zur bildungspolitischen Schule des Autorlebens, genannt ‚Auto(r)biographieʻ [vgl. auch den Artikel Auto(r)biographie]. In diesem Sinne ist nicht nur die Abkehr vom Genie-Pathos des prometheischen Dichter, sondern auch die Abkehr von seinen pygmalionischen Phantasmen zu beobachten. Die Autonomie des schaffenden Autors wird zwar an ein ‚Vorbildʻ der Natur rückgebunden, doch die Nachahmung kann nur als ‚Neu-Bildungʻ gelingen, nicht als Nachahmung der ursprünglichen ‚realenʻ Natur, sondern als Bildung einer höheren, idealen Natur. Dieser Übergang zur klassischen Periode ist bei Goethe vor allem am Gebrauch des Begriffs vom ‚Symbolischenʻ ablesbar, verstanden als eine vom Dichter anzustrebende Verwandlung der Wirklichkeit in ein ‚Bildʻ: „Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild und so daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt“ (Goethe 1991 [1907], 904). Genau genommen vollzieht sich mit dem Epochenwechsel von Sturm und Drang zur Klassik eine Verschiebung der von der Genie-Ästhetik allein im autarken Individuum verankerten Nobilitierung ja Apotheose von Autorschaft in Richtung auf eine Realisierung der Schaffens-‚Potenzʻ im Kunstwerk. Die damit ermöglichte ‚Verwertungʻ des Schaffens in der konkreten Form der Manifestationen jener Ideen als Ware sichert dem Autor so die Machtposition einer erfolgreichen Werkpolitik. Und für diese war Goethe das beste Beispiel, indem er den Autor in die transzendentale Rolle eines Garanten für die im Werkprozess sich vollziehende Transformation von Wirklichkeit in Kunst einsetzte, für die Umformung des Stoffes in die höhere, reine Erscheinung eines Artistisch-Artfiziellen durch die drei Faktoren der Arbeit am Material, der Adressierung an ein Publikum und der ständigen Verdelung durch Bildung als Reifung: „Indem der Künstler irgendeinen Gegenstand der Natur ergreift, so gehört dieser schon nicht mehr der Natur an, ja man kann sagen, daß der Künstler ihn in diesem Augenblicke erschaffe, indem er ihm das Bedeutende, Charakteristische, Interessante abgewinnt, oder vielmehr erst den höhren Wert hineinlegt“ (Goethe 1988 [1798]), 17), heißt es in der „Einleitung“ zu den Propyläen, die den früheren Ansatz des programmatischen Aufsatzes „Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil“ weiterführt, der von einer gesteigerten Abfolge des künstlerischen Ausdrucks, angefangen bei der gewissenhaften Nachahmung des in seiner Besonderheit gegebenen Gegenstandes übergehend zur Abstraktion vom Einzelnen in der freien Erfindung einer eigenen „Weise“ als Manier und schließlich gipfelnd in der Vollkommenheit des Stils als Vereinigung der idealen Wesenschau mit
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der Erkenntis der „sichtbaren und greiflichen Gestalten“ (Goethe 1990 [1789], 186–188), ausgeht. Autorschaft wird dabei in seiner urheberrechtlich zu schützenden Originalität als „Eigentümlichkeit der Gedankenfolge“ (Martus 2007, 477) bestimmbar, die dem Um- bzw. Neuschaffen der Wirklichkeit als schöpferische Idee zugrunde liegt, um – mit den Worten Wilhelm von Humboldts über Goethes Schaffen – nicht nur das „Wirkliche in ein Bild zu verwandeln“, sondern „jede Erinnerung an die Wirklichkeit [zu] vertilgen und nur die Phantasie allein rege und lebendig [zu] erhalten“ (Humboldt 1963 [1798], 137). So wird für Goethe als den „Virtuose[n] des Gesamtwerks“ (Martus 2007, 461) oder vielleicht sogar ‚Meisterʻ der ‚autofiktionalenʻ Schaffung eines ‚Gesamt(kunst) werksʻ in der Schlüsselschrift über Dichtung und Wahrheit wieder die Maxime von der Flucht „hinter ein Bild“ (Goethe 1985, 820) zur letzten Einsicht. Aufgabe des exemplarischen Schaffens des Autors ist es, Ideal und Form, Idee und Erscheinung im Symbol miteinander zu versöhnen und zu erhöhen. Dazu auserkoren, muss das ‚Genieʻ des Autors als angeborenes Talent sich einer übernatürlichen, quasi-göttlichen Lizenz versichern, die Goethe sogleich zu Anfang seiner ‚Autobiographie‘ ganz im Sinne der von Vasaris Viten vorgeführten Künstlernobilitierung durch die genaue Angabe der astrologischen „Konstellation“ (Goethe 1985 [1811], 13) im Augenblick seiner Geburt an die Ikonographie der von den Gestirnen erwählten Heldenleben anschließen lässt. Im Grunde genommen dient der gesamte poetologische Entwurf von Dichtung und Wahrheit der mythologischen Konstruktion der transzendentalen Autorschaft durch das „Lebensmärchen“ (Blod 2003) eines als Autor zum Unsterblichen werdenden Individuums. Goethe bedient dabei kongenial alle Register der Autorschafts-Genealogie, von der etymologischen Autorisierung des von Göttern hergeleiteten Autornamens zur „Onymität“ des Werks als Signatur seines Zeitalters (vgl. Ramtke 2016, 56–67) über die Ikonographie des poeta laureatis im Traum des „Lorbeerkranzes“ (Goethe 1985 [1811–1833], 182) bis hin zur Revolutionierung des deutschen Literaturwesens im Kampf gegen „den Kritiker“ (282) und das Einschwören des poetischen Genies auf das von Bodmer und Breitinger schon verehrte „Neue“ (287). Vor allem aber sticht Goethes Einsatz durch die Etablierung eines Dispositivs hervor, das Friedrich Kittler als erster in seinen einschlägigen Analysen zur medialen Konstellion der ‚Goethezeitʻ als „Aufschreibesystem“ (Kittler 1985) bezeichnet hat. Gemeint ist mit diesem eigentlich von Daniel Paul Schreber in seinen Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken (1903) geprägten Begriff für bestimmte psychiatrische Archivierungstechniken ein Komplex von Praktiken der Generierung von Autorschaft durch bestimmte Schreibtechniken, Werkpolitiken des Editierens und Kommentierens sowie des Kontrollierens der eigenen Rezeptionsgeschichte [vgl. auch den Artikel Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘]. Das schon in Wilhelm Meisters Lehrjahre gewürdigte Inaugurationsmoment des Drucks nimmt eine zen-
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trale Stellung ein, indem erst die „Würde eines gedruckten Buches“ (Goethe 1985 [1811–1833], 623) – die Rede ist vom Werther – den Schreiber zum Autor macht und damit „Autoren und Verleger […] in dem wunderlichsten Wechselverhältnis“ (552) beleuchtet. Für Goethe spezifisch war aber das andere Wechselspiel von Diktat und Abschreiben, für das ihm das Elternhaus schon früh Gelegenheit bot in Gestalt eines vom Vater protegierten jungen Mannes, der „sich eine flüchtige und leserliche Hand erworben“ hatte und es gern sah, „wenn man ihm etwas zu kopieren gab; noch lieber aber, wenn man ihm diktierte“, was in Bezug auf Goethes erste Produkte seine „Autorschaft höchst voluminos zu machen drohte“ (153). Dieses System des Diktierens, Redigierens und Kopierens wurde bestimmend für die ‚klassischeʻ Autorschaft Goethes, wobei zugleich die ‚phono-logo-zentrischeʻ Präsenz des Autors als schöpferische Stimme des von Goethe immer wieder zelebrierten performativen Akts des Selbst-Vorlesens gegen das „Schreiben“ als „Mißbrauch der Sprache“ (479) gerettet wie die grammatologische Kontrolle über die Autorschaft des Publizierten durch „Selbstherausgeberschaft“ (Wirth 2008, 283) des redigierenden, kompilierenden und – wie schon bei der Titelseite des Wilhelm Meister – editierenden Autors garantiert wird. Und dennoch beginnt mit dieser Perfektionierung oder Professionalisierung der Auktorialisierung des Schreibens das Ideal ‚Autorschaftʻ der Goethezeit sich von seinen Rändern her aufzulösen. Gerade die parergonalen Rahmungen durch Tagebuch- und Briefeditionen, vor allem aber die von Goethe favorisierten ‚Gesprächeʻ, die das Dispositiv des Diktats als neues hocheffezientes Aufschreibesystem (z. B. in der Kollaboration zwischen Goethe und Eckermann) etablieren (Ronell 1994) und damit auch zukünftige Modi der Autor-Inszenierung in der Form des „Autoreninterviews“ generieren (Heubner 2002), höhlen die Substanz einer individuellen Authentizität von Urheberschaft zunehmend aus [vgl. den Artikel Brief und Autorschaft]. An ihre Stelle tritt die populäre Zuschreibung einer von Autornamen suggerierten stilistischen Erwartung, weshalb z. B. dem völlig unbekannten Schweizer Dichter Tobler erst Jahrhunderte später die Ehre der Urheberschaft an dem als Goethes ‚Urbekenntnisʻ verklärten und immer wieder nachgesagten und nachgedruckten Gedicht „Die Natur“ zuteil wurde (vgl. Dainat 2004, 101–116). Goethe selbst erklärte sich kurz vor seinem Tode in Bezug auf diese Freiheit im Umgang mit Eigentum als Autor zum Kollektivwesen, das alle Einflüsse von außen in sich aufnimmt und unter seinem Namen versammelt: „Im Grunde aber sind wir Alle kollektive Wesen, […] Denn wie Weniges haben wir und sind wir, das wir im reinsten Sinne unser Eigentum nennen! Wir müssen Alle empfangen und lernen, sowohl von denen die vor uns waren, als von denen die mit uns sind. Selbst das größte Genie würde nicht weit kommen, wenn es Alles seinem eigenen Innern verdanken wollte.“ (Goethe 1986 [1836], 691) [vgl. den Artikel Kollektive Autorschaft]
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Auf die entscheidende Funktion der Autorschaft wird dennoch nicht verzichtet. Wie sich in den von der zeitgenössischen Rezeption wegen der fragmentarischen und gattungsmäßig heterogenen Montage sehr ambivalent aufgenommenen Wanderjahren (1821) (vgl. Ramtke 2016, 38) zeigte, wird zwar auf die Univozität der allein schöpferischen und herrschenden Autorenstimme verzichtet, aber mit der „Pluralisierung von Sprecherpositionen“ wird umgekehrt „eine Vielzahl von Autorfunktionen und alternativ durch den Gesamttext wandernden Autorschaftsmodellen“ (Thums 2002, 503) etabliert, die indirekt experimentellen Autorschaftsentwürfen der Romantik den Weg ebnet. Schon zuvor hatte Goethe in der Zusammenarbeit mit Friedrich Schiller, dokumentiert in dem von Goethe 1829 publizierten Briefwechsel, ein Beispiel für kollektive Autorschaft gegeben, das sich in den Projekten wie den Xenien (1797) und dem Projekt Über den Dilettantismus (1799) fortsetzte (vgl. Böhler 1995). In diesem Kontext zeigte sich auch der Einfluss Schillers auf die Ausprägung eines ‚klassischenʻ Autorschaftsmodells durch seine Betonung der philosophischen Dimension eines Strebens nach dem Ideal und einer stärkeren Ausrichtung auf erzieherische Wirksamkeit des Autors beim Publikum. Die Verkörperung dieser ästhetischen Vorstellung sah er im „pädagogischen und politischen Künstler“ der „Ästhetischen Briefe“ (Schiller 1993 [1795], 578), in dem sich das Ideal des Autors als homo ludens erfüllt, der „da ganz Mensch [ist], wo er spielt“ (618, vgl. Haferkorn 1974, 159). Das höchste Ziel ist Autonomie, aber eine Autonomie, die Schiller nicht im Individuum verankert wissen will wie beim ‚Genieʻ des Sturm und Drang, sondern über die Vollendung des Werks und „einer sympathetischen Verbundenheit zwischen Autor und Publikum“ (Hilzinger1992, 109) dialektisch vermittelt denkt. Die mediale Funktion des Spiels als freie Vermittlung zwischen Idee und Wirklichkeit dient genau dieser „Aufgabe des Künstlers, Individualität mit Idealität im Werk zu vereinen“ (Neumann 1968, 73), wobei dieser ‚Wille zum Werkʻ den auktorialen Schöpfer als „Macher“ (85) auch an die sinnlichen Sphären handwerklicher Praxis rückbindet. Es geht dem Kantianer Schiller ganz im Sinne des ästhetischen Programms der kantischen Urteilskraft um eine Versöhnung der Reiche der Kausalität und der Freiheit, um „Freiheit in der Erscheinung“ (Schiller 1993, [1793], 400), wobei die Apotheose des Künstlers im Werk durchaus seine – im doppelten Sinne des Wortes – ‚Aufgabeʻ im Medium seiner Darstellung impliziert. Mit dieser dialektischen „Idealisierung, Veredelung“ des „innern Ideals“ (Schiller 1993 [1791], 979) als innerem Formprinzip wird das von Schiller entworfene Konzept von Autorschaft zumal im Bund mit der Stilisierung geteilter Autorschaft, einer chiasmatisch vertauschten Individualität der „Autoren-Helden im gemeinsamen Projekt der Selbstvermittlung im anderen (vgl. Böhler 1996, 168 u. 180), zum entscheidenden Anreger für die frühromantischen Poetologien, die
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gerade mit ihrer neospinozistischen Hinterfragung des produktiven Verhältnisses von Darstellendem und Dargestellten den Weg weitergehen.
II.6 Das romantische Erbe Andrew Bennett hat mit Blick auf die oft für zentral gehaltene Rolle der Romantik in der Geschichte der Etablierung von Autorschaft darauf hingewiesen, dass schon in dieser Epoche eine klare Entscheidung der Art: Tod oder Geburt des Autors, Präsenz oder Absenz der Autorintention, Autorität oder Nachträglichkeit nicht funktioniert: „that since at least the late eighteenth century, writers and critics have almost obsessively dwelled on the complex interaction of authorial presence and absence, on the way that the centrality of the author is bound up with, is caused by and a cause of, his or her marginality, that authorship indeed is in thrall to the apparitional.“ (Bennett 2005, 66) In der Tat ist es eines der faszinierendsten Phänomene, dass man in den Schriften der Romantiker endlos Belege für einen Triumph der Autorschaft als Universalherrschaft des schöpferischen Individuums finden kann, aber ebensoviele Beispiele für die Desillusionierung dieses Traums, für die Unterwanderung der Autorintention durch die Eigenmächte des Werks oder Vulgarität des Publikums, so dass es fast nahe liegen könnte, die Epoche der Romantik als den Beginn des Niedergangs des Konzepts von Autorschaft zu interpretieren. Dementsprechend erreicht die – wie man schon anachronistisch sagen kann – ‚Dekonstruktionʻ von Autorschaft den Höhepunkt der autofiktionalen Konstruktion von Doppel- und Wiedergängern in Gestalt von Herausgebern, Kollektiven, Anonyma, Plagiatoren, nicht zuletzt von gesellschaftlichen Außenseitern als Sonderlingen und Wahnsinnigen: Bevor im 19. Jahrhundert mit der industriellen Revolution endgültig die sogenannte ‚Kulturindustrieʻ die Macht über den Literaturbetrieb übernimmt, werden noch einmal kongenial alle in den vorangegangenen vier Jahrhunderten entwickelten Figuren individueller Kreativität spielerisch kombiniert und auch karikiert, um die Grenzen des Machbaren und Möglichen auszutesten. Dem steht natürlich die These u. a. Barthes’ entgegen, dass ja erst das 19. Jahrhundert zur Blüte des Autors geführt habe, die ‚große Literaturʻ auch ‚große Schriftstellerʻ hervorgebracht habe. Die Lösung des Widerspruchs liegt genau in der Verfolgung jener Duplizität der Argumentationen, die ja schon in der Janusköpfigkeit des Begriffs „Werkherrschaft“ (Bosse 1981) als Herrschaft über das Werk und Herrschaft des Werks offensichtlich wird. Zugleich ist wie bei allen Epochenbezeichnungen auch die der Romantik umstritten: Schrifsteller wie Jean Paul, Hölderlin und Kleist entsprechen nicht dem Muster, das die Spiegelung von Motiven von
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Frühromantikern wie Novalis in denen der Spätromantik wie Hoffmann vorgibt. Gerade aber hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Autorschaft zeigt sich eine auffällige Kontinuität, markiert nur durch die historische Entwicklung vom Enthusiasmus der Frühromantiker wie Novalis und Friedrich Schlegel für die experiementelle Omnipotenz einer quasi-göttlichen Autorschaft bis hin zum Zerrbild einer krankhaften Kreation von Katastrophen und Phantomen in den spätromantischen Phantasie nur knapp drei Jahrzehnte später. Zweifellos avantgardistisch ist aber die Experimentierfreudigkeit romantischer Autorschaft in stilistischer, gattungsmäßiger, ästhetischer, kooperativer, nicht zuletzt genderspezifischer Hinsicht. Obwohl viele Tendenzen schon im ‚klassischenʻ Bildungsroman angelegt sind, intendiert der Autor des ‚romantischen Künstlerromansʻ radikal, die Grenze zwischen erzählerischem und wissenschaftlichem Diskurs im Namen einer Wahlverwandtschaft zwischen Poesis und Physis niederzureißen, alle Gattungen des Epischen, Lyrischen und Dramatischen zu durchmischen, überhaupt synästhetisch Dichterisches, Malerisches, Musikalisches im Ideal des ‚Autor-Künstlerʻ zu vereinen, wobei gerade der frühe Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder (Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders 1796 und Phantasien über die Kunst, von Tieck 1799 aus dem Nachlass herausgegeben) an das Paradigma des Genie- und Meister-Künstlers der Renaissance (Leonardo da Vinci, Raffael, Michelangelo, Dürer, angelehnt an das Modell der Viten Vasaris) mit der allerdings eigenwilligen Rückwendung zum mittelalterlichen ‚Handwerkerʻ wiederanknüpften (vgl. Schubert 1986: Wetzel 2020a, 188–190). Die Umsetzung dieser Utopien erforderte auch das Opfer indivueller Autorschaft in den ‚symphilosophischʻ inszenierten Kollaborationen, die auf ein „Zusammenspiel von genieästhetischem und kollektivem Autorschaftsmodell“ (Thums 2018, 158) abzielen, wobei bei den Herausgeber-Kooperationen wie bei Achim von Arnim und Clemens Brentano und den Brüdern Grimm die Anonymisierung als Strategie der Verleihung einer mythischen Authentizität eingesetzt wird, der gegenüber der Namen des Autors „zum Zeichen der Entfremdung“ (Pabst 2011, 22) wird (vgl. Wirth 2008). Gerade Brentano ist bekannt für seine „Vermeidung von Autorschaft“ (Brandstetter 1994, 217), die auch im Zeichen seines Ideals einer „androgynen Autorschaft“ (Horstkotte 2004) steht. Allen zeitgenössischen Widerständen zum Trotz (vgl. Dotzler 1986) entwickelt sich nämlich in der romantischen Epoche in einem verstärktem Maße eine Konjunktur weiblicher Autorschaft, die zwar schon vorher in der Epoche der Aufklärung quasi als Gleichheit der Geschlechter vor der Instanz der Vernunft angefangen (vgl. Hilmes 2004, 45) und in Gestalt anerkannter Autorinnen wie Sophie La Roche in Deutschland neue Maßstäbe gesetzt hatte. Die folgende Generation, wie u. a. Dorothea Veit, Sophie Mereau, Karoline von Günderrode, Bettina Brentano, Rahel von Varnhagen (vgl. Becker-Cantarino 2000), erfährt zwar durch die neuen Kommunikationsformen
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der Romantiker wie Salons, Zeitschriften, Lese- und Debattiergesellschaften neue Förderungen und Anreize zu eigener Autorschaft, aber ihre „schwierige Autorschaft […] beginnt bereits mit der Schwierigkeit, die Autorinnen mit dem richtigen Namen anzusprechen“ (Hilmes 2004, 45), da sich die Namen der durchaus auch wechselnden und selbst als Autoren aktiven Ehemänner darüberschreiben [vgl. den Artikel Weibliche Autorschaft]. So verblasst ihre Autorschaft hinter dem herrschenden „Konzept der männlichen, autonomen, kreativen Autorschaft“ (Schabert und Schaff 1994, 13) als Geschlechter-Monopol, demgegenüber weibliche Autorschaft oft auf ephemere Genres wie Brief- oder Tagebuchsammlungen reduziert werden. Und selbst die allerdings erst spät und unter dem Namen ihres Mannes erfolgreiche Bettina von Arnim schreibt weniger als Autorin, vielmehr als Leserin männlicher Schrift: „Männer rücken im Wiederlesen des eigenen Schreibens zur Funktion Autorschaft auf, Frauen im Beschreiben des eigenen Lesens zur komplementären Funktion Leserin.“ (Kittler 2003, 158) Das Grundproblem der Romantik gegenüber der sogenannten ‚Weimarer Klassikʻ zeigt sich an der fortschreitenden Emanzipation der Autorschaftsdebatte vom bürgerlichen, als philiströs verachteten Publikum, für die der sich intellektuell autonomisierende Künstler mit einem zunehmenden „Positionsverlust“ (Neuman 1968, 2; Jaumann 1981, 53) zahlte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat als einer der schärfsten Kritiker der Romantik in seinen Vorlesungen über die Ästhetik diesen Konflikt auf den Gegensatz von subjektiver Innerlichkeit des schöpferischen Gemüts und objektiver Darstellung des Kunstwerks gebracht. Der radikale Anspruch auf real unerfüllbare Originalität des absoluten romantischen Autors scheitert an der Gestaltung seiner subjektiven Phantasietätigkeit, ihm mangelt „die allgemeine Fähigkeit zur wahren Produktion des Kunstwerkes sowie die Energie der Ausbildung und Bestätigung derselben“ (Hegel 1970 [1835–1838], 366): „Werke sind das Beste des Künstlers und das Wahre; was er ist, das ist er, was aber nur im Innern bleibt, das ist er nicht.“ (376) Am Anfang dieses ästhetischen Eskapismus eines Wegs nach Innen steht eine apotheotische Verklärung des künstlerischen Schöpfertums im Erlöser-/Sehertypus, der seine heilsgeschichtliche Funktion aber als bloße Sehnsucht nach dem Absoluten artikuliert. Dieser Mangel objektiver Gestaltung wird aber nicht als Mangel erlebt, sondern steht im Zeichen einer Undarstellbarkeit der eigentlich ‚unendlichen Autorschaftʻ. Die radikale Begründung dieses Autonomieideals ist das Recht des Autors auf „Freyes Darstellen“ durch eine „besondere darstellende Kraft – die blos um darzustellen, darstellt“ (Novalis 1981 [1795/96], 282), eine „Thätigkeit“, durch die „das Kunstwerk einen freyen, selbstständigen, idealischen Karacter“ (282) erhält als „Aeußerung des inneren Zustands, der innern Veränderungen“ (283). Diese von Novalis geforderte „qualit[ative] Potenzirung“, genannt „Romantisiren“, indem „ich dem Gemeinen einen hohren Sinn, dem
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Gewöhnlichen ein geheimnißvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe“ (Novalis 1981 [1798], 545), findet ihren Widerhall im poetologischen Programm E.T.A. Hoffmanns, der die darstellenden Anstrengungen seiner Künstlerfiguren auf die Restitution des schöpferischen „Actus“, verdeckt in der trügerischen Hülle des „Opus“, konzentriert (vgl. Matt 1971, 30). Das alte Paradigma des poeta vates erfährt eine emphatische Renaissance, wonach der „Dichter das inwendige Heiligtum des Gemüths mit neuen, wunderbaren und gefälligen Gedanken“ und damit seine Rolle als Seher und Magier erfüllen soll: „Er weiß jene geheimen Kräfte in uns nach Belieben zu erregen, und giebt uns durch Worte eine unbekannte herrliche Welt zu vernehmen“ (Novalis 1977 [1802], 210). Die beiden Merkmale des ‚Wunderbarenʻ – ein Topos, der schon in den Kreativitätstheorien Bodmers und Breitingers kontrovers zu Gottsched eine entscheidende Rolle gespielt hat (vgl. Stöckmann 2001, 340–363; Wirth 2008, 210– 216), jetzt aber im Zeichen der Gattung des Märchens zur genuin romantischen Kategorie aufgewertet wird (vgl. Thums 2018, 154) – ebenso erhält das ‚Visionäreʻeine neue Betonung, amalgamiert mit mythologischen Beschwörungen antiker Sängerfiguren wie Orpheus oder Arion. Auch Percy Bysshe Shelley setzt auf die prophetische Kraft der Poeten, die in ihrer schöpferischen Imagination die „Schatten, die die Zukunft auf die Gegenwart wirft“, auffangen und in dieser gottgleichen Macht „die nicht anerkannten Gesetzgeber der Welt“ sind (Shelley 1985 [1840], 665). Neu ist aber, dass diese Nobilitierung von omnipotenter Autorschaft nicht an das Konzept von Personalität oder gar von Individualität geknüpft wird: Es geht vielmehr um die Bestimmung einer abstrakten und übertragbaren Autorfunktion, die sich als unendliche Aufgabe individuell nur im Fragment oder Aphorismus als ephemere Werkformen konkretisiert. Speziell in der frühromantischen Kritik wird die Person des Urhebers seinem Werk gegenüber auf eine Weise relativiert, die im Zeichen einer kollektiven sowie rezeptionsästhetisch gedachten Autorschaft besonders vom Leser fordert, er solle „der erweiterte Autor seyn“ (Novalis 1960 [1797], 470). Bei Friedrich Schlegel impliziert diese Expansion auch unter Einschluss der neuen Autorschaftsdimension der Kritik ein „Erlöschen der Autorschaft in der Darstellung des Gehalts“ (Bolz 1977, 44), womit sich das Programm einer „progressiven Universalpoesie“ erfüllt, das als zwischen Dargestelltem und Darstellendem schwebende Aufgabe der Kritik fordert, „den Geist des Autors vollständig auszudrücken“ (Schlegel 1967 [1798], 182). Was für Novalis der Leser als Erweiterung von Autorschaft darstellt, zeigt sich für Schlegel in der Instanz der Kritik als sozusagen ‚Aufhebungʻ von Autorschaft in eine höhere Potenz, insofern Kritisieren bedeutet, „einen Autor besser [zu] verstehn als er s[ich] selbst verstanden hat“ (Schlegel 1981 [1797–1801], 168). Bei dem weiteren Mitstreiter Friedrich
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Daniel Schleiermacher wird dieses Postulat dann zur Grundformel der mit Kritik eng verbundenen Hermeneutik. Gegenüber dem traditionellen Verständnis als philologische Textauslegung tritt jetzt die Verbindung von ‚grammatischem‘, auf die Sprachbedeutung fixiertem Verstehen mit einem ‚psychologischen‘ Verstehen in den Vordergrund, wobei letzteres sich auf die stilistischen Entscheidungen des Verfassers konzentrieren soll. Dabei soll der Ausleger ausgehend von einen „divinatorisch“ genannten Nachvollzug bzw. einer Einfühlung als Interpret in die ursprüngliche Schöpfung sich der „unendlichen Aufgabe“ widmen, „die Rede zuerst ebensogut und dann besser zu verstehen als ihr Urheber“ (Schleiermacher 1977 [1838], 94). Friedrich Schlegel forderte in diesem Sinne generell von romantischer Autorschaft, dass sie der – auch in Schleiermachers Auslegungskonzept betonten – temporalontologischen Tendenz einer zeitkritischen Potenzierung zur „Transzendentalpoesie“ folgt und als Darstellung des Undarstellbaren „in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie sein“ (Schlegel 1967 [1798], 204) soll. Im Sinne der von Kittler thematisierten Dimension einer „romantischen Datenverarbeitung“ dient also die Aufforderung, dass der „Autor als Leser seiner selbst“ (Kittler 1987, 135) agieren soll, auch dem Übergang von einer Autorschaft, die sich auf die bloß gespeicherten Informationen von Read Only Memories bezieht, zu einer solchen, die sich im Sinne der Random Access Memories durch Löschen, Überschreiben, Transkribieren etc. als Instanz einer neuen Berechenbarkeit der Daten erweist. An die Stelle der von der Frühromantik als Gedankenexperimente entwickelten Modelle der Erweiterung und Potenzierung von Autorschaft tritt für die Mittel- oder Spätromantiker die „Diagnose ihrer Deformation“: Sie „macht den Autor zum Diagnostiker und läßt ihn das ermittelte Syndrom als einen Ball aufnehmen, mit dem er sich im Spiel (vom Selbstdefizit) zu befreien versucht.“ (Rath 1992, 114) Jean Paul war als Satiriker vor allem einer der schärfsten Kritiker der frühromantischen Auswüchse der von Fichte übernommenen Größenphantasien einer Selbsterschaffung des Autor-Ichs, die im Sinne humoristischer Umkehrung mit den burlesken Banalitäten der Schreibszenen konfrontiert werden, in denen einfache Schreiber (meist Abschreiber) zu Schrifstellern mutieren. Jean Paul sieht mit dieser Selbstparodie von Autorschaft die „Autor-Fiktion“ seiner Romanhelden als „Generalautor“ in die selbst wieder auktorialisierenden Abgründe „räsonnierender Desillusionierung“ abstürzen (Lindner 1981, 27 u. 29–30). Neben dieser kritischen Rekonstruktion der vielseitigen Strategien von ‚Autofiktionʻ wird in diesem Zusammenhang auch der inhaltliche Originalitätsanspruch der genialischen Dichter mit der „Vielstimmigkeit“ ihrer intertextuellen Transskriptionen von Prätexten konfrontiert, denen sie sich gegenüber durch „eine intensive interne Intertextualität“ (Esselborn 2002, 65 u. 79) behaupten: Denn die „höhere
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Art der Welt-Anschauung bleibt als das Feste und Ewige im Autor und Menschen unverrückt, indes alle einzelnen Kräfte in den Ermattungen des Lebens und der Zeit wechseln“ (Jean Paul 1995 [1804]), 64). Das prägnanteste Beispiel für die Parodierung romantischer Autorschaft als soziale Praxis des Büchermachens (Fuchs 2021) ist der Roman Leben Fibels (1811), der eine solche Geburt von Autorschaft aus dem Aufschreibesystem anhand der Lebensgeschichte des Gotthelf Fibel, angeblich der Namenspatron der sogenannten ABC-Bücher, schildert. Jean Paul führt Goethes Formel, dass erst ‚der Druck den Autor macheʻ, ad absurdum, indem er seinen Protagonisten durch seine kalligraphische Kopie von Druckschriften vom „Scripteur in einen Auteur transformiert“ (Wirth 2008, 363), dessen „Buch der Bücher“ (Jean Paul 1987 [1811], 427) einfach nur im Ab- und Abdrucken der Buchstaben des Alphabeths als gleichsam Transzendental-Dispositiv aller möglichen Literatur besteht, bevor er sogar noch zu der Praxis übergeht, anonym erschienene Bücher aller Art aufzukaufen und ihnen geschickt seinen eigenen Namen Fibel als Autorname auf die Titelseite zu drucken. So wird er durch die „Herausgeberfiktion“ (Wirth 2008; Theisohn 2009, 319; vgl. auch Iser 2003, 222) gegenüber den von ihm herausgerissenen, zusammengeflickten, ‚gepropften‘ und neu zusammengeleimten Druckstücken gerade zum Autor als Spezialist für „‚ausgerisseneʻ Literatur, die nicht mehr verfasst, sondern nur noch kompiliert und herausgegeben wird“ (Theisohn 2009, 316), der erste Cut-Up-Autor avant la lettre ausgerüstet mit einer anachronistischen Art von Schreibmaschine in Form einer „Taschendruckerei“, der sich gegenüber dem eigentlich gestohlenen Textmaterial mit einer Umkehrung der ursprünglichen Begründungsformel von Autorschaft als zweite Schöpfung legitimiert: „Erhaltung aber ist zweite Schöpfung, conservatio altera creatio“ (Jean Paul 1987 [1811], 489). Das damit angestoßene Motiv des Konservatismus kann neben seiner philologischen Bedeutung auch politisch gelesen werden als Parodie der faktischen Handlungsohnmacht romantischer Autoren während der Epoche der Napoleonischen Kriege und der folgenden Restauration. Die sogenannte ‚politische Romantikʻ (Carl Schmitt) hat nur vereinzelte Ansätze einer agitatorischen Autorschaft etwa bei Heinrich von Kleist oder Moritz von Arndt hervorgebracht (vgl. Wetzel 2016, 47), die an die etymologische Tradition von auctor als Handelndem anknüpften. Bekanntestes Gegenbeispiel ist nur George Gordon Byron mit seinem Einsatz im Befreiungskampf Griechenlands, der entsprechend „die Tatsache, daß man Schreibende den Handelnden vorzieht – das gewaltige Aufsehen um Kritzler und Skribenten, von ihnen selbst und anderen in Bewegung gehalten –, für ein Zeichen der Verweichlichung, Degeneration und Schwäche“ (Byron 1963 [1813], 200) hielt. In der deutschen Tradition lebt sich das Motiv der Parodie stärker in der politisch unverfänglichen romantischen Lust am Experiment der Entgrenzung tra-
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ditioneller Grenzen von Autorschaftsbestimmung und damit der Demaskierung des Mythos von individuellen Autorgenies aus. Finden sich schon bei Jean Paul deutliche Anschlüsse an eine Tradition des Manierimus (Zymner 1995), so kommt gerade mit der in der Romantik ihren Höhepunkt erreichenden ShakespeareRezeption auch die Technik der mise-en-abyme wieder in Mode (Dällenbach 1977, zu Jean Paul 52–55). In Tiecks Der gestiefelte Kater wird demonstrativ die ‚vierte Wandʻ im Theater durchbrochen und mischt sich das unzufriedene Publikum performativ in das Autoritätsprivileg der Autoren ein. Bei Hoffmann potenziert sich diese Rahmenfunktion zur Unzuverlässigkeit des Erzählens in der bevorzugten Form endlos paratextueller Verschachtelungen von Vorworten, Herausgebernoten, Figurenreden oder Briefzitaten, die eine Autorfunktion ‚polylogischʻ streuen. Auch anderen Beispiele z. B. der englischen Romantik zeigen, dass der Mythos von der einzigartigen Originalität des einsam schaffenden Genies schon wertlos ist und die Praxis der Werkgenese eine schon der Herausgeberfunktion vohergehende Beteiligung vieler, nicht zuletzt aus dem Freundeskreis des signierenden Autors stammender Personen als „multiple Autorschaft“ impliziert (Stilling 1991). Es ist eine Souveränität des Ausnahmezustandes, in deren Zeichen der spätromantische Autorschaftbegriff die Legitimität einer inneren Inspiration (auch „Begeisterung“ oder „Enthusiasmus“) zugeschrieben wird. Hoffmanns Werk ist dabei paradigmatisch für die Ambivalenz zwischen der Parodierung aller realen Erscheinungsformen von Autorschaft und der Apotheose eines höheren Künstlertums vom erhabenen bis zum abwesenden Werk, in dem echte Autorschaft authentifiziert werden soll als Empfänglichkeit für die Sprache des Geisterreichs der Natur, wobei Hoffmann nicht von ungefähr das ephemere Medium der Musik bzw. einen Musiker, den Kapellmeister Kreisler, als Vorbild wählt. Auch hier spielt ‚Abschreibenʻ eine zentrale Rolle wie in dem frühen Märchen „Der goldene Topf“, wo die Hauptfigur am Entziffern einer zu kopierenden, ihr fremden arabesken Hieroglyphenschrift zu scheitern droht. Der Erfolg stellt sich erst ein, wo der Protagonist „Kopieren durch Selbsttätigkeit“ ersetzt, wobei dieser Übergang von der Nachahmung zur (selbst)bildenden Nachahmung als „Selbsterschaffung eines Autors“ (Kittler 2003, 107 u. 122) sich der wesentlichen Intervention einer Muse verdankt, die ihm den Text in einem traumförmigen Zustand aus seinem Inneren heraus in die Feder souffliert. Erst durch diese „innere Disponiertheit“ im Sinne einer „akustischen Inspiration“ (Löffler 2016, 22 u. 23) kommt der Kopist zur „Autorschaft im Wiederlesen dessen, was das Delirium unbewußt zu Papier brachte“ (Kittler 2003, 135). Das später als „Serapiontisches Prinzip“ benannte Verfahren dieser originären Inspiration verdoppelt jedes objektiv existierende Kunstwerk im präexistierenden Urbild seiner subjektiven Schöpfung, an dem sich jeder Autor zu vergewissern habe, „ob er auch wirklich das geschaut, was er zu verkünden
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unternommen, ehe er es wagt, laut damit zu werden“ um „das Bild, das ihm im Innern aufgegangen recht zu erfassen mit allen seinen Gestalten, Farben, Lichtern und Schatten“ (Hoffmann 1963 [1819], 55). Dem gegenüber entfalten die erzählten Schicksale der Künstlerfiguren auf exemplarische Weise alle Aporien, Parodien und Katastrophen einer falschen Auktorialisierung im Außen. Die handwerkliche Orientierung des Künstlers wird als heteronome Bindung an einen ökonomischen Utilitarismus der Verwertung des Produkts auf dem bürgerlichen Markt abgelehnt und als Verrat gegenüber dem ästhetischen Ideal einer freien Kunst erlebt. Hoffmann setzt sein Künstlerideal auch schon polemisch gegen bildungsbürgerliche Usurpationen eines Dilettantismus ab, durch den der ‚Pöbelʻ das ästhetische Ideal am tiefsten kränkt, indem er glaubt, die Weihe der Autorschaft als populäre Mode kopieren zu können. In den Lebensansichten des Kater Murr hat er den beiden Ebenen auf zwei Handlungsebenen und buchstäblich zwei ‚Seitenʻ ein Denkmal gesetzt: Dem Bildungsphilister Kater Murr, dessen prätentiöse Autobiographie auf gestohlenem Papier nur aus entwendeten Floskeln besteht und eine bloße Karikatur von Autorschaft als Abschreiben darstellt, steht auf der Rückseite der entwendeten Aufzeichnungen der Kapellmeister Kreisler als künstlerisches Original des virtuosen Musikers gegenüber, in dem die frühromantische Figur von Wackenroders Kapellmeister Berglinger fortlebt, der jedoch mehr den Typus des spätromantischen Exzentrikers verkörpert (vgl. Wirth 2008, 377–419 u. Theisohn 2009, 319–326). Sein künstlerisches Kreativitätspotential ist reiner actus ohne opus, die seine Innerlichkeit erfüllende Kraft der Musik erschließt sich einer Notation nur uneigentlich „in wunderbaren, geheimnisvollen Anklängen“, die sich in keinem Werk repräsentieren lassen; denn „vergeblich ringen wir danach, diese in Zeichen festzubannen, und jenes künstliche Anreihen der Hieroglyphe erhält uns nur die Andeutung dessen, was wir erlauscht.“ (Hoffmann 1976 [1816], 326)
II.7 Das 19. Jahrhundert und der Beginn des Marktes Im 19. Jahrhundert ändert sich die Vorstellung von Autorschaft im Zeichen der alle Bereiche beherrschenden industriellen Revolution und ökonomischen Expansion des kapitalistischen Marktes radikal, ohne dass mit einem Schlag von einer Professionalisierung des Schriftstellerberufes die Rede sein könnte. Dafür ist es eine zu „‚unspezifischeʻ Berufsbezeichnung für ein Feld, das von ‚Seherdichternʻ mit Weltdeutungsanspruch über Gelegenheitsschriftsteller bis hin zu journalistischen ‚Lohnschreibernʻ reichte“ (Parr 2008, 15). Auch die Bezeichnung
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‚freier Schriftstellerʻ repräsentiert „eher eine ‚Mentalitätʻ“ (16), die angesichts der politischen und moralischen Zensur der Publikationsorgane auf das Gegenteil von schöpferischer Autonomie stieß. Andererseits gibt es über die abstrakte Rede vom literarischen Markt, mit seinen von Literatursoziologen wie Bourdieu dennoch mit überzeugender Eindringlichkeit analysierten ideologischen Impulsen, hinaus konkrete mediale Institutionen, die zu einer deutlichen Potenzierung von Autorenaktivitäten beitragen. Ein dank neuer Drucktechniken und Distributionspraktiken zum populären Massenmedium expandiertes und nicht mehr nur an ein gelehrtes Publikum gerichtetes Zeitschriftenwesen, das vor allem durch das System der Doppelverwertung von Texten – zuerst als Fortsetzungsroman im Feuilleton (vgl. Benjamin 1974, 528), bevor das Buch erschien – neue Verdienstmöglichkeiten bot; sodann die Entstehung der Nationalphilologien, die von den Universitäten bis hin zum einfachen Schulwesen und selbst den Literaturgesellschaften eine neue öffentliche und stattlich sanktionierte Form der Dichternobilitierung – in Deutschland etwa in Form des Goethe-Schiller-Kults, in Frankreich in Form der Akademien mit ihrer ‚Preisʻpolitik – als öffentliche Anerkennung von Autorschaft generierten; und schließlich im Zuge der Musealisierung der erforschten Welt die Gründung der gigantischen enzyklopädischen Bibliotheken, die den Autoren die gesamte Welt und ihre Geschichte als buchförmigen Wissen-Stoff bereitstellten und die Grundlage auch für das schufen, was dann ‚Weltliteraturʻ genannt wurde und Lyotard im Sinne der von Barthes konstatierten Genese von Autorschafts-Literatur im 19. Jahrhundert als die von der Postmoderne verabschiedete „große Erzählung“ (Lyotard 1986 [1979], 14, 175) der Moderne bezeichnete: „Die Armada der namhaften deutschen Autoren, welche die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts durchsegelt, operiert auch zweifellos mit einem vorher noch nicht dagewesenen Maß an literarisch vermittelter Information, benutzt und zitiert intensiv die historischen, volkswirtschaftlichen, juristischen und auch technischen Fachbibliotheken (das beginnt bei kulturgeschichtlichen Studien zur Renaissance und geht bekanntlich hinab bis zu vermeintlich so profanen Gegenständen wie den Käsereien oder dem Deichbau).“ (Theisohn 2009, 373) Theisohn denkt dabei natürlich auch an die Detailstudien der französischen naturalistischen Romanzyklen, und man muss dahin gehend ergänzen, dass eine der für die englische und französische Literatur ergiebigsten Quellen, nämlich die kolonialistische Erfahrung der neuen exotischen Welten des Orients und der Übersee, für die deutsche weitgehend unzugänglich war. Angesichts dieser neuen industriellen und ökonomischen Produktionsbedingungen im 19. Jahrhundert ist es aber grundsätzlich nicht verwunderlich, dass Autorschaft sich nicht mehr auf Werte wie Originalität, Kreativität, Autonomie, Authentizität, Inspiration berufen konnte, sondern pragmatische Orientierungen an öffentlichen Erfolg verspre-
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chenden Strategien bevorzugte, was inauthentische Verfahren wie Plagiat, Zitat, Imitation Kompilitation wieder attraktiv machte. Heinrich Heine, der Goethes ‚Kunstperiodeʻ demonstrativ verabschiedete, spielte dabei auch mit gewissen nationalen Vorurteilen, indem er den Franzosen Alexandre Dumas für seine „Diebstähle an der Vergangenheit“ lobte, weil er so „neue Effekte“ erzielte und „die Gegenwart“ bereicherte. Und Heine vergisst nicht auf die Tradition von Shakespeare bis Goethe zu verweisen: „Aber nichts ist törichter als dieser Vorwurf des Plagiats, es gibt in der Kunst kein sechstes Gebot, der Dichter darf überall zugreifen, wo er Material zu seinen Werken findet […]. Dieser hat Goethe sehr gut verstanden, und vor ihm sogar Shakespeare. Nichts ist törichter als das Begehrnis, ein Dichter solle alle seine Stoffe aus sich selbst heraus schaffen; das sei Originalität.“ (Heine 1968 [1837], 271–272) Was Heine noch nicht wissen konnte, war, dass Dumas später die erste Romanfabrik gründen sollte, in der er zusammen mit zahlreichen ‚Lohnschreibernʻ bis zu 18 Abenteuerromane pro Jahr auf den Markt warf (vgl. Benjamin 1974, 531–32), vom Gestus her antizipierte er aber Pierre-Joseph Proudhons bekanntes Statement, dass Eigentum Diebstahl sei. Die in England und vor allem Frankreich durch den Zentralismus der ‚Kapitalenʻ massierte Macht der Medien generiert einen neuen Typus von Autorschaft, in dem die Grenzen zwischen der Funktion des ‚großen Erzählerʻ und dem ‚Journalistenʻ der chronique scandaleuse des ephemeren Alltagslebens bisweilen verschwimmen. Was aus der Perspektive der provinziellen deutschsprachigen Literatur zum Lamento der ‚Epigonalitätʻ (Immermann) oder der ‚Nachkommenschaftʻ (Stifter) von Autoren führt, die darunter leiden, dass alles schon gesagt, schon geschrieben ist (vgl. Theisohn 2009, 363–376), wird dort zum Anreiz der Aufbereitung des Archivmaterials zu einem Spektakel, um literarische Skandale zu erzeugen. Damit treten auch immer mehr Tendenzen der Inszenierung von Autorschaft in den Vordergrund, in denen das höfische Mäzenaten-System des Feudalismus durch das mediale System der bürgerlichen Öffentlichkeit ersetzt wird. Wie Jonathan Crary in seiner Studie zur medialen Reiz-Erzeugung im literarisch-künstlerischen Feld zeigen konnte, mischt sich in die öffentliche Wahrnehmung von Autorschaft und Künstlertum ein neues Moment: „Aufmerksamkeit“ (vgl. auch Martus 2007, 518; Parr 2008, 9), eine beim Publikum zu erzeugende Mischung zwischen ‚Spannungʻ („suspension“) als gewissermaßen Anhalten der Zeit und ‚Anziehungʻ („attention“) als „Zustand des Staunens und der Kontemplation“ (Crary 2002 [1999], 19). Der Autor muß sein Publikum durch seine Inszenierungstechniken emotional in Spannung halten, buchstäblich ‚elektrisierenʻ, um sich seiner Aufmerksamkeit zu versichern. Oder etwas abgeschwächter mit Luhmann formuliert, er muss eine „Aufmerksamkeitslenkung durch Kommunikation“ (Luhmann 1997, 42) vornehmen, die seine Wahrnehmung als interessanter Autor garantiert, ohne
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dass transzendente Werte wie Genialität oder Originalität ihn legitimieren. Das kann – wie bei der französischen Bohème – auch ganz einfach das öffentliche Auftreten sein, getragen durch einen zur Schau getragenen ‚Habitusʻ, aber auch eine gezielte Bildnispolitik, die das ‚Imageʻ des Autors prägt. Die Übergänge sind fließend: Schon die Romantiker kennen das Moment der Inzenierung von Autorschaft. Aber die medialen Vorausssetzungen haben noch nicht die massenmediale Wirkung wie im 19. Jahrhundert die Printmedien, die zugleich das Berufsbild des Autors angesichts der entscheidenden Funktion von Öffentlichkeit und Publikum hin zum neuen Begriff des ‚Publizistenʻ verschieben. Als solcher ist der Autor zwar stärker an die populistische Zirkulation seines Schaffens angeschlossen, muss aber empfindliche Einbußen an Werkherrschaft hinnehmen. Mit der Stärkung der Medien als Vermittlung zum Publikum wächst auch die Macht der Herausgeber, die redaktionell in die Textgestaltung eingriffen, wobei sie auch unter dem Druck der im 19. Jahrhundert immer stärker werdenden politischen Zensur standen. Das Beispiel Heines, der Zeit seines Lebens mit diesem Problem kämpfte, zeigt deutlich ein trotz aller Marktorientierung bestehendes Selbstbewusstsein von Autorschaft, indem er nach einer Verstümmelung eines seiner Werke seinem Verleger Campe öffentlich mitteilt, daß er „die Autorschaft desselben nicht mehr vertreten könne“ (Heine 1968 [1839], 330). Diese Verteidigung der Authentizität der eigenen Autorschaft steht auch im Zeichen einer Abgrenzung gegenüber den grassierenden Beispielen von Dilettantismus in Form von nachäffenden Hobby-Freizeit-Dichtern, wie sie etwa Gottfried Keller in seiner Erzählung „Die mißbrauchten Liebesbriefe“ (1860) beschreibt oder Flaubert in den Figuren seines letzten Romans Bouvart et Pécuchet (1881) verhöhnt, die eigentlich nur Schreiber sind und nach zahllosen Katastrophen des Kreierens zu ihrem resignierenden Lebensmotto zurückkehren: „Abschreiben wie einst“ (Flaubert 1979, 371; vgl. Löffler 2016, 105–122). Aber schon Ludwig Börne karikierte diese Tendenz einer genialischen Originalität, indem er ein fiktives Aufschreibesystem für die „Kunst, in drei Tagen ein Originalschriftsteller zu werden“, in der Form einer écriture automatique konzipierte, wobei an die Stelle der Inspiration und Überheblichkeit ein Gefühl der „Aufrichtigkeit […] als Quelle aller Genialität“ (Börne 1977 [1825], 743) tritt, das in drei Tagen einfach „ohne Falsch und Heuchelei alles nieder[schreibt], was euch durch den Kopf geht“ (743). Die ‚großenʻ Autoren des französischen Realismus fühlen sich dagegen nicht nur als Nachfolger des göttlichen Schöpfers, sondern nun, im Jahrhundert des ‚Todes Gottes‘, spielen sie selbst Gott in den von ihnen geschaffenen künstlichen Paradiesen der literarischen Phantasie. Der Vergleich Flauberts vom Autor mit dem in seiner Schöpfung unsichtbaren Gott (Flaubert 1977 [1857]) findet sich schon bei Honoré de Balzac („Der wahre Dichter muß also verborgen bleiben, wie Gott im Mittelpunkt seiner Welten […]. Er darf nur durch seine Schöpfungen
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sichtbar werden …“ [Balzac 1976 (1844), 269]), der seine Comédie Humaine als Schöpfung einer Parallelwelt zur Einheit der Komposition in der Spezifikation der zoologischen Arten und Gattungen als Sinnbild der „göttlichen Allmacht“ (Balzac 1977 [1842], 256) verstand, in der alle Züge der Menschheit in ihrer gesellschaftlichgeschichtlichen Spezifikation wie in einer Art von ‚vierter Offenbarung‘ (nach der des Buches, der Natur und der Menschwerdung Gottes) in der ‚Gesellschaft‘ zur Darstellung kommen. Noch Émile Zola folgt diesem Anspruch eines monumentalen Oeuvres als gesellschaftlichem Gesamtentwurf, dessen Autorschaft als Motor der Aktion verborgen bleiben und den naturalistischen Autor hinter der Szene seiner Erzählung zum Verschwinden bringen soll („Le romancier naturaliste affecte de disparaître complètement derrière l’action qu’il raconte“ [Zola 1881, 128]), wählt allerdings ein inverses Bild eines deus absconditus des Erzählens, das seit Alain-René Lesages berühmtem Großstadtroman Le diable boiteux (1707) eher der Gegenkraft des Teufels mit seiner Fähigkeit vorbehalten war, die Dächer der menschlichen Behausungen abzuheben und in jeden Winkel des Privatlebens zu spähen, indem er sich die Autorschaft als eine Art von droit de regard, d. h. als ‚Recht auf Revision‘, buchstäblich aber ‚Recht auf voyeuristische Einsicht‘ wie in ein Glashaus, „comme une maison de verre laissant voir les idées à l’intérieure“ (118), vorstellt, was seiner Prägung des auktorialen Blicks durch die zu seiner Zeit weit entwickelte photographische Dokumentation durchaus entspricht. Als Konsequenz dieser Einschränkung künstlerischer Freiheit durch die schon früh etwa von Karl Ferdinand Gutzkow attackierte „literarische Industrie“ (Gutzkow 1998 [1836], 937), setzt sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem im deutschsprachigen Raum eine Art Handwerklichkeitsideal durch, das Autorschaft als „bürgerliches Künstlertum“ (Lukács) zu refundieren sucht. Im Zeichen der epigonalen Legitimitätskrise erfährt damit jede Form artistischen Außenseitertums eine Absage, die auch und gerade seinen Stellenwert als politisches Leitbild idealer Humanität betrifft: „Nach dem Scheitern der deutschen Demokratiebewegung und dem erzwungenen Rückzug ins Private entstehen keine neuen gesellschaftlich bezogenen Autorenbilder. Historisierende Rückwendung in die Vergangenheit, Beschränkung auf den (Philister-) Alltag oder unverbindliche Causerie sind auch Dokumente eines Sichabfindens nicht nur mit der conditio humana, sondern auch mit den politischen Zuständen.“ (Grimm 1992, 14) Georg Lukács sieht darüber hinaus in der Reorientierung an Handwerkertüchtigkeit eine ethische Wende: „die Herrschaft der Ordnung über die Stimmung, des Dauernden über das Momentane, der ruhigen Arbeit über die Genialität“ (Lukács 1985 [1911], 298; vgl. Schubert 1986, 133–140). Die Besinnung auf eine bürgerliche, einfach geregelte Lebensordnung bei Keller, Stifter, Storm, Fontane als „deutsche l’art pour l’art“ bzw. „germanische Variation“ (302) einer ästhetischen Rechtfertigung des Daseins steht für Lukács im Zeichen einer Selbstrechtfertigung
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des Dichtertums als Arbeit an der „Annäherung an ein Vollkommenheitsideal“ (303). Mit der Betonung der Kategorie des ‚Lebens‘ geht ein neu aufkeimender Biographismus einher, der aber anders als die früheren Legendenbildungen sich für das Leben der Autoren wie für einen Naturgegenstand interessiert. Das herausragendste Beispiel hierfür und damit für die von Barthes und anderen attackierte positivistische Autorschafts-Theorie war in Frankreich das Werk des führenden Kritikers Charles-Augustin Sainte-Beuve, der die Leitformel ‚Werk und Mensch‘ geprägt hatte: „La littérature, la production littéraire, n’est point pour moi distincte […] du reste de l’homme et de l’organisation; je puis goûter une oeuvre, mais il m’est difficile de la juger indépendamment de la connaissance de l’homme même; et je dirais volontiers: tel arbre, tel fruit. [Die Literatur bzw. die literarische Produktion ist für mich kaum vom übrigen des Menschen und der Entstehung abzutrennen; ich kann ein Werk geniessen, aber es wird schwierig für mich, es unabhängig von der Kenntnis des Menschen selbst zu beurteilen, und ich würde sagen: so wie der Baum, so die Frucht.]“ (Sainte-Beuve 1992 [1862], 146–147) Kritik war für ihn grundsätzlich „die Wissenschaft vom literarischen Leben“, er begriff sich als Naturalisten, „der ein menschliches Herbarium anlegen will und mit seiner ‚histoire naturelle littéraire‘ auf eine Klassifikation der Geistestypen abzielt“ (Lepenies, 2006, 311). Sainte-Beuve gesteht allerdings auch zu, dass es sich dabei vor allem um ein Phänomen der modernen Literatur handelt, die diesem Begehren Raum gibt: „entrer en son auteur, s’y installer, le produire sous ses aspects divers, […] le rattacher par tous les côtés à cette terre, à cette existence rélle, à ces habitudes de chacques jour [in seinen Autor einzutreten, sich in ihm niederzulassen, ihn unter den verschiedensten Ansichten vorzuführen […], ihn von allen Seiten her an diese Erde anzubinden, an diese wirkliche Existenz, an seine alltäglichen Gewohnheiten]“ (Sainte-Beuve 1992 [1829], 115). Der nahezu sezierende Blick des Kritikers auf den Autor und sein Leben beherrscht auch die Denkweise der im 19. Jahrhundert vor allem in Frankreich dominierenden positivistischen Ästhetik, die sich am naturwissenschaftlichen Paradigma des deduktiven ‚Erklärens‘ nach quantitativen Kausalzusammenhängen orientierte und der gegenüber sich in der deutschen Tradition das geisteswissenschaftliche Paradigma des ‚Verstehens‘ als Methode einer qualitativen Rekonstruktion des ursprünglichen Wollens entwickelte. Das szientifische, auf normative Gesetzesaussagen fixierte Erkenntnisinteresse, das fortan in historische Konkurrenz zum hermeneutischen Verstehen im Sinne einer reflexiven Aufarbeitung der Wirkungsgeschichte tritt, fand in Hippolyte Taines Philosophie de l’art (1881) ihre ausgeprägte Gestalt, in der vor allem die topologische Trias race, milieu, moment als sozialhistorischer Entstehungsrahmen für literarische und künstlerische Autorschaft eine zentrale
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Rolle spielt. Entsprechungen und Fortsetzungen fand diese Sichtweise in den zeitgenössischen Kunstsoziologien z. B. Pierre-Joseph Proudhons (Du principe de l’art et de sa destination sociale, 1865) oder Jean Marie Gyaus (L’Art au point de vue sociologique, 1889) mit ihren Vorstellungen des Autors als Energiequelle sowie den Untersuchungen der ‚Psycho-Physik‘ (Janet, Ribot), die auch Friedrich Nietzsche beeinflusst haben, sowie die Ende des 19. Jahrhunderts populäre Psychopathologie von Genie und Wahnsinn (vgl. Guthmüller 2007; Köhne 2014) und nicht zuletzt die naturalistischen Sozialanalysen. Signifikant ist dabei die objektivistische Referenzlogik, die eine Beurteilung des Werks auf dem Umwege einer Analyse der Autor-Subjektivität sucht und die ein Für-sich-Sprechen der Texte zugunsten der Biographie des Autors als Schlüssel der Bedeutung ausblendet. Auch bei der Gegenposition der Hermeneutik, die sich dem Werk im Verstehen nähern will, findet sich diese Fixierung auf die Person des Autors ‚hinter dem Werk‘, nur dass er als schöpferische Quelle eher mit einer Aura der Verborgenheit ausgestattet wird, die statt der sezierenden Analyse seiner psychophysischen Erscheinung ein synthetisches Verfahren der Deutung der inneren Organisation seines Seelenlebens bzw. seiner Einbildungskraft verlangt [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik]. Wilhelm Dilthey entwickelte dabei eine der Abwesenheit des Urhebers geschuldetes Modell der Rekonstruktion der ursprünglichen Intention des Schöpfers. Unter der Voraussetzung, das „Schaffen des Dichters beruht überall auf der Energie des Erlebens“, einem individuellem „Lebensgefühl“ (Dilthey1924 [1887], 130), ergibt sich für das Verstehen ein Dreischritt von „Hineinversetzen, Nachbilden, Nacherleben“, wodurch das ursprüngliche Erlebnis des Autors beim Auslegenden in gegenwärtiges „Leben zurückverwandelt“, „die Totalität des Seelenlebens im Verstehen wirksam“ und damit das Verstehen an sich „eine dem Wirkungsverlauf selber inverse Operation“ wird (Dilthey 1927 [1910], 214). Was die bürgerliche Legitimation von Autorschaft zugleich ins Spiel brachte, war die Frage der Nützlichkeit von Kunstwerken. Die Autoren des 19. Jahrhundert sahen sich angesichts des Warencharakters ihrer Produktionen verstärkt mit dem Nachweis der Dienlichkeit ihres Dichtens konfrontiert, der nicht zuletzt die soziale Funktion von Kunst, d. h. ihren Wert für die Gesellschaft, betraf: in England unter dem Gesichtspunkt des ‚Utilitarismus‘, in Frankreich unter dem der ‚Saint-Simonisten‘. In diesem Sinne knüpft die französische Romantik an die Tradition der deutschen Romantik vor allem als radikaler Gegensatz zwischen der künstlerischen Autonomie des Autors und der bürgerlichen Welt des Philisters an. Was die Kampfparole des l’art pour l’art letztlich will, ist die Befreiung des ästhetischen Ideals von jeder Form der Vereinbarung durch den markt-orientierten Pragmatismus des alltäglichen Nutzens. Das von Autoren anzustrebende ‚Schöneʻ wird vom frühen Théophile Gautier provokativ als Inbegriff des Unnützen gefeiert: In
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seinem Entwurf für eine „Kritik der Kritiker“ im Vorwort zu Mademoiselle Maupin (1835) verpflichtet er Autorschaft auf Zwecklosigkeit und Überflüssigkeit: „Wahrhaft schön kann nur sein was keinem Zweck zu dienen vermag: alles Nützliche ist häßlich, denn es ist der Ausdruck bestimmter Bedürfnisse“ (Gautier 2003 [1835], 44). Unter dem Gesichtspunkt des Schönen folgt der Stil, die Formgebung des Autors, nur dem Ideal: L’art pour l’art soll nicht Form um der Form willen bedeuten, „mais bien la forme pour le beau, abstraction faite de toute idée étrangère, de tout détournement au profit d’une doctrine quelconque, de toute utilité directe“ [sondern Form um der Schönheit willen, wobei man von jeder fremden Idee, von jeder Wendung zugunsten irgendeiner Doktrin auch immer, von jeder direkten Nützlichkeit abstrahieren muss“] (Gautier1856, 153). Diese Wendung gegen eine utilitaristische Heteronomie des Werks schließt auch die Existenz des Autors selbst ein, der seine Verpflichtung auf das Schöne durch eine unbürgerliche und anökonomische, d. h. nicht auf Profit ausgerichtete Lebensweise beweisen sollte. Die bis zur Affinität von Unnützem und Untätigkeit gehende Idiosynkrasie gegen jedliche Verwertungslogik wurde dann zur Gründungsformel für die Pariser Künstler-Subkultur der Bohème, berühmt geworden durch Henry Murgers Roman Scènes de la Vie de Bohème (1851), aber schon seit Balzac und Gautier ein Kampfbegriff gegen den bürgerlichen „Warencharakter“ und für den „l’art pour l’artiste“ (Kreuzer 1968, 246) als Unabhängigkeitserklärung eines jeden geistig Schaffenden, der „sich ohne andere Existenzmittel als die Kunst selber der Kunst widmet“ (Murger 1967, 8). Alfred de Vignys Drama Chatterton (1835) demonstriert im tragischen Selbstmord des jungen Autors die Konsequenzen des Utilitarismus als Krankheit zum Tode aufgrund der Zwänge der Leistungs- und Verwertungsgesellschaft (vgl. Bénichou 2004, 1129–1136). Die dem Bohemien nahestehenden Figuren des Flaneurs und Dandys weisen in die nämliche Richtung einer Ersetzung der Auktorialität von Werkherrschaft durch die Authentizität einer bloßen Inszenierung von Autorschaft durch die extrinsischen Zeichen eines Habitus’ (inklusive eines buchstäblichen ‚Kleiderʻcodes wie z. B. der legendären ‚roten Westeʻ Gautiers), eines Intellektualismus der öffentlich ausgetragenen Autoreflexion, nicht zuletzt eines demonstrativen ‚Müßiggangsʻ als ästhetischer Inbegriff der Nutzlosigkeit, des Spielerischen und luxurierend Überflüssigen einer Autorschaft, die auf keine kalkulierbare Konkretion in Werken aus ist (vgl. Kreuzer 1968, 54 u. 154–161). Kreuzer sieht mit dieser Bewegung auch schon eine „autofiktive Gestaltung“ (85) in der Selbstinszenierung des Autors ihren Anfang nehmen, indem der Autor seine eigene Existenzproblematik bewusst in die Figuren seiner Erzählung projiziert. Die Überhöhung dieses Maskenspiels ist aber ähnlich wie bei gegenwärtigen Strategien der Autofiktion nicht autobiographisch misszuverstehen, sondern weist eine wechselseitige Projektionsstruktur auf, die im Zeichen der romantischen Inspiration auch auf eine Konfusion von Künstlertum und
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Priestertum hinausläuft (vgl. Bénichou 2004, 496) [vgl. den Artikel Autor-Masken und -Maskierungen]. Die französische Literatur reagiert so auf die ökonomische Depotenzierung subjektiver Werkherrschaft und die Krise künstlerischen Schöpfertums mit einem ‚artistischen Eskapismusʻ, der im deutschen Kulturraum – bis auf die Ausnahme des durch die Welt ‚bummelndenʻ Dandys Fürst Pückler-Muskau – keine zeitgenössische Entsprechung hat und erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der ‚Münchnerʻ und ‚Berliner Bohèmeʻ (vgl. Bab 1994 [1904]) bzw. der ‚Wiener-Kaffeehausliteraturʻ (Peter Altenberg, vgl. Köwer 1987) aufgegriffen wird, wobei an der deutschsprachigen Variante der Bohème auffällt, dass der Konflikt zwischen „Marktverachtung“ und „professioneller Vermarktung“ (Parr 2008, 61) beherrschender ist und dass im Gegensatz zur französischen Bewegung stärker Autorinnen (u. a. Else Lasker-Schüler, Franziska von Reventlow) beteiligt sind. Auf der anderen Seite sind Autoren wie u. a. Gérard de Nerval und Charles Nodier auch in dem Sinne durch ihre Rezeption der deutschen Romantik geprägt, dass sie die intellektualistische Verbindung von Dichten, Denken und Dasein betonen und schon unterwegs sind zur Idee von Autorschaft als ‚Gesamtkunstwerkʻ. In diesem Sinne versteht auch Charles Baudelaire das Konzept der Bohème als ‚philosophische Kunstʻ, die weder im Vorbild der Wirklichkeit noch im Auftrag der Nützlichkeit oder Belehrung eingeschränkt werden darf, sondern rückhaltlos das schon von Kant postulierte ‚interessenlose Wohlgefallenʻ verfolgt. Nach Baudelaire soll der Autor nur einer Göttin dienen, der ‚Phantasieʻ und ihrer ‚Einbildungskraftʻ, der „Königin der Fähigkeiten“, denn sie „zerlegt die ganze Schöpfung, und mit den angehäuften Materialien, die sie nach Regeln anordnet […] schafft sie eine neue Welt, ruft sie die Empfindungen des Neuen hervor“ (Baudelaire 1989 [1859b], 141). Für Baudelaire ist dieses ‚Neueʻ der poetischen Schöpfung ganz und gar artistisch und artifiziell, eine andere, der Wirklichkeit entgegengesetzte Welt des Traums ‚künstlicher Paradieseʻ, die er im Sinne Gautiers „als ein Element des Luxus“ (Baudelaire 1989 [1859a], 93) begreift, „nur sich Selbst“ (94) verpflichtet als „Sehnsucht des Menschen nach einer höheren Schönheit, […] einer Begeisterung der Seele“ (95). Der Autor definiert sich dabei nicht mehr über Werkherrschaft an seinen konkreten Kreationen, sondern zieht sich zurück in die Souveränität paratextueller bzw. parergonaler Interventionen als Maskierung und Figuration seiner Autorschaft (Westerwelle 2011). Schon die große Studie Walter Benjamins zu Baudelaire hatte den neuen Typus der Autorschaft der Bohème auf die sozialhistorischen Rahmenbedingungen der im Industriezeitalter expandierenden Großstädte und Informationsmedien hin analysiert, die literarische Wahrnehmung auf Spuren, Tableaux, Impressionen verweist und den Dichter zu rollenspezifischer Flexibilität verpflichtete, immer neue Gestalten anzunehmen, „Flaneur, Apache, Dandy
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und Lumpensammler […] Hinter den Masken, die er verbrauchte, wahrte der Dichter in Baudelaire das Inkognito.“ (Benjamin 1972, 600–601) Dieser Prozess des Zurückweichens des Autor-Subjekts hinter seiner Autor-Funktion setzt sich im französischen Symbolismus weiter fort und führt sogar zu einer Entfremdung zwischen privatem Ich und öffentlichen Autor-Ich, die oft mit Rimbauds Formel „ich ist ein anderer“ aufgerufen wird. Auch Marcel Proust hatte in seiner Polemik Contre Sainte-Beuve gegen eine Reduzierung des Werks auf das Leben des Autors argumentiert, „qu’un livre est le produit d’un autre moi que celui que nous manifestons dans nos habitudes, dans la societé, dans nos vices“ [dass ein Buch das Erzeugnis eines anderen Ichs ist als das, was wir in unserem Verhalten, in der Gesellschaft, in unseren Mängeln verkörpern“] (Proust 1954, 127), und damit den eigentlichen Gegner. Die alternative Entscheidung betrifft die Verabschiedung des Werks in der radikalen Haltung eines Dandy-Künstlers wie Félicien Marboeuf (1852–1924), der paradoxer Weise seinen Autorstatus über die Abwesenheit eines Werkes definiert (vgl. Jouannais 1997). In letzter Konsequenz gehört auch die esoterische Haltung Stéphane Mallarmés in diese Tradition, der umgekehrt in der Präsenz des „reinen Werks“ die Existenz des Autors löscht: „Das reine Werk impliziert das kunstvoll beredte Verschwinden des Poeten, der die Initiative an die Wörter abtritt, die durch Schock ihrer Ungleichheit in Bewegung gesetzt sind“ (Mallarmé 1998 [1886], 225). Diese epochal beherrschende Figur des „kunstvoll beredten Verschwindens“ findet sich um 1900 auch in den zahllosen ‚Sprachkrisenʻ der Dichter des fin de siècle, Hugo von Hofmannsthals Chandos Brief (1901) mit seiner wortgewaltigen Klage über die Unfähigkeit des wahren Ausdrucks oder Rainer Maria Rilkes bildreiche Beschwörung vom ‚Ende des Erzählensʻ in den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910) zeugen auch von einer medialen mise-en-abyme der Autorschaft, sei es bei Mallarmé in Form einer Reflexion über das angesichts vor allem der visuellen Informationsmöglichkeiten durch Photographie immer atavistischer werdende Buch oder generell in Form einer Hinterfragung der Erkenntnis- und Darstellungsfähigkeit der Sprache (vgl. Wetzel 2020a, 263–271). Im Sinne dieses doppelten Entzugs des Textes, des Werks, zum einen aus dem Herrschaftsbereich des als Schöpfer verantwortlichen Autors und zum anderen hinein in die Eigengesetzlichkeit des marktorientierten Warenwertes kann Paul Valéry dann im Rückblick auf die Zäsur der symbolistischen Dichtung nicht nur die „Selbstentmachtung“ des Autors ausrufen, sondern zugleich Barthes damit die „Ermächtigung von oeuvre und lecteur“ (Peters 2013, 171) als selbst Erzeuger von Sinn soufflieren: „Es gibt keinen wirklichen Sinn eines Textes. Der Autor hat hier keine Autorität. Was immer er hat sagen wollen: er hat geschrieben, was er geschrieben hat. Einmal publiziert, ist der Text wie eine Apparatur, deren sich jeder auf seine Weise und nach seinen Möglichkeiten bedienen kann.“ (Valéry 1962 [1933], 188)
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II.8 Hybridisierungen: Moderne und Postmoderne Seit dem Beginn der kulturgeschichtlich so verstandenen ‚Moderneʻ um die Jahrhundertwende 1900 bis hin zur Gegenwart herrscht durchgängig eine Ambivalenz von Restitution und Destruktion des traditionellen Konzepts von Autorschaft: Zwischen den immer wieder aufkeimenden Nobilitierungen von Dichterbildern des ‚Sehersʻ, ‚Führersʻ, ‚Heiligenʻ und nicht zuletzt ‚übernatürlichen Geniesʻ und den dagegen gesetzten ernüchterten Funktionen des ‚Protokollantenʻ, ‚Journalistenʻ, ‚Editorsʻ, ‚Übersetzersʻ und ‚Monteursʻ gibt es keine definitive Entscheidung, so dass weder die Rede von Tod des Autors noch die von seiner Wiederkehr den begriffsgeschichtlichen Wandel adäquat wiedergibt. Was sich ändert, ist die Verbindlichkeit des Konzepts zusammen mit seiner Legitimation: Sowohl die Feier der heroischen Größe als auch die Entthronung geraten zu einem Spiel, sind Ergebnis einer Inszenierungsstrategie. Wenn z. B. Stefan George in die traditionelle Rolle des poeta vates mit zugleich charismatischer Inkarnation des gottgleichen Genies schlüpft, so vertraut er nicht nur auf die Initiationsriten seiner ‚Werkpolitikʻ (Martus 2007, 527–559), sondern zieht alle Register einer ‚Bildnispolitikʻ seiner medialen Erscheinung als transfigurale Autorperson dank der auratischen Funktion der Photographie, die ihn zur Verkörperung des kollektiven Kreativitätspotentials seiner Autorschafts-Schule verklärt: „Dem Bildnis Georges kann man die Funktion eines Totems bzw. eines Gruppenkörpers zusprechen, die in der Stefan George zugeordneten majestätischen Löwenhaftigkeit und in der Aura des priesterlichen Gewandes auf dem natürlichen Körper des Fotografierten eingeschrieben ist.“ (Bartels 2007, 33) Auch Rilke, der seinen Malte um eine Bildsprache als Restitution seiner Autorschaft der Aufzeichnungen ringen lässt, inszeniert sich im parergonalen Werkkontext als Pilger und Prophet (King 2009), um zugleich im Medium seines postalischen Netzwerkes eine „epistolare Inszenierung von Wohnen und Autorschaft“ (Schuster 2014, 185) vorzunehmen, die an vormoderne Modi von Mäzenatentum appelliert. Auch die von Gerhard Hauptmann und Thomas Mann reinszenierte ‚klassische Autorschaftʻ à la Goethe imitiert Habitus und Ikonographie des ‚Weimarer Meistersʻ. Und auf der anderen Seite mangelt es auch den Beispielen einer demonstrativen Abkehr von der Werkherrschaft eines alles verantwortenden Autors nicht an inszenatorischem Geschick, wie am besten das Beispiel Bertold Brechts zeigt, der sich photographisch als Arbeiter in seiner „proletarischen Verkleidung“ (Canetti) präsentierte, der nicht kreiert, sondern das ohne Rücksicht auf Plagiatsvorwürfe von überall her zusammengetragenes Material montiert (vgl. Fuegi 1997; Schuster 2007). Auch Alfred Döblin liefert ähnliche Beispiele, indem er sich als Autor im traditionellen Sinne aus dem Entstehungsprozess seiner Texte zurückzieht und im Paratext seiner photographischen Inszenierung als Autor-
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‚Subjektʻ (im buchstäblichen Sinne als die dem mit dem Namen „Döblin“ indizierten Werkkorpus ‚subjizierteʻ Person) als ‚Radioreporterʻ oder generell Instrumente benutzender Arzt in entauratisierter Form des Nicht-mehr-Signierenden, -Kreierenden wiederauftaucht (vgl. Müller-Salget 1992 u. Strittmatter 2018). Die Tendenz geht im engeren Sinne seit Beginn des 20. Jahrhunderts vielmehr in Richtung einer ‚Dekonstruktionʻ des Autorschaft-Konzepts, d. h. der Begriff erfährt nicht einfach ein Ende, sondern wird in seinen genealogisch konstitutiven Einzelelementen analysiert, um deren Funktionieren für den ideologischen Gesamteffekt in anderer Zusammensetzung auszuprobieren. Damit wird Autorschaft – mit der von Max Weber für die Moderne geprägten Formel – ‚entzaubertʻ aber nicht aus der Verantwortung entlassen. Durch diese Kontinuation als Kategorie der Beurteilung dichterischen Schreibens bei gleichzeitiger ‚Zerlegungʻ und ‚Wendungʻ der Einzelaspekte wird die Instanz des Autors in Bezug auf die Prozesse der Produktion, Distribution und Konsumption von Literatur relativiert. Der Inszenierungsaspekt im Sinne eines Rollenspiels transformiert die traditionellen Charakteristika wie z. B. der ‚Schöpfungʻ gegenüber dem Werk und der Wirkung in Bezug auf das ‚Publikumʻ. Die eigentlich entscheidende Verschiebung der Moderne vollzieht sich aber als die vom Autor-Subjekt als souveränem ‚Botschafterʻ zum Medium als autonomer ‚Botschaftʻ (im Sinne von McLuhans the medium is the message): Durch sie wird die „Subjektform ‚Autorʻ“ einer „Hybridisierung unterschiedlicher Autorschaftsformen“ (Sykora 2014, 15) unterworfen, die nur den Anschein einer Wiederkehr des Autors haben, in Wirklichkeit aber Zitate und auch Imitate sind. Deshalb bekennen sich Schriftsteller wie z. B. Kafka, Döblin, Brecht oder Nabokov bewusst zu einem Modell von Autorschaft technischer Reproduzierbarkeit, das nicht mehr „an der Kategorie des ‚Originellenʻ (des ‚originellenʻ Autors, des ‚originellenʻ Werks) orientiert ist, sondern – umgekehrt – an der Kategorie des Plagiats“ (Ingold 1988, 88). Denn die veränderten Informationsströme durch Telegraphie, Telephonie, durch optische Reproduktions-Medien wie Photographie und Film, audiovisuelle Übertragungen wie Phonographie, Radio und Television lassen die Arbeit am literarischen Material unter neue Kategorien wie Collage, Montage, Bricolage fallen, die eine Art von ‚post-produktiverʻ bzw. ‚wiederverwertenderʻ Autorschaft fordern, die nicht mehr an subjektiven Form- oder Stilkriterien bemessbar ist, sondern am Umgang mit den objektiven Referenzen als Leistung einer Datenverarbeitung. Gerade die gesellschaftlich nun anerkannte Professionalisierung von literarischer Autorschaft wirkt sich auf die Schreibpraxis durch den Druck einer erfolgsorientierten Effektivität im öffentlichen Raum aus. Mediale Momente spielen in der Geschichte des Begriffs von Autorschaft von Anfang an eine tragende Rolle, anders aber als in der Abfolge der Technologisierung der Schrift und besonders des Buchdrucks als analogen Medien der Opti-
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mierung und Beschleunigung der Distribution des auktorialen Schaffens greifen die ‚technischenʻ Medien als ‚Apparateʻ in das subjektive Produktionsgeschehen selbst ein: Paradigmatisch wird der Photoapparat, der mit seiner Momentaufnahme schon den naturalistischen „Sekundenstil“ eines Arno Holz und Johannes Schlaf bestimmte (Fähnders 1998, 41–45), als technische Erfindung beworben, die unabhängig von menschlicher Hand Bilder produzieren kann, eine Revolution, die mit Erfindung des Computers und den hypertextuellen Programmierungen ihre Steigerung findet. Auch gegenüber dem technischen Apriori der Aufzeichnungs- und Übertragungsmedien wie Phonographie, Typographie, Radio, Fernsehen gerät jetzt das Autor-Subjekt ins Hintertreffen einer sekundären Position der nachträglichen Bearbeitung des Materials: Autorschaft wird zur Auswertung bzw. zum Arrangement der Daten, die im Bewusstsein unablässig als ununterbrochener Strom fließen, wie es William James zuerst in seinem Konzept vom „stream of consciousness“ (James 1984 [1890], 53) beschrieben hat. Seine erzählerische Repräsentation durch den inneren Monolog führt zu einer Psychologisierung von Autorschaft sowohl in subjektiver (das eigene Verfahren betreffend) wie objektiver Hinsicht (in Bezug auf den Gegenstand der Erzählung), die nun nicht mehr als Schöpfungs-, sondern als Bewusstseins- bzw. Bewusstwerdungsprozess beschrieben wird (vgl. Fähnders 1998, 45). Ein entsprechendes Modell einer „unpersönlichen“ Dichtungstheorie hat T. S. Eliot vorgelegt, für den der Dichter ein „Medium“ ist, „in dem besondere oder sehr vielgestaltige Empfindungen jederzeit neue Verschmelzungen eingehen können“ (Eliot 1950 [1919], 104). Autorschaft übernimmt dabei die technische Funktion eines „Katalysators“, der „zwischen dem erlebenden Menschen und dem schaffenden Geist“ vermittelt, wobei letzterer den Stoff „in sich verarbeiten und verwandeln“ muss (105): „Der Dichtergeist ist tatsächlich eine Art Gefäß, in dem sich zahllose Empfindungen, Wortfolgen, Bilder einfinden und ansammeln, die dort jeweils verbleiben, bis alle zur Verschmelzung in einer neuen ‚Metapherʻ bereiten Bestandteile beieinander sind.“ (106) Die berühmtesten Beispiele für die neue Erzählform sind die Werke von James Joyce, Virginia Woolf, im deutschen Sprachraum vor allem die Erzählungen Arthur Schnitzlers, die mit neuen Formen des inneren Zeiterlebens experimentieren. Rilke spricht von Autoren sogar als „Batterien der Lebenskraft“ (Rilke 1950 [1919], 584), in denen der Strom der poetischen Sprache gespeichert und übertragen wird (vgl. Wetzel 2020a, 268–270). Im Futurismus und Surrealismus wird diese Idee weiterentwickelt zur Theorie des automatischen Schreibens (écriture automatique), ein, wie es nach André Bretons Definition von Surrealismus heißt, „reiner psychischer Automatismus, durch den man mündlich oder schriftlich oder auf jede andere Weise den wirklichen Ablauf des Denkens auszudrücken sucht“ (Breton 1968 [1924], 26). Und Max Ernst unterstreicht noch die „rein passive Rolle
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des ‚Autorsʻ im Mechanismus der poetischen Inspiration“, die „jede ‚aktiveʻ Kontrolle durch Vernunft, Moral oder ästhetische Erwägung“ ausschließt (Ernst 1994 [1934], 50). Anders als die surrealistischen Experimente mit intermedialen Kombinationen von textuellen, graphischen und vor allem photographischen, nicht mehr nur illustrativen Elementen im Druckbild (wie in den Romanen Bretons) verlagern sich die medialen Einflüsse in den deutschsprachigen Beispielen mehr auf die stilistische Ebene des Schreibens selbst, in dem sie – wie prototypisch in Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz – „aktive Verwandler, Katalysatoren für Entwicklungen und mit dem Leitbegriff der Veränderung verbunden“ sind (Keppler-Tasaki 2018, 23). In diesem Sinne sieht Döblin auch im Rundfunk ein die Literatur „veränderndes Medium“ (Döblin 1989 [1930], 254), in dem vor allem als einem Massenmedium „die Autoren […] von sich aus die richtige Einstellung auf die Massen vornehmen können“ (256). Das Gleiche gilt für den Film, der als „Kinostil […] höchster Gedrängtheit und Präzision“ (Döblin 1989 [1913], 121; vgl. Fähnders 1998, 153) das Material, die Daten der Realität hinter seiner sprachlich-literarischen Hülle hervortreten lassen soll als die Sache an sich. In diesem „steinernen Stil“ gilt es die „Hegemonie des Autors […] zu brechen“ (122) mit der radikalen Konsequenz einer „Entselbstung, Entäußerung des Autors, Depersonation“ (123): „Der Autor verschwindet so total im Roman wie im Drama, in der Lyrik; im Roman muß alles sich selbst überlassen werden. Man schuldet das seinen Gestalten, seinen Geschöpfen. Unmittelbares Sprechen heißt hineinreden, unterbrechen; mittelbar spricht der Autor, das heißt: er gestaltet. Der Romanautor muß vor allem schweigen können […] Man kann schildern, beschreiben, man hat sich jeder Äußerung der Teilnahme, des Wohlgefallens, Mißfallens zu enthalten […].“ (Döblin 1985 [1917], 227) Diese Form der Demontage von Autorschaft, die nicht nur den Text in seiner Autonomie privilegiert, sondern diesen noch hinsichtlich der dahinter stehenden Realität transzendieren will, beherrscht die gesamte Strömung der ‚Neuen Sachlichkeitʻ im Zeichen der Faszination durch den Film als Medium der „Errettung der äußeren Wirklichkeit“ (Kracauer). Prototypisch träumt etwa die Protagonistin in Irmgard Keuns Roman Das kunstseidene Mädchen (1932) von einer Schreibweise wie im Film, wobei der neue narrative Raum der Großstadt zugleich zu einer epochalen Konjunktur weiblicher Autorschaft (u. a. Vicki Baum, Marieluise Fleißer, Else Lasker-Schüler) führte. Die von den Nazis dann als „Asphaltliteratur“ (Goebbels) diffamierte, intendierte Distanzlosigkeit zur sozialen urbanen Realität hat in ihrem Reportagekonzept aber auch das Innovationspotential einer authentischen Autorschaft ohne ‚Autor(ität)ʻ: „Gerade diese Selbstausschaltung des Autors, die (vermeintliche) Standpunktlosigkeit ermöglichte neue Blicke“ (Fähnders 1998, 236). Neue Blicke, die auch Brecht schon früh für die filmischen Mittel künstlerischer Produktion faszinierten, aber auch an die rechtlichen Grenzen des neuen
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Mediums führten. Überzeugt, dass der moderne Autor als „Filmesehender“ anders schreibt, ist für ihn diese „Technifizierung der literarischen Produktion […] nicht mehr rückgängig zu machen. Die Verwendung von Instrumenten bringt auch den Romanschreiber […] dazu, […] seiner eigenen Haltung beim Schreiben den Charakter des Instrumentebenützens zu verleihen“ (Brecht 1967 [1931], 156–157). Die für ihn aus der marxistischen Perspektive einer ökonomischen Abhängigkeit der Autorschaft aus den Produktionsverhältnissen folgenden Konsequenzen einer „Vergesellschaftung dieser Produktionsmittel“ und einer „Proletarisierung des Produzierenden“ (158) laufen nicht nur darauf hinaus, dass das Kunstwerk in eine „Ware“ verwandelt wird und dass diese „Warenform“ über die bloße Regulierung der öffentlichen Zirkulation hinaus das Werk einer „Verwandlung“ (167) – frei nach Marx vom ‚Gebrauchswertʻ, geprägt durch die individuelle Schöpfungsleistung des Autors, zum ‚Tauschwertʻ seiner Marktposition – unterwirft, sondern dass es zugleich das Produkt eines „Kollektivs“ ist, zusammengesetzt aus „dem Financier, den Verkäufern (Publikumsforschern), dem Regisseur, den Technikern und den Schreibern“ (172). Anlässlich des Rechtsstreits um die Verfilmung des Theaterstückes Die Dreigroschenoper durch Pabst, bei dem Brecht um die Mitsprache am Produktionsprozess und gegen Änderungen von Text- und Szenenpassagen durch den Drehbuchautor kämpfte, polemisierte er dagegen, dass sein Werk in seiner „Warenform“ von ihm als „Erfinder getrennt in einer von der Verkaufsmöglichkeit her bestimmten Form auf dem Markt erscheint“ (181), d. h. der Kontrolle seiner Autorschaft entzogen wird und doch im Namen seiner Autorschaft samt der damit verbundenen parergonalen Effekte vermarktet wird: „Es ist das Schema des Zerfalls des literarischen Produkts, der Einheit von Schöpfer und Werk, Sinn und Fabel und so weiter. Das Werk kann einen neuen oder mehrere neue Autoren (welche Persönlichkeiten sind) bekommen, ohne daß der ursprüngliche Autor für die Verwertung auf dem Markt ausscheidet.“ (180) Es vollzieht sich mit dieser Entwicklung, durch die der Autor, „hineingerissen in den technischen Prozeß“, der „Warenproduktion“ ausgeliefert wird (192), ein radikaler Einschnitt in der Wertigkeit von Autorschaft, der von Benjamin, an Brechts marxistische Analyse anschließend, treffend auf die Formel des Autors als Produzent gebracht wurde. Seine Überführung der Frage nach dem Stehen der „Dichtung zu den Produktionsverhältnissen der Epoche“ in die Frage, „wie steht sie in ihnen“ (Benjamin 1977 [1934], 686), stellt das technisch Apparative noch deutlicher in den Vordergrund, um den Autor mit der Entscheidung zu konfrontieren, entweder zum bloß unterhaltenden „Belieferer des Produktionsapparates“ zu werden oder aus dem Bewusstsein der Stellung im Produktionsprozess zu dessen „Ingenieur“ zu werden und die technischen Möglichkeiten – z. B. der Montage – zu einer „Umfunktionierung des Romans, des Dramas, des Gedichts“ (701) zu nutzen. Der technische Einschnitt in Autorschaft betriffft aber nicht nur
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den Einfluss neuer audio-visueller Darstellungsmöglichkeiten, sondern auch die Technologie des Schreibens selbst, die mit der Erfindung der Schreibmaschine, des Typewriters als Vorform des digitalen Schreibens am keyboard, eine neue Stufe der Industrialisierung erreicht. Auf diese Depotenzierung der Schöpfungsinstanz des Autors zum Produzenten in einem Arbeitsprozess, der die Aufmerksamkeit nicht nur auf Produktionsmittel als Bedingungen der Möglichkeit des Schaffens, sondern auch auf die Pluralität der in den Produktionsverhältnissen agierenden Instanzen und Individuen lenkt, reagiert auch die Theorie sprachlicher Kommunikation, indem sie wie in den Sprach- bzw. Zeichentheorien des Strukturalismus, des Formalismus und des Konstruktivismus Modelle eines semiotischen signal-processing entwickelt, für die das Medium des Ausdrucks das Machtpotential der Autorschaft übernimmt. Schon in Ferdinand de Saussures Funktion von Sprache als Arbitrarität und Autonomie eines semiologischen Systems der Verknüpfung von Signifikanten und Signifikaten bedarf es keiner Autorsubjekte bzw. ihrer schöpferischen Leistungen mehr, um semantische Effekte zu erklären bzw. ist – wie Barthes es ein halbes Jahrhundert später ausdrückte – „das Sujet nur ein Spracheffekt“ (Barthes 1978 [1975], 85). Und Anfang des 20. Jahrhunderts hatte schon Edmund Husserl in seinen Logischen Untersuchungen (1900) der psychologistischen Reduktion der Bedeutung von Aussagen auf subjektive Intentionen eine klare Absage erteilt im Verweis auf die apriorische Bedeutungs-Intention der Sprache an sich als Gerichtetheit auf Sinn, was Martin Heideggers Fundamentalontologie als ‚Sprechen der Sprache‘ wiederaufgriff, der Autoren allenfalls nur ‚entsprechen‘ könnten. Folglich kann Roman Ingarden am Anfang seiner einschlägigen Untersuchung zum literarischen Kunstwerk lapidar erklären: „Vor allem bleibt vollständig außerhalb des literarischen Werkes der Autor selbst samt allen seinen Schicksalen, Erlebnissen und psychischen Zuständen. Insbesondere bilden aber die Erlebnisse des Autors, die er während des Schaffens seines Werkes hat, keinen Teil des Geschaffenen Werkes.“ (Ingarden 1972 [1931], 19–20) Gleichzeitig entwickelt Sigmund Freud mit seinem psychoanalytischen Modell einer Spaltung des Subjekts in bewusste und unbewusste Prozesse einen Erklärungsansatz, der poetisch produktive Leistungen von der Ebene bewusster Intentionalität der Ich-Instanz abkoppelt. Als unbewusste „Phantasien“ folgen die schöpferischen ‚Autorhandlungen‘ des Dichters vielmehr wie im regressiven kindlichen Spiel und im Tagtraum einem ‚Wunschprinzip‘, das mit seinen von der Kontrolle des bewussten ‚Realitätsprinzip‘ befreiten Assoziationen vom ‚Lustprinzip‘ beherrscht wird. Im Gegensatz zum privaten Tagtraum gewährt aber der Dichter durch seine öffentliche Autorschaft im Sinne von „Abänderungen und Verhüllungen“ einen „rein formalen, d. h. ästhetischen Lustgewinn“ (Freud 1969 [1908], 179). Wie Freud schon in seiner Traumdeutung (1900) zeigen konnte, stellen diese
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unbewussten Transformationen eine Überwindung des bloßen Triebgeschehens durch Symbolisierung dar, die sich als semiologischer Prozess darstellen lässt. Die spätere strukturalistische Reformulierung Freuds durch Jacques Lacan hat diese Sichtweise mit der These einer Strukturiertheit des Unbewussten wie ein Sprache weiter geführt und Parallelen zwischen Mechanismen des Traums und poetischen Figurationen aufgezeigt (vgl. Lacan 1975 [1966]). Autorschaft beginnt auch aus der Perspektive der Literaturkritik, sich mehr und mehr auf den supplementären Effekt einer „Lebensillusion“ von angeblichen Urhebern, von „Legenden über die Dichter“ (Tomasevskij 2000 [1923], 53 u. 56) als Ursachen der Existenz ihrer Werke (vgl. Mukarovsky 2000 [1944]) zu reduzieren. Schon seit Beginn der ästhetischen Moderne vollzieht sich also eine Hybridierung von Autorschaft in unterschiedlichen Formen der bloßen Zitation historischer Versatzstücke ihrer begrifflichen Komponenten wie Kreativität und Originalität. Wenn alle Sinnwirkungen virtuell im universe of discourse der benutzten Sprache schon vorausgesetzt sind, bleibt dem Autor nur noch die Rolle des nachträglichen Arrangeurs. Auch der Vorwurf der intentional fallacy des New Criticism mit seinem Anspruch eines close reading von Texten ohne Berücksichtigung von biographischen oder historischen Informationen zum Autor ist eine Reaktion auf diesen Positionsverlust. Die Deklaration des Werks qua Sprache als einen „besonderen Besitz der Öffentlichkeit“ (Wimsatt und Beardsley 2000 [1946], 87) stellt nicht eine zugrundeliegende Intention generell in Abrede, sondern nur die subjektive Autorität, den individuellen Anspruch. Das hypothetische Autorsubjekt ist genauso eine hybride und kollektive Konstruktion wie später bei Booth der „implizite Autor“, der aus einer wechselseitigen Fiktion von realem Autor und Leser hervorgehen soll. All diese Umcodierungen von Autorschaft als ehemals Garantie für Authentizität auf defizitäre Positionen der ‚Illusion‘, ‚Legende‘, ‚Bedeutungslosigkeit‘ oder ‚Fiktion‘ bereiten den entscheidenden Wandel der schriftstellerischen Autorschaftstrategien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor, bei denen performative Aspekte der Inszenierung, Imaginierung und nicht zuletzt Kollektivierung dominant werden. Einen konstruktiven Effekt löste die Instrumentalisierung des Schaffensaktes als Produktionstechnik bei der bildenden Kunst als neue Möglichkeit aus, das Konzept von Autorschaft konzeptuell zu funktionalisieren. Indem Künstler immer mehr ihre bildnerischen Arbeiten durch Diskurse rahmen, fahren sie eine Doppelstrategie, dank derer sie nicht nur als Schöpfer ihrer Werke fungieren, sondern auch die Begründungshoheit über die ihrer Urheberschaft zugrundeliegenden Ideen beanspruchen. Die später ganz auf Argumentationen statt Aktivitäten sich konzentrierende Richtung des ‚Konzeptualismus‘ tritt damit in die Fusstapfen der Renaissance und der Tradition des ‚Autor-Künstlers‘, der schaffend und schreibend wirkt und in den Paragone der Künste, den jahrhundertealten Wettstreit vor allem zwischen Bild und Text eintritt. Schon Marcel Duchamp hatte, wegbahnend für
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den Dadaismus und Surrealismus, der Präsentation seiner Objekte das ‚Parergon‘ einer publizistischen Performanz hinzugefügt, das – wie bei dem ersten öffentlich skandalösen Ready Made, dem Urinoir (Fountain) (1917) – sogar an die Stelle des selbst verschwundenen Kunstwerkes treten konnte. Auch bei seinem Hauptwerk, dem Großen Glas (La mariée mise à nue par ses célibataires, mêmes, 1915–1923), sind die mitausgestellten Notizen zur Konzeption und Skizzen zum Aufbau Teil der intermedialen Inszenierung des Werkes selbst. Duchamp, der sich in seiner Theorie des kreativen Aktes (1957, als Lesung auf einer Schallplatte zusammen mit Barthesʼ Essay The Death of the Author 1967 im Aspen Magazine ediert) auf Eliot beruft, sieht dabei kein souveränes Autor-Subjekt am Werk, sondern verortet das Entstehen in einem Prozess unbewusster Reaktionen des als „mediumnistisches Wesen“ beschriebenen Künstlers auf den Widerstreit zwischen Intention und Realisation, den er auch als die Differenz zwischen „dem Unausgedrückten-aberBeabsichtigten und dem Unabsichtlich-Ausgedrückten“ beschreibt (Duchamp 1990 [1957], 239). Mit seinem Modell der „Umstülpung, Faltung, Spiegelung oder Doppelung“ inframedialer Differenzen (Wetzel 2011, 90) versucht er zugleich, einen Grad der Indifferenz zwischen Autorschaft und Künstlertum als „piktorialen Nominalismus“ auszumachen, der beide Begriffstraditionen wechselseitig relativiert: Künstlertum ist nicht mehr die Kreation von Neuem, sondern ein Organisieren von Verfremdungseffekten im performativen Kontext des Austellens selbst, und Autorschaft repräsentiert nicht mehr die Authentizität des Urhebers, sondern die beim Arrangieren, Argumentieren und Adaptieren der Werkelemente notwendige konzeptuelle Kompetenz der Aneignung und Vermittlung. Im Sinne der skripturalen Autorisierung setzt Duchamp in diesem Zusammenhang auch bewusst die Signatur – nicht nur die eigene, sondern auch die fiktiver Namen – ein, um Alltagsgegenstände als Ready Mades in Kunstwerke zu transformieren. Autorschaft reduziert sich in dieser Hinsicht auf den Akt der Appropriation als hybrider Herrschaftsanspruch, wie er in der Kunstbewegung der Appropriationists dann auch als Strategie der identischen Reproduktion von Originalen zur „Parodierung von Autorschaft als Ver-/Entwendung“ (Wetzel 2003, 239) vorgeführt wurde. Spätestens seit der Pop-Art der Sechzigerjahre (vor allem Andy Warhols) vollzieht sich die Ersetzung des Urhebergedankens durch den „‚Meta-Autor‘ als Operator der Kopien (statt der Originale), Zitate (statt Aussagen), Simulationen (statt Darstellungen) und Pluralitäten (statt Individualitäten)“ (Wetzel 2000, 541). Die autobiographischen Relationen der künstlerischen Selbstinszenierung dekonstruieren durch bewusst eingesetzte „Merkmale wie Fragmentarisierung, Fiktionalisierung und Camouflage“ Authentizität selbst als Inszenierung: „Die zunehmende Anerkennung von Fiktionalisierungsstrategien erweitert den Rahmen der Autorschaft“ (Caduff 2008, 63; vgl. Wetzel 2006 und Gansel, Lehnen und Oswalt 2021).
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Auch eine andere Kunstform übernimmt das Autorschaftskonzept zum Zwecke der Neubewertung künstlerischer Praktiken: Der in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg entstehende ‚Autoren-Film‘ [vgl. den Artikel Autorenfim] restituiert paradoxerweise ganz im Gegensatz zu der von der Avantgarde der 30er Jahre vollzogenen Verabschiedung des individuellen Autors im kollektiven Produktionszusammenhang des Films diesen wieder in der Position des Regisseurs (bzw. französisch réalisateur oder englisch director) (vgl. Sellors 2010). Dabei kommt nicht nur die von Alexandre Astruc eingeführte Metapher des camérastylo zum Tragen, die das Filmen mit der Kamera dem buchstäblichen Schreiben des Schriftstellers gleichsetzt (vgl. Astruc 1964 [1948]), sondern, ähnlich wie bei der Entwicklung der concept-art, ist auch hier die Tatsache entscheidend, dass sich Filmemacher gleichzeitig exzessiv einer publizistischen Tätigkeit widmen. Vor allem das von dem einflussreichen Filmkritiker André Bazin edierte Organ Cahiers du Cinéma hat zum Erfolg beigetragen, hier schrieben die prominenten Vertreter der Nouvelle Vague wie vor allem Francois Truffaut als Autor seines Manifestes „Eine gewisse Tendenz im französischen Film“ von 1954, in dem er erstmalig für die intellektuelle Stärkung des Regisseurs und seine Unabhängigkeit vom Einfluss der ökonomischen Produktionsbedingungen kämpfte, sowie Jean-Luc Godard, Jacques Rivette und Éric Rohmer, um ihre Idee einer politique des auteurs als „le culte esthétique de la personnalité“ zu propagieren (vgl. Baecque 2001, 8). Irritierend war dabei, dass dieses Verständnis von Autorschaft keinesfalls die Verfasserschaft von Drehbüchern implizierte. Gemeint war vielmehr eine ‚Geste‘ von Autorschaft, die dem gesamten kollektiven Entstehungsprozess die Handschrift eines identifizierbaren, im Werkganzen wiedererkennbaren Künstler-Genies als Signatur aufprägt, wie Truffaut es formulierte: „daß der Autor eines Films der Regisseur ist und nur er allein, selbst wenn er keine Zeile des Drehbuchs geschrieben, den Schauspielern keine Anweisung gegeben und keine einzige Kameraposition festgelegt hat; ob nun gut oder schlecht, ähnelt ein Film immer dem, der als Regisseur verantwortlich zeichnet“ (Truffaut 1999 [1960], 17). Zugleich diente die publizistische Autorschaft der Regisseure der Nouvelle Vague der Nobilitierung von Vorbildern großer Film-Autoren, die dieses Prinzip der Handschrift realisiert hatten und zu denen etwa Abel Gance, Alfred Hitchcock, Howard Hawks, Fritz Lang und Roberto Rossellini gezählt wurden. Letztlich ging es aber auch in dieser Diskussion um Konstruktionen und Projektionen eines hypostasierten Ideals von Werkherrschaft, das dann besonders in der amerikanischen Weiterentwicklung durch Theoretiker wie Andrew Sallis, Peter Wollen und Stephen Heath zur Theorie des auteurism (vgl. Caughie 1981) deutlich macht, dass es nicht um eine Restitution des Autors als intentionalen Urheber geht. Viele Formulierungen greifen eher die Redeweise Foucaults von einer Autorfunktion auf, die den heterogenen Produktionsprozess strukturieren soll, wobei die Autor-
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person nur als nachträglicher Orientierungspunkt fungieren soll. Und wieder kommt die Metapher Eliots vom Katalysator ins Spiel, so wie in Peter Wollens Redefinitiuon des auteur als „unconscious catalyst“: „Auteur analysis does not consist of re-tracing a film to its origin, to its creative source. It consists of tracing a structure (not a message) within the work, which can then post factum be assigned to an individual, the director, on empirical grounds.“ (Wollen 1981 [1972], 146–147). Die Umgangsweise mit dem Autor-Begriff ist damit klar auf performative Wirkung in einer „Gesellschaft des Spektakels“ (Debord) ausgerichtet: „Der auteur ist damit als ‚Effekt‘ und nicht als Urheber des Films definiert.“ (Kamp 1999, 452) Die von Marshall McLuhans bahnbrechendem Buch Understanding Media (1964) eingeleitete medientheoretische Revolution, nach der subjektive Sinnproduktionen sich dem technischen Apriori apparativer Konstellationen verdanken, ist nicht umkehrbar und holt auch den ‚Autoren-Fim‘ ein. Eine andere, spätere Interferenz zwischen der literaturtheoretischen Kritik am traditionellen Autorbegriff und medialen Veränderungen der Schreibpraktiken ergab sich infolge der entscheidenden Zäsur der Digitalisierung des Leitmediums der Schrift. Seitdem Computer auch das Handwerk von Autoren bestimmen, unterliegen Texte keiner alphabetischen, sondern einer alphanumerischen Ordnung. Die neue Domäne hybrider Autorschaft sind ‚Hypertexte‘, an denen frühe Theoretiker wie David Bolter und George Landow vor allem hervorheben, dass sie genau den poststrukturalistischen, von Barthes bis Derrida entwickelten Modellen entsprechen (Landow spricht im Untertitel seines Buches von einer „Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology“) [vgl. den Artikel Vernetzte Autorschaft: Hypertext und Internet]. Die digitalen Vernetzungen von Datenströmen mit ihrer audiovisuellen bis hypermedialen Vielfalt von simultanen Informationen im Cyberspace des Internets folgen der Hyperlogik von Delinearisierungen, Disseminationen, rhizomatischen Wucherungen der als Spuren der digitalen links gelesenen Konfigurationen von Sinn: „Derrida was prescient, but he could not know that electronic writing would be the new writing to which he alluded“ (Bolter 1991, 116); oder: „Certainly, many of the qualities Deleuze and Guattari attribute to the rhizome require hypertext to find their first approximate if not their complete answer of fulfillment.“ (Landow 1997 [1992], 39). In den Prozess der Autorschaft mischt sich jetzt das technologische Novum, dass nicht nur eine hard ware die Produktionsbedingungen von Texten bestimmt, sondern auch eine soft ware gewissermaßen am Hypertext von Cyberfiction mitschreibt, indem sie diesseits aller auktorialen Originalität die virtuelle Totalität aller Sinnmöglichkeiten zur Disposition stellt und den entscheidenden Schöpfungsakt einer künstlerischen Subjektivität zur bloßen Aleatorik des berühmten ‚Würfelwurfs‘ in Mallarmés gleichnamigem Gedicht Un coup de dés (vgl. Heibach 2003, 93) herab-
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würdigt, der den Zufall nicht abschaffen wird. Streng technisch genommen gibt es gar keine Texte mehr, sondern nur noch Algorithmen, die im Computer generiert werden und erst an der ‚Schnittstelle‘ oder ‚Benutzeroberfläche‘ des Bildschirms oder Druckers als ‚buchstäbliche‘ Konfiguration ausgegeben werden. Denn das basale novum von Hypertexten ist ihre „Nicht-Linearität“, d. h. der Bruch mit der fundamentalen Schreibanordnung von Autorschaft im textuellen Feld, dessen Zweidimensionalität in eine räumliche Dreidimensionalität der Vernetzung mit virtuell koexistenten, nicht-sequentiellen Textfeldern durch „Autoren-/Konversationskomponente“ (Kuhlen 1991, 5 u. 23; vgl. Porombka 2001) überführt wird, der sogar noch eine vierte Dimension der zeitlichen Mutation in Form von rekursiven Reaktionen des Textes auf seine Lektüre korrespondiert, d. h. eine Art von ‚künstlicher Intelligenz‘ des Textes selbst ohne Autor, der aus seiner Rezeption gewissermaßen ‚lernt‘. Eine erste Generation von Hypertext-Theoretikern feierte so an dieser technischen Revolution vor allem die endgültige Abschaffung des Autors als Entscheidungsinstanz: „Just as hypertext as an educational medium transforms the teacher from a leader into a kind of coach or companion, hypertext as a writing medium metamorphoses the author into an editor or developer. Hypermedia, like cinema and video or opera, is a team production.“ (Landow 1997, 114) Zugleich löst er die Differenz zwischen Autor und Leser auf bzw. befreit letzteren aus seiner Passivität, „when technology transforms readers into reader-authors or ‚wreaders‘“ (Landow 1994, 14). Es geht aber nicht um eine Entscheidung zwischen Autor und Leser, die vielmehr schon von der Technik unterlaufen ist: Die Netzwerkstruktur der links basiert im Unterschied zu den ‚analogen‘ Weisen des Referierens oder Annotierens von Zeichen darauf, dass die Verknüpfung als ‚Schaltung‘ die konkrete Konnexion schon konstatiert: „Der Urtyp aller nichtlinearen, digitalen Dokumente implementiert nichts anders als solche Schaltungen.“ (Dotzler 2001, 122) Folglich braucht es zu ihrer Herstellung weder Autoren noch Leser: „Darum trifft die Erfindung des Hypertextes Autor und Leser. Beide verschwinden. Der Autor, weil das Medium Computer umstellt von Eigentumsfragen, wie die Fußnote sie ausweist, zu Techniken des Zugangs, wie der Hyperlink sie operiationalisiert […] der Leser, denn ebendiese Technik des Hyperlinks spannt ihn an die Marionettenfäden der Mausbedienung, während im Hintergrund der Link selbst agiert“ (125). Etwas vorsichtiger formuliert es aber schon Bolter, der angesichts der dann erst später brisant werdenden Kontroversen um die freie Verfügung über Texte als open source und damit die Negierung des Copyrights von Autoren beide Ebenen zugleich bestätigt sieht: „postmoderne Schriftsteller und Kulturtheoretiker haben den Angriff auf den Autor zu ihrer gemeinsamen Sache erklärt, während Herausgeber und Anwälte des geistigen Eigentums darauf insistieren, daß die Autor-
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schaft im Internet den gleichen Schutz verdient wie im Druck.“ (Bolten 1997, 40) Entscheidend ist dabei, dass die Schreibweise von Hypertextromanen als Literatur im Netz (Cyberfiction) mit den typischen Formen der einseitig ‚direktionalen‘ Kommunikation vom Autor als Sender über den Kanal der Publikation zum Leser als passiven Empfänger bricht und einer ‚bidirektionalen‘ bis ‚polydirektionalen‘ Interaktion zwischen Autor und Leser mit all seinen rekursiven Effekten einer permanenten Neueinschreibung des Textes folgt. Das neue Modell ist das der ‚Immersion‘, d. h. des Grenzen überschreitenden, ineinander ‚Übergehens‘ von Autor, Text und Leser, wobei zwischen taktischen, strategischen und narrativen Aspekten des Umgangs mit der fiktionalen Welt unterschieden werden kann (vgl. Zimmermann 2015, 116–122). Immersion, dieses ‚Eintauchen‘ in die Realität der Fiktion wie in alten chinesischen Anekdoten von Malern, die nach Vollendung ihrer Werke in diese hineingegangen seien und darin verschwunden, hat es schon früher als intendierten Effekt der Einbildungskraft, als Phantasie gegeben. Anders als in literarischen Darstellungen der Verwechslung von Roman und Wirklichkeit von Don Quijote bis Madame Bovary wird Immersion im digitalen Kontext nicht innerdiegetisch thematisiert, sondern im Verhältnis von Produzenten und Rezipienten erzeugt. Sie tritt gewissermaßen als Attraktionswert das Erbe der ‚Aufmerksamkeit‘ im 19. Jahrhundert an, nur dass sie sich den aleatorischen Entscheidungen von Programmierungen und einer kollaborativen Produktion mehrerer Autoren (vgl. Heibach 2003) verdankt und nicht mehr der Intention eines individuellen Autors (der aber im Sinne von Bourdieus ‚Feldʻ-Theorie auch schon bei der Erzeugung von Aufmerksamkeit von heteronomen Faktoren abhängig war). In der Praxis eines Schreibens im Netz wird eine geschlossene Werkform durch eine nicht nur nicht-lineare, sondern auch unabgeschlossene multiple Autorschaft abgelöst, wobei „kooperative Projekte“ mit mehreren, klar markierten Beteiligten „partizipativen Mitschreibeprojekten“ mit einer offenen Menge von Mitschreibern, „kollaborativen Projekten ohne erkennbare Einzelautorschaft“ und dem „Autorenkollektiv“ als Zusammenschluss unter einem gemeinsamen künstlerischen Fokus gegenüberstehen (Nantke 2018, 3–4). Auffällig ist dabei, dass in der deutschsprachigen Diskussion der digitalen Dezentrierungen das Bemühen zu erkennen ist, diese digitale Dekonstruktion von Autorschaft in die Tradition der avangardistischen Revolutionen auktorialer Produktionsverhältnisse durch Techniken der Montage, Collage, Synästhesie, Intermedialität von der Romantik bis hin zum Surrealismus und Nouveau Roman zu stellen. Aus dieser genealogischen Perspektive wird aber auch auf die grundsätzliche Tendenz geschlossen, dass sich die Steuerungsfunktion des Autors im Prozess oder der Programmierung doch noch behauptet, durch die das Verständnis des Lesers letztlich gesteuert werde. Gegenüber der virtuellen Totalität aller Kombinationen bleiben für die Konnotationen des Lesers die vom Autor gesetzten links entscheidend: „Der Autor
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des Hypertextes kann hingegen immer nur die ihm geläufigen Assoziationen realisieren. Da diese als manifestierte Bezüge im Text eine stärkere Präsenz genießen als die vom Leser virtuell erstellten Assoziationen und da der Link lauter ruft als die innere Stimme, beherrscht letztlich die durch den Autor programmierte Intertextualität Text und Rezeption“ (Simanowski 2002, 68–69). Der „Ruf nach einem starken Autor“ (80) bedeutet also „höchste Kontrolle über den Text“ und „alle vom Leser wählbaren Möglichkeiten“ (Simanowski 2001, 11), also eine „Planung des Lektürevorgangs und […] der Verbindung von Immersion und Interaktivität“ (9). Diese Restauration von Autorschaft wird allerdings von anderen Diskussionsbeiträgen relativiert. Christiane Heibach konstatiert im Anschluss an Bolter eher ein Schwanken „zwischen Subversion (als Negierung jeglicher Urheber- und Autorenrechte) und Subordination (als Bewahrung individueller Autorschaft), demgemäß also zwischen Substitution des Autors durch Formen freier Informationsgenerierung und -distribution sowie der Reproduktion der Mechanismen der Buchkultur“ (Heibach 2003, 157). Die größte Herausforderung stellt das Konzept einer „Autopoiesis“ als „Selbstorganisation der Maschinen“ (256) dar, durch die ein Entstehen von Texten ohne Beteiligung von agierenden Subjekten möglich wäre. Angesichts dieser „Autorlosigkeit eines computergenerierten Textes“ spricht auch Roberto Simanowski in einer späteren „Phänomenologie“ von Autorschaft in digitalen Medien von einer „Reise durch verschiedene Auflösungsformen menschlicher Autorschaft in den digitalen Medien“ (Simanowski 2013, 259 u. 261). Diese Auflösung erweist sich aber weder als final noch als letal, die Bedeutung dessen, was ein Autor ist und sein soll, erfährt vielmehr vielfältige Verschiebungen, die eine Entscheidung zwischen einem starken Urheber oder einem starken User aufheben. Als vermittelnde Position, die auch der transzendentalen Funktion des ‚Mediums‘ in seiner digitalen, „sowohl eine Hardware- als auch eine Softwarekomponente“ (Hartling 2009, 208) umfassenden Doppelfunktion gerecht wird, bietet sich Hartlings Rückbesinnung auf Foucaults Konzept des ‚Dispositivs‘ an, das dem Autorkonzept vor allem „eine Fähigkeit zur Veränderung“ (158) verleiht. Als solches verlässt es aber den Boden der Werkherrschaft einer ‚starken‘ Autorschaft, um die Redeweise vom schreibenden Subjekt als im traditonellen Sinne ‚Autor‘ selbst zur Disposition zu stellen – im Sinne einer Unentscheidbarkeit, wo der ‚Mensch‘ in der Koppelung ‚Mensch-Maschine‘ nur ‚Aufschreiber‘ oder wo noch ‚Au(c)tor‘ ist. Das Dispositiv-Modell erlaubt so ein Dreifaches: Autorschaft an das „Netz von Bedingungen (Faktoren)“ rückzukoppeln, „die Verbindung zwischen Netzdispositiv und Internet-Autorschaft als von Machtstrukturen geprägt [zu] rekonstruieren“ und „auf die Ebene der handelnden Subjekte“ als solche zu rekurrieren (322). Auf dieser Ebene kommen eher modifizierte ‚Funktionen‘ von Autorschaft zur Geltung, z. B. als „Initiator“ von Diskursen oder als
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„Designer“ (Simanowski 2001, 14 u. 16), als „Editor“ (Wirth 2001), als „Conditor“ (Wetzel 2002, 286) oder als hybride Doppelfigur der Vereinigung von Maschinenund Menschenmacht im „binären Autor“, der „das herkömmliche Verständnis von Autorschaft kollabieren lässt“ (Giacomuzzi 2009, 10). Damit ist die Position des Autors nicht mehr an die Vorstellung eines realen Subjekts gebunden. Als letzte Bestimmung bleibt nur noch die Autorfunktion einer Handlungsmacht und die kann auch kybernetisch simuliert werden. In diesem Sinne hat sich der Ansatz der agency als abstrakte Benennung der Handlungsfähigkeit eines Agenten in jedem gegebenen Umfeld durchsetzen können, der im Modell der ANT (actor-network-theory) von einer subjektlosen Handlungsmacht ausgeht, die hybride Kollektive von Handelnden, Medien, Dingen und Nutzern zugrundelegt: „Alles, was als ‚Akteur‘ in Aktion tritt oder dadurch als Handlungsgröße wirksam und erkennbar wird, dass es andere Größen in Aktion treten lässt, tritt in ein ‚Akteur-Netzwerk‘ ein und kann nur als Handlungsverflechtung wirksam werden – ‚Akteure‘ sind ‚Akteur-Netzwerke‘ oder Verknüpfungen.“ (Schüttpelz 2013, 10) [vgl. den Artikel Autorschaft aus dem Blickwinkel der Akteur-Netzwerk-Theorie] Auch wenn das Genre der Cyberfiction – allein schon Mangels der Einbindung in das Verlagswesen und den Literaturbetrieb – sich nicht als Populärmedium außer als Fantasy-Genre durchsetzen konnte, sind die digitalen Praktiken des Schreibens entscheidend für neue bzw. gegenwärtige Revisionen von Autorschaft ‚ohne‘ Autorschaft (im Sinne auktorialer Werkherrschaft). Als gemeinsamer Nenner aller Hinterfragungen von Autorschaft in digitalen Medien lässt sich dabei festhalten, dass zumindest ein ‚Gründungsmythos‘ des Autors endgültig seine Glaubwürdigkeit verliert, nämlich der vom allein schöpferischen Individuum (vgl. Stillinger 1991, Wetzel 2020a). Während Stillinger aber noch glaubt, dass die für die gesamte Geschichte der Autorschaft sich rückwirkend durchsetzende Evidenz einer „multiple authorship“ als „realistic account of the ways in which literature is created“ (Stillinger 1991 1991, 183) diesem tief in unserer Kultur verankerten Mythos keinen Abbruch tun wird, dass „the countering reality of multiple authorship is no threat for the continuing existence of the myth“ (187), fordern neuere Stimmen eine genauere Differenzierung zwischen der tatsächlichen kollektiven Praxis literarischer Textproduktion und der literaturgeschichtlichen Konstruktion oder Fiktion eines originären Genies bzw. zwischen den zwei Ebenen des „Selbstbeschreibungsmodell[s]“ die „‚eigentliche‘ – nämlich: kollektive – Herstellung“ als „Ebene ‚wirklichen‘ Handelns“ und die „alltägliche ‚Fiktion‘ vom Autor als ‚genialem‘, ‚individuellem‘, ‚einzigartigem‘ Schöpfer“ (Assmann 2009, 94). Unter der Voraussetzung, dass die dieser ‚Fiktion‘ zugrundeliegende Autorfunktion selbst wieder digital programmiert ist, wird diese Differenzierung durchlässig für gewissermaßen Doublierungen von ‚Autor-Avataren‘ und erweist sich
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auch das Konstrukt des schöpferischen Individuums als nachträglicher Effekt eines multiplen Prozesses von Autorschaft als Standard künstlerischer Produktion: „Im Rahmen multiplizierter Autorschaft bezieht ein Text seinen Werkstatus daher weder aus der zwangsläufigen Abhängigkeit von einem_r Autor_in, der/ die geistiges Schöpfertum und Urheberschaft auf sich vereint, noch aus der institutionellen Sanktionierung durch die Akteure des Literaturbetriebs. Das digitale Werk ist weniger fixiertes Produkt als ein dynamisches, offenes Projekt und bildet als solches den gemeinsamen Bezugspunkt für kreative, kohärenzstiftende und instanziierende Prozesse mit mehr oder weniger eindeutig verortbarer Urheberschaft.“ (Nantke 2018, 15) Entscheidend ist, wie das technologische Apriori sich auf den Wandel literarischer Autorschaft auswirkt. Auffällig ist dabei schon an der Terminologie, dass die oft genannten neuen digitalen Praktiken von Autorschaft wie sampling, remixen, open source (Manovich 2005 [2002], 15–19) außerliterarischen Ausdrucksformen entstammen, die vergleichbar den visuellen Kategorien der Collage und Montage in der Avantgarde jetzt auch musikalische Praktiken der gleichermaßen performativ ausgerichteten DJ-Kultur assoziieren (vgl. auch Feiereisen 2011). Sie finden sich schon in der Pop-Avantgarde u. a. im Cut Up bei Rolf Dieter Brinkmann als Übernahme künstlerischer Techniken der Bild-Text-Montagen des Surrealismus, wobei im Prosawerk Rom Blicke diese Technik noch stärker Autorschaft auf ein nachträgliches Arrangement von tagebuchartigen Skizzen und bildlichen Zeugnissen im Sinne einer ‚Spurensicherung‘ reduziert (vgl. Fahrer 2009) [vgl. den Artikel Pop-Autoren]. Insofern gilt schon hier, was z. B. Felix Stalder für das Remix in der Post-Gutenberg-Galaxis konstatiert: „Der Autor steht nun nicht mehr am Anfang des kreativen Prozesses, sondern in der Mitte. Es war etwas vor ihm – Material mit dem er zu arbeiten beginnt – und es wird etwas nach ihm sein – andere, die sein Werk wiederum zum Material ihrer Arbeit machen.“ (Stadler 2014, 106) Die daraus entwickelte neue Konzeption von Authentizität ist nicht mehr an die Vorstellung von Originalität gebunden, sondern durch eine „Hinwendung zum Performativen, ein Interesse an neuen Formen der Zusammenarbeit […] und Formen der (Wieder)Aneignung“ (107) Hatte das 19. Jahrhundert vor allem den Raum des Wirkungsbereichs von Autorschaft revolutioniert, indem es das literarische Feld zugleich einer ‚geschichtlichen‘ Überdeterminiertheit überführte, so vollzieht sich im digitalen Zeitalter eine Revolutionierung der Zeit, die das lineare Arbeitsmodell von Autorschaft erschüttert. Manovich hat die Konsequenzen unter verschiedenen Aspekten skizziert, angefangen bei den neuen Formen komplexer Kollaboration, die, von den Navigationsräumen der Netzwerke gesteuert, als „Performance“, „Event“ oder „Projekt“ (Manovich 2005, 8) funktionieren und nicht auf ein ‚Werk‘ hinauslaufen und deren Interaktion von Autor und User über „Feedback“-Schleifen einer
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„von Software gesteuerten Produktionsumgebung“, über von Firmen gelieferten „Spiel-Dateiformaten“ und „-Editoren“ (11) sowie letztlich die „Benutzung von Künstlicher Intelligenz“ laufen: „Der Autor stellt einige allgemeine Regeln auf, hat aber keine Kontrolle über die konkreten Details des Werkes – dies kommt als Ergebnis der Interaktion zwischen den Regeln zustande.“ (12–13; vgl. Zimmermann 2015, 66–73) Die ‚klassischen‘ Techniken der Collage und Montage werden so der temporalen Rekursivität von „loops“ (17) unterworfen, Wiederholungsschleifen, deren musikthechnische Bedeutung für das ‚Schreiben am Bildschirm‘ zu einem Rhythmus von Tippen, Löschen, Neutippen etc. wird (eine Schreibszene, wie sie oft für entsprechende Visualisierung in neueren Filmen benutzt wird). Durch die Oberflächlichkeit der Schnittstelle ‚Bildschirm‘ erhält Schreiben überhaupt etwas Flüchtiges und erscheint Autorschaft als Passageres, Ephemeres (vgl. Wetzel 2020b). Die neuen Formate wie Blogs oder Chats lassen Autoren eher wie Effekte und nicht mehr als schöpferische Ursachen von Schreibprozessen erscheinen. Rainald Goetzʼ Abfall für alle (1999) startete als einer der ersten Versuche, die Geschwindigkeit und Flüchtigkeit des Internets für eine die Autorität von Autorschaft unterlaufende ephemere ‚Veröffentlichung‘ zu nutzen, die durch die Buchpublikation des Suhrkamp Verlags jedoch wieder konterkariert wurde (vgl. Segeberg 2007, 252–253): Anstelle der suggerierten Authentizität geht es vielmehr „um die Konstruktion dieser Form, um konstruierte ‚Authentizität‘“ bzw. – wie Jürgensen mit einer Kontamination des schillerschen Gegensatzes zwischen unmittelbarer Naivität und distanzierter Sentimentalität der Dichtung formuliert – „um eine Form der sentimentalischen Naivität“ (Jürgensen 2011, 412). Anders dagegen kommt es bei Elfriede Jelinek, die als eine der ersten Autorinnen präsentiert wurde, die ihre Texte auf dem Computer schreibt, bei ihren ebenfalls „zum raschen Verbrauch“ bestimmten Internet-Interventionen zu keinerlei Authentizitätseffekten, die vielmehr im Sinne einer „negativen auktorialen Ästhetik“ (Tuschling-Langewand 2016, 168–169) immer wieder durch Maskeraden, Absentierungen, ‚Metaisierungen‘ der „‚Metaautorin‘ Elfriede Jelinek“ (Clar 2013) destruiert werden. Eine ‚Fort-Da‘-Strategie der Selbst-Dekonstruktion, die ihren Höhepunkt mit der Rede „Im Abseits“ anlässlich der Nobelpreisverleihung an die Autorin, vertreten durch eine Videoprojektion, erhielt: „Sie ist nicht nur sie, sondern zugleich ‚vielfach‘ und ‚multipel‘: ein ‚Sie‘ im Zeitalter der Reproduzierbarkeit, nichts weiter als eine Kopie einer Kopie einer Kopie …“ (Tacke 2007, 203). Auch diegetisch lässt sich die Ephemerisierung des Erzählens erkennen, indem die Plotstruktur des Erzählens wichtiger als der Werkcharakter wird, auch ablesbar an einer ‚Spannung‘ und ‚Dynamisierung‘ der Handlungsverläufe, wobei als Nostalgie-Effekt gerade das Motiv der Passage im Zug sich einer großen Popularität erfreut. Der japanische ‚Internet-Roman‘ Densha Otoko (The Train Man, 2004) hat als interaktives Mitschreibeprojekt diese Motivkette eröffnet, in der
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allein die Erlebnisse des Reisens im Zug den Handlungsfaden knüpfen (vgl. Mitsuishi 2008). Unter eher konventionellen Publikationsbedingungen erschien The Girl on the Train von Paula Hawkins 2014, ein Roman, der, gerademal zur Hälfte geschrieben, schon Gegenstand eines internationalen hochpreisigen Marketingspektakels der Übersetzungsrechte und Verfilmungsrechte wurde: „Zum britischen Verkaufsstart wurden Leseexemplare an Blogger verschickt, punktgenau sollte die Neugier geschürt werden. Es gab verschiedene ‚train based activities‘, […] Verkaufsideen rund um Züge. In Schweden beispielsweise versammelte sich ein Flashmob an einem Bahnhof, erste Exemplare wurden gelesen und für Interessierte liegen gelassen.“ (Voigt 2015, 131) Deutlich wird dabei, dass der Autorenanteil am Erfolg des Werks der geringste ist, dass Inszenierung als im traditionellen Sinne Propagierung einer Persönlichkeit des schöpferischen Individuums ganz an das gesamtkunstwerkliche Medienspektakel übertragen wurde. Es gibt kein ‚Publikum‘ mehr als Adressat, sondern der Bezug von Autoren darauf hat sich medial als „Kommunikation“ verselbständigt, „eine ganz besondere Ware“ (Bolz und Bosshart 1995, 121), deren Wert genau kalkuliert werden muss, um den Markt zu kontrollieren. Der traditionelle, aus der Metaphorik des Theatralischen übernommene Begriff der Inszenierung bekommt so zunehmend ökonomische Brisanz, die den Autor vor allem im medial aufgeladenen Bereich der Autofiktion als Projektion einer perfekten Auto(r)biographie auf das Werk dazu zwingt, „Unternehmer“ (Pottbeckers 2017, 86; Meyer 2013, 10) im Sinne einer Vermarktung des eigenen ‚Labels‘ bzw. „Manager“ seiner Strategien des Lesens und Schreibens als seiner „systemischen Unternehmensführung“ (Ingold 1993, 57 vgl. Assmann 2014) zu werden. Der klassische Topos des Spiels, den Schiller als höchste Errungenschaft auktorialer Freiheit zwischen den Reichen der Notwendigkeit und der Möglichkeit eingeführt hatte, wird unter diesen Umständen zum Algorithmus einer Spiel-Logik, die das kreative Potential künstlerischer Projekte einem Modus der Berechenbarkeit unterwirft. Die medialen Veränderungen der Schreibsituation [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien] haben aber schon das Autorschaftskonzept der sogenannten ‚postmodernen Literaturʻ mit ihrer am Spiel orientierten Ästhetik revolutioniert, in der das zentrale poststrukturalistische Motiv vom „‚death of the subjectʻ […] signals the end of the entrepreneurial and inner-directed individualism, with its ‚charismaʻ and its accompanying categorial panoply of quaint romantic values such as that of the ‚geniusʻ in the first place“ (Jameson 1991, 306). Frei nach der Einsicht, dass die poststrukturalistische Dekonstruktion des Autors nur die textkritische Konsequenz der Dekonstruktion des ‚Subjekts‘ ist, gilt auch eine andere Parallele, dass sich die Formel vom ‚Tod des Autors‘ auch als Tod des einen, einzigen, singulären Autors versteht, an dessen Stelle im Sinne der poststrukturalistischen Dezentrierung des Subjekts eine Autorschaft als Vielheit tritt. Dies
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ist nicht nur buchstäblich im Sinne der kollaborativen Autorschaft zu verstehen, sondern auch figürlich: Der Autor kann namentlich an vielen Stellen zugleich als Avatar auftauchen, extradiegetisch als Verfasser über dem Titel des Textes, intradiegetisch als Erzähler oder als Figur der Erzählung. Im somit aus der Fesselung durch den Autor befreiten Text erlangte vor allem die alte rhetorische Stilfigur der Metalepse eine neue narrative Popularität im Sinne der mise-en-abyme, die den nominellen Autor im Rahmen der Erzählung agieren lassen kann, wie in Paul Austers City of Glass (1985), oder noch spektakulärer, wie in Michel Houellebecqs La carte et le territoire (2012), den nicht nur namensgleichen, sondern auch alle Stereotypen der medialen Inszenierung des Autors als misanthropen, misogynen, alkoholkranken und asozialen Außenseiter inkarnierenden Protagonisten zu Tode kommen lässt. Diese Paradoxien beherrschen auch den seit Serge Doubrovskys Wortschöpfung in Mode gekommenen Typus der ‚Autofiktion‘, der ja ebenfalls dadurch definiert ist, dass die Namen von Protagonisten und Autor identisch sind, um eine fiktive Geschichte des letzteren zu erzählen (vgl. Colonna 2004, 130–132) [vgl. den Artikel Autofiktion]. Kreknin hat vor allem am Beispiel von Rainald Goetz diese autofiktionale Schreibpraxis als „Poetiken des Selbst“ beschrieben, in denen eine Identität zwischen einem Autor-Subjekt und einer fiktionalen Autor-Figur durch „Einschreibung“ gemäß einer „autopoietischen Subjektivationsrhetorik“ erst hergestellt und durch „Fortschreibungen“ der (kritischen bis wissenschaftlichen) Rezeption propagiert wird, weshalb er Autorschaft durch Autofiktion auch gegenüber Autorschaft durch Inszenierung abgrenzt, da diese mit der „unterstellten Intention“ eine Identität des Autors voraussetze (Kreknin 2014, 32–33). ‚Autorschaft‘ erscheint dabei „immer nur als eine temporale und spezifische Ausprägung in multifunktionalen und poly-kontexturalen Autorschaftsdiskursen“ (53): „Was dabei entsteht, ist eine spezifische Form medialisierter Wirklichkeit, in der sich eine Autor-Figur ‚Rainald Goetz‘ […] formiert und beobachtbar macht.“ (129) Eine andere typisch postmoderne Vermischung der Genres und Grenzen betrifft die Parallelmontage von fiction und non-fiction, die in der Autofiktion schon mit der Doppeldeutigkeit von autobiographischer Dokumentation des ‚wahren‘ Autorlebens und phantasievoller Erfindung des ‚eingebildeten‘ Lebens einer fiktionalen Autor-Figur ausprobiert wird, um grundsätzlich das Monopol der auktorialen Narrativität als „unreliable narration“ in Frage zu stellen. Dieses mehrheitlich in der angloamerikanischen Literaturwissenschaft diskutierte Phänomen der perspektivischen Aufspaltung der Erzählerinstanzen, deren unterschiedliche Glaubwürdigkeit von keiner Instanz implizierter Autorschaft eingefangen werden kann (vgl. Nünning 1998), erlebt vor allem seit den frühen Romanen Thomas Pynchons mit ihrer Vermischung von Anspielungen auf historische Bezüge mit fiktionalem Geschehen (vgl. Bertens 2019, 190–197) auch in deutschsprachigen Beispie-
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len der Montage historischer Figuren in den Romanen etwa von Daniel Kehlmann oder Christian Kracht eine anwachsende Popularität. Das wiederholte Credo, die Geschichten nicht erfunden, sondern gefunden zu haben, nähert ‚Autorschaft‘ wieder an die frühneuzeitliche Bestimmung des Kompilierens in diesem Fall nonfiktionaler Texte an, die, wie in dem spektakulären Fall des ready-made-Gedichts „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968“ von Peter Handke auch mit der entsprechenden Ankündigung im Sportteil der Nürnberger Zeitung identisch sein kann (Martínez 1999, 473–478). Die Artikulation künstlerischer Individualität verlagert sich vom schöpferischen Urhebertum auf die durch das Werk vermittelte artifizielle Metaebene einer Verfremdung des ursprünglichen Materials, das wie in dem anderen Beispiel des Romans The Death of the Author von Gilbert Adair auch die wirkliche Biographie des belgischen Literaturwissenschaftlers Paul de Man, der nach publizistischer Aktivität für ein faschistisches Organ in Belgien vor dem Zweiten Weltkrieg eine zweite Karriere unter anderem Namen als Dekonstruktivist in den USA gemacht hatte, dazu benutzen kann, durch die Montage von Versatzstücken der Barthesʼschen Theorie vom Tod des Autors auszuphantasieren, „wie ein Text seinen Autor schreiben kann“, um ihn dann qua Definition seiner Präsenz als Absenz auch „wirklich umzubringen“ (Adair 1997 [1992], 37 u. 103). Oder es kann, wie in einem jüngeren Beispiel, Laurent Binets Krimi La septième fonction du langage (2015), durch die Kolportage von Anekdoten aus der Pariser Intellektuellenszene der Poststrukturalisten um 1980 der reale Tod Roland Barthesʼ durch einen Autounfall zur fiktiven Verschwörungstheorie eines von seiner Schülerin Julia Kristeva zusammen mit dem bulgarischen Geheimdienst angezettelten Mordanschlags umgedeutet werden (eine phantasievolle Unterstellung, die dann allerdings durch die erst Jahre später die Öffentlichkeit erregende Affäre um die angebliche Finanzierung von Kristevas Studienaufenthalt in Paris durch den bulgarischen Geheimdienst in ein schillerndes Licht gesetzt wurde). Der Autor spielt so seit Pynchon mit der Aura eines mit einem Geheimwissen ausgestatteten Eingeweihten, was wie eine Neuauflage des poeta vates erscheint. Aber es ist nur eine in postmoderner Manier aus dem historischen Vorrat der Maskierungen herausgegriffene Rolle, ebenso wie die seit einigen Jahren in der deutschsprachigen Literatur als Renaissance der Gattung ‚Künstlerroman‘ zu beobachtende Wiederkehr des ‚Genie‘-Kultes. Angefangen bei Patrick Süskinds Bestseller Das Parfum (1985), gefolgt von Robert Schneiders Schlafes Bruder (1992), beides übrigens Romane, die eine publikumswirksame Verfilmung erlebt haben ebenso wie Kehlmanns Ich und Kaminski (2003) und Die Vermessung der Welt (2005), geht es in diesen Romanen um die Darstellung genialer Künstlerfiguren (bei Süskind in Gestalt eines Mörders ganz in der Tradition des DécadenceMotivs vom perfekten Mord als höchste Kunst), die in einer Art archeologischer Perspektive das Dispositiv souveräner Auktorialität im Scheitern als „Destruk-
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tion des Genies“, als „Kippfigur, die das dialektische Potenzial des Geniekonzepts aufzeigt“ (Sager 2010, 81; vgl. Werner 2003; Borgmeier 2015), glorifizieren bzw., wie in anderen Beispielen u. a. Hans-Ulrich Treichels Tristanakkord (2000) oder Kehlmanns Ruhm (2009), vor allem aber schon im Werk Robert Gernhardts, exemplarisch in Ich Ich Ich (1983), karikieren (vgl. Wick 2008, Tranacher 2018; zur Satire des ‚Ruhm‘-Motivs vgl. auch Schöttker 2000, 482). Signifikanter Weise besigelt gerade diese narrative Wiederkehr des Autors als mit seinen Insignien der künstlerischen Macht ausgestattete Romanfigur seinen Untergang als postmodernes Zitat, das beliebig neuen historischen Rahmungen implementiert werden kann. So zeigt sich an dieser thematischen Entwicklung auch, dass viele Phänomene einer sogenannten ‚Wiederkehr des Autors‘ nur Pseudo-Effekte medialer Inszenierung sind, wobei auch die ‚Literaturkritik‘ und selbst die ‚Literaturwissenschaft‘ mit ihren publizistischen Performanzen dazu zu rechnen sind. Gerade das Beispiel der Geniekult-Renaissance wirft ein Schlaglicht auf die dominanten Marketing-Strategien, die nicht einer neuen Nobilitierung der Urheber gelten, sondern über die Rollenerwartung ihrer Autorschaft einer Aufwertung des Werks als Ware. Und in diesem Sinne braucht der Markt den Autor als gewissermaßen ‚Gebrauchswertgaranten‘, der über das Repräsentationssystem von gerade im 20. Jahrhundert multiplizierten (oft an die Namen ikonischer Autoren gebundenen) Literaturpreisen, von Verlagen organisierten Poetik-Vorlesungen und anderen medialen Auftritten wiederum den ‚Tauschwert‘ des Produkts durch das neu entdeckte Kriterium der ‚Authentizität‘ steigert (vgl. Bertens 2019, 190). Dabei kann der Literaturbetrieb nicht mit den exorbitanten Preismargen des Kunstmarktes mithalten, aber er teilt mit ihm die Empfindlichkeit beim Thema ‚Fälschung‘ bzw. ‚Plagiat‘. Nur so verstehen sich auch die beiden größten Skandale der jüngsten Zeit um die Fälschung der Auschwitz-Memoiren Bruchstücke (1995) von Binjamin Wilkormirski und das Plagiat im Roman Axolotl Roadkill (2010) von Helene Hegemann. In beiden Fällen war der ‚Entlarvung‘ nämlich eine mediale Kampagne vorhergegangen, die eine gesteigerte Erwartung an Authentizität auslöste, im ersteren Fall eine Art „Fetischisierung“ (Theisohn 2009, 484; vgl. Schmidt 2014, 217) der Zeugenschaft, gewürdigt durch zahlreiche Preise der Publikation wie auch im Fall Hegemann, dessen „Inszenierung von Autorschaft – einer besonderen, da jugendlichen Autorschaft“ (Theisohn 2012, 36–37) angesichts des Alters mehr im Zeichen der Feier des „frühen Genies“ als „Mythos vom literarischen Wunderkind“ (Reulecke 2016, 415–417) stand, wobei ebenfalls eine „Identität von auktorialer und fiktionaler Biografie“ (Theisohn 2012, 36) unterstellt wurde. Brisant wurden beide Fälle auch insofern, als sich beide Protagonisten aus postmoderner Sicht gegen die Vorwürfe wehrten, dass z. B. die „geliehene Holokaust-Biographie“ (Theisohn 2009, 486) als „authentische Fälschung“ sich im Rahmen der diskursiven Forma-
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tion von Authentizität „als besonders authentisch darstellt“ (Schmidt 2014, 217), bzw. dass angesichts der von Hegemann als Vertreterin der Generation copy and paste aufgerufenen hypertextuellen „Begriffe der Montage, des Mashups und des Remixes“ (Reulecke 2016, 423) Vorstellungen wie Originalität eh obsolet seien, und so hätte „das aufgedeckte Plagiat zu einer Desillusionierung sogenannter ‚authentischer‘ Schreibweisen beitragen können, da es vorführte, wie einfach der Effekt des Authentischen zu simulieren ist“ (421). Die Konsequenz ist, dass Autorschaft endgültig von einer Frage der Ästhetik und Poetik zu einer solchen der Ethik übergeht, die zugleich im Sinne Max Webers eine protestantische Ethik des Marktes ist (vgl. Wunderlich 1989 und Wegmann 2005). Auf diesem herrscht, wie Theisohn zum Plagiats-Fall Hegemann und seiner Feier der Authentizität einer Nichtauthentizität der Share-Ware-Autorschaft anmerkt, das Gesetz der „Schizophrenie eines Literaturbetriebs, der sich noch an der Vorstellung seiner ökonomischen Selbstentleibung zu ergötzen vermag“ (Theisohn 2012, 63). Aus diesem Gesichtspunkt einer Gegenwärtigkeit formuliert, lässt sich als gewiss annehmen, dass Autorschaft kein Thema ist, das ‚erledigt‘ ist. Es erfordert nur eine historisch-kritische Sensibilität, die der zeitgeschichtlichen Zentrifugalität gerecht wird. So bleibt ‚Autorschaft‘ auf drei Ebenen virulent, die sich in ihrer Modalitätsstruktur ergänzen. Auf der Ebene eines (kritischen) ‚Wissens‘ leidet es keinen Zweifel, dass der Autor als individueller Schöpfer seines Werkes keine Rolle mehr außer der einer ‚Funktion‘ im Sinne Foucaults spielt. Jahrhunderte von Analysen zum multifaktiorellen Einfluss von Quellen, Medien, Rezeptionsweisen etc. auf den Werkprozess haben gezeigt, dass das, was unter einem Autornamen erscheint, nur eine Maske darstellt, den Rahmen bildet für die Oberfläche einer von vielen Vor-, Mit- und Umschreibern, Ein- und Herausgebern gestalteten Produktion. Auf der Ebene des ‚Glaubens‘ wird der Wunsch nach dem einen Original-Schriftsteller, der geniehaft Neues schafft, unausrottbar bleiben. Während das Wissen sich auf die Wirklichkeit des Literaturbetriebes bezieht, nährt der Glaube das Reich der Möglichkeit in seiner Offenheit für Kreation und Erfindung bis Erlösung. Aber es gibt noch eine dritte Ebene, nämlich die der ‚Notwendigkeit‘, auf der sich das eherne Gesetz der Verwertungsrechte, das Copyright, kontinuiert. Solange das Produkt der künstlerischen Leistung einen ökonomisch messbaren Gewinn erzielt, wird Autorschaft hier ihre Geltung behalten. Nur zeigt sich auch auf dieser Ebene, dass die dominante Rolle des Autors damit nicht zu restituieren ist, denn er ist die Instanz, die nur unter anderen am Erlös des Copyrights beteiligt ist, der vielmehr – was den Print-Sektor anbelangt – in erster Instanz an den Herausgeber/Verlag und nicht zuletzt an den Buchhandel/Vertrieb geht. Die widerspruchsfreie Koexistenz des ‚Wissens‘ um die Fingiertheit auktorialer Autorität mit dem ‚Glauben‘ an die Größe von Genies zeigt sich auch an
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der von Harold Bloom entwickelten paradoxen Figur einer „anxiety of influence“ (1973), die eigentlich eine Angst vor der Sterblichkeit im transfigurierenden Ideal des durch seine Originalität als unsterblich ‚kanonisierten‘ Autors zu überwinden sucht: „The rhetoric of immortality is also a psychology of survival and a cosmology“ (Bloom 1994, 18), wohl wissend, dass „great writing is always rewriting or revisionism and is founded upon a reading that clears space for the self“, dass also „originals are not original, […] that the inventor knows how to borrow“ (10). Dieser double bind führt zwangsläufig zu den begrifflichen Unschärfen, die so manchen Theoretiker der Autorschaft auf dem Boden der metaphorischen Gemeinplätze ausgleiten lassen. So dürfte auch Barthes klar gewesen sein, dass seine gegen die Unsterblichkeitsrhetorik gerichtete Polemik vom ‚Tod des Autors‘ nicht ‚greift‘, da der ‚Autor‘ per definitionem nicht sterblich ist – im Gegensatz zum Schreiber, was auch in der Gegen-Polemik von Blooms Kanonisierung in das Gegenteil der unterstellten Unsterblichkeit umkippt: „The death of the author is a trope, and a rather pernicious one; the life of the author is a quantifiable entity.“ (35) Auch Blooms Vorwurf gegen Foucaults ‚Funktion‘ des Autors als Metapher, der sich keine wirklichen Werke verdanken würden, verkennt den begrifflichen Status, der eigentlich ein Machtdispositiv bezeichnet, das in der Ordnung des Diskurses als Regulativ fungiert. In diesem Sinnne ist „jede Äußerung über Autorschaft […] bereits am Konstitutionsprozeß von Autorschaft beteiligt“ (Schley 2012, 98), aber sie bewirkt keine Rückkehr des Autors in vivo, sondern allenfalls in vitro, als methodologisch notwendige Konstruktion, als „fundamentale kontrafaktische Imagination“ (Spoerhase 2007, 448).
II.9 Perspektiven Ungelöst ist weiterhin der ökonomische und juristische Streit um die Verwertungsrechte des Autors vor allem wissenschaftlicher Publikationen, für die gerade in Zeiten zunehmender Konzentration auf das ‚Lesen am Bildschirm‘ immer dringlicher ein open access gefordert wird. Dennoch bleibt das auktoriale Schöpfertum, wie die diversen erfolgreichen Prozesse der ‚Verwertungs-Gesellschaft Wort‘ in der letzten Zeit gezeigt haben, ein auch juristisch schützendwertes Gut. Es gilt noch immer, was Gerhard Plumpe schon vor Jahren konstatierte: „Als kulturelles Ereignis mag es den ‚Tod des Autors‘ geben – das Recht läßt ihn wiederauferstehen, solange Artefakte als Eigentum in Frage kommen.“ (Plumpe 1996, 380) Brisanter ist die Frage der Simulation von Autorschaft durch Maschinen mit Künstlicher Intelligenz, wie sie von bestimmten Bereichen der Actor-Network-Theory vorangetrieben und von neuen Schreibprogrammen des „Natural
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Language Processing“ wie dem Sprachmodell GPT-3 ermöglicht wird. Erste Experimente finden sich auch bei Schriftstellern wie Kehlmann, der mit dem Algorithmus CTRL versuchte, Texte zu generieren (Kehlmann 2021), oder bei Kuhn, der seine Autorschaft in den Produktionen einer intelligenten Schreibmaschine spiegelte (Kuhn 2021), sowie als Vorform schon im Spiel mit einem KI-Tagebuch bei Setz (Setz 2018). Dennoch handelt es sich dabei nicht um autonome Schöpfungen von Maschinen, sondern um ein „Co-Creative-Writing“ (Bajohr 2021, 175), bei dem die Initiative von menschlichen Subjekten ausgeht und die Maschine nur mit typischen Ergänzungen aus dem Wortfeld der natürlichen Sprache fortfährt, wobei mit dieser kritischen Restriktion keine „reaktionäre Revision des Autorbegriffs“ (Catani 2020, 303) intendiert ist. Durch die Digitalisierung des Schreibens werden aber auch ganz alltägliche Dimensionen von Autorpraktiken betroffen: Eine zunehmende Autonomisierung der Autoren führt zu einer Eigenregie der literarischen (und auch wissenschaftlichen) Produktion auf ‚eigenhändig‘ gestylten Homepages, für die es keine Lektorate mehr gibt. Das Publizieren im eigenen WebBlog ist dabei gar nicht mehr groß unterschieden von Buchpublikationen, die im Print-on-demand-Verfahren dem Verlag nur noch die Druckfunktion übriglassen. Einerseits wird die Verfügungsmacht des Autors über seinen Text gestärkt, diejenige über die Zirkulation seines Textes aber geschwächt. Für die Theoriegeschichte von Autorschaft eröffnen sich darüber hinaus weite unerschlossene Felder im Bereich postkolonialer Diskussionen eines über den Eurozentrismus der Gründungsmythen von Autorschaft hinausgehenden Vorstellungen kultureller Schöpfung nicht zuletzt in Verbindung mit anderen Minority Discourses (vgl. Glaser 2010 und Banerjee 2019). Die Frage ist, wie Auktorialität ein „interkulturelles Potential“ (Bachmann-Medick 2008, 325) entfalten kann, oder inwiefern bei Vergleichen mit anderen Kulturkreisen eher eine negative Vorstellung von Autorschaft (vgl. Schwermann und Steineck 2014) zu konstatieren ist. Bestes Beispiel ist im Sinne eines Fehlens von Originalitätsvorstellungen der asiatische Kulturbereich, in dem entsprechend das moderne Copyright schwer durchzusetzen ist. Als prominentester Fall wird oft China angeführt, wo ausgehend von dem ästhetischen Ideal, dass Meisterschaft in der perfekten Kopie und nicht in Originalität besteht, auch im ökonomischen Bereich das Plagiieren von ProduktionsPatenten üblich ist. Ein Problem für die Unesco-Vorstellung von ‚Weltkulturerbe‘ stellte auch das höchste nationale Heiligtum Japans der Shinto-Schreine in Ise dar, die alle 20 Jahre abgerissen und daneben naturgetreu neu gebaut werden: Authentisch ist dieses Kulturgut nicht wegen der Historizität seiner originären Bausubstanz oder wegen der Genialität seines Schöpfers, sondern wegen der unveränderten Tradition seiner handwerklichen Reproduktion. Authentizität wird verbürgt als authentische Reproduktion, Autorschaft wird autorisiert durch Echtheit bzw. Genauigkeit der Nachahmung von Vorbildern (vgl. Mager 2016, 9 f., 145–162).
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Die Vorstellung von Authentizität als Originalität (im doppelten Sinne des Wortes von einmaligem Ursprung und Gebundenheit an den Ort bzw. Kontext des Entspringens) ist in Japan unbekannt und auch als Begriff nicht ins Japanische übersetzbar – außer im Sinne von „Echtheit“ oder „Glaubwürdigkeit“ (ebd., 116). Auch die in westlichen Kulturen authentizitätsverbürgende Signatur als singulärer und performativer Akt wird in Japan durch die Beglaubigung und Identifikation von Dokumenten anhand von drucktechnischen Stempeln (hanko) ersetzt. Für die traditionelle, vormoderne Ästhetik Japans gibt es so keine individuelle Autorschaft, die Authentizität von Kunst- und Kulturwerten autorisierte, sondern allein deren handwerkliche Perfektion, was als Anreiz für postcolonial studies genommen werden kann, Spielräume kulturellen Wachtums jenseits der Vorstellung von Auktorialität zu erkunden und sozusagen hybride Modelle eines Autors ohne Autorschaft zu entwerfen.
II.10 Zur Konzeption des Bandes Im Sinne der Unverzichtbarkeit einer Auseinandersetzung mit der Begriffsgeschichte von Autorschaft als einem der zentralen und beherrschenden Konzepte des modernen Mediums Literatur und zugleich – im Sinne der darin begründeten Vorstellung urheberschaftlichen Subjektivität – künstlerischer Kreativität widmen sich die Beiträge des Handbuches zunächst den zentralen Themen der begrifflichen Konstellation, bevor in einem weiteren Abschnitt die interdisziplinären Übertragungen auf außerliterarische Bereiche verfolgt werden. Für die zentralen Fragestellungen gelten drei Gesichtspunkte. Unter dem Stichwort „Dimensionen“ sind diejenigen Beiträge versammelt, die sich mit der Entfaltung der unterschiedlichen Bedeutungsaspekte beschäftigen. Angefangen bei der von Matthias Schaffrick behandeltene konstitutiven Relation zwischen dem Autorsubjekt und dem Werk, in der sich Autorschaft als Werkherrschaft etabliert, konzentriert sich der zweite Artikel von Carlos Spoerhase und Marcus Willand mehr auf die hermeneutische Rolle des Autors und seiner Intention beim Verstehensprozess. Im folgenden Beitrag von Eric Achermann kommt ein weiterer zentraler Themenkomplex zur Sprache, der für die Konstitution von Autorschaft entscheidend ist: die Entwicklung der typisch modernen Vorstellung von ‚geistigem Eigentum‘ und deren gesetzliche Verankerung im Copyright. Auch das anschließend von Johannes Lehmann diskutierte Konzept der ‚Genieästhetik‘ hat die Bedeutung von Autorschaft entscheidend geprägt und fungiert oft sogar als Synonym. Die letzten beiden Beiträge beschäftigen sich bei Natalie Binczek mit der für Autorschaft entscheidenden Dimensionen des Schreibens, d. h. mit dem Verhältnis des Autors zu
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seinem Text und dessen intertextueller Vernetzung, und schließlich bei Uwe Wirth mit der besonderen Funktion des Autors als ‚Herausgeber‘. Der zweite Gesichtspunkt versammelt Fragestellungen der Repräsentation von Autorschaft, die sich aus ihrer „Inszenierung“ ergeben. Der erste Beitrag von Carola Hilmes wendet sich dem traditionellen Genre der Autobiographie zu, das im folgenden Beitrag von Claudia Gronemann im Sinne der Weiterentwicklung zur ‚Autofiktion‘ diskutiert wird. Das Verhältnis von Autorsubjekt und autobiographischem Text wird anschließend von Anke Niederbudde hinsichtlich der Funktion von Autor-Masken und -Maskierungen problematisiert. Als weiteres traditionelles, wenn auch paratextuelles Medium der Inszenierung von Autorschaft thematisiert der Artikel von Matthias Bickenbach sodann das ‚Autor-Bild‘, das als Textbeigabe oder als Werbeträger dem Urheber des Werks ein ‚Gesicht‘ verleiht. Aber auch Briefeditionen dienen der Vermittlung eines persönlichen Bildes vom Autor, wie im Beitrag von Jochen Strobel ausgeführt wird. Abschließend kommen unterschiedliche Strategien der Inszenierung noch einmal am besonderen, von Thomas Hecken vorgestellten Beispiel der ‚Pop-Autoren‘ zur Darstellung. Im dritten Abschnitt der zentralen Fragestellungen geht es eher um Randgänge von Bedeutungsmomenten, die gegenüber der orthodoxen Autorität von Autorschaft eine Tendenz der „Dezentrierung“ darstellen. Schon im ersten Beitrag von Stephan Pabst und Niels Penke kommt eines der zentralen Probleme zur Sprache, die ‚kollektive Autorschaft‘ als Überschreitung des klassischen Ideals vom individuellen Urheber. Auch die von Ute Schneider anschließend diskutierte Beziehung des Autors zum literarischen Markt stellt für dessen Autonomie eine Herausforderung dar. Relativ spät entwickelte sich das von Irina Gradinari dann rekonstruierte Problembewusstsein von Autorschaft und Geschlecht und damit die Frage nach dem Stellenwert und den Grenzen einer weiblichen Autorschaft. Ein anderes Konfliktfeld steht im Mittelpunkt der Ausführungen von Nicole Streitler-Kastberger, nämlich die wechselseitige Abhängigkeit von Autoren und Kritikern, die auch einen Positionswechsel impliziert. Einen solchen kennt auch die abschließend von Claus Telge vorgestellte Funktion des ‚Autor-Übersetzers‘, die reproduktive Leistungen in produktive umschlagen lässt. Auch der Abschnitt zu den interdisziplinären Verweisen ist thematisch untergeteilt. Im ersten Unterkapitel geht es vorwiegend um Aspekte der Sozialgeschichte, wobei der Beitrag von Thomas Becker die populäre Theorie Pierre Bourdieus vom ‚Feld kultureller Produktion‘ behandelt und der anschließende Artikel von Ingo Stöckmann die ebenso populäre Systemtheorie von Niklas Luhmann diskutiert. Das zweite Unterkapitel ist der Bedeutung von Autorschaftstheorien für den Kunstbereich gewidmet, wobei den Anfang die ‚bildenden Künste‘ mit dem von Sabine Kampmann vorgestellten Modell des ‚Autor-Künstler‘ machen, gefolgt von Beispielen des ‚Regietheaters, an denen Caroline Lodemann die Entwicklung des
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inszenierenden Regisseurs zum souveränen Autor demonstriert, und zugespitzt im Fall des ‚Autorenfilms‘, anhand dessen Jochen Mecke eine Wiederkehr des klassischen Genie-Autors im Medium einer eigentlichen kollektiven Produktionsweise rekonstruiert. Die Fragestellung der Medien wird im dritten Unterkapitel wiederaufgegriffen. Der Beitrag von Gregor Schwering gibt einen generellen Überblick über das Verhältnis von Autorschaft und Medialität, das von Christiane Heibach spezieller auf die Frage nach der Rolle des Autors im Hypertext und im Internet fokussiert wird und im letzten Beitrag von Jens Schröter noch eimal aus dem Blickwinkel der ‚Akteurs-Netzwerk-Theorie‘ problematisiert wird. Es versteht sich von selbst, dass die Aufteilung der sematischen Einzelaspekte von Autorschaft auf die einzelnen Artikel etwas Künstliches hat und Überschneidungen nicht ausschließen kann. Die genannten jeweiligen thematischen Schwerpunkte sollen eher eine Orientierung geben, deren Vernetzung mit den anderen Diskussionszusammenhängen in den Beiträgen durch entsprechende Verweise ausgewiesen ist.
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III Zentrale Themen/Fragestellungen
III.1 Dimensionen
Matthias Schaffrick
III.1.1 Autorsubjekt und Werkherrschaft 1 Definition bzw. Erklärung Das Verhältnis von Autor und Werk ist eine werkpolitische Angelegenheit (Martus 2007). Die Veröffentlichung eines Werkes folgt strategischen Erwägungen. Sie antizipiert die Reaktion des Publikums auf das Werk und kalkuliert die Spielräume der Rezeption mit ein. Vorstellungen von Einheit und Abgeschlossenheit, die der Werkbegriff impliziert, sind keine Naturgegebenheiten, sondern Konstrukte, die sich in den Praktiken der Herstellung, der Distribution, Rezeption und Weiterverarbeitung eines Werkes manifestieren und diese Praktiken leiten. Daher ist es notwendig, die Konfigurationsprozesse von Werken in einem Netzwerk von Akteuren praxeologisch zu beobachten [vgl. den Artikel Autorschaft aus dem Blickwinkel der Akteur-Netzwerk-Theorie]. Was gehört zu einem Werk, und was nicht? Wer entscheidet über diese Frage: der Autor, der Herausgeber, der Verleger, der Drucker, die Leser, die Kritiker? Trotz der Vielzahl von Akteuren und Faktoren, die an der Entstehung eines Werkes beteiligt sind, gilt der Autor gemeinhin als Ursprung der werkpolitischen Entscheidungen, der als Produzent, Schöpfer und Urheber eine herausgehobene Stellung gegenüber dem Werk besitzt. „Wir sagen gewöhnlich […], dass der Autor eine schöpferische Instanz ist, aus der ein Werk heraussprudelt“ (Foucault 2001 [1969], 1029 f.). Werkherrschaft ist das konzeptuelle Paradigma, das die Vorstellung von der Souveränität des Autors über sein Werk transportiert. Die enge Bindung zwischen Werk und Urheber „macht den Autor zum Souverän seines Werks. […] In der ständischen Gesellschaft garantierte der Souverän durch seine Privilegien die Nutzung des Werks – in der modernen Gesellschaft ist der Autor an die Stelle des Königs getreten.“ (Bosse 2014 [1981], 7) Die Vorstellung einer souveränen „Herrschaft des Werkschöpfers (Urhebers) über sein Werk (persönliche geistige Schöpfung)“ (Windisch 1998, 571) wird im Urheberrecht bis heute tradiert, obwohl der Begriff ‚Herrschaft‘ ebenso wie der Begriff ‚Autor‘ (das Recht kennt nur den ‚Urheber‘) selbst darin gar nicht vorkommen (vgl. UrhG; Hoffmann 2017) [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright]. Mit dem Titel seiner wegweisenden Studie Autorschaft ist Werkherrschaft hat Heinrich Bosse (2014 [1981]) dieses Konzept in der Literaturwissenschaft populär gemacht. Der Begriff stammt jedoch nicht von Bosse, sondern von dem Rechtswissenschaftler Ernst E. Hirsch. Dieser erläutert den Begriff wie folgt: „Diese Bezeichnung versucht deutlich zu machen, daß die rechtliche Position, in der sich der Urheber durch die Schaffung und (oder) Veröffentlichung seihttps://doi.org/10.1515/9783110297065-003
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nes Werkes kraft Gesetzes befindet, ein Herrschaftsverhältnis ist“ (Hirsch 1963 [1948], 54). Es erstaunt stets aufs Neue, sich die Paradoxie zu vergegenwärtigen, die sich aus der rechtlichen Regelung geistigen Eigentums für das ‚Herrschaftsverhältnis‘ von Autor und Werk ergibt. Denn gerade die Veröffentlichung schränkt die ‚Herrschaft‘ über das Werk ja ein, setzt das Werk der freien Zirkulation und der privaten Lektüre aus und lockert die scheinbar „unlösbare Verbindung zwischen Werk und Urheber“ (Hirsch 1963 [1948], 54), die Hirsch als Werkherrschaft bezeichnet. Historisch betrachtet ist diese Verbindung ohnehin alles andere als selbstverständlich, sondern beginnt sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts und im Kontext von Autonomieästhetik und Individualisierung herauszubilden (dazu Woodmansee 1984; Achermann 2002; Bosse 2014 [1981]). Im Dialog zwischen Recht und Ökonomie auf der einen und Ästhetik und Philosophie auf der anderen Seite entsteht die moderne Konzeption von Autorschaft. Die Genieästhetik spielt dabei eine entscheidende Rolle [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft]. Als Genie erscheint der Autor in Analogie zu Gott im Sinne eines second Maker (Shaftesbury) oder alter deus (Scaliger; dazu Blumenberg 2009 [1956/57]); zugleich integriert diese Autorschaftskonzeption die Eigenschaften des souveränen, selbstbestimmten und autonomen Subjekts. Mit der je individuellen ‚Eigentümlichkeit‘ des Subjekts bzw. Genies, die ihren Widerpart in der Eigentümlichkeit des Werkes findet, wird geistiges ‚Eigentum‘, also Werkherrschaft, schließlich begründet (Plumpe 1979). Es fragt sich also, wie unter den Bedingungen schriftlicher, literarischer Kommunikation so etwas wie ‚Herrschaft‘ überhaupt denkbar ist und wer hier eigentlich über wen herrscht. Die Tatsache, dass Autoren zu Lebzeiten ebenso wie für eine gewisse Zeit nach ihrem Tod über die Veröffentlichung und Verwertung ihrer Werke ‚herrschen‘, ist allein urheberrechtlich geregelt und dort im Prinzip unstrittig, nicht aber die Werkherrschaft in der im engeren Sinne literarischen Kommunikation. Der Begriff der Werkherrschaft ist werkpolitisch gesehen problematisch. Die Souveränitätszuschreibung an den Autor scheint das Ausmaß seiner Herrschaft zu überschätzen und lässt unklar, wer eigentlich beherrscht wird und welche agency die Beherrschten in das Herrschaftsverhältnis miteinbringen. Insofern ist die Werkpolitik „dem Problem der Werkherrschaft […] übergeordnet“ (Martus 2007, 13). Alle „Widersprüche der Werkpolitik“ finden sich nämlich auf der Ebene der Beziehung von Autor und Werk wieder: darunter die Widersprüche zwischen ästhetischer Autonomie und literarhistorischer Heteronomie, zwischen Endlichkeit des Werks und Unendlichkeit des Sinns, zwischen textueller Geschlossenheit und intertextueller Offenheit, zwischen schriftlicher Stabilität und Zerstreuung (Martus 2007, 13–22). Die Konzeption von Autorschaft als Werkherrschaft erfasst
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nur eine Seite der Bedeutung von ‚Werkherrschaft‘. Jenseits von Urheberrechtsgesetzen wäre diese Herrschaft nämlich nicht nur als Herrschaft des Autors über das Werk, das er geschaffen hat, zu verstehen, sondern auch als Herrschaft des Werks über den Autor, der erst durch sein Werk seinen Status als Autorsubjekt konsolidiert. Werkherrschaft bedeutet nicht nur die Herrschaft des Autors über sein Werk, sondern auch die Herrschaft des Werkes über seinen Autor. Diese Ambiguität des Begriffs destabilisiert das Konzept der Werkherrschaft und verweist auf die systematische Relationalität von Autorsubjekt und Werkherrschaft. Ihr Verhältnis zueinander ist von den jeweiligen poetologischen Vorannahmen über die Entstehung, Struktur, Wirkung und Funktion von Literatur abhängig.
Was ist ein Autor/Subjekt? In der literaturwissenschaftlichen Autorschaftsforschung markiert Michel Foucault mit seinem Vortrag „Was ist ein Autor?“ aus dem Jahr 1969 einen Paradigmenwechsel. Foucault definiert den Autorbegriff als diskursive Funktion und untersucht Autorschaft in ihrer Bedeutung für „die Existenz-, Zirkulations- und Funktionsweise bestimmter Diskurse innerhalb einer Gesellschaft“ (Foucault 2001 [1969], 1015). Am Autorbegriff exemplifiziert Foucault diejenigen Bedingungen, denen das Subjekt aus diskursanalytischer Perspektive generell unterworfen ist. Das Subjekt bildet bei Foucault – anders als in der Philosophie des deutschen Idealismus – nicht den transzendentalen Ursprung des Diskurses, sondern konstituiert sich nach den Regeln diskursiver Formationen als Effekt von Diskurspraktiken. „Worum es geht, ist zu bestimmen, was das Subjekt sein muss, welcher Bedingung es unterworfen ist, welchen Status es haben und welche Stellung im Wirklichen und im Imaginären es einnehmen muss, um zum legitimen Subjekt dieser oder jener Art Erkenntnis zu werden; kurz, es geht darum, seinen Modus einer ‚Subjektivierung‘ zu bestimmen“ (Foucault 2007 [1984], 220 f.). Diesen Faden greift Giorgio Agamben in seinem Text „Der Autor als Geste“ (2005) auf, in dem er sich mit Foucaults Überlegungen – auch vor dem Hintergrund von Roland Barthes’ Essay über den „Tod der Autors“ (1967/68) – auseinandersetzt und sie auf den Begriff der Subjektivierung zuspitzt (dazu Schaffrick und Willand 2014, 44–47). Agamben hebt hervor, dass Foucault nicht an einer „Negation des Subjekts“ (Foucault 2001 [1969], 1041) arbeitet, sondern die Analyse von Bedingungen der Subjektivierung vornimmt. „Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Autor-Funktion als ein Prozess der Subjektivierung, durch den ein Individuum als Autor eines bestimmten corpus von Texten identifiziert und konstituiert wird. […] Es gibt ein Subjekt ‚Autor‘, doch wird es nur durch die Spuren seiner Abwesenheit bezeugt.“ (Agamben 2005, 60 f.)
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Die ‚Abwesenheit‘ des Autors, auf die Agamben hier anspielt, stellt ein generelles Paradigma der französischen Philosophie des Poststrukturalismus im Anschluss an Derrida (1988 [1972]) dar. Dieses Paradigma zielt darauf ab, die semiotische Eigendynamik der Textbedeutungskonfiguration jenseits einer vorangehenden Autorinstanz hervorzuheben [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Entscheidend ist, dass Agamben den Befund von der Abwesenheit des Autors in Bezug zu seiner „irreduzible[n] Anwesenheit“ (Agamben 2005, 66) setzt und die paradoxe „Anwesenheit-Abwesenheit des Autors im Werk“ als „Paradigma“ (Agamben 2005, 62) der Autorschaft identifiziert. In der deutschsprachigen Literaturwissenschaft erläutert Klaus Weimar schon früher anhand der Unterscheidung von Anwesenheit und Abwesenheit die Aporien von Autorschaft in schriftlicher Kommunikation: „Der Produktionsakt (der Akt des Schreibens) ist im ‚Geschriebenwordensein‘ der Schrift gegenwärtig, aber ‚nur‘ als ein vergangener, und gegebenenfalls ist in der Individualität der Schriftzüge ein Produzent (die schreibende Person) anwesend, aber ‚nur‘ als ein abwesender.“ (Weimar 1999, 125; weiterführend Schaffrick 2014, 45 f.) Hinter diesen Überlegungen steht der Versuch, Autorschaft trotz einer strukturalistischen Konzentration auf die Analyse von Texten als eine Kategorie zu gebrauchen, mittels derer man Aussagen über die auktorialen Subjektivierungsprozesse in den unterschiedlichen medialen Dispositiven Schrift, Text, Buch oder Werk treffen kann (Schaffrick und Willand 2014, 45–47). Die Rede von der Abwesenheit des Autors gibt zu verstehen, dass „der Autor […] dem Werk nicht voraus[geht].“ (Foucault 2001 [1969], 1030).
Was ist ein Werk? In seinem Vortrag über die Autorfunktion behandelt Foucault nicht nur die titelgebende Fragestellung, was ein Autor sei, sondern widmet sich außerdem der gleichermaßen heiklen Frage „Was ist ein Werk?“ (Foucault 2001 [1969], 1009) Vor allem die mit dem Werkbegriff konnotierte „Einheit“ erscheint ihm problematisch und fragwürdig: Erstens sorge die Textsortendifferenz, die sich aus dem „Gewimmel sprachlicher Spuren [ergibt], die ein Individuum bei seinem Tode hinterläßt“ (Foucault 1981 [1969], 37), für ein je unterschiedliches und ungeklärtes Verhältnis der einzelnen Texte zum Werkzusammenhang ebenso wie zum Autor. Bei beispielsweise einem Notizbuch mit „Streichungen“ und „Randbemerkungen“, in dem man einen „bibliographischen Nachweis, einen Hinweis auf eine Verabredung, eine Adresse oder einen Wäschereizettel findet“, stelle sich stets die textkritische und editorische Frage: „Werk oder nicht Werk?“ (Foucault 2001 [1969], 1010; vgl. Martus 2007, 1–5) Zweitens stehe jedes Werk in einem intertextuellen „System der Verweise auf andere Bücher, andere Texte, andere Sätze“ (Foucault 1981 [1969],
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36; vgl. kritisch Stierle 1996). Drittens sei eine Einheit wie die des Werkes „weit entfernt davon, unmittelbar gegeben zu sein, [sondern werde erst] durch ein Tun konstituiert“ (Foucault 1981 [1969], 38). Mit Max Wehrli wäre viertens die rezeptionsgeschichtliche und -ästhetische Dimension zu berücksichtigen, wie sich ein Werk im ästhetischen Erlebnis konstituiert und konkretisiert (Wehrli 1991, 6–9). Für das Werk als Objekt gilt mithin, was in komplementärer Weise für das Autorsubjekt gilt. Parallel zu der Analyse von Praktiken auktorialer Subjektivierung ist es angezeigt, die Praktiken und Bedingungen der Objektivierung einer Menge von Texten zu einem Werk zu untersuchen. Es geht darum, so Foucault, „zu bestimmen, unter welchen Bedingungen eine Sache zum Objekt für eine mögliche Erkenntnis werden kann, wie sie als zu erkennendes Objekt problematisiert und welchem Abgrenzungsverfahren sie bzw. der Teil ihrer selbst, der als relevant betrachtet wird, unterzogen werden konnte. Es geht also darum, den Modus ihrer Objektivierung zu bestimmen“ (Foucault 2007 [1984], 221). An diesen Objektivierungspraktiken sind verschiedene Akteure beteiligt, sodass sich die Werkförmigkeit in ihrer medialen, materialen und ästhetischen Kohärenz erst aus dem Zusammenspiel der editorischen, verlegerischen und paratextuellen Praktiken der Rahmung ergibt. Da unter anderem auch „der Textkritiker und Herausgeber am offenen dichterischen Prozess“ (Wehrli 1991, 11) und der Formation des Werkes beteiligt sind, kann der Autor nicht die Alleinwerkherrschaft beanspruchen [vgl. die Artikel Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘ und Autor und Kritiker]. Diskursanalytische ebenso wie praxeologische, aber auch strukturalistische Positionen betonen die Offenheit, die Relationalität und den Konstruktcharakter des Werkes. Damit treten die Probleme der Werkkategorie zutage. Denn folgt man den Definitionsansätzen gängiger Lexika besteht die diskursive Funktion des Werkes darin, Einheit und Abgeschlossenheit zu suggerieren: „In der Literaturwissenschaft bezeichnet das literarische W[erk] eine abgeschlossene Menge von Texten (Gesamt-W., W.-Ausgabe, Œuvre u. a.) oder eine abgeschlossene Texteinheit (Einzel-W., Opus u. a.).“ (Martus 2011, 354; Spoerhase 2007b) Abgeschlossenheit ist für das Werk ein bestimmendes Kriterium, das nicht nur eine materiale Eigenständigkeit des Werks bezeichnet, sondern auch die Tatsache, dass das Werk „das fertige und abgeschlossene Ergebnis der literarischen Produktion [darstellt], das einem Autor zugehört und in fixierter, die Zeit überdauernder Form vorliegt“ (Thomé 2007, 832). Als abgeschlossenes Werk ist es daher „dem Zugriff des Produzenten ebenso enthoben […] wie dem Verbrauch durch den Rezipienten“; als „Ergebnis einer produktiven (handwerklichen, künstlerischen, schriftstellerischen, wissenschaftlichen) Tätigkeit“ (Thomé 2007, 832) bleibt es allerdings auf die das Werk hervorbringende Tätigkeit bezogen. „Kein Werk existiert ohne eine wie auch immer geartete schöpferische Tätigkeit, die ihm einen Anfang in Raum und Zeit verleiht.“ (Kölbel 2005, 31) Die entscheidende Frage für den
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Zusammenhang von Autor und Werk, insbesondere für das Konzept der Werkherrschaft, lautet folglich, wie die schöpferische Tätigkeit des Subjekts ins Verhältnis zum hergestellten Objekt gesetzt wird.
Der Autor des Werkes In der Formel ‚Autor des Werkes‘ sind die vorangegangenen systematischen Überlegungen zusammengefasst. Der Autor ist ebenso sehr ‚Autor des‘ Werkes wie er Autor ‚des Werkes‘ ist. Die eine Seite des Terms lässt sich nicht ohne die andere denken. Beide Begriffe sind „Relationsbegriffe“ (Zons 1983, 106), deren konzeptionelle Einheit sich aus der konstituierenden Differenz zum jeweils anderen ergibt. Die jeweiligen Konzeptionen von Autor und Werk konkretisieren sich in Prozessen der Subjektivierung von Autorschaft, der Objektivierung von Werkförmigkeit (als Konzeption der materiellen Grundlagen literarischer Kommunikation) sowie ihrer wechselseitigen Funktionalisierung. Autor und Werk sind also Resultate dynamischer relationaler Konstruktionsprozesse. Künstler und Kunstwerk, Autor und Werk stehen in einer unauflöslichen zirkulären Beziehung und begründen sich gegenseitig. „Der Künstler ist der Ursprung des Werkes. Das Werk ist der Ursprung des Künstlers.“ (Heidegger 1960, 7)
2 Hauptaspekte des Themas Die Aushandlung des Verhältnisses von Autorsubjekt und Werkherrschaft findet in drei Bereichen statt, in denen die oben beschriebenen Prozesse 1. ablaufen (literarische Kommunikation), 2. konzeptualisiert und reflektiert (Autor- und Werkpoetologie) sowie 3. analysiert und funktionalisiert werden (literaturwissenschaftliche Interpretation).
Autorsubjekt und Werkherrschaft als Funktion der literarischen Kommunikation Folgt man den vorangegangenen Überlegungen zur wechselseitigen Konstitution von Autor und Werk, geht der Autor dem Werk nicht voraus. Im Gegenteil konstituieren sich beide wechselseitig als „systemrelative Funktion“ [vgl. den Artikel Systemtheorie] innerhalb der literarischen Kommunikation (Werber und Stöck-
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mann 1997, 250; Schreiber 2010). Dort wo die Semantik der Autorschaft oder die Medialität und Materialität des Werkes zum Gegenstand literarischer Texte wird, entfaltet der Text eine immanente Poetik der Autor- und Werkfunktion (Schaffrick 2018). Zum Schauplatz solcher selbstreflexiven Verständigungen über die Bedingungen literarischer Kommunikation werden mit der romantischen „Transzendentalpoesie“ die literarischen Texte selbst als „Poesie und Poesie der Poesie“ (so Friedrich Schlegel im 238. Athenäums-Fragment: Schlegel 1967 [1798], 204). Die ironisch-anekdotische Blumenmädchenszene aus E.T.A. Hoffmanns spätromantischer Erzählung Des Vetters Eckfenster (1822) ist als Beispiel dafür besonders geeignet, weil sie die diskursiven Bedingungen der romantischen Autor- und Werkfunktion veranschaulicht sowie das ganze Repertoire der zur Verfügung stehenden gepflegten Semantik verdichtet und auf ihre Tauglichkeit hin überprüft. Dies geschieht nicht als philosophische Reflexion, sondern innerhalb der literarischen Kommunikation. Der Vetter, ein in „schwärzeste Melancholie“ (Hoffmann 2004 [1822], 469) verfallener Autor in einer Schaffenskrise, berichtet dem IchErzähler von einer Begegnung auf dem Berliner Gendarmenmarkt. Er offenbart sich dort einem Blumenmädchen, das sichtlich angeregt eines seiner „eigenen Werke“ liest, als „der Autor des Buchs […] in leibhaftiger Person“ (Hoffmann 2004 [1822], 480 f.). Das Mädchen reagiert darauf äußerst irritiert. Das „sublime Genie“, die „schaffende Kraft“, die das „Werk erzeugt“, „Identität“ – alle Vorstellungen des Autors von seiner Autorschaft sind dem Mädchen „gänzlich fremd“ (Hoffmann 2004 [1822], 481). Die Leserin kann die Beziehung zwischen dem Autorsubjekt „Schriftsteller“ und dem Werk, das sie liest, nicht herstellen. Von Werkherrschaft keine Spur, was auch daran liegen mag, dass der Autorname nach den gängigen Praktiken der Leihbibliothek, aus der das Blumenmädchen das Buch entliehen hat, auf dem Umschlag nicht genannt wird (Spoerhase 2009). Die für den Vetter ernüchternde Erkenntnis ist, dass „Autor“, „Schriftsteller“ oder „Dichter“ lediglich „Begriffe“ sind (Hoffmann 2004 [1822], 481), deren unterschiedliche semantische Füllung in der geschilderten Anekdote zu dem tragischen Missverständnis führen, das sein „soziologisches Rollenverständnis als Autor“ erschüttert und ihn in den „Bann der [schriftstellerischen] Impotenz“ (Pontzen 2000, 217) schlägt. An diesem Beispiel, das, wie für die Erzählungen Hoffmanns typisch, „alle Aporien, Parodien und Katastrophen ästhetischer Schöpfung“ (Wetzel 2000, 523) entfaltet, zeigt sich, wie die Autorschaft zum Teil des literarischen Textes wird, in dem die Produktion (Autorschaft), Distribution (Leihbibliothek) und Rezeption (Leserin) des Werkes reflektiert wird. Die Erwartungen des Vetters an sein Publikum sind allerdings nicht unbegründet, da sie im Kontext der zeitgenössischen Subjektphilosophie und Genieästhetik stehen. Seine Hoffnungen sind das Ergebnis der „Epoche, die den Sub-
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jektivismus in der künstlerischen Konstruktion kultivierte“ (Tomaševskij 2000 [1925], 51). Boris Tomaševskij beschreibt diese Epoche, die „von den großen Schriftstellern des 18. Jahrhunderts eingeleitet“ wurde, als die Zeit, in der sich „Name und Person des Autors nach vorn“ schieben und das „Interesse des Lesers […] sich vom Werk auf den Schöpfer“ ausdehnt (Tomaševskij 2000 [1925], 51). Das Interesse am „Schöpfer“ führt zur Ausgestaltung sogenannter biographischer Legenden. „[D]iese biographischen Legenden stellten die literarische Konzeption des Lebens des Dichters dar, eine Konzeption, die notwendig ist als wahrnehmbarer Hintergrund des literarischen Werks, als die Voraussetzung, die der Autor selbst einkalkulierte, als er seine Werke schuf.“ (Tomaševskij 2000 [1925], 57) Das Leben in der literarischen Form einer biographischen Legende fungiert als Hintergrund einzelner Werke, vor allem aber als Voraussetzung für die Konstruktion der Einheit des Gesamtwerkes (Cahn 2004; Morgenthaler 2005). Auf exemplarische Weise repräsentiert Goethes Autobiographie Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (1811–1814, 1822) diese enge Verknüpfung von Leben und Werk zu einer „halb poetische[n], halb historische[n]“ (HA IX, 10) Legende eines Lebenswerkes [vgl. den Artikel Auto(r)biographie]. In dem im Vorwort zu Dichtung und Wahrheit zitierten, fiktiven „Brief eines Freundes“ heißt es: „Man kann sich nicht enthalten, diese zwölf Bände [Goethes Werke bei Cotta, 1806–1808], welche in einem Format vor uns stehen, als ein Ganzes zu betrachten, und man möchte sich daraus gern ein Bild des Autors und seines Talents entwerfen.“ (HA IX, 7; Martus 2007, 479) Der „Freund“ interessiert sich für die „innern Beziehungen“ (HA IX, 8) der teils sehr heterogenen Werkbestandteile. „Im ganzen aber bleiben diese Produktionen unzusammenhängend; ja oft sollte man kaum glauben, daß sie von demselben Schriftsteller entsprungen seien.“ (HA IX, 7) Als Einheit nicht nur des Werkes, sondern als Einheit von Leben und Werk wird die Autobiographie als biographische Legende „in diesem synthetischen Prozeß zum Werk der Werke, weil die Werke ihr selbst zum ‚Stoff‘ werden“ (Zons 1983, 112). Nicht nur mit Dichtung und Wahrheit, sondern im virtuos gestalteten Gesamtlebenswerk „verleiht Goethe seiner Werkpolitik eine Art von Selbstverständlichkeit, die sie zu einem kulturellen Paradigma macht.“ (Martus 2007, 49, 461–495) Die Virtuosität und Souveränität, mit der Goethe seine Werkpolitik betreibt, veranschaulicht die schöpferische und hermeneutische Dimension der Werkherrschaft. Die Gestaltung der biographischen Legende, die Werk und Autorschaft in unterschiedlichen Formaten aufeinander bezieht, findet in den autopoietischindividuellen Diskursen innerhalb der literarischen Kommunikation statt. „Dokumente der inneren Biographie“ geben werkimmanent Aufschluss „über die Konstitution des Autorbewußtseins als poetisches bzw. fiktionales Ich“ (Wetzel 2000, 500). Diese Dokumente „zeugen von der rekursiven Vernetzung
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der Elemente des Produktionsprozesses, der auf dieser Ebene eines autobiographischen Selbstgesprächs im autopoietischen System das Werk gewissermaßen durch Werke der Werke aneignet.“ (Wetzel 2000, 501) Solche Selbstbeobachtungen der Autorschaft bleiben nicht auf das ‚autobiographische Selbstgespräch‘ beschränkt, sondern finden besonders in der jüngeren zeitgenössischen Literatur von z. B. Wolf Haas, Felicitas Hoppe oder Alban Nikolai Herbst als autofiktionale Selbstgespräche statt (Wagner-Egelhaaf 2012; Kreknin 2014; Schaffrick und Willand 2014, 54–59). Autofiktion [vgl. den Artikel Autofiktion] bedeutet, dass diese Selbstverständigungen in eine literarische Form gebracht werden, die zwischen faktualer Autobiographie und fiktionalem Roman oszilliert, indem sie die Beschreibung des eigenen Lebens zum Gegenstand der literarisch-fiktionalen Beobachtung macht (Zipfel 2009).
Autor- und Werkpoetologie Jenseits der werkimmanenten Thematisierung und Reflexion wird das Verhältnis von Autorsubjekt und Werkherrschaft in der Autor- und Werkpoetologie verhandelt. Die „Beschäftigung mit vergangenen, gegenwärtigen oder zeitübergreifenden Grundsätzen, Regeln, Verfahrensweisen beim Schreiben von Literatur“ (Fricke 2007, 100) soll einem Vorschlag von Harald Fricke folgend ‚Poetologie‘ heißen, um sie von der immanenten bzw. impliziten Poetik einerseits und explizit normierenden Systemen poetischer Regeln andererseits abzugrenzen. Unter Autorpoetologie fallen die Auseinandersetzungen mit Autorschaft, die nicht innerhalb der literarischen Kommunikation selbst geführt werden. Vor allem philosophische, aber auch religiöse oder theologische Beiträge prägen die kulturell und historisch variierenden Konzeptionen von Autorschaft von der inspirierten Autorschaft des vates, prophetischen Autorschaften (Meier und Wagner-Egelhaaf 2014) über den handwerklich geschulten poeta doctus und das Genie bis zur Auflösung des Autors im intertextuellen Gewebe der Zeichen oder in der Eigendynamik der Schrift (Hoffmann und Langer 2007, 139–148). Einen eigenen Bereich der Autorpoetologie bildet die Autorpoetik, also die „exogene Poetik des Autors […], seine Selbstbezeugung und Selbstbeobachtung“ (Blumenberg 1966, 146). Dabei handelt es sich vor allem um epitextuelle, nichtliterarische Reflexionen über die Prinzipien des literarischen Schreibens (Bickenbach 2013). Zur Autorpoetik in diesem engeren Sinne zählen u. a. Selbstaussagen von Autoren in Interviews (Hoffmann und Kaiser 2014), Auskünfte über ihre Autorschaft in Poetikvorlesungen (Bohley 2011; Galli 2014), Dankreden bei der Entgegennahme von Literaturpreisen sowie poetologische Essays (Guttzeit 2014; Schaffrick und Willand 2014, 92–94, 98–105; Schmitz-Emans et al. 2009).
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Demgegenüber ist die Werkpoetologie der Bereich, in dem in der Tradition der Kunstwerkästhetik des 18. Jahrhunderts über die Entstehung, Beschaffenheit und Funktion literarisch-poetischer Werke reflektiert wird (Pudelek 2005, 543–549). Voraussetzung dafür ist die „Einheit der Kunst“, also die Kunst im Singular, die „erst im Zuge der funktionalen Ausdifferenzierung eines Kunstsystems entstanden“ ist und so „heterogene Operationsweisen“ wie bildende Kunst, Textkunst und Musik zusammenspannt (Luhmann 1995, 289 f.). Karl Philipp Moritz begründet den „Begriff der Kunst“ als einen autonomen Bereich des Ästhetischen, „woraus schließlich die moderne Bedeutung von ‚Kunstwerk‘ als Produkt ausschließlich dieser Kunst resultierte“ (Pudelek 2005, 544). Die Ästhetik des emphatischen Werkbegriffs, die Moritz mit seinem „Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten“ entfaltet, geht von der Vollkommenheit des in sich selbst vollendeten Kunstwerkes aus, „das bloß um sein selbst willen hervorgebracht ist“ (Moritz 1981 [1785], 198). Moritz’ Werkpoetologie ist „an der Entrhetorisierung der literarischen Kommunikation […], an der Genialisierung der Produktion und an der Enigmatisierung des Kunstwerks“ beteiligt, wie Steffen Martus (2007, 33) bündig zusammenfasst. Bei Moritz wird der Werkbegriff der Autonomieästhetik als „Wertbegriff“ (Kölbel 2005, 27) etabliert, der „oftmals ästhetische Normen künstlerischer Perfektion“ (Martus 2011, 354) impliziert. Die zeitgenössische Autorpoetologie des Genies nimmt dieser klassischen autonomieästhetischen Werkpoetologie gegenüber einen ambivalenten Status ein. Einerseits steht das Genie, das nach Kants klassischer Formulierung ein Talent ist, „welches der Kunst die Regel gibt“ (Kant 1974 [1790], 241), in Analogie zur Autonomie des Kunstsystems und des Kunstwerks als autonomes schöpferisches Subjekt, das keinen tradierten künstlerischen Normen Folge leistet. Andererseits kompensiert die Selbstbeschreibung des Autors als Genie die autonomieästhetische „Selbstprogrammierung der Kunstwerke“ (Luhmann 1995, 332). Da das Kunstwerk ohne externe Referenzen, also auch ohne Bezugnahme auf den Künstler zu verstehen sein muss, „muß er sich selbst als Ursprung schaffen oder zumindest stilisieren können. Er läßt sich retrospektiv als ‚Genie‘ beschreiben.“ (Luhmann 1995, 436; Wetzel 2000, 511). Indem das Genie die Neuheit und Originalität der Kunstwerke begründet, die für die Selbstreproduktion der Kunst notwendig sind, wird die werkpoetologische Aporie, dass sich ein Kunstwerk „durch die geringe Wahrscheinlichkeit seiner Entstehung“ (Luhmann 1995, 247) auszeichnet, autorpoetologisch beantwortet.
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Autor und Werk als Grundlage und Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Interpretation Bei der Analyse und Interpretation literarischer Texte stellt sich aus literaturwissenschaftlicher Sicht die Frage, wie man Autor und Werk jeweils definiert und funktionalisiert und wie sie dabei miteinander in Beziehung gesetzt werden. Besonders eng gestaltet sich diese Beziehung aus Sicht der Hermeneutik [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik]. Im Sinne eines „notwendigen methodischen Konstrukts“ (Spoerhase 2007a, 448) bildet der Autor den Referenzpunkt hermeneutischer Analysen. Mit dieser Prämisse wahrt die hermeneutische Methode die Vorstellung von der Herrschaft des Autors über sein Werk. Die Hermeneutik versteht das Werk als ‚Tat-Sache‘, als „eine bedeutungsvolle Sache, die ihr Dasein der Tat eines sinnstiftenden Individuums verdankt“ (Frank 1989, 160). Dessen Individualität prägt die Eigentümlichkeit und Originalität des singulären literarischen Werkes. Der hermeneutische Werkbegriff ist seit Schleiermacher mit spezifischen Vorannahmen wie der „Einheit des Werkes“, seiner „Eigentümlichkeit“ und „Totalität“ verknüpft (Schleiermacher 1977 [1838], 167, 185). Die Aufgabe der psychologischen Auslegung etwa erläutert Schleiermacher wie folgt: „Das eine ist, den ganzen Grundgedanken eines Werkes zu verstehen, das andere, die einzelnen Teile desselben aus dem Leben des Autors zu begreifen. […] Beides […] ist aus der persönlichen Eigentümlichkeit des Verfassers zu verstehen.“ (Schleiermacher 1977 [1838], 185) Das Verstehen des Werks wird also an den Autor zurückgebunden. Denn „die eigentümliche Art, den Gegenstand aufzufassen, geht in die Anordnung und somit auch in die Sprachbehandlung über.“ (Schleiermacher 1977 [1838], 168). Die Eigentümlichkeit zu verstehen, ist das Ziel der Interpretation. Die traditionell hermeneutischen Ansätze, die den Werkbegriff präferieren und den Autor und seine Intentionen als interpretationsrelevante Kategorie konzipieren, haben seit Schleiermacher eine erhebliche theoretische und interpretationspraktische Differenzierung erfahren. Die verschiedenen Ansätze unterscheiden sich dadurch voneinander, wie sie die Relevanz von Intentionen für die interpretative Rekonstruktion von Bedeutung gewichten (Spoerhase 2007a; Schaffrick und Willand 2014, 19–25). Gegen jegliche Form eines hermeneutischen Intentionalismus haben William K. Wimsatt und Monroe C. Beardsley in ihrem Aufsatz The Intentional Fallacy 1946 die These aufgestellt, „dass die Absicht oder die Intention des Autors weder eindeutig erkennbar noch ein wünschenswerter Maßstab ist, um den Erfolg eines literarischen Werkes zu beurteilen“ (Wimsatt und Beardsley 2000 [1946], 84). Sie konstatieren, dass die Absicht eines Autors im Text entweder umgesetzt wurde oder nicht: Hat sich der Plan des Dichters im Text erfüllt, ist der Text der Maßstab der Interpretation, weil die Intention im Text verwirklicht ist. Ist der Plan misslun-
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gen, und der Text entspricht nicht dem „Entwurf oder Plan im Kopf des Autors“, dann bleibt der Text der Maßstab der Interpretation, nur sagt er nichts über die Intention aus, für die Belege außerhalb des jeweiligen Textes gesucht werden müssten (Wimsatt und Beardsley 2000 [1946], 85). Für das Verhältnis von Autor und Werk schlussfolgert Moritz Baßler aus der Überlegung zum intentionalen Fehlschluss: „Wir kennen einen Autor durch sein Werk, oder besser: als sein Werk. […] Dieses Werk ist für uns methodisch fundiert analysierbar. Wir können seine syntagmatischen und paradigmatischen Bezüge erforschen und beschreiben und kommen so zu einer immanenten Werkanalyse.“ (Baßler 2014, 153). Das Werk bildet also den Ausgangspunkt und die Grundlage der Analyse. Das ist eine Position, die von Wayne C. Booth und seinem in der Rhetoric of Fiction (1961) entworfenen Konzept des implied author („Wir haben […] nur das Werk“ [Booth 2000 [1961], 148]) bis zu Susan Sontags Beschreibung der Popkultur als Camp reicht. „Man braucht […] nicht die privaten Absichten des Künstlers zu kennen. Das Werk sagt alles.“ (Sontag 2006 [1964], 329) [Vgl. den Artikel Pop-Autoren] Angesichts dieser analytischen Konzentration auf das Werk stellt sich die Frage nach dem Autor spätestens seit Roland Barthes’ Essay „Der Tod des Autors“ (1967/68) neu und anders. Barthes deutet den Autor vom sinnverheißenden Ursprung zum performativen Effekt des Textes um. Unter Rekurs auf die in seinem Umfeld diskutierten avancierten literaturtheoretischen Positionen der Grammatologie (Jacques Derrida) und Intertextualität (Julia Kristeva) ersetzt Barthes den Autor als Verstehensnorm durch den Text in seiner semiotischen Vieldeutigkeit als Referenz der Analyse (Barthes 2006a [1968]) [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Im engen Zusammenhang mit diesem texttheoretischen Programm steht Barthes’ Aufsatz „Vom Werk zum Text“ (1971). Mit diesem Aufsatz und dem „Tod des Autors“ ersetzt Barthes die Paradigmen Autorsubjekt und Werkherrschaft durch den Text. „Das Werk ist in einen Abstammungsprozeß eingespannt. Es wird postuliert, […] das Werk sei Eigentum des Autors. Der Autor gilt als Vater und Eigentümer seines Werks; die Literaturwissenschaft lehrt also, das Manuskript und die Absichtserklärungen des Autors zu respektieren, und die Gesellschaft postuliert eine Gesetzlichkeit des Bezugs zwischen dem Autor und seinem Werk“, fasst Barthes (2006b [1971], 69) den hermeneutischen Standpunkt der Werkherrschaft zusammen. „Der ‚Text‘ hingegen wird ohne Einschreibung des ‚Vaters‘ gelesen; […] die Metapher des ‚Textes‘ ist die des Netzes“ (Barthes 2006b [1971], 69). Der Autor könne „als Gast“ (Barthes 2006b [1971], 69) in den Text zurückkehren. „Seine Einschreibung ist nicht mehr vorrangig, väterlich, deontisch, sondern spielerisch. Er wird sozusagen zu einem Papierautor […]: Das Ich, das den Text schreibt, ist selbst immer nur ein Papier-Ich.“ (Barthes 2006b [1971], 70)
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Der „Papierautor“ ist ein Produkt des Textes, nicht die Begründung oder Quelle seiner Bedeutung. Gegen die Einheit des Werkes argumentiert Barthes mit der Mehrdeutigkeit des Textes. Vor dem Hintergrund dieser literaturtheoretischen Überlegungen und ihrer methodischen Operationalisierung werden seit der Rückkehr des Autors (Jannidis et al. 1999) vor allem die Inszenierungspraktiken von Autorschaft untersucht (Jürgensen und Kaiser 2011; Schaffrick 2014; Schaffrick und Willand 2014, 83–120; Fischer 2015).
3 Geschichte des Phänomens und seiner Erforschung Mit den kommunikations- und ideengeschichtlichen Transformationen zwischen der Mitte und dem Ende des 18. Jahrhunderts verändert sich die Semantik für die Selbstbeschreibung von Autorschaft. Zeitgleich ersetzt der Begriff ‚Werk‘ als philologischer terminus technicus allmählich das lateinische opus (Thomé 2007, 832 f.). Das Ende der rhetorischen Tradition und die Durchsetzung der Subjektphilosophie führen dazu, dass Autoren als Subjekte und Werke als schriftliche Artefakte aufgefasst werden (vgl. Wetzel 2000; Pudelek 2005; außerdem Martus 2007, 13–47; Zanetti 2012). Die Rede samt actio wird durch schriftlich fixierte Werke als kommunikatives Paradigma abgelöst (Bosse 1994). Die rhetorischen Affekte weichen dem authentischen Ausdruck der Subjektivität. Die „spätmittelalterlichen und frühmodernen Kunstprogramme in der Form von Rezepten und Regeln“ (Luhmann 1995, 322) verlieren ihre Legitimationskraft. Der Autor ist nicht mehr der kirchlichen Autorität oder den Kirchenvätern verpflichteter scriptor, compilator, commentator oder auctor (Minnis 1984, 94–103), sondern Autorsubjekt. „Von nun an [seit Erscheinen von Kants Kritiken] ist die ganze moderne Philosophie durch die Reflexionsstruktur der Subjektivität geprägt.“ (Gadamer 1981, 21) Weil das moderne Autorsubjekt als transzendentale Instanz die Bedingung der Möglichkeit des Werkes bildet und weil das Schaffen im Geschaffenen repräsentiert ist, bleibt das Werk an seinen Autor gebunden. In der nicht mehr von rhetorischen Regeln geleiteten literarischen Kommunikation des 18. Jahrhunderts wird das Werk auf das Handeln bezogen. „Im schriftlichen Diskurs hängt das Schaffen und das Geschaffene als produktive Differenz untrennbar zusammen.“ (Bosse 2014 [1981], 14) Die produktive Differenz besagt, dass das Geschaffene nicht nur ein Werk, sondern auch eine Tätigkeit ist; so wie das Schaffen nicht nur eine Tätigkeit, sondern auch ein Werk ist (Bosse 2014 [1981], 14). Der Autor garantiert durch die eigentümliche Form der Ideenverbindung die Identität des Buches, sodass das Werk und die darin ausgedrückten und verwirklichten Ideen stabil
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gegenüber ihrer drucktechnischen Vervielfältigung und öffentlichen Zirkulation sind. Erst vor diesem Hintergrund einer Subjektivierung der Autorschaft kann Werkherrschaft, die eine Subjekt-Objekt-Relation voraussetzt, überhaupt gedacht werden. Autorschaft als Verfahren der Subjektivierung ist nicht mehr „lehr- und lernbar“ (Bosse 1994, 288). Der Autor wird als Subjekt zum in der Öffentlichkeit ‚abwesenden Redner‘. Das Werk macht das Autorsubjekt zum abwesenden Herrscher, dessen Herrschaft durch das mediale Dispositiv beschränkt wird. Das Werk erscheint als „wahrnehmbare Gestalt eines nicht-wahrnehmbaren Gestalters“ (Bosse 1994, 287), das zu verstehen es einer eigenen „Kunst des Verstehens“, der Hermeneutik, bedarf (Schleiermacher 1977 [1838], 75). Als Antwort auf die Abwesenheit des Autors im Text entdeckt „die Ästhetik des späten 18. Jahrhunderts eine ganz andere Voraussetzung […], die weder lehrnoch lernbar ist, sondern von der Natur gleichsam schicksalhaft an wenige Auserwählte verschenkt wird: das Genie“ (Werber 2003, 150). Genialität als „Steigerungsformel von ‚Individualität‘“ (Plumpe 1995, 82) hat Konsequenzen für die Relationierung von Autor und Werk, nämlich den „Vorrang der Künstlerindividualität vor ihrem Werk“ (Plumpe 1995, 83). Das Werk erscheint als Ausdruck von Subjektivität „zweitrangig“ (Plumpe 1995, 83) gegenüber der individuell-genialen Verfassung des Künstlers, die das Werk nur semiotisch oder medial reproduzieren kann. Außerdem erscheint das Werk „zweideutig, weil diese Wiederholung der authentischen Subjektivität Medien der Kommunikation bedarf, die sie stets zu verfehlen drohen.“ (Plumpe 1995, 83 f.) Eine Antwort auf dieses Kommunikationsdilemma gibt die Figur des Künstlers ohne Werk (Pontzen 2000). Dieser ist nur in der unerschöpflichen, nie verwirklichten Potenzialität seines Schaffens Künstler, weil jede werkgewordene Konkretion seiner schöpferischen Potenz seine subjektive Eigentümlichkeit verfälschen würde. In der Romantik werden diese paradoxen Folgen der Autonomie und Individualisierung der Kunst zum Thema der Literatur gemacht. Dies bleibt jedoch zunächst ohne Folgen für die ästhetische Selbstbeschreibung der Kunst. Im 19. Jahrhundert dominiert die Autonomieästhetik Schiller’scher Provenienz ungebrochen. „[K]ein anderes Zeitalter hat praktisch wie theoretisch derart streng zwischen dem Autor eines Werkes und dem bloß ‚nachschöpferischen‘ Interpreten unterschieden wie das bürgerliche, keines den Spielraum der Interpretation so stark eingeschränkt, den Kult des Originals als ursprüngliches und einmaliges Werk derart durchgesetzt“ (Pudelek 2005, 564). Die ersten weitreichenden „Selbstverständlichkeitsverluste“ (Majetschak 2007, 87–89) in Bezug auf Autorsubjekt und Werkherrschaft setzen mit der klassischen Moderne, der Kunst der Avantgarde und dem linguistic turn ein. Die Krise und Öffnung des Werkbegriffs ebenso wie die Entgrenzung und Dissoziation des Autors sind Zeichen einer Sprach- und Subjektkrise zu Beginn des 20. Jahrhun-
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derts. Theodor W. Adorno, um nur ein Beispiel zu nennen, beschreibt mit dem Sprachcharakter der Kunst eine „Verselbständigung des Kunstwerks dem Künstler gegenüber“. „Das je eingreifende einzelmenschliche Subjekt ist kaum mehr als ein Grenzwert, ein Minimales, dessen das Kunstwerk bedarf, um sich zu kristallisieren.“ (Adorno 2003 [1970], 250). Von der Werkherrschaft des Autorsubjekts ist hier, in der Ästhetischen Theorie Adornos, ebenso wie in systemtheoretischen, strukturalistischen und poststrukturalistischen Konzeptionen von Autorschaft keine Rede mehr.
4 Offene Fragen, Forschungsdesiderate „Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus“, schreibt Walter Benjamin (1974 [1936], 437) im Anklang an die traditionellen ästhetischen Programme des 18. Jahrhunderts. „[W]as im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“ (Benjamin 1974 [1936], 438) Medial bedingte Abweichungen vom „Standardwerk“ Buch (wie z. B. im Fall des Hörspiels) rekonfigurieren den Zusammenhang von Autorsubjekt und Werkherrschaft in einem Netzwerk von Akteuren, die an der Produktion des Werkes beteiligt sind [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Populär-serielle Formate des Erzählens wie Comics und TV-Serien „werfen Fragen nach dem Autorisiert-Sein von ästhetischen Handlungen auf“ (Kelleter und Stein 2012, 260), da sie multiauktorial hergestellt und nicht in der stabilen Form eines abgeschlossenen Werkes präsentiert werden. Das irritiert die Erwartungen an Autorsubjekt und Werkherrschaft. Die ‚Transformation der Kunst vom Werkhaften zum Performativen‘ (Mersch 2000) destabilisiert Autor und Werk als Referenzpunkte der literarischen Kommunikation zusätzlich. Die Veränderungen des Autor- und Werkbegriffs durch die Digitalisierung sind – trotz vereinzelter Rettungsversuche der Werkherrschaft (Reuß und Rieble 2009) – schwer abzuschätzen [vgl. den Artikel Vernetzte Autorschaft]. Wie wirken sich veränderte Publikations-, Editions-, aber auch Analysetechniken im Zeitalter von Big Data auf das Verständnis davon aus, was Autor und Werk sind? Lässt sich etwa durch erleichterte Zugänglichkeit und Speicherbarkeit auch unbedeutendster Dokumente eine Expansion des Werkbegriffs beobachten? Relativieren Prozesse digitaler Verfügbarmachung die Werkherrschaft und das Autorsubjekt? Um diese Fragen zu beantworten, sind praxeologische und digitale Methoden notwendig, mit denen sich das Zusammenwirken verschiedener Akteure und Infrastrukturen bei der Konstitution von Autorschaft und Werkherrschaft differenziert untersuchen lässt.
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Carlos Spoerhase und Marcus Willand
III.1.2 Autorschaft und Hermeneutik 1 Begriffsklärung Der Autor ist neben dem Text, dem (textuellen und nicht-textuellen) Kontext und dem Leser eine der Grundinstanzen textueller Kommunikation (Spoerhase 2007d; Spoerhase 2009b) [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Seit der Antike hat es in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder mehr oder weniger allgemeine hermeneutische Reflexionen über den Autor und seine spezifische Rolle im Rahmen von textueller Kommunikation gegeben. Nicht zuletzt im Bereich der seit der Spätantike betriebenen philologischen Reflexion werden Fragen nach dem Autor und seiner Stellung im editorischen und interpretatorischen Prozess aufgeworfen [vgl. den Artikel Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘]. Trotz wichtiger theoretischer Überlegungen zum Autorbegriff, die sich unter anderem in den zentralen Aufklärungshermeneutiken (Christian August Crusius, Johann Martin Chladenius, Georg Friedrich Meier), in den romantisch-idealistischen Hermeneutiken um 1800 (Immanuel Kant, Friedrich Schleiermacher, Friedrich Schlegel) oder in den philosophischen Hermeneutiken des 20. Jahrhunderts (Wilhelm Dilthey, Martin Heidegger, Hans-Georg Gadamer) finden, setzt eine systematische Erforschung der Funktionsweise des Autorbegriffs erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein. Vor allem innerhalb der Literaturtheorie wurde seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts eine intensive, streckenweise sogar polemische Autordebatte geführt, die immer wieder von autorkritischen Positionen angestoßen wurde. Nicht nur innerhalb des angloamerikanischen New Criticism wurde eine allgemeine Kritik der literaturwissenschaftlichen Verwendung des Autorkonzepts formuliert (Wimsatt und Beardsley 1967), auch in Kontinentaleuropa wurde in den Geisteswissenschaften seit den 60er Jahren mit großer Geste der ‚Tod des Autors‘ verkündet (Barthes 1967) bzw. das Konzept des Autors als zutiefst problematische ideenhistorische Kategorie markiert (Foucault 1969). Die unterschiedlichen disziplinübergreifenden geisteswissenschaftlichen Forschungsprogramme, die seit den sechziger Jahren formuliert werden, zeichnen sich allesamt durch eine autorkritische Position aus. Sie findet sich in so unterschiedlichen Programmen wie dem Strukturalismus, der Intertextualitätstheorie, der Diskursanalyse, der Dekonstruktion, der Semiotik, aber auch der Editionsphilologie (critique génétique) und rezeptionsästhetischen wie rezeptionsempirischen Positionen. Obwohl sich die https://doi.org/10.1515/9783110297065-004
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wichtigsten Positionen mitunter auf stark divergierende Sachverhalte bezogen und ihre Kritik mit stark voneinander abweichenden Begründungsstrategien stützten, verfestigte sich der ‚Tod des Autors‘ seit den 1970er Jahren zu einem theoretischen Gemeinplatz, der aufgrund seiner vorgeblichen Selbstevidenz keiner anspruchsvollen Begründung mehr zu bedürfen schien. Autoraffirmative Positionen blieben in der Literaturwissenschaft (Hirsch 1967), in der Ideengeschichte (Skinner 1969) und in anderen angrenzenden geisteswissenschaftlichen Disziplinen bis in die frühen 2000er Jahre Minderheitenpositionen. Mitte der 1990er Jahre setzte jedoch eine sehr grundlegende Reorientierung ein: In den meisten geisteswissenschaftlichen Disziplinen erwachte jenseits der etablierten Autorkritik ein neues historisches und theoretisches Interesse für die Funktionsweisen der Autorkategorie. Neben den Kognitionswissenschaften (Gibbs 1999) haben sich vor allem die hermeneutisch orientierten Literaturwissenschaften darum bemüht, Autormodelle, Autorfunktionen und Autorbegriffe zu differenzieren (Burke 1998; Jannidis 1999; Winko 2002; Bennett 2005; Spoerhase 2007a). Wie diese und andere jüngere Arbeiten herausstellen, kommen der Autorkategorie bei der Identifikation, Klassifikation, Deskription, Interpretation und Bewertung von Texten – insbesondere im Kontext historisierender Ansätze – wichtige Funktionen zu. Die nach dem ‚Tod des Autors‘ ausgerufene „Rückkehr des Autors“ (Jannidis et al. 1999; Detering 2002) hat speziell im deutschen Sprachraum dazu geführt, dass das Autorkonzept wieder ins Zentrum der geisteswissenschaftlichen Debatte gerückt ist; dies vor allem im Bereich einer Literaturtheorie, die erstens einen definitorisch eindeutigen Autorbegriff bestimmen möchte (Kindt und Müller 2006 explizieren das Konzept des implied author) und zweitens einen methodisch nachvollziehbaren Einsatz des Autorkonzepts in hermeneutischen Prozessen gewährleisten will (wie etwa Angemessenheitsargumentationen; Limpinsel 2013; Willand 2016). Diese literaturwissenschaftlichen Differenzierungsbemühungen sind häufig geprägt von Beiträgen aus dem Bereich der analytischen Philosophie, sowohl der analytischen Philosophie der Kunst (Currie 2004; Livingston 2005) als auch der analytischen Philosophie der Geschichte (Bevir 1999); beide prononcieren die methodische Relevanz von Autorintentionen. Weniger als Teilnehmer einer Theoriediskussion bereichern in den letzten Jahren eine Vielzahl extensiver kulturhistorischer Studien zur Entstehung und Transformation des Autorkonzepts (u. a. Chartier und Calame 2004; Coxon 2001; Couturier 1995; Woodmansee 1994) die traditionell stark intentionsaffine literaturwissenschaftliche Hermeneutik. Sie zeichnen sich insbesondere durch die Verlängerung des Objektbereichs in die unmittelbare Gegenwart und die Fokussierung autorschaftlicher Praktiken aus. Dabei entwickeln sie unterschiedliche Beschreibungs-
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sprachen und Konzeptualisierungen von autorschaftlicher Präsenz, wie folgende Schlagwörter verdeutlichen: „Inszenierung“ (Grimm und Schärf 2008; Schaffrick 2014), „Performativität“ (Bachmann-Medick 2009), „Autofiktion“ (Zipfel 2009; Wagner-Egelhaaf 2012), „Gender“ (Gronemann et al. 2012), „biographische Legende“ (Leucht und Wieland 2016 im Anschluss an Tomaševskij 2000 [1923]) [vgl. die Artikel Auto(r)biographie, Autofiktion, Autor-Masken und -Maskierungen und weibliche Autorschaft]. Gerade in der jüngsten Vergangenheit ist durch diese Positionen also ein Problembereich der Autorschaftsforschung beleuchtet worden, der mit hermeneutischer Theoriesprache bislang kaum greifbar war. Dazu gehört auch das ebenso physische wie literarische Eindringen realer Autoren in die Räume institutionalisierter Literaturwissenschaft (zu Poetikvorlesungen siehe etwa Schmitz-Emans u. a. 2009, 45–67; Galli 2014; Bohley 2011). Diese jüngere Entwicklung ist hinsichtlich einer Forschungsgeschichte des hermeneutischen Intentionalismus insofern interessant, als viele dieser Ansätze im Anschluss an die französische Postmoderne zu verorten sind und diese gemeinhin als autorkritisch bis anti-hermeneutisch gelten. So fällt zwar mit der zunehmenden Verbreitung (post)strukturalistischer Autorkritik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Entstehung des Begriffs ‚Anti-Hermeneutik‘ in Psychoanalyse, Rechts- und Literaturwissenschaften zusammen (Fikentscher 1976; Hiebel 1978; Bergfleth 1984; Konersmann 1996; Laplanche 1998); die sich auf ebendiese Theorietradition berufenden Ansätze sind hingegen allenfalls als intentionskritisch, nicht jedoch als autorkritisch zu bezeichnen (Baßler 2014). Als Resultat dieser Entwicklungen muss in der gegenwärtigen Literaturwissenschaft die Grundsatzfrage, „ob der Autor auf irgendeine Weise relevant ist, nicht mehr beantwortet werden“ (Schaffrick und Willand 2014, 8). Da der Autor in nahezu allen Bedeutungstheorien Funktionsträger für die Textinterpretation ist, kann die Verortung dieser Ansätze im Spektrum literaturwissenschaftlicher Theorien nicht mehr anhand der simplen Dichotomie ‚autoraffiner‘ und ‚autorkritischer‘ Positionen geleistet werden. Der hohe Grad an Ausdifferenzierung des Feldes verlangt hingegen, dass diese Verortung die jeweils spezifische argumentative Begründung und Funktionalisierung des Autorbezugs berücksichtigt (Winko 2002; Willand 2011). Für zeitgenössische und zukünftige Hermeneutiken bedeutet dies, dass sie hinsichtlich ihrer Konzepte und Begriffe nun in einer Konkurrenzsituation zu jüngeren anti-hermeneutischen Ansätzen der Autorschaftsforschung stehen. Exemplifiziert werden kann dies etwa durch die konzeptionell ähnlichen, ‚traditionellen‘ Begriffe Testimonium (Scholz 2003; Schmidt et al. 2011) und Authentizität (Wiefarn 2010). Diese werden in jüngeren Inszenierungstheorien als antimodern-moralisierende, nicht-inszenatorische Autorschaftskonzepte beschrieben und im Anschluss an Fischer-Lichte als Gegenmodell zu autoritativen „Erzeugungsstrategien“ (Fischer-Lichte 2004, 14, 324) eingesetzt.
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2 Autorhermeneutik und Intentionalismus Während in den Anfängen der um 1800 entstehenden literarischen Hermeneutik die Relevanz der Autorintention gar nicht erst in Frage gestellt wurde, entfachen sich die literaturwissenschaftlichen Debatten seit der Mitte des 20. Jahrhunderts im Zentrum dieses Problemkreises und führen aufgrund des erhöhten kritischen Drucks von außen erst recht spät zu einer Binnendifferenzierung intentionalistischer Ansätze. Diese Granularitätssteigerung wurde allerdings überhaupt erst möglich durch tiefgreifende Veränderungen des Literatur- und Wissenschaftssystems, wie sie bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts (u. a. Säkularisierung, Autonomie- und Genieästhetik) vor sich gehen [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft]. Denn vor der Entstehung einer hermeneutica profana beziehen sich die unmittelbaren Vorläufer literarischer Textausleger nahezu ausnahmslos auf heilige Autoren, deren sakrosankter Status für die Textauslegung im Rahmen einer hermeneutica sacra deutliche Restriktionen bedeutet. Der als unfehlbar präsumierte Wahrheitscharakter heiliger Texte profiliert etwa die Frage hermeneutischer Billigkeit (Spoerhase 2007a, 345–438) und die generelle Rekonstruierbarkeit einer eindeutigen Intention, die allerdings nicht zu jedem Zeitpunkt erkannt werden kann. So lässt sich die Annahme eines autorintentional adressierten und rekonstruierbaren Publikums, wie sie in hypothetischen Intentionalismen des 20. und 21. Jahrhunderts wiederzufinden ist, bereits im 17., 18. und 19. Jahrhundert identifizieren (etwa bei Wolf [1798] 1831, 283 und bei Boeckh 1877, 82). Ihre Ausformulierung findet diese Annahme in dem Interpretationsgrundsatz des sensus auctoris et primorum lectorum (Willand 2015). Dieser erlaubt dem Hermeneuten, Autoren nicht nur das Wissen zuzuschreiben, das ihren ersten bzw. ursprünglichen Lesern bereits bekannt war (Rußwurm 1800; Schleiermacher 1838). Im Falle prophetischer Autorschaftsmodelle können Autoren idealiter sogar solche Wissensbestände zugeschrieben werden, die von den Zeitgenossen noch nicht gewusst werden konnten (am Beispiel des AT: Stein 1815, insb. 100). Die Verpflichtung auf überhistorisch wahres Wissen im Rahmen der hermeneutica sacra verliert sich allerdings mit dem Übergang zur hermeneutica profana und der Auslegung nicht-heiliger Autoren. Bei dem zeitgleich entstehenden genieästhetischen Autorschaftskonzept des poeta alter deus (Scholz 1999a) werden mit der Schöpferanalogie jedoch quasi-religiöse Annahmen aus der hermeneutica sacra in die Interpretation weltlicher Autoren übertragen (etwa Goethe 1960 [1773] im Baukunstaufsatz: „Halbgott“, „gottgleiche[r] Genius“). Dennoch führen die veränderten Bedingungen der ‚profanen‘ Interpretation zu einer Erweiterung der Freiheit des Interpreten, da es die potentielle Fehlbarkeit nicht-heiliger Autoren erlaubt, für eine Textinterpretation legitimerweise auch solche Intentionen anzunehmen, die in eindeutigem Widerspruch zu einer angenommenen (etwa reli-
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giösen) Wahrheit stehen. Die zuvor für die Textkritik reservierte Dimension der Wertung wird somit für interpretative Aussagen mit Autorbezug geöffnet (Willand 2014). Mit dieser Freiheit geht wiederum eine Neufunktionalisierung des Intentionsgrundsatzes des sensus auctoris et primorum lectorum einher. Dieser wird nun als regulatives und limitierendes Prinzip zur Absicherung historisch angemessener Interpretation eingesetzt, also zur Einschränkung eines theoretisch unabschließbaren Zugriffs auf Interpretationskontexte (Danneberg 2015). Fragen der Limitation von Bedeutungszuschreibungen prägen auch die umfangreiche Diskussion zur Rolle der Autorintention in Textinterpretationen in der modernen Literaturtheorie. An deren Anfang steht die Debatte um den intentionalen Fehlschluss („intentional fallacy“; siehe Wimsatt und Beardsley 1946; dazu: Danneberg und Müller 1983). Während sich die hermeneutische Intentionalismusdebatte lange um die Frage drehte, ob die faktischen Intentionen des Textautors bei der Interpretation eines Textes zu berücksichtigen seien oder nicht, und sich damit auf die Alternativen einer zustimmenden oder ablehnenden Haltung im Hinblick auf faktische Intentionen reduzierte (Iseminger 1992), gestaltet sich die Diskussionslage in den letzten Jahren komplexer (Montminy 2005). Neben unterschiedlichen Spielarten des Anti-Intentionalismus und verschiedenen Varianten eines faktischen Intentionalismus (actual intentionalism) beanspruchen Positionen wie der hypothetische Intentionalismus (hypothetical intentionalism) zunehmend die Aufmerksamkeit der aktuellen Intentionalismusdebatte. In der jüngeren Theoriedebatte wird der Position des hypothetischen Intentionalismus mittlerweile das höchste hermeneutische Problemlösungspotential beigemessen. Die Konjunktur des hypothetischen Intentionalismus ist dem Sachverhalt geschuldet, dass alle bisherigen faktualen intentionalistischen Theorieoptionen aus hermeneutischer Sicht in einem beträchtlichen Umfang problembehaftet sind, hermeneutische Positionen eine intentionalistische Interpretationskonzeption aber grundsätzlich befürworten. Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass der Literaturwissenschaft als disziplinärem Sammelbecken einer Vielzahl zum Teil stark divergierender Bedeutungskonzeptionen eine besonders kritische Haltung bezüglich der Übernahme intentionalistischer Ansätze aus den Nachbardisziplinen zu attestieren ist (vgl. hierzu Schaffrick und Willand 2014, 19–25). Während etwa Positionen der evolutionären Anthropologie (Tomasello 2008, insb. 130–150), der Sozial- und Moralphilosophie (Gilbert 1989; Bratman 2014) auf den Konzepten geteilter und kommunikativer Intentionen basieren, lässt sich in der Literaturwissenschaft eine derart entproblematisierte Funktionalisierung von Intentionen nicht beobachten. Dabei sind jene Ansätze ebenso wie moderne Hermeneutiken auf die dezidiert intentionsbasierte Theorietradition der Oxforder
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Ordinary Language Philosophy zurückzuführen (Sperber und Wilson 1986, 60–64; Searle 1990). Der aus Theorietransfers dieser Art resultierende hypothetische Intentionalismus muss im Kontext der aktuellen Konstellation literaturtheoretischer Positionen als hermeneutische Herausforderung verstanden werden. Sie besteht in der Entwicklung einer neuen intentionalistischen Konzeption, die die innerund interdisziplinären Schwierigkeiten des faktischen Intentionalismus zu überwinden vermag. Wie sich einer Rekonstruktion der unterschiedlichen Versionen des hypothetischen Intentionalismus entnehmen lässt (Spoerhase 2007c), ist für den hypothetischen Intentionalismus eine theoretische Perspektive maßgeblich, die auf die Rezeptionsinstanz der literarischen Kommunikationshandlung fixiert ist, während der faktische Intentionalismus noch einer genetischen, auf die Produktionsinstanz fixierten Perspektive verpflichtet war. Der hypothetische Intentionalismus orientiert sich nicht mehr an der Rekonstruktion einer faktischen, von einem empirischen Autor ‚tatsächlich‘ vertretenen Intention, sondern an der Konstruktion von den Intentionshypothesen. Diese können unterschiedlichen Instanzen zugeschrieben werden, worin sich die Spielarten hypothetischer Intentionalismen unterscheiden (Köppe und Kindt 2008, 131). Zuschreibungsobjekt kann neben dem realen Autor und einer angenommenen, also hypothetischen Autorinstanz (postulated author, vgl. Nehamas 1981 und 1987) auch ein angenommener Textrezipient sein. Dieser hinsichtlich bestimmter Wissensbestände als kompetent gedachte und für die Textinterpretation eingesetzte Rezipient – etwa Tolhursts (1979) intended audience – ist als Instanz ebenfalls bereits hypothetisch und entsprechend ergibt sich in den beiden zuletzt genannten Fällen der epistemische Status der interpretativen Zuschreibungen als ‚hypothetisch‘ aus einer ontologischen Verschiebung des Aussagebereichs: Die interpretativen Aussagen beziehen sich nicht mehr im Modus der Hypothese auf die reale Produktionsinstanz, sondern müssen als Aussagen über hypothetische Konstrukte verstanden werden. Inwiefern es sich bei diesen aber um probabilistisch belegbare, kontrafaktische oder möglicherweise nur imaginierte Konstrukte handelt, ist in der aktuellen Forschungsdiskussion umstritten (vgl. dazu auch Willand 2014). Weitere zentrale Fragestellungen, die gegenwärtig im Kontext einer autorintentionalistischen Hermeneutik diskutiert werden, sind, welche Rolle Intentionen in Verstehensprozessen spielen (Sperber und Wilson 1986; Scholz 1999b), inwiefern das methodologische Erfordernis der hermeneutischen Billigkeit (aequitas hermeneutica) einen hermeneutischen Rückgriff auf Autorintentionen nahelegt und inwieweit eine Hermeneutik der „Zeitenkonkordanz“, die sich an der Vermeidung von anachronistischen Interpretationen orientiert, autorintentionalistisch ausformuliert werden muss (Spoerhase 2008).
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3 Autorhermeneutik und Autorschaftsdarstellung Dieses Problemfeld betrifft die Frage, welche Rolle Autorschaft für Texte spielt, bzw. präziser, wie das Autorsubjekt in Texten dargestellt wird (vgl. zu diesem Abschnitt Spoerhase 2011). Einen ersten Versuch, diese Frage zu beantworten, unternahm vor 40 Jahren Michel Foucault, als er die Hypothese aufstellte, dass Autorkonzepte und Autorsubjekte für „wissenschaftliche“ Texte im Gegensatz zu „literarischen“ Texten bis in die Frühe Neuzeit hinein hochrelevant gewesen seien (Foucault 2003 [1969], 246 f.). Am Anfang der Moderne habe dieses Verhältnis sich allerdings umgekehrt: Während der literarische Text spätestens seit dem 18. Jahrhundert auf Autorkonzepte und Autorsubjekte angewiesen sei, gelte das für ‚moderne‘ wissenschaftliche Texte gerade nicht mehr. Dem wissenschaftlichen Text lasse sich seitdem der Status eines „anonymen“ Textes zuweisen. Die Tatsache, dass jüngere Studien (Chartier 2000; Chartier 2003; Steiner 2009) Foucaults Hypothese widerlegt haben, nimmt der systematischen Fragestellung nichts von ihrem Gewicht. Wie jüngere Studien aus dem Bereich der Diskurslinguistik und der rhetoric of science zeigen, ist die häufig vertretene Position, wissenschaftliche Texte seien ‚unpersönlich‘ und ließen den Autor ‚verschwinden‘, nicht richtig. Entgegen der Auffassung, dass vor allem naturwissenschaftliche Texte ihre Wissenschaftlichkeit negativ durch das Fehlen einer Autorpräsenz manifestierten, lässt sich auch in naturwissenschaftlichen Arbeiten ein Autorbild bzw. eine Autorfigur nachweisen. Die Frage, wie Autorschaft in Texten dargestellt wird, d. h. wie Autorschaft schriftlich konstruiert wird, ist im französischen Sprachraum in der diskurslinguistischen Ethostheorie untersucht worden (Amossy 1999; Maingueneau 2002). Fragen zur textuellen Herstellung von Autorschaft wurden darüber hinaus im Rahmen der angloamerikanischen Wissenschaftsgeschichte in Studien über das textuelle „self-fashioning“ von Wissenschaftlern (Biagioli und Galison 2003) vorgenommen. Diese Studien sind aus hermeneutischer Perspektive vor allem deshalb relevant, weil sie Hinweise darauf geben, wie mittels der schriftlichen Inszenierung von Autorschaft bestimmte Formen textueller Autorität hergestellt werden können, die dann wiederum Einfluss auf den hermeneutischen Umgang mit diesem Text haben (Leclerc 1996 und 1998). Dieser Problembereich steht in einem engen Zusammenhang mit der oben bereits skizzierten Fragestellung, inwieweit Interpreten sich Präsumtionen wie der hermeneutischen Billigkeit (aequitas hermeneutica) bedienen müssten; hier wäre zu fragen, inwiefern diese Präsumtionen nicht auch auf Seiten des Autors mit dem Erfordernis von bestimmten Präsentationsformen seiner Autorschaft einhergehen.
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4 Autorhermeneutik und Anonymität Diese Problemkonstellation betrifft die Frage, in welchem Verhältnis Autorschaft und Anonymität stehen (vgl. zu diesem Abschnitt Spoerhase 2009a). In der jüngeren Forschungsdiskussion wird ausgehend von Gérard Genettes Überlegungen meist erstens Anonymität als Gegenteil von Autorschaft charakterisiert und zweitens Anonymität als Namenlosigkeit bestimmt (vgl. Genette 1987; Griffin 1999; Griffin 2003). Die bisherige Forschungsdiskussion wird also von einer Hintergrundtheorie der Anonymität angeleitet, die Anonymität und Autorschaft als Gegensatzpaar konstruiert und Anonymität mit Namenlosigkeit identifiziert [vgl. den Artikel Autor-Masken und -Maskierungen]. Beides ist unplausibel, weil die drei zentralen Kategorien ‚Autorschaft‘, ‚Anonymität‘ und ‚Namenlosigkeit‘ sich auf ganz unterschiedlichen theoretischen Ebenen bewegen. Die Frage der Autorschaft betrifft primär die ontologische Ebene und bezieht sich darauf, ob ein Gegenstand einen Autor im Sinne eines mehr oder weniger planvoll verfahrenden Herstellers hat. Die Frage der Namenlosigkeit betrifft die paratextuelle Ebene und bezieht sich darauf, ob ein Artefakt unterschrieben ist, d. h. über eine Signatur verfügt. Die Frage der Anonymität schließlich betrifft die epistemische Ebene und bezieht sich darauf, ob einem Artefakt ein bestimmtes Autorindividuum zugewiesen werden kann; ‚Anonymität‘ ist mithin ein relationaler Wissensausdruck: Ein Text ist dann anonym, wenn die Autorschaft eines bestimmten Artefakts für eine bestimmte Person aufgrund bestimmter epistemischer Rahmenbedingungen nicht zuschreibbar ist. Diese Rekonstruktion von ‚Anonymität‘ als relationalem Wissensausdruck macht auch deutlich, dass Autorschaft nicht das Gegenteil von Anonymität ist und dass Namenlosigkeit nicht das Gleiche wie Anonymität sein muss, sondern dass Autorschaft und Namenlosigkeit als Relata innerhalb des Wissensausdrucks ‚Anonymität‘ zu rekonstruieren sind: Denn dort, wo von Anonymität gesprochen wird, ist die Frage der Zuschreibbarkeit von Autorschaft aufgeworfen, wobei Namenlosigkeit eine der epistemischen Rahmenbedingungen sein kann, die eine Zuschreibbarkeit für eine bestimmte Person vereitelt. Anonymität ist also ein epistemischer Status der Zuschreibung eines Autors zu einem Werk, mithin ein epistemischer Status, der von einem Fehlen bestimmter Informationen gekennzeichnet ist, die sonst eine Autorzuschreibung erlauben würden. Die Signatur ist dabei nur ein paratextueller Informationstyp von vielen anderen möglichen textuellen, paratextuellen und epitextuellen Informationstypen, die eine Zuschreibung von Autorschaft erlauben. Das Fehlen einer Signatur lässt deshalb nicht ohne Weiteres auf Anonymität schließen: Die Zuschreibung von Autorschaft kann auch dort, wo keine Signatur vorhanden ist, aufgrund von anderen Informationen problemlos möglich sein.
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Aus diesen Differenzierungsbemühungen ergeben sich wichtige Konsequenzen für die historische Rekonstruktionsarbeit. Dass Anonymität und Unsigniertheit nicht gleichgesetzt werden dürfen, lässt sich an literaturhistorischen Beispielen nachvollziehen: So sind gerade im Hinblick auf die Antike Fälle keineswegs selten, in denen es einen Autornamen gibt, der fragliche Text aber trotzdem so gut wie ‚anonym‘ ist, weil nichts über den Autor bekannt ist (außer seinem Namen und denjenigen Informationen, die sich wiederum aus dem Text ableiten lassen). Auch der inverse Sachverhalt, dass sich aus der Unsigniertheit eines Textes nicht auf seine Anonymität schließen lässt, wurde in der literaturhistorischen Forschung immer wieder gewürdigt. So kann die Autorschaft eines unsignierten Textes für einen bestimmten elitären Personenkreis problemlos identifizierbar sein, während der Text aufgrund seiner Unsigniertheit für eine größere Öffentlichkeit anonym bleibt. Zwar werden statistische Verfahren schon seit dem frühen 20. Jahrhundert auf sprachliche Artefakte angewandt (Kelih 2008), ihre forensische Applikation im Sinne einer stilometrischen Analyse unsignierter literarischer Texte oder ungeklärter bzw. zweifelhafter Autorschaft ist jedoch erst in jüngerer Zeit wieder in einen breiteren Aufmerksamkeitsfokus gerückt (Craig 2000; Burrows 2002 und 2003; Jannidis und Lauer 2014). Diese Form der Autorschaftsattribution basiert auf einem gegenüber der klassischen Stilanalyse veränderten Stilbegriff, der nicht mehr einzelne Inhaltswörter, sondern die spezifische Verwendung von – zuvor als stilistisch irrelevant erklärten – Funktionswörtern analysiert. Methodengeschichtlich sind diese Entwicklungen im Kontext des seit den 2000er Jahren gewachsenen Interesses an neuen Textanalyseverfahren (Moretti 2013: distant reading; Jockers 2013: macroanalysis) zu verorten. Da die zur Messung von spezifischen Textdistanzen als Maß für die Autorschaft eines Textes eingesetzten computergestützten Analyseverfahren jedoch selbst keine Hinweise darauf geben, durch welche Faktoren die zugrundeliegenden Worthäufigkeitslisten beeinflusst sind, stellt sich letztlich immer wieder die nur literaturhistorisch informiert zu beantwortende Frage, welche anderen ‚Signale‘ jenseits des Autorstils für das Analyseergebnis verantwortlich sein könnten (denkbar sind Gattung, Epoche, Geschlecht usw.).
5 Autorhermeneutik und Werktheorie Diese Problemkonstellation betrifft das hermeneutische Verhältnis von Autorkonzept und Werkbegriff (vgl. zu diesem Abschnitt Spoerhase 2007b) [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft]. Roland Barthes hat um 1970 nicht nur das Autorkonzept (Barthes 1967), sondern in diesem Zuge auch die Werkkatego-
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rie angegriffen; in dem programmatisch betitelten Artikel „De l’œuvre au texte“ (Barthes 1971) wird der ‚Tod‘ des Werks verkündet. Ein Werk ist ein Stück Diskurs, das aufgrund einer mittels der Autorkategorie abgesicherten textuellen Homogenität beanspruchen darf, Gegenstand bestimmter Interpretationsstrategien zu werden (vgl. dazu auch die einflussreiche und jüngst neuaufgelegte Studie von Bosse 2014). Das lässt sich sehr deutlich an der Anwendung der Parallelstellenmethode nachvollziehen (Compagnon 1997; Danneberg 2005). Die Parallelstellenmethode, die als philologische Basistechnik bezeichnet werden darf, lässt sich in Grundzügen wie folgt skizzieren: Wenn wir in einem Text einen dunklen oder mehrdeutigen Ausdruck finden, werden wir zuerst versuchen, diesen Ausdruck mit Hilfe eines anderen (verbal oder sachlich) parallelen, d. h. ‚ähnlichen‘ Ausdrucks aus dem gleichen Opus oder Œuvre zu interpretieren, der klarer oder eindeutiger ist. Entscheidend ist hier, dass die Parallelstellenmethode erstens eine Kontextstaffelung impliziert, die ‚nähere‘ Kontexte privilegiert, und dass sie zweitens als ‚Werkhermeneutik‘ die Homogenisierung einer Textmenge im Opus oder Œuvre eines bestimmten Autors voraussetzt. Das hermeneutische Parallelstellenverfahren, das sowohl eine heuristische (hypothesenbildende) als auch eine validierende (hypothesenbewertende) Funktion ausüben kann, setzt immer eine hermeneutische Asymmetrie hinsichtlich des Klarheitsgrads der heranzuziehenden Parallelstellen voraus. Diese Asymmetrie lässt sich dahingehend formulieren, dass das, was zur Bedeutungsklärung dienen soll, gegenüber dem, was es zu klären gilt, in der konkreten Begründungssituation größere Klarheit zu besitzen habe, d. h. einen Evidenzüberschuss besitzen müsse. Die hermeneutische Parallelstellenmethode ist innerhalb der philologischen Methodenlehre eine spezifische Form, opusimmanente bzw. œuvreimmanente Intertextualität zu konzeptualisieren; diese Form setzt implizit den Autor als homogenitätsstiftende und damit als den Explikationstransfer zwischen unterschiedlichen Textstellen garantierende Instanz voraus. Die Kritik des Autorbegriffs hat deshalb auch zu einer Problematisierung des Anwendungsbereichs der Parallelstellenmethode geführt (Szondi 1962; Stierle 1983). Eine anspruchsvolle Rekonstruktion der Logik der hermeneutischen Parallelstellenmethode fehlt bisher ebenso wie eine präzise Darstellung der philosophischen und ästhetischen Voraussetzungen, die ihre Anwendung in bestimmten Fällen plausibel erscheinen lassen.
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Eric Achermann
III.1.3 Geistiges Eigentum und Copyright 1 Geschichte der Urheberfrage Alle Debatten um die Geburt des Autors als Rechtssubjekt kreisen um die Vorstellung eines „Urhebers“ als „Schöpfer“ (§ 7 UrhG), dessen Rechtssphäre aus einem lang anhaltenden Formationsprozess von Subjekts- und Individualitätsvorstellungen hervorgehe. Dass die Entstehung eines Rechts auf Geistiges Eigentum den modernen Autor konstituiere, ist zu einem Topos literaturhistorischer Forschung avanciert (Woodmansee 1994; Rose 1988, 75–77; Rose 1994; kritisch Lauer 2002). Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die These jedoch bald als zirkulär. Nicht weniger oft nämlich begegnen wir einer zweiten These, welche die Rechte des Autors aus dem Geist der Genie- oder Autonomieästhetik [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft] heraus erklärt (Vogel 1978, 70–75; Plumpe 1979; Zionkowski 1992; Ortland 2004; Barudi 2013, 126–130). Im Folgenden soll gezeigt werden, dass weder die Applikation ästhetischer Denkfiguren und Wertvorstellungen auf entstehende Rechtsinstitute, Urheberrecht und Copyright, noch diejenige von Vermögens- und Persönlichkeitsrechten auf Produkte des Geistes den Motor in der Entwicklungsgeschichte unserer Rechtsvorstellung von Autorschaft darstellen, sondern grundlegende Legitimationsprobleme eines Begriffs von Eigentum, der wie kein anderer im Spannungsfeld von Recht, Wirtschaft und Politik steht. Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts Eigentum als unantastbares natürliches Recht Einzug in so grundlegende Dokumente wie die Bill of Rights von Virginia (1776) und die Déclaration des droits de l’homme et du citoyen (1789) hält, können Vorstellungen, was einem Autor gehöre und wer als Dieb zu gelten habe, bereits auf eine beachtliche Tradition zurückblicken (Dock 1974; Visky 1987 [1961]; Hesse 2002, 26–29; Schermaier 2013). So weiß bereits Seneca (De beneficiis, 7,6,1), dass sowohl Autor als auch Buchhändler ein Buch ihr Eigen nennen. Der erste sei Herr der Sache (dominus rei), der zweite hingegen von deren Nutzung (dominus usus). Dass aus der Verfasserschaft eine ursprüngliche Herrschaft über das Manuskript abgeleitet werden könne, dies wurde wohl kaum je bestritten. Dass hieraus dennoch keine rechtliche Anerkennung einer Urheberschaft hervorging, hängt zum einen von begrifflichen Voraussetzungen ab. Das Römische Recht unterscheidet Eigentum (proprietas) als eine Zuordnung, ein ‚zu-eigen-haben‘, von Herrschaft (dominium) (Kaser 1943, 6–16, 306–329; Schwab 1975, 70). Die Verbindung beider Begriffe geschieht unter der Voraussetzung, dass der Herrschaftsgedanke „auf die Sachherrschaft“ reduziert wird, und zwar unter „weitgehende[r] Eliminierung der darüber hinausgreifenden Bedeutungsgehalte von https://doi.org/10.1515/9783110297065-005
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dominium“ (Willoweit 1974, 141). ‚Eigentum‘ ist Attribut einer Sache, nicht einer Person (Edelman 2005, 55; vgl. auch Drahos 1996, 18–19). Der antike Plagiatsvorwurf zum andern bedenkt zwar Ehre und Ansehen ‚wahrer‘ Autoren sowie ruchlose „Verschleierung der Entlehnung“ (Stemplinger 1912, 169; vgl. Theisohn 2009, 35–97), inkriminiert diesen ‚Diebstahl‘ jedoch nicht als Vermögensdelikt (Kleberg 1967, 15–17, 51–56; Widmann 1967). Schmähung und Ächtung unlauterer Kopisten mögen auf einem Rechtsgefühl basieren; die verletzten ‚Rechte‘ aber sind nicht gerichtsfest (Eggert 1999, 213–215). Dies ändert sich mit der Erfindung des Buchdrucks. Das spätmittelalterliche Handschriftengewerbe basierte auf Verträgen, die das Verhältnis von Auftraggeber und Kopist über die bisweilen jahrelange Verfertigung einer Handschrift minutiös festhielten (Brandis 1984). Zwar gab es bereits Skriptorien, die Handschriften auf Vorrat produzierten und ein Vertriebswesen ausbildeten (Widmann 1968, 1975, 36–38), das demjenigen der Inkunabelzeit zumindest in den Anfängen ähnlich war; ab etwa 1480 erfordern die massiv gestiegenen Auflagenzahlen jedoch eine Preiskalkulation, die den Absatz eines großen Büchervorrats über einen bisweilen mehrjährigen Zeitraum zur Deckung der getätigten Ausgaben in Rechnung stellt [vgl. den Artikel Autorschaft und literarischer Markt]. Um Investitionsrisiken zu mindern, stellen Fürsten Schutzbriefe oder Privilegien aus. Zu Ort und Zeit des ältesten Privilegs gehen die Forschungsmeinungen auseinander (vgl. Dock 1962, 63; Bappert 1962, 180–181; Armstrong 1990, 3); als gesichert kann gelten, dass sich in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts ein Privilegienwesen ausbildet, das bis ins 19. Jahrhundert das gängige Rechtsmittel zum Schutz des verlegerischen Vermögens bereitstellt. Die intensive Forschung zum deutschen, englischen und französischen Buchhandel zeichnet eine Entwicklung staatlicher Regularien, die weder geradlinig, noch parallel verläuft; insbesondere das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ist aufgrund seiner territorialen Zerklüftung nur schwer überschaubar. Zuvorderst steht die im Zeitalter der Konfessionalisierung naheliegende Sorge, den Druck durch Vorzensur zu kontrollieren. Eine Reihe kaiserlicher Erlasse hält seit den 1520er Jahren die Obrigkeiten an, Sachverständige zu ernennen, die Verstöße gegen Religion, Sitte und Ordnung anzeigen (Kapp 1886, 534–551). Mehr oder minder gleichzeitig zu diesen frühen Verpflichtungen auf „gute Policey“ (Simon 2004, 104–167) werden Stimmen wie diejenigen Luthers oder Erasmus’ laut, die den Schutz verlegerischer Investitionen fordern (Gieseke 1995, 19–37). Die Privilegien oder Patentbriefe, die diesen Forderungen zu entsprechen trachten, sind von der Zensur weitgehend unabhängig, doch dürfte eine Ablehnung durch letztere in allen Fällen zur Verweigerung bzw. Annullierung ersterer geführt haben (Gieseke 1995, 57–58). Privilegien werden auf begründenden Antrag hin und nach Zahlung einer Taxe gewährt. Sie garantieren dem privilegierten Werk einen befristeten Schutz (meist zwischen
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drei und zehn, selten bis 30 Jahre nach Erscheinen) vor Nachdruck auf eigenem sowie vor Einfuhr desselben aus fremdem Territorium. Besonders effektiv sind kaiserliche Privilegien, da sie sich auf sämtliche an der Frankfurter Buchmesse gehandelten, d. h. getauschten, Bücher erstrecken. Die zunehmende Konkurrenzierung durch die Leipziger Messe im 17. Jahrhundert führt dazu, dass kaiserliche Privilegien in Kursachsen zunehmend ignoriert, die eigenen aber durchgesetzt werden (Gieseke 1995, 39–92). Zum definitiven Bruch kommt es 1764, da der Leipziger Großverleger Philipp Erasmus Reich seine Warenlager in Frankfurt auflöst, gemeinsam mit anderen Buchhändlern den Besuch der Frankfurter Buchmesse einstellt und den Nettohandel anstelle des gängigen Sortimentertausches forciert (Wittmann 1991, 75–142). Dieser Bruch führt zu einer Flut an Nachdrucken (Kiesel und Münch 1977, 123–154; Bülow 1990, 7–30) sowie an Traktaten für und wider den Nachdruck (Bappert 1962, 262–266; Vogel 1978, 59–67). In England erhält die zunftmäßig organisierte Londoner Stationers Company mit dem Charter Mary 1557 praktisch das Monopol über den Buchhandel im Königreich. Durch den Eintrag in ein zentrales Register, dem sogenannten Hall Book, erwirken die Mitglieder ein ausschließliches Recht auf den Druck der verzeichneten Werke, das als unbefristet verstanden wird (vgl. Feather 1994, 16–36; Reuß 2010, 29–64). Die Korporation sichert die Monopole ihrer Mitglieder, indem sie für die Verteilung der Titel sorgt (Edelman 2004, 201). Der Ausdruck copyright, dessen früheste Verwendung zur Bezeichnung eines ausschließlichen Verlagsund Druckrechts wohl auf das Jahr 1701 datiert werden kann, leitet sich denn auch von copy als Bezeichnung sowohl für das Manuskript als auch für das Recht auf dessen Veröffentlichung ab (Patterson 1968, 4–5). Wesentlich erscheint, dass im Gegensatz zum deutschsprachigen Gebiet, das zwar Drucker-, jedoch keine Buchhändlerzünfte kennt, sich der englische Buchhandel durch einen ganz anderen Grad an sowohl zensorischer als auch merkantiler Zentralisierung auszeichnet. In dem lang anhaltenden Kampf zwischen Krone und Parlament werden die unter Karl I. formulierten und von der Stationers Company ausgeübten absolutistischen Ansprüche des Star Chamber Decree von 1637 zum Ausgangspunkt heftiger Debatten. Die strikte Abhängigkeit von Registrierung, Lizensierung und genauester Zensur, wie sie das Decree vorsieht, liefert die Vorlage, die in den parlamentarischen Debatten zur Regulierung des Buchhandels die Frage nach den Eigentumsrechten maßgeblich befördern wird (Patterson 1968, 114–142). In Frankreich schließlich werden in einer Reihe von Arrêts de Parlement zwischen 1551 und 1586 im Wesentlichen zwei Punkte geregelt: Privilegiert werden einzig neue Bücher, während Werke vergangener Epochen gemeinfrei sind; Privilegien werden nur verlängert, wenn bereits privilegierte Werke bedeutende Ergänzungen erfahren. 1563 entscheidet der König, den Druck der Bücher von einem königlichen Privileg abhängig zu machen. Den parlamentarischen Einschränkun-
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gen begegnet der Conseil du Roi 1649 mit einem Statut, das im Wesentlichen die Verlängerung von Privilegien ungeachtet einer allfälligen Bearbeitung einräumt und die diesbezügliche Befugnis für sich reklamiert; dieser Anspruch wird 1723 bekräftigt, indem alle ausschließlichen Rechte einzig der königlichen Privilegierung unterstellt werden (Dock 1962, 71–75). In der Praxis heißt dies, dass nach Gutheißen (approbation) des Manuskripts durch Sorbonne oder Zensur sowie der Hinterlegung zweier Pflichtexemplare in der Bibliothèque Royale der Kanzler die Privilèges du Roi gewährt – allein für das 18. Jahrhundert werden es bis zur Französischen Revolution an deren 30.000 sein, die hauptsächlich Pariser Buchhändlern zukommen (Boncompain 2001, 28–32; vgl. Lefebvre und Martin 1958, 345–347 sowie Darnton 1991, 39–57).
2 Die Ursprungsfrage Mehr noch als für andere Wissenschaften ist die Ursprungsfrage für die Rechtswissenschaft von konstitutiver Bedeutung. Da geltendes Recht nicht einfach Gesetz ist, muss die rechtsgeschichtliche Forschung klären, ob die Gesetzgebung ein bereits existierendes Gewohnheitsrecht verschriftlicht (Gieseke 1995, 102–105), die Rechtsprechung Gemeinrecht auf neue Verhältnisse appliziert (Schwab 2008, 35–38) oder ob Recht durch Gesetzgebung oder Richterspruch geschaffen wird. Auf die Genese von Autorenrechten bezogen lautet die Frage, ob und wie weit ein auktoriales Rechtsbewusstsein oder -gefühl sowie eine entsprechende Praxis der Positivierung vorausgehen. Seit der Renaissance, für manche auch schon seit dem Mittelalter (vgl. Morris 1987 [1972], 64–95; Lopetegui Semperena 2014), begegnen wir einem Autorenbewusstsein, das mit dem Selbstwertgefühl der Antike zu konkurrieren vermag, ja seit dem 16. Jahrhundert in dem oft bemühten humanistischen Topos des poeta creator (Lieberg 1982, 164–168; Asmuth 1994, 110–113) kaum überbietbar erscheint. Doch sind es nicht zuletzt Topoi wie die eines Gelehrten- oder Künstleradels (Garber 2009; Achermann 2009), die es den Autoren verbieten, pekuniäre Interessen allzu offen zu äußern (Bappert 1962, 141–150; Kiesel und Münch 1977, 144–148; Turnovsky 2010, 23; Gegenbeispiele bei Seibert 1981). Die eigenen staunenswerten Leistungen und die „Präzedenz“ (Achermann 2011) der jeweiligen Kunst oder Gelehrsamkeit werden vielmehr regelmäßig dazu angeführt, um ein ‚Honorar‘, also einen Ehrensold, zu erwirken (zur Geschichte des Honorars vgl. Bosse 1981, 65–98; Steiner 1998). Das Selbstverständnis eines primär dem eigenen Ruhm verpflichteten Autors darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Autoren, die in ihrem eigenen Namen um ein Privileg ersuchen, alles andere als selten sind (Pohlmann 1962,
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186–196). Auch kommt es vor, dass im Namen eines Autors gegen eine ‚unautorisierte‘ Gewährung eines Privilegs an einen ungewollten Verleger geklagt wird (Edelman 2004, 81–107); ja, der consensus auctoris dürfte seit Beginn des 17. Jahrhunderts für die Drucklegung allgemein als billig vorausgesetzt worden sein. Dort, wo keine zunftmäßigen Monopole dies verhindern, steht es dem Autor also frei, durch Verkauf des Manuskripts das Recht zur Veröffentlichung und Verwertung einem Verleger seiner Wahl zu übereignen oder das Werk selbst zu verlegen (Berg 1966). Darin dürfte denn auch die eigentliche Funktion sogenannter ‚Autorenprivilegien‘ liegen: Sie bekräftigen durch ihre einfache, von jedem weiteren Nachweis befreite Handhabe ein ausschließliches Recht, das sowohl beim Aushandeln des Honorars als auch bei der Suche nach einem respektablen, einer hohen Qualität verpflichteten Verleger die Attraktivität eines Manuskripts erhöht. In den Gesuchen um Gewährung solcher Privilegien sowie in den Rechtskonflikten, die aus der Verletzung der Privilegien resultieren, werden aber nicht nur außergewöhnliche Leistungen und Verdienste um das öffentliche Wohl, sondern bisweilen auch die prinzipielle Unantastbarkeit von Eigentum angeführt. Allen absolutistischen Tendenzen zum Trotz sehen nicht wenige Rechts- und Staatstheoretiker Eigentum der Machtsphäre des Monarchen enthoben: Dieser gehorche „den Gesetzen der Natur“, indem er den Untertanen „die natürliche Freiheit und das Eigentum der Güter“ belasse (Bodin 1576, 273; zu den Fundamentalrechten im Zeitalter des Absolutismus vgl. Lemaire 1907, 115–116; Cremer 1998, 33–37). Gleichzeitig unterminiert jedoch die Rede von natürlichen Rechten die herrschende Praxis: Was tatsächlich Eigentum ist, braucht nicht privilegiert zu werden. Im Zuge der Nachdrucksdebatte etabliert sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Vorstellung eines ‚literarischen Eigentums‘. Mit Rekurs auf Naturrecht oder Gemeinrecht werden Ansprüche auf den Schutz der getätigten Verlagsinvestitionen erhoben, welche die Werke zu eigentlichem „Verlagseigentum“ machen (Bappert 1962, 217–230; Gieseke 1995, 93–106; Vogel 1978, 31–41). Ob jedoch die Rede von einem Recht, das der Autor nach Gutdünken veräußert, darauf schließen lässt, dass hier bereits die Urhebertat als Rechtsquelle für auktoriale Vermögens- oder gar Persönlichkeitsrechte erachtet wird (Pohlmann 1961a, 1961b, 1962), darf bezweifelt werden (Bappert 1961, 446–447; Gieseke 1962, 67–71; zusammenfassend Wadle 1987a; Dölemeyer und Klippel 1991, 190–192; Gieseke 1995, 67–69). Wird durch Verkauf die Zuordnung einer Sache von deren Besitz und Nutzung effektiv getrennt, so kann von einem Geistigen Eigentum nicht die Rede sein, wohl aber von einem Copyright. Was letzteres betrifft, markieren zwei wesentliche Einschränkungen den Gegensatz zum heutigen anglo-amerikanischen Rechtsverständnis: Zum einen impliziert die Vorstellung von einem literarischen Eigentum entgegen heutiger Rechtslage ein fortwährendes ausschließliches Recht und folglich auch die unbeschränkte Vererbbarkeit sämtlicher Verwertungsrechte;
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zum zweiten kann der Autor nach Verkauf des Manuskripts keinen Einspruch gegen Entscheidungen erheben, welche die Verfügung, Verwertung und Bearbeitung durch den Rechtsnachfolger betreffen. Für die Rechtsfortschreibung, insbesondere im England des 18. Jahrhunderts – in der sogenannten battle of the booksellers – und im Frankreich der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – etwa in der Bildung der ersten Société des auteurs gegen das Aufführungsmonopol der Comédie-Française – ist die Kollision der genannten Einschränkung von Belang: Der hier verwendete Eigentumsbegriff befördert zwar vermögensrechtliche Vorstellungen, schließt aber ipso facto Persönlichkeitsrechte aus.
3 Lockes Eigentumsbegriff Mit welchen Schwierigkeiten die Entwicklung eines Autorenrechts zu kämpfen hat, äußert sich prominent in der wohl einflussreichsten Schrift, die den liberalen Eigentumsbegriff geprägt hat: John Lockes Second Treatise. Zum einen behauptet Locke (1997 [1690], 353–354), dass dem Menschen diejenigen Dinge im eigentlichen Sinne gehören („are properly his“), die aus „the labour of his body, and the work of his hands“ hervorgehen, zum anderen präzisiert er im direkten Anschluss daran, dass der Mensch durch die Beimischung eines ihm eigenen Etwas diesen Eigentumsanspruch auf eine Sache habe („hath mixed his labour with, and joined to it something that is his own“). Im Unterschied zu Vorläufern einer naturrechtlichen Eigentumstheorie wie Grotius oder Pufendorf bedeutet Lockes „own“, dass das Eigentum an der eigenen Person in die Sache ‚einfließt‘ und diese zum Eigentum als Teil dieser Person macht (Olivecrona 1974, 222). Im Lockeschen Eigentumsbegriff begegnen sich so Argumente, die den Konflikt von Vermögens- und Persönlichkeitsrecht vorwegnehmen. Der Begriff „labour“ nämlich kann nicht – wie es häufig geschieht – einzig als ‚Arbeit‘ im engeren Sinn einer physischen und zeitlichen ‚Aufwendung‘, sondern muss dem argumentativen Zusammenhang des Second Treatise entsprechend zudem als intentionale, willentliche ‚Zuwendung‘ verstanden werden. Eigentum wird, um es anders zu sagen, nicht nur durch eine effektive, eine Sache hervorbringende, sondern auch durch eine affektive, den Status einer Sache transformierende Handlung konstituiert (Achermann 2002). An einer Zentralgestalt der englischen Rechtsgeschichte des 18. Jahrhunderts, William Blackstone, lässt sich zeigen, wie und bis zu welchem Grade die Lockesche Kombination von Arbeit und Wille die Vorstellung sowohl von Copyright als auch von Geistigem Eigentum in der Folge prägt (Rose 1988, 63–64; Edelman 2004, 199–200, 217). Als Wortführer eines ewigen Verlagseigentums setzt Blackstone (1762, 180) explizit Arbeits- und Okkupationstheorie („occupancy“) ins Ver-
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hältnis zu den Begriffen „labour and invention“, welche die Einzigartigkeit eines Werkes durch „style and sentiment“ konstituieren. Die persönlichen Vermögen hierzu seien „genius and application“. Aus diesem Übergang „vom Eigentum der Sache zu einem Eigentum des Selbst und vom Eigentum des Selbst zum Eigentum des Werks“ (Edelman 2004, 200) bildet sich ein Herrschaftsrecht aus, das Privilegien und zünftige Regularien zwar notwendig aufheben muss, gleichzeitig aber Sacheigentum bleibt. Für die weitere Entwicklung wird der Dualismus von Okkupation und Wille einerseits sowie Arbeit und Sache andererseits entscheidend sein. Er legt die Basis für eine duale Rechtstradition, die den römisch–rechtlichen Begriff des Eigentums als Sachherrschaft entscheidend modifiziert. Sowohl die literary property als auch das daraus resultierende perpetual copyright kollidieren jedoch mit Vorstellungen, die für den gesamten Bereich einer modernen, liberalen Öffentlichkeit nicht minder charakteristisch erscheinen als der vermögensrechtliche Schutz von Produktivkräften: Öffentliches Interesse und Meinungsfreiheit (vgl. Abrams 1983). Für seine Gegner beruht das ‚literarische Eigentum‘ nicht auf einem Naturrecht, sondern auf einem gravierenden Irrtum; es widerspricht dem Wesen der Publikation, die auf Teilhabe und Kommunikation angelegt ist. Wie soll etwas durch Veröffentlichung privat werden? Und wie kann eine Meinung frei sein, wenn sie keine Öffentlichkeit für sich reklamiert? Monopole drohen den freien Verkehr zu behindern, ja gar zu unterbinden. Aus Sicht eines sich konsolidierenden liberalen Rechtsverständnisses sind Privileg und Zensur Kehrseiten ein und derselben fürstlichen Medaille. Im Zeichen despotischer Machtfülle erscheinen ausschließliche Rechte sowie deren Rechtsmittel, Privileg und Patent, genauso wie die Kontrolle der freien Meinungsäußerung als Hauptgegner freier Zirkulation auf den zu erobernden Territorien des Marktes und der Öffentlichkeit (Klippel 1982, 139–141) [(vgl. den Artikel „Autorschaft und literarischer Markt]“). Auch hier ist es Locke, der dem Urheber- anstelle eines Verlegerrechts die Bahn bricht (Rose 1988, 56–58, 70–73; Edelman 2004, 203–206; Reuß 2010, 38–49). Locke spricht sich nicht nur für die Pressefreiheit aus, sondern auch gegen ein monopolistisches Verlagseigentum, indem er nach Ablauf einer gewissen Frist die Rückkehr der Veröffentlichungsrechte an die Autoren fordert (Astbury 1978, 313; Tamaro 1994, 17; Reuß 2010, 71–72). Trotz seiner letztlich unfruchtbaren Vorstöße münden seine Vorschläge in die Neuregulierung des englischen Buchhandels durch das berühmte Statute of Anne aus dem Jahre 1710 (zur Datierung Feather 1980, 39). Zwar findet mit Ausnahme des letzten Absatzes die Erwähnung des Autors im Statute nur in Verbindung mit den Buchhändlern statt; die Ausnahme aber ist gewichtig: Das Veröffentlichungsrecht soll vom Abtretungsempfänger nach 14 Jahren für eine Zeitspanne von weiteren 14 Jahren erneut auf den Autor übergehen (Statute of Anne 1710, 266). Trotz der sicherlich
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berechtigten Kritik an einer Überbewertung des Statute (Feather 1994, 64–70) und ungeachtet des Einwands, dass die verordneten Rechte tatsächlich erst mit dem Urteil Donaldson v. Becket im Jahre 1774 zur vollen Anwendung gelangen (Feather 1994, 89–96; Rose 1988), bedeuten die neuen Fristen die Abschaffung eines perpetuellen Verlagseigentums und somit tatsächlich einen „Meilenstein“ (Cornish 1993, 59), wenn nicht gar die Geburtsstunde des „erste[n] Urheberrechtsgesetz[es] der Welt“ (Reuß 2005). Das Sacheigentum weicht einer Vorstellung, die eine rechtliche Bindung zwischen Autor und Werk auch nach Abtretung des Manuskripts erkennt. Unbestritten entfaltet das Statute, mehr noch die daran anschließende englische Rechtsfortbildung ihre Wirkung auf die kontinentaleuropäische Auffassung von Autorenrechten (Gieseke 1995, 138–143; Edelman 2004, 239–241). Dem Autor entsteht ein Recht auf ein ganz eigenes ‚Eigentum‘ durch die gemeinsame Quelle seines subjektiven Willens und dessen Objektivierung durch seine Arbeit, die beide in das Werk einfließen. Diese „Prägetheorie“ ist dabei – anders als gelegentlich behauptet (Barudi 2013, 115–130) – weder geniezeitlich, noch romantisch, lassen sich doch in dem gerne zitierten Geniedenken eines Edward Young (Woodmansee, 53–54; Edelman 2004, 212–215) mehr als nur Spuren des Lockeschen Eigentumsbegriffs finden (Otabe 2005, 59). Sie ist vielmehr direktes Resultat einer personen-, nicht sachenrechtlichen Begründung von Eigentum. Der Autor vermag sich so des staatsbürgerlichen „Attributs“ der „Selbständigkeit“ würdig zu erweisen; er verdankt „seine Existenz und Erhaltung nicht der Willkür eines anderen im Volke, sondern seinen eigenen Rechten und Kräften, als Glied des gemeinen Wesens“ (Kant 1977 [1797], A 166). Ohne Bekundung seines Willens und Bemessung seiner Mühen ist ein solcher Unternehmer nicht zu haben, denn nur durch Inventionsgeist und Fleiß schafft er Vermögenswerte, für die er künftig proportional zum erfolgreichen Absatz seiner Schöpfung – den Anspruch auf angemessene Vergütung (vgl. Wandtke 2012, 23–26) – in einem wachsenden Markt entlohnt werden möchte. Immanuel Kants „Willkür eines anderen“ aber findet ihre nun obsolete Insigne im Privileg, das als Sonderfallrecht dem modernen Rechtsverständnis zuwiderläuft (Klippel 1997; Klippel 1999; Wadle 1997; Dölemeyer 1999; Mohnhaupt 1997): „patents to printers“ erscheinen als „merely privileges, which excludes the idea of right“ (Blackstone 1762, 186). Als monarchisches Rechtsmittel steht das Privileg im Dienst politischer und wirtschaftlicher Leitvorstellungen, die nicht dem dialektischen Konkurrenzverhältnis von Egoismus und Gemeinwohl im freien Markt, sondern einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik verpflichtet sind (vgl. Magnusson 2014, 34–38; Simon 2014). Die Ablehnung von Privilegien und Patentbriefen aber hinterlässt eine Lücke, die ausschließliche Rechte – gleich welchen Inhalts – nur schwer begründbar erscheinen lässt. Diesem Mangel begegnen die
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Décrets der Convention nationale zu den Aufführungs- und Autorenrechten aus den Jahren 1791 und 1793 (Dock 1962, 149–157; Boncompain 2001, 413–420), indem sie der naturrechtlichen Konstruktion eines auktorialen Eigentums gesetzlichen Ausdruck verleihen. Ungeachtet ob das Geistige Eigentum zu Anfang des 18. Jahrhunderts in Halle, namentlich von Justus Henning Böhmer (Gieseke 1995, 122) und Nicolaus Hieronymus Gundling (Lück 2008), oder von Johann Rudolf Thurneysen in Basel (Rehbinder 1993, 68–70; Fechner 1999, 33–34) entwickelt, ob es als „Eigenthum an meinem Geistesprodukte“ (Kayser 1790; vgl. Schwab 2008, 47), als „propriété des productions du génie“ (Le Chapelier, 1791 sowie Lakanal, 1793; beide bei Renouard 1838, 309, 326) oder schließlich von Gottlob August Tittel 1790 als unveräußerliches „Geisteseigenthum“ (Bosse 1981, 59–60; Rigamonti 2001, 25) apostrophiert wird, die Grundidee dieser Rechtsfigur bleibt im Wesentlichen der Lockesche Eigentumsbegriff.
4 ‚Geistiges Eigentum‘ als Kompass kontinentaleuropäischer Rechtsentwicklung Das revolutionäre Pathos, mit welchem der Nationalkonvent das neue Eigentum erfüllt, wirkt auf dessen europäische Rezeption gleichzeitig als Sprachrohr und Hypothek (Klippel 1976, 77–78; Eisfeld 2008, 66–67, 76–80). Die massive Ideologisierung des politischen Raums lässt den neuen Eigentumsbegriff als individualistische und anti-monarchische Entgleisung so manchen suspekt erscheinen. Die geradezu sakrale Bindung von Schöpfer und Nation im Zeichen dieses neuen Eigentums (Edelman 2004, 356–362) stellt die eigentliche Krux dar, die zu schultern oder zu fällen sich Juristen und Philosophen anschicken. So kann ohne Übertreibung das Geistige Eigentum als Kompass kontinental-europäischer Rechtsentwicklung bezeichnet werden. Im Zentrum von Rezeption und Reaktion steht bald der citoyen, bald die nation. Angesichts der Personalunion von Autor und Werk, angesichts der zunehmenden Spannung des Werks zwischen Wert und Ware, angesichts der Sublimierung von Autor und Künstler zum Sprachrohr der zivilen Gesellschaft, sieht sich der Produzent gezwungen, in dem neuen Zeitalter der Ideologie sein soziales, politisches oder auch bloß kommerzielles Selbstverständnis zu reflektieren (Goetzinger 1989). Es ist der Eigentumsbegriff, an dem sich die Gemüter der deutschen Juristen erhitzen. Grob gesprochen wird die rechtshistorische Schule der Romanisten am Eigentum als Sachenrecht festhalten. Sie steht folglich nicht nur dem Geistigen Eigentum ablehnend, sondern auch einem Persönlichkeitsrecht kritisch gegenüber (Pahlow 2006b, 715–717; Klippel 1982, 137–139). Der entscheidende Ein-
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fluss der Pandektistik auf das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verhindert so auch die Entwicklung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, was wiederum zur Folge hat, dass die persönlichkeitsrechtlichen Impulse in Deutschland historisch hauptsächlich vom Urheberrecht ausgehen (Simon 1981, 21–87; Götting 2008). Die Germanisten ihrerseits nehmen das droit d’auteur unter Beschuss, weil es auf einem unhaltbaren Dualismus von Vermögensrecht (droit patrimonial) und Persönlichkeitsrecht (droit moral) beruhe (zu dessen Entwicklung im frühen 19. Jahrhundert vgl. Strömholm 1966, 115–150). Dagegen favorisieren sie die ‚Verwurzelung‘ (vgl. die berühmte Baumtheorie von Ulmer 1980 [1951], 116; dazu Rigamonti 2001, S. 67–70; Jänich 2002, 108–109) des Urheberrechts in Persönlichkeit und Vermögen, ja, die unabtrennbaren Persönlichkeitsrechte avancieren zum eigentlichen Signum der deutschen Urheberrechtstradition. Sie entspringen der Rechtsphilosophie des Deutschen Idealismus (Klingenberg 1979; Fechner 1999, 34–44; Edelman 2004, 295–336). Kant (1785, 410) erkennt die Unrechtmäßigkeit des Nachdrucks darin, dass ein „persönlich bejahendes Recht auf einen andern“, das heißt auf den im Text sprechenden Autor, durch den Kauf eines Exemplars nicht erwerbbar sei. Einzig der Verleger als berechtigter Mandatsträger kann im Namen des Autors zum Publikum sprechen. In höherem Maße als diese Auseinandersetzung mit dem Verlagsrecht, die von der Rechtswissenschaft bisweilen harsch kritisiert wurde (Kohler 1894, 190–191), hat Kants (1968 [1785], A 66–67) Bestimmung der Person als Zweck ihrer selbst in der Grundlegung der Metaphysik der Sitten zu einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beigetragen. Die Vorstellung der Autonomie der Persönlichkeit wirkt in Johann Gottlieb Fichtes (1980 [1812], 34–35) Bestimmung der Freiheit als absolutem „Urrecht“ fort; die hieraus begründete Unveräußerlichkeit der Person veranlasst Fichte (1793, 462), ein „natürliches, angebornes, unzuveräußerndes Eigenthumsrecht“ des Autors zu behaupten, dessen schützenswerter Kern die „Form dieser Gedanken“ bildet, „die Ideenverbindung in der, und die Zeichen, mit denen sie vorgetragen werden“ (Fichte 1793, 450; vgl. Bosse 1981, 60–62). Als prominenteste Verfechter eines Urheberpersönlichkeitsrechts halten so bedeutende Juristen wie Karl Gareis und Otto von Gierke an dieser Vorrangigkeit der Urhebertat fest, verwerfen jedoch den Terminus des Eigentums. Für Gierke (1895, 766) ist der Urheber „Herr seines Geisteserzeugnisses“ und hat allein darüber zu entscheiden, „wann und wie es von seiner Person sich lösen soll“. Diese Veräußerung bedeute jedoch nicht, dass „das Geisteswerk seinem Erzeuger lediglich als ein von seiner Person gelöstes Objekt gegenüber[ge]stellt“ werden dürfe (Gierke 1895, 762). Das Persönlichkeitsrecht als unübertragbare „Höchstpersönlichkeit“ (Götting 1995, 43) hört mit der Objektivierung des Geistes durch Veröffentlichung nicht auf, als geschützte Rechtssphäre fortzubestehen.
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Mag die Verwerfung des Eigentumsbegriffs eine Konzession an die Romanisten oder rechtsdogmatisch begründet sein, der Dissens scheint im Wesentlichen ideologischer Natur. Im Gegensatz zur französischen Tradition bestimmt sich die Rechtssphäre des Urhebers nicht durch Pflichten und Rechte gegenüber einer republikanischen Zivilgesellschaft, sondern wird bald als Freiraum verstanden, in welchem sich das Individuum schöpferisch in einem „Kulturrechtsstaat“ verwirklichen kann (so Gareis, vgl. Pahlow 2006a, 168), bald als Betätigungsfeld von sozialen Bindungen, die genossenschaftlich, organisch und völkisch gedacht werden (so Gierke, vgl. Wieacker 1967, 453–455; Stolleis 1992, 359–363). Kants „gemeines Wesen“ kommt so für verschiedene Auffassungen von Kollektiv zu stehen, deren gemeinsamer Nenner im Bruch mit der Tradition einer humanistischen Gelehrtenrepublik liegt (Achermann 2016). Fragwürdig erscheint die These, dass moderne Autorschaft aus dem Recht des Autors erwachse, aus rechtsvergleichender Sicht. Wer die Geburt des Autors in der Verrechtlichung des Geniedenkens durch die Rechtsphilosophie des Deutschen Idealismus erkennt, müsste den massiven rechtsdogmatischen Differenzen im Copyright Rechnung tragen, die sich in einem differenten Autorenverständnis nachweisen ließen. Das anglo-amerikanische Copyright nämlich orientiert sich – und zwar bis heute (Goldstein 2001, 8–10) – an vermögensrechtlichen Aspekten, indem es personalistische weitestgehend ausschließt: „The characteristic of […] copyright is that it is a one and all inclusive right of a pecuniary nature; we are concerned with rights in the work.“ Das französische Autorenrecht hingegen kenne „a double right, the pecuniary right, and rights which can be brought within the general notion of droit moral attached to the very person of the author and which cannot be transferred, disposed of, or waived.“ (Monta 1959, 177). Was das Copyright unter „work“ versteht, ist ohne Sache, mehr noch körperliche Sache, nicht zu denken: „fixed in any tangible medium of expression“ (Copyright Act der Vereinigten Staaten von 1976; 17 U.S.C. § 101; vgl. Strömholm 2007, 3.10–11). Es ist zwar richtig, dass in Anbetracht der Rechtsprechung von einem solchen konsequenten Verzicht auf den Schutz des Urhebers vor einer Pervertierung seines Willens und Entstellung seiner Werke nicht die Rede sein kann (Recht 1969, 91–93), doch resultiert ein solcher Rechtsschutz nicht aus dem Urheberrecht, sondern aus einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das vom Immaterialgüterrecht getrennt ist (Rigamonti 2001, 72–82). Im Zentrum des US-amerikanischen Rechts (zur Geschichte vgl. Abrams 1983) steht der Investitionsschutz, was sich nicht zuletzt im Prinzip des „work made for hire“ äußert, also des vermögensrechtlichen Schutzes des Auftraggebers, nicht des Urhebers (Wandkte 2012, 28–29). Dieser klaren Trennung zum Trotz konstatiert die anglo-amerikanische Rechtswissenschaft im Zuge der Harmonisierung nationaler Rechte einen zunehmenden Einfluss kontinentaleuropäischer Persönlichkeitsrechte auf das Copyright (Baldwin 2014, 262–317).
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Prägt die ideologische Provenienz in Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus u. a. m. die Verhältnisbestimmung von Urheber, Werk und Gesellschaft in rechtsdogmatischer Hinsicht (Eisfeld 2008), so ist die Positivierung des Urheberrechts primär von dem Bemühen gezeichnet, den Rechtsraum zu erweitern, da es gerade die Produkte des Geistes sind, deren Verkehr naturgemäß keine Grenzen kennt. Als wichtige Etappen auf dem Weg zu einer überterritorialen Regelung seien hier einzig die Erlasse der Bundesversammlung von 1837 und 1845 genannt, deren hauptsächlicher Inhalt die Vereinheitlichung der Schutzfrist (10 Jahre nach Erscheinen bzw. 30 Jahre post mortem auctoris) darstellt (zur Entwicklung vgl. Dölemeyer 1986; Wadle 2012, 203–391). Das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken, das der Norddeutsche Bund 1870 erlässt, wird ein Jahr später zum Reichsgesetz. Es hat neben dem ausschließlichen Veröffentlichungsrecht des Urhebers das Verbot des Nachdrucks, die Befristung und Übertragbarkeit sowie nun auch das Aufführungsrecht zum Inhalt. Neue Reproduktionstechniken wie die Photound Phonographie sowie die Entstehung der Filmindustrie [(vgl. die Artikel „Autorschaft und Medien“ und „Autorenfilm]“) erweitern das Urheberrecht in der Folge materiell, ändern jedoch an der „Gestalt des Urheberrechts im Prinzip nicht mehr viel“ (Wadle 1987b). Das Werk aber als die zu schützende Materie verändert sich radikal, was die Bestimmung identitätsstiftender werkbezogener Kriterien in den Fokus rückt (Barudi 2005, 13–59) [(vgl. den Artikel „Autorsubjekt und Werkherrschaft]“). Das heute gültige deutsche Gesetz über Urheber und verwandte Schutzrechte (UrhG) von 1965, welches das vormalige Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst (LUG) von 1901 und weitgehend auch das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KUG) vom 1907 ablöst (hierzu Vogel 2001), umfasst neben den „Sprachwerken“ (worunter Schriftwerke, Reden und neu auch Computerprogramme) Erzeugnisse aus den Bereichen Musik, Tanz, Malerei, Bildhauerei, Baukunst, Design, Photographie, Film sowie schließlich die wissenschaftliche und technische Illustration (§ 2 UrhG). Das Urheberrecht löst sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts also definitiv von seinen traditionellen Ankern, dem Autor und dem Verleger schriftlicher Werke. Es versucht pragmatisch auf diejenigen Konflikte zu reagieren, die sich aus den technischen Neuerungen sowie aus der Internationalisierung eines effektiven Rechtschutzes ergeben. Einer solchen rechtspragmatischen Tendenz sehen sich auch die einflussreichen Arbeiten Josef Kohlers verpflichtet; dieser vertritt den französischen Dualismus, fordert gleichzeitig ein rechtsvergleichendes Vorgehen und verlangt einen Bewertungsstandard, der den praktischen Nutzen der Gesetze für die jeweilige Kulturstufe bemisst (Dölemeyer 1993, 142–143). Dennoch, oder gerade deshalb, bleibt auch Kohlers Immaterialgüterrecht dezidiert dem
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Lockeschen Eigentumsbegriff verpflichtet: „Die philosophische Begründung des Eigenthums und des Immaterialrechts liegt in der Arbeit, richtiger, in der Güterschöpfung; wer ein neues Gut schafft, hat das natürliche Anrecht daran; dieser Satz ist völlig vernunftgemäß und philosophisch nicht zu widerlegen“ (Kohler 1887, 98–99; vgl. Oberndörfer 2005, 44–57; Stallberg 2006, 59; Stieper 2009, 15). Den Begriff des Geistigen Eigentums verwirft aber auch Kohler und möchte diesen aufgrund seiner unangemessenen Implikationen durch „Immaterialgüter“ ersetzt sehen (Kohler 1894, 156–161). Kohlers Verzicht dürfte nicht zuletzt pragmatische Gründe gehabt haben. Die erfolgreiche Drohung der deutschen Vertretung bei den Verhandlungen zur Berner Übereinkunft von 1886, sich zurückzuziehen, falls an ‚Eigentum‘ festgehalten würde, belegt mit welchem rechtsdogmatischen Verve hier gefochten wurde. Die Internationalisierung des Urheberrechts begegnet ideologischen Bedenken also durch Eliminierung rechtsdogmatisch umstrittener Begriffe (Rigamonti 2001, 49–50). In der Geschichte des Urheberrechts markiert der internationale Vertrag eine neue Etappe: Er bildet das letzte Glied einer Kette, die vom Privileg über die naturrechtliche Begründung zur nationalen Kodifikation reicht (Vec 2008). Sowohl für die Berner Übereinkunft als auch für das Welturheberrechtsabkommen, das 1952 in Genf beschlossen und 1971 in Paris weiter fortentwickelt wird, geht es vorerst einmal um die gegenseitige Anerkennung nationaler Gesetzgebungen. Dass aus solchen Übereinkünften Kollisionen resultieren, namentlich bezüglich Umfang und Zuordnung des Urheberrechts sowie verwandter und anderer Rechte (Mohnhaupt 2008), liegt auf der Hand. Die derzeitigen, in ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit unerreichten Debatten zu den Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPs) im Rahmen des GATT zeigen, wie ungewiss und schwankend die Ansichten zur „Sozialbindung“ (Burchard 1908, 23) des Urhebers sind. Dass um TRIPs gefochten wird, hat sicherlich wenig mit rechtsdogmatischen Erwägungen zu tun, sondern vielmehr mit dem Umstand, dass das TRIPs-Abkommen im Gegensatz zu den genannten internationalen Vereinbarungen effektiven Durchsetzungsmechanismen unterworfen ist. Es hat zum zweiten aber auch damit zu tun, dass unter dem Begriff der intellectual property Urheberrechte mit gewerblichen Schutzrechten und beide mit Monopolisierung und Ausbeutung korreliert werden. Entspricht die Ausweitung des Urheberrechts auf den oben genannten Katalog von Künsten und Wissenschaften einer grundlegend veränderten Vorstellung derjenigen Personenkreise, die als Urheber oder Verwerter gelten, so führen die neuen digitalen Medien vor Augen, dass zwischen Verlag und Veröffentlichung in der heutigen Informationsgesellschaft de facto eine zunehmend schwache Bindung besteht. Auch auf diesem neuen Schlachtfeld von Individualrechten und kollektiven Interessen erscheinen nicht nur Individuen mit überkommenen liberalen Vorstellungen belastet, sondern auch die
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jeweiligen communities, die sich als user in Opposition zu Interessenvertretern von Autoren und Verwertern wähnen. Eine Geschichte der Autorschaft als Urheberschaft sollte auch mit Blick auf die derzeitigen Probleme den Fokus weniger auf Brüche in der Entwicklung eines auktorialen Selbstverständnisses als auf die Kollisionen richten, die sich aus den Interessenslagen und Freiheitsansprüchen der Trias Autor, Verleger und Leser bzw. Urheber, Verwerter und Nutzer sowie den jeweiligen Vorstellungen von ‚Werk‘ ergeben.
5 Die Zukunft der Urheberechte Ob die Urhebertat im droit d’auteur oder die Veröffentlichung im Copyright als Rechtsquelle für die Ansprüche von Autoren erachtet wird, dürfte für die auktoriale Bewusstseinslage hüben wie drüben von eher marginaler Bedeutung sein, ganz zu schweigen von den komplexen Regularien und rechtsdogmatischen Debatten, die sich schlicht der Kenntnis der meisten Kulturschaffenden und Konsumenten entziehen. Wer von einem wesentlichen Konnex von Urheberrecht und dem modernen Verständnis von Autorschaft spricht, muss klären, woran dieser Konnex festgemacht werden kann. Handelt es sich um einen Begriff des Autorenbewusstseins, so sollten unterschiedliche Rechtsvorstellungen sich wohl in Unterschieden literarischer Praxis nachweisen lassen. Handelt es sich hingegen um einen Begriff des Rechtsbewusstseins, so erscheint der Konnex in einem bloßen Truismus zu liegen: Der Autor glaubt, Rechte zu haben. Dies belegt nicht zuletzt die anhaltende Rede von einem ‚Geistigen Eigentum‘, das zu einem festen Bestandteil der Alltagssprache geworden ist, und dies ganz unabhängig davon, dass der Begriff regelmäßig aus dem juristischen Wortschatz verbannt wurde oder daselbst Renaissancen feiert (Klippel 1982; Pahlow 2006b; Dölemeyer 2008, 104– 105; ablehnend Rehbinder und Peukert 2014, 44–45). Die Popularität des Begriffs liegt gerade in seiner Ubiquität, bezeichnet die alltagssprachliche Verwendung doch nichts anderes als ganz unterschiedliche Bindungen von Sache und Person. Da der Begriff ‚Autor‘ aber den Begriff des ‚Werkes‘ impliziert, so ist diese Bindung per definitionem in den genannten Begriffen gegeben. Entscheidender dürfte sein, wie das Verhältnis zwischen Autor, Werk und Publikum gedacht wird, was zwar rechtliche Fragen, jedoch keine Übereinstimmung von Rechtsbewusstsein und Kodifikation impliziert (vgl. die Positionen bei Reuß 2009; Barudi 2013, 185–200; Hick 2017, 101–138). Zurecht wird betont, dass die Rechtsfortentwicklung und die Anpassung des Rechts an die sozialen und politischen Interessen sowie die medialen Bedingungen gerade im Urheberrecht von theoretischen und dogmatischen Erwägungen ganz maßgeblich abhängig sind. Sie tangieren alle Ebenen
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der Gesetzgebung, von der Menschenrechtserklärung über das Grundgesetz bis in Detailverordnungen des Gewerberechts. Betrachten wir jedoch den Prozess der nicht abgeschlossenen Reform des Urheberrechts – Stichwort ‚Dritter Korb‘ –, so scheinen neben den rechtsdogmatischen Erwägungen vor allem handfeste Interessen eine entscheidende Rolle zu spielen. Nicht zuletzt scheint die Rede von intellectual property im TRIPs-Abkommen unter konsequentem Verzicht auf ein Urheberpersönlichkeitsrecht (Wandtke 2012, 29) anzuzeigen, wie gering die Kompatibilität von Rechtsbewusstsein, Rechtsdogmatik und Rechtsgeschichte bisweilen ist. Wer den freien Zugang zu allen Produkten des Geistes aus der Erosion alteuropäischer Autorgläubigkeit heraus zu legitimieren trachtet, der dürfte wenig bis gar nichts von der Geburt, dem Leben und Sterben dieses Rechtssubjekt ‚Autor‘ verstanden haben. Bis auf weiteres gilt, dass sogar denjenigen, die den Autor totsagen, auch nach ihrem Ableben ein 70jähriger Schutz ihrer Vermögensrechte zukommt, während ihre Persönlichkeitsrechte gar nicht sterben, sondern höchstens verblassen (Dietz 2012, 108).
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Johannes F. Lehmann
III.1.4 Genie und Autorschaft 1 Einleitung Der Begriff des ‚Geniesʻ ist – trotz einer langen antiken und frühneuzeitlichen Vorgeschichte – in besonderer Weise verknüpft mit der sogenannten Genieperiode des späteren 18. Jahrhunderts. Hier steht der Begriff im Zentrum (medien-) ästhetischer, bildungstheoretischer und anthropologischer Debatten um kreative, schöpferische und originelle Autorschaft. Der Begriff Genie bezieht sich dagegen seit dem 19. Jahrhundert nicht vorrangig auf die Autorschaft des Schriftstellers, sondern auf geistige Höchstleistungen und unwahrscheinliche und kreative Problemlösungen in verschiedensten Feldern. Zwar sind auch heute noch, obwohl der Geniebegriff kein literaturwissenschaftlicher Terminus ist (Weimar 1997, 701), er philosophisch weitgehend als erledigt gilt (Ortland 2010, 704) und durch ‚Kreativität‘ ersetzt worden ist (Groeben 2013; Huber 2000), etwa Georg Büchner oder Ludwig Tieck im Diskurs der Literaturwissenschaft Genies, aber ebenso sind es Leonardo da Vinci, Ludwig van Beethoven, Albert Einstein oder der Schachweltmeister Kasparow. Im Begriff des Genies geht es um eine herausragende, nicht rational erklärbare und nicht auf die zeitlich vorausliegenden Ausgangsbedingungen zurückführbare, staunenswerte und sozial anerkennungswürdige zumeist ‚geistigeʻ Leistung bzw. Leistungsfähigkeit (traditionell von Männern), und zwar sowohl im Feld der Kunst als auch im Feld naturwissenschaftlicher Entdeckungen, der Physik (Newton), der Mathematik (Gauss), der Politik oder des Militärs (Napoleon) und des Sports (Muhammad Ali). In der Renaissance und in der Frühen Neuzeit zielt der hier einsetzende Gebrauch von frz. génie, engl. genius, spanisch ingenio und des seit Beginn des 18. Jahrhunderts in Deutschland belegten Gallizismus Genie ebenfalls auf die Bezeichnung einer großen Bandbreite von Künstlern, Philosophen, Entdeckern und Wissenschaftlern. Im 17. und auch noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts figuriert Newton als Paradigma des Genies (Fabian 1967), das zur Modellierung des Original-Genies der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dient (etwa bei William Duff und Alexander Gerard), während Immanuel Kant im § 46 seiner Kritik der Urteilskraft (1790) Newton explizit aus seiner Geniedefinition ausschließt. Die historisch singuläre, enge Verknüpfung zwischen dem Begriff des Genies und der Frage literarischer Autorschaft in der sogenannten Genieperiode ist ihrerseits für die Geschichte des Begriffs der Autorschaft, für das Theorem der Kreativität sowie das Konzept des ‚Werks‘ zentral [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkhttps://doi.org/10.1515/9783110297065-006
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herrschaft]. Dass der Begriff des Genies heute in theoretischen und ästhetischen Debatten eher marginalisiert erscheint (Carbò 2010; siehe aber Kristeva 2004 und Derrida 2003), hat in der Toterklärung des Autors und der dekonstruktiven Kritik am Werkbegriff seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts einen wesentlichen Grund. Zu fragen ist daher nach der engen theoretischen Kopplung von ‚Genie‘ und Autorschaft insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Hier bildet der Geniebegriff einen diskursiven Kreuzungspunkt einer Vielzahl von Umbruchsphänomenen zur Moderne: Er spielt eine zentrale Rolle im Kontext des Endes der ‚Schönen Wissenschaften‘ und der Rhetorik. Er steht in engstem Zusammenhang mit der Herauslösung des Buchmarktes aus seiner Bindung an die Gelehrtenrepublik und er steht im Zusammenhang mit der Herausbildung der modernen Öffentlichkeit [vgl. den Artikel Autorschaft und literarischer Markt]. Er provoziert – nicht zuletzt vor dem Hintergrund zeitgenössischer Umbrüche im Diskurs biologischer Zeugungstheorien – mit den implizierten Konzepten der Originalität und der Kreativität Neubewertungen von Urheberschaftsfragen und Prozessen der Weitergabe von Wissen, er fungiert als Reflektor für Diskurse medialer Fragen (Mündlichkeit/Schriftlichkeit), sozialer Fragen (Normalismus, Durchschnitt, Leistung etc.), bildungstheoretischer Fragen (Selbstbildung, Autodidaxe, Erweckung von Genies), kunst- bzw. literaturtheoretischer Fragen (Autonomie der Kunst, Einbildungskraft vs. Realismus) und hermeneutischer Fragen (Theorien des Verstehens). Neben den üblicherweise betonten Aspekten des Schriftstellergenies als autonomer, männlich zeugender Schöpfer, als Figuration ästhetischer und irrationaler ‚Subjektivitätʻ (Huber 2000) soll hier gezeigt werden, dass der Begriff und die Debatte des Genies in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Symptom bzw. ein Kristallisationspunkt jener historischen Transformation ist, in der literarische Autorschaft als innovativer, körper- und selbstvermittelter ‚Weltbezugʻ in Opposition zur (gelehrten) Tradition tritt. Jenseits der Regeln und der antiken Muster findet sich nicht nur die Sphäre von Regellosigkeit und der übernatürlichen Welt von Engeln und Schimären, in der das Genie sich ungefesselt bewegt, sondern mehr noch die reale Welt selbst, auf die sich das Genie mit seiner geheimnisvollen selbsteigenen Kraft, sei es Einbildungskraft, Leidenschaft, Liebe, esprit observateur, Aufmerksamkeit etc., bezieht und die es in der vollen Komplexität ihres unbeobachtbaren Zusammenhangs wiedergibt (oder spiegelt).
Genie und Autorschaft
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2 Wortgeschichtliche Voraussetzungen Im modernen Begriff ‚Genie‘, frz. génie, engl. genius, span. genio und ital. genio, sind zwei lateinische Worte unterschiedlich stark eingegangen bzw. fusioniert, nämlich genius und ingenium, die beide auf dieselbe griechische Wurzel gen zurückgehen (Huber 2000, 205). Sie ist Bestandteil des griechischen Verbs gignomai und des lateinischen Verbs genere bzw. gignere, die beide Prozesse des Werdens, des Hervorbringens und insbesondere des Erzeugens und Gebärens ausdrücken. Das lateinische genitum, geboren, sowie genus, Art, Gattung, Geschlecht, gehören hierher. Genius bezeichnet in der römischen Genius-Mythologie ursprünglich einen Ahnen- bzw. Schutzgeist, der als Geburtsgottheit firmiert und der als Lebenskraft und als sexuelle Potenz des Mannes wirkt. Der Genius wird als Personifikation der angeborenen Eigenschaften von Individuen und Kollektiven oder auch der Zeit (Zeitgeist) bzw. des Ortes (genius loci) angerufen, bleibt aber überwiegend, wie die Engel des Christentums, äußere Instanz und hat auch nichts mit herausragender Begabung oder geistiger Kreativität zu tun (Zilsel 1926, 11). Zwar wird die Genius-Mythologie parallel zur Debatte um das Genie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowie in der Romantik intensiv wiederbelebt, bleibt aber vom Diskurs des Genies, trotz großer Nähe zu Lehren der Inspiration und Projektionen des Genius auf die „prophetische Gabe“ des Menschen (Johann Gottfried Herder zit. n. Schmidt-Dengler 1978, 51, 56) spezifisch verschieden. Im frühen 18. Jahrhundert wird der römische Genius als Übersetzung des griechischen daimonion gewertet und sachgeschichtlich auf die platonischen Inspirationslehren bezogen. Das Lateinische ingenium dagegen gehört in den Kontext der Beschreibung einer spezifisch angeborenen geistigen Kraft des Menschen, die in einem spannungsreichen, überwiegend oppositionellen Verhältnis zu studium und ars steht. Nach Horaz ist das ingenium zwar Voraussetzung des Dichters, muss aber dennoch mit studium verbunden werden. Meist wird ingenium aber als Gegenbegriff von techne begriffen, als Naturanlage (ingenium übersetzt hier den griechischen Begriff euphyia), die durch Technik nicht zu erlernen ist. Es bezieht sich insgesamt auf das charakteristische Profil der angeborenen, insbesondere der geistigen Fähigkeiten. So kann der Begriff einerseits wertneutral die Wesensart eines Menschen (Ovid 1994 [8 n. Chr.], 730) bezeichnen, andererseits wertend die besondere Begabung und damit auch die persönliche Leistungsfähigkeit im Gegensatz zum ererbten Adel der Vorfahren (ebd. 670). Bei dem Rhetoriklehrer Quintilian rückt das ingenium in engste Nachbarschaft zur inventio, der Erfindung, und wiederum zu allen nicht erlernbaren Fähigkeiten: „Hinzu kommt, dass alles, was beim Redner das Wichtigste ist, nicht nachahmbar ist: Talent (ingenium), Erfindung (inventio), Kraft des Ausdrucks (vis), Gewandtheit (facilitas) und alles,
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was sich nicht im Lehrbuch lernen lässt.“ (Quintilian 1988 [95 n. Chr.], X, 2,12) Das ingenium wird so zu einem Grundbegriff der Rhetorik (Engels 1998), an den der Begriff Genie noch im 18. Jahrhundert vielfältig anknüpft. Die wortgeschichtliche Voraussetzung des Begriffs ist die Aufgabe der morphologischen Unterscheidung von genius und ingenium seit dem 16. Jahrhundert. Génie übernimmt in Frankreich sowohl die Bedeutung von Eigenart, angeborener Charakter (genius), als auch alle Aspekte des ingenium, das heißt die besonderen geistigen Fähigkeiten in Opposition zum studium, die vom ästhetischen Feld auch auf wissenschaftliche, politische und militärische Felder übertragen werden (Warning 1974, 279). In England übernimmt im 16. Jahrhundert genius, das zunächst im Sinne von Eigenart und auch origineller Geistesart gebraucht wird, das Erbe von ingenium erst um 1700, das bis dahin wit hieß (Fabian 1974, 282). In Deutschland begegnet das Wort ‚Genie‘ seit Beginn des 18. Jahrhunderts, zunächst in Übersetzungen aus dem Französischen, etwa von Roger de Piles: Abrégé de la vie des Peintres, avec des réflexions sur leurs ouvrages (1699), dessen 2. Kapitel in der deutschen Übersetzung (1710) Von der Genie heißt. Hier wird nicht nur die Unsicherheit des grammatischen Geschlechts des neuen Wortes deutlich, sondern auch, dass zunächst sowohl Aspekte von genius, Eigenart, Charakter, als auch von ingenium, geistige Begabung, in den Begriff eingehen. Deutlich wird das auch in dem Artikel bei Johann Heinrich Zedler, in dem „der Genie“ als ungleiche Gabe der Natur „bey seiner Geburts-Stunde“ und als „Trieb […] des dem Menschen beywohnenden Verstandes“ bezeichnet wird, und zwar sowohl um „den Wohlstand eines Dinges zu begreiffen oder dessen zu verfehlen“ (Zedler 1735, 871). Ob die Künstler „einen großen Genie haben“ oder ob sie „pauvres Genies sind“, hängt nicht nur vom ingenium ab, sondern auch davon, wie sehr es durch Studium der Regeln geübt werde. Kennzeichen des großen Genies ist eine „scharffe Penetration“, d. h. Kenntnis des Gegenstandes, und zwar nicht nur in den freien Künsten, sondern gerade auch „bey denen Mechanicis“ (ebd.). Erst im Laufe der zweiten Hälfte wird der Begriff in der Wendung ‚Genie haben‘ normativ auf die geistige Höchstleistung und auf Kreativität festgelegt und dann, zunächst in England (Weimar 1997, 702), überführt in Wendungen vom ‚Genie sein‘. Die Rede vom Geniesein geht in den 60er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts einher mit einer intensiven anthropologischen Analyse des Genies, der Frage nach den Konjunkturen seines Auftretens in der Geschichte, seiner Seelenvermögen, seiner Kennzeichen und seiner Bedingungen. Dies impliziert zugleich die Frage nach den Möglichkeiten, Genie zu werden, d. h. die Frage, ob das Genie, das qua ingenium und angeborenem Talent dem „Lehr- und Lernzusammenhang unheilbar fremd“ ist, nicht doch an eben diese Bildungseinrichtungen zurückzubinden ist oder auch die Bildungseinrichtungen an das Genie (Bosse 2003, 281). Eben diese kritische Analyse des Verhältnisses von Lernprozessen bzw. Modi der
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Tradierung kulturellen Wissens (in der klassischen Ausbildung durch Texte im gelehrtem Unterricht des Triviums) einerseits und kreativen Text-Leistungen, die jenseits und außerhalb entstehen (Shakespeare), rücken hier Genie und Autorschaft in den Fokus.
3 Sachgeschichtliche Modelle Neben den wortgeschichtlichen Wurzeln von genius und ingenium gibt es zugleich sachgeschichtliche Anknüpfungen an die antiken und auch christlichen Lehren der Inspiration durch Musen und Götter. Insbesondere dichterische bzw. prophetische Artikulationen stammen gemäß dieser Vorstellungen von einer göttlichen Kraft oder Inspiration her, die jenseits von Vernunft und Technik, als Enthusiasmus, göttliche Manie oder auch furor poeticus von Demokrit und vor allem von Platon entwickelt werden und als Erklärungen für die Besonderheit dichterischen, prophetischen oder rhapsodischen Sprechens dienen. Enthusiasmus und durch Gott (bzw. die Musen unter dem Schutz von Apoll) bewirkter Wahnsinn (mania), wie Platon das vor allem auch im Phaidros darstellt (Platon 1958 [370 v. Chr.], 244a), bilden seit der Renaissance Bezugspunkte für eine spezifisch individualisierte These vom Schöpferischen, die auch für die Geniedebatte des 18. Jahrhunderts zentral wird. Eine physiologisch gewendete, psychopathologische Inspirationslehre bildet die Vorstellung der vom Planeten Saturn induzierten Melancholie, die als spezifische Form der Schwarzgalligkeit bereits von Aristoteles als Grund angegeben wird, dass „alle hervorragenden Männer, ob Philosophen, Staatsmänner, Dichter oder Künstler, offenbar Melancholiker gewesen“ sind (zit.n. Klibansky 1992, 59). Diese Lehre wird in der Renaissance, vor allem im Neuplatonismus eines Ficino, wiederbelebt und mit dem platonischen furor divinus verkoppelt. Hierin liegt eine wichtige Voraussetzung für den modernen Geniebegriff (Klibansky 1992, 358), insofern Inspiration als saturnische und säftebedingte Melancholie als individuelle Erfahrung, als eigener geistiger Zustand und Bedingung des eigenen Weltbezuges gefasst werden kann (Klibansky 1992, 361–363). Die christliche Lehre der Verbalinspiration wird im 18. Jahrhundert von Theologen wie Johann Salomo Semler, dem Lehrer Schleiermachers, aufgegeben zugunsten einer Trennung von Gedanke und Wort Gottes. Paulus findet für die Gedanken, die er durch göttliche Eingebung erhalten hat, in seiner historischen Situation und im Hinblick auf seine spezifischen Adressaten selbst die Worte, die jene göttlichen Gedanken kommunizieren. Semlers Leistung liegt in der Historisierung der biblischen Texte, deren Signifikanten auf ihren zeitlichen Ent-
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stehungskontext bezogen werden, und entspricht so der Historisierung etwa Shakespeares durch Herder. Genie sein bedeutet auch für Johann Caspar Lavater gerade nicht, Sprachrohr Gottes zu sein, sondern selbst ‚Gott‘ zu sein und in der jeweiligen Gegenwart und in der Welt Sprache und Worte zu finden bzw. Werke zu schaffen. Die Vergöttlichung des Genies zum „selbstreich seyn“, zum „selbstweise seyn“ sowie zum „Selbstleben“ (Lavater 1778, 83) und die Historisierung von Autoren sind gleichursprünglich. Die Voraussetzungen für beides liegen in der französischen und englischen Diskussion im frühen 17. Jahrhundert.
4 Die Querelle und die Folgen: Perrault, Dubos, Shaftesbury und Young Sowohl in Frankreich als auch in England werden zentrale Grundlagen für den autorschaftlich gewendeten Geniebegriff der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Zeit der Querelle um 1700 gelegt. Hatte der Begriff génie in Frankreich im 17. Jahrhundert sowohl zur Bezeichnung des angeborenen Talents für irgendeine Sache, als auch für jene besondere Begabung gedient, die sich als „don du ciel“ (Bouhours 1671, zit. n. Ortland 2010, 676) nicht erlernen lässt, so wird doch in der Doktrin der klassischen Ästhetik das Genie des Künstlers sowohl an die Vernunft des „bon sens“ bzw. des „bon gout“ wie an das „vrai génie de la Langue Francois“ (Nicolas Boileau 1694, zit.n. Ortland 2010, 676) gebunden. Zielpunkt des Schönen bleibt die Nachahmung der Natur als die Nachahmung der zeitlosen Muster der Antike im Sinne überzeitlicher Wahrheit: „Le beau est le vrai!“ Es ist Boileaus Widersacher Charles Perrault, Vertreter der Partei der Modernen, der demgegenüber in seiner Epistre à Monsieur de Fontenelle (Perrault 1688) das Genie als der Antike gleichwertig denkt, indem er unter Rückgriff auf Platons Ideenlehre dem Künstler qua göttlicher Inspiration („une sainte fureur, une sage manie, et tous les autres dons qui forment le génie.“ [Perrault 1964 [1688], 172]) unmittelbaren Zugang zu den überzeitlichen Ideen zuspricht. Während die Natur selbst nur schwache Bilder dieser Ideen hervorbringt, kann das Genie mit seiner spezifischen Wahrnehmungs- und Einbildungsfähigkeit die Natur transzendieren und Dinge sichtbar machen, die die meisten Menschen nicht sehen. So gibt es einerseits einen unmittelbaren Bezug des Genies auf die zeitlosen Muster, andererseits aber auch eine Kulturentwicklung, in der Wissen weitergegeben wird und dadurch akkumuliert (beau relatif). Perrault braucht den Begriff des Genies, um die Differenz zwischen dem Wissen, das in der Zeit kontinuierlich anwächst, und der Qualität der Werke, die in der Zeit diskontinuierlich variiert, zu erklären (Perrault 1964, 322). So lässt sich verstehen, dass die Alten zwar weniger wussten,
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aber dennoch kraft ihres Genies die besseren Werke geschaffen haben und so ist ebenfalls denkbar, dass auch heute ein Genie jenseits des Wissens seiner Zeit Werke schaffen könnte, die denen der Alten ebenbürtig oder überlegen sind. Der Begriff des Genies ist bezogen auf die Frage, wie kulturelle ‚Werke‘, Produkte und Errungenschaften auf Weisen der Tradierung durch Wissen und Regeln und den Prozess der Entwicklung bzw. des Fortschritts bezogen werden. Bei Perrault ist der Begriff des Genies eine Kompromissbildung zwischen der These vom kulturellen Fortschritt des Wissens einerseits und der diskontinuierlichen Höchstleistung in der Kunst und ihres Bezugs auf überzeitliche Ideale andererseits. Dieser Bezug des Genies auf Ideen wird im Folgenden gelockert, aufgegeben und ersetzt durch Analysen der physiologischen Bedingungen, unter denen sich Genies und ihre spezifische Fähigkeit, unvorhersehbar Neues zu schaffen, entwickeln. Jean-Baptiste Dubos fokussiert sich auf die Bedingungen des Klimas, der Zeit und der Umstände, letztlich wird – bis hin zu Denis Diderot – der Bezug des Genies auf überzeitliche Ideen ersetzt durch einen Bezug auf die Zeitlichkeit der erfahrbaren Welt selbst. War in Frankreich die Querelle eine Debatte, in der der Begriff des Genies in der Differenzierung des Fortschritts auf Seiten der (diskontinuierlichen) Kunst im Zentrum stand, so ist in England das Wort genius stärker verknüpft mit dem Pathos von Erfindung und Entdeckung in den Naturwissenschaften. Das Modell, das noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf den Autor zu übertragen versucht wird, ist – vor dem Hintergrund des bereits im 17. Jahrhundert klar formulierten Bewusstseins des gegenüber der Antike erreichten „Progress and Advancement of Knowledge“ (Amerika, Gravitation, Fernrohr etc.) – das der Entdeckung und der Kolonisierung neuer Länder bzw. Wahrheiten (von Kolumbus bis zu Newton als „Columbus des Himmels“: Fabian 1967, 50). Im Begriff der invention konnte die Entdeckung eines Neuen, das schon da ist (discovery) mit der Entdeckung eines Neuen, das selbst neu ist (creation), überblendet werden: „Genie ist eigentlich die Fähigkeit zu erfinden. Durch das Genie wird ein Mensch in den Stand gesetzt, neue Entdeckungen in den Wissenschaften zu machen, oder Original-Werke der Kunst hervorzubringen.“ (Gerard 1776, 9) Dennoch ging es gerade um die Arbeit der Unterscheidung von entdecken und hervorbringen, und so versuchte Gerard im letzten Teil seines Buches, Unterschiede und Parallelen zwischen dem Wissenschafts- und dem Künstlergenie herauszuarbeiten, die entstehen, da der eine auf Wahrheit und der andere auf das Vergnügen zielt. Autorschaft von Texten, auch die poetischer Texte, gehörte – im Gegensatz zu Handwerk und Technik (als den artes mechanicae) – zu den artes liberales, die im lateinischen Bildungswesen, der res publica literaria, gelehrt und gelernt wurden. Die Poesie war so, gemeinsam mit der Rhetorik, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Teil des Wissenschaftssystems, nämlich der Schönen Wissenschaften, die
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an Hand vorbildlicher Texte der Antike selbst Textkompetenz vermittelten. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts löst sich die Poesie aus dieser Kopplung. Auch auf dem Feld der literarischen Autorschaft wird geltend gemacht, dass Innovationen und besondere Leistungen nicht aus der Befolgung der Regeln erwachsen, dass sich die geniale Autorschaft der Lern- und Lehrbarkeit entzieht. Die Differenz von entdecken und erfinden konnte im rhetorischen Begriff der inventio, der Auffindungs- und Erfindungskunst innerhalb der rhetorischen Topik, so lange überblendet werden, bis sich das moderne Erfinden – über eine anthropologische Reflexion der menschlichen Erfindungskraft im Rückgang auf ‚präreflexive Unmittelbarkeit‘ – vom bloßen Auffinden dessen, was durch die Tradition vermittelt schon da ist, ablöste (Bornscheuer 2000, 295). Exakt in diesem Kontext tritt nun ab 1750 der Begriff des Genies auf und strapaziert die Verbindung von Autorschaft und ihre Verankerung in den Disziplinen der Schönen Wissenschaften, bis die Verbindung schließlich reißt und Kant den Begriff der Schönen Wissenschaften selbst für ein logisches „Unding“ erklärt (Kant 1990, § 44, 157). Nicht als Entdecker, sondern als Schöpfer tritt das Genie nun auf – von daher auch seine gottähnlichen Qualitäten, die ihm nun selbst zugeschrieben werden. Aber was genau bedeutet die Schöpferkraft des Genies? Locus classicus – und immer wieder nur unvollständig zitiert oder gelesen – ist Shaftesburys Essay Advise to an author (1711), in dem er den wahren Autor als „second Maker“ bezeichnet, allerdings – und dieser Zusatz ist entscheidend – als „a second Maker: a just Prometheus, under Jove“ (Shaftesbury 1981 [1711], 110). Dieser Autor „under Jove“ ist bei Shaftesbury das Gegenbild derjenigen, die nur „blindlings [injudicious] Witz und Phantasie gebrauchen“. Vielmehr ‚schöpfen‘ sie unter Jupiter, indem sie dessen Welt und dessen Geschöpfe genau wiedergeben: „Allein der Mann, der den Namen des Dichters wahrhaftig und im eigentlichen Sinne verdient und der als ein wirklicher Baumeister in seiner Art sowohl Menschen als auch Sitten schildern und einer Handlung ihren wahren Körper, ihre richtige Proportion geben kann“ (Shaftesbury 1981 [1711], 109), allein der Dichter, der aufgrund eigener Selbsterkenntnis und Tugend, mit „der inneren Gestalt und dem inneren Gefüge seiner Mitgeschöpfe vertraut ist“ (Shaftesbury 1981 [1711], 111), ist ein Autorgenie, weil er die Proportionen des Weltgebäudes so komplex und so „richtig“ wiedergibt, wie er sie wahrnimmt. Es geht also gerade nicht um die „Autonomie des schöpferischen Menschen“ (Schmidt 2004, 258), oder wenn, dann um eine Autonomie, deren Fundament ein intensives Verhältnis zur Welt ist, eine Autonomie, die sich selbstgesetzgebend den Proportionen und Gesetzen der Welt unterordnet. Das Schreiben des Genies fasst Shaftesbury daher als „Mirror-Writing“ (Shaftesbury 1981 [1711], 98), als Arbeit mit dem „Looking-Glaß“ (Shaftesbury 1981 [1711], 102), das die Aufgabe hat, to „draw the several Figures of his Piece in their proper and real Proportions […] And this is the Mirrour or Looking-Glaß above
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describ’d.“ (Shaftesbury 1981 [1711], 102) Derlei optische Metaphern begegnen dann in Deutschland in der Genieperiode auch etwa bei Jacob Michael Reinhold Lenz, wenn er auf „die spezifische Schleifung der Gläser“ (Lenz 1992 [1774], 647) verweist, über die das Genie verfügt und bei Goethe, der vom „scharfen Aug für Verhältnisse“ (Goethe 1982 [1772], 15) spricht. Explizit weist auch Henry Fielding in seinem Roman Tom Jones die seines Erachtens falsche Annahme zurück, mit Erfindungsvermögen des Genies sei „eine schöpferische Kraft“ gemeint, „während doch unter Erfindung eigentlich nichts weiter zu verstehen ist (das steckt ja im Wort) als eine Entdeckung oder ein Ausfindig-Machen: oder, um es noch weiter auszuführen, ein schneller und richtiger Scharfblick für das wahre Wesen aller Gegenstände unserer Betrachtung.“ (Fielding 1966 [1749], 521) Wie sehr der Geniebegriff dazu dient, das Schreiben des Autors aus den Bezügen schriftvermittelter Tradierungsprozesse zu lösen und für die unmittelbare, selbstvermittelte Bezugnahme auf die ‚Welt‘ und das ‚Leben‘ zu öffnen, sieht man in Edward Youngs epochalem Buch Conjectures on original composition (1759 [dt. 1760]), in dem Young das Verhältnis von Autor-Genie und Gelehrsamkeit umkreist und an einer Stelle gänzlich durchtrennt, wenn er behauptet, dass es sicher „manches Genie gegeben habe, das weder lesen noch schreiben konnte“ (Young 1977 [1760], 35). Die Gelehrsamkeit verknüpft Young mit der Achse der Tradition und der nachahmenden Weitergabe des Gelesenen, gegen die er die Nacheiferung und das eigene Denken in Stellung bringt. Genie ist, wer „denket und schreibt“, während alle anderen „nur lesen und schreiben“ (Young 1977 [1760], 49). Youngs Essay ist ein Imperativ des Selbstseins und in diesem Sinne ein Imperativ des Lebens. Indem Young biologische Lebensverhältnisse, Zeugung und Geburt, Abstammung und Erbschaft, Alter und Tod, auf Gedanken und Wörter (und ihre Vervielfältigung durch die Druckerpresse) projiziert, setzt er zugleich das Genie als Prinzip des Lebens und als Figuration der Diskontinuität gegen Wiederholung, Kopie, Nachahmung und Tod. Der berühmte Satz: „Da wir nun als Originale gebohren worden, wie kömmt es doch, daß wir als Copien sterben?“ (Young 1977 [1760], 40) impliziert, dass mit der Geburt ein unterscheidbares Selbst entsteht, dessen Unterscheidbarkeit durch Nachahmung verspielt wird. Man sieht bei Young, wie sehr das Genie als Figuration des Lebens bezogen ist auf Reflexionen des Mediums Schrift und Druck (und der entsprechenden Metaphern der Kopie). Der Brunnen, aus dem Autorschaft fließt, ist so nicht länger das Trivium, sondern „das Buch der Natur und das Buch des Menschen“ (Young 1977 [1760], 69). In diesem Sinne wird nun der Begriff des Autors selbst zum Wertbegriff promoviert, wenn überhaupt nur derjenige Autor ist, dessen Werke ein unterscheidendes Merkmal als ihr Eigentum an sich tragen: „[U]nd nur dieses Eigenthum kann allein den edlen Titul des Autors uns geben.“ (Young 1977 [1760], 48)
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5 Genieperiode 1770 bis zu Kant Die zentrale Funktion des Geniebegriffs und die Erzeugung der so bezeichneten Position von Autorschaft ist die Abkopplung des Autors vom System der Schönen Wissenschaften und seine selbstvermittelte Ankopplung an die ‚Welt‘. Das alte, bereits in der Antike gebrauchte Argument, dass das Genie nicht durch Gelehrsamkeit allein möglich sei, wird nun dergestalt radikalisiert, dass Gelehrsamkeit als Hindernis des Genies ausgemacht wird, insofern das gelehrte Medium der Schrift den unmittelbaren eigenen Zugang zur Welt verstellt. Gerade das Fehlen einer „claßischen Erziehung“ (Wieland 1987 [1766], 560), so Christoph Martin Wieland, ist der Grund dafür, dass Shakespeare ein Genie wurde, denn statt einer Schulausbildung durch Texte habe er eine Lebenssausbildung durch unmittelbare, nicht durch Schrift vermittelte Erfahrung durchlaufen: „eigne Betrachtungen; scharfe Sinnen, als die Werkzeuge dazu; eine genaue Aufmerksamkeit auf die unmittelbaren Eindrüke, welche die Gegenstände auf ihn machen – das ist es, was den Genie entwikelt“ (Wieland 1987 [1766], 561). Zugleich wird so das einzelne Werk zum „Dokument der besonderen Lebensumstände des Autors“ (Martus 2015, 769) und zum notwendigen Element der nun üblich werdenden Publikation von Gesamtausgaben von Autoren. Wenn es so der Weltkontakt ist, durch den das Genie (autodidaktisch) seine Anlage entwickelt, so ist plausibel, dass das Überdurchschnittliche des Genies durch das Medium dieses Weltkontaktes zu erklären versucht wird: durch Körper, Sinne, ‚Gefühl‘ und Leidenschaften (als Motor für Aufmerksamkeit): „Indem die Leidenschaften unsere Aufmerksamkeit auf den Gegenstand unserer Begierden heften, veranlassen sie uns, diesen Gegenstand unter Aspekten zu betrachten, die anderen Menschen unbekannt sind“ (Hélvetius 1973 [1759], 288). Mit den Leidenschaften wird das Genie zugleich an die biologische Phase der Jugend gebunden, und das heißt, an die Fähigkeit, die Welt unvermittelt und jenseits bereits gebahnter Begriffe wahrzunehmen: „Das ist der Weg, Originale zu haben, nehmlich sie in ihrer Jugend viele Dinge und alle für sie empfindbare Dinge ohne Zwang und Präoccupation auf die ihnen eigne Art empfinden zu lassen.“(Herder 1983 [1769], 143) Diese eigene Art der Erfahrung ist aber gemäß Herders Gegenwartsdiagnose für die meisten verstellt: „Wir sehen in unsrer Jugend wenige Phänomena, wenn es noch Zeit ist, sie zu sehen, damit sie in uns leben.“ (ebd., 143–144) Das Konzept des Genies fungiert als eine Figur der Zeitreflexion, insofern seine jugendliche Gegenwartsfähigkeit den Bann der bloßen Wiederholung von bereits in der Vergangenheit entwickelten Formen im Hinblick auf das Neue, das Lebendige und die Zukunft löst. Daran wird noch im 19. Jahrhundert Charles Baudelaire anschließen, wenn er das Ewige im Flüchtigen und permanent Neuen der ‚Gegenwart‘ zum entscheidenden Objekt der modernen Kunst erklärt und entsprechend das Genie
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als Kind-Mann fasst, „als einen Mann, der in jeder Minute das Genie der Kindheit besitzt, das heißt also ein Genie, das für keinen Augenblick des Lebens je abgestumpft ist“ (Baudelaire 1990 [1863], 297; vgl. auch De Man 1983, 157). Die ‚Welt‘, auf die sich das Genie bezieht, wird allererst ab ungefähr 1770 in umfassender Weise als zeitlich veränderbare gedacht: „Die Verhältnisse ändern sich ständig, der Geist des Jahrhunderts ist unruhig und stürzt von Generation zu Generation alles um“ (Rousseau 1991 [1760], 15), heißt es bei Jean-Jacques Rousseau. Entsprechend fordert Louis-Sébastien Mercier den Dichter auf, nicht „die Alten“ zu studieren, sondern die Menschen der eigenen Gegenwart, denn: „Neue Generationen haben in diese moralische Existenz, in diesen Protheus, der, indem er entschlüpft alle Gestalten annimmt, große Veränderungen gebracht“, namentlich „die Buchdruckerkunst, das Schießpulver, die Entdeckung der neuen Welt, die Posten, die Wechselbriefe […] haben das ganze alte System über einen Haufen geworfen.“ (Mercier 1967 [1776], 198) Das Genie wird so, indem es durch selbstvermittelten Weltbezug definiert wird, zum Dokumentator einer verzeitlichten Welt. So versteht Lenz die Aufgabe des Genies als Beobachtung und Darstellung der jeweils ihn umgebenden Welt: „Der wahre Dichter verbindet nicht in seiner Einbildungskraft, wie es ihm gefällt […]. Er nimmt Standpunkt und dann muss er so verbinden.“ (Lenz 1992 [1774], 648) Ganz gemäß dieser veritablen Unfreiheitserklärung fordert Mercier seinerseits vom Dichter, dass man dem Drama anmerken können solle, „in welchem Jahr es verfertiget ist“ (Mercier 1967 [1776], 199–200), und der junge Goethe macht in seinem Gedicht „An den Schwager Kronos, In der Postchaise d 10 Oktbr 1774“ durch die Datierung im Titel den Abstand der eigenen Gegenwart zum Mythos reflexiv und dabei das „Poetische Ich selbst zum Ursprung“ des Gedichts (Wellbery 2006, 58). Das Genie schert aus der Kontinuität kultureller und schriftvermittelter Weitergabe aus, es bezieht sich unmittelbar auf seine Gegenwart und sucht in ihr jeweils und immer wieder neu nach sich selbst als Ursprung und Anfang seiner Schöpfungen. Von hier aus ergibt sich das breite metaphorische Projektionsfeld von biologischer Zeugung und Kunst des Genies (Begemann und Wellbery 2002). Dass diese Projektion auch umgekehrt, als Hinweis auf die Sterblichkeit und die Einfügung des Erzeugers in die Kette der Prokreation gedacht werden kann, zeigt die Position des theologisierenden Philosophen Johann Georg Hamann. Wenn er schreibt, dass es ihm unmöglich sei, „sich einen schöpferischen Geist ohne genitalia vorzustellen“ (Hamann 1956 [1768], 415), dann wird dieser dezidiert rückgebunden an Irdisches und Körperliches und an die Schrift, die er, alles andere als autonom, nach dem Prinzip der „Lokalität und Temporalität“ aufnimmt und weitergibt (vgl. Wetzel 1996, 15). Dass Kant in der Kritik der Urteilskraft nun dezidiert den Wissenschaftler vom Geniebegriff ausschließt, hat in der Figuration des Genies als Unterbrechung und
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Diskontinuität in der Kontinuität der Zeit seinen Grund. Während der Wissenschaftler sein Talent zur „immer fortschreitenden größeren Vollkommenheit der Erkenntnisse und des Nutzens“ (Kant 1990 [1790], 162) verwendet, sind die Werke der Künstler kein kommunikatives oder diskursives Medium der Weitergabe, sie sind gewissermaßen stumm. Die Geschicklichkeit des Genies stirbt mit ihm – so dass man warten muss, bis die Natur „einmal einen anderen wiederum ebenso begabt.“ (Kant 1990 [1790], 163) Dass Kant am Ende das Genie dennoch vom Geschmack „in Zucht“ gehalten wissen will, ist dann wiederum damit begründet, dass nur so die Ideen des Genies „der Nachfolge anderer und einer immer fortschreitenden Kultur fähig“ (Kant 1990 [1790], 175) werden. Im Geniebegriff geht es um das Verhältnis von Schöpfung, den Einsatz des Neuen und um Generationen und Genealogie. Die ästhetik- und bildungstheoretische Fokussierung auf den Begriff des Genies im Sturm und Drang sowie die Definition des Autors als Urheber und geistiger Eigentümer ist Effekt von kritischer Schriftreflexion und Verzeitlichung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
6 Von der Romantik bis zur Gegenwart Dass das Genie in seinem Gegenwartsbezug und als Figuration des Neuen und Unvorhersehbaren vor dem Hintergrund der nun kontingent und offen erscheinenden Zukunft zugleich rückgebunden wird an Figuren der Ewigkeit bzw. der Überzeitlichkeit (Fohrmann 1985), bildet die Grundlage der sogenannten Kunstreligion der Romantik, die an Kant und Schiller anschließt. Bei Kant ist es die als überzeitlich verstandene „Natur“, durch die das Genie der Kunst die Regeln gibt (Kant 1990 [1790], 160) und bei Schiller folgt das Genie der „Eingebung eines Gottes“, d. h. „Gesetze[n] für alle Zeiten und für alle Geschlechter der Menschen“ (Schiller 2008 [1795], 719). Schelling knüpft hier an und versteht die Kunst des Genies als dasjenige Produkt, das zwar in der Zeit produziert wird, das aber dennoch das überzeitlich Absolute anschaubar macht, „ein Unendliches endlich dar[]stellt“ (Schelling 1800, 465), da in seinem Produzieren das Bewusste und das Unbewusste zusammenfallen. Während Schelling in seiner idealistischen Kunstphilosophie Kants Ausschluss des Genies aus den Wissenschaften explizit folgt (Schelling 1800, 468– 470), ein Ausschluss, der wie schon bei Young, ein Restbestand der Querelle ist, da in ihm unterschiedliche Modi und Tempi geschichtlichen Fortschritts impliziert sind, zeigt sich zeitgleich, dass dieser Restbestand im Weiteren durch Geschichtsphilosophie getilgt wird. In Herders Kritik an der engen Kantischen Definition vom Genie als Künstler in der Kalligone (1800) wird der Geniebegriff wieder expli-
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zit aus der Beschränkung auf Autorschaft gelöst und auf den generellen Fortschritt und die Zukunft der ganzen Menschheit bezogen: „In Absicht auf diese Zukunft sind wir selbst Embryonen. Jeder Tag, jeder Augenblick schafft und fördert das vielfache Werk des Menschengenius weiter. Unglücklich, wenn hiezu nur Bildhauerei und Dichtkunst, Redner- und Malerei gehörte, als ob diese Werke des Namens Genie allein werth wären. Was irgend durch menschliche Natur genialisch hervorgebracht oder bewirkt werden kann, Wissenschaft und Kunst, Einrichtung oder Handlung ist Werk des Genius, der jede Anlage der Menschheit zu erwecken und zu ihrem Zweck zu fördern, eben Genius ist.“ (Herder 1800, 224) Das Genie als Repräsentant des Menschheitsgenius und seiner Geschichte, das ist auch die Perspektive, die Ralph Waldo Emerson in seinem Buch Representative Men (1850) einnimmt: „The genius of humanity is the right point of view of history.“ (Emerson 1850, 38) Löst sich so, indem der Geniebegriff im 19. Jahrhundert zu einem „universellen Wertbegriff“ (Gadamer 1960, 65) aufsteigt, die privilegierte Kopplung zwischen Genie und Autor/Dichter wieder auf, so hat sie in der Frühromantik zugleich ihren (selbst geschichtsphilosophisch gewendeten) Höhepunkt. Indem Johann Gottlieb Fichte den Selbstanfang des Genies in der Selbstsetzung des Ich zum universalen transzendentalen Standpunkt und Novalis die Poesie „zur eigenthümliche[n] Weise des menschlichen Geistes“ (Novalis 1999 I [1800], 335) erklärt, werden Genie, Geist, Mensch und Dichter miteinander identifiziert. Was bei Young die Originalität ist, die jeder Mensch bei der Geburt mitbringt, ist bei Friedrich Schlegel die jedem Menschen „eigne Poesie“, die er als „etwas Ursprüngliches“ (Schlegel 1967 [1800], 284) in sich trägt. Die Poesie ist nicht etwas, das durch Rede und Lehren „zu erhalten und fortzupflanzen“ ist, sondern entspringt „aus der unsichtbaren Urkraft der Menschheit“ (Schlegel 1967, 285). Aufgabe des Genies als Dichter ist daher, geschichtsphilosophisch formuliert, „die Pole der Menschheit zu ergreifen und das Tun der ersten Menschen, wie den Charakter der goldnen Zeit die noch kommen wird, zu erkennen und zu wissen“ (Schlegel 1967, 322), ist, die „Vorwelt und Nachwelt in der Gegenwart [zu] verknüpfen.“ (Schlegel 1967, 262) Während die Frühromantiker aus der hier historisch einsetzenden „Reflexivität von Gegenwart“ (Oesterle 2002, 101) und dem Bezug des Genies auf den „Genius des Zeitalters“ (Schlegel 1967, 270) zugleich Versuche der poetischen Aufhebung der geschichtlichen Zeiten hervorgehen lassen, so ist für Georg Wilhelm Friedrich Hegel die Aufgabe des Genies in der Kunst, nachdem diese nicht mehr die „höchste Weise ausmacht, sich des Absoluten bewußt zu sein (Hegel 1971 [1835–1838], 48) und sie für uns „ein Vergangenes“ (Hegel 1971, 50) ist, den „wesentlichen Gehalt und die dadurch notwendige Gestalt“ der eigenen Zeit herauszuarbeiten (Hegel 1971, 671). Der Künstler (wie auch der Philosoph) ist
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notwendig „ein Kind seiner Zeit“ (Hegel 1971, 671) und er kann nicht, so wendet Hegel gegen Schiller ein, „durch Willen und Entschluß davon abstrahieren“ (Hegel 1971, 49). Überall sei die Forderung zu stellen, dass sich „die heutige Gegenwärtigkeit des Geistes kundgebe“ (Hegel 1971, 677). Ähnlich wie Lenz weist Hegel daher die „selbstgemachten Einbildungen“ zurück und fordert vom Künstler, „an die Wirklichkeit heranzutreten“ (Hegel 1971, 394), und zwar an die gegenwärtige Wirklichkeit („Nur die Gegenwart ist frisch, das andere fahl und fahler“) (Hegel 1971, 677), die freilich nicht im Hinblick auf bloße Aktualreferenzen, sondern auf „das Vernünftige“ in ihr hin objektiv darzustellen ist. Für Arthur Schopenhauer dagegen bezeichnet das Genie die zeitüberwindende Erkenntnisform der „vollkommenste[n] Objektivität“ (Schopenhauer 1988 [1859], 253). Seine Objekte sind „die ewigen Ideen, die beharrenden wesentlichen Formen der Welt (Schopenhauer 1988 [1859], 253), die gerade nicht in ihren gegenwärtigen Relationen, sondern isoliert erkannt werden sollen. Von der Kunst des Genies kann Schopenhauer daher sagen: „das Rad der Zeit hält sie an“ (Schopenhauer 1988 [1859], 252). Der Begriff des ‚Genie‘ ist seit dem späten 18. Jahrhundert untrennbar verknüpft mit der Reflexion der Moderne als Problem der Zeit und der Verzeitlichung des Menschen in der Geschichte: Ist das Genie geschichtsphilosophischer Repräsentant der Menschheit, indem es den Auseinanderfall von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft poetisch überwindet, ist es Agent des Fortschritts, diskontinuierlicher Neueinsatz von Anfängen oder Erkenntnisorgan der überzeitlichen ‚Natur‘ oder ‚Wahrheit‘? Insbesondere die Genietheorie Schopenhauers hat auf die weitere Geschichte des Begriffs, seine Inflationierung, Trivialisierung (vgl. etwa Musils Rede vom „genialen Rennpferd“) und den Geniekult um 1900 stark gewirkt. Hermann Türck etwa folgt in Der geniale Mensch Schopenhauers Theorie und erklärt den Erfolg seines eigenen Buches in der Vorrede zur 13. Auflage mit „der tiefen Sehnsucht nach dem Erfassen der ewigen Werte zu einer Zeit, da alle endlichen Werte sich als unsicher und trügerisch erweisen.“ (Türck 1922 [1896]) Die intensiven Debatten zum Verhältnis von Genie und Wahnsinn, Genie und Entartung bzw. Degeneration von Cesare Lombroso (1887, 1894) über Wilhelm Lange-Eichbaum (1928) bis hin zu Gottfried Benn (1930) fragen nach „der Stellung des Genies im Erbgang“ (Benn 1930, 117) und nach der Möglichkeit einer Züchtung von Genies in der Zukunft (Benn 1930, 111, Lange-Eichbaum 1928, 15). Zwischen quasi-religiöser Genieverehrung auf der einen und medizinisch-psychiatrischer, erbbiologischer Dekonstruktion und soziologischer Analyse des Genies (Köhne 2014) auf der anderen Seite verliert der Begriff seine Relevanz für den Begriff literarischer Autorschaft gänzlich. Dass der Begriff trotz der mediengeschichtlich bedingten Möglichkeiten der „technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks“ (Benjamin) [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien] und seiner tentativen Tabuisierung seit dem linguistic
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turn der 60er Jahre als Konzept der Vergangenheit weiterhin ein Nachleben führt, ist Gegenstand von Reflexionen über die untergründige Wirksamkeit des Konzepts in der als „Endzeit des Genies“ (Schmidt 1995) verstandenen Postmoderne; es wird umkreist in der Frage, ob und wie der Geniebegriff aus feministischer Perspektive anzueignen ist oder nicht (hierzu Kristeva 2004) und wie sich die Historizität des Konzepts der Genialität in der Nachbarschaft semantisch verwandter Begriffe wie „Genesen, Genealogien, Genres“ verstehen und für eine Theorie des Archivs zurückgewinnen lässt (Derrida 2003; 2006). Nicht zuletzt erfährt das Geniekonzept im Rahmen einer Wiederkehr des Erzählens in der neueren deutschsprachigen Literatur bei Autoren wie Robert Schneider (Schlafes Bruder), Patrick Süskind (Das Parfum) und Daniel Kehlmann eine erstaunliche Renaissance (vgl. Sager 2010, Köhne 2014 und Tranacher 2018).
Verwendete Literatur Baudelaire, Charles (1990 [1863]). „Der Maler des modernen Lebens“. Der Künstler und das moderne Leben. Essays, ‚Salons‘, intime Tagebücher. Hrsg. von Henry Schumann. Leipzig: 290–320. Bornscheuer, Lothar (2000). „Toposforschung? Gewiß! Aber im Lichte des zu Erforschenden: im Lichte der Utopie“. Topik und Rhetorik. Ein interdisziplinäres Symposium. Hrsg. von Thomas Schirren und Gert Ueding. Tübingen: 275–306. Begemann, Christian und David Wellbery (Hrsg.) (2000). Kunst, Zeugung, Geburt. Theorien und Metaphern ästhetischer Produktion in der Neuzeit. Freiburg. Behler, Ernst (1992). Frühromantik. Berlin, New York. Benn, Gottfried (1930). „Das Genieproblem“. Fazit der Perspektiven. Berlin: 109–132. Bosse, Heinrich (2003): „Jakob Friedrich Abels Rede über das Genie“. FAKtisch. Festschrift für Friedrich Kittler. Hrsg. von Peter Berz, Annette Bitsch und Bernhard Siegert. München: 281–290. Carbó, Mònica (2010). „Genie“. Enzyklopädie Philosophie. In drei Bänden mit einer CD-Rom. Bd 1: A-H. Hrsg. von Hans Jörg Sandkühler. Hamburg: 827–830. de Man, Paul (1983). Blindness and Insight. Essays in the Rhetoric of Contemporary Criticism. Minneapolis. Derrida, Jacques (2006 [2003]): Genesen, Genealogien, Genres und das Genie. Das Geheimnis des Archivs. Übers. von Markus Sedlaczek. Wien. Emerson, Ralph Waldo (1850). Representative Men. Seven Lectures. London. Engels, Johannes (1998). „Ingenium“. Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 4. Hrsg. von Gert Ueding. Tübingen: 382–417. Fabian, Bernhard (1967). „Der Naturwissenschaftler als Originalgenie“. Europäische Aufklärung. Festschrift für Herbert Dieckmann. Hrsg. von Hugo Friedrich und Fritz Schalk. München: 47–68. Fabian, Bernhard (1974). „Genie II“. Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 3. Hrsg. von Joachim Ritter. Basel, Stuttgart: 282–285.
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Natalie Binczek
III.1.5 Text, Schreiben, Intertextualität 1 Einleitung Der Textbegriff leitet sich etymologisch von texere bzw. textum, d. h. ‚Gewebe‘ und ‚Geflecht‘ her, womit nicht nur seine worthistorische Wurzel, sondern zugleich auch ein konstitutives Merkmal seiner Bestimmung benannt ist. Ein Text bildet einen aus aufeinander verweisenden Zeichen sowie Zeichenketten gebildeten Zusammenhang. Er ist als ‚Gewebe‘ fassbar, weil er semiotische Elemente – sprachliche, schriftliche, ikonische etc. Zeichen – in eine Beziehung zueinander setzt, welche Deutungsprozesse ermöglicht bzw. sogar überhaupt erst hervorruft. Unmittelbar verknüpft ist der Textbegriff mit der Operation des Schreibens, insofern er als das Produkt des Schreibens verstanden wird. Dabei steht in Frage, ob dieses auf einen Schreiber als Verfasser und Autor angewiesen ist oder als ein nach medientechnischen Gesetzen funktionierender Prozess verstanden werden muss. Entgegen der literaturwissenschaftlich verbreiteten Fokussierung auf die Schrift (im engeren Sinn) ist das Konzept des Textes medial komplexer und differenzierter angelegt. Gemäß einer solchen Erweiterung sind sehr unterschiedliche semiotische, visuell wie akustisch wahrnehmbare Erscheinungsformen, aber auch Kulturpraktiken als Texte (Geertz 2002) definiert worden. Neben den TextBild- bzw. Schriftbild-Strukturen, die von der vormodernen Manuskriptkultur bis hin zu aktuellen Comic- (Schmitz-Emans 2013) und interaktiven Digital-Texten rekonstruiert werden können, lassen sich auch mündlich und als Sound erzeugte Zeichenfolgen als Texte behandeln, generieren sie doch einen spezifischen interpretativ zu ermittelnden Bedeutungszusammenhang. Der am New Historicism orientierte Ansatz einer kulturwissenschaftlichen Generalisierung des Textbegriffs (Bachmann-Medick 1996; Baßler 2005), der in erster Linie operativ als Effekt des Lesens bzw. der Auslegung verstanden wird, zeigt zwar zum einen die sozial-kulturelle Relevanz des Konzepts auf, abstrahiert jedoch zum anderen derart von allen medialen und materialen Spezifika, dass er kaum mehr gegenüber einem nicht-textuellen Außen, mithin gegenüber anderen Artefakten differenziert werden kann.
https://doi.org/10.1515/9783110297065-007
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2 Textbegriff und Autor Insofern er auf die materiale Grundlage und mithin den Gegenstandsbereich literaturwissenschaftlicher Arbeit verweist, bildet der Textbegriff eine basale Kategorie dieser Disziplin. In der Tradition der hermeneutischen Auslegung [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik] gilt er einerseits als Ausdruck einer Autor intention, andererseits ist er das Ergebnis sprachlicher und kultureller Dynamiken. Hat Friedrich Schleiermacher (Schleiermacher 1838) in seiner Hermeneutik das gleichsam differenzielle Nebeneinander der technischen (psychologischen) und grammatischen Auslegung betont, so geht Wilhelm Dilthey von einer hierarchischen Repräsentationsordnung aus, in welcher (literarische) Texte als Ausdruck einer Autorintention aufzufassen sind, die wiederum auf den Geist einer Kultur hindeutet (Dilthey 1900). Das den hermeneutischen Ansätzen zugrundeliegende Textverständnis konzentriert sich ausschließlich auf die sprachliche Struktur. Noch Hans-Georg Gadamer (Gadamer 1972 [1960]) behandelt einen Text vor allem als schriftliche Fixierung einer sprachlich hervorgebrachten und nachvollziehbaren Bedeutung. Nicht nur materialisieren Texte mittels Schrift, was als sprachliche Aussage und Ausdruck analysiert werden soll, sie dienen vielmehr auch als das ‚Material‘ bzw. ‚Korpus‘, dem sich literaturwissenschaftliche Analysen widmen und welches sie als Grundlage ihrer Beweisführung nutzen [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft]. Nur die Interpretation, die am Material, also Text, nachgewiesen werden kann, gilt als plausibel. Das bedeutet folglich, dass literaturwissenschaftlich gewonnene Thesen durch Bezugnahme auf die jeweiligen Referenztexte plausibilisiert werden müssen. Unter der Fragestellung, ob es eine spezifisch philologische Erkenntnis gebe, nimmt Peter Szondi (Szondi 1967) diesbezüglich jedoch eine perspektivische Verschiebung vor. Mit Blick auf einige Hölderlin-Manuskripte verunsichert er im Kontext seiner hermeneutischen Überlegungen den auf Selbstevidenz gegründeten Textbegriff, indem er dessen Fragilität und Konstruiertheit hervorhebt. Was als philologisches Material Geltung beansprucht, werde nämlich nicht einfach vorgefunden, es werde vielmehr durch interpretative Zugriffe zu einem solchen überhaupt erst erklärt. So deutet Szondi die editionsphilologischen Voraussetzungen nach Maßgabe des hermeneutischen Zirkels, wonach das Werk zwar als Ergebnis der Textanalyse verstanden werden muss, jedoch wird diese wiederum von einer unterstellten und ihrerseits interpretativ hervorgebrachten Einheit des Werks reguliert. So bildet sich bei Szondi aus hermeneutischer Perspektive eine Problemstellung heraus, welche in strukturalistischen und poststrukturalistischen Ansätzen noch dezidierter ausgeführt wird: die Unterscheidung von Text und Werk (Barthes 2006 [1971]). Während letzteres eine wie auch immer kontingent gedachte, gleich-
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wohl gegenüber anderen Werken abgeschlossene, stets an die Funktion der Autorschaft gebundene (Foucault 2003 [1969]) Einheit referiert, bilden Texte Verweisungszusammenhänge aus, welche sich auch unabhängig von Werkgrenzen beschreiben und in unterschiedlichen, zum Teil ephemeren Konstellationen und Überlagerungen aufzeigen lassen. Der hermeneutisch geprägte Textbegriff weist eine konstitutive Nähe zur Frage der Autorschaft auf, mit deren Hilfe nicht nur in juristischer Hinsicht die Eigentumsverhältnisse, sondern auch die gleichsam poetische Verantwortung gegenüber einem Text geregelt werden. Dabei wird der Autor im Sinne einer psychologischen Kategorie behandelt, was sich insbesondere im Begriff der ‚Autor intentionʻ niederschlägt, deren nicht zuletzt biographisch motivierte Spuren im Text nachzuvollziehen als Aufgabe der Hermeneutik begriffen wird. Jedoch schränkt bereits Schleiermacher die Autorität des Autors hinsichtlich der Deutungskompetenz seines eigenen Werks gegenüber derjenigen des Lesers ein, wenn er von diesem fordert, den Autor und seinen Text bzw. seine „Rede zuerst ebensogut und dann besser zu verstehen als ihr Urheber.“ (Schleiermacher 1977 [1838], 94) Die Bestimmung der Rezeption als einen nicht nur den Vorgaben einer Autorintention folgenden, sondern als interpretativ-analytische Eigenleistung begriffenen Prozess stärkt die Position des Lesers entschieden. Textverstehen wird demnach nicht als lediglich reproduktives, sondern als letztlich in hohem Maße produktives Verfahren grundgelegt. Im Kontext einer strukturalistisch verfahrenden Textanalyse, wie sie ausgehend vom Russischen Formalismus (siehe u. a. die Arbeiten von Boris Ejchenbaum, Roman Jakobson V. Šklovškij oder Jurij Tynjanov; vgl. dazu Striedter 1994) zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu den semiologischen Arbeiten Roland Barthes’ (Barthes 2010 [1957] und 1983 [1964]) und den narratologischen Untersuchungen Gérard Genettes (Genette 1994) in den 1960er und 1970er Jahren praktiziert wurde, erscheint die Funktionen des Autors für die Analyse eines Textes irrelevant. Im Fokus stehen vielmehr die Verfahrensweisen des Textes selbst, der mithilfe spezifischer semiotischer Strukturen und Dynamiken nicht nur Bedeutung hervorbringt, sondern zugleich auch die Frage nach seiner Literarizität und der ihr eigenen Signifikation zu stellen ermöglicht. Dabei interessieren sich strukturalistische Ansätze nicht für die jeweils individuelle Leistung eines Einzeltextes, sondern versuchen, die für eine Epoche bzw. einen kulturellen Zusammenhang charakteristischen und daher in mehreren Texten nachweisbaren Strukturen zu bestimmen. Der strukturalistisch profilierte Textbegriff verweist daher stets über sich hinaus, und zwar nicht auf den Autor, der ihn verfasst hat, auch nicht auf die vielen potenziellen Leser und ihre unterschiedlichen Lektüren, sondern auf die semiotisch-kommunikativen Funktionen der Kultur, der er entstammt und die sich in seiner Struktur spiegelt. Sofern der Struk-
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turalismus die Grenzen eines Einzeltextes zugunsten einer kulturübergreifenden Struktur öffnet, liefert er eine wichtige Voraussetzung für die Intertextualitätstheorie. Nach traditionellem Verständnis bezeichnet Intertextualität unterschiedliche Formen des in der Regel bewusst vorgenommenen Rückgriffs eines Textes auf andere, ihm in zeitlicher Hinsicht vorausgehende Texte. Sie gilt somit als ein literarisches Zitationsverfahren bzw. als Transtextualität (Genette 1982). Mit der poststrukturalistischen Fundierung des Intertextkonzepts von Julia Kristeva, die ihn im Anschluss an Michail Bachtins Dialogizitätsbegriff entfaltete, wird ‚Intertextualität‘ zur Grundbedingung von Texten überhaupt (Kristeva 1972). Es gibt keinen Text, dem nicht eine Fülle anderer Texte, welche ihrerseits auf weitere Intertexte verweisen, eingeschrieben wäre. Während der Strukturalismus Einzeltexte als unterschiedliche Umsetzungen einer sie bedingenden und ihnen zugrundeliegenden semiotischen Struktur behandelt, erscheint der Einzeltext aus der Perspektive der poststrukturalistischen Intertextualitätstheorie als ein dezidiert heterogenes, an den Rändern offenes Gewebe vielfältiger Textbezüge, die keinen ersten, vorgängigen, homogenen Ursprungstext im Sinne einer Ausgangsstruktur auszumachen ermöglichen. Damit ist zugleich die prinzipielle Unabschließbarkeit des Intertextes angesprochen. Impliziert der Werkbegriff eine homogene, die Einzelwerke eines Autors in den Rahmen seines Gesamtwerks und dieses wiederum in eine Epoche integrierende, immer auch paratextuell organisierte Ordnung (Genette 1989), so deutet der Intertextbegriff hingegen auf die Entgrenzung hin, die dem Textbegriff eignet, da er stets auch historisch und kontextuell vorgängige Texte einbegreift. Im Unterschied zu seiner kulturwissenschaftlichen Erweiterung auf prinzipiell alle kulturellen Phänomene bezieht sich der Intertextbegriff jedoch in der Regel ausschließlich auf schriftlich verfasste Texte. Von diesem Konzept aus lässt sich eine unmittelbare Beziehung zu Ansätzen der postcolonial studies und der Interkulturalität bzw. Mehrsprachigkeitsforschung (Dembeck und Parr 2017; Arndt et al. 2007) herstellen, deren Interesse den in (sprach-)kultureller Hinsicht als Hybrid (Homi Bhaba 2000) zu beschreibenden Texten gilt. Intertextualität umfasst somit auch Fragen der Interkulturalität (Osthues 2017). Die Dekonstruktion des Autors bildet ein wichtiges Anliegen der literaturtheoretischen Bemühungen seit den späten 1960er Jahren. So wird von Roland Barthes der „Tod des Autors“ (Barthes 2006a [1968]) gefordert, womit er nicht nur die hermeneutische Privilegierung der Autorintention infrage stellt, sondern zugleich auch die gesamte Logik „der Abstammung“ – Autor, Werk, Epoche – einer kritischen Betrachtung unterzieht (Barthes 2002b [1971], 69). Demgegenüber erklärt er den Leser sowie die als Spiel der Signifikanten umschriebene Lektüre zu den eigentlichen Produzenten eines Textes. Das Postulat der Verselbständigung
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des Lesens gegenüber der Annahme einer dem Text inskribierten Bedeutung wird auch in den Analysen Paul de Mans hervorgehoben (de Man 1989), wobei er den Lektüreprozess vor allem von der spezifischen Eigenlogik der rhetorischen Mittel und Figuren her entwickelt. Im Zuge dessen wird auch die Kategorie des Sinns demontiert, denn Lesen stößt letztlich immer auf die einem jeden Text innewohnende Differenz, welche das Argument im Widerstreit mit der Rhetorik, die es formuliert, bildet. Auch wenn der Autorbegriff und mit ihm eine ganze Reihe verwandter Konzepte, wie dasjenige der Sinn- und Zeicheneinheit etwa, von den dekonstruktiven Theorieansätzen kritisch hinterfragt und letztlich sogar aufgegeben wurden, so hielten diese Ansätze jedoch zugleich mit Nachdruck am Textbegriff in seiner Funktion sowohl als Voraussetzung wie als Ergebnis von Lektüre fest. Bedeutsam ist dabei, dass die Kategorien Text und Lesen somit zu Akteuren theoretischer Reflexion wurden. Das unterscheidet diese Ansätze von den sozialhistorisch orientierten, literaturwissenschaftlich gleichwohl sehr einflussreichen Positionen poststrukturalistischer Prägung: Weder braucht Foucaults Diskursanalyse den Text- und/oder Lektürebegriff, noch vermag die Systemtheorie sie so zu verankern, dass sie neue Perspektiven ermöglichten und etwas anders als Kommunikation bedeuteten (Luhmann 1997,159–162; Stanitzek 2004) [vgl. den Artikel Systemtheorie]. Und die aktuell intensiv diskutierte ANT plädiert sogar dafür, vom Textbegriff abzusehen (Latour 2007, 212–223), obschon der von ihr präferierte Netzwerkbegriff mit einem erweiterten Textbegriff in mehrfacher Hinsicht kongruiert [vgl. den Artikel Autorschaft aus dem Blickwinkel der Akteur-NetzwerkTheorie].
3 Schrift als Werkzeug, Schrift als Text Texte sind in dem basalen Sinn, dass sie geschrieben worden sein müssen, um lesbar zu sein, auf Schrift angewiesen. Diesem Verständnis nach geht dem Text die Schrift voraus. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie als die metaphysische Voraussetzung – göttliche Inschrift – wie im vormodernen Bild der ‚Welt als Buchʻ (Blumenberg 1981) als etwas Gegebenes verstanden oder als eine nur aleatorische, bzw. von der Eigendynamik einer Schreibtechnik hervorgebrachte, Operation bestimmt wird. Entscheidend ist vielmehr, dass jeder Text auf Schrift als dem Medium seiner Fixierung beruht, wodurch wiederholte Lektüren ermöglicht werden [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Referiert der Textbegriff auf die relationale Beziehung von Zeichen, so verweist der Schriftbegriff auf die Medialität der Hervorbringung, Fixierung und Speicherung von Texten. Trotz dieser
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Unterscheidung ist dennoch festzuhalten, dass in der deutschen, aber auch der französischen Sprache – écriture – Schrift sowohl die Produktion wie das Produkt des Schreibens bedeuten kann (Assmann und Assmann 2003, 394). Als Produkt des Schreibens weist Schrift somit auch die Bedeutung von ‚Text‘ auf. Sie bezeichnet eine operative Einheit, in welcher sich eine tendenzielle Gleichursprünglichkeit bzw. Ununterscheidbarkeit von Schreiben und Schrift/Text manifestiert. Stärker noch als der Textbegriff, der auch unter dem Vorzeichen seiner Dekonstruktion letztlich mit der Frage nach einem Verfasser bzw. Autor konfrontiert ist, ermöglicht der Schriftbegriff – écriture – eine dezidiert mediale Grundlegung des Textkonzepts. Schrift meint demnach das Ergebnis einer medientechnischen Praxis sowie diese Praxis selbst. Dabei lässt ein solches Verständnis die Frage nach dem Autor irrelevant werden. So führt auch Derridas grammatologische Umdeutung des Schriftbegriffs als techne zur écriture, als deren besondere Leistung er die Iterabilität bestimmt (Derrida 1988). Einen Text zu lesen und – gemäß dem Prinzip der Iteration – wiederzulesen, heißt folglich auch, die technische Operation seiner Hervorbringung nachzuvollziehen. Nachdem Derrida zunächst den der abendländischen Kultur imprägnierten Phono-/Logozentrismus aufgedeckt, nachdem er somit den Primat der Stimme gegenüber der Schrift als ein ebenso wirkmächtiges wie grundlegendes Ideologem des europäischen Denkens nachgewiesen hat, entwirft er ein anderes, differenzbasiertes Modell der Schrift als Spur und Supplement (Derrida 1983, 244–282). Auf diese Weise wird jedoch nicht nur eine medientechnische Fundierung textueller Kommunikation, der zufolge ein Text und seine Signifikation in Korrespondenz mit medientechnischen Prozessen erfasst werden müssen, präferiert. Ermöglicht wird überdies eine Konzeption der Schrift, welche neben der Fixierung auf visuell-buchstäbliche Zeichen auch andere Codes – ikonographische, akustische oder taktile – einbezieht. Derrida selbst, zu dessen grammatologischem Programm die Ablösung der Schrift vom Buch gehört (Wetzel 1991; Weigel 2015), erweitert den Schriftbegriff auf orale Mitteilungen (Derrida 1986), welche ihrerseits auf die sie bedingenden medientechnischen Speicher- und Reproduktionsbedingungen verweisen (Dembeck 2006). In dem Maße, in dem der Text- und Schriftbegriff seit den späten 1960er Jahren in eine medientechnische Perspektive gerückt werden, werden auch umgekehrt medienwissenschaftliche Forschungen auf der Grundlage der technischen Veränderungen des Schreibens und seiner Reproduktionsmöglichkeiten vorangetrieben. Marshall McLuhan hat in diesem Sinn die medienhistorische Zäsur, die der Buchdruck im 15. Jahrhundert verursachte, den auf Elektrizität basierenden Medien des 20. Jahrhunderts gegenübergestellt und in Form übergreifender kultureller Differenzen weitergeführt (McLuhan 1986 [1964]). Dabei diagnostiziert er für das 20. Jahrhundert den Rückgang der buchdrucktechnisch geprägten (McLuhan 1995 [1962]), die Wahrnehmung des Menschen auf den Sehsinn reduzierenden
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Schrift durch die Dominanz neuerer taktiler Medien, allen voran des Fernsehens. Buchdrucktechnisch erzeugte Schrift sieht McLuhan in Konkurrenz zu aktuelleren Medientechniken und etabliert damit ein Modell, welches später auch von literaturwissenschaftlichen Ansätzen adaptiert und umgeschrieben wurde. Unter Einbezug poststrukturalistischer Theorieprämissen untersucht Friedrich A. Kittler (Kittler 1985) die deutschsprachige Literaturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts als eine Typologie unterschiedlicher „Aufschreibesysteme“, welche seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert sich der Konkurrenz mit analogen Medientechniken ausgesetzt sehen. Literatur hat zwar selbst die Funktion eines Mediums – in diesem Sinne etwa dient sie im 18. Jahrhundert der Halluzination (Kittler 1985, 82) –, aber sie wird zum Ausgang des 19. Jahrhunderts von den Konkurrenzmedien ‚Grammophonie‘, ‚Radio‘ sowie ‚Film‘ herausgefordert (Kittler 1986) und an den Rand der Bedeutungslosigkeit verdrängt [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Zum Teil Kittlers medienwissenschaftlicher Profilierung der Literatur verwandt, zum Teil jedoch auch in deutlicher Abgrenzung werden unter dem Titel Materialität der Kommunikation (Gumbrecht und Pfeifer 1988) unterschiedliche Positionen zusammengeführt, welche die Form der Schrift bzw. des Schreibens und seiner Organisation auf einem bestimmten Trägermedium sondieren. Eröffnet ist somit ein Forschungsfeld, das vielfältige Erweiterungen erfahren hat und in unterschiedlichen Varianten bis heute nachwirkt (siehe z. B. Berndt und Fulda 2013). Mit Blick auf den Textbegriff erweist sich Rüdiger Campes Konzept der ‚Schreibszene‘, welches er im Sinne eines heterogenen, ‚nicht-stabilen Ensembles von Gestik, Technik und Spracheʻ (Campe 1991, 760) bestimmt, als besonders anschlussfähig. In darauf aufbauenden Fallstudien wird es sowohl diversifiziert und exemplarisch entfaltet als auch auf seine textanalytische Tragfähigkeit hin geprüft (Stingelin 2004; Giuriato et al. 2005; 2006; 2008; Morgenroth et al. 2012). Im Fokus dieser Forschungen stehen die in – überwiegend literarischen – Texten vorgenommenen Stilisierungen und Inszenierungen von Schreibakten. Der Autor nimmt dabei eine lediglich vermittelnde Position ein. Er bildet den Schnitt- und Kreuzungspunkt, an welchem sich vielschichtige Interaktionsverhältnisse mit den genutzten Materialen und Werkzeugen sowie den räumlichen Umgebungen des Schreibens, aber auch mit seiner körperlichen Verfasstheit beobachten lassen. Die Kontrolle über die Produktion eines Textes erscheint dem Autor im Rahmen solcher Szenarien entzogen. Aspekte der um die Materialität der Kommunikation entstandenen Forschungen aufnehmend, werden das Schreiben ebenso wie das Lesen in neueren Untersuchungen ferner als Praxis profiliert und in die Perspektive einer ‚Praxeologie‘ der Literatur gerückt (u. a. Martus und Spoerhase 2013; 2018). Ähnlich, wenngleich mit stärker medienanalytisch ausgeprägtem Interesse, wird der „historische Mediengebrauch“ (Christians et al. 2015) zahl-
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reicher literaturrelevanter Praktiken aufgearbeitet. In einer solchen Perspektive differenzieren sich die Einheiten Schreiben und Text in ein Bündel unterschiedlicher Operationen aus (z. B. Edieren, Schreiben, Protokollieren, Zitieren etc.) [vgl. den Artikel Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘]. Einen anderen Akzent setzen die Textanalysen, die sich auf Fragen des Layouts sowie der graphischen Organisation eines Textes konzentrieren. Richtungsweisend ist in dieser Hinsicht Ivan Illichs Studie Im Weinberg des Textes (1991) gewesen, insofern sie die medienhistorisch bedeutsame Zäsur, die der Buchdruck als Inbegriff der Neuzeit markiert (Eisenstein 1997; Giesecke 1998; Grampp 2009), durch die in der Scholastik entstandene Neuerung der Textgliederung relativiert. Danach werde im 13. Jahrhundert die bis dahin übliche scriptura continua durch ein distinktes, in unterschiedliche Absätze unterteiltes, Haupt- von Nebenargumenten unterscheidendes Layout ersetzt. Schrift folgt nunmehr bestimmten Organisationsprinzipien, welche unmittelbare Auswirkungen auf die Modalitäten des Lesens haben. Bedarf die ungegliederte Schrift des Umwegs über die Stimme des Lesers, so ermöglicht das gegliederte Layout eine stille, allein von den Augen des Lesers geführte Lektüre. Spätere Forschungen haben die Entstehung stiller Lektüre bereits in der griechischen Antike verortet (Svenbro 2005). Dessen ungeachtet lässt sich festhalten, dass Lesen in der Moderne weitgehend im Sinne des leisen, zumeist einsamen Lesens verstanden wird (Bickenbach 1999), auch wenn das Vorlesen – als Variante des lauten, geselligen Lesens – bis in das 18. Jahrhundert (Chartier 1990; Schön 1997), mitunter sogar bis in das späte 19. Jahrhundert (Schön 1999, 37–38) als literarisch verbreitete Praxis zurückverfolgt werden kann. Das Layout bzw. die Typographie sind literaturwissenschaftlich in unterschiedlichen Modi behandelt worden. (Wehde 2011; Bunia 2013; Metz 2016) Dabei steht stets in Frage, inwiefern sie als Medien der literarischen Kommunikation betrachtet werden können. Nicht unerheblich ist in diesem Kontext, dass sie sich vielfach als auktoriale Bestimmung und damit Bestandteil eines poetischen Programms auffassen lassen. Sowohl die Gestaltung der Buchseiten als auch die Wahl der Schrifttype können im Fall von Stefan George beispielsweise als bewusste Formentscheidungen rekonstruiert werden, weshalb sie als unmittelbarer Bestandteil seines Werks, im Unterschied zum bloßen und daher ablösbaren Ornament, aufzufassen sind (Busch 2019). Auch das Design des Buchcovers kann als Element des literarischen Textes ernst genommen werden, wenn es wie im Fall von Rolf Dieter Brinkmanns Piloten (Stanitzek 2010) als eine besondere Spielart der auktorialen Inszenierung oder wie im Fall von Tristesse Royal als Element eines sorgfältig choreographierten Literaturevents (Döring 2009) vergegenwärtigt wird.
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4 Das Buch und andere Trägermedien Das Konzept der Autorschaft und die Buchkultur weisen eine ebenso enge wie komplexe Beziehung auf. Indes hat sich die buchförmig gestützte Kongruenz von Autor und Werk (Foucault 2003) als maßgebliches Ordnungsprinzip der Literatur erst im 18. Jahrhundert etabliert. Sowohl in der Zeit vor als auch in den Anfängen des Buchdrucks ist der Autorname noch kein konstitutives paratextuelles Element (Genette 1989). Die Zuschreibung von Werken und Aufbewahrung von Büchern in einer Bibliothek beispielsweise erfolgten nach anderen Kriterien (Wegmann 2000, Jochum 2010). So war auf den Bucheinbänden der ersten drucktechnisch hergestellten Bücher der Name des Druckers prächtiger und größer gesetzt als der des Verfassers, falls er dort überhaupt zu finden war. Erst im Zuge der Herausbildung des modernen Urheberrechts in Korrespondenz mit entsprechenden Poetiken (Bosse 1981; Plumpe 1992) wird der Autorname zur grundlegenden Konstituente der Buchkultur [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright]. Von nun an werden die Kategorien Werk und Autor (Martus 2007) – letzterer auch in seiner Funktion als fiktiver Herausgeber (Wirth 2008) – als ein unauflösbarer Verweisungszusammenhang gedacht, dessen materiale Einheit im Buch gegeben ist [vgl. die Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft und Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘]. Ein Text wird über seine Bindung an einen Autor bzw. Autornamen als Einheit von anderen Texten abgegrenzt und zugleich als Werk bzw. Bestandteil eines Gesamtwerks identifiziert. Damit ist eine literaturwissenschaftlich nach wie vor auf den Umgang mit literarischen Texten regulativ wirkende Konstellation genannt, welche in den letzten Jahren allerdings durch vom Buch unabhängige Schriftkonzepte (Kooperationen, Korrespondenzen, hypertextuelle Verfahren) erweitert und durch andere mediale Verfahren sogar in Frage gestellt worden ist [vgl. den Artikel Vernetzte Autorschaft]. Ansätze kollektiver Autorschaft (Otto et al. 2018) [vgl. den Artikel Kollektive Autorschaft] bzw. unternehmerisch organisierter Textproduktion (Binczek 2017) sind an ihre Stelle getreten. Auch wenn das Buch nach wie vor als das Leitmedium literarischer Kommunikation gilt und mit ihm spezifische Standards textueller Einrichtung und Abgrenzung etabliert sind, auch wenn es trotz seiner Dominanz und trotz des anhaltenden Krisendiskurses (Grafton 2005; Hagner 2015) gleichwohl längst noch nicht erschöpfend erforscht worden ist, wendet sich die literaturwissenschaftliche Forschung zunehmend auch anderen Formen der Schrift zu: sie konzentriert sich beispielsweise auf Manu- oder Typoskripte, womit sie einen Text in dem Stadium vor seiner Veröffentlichung in den Blick nimmt. Auf einer solchen Materialgrundlage geht die literaturwissenschaftliche Forschung den handschriftlichen, aber auch maschinell hergestellten Spuren der Textarbeit als einem Prozess fortwährender Selbstkorrektur (Grésillion 1996) nach, der die Konzeption geschlos-
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sener Werkeinheit ebenso sehr an seine Grenzen treibt, wie dies im Anschluss an einige Analyseansätze der Zeitschriftenforschung geschieht, wenn sie die heterogene Textur einer aus unterschiedlichen Spalten und Sparten bestehenden Zeitungsseite betonen (Kaminski und Mergenthaler 2015). Mit der Zeitschriftenforschung ist das Stadium der Erst- bzw. Vorveröffentlichung eines Textes in den Blick gerückt, welches in weiten Teilen der bisherigen Literaturwissenschaft mit einer gewissen Vor- und Unfertigkeit assoziiert und weder editions- noch medien philologisch in einem ausreichenden Maße zur Kenntnis genommen wurde. Dabei wurde vor geraumer Zeit schon insbesondere für die Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konstatiert, dass ihr Leitmedium die Zeitschrift bzw. die Zeitung gewesen ist (Helmstetter 1997). Vor diesem Hintergrund bilden die Berücksichtigung und Erforschung der für die Zeitung sowie Zeitschrift charakteristischen Kommunikations- und Rezeptionsstrukturen ein wichtiges Desiderat. Einen literarischen Text im Kontext des Journals zu lesen bedeutet nämlich, mit einer Textur konfrontiert zu sein, in welcher sich Literatur stets auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu nicht-literarischen, vielfach auch bildhaften Nebentexten befindet (Pompe 2012), mehr noch: wo ihr Werbung und Reklame (Wegmann 2011) unmittelbar eingeschrieben sind sowie die Referenz auf das sie jeweils umgebende Tagespolitische. Überdies wird die mit Zeitschriften, entschiedener noch mit Zeitungen verknüpfte Publikationstätigkeit vielfach als bloße Auftragsarbeit degradiert und von der eigentlichen literarischen Leistung eines Autors – vor allem dann, wenn es sich dabei um tendenziell journalistische oder essayistisch-feuilletonistische Texte handelt – unterschieden. In Modifikation des Konzepts ‚doppelter Autorschaftʻ (Hoffmann 2005) werden auf diese Weise nicht nur die wissenschaftlichen Abhandlungen, sondern auch die publizistischjournalistischen Gelegenheitsarbeiten von den literarischen Texten eines Autors unterschieden, obgleich die Übergänge immer wieder als fließend und die Abgrenzung als problematisch erscheinen. Radikaler stellt sich die Frage der Texteinheit sowie der ihr korrespondierenden Kategorie der Autorschaft aus der Perspektive digitaler Literatur, die nicht nur hypertextuelle Projekte erfasst (Heibach 2003; [vgl. den Artikel Vernetzte Autorschaft], sondern inzwischen auch in den Bereich der Computerspiele übergeht, für deren Analyse die gebräuchlichen literaturwissenschaftlichen Kategorien kaum hinreichen. Die Einheit des Textes, zumeist in Form einer Schrift, Film und Sound verknüpfenden interaktiven MultimediaInstallation, ist in diesem Zusammenhang genauso schwierig zu bestimmen wie die des Autors, der eher als ein Spieleentwickler funktioniert. Ferner wird im Kontext aller interaktiven Artefakte der Beitrag des Lesers bzw. Users als derart konstitutiv angesehen, dass er als Teil der Autorschaft Geltung beansprucht. Trotz der enormen Produktivität auf diesem Feld entwickeln sich die entsprechenden literaturwissenschaftlichen Forschungsaktivitäten jedoch sehr zögerlich.
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Gegen die einseitige Festlegung der Literatur auf die Schrift werden seit einigen Jahren schon vormoderne Traditionen der oralen, autorlosen Erzählung ins Feld geführt (Göttert 1998), um zum einen ihre Differenz gegenüber den modernen Formen literarischer Kommunikationen zu markieren und zum zweiten auch partielle Kontinuitäten aufzuzeigen (Grimm 2008). Überdies wird die Bedeutung der mündlichen Performanz in der modernen Literatur, etwa im Modus der Autorenlesung (Böhm 2003; Müller 2007; Maye 2012; Meyer-Kalkus 2019) oder als poetry slam (Benthien und Prange 2020), hervorgehoben. Hierbei wird verschiedentlich festgehalten, dass mit der Rezeption der Autorstimme eine Auratisierung des Autors einhergehe (Herrmann 2015). Dies trifft auch auf Ansätze zu, die die Performanz der Stimme als unmittelbaren Ausdruck des Autor- bzw. Sprecherkörpers beschreiben (Kolesch 2006). Nach wie vor fehlt ein elaboriertes und verlässliches Instrumentarium zur Analyse von Audiotexten, welches es ermöglichen würde, die Formen des Sprechens (medien)philologisch zu spezifizieren (Binczek 2012) und in sprechhistorische Kontexte einzubinden (Epping-Jäger 2012). Hinsichtlich konzeptueller und analytischer Fragestellungen bestehen auf dem Feld der auditiven Literatur sowohl als Liveperformance, Lesung (Peters 2011, Franzel 2013) oder Interview (Hoffmann und Kaiser 2014; Walzer 2018) als auch in technisch reproduzierter Form als Hörbuch etwa (Binczek und Epping-Jäger 2014; Mütherig 2020) große Forschungsdesiderate, aber auch ebensolche Forschungspotentiale, die die Bestimmung des auf akustischen Zeichen basierenden Textbegriffs zu befördern ermöglichen.
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Uwe Wirth
III.1.6 Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘ Im Gegensatz zur Funktion des Autors wurde die des Herausgebers bislang nur ansatzweise systematisch untersucht. Dabei ist die Frage nach dem Herausgeber sowohl im Rahmen der Literaturwissenschaft – etwa mit Blick auf die insbesondere im 18. Jahrhundert so gebräuchliche Herausgeberfiktion – als auch im Kontext der Editionsphilologie durchaus virulent: insbesondere, wenn es um die textkonstitutive Funktion des Herausgebers geht (Martens 1991 und Thomalla 2020) oder um seine Rolle im Spannungsfeld von „Werkherrschaft“ (Bosse 1981) und „Werkpolitik“ (Martus 2007) [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft]. Zugleich lässt die in beiden Bereichen aufgeworfene Frage nach dem Herausgeber die in den letzten Jahrzehnten immer wieder neu entflammten Debatten um die Rolle des Autors und des Lesers in einem neuen Licht erscheinen. Die literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Phänomen ‚Herausgeberfiktionʻ betreffen vornehmlich die paratextuelle Rahmung von Briefromanen und Manuskriptfiktionen, wobei vor allem der Rekurs auf Gérard Genettes Differenzierung zwischen Text, Peritext und Epitext wichtige Impulse für historisch und theoretisch fundierte Ansätze liefert (2001[1987], 12). Seit den 2000er Jahren lässt sich beobachten, dass zunehmend auch die Aspekte der diskursiven und der medialen Rahmung berücksichtigt werden – etwa im Ausgang von Erving Goffmans ‚Rahmenanlyseʻ (1974), Niklas Luhmanns Überlegungen zur ‚Doppelrahmungʻ (Luhmann 1999) sowie Jacques Derridas Indienstnahme des ‚Parergon‘-Begriffs (vgl. Derrida 1992 [1978] sowie für alle vier Ansätze: Wirth 2008). Der Herausgeber gewinnt dabei entweder eine Instruktions- und Organisations-Funktion an der Schwelle des Textes (vgl. Genette 2001, 10) oder er wird zu einem kommentierenden ‚Dazuschreiber‘. Zudem wirft die Instanz des fiktiven Herausgebers erstens immer auch die Frage der Grenze zwischen Text und Welt auf, die in modulierter Form als Frage nach der Grenze zwischen Fiktion und Nicht-Fiktion zumeist in den Vorworten verhandelt wird (häufig begleitet von grundsätzlichen poetologischen Reflexionen). Zweitens impliziert dies fast zwangsläufig eine Statusbestimmung des ‚herausgegebenen‘ Materials, denn der Herausgeber kann es qua definitionem ja nur mit ‚gefundenen‘, nicht von ihm verfassten Texten zu tun haben, die er zum Ausgangspunkt für seine eigenen, kommentierenden, dazugeschriebenen Texte macht. Die bedeutet drittens, dass die Herausgeberfiktion eine Art von performativem Selbstwiderspruch in Szene setzt: Der Herausgeber muss jede Autorschaft hinhttps://doi.org/10.1515/9783110297065-008
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sichtlich der von ihm herausgegebenen Texte verneinen, damit die Herausgeberfiktion aufrechterhalten werden kann. Zugleich tritt der Herausgeber aber auch als Verfasser seiner eigenen Kommentare auf und bringt sich somit als eine Art zweiter Autor ins Spiel – nicht zuletzt wegen seiner damit häufig einhergehenden rahmenkonstitutiven Funktion. Schließlich impliziert das dédoublement zwischen der Instanz des realen Autors und der des fiktiven Herausgebers (aber auch die Verdopplung zwischen der Rolle des fiktiven Herausgebers und der Rolle der fiktiven Autoren), deren Texte von ihm ‚herausgegeben‘ werden, dass gerade im Fall von Herausgeberfiktionen das Konzept Autorschaft als solches reflektiert wird. Dies wird insbesondere durch den Akt „auktorialer Verneinung“ (Genette 2001, 173) verstärkt, der eine Verdopplung zwischen dem realen Autor und dem zumeist namensgleichen editorialen Vorwortverfasser in Szene setzt: eine Verdopplung, die einen Widerspruch impliziert, der durch den Leser realisiert und bewertet werden muss. So beginnt der Verfasser des Vorberichts zu Wielands Geschichte des Agathon (1986 [1766]) mit den Worten: „Der Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte siehet so wenig Wahrscheinlichkeit vor sich, das Publicum überreden zu können, daß sie in der Tat aus einem alten Griechischen Manuskript gezogen sei; daß er am besten zu tun glaubt, über diesen Punkt gar nichts zu sagen, und dem Leser zu überlassen, davon zu denken, was er will“ (Wieland 1986, 11). Die Selbstbeschreibung als ‚Herausgeber‘ gleich zu Beginn, steht in Widerspruch mit dem im weiteren Verlauf des Vorworts durchgespielten Offen-Lassen, ob der Geschichte tatsächlich ein altes Manuskript zugrunde liegt. Damit wird viertens das Verhältnis des Autors zum Leser thematisch – vermittelt über eine Instanz, die behauptet, ‚bloß‘ der Herausgeber zu sein. Im Fall der Herausgeberfiktion soll der Leser – anders als bei fingierter Herausgeberschaft (vgl. Ansorge 1969, 46) – freilich nicht getäuscht, sondern in ein literarisches Spiel gezogen werden, das ihn in einen Zustand der Unklarheit über die ‚wahre‘ Autorschaft manövriert und so zur Bildung eines reflektierten „Fiktivitätsbewußtseins“ (Berthold 1993, 123) beiträgt. Das kann man an Rousseaus berühmtem Vorwort zur Nouvelle Héloïse (1761) feststellen, das Wieland zum Vorbild für seine „Rahmenkonfusion“ (vgl. Luhmann 1999, 415) der Geschichte des Agathon nahm: ein Vorwort, in dem ostentativ offen bleibt, ob der Briefwechsel, als dessen Herausgeber Rousseau sogar auf dem Haupttitelblatt auftritt, echt oder erdichtet ist und das so besehen die Logik des entweder/oder in Frage stellt (de Man 1979, 196). Dergestalt wird nicht nur die in der Briefromanliteratur häufig anzutreffende Authentizitätsfiktion ironisiert, sondern es wird grundsätzlich die Möglichkeit der Grenzziehung zwischen faktualen und fiktionalen Kontexten respektive zwischen Geschichtsschreiber und Poet problematisiert.
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1 Funktionen des Herausgebers Außer in Briefromanen kommen Herausgeberfiktionen im Rahmen von Manuskript- und Archivfiktionen vor. Hier sind vor allem der Don Quichote (1605/15) des Cervantes und Defoes Robinson Crusoe (1719) zu nennen. Diese Traditionslinie schreibt sich über Schnabel und Wieland bis zu Jean Paul und Hoffmann fort. Jean Pauls Leben Fibels (1811) und E.T.A. Hoffmanns Lebens-Ansichten des Katers Murr (1819/20) setzen neue Maßstäbe in Sachen Herausgeberfiktion. Jean Paul übernimmt als sein eigenes fiktionales Double in Lebens Fibels die Funktion, als editoriale Instanz die Fragmente einer ersten, monumentalen Biographie Fibels zusammenzulesen und zusammenzuschreiben, um daraus ein zweites, kürzeres Buch zu machen, in dem die editoriale Tätigkeit Teil der Geschichte wird. Der Herausgeber in den Lebens-Ansichten des Katers Murr geht (als Instanz, die wie in Leben Fibels mit dem Namen des realen Autors unterschreibt, zugleich aber Teil der fiktiven Welt des Romans ist) noch einen Schritt weiter, wenn er dem Leser im Vorwort eingesteht, dass beim Abdruck des Romans angeblich ein Missgeschick geschehen ist: Das autobiographische Manuskript des schreibenden Katers sei mit einem bereits gedruckten Buch, der Biographie des Kapellmeisters Kreisler, durcheinander geraten und zusammen abgedruckt worden. Der Grund für dieses „Versehen“ (Hoffmann 1992, 12) ist, so erfährt man im „Vorwort des Herausgebers“, dessen eigene Unzuverlässigkeit: Offensichtlich hat der Herausgeber das ihm zur Publikation anvertraute Manuskript gar nicht gelesen, ja, nicht einmal durchgesehen – sonst hätte er die Differenz zwischen dem handschriftlichen und den druckschriftlichen Teilen des Konvoluts bemerken müssen. Damit stellen die Lebens-Ansichten die hinlängliche Definition der „editorialen Tätigkeit“ (Martens 1989, 1) in Frage. Statt den Text so zu bearbeiten, dass er besser lesbar wird, erschwert dieser Herausgeber die Lektüre, wobei sich seine Nachlässigkeit als programmatischer ironischer Kunstgriff erweist. Zum einen, weil der Roman dem Leser als „verworrenes Gemisch fremdartiger Stoffe durcheinander“ (Hoffmann 1992, 12) entgegentritt, das aber bei genauerer Betrachtung beziehungsreich ineinandergreift. Zum anderen deshalb, weil sich – als Verkörperung des Prinzips der romantischen Ironie – noch eine andere Instanz in den Vordergrund spielt, nämlich die des eigenwilligen Druckers, der selbst das vom Herausgeber ob seiner Unbescheidenheit „unterdrückte“ Vorwort des fiktiven Autors Murr abdruckt und so die Instruktions- und Organisations-Funktion des Herausgebers außer Kraft setzt. Grundsätzlich ist ein Herausgeber – gleichgültig, ob faktual oder fiktional – dadurch definiert, dass er der erste Leser von bereits Geschriebenem ist und die Möglichkeit des korrigierenden Umschreibens respektive des kommentierenden Dazuschreibens hat. Dabei wird aus editionsphilologischer Sicht die Möglichkeit der korrigierenden Transkription eines zu edierenden Textes zunehmend als kon-
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taminierende Intervention und nicht mehr als Teilaspekt der Textkritik angesehen (vgl. Martens 1991, 19). Zu klären bleibt indes zum einen, ob die ‚Funktion Herausgeber‘ lediglich auf die des ‚kommentierenden Dazuschreibens‘ beschränkt bleibt, oder ob sie weitergehend als die eines ersten Lesers und zweiten Autors zu bestimmen ist; zum anderen, ob Autorschaft womöglich sogar als Form der Selbst-Herausgeberschaft gedeutet werden kann. Beide Fragen haben wesentlich mit den soziologischen, juristischen, medialen und literaturgeschichtlichen Rahmenbedingungen von Autorschaft zu tun. Historisch wie systematisch lässt sich zeigen, dass die Frage nach dem (realen) Autor, wie sie in Roland Barthes provokantem Essay „Tod des Autors“ (2006 [1968]) und Michel Foucaults Vortrag „Was ist ein Autor?“ (2001 [1969]) aufgeworfen wurde, als Frage nach dem (fiktiven und dem realen) Herausgeber reformuliert werden muss, will man sich aus einer literaturwissenschaftlichen Perspektive fundiert mit Autorschaftskonzepten auseinandersetzen. Nach den zum Teil hoch polemischen Auseinandersetzungen mit den Thesen von Barthes (vgl. Jannidis et al. 1999, 15–16) hat sich mittlerweile die Meinung durchgesetzt, dass es Barthes nicht um eine „grundsätzliche Negation“ von Autorschaft geht, sondern um eine „funktionale Relativierung“, zwar durchaus mit der Tendenz, die „Überlebtheit“ (Wetzel 2000, 481) der emphatischen Autorvorstellung zu behaupten, allerdings nicht mit dem Ziel einer vollständigen Verabschiedung. Vielmehr soll der Autor „als eine auf bestimmte historische Rahmenbedingungen begrenzte Kategorie“ vorgeführt werden (Wetzel 2000, 481).
2 Abgrenzung von Scripteur, Autor und Herausgeber Während der Autor, so die zuspitzende Formulierung Barthesʼ, für sein Buch lebt, für es denkt und leidet und es so „speist“ wie ein Vater sein Kind, wird der „moderne Schreiber“, der Scripteur, „gleichzeitig mit seinem Text geboren“ (Barthes 2006 [1968], 60). Der moderne Schreiber ist also kein emphatischer Erzeuger mehr, sondern eher ein kompilierender Arrangeur, dessen „einzige Macht“ darin besteht, „die Schreibweisen zu vermischen“ (Barthes 2006 [1968], 61). Der Schreibakt des Scripteur emanzipiert sich so besehen von den Originalitäts- und Authentizitätsansprüchen, wie sie die Genieästhetik des 18. Jahrhunderts [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft] formulierte, er ist nicht länger „Zeugungsakt“, sondern ein „performativer Akt“ wie Barthes im Rekurs auf Austins Sprechakttheorie betont (Barthes 2006 [1968], 60). Als performativer Schreibakt
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verknüpft der Scripteur bereits vorhandene, von anderen verfasste, Texte „aus den tausend Brennpunkten der Kultur“ (Barthes 2006 [1968], 61), und das heißt zugleich: er überarbeitet sie, schreibt sie ab und schreibt sie um. Der Scripteur sensu Barthesʼ ist somit Arrangeur und Transscripteur zugleich. Insofern diese beiden Formen der ‚Textverarbeitung‘ im Zeitalter digitaler Computerprogramme unter der Kategorie editing laufen, ließe sich bereits an dieser Stelle pointiert feststellen: der moderne Scripteur schreibt nicht mehr mit dem auktorialen Originalitätsanspruch, dass er etwas Neues erzeugt, sondern dass er etwas bereits Vorhandenes adoptiert und transformiert. Dabei spielt aber auch der Aspekt des ‚Zusammenlesens‘ eine Rolle, denn Barthes zufolge wird der emphatische Autor nicht nur vom „Scripteur“ beerbt, sondern der Tod des Autors führt zur „Geburt des Lesers“ als einem Knotenpunkt, an dem sich „sämtliche Zitate, aus denen das Schreiben besteht, einschreiben“ (Barthes 2006 [1968], 63). Das heißt: Barthesʼ Konzept einer postmodernen Autorschaft verbindet die Funktionen ‚Zusammenlesen‘ und ‚Zusammenschreiben‘, indem er Lecteur und Scripteur miteinander ins Verhältnis setzt: aus der Übernahme beider Funktionen geht der postmoderne Autor hervor. Berensmeyer et al. unterscheiden im Ausgang von Barthesʼ Thesen sowie den vorgenommenen Revisionen (vgl. Jannidis et al. 1999, 18 sowie Detering 2002, IX) zwischen starken und schwachen Autorschaftskonzepten. So ordnen sie das von Barthes in Anschlag gebrachte ‚Autor-Gott-Modell‘ einem starke Autonomie implizierenden Konzept zu und stellen es dem in ihren Augen stark heteronomen Konzept des Scripteur als „a mere function of the (inter)text“ (Berensmeyer et al. 2012, 14) entgegen. Darüber hinaus schlagen sie vor, noch zwei weitere, ‚schwache‘ Konzepte von Autorschaft einzuführen: erstens ein ‚schwaches heteronomes‘, das den Autor als Urheber und Vermittler („originator and communicator“) von Texten sieht, wobei er aber immer noch an bestimmte Regeln und Konventionen gebunden bleibt. Zweitens ein ‚schwaches autonomes‘ Konzept, das den Autor als einen „creator of immaterial ‚work‘ that is materially presented in the text“ fasst Berensmeyer et al. 2012, 14). Es wird zu klären sein, inwiefern diese vier Möglichkeiten die Auseinandersetzung mit Autorschaftskonzepten wirklich voranbringen – vor allem auch, ob der Unterschied zwischen den beiden ‚schwachen‘ Konzepte groß genug ist, um eine kategoriale Ausdifferenzierung zu rechtfertigen. Immerhin ist der Grundimpetus zu begrüßen, nämlich Autorschaft als ein Bündel von Aktivitäten zu begreifen, „with a performative model based on ascriptions as well as actions“ (Berensmeyer et al. 2012, 14). Kritisch zu hinterfragen bleibt indes, warum die Funktion des Lesers ganz grundsätzlich von der des Autors unterschieden wird, anstatt die Interaktionen und Interferenzen zwischen Autor und Leser zu berücksichtigen, wie sie ins-
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besondere bei der Funktion Herausgeber sichtbar werden. Insofern fällt der Ansatz hinter die Einsichten von Barthes und de Man zurück, denen es ja gerade darum ging, der Fokussierung auf den Autor unter Ausschluss des Lesers entgegen zu arbeiten (vgl. de Man 1979, 201). Zudem bleiben viele Einsichten der neueren Philologie sowie der Schreibprozessforschung unberücksichtigt, die den Mythos auktorialer „Kopfarbeiter“ (wie er im schwach autonomen Autorschaftskonzept anklingt) problematisieren und stattdessen die Aufmerksamkeit auf die „Papierarbeit“ (Grésillon 1996, 16) im Kontext des avant texte lenkt: ein Prozess, der auch als Form der Selbst-Herausgeberschaft (vgl. Wirth 2008, 23) im Modus des editing respektive der „transkriptiven Weiterverarbeitung“ (Jäger 2004, 46) gefasst werden kann [vgl. auch den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität].
3 Die performative Dimension der Funktion Herausgeber Gerade wenn man mit der Idee, ein performatives Modell von Autorschaft zu entwickeln, ernst machen will, kommt man nicht darum herum, den philologischen Schreibprozess als „Performance-Akt der Textwerdung“ (Grésillon 1996, 23) in den Blick zu nehmen sowie die paratextuellen Rahmungsprozesse zu analysieren, die den avant-text zum Text und den Text zum Buch (oder zum vorläufig abgeschlossenen digitalen Text) machen. Dabei interferiert der „Vorwortakt“ als „selbstgefälliges Abbild seiner eigenen Verfahren“ (Genette 2001 [1987], 279), sprich als Performance der Aushandlung des logischen Status des gesamten Textes oder als poetologische Reflexion am Rande, mit einer dezidiert faktualen, werkkonstitutiven Performativität, die Foucault in seinem Vortrag Was ist ein Autor thematisiert, wenn er fragt: „Wie ist der speech act beschaffen, der zu sagen gestattet, dass ein Werk vorliegt?“ (Foucault 2001 [1969], 1004). Dieser speech act – genau genommen ist es ein ganzes Bündel an Sprechakten – lässt sich nicht auf Akte des Schreibens respektive der Scription im Bartheschen Sinne reduzieren. Vielmehr geht es auch um Akte konventionalen Zuschreibens: um Sprechakte also, durch die Geschriebenes eine institutionelle Rahmung erfährt (etwa durch das Verlagswesen oder durch das Copy-Right oder durch eine editionsphilologische Bearbeitung) [vgl. die Artikel Geistiges Eigentum und Copyright sowie Autorschaft und literarischer Markt]. Erst durch diese institutionelle Rahmung wird ein Text zum Werk, und das heißt auch in Zeiten digitaler Schrift noch sehr häufig: zum Buch. Indem Foucault die Autorfrage mit der Sprechakttheorie koppelt, gibt er dem Bartheschen Verdikt vom ‚Tod des Autors‘ eine neue Wendung: der starke, auto-
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nome Autor mag eine bloße Chimäre der Selbstbespiegelung und der literaturwissenschaftlichen Idealisierung sein, aber er lässt sich doch nicht vollständig in einen schwachen Autor im Sinne eines heteronomen Scripteur transformieren. Vielmehr gibt es so etwas wie eine Klammer zwischen beiden Instanzen, die Foucault als „Funktion Autor“ bezeichnet: eine Klammer, die als institutionelle Rahmung fungiert und die es zum Beispiel auch erlaubt, zwischen Texten mit und Texten ohne Autorfunktion zu unterscheiden – demzufolge handelt es sich bei Privatbriefen, gefundenen Manuskripten, nicht zur Veröffentlichung bestimmten Tagebüchern um Texte ohne Autorfunktion (Foucault 1991 [1971], 20). Bemerkenswerterweise tritt damit – und dies blieb in den zahlreichen Lektüren Foucaults fast immer unberücksichtigt – nicht nur die Frage nach dem Autor respektive der Autorfunktion, sondern auch die Frage nach dem Herausgeber respektive der Herausgeberfunktion in den Fokus: „Wie lässt sich“, schreibt Foucault, „aus den Millionen von Spuren, die jemand nach seinem Tod hinterlässt, ein Werk definieren?“ (2001 [1969], 1010). Gleich im Anschluss an diese Passage betont Foucault dann die Notwendigkeit einer „Theorie des Werks“, da man ansonsten nur „naiv daran gehen [könne], Werke herauszugeben“ (2001 [1969], 1010). Bedenkt man, dass alle Autoren, die heute Gegenstand literaturwissenschaftlicher Analysen sind, zuvor editionsphilologisch bearbeitet wurden, damit ihre Texte (etwa im Rahmen von Werkausgaben) der Analyse überhaupt zur Verfügung stehen, dann kann man die These vertreten, dass sich die Frage nach dem Autor nur im Lichte der Frage nach dem Herausgeber stellen lässt (vgl. Thomalla 2020, 24). Mit Blick auf die eingangs angesprochene Rahmenproblematik im Kontext der literarischen Herausgeberfiktion sind dagegen zwei andere Aspekte in Foucaults Überlegungen relevant: zum einen thematisiert er die Manifestationen der Funktion Autor an den paratextuellen Rändern der Texte – insbesondere die „Verwendung von Einschüben“ und der „Funktion von Vorworten“ (2001 [1969], 1004); zum anderen verortet er die Autor-Funktion im Übergang zwischen dem „wirklichen Schriftsteller“ und dem „fiktionalen Sprecher“, denn „die Autor-Funktion vollzieht sich gerade in der Spaltung (partage) selbst – in dieser Trennung und in dieser Distanz“ (2001 [1969], 1010, 1020). Damit wird die Autor-Funktion zu einer Klammer sowohl zwischen den verschiedenen diegetischen Instanzen des Textes als auch zwischen den textuellen und außertextuellen historischen und politischen Instanzen, beispielsweise dem Copy-Right oder der Zensur. Zugleich stellt sich damit die Frage, ob die Autor-Funktion nicht ihrerseits Teil einer Herausgeber-Funktion ist, die parergonal – von den äußeren paratextuellen Rändern her ebenso wie durch die innere Konfiguration des Textes als Resultat eines Prozesses transkriptiver Weiterverarbeitung – rahmenkonstitutiv ist (vgl. Derrida 1992 [1978], 74). In eben diesem Sinne kann Autorschaft auch als Selbst-Herausgeberschaft gedeutet werden.
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Eine Untermauerung dieser These liefert Roger Chartier, der in seinem Aufsatz „Figures de lʼauteur“ (1992) eine medienhistorische Kritik an Foucaults Ansatz formuliert hat. Chartier ist der Ansicht, dass die Funktion Autor primär durch die institutionellen und technischen Rahmenbedingungen des Buchhandels und des Buchdrucks determiniert ist, ja dass die Autor-Funktion „ins Innere der Druckkultur eingeschrieben ist“ (Chartier 1992, 59, meine Übersetzung), und zwar sowohl mit Blick auf die Kontrollmechanismen der Zensur als auch auf das Urheberrecht. In beiden Fällen leitet sich die Autorfunktion von den fundamentalen Veränderungen her, die der Buchdruck mit sich brachte – und entwickelt sich mithin viel früher als Foucault annimmt. Dem Akt des Druckens kommt Chartier zufolge insofern eine entscheidende Bedeutung zu, als er einen paradigmatischen Rahmenwechsel bei der Veröffentlichung des Werks markiert, nämlich in Form der imprimatur, die als Druckerlaubnis des Autors zugleich den Akt des Druckens mit der Funktion Autor verknüpft. In diesem Zusammenhang verweist Chartier auf Furetières Dictionnaire universel von 1690, wonach der Begriff des ‚Auteur‘ nur für denjenigen verwendet werden kann, dessen Werke in gedruckter Form vorliegen (Chartier 1992, 49). Hinzu kommt, dass sich das Konzept der Autorschaft am Ende des 18. Jahrhunderts in einer Situation befindet, die durch eine „radikale Inkommensurabilität“ (Chartier 1992, 47, meine Übersetzung) zwischen den literarischen Werken und den ökonomischen Rahmenbedingungen gekennzeichnet ist. Insbesondere adlige Autoren entwickeln eine Antipathie gegen den Buchdruck und lassen ihre Manuskripte stattdessen – am liebsten anonym – im erwählten Kreise Gleichgesinnter zirkulieren. Interessanterweise wird just in jener Phase, in welcher der Massenbuchdruck aufkommt, die aristokratische Anonymität, die sich in der höfischen Tradition etabliert hat, durch eine neue Form der Auslöschung des Autors ersetzt, nämlich das Sich-Zum-Verschwinden-Bringen im Rahmen fingierter oder fiktiver Herausgeberschaft (vgl. Chartier 1992, 48). Die Folge ist, dass damit noch vor der ‚Figur des Autors‘ die ‚Figur des Herausgebers‘ zum Garanten der Einheit und der Kohärenz des Diskurses wird. Hier bündeln sich die bisher angesprochenen Motive. Die Funktion Herausgeber verbindet die Funktion Autor im Sinne Foucaults – der Autor als Kennzeichnung einer bestimmten Zuschreibungs- und Rahmungsfunktion (vgl. Foucault 2001 [1969], 1016) – mit Barthesʼ Definition des Lesers als einheitsstiftenden Zusammenlesers. Mehr noch: Die Funktion Herausgeber gründet darauf, dass Autorschaft keine „dem Schreibakt simultane Funktion, sondern ein nachträglicher Effekt von Relektüre“ ist (Kittler 1987 [1985], 118). Der Autor ist zuerst immer auch ein Leser, der im Akt des Schreibens das Gelesene (und mithin das bereits Geschriebene) „absorbiert und transformiert“ (Kristeva 1969, 146). Diese Absorptionen und Transformationen können unterschiedlich dimensioniert
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sein: von der Aneignung ganzer Texte, über deren partielle Bearbeitung, um sie anschließend als zitathaften ‚Mosaik-Stein‘ in den eigenen Text zu integrieren, bis hin zur bloßen intertextuellen Anspielung. Umgekehrt ist der Herausgeber zunächst ein Leser, der die Funktion eines zweiten Autors übernimmt: sei es, dass er den fremden Text durch Kürzung und Korrektur intern bearbeitet; sei es, dass er einen eigenen Kommentar-Text hinzufügt, der von einer erklärenden Fußnote bis hin zur absorbierenden Übernahme des fremden Textes durch den eigenen Kommentar reichen kann. Dies geschieht etwa in Vladimir Nabokovs Pale Fire, wo die 999 Cantos des (fiktiven) Autors Shade durch den zwielichtigen (fiktiven) Herausgeber Kinbote in einer Weise kommentiert werden, dass sie am Ende nicht mehr die Geschichte des Autors, sondern die des Herausgebers erzählen. Es ist, wie Kinbote am Ende seines Vorworts bemerkt, „der Kommentator, der das letzte Wort hat“ (Nabokov 2010 [1962], 35). Dem gleichen Prinzip einer ‚editorialen Piraterie‘, bei der der fiktionale Herausgeber zur maßgeblichen (wenngleich höchst unzuverlässigen) Instanz wird, die den edierten Text nicht nur transformiert, sondern absorbiert, folgt Mark Z. Danielewskis Roman House of Leaves (2000), in dem der drogensüchtige Johnny Truant die Aufzeichnungen eines gewissen Zampanó findet, durch seine eigenen, weitschweifigen (und wirren) Kommentare rahmt und dann seinerseits von einem anonymen Herausgeberkollektiv kommentiert wird, so dass hier die Kommentatoren des Kommentators das letzte Wort haben. Einen vorläufigen Höhepunkt erreicht das dedoublement der Kommentarfunktion in J.J. Abrams Ship of Theseus (2013). Dieses, einem gewissen V.M. Straka zugeschriebene, Buch wird als Verleihexemplar einer Bibliothek präsentiert (u. a. durch entsprechende Ausleihstempel am Ende), das von einer Leserin und einem Leser durch handgeschriebene Anmerkungen (die mehrfarbig im Drucktext erscheinen) kommentiert wird. Dabei initiieren die beiden einen fortlaufenden Dialog über ihre Lektüre, indem sie das Buch wechselseitig ausleihen und kommentieren, wobei sie sich aber nicht nur auf den Text, sondern auch auf die Kommentare des jeweils anderen beziehen. Hier werden nicht mehr die Übergänge vom avant texte zum texte als Performance-Akt der Textwerdung in Szene gesetzt, sondern die Lektüreprozesse eines bereits gedruckten Textes, die in einen kommentierenden DazuSchreibprozess münden. Es ließe sich im Anschluss an Chartier überlegen, welche Rolle der Herausgeber hinsichtlich der Wechselbeziehung von Autorschaft und ‚Gedruckt-Werden‘ spielt. Der editionsphilologische Herausgeber wird hier die Leerstelle ausfüllen, die der abwesende Autor hinterlässt, vor allem dann, wenn der Autor seinen Text zu Lebzeiten nicht durch eine Druckerlaubnis autorisiert hat. Die Funktion des Herausgebers besteht in diesem Fall darin, durch (heteronome) Akte transkriptiver Bearbeitung (vor allem durch Kürzung und Korrektur, aber
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auch durch das Re-Arrangement von Text-Teilen) einen druckfähigen Text zu konstituieren. Doch auch der autonome Autor übt seinem eigenen Text gegenüber eine quasi-editoriale Funktion aus, wenn er ihn zu einem druckfähigen Text überarbeitet: Bei jedem Schritt der transkriptiven Bearbeitung seines Textes setzt auch eine Art distanzschaffende partage ein, durch die dem Autor die vorangegangene Stufe seines Textes wie ein fremder Text entgegentritt, der nun im Modus des ‚selbstediting‘ so lange überarbeitet und umgeschrieben wird, bis er dem Autor – oder seinem Lektor –veröffentlichungsreif erscheint. Sowohl im Fall editionsphilologischer Herausgeberschaft als auch im Fall auktorialer Selbst-Herausgeberschaft bildet die ‚Funktion Herausgeber‘ eine Klammer zwischen Geschriebenem (‚mit‘ oder ‚ohne‘ Autor-Funktion) und dem Akt der Publikation respektive dessen medialer Realisationsform als Akt des Druckens. Die Funktion ‚Herausgeber‘ ist so gesehen dafür zuständig, das ‚Dazwischen‘ zwischen Schreibprozess und Veröffentlichungsprozess zu konfigurieren. Dass sich diese These auch historisch belegen lässt, zeigt etwa das Titelblatt von Richardsons Clarissa (1740), wo der Autorname nur im Kontext des Druckens vorkommt: „Printed for S. Richardson“ liest man dort auf dem Haupttitelblatt – ansonsten heißt es: „Published by the Editor of PAMELA“. Gerade was den Umgang mit bereits publiziertem Material betrifft, vollzieht sich in der klassischen Avantgarde ein medientechnisch bedingter Paradigmenwechsel, der zur Entstehung „neuer Formen von Autorschaft“ (Wetzel 2001, 485) führt: Formen, die das Ergebnis von Collage- und Montagetechniken sind (vgl. Möbius 2000). So kann man beobachten, dass sich der Autor im 20. Jahrhundert in einen „Meta-Autor“ verwandelt, „der vorwiegend mit Versatzstücken und Zitaten“, also mit „Vorfabrikaten“ (Ingold 1992, 347) operiert. Die Protagonisten dieser Art von ‚moderner‘ Autorschaft sind der Filmregisseur [vgl. den Artikel Autorenfilm], der Fotomonteur, der Verfertiger von Bild- und Textcollagen – sie alle verwirklichen ‚authentisches‘ Schöpfertum als mischendes Arrangieren und Inszenieren von bereits Gedrucktem, von bereits Fotografiertem und von anderen ready-mades aller Art. Insofern zeichnet sich der moderne ‚Meta-Autor‘ vor allem dadurch aus, dass er „an der eigentlichen Werkentstehung nur noch durch operative Beihilfe – nämlich durch Auswahl, Aufarbeitung, Assortierung und Montage des vorgegebenen Materials – beteiligt [ist]“ (Ingold 1992, 347). Insofern nicht nur Kürzen, Korrigieren und Kommentieren, sondern auch das mischende Arrangieren ein zentrales Moment der Funktion ‚Herausgeber‘ ist, kann man die These vertreten, dass der ‚moderne Autor‘ seit 1900 tendenziell in der Funktion ‚Herausgeber‘ aufgeht – nun aber nicht mehr als Personifikation in Form einer fiktiven Herausgeberfigur, sondern in Form eines „editorialen Dispositivs“ (Wirth 2008, 186–187). Dieses editoriale Dispositiv impliziert neben dem
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einheitsstiftenden Rahmungskonzept auch ein künstlerisches Konzept, das zwischen Vorlagen aller Art „neue Beziehungen“ herstellt (Ingold 1992, 347). Freilich lässt sich bei dieser Beschreibung moderner Autorschaft eine Merkwürdigkeit feststellen, die „auf subtile Weise […] die Existenz des Autors [bewahrt]“ (Foucault 2001 [1969], 10): Während der Autor um 1800 seine Autorschaft verneinte, indem er behauptete ‚bloß‘ der Herausgeber zu sein, agiert der ‚moderne‘ Autor um 1900 offensichtlich als selegierende und arrangierende editoriale Instanz – reklamiert für diese Tätigkeit aber ganz offensiv den Anspruch auf Autorschaft. In beiden Fällen jedoch – und dies ist der zentrale Punkt – findet die Reflexion auf Konzepte der Autorschaft im Rahmen der Funktion ‚Herausgeber‘ statt.
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III.2 Inszenierungen
Carola Hilmes
III.2.1 Auto(r)biographie Für die Gattung der Autobiographie spielt der Autor eine zentrale Rolle, denn er ist Hauptperson, Erzähler und Urheber der Lebenserinnerungen, die er rückblickend meist chronologisch erzählt und dabei den Anspruch auf Wahrheit erhebt. Es ist also wichtig, wer spricht. Der Autor schließt mit dem Leser einen Pakt, der den Bezug zwischen Leben und Schreiben regelt; die Möglichkeit der Referenz wird dabei vorausgesetzt. In der Autobiographie geht es um das Verhältnis von Ich und Welt, d. h. es wird die Frage der Identität aufgeworfen – Wer bin ich? – und mit der eigenen Geschichte (ihrem Fortschreiten und ihren Brüchen) wird mehr oder weniger ausdrücklich deren Verhältnis zur Um- und Mitwelt thematisiert. Folglich ist eine Historisierung bei diesem Genre notwendig impliziert, denn der Gattungswandel spiegelt ein sich veränderndes Selbstverständnis des autobiographischen Ich. Mit den literarischen Formen der Selbstdarstellung wandeln sich auch die ihnen zugeschriebenen Funktionen. Wir haben es also mit einer mehrstelligen Relation, mit einem Netz prekärer Bezüge zu tun.
1 Methodischer Zugang Autobiographie ist „die Beschreibung (graphia) des Lebens (bios) eines Einzelnen durch diesen selbst (auto)“ – so erläutert Georg Misch in seiner grundlegenden Arbeit von 1907 den Begriff und steht damit in der hermeneutischen Tradition Diltheys [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik], die bis weit ins 20. Jahrhundert bestimmend bleibt (vgl. Niggl 1998; Holdenried 2000). Die literarisierten Lebenserinnerungen werden dabei als bevorzugte Quelle einer Selbstauslegung des Individuums verstanden. In der neueren Forschungsdiskussion hat sich demgegenüber Philippe Lejeunes Konzept vom autobiographischen Pakt durchgesetzt, der einem rezeptionsästhetischen Ansatz folgend nach dem unterschiedlichen Funktionieren autobiographischer Texte fragt. Lejeune (1994 [1975], 14) definiert: „Rückblickende Prosaerzählung einer tatsächlichen Person über ihre eigene Existenz, wenn sie den Nachdruck auf ihr persönliches Leben und insbesondere auf die Geschichte ihrer Persönlichkeit legt.“ Diese strikte heuristische Trennung von Fakten und Fiktionen wurde durchaus kritisiert, zuletzt von Lejeune (2005) selbst, aber für einen literaturwissenschaftlichen Diskussionskontext in pragmatischer Absicht empfiehlt sich dieser methodische Zugriff, zum einen weil damit ein Gros des Genres erfasst werden kann – Autobiographien sind auch weiterhin ein überaus beliebtes Genre – und zum anderen weil er gestattet, https://doi.org/10.1515/9783110297065-009
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eine Heuristik für kanonisierte, typische Fälle sowie spezifische Abweichungen davon zu erstellen. Dabei wird ein Bogen von der bürgerlichen Selbstermächtigung des Autors im 18. Jahrhundert zur Depotenzierung des Autobiographen im 20. Jahrhundert gespannt. Der hier zugrunde gelegte Gattungsbegriff orientiert sich am Muster der „Familienähnlichkeit“ (Wittgenstein 2003 [1953], 56–58) und vermeidet essentialistische Zuschreibungen. Im Handbuch der literarischen Gattungen wird die Autobiographie, in Abgrenzung zum Tagebuch, zur Chronik oder zu Memoiren, charakterisiert als „ein prinzipiell nichtfiktionaler narrativer Text, in dem das Leben des Autors in seiner Gesamtheit oder in Abschnitten retrospektiv geschildert wird“ (Kraus 2009, 22). Einen alternativen Zugang bietet die dekonstruktivistische Fundamentalkritik am Ich, wie sie Jacques Derrida vorlegte, die die wirklichkeitskonstituierende Funktion von Sprache herausstellt und damit die Autor-Souveränität radikal in Zweifel zieht. Als literaturtheoretisch zwar ambitioniert, aber in der Praxis nicht immer hilfreich, erweist sich Paul de Mans Auffassung der Autobiographie als einer „Lese- und Verstehensfigur“ (de Man 1993 [1979], 134), die sich in allen Texten finden lässt. In Autobiography as Defacement profiliert de Man (1993 [1979]) die rhetorische Figur der Prosopopöie als zentrale Trope und kündigt damit Referenz grundsätzlich auf. Derrida erweist demgegenüber jegliche Genrezugehörigkeit als problematisch, etwa in seiner Lektüre von Nietzsches Ecce homo als Otobiographie (1984) oder in seinem Paul de Man gewidmeten Text Mémoires (1988), der die programmatische Vieldeutigkeit jedes Erinnerungsprojekts herausstellt. Für eine feministische Revision hat Anna Babka (2002 u. 2008) diese Ansätze genutzt und die rhetorische Verfasstheit von Genre und Gender herausgearbeitet, was zu interessanten Einzelanalysen führt, literaturwissenschaftliche Zuordnungen aber bewusst unterläuft [vgl. auch den Artikel Weibliche Autorschaft]. Umstritten bei einer Abkopplung von Sprache und Welt bleibt der politische bzw. ethische Zuschnitt der Forschungen. Der literaturtheoretische Dissens findet in den historischen und soziologischen Diskussionen der Autobiographie nur ein schwaches Echo, denn hier steht der Quellenwert des literarischen Genres im Vordergrund. Ausdrücklich weist Volker Depkat (2004, 446) jedoch darauf hin, „daß eine neue Kulturgeschichte Autobiographien als Texte analysieren sollte, um sie als Quellen nutzen zu können“ [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Ausgehend von der Auffassung, dass autobiographisches Schreiben „als Akt sozialer Kommunikation [erscheint], durch den sich der Verfasser zu seinem Umfeld in Beziehung setzt“ (442), besteht die „Leistung autobiographischer Texte […] darin, daß sie einen in sich selbst zentrierten, bedeutungsvollen Strukturzusammenhang hervorbringen, in den einzelne Erlebnisse und Erscheinungen der eigenen Zeit schreibend eingeordnet und so in ihrem biographischen, gruppenspezifischen wie
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auch allgemein historischen Sinn definiert werden.“ (453) In einer historischen Kulturanthropologie gibt es unterschiedliche mentalitäts-, alltags- und mikrogeschichtliche Projekte, die Ego-Dokumente als Zeitzeugenliteratur verwenden (vgl. Schulze 1996). In einem ausdrücklich politischen Diskurs kann die Autobiographie als Narbe des Traumas gelesen werden (vgl. Wiedner 2013, 93) oder das life-writing kann in einer postkolonialen Zeit als spezifischer Entwurf einer transindividuellen bzw. kollektiven Identität begriffen werden (vgl. Wiedner 2013, 95; zum Begriff der Autoethnographie vgl. Watson 2001). Wenn von Auto(r)biographie die Rede ist, geht es um die „Selberlebensbeschreibung“ von Schriftstellern, um einen Begriff Jean Pauls (1818) aufzugreifen, denn im Unterschied zu anderen Berufsgruppen sind bei diesen literarischen Zeugnissen verstärkt auch selbstreflexive und poetologische Aussagen zu erwarten. Gattungsspezifische Merkmale und die Veränderungen der Autobiographie bis zu ihrer Auflösung bzw. Transposition zum Romanhaften in der sogenannten Autofiktion [vgl. den Artikel Autofiktion] oder in Meta-Autobiographien werden von den professionellen Schriftstellerinnen und Schriftstellern meist eigens thematisiert bzw. problematisiert und es werden alternative Formen der Selbstdarstellung erprobt. Neben traditionelle Modelle autobiographischen Schreibens – dem Selbstbekenntnis und der narrativen Rekonstruktion des eigenen Lebens – treten vor allem im 20. Jahrhundert neue Entwürfe, die entweder ein melancholisches oder ein virtuoses Spiel mit literarischen Schreibweisen erkennen lassen und die unterschiedliche literarische Selbstinszenierungen vorführen, die eine Fiktionalisierung des autobiographischen Paktes betreiben (vgl. Nünning 2007 u. 2013; Wagner-Egelhaff 2013).
2 Traditionelle Modelle In der neueren Geschichte der Autobiographie seit der anthropologischen Wende der Literatur im 18. Jahrhundert lassen sich zwei Modelle unterscheiden: die Bekenntnisse, prominent vertreten durch Rousseau, und die Lebenserinnerungen, stilbildend repräsentiert durch Goethe. Die Herkunft der Autobiographie aus der religiösen Tradition der Beichte findet sich in den pietistischen Autobiographien des 17. und 18. Jahrhunderts – bei Philipp Jakob Spener, August Hermann Francke und Johanna Eleonora Petersen, später auch bei Adam Bernd und Johann Heinrich Jung-Stilling (vgl. Wagner-Egelhaff 2005 (2000), 140–157); bei dieser religiös motivierten gründlichen Gewissenserforschung wird der Modus der Rechtfertigung aufgegriffen und zu einer systematischen, also genauen, täglichen Introspektion verfeinert. Die Autorinnen und Autoren sehen sich dabei in einem
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Dialog mit ihrem Gott; prominentes Beispiel in der Geschichte der Autobiographie sind Augustinusʼ Bekenntnisse (ca. 400). Bei Rousseau wird in den Confessions (1782 u. 1789) dann dem Leser eine entscheidende Rolle zugeschrieben, denn er muss letztlich die Authentifizierungsstrategie des Autobiographen beglaubigen. Die schonungslose Offenheit der Bekenntnisse bleibt aber letztlich narzisstisch, d. h. sie werden bodenlos und die Selbstbestätigung kippt ins Pathologische. Demgegenüber tritt Johann Wolfgang Goethe in Dichtung und Wahrheit (1988 [1811, 1812, 1814, 1833]) in einen wohlwollenden Dialog mit sich selbst, der damit motiviert wird, sich der Einheit der Person und ihres Einklangs mit der Welt zu versichern. Die Wahrheit dieser Selbstvergewisserung wird narratologisch konstruiert, d. h. es kommt zu einer Engführung von (eigener) Geschichte und ihrer (romanhaften) Darstellung; insofern besteht eine Parallelentwicklung von Autobiographie und Bildungsroman im Sinne eines vorbildlichen Lebenslaufes. Das Besondere von Dichtung und Wahrheit liegt aber darin, dass hier erstmals ein Autor sein Leben als Genealogie seiner Autorschaft beschreibt und die Biographie als Quelle besonderer Kreativität anführt. „Angriff ist die beste Verteidigung, radikale Offenheit eine ganz unauffällige Maske“ – so ließen sich die Lehren aus Rousseaus Confessions zusammenfassen. Seine schonungslose Selbstanalyse kommt einer Generalbeichte gleich – schon im Titel zitiert er als Referenzwerk die Confessiones von Augustinus –, aber nicht der Weg zu Gott wird geschildert, Rousseaus Selbstverteidigung wird zur Generalentschuldung. Seine 1782 und 1789 posthum erschienene Autobiographie ist die erste entschieden moderne Selbstbiographie. An der von Rousseau geprägten Form des Bekenntnisses werden sich viele Autobiographen der Folgezeit orientieren, so etwa Charles Baudelaire in Mon cœur mis à nu (1859–1866). Das Neue ist die hier sich schonungslos aussprechende Subjektivität, eine Zentrierung auf das eigene Ich, das seine Befindlichkeiten detailgenau und ohne jegliche Einschränkung wiedergeben will. Die Aufrichtigkeit, die Rousseau auf das Gefühl zurückführt, ist aber gegen Selbststilisierungen, gegen Fehleinschätzungen und Übertreibungen nicht gefeit. Authentizität bezeichnet die Autorität des mit eigener Hand Hervorgebrachten und verweist zugleich auf das Ungesicherte und Anmaßende dieses Anspruchs [vgl. auch den Artikel Autor-Masken und -Maskierungen]. Rousseau ist nicht nur ein subtiler Diagnostiker und kühner Visionär, sondern auch ein Erneuerer der Sprache; durch ihn wird uns die Sprache der Empfindungen in ihrer ganzen Bandbreite allererst zugänglich. „[P]lebejisch und rebellisch“ wendet er sich gegen Takt und Dezenz, gegen die „höfische Zurückhaltung bei raffinierter Libertinage und geistvoller Frivolität“. Wuthenow (1974, 64) nennt Rousseau darin „geschmack- und stillos“ – gerade das aber ist das Neue und Moderne an ihm. Sein schonungsloser analytischer Blick auf die eigene Seele gehört ins anthropologische Programm des 18. Jahrhunderts, das eine genaue
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Menschenkenntnis zur Voraussetzung moralischer Verbesserung von Individuum und Gesellschaft macht. Im 7. Buch der Confessions lesen wir: „Der eigentliche Stoff meiner Bekenntnisse ist der, mein Inneres in allen Lagen meines Lebens genau erkennen zu lassen. Die Geschichte meiner Seele habe ich versprochen; und, um sie treu zu schreiben, brauche ich keine andern Erinnerungen. Es genügt mir, wie ich bisher getan, in mein Inneres einzukehren.“ (Rousseau 1981 [1789], 274) Mit dem Versprechen der Aufrichtigkeit ist hier die Illusion der Unmittelbarkeit verbunden, der noch die „Literatur der Selbstentblößer“ (Heißenbüttel, 1972) in der Moderne bis hin zur Literatur einer neuen Subjektivität in den 1970er und 1980er Jahren folgen wird. „Wenn ich nicht besser bin, so bin ich wenigstens anders“, heißt es programmatisch gleich zu Beginn der Bekenntnisse (Rousseau 1981 [1782], 9). Der Autobiograph besteht darauf, sein Ich auszuleben und es auszustellen, ganz ungeniert. Das markiert seine Authentizität im Unterschied zu einer wohlbedachten, auf Um- und Mitwelt Rücksicht nehmenden Aufrichtigkeit, die Lionel Trilling (1981) sincerity genannt hat. Während Augustinus in stiller Zwiesprache mit Gott seine Lebensbeichte ablegt – der eigenen Demut entspricht die Güte Gottes, den Augustinus nicht müde wird zu loben und zu preisen –, haben wir es bei Rousseau mit einer inversen Situation zu tun: Zwar zitiert er noch den biblischen Kontext vom jüngsten Gericht, die Instanz Gottes wird allerdings durch den Leser ersetzt. Von dessen Güte kann Rousseau aber keinesfalls ausgehen, deshalb schüchtert er ihn mit dem moralischen Verdikt des Bibelwortes ein: „Wer ohne Tadel ist, der werfe den ersten Stein.“ Da aber vom Leser ernsthaft keine Erlösung zu erlangen ist, spricht sie Rousseau sich selbst zu: Indem er alles bekennt, will er die Generalabsolution à la Luther erzwingen. „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Das terroristische Grundelement dieser schrankenlosen, völlig selbstbezogenen Aufrichtigkeit ist leicht zu erkennen. Die Größenphantasien bilden bei Rousseau das notwendige Pendant zu seinem Verfolgungswahn. In diesem Sinne ist seine Autobiographie auch Autorpathographie, eine Selbstbeschreibung als Krankengeschichte. Die eklatante Nichtübereinstimmung von Außen- und Innenwahrnehmung führt bei Rousseaus autobiographischer Disposition nicht zur Revision der Selbstwahrnehmung, sondern zu nur umso schärferen Attacken gegen die vermeintlichen äußeren Feinde. Korrekturen durch die Außenwelt duldet der arme Bürgersohn aus Genf nicht. Goethe verfährt ganz anders. Die Schrift Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit gilt als Modellfall der Autobiographie: ein vorbildlicher Lebenslauf und eine neue Form seiner Präsentation werden hier von Goethe konzipiert – ein erfülltes, glückliches Leben und ein rundherum gelungenes Buch. Goethes Autobiographie ist ein Alterswerk, der Versuch einer Lebensbilanz. Mit Wohlgefallen und stolzer Gelassenheit blickt der Olympier aus Weimar auf die ersten 26 Jahre seines Lebens zurück; als der erste
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Teil von Dichtung und Wahrheit 1811 erscheint ist der Autor 62 Jahre alt. Neben dem Gestus unantastbarer Souveränität ist für Goethe der resultatorientierte Rückblick charakteristisch – Irrungen und Wirrungen seines Lebens werden auf die erreichten Ziele hin interpretiert. Die Gattung der Autobiographie verdankt Goethes Werk die Ausbildung der Vorstellung eines angeborenen Entwicklungsplans, der sich unter den jeweiligen sozialhistorischen Verhältnissen unterschiedlich ausprägt. „Die Konzepte von Bildung und Entwicklung sind entelechisch verfasst, d. h. das zu bildende Individuum entwickelt sich auf ein bestimmtes Ziel hin, das es bereits in sich trägt.“ (Wagner-Egelhaaf 2005, 165) Die Modellierung des Ich nach den Vorstellungen der Entelechie war nicht nur neu, sondern auch folgenschwer für das weitere Verständnis des Menschen. Goethes Organismus-Idee verbindet Individualitäts- und Entwicklungsgedanke; Charakter und Schicksal stehen deshalb nicht in Opposition zueinander, sondern werden als miteinander versöhnt gedacht (vgl. historisch differenzierend Niggl 2012). Goethes Form sinnstiftender Narration des eigenen Lebenslaufes bekommt Vorbildfunktion sowohl für die Gattung der Autobiographie als auch für die Beurteilung der Persönlichkeit eines Menschen. Insofern ist das Werk Goethes gar nicht zu überschätzen. Dass er seinen ‚Wesenskern‘ herausfinden will durch die Inspektion der eigenen Werke, verankert Autorschaft in der (Inter-)Textualität. Davon lenkt der Rekurs auf die Lebensgeschichte ab. Goethe schildert seine innere Entwicklung – den Bildungsgang und die Herausbildung seines Charakters – und bettet seine eigene Geschichte in die Geschichte seiner Zeit ein. Diese historisierende Lesart der eigenen Biographie unterscheidet ihn von Augustinus ebenso wie von Rousseau, dieser betont die Einzigartigkeit seines Ich, jener das Aufgehen seiner Individualität in Gott. Demgegenüber wird bei Goethe „[d]as Bild des Ich […] zum Bild der Zeit“, wie Erich Trunz im Nachwort zur Hamburger Ausgabe von Dichtung und Wahrheit betont (Goethe 1988, IX: 627). Darüber werden die seinem Werk eingeschriebenen dekonstruktivistischen Tendenzen vergessen. Goethes Reflexionen seines autobiographischen Programms kommen im Titel sowie in den Vorworten, in Briefen und Gesprächen zum Ausdruck. „Als Vorwort zu der gegenwärtigen Arbeit, welche desselben vielleicht mehr als eine andere bedürfen möchte, stehe hier der Brief eines Freundes, durch den ein solches, immer bedenkliches Unternehmen veranlaßt worden.“ (IX: 7) Es handelt sich hier um den fingierten Brief eines Freundes – ein gängiger Topos zur Rechtfertigung der Publikation der eigenen Lebensgeschichte. Goethe wählt diese Form sicherlich auch, um dem Vorwurf der Eitelkeit entgegenzuwirken. Später wird er sich freundlich und verbindlich an geneigte Leser wenden. Der (erfundene) Freund – vielleicht steht er für alle potentiellen Leser – bittet Goethe darum, den geheimen Zusammenhang seines ebenso umfangreichen wie vielfältigen literarischen Werkes zu erläutern. Der Autor ist offensichtlich bereit, sich selbst über
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den Zusammenhang von Leben und Werk sowie die Einheitlichkeit seiner Schriften und damit seiner Person Rechenschaft abzulegen; von „autobiographischer Selbstüberredung“ spricht Kramer (2001), der den Konstruktionscharakter und damit das Ungesicherte der eigenen Geschichte und der in ihr vermuteten festen Identität aus rhetorischer Sicht herausstellt. Um Missverständnisse zu vermeiden, die der Titel der Autobiographie hervorrufen könnte, schreibt Goethe einen weiteren, das autobiographische Schreibprogramm erläuternden Brief (vgl. IX: 640), worin er ausdrücklich auf die Verbindung von Erinnerung und Einbildungskraft hinweist: ohne das poetische Vermögen, also die narratologische Konstruktion ist ein Lebensrückblick gar nicht zu schreiben. Dabei geht es Goethe nicht um schmückendes Beiwerk oder gar das Kaschieren von Erinnerungslücken, sondern um das erzählerische Vermögen die Anordnung der Ereignisse und die Gesamtschau des Lebens betreffend; die poetischen und poetologischen Aspekte dieses „Lebensmärchen“ arbeitet Blod (2003) heraus. Von Erdichtung – der bewussten Falschaussage oder der entstellenden Verschönerung – will Goethe das, was er Dichtung nennt, getrennt wissen. Sein autobiographisches Projekt bleibt jedoch unvollständig; das zeigen gerade die Ergänzungen (u. a. die Italienischen Reise, die sogenannten Annalen), die auch die formale Heterogenität herausstellen (vgl. Graevenitz 1989). Schon bei den traditionellen Modellen ‚Bekenntnisʻ und ‚Lebensrückblickʻ spielen intertextuelle Bezüge in einem engeren Sinne eine wichtige Rolle. So wie sich Rousseau auf Augustinus bezieht, rekurriert Goethe auf Cardano, während Jean Paul seinerseits den Beginn von Dichtung und Wahrheit in seiner Selberlebensbeschreibung (1818) parodiert. Jean Paul blickt nicht zu den Sternen, sondern legt „ein kurioses Flora- und Faunagewinde um den Tag seiner Geburt“ (Knauer 1997, 189). Die Gleichursprünglichkeit von Ich und Frühling, gleich zu Beginn der Selberlebensbeschreibung geschildert, situiert das Ich „außerhalb von Welt, Gesellschaft und Historie in einem natural-idyllischen Bereich“ (191). Seine für ihn charakteristische digressive Schreibweise konturiert, indem sie die Randposition des Ich ausschreitet, „die geheime Geschichte seines Innern“ (192). Der Erfolgsschriftsteller in der fränkischen Provinz treibt ein mutwilliges Spiel mit autobiographischen Topoi, so etwa in seiner in Briefen verfassten KonjekturalBiographie (1798/99), in der ein gewisser Fr. Richter seine noch bevorstehende Lebensgeschichte „treu in poetischen Episteln“ (Jean Paul 1971, 80) mitteilt. Dieser zukünftige Lebenslauf ist eine „Komödienprobe“ (81) auf das konventionelle autobiographische Schreiben; damit liefert Jean Paul bereits einen signifikanten Sonderfall des literarischen Genres. Ein anderer wichtiger Grenzfall ist der zwischen 1785 und 1790 anonym veröffentlichte „psychologische Roman“ Anton Reiser, den Karl Philipp Moritz auszugsweise auch in seinem Magazin für Erfahrungsseelenkunde publiziert hat. Mit
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Lejeune kann er gelesen werden als fiktive Autobiographie (roman autobiogaphique) oder als Selbstbiographie in der dritten Person; man kann sich dieses rhetorischen Mittels bedienen aus Scham oder um den Modellcharakter der erzählten Geschichte zu betonen. „Somit ist die Möglichkeit einer verschleierten Autobiographie oder einer fiktiven Lebensgeschichte gegeben.“ (Esselborn 1995, 72) Der Autor des psychologischen Romans agiert in der Rolle eines sprachmächtigen Seelenarztes und in der eines um seine Selbstentfaltung betrogenen Patienten. So lässt sich die „Spur einer seelischen Katastrophe [verfolgen], die sich in der Spaltung des Autors Moritz in den allwissenden Erzähler und den stummen Helden Anton Reiser zeigt“ (74). Mit literarischen Mitteln und in pädagogischer Absicht konstruiert Moritz eine psychologische Fallgeschichte (vgl. 83). „Reiser ist das negative Beispiel, aus dem Laien und Pädagogen verstehend das richtige Verhalten lernen sollen“ (85). Anders als Goethe legitimiert Moritz seine Autorschaft über eine deformierte Lebensgeschichte; die Autobiographie gerät zur Autorpathographie. Das nähert ihn Rousseau an, der in den Bekenntnissen sein Leben als eigenes Werk inszeniert und so moderne Autorschaft begründet. „Karl Philipp Moritz – er selbst war einer [der] ersten Schriftsteller, die versuchten, Autorschaft als Beruf zu realisieren, indem sie das Schreiben und Publizieren zum Broterwerb machten – führt dagegen seine Romanfigur Anton Reiser als verfehlten Autor vor.“ (Läubli 2014, 19) Das Negativ-Problematische der Selbsterforschung rückt in der Gegenwart stärker in den Vordergrund und liefert eine willkommene Rechtfertigung der Autorschaft.
3 Neue Entwürfe Diente die Autobiographie im 18. Jahrhundert vor allem der Aufklärung des Individuums über sich selbst und stand im Zeichen der Emanzipation, so dokumentieren die Autobiographien im 20. Jahrhundert deren Grenzen bzw. deren Dialektik, d. h. sie handeln entweder von einem verzweifelten Behauptungswillen des Ich oder aber vom Zerbrechen seines Spiegelbildes und vom sukzessiven Verschwinden des Ich. Die unterschiedlichen Bedrohungen des reflektierenden Selbst führen auch dazu, alternative Formen autobiographischen Schreibens zu erkunden. Wichtigster Dreh- und Angelpunkt dieser kontrastierenden Gegenüberstellung ist Friedrich Nietzsche. Seine Autobiographie Ecce Homo. Wie man wird, was man ist (1889) greift parodierend den genealogischen Ansatz auf und zwingt schon im Titel das Exemplarische und das Außerordentliche zusammen. In paradoxaler Wendung wird hier jemand angekündigt, der die Umwertung der Werte vollzogen hat und deshalb als mustergültig apostrophiert wird. Im Vorwort,
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das er mit seiner Unterschrift beglaubigt, stellt Nietzsche die autobiographische Leitfrage „Wer bin ich?“, die er mit Verweis auf seine Schriften beantwortet. In Abschnitt drei nimmt er dann eine Re-Lektüre der als Zeugen seiner Existenz aufgerufenen Bücher vor und unter dem karikierend großsprecherisch wirkenden Zwischentitel „Warum ich so gute Bücher schreibe“ expliziert er das Leben des Autors als „Summe seiner eigenen Schriften […]. Ein solches Verständnis der Autobio-graphie schneidet das im Begriff enthaltene ‚auto‘, das ‚Selbst‘, tatsächlich von der Person ab, die ‚hinter‘ dem Werk stehen würde: Das ‚Selbst‘ verweist so nicht mehr auf den Autor, sondern allein auf den Autor-Namen als Stellvertreter der in seinen Schriften enthaltenen Diskurse.“ (Langer 2014, 328) In Abschnitt vier – „Warum ich ein Schicksal bin“ – hat sich die Autobiographie quasi selbst eingeholt; diesen letzten Teil von Ecce Homo unterzeichnet Nietzsche mit der kryptischen Formel „Dionysos gegen den Gekreuzigten“. Seine literarischen Ichfigurationen greifen hier auf historische Vorprägungen zurück, während er vorher mit Zarathustra auf den Verkünder eines zukünftigen Menschen vorausweist. Eine solche aporetische Gegensatzspannung ist für Ecce Homo charakteristisch. Sie hängt zusammen mit den erkenntnistheoretischen Grundannahmen – Nietzsches Perspektivismus und der daraus folgenden Pluralität des Ich –, die er in Abschnitt eins noch einmal zusammenfassend erläutert hat, und die er in Abschnitt zwei durch Klugheitsregeln ergänzt, die im Hinblick auf die Gesundheit von Leib und Leben formuliert werden. Eine Besonderheit von Ecce Homo – auch sie paradoxal – liegt darin, dass Nietzsche gleich nach seinem Vorwort den Leserbezug aufkündigt: „Und so erzähle ich mir mein Leben“ (Nietzsche 1980 [1889], 263); damit stellt er die Autobiographie auf Medien des Hörens um (vgl. Derrida 1984). Dieses pathetisch angekündigte einsame Selbstgespräch markiert einen Diskurswechsel. Vom „Verschwinden eines Archivs der Innerlichkeit“ spricht Manfred Schneider (1986, 7) in seiner Studie Die erkaltete Herzensschrift, in der er neben Prousts Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit auch Benjamins Berliner Kindheit um Neunzehnhundert, Sartres Die Wörter und Leirisʼ Die Spielregel untersucht. Neben der „Unerkennbarkeit der Person“ in Prousts Epos (49) weist Schneider bei Benjamin das „autobiographische Inkognito“ (105) nach. Neue Gedächtnismedien – Photographie (Proust), Telefon (Benjamin), Kino (Sartre), Schallplatte (Leiris) – lösen die Schrift ab, obwohl der Wunsch und die Ermächtigung zu schreiben an Textualität gebunden bleibt [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Deshalb liest Harald Neumeyer (2004) autobiographisches Schreiben im 20. Jahrhundert – er untersucht Sartre, Bernhard und de Bruyn – als Herkunftsund Begründungsgeschichte der eigenen Autorschaft. Es sind nicht zuletzt die poetologischen Reflexionen, die die Selbstbiographien in Moderne und Postmoderne charakterisieren. Die Geschichte der eigenen Person wird überschrieben,
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der Discours (die unterschiedlichen Formen literarischer Selbsterkundung) tritt in den Vordergrund und deshalb stehen einer Bilanzierung von Verlusten auch vielfältige Innovationen gegenüber, d. h. die Geschichte des Genres zeigt sich als Transformation autobiographischer Schreibweisen. Autorschaft und Autobiographie unterliegen sowohl einem kulturhistorischen als auch einem mediengeschichtlichen Wandel (vgl. Stüssel 2006). „Das Konzept der Automedialität eröffnet die Möglichkeit, die Autobiographie nicht bloß als literarisches Genre, sondern als kulturelle und mediale Praxis zu begreifen.“ (Dünne und Moser 2008, 14) Dieser Ansatz trägt dem „Konstruktcharakter individueller und kollektiver Identitäten“ (12) Rechnung und fokussiert auf den „apparativen Charakter der Medien“ (11). Notwendigerweise ist der Auto(r)biograph auf solche Selbsttechniken angewiesen. Er kann Tagebuch schreiben – prominente Beispiele wären hier Samuel Pepys (1633–1703), Georg Christoph Lichtenberg (1747–1799) oder auch Ernst Jünger (1895–1998) –, aber auch andere Medien ins Spiel bringen, in denen sich das Spannungsverhältnis von Dokumentation und Innovation auf je spezifische Weise fortsetzt. Für das 20. Jahrhundert ließe sich hier etwa denken an Frida Kahlos Gemaltes Tagebuch (1995) oder auch an Charlotte Salomons Leben oder Theater? Ein autobiographisches Singspiel in 769 Bildern (1981). Für weitere zukünftige interdisziplinäre Forschungen ist außerdem die Wechselwirkung zwischen Automedialität und Wissenschaft wichtig (vgl. Dünne 2008). Hilfreich für eine vorläufige Ordnung der neuen literarischen Entwürfe der Autobiographie, die zum einen anknüpfen an das Aufrichtigkeitspostulat der Bekenntnisse und zum anderen an die schriftliche Rekonstruktion des eigenen Lebens durch Erinnerung, ist Jean-Francois Lyotards Unterscheidung zwischen Moderne und Postmoderne, denn so lässt sich ein nostalgischer Blick zurück einem experimentellen Zugriff gegenüber stellen; im Weiteren folge ich diesem Orientierungsmodell. Als typisches Beispiel für eine die verlorene Ganzheit betrauernde Moderne nennt Lyotard (1990 [1986]) den Romanzyklus A la Recherche du Temps perdu, der wegen seines programmatischen Titels immer wieder auch als moderne Form der Autobiographie gelesen wurde, denn Proust thematisiert hier die Erinnerung und ihre poetische Übersetzung (Madelaine-Episode) und stößt bei seiner literarischen Erforschung auf die Wandelbarkeit und Mehrdeutigkeit menschlicher Gefühle sowie die Parallelität von sinnlicher Wahrnehmung und seelischer Empfindung. Zur experimentierfreudigen Avantgarde rechnet Lyotard demgegenüber das Werk von James Joyce, denn der Unterschied zwischen Moderne und Postmoderne wird markiert durch die „Differenz zwischen Trauer und Wagnis“ (Lyotard 1990 [1986], 46). Auf dem Feld der Autobiographien – davon handelt Lyotard nicht – stehen Gertrude Steins (1933) Innovationen Virginia Woolfs (1976) melancholisch gefärbten Skizzen der Vergangenheit gegenüber.
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Bei der Suche nach neuen Darstellungsmöglichkeiten für das eigentlich nicht darstellbare autobiographische Ich impliziert Lyotards Zuordnung von Moderne und Postmoderne keine ästhetische oder moralische Wertung oder Abfolge, sondern er plädiert dafür, Unterschiede herauszustellen: „[…] aktivieren wir die Differenzen“ (Lyotard 1990 [1986], 48).
Bilanzierung von Verlusten Für Virginia Woolf ist die Autobiographie ein Sonderfall der Biographie, ein literarisches Genre, mit dem sie sich wiederholt beschäftigt hat: theoretisch in The New Biography (1927) und The Art of Biography (1939) und praktisch in Orlando (1928) und in Flush (1933), der Geschichte eines Hundes. In A Sketch of the Past (verfasst 1939–1940) charakterisiert Virginia Woolf (2012 [1976]) den Prozess der Erinnerung als produktiven Zusammenhang von Leben und Schreiben, sie gibt sich also Rechenschaft über ihre Kreativität und ihre ästhetische Erfahrung. Die notwendig fortbestehende Differenz zwischen schreibendem und beschriebenem Ich – I now, I then – kann nur in seltenen Augenblicken, den moments of being (den Epiphanien Prousts vergleichbaren Augenblicken des Seins) aufgehoben werden. Die Alltagsexistenz erscheint demgegenüber seltsam distanziert – wie in Watte gepackt – und entzieht sich so einer strukturierten Beschreibung; deshalb beginnt Woolf mit einzelnen Skizzen und belässt es dabei (vgl. Wenner 1998; Hilmes 2000, 70–90). Auch das autobiographische Projekt Walter Benjamins verzichtet auf den notwendig erfolglosen Versuch einer Rekonstruktion des eigenen Lebens. In Berliner Kindheit um Neunzehnhundert (verfasst 1932–1939) wendet er sich vom chronologischen Erzählen ab und ordnet die auf kurze Episoden verdichteten Lebensbruchstücke topographisch (vgl. Hilmes 2000, 227–264). War die Berliner Chronik (verfasst 1931–1932) noch auf eine Poetologie der Erinnerung ausgerichtet (vgl. Lemke 2008 [2005]), die nicht nur die Befunde verzeichnet, sondern auch die Orte des Findens berücksichtigt, stellt die Berliner Kindheit die Unverfügbarkeit des Erlebten aus; Benjamin will nun den Augenblick des Schreibens festhalten – ein unmögliches Unterfangen. Als Mikrographien bezeichnet Giuriato (2006) diese Poetologie des Schreibens, in dem das Leben durch ein Auslassungszeichen ersetzt ist: „Die Auto’biographie [sic] ist […] stets auf der Suche nach sich selbst“ (Giuriato 2006, 91); Manuela Günter (1996) hatte von der Anatomie des Anti-Subjekts gesprochen und Bernhard Greiner (1993) hatte die akustische Maske des Ich hervorgehoben; „Denk-Figuren einer entzogenen Nähe und einer bannenden Ferne“ stellt Eva Axer (2012, 161) heraus [vgl. den Artikel Autor-Masken und -Maskierungen]. Die unterschiedlichen Lesarten von Benjamins Berlin-Büchern ver-
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deutlichen die Abkehr von den konventionellen autobiographischen Modellen; dabei wird nicht nur eine Verlustrechnung vorgelegt, sondern neue Aspekte einer Selbstauslegung geraten ins Blickfeld und die alternativen literarischen Formen bezeugen diesen Wandel. Die Sprachorientierung der Autobiographie, d. h. die Fundierung des Ich in der Schrift, also ein Vorrang der Textualität vor der Referentialität, tritt immer deutlicher zu Tage.
Experiment mit literarischen Formen Hugo Ball, einer der Begründer von DADA 1916 in Zürich, will im Geist der Romantik Kunst und Leben integrieren. Für einen ordnenden Rückblick auf die eigene Geschichte wählt er die literarische Form des Tagebuches, in dem er das eigene Leben auf die Legenden mittelalterlicher Heiliger und das Studium des Byzantinischen Christentums hin orientiert. Die Flucht aus der Zeit (1927) ist ein Spätwerk (vgl. Kühlmann 2013), in dem Ball das Verhältnis von Kunst, Literatur und Philosophie diskutiert, wobei es ihm um „die Wiedergeburt der Gesellschaft aus der Vereinigung aller artistischen Mittel und Mächte“ (Ball 1992 [1927], 17) geht. Ganz im Stil der Avantgarde ordnet er nach einer Magie der Unterbrechung (vgl. Hilmes 2000, 167–204); seine Rechtfertigungsschrift bleibt ein polyphones Buch, das die Gegensatzspannung von Leben und Schreiben nicht harmonisieren kann. Die Autorität des Autors führte allerdings dazu, die einschlägigen Passagen in Die Flucht aus der Zeit als authentisches Zeugnis des Dadaismus zu lesen. Balls wirkungsästhetisch gut aufbereitete Inszenierung der Ereignisse in Zürich wurde traditionsbildend. Ein furioses Verwirrspiel mit der eigenen Person, das zwischen Dokumentation und Fiktionalisierung schwankt, betreibt Fernando Pessoa. Im Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares (geschrieben zwischen 1929 und 1934) entwirft er skizzenhaft die eigene Biographie, die ein bewusstes Sich-Verkennen propagiert und so die Subjektposition ihrer Substantialität und Zentralität beraubt. Pessoas Metaphern des Ich sind von einer abgründigen Vieldeutigkeit, denn das Fingieren begleitet ihn ‚wie ein Schatten‘, womit auf Peter Schlemihl angespielt und die literarische Figur als autobiographisches alter ego entworfen wird (vgl. Hilmes 2000, 265–288). Eine solche Verdopplung des Ich führt zur weiteren Aufspaltung und Vervielfältigung, die die Konturen des Ich in der Welt der Lettern verschwinden lässt. Bernardo Soares ist ein Halbheteronym des Autors, dem ein Manuskript mit Bruchstücken einer Biographie zugespielt wird, wie ein Vorwort erläutert. Publiziert wurde alles posthum, die Ordnung der einzelnen Texte ist fragwürdig. Die deutsche Übersetzung ist gekürzt und neuerlich reorganisiert, was die allmähliche Entstehung und Veränderung der Auto(r)biogra-
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phie beim Editieren veranschaulicht [vgl. den Artikel Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘]. Bis zur ausdrücklichen Fiktionalisierung ist es da nur noch ein kleiner, aber entscheidender Schritt, denn Pessoa verschreibt sich einer paradoxalen „ethopoietischen Selbstformung“ (Dünne 2004, 176).
Dialogische Autobiographien Als (unmittelbare) Form der Literatur aus dem Leben gilt der Brief; seit dem 18. Jahrhundert ist er Ausdruck des Empfindens [vgl. den Artikel Brief und Autorschaft]. Damals wurden Briefe mit Herzblut geschrieben, was ihre Authentizität verbürgt und eine neue Form der Autorschaft begründet. Briefsammlungen konnten regelrecht zum Ersatz für ein nicht geschriebenes Werk werden, wie etwa bei Rahel Varnhagen, deren Briefe vom Ehemann gesammelt und herausgegeben wurden (vgl. Holdenried 1995). Bettine von Arnim verfolgte eine ähnliche Publikationsstrategie, agiert aber in eigener Sache. Sie sammelte und veröffentlichte ihre Briefwechsel mit Goethe (1835), mit der Dichterin Karoline von Günderrode (1840) und mit dem Bruder Clemens (1844). Ihre als Herausgeberschriften getarnten Briefbücher etablieren sie im Alter von 50 Jahren als Schriftstellerin [vgl. auch den Artikel Weibliche Autorschaft]. Indem sie den Freunden und Angehörigen ein Denkmal setzt, schreibt sie sich in die Literaturgeschichte ein. Ihre Briefbücher – zuweilen auch als Briefromane bezeichnet, da der dokumentarische Wert nicht gesichert ist – betonen den dialogischen Charakter der Autobiographie. Insbesondere im literarisierten Gespräch mit der Freundin, die sie als Widerhall apostrophiert, wird die notwendige Verwiesenheit des Ich auf Andere zur Ausbildung des eigenen Selbstverständnisses deutlich (vgl. Hilmes 1996). Aber es ist nicht nur die Figur des Echos, die so an autobiographischer Bedeutung gewinnt, sondern durch diese Publikation gelingt es Bettine auch, die literaischen Werke der Günderrode, die sie dem Briefwechsel beifügt, im kulturellen Gedächtnis präsent zu halten. Leben und Schreiben, Freundschaft und Autorschaft werden hier auf eine verblüffende, ebenso nachhaltige wie kreative Weise verbunden. Im 20. Jahrhundert spricht Gertrude Stein mit der Stimme der Freundin. The Autobiography of Alice B. Toklas (1933) ist eine konventionell daherkommende Erzählung über das gemeinsame Leben in Paris; entsprechende empörte bis ablehnende Reaktionen der porträtierten Personen finden sich in der AvantgardeZeitschrift Transition (23 (1934/35)). Das Erfolgsbuch ist keine von Toklas geschriebene Selbstbiographie, sondern von Gertrude Stein verfasst; ihre Autorschaft wird am Ende aufgeklärt. Die von der Ich-Erzählerin Alice geäußerte Verehrung bekommt dadurch eine ironische Note, die von den Zeitgenossen als Überheblichkeit gelesen wurde. Als von der Autorin betriebene literarische (und theoretische)
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Auseinandersetzung mit dem Genre der (Auto-)Biographie ist The Autobiography of Alice B. Toklas besonders aufschlussreich, weil sie auf deren widersprüchliche Grundstruktur hinweist: den zentralen Aspekte der Identität, die vom Anderen (in diesem Fall: der Anderen) bestimmt wird, und die Aufrichtigkeitsforderung, die hier durch die geliehene Stimme substituiert wird, ohne dass der dokumentarische Wert der Mitteilung dadurch verliert. Ein im Buch abgedrucktes Foto Man Rays zeigt die beiden Frauen in ihrer Wohnung in der Rue de Fleurus in Paris: die eine vorne im Halbschatten am Schreibtisch, die andere hinten in der Tür vom einfallenden Licht beleuchtet – ein Doppelporträt. Entsprechend hat Shari Benstock (1986, 164) die Autobiographie „double voiced“ genannt. Für Gattungstheoretiker ist das ein kniffliger Fall: weder Autobiographie Steins in der dritten Person noch Biographie von Toklas in der ersten Person. Wir haben es weder mit einer fingierten doppelten Autorschaft zu tun, wie sie Bettine von Arnim in Die Günderode (1840) nahelegt, noch mit einem Verschleiern der wahren Autorschaft. Der Referenzpakt wird nicht aufgekündigt, ein Romanpakt ausdrücklich vermieden. Mit doppelter Stimme wird das Geschehen beglaubigt und wir lesen von einem glücklichen gemeinsamen Leben (vgl. Hilmes 2000, 356–384). Einen ganz speziellen Fall dialogisierter Autobiographie legt Roland Barthes vor. Er spricht über sich selbst und ordnet die einzelnen Einträge alphabetisch, orientiert sich also am System der Schrift, nicht am Leben. Zum Zwecke der Dokumentation fügt er dem Text Bilder hinzu, oder ist auch das nur eine die Genrekonventionen zitierende Geste? Über mich selbst (1978) – der Originaltitel lautet Roland Barthes par Roland Barthes (1975), so die publizistische Gepflogenheit französischer Porträtreihen imitierend – beginnt mit dem Satz: „Tout ceci doit être considéré comme dit par un personnage de roman.“ [All dies muss als etwas betrachtet werden, was von einer Romanperson gesagt wird.] (5). Der französische Text ist in der deutschen Ausgabe handschriftlich wiedergegeben, seine Leseanweisung ist höchst ambivalent: der Romanpakt wird persönlich gewendet, die Materialität der Schrift wird herausgestellt und in dem als Vorwort fungierenden Text, also einer weiteren den Leser lenkenden Einführung, wird auf ein lustvollproduktives Schreiben hingewiesen und beteuert: „eine Biographie gibt es nur von unproduktivem Leben“ (Barthes 1978 [1975], 8). In ihrer rhetorischen Lektüre von Barthes Autobiographie weist Gabriele Schabacher nach, dass Über mich selbst „die Topoi der Autobiographietheorie“ ins Zentrum rückt und sie „als Ort einer Inszenierung der Unentscheidbarkeit von Faktizität und Fiktion präsentiert und genau darin eine Autobiographie identifizierbar macht.“ (2007, 351) Diese rhetorische oder im Falle von Gertrude Steins Autobiography of Alice B. Toklas narratologische (Re-)Inszenierung des Ich diskutiert und restituiert Formeln und Strukturen der postmodernen Auto(r)biographie. In funktionaler Hinsicht bleibt also der Bezug auf Merkmale des Genres weiterhin wichtig (vgl. Holdenried 2009).
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Vielstimmiger Dialog mit der Vergangenheit Das so konstitutive wie widersprüchliche Spannungsverhältnis von Ästhetik und Existenz wird in den autobiographischen Texten der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im 20. Jahrhundert neu vermessen. Neben poetologischen und narratologischen Aspekten rücken Erinnerung und Gedächtnis in den Fokus, wenn es um eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geht, die z. T. als traumatisch empfunden wird und deshalb zu besonderen Formen der literarischen Rechtfertigung herausfordert. Einen traditionell verfahrenden legitimatorischen Rückblick jedenfalls halten die meisten Autoren für nicht mehr angemessen. Unterschiedliche Modelle der Schichtung, Zitation und Montage werden erprobt, eine Fiktionalisierung der Fakten dient dabei der Aufrichtigkeit, einer größtmöglichen, subjektiven Annäherung an Historie. In Kindheitsmuster – 1976 ohne Gattungsbezeichnung erschienen und dann ab der zweiten Auflage als Roman ausgegeben – gliedert Christa Wolf ihren Lebensrückblick in drei Ebenen: als Kind nennt sie sich Nelly (autobiographisches Erzählen in der 3. Person), auf der Reise an den Ort der Kindheit (Landsberg an der Warthe, heute Gorzów Wielkopolski, Polen) führt die Erzählerin einen Dialog mit ihrer Tochter und beim Verfassen der Autobiographie ihrer Kindheit begegnen wir den massiven Schreibproblemen, die eine solche Aufgabe mit sich bringt. Die zeitliche und thematische Staffelung führt zu einem Geflecht unterschiedlicher Erzählebenen und -stile: „[…] der Kindheitskosmos wird lebendig-detailliert beschrieben, die Reise szenisch-diskursiv nachgezeichnet und die Schreibebene monologisch-reflektierend gestaltet.“ (Dahlke 2016, 123). Diese Form des life-writing hat stets den Leser als potentiellen Gesprächspartner im Auge; Wolf geht es um die von ihr sogenannte subjektive Authentizität, d. h. die „[…] Suche nach einer Methode, dieser [komplexen, C.H.] Realität gerecht zu werden“ (Wolf 1990 [1973], 780). Diese besondere ‚Dimension des Autors‘ – so eine alternative Umschreibung ihres Selbstverständnisses als Schriftstellerin – betont dessen Moralität (vgl. 805). Daraus zieht Christa Wolf die Legitimation ihrer Autorschaft. Ein avancierteres Spiel mit dem Genre der Autobiographie treibt Uwe Johnson in Jahrestage (1970, 1971, 1973 und 1983). In diesem Bericht „aus dem Lebens von Gesine Cresspahl“ – so der Untertitel des vierbändigen Werks – führt sich der Autor als professioneller Schreiber seines ins Weibliche transformierten literarischen alter ego Gesine ein, die im Gespräch mit der Tochter Marie ihr Leben rekapituliert und dabei Tonbandaufzeichnungen für später macht („für wenn ich tot bin“). Um den dokumentarischen Charakter dieses Erinnerungsprojekts zu untermauern, gibt Johnson der New York Times und deren täglicher Berichterstattung eine eigene Stimme; Benedikt Jeßing (2000) unterscheidet insgesamt sieben Erzählebenen, bei denen auch Medialität und Materialität differieren.
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Der existentielle Ernst dieses Buches, das autobiographische Topoi (Tagebuch, Gespräch, Lebenserinnerung/Memoiren und die freundliche Hilfe professioneller ‚Aufzeichnungssysteme‘) zitiert, um sie verwandelt in den Roman einzubauen, ist nie bezweifelt worden.
Fiktionalisierung des autobiographischen Paktes Auf der Suche nach dem eigenen Ich lassen sich im 20. Jahrhundert überaus ambivalente Tendenzen beobachten: die Dokumentation und Aktualisierung einerseits, Fiktionalisierung und Distanzierung andererseits. Bei der ästhetischen Selbstbefragung, die sich ganz unterschiedlicher Formen bedienen kann, rückt die sinnstiftende Funktion der Sprache immer stärker in den Fokus, was auch die langen poetologischen Passagen der Auto(r)biographien erklärt. In den letzten Jahrzehnten zeichnet sich verstärkt ein Trend zu Hybridbildungen und zur Metaautobiographie ab (vgl. Nünning 2007 u. 2013; Wagner-Egelhaff 2013), die auch neue Lesetechniken, also ein neues Engagement von den Lesern fordern, was eine gesteigerte Aufmerksamkeit für Rahmungen, Paratexte und andere Spuren sowie intermediale und interkulturelle Aspekte einschließt [vgl. den Artikel Autofiktion]. Alain Robbe-Grillet, prominenter Vertreter des Nouveau Roman, gibt seiner autobiographischen Trilogie die Gattungsbezeichnung „Romanesques“, d. h. ähnlich wie Serge Doubrovsky fiktionalisiert er den Referenzpakt (vgl. Zipfer 2009) [vgl. den Artikel Autofiktion] und lockt die Leser nicht nur in seine Vergangenheit, sondern auch in die Welt seiner zum Teil romantischen, zum Teil sadomasochistischen Phantasien. Le Miroir qui revient (1984) enthält außerdem Passagen zu seiner Geschichte als Schriftsteller; schon im Titel werden autobiographische Topoi aufgerufen (als zerbrochener kehrt der autobiographische Spiegel zurück). In Les derniers jours de Corinth (1994) werden weitere imaginäre, autobiographische Spuren ausgelegt (vgl. Hilmes 1999). Robbe-Grillet verweigert sich jeglicher Kohärenz, so die anagrammatische Umschrift seines literarischen alter ego Henri de Corinth. Nathalie Sarraute scheint zugänglicher zu verfahren, wenn sie ihre Kindheit als Dialog von Ich und Du gestaltet, dabei die Urszene autobiographischen Schreibens ausphantasierend. Ihr „Kampf des Lebens mit der Sprache“, der als performative Form der Selbstsorge gelesen werden kann (vgl. Holstein 2004, 249), löste eine regelrechte Modewelle aus. Auf Enfance (1983) folgt dann der Roman Tu ne t’aime pas (1989), in dem die Autorin die Vielstimmigkeit des Ich literarisch inszeniert (vgl. Hilmes 1995), d. h. die mit dem Genre der Autobiographie verbundenen Probleme – und dabei geht es Sarraute gerade nicht um die narzisstische Selbstbespiegelung – werden in fiktionalisierter Weise diskutiert. Genauigkeit des Hier und Jetzt stellen dabei eine besondere Herausforderung dar.
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In der Form eines Romans rekapituliert Abbas Khider (1973 in Bagdad geboren) seine Lebensgeschichte: eine glückliche Kindheit, die Flucht übers Mittelmeer und sein Leben in Deutschland. Der falsche Inder (2013 [2008]) ist eine als Roman getarnte, also keine richtige Autobiographie (vgl. Jensen und MüllerTamm 2013). Auf der Bahnfahrt von Berlin nach München findet der namenlose Ich-Erzähler ein auf Arabisch verfasstes handschriftliches Manuskript, das die Lebenserinnerungen eines gewissen Rasul Hamid enthält. „Jedes Kapitel ein Anfang und zugleich ein Ende. Jedes eine eigene Einheit und doch unverzichtbarer Teil eines Ganzen. Alles in einem Werk vereint: Roman, Kurzgeschichte, Biografie und Märchen … Das war doch verdammt noch mal meine und nur meine Idee!“ (Khider 2013 [2008], 154) Am Ende des Romans schickt der Ich-Erzähler das gefundene Manuskript als eigenen Text an seinen Verlag. Das ist kein Betrug, sondern ein literarischer Topos: der autobiographische Pakt wird durch die Rahmenerzählung fiktionalisiert, d. h. trotz kleinerer Ungenauigkeiten und vieler Auslassungen bleiben entscheidende Referenzpunkte. Ihre Wunschbiographie als Roman hat auch Felicitas Hoppe geschrieben und wurde dafür mit dem Büchnerpreis geehrt. Hoppe (2012) enthält klare Referenzeffekte (vgl. Krumrey 2014): eine Romanfigur, abgekürzt mit den Siglen „fh“, kommentiert Werke der Autorin. Die von der Protagonistin in der dritten Person erzählte Geschichte ist erfunden – so wie die Autorin gleichen Namens bereits früher mit „echten/wahren Erfindungen“ aufwartete (vgl. Pailer 2015). Es ist ein unverwechselbarer Stil (der ‚Hoppe-Soundʻ), der ihre Texte authentifiziert und so ihre Autorschaft beglaubigt. Der Wikipedia-Eintrag als Prätext (Null-Kapitel) zu Beginn des Romans signalisiert eine aktuelle mit der Selbstbefragung verbundene Dokumentations- und Beglaubigungsstrategie, die auch indiziert, dass in Zeiten globaler Vernetzung neue Formen des Selbstbezugs sowie der Selbstfiktionalisierung möglich werden.
4 Perspektiven Die hermeneutische Tradition der Autobiographie folgte anthropologischen Interessen, was viele Lebensbeichten und -berichte aus dem 18. Jahrhundert belegen. Eine angestrebte authentische Innenansicht sollte idealtypisch ergänzt werden durch eine totalisierende Außensicht (vgl. Moser 2006, 124). Bei Rousseau, Moritz u. a. ist ein Übergang vom religiösen zum juridischen Diskurs zu beobachten, der seinerseits überschrieben wird mit Krankheitsdispositiven. Die behauptete und zu erreichende Zentralstellung des Autors wird zum Spiegel der Subjektkonstruktion, was sich in einer entsprechenden doppelpoligen Metaphorik aus-
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drückt. Eine postmoderne Lektüre der Autobiographie bestreitet die Möglichkeit der Referentialität (vgl. Walter-Jochum 2016). Die schreibende Erforschung des eigenen Ich rekurriert nun nicht mehr auf einen Wesenskern, sondern konstituiert sich im Akt des Schreibens und konstruiert sich intertextuell bzw. intermedial. Das führt zu einer deutlichen Erweiterung des Forschungsfeldes. Die (Auto-)Biographie als literarische Gattung tritt in den Hintergrund gegenüber dem (Auto-) Biographischen als kultureller Praxis (vgl. Moser und Nelles 2006, 9). Was als Dialog mit dem eigenen Ich begann, droht in der Diversität zu verschwinden. Dieser pessimistischen Perspektive steht ein ausdifferenziertes Forschungsinstrumentarium gegenüber, mit dem alte Texte im Hinblick auf Autorschaft und Autobiographie neu gelesen werden können. Grundsätzlich bleibt zu bedenken, dass ein Sprechen über die eigene Geschichte ohne die Anrede eines Anderen nicht möglich ist, wie Judith Butler in Kritik der ethischen Gewalt (2007) ausgeführt hat (vgl. Mayer 2013, 66). Ein entsprechender humanistischer Re-turn, der Um- und Mitwelt stärker beachtet, ist für das Gespräch mit dem/den Anderen und Fremden eine dringliche Aufgabe. Außerdem verschiebt sich dadurch der Fokus der Auto(r)biographie auf den Aspekt der „philosophischen Selbstsorge“ im Sinne einer „Ästhetik der Existenz“ (vgl. Moog-Grünewald 2004, 8). Wie sich ein solcher Dialog im Zeitalter digitaler Medien ausgestaltet, muss noch erforscht werden ebenso wie die veränderten Autorschaftskonzepte angesichts virtueller Selbstdarstellung.
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Pessoa, Fernando (1987 [1982]). Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Übers. von Georg Rudolf Lind. Frankfurt/Main. Proust, Marcel (2017 [1913–1927]). Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Übers. von Eva Rechel-Mertens; revidiert von Luzius Keller. Frankfurt/Main. Robbe-Grillet, Alain (1986 [1984]). Der wiederkehrende Spiegel. Übers. von Andrea Spingler. Frankfurt/Main. Robbe-Grillet, Alain (1997 [1994]). Corinthes letzte Tage. Übers. von Andrea Spingler. Frankfurt/ Main. Rousseau, Jean-Jacques (1981 [1782, 1789]). Die Bekenntnisse. Übers. von Alfred Semerau. München. Salomon, Charlotte (1981). Leben oder Theater? Ein autobiographisches Singspiel in 769 Bildern. Mit einer Einleitung von Judith Herzberg. Köln. Sarraute, Nathalie (1984 [1983]). Kindheit. Übers. von Elmar Tophoven. Köln. Sarraute, Nathalie (1992 [1989]). Du liebst dich nicht. Übers. von Erika Tophoven. Köln. Schabacher, Gabriele (2007). Topik der Referenz. Theorie der Autobiographie, die Funktion der ‚Gattung‘ und Roland Barthes’ „Über mich selbst“. Würzburg. Schneider, Manfred (1986). Die erkaltete Herzensschrift. Der autobiographische Text im 20. Jahrhundert. München. Schulze, Winfried (Hrsg.) (1996). Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Berlin. Stein, Gertrude (1988 [1933]). Autobiographie von Alice B. Toklas. Übers. von Elisabeth Schnack. Zürich. Stüssel, Kerstin (2006). „Autorschaft und Autobiographik im kultur- und mediengeschichtlichen Wandel“. Autobiographisches Schreiben in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bd. 1: Grenzen der Identität und der Fiktionalität. Hrsg. von Ulrich Breuer und Beatrice Sandberg. München: 19–33. Trilling, Lionel (1981): Das Ende der Aufrichtigkeit. Übers. von Henning Ritter. München. Wagner-Egelhaaff, Martina (2005 [2000]). Autobiographie. Stuttgart, Weimar. Wagner-Egelhaaff, Martina (2006). „Autofiktion oder: Autobiographie nach der Autobiographie. Goethe – Barthes – Özdamar“. Autobiographisches Schreiben in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bd. 1. Grenzen der Identität und der Fiktionalität. Hrsg. von Ulrich Breuer und Beatrice Sandberg. München: 353–368. Wagner-Egelhaaff, Martina (2013). Auto(r)fiktion: literarische Verfahren der Selbstkonstruktion. Bielefeld. Walter-Jochum, Robert (2016). Autobiografietheorie in der Postmoderne. Subjektivität in Texten von Johann Wolfgang Goethe, Thomas Bernhard, Josef Winkler, Thomas Glavinic und Paul Auster. Bielefeld. Watson, Julia (2001). „Autoethnography“. Life-Writing. Autobiographical and Biographical Forms. Bd. 1. Hrsg. von Margaretta Jolly. London, Chicago: 83–86. Wenner, Claudia (1998). Moments of Being. Zur Psychologie des Augenblicks. Frankfurt/ Main. Wiedner, Saskia (2013). „Theorie der Autobiographie im 20. und 21. Jahrhundert“. Theorien der Literatur. Grundlagen und Perspektiven. Bd. 6. Hrsg. von Günter Butzer und Hubert Zapf. Tübingen: 77–99. Wittgenstein, Ludwig (2003 [1953]). Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/Main. Wolf, Christa (2000 [1976]). „Kindheitsmuster“. Werke. Bd. 5. München.
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Weiterführende Literatur Arnold, Sonja u.a. Stephanie Catani, Anita Gröger, Christoph Jürgensen, Klaus Schenk und Martina Wagner-Egelhaaf (Hrsg.) (2018). Sich selbst erzählen. Autobiographie – Autofiktion – Autorschaft. Deutscher Germanistentag 25., 2016, Bayreuth. Kiel. Depkat, Volker und Wolfram Pyta (Hrsg.) (2017). Autobiographie zwischen Text und Quelle. Berlin. Erben, Dietrich und Tobias Zervosen (Hrsg.) (2018). Das eigene Leben als ästhetische Fiktion. Autobiographie und Professionsgeschichte. Bielefeld. Heinze, Carsten und Alfred Hornung (Hrsg.) (2013). Medialisierungsformen des (Auto-) Biografischen. München. Klein, Christian (Hrsg.) (2009). Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien. Stuttgart. Kupczynska, Kalina und Jadwiga Kita-Huber (Hrsg.) (2019). Autobiografie intermedial. Fallstudien zur Literatur und zum Comic. Bielefeld. Krumrey, Birgitta (2015). Der Autor in seinem Text. Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur als (post-)postmodernes Phänomen. Göttingen. Pottbeckers, Jörg (2017). Der Autor als Held. Autofiktionale Inszenierungsstrategien in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Würzburg. Stauf, Renate und Christian Wiebe (Hrsg.) (2020). Erschriebenes Leben. Autobiographische Zeugnisse von Marc Aurel bis Knausgård. Heidelberg. Röhnert, Jan (Hrsg.) (2014). Autobiographie und Krieg: Ästhetik, Autofiktion und Erinnerungskultur seit 1914. Heidelberg. Wagner-Egelhaaff, Martina (Hrsg.) (2019). Handbook of autobiography/autofiction. Volume 1: Theory and Concepts; Volume 2: History; Volume 3: Exemplary texts. Berlin.
Claudia Gronemann
III.2.2 Autofiktion Zur Entstehung und Fortschreibung eines Textmodells mit Autorbezug Der Neologismus Autofiktion wird 1977 von Serge Doubrovsky (1928–2017) geprägt und in der Literaturwissenschaft gemeinhin auf ein Schreibmodell bezogen, das widersprüchliche Elemente wie die Namensidentität von Autor, Erzähler und Figur mit der Gattungsbezeichnung Roman kombiniert. Folglich wird das Modell der Fiktion hier jenseits von Gattungskonventionen mit dem autobiographischen Selbstbezug eines schreibenden Subjekts verknüpft. Der Begriff ist in literaturwissenschaftlichen Debatten ausgesprochen präsent, was auch mit der Erweiterung des Konzepts und seiner Übertragung aus der französischen Literatur auf andere, nichtromanische Literaturen zu tun hat. Derzeit erlebt er innerhalb der Germanistik, aber nicht nur dort, eine Konjunktur (u. a. Kraus 2013; Kreknin 2014; Krumrey 2015; Pellin und Weber 2012; Pottbeckers 2017; Schülke 2014; Wagner-Egelhaaf 2013). Er verweist im engeren Sinne auf das von Doubrovsky entworfene Schreibmodell und wurde in der seit den 1980er Jahren in Frankreich geführten Debatte deutlich erweitert (Grell 2014, 13–14). Die deutsche, später auch die europäische Frankoromanistik hat ihn aufgegriffen, weitergehend konzipiert und auf ein breites Textkorpus angewendet. Inzwischen wird der Terminus vorrangig für Erscheinungen der medialen und intermedialen Selbst- und Autorinszenierung gebraucht (vgl. Weiser und Ott 2013) [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Schon in der französischen Diskussion wurde autofiktionales Schreiben ganz unterschiedlich bewertet: es galt als Skandalon und gattungstheoretische Provokation, wurde als Teilbereich des Fiktionalen oder postmoderne Form betrachtet. Wer bereits der literarischen Autobiographie [vgl. den Artikel Auto(r)biographie] skeptisch gegenübersteht, sieht auch in der Autofiktion ein Übel, sogar „le plus mauvais des mauvais genres“ ([das Schlechteste unter den schlechten Genres], so fasst Jacques Lecarme 1993, 233 den Befund zusammen). Der Vorwurf einer narzisstischen Literatur lässt ebenso wenig auf sich warten wie der Gedanke, es handle sich bloß um ein Etikett. Andere wiederum betrachten autofiction als nationale Besonderheit („une spécialité bien trop française“ ([eine allzu französische Spezialität], Burgelin 2010, 7; ebenso Vilain 2010) und sehen dagegen ihr Potential. Letzteres scheint sich zu bewahrheiten, insofern der Begriff zunehmend für Texte außerhalb des französischen Literaturbetriebs fruchtbar gemacht wird. Inzwischen wurde er auf englischsprachige Autoren (u. a. Cohn 1999; Schmitt https://doi.org/10.1515/9783110297065-010
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2008) übertragen und in die spanische/lateinamerikanische (Alberca 2007; Toro et al. 2010) sowie die italienische Literatur (Ott 2013; Jacobi 2016) eingeführt. Autofiktion hat ihren festen Platz im Literaturbetrieb und in der akademischen Lehre gefunden, der Neologismus taucht sogar in der Alltagssprache auf und ist in die Encyclopedia Universalis ebenso eingegangen wie die französischen Lexika Robert und Larousse („Autobiographie empruntant les formes narratives de la fiction“, [Autobiographie, die narrative Formen der Fiktion nutzt]). In einem kaum mehr überschaubaren Feld lassen sich mindestens drei Tendenzen ausmachen: das konsistente, mangels Übersetzung außerhalb der Französistik weitgehend unbekannte Doubrovsky’sche Modell, dessen unspezifisch breite Verwendung im französischen Kultur- und Medienkontext und eine weltweite Aneignung, Um- und Fortschreibung der Autofiktion als Ausdruck vielfältiger intermedialer künstlerischer Praktiken verbunden mit Medienwechseln und neuartigen Inszenierungsformen des Autors im Literaturbetrieb (Beispiele hierzu in: Grell 2014, 81–106). Aktuell wäre zudem zu fragen, ob autofiktionale Prinzipien in Texten von Annie Ernaux, Didier Eribon oder Edouard Louis ihre Fortsetzung finden, die die eigene Wirklichkeit nunmehr mit soziologischem Anspruch ausloten.
1 Theorie und Praxis der autofiction bei Serge Doubrovsky Der französische Autor und Literaturprofessor Serge Doubrovsky hatte den Begriff autofiction 1977 auf dem Buchumschlag seines Romans Fils geprägt. Dort liefert er auch – wie sich später herausstellen wird – die erste Definition für ein neuartiges literarisches Phänomen, das im Anschluss zum Gegenstand anhaltender Kontroversen werden wird: „Autobiographie? Non, c’est un privilège réservé aux importants de ce monde, au soir de leur vie, et dans un beau style. Fiction, d’événements et de faits strictement réels ; si l’on veut, autofiction, d’avoir confié le langage d’une aventure à l’aventure du langage, hors sagesse et hors syntaxe du roman, traditionnel ou nouveau“ [Autobiographie? Nein, das ist ein Privileg, reserviert für die Großen der Welt, am Ende ihres Lebens und in gutem Stil. Als Fiktion von strikt realen Ereignissen und Fakten bedeutet Autofiktion, wenn man so will, die Sprache des Abenteuers zu einem Abenteuer der Sprache zu machen, jenseits von Konvention und Syntax des Romans, sei er neu oder traditionell] (Doubrovsky 1977, Buchumschlag). Mit diesen Worten kommentiert Doubrovsky seinen Text, der auf 469 Seiten einen Tag im Leben des Literaturprofessors Julien Serge Doubrovsky schildert und explizit biographische Erfahrungen und Reflexionen verarbeitet. Gleichwohl sieht der Autobiograph darin ein Scheitern des
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Zugangs zum eigenen Selbst, denn dem Schreibenden tritt das Ich hier als fremdes und brüchiges entgegen, der eigene Text erscheint ihm wie ein Roman. Die Ausgangsfrage ist, ob eine wahrhaftige Selbstdarstellung, verbunden mit der Verwendung des Eigennamens, zugleich als Roman firmieren kann. Philippe Lejeune (1994 [1973], 30) schließt eine solche Kombination aus, denn sein Modell sieht in der Namensidentität eine eindeutige Signatur, verbunden mit der Absicht von Seiten des Autors, der Identität von Autor-Erzähler-Protagonist gerecht zu werden: „Der Leser kann die Ähnlichkeit bekritteln, aber niemals die Identität“, so Lejeune (1994 [1973], 27). Dies nennt er den autobiographischen Pakt, den er vom Romanpakt abgrenzt und als einen Vertrag versteht, der in jedem Fall „die Haltung des Lesers bestimmt“ (28), unabhängig von der konkreten Ausgestaltung. Das Kästchen, in dem Namensidentität und Romanpakt verknüpft sind, bleibt in seinem Modell leer, ist nicht existent, woraufhin Doubrovsky ihm brieflich mitteilt: „j’ai voulu remplir très profondément cette ‚case‘ que votre analyse lassait vide, et c’est un véritable désir qui a soudainement lié votre texte critique et ce que j’étais en train d’écrire, sinon à l‘aveuglette, au moins dans une demi-obscurité“ [ich wollte das Feld, das Ihre Analyse offen ließ, unbedingt ausfüllen, und plötzlich verband ein echtes Bedürfnis Ihren literaturwissenschaftlichen Text mit dem, was ich zufällig oder zumindest nur halb bewusst, im Begriff war zu schreiben] (zit. in Lejeune 1993, 6). Doubrovsky war unbeabsichtigt auf eine Leerstelle im Gattungsbewusstsein gestoßen und begann Ende der 1970er Jahre sein eigenes Schreiben genauer zu reflektieren (Doubrovsky 1979; 1980; 1991; 1993). Er stellt es einerseits in den Kontext der Psychoanalyse sowie der poststrukturalen Sprach- und Subjektkritik (Jacques Lacan), markiert aber mit Jean-Jacques Rousseau, Marcel Proust (zur Proustschen Prägung Jacobi 2016, 81–142) und der „antistrukturalistisch exponierte[n] Figur Sartre“ (Keller 2001), sein „Lehrmeister“ des Denkens (Doubrovsky 2011, 339), auch entscheidende literarische und philosophische Bezugspunkte. Anders als Lejeune geht es ihm dabei nie um bloße Gattungsfragen, sondern um eine Erklärung für die Spezifik seines Schreibens, die er in der Beziehung von „Autobiographie, Wahrheit und Psychoanalyse“ findet und in seinem gleichnamigen Essay (1980) vorstellt. Er setzt hier seine Überlegungen aus dem Vorjahr zur Übertragung sprachlicher Verfahren aus der Psychoanalyse in die Literatur fort. Im Unterschied zum Prozess der Transkription des analytischen Gesprächs, bei dem der Psychotherapeut „am Rand des Textes“ agiert (wie bei Michel Leiris oder Marie Cardinal, vgl. Doubrovsky 1980, 93), zielt der Autor auf die vollständige Verlagerung von Analyse und Wahrheitssuche in den Text, d. h. er überantwortet sie der symbolischen Ordnung: „L’autofiction, c’est la fiction que j’ai décidé, en tant qu’écrivain, de me donner de moi-même et par moi-même, en y incorporant, au sens plein du terme, l’expérience de l’analyse, non point seulement dans la thé-
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matique, mais dans la production du texte“ [Die Autofiktion ist jene Fiktion, die ich als Schriftsteller entschieden habe von mir selbst und durch mich zu entwerfen, indem ich – im wahrsten Sinne des Wortes – die Erfahrung meiner Analyse einbeziehe, und zwar keineswegs nur thematisch, sondern bei der Produktion des Textes] (Doubrovsky 1980, 96). Die Perspektive des Anderen verkörpert hier nicht mehr der Analytiker, sondern mit dem Eintritt in die symbolische Ordnung wird das Subjekt im Sinne Lacans dezentriert: die Phantasmen des ‚Patienten‘ Doubrovsky werden in der Schrift real (vgl. Doubrovsky 1980, 91). Im Unterschied zu anderen Formen des psychoanalytischen Erzählens handelt es sich hierbei nicht um ein Autorsubjekt, das sich selbst „analysiert und therapiert“ (Weiser 2008, 46). Das Subjekt bleibt mit der Sprache und dem analytischen Prozess verwoben, es wird nicht von seinen Neurosen geheilt, wie Doubrovsky auch noch in seinem letzten Buch festhält (2011, 337), sondern findet im Schreiben und Gelesen-Werden den Ausweg: „Je n’écris pas pour moi, mais pour un éventuel et nécessaire lecteur. C’est vrai, je raconte tout ce qui fait ma vie, à tous les niveaux, mais pour la partager avec un autre“ [Ich schreibe nicht für mich, sondern für einen potenziellen und notwendigen Leser. Es ist wahr, ich erzähle all das, was mein Leben ausmacht, auf allen Ebenen, aber um es mit jemand anderem zu teilen] (Doubrovsky 2011, 338). Der Ich-Erzähler im Roman Fils schildert in ausführlicher Weise einen Traum, der zugleich Gegenstand einer Sitzung des in den USA ansässigen Doubrovsky mit dem Psychoanalytiker Robert Akeret war. Die eigentliche Traumdeutung rückt im Sinne der literarischen Selbstanalyse ins Zentrum des Buches und spaltet die Wahrnehmung des Erzählers in eine Zeit vor und nach der ‚Wahrheit‘ („l’avant de la vérité“/“l’après-vérité“, Doubrovsky 1980, 88). Das 160-seitige Kapitel Rêves (Doubrovsky 1977, 131–189) verschriftet nicht nur Teile von Doubrovskys eigener Analyse, es wird selbst zum Ort der Traumdeutung und somit „Schlachtfeld des Wahren“ (Doubrovsky 1980, 88). Der Erzähler nähert sich seinen Verdrängungen und Urängsten, der Holocausterfahrung ebenso wie dem Verlust der Mutter (le fils im Singular bedeutet Sohn) und den von der engen Mutterbindung ausgelösten erotischen Phantasien, welche sich in der geträumten Niederlage gegen ein phantastisches Meeresungetüm manifestieren. Das letzte Kapitel von Fils widmet sich schließlich unter der Überschrift Chaire (Lehrstuhl) dem nachmittäglichen Seminar des Literaturprofessors Doubrovsky über Jean Racines Phèdre, in dem er Parallelen zwischen sich und dem tragischen Helden Hippolyte zieht. Diese eröffnen ihm eine neue Sichtweise auf das eigene Selbst, das er nun im Bild des unschuldigen Hippolyte und dessen unbändigem Kampf gegen das Monster reflektiert. Doubrovsky verknüpft in diesem Kapitel noch einmal alle Gedankenund Handlungsstränge (im Sinne von Fäden, les fils) und modelliert sie nach dem klassischen Modell der Tragödie. Authentische Erfahrungen, wahre Ereignisse,
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Erinnerungen, Reflexionen und Phantasmen (vgl. Doubrovsky 1980, 89) werden auf 24 Stunden verdichtet und als Fiktion markiert, denn in derartiger Formung haben sie nicht stattgefunden: „une histoire qui, quelle que soit l’accumulation des références et leur exactitude, n’a jamais ‚eu lieu‘ dans la ‚réalité‘“ [eine Geschichte, die – wie zahlreich und exakt auch immer ihre Referenzen sind, in der ‚Realität‘ niemals ‚stattgefunden hat‘] (Doubrovsky 1980, 93). Vielmehr hat die Literatur die Funktion der Analyse übernommen, sie mit eigenen Mitteln fortgesetzt und sogar ersetzt: „le texte se referme sur elle et la phagocyte“ [der Text schließt sich über ihr und umklammert sie wie ein Phagozyt] (Doubrovsky 1980, 95), indem er das im Unbewussten Verschüttete über die Schrift zum Autor sprechen lässt. Wie Jutta Weiser unter Bezug auf Lacan herausarbeitet, diktiert hier die Schrift das Reale und führt zum traumatischen Kern, den das Subjekt umkreist und zugleich auch abwehrt (vgl. Weiser 2015, 164–166). Doubrovskys assoziative Schreibweise, geprägt von Assonanzen, Paronomasien, Alliterationen, fehlender Interpunktion, syntaktischen und typographischen Brüchen, bewerkstelligt dies exemplarisch. Sie erschließt den Traum als Symptom und verleiht seinen Bedeutungen eine sprachliche Form. Somit fußt die ‚Wahrheit‘ des autofiktionalen Ich nicht auf Selbsterkenntnis im Sinne eines außersprachlichen Subjekts, sondern ist mit der Konstitution dieses Ich – durch Verfahren der Psychoanalyse, Semiologie und Dekonstruktion (Weiser 2008) – im psychosemiologischen Prozess des Schreibens verbunden: „Le sens d’une vie n’existe nulle part, n’existe pas. Il n’est pas à découvrir, mais à inventer, non de toutes pièces, mais de toutes traces: il est à construire. Telle est bien la ‚construction‘analytique : fingere, ‚donner forme’, fiction, que le sujet s’incorpore“ [Der Sinn eines Lebens existiert nirgendwo, er existiert nicht. Er ist nicht aufzudecken, sondern zu erfinden, nicht völlig frei, sondern anhand all der Spuren ist er zu konstruieren. Genau das ist die analytische ‚Konstruktion‘: fingere, ‚Form geben‘, eine Fiktion, die sich das Subjekt dann einverleibt] (Doubrovsky 1980, 96). Serge Doubrovskys autofiction ist somit eine literarische Praxis der konsequenten Selbstanalyse, sie speist sich aus der biographischen Erfahrung, wirkt zurück auf das eigene Leben, reflektiert aber zugleich den Text als „fiktives Implantat“ (Doubrovsky 1980, 96) der im Schreiben zugleich bewältigten Existenz. Somit erscheint die Autofiktion zwar gemessen an Gattungskonventionen als widersprüchlich, ihre innere Logik entfaltet sie jedoch in Bezug auf die ihr zugrundeliegende veränderte Epistemologie des Subjekts. Denn wenn Ichbildung und sprachlicher Prozess nicht mehr trennbar sind, wie es der Gedanke einer unverwechselbaren Identität des klassischen Autobiographen unterstellt, wird der Anspruch auf Intentionalität und Autonomie des Subjekts obsolet. Doubrovsky zählt daher zum Typus jener neuen Autobiographen, die – während sie sich ihrer Subjektivität sprachlich zu vergewissern suchen (vgl.
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Finck 1995, 286) – diese im Medium einer Sprache hervorbringen, die ihnen als das Andere entgegentritt. Ein solches Subjekt im Sinne Lacans wird mit dem Eintritt in die symbolische Ordnung der Sprache dezentriert, so dass „seine selbstgesprochene Botschaft ihm in der fremden Gestalt einer ihm vom Ort des Anderen aus zugesprochenen Nachricht zurückkommt“ (Frank 1989 [1980], 337). Doubrovskys Autofiktionen verweisen somit auf eine Literatur, die das autobiographische Subjekt als ein sprachlich verfasstes begreift und an seinem genuinen Ort, der nicht verifizierbaren oder über einen Leserpakt zu domestizierenden Schrift sichtbar macht: als Fiktion [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität].
2 Theoretische Debatten und Positionierungen Doubrovskys Begriffsprägung war wie erwähnt nicht mit einer theoretischen Absicht verbunden, sondern Ergebnis eines Wortspiels, abgedruckt auf dem Buchumschlag von Fils. Autofiction verweist dort auf die Problematik von Autobiographie und Roman und wird zugleich narzisstisch-autoerotisch konnotiert (autofriction). Erstmals findet sich der Begriff jedoch in einer erst im Jahr 2014 veröffentlichten Passage des Manuskripts von Fils, unter Anspielung auf automobile. Der Erzähler steigt nach einer aufwühlenden Analysesitzung ins Auto und macht sich Notizen, die er sogleich mit seinem Schreibort assoziiert: „si j’écris dans ma voiture mon autobiographie sera mon AUTO-FICTION“ [wenn ich in meinem Auto schreibe, dann wird meine Autobiographie AUTO-FIKTION sein] (Doubrovsky 2014, 1059. Hervorhebung im Original). Anders als es diese poetische, in den psychoanalytischen Prozess eingebundene Wortschöpfung Doubrovskys suggeriert, wird der Begriff in der folgenden literaturwissenschaftlichen Debatte in Frankreich beinahe ausschließlich unter Gattungsgesichtspunkten thematisiert. Von Beginn an prägt Philippe Lejeune als Theoretiker des autobiographischen Paktes die Diskussion, wobei er autofiktionales Schreiben aus dem psychoanalytischen Zusammenhang löst und dem Modell aufgrund der bewusst gewählten ‚Unentscheidbarkeit‘ unterstellt, eine temporäre Schreibform mit Tendenz zum Übergang in die eine oder andere Gattung zu sein. Während die Autofiktion gemeinhin als ein mit der Autobiographie verknüpftes und auf sie rekurrierendes Phänomen neueren Datums wahrgenommen wird, tendiert sie Lejeune zufolge zum autobiographischen Roman und stellt einen Avatar dieses Genres dar, wie Gasparini es in seiner Zusammenfassung verschiedener Schriften Lejeunes (1975–1991) ausdrückt (vgl. Gasparini 2008, 69–80). In der Konsequenz ging Lejeune in seiner Monographie Moi aussi (1986) so weit, dem Schriftsteller Doubrovsky das ethische Motiv der Wahrheits-
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suche abzusprechen: „Doubrovsky est certainement de la race des romanciers et non de celle des autobiographes, à la Leiris, hanté par un souci éthique de la vérité“ [Doubrovsky gehört mit Sicherheit zum Stamme der Romanciers und nicht zu dem der Autobiographen, die wie Leiris von der Ethik der Wahrheitssuche angetrieben sind] (Lejeune 1986, 68). Für Lejeune ist es undenkbar, einen autobiographischen Anspruch mit einer Fiktionsbehauptung zu verbinden, weil er deren Funktion innerhalb der neuen Autobiographik, die Umschreibung für ein nicht mehr greifbares Ich zu sein, verkennt. Sein Ansatz der Vereindeutigung des oszillierenden Charakters der Autofiktion geht daher, wie Jeannelle konstatiert, am Grundproblem der Autofiktion vorbei: „Réfléchir en termes d’ambiguïté, ainsi que Philippe Lejeune le faisait dans ‚Le pacte autobiographique‘, conduisait à supposer qu’un texte est factuel ou fictionnel, et que son statut reste ambigu faute de renseignements suffisants, mais qu’un complément d’informations peut suffire à le faire passer d’un côté ou de l’autre de la frontière“ [Die Verwendung des Begriffes der Uneindeutigkeit wie bei Philippe Lejeune in Der autobiographische Pakt führt zu der Annahme, dass jeder Text faktuell oder fiktional ist und lediglich aus Mangel an Kenntnis seiner Merkmale mehrdeutig erscheint; ein bloßer Zusatz an Informationen könne somit ausreichen, um ihn dies- oder jenseits der Grenze zu verorten] (Jeannelle 2007, 28). Anders als Lejeune fokussiert der französische Literaturwissenschaftler Vincent Colonna die Autofiktion ohne eine Historisierung ihrer Entstehung als übergreifende Kategorie zur Fiktionalität und integriert – im Gegensatz zu Doubrovsky – jede Art von intentionaler Selbstfiktionalisierung: „L’autofiction, elle, est une pratique qui utilise le dispositif de la fictionnalisation auctoriale pour des raisons qui ne sont pas autobiographiques“ [Die Autofiktion selbst ist als eine Praxis zu verstehen, die das Dispositiv der auktorialen Fiktionalisierung jenseits autobiographischer Motive verwendet] (Colonna, Manuskript 1989, 390; vgl. Colonna 2004). Er bezieht das Konzept auf die Literaturgeschichte und analysiert Dante, Cervantes, Proust bis hin zu Borges. Kern seiner – mit dem Modell Doubrovskys unvereinbaren – Definition ist die Idee einer literarischen Erfindung der eigenen Persönlichkeit, einer (zweiten) fiktionalen Existenz des Autors (Colonna 1989, 34), etwa dann, wenn Borges seinen Namen für Figuren seiner Fiktion verwendet und sie mit einem Autorbezug ausstattet, ohne sie aus ihrer Welt herauszulösen. Ihre Faktualität betrachtet er, wie es noch in der Epoche vor dem Aufstieg der Autobiographie zur literarischen Gattung der Fall war, als einen ästhetischen „Mangel“. In ähnlicher Weise leitet auch dessen Lehrer Gérard Genette aus dem Neologismus ein eigenwilliges Konzept ab, das Doubrovskys Texte explizit ausschließt. Die Autofiktion gründe darauf, dass Biographisches und Ich-Fiktion sichtbar abweichen (Schaefer 2008, 309), was bei Doubrovsky bekanntlich nicht der Fall ist.
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In der Tradition der Genette’schen Überlegungen zur Fiktionalität stehen eine Reihe anderer Betrachtungen, die den hybriden Charakter der Autofiktion jedoch positiver bewerten. So gelangt Frank Zipfel zu der Erkenntnis, dass gerade im Widerstreit des autofiktionalen Modells – er subsumiert hierunter drei verschiedene Varianten – ihre besondere Qualität liegt, insofern sie die Grenzen des Literarischen als solche sichtbar mache (Zipfel 2009, 311). Die Autofiktion wird hier nicht ausgehend von den Prämissen ihres Begründers – Psychoanalyse, Existenzialismus und Sprachskepsis – beleuchtet, sondern hinsichtlich der dabei entstandenen hybriden Struktur, welche grundsätzliche Überlegungen bezüglich der Grenzen von Literatur auslöst. So fragt auch Christina Schaefer nach der Einordnung und dem „systematischen Ort der Autofiktion im Spektrum fiktionaler und faktualer Texte“ (Schaefer 2008, 299), wobei sie ihre Textanalyse zu Patrick Modiano und Alain Robbe-Grillet mit dem Plädoyer für die Anerkennung der Autofiktion als eigenständigem Genre im Gattungsgefüge (Schaefer 2008, 300) abschließt. Während Lejeune versuchte, das Widersprüchliche als Markenkern der Autofiktion aufzuheben, nutzt Schaefer ein Argument der französischen Schriftstellerin Marie Darrieussecq (1996), die die Unentscheidbarkeit der Autofiktion im Sinne eines doppelten Paktes interpretiert und darin nicht die Aufhebung von Genrekategorien, sondern vielmehr ein neues Gattungsmuster erkennt (vgl. Schaefer 2008, 309, 311). So ist festzuhalten, dass die zahlreichen, an Typologien und Formalia orientierten Stimmen der Diskussion nicht grundsätzlich Kritik am Modell der Autofiktion üben, sondern auch produktive und innovative Aspekte darin erkennen. Schon zuvor in den frühen 1990er Jahren hatte Jacques Lecarme die Autofiktion gegen den allgemeinen Trend ihrer Abwertung verteidigt und als eine Erneuerung des autobiographischen Schreibens betrachtet, womit er der von Lejeune geprägten Debatte eine neue Richtung gab. Seine „défense et illustration de ce genre“ [Verteidigung und Illustration dieses Genres] (so Lecarme 1995, 43 über seinen Beitrag aus dem Jahr 1993) trug in den frühen 1990er Jahren entscheidend dazu bei, dass die Autofiktion nicht nur als Ausdruck eines literarhistorischen Verfalls wahrgenommen wurde, sondern ihre eigentliche Stoßrichtung erkannt wurde. Lecarme zufolge ist es Doubrovskys großes Verdienst, dass er assoziative Darstellungstechniken zu wesentlichen Modi der Selbstäußerung aufwertet, „comme le rêve freudien, par déplacements et condensation“ [wie in der Freudʼschen Traumarbeit, durch Verschiebung und Verdichtung] (Lecarme 1993, 248). Allerdings erkauft Lecarme (1995, 50) die Wertschätzung der Autofiktion um den Preis, sie wiederum an überzeitlichen Kategorien auszurichten: so erscheinen ihm „fiktionale Residuen“ schon immer Bestandteil des Lebens und der Lebensgeschichte gewesen zu sein, was auf die Spezifik der Autofiktion allerdings nicht zutrifft, weil sie auf einen gewandelten Fiktionsbegriff rekurriert (vgl. Lecarme 1995, 50).
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Ähnlich positiv sieht auch Burgelin (2010, 11) gerade die Ambivalenz der Autofiktion, die er als „effet propulseur“ [Antrieb] der Literaturentwicklung begreift. Er erinnert an die Geschichte des Romans, der selbst lange Zeit als verfemtes Genre galt, bis er schließlich in den Rang der Literatur aufstieg. Burgelin historisiert die Gattungsgrenzen, die er als „fausses sécurités des frontières“ [falsche Sicherheit suggerierende Grenzen] (Burgelin 2010, 13) versteht und verortet die Autofiktion in einem ideengeschichtlichen Zusammenhang. Erst mit der Einsicht in das Prinzip dezentrierter Formen von Subjektivität (Freud, Lacan) wachse auch das Bedürfnis nach veränderten Darstellungsverfahren. Von dieser Position aus entwickelt sich ein weiterer Zweig der Forschung in Richtung einer subjekttheoretischen Einordnung der Autofiktion in der Folge von poststrukturaler Theoriebildung und historischer Diskursanalyse. Nicht mehr die Frage der Gattung, sondern das gewandelte Verhältnis von Autor, Text und Subjekt steht hier im Zentrum der Reflexion. Autofiktionales Schreiben erscheint als gezielter Bruch mit der Gattungslogik und als autobiographischer Diskurs, der das Referenzielle nicht aus Fakten, sondern im Sinne de Mans (1979) mit Hilfe von rhetorischen Verfahren generiert. Autofiktion ist somit Folge eines grundlegenden Wandels der literarischen Repräsentation von Subjektivität. Anknüpfend an die Perspektiven von Doubrovsky und Lecarme, jedoch verbunden mit einem auf Subjekt- und Sprachkritik gerichteten Fragehorizont, wird die Autofiktion seit Ende der 1990er Jahre mit der internationalen Diskussion um das ‚Ende der Autobiographie‘ und den Beginn einer „neuen Autobiographie“ verknüpft, die sich auf Postulate des Strukturalismus und Poststrukturalismus berief. Den Ausgangspunkt bildet hier nicht mehr die Frage nach der Gattungszugehörigkeit, sondern die nach neuen Repräsentationsformen eines „brüchigen“ Subjekts. Die Autofiktion wird im Anschluss daran als kritische und dekonstruktive Auseinandersetzung mit den Bedingungen der Autobiographie als literarischem Diskurs verstanden. Dies ging einher mit der Historisierung des Genres, das seinen Aufstieg von der Zweckform zur literarischen Form erst spät erlebt und erst Ende des 19. Jahrhunderts überhaupt ins geschichtliche und philologische Bewusstsein tritt. Die Herausbildung eines autobiographischen Gattungsbewusstseins zu Beginn des 20. Jahrhunderts – u. a. mit Georg Mischs monumentaler Geschichte der Autobiographie (1907–1969) – unterstellt ein entwicklungsgeschichtliches Verständnis von Identität, das sich, wie Almut Finck (1995) zeigt, in Goethes Dichtung und Wahrheit paradigmatisch zu verwirklichen schien. Wie ein Organ reife aus dem Keim seiner persönlichen Anlagen auch das Individuum heran und entfalte seine unverwechselbare Identität, die – obgleich sie als Einheit in der Person des Autors bereits außerhalb seines Textes vorliegt – in der poetischen Gestaltung auf einzigartige Weise vermittelt werden kann (Finck 1995, 285). Gattungsgeschichtlich ist somit festzuhalten, dass erst die Einschränkung des Wahrheitsanspruchs
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eine ästhetische Aufwertung autobiographischer Texte zum literarischen Genre ermöglicht hat. Gleichwohl bestand der referenzielle Kern weiterhin darin, dass die literarisch gestaltete Autobiographie stets auf die außertextuelle Persönlichkeit des Autors und dessen unverwechselbare Identität verwies: „Ein derartiges Autobiographieverständnis und ebenso die Diltheyʼsche Ausdruckshermeneutik, auf die es zurückgeht, finden ihre erkenntnistheoretische Begründung zum einen in der Vorstellung des Subjekts als intentionales Bewusstsein und zum anderen in der Auffassung von Sprache als dessen transparentem Ausdrucksmedium“ (Finck 1995, 286). Versteht man die Autofiktion als eine Kritik daran, leuchtet die gezielt eingenommene Zwischenposition als Distanzierung von den Prämissen eines solchen modernen Gattungsbewusstseins ein. Somit ist die Autofiktion außerhalb jener historischen Genealogie zu situieren, die das Autobiographische seit Goethe auf eine einzigartige Entwicklungsgeschichte des Autors gründet [vgl. auch den Artikel Autorschaft und Hermeneutik].
3 Autofiktion im Modell der Autorschaft Autofiktionales Schreiben lässt sich unmittelbar auf das Konzept von Autorschaft beziehen, denn es geht ähnlich der postmodernen Autorkritik einher mit einer Problematisierung des selbstermächtigten Ich, genauer, das Urmodell der autofiction reflektiert den folgenreichen Bruch mit der Autonomie des Autors und stellt das Ich, das die Deutungshoheit über die eigenen Lebenszusammenhänge verloren hat, erzählerisch aus. Während die gattungslogische Unterscheidung von Autobiographie und Roman und auch Lejeunes Modell eines autobiographischen Paktes mit dem Leser voraussetzt, dass eine außertextuelle Instanz den Geltungsanspruch des jeweiligen Textes bestimmt, erkennt sich der Autor in der Autofiktion als ein mit seiner eigenen Schrift und deren symbolischer Dynamik verwobenes, außerhalb der Semiose gar nicht greifbares Subjekt. Betrachtet man die Geschichte literarischer Autorschaft als einen Prozess zunächst der Sakralisierung – der Schriftsteller wird Schöpfer, Urheber und gesellschaftliche Autorität (vgl. Bénichou 1973) – und anschließend der Entmystifizierung, so erscheint die Loslösung von der Idee des Autors als ultimativem Sinngeber eines Werkes auch für die Herausbildung der Autofiktion bestimmend zu sein. Der hier postulierte Fiktionsanspruch weist folglich gar nicht auf den Roman sui generis hin als vielmehr ein Subjekt, das die Verfügungsgewalt über den Akt der Deutung des eigenen Lebens verloren hat. Die Autofiktion bricht im Sinne ihres Erfinders mit dem Modell der Autobiographie, das eine Lebensgeschichte in sinnhaftem Zusammenhang gestaltet: „Allgemein ist
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die Autobiographie gekennzeichnet durch eine einheitliche Perspektive, von der aus ein Leben als Ganzes überschaut, gedeutet und dargestellt ist“, und von der ausgehend „eine sinngebende Verknüpfung einzelner Lebensstationen“ erfolgt (Schweickle 1990, 34). Dieser sinnhafte Lebenszusammenhang, von dem hier die Rede ist, findet seinen Ursprung jedoch nicht im Subjekt des Autors, darauf verweist die Autofiktion mit Nachdruck, sondern wird im sprachlichen Prozess erstellt, d. h. erst im Text formen sich jene diskursiven Modelle von Subjektivität aus, in die sich das Selbst hernach einschreibt. Weder die literarische noch die autobiographische Sinnproduktion, darin liegt ein gemeinsamer Bezugspunkt von Autofiktion und (post)moderner Autorschaft, wird intentional von einer Position außerhalb des Textes gesteuert, vielmehr bringen sie umgekehrt ihren jeweiligen Verfasser zeichenhaft hervor. Der scripteur [„Schreiber“] im Sinne Roland Barthesʼ (2006 [1968], 61) setzt dabei die Worte und „entsteht gleichzeitig mit seinem Text“ (60). Michel Foucault bestimmt den Autor sogar jenseits personaler Kategorien als die Funktion, die einem bestimmten textuellen Dispositiv unserer Kultur eigen ist. Somit hat der Eigenname, auf den sich die Debatten um Autobiographie und Autofiktion vielfach beziehen, seine Referenz nicht in der Person des Autors, sondern charakterisiert „eine bestimmte Erscheinungsweise des Diskurses“ (Foucault 2001 [1969], 1014). Die Besonderheit der autofiction besteht nun gerade darin, dass sie trotz dieser Einschränkung und bewusst gegen die postmoderne Autorposition als Leerstelle gleichzeitig einen wahrhaftigen und dezidiert biographischen Selbstbezug proklamiert. Dies geht aus der genannten Definition Doubrovskys und aus drei Kapiteln seines bekanntesten Buchs, Le Livre brisé [Das zerbrochene Buch] (1989, ausgezeichnet mit dem Prix Médicis) hervor, in denen er seine Nähe zu Sartre und dessen existentialistischem Literaturverständnis artikuliert: „La littérature, c’est aussi une œuvre de chair, ça s’écrit avec sa vie, avec son sang, son existence, en ce sens-là je suis sartrien jusqu’à la moelle […]“ [Auch die Literatur ist aus Fleisch und Blut, man schreibt sie mit seinem Leben, mit dem eigenen Blut, der ganzen Existenz, in diesem Sinne bin ich durch und durch Sartrianer […] (Doubrovsky 1989, 133). Er setzt sich in diesem Text in besonderer Weise mit Fragen von Autorschaft auseinander und führt sie dem Leser anhand der Mitwirkung seiner Ehefrau als Autorin, Leserin, Figur und Erzählerin vor Augen: die Geschichte des Paares Serge – Ilse erscheint hier unter dem Signum der Konkurrenz zwischen intellektueller und biologischer Autorschaft (aufgrund des versagten Kinderwunsches). Das gemeinsame Buch wird schließlich zum „(Ersatz-)Kind“ (Keller 2001, 197) und besiegelt in völlig unerwarteter Weise das Ende ihrer Beziehung: der tragische Tod der Ehefrau markiert zugleich das ‚Zerbrechen‘ eines Buches, das Doubrovsky gleichwohl kurz darauf dem Buchmarkt überantwortet. Er führt darin vor, wie sich der zuversichtlich als roman conjugal [Eheroman] begonnene Text gegen die Intention seines Autors richtet, „der das
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Werk mit dem Kapitel ‚Hymne‘ oder ‚Wiedersehen‘ beenden wollte“, und dabei zur „Chronik eines angekündigten Todes“ wird (Doubrovsky 2004, 126). So untermauert der Anspruch auf Fiktion hier paradoxerweise das Prinzip der Wahrhaftigkeit, denn der Autor stellt den eigenen Kontrollverlust aus und unternimmt einen letzten Versuch, sich dadurch authentisch zu zeigen (Gronemann 2002, 42-82). Doubrovskys letztes Buch, Un homme de passage [Ein Mann/Mensch auf der Durchreise] (2011), basiert auf den bekannten Prinzipien der Autofiktion, diesmal jedoch unter Bezug auf das gefestigte öffentliche Bild des Autors. So wie die Leser Doubrovsky persönlich zu kennen meinen, tritt hier eine Leserin auf den Plan, die ihm schreibt und sich ihm dadurch aufs Engste verbunden fühlt, die scheinbar paradoxerweise eine echte Nähe zu seinem Schrift-Ich entwickelt. Wie im klassischen Briefroman – Doubrovsky beschreibt ihre Korrespondenz als „roman par lettres“ [Briefroman] (Doubrovsky 2011, 476) – kommen sich Autor und Leserin immer näher, so dass man das letzte Kapitel des Romans als Inszenierung von Autor- und Leserfigur deuten kann. Aus einer intensiven Korrespondenz, deren Zeuge der Leser wird, entwickelt sich eine persönliche Beziehung, die schließlich in die Eheschließung des Paares mündet. Folglich initiiert eine im Schreiben geschaffene Figur, nicht der echte Doubrovsky, diese Liaison: „Le personnage que j’ai inventé s’est substitué à ma personne. C’est à lui qu’on s’intéresse, pas à moi. Ce moi-peau, ce moi-chair, ce moi qui va bientôt périr et pourrir. Je suis devenu en écrivant une fiction de moi-même. C’est cette fiction qui intéresse. Moi, je me retrouve seul, clés en main, devant ma porte“ [Die Figur, die ich erfunden habe, hat meine Person ersetzt. Man interessiert sich für sie, nicht für mich. Dieses Ich aus Haut, dieses Ich aus Fleisch und Blut, dieses Ich, das bald sterben und verfaulen wird. Ich bin durch das Schreiben zu einer Fiktion meiner selbst geworden. Diese Fiktion interessiert. Ich selbst stehe ganz allein, den Schlüssel in der Hand, vor meiner Tür] (Doubrovsky 2011, 323). Die Leserin, Partnerin und schließlich Ehefrau „Elisabeth“ wird zum Symbol für die besondere Beziehung des Erzählers zur Leserschaft, der er seine Vorstellung solcherart dialogischer Autorschaft vermittelt. Ihr Erscheinen („APPARITION“ [Erscheinung]) ist sodann mit seinem Verschwinden („DISPARITION“ [Verschwinden] Doubrovsky 2011, 548) verknüpft: in ihr – und allen Lesern – werden Doubrovsky autofiktionale Texte fortleben. Das Beispiel zeigt erneut die Verknüpfung literarischer und medialer Autorinszenierung, die den gemeinsamen Nenner für autofiktionales Schreiben im engen wie im weiten Sinne bildet.
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4 Mediale Praktiken des Selbst und Fiktio nalisierungen des Autors Auto- (und autor-)fiktionales Schreiben ist demzufolge nicht nur als Gattungsparadox oder kritische Auseinandersetzung mit traditionellen Genres wie Autobiographie und Roman zu verstehen, sondern reflektiert zunehmend das Autorsubjekt als Produkt kultureller, medialer und – bezogen auf den Literaturbetrieb – auch institutioneller und ökonomischer Verflechtungen. Den theoretischen Bezugspunkt dieser Schreibweisen bildet zum einen die Frage nach der Grenzüberschreitung zwischen Subjekt- und Medienrealität und andererseits die Zuspitzung auf den Aspekt des öffentlichen Autors auf dem Buchmarkt [vgl. den Artikel Autorschaft und literarischer Markt]. Dieser Bereich wird mehr und mehr mit dem Begriff der Autofiktion assoziiert und kann als eine weitere Etappe der Öffnung und Fortsetzung der Beschäftigung mit dem innovativen Schreibmodell verstanden werden, insofern sich die Autoren und Autorinnen hier vom Schwerpunkt der Selbsterkundung verabschieden und den autofiktionalen Techniken medialer Selbstinszenierung zuwenden (vgl. Weiser 2015). Es geht hier nicht mehr um Introspektion und die Beschäftigung mit der eigenen Biographie als vielmehr eine literarische Reflexion und Exposition der öffentlichen Rolle des Autorsubjekts. Vor allem in Frankreich hat sich hierzu im Anschluss an Bourdieus Studie (1992) zum literarischen Feld ein eigenes Forschungsgebiet etabliert, das nicht um Autofiktion, sondern den Begriff des Autors in Relation zu dessen literarischen (und außerliterarischen) Manifestationen, verstanden als postures littéraires [literarische Positionierungen], kreist (vgl. Meizoz 2007; 2011; 2016; Luneau und Vincent 2010; Pluvinet 2012; Fraisse und Wessler 2014 u. v. a.). Aber auch die deutschsprachige Literatur ist zu einem wichtigen Feld für die Untersuchung medialisierter Formen von Subjektivität und Autorschaft geworden. Autofiktion dient hier jenseits des französischen Denk- und Debattenkontexts als eine fruchtbare Sammelbezeichnung für das literarische Spiel mit Autorfiguren. Es umfasst das Problem des Autorsubjekts im Sinne medienbasierter „Poetiken des Selbst“ bei Rainald Goetz, Joachim Lottmann und Alban Nikolai Herbst (Kreknin 2014) ebenso wie die Inszenierung der Autorfigur als „performatives Auftreten im öffentlichen Raum“ unter Bezug auf festgefügte Rollenbilder (Pottbeckers 2017, 14, 247). In jedem Fall ist mit dem Fokus auf die Bedeutung des öffentlichen Autors eine Erweiterung des Autofiktionskonzeptes zu beobachten, die mit seinem Ursprung nicht gänzlich unvereinbar ist. Gerade bei der Medialisierung des auktorialen Selbst setzen wichtige neue Konzipierungen an, von denen ausgehend sich auch die alte autofiction perspektivieren lässt. Hierzu zählt die virtuelle Praxis von Régine Robins Cybersoi ebenso wie die Analyse von digitalen und televisi-
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ven Diskursen des Selbst (Spear 2010). Eine Systematisierung dieser medialen Dimension von Autofiktion als Weiterentwicklung des alten Modells bietet der Band von Weiser und Ott (2013), der sowohl photographische und filmische Beiträge integriert als auch intermediale Schreibstrategien, bei denen textfremde mediale Konzepte literarisch simuliert werden. Von einem Paradigmenwechsel sprechen Ott und Weiser im Vorwort ihres Bandes dahingehend, dass anstelle der Selbstsuche die Erfindung und Inszenierung des Selbst, genauer noch, eines Selbst in der Rolle des Autors, tritt. Dies resultiert aus den Gesetzen der Medienöffentlichkeit, weil sich das Skandalöse der Autofiktion dort einerseits abgenutzt hat und sich andererseits neue Medien für die Autordarstellung etablieren, die wie Bild- und filmische Medien oder das globale Internet in Konkurrenz zur Literatur treten. So unterhält der französische Romanautor Éric Chevillard seit 2007 ein Online-Tagebuch unter dem ironisierenden Titel L’autofictif, mit dem er anders als Doubrovsky einen neuartigen diaristischen Freiraum assoziiert, nicht verbunden mit der schmerzhaften Selbstsuche, sondern „ces petites écritures absolument libres de toute injonction“ [diesen kleinen Schreibübungen, absolut frei von jeder Anordnung] (Chevillard 2012, 7; vgl. Kiparski 2016). Die Fortschreibung der klassischen (textgebundenen) Autofiktion in neuen medialen Formungen, auch wenn (und indem) sie sich von Doubrovskys Schreibmodell entfernt, verdeutlicht in grundlegender Weise das mit dem Begriff verbundene Problem des Selbstbezugs, d. h. eine medial hervorgebrachte und damit – in Schrift oder neuen Medien – auf ein Äußeres im Sinne symbolischer Dispositive angewiesene Erfahrung von Subjektivität. Damit ist das Prinzip der Autofiktion nicht nur intermedial erweiterbar, wie es die Werke von Marguerite Duras, Hervé Guibert, Abdellah Taïa, Christine Angot oder Frédéric Beigbeder zeigen, sondern kann in neue Medienpraktiken überführt werden. Im Sinne von Automedialität (vgl. Dünne und Moser 2008, 7–16) wäre sie von der Schrift und literarisch tradierter Selbstbezüglichkeit zu lösen und, deutlich weiter gefasst, als Ausdruck von historisch und kulturell bestimmten medialen Techniken der Ichbildung zu verstehen.
5 Fazit Die Autofiktion, so lässt sich festhalten, hat in unvorhersehbarer Weise sowohl als Schreibmodell wie auch als „neues Genre“ Karriere gemacht. Sie reagiert auf Gattungskonventionen und Kritik am klassischen Autorbegriff, wobei sie in grundlegender Weise die sprachliche und mediale Verfasstheit von Subjektivität reflektiert. Dabei wird zunehmend die Frage der öffentlichen Autorrolle einbezogen
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und auf Übergänge zwischen literarischen und nichtliterarischen Diskursen verwiesen. Will man die seit den 1970er Jahren entstandenen vielfältigen Praktiken und Theorien des autofiktionalen Selbstbezugs an einem Schnittpunkt fassen, so könnte dies die Kategorie der Autorschaft sein. Im Barthes’schen Sinne (2006 [1968], 60) besitzt der Autor, wenn man ihn als modernen Schreiber versteht, „keineswegs ein Sein, das vor oder über seinem Schreiben läge, er ist mitnichten das Subjekt, dessen Prädikat sein Buch wäre […]“. Er schafft sich im diskursiven Rahmen neue Formen des eigenen Selbst nicht nur als scripteur [Schreibender], sondern zunehmend auch als Medienakteur.
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Anke Niederbudde
III.2.3 Autor-Masken und -Maskierungen Anthropologische Ansätze, die den Schauspieler als Modell des Menschen wählen, beziehen gerne auch die Maske in ihre Überlegungen mit ein. Dabei geht es im europäischen Kontext nicht um Schauspieler, die tatsächlich Masken tragen, sondern um den Doppelcharakter des Schauspielers, der gleichzeitig sein Gesicht und das Gesicht einer Rollenfigur darstellt, die er auf der Bühne verkörpert. Der Maskenbegriff des neuzeitlichen, westlichen Theaterdiskurses dreht sich weitgehend um eine Maskierung oder ein Maskenspiel auf einer Bühne ohne Masken. Es geht um das ‚Als obʻ des Schauspiels, das der Zuschauer als Realität erfasst. Als Prätext solcher schauspieltheoretischen Überlegungen gilt Denis Diderots posthum veröffentlichte Schrift Paradoxe sur le comédien, deren Kerngedanke darin besteht, dass der Eindruck von Natürlichkeit gerade durch Künstlichkeit und Kalkulation (mithin durch Maskierung) entsteht, wobei hier mit Maske auch die Distanz des Schauspielers zu der Figur, die er spielt, gemeint ist (Diderot 1995 [1830], 43–128). Setzt man dieses Modell als anthropologisches an, wie etwa bei Helmuth Plessner geschehen („Zur Anthropologie des Schauspielers“, Plessner 1948), ist der Schauspieler ein in sich selbst gespaltener Mensch und gleichzeitig das ideale Bild für das „Anders-sein-können“ des Menschen (Pilgram 2010, 163). Gemeinsam ist den anthropologischen und den schauspieltheoretischen Ansätzen im europäischen Kontext, dass sie Maske ohne Maske verhandeln. Letztlich geht es um einen metaphorischen Maskenbegriff, der jedoch vom Theater und seinem konkreten Maskenspiel nicht zu trennen ist. Die Maske ist in der europäischen Kultur ein Begriff mit einer ambivalenten Bedeutungsstruktur. Der Hintergrund des problematischen Verhältnisses zu diesem Gegenstand zeigt sich sowohl in der Begriffs- als auch in der Theatergeschichte. In der christlichen Kultur der Spätantike und des Mittelalters findet eine Abwertung der (antiken) Maske (und des Theaters) statt, gleichzeitig verschiebt sich die Bedeutung des lateinischen Wortes für Maske persona. Aus der Maske wird die Person. Für den Maskengegenstand wird ein neues Wort – maschera – (offensichtlich aus dem Arabischen ins Italienische und von dort in fast alle europäischen Sprachen) eingeführt. In der Neuzeit etabliert sich dann die Maske als Gegenkonzept zu Person und Gesicht und wird im übertragenen Sinne vor allem mit negativen Konnotationen verwendet (Maske als Täuschung, Betrug, Verstellung, vgl. Weihe 2004, 190–216). In der Zeit des 18. Jahrhunderts, als Diderot seinen Text über die Paradoxie des Schauspielers schrieb, konkurrierte die aufkommende Gefühlskultur mit einer Maskenkultur, die vor allem den französischen Hof prägte (Fischer-Lichte 1999 [1990], 187–248). Das Ideal der https://doi.org/10.1515/9783110297065-011
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Authentizität, welches mit dem natürlichen Gesicht, nicht mit der künstlichen Maske sympathisierte, forderte sowohl die Maskenkultur des französischen Hofadels als auch die englische Tradition der Sincerity heraus (vgl. Trilling 1972). Das Theater gilt als Ausgangspunkt, von dem aus die Maske sowohl in die Literatur als auch in unterschiedliche Wissenschaften wandert. In Soziologie, Psychologie und Gendertheorie ist sie bis heute häufig anzutreffen. In die Psychologie führte Carl Gustav Jung den Begriff Persona als „Maske der Kollektivpsyche“ ein. Er beschreibt sie als „eine Maske, die Individualität vortäuscht, die Anderen und Einem selbst glauben macht, man sei individuell, während es doch nur eine gespielte Rolle ist, in der die Kollektivpsyche spricht“ (Jung 1950 [1928], 64). In der Soziologie hat die Rollentheorie des 20. Jahrhunderts Bezüge zur Maske (Dahrendorf 1967 [1959]), der Begriff fand aber auch über die ‚Charaktermaske‘ Einzug in die politische und wissenschaftliche Diskussion. Karl Marx bezeichnete damit eine „Form, in der Individuen durch ihre Einordnung in spezifische Herrschaftsverhältnisse zueinander positioniert und gegeneinander charakterisiert sind“ (Haug 1995, 144; vgl. Marx 1962 [1890], 91–92). In der Gendertheorie entwickelte sich der (dekonstruktivistische) Antiessentialismus seit den 1990er Jahren in kritischer Auseinandersetzung mit der psychoanalytischen Theorie weiblicher Maskerade (Butler 1990, 55–73). Die Genderforschung betont die künstliche Konstruiertheit von Geschlecht, hinter der sich kein „natürliches“ Geschlecht verbirgt. Geschlechteridentität ist letztlich nichts weiter als eine „Maske“ (Garber 1992, Benthien 2003) [vgl. den Artikel Weibliche Autorschaft]. Die positiven und negativen Konnotationen des Begriffs (Verwandlung vs. Täuschung vs. Schutz) hängen mit der Geschichte, aber auch mit den unterschiedlichen Funktionen der Maske zusammen. Die verschiedenen Maskenarten und –traditionen (Theatermaske, Totenmaske, Karnevalsmaske, höfische Maske) tragen zur Pluralität des Maskenbegriffs bei. Für die folgende Darstellung ist vor allem die übertragene Bedeutung des Begriffs relevant. Mit Maske und Maskierung eines Autors werden Prozesse der Täuschung, Inszenierung, Mystifizierung beschrieben, welche in Texten, Paratexten, Präsentationen (etwa auch durch Porträts und Fotografien) erfolgen können. Maske ist aber auch mit Selbstreferentialität verbunden, insbesondere wenn Autoren – in Bestätigung oder Problematisierung des eignen Subjekts – auf Maskenmotive zurückgreifen. In der Literaturwissenschaft geht es außerdem (implizit und explizit) dort um Masken, wo das Verhältnis von Autor und Text beschrieben werden soll. Im Folgenden werden sechs spezifische Forschungsstränge und die ihnen zugrundeliegenden Fragestellungen dargestellt, in denen Maske und Autor in der Literaturwissenschaft zusammentreffen.
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1 Persona-Konzeptionen Eine Auseinandersetzung mit der Maske in der Literatur beginnt mit der persona, dem lateinischen Begriff für Maske, der gleichzeitig aber auch die Rolle bezeichnet (Fuhrmann 1989). Für die Geschichte der persona in der Literaturwissenschaft ist vor allem die unmittelbare Verbindung des Begriffs zum antiken Drama und zur Rhetorik von Bedeutung. Die rhetorische Ausbildung wird bei Dichtern der Antike (insbesondere Ovid) als Hintergrund für die Erschaffung unterschiedlicher personae und dem Spiel mit der Doppelung im lyrischen Werk gesehen (Davis 1989, 3; Gust 2009, 11). Die Persona-Maske bringt neben der Doppelung auch die Distanz zwischen dem Autor und dem Ich im antiken Text zum Ausdruck. Nach heutiger Ansicht leitet sich das lateinische Wort persona von einer etruskischen Bezeichnung für einen Erdgott (Persu) her (Weihe 2004, 181). Bei Autoren der römischen Antike selbst – aber auch später in der deutschen Romantik (z. B. im Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm (1984 [1889]), 1561) – findet man die schein-etymologische Herleitung des Substantivs persona vom Verbum personare (hindurchtönen). Demnach ist die Maske (die Ich-persona) gleichsam ein Sprachrohr (der Götter bzw. der Muse). Die Hauptfelder der heutigen persona-Theorie, die eine unmittelbare Verbindung zwischen der Antike und der Neuzeit herstellt, sind die Lyrik- und die Satireforschung. Letztere geht vom rhetorischen und dramatischen Charakter der römischen Verssatire aus. Ansatzpunkt ist hier nicht nur das Verbergen, sondern auch die Konstruktion eines Sprechers und seine Positionierung zur Welt. Die Intention und Strategie des Satirikers im Text sind von der des Autors zu trennen. Für die Satire ist Glaubwürdigkeit des Ichs besonders wichtig, außerdem wird – entsprechend der römischen Vorstellung von persona als Rolle im Gesellschaftsleben – im satirischen Text die persona mit Blick auf das Publikum als öffentliche Rolle entworfen (Debailly 2012, 150–163; Keane 2010, 109–111; Elliott 1982). Obwohl sich die Bedeutung des persona-Begriffes im Mittelalter ändert, wird auch für die Literatur dieser Zeit vom Konstruktionscharakter der lyrischen personae (sei es in der Minnedichtung oder der Sangspruchdichtung, Lauer 2008, 30–31) ausgegangen. In Anknüpfung an antike Schriftsteller (Ovid, Vergil) setzt sich die personae-Dichtung in der frühen Neuzeit fort (Gust 2009; Laird 2010, 154). Zur Beschreibung des Ichs in lyrischen Texten des 16.–18. Jahrhunderts, in denen die Personen als Rollenträger entworfen werden, finden sich in der Literaturtheorie sowohl die alte persona als auch die Maske (Schäferrollen oder orientalische Rollen – vgl. das Kapitel „Masken“ bei Killy 1972, 129–153). Beide Begriffe bezeichnen in diesem Kontext auch die Aneignung einer fremden (vergangenen oder entfernten) Kultur durch den Dichter.
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Die antonymische Gegenüberstellung von Gesicht und Maske, die letztere mit negativen Konnotationen wie Verstellung und Täuschung verbindet (vgl. oben), führte zu einer Abwertung der Maske im europäischen Kulturraum. Das MaskenKonzept in der Literatur des 19. Jahrhunderts löst sich von der Maske-personaKorrelation und greift die Schein/Sein-Dichotomie von Maske vs. Gesicht auf. Diese Verschiebung macht eine Verbindung des Maskenbegriffs mit dem Ich im lyrischen Text problematisch, zumal mit Blick auf Vorstellung, dass gerade im Gedicht etwas Authentisches zum Ausdruck gebracht werden soll.
2 Autoreflexive Masken und Spiegelungen Ausgehend von der Schein/Sein-Antonymie greifen im 19. Jahrhundert Dichter verstärkt auf Maskenmotive zur Problematisierung des Ichs (des Dichters) zurück. Die Instabilität der Identität, die die Maske anzeigt, kann dabei nicht nur als Problem, sondern auch als Möglichkeit begriffen werden. Die große Menge an Forschungsliteratur zum Thema Maske in der Literatur belegt, wie viele Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts ambivalente Modelle des Ich am Beispiel der Maske entwickelten (vgl. Müller 2013; Hüls 2013,102–124; Gould 2013; Soboleva 2007, Weihe 2004, 85–87; Vivarelli 1998; Behler 1997, 250–275). Dabei interessieren sich gerade die Dichter der Moderne auch für das mystische und mythologische Potential der Maske, die als Verbindung zu einer transzendenten Realität gilt. Daneben wird die Maske mit der (anonymen) Gesellschaft verbunden, von der sich das Ich des Dichters abgrenzen will. Im Werk von Friedrich Nietzsche zeigt sich das ambivalente Verhältnis seiner Zeit zur Maske: Hier findet sich ein gesellschaftskritischer Moment, der eine negative mit einer positiven Maskenkonnotation verbindet (Täuschung/Schutz). Demnach wird der „tiefe Geist“ („Alles, was tief ist, liebt die Maske.“ Nietzsche 1988 [1886], 57 [§ 40]) von der Gesellschaft gezwungen, sich eine Maske anzulegen, um sich vor der (gesichtslosen und somit ebenfalls maskenhaften) Masse zu schützen (zur Maske bei Nietzsche siehe Müller 2013; Hüls 2013; Vivarelli 1998). Sowohl in der Dichtungspraxis als auch in autopoetischen Texten des frühen 20. Jahrhunderts gewinnt die Vorstellung einer Multiplizierung des Ichs in eine Vielzahl von Masken in der Dichtung an Bedeutung [vgl. den Artikel Autofiktion]. Beispielhaft vertreten sind beide Richtungen im Werk von William Butler Yeats und Ezra Pounds, die als moderne Vertreter der persona-Konzeption gelten (Stendel 2003, 142–159; Wright 1960). Aufgrund der Loslösung der Maske vom personaBegriff ist es bei ihnen die „impersonale“ Dichtung, in der das Bild des Dichters als Maskenträger sich entfaltet (Irmscher 1992, 63). Das Grundkonzept der Dop-
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pelung des Ichs ist aus der Perspektive der Autoren/Dichter in der Moderne (und mehr noch der Postmoderne) ein Auseinanderfallen zwischen literarischem und erlebendem Subjekt, eine Problematik, die von Jorge Luis Borges in dem poetischautobiographischen Text Borges y yo [Borges und Ich] als Identifikationsproblem auf den Punkt gebracht wird (Borges (2009 [1960], 221; Charpa 1985, 156) [vgl. die Artikel Auto(r)biographie und Autofiktion]. Neben lyrischen Texten gewinnen Prosatexte, die einen fiktiven Autor konstituieren, in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung. Unabhängig von der grundsätzlichen Problematik der Abgrenzung des realen vom fiktiven Autor und Erzähler im narratologischen Text wird die Maske mit der Selbstreflexion des Erzählers über das Ich in Erzähltexte getragen. Als zwei Beispiele dafür können Rainer Maria Rilkes Roman Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910) und Yukimo Mishimas Kamen no kokuhaku [Geständnis einer Maske] (1949) angeführt werden. In Rilkes Roman reflektiert das erzählende Ich, dessen fragmentarische Buchstückhaftigkeit in der Textstruktur eine Entsprechung findet, nicht nur über die Gesichter, die jeder Mensch wie eine Maske abträgt (Rilke 1973 [1910], 9–10). Der Erzähler ruft auch ein weit zurückliegendes Kindheitserlebnis in Erinnerung, als er vor dem Spiegel in fremde Rollen schlüpfte, bevor ihm nach dem Anlegen einer Maske die Kontrolle über sein Spiegelbild entglitt (Rilke 1973 [1910], 101–102). In Mishimas Roman gibt die Maske im Titel die Leserichtung vor: Die Problematik des (autobiographischen) Erzählens als Maskieren und Demaskieren, aber auch die Suche nach sozialer und sexueller Identität, die im Roman gezeigt wird, sind zentrale Maskenthemen und –verfahren, die in der japanischen Tradition mit ihren außerordentlichen Maskenkulturen in Theater und Kult einen viel zentraleren Stellenwert haben, als im europäischen Kontext. Schließlich konstatiert der Erzähler des Romans das Verwachsensein des eigenen Ichs mit der Maske, aus der es kein Entrinnen gibt: „Meine Maske, so sagte ich mir selbst, hatte schließlich aufgehört Maske zu sein, weil sie Bestandteil meines Wesens geworden war.“ (Mishima 1964 [1949], 96) Die Verdoppelung des Gesichts über die Maske findet sich in Texten, die selbst als Maske/Maskierung eines Ichs dem Leser entgegentreten, aber auch die Verdoppelung des Gesichts im Spiegel gehört in den Kontext gerade selbstreflexiver Fragen nach dem Selbst. Lacans Spiegelstadium nähert sich denselben Problemen aus entwicklungspsychologischer Sicht (Lacan 1966 [1949]). Auch beim Spiegel geht es nicht nur um Verdoppelung (des Gesichts), sondern auch um Konstruktion eines Ichs und um Täuschung: Identität in der Verdoppelung ist illusionär und immer eine konstruierte Einheit.
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3 Autor und Maske in der Narratologie In der Lyriktheorie hat die persona einen festen Platz. Durch die Wandlung des Begriffs (von persona zu person/Person) ist der Zusammenhang mit der ursprünglichen Maske selbst maskiert worden, die persona verweist aber auf die künstliche Gemachtheit des Ichs im poetischen Text. Insbesondere bei den Autoren, die selbst mit Maskenmotiven, Doppelgängern, Spiegeln und anderen Figuren der Doppelung arbeiten, ist eine solche Behandlung naheliegend (für russische Beispiele vgl. Soboleva 2007; Masing-Delic 1973; Gölz 2000; Gölz 2001). In Prosatexten ist das Auftauchen fiktiver Autoren der Punkt, an dem nach der Beziehung des konkreten Autors zum Autor im Text gefragt wird. In der Narratologie hat sich eine Fülle von Ansätzen für dieses Problem der Abgrenzung entwickelt, hinter denen mehr oder weniger deutlich eine Konzeption der Maske verborgen ist. Besonders offensichtlich ist dies in narratologischen Arbeiten des russischen Formalismus. Dessen wesentliches Anliegen war die Abgrenzung von biographischen Ansätzen in der Literaturwissenschaft. In den Arbeiten der 1920er Jahre wird gerade der Maskenbegriff zur expliziten Verneinung einer biographischen Identität zwischen Autor und Text eingesetzt (Veldhues 2003, 278). Die Maske taucht allerdings zunächst zur Bezeichnung von Verfahren der Personencharakterisierung und -entwicklung auf (so bei Tynjanov zu Nikolaj Gogol’s Erzählungen, Tynjanov 1977 [1919/21]). Die zentralen Arbeiten zu Maske und Autorschaft stammen von Il’ja Gruzdev, einem Wissenschaftler aus dem Umfeld der Formalisten (Hansen-Löve 1996 [1978], 276–278; Gölz 2009a, 194; Gölz 2009b, 188). In zwei Aufsätzen (1921, 1922), in denen Gruzdev an Tynjanovs Arbeiten anknüpft, fragt er, wie im narrativen Text die Illusion einer echten Stimme (und damit gleichsam ein „Autorgesicht“ oder eine „Autorperson“ [beides mögliche Übersetzungen des von ihm verwendeten russischen Begriffs avtorskoe lico]) entsteht. Der Titel des Aufsatzes „Gesicht und Maske“ (Lico i maska) geht von der Antonymie beider Begriffe und der mit ihnen verbundenen Opposition Wahrheit/Lüge (Authentizität und Künstlichkeit) aus. In der Kunst sind unmittelbare Gefühls- und Gedankenäußerungen unmöglich, denn das Material präsentiert sich hier nicht direkt. Die Gedanken des Autors können aus dem literarischen Text nur durch die Form (wie durch ein Prisma) gebrochen nach außen dringen. Eine „‚unmaskierte‘ Ehrlichkeit“ [„‚nemaskirovannuju‘ čestnost‘“] (Gruzdev 1973 [1922], 209, Gruzdev 1987 [1922], 261) gibt es lediglich in der Tendenzliteratur, die für Gruzdev keine Kunst ist. Umgekehrt liegt es im Wesen der Maske und der Kunst zu täuschen, so dass eine solche Maske die beste ist, die unsichtbar (d. h. selbst maskiert) ist. Gruzdev geht in seinem Text verschiedene Erzählverfahren durch, mit denen die Illusion von Authentizität einer Sprecherinstanz im Text erzeugt wird. Es
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handelt sich dabei um Erzählverfahren, durch die die Sprache im Erzähltext eine Autor- bzw. Erzählerfiktion schafft (Gölz 2009a, 196; Veldhues 2003, 278–302). Es ist bezeichnend, dass Gruzdev mit der Masken-Metapher bei der Behandlung der Illusion eines fiktiven Erzählers die Welt des Theaters als Veranschaulichungsbeispiel wählt. Am Doppelwesen des Schauspielers und der Maske (Darsteller und dargestellte Person) lässt sich nämlich besonders deutlich der Zusammenfall und die gleichzeitige Differenz von Rolle und Person vor Augen führen. Die Welt auf der Bühne ist immer eine illusionäre, auch wenn der Schauspieler noch so überzeugend spielt. „Das Theater braucht eine oszillierende, das heißt bald entstehende, bald verschwindende Illusion“ („Teatru nužna mercajuščaja, to estʼ to voznikajuščaja, to isčezajuščaja illjuzija“), stellt Šklovskij in Die psychologische Rampe [Psichologičeskaja rampa] (Šklovskij 1923, 78) fest. Das Spiel mit der Illusion lässt sich als Spiel mit Entblößung und Maskierung beschreiben. Mit der Einführung der Masken-Metapher in die narratologischen Überlegungen verbindet Gruzdev Frage nach den Illusionsverfahren des Erzählens mit einer Bildlichkeit der Performanzkunstform: wer die doppelte Natur der Bühnenwelt nicht verstanden hat, kennt das Wesen der Kunst nicht (vgl. Gruzdev 1973 [1922], 208) [vgl. auch den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten]. In Bezug auf den literarischen Text stellt sich der zweischichtige Charakter der Kunst entsprechend dar: Die Schaffung einer Erzählerfigur im Text wird von Gruzdev an einer Stelle metaphorisch als Maskierung des Autors umschrieben: er „trägt Schminke auf“ [„grimmiruetsja“], „schneidet Grimassen“ [„krivit lico c grimasy“] und „ändert den Klang seiner Stimme“ [„menjaet tembr golosa“] (Gruzdev 1973 [1922], 219; Gruzdev 1987 [1922], 268). Das Verhältnis von Darsteller und dargestellter Person auf der Bühne dient hier als Bild für die Beschreibung der Korrelation von Autor und Erzähler. Weitere Beispiele für die Verwendung der Maskenmetapher im russischen Frühformalismus finden sich bei Veldhues (2003, 279), Hansen-Löve (1996 [1978], 276–277) und Gölz (2009a, 194). Eine wichtige Linie der formalistischen Beschreibung des Autors arbeitet mit dem Autorbild, das sich zuerst bei Viktor Vinogradov (1930) ausgearbeitet findet, und mit Wolf Schmid (2008, 46–51) als Vorgeschichte des abstrakten Autors betrachtet werden kann. Wayne C. Booth führt 1961 eine vermittelnde Instanz zwischen dem tatsächlichen Autor und dem Erzähler ein und nennt sie implied author. Bei der Einführung dieses in narratologischen Arbeiten heute weit verbreiteten Begriffs bezieht er sich auch auf die Maske als Beispiel für einen in der Literatur und Literaturwissenschaft verbreiteten Terminus zur Bezeichnung eines im Text geschaffenen zweiten Selbst: „It is a curious fact that we have no terms either for this created ‚second self‘ or for our relationship with him. None of our terms for various aspects of the narrator is quite accurate. ‚Persona‘, ‚mask‘, and ‚narrator‘ are sometimes used, but they more commonly refer to the speaker in the
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work who is after all only one of the elements created by the implied author and who be separated from him by large ironies.“ (Booth 1983, 73). Tatsächlich haben sich die Begriffe mask und persona, die letztlich Leihbegriffe aus der Theatertheorie und Rhetorik sind, nicht als narratologische Fachbegriffe etabliert. Die oben angeführten formalistischen Arbeiten stammen aus der Zeit der Anfänge der Narratologie.
4 Verhaltenspoetik und Maskenspiele Die Maske – und der Verweis auf die Doppelstruktur der Kunstwirklichkeit – warnt davor, über scheinbar autobiographischen Bezügen die Differenz zwischen biographischer und literarischer Ebene zu übersehen. Das gleiche gilt, allerdings in umgekehrter Richtung, für die Konzeption der „literarischen Persönlichkeit“ („literaturnaja ličnostʼ“), die Tynjanov Ende der 1920er Jahre entwickelte (Veldhues 2003, 265–274). Die Biographie des Autors, die hier in den Blick genommen wird, ist ein ästhetisch organisiertes und deformiertes Konstrukt (Hansen-Löve 1996 [1978], 414–419). Unter Beibehaltung der Ablehnung rein biographischer oder psychologischer Studien wird der Autor als Kunst-Produkt gesehen, das gleichsam in Ähnlichkeit und Differenz zum realen Autor – also in maskierter Form – in der Vorstellung des Leserpublikums entsteht (Schahadat 2004, 26–28). Der russische Strukturalismus führt die Beschäftigung mit dem Autor in kultursemiotischen Ansätzen fort, die versuchen, das Verhältnis zwischen Text und Leben in einer Verhaltenspoetik zu beschreiben. Auch die Maske findet hier einen Platz, sei es über die Rolle oder über die Untersuchung der Theatralisierung der Kultur, die etwa in Russland im 18. Jahrhundert gerade durch den Import westlicher Verhaltensformen besonders stark ausgeprägt ist (Lotman 1992 [1977], 261). Ein Anknüpfungspunkt ist auch hier die Nähe von Rollen- und Maskenbegriff und die damit verbundenen Theorien – etwa in der frühen Neuzeit die barocke Vorstellung vom theatrum mundi. Zur Beschreibung einer gerade für Künstler und Autoren relevanten Schnittstelle zwischen Leben und Text dient auch der Begriff der ‚Lebenskunstʻ bzw. des ‚Lebensschöpfertumsʻ (russ. ‚žiznetvorčestvoʻ). Systematisch lassen sich mit Schahadat (2004, 46–76) eine theatralische, eine authentische und eine theurgische Ausprägung der Lebenskunst unterscheiden, die sich alle drei über verschiedene Maskenkonzeptionen beschreiben lassen. Während die theatralischen Lebenskünstler die Distanz zwischen Ich/Person und Rolle betonen und zur Schau stellen, „maskieren“ die authentischen Lebenskünstler den Riss zwischen Ich und Rolle (Schahadat 2004, 46–76). Die theurgische Lebenskunst wiederum
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setzt beim Ritual und der mythischen Verwandlung an. Auch in diesem Kontext ist die Maske als Beschreibungsmodell des Künstlertums von Relevanz, da die Maskierung oder Demaskierung der Wirklichkeit (verstanden als „Maske Gottes“, Hansen-Löve 2014, 120) als Aufgabe des Künstlers schlechthin angesehen wird. Letztlich geht es bei einer solchen Beschäftigung mit Autoren und ihrem Verhalten (als Künstler) um eine von vielen Autoren selbst nahegelegte Entschlüsselung eines Maskenspiels. Die Maske steht hier als künstlich/künstlerisches Gesicht für den Entwurf des Lebens als Kunstwerk. Ein Beispiel dafür ist die Selbststilisierung des Dandys, zu der Kleidung und eine bestimmte Verhaltensweise gehören. Vor allem Oscar Wildes essayistische Texte bieten Ansätze zu einer eigenen Maskenkonzeption. In Essays aus den 1880er Jahren (Pen, Pencil and Poison; The Critic as Artist) vertritt er die Meinung, dass die Maske (damit ist zum einen das Pseudonym gemeint, zum anderen die Befreiung des Künstlers von gesellschaftlichen Normen) den Künstler erst entstehen lässt (Wilde 1969 [1885, 1891], 61–226; Marcovitch 2010, 104; Thornton 1989). Die ebenfalls zur Selbstinszenierung des Autors gehörenden Porträt-Bilder und Porträtfotografien (vgl. Künzel 2007) können als Sonderform der Autormaske betrachtet werden. Der Bezug zwischen Maske und Porträt bzw. Maske und Fotografie, welcher nicht nur über die Theatermaske, sondern auch über die Totenmaske und andere archaisch-mythische Formen des Maskengebrauchs verläuft, schließt auch das Porträtieren/Fotografieren von Autoren und Autorinnen mit ein (vgl. Belting 2014) [vgl. den Artikel Autor-Bild].
5 Pseudonym und Maske Ein Vergleich des Namens mit der Maske ist bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Pseudonymität, aber auch mit Anonymität häufig anzutreffen (Greber 2002, 314–337; Laugaa 1986, Söhn 1974). Das Prinzip der Maske wird hier nicht nur bezüglich der Funktion des falschen oder fehlenden Namens aufgerufen – die von Schutz über Verbergen zu Täuschung reichen kann –, sondern auch aufgrund der Bedeutung des Namens als Garant der Einheit und damit der Identität und Authentizität des Werkes eines Autors in der Wahrnehmung des Publikums. Der Name weckt eine Erwartungshaltung des Lesers an den Text, er ist schon deshalb eine wichtige Verbindungsstelle zwischen Autor, Werk und Leserschaft (bzw. zwischen dem Autor als empirischer Persönlichkeit, der das Pseudonym einsetzt, und der Vorstellung vom Autor, die beim Lesepublikum entsteht, vgl. Tynjanov 1977 [1929], 28). Als Schnittstelle zwischen Autor und Werk gehört der Name zu den Paratexten, deren Anteil am künstlerischen Werk dort zu Tage tritt, wo ein Pseudonym
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als künstlicher Name eingesetzt wird [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft]. Genette nennt die Pseudonymität eine „métamorphose verbale“ bzw. „fetichisme onomastique“ und sieht in der Freude am Erfinden und Verfremden des Namens den ersten Schritt zu einem Künstlertum, das Schriftsteller und Theater verbindet (Genette 1987, 53). Eine besonders enge Verbindung zwischen Pseudonym und Maske findet sich in der literarischen Kultur des 18. Jahrhunderts, einer Kulturepoche, in der sowohl die Maskenfeste als auch die dichterische Tätigkeit zum gesellschaftlichen (spielerischen) Zeitvertreib gehörten (Söhn 1974, 68–80). Pseudonymenlexika der Zeit zeigen nicht nur die Lust am Verhüllen und Enthüllen der Identität des Autors, sie setzten auch in emblematisch gestalteten Titelbildern die Verbindung zwischen Autor-Pseudonym und Maske um: Entsprechend der Hofkultur der Zeit werden hier in Bilddarstellungen die Bibliotheken zu Theaterbühnen und die Autoren zu Maskenträgern (Söhn 1974, 97; Laugaa 1986, 87–89). Die unterschiedlichen Verwendungen und Einschätzungen des Gebrauchs von Pseudonymen veränderten sich seit ihren Anfängen in der Antike, doch entsprechen ihre Funktionen (Tarnung, Schutz, Verschleierung, Parodie, Provokation) immer auch Maskenfunktionen. Gerade im 20. Jahrhundert findet sich ein gezielter Einsatz von Namen als Element von Mystifikationsstrategien (Schahadat 2001, 183–208; Greber 2002, 314–320; Genette 1987, 52). Die alte Tradition der Pseudonymität und Mystifikation wird in der Moderne und Postmoderne auf die Spitze getrieben. Zu den verschiedenen Ausprägungen gehören Übersetzer- und Anthologiefiktionen. Neben die Pseudonymität tritt hierbei die fiktive Biographie: So maskiert der bulgarische Modernist Penčo Slavejkov eigene Texte als Übersetzungen und präsentiert in seiner fiktiven Übersetzungs-Anthologie Auf der Insel der Seligen [Na ostrova na blaženite] (1910) die fingierten Biographien von mehreren erfundenen Autorenpersönlichkeiten (Schmidt 2013). Zu einer besonders ausgeprägten Erscheinungsform gehört auch das Werk von Fernando Pessoa, der nicht nur unter mehreren Pseudonymen veröffentlichte, sondern für seine heteronymen Masken-Ichs eigene Biographien entwickelte. Er selbst erklärt sein Vorgehen als eine Konzeption, die ganz bewusst die eine Person durch mehrere Masken aufhebt, um die Dauerhaftigkeit des Autors (bzw. des Konzeptes seiner Persönlichkeit) zu verneinen (Pessoa 1966). Andererseits dient hier das Pseudonym letztlich nur als Ausgangspunkt, um eine neue Einheit aus Autor und Figur zu schaffen. Über die Biographien werden die aus den Pseudonymen entwickelten fiktiven Autoren im postmodernen Spiel autonom und stellen – vom Autor bewusst initiiert – die traditionellen Kategorien von Figur (als persona-Autor im Text) und außertextuellem Autor in Frage (Kiss 2007) [vgl. den Artikel Auto(r)biographie].
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6 Maske und Gesicht in Theorien des Poststrukturalismus/Dekonstruktivismus In den Theorien des Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus wird die neuzeitliche Dichotomie zwischen Maske und Gesicht, bei der die Künstler und Wissenschaftler der Moderne ansetzen, selbst in Frage gestellt bzw. dekonstruiert. So ist die Maske etwa bei Deleuze eine Figur der Doppelung und Wiederholung, die sich nie einholen kann. Da sie, indem sie auf ein Dahinter verweist, dieses gleichzeitig verbirgt, ist der Betrachter/Leser nie sicher, ob es ein Gesicht (bzw. etwas Authentisches, eine Wahrheit) hinter der Maske gibt, oder ob die eigentliche Täuschung der Maske im Vortäuschen dieses Dahinter liegt. Für Deleuze verdecken die Masken nur andere Masken (Deleuze 1997 [1968], 34). Der Unterschied zwischen Maske und Gesicht ist auch in der griechischen rhetorischen Figur der Prosopopoiia aufgehoben. Da die altgriechische Sprache die Unterscheidung von Maske und Gesicht noch nicht kennt (zum altgriechischen Begriff für Maske/Gesicht prósōpon vgl. Weihe 2004, 27–38; Belting 2014, 63–82; Simon 2002, 17–27), wird mit dem alten rhetorischen Begriff die neuzeitlich so prägende Gegenüberstellung Maske vs. Gesicht gleichsam außer Kraft gesetzt. Paul de Man setzt die Prosopopoiia als zentralen rhetorischen Bezugspunkt seiner späten wissenschaftlichen Arbeiten. Eine Abgrenzung dieser Figur von ihrem lateinischen Äquivalent (fictio personae) und dessen Einbeziehung in eine Tradition der Allegorie- und Personifikationstheorie ist dabei nur schwer möglich. In Autobiography as De-facement (1984 [1979]) verweist der Titel – anders als in der deutschen Übersetzung „Autobiographie als Maskenspiel“ (1993) – auf das Gesicht bzw. auf das Nehmen des Gesichts und nicht auf die Maske. Beim rhetorisch gegebenen Gesicht ist die Frage nach dem natürlichen oder künstlichen Gesicht (Maske) allerdings nicht entscheidend, zumal in der antiken Tradition die Funktion der Maske als Stimmverstärker verstanden wurde. Entsprechend lässt sich der Effekt der Entstehung einer anthropomorphen Figur im Text über die Stimme erklären. De Man bestimmt prósōpon als Stimme oder Gesicht, das mithilfe der Sprache entsteht: „Voice assumes mouth, eye, and finally face“ (de Man 1984 [1979], 76). Für Menke impliziert die Figur der Prosopopoiia einen Effekt „lebendigen Sprechens“ (Menke 2000, 7), bei dem Stummheit und Tod als Voraussetzung mitzudenken sind. Als Figur der Doppelung verbindet die Prosopopoiia auch Sprecher und Adressat, denn sie ist eine Figur der Rede und der Adressierung (Fiktion der Apostrophierung). Die Schaffung einer Maske/eines Gesichts ist entsprechend immer auch die Schaffung einer Person als eines Anderen. De Man verbindet so die
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Prosopopoiia in „Hypogram and Inscription“ mit der Apostrophe, als Figur der Ansprache einer abwesenden Entität (de Man 1986 [1982], 44). Mit Blick auf das griechische Wort prósōpon ist jedes Gesicht eine Maske und jede Maske ein Gesicht. Paul de Man geht es in seinen Arbeiten mit dem Aufgreifen der Prosopopoiia um das Aufdecken innerer Widersprüche in Literatur und Literaturtheorie. So werden in Autobiography as De-facement (1984 [1979]) fehlerhafte Prämissen der Autobiographietheorie in Frage gestellt (siehe Artikel Autobiographie). Die Verbindung mit Fragen nach Maske und Maskierung ergibt sich hier gleichsam von selbst: Die Autobiographie ist eine besondere Form der Doppelung und inszenierter Identität. Sie hat am stärksten mit der Problematisierung von Authentizität und Wahrheit zu tun, aber auch mit Fragen nach Wiederholung und Differenz in der Wiederholung (Imitation, Simulation) des Lebens im Text. Die grundlegende Problematik nach dem Verhältnis von Leben und Text bzw. Autor und Text fokussiert sich mit Blick auf autobiographische Texte daher besonders deutlich. Für Paul de Man ist es unmöglich, eine Grenze zwischen Fiktion und Autobiographie zu ziehen: „Autobiography […] is not a genre or a mode, but a figure of reading or of understanding that occurs, to some degree, in all texts.“ (1984 [1979], 70) Die Prosopopiia ist somit die Figur des Autobiographischen. Sie ist gleichsam eine paradoxale Denkfigur, die offenlässt, ob das Leben (des Autors) dem Text (der Biographie) vorgängig ist oder umgekehrt. Durch die Maske/Sprache/Stimme wird das Gesicht zugleich nämlich nicht nur gegeben, sondern auch verdeckt. Für de Man ist diese Figur daher eine Mastertrope (de Man 1986 [1982], 48), die neben der Autobiographie im engeren Sinne auch alle Texte beschreibt, bei denen sich die Frage nach dem Autor stellt. Der Kern der Maskenfigur ist hier, dass sie im Geben des Gesichts dieses gleichzeitig maskiert.
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Matthias Bickenbach
III.2.4 Autor-Bild 1 Der Autor als Bild: Probleme der Definition Die Bestimmung dessen, was ein Autor-Bild ist, erscheint zunächst einfach: Das Bild einer Schriftstellerin oder eines Schriftstellers, welches als Porträt Verwendung findet. Die Definition und Funktion des Autor-Bildes folgen damit der des Porträts – ein Bildnis, das einen Menschen in seiner charakteristischen Individualität zeigt (Boehm 1985; Preimesberger, Bader u. a. 1999). Als Kopf- oder Brustbild konzentrieren sich Porträts meist auf das Gesicht, das so stellvertretend für den ganzen Menschen und seinen Charakter steht. Doch diese einfache Definition bestimmt das Autor-Bild nur zum Teil. Dies gilt in historischer wie in systematischer Hinsicht. Einerseits sind Autoren-Bilder weit älter als das neuzeitliche Porträt im spezifischen Sinn der Darstellung unverwechselbarer Individualität, andererseits wirft das Porträt Fragen nach dem Verhältnis von Aussehen und ‚Wesen‘ des Dargestellten auf. Im Fall des Autor-Bildes werden so alle Fragen der Autorschaft virulent: Wie verhalten sich Bild und Mensch sowie vor allem Bild und Werk zueinander? Ist das Bild Teil des Werkes, trägt es zur Interpretation oder zum Verständnis des Autors bei? Bei einer genaueren Beobachtung dieses Text-Bild-Verhältnisses wird schnell deutlich, dass Autor-Bilder zwar heute üblich und in allen Medien verbreitet sind, auch prägen sie zweifellos das Image eines Autors mit, doch dies geschieht in Form metonymischer Stellvertretung, als Teil für das Ganze. Das einzelne Bild des Autors ist nicht notwendig mit der Entstehung seiner Texte koordiniert. Meist finden bestimmte Bilder immer wieder Verwendung. Spätestens seit dem fotografischen Porträt als Massenmedium gibt es zudem zahlreiche andere Bilder, weitere Porträts, aber auch Privataufnahmen, Schnappschüsse oder Kinder- und Familienbildern. Auch sie sind Bilder des Autors und werden in Bild-Biografien [vgl. den Artikel Auto(r)biographie] versammelt, doch als Autor-Bild dienen nur bestimmte Porträts, die nicht selten von berühmten Porträtfotografen stammen. Das Autor-Bild ist daher zunächst fremdbestimmt und als Auswahl aus einer Vielzahl von Bildern zu reflektieren, die in Korrelation zum öffentlichen Image steht. Selbstporträts sind eher seltene Ausnahmen. Das Autor-Bild ist insofern ein Medium, das sich der Autorschaft entzieht, während es diese symbolisiert [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. In Relation zum Werk oder einzelnen Text ist es ein Fremdkörper. Gilt dem Typographen die Titelgestaltung als ‚Gesicht des Buches‘, so ist der Einsatz Autoren-Bildern auf dem Cover, wie sie durch Willy Fleckhaus in der Gestaltung der Suhrkamp Taschenbücher seit den 1950er Jahren https://doi.org/10.1515/9783110297065-012
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geradezu stilbildend geworden sind, literaturtheoretisch ein problematischer Zusatz: „Photographie auf einem Umschlag ist irreführend. Sie lenkt die Phantasie in enge Gefilde, die mit jenen, welche die Schrift entbindet, nichts mehr zu tun haben.“ (Reuß 2014, 71) Was in der Praxis umstandslos als Zusatzinformation über den Autor hingenommen wird, ist eine intermediale Grenzüberschreitung, deren Status zwischen Illustration, Information und Paratext des Buches ambivalent bleibt. Dass diese systematische Problematik kaum ins Gewicht fällt, verdankt sich der langen Tradition, durch die Autoren in unserer Schriftkultur immer schon von ihren Bildern vertreten wurden, lange bevor das Autor-Bild drucktechnisch auch auf dem Buch erscheint. Es ist jedoch kein Zufall, dass viele Autoren sich kritisch zu ihrer visuellen Repräsentation äußern. Seit der Verbreitung der Fotografie begleitet die Kritik des Autor-Bildes seine öffentlichen Funktionen. Es ist daher nicht nur kulturelle Erinnerung und Ehrung des poeta laureatus zu definieren. Neben epochentypischen Darstellungsstilen seit der Antike und der Ikonographie, die den Autor als poeta doctus mit Schreibfeder oder Buch in der Hand am Schreibtisch oder als poeta vates mit Blick in die Ferne der Inspiration sich öffnend zeigt, ist das AutorBild auch durch die Mediengeschichte seiner Verbreitung zu definieren. Es ist ein Medium nicht nur der Darstellungsweise, sondern auch der Zirkulation und Sammlung, durch die das Bild erst Teil der kulturellen Erinnerung wird. Zweifellos ehrt und erinnert unsere Kultur ihre Autoren durch ihr Bild. Das Bild des Autors unterstützt und verbreitet das Selbstverständnis unserer Schriftkultur nachhaltig, indem bestimmte Texte bestimmten Menschen zugerechnet werden. Im Autor-Bild bestätigen sich so die Individualität des Porträts und die Individualität der Autorschaft wechselseitig. Doch zugleich rückt das Autor-Bild die historischen und theoretischen Voraussetzungen in den Blick, die ein einzelnes Bild für einen Menschen und seine Werke setzt. Autoren-Bilder sind von Beginn an Teil der abendländischen Schriftkultur gewesen, Medien des kulturellen Gedächtnisses, durch das der Kanon der Autoritäten festgelegt und überliefert wurde [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Heute aber sind sie zugleich Medien der Öffentlichkeit und der Vermarktung (Neuhaus 2011). In dieser doppelten Funktion changiert das Autor-Bild zwischen Fremdund Selbstinszenierung und lässt danach fragen, inwiefern das Bild einer Person für deren Texte aufschlussreich ist [vgl. den Artikel Autor-Masken und -Maskierungen].
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2 Hauptaspekte Autor-Bilder und Autor-Rollen als kulturelles Gedächtnis Die Geschichte der visuellen Repräsentation und Überlieferung berühmter Philosophen, Gelehrter und Dichter durch Bildnisse ist weit älter als das Porträt im spezifischen Sinn, das erst seit der Renaissance, um 1430, den individuellen Menschen zum Darstellungsgegenstand werden lässt (Boehm 1985). Schon die griechische und römische Antike aber überliefert ihre Autoren in Büsten und repräsentiert sie etwa auch auf Münzen (Haskell 1995) oder auf Vasen- und Wandmalereien. Schon in der Spätantike soll es eine Buchrolle gegeben haben, in der rund 700 Autoren in Bildnissen versammelt waren, doch Varros De imaginibus ist verschollen. Solche Sammlungen verbreiten keine individuellen, sondern stereotype Autor-Bilder, die bestimmte Merkmale oder übergreifende Gesten und Symbole mit den Namen berühmten Dichter und Philosophen versehen. Die mittelalterlichen Dichter werden etwa in der Großen Heidelberger Liedhandschrift (Codex Manesse) als Minnesänger repräsentiert (Walther 2001). Noch die Schedelsche Weltchronik (1493) nutzt gleiche Bilder für Dichter verschiedener Jahrhunderte. Mit Giorgio Vasaris Viten wird dann im 16. Jahrhundert die feste Kopplung von Text und inzwischen individuellem Bild, von Biographie, Werk und Bildnis, zu einem eigenen Genre, den Bildnisviten (Rave 1959). In Renaissance und Humanismus werden nicht nur Porträts ‚nach der Natur‘ gefertigt und in Holz- und Kupferstichen, später auch in Stahlstichen gedruckt, sondern auch ältere Bildnisse werden systematisch gesammelt. Kopien griechischer Büsten, die zu Dichtergalerien zusammengestellt werden und antike Münzprägungen der Heimatorte der Dichter sind die beiden zentralen Bildquellen, die akkumuliert werden. Zeitgenossen werden in Historienmalereien integriert, man schmückt Säle mit Fresken, sichtet, vergleicht und ordnet überlieferte Bildnisse mit philologischem Ethos. Das Autor-Bild überschreitet daher von Beginn an auf zweifache Weise gleichsam seinen Rahmen: Es ist in seiner kulturellen Funktion nicht nur als Tafelbild und nicht nur als Porträt von Belang, sondern zirkuliert in verschiedensten Medien und über die Epochen hinweg. Die Bilder berühmter Personen sind daher nicht nur als Repräsentation oder Kunst anzusehen, sondern als Vorfahren der Massenmedien, deren kulturelle Zirkulation, nicht zuletzt durch Kopien, durch die Assoziation des Porträts mit dem gemalten Tafelbild allzu leicht verdeckt wird. Als Repräsentation von Autorschaft, seit den ersten Büsten des unbekannten Homer unter dem Topos des ‚blinden Sängers‘, ist das Autor-Bild eine Funktion des kulturellen Gedächtnisses (Giuliani 1998). Es sichert die Identität westlicher
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Schriftkulturen, indem es einen Kanon berühmter Autoren schafft und später auch zur Begründung nationaler Identitäten als reales oder imaginäres Pantheon dient. Autor-Bilder sind in dieser Funktion als intermedial zirkulierende Medien bereits lange etabliert, bevor Porträts und schließlich die Porträtfotografie den Autor scheinbar so zeigen, wie er wirklich war oder ist. Die kulturelle Funktion der Repräsentation –Ehrung von und Erinnerung an berühmte Autoren – verbindet sich im Porträt mit der visuellen Funktion: Das ‚reale‘ Aussehen eines Menschen fällt mit seiner sozialen Rolle zusammen. Ältere Bildnisse zeigen Autoren demgegenüber als Typus gemäß der sozialen Rolle – als Gelehrten und als Autorität. Motive dieser typologischen Darstellung haben sich bis heute erhalten. Das Motiv des Hieronymus im Gehäus’ zeigt den Heiligen als Gelehrten in konzentrierter Arbeit am Schreibtisch, separiert von der Außenwelt, eine Darstellung, die etwa Albrecht Dürer übernimmt, aber auch für sein Porträt des Erasmus von Rotterdam benutzt. Schreibfeder, Buch oder auch der Finger im Buch repräsentieren den Gelehrten. In mittelalterlichen Autor-Repräsentationen fungiert der digitus argumentalis, der ausgestreckte Zeigefinger, als Zeichen der Lehrgeste einer Autorität (Peters 2003). Später kommt der Melancholie- oder ‚Denker‘-Gestus hinzu (die Hand an der Stirn) sowie die Bücherwand als Verweis auf das Wissen des Autors. All dies sind symbolische Zeichen, mit denen schon vor dem Porträt nicht die individuelle Person, sondern ihre soziale Rolle visuell kodiert war. Autor war, wer eine Schreibfeder in der Hand hält oder wer lehrt. Noch in der frühen Atelierfotografie um 1850 werden solche Posen und Symbole analog zur Malerei inszeniert. Der Maler hat die Palette in der Hand, der Autor eine Schreibfeder oder ein Buch. Bald jedoch werden solche Topoi weitgehend zurückgenommen, das Porträt konzentriert sich auf das Gesicht und den Körper der Person. Doch bis heute sind Bibliothek und Buch sowie der Autor an seinem Schreibtisch wirksame Inszenierungsformen von Autorschaft (Koelbl 1998). Die symbolischen Kodierungen verweisen jedoch stets auch auf etwas, das auf Autoren-Bildern gar nicht gesehen kann: das Wissen und Denken, das Schreibens oder den Einfall, die Inspiration des Autors. Schon der Ruhm, den das Bild selbst bestätigt, wurde traditionell mittels von Symbolen signalisiert. Der Lorbeerkranz zeichnet, seit Vergil und Horaz, den poeta laureatus aus. Noch Dante und Petrarca werden mit Lorbeerkranz dargestellt. Dantes Bildnisse aber bereiten bereits den Übergang zum ‚modernen‘ Porträt des Autors vor. Seine Darstellung im Profil ist charakteristisch und zum Topos geworden (Goetz 1937). Die Darstellung im Profil eines Autors ist daher, bis heute, mit einer starken symbolischen Konnotation verbunden: Es zeigt den weltentrückten Dichter, den poeta vates, der seinen Blick in eine Ferne und auf Höheres richtet. Autor-Bilder im Profil sind daher heute eher die Ausnahme oder werden sehr gezielt als Aussage eingesetzt. Stefan George etwa inszenierte sich als ‚geistiger Führer‘ bewusst in diesem Sinne und lässt eigens Pro-
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filbilder vor schwarzem Hintergrund von sich anfertigen (Mattenklott 1985; 213– 215; Bartels 2007). Weit üblicher als das Profil ist der direkte Blick zum Betrachter, das Porträt en face. Diese Darstellung vermittelt Offenheit, Nähe und Souveränität (Porombka 2005; Neuhaus 2011). Drei ikonografische Typen der Autordarstellung sind damit epochenübergreifend zu fassen, die jeweils unterschiedliche AutorRollen betonen: Die symbolisch kodierte Darstellung der Tätigkeiten des Lesens und Schreibens für den gelehrten Autor (poeta doctus); das Profil stilisiert ihn zum poeta vates; die Darstellung en face aber zeigt ihn als Zeitgenossen – als Autor, der sich seinem Leser gleichsam zuwendet und ihn anblickt. Neben diesen symbolischen Kodierungen wird das individuelle Gesicht des Autors seit dem 15. Jahrhundert nicht nur durch Porträtmalerei, sondern auch durch Druckgrafiken verbreitet. Das Genre der Bildnis-Viten, die „berühmte Männer“ (viri illustri) versammeln, verbindet das Bild fest mit dem Namen. Die Kopplung von Namen und Bild ist dem Autor-Bild daher konstitutiv und muss als Teil seiner Definition gelten. Allein durch ein Bild ist eine Person kaum identifizierbar, wenn man sie nicht kennt. So überschreitet das Autor-Bild auch den Rahmen des rein Visuellen durch die Bildunterschrift, die das Bild mit Texten (des Autors) und einen Text, die Bildunterschrift, mit Bild koppelt. Mit der Porträtfotografie wiederholt sich das Problem der Identifikation. Autoren sehen auf frühen Fotografien aus wie „Wachspuppen“ oder einfach wie andere Menschen auch, wie „ein Turnlehrer“ oder „ein Kaufmann“ (Eberle 1977, 10). Erst der Name zeigt, wer dargestellt ist: „Aber – würde ein Unbefangener, ein mit ihren Namen, Werken und Bildnissen Unvertrauter in diesen Köpfen Dichter oder und Schriftsteller vermuten?“ Josef Eberle befürchtet in seinem Vorwort zu den Dichterportraits in Photographien des 19. Jahrhunderts, diese Frage mit einem Nein beantworten zu müssen (Eberle 1977, 10). Noch in den Porträtsammlungen berühmter Fotografen, die Dichtern gewidmet sind (Freund 1989, Ohlbaum 1984, Koelbl 1998) oder in historischen Sammlungen fotografischer Dichterbilder (Scheffler 1977) begleitet der Autorname stets das Bild und stiftet so erst die Wiedererkennbarkeit und Erinnerung. Werk, Name und Bild bilden daher ein erstaunlich festes para- bzw. peritextuelles Verhältnis, in dem das Autor-Bild als orientierender Rahmen zum Werk zählt, obwohl die Aussagenkraft von Porträts begrenzt ist. Bestimmte Autor-Bilder werden darüber hinaus zu Ikonen und prägen das ‚Bild‘ des Autors, unabhängig davon, ob hier eher ein Jugendbild (etwa der junge Bert Brecht) oder das Bild eines Älteren (etwa Thomas Mann) stellvertretend für Autor und Werk einstehen (Kinzel 2014; Maaz 2004). Dies ist, zumal von der Seite der Autoren her gesehen, jedoch jenseits der Funktion des Ruhms oder des Geniekults bzw. des öffentlichen Images heute, durchaus nicht unproblematisch. Das Autor-Bild legt ein bestimmtes Wahrnehmungsschema fest.
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Bildkritik: Das Porträt als Ausschnitt, Image und Metonymie Neben der kulturellen Funktion der Überlieferung und Erinnerung impliziert das Autor-Bild die Problematik der Repräsentation. Es wirft Fragen der Bildkritik auf. Kann ein Bild einen Menschen zeigen, wie er wirklich ist? Kann man Genialität sehen? Das Interesse am Porträt verbindet sich dennoch mit einer physiognomischen Neugier. Schon Arthur Schopenhauer lobte die Fotografie, weil sie das Bedürfnis des Publikums befriedige, wissen zu wollen, wie derjenige aussieht, der etwas Bedeutendes geschaffen hat (Schopenhauer 1988 [1851], 543–550). Im Fall der Funktion Autorschaft verschärft sich die Frage der metonymischen Stellvertretung: In welchem paratextuellen Verhältnis steht das Bild zum Text? Ist das Aussehen eines Autors wichtig für das Verständnis und die Lektüre seiner Werke? Solche kritischen Fragen erscheinen allerdings nur selten. Fragt man jedoch genauer nach dem Verhältnis von Bild und Text, werden Auswahl und Stellvertretung und damit Kontingenz deutlich: Vermeintliche Porträts erweisen sich als Ausschnitt aus anderen Bildern. Private Aufnahmen, auf denen der Autor ganz anders wirkt, werden Bildern, auf denen er seinem etablierten öffentlichen Image entspricht, vorgezogen. Franz Kafka oder Paul Celan etwa werden kaum fröhlich repräsentiert, obwohl es auch solche Bilder von ihnen gibt. Manche Autoren, wie etwa schon Stefan George, Bertolt Brecht oder Thomas Mann, pflegen zudem eine Bildpolitik, die gezielt ein bestimmtes „Bild“ von ihnen zeigt (Koetzle 1987; Mattenklott 1985; Turck 2004). Das Bild stellt für Autoren selbst eine durchaus problematische Größe dar, seitdem die massenmediale Verbreitung der Porträtfotografie es zum öffentlichen Bild hat werden lassen. Dieser Diskurs der Bild-Kritik der Autoren ist hervorzuheben, weil er angesichts der zur Normalität gewordenen Praxis des Literaturbetriebs leicht übersehen wird, eine Norm, der sich kaum ein Autor noch entziehen kann. Wer sein Bild der Öffentlichkeit verweigert, wird regelrecht ‚gejagt‘: Für ein Bild B. Travens wurde in einer Zeitung in den USA einst ein Kopfgeld von 5000 $ ausgelobt. Eine Fotografie Thomas Pynchons wird seit Jahrzehnten gesucht. Die Frage ist jedoch nicht, ob nur einige wenige Autoren ikonophob sind, sondern ob es nicht die meisten sind, obwohl sie porträtiert werden (Stiegler 2014). Die heutige Norm und Form, das Bild des Autors an sein Leben und seine Werke zu koppeln, veranschaulicht der 200. Band der Rororo-Bildmonographien (1956) schon besonders deutlich. Unter dem Titel Was sie schreiben, wie sie aussehen (1956) veröffentlichte der Rowohlt Verlag ein biobibliografisches Lexikon, in dem jedem Abschnitt zum Autor jeweils sein Bild vorangestellt ist. Dem Eintrag zu B. Traven ist einfach ein gerasterter, schwarzer Kasten zugeordnet. Während Porträtfotografen und Verlage das Bild so nutzen, um Lesern einen „direkten“ Eindruck vom Autor zu vermitteln (Freund 1989, 7), sehen sich Autoren
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mit der Problematik ihrer öffentlichen Repräsentation konfrontiert. In der einzigen längeren Schrift eines literarischen Autors zum Thema formuliert Wilhelm Genazino bereits im Titel eine entscheidende Differenz: Das Bild des Autors ist der Roman des Lesers (Genazino 1994). Nicht ohne Ironie führt Genazino das kollektive Begehren, den Autor zu sehen, auf den Wunsch des Lesers zurück. Das Autor-Bild sei eine Projektion für die Vorstellungen des Lesers. Jedes Porträt wirft darüber hinaus Fragen der inszenierten der Darstellung auf (Idealisierung, Pose). Roland Barthes bestimmt in seiner Fotografietheorie Die helle Kammer das Porträt als „Umformung“, die aus dem Subjekt ein Objekt werden lässt (Barthes 1980, 18–24). „Vier imaginäre Größen überschneiden sich hier. Vor dem Objektiv bin ich zugleich der, für den ich mich halte, der, für den ich gehalten werden möchte, der für den der Photograph mich hält und der, dessen er sich bedient, um sein Können vorzuzeigen. In anderen Worten: ein bizarrer Vorgang.“ (Barthes 1980, 22) Die Kritik hat Tradition. Schon Walter Benjamin hat in seiner „Kleine[n] Geschichte der Photographie“ die „traurigen Augen“ Kafkas als Verlorenheit des von sich selbst entfremdeten Individuums im Zeitalter der Fotografie beschrieben oder sich selbst entsetzt in der Rolle eines „Salontiroler[s]“ auf Kinderbildern wiedergefunden (Benjamin [1931] 1980, 374–376). In Mao II lässt Don De Lillo die Porträtsitzung eines fiktiven berühmten Schriftstellers, der seit Jahrzehnten sein Bild verweigert, zum Sammelplatz aller Topoi der Bildkritik werden: Sehe ich mir selbst ähnlich? Ist das Bild die Vorwegnahme meines Todes? Macht es mich zum Gespenst? (De Lillo 1992, 51–69). In Isolde Ohlbaums Fototermin. Gesichter der deutschen Literatur (1984) werden ihre Porträts von zahlreichen Schriftstellerinnen und Schriftstellern kommentiert. Der Großteil dieser Kommentare ist kritisch und verweist auf die Differenz des Bildes zur Person und auf die „Angst vor dem Fotografen“ (Bickenbach 2010, 167–181).
3 Geschichte des Phänomens und seiner Erforschung Die Geschichte des Autor-Bildes umfasst einerseits kunsthistorische, epochenund stilgeschichtliche Unterschiede der Ikonografie (Nancy, Ferrari 2005), andererseits die medienhistorischen Bedingungen der Zirkulation von Bildern: vom gemalten, gezeichneten und gestochenen Porträt zur Fotografie und von fotografischen Techniken zu deren drucktechnischen Wiederverwendung in Büchern und zur Digitalisierung der Bilder und deren Präsenz im Internet. Buch- und Porträtmalerei, Druck, Lithografie und Fotografie sind mediengeschichtliche Etappen
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in der Geschichte des Porträts die, neben Büsten, Plastiken und Denkmälern, stilgeschichtlichen Epochen und typischen Darstellungskonventionen zugeordnet werden können. Im Unterschied zur Plastik und zum Denkmal zirkulieren die Bilder jedoch in der Gesellschaft und erreichen das Publikum auf verschiedenste Wege, während Denkmäler oder Büsten exklusive Orte eingedenk des jeweiligen Autors markieren und damit noch andere Funktionen im kulturellen Gedächtnis übernehmen. Eine gute Übersicht für die Diversität der Darstellung und der Stile von Autor-Bildern bietet die Sammlung Deutsche Schriftsteller im Porträt (1979– 1984), die in sechs Bänden jeweils unterschiedliche Epochen und Darstellungen von Autoren versammelt. Neben solchen Sammlungen von Dichterbildern, die ihre Konjunkturen nicht erst im 20. Jahrhundert haben, neben Ausstellungen und Katalogen etwa zu einzelnen Autoren, ist die Forschung zum Autor-Bild lange Zeit ein Randgebiet der Literaturwissenschaft geblieben, bis jüngere Arbeiten die Selbstinszenierung im Zeitalter von Selfies und öffentlicher Image-Fotografie entdeckt haben (Kyora 2014). Zuvor war das Autor-Bild eher Gegenstand von Dichterverehrung, nicht zuletzt der Goethes (Kröner 1994), von Jahrestagen und Sonderpublikationen oder ein Sammelobjekt von Literaturarchiven (Scheffler 1977) und Gegenstand von Ausstellungen. Meist werden Autor-Bilder in Bildbänden berühmter Fotografinnen und Fotografen veröffentlicht (u. a. Nadar [Hambourg et al. 1995]; Freund 1989; Ohlbaum 1984; Koelbl 1998). Informationen zum Autor-Bild finden sich daher meist verstreut in unterschiedlichen Disziplinen. In Fotografiegeschichten (Frizot 1998) oder entsprechenden Katalogen sowie in der Kunstgeschichte im Rahmen der Geschichte des Porträts sind stets auch AutorBilder enthalten. Sie sind selbst jedoch kaum Gegenstand der Untersuchung. Für wenige einzelne Autoren liegen Monografien zu ihren Autor-Bildern und ihrem Umgang mit Fotografie vor. Weit häufiger sind Bild-Biografien, die Autor-Bilder einfach versammeln. Jenseits individueller Bezugnahmen ist das Autor-Bild als Teil epochentypischer Darstellungsstile untersucht worden. Einzeldarstellungen zur spezifischen Autorendarstellung im historischen Kontext liegen für das Mittelalter (Wenzel 1998), für die Zeit des Barocks (Skowronek 2000) und für die Porträtkultur des 18. Jahrhunderts vor (Kanz 1993). Eine systematische Übersicht zum Genre des Dichter- und Gelehrtenbildes in der Fotografie geben Diers (2007) und Stiegler (2007), die Mediengeschichte des Autorenfotos verfolgt Bickenbach (2010). Etliche jüngere Publikationen haben das Thema der „Autorschaftsinszenierung“ inzwischen in den Blick genommen und Bildstrategien im Buchmarkt und im Internet thematisiert (Grimm und Schärf 2008; Jürgensen und Kaiser 2011; Gisi und Meyer u. a. 2013; Kyora 2014). Unter den Aspekten eines Kampfes um Aufmerksamkeit sind inzwischen neuere Forschungen publiziert worden, die das Autor-Bild als Teil der (visuellen) Kultur der Gegenwart detailliert untersuchen
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und die heutige Praxis des Buchmarktes analysieren (John-Wenndorf 2014; Ost 2014) [vgl. den Artikel Autorschaft und literarischer Markt].
Genealogien des Autor-Bildes Bilder von Autoren sind heute in Buchmarkt und Öffentlichkeit inter- und transmedial omnipräsent. Ob auf Websites, in Verlagsprogrammen, Zeitschriften oder am und im Buch selbst, überall hat sich die visuelle Präsentation des Autors den Texten scheinbar bruchlos hinzugefügt. Über die direkte Funktion des Verweises auf den Autor im Buch (Cover, Klappentext) oder auf das Buch in Werbeanzeigen oder -beilagen hinaus, versammeln Bildbiografien weitere Bilder, die den Schriftsteller oder die Schriftstellerin in ihrem Alltag seit ihrer Kindheit zeigen. Was heute als Normalität gelten kann, ist literaturgeschichtlich als eigene Epochengeschichte zu reflektieren, in der zwischen einer Geschichte überlieferter Bilder, die wiederkehren, und einer Geschichte von Autoren, die seit ihrem Kleinkindalter fotografiert werden, unterschieden werden kann. Die Verbreitung der Fotografie als Massenmedium stellt insofern eine Epochenschwelle dar. Autoren der Generation von Balzac bis Baudelaire werden bereits als berühmte Autoren erfasst. Autoren wie Kafka, Musil oder Benjamin sind schon als Kleinkinder der Macht der Bilder ausgeliefert. Dass Autor-Bilder sich scheinbar zwanglos Texten und Werken hinzufügen beruht jedoch auf einer langen Tradition der westlichen Schriftkultur, berühmte Zeitgenossen auch visuell zu memorieren. Die abendländische Literaturgeschichte ehrt und erinnert Autoren seit den ersten Büsten Homers in der frühen griechischen Antike (Schlink 1997). Die typisierte frühneuzeitliche Darstellung (Peters 2008, Wenzel 1998) ändert sich mit dem Porträt als Erfindung der italienischen Renaissance und der niederländischen Malerei im 15. Jahrhundert. Das Porträt erfindet die charakteristische Ähnlichkeit von Bild und Person mit dem Ziel nicht nur die äußere Ansicht getreu wiederzugeben, sondern das Wesen des Menschen als individuellen, einzigartigen Charakter sehen zu lassen. Diese Engführung von Bild und Mensch, in der die Einzigartigkeit des Individuums, vor allem durch seine Gesichtszüge, visuell und ideell zugleich festgehalten werden, bedingt es, dass Autoren nicht mehr nur als Typus des Gelehrten sichtbar sind, sondern als Autor im modernen Sinn: als Individuum, das ein einzigartiges Werk geschaffen hat. Das Bildnis Oswald von Wolkensteins in seiner Innsbrucker Liedhandschrift (1431/32) gilt als erstes Porträt eines deutschsprachigen Autors im spezifischen Sinn der Darstellung von Individualität. Heute ist Oswalds Bild allerorten, auf CDs, Buchcovern, Plakaten, auf Briefmarken und Postkarten wiederzufinden. Die Mediengeschichte des Autor-Bildes impliziert so die Reproduktion älterer Bilder,
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die zusammen mit zeitgenössischen Porträts heute in Druckwerken aller Art und im Internet zirkulieren. Zwischen dem 15. und dem frühen 19. Jahrhundert gibt es Bildnisse von Autoren entweder nur als gemalte oder gezeichnete Originale als Unikat oder aber sie zirkulieren bereits als Holz- und Kupferstich, sowohl als Einzelblatt, aber auch bereits in eigenen Sammlungen. Die Gattung der ‚Bildnisviten‘ verbreitet die Porträts der humanistischen und barocken Autoren in immer größeren Sammlungen. In diesem Kontext entstehen nicht nur bis heute berühmte Gelehrtenporträts, wie etwa Dürers Erasmus von Rotterdam, sondern auch die eigenständige Buchform der Bildnisviten, in denen die viri illustri versammelt werden. Durch Giorgio Vasaris Viten (1550) berühmter Maler findet die Verbindung von Bild, Biografie und Werkbeschreibung eine feste Form (vgl. Wetzel 2020). Mit Paolo Giovios Elogia Virorum literis illustrium (Basel 1577) entsteht eine auf literarische Autoren konzentrierte Sammlung (vgl. Haskell [1993] 1995, 59–61). Die Bilder gelten dabei als ‚Exempel‘, als nachahmungswürdige, handlungsorientierende Vorbilder (Rave 1959). Hervorzuheben ist Johann Jacob Boissards und Theodor de Brys Icones vivorum illustrium (1597–1628). Dieses Sammelwerk setzt mit Kupferstichen einen neuen Standard der Darstellungsqualität und versammelt insgesamt 438 Porträts. Ob Luther oder Martin Opitz, so gut wie alle Dichter und Gelehrte des Humanismus und Barock sind hier versammelt. Die Bände der Sammlung erleben eine Fülle von Neuauflagen. Als Bibliotheca Calcographica erscheinen sie 1669 noch einmal zusammen. Heute kann diese Sammlung im Internet eingesehen werden (Boissard und de Bry 1597–1628). Autoren des Barocks wie Martin Opitz können die Bekanntheit der Porträts bereits voraussetzen und betreiben selbst regen Handel mit den Autor-Bildern, wie sie dann der Germanist Erich Trunz im 20. Jahrhundert sammelte (Trunz und Lohmeier 1990). Porträts von Autoren – bis auf die römische Dichterin Sappho findet kaum eine Frau Aufnahme in die Bildnisreihen – zirkulieren bis ins 18. Jahrhundert als loser Einblattdruck oder als Sammelwerk jenseits der Werke des Autors. Obwohl das Frontispiz sich für Gelehrte seit dem 16. Jahrhundert etabliert, wird es für literarische Autoren erst spät üblich. Literarische Werke des 18. Jahrhunderts erscheinen in der Regel mit allegorischen Titelkupfern. Erst im 19. Jahrhundert wird, im Zuge der (nationalen) Dichterverehrung Goethes und Schillers, das Bild des Autors einen festen Platz im öffentlichen Raum und auch im Buch erhalten (Noltenius 1984; Gudewitz 2009). Erst seit den 1950er Jahren aber werden auch die Cover und Umschläge der Bücher und Taschenbücher mit Autorbildern versehen. Die ‚Suhrkamp Kultur‘ etabliert seit den späten 1950er Jahren das literarische Taschenbuch mit Porträt. Der kultur- und mediengeschichtlich bedeutende Schritt, der dieser allgemeinen Verbreitung des Autor-Bildes vorangeht, ist die Entstehung der Porträtfoto-
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grafie um 1840. Eine Daguerreotypie Honoré de Balzacs ist das erste fotografische Schriftstellerporträt (1842). Balzac ist mit einer großen Geste, die Hand auf das Herz gelegt, repräsentiert und zitiert noch die repräsentative Pose des gemalten Porträts. In den nächsten zwei Jahrzehnten werden Porträtfotografien und FotoAteliers einen ungeheuren Erfolg verzeichnen. Das fotografische Porträt wird im Kleinformat der Carte de Visite (ca. 6x9 cm) zum „Porträt für jedermann“ und buchstäblich millionenfach angefertigt und verbreitet (Sagne 1998). Baudelaire und andere Autoren in Paris lassen sich ebenso wie in den USA Edgar Allan Poe in verschiedenen Posen fotografieren. Während die Atelierfotografie typische Kulissen und Posen entwickelt, setzt sich das Brust- oder Kopfbild mit neutralem Hintergrund auch für berühmte Zeitgenossen durch. Die Bilder, die in dieser Zeit entstehen sind bis heute präsent. Baudelaires Haltung zur Fotografie zeigt exemplarisch die ambivalente Stellung des Autors zu seinem öffentlichen Bild auf (Bickenbach 2010, 229–257). Im Kontext seiner öffentlichen Verunglimpfung nach dem Erscheinen der Fleurs du Mal entschließt sich Baudelaire die zweite Auflage mit einem Porträt zu veröffentlichen. Seinen Verleger kann Baudelaire durch ein Argument gewinnen, das bis heute Gültigkeit beanspruchen darf: „Das Porträt ist eine Verkaufsgarantie“ (vgl. Bickenbach 2010, 255). Baudelaire musste sein Porträt noch von einem Künstler nach Fotografien anfertigen lassen, um es drucken lassen zu können. Die unterschiedlichsten fotochemischen Bildtypen und Druckvorlagen werden erst nach 1907 durch Offsetdruck und Rasterung der Bildvorlage zu einem Druckvorgang, der Text und Bild zugleich reproduziert, gebündelt (Heidtmann 1984). Erst seit dieser medientechnischen Gleichschaltung kann das Bild des Autors als scheinbar bruchlose Beigabe seiner Bücher erscheinen.
4 Offene Fragen, Forschungsdesiderate Die heutige inter- und transmediale Omnipräsenz von Autor-Bildern verdankt sich einem Selbstverständnis, das gerade nicht die Differenzen zwischen Person und Bild problematisiert, sondern die Repräsentation des Bildes als Darstellung des Menschen ‚wie er wirklich ist‘ akzeptiert. Systematische Arbeiten zur Kanonisierung und Traditionsbildung durch bestimmte Bilder sind bislang selten. Das Autor-Bild ist als Teil und Agent des kulturellen Gedächtnisses noch zu entdecken. Auch der Diskurs der Bildkritik, der sich verstreut bei Autoren finden lässt, und der individuelle Umgang von Schriftstellerinnen und Schriftstellern mit ihren Bildern – als Selbstdarstellung oder Maske, als Inszenierung einer öffentlichen
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Rolle und Bildpolitik von Autoren und Verlagen – bietet weitere Forschungsperspektiven. Sei es, dass in Einzeldarstellungen ein bestimmter Umgang mit der Macht der Bilder für einen Autor ausgearbeitet wird, sei es, dass im Zusammenhang mit historischen oder aktuellen Medientechniken zwischen Kupferstichsammlungen und Autorenbildern im Internet das Autor-Bild zum Gegenstand wird. Ebenso sind Fragen der Verlagspolitik und des Marketings mit dem Einsatz von Autor-Bildern zu verbinden. Aktuelle Arbeiten haben hier erste Grundlagen geschaffen (John-Wenndorf 2014; Oster 2014). Unter dem Gesichtspunkt der Selbstinszenierung des „öffentlichs Ichs“ ist seit einigen Jahren eine neue Forschungsperspektive entstanden (Kyora 2014; Kaufmann und Schmid u. a. 2014; Gisi und Meyer u. a. 2013; Jürgensen und Kaiser 2011, Grimm und Schärf 2008). Die Funktion aktueller Medien und nicht zuletzt die digitalen Präsentationen im Internet sind in ersten Arbeiten in den Blick genommen worden (Paulsen 2007; Biendarra 2010). Die mediale Inszenierung von Autorschaft ist damit als Forschungsperspektive jedoch keinesfalls erschöpft [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Weitere Arbeiten zur Geschichte der Autorendarstellung wie zu den Veränderungen durch aktuelle Medien bieten sich an, zumal heute mittels Blogs oder Homepages Autoren ihre Vermarktungsstrategien erweitern und damit auch ein Stück der Bildpolitik und Selbstinszenierung zurückgewinnen. Ein Forschungsdesiderat bilden Arbeiten, die auf Abweichungen von der Porträtnorm eingehen. So scheint es eine Tradition des Autor-Bildes als Bild der Hände zu geben, die erst in Ansätzen erfasst worden ist (Bickenbach 2010, 287– 309). Ebenso liegen über die Funktion von Bildern z. B. des Schreibtisches von Schriftstellern bislang, über die Sammlung der Bilder hinaus, nur wenige historische oder theoretische Studien vor. Eine weitere Abweichung ist mit avantgardistischen Autor-Bildern gegeben, in denen Autoren verkleidet, unscharf oder mehrfach belichtet gezeigt werden. Solche Sonderformen im Kontext der historischen Avantgarden (Dada, Futurismus, Surrealismus) bleiben international vergleichend zu erforschen. Nicht zuletzt sind dabei auch interkulturelle Perspektiven ein Desiderat. Welche Unterschiede gibt es zwischen europäischen und USamerikanischen Autoren-Bildern? (Ribbat 2003) Wie werden Autoren in Kulturen visualisiert, die ein grundsätzlich anderes Verhältnis zum Bild und zum Selbstbild haben, wie asiatische, afrikanische oder arabische Kulturen? Entsprechende Studien zur interkulturellen Diversität des Autorenporträts stehen noch aus.
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Jochen Strobel
III.2.5 Brief und Autorschaft 1 Begriff Der Brief ist ein Kommunikationsmedium, das der Speicherung und Übertragung schriftlicher oder ikonischer Zeichen an abwesende Adressaten dient, in der Regel mit Zeitverzug. Die Behauptung, er sei ein Gespräch zwischen Abwesenden, ist paradox – besser wäre vielleicht: Eine Folge von Briefen, die zwischen mindestens zwei Beteiligten zirkulieren, simuliert ein Gespräch. Das Schreiben und Lesen von Briefen ist seit längerem schon eine eher einsame und doch von performativen Momenten nicht freie Angelegenheit. Das Schreiben, Versenden und Lesen elektronischer schriftlicher Kurznachrichten besitzt, wie wir wissen, des Öfteren auch theatrale, demonstrative Momente. Bis zur Erfindung der Telegraphie war der Brief das einzig zuverlässige, wenngleich lange Zeit mit Kosten und Aufwand verbundene Medium der individuellen Distanzkommunikation [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Seit er sich im 18. Jahrhundert von allerlei Normen befreit hatte, war er ein weithin beliebtes Medium mit quantitativ, formal, thematisch und stilistisch zunehmend variablem Textanteil. Als Objekt und Gabe schließt der Brief einen in der Regel haltbaren Datenträger auch über seinen oft als zentral gewerteten Schriftcharakter hinaus ein [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Distanzkommunikation bedingt eine gewisse Ununterscheidbarkeit zwischen Wahrheit und Lüge oder: wenn ein entsprechender Pakt zwischen Schreibendem und Lesendem einmal geschlossen ist: zwischen Authentizität und Fiktionalität. Der Dialog oder gar die Geselligkeit, die die Briefkultur vorschützt, ist ohnehin nicht ganz echt. Oft musste der Brief echte Geselligkeit ersetzen, sofern die durch den Brief zurückgelegte Strecke nicht auch durch die beiden Kommunikationspartner überwunden werden konnte. Der Schreiber richtet sich nicht an den realen Adressaten, sondern an dessen Projektion, die ihm beim Schreiben sozusagen gegenübersitzt. Der Empfänger hat immerhin den Text des Schreibers (wenn auch nicht ihn selbst) als Anhaltspunkt. Signifikant oder deutungsbedürftig können auch die betroffenen Zeitrelationen sein: das Ausreizen des Spektrums zwischen verspäteter Antwort und Kommunikationsabbruch kann Deutungsakte des auf Nachricht hoffenden Kommunikationspartners hervorrufen, auch hoch emotionalisierend wirken. Doch anders als beim Verfassen und Lesen von Romanen gibt es beim Briefeschreiben keinen Fiktionspakt zwischen den Beteiligten, sie haben sich also nicht darauf geeinigt, etwas für die Dauer der Lektüre für authentisch zu halten, was doch erfunden ist. https://doi.org/10.1515/9783110297065-013
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Simulation ist ein passendes Stichwort, wenn es um Brief und Literatur gehen soll. Als Alltagsmedium von seit dem 18. Jahrhundert bis heute hohem Gebrauchswert steht der Brief zunächst ‚nicht‘ mit Zuschreibungen von Autorschaft in Beziehung, ja, er wird als „nicht-fiktionaler“, „an eine explizit genannte bzw. angeredete Person […] gerichteter“ und „nicht zur weiteren [sic] Veröffentlichung bestimmter Text“ definiert (Golz 1997, 251). Allerdings zeigen sich einerseits in der Geschichte des Briefs vor allem seit dem 18. Jahrhundert vielfältige Korrelationen zwischen ‚Literatur‘ (bzw. ‚Poesie‘) und Brief; sodann verweist die historisierende bzw. wissenschaftliche Begriffsverwendung von ‚Autorschaft‘ in Bezug auf Briefe sogar bis in die Antike zurück. Im weiteren Sinn aber ist mit dem Brief eine der Urszenen hochintentionalen Schreibens und der Konstitution des Selbst in der Schrift verbunden, und zwar aus der Notwendigkeit heraus, ‚Ich‘ zu sagen, eine für den Empfänger nicht überprüfbare Mitteilung zu adressieren und die Speicherung wie auch die weitere Verbreitung des Geschriebenen ins Kalkül zu ziehen. Noch die digitalen Ausläufer der Briefkommunikation leben – zusammen mit hierfür noch geeigneteren Bildmedien – von dieser stetigen, dialogischperformativ justierten Selbstmodellierung, für die Begriffe wie ‚authentisch‘ oder ‚fingiert‘ inzwischen anachronistisch geworden sind [vgl. den Artikel Vernetzte Autorschaft]. Eine Hüllform für Simulation war der Brief schon im 18. Jahrhundert, als Formelemente wie auch Elemente seiner Pragmatik mit anderen, teils genuin künstlerischen Formen in Wechselwirkung traten: neben dem philosophischen Brief gab es Briefgedicht, Versepistel und vor allem den breitenwirksamen Briefroman eines Rousseau oder Goethe, die die Grenzen von Brief und Literatur ausloteten. Diese Simulationen zeigen, dass der Brief auch unter anderen kommunikativen Umständen funktioniert als er gedacht ist – dort, wo künstlerische Sprache und ästhetisierende Wirkung angestrebt wird, dort, wo fingiert wird, im Einzelfall auch dort, wo sich ein Autor hinter der Maske des Briefschreibers von vornherein an eine Öffentlichkeit wendet – das ist im Offenen Brief der Fall, die einzig unproblematische Zuschreibung von Autorschaft zum Brief [vgl. den Artikel Autor-Masken und – Maskierungen].
2 Systematisch Mehrere für sich allein jeweils als Kriterium für Autorschaft nicht genügende Zuschreibungen haben sich in der Praxis des Schreibens, Archivierens, Edierens und Erforschens von Briefen herauskristallisiert: Erstens können Briefe als Bestandteil eines literarischen (oder wissenschaftlichen oder non-fiction-) Œuvres
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selbst Autorschaft generieren, inszenieren, begleiten oder bestätigen; zweitens können sie aufgrund fiktionaler Anteile oder schreiberspezifischer, sprachkünstlerischer (literarischer) Merkmale autoraffin sein; drittens: der Brief kann im Kontext einer literarischen Gattungspoetik (und damit als Gattung, die den ‚Briefautor‘ hervorbringt) gelesen werden oder auch genderspezifisch als Trigger ‚weiblichen Schreibens‘ – gemäß dem Satz: ‚Frauen um 1800 schreiben nicht Literatur, sondern Briefe‘, womit Briefe eine geschlechtsspezifische Alternative zur männlich codierten Autorschaft wären [vgl. den Artikel Weibliche Autorschaft]. Eine vierte, wenngleich vage und für die Zeit einer bürgerlich geprägten Hochkultur (also von der Mitte des 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts) gültige Relation besteht in der Zuordnung des Briefs zu dieser Kultur, wie sie etwa Goethes Diktum über Winckelmann postuliert: „Briefe gehören unter die wichtigsten Denkmähler, die der einzelne Mensch hinterlassen kann.“ (Goethe 1805, XI–XII) Wäre nicht in Bezug auf Briefe der Begriff der Autorschaft verzichtbar? Betrachtet man empirisch das Gros der öffentlich zugänglichen Überlieferung, wie es sich etwa in der Handschriftensuchmaschine Kalliope (vgl. http://kalliopeverbund.info/de/index.html) darstellt, dann muss die Antwort „Ja“ lauten – eine Reflexion auf den besagten Begriff erscheint vorwiegend aufgrund eines Diskurses, der ‚literarische‘ Briefe und Briefe von Autor/innen traditionell privilegiert, vonnöten. Briefe können aber auch als das Andere von Autorschaft, Dokument von deren Verweigerung oder Nichtinanspruchnahme, gelesen werden, als Forum des Authentischen, des Privaten, des Kunstlosen, mit Roman Jakobson als Gegenstand „phatischer Kommunikation“ (Jakobson 1972, 125), an dem schriftlicher Ausdruck und Mitteilung nur leicht wiegen. Als ‚flexible‘, zunehmend rhetorischer und teils auch generischer Vorgaben entkleidete Textsorte eröffnet der Brief seinem Schreiber die Chance auf adressatenbezogenen kreativen Ausdruck, er kann also eine Schule ästhetisch gelingender schriftlicher Rede sein. Konrad Ehlich hat aus pragmatischer Perspektive die Affinität des Briefs zur Literatur nachgewiesen, u. a. weil Korrespondenten sich häufig (etwa schon zur Zeit der Renaissance) auf je vorgängige ‚klassische‘ Briefe (hier: solche der Antike) bezogen (vgl. Ehlich 2014, 33). Der Brief sei „Übungsfeld für die Entwicklung einer ganzen Gruppe von literarischen Formen“ gewesen (Ehlich 2014, 36), die ihnen unterstellte Authentizität provoziert die Frage nach dem bzw. einem Urheber. Dies mag auf das Tagebuch oder auf improvisiertes mündliches Erzählen analog zutreffen. Der Brief weist mit individuell sehr variabel auszugestaltender subjektiver Schriftlichkeit plus Adressiertheit und einer von ihm ausgehenden Versuchung, ihn als Objekt zu sammeln und zu tradieren, aber Kennzeichen auf, die ihn im 18. Jahrhundert näher an den entstehenden Literaturbetrieb heranrücken als andere Kommunikationsformen [vgl. den Artikel Autorschaft und literarischer Markt]. Die Ausprägung eines brieflichen Personalstils, die Einübung
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in schriftliches Erzählen und Rollenwechsel, die Lektüre in Freundschaftszirkeln und die Anfertigung von Abschriften können freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit alledem doch keine autorisierten, veröffentlichten Texte vorliegen und somit eine entscheidende, notwendige Bedingung für Autorschaft fehlt. Dass Briefe prominenter Bestandteil in poetischen Texten, im 18. Jahrhundert namentlich im Briefroman, waren und bis heute sind, dürfte bei vielen mit ökonomischem und mit Bildungskapital ausgestatteten Menschen zu einem Bemühen um ästhetisch anspruchsvolle Briefe geführt haben. Doch gibt es bis auf recht wenige, bezeichnenderweise meist von Autorinnen und Autoren verfasste Briefe, keinen ‚Briefkanon‘ und kommt eine empirisch über die Einzelkorrespondenz hinausblickende und dann oft nicht-literaturwissenschaftliche Briefforschung erst langsam in Gang. Wir wissen noch nicht einmal, ob eine Geschichte des Briefs geschrieben werden könnte oder ob eine Anthropologie des Briefs auf ein Übergewicht von Invariantem im Gegensatz zu Epochenspezifischem, Ephemerem und Wechselhaftem hinzuweisen hätte (vgl. Kasper u.a. 2021). Das Quellenmaterial ist zugleich höchst selektiv überliefert und erdrückend umfänglich. Generierung von Autorschaft ist zunächst und vor allem auf Veröffentlichung unter dem Namen des Verfassers bezogen, Briefe können zu Lebzeiten der Schreibenden oder (in der Praxis häufiger) nach deren Tod publiziert werden. Der Offene Brief garantiert stets Autorschaft, doch werden die Verfasser offener Briefe eine unhonorierte weite Verbreitung ihrer Botschaft einer urheberrechtlichen Kontrolle vorziehen, d. h. die Intention der Adressierung gilt ihnen mehr als Funktionen der Autorschaft. Dass Briefschreiber qua Publikation zu urheberrechtsgeschützten Autoren werden, wird oft von Fragen des Persönlichkeitsrechts überdeckt: In Briefen werden vielfach die Privat- und die Intimsphäre der Korrespondenzpartner oder Dritter tangiert. Briefe können als Teil eines Œuvres gelten und damit als eine in einer Werkausgabe zu repräsentierende Gattung. Briefe können also bestätigendes Anhängsel an bestehende Autorschaft sein. Die Weimarer Ausgabe der Werke Goethes hat neben den ‚Werken‘ Naturwissenschaftliche Schriften, Tagebücher und Briefe in eigenen Abteilungen vollständig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Goethe war mit eigenen Briefeditionen allerdings vorangeschritten – und er hatte mit einem Briefroman und mit Briefgedichten weitere zeittypische Genres bedient. Für die moderne Literatur seit dem 18. Jahrhundert, die Michel Foucault mit der ‚Funktion Autor‘ verknüpft hat, wird der Brief also (begleitend zum ‚Werk‘ oder als oft minder geschätzter Teil davon) Ort der Inszenierung von Autorschaft, u. a. in der Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb (vom Verleger und Kritiker bis zu den Vorbildern und den Lesern), des intertextuellen Verweises auf das ‚Werk‘ [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft]. Er ist dessen Kommentar, kann auch sein Entwurf sein und seine Extrapolation (vgl. Strobel 2006a). Er ist mithin
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auch Ort eines substituierten oder einfach nur fortgesetzten ästhetischen Werks im engeren Sinne (die Briefkommunikation wird zum vollgültigen Teil des Werks; die ästhetische Funktion der Korrespondenz überlagert oder ersetzt ihre kommunikative: aus ‚Leben‘ wird ‚Werk‘ oder eben ein „Kunstleben“ [zu den Beispielen Hofmannsthal und Rilke vgl.: Schuster 2014]). Der Verdacht auf Ästhetisierung kann einhergehen mit einer Unterstellung von Fiktionalisierung: Mit diesem Begriff wurde bereits die Simulation des unmittelbaren Gesprächs im Privatbrief belegt, „die die Schriftlichkeit der Äußerung und die raumzeitliche Trennung der Briefpartner vergessen machen“ wolle (Müller 1994, 61). Karl Heinz Bohrer hat vehement die These einer Selbstästhetisierung Heinrich von Kleists, Clemens Brentanos und Karoline von Günderrodes in einzelnen Briefen vertreten, womit er lediglich den Brief in der Gattungspoetik um 1800 aufwertete, ohne doch seine These auf Briefe schreibende Nicht-Autor/innen ausdehnen zu wollen (vgl. Bohrer 1987). Die Kleist-Forschung hat folgerichtig die Briefe als Ideenmagazin des Autors (vgl. Breuer 2013; Fleig 2013, 14) und als Forum einer „Selbstkonzeption“ (Gawe 2013, 207) seither weiter erschlossen. Briefe können also in einer metonymischen, synekdochischen, paratextuellen Beziehung zu Artefakten eines Künstlers stehen (der dem Kunstwerk widersprechende Charakter der Kommunikationsform ist freilich nicht zu leugnen). Das Ich des Briefs sei demnach vom empirischen Verfasser zu unterscheiden (vgl. Kording 2014, 11–12). Erst in der Rückschau und bei entsprechender editorischer Aufbereitung kann einer Korrespondenz oder Briefreihe, wie etwa Franz Kafkas Briefen an Felice Bauer, ein autofiktionaler Ich-Entwurf entnommen werden, der, ausgehend von perpetuiertem Liebesversprechen, zugleich dazu widersprüchlich fast fetischistisch auf das eigene Schreiben gerichtet ist [vgl. den Artikel Autofiktion]. Ob es sich um Lüge oder um Fiktionalisierung handelt, wird nicht geklärt – fest steht aber, dass die Form des Briefs nicht einem Fiktionspakt unterliegt und grundsätzlich authentische Rede erwarten lässt. Franz Kafka – der zeitgleich bereits als Autor agiert, Texte wie „Das Urteil“ publiziert hat – erscheint als Autor F.K. ‚im‘ Brief und zugleich ‚außerhalb‘ – in unterschiedlichen Figurationen. Briefe partizipieren analog an der fachlichen Kommunikation eines Wissenschaftlers, also: wissenschaftlichen Autors, ohne doch schon Teil seines Werkes zu sein. Erst die Veröffentlichung lässt sie dazu werden, gleichgültig ob diese Briefe den heute üblichen Publikationen von Forschungsergebnissen in der Autorschaft ‚angemesseneren‘ Medien wie Buch oder Zeitschrift vorausgehen, denn es handelte sich zunächst einmal um klar adressierte Texte. Es stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung des Autorschaftsbegriffes, denkt man etwa an dessen hermeneutische und da wiederum an mehr oder weniger intentionalismuskritisch argumentierende Ausprägungen [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik]: Sollte man davon ausgehen, dass Briefe
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als adressatenbezogene Objekte Bedeutungen entfalten, die über die Intention des Schreibers hinausreichen? (vgl. Schaffrick undWilland 2015, 20–22) Plausibler scheint ein ‚weicher‘ Intentionalismus, der dem Autor zuerkennt, dass er „einem Text als erstes Bedeutung zuschreibt“ (Schaffrick und Willand 2015, 24). Wissenspoetologische und sozialgeschichtlich-praxeologische Ansätze können sich allerdings des Briefs bedienen: Definiert man den Autor „als Instanz der Zuschreibung sprachlichen und kulturellen Wissens“, als „Verwalter von Diskursen“ oder als „sozialgeschichtliche[n] Akteur“ (Schaffrick und Willand 2015, 31, 33, 35), dann lohnt es sich, Briefe, verstanden als Metadokumente zum ‚Werk‘, die der Alltagskommunikation angehören, in eine Untersuchung von Autorschaft einzubeziehen, dürfte doch eine sozialgeschichtliche Perspektive „ein wichtiges Element der praxeologischen Erdung und Rückbindung theoretischer Autorschaftskonzeptionen an und durch die (historische) Wirklichkeit auktorialer Erscheinungsformen […] sein“ (Schaffrick und Willand 2015, 37). Briefe entstehen als Gebrauchstexte oft kollektiv, werden von Zweiten und Dritten um Postscripta angereichert, von Empfängern kommentiert und abgeschrieben, sie werden oft fragmentarisch überliefert – dies alles wiederum lässt sie für eine Funktion ‚Autorschaft‘ mitunter blass wirken [vgl. den Artikel Kollektive Autorschaft]. Die in der Briefforschung der vergangenen Jahrzehnte stark gewichtete Konzeption ‚Materialität‘ legt ihren Schwerpunkt nicht so sehr auf einen Text, der wiederum auf seinen Schreiber verweist (dessen geistiges Eigentum er ist), sondern auf ein Objekt, das zwischen Geber und Empfänger (und Sammlern) zirkuliert (und das Eigentum des Empfängers und seiner Erben ist) [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright]. Die von Rüdiger Campe und Martin Stingelin (vgl. Campe 1991; Stingelin et al. 2003) geprägte, materialitätsorientierte Schreibszenenforschung entmetaphysiziert das Konzept ‚Autor‘, indem sie Kontingenzen der Entstehung oder die Körperlichkeit des Schreibers in ihre Erwägungen einbezieht (vgl. Bohnenkamp und Wiethölter 2008). Ist die Erweiterung des Verständnisses von ‚Brief‘ über seine Textualität hinaus begrüßenswert, so kehrt eine Kennzeichnung des nun beobachteten materialen Objekts als „Gesamt(kunst)werk“ nolens volens zu einer Metaphysik der Autorschaft zurück (Bohnenkamp und Wiethölter 2008a, X). Autorschaft als Funktion des Briefs ist kaum möglich ohne die sekundäre Verwertung der für einen Adressaten gedachten Objekte (durch Sammler, Archivare, Editoren und sekundäre Leser, Literaturhistoriker). Da veröffentlichte Briefe in aller Regel nicht autorisiert sind, tritt der Wille des Editors an die Stelle des Briefschreibers; für Briefe entscheidend ist die Herausgeberfunktion [vgl. den Artikel Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘], die bereits die Briefromane des 18. Jahrhunderts teils beglaubigend, teils ironisierend fingieren (vgl. Strobel 2013, 76–79). Das Nachleben mancher Autorinnen und Autoren ist geradezu auf Briefpublikatio-
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nen angewiesen – Beispiel dafür, wie Briefe erst sekundär, genau wie andere Diskurse, zu „Gegenstände[n] der Aneignung“ (Foucault 2001 [1969], 1015) werden, der Brief zu einem (randständigen, aber doch urheberrechtsbewehrten) Teil des ‚Werks‘ werden kann. Foucault beharrt in „Was ist ein Autor?“ einerseits darauf, der Privatbrief habe keinen Autor (vgl. Foucault 2001 [1969], 11015 – eine grundstürzende und ebenfalls briefbezogene Polemik gegen die Autorinstanz entfacht Jacques Derrida in seinem Kommentar zu Jacques Lacans Seminar über Poes The purloined letter (vgl. Derrida 1987, 195–169, 280–281). Andererseits erhebt Foucault den Brief zu einer Autorschaft geradezu garantierenden Textsorte, denn für ihn ist „der Autor ein bestimmter Ausgangspunkt des Ausdrucks, der sich in mehr oder minder vollendeter Gestalt ebenso und mit demselben Wert in den Werken, den Skizzen, den Briefen, den Fragmenten etc. manifestiert.“ (Foucault 2001 [1969], 1019) Briefe rücken hier also neben Skizzen und Fragmente – Dokumenttypen, die üblicherweise ebenfalls erst dem Nachlass entspringen. Autorschaft als Gattungserwartung setzt bei Briefen – einmal von Briefromanen abgesehen – angesichts von Anthologien ein (insbesondere solchen mit biographischer Absicht, also ‚Leben in Briefen‘, wie es im 19. Jahrhundert hieß), ferner von editorisch rekonstruierten Korrespondenzen und Briefwerken. Indem Anthologien und Editionen oft entlang eines Narrativs konzipiert sind, bestätigen sie die Leseerfahrungen aus dem Briefroman. Erben, Biographen, Editoren erzeugen nicht zuletzt aus nachgelassenen Briefen neue Bilder des Autors; Briefe organisieren und befördern seinen Nachruhm (vgl. Schöttker 2008). Gerade Briefe (als Orte des Schreibens und Instrumente des Lebensvollzuges) und eine Briefkultur aus Anthologie, Edition, Weiterverwertung in der Biographie u. a. tragen erheblich zur Sichtbarkeit und Plastizität von Autoren bei – zugespitzt: Wer die Epoche der Autorschaft vom 18. bis zum 20./21. Jahrhundert in den Blick nimmt, sollte sich epistolaren Zeugnissen und deren Überlieferung nicht entziehen (vgl. Strobel 2006a, 16). Sammeln, Archivieren und erst recht Edieren waren im 19. und 20. Jahrhundert weitgehend Praktiken, die die Autorfunktion aufrechterhielten: Gesammelt wurde, was wertvoll erschien, Autographen ‚großer Männer‘ – neben Staatsmännern waren das vorwiegend Künstler. An der Spitze der Beliebtheitsskala standen Schreiben von Potentaten und als ‚selten‘ empfundene Autographen; Literarizität spielte eine geringere Rolle. Johannes Günther und Otto August Schulz, Verfasser des ersten Handbuchs für Autographensammler, verweisen auf die Seltenheit als hervorragendes Sammelkriterium: „So hat das Autographum eines Schiller einen höhern Wert gegen das von Goethe, und Sim. Dach und Hölty einen noch höheren als beide, ungeachtet die Bedeutung dieser Dichter für Deutschland im umgekehrten Verhältnis steht.“ (Günther und Schulz 1856, 197) Komplementär kann der Brief für das Andere der Autorschaft einstehen, ein von den Zwängen literarischer Diskurse und Institutionen gerade befreites
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Forum der Kommunikation, das sich „außerhalb der Zuschreibungssphäre Kunst bewegt“ (Bunzel 2006, 159). Historisch frühestes Beispiel ist Rahel Varnhagen: „Sie entzog sich dem kulturellen Zwang der Autorschaftsrolle dadurch, daß sie sich zeitlebens weigerte, Texte mit Werkcharakter zu verfassen. Dennoch schrieb sie unermüdlich – Briefe“ (Bunzel 2006, 167). Im Spannungsfeld von simulierter Autorschaft und deren Verweigerung bewegen sich die teils umfangreichen von gebildeten Frauen des 18. und 19. Jahrhunderts verfassten Briefkorpora. Noch in den 1980er Jahren war generalisierend zu lesen: „Bei Frauen tritt die Korrespondenz an die Stelle [der] Werke.“ (Mattenklott et al. 1988, 11) Da Karl August Varnhagen von Ense im Buch des Andenkens die Briefe seiner Frau postum publizierte, begründete er – sieht man von wenigen Veröffentlichungen zu Lebzeiten ab – deren Autorschaft eben doch mittels Briefen. Bei den unterschiedlichen Klassen fingierter Briefe in fiktionalen Texten (Versepistel, Briefessay, Briefgedicht, Briefeinlage im Erzähltext, Briefroman) handelt es sich nicht um Briefe (im oben definierten Sinne), sondern um formgetreue Simulationen, die zum Bestandteil oder zum leitenden Formprinzip eines fiktionalen Textes werden oder die in der Briefform einen fingierten Redeanlass transportieren (ein frühes, berühmt gewordenes Beispiel sind Lessings Briefe die Neueste Litteratur betreffend, 1759–1765). Reinhard Nickischs Begriff „uneigentliche Verwendung“ impliziert eine durch die Abstufung begründete Wertung und führt zudem in die Irre (Nickisch 1990, 19). Selbstverständlich suggerierten insbesondere die im 18. Jahrhundert erfolgreichen Briefromane eine Nähe von Briefeschreiben und Autorschaft: Goethes Werther oder Brentanos Godwi verhandeln (verhinderte) Autorschaft. Das bei der Rousseau- oder Goethe-Lektüre erworbene literarische ‚Gattungswissen‘ dürfte Generationen von Briefschreiber/ innen inspiriert haben.
3 Historisch „Der Brief ist eine literarische Gattung, die in der Antike schon in der gesamten Vielfalt ihrer Erscheinungsformen vertreten ist.“ (Müller 1994, 66) Mit dieser Aussage wird bei den aus der Antike überlieferten Briefen die (autorlose) Gebrauchsfunktion ausgeblendet – sie stellt eine starke These dar, denn es sind auch als nichtliterarisch, also die Mitteilungsfunktion fokussierend, eingestufte Briefe in großer Zahl überliefert. Zur Matrix der Selbstmodellierung von ‚Autoren‘ (soweit dieser Begriff in den Altertumswissenschaften Verwendung findet, „war […] ihnen doch Autorschaft immer schon eine prekäre Kategorie“ [Meier und Wagner-Egelhaaf 2011, 12]) zählt aber bereits in der Antike das Briefeschreiben. Paulus
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unterschreibt seine Briefe namentlich, er und Seneca heben sich als ‚Autoren‘ ihrer Briefe besonders hervor, die zudem von vornherein an einen weiteren Adressatenkreis gerichtet sind und gesammelt werden (vgl. Nickisch 1991, 30). Aus dem Brieftext heraus vermochte die Wissenschaft Autor-Personen (und deren Intentionen sowie sozialgeschichtliche Situierung, ihren Öffentlichkeitsbezug etwa) zu konstruieren. Antike Briefe dienen etwa der Selbstinszenierung des poeta vates oder des poeta doctus. Mit der Kanonisierung der neutestamentlichen Briefe wird der Brief zum auratischen Text (vgl. Ehlich 2014, 33). Noch frühneuzeitliche poetische Briefe Lohensteins, Hoffmannswaldaus oder Gottscheds folgen antiken Mustern wie Ovids Heroides, also auch schon fingierten Briefen. Längst vor dem Briefroman finden Briefelemente Eingang in die Literatur. Seit dem durch Samuel Richardson (Pamela, or Virtue Rewarded, 1740) begründeten europäischen Briefroman und, im deutschsprachigen Raum, seit dem Brieftheoretiker Christian Fürchtegott Gellert (mit einem Vorlauf bereits in der Briefstellerliteratur des 17./18. Jahrhunderts) und seit Briefschreibern wie Johann Georg Hamann stellt sich erneut ein Konnex zwischen Privatbrief und Poetologie ein. Eine langfristig wirkmächtige Verkopplung von Poesie und Brief erfolgt im empfindsamen Diskurs des 18. Jahrhunderts: Briefe gelten als bevorzugter Ort der Artikulation von Empfindungen, mit der Verminderung rhetorischer und formaler Konventionen soll jedem Briefschreiber und – so schon Gellert – jeder Briefschreiberin die (paradoxe) Chance offen stehen, ausgerechnet im Medium der Schrift ‚authentisch‘ (‚natürlich‘) das Innerste nach außen zu kehren: „‚Authentizität‘ ist ein Kriterium für die Poetizität des Briefs. Je authentischer, je glaubhafter, desto besser sein fingiertes Referenzsystem.“ (Anton 1995, 134) Aus dem Augenblick heraus entstanden und mit dem Anspruch versehen, in ‚natürlicher‘ Sprache den nun kunstwürdigen unteren Seelenvermögen Ausdruck zu verleihen, öffnet der Brief jedermann das Tor zur Erprobung subjektzentrierter, individueller Sprache – und dies womöglich an der im Briefroman ausgeloteten Grenze von vorgeblicher Authentizität und lustvoller Fiktion. „Schöne Literatur und Briefkultur treten in ein Verhältnis der Interdependenz.“ (Golz 1997, 252) Gellert führt in seiner 1751 erschienenen Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen mit ‚Natürlichkeit‘, ‚sorgfältige Wortwahl‘, ‚Sprache des Herzens‘ ästhetische Kategorien in die Brieflehre ein. Frauen werden (als Schreiberinnen wie Leserinnen) privilegiert, da sie zartere und lebhaftere Empfindungen hätten. Anders als die Schreibvorlagen der Briefsteller sind die von Gellert zitierten Briefe individuelle, unverwechselbare Exempel mit Anregungscharakter. Bereits Gellert hat manipulierte oder fingierte ‚Originalbriefe‘ unter Vorspiegelung ihrer Authentizität publiziert (Freundschaftliche Briefe, 1746) und seine Leser sich in einer Grauzone zwischen erfundener Textwelt und Dokumentation der Wirklichkeit einleben lassen – und er arbeitet auch in seinem einzigen
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Roman Leben der schwedischen Gräfin von G*** von 1747 mit Briefeinlagen. In Gellerts oder Klopstocks Korrespondenzen wird weiterhin Autorschaft auch in der exemplarischen Begegnung zwischen Autor und enthusiastischer Leserin realisiert – und zugleich „wird dieser Briefwechsel selbst literarisch, […] als Literatur […] rezipiert.“ (Reinlein 2003, 210) Bei Gellert ist das mögliche Spektrum moderner ästhetisierender Epistolarität aus Briefeschreiben, Brieftheorie und Romanautorschaft erstmals und vielleicht in einmaliger Weise komplettiert. Literarische Avantgarde konnte der Brief nur im 18. Jahrhundert sein, als Experimentierfeld mono- oder multiperspektivischen autodiegetisch-extradiegetischen Erzählens mit interner Fokalisierung. Die Frühromantiker Novalis und Friedrich Schlegel integrierten den Brief in ihre Konzeption von Poesie. Erwies sich hingegen in der poetischen Praxis der Briefroman bald als wenig variabel und setzten sich komplexere Modelle multiperspektivischen Erzählens durch, so blieb der authentische (monoperspektivische) Brief im Alltag doch ein attraktives, wenngleich konventionell gewordenes Medium. Das späte 18. und das 19. Jahrhundert sahen im Brief das unmittelbare Abbild von ‚Gestalt‘ und ‚Personalität‘ des Verfassers, also gleichsam seine Physiognomie. Der Herausgeber – erstmals wohl Wilhelm Körte, der Briefe Gleims, Heinses und Johannes von Müllers herausgab – hatte sich gegen den Vorwurf zur Wehr zu setzen, allzu Vertrauliches, das Innere eines Menschen, der Öffentlichkeit preiszugeben (vgl. Körte 1806, XXV–XL). Goethe edierte selbst seinen Briefwechsel mit Schiller und bereitete die postum erschienene Edition der Korrespondenz mit Zelter selbst vor; er wertete damit die poetologischen und biographischen Narrative auf, die mittels Briefen erzählt werden konnten (vgl. Strobel 2006b). Bald entspann sich eine Brief-Philologie, die den Werkcharakter von Briefwechseln wie dem zwischen Goethe und Schiller endgültig festlegte, so Heinrich Düntzer mit seinem Kommentar (vgl. Düntzer 1859). Überlieferung und literaturwissenschaftliche Gewohnheiten privilegierten die Konzentration auf ‚literarische‘ Autorschaft in der Briefforschung. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden allerdings auch Nicht-Poeten als ‚Meister‘ des Briefs zu Autoren ernannt; diese Autorschaft erweist sich erst in der durch Buchpublikationen konsekrierten Formulierungskunst, die sich in einer ja zunächst ganz profanpragmatischen Textsorte zu erweisen hatte. Beispielhaft hierfür stehen Helmuth von Moltke oder Otto von Bismarck in der 1901 erschienenen Anthologie Meister des deutschen Briefs, in der die „litterarische Eigenart“ von deren Briefen gefeiert wird (vgl. Klaiber und Lyon 1901, III). Bildenden Künstlern und Komponisten wird auf diese Weise literarische Autorschaft additiv zugeschrieben (z. B. Richard Wagner); zu Publikationsehren gekommene Nur-Briefschreiber wie der Chirurg Theodor Billroth oder der Diplomat Alexander von Villers werden ihrer künstlerischen Fähigkeiten wegen gerühmt. Zählen bei kanonischen Autoren wie
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Goethe nicht zuletzt Werkkomponenten wie Briefe und Briefeditionen zu den konstitutiven, im Vergleich zum poetischen Werk aber doch sekundären Faktoren von Autorschaft, so funktioniert Kafkas weitgehend postume Autorschaft ganz ausdrücklich auch über als Kunstform (weniger als Mitteilungsform) gelesene umfangreiche Briefkorpora. Am Beispiel Kafka wäre von einer Autorschaft auch unabhängig vom Publikationsakt, aber ausdrücklich unter Einschluss aller je geschriebenen Texte zu sprechen. An seinem Beispiel lässt sich auch studieren, wie die nachträglichen Zuschreibungen der Editoren auf die von dem ‚NichtAutor‘ Kafka sorgsam gelegten Spuren reagieren. Ganz selbstverständlich treten bis heute immer weitere Briefeditionen, z. B. von Autoren der Suhrkamp-Kultur, als Bausteine zur Biographik, als Stilprobe, als ihrer Intimität entkleidete Zeugnisse an die Öffentlichkeit. Der Brief blieb jederzeit vielseitig fungibel und war für viele Themen und Topoi gut: Als raumzeitliche Differenz voraussetzende und ausagierende Kommunikationsform verführt er in seinen digitalen Ausläufern bis heute zu nüchtern-knapper Mitteilung ebenso wie zur spielerischen Fiktionalisierung zwischen Lüge und Poesie. Dass der empfindsame Konnex von Brief und Autorschaft vom 18. Jahrhundert bis heute kulturelle Normalität ist, zeigt etwa die durchgängige Präsenz der Briefform in fiktionalen Texten, wenngleich es sich dabei in den seltensten Fällen um Briefromane handelt. Bis hin zu Martin Walser und Daniel Glattauer arbeitet der Roman – oft parodistisch und inzwischen digitale Kommunikation simulierend – mit der Briefform, wenn er intimsprachliche und zugleich adressierte Selbstinszenierung anhand alltäglicher Schreib-Kunst vorführen möchte.
4 Erforschung Eine moderne Briefforschung existiert nur in Ansätzen, oft ist sie korpusbezogen, Ausnahmen bilden Arbeiten vor allem zum 18. Jahrhundert. Die lange Zeit über Werkausgaben und literarische Anthologien gelenkte Wahrnehmung hat naturgemäß zu einer sehr hohen Einschätzung bis Überschätzung des Faktors Autorschaft geführt. Eine repräsentative Anthologie mit Deutschen Briefen 1750–1950 aus dem Jahr 1988 räumt ein, die Auswahl vermittle zwischen „einer Literaturgeschichte des Briefs und der geschichtlichen Dokumentation deutscher Briefkultur“ (Mattenklott et al. 1988, 17). Obgleich von sprachwissenschaftlichen Definitionen einer Textsorte ‚Briefʻ (Bürgel 1976) ausgehend, ist in Reinhard Nickischs nach wie vor unersetzter Überblicksdarstellung der ‚literarische‘ Brief der implizite Normtyp, dessen Blütezeit zwischen Pietismus und Romantik liege
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(vgl. Nickisch 1991, 14–15). Während Sammelbände jüngeren Datums diese Verabsolutierung aufgeben, doch nach wie vor in der Ruhmbildung (die im Brief selbst thematisch wird oder die bestimmten Nachlasskonzeptionen zugrunde liegt: vgl. Schöttker 2008) oder in anderen Inszenierungsformen von Autorschaft die Autorfunktion für den Brief differenzierend untersuchen (vgl. Strobel 2006), bezweifelt Robert Vellusig diesen Konnex kategorisch: Jegliches artikulierende Ich sei vom artikulierten verschieden, somit wohne jeder Äußerung fingierendes oder fiktionales Potenzial inne. Die Poesie des Briefs beruhe auf ihren mimetischen Anteilen als Spiegel der Seele sowie auf der Entpragmatisierung qua Veröffentlichung (vgl. Vellusig 2016) – hier bleibt die Funktion Autorschaft also erhalten.
5 Ausblick, Desiderate Hatte sich ein öffentliches Interesse an der Kenntnis solcher zunächst intimen Texte in Briefanthologien und zunehmend auch -editionen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts artikuliert, scheint gleichzeitig mit dem verhaltenen Rückzug der Funktion Autor auch die Konzentration auf Autorschaftskonzepte in der epistolaren Editionspraxis (Digitale Briefedition) zu verlöschen, und zwar zugunsten der Erarbeitung von Netzwerkkomponenten und der Diversifizierung möglicher Anordnungen von Wissen auf der Basis unterschiedlicher Kategorien von Metadaten, sodass der Name des Schreibers/Autors nur noch ein Parameter unter vielen ist (vgl. Strobel 2016). Wenn künftig umfangreiche, einheitlich mit Normdaten annotierte und ausgezeichnete Volltexte verfügbar sein werden, sind mittels Data Mining und entsprechender Visualisierungen (u. a. Auswertung geographischer Daten, Netzwerkanalyse, Stilometrie) neue Einsichten in die für den menschlichen Leser so unüberschaubaren Brieftexte zu erwarten. Teils werden neue Clusterbildungen die typische Zentrierung von Brieflektüren auf die Texte eines ‚Autors‘ oder auf einen herausgehobenen Briefwechsel ersetzen. Dies zeigt sich etwa bereits am Projekt der Metasuchmaschine Correspsearch der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vgl. www. http://correspsearch.bbaw. de/index.xql). Verfeinerte Digitalisierungstechniken werden die Materialität, den Objektcharakter des Briefs auch den in weiter Entfernung von den oft verstreut überlieferten Originalen tätigen Forschenden zu vermitteln wissen. Sie rücken damit, ähnlich wie es einst nur dem Sammler möglich war, den Schreib- und Leseszenen näher und damit einem Szenario, das chronologisch und epistemisch dem Konstrukt von brieflicher Autorschaft im Erstdruck von Briefen vorausliegt und das den Brief am Ende oder an einem Wendepunkt seiner Geschichte wieder als alltägliche Kommunikationsform begreifbar macht.
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Weiterführende Literatur Ehlich, Konrad (2014). „Eine kurze Pragmatik des Briefes“. Fontanes Briefe ediert. Hrsg. von Hanna Delf von Wolzogen und Rainer Falk. Würzburg: 17–38. Gisi, Lucas Marco, Urs Meyer, Reto Sorg (Hrsg.) (2013). Medien der Autorschaft. Formen literarischer (Selbst-)Inszenierung von Brief und Tagebuch bis Fotografie und Interview. München. Schöttker, Detlev (Hrsg.) (2008). Adressat: Nachwelt. Briefkultur und Ruhmbildung. München. Strobel, Jochen (Hrsg.) (2006). Vom Verkehr mit Dichtern und Gespenstern. Figuren der Autorschaft in der Briefkultur. Heidelberg.
Thomas Hecken
III.2.6 Pop-Autoren 1 Definition ‚Popliteratur‘ ist eine Genre-Angabe, die seit den 1960er Jahren kursiert. Unter Literaturkritikern, Literaturwissenschaftlern, Lektoren, Schriftstellern, Lesern herrscht keine vollkommene Übereinstimmung, was unter ‚Popliteratur‘ fallen soll. Häufig trifft man aber auf eine Verwendung des Begriffs, die ‚Popliteratur‘ in Verbindung mit anderen Phänomenen der Popsphäre sieht. Nimmt man diese verschiedenen Facetten des Begriffsgebrauchs zum Zwecke einer Definition auf, wird ‚Popliteratur‘ folgendermaßen bestimmt: A. Mit Blick auf andere, bereits vorliegende literarische, fiktionale Texte, die oft als Teil der Pop- oder Massenkultur aufgefasst werden. Als Popliteratur firmiert dann jene Literatur, die sich in verstärktem Maße auf Themen, Verfahren, Genres folgender Sektoren bezieht: auf aktuelle Bestseller, die unter Genre-Titeln (Science-Fiction, Chick-Lit, Mystery, Comedy usf.) oder als Serie (wie z. B. Harry Potter) vermarktet und/oder primär rezipiert werden. Popliteratur ist nach dieser Bestimmung die teilweise, verfremdende Adaption solcher Bestseller und ihrer Genre-Ausprägungen. B. Mit Blick auf weitere nicht-literarische Phänomene, die vielfach als Teil der Popkultur benannt werden (oder worden sind). Würde mindestens einer der beiden Punkte erfüllt, wäre nach dieser Definition die Einordnung ‚Popliteratur‘ gefordert. Pop-Autoren wären demgemäß Autoren, die überwiegend Artefakte der Pop-Literatur anfertigten.
2 Hauptaspekte des Themas Die Bindung der Popliteratur an Gegenstände und Vorlagen der sogenannten Massen- und/oder Popkultur führte häufig zur Überlegung, ob dieser Bezug bzw. die verschiedenen Ausprägungen solcher Bezugnahme mit dem Autor-Status vereinbar sind. Erstens stellen Autoren, Lektoren, Wissenschaftler und Feuilletonisten seit dem Ende der 1960er Jahre wiederholt die Frage, ob der Bezug auf Sujets und Protagonisten der zeitgenössischen Pop- und/oder Massenkultur (abseits satirischer Ziele) für die als ‚hoch‘ oder ‚modern‘ erachtete Literatur erlaubt, zuträglich oder sogar geboten ist. Von bildungsbürgerlicher Warte war zuvor diese moderne Massenkultur (teilweise im Gegensatz zur Volkskultur) immer als https://doi.org/10.1515/9783110297065-014
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minderwertig und unkünstlerisch eingestuft worden. Nach der partiellen Nobilitierung der Pop-Art Mitte der 60er Jahre ist die Frage aufgeworfen worden, ob ein vergleichbarer Kunst-Prozess nun für die Pop-Literatur anstehe oder nicht. Es handelt sich also um eine Wiederaufnahme der Naturalismus-Debatte, mit dem Unterschied, dass sich die Frage, ob bestimmte Wirklichkeitsbereiche der literarischen Kunst – zumindest einer Kunst, die nicht idealisierend vorgeht – verschlossen bleiben müssen, diesmal vor allem auf (fragwürdige) mediale Wirklichkeiten richtet. Zweitens wird dieses Problem noch dadurch verschärft, dass mitunter nicht nur der Bezug auf popkulturelle, mediale Themen und Helden zur Debatte steht, sondern die Verwendung von Genremustern und Textstücken aus Artefakten dieser (fragwürdigen) Kultur. Die Frage, ob man seinen Autor-Status verliert, wenn man sich oftmals diskreditierten Bereichen zuwendet, stellt sich erst recht, wenn diese Zuwendung auf dem Wege des Zitats und der Übernahme erfolgt. Dazu trägt nicht zuletzt bei, dass die zitierten Texte zumeist nicht von einem Autornamen dominiert werden. Reihen-Titel, Schauspielerstars, Interpreten/Performer oder Markennamen sind hier oftmals wichtiger und prominenter als Drehbuchschreiber, Liedtexter und Genrebeiträger, deren Namen ohnehin – etwa bei Werbeclips und Anzeigen – mitunter nicht einmal im Abspann oder im Kleingedruckten erwähnt werden. Von der anderen Seite her betrachtet, bietet solche Zuwendung zwei beachtliche Möglichkeiten: entweder als Chance, den Autor-Rang maximal zu erhöhen – der Autor erweist sich noch bzw. gerade dort als kreativer, origineller Schöpfer und als in seiner Individualität greifbarer Charakter, wenn er mit dem ‚niedersten‘, ‚abgegriffensten‘ Material arbeitet –, oder als wirkungsvolle Methode, sich von der (älteren) Kunst zu verabschieden und den bindenden Zusammenhang von Kunst und Autorpersönlichkeit zu negieren und aufzulösen [vgl. auch den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten].
3 Geschichte des Phänomens und seiner Erforschung Viele wichtige Aspekte des Themas kann man beispielhaft an den Positionen und Publikationen des ersten bedeutenden deutschen Popliteraten Rolf Dieter Brinkmann ablesen und deutlich machen. Er gehört zu denjenigen, die mit (aus ihrer Sicht) überkommenen Autor-Vorstellungen brechen wollen. In einer „Notiz“ zu seinem Gedichtband Die Piloten greift Brinkmann die „berufsmäßigen Ästheten und Dichterprofis, die ihre persönlichen Skrupel angesichts der Materialfülle in
Pop-Autoren
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feinziseliertem Hokuspokus sublimieren“, frontal an (1968, 7). Brinkmann setzt dagegen auf das, „was allen zugänglich ist“: „Filmbilder, Reklamebilder, Sätze aus irgendeiner Lektüre oder aus zurückliegenden Gesprächen, Gefasel, Gefasel, Ketchup, eine Schlagermelodie“ usf. Zugleich berichtet er, dass ihm dieses Verfahren von „Leuten“, denen er seine Gedichte gezeigt habe, das Urteil einbrächte, dies seien „eigentlich keine Gedichte mehr“, weil sie so „einfach“ und verständlich seien (Brinkmann 1968, 8). Ungeachtet dieser Brinkmann alltäglich mitgeteilten Ansichten, die seinen Status als Autor, den er zumindest unter der Bezeichnung „Dichterprofi[]“ vorgeblich nicht anstrebt, negieren oder zumindest gefährden, kommt es aber zur Veröffentlichung der „Gedichte“, er findet also in einem wichtigen Teil der ‚literarischen Welt‘ – einer der ‚art worlds‘ im Sinne Howard S. Beckers (1982) – Resonanz. Und nicht nur dort, Brinkmann kann für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten, er verfügt über eine relativ große Leserschaft, wird in großen Tageszeitungen und Magazinen rezensiert. An einigen Beispielen solcher Besprechungen erkennt man allerdings, dass diese Aufmerksamkeit zwiespältig ist; auch wenn die Rezenten erkennen, dass bewusst Pop-Material eingesetzt wird, führt dies keineswegs automatisch zu einer Einstufung der Texte als Kunst: – Der Spiegel sieht in der „Pop-Lyrik […] gelegentlich Gebilde von hoch modischem Reizwert“, die aus der „vulgär-mythischen Waren-, Werbe- und Kinowelt, also bewußt aus zweiter Hand“, stammten (Anonymus 1968). – Franz Norbert Mennemeier möchte den „gewisse[n] nichtkünstlerische[n] Infantilismus“ nicht mit einem „Hinweis auf Pop-art-Usancen“ entschuldigt wissen (Mennemeier 1968, 37). – Für Heinz Neidel bietet Brinkmann hingegen das „Beste aus dem Pop-Arsenal“ auf: „Comic-Streifen, Fettwörter wie ‚Coke‘ oder ‚USA‘“, er umarme und fleddere „unserer Gesellschaft liebste Kinder gleichermassen [sic]: die Medien Film, Schlager und Reklame“ (Neidel 1969, 391). Es handele sich um ein Beispiel „für Pop-Art in der Literatur: Auch hier Alltägliches aus dem gewohnten, liebgewonnenen Zusammenhang gerissen und in einen fremden (‚verfremdet‘ – da ist das beliebte Wort!) gestellt. Neues Sehen beginnt“ (ebd., 392). Zur Diskussion steht also nach Ansicht zweier Rezensenten, ob bei Brinkmanns Verfahren von Autorschaft im Sinne künstlerischer Autorschaft die Rede sein kann. Die Gedichte oder zumindest Teile von ihnen stammten aus zweiter Hand, heißt es, es bleibt also zu fragen, ob über „modische[n] Reizwert“ hinaus eine eigene Handschrift (als wichtiges Autor-Kennzeichen) vorliegt und ob ein persönlicher Ausdruck (als weiteres wichtiges Kriterium, um von einem künstlerischen Autor sprechen zu können) gegeben ist. Die Gedichte seien einfach und kindisch, es mangelt demnach an erwachsener Komplexität (die mindestens den
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‚reifen‘ Autor ausmacht). Anders sieht das der dritte Rezensent: Für ihn liegt in der Auswahl durch den Autor bereits lobenswerte Eigentätigkeit (das „Beste“), er erkennt in der Dekontextualisierung und Repositionierung genügend Neues, um auf der Rezipientenseite ein „[n]eues Sehen“ festzustellen. Diese Verfremdungs- und Desautomatisierungs-Leistung darf folgerichtig dem Autor gutgeschrieben werden, der dadurch wieder an Eigenständigkeit und Größe gewinnt, wenn auch nicht notwendigerweise an jener Persönlichkeit und Lebenshaltung, die sich im Werk zeigt – dafür reichen die Verfahren der Auswahl und Dekontextualisierung zumindest im traditionellen hermeneutischen Sinn nicht hin [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik]. Möglich ist aber immerhin ein individueller Stil, eine eigenwillige, originelle Form der Selektion und der Verfremdung. Der dritte Rezensent merkt hierzu aber nur an, dass es sich bei Brinkmanns Band um „Pop-Art in der Literatur“ handele, er stellt also auf der Stil-Seite ganz auf die allgemeine Dimension, nicht auf eine spezielle Variante Brinkmanns ab. In der Einzigartigkeit des Werks kann man hiernach nicht die Singularität und Individualität des Autors erkennen; aus dieser Perspektive könnte Brinkmann höchstens zugestanden werden, der erste gewesen zu sein, der Pop-Art-Verfahren der bildenden Kunst [vgl. den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten] in der Literatur zur Geltung gebracht habe. Tatsächlich benutzt Brinkmann (wie vom dritten Rezensenten hervorgehoben) das Pop-Art-Verfahren im Piloten-Band einmal sogar in der Manier bildender Kunst, beim Druck des Markennamens „Coke“ im Gedicht auf einen Lieferwagen u. a. „Coke“ wird im Gedicht typographisch auffällig, fett und groß geschrieben, in anderer Schriftart als der Rest; der Anschein einer exakten Übernahme wird durch die unter dem Schriftzug angebrachte Anmerkung „ges. gesch.“ unterstützt. Im Gedicht wird auch getreulich auf die Marketinggeschichte des Logos mit einer Oppositionsbildung („neue Form der Schrift / für eine alte Marke“) hingewiesen. Verklammert wird der Hinweis auf die „Coke“-Marke mit einer Referenz auf Fotos von General Eisenhower. Die falsche Aussage „alte Marke aus der Nachkriegszeit“ (der Markenname Coke wurde in den USA während des Zweiten Weltkriegs eingeführt, in der BRD Mitte der 1960er Jahre) bekommt dadurch einen richtigen deutschen Sinn, war Eisenhower doch Kommandierender der amerikanischen Besatzungsmacht. Die Nähe von Konzern und Imperium erscheint wiederum typographisch: Im Gedicht wird „USA“ auf gleiche Weise geschrieben und abgehoben wie „Coke“. Als reiche diese gleichartige Typographie noch nicht aus, findet sich ebenfalls der markenrechtliche Terminus „gesetzlich geschützt“ abgekürzt unter dem der „Coke“-Marke nachgebildeten „USA“-Logo (Brinkmann 1968, 67–69). Das Pop-Art-Vorgehen beschränkt sich hier also nicht bloß auf die Entlehnung der „Coke“-Marke und deren Platzierung in einen ungewohnten Rahmen, sondern weitet sich generativ aus.
Pop-Autoren
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Zur „Pop-Art in der Literatur“ müssten sodann neben typographischen Besonderheiten Adaptionen von Slogans, Phrasen und Worten zählen, die in der Werbung, in Hollywoodfilmen, in bekannten Pop-Songs etc. zu finden sind. Im „Gedicht auf einen Lieferwagen u. a.“ könnte es sich z. B. bei „ich kanns nicht, baby / komm“ und bei „Es ist Samstagnachmittag / und nichts los“ um eine Übersetzung angloamerikanischer Phrasen aus Pop-, Rock- und Bluesstücken in ein deutsches Gedicht handeln; die Modifikation bestünde hier also in der Übersetzung in eine andere Sprache. Um eine Übersetzung in einem anderen Sinne handelt es sich insofern, als die Phrasen aus einem Song herausgenommen, ihres Zusammenhangs entkleidet und in einen neuen gestellt wurden (wie bemerkt unter der Voraussetzung, dass Brinkmann tatsächlich Songzeilen übernommen hat) [vgl. auch den Artikel Der Autor-Übersetzer]. In dem Langgedicht „Vanille“ lassen sich Fundstücke aus Zeitungen, lllustrierten und anderen Dokumenten sogar ohne Zweifel identifizieren, etwa der Brief des Germanisten Walter Hinck an Brinkmann, in dem der Dichter aufgefordert wird, innerhalb der Veranstaltungsreihe „Deutsche Literatur der Gegenwart in der Diskussion“ eine Lesung u. a. seiner „Piloten“-Gedichte abzuhalten. Brinkmann leitet den (zentrierten, also wahrscheinlich nicht im Original-Layout vorgenommenen) Abdruck des Briefes mit dem Satz ein „Ich gieße mir eine Tasse Kaffee ein und fange im Wachen an zu träumen: […]“. Nach den Briefzeilen fährt das lyrische Ich fort: „Und meine Träume sind leere Schuhkartons (weil man die Schuhe schließlich an den Füßen hat), so leer wie ein Germanistisches Institut, wenn alles darauf weiter besteht, hier handele es sich um Kunst.“ Über das Motto „‚Ars gratia artis‘“, dem „Firmenzeichen Samuel B. Goldwyns“, führt anschließend der Kontrast zwischen dem „Vortrag eines Professors“ und „belichtete[m] Celluloid“ zur Feststellung „keiner kann mit den / Titten Raquel Welchs / ernsthaft konkurrieren“ (Brinkmann 1984a [1969], 108–109). Brinkmanns programmatische Äußerungen – die von ihm in einigen Varianten geforderte literarische Hinwendung zur Pop- und Mediensphäre – werden in den angeführten Gedichtzeilen paradigmatisch vorgeführt. Der Unterschied zur Pop-Art wird angesichts „Raquel Welchs“ dabei sofort deutlich. Würde die bildkünstlerische Pop-Art hier auf Plakate, Illustriertenfotos, Film-Stills etc. zurückgreifen, um sie malerisch zu bearbeiten oder unbearbeitet in einen Kunstraum (Galerie, Museum) zu transponieren, ersetzt das Gedicht an dieser Stelle das Bild durch einige schwarze Lettern auf weißem Grund. Besonders deutlich wird das in „Vanille“, weil der Text einige Seiten zuvor mit dem Abdruck von Autorname, Titel, der Angabe „Gedicht“, einer Widmung und der Zahl „1969“ auf einem Foto von Welch, das sie in Jeans und Bikini-Top zeigt, beginnt (Brinkmann 1984a [1969], 106). In vielen Fällen läuft die Erfüllung des angeführten literarischen Programms – Bezugnahme auf Kinoplakate, Comics, Songs, Schlagzeilen usf. – also
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auf eine Wiederholung naturalistischer Literaturprinzipien hinaus: Hinwendung zu (vormals) diskreditierten Wirklichkeitsbereichen, auf die man sich mittels sprachlicher Symbole und nicht bildlich-indexikalisch sowie nicht auf dem Wege einer Bearbeitung oder Dislozierung bereits vorliegenden popkulturellen Bildmaterials bezieht. Davon zu unterscheiden ist die literarische Technik, sich auf bereits vorliegende popkulturelle sprachliche Dokumente zu beziehen, indem man diese (mit oder ohne Nennung der Quellen) im Rahmen eines Textes, der einer literarischen Gattung zugerechnet wird, zitiert. Ein Beispiel bietet wiederum das Gedicht „Vanille“: „Und was fühlt die 13jährige, die an / der Ecke steht und küßt? Ich bin nicht 13, ich bin 11 und / trage weiße / Söckchen, Büstenhalter, Größe 2, Modell ‚young fashion‘“ (Brinkmann 1984a [1969], 122). Aus der C&A- oder einer anderen Werbung ist diese Bezeichnung „‚young fashion‘“ gelöst, offenkundig in einen anderen Zusammenhang gebracht, dazu braucht man nicht einmal die weiteren Verse angeben, die u. a. eine Anspielung auf Andy Warhol enthalten: „Und was ist mit der Frau / die ins Zimmer kam und / zwei Kaffeekannen vor sich / trug? Sie wurde zu einem / ‚Bild‘ / und im Gedächtnis / gespeichert. ‚Alles / auf einmal!‘ heißt das Wort der Stunde, nein, nicht / ‚Wort‘: // IM ANFANG WAR DIE DOSE // (Inhalt: Suppe / nämlich Campbells Soup zu 17 ½ cent)“ (Brinkmann 1984a [1969], 122). Genauso geht Brinkmann in den Gedichten des Piloten-Bandes vor. Referenzen auf oder seltene Zitate aus Artefakten, die der Popkultur häufig zugeordnet worden sind – Dixan, Starlets, Batman und Robin –, werden regelmäßig gebrochen durch oder kombiniert mit kunstphilosophischen Anspielungen, Scheinfragen, Schlusspointen, surreal-grotesken oder satirischen Passagen, Leerstellen, Ambivalenzen, Dementis, oft in Form einfacher Protokoll- bzw. Prosasätze, die in Brinkmanns typischer poetischer Manier auf eine nicht signifikante, zufällig anmutende Art und Weise in Verszeilen aufgegliedert werden. Insgesamt sollte es demnach schwerfallen, einen „nichtkünstlerische[n] Infantilismus“ zu attestieren. Aber auch Brinkmanns eigene Absetzung von „berufsmäßigen Ästheten und Dichterprofis“ mit ihrem Bemühen um „Stil“ (1968, 7), die er in der vorangestellten „Notiz“ zu den „Piloten“-Gedichten formuliert, ist angesichts seines eigenen identifizierbaren Stils weitgehend gegenstandslos. Die Wendung gegen überkommene Autor-Konzeptionen schließt nicht aus, dass man ihnen unterliegt. Zumindest ist es Rezipienten leicht möglich, Brinkmann einen durchgehenden ‚Stil‘ und damit Autor- und Werkherrschaft zu attestieren. Einen weitergehenden Test auf die Anpassungsfähigkeit älterer Autor-Konzeptionen liefert das Verfahren, Texte aus Medien, die der Pop- und/oder Massenkultur zugerechnet werden, nicht nur ausschnittweise – wie dies etwa auch Elfriede Jelinek 1970 mit Passagen aus der Heftserie Perry Rhodan in wir sind
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lockvögel baby! (Jelinek 1988 [1970]) macht –, sondern komplett unverändert zu übernehmen. Das bekannteste Beispiel dafür stellt die Mannschaftsaufstellung des 1. FC Nürnberg mit ihrer sehr offensiv ausgerichteten 2-3-5-Formation dar, die (graphisch nach Abwehr-, Mittelfeld- und Angriffsreihe sortiert) in Peter Handkes Gedichtband Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt steht (1969, 59). Handkes Veröffentlichung entspricht somit etwa Andy Warhols Brillo-Box, dieser in einer Galerie ausgestellten Anfertigung einer Putzmittelverpackung, die in jedem US-amerikanischen Supermarkt der Zeit in Form bedruckter Pappe erworben oder betrachtet werden konnte. In ähnlicher Manier konnte Handkes Aufstellung von Zeitungs- oder Zeitschriftenkäufern als Information vor dem DFBPokalspiel nachgelesen werden. Diese Variante der Pop-Literatur orientiert sich demnach streng an jener Pop-Art, die wiederum eine Entsprechung von Marcel Duchamps versuchsweise zu Kunst erklärten Alltagsgegenständen (wie z. B. einem Urinal) darstellt. Wie bei den Ready-Mades Marcel Duchamps handelt es sich auch bei Handkes Veröffentlichung um einen Anschlag auf den Status der Kunst: Wenn jeder Text zur literarischen Kunst zählt, dann gibt es keine mehr [vgl. den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten]. Andererseits bleiben diese Attacken auf die Kunst bzw. solche Problematisierungen herkömmlicher Kunst-Kriterien weitgehend folgenlos und damit ohne jede Konsequenz für das Kunst-System insgesamt, wenn sie wie im Fall Handkes von der kunstinteressierten Öffentlichkeit als ein origineller Einfall gelobt und damit zum Einzelfall degradiert werden. Im Fall von Handkes Aufstellung begünstigt diese Differenzierung, dass der Text unter dem Namen eines bereits als Literaten bzw. Dichters hervorgetretenen und akklamierten Autors veröffentlicht wurde. Matías Martínez merkt bei seiner Analyse der Aufstellung Handkes an, dass der „Begriff des Autors normalerweise zwei Funktionen in sich vereinigt, die systematisch zu unterscheiden sind: einerseits den Urheber des Textes, andererseits den konzeptuellen Schöpfer des Werkes.“ Wie am genannten Beispiel zu erkennen sei, könnten sich beide „Funktionen […] gelegentlich auf verschiedene Personen verteilen“. Als Werk-Schöpfer, nicht als Text-Urheber firmiere Handke hier; dessen „Autorschaft“ bestehe „sozusagen aus einem Akt der Taufe, die einem gegebenen Objekt eine neue, ästhetische Identität verleiht“. Martínez folgert, es sei „ohne Bezug auf den Autor gar nicht möglich, ein Kunstwerk als solches zu identifizieren – Handkes Werk ist ja auf seiner manifesten textuellen Oberfläche, als ‚Text‘, von der Mitteilung aus der Sportredaktion nicht zu unterscheiden“ (Martínez 1999, 474–475). Diese Schlussfolgerung setzt allerdings zwingend voraus, dass die ästhetische Wahrnehmung und/oder die Kunstattribution nur dann erfolgt, wenn sie von einem künstlerischen Autor weiß. Rolf Dieter Brinkmann kritisiert in den „Anmerkungen“ zu seinem Gedicht „Vanille“ die Übernahme solcher ‚Fundstücke‘ in den Rahmen literarischer
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Publikationen. In „Vanille“ gehe es ihm weder um „‚found poetry‘“ noch „‚objets trouvés‘“, noch um „‚readymades‘“. Ihm missfällt u. a., dass das „Subjekt“ im „‚objet trouvé‘“ (zumindest „[s]o, wie es bis jetzt gehandhabt wird“) erlösche; es fehle „die psychische Dimension dessen, der das ‚vorgefundene Gedicht‘ entdeckt hat“ (1984b [1969], 142–143). Mit anderen Worten: Brinkmann vermisst den Autor, wenn auch nicht als Dichter, so doch als motivierten oder erlebenden Finder. Unmittelbar auf diese „Anmerkungen“ Brinkmanns folgt in der Anthologie März Texte 1 ein Beitrag von William Burroughs zur „Zukunft des Romans“. Burroughs stellt eine Variante der Cut-up-Methode vor, das „fold-in“, bei dem eine eigene oder fremde Textseite halb gefaltet über eine andere gelegt wird; die dadurch neu entstandene Seite wird an einer Stelle des Werks eingefügt (von Burroughs vorzugsweise mit „Texten ähnlichen Inhalts“ praktiziert). „Bei der Anwendung der fold-in-Methode redigiere, verwerfe & ordne ich Ausgangsmaterial wie bei jeder anderen Kompositionsmethode“, merkt Burroughs an, ohne allerdings genauer auszuführen, worin diese Redaktion und Ordnung über das Falten hinaus besteht; er weist lediglich auf ein ‚halbes‘ Wiederholungsarrangement hin: „[I] ch nehme Seite 1 und falte sie in Seite 100, den daraus resultierenden Text füge ich als Seite 10 ein“. Angesichts dieser wenig aufwendigen und vom Zufall nicht unwesentlich bestimmten Kompositionstechnik ist die anschließende rhetorische Frage Burroughsʼ gewagt: „Was tut ein Schriftsteller denn anderes, als vorgegebenes Material zu sortieren, redigieren & arrangieren?“ (1984, 145–146). Burroughs weiß natürlich, dass Anhänger älterer genieästhetischer und hermeneutischer Autor-Konzepte [vgl. die Artikel Autorschaft und Hermeneutik und Genie und Autorschaft] diese Frage nie bejaht hätten, ihr kommt darum ein hoher Neuigkeitswert zu (wenn auch nicht der Fold-in-Technik, die sich bereits bei den Surrealisten unter der Bezeichnung cadavre exquis findet). Es überrascht darum nicht, wenn andere Schriftsteller Gefallen an Methode und Formel finden. Auf diese Art und Weise des Zerschneidens und Faltens soll und kann zwar keine Autorpersönlichkeit reklamiert werden, aber es zeigt sich (immerhin oder bedauerlicherweise) innerhalb der literarischen Welt ein origineller konzeptueller Zugriff, der zum Ruhm der ersten Verwender besagter Methoden beiträgt. Wolf Wondratschek z. B. stellt 1970 in seinem Prosaband Ein Bauer zeugt mit einer Bäuerin einen Bauernjungen, der unbedingt Knecht werden will dem ersten Text Roman genau dieses Zitat von William S. Burroughs voran: „Was tut ein Schriftsteller denn anderes, als vorgegebenes Material zu sortieren, redigieren & arrangieren?“ (Wondratschek 1970, 7). Die Kritik am Autor im Namen der Anti-Expression und Intertextualität kommt in der Szene der Popliteratur um 1970 offenkundig nach Anregung durch Burroughs zustande, nicht nach Lektüre von Barthes, Kristeva und Foucault [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität].
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Dass Rolf Dieter Brinkmann und Burroughs in besagter Anthologie aufeinander folgen, ist darum kein Zufall. Zwei Essays von Burroughs erscheinen in deutscher Übersetzung 1969 in der Anthologie Acid, die Brinkmann mit verantwortet (Brinkmann und Rygulla 1983 [1969]); Brinkmann gibt Burroughs nicht nur im Sinne der Chronistenpflicht heraus, er teilt auch dessen These, dass die Menschen „auf diesem abgewirtschafteten von radioaktiven bullen verseuchten planeten“ vollständig von Regierungsmächten (wie der CIA, aber auch den Massenmedien) konditioniert seien (Burroughs 1983a [1969], 365). Burroughs setzt auf die Durchbrechung und Auflösung eingespielter Muster, um die Abscheulichkeit der im Alltag geäußerten Phrasen hervortreten zu lassen; es geht ihm nicht um die kreative Erzeugung neuer Schönheit. Zeigen möchte er mit seinen Aufnahme-, Zerschneidungs- und Kombinationsmethoden, wie „häßlich“ die medial angeleitete Kommunikation ist, dadurch soll ihre Macht gebrochen werden (Burroughs 1983b [1969], 174). Auch dieses Programm macht sich Brinkmann vollkommen zu eigen. Gleich zu Beginn seines Acid-Essays zeigt er sich entsetzt über das „Rückkopplungssystem der Wörter, das in gewohnten grammatikalischen Ordnungen wirksam ist“, über das „Gerümpel vermittelter, sinnlich entleerter geschichtlicher Erfahrungen“, über die „abgerichtete Reflexionsfähigkeit“. Sein Hauptgegner ist allerdings nicht die ‚Macht‘, zuerst geht es ihm um den Widerstand gegen den „erstarrte[n] literarische[n] Ausdruck“. Wegen dieser Ausrichtung auf die moderne, angeblich unsinnliche Literatur ist es Brinkmann möglich, in Bereichen wie der Werbung und der Popkultur (auch abseits des Undergrounds) für einen Augenblick „das winzige Versprühen von Helligkeit“, jedenfalls wirkungsmächtige Bilder zu erkennen, die sprachlichen Abstrakta entkommen (Brinkmann 1983 [1969], 381–382). Diese Einschätzung verkehrt sich aber sofort wieder, wenn die der Popkultur zugerechneten Artefakte auch nur als Konvention, Zwang und Konditionierung empfunden werden. Da dies für Brinkmann nach 1968 (ausgenommen einige Bereiche der Rockmusik) durchgehend der Fall ist, montiert er im Sinne des ‚Hässlichkeits‘-Programms von William S. Burroughs unablässig Teile aus Pulp-Fiction-Heften, Tageszeitungen und Illustrierten in seine Materialhefte, Briefe, Hörspiele und Prosatexte. Bei der Wiederaufnahme der ‚Popliteratur‘ ab Mitte der 1990er Jahre – zwischen 1971 und 1995 ist die Genre-Angabe für Buchneuerscheinungen kaum mehr benutzt worden – spielt dieser Bezug zu Produkten der Massenmedien erneut eine wichtige Rolle, sei es nun mit affirmativem, kritischem oder neutralem Gestus [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Bekannte Beispiele dafür bieten die Materialbände 1989 von Rainald Goetz (1993) genauso wie die Listen Benjamin von Stuckrad-Barres sowie die Camp- und Pop-Zitate und -Anspielungen Christian Krachts (dazu ausführlich Hecken et al. 2015, 86–148; Lorenz und Riniker 2018). Manchmal erfolgt dieser Rekurs auf Phänomene und Texte der sogenannten Pop-
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oder Massenkultur, der nach älterer Auffassung die Anforderungen des AutorStatus nicht erfüllt und ihn nach jüngerer avantgardistischer Absicht beschädigen soll, jetzt unter der Maßgabe neuer Analogiebildungen (der ‚Autor als DJ‘, der Text als Sample-Track). Auch alle Einstufungen, die Popautoren um 1969 betroffen haben, sind wieder anzutreffen. Die festgestellte Nähe der Popautoren zu Genres und Sphären, die bis 1960 kaum zur Kultur gezählt wurden, führt nicht wenige Rezensenten auch um das Jahr 2000 dazu, ihnen den künstlerischen Rang und damit einhergehend den Autor-Status zu bestreiten: Sie seien wegen ihrer kommerziellen Ausrichtung und ihrer (angestrebten) Präsenz in Illustrierten und Fernsehsendungen angemessener als ‚Medien-Arbeiter‘ anzusehen (ausführlich dazu Steier 2009). Auf der anderen Seite ergibt sich genau darum bei den Gegnern solch unmediatisierter Autorschafts-Vorstellungen die Hoffnung und der Anspruch, auf eine Destruktion dieser Kunstautorschaft hinzuwirken, manchmal geschieht dies nun direkt unter Verweis auf autor-kritische Positionen des Poststrukturalismus, die in Gestalt von Textmaterialien z. B. Judith Butlers vor allem in Büchern Thomas Meineckes, wie etwa in Tomboy (1998), Teil des fiktionalen Werks werden. In einem Interview fasst Thomas Meinecke das ohne größeren Theoriebezug leicht fasslich zusammen: „Ich habe ein großes Misstrauen gegenüber der Eingebung und dem Genie, an das ich eh nicht glauben möchte, verfahre selbst lieber mit Versatzstücken, Zitaten, mit – und jetzt werde ich wieder modisch – Samples“ (Meinecke zit. nach Lenz und Pütz 2000). Von wissenschaftlicher Seite ist Meinecke in Verlängerung dieser Aussage attestiert worden, er subvertiere „qua Dekonstruktion des Autors als schöpferischer Instanz zentrale moderne Konzepte von Ich, Subjekt, Person und Identität“ (Birnstiel 2012, 99). Offenkundig hindert das aber fast niemanden daran, Meinecke in mehrfachem Sinn als Autor modern zu ‚konzeptualisieren‘: erstens als jemanden, der ein zusammenhängendes Werk geschaffen hat und dessen außerliterarische Aktivitäten dazu passen (Feuilleton, Wissenschaft); zweitens als jemanden, der unter seinem Eigennamen, mit seinem Foto, unter Verwendung seiner biografischen Angaben publiziert wird (Verlag); drittens als jemanden, dessen Veröffentlichungen ihm trotz der nicht immer einzeln ausgewiesenen Zitate so zugerechnet werden, dass sie sein geistiges Eigentum bilden, und die als Kunst veranschlagt werden, so dass für sie eine geringere Mehrwertsteuer anfällt (Judikative, Exekutive) [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright]. Als ‚Genie‘ ist er dabei zwar noch nicht bezeichnet worden, aber immerhin als jemand, der über „geradezu geniale Kunstgriffe“ (Baßler 2002, 135) verfüge [vgl. auch den Artikel Genie und Autorschaft]. Als Bilanz lässt sich darum angeben: Weder die Übernahme aus oder von Texten, die der Pop- und/oder Massenkultur zugerechnet werden, zum Zwecke
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der Neukombination oder Verdoppelung noch die Benennung solcher Verfahren mit popkulturellen Termini (Samplen) hindert gegenwärtig bedeutende Teile der art world daran, die Schöpfer oder Urheber entsprechender Texte als Autoren im herkömmlichen Sinne zu betrachten (vgl. Schumacher 2003).
Verwendete Literatur Anonymus (1968). „Billige Plätze“. Der Spiegel Nr. 46 vom 11. November 1968: 191. Baßler, Moritz (2002). Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München. Becker, Howard S. (1982). Art Worlds. Berkeley. Birnstiel, Klaus (2012). „Bücher zu Schallplatten? Zu einer Schreibweise von Theorie in Literatur“. Literatur und Theorie seit der Postmoderne. Hrsg. von Klaus Birnstiel und Erik Schilling. Stuttgart: 93–106. Brinkmann, Rolf Dieter (1968). Die Piloten. Köln. Brinkmann, Rolf Dieter (1969). „Notizen 1969 zu amerikanischen Gedichten und zu dieser Anthologie“. Silver Screen. Neue amerikanische Lyrik. Hrsg. von Rolf Dieter Brinkmann. Köln: 7–32. Brinkmann, Rolf Dieter (1983 [1969]). „Der Film in Worten“. Acid. Hrsg. von Rolf Dieter Brinkmann und Ralf Rainer Rygulla. Reinbek: 381–399. Brinkmann, Rolf Dieter (1984a [1969]). „Vanille“. März Texte 1. Wiederabgedruckt in Mammut. März Texte 1&2. 1969–1984. Hrsg. von Jörg Schröder. Herbstein: 106–140. Brinkmann, Rolf Dieter (1984b [1969]). „Anmerkungen zu meinem Gedicht ‚Vanille‘“. März Texte 1. Wiederabgedruckt in Mammut. März Texte 1&2. 1969–1984. Hrsg. von Jörg Schröder. Herbstein: 141–144. Burroughs, William S. (1983a [1969]). „Akademie 23 – Eine Entwöhnung [1967/68]“. Acid. Hrsg. von Rolf Dieter Brinkmann und Ralf Rainer Rygulla. Reinbek: 363–367. Burroughs, William S. (1983b [1969]). „Die unsichtbare Generation [1966]“. Acid. Hrsg. von Rolf Dieter Brinkmann und Ralf Rainer Rygulla. Reinbek: 166–174. Burroughs, William S. (1984 [1969]). „Die Zukunft des Romans [1964]“. März Texte 1. Wiederabgedruckt in Mammut. März Texte 1&2. 1969–1984. Hrsg. von Jörg Schröder. Herbstein: 145–147. Feiereisen, Florence (2011). Der Text als Soundtrack. Der Autor als DJ. Postmoderne und postkoloniale Samples bei Thomas Meinecke. Würzburg. Goetz, Rainald (1993). 1989. Frankfurt/Main. Handke, Peter (1969). Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Frankfurt/Main. Hecken, Thomas, Marcus S. Kleiner, André Menke (2015). Popliteratur. Stuttgart. Jelinek, Elfriede (1988 [1970]). wir sind lockvögel baby! Reinbek. Lenz, Daniel und Eric Pütz (2000). „Interview mit Thomas Meinecke. Über Pop, Literaturbetrieb und Feminismus“. literaturkritik.de 3 (2000). URL: http://www.literaturkritik.de/public/ rezension.php?rez_id=894 (30. Juni 2018). Lorenz, Matthias N. und Christine Riniker (Hrsg.) (2018). Christian Kracht revisited. Irritation und Rezeption. Berlin. Martínez, Matías (1999). „Autorschaft und Intertextualität“. Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Hrsg. von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matías Martínez und Simone Winko. Tübingen: 465–479.
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Meinecke, Thomas (1998). Tomboy. Frankfurt/Main. Mennemeier, Franz Norbert (1968). „Drei poetische Transzendentalisten“. Neues Rheinland August/September (1968): 37. Neidel, Heinz (1969). „Paralleldenker und Piloten“. du 29 (1969): 391–392. Schumacher, Eckhard (2003). Gerade Eben Jetzt. Schreibweisen der Gegenwart. Frankfurt/Main. Steier, Christoph (2009). „Ausgeplaudert? Feuilletonistische Funktionsbestimmungen von Literatur in der Popliteraturdebatte um 2000“. Funktionen von Kunst. Hrsg. von Daniel M. Feige, Tilmann Köppe und Gesa zur Nieden. Frankfurt/Main: 195–209. Wondratschek, Wolf (1970). Ein Bauer zeugt mit einer Bäuerin einen Bauernjungen, der unbedingt Knecht werden will. München.
Weiterführende Literatur Grabienski, Olaf, Till Huber, Jan-Noël Thon, (Hrsg.) (2011). Poetik der Oberfläche. Die deutschsprachige Popliteratur der 1990er Jahre. Berlin, Boston. Hecken, Thomas (2009). Pop. Geschichte eines Konzepts 1955–2009. Bielefeld. Kreknin, Innokentij (2014). Poetiken des Selbst. Identität, Autorschaft und Autofiktion am Beispiel von Rainald Goetz, Joachim Lottmann und Alban Nikolai Herbst. Berlin, Boston.
III.3 Dezentrierungen
Stephan Pabst und Niels Penke
III.3.1 Kollektive Autorschaft 1 Systematisch Der Begriff der ‚kollektiven Autorschaft‘ zeichnet sich durch ein Spannungsverhältnis aus, in dem seine beiden Bestandteile zueinander stehen. Dem Phänomen, dass mehrere Personen relativ gleichberechtigt an der Entstehung eines Textes beteiligt sind, steht der Begriff eines Autors gegenüber, der historisch und systematisch in erster Linie ein individuelles auktoriales Subjekt bezeichnet, so dass theoriegeschichtlich Kollektivität gelegentlich als Verneinung des Prinzips Autorschaft gedeutet werden konnte (Woodmansee 1992). Historisch und systematisch ist deshalb kaum über den Begriff der kollektiven Autorschaft zu sprechen, ohne dieses Spannungsverhältnis zu reflektieren. Unter kollektiver Autorschaft, die in der angelsächsischen Forschung häufig unter dem Begriff der collaborative authorship diskutiert wird, versteht man die Zusammenarbeit mehrerer Personen bei der Herstellung eines Textes. Die Zahl der Kollaborateure reicht von der häufigeren Form der Kollaboration von zwei bis vier Autoren bis zu einer potentiell offenen Zahl von Kollaborateuren. In der Regel ist diese Kollaboration intendiert, wenngleich nicht jedem Kollaborateur alle anderen Kollaborateure bekannt sein müssen. Fälle der nicht-verabredeten Fortsetzung eines Textes, wie die nichtautorisierten Fortsetzungen des Don Quixote und des Wilhelm Meister, fallen dann für gewöhnlich nicht unter diesen Begriff. Strittig sind Fälle literarischer Stoffe, die in einem anonymen Überlieferungsprozess überarbeitet und die unter der Bedingung der Konstruktion kollektiver Subjekte zu einem Produkt kollektiver Autorschaft erklärt wurden. Den Kollaborateuren wird zumeist ein relativ gleichberechtigter Anteil an der Produktion eines Textes eingeräumt. Arbeiten wie die Redaktion, die Übersetzung oder der Druck machen einen Text deshalb nicht zum Produkt kollektiver Autorschaft [vgl. den Artikel Der Autor-Übersetzer]. Diese relative Gleichberechtigung ist wohl auch der Grund dafür, dass in der Regel entweder Personen kollaborieren, die den Status des Autors haben, der zumeist unabhängig vom Akt der Kollaboration bereits besteht, oder um Personen, die ihn nicht haben, deren Rolle aber auch nicht unterhalb der Autorschaft in irgendeiner Weise als Regisseur [vgl. den Artikel Regietheater], Übersetzer, Lektor, Drucker etc. institutionalisiert ist, und die durch den Akt oder das Ergebnis der Kollaboration erst zum Teil eines Autorsubjekts werden. Obwohl auch die nicht auktorial markierten Kollaborateure Anteil an der Entstehung eines Textes haben können, werden ihnen die Texte, die sie bearbeiten, in der Regel nicht zugeschrieben. Zwar wurden Versuche unternommen, https://doi.org/10.1515/9783110297065-015
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auch ihrer Mitarbeit einen auktorialen Status zu verleihen (Loewenstein 1988; Stillinger 1991; Dobranski 1999) oder sogar den Leser in die kollektive Autorschaft einzubeziehen, doch läuft der Begriff dann Gefahr, beliebig zu werden (Hirschfeld 2001, 619). Immerhin haben sie deutlich gemacht, dass es keine rein individuelle Autorschaft gibt und Autorschaft immer zu einem gewissen Anteil Kooperationen entspringt (Stillinger 1991, 183–184). Spannungsreich ist der Begriff der kollektiven Autorschaft deshalb, weil strittig ist, ob von einem Kollektiv der Begriff des Autors überhaupt erfüllt werden kann. Autorschaft umfasst unterschiedliche Aspekte der Textproduktion, der Intentionalität, der Autorisierung, der Textverantwortung oder der öffentlichen Selbstdarstellung [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik]. Ein Text kann natürlich von mehreren Personen produziert werden. Seltener schon wird er kollektiv autorisiert, verantwortet oder von einem auktorialen Kollektiv öffentlich repräsentiert. Strittig ist die Frage der kollektiven Autorschaft auch auf der Ebene der Intentionalität und auf der des Werks, das sich unter der Bedingung einer gewissen stilistischen und intentionalen Einheit als solches konstituieren soll (Bacharach und Tollefsen 2011; Livingston 2011; Ashton 2003). Symptomatisch gingen Diskussionen über kollektive Autorschaft häufig mit der Diskussion über die Einheit, den Werkstatus des Werks einher (F.A. Wolfs Prolegomena ad Homerum, 1795), die mit unterschiedlichen produktionsästhetischen Vorstellungen zusammenhängen, die kollektiver Autorschaft skeptischer gegenüberstehen, wo sie sich auf die genieästhetische Einzigartigkeit des Künstlers berufen und aufgeschlossener, wo sie ein eher handwerklich-technisches Verständnis von literarischer Produktion haben (Ashton 2003, 107–116) [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft]. Denn erstens sind kollaborative Entstehungsprozesse offener und zweitens wird die Korrelation zwischen Intention und Ergebnis diffuser je mehr Individuen kollaborieren; aus diesem Grund wurde auch versucht, den Begriff collaborative authorship auf zwei Autoren zu beschränken (Matthews 1891, 5). Auffällig ist, dass von kollektiver Autorschaft häufig dann die Rede ist, wenn zugleich kollektive Subjekte konstruiert werden – das ‚Volk‘, der ‚Geist‘ etc. –, die dazu dienen, Werken eine kollektive Intention zuzuschreiben. Deshalb müssen mindestens zwei Formen kollektiver Autorschaft voneinander unterschieden werden, die gleichwohl auf dasselbe theoretische Problem verweisen. In dem einen Fall handelt es sich um die wirkliche, verabredete Autorschaft unterschiedlicher Individuen. In diesem Fall ist der Begriff des Kollektivs empirisch gedeckt, allerdings ist es die Form von Autorschaft, deren Ergebnis oft nicht genau festgestellt werden kann und die Intentionalität in einer Weise fragwürdig macht, die die Kategorie der Autorschaft selbst in Frage stellt. Dieser Begriff der kollektiven Autorschaft beschränkt sich im Grunde auf das Merkmal der Textproduktion. Er ist oft stärker durch die Verfahren und den Prozess der
Kollektive Autorschaft
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Kooperation gerechtfertigt als durch das Ergebnis. Man kann diese Form der kollektiven Autorschaft als transindividuelle Autorschaft bezeichnen (Penke 2014). Der angelsächsische Begriff der collaborative authorship bezeichnet in der Regel diese Form der kollektiven Autorschaft. Die Formen transindividueller Autorschaft hängen auch von der Gattungs-, Diskurszugehörigkeit und Adressierungssituation eines Textes ab. Dass das Theater von Shakespeare, Brecht, Müller oder Rimini Protokoll (Garde 2011) für die Überlegungen zur kollektiven Literatur eine derart wichtige Rolle spielt, hängt damit zusammen, dass Textgenese und Inszenierung eng miteinander zusammenhängen und sich die Intention des Einzelnen stärker mit einem institutionalisierten Apparat auseinanderzusetzen hat (Vaßen 2011). Ähnliches gilt für Filme. Kollektive Lyrik ist hingegen selten, wenngleich es mit Goethes und Schillers Xenien (1797) oder Ralentir Travaux (1930) von André Breton, Paul Éluard und René Char prominente Beispiele gibt. Häufiger entstehen jedoch Romane als kollektive Schreibprojekte. Eine diskursspezifische Differenz zeigt sich bei wissenschaftlichen (Harsanyi 1993; Vorwinckel 2011; Koch und Marx 2011) oder journalistischen Texten, für die häufiger institutionelle Kollektive als intentionales Subjekt verantwortlich gemacht werden. Schließlich gibt es eine Häufung kollektiver Autorschaften im Bereich populärer Medien (Pop-Musik, Serien, Unterhaltungsliteratur) [vgl. den Artikel PopAutoren]. Die Gründe dafür sind vielfältig. Populäre Medien greifen stärker auf konventionelles, auktorial nur noch schwach markiertes Material zurück. Serienformate sind hier verbreiteter als in anderen kulturellen Bereichen und machen allein aufgrund der Quantität des Produktionsaufkommens Formen der Kollaboration nötig. Zudem richten sie sich an ein Publikum, dessen Originalitätserwartung schwach ausgeprägt ist und das eher auf die Erfüllung eines bestimmten Genres spekuliert. Häufig werden auch solche Formen der transindividuellen Autorschaft als kollektiver Autorschaft bezeichnet, die zwar auf der Ebene der Textproduktion kollaborativen Ursprungs sind, auf der Ebene der paratextuellen Markierung aber einem bestimmten Autorsubjekt zugeschrieben werden, wie im Fall der sogenannten ‚Romanfabriken‘ (F. E. Rambach, Alexandre Dumas; dazu Penke 2019) oder in dem von Serien, die über den Tod ihres ursprünglichen Autors hinaus weiter in seinem Namen verfasst werden (Enid Blyton). Der Begriff der transindividuellen Autorschaft erschöpft den Begriff kollektiver Autorschaft weder literaturgeschichtlich noch theoretisch. Gerade wenn man den Begriff des Kollektivs von der normativen Aufladung her denkt, die er im 19. Jahrhundert erfahren hat, wird sichtbar, dass es Vorstellungen von kollektiver Autorschaft gibt, die auf eine Überbietung individueller Intentionen in einer Gesamtintention zielen, die lediglich durch ein ideelles Kollektiv-Subjekt (Vernunft, Natur, Geist, Volk, Masse, Klasse, Maschine) verkörpert werden können.
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Dezentrierungen
Weder müssen die konkreten Textproduzenten individuell bekannt sein, noch müssen sie ihre Kooperation untereinander verabredet haben. Es handelt sich eher um ein Konzept, mit dem Ergebnisse kollektiver Überlieferungs- und Bearbeitungszusammenhänge als Ausdruck einer intentionalen Einheit gedeutet werden können. Dieses Konzept ist spekulativ und in der Regel metaphysisch geprägt, deckt aber systematisch Schwächen des individuellen Autorbegriffs auf. Es handelt sich um die Konstruktion eines Kollektivs, die die Rede von Autorschaft in einem strengen Sinne überhaupt erst rechtfertigt. Der Fragwürdigkeit kollektiver Intentionen im Fall der transindividuellen Autorschaft steht die spekulative Intentionalität der metaindividuellen Autorschaft gegenüber. Diese häufig geschichtsphilosophisch motivierten Kollektive (Volk, Nation, Klasse) haben einen utopischen Aspekt, der auf die Überwindung von Partikularität zielt, deren Ausdruck individuelle Autorschaft in ihren Augen ist. Während es Formen transindividueller Autorschaft historisch wohl immer schon gab, sind Konzepte metaindividueller Autorschaft jünger und entstehen in der Zeit der Romantik, parallel und als kritischer Gegenentwurf zur Institutionalisierung individueller Autorschaft, die jedoch in der Rezeption deutlich hinter das dominante Paradigma individueller Autorschaft zurückgetreten sind.
2 Historisch Vormoderne Die vormoderne Literatur von der Antike bis zum 16. Jahrhundert zeichnet sich dadurch aus, dass Wissen über ihre Entstehung, ihre Autoren und deren Selbstverständnis nicht oder nur sehr lückenhaft überliefert ist. Fragen über ihren auktorialen Ursprung sind deshalb spekulativ und entspringen der Zeit, in der sich das Paradigma des Autors als solches erst konsolidiert, so dass hier noch keine programmatischen Aussagen über das Phänomen der kollektiven Autorschaft vorliegen. Auffallend ist, dass die moderne Diskussion der Autorschaft mit vier vormodernen Texten wissenschaftsgeschichtlich eng zusammenhängt: den Epen Homers, der Bibel, dem Nibelungenlied und Shakespeare.
a) Homer Seit Friedrich August Wolf in seinen Prolegomena ad Homerum (1795) nachgewiesen hatte, dass die Homerischen Epen heterogenen, nicht schriftbasierten Über-
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lieferungen entsprangen, die nicht auf einen ursprünglichen Text zurückgeführt werden können und daraus den Schluss zog, dass es den einen Autor Homer nicht gegeben haben könne, der Text vielmehr mündlich verbreitet wurde und insofern dem Prozess seiner Überlieferung und einer späteren Redaktion entspringt, ist die Frage der individuellen oder kollektiven Autorschaft immer wieder kontrovers diskutiert worden. Systematisch aufschlussreich sind die Reaktionen der Zeitgenossen auf Wolf. Voss und Schiller reklamieren die innere Kohärenz der Homerischen Epik und schließen aus der Einheit des Werkes auf einen individuellen Urheber. Andere wie Herder oder Schelling bemühen sich darum, beides – die kollektive Überlieferung und die Annahme der Einheit und der Intentionalität des Werks – miteinander zu versöhnen, indem sie Homer als Chiffre eines kollektiven Subjekts lesen. Bei Herder ist das der ‚Volksgeist‘, Schelling bestimmt die Menschheit selbst als Subjekt und Urheber des Mythos, was es ihm erlaubt, sie an die Stelle des Autors Homer zu setzen (Osinski 2002). Die Frage ist bis heute nicht zweifelsfrei entschieden. Die einen halten Homer weiter für eine Kollektivbezeichnung (West 1999), die anderen für den individuellen Schöpfer der Homerischen Epik (Latacz 1997, 33). Die These der kollektiven Autorschaft, wird teilweise als Verschriftlichung mündlicher Überlieferung, teilweise als schriftliche Ausarbeitung eines ursprünglich kürzeren schriftlichen Werks konkretisiert (Latacz 1997, 8).
b) Bibel Die Bewertung historischer Fälle kollektiver Autorschaft vor dem 18. Jahrhundert unterliegt weitestgehend der Spekulation. Auch wenn es in Einzelfällen begründete Annahmen gemeinschaftlicher Textproduktion gibt, sind diese durch Textmaterial oder Biographien nicht zu belegen. Ersichtlich wird dies an der Frage nach biblischer Autorschaft. Nicht nur, dass die Bibel als opus sui generis a priori ein theologisches Dilemma eröffnet – das Wort Gottes kann natürlich nur einen Autor haben – Gott selbst – ist aber in zahlreichen Fassungen und verschiedenen Sprachen niedergeschrieben, an denen eine Vielzahl menschlicher Schreiber beteiligt gewesen sein muss. Bei den Schriften des Alten Testaments handelt es sich um Traditionsliteratur, die aus Schreiberschulen hervorgegangen ist, in denen Denken, Sammeln, Komponieren, Kompilieren, Ab- und Fortschreiben gemeinsam und ohne Kennzeichnung individueller Anteile am Manuskript vollzogen wurde. Maßgeblich für die jeweilige Schule war lediglich die Autorität des Diskursbegründers (z. B. Jesaja), in dessen Namen und ‚Geist‘ über Generationen weitergeschrieben wurde, sodass es sich um einen Fall „kollektiver diachroner Autorschaft“ (Knauf 2005, 59) handelt. Sowohl die einzelnen Bücher als auch
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der gesamte Text sind transindindividuellen Ursprungs, der durch das göttliche Autor-Subjekt metaindividuell transzendiert wird.
c) Mittelalter Auch für das Mittelalter unterliegt die Rede von kollektiver Autorschaft einigen Einschränkungen. Erstens liegen zur kollektiven ebenso wenig wie zur individuellen Autorschaft programmatische Äußerungen vor. Zweitens lässt sich die Textgenese oft nicht zweifelsfrei klären, drittens lassen sich intendierte kollektive Textproduktion und die Kollektivität der Überlieferung mit den damit einhergehenden Bearbeitungsprozessen nicht unterscheiden (Schnell 1998) und viertens unterscheidet sich das Verständnis von Autorschaft, sofern denn eines vorliegt, vom modernen Autor drastisch. Es beruht wesentlich auf der modifizierenden Retextualisierung bzw. Wiedererzählung vorliegender Texte (Worstbrock 1999). Der deutsche Eneasroman retextualisiert den französischen, der den lateinischen Text retextualisiert. Oder es handelt sich, wie im Fall des Nibelungenliedes, um die Verschriftlichung unterschiedlicher mündlicher Vorstufen, so dass unklar ist, wem Autorschaft zugeschrieben werden soll. Insofern könnte man einerseits kollektive Autorschaft als Autorschaftsmodell für das Mittelalter generalisieren, andererseits handelt es sich nicht um die intendierte Kollaboration mehrerer Individuen, sondern um einen Tradierungsprozess, in dem niemand – auch kein Kollektiv – als Autor im Sinne von Urheberschaft auftritt, so dass Autorschaft eher eine Zuschreibung aus der Perspektive eines modernen Autorschaftsverständnisses darstellt. Das bloße Fehlen des Namens eines individuellen Autors, von dem viele Texte des Mittelalters betroffen sind, berechtigt noch nicht zu der Annahme, einer prinzipiell fehlenden Autorfunktion oder eines generalisierten Modells kollektiver Autorschaft, wie von der Romantik bis zu Foucault immer wieder behauptet wurde (Kropik 2011). Gelegentlich ist über die Existenz mittelalterlicher Schreibwerkstätten nachgedacht worden. Aus dem intertextuellen Verhältnis unterschiedlicher Fassungen, des Nibelungen-Liedes und der Nibelungen-Klage hat man auf die Existenz einer ‚Nibelungenwerkstatt‘ geschlossen, die aber lediglich eine „Vorstellung“ bezeichnete, die „der Überlieferungslage“ vielleicht am ehesten gerecht werde (Bumke 1996, 590–594). Dabei geht man allerdings von der Supervision eines „Großmeisters“ (Bumke 1996, 592) und nicht von der vollkommen gleichberechtigten Beteiligung unterschiedlicher Akteure aus. Allerdings handelt es sich dabei um Ausnahmen, die nicht als Autorschaftsverständnis des Mittelalters generalisiert werden können.
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d) Shakespeare Für die William Shakespeare zugeschriebenen Dramen und Sonette wurden über 50 mögliche Autoren diskutiert, die über hinreichende Bildung, Reisetätigkeit und Theaterpraxis verfügt haben. Die prominente group theory-These nimmt eine Zusammenarbeit von Edward de Vere, Francis Bacon, William Stanley und anderen an, weil Stil- und Formvermögen sowie die umfassenden Bildungsgüter nur durch die Fähigkeiten mehrerer Personen zusammengekommen sein können (McMichael und Glenn 1962, 154). Plausibel werden diese Annahmen durch die gängige Praxis kollaborativen Schreibens in der Dramatik der englischen Renaissance. Das populäre Autorenduo Francis Beaumont und John Fletcher verfasste über 50 Stücke gemeinsam, z. T. mit Philip Massinger, Nathan Field – und Shakespeare. Aber auch dort, wo kein Zweifel an der empirischen AutorPerson Shakespeare besteht, wird davon ausgegangen, dass bis zu einem Drittel der ihm zugeschriebenen Stücke Kollaborationen entspringen (Garber 1987; Taylor 2014).
Moderne a) Romantische Autorschaft Die Zeit der Romantik ist für die Reflexion kollektiver Autorschaft von zentraler Bedeutung. Handelt es sich einerseits um die Konstitutionsphase individueller Autorschaft mit der Entstehung eines Urheberrechts, der Normalisierung der paratextuellen Onymität (vgl. Pabst 2011 und Ramtke 2016) und der Idee des geistigen Eigentums, so ist es andererseits die Phase der auktorialen Kollektive als Gegenentwurf im Sinne metaindividueller Autorschaft [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright]. Gerade dieses Spannungsverhältnis zeichnet romantische Autorschaft aus und ist über die historische Epoche hinaus modellbildend. Johann Gottfried Herder hat im Zusammenhang mit Konzepten der Nationalund Volkspoesie die wirkmächtige Idee einer kollektiven Literaturproduktion, eines „dichtenden Nationalgeists“ (Matuschek 2011) entworfen. Was für die Heldensage und Epik des Mittelalters angenommen wird, wird auf das Volkslied übertragen, das als ‚natürliche‘ der künstlichen, modernen, individuellen Literatur gegenübergestellt wird. Ganz ähnliche Überlegungen zum Ursprung des Volksmärchens und der Sage in einem kollektiven Urnebel, der keine individuellen Produktions- oder Autorisationsakte kennt, sind auch für spätere Sammlungsprojekte (Arnims und Brentanos Des Knaben Wunderhorn, Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm) und ihre theoretische Fundierung durch die Begriffe
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Natur- und Kunstpoesie (Jakob Grimm) maßgeblich. Jakob Grimms Diktum, „den Grund und Gang eines Gedichts überhaupt, kann keine Menschenhand erdichten“ (Grimm 1994, 14), verneint die Möglichkeit eines menschlichen, identifizierbaren Schöpfers zugunsten eines „Ereignis[ses] im Volk, das wie eine religiöse Offenbarung auftritt.“ (Matuschek 2011, 239) Zeitgleich zu Herders Überlegungen über den Ursprung der Volksliteratur, hatte auch die Frage nach den ‚mythischen‘ Autoren Homer und Shakespeare Konjunktur. Wolf war der These vom individuellen ‚Originalgenie‘, das Homer für die Genieästhetik verkörperte (vgl. R. Wood, Versuch über das Originalgenie, 1769), entgegengetreten [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft]. Schelling rekonstruierte dann aus den philologischen Befunden Wolfs das metaindividuelle Autorsubjekt ‚Homer‘, das am Anfang der Poesie gestanden habe. Neben solchen kollektiven Ursprungsphantasien hat Friedrich Schlegel in der gemeinschaftlichen Produktion ein utopisches Moment gesehen (Dischner und Faber 2003). Er nimmt an, dass „[…] vielleicht eine ganz neue Epoche der Wissenschaften und Künste beginnen [würde], wenn die Symphilosophie und Sympoesie so allgemein und so innig würde, daß es nichts Seltnes mehr wäre, wenn mehre sich gegenseitig ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten. Oft kann man sich des Gedankens nicht erwehren, zwei Geister möchten eigentlich zusammengehören, wie getrennte Hälften, und nur verbunden alles sein was sie könnten.“ (Schlegel 1967, 185) In diesem Kontext entsteht Schlegels Projekt einer „neuen Bibel“, als „Idee eines unendlichen Buchs von der gemeinen zu unterscheiden als Bibel, Buch schlechthin, absolutes Buch“ (Schlegel 1967, 265), die als kunstreligiöses Gemeinschaftswerk mit Novalis als „einem neuen Christus“, der in Schlegel „seinen wackern Paulus findet“ entstehen sollte. Die „literarische Centralform“ (Novalis 1987, 577) der ersten Bibel wollte Schlegel in einer „Textsammlung von universalem Gehalt und Anspruch“ wiederholen und als „ewig werdendes Buch“ totalisieren, um „alles“ integrieren zu können (Auerochs 2006, 404–406). Auffällig an den Projekten der Romantik ist, dass sich die gemeinschaftliche Arbeit auf Periodika (Athenaeum u. a.) und Sammlungen (Grimms, Arnim und Brentano) konzentriert, die Autorschaft auf der Ebene der Intention durchaus kollektiv einlösen, wenngleich das Ergebnis nicht unbedingt ein gemeinsames ‚Werk‘ ist. Autorschaft als intentionales Moment und als Moment der Produktion klaffen also auseinander. Einen gewissen Einfluss hatte die Idee der kollektiven Autorschaft auf die Romanliteratur der Zeit. Jean Paul lässt die Helden seines Romans Flegeljahre (1804/05) einen Doppelroman konzipieren, der indes scheitert; auch deshalb, weil Jean Paul den metaindividuellen Autorsubjekten der Romantiker kritisch gegenübersteht (Pabst 2008). Der Roman Die Versuche und Hindernisse Karls (1808) Karl
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August Varnhagen von Enses, Wilhelm Neumanns, August Ferdinand Bernhardis und Friedrich de la Motte Fouqués fiel bei der Kritik durch. Ein geplanter zweiter Teil wurde nie verfasst. Das Scheitern des Karl-Romans wiederholt sich in weiteren realen Projekten wie dem sogenannten Roman en quatre, den E.T.A. Hoffmann mit Friedrich de la Motte Fouqué, Karl Wilhelm Salice-Contessa und Adelbert von Chamisso erfolglos projektierte. In den Serapionsbrüdern hat Hoffmann diese Erfahrung reflektiert und das produktorientierte „gemeinschaftliche Arbeiten“ als „mißliches Ding“ verworfen (Hoffmann 2001 [1819–1821], 127), während die Vorzüge der in der Jenaer Romantik geprägten literarischen Gruppe und des darin gepflegten Austauschs (Symphilosophie) jedoch geteilt wurden.
b) Romanfabriken Eine andere Form der gemeinschaftlichen Textproduktion, die um 1800 erstmals erfolgreich praktiziert wurde, ist die der sogenannten Romanfabrik. Dieses Verfahren beschreibt eine streng hierarchische Arbeitsteilung, bei der ein mastermind den Plan des zu schreibenden Textes entwirft und das Vorgehen bestimmt, die Realisierung des Textes aber Lohnschreibern überlässt. Anfänge lassen sich am Beispiel Friedrich Eberhard Rambachs nachvollziehen, für den der junge Ludwig Tieck erste Schreibaufträge übernahm. Das Modell wurde ab den 1840er Jahren bei Alexandre Dumas professionalisiert, der zeitweilig mehr als 70 Schreiber beschäftigte, um seine immense Veröffentlichungstätigkeit über Jahre hinweg halten zu können. Das Verfahren, nach Vorgabe schnell und in Serie zu produzieren, um Publikumsbedürfnis und Vermarktungsinteressen der Verleger zu befriedigen, hat sich bis ins 21. Jahrhundert erhalten, v. a. im Bereich der Unterhaltungsliteratur (Arztromane, Fantasy-Reihen u. ä.). Unter einem Kollektivpseudonym (Jason Dark bei der John Sinclair-Reihe) oder bloßen Reihen-Titeln ohne jede Autorangabe bedeutet die Romanfabrik ein Verschwinden der Produzenten im Produkt.
c) Sozialistische Autorschaft Durch die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts gerät die Idee individueller Autorschaft unter Druck [vgl. auch den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Anschaulich wird das in der Vielzahl ästhetischer Manifeste, die oft von Kollektiven oder wenigstens mit dem Anspruch kollektiver Repräsentation verfasst wurden (Asholt und Fähnders 1995, XXVI). Der Surrealismus konzeptualisiert das Schreiben mit seiner écriture automatique nicht nur in einer Weise, die die
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Bedeutung individueller Intentionen einschränkt, seine Autoren bringen auch einige, wenigstens in programmatischer Hinsicht bedeutsame Werke gemeinsam hervor, wenngleich die Idee kollektiver Produktion schon Ende der 20er Jahre in eine Krise gerät (Nadeau 1965, 137). Die Konstitution künstlerischer Kollektive geht dabei häufig mit ihrer Politisierung einher. Das gilt in besonderer Weise für die sozialistische Avantgarde. Der Begriff der individuellen Autorschaft gerät hier als Eigentumsbegriff, als Form gesellschaftlicher Vereinzelung und als produktionsästhetische Illusion in die Kritik. Aus einer sozialistischen Perspektive verweist die Intention auf kollektive Subjekte wie das Volk, das Proletariat oder die revolutionäre Masse. In der Sowjetunion geht die industrielle und politische mit der literarischen Kollektivierung einher. Wladimir Majakowski tritt in seinem Poem 150 000 000 als Sprecher der revolutionären Masse auf, Sergej Tretjakows Reportagen erproben Verfahren der kollektiven Textmontage, deren Praxis auf die kollektive Betriebsliteratur verweist, wie sie etwa 1931 von Maxim Gorki mit der Reihe Geschichte der Fabriken und Werke initiiert wird. In der DDR findet diese Betriebsliteratur eine – literarisch unbedeutende – Fortsetzung. Die marxistische Idee des „Klassenbewusstseins“ stellt die begriffliche Grundlage für die Konstruktion solcher kollektiven Intentionen dar, die später bei Johannes R. Becher oder Stephan Hermlin Verbindungen mit dem Volk, dem romantischen Kollektivsubjekt, eingehen. In Deutschland werden diese Anregungen etwa von Walter Benjamin aufgenommen, der sich in seinem Aufsatz „Der Autor als Produzent“ unter Berufung auf Tretjakow und Brecht gegen die Autonomie und die Spezialisierung des Schriftstellers wendet, um ihm eine gesellschaftliche Funktion zuweisen zu können, die sich stark an der Zeitung als Modell kollektiven Schreibens orientiert. Er wertet die vom Begriff individueller Autorschaft ausgeschlossenen Aspekte literarischer Produktion – Kommentar, Übersetzung, Fälschung – systematisch auf (Benjamin 1991, 686), kritisiert die Trennung zwischen Autor und Leser, löst die Korrelation Autor/Werk (Produkt) zugunsten derjenigen von Autor/Produktion (Benjamin 1991, 696) auf und erklärt den Autor zum „Ingenieur“, der sich nicht als Individuum auszudrücken, sondern auf dem neusten Stand der Technik zu produzieren habe. Auch den Surrealismus deutet Benjamin im Sinne des sozialistischen Anliegens, hinter die Individualität des Ausdrucks zugunsten kollektiver Techniken und Medien zurückzutreten und so an der Konstitution des Kollektivs mitzuarbeiten [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Dass seine Sympathien für kollektive Autorschaft aus seiner Affinität zur Romantik resultieren, in die der radikal politische Impuls der späten 20er und frühen 30er Jahre wieder zurück genommen wird, zeigt der „Erzähler“-Aufsatz, der seine Thesen zwar an Nikolai Leskow exemplifiziert, aber als Typus des „namenlosen Erzählers“ (Benjamin 1991, 462) erkennbar an die Märchenpoetik der Grimms angelehnt ist (Pabst 2014,
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152). Widersprüchlich verhalten sich diese Stellungnahmen, wie so oft in der Theoriegeschichte der kollektiven Autorschaft, allerdings dazu, dass Benjamin als Literaturkritiker zeitlebens an der Korrelation individueller Autorschaft/Werk festgehalten hat. Am prominentesten wurde die Idee kollektiver Autorschaft in Deutschland von Brecht entfaltet. Sie umfasst die Kritik literarischer Werke als individuellen Besitz, wie ihn der Begriff des „geistigen Eigentums“ (Brecht 1992, 315) codifiziert, sowie deren genieästhetische Fundierung (vgl. Brecht 1992, 323). Begriffe wie „Material“ oder „Plagiat“ (Brecht 1992, 318) setzen hingegen auf eine Poetik der Enteignung, indem sie die Werke anderer Autoren von der Intention und aus deren Besitz lösen, um sie in anderen Zusammenhängen refunktionalisieren zu können. Brecht bestreitet die Bedeutung individueller Kreativität und wertet scheinbar unkreative Leistungen wie das Plagiat auf. Gleichzeitig schlägt sich die Idee der Kollektivität auf die ästhetische Praxis v. a. des Lehrstücks der 1920er Jahre nieder: „Die Form des neuen kollektivistischen Theaters kann nur episch sein.“ (Brecht 1992, 379) Auch die Stoffe werden teilweise nach Maßgabe des Kollektivierungsideals gewählt. Dass Die Maßnahme in China angesiedelt ist, hat auch mit der Vorstellung von Asien als Kulturkreis der Nicht-Individualität zu tun (vgl. Brecht 1992, 380). Allerdings argumentiert Brecht nicht so, dass nur sozialistische Kunst kollektivistische Kunst zu sein habe. Zum einen hält er alle Kunst, sofern sie ihrem Begriff entspricht, für kollektivistisch. Zum anderen ist die Kollektivierung der Kunst eine revolutionäre Umdeutung fordistischer Produktionsweisen. Die Übertragung der Idee und der Praxis der Kollektivität auf den Autor bleibt widersprüchlich. Auch Brechts Werke erscheinen unter seinem Namen. Er bleibt der mastermind der künstlerischen Kollektive, mit denen er arbeitet und hält in der Regel den größten Teil der Rechte an den Stücken, die er mit anderen verfasste. Gerade im Bezug auf seine Zusammenarbeit mit Frauen hat er sich immer wieder den Vorwurf der Ausbeutung fremder Kreativität zugezogen (Fuegi 1997). Das schlägt sich auch auf die juristische Institution des Autors nieder. Im Dreigroschenprozeß um die Verfilmung der Dreigroschenoper und Brechts Ausschluss von den Arbeiten am Drehbuch durch die Nero-Film AG klagt Brecht im Bewusstsein des Widerspruchs auf sein geistiges Eigentum. Er rechtfertigt das als Aufklärung, die die ökonomische, juristische und produktionsästhetische Widersprüchlichkeit individueller Autorschaft zum Vorschein bringt (Brecht 1992, 448; vgl. Morgenroth 2016). Konservative Schriftsteller wie Gottfried Benn oder der Essayist Egon Vietta (Die Kollektivisten) haben die Repräsentanten dieser Kollektivliteratur scharf angegriffen. Weil sie Literatur systematisch an Subjektivität binden, erscheint ihnen der politische und ästhetische Kollektivismus als prinzipielle Verneinung von Kunst (Vietta 1930, 10).
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In der DDR fand Brechts Idee kollektiver Produktion v. a. bei Heiner Müller eine Fortsetzung. Auch er unternimmt den Versuch, dem Publikum eine gestaltende Rolle im Theater zuzugestehen und betreibt mit seiner Material-Ästhetik die Trennung anderer Texte von der Intention und den Eigentumsrechten ihrer Autoren (Pabst 2018). Mit dem Begriff der „Factory“ greift er einerseits auf die Analogie zwischen ästhetischer und industrieller Produktion zurück. Lehnt sich damit aber zugleich an Formen der Kollektivität an, die keine spezifisch sozialistische Intention haben wie Andy Warhols Factory. Ähnlich wie bei Brecht stand indes die Ikonisierung des Autors in einem Missverhältnis zur kollektivistischen Produktionsästhetik. In der BRD engagiert Hans Magnus Enzensberger die revolutionäre Poetik des Kollektivs noch einmal für seinen ‚Roman‘ Der kurze Sommer der Anarchie, eine Montage aus mündlich und schriftlich überlieferten Zeugnissen über den anarchistischen Spanienkämpfer Buenaventura Durruti. Was Enzensberger hier im Anschluss an Ilja Ehrenburg als „kollektive Fiktion“ (Enzensberger 1972, 12) oder als „kollektiven Roman“ bezeichnet, begreift er als Vollzug eines kollektiven Erzählersubjektes, das seine Geschichte als Erzählung von ihr macht. Auch Gilles Deleuze und Félix Guattaris kreuzen für ihr Konzept einer kleinen Literatur romantische und sozialistische Ideen der Autorschaft und schreiben ihr Kollektivität als wesentliches Merkmal zu. Literatur sei eine „kollektive Aussagenverkettung“ (Deleuze/Guattari 1976, 26).
d) Poststrukturalistische Autorschaft Die Kritik individueller Autorschaft setzt sich bis zum Poststrukturalismus fort und äußert sich dort als Negation (Barthes 2006 [1968]) und als diskursive Funktionalisierung (Foucault 2001 [1969]) von Autorschaft. Sie richtet sich gegen den Autor als ökonomisch-rechtliche Institution und setzt ihm kollektive Instanzen – Schrift/Schreiben (Barthes), Diskurs (Foucault), Intertextualität (Kristeva 1972) – entgegen, im Verhältnis zu denen individuelle Autorschaft wie eine willkürliche oder funktional – aber nicht durch die individuelle Leistung – gerechtfertigte Zuschreibung wirkt [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Foucaults Überlegungen sind in der literaturwissenschaftlichen Forschung zu einer Rechtfertigung der Kollektivität und einer Kritik des individualistischen Autorbegriffs ausgebaut worden (Stillinger 1991; Woodmansee und Jaszi 1999). Wie eng die poststrukturalistische Theoriebildung an die sozialistische Literatur anschließt, zeigt sich etwa an der Bedeutung Brechts für Barthes. Auch hier wird eine kritische Intention weiterverfolgt, die im Begriff des individuellen Autors einen ideologischen Begriff erkennt, der allein der Durchsetzung bestimmter Eigentumsverhält-
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nisse dient. Für viele Poststrukturalisten ist der Autor Teil einer „kapitalistischen Ideologie“ (Barthes 2000, 186). Die hermeneutikkritische Intention scheint dieser kapitalismuskritischen gegenüber häufig sogar sekundär zu sein und auf einer erkenntnistheoretischen Ebene einholen zu wollen, was ideologiekritisch beschlossene Sache ist. Im Unterschied zur sozialistischen Kritik individueller Autorschaft haben die Instanzen, die an die Stelle des individuellen Autors treten, selbst nicht mehr die Gestalt eines kollektiven Subjekts. Ihnen kommt also keine Intention zu und sie bringen auch keine abgeschlossenen Strukturen hervor, die als Werke angesehen werden können. Aus diesem Grund fallen sie nur bedingt unter den Begriff der kollektiven Autorschaft. Denn mit der individuellen Autorschaft gerät hier das Prinzip der Autorschaft selbst in die Kritik. Die Generalisierung der Kollektivität und der Verzicht auf ein auktoriales Subjekt führen aber auch dazu, dass die poststrukturalistische Theoriebildung zunächst kaum mit einer konkreten Praxis transindividueller Textproduktion korreliert werden konnte. Mit Ausnahme des 1960 gegründeten Autorenkollektivs OuLiPo, das die poststrukturalistischen Theoriepostulate transindividuell in experimentellen Texten und gemeinsamen Lesungen weiterzuführen versuchte, trugen erst die Möglichkeiten der digitalen Textverarbeitung und -distribution zur Entstehung neuer Textformen bei, die zwar historisch gar nicht im intentionalen Bereich des Poststrukturalismus liegen konnten, die aber die Prozessualisierung des Textes, die Gleichberechtigung von Autor und Leser und die intentionale Entmündigung des Autors tatsächlich zu vollziehen schienen (Landow 1997).
e) Gegenwart Die multilineare, netzartige Struktur digitaler Hypertexte, die potentiell unendlich erweiterbar sind und dadurch eine große Zahl an Autoren inkludieren können, boten sich für kollektive Projekte an (Heibach 2000, 224) [vgl. den Artikel Vernetzte Autorschaft]. Allerdings wurden die Konzepte von Autorschaft dadurch nicht so radikal umgestaltet, wie man das Anfang der 1990er Jahre vermutete (Hartling 2009). Bereits in seiner Frühzeit hat sich das Internet als Ort literarischen Experimentierens mit kollektiven Texten erwiesen. Durch die technische Vereinfachung der Überwindung räumlicher und zeitlicher Grenzen der Interaktion haben sich in der Netzliteratur immer wieder Mitschreibeprojekte gefunden (z. B. Die Säulen von Llacaan, 1998 ff.), die durch synchrone, nicht-hierarchische Partizipation an einem Dokument ein Text-Kontinuum initiieren, das ergänzt und verändert werden kann. Autorschaft und Werkhaftigkeit werden in solchen Projekten ebenso überschritten wie Abgeschlossenheit des Textes und Anzahl der Kollaborateure. Die Möglichkeiten digitaler Literatur wurden durch-
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aus im Zusammenhang mit der romantischen Utopie (Gamper 2000) verstanden, deren praktische Einlösung mitunter ein emanzipatorisches Potential (Böhler 2001, 146) zugeschrieben wurde, wie sie auch philosophisch (Lévy 1994) von der kollektiven Vernetzung über das Internet sowie in ihrer (irrigen) Annahme eines anarchischen Raums basisdemokratischer Vergemeinschaftung erwartet wurden. Die nahezu grenzenlose Partizipation ist auch und in weit größerem Umfang auf dem Feld der Fan Fiction, also der nicht autorisierten Fortschreibungen meist populärer Texte festzustellen. Insbesondere zu weltweit verbreiteten Texten wie Harry Potter oder Tolkiens Lord of the Rings existieren Millionen Beiträge, die teils in Abstimmung miteinander, aber auch in alternativen Varianten Lücken der erzählten Welten zu schließen versuchen, eigene Wünsche und Phantasien an den publizierten Text anschließen, ohne Ansprüche auf Urheberschaft oder absolute Gültigkeit ihrer Beiträge zur Diegese zu stellen. Historisch wird in der Fan Fiction erstmals die zuvor immer wieder anvisierte Rollenverteilung von Autor und Leser („Wreader“) durch die progressive Interaktion des Weiter-Schreibens unbestimmt vieler Akteure aufgehoben. In den Reaktionen der ursprünglichen Autoren bzw. Rechteinhaber bestätigen sich Modelle starker Autorschaft, die dann offensichtlich werden, wenn J.K. Rowling einerseits die auktoriale Kontrolle über die Beiträge Anderer zu wahren versucht, andererseits selbst Fan Fiction verfasst (Singing Sorceress), oder George R.R. Martin (A Song of Ice and Fire) jegliche Form der Fan Fiction juristisch unterbinden möchte. Allerdings sind gerade im Genre der Fantasy (aber auch Science Fiction, Horror u. ä.) kollaborative Schreibweisen gängige Praxis, die ein shared universe entwerfen. Erzähl- und Spielwelten wie Das Schwarze Auge, Dungeons and Dragons und Warcraft sind das Produkt von Gemeinschaftsarbeiten, die z. T. Dutzende von Autoren und Autorinnen umfassen und über längere Zeit (mehrere ‚Generationen‘, die mit dem Internet qualitativ neue Formen der Textproduktion integriert haben) entstehen.
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Ute Schneider
III.3.2 Autorschaft und literarischer Markt 1 Definition und Hauptaspekte Der literarische Markt im engeren Sinn als Teil eines umfassenderen Buchmarktes, der sämtliche Publikationsformen und Sachgruppen (auch wissenschaftliches Buch, Sach- und Fachbuch, Schulbuch, Kalender etc.) einschließt, entstand in seiner vollen Ausprägung erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Folge aufklärerischer Bemühungen und einer expandierenden Produktion von Romanen, Dramen und poetischen Werken in populären Publikationsformen wie Almanachen für ein bürgerliches Leser- und Käuferpublikum. Gleichwohl determinierte der Buchmarkt die ökonomischen und juristischen Rahmenbedingungen schriftstellerischen Handelns bereits seit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metalltypen um 1440/50. Diese Rahmenbedingungen haben sich im Laufe der Jahrhunderte allerdings eklatant verändert. Eine deutliche Zäsur stellt beispielsweise die Kodifizierung des geistigen Eigentums, die Abschaffung des ‚ewigen Verlagsrechts‘ am Ende des 18. Jahrhunderts dar und die im 19. Jahrhundert folgenden nationalen und internationalen urheberrechtlichen Vereinbarungen. Neben diesen und anderen Marktordnungsfaktoren nahmen und nehmen die ökonomischen Konstellationen unmittelbar Einfluss auf den literarischen Publikationsprozess. Zu den Einflussfaktoren gehören Herstellung und Vertrieb von literarischen Werken sowie die Entwicklung und Veränderung der Autor-Verleger-Beziehung seit der Frühen Neuzeit. Briefwechsel zwischen Verlegern und Autoren geben hier – sofern überliefert – detaillierte Auskünfte. Konfliktpotentiale zwischen Autor und Verleger bei Honorarfragen, Erscheinungsterminen, Auflagenhöhen, Buchausstattungen und Werbemaßnahmen sind spätestens seit dem 19. Jahrhundert geprägt von der voranschreitenden Kommerzialisierung des Buchmarktes. Schließlich sind die massenmedialen Kontexte, in denen sich Autorschaft entfaltet, für die Erweiterung des schriftstellerischen Berufsfelds wie auch für die marktgerechte Mehrfachverwertung von Texten wichtige Größenordnungen. Hauptakteure des Marktes sind neben den Autoren stets die Verleger, Buchhändler, seit der Aufklärung auch die Literaturkritiker, seit dem 20. Jahrhundert auch die literarischen Agenten und selbstverständlich immer das Käufer- und Lesepublikum. Die nachfolgenden Ausführungen sind der Chronologie verpflichtet; innerhalb dieser werden systematische Aspekte angeführt, die jeweils typisch für die entsprechenden Epochen sind.
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2 Forschungsabriss Die Erforschung des Schriftstellerberufs auf dem literarischen Markt und seiner Wandlungsprozesse unter ökonomischer Perspektive setzt erst recht spät in den 1960er/1970er Jahren ein mit der stärkeren Fokussierung der Sozialgeschichte der Literatur und literatursoziologischen Fragestellungen innerhalb der Literaturund der Buchwissenschaft (z. B. Winckler 1973 und 1986; Überblick bei Dörner und Vogt 1994). Die literatursoziologische Fundierung der Berufsgeschichte des Autors und der Werkökonomie geschieht gegenwärtig in erster Linie durch Pierre Bourdieus Modell des literarischen Felds (Bourdieu 2001) [vgl. den Artikel Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion]. Die Vermessung der Positionen von Autoren im Feld nach dieser Theorie hat eine gewisse Konjunktur. Heute werden Aspekte der Rahmenbedingungen schriftstellerischer Tätigkeit ebenso häufig unter kulturwissenschaftlicher Perspektive erörtert, wobei typische Hauptarbeitsfelder folgende sind: (1) Autoren und ihre ökonomische Situation, insbesondere in historischer Perspektive (z. B. Krieg 1953, Corino 1987, Tietzel 1995, Steiner 1998); (2) Autoren und ihr Verhältnis zum Lese- bzw. Käuferpublikum sowie zu ihren Verlegern (z. B. Jaumann 1981; Winckler 1986; Kuhbandner 2008); (3) Veränderungen der Rahmenbedingungen auf dem Buchmarkt, wozu Urheberrechtsfragen gehören (siehe z. B. Haferkorn 1964; Vogel 1978; Bosse 1981), und (4) das literarische Schaffen im historischen und aktuellen Medienkontext (siehe z. B. Becker 1994; Hartling 2009), was nicht nur den kreativen Schreibprozess, sondern auch die mediale Inszenierung von Autoren einschließt (siehe z. B. Künzel und Schönert 2007; Grimm und Schärf 2008; Bickenbach 2010; John-Wenndorf 2014; Oster 2014). Quer zu diesen Themen werden Fragen gestellt, inwiefern sich Schriftsteller in Organisationen zusammengeschlossen haben, um auf die angesprochenen Aspekte des Marktes zu reagieren (siehe z. B. Kron 1976; Kröll 1987), aus welchen sozialen Schichten sie stammen und welches Selbstverständnis sie entwickeln (siehe z. B. Selbmann 1994; Scheideler 1997; Parr 2008). Klassischerweise gehören gedruckte Briefausgaben und ungedruckte Verlagsarchivalien wie Korrespondenzen zwischen Autoren und Verlegern zu den Hauptquellen der Analyse von Autoren und ihrer Positionierung auf dem literarischen Markt [vgl. den Artikel Brief und Autorschaft]. Die Öffnung von Verlagsarchiven, z. B. die Übergabe des Suhrkamp-Archivs ins Deutsche Literaturarchiv Marbach/ Neckar, hat in den letzten Jahren ein recht breites wissenschaftliches Interesse an den Konditionen des Buchmarktes hervorgerufen.
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3 Literatur als Ware auf dem Markt der Frühen Neuzeit Durch Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metalltypen in der Mitte des 15. Jahrhunderts wurden (literarische) Texte zum Wirtschaftsgut und in die bereits vorhandenen Strukturen des regionalen und überregionalen Warenhandels eingeschleust. Literatur erhielt mit dem gedruckten Buch einen neuen Entstehungszusammenhang, denn die Literaturproduktion differenzierte sich aus in das inhaltliche Schreiben einerseits und das technische Reproduzieren, das Drucken und den Vertrieb andererseits. Die mündliche Tradierung von Erzählstoffen und Dichtungen stand der Verbreitung von Texten im 15./16. Jahrhundert allerdings noch gleichberechtigt gegenüber. Literatur wurde jedoch nun zur verkäuflichen Ware, erhielt einen Tauschwert, der sich im buchhändlerischen Geschäftsverkehr ausschließlich auf die Materialität des Textes bezog (Papierqualität, Ausstattung mit Holzschnitten oder Kupferstichen etc.) und nicht auf seinen Inhalt. Wie andere Konsumwaren auch wurden Bücher im 15./16. Jahrhundert mittels Wanderhandel vertrieben, wobei hier sowohl der vorwiegend lokal und regional agierende Kolporteur, der den regionalen Bedarf mit Büchern, Broschüren, Kalendern und Kleinschrifttum deckte, als auch der überregionale und europaweit agierende Buchführer, der in großem Stil als Angestellter eines Druckerverlegers oder auf eigene Rechnung mit Büchern handelte, wichtige Institutionen waren. Letztere stellten neben ihrer rein kaufmännischen Funktion eine wichtige Kommunikationsinstanz dar, denn sie kamen im internationalen Handel nicht nur mit Geschäftskollegen, sondern auch mit Gelehrten in Kontakt und konnten so Interessen und Bedarfslagen des Käuferpublikums, das in erster Linie aus Gelehrten bestand, abschätzen. 1564 erschien der erste ‚Meßkatalog‘ für die Buchmesse in Frankfurt am Main. Dieser organisatorische, herstellerische und ökonomische Aufwand ist als Indiz zu werten, dass der Wanderhandel zugunsten des Buchhandels auf den zweimal im Jahr stattfindenden Messen zurückgedrängt wurde. Frankfurt am Main war ein wichtiger Knotenpunkt im internationalen Handel mit Süd- und Westeuropa. Die Messe in Leipzig (,Meßkataloge‘ ab 1594) wurde mehr für den nationalen Handel und den mit Osteuropa genutzt. Die ‚Meßkataloge‘ dienten zunächst als reine Werbe- und Informationsinstrumente, später auch als Grundlage zur Überwachung des Privilegienwesens und zur Zensur. Die Tauschgeschäfte der Buchhändler auf den Messen führten zur europaweiten Verbreitung der Werke. Da der größte Teil der Bücher in lateinischer Sprache von Gelehrten für Gelehrte abgefasst war, waren territoriale Sprachgrenzen kein Problem. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden die Buchmärkte nationaler und gegen
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Ende des 17. Jahrhunderts hatte die deutsche Sprache das Lateinische in der Buchproduktion überflügelt, damit konnte ein größeres Käufer- und Lesepublikum erschlossen werden. Honorarzahlungen an Autoren von Seiten der Drucker und Verleger waren in der Regel unüblich. Allerdings wurden schon im 15. Jahrhundert beispielsweise humanistische Gelehrte für ihren Aufwand bei der Edition und Redaktion von philologisch exakten Texten antiker oder mittelalterlicher Autoren bezahlt. Gelehrte ohne institutionelle Bindung an eine Akademie oder Universität waren auf die individuelle finanzielle Förderung von Adeligen oder städtischen und staatlichen Einrichtungen angewiesen, denn aufgrund fehlender urheberrechtlicher Kodifizierung garantierten Publikationen keine materielle Sicherheit. Die übliche Honorarart war ein Ehrengeschenk, das Autoren meist von finanzkräftigen Mäzenen oder Gönnern aufgrund eines ihnen dedizierten Werkes erhielten, wobei diese Gabe unterschiedliche Formen haben konnte: Titel, Orden, auch Geld oder sogar ein attraktives Amt. Die Beziehung eines Schriftstellers zu seinem Mäzen war meist von längerer Dauer. Ab der Frühaufklärung bildet sich neben den Gelehrten im engeren Sinn der ständische Dichter heraus, der einem Hauptberuf zur Existenzsicherung nachging und in seinen „poetischen Nebenstunden“ für ein frühbürgerliches, nicht gelehrtes und daher nicht lateinkundiges Publikum schrieb. Er war noch nicht vom Buchmarkt und vom Publikumsgeschmack existenziell abhängig, da sein Hauptberuf seinen sozialen Status festlegte (siehe z. B. Haferkorn 1964; Pape 1969/70; Ungern-Sternberg 1974, Corino 1987; Tietzel 1995).
4 Der ‚freie‘ Schriftsteller zwischen Marktorien tierung und Selbstverlag in der Aufklärung Ab 1692 wurden dauerhaft und unumkehrbar jährlich mehr deutschsprachige Bücher als lateinische auf der Buchmesse in Frankfurt am Main gehandelt. Der ‚Meßkatalog‘ des Jahres 1692 weist über 400 Titel in deutscher Sprache auf. Die jährliche Buchproduktion veränderte sich im 18. Jahrhundert qualitativ wie quantitativ. Ab den 1760er Jahren erschienen etwa zwei Drittel der Gesamtproduktion des 18. Jahrhunderts: Wurden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts etwa 950 bis 1000 Neuerscheinungen jährlich auf der Leipziger Messe gehandelt, so waren es am Ende des Jahrhunderts etwa 4000 Novitäten pro Jahr. Die Buchproduktion hatte sich vor allem im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts gegenüber dem Jahrhundertanfang vervierfacht, und der Unterhaltungsliteratur in Form von stark nachgefragten Romanen, Lesedramen und dem neuen Medium Almanach kam
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daran der größte Anteil zu. Die Literatur erstarkte zuungunsten der bis dahin vorherrschenden erbaulichen Lesestoffe und der Kalenderliteratur. Auch der gesamte Sachbuchbereich erfuhr einen Aufschwung. Dem Wandel auf dem Buchmarkt korrespondierte die Herausbildung eines neuen Autorentyps: Der ‚freie Schriftsteller’, der weder von einem mäzenatischen Gönner abhängig war noch einem Hauptberuf nachging und sich nur dem Geniegedanken verpflichtet sah, entwickelte ein neues schriftstellerisches Selbstbild und Selbstbewusstsein. Folge war, dass Autoren ihre geistige Leistung beim Schreibprozess neu bewerteten und am ökonomischen Gewinn, den der Verkauf ihrer Werke erbrachte, teilhaben wollten, was juristisch zunächst ungeregelt blieb und individuell verhandelt wurde. Noch herrschte das sogenannte ‚ewige Verlagsrecht‘ vor, das ganz zum Vorteil des Verlegers gereichte und dem Autor kaum Rechte am eigenen Text zugestand, wenn er ihn einem Verleger zur Publikation übereignet hatte. Erst 1794 im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten wurden die Verwertungsrechte des Verlegers an einem Text insofern modifiziert, als festgelegt wurde, dass sie zeitlich beschränkt gelten sollten und dem Autor ein Nutzungsrecht an seinem Werk zugestanden werden müsse (siehe besonders Vogel 1978; Bosse 1981). Gleichwohl erhielten einzelne Autoren bereits seit der Mitte des Jahrhunderts teils großzügige Honorare von insgesamt bis zu mehreren tausend Talern oder Gulden von ihren Verlegern; hervorzuheben sind besonders die Verleger der Klassik wie Göschen oder Cotta. Gängige Praxis waren vom Absatz unabhängige Pauschal- oder Bogenhonorare (siehe z. B. Tietzel 1995).
Selbstverlag unter Umgehung der professionellen Verleger Als Reaktion auf die für Autoren unbefriedigende ökonomische Situation gegenüber ihrem Original-Verleger einerseits und der juristischen Absicherung gegenüber den Nachdruckern andererseits versuchten Schriftsteller unter Umgehung der etablierten Verlagsbranche ihre Werke im Eigenverlag zu publizieren. Die Druckkosten mussten vom Autor aufgebracht werden, der sein finanzielles Risiko minderte, indem er in der Regel sein Werk auf Subskriptionsbasis verkaufte. Den pekuniären Gewinn erhielt ausschließlich der Autor, der davon allerdings den Buchhandel für den Vertrieb entlohnte. Diese in der Theorie überzeugend wirkende Strategie gelang praktisch nur bedingt. Bekannte Beispiele sind die Hamburgische Dramaturgie 1767 von Lessing und Bode in Hamburg; die Deutsche Gelehrtenrepublik 1773 von Klopstock (siehe Pape 1969/70); der Teutsche Merkur 1773 von Wieland (siehe Ungern-Sternberg 1974) sowie 1781 die Gründung der Dessauer Gelehrtenbuchhandlung (siehe Rahmede 2008), die als genossenschaftlich betriebener Verlag keine zugkräftigen Autoren an sich binden konnte und
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als Publikationsort wenig attraktiv erschien. Nur wenige Titel reüssierten unter dem Selbstverlagsmodell, Wielands Teutscher Merkur kann als eine positive Ausnahme gesehen werden. Die Versuche scheiterten meist am fehlenden verlegerischen Know-how der Autoren, am Boykott durch den etablierten Sortimentsbuchhandel, der in der Regel einem traditionellen Verlag angeschlossen war, und am begrenzten Kapitaleinsatz.
Die Herausbildung eines literarischen Lesepublikums Mit dem Aufkommen des literarischen Publikums im engeren Sinn, das sich in erster Linie aus den bürgerlichen Schichten der Städte, einschließlich der Frauen und der Kinder, rekrutierte, richteten sich Verleger in ihrer Produktion zunehmend nach dem ästhetischen Geschmack dieser Leser und ihren finanziellen Möglichkeiten. Der Gelehrtenstand, der bis dahin die dominierende Zielgruppe des Buchhandels gewesen war, wurde in seiner Bedeutung für den Buchhandel zurückgedrängt, was sich schon daran zeigt, dass ab 1759 im Leipziger ‚Meßkatalog‘ die Novitäten nicht mehr nach den Universitätsfakultäten eingeteilt wurden, sondern alle Neuerscheinungen im Alphabet ihrer Autoren dem Leser bzw. Käufer bekannt gemacht wurden. Der Effekt war die Anonymisierung des Publikums als soziale Gruppe, die im Gegensatz zur gelehrten homogenen Leser- und Autorengruppe in ihren Bedürfnissen nicht mehr gut voraussehbar war. Das hatte für die literarischen Schriftsteller zur Folge, dass die Erwartungen und Vorlieben des Publikums nicht mehr präzise eingeschätzt werden konnten, sondern diffus blieben. Der soziale Wandel des Lesepublikums hin zum bürgerlich literarischen Publikum im engen Sinn hatte Konsequenzen für die Autoren. Einerseits schien sich der Markt überaus positiv zu entwickeln, andererseits entstand eine neue ökonomische Abhängigkeit vom Markt, der als neue leserlenkende Instanz nun den Literaturkritiker hervorbrachte. Die Herausbildung einer professionellen Literaturkritik war auch Folge der Abkehr von poetischer Regelhaftigkeit. Die Beurteilungskriterien über den Wert literarischer Werke wurden subjektiv, aber vom bürgerlichen Literaturkritiker nach seinem Selbstverständnis für das ganze bürgerliche Publikum getroffen.
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5 Der Berufsschriftsteller auf dem Massenmarkt des 19. Jahrhunderts Über die Situation der Schriftsteller im 19. Jahrhundert liegen vergleichsweise quellengesättigte Studien vor, wenn auch die in den Literaturgeschichten tradierten Autoren primär das wissenschaftliche Interesse weckten, wie zum Beispiel Wilhelm Raabe oder Theodor Storm oder Theodor Fontane (siehe z. B. Helmstetter 2003; Becker 1994; Liesenhoff 1976). Für die deutsche Kaiserzeit liegt eine umfassende Studie zur Sozialgeschichte der Autoren vor (siehe Scheideler 1997; Parr 2008). Im 19. Jahrhundert kam es zu massiven Veränderungen der Rahmenbedingungen schriftstellerischer Tätigkeit: (1) Der deutsche Buchmarkt wurde durch unterschiedliche marktbeeinflussende Wandlungsprozesse einer unumkehrbaren Kommerzialisierung unterworfen, die die soziale und ökonomische Situation für literarische Autoren erheblich verschärfte. Der Berufsschriftsteller, mit dem erst im 19. Jahrhundert die in der Aufklärung begonnene Entwicklung zum Abschluss gelangt, musste sich zwar nicht mehr poetischen Regeln, jedoch den Regeln des Marktes unterwerfen und an den Strategien in der Verlagsbranche orientieren, wollte er seinen Lebensunterhalt ausschließlich von seinen Schriftstellerhonoraren bestreiten. (2) Juristische Regelungen wie die literarische Tätigkeit einschränkende Zensurgesetze und die literarische Tätigkeit absichernde nationale und internationale Urheberrechtsregelungen [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright] wurden flankiert durch die Gründung von Interessengruppen. (3) Das Spektrum der Medien, die als neue Verdienstmöglichkeiten zur Verfügung standen, erweiterte sich. (4) Das Autor-Verleger-Verhältnis veränderte sich von der reinen Geschäftsbeziehung hin zu einer Wertegemeinschaft.
Industrialisierung und Massenmarkt Der in der Aufklärung eingeleitete Prozess der schriftstellerischen Emanzipation entfaltete seine volle Wirkung erst im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Industrialisierung des gesamten Buchgewerbes und einer sich kontinuierlich durchsetzenden Alphabetisierung der deutschen Bevölkerung. Die Wechselwirkung zwischen technischen Innovationen, die nun erstmals seit Gutenbergs Erfindung Massenauflagen ermöglichten, und der bis Ende des Jahrhunderts abgeschlossenen Vollalphabetisierung war offensichtlich: Die Nachfrage nach unterhaltenden Lektürestoffen, besonders nach Familien- und Unterhaltungszeitschriften, nach Fach- und Sachliteratur sowie nach Kinder- und Jugendlite-
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ratur stieg insbesondere nach der Reichsgründung 1871 rapide an, was sich auf den Beruf des Schriftstellers in mehrfacher Hinsicht auswirkte. Die Expansion der Buchproduktion von wenigen Tausend Titeln im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts auf über 10.000 im Jahr der Reichsgründung und einem weiteren kontinuierlichen Anwachsen auf mehr als 35.000 bis zum Ersten Weltkrieg zeigt die Goldgräberstimmung auf dem Buchmarkt vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die mit Einführung einer vertraglich geregelten Autor-Verleger-Beziehung grundsätzlich vorteilhafte Entwicklung zur Herausbildung einer professionellen Autorschaft wurde allerdings zunächst ab 1819 durch massive Einschränkungen seitens der Zensurgesetze gebremst. Die Marktlenkung durch Zensur war kein neues Phänomen; bereits in der Inkunabelzeit wurden Zensurmaßnahmen ergriffen, die Autoren aber nur selten in ihrer Existenz bedrohten, da Schriftsteller in der Regel einem Hauptberuf nachgingen, der ihren sozialen Status bestimmte und ihre materielle Existenz sicherte (siehe dazu Neuschäfer 1981). Dies änderte sich mit den Karlsbader Beschlüssen, die die Vor- und Nachzensur aller Veröffentlichungen regelten. Ihren Höhepunkt fanden die Zensurmaßnahmen 1835, als alle Publikationen der Autoren des „Jungen Deutschlands“ verboten wurden, was einem Berufsverbot gleichkam. Die Existenzgrundlage war Schriftstellern wie Karl Gutzkow, Heinrich Heine, Ludolf Wienbarg und Heinrich Laube damit entzogen.
Literaten im Medienkontext Durch die fortschreitende Industrialisierung des Buchgewerbes und die damit verbundene Expansion der Zeitungen und Zeitschriften eröffneten sich Autoren neue Verdienstmöglichkeiten, die in eine Berufsfelderweiterung mündeten. Schriftsteller bedienten zunehmend alle Medien, die der Buchmarkt bereitstellte: Sie schrieben nicht nur für den Buchmarkt im engeren Sinn, sondern auch für die Bühne, fertigten journalistische Arbeiten für Zeitungen und Zeitschriften, wirkten als Literaturkritiker und rezensierten die Arbeiten ihrer Freunde und Konkurrenten. Bisweilen kam eine Übersetzungstätigkeit hinzu. Ein Beispiel für diesen Schriftstellertyp ist Karl Gutzkow, der als erfolgreicher Berufsschriftsteller über sein umfangreiches Œuvre hinaus als Repräsentant eines spezifischen Autorentyps für die Sozialgeschichte der Schriftsteller gelten kann. Ihm war der Statuserhalt als ‚freier Schriftsteller‘ nur durch ein immenses Produktionsvolumen von Texten möglich: Er publizierte opulente Romane, z. B. die bei Brockhaus erschienenen Ritter vom Geiste (1850/51) oder den ebenso umfangreichen Zauberer von Rom (1858–1861). Daneben schrieb er Novellen und reüssierte auch als Bühnenautor.
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Er fungierte als literarischer Leiter und Herausgeber der Zeitschriften Forum der Journalliteratur (1831), Phönix. Frühlingszeitung für Deutschland (1835), Telegraph für Deutschland (1838–1843, sowie dessen Vorgängerorgane) und der Unterhaltungen am häuslichen Herd (1853–1862), der ersten populären Familienzeitschrift in Deutschland. Gutzkow gehörte zu den scharfsinnigsten Beobachtern und Kommentatoren des literarischen Marktes und seiner Ausprägungen im 19. Jahrhundert, was er über Jahrzehnte in einer Fülle von journalistischen Arbeiten zum Ausdruck brachte (siehe Haug und Schneider 2013). Die erfolgreiche Durchsetzung und der rapide Aufstieg des neuen Massenmediums Zeitschrift führte im 19. Jahrhundert zu neuen, lukrativen Verdienstmöglichkeiten für Schriftsteller und eröffnete ihnen somit Chancen, das Ideal des ‚freien Schriftstellers‘ umzusetzen. Insbesondere in hohen Auflagen erscheinende Familienzeitschriften nahmen Fortsetzungsromane und Novellen von bekannten und beliebten Autoren auf, um die Attraktivität ihrer Hefte zu steigern, und zahlten entsprechend großzügig, um Autoren nicht an die Konkurrenz zu verlieren. Die ersten Feuilletonabdrucke von Romanen in Zeitungen kamen in Frankreich heraus: Ab Oktober 1836 erschien Balzacs Le vieille fille in La Presse, es folgten Eugène Sues Mystères des Paris 1842/43 im Journal des Débats und Dumasʼ Comte de Monte-Cristo 1845/46, wofür bereits hohe Honorare von 30.000 Francs gezahlt und die Autoren einem breiten Publikum bekannt wurden (siehe Bachleitner 1999, 25). Ähnlich verlief die Entwicklung in Deutschland, wo die gegenseitige Förderung von Auflagenzahlen der Journale und der Bekanntheit von Autoren zu einer deutlichen Win-win-Situation führte. Insbesondere die deutschen Realisten profitierten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts enorm von der expandierenden Presse. Die in der Folge der Gartenlaube (gegr. 1853) auf dem Markt erfolgreichen Familienzeitschriften wie Daheim, Über Land und Meer etc. waren in der Regel illustriert und wurden vom Publikum außerordentlich gerne gelesen. Sie lösten die bis dahin dominierende literarische Institution, die kommerzielle Leihbibliothek, in ihrer Bedeutung als Instanz der Literaturvermittlung ab. Mit dem Vorabdruck von Romanen in Zeitungen und Zeitschriften wurde die Mehrfachverwertung von literarischen Texten zur gängigen verlegerischen Praxis, die im 20. Jahrhundert auf andere Medien ausgeweitet wurde. Gottfried Keller, Wilhelm Raabe und Theodor Fontane nutzten Vorabdruckmöglichkeiten auflagenstarker Familienzeitschriften (vgl. dazu auch Helmstetter 2003). Das Beispiel von Westermanns Illustrirten deutschen Monatsheften (gegr. 1856, 20.000 Abonnenten in den 1780er Jahren), in denen z. B. Theodor Storm und Wilhelm Raabe publizierten, kann illustrieren, wie sich die Situation für die Autoren darstellte: Theodor Storm veröffentlichte dort ab 1865 Novellen, bis zu seinem Tod 1888 blieb er Autor dieser Zeitschrift. Anfang der 1870er Jahre erhielt Storm etwa 750 Mark für den
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Abdruck einer Novelle, 1876 waren es bereits 1800 Mark. 1878 forderte er schließlich 1500 Mark pro Druckbogen, was eine bis dahin kaum vorstellbare Forderung war (zu seinen Honoraren und Verlagsverhandlungen siehe den Briefwechsel Storms mit Paul Heyse, 1974). Erst 1868 hat Westermann die erste Gesamtausgabe der Werke Storms in sechs Bänden herausgebracht. Der Verleger konnte also zunächst in den Zeitschriften den Publikumserfolg eines Autors testen und legte daran anschließend seine Werke in Buchform auf. Die Marktgängigkeit der Werke war das entscheidende Kriterium. Selbst lange etablierte Autoren wurden danach beurteilt: Wilhelm Raabe war bereits 1857 als Zeitschriftenautor zu Westermann gekommen und hat bis 1884 über 30 Novellen geliefert. Danach gelang es ihm nicht mehr, seine Arbeiten in den Monatsheften zu platzieren, denn seine Beliebtheit beim Publikum ließ nach. Trotz der augenscheinlich guten Aussichten, im facettenreichen Medienangebot des 19. und 20. Jahrhunderts eine ökonomische Existenzsicherung durch literarisches Schreiben zu erreichen, war den meisten Autoren ein Leben ohne weitere Einkommensquellen kaum möglich. Viele mussten zeitweise oder dauerhaft einem bürgerlichen Beruf nachgehen, auch die, die später von der akademischen Literaturgeschichtsschreibung kanonisiert wurden: Eduard Mörike war Pfarrer, Theodor Fontane arbeitete als Apotheker, Kriegsberichterstatter und Theaterkritiker, der zeitlebens wenig erfolgreiche Franz Kafka war Versicherungsangestellter, Gottfried Benn war Arzt usw. (viele weitere Beispiele bei Fertig 1998; Ferk 2015).
Interessenverbände zur Durchsetzung ökonomischer und juristischer Interessen Marktrealität und künstlerisches Selbstverständnis brachen auseinander. Vor dem Hintergrund der politischen Kleinstaaterei existierte keine politischen Grenzen übergeordnete Institution, die die Interessen der deutschen Schriftsteller gegenüber der Medienbranche vertreten konnte. Der 1825 gegründete Börsenverein des deutschen Buchhandels war zwar eine staatenübergreifende Interessenvertretung, wirkte aber fast ausschließlich für die Belange der Buchhandelsbranche. 1840 formierte sich als erste Berufsorganisation der Leipziger Literatenverein (siehe Stegers 1978), der bereits mit seinem Namen deutlich machte, dass man sich als ‚Literat‘ empfand, und nicht mehr als ‚Dichter‘. Die Gründung dieses Berufsverbands stellt den ersten Schritt zu einer Professionalisierung, einer Verberuflichung der schriftstellerischen Tätigkeit dar. Zusammenschlüsse von Autoren können zwei unterschiedliche Funktionen haben (siehe Kröll 1978): Entweder handelt es sich um Dienstleistungs- und Servicegrup-
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pen, die in erster Linie als Interessenvertretungen gegenüber Dritten wirken, oder es sind Manifestgruppen, deren Mitglieder entweder gemeinsame literarischästhetische Ziele verfolgen oder auch politisch-ideologische. Erstere sind die für den Buchmarkt relevanten Gruppen, die insbesondere nach der Reichsgründung, als eine nationale, territoriale deutsche Einheit geschaffen worden war, gegründet wurden, um alle deutschen Schriftsteller, sowohl Belletristen als auch Fachschriftsteller und Journalisten, in einem Verband zu integrieren. Als wichtigste sind zu nennen: 1887 der „Deutsche Schriftsteller-Verband“ (Fusion aus dem „Allgemeinen Deutschen Schriftsteller-Verband“ und dem „Deutschen SchriftstellerVerein“), 1902 das „Kartell lyrischer Autoren“, 1909 schließlich der einflussreiche „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ (siehe u. a. Hermand 1998; Fischer 1980; Kron 1976; Martens 1975). Heute ist der in die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di integrierte „Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller“ (gegr. 1969) die maßgebliche Instanz zur Vertretung der schriftstellerischen Interessen.
6 Auf dem Weg ins 20. Jahrhundert Die Expansion auf dem Buchmarkt machte es für die einzelnen Verlagsunternehmen notwendig, sich zu spezialisieren und zu profilieren. Die Einführung der Gewerbefreiheit 1869, die Reichsgründung und die aufstrebenden Teilmärkte Naturwissenschaft, Medizin und Technik führten zur Marktexpansion und erhöhtem Konkurrenzdruck. Was die disziplinären Entwicklungen für den wissenschaftlichen- und Fachbuchverlag bedeuteten, stellte die erhöhte Produktion literarischer Texte im belletristischen Bereich dar. Das wirkte sich auf die AutorVerleger-Beziehung im literarischen Verlag, der sich auf ambitionierte, avantgardistische Literatur konzentrierte, aus.
Das Autor-Verleger-Verhältnis – vom Geschäftspartner zur Wertegemeinschaft Waren die Autor-Verleger-Beziehungen seit der Frühen Neuzeit auf rein geschäftliche Aspekte gerichtet gewesen, so erweiterten sich angesichts der stärkeren Spezialisierung von Verlagsprogrammen die Autor-Verleger-Beziehungen im literarischen Bereich zu freundschaftlichen Partnerschaften. Ab den 1880er/ 1890er Jahren traten junge Verleger in die Branche ein, denen es in erster Linie um die Vermittlung literarisch-ästhetischer oder weltanschaulicher Werte ging und erst in zweiter Linie um den ökonomischen Gewinn. Ihr Wunsch, einen Autor
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möglichst mit seinem Gesamtwerk im Verlag zu halten, um seinen Verlag gegenüber dem Käuferpublikum und dem Sortimentsbuchhandel unverkennbar zu profilieren, machte lang andauernde Beziehungen attraktiv (siehe z. B. Schneider 2005; Kuhbandner 2008). Verleger wie Samuel Fischer, Eugen Diederichs, Albert Langen, Kurt Wolff oder Ernst Rowohlt, die sogenannten ‚Kulturverleger‘, pflegten Beziehungen zu ihren Autoren, die über das rein Geschäftliche weit hinausgingen. Sie öffneten ihr Haus für den gesellschaftlichen Umgang mit Schriftstellern und hatten Lektoren eigens zur Betreuung der Autoren und deren Arbeiten in ihren Verlagen eingestellt (siehe Schneider 2005). Diese Verleger bemühten sich auch bei kommerziellem Misserfolg, an Autoren, von deren Arbeiten sie grundsätzlich überzeugt waren, festzuhalten. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Autoren und Verlegern, das auf gemeinsamen kulturellen, geistigen und ästhetischen Werten beruhte, führte auch unter Autoren zu gegenseitigen Verlags-Empfehlungen. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte dieses Autor-Verleger-Modell angesichts der Marktökonomie nicht mehr verfolgt werden. Peter Suhrkamp, Siegfried Unseld und ein paar wenige weitere Verleger pflegten weiterhin erfolgreich dauerhafte und intensive Autorenfreundschaften.
7 Der Autor in der Medienvielfalt des 20. Jahrhunderts Die mediale Vielfalt des 20. Jahrhunderts umschloss nicht nur die etablierten Printmedien wie Buch, Zeitung und Zeitschrift, sondern eröffnete den Autoren mit dem Film bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, vor allem aber nach dem Ersten Weltkrieg, dem Radio ab 1923 und schließlich auch mit dem Fernsehen neue Wege des künstlerischen Ausdrucks, neue Tätigkeitsfelder und neue Bereiche des ökonomischen Einkommens [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Über die Chancen von Autoren, für alle diese Medien Originalarbeiten zu schaffen, hinaus, boten die facettenreichen Medienformate potentiell neue und erweiterte Möglichkeiten der Mehrfachverwertung literarischer Stoffe. Die Vorabdrucke von Romanen und Novellen in Zeitschriften waren nun bereits fest eingeplante und routiniert umgesetzte Vermarktungsstrategien von Seiten der Verlage und der Autoren. Nun kam vor allem der Film als geeignetes Verwertungsformat hinzu. In der Weimarer Republik wurden Kino und Radio als schriftstellerische Artikulationsorte noch kontrovers diskutiert. Vor allem Verleger sprachen von der „Bücherkrise“, die allerdings eine bis dahin nie gekannte Titelvielfalt hervorbrachte. Mit knapp 31.600 Titeln hatte Deutschland 1925 die höchste Buchproduktion weltweit erreicht. Große Medienkonzerne wie das ursprünglich rein auf
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Presseorgane konzentrierte Verlagsunternehmen Ullstein in Berlin (gegr. 1877) schlossen ihrem Haus einen Buchverlag (schon 1903) an, um Romane für ihre Zeitungen und Zeitschriften zu binden, und begannen bereits sehr früh nach dem Ersten Weltkrieg auch ins Filmgeschäft einzusteigen, um die lukrative Mehrfachverwertung von Romanen im eigenen Haus umsetzen zu können (siehe Oels und Schneider 2014). Theaterstücke vermarktete man im hauseigenen Theaterverlag. Bei Ullstein wurden Autoren in erster Linie durch herausragende Honorarzahlungen an den Verlag gebunden, und nicht wie im Fall der Kulturverleger durch gemeinsame Werte oder ideelle Ziele. Bertolt Brecht, Carl Zuckmayer, Heinrich Mann, Ödön von Horváth gehörten beispielsweise aus pekuniären Gründen gerne dem Haus Ullstein an (siehe Davidis 1997; Nickel 1998; Schneider 2005). Die Ausweitung des Medienangebots hat ganz ähnlich wie im 19. Jahrhundert zu erweiterten Erwerbsfeldern geführt. Es existiert keine empirisch fundierte Langzeitstudie, die über die ökonomischen Verhältnisse der deutschen Schriftsteller im 20. Jahrhundert oder über ihre Haupttätigkeitsfelder Auskunft geben könnte. Vor dem Hintergrund der eben skizzierten Entwicklungen auf dem Markt erstellten die Hamburger Soziologen Karla Fohrbeck und Andreas Wiesand 1972 unter dem Titel Autorenreport eine Feldstudie, die als Momentaufnahme gelten konnte. Die Bedeutung der damals „neuen“ Medien als Einkommensquelle für (junge) Autoren wurde in dieser Studie ganz deutlich: Die Autorenjahrgänge, die 1970 unter 30 Jahre alt waren, arbeiteten fast ausschließlich für die Medien Rundfunk, Fernsehen und Film. Diese jungen Autoren verdienten selbst als Berufsanfänger im Gegensatz zu den älteren Autoren, die über 70 waren, verhältnismäßig viel (siehe die Ergebnisse der Studie ausführlicher und detailliert dargestellt bei Fohrbeck und Wiesand 1972).
Neue literarische Instanzen im Verlag und auf dem Markt Bereits 1895 hatte der Verleger Samuel Fischer einen Lektor zu seiner Unterstützung eingestellt: Moritz Heimann, selbst Autor und bester Kenner des Literaturbetriebs um 1900. Ihm oblag die Autorenpflege und die Manuskriptarbeit. Mit Schaffung dieser Position im literarischen Verlag als feste Institution wurde Schriftstellern einerseits ein neuer literarischer Ansprechpartner zur Seite gestellt und andererseits eine neue Arbeitsperspektive eröffnet. Die Stellung als Lektor im literarischen Verlag wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem klassischen Arbeitsfeld des Autors (siehe Schneider 2005). Als prominente Beispiele sind zu nennen: Oskar Loerke bei S. Fischer; Christian Morgenstern und Max Tau bei Bruno Cassirer; Kurt Pinthus, Franz Werfel und Walter Hasenclever bei Kurt Wolff; Franz Hessel, Paul Mayer und Friedo Lampe bei Ernst Rowohlt,
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dort später um 1960 auch Peter Rühmkorf, zur gleichen Zeit Dieter Wellershoff bei Kiepenheuer & Witsch. Dies sind nur einige Beispiele. Bis in die 1950er/1960er Jahre waren in erster Linie Autoren als Verlagslektoren tätig, teilweise waren sie im Verlag fest angestellt und bezogen ein regelmäßiges Gehalt, teilweise waren sie als Außengutachter tätig und arbeiteten auf Honorarbasis. Erst ab den 1950er Jahren wurde der Lektor zu einem Beruf, den verstärkt Nicht-Schriftsteller wahrnahmen. Genau wie der Beruf Schriftsteller war der Beruf Lektor keinerlei Zugangsregeln unterworfen. Lektor konnte und kann im Prinzip jeder mit literarischem Spürsinn und ausgeprägter sozialer Kompetenz werden, wobei von Beginn an die Akademiker unter den Lektoren dominierten. Oft wirkten Schriftsteller als Lektoren, bis sie als Schriftsteller so erfolgreich waren, dass sie von ihrem Honorar leben konnten. Der Lektorenberuf war für viele Autoren eine Art Übergangslösung. Für manche blieb er jedoch bis an ihr Lebensende ihre Haupteinnahmequelle. Die Konzentrationsbewegungen in der Verlagsbranche und der Strukturwandel auf dem Buchmarkt ab den 1980er Jahren ließen die klassischen Verlagsstrategien als nicht mehr effektiv und durchführbar erscheinen. Die langfristige Betreuung eines Autors über seinen gesamten Schaffensprozess wurde zugunsten des Bestsellergeschäfts mit dem Einzeltitel schon ab den 1970er Jahren mehr und mehr zurückgedrängt. Der kurzfristige ökonomische Erfolg eines einzelnen Titels als Ziel erfordert eine andere arbeitstechnische und inhaltliche Konzeption der Lektoratsarbeit als die langfristige planerische Pflege eines Autors. Dieser Wandel führte zu einer steigenden Bedeutung des literarischen Agenten, der Autoren an Verlage vermittelt, die Verhandlungen der Publikationsbedingungen übernimmt und das Feld der publikablen Manuskripte vorsondiert. Die Angebote der Literaturagenturen beschränken sich jedoch nicht auf die reine Vermittlungstätigkeit zwischen Schriftstellern und Verlagen. Es werden in der Regel weitere Dienstleistungen sowohl für die Schriftsteller als auch für die Verlage, für Übersetzer und sogar für freie Lektoren angeboten, nämlich die Betreuung von Buchprojekten. Für Schriftsteller werden typische Lektoratsfunktionen übernommen, fast alle Agenturen bieten beratende Tätigkeiten bei der Manuskriptabfassung sowie redaktionelle Arbeiten, wenn es die Autoren wünschen (Schneider 2001, 38–39).
8 Aktuelle Tendenzen im 21. Jahrhundert Die aktuellen Tendenzen auf dem Markt erfordern angesichts von ca. 80.000 jährlichen Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt nicht nur von den Verlegern, sondern auch auf Autorenseite neue Strategien, um die Aufmerksamkeit des
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Publikums sowie des Sortimentsbuchhandels auf den Autor zu lenken. Ein Phänomen, das seit einigen Jahren beobachtet werden kann, ist die strategische Personalisierung von Literatur auf dem Buchmarkt. Neben der Positionierung von Titeln auf Bestsellerlisten oder im Feuilleton der überregionalen Tageszeitungen gelingt die Vermarktung von Literatur zunehmend vor allem über die Person des Autors oder der Autorin. Eine der auffallendsten Strategien ist die Inszenierung von Autoren sowohl in den traditionellen audiovisuellen Medien als auch im Internet, hier insbesondere in etablierten Formaten wie Homepages, Blogs und Vlogs (siehe Künzel und Schönert 2007; Bickenbach 2010; Schneider 2013; Oster 2014) [vgl. den Artikel Vernetzte Autorschaft]. Bei der Autorenvermarktung sind die anderen Medien, die mit dem Buch um die Aufmerksamkeit der Leser, User, Nutzer konkurrieren die geeigneten Vehikel, um einem Titel zum Erfolg zu verhelfen. Manche Autoren werden über gezielte Verlags-PR vermarktet, über Medien, Lesereisen und andere Veranstaltungen in Szene gesetzt. Autoren, die bereits Erfahrung im Umgang mit Medien gesammelt haben, durch TV-Auftritte u. ä., oder überhaupt aus den Medien bekannt sind, haben einen entscheidenden Vorteil in der Konkurrenz um die Aufmerksamkeit beim Buchkäufer. In der Person des Autors, der auf mehreren Medienmärkten agiert, scheinen sich unterschiedliche mediale Strategien zu vereinen, die auf erfolgreiche Vermarktung zielen. John-Wenndorf hat 12 Praktiken der Selbstdarstellung mit Fallbeispielen belegen können und entsprechende Inszenierungsmodelle formuliert sowie daraus Dichtertypologien abgeleitet (siehe John-Wenndorf 2014, 141–444). Auch auf Rezipientenseite gehört die Selbstdarstellung im Netz zu den mittlerweile gängigen Formen der Auseinandersetzung mit Autoren und Literatur. Virtuelle Lesekränzchen, Social Reading Communities wie die von Holtzbrinck betriebene Plattform Lovely Books u. a. werden flankiert von Multiplikatoren wie den sogenannten Booktubern bei Youtube, die ihre eigene Lesepraxis im Netz inszenieren und vorzugsweise in Vlogs Leseempfehlungen aussprechen. Das geht über eine neue Form der Literaturkritik insofern hinaus, als in diesen Kommunikationswelten Büchern und der ‚Kulturtechnik Lesen‘ Werte zugeschrieben werden, die den einzelnen Autor oder Titel allenfalls als Katalysatoren des erwünschten FlowErlebnisses o. ä. auffassen.
Selfpublishing Neueste Entwicklungen auf Autorenseite zielen auf ein Publikationsmodell unter Umgehung des etablierten Verlagsbuchhandels. Die bereits von Lessing, Klopstock und Wieland oder der Dessauer Gelehrtenbuchhandlung erprobten und letztlich gescheiterten Versuche des Selbstverlags werden im sogenannten Self-
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publishing im Internet erneut aufgegriffen und führen mehr als 250 Jahre nach den kontroversen Diskussionen über die pekuniäre Seite der Autor-VerlegerBeziehung anscheinend zum Erfolgsmodell. Die Wagnisschwelle zum Eigenverlag ist angesichts der Möglichkeiten, die das Internet bietet, niedrig. Autoren können potentiell ein riesiges, globales Publikum erreichen und die Publikationskosten sind überschaubar. Es sind vereinzelt bereits recht beachtliche kommerzielle Erfolge erzielt worden: Die Roman-Trilogie Shades of Grey (2011/12) von E. L. James ist sicherlich das prominenteste Beispiel für ein durchschlagendes Debut als E-Book im Selbstverlag. Die deutsche Unterhaltungsschriftstellerin Marah Woolf hat von den Büchern ihrer Reihen „BookLess“, „MondLicht“ und „FederLeicht“ als Selfpublisher bereits mehr als 800.000 Exemplare verkauft (Angaben nach Buchreport.de vom 19.10.2015). Mittlerweile hat sie allerdings mit dem renommierten Kinder- und Jugendbuchverlag Dressler, einem Imprint von Oetinger, einen Vertrag geschlossen, was zeigt, dass die Verlage als Publikationsorte weiterhin attraktiv bleiben, da sie mit ihrem Verlagsnamen ein Gütesiegel darstellen. Marah Woolf ist nicht das einzige Beispiel für AutorInnen, die mit E-Books im Selfpublishing höchst erfolgreich sind. Interessanterweise können diese Autoren nicht Mitglied im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller werden, da dieser nur die Interessen derjenigen Autorinnen und Autoren vertritt, die in etablierten Verlagen gebunden sind.
9 Forschungsdesiderate Die Publikationsumstände nicht kanonisierter Autorinnen und Autoren aus dem Bereich der reinen Unterhaltung seit Einbruch der Moderne harren noch der gründlichen Analyse. Die Fokussierung der wissenschaftlichen Untersuchungen auf die sogenannte ‚Hohe Literatur‘ und ihre Autoren verstellt den Blick auf die Buchmarktregeln, die im Verlag eine Mischkalkulation von marktgängiger und weniger verkäuflicher Literatur bedingen. Der profitable Absatz von Unterhaltungsliteratur, vorzugsweise im Taschenbuch, der der verlagsinternen Quersubventionierung dient, ist am wenigsten erforscht, und zwar historisch wie aktuell. Kanonisierte Autoren sind in ihren Verlagsbeziehungen am besten untersucht.
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Irina Gradinari
III.3.3 Weibliche Autorschaft 1 Der Mythos weiblicher Nicht-Kreativität Nach fast 50 Jahren einer intensiven, geradezu archäologisch verfahrenden literaturwissenschaftlichen Aufarbeitung scheint klar, dass weibliches Schreiben keinesfalls erst im 20. Jahrhundert begann: Auch in früheren Jahrhunderten gab es eine Vielzahl äußerst produktiver Autorinnen. Ebenso wenig haltbar ist das Narrativ vom sogenannten „literarischen Fräuleinwunder“ (Müller 2004), als das die plötzliche Sichtbarkeit vieler junger Schriftstellerinnen in der gegenwärtigen Öffentlichkeit bezeichnet wird. Zahlreiche Forschungsarbeiten und Monografien (zum Überblick vgl. Teben 1998; Stephan 2000; Keck und Günter 2001), Nachdrucke von Standardwerken (Lehms (1966 [1714–1715]; Schindel 1978 [1823–1825]; Pataky 2010 [1898]) und von Essays (Möhrmann 1977; 1978) aus früheren Jahrhunderten, bibliografische Werke (Frederiksen 1989; Frederiksen und Ametsbichler 1998) und vor allem Lexika zeugen von der Fülle und Vielfalt weiblicher Autorschaft (Brinker-Gabler 1978; Brinker-Gabler et al. 1986; Budke und Schulze 1995; Friedrichs 1981; Hechtfischer et al. 1998; Wall 1995; Loster-Schneider und Pailer 2006). Susanne Kord spricht von ca. 3940 Autorinnen (1996, 13), die im 18. und 19. Jahrhundert tätig waren. Das Metzler Autorinnen Lexikon beinhaltet Informationen zu 400 Schriftstellerinnen weltweit. Gudrun Loster-Schneider und Gaby Pailer (2006) versammeln Angaben zu 343 Werken von 170 deutschsprachigen Autorinnen zwischen 1730 und 1900. Aber auch in der Zeitperiode von 1945 bis Mitte der 1980er Jahre verzeichnet Sigrid Weigel (1987) über 130 deutschsprachige Autorinnen. Die öffentliche Wahrnehmung weiblicher Schreibproduktivität bleibt trotz der intensiven Forschungstätigkeiten zu ausgewählten Schriftstellerinnen jedoch ungebrochen eingeschränkt: Selbst ‚gewichtige‘ Autorinnen der Vergangenheit wie Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–1762), Sophie von La Roche (1730–1807), Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805–1880), Fanny Lewand (1811–1889), Marie von Ebner-Eschenbach (1830–1916), Clara Viebig (1860–1952) und Ricarda Huch (1864–1947) sind kaum bekannt, geschweige denn die Werke von (re-)kanonisierten Autorinnen wie Therese Huber (1764–1829), Caroline von Wolzogen (1763– 1847), Johanna Schopenhauer (1766–1838), Sophie Mereau (1770–1806), Caroline de la Motte-Fouqué (1773–1831), Louise Aston (1814–1871), Luise M ühlbach (1814– 1873), Louise von François (1817–1893), Louise Otto-Peters (1819–1895) und Helene Böhlau (1856–1940). In Literaturgeschichten für die Schule tauchen häufig nicht einmal die Namen der insgesamt meisterforschten Autorinnen wie Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848), Ingeborg Bachmann (1926–1973) und Christa Wolf https://doi.org/10.1515/9783110297065-017
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(1929–2011) auf (vgl. Sylvester-Habenicht 2009, 105–110). Trotz einer kritischen Revision der Kanonisierungsinhalte und -prozesse (Heydebrand und Winko 1994; Heydebrand 1998) bleibt Autorschaft männlich konnotiert (Stephan 2000, 290; vgl. dazu Kittler 1985). Die wenigen Autorinnen, die offiziell zum allgemeinen Kulturgut gezählt werden (vgl. z. B. Gleixner 2018), erscheinen als Ausnahmen in der Literaturgeschichtsschreibung sowie in den Literaturtheorien (vgl. Jannidis et al. 2000; Kyora 2014) und gelten als Grenzgängerinnen bzw. als „parodistische Doublette“ künstlerischer Praxis (Günter 2014, 25). Die Geschichte der Frauenliteratur bleibt im besten Fall eine Ergänzung zur ‚wirklichen‘ Literaturgeschichte (Sylverster-Habenicht 2009). Die Entstehung der Institution Literatur stellt das Resultat jener Ausdifferenzierungsprozesse dar, die zur Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer heteronormativen Geschlechterodnung führten: Die fortschreitende Biologisierung der Geschlechter seit ca. 1800 (Honegger 1991), die Entwicklung des Kapitalismus und infolgedessen einer rigiden Arbeitsteilung von ‚männlicher‘ Kulturproduktion und ‚weiblicher‘ Reproduktion sowie der Ausschluss der (bürgerlichen) Frauen aus der Bildung und dem Berufsleben (Hausen 1976) haben die Teilnahme von Frauen am Literaturbetrieb erschwert, obwohl noch in der Frühaufklärung weibliche Gelehrsamkeit besonders geschätzt wurde (Bovenschen 2016 [1979], 83). Außerdem fällt die androzentrische Kanonisierung mit jenen Nationalisierungsprozessen zusammen (Kontje 2000), die die Staatlichkeit mit der männlichen Subjektivität eines militarisierten Körperpanzers verbinden (Theweleit 1977–1978). Fragen nach der weiblichen Autorschaft machen also das Geschlecht als basale Differenz sozialer Ordnungen und kultureller Deutungsprozesse sichtbar und problematisieren grundsätzlich die Konstituierung und Organisation gesellschaftlicher Produktions- und Kreativitätssprozesse sowie die etablierten Kategorien ästhetischer Wertung samt der diskursiven Kanonisierungsverfahren, denen die binäre Geschlechtermatrix zugrundeliegt, welche unsere Wahrnehmung und Rezeption bis heute strukturiert (vgl. z. B. Hilmes 2004). So berührt das Thema der weiblichen Autorschaft auch Fragen der weiblichen Subjektivität und des sozialen Status der (schreibenden) Frauen (Richter-Schröder 1986), die jedoch durch den Schleier der Mystifizierung von Autorschaft und Weiblichkeit verdeckt werden (Hoffmann-Curtius und Wenk 1997). Die Abwesenheit der Autorinnen in der Literaturgeschichte erscheint dabei sowohl als Effekt verschiedener genderpolitischer, ökonomischer und institutioneller Entwicklungen als auch als „Produkt aktiven Ausgrenzens und Verschweigens durch die Literaturgeschichtsschreibung“ (Weigel 1994, 12).
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2 Zur Problematik weiblicher Autorschaft Literaturproduktion und -rezeption sind mithin geschlechtlich präfiguriert (Osinski 1998, 46; Stephan 2000, 290; vgl. Schabert und Schaff 1994). Universelle Vorstellungen vom schöpferischen Geist oder umgekehrt poststrukturalistische Auseinandersetzungen mit Autorschaft und Kreativität sind selten so formuliert, dass sie die weibliche Autorschaft einschließen (vgl. Zwierlein 2010). Zum Beispiel exkludiert die postmoderne Proklamation vom „Tod des Autors“ (Roland Barthes, Michel Foucault) Autorinnen, deren Status sich einer solchen Dekonstruktion zugunsten des Textuellen entzieht, da sie nie über Autorität verfügten. Schriftstellerinnen sind in einem gewissen Sinne immer schon „ohne Ursprung“ (Miller 2000, 255), dezentriert und nicht institutionalisiert, letztlich ‚abgeschnitten‘ von der Produktion. Die verbreitete Anonymität und Pseudonymität von Autorinnen im 18. und 19. Jahrhundert, ebenso wie ihre Legitimation durch den Bezug auf männliche Autoritäten (Hahn 1991; Kord 1996), der Verdacht des ‚Biografismusʻ und die Unterstellung der Autonomieunfähigkeit ‚weiblicher‘ Werke führen dazu, dass Frauen die Befähigung zu ‚wahrer‘ Autorschaft abgesprochen wird (Keck und Günter 2001, 207–212). Die Autorinnen entwickeln deshalb oft verschiedene Strategien der Distanzierung im Text, etwa metanarrative Elemente, wie es zum Beispiel Irmgard Keun (1905–1982) praktiziert hat, um den Konstruktionscharakter und die Artifizialität des Werkes zu betonen (Kennedy 2014, 77). Noch heute wird literarischen Werken von Frauen die Erwartungshaltung entgegengebracht, das Private und Emotionale thematisieren zu müssen. Gerne werden die Autorinnen auch für ein verführerisches Auftreten in den Medien gelobt (Pehnt 2017). Außerdem konstituiert sich die Literaturproduktion poetologisch oftmals über den Tod des Weiblichen (vgl. Berger und Stephan 1987; Schuller 1979, 1990; Bronfen 1994). Das schreibende weibliche Subjekt muss daher nach Nancy K. Miller (2000) im Widerspruch verharren, um der Falle der Essentialisierung zu entkommen – es muss eine unmögliche Beziehung zum Weiblichen pflegen, das als kollektive Identität angestrebt wird und zugleich notwendigerweise unerreichbar bleibt, um den Widerstand gegen die Normen mit der künstlerischen Produktion zu vereinen [vgl. auch den Artikel Kollektive Autorschaft]. Die Debatten um die weibliche Autorschaft, die seit etwa den 1970er Jahren geführt werden, bedingten die Herausbildung einer feministischen Literaturtheorie (Lindhoff 2003). Sie arbeitet bis heute an der Wiederentdeckung vergessener Autorinnen sowie an der ästhetischen (Neu-)Bewertung ihrer Texte. Auch unternimmt sie eine Reflexion und Revision der kanonisierten Geschichtsschreibung und widmet sich der Frage nach einer genuin ‚weiblichen‘ Ästhetik (Bovenschen 2016 [1979]), die zugleich eine Suche nach der Weiblichkeit in der Schrift (Cixous 1980 [1979]) bedeutet. Die Untersuchungen entfalten sich zwischen einer rekon-
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struktiven Perspektive, die sich durch eine Arbeit am Material auszeichnet und der Literaturgeschichtsschreibung der Autorinnen zugrundeliegt, und einer dekonstruktivistischen Perspektive (Ecker 1994, 15; vgl. auch Keck und Günter 2001), die herrschende Geschlechterbilder, ästhetische Normen und Kanonisierungsverfahren gegen den Strich liest. Jegliche Art von Biologisierung wird dabei als Effekt des analytischen Fokus auf Frauen oder der Zweigeschlechtlichkeit gelesen und kritisiert (Hof 1995; Weigel 1986). So hat die Neulektüre der Texte unterschiedlicher Autorinnen einerseits zu einer Diskussion über eine mögliche weibliche Literaturtradition bis hin zu der im Frankreich der 1970er Jahre entwickelten Theorie einer écriture féminine (als andere Form des weiblichen Schreibens) beigetragen (Rinnert 2001) [vgl. auch den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Andererseits soll die Literatur von Frauen insofern eine ‚andere‘ sein und bleiben, als dass sie als eine Art literarische Gegengeschichte fungiert, also dekonstruierend und anti-hegemonial wirkt und infolgedessen gegen stereotype, statische Weiblichkeitsbilder gerichtet ist, die von männlichen Autoren und Künstlern erschaffen und als ästhetische Ideale eingesetzt wurden (Beauvoir 1968 [1949], 265; Millett 1971; Stephan 1983, 11; Rohde-Dachser 1991, 96).
3 Theorien des weiblichen Schreibens Eine frühe und besonders einflussreiche Theorie des weiblichen Schreibens wurde von einer der wichtigsten englischsprachigen Autorinnen, Virginia Woolf (1882– 1941), in ihrem Essay Ein Zimmer für sich allein (1929) entworfen. Der Text nimmt zentrale Themen der Frauenbildforschung, der écriture féminine des französischen Feminismus und der Geschichte der Frauenliteratur vorweg. So macht er auf die Diskrepanz zwischen der Vielfalt von Frauengestalten in Literatur und Kunst und der geringen Zahl schreibender oder künstlerisch tätiger Frauen aufmerksam, die dann später in den 1970er Jahren unter anderen auch Silvia Bovenschen (2016 [1979]) ausarbeitete: „Die Geschichte der Bilder, der Entwürfe, der metaphorischen Ausstattungen des Weiblichen ist ebenso materialreich, wie die Geschichte der realen Frauen arm an überlieferten Fakten ist.“ (Bovenschen 2016 [1979], 11) [vgl. auch den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten] Die literarischen Frauenfiguren fungieren dabei als Spiegel männlicher Subjektivität (Woolf 1981 [1929], 43) und als „ein Gefäß“ narzisstischer männlicher Projektionen (Woolf 1981 [1929], 52). Obwohl der Künstler bei Woolf androgyn ist (Woolf 1981 [1929], 119), versucht sie mit ihren Texten doch ein als eigene Tradition fehlendes ‚weibliches Schreiben‘ zu entwickeln, das auf Entsubjektivierungsstrategien und einer Subversion des realistischen Erzählens basiert. Gleichzeitig wird diese Strategie reflektiert,
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indem geschlechtsdifferente Schreibweisen auf unterschiedliche soziale Lebensbedingungen der Geschlechter zurückgeführt werden (vgl. Lindhoff 2003, 33). Nach Franziska Schößler (2008, 51–53) begründet Woolf damit eine materialistische Kunsttheorie, indem sie sowohl die ökonomischen Bedingungen der Literaturproduktion hervorhebt, welche für Frauen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit ungüstig waren, als auch eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sichtbar macht, die der Frau im Haushalt keinen eigenen Raum lässt. Daher wird vor allem der Roman als für weibliche Autorschaft geeignete Gattung eingestuft, da er Unterbrechungen und Pausen erträgt (Woolf 1981[1929], 75). Silvia Bovenschen, die im Jahr 1976 die bereits in den USA geführte Debatten zur Frauenliteratur in den deutschsprachigen Raum überführt hat, wies zudem auf die Koppelung von Genre und Geschlechtlichkeit hin, die ebenfalls mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zusammenhängt. Im 18. Jahrhundert wurden aufgrund der zunehmenden Assoziation der Frauen mit der Natur und ihrer Ausgrenzung aus dem öffentlichen Bereich Genres der Innerlichkeit und der Intimität sowie diejenigen, die als ‚natürlich‘ galten, von Autorinnen bevorzugt, etwa Brief, Briefroman, Autobiografie und Roman (Bovenschen 2016 [1979], 202) [vgl. die Artikel Auto(r)biographie und Brief und Autorschaft]. Den Brief nannte Bovenschen ein „Entree-Billett“ zur Literatur für Autorinnen, da er einerseits am Übergang zur hochkulturellen Ästhetik stand, andererseits jedoch keiner entsprechenden formalen Reglementierung unterlag (Bovenschen 2016 [1979], 212). Autorinnen wie Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–1763), Meta Klopstock (1728– 1758), Elise Reimarus (1735–1805), Caroline Flachsland (1750–1809), C harlotte von Stein (1742–1827), Caroline von Humboldt (1766–1829), Caroline SchlegelSchelling (1763–1809), Rahel Varnhagen (1771–1833), Henriette Herz (1764–1847) und Bettina von Arnim (1785–1859) sind bekannte Beispiele für diese Tradition (vgl. Gallas und Runte 1993). Der konstitutive Wechselbezug zwischen Genre und Gender ist allerdings nicht nur ein institutioneller Effekt, er bildet zudem jenes diskursive Machtgefüge, das Deutungs- und Rezeptionsprozesse als geschlechtsdifferent organisiert. Viele Autorinnen waren im 18. und 19. Jahrhundert beispielsweise in der ‚Königsgattung‘ Drama erfolgreich, die bis heute bevorzugt als männliche Domäne wahrgenommen wird (Kord 1992; Keck und Günter 2001; Loster-Schneider und Pailer 2006; u. a.), während Autoren sich im Gegenzug eher weiblich konnotierter Genres bedienten, wie etwa Brief, Tagebuch und Autobiografie. Theorien wie jene der „Madwoman in the Attic“ (Gilbert und Gubar 1979) oder des „schielenden Blickes“ (Weigel 1983) gehören zu den sogenannten double voiced discourse-Konzepten, die einerseits den Autorinnen ihre Artikulationsautonomie und Freiheit zum Selbstentwurf zugestehen, andererseits zugleich ihre Verinnerlichung der patriarchalen Geschlechterbilder monieren (vgl. Osinski
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1998, 131). Elaine Showalter (1977) begründete die weibliche Schreibtradition mit der spezifischen Erfahrung des weiblichen Sexuallebens, die sie als Orientierungspunkt der weiblichen Identität beschreibt. Später erklärte sie das weibliche Schreiben im Rahmen des feministischen Literary Criticism zu einer Subkultur, wobei die Frauen einer „muted group“ angehörten, die durch die männliche „dominant group“ kontrolliert werde (Showalter 1985a, 261; vgl. auch Showalter 1987). Nach Rachel Blau du Plessis (1980, 147) bilden die Frauen eine „(ambiguously) non-hegemonic group“, die einerseits in Bezug auf die Macht und die Sprache ausgeschlossen bleiben, sich andererseits aber durch eine unterschiedliche Teilhabe an der dominanten Kultur und einen unterschiedlichen Grad der Normen- und Werteverinnerlichung auszeichnen. Die soziale Ambiguität begründet eine besondere ästhetische Position, die Autorinnen allerdings mit anderen marginalisierten Gruppen teilen. Sandra M. Gilbert und Susan Gubar (1979) stellen weibliches Schreiben ebenfalls als Fortführung männlicher Erzählstrategien dar, um diese umzudefinieren und sich von ihnen zu befreien. Ihr Ausdruck findet sich in der Spaltung der weiblichen Romanfigur in eine angepasste Heldin und eine Wahnsinnige, die in vielen englischen Frauenromanen des 19. Jahrhunderts als Leitmotiv erscheint (Gilbert und Gubar 1979, 101; vgl. Heinen 2006). Diese Texte weisen eine weitgehend einheitliche Thematik und Metaphorik auf; zugleich sind sie gebrochen und stören die herrschenden Traditionen. Werke von Frauen sind daher Palimpseste, die die bestehenden Bilder scheinbar bestätigen und zugleich aus Sicht weiblicher Erfahrung umschreiben (Gilbert und Gubar 1979, 73). Inge Stephan und Sigrid Weigel (1983) verorten die weibliche Autorschaft an der Schnittstelle von Realität und mythischen Strukturen. Die Metapher einer „verborgenen Frau“ im Titel ihrer Studie soll auf die versteckte und verstellte Präsenz der Frauen in der Literaturgeschichte hinweisen, während Silvia Bovenschen (2016 [1979], 265) die Geschichtslosigkeit der Frauen in der Literaturgeschichte hervorhebt. Der Frau stehen nach Weigel männliche Normen und Traditionen zur Verfügung, durch welche „sie sich selbst betrachtet, indem sie sieht, daß und wie sie betrachtet wird; d. h. ihre Augen sehen durch die Brille des Mannes.“ (Weigel 1983, 85) In der Schreibpraxis muss daher die Frau eine Poetik des „schielenden Blickes“ (Weigel 1983, 105–106) entwickeln, der sie befähigt, mit einem Auge im verzerrten männlichen Bildrepertoire zu suchen, dieses zu bedienen und zugleich zu dekonstruieren. Mit dem anderen erblickt sie jedoch die spezifische Rolle der Frauen in ihrer gesellschaftspolitischen Breite und antizipiert die Vision einer befreiten Frau. Diese Doppelexistenz zwischen herrschenden Strukturen und Utopien weiblichen Selbstverständnisses, zwischen „noch nicht“ und „nicht mehr“ begründet den Widerspruch und die Kraft feministischer Rebellion (Weigel 1983, 105).
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In der Auseinandersetzung mit der strukturalistischen Psychoanalyse von Jacques Lacan und der Dekonstruktion von Jacques Derrida (z. B. 1986, 135) kritisierte die französische écriture féminine die patriarchale Literaturproduktion und suchte eine andere poetische Sprache zu entwickeln, die nicht einfach das herrschende Repräsentationssystem für sich in Anspruch nimmt, sondern den bestehenden Traditionen Widerstand leistet. Das Schreiben soll somit als eine subversive Praxis verstanden werden, die durch Rhythmus, Musikalität und Überschreitung der Normen dem Anderen zum Ausdruck verhilft (vgl. Brügmann 1985, 399). Zu dieser Tradition gehören viele verschiedene Denkerinnen und Schriftstellerinnen, wie zum Beispiel Luce Irigaray, Hélène Cixous, Julia Kristeva, Chantal Chawaf, Annie Leclerc, Sarah Kofman und Monique Wittig. (Vgl. Rinnert 2001, 56–91) Allerdings erarbeiten viele von ihnen ihre Ansätze auf Grundlage der Mann-Frau-Differenz, weshalb innerhalb der Forschung diskutiert wird, ob sie das binäre Geschlechtersystem durch dessen Fortschreibung eventuell doch essentialisiert haben (Weigel 1986, 108–109). Julia Kristeva setzt sich vor dem Hintergrund der Psychoanalyse generell mit der Literaturproduktion auseinander. In Die Revolution der poetischen Sprache (1978 [1974]) unterscheidet sie den männlichen symbolischen Bereich (der Sprache) und den weiblichen Bereich des Semiotischen. Letzterer, auch „Chora“ (Kristeva 1978 [1974], 36) genannt, herrscht in der präödipalen MutterKind-Dyade. Nicht ganz von der Triebwelt gelöst, öffnet sich im Semiotischen der Raum des Klangs, des Rhythmus und der Polyphonie, der vor allem die Literatur zum Ausdruck zu bringen vermag, indem sie das Semiotische in das Symbolische integriert. Das Semiotische aktualisiert das Symbolische und ermöglicht seine weitere Entwicklung, wobei Kristeva hier vor allem männliche avantgardistische Autoren hervorhebt. Das weibliche Schreiben erscheint bei Kristeva als „grundsätzlich defizitär […] – eine etwas überraschende Entwicklung“ (Schößler 2008, 82). Im Gegensatz dazu zeigt der Band Weiblichkeit und Avantgarde zahlreiche experimentelle Werke und die Vielfalt von Autorinnen in diesem Tätigkeitsbereich auf (Stephan und Weigel 1987). Eine andere Begründung ihrer Position sucht die zweite wichtige Vertreterin der französischen écriture féminine, Hélène Cixous (1976; 1977), mit der Dekonstruktion von Gender-Oppositionen. Es bestehen zwei sprachliche Artikulationsökonomien: Die ‚männliche‘ Ökonomie des Eigenen zeichnet sich aufgrund des ihr zugrunde liegenden Mangels und der Kastrationsangst durch die Aneignung und den Tausch aus. Die ‚weibliche‘ Ökonomie, die beispielsweise in den Werken der brasilianischen Autorin Clarice Lispector (1920–1977) zu finden ist, kennzeichnet sich hingegen durch den Überfluss und die Fülle von Signifikanten, die sich einer Theoretisierung entziehen. Weibliches Schreiben ist vor allem „KörperSchreiben“ (Cixous 1976, 134) und stellt eine „Ethik der Gabe“ dar (Gölter 2003, 60),
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die in der Anerkennung des und in einem liebevollen Umgang mit dem Anderen, in der Hingabe und einem Sich-Entäußern besteht. Nach Cixous entspringt die ‚weibliche‘ Ökonomie der Erfahrung des Präödipalen, das nicht der patriarchalen Logik unterworfen ist. Sie betont jedoch, dass die ‚weibliche‘ Ökonomie vor allem eine literarische Strategie darstellt: „Cixous will keine neue, weibliche Sprache, sondern eine Befreiung der Signifikanten, des Materiellen, Körperlichen, Triebhaften an der Sprache“ (Lindhoff 2003, 116), um sich dem Anderen anzunähern, ohne es zu fixieren oder zu unterdrücken. Luce Irigaray dekonstruiert in ihrer Dissertation Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts (1980 [1974]) Theorien der großen abendländischen Denker wie Platon, Aristoteles, Descartes, Hegel, Freud, Lacan und anderen, indem sie das verdrängte Körperliche in den phallischen Darstellungsformen freilegt und ihr erstarrtes hierarchisches Wissenssystem sichtbar macht. Sie schreibt in ihrem close reading nicht über diese Theorien, sondern, nach Lena Lindhoff, „aus ihnen heraus“ (2003, 120), wodurch sie ein mimetisches Verfahren entwickelt. Es besteht in der Übernahme von Metaphern der analysierten Texte, deren Fortschreiben und ironisches Kommentieren die phallische Logik unterläuft. Da die Frau keinen eigenen Ort in der patriarchalischen Ordnung besitzt, an dem sie ihre Subjektivität entwickeln kann, bleibt ihr „nur die Möglichkeit, im Durchgang durch die männlichen Zuschreibungen zu versuchen, ihren eigenen Ort zu (re-)konstruieren.“ (Lindhoff 2003, 120) Deswegen behält Irigaray strategisch die binäre Geschlechterdifferenz bei, um durch ein parler femme eine weibliche Genealogie, und das heißt den Ort der weiblichen Subjektivität, des weiblichen Unbewussten und des weiblichen Imaginären, von dem sie im Patriarchat abgeschnitten wurde, aus der kulturell als ‚weiblich‘ bestimmten Körpererfahrung heraus, ja aus der Körper-Sprache, zu erschaffen (Irigaray 1989 [1987], 42). Durch Kritik und Persiflage der Psychoanalyse entwickelt sie zudem als Pendant zu Freuds Phallustheorie die ‚Theorie‘ der Schamlippen, die das Sprechen, die Erotik und die Subjektivität verbinden und zugleich die Frau nicht mehr als Mangel, sondern als autoerotisch und selbsterfüllt definieren (Irigiray 1979 [1977], vgl. auch Brügmann 1985). Ein ganz anderes Konzept der weiblichen Sprache entwickelte Monique Wittig in Die Verschwörung der Balkis (1980 [1969]), indem sie Theorie und Fiktion, Mythologie und Legenden vermischt, die Trennung von Subjekt und Objekt auflöst und jeder kontinuierlichen, kausal-logischen Narration eine Absage erteilt. ‚Die Untergrundkämpferinnen‘, wie die Figuren bereits im Originaltitel auf Französisch genannt werden, lernen in ‚Feminarienʻ ihren Körper zu poetisieren, wobei die Sprache sexualisiert wird. Das Weibliche wird als lebendig und lustvoll inszeniert und zum Prinzip der universalen kosmologischen Ordnung erklärt, worauf der mehrmals abgebildtete Vulva-Ring als Symbol des endlosen Lebens
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hindeutet. Diese entgrenzte Sprache, die sich auch in einem entgrenzten Körper ausdrückt, wird in Aus deinen zehntausend Augen Sappho (1977 [1973]) radikalisiert, indem hier lesbische Frauen einen Raum jenseits der Geschlechterdifferenz und daher jenseits aller anderen Differenzkategorien erschaffen. Die Ablehnung dieses theoretischen Entwurfes durch die poststrukturalistisch beeinflussten Autorinnen Julia Kristeva, Hélène Cixous und Luce Irigaray ist nach Jutta Osinski vor allem in der Inklusion der Gewalt als Lust begründet, die sich als Sprachgewalt auch im Text wiederfindet (Osinski 1998, 63). In der DDR wurden Frauenliteratur und weibliches Schreiben kontrovers diskutiert. Viele Schriftstellerinnen, etwa Irmtraud Morgner (1933–1990) und Waltraud Lewin (1937–2017), lehnten den Begriff ‚Frauenliteraturʻ als diskriminierend und einschränkend ab; andere nutzten ihn positiv zur Selbstreflexion und Auseinandersetzung mit anderen Autorinnen (Schmitz-Köster 1989, 18–19; vgl. auch Schmitz 1983). Im Zuge dieser Diskussion erarbeitete vor allem Christa Wolf (1929– 2011) eine Theorie der Prosa (vgl. Hilmes und Nagelschmidt 2016), die sie dann zu einem Konzept des weiblichen Schreibens weiterentwickelte. In kritischer Auseinandersetzung mit dem Theoretiker des Sozialistischen Realismus, Georg Lukács, und im Anschluss an die Überlegungen von Anna Seghers (1900–1983) zur aktiven Rolle des Autors bestimmt Wolf die „subjektive Authentizität“ (Wolf 1987, 303–304), bei der durch die Anwesenheit der Autorin im Text die künstlerische Subjektivität behauptet wird (vgl. Opitz-Wiemers 2016). Da die Literatur im Dienste eines kommunistischen Erziehungs- und Aufklärungsauftrages stand, ist die Abkehr vom Sozialen zum Subjektiven als subversiv zu verstehen. Diese Schreibstrategie wird dann insofern zur Grundlage eines dekonstruktivistischen weiblichen Schreibens, als damit eine andere weibliche Wirklichkeit, die durch biologische Gründe, aber auch durch historische Entwicklungen und soziale Machtstrukturen entsteht, zum Ausdruck gebracht und als Ziel die Autonomie weiblicher Subjekte angestrebt wird (Schmitz-Köster 1989, 114–115; vgl. Hilmes und Nagelschmidt 2016). Die künstlerisch-theoretische Reflexion über die ‚weibliche Ästhetik‘, die sich durch alle Gattungen zieht und in avantgardistischen Experimenten Ausdruck findet, setzt sich in Texten gegenwärtiger Autorinnen fort (vgl. auch Jungmann und Nölle 2015): in der Körperlichkeit bei Ulrike Kolb (*1942), Juli Zeh (*1974) oder Ulrike Draesner (*1962), im Dokumentarischen von Kathrin Röggla (*1971), in der Poetik des Banalen und der Entleerung der Sprache bei Marlene Streeruwitz (*1950) oder in der dekonstruktivistischen Entmytologisierung der Sprache bei Elfriede Jelinek (*1946). Thea Dorn (*1970) setzt sich kritisch mit den patriarchalen Wissenspoetologien auseinander. Karen Duve (*1961) reflektiert den Kanon durch dessen Umerzählung. Dea Loher (*1964) arbeitet an der Ästhetik des politischen Theaters, während Theresia Walser (*1967) den Ort des Weiblichen
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in der dramatischen Sprache sucht. Annette Pehnt (*1967) beschäftigt sich mit fragilem Sprechen inmitten diskursiver Kontingenz. Anke Stelling (*1971) entwickelt das durch Virginia Woolf angeforderte weibliche Schreiben im Kontext des deutschen Liberalismus weiter. Speziell interkulturelle Poetik entwickeln dann Emine Sevgi Özdamar (*1946), Yoko Tawada (*1960), Natascha Wodin (*1945), Judith Hermann (*1970), Fatma Aydemir (*1986), Jenny Erpenbeck (*1967), Zoё Jenny (*1974), Nino Haratischwili (*1983) oder Felicitas Hoppe (*1960). Weibliche Subjektivität im Kontext nationaler Geschichte und aktueller Erinnerungsdiskurse steht in ausgewählten Werken von Herta Müller (*1953), Katja Petrowskaja (*1970), Julia Franck (*1970), Tanja Dückers (*1968), Annett Gröschner (*1964), Dagmar Leupold (*1955) oder Anna Katharina Hahn (*1970) im Fokus.
4 Feministische Literaturgeschichte Grundsätzlich bereitet der Begriff ‚Frauenliteratur‘ Probleme, essentialisiert er doch die Literaturproduktion. Außerdem galt er über lange Zeit und gilt auch heute als abwertend. Die meisten Studien behalten den Begriff aus strategischen Gründen bei, weisen jedoch zugleich durch ihren Fokus auf die Sozialgeschichte und diskursive Machtprozesse jegliche biologische Begründung zurück. Frauenliteratur ist somit kein poetologischer Begriff, sondern nach Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann eine programmatische „Orientierungsvokabel für alle von Frauen geschriebenen Texte“ (1985, XII). Aufgrund der Umwertung der Frauenliteratur durch den Einbezug diskursiver Felder in die Analyse werden der Literaturbegriff sowie die Epochen- und Genrezuordnung erweitert [vgl. den Artikel Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion]. Ein weiterer Aspekt der Geschichtsschreibung ist die Auseinandersetzung mit bestehenden literarischen Traditionen sowie der Verortung der nun (wieder-)entdeckten Autorinnen in der Literaturgeschichte. Im Folgenden werden daher ausgewählte Studien zur Literaturgeschichte von Frauen präsentiert, die sich jeweils um ein übergreifendes Historiografiemodell bemühen. Es bestehen bereits zahlreiche Arbeiten zu einzelnen Epochen (z. B. Fähnders und Karrenbrock 2003; Hilmes 2004), Aspekten der Literaturproduktion (Bland und Müller-Adams 2007; Wiedemann und MüllerAdams 2013), Gattungen (z. B. Schmid 2000; Loster-Schneider und Pailer 2006; Pailer und Schößler 2011) oder Autorinnen (z. B. Loster-Schneider 1995; Keck und Günter 2001; Müller-Adams 2003; Pailer 2011). Virginia Woolf entwickelte als erste eine Sozialgeschichte der (englischen) Frauenliteratur, wobei der Widerspruch innerhalb der weiblichen Autorschaft sichtbar wurde. Einerseits hebt sie die Traditionslosigkeit der Frauenliteratur
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hervor, andererseits ruft sie jedoch vergessene Schriftstellerinnen schon des 17. und 18. Jahrhunderts wie Anne Finch (1661–1720), Margaret Cavendish (1623– 1673), Aphra Behn (1640–1689), Fanny Burney (1752–1840) oder Eliza Carter (1717– 1806) in Erinnerung, deren Tätigkeit die großen Frauenromane, zum Beispiel die von Jane Austen (1775–1817), erst möglich machte (Woolf 1981 [1929], 74–77). Sie denkt die Literaturgeschichte evolutionistisch und somit ähnlich wie der feministische Literary Criticism in den USA, der vor allem von Elaine Showalter (1977, 1985) repräsentiert wird. Im Rahmen der frauenzentrierten Wissenschaft Gynocritics (Showalter 1987, 55) hinterfragte Showalter den bestehenden literarischen Kanon und arbeitete seit den 1970er Jahren an der Rekanonisierung weiblicher Autorinnen. Sie teilt die Literaturgeschichte von Frauen seit dem 18. Jahrhundert symbolisch in drei aufeinander aufbauende Phasen ein. Dabei beschreibt sie sowohl historische als auch individuelle Entwicklungen einzelner Autorinnen und weist somit darauf hin, dass die weibliche Literaturproduktion immer eine Auseinandersetzung mit dem herrschenden männlichen Kanon voraussetzte. Im Gegensatz dazu steht die Theorie von Ellen Moers (1976), die die weibliche Literaturgeschichte als einen unabhängigen, zur männlichen Literaturgeschichte parallelen ‚Unterstrom‘ beschreibt (vgl. auch Lindhoff 2003, 37). Die erste ‚weibliche‘ Phase (feminine phase) nach Showalter dauert von ca. 1840 bis 1880 und wird als Phase der Verinnerlichung männlicher Traditionen und der Imitation männlicher Schreibweisen charakterisiert. Auf sie folgt die feministische Phase des Protestes (feminist phase) von 1880 bis 1920, in der der politische Kampf vor der ästhetischen Form priveligiert wurde; seit 1920 schließlich dauert die Frauenphase der Selbstverwirklichung (female phase) an (Showalter 1985b, 137–138). Sigrid Weigel lehnt eine solche Literaturgeschichte von Frauen ab, weil der größte Teil der Texte eine Ambivalenz von „äußerer Anpassung und subversivem Ausbruch“ aufweist (Weigel 1983, 88). Außerdem wiederholt Showalter jene Ausgrenzungsprozesse, die dazu beigetragen haben, die Werke der Frauen aus der Literaturgeschichte auszuschließen (Moi 1989). Nach Sandra M. Gilbar und Susan Gubar (1979) ist die weibliche Schreibtradition durch eine einheitliche Metaphorik und übergreifende Bilder nachvollziehbar, die auch jenseits gattungsspezifischer Differenzierungen auffindbar sind. Sie fällt jedoch gebrochen und diskontinuirlich aus. Gilbar und Gubar begründen die weibliche Tradition psychoanalytisch und poetologisch: Die Problematik der weiblichen Autorschaft bestehe einerseits im Mangel an literarischen Subjektivitätsvorbildern für Frauen in der männlich geprägten Literatur; andererseits fehlten ihnen auch die Mütter als Vorbilder und Traditionsstifterinnen, deren Ort die Autorinnen eventuell besetzen könnten. Die Stelle des Vaters, die nach Harald Bloom (1973, 11, 26) von den Autoren in einer ödipalen Szene durch den ‚Mord‘ am Vater angenommen wird, bleibt den Schriftstellerinnen verwehrt. Die anxiety
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of influence eines männlichen Autors wird zu einer anxiety of authorship bei der Autorin, was im Falle von Jane Austen, Emily (1818–1848) und Charlotte Brontё (1816–1855), George Eliot (1819–1890) und Emily Dickinson (1830–1886) zu einer palimpsestartigen Schreibstrategie führte, die die weibliche Erfahrung unter kulturellen und ästhetischen Normen zu verstecken suchte (Gilbar und Gubar 1985, 7–8). Gisela Brinker-Gabler (1988), die die normative und universale Position von Showalter und Gilbar und Gubar zu historisieren sucht, schlägt vor, Literatur von Frauen vor dem Hintergrund der Sozial- und Mentalitätsgeschichte zu untersuchen. Literatur ist somit ein spezifischer Kommunikationsprozess, der im Zusammenhang mit zeitgenössischen „Wissens-, Sinn- und Wertesystemen unter besonderer Berücksichtigung der Geschechterrelationen und -rollen“ sowie unter Berücksichtigung von Wahrnehmungsweisen und Kommunikationsmodi zu denken ist. Aus dieser Perspektive sind die Möglichkeit und die Besonderheit literarischer Praxis von Frauen gefragt, zugleich können sie Aufschluss über die herrschenden Normvorstellungen in der Ästhetik und der Literaturproduktion geben (Brinker-Gabler 1988, 35) [vgl. den Artikel Autorschaft und literarischer Markt]. Anschließend an Virginia Woolf analysieren Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann (1985) die weibliche Literaturgeschichte, die sich in die kanonische Epochenbildung nicht fügt, sondern sich vielmehr nach Produktionsorten (Stifte, Kloster, Salons usw.) und nach Genres (Briefen, Memoiren, Autobiografien, Reiseliteratur usw.) ausdifferenziert. Außerdem verfolgen sie eine komparatistische Methode, die „Ähnlichkeiten und Unterschiede“ in den Texten von Frauen verschiedener Sprachkulturen aufdeckt, die „jenseits der nationalen Grenzen liegen“ (Gnüg und Möhrmann 1985, IX). Da die Schriftstellerinnen oft unabhängig davon, ob sie erfolgreich von den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen rezipiert wurden, aus den Prozessen der nationalen Selbstvergewisserung ausgeschlossen wurden (zumeist, weil sie nicht ausreichend dem Bild der „weiblichen Grazie“ entsprechen oder nicht von „echtem Gefühl“ zeugen (Gnüg und Möhrmann 1985, X)), fehlt es der Frauenliteratur an Kontinuität; sie ist vielmehr durch „Brüche und Neuanfänge“ gekennzeichnet (Gnüg und Möhrmann 1985, IX). Diese Idee, die weibliche Literaturgeschichte als Abfolge von Diskontinuitäten zu denken, spitzt Weigel durch einen dekonstruktivistischen und diskurshistorischen Blick auf die Literaturgeschichte zu, der jene „Möglichkeitsbedingungen und Defizite“ herauszufiltern sucht, die die Frauenliteratur überhaupt entstehen ließen. So wehrt sie biologisch fundierte Bestimmungen der weiblichen Autorschaft ab und definiert die Frauenliteratur als „diskursives Ereignis“ (Weigel 1987, 23). Und umgekehrt: Die Poetik der Brüche, der Heterogenität und Fragmentarität, wie sie zum Beispiel für die Epoche der Romantik charakteristisch war, hat nach Weigel den weiblichen Ausdruck gefördert (Weigel 1983, 92). Nach Franziska
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Schößler sahen sich die deutschen Romantiker zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor allem als Avantgarde, „als Elite, die mit herrschenden ästhetischen wie kulturellen Regeln zu brechen versuchte“ (2008, 72), weswegen sie auch Autorinnen in ihren Kreisen föderten. Barbara Becker-Cantarino (1987) wirft durch das Prisma der Sozialgeschichte einen anderen Blick auf die Frauenliteratur. Sie sammelte Texte von Frauen ganz unterschiedlicher Genres, wie etwa Beichten, Traktakte, Polemiken, Briefe, Memoiren, Satiren, Erbauungsschriften, Lyrik, Dramen, aber auch Hebammen-, Arznei- und Kochbücher, die in einen historischen Kontext und in Bezug zu Texten über die Frauen aus dieser Zeit gesetzt werden. Auf dieser Grundlage versucht sie Frauenerfahrungen zu rekonstruieren, die keineswegs als essentialisierend und universalisierend zu verstehen sein sollten, sondern „als Ausdruck des jeweiligen Individuums und dessen historischer und sozialer Bedingungen, als ein Schlüssel zum Leben, manchmal auch zum Bewusstsein und zur Selbstdarstellung einer Frau“ (Becker-Cantarino 1987, 16). Sie behandelt die Texte jedoch nicht ausschließlich als Dokumente, sondern zeigt auch ästhetische Elemente auf, derer sich die Autorinnen bedienten. Christa Bürger (1990) entwickelt eine literatursoziologische Geschichte der Frauenliteratur. Sie beschreibt die Weimarer Klassik als Zeit der Institutionalisierung der Literatur durch die Etablierung der Kunstautonomie (vgl. dazu auch Hilmes 2004). Das Dilettantismusurteil ergeht über solche Texte, die diese Trennung zwischen der Kunst und der ‚Realität‘ nicht mitvollziehen. Die Frauen bleiben dadurch in der „mittleren Sphäre“ (Bürger 1990, 19) zwischen Leben und Kunst gefangen; sie können keiner Gattung oder Tradition zugeordnet werden und nehmen die avantgardistischen Bestrebungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts dadurch notgedrungen vorweg. Je nach Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der etablierten Literaturelite unterscheidet Bürger (1990) drei Stufen. Zur ersten gehören zum Beispiel Johanna Schopenhauer und Charlotte von Kalb (1761–1843), die sich der Institution der Literatur ganz unterwerfen und sich selbst durch das Schreiben auslöschen. Sophie Mereau vertritt die zweite Stufe, bei der es um eine unbewusste Rebellion gegen die Normästhetik geht (Bürger 1990, 37–38). Die dritte Stufe erreichten dann Caroline Schlegel-Schelling, Rahel Varnhagen und Bettine von Arnim (1785–1859), deren Werke eine neue Ästhetik und eine neue Subjektivität möglich erscheinen lassen (Bürger 1990, 171). Das Sich-Erschreiben in den Briefen ließ eine Art Autobiografik entstehen, die einen Gegensatz zum männlichen Bildungsroman darstellte. Das weibliche Ich bleibt leer (Bürger 1990, 75), nach Lena Lindhoff trägt es „Züge der Hysterie“ (2003, 56), weil die Autorinnen sich weder verwirklichen können noch als Künstlerinnen Anerkennung erhalten. Während die westliche Geschichtsreflexion der Frauenliteratur vor allem auf die Brüche und Diskontinuitäten hinweist, besteht in der DDR eine Kontinuität
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weiblicher Autorschaft, wobei der Begriff Frauenliteratur erst in den letzten Jahren der DDR-Existenz produktiv verwendet wird. Dorothee Schmitz-Köster (1989) unterscheidet drei Generationen, die ihre Ästhetik in gegenseitiger produktiver und kritischer Reflexion entwickeln. Die erste Generation der Autorinnen, deren Debüts in die 1920–1930er Jahren fallen, sind mit wenigen Ausnahmen Mitglieder der Kommunistischen Partei und des Bundes der proletarisch-revolutionären Schriftsteller, wie Anna Seghers, Hedda Zinner (1905 oder 1907–1994), Elfriede Brüning (1910–2014), Marianne Bruns (1897–1994), Inge von Wangenheim (1912– 1993), Ruth Werner (1907–2000) und Berta Waterstradt (1907–1990) (SchmitzKöster 1986, 14). Mit ihren Werken kämpfen sie für die Gleichberechtigung der Frauen und bedienen sich mehr oder weniger der Methode des Sozialistischen Realismus. Die zweite Generation, deren Protagonistinnen Christa Wolf, Brigitte Reimann (1933–1973) und Irmtraud Morgner (1933–1990) sind, erhält ästhetisch die Postulate der damaligen kulturpolitischen Initiative, des „Bitterfelder Weges“, aufrecht und hinterfragt zugleich die Anpassung der Frauen an als männlich definierte Normen (Schmitz-Köster 1989, 15). Die institutionelle Emanzipation der Frauen in der DDR erreichte aber keine reale Gleichstellung und hatte bekanntlich deren Doppelbelastung zur Folge, an der sich die Autorinnen abarbeiten mussten. Erst Anfang der 1970er Jahren findet ein Umbruch statt, woraufhin eine neue Generation von Autorinnen (wie Gerti Tetzner (*1936), Helga Schütz (*1937) und später Christine Wolter (*1939) und Monika Maron (*1941)) eine Wendung zu individuellen Lebensentwürfen und im Zuge dessen zu ‚subjektiven‘ Schreibweisen vollziehen konnte (Schmitz-Köster 1989, 16). Für die 1980er Jahre beobachtet Schmitz-Köster dann eine vielfältige Entwicklung, der das Generationsmodell nicht mehr gerecht werden kann, gekennzeichnet durch eine wachsende Zahl von Autorinnen, Neuveröffentlichungen von Werken früherer Generationen und die Ausdifferenzierung unterschiedlichster Schreibweisen (Schmitz-Köster 1989, 114–116). Vor dem Hintergrund der allgemeinen Veränderung der Literaturproduktion und -rezeption durch neue Medien muss die weibliche Autorschaft neu gedacht werden (vgl. Weigel 1996, 2002). Eine vor allem in den USA geführte Diskussion fragt auch nach der Rolle weiblicher Autorschaft im Film als einer Form von weiblichem auteurism (Johnson 1988; Silverman 1988; Petro 1991; speziell Mayne 1995) [vgl. den Artikel Autorenfilm]. Eine allumfassende Digitalisierung bietet Autorinnen neue Möglichkeiten und wirkt auf die Ästhetik (vgl. Sporer 2019) sowie eine neue Würdigung von Frauen aufgrund ihrer Beteiligung an der Entwicklung der neuen Medien zurück (Plant 1998) [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Neue Ansätze zur Intersektionalität und zu Queer-Theorien sowie die Auseinandersetzung mit (post-)kolonialer Kritik und Critical Race-Debatten haben den analytischen Fokus von Geschlechterdifferenzen auf Interdependenzen von mehre-
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ren sozial wirksamen Kategorien wie Gender, Race, Ethnizität, Klasse, Bildung, Religion, sozialer Status, Gesundheit und Alter verschoben (vgl. Glaser 2010), die auch vom sogenannten Dekonstruktivismus (Vinken 1992) beeinflusst sind. Bedarf es also einerseits einer neuen Justierung der feministischen Forschung unter dem Gesichtspunkt des „Decolonizing Gender“, bleibt andererseits der Begriff der Frauenliteratur zumindest in einer historisch-politischen Perspektive notwendig. Denn mit ihm lässt sich auf die große Zahl bis heute nicht oder kaum beachteter Autorinnen und mithin auf geschlechtsspezifische Produktions- und Rezeptionsbedingungen aufmerksam machen, die in weiten Teilen bis in die Gegenwart hinein wirksam sind.
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Nicole Streitler-Kastberger
III.3.4 Autor und Kritiker: „Critics are authors, too.“ 1 Autor und Kritiker – eine Bestandsaufnahme Autor und Kritiker bilden eine zentrale Achse des „literarischen Feldes“ (Bourdieu 1999, 83–84 et passim [vgl. den Artikel Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion]). Die Literaturkritik begleitet das literarische Leben spätestens seit dem Barockzeitalter als eine gewissermaßen sekundäre oder parasitäre literarische Öffentlichkeit, die sich parallel zur politischen Öffentlichkeit formierte und einem vergleichbaren steten „Strukturwandel“ (Habermas 1962) unterworfen ist. Eine Reihe von Forschungsbeiträgen hat versucht, Geschichte und Gegenwart der literarischen Kritik zu umreißen, und ist dabei auch dem Verhältnis zwischen Autoren und Kritikern unter verschiedenen Blickwinkeln nachgegangen, so etwa der von Peter Uwe Hohendahl herausgegebene Band Geschichte der deutschen Literaturkritik (1985), die von Wilfried Barner verantwortete Aufsatzsammlung Literaturkritik – Anspruch und Wirklichkeit (1990), der von Thomas Anz und Rainer Baasner herausgegebene Band Literaturkritik. Geschichte, Theorie, Praxis und die Einführung Literaturkritik von Stefan Neuhaus (beide 2004). In allen diesen Forschungsbeiträgen liegt der Fokus auf Formen und Manifestationen der Literaturkritik; dabei wird immer wieder auch das Verhältnis zwischen Autoren und Kritikern berührt, ohne dass dieses jedoch den zentralen Ansatzpunkt ausmachen würde. Dies gilt auch für die meisten Sammelbände zum Thema ‚Autorschaft‘ (vgl. etwa Detering 2002; Hadjiafxendi und Mackay 2007; Schaffrick und Willand 2014), in denen das Verhältnis von Autor und Kritiker meist nur marginalen Stellenwert einnimmt. Die neuere Studie von Alexa Ruppert (2019) widmet sich anhand von ausgewählten Beispielen der Gegenwartsliteratur dem Verhältnis von Autorschaft, Lektorat und Literaturkritik, streift die Vorgeschichte aber nur marginal. Eine übersichtliche historische Darstellung und theoretische Aufarbeitung des Verhältnisses zwischen Autor und Kritiker stellt bis heute ein Desiderat der Forschung dar. Bereits 1773 scheint Goethe mit dem Gedicht Da hattʼ ich einen Kerl zu Gast alles über deren schwierige Beziehung gesagt zu haben. Die Totschlagfantasie der Abschlussverse „Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent“ (Goethe 1988 [1773], 62) steht sinnbildlich für das äußerst angespannte Verhältnis zwischen Autor und Kritiker. Folgt man Thomas Anz (2004, 196) kann man das Verhältnis zwischen Autor und Kritiker in vier möglichen Spielarten umreißen. Der Kritiker https://doi.org/10.1515/9783110297065-018
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ist demnach entweder „Richter“, „Erzieher“, „Anwalt“ oder „Diener und Freund“ des Autors. Diese paar Standardsituationen sind diachron, aber auch synchron aufzufassen – Anz spannt den Bogen von Gottsched über Lessing und Herder bis zu Reich-Ranicki. Die Reihe kann noch ergänzt werden um den Mentor oder Protektor, der etwa im Falle von Alfred Kerr und Hans Weigel Züge eines modernen Literaturagenten annimmt (vgl. unten). Viele Kritiker, die bis heute bekannt sind, sind auch und vor allem als Autoren in Erscheinung getreten, so etwa Lessing, Goethe, Schiller, Friedrich Schlegel, Heine, Bahr oder Musil. Die Kritikerrolle verschafft vielen Autoren erst die „Distinktion“ (Bourdieu 1982, 44; vgl. auch Bourdieu 1982, 104–114 und 405–499), die es ihnen ermöglicht, sich auch als Autoren im literarischen Feld zu etablieren. Das kritische Werk an sich hat es jedoch schwer, dauerhaft wirksam zu sein. Es überlebt in vielen Fällen nur, weil es durch den Autorennamen des Kritikers gewissermaßen geschützt ist (vgl. Fliedl 1999, 67–70). Manchmal kommt jedoch umgekehrt das literarische Werk eines Kritikers nur deshalb auf die Nachwelt, weil es durch seinen Kritikernamen geschützt ist, so etwa im Fall von Alfred Kerr und Alfred Polgar. Oder aber ein Autorenname verbleibt im kollektiven Gedächtnis, weil er im Werk eines berühmten (Autoren-)Kritikers vorkommt, so etwa jener von Johann Friedrich von Cronegk (1731–1758), gegen den Lessing im ersten Stück seiner Hamburgischen Dramaturgie polemisiert hat (vgl. Lessing 1967 [1767], 125−128).
2 Autorschaft im Spiegel aufklärerischer Erzieher, romantischer Vollender und jungdeutscher Zeitkritiker Mit Lessing nahm die moderne Literaturkritik ihren Ausgang. Seine Briefe, die Neueste Literatur betreffend, angeregt durch Friedrich Nicolai und zwischen 1759 und 1765 entstanden, sollten ursprünglich an einen im Siebenjährigen Krieg verwundeten Offizier, Christian Ewald von Kleist, gerichtet sein. Sie emanzipierten sich aber schließlich von ihrem persönlichen Adressatenbezug (vgl. den Kommentar des Herausgebers in Lessing 1967, 737), und damit war die moderne Buchkritik geboren. In einem wahrscheinlich auf März 1758 zu datierenden Brief formuliert Nicolai gegenüber Lessing das ästhetische Programm der geplanten Briefe: „Wir wollen also in Briefen niederschreiben, was wir in unseren täglichen Unterredungen sagen, […] gerade so, wie wir es machen, wenn wir zusammen plaudern.“ (zit. n. dem Kommentar des Herausgebers in Lessing 1967 [März 1758], 737) Der
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Ursprung der modernen Literaturkritik ist also im gepflegten Salon-Gespräch der Aufklärungszeit zu suchen. Parallel zu den Lessing/Nicolai’schen Briefen entwickelte auch Denis Diderot in seinen Salons (1759–1781), fiktiven Briefen über Kunstausstellungen, ein ähnliches Modell der Kunstkritik. Im „Jahrhundert des Briefs“ (Faulstich 2006, 32) orientierte sich also auch die Kunst- und Literaturkritik an dieser Gattung [vgl. den Artikel Brief und Autorschaft]. Der Salonplauderton, der Nicolai vorschwebt, hatte bereits Christian Thomasiusʼ Monats=Gespräche (1688–1690) gekennzeichnet, die als wesentlicher Schritt in der Entwicklung der deutschsprachigen Literaturkritik angesehen werden müssen (vgl. Bogner 2004, 17–19). Er nimmt überdies schon den Feuilletonismus eines Daniel Spitzer (Wiener Spaziergänge; vgl. Spitzer 1986–1988 [1865–1892]) und Ferdinand Kürnberger (Literarische Herzenssachen. Reflexionen und Kritiken; vgl. Kürnberger 1877) oder die Causeries du lundi von Sainte-Beuve (vgl. SainteBeuve 1851) vorweg. Lessing ist indes in der Kritik kein Plauderer, sondern ein von aufklärerischem und wertendem Gestus getragener Kunstrichter, der in den Literatur- und Theaterbetrieb regulierend eingreifen und dem Leser „Fermenta conditionis“, „Gärstoffe der Erkenntnis“ (Berghahn 1985, 39), liefern will. Mit seinem kurzen Essay „Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt“ (1767/68) hat Lessing den Kritiker deutlich vom Autor und damit von der (Verpflichtung zur eigenen) Autorschaft distanziert (vgl. Lessing 1967 [1767/68], 662–664). Dass jedoch gerade in seinem Werk beide Konzepte, ‚Autor‘ und ‚Kritiker‘, unter dem Begriff der ‚Kritik‘ verschmelzen, legt Friedrich Schlegel in seiner Schrift „Lessings Gedanken und Meinungen“ (1804) dar (vgl. Schlegel 1975 [1804a], 51). Unmittelbar auf Lessings Werk replizierend, trat Johann Gottfried Herder mit seinen Kritischen Wäldern (1769) auf den Plan. Herder galt spätestens seit seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) als origineller Sprachkünstler, der in seiner Diktion der Empfindsamkeit den Emotionen Ausdruck verschaffen wollte (vgl. Adler 2006). Herder ist indes nicht ohne seinen Lehrmeister oder „Erzieher“ (Anz 2004, 196) Johann Georg Hamann zu denken, der mit Werken wie „Schriftsteller und Kunstrichter“ (vgl. Hamann 1950 [1762a]) sowie „Leser und Kunstrichter“ (vgl. Hamann 1950 [1762b]) bereits die wesentlichen Achsen des literarischen Feldes ausgemessen und mit dem „Fliegenden Brief“ (vgl. Hamann 1951 [1786]) eines der originellsten Sprachkunstwerke des 18. Jahrhunderts geschaffen hat. Herder wird als Kritiker oft in die Kategorie „Diener und Freund“ gestellt (vgl. etwa Anz 2004, 196), dabei wird jedoch über sein polemisches Potenzial hinweggesehen. Die Kritischen Wälder sind genauso wie die Fragmente (Herder 1985 [1766– 1768]) – mit dem Kommentar des Herausgebers Gunter E. Grimm gesprochen – „aus Rücksicht auf Amt und Stellung“ (Herder 1993, 813) anonym erschienen,
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was für die Literaturkritik des 18. Jahrhunderts nicht ungewöhnlich war. Doch die Öffentlichkeit nahm „[d]urch Indiskretion“ (Kommentar des Herausgebers in Herder 1993, 814) bald Kenntnis von der Verfasserschaft der Wälder. Herder bestritt jedoch seine Autorschaft durch eine Reihe von öffentlichen Erklärungen (vgl. den Kommentar des Herausgebers in Herder 1993, 814) und hatte, nicht zuletzt aufgrund einiger Briefe seines Mentors Hamann (vgl. den Kommentar des Herausgebers zu Herder 1993, 814–816), den Eindruck, sich mit ihnen in seiner Stellung als Autor nachhaltig geschadet zu haben: „In Critischen unnützen, groben, elenden Wäldern verlierst du das Feuer deiner Jugend, die beste Hitze deines Genies, die gröste Stärke deiner Leidenschaft, zu unternehmen. […] [O] hätte ich doch keine Critische Wälder geschrieben!“ (zit. n. dem Kommentar des Herausgebers in Herder 1993, 818–819) Herder war in einem Kampf zwischen Authentizität und Anonymität gefangen. Die exponierte Rolle des criticus kann dem auctor-Image schaden und seine Integrität bedrohen. Die Janusköpfigkeit des Dichterkritikers macht diesen angreifbar. Das Kritikeramt verhindert nicht selten die Ausübung des Dichterberufs, indem es zu viel Zeit von der eigentlichen literarischen Tätigkeit abzieht. Nicht wenige Autorenkritiker reflektieren diese Problematik und ziehen daraus mitunter die Konsequenz, das Kritikeramt aufzugeben (vgl. etwa Musil 1981 [25.10.1924], 359; vgl. aber Streitler 2006, 44–45). Herder führt die Entstehung der Kritischen Wälder jedoch gerade auf seine vielfältigen beruflichen Verpflichtungen zurück (vgl. den Kommentar des Herausgebers in Herder 1993, 819). Die zahlreichen Brotberufe ermöglichen in seinem Fall nur ein (vom Autor selbst als minderwertig empfundenes) kritisches Werk, verhindern aber die Entfaltung der wahren Autorschaft. Und so war es – wie Herder im November 1768 an Kant schreibt – sein „[…] vester Vorsatz […] völlig ohne Namen zu schreiben, bis [er] die Welt mit einem Buch überraschen könnte, das [s]eines Namens nicht unwürdig wäre“ (zit. n. dem Kommentar des Herausgebers in Herder 1993, 812). Die Polemik bildet einen integralen Bestandteil der Literaturkritik des 18. Jahrhunderts. So etwa in den von Goethe und Schiller gemeinsam verfassten Xenien (entstanden 1795/96), deren Titel – wie der Herausgeber der Hamburger Ausgabe Erich Trunz im Kommentar ausführt – explizit auf das Buch Xenia in den Epigrammen des Martial Bezug nimmt (vgl. Goethe 1988, 625). Die Idee für die Xenien ging auf Goethe zurück, der, nach seinen anfänglichen Erfolgen mit dem Götz und dem Werther, Mitte der 1790er Jahre „Kühle und Gleichgültigkeit, ja Abneigung“ vonseiten der Kritik erfuhr und mit den Xenien zu einem Gegenschlag ausholen wollte (vgl. den Kommentar des Herausgebers in Goethe 1988, 624). In Ton und Stil durchaus dem erwähnten Gedicht Da hatt’ ich einen Kerl zu Gast (1773) vergleichbar, setzen die Xenien also zwanzig Jahre später das Projekt einer metakritischen Polemik fort. Unmittelbar gegen die oben erwähnten Zeitschriften
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gerichtet, ist der Zweizeiler mit dem Titel „Kunstgriff“. Dort heißt es: „Schreib die Journale nur anonym, so kannst du mit vollen / Backen deine eigene Musik loben, es merkt es kein Mensch.“ (Goethe 1988 [1797], 216) Damit ist sowohl die Problematik der Anonymität von Autorschaft bzw. Kritik im 18. Jahrhundert als auch die der mangelnden Objektivität angesprochen. Das ‚ungleiche Verhältnis‘ zwischen Autoren und Kritikern beschreiben Schiller und Goethe in der gleichnamigen Xenie wie folgt: „Unsere Poeten sind seicht, doch das Unglück ließ’ sich vertuschen, / Hätten die Kritiker nicht, ach, so entsetzlich viel Geist.“ (Goethe 1988 [1797], 218) Wenn Goethes und Schillers Aperçu zutrifft, gerieren sich die Kritiker offensichtlich schon im 18. Jahrhundert als die eigentlichen Intellektuellen, während den Autoren von Kritikerseite bescheidene intellektuelle Kapazitäten zugeschrieben werden. Die Abrechnung der Autoren mit der Kritik begleitet die Geschichte der Kritik von ihren Anfängen bis in die Gegenwart. Die Entstehung des modernen Kritikers ist ganz wesentlich der Tatsache geschuldet, dass die Trennung von Autorintention und Textintention eingeführt wurde. Friedrich Schlegel schreibt im 992. Fragment zur Litteratur und Poesie: „Kritisiren heißt einen Autor besser verstehn als er s.[ich] selbst verstanden hat“ (Schlegel 1981 [1797b], 168, Hervorh. i. Orig.). Die Trennung von Autor- und Textintention machte erst den Kritiker zu dem, was er der Anlage nach immer schon war, zu einer parallel neben dem Autor existierenden, ja sogar zu einer über dem Autor stehenden Figur, die zwischen Text und Rezeption vermittelt (vgl. Grüttemeier 2010, 198). Mit Wimsatt’s und Beardsley’s Verdikt der „intentional fallacy“ (des „intentionalen Fehlschlusses“) wurde diese Trennung ein gutes Jahrhundert später (1946) theoretisch untermauert und liefert bis heute die Grundlage für jede Form der Rede über Literatur (vgl. Grüttemeier 2010, 201; Schaffrick und Willand 2014, 14). Die Literaturkritik der Romantik versteht sich dementsprechend als Komplement zum Autor und vor allem zum Text, den es in der Kritik zu vollenden gilt (vgl. Fetz 1999, 42): „[F]ür die Romantiker ist Kritik viel weniger die Beurteilung eines Werkes als die Methode seiner Vollendung“, schreibt Walter Benjamin (1974 [1918/19], 69) in seiner Dissertation Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. Schlegel, der laut dem 116. Athenäums-Fragment in der „progressive[n] Universalpoesie“ „Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie“ (Schlegel 1967 [1798b], 182) vereint sehen wollte, notiert in den Philosophischen Fragmenten, dass die „wahre Kritik ein Autor in der 2t Potenz“ (Schlegel 1963 [1796–98], 106) sei. Schlegels Kunst der „Charakteristik“, wie er sie etwa stilbildend im Fall Georg Forsters (1967 [1797a], 78) oder in der Kritik „Über Goethes Meister“ (1967 [1798a]) vorgeführt hat, verbindet das gelehrte Gespräch über Kunst mit einer Form der Einfühlungskritik, wie sie eigentlich erst im Gefolge Wilhelm Diltheys für die Kritik der Jahrhundertwende symptomatisch wurde. Charakteri-
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sieren „bezieht sich auf die äußerl[ichen] Eigenthümlichkeiten. Es geschieht durch angehäufte Epitheta bisweilen, durch Gleichnisse, durch ein gestempeltes Kunstwort, was freil[ich] eine ganze Fülle und Welt von reellen Anschauungen in sich fassen muß“ (Schlegel 1971 [1804b], 36, Hervorh. i. Orig.; vgl. Oesterle 1990, 72). Charakterisieren ist damit bereits für Schlegel ein poetisches Unterfangen (vgl. auch Schlegel 1981 [1797b], 86 u. 89), der Kritiker ein Autor und wesentlicher Faktor der literarischen Kommunikation. Kunst ist für Schlegel mit einer Wendung Benjamins „das absolute Reflexionsmedium“ (Benjamin 1974 [1918/19], 44), und die ihr entsprechende Kritik betreibe deshalb ein „Experiment am Kunstwerk, durch welches dessen Reflexion wachgerufen, durch das es zum Bewußtsein und zur Erkenntnis seiner selbst gebracht wird“ (Benjamin 1974 [1918/19], 65; vgl. Fetz 1999, 42). Die Kritik habe dabei „auf den Flügeln der poetischen Reflexion“ zu schweben (Schlegel 1967 [1798b], 182; vgl. Fetz 1999, 43). Der Kritiker muss sich allerdings auch zum scharfen Kunstrichter erheben, wo es gilt den „ästhetischen Kramladen“ (Schlegel 1979 [1795–1796], 222), das proliferierende Nebeneinander unterschiedlichster (unterhaltender) Genres zu entrümpeln (vgl. Fetz 1999, 48). Dass er dabei einen Machtanspruch stellt, war Schlegel bewusst: „Alle eigentl. [ichen] aesthet.[ischen] Urtheile s.[ind] ihrer Natur nach Machtansprüche und können nichts anderes sein. Beweisen kann man sie nicht, legitimieren aber muss man s.[ich] dazu. –“ (Schlegel 1981 [1797b], 91, Hervorh. i. Orig.) Schlegel optiert also für das Geschmacksurteil, das nicht bewiesen werden kann, wohingegen Lessing (1967 [1767/68], 662) im „Rezensent“-Essay noch an einer Begründbarkeit ästhetischer Urteile festgehalten hatte. Während Friedrich Schlegels Kritik im Wesentlichen im ästhetischen Bereich verbleibt, geriert sich jene der Jungdeutschen politisch im eigentlichen Sinne. Heinrich Heine und Ludwig Börne, ihre prominentesten Vertreter, propagieren Kunstkritik als Gesellschaftskritik, wobei speziell bei Heine eine bereits vormoderne Ich-Zentrierung bemerkbar wird, die das kritische Ich, ähnlich wie später bei Alfred Kerr, zum eigentlichen Fokus werden lässt. Dies war bereits der Impetus der Reisebilder (vgl. Heine 1973 und 1986 [1824–1830]), die Heine eine rasche und große Popularität brachten. Dies wird aber auch in seinen kritischen Texten deutlich, etwa in der kurzen Abhandlung über „Die Romantik“ (1820), wo er schreibt: „Ich will daher mit wenigen Worten, ohne polemische Ausfälle, und ganz unbefangen, meine subjektiven Ansichten über Romantik und romantische Form hier mitteilen.“ (Heine 1997 [1820], 194) Die Unbefangenheit der subjektiven Meinungskritik wird zu einem wesentlichen Verdikt Benjamins gegenüber Kerr (vgl. unten und Benjamin 1985 [1929/30], 176–177). Heine ist jedoch in der Kritik – wie später Kerr – ein wort- und bilderreicher Dichterkritiker, der die impressionistische Kritik schon vorwegnimmt und auch als Kritiker mit den Dichtern konkurriert (vgl. etwa Heine 1997 [1820], 195).
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Nur durch die regulierende Einflussnahme der Kritiker auf die Autoren kann sich, aus Sicht der Jungdeutschen, eine zeitgemäße Form von Literatur entwickeln. Der Kritiker steht damit bei ihnen, wie bei Schlegel, eigentlich über dem Autor. Unter dem Schlagwort der „productive[n] Kritik“ streben sie überdies eine Form von Kritik an, die sowohl auf die Literatur als auch auf die Gesellschaft regulierend wirkt (vgl. Steinecke 1990). Die Charakteristik nimmt so bei den Jungdeutschen „die Form kritischer Zeitgeschichtsschreibung“ an und stellt eine wesentliche Etappe im Zuge der „Feuilletonisierung der Kritik“ (Oesterle 1990, 78) dar. Auch Autorschaft bleibt von diesem Vorgang nicht unberührt. Vom Autor wird politische Stellung- und gesellschaftliche Einflussnahme erwartet, wie sie exemplarisch in den Werken Georg Büchners, Karl Gutzkows, Georg Herweghs und Heinrich Laubes realisiert sind.
3 Instanzen, operierende Schriftsteller und operative Kritiker In etwas anderer Form prägt diese Prämisse noch die kritischen Positionen und Autorschaftskonzepte so unterschiedlicher Autoren wie Robert Musil und Karl Kraus. Letzterer ist in allen seinen Texten, sowohl in den Kunstkritiken als auch in den im weiteren Sinne gesellschaftskritischen Texten, ein strenger Richter, der Kunst und Gesellschaft mit der Verve eines Moralisten beurteilt. Kraus ist für seine Anhänger – die ‚Krausianer‘ – eine unangefochtene Autorität, er ist als auctor und criticus eine auctoritas. In seinem Schreiben verbindet er Autorschaft und Kritik in exemplarischer Weise. Benjamin sieht in Kraus den „einzigen Bewahre[r] polemischer Kraft und polemischer Technik in dieser Zeit“ (Benjamin 1985 [1929/30], 175), wobei er Polemik für einen ganz essenziellen Bestandteil von Kritik hält (vgl. unten). Krausʼ Feindschaften mit Maximilian Harden und Alfred Kerr können als Hegemoniestreit dreier einflussreicher Großkritiker gedeutet werden. Ihre gegenseitige Abneigung, die bis ins Persönliche ging, ist Folge einer Konkurrenzsituation, in der es letztlich um die Verteilung der „symbolischen Güter“ (Bourdieu 1999, 227) bzw. des „kulturellen Kapitals“ (Bourdieu 1982, 143, Hervorh. i. Orig.) geht. An dieser Kapitalverteilung partizipieren auch die impressionistischen Kritiker der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die Subjektivierung der Kritik, ihre Fokussierung auf die „Eindrücke“ des Kritikers – von Musil in ironischer Weise als „Mein-Eindrucks-Kritik“ und „Kritik des Mitschwingens und Drauflosschwingens“ („Bücher und Literatur“, Musil 1978 [1926], 1169) etikettiert –, führte besonders in den Texten Alfred Kerrs zu einem eigenwilligen Stil, der durch eine manie-
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riert erscheinende Originalität des Ausdrucks und des Satzbaus gekennzeichnet ist (vgl. Fliedl 1999). Kerr tritt als Kritiker mit einem extrem „hypertrophiert[en]“ (Berman 1985, 228) Selbstbewusstsein auf. Der Kritiker in der Kraus’schen und Kerr’schen Ausprägung usurpiert Autorschaft, indem er Kritik zur wahren Dichtung erhebt. Auch Musil insistiert in dem Kurzessay „Heute spricht Alfred Kerr“ (1928) darauf, „daß es überhaupt bei allen Unterschieden keine bedeutende Kritik gibt, die nicht Dichtung wäre, und von reiner Lyrik abgesehen, keine bedeutende Dichtung, die nicht Kritik wäre“ (Musil 1978 [1928], 1188). Der damit inthronisierte „Kritikerdichte[r]“ (Musil 1978 [1928], 1188) steht dem Dichter ebenbürtig zur Seite. Dichtung und Kritik gehören für Musil „zusammen wie nacheinander geborene Geschwister“ (Musil 1978 [1928], 1188). Auch Oscar Wilde, der selbst ein bedeutendes kritisches Werk vorgelegt hat, sieht in der Kritik eine Form von Kunst: „The Critic as Artist“, lautet der Titel eines seiner kunstkritischen Essays, den er in Dialogform verfasst hat (vgl. Wilde 1993 [1891]). Der Kritiker-Papst formuliert seine kritischen Urteile im Bewusstsein, eine Autorität, ein Autor zu sein, betreibt also Mimikry am Konzept von Autorschaft. Als Instanz kann er „inmitten der Anomie perfekt eindeutig sprechen“ (Schuh 2000, 68, Hervorh. i. Orig.). Der Überlegenheitsgestus des Autorenkritikers Kerr gegenüber den Autoren äußert sich nicht zuletzt in Begriffen wie „Äffchen“, „Ringend[e]“, „Blender und Tantamiten“ (Kerr 1917, VII), mit denen er sie etikettiert. Karl Kraus, dem Alfred Kerr als komische Wiederholung seiner eigenen ernsten Deutungs- und Urteilshoheit suspekt war, gesteht ihm im ersten Teil seiner Polemik „Der Fall Kerr“ (1911) zwar zu, dass er es geschafft habe, „aus dem kurzen Atem eine Tugend zu machen“ (Kraus 1987 [1911]), 186–187), er würde ihm auch „das Verdienst einer neuen Ein- und Ausdrucksfähigkeit zubilligen“, aber diese sei „wie alle Heine-Verwandtschaft Nachahmung ihrer selbst […] und das Talent, der Nachahmung Platz zu machen“ (Kraus 1987 [1911], 186–187). Mit dem Hinweis auf die Heine-Nachfolge Kerrs erledigt Kraus mit einem Schlag gleich zwei Konkurrenten im Kampf um die literarische Hegemoniestellung. Benjamin schlägt in seinen fragmentarischen Notizen mit dem Titel „Zur Literaturkritik“, die in den Jahren 1929/30 entstanden sind, noch einen schärferen Ton gegenüber Kerr an. Für ihn ist der bürgerliche Kritiker ein „unbefangene[s], vorurteilslose[s] Wesen“, dessen „Gestikulation“ und „servile Beflissenheit“ nur „dem Bedarf nach Charakterköpfen, Temperamenten, Originalen, Persönlichkeiten“ (Benjamin 1985 [1929/30], 176–177) der Massenpresse entgegenkomme. Benjamin trifft damit den archimedischen Punkt des modernen Feuilletons, das wie andere kulturelle Felder unter den Bedingungen des Marktes zum Starkult tendiert (vgl. Fliedl 1999, 69) und der Inszenierung von Autorschaft letztlich mehr Interesse entgegenbringt als den Texten und der gesellschaftlichen Praxis.
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Pierre Bourdieu (1982, 25) zufolge „klassifiziert“ sich jeder, der Kritik äußert, über seine Kritik auch selbst und damit auch derjenige, der andere Kritiker kritisiert. Benjamin war es aus literaturpolitischen und ideologischen Gründen ein zentrales Anliegen, sich vom bürgerlichen Großkritikertum und seinen impressionistischen Exaltiertheiten abzugrenzen. Die bürgerliche Kritik, so schreibt er in seinen Notizen zu einem „Programm der literarischen Kritik“, sei „die Erschlaffung und die Harmlosigkeit selber“ (Benjamin 1985 [1929/30], 161). Sie sei nur durch „Rettung der Polemik“ (Benjamin 1985 [1929/30], 175), durch „Parteinahme und Auseinandersetzung“ (Benjamin 1985 [1929/30], 164) reformierbar. Er fordert deshalb eine „strategische, polemische“ Kritik neben der „exegetisch kommentierende[n] Kritik“ (Benjamin 1985 [1929/30], 170) und setzt damit dem bürgerlichen „unbefangenen Geschmacksurteil“ (Benjamin 1985 [1929/30], 161) eine maßgeblich von Bertolt Brecht beeinflusste „sachlich[e]“ (Benjamin 1985 [1929/30], 161 u. 171) und politisierte Form der Kritik entgegen. Auch das Konzept des Autors wird davon affiziert. Symptomatisch dafür ist die Rede vom „Autor als Produzent“ (1934). Der Autor habe, wie Benjamin mit Sergei Michailowitsch Tretjakow formuliert, vom „informierenden Schriftsteller“ zum „operierenden“ (zit. n. den Anmerkungen der Herausgeber in Benjamin 1985, 686) zu werden, sich also aktiv in den Klassenkampf einzuschalten. Eine „revolutionär[e] Funktion der Literatur“ sei nur möglich, wenn es zu einer, wie Benjamin nach einer Diskussion mit Brecht in seinem Tagebuch notiert, „Umfunktionierung der Kunstformen und damit der geistigen Produktionsmittel“ (zit. n. den Anmerkungen der Herausgeber in Benjamin 1977, 1462), zu einem „Fortschritt […] der literarischen Technik“ (Benjamin 1977 [1934], 686) komme. Der Autor müsse vom „Belieferer des Produktionsapparates“ zu seinem „Ingenieur“ werden (Benjamin 1977 [1934], 701). Dieser „Apparat“ sei aber „um so besser, je mehr er Konsumenten der Produktion zuführt, kurz aus Lesern oder aus Zuschauern Mitwirkende zu machen imstande ist“ (Benjamin 1977 [1934], 696). Benjamin strebt damit eine Demokratisierung und Revolutionierung der Literaturproduktion und der Kritik an, die nicht mehr von einer Elite (linksbürgerlicher) Intellektueller in einem kapitalistischen Medienbetrieb geleistet werden sollte, sondern durch das breite (proletarische) Publikum, das selbst zu Autoren und Kritikern wird [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Dementsprechend kritisch sah Benjamin die Manieriertheiten und autoritären Urteilssprüche eines Alfred Kerr. Aber selbst linksbürgerliche Kritiker wie Franz Mehring, Erich Kästner, Siegfried Kracauer, Kurt Hiller, Alfred Döblin und Kurt Tucholsky, die heute alle als bedeutende Kritiker anerkannt sind, fanden nicht seine ungeteilte Zustimmung (vgl. Benjamin 1985 [1929/30], 183), weil auch die „Proletarisierung des Intellektuellen beinahe niemals einen Proleten schaff[e]“ (Benjamin 1985 [1929/30], 183).
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In Kerrs autoritärem Auftreten, in seinen stilistischen Idiosynkrasien und auch in seinen modischen Posen – er ließ sich ja am liebsten als Dandy im (englischen) Anzug und mit Hund ablichten –, die im Zeitalter der modernen Massenpresse medial verbreitet wurden, zeigt sich der spezifische Habitus (vgl. Bourdieu 1999, 413–418; vgl. auch Fischer 2015, 32–39), die posture (vgl. Meizoz 2010) des Autors und Kritikers. Dieser wird unter kapitalistischen Bedingungen zur identifizierbaren, weil einzigartigen Marke, zum „Label“ (Niefanger 2002; vgl. auch Fischer 2015, 40–49), das sich von anderen Labels abhebt und damit klare Distinktionsmerkmale aufweist: „An author’s name and his or her ‚singularity‘ were factors which sold a book.“ (Dubbelboer 2010, 139) Auch Oscar Wilde betrieb erfolgreich eine vergleichbare Selbststilisierung (als Kritiker und Dandy) und in der sogenannten Popliteratur der 1990er Jahre [vgl. den Beitrag Pop-Autoren], auch einer Art décadence, erlebte der Dandyismus eine Art Revival (vgl. Fischer 2015, 491–500). Autor und Kritiker werden im Zeitalter der Massenmedien zu auch biographisch interessanten medialen Objekten [vgl. den Beitrag Auto(r)biographie]. Die Aufmerksamkeit der Medien, vor allem jene der Presse, trägt wesentlich dazu bei, Autoren- und Kritikerimages zu generieren und zu perpetuieren (vgl. Dubbelboer 2010, 141). Autor und Kritiker erscheinen so als Konstrukt, als „‚Autor‘-Funktion“ (Foucault 2003 [1969], 245), die nicht nur durch Texte, sondern auch durch Medien und (andere) Kritiker konstituiert wird (vgl. Dubbelboer 2010, 153). Dabei haben sie selbst an diesem Konstrukt durch verschiedenste Formen der (medialen) Selbstinszenierung wesentlichen Anteil. Neben dem (medialen) Konstrukt von Autorschaft [vgl. den Beitrag Autorschaft und Medien] verfügen Autoren aber auch über einen realen Körper, der sich ihren Texten einschreibt (vgl. Begemann 2002). Im frühen 20. Jahrhundert ließen sich viele Autoren gern im Sportgewand abbilden. Robert Musil etwa, der regelmäßig trainierte, posierte gerne als Boxer, dessen gestählter Körper auch einen gestählten Text erzeuge (vgl. Herrmann 2010, 122 u. 128–129 sowie Fleig 2008, 112–120 u. 226–234). Auch eine Nähe zum Militarismus zeigt sich in seinem Essay „Psychotechnik und ihre Anwendungsmöglichkeit im Bundesheere“ (1922; vgl. Fleig 2008, 63–78 u. 205–212). Mit dem Bewusstwerden des eigenen Körpers durch die Autoren geht auch ein Wandel im Verständnis von Autorschaft einher, indem der solcherart trainierte Autor seinen Text als Produkt intensiver und – wie der Sport – schweißtreibender intellektueller Arbeit begreift und weniger als von Gott eingegeben. Das Konzept des poeta vates wird damit von jenem des poeta faber abgelöst (vgl. Bohnenkamp 2002, 63; Herrmann 2010, 130). Im Kontext von Musils Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) spielte Alfred Kerr als Kritiker auch die Rolle des Mentors, also „Erziehers“ sowie „Dieners und Freunds“ gemäß der Anz’schen Terminologie (vgl. Anz 2004, 196).
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Musil hatte dem Großkritiker das Manuskript seines Romanerstlings geschickt, um über diesen einen Verlag zu finden (vgl. Streitler 2003). Doch Kerr begnügte sich nicht mit dieser Mittler-Rolle, sondern hat, laut eigener Aussage, mit dem Autor „jede Zeile dieses Buches, im Mscpt, nicht nur zusammen durchgegangen – sondern zusammen durchgearbeitet“ (zit. n. Corino 1970, 238–239). Nach dem Erscheinen des Törleß begrüßte der Kritiker den Roman in einer achtspaltigen Rezension im Berliner Tag stürmisch (vgl. Corino 1970, 240; Streitler 2006, 70). Kerr erscheint damit als „operative[r] Kritike[r]“ (Schuh 2000, 59), der auf allen Ebenen und an allen Schaltstellen des Literaturbetriebs anzutreffen ist und dort Einfluss nimmt. Kerrs metakritische Reflexionen kreisen um die Fragen, wer der eigentliche Künstler sei, der Autor oder der Kritiker. „Produktive Kritik“ sei jene, „die ein Kunstwerk in der Kritik schaff[e]“ (Kerr 1917, 13). Wiederholt hat Kerr jedoch beteuert, dass er mit seiner Kritik nicht nur Kunstkritik betreibe, sondern, einem Autor gleich, am „Kampf um eine kühne vernünftigere Menschenordnung“ (Kerr 1917, XV) partizipiere. In diesem Punkt trifft er sich mit seinem Zögling Musil, der im Essay „Bücher und Literatur“ (1926) eine Art „Modell der literarischen Kommunikation“ (Streitler 2006, 91) entwirft. In seinem System der Literatur kommt den Autoren nur die bescheidene Rolle von Textlieferanten zu, deren Erzeugnisse von den Kritikern auf ihre Essenz reduziert, zu „Konserven“ (Musil 1978 [1926], 1167) verarbeitet werden müssen (vgl. auch den Begriff der „Schrumpfung“ bei Benjamin 1985 [1929/30], 179). Musil will überdies Kritik als „Ausdeutung der Literatur, die in [die] Ausdeutung des Lebens übergeht“ (Musil 1978 [1926], 1169–1170), betreiben. Das verbindet ihn mit einer ganzen Gruppe von Kritikern, die alle auf die ethischen Aspekte von Kunst fokussieren und die deshalb mit einem Musilʼschen Begriff als „Etho-Ästheten“ (Musil 1983 [1920], 554; vgl. Streitler-Kastberger 2014) bezeichnet wurden. Neben Musil sind zu ihnen Alfred Kerr, Alfred Polgar, Franz Blei, Hermann Broch, aber auch Efraim Frisch und Moritz Heimann zu zählen (vgl. Streitler-Kastberger 2014, 142–149). Die zentrale Prämisse der Kerr’schen und Musil’schen Kritik besteht also darin, dass das jeweilige Objekt der Kritik nur den Anlass bietet für darüber hinaus gehende essayistische bzw. auktoriale Reflexionen, die den genuin ästhetischen Bereich transzendieren, auf allgemeine gesellschaftliche Phänomene fokussieren und damit selbst Autorschaft beanspruchen (vgl. Streitler 2006, 89–90 u. 231–255). Diese Grundannahme trifft sich mit einer Bemerkung Terry Eagletons, der gemäß alle bedeutenden kritischen Epochen von einem solchen essayistischen und auktorialen Verständnis von Kritik gekennzeichnet waren (vgl. Eagleton 2007, 192–193). Der Kritiker steht damit ebenbürtig neben dem Autor – „Critics are authors, too.“ (Eagleton 2007, 185) – oder ist diesem sogar überlegen. Im angelsächsischen Raum hat neben Oscar Wilde vor
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allem T. S. Eliot ein solch auktoriales Kritikverständnis vertreten und damit die Aufhebung der Trennung von Autorschaft und Kritik betrieben (vgl. Diepeveen 2009, Badenhausen 2009 und Cooper 2009).
4 Starkritiker, Mentoren und Autoren im Zeitalter des Fernsehens und der digitalen Medien Im Verhältnis zwischen Autoren und Kritikern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigen sich im Wesentlichen drei Entwicklungslinien: erstens die Tendenz zum überregionalen Großkritiker, der die Autoren der persönlichen Willkür seines Kritikerurteils ausliefert, zweitens jene zur Autorenprotektion und drittens jene zur Medialisierung von Autoren und Kritikern durch das Fernsehen und die digitalen Medien, in denen „Medienpräsenz“ die Kompetenz durch „Performanz“ ersetzt (Bolz 1998, 253 u. 250). Der einflussreichste Kritiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum war zweifellos Marcel Reich-Ranicki (vgl. etwa Arnold 1988; Neuhaus 2004, 67–73; Ruppert 2019, 60–69). Er steht als Kritiker für ganz dezidierte Positionen: für Realismus und gegen Experiment, für Handlung und gegen Reflexion, für Unterhaltung und gegen Langeweile. Dies zeigt sich auch in seinen persönlichen Autoren-Präferenzen und -Aversionen. Reich-Ranicki war für Heinrich Böll und gegen Günter Grass, für Thomas Bernhard und gegen Peter Handke, für Ingeborg Bachmann und gegen Elfriede Jelinek. Er hatte aber auch ein ausgeprägtes Naheverhältnis zu manchen Autorinnen und Autoren, die er kritisch und teils sogar finanziell protegierte: so Wolfgang Koeppen (vgl. Scheib 2006, 254), den Schweizer Romancier Hermann Burger und die Lyrikerin Ulla Hahn, die er sich quasi „erfand“ (Winkler 2013). Schlagzeilen machte vor allem Reich-Ranickis Verriss von Günter Grassʼ Roman Ein weites Feld (1995), den er auf dem Cover des Spiegels buchstäblich zerriss (vgl. Neuhaus 2004, 117–118). Diese Aktion führte zu einer endgültigen Entfremdung zwischen dem Starkritiker und dem Starautor. Der Kritiker in der Rolle des Protektors, die Reich-Ranicki in Bezug auf mehrere Autoren einnahm und Kerr etwa am Beispiel Musils so offensiv spielte, ist keine Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts. Dennoch zeigt sie sich hier unter den Bedingungen des modernen Medienbetriebs verschärft. Ingeborg Bachmann hätte wohl in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren ohne die tätigen Protektorenund Mentorendienste des Autors und Kritikers Hans Weigel als Journalistin und Dichterin, aber auch in der Wiener Gesellschaft nicht so schnell Anschluss gefunden (vgl. McVeigh 2014). In einem Brief vom Frühjahr 1951 schreibt Bachmann an
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Weigel: „Tausend Dank für alles, nochmal, und immer wieder, ohne Dich wäre es nie so geworden und gegangen – und überhaupt bin ich ja Deine Schöpfung. Gelungen, gelt?“ (zit. n. McVeigh 2014, 114): der Autor als Geschöpf des Kritikers (vgl. oben). Später distanzierte sich Bachmann jedoch deutlich von ihrem Protektor, indem sie zunehmend auf ihrer Selbstbestimmung als Autorin beharrte und etwa ihren frühen Roman Die Stadt ohne Namen (1949/1950), der ihre Beziehung zu Weigel spiegelt, gegen dessen Willen zurückzog und schließlich sogar vernichtete (vgl. McVeigh 2014, 125–126). Weigel selbst verarbeitete die Beziehung zu Bachmann in dem Roman Unvollendete Symphonie (1951). Der Kritiker und Mentor Weigel wurde so, durch die Dichterin, wieder zum Autor. Entscheidend für den Aufstieg Ingeborg Bachmanns zur führenden Lyrikerin der 1950er und 1960er Jahre war indes die Gruppe 47 (vgl. McVeigh 2014, 125), im besonderen Hans Werner Richter, der die Autorin im April 1952 in Wien kennen gelernt hatte und sich sofort sicher war, „eine Entdeckung gemacht zu haben“ (zit. n. Arnold 2004, 73, Hervorh. i. Orig.). In der Gruppe 47 institutionalisierte sich eine Autoren-Kritiker-Gemeinschaft, die den Werdegang der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur ganz wesentlich beeinflusste (vgl. Arnold 2004, 9–10). Mit ihr wurden Prozesse des Lesens und Kritisierens in einen exklusiven Kreis aus Autoren und Kritikern – u. a. Hans Werner Richter, Hans Mayer und Marcel ReichRanicki – verlegt, zu einem „Ritual der Kritik“ (Günter Grass, zit. n. Arnold 2004, 7, Hervorh. i. Orig.), und praktisch hermetisch von der übrigen (literarischen) Öffentlichkeit abgeschlossen. Diese (Schein-)Öffentlichkeit funktionierte zwei Jahrzehnte fast friktionsfrei. Mitte der 1960er Jahre wurde sie jedoch durch zwei entscheidende Vorfälle in ihren Verwerfungen evident, die schließlich zu ihrer Auflösung 1967 führten. Einerseits war dies der Selbstmord Konrad Bayers am 10. Oktober 1964, nur einen Monat nachdem er in Sigtuna (Schweden) vor der Gruppe 47 gelesen hatte. Möglicherweise stand sein Freitod auch in Zusammenhang mit der dort erfahrenen Kritik (vgl. Arnold 2004, 113), so gesehen der prominenteste und radikalste Fall der physischen Vernichtung eines Autors durch Kritik (vgl. auch Walser 2002, 80). Andererseits war es der legendäre Auftritt Peter Handkes vor der Gruppe 47 in Princeton 1966, der die Obsoletheit eines elitären Kreises von Kritikern und Autoren sichtbar werden ließ, deren ästhetische Prämissen sich noch immer an den Paradigmen der Nachkriegsliteratur orientierten (vgl. Arnold 2004, 124). Handkes Kritik an der „Beschreibungsimpotenz“ (Handke 1972, 29) der zeitgenössischen Literatur war auch und vor allem die Abrechnung eines Autors mit den herrschenden Kriterien der Literaturkritik und insofern ein Exempel für die Möglichkeit der Autoren, sich gegen Kritik auch zur Wehr zu setzen. Dass Reich-Ranickis Einfluss mit der Auflösung der Gruppe 47 keineswegs zu Ende war, zeigt sich nicht nur am Erfolg seiner Fernseh-Show Das literarische
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Quartett, die als „Autopoiesis der Literaturkritik“ (Bolz 1998, 250) jahrzehntelang das öffentliche Gespräch über Literatur mitbestimmt hat, sondern auch an der Tatsache, dass sich die Autoren immer wieder mit ihm und seiner Rolle im Literaturbetrieb auseinandersetzten (vgl. Neuhaus 2004, 93–100). So etwa Martin Walser in seinem Roman Tod eines Kritikers (2002), in dem der Autor seine jahrzehntelangen (negativen) Erfahrungen mit Reich-Ranicki verarbeitete (vgl. Neuhaus 2004, 121–125; Ruppert 2019, 206–233) und ihm unter dem Namen André Ehrl-König ein literarisches Denkmal setzte. In dem Roman thematisiert Walser eine ganze Reihe essenzieller Aspekte der (reich-ranickischen) Literaturkritik: klare Urteile (vgl. Walser 2002, 37), Literatur als Unterhaltung (vgl. Walser 2002, 71), Erwähnung durch den Großkritiker als Grundlage für Autorenexistenzen (vgl. Walser 2002, 48) und reziproke Zerstörung von Autorenexistenzen durch den Großkritiker (vgl. Walser 2002, 80). Die Idee Walsers, dass sich ein Autor – und damit auch Walser selbst – gegen die Vernichtung durch den Kritiker wehrt und diesen (scheinbar) umbringt, hatte ja schon Goethe in seinen Versen über den Rezensenten (vgl. Goethe 1988 [1773], 62) vorformuliert. Walser setzt diese Idee literarisch um, indem er den Großkritiker zwar nicht wirklich sterben lässt, aber sein literarisches alter ego in einer schonungslosen satirischen Darstellung bloßstellt. Die Folge war eine beispiellose Hetzkampagne der Presse gegen den scheinbaren Antisemitismus Walsers (vgl. Löffler 2002). Sigrid Löffler enthob den Autor jedoch nicht nur des Antisemitismus-Vorwurfs, sondern bescheinigte ihm sogar, dass sein Buch „gnadenlos klug und fast prophetisch“ (Löffler 2002) sei, eine äußerst gelungene Satire auf den Literatur- und Medienbetrieb, die bereits alle Reaktionen auf ihr Erscheinen vorwegnehme (vgl. Löffler 2002; Neuhaus 2004, 121–129). Der Autor selbst stellte klar, dass sein Roman „[v]on der Machtausübung im Kulturbetrieb zur Zeit des Fernsehens“ (Wittstock 2002) handle und distanziert sich vom Vorwurf des Antisemitismus (vgl. Wittstock 2002). Walser zeigt in seiner „Sprechstunde“ (Walser 2002, 10) vor allem die Verzerrungen auf, die dem audiovisuellen Medium geschuldet sind (vgl. Walser 2002, 81), und die „Selbstdarstellung“ (Walser 2002, 43) des Kritikers (im Fernsehen), welche immer auf Kosten der Autoren (und ihrer Texte) stattfindet. Doch diese sollten sich, laut Ehrl-König, mit dem statistischen Faktum trösten, dass auch Bücher, die er „verreiße, sofort zwanzigtausendmal verkauft“ (Walser 2002, 48) werden. Autoren profitieren rein ökonomisch also auch von Verrissen durch den Starkritiker – dies die Paradoxie der medialen Aufmerksamkeit, der es letztlich nicht um Qualitäts-Urteile, sondern nur um die quantitative Einheit der Erwähnung geht. Dass sich Autoren gegen die Kritik auch zur Wehr setzen können, haben Goethe und Schiller bereits im 18. Jahrhundert mit den Xenien vorgeführt, Handke und Walser liefern gewissermaßen die popkulturellen und multimedial unterstützten Pendants dieses Vorgangs im 20. und 21. Jahrhundert.
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Die Rolle des Feuilletons im „deutsch-deutschen Literaturstreit“ (vgl. Anz und Bolay 1991; Lohmeier 2002) um Christa Wolf oder beim Aufstieg Helene Hegemanns zur Autorin und in der Debatte um ihr vermeintliches Plagiat (vgl. Steinecke 2013) zeigen, welche Macht den Medien, und im speziellen der Kritik, in der Konstruktion und Dekonstruktion von Autorschaft zukommt. Dass sich sachliche Argumentation und Fernsehen nicht unbedingt ausschließen müssen, versuchen seit 1976 die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt, besser bekannt unter dem ursprünglichen Namen Ingeborg-Bachmann-Preis, unter Beweis zu stellen. Der Bachmann-Preis entstand in deutlicher Anlehnung an die literarischen Exerzitien der Gruppe 47 – und unter personeller Einbeziehung von Marcel Reich-Ranicki –, ohne jedoch deren Exklusivität und Hermetik zu imitieren (vgl. Moser 2004, 38, 57–58). Stattdessen wird in Klagenfurt Literaturkritik (scheinbar) spontan und in einem öffentlichen Forum vorgeführt. Dabei werden, meistenteils junge, Talente medienwirksam einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Auch wenn viele der Autorinnen und Autoren nach dem Bewerb wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden, suggeriert das mediale Format und das Medieninteresse an dem Wettlesen doch, dass Literatur durch die audiovisuellen Medien vermittelbar ist und in Form einer kritischen „Produktionsgemeinschaft“ (Theisohn und Weder 2013) objektiv beurteilt werden kann. Dass das Klagenfurter Wettlesen eine eigene literarische Gattung begründet hat, dass Siegertexte quasi künstlich erzeugt werden können, steht als These zumindest im Raum (vgl. Leinen 2010). Literatur verkommt dabei zu einem durch Kritik gesteuerten Surrogat und Autorschaft zu einem Akt des vorauseilenden Gehorsams. In jüngster Zeit wurde auch die Art des Lesens, die Performance, zu einem die Urteilsbildung wesentlich mitbestimmenden Aspekt (vgl. etwa den Sieg Nora Gomringers 2015). Autorschaft wird damit in Zeiten des Fernsehens zur Show, zum Schau-Spiel, und der Autor zum „Dichterdarsteller“ (vgl. Leucht und Wieland 2016) – nicht zuletzt durch das seit 1989 der Lesung vorangestellte Videoporträt (vgl. Steier 2016, 210), das immer mehr in Richtung eines „Videoclip[s]“ geht (Steier 2016, 215) und den Autor digital verfügbar macht (vgl. bachmannpreis.orf.at). „Autorinszenierun[g]“ (Fischer 2015) und „Self-Fashioning“ (Marx 2002) drängen damit die literarische Qualität der Texte immer mehr in den Hintergrund. Die Preisvergabe erscheint gar als Ergebnis einer berechenbaren „Klagenfurt-Formel“ (Steier 2016, 212) nach dem „Muster der Konversion“ (Steier 2016, 213), mit der nicht Texte, sondern spezifische „Autor-Text-Figurationen“ (Steier 2016, 222) ausgezeichnet würden, die einen „Wande[l]“ (Steier 2016, 223), einen „Übergangsritus“ (Steier 2016, 222), markieren. Die Aufsplitterung des einen Bachmann-Preises in inzwischen vier Auszeichnungen trägt zwar der Tatsache Rechnung, dass aus vierzehn Texten schwerlich nur einer herausgehoben werden kann. Das Bewertungsritual, durch das die vier
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Preisträger ermittelt werden und das im Laufe der Jahre immer wieder angepasst wurde, ist jedoch bis heute umstritten (vgl. Steier 2016, 209). Immerhin gewährleistet der sogenannte „Publikumspreis“ eine Quasi-Demokratisierung von Kritik, durchaus im Sinne Benjamins. Die Möglichkeit der Autoren, auf die Kommentare der Juroren verbal zu reagieren, wie sie in Klagenfurt gegeben ist, suggeriert eine Form der demokratischen Auseinandersetzung über Literatur zwischen Autoren und Kritikern, die an die Initialzündung der modernen Literaturkritik erinnert: das Salon-Gespräch. Dieses erlangt auch in den netzbasierten Kritikforen (vgl. etwa literaturkritik. de, literaturkritik.at, perlentaucher.de, Berlinerliteraturkritik.de, die-leselust.de sowie die online-Portale der überregionalen Zeitungen; vgl. auch Weidermann 2013) sowie in den Blogs und Chats im Netz eine neue Bedeutung. Stellvertretend seien hier nur Rainald Goetz (Klage [2007–2008]; vgl. Goetz 2008), Alban Nikolai Herbst (Die Dschungel. Anderswelt, unter dschungel-anderswelt.de [seit 2002]), Don Alphonso (Stützen der Gesellschaft, unter blogs.faz.net/stuetzen [2009–2018]), Stefanie Sargnagel (stefaniesargnagel.blogspot.co.at [2011–2012]), Eric Jarosinski (@NeinQuarterly und neinquarterly.com [seit 2012]) und Dennis Cooper (DC’s unter denniscooperblog.com [seit 2010]) genannt. Der „digitale Autor“ (Hartling 2009) setzt seinen Text ganz unmittelbar einem kritischen Forum aus: der Netz-Community [vgl. den Beitrag Vernetzte Autorschaft]. Durch die minimalen Zugangsbeschränkungen und die Offenheit der meisten Internetforen erfahren Autorschaft und Kritik eine fundamentale Revolutionierung. Nicht nur die Publikation ist im Netz um vieles leichter als im analogen Bereich, sondern auch die Partizipation an kritischen Debatten, wodurch Autorschaft und Kritik in einem bis dato unbekannten Ausmaß popularisiert werden. Das Konzept des singulären Autors oder Kritikers, des ‚Originalgenies‘ (vgl. Woodmansee 2012, 298), wird dabei vielfach in einem Konzept von „Kollektivität“ (Woodmansee 2012, 298), kollektiver oder „[k]ollaborative[r] Autorschaft“ (Hartling 2009, 37) aufgelöst.
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Dezentrierungen
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Dezentrierungen
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Autor und Kritiker: „Critics are authors, too.“
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Claus Telge
III.3.5 Der Autor-Übersetzer Der Übersetzer ist eine Randerscheinung in der Autorschaftstheorie, trotz der Hochkonjunktur sprachlicher und kultureller Übersetzungsphänomene in der Literatur- und Kulturwissenschaft bis hin zur Ausweitung des Übersetzungsbegriffs zur Universalmetapher (vgl. Buden und Nowotny 2008). Dabei ist die Emanzipationsgeschichte der Autorschaft schon immer auch eine Geschichte der Loslösung des Übersetzers vom Original gewesen. In der zwischensprachlichen Interaktion mit der Fremdheit des Fremdtextes, dem Sprechen und Sein mit und durch die Worte des Anderen, entdeckt das schreibende Subjekt seine kreative Eigenständigkeit und setzt zugleich den Prozess der Selbstkonstitution als Autor in Gang. Gerade in der Literaturwissenschaft, die sich im Besonderen der Ästhetik und Poetik der literarischen Übersetzung widmet, ist daher jener Konstellation verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken, in der ein Autor und ein Übersetzer in einer Person zusammenkommen. Im Folgenden wird sie als Autor-Übersetzer bezeichnet (vgl. Telge 2017). Die „Autor-Funktion“ kann nach Foucault „gleichzeitig mehreren Egos Raum geben, mehreren Subjekt-Positionen, die von verschiedenen Gruppen von Individuen eingenommen werden können.“ (Foucault [1969] 2001, 1021) Auch der Übersetzer bzw. der Autor-Übersetzer bekleidet eine solche Subjekt-Position (wie Herausgeber, Verleger, Lektor, Kritiker oder Buchgestalter) [vgl. die Artikel Dimensionen der Funktion ‚Herausgeber‘ und Autor und Kritiker]. Er ist Teil des Symbolsystems des von ihm übersetzten Autors, und das auf prominente Weise: Übersetzte Autorschaft irritiert die Vorstellung vom Autor als alleinigem Sinnstifter einer Reihe von Texten, die ihm zugeordnet sind, da sie mit der Vorstellung von Autorschaft als originärem Selbstausdruck ‚eines‘ Menschen bricht. Die Übersetzung ist ein performativer Akt, der das Original aus dem Kontext seiner vorgängigen Einschreibung herauslöst und in einem anderen Kontext wieder zur Aufführung bringt: Sie ‚(re-)inszeniert‘ ihn (vgl. Lawick und Jirku 2012, 13). Dabei werden Werk und Autor bzw. die Autor-Funktion im Kontakt mit einem neuen literarischen, kulturellen, politischen, ökonomischen und sozialen Kontext neu verhandelt (vgl. Summers 2017; Telge 2017). Die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen der sogenannten AutorÜbersetzungen konzentriert sich auf bestimmte textuelle, habituelle und paratextuelle Ausprägungen, die das Sprechen des Autor-Übersetzers im Namen des Autors des Originals annimmt. Es geht also nicht um die Angemessenheit oder Unangemessenheit der Übersetzung, sondern um die latente und manifeste Intertextualität zwischen Original, Autor-Übersetzung und den Texten, die unter dem https://doi.org/10.1515/9783110297065-019
Der Autor-Übersetzer
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Namen des Autors, der auch Übersetzer ist, veröffentlicht werden [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität]. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang Dichter, die übersetzen bzw. die Übersetzung als integralen Bestandteil ihres Werks begreifen und sich dennoch oder gerade deshalb teils heftiger Kritik ausgesetzt sehen, da sie das Original als Vorlage für eigene Dichtung verwenden würden (vgl. Paz 1971, 14). Der Beitrag gliedert sich in fünf Schritte: Zunächst werden (1) tentativ die strukturellen Gründe für die Marginalisierung der auktorialen Ansprüche des Übersetzers problematisiert und eine Begriffsklärung zu geben versucht (Was ist Übersetzen?). Der nächste Schritt (2) parallelisiert die Entwicklung moderner Autorschaft mit der Tätigkeit des Übersetzens im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, um von dort aus die Entdeckung der Übersetzung als eigenständige Kunstform supplementärer Autorschaft um 1800 (3) und ihre Verschiebung zur Inszenierung des Originals durch die performative Autorschaft des Autor-Übersetzers (4) mit Blick auf die Dichter-Übersetzer der klassischen Moderne zu erkunden. Der Schluss (5) widmet sich der translatorischen Subversion von Autorschaft und Originalwerk in den Übersetzungspoetiken der Gegenwartslyrik.
1 Autorschaft und Übersetzerschaft Sowohl der philologische Übersetzungsdiskurs, in dem sich der Autor „durch Einmaligkeit, Ursprünglichkeit und Schöpferkraft auszeichnet“ und der Übersetzer als ein unliebsamer und „verdrängter Doppelgänger gilt, der dem Autor im besten Fall einen Fergendienst leistet“ (Dueck 2014, 293), als auch die juristische Axiomatik, die dem Autor das Übersetzungsrecht als ausschließliches Recht des „geistigen Urhebers“ [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright] des Originals zuschreibt, marginalisieren den gesamten Komplex der Übersetzung. Der Übersetzer erfüllt und verinnerlicht die Funktion und den Habitus eines Dienstleisters, der der handwerklichen ‚Treue‘ gegenüber dem Original verpflichtet ist. In einer Ausdrucksform zweiter Hand fertigt er in vertraglicher (und moralischer) Gebundenheit ein abgeleitetes Werk an, das vor allem nach seiner Sprachmittlungsfähigkeit beurteilt wird und weniger nach der „eigene[n] Literarizität“ (Dueck 2014, 288). Die Befreiung des Textes von der schöpferischen Autorität des Autors durch den Strukturalismus in den 60er Jahren (Barthes, Kristeva und Foucault) eröffnet neue Sichtweisen auf die Interferenzen von Autorschaft und auktorialem Anspruch des Übersetzers, seiner Übersetzerschaft, und den damit verbundenen institutionalisierten Macht- und Gewaltverhältnissen.
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Dezentrierungen
Vor allem der Dekonstruktivismus spürt Widersprüche und Unsicherheiten im Bedeutungszusammenhang von Original, Übersetzung, Autorschaft und Urheberrecht auf. Er begreift die Beziehung zwischen Original und Übersetzung als ein Spiel von Differenzen. Beide haben keinen unhintergehbaren Ursprung. Sie sind vielmehr eingeflochten in eine Kette von differenten Signifikanten, die unendlich fortgesetzt aufeinander verweisen, so dass auch Ausgangs- und Zielsprache, ja ‚Sprache‘ überhaupt als ein schon immer im Fluss begriffenes Übersetztes erscheint. Die Beziehung zwischen Ausgangstext und Übersetzung ist kontingent. Weder der eine noch die andere verfügen über eine originäre, echte, authentische, kreative oder wahre Essenz. In seinem wirkungsreichen Essay „Die Aufgabe des Übersetzers“ (ursprünglich Vorwort zu seinen Baudelaire-Übersetzungen) denkt Walter Benjamin das traditionelle Verhältnis von Original und Übersetzung neu, indem er die Übersetzung als wesentlich für das „Fortleben“ des Originals als Kunstwerk ansieht. Übersetzungen gründen im Original selbst und sind Teil der Geschichte eines Texts und eines Autors: „in ihnen erreicht das Leben des Originals seine […] umfassendste Entfaltung.“ (Benjamin 1981 [1923], 11) Konkret verdeutlicht diese Interdependenzbeziehung den Beitrag, den Übersetzungen als Grundvoraussetzung von Weltliteratur zur Konstitution und Kanonisierung eines Originals (z. B. der Bibel, Vergils oder Shakespeares) leisten. Derridas Benjamin-Lektüre stellt die Hierarchie von Original und Übersetzung grundsätzlich in Frage, verkehrt sie mithin ins Gegenteil: Denn „das Original vervollständigt sich in der Übersetzung, […] und ruft es sie herbei, so deshalb, weil es nicht fehler- und makellos ist, nicht voll, vollständig, identisch mit sich.“ (Derrida 1997, 145) Dahinter verbirgt sich eine grundlegende Kritik jener metaphysischen Oppositionen (z. B. Rede/Schrift, Symbol/Symbolisiertes, Ausdruck/Ausgedrücktes, Form/Substanz, Anwesenheit/Abwesenheit), in denen sich auch Benjamin bewegt (vgl. Davis 2001, 44–45), wenn er von der Übersetzung als nicht pragmatisch vermittelnder, sondern spracherlösender und -ergänzender Form spricht (Benjamin 1981 [1923], 10). Die essentialistische Entgegensetzungslogik des transzendentalen Rechts findet sich analog im positiven Recht. Dort begründet sie einerseits die Subordination der Übersetzung (Abbild, Kopie, sekundäre Ausdrucksform) unter das Original. Zugleich ermöglicht sie es aber auch, ihrer Form bzw. der Übersetzungsweise des Übersetzers „eine bestimmte Originalität, Ursprünglichkeit oder Eigenständigkeit zuzuerkennen“ (Derrida 1997, 154). Hier zeigt sich die Paradoxie des gegenwärtigen Urheberrechts, das nicht die Idee (gemeinsames Eigentum), sondern die Form (eigenes und persönliches geistiges Eigentum) schützt. Obwohl sie sich im Wortlaut und weiteren Merkmalen von ihrer Vorlage unterscheiden muss, um das, was als wesentlicher Inhalt des betreffenden Werks gilt, in einer ihrem Zielpublikum verständlichen Sprache zu
Der Autor-Übersetzer
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reproduzieren, gilt die Übersetzung ihren Lesern als (in der Regel fraglos für verlässlich gehaltene) Wiedergabe (Kopie) des Originals. Die „schöpferische Reproduktion“ (Levý 1969, 66) eines fremden literarischen Werks in einer neuen sprachlichen Form kann selbst Werkcharakter („Schöpfungshöhe“) haben, so dass der Übersetzer auch ein eigenes Urheberrecht an der Übersetzung hat: „Übersetzungen und andere Bearbeitungen eines Werkes, die persönliche geistige Schöpfung sind, […] wie selbständige geschützt.“ (§ 3 I UrhG) Dennoch bleiben trotz dieser Gleichstellung von Originalwerk und Übersetzung die exklusiven Urheberrechte des Autors (oder des Originalverlegers) davon „unbeschadet“ (Kubis 2008, 517). Das deutsche Urheberrecht fasst die Übersetzung als abgeleitetes Werk (im amerikanischen Urheberrecht „derivative work“) unter den Begriff der „Bearbeitung“, wonach die Übersetzung eines urheberrechtlich geschützten Werks nur mit Einverständnis des Inhabers der Urheberrechte an der übersetzten Vorlage veröffentlicht oder verwertet werden darf (§ 23 UrhG). In den translation studies bringt Lawrence Venuti diese immanente Inkonsistenz auf die Formel vom gleichzeitigen Autor-Sein und Autor-Nichtsein des Übersetzers im modernen Urheberrecht (vgl. Venuti 1995b, 4). Die Privilegierung bzw. das hierarchische Ordnungsprinzip der Autorschaft des Autors deutet er als symptomatisch für das fehlgeleitete Fortwirken eines romantischen Autorkonzepts, durch das die authentische, schöpferische Individualität des Autors (d. h. die Umsetzung von Subjektivität, Persönlichkeit, Bewusstsein, Intention in Sprache) zum vorrangig geschützten Immaterialgut (vgl. Bosse 2014 [1981]) kodifiziert wird [vgl. auch den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft]. Und der Grund von Venutis Insistieren auf der Angleichung der Autorschaftsansprüche des Autors und des Übersetzers liegt im Verdikt gegen jenes originäre Schöpfertum des Autors. Auch das Original erfindet sich nicht aus dem Nichts, sondern ist – wie die Übersetzung – ein Produkt von Auswahl, Aneignung und Strukturierung bereits vorhandener und codierter ästhetischer und kultureller Materialien (vgl. Venuti 1995b, 15). Damit ist keineswegs die Egalisierung von Autorschaft und Übersetzerschaft gemeint – Original und Übersetzung bleiben Werke unterschiedlicher Schreibpraxen und Schreibpraktiken. Der Begriff Übersetzung (gr. μετάφραση, lat. interpretatio, engl. translation, frz. traduction) bezeichnet das Produkt und zugleich den Prozess der Neukonstitution eines Textes in einer anderen Sprache. Die Übersetzung ersetzt bzw. rekontextualisiert die Zeichen und Zeichenrelationen der Vorlage durch jeweils anders gelagerte Zeichen und Zeichenrelationen der Zielsprache. In der Regel erfordert die Übersetzung mehr oder weniger anspruchsvolle hermeneutische Leistungen. Verschiedene Übersetzungsmethoden führen dabei zu teilweise sehr unterschiedlichen Lösungen [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik].
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Dezentrierungen
Umberto Eco trifft mit Susan Petrelli eine ethische Unterscheidung von Original und Übersetzung. Das eine ist direkte, die andere „indirekte Rede, die sich als direkte Rede maskiert“ (zit. nach Eco 2006 [2003], 23), so dass „Autor und Übersetzer also mit ihren Namen für sehr verschiedene Dinge einstehen“ (Gilbert 2018, 301), den Originaltext und dessen Wiedergabe, die nicht für den Inhalt des ersteren zur Verantwortung gezogen werden kann. Gegen Venuti wird demnach argumentiert, dass das Urheberrecht Übersetzer eben auch aufgrund ihrer geringeren „ethical responsibility“ als „non-authors“ (Pym 2011, 32 u. 42) fasst, was keineswegs eine Geringschätzung ihrer Kreativität und Kunstfertigkeit bedeuten müsse. Die „‚translation form‘ in use in modern Western culture“ sei im Wesentlichen eine „non-authorial modality“ (Buffagni 2011, 16), eine Sichtweise, die von vielen Berufsübersetzern geteilt wird (vgl. Zanotti 2011, 80). Im Bereich der literarischen Übersetzung überwiegt dagegen die Behauptung ihrer eigenständigen künstlerischen Leistung, ihrer Seinsart als originales Werk, das „selbstbewusst auktoriale und translatorische Rede überblendet“ (Gilbert 2018, 302) und den Übersetzungsprozess als ästhetische und „differenzbewusste Grenzüberschreitung“ (Bachmann-Medick 2008, 29) sichtbar macht. Jorge Luis Borges Erzählung Pierre Menard, autor del Quijote (1939), die zentral für die Literatur- und Kunsttheorie des 20. Jahrhunderts ist, zeigt, wie eng die Frage nach der Eigenständigkeit der Übersetzung an die Frage nach der Autorschaft und der Identität des Werks geknüpft ist. Nicht nur liest George Steiner Menard als Übersetzer und dessen Quijote-Version als „total translation“ (Steiner 1975, 70–71), sondern jeder Deutungsversuch des Textes mit „klar abgegrenzten Begriffen von Autorschaft und Übersetzung“ gerät zur Aporie, da „jeder literarische Text eine Übersetzung darstellt […] jeder autor ein traductor ist“ (Babel 2015, 138).
2 Die Geburt der Autorschaft aus dem Geist des Übersetzers Der Blick zurück auf Diskurs und Geschichte der individuellen Urheberschaft und des Urheberrechts ermöglicht Einsichten in unterschiedliche, stets im Wandel begriffene, konkurrierende, und alternative Definitionen der Übersetzung und ihre wechselseitige Beziehung zum entstehenden Autorschaftsbewusstsein, auch im Hinblick auf zeitaktuelle Diskussionen um die kollaborative Natur literarischer Produktionsprozesse und kollektiver Formen der Autorschaft [vgl. den Artikel Kollektive Autorschaft] und das Übersetzungsrecht (vgl. Kubis 2008, 517). Das Verhältnis von Autorschaft und Übersetzung ist für Texte des Mittelalters und der frühen Neuzeit anders zu bewerten. Das zunächst widersprüchlich anmu-
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tende Hybridphänomen des ‚Autors als Übersetzer‘ (man ist aus heutiger Sicht entweder Autor eines Werks oder Übersetzer eines Werks) ist nicht nur ein Spezifikum der erzählenden mittelhochdeutschen Literatur. Es ist vielmehr wesentlich für die gesamte Diskussion zum mittelalterlichen Literaturbegriff (vgl. Unzeitig 2002, 55). Viele Werke der mittelhochdeutschen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts beruhen auf der translatorischen Aneignung französischer und lateinischer Literatur, und die mittelalterliche Literatur – wie Literatur überhaupt – ist als transkultureller Vermischungsprozess wahrzunehmen. Dies alles vorausgesetzt, sieht man es als zulässig an, eine Literatur, die nicht neuschöpft (novitas), sondern Vorgegebenes beständig überarbeitet (renovatio), mit neuzeitlichen Literaturbegriffen (Originalität, Übersetzer, Urheber) zu beschreiben (vgl. Meisburger 1983, 185; Unzeitig 2002, 57). Vor der Mitte des 15. Jahrhunderts gibt es keinen einheitlichen Terminus technicus für die Tätigkeit der Übersetzung (erstmals bei Niklas von Wyles Translationen von 1478). In Heinrich Steinhöwels deutscher Bearbeitung von Boccaccios De claribus mulieribus (1473), in der die erste deutschsprachige Verwendung des Autorbegriffs verbürgt ist, wird zudem der Übersetzer/Überlieferer und nicht der Urheber als Autor bezeichnet (vgl. Ingold und Wunderlich 1992, 10). Verschiedene Ansätze versuchen die rekontextualisierende Poetik mittelalterlichen Erzählens durch historische Beschreibungskategorien zu vermitteln: Anstatt von übersetzen spricht man im Kontext der Antikeübersetzungen von ‚wiedererzählen‘ (volksprachlich „erniuwen“), wobei die Vorlage nicht als treu wiederzugebenes Sprachkunstwerk aufgefasst wird. Es vollzieht sich vielmehr die dichterische Neuformung eines vorhandenen Stoffes (materia) durch einen Kunsthandwerker (artifex). Demgegenüber steht dann später die form- bzw. wortorientierte Übersetzungspraxis der humanistischen imitatio, die die Einheit von Autor und Werk des Ausgangstextes als „unverletzliche Autorität“ bedenkt (vgl. Worstbrok 1999, 128–133; 137). Mittelalterliche Autoren, die aus anderen Sprachen transferieren, können generell als tihter (mittelhochdeutsch tihten, Verfasserschaft) bezeichnet werden, um nicht die „moderne Vorstellung von der Zweitrangigkeit des Übersetzers, die wiederum zur Abwertung oder Aufwertung der mittelalterlichen Literatur auffordert“, aufkommen zu lassen (Unzeitig 2002, 68). Es hat sich zunehmend eingebürgert, die Anfänge des modernen Autorkonzepts bereits im Mittelalter zu verorten. Der Fokus richtet sich dabei allerdings weniger auf die Frage der Urheberschaft, sondern auf das Verständnis von Autorschaft als strukturelles, kulturelles und semiotisches Aufkommen einer neuen, das Selbst affirmierenden ästhetischen Wahrnehmungsweise (vgl. Chartier 1992, 45). Dieser Prozess ist auch an die innovative Dynamik der Übersetzung gebunden. Vor allem im Rahmen der Bearbeitung französischer Werke bildet sich bei den höfischen Rezipienten ein Bewusstsein für die eigene Autorschaft heraus,
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nicht mehr nur Überliefertes weiterzuführen, sondern selbst „Konstitutionsgrund“ (Warning 1979, 575) ihrer eigenen Werke zu sein (vgl. Unzeitig 2002, 56). Bereits am Ende des Spätmittelalters wird Autorschaft dann – auch im Kontext noch nicht vorhandener bzw. erst in der Entstehung begriffener subjektiver Wahrheits- oder Autonomieansprüche – zur basalen Legitimation und Verantwortlichkeitsmodalität des eigenen Schreibens (vgl. Wehrli 1984, 74; Seibert 1981, 17), was durch die technologische Revolution des Buchdrucks und der Öffentlichkeitsstrukturen in der Frühen Neuzeit eine Potenzierung erfährt. Es konstituiert sich eine moderne „auktoriale Authentizität“ (Wetzel 2000, 505), deren Emanzipationsbewegung auch und vor allem über die Loslösung des Übersetzers vom Original verläuft. Ein besonders prägnantes Beispiel für diese Authentizität der Übersetzung ist Johann Fischarts Geschichtklitterung (1575), die zwar vorgibt François Rabelais’ Gargantua und Pantagruel ins Deutsche zu übersetzen, aber die Vorlage völlig frei verwendet und zu neuen Zwecken der eigenen und eigenständigen Kreativität mit den Mitteln der Zielsprache umgestaltet bzw. auflöst. Dieses ironisch-karikierende Sprachexperiment stellt ein Novum in der deutschen Literatur dar. Im Namen seiner Muttersprache beansprucht der AutorÜbersetzer Fischart auch als Übersetzer eine Authentizität des Sprechens.
3 Übersetzung als Form supplementärer Autorschaft um 1800 Fischarts (übersetzungs-)poetologische und sprachschöpferische Prätention ist auch in Bezug auf Luthers Übersetzungstheorie („Sendbrief vom Dolmetschen“) zu verstehen. Goethes Reflexion über die „dreyerley Arten der Uebersetzung“ (Goethe 1994 [1819], 280–283) in den „Noten und Abhandlungen zum besseren Verständnis des West-östlichen Divans“ stuft dessen sprachformierende Bibelübersetzung im Hinblick auf ihre Ausrichtung am alltäglichen Sprachgebrauch des Zielpublikums als „prosaische Übersetzung“ (erste Übersetzungsart: Goethe 1994 [1819], 280) ein. Die „parodistische Übersetzung“ (zweite Übersetzungsart: Goethe 1994 [1819], 280) – im Sinne von nachahmender Einbürgerung des Originals mit den Mitteln der eigenen Literatur – ist bei Wielands Shakespeare-Übersetzungen und den belles infidèles (dt. „die schönen Ungetreuen“) der Franzosen anzutreffen, von deren Praxis sich ein Großteil der Übersetzer ab der Mitte der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts abwendet (vgl. Sanmann 2013, 24). Die dritte Übersetzungsart ist an der Ausgangssprache ausgerichtet (vergleichbar mit Johann Heinrich Voß’ Homer-Übersetzungen, Wilhelm von Humboldts metrischer Agamemnon-Fassung oder Friedrich Schleiermachers verfremdender Überset-
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zungsmethode) und macht „die Uebersetzung dem Original identisch“ (Goethe 1994 [1819], 281). Goethes Modell bezieht sowohl deskriptiv-klassifikatorische als auch diachrone Komponenten mit ein. Es entwirft Übersetzungsformen als Entwicklungsstufen nationaler Literaturen, die linear und zugleich zyklisch verlaufen können. Die Abfolge der Stufen variiert und bestimmte Zeitstufen und Übersetzungsarten treten gleichzeitig auf. Auch Luther und die Übersetzungsliteratur des 16. Jahrhundert zeichnete sich schon durch eine Pluralität von Übersetzungsverfahren und Übersetzungsstrategien aus (vgl. Toepfer et al. 2017). Die dritte Übersetzungsart impliziert eine Dimension zwischensprachlicher Sprachbetrachtung- und Verwendung, die aufgrund ihres wertenden Charakters oft für Irritationen sorgt. Als einzige scheint sie ein „utopisches Potential“ zu entfalten, und das nicht allein über die strenge Nachbildung des Wortlauts des Originals als vielmehr dank der „radikalen Infragestellung der eignen Position“ (Donat 2013, 242) durch immersives Sich-Einlassen auf das Anders-Sein, die Andersprachigkeit und die kulturelle Differenz des Fremdtextes. Diese modernen Begrifflichkeiten und Vorstellungen von der Geschichtlichkeit, Vielheit und weltbildenden Dimension der Sprachen bzw. der Übersetzung als Medium der grenzüberschreitenden Spracherweiterung und Fremderfahrung zeugen von der innovativen Hochphase der Übersetzungsproduktion und -reflexion um 1800. In der Klassik und vor allem in der Romantik wird die Frage danach, „was eine Übersetzung sey“ (Friedrich Schlegel 1981 [1797], 54), zum grundlegenden Paradigma des Literaturverständnisses (vgl. bes. Huyssen 1969; Apel 1982; Berman 1984; Kurz 1996; Bernofsky 2005; Kitzbichler et al. 2009; Sanmann 2013; Dueck 2014) und die Übersetzung zur „unendliche[n]Aufgabe“ (Friedrich Schlegel 1981 [1797], 60). Wegweisend hierfür sind die Sprachauffassungen und das Sprachdenken Johann Gottfried Herders und Johann Georg Hamanns. Hamanns Diktum: „Reden ist übersetzen – aus einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heist, Gedanken in Worte, – Sachen in Namen, – Bilder in Zeichen“ (Hamann 1950 [1762], 199), das hermeneutisches Verstehen und Übersetzen [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik] bildlich aneinander bindet und den Akt der Übersetzung von einem sekundären Signifikationsprozess zur Kommunikationsprämisse universalisiert, wird von den Romantikern für ihr eigenes literarisches Programm rekontextualisiert und popularisiert: „Das Romantische selbst ist eine Uebersetzung“ (Brentano 1978 [1801], 319). Auch das Original bzw. der literarische Text selbst erscheint dadurch als schon immer „reproduktiv“ (Huyssen 1969, 145) bzw. „durch verstehendes Lesen und übersetzen produziert.“ (Poltermann 1987, 14) Herders Fragmente über die neuere deutsche Literatur sehen in der Übersetzung nicht mehr die Einübung und Nachahmung antiker Vorbilder, sondern erklären sie zur treibenden Kraft für die „Vermittlung zwischen den Zeiten, den verschiedenen Ausbildungsstufen der Sprachen und der Vermittlung der Nationalspra-
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chen untereinander“ (Apel und Kopetzki 2003, 81). In „Von den deutsch-orientalischen Dichtern“ avanciert der Übersetzer sogar zur Avantgarde der Literatur: „Wo ist ein Übersetzer, der zugleich Philosoph, Dichter und Philolog ist: er soll der Morgenstern einer neuen Epoche in unserer Literatur sein!“ (Herder 1985 [1767], 293) Die romantische Literatur entdeckt nun überhaupt das Übersetzen (August Wilhelm Schlegel übersetzt Shakespeare, Tieck Cervantes, Eichendorff Calderón, Schleiermacher Platon etc.) als eigenständige Kunstform und schöpferische Form supplementärer Autorschaft, die mit der vermeintlich eigenständigen und einheitlichen Autorschaft literarischer Werke in eine wechselseitige Beziehung tritt, ja diese in ihrer Komplexität und Gestaltungskraft sogar übertreffen kann: „Übersetzen ist so gut dichten, als eigene Werke zu stande bringen – und schwerer, seltener.“ (Novalis 1975 [1797a], 237). Und was der Autor-Übersetzer als „Dichter des Dichters“ (Novalis 1968 [1797b], 438), als Leser, als „erweitete[r] Autor“ (Novalis 1968 [1798], 470), als Kritiker, das Eigene durch das Andere reflektierend und potenzierend übersetzt, ist seine Interpretation des sich in der Übersetzung erneuernden Originals (vgl. Kurz 1996, 58; Berman 1984, 283). Darüber hinaus erfährt die Übersetzung durch die Fundierung der Übersetzungsfreiheit in der Rechtslehre dieselbe Anerkennung, die sie sich in der Literatur erkämpft (vgl. Nebrig 2019). Kant und Fichte stimmen im Diskurs über den Büchernachdruck darin überein, dass das zu schützende geistige Eigentum nicht der Gedanke ist, sondern seine individualschöpferische Form, und das gilt auch für die Übersetzung. Daraus geht bei Fichte implizit und schon bei Kant explizit kein Übersetzungsrecht des Urhebers hervor: Die Übersetzung ist nicht „dieselbe Rede des Verfassers“ (Kant 1968 [1785], 87), auch wenn sie gewissermaßen dasselbe sagt wie das Original (vgl. Kubis 2008, 520; Nebrig 2019, 20). Die enorm produktive Übersetzungskultur supplementärer Autorschaft kulminiert in Goethes epochemachenden Begriff der „Weltliteratur“, der die Übersetzung, die als Transformationsinstanz zwischen dem Partikularen und Universellen vermittelt, zum Katalysator einer globalen Austauschs- und Verbreitungsökonomie literarischer Kulturgüter („geistigen Handelsverkehr“) macht (Goethe 1999 [1830], 870; vgl. Birus 1995, 24; May und Zimanek 2013, 13). Die wechselseitige Durchdringung der Tätigkeit als Übersetzer und der eigenen Dichtung bildet eine konstitutive Konstante in Goethes Werk und ist in ihrem Ausmaß als Alleinstellungsmerkmal anzusehen (vgl. May und Zimanek 2013). Goethe verfügt über ein sehr breites Repertoire an Übersetzungen, Übersetzungsstrategien, Übersetzungsreflexionen und Übersetzungsdarstellungen (die von ihm konzipierten ‚Übersetzungsarten‘ sind keine Praxisanleitung, sondern eher komplementäre Idealtypen): Im Faust kommt dies durch die ikonische Übersetzerszene zum Ausdruck (vgl. May und Zimanek 2013, 8; Babel 2015, 22–29). Seine Überset-
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zung von Diderots Essais de la peinture ist eine kritisch-polemische Intervention in das Original (vgl. Zehm 2002; Bernofsky 2005, 160; Nebrig 2019, 40–41). Und die Texte und Paratexte des Divans, ein „Übertragungs-Projekt, bei dem Eigenes entsteht, das sich in Konstruktionen des Fremden spiegelt“, sind Zeugnisse der „dichterischen[n] Autoreflexion“ Goethes (Schmitz-Emans 2013, 210).
4 Die Inszenierung des Originals durch die performative Autorschaft des Übersetzers Internationale Verträge wie die Berner Übereinkunft (1886; revidiert in Berlin 1908 und zuletzt in Paris 1971), die grenzüberschreitend die Anerkennung von Urheberrechten garantieren (Geltendmachung von Ansprüche auf Beteiligung an den Erlösen in anderen Ländern durch Dritte; Verhinderung unautorisierter Übersetzungen) erweisen sich als Voraussetzung „für die Herausbildung einer Weltliteratur als literarischer Kommunikationskultur“ (Nebrig 2019, 46) und der Einführung eines Übersetzungsrechts, dessen grundlegende Problematik darin besteht, eine Balance zwischen einer „überzogenen Monopolisierung der Ergebnisse geistigen Schaffens“ und der „Unterordnung […] unter die Gesetze der Ökonomie“ zu finden (Kubis 2008, 531). Die Konzepte von Weltliteratur und Übersetzung der Klassik und Romantik erleben im Laufe des 19. Jahrhunderts einen Werteverlust, der bis heute nachwirkt. Das hat mitunter zwei Gründe: aus institutions- und buchhandelsgeschichtlicher Perspektive geben Wachstum und Ausdehnung des Buchhandels dem Übersetzerwesen großen Auftrieb (vgl. Bachleitner 1989, 3) [vgl. den Artikel Autorschaft und literarischer Markt]. Für Nimbus und Image der Übersetzung hat dies gravierende Folgen. Es verfestigt sich das Bild vom Übersetzer als mechanisch arbeitendem Handwerker. Das trifft vor allem auf die Ausübung seiner Tätigkeit in den „Übersetzungsfabriken“ (Bachleitner 1989) zu, „auf die der Autorbegriff weder in ästhetisch noch in urheberrechtlicher Hinsicht anwendbar schien“ (Parr 2008, 96). Auch die Nichtnennung des Übersetzernamens wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gängige Praxis. Außerdem kommt es im Zuge des neuen Paradigmas der Nationalliteratur zu einer Exklusion der Übersetzung aus den Literaturgeschichten (vgl. Kurz 1996, 60–61). Der prominente Nationalphilologe Ulrich Wilamowitz-Moellendorff polemisiert überdies nicht nur gegen die Übersetzungen und Übersetzungsmethoden von Humboldt, Voss, Schlegel und Goethe, sondern fällt mit seinem Eintreten für einen ahistorisch-einbürgernden Übersetzungsstil auch weit hinter das Reflexionsniveau eines Friedrich Schleiermachers (1813) zurück.
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Eine Gegenbewegung dazu formiert sich unter literarischen Autoren, die ihre Übersetzungen an der progressiven Schöpfungsdynamik des Alten und des Neuen, des Eigenen und des Anderen ausrichten. Die formative Zeit um die Jahrhundertwende markiert das Aufkommen der Dichter-Übersetzer der klassischen Moderne. Wie in vielen Literaturen der Welt – etwa im lateinamerikanischen modernismo durch Rubén Darío (vgl. Casanova 2005, 88) – führt auch in der deutschsprachigen Dichtung die Auseinandersetzung mit dem französischen Symbolismus zu einer Erneuerung der poetischen Sprache. Wie ihre Vorbilder Charles Baudelaire, Paul Verlaine und Stéphane Mallarmé, die selbst die französische Literatur durch ihre Übersetzungen internationalisierten, tun es ihnen Stefan George und Rainer Maria Rilke gleich, indem sie sie aus dem Französischen übersetzen und dabei immer die eigenen Werke im Blick haben. Mit Rudolf Borchardts Übersetzungskonzeption der „schöpferischen Restauration“ (1908), Norbert von Hellingraths Arbeit zu den Pindar-Übersetzungen Hölderlins (1911) und Walter Benjamins Baudelaire-Übersetzungen (1923) kommt es zur Wiederanknüpfung an die Übersetzungstheorie der Romantik, wobei Borchardt und Benjamin auch durch ihr übersetzerisches Werk hervortreten. (Vgl. Apel und Kopetzki 2003, 93–99; Parr 2008, 96; Sanmann 2013, 42–67) Sowohl George als auch Rilke verkörpern einen neuen Autor-ÜbersetzerTypus, der das Original durch seine performative Autorschaft in der Übersetzung (re-)inszeniert. Besonders deutlich zeigt sich dies in Georges Übersetzungen (Dante, Rimbaud, D’Annunzio oder die Sonette Shakespeares), in denen eine „virtuelle Identität von Dichtung und Übersetzung“ (Apel und Kopetzki 2003, 120) herrscht. Die formbewusste Aneignung des Anderen wird zur wesentlichen Triebfeder der (übersetzungs-)poetologischen Programmatik, die selektiert, „was durch die art der übertragung eigenster besitz geworden für unsere sprache unser schrifttum und unser Werk im einzelnen natürlich und zuträglich war.“ (George 1929 [1896], 23) Die paratextuelle und textuelle Fremdinszenierung des Autors durch den Autor-Übersetzer wird zu dessen eigener Selbstinszenierung. Allein schon die für George charakteristische typographische Gestaltung der Übersetzung signalisiert seine poetische Idiosynkrasie bzw. dass „der Autor als stilistische Einheit“ (Foucault 2001, 1007) keine Rolle spielt, sondern dass ein Anderer in seinem Namen spricht. Die ‚Georgisierung‘ des Ausgangstexts erscheint als werkpolitische Enteignung im Innenraum der Weltliteratur (vgl. Casanova 2005, 88), um symbolisches Kapital in der Zielkultur zu akkumulieren. Diese Form distinguierter Übersetzungsliteratur dient der Positionsbestimmung des Autor-Übersetzers als Autor im (welt-)literarischen Feld (vgl. Venuti 2013 [2011], 174). Venutis Rede von der Unsichtbarkeit des Übersetzers, der eine vertragsgebundene Transparenzillusion erzeugt, die in leichtem und flüssigem Stil vorgibt, keine Übersetzung, sondern
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das ‚Original‘ zu sein (vgl. Venuti 1995a, 1–5), bedarf hier der Umakzentuierung, da der Autor-Übersetzer a priori über einen höheren Grad an Sichtbarkeit und Sichtbarkeitsverlangen verfügt als der Berufsübersetzer. Auch die Übersetzungsforschung hat Autoren, die übersetzen, über einen langen Zeitraum wenig Aufmerksamkeit geschenkt und wenn, dann überwiegend in Form traditioneller ‚Übersetzungskritik‘, bei der stereotyp und oft vage gebrauchte Kriterien wie ‚Treue‘, ‚Wörtlichkeit‘, ‚Richtigkeit‘ oder ‚Autorintention‘ die vermeintlichen Fehler und Verfehlungen des eigentlich sonst so gerühmten Sprachkünstlers exemplifizieren. Für Paul Celan bedeuteten die auf der Grundlage seiner Übertragungen von Ivan Goll gegen ihn erhobenen Plagiatsvorwürfe, die die sogenannte „Goll-Affäre“ (Wiedemann 2000) auslösten, die wohl größte Erschütterung seines Werklebens. Umso bemerkenswerter ist es, dass die von Peter Szondi (vgl. Szondi 2011 [1971]) eingeleitete Auseinandersetzung mit dem übersetzerischen Werk Celans (vgl. May et al. 2012, 180–219), die simplifizierende Äquivalenzidee der abbildenden Übersetzung zugunsten dynamischer Intertextualitätsmodelle überwindet. Das Übersetzen ist demnach nicht nur integraler Bestandteil des literarischen Schaffens des Autor-Übersetzers, sondern zwischen Übersetzung und Original, aber auch den eigenen Texten, wird eine ästhetische und interpretatorische Gleichwertigkeit hergestellt. Zugleich öffnet sich der Blick auf die lebensweltlichen, historischen, sozialen, politischen und kulturellen Verweisungszusammenhängen, in denen die AutorÜbersetzung den Ausgangstext de- und rekontextualisiert: Hans Magnus Enzensbergers Museum der modernen Poesie (1960) initiiert eine ästhetische Neubestimmung der deutschsprachigen Literatur im Rückgriff auf die Tradition durch die Übersetzung internationaler Lyrik („Weltpoesie“). Und es sind vor allem die übersetzenden Lyriker, die dafür eine Sprache finden, wofür es im Deutschen noch keine Sprache gibt. In solchen Momenten der Neuformation von Literaturen, des Bruchs und des Übergangs, entfaltet die Übersetzung ihr größtes Potential (vgl. Even-Zohar 2004 [1990], 201), auch für den Autor-Übersetzer.
5 Translatorische Subversion von Autorschaft und Originalwerk in der Gegenwartslyrik Durch den Einfluss postkolonialer Theoriebildung kommt es zu einer Renaissance der Übersetzung als Modell und Metapher in der Literatur- und Kulturwissenschaft (der sogenannte translational turn, vgl. Bachmann-Medick 2009). Die postkoloniale Übersetzungstheorie (vgl. Bassnett und Trivedi 1999) parallelisiert essentialistische Konstruktionen von Autorschaft und Originalität mit dem euro-
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päischen Kolonialismus. Kulturelle, literarische, psychische, soziale, historische, geographische und politische Übersetzungsprozesse generieren Artikulationsund Widerstandsformen, die die „Hierarchie zwischen Original und Kopie bzw. Übersetzung umkehren“ (Schahadat 2013, 36). Die inkommensurable Differenz, die jedem Zeichen eigen und vorgängig ist, als Unübersetzbarkeit mitzudenken, ist auch ein Thema postkolonialer Kanonkritik. Sie richtet sich gegen die Hegemonie des Englischen als Zielsprache der Weltliteratur, die Partikularitäten nivelliert bzw. den monolingualen Fetisch alles Lesbar- und Übersetzbar zu machen und Literatur nicht in verschiedenen Sprachen zu lesen (vgl. Spivak 2003). In der Debatte zur Neuausrichtung der Komparatistik verweist die Konzeption der Unübersetzbarkeit auf einen zu vollziehenden Balanceakt zwischen jener „singularity of untranslatable alterity“ und „the need to translate quand même“ (Apter 2006, 91), der das Eigene und das Andere im Prozess der Übersetzung immer wieder neu verhandelt und in Beziehung setzt. Mit Derrida (2003 [1996]) projektiert Emily Apter ein Sprach- und Literaturverständnis jenseits aller individuellen und nationalen Besitzansprüche des globalen Kulturkapitalismus in einem Modell kollektiver Autorschaft [vgl. den Artikel Kollektive Autorschaft]: Als „authorized plagiarism“ figuriert die Übersetzung einerseits eine Form kreativen Eigentums auf das niemand ein ausschließliches Recht in Anspruch nehmen kann und andererseits einen „translational Author“, der in einer Weltliteratur, „that signs itself as collective, terrestial property“, ohne genieästhetische Konsekrationssignatur agiert (Apter 2013, 15). In der deutschsprachigen Lyrik der Gegenwart wird die translative Autorschaft zum Emblem einer transnationalen und mehrsprachigen Lyrik, für die grenzüberwindende Sprachfindungs- und Sprachwerdungsprozesse die „größte Innovationsquelle“ sind, so dass „die Geschichte der deutschen Lyrik im 21. Jahrhundert wesentlich eine ihrer Überschreitung“ ist (Graf 2017, 57). Viele zeitgenössische Übersetzungspoetiken verfolgen ein ästhetisch-politisches Abweichungsprogramm von der Normsprache und unterlaufen zugleich Konzepte und Kategorien wie Autor, Werk, Original, Übersetzung, Gattung, Stil und Geschlecht durch die Anknüpfung an Verfahren der appropriation art und der appropriation literature (Gilbert 2014; Spoerhase 2017; Gilbert 2018; Telge 2019a; Telge 2019b). Dies findet in Uljana Wolfs und Christian Hawkeys erasure (dt. „Ausstreichung“) von Rilkes Übersetzung der Sonette Elizabeth Barrett Brownings (Sonnets from the Portuguese, 1850) eine konsequente Umsetzung: Im Kontext „postdigitaler Printkultur“ eignet sich ihre materielle Lyrik-Übertragung („Refrabikation“, vgl. Spoerhase 2017) die zweisprachige Inselausgabe (Sonette aus dem Portugiesischen, 1994 [1908]) als „ein ganze(s) Werk […] in seiner Materialität als solcher“ an (Gilbert 2014, 11). Anstelle „singuläre[r] Autorschaft“ tritt „doppelte Erasureschaft“, die einen Text produziert, der „keinem gehört, dem Autor nicht, dem Übersetzer
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nicht, und nicht dem Bearbeiter.“ (Wolf 2014, 56) Den Kern der Erasure-Bewegung von Verbergen („Ausweissen“) und Aufdecken („Einschreiben“, Wolf 2014) bildet die Entbergung der Autorschaft von Rilkes Ko-Übersetzerin Alice Faehndrich bzw. die Subversion der Geschlechterkonzeption der Sonette und Stereotype von männlicher Autorschaft und weiblicher Übersetzerschaft (vgl. Telge 2019a, 129–130; Parr 2008, 99). Dagmara Kraus’ konzeptuelle Übersetzung LENZ (2016), die wie Wolfs und Hawkey Erasure-Poetry unter ihrem Namen erscheint, verfolgt insofern eine multiple bzw. multiplikatorische Appropriationsstrategie als sie sich Büchners Erzählung Lenz (1839) und Rodney Grahams Künstlerbuch Lenz (1983), das die englische Übersetzung als Wiederholungsschleife arrangiert, aneignet. Die AutorÜbersetzerin Kraus geht nicht vom Wortlaut aus, sondern überlagert auktoriale und translatorischer Rede, indem sie das Loop-Konzept (die Idee) von Grahams „typographischer Inszenierung“ unter Verwendung von Büchners Originaltext reinszeniert (vgl. Gilbert 2018, 309–318). Darin zeigt sich, dass sich Statuszuschreibung und schöpferische Eigenständigkeit der Autor-Übersetzung nicht im Sinne einer De-jure- oder De-facto-Kategorie bestimmen lassen, sondern allein über die selbstproklamatorische und individualästhetische Werkeinbettung des Autor-Übersetzers (vgl. Telge 2017, 16; Gilbert 2018, 317). Weder bei Kraus noch bei Wolf und Hawkey bedeutet der komplexe Akt der Ausführung und Ausstellung allerdings eine neuerliche Affirmation von Autorschaft und Werkidentität als vielmehr deren permanente Verschiebung und Erweiterung im Prozess der Übersetzung.
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IV Interdisziplinäre Verweise
IV.1 Sozialgeschichte
Thomas Becker
IV.1.1 Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion 1 Autor und Autorschaft Nicht jedem schreibenden Autor kommt schon eine sozial hoch bewertete Autorschaft kultureller Produktion zu. Während in der deutschen Sprache zwischen Autor und Autorschaft unterschieden werden kann, verfügt die französische Sprache nicht über diese Möglichkeit. Pierre Bourdieu benutzt daher die aus der scholastischen Philosophie stammende Unterscheidung von auctores und lectores (2001b [1997], 107–117), innerhalb derer die je verschieden hybriden Übergänge zwischen Autor und Autorschaft als die unterschiedlichen Perspektiven der points de vu de l’auteur (2001a [1992], 340–448) im Kontext eines sich historisch ausbildenden Feldes kultureller Produktion zu analysieren sind. Anders als beim frühen Michel Foucault, mit dessen später Machttheorie die Feldanalyse gleichwohl vieles gemeinsam hat, wird Autorschaft aber nicht mehr nur in ihrer Funktion verstanden. Die durch die Rezeption der lectores getragene Distribution bekannter Autornamen (auctores), welche laut Foucault damit eine bekannte Autorschaft in unterschiedlichen Diskursfeldern zirkulieren lassen, wie etwa die Psychoanalyse Sigmund Freuds oder die politische Ökonomie von Karl Marx in den politischen, juridischen oder literarischen Diskursen etc. (Foucault 2001a [1969], 1014–1015), muss laut Bourdieu jedoch vor dieser allgemeinen Verbreitung zunächst im eigenen Feld die Anerkennung als Innovation errungen haben, mit der erst die kollektive Erinnerung an einen Namen in der Feldgeschichte verbunden ist. Daher stellt für die Feldanalyse die Zirkulation eines bekannten Autornamens in unterschiedlichen Feldern vielmehr schon ein Resultat an Legitimationskämpfen dar und kann nicht wie bei Foucault erst der Ausgangspunkt für die Frage nach Autorschaft sein. Ein Feld ist zwar ein Möglichkeitsraum an Strategien, die aber bei Bourdieu nicht wie beim frühen Foucault lediglich Diskurse darstellen. Ein Feld ist für Bourdieu insofern kein semantisches Feld der Bedeutung, sondern ein Feld praktischer Strategien (Bourdieu 1998 [1994], 56–61). Bourdieu nennt diese Strategien auch Praxeologien, um zu kennzeichnen, dass sie keinesfalls immer schon expliziten diskursiven Regeln folgen. Jede Strategie muss dabei stets in Relation zu anderen Strategien innerhalb eines historisch sich ausdifferenzierenden Feldes gesehen werden. Für Bourdieu ist der Autor daher weder vollkommen autonom noch tot, sondern stets in Relation zu anderen Autoren zu sehen. Der Machttheorie Fouhttps://doi.org/10.1515/9783110297065-020
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Sozialgeschichte
caults gleich geht Bourdieu also zwar einerseits davon aus, dass das ganze Netzwerk eines Feldes mitsamt seinen Vermittlern an Kritikern, Journalisten und Rezipienten den Glauben an Urheber von Kunstwerken produziert und zirkulieren lässt. „Produzent des Werts des Kunstwerks ist nicht der Künstler, sondern das Produktionsfeld als Glaubensuniversum […].“ (Bourdieu 2001a [1992], 362) Von einer produktionsästhetischen Verkürzung der Bourdieuʼschen Theorie kann daher keine Rede sein. Dies bedeutet nun andererseits aber keineswegs, dass eine reine Funktionsanalyse des Autors im Sinne einer Rezeptionsgeschichte ausreicht, da sonst die produktive Leistung einer Innovation von Autorschaft nicht mehr denkbar wäre: „Es geht nicht darum, einfach durch eine blasphemische und ein wenig kindische Inversion den ‚Fetisch des Urhebernamens‘ zu exorzieren, denn – ob man will oder nicht – der Name des Urhebers bleibt ein Fetisch. Es geht darum, das schrittweise Aufkommen des Ensembles gesellschaftlicher Mechanismen zu beschreiben, die den Künstler als Produzenten jenes Fetischs, den das Kunstwerk darstellt, möglich machen […].“ (Bourdieu 2001a [1992], 458). Jede Innovation in einem künstlerischen Feld stellt eine Teilrevolution des Feldes dar, welche die sozial anerkannte Legitimität des Feldes insgesamt aber zugleich stärkt. Die Untersuchung eines Feldes kultureller Produktion schließt damit immer die Analyse einer historischen Genese von Legitimationskämpfen um Autorschaft ein.
Differenzierung und Polarisierung des Feldes Die Theorie der spezifischen Felder kultureller Produktion ist wie die Systemtheorie eine Theorie der Differenzierung systemischer Strukturen innerhalb des sozialen Raums, die individuellen Akten stets vorausliegt und sich zugleich innerhalb der Felder noch einmal differenziert [vgl. den Artikel Systemtheorie]. Die Feldstruktur künstlerischer Produktion geht indes nicht wie bei Niklas Luhmann von einer Informationstheorie (Luhmann 2004,129), sondern zum einen von Max Webers Bestimmung der Wertsphären aus (Religion, Politik, Kunst, Wissenschaft, Literatur, etc.) (Bourdieu 2000 [1971]). Bourdieu beschreibt diese Struktur zum anderen in Begriffen eines symbolischen Marktes, um zu betonen, dass Autoren in diesen Sphären nicht wert- und interessefrei agieren, sondern nach einem spezifischen Eigenwert und Eigeninteressen des jeweiligen Feldes (Bourdieu 1998 [1994], 62–69), die den ökonomischen Interessen mehr oder weniger opponieren; dies entspricht der im Laufe der Autonomisierung eines Feldes sich verschärfenden Polarisierung des jeweils symbolisch und ökonomisch dominierten Marktes eines kulturellen Feldes. Auf der Seite des symbolisch dominierten Marktes wird vornehmlich um Innovation gekämpft, die den ökonomischen Gewinn überwiegt,
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während auf dem ökonomischen Massenmarkt der Gewinn Vorrang vor Innovation hat. Mittels dieser Polarisierung differenzieren sich die Felder kultureller Produktion im sozialen Raum als jeweils spezifische Universen aus. Der symbolische Tausch funktioniert nicht nur nicht nach rein ökonomischer Bewertung, sondern beruht auf relativ uneigennützigen Handlungen, welche als Profit soziale Anerkennung für den Verzicht auf einen zeitlich unmittelbar eintretenden Vorteil erzielen können (Bourdieu 1998 [1994], 163–186). Der so gewonnene soziale Profit ist nur unter Inflationierung in ökonomischen rückwandelbar, stellt aber die genuin soziale Bindekraft eines Feldes gegen die Fliehkraft der ökonomischen Konkurrenz dar. Im Rahmen des seit der Renaissance sich ausbildenden Kapitalismus kommen den sich ausdifferenzierenden Feldern kultureller Produktion (des Rechts, der Politik, der Kunst etc.) damit einerseits eine Legitimationsfunktion des permanent krisenhaften Kapitalismus zu, der jedoch andererseits durch seine Konkurrenzmechanismen die aus den symbolischen Produktionen entstammende soziale Bindekraft zu unterlaufen droht (Bourdieu 1998 [1994], 139–156). Anders als in der Systemtheorie [vgl. den Artikel Systemtheorie] sind Felder damit niemals vollkommen abgesicherte Systeme gegenüber externen sozialen Kämpfen im sozialen Raum. Diese nie endende Ambivalenz in der Ausdifferenzierung von Feldern kultureller Produktion wird insbesondere in der Zeit der Entstehung der Autonomieästhetik am Ende des 18. Jahrhunderts für die Bildung moderner Autorschaft deutlich [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft]: Der schnell wachsende Massenmarkt eines mittelständischen Lesepublikums wurde z. B. von Autoren wie Karl Philipp Moritz, Friedrich Schiller und Johann Wolfgang Goethe einerseits als Bedrohung empfunden, zum anderen ermöglichte es ihnen, eigene Zeitschriften zu gründen bzw. nicht mehr ausschließlich für Auftraggeber zu produzieren (Woodmansee 1994. 11–33; [vgl. den Artikel Autorschaft und literarischer Markt]). Sie verfügten aufgrund des bedrohlichen Massenmarktes zugleich über die Produktionsmittel. Bei Moritz zeigt sich diese Doppelung von Autonomie und Bedrohung darin, dass für ihn das in sich vollendete Kunstwerk nicht auf ein großes Publikum (wohl aber nur für wenige Kenner) hin produziert sein soll, was später in Immanuel Kants berühmter Begründung des Geschmacksurteils als interesseloses Wohlgefallen eingegangen ist. Diese in sich ambivalent klingenden Begriffe wie interesseloses Wohlgefallen oder Zweckmäßigkeit ohne Zweck (Kant 1974 [1790], 115, 135) eines am Ende des 18. Jahrhunderts entstehenden Autonomiediskurses können dann als Indiz einer ereignishaften Zunahme in der Polarisierung der zwei aufeinander angewiesenen Märkte eines Feldes verstanden werden, in der sich der Anspruch auf innovative Autorschaft zunehmend an der Position eines Interesses an der Interesselosigkeit gegenüber dem ökonomischen Pol orientiert.
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Sozialgeschichte
Je stärker die Polarisierung der beiden Märkte, bzw. Subfelder (oder auch Pole) der eingeschränkten Produktion und der Massenproduktion eines Feldes ist, desto stärker fällt historisch gesehen auch die Autonomie der Produktionsbedingungen von Autorschaft auf dem Pol der symbolischen Produktion aus (Bourdieu 2001a [1992], 344). Allerdings ist nicht allein die Polarisierung für die zunehmende Autonomie der Kunstproduktion verantwortlich. Obwohl Luhmann mit Bourdieu in der Feststellung einer ersten Autonomie der Kunstproduktion im Laufe des 18. Jahrhunderts übereinstimmt (Luhmann 2008, 228), liegt der Unterschied in der Feldtheorie auch darin, dass die stärkste Differenzierung innerhalb des Feldes sich lediglich am Pol der symbolischen Produktion bildet und sich nicht wie in der Systemtheorie durch einen die Kommunikation im System bindenden binären Code erklären lässt, dem jede Kommunikation im System gleichermaßen unterworfen ist (Luhmann 2004, 320). In der Feldanalyse ist dagegen die systemische Struktur zwar auch jeder individuellen Handlung vorgängig, trifft aber niemals alle Akteure auf gleiche Weise, da die Struktur durch unterschiedliche Machtpositionen bzw. Kapitalien bestimmt ist, die wie Trümpfe (Bourdieu und Wacquant 1996 [1992], 128) in dieser Struktur eingesetzt werden können. Vielmehr zeigt sich der Trumpf der inhaltlichen und formalen Differenzierung vornehmlich am symbolischen Pol (Bourdieu 2001a [1992], 198–206, 216), weil sich in einem relativ autonomen Feld an dieser Position der Dauerstreit zwischen häretischen Newcomern und etablierten (konsekrierten) Avantgarden im Kampf um Legitimität bildet (Bourdieu 1998 [1994], 64). Ein spezifisches Feld differenziert sich also intern nicht gleichmäßig über seine gesamten Akteure, sondern der Pol (Subfeld) der symbolischen Produktion ist auch Ausgangspunkt einer die spezifische Autonomie antreibenden Differenzierung. Diese zunehmende systemische Differenzierung eines Feldes ist daher auch nicht als Befriedung wie in der Systemtheorie Luhmanns, sondern wie bei Foucault als Zunahme von Konflikten und Kämpfen zu verstehen. Autonomie meint dann niemals einfach Freiheit vom Markt: Je größer die Freiheit gegenüber dem ökonomischen Markt, desto intensiver ist der Zwang zur Distinktion und Unterscheidung auf dem symbolischen Markt. Ein autonomes Feld ist damit auch dort machtdurchzogen, wo die Avantgarden im Namen der Autonomie aufs heftigste gegen Herrschaftsansprüche von außen kämpfen. Bourdieu unterscheidet – ähnlich wie Foucaults Theorie einer Wissen-Macht-Spirale – innerhalb der habituellen Einstellung eines Autors im Glaubensuniversum der Kunst zwischen den beiden, allerdings immer aneinander geketteten Formen einer libido sciendi und libido dominandi (Bourdieu 1998 [1994], 90). Ebenso führt diese Konzeption dazu, das sozialwissenschaftliche Verständnis einer Autorschaft von einer deterministisch-ökonomistischen Sichtweise zu befreien. So kann man etwa Goethes Gang an den Weimarer Hof, der lange als
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restaurativer Rückzug verstanden wurde, inzwischen mit der Feldtheorie als progressive Verteidigung seiner erreichten (relativen) Autonomie gegenüber dem Massenmarkt verstehen (Wolf 2001). Das war Autoren wie Heinrich Heine in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr möglich, weil sie ihre Stellung aufgrund des Aufstiegs der Presse im Feld der Macht erneut behaupten mussten, der auch die staatlich institutionellen Strukturen stärker als in der Goethezeit bestimmte (Joch 2005). Und während Walter Benjamin schon versuchte, künstlerische Produktionen der Moderne nicht als Überbau einer ökonomischen Basis zu verstehen, indem er ihnen einen Eigenwert zusprach, so fällt doch seine sozialhistorische Beschreibung andererseits immer wieder trotz sehr origineller Ansätze in eine widerspiegelungstheoretische Auffassung zurück. So beschreibt Benjamin etwa die multiperspektivische Schreibweise von Charles Baudelaire als Ausdruck einer allgemein gewordenen Verschwörungsmentalität der Gesellschaft des Second Empire (Benjamin 1980, 514–517). Mit der Feldforschung geht man dagegen vielmehr davon aus, dass diese multiperspektivische Ambivalenz der modernen Autorstimme aus der sich zunehmend feldintern bildenden Differenzierung unterschiedlichster Positionierungen heraus zu verstehen ist (Becker 2005). Die schon von Michail Bachtin herausgestellte Multiperspektivität und Vielstimmigkeit einer modernen Autorschaft kommt also nicht von außen auf das Feld als gesellschaftlicher Einfluss zu, sondern wird erst mit einer intern zunehmenden Differenzierung der Feldpositionen des symbolischen Pols verständlich, welche in der Lage ist, Distinktionen des sozialen Raums an der internen Distinktionsbildung eines je spezifischen Feldes kultureller Produktion zu brechen. Dem künstlerischen Feld externe soziale Konflikte etwa aus anderen Feldern der Politik, der Religion oder Wissenschaft werden an den internen Konflikten (um distinktive Positionierungen im Feld) je nach historisch erreichter Autonomie prismatisch (d. h. in relativem, niemals absolutem Sinne) gebrochen (Bourdieu 2001a [1992], 349). Anders als in Theodor Adornos kulturpessimistischer Theorie der Autonomie können auch Felder ‚populärer‘ Künste wie Comics, DJs, Poetry Slam oder Street Art als mögliche Autonomisierungsbewegungen verstanden werden, ohne den Unterschied der eher journalistisch-medialen gegenüber der stärker (juridisch codifizierten) institutionellen dominierten Legitimation einer Autorschaft zu vernachlässigen [vgl. den Artikel Pop-Autoren]. Das Alleinstellungsmerkmal der Feldanalyse innerhalb der Sozialgeschichte der Kultur besteht gerade darin, dass sie sich nicht damit begnügt, die soziale Funktion der Kunst oder den Autor in einem allgemeinen Kontext etwa von race und gender zu lokalisieren. Die Inhalte der Kunstproduktion selbst sind als praktische Strategien und Mittel der sozialen Differenzierung zu verstehen, die umso weniger von allgemeinen Differenzen des sozialen Raumes her bestimmt sind, je autonomer und damit spezifischer der Kontext der Literatur und Kunst
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ist. „Die ausschließliche Konzentration auf die Funktion führt dazu, daß man der Frage der inneren Logik der kulturellen Objekte, ihrer Struktur als Sprache, keine Beachtung schenkt […]“ (Bourdieu 1998 [1994], 61). Wie im Textverständnis der ‚Dekonstruktion‘ besteht die Relevanz einer literarischen Produktion nicht aus sich selbst heraus, sondern aus ihren Relationen zu anderen Produktionen, die ein historisch sich änderndes offenes System der differenziellen Unterscheidungen bilden. Darüber hinaus muss aber die Feldanalyse zusätzlich auch das differentielle Netz der Positionen im Feld sichtbar machen, d. i. die historisch vorgegebene Struktur an Machtpositionen unter Autoren eines Feldes, die den jeweils historisch begrenzten Möglichkeitsraum für innovative Strategien bilden, durch den die sozialen Konflikte und Differenzen des dem Feld externen sozialen Raums gebrochen bzw. transformiert werden. Der differentielle Raum eines Feldes ist dann als gedoppelt vorhanden anzusehen: Als relationale Struktur der ‚Positionen‘, die jedem einzelnen Autor je nach historischer Lage einerseits als Resultat vorheriger Feldkämpfe vorgegeben sind, und andererseits als Relation der in den künstlerischen Produktionen erscheinenden individuellen performativen Akte im Verhältnis zu anderen Akten, die auf diesem vorgegebenen Markt durch strategische ‚Positionierung‘ einen Wert erzielen wollen oder sogar die Wertestruktur und damit die Machtstruktur der Positionen durch Innovationen neu zu ordnen versuchen. Bourdieu unterscheidet daher zwischen dem modus operandi der strategischen Positionierung und den im opus operatum dauerhaft gespeicherten Strategien, die aber permanent in einem dialektischen Wechselverhältnis stehen (Bourdieu 2001a [1992], 419–422). Ein Autor, der seine Autorschaft mit einer strategischen Positionierung verleugnet (wie beispielsweise Stéphane Mallarmé mit seiner Rede von der „disparition élocutaire du poète“ (Mallarmé 1998 [1885], 224), behauptet dadurch gerade die Position einer innovativen Autorschaft im Feld. Die homologe Struktur von Positionierung und Positionen in einem Feld ist daher nie im Sinne einer Widerspiegelungstheorie zu verstehen, wie es immer wieder missverstanden wird. Damit erübrigt sich auch die an Adorno mehr oder weniger orientierte Analyse Peter Bürgers zur Kunstautonomie, die behauptet, die Negation der Autonomie durch die historische Avantgarde, wie z. B. im Dadaismus (162013, 68), sei eine einmalige historische Situation, die nicht mehr zu überbieten sei, da sie Kunstautonomie insgesamt in Frage gestellt habe. Analog zur strategischen Negation des Autors, welche die Position einer anerkannten Autorschaft aber erst konstituieren kann, gilt auch hier, dass die ‚phänomenale‘ Entgrenzung der Kunst als strategische Positionierung angesehen werden muss, die vielmehr die soziale Position der Autonomie verstärkt.
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2 Anerkennen und Erkennen: Heterodoxie, Orthodoxie, Allodoxie Auch innovative Autorschaft ist also niemals aus sich selbst heraus zu verstehen, sondern setzt das Wissen um die historischen Bedingungen der ganzen Feldgeschichte erst recht dort voraus, wo die Geschichte wie so oft in der Moderne radikal negiert wird. Die Negation von Geschichte wird damit selbst als historisches Ereignis im Feld verständlich, die einer praxeologischen Strategie der Positionierungen entspricht und nicht wörtlich als Ausdruck einer Position genommen werden darf (Bourdieu 2001a [1992], 303). Wer in das Feld eintritt, muss sich nicht nur positionieren und damit distinguieren und in Relation zu anderen setzen, wenn er von anderen wahrgenommen werden will. Dies gelingt vielmehr dann, wenn er aufeinander aufbauenden Innovationen erkennt, die im Feld anerkannt sind und damit den Raum des jeweils historisch Möglichen darstellen (Bourdieu 2001a [1992], 471). Anerkennen und Erkennen innovativer Autorschaft sind dann identische Vorgänge. Die NichtKenntnis von aufeinander aufbauenden Innovationen führt insbesondere beim naiven Blick daher zu falschen Anerkennung gegenüber der Feldgeschichte, wie z. B. die Vorstellung, dass rein phänomenologisch Bilder des abstrakten Expressionismus von Schmierereien eines Affen nicht unterscheidbar seien. Hier fehlt das Wissen historischer Reihen und damit auch der Code der Differenzierung, der offensichtlich konstitutiv für das Verstehen von Kunstproduktion ist. Eine solch verkennende Anerkennung durch den naiven Blick nennt Bourdieu eine Allodoxie, weil sie die Formen nicht mittels der Kenntnis der historisch entstandenen Reihen versteht, sondern rein aufgrund semiotischer Ähnlichkeiten (Bourdieu 2001a [1992], 387–393; Bourdieu 1998 [1994], 16). Bourdieu verwendet den Begriff des (symbolischen) Kapitals für die Analyse kultureller Felder, weil das Wissen um solche Reihen offensichtlich eine durch Arbeit erreichte Akkumulation an Wissen wie ebenso ein akkumulierbares Kapital darstellt, das im Laufe einer spezifischen Geschichte des sich autonomisierenden Feldes objektiv anwächst und als solches von den Autoren jeweils individuell durch produktive Arbeit angeeignet werden muss, um auf dem Feld bzw. Markt symbolischer Güter als Autor anerkannt zu werden. Die Geschichte der Innovationen eines autonomen Feldes ist daher unumkehrbar. Bourdieu wirft dabei allerdings Tynjanov vor, dass dieser solche Reihen lediglich als Ablauf von Werken (opus operatum) ohne die aktiven praktischen Strategien und Kämpfe (modus operandi) sieht, was er auch als Kennzeichen eines Kulturalismus bezeichnet (Bourdieu 2001a [1992], 322–328). Akkumulation symbolischen Kapitals darf daher nicht mit einer teleologischen Reihung missverstanden werden, da je nach
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Strategie Abzweigungen und Vernetzungen möglich sind, die keinem auf ein Ziel hinauslaufendem Telos des Feldes entsprechen.
3 Habitus als dynamische Vermittlung von Ereignis und Struktur des Feldes Eine Position im Feld wird durch die Mischung von ökonomischem und spezifisch symbolischem Kapital (der Kunst, der Literatur etc.) im Verhältnis zu jeweiligen anderen Positionen und deren Mischungsverhältnis bestimmt. Man kann also einen Autor und seine Position nicht einfach absolut bestimmen, sondern muss ihn wie in einem differentiellen System immer nur negativ als Position in Relation zu anderen Positionen sehen, die er nicht innehat. Daher wird die Machtkonstellation der Autoren untereinander nicht einfach durch eine pyramidale Herrschaftsform definiert. Wer weniger kulturelles Kapital im Verhältnis zu einem anderen hat, wird damit eher auf ein anderes Kapital setzen, etwa ein ökonomisches (Ertrag durch Distribution und Verkauf von Produktionen) oder soziales Kapital (dauerhafte bedeutsame Bekanntschaften z. B.), mit dem er den anderen dominieren kann. Eine Position kann also ökonomisch bestimmt sein, aber dafür mit kulturellem Kapital dominieren und umgekehrt (Bourdieu 1998 [1994], 67). Es gibt also niemals eine reine Herrschaft innerhalb der Feldstruktur, die nicht in anderer Hinsicht wiederum selbst beherrscht wäre. Wie bei Foucault gibt es zu jeder Machtposition immer eine Gegenmacht. Insbesondere die Struktur der ausgebildeten Polarität eines relativ autonomen Feldes mit den beiden Subfeldern kann generell so beschrieben werden: Autoren am Pol der symbolischen Produktion dominieren die Autoren des ökonomisch dominierten Massenmarktes mit kulturellem Kapital und umgekehrt Autoren am ökonomischen Pol die Autoren des eingeschränkten Marktes symbolischer Produktion mit ihrem ökonomischen Kapital. Das vielleicht prominenteste Konzept der Feldtheorie, das Konzept des Habitus, stellt eine Vermittlungsinstanz zwischen Position und Positionierung dar, das nicht als rein deterministisches Verhältnis verstanden werden darf. Es wurde vielmehr konzipiert, um das Verhältnis von gewordener Struktur des Feldes (Positionen) und Ereignis (Positionierung) zu verstehen, die das Feld erst als historisch dynamische Struktur beschreibbar macht (Bourdieu 2001a [1992], 371–378). Demgegenüber verweist der Ansatz der Dekonstruktion auf das dynamische Wechselverhältnis von Struktur und Ereignis (Culler 1999 [1982], 106). Dabei bleibt jedoch ungeklärt, wie stark die verändernde Kraft eines Ereignisses (Positionierung) jeweils in der historischen Entwicklung der Struktur ausfällt.
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Mit anderen Worten: Die Dekonstruktion stellt nur das ‚Dass‘ des wechselseitigen Verhältnisses fest, hat aber keine methodische Grundlage, um die unterschiedliche nach Positionen verteilte Energie der Veränderung den Autoren historischempirisch zuzuordnen. Stellung im Feld determiniert aber keineswegs die Einstellung dazu, wie die eigene Stellung im Raum der jeweils historisch begrenzten Möglichkeiten im Verhältnis zu anderen Positionen verbessert, erhalten oder vor dem Abstieg bewahrt werden kann. Für die im Poststrukturalismus angestrebte Dynamisierung von Struktur hat Bourdieu daher den Begriff des Habitus entwickelt, den er als structure structurée structurante (2001b [1997] 124, 177–204 u. 2001a [1992], 285–287) definiert. Ein Habitus ist niemals reine Reproduktion und Gewohnheit und durch die angeeignete Struktur vollkommen determiniert, wie es immer wieder missverstanden wird und Bourdieu zum Wortspiel motivierte, „j’ai dit l’habitus et non pas l’habitude“ (‚Ich sagte Habitus, nicht Gewohnheit‘ (Bourdieu und Wacquant 1996 [1992], 154). Die Gewohnheit besteht nur zum Teil aus der im Körper angeeigneten Struktur (structure structurée), während das eigentlich Neue an dem Konzept des Habitus gegenüber der philosophischen Tradition gerade darin liegt, dass er im Rahmen seiner durch die jeweilige Position in der Struktur gewonnenen Perspektiven eben diese Struktur immer wieder durch Positionierung (structure structurante) im Rahmen der historisch vorgegebenen Möglichkeiten performativ verändert oder sogar neu erfindet. Bourdieu hat für das Konzept des Habitus die von Maurice Merleau-Ponty formulierte Kritik an Martin Heidegger übernommen (Bourdieu und Wacquant 1996 [1992], 154), dass das ebenso asubjektive wie aktive Verstehen des In-derWelt-Seins immer ein körperliches ist (Bourdieu 2001b [1997], 183). Während Merleau-Ponty den Fußballspieler als Beispiel für die Verklammerung von Raum und Körper anführt (Merleau-Ponty 1980 [1942], 182), veranschaulicht Bourdieu es am Tennisspieler (Bourdieu 1998 [1994], 143). Der Spieler hat die Regeln und den Raum derart in seinem Körper integriert, dass er ohne Überlegung (asubjektives Verstehen der Welt, bzw. aktives In-der-Welt-Sein) zur richtigen Stelle läuft, um den Ball zu parieren. Wenn die Position die Einstellung vorgibt, der gegenüber einem anderen sein jeweiliges dominierendes Kapital wie eine Spielkarte strategisch und damit erfinderisch einsetzt (Bourdieu und Wacquant 1996 [1992], 128–127), dann kann man den Beitrag zur ereignishaften Veränderung einer Struktur den jeweiligen Autoren im Feld empirisch zuordnen, so dass es nicht bei der Feststellung eines bloßen ‚Dassʻ im Wechselverhältnis von Struktur und Ereignis bleibt. Dies hebt die Feldanalyse auch gegenüber der Systemtheorie ab, da die jedem Individuum vorgängige systemische Struktur eines Feldes und die individuelle Handlungsfreiheit eines Autors folglich keine sich ausschließenden Konzepte mehr sind (Müller 2005).
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Für die Bestimmung des „Standpunktes eines Autors“ in einem Feld bedarf es folglich eines dreifachen Schrittes (Bourdieu 2001a [1992], 340–341): Die Bestimmung 1.) der Position in Relation zu anderen Positionen im Rahmen der sich historisch ausbildenden Polarität der beiden Pole, Märkte oder Subfelder (Bourdieu 1998 [1994], 63), und 2.) der aktiven, diesen Positionen entsprechenden Positionierungen, um die eigene Position zu behaupten, zu verbessern oder vor dem Abstieg zu bewahren. Diese Seite entspricht der Arbeit, die auch in der Intertextualitätstheorie zu finden ist [vgl. den Artikel Text, Schreiben, Intertextualität], der aber laut Bourdieu der erste Schritt fehlt, um die Inhalte und Formen der Kunst auch als machtdurchzogene Strategien analysieren zu können. 3.) Schließlich muss das Feld insgesamt auch ins Verhältnis zum Feld der Macht gesetzt werden, das eine jeweilig erreichte Hierarchie der kulturellen Legitimation aller Felder untereinander im gesamten sozialen Raum zu bewahren versucht.
Der nie endende Streit um Legitimation Ähnlich wie sich Jean-François Lyotard in seinem berühmten Essay zur Postmoderne auf Ludwig Wittgenstein berufen hat, um zu zeigen, dass das Wesen der Legitimität im Streit um die Legitimität liegt (Lyotard 1994 [1979]), 175, 195), so geht auch Bourdieu davon aus, dass mit der Entstehung der modernen Kunst und Literatur das staatliche Monopol des schulischen kulturellen (und damit rechtlich codifizierten) Kapitals nicht mehr allein die Hierarchie der kulturellen Legitimität bestimmt. In der bildenden Kunst ist dies zum ersten Mal der Fall, als die Künstler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen die staatlich organisierten Salons den salon des réfusés organisieren und damit in Konkurrenz zur Akademie treten (Bourdieu 2001a [1992], 216). Bei Baudelaire zeigt sich dies innerhalb der literarischen Feldes etwa zur gleichen Zeit, als er sogar die Hilfe des literarischen Salons angesichts des juristischen Prozesses um die Fleurs du Mal ablehnte, aber gleichwohl die Dominierung durch den ökonomischen Markt brechen konnte, da sein Verleger den Gedichtband in Anerkennung seines kulturellen Wertes trotz der sicheren Erwartung eines ökonomischen Misserfolgs vertrieb. Ein solches Ereignis indiziert (z. B. gegenüber der Generation der Goethezeit) die Zunahme einer Autonomie des kulturellen Feldes, da der symbolische Wert eines Werkes die Gesetze der Distribution eines ökonomisch bestimmten Marktes in gleichzeitiger Opposition zur staatlichen Legitimation einer rechtlich gesicherten Akademie zu dominieren beginnt. Wendet man hier ein, dass doch eine interesselose Haltung des avantgardistischen Künstlers [vgl. den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten] gegenüber dem ökonomischen Markt heutzutage erledigt ist, indem man z. B. Andy Warhol
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oder Damien Hirst anführt, dann wird vergessen, dass Warhol mit den Brillo Boxes zwar zum ersten Mal bekannt und anerkannt wurde, dabei aber weniger Geld verdiente als in seiner Funktion als Designer in einem Schuhgeschäft der Fifth Avenue. Wenn also aktuelle Autoren keinesfalls ihre habituelle Interesselosigkeit gegenüber dem ökonomischen Markt aufgeben, sofern sie über den Pol der symbolischen Produktion Legitimität zu erringen versuchen, bedeutet dies jedoch ebenso wenig, dass sich umgekehrt innovative Autorschaft nur dadurch auszeichnet, dass sie ihre symbolische Anerkennung niemals in ökonomischen Gewinn verwandeln kann oder auf immer verfemt und erfolglos bleibt. Dieses populistische Missverständnis (Wuggenig 2011, 13–14) der polaren Struktur des Feldes findet man oft in der Kritik an Bourdieus Feldtheorie als vertrete er eine romantisierende Theorie des ebenso verfemten wie armen Poeten eines l’art pour l’art. Entscheidend ist vielmehr die Laufbahn eines Autors und zwar a) wann er im Verhältnis zu anderen Künstlern und einer kleinen Expertengruppe an Galeristen (hier der Pop Art) zuerst als innovativ anerkannt ist und b) wie lange er zudem dann für seine erweiterte Anerkennung durch Museen und öffentliche (nicht kunstspezifische) Presse braucht [vgl. den Artikel Pop-Autoren]. Die Tatsache, dass Warhol anders als Baudelaire zu Lebzeiten zu einem der reichsten Künstler werden konnte, besagt ‚lediglichʻ, dass die Gesamtlage des künstlerischen Feldes im sozialen Raum eine andere ist als zur Zeit Baudelaires (etwa aufgrund einer anderen Medienpräsenz im Feld der Macht) (Bourdieu 2001a [1992], 533). Die Medien konsekrieren hier nicht den Autor, wie irrtümlich unter Missachtung des habituellen Verlaufs behauptet wurde (Zahner 2009, 296–308), sondern verschnellerten nur die schon lange vor Warhol einsetzende Konsekration der Pop Art durch zu dieser Zeit im Feld homologe kleinere avantgardistische Galerien und Experten. So richtete Leo Castelli eigens für Pop Art Künstler eine kleine Galerie in seinem Wohnzimmer ein, um dieser neuen Generation an Künstlern Ausstellungsmöglichkeiten und einen Treffpunkt für Diskussionen zu geben. Castelli war dafür bekannt, zeitgenössische Avantgarden zu entdecken und zu fördern. Damit erhielten die Künstler der Pop Art eine erste, genuin kunstspezifische Legitimation, lange bevor die Presse auf Warhols Brillo Boxes aufmerksam wurde. Von den Pop Art Künstlern war zudem Warhol der letzte, welcher durch den Skandal der Brillo Boxes schließlich dann erst auch im common sense der Medien zur Bekanntheit kam [vgl. auch den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten]. Mit der zunehmenden Autonomie ändern sich auch die kulturellen Hierarchien der Felder im gesamten sozialen Raum untereinander, auch wenn es bestimmte Positionen gibt, die sich in einer longue durée gleichsam erhalten haben. So haben Literatur und Theater im Feld der Macht schon immer die höchste Position in den Hierarchien der institutionell kanonisierten Legitimität erhalten, und zwar aufgrund der Legitimierungsfunktion von Schrift- qua Reprä-
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sentationskompetenz am Hof. Ihre Aneignung war der Aristokratie vorbehalten, und auch heute ist sie für die politische Klasse im Feld der Macht nach wie vor für die mediale Repräsentation bedeutsam, was sich an der hohen schulischen Bewertung von Literatur für den Erwerb kulturellen Kapitals deutlich zeigen lässt (Bourdieu 1982 [1979]), 36–38). Darauf folgt eine mittlere Ebene des art moyen, für den es im Deutschen keinen Begriff gibt, der meist mit ‚Kunst auf dem Weg zur Legitimation‘ übersetzt wird. Als Beispiel können hier Fotografie, Comics und etwa Jazz genannt werden, die erst zögerlich oder nur am Rande in den Schulen gelehrt werden, aber schon längst auch ein intellektuelles Publikum und Diskurse gefunden haben, und schließlich eine dritte Ebene, die – wie Möbel, Kleidung oder Essen – offensichtlich durch die Praktiken und Diskurse des Designs bestimmt sind. Die Legitimationskraft einer vom symbolischen Pol ausgehenden Differenzierung wird stets vom Konflikt zwischen Newcomern und einer schon allgemein im Feld legitimierte ‚Avantgarde‘ bestimmt. Bourdieu beschreibt diesen Kampf in Anlehnung an Max Webers Religionssoziologie als strukturellen Dauerstreit zwischen Generationen homolog zum Streit zwischen orthodoxen Priestern und häretischen Propheten: Die Vertreter der institutionellen oder auch medial anerkannten Legitimität können als Priester beschrieben werden, die das Bestehende verteidigen, um die Newcomer oft dann als ‚Schmierfinkenʻ, ‚Laien‘, ‚blutige Anfängerʻ usf. zu diskriminieren, während sich die avantgardistischen Positionen als prophetische underdogs sehen, welche die Schwerfälligkeit der institutionellen Organisation und ihrer versteinerten Sichtweise aufzusprengen versuchen (Bourdieu 1998 [1994], 64–66) Anders als für Bürger ist daher für Bourdieu insbesondere Literatur keine Institution, zumal der Zugang zum literarischen Feld gemessen an Naturwissenschaft, Philosophie oder etwa Jurisprudenz nur schwach durch rechtlich-codifizierte Institutionen geregelt ist und der Begriff der Literatur als Institution diesen relationalen Unterschied innerhalb der vom Feld der Macht abgesicherten Hierarchie kultureller Legitimation gerade verschleiern würde (Bourdieu 2001a [1992], 365, Anm. 22). Das Feld der Macht ist im modernen entwickelten Kapitalismus nicht mehr der Staat, der selbst darin nur eine dominierte Position einnimmt, sondern die Position im sozialen Raum, welche die Differenzierung der spezifischen Felder kultureller Produktion stets in die Form einer Hierarchie der Legitimität dieser Felder im sozialen Raum zu binden vermag (Bourdieu 2001a [1992], 342). Die Medienindustrie ist z. B. heutzutage ein zunehmender Faktor der Legitimität im Feld der Macht. Eine Institution stellt also nur eine bestimmte soziale Position im literarischen Feld dar – und zwar diejenige, die das staatlich, durch rechtliche Codifizierung garantierte Monopol auf kulturell anerkanntes Kapital (in Form des Kanons und
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als prüfungsrelevantes kulturelles Kapital) sichert. So ist etwa das Wissen von DJs kein staatlich anerkanntes Kapital und daher nur beschränkt für Karrieren außerhalb des Feldes einsetzbar (Becker 2017, 137–140). Allerdings finden die dynamischsten Änderungen bezüglich der Legitimationshierarchie kultureller Felder seit den 1960er Jahren im art moyen statt, da in dieser Position die mediale Legitimation durch Presse und Journalismus im Feld der Macht dominiert, welche aufgrund ihrer stärker durch Konkurrenz des ökonomischen Marktes geprägten Struktur keine monopole Prüfungsinstanz ausbilden kann wie eine staatliche Institution (Bourdieu 2006 [1965], 106).
4 Sozioanalyse der Autorschaft Auch wenn Bourdieu selbst intellektuelle Allodoxien nicht analysiert hat, können sie nur mit der methodischen Vorkehrung vermieden werden, die er Sozioanalyse nennt. Wiewohl die Sozioanalyse als Selbstreflexion des wissenschaftlichen Beobachters von wissenschaftlicher Autorschaft im Homo academicus als Instrument der Reflexivität prominent eingeführt wurde, ist sie zunächst vornehmlich in philologischen Disziplinen angekommen, weil sie auch für die Analyse von Formgebungsprozessen des (literarischen) Autors eine große Rolle spielt (Bourdieu 1987; Wolf 2011). Sozioanalyse ist zunächst ein selbstkritisches Konzept für den wissenschaftlichen Autor der feldanalytischen Beobachtung (Bourdieu und Wacquant 1996 [1992], 95–123). Reflexivität wird neu so verstanden, dass der Beobachter sich immer in seiner Machtposition relational zu den Beobachteten reflektieren muss. Daher lehnt Bourdieu den in der Methode der Ethnologie gängigen Begriff einer teilnehmenden Beobachtung als Feldintuitionismus (Bourdieu und Wacquant 1996 [1992], 98, 287–294) ab. Er ersetzt dies durch den Begriff „selbstobjektivierender Teilnahme“. Der Begriff der Sozioanalyse spielt indes auch eine sehr wichtige Rolle für das Verständnis von Innovationsprozessen im Feld künstlerischer Produktion: In diesem Punkt deckt sich Bourdieus Feldtheorie mit einem frühen Ansatz Foucaults im Das Denken des Außen (Foucault 2001b [1966], 673). Selbstobjektivierende Reflexivität geht dann nämlich nicht etwa von subjektiver Reflexivität des cogito aus, sondern wird wie bei Foucault als Selbstbezüglichkeit der Sprache in der Literatur verstanden, die sich gegen das introspektive cogito richtet. In der modernen Literatur komme Sprache durch ihre Selbstbezüglichkeit zu ihrem Sein (Foucault 1974 [1966], 74–77), das zunehmend in Opposition zur Subjektivität des Autors trete. Wie bei Bourdieu wird literarischer Autorschaft in der Moderne eine genuin kritische und objektivierende Reflexivität zugesprochen, die nicht nur
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nicht mit subjektiver Reflexivität zu verwechseln ist, sondern dieser zunehmend kritisch gegenübersteht (wie z. B. in der écriture automatique der Surréalisten, die den Wert der subjektiven Kreativität verachteten). Allerdings hat Foucault diese frühe Theorie literarischer Autorschaft nie mit seinen später wegweisenden machtanalytischen Konzeptionen weiter ausgearbeitet. Im Sinne einer Kritik an einem ‚philologistischen‘ Verständnis von Autorschaft sieht Bourdieu diese das Subjekt objektivierende Reflexivität allerdings nicht allein durch die mögliche Autoreferenzialität der Sprache gegeben, sondern durch eine Reflexivität der Produktionsbedingungen für Autorschaft; diese Reflexivität stellt den modus operandi zur Formgebung in allen Künsten dar. Analog zur Aufgabe der sozialwissenschaftlichen Objektivierung, die stets dieselbe Methode auf sich anwenden muss, die sie auf die Beobachteten anwendet, wird dies in der Feldsoziologie dann auch als eine künstlerische Sozioanalyse bezeichnet, weil hier der Autor sich versteht, wie er vom wertproduzierenden Feld (als Fetisch) hervorgebracht wird. Ein Beispiel dieses Vorgehens benennt Bourdieu in der Entstehung der Ready-mades bei Duchamp, bei dem nicht das einzelne Produkt allein eine Rolle spielt, sondern die Anreizung von Diskursen zur Kunst, die damit die praktische Anerkennungsstruktur eines kollektiven Glaubens an die Kunst sichtbar macht (Bourdieu 2001a [1992], 479; Wetzel 2011, 36–44; Wetzel 2020, 226–235) [vgl. den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten]. Künstlerische Form wird somit nicht mehr ausschließlich als morphologische Gestalt oder Schreibstil verstanden, sondern als objektivierende Reflexivität einer Autorschaft zunehmend sich entgrenzender und hybrider Kunstproduktionen (wie etwa bei Happenings, der Aktionskunst oder der Konzeptkunst).
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Ingo Stöckmann
IV.1.2 Systemtheorie 1 Theorie ohne Autor? Soweit Autoren traditionell als Subjekte, Aktanten oder ‚Menschen‘ gedacht werden, besitzt die Systemtheorie keinen theoretischen Ort für den Autor. Diese analytische Beschränkung hat zwei Gründe: Zum einen setzt die Systemtheorie weder ‚den Menschen‘ noch ‚die Gesellschaft‘ als Grundbegriffe voraus. Systemtheoretische Analysen finden ihren Rückhalt vielmehr in der evolutionären Unwahrscheinlichkeit sozialer Ordnungen und in der Frage nach der wechselseitigen Beobachtung und Irritabilität operativ geschlossener Funktionssysteme. Insofern verzichtet die Theorie in einer Wendung gegen die subjekt- und bewusstseinsphilosophische Tradition auf alle quasi-transzendentalen Annahmen einer kommunikativen Vernunft, die Subjekte zwanglos in Verständigungsprozesse eintreten ließe, die regulativ auf Konsens zielen, aber Dissens nicht ausschließen können. Transzendentalen Rang besitzen in der Systemtheorie nicht mehr die sozialregulativen Versprechen der rationalen Subjektivität, sondern die Kontingenz an sich selbst Halt findender sozialer Strukturen und Prozesse. Zum anderen unterscheidet die Systemtheorie strikt zwischen sozialen (Kommunikation), psychischen (Bewusstsein) und biologischen (Körper) Systemen. Zwar operiert das Bewusstsein – ähnlich wie lebende und soziale Systeme – auf der autopoietischen Grundlage selbsterzeugter und sich selbst reproduzierender Elemente, aber gerade weil der Mensch aus den operativ verschiedenen Systemen des Lebens und des Bewusstseins besteht, gibt es an ihm keine übergreifende autopoietische Einheit, die es rechtfertigte, den Menschen als letztbegründende Instanz des Sozialen anzusetzen (Luhmann 32008b, 38–54). Vielmehr bilden aus der Perspektive der funktional differenzierten Gesellschaft und ihrer unterschiedlichen Funktionssysteme (Recht, Wissenschaft, Politik, Kunst, Wirtschaft) allein Kommunikationen, nicht aber Menschen oder Subjekte, die basalen Elemente ihrer Operativität. Zwar kann über Menschen oder Subjekte gesprochen und kommuniziert werden – dann erscheinen sie als Thema bzw. Semantik der Kommunikation –, aber Subjekte selbst kommunizieren, anders als Kommunikationssysteme, nicht. Ebenfalls in scharfer Absetzung von der bewusstseinsphilosophischen Tradition bedeutet das, dass Bewusstseinsereignisse – Intentionen, Vorstellungen, Gedanken – nicht an sich bereits Elemente von Kommunikationsprozessen sind. Zwischen Bewusstsein und Kommunikation vermittelt kein hermeneutisches Kontinuum, sondern eine „strukturelle Kopplung“ (Luhmann 3 2008b, 51) unterschiedlicher und operativ nicht integrierbarer Systemtypen. https://doi.org/10.1515/9783110297065-021
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Gleichwohl hält Luhmanns Systemtheorie unterschiedliche Möglichkeiten bereit, das Subjekt und damit auch Rollenmuster wie den Autor zu thematisieren. 1. Als Letzteinheit der Funktionssysteme bildet Kommunikation eine dreistellige Selektion aus Mitteilung, Information und Verstehen (Luhmann 1984, 193–201). Während die Information als das ‚Was‘ der Kommunikation ein Produkt der Auswahl aus auch anderen Informationsgesichtspunkten darstellt und die Mitteilung das ‚Wie‘ der Kommunikation als Selektion aus unterschiedlichen Modalitäten der Übertragung einer Information fasst, synthetisiert das Verstehen die Differenz von Mitteilung und Information und entscheidet damit über die Fortsetzung der Kommunikation. Verstehen bildet in Distanz zu einer bewusstseinstheoretisch fundierten Hermeneutik insofern keine Annäherung an einen in der Intentionalität eines Subjekts finalisierten Aussagesinn (insofern gibt es auch kein gelingendes oder misslingendes Verstehen), sondern wählt eine Relationierung von Information und Mitteilung aus auch anderen Möglichkeiten ihres Verstehens aus und reduziert damit die Vielzahl möglicher Anschlüsse auf nur einen kommunikativen Gesichtspunkt [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik]. Erst aus der Anschlusskommunikation geht insofern hervor, was und in welcher Weise ‚verstanden‘ wurde. Üblicherweise aber reduzieren Systemkommunikationen ihre Komplexität, indem sie als Handlungssysteme den Mitteilungsaspekt als Handlungsfokus der Kommunikation hervorheben und ‚Personen‘ zurechnen (Luhmann 1984, 191– 241). Dieses Attributionsgeschehen ist nicht in einem handlungssoziologischen Sinne zu denken, wie ihn etwa noch die ältere Systemtheorie Talcott Parsons vor Augen hatte (Parsons 1976, 121). Auch verweist es, ähnlich wie der verwandte Begriff der ‚Rolle‘, auf kein individuelles psychisches Substrat, sondern meint einen in Eigennamen lokalisierbaren Identifikationspunkt der Kommunikation. Gerade weil die Komplexität von Kommunikation reduziert wird, kann sie als Handlungsaspekt, d. h. als Handeln und Verhalten, einer Person gefasst werden. Faktisch handelt es sich aber um eine Zurechnung – um das Produkt einer Beschreibung –, die der Kommunikation in der Form der „Person“ (vgl. Luhmann 3 2008a, 137–148) eine Adresse gibt und sie insofern sekundär mit rollenspezifischer Erwartungssicherheit ausstattet. Der Autor ist eine Person in diesem Sinne: eine zum Kommunikationsprozess deskriptiv hinzutretende Adressierungsrolle, die die Kommunikation kontrafaktisch mit Absichten, Intentionen, psychischen Komplexen etc. ausstattet, ohne dass aber Bewusstseinsprozesse unmittelbar in der Kommunikation anwesend wären. Systemtheoretisch betrachtet gibt es den Autor insofern nur als soziales Produkt einer die Selektivität der Kommunikation vereinfachenden Adresse, die auf die Regeln und Positionen hin beschrieben werden kann, nach der die Person ‚Autor‘ ihre Rollenaspekte ausführt.
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2. Als Theorie der funktional differenzierten Gesellschaft hat die Systemtheorie auch die sich verändernden Inklusionsbedingungen für Personen im Blick. Den Zäsuren ihrer historischen Periodisierung gemäß vollzieht sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts ein gesamtgesellschaftlicher Ausdifferenzierungsprozess, der unter Freisetzung der modernen Funktionssysteme die alteuropäische, d. h. auf dem Prinzip der sozialen Schichtung (Stratifikation) beruhende Gesellschaft auflöst (Luhmann 1980). War das Individuum unter den Bedingungen der stratifizierten Gesellschaft Alteuropas als Gesamtperson in die Gesellschaft inkludiert und gehörte insofern einem (und nur einem) sozialen Teilsystem an, transformiert die moderne Systemdifferenzierung das Individuum in eine „Exklusionsindividualität“ (Luhmann 1989, 160), die ihren Zugang zu den Sozialsystemen fortan selbst organisieren muss. In der Konsequenz erscheint es als Adresse für die Summe der heterogenen Inklusionserwartungen, die die Funktionssysteme an das Individuum richten. Wissenssoziologisch gesehen markiert dieser Umbau des sozialen Differenzierungstyps den Beginn der modernen Individualitätssemantik. Sie muss als Reflexionsform verstanden werden, in der das Individuum seiner neuartigen sozialen Unterbestimmtheit Ausdruck gibt und seine Differenz zur Gesellschaft einerseits als Nicht-Zugehörigkeit und ‚Einzigartigkeit‘ dramatisieren bzw. steigern, andererseits als Grund seiner Freiheit und selbstreferentiellen Bestimmbarkeit ausarbeiten kann. In diesem soziostrukturellen Kontext entstehen um 1800 Autorschaftssemantiken, die in unterschiedlicher Weise das Problem der Exklusionsindividualität und der sozialen Unterbestimmtheit aufgreifen: Das Genie [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft], indem es als sozialexkludierte und potenzierte Individualität fortwährend die paradoxe Erfahrung kommuniziert, dass es in den symbolischen Ordnungen (Schrift, Zeichen, ‚Werke‘) nicht kommunizieren kann, weil sich seine Individualität in ihnen verfehlt (vgl. Plumpe 1995, 80–84) und sie stattdessen ein Essentielles ‚hinter‘ der Schrift verbergen muss (vgl. Reinfandt 2003, 180–204); der Projektmacher, indem er die neuartige Unbestimmtheit seiner Person und den Verlust ständischer Inklusionssicherheiten (Lebenslauf) als Temporalität immer neuer und kurzfristiger ästhetischer Projekte entfaltet, die das eigene Leben als Sequenz episodischer, in ihren selbst- und fremdselektiven Folgen aber irreversibler Handlungsentscheidungen perspektivieren (Stanitzek 1987, 1998). Vor allem am Beispiel des Genies wird allerdings sichtbar, dass das Literatursystem seine paradoxale Fundierung in der Leitdifferenz von Individuum und Gesellschaft fallen lässt und – wie die reife romantische Poetik um 1800 (Novalis, Friedrich Schlegel) zeigt – Systemkommunikationen fortan auf die Reproduktivität der Kommunikation selbst gründet. Dass, wie es bei Novalis oder August Wilhelm Schlegel heißt, „Poesie […] Poesie“ (Novalis 1962, 685) bzw. „alle Poesie Poesie der Poesie sey“ (Schlegel 1989, 388), belegt, dass sich die Selbst-
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begründung des Literatursystems um 1800 von der sozial inkommensurablen Individualität des Autorsubjekts hin zu einer Tautologie autopoietischer Selbstreproduktion verschoben hat (Plumpe 1990). Ein Nachleben führt das Genie in der Erzählsemantik des ‚Künstlers ohne Werk‘, der den tiefgreifenden Verdacht gegenüber den symbolischen Ordnungen als Primat einer genialen, aber in Werken nicht mitteilbaren ‚Konzeption‘ hypostasiert (Pontzen 2000). „Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich“, heißt es in Goethes Werther, „und bin nie ein größerer Maler gewesen als in diesen Augenblicken“ (Goethe 111991 [1774], 9). Im Gefolge solcher paradoxalen Entwicklungen gibt die Systemtheorie die letztlich aus der ästhetischen Semantik selbst stammende Beschreibung auf, nach der Autoren Schöpfer von Werken sind, und ersetzt sie durch die Figur der operationalen Geschlossenheit von Systemkommunikationen. Indem es Funktionsrollen wie Autoren (Künstler) und Leser ausdifferenziert, in der ästhetischen Semantik programmiert und ihnen soziale Handlungserwartungen attribuiert, vervollständigt das Literatursystem seine Selbstbeschreibung als autonomen Systemzusammenhang bzw. rekonstruiert den Stand der Differenzierung anderer sozialer Funktionssysteme (Corti 1999). 3. Seit der in den 1990er Jahren vollzogenen Umorientierung der Systemtheorie auf eine allgemeine Theorie der Beobachtung stellen Autoren und Künstler [vgl, den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten] nur mehr „Verdichtungsbegriffe“ dar. Ähnlich wie die Form der Person besitzt der „Kondensatbegriff“ (Kampmann 2011) ‚Autor‘ (analog: ‚Beobachter‘, ‚Betrachter‘, ‚Künstler‘, ‚Kunstwerk‘) eine „Strukturfunktion“ für den „Prozess der Autopoiesis von Kunst“, indem er „Erwartungen“ bündelt, ohne dass aber „jeweils das psychische Substrat, das Leben, das Bewusstsein“ des Autors oder „die Gesamtheit“ der zwischen diesen Systemtypen möglichen „strukturellen Kopplungen“ gemeint wäre: „Sicher kann man […] über Künstler oder über Kunstwerke als materielle Artefakte sprechen […]. Das hieße aber, der Beschreibung eine jeweils andere Systemreferenz zu Grunde zu legen bzw. die Systemreferenzen der Beschreibung ständig zu wechseln“ (Luhmann 1995, 88). Beobachtungslogisch bedeutet Beobachten: unterscheiden und bezeichnen. Indem jede Beobachtung als Treffen einer Unterscheidung gedacht ist, erzeugt sie eine Grenze, von der aus eine der beiden entstandenen Seiten bezeichnet (markiert) wird, während die andere unbezeichnet (unmarkiert) bleibt. Im Modus der Beobachtung zweiter Ordnung rückt das, was die Beobachtung erster Ordnung nicht sehen konnte – die eigene Unterscheidung –, in den Blick und rekonstruiert damit die Modalität, mit der ein System eine Umwelt strukturiert; die Beobachtung zweiter Ordnung macht also den blinden Fleck der Beobachtung sichtbar, reproduziert aber diesen blinden Fleck, indem sie eine für sie selbst nicht transparente Unterscheidung verwendet.
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Autoren fungieren vor diesem Hintergrund als Beobachter erster Ordnung. Sie unterscheiden zunächst das ‚Was‘ der Beobachtung – das Werk – als ein Sachobjekt von anderen Sachobjekten und treffen dann Serien von Unterscheidungen im Hinblick auf das Werkobjekt. Insofern verengen sie im Prozess des Unterscheidens und Bezeichnens fortwährend den Selektionsspielraum, der dem Werk bleibt, das seinerseits als Summe der formalen Festlegungen, die in das Werk eingearbeitet worden sind, sichtbar wird (Kampmann 2006, 84–85). In gewisser Weise operationalisiert der Autor die Überführung der Kontingenz der Entstehung eines Werks in die wachsende Notwendigkeit seiner formalen Rekursionen und Selbstfestlegungen. Auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung rückt dagegen das ‚Wie‘ der Beobachtung in den Mittelpunkt; der Sach- und Differenzaspekt, mit der die Beobachtung erster Ordnung als Bestimmung eines materialen Artefakts aus dem Feld auch anderer dinglicher Objekte begonnen hatte, tritt zurück, so dass die Formentscheidungen, also das Spiel selektiven Unterscheidens und Bezeichnens, rekonstruierbar wird. Auch diese von Luhmann im Unterschied zur „Objektkunst“ „Weltkunst“ (Luhmann 1990) genannte Modalität macht nochmals deutlich, dass der Autor nur Produkt einer Zurechnung (Allokation) ist, das einen Beobachter zweiter Ordnung impliziert, um Formentscheidungen als Unterstellung einer „Herstellungsabsicht“ zurechnen zu können [vgl. den Artikel Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion]. „Oft greift man zur Erklärung auf eine Herstellungsabsicht des Künstlers zurück, aber das […] bleibt eine tautologische Erklärung“ (Luhmann 1995, 112). Theoretisch sind damit beide Seiten – Autor wie Betrachter – im Begriff der Beobachtung integriert, so dass beide nur als Kondensate für den Nachvollzug von formalen Operationen und selektiven Festlegungen gedacht werden: „Beide Beobachter finden sich im Modus des Beobachtens zweiter Ordnung integriert. Beide finden sich aufgefordert, ans Werk zu gehen“ (Luhmann 1995, 123).
2 Der Autor in der systemtheoretischen Literaturwissenschaft Man kann in dieser Akzentuierung des Formbegriffs unschwer eine weitere Marginalisierung des Autorsubjekts ausmachen, die dessen poststrukturalistischer Infragestellung (Roland Barthes, Jacques Derrida) nochmals eine andere Wendung gibt. Luhmanns Kunstsoziologie schwächt die Souveränität des Autors im Zeichen eines Formbegriffs, der den Autor nicht benötigt und lediglich als Allokationskonvention theoretisch akzeptiert. Die Literaturwissenschaft hat aus diesen Einschränkungen die Konsequenz gezogen, die Frage nach dem Autor im Kontext einer ‚polykontexturalen‘ Theorie
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zu stellen (Plumpe und Werber 1995). Polykontexturalität besagt, dass die Gesamtgesellschaft nur als Summe der je unterschiedlich codierten Systemreferenzen zu rekonstruieren ist, ohne dass es, wie noch unter alteuropäischen Bedingungen, ein symbolisches Zentrum gäbe, vom dem aus die Gesellschaft alternativlos beschreibbar wäre. Polykontextural ist eine Welt, in der Systeme als Beobachter zweiter Ordnung in die Kontextur auch anderer systemrelativer Beobachtungen und Beschreibungen zurücktreten, d. h. auch andere Zugänge zu Rationalität und für Beobachtung zweiter Ordnung hinnehmen müssen, mit der auf immer andere Weise die Einheit der Differenz von System und Umwelt im System reflektiert wird: als unhintergehbare Perspektivität allen Beobachtens und Beschreibens. Im Unterschied zu angestammten literaturwissenschaftlichen Traditionen besitzt der Autor damit kein quasi-natürliches Primat in Literatur, Ästhetik oder Kunstwissenschaft. Schon Michel Foucaults Hinweis auf die Entstehung der Autorfunktion im Rechtssystem des 18. Jahrhunderts und seine ‚eigentümliche‘ Begründung im Begriff der individualisierten (Werk-)Form deutet in diese Richtung (Foucault 1969; Plumpe 1979). Vielmehr ist die Analyse darauf verpflichtet, den Autor im Literatursystem und zugleich in den Beobachtungen seiner Umwelt, also in der Summe seiner je systemspezifischen Adressierungen und Funktionen, in den Blick zu nehmen. So erscheint der Autor bspw. als Realursprung eigentümlicher Rechte im Rechtssystem, als Zurechnungsgesichtspunkt bzw. Akteur ökonomischer Entscheidungen im Wirtschaftssystem, als Träger ‚legitimer‘, ‚kritischer‘ oder ‚subversiver‘ Meinungen im politischen System oder als theoretisches Objekt im Wissenschaftssystem (Werber und Stöckmann 1997). Das schließt die Regeln, nach denen sich wissenschaftliche Autoren Geltung im Wissenschaftssystem verschaffen, ausdrücklich mit ein (Steiner 2009, 57–92), ebenso wie die rituellen und inszenatorischen Beglaubigungs- und Autorisierungsmechanismen politischer und religiöser Autorschaftsmodelle (Schaffrick 2014, 69–78). Entsprechend behandelt die Systemtheorie literaturwissenschaftliche Theorien des Autors – von der Hermeneutik über die lange Zeit forschungsleitende Sozialgeschichte bis zu Diskursanalyse und Dekonstruktion – als gleichgültige Theorieprogramme, die als Beobachtung desselben wissenschaftlichen Objekts miteinander konkurrieren. In einem polykontexturalen Theoriezusammenhang erscheinen bspw. Foucaults Überlegungen zur Diskursfunktion ‚Autor‘ lediglich als Entfaltung eines diskursanalytischen Forschungsprogramms, das mit anderen Forschungsprogrammen zu rechnen und insofern das „Opfer der Selbst-Desinteressierung zu erbringen“ (Luhmann 1992, 85) hat. Ähnliches gilt für die Debatten um den ‚Tod‘ oder die ‚Rückkehr‘ des Autors (Jannidis et al. 1999), in denen nur der Dissens konkurrierender Wissenschaftsprogramme bzw. die Perspektivität thematischer Beiträge zur wissenschaftlichen Kommunikation zum Ausdruck kommt, nicht aber eine grundlagentheoretische Fundierung der
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Literaturwissenschaft, die das Ergebnisspektrum möglicher Analysen von vornherein beschränkte. Zu den Möglichkeiten einer systemtheoretischen Literaturwissenschaft gehört schließlich eine ‚Programmgeschichte‘ von Literatur, die die Entstehung und Transformation von epochal leitenden Selektionsanweisungen rekonstruiert. Analog zur Leitdifferenz von System und Umwelt stehen dem Literatursystem der Moderne, d. h. seit der Ausdifferenzierung der Literatur im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, nur fünf grundsätzliche Möglichkeiten zur Verfügung (Plumpe 1995): erstens die epochale Reflexion der Differenz von System und Umwelt im Literatursystem („Romantik“), zweitens eine im 19. Jahrhundert breite Orientierung an „Umweltreferenz“ („Realismus“), drittens eine komplementäre Orientierung an „Systemreferenz“ („Ästhetizismus“), viertens die Re-Thematisierung der Differenz von System und Umwelt in der Perspektive ihrer kulturrevolutionären „Entdifferenzierung“ („Avantgarde“), fünftens schließlich eine nachavantgardistische Konstellation, die die historischen Strukturmöglichkeiten einerseits in einen Zustand vollständiger Ausdifferenzierung und freier operativer Verfügbarkeit, andererseits in einen großangelegten Rekombinationsmodus („Postismus“) und ‚postmoderne‘ Verfahren der Imitation, der Bricolage, des Pastiche und des Simulakrums (Baudrillard 1978) eintreten lässt. Eine solche Geschichte historisch variabler Programme nimmt nicht länger an, dass der Autor Urheber und Sinnzentrum literarischer Kommunikation, sondern vielmehr das Produkt historisch spezifischer Positionen und Funktionen ist, die der Autor relativ zur Programmierung literarischer Kommunikation einnimmt. Konsequenz ist ein Spektrum an literaturinternen Autorfunktionen, die in Vormoderne und Moderne ausgebildet und in unterschiedlichen System-Umwelt-Konstellationen aktualisiert wurden. Forschungsgeschichtlich erscheint eine solche Programmgeschichte literarischer Autorfunktionen insofern als Desiderat, als in ihnen historisch variable Autorisierungsregeln und scripts verborgen sind, die analytisch zu rekonstruieren wären und die sie an die Seite der entsprechenden diskursanalytischen Fragen nach den Autorisierungs-, Verknappungs- und Zurechnungsprozeduren der modernen Autorfunktion stellen (Kray und Städtke 2003).
Verwendete Literatur Baudrillard, Jean (1978). „Die Präzession der Simulakra“. Agonie des Realen. Übers. von Lothar Kurzawa und Volker Schaefer. Berlin: 7–69. Corti, Alessandra (1999). Die gesellschaftliche Konstruktion von Autorschaft. Wiesbaden. Foucault, Michel (2003 [1969]). „Was ist ein Autor?“. Schriften zur Literatur. Übers. von Hermann Kocyba. Hrsg. von Daniel Defert und François Ewald. Frankfurt/Main: 234–270.
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Werber, Niels und Ingo Stöckmann (1997). „Das ist ein Autor. Eine polykontexturale Wiederauferstehung“. Systemtheorie und Hermeneutik. Hrsg. von Henk de Berg und Matthias Prangel. Tübingen, Basel: 233–262.
Weiterführende Literatur Bosse, Heinrich (2014 [1981]). Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit. Paderborn. Hartling, Florian (2009). Der digitale Autor. Autorschaft im Zeichen des Internets. Bielefeld. Hellmold, Martin, Sabine Kampmann, Ralph Lindner, Katharina Sykora (Hrsg.) (2003). Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst. München. Jahraus, Oliver, Armin Nassehi, Mario Grizelj, Irmhild Saake, Christian Kirchmeier, Julian Müller (Hrsg.) (2012). Luhmann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart. Plumpe, Gerhard (2003). „Der Autor im Netz. Urheberrechtsprobleme neuer Medien in historischer Sicht“. Spielräume des auktorialen Diskurses. Hrsg. von Klaus Städtke und Ralph Kray. Berlin: 177–194. Schaffrick, Matthias und Marcus Willand (Hrsg.) (2014). Theorien und Praktiken der Autorschaft. Berlin.
IV.2 Kunsttheorien
Sabine Kampmann
IV.2.1 Autorschaft in den Bildkünsten Forschungen über bildende Künstlerinnen und Künstler in Kunstgeschichte, Geschlechterforschung und Kunst Der Begriff der Autorschaft besitzt in Bezug auf die Bildkünste eine verhältnismäßig kurze Karriere. Seit etwa zwanzig Jahren erscheint er oftmals dann in wissenschaftlichen Studien, wenn es darum geht, eine kritische Distanz zu verbreiteten Konzepten des Künstlersubjekts zu markieren (Wenk und HoffmannCurtius 1997). Die in den 1960er Jahren einsetzenden poststrukturalistischen Infragestellungen des Autors in der Literaturwissenschaft (Barthes 2006 [1968]; Foucault 2003 [1969]), die den schreibenden Künstler in den Fokus nahmen, hatten zunächst wenig Auswirkungen auf kunstwissenschaftliche Fachdebatten über die Urheber von Werken der bildenden Künste. Auch wenn die Diskurse um den vermeintlichen Tod des Autors, dessen Konzeptualisierung als diskursives Konstrukt und Funktionsrolle zeitverzögert auf bildkünstlerische Autorschaft angewandt wurden, so gab es doch parallele Entwicklungen, die die Spezifika bildkünstlerischer Autorschaft und deren Geschichte zu berücksichtigen suchten (vgl. Heinich 1996, Hellmold et al. 2003, Caduff und Wälchli 2007) und sogar parallel zur Verkündung einer Rückkehr des Autors von einer Wiederkehr des Künstlers sprachen (Kampmann 2006, 8; Fastert et al. 2011). Reflexionen der Autorschaft bildender Künstlerinnen und Künstler haben drei verschiedene Ursprünge. Erstens den akademischen Diskurs der Kunstgeschichte. In diesem Kontext wird Künstlerforschung betrieben, die sowohl sozialhistorische Rahmenbedingungen in den Blick nimmt als auch in den Kunstwerken zum Ausdruck kommende Künstlerbilder untersucht, die oftmals als Künstlerselbstinszenierung im Sinne einer konzeptuellen Performanz des „Auftritts als Künstler“ (von Bismarck 2010) oder wie im Beispiel des Films von Clouzot über und mit Picasso – als „Selbstinszenierung des Maler-Autors“ (Thürlemann 1991, 174) in einem anderen Medium beschrieben werden. Zentral sind in diesem diskursiven Feld darüber hinaus die Begriffe des ‚Künstlermythosʻ und der ‚Künstlerlegendeʻ (Kris und Kurz 1934), mit denen der diskursive Charakter bildkünstlerischer Autorschaft beschrieben und analysiert werden soll (Ruppert 2018). Zum Zweiten sind Impulse aus der kunsthistorischen Geschlechterforschung zu nennen, die sich verstärkt seit den 1980er Jahren als kritische Gegenbewegung zur akademischen Kunstgeschichte etablierte. (Frübis 2000; Zimmermann 2006) Aus zunächst feministischer Perspektive, die schließlich um die Kategorien Geschlecht beziehungsweise Gender erweitert wurde, wird hier nach den https://doi.org/10.1515/9783110297065-023
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Gründen für die Unterrepräsentanz von Frauen in Kunst- und Kulturbetrieb gesucht, die geschlechtsspezifische Rollenverteilung im Kunstsystem analysiert, der Diskurs über die (doppelte) Marginalisierung der Frau in der Kunst etabliert und die Herausbildung der Figur des ‚Autor-Künstlersʻ (Wetzel 2020) entlang der männlichen Subjektposition als Machtfigur erforscht (Wenk 1997). Drittens sind es autorschaftsreflexive Positionen in der Kunst selbst, die wesentlich zur Befragung gängiger Künstlerstereotype und -identitäten beigetragen haben. Den Anfang machte der Konzeptualismus Marcel Duchamps, der nicht nur durch seine ready made Alltagsobjekte den Status des Kunstwerkes als Schöpfung in Frage stellte, sondern auch die Autorschaft des Künstlers am Beispiel der Aneignungspraxis der Signatur problematisierte (vgl. Wetzel 2000, 537–8; Gelshorn 2008; Tietenberg 2013). Die in den 1960er Jahren einsetzende Popularisierung entsprechender künstlerischer Aktivitäten durch die Pop Art, die Concept Art sowie die Body Art fand teilweise in enger Verschränkung mit der feministischen Bewegung statt und hat, wenngleich zeitverzögert, die wissenschaftlichen Fachdebatten über die Rolle des Diskursiven in den bildenden Künsten stark beeinflusst (vgl. z. B. Gludovatz 2006).
1 Künstlerforschung und Autorschaftsreflexion im akademischen Diskurs der Kunstgeschichte Ein zentrales Forschungsfeld der akademischen Kunstgeschichte markiert die Auseinandersetzung mit der Autonomie des neuzeitlichen Künstlersubjekts. Die Untersuchungen der historischen Entstehungsbedingungen des so genannten ‚modernen Künstlers‘ konzentrieren sich dabei auf die Renaissance (Kris und Kurz 1934; Wittkower 1965; Burke 1984; Warnke 1985; Conti 1991; Barker und Woods 1999). Hier werden die antiken Wurzeln des Künstlerbegriffs, dessen Tradierung und Transformation durch das Mittelalter und schließlich die Neukonzeption des ‚Künstlers‘ als Beruf, Begriff und Rolle des „Autor-Künstlers“ in der Renaissance als „europäischer Gründungsmythos vom schöpferischen Individuum“ (Wetzel 2020) erforscht. Im klassischen Altertum besaß der Künstler eine niedrige soziale Stellung, die mit der Vorstellung des Enthusiasmus zusammenhing. Diesem zufolge stellte der Künstler ein Medium göttlicher Begeisterung dar. Maler und Bildhauer schufen zwar Kunstwerke, aber nicht als selbständige Subjekte, sondern lediglich als den Willen der Götter ausführende Handwerker, als ‚baunausoi‘ (Kris und Kurz 1934, 64–71). Auch im Mittelalter waren bildende Künstler in erster Linie Handwerker, die in Zünften organisiert waren und kollektiv in Werkstätten arbeiteten. Prak-
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tisch-technische Regel- und Rezeptbücher führten in Werkstattgeheimnisse ein, eine theoretische Begründung des künstlerischen Tuns fand jedoch nicht statt. Der Übergang vom Mittelalter zur Renaissance wurde demzufolge lange Zeit mithilfe einer Befreiungsrhetorik beschrieben (Wittkower 1965, 8). Diese ‚Befreiung‘ zeige sich in der Loslösung von handwerklichen Strukturen ebenso wie in der Emanzipation des Künstlerindividuums. Auch in der nun entstehenden Traktatliteratur, den theoretisch-wissenschaftlichen Texten etwa eines Cennino Cennini oder Leon Battista Alberti, wird die Aufwertung des Künstlerberufs im Rahmen der dort skizzierten neuen Kunstlehre begründet. Nun wird der Künstler nicht mehr als göttliches Sprachrohr beschrieben, sondern selbst zum divino artista erklärt, der aus eigener Fantasie und Inspiration heraus Werke schafft (Kris und Kurz 1934, 84–85, Wetzel 2020, 104–115). Die Facetten der Kunst und Künstler zugeschriebenen Befreiung reichen von der Zuordnung der bildenden Künste zu den artes liberales (Warnke 1985, 52), über die Freiheit des Ausstellens bis hin zur Zweckfreiheit der Kunst, der moralischen Ungebundenheit des Künstlers und dessen finanzieller Unabhängigkeit (Bätschmann 1997, 58). Dass diese sehr unterschiedlichen Entwicklungen oftmals unter den Sammelbegriff der ‚Autonomisierung des Künstlersubjekts in der Renaissance‘ gebracht wurden, hängt retrospektiv betrachtet auch damit zusammen, dass ein befreiter, autonomer Untersuchungsgegenstand zur Nobilitierung des Faches Kunstgeschichte und seiner Forscherinnen und Forscher beitrug (Ruppert 1998, 55). Explizit sozialhistorisch angelegte Forschungen versuchen an die Stelle einer emphatischen Vorstellung vom Künstler dessen soziale Realität zu setzen. So werden etwa die Veränderungen im Kunstbetrieb untersucht und in Bezug auf das 18. Jahrhundert das Erscheinen des so genannten „Ausstellungskünstlers“ konstatiert, der anders als der „Hofkünstler“ oder der „Unternehmerkünstler“ für wechselnde Auftraggeber beziehungsweise den Markt arbeitet und ein „Publikum“ adressiert (Bätschmann 1997, 9–11). In Bezug auf das 19. Jahrhundert wird der Einfluss der Ausbildungsinstitutionen auf die Entstehung eines ‚Künstlerhabitus‘ untersucht und die Funktion des Künstlers als Gegenentwurf zum Bürgertum herausgestellt (Ruppert 1998, 38) [vgl. den Artikel Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion]. ‚Künstler‘ steht hier für Individualität und Kreativität im Gegensatz zur als rational und normativ begriffenen bürgerlichen Ordnung. Es handelt sich hierbei um die Formulierung einer bis heute gültigen Ausnahmestellung (Wittkower 1965). Attraktives Nebenprodukt sozialhistorischer Forschungen ist die Herausarbeitung beziehungsweise Bestätigung diskursiver Muster von Autorschaft in den Bildkünsten. Eines dieser Muster besteht in der Darstellung künstlerischer Autorschaft als gelegen zwischen den Polen Handwerklichkeit einerseits und
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Kunsttheorien
subjektiv-geistiger Schöpfung andererseits. (Wetzel 2000, 480; Conti 1991, 100). Ein anderes Muster betrifft die Vorbehalte gegenüber der Vereinbarkeit von Kunst und Geld, das historisch wiederum mit der Unterscheidung von handwerklichen und geistigen Tätigkeiten zusammenhängt. In der Antike wurden Maler und Bildhauer allein aufgrund der Entlohnung ihrer Werke als Handwerker begriffen, im Gegensatz etwa zu den Dichtern (Kris und Kurz 1934, 145). Deshalb war es für eine Aufwertung des Künstlerberufs in der Renaissance wichtig, die Handwerkerentlohnung abzuschaffen und an deren Stelle fürstliche Geschenke beziehungsweise ein Grundgehalt als Hofkünstler zu setzen. Auch wenn sich die Strukturen des Kunstmarktes in den folgenden Jahrhunderten grundlegend gewandelt haben, so zieht sich eine Skepsis gegenüber Kunst als finanziellem Wert jedoch bis heute durch. Sie äußert sich auch in dem Verdacht, dass gute, moralisch integre Kunst abseits finanzieller Interessen entsteht, monetäre Anreize hingegen dazu führen, den Künstler zu korrumpieren, so dass die Aussicht auf Gewinn seine künstlerischen Ziele überlagert (Bätschmann, 1997). Der diskursive Charakter bildkünstlerischer Autorschaft wird durch solche Studien erforscht, die sich mit der Künstlerbiografik, dem darin zum Ausdruck kommenden Anekdotenreichtum ebenso wie mit als ‚Künstlermythen‘ bezeichneten topischen Mustern beschäftigen (Krems 2003; Soussloff 1997; Kris und Kurz 1934). Zentraler Untersuchungsgegenstand ist dabei die so genannte Vitenliteratur. Wenngleich weder der erste noch einzige Text zu diesem Thema, stellen doch Giorgio Vasaris Lebensbeschreibungen von Künstlern Le vite de’ più eccelenti Pittori, Scultori et Architettori aus dem 16. Jahrhundert einen Meilenstein und Kristallisationspunkt der Künstlerbiografik und -ikonologie [vgl. den Artikel Autor-Bild] dar. Vasaris Werk war nicht nur maßgebend für Aufbau und Struktur ähnlicher Abhandlungen, sondern auch insofern vorbildhaft, als viele Autoren seine Künstleranekdoten für bare Münze nahmen und als historische Fakten kolportierten. Auch der Aufbau der einzelnen Künstlerviten, in Anlehnung an die antike Theorie der drei Zeitalter als eine organische Abfolge von Kindheit/Jugend, Reife-/Blütezeit und Alter des Künstlers, prägte nachfolgende Kunstschriftsteller (Soussloff 1997, 2). Überdies sind die Wechselwirkungen zwischen erzähltem und gelebtem Leben dabei interessant [vgl. den Artikel Auto(r)biographie]. Etablierte sprachliche Muster können zur biografischen Realität eines Künstlerlebens werden, der performative Charakter der Künstlerlebensbeschreibungen erzeugt die „Gelebte Vita“ (Kris und Kurz 1934, 161). Grundlage dafür ist die vermeintlich selbstverständliche Verknüpfung von Kunstwerk und Künstler. Dass Leben und Werk jedoch keineswegs natürlich miteinander zusammenhängen, sondern dies vielmehr Ergebnis eines Naturalisierungsprozesses ist, haben bereits Kris und Kurz herausgearbeitet (Kris und Kurz 1934, 147–152).
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Biografische Schriften haben neben anderer Kunstliteratur wesentlichen Anteil an der Herausbildung und Verfestigung topischer Muster der Künstlerautorschaft. Zentral für diese oft ‚Künstlermythen‘ genannten Muster ist die Auffassung des Künstlers als Außenseiter der Gesellschaft (Warnke 1985, 12; Wittkower 1965) wie auch als erhöhtes Individuums mit Sonderstatus. Mit der Vorstellung des Künstlers als exemplarischem, autonomem Individuum hängt auch der Geniediskurs [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft] zusammen. Mit der Vorstellung des Genies wird die Aufmerksamkeit endgültig auf die Künstlerpersönlichkeit verlagert, die als über Tradition, Lehre und Regel stehend vorgestellt wird. Damit wiederum ist der Themenkomplex von Genie und Wahnsinn verknüpft, der bis zur antiken Inspirationslehre zurückverfolgt werden kann, aber im 19. Jahrhundert seine Hochzeit erlebt (Neumann 1986; Krieger 2007). Spätestens an der Epochenschwelle zum 20. Jahrhundert rücken zudem die besondere Wahrnehmungsfähigkeit ebenso wie die Authentizität der Künstler in den Fokus und der Avantgarde-Künstler wird zum Therapeuten innerhalb einer als inauthentisch erlebten Gesellschaft (Kuspit 1995, 12–13). Dabei kann die Figur des Künstlers nicht nur als Gegenpol zu einer auf Fortschritt und Konsum geeichten Gesellschaft begriffen werden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird das künstlerische Subjekt als nachahmenswertes Vorbild einer kreativen Existenz herausgestellt und der Wert seiner kreativen Leistungen im Dienste einer auf kontinuierlicher Innovation und Fortschritt basierenden Gesellschaft betont. Dieser vom Künstlersubjekt abgeleitete Kreativitätsmythos ist zeitgenössisch eines der wichtigsten mythischen Muster, in dem die „gesteigerte Wertschätzung der Kreativität unter dem Vorzeichen des ökonomischen Paradigmas“ zum Ausdruck kommt (Fastert et al. 2011, 12–14, Ruppert 2018, 66–102). Eine Abwendung von den Mythen und kultischen Konstruktionen rund um Künstler hin zu Fragen nach Funktions- und Verhaltensweisen der Künstlerfigur im Kunstbetrieb ist das Ziel kunstsoziologisch orientierter Untersuchungen. Dabei treten auch andere Akteure wie Kunsthändler, Kritiker, Museumsdirektoren oder Sammler in den Blick und werden, wie von Pierre Bourdieu angeregt, zum Gegenstand mikroanalytischer Studien (Bourdieu 2001 [1992]) [vgl. den Artikel Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion]. Es wird untersucht, wie das künstlerische Feld eine Künstlerfigur hervorbringt und somit Autorschaft konstruiert. Zu den in diesem Zusammenhang ausgewerteten Quellen zählen neben kunstkritischen und kunsthistorischen Texten auch die Werke der bildenden Kunst selbst – die jedoch nicht als Schlüssel zum Künstlersubjekt, sondern unter anderem als Chiffren zur Erzeugung künstlerischer Identität verstanden werden (Bismarck 2010). Weg von den Akteuren und hin zu Kommunikationen geht es in solchen Untersuchungen, die das Kunstsystems als ein gesellschaftliches Teilsystem im Rahmen eines systemtheoretischen Blicks untersuchen. Dabei wird die
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Künstlerfigur respektive bildkünstlerische Autorschaft auch am Schnittpunkt der unterschiedlichen Systeme mit ihren je eigenen Leitunterscheidungen sichtbar (Kampmann 2006). Der Anteil der Kunstgeschichte (also der Wissenschaft) an der Produktion von Künstlerfiguren ist dabei nicht zu unterschätzen, scheinen doch der Disziplin eigene Subjektivierungskonzepte die Grundlage der Etablierung des Künstlersubjekts darzustellen (Knobeloch 1996).
2 Kunsthistorische Geschlechterforschung und bildkünstlerische Autorschaft Den blinden Fleck der Kunstgeschichtsschreibung, das Geschlecht der Künstler und Künstlerinnen, nimmt eine sich seit den 1970er Jahren entwickelnde kunsthistorische Geschlechterforschung in den Blick. Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung eines Mangels respektive der Unsichtbarkeit von Künstlerinnen als Autorinnen, die in der Frage Why have there been no great women artists? auf den Punkt gebracht wird (Nochlin 1988). Am Anfang der Auseinandersetzung mit weiblicher künstlerischer Autorschaft steht also nicht die Beschreibung eines Phänotyps ‚Künstlerin‘, sondern die Auslotung einer Leerstelle [vgl. den Artikel Weibliche Autorschaft]. Von den Rändern der etablierten Kunstgeschichte aus wurden einige der bereits genannten Forschungsfragen unter Aspekten ihrer geschlechtlichen Codierung untersucht. So wird etwa der Mythos vom Künstler als Genie nicht nur allgemein kritisch hinterfragt, sondern daraufhin untersucht, wie sich das paradigmatische Subjekt ‚Künstler‘ als ein männliches Autorenkonzept konstituieren konnte. Ideengeschichtlich beziehungsweise diskursanalytisch betrachtet ist „Männlichkeit“ keineswegs eine „fixe, kohärente oder eindeutige Identität“, sondern eine sozial konstruierte Kategorie, eine diskursiv erzeugte Subjektposition (Rogoff 1989, 22). Dass die Bindung von bildkünstlerischer Autorschaft an das männliche Subjekt zu einem unhinterfragten Standard werden konnte, ist ein die Kunstgeschichte folgenreich prägender Umstand (Pollock 1989). Um auch Künstlerinnen die Etablierung von Autorschaft zu ermöglichen, wurde die Dekonstruktion des (männlichen) Künstlersubjekts gefordert, womit Freiräume für ein alternatives, weibliches Künstlertum geschaffen werden sollten. Aber nicht nur die Zuschreibung von Autorschaft ist geschlechtsspezifisch codiert, sondern, damit eng zusammenhängend, auch die Verteilung der Subjektund Objektrolle im künstlerischen Schaffensprozess ebenso wie die Verknüpfung von Kreativität und Sexualität (Krieger 2007, 130–138). So ist beispielsweise der Diskurs über ästhetische Produktion seit der Renaissance nach dem Begriffspaar
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männlich/weiblich strukturiert und organisiert Kunstgattungen geschlechtsspezifisch (Parker und Pollock 1981). Die Unterscheidung zwischen freien und angewandten Künsten wird mit einer schöpferischen respektive reproduktiven Kreativität verknüpft und diese wiederum mit den Polen Natur (als reproduktiv) und Kultur (als schöpferisch) verknüpft (Schade und Wenk 1995, 353–360). Da Frauen aufgrund ihrer reproduktiven Gebärfähigkeit der Natur zugeordnet wurden, werden auch die von ihnen historisch vornehmlich ausgeübten Künste und Techniken wie Stickerei oder Aquarellmalerei als ‚weibliche‘ Kunstgattungen deklariert und in der Gattungshierarchie weit unten angesiedelt. Das Stereotyp der ‚natürlichen‘, zu höheren Kulturleistungen nicht fähigen Frau dient damit auch der Abgrenzung gegenüber der Männlichkeit des schöpferischen Künstlers. Weiblichkeit findet ihren Ort demzufolge im Künstleratelier nur als Muse oder Modell beziehungsweise im Kunstwerk in Form von Personifikationen und Allegorien der Künste (Wenk 1997). Auch die Künstlerbiografik und -anekdotik, verstanden als eine „ideologische Praxis“, wurde und wird auf ihre geschlechtsspezifischen Parameter der Autorschaft hin untersucht (Frübis 2000, 265; Pollock 1980). So gilt Giorgio Vasari zwar als ‚Vater der Kunstgeschichte‘, doch als einer, dessen Künstlerviten (durch ihre patriarchalische Struktur) bis heute nachhaltig dazu beitragen, die Möglichkeiten weiblicher Autorschaft einzuschränken. Die von Vasari beschriebenen Künstlerindividuen erschließen sich vor allem über ihre Biografien. Sie werden als Teil einer künstlerischen Fortschrittgeschichte verstanden, in der gemäß den Parametern von Innovation und Einfluss begabte Schüler von großen Meistern lernen, um diese schließlich zu übertreffen – eine Einflussgeschichte, die analog zum Generationenverhältnis von Vater und Sohn gedacht wurde. Diese von Vasari entworfene männliche Genealogie des Künstlerindividuums ist dabei besonders anschlussfähig an das Paradigma des weißen Mannes des gehobenen Bürgertums (Salomon 1993; Christadler 2000). Neben solchen diskursiven wurden auch sozialhistorische und institutionelle Ausschlussmechanismen von Künstlerinnen untersucht. Die Verweigerung des Zugangs zum Akademiestudium beziehungsweise zu Aktzeichenkursen bis zum Ende des 19. Jh. – ein damals unerlässlicher Bestandteil des Kunststudiums – ist dabei ein zentraler Aspekt der historischen Verhinderung weiblicher Autorschaft (Nochlin 1988, 40–45) [vgl. den Artikel Weibliche Autorschaft]. Aber auch das Argument der ‚Schicklichkeit‘, das im 19. Jahrhundert Frauen den Zugang zu bestimmten öffentlichen Orten wie Theatern, Bars oder Bordellen verwehrte, trug dazu bei, dass für die damalige Zeit zentrale künstlerische Themen von Künstlerinnen nicht bearbeitet werden konnten (Pollock 1989, 358). Und schließlich ist nicht zu vernachlässigen, dass reale soziale Hemmnisse in die Struktur der Kunstgeschichtsschreibung Eingang gefunden haben und kunstwissenschaftli-
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ches Reden und Schreiben somit dazu beiträgt, den Platz der Autorschaft von Künstlerinnen auf ihr vermeintliches Interesse am Privaten zu beschränken. Die Selbstreflexion der Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der Produktion künstlerischer Autorschaft ist erklärtes Programm kunstwissenschaftlicher Geschlechterforschung. Darauf bezieht sich unter anderem auch der Begriff der ‚Mythenkritik‘, der auf geschlechtsspezifische Mythen der Künstlerbiografik zielt (Wenk und Hoffmann-Curtius 1997). Mit ‚Künstlermythen‘ wird aber auch auf antike Mythen rekurriert ebenso wie auf Mythen-Begriffe eines Claude Lévi-Strauss oder Roland Barthes, um so einen „ethnografischen Blick“ auf die eigene Kultur zu richten und Praktiken der „Naturalisierung von Geschichte“ zu kritisieren (Wenk 1997, 15). Wie die Darstellung weiblicher Autorschaft als ‚Sonderfall‘ beziehungsweise ‚Ausnahme‘ – gegenüber dem männlichen ‚Normalkünstler‘ – diskursiv überwunden werden kann, war lange Zeit zentraler Diskussionspunkt der Forschung (Salomon 1993, 30). Und auch angesichts aktueller Retrospektiven zu den Pionierinnen feministischer Kunst scheint die Frage noch aktuell, ob eine ‚Ahnenreihe großer Künstlerinnen‘ etabliert werden oder besser nach neuen, eigenen Mythen gesucht werden soll, die sich aus der Umformulierung oder Destruktion des Repertoires männlicher Künstlermythen ergeben.
3 Autorschaft in Werken der bildenden Kunst Unter anderem in Hinblick auf diese Fragen berühren sich feministisch-kunstwissenschaftliche Fachdebatten und autorschaftsreflexive Positionen in der Kunst, wobei die künstlerischen Reflexionen (geschlechtsspezifischer) Autorschaft bereits früher, nämlich schon in den 1960er Jahren einsetzen. Wenn männliche Künstler wie Jürgen Klauke oder Urs Lüthi durch Cross-Dressing ihren Geschlechtskörper verunklären oder bei Vito Acconci sexuelle Praktiken zum Bestandteil des Kunstwerks werden, wird ihr Status als männliches Künstlersubjekt zwar irritiert, bleibt jedoch zweifelsohne bestehen. Ganz anders ist der Fall jedoch gelagert, wenn deren Zeitgenossinnen VALIE EXPORT, Carolee Schneemann oder Ulrike Rosenbach mit Stereotypen von Weiblichkeit arbeiten oder ihre nackten Körper, Geschlechtsteile oder Körperflüssigkeiten zum Medium ihrer Werke machen. Sie stellen gewissermaßen metonymisch ihre reale Randexistenz als Frau im Kunstbetrieb der 1960er Jahre zur Schau und rücken damit das Thema geschlechtlicher Marginalität in Hinblick auf die Entstehung von Autorschaft als Agency [vgl. den Artikel Autorschaft aus dem Blickwinkel der Akteur-Netzwerk-Theorie] in den Fokus. Dabei ist zu unterscheiden zwischen realem, sozialem Außensei-
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terstatus und symbolischer Randständigkeit. Während Marginalität beim männlichen Avantgarde-Künstler eine unverzichtbare Pose des Außenseiters darstellt, dieser jedoch selbstverständlicher Teil des Kunstbetriebs bleibt, steht sie bei Künstlerinnen für den realen Ausschluss aus dem kulturellen Leben und verdoppelt die Marginalität weiblicher Autorschaft durch Visualisierung (Rogoff 1989, 28–37). Neben Bezügen künstlerischer Werke zu zeitgenössischen geschlechtertheoretischen Forschungen werden auch solche zu Theorien des Todes beziehungsweise des Verschwindens des Autors hergestellt (Bismarck 2010; Weinhardt 2004). Inwiefern in Arbeiten von Bruce Nauman, Joseph Beuys oder Ulrike Rosenbach jedoch „mythisch kodierte Vorstellungen von Künstlerschaft“ ins Bild gebracht werden (Bismarck 2010, 10) beziehungsweise die Krise des Autorsubjekts im Medium des Selbstporträts aufscheint, können nur die Kunstwerke zeigen. Statt kunsthistorische Reflexionen zu zitieren, müssen die Werke selbst ins Zentrum rücken, ihre konkreten Wirkungsweisen in Form dichter Beschreibungen entfaltet werden. Andererseits stellt eine angemessene Berücksichtigung künstlerischer Diskurse ein wichtiges Forschungsdesiderat zum Thema bildkünstlerischer Autorschaft dar – beispielsweise zum Konzept des Autor-Künstlers in der Tradition Marcel Duchamps, das aus einer Doppelschöpfung von Kunstwerk und Kommentar besteht (Wetzel 2003, 237; Wetzel 2020, 226–234). Ein weiteres Desiderat betrifft – angesichts der Einsichten in die normativen Wirkungen der Künstlerbiografik – die dezidierte Weiterentwicklung alternativer Formen des monografischen Schreibens über Kunst und Künstler sowie künstlerischer Praxis als kuratorische Autorschaft, die das Ausstellen selbst und die Inszenierung der Kunst zum Kunstwerk werden lässt (Richter 2008, Vogel 2014).
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Weiterführende Literatur Caduff Corina und Tan Wälchli (Hrsg.) (2008). Autorschaft in den Künsten. Konzepte – Praktiken – Medien, Zürich. Fastert, Sabine, Alexis Joachimides, Verena Krieger (Hrsg.) (2011). Die Wiederkehr des Künstlers. Themen und Positionen der aktuellen Künstler/innenforschung. Köln, Weimar, Wien. Hellmold, Martin, Sabine Kampmann, Ralph Lindner, Katharina Sykora (Hrsg.) (2003). Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst. München. Kampmann, Sabine (2006). Künstler sein. Systemtheoretische Beobachtungen von Autorschaft: Christian Boltanski, Eva & Adele, Pipilotti Rist, Markus Lüpertz. München. Wetzel, Michael (2020): Der Autor-Künstler. Ein europäischer Gründungsmythos vom schöpferischen Individuum. Göttingen.
Caroline A. Lodemann
IV.2.2 Regietheater 1 Einleitung Der Begriff ‚Regietheater‘ beschreibt – ursprünglich pejorativ – eine Regie, die gegenüber den anderen im Theater beteiligten Kunstformen, Komponenten bzw. Akteuren, seien es Dirigenten, Schauspieler und Sänger, Bühnen- und Kostümbildner oder vor allem die Autoren der (dramatischen) Texte und Kompositionen, eine starke bis dominante Rolle einnimmt. Das jeweilige Maß der Abweichung und Eigenständigkeit von Regiearbeiten von den ihnen zugrundeliegenden Texten und Notaten hat Regie gerade im Hinblick auf die Frage nach Bedeutungszuschreibung und Sinnerzeugung als mögliche Spielart von Autorschaft ausgeprägt [vgl. auch den Artikel Autorenfilm]. Solche Abweichungen betreffen die zeiträumliche Verortung der theatral wiedergegebenen Geschichte, sprachliche Anpassung an die Gegenwart, Streichung, Umdeutung, Veränderung oder Hinzufügung von Sachverhalten, Ereignissen, Personen, Sprechtexten und Zeichen jedweder Art, um nur einige Beispiele exemplarisch zu nennen. In zweifacher Weise erscheint Regie zunächst inkompatibel mit den gängigen Konzepten von Autorschaft: Durch Regie entsteht kein materiell niedergelegtes oder reproduzierbares Produkt, sie tritt lediglich in individuellen Aufführungen in Erscheinung, die jeweils als singuläre Ereignisse begriffen werden. Die vielfach diskutierten Modelle von Autorschaft sind ursprünglich und bis in unsere gegenwärtige Kultur hinein eng an Schrift und Text, an materiell fassbare Produkte gekoppelt [vgl. die Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft und Text, Schreiben, Intertextualtität]. Hinzukommt, dass die Produkte des Regietheaters häufig auf Texten und Partituren beruhen, als deren Autoren ihre Verfasser oder Komponisten etc. gelten. Daraus ergibt sich ein zweistufiger Entstehungsprozess, an dem unterschiedliche Akteure beteiligt sind: erstens der Akt des Verfassens oder Komponierens etc., zweitens der Akt der Inszenierung bzw. der Produktion einer Aufführung oder einer Serie von Aufführungen. Die sich Anfang des 20. Jahrhunderts als eine autonome akademische Disziplin etablierende Theaterwissenschaft hat zudem eine eindeutige und distinktive Distanz zum Text und seiner Analyse eingenommen, so dass die potentiell wissenschaftlich-kritische Übertragung von genuin textwissenschaftlichen Untersuchungen sowie die Gegenstandserweiterung der Autorschaftsdebatte um Dramentexte und (ihre) Aufführungen weitgehend ausgeblieben ist. Es sind gleichwohl äquivalente Funktionen von Autorschaft, Zuschreibungen und Mechanismen nomineller Markierung, die schließlich daran mitgewirkt https://doi.org/10.1515/9783110297065-024
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haben, das Theater der starken Inszenierung zum Regietheater zu emanzipieren. Der Begriff des ‚Regietheaters‘ ist – werklogisch wie theatergeschichtlich – eigentlich eine pleonastische Redundanz, setzen Theateraufführungen doch grundsätzlich die intentional geleitete und angeleitete Umsetzung – also Regie – ins Performativ-Gegenwärtige voraus. Dabei spielt der Grad der Übereinstimmung oder Abweichung, kurz: der (ohnehin kaum quantifizierbare) Grad der Interpretation – zunächst keine Rolle. Theater erfordert immer die selektive Konkretisierung gegenüber zugrundeliegenden materiellen Werken, indem etwa szenische Anmerkungen entfallen bzw. in zeiträumliche Abläufe oder ins Gegenständliche umgesetzt werden. Der ‚Wille zum Theater‘ liegt dem Regietheater zugrunde, indem Texte und Notate zu Aufführungen inszeniert werden und begründet bis in die Gegenwart den Betrieb in Schauspiel- und Opernhäusern. Dieses Regietheater, nicht zufällig bisweilen noch kritisch zum ‚Regisseurstheater‘ überdreht oder stilisiert, impliziert auch eine Personalisierung, die den Regisseur im Produktionsprozess analog zum Autor setzt. Folgt man den Spuren dieses Verständnisses, legen sie Funktionen offen, die Autoren innehaben bzw. die ihnen zugeschrieben werden: etwa, dass sie vorgefundene Geschichten (anderer Autoren) auktorial verwalten und verantworten und in Aufführungen ihre Version dieser Geschichte erzählen. Theater markiert darin auch einen vor der Folie der Autorschaftsdebatte bemerkenswerten Sonderfall der natürlichen Inkongruenz von Autor und Erzähler: Im Regisseur kann der Erzähler mit dem Autor bzw. können ihre beiden Funktionen zusammenfallen.
2 Regie Der Begriff der Regie wird im Theater gegen Ende des 18. Jahrhunderts eingeführt. Mutmaßlich findet er erstmalige Verwendung im Wiener Burgtheater 1771 und in den Mannheimer Theaterprotokollen von 1785. (Trilse-Finkelstein und Hammer 1978, 435) Er umfasste die Koordination und Organisation von Darstellern und bühnentechnischen Abläufen in Proben und Aufführungen. (Gröning und Kließ 1969, 342) Diese Funktion ist bereits im antiken Theater nachgewiesen. (Lazarowicz und Balme 2000, 302) Auch die kaufmännische und künstlerische Leitung eines Theaters, heute Intendanz genannt, rangierte zeitweilig unter dem Begriff der Regie. Dessen Übernahme für die künstlerische Gestaltung und Leitung von Inszenierungen gründet darauf, dass sich eine Facette dieses Aufgabenspektrums schrittweise emanzipieren konnte: Vom szenischen Arrangieren über das InSzene-Setzen, der Etablierung des Begriffs der Inszenierung bis hin zur Gesamt-
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konzeption eines theatralen Kunstwerkes konnte sich Regie als eigenständige Kunstform installieren. Diese historisch subsumierten Arbeitsfelder von Regie werden dem Begriff inzwischen systematisch zugeordnet: Zur Regie zählen neben der künstlerischen Konzeption einer Inszenierung bzw. der Produktion von Aufführungen die Schauspielerführung, Probenleitung und szenische Organisation durch den Regisseur. Diese abgeleitete Bezeichnung – Regisseur – ist zeitgleich mit dem Begriff der Regie nachgewiesen. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts formiert sich das Berufsbild der Regie, das inzwischen als Handwerk in Studiengängen zu erlernen ist, die mit einer künstlerischen Abschlussprüfung zum Diplom-Regisseur abgeschlossen werden.
Produktion Eine Komponente von Regie ist ihre praktische Ausführung. Sie umfasst Kenntnisse des operativen Theaterbetriebs und seinen einzelnen Abteilungen, die im Entstehungsprozess einer Inszenierung zu leiten und zusammenzuführen sind, ebenso wie handwerkliches Wissen über Bühne sowie ihre technischen Potentiale (die es zugleich künstlerisch zu erweitern und fruchtbar zu machen gilt, wie es beispielsweise Lichtinstallationen und der Einsatz digitaler Medien etc. längst anschaulich beweisen) und die Anleitung aller Beteiligten während der Probenarbeit. Im standardisierten Vor- und Ablauf einer Inszenierungsarbeit gehört zu den praktischen Aufgaben von Regie etwa die Durchführung an der Bauprobe zur Prüfung des Bühnenbildentwurfs unter anderem auf Wirkung, Sicherheit und Machbarkeit, ein anfängliches Konzeptionsgespräch mit allen Beteiligten bzw. Vertretern aller beteiligten Abteilungen, ebenso wie Beleuchtungsproben etc. Der Regisseur ist letztlich verantwortlich für alle arbeitsteiligen Produktionsabläufe, von dem sie ausgehen und der sie zusammenbindet. In diesem Sinne ist Regie ein Beruf, dessen theoretischen Kenntnissen und praktischen Erfordernissen durch das Studium der Regie oder mindestens mit der Legitimation durch Erfahrung im Rahmen von Regieassistenzen Rechnung getragen wird. Die Produktion ist also die praktische Ausübung von Regie und umfasst Führung, Anleitung und Zusammenführung im theatralen Entstehungsprozess. An ihrem Ende entsteht mit der Aufführung ein ‚unfassliches‘ Produkt als ein zeiträumlich vergängliches, performatives Ereignis.
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Inszenierung zwischen Auslegung, Vermittlung und Kritik Als eine der ersten Auseinandersetzungen mit dem Begriff des Inszenierens kann August Lewalds Aufsatz In die Szene setzen betrachtet werden, der 1838 veröffentlicht wurde. Darin beschreibt er die Tätigkeit des Regisseurs, der zu dieser Zeit erstmals auch auf Theaterzetteln genannt wird, bereits als „die Kunst [meine Hervorhebung, C.L.], ‚in die Szene zu setzen‘“ (Lewald 1838, 307): „‚In die Szene setzen‘ heißt, ein dramatisches Werk vollständig zur Anschauung zu bringen, um durch äußere Mittel die Intention des Dichters zu ergänzen und die Wirkung des Drama zu verstärken, doch immer wohl verstanden, nur im Sinne der Dichtung dabei zu verfahren.“ (Lewald 1838, 307) Die Bedingungen: Interpretation und Textauslegung, Schauspiel- und Bühnentechnik, Kompetenz in Bühnenbild und Kostüm. Im dynamischen Wechselspiel einzelner Inszenierungen und Regisseure löst sich diese Vorstellung von Inszenierung als Darstellung bzw. Realisierung des (dramatischen) Textes bis heute auf: „Inszenierung meint nun eine Erzeugungsstrategie, mit der ein ganz neues Kunstwerk, nämlich das theatrale Kunstwerk hervorgebracht wird. Als sein Schöpfer gilt der Regisseur […].“ (Fischer-Lichte 2005, 148)
Das unfassliche Produkt Aufführungen sind das Produkt, streng genommen die Produkte von Regie. Jede einzelne Aufführung wird als ein singuläres und sinnlich wahrnehmbares Ereignis verstanden, das in einem spezifischen Verhältnis zu einem Text oder einer Partitur steht, auf die sie sich bezieht. Der entscheidende Unterschied zwischen ihnen besteht in der Erscheinungsform: Eine Aufführung als Produkt von Regie ist immer nur gegenwärtig-medial und nicht-fixierbar materiell. Sie ist vergänglich. Der Regisseur verleiht heute den Aufführungen und ihren Zeichen durch seine Inszenierung und Zeichenauswahl, -gestaltung und -kombination (s)eine Bedeutung unter einer Vielzahl möglicher Bedeutungen. Auf unterschiedlichen Ebenen – des Textes, der verwendeten Zeichen – kann sich diese zu einem vorliegenden Werk verhalten: Aneignung, Interpretation, Veränderung, Vereinnahmung, Verweigerung, Verwertung, Verrätselung etc. Die möglichst pure, direkte und doch immer der Auslegung bedürftige (man denke nur an die unterschiedlichen Modelle, die schon eine szenische Verortung wie ‚Waldʻ evozieren kann). Transformation eines Textes in das performative Gegenständlich-Materielle einer Aufführung ist demnach die historische Ausgangssituation von Regie, die sich erweitert hat zur Auslegung dramatischer Literatur, gattungsfremder Bearbeitung
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von bzw. Erzählliteratur und literaturfremden ästhetischen und performativen Theaterformen. Sie oszilliert zwischen Neu-, Wieder- und Weiter-Erzählung, Sinngebung und Sinnerneuerung und Präparierung neuer Bedeutungen.
3 Autormerkmale von Regie Ungeachtet der unterschiedlichen Bedingungen – etwa in der Anbringung von Autornamen bei einer Aufführung, wie es beim Textautor etwa auf dem Buchrücken geläufig ist – fungiert nun der Regisseur im Regietheater analog als Autor – mit sehr unterschiedlich ausfallenden Implikationen, auf den im konkreten Sinn der Probenleitung und des In-Szene-Setzens, im abstrakten Sinn der künstlerischen Tätigkeit und Sinnerzeugung und als empirische Person des Regisseurs Bezug genommen wird.
Recht und Ökonomie Regie ist rechtlich kodifiziert, wenn auch nicht im Sinne einer Eigentumsbeziehung am Text: Zu den vereinbarten Leistungspflichten eines Regisseurs gehören für gewöhnlich die persönliche Ausübung der Produktion und die Erstellung und Umsetzung eines Regiekonzepts. Es wird eine Anwesenheitspflicht des Regisseurs bei der Premiere ausgemacht. Eingeräumt werden dem beauftragenden Theater die zeitlich, räumlich und im Umfang bestimmten Nutzungs- und Verwertungsrechte der Produktion. Der Regisseur stellt für Werbe- und Informationszwecke gemeinhin Bildmaterial und biographische Informationen zu seiner Person zur Verfügung. Das Recht auf Anerkennung und Namensnennung verpflichtet zur Benennung von Regie und wirkt sich so erheblich auf die Etablierung einer Beziehung von Produktion und Regisseur aus. Die Produktion eines Regisseurs ist kommerziell und wird im Sinne einer Leistung finanziell entlohnt. Dies ist eine spezifische Spielart der Autorfunktion des urheberrechtlichen Copyrights [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright].
Personalisierung Der Regisseur ist demnach nicht nur Subjekt, sondern auch Objekt der öffentlichen Kommunikation über die Aufführung bzw. Aufführungsserie, in denen seine Inszenierung im Produkt der Aufführung Gestalt annimmt. Eine Bezug-
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nahme auf ihn ist gewissermaßen immer fakultativ, aber inzwischen häufig auch Gegenstand der Vermarktung und Kennzeichnung einer bestimmten oder auch nur erwarteten – etwa skandalösen, sezierenden, texttreuen etc. – Herangehensweise. Fakultativ bleibt auch die – durch die zeiträumliche Vergänglichkeit von Aufführungen bedingte – Angabe des Regisseur(namens) im Rahmen eines Aufführungsbesuches im Programmheft, in Programmhinweisen, in Publikationen der Theater. Es ist aber gemeinhin Usus, dass der Regisseur mit seinem Team die Premiere einer Produktion mit einem Auftritt zum Applaus ‚signiertʻ. Die namentliche Nennung und Vermarktung des Regisseurs bewirkt so die Abgrenzung vom Text/Notat, auf dem sie beruht und von anderen Produktionen, die sich ebenfalls auf den Text/das Notat berufen.
Selektion, Intention und Einheit Regie und Regisseur sind im Theater sowohl auf der Seite der Produzenten und als auch auf der Seite der Rezipienten häufige Bezugsgrößen. Dass der Regisseur die Aufführung im oben beschriebenen Sinn produziert hat, ist die Grundannahme, auf der jede Bezugnahme basiert. Daher werden die erscheinenden Elemente und ihre Anordnung als Auswahl und Gestaltung des Regisseurs verstanden. Damit wird ihm zugleich eine Absicht unterstellt; bzw. wird der Produktion der Aufführung(sserie) unterstellt, dass sie einer deutenden Absicht des Regisseurs entspricht (die wiederum ihrerseits deutungsbedürftig sein sollte). Sie wird häufig mit der jeweiligen Bedeutung einzelner Elemente und der Gesamtbedeutung von Aufführungen in Verbindung gebracht: Wie erzählt der Regisseur die (bekannte) Geschichte? Was will er mit seiner spezifischen Erzählweise sagen? Der Regisseur wird sowohl für seine interpretierende Lesart als auch für die mit und in der Aufführung entstehenden Bedeutungen die Sprecherinstanz – also der ganz und gar reale ‚Erzähler‘. In der Zusammenschau verschiedener Produktionen und verwendeter Zeichen(repertoires) kann darüber hinaus so etwas wie eine (Zeichen-) Sprache und eine Wiedererkennbarkeit des Regisseurs als Gestaltungsinstanz entstehen.
Wer spricht? Auf der Bühne sprechen Figuren. Was sie sprechen, hat ein Autor geschrieben oder ein Schauspieler entwickelt, vielleicht hat es sogar die Person verfasst, eingebracht oder verändert, die Regie führt. Doch das ‚Wie‘? der Figuren und ihrer Anordnung, ihrer Erscheinung, ihrer Sprechweise und ihrer Aussprache setzt sich
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auf der Bühne zusammen zu einer spezifischen, konkretisierten, zeiträumlich definierten Version einer Geschichte, die dem Regisseur als erzählende Instanz zugeschrieben wird. Darin trägt der Regisseur zugleich Züge eines Erzählers als auch Autoreigenschaften – und nimmt eine heikle Doppelposition ein: Der Regisseur ist Produzent der Aufführung eines Textes, dessen Leser er notwendigerweise zuvor gewesen ist. Seine Lesart und Bedeutung speist er in den theatralen Rezeptionsprozess durch die Besucher einer Aufführung ein – aber nicht als fiktive Erzählinstanz oder Bühnenfigur, sondern als reale Person, die nicht beschreibt, kommentiert, relativiert etc., sondern eben in ebenso praktischer wie deutender Weise: ‚in-szeniert‘. Roland Barthesʼ „Tod des Autors“ (Barthes 2006, 63) ist womöglich nur vorläufig und wird nicht nur „mit der Geburt des Lesers [bezahlt]“, sondern bedingt auch die Entwicklung von Lesern zu Regisseuren zu Autoren, die ihre Bedeutung einspeisen in die dynamische Rezeptionsgeschichte von Geschichten – in Texten und auf der Bühne.
4 Autorschaft im Regietheater Regie bedeutet, eine Aufführung im schöpferischen, kausalen und motivierenden Sinne zu begründen. Regie und diejenigen, die sie verrichten, Regisseure, unterliegen einem autorähnlichen Verständnis, vor allem im Sinne einer analogen Bezüglichkeit: Regie ist ein Prinzip der Einordnung und Strukturierung des Theaters und seiner Aufführungen; so ist mit ihr beispielsweise möglich, Aufführungen zeitlich und räumlich zu unterscheiden. Auch andere Beteiligte einer Aufführung, Darsteller etwa, können zu intentionalen Größen und Bedeutungsinstanzen werden. Gerade die Regie als Bezugsgröße und der Verdacht der ‚Anmaßungʻ von Autorschaft hat seit jeher Skepsis und Kritik am Regietheater hervorgerufen, ohne dass Regie und Regisseure die Urheber von Dramen oder Partituren verdrängt hätten. Vielmehr wirkt Regie als distinktives Merkmal zwischen dem materiell niedergelegten Text und einer performativ vergänglichen Aufführung. Die Emanzipation der Regie zur eigenständigen Kunstform mag erst noch im Begriff der Auffächerung von einer singulären Autorschaft zu multiplen Autorschaftskonstellationen [vgl. den Artikel Kollektive Autorschaft] sein: Inszenieren ist längst nicht mehr nur Vollzugs- und Darstellungsstrategie, sondern meint die Erzeugung des Produktes einer Aufführung in Analogie zur Erzeugung des Produktes eines Textes. Regisseure führen nicht mehr nur aus, sondern sie sind Personen, die zugleich als Autoren wie als reale Erzähler handeln (können). Markierungen und Paratexte von Aufführungen – Programmhefte, Ankündigungen, Interviews,
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auch Publikumsgespräche und leibhaftige Auftritte – sind nicht mehr (nur) von Dramen und ihren Autoren geprägt. An ihre Stelle treten Regisseure, die ihre eigene Interpretation, Lesart und Stil einbringen, indem sie Settings (neu) bestimmen, Titel variieren, Texte verändern, hinzufügen, reduzieren und vieles mehr. Die Wirkung ist eine differenzierende: Dank der Regie des Regisseurs und seines Namens wird erstens ein dramatischer Text von seiner theatralen Aufführung unterschieden, zweitens zwei Aufführungen desselben Textes in unterschiedliche Inszenierungen differenziert, drittens die Aufführung in Text und Inszenierung zerlegt und viertens für jeweils eines Verantwortung zugewiesen, fünftens die Menge theatraler Aufführungen nach Inszenierungsweisen und Theatermitteln gruppiert und historisch verortet und sechstens für einzelne Aufführungen und Aufführungsserien geworben. Die Autorschaft von Regie ist also mehr eine Korrelation von Regisseur und Aufführung denn eine Relation zwischen Autor und Werk. „In unserer Kultur sind es nicht immer dieselben Texte, die eine Zuschreibung gefordert haben.“ (Foucault 2003, 246) Ebenso haben theatrale Aufführungen nicht immer der Zuschreibung von Regie neben Dramenautoren und Komponisten bedurft. Die namentliche Benennung von Regisseuren ist inzwischen rechtlich verbürgt und allgemein üblich. Ihr Fehlen würde heute eine Lücke markieren. Heute jedenfalls, so scheint es, bedürfen Aufführungen der Zuschreibung – auch der Autorschaft ihrer Regisseure.
Verwendete Literatur Barthes, Roland (2006). „Der Tod des Autors“. Das Rauschen der Sprache. Übers. von Dieter Hornig. Frankfurt/Main: 57–63. Fischer-Lichte, Erika (2005). „Inszenierung.“ Metzler Lexikon Theatertheorie. Hrsg. von Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch und Matthias Warstat. Stuttgart: 146–153. Foucault, Michel (2003 [1969]). „Was ist ein Autor?“ Schriften zur Literatur. Hrsg. von Daniel Defert und François Ewald. Übers. von Michael Bischoff, Hans-Dieter Gondek und Hermann Kocyba. Frankfurt/Main: 234–270. Gröning, Karl und Werner Kließ (1969). „Regisseur“. Friedrichs Theaterlexikon von Karl Gröning und Werner Kließ. Hrsg. von Henning Rischbieter. Velber: 342. Lazarowicz, Klaus und Christopher Balme (2000). „Regie“. Texte zur Theorie des Theaters. Hrsg. von Klaus Lazarowicz und Christopher Balme. Stuttgart: 302–305. Lewald, August (2000 [1838]). „In die Scene setzen“. Allgemeine Theater-Revue 3 (1838): 251–257. Zitiert nach: Texte zur Theorie des Theaters. Hrsg. von Klaus Lazarowicz und Christopher Balme. Stuttgart: 306–311. Trilse-Finkelstein, Jochanan Ch. und Klaus Hammer (1978). „Regie“. Theater Lexikon. Hrsg. von Jochanan Ch. Trilse-Finkelstein und Klaus Hammer. Berlin: 435–438.
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Weiterführende Literatur Detering, Heinrich (2002). Autorschaft. Positionen und Revisionen. Stuttgart. Fischer-Lichte, Erika (2004). Ästhetik des Performativen. Frankfurt/Main. Lazarowicz, Klaus und Christopher Balme (Hrsg.) (2000). Texte zur Theorie des Theaters. Stuttgart. Lodemann, Caroline A. (2010). Regie als Autorschaft. Eine diskurskritische Studie zu Schlingensiefs ‚Parsifal‘. Göttingen.
Jochen Mecke
IV.2.3 Autorenfilm Der filmische Autor als Funktion des Autorendiskurses und die Funktionen filmischer Autorschaft
1 Autorschaft in Literatur und Film Dass Schriftsteller Autoren sind, setzt jeder Leser literarischer Werke als selbstverständlich voraus. Weniger selbstverständlich erscheint hingegen, dass auch der Regisseur eines Films dessen Autor sein soll, da er neben Produzenten, Drehbuchautoren, Kameramännern, Beleuchtern, Cuttern und Schauspielern nur eine von zahlreichen an der Produktion eines Films beteiligten Personen ist. Dies war allerdings nicht immer so, denn die Grundlagen der heutigen hochgradig arbeitsteiligen Produktionsweise entstanden im Zuge der um 1910 in Europa und in den USA einsetzenden industriellen Filmproduktion, die schließlich Ende der zwanziger Jahre in der „Fabrik Hollywood“ mit einer extrem differenzierten Aufgabenverteilung, fließbandmäßigen Produktionsabläufen und einer radikalen Einschränkung der Eigenverantwortlichkeit der Regisseure kulminierte (Toeplitz 1983 [1972], 391–395). Zu Beginn der Filmgeschichte waren hingegen fast alle Filme Autorenfilme, denn die Regisseure bestimmten die meisten Aspekte der Filmproduktion wie Drehbuch, Schauspieler, Kameraführung oder Schnitt selbst oder hatten zumindest großen Einfluss auf sie (Prédal 2001, 10). Die Gebrüder Lumière und Georges Meliès in Frankreich oder David Griffith in den USA – um nur wenige Beispiele zu nennen – schrieben ihre Drehbücher selbst, wählten die Schauspieler aus, produzierten die Filme und legten die Details der Kameraführung und des Schnitts fest. Diese Form der Autorschaft ist allerdings von der Frage des Urheberrechts zu trennen, denn die Anerkennung des Regisseurs als einer der Urheber des Films war das Ergebnis einer langen Auseinandersetzung (Jeancolas et al. 1996) [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright]. Und noch in den zwanziger und dreißiger Jahren, als die arbeitsteilige Filmproduktion weltweit dominierte, nahmen Regisseure wie Fritz Lang, Charlie Chaplin, Marcel Carné oder Jean Renoir auf die gesamten Aufgabenbereiche der Filmproduktion so sehr Einfluss, dass sie durchaus den Status eines „Autors“ für sich beanspruchen konnten. Allerdings hat sich die auf Studiosystem, Starkino und Verleihmonopolen beruhende Produktionsweise im Laufe der Jahre weltweit durchgesetzt und damit dem frühen Autorenfilm die Grundlage entzogen.
https://doi.org/10.1515/9783110297065-025
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Doch gerade in der Zeit der größten Dominanz dieses Produktionssystems in den fünfziger Jahren entsteht ein Diskurs, der den Regisseur zum Autor des Films macht. Diese Geburt des Filmautors erscheint umso überraschender, wenn man sie in den Kontext anderer kultureller Sektoren stellt. Denn sie fällt in eine Phase, in welcher der Autor zunächst in der Praxis etwa des Nouveau Roman und später von Tel Quel von einem als autonom verstandenen Schreibprozess (écriture) (Barthes 2006 [1968], 57) abgelöst wird (Mecke 1997) und daraufhin vor allem in den strukturalistischen und poststrukturalistischen Theorien der sechziger und siebziger Jahre auf spektakuläre Weise für „tot“ erklärt (Barthes 2006 [1968]), zu einer bloßen Funktion des Diskurses (Foucault 2003 [1969]) oder aber des literarischen Feldes (Bourdieu 1999 [1992]) degradiert oder dekonstruiert (Derrida 1972) wird [vgl. die Artikel Text, Schreiben, Intertextualität und Topologie der Autorschaft im Feld kultureller Produktion]. Die Einführung des Autors in den Film überrascht nicht nur aus historischer, sondern auch aus systematischer Perspektive: Denn längst nicht alle Texte haben einen Autor (Foucault 2003 [1969], 245). Ein Brief hat zum Beispiel lediglich einen Unterzeichner, ein Vertrag hat einen Bürgen, Zeitungsartikel haben einen Redakteur, Berichte haben einen Verfasser, aber alle diese Textsorten verfügen nicht unbedingt über einen Autor [vgl. den Artikel Brief und Autorschaft]. Wenn jedoch bestimmte Texte, Gattungen und Medien einen Autor haben, andere hingegen nicht, so gehört der Film sicher zu denjenigen Mediengattungen, die nicht per se mit einem Autor ausgestattet sind [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Denn die verschiedenen Rollen, die der literarische Autor in sich vereint wie zum Beispiel alleiniger Verfasser, Urheber und Schöpfer eines Werkes zu sein, kommen im Film offenkundig nicht einer einzigen Person zu, sondern sind auf die Schultern von Produzenten, Drehbuchautoren, Kameramännern, Beleuchtern, Cuttern, Schauspielern etc. verteilt. Da der Regisseur nicht der (einzige) Urheber eines Films ist, kann ihm der Film auch nicht zugeschrieben werden, über die Rechte am Film verfügt nicht er, sondern der Produzent. Gerade deshalb kann die Untersuchung des Films jedoch einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis des Autorenbegriffs leisten, denn während der Autor in der literarischen Produktion und Rezeption intuitiv vorausgesetzt wird, gilt dies für den Film gerade nicht. Was der Buchautor im praktischen Verständnis eines Lesers bereits ist, das muss im Film erst durch komplexe diskursive Strategien konstruiert werden. Was in der Literatur ‚Vorgabe‘ ist, wird hier zur ‚Aufgabe‘ diskursiver Operationen, was dort als ‚Apriori‘ der literarischen Kommunikation erscheint, ist hier ‚Aposteriori‘ eines filmtheoretischen Diskurses und einer filmischen Praxis. Wenn Foucault die Ethik der Literatur der 60er Jahre als Haltung der Gleichgültigkeit gegenüber der Frage „wer spricht“ umreißt (Foucault 2003 [1969], 238), dann gilt in den fünfziger und sechziger Jahren für den Film,
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dass gerade diese Frage in den Vordergrund tritt und nichts die Filmkritiker und cinephilen Zuschauer in den fünfziger und sechziger Jahren mehr interessiert als die Frage danach, „wer dreht“. Dabei bereiten die Kritiker der Cahiers du cinéma und späteren Regisseure der Nouvelle Vague einen Wandel oder eine Ausdifferenzierung der Kinoproduktion vor, die sich in den sechziger und siebziger Jahren weltweit durchsetzen und den Autorenfilm neben dem Studio- und Genrefilm als neue Art des Filmemachens etablieren sollte. Die Autorenpolitik ist dann entweder lediglich eine Strategie unbekannter „Jungtürken“ des Kinos im Umfeld der Cahiers du cinéma, um auf sich aufmerksam zu machen, so wie Jean-Luc Godard dies in seiner Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos behauptet hat (Godard 1985 [1980], 34), oder der Einführung des Autors in den Film kommt der Status einer (damals) neuen Filmtheorie zu, so wie Andrew Sarris (1979 [1962]) oder Peter Wollen (1972 [1969]) dies in ihren Thesen zur Auteur-Theorie gefordert haben. Zugleich ist mit dem Autorenfilm gar ein neues Genre entstanden (Prédal 2001, 75–112). Statt die Frage, ob Filme einen Autor haben können oder nicht, grundsätzlich zu entscheiden, sollen zunächst die Bedingungen untersucht werden, unter denen der Begriff des Autors in den Film Eingang gefunden hat, um dann zu klären, welche Funktionen seine Einführung in den Film eigentlich hat. Die Frage, ob und inwiefern die Rede vom Filmautor und vom Autorenfilm sinnvoll ist, soll dann erst im Anschluss daran beantwortet werden.
2 Die Geburt des Autors aus dem Geist der Filmkritik Zum ersten Mal in öffentlichkeitswirksamer Weise formuliert wurde die neue, auf den Autor bezogene Ethik und Politik des Filmemachens und Filmsehens bereits Ende der vierziger Jahre durch den Filmkritiker Alexandre Astruc. In einem am 30. März 1948 in der Zeitschrift Écran Français veröffentlichten Aufsatz über „Die Geburt einer neuen Avantgarde: die Kamera als Federhalter“ schreibt er: „Der Film ist ganz einfach im Begriff ein Ausdrucksmittel zu werden, wie es alle anderen Künste zuvor, wie es insbesondere die Malerei und der Roman gewesen sind. Nachdem es nacheinander eine Jahrmarktsattraktion, eine dem Boulevardtheater ähnliche Unterhaltungsform oder ein Mittel war, die Bilder einer Epoche zu konservieren, wird es nach und nach zu einer Sprache. Einer Sprache, das heißt zu einer Form, in der und durch die ein Künstler seine Gedanken, so abstrakt sie auch seien, ausdrücken oder seine Probleme so exakt formulieren kann, wie das heute im Essay oder im Roman der Fall ist. Darum nenne ich diese neue
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Epoche des Films die Epoche der Kamera als Federhalter.“ (Astruc 1964 [1948], 111–112). In Astrucs These wirkt der Begriff des literarischen Autors als intermediale Metapher, bei der nicht mehr bestimmte Inhalte, sondern ein Element der literarischen Diskursform von der Literatur auf den Film übertragen wird, so dass sich sowohl die Produktions- als auch die Rezeptionsbedingungen des Films grundlegend verändern. Umgesetzt wird der von Astruc entwickelte programmatische Diskurs filmischer Autorschaft in zwei Schritten, zunächst durch die Filmkritiken der Cahiers du cinéma, dann durch die Filmpraxis der jungen Regisseure der Nouvelle Vague, bevor sie sich dann auch international durchsetzte. Dabei kann die Analyse dieser intermedialen Übertragung des literarischen Autors auf den Film insofern einen interessanten Beitrag zur Untersuchung der Theorie und des Diskurses der Autorschaft leisten, als sie eigentlich der unmittelbaren Erfahrungsevidenz widerspricht, denn angesichts der Realität der Produktionsweise des Films hat der Import des literarischen Autors den Charme einer kontrafaktischen Behauptung: Während ein literarischer Autor seinen Gegenstand in absoluter Freiheit von allen Arten von Zwängen wählt, ist dies beim Filmregisseur nicht der Fall, denn er erhält in der Regel von einem Produzenten den Auftrag, ein vorher von einem Drehbuchautor verfasstes Skript mit einem großen Stab an Technikern und Schauspielern in Bilder und Töne umzusetzen. Der relativen ‚Autonomie‘ oder Selbstbestimmtheit des literarischen Autors steht im Film die ‚Heteronomie‘ oder Fremdbestimmtheit des Regisseurs gegenüber. Wenn der Film nach dem Muster der Literatur zum Medium des Ausdrucks einer Persönlichkeit avancieren soll, dann verstößt diese Forderung offenkundig gegen die Realität, denn der Regisseur hat das, was er ‚ausdrücken‘ soll, nicht selbst gewählt. Darüber hinaus werden Filme kollektiv produziert. In der Produktionshierarchie muss sich der Regisseur überdies mit einer eher subalternen Position begnügen, denn er ist gehalten, die Anweisungen des für die Herstellung des Films verantwortlichen Produzenten zu befolgen und das von anderen Autoren verfasste Drehbuch in Bilder und Töne umzusetzen, statt eine eigene Geschichte zu erzählen. Wie aber kann ein von einem Kollektiv produzierter Film zum Ausdruck eines Individuums werden? Gegen die Evidenz der Kinoproduktion führen die Cahiers-Kritiker die Behauptung ins Feld, dass der Film genauso wenig das Produkt eines Kollektivs sei wie ein Roman, ein Gedicht, eine Symphonie oder ein Bild (Truffaut 1999 [1957], 320) [vgl. auch den Artikel Kollektive Autorschaft]. Sie machen geltend, dass die von ihnen als Autoren verehrten Regisseure – wie etwa Alfred Hitchcock, Roberto Rossellini oder Jean Renoir– oftmals ihre Drehbücher selbst verfassen und, wichtiger noch, ihren Kameraleuten und Schauspielern genaue Anweisungen geben, mittels derer sie ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen, häufig oftmals ohne dass diese wissen, worum es ihnen eigentlich geht (Truffaut 1987
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[1957], 323). Durch diese Revolution der Produktionshierarchie wird der Regisseur zum allein verantwortlichen Schöpfer und Urheber, während die übrigen Mitglieder des Produktionskollektivs zu bloßen Handwerkern degradiert werden. Dabei oszilliert die Autorentheorie in eigentümlicher Weise zwischen filmgeschichtlicher These, filmpolitischem Postulat und filmtheoretischer Position. Denn wie bei Alexandre Astruc, so kommt die Autorentheorie auch bei François Truffaut zunächst als filmhistorische These über ein neues Zeitalter daher: „Ich stelle mir den Film von morgen also noch persönlicher vor als einen individualistischen und autobiographischen Roman, wie ein Bekenntnis oder ein Tagebuch. Die jungen Filmer werden sich in der ersten Person ausdrücken.“ (Truffaut 1999 [1954], 334–335). Darüber hinaus ist die Autorentheorie jedoch auch ein ‚filmpolitisches Postulat‘. Ein Regisseur wird dann zum Autor eines Films, wenn er in der Lage ist, im Film seine eigene persönliche Sichtweise auszudrücken, wenn er den Film zum Ausdruck seines unverwechselbaren, individuellen Stils und seiner persönlichen Sichtweise macht. Wenn Foucault behauptet, dass eine der Funktionen des (literarischen) Autors darin besteht, eine Gruppe von Texten zu klassifizieren und unter einem Namen zusammenzufassen, so besteht eine der politischen Strategien darin, genau diese klassifikatorische Funktion zu nutzen, um Autoren zu erzeugen (Foucault 2003 [1969], 244). Zum Begriff der Autorschaft gehört daher unweigerlich das Element der Wiedererkennbarkeit eines besonderen ‚Filmstils‘. Die Möglichkeit der Erkennung des Regisseurs ist daher unlösbar mit einem Wiederholungseffekt verbunden: „Ein Regisseur besitzt einen Stil, dem man in allen seinen Filmen wiederbegegnet, und das gilt auch für die schlechtesten Filmemacher und ihre schlechtesten Filme.“ (Truffaut 1999 [1957], 333). Der Regisseur konstituiert sich somit als Autor, indem er sich immer wieder der gleichen Themen und Techniken bedient. Dabei kommt der Filmkritik die Aufgabe zu, in den unterschiedlichen Filmen eines Regisseurs die zentralen und wiederkehrenden Themen, Obsessionen und Stilelemente aufzudecken. So wird der Autor ‚Hitchcock‘ konstruiert, indem die Filmkritiker der Cahiers in allen seinen Filmen einen, konstant zu beobachtenden Stil und permanent vorhandene Themen nachweisen. „Wenn ein Mann seit dreißig Jahren und durch 50 Filme immer wieder die ungefähr gleiche Geschichte erzählte – die einer mit dem Bösen kämpfenden Seele – und bei dieser einzigartigen Linie denselben Stil beibehält, der im Wesentlichen aus einer besonderen Art besteht, die Figuren zu entblößen und sie in ein von ihren Leidenschaften losgelöstes Universum einzutauchen, dann scheint es mir schwierig zu sein nicht anzuerkennen, dass man dieses eine Mal etwas gegenübersteht, was man in dieser Industrie nur selten findet: einem Autor von Filmen.“ (Astruc 1954, 5). Demgemäß kommt der Filmkritik die Aufgabe zu, den Nachweis dieser Konstanz zu führen. Claude Chabrol und Éric Rohmer formulieren in ihrem Buch über Alfred Hitchcock, einem der frühesten Autorenbücher, das zentrale Prinzip
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dieser neuen Methodologie der Filminterpretation: die Werkinterpretation muss der Devise folgen, „die unserem Regisseur vertrauten Themen und die Charakteristika seines Stils freizulegen.“ (Chabrol und Rohmer 1993 [1957], 7) Eine solche Stilkonstanz wird sogar bei Regisseuren beobachtet, deren Filme – wie etwa bei Howard Hawks – eindeutig von Genrekonventionen bestimmt werden. Trotzdem hat es Hawks laut den Kritikern der Cahiers du cinéma vermocht, sein Thema und seine persönliche Sichtweise, nämlich das „Eindringen des Inhumanen oder einer gröberen Vorstufe der menschlichen Natur in eine hochzivilisierte Gesellschaft“ innerhalb oder sogar gegen die Konventionen des Genrefilms durchzusetzen (Rivette 1989 [1953a], 34). Neben der ‚filmhistorischen These‘ über ein neues Zeitalter der Autoren enthält der Autorendiskurs jedoch auch eine ‚filmtheoretische Dimension‘, nach welcher die Autorschaft des Films immer dem Regisseur zuzuschreiben ist, selbst dann, wenn er seine Möglichkeiten gar nicht nutzt, einem Film seinen Stempel aufzudrücken: „Grundsätzlich kann man annehmen, daß der Autor eines Films der Regisseur ist und nur er allein, selbst wenn er keine Zeile des Drehbuchs geschrieben, den Schauspielern keine Anweisungen gegeben und keine einzige Kameraposition festgelegt hat.“ (Truffaut 1999 [1960], 17). Truffaut definiert Autorschaft somit als generell gültiges Zuschreibungsverhältnis, als rechtlich bedeutsame Zuordnung, die dem Regisseur prinzipiell die Herrschaft über den Film einräumt. Um dieses Prinzip auch gegen die Realität der Filmproduktion durchzusetzen, entwickeln die Kritiker der Cahiers eine spezifische Filmhermeneutik, nach der Filme nicht nach den tatsächlich realisierten Ergebnissen, sondern nach den Absichten eines Regisseurs zu beurteilen sind [vgl. den Artikel Autorschaft und Hermeneutik]. Wenn Jean-Luc Godard daher lapidar fordert, „Man muss The True Story of Jesse James nach den Intentionen beurteilen“ (Godard 1989 [1957], 112), so ist dies nicht als isolierter Appell an den Zuschauer zu verstehen, in einem besonderen Fall die Gnade des guten Willens vor dem Recht des tatsächlichen Ergebnisses ergehen zu lassen, sondern eine theoretische Verschiebung des Verhältnisses zwischen Autor und Werk. Es geht nicht mehr um den konkreten Film, sondern um dessen Schöpfer. Autorschaft, das haben die bisherigen Ausführungen deutlich gemacht, besteht auch für die Filmkritiker der Cahiers im Prinzip der Werkherrschaft (Bosse 1981) [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft]. Wenn jedoch Filme nicht nach den konkreten Resultaten, sondern vielmehr nach den Intentionen von Regisseuren zu beurteilen sind, ist es nur konsequent, Regisseure nach genau jenen Intentionen zu befragen, die sie beim Drehen eines Films hatten. Fragt die traditionelle Literaturwissenschaft danach, was der Autor dem Leser mit einem Werk „sagen wollte“, so stellt die neue Filmkritik der Cahiers die Frage, was der Regisseur mit seinem Film „zeigen wollte“. Die Schaffung einer
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spezifischen Filmhermeneutik, die Filme als Ausdruck der Intentionen von Regisseuren deutet, wird daher in den fünfziger und sechziger Jahren begleitet von einer Praxis ausführlicher Interviews mit Filmemachern wie Alfred Hitchcock, Howard Hawks, Roberto Rossellini oder Jean Renoir (Bazin et al. 1991 [1972]). In diesem Punkt zeigt sich die politische Dimension des Autorendiskurses am deutlichsten, denn die Interviews sind ein wirkungsvolles Instrument im Rahmen einer Gesamtstrategie, die den Regisseur in das Zentrum der Aufmerksamkeit der Filmproduktion und -rezeption rücken möchte. Und tatsächlich werden Regisseure nicht nur zu technischen Details der Regie, sondern auch zu ihren Absichten und Selbstinterpretationen befragt. Hitchcock wird zu seiner Technik und auch zu seiner „Metaphysik“ interviewt (Bazin et al. 1991 [1972], 175), Howard Hawks zur Bedeutung der zahlreichen Kreuz- und X-Formen in Scarface befragt (Bazin et al. 1991 [1972], 131), Orson Welles äußert sich zur Frage, ob er in Citizen Kane den Kapitalismus kritisieren wollte (1991 [1972], 218), und das Interview mit Roberto Rossellini soll den Streit zwischen unterschiedlichen Deutungen seiner letzten Filme entscheiden (Bazin et al. 1991 [1972], 74). Insgesamt wird den Regisseuren dadurch die Deutungshoheit über ihre Filme eingeräumt. Die Interviews lassen auch die oftmals allegorischen und zum Teil äußerst willkürlich und subjektiv erscheinenden Interpretationen einzelner Filmszenen durch die jungen Cahiers-Kritiker in einem neuen Licht erscheinen. So mag der Vorwurf der Parteilichkeit und subjektiven Willkür tatsächlich gerechtfertigt sein, was einzelne Filme anbetrifft, doch wenn man die große Sorgfalt berücksichtigt, welche die Kritiker bei der Rekonstruktion und Analyse filmtechnischer Aspekte walten lassen, so wird deutlich, dass die Deutungen einem sehr viel grundlegenderen Ziel als dem bloßer Einzelinterpretationen dienen: Es geht um den Nachweis, dass einzelne Szenen nicht nur Handlungen, Personen, Orte und Objekte zeigen, sondern, dass sie darüber hinaus Sinn und Bedeutung vermitteln. Statt um die Analyse konkreter Bedeutungen geht es um die Konstruktion der Möglichkeitsbedingung von filmischer Bedeutung überhaupt, einer Bedeutung, die dann als Ausdruck der Weltsicht und der Persönlichkeit eines Autors verstanden werden kann. Bisweilen konnte sich der Autorendiskurs sogar zu einem wahren, um einzelne Regisseure betriebenen Personenkult steigern, der einige Filmemacher zu Genies hochstilisierte [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft]. André Bazin behauptet in einem Aufsatz, Jean Renoir sei ein ebenso großes Genie wie Flaubert oder Maupassant (Bazin 2004 [1952], 126), Jacques Rivette schreibt über das „Genie des Howard Hawks“ (Rivette 1989 [1953a], 32–44) und hält in einem Artikel über Alfred Hitchcock emphatisch fest, dass das bedeutendste Denken unserer Zeit sich dazu entschieden habe, sich nicht in Büchern, sondern im Film auszudrücken (Rivette 1989 [1953b], 45). All diese Übertreibungen dürften wohl zum einen
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der Tatsache geschuldet sein, dass die These von der Autorschaft des Regisseurs gegen die offenkundige Tatsache der kollektiven Produktionsweise des Films und die weit verbreitete Auffassung durchgesetzt werden muss, der Film sei so etwas wie der kleine Bruder der Literatur mit reduzierten Ausdrucksmöglichkeiten. Personen- und Geniekult fungieren in diesem Kontext als gezielte Strategie, den Regisseur und damit indirekt auch den Film aufzuwerten. Die These von der Autorschaft des Regisseurs widerspricht jedoch nicht nur der kollektiven Produktionsweise, sondern vor allem den evidenten ökonomischen Zwängen, unter denen die Filmproduktion steht. Da beim Film die Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen nicht wie in der Literatur erst bei der Veröffentlichung beginnt, sondern bereits die Produktion bestimmt, steht er von Anfang an im Zeichen ökonomischer Interessen, welche die zu den Möglichkeitsbedingungen von Autorschaft gehörende Autonomie und Freiheit beeinträchtigen. Daher versuchen die Filmkritiker der Cahiers die Rolle der beim Filmemachen wirksamen materiellen Zwänge herunterzuspielen, der Regisseur soll wie der Schriftsteller als selbstbestimmt und autonom handelndes Subjekt erscheinen, das seine eigenen Vorstellungen in relativer Freiheit verwirklichen kann. Zunächst wird deshalb jenen Regisseuren das Adelsprädikat der Autorschaft zugeschrieben, die – wie z. B. Robert Bresson, Roberto Rossellini oder Jacques Becker – unabhängig bleiben wollen und das Risiko gewagter filmischer Experimente eingehen, diese Haltung allerdings oftmals mit ökonomischen Misserfolgen bezahlen (Rivette 1989 [1963], 156–158). Jacques Rivette unterteilt daher das amerikanische Kino in ein Kino der Zahlen, dessen Analyse er allein den Ökonomen überlassen will, und ein Kino der Individuen, das der ästhetischen Analyse bedarf. Den Autorenfilm versteht er als Alternative zum Film jener „Zyniker, die ihre Seelen an die großen Studios verkauft haben“ (Rivette 1989 [1955], 98). Auch hier bedienen sich die Cahiers-Kritiker zur Konstitution von Autorschaft einer Strategie aus dem Feld der Literatur, die derjenigen der noch nicht anerkannten literarischen Avantgarde vergleichbar ist: Während sie die ästhetische Legitimität der ökonomisch erfolgreichen Autoren infrage stellen, dient die ökonomische Erfolglosigkeit im Umkehrschluss als Nachweis größerer Unabhängigkeit und ästhetischer Freiheit (Bourdieu 1992, 202–208). Gemäß dieser Logik bedeutet ein großes Filmbudget daher auch nicht die Möglichkeit, die eigenen Vorstellungen in größtmöglicher Freiheit zu verwirklichen, sondern die sklavische Unterwerfung unter das Diktat der Ökonomie: „Unsere Regisseure werden zu Sklaven der Superproduktionen … lassen sich verschlingen und absorbieren von dem übertriebenen Schauwertanspruch der heutigen Filme.“ (Truffaut 1999 [1957], 334). Ein kleines Budget wird im Umkehrschluss als Chance betrachtet, den wirtschaftlichen Zwängen ihre Bedeutung zu nehmen und auf diese Weise den Handlungsspielraum des Regisseurs zu erweitern. Für einen großen Regisseur, behauptet Truffaut, ist die
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Ausdrucksfreiheit auch bei einem kleinen Budget total (Truffaut 1987 [1957], 238). Für Rivette wird das durch die Ökonomie beherrschte Zeitalter der Produzenten von einem Zeitalter der Autoren abgelöst, die den Versuch machen, ein persönliches Werk zu schaffen (Rivette 1989 [1955], 100). Zu dieser Konstitution des Regisseurs als Autor gehört auch noch die Reduktion der zweiten Art materiellen Zwangs, denn im Unterschied zur Verfassung literarischer Texte, die an technischen Fähigkeiten lediglich die Kenntnis des Alphabets und die Beherrschung eines Kugelschreibers voraussetzen, spielen Handwerk und Technik im Film eine ungleich größere Rolle. Ebenso wenig wie ökonomischen darf der Regisseur als Autor technischen Zwängen unterworfen sein. Daher wird die Rolle der Beherrschung der Filmtechnik durch eine Reihe polemischer Äußerungen auf ein Minimum reduziert: „Jeder kann Regisseur werden, jeder kann Drehbuchautor werden, jeder kann Schauspieler werden,“ behauptet Truffaut (1999 [1957], 328), während Claude Chabrol die gesamte Ausbildungszeit für künftige Regisseure auf einen halben Arbeitstag reduziert: „Alles, was man wissen muss um Filme zu drehen, kann man in vier Stunden lernen.“ (Siclier 1961, 15). Der Beherrschung der Filmtechnik wird so die gleiche geringe Bedeutung für das Gelingen eines Filmes beigemessen wie der Beherrschung der materiellen Schreibtechnik für das Gelingen eines Romans. Ein Filmregisseur ist nicht mehr jemand, der ein bestimmtes Handwerk erlernt hat, sondern jemand, der in der Lage ist, seinen Vorstellungen mittels des Films künstlerischen Ausdruck zu verleihen. Um seiner eigenen Sichtweise einen wirkungsvollen Ausdruck verleihen zu können, muss sich der Regisseur allerdings auch von vorgegebenen konventionellen Mustern und stereotypen Formeln befreien. Daher zieht die Filmkritik der Cahiers einen klaren Trennstrich zwischen jenen Werken, die zum „Kino eines rhetorischen Diskurses gehören, wo sich alles den gebräuchlichen zu Stereotypen erstarrten Formeln beugen muss und einem Kino, das sich allen Konventionen des Schnitts und der richtigen Anschlüsse (der Montage) verweigert, aus dem Bedürfnis, sich unvermittelt auszudrücken. Ein solches Kino bricht gewaltsam mit dem klassischen Filmcode, um etwas Persönliches zu schaffen.“ (Rivette 1989 [1953], 100) Fassen wir zusammen: In den Kritiken der Cahiers du cinéma artikuliert sich ein neuer Diskurs, der die literarische Figur des Autors mit seinen Merkmalen der relativen Autonomie, Werkherrschaft, Ausdruckskraft und Kreativität in den Film einführt. Aus der Perspektive der Foucaultschen Diskursanalyse erscheinen die Cahiers-Kritiker als Diskursivitätsbegründer, das heißt als Autoren des Diskurses der Autorschaft im Film (Foucault 2003 [1969], 252). Als die Kritiker der Cahiers du cinéma dann die Schreibmaschine des Kritikers gegen die Kamera des Regisseurs tauschen, setzen sie in der Praxis genau das fort, was sie in Kritik und Theorie
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vorbereitet hatten: Sie konstituieren sich selbst als Autoren ihrer Filme. Insofern lässt sich die Filmpraxis der Nouvelle Vague als Fortsetzung der Autorenpolitik mit anderen Mitteln begreifen (vgl. Godard 1959, 21).
3 Die Konstitution des Regisseurs als Autor durch die Praxis: Auktoriale Regie-Techniken der Nouvelle Vague Wenn Autonomie, Freiheit und Selbstbestimmtheit zu den wichtigsten Merkmalen der Autorschaft gehören, haben die jungen Filmregisseure allerdings die denkbar schlechtesten Karten, um als Autoren aufzutreten, denn sie waren von der regulären Filmindustrie völlig ausgeschlossen. Godard, Truffaut, Chabrol, Rivette und Rohmer hatten keine Ausbildung beim Institut des hautes études cinématographiques (IDHEC) absolviert und verfügten daher weder über das Vertrauen und das Geld der Produzenten noch über das Können versierter Drehbuchautoren, teure Studios oder berühmte Schauspieler. Da sie auch nicht Mitglieder der Filmgewerkschaft waren, hatten sie nicht einmal die Möglichkeit, unbelichtetes Filmmaterial zu erwerben. Ihr genialer Schachzug besteht nun darin, all diese offenkundigen Nachteile in Stärken zu verwandeln. Da sie nicht über gute Beziehungen zu bekannten Produzenten verfügen, die bereit gewesen wären, Geld in die Filme von Unbekannten zu investieren, produzieren sie ihre Filme zum Teil selbst wie Claude Chabrol, oder mit Hilfe von anderen Regisseuren wie Jacques Rivette oder aber mit der Unterstützung noch nicht fest etablierter Produzenten wie etwa Georges de Beauregard. Da ihnen kein großes Budget zur Verfügung steht, senken sie die Produktionskosten drastisch durch den Verzicht auf teure Studios und bekannte Schauspieler, sie drehen mit damals unbekannten Schauspielern oder Laien an Originalschauplätzen (Marie 1997, 44–59) und erzielen dadurch eine bisher unerreichte Unmittelbarkeit, Natürlichkeit und Authentizität, die gleichzeitig als Indizien eines neuen Filmstils wirken. Die auferlegten Produktionstechniken ermöglichten die Schaffung eines wiedererkennbaren Stils der Gruppe oder Strömung, ein kleinster gemeinsamer Nenner, auf dessen Grundlage, die Regisseure ihren eigenen individuellen Stil schaffen konnten (Marie 1997; Douchet 1998; Monaco 2004; Baecque 1998). Eine zweite Maßnahme zur Sicherung der eigenen Autonomie besteht in der Loslösung von den Vor-Schriften des Drehbuchs. So schreiben sie entweder – wie zu Beginn Claude Chabrol, François Truffaut oder Eric Rohmer – ihr Drehbuch selbst oder aber sie lösen sich bisweilen – wie z. B. Godard oder Jacques Rivette – gänzlich von der
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Vor-Schrift des Drehbuches, indem sie einen Film wie eine Reportage drehen (Baecque 2011 [2010], 127). Als Modell für die Einschreibung bzw. „Ein-Bildung“ des Regisseurs in seinen eigenen Film dienen Szenen, in denen Alfred Hitchcock kleine Cameo-Auftritte in seinen eigenen Filmen absolviert. So tritt Francois Truffaut beispielsweise als Statist in einer Szene seines ersten Spielfilms Les 400 coups auf oder Jean-Luc Godard übernimmt die Rolle eines Denunzianten in A bout de souffle. Wenn das Autorenkino versucht, den Regisseur als Sprecher zu positionieren (Freybourg 1993, 22), dann können Voice-Over-Techniken, die das Geschehen aus der Perspektive eines extradiegetischen und heterodiegetischen Erzählers kommentieren, als unmittelbare Anwendung dieser Strategie betrachtet werden. Truffaut schafft in Tirez sur le pianiste (1960) und Jules et Jim (1961) einen auktorialen, Godard in Le petit soldat (1960) oder Rohmer in seinen Contes moraux (ab 1959) einen autobiographischen Erzähler, die beide als Erzählerfiguren und damit auch als Statthalter des Regisseurs im Film selbst wirken (Mecke 1996). Ein weiteres Element der Konstitution des Regisseurs als Autor ist eine häufig anzutreffende autobiographische Dimension der Filme [vgl. auch den Artikel Auto(r)biographie]. Truffaut flicht in Les 400 coups zahlreiche Elemente seiner eigenen Kindheit und Jugend ein, Jean-Luc Godard legt Michel Poiccard seinen eigenen Sprachwitz in den Mund, Claude Chabrol verarbeitet in Le Beau Serge und Les Cousins eigene Erlebnisse. Truffauts ambitioniertes Projekt, die von autobiographischen Reminiszenzen durchtränkte fiktive Biographie seines Helden Antoine Doinel aus Les 400 coups über insgesamt drei weitere Spielfilme und einen Kurzfilm zu verfolgen, ist die vielleicht radikalste Form der autobiographischen Dimension des Autorenkinos (Dannenberg 2011). Am deutlichsten wird diese autobiographische Dimension jedoch dann, wenn sie sich auch in der physischen Ähnlichkeit zwischen Regisseur und Hauptdarsteller manifestiert. Godard sucht sich mit Jean-Paul Belmondo und Henri Subor Hauptdarsteller aus, die seiner eigenen Silhouette und Physiognomie ähneln, bei François Truffaut und Jean-Pierre Léaud war dies so sehr der Fall, dass manche Zuschauer Regisseur und Schauspieler verwechselten (Truffaut 1987 [1970], 9). Eine weitere diskursive Strategie zur Einschreibung des Regisseurs als Autor in den Film ist die Technik der mise en abyme, bei der der Film im Film selbst widergespiegelt wird. In fast allen Filmen der Nouvelle Vague finden sich Verweise auf das Kino. Es werden Filmplakate, Filmzeitschriften oder Bücher über Regisseure gezeigt, die Hauptfiguren gehen ins Kino, wie etwa in Godards Vivre sa vie oder in Masculin/Féminin, Pierrot le fou, les Carabiniers und in einigen Filmen, wie Godards Le Mépris, sind Drehbuchautoren oder Regisseure die Hauptfiguren, während in Truffauts La Nuit américaine der gesamte Film vom Drehen eines Films handelt (Mecke 2004). In eine ähnliche Richtung gehen die häufig im Kino
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der Nouvelle Vague zu beobachtenden Illusionsbrüche. Wenn François Truffaut seinen Helden Antoine Doinel am Schluss des Films in die Kamera schauen lässt, wenn sich Jean-Paul Belmondo als Michel Poiccard in A bout de souffle direkt an den Zuschauer wendet, wenn Godard die filmische Illusion in La chinoise permanent durchbricht, indem er das Filmset mit Kamera und Drehteam zeigt, dann verweisen diese gezielten Zerstörungen der referenziellen Illusion gleichfalls auf den Film selbst und seinen Autor. Die wichtigste Technik der „Einbildung“ des Regisseurs als Autor in den Film besteht allerdings in der Schaffung eines wiedererkennbaren Stils. Dieser wird immer dort am deutlichsten sichtbar, wo Filme vom konventionellen Code abweichen oder ihn durchbrechen, wie dies etwa In A bout de souffle fast permanent der Fall ist, einem Film, der ebenso sehr als ästhetisches Manifest der Nouvelle Vague betrachtet werden kann wie Truffauts Aufsatz Eine gewisse Tendenz des französischen Kinos als dessen theoretischer Vorläufer. Die zahlreichen filmästhetischen Innovationen wie Jump Cuts, temporeiche Schnittrhythmen, Reißschwenks, nervöse Kamerabewegungen und Kamerafahrten, Innenaufnahmen ohne künstliche Beleuchtung, Straßenaufnahmen mit versteckter Kamera oder Verfremdungseffekte durchbrechen die filmischen Konventionen radikal und nehmen den Bildern ihre scheinbar natürliche Transparenz, sie ‚deautomatisierenʻ die Kino-Sprache und verweisen auf den Regisseur als kreativen Schöpfer. Nicht immer profiliert sich der persönliche Stil jedoch durch so radikale Abweichungen. Wenn die Durchbrechungen des konventionellen Filmcodes auch selten so radikal sind wie bei Godard, bleibt dennoch das Prinzip der Konstitution eines wiedererkennbaren Stils, so etwa eine kalte, neutrale und ungerührte Sicht auf die Figuren bei Claude Chabrol, eine geheimnisvolle Inszenierung des Alltäglichen bei Jacques Rivette, die leichte Inszenierung dramatischer Konflikte und Themen bei Truffaut oder aber die poetische Inszenierung der Dialoge bei Eric Rohmer, ein Wiedererkennungseffekt, der durch die wiederholte Verwendung der gleichen Schauspieler (Jean-Pierre Léaud bei Truffaut, Jean-Paul Belmondo bei Godard, Bernadette Laffont in den Filmen der Nouvelle Vague allgemein), die Zusammenarbeit mit bevorzugten Drehbuchautoren wie z. B. Jean Gruault oder Suzanne Schiffmann für Truffaut oder Kameramännern wie zum Beispiel Raoul Coutard für Godard und Truffaut oder Nestor Almendros für Rohmer und die Arbeit mit mehr oder weniger festen Drehteams verstärkt wird.
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4 Funktionen der Autorschaft im Film Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, mittels welcher Strategien der Regisseur in den Kritiken der Cahiers du cinéma und den Filmen der Nouvelle Vague in einen filmischen Autor verwandelt wird. Seitdem hat sich der Autorenfilm nicht nur in Frankreich, sondern in der ganzen Welt durchgesetzt. Das Autorenkino stellt eine effiziente Strategie dar, die weltweite Vorherrschaft des Studio- und Starsystems à la Hollywood in den sechziger Jahren zu durchbrechen und ein neues Kino zu schaffen. Überall wo sich in den sechziger Jahren neue Filmbewegungen herausbilden – also etwa im Free Cinema oder der British New Wave in Großbritannien, im nuevo cine español und der escuela de Barcelona in Spanien, im novo cinema in Brasilien und im nuevo cine mexicano in Mexiko, im New Hollywood in den USA und schließlich im Neuen Deutschen Film in Westdeutschland, der mit dem Oberhausener Manifest einen ähnlichen Impulstext vorzuweisen hatte wie die Cahiers-Kritiken in Frankreich und in den Filmen von Alexander Kluge, Werner Herzog, Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Edgar Reitz und anderen gleichfalls die Autorenperspektive durchsetzte (Elsaesser 1994, 115) – wird der Film nicht mehr als handwerklich hergestellte kommerzielle Massenware betrachtet, sondern als Kunstwerk, in dem sich der persönliche Stil und die individuelle Sichtweise eines Autors manifestieren. Seitdem gehen Zuschauer nicht mehr ausschließlich ins Kino, um einen Thriller oder einen Film mit Brad Pitt oder Catherine Deneuve zu sehen, sondern auch, um einen frühen Tarantino oder einen späten Woody Allen anzuschauen. Insofern war der Autorendiskurs im Film von Erfolg gekrönt. Neben einem kommerziellen Kino hat sich der Film als Medium künstlerischen Ausdrucks etabliert [vgl. auch den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten]. Die Frage, durch welche Verfahren und Techniken sich der Autor im Film konstituiert, ist allerdings zu trennen von der Frage nach dessen Funktionen. Zu klären bleibt daher noch, ob der Autor im Film die gleiche Rolle hat wie in der Literatur. Eine medientheoretische und mediengeschichtliche Perspektivierung des Autorenbegriffs muss berücksichtigen, dass jede Übertragung einer Kommunikationsinstanz von einem Medium auf ein anderes das Objekt dieses Übertragungsvorgangs modifizieren kann. Um daher die Funktionen des Autors im Film untersuchen zu können, ist es notwendig, sich von denjenigen theoretischen Vorgaben lösen, die von einer Gleichsetzung des literarischen mit dem filmischen Autor ausgehen, so wie dies bei den Begründern des Autorenkinos der Fall ist. Die Diskursanalyse der Funktionen filmischer Autorschaft muss sich vom Personen- und Geniekult der Cahiers-Kritiker und dem Selbstverständnis der Nouvelle-Vague-Regisseure als allein für den Film verantwortliche Autoren befreien.
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Welche Funktion der Regisseur als Autor tatsächlich hat, wird daher auch besonders bei denjenigen Regisseuren deutlich, die als Angestellte der Hollywoodstudios im Auftrag eines Produzenten ein Drehbuch mit Schauspielern und einem Team verfilmen mussten, das sie nicht gewählt hatten. In diesem Kontext verfügen die Regisseure über nichts Anderes als über die Gestaltung der Bilder und Töne. In dieser Konstellation hat der Regisseur als Autor in der Filmkritik vor allem die Funktion, die Aufmerksamkeit des Zuschauers genau auf den Bereich zu lenken, über den er gebietet, d.h. auf den genuin filmischen Bild- und Tontrakt. In der Regiepraxis der Nouvelle Vague geschieht dies vor allem in Sequenzen, die so inszeniert sind, dass neben der unmittelbaren Ebene der Repräsentation der Handlung eine zweite Ebene spezifisch filmischer Bedeutung entsteht. Die Verfremdungseffekte ‚deautomatisierenʻ die Filmsprache und rücken dadurch zunächst den Regisseur als Autor, mit ihm und durch ihn jedoch vor allem das filmische Zeichen selbst in den Fokus des Betrachters. Die ‚Autorreferenzialität‘ des Films erweist sich als ‚Autoreferenzialität‘. Bild und Ton werden dadurch zum filmischen Signifikanten, der prinzipiell, neben der Abbildung der Handlung, neue Bedeutungen transportieren kann. So lenkt Jean-Luc Godard gleich in der ersten Szene von À bout de souffle die Aufmerksamkeit des Zuschauers durch eine Großaufnahme Michel Poiccards (dargestellt durch Jean-Paul Belmondo) auf dessen äußere Erscheinung: Poiccards Sakko ist offenkundig zu groß für ihn, sein Hut sitzt unverhältnismäßig tief im Gesicht und seine Zigarette hängt übertrieben schief im äußersten Mundwinkel, so dass Kleidung und Habitus nicht nur wie reine Objekte ‚an sich‘ dargestellt werden, sondern darüber hinaus noch auf etwas Anderes verweisen. Sie fungieren als filmische Zeichen, die eine filmische Bedeutung vermitteln. In Großaufnahme zu sehen ist danach auch noch, wie Michel sich mit dem Daumen über die Oberlippe streicht, es wird eine Bedeutung suggeriert, die jedoch in der Szene selbst noch nicht gegeben wird. Dies geschieht erst später, als Michel die gleiche Geste vor dem Plakat eines Humphrey-Bogart-Films wiederholt, wobei sich sein Bild auf der Oberfläche des Schaufensters spiegelt, während hinter dem Glas ein Photo von Bogart zu sehen ist. Die Szene suggeriert, dass Poiccard sich mit dem von ihm bevorzugten Helden so sehr identifiziert, dass er dessen Kleidung und Gestik imitiert. Die Übertreibungen der Mimik und Gestik weisen darauf hin, dass es in der Szene weniger um die konkrete filmische Bedeutung geht als um die Schaffung der Voraussetzung für die Kodierung filmischer Bedeutungen und deren Dekodierung durch den Zuschauer. Der Übergang vom bloßen ‚Film-Sehen‘ zum ‚Film-Verstehen‘ wird geleistet. Wenn man die Funktionen der verschiedenen diskursiven Strategien der Filmkritik und Filmpraxis untersucht, mit denen der Regisseur als Autor konstruiert wird, so zeigt sich, dass sie alle darauf hinauslaufen, dem Filmbild seine
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unmittelbare Transparenz zu nehmen. Sie hindern den Zuschauer zunächst daran, die Filmbilder direkt auf die abgebildete Welt zu beziehen, der Film verliert seine ‚natürliche‘ Oberfläche und gewinnt eine potenzielle Bedeutungstiefe, die der Zuschauer durch seine Interpretation ausloten kann. Die Funktion der Verwandlung des Regisseurs in einen Autor besteht mithin darin, den spezifisch filmischen Signifikanten in den Vordergrund der Filmrezeption zu rücken. Wenn man die Untersuchung der Funktionen des Autors von den Vorgaben der Autorentheorie selbst löst, zeigt sich mithin, dass der Autor im Film eine ganz andere Funktion übernimmt als in der Literatur. Im Film hat er die Funktion, die Materialität des filmischen Zeichens in den Vordergrund zu rücken und die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf jene subdominanten Mikrostrukturen des Films zu lenken, welche nicht nur die im Drehbuch festgelegten Makrostrukturen von Handlung und Figurenkonstellation visuell und akustisch umsetzen, sondern darüber hinaus noch zusätzliche Bedeutungen produzieren können, die über diese rein narrativen Funktionen hinausgehen. In diesem Kontext funktioniert der Autor als Figur, mit deren Hilfe Bild und Ton sich aus der Umklammerung vorgefasster Bedeutungen befreien und neue, von der ‚vor-geschriebenen‘ Geschichte unabhängige Signifikate produzieren können. Im Unterschied zum literarischen ist der filmische Autor eine Funktion der Produktivität des Bildes und des Tons. Damit hat die Geburt des Autors im Film jedoch eine ähnliche Funktion wie dessen Tod in der Literatur (Mecke 1997). Die Einführung des Autors in den Film verwandelt einen ehemaligen Handwerker in einen Künstler und leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur Aufwertung des Kinos und zu seiner Anerkennung als 7. Kunst. Darin mag auch der Grund dafür liegen, dass der Begriff des Autors im Film die Zeiten seiner (post-)strukturalistischen Dekonstruktion und auch des agitatorischen politischen Kinos der 1970er Jahre überlebt hat. Nach einer Zeit, in denen sich selbst das Zentralorgan des Autorenfilms, die Cahiers du cinéma, vom Konzept des Autors verabschiedet und Autorenfilmer der Nouvelle Vague wie Jean-Luc Godard den Filmautor durch das Produktionskollektiv Dziga Vertov ersetzen, kehrt der totgeglaubte Autor spätestens in den neunziger Jahren im so genannten zweiten Autorenfilm, der eigentlich der dritte ist (s. o.) zurück mit Regisseuren wie etwa Léos Carax, Jean-Jacques Beineix oder Luc Besson in Frankreich, Nanni Moretti in Italien, Pedro Armendáriz in Spanien oder David Lynch in den USA, und – trotz aller gegenteiliger Bekundungen – Dominik Graf in Deutschland, um nur wenige Beispiele zu nennen (Scholz 2005, Goss 2009, von Hagen und Thiele 2012). Was die Regiepraxis angeht, so ergeben sich durch die Digitalisierung und die damit einhergehende Revolution der Kamera- und Schnitttechnik im Kontext neuer Finanzierungsstrategien wie etwa des Crowdfunding neue Möglichkeiten für Regisseure, tatsächlich wieder mehr Einfluss auf die gesamte
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Produktion zu gewinnen und eigene Vorstellungen in ihren Filmen zu verwirklichen.
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IV.3 Medien
Gregor Schwering
IV.3.1 Autorschaft und Medien 1 Aufriss Dass Autorschaft mit Medien verknüpft ist, wird nicht erst in der jüngsten Mediengeschichte, also hinsichtlich der Herausforderungen des elektronischen Schreibens und Publizierens im Internet (vgl. Bolter 1997, 48–50), zum Problem [vgl. den Artikel Vernetzte Autorschaft]. Und ebenso beginnt die Diskussion um den Ort des Urhebers im Kontext einer Medienlandschaft nicht erst mit der Ankunft der Photographie, die – im zeitgenössischen Diskurs als Pencil of Nature (Talbot 1844) angeschrieben – den Anschein erwecken konnte, dass es zur Herstellung von Werken keines Schöpfers mehr bedarf, da nun die technische Apparatur selbst diesen Prozess ermöglicht. Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass eine weitreichende Problematisierung des Verhältnisses von Autorschaft und Medien da einsetzt, wo dieses Problem gelöst erscheint, nämlich im 18. Jahrhundert. Denn wo auf der einen Seite die Schrift und weitergehend das Buch an einen Urheber gekoppelt werden, in dessen Namen ein Text zu veröffentlichen ist, beginnt auf der anderen Seite eine Diskussion über die Schwierigkeiten dieser Koppelung: „Warum kann“ bringt dies Friedrich Schiller unter dem Titel Sprache auf den Punkt, „der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen! Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr.“ (Schiller 2004 [1797], 313) So gesehen, widerspricht das Medium der Absicht seiner Nutzer, den Kontakt zum anderen ungestört und authentisch herzustellen, da es beiden, Sender wie Empfänger, im Weg steht: Der Kanal, der die Verbindung ermöglicht, erweist sich zugleich als Hindernis. Denn „spricht“ der lebendige Geist, ist er schon nicht mehr lebendig bzw. hat sich dessen Ureigenes, nämlich die „Seele“, auf dem Umweg über die Sprache und im Gestrüpp derselben verflüchtigt: Erscheinen kann dieser Geist seinem Gegenüber oder einem Publikum nur, insofern nicht zuerst er selbst, sondern „das Medium […] die Botschaft“ (McLuhan 1994 [1964], 21) ist. In dieser Hinsicht ist das Verhältnis zwischen Autoren und Medien ein vor allem zwiespältiges bzw. wird es von Irritationen durchzogen. Das gilt nicht allein für das Medium Sprache, sondern lässt sich durch die Entwicklungen der Mediengeschichte auch für andere Medien zeigen.
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2 Geistiges Eigentum, Genieästhetik und die Mediendynamik der Sprache Das Recht des Urhebers Dass der Wert einer Schrift über das Eigentumsrecht eines Autors an seiner nur handwerklichen Arbeit hinausgeht, war nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Zunächst nämlich wird das Eigentum des Autors „in der Tradition des Römischen Rechts […] als Sacheigentum am Manuskript begriffen. Nachdem dieses auf den Verleger übergegangen war, hatte der Autor keinerlei Rechte an seinem Werk mehr“ (Plumpe 1992, 378). Das ändert sich im 18. Jahrhundert, als das Recht des Autors auch als ein Recht auf sein geistiges Eigentum definiert und fixiert wird [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright]. In diesem Sinne, so lässt sich die einschlägige Forschung zusammenfassen, ist für die Rechtslage nun das „‘eigentümliche‘ Werk“ als „Eigentum des Autors“ (Plumpe 1992, 379) entscheidend: Zwar tritt der Autor das Recht an einer Vervielfältigung und Verwertung seiner Arbeit an den Verleger ab. Er behält jedoch das Recht am „Inhalt“ oder am „geistige[n] Substrat“ (Plumpe 1992, 378) dessen, was er der Öffentlichkeit vorlegt: „Einmalig“ und damit unveräußerlich ist die „geistige Leistung des Autors“, während „deren äußere Erscheinung in der Schrift [wiederholbar]“ (Bosse 2014 [1981], 39) wird. Bezüglich dieser, nun juristisch definierten „Werkherrschaft“ (Bosse 2014 [1981], 14] [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft], ist der Autor derjenige, dessen individueller Geist sich dem Werk nicht nur einschreibt, sondern der darin auch ein Eigentum erwirbt und einklagen kann (Copyright): „Ebendies immaterielle geistige Gut macht, dass ein Werk dasselbe bleibt […] auch wenn es in andere Medien übertragen, übersetzt und bearbeitet wird.“ (Bosse 2014 [1981], 13) So bildet sich zum Ende des 18. Jahrhunderts das moderne Konzept von Autorschaft aus. Darin erweist sich das Medium des Schriftstellens, die Schrift, als im Namen und am Ort des Autors festgestellt. Zwar löst diese sich in der Veröffentlichung eines Textes weiterhin von ihrem Urheber ab und verstreut sich unter ein Publikum. Doch bleibt sie dabei nicht, wie etwa Platons Phaidros-Dialog argwöhnt, ungeschützt: Wer das Recht auf das in einer Schrift veröffentlichte geistige Eigentum eines Autors verletzt oder missachtet, muss mit Konsequenzen rechnen. Zugleich ist es „bemerkenswert“, notiert wiederum Heinrich Bosse, dass diese Maßnahmen zur Steuerung einer Mediendynamik in die Zeit eines Diskurses fallen, der den Autor zum Genie erhebt – als „hinge die Herrschaft über die Kopien damit zusammen, dass der Herrscher selbst nicht kopiert.“ (Bosse 2014 [1981], 10)
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Genieästhetik und Mediendynamik der Sprache In diesem Sinne fasst Immanuel Kant den Geniegedanken wie folgt: „Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt.“ (1974 [1790], 241) [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft] Folglich zeichnet sich das Genie durch eine „Originalität“ aus, die jenseits dessen liegt, was auf dem „Wege des Forschens und Nachdenkens“ oder durch „Fleiß […] erworben werden kann“ (Kant 1974 [1790], 242–243). Zugleich jedoch führt diese Überhöhung des Autors in ein kommunikatives Dilemma oder Paradox: „Ist der Autor als ‚geniales Individuumʻ nur im Außen der Gesellschaft ganz bei sich, dann verfehlt er sich notwendigerweise immer dann, wenn er sich ausdrücken will“ (Plumpe 1992, 382), d. h. dann, wenn er sich einem Publikum und also der Sprache zuwendet. Johann Gottfried Herder, wie Schiller ein Autor des ‚Sturm und Drangʻ, pointiert dies so: „Nun armer Dichter! […] du sollst deine ganze lebendige Seele in todte Buchstaben hinmahlen, und parliren, statt auszudrücken.“ (Herder 1877 [1766/67], 395) Und Johann Wolfgang Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers misst dem sogar eine existentielle Problematik zu: „[A]ch“, klagt Werther gegenüber dem Freund Wilhelm, „könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papier das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt […] Mein Freund – Aber ich gehe darüber zu Grunde“ (Goethe 1997 [1774], 12). Vor und in der Sprache ist das Genie ohnmächtig, insofern es deren Dynamik nicht beherrscht bzw. sich ihr ausgeliefert sieht; mit der Schwierigkeit konfrontiert, ‚Dichter‘ und – im Wortsinn – Schriftsteller sein zu müssen, werden sich die ‚Originalgeniesʻ Goethe, Herder und Schiller einer Dynamik ihres Mediums bewusst, die sich weder durch das Urheberrecht noch durch die behauptete Genialität des Autors kassieren lässt. Im Gegenteil: Von da aus erweist sich letzteres als Phantasma, als „gesteigerte[s] Imaginationsmittel“ (Koschorke 2003, 307), das den toten Buchstaben künstlich mit der Kraft des Lebens aufladen soll. Die Konstruktion des ersteren hingegen wird als „Tauschwertabstraktion“ ansichtig, die „im fetischisierten Eigennamen des Produzenten als ästhetische Originalität des Genies eigentlich den Markterfolg repräsentiert.“ (Wetzel 2000, 512) In der Folge gerät nun mehr und mehr der Leser in den Vordergrund. Für den Romantiker Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis, ist der Leser ein „erweiterte[r] Autor“, der „das Buch nach seiner Idee bearbeite[t]“, so dass der Text immer wieder in „frischthätige Gefäße kömmt“ (1981 [1797/1798], 470). Und Friedrich Daniel Schleiermachers Allgemeine Hermeneutik geht davon aus, dass die Lektüre selbst eine „Kunst“ sei, die nicht „mechanisirt werden kann.“ (Schleiermacher 1838, 16) Für beide ist der Text somit ein „unendliches [sic]“ (Schleiermacher 1838, 15), das weder für den Autor noch den Leser abschließend
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zu kontrollieren ist. Denn dermaßen als Medium aufgefasst – Novalis fragt, was denn „durch das Medium der Sprache wahr seyn [kann]?“ (1981 [1795/1796], 108) – tendiert diese zu keiner festen Form: Zwar ermöglicht das Medium den Kontakt, doch garantiert es die Übermittlung der Botschaft/Wahrheit nicht. Vielmehr ist es, das erkennen spätestens die Romantiker, selbst schon die Botschaft als Hinweis auf deren Unendlichkeit und Eigendynamik. So versucht die „medienreflexive Literatur mit einer Tradition zu brechen, für die der ‚toteʻ Buchstabe nur ein Hilfsmittel zur Proliferation des lebendigen Geistes ist.“ (Binczek und Pethes 2001, 300)
3 Die „neuen Graphien“: Photographie und Kinematographie Pencil of Nature Als „Zeitalter der neuen Graphien“ etikettiert Helmut Schanze (2001, 252) die Epoche der im 19. Jahrhundert aufkommenden neuen Medien (vor allem: Photographie und Film). Dabei bezeichnet der Name der Photographie diese als ein ‚Schreiben mit Lichtʻ (phos [altgriech.]: Licht und graphein [altgriech.]: schreiben, ritzen). Doch wer ist der Urheber dieser ‚Lichtschriftʻ bzw. wie schreibt sie sich auf? Die Antwort auf diese Frage gibt der Erfinder und Photograph William Henry Fox Talbot in einem Buch, das er 1844 unter dem Titel The Pencil of Nature veröffentlicht. Darin beschreibt er die Photographie als eine künstlerische Praxis, deren Resultate „without any aid whatever from the artistʻs pencil“ (Talbot 1844, 1) zustande kommen: Allein optische sowie chemische Prozesse ermöglichen das Bild – die Botschaft – der Photographie: „They [die Bilder] have been formend or depicted by optical and chemical means alone“ (Talbot 1844, 1). So gesehen, bedarf es eines Urhebers nicht mehr: Es ist die Apparatur, die es der Natur erlaubt, sich (von) selbst aufzuschreiben. In diesem Sinne lässt sich die anfängliche Begeisterung, die sich im Diskurs um die Photographie artikuliert, wie folgt resümieren: Sie „entzündet sich […] zunächst am Verfahren, mit dem sich die Objektwelt gleichsam selbst spontan abzeichnet“ (Hick 1999, 268). Im Vordergrund steht hier der „dokumentarisierend[e] Grundgestus“ (Hick 1999, 274) des Mediums, der einen Schöpfer als aktiv handelndes Subjekt ausschließt: Was die Photographie kann und zeigt, ist, obwohl von größtmöglicher Exaktheit der Darstellung, doch an keinerlei gewöhnliche Urheberschaft gebunden.
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Mit dieser Faszination greift der Diskurs um die Photographie auch auf andere künstlerische Praktiken über. Der Schriftsteller Karl Bleibtreu etwa fordert 1886 in seinem ebenso einflussreichen wie programmatischen Buch Revolution der Literatur, dass die Dichtkunst die „naturalistische Wahrheit der […] Photographie“ mit der „künstlerischen Lebendigkeit idealer Komposition verbinden“ (1973 [1886], 29, 31) muss. Darin folgt Bleibtreu einerseits der von Émile Zola ausgegeben Losung des literarischen Naturalismus, die das Kunstwerk als realistische Wiedergabe der Natur durch das ‚Temperamentʻ eines Autors bestimmt. Andererseits koppelt Bleibtreu diese Vorgabe an die Errungenschaften neuer Medientechnik, an der der Autor sich orientieren soll. So skizziert Bleibtreu einen Weg, den Arno Holzʼ ‚Konsequenter Naturalismusʻ geht, wenn er den Text als „gedruckte[n] Photograph“ (1925 [1891], 37) ins Spiel bringt. Darin verweist Holz nicht allein auf das Bildmedium als Ausgangspunkt auch der Herstellung von Texten. Er formuliert für die Herstellung solcher Texte ein Gesetz, das er in folgende Formel kleidet: „Kunst = Natur – x“ (1925 [1891], 81). Ergo bemisst sich die Realitätsnähe/Naturalistik einer Darstellung immer danach, inwieweit es dem Autor – dem x der Gleichung – gelingt, die Natur möglichst exakt zur Sprache zu bringen, d. h. sein „arrangierendes […] und zurechtbastelndes Ich“ (Holz 1925 [1891], 45) im Zaum zu halten: Je mehr Autorschaft sich vom Prozess des ‚Dichtensʻ zurückzieht, umso eher hat, meint Holz, die Kunst die Tendenz, „wieder die Natur zu sein“ (1925 [1891], 83) bzw. erweist sich als „gedruckter Photograph“. So distanziert sich Holz nicht nur von Zolas Postulat einer Autorschaft, deren ‚Temperamentʻ die Produktion anleitet und steuert. Er geht auch dazu über, die „Materialität seines Mediums technisch zu kalkulieren.“ (Kittler 2003 [1985], 272) Die Formel „Kunst = Natur – x“ zielt dabei auf die Einbettung des Autors in einen schriftstellerischen Prozess, in dem ersterer sich sowohl der Dynamik des Mediums als auch der „Sprache des Lebens“ (Holz 1925 [1891], 227) überlässt, d. h. photographisch hinsichtlich der der Photographie zugeschriebenen Medialität – Pencil of Nature – verfährt (vgl. Schwering 2015). Im selben Zug kündigt Holzʼ Konzept jene Irritationen an, die sich im Gefolge der zweiten großen „Graphie“ des 19. Jahrhunderts im Diskurs über die Autorschaft ergeben: „[D]ie Schwierigkeiten, welche die Photographie der überkommenen Ästhetik bereitet hatte, waren ein Kinderspiel gegen die, mit denen der Film sie erwartete.“ (Benjamin 2002 [1939], 363)
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Film um 1900: Der Autor als „Produzent“ 1895 beginnt mit der ersten öffentlichen Filmvorführung vor zahlendem Publikum durch die Gebrüder Lumière das Zeitalter des Kinos. Dort werden die Produkte einer Technik ausgestellt, deren Faszination vor allem darin besteht, dass sie „uns unmittelbar ein Bewegungs-Bild [gibt].“ (Deleuze 1997 [1983], 15) Doch birgt das neue Medium noch weitere Herausforderungen für die bis dahin dominierende Buchkultur (‚Gutenberg-Galaxis’): „Die neue technische Apparatur scheint den ungeheuren […] Aufwand der Verschriftung überflüssig zu machen“ (Schanze 2001, 254), wenn im Kino die Geschichten, Epen, Novellen etc. über die Leinwand flimmern können, die kurz zuvor noch als Bücher erschienen wären oder sind. So, kann man sagen, „gibt die Literatur ihren Zauberspiegel an Maschinen ab“ (Kittler 1993 [1985], 91). Die professionellen Autoren reagieren mit einer „Kino-Debatte“ (Kaes 1984), in der sie das Neue auch im Hinblick auf den eigenen Ort diskutieren [vgl. auch den Artikel Autorenfilm]. Einer der Teilnehmer an dieser Debatte ist Kurt Pinthus, der, als Beobachter und Anreger des literarischen Expressionismus, vor allem die Chancen sieht, die das neue Medium den Autoren eröffnet. Im Vorwort des von ihm 1913 herausgegebenen Kinobuch[s] stellt er fest, dass „die Schriftsteller eine Form suchen, die in etwa aufgezeichnetes Kino ist.“ (Pinthus 1983 [1913/1914], 27) Alfred Döblin, Romanautor und ebenfalls Teilnehmer der Kino-Debatte, verdichtet dies zu der Forderung nach einem „Kinostil“ (Döblin 1989 [1913/1914], 121), die er an folgende Vorrausetzung knüpft: „Die Hegemonie des Autors ist zu brechen; nicht weit genug kann der Fanatismus der Selbstverleugnung getrieben werden.“ (Döblin 1989 [1913/1914],122) In diesem Sinne soll einerseits die Realistik des Bewegungs-Bildes für die Literatur zum „Leitfaden einer lebennachbildenden Handlung“ (Döblin 1989 [1913/1914], 121) werden, andererseits die steuernde Hand des Autors den „[r]apiden Abläufen“, dem „Durcheinander in bloßen Stichworten“ (Döblin 1989 [1913/1914], 122) Platz machen. In der Folge ist der Autor nicht länger ein Herrscher über den Text, sondern eher dessen „Organisator“ (Wetzel 2000, 484), der sich der Dynamik des Herstellungsprozesses aussetzt bzw. dessen Teile vor allem zusammenfügt: „[I]ch bin nicht ich“, akzentuiert dies Döblin, „sondern die Straße, die Laternen, dies und dies Ereignis, weiter nichts.“ (1989 [1913/1914], 122) Eine ähnliche Position nimmt Jahre später Walter Benjamin ein, insofern er die Idee einer „Autonomie des Dichters“ (2002 [1934], 231) gleichfalls verwirft. Denn angesichts des „gegenwärtigen Entwicklungsstande[s] von Film und Rundfunk“ (Benjamin 2002 [1934], 243) sowie der Massenpresse entspricht dieser Gedanke den tatsächlichen Produktionsverhältnissen nicht mehr. So ist er, betont Benjamin, zum Aushängeschild bürgerlich-reaktionärer Wertvorstellungen ver-
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kommen. Er dient vor allem dazu, eine Demokratisierung der Kommunikation zu unterbinden, also zu verschleiern, dass mit den „technischen Gegebenheiten unserer heutigen Lage“ die „Unterscheidung zwischen Autor und Leser“ (Benjamin 2002 [1934], 233–234) verschwindet; da in den modernen Massenmedien potentiell jeder zu Wort kommen kann, „gewinnt er einen Zugang zur Autorschaft.“ (Benjamin 2002 [1934], 235) In diesem Sinne, schlägt Benjamin vor, ist nun die Vorstellung vom und der Begriff des Autors zu revidieren bzw. durch die/ den des „Produzenten“ (Benjamin 2002 [1934], 240) zu ersetzen. Dieser Begriff meint dann nicht einen autonomen Außenseiter, sondern „zielt unmittelbar auf die schriftstellerische Technik der Werke“ (Benjamin 2002 [1934], 233), d. h. darauf, inwiefern und inwieweit diese sich den Produktionsverhältnissen ihrer Zeit öffnen sowie ihnen Rechnung tragen. Versteht sich der Autor also als Produzent, schert er nicht aus den „schriftstellerischen Produktionsverhältnissen“ (Benjamin 2002 [1934], 233) seiner Epoche aus, sondern steht in ihnen: Er kann damit beginnen, den „Produktionsapparat nicht zu beliefern, ohne ihn zugleich […] zu verändern.“ (Benjamin 2002 [1934], 238)
3 Broadcasting: Der Autor und die/auf Sendung. ‚Tod des Autorsʻ Das Radio/Hörspiel Der Hörfunk entwickelt sich aus der Funktechnik der drahtlosen Übertragung (broadcasting) von Nachrichten und geht in Deutschland 1923 offiziell auf Sendung. Dabei steht das Radio von vornherein unter staatlicher Überwachung bzw. wird von den Verantwortlichen als Unterhaltungs-/Bildungsrundfunk geplant und durchgesetzt. In der Folge werden im Hörfunk wiederholt auch Autorenlesungen oder Bühnenstücke ausgestrahlt. Doch bleiben solche Übertragungen zumeist unbefriedigend: „Verdammenswert und des Rundfunks unwürdig“, fasst Rudolf Arnheim diese Situation zusammen, „sind Übertragungen aus Opern, Theatern und Kabarett-Übertragungen von Darbietungen, die sich besser im Senderaum arrangieren ließen.“ (2001 [1936], 90) So werden rasch Forderungen nach einer radiospezifischen Literaturform laut: Schon 1924 wird Hans Fleschs Zauberei auf dem Sender als erstes deutschsprachiges Hörspiel gesendet. Dabei schildert Flesch die Lage der Hörspielautoren wie folgt: Es gehe für sie darum „das Stück aus dem Mikrophon heraus zu komponieren, statt Vorgänge hinter dem Mikrophon zu schaffen, die dann einfach über-
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tragen werden.“ (Flesch 2002 [1931], 473–474) Auch hier also bedeutet Autorschaft primär deren Anpassung an technische Gegebenheiten sowie an eine Mediendynamik, die – als Teile einer „durch eigne Formgesetze unterschiedene[n] Hörwelt“ (Arnheim 2001 [1936], 91) – der Produktion vorausgehen. In diesem Sinne nimmt der Text „den Rhythmus des Sprechens, die (szenische) Interaktion der Sprecher und die Verlautbarung des Erzählens auf, reichert sich mit Geräuschen an, konstituiert einen Hörraum und macht ihn zum Wahrnehmungsraum.“ (Paech 1992, 369) Zugleich ist mit einem anderen Publikum zu rechnen. Indem nämlich, wie wiederum Döblin feststellt, der Rundfunk die Schriftsteller ermahnt, „die Drucktype zu verlassen, […] fordert [er] uns auf, unseren kleinen gebildeten Klüngel zu verlassen.“ (1930, 7). Darin bietet das Radio, das sich schnell als Massenmedium etabliert, den Autoren die Chance, sich auf den „einfachen Menschen der Straße und des Landes einzustellen“ (Döblin 1930, 7). Bezüglich dieser Prämissen öffnen sich die Autoren im Hörfunk für eine „Experimentierarbeit“ (Arnheim 2001 [1932], 198), in der es darauf ankommt, die technischen Bedingungen (Mikrophon, Sendung), die Privilegierung der Rede/ des Hörens sowie die grundsätzliche Möglichkeit des Mediums, „allen alles zu sagen“ (Brecht 1967 [1927–1930], 128) gleichermaßen zu durchdringen und zu berücksichtigen. Döblin bezeichnet den Hörfunkautor daher als ‚Sprachstellerʻ, Benjamin ihn als ‚Produzentenʻ. Für Brecht ist das Radio ein „Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens“, der es prinzipiell erlaubt, „den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen“ (Brecht 1967 [1927–1930], 129), d. h. ihn als Autor in Stellung zu bringen.
‚Tod des Autorsʻ In diesen exemplarischen Hinsichten auf die neuen Medien Film und Radio zeigen sich die Irritationen und Einsichten, die der „gewaltig[e] Umschmelzungsprozeß“ (Benjamin 2002 [1934], 235) des Medienumbruchs um 1900 für das Thema Autorschaft bringt. In dessen Gefolge finden die Autoren nicht nur zu neuen Schreibweisen (‚Kinostilʻ, Hörspiel), sondern beginnen ebenso, den eigenen Ort weitgehend in Frage zu stellen. Dazu tragen auch die neuen Möglichkeiten der Autorschaft im Kontext der Arbeit für Film und Radio bei, insofern sie den Blick der Autoren für neue mediale Produktionsweisen schärfen. Für Benjamin etwa ist ein Drehbuchautor kein souveräner Dichter, sondern hat es mit einer „Folge von Stellungnahmen“ zu tun, in der die seine mit der „der Apparatur“, des „Kameramannes“ und des „Cutter[s]“ (2002 [1939], 364) gleichberechtigt zusammenfällt. So muss man, das wird hier schon deutlich, für den Film von einer „kollektive[n] Autorschaft“
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(Martínez 1999, 434) ausgehen. [vgl. den Artikel Kollektive Autorschaft] Aber auch der Hörspielautor hat sich weitgehend auf die Besonderheiten ‚seinesʻ Mediums, d. h. einer „Funkliteratur“ (Arnheim 2001 [1936], 194) einzustellen. Das Kriterium hier ist „die Frage nach dem ‚Materialstilʻ […], nach den neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums.“ (Schwitzke 1969, 6) Vor diesem Gesamtpanorama gerät das Bild des Autors als Herrscher über sein Werk derart ins Wanken, dass sich ein „Tod des Autors“ (Barthes) bereits abzeichnet. Dieser bezieht sich auf eine gesellschaftliche Funktion, die mehr und mehr als Einschränkung der Produktion (Döblin) sowie als ideologisches Konstrukt (Benjamin) wahrgenommen wird. In ähnlicher Weise werden dies, allerdings ohne direkten Bezug auf nicht-sprachliche Medien, später die ebenso einflussreichen wie umstrittenen Texte beispielsweise von Roland Barthes (2006 [1968]) oder Michel Foucault (2001 [1969]) aufgreifen. Von einer „Rückkehr des Autors“ (Jannidis et. al. 1999) wird dann wieder gegen Ende des 20. Jahrhunderts gesprochen.
Television/„Fernsehen der Autoren“ Das Fernsehen ist, wie der Hörfunk, ein Übertragungsmedium bzw. entsteht auf der Grundlage der Technik des Radios. In dieser Hinsicht ist es gleichfalls als Rundfunk zu bezeichnen, der sich nun auf die Übertragung auch von Bildern ausweitet. Obwohl bereits 1936 die Live-Übertragung von Fernsehbildern der Olympischen Spiele gelingt, beginnt der Siegeszug des Mediums (vor allem in Europa) erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei ähnelt die Lage des TVʻs auch im Hinblick auf das Programm zunächst der des Hörfunks: Weil es vorerst an Autoren für die geplanten Fernsehfilme mangelt, greifen die TV-Dramaturgen auf Bühnenstücke und andere literarische Vorlagen zurück. Diese werden für die ‚Fernsehbühneʻ neu inszeniert. Erst später, d. h. mit der Erfindung der Magnettonaufzeichnung (MAZ), beginnt die Abkehr der Fernsehmacher vom Live-Spiel der ‚Fernsehbühneʻ. Nun können Fernsehspiele vorproduziert werden und rücken damit in die Nähe des Kinofilms. Das hat wiederholt auch Schriftsteller gereizt, Drehbücher für ‚Originalfernsehspieleʻ oder TV-Serien zu schreiben (z. B. Jurek Becker, Heinrich Böll, Patrick Süskind, Gabriele Wohmann) [vgl. auch den Artikel Regietheater]. Dabei ist das Drehbuch jedoch ein Gebrauchstext, d. h. Teil jener Verwertungskette, deren Ziel das fertige, audiovisuelle Produkt ist. Schriftsteller, die Fernsehdrehbücher schrieben, haben das als Schmälerung ihres Arbeitsprozesses wahrgenommen. So beschreibt z. B. Wohmann, wie das Hin und Her der Produktion, die ständigen Hinweise auf und Diskussionen um die Möglichkeiten und Grenzen des Mediums
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sowie die Trägheit der ganzen Administration das Schaffen des Drehbuchautors beeinträchtigen (vgl. Prümm 1979, 105). Andere Schriftsteller äußern sich ähnlich (vgl. Hickethier 1995; Lodge 1999). Vergleichbar also den Drehbuchschreibern des Films oder den Hörspielautoren, sind auch die Autoren, die sich per Drehbuch im TV zu Wort melden, dazu angehalten, die eigenen „ästhetischen Objekte den medialen Voraussetzungen anzugleichen“ (Prümm 1979, 106), deren vollwertige Realisation das Drehbuch ankündigt. Folglich müssen sie sich in hohem Maße auf eine Dynamik einlassen, welche die Autorschaft als Arbeit eines Einzelnen schon an deren Wurzel durchquert. Hubert Winkels hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Fernsehmacher die Sensibilität der Autoren für ihr Werk oftmals als „medienignorant“, d. h. als unzeitgemäßes Festhalten an „Schriftlichkeit, Erfahrung, Tradition, ästhetische[r] Selbstständigkeit“ (1997, 35) wahrnehmen. Einen anderen Weg geht ein Projekt, das im deutschen Fernsehen mit dem Namen Alexander Kluge verknüpft ist. Kluge, der zuerst als Autor/Filmemacher hervortritt, gründet Mitte der 1980er Jahre die Produktionsfirma dctp (Development Company for Television Programs), um sich eine dauerhafte Plattform für die eigenen Aktivitäten zu schaffen. Dazu arbeitet er mit den Privatsendern Sat. 1, RTL und Vox zusammen. Seit 1988 realisiert Kluge dort eine Reihe von Sendeformaten als Kulturmagazine (Primetime/Spätausgabe, 10 vor 11/Ten to Eleven, News & Stories, MitternachtsMagazin), in der Schrift, Bild und Ton in ein Netzwerk übergehen. Für Kluge steht dabei ein Medium und dessen Programm auf dem Prüfstand, die, so stellt er fest, die „Rückantwort der Zuschauer“ (1999 [1985], 183) abschneiden. Dem setzt er die These einer „dezentralen Antwort“ (Kluge 1999 [1985], 194) als Organisation von Sendungen entgegen, die, als „aktive Beteiligung an den neuen Medien“, diese an die „Formen der Öffentlichkeit unter Anwesenden“ (Kluge 1999 [1985], 194) zurückbinden soll. Exemplarisch lässt sich das an den ‚Interviewsʻ zeigen, die Kluge zwischen 1988 und 1995 mit dem Dramatiker, Lyriker und Regisseur Heiner Müller führte (Kluge und Müller 1988–1995). Dabei handelt es sich jedoch weder um das übliche Frage-Antwort-Spiel noch um den Versuch, einer prominenten Person möglichst exklusive Informationen zu entlocken. Vielmehr treffen sich Kluge und Müller in einem Dialog, in dem sie sich auch wechselseitig befragen, also jeder die Position des Interviewers/Autors einnehmen kann, und in dem das Gespräch einen eher assoziativen als zielgerichteten Verlauf nimmt. Hinzu kommen eingeblendete Textbänder oder -tafeln, die Zusatzinformationen liefern oder aber bestimmte Zitate und Sequenzen hervorheben, Photographien, die das Gesagte illustrieren oder Statements (etwa von Müllers Mitarbeiter am Theater), die ebenfalls eingeblendet werden. In der Folge etabliert sich eine offene Textur aus „textuellen und bildlichen und akustischen Einheiten“ (Stanitzek 1998, 25), in der nie ganz sicher ist, wer gerade wohin unterwegs ist, wer wen befragt, was eine Information und
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was ein Kommentar dazu ist. So gerät das Gefüge in eine Bewegung, die das Publikum zunächst irritiert. Anstatt das Gesehene routiniert zu konsumieren, müssen die Zuschauer aktiv, zu (Mit-) Autoren werden, d. h. einen eigenen Weg finden. Zugleich zeigt sich hier eine Form der Autorschaft, die bei Kluge zwar die Routinen des Fernsehens nutzt, als Handschrift oder Stil aber deutlich identifizierbar bleibt. Kluge hat das ein „Fernsehen der Autoren“ (Kluge zitiert nach Hickethier 2002, 208) genannt und sich damit nicht nur auf den Autorenfilm (‚caméra styloʻ) bezogen [vgl. den Artikel Autorenfilm], sondern auch der Meinung widersprochen, in den TV-Produktionen regiere zuvorderst die Apparatur und deren Organisation. Hierin allerdings schon eine Renovierung des Autors im Sinne einer ‚Werkherrschaftʻ [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft] zu sehen, wäre vorschnell. Denn wie die dezentrale Struktur der Interviews mit Müller verdeutlicht, ist dort vor allem von einer „Selbstreferenz inklusive der Möglichkeit der SelbstModifikation“ (Stanitzek 1996, 45) auszugehen, in der ein Autor wohl einem Stil treu bleibt, nicht aber auf (s)einer Vorschrift beharrt. Darin tritt der Autor als Produzent von Sendungen auf, insofern er in seiner Praxis der Inszenierung kenntlich bleibt. Als „Fernsehliteratur“ (Schwering 2013, 327–330) hebt dieses Konzept sich wesentlich vom Autor als Drehbuchschreiber oder Gast z. B. in Talkshows ab, da Autorschaft hier aus jenen Verwertungsprozessen ausschert, die Autoren als Verfasser von Drehbüchern oder bei Auftritten im TV beklagen.
4 Digitale Plattform: Der Autor im ‚Netzʻ Hypertext Mit der ‚digitalen Plattformʻ (Schanze 2001) hat sich das Schreiben, aber auch das Publizieren nochmals signifikant verändert. Mit im Zentrum der Diskussion steht hier der ‚Hypertextʻ [vgl. den Artikel Vernetzte Autorschaft]. Dabei wird der Begriff erstmals von Theodor Nelson vorgeschlagen und beschreibt ein „nicht lineare[s], assoziative[s] Schreiben und Verbinden von Textelementen“ (Heibach 2003, 48). Mit der Freigabe des World Wide Web 1993 liegt nun ein solcher Hypertext vor, der elektronisch Daten weltweit zur Verfügung stellt sowie diese über Links unterund miteinander verknüpft. Damit kann diese Struktur mit der eines Netzes verglichen werden. Diesbezüglich können nun die Einheiten dieses Hypertexts „aus verschiedenen Medien – Text-, Bild-, Tonmedien – bestehen, es können Erläuterungen, Informationen, Kommentare, Quellenverweise sein, oder sie können der Ausgangseinheit eine andere Perspektive, eine weitere Argumentationsebene und anderes hinzufügen“ (Winko 1999, 513–514).
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Für einen Teil der Forschung liegt in dieser Struktur offener Navigation ein wesentlicher Unterschied des elektronischen Schreibens im Internet zur Welt des Buchs auch als einer Welt der Urheberfunktion vor. Während in letzterer „[j]edes Werk […] seine strikte Unabhängigkeit von anderen Werken geltend [macht], indem es seine […] Abstammung von seinem Schöpfer-Autor behauptet“, erkennt „das elektronische Schreiben im Internet die beziehungsreiche Verflechtung von Texten an.“ (Bolter 1997, 49): Insofern hier jede und jeder Zugang zur Autorschaft hat, d. h. sich nicht nur mit Forumsbeiträgen oder in sozialen Netzwerken zu Wort melden, sondern auch lange Texte – die Autorin Erika Leonhard etwa veröffentlichte ihren Romanbestseller Shades of Grey zunächst im Internet – publizieren kann, wird der Hinweis auf eine besondere Qualifikation oder ein exklusives Recht des Autors obsolet. An Stelle dessen etabliert sich ein unendliches „Lese-Schreibe-Kontinuum“, in dem „[j]ede Darstellung gesampelt, gemixt, wiederverwendet werden [kann].“ (Lévy 1997 [1995], 128), d. h. durch eine „kollektive Intelligenz“ (Lévy 1997 [1995], 132) ver- und bearbeitet wird.
Publizieren im elektronischen Raum Aus dieser Perspektive ist der Writing Space (Bolter 1997) des Internets – auch als mittlerweile multimedialer Raum – kein Ort, an dem der Autor oder das Urheberrecht einen Platz haben: Die Nutzer „betrachten das Internet als ein neues Medium, auf welches alte Regeln sich nicht mehr anwenden lassen.“ (Bolter 1997, 48) Doch ist diese Diagnose nicht unwidersprochen geblieben. Auch „HypertextAutoren“, so sieht es etwa Simone Winko, „organisieren ihre Texte, indem sie sie strukturieren, ihre Präsentationsformen bestimmen, Pfade vorgeben etc.“ (1999, 527). Ähnlich argumentiert Florian Hartling (2009). Und Christiane Heibach (2003) macht darauf aufmerksam, dass die Freiheit des Lesers im Hypertext ebenfalls nicht grenzenlos ist. Nichtsdestoweniger beginnen auch professionelle Autoren, sich zunehmend auf die Mediendynamik des Internets einzulassen. Es entstehen sowohl kollektive Schreibprojekte als auch einzelne Schreiborte/Blogs, in/an denen Autoren sich entweder gegenseitig zum Austausch und zur Produktion anregen oder eigene Erfahrungen mit der neuen Publikationsform mitteilen. Mit am Anfang dieser Versuche steht ein Projekt von Rainald Goetz, der 1998/1999 unter dem Titel Abfall für alle ein Internettagebuch bzw., wie sich rückblickend sagen lässt, einen ersten literarischen Blog veröffentlicht. 2003 erscheint dieser Text auch gedruckt. Dort schreibt Goetz in dem von ihm verfassten Klappentext, dass dieses Buch mit seinem Autor identisch sei: „Das Buch […], das bin ich.“ (2003, Klappentext)
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Zugleich lässt sich der Text aber auch als Goetzʼ „sprachtechnisch[e]“ (2003, 185) Auseinandersetzung mit dem neuen Medium und dessen Dynamik lesen. Denn „ich“, formuliert Goetz seinen Standpunkt, „h[a]tte das Gefühl, dass durch die neuen Zwischentext-Formen, die das dauernd getippte Sprechen so vieler Leute via Internet hervorbringen würde, sich auch so langsam die gedruckte Sprache […] verändern würde“ (2003, 185). Dabei zeichnet der Text die wesentlichen Unterschiede einer Schrift des „Internetzl[s]“ (Goetz 2003, 528) zur Druckschrift des Buchs wie folgt aus: Einerseits erlaubt das enorm beschleunigte Publizieren im Netz eine „PRAXIS“ des „gegenwartnähesten Punkt[s]“ (Goetz 2003, 621), d. h. die Schrift erweist sich nicht als Medium der Distanz, sondern fällt buchstäblich mit der Welt und dem „Leben der mündlichen Rede“ (Goetz 2003, 254) zusammen. Darin verändert sich andererseits die Position, der Status und die Rolle des Autors, da dieser nicht Schriftsteller, sondern „Chronist des Augenblicks“ (Goetz 2003, 833) ist: Nicht umsonst steht beinahe jedem Eintrag eine exakte Uhrzeitangabe voran. Insgesamt aber beschreibt Abfall für alle eine Mediendynamik, die vor allem durch ihre Unberechenbarkeit gekennzeichnet ist. Somit eröffnet sie und zeigt einen „Durchgangsaugenblick“ (Goetz 2003, 619) an, in dem für Goetz vorläufig nur so viel sicher ist: „Das einzige, was man als Schreiber repräsentiert, ist, was man ist: die Sprache.“ (2003, 677). Das hat sich auch im „Internetzl“ nicht geändert. Alles andere „ist, weil es noch so neu ist, nicht klar. Das ist die Lage, völlig offen.“ (Goetz 2003, 677) Diese frühe Diagnose gilt, das zeigt die aktuelle Forschung, bis in die Gegenwart. Hartling beispielsweise geht hier von einer „Ambivalenz“ aus, die „das Medium Internet und die Netzliteratur auszeichnet.“ (2009, 321) Denn dort werden sowohl „traditionelle Autorkonzepte aktiviert“ als auch „Modelle erprobt, die sich aus eben jenen Autorrollen zu befreien trachten.“ (Hartling 2009, 321) Zudem ist die „Netzliteratur“ von einer „Literatur im Netz“ (Hartling 2009, 45) zu unterscheiden. Während die erstere sich auf die Gegebenheiten des Hypertexts einlässt, taucht die letztere zwar im Netz auf, bezieht sich dabei aber auf die „Charakteristika von Printmedien“ (Hartling 2009, 45). In diesem mehrfachen Sinne klafft, was die Frage nach der Autorschaft in den Zeiten des Internets angeht, die Schere möglicher Antworten weit auseinander: Einem „gesteigerte[n] Personenkult auf der einen Seite“ steht „eine deutlich[e] Autormarginalisierung auf der anderen“ (Hartling 2009, 321) gegenüber.
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5 Fazit Überschaut man die zurückgelegte Strecke, lässt sich das Verhältnis von Autorschaft und Medien weiterhin als zwiespältig beschreiben. Selbst dann, wenn der Ort des Autors juristisch definiert und abgesichert erscheint, bleibt doch das Unbehagen/Misstrauen, das die Schriftsteller zunächst hinsichtlich des eigenen Mediums (um 1800), aber auch bezüglich anderer Medien an den Tag legen. Nichtsdestoweniger haben mediale Innovationen nicht nur die Diskussion um den Ort des Autors, sondern ebenso die Praxis der Autoren auch dann verändert, wenn sie sich nicht direkt auf das Schriftuniversum beziehen (lassen): „Ob bei Proust, Joyce oder Eliot […]. Der Bewusstseinsstrom wird eigentlich dadurch erreicht, dass die Technik des Films auf das Buch übertragen wird.“ (McLuhan 1994 [1964], 448) Dabei kopieren die Autoren jedoch nicht einfach mediale Innovationen, sondern tun es ihnen in ihrer Arbeit auf eigene Art gleich (‚Kinostilʻ). Das, so kann man sagen, kann hinsichtlich der Photographie auch für Holzʼ/ Schlafs „Sekundenstil“ (von Hanstein 1900, 157–159) geltend gemacht werden. Zudem bringen neue Medien auch neue Formen und neue Schwierigkeiten der Autorschaft hervor: Hörspiel- und Drehbuchautoren müssen sich in hohem Maße auf die Koordinaten der Mediendynamik einlassen, in denen sie sich bewegen. Nicht zuletzt das hat dazu beigetragen, das Selbstverständnis der Autoren sowie die Beschreibung dessen, was Autorschaft ist (oder sein soll) zu wandeln. Dabei nimmt Benjamins Vorschlag, den Autor zum „Produzenten“ ‚umzufunktionierenʻ/umzudeuten, nicht nur die ‚postmoderneʻ Debatte um den „Tod des Autors“ (Barthes 2006 [1968], 185) bereits weitgehend vorweg, sondern koppelt dies auch an eine moderne Medienlandschaft, in der potentiell jede und jeder Zugang zur Autorschaft hat: „Literarisierung aller Lebensverhältnisse“ (Benjamin 2002 [1934], 241]. Zugleich sind die Fragen, die das neueste Medium, das Internet, hinsichtlich des Themas Autorschaft aufwirft, nicht eigentlich neu, sondern finden ihre Wurzeln in den Praktiken, den Sprachspielen und -konzepten bereits der klassischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts (vgl. Rusch et al. 2007, Heibach 2003). Doch ergibt sich noch einmal eine neue Qualität und Aktualität derselben. Wo nämlich Benjamin hervorheben muss, dass in einer Welt neuer Medien „[d]er Lesende […] jederzeit bereit [ist], ein Schreibender […] zu werden“ (2002 [1934], 235), ist heute der Prosumer (Toffler 1983[1980]) als Konsument, der zugleich in die Produktion eingreift, eine allgegenwärtige Erscheinung. In dieser Hinsicht führt die ‚kollektive Intelligenz‘ der Internetnutzer die Debatte um den Autor und seine Autorschaft noch einmal in das 18. Jahrhundert zurück, insofern das Urheberrecht in den Zeiten des WWW erneut auf dem Prüfstand steht. Wo aber der Autor im Netz ‚tatsächlichʻ zu suchen oder zu finden ist, das, akzentuiert Goetz
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(und die Forschung sieht es ähnlich), ist noch weitgehend offen. Auch hier also erweist sich das Internet als ‚weites Feldʻ, das vorläufig mehr Fragen stellt als beantwortet.
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Christiane Heibach
IV.3.2 Vernetzte Autorschaft: Hypertext und Internet 1 Begriffsklärung und Strukturmerkmale des Hypertexts Der Begriff ‚Hypertext‘ ist ein Neologismus, der – soweit man das überhaupt zuverlässig rekonstruieren kann – 1965 vom Computervisionär Ted Nelson geprägt wurde (vgl. Barnet 2013, 73). Er bezeichnete damit ganz generell das Prinzip der freien, assoziativen und delinearen Verbindung von Textsegmenten, das „fundamentally traditional and in the mainstream of literature“ sei (Nelson 1987, 1/17). In der Folge setzte sich der Begriff primär in inhärenter Koppelung zu den spezifisch digitalen Textgestaltungs- und -organisationsmöglichkeiten durch: „Hypertext is the interactive interconnection of a set of symbolic elements“ schreibt David J. Bolter (1991, 27) und betont damit die Strukturprinzipien der Verknüpfung, die in Datenbanken und intelligenten Agenten genauso zum Tragen kommen wie in elektronischen Texten. Schon lange vor dem World Wide Web existiert Software, die es erlaubt, diese Grundstruktur des Hypertextes als modulare, beliebig miteinander verknüpfbaren Symbolsegmente umzusetzen. Das bekannteste dieser Programme ist HyperCard, das in verschiedenen Versionen in den 1980er Jahren auf den Apple-Computern installiert war und von den ersten Autoren von Hyperfictions – Romanen in Hypertextstruktur – genutzt wurde (vgl. Landow 1994, 2–/3). Hypertextsysteme dagegen wurden und werden für die Ordnung und Verwaltung umfangreicher Daten beispielsweise in Bibliotheken eingesetzt und dienen bis heute vor allem der schnellen und bequemen Auffindung von Informationen, also dem sogenannten Information Retrieval (vgl. zu den frühen Hypertextsystemen Kuhlen 1991). Doch auch der Textbegriff als solcher erweiterte sich: Nach der Lancierung des World Wide Web 1993 wurde ‚Hypertext‘ in den Geisteswissenschaften weitgehend in Bezug auf verlinkte Textmodule verwendet, die auch andere mediale Formate integrieren konnten. Hypertext sei gekennzeichnet durch eine Struktur, die – so heißt es in einem Beitrag von Bernd Wingert von 1996 – „computergestützt und bildschirmorientiert“ ist, eine „andere Art der Textpräsentation“ vornimmt, dynamische Medien integriert, „Anordnungen, Strukturen und Topologien“ aufweist, die auf Papier nicht möglich sind, und schließlich dem „Prinzip der Interaktion“ unterliegt (Wingert 1996, 201). https://doi.org/10.1515/9783110297065-027
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‚Hypertext‘ hat also von Anfang an zweierlei Hauptbedeutungen: Zum einen eine ‚enzyklopädische‘ der Erstellung und Organisation von Wissenssystemen, zum anderen die ‚ästhetische‘ Funktion der Modularität und freien Kombinatorik. Daraus entstehen neue literarische Formen – in den 1980er Jahren zunächst Hypertext-Romane, die als Hyperfiction ein Genre begründeten, das jedoch nie den Sprung zur Mainstream-Literatur geschafft hat und nach wie vor ein Nischendasein für Spezialisten führt. Hyperfictions beruhen auf dem klassischen AutorWerk-Modell [vgl. den Artikel Autorsubjekt und Werkherrschaft] und werden über den traditionellen Verlagsweg vertrieben, beispielsweise durch den seit 1982 existierenden Verlag eastgate (www.eastgate.com), der sich auf elektronische Literatur spezialisiert und mit Storyspace sogar ein eigenes Schreibprogramm für Hypertexte auf den Markt gebracht hat. Trotz dieser traditionellen Wurzeln stehen Hyperfictions in den 1980er Jahren bis in die 1990er Jahre hinein paradigmatisch für die Hoffnungen, die sich an die neuen digitalen Präsentations- und Distributionsmedien knüpften: Ihre Modularität sowie die Variabilität der Lesewege wurde von den Autoren (die oft auch Literaturtheoretiker in Personalunion waren) als Materialisierung der poststrukturalistischen Ideen von der Unbestimmtheit der Bedeutung (vgl. de Man 1994) verstanden. Gleichzeitig wurden damit Visionen der Ko-Autorschaft [vgl. den Artikel Kollektive Autorschaft] durch den Leser lanciert, da dieser ja die Reihenfolge der Textsegmente überhaupt erst zusammenfüge und damit das literarische Werk erzeuge. George Landow spricht in diesem Zusammenhang vom „wreader“ (1994, 14), der durch Annotationen, Lesewege und verlinkte Ergänzungen in der Lage sei, das ursprüngliche Werk zu modifizieren. Mit der Entstehung des World Wide Web (WWW), das auf der Idee von Tim Berners-Lee beruht, Dokumente plattform- und betriebssystemunabhängig zugänglich zu machen (vgl. Berners-Lee 1989), erweitern sich die textstrukturellen Möglichkeiten der Verlinkung zusätzlich, da nun auch die durch die Binnenstruktur des Computers nach wie vor gegebene Geschlossenheit und Werkhaftigkeit der Hyperfictions aufgebrochen werden kann. Von 1993 an können Texte nun unabhängig vom Faktor der Autorschaft miteinander vernetzt werden – entscheidend für die Erstellung eines Links auf einen anderen Text ist einzig und allein die Verfügbarkeit im WWW. Diese Möglichkeiten befeuern nicht nur Visionen eines auf weltweiter Vernetzung beruhenden „Docuverse“ (vgl. Winkler 1997), sondern verändern auch grundsätzlich den Blick auf die Literatur und deren traditionelle triadische Struktur aus individuellem Einzelautor, materiellem (statisch-abgeschlossenen) Werk und einem Leser, der dieses materielle Werk rezipiert.
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2 Geschichte und Erforschung des Phänomens Die Möglichkeiten der Vernetzung im WWW werden von Beginn an von experimentierfreudigen Autoren aufgegriffen und ausgetestet. Es entsteht eine Vielzahl von Projekten, die unterschiedliche kollektive Schreibpraktiken herausbilden: Von dem linearen, autorengebundenen Weiterschreiben von Geschichten über den schriftbasierten Live-Dialog, wie er in Chats praktiziert wird, bis hin zum softwarebasierten Remix von Textsegmenten, die von jedem über eine Maske eingegeben werden können, reicht die Palette. Schon Ende der 1990er Jahre entstehen im deutschsprachigen Raum erste literaturwissenschaftliche Untersuchungen zu diesen netzliterarischen Pilotprojekten (vgl. Böhler und Suter 1999, Suter 1999, Heibach 2000, Rau 2000, Böhler 2001, Simanowski 2002), die nach mittlerweile mehr als 20 Jahren Existenz des WWW inzwischen selbst schon den Status historischer Zeugnisse haben, weil sie zeigen, welche Parameter im Umgang mit den neuen Phänomenen für wichtig erachtet wurden (vgl. Hartling 2009). Diskutiert wird vor allem die medienspezifische Gestaltung der digitalen und vernetzten Texte, wobei auch auf historische Vorläufer der neuen Schreibpraktiken verwiesen wird. Durch diese rücken kollektive Produktionsprozesse und Formen vernetzter, delinearer Textpräsentation in den ‚alten‘ Medien überhaupt erst in der literatur- und medienwissenschaftlichen Forschung in den Fokus [vgl. den Artikel Autorschaft und Medien]. Strukturen wie durch Annotationen entstehende Textschichtungen, die in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Manuskriptkultur üblich waren, stehen genauso Pate für die Hypertextidee wie die Enzyklopädie-Projekte der Aufklärung. Sprach- und Konversationsspiele, die vorzugsweise im Barock, aber auch in den Salons des 18. und 19. Jahrhunderts praktiziert wurden, sind Vorbilder für die dialogische ad-hoc-Produktion (vgl. Seibert 1993). Ähnliches gilt für die Tradition der Poesieautomaten (vgl. Cramer 2011) und für ästhetische Schreibpraktiken der avantgardistischen Künstlerzirkel des frühen 20. Jahrhunderts und der 1960er Jahre, wie der écriture automatique, des cadavre exquis oder des cut-ups, die den Mythos des Autorengenies [vgl. die Artikel Genie und Autorschaft und Pop-Autoren] untergraben (vgl. Heibach 2003, 68–110). Deren Bedeutung für die ästhetischen Experimente mit der digitalen Vernetzung kann kaum überschätzt werden: Sowohl in den kollektiven Schreibexperimenten als auch in den ersten Experimenten mit Textgeneratoren wie auch in intermedialen und performativen Projekten sind die Avantgarden Vorbilder und Impulsgeber (vgl. Block et al. 2004).
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Vernetzte Praktiken des Wissens Grundlage für die Herausbildung neuer ästhetischer Praktiken sind zunächst ganz grundsätzliche Veränderungen in den Formen der Wissensgenerierung und -präsentation: Die technischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts bringen eine Reihe von Innovationen für die Bewahrung und die Organisation von Wissen hervor. Nicht nur der Computer, sondern schon davor Photographie, Film und Audio-Aufzeichnungen erweitern die Möglichkeiten der Speicherung entscheidend und transformieren unsere sprach- und textdominierte Kultur in eine multimediale. Doch der Umgang mit diesen Möglichkeiten muss erst gelernt werden. So werden angesichts der neuen Medien die unterschiedlichsten Modelle des Information Retrieval avant la lettre entwickelt: Die Belgier Paul Otlet und Henri La Fontaine entwarfen 1895 das Repertoire Bibliographique Universel, das alle jemals erschienenen Publikationen ordnen und dokumentieren sollte – nicht nur Texte, sondern auch andere Dokumente. Obwohl das Konzept von Otlet und La Fontaine einen physischen Ort voraussetzte, sollte das anzulegende Karteikartenkonvolut mit den vernetzten Kommunikationsmedien gekoppelt werden (vgl. Hartmann 2006). Vannevar Bushs inzwischen legendärer Artikel As We May Think von 1945 gilt als weiterer Vorläufer des Hypertextes: Mit seinem Konzept der MEMEXMaschine ging er insofern über Otlet und La Fontaine hinaus, als er nicht nur bestehendes Wissen archivieren, sondern neues Wissen erzeugen wollte. Nicht nur Speichern und Indexieren, sondern auch Verbinden der Dokumente, Ergänzung durch Eigenes und Fremdes sah sein universelles Wissensorganisationsmodell vor. Damit wird der Weg geebnet zur individuellen Gestaltung von Wissensnetzen – eine Idee, die von Ted Nelson zum Anlass genommen wird, das Konzept einer universellen Datenbank zu entwickeln, die er nach dem mythischen Schloss von Kublai Khan (in Referenz zu Samuel Coleridges Gedicht Kubla Khan, or: A Vision in a Dream: A Fragment) Xanadu nannte: Seine Vision eines umfassenden „Docuverse“ – ein Begriff, der ebenso wie der Begriff ‚Hypertext‘ von ihm geprägt wurde (Nelson 1987) – entstand in den späten 1960er Jahren, und auch er plante ein Wissensuniversum, in dem die Verlinkungen und Verbindungen, die jeder einzelne zu den verfügbaren Dokumenten macht, mit zum Wissen gezählt und daher gespeichert werden. Zudem sollte jeder Beteiligte seine eigenen Dokumente hochladen und mit anderen verknüpfen dürfen (vgl. Nelson 1987a [1974]). Zugleich werden die Strukturen des autoritativ beglaubigten Wissens aufgebrochen und eine Entwicklung angestoßen, deren Auswirkungen derzeit das über Jahrhunderte gewachsene Urheberrecht herausfordern [vgl. den Artikel Geistiges Eigentum und Copyright]. Und doch ist von den großen Plänen Bushs und Nelsons bisher noch nichts realisiert worden: Als einziges umfangreiches Netz
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des Wissens hat sich Wikipedia im WWW etabliert, während Ted Nelson seine Umsetzung von Xanadu vom Internet abgekoppelt, in der ursprünglich geplanten Form aber niemals umgesetzt hat. Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass für Nelson die Vision der allgemeinen Zugänglichkeit von Wissen nicht gleichbedeutend ist mit der kostenlosen Verfügbarkeit: Er plädiert für ein Entlohnungssystem, das nach wie vor auf den Errungenschaften des Copyrights und des Urheberschutzes beruht und hält damit am traditionellen Autorenbegriff fest. Wikipedia verzichtet dagegen auf auktorielle Zuschreibungen und funktioniert möglicherweise gerade deshalb, allerdings nur auf der Basis von freiwillig und kostenlos geleisteter Arbeit. Autorität erlangt Wikipedia durch ein anonymes Redaktionsteam und nicht mehr durch ausgewiesenes individualisiertes Expertentum. Diese Demokratisierung der Wissensgenerierung hat allerdings auch eine Kehrseite: Durch die enorme Quantität von Dokumenten im WWW, die mittels individualisierter Selektionsstrategien gefiltert werden können und letztlich auch müssen, entsteht das, was Eli Pariser die „Filter Bubble“ nennt (vgl. Pariser 2012): Jeder erfährt mittels intelligenter Agenten nur noch das, was seinen Interessen entspricht, und blendet alles andere aus. Beide Entwicklungen führen zu grundlegenden Änderungen des Verständnisses von Wissen, das sich ablöst von der professionellen Autorisierung und nunmehr in die Richtung der Vernetzung individueller Wissenshorizonte geht. Blogs und privat entstandene Handyfilme bedeutsamer Ereignisse (Naturkatastrophen, Terroranschläge etc.) ergänzen objektivierte massenmediale Informationsstrategien (zu denen auch der Buchdruck zu zählen ist), lösen sie sogar teilweise ab, weil ihnen das spektakulär Spontane ihrer Entstehung eine besondere Authentizität verleiht. Diese Tendenzen führen zu einer Ent-Standardisierung dessen, was als Wissen angesehen wird – mit entsprechend gravierenden Konsequenzen für kulturelle Identitäten, die ja zu einem nicht unerheblichen Teil auf gemeinsamen Wissensräumen beruhen. Andererseits ist es nun potentiell möglich, dass jeder sein eigenes Wissensuniversum kreiert, wodurch ein gewisser Demokratisierungseffekt eintreten könnte. Allerdings wäre in diesem Zusammenhang zu diskutieren, ob Diversifizierung tatsächlich mit Demokratisierung gleichzusetzen ist.
Auf dem Weg zur kollektiven Kreativität Literarische Experimente bauen auf dieser Entstandardisierung von Wissensformen und damit auch der Lösung von Wissensproduktion und auktorialer Zuschreibung auf. Vor allem nach der Einführung des WWW werden Praktiken kollektiven Schreibens [vgl. den Artikel Kollektive Autorschaft] erkundet. Doch schon vor der
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Entwicklung des WWW gab es erste Experimente mit den neuen Vernetzungsmedien, die damals noch Texte mittels Computer über die Telephonleitung transportierten. Ein Spektrum des künstlerischen Arbeitens mit diesen neuen technischen Vernetzungformen bietet die 1985 von François Lyotard kuratierte, Pionierarbeit leistende Ausstellung Les Immateriaux. Sie wird von einer Publikation begleitet, die aus 50 Stichwörtern besteht, zu denen eingeladene Autoren über ein vernetztes Computersystem in kommunikativer Interaktion gemeinsam Texte erstellen sollten (vgl. Lyotard 1985, Centre de Création Industrielle 1985). Die abgedruckten Texte sind nicht einfach nur die fixierten Endresultate, sondern zeigen ihren Entstehungsprozess in der Kommunikation zwischen den Autoren, die dadurch allerdings identifizierbar bleiben. Dennoch nimmt das Experiment in gewisser Weise die kollektive Schreibpraxis von Wikipedia vorweg. Ein ähnliches Projekt elektronisch vernetzter kollektiver Autorschaft wurde schon zwei Jahre zuvor ebenfalls im Rahmen einer Ausstellung umgesetzt, allerdings für eine fiktionale Geschichte: Roy Ascott initiierte 1983 für die von Frank Popper kuratierte Ausstellung Electra: l’électricité et l’électronique dans l’art du XXème siècle das Projekt La Plissure du Texte: Eine Gruppe von Künstlern, die an 14 Orten von Paris über Hawaii bis nach Australien verteilt waren, schrieb gemeinsam an einem Märchen, wobei jeder Gruppe eine bestimmte Rolle – Zauberer, Prinzessin, König etc. – zukam. Die Texte wurden wie bei einem Kettenbrief von Station zu Station geschickt und fortgeschrieben. Dieses Projekt legte den Schwerpunkt mehr auf die globale Vernetzung als auf innovative Schreibstrategien und wurde damit Vorbild für viele Projekte im WWW, die in der technischen Vernetzung das Potential sahen, die Kommunikation mit weit entfernten Menschen in unterschiedlichsten Kulturkreisen zu intensivieren – und zwar in Echtzeit. Kollektive Schreibprojekte wie Douglas Davisʼ (immer noch existierender) World’s First Collaborative Sentence (seit 1995) oder Sue Thomasʼ und Teri Hoskinsʼ Projekt Noon Quilt (1998–2005) wandten sich an alle Internet-User, die entweder den längsten Satz der Welt fortschreiben (Davis) oder ihre Impressionen um 12 Uhr mittags der Welt mitteilen sollten (Thomas und Hoskins 1998–2005). Andere Projekte gingen in der Kollaboration insofern weiter, als sie die Namenszuschreibungen zu den Textsegmenten tilgten – meist geschah dies unter Einbindung von Software, die eingegebene Texte transformierte, wie beispielsweise in Christa Sommerers und Laurent Mignonneaus Intermedia-Projekt Verbarium (1999), in dem die jeweiligen Texteingaben zum Dünger für ein virtuelles Pflanzenwachstum wurden, das sich auf dem Bildschirm ausbreitete. Auch das als Rhizom angelegte Spontan-Schreibprojekt Assoziatons-Blaster von Alvar Freude und Dragan Espenschied (seit 1999) gehört zu diesem Typus anonymisierter/automatisierter Schreibprojekte. Der Fokus dieser Experimente liegt nun nicht mehr auf der Erstellung eines ‚Werks‘, sondern auf der Erzeugung kreativer Prozesse, sei es durch Mensch-
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Mensch-Kommunikation via Maschine oder durch Mensch-Maschine-Interaktion. Diese Tendenzen scheinen das traditionelle Konzept der Autorschaft grundlegend in Frage zu stellen – vielleicht sogar grundlegender noch als die wegweisenden Verabschiedungen des Autors von Roland Barthes und Michel Foucault in den 1960er Jahren (vgl. Barthes 2006 [1968] und Foucault 2003 [1969]). Während diese vor allem darauf verweisen, dass der Individualautor zu einem Gutteil konstruktiven Charakter hat und sein Material aus zahlreichen Quellen und seine Praktiken aus kulturell präformierten Prozessen schöpft, gehen die frühen Netzliteraten im ursprünglichen Sinne praxeologisch an die Dekonstruktion des Autors und der Autorschaft heran. Vernetzte Kommunikation oder softwarebasierte Transformation sind dabei die wichtigsten Strategien der Autoreneliminierung. Doch das Prinzip der personellen Zuschreibung erweist sich als hartnäckig: Denn statt des Autors tritt, ähnlich wie in der avantgardistischen Kunst der 1910/20er sowie 1960er Jahre, der Projektinitiator und -regisseur auf den Plan. So ändern sich zwar die Rollen und die kreativen Praktiken, die das nun ständig in Transformation befindliche Projekt hervorbringen, nicht aber die individuellen Zuschreibungen (vgl. Wetzel 2002). Denn letztlich erweist sich die produktorientierte Ökonomie des Industriezeitaltes als ausgesprochen widerstandsfähig: Um von Kunst und Literatur leben zu können, muss man als Urheber identifizierbar sein, und so lebt der Literaturbetrieb in erster Linie von Namen und Personen. Daher kehrten viele belletristische Autoren, die anfangs Ausflüge in das vernetzte Schreiben gemacht hatten, schnell wieder zu den alten Strukturen zurück oder publizierten ihre Webprojekte als Bücher (vgl. beispielsweise Hettche und Hensel 2000, Goetz 1999; 2008), auch weil sie die Gestaltungshoheit über ihre Werke letztlich nicht abgeben wollten. Ein zweiter Faktor traditioneller literarischer Produktion erweist sich ebenfalls als sehr persistent: die Dauerhaftigkeit und langfristige Verfügbarkeit literarischer Produkte. Diejenigen Projekte, die die kollektive Kreativität (und mit ‚kollektiv‘ ist dann auch die Beteiligung von nicht-menschlichen Akteuren wie der Software gemeint), in den Mittelpunkt stellen, sind auch nur für eine bestimmte Zeit aktiv – dann versiegt ihre Dynamik und sie stagnieren. Inzwischen sind viele Projekte aus dem Netz verschwunden, auch wenn sich neuerdings das Literaturarchiv in Marbach um die Archivierung früher Netzprojekte kümmert (vgl. https://wwik-prod.dla-marbach.de/line/index.php/Hauptseite, 01. März 2019). Da die meisten dieser Experimente aber ihre ästhetische Qualität aus der kommunikativen Interaktion ziehen, wirken sie als ‚eingefrorene‘ statische Werke nicht mehr überzeugend und sind letztlich auch unvollständig – denn eines ihrer wesentlichen Merkmale ist die performative Produktionsweise, die nicht konserviert werden kann. In dieser Hinsicht schließen sie sich an die schon erwähnten traditionellen Strategien kollektiver Kreativität an, die zumeist in face-to-face-
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Begegnungen stattfanden, sich aber im Unterschied zu den Netzprojekten doch weitgehend an den herrschenden Kriterien des literarischen Marktes orientierten und ein vermarktbares Produkt hervorbrachten. Zumeist stand dann auch ein Autor für die Autorengemeinschaft, weshalb es im Rückblick oft nur noch schwer möglich ist, die Prozessdynamik zu rekonstruieren. Kollektive Kreativität bleibt daher nach wie vor ein Forschungsdesiderat der Literaturwissenschaft, gerade auch in historischer Hinsicht. Allerdings ist Kollektivität im Zeitalter digitaler Vernetzung jenseits des literarischen Feldes inzwischen ein wichtiger Topos geworden, insbesondere im Bereich der (häufig postmarxistisch geprägten) Globalisierungskritik. Antonio Negri und Michael Hardt (Hardt und Negri 2004), aber auch der Anthropologe Pierre Lévy (1997) und der Soziologe Manuel Castells verbinden die „Netzwerkgesellschaft“ (Castells 2001) mit neuen Formen der Zusammenarbeit, in denen sich projektgebundene Gemeinschaften bilden, um in Eigeninitiative die Produkte zu entwickeln und die Informationen zu generieren und zu verbreiten, die sie für wichtig und notwendig halten. In den letzten Jahren ist mit dem Web 2.0 daher eine Kultur der Partizipation entstanden, die als „Convergence Culture“ (Jenkins 2008) oder – subversiver formuliert – als „Bastard Culture“ (Schäfer 2011) gekennzeichnet wird. In dieser Kultur der aktiven Beteiligung entstehen die unterschiedlichsten kollektiven Praktiken jenseits der Produktionskontrolle durch die großen Konzerne: von der Open-Source-Software-Entwicklung über alternativen Publikationsplattformen wie Blogs, Facebook und Twitter, Eigeninitiativen von Autoren zur Publikation ihrer Werke bis hin zu Fan Communities, die ihre Lieblingsbücher und -serien in Eigenregie fortsetzen. Diese Formen entwickeln sich in engem Bezug zu den verfügbaren Technologien und sind auch inzwischen oft als Cross-Media-Projekte angelegt, die sich nicht nur des WWW bedienen, sondern Hybridräume der Aktivität schaffen, in denen ‚alte‘ und ‚neueʻ Medien interagieren (vgl. Jenkins 2008, 2). In diesen Praktiken verschwimmen nicht nur die Grenzen zwischen den Medien, sondern auch die zwischen virtuellem und realem Raum, zwischen künstlerischer Tätigkeit und Arbeit genauso wie zwischen Hoch- und Popkultur. Die Beschäftigung mit Strategien kollektiver Kreativität verlangt einen Perspektivenwechsel auch der Wissenschaften. Da die den traditionellen Literatur- und Kunstbegriff konstituierenden Kategorien des „Autors-Künstlers“ (Wetzel 2020) [vgl. den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten], des Werks und des passiv rezipierenden Individuums oder Publikums im 20. Jahrhundert sukzessiv aufgebrochen wurden, bis sie in der digitalen Vernetzung das scheinbar paradigmatische mediale Dispositiv finden, um die Visionen der Avantgarden wahr werden zu lassen, müssen auch die Wissenschaften ihre Kategorien überprüfen. In den letzten
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Jahrzehnten lässt sich als Trend in den Geistes- und Sozialwissenschaften generell eine Verschiebung der Aufmerksamkeit weg von der Analyse von Gegenständen hin zur Untersuchung von Praktiken beobachten. Hauptinspirationsquelle für diesen Perspektivenwechsel ist die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT), die von Bruno Latour, Michel Callon, Madeleine Akrich und John Laws in den 1980er Jahren im Rahmen empirischer Untersuchungen zu naturwissenschaftlichen Forschungsprozessen und Laborsituationen entwickelt wurde [vgl. den Artikel Autorschaft aus dem Blickwinkel der Akteur-Netzwerk-Theorie]. Deren spezifische Funktionsweise beschreiben die Forscher als rege Interaktionen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Handelnden – so entstehen „hybride[n] Akteure[n]“ (Belliger und Krieger 2006, 15), die traditionelle epistemologische und ontologische Grenzziehungen wie die zwischen Natur und Kultur, zwischen menschlichen Akteuren und technischen Artefakten (oder allgemein: zwischen Subjekt und Objekt) und nicht zuletzt die Differenz zwischen Ding und Handeln in Frage stellen (vgl. Belliger und Krieger 2006, 18). In den Fokus rücken die Relationen zwischen den Beteiligten, die Handlungsinitiativen („agency“, vgl. Schüttpelz 2013, 10) und die Prozesse, aus denen Interpretationen und Erkenntnisse emergieren. In der AkteurNetzwerk-Theorie werden sehr unterschiedliche Theorietraditionen aufgegriffen und neu interpretiert: Von den kybernetischen Regelkreisen und Rückkoppelungen ist der Weg nicht mehr weit zum ent-humanisierten Systembegriff von Niklas Luhmann, der soziale Systeme in erster Linie als prozessgesteuert versteht und die Soziologe von der Dominanz intentional handelnder Individuen ‚befreit‘ [vgl. den Artikel Systemtheorie]. Außerdem wird der semiotische Zeichenbegriff aufgegriffen und für die Emergenz von Erkenntnissen aus Vermittlungs- und medialen Transformationsprozessen fruchtbar gemacht. Dabei werden nicht nur sprachliche, sondern auch andere Übersetzungsprozesse [vgl. den Artikel Der Autor-Übersetzer], z. B. der der Übertragung von realen dreidimensionalen Räumen in die kartographische Zweidimensionalität, einbezogen, denn Wissensgenerierung ist für die Akteur-Netzwerk-Theorie prinzipiell multimedial. Der Netzwerkbegriff wiederum speist sich aus dem Interesse für Relationen und Interaktionen von Systemelementen genauso wie aus der weiterführenden Erkenntnis, dass auch nicht-menschliche Entitäten Handlungsinitiativen ergreifen können. Er ist damit ökologisch inspiriert und öffnet sich zu einem Verständnis von Vernetzung als Relation zwischen artverschiedenen Elementen. Als Kernprozess der Koppelung dieser heterogenen Entitäten wird die Übersetzung identifiziert: Sie ermöglicht die Herstellung eines gemeinsamen Handlungsfeldes, das wiederum konstitutiv für die Netzwerke ist. Dabei ist jedes der beteiligten Elemente in der Lage, Übersetzungsinitiativen anzustoßen (vgl. Belliger und Krieger 2006, 39). Diese Kurzbeschreibung mag schon darauf hindeuten, in welche Richtung die Aneignung der Akteur-Netzwerk-Theorie in den Medienwissenschaften geht:
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Im Zuge der zunehmenden Invasion intelligenter Technologien in unseren Alltag werden gerade diese immer mehr zu eigenständigen Akteuren mit spezifischem Agency-Potential. Die Mensch-Technologie-Koppelungen sind vielfältig geworden und bringen neue mediale Praktiken hervor, bei denen nicht notwendigerweise sicher ist, dass der Mensch die Handlungsmacht behält. Sie erfolgen nun nicht mehr über sichtbare Schnittstellen, sondern vielmehr über Interaktionen, denen eine gewisse Unmittelbarkeit eingeschrieben ist, die – trotz komplexer Übersetzungsprozesse – direkte Kommunikation mit den Maschinen suggeriert. So entstehen soziotechnische Ökosysteme („socio-technological ecosystem[s]“, Schäfer 2011, 18), für die auf theoretischer Ebene eine „allgemeine[n] Ökologie von Techniken und Medien“ gefordert wird (Hörl 2014, 123). Ubiquitous-ComputingTechnologien (vgl. Weiser 1991), die unsere Alltagsumgebung mit allerlei Steuerungsmechanismen von der lichtsensiblen Jalousie bis zum temperaturregelnden Thermostaten spicken (um nur die einfachsten zu nennen), und Sensoren, die unsere Körperfunktionen beständig messen und interpretieren, sind nur zwei Beispiele heute allgegenwärtiger Technologien, die für viele inzwischen selbstverständlich und damit unmittelbar geworden sind (vgl. dazu Heibach 2018).
3 Hauptaspekte des Phänomens: Kreative Praktiken der Vernetzung Die beiden Perspektiven auf gegenwärtige Arbeits- und Kreativitätsprozesse – die Do-it-yourself-Kultur als bottom-up-Prozess gegen die Globalisierung und die Dominanz der Konzerne einerseits und die Konzentration auf die Modellierung von Prozessen und die Untersuchung von Relationen andererseits bezeichnen die Hauptrichtungen, in die die Diskussionen um die Folgen des Kulturwandels durch die Digitalisierung derzeit gehen. Technologieentwicklung und Alltagspraktiken sind dabei nicht voneinander zu trennen: „The specific qualities of the technology stimulate or suppress certain uses and thus influence the way technologies are used and implemented by consumers in society.“ (Schäfer 2011, 14) Zwar ist diese Erkenntnis der inhärenten Wechselwirkung zwischen den Potentialen von Medientechnologien und den Veränderungen der Kommunikation und Interaktion in allen gesellschaftlichen Bereichen nicht neu (schon Marshall McLuhan hat sie entsprechend formuliert, z. B. McLuhan und Powers 1995, 117–125), doch die Konzentration auf die daraus resultierenden Praktiken ist präziser und detaillierter und erhöht die Bereitschaft, Hybridkonstellationen anzuerkennen. Die Weiterentwicklung der ästhetischen Projekte im Netz kann hierfür als Beispiel herangezogen werden, da sich in ihnen Hybridpraktiken manifestieren, die neue
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soziotechnische Erlebensräume schaffen und damit aktuelle medientechnische Entwicklungen und ihre möglichen Konsequenzen reflektieren.
Transmediale Sprachkunst als Phänomen zwischen den Räumen Die frühe Netzliteratur und Netzkunst konnte sich, wie auch die Hyperfiction, in mancherlei Hinsicht nicht vom traditionellen monomedialen Literaturbegriff lösen. Zum einen referiert sie in ihrer Wendung gegen den klassische Autorenund Werkbegriff natürlich genau auf diesen, zum anderen konzentriert sie sich – analog zu den Buchliteraten – auf ein einziges Medium (wenn auch in der Erweiterung und Aneignung verschiedener Zeichensysteme wie Text, akustische Elemente, Bild und Animation). Nur im Internet sollte die Netzliteratur existieren und daher eine medienspezifische Materialisierung erfahren. Dies führt zur schon geschilderten Konzentration der literarischen Produktion auf neue Formen der mehr oder weniger dynamischen Textpräsentation und der Formen kollektiver Autorschaft. Es entstehen Projekte, die sich inzwischen im Rückblick als wichtige Übergangsphänomene einstufen lassen, denn die Konzentration auf die strukturellen Eigenschaften des Computers und der digitalen Vernetzung reichten nicht aus, um ein neues Genre zu schaffen. Schon nach 10 Jahren suchte die Netzliteratur daher nach neuen Wegen und fand sie in einer Konvergenz zwischen Performativität im realen Raum und software- und netzgestützter Textgenerierung. Paradigmatisch für diese Entwicklung ist die Search-Trilogie von Johannes Auer, eines Netzliteraturpioniers der ersten Stunde. Sie besteht aus drei Performances mit jeweils unterschiedlichen ästhetisch-generativen Praktiken. Das Initiationsprojekt Search Lutz!, das Auer 2006 erstmals vorstellte, beruht auf dem Algorithmus, der 1959 von Theo Lutz geschrieben wurde, um aus Wortmaterial von Franz Kafka mit dem Rechner Zuse 22 erstmals einen computergenerierten literarischen Text zu erzeugen. Dieser Algorithmus wird nun mit Worteingaben in Suchmaschinen gekoppelt, die in den Live-Aufführungen von den Besuchern ergänzt werden können. Die daraus entstehenden Texte werden wie in einem Poetry Slam live vorgetragen (vgl. das Videobeispiel unter http://searchlutz. netzliteratur.net/engl/searchlutz_info.html, 01. März 2019). Auf Search Lutz! folgten weitere Varianten: SearchSongs (2008, gemeinsam mit René Bauer und Beat Suter) setzt die Buchstaben der Sucheingaben in die entsprechenden Töne der Notenskala um – ein Prinzip das Johann Sebastian Bach mit seinen B-A-C-H-Varianten berühmt gemacht hatte. Und als dritter Teil der „SuchTrilogie“ entstand schließlich, ebenfalls in Kooperation mit Bauer und Suter, searchSonata 181 (2011), das auf der Basis eines Passwortalgorithmus aus den
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Sucheingaben Laute generiert, die ebenfalls performativ im realen Aufführungsraum vorgetragen werden. Zwar verfügen alle drei Projekte auch über eine reine Web-Funktion, ihre Besonderheit entwickeln sie allerdings erst in der Live-Performance. Denn hier tritt auch die Kritik an der Autorschaft, die alle drei Module des Projekts antreibt, besonders deutlich hervor: Zum einen avancieren durch das ‚Anzapfen‘ der Sucheingaben die Nutzer unfreiwillig und ohne ihr Wissen zu Autoren. Die Anwesenden können diese Eingaben ergänzen, werden also wissend zu Ko-Produzenten und treten in ein Zusammenspiel mit den Aufführenden, so dass eine ad-hoc-Künstlergemeinschaft entsteht, die in der Tat projektbezogen, eben nur für den Zeitraum der ephemeren Performance, zusammenarbeitet, wobei Medienkonvergenz und kollektive Kreativität in diesem Projekt sehr augenfällig zusammenspielen. Ebenso wird deutlich, dass nicht nur menschliche Akteure an diesen Prozessen beteiligt sind: Die eingesetzte Software wie auch die Suchmaschinenalgorithmen tragen das Ihrige zum ästhetischen Prozess bei. Zudem entsteht eine kommunikative Koppelung der Akteure im Netz und im realen Raum, denn das Projekt erzeugt einen Hybridraum, der durch die Merkmale der Präsenz in der Performance und der damit verbundenen direkten Interaktion eine Erfahrung von Unmittelbarkeit ermöglicht, die die technischen ‚Zwischenschaltungen‘ und die Übersetzungsprozesse (weitgehend) vergessen lässt. Ein weiteres Beispiel für Hybridformationen stellen augmented reality fictions dar, deren ästhetische Struktur zwischen sprachbasiertem Hörspiel und Improvisationstheater angesiedelt ist und die dennoch ganz eigene Qualitäten entwickeln. Mit Notebook oder Tablet und Kopfhörern ausgestattet werden die User in eine Geschichte hineingezogen, in der sie Aufgaben erfüllen müssen, die sie aus der Fiktion heraus mit ihrer realen Umgebung in Interaktion treten lassen. Dies geschieht beispielsweise in den verschiedenen Projekten, die der Programmierer und Künstler Stefan Schemat seit den 1990er Jahren entwickelt hat. Hörspiel, Performance und ‚natürliche‘ Ereignisse in realen Räumen werden dabei miteinander verbunden: Das Projekt Wasser, das Schemat 2004 für Cuxhaven entwickelte, zog den User beispielsweise in eine Kriminalhandlung um eine verschwundene Person hinein. Eine Stunde Zeit blieb den ‚Kandidaten‘, um den Fall zu lösen, der sie zu einem bestimmten Ort im Wattenmeer führte. Die (mündlich vorgetragene) Narration wurde mit der realen akustischen und optischen Landschaftskulisse gekoppelt. Dadurch entstand ein Hybridraum, der imaginativ-akustische und gesamtleiblich-räumliche Erlebensebenen verband und inhärent mit der Topographie verflochten war, in der sich der User bewegte (vgl. Schemat 2004). Uncle Roy All Around You des Künstlerkollektivs Blast Theory ist ein weiteres Beispiel für eine solche Hybrid-Narration: Das Projekt verknüpft realen mit virtuellem Raum, indem die Teilnehmer in einer Art Verbindung von Rollenspiel und Schnitzeljagd eine fiktive Figur, Uncle Roy, finden mussten. Anweisungen
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über mobile Geräte und Begegnungen mit realen Menschen (Schauspielern) wiesen den Weg und erforderten eigene Entscheidungen, welchen Hinweisen gefolgt werden sollte. Damit erzeugte das Projekt eine Art Erlebensparadoxie: So war die Erzählung zwar fiktiv, aber die Handlungen, durch die die Beteiligten in das Geschehen involviert werden, waren durchaus real. Die Akteure befanden sich somit in einer Art fiktional-realem Hybridraum (vgl. zu einer ausführlicheren Analyse Krewani 2016, 193–194). Die Kombination von Online-Game und theatralem Rollenspiel bekommt ihre besondere Brisanz durch die Rückbindung an reale Orte, wodurch das Fehlen bekannter Verhaltensstandards spürbar wird. Denn ähnlich wie bei interaktiven Medieninstallationen sind die Regeln spielspezifisch und müssen im Verlauf der einstündigen Aktion erst herausgefunden werden. Blast Theory nennt diese Art der Hybridhandlung „Pervasive Games“ (vgl. Flintham et al. 2003, 168) und verweist damit auf den durchdringend-umfassenden Charakter des Spiels, das sich zwischen Virtualität, Fiktionalität und Realität entfaltet und dadurch auf eine Unmittelbarkeit des Erlebens abzielt. In beiden Beispielen entstehen spezifische Relationen zwischen unterschiedlichen handelnden Entitäten, zu denen auch die Programmierung und die elektronischen Navigations- und Kommunikationsmedien gehören. Das eigentliche ästhetische Ereignis emergiert erst aus der Interaktion zwischen allen Beteiligten und durchkreuzt die sonst separiert gehaltenen Aktionsräume. Ähnlich wie bei den frühen kollaborativen Netzprojekten können zwar die Initiatoren namentlich benannt werden, die Zahl der Beteiligten, die das Ereignis wesentlich mitkonstituieren, variiert aber von Mal zu Mal, so dass die verschiedenen Autorschaftsformen in diesen Fällen nicht die angemessene Analysekategorie bereitstellen. Vielmehr muss die Rede von Partizipationsprozessen sein, die es für die Wissenschaften zu untersuchen gilt. Im Sinne von Jenkins zeigen sich hier Manifestationen der Convergence Culture als einer Kultur, die verschiedene Medienplattformen miteinander verbindet und die Rolle zwischen Medienproduzenten und -konsumenten – hier allerdings in einem explizit als solchem gekennzeichneten künstlerischen Rahmen – aufbricht. In diesem Zusammenhang hat der Begriff des transmedia storytelling in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Er kann nicht nur auf die hier geschilderten Erzählformen angewandt werden, die verschiedene mediale Strukturen miteinander zu einem Ereignis verbinden, sondern er findet auch beispielsweise Eingang in neue Formen des Social TV, bei dem das klassische Broadcastmedium Fernsehen mit interaktiven Social-Media-Plattformen zu konvergenten Formaten zusammengespannt wird. Ebenso ist transmedia storytelling zu einer relevanten Werbestrategie avanciert, mittels derer Firmen produktbezogene Narrationen entwickeln, um Kunden dauerhaft auf Facebook und Instagram an sich zu binden (vgl. McErlean 2018).
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Neue kulturelle Hybridpraktiken der Partizipation Mittlerweile herrscht in der Forschung zu den aktuellen medialen Praktiken eine gewisse Übereinstimmung, dass die zu beobachtenden kulturellen Praktiken medienspezifischen Produzierens quer zu den sonst nach wie vor getrennt gehaltenen Sphären der medialen Arbeit, der Kunst und der massenmedialen Kommunikation/Konsumption liegen. Dazu gehören Programmierung und Hacking genauso wie Strategien, die unter dem Begriff des Mashups subsumiert werden und die vorhandenen medialen Produkte (von Software bis zu Filmen) in verschiedene Richtungen eigenmächtig modifizieren (vgl. Voigts 2015). Das Konzept der Autorschaft spielt hier – wenn überhaupt – nur noch eine untergeordnete Rolle, denn es geht um die Frage nach der Kontrolle über Prozesse und nicht mehr so sehr um Produkte und deren Warenwert. Zum Abschluss soll daher noch ein Blick auf solche Praktiken geworfen werden, die im engeren Sinne nicht zu den künstlerischen Tätigkeiten gehören, die aber durchaus Kreativität für sich in Anspruch nehmen und quer zu den jeweiligen Sphären der Kunst, der Arbeit und der massenmedialen Unterhaltungskultur liegen. Kaum eine Aktivität hat eine derartige Karriere hingelegt wie das Hacken von Software, das in den letzten Jahrzehnten von der Brandmarkung als Verbrechen zum Garanten von Sicherheit und Datenschutz geworden ist. Hacker sind, so der einschlägige Wikipedia-Artikel, Personen, die die „intellektuelle Herausforderung“ suchen, „auf kreative Weise Grenzen zu überwinden oder zu umgehen“ (vgl. Wikipedia 2019). Die Kreativität besteht dabei darin, Lösungen für Probleme zu suchen, die zunächst unlösbar erscheinen, indem bestehende Technologien für neue Funktionen modifiziert oder scheinbar sichere Computersysteme geknackt werden. Neben den recht stabilen Hacker-Communities wie dem Chaos Computer Club finden sich Hacker projektgebunden zusammen, um massenproduzierte Produkte (Soft- wie Hardware) für eigene Zwecke umzugestalten (vgl. das Fallbeispiel der Microsoft Xbox und des Xbox-Development Kits in Schäfer 2011, 77–91). Hacken als Modifikation oder Durchdringung von Softwareprozessen ist durchaus auch Bestandteil explizit künstlerischer Projekte: Im Bereich der Netzkunst gibt es zahlreiche Beispiele subversiver Programmierung und HackingStrategien, die unter dem Begriff des Codework zusammengefasst werden und im weitesten Sinne unter ästhetische Textarbeit gezählt werden, denn sie sind „Werke aus Symbolen mit einem Instrumentarium, das selbst nur aus Symbolen besteht“ (Cramer 2003). Das Künstlerduo Jodi schuf in den 1990er und 2000er Jahren einige Projekte, in denen beispielsweise Gamesoftware umgeschrieben wurde (wie Quake oder Max Payne 2, vgl. Jodi 1995–2001 sowie Jodi 2006).
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Im Unterschied zu den anwendungsorientierten Hackerprozessen jedoch ist die Personalisierung der Aktivitäten im Kunstbereich sehr viel stärker. Da mit dem Hacken nach wie vor auch ein gewisser subversiver Impetus verbunden ist, sind Hacker per se dem Autorschaftsdenken abgeneigt, denn sie richten sich gemeinhin gegen proprietäre Software und treten für open source-Politik ein (vgl. Wikipedia 2019). Innerhalb ihrer communities allerdings gibt es durchaus auch personelle Zuschreibungen und Hacker-‚Stars‘, die in der Mediengeschichtsschreibung eine entsprechende Rolle spielen (werden). Daran zeigt sich eine weitere Divergenz der Autorschaftsfunktion: Was in der breiteren Öffentlichkeit unbenannt bleibt, kann in Subkulturen durchaus personell identifizierbar sein und deren Strukturen beeinflussen. In umgekehrter Weise kann sich diese Janusgesichtigkeit von benannter Autorschaft und Anonymität bei kulturellen Praktiken der Aneignung von massenmedialen Formaten zeigen, die als Mashup, Remix oder Appropriation bezeichnet werden. Paradigmatisch hierfür sind die Fankulturen, in denen neue „Creative Crowds“ (Cuntz-Leng 2014) entstehen, deren Aktivitäten sich in Cross-Media-Produkten niederschlagen. Klassisch für solche Fanaktivitäten ist die Fort- und/oder Umschreibung von Fernseh- und Buch-Serien als Fan Fictions oder Fandoms. Prominentestes Beispiel hierfür ist der Weltbestseller Fifty Shades of Grey von E. L. James, der ursprünglich eine Variation zur Twighlight-Vampir-Serie von Stephenie Meyer darstellt. Solche Fan Fictions kommen häufig in Interaktion mit anderen Fans auf Internetplattformen zustande (vgl. Cuntz-Leng 2014a) und sind nicht selten Produkte kollektiver Kreativität, auch wenn die Vermarktung im klassischen Buchmarkt wiederum die Benennung von Autoren verlangt. Auch literarische Klassiker entgehen solchen Strategien nicht: Im Fall von Pride and Prejudice and Zombies (Grahame-Smith 2009), das Jane Austen mit dem Horrorgenre verbindet, werden kanonische Werke mit Literatur der Populärkultur gemischt (vgl. Voigts 2015, 150). Andere kollektive Strategien der Aneignung und Modifikation popkulturellen Guts sind sogenannte Fandubs, in denen Filme oder Filmausschnitte neu synchronisiert werden, meist mit parodistischem Impetus (vgl. Dubil 2014). Voigts spricht in diesem Zusammenhang von neuen literarischen Praktiken, die zu einer „performative[n] Hermeneutik“ führen, deren Kennzeichen „die Ablehnung von Text- und Autorenzentrierung“ zugunsten einer „nutzerorientierte[n] Hermeneutik der Alltagskultur“ ist, die die „ephemeren, niedrigschwelligen Fan-Mashups und Alltagsadaptionen kulturhermeneutisch als Vorgänge kulturellen Wandels und kultureller Übersetzung“ versteht (Voigts 2015, 151). Die Entstehung, Distribution und Rezeption derartiger popkultureller Produkte [vgl. den Artikel Pop-Autoren“] ist sicherlich ein nicht unwichtiges Phänomen, das die Verschiebung von der Fokussierung auf Werke und Autoren unterstreicht. Und dennoch zeigt sie auch, dass das eine derzeit nicht ohne das andere
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funktioniert: Denn die Kommerzialisierung verlangt nach Zuschreibbarkeit und bekommt sie auch. Sprich: Der Autor ist nach wie vor am Leben, doch er wird zunehmend angegriffen durch die geschilderten Praktiken der Kollektivität, die Hand in Hand gehen mit einer Paradigmenverschiebung in den Wissenschaften. Schreibpraktiken, die sich der Social-Media-Plattformen bedienen, spiegeln diese Ambivalenz und zeigen gleichzeitig, dass die Zielsetzungen der Netzliteraturpioniere inzwischen an Radikalität eingebüßt haben. Das gilt beispielsweise für Florian Meinbergs Twitteratur-Projekt @tiny tales, das ein klassisches Autorenprojekt darstellt. Meinberg publizierte von 2009 bis 2012 auf seinem Twitteraccount literarische Kürzestgeschichten von 140 Zeichen und gewann mit diesen 2010 des Grimme Online-Award. 2011 erschienen sie als Buch (Meimberg 2011). Der Facebook-Roman Zwirbler dagegen war kollektiver angelegt: Er wurde 2010 von Gergely Teglasy unter dem Kürzel ‚TG‘ intiiert und in Form von Statusmeldungen je 420 Zeichen geschrieben – unter ständiger Berücksichtigung der Anregungen und Kommentare seiner Leser. 2014 erschien der ‚fertige‘ Roman im Druck – als Taschenbuch und in einer selbstironischen Sonderedition als WC-Papierrolle, beides durch Crowdfunding finanziert. Obwohl das Kollektiv als Co-Kreator und ‚Verleger‘ gefeiert wird, firmiert die Story letztlich doch unter dem Initiatorennamen als Autor und wird von dessen Facebook-Account aktiv beworben. Insofern setzen diese Experimente die Tendenzen der frühen Netzliteratur fort, sind jedoch noch mehr als diese Einzelerscheinungen ohne reelle Chance, neue literarische Genres zu begründen (vgl. Kreuzmair 2016, 2017).
4 Forschungsdesiderate/Fazit Angesichts des derzeit zu beobachtenden Wandels sowohl der kulturellen Praktiken als auch der wissenschaftlichen Perspektiven auf die literarische wie künstlerische Produktion wird mehr und mehr deutlich, dass die Möglichkeiten der technomedialen Vernetzung weitreichende Folgen für unser Verständnis von Kreativität und Autorschaft haben werden. Angesichts der unverminderten Stärke des traditionellen Autorschaftsverständnisses ist zu vermuten, dass die Tendenzen zur ephemeren kollektiven Produktivität die Einzelautorschaft kaum verdrängen werden. Die derzeitige Forschung wird sich daher mit einer Diversifizierung von Autorschaftskonzeptionen auseinandersetzen müssen – dazu gehören die schon bekannten der menschlichen Akteure, zunehmend aber auch softwarebasierte Autorschaften, die von Social Bots bis zum automatisch generierten „Robo-Journalismus“ reichen (vgl. Graff 2018). Diesbezüglich kommen neue Herausforderungen gerade auf die Fächer zu, die eng mit traditionellen per-
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sonalisierten Autorschaftskonzepten verbunden sind, wie alle ästhetischen Wissenschaften (Literatur, Kunst, Musik, Theater). Denkbar ist hier beispielsweise eine stärkere praxeologische Ausrichtung in Anlehnung an die Untersuchungen auf der Basis der Akteur-Netzwerktheorie, um den Produktionsdynamiken auf die Spur zu kommen. Ebenso ist die historische Einordnung in Traditionen der Kollektivität nach wie vor ein Forschungsdesiderat. Das liegt zum einen an der Flüchtigkeit der Kommunikations- und Handlungsprozesse, zum anderen aber auch an der Beibehaltung kultureller Festschreibungen, nach denen beispielsweise der Geniekult den Begriff des literarischen Einzelautors im kulturellen Gedächtnis seit 1800 weitgehend zementiert habe. Zu beobachten bleibt daher auch, wie sich das Spannungsfeld zwischen Einzelgenie und Kollektiv in der Gegenwart weiterentwickelt, denn es kann kein Zweifel daran bestehen, dass durch die Digitalisierung und technische Vernetzung neue Kreativitätspraktiken entstanden sind, die sich nicht mehr mit den traditionellen Autorschaftskategorien erfassen lassen. ‚Hybridität‘ und ‚Konvergenz‘ sind daher zu zentralen Begriffen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit kreativen Prozessen geworden, die sich jenseits der Konzentration auf die Autorenpersönlichkeiten und Werkanalysen bewegen. Damit einher gehen auch Schwerpunktverschiebungen in der Analyse der neuen Erzählformen, wie sie im transmedia storytelling zu beobachten sind: Die Beteiligten sind keine Leser, deren Aktivität vor allem in der Imagination stattfindet, sondern sie sind Ko-Autoren, indem sie den vorgegebenen Rahmen mit Inhalt, sprich: mit Leben füllen. Für die zuständigen Wissenschaften heißt das Folgendes: Zum distanziert-textanalytischen Blick mit seinem ausgefeilten Methodeninstrumentarium tritt nun die Frage nach den adäquaten Herangehensweisen an Zustände der der gesamtsinnlichen Involviertheit, des Erlebens. Begriffe wie ‚Stimmung‘ und ‚Atmosphäre‘ haben in den letzten Jahren nicht nur in der Literaturwissenschaft Konjunktur (vgl. Gumbrecht 2011, Gisbertz 2011), sondern werden auch in anderen Bereichen wie der Medien-, Theater und Kunstwissenschaft, aber auch der Soziologie immer wichtiger (vgl. Heibach 2012). Noch ist jedoch unklar, mit welchen Methoden sich diesem gesamtleiblichen Empfindungsmodus genähert werden kann – dies zu diskutieren und wissenschaftlich fassbar zu machen, wird eine der vordringlichsten Aufgaben für die Zukunft darstellen. Dies erscheint zudem umso wichtiger, als die aktuellen Technologieentwicklungen des ubiquitous computing und des internet of things auf das Verschwinden des Medialen und auf die Entwicklung eines Unmittelbarkeitsempfindens abzielen, das uns den hochtechnisierten Charakter unserer Umwelt vergessen lässt. Damit entgleitet uns das Bewusstsein für die Veränderungen, die diese Technologien für unsere Selbstwahrnehmung und unsere Beziehung zur Umwelt implizieren. Dieser Entwicklung mit einem wissenschaftlichen Instrumentarium zu begegnen, das uns in die Lage versetzt, ihre Mechanismen zu erfassen und kulturell einzuordnen,
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ist allerdings ein genuin interdisziplinäres Unterfangen, an dem die Geisteswissenschaften im Verbund mit den Sozialwissenschaften, der Psychologie und der Informatik zu arbeiten haben. Die beschriebenen Entwicklungen können somit als ein Nährboden für eine neue Vielfalt von sozialen Praktiken gesehen werden, die nicht nur die ästhetischen Produktions- und Rezeptionsweisen hin zur Partizipation und zum gesamtleiblichen Erleben erweitern, sondern einhergehen mit der Herausforderung für die Wissenschaften, die verschiedenen Dimensionen des derzeitigen Kulturwandels erfassen zu können und der Gesellschaft Erkenntnisse an die Hand zu geben, die eine produktive Steuerung der digitalen Dynamiken erlauben.
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Jens Schröter
IV.3.3 Autorschaft aus dem Blickwinkel der Akteur-Netzwerk-Theorie Den theoretischen Diskussionen um die Autorschaft, wie sie den vorliegenden Band prägen, noch eine neue theoretische Perspektive hinzuzufügen, scheint müßig zu sein. Verschwindet der Autor nun im intertextuellen Gewebe und den Lesepraktiken oder bleibt er/sie als Bezugspunkt für die Selektion passender Interpretationskontexte und als ordnungsstiftende Figur von Texten unverzichtbar? Für alle diese Positionen wurden bedeutende Argumente hervorgebracht (vgl. Jannidis et al. 1999). Man könnte vereinfacht die beiden Pole, zwischen denen die Debatte oszilliert, als jene von Struktur (structure) und Handlung (agency) beschreiben. Ist der Autor eine ‚Position‘ oder ‚Funktion‘ in einer Struktur, einem System, Diskurs, Dispositiv, Feld etc. oder ist er ein Handelnder, der eigenständig Neues hervorbringt oder doch zumindest Vorhandenes auf neue Weise arrangiert? Dieser, in den theoretischen Diskursen oft komplexer gefasste Gegensatz wird hier so zugespitzt, da seit einiger Zeit die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) verstärkt rezipiert wird, insbesondere nach der Publikation vieler zentraler Texte in deutscher Sprache (vgl. Belliger und Krieger 2006). Dieser Ansatz tritt mit der „Haltung auf die Bühne, […] die analytischen Unterscheidungen zwischen Handlungsfähigkeit und Struktur, zwischen dem Makro- und dem Mikro-Sozialen“ (Law 2006, 441) zu überwinden (das ist kein neuer Anspruch, man denke etwa an die Arbeiten von Giddens und Bourdieu, die den Protagonisten der ANT aber durchaus bekannt sind). Also kann man fragen, ob die ANT Neues oder doch mindestens Interessantes zur Frage nach der Autorschaft beizusteuern hat. Dabei ist es nicht nötig, die Genealogie der ANT (vgl. Law 2008), ihre verschiedenen Weiterentwicklungen oder die Kontroversen um sie darzustellen. Die ANT versteht sich nicht als eine ‚Theorie‘ in einem eminenten Sinne. Es geht ihr nicht darum, ein konsistentes begriffliches System aufzubauen und dieses dann auf Einzelfälle zu projizieren. Vielmehr formuliert Latour (2007, 55): „Ist es den Konzepten der Akteure erlaubt, stärker als der Analytiker zu sein, oder ist es der Analytiker, der die ganze Zeit redet?“ Die ANT versteht sich also eher als „antireduktionistische Heuristik“ (Schüttpelz 2008, 235), die eine möglichst voraussetzungslose Beschreibung gegebener Akteur-Netzwerke anstrebt. Vorausgesetzte Ursachen, z. B. eine Determination durch ‚die Gesellschaft‘ oder ‚die Technologie‘, werden ausgeklammert. Vielmehr gilt es – um bei dem Beispiel Technologie/Gesellschaft zu bleiben – die performative Produktion von Beschreibungen wie ‚sozial‘ oder ‚technisch‘ im Einzelfall zu beschreiben. Es soll einer Situation keine gegebene theoretische Metasprache übergestülpt werden, https://doi.org/10.1515/9783110297065-028
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vielmehr haben die Akteure „ihre eigene elaborierte und vollkommen reflexive Metasprache“ (Latour 2007, 54). Statt a priori festzulegen, was ein ‚Autor‘ ist, ginge es darum, eine gegebene historische (oder gegenwärtige) Situation daraufhin zu überprüfen, wie ‚Auktorialität‘ produziert wird, wobei sehr verschiedene Formen solcher Produktion gleichzeitig nebeneinander bestehen könnten. So gesehen versteht sich die ANT als empirisch, wobei vor allem qualitative, ethnographische Methoden eingesetzt werden, was sich an einer zentralen Forderung der ANT zeigt, nämlich „den Akteuren [zu] folgen“ (Latour 2007, 28). Jedoch wird auch historisch gearbeitet, was sich mit Diskussionen über die Möglichkeiten ‚historischer Praxeologie‘ oder ‚historischer Ethnographie‘ (vgl. Wietschorke 2010) berührt.
1 Analysen von Akteur-Netzwerken Doch was ist ein ‚Akteur-Netzwerk‘? Es ist wichtig, nicht dem Irrtum zu erliegen, dass diese Beschreibung nur auf Phänomene zutrifft, die selbst in irgendeinem engeren Sinne netzwerkförmig sind – wie etwa das Internet. Es wird betont, dass man „einen Akteur-Netzwerk-Bericht von Gegenständen liefern kann, die keineswegs die Gestalt eines Netzwerks haben – von einer Symphonie [oder] einer Radierung“ (Latour 2007, 228). Akteur-Netzwerke sind also eine Form der Beschreibung, eine „Infrasprache“ (Latour 2007, 54). Dabei sollen – im Einklang mit dem Imperativ, möglichst voraussetzungslos zu beschreiben – alle beteiligten Entitäten als Akteure anerkannt werden: „[J]edes Ding, das eine gegebene Situation verändert, indem es einen Unterschied macht, [ist] ein Akteur – oder, wenn es noch keine Figuration hat, ein Aktant.“ (Latour 2007, 123) Dies bedeutet, dass Handlungsmacht (agency) über menschliche wie nicht-menschliche Akteure verteilt ist (zum Begriff der ‚agency‘ bei Latour vgl. Martin 2005; der Unterschied zwischen Akteuren und Aktanten sei hier nicht weiter verfolgt). Das ist das Symmetrieprinzip der ANT: Damit ist nicht gemeint, dass auch leblosen Dingen eine Fähigkeit zum intentionalen Handeln zugeschrieben wird, vielmehr ist es das Ziel, die Subjekt-Objekt-Dichotomie (ebenso wie jene von Struktur und Handlung) zu umgehen und von einer immer schon vorgängigen Verbindung menschlicher und nicht-menschlicher Akteure auszugehen. Aus dieser sehr knappen Darstellung einiger zentraler Grundannahmen der ANT leitet sich bereits umrisshaft ab, wie hier ‚Autorschaft‘ konzeptualisiert werden könnte. Zunächst ist die empirische Person nur ein menschlicher Akteur in einem Akteur-Netzwerk, welches man ‚Autor‘ nennt. So formuliert John Law: „Personen sind die, die sie sind, weil sie aus einem strukturierten Netzwerk heterogener
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Materialien bestehen. Wenn man mir meinen Computer, meine Kollegen, mein Büro, meine Bücher, meinen Schreibtisch, mein Telefon nähme, wäre ich kein Artikel schreibender, Vorlesung haltender, ‚Wissen‘ produzierender Soziologie mehr, sondern eine andere Person.“ (Law 2006, 434) In diesem Sinne bemerkt auch Albena Yaneva im Zuge einer ethnographischen Beschreibung der Einrichtung einer künstlerischen Installation in einem Museum: „[T]he art installation is realized neither by a free artistic gesture, nor by recalcitrant objects only. Instead, it is shaped by all participants in the installation process – humans and non-humans – and the peculiar material transformations they perform.“ (Yaneva 2003, 176) Und auch wenn diese Beschreibung nahelegen könnte, dass Autorschaft in komplexen medialen Konfigurationen wie der der Installationskunst (oder gar der des Films, vgl. Caldwell 2008) ‚verteilter‘ vorliegt als z. B. im Falle einer Schriftstellerin, die mit Papier und Stift alleine ist, so würde die ANT doch betonen, dass ein Autor immer eine relationale Anordnung aus menschlichen und nicht-menschlichen Elementen ist [vgl. auch den Artikel Autorschaft in den Bildkünsten]. Dies zeigt bereits die oben zitierte Anmerkung Latours, man könne auch eine ANT-Beschreibung von einer Symphonie oder einer Radierung geben (vgl. ähnliche Beispiele in Latour 2007, 85, 104; vgl. auch Hensel und Schröter 2010). Es gilt festzuhalten, dass „Attributionen von Verursachungen“, also auch Autorschaft, „vor allem als Effekte von Verkettungen“ (Schüttpelz 2008, 237) zu beschreiben sind. So gesehen geht der Autor weder dem Schreiben, Malen oder was auch immer voraus und entsteht auch nicht gleichzeitig mit diesen Tätigkeiten, sondern ist ein im Laufe der Zeit ‚zunehmend‘ stabilisiertes Netzwerk – und je größer und stabiler dieses Netzwerk ist, desto ‚berühmter‘, ‚wichtiger‘, ja im Wortsinne ‚größer‘ ist der Autor. Antoine Hennion (2010) hat in vergleichbarer Weise das Autor-Werden von Bach untersucht. Die kritische Literatur, z. B. über einen Roman, bildet zusammen mit z. B. Fernsehauftritten der ‚Autor‘ genannten empirischen Person, mit Autorbildern in Schaufenstern von Buchläden etc. Teile dieses wachsenden Netzwerks. Das Autorfoto auf der Rückseite eines Buches ist ebenso ein Teil dieses Netzwerks, wie es zugleich die empirische Person aus dem Kontext isoliert und so als „Figuration“ (Latour 2007, 93–94) produziert, die das Netzwerk aus heterogenen Akteuren ‚punktualisiert‘ [vgl. den Artikel Autor-Bild]. Es können jederzeit neue Elemente hinzukommen oder alte ausscheiden und mit jeder derartigen Veränderung verschieben sich die Funktionen aller anderen Elemente. In diesem Sinne ‚übersetzen‘ sie sich gegenseitig (vgl. Callon 2006 [1986]). In der ANT wird der prozessuale, performative und instabile Charakter der Netzwerkbildung unterstrichen – Netzwerke sind immerzu von Zerfall und Verformung bedroht. Autorschaft ist nicht gegeben (oder nicht gegeben). Sie ist immer ein Prozeß, der im Prinzip niemals endet, übrigens und offensichtlich auch
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nicht notwendig mit dem Tod der empirischen Person (oder der Personen), die Teil eines gegebenen Akteur-Netzwerks sind.
2 Verteilte Autorschaft Die Kontroversen (vgl. Latour 2007, 41–49) um einen gegebenen Autor, seine Bewertung oder Einordnung, ja die Attribution von Kausalität geht oft weiter. Manchmal verschwinden Autoren mit dem Tod der Personen, manchmal tauchen nach langer Zeit ‚vergessene‘ Autoren wieder auf. Im Laufe dieses Prozesses kann mal die (bisweilen ganz buchstäblich fotografische) Fokussierung auf den menschlichen Akteur zunehmen und mithin dessen individuelle Originalität herausgestellt werden, mal können andere menschliche oder nicht-menschliche Akteure in den Blick geraten und die Rolle der empirischen Person in den Hintergrund treten. Dies ist in gewisser Weise offensichtlich, kann doch ein Autor, zumindest seit der modernen Etablierung dieses Begriffs, in juristischen Zusammenhängen ein Rechtstitel oder in philologischen Kontexten eine Möglichkeit sein, einen Textkorpus zu erzeugen. Beides kann in demselben Fall gleichzeitig oder sukzessiv vorkommen – neben weiteren anderen Möglichkeiten. So weist Alfred Gell darauf hin, dass in außereuropäischen Kulturen die Autorschaft an einem Objekt durchaus auch göttlichen Wesen oder gar dem Objekt selbst zugeschrieben werden kann: „[The] anthropology of art cannot be exclusively concerned with objects whose existence is attributed to the agency of ‚artists‘, especially ‚human‘ artists. Many objects which are in fact art objects manufactured by (human) artists, are not believed to have originated in that way; they are thought to be of divine origin or to have mysteriously made themselves.“ (Gell 1998, 23) Das zeigt auch, dass die theoretische Diskussion um Autorschaft eurozentrische blinde Flecken besitzt (so kommen in Jannidis et al. 1999 außereuropäische Kulturen gar nicht vor). Die Idee göttlicher Inspiration hat natürlich auch in Europa eine lange Tradition, führt aber selten dazu, die Autorschaft an einem gegebenen Artefakt einem göttlichen Wesen direkt zuzuschreiben (aber siehe in Bezug auf Bach Hennion 2010). Aus Sicht der ANT wäre nicht a priori und aus der Position der Theorie entscheidbar, ob der Autor nun eher ein originelles Bewusstsein oder ein Effekt eines Feldes oder nur ein Kanal für göttliche Wesen ist oder nur die Selbsterschaffung von Artefakten initiiert. Alle Formen könnten abwechselnd oder sogar zugleich auftreten – statt eine Theorie des Autors zu formulieren und auf vorbefindliche Phänomene anzuwenden, wäre es nötig, die impliziten und sich ständig wandelnden Autor-Theorien in den verschiedenen Praktiken selbst aufzufinden. In dieser
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Hinsicht besteht eine gewisse Nähe der ANT zu poetologischen Fragen. So hat z. B. John Caldwell (2008), einer der wichtigsten Vertreter der Production Studies, die der ANT zumindest nahestehen (vgl. Vonderau 2013), den diversen AutorTheorien bezüglich des Films die ethnographische Erforschung der ‚Industrial Auteur Theory‘ entgegengesetzt: Wie wird in der Filmindustrie selbst Autorschaft verstanden und verteilt, umkämpft und ständig neukonfiguriert (z. B. zwischen ‚Produzent‘, ‚Regisseur‘, ‚Writern‘, ‚Creators‘, ‚Creative Directors‘ etc. pp.)? [vgl. den Artikel Autorenfilm] Diese Prozessualisierung und praxeologische Immanentisierung kann als der genuine Beitrag der ANT zu der Diskussion verstanden werden. Daher entscheidet sich die ANT weder für den Tod noch für die Rückkehr des Autors, sondern beobachtet, wie beides durch Netzwerkbildung hergestellt, stabilisiert und wieder destabilisiert wird. Dass immer wieder, und gerade auch in der populären Rezeption, starke Figurationen des Autors als ‚Genie‘ auftauchen, ist weder Beweis für ein Talent, welches der Kunst die Regeln gibt (Kant), noch eine ideologische Illusion [vgl. den Artikel Genie und Autorschaft]: Vielmehr ist die „punktualisierte Ressource“ – wie man mit Law sagen könnte – des Autors eine „Möglichkeit, schnell auf […] Netzwerke Bezug nehmen zu können, ohne es mit endloser Komplexität zu tun zu haben“ (Law 2006, 436). Das komplexe und in ständiger Bewegung befindliche Netzwerk wird oft zu einer ‚Black Box‘ ‚punktualisiert‘, wie die ANT formulieren würde. Es wäre also interessant, historisch zu untersuchen, wann und in welchen Praktiken diese Punktualisierungen überwogen haben und wann und in welchen Praktiken die Black Box geöffnet und so die verschiedensten Akteure, die an der Erzeugung und Aufrechterhaltung der Autorschaft beteiligt sind, freigesetzt und sichtbar wurden. Allerdings stellt sich abschließend die Frage, ob die hier versuchte Perspektive der ANT auf Autorschaft nicht bereits in zahlreichen anderen Studien, wenn auch in anderen Begrifflichkeiten, vorweggenommen wurde. So haben Saunders und Hunter (1991) Autorschaft in einer durchaus ähnlichen Weise historisiert und ihren auf mehrere Akteure verteilten Charakter herausgestellt – und damit prozessualisiert. Allerdings hat Latour (2007, 26–27) eingeräumt, dass zur Heuristik der ANT auch alle Studien gezählt werden könnten, die dicht am Material bleiben, selbst wenn sie sich nicht explizit auf in der ANT formulierten Terminologien beziehen.
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V Anhang
Beiträgerinnen und Beiträger Prof. Dr. Eric Achermann (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) PD Dr. Thomas Becker (Humboldt-Universität Berlin) Prof. Dr. Matthias Bickenbach (Universität zu Köln) Prof. Dr. Natalie Binczek (Ruhr-Universität Bochum) Jun-Prof. Dr. Irina Gradinari (FernUniversität Hagen) Prof. Dr. Claudia Gronemann (Universität Mannheim) Prof. Dr. Christiane Heibach (Universität Regensburg) Prof. Dr. Thomas Hecken (Universität Siegen) Prof. Dr. Carola Hilmes (Goethe-Universität Frankfurt am Main) Dr. Sabine Kampmann (Essen) Prof. Dr. Johannes F. Lehmann (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) Dr. Caroline Lodemann (Leibniz Gemeinschaft Berlin) Prof. Dr. Jochen Mecke (Universität Regensburg) Dr. Anke Niederbudde (Ludwig-Maximilians-Universität München) PD Dr. Stephan Pabst (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) Dr. Niels Penke (Universität Siegen) Dr. Matthias Schaffrick (Universität Siegen) Prof. Dr. Ute Schneider (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz) Prof. Dr. Jens Schröter (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) PD Dr. Gregor Schwering (Ruhr-Universität Bochum) Prof. Dr. Carlos Spoerhase (Universität Bielefeld) Prof. Dr. Ingo Stöckmann (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) Dr. Nicole Streitler-Kastberger (Karl-Franzens-Universität Graz) Prof. Dr. Jochen Strobel (Philipps-Universität Marburg) Dr. Claus Telge (Universität Trier) Dr. Marcus Willand (Universität Heidelberg) Prof. Dr. Uwe Wirth (Justus-Liebig-Universität Giessen)
Personenregister Abrams, J.J. 301 Acconci, Vito 550 Achermann, Eric 51 Adair, Gilbert 9, 163 Adelung, Johann Christoph 118 Adorno, Theodor W. 50, 114, 217, 519–520 Agamben, Giorgio 205–206 Akrich, Madeleine 611 Alberti, Leon Battista 54, 95, 545 Albertus Magnus 86 Alexander der Große 87 Allen, Woody 576 Angot, Christine 345 Apter, Emily 504 Arendt, Hannah 107 Aristoteles 81–82, 85, 110, 263, 455 Armendáriz, Pedro 578 Arndt, Ernst Moritz 133 Arnheim, Rudolf 591 Arnim, Achim von 129, 417–418 Arnim, Bettina von 60, 129, 321–322, 452, 460 Ascott, Roy 608 Aston, Louise 448 Astruc, Alexandre 153, 566–568 Auer, Johannes 613 Augustinus 84, 312–315 Austen, Jane 458–459, 617 Auster, Paul 162 Austin, John 26 Aydemir, Fatma 457 Bach, Johann Sebastian 613, 628 Bachmann, Ingeborg 448, 480–481 Bachtin, Michail 100, 280, 519 Bacon, Francis 417 Bahr, Hermann 470 Ball, Hugo 320 Balzac, Honoré de 13, 138, 142, 374, 376, 437 Barthes, Roland 6, 10–17, 19, 24–25, 30, 32, 37, 42–43, 61, 111, 128, 136, 150, 152, 154, 163, 166, 205, 214, 223, 231, 279–280, 296, 298, 300, 322, 342, 346,
372, 404, 422, 450, 493, 535, 550, 561, 593, 609 Baßler, Moritz 214 Bataille, George 18 Batteux, Charles 110 Baudelaire, Charles 50, 143, 268, 312, 374, 376, 502, 519, 524–525 Baudrillard, Jean 537 Bauer, Felice 386 Bauer, René 613 Baum, Vicki 148 Bayer, Konrad 481 Bazin, André 58, 153, 570 Beardsley, Monroe C. 30–31, 213, 223, 227, 473 Beaumont, Francis 417 Becher, Johannes R. 420 Becker, Jacques 571 Becker, Jurek 593 Becker-Cantarino, Barbara 460 Beckett, Samuel 13 Beethoven, Ludwig van 259 Behn, Aphra 458 Beigbeder, Frédéric 345 Beineix, Jean-Jacques 578 Benjamin, Walter 22, 38, 50, 58, 143, 149, 217, 272, 317, 319, 372, 374, 420–421, 473–474, 476–477, 484, 494, 502, 519, 590, 592, 598 Benn, Gottfried 272, 421, 438 Bennett, Andrew 13, 31, 53, 80, 128 Bernd, Adam 311 Berners-Lee, Tim 604 Bernhard, Thomas 317, 480 Bernhardi, August Ferdinand 419 Besson, Luc 578 Beuys, Joseph 551 Billroth, Theodor 391 Binet, Laurent 163 Bismarck, Otto von 391 Blackstone, William 243 Blanchot, Maurice 11, 18, 62 Blast Theory (Künstlerkollektiv) 614 Blau du Plessis, Rachel 453
Personenregister
Blei, Franz 479 Bleibtreu, Karl 589 Bloch, Ernst 50 Bloom, Harold 166, 458 Blyton, Enid 413 Boccaccio, Giovanni 90, 93–94, 497 Bode, Johann Joachim Christoph 433 Bodin, Jean 242 Bodmer, Johann Jakob 111, 125, 131 Böhlau, Helene 448 Böhmer, Justus Henning 246 Bohrer, Karl Heinz 386 Boileau, Nicolas 104, 264 Böll, Heinrich 480, 593 Bolter, David 154–155, 157, 603 Bolz, Norbert 53 Bonaventura 88 Booth, Wayne C. 33–36, 151, 214, 356 Borchardt, Rudolf 502 Borges, Jorge Luis 338, 354, 496 Börne, Ludwig 138, 474 Bosse, Heinrich 38, 51, 203, 232, 586 Bourdieu, Pierre 23–25, 41, 52, 136, 156, 344, 430, 477, 515–516, 518, 521, 523–527, 547, 625 Bovenschen, Silvia 451–453 Brecht, Bertolt 56, 145–146, 148–149, 370–371, 413, 420–422, 441, 477, 592 Breitinger, Johann Jakob 111–113, 125, 131 Brentano, Clemens 60, 129, 321, 386, 389, 417–418 Bresson, Robert 571 Breton, André 147, 413 Brinker-Gabler, Gisela 459 Brinkmann, Rolf Dieter 159, 284, 398–403, 405 Broch, Hermann 479 Brockhaus, Friedrich 436 Brontё, Charlotte 459 Brontё, Emily 459 Brüning, Elfriede 461 Bruno, Giordano 98 Bruns, Marianne 461 Büchner, Georg 259, 475, 505 Buffon, Charles 116 Bürger, Christa 460 Burger, Hermann 480
637
Bürger, Peter 520, 526 Burke, Sean 16, 26, 28 Burney, Fanny 458 Burroughs, William S. 404–405 Burton, Richard 104, 111 Bush, Vannevar 606 Butler, Judith 63, 326, 406 Butor, Michel 13 Byron, George Gordon 133 Cage, John 13 Calderón, Pedro 49, 500 Caldwell, John 629 Callon, Michel 611 Campe, Rüdiger 283, 387 Canetti, Elias 145 Carax, Léos 578 Cardinal, Marie 334 Carné, Marcel 564 Carter, Eliza 458 Cassirer, Bruno 441 Castelli, Leo 525 Castells, Manuel 610 Cavendish, Margaret 458 Celan, Paul 371, 503 Cellini, Benvenuto 54, 99–100 Cennini, Cennino 545 Cerquiglini, Bernard 83 Cerquiglini-Toulet, Jacqueline 93 Cervantes, Miguel de 49, 100–101, 295, 338, 500 Chabrol, Claude 568, 572–575 Chamisso, Adelbert von 419 Chaplin, Charlie 564 Char, René 413 Chartier, Roger 92, 229, 300–301 Chaucer, Geoffrey 89 Chawaf, Chantal 454 Chevillard, Éric 345 Chomsky, Noam 24 Cicero 91 Cixous, Hélène 61–62, 454–456 Clouzot, Henri-Georges 543 Coleridge, Samuel 606 Colonna, Vincent 43 Compagnon, Antoine 16, 35–36 Conan Doyle, Arthur 23
638
Anhang
Cooper, Dennis 484 Cotta, Johann Friedrich 433 Crary, Jonathan 137 Cronegk, Johann Friedrich von 470 Cunningham, Merce 13 Cusanus, Nicolaus (Nikolaus von Kues) 94 Cuvier, Georges 22 Dach, Simon 103, 388 D’Annunzio, Gabriele 502 Dante Alighieri 90, 92, 338, 369, 502 Darío, Rubén 502 Dark, Jason 419 Darrieussecq, Marie 339 da Vinci, Leonardo 54, 95–96, 129, 259 Davis, Douglas 608 Debord, Guy 154 de Bruyn, Günter 317 Defoe, Daniel 295 Deleuze, Gilles 360, 422 De Lillo, Don 372 de Man, Paul 29, 42, 163, 281, 298, 310, 340, 360–361 de Pizan, Christine 93 Derrida, Jacques 25–30, 42, 46, 50, 154, 206, 214, 282, 293, 310, 388, 454, 494, 504, 535 Descartes, René 455 de Vere, Edward 417 Dickinson, Emily 459 Diderot, Denis 265, 350, 471, 501 Diederichs, Eugen 440 Dilthey, Wilhelm 18, 141, 223, 278, 309, 341, 473 Döblin, Alfred 145–146, 148, 477, 590, 592 Don Alphonso 484 Dorn, Thea 456 Doubrovsky, Serge 29, 43, 162, 324, 332–338, 340, 342–343 Draesner, Ulrike 456 Droste-Hülshoff, Annette von 60, 448 Dubos, Jean-Baptiste 110, 264–265 Duchamp, Marcel 13, 47, 54–55, 151–152, 403, 528, 544, 551 Dückers, Tanja 457 Duff, William 259 Dumas, Alexandre 137, 413, 419, 437
Düntzer, Heinrich 391 Duras, Marguerite 345 Dürer, Albrecht 54, 129, 375 Durruti, Buenaventura 422 Duve, Karen 456 Eagleton, Terry 479 Ebner-Eschenbach, Marie von 448 Eco, Umberto 496 Ehlich, Konrad 384 Eichendorff, Joseph von 500 Einstein, Albert 259 Eliot, George 61, 459 Eliot, T. S. 147, 152, 154, 480, 598 Éluard, Paul 413 Emerson, Ralph Waldo 271 Enzensberger, Hans Magnus 422, 503 Erasmus von Rotterdam 239, 369, 375 Eribon, Didier 333 Ernaux, Annie 333 Ernst, Max 147 Erpenbeck, Jenny 457 Espenschied, Dragan 608 Faehndrich, Alice 505 Fassbinder, Rainer Werner 59, 576 Fichte, Johann Gottlieb 117–118, 247, 271, 500 Ficino, Marsilio 95, 263 Field, Nathan 417 Fielding, Henry 267 Finch, Anne 458 Fischart, Johann 100–101, 498 Fischer, Samuel 440–441 Fischer-Lichte, Erika 225 Flachsland, Caroline 452 Flaubert, Gustave 18, 100, 138, 570 Fleckhaus, Willy 366 Fleißer, Marieluise 148 Flesch, Hans 591 Fletcher, John 417 Fontane, Theodor 139, 435, 437–438 Forster, Georg 473 Foucault, Michel 6, 10, 17–22, 24–25, 27, 30, 46, 49, 58, 61, 83, 157, 166, 205–207, 223, 229, 281, 296, 298–300, 342, 385, 388, 404, 416, 422, 450, 492–493,
Personenregister
515–516, 518, 527, 536, 565, 568, 572, 593, 609 Franck, Julia 457 Francke, August Hermann 311 François, Louise von 448 Freud, Sigmund 11, 22–23, 150, 339–340, 455 Freude, Alvar 608 Freund, Gisèle 373 Fricke, Harald 211 Frisch, Efraim 479 Gadamer, Hans-Georg 28, 45, 223, 278 Galilei, Galileo 22 Gance, Abel 153 Gareis, Karl 247 Gauss, Carl Friedrich 259 Gautier, Théophile 141–143 Gell, Alfred 628 Gellert, Christian Fürchtegott 390 Genazino, Wilhelm 372 Genette, Gérard 34, 46, 230, 279, 293, 338, 359 George, Stefan 145, 284, 369, 371, 502 Gerard, Alexander 259 Gernhardt, Robert 164 Gierke, Otto von 247 Gilbert, Sandra M. 453, 458 Glattauer, Daniel 392 Glavinic, Thomas 44 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 391 Gnüg, Hiltrud 457, 459 Godard, Jean-Luc 153, 566, 569, 573–574, 577–578 Goethe, Johann Wolfgang 49–50, 54, 56, 85, 112, 114, 119, 121–126, 137, 210, 226, 267, 269, 312–316, 321, 340–341, 373, 375, 383–385, 388–389, 391–392, 413, 469, 472–473, 482, 498–500, 517–518, 534, 587 Goetz, Rainald 44, 160, 162, 344, 405, 484, 596–598 Goffman, Erving 293 Gogol, Nikolaj 355 Goldsmith, Oliver 115 Goll, Ivan 503 Gomringer, Nora 483 Gorki, Maxim 420
639
Göschen, Georg Joachim 433 Gottsched, Johann Christoph 111–112, 131, 390, 470 Gottsched, Luise Adelgunde Victorie 60, 448, 452 Gower, John 89 Graf, Dominik 578 Graham, Rodney 505 Grass, Günter 54, 480 Greenblatt, Stephen 98, 102 Griffith, David 564 Grimm, Jacob 418 Grimm, Jacob und Wilhelm 129, 352, 417–418, 420 Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von 103 Gröschner, Annett 457 Grotius, Hugo 243 Gruzdev, Il’ja 355–356 Guattari, Félix 422 Gubar, Susan 453, 458 Guibert, Hervé 345 Günderrode, Karoline von 60, 129, 321, 386 Gundling, Nicolaus Hieronymus 246 Günther, Johannes 388 Gutenberg, Johannes 45, 57, 429, 431, 435 Gutzkow, Karl 139, 436–437, 475 Gyau, Jean Marie 141 Haas, Wolf 211 Haferkorn, Hans Jürgen 38, 51 Hahn, Anna Katharina 457 Hahn, Ulla 480 Hahn-Hahn, Ida Gräfin 448 Hamann, Johann Georg 118–119, 269, 390, 471, 499 Handke, Peter 7, 163, 403, 480–482 Haratischwili, Nino 457 Harden, Maximilian 475 Hardt, Michael 610 Hartling, Florian 596 Hartman, Geoffrey 29 Hasenclever, Walter 441 Hauptmann, Gerhard 145 Hawkey, Christian 504–505 Hawkins, Paula 161 Hawks, Howard 153, 569–570
640
Anhang
Heath, Stephen 153 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 16, 119, 130, 271–272, 455 Hegemann, Helene 10, 164–165, 483 Heibach, Christiane 157, 596 Heidegger, Martin 9, 11, 27–29, 150, 223, 523 Heimann, Moritz 441, 479 Heine, Heinrich 137–138, 436, 470, 474, 476, 519 Heinich, Nathalie 52 Heinse, Wilhelm 391 Hellingrath, Norbert von 502 Henckel von Donnersmarck, Florian 47 Hennion, Antoine 627 Herbst, Alban Nikolai 211, 344, 484 Herder, Johann Gottfried 119–120, 123, 261, 264, 268, 270, 415, 417, 470–472, 499, 587 Hermann, Claudine 61 Hermann, Judith 457 Hermlin, Stephan 420 Herwegh, Georg 475 Herz, Henriette 452 Herzog, Werner 59, 576 Hesiod 80 Hesse, Hermann 54 Hessel, Franz 441 Heyse, Paul 438 Hiller, Kurt 477 Hinck, Walter 401 Hirsch, Edward 31, 36 Hirsch, Ernst E. 203–204 Hirst, Damien 525 Hitchcock, Alfred 153, 567–568, 570, 574 Hobbes, Thomas 105–106 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 7, 54, 129, 131, 134–135, 209, 295, 419 Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von 390 Hofmannsthal, Hugo von 144, 386 Hölderlin, Friedrich 128, 278, 502 Hölty, Ludwig 388 Holz, Arno 147, 589, 598 Homer 80–81, 368, 374, 414–415, 418 Hoppe, Felicitas 211, 325, 457 Horaz 111, 261, 369 Horváth, Ödön von 441
Hoskins, Teri 608 Houellebecq, Michel 162 Huber, Therese 448 Huch, Ricarda 448 Hugo de St. Victor 57, 87, 89 Humboldt, Caroline von 452 Humboldt, Wilhelm von 24, 125, 498 Husserl, Edmund 11, 26, 50, 150 Illich, Ivan 57, 284 Illyricus, Flacius 118 Immermann, Karl 137 Ingarden, Roman 150 Ingold, Felix Philipp 39 Irigaray, Luce 62, 454–456 Jabès, Edmond 11 Jakobson, Roman 279, 384 James, E. L. 444, 596, 617 James, William 147 Jannidis, Fotis 33, 37 Janzi, Peter 51 Jarosinski, Eric 484 Jean Paul 128, 132–134, 295, 311, 315, 418 Jelinek, Elfriede 160, 402, 456, 480 Jenkins, Henry 615 Jenny, Zoё 457 Johnson, Samuel 115 Johnson, Uwe 323 Jones, Jasper 55 Joyce, James 147, 318, 598 Jung, Carl Gustav 351 Jünger, Ernst 318 Jung-Stilling, Johann Heinrich 311 Kafka, Franz 146, 371–372, 374, 386, 392, 438, 613 Kahlo, Frida 318 Kalb, Charlotte von 460 Kampmann, Sabine 55 Kamuf, Peggy 62 Kant, Immanuel 117–120, 143, 212, 223, 245, 247–248, 259, 266, 269–270, 472, 500, 517, 587, 629 Kantorowicz, Ernst 90, 92 Karl I., König von England 240 Kasparow, Garry 259
Personenregister
Kästner, Erich 477 Kehlmann, Daniel 163, 167, 273 Keller, Gottfried 54, 138–139, 437 Kerr, Alfred 470, 474–476, 478–479 Keun, Irmgard 148 Khider, Abbas 325 Kindt, Tom 34 Kittler, Friedrich 58, 125, 132, 283 Klauke, Jürgen 550 Kleinschmidt, Erich 39, 82 Kleist, Heinrich von 128, 133, 386 Klingemann, August 48 Klopstock, Friedrich Gottlieb 114, 121, 391, 433, 443 Klopstock, Margareta 452 Kluge, Alexander 576, 594–595 Knigge, Adolph 104 Koeppen, Wolfgang 480 Kofman, Sarah 454 Kohler, Josef 249–250 Kolb, Ulrike 456 Kolumbus, Christoph 265 Konrad von Hirsau 86 Kord, Susanne 448 Körte, Wilhelm 391 Kracauer, Siegfried 477 Kracht, Christian 44, 163, 405 Kraus, Dagmara 505 Kraus, Karl 475–476 Kreuzer, Helmut 51, 142 Kris, Ernst 546 Kristeva, Julia 14, 26, 62, 93, 163, 214, 273, 280, 404, 422, 454, 456, 493 Kuhn, Mattis 167 Kürnberger, Ferdinand 471 Kurz, Otto 546 Lacan, Jacques 11, 151, 334–337, 340, 354, 388, 454–455 La Fontaine, Henri 606 Lampe, Friedo 441 Landow, George 154, 604 Lang, Fritz 153, 564 Lange-Eichbaum, Wilhelm 272 Langen, Albert 440 La Roche, Sophie von 60, 129, 448 Lasker-Schüler, Else 143, 148
641
Latour, Bruno 611, 625–627, 629 Laube, Heinrich 436, 475 Lauer, Gerhard 33 Lavater, Johann Caspar 264 Law, John 611, 626, 629 Lecarme, Jacques 332, 339–340 Leclerc, Annie 454 Leiris, Michel 317, 334 Lejeune, Philippe 309, 316, 334, 337, 339, 341 Lenz, Jakob Michael Reinhold 267, 269, 272 Lesage, Alain-René 139 Leskow, Nikolai 420 Lessing, Gotthold Ephraim 53, 117, 389, 433, 443, 470–471 Leupold, Dagmar 457 Lévi-Strauss, Claude 12, 550 Lévy, Pierre 610 Lewald, August 558 Lewand, Fanny 448 Lewin, Waltraud 456 Lichtenberg, Georg Christoph 318 Lindhoff, Lena 455, 460 Lispector, Clarice 454 Livingston, Paisley 36–37 Locke, John 106–107, 243–246, 250 Loerke, Oskar 441 Löffler, Sigrid 482 Lohenstein, Daniel Casper 390 Loher, Dea 456 Lombroso, Cesare 272 Loster-Schneider, Gudrun 448 Lottmann, Joachim 344 Louis, Edouard 333 Love, Harold 57 Löwenthal, Leo 115 Luhmann, Niklas 23, 43, 52, 137, 169, 293, 516, 518, 531, 535, 611 Lukács, Georg 38, 50, 120, 139, 456 Lumière, Auguste und Louis 564, 590 Luther, Martin 239, 375, 498–499 Lüthi, Urs 550 Lutz, Theo 613 Lynch, David 578 Lyotard, Jean-François 136, 318–319, 524, 608
642
Anhang
Majakowski, Wladimir 420 Mallarmé, Stéphane 13, 36, 144, 154, 502, 520 Mann, Heinrich 441 Mann, Thomas 145, 370–371 Manovich, Lev 159 Man Ray 322 Marboeuf, Félicien 144 Maron, Monika 461 Martial (Marcus Valerius Martialis) 472 Martin, George R.R. 424 Martínez, Matías 33, 403 Martus, Steffen 103, 112 Marx, Karl 22, 149, 351, 515 Massinger, Philip 417 Maupassant, Guy de 570 Mayer, Hans 481 Mayer, Paul 441 McLuhan, Marshall 57, 115, 146, 154, 282–283, 612 Mehring, Franz 477 Meinberg, Florian 618 Meinecke, Thomas 406 Meliès, Georges 564 Mercier, Louis-Sébastien 269 Mereau, Sophie 129, 448, 460 Merleau-Ponty, Maurice 523 Meyer, Stephenie 617 Michelangelo Buonarotti 54, 129 Mignonneau, Laurent 608 Miller, Nancy K. 63, 450 Milton, John 105 Minnis, Alastair 84, 86, 88, 90 Misch, Georg 340 Mishima, Yukimo 354 Modiano, Patrick 339 Moers, Ellen 458 Möhrmann, Renate 457, 459 Moltke, Helmuth von 391 Montaigne, Michel de 99–100 Moretti, Nanni 578 Morgenstern, Christian 441 Morgner, Irmtraud 456, 461 Mörike, Eduard 438 Moritz, Karl Philipp 122–123, 212, 315–316, 325, 517 Motte Fouqué, Caroline de la 448
Motte Fouqué, Friedrich de la 419 Muhammad Ali 259 Mühlbach, Luise 448 Müller, Hans-Harald 34 Müller, Heiner 413, 422, 594 Müller, Herta 457 Müller, Johannes von 391 Murger, Henry 142 Musil, Robert 272, 374, 470, 475–476, 478–479 Nabokov, Vladimir 146, 301 Nadar 373 Napoleon 259 Nauman, Bruce 55, 551 Negri, Antonio 610 Nelson, Ted 595, 603, 606 Nerval, Gérard de 143 Neumann, Wilhelm 419 Newton, Isaac 259, 265 Nickisch, Reinhard 389, 392 Nicolai, Friedrich 470 Nietzsche, Friedrich 11, 16, 27–28, 48, 141, 310, 316–317, 353 Nodier, Charles 143 Novalis 116, 129–131, 271, 391, 418, 500, 533, 587–588 Nünning, Ansgar 32, 34, 39 Ohlbaum, Isolde 372–373 Opitz, Martin 103, 112–113, 375 Osinski, Jutta 456 Oswald von Wolkenstein 374 Otlet, Paul 606 Otto-Peters, Louise 448 OuLiPo (Autorenkollektiv) 423 Ovid 261, 352, 390 Özdamar, Emine Sevgi 457 Pailer, Gaby 448 Panofsky, Erwin 23 Pariser, Eli 607 Parsons, Talcott 532 Paulus 263, 389 Pehnt, Annette 457 Pepys, Samuel 318 Perrault, Charles 104, 110, 264–265
Personenregister
Pessoa, Fernando 320–321, 359 Petersen, Johanna Eleonora 311 Petrarca, Francesco 49, 90–92, 369 Petrelli, Susan 496 Petrowskaja, Katja 457 Picasso, Pablo 543 Pico della Mirandola 95 Pindar 502 Pinthus, Kurt 441, 590 Platon 46, 49, 57, 81, 91, 263–264, 455, 500, 586 Plessner, Helmuth 350 Plumpe, Gerhard 51, 166 Poe, Edgar Allan 376, 388 Polgar, Alfred 470, 479 Popper, Frank 608 Pound, Ezra 353 Proba 93 Proudhon, Pierre-Joseph 137, 141 Proust, Marcel 18, 144, 317–319, 334, 338, 598 Pückler-Muskau, Hermann von 143 Pufendorf, Samuel 243 Pynchon, Thomas 162–163, 371 Quintilian 57, 261 Raabe, Wilhelm 435, 437–438 Rabelais, François 100, 498 Racine, Jean 335 Radcliffe, Ann 22 Raffael 129 Rambach, Friedrich Eberhard 413, 419 Reich, Philipp Erasmus 240 Reich-Ranicki, Marcel 470, 480–481, 483 Reimann, Brigitte 461 Reimarus, Elise 452 Reitz, Edgar 576 Renoir, Jean 564, 567, 570 Reventlow, Franziska von 143 Richardson, Samuel 115, 302, 390 Richter, Hans Werner 481 Rilke, Rainer Maria 144–145, 147, 354, 386, 502, 504 Rimbaud, Arthur 502 Rimini Protokoll (Künstlergruppe) 413 Rivette, Jacques 153, 570–573, 575
643
Robbe-Grillet, Alain 13, 324, 339 Robin, Régine 344 Röggla, Kathrin 456 Rohmer, Éric 153, 568, 573, 575 Rollin, Charles 111 Rose, Mark 51 Rosenbach, Ulrike 550–551 Rossellini, Roberto 153, 567, 570–571 Rousseau, Jean-Jacques 108, 269, 294, 311–316, 325, 334, 383, 389 Rowling, Joanne K. 424 Rowohlt, Ernst 440–441 Rühmkorf, Peter 442 Said, Edward 47, 53 Sainte-Beuve, Charles-Augustin 140, 471 Salice-Contessa, Karl Wilhelm 419 Sallis, Andrew 153 Sappho 375, 456 Sargnagel, Stefanie 484 Sarraute, Nathalie 324 Sarris, Andrew 566 Sartre, Jean-Paul 317, 342 Saussure, Ferdinand de 10, 22, 150 Scaliger, Julius Caesar 97, 109, 204 Schaffrick, Matthias 4, 43, 45 Schanze, Helmut 588 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 270, 415 Schemat, Stefan 614 Schiller, Friedrich 56, 127, 161, 216, 270, 272, 375, 388, 391, 413, 415, 470, 472–473, 482, 517, 585, 587 Schlaf, Johannes 147 Schlegel, August Wilhelm 500, 533 Schlegel, Friedrich 60, 116, 119, 129, 131–132, 209, 223, 271, 391, 418, 470–471, 473–475, 533 Schlegel-Schelling, Caroline 452, 460 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 46, 132, 213, 223, 263, 278–279, 498, 500–501, 587 Schlingensief, Christoph 56 Schmitt, Carl 133 Schmitz-Köster, Dorothee 461 Schneemann, Carolee 550 Schneider, Manfred 317
644
Anhang
Schneider, Robert 163, 273 Schnitzler, Arthur 147 Schopenhauer, Arthur 272, 371 Schopenhauer, Johanna 448, 460 Schößler, Franziska 452, 460 Schreber, Daniel Paul 125 Schrott, Raoul 80 Schulz, Otto August 388 Schütz, Helga 461 Schwenger, Hannes 38 Searle, John 26 Seghers, Anna 456, 461 Semler, Johann Salomo 263 Seneca 105, 238, 390 Setz, Clemens 167 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper of 109–110, 115, 118, 204, 264, 266–267 Shakespeare, William 49, 80, 97, 100, 102, 123, 137, 263–264, 268, 413–414, 417–418, 500, 502 Shelley, Percy Bysshe 131 Showalter, Elaine 453, 458 Sidney, Philip 97 Simanowski, Roberto 157 Slavejkov, Penčo 359 Sohn-Rethel, Alfred 108 Sollers, Philippe 14 Sommerer, Christa 608 Sontag, Susan 214 Spener, Philipp Jakob 311 Spinoza, Baruch de 45 Spitzer, Daniel 471 Stalder, Felix 159 Stanley, William 417 Stein, Charlotte von 452 Stein, Gertrude 318, 321–322 Steiner, George 496 Steinhövel, Heinrich 94, 100, 497 Stelling, Anke 457 Stephan, Inge 453 Stifter, Adalbert 137, 139 Stillinger, Jack 158 Stingelin, Martin 387 Storm, Theodor 139, 435, 437 Streeruwitz, Marlene 456 Strohschneider, Peter 83 Stuckrad-Barre, Benjamin von 405
Sue, Eugène 437 Suhrkamp, Peter 440 Süskind, Patrick 163, 273, 593 Suter, Beat 613 Szeemann, Harald 56 Szondi, Peter 278, 503 Taïa, Abdellah 345 Taine, Hippolyte 140 Talbot, William Henry Fox 588 Tarantino, Quentin 576 Tasso, Torquato 98, 100 Tau, Max 441 Tawada, Yoko 457 Teglasy, Gergely 618 Theisohn, Philipp 136, 165 Thomas, Sue 608 Thomasius, Christian 471 Thurneysen, Johann Rudolf 246 Tieck, Ludwig 129, 134, 259, 419, 500 Tittel, Gottlob August 246 Tolkien, J. R. R. 424 Tomaševskij, Boris 210 Traven, B. 371 Treichel, Hans-Ulrich 164 Tretjakow, Sergej 420, 477 Trilling, Lionel 108 Truffaut, François 153, 568–569, 571–575 Tucholsky, Kurt 477 Türck, Hermann 272 Tynjanov, Juri 355, 357, 521 Unseld, Siegfried 440 Valéry, Paul 144 Valie Export 550 Varnhagen von Ense, Karl August 389, 419 Varnhagen von Ense, Rahel 60, 129, 321, 389, 452, 460 Varro, Marcus Terentius 368 Vasari, Giorgio 54, 94, 96–97, 99, 125, 129, 368, 375, 546, 549 Veit, Dorothea 129 Vellusig, Robert 393 Venuti, Lawrence 495–496, 502 Vergil 87, 352, 369 Verlaine, Paul 502
Personenregister
Vertov, Dziga 578 Viebig, Clara 448 Vietta, Egon 421 Vigny, Alfred de 142 Villers, Alexander von 391 Voß, Johann Heinrich 415, 498 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 129, 135 Wagner, Richard 391 Walker, Cheryl 63 Walser, Martin 112, 392, 482 Walser, Theresia 456 Walther von der Vogelweide 87 Wangenheim, Inge von 461 Warhol, Andy 55, 152, 402–403, 422, 524–525 Waterstradt, Berta 461 Weber, Max 106, 146, 165, 516, 526 Wehrli, Max 207 Weigel, Hans 470, 480 Weigel, Sigrid 448, 453, 458–459 Weimar, Klaus 206 Weiss, Peter 54 Wellershoff, Dieter 442 Welles, Orson 570 Wenders, Wim 59, 576 Wenzel, Horst 83 Werfel, Franz 441 Werner, Ruth 461 Wieland, Christoph Martin 49, 268, 294, 433, 443, 498 Wienbarg, Ludolf 436 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich 501 Wilde, Oscar 358, 476, 479 Wilkormirski, Binjamin 164
645
Wimsatt, William K. 30–31, 213, 223, 227, 473 Wingert, Bernd 603 Winkels, Hubert 594 Winko, Simone 33, 596 Wittgenstein, Ludwig 310, 524 Wittig, Monique 454–455 Wodin, Natascha 457 Wohmann, Gabriele 593 Wolf, Christa 323, 448, 456, 461, 483 Wolf, Friedrich August 412, 414–415 Wolf, Uljana 504–505 Wolff, Kurt 440–441 Wolfram von Eschenbach 82 Wollen, Peter 153–154, 566 Wolzogen, Caroline von 448 Wondratschek, Wolf 404 Wood, Robert 418 Woodmansee, Martha 51 Woolf, Marah 444 Woolf, Virginia 61, 147, 318–319, 451, 457, 459 Wunderlich, Werner 39 Yaneva, Albena 627 Yeats, William Butler 353 Young, Edward 114, 122–124, 245, 264, 267, 270–271 Zedler, Johann Heinrich 262 Zeh, Juli 456 Zelter, Carl Friedrich 391 Zinner, Hedda 461 Zola, Émile 139, 589 Zuckmayer, Carl 441
Grundthemen der Literaturwissenschaft Herausgegeben von Klaus Stierstorfer Rainer Emig, Lucia Krämer (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Adaption ISBN 978-3-11-040781-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041066-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041079-2 Michael Wetzel (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Autorschaft ISBN 978-3-11-029692-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-029706-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038908-1 Andreas Englhart, Franziska Schößler (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Drama ISBN 978-3-11-037956-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-037959-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-037963-1 Martin Huber, Wolf Schmid (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Erzählen ISBN 978-3-11-040118-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041074-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041080-8 Lut Missinne, Ralf Schneider, Beatrix Theresa van Dam (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Fiktionalität ISBN 978-3-11-046602-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-046657-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-046633-1 Robert Matthias Erdbeer, Florian Kläger, Klaus Stierstorfer (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Form ISBN 978-3-11-036433-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-036438-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038578-6 Eric Achermann (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Interpretation ISBN 978-3-11-040782-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-057771-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-057585-9
Rolf Parr, Alexander Honold (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Lesen ISBN 978-3-11-036467-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-036525-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039128-2 Norbert Otto Eke, Stefan Elit (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Literarische Institutionen ISBN 978-3-11-036469-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-036530-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039129-9 Christiane Lütge (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Literaturdidaktik ISBN 978-3-11-040120-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041070-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041084-6 Rainer Grübel, Gun-Britt Kohler (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Literaturgeschichte ISBN 978-3-11-035968-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-035975-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038687-5 Ralf Simon (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Poetik und Poetizität ISBN 978-3-11-040780-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041064-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041081-5 Vittoria Borsò, Schamma Schahadat (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Weltliteratur ISBN 978-3-11-040119-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041072-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041078-5
Alle Bände der Reihe sind auch als eBook erhältlich